fiATURWISSENSCHAFTLICHE WOCHENSCHRIFT NEUE FOLGE 15-BAND ■--^ HERAUSGEGEBEN VON D^ H MIEHE ,V FISCHER ^anDABOUMANJr Naturwissenschaftliche Wochenschrift BEGRÜNDET VON H. POTONit HERAUSGEGEBEN VON Prof Dr H. MIEHE IN BERLIN NEUE FOLGE. 15. BAND (DER GANZEN REIHE 31. BAND) JANUAR — DEZEMBER 1916 mit 307 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1916 Alle Rechte vorbehalten. Register. I. Größere Originalartikel und Sammelreferate. Baege, M. II., Ernst Mach. 337. Boecker, E., Über die neueren Ergeb- nisse der Hydraforschung. S. 2S1. Bokorny, Th., Die Nägeli-Löw'schen Versuche über Hefeernährung als Grund- lagen der heutigen Hefeproduktions- bestrebungen. 149. D e b a t i n , O., Die Pelroleumfelder Meso- potamiens. S. 289. D i e t r i c h , W. O., Unsere diluvialen Wild- pferde. 614. Eckardt, \V. R., Das Klima der permo- karbonen Eiszeit. 145. E i c h vv a I d , E., Neuere Forschungen über die Chemie und Physiologie der Fette. 273. F e h 1 i n g e r , H., Über Entstehung mensch- licher Rassenmerkmale. 625. Fehlinger, H., Über Rassenhygiene. 208. Flaskämper, F., Beitrag zum Problem des Vitalismus. 481. Fock, E., Dispersoide. 313. Friedman u, A., Naturschätze in der Türkei. 369. Gerschier, M. W., Evolution, Mutation, Pendulation. 177. Halb faß, \V., Neuere Arbeiten über die Erosion des fliefienden Wassers. 429. Halb faß, W., Neuere Arbeiten der Ab- teilung für Wasserwirtschaft im Schweizer Departement des Innern. 129. Halb faß, W., Über die Verdunstungs- größe freier Wasserflächen. 457. Halbfaß, W., Über den Jahreshaushalt der Elbe und Oder. 609. Haldy, B., Kleintieraufnahmen. 103. Hansemann, D. v., Der Vergleich der Einzelligen mit den Metazoen. 441. Hase, A., Über die Entwicklungsstadien der Eier und über die Larven der Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer = vestimenti Nietzsch|. I. Hase, A., Vergleichende Beobachtungen an den Eiern und Larven des Menschen- flohes (Pulex irritans L.), der Kleider- laus (Pediculus corporis de Geer) und der Bettwanze (Ciraex lectularius L.). 649. Häußler, E. P., Über Amine, Amido- säureu und Eiweißkörper, Alkaloide, Hormone , proteinogene Amine und Toxine. 560. Hedinger, E., Die Konstitutionslehre in der modernen Medizin. 665. Hennig, Edw. , Nordamerikas Dino- saurierschätze. 385. Hennig, Edw., Ein neuer Stegosaurier aus Deutsch-Ostafrika. 53. Henning, H., Künstliche Geruchsspuren bei Ameisen. 744. Herbst, C, Der kluge Hund von Mannheim. 537. Hilzheimer, M., Kamelfragen. 460. Hirsch, G. Chr., Die Erregung und der Arbeitsablauf der Verdauungsdrüsen. 553- Hoehne, E. und Wagner, W., Ein Beitrag zur Frage der Wünschelrute aus der Umgebung Straßburgs. 672. Huttenlocher,F., Von der Raupe des Seidenspinners. 262. Kathariner, L., Die Polyembryonie. 30z. Kathariner, L., Das Tier in Sprich- wörtern und Redensarten in der Historia animalium von Konrad Gesner. 119. Killermann, S., Die Zitronen und Orangen in Geschichte und Kunst. 201. Killermann, S., Zur Geschichte des Wisents (Bison europaeus Ow.). 71. Klose, H., In letzter Stunde. 359. Knauer, Fr., Zur Frage von der Vogel- abnahme. 627. Koch, A., Das Fleckfieber. 542. K r a u ß e, A., Die mechanische Einwirkung von Formica rufa cinerea (Mayr) For. auf Sandboden. 571. K y 1 i n , H., Die Chromatophorenfarbstoflf'e der Pflanzen. 97. Druckfehlerberichti- gung. 224. Leick, E., Die Stickstoffnahrung der Meeresalgen. 87. Lip schütz, A., Soziale Lage und Er- nährung. 317. Lipschütz, A., Aus dem Leben der Hefezelle. 497. Linstow, O. V., Ergebnisse von Grundwasserfeststellungen mittels der Wünschelrute bei der Försterei Trassen- moor. Kr. Usedom-Wollin. l6l. Mach, E., Einige vergleichende tier- und menschenpsychologische Skizzen. 241. Marcus, K., Die Aalfrage. 329. Martin, R., Die Siwalik-Primaten und der Stammbaum des Menschen. 39S. Mayer, A., Das subjektive Maß der Zeit. 442. Mecklenburg, W., Die Adsorption. 409. Milewski, A., Einflüsse, die den Form- charakter der Tiere abändern. Wie entstehen „rassige" Schleierschwanz- fische? 721. Milewski, A.,Verüben Tiere Selbstmord ? 23- Mötefindt, H., Hermann Klaatschf- 297- Nachtsheim, H., Theodor Boveri. 81. Nagel, K., Über Mazeration von kohlig I erhaltenen Pflanzenresten. 569. Naumann, E., Eine einfache Methode zum Studium des Nanoplanktonlebens des Süßwassers. 180. N e u m a n n , W., Über Pseudo-Tierpsycho- logie. 521. Olufsen, Zur Frage der Maulbeerbusch- züchtung. 190. Oppenheim, St., Die Schimpansin Basso im zoologischen Garten zu Frankfurt a. M. 705. Pfeiffer, H., Holzdiagnostische Beiträge zur Systematik norddeutscher Gymno- spermen. 656. R ei Singer, Das Kleinhirn. 593. R i e m , Die Verteilung von Land und Meer auf der Erde. 540. Schelenz, H., Geschichtliches über den Naturselbsldruck. 257. Schneider, W., Über die Frage der ge- schlechtsbestimmenden Ursachen. 49, 65. Schutt, K., Das periodische System und die Radioelemente. 17. Schutt, K., Neues über den Ursprung der Gewitterelektrizität. 164. Schutt, K., Über Strahlung. 185. Schutt, K., Hat die Elektrizität Masse? 217. Schutt, K., Luftpumpen nach Gaede. 425. Schutt, K., Die Quantenhypothese. 577. Sieverts, A., Die Eroberung der Luft durch die Chemie. 467. Sirks, M. J., Die Bedeutung des Jahres 1865 für die Deszendenzlehre. 6S1. S o k o 1 o w s k y , A., Das Walroß als Jagd- und Wirtschaftstier. 740. Svedelius, N., Das Problem des Gene- rationswechsels bei den Florideen. 353. 372. Süß, F. E., Kristallisationskraft und lineare Kraft wachsender Kristalle. 697. Stellwaag, Die Kleiderlaus. 113. Stellwaag, F., Das Flugvermögen von Archaeopteryx. 33. Taschenberg, O., Ein Wort über die sog. ,, Zikaden" in der Darstellung nicht zünftiger Entomologen. 64I. Ergänzung dazu. 752. Valier, M., Mondaufnahmen n habermitteln. 232. Drucklehh Wagner, O., Über die Taen Süßwasserfische. 421. Weber, Fr., Die Ruheperiode und das Frühtreiben der Holzgewächse. 737. Werth, E., Nosce te ipsum. 299. Wiedemann, E., Zur Lehre von der Generatio spontanea. 279. Wülker, G., Die Aufgaben der ange- wandten Zoologie. 393, 418. Ziegler, H. E., Amöboide Bewegung bei Gewebezellen. 225. Lieb- der 3S841 Register. II. Einzelberichte. A. Zoologie, Anatomie, Forstwirtschaft. Anthony, R. , Gehirn der anlhropo- morphen Affen. 76. Ballowitz, Farbzellen bei Fischen. 701. Berg, H., Vogelschutzgebiet Hiddensee. 45°- Blasius, Vom Verhältnis der Wander- und Hausratte. 43. B ö 1 1 i c h e r , Klima und Körpergröße. 078. Brass, P., Das 10. Abdominalsegment der Käfer als Bewegungsorgan. 194. B r a u n , M., Wieviele Hydra- Arten kommen in Deutschland vor? 402. Bretsch er, K. und Böcker, H., Vogel- zug. 587. Bretscher, K., Vogelzug. 10. Chappuis, Ein eigenartiges Süfiwasser- krebschen. 679. Doflein. Die fadenförmigen Pseudo- podien von Rhizopoden. 661. Dahlgren, Leuchtende Tiere. 547. Drevermann, Fr., Über Placodus. 13. Escherich, K., Maikäferbekämpfung. 509. Franz, V., Faunistisch- Biologisches aus den Okkupationsgebieten. 702. Frisch, K, v., Über den Geruchssinn der Bienen und seine Bedeutung für den Blumenbesuch. 250. Gandolfi-Hornyold, A. und AI ro th, A., Plankton in Schwärmen 635, G e 1 e i , J., Trypanosoma dendrocoeli. 449. Gerhard, Ü., Begattung und Sperma tophoren von Geradflüglern. 140. Graßmann, Biologie des Kolkraben. 451. Haecker, V., Bekämpfung der Fliegen plage in Wohnräumen. 620. Hahn, E., Farbensinn der Vögel. 676. Hagen, W., Der Sperling als Zugvogel 365. Hager, K., Grausamkeit bei Vögeln. 194. Heß, C. und Gwerzhagen, Die Akkommodation bei Pterotrachea. 154 d' Her eile. F., Die biologische Be- kämpfung der Heuschreckenplage 3'- Je gen, G., Ein Parasit in der Haut von Singvögeln. 392. Isak, I., Ein neuer Fall von Leucht- fähigkeit. 518. Klitzke, M., Wiederkonjugation bei Infusorien. 382. Köhler, R. , Eine sehr merkwürdige Form der Stachelhäuter. 91. Krause, A., Automatischer, quantitativ arbeitender Fangapparat zum Studium der Insekten- und Milbenfauna. 76. Kreidl, ,-\ , Hypnose bei Fischen. 675. Leege, O., Brutergebnissc in der Vogel- kolonie Memmert. 510. Loos, K., Schwarzspecht. 364. Mast, S. O., Anpassung der Plattfische an den Untergrund. 183. Mast, S. O., Ortsgedächtnis der Fische. 153- Mackinnon, D. L, Eine den Darm von Tipula-Larven bewohnende Amöbe (Loeschia hartmannil. 450. Mertens, R. , Herpetologisches aus St. Petersburg. 588. Meves, Fr., Sind die Piastosomen Ver- erbungsträger? Ol. K e b o u s s i n , Vögel im Geschützfeuer. 676. Roule, Laichzüge der Meeräschen und Lachse. 251. Schirch, P., Pelomy.sa palustris. 5S8. Schnei der- Cr eil i, Lebensweise des kleinen Frostspanners. 449. Schreitmüller, \Y., Beobachtungen an Fischen in Frankreich. 295. Sedlaczek, Verhinderung von Wild- schäden im Walde. 704. Surbeck, G., Ein Beitrag zur Kenntnis des Sandfelchens im Bodensee. 534. Stellwaag, F., Die statische Orien- tierung. 60. Stellwaag, Fr., Die Steuerung des Insektenfluges. 345. S t e n d e 1 1 , W., Mormyriden-Arbeiten. 677. Tönniger, C, Über Bau, Leistung und Heikunft der Trichocysten. 381. Wagner, O., Über den Entwicklungsgang der Ichthyotaenia torulosa (Batsch). 391. W agner, 'O., Über die Tänien der Süß- wasserfische. 421. Wim an, C. , Über die paläontologische Bedeutung des Massensterbens unter den Tieren. 252. Auerhuhn in Südwestdeutschland. 620. Biß der Kreuzotter. 676. Künstliche Befruchtung der Fischeier. 335. Nationalschutzpark mit Unterstützung der schweizerischen Bundesregierung. 404. Ornilhologische Beobachtungen aus Jäger- lireisen. 548. Statistik der schweizerischen Bodensee- tischcrei. aS. Die Stare von Frankfurt a. M. 327. Über das Plankton des Tegernsees in Oberbayern. 30S. Verwendung der Fledermaus zur Vertilgung der Stechmücken. 327. B. Physiologie, Medizin. Birnbaum, J. W., Über eine neue Ver- j Suchsanordnung zur Prüfung der mensch- lichen Hörschärfe usw. 323. [Camus und Nepper, Die Reaktions- zeit des Soldaten. 660. Dustin, Künstliche Parthenogenese bei Seeigeleiern. 137. Grumme, Die Unentbehrlichkeit des Ei- ' weißes für die normale Ernährung. 660. Heß, R. und Seiderhelm, R. . Ver- mehrung der weißen Blutkörperchen beim Säugling während des Schreiens. ! 584. K e r p , S c h r ö d e r und P f y 1 , Strohmehl als Nahrungs- und Futtermittel. 449. ] Krogh, M., Kann der tierische Orga- nismus Kohlenoxyd umsetzen? 448. Külbs, Körperbau der in Flandern landesüblichen Ziehhunde. 92. Lichtenstein, Die inneren Sekrete der männlichen Keimdrüse. 518. Loeb, J., Über die Gültigkeit des Ge- setzes von Bunsen-Roscoe für die photo- ■ tropischen Reaktionen bei Tieren. 264. Matthias, E., Jährliche Schwankungen im Körperwachstum und ihre schul- hygienischen Konsequenzen. 109. Petrik, J., Über die reflektorische Ein- wirkung des Sauerstoffgehaltes im Wasser auf die Atembewegungen der Fische. 406. Schreiber,]., Einfluß der Kastration auf die Ausbildung des Kehlkopfes bei Pferd und Rind. 493. W i e t f e 1 d , Nachtblindheit{Hemeralopie). 264. Aus der Geschichte der Erforschung des FIcckfiebers. 308. C. Botanik, Landwirtschaft, Pflanzenkrankheiten. Berger, A., Ratten als Nektardiebe. 365. Correus, C, Unterschied zwischen tierischem und pflanzlichem Zwittertum. 633- Correns, C, Eine kälteempfindliche Sippe. 661. F r e r k i n g , H., Die Giftigkeit des Lithiums für Pflanzen. 139. Gaßner, G., Die Abhängigkeit des Auf- tretens des Getreiderostes vom Ent- wicklungszustand der Nährpflanze usw. 221. Haberlandt, G., Die Verdaulichkeit der Zellwände des Holzes. 106. Haenicke, A., Künstliche Erzeugung erblicher Abänderungen bei Schimmel- pilzen. 476. Heinrich er, E., Die Wacholdermistel. 254. Heinrich er, E., Mistel.-tudien. 508. Kirchner, Woher kommt die ver- schiedene Anfälligkeit der Getreide- sorten gegen Brami und Rost? 362. Klein, Edm. J., Hymenophyllum tun- bridgense (Sm.) im Lu.xemburger Jura- sandsteingebiet. 646. Lieske, Serologische Studien an ein- zelligen Grünalgen. 631. Magdeburg, W., Eine Steigerung des Ertrages von Champignonkulluren. 494. M i y o s h i , M., Leuchtwasser in Japan. 92. Molisch, H., Beförderung 'des Aus- treibens der Pflanzen durch Rauch. 507. Molisch, H., Makroskopischer Eiweiß- nachweis in Pflanzenorganen. 255. Müller, K., Das Alter von Hochmooren. 620. Müller, K., Das Alter, das die Berg- kiefer Pinus montana auf den Mooren des Schwarzwaldes erreicht. 211. Neger, Neues vom Eichenmehltau. 138. Nienburg, W., Die Lichtempfindlich- keit der Oszillarien. 334. Druckfehler- berichtigung dazu. 408. Oden, Sven, Eine neue Methode der mechanischen Bodenanalyse. 213. Pascher, A., Über die entwicklungs- geschichtlichen Beziehungen zwischen den Rhizopoden und Flagellaten. 250. Pascher, .'\., Animalische Ernährung bei Grünalgen. 139. Pascher, Über die Kreuzung einzelliger haploider Organismen. 732. Pfeffer, W., Die Entstehung der Schlaf- bewegungen. 452. Sorau er , P., Vergiftung durch Leuchtgas. 492. Sorau er. Für Zimmerpflanzen typische Krankheitserscheinungen. 14. Stamm, R. H., Zur Frage nach dem Ursprung der sog. „Slernschnuppen- gallerte". 347. Stark.P., Die läerührungsempfindlichkeit der Pflanzenorgane. 107. Stark, P., Die Gliederzahl im Laub- blattquirl der Einbeere. 172. Wehmer, C, Ansteckung des Holzes durch den Ilausschwamm. 93. Willstätter, R. und Stoll, A., Über die Beziehungen zwischen Chlorophyll- gehalt und assimilatorischer Leistung der Blätter. 56. Wink 1er, H., Experimentelle Erzeugung von Pflanzen mit abweichenden Chro- niosomenzahlen. 600. Fett- und Ölquellen. 603. D. Geologie, Paläontologie. liach, Die morphologische Bedeutung des Regens. 492. B e y s c h 1 a g , Fr., Die aus der Gleichheit der „Geologischen Position" sich er- gebenden natürlichen Verwandtschaften der Erzlagerstätten. 529. Deecke, W., Über Crustaceen. 293. Deecke, W., Über Crinoideen. 604. Donath, E., Ein Beitrag zur Entstehung des Erdöh. 192. Fischer, E. f. Der Mensch als geolo- gischer Faktor. 306. Fraulob, Der Zinnerzbergbau der Pro- vinz Yünnan. 270. Gletscher im Vorrücken. 343. Harbort und Heß von Wichdorff, Das masurische Interstadial. 32^. H e n n i g , E., Über dorsale VVirbels'äulen- krümmung fossiler Vertebraten. 531. Heß von Wichdorff, Über Flugsand- ebenen an der Ostseeküste im nörd- lichen Ostpreußen. 645. Hintz, E. und Kaiser, E., Zur angeb- lichen Konstanz der Mineralquellen. 475. Keilhack, K., Über die Ergebnisse einer Bohrung bei Oranienburg. 43. Koprolithenformen aus dem Geraer Kupfer- schieler. 344. Koßmat, F., Lagerungsverhältnisse im Erzgebirge. 644. P e n c k , \V. , Morphogenie der Cordilleren Nordwest-Argentiniens. 474. Pietzsch, K., Graptolithen aus dem Elbtalschiefersystem. 13. Rothpletz, A., Die künstlichen Auf- schlüsse unter der Höttinger Breccie bei Innsbruck und ihre Deutung. 42. Sachs, A,, Die chemische und geolo- gische Abgrenzung der Steinkohle gegen die Braunkohle. 491. Strigel, A., Ein Beilrag zur Paläogeo- graphie Deutschlands. 335. Stromer von Reichenbach, Dino- saurierreste aus der ägyptischen Wüste. 383. Weiß-Bartenstein, K., Bulgariens nutzbare Mineralien und ihre Ausbeutung. 510. Wepfer, E., Ein wichtiger Grund für die Lückenhaftigkeit paläontologischer Überlieferung 530. Zimmermann, Über Buntfärbung von Gesteinen, besonders in Thüringen. 605. Zimmermann, E. , Gerölltonschiefer. E. Völkerkunde, Anthropologie. Urgeschichte. Cohn, L., Bau der menschlichen Augen- höhle. 220. Fritsch, G., Besonderheiten des mensch- lichen Haupthaares. 519. Ilettner, A., Der Volkscharakter der Engländer. 305. Miller, G. S., Neues vom Eoanthropus Dawsonii Smith Woodwarth. 714. Pöch, R. , Die Eingebornen von Neu- Südwales. 268. Pöch, R., Anthropologie der Tasmanier. 462. Pöch, R., Über die anthropologischen Untersuchungen an Kriegsgefangenen in Österreich. 221, 644. Spieß, K. V., Persönliche und unpersön- liche Kunst. 405. Stein, M., Ein chemisches Erkennungs- mittel für prähistorische Feuerstein- artefakte. 212. Werth, E., Altsteinzeitliche Fundstelle Markkleeberg. 77. Werth, E., Beiträge zur Kenntnis des Magdaleniens am Bodensee. 138. Werth, E., Die ältesten Darstellungen des Urrindes. 212. Werth, Spuren der älteren Steinzeit in Deutsch-Ostafrika? 532. ' F. Geographie, Meteorologie. Berg, G., Über die Vergletscherung an den Teichen des Riesengebirges. 30. Bock, H., Über die Entstehung des j Höhleneises. 584. Gockel, Zur Gewittervorhersage. 94. Göschl, F., Die Leistungsfähigkeit der atmosphärischen Flut. 703. Greipel, R., Der Einfluß des Geländes auf die Bildung von Hagelwolken. 452. Höhlentemperatur. 584. Kaßner, Zunahme des Nebels in Sofia und ihre Ursachen. 136. Kohlschütter, E., .Abhängigkeit der barometrischen Höhenmessung von klimatischen Einflüssen. 703. L i e s e , B., Das Brummen der Telegraphen- stangen. 392. Rudel, Wärraegewittcr und Front- gewitter. 93. Rudel, Wirkungsweise von Böen. 135. Sapper, K., Nachrichten über die vulka- nischen Ereignisse der Jahre 1895 bis 1913- 717- Schubert, J oh.. Kalte Mainächte. 474. Windeinfluß bei Niederschlagsmessungen. 635- G. Chemie, Mineralogie. Bauer, H., Farbstoffe und biologische Forschung. 155. Brislee, E. J., Die Struktur des Alu- miniums. 41. Diesselhorst, H., Freundlich, H. und Leonhardt, W., Die Doppel- brechung von kolloidalen Vanadin- pento.xydlösungen. 26=;. Ehrenberg, P. und Schnitze, K., Unbenetzbarkeit von feinen Pulvern. 193- Fischer, E. und Brieger, W., Studien über die Allyl-propyl-cyan-essigsäure. 59. Fischer, Fr. und Gluud, W., Neue Forschungen über die Chemie der Kohle. 506. Geiger und B o t h e , Prüfungen von radioaktiven Präparaten. 184. Hönigschmidt, O., Atomgewicht von reinem Thorium. 295. Hopf. W., Zusammensetzung und Heiz- wert der Kohle. 446. Lorenz, R., Metallnebel und Pyrosole. 585. Moureu, Ch. und Lepape, A., Über den Heliumgehalt der Grubengase und die Radioaktivität der Steinkohlen. 184. N e u b e r g , Glyzerinersatz. 660. Ostwald, W., Über das absolute System der Farben. 447. Ölquellen. 631. Paneth, F., Über den Element- und Atombegriff in Chemie und Radiologie. 505- Reinders, W., Die Herstellung des ,, Konversionssalpeters". 513. Rodt, V., Verfahren zur quantitativen Bestimmung von Spuren von Wasser in Alkohol. 621. Seh lenk, W. und Holtz, J., Eine Verbindung des Stickstoffs mit fünf Kohlenwasserstoffresten. 363. Skrabal, A., Abnahme der Geschwindig- keit einer chemischen Reaktion mit steigender Temperatur. 75. Zünckel, R. und Hempel, W., Die Synthese des Obsidians und des Bims- steins. 363. Zöller, Gold in Serbien. 192. H. Physik. Bier mann, Spannungskurven großer Spannungsnetze. 135. Bigourdan,G., Hörbarkeit des Kanonen- donners auf weite Entfernungen. 589. Bloch, L., Die Farbe der künstlichen Lichtquellen. 158. Dember,H., Loschmidt'scbe Zahl. 589. Eggert, Über die experimentelle Be- stimmung der spezitischen Wärme von Helium usw. 172. Eich 1er, H., Beeinflussung des lichtelek- trischen Efi"ekts durch Gase. 730. Eil er. Über einen bemerkenswerten Blitzschlag. 549. Fowle, F'. E., Anteil des Wasserdampfes an der Schwächung der Sonnenstrahlung in der Erdatmosphäre. 520. Garten, S. , Schallschreiber mit sehr kleiner Seifenmembran, iio. Ginningham,E.A. und M u 1 1 a r d, R. S., Eine neue Glühlampe. 364. Greinacher, H., Licht und Elektrizität in Selen. 407. Hönigschmidt, O. und Horovitz,S., Konstanten einiger Radio-Elemente. 730. Koch, F. J., Die Röntgenröhre nach Lilienfeld. 267. Kohn, H., Wesen der Emission der in Flammen leuchtenden Metalldämpfe. 295- K r ü g e r , F., Über die Eigenschwingungen freier Kreiselmoleküle. 548. Krüger, F. und Taege, E., Über den Einfluß von Katalysatorgiften auf die lichtelektrische Empfindlichkeit des Pla- tins. 159. Kunath, Aufzeichnung schnell veränder- licher Vorgänge. 215. Ludwig, P., Eine Anordnung zur De- monstration der Gesetze des radioaktiven Zerfalls. 464. Magnus, A., Die spezifische Wärme des Platins und des Diamanten bei hohen Temperaturen. 15S. Mayer, St., Die mittlere Lebensdauer des loniums. 716. Nölke, Zone des Schweigens. 324, Register, Peukert, W., Über die Änderung des Wechselstromwiderstandes von Eisen- drähten mit der Temperatur. 109. Peukert, W., Ein neuer Frequenzmesser. 256. Rein, H.f, Soll man die radiotelegra- phischen Großstationen mit gedämpften oder ungedämpften Schwingungen be- treiben ? 634. Rubens, H und Hettner, G., Rota- tionsspektrum des Wasserdampfes. 495. Schmidt, W., Fortpflanzung des Schalls in der freien Atmosphäre. 715. Siegbahn, M., Ein neues Röntgenrohr für spektroskopische Zwecke. 171. S k a u p y , F., Zerlegung von Gasgemischen unter dem Einfluß von dieselben passie- rendem Gleichstrom. 473. Teichmüller, J., Eisenleitungen für Hausinstallationen. 494. W e h n e 1 1 , Spannungsverlauf an Röntgen- röhren. 134. Wiedmann, G., Lichtelektrizität des Kaliums, durch verschiedene Gase be- einflußt. 731. Wiedmann, Lichtelektrizität. 41. Wien, W., Elektrodynamische Spaltung der Serienlinien des Wasserstoffes. 473. Wigand, A., Zusammensetzung der Luft in größerer Höhe. 701. Zahn, H., Dielektrische Drähte. 13^. Zehnder, L., Eine gefahrlose metallische Röntgenröhre. 171. I. Astronomie. Antoniadi, Der Zusammenhang der Sonnentätigkeit mit den klimatischen Verhältnissen auf dem Mars. 659. Barringer, M., Mondkrater auf der Erde. 361. Kohl, T., Einige Wirkungen der Sonne im Planetensystem. 255. Guthnick und Prager, Das Sternbild des großen Bären. 154. Reynolds und Shaw, Über den ver- änderlichen Nebel in der südlichen Krone. 659. III. Kleinere Mitteilungen. Arldt, Th., Rassen und Völker Vorder- asiens. 166. Barfod, H. W., Renntiere in Schleswig- Holstein. 152. Barfod, Phytonosen. 46. Blücher,H. und Kraus e,E, Plastische Massen aus Hefe. 192. Bokorny, Th., Fetthefe und Ölpflanzen. 122. Braunbeck, Fr., Ein neues Verfahren zur Überführung von Bananen in dauer- haft trockene Pulverform. 434. Buder, J., Die Goldglanzalge. 94, Dietrich, W. O., Ist der afrikanische Elefant mit dem indischen verwandt ? 380. Epstein, L., Die Entstehung der .Achate. 618. Fehlinger, H., Krieg und Geburten- häufigkeit. 322. Franz, V., Das Vogelleben im Aisne- gebiet. 616. Franz, V., Deutsche Seide und deutsche Nesselwolle. 563. Franz, V., Die Rattenplage in Frank- reich. 444. Freund, L., Polypen auf Fischen. 248. Freund, L. , Eingeweidevorfall bei Fischen. 247. Henning, H., Wie sehen die Vögel ihre Schmuckfarben? 545. Hornig, G., Morphologische Beobach- tungen aus dem Gebiet der Rokitno- sümpfe. 712. Hundt, R., Thüringisch -vogtländischer Marmor. 435. Kathariner, L. , Erinnerungen an Th. Boveri. 15I. Kathariner, L., Vögel im Kanonen- donner. 44. Klein, E. J., Pflanzengemeinschaft im Luxemburger Kalksandstein. 8. Krieg, H., Beobachtungen an deutschen Pferden in Rußland. 379. Kobert, R., Beitrag zur Frage unserer Volksernährung. 77. Marbe, Die Rechenkunst der Frankfurter Schimpansin im Lichte der Psychologie. 564. Mayer, A., Wie unsere Feinde rechnen. 747- Mülberger, M. H., Die erste schweize- rische hydrobiologische Station. 46. Overbeck, Th., Ein Nachtrag zu der Katastrophe des Krakatau in der Sundastraße. 4:^3. Philippsen, Wichtige Aufschlüsse für die Geologie und Prähistorie. 248. Philippsen, Cyprinenton. 78. Philippsen, Bernstein an der Nordsee- kUste. 78. Philippsen, Seemoos. 45. Philippsen, Über das Alter der ver- sunkenen Wälder und Moore an den Küsten der Nordsee. 9. Puder, II., Das Bevölkerungsproblem in den Vereinigten Staaten von Amerika. 125. Reuter, M,, Verfärben tierischer Gewebe. 28. Reuter, M. Geschoßfernwirkung durch die Luftströmung. 321. Ries, Chr. und Finzenhagen, Lese- maschine für Blinde. 745. Schelenz, H. , Zur Geschichte der Läuscplage. 123. Zoll er, Das Moor- und Heidebrennen. 191. IV. Bücherbesprechungen. Abderhalden, E. , Neuere Anschau- ungen über den Bau und Stoffwechsel der Zelle. 566. Abel, O., Paläobiologie der Cephalo- poden aus der Gruppe der Dibran- chiaten. 694. Abraham, M., Theorie der Elektrizität. 199. Albers-Schönberg, Seeger und Lasser, Das Röntgenhaus des allge- meinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg. 440. .■\nderle. Fr., Lehrbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie. 454. Ascherson, P. und Gräbner, P., Synopsis der mitteleuropäischen Flora. 96. B a h r d t ,PhysikalischeMessungsmethoden. 216. 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Jähnecke, E., Die Entstehung der deut- | Pfeiffer, L., Die steinzeitliche Muschel- schen Kalisalzlager. 197. | technik. 694. Jaenichen, W., Lichimessungen mit Pflanzenreich. 349. Philipps on, A., Der französisch-bel- gische KriegsschauplaU. 534. Pohlig, H., Erdgeschichtliche Spazier- gänge. 566. Robert, L. H., The Sun Dance of the Crow Indians. 310. l'raxis des Selen. 223. I h e r i n g , A. V., Die Wasserkraftmaschinen und die Ausnutzung der Wasserkräfte. 438. Kammerer, P., Allgemeine Biologie. 71S. Kämmerer, H., Die Abwehrkräfte des ' Roh rberg, A., Theo) Körpers. 196. Rechenschiebers. 748. Karny, H,, Tabellen zur Bestimmung Röhmann, F., Die Chemie der Cerealien. einheimischer Insekten. 78. 749. Kayser, H., Lehrbuch der Physik für Rübsamen, E w. H. , Die Zoocecidien, Studierende. 680. 1 durch Tiere erzeugte Pflanzengallen usw. K e i 1 h a c k , K., Lehrbuch der praktischen | 477. Geologie. 693. | Ruth s, Ch., Neue Relationen im Sonnen- Kerner von Marilaun, A., Pflanzen- | system und im Universum. 174. leben. 436. ISchaffnit, E. und Lüstner, G., Be- Kleiderlaus. 037- 1 richte über Pflanzenschutz. 636. Koppe, M., Die Bahnen der beweglichen geh lagin h auf en, O., Sozialanthro- Gestirne im Jahre 1916. 23b. I pologie und Krieg. 663. Krancher, O., Entomologisches Jahr-JSchau, A., Statik mit Einschluß der buch 1916. 237. ^ Festigkeitslehre. 455. K r e b s , N. und B r a u n , F r.. Die Kriegs- s c h i k o r a , Fr., Taschenbuch der wich- tigsten deutschen Wasserpflanzen. 32. Schauplätze auf der Balkanhalbinsel. 750. Kremann, R., Die Eigenschaften der binären Flüssigkeitsgemische, ein Bei- trag zur Theorie der konzentrierten Systeme. Ö62. Landsberg, B., Streifzüge durch Wald und Flur. 535. Liesche's Naturwissenschaftliche Taschenatlanten. 15. Liesegang, R. E., Die Achate. 175. Linck, G., Chemie der Erde. 237. Lindau, Die Algen. 349. 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Äquipotentiell-harmonisches System. 623. Asymmetrie im Tierreich. 176. Entgeg- nung dazu. 176. Augenerkrankungen , Zusammenhang mit dem Auftreten von Raupen. 680. Barszcz. 751. Baumpaar, bemerkenswertes. 591. Bernstein an der Nordseeküste. 176. Blätter, Methoden, sie in grünem Zustand zu konservieren. 288. Deklinationsnadel, die eiserne. 576. Diatomeen, südamerikanische. 16. Dolomiten, Vorkommen außerhalb Tirols. 112. Dünenbildung, Strandgräser in ihren Be- ziehungen zu ihr. 48. Eigenartige Gebilde. 175. 224. Epiphytische Vegetation. 591. Furunkulose. 552. Gartenbau und Kleintierzucht, T..iteratur über. 407. Gebirgsbildung durch elektrische Kräfte. 736. Geologische Landcsanstalten , staatliche. 287. Geschoßfernwirkung durch die Luft- strömung, Bemerkung dazu. 45Ö. Getreidekrankheiten, Literatur. 480. Haare auf den Augen von Insekten, ihre physiologische Bedeutung. 256. Hirschkäfer, Beobachtungen am. 575. Hörbiger's Glazialkosmogonie, Stellung der wissenschaftlichen Kritik dazu. 32S. Hydrolyse des Holzes. 751. Kanonendonner, Hörbarkeit des. 480. 7^1. Kartofi'elknollen, grüne. 288. Katalyse , Kenntnisse vom Wesen der. 328. Komet 1913 f, Delavan. 16. Leuchten von Myriapoden. 144. Leuchtuhren. 175. Register. V. Linstow, zu seinem Aulsalz. 327. Literarischer Irrtum. 175. Markkleeberg, Paläolitli - Fundstätte von. 408. Meteoriienfall von Pullusk am 30. I. 1868. 480. Mineralien, Index der. 296. Nobelpreise in den letzten Jahren. 128. Paläontologie, Werke über. 240. Parthenogenese bei Lymanlria dispar und anderen Schmetterlingen. 96. Petroleumfelder Mesopotamiens. 408. Radiumziüferblätler. 288. Rauschen größerer Muscheln. 12S. Schmuckgegenstände aus Eisen. 6S0. Sprachreinigung. 285. Stare von Frankfurt a. M. 575. Sternschnuppengallerle. 639. Versteinerungen aus den Kreideschichten nördlich des Harzes, Abbildungen da- von. 79. Vogelarten, Auskunft. 639. Vogelberge. 175. Vögel im Gewehrfeuer. 288. Vogelsammlung des Grafen v. Berlepsch. 328. Wander- und Hausratte. 328. Weinbergschnecken, Anfrage wegen ihrer Zubereitung. 552. Windhose. 408. Zikade, Verwechslung mit Heupferd. 751. — , Nachtrag zu dem Aufsatz von Taschen- berg. 751. Zitronen, Mittel gegen Mundfäule. 32S. VI. Verzeichnis der Abbildungen. Aal, Metamorphose. 330. Aallarven, Karte der geographischen Ver- breitung. 333. Aeneas-Teppich im Regensburger Rathaus. 207. Agelastica alni, Larve. 195. .\nomozamitcs gracilis. 570. Anthropomorphen und Hominiden, Stamm- baum. 401. Archaeopteryx Siemensi. 34. Silhouette im Flug. 37. Aurantieenfrüchte. 202. Banyan (Ficus bengalensis). 592. Bettwanze, Eier und Larve. 654, 655. Biene, Spermatozytenteilung. 66. Boveri, Wldnis. 81. Bosmina longispina. 181. Busi Casiani, la Madonna cucitrice. 206. Callithamnion corymbosum, Tetiasporan- gium. 358. Chlorophyll, Absorptionsspektren. 98. Ctenopteris-Wolfiana. 570. Decticus vcrrucivorus mit Spermatophore. 142. Delesseria sanguinea, Zytologie der Tctra- sporenbildung. 374. Diaphanosoma. 182. Dornhecht, Bildung von Kapillaren im Dottersack. 231. Drüsenzelle, Veränderung während der Sekretion. 556. Eisvogel. 104. Eskimo, Walroßjägcr. 742. Entomostraceen Darmkapazität. 183. Ephippigera limbata während der Be- gattung. 141. Ernolsheim i. Elsaß, Profile. 674, 67s. Eule, Kleinhirn. 594. Fasan, Silhouette des fliegenden. 37. Fangapparat für Insekten und Milben. 77. Fazettenauge, schemalischer Längsschnitt. 250. Flagellaten, Kreuzung. 732. Fleckfieberkurven. 543. Frontonia leucas. 328. Galerneella viburni. Hinterleibsende der Larve. 195. Gans, Kleinhirn. 594. Geschlechtschromosomen, Schema. 69. Goldglanzalge 2. Abb. 95. Hahn nach Kleinhirnexstirpation. 599. Hai, Kleinhirn. 593. Huhn, Flügelskelett. 35. Hühnchen-Embryo, Stückchen des Dünn- darms. 229, 230. Hymenophyllum tunbridgense. 646 — 648. Ichthyotaenia torulosa. 422, 423. Karotin, .Absorptionsspektrum. 100. Kleiderlaus Eier und Larven. 652, 653. Kleiderlaus, Eier und Larven, 17. Abb. 2 — 7. Kleiderlaus, Larven und Eier. II 4, II5; Kopf. 119. Kleinhirn. 596, 597- Konglomeratbank, auskeilend im Sprudel- stein. Ö99. Liogryllus campestris, Spermatophore. 14I. Luciola italica, Larve. 195. Luftpumpe nach Gaede. 426 — 428. Luxemburger Sandstein, schematisches Profil mit Angabe der Pflanzenvertei- lung. 9. Lychnis dioica. 52. Lygaeus turcicus, Teilung von Sperma- togonie und Ovogonie. 69. Mach, Bildnis. 337. Melandryum, reife Samenkapseln von M. rubrum, album und album X rubrum. 53. Menschenfloh, Eier und Larven. 650, 651. Mesenchymzellen, wandernde. 229. Mesopotamien, Karte. 291. Metacarpodigitales der Vögel und von Archaeopteryx. 37. Mikrokalorimeter. 499. Mondaufnahmen 233, 234, 236, — Appa- rate dazu. 235. Mormyriden, Schnauzenorgan. 678. Möwe, Flugphasen. 36. Nemalion, Karpogon. 358. Neuron, Schema und Fortsätze. 225, 226. Neuropteris ovata. 570. Nitophyllum punctatum, Zytologie. 375. Ophiuride. 91. Oszillarien, Lichtperzeption. 334. Palma vecchio, Paradies. 207. Pferd, Kleinhirn. 594, 595. Pentadaktyle Extremität, Schema. 35. Periodisches System der Elemente, 2. Abb. 18 und 22. Polyembryonie bei Tatusia. 304. Proporlionsfiguren, Schimpansen und Neger. 706. Protenor belfragei, Spermatozytenteilung. 68. Rokitnosümpfe, Erosion. 713. Röntgenröhre nach Lilienfeld, Schema. 268. Schellfisch, Gehirn. 593. Schimpansin P.asso. 706 ff. Scinaia furcellata. 376, 377. Seidenspinner, Raupe, Kopf, Mundwerk- zeuge und Seidendrüsen. 262, 263. Sivapithecus Indiens, Unterkiefer. 399,400. Solanum lycopersicum gigas. 601. Sperlingsbilder. 243 — 246. Spermothamnion flabellatum. 358. Stegosaurus, 4. Abb. 54, 55. Taube, Kleinhirn. 594. Tetrao teirix, Skelett. 34. Terassenmoor, Försterei, Lageplan. 161. Trichocysten von Frontonia leucas. 382. Trinkhorn des Kaisers Heinrich des Hl. 73- Unke mit überzähligem Bein. 227. Ur bei Petrus candicus. 74. Ur Rind, Darstellungen aus der Magda- lenienperiode. 213. Vanadinpentoxydsol, Doppelbrechung. 266. Walroß, Bilder. 741—743. Wärmeschrank. 499. Wasserfloh, Eier. 175. Weide niit epiphytischer Eberesche. 591. Weinbergschnecke. I04. Wisent bei Petrus candidus. 14. Wolfsmilchschwärmer, Raupe. 104. Xanthophyll, Absorptionsspektrum. 100. Zone des Schweigens. 321. VII. Wetter - Monatsübersichten von Dr. E. Le§. Dezember 1915. (2 Abb.) 79. Januar 1916. (2 Abb.) 143. Februar 1916. (2 Abb.) 199. März 1916. (2 Abb.) 272. April 1916. (2 Abb.) 311. Mai 1916. (2 Abb.) 384. Juni 1916. (2 Abb.) 455. Juli 1916. (2 Abb.) 512. August 1916. (2 Abb.) 568. September 1916. (2 Abb.) 639. Oktober 1916. (2 Abb.) 695. November 1916. (2 Abb.) 751. G. P.Htz'schc IS.ichdr. (kippen & Co b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 2. Januar 1916. Nummer 1. Über die Entwicklungsstadien der Eier und über die Larven der Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer = vestimenti Nitzsch). [Nachdruck verböte Albrecht Hase (Jena). 17 Abbildungen. Die älteren Lehrbücher der Parasitologie ent- halten durchgängig die Angaben, daß die Eier der Kleiderlaus nach 3 — 4 Tagen auskriechen, auch V. Prowazek (1915) hat diese Notiz über- nommen. Bald danach haben Nocht und Halberkann (1915) diesen Fehler berichtigt, sie schreiben 1. cit. S. 286 „daß Eier, wie gewöhnlich in der Literatur angegeben, schon nach 3 — 4 Tagen Larven ergeben, haben wir nie beobachtet". „Die schnellste Entwicklung" — heißt es weiter bei ihnen — „beobachteten wir bei +37" und in feuchter Atmosphäre, so daß die Eier vor dem Eintrocknen geschützt waren. Unter solchen Um- ständen reifen die Eier schon nach 5—6 Tagen". Kurz nach ihnen bestätigte Heymann (1915) ihren Befund, ohne eine bestimmte Temperatur anzugeben. Er trug die Eier bei sich in beson- deren Brutkäfigen unter der Weste und fand, daß nach 6—7 Tagen die Larven ausschlüpfen. Die Temperatur, bei welcher Hey mann die Eier bebrütet hat, ist (als Innenkleidertemperatur) auf -{-32- bis 35" C etwa anzunehmen. Widmann (191 5) schreibt über denselben Gegenstand 1. cit. S. 293 : „Die normale Entwicklungszeit ist nicht, wie bisher in der Literatur angegeben, 3 —4 Tage, sondern bei der normalen Temperatur von 26" bis 30" C, die zwischen der Leibwäsche herrscht, 6 — 7 Tage. F"erner zeigt es sich, daß bei -j-28" C das Optimum der Entwicklung liegt." Sikora (1915) bringt in einer eben erschienenen Arbeit die Notiz 1. eh. S. 519: „Bei 35" (gleichviel ob im Brutschrank oder am Menschen) kriechen die Jungen nach 6X24 Stunden aus." Ich selbst habe bereits im Frühjahr (Hase 19 15) und jetzt erneut im Herbst umfangreiche Versuche hierüber angestellt und bestätige wie schon in meiner ersten Arbeit so auch jetzt die Angaben von obigen neuen Autoren. Was ich früher sagte 1. cit. S. 22 „als kürzeste Enwicklungs- dauer habe ich 5 Tage = 120 Stunden ge- funden bei +37" C" hat sich erneut als richiig erwiesen. Aber die 5 tägige Bebrütungsdauer bis zur Reife bei +37° ist nicht das Normale, in der Regel sind 6X24 Stunden erforderlich. Der Grund, warum manche Eier schon am 5. Tage ausschlüpfen, ist wohl der: manche Weibchen sind nicht nur ovipar sondern ovovivipar, d. h. ein Teil der Embryonalentwicklung ist bereits im Muiterleibe abgelaufen und daher die verkürzte Entwicklueg des abgelegten Eier. Es besteht sonach unter den neueren Autoren (Nocht und Halberkann, Heymann, Wid- mann, VVülker, Sikora, Hase) eine erfreu- liche Übereinstimmung betreff der kürzesten möglichen Entwicklungszeit. Aber es decken sich die Angaben nicht in Hinsicht der optimalen Temperatur. Nocht und Halber- kann geben -|-37'' C für 6 Tage Entwicklungs- zeit an, Sikora gibt +35" C für 6 Tage an, Widmann gibt -j-28" C für ö'/.. Tage an, ich selbst fand 6—7 Tage bei -|-37" C. Noch am besten stimmen überein die Zahlenwerte von Nocht u. Halberkann +37" = 6 Tage Sikora +35° = 6 Hase +37» = 6—j „ Dagegen Widmann +28» = 6V2 Tage Widmann -fSS" s» 7^2 » Widmann +38» = 8 " „Kürzere Einwirkung von Temperaturen von 35 — 45" C wirken nur retardierend auf die Ent- wicklung" schreibt Wid man n (1915) 1. cit. S. 294. Ich selbst habe früher (Hase (1915) 1. cit. S. 22) gesagt, bei 25" — 30" C dauerte die Entwicklung 8 — 10 Tage, das nämliche kann man aus Nocht und Halberkann entnehmen. Der Widerspruch liegt darin, daß die eine Partei Nocht und Halberkann, Hase, Sikora (auch H e y - mann) die Temperatur um +37" für am gün- stigsten hält, Widmann als Vertreter der Gegen- seite +28" C. Vergleicht man die Temperatur- werte und die angegebenen Entwicklungszeiten, so kommen doch rechte Differenzen heraus, näm- lich 10" und 3 Tage. Diese Widersprüche sind wohl darin begründet, daß Widmann (lt. Ta- belle S. 294 1. cit.) mit viel zu wenig Material experimentiert hat. Erneut habe ich mich mit dieser Frage befaßt und Läuseeier im Brutofen bebrütet bei +37" C ohne Anwendung von besonders feuchter Luft. Der Brutofen diente gleichzeitig bakteriologischen Zwecken und ich konnte die Temperatur nicht verändern. Was ich früher gesagt, fand sich be- stätigt, bei +37" sind nach 6> 24 Stunden die Eier reif zum Ausschlüpfen. Ich habe mit sehr großem Material gearbeitet, täglich 150— 200 Eier zu den Versuchen verwandt, in 3- und 4 fachen Parallelkulturen. Das Aker der Eier kann man bis auf I Stunde etwa bestimmen. Bringt man nämlich gut ernährte Weibchen erst einige Stun- den ins Kühle (ca. +10") und dann in den Brut- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. I schrank, so sind nach 1—2 Stunden Eier sicher abgelegt worden. Diese Nissen nimmt man nun weiterliin in tägliche Kontrolle zur selben Stunde und hält sie natürlich die übrige Zeit in +37" C. Auf diese Art kann man die einzelnen Entwicklungsstadien, die in den täglichen Zwischenräumen bei ^37" C durchlaufen werden, genau feststellen und im Bilde wiedergeben. Von diesen Entwicklungsstadien weiß man sicher, daß sie nicht älter sein können (bis auf 2 Stunden Differenz etwa, vgl. oben) als 1X24; 2X24; 3X24 (und so fort) Stunden. Es hat Wülker (1915) die einzelnen Ent- wicklungsstadien bereits bildlich dargestellt, und ich gebe in Fig. i seine Abbildungen wieder und setze im Wortlaut seine diesbezüglichen Ausfüh- rungen hinzu. Er schreibt 1. cit. S. 2 (Fig. „Stadium I zeigt das Ei unmittelbar nach seiner Ablage, mit dem an Dotterkugeln reichen, noch nicht gegliederten Inhalt. In Stadium II ist die Differenzierung des Dotters in einzelne, ziemlich gleichmäßig verteilte Keimballen eingetreten. In Stadium III läßt sich der Körperumriß und der Beginn der Gliederung erkennen. In Stadium IV ist die Anlage von Kopf, Körper und Extremitäten, der Fühleranlagen und der dunklen Augenflecken vorhanden. In Stadium V ist die Larve bereits nahezu reif zum Ausschlüpfen. L= Luftblasen im Nah- rungsdotter. Als Stadium VI ist die leere Eihülle nach Öffnung des eigenartigen Deckelverschlusses dar- gestellt." Da aber die Abbildungen Wülker's nicht in allen Punkten richtig und zu skizzenhaft ausge- führt sind, so habe ich eine neue Reihe von Zeichnungen entworfen, die in nachfolgenden Zeilen besprochen werden sollen. Vorher will ich noch der anderen Mitarbeiter kurz gedenken, welche den einzelnen Entwicklungsphasen ihre Aufmerksamkeit widmeten. Widmann (191 5) schreibt hierüber 1. cit. S. 293: „Das Alter der in Entwicklung begriffenen, gut durchsichtigen Eier wird am besten durch folgende äußerlich erkennbare Merkmale erläutert: 1. Tag Anlage des Keimstreifs. 2. Tag Auftreten der Körpersegmentierung. 3. Tag Anlage der Extremitäten. 4. Tag Pigmentierung des Auges. 5. Tag Saugbewegung des Pharynx. 6. Tag Zuckende Bewegungen der Beine und des Kopfes zur Sprengung des Ei- deckels. Bildlich hat Widmann diese Phasen nicht dargestellt. Auch Sikora (1915) gibt zu ihren Darlegungen keine Abbildungen. Sie sagt 1. cit. S. 530: „Bei 35" sind nach ca. 88 Stunden schon die (jliedmaßen und die pigmentierten Augen des Embryos zu sehen. Nach 124 — 128 Stunden be- ginnt die junge Laus sich mittels ihrer Saug- pumpe Luft in den Magen zu pumpen." Im wesentlichen besagen Obiges auch Heymann's (191 5) Darlegungen, es heißt bei ihm 1. cit. S. 305: „Behält man die Eier dauernd bei sich, so treten im Verlaufe von 24 — 48 Stunden in dem Dotter größere granulierte Kugeln (Keimballen) auf, die allmählich unter Ablösung von der Hülle zu einem undeutlich konturierten Gebilde zusammen- treten. Nach 3 — 4 Tagen läßt dasselbe ein stär- keres, der Mikropyle zugekehrtes Kopf- und ein schwächeres Schwanzende am hinteren Pol er- kennen; allmählich schimmern Augen und Ex- tremitäten durch die Hülle, und schließlich treten in den vorderen Partien sogar eigentümliche, bald schnellere, bald langsamere, manchmal rhythmisch pulsierende Bewegungen auf." Nachdem ich die Mitarbeiter in vorstehenden Zeilen zu Worte kommen ließ, gehe ich zu eigenen Beobachtungen über. Nicht nur für den Zoologen allein, sondern auch für den Mediziner ist es von höchster Wichtig- keit, die einzelnen Embryonalstadien der Kleider- und auch Kopflaus zu kennen, da es mit Hilfe dieser Kenntnis in vielen Fällen gelingen wird, den Termin des Befalls durch Läuse festzustellen und so den Infektionstag mit Fleckfieber zu er- rechnen. Ich wähle zur Darstellung die einzelnen Stadien, wie sie in den Zwischenräumen von 24 : 24 Stunden durchlaufen werden, bei -1-37° C. Da man das Alter dieser Kontrolleier bis auf i oder 2 Stunden genau kennt (vgl. oben), so kennt man auch die untere und obere Grenze der Be- brütungsdauer bei -)-37''. Man kann also sagen, das Ei in vorliegendem Stadium ist keines- falls kürzer als 1X24 Stunden (z. B. wie in Fig. 6) oder länger als 3X24 Stunden (z. B. wie in Figur 7 u. 8) bei +37" bebrütet. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Da aber über -[-37" C die Kleidertemperatur wohl nie steigen wird unter den normalen Verhältnissen, und wie S i k o ra gezeigt hat auch bei +35'' C die sechstägige Reifungsdauer noch eingehalten wird, so ist es möglich, aus den in den Innenkleidern gefundenen Nissen (bzw. ihren jeweiligen Entwicklungsstadien) die kürzeste mögliche PVist der Eiablage in den Kleidern festzustellen. Bedingung hierbei ist nur, daß die Kleider (wie z. B. das Hemd) eben ständig in den letzten Tagen getragen wurden. Ich will ein Beispiel an- führen , wie es mir selbst ergangen. Ich spürte einen Läusestich in der Bauchgegend, sah sofort nach und fand im Hemd eine einzige weibliche Laus, bei genauem Durchsuchen entdeckte ich noch 7 Nissen, die alle im Stadium der Figur 6 Fig- 3- waren. Daraus geht hervor, daß dieses Tier mich mindestens schon vor 1X24 Stunden befallen haben mußte, denn sonst wäre es nicht möglich, daß die Nissen bis zu diesem Stadium bereits entwickelt waren. Die namentlich für die Praxis so überaus wichtige Frage der Entwicklungsver- zögerung der Nissen soll hier nicht gestreift wer- den. Darüber werde ich an anderer Stelle zu berichten haben. Ehe ich die einzelnen Entwicklungsphasen be- spreche, will ich noch einige Worte zu den Figuren 2 und 3 bemerken. In diesen ist der Moment des Durchtrittes des Eies (Ni Fig. 2 u. 3) durch die Vagina wiedergegeben und zwar in Figur 2 von oben, d. h. von der Dorsalseite, ge- sehen. Wir bemerken das ausgezackte Hinter- leibsende, welches ja für die weiblichen Tiere charakteristisch ist, mit der eigentümlichen Be- borstung. Daß diese Borsten beim Begattungsakt irgendeine Rolle spielen, erscheint mir wahrschein- lich. In F'igur 3 ist derselbe Vorgang von unten, von der Ventralseite gesehen, dargestellt. Zu- nächst fällt das tiefbraun gefärbte Analschild (ASch) auf und die gleicherweise gefärbten Gono- poden (Vulvaklappen) (GPj, distalwärts ist ferner eine reusenartige Beborstung zu sehen. Hinter dem Analschild, zwischen diesem und den Vulva- klappen, stehen eine Anzahl sehr kurzer steifer Borsten. Das Ei (Ni) verdeckt (so wie in Fig. 2 umgekehrt) den übrigen Teil des Hinterendes bei entsprechender Mikroskopeinstellung, aber von unten betrachtet sehen wir, wie das Ei durch die Körperdecke durchschimmert und zu ^3 etwa noch in der Vagina steckt. Von der Kittmasse ist nichts zu sehen. Dies hat folgenden Grund. Man findet gar nicht selten Weibchen im Legeakt begriffen unter Kulturen, welche man hungernd einen Tag in -[-ij" C hält. Wenn diese Tiere dann etwas matter werden, so kommt es wohl zur Ablage von Nissen, aber sie werden nicht mehr angekittet, sei es, daß die Kittmasse ganz fehlt oder zu minimal ist. In Figur 1 1 ist ein solches Ei dargestellt und man sieht am Hinter- ende die ganz geringe Menge Kiitsubstanz (Ki). Ein solches Ei abzulegen ist eben das Weibchen im Begriff gewesen, welches ich zu Fig. 2 und 3 verwandte. Diese ohne Kittmasse abgelegten Flier entwickeln sich ganz normal zu Larven. Es handelt sich hier also nicht um besondere patho- logische Vorgänge, sondern nur um ein Weg- bleiben der Kiitsubstanz, sicher infolge der man- gelnden Nahrung in erhöhter Temperatur. Was ferner noch die Art der Anheftung der Eier an eine Unterlage anbelangt, so sind die Nissen stets so orientiert: diejenige Seite des Eideckeis, die den Mikrophylapparat trägt, ist der Anheftungsstelle zugeneigt (Fig. 4, 12, 13). Der Embryo liegt auch stets derart in der Eischale, daß der Mikrophylapparat sich über dem Kopf befindet (Fig. 12, 13) und zwar etwas mehr nach der Gesichtsseite hin. ^) Der Eideckel springt nach rückwärts auf und die Larve bekommt beim Ausschlüpfen, wie aus obigem resultiert, sofort die Unterlage des Eies als Haltepunkt zu fassen. Der Eideckel kann an der übrigen Schale hängen bleiben (Fig. i,IV) oder auch ganz abfallen. ') Der eigentümliche Mikrophylapparat und seine Ver- bindung mit dem Oesophagus soll in einer späteren Arbeit behandelt werden, wenn mir bis dahin nicht ein Fachkollege vorgegriffen haben sollte. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Die einzelnen Entwicklungsstadieii der Eier (Fig. 4— 13)- Die Eier untersucht und zeichnet man am besten in Wasser unter dem Deckglas. Ein solches Wasserbad schadet ihnen gar nichts, hinterher wieder in den Brutofen verbracht, geht die Ent- wicklung ruhig ihren Gang. Die lose abgelegten Nissen haben noch den Vorzug, daß man sie unterm Deckglas bei gleichzeitiger Beobachtung um die Längsachse rollen und so den Embryo von allen Seiten bequem betrachten kann. Die Präparate zu den Figuren 4 — 13 sind in dieser Weise hergestellt worden. Die Figuren 2 — 15 sind alle mit derselben Vergrößerung gezeichnet (Zeiß-Obj. A. Okul. 4 = "'/i) ""ter Benutzung des Abbe'schen Zeichenapparates. Nur das wurde in diesen Figuren wiedergegeben, was bei Verwendung obiger Systeme auch wirklich zu sehen ist. Die Larven wurden nach lebenden Objekten gezeichnet mit Heranziehung von Alkohol konservierten Exemplaren. mit kochendem Wasser, so gerinnt das Innere. Es wird gelblich - undurchsichtig und zieht sich von der Wand mehr oder minder unregelmäßig zurück. Stärkeres Kochen läßt das Ei platzen und zwar erfolgt dies meist in der Nähe des oberen Poles oder es wird, was auch oft genug geschieht, der Eideckel abgehoben. Fixiert man dagegen die Nissen vorsichtig mit kochendem 94 proz. Alkohol, so bekommt man ein Bild wie es Figur 5 darstellt. Das Eiinnere gerinnt, zieht sich in regelmäßigen Abständen vom Schalenrand zurück und wird undurchsichtig, bleibt aber ziem- lich durchscheinend, so daß es möglich ist noch Fettkugeln im Gerinnsel zu unterscheiden. Rund um die gewonnene Eimasse treten Fettkugeln durch die Eihaut hindurch (Fig. 5 FK), welche wohl an diesen Stellen infolge der heißen Alkohol- behandlung Defekte erhalten hat. Wülker's Stadium I in Figur i und meiner Figur 4 sind übereinstimmend. Fig. 7. Fig- 5- I. Das Ei nicht älter als i Stunde. Fig. 4 u. 5. Das frisch abgelegte Ei erscheint im durch- fallenden Lichte hell, mit einem ganz zarten Stich ins Gelbliche. Die Eimasse (Dotter und Keimplasma) erfüllt das ganze Innere. Die Dotter- (Fett)kugeln treten scharf hervor, sie sind von verschiedener Größe. Die Umrandung des Eies, d. h. die Schale, hebt sich ganz scharf (wie bei allen Stadien) vom Untergrunde ab. Der Mikro- phylapparat ist stets mit Luft gefüllt, die zu ent- fernen nur durch stärkeres Erwärmen des um- gebenden Flüssigkeitsmediums (sei es Wasser, Alkohol, Glyzerin) möglich ist, wobei natürlich das Ei zugrunde geht. Im auffallenden Lichte auf dunklem Untergrunde sind mehr Einzelheiten auch nicht erkennbar, nur erscheint das ganze Gebilde glasig durchscheinend. Ks kann die Ei- masse ein klein wenig nach dem oberen Pol hin verschoben sein. Behandelt man Nissen von besagtem Alter 2. Das Ei nicht älter als 1X24 Stunden = nicht länger als 1X24 Stunden bei -j-S/^C bebrütet. Figur 6. Im durchfallenden Lichte sieht man die rund- lichen und polygonalen Keimballen zart gelblich bis glashell das ganze Innere ausfüllen dicht an- einander gepreßt. Der hintere Eipol kann davon frei sein, auf eine kurze Strecke hin. Die Fett- kugeln treten auch jetzt noch scharf im ganzen Bild regelmäßig zerstreut hervor. Im auffallenden Lichte sind die polygonalen und rundlichen Keim- ballen gerade noch erkennbar, sonst erscheint auch jetzt noch das ganze Ei glasig hell. Bei Behandlung mit kochendem Wasser tritt natürlich Gerinnung ein, die polygonale Felderung ver- schwindet und das Ganze wird dichter gelblich, dabei undurchsichtig. In heißem 94 proz. Alkohol tritt Zusammenziehung, namentlich am Hinterende ein, doch wird das Ganze nicht so undurchsichtig, daß man die polygonale Teilung nicht mehr er- kennen könnte. N. F. XV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Dieses Stadium hat VVülker nicht dargestellt und auch nicht erwähnt. Fig. 8. Fig. 9. 3. Das Ei nicht älter als 2X24 Stunden = nicht länger als 2X24 Stunden be- brütet bei +37" C. Figur 7 u. 8. Im durchfallenden Lichte erscheint das Ei- innere zart gelblich, die Dotterballen mit den Fettkugeln treten scharf hervor. Im auffallenden Lichte auf dunklem Untergrund ist kein wesent- licher Unterschied zu bemerken und mehr Einzel- heiten kommen auch so nicht zutage. Das ganze Gebilde erscheint glasig hell. Das Stadium der 'Figur 7 ist etwas jünger als das in Figur 8. Wir bemerken gegenüber dem vorhergehenden Stadium (Figur 6), wie sich die Dottermasse von der Em- bryonalanlage mehr gesondert hat. Das Eiinnere (auch in Figur 8) erscheint heller, die polygonale Felderung ist mehr und mehr zurückgetreten, da sich der Dotter isoliert und kugelig abgerundet hat. Zugleich verteilt er sich mehr peripher auf dem Embryo. In der Mitte bleiben Stellen dotter- frei, so daß wir wie durch ein Fenster die Em- bryonalanlage (im Bilde links) sehen können. Ganz deutlich ist die beginnende Körpersegmen- tierung zu bemerken, welche sich schräg nach hinten zieht. Etwa 8 Stunden später (Figur 8), aber immer noch innerhalb der oben angegebenen Altersgrenze ist die Dottermasse merklich zurück- gegangen. Die Dotterkugeln sind auffallend kleiner geworden, und da sie sich gegenseitig nicht mehr drücken, so kommt es natürlich auch zu keiner polygonalen Abplattung mehr. Auch hier kann man wieder, wie durch ein Fenster, ins Innere sehen und bemerkt, daß bereits die An- lagen der Extremitäten deutlich hervortreten. In kochendem Wasser werden die Nissen diesen Alters undurchsichtig, und das Eiinnere zieht sich zusammen. In kochendem 94proz. Alkohol da- gegen bleibt das Ei ganz gut durchsichtig und die Embroyonalanlage tritt ganz deutlich hervor. Wülker hat dieses Stadium nicht erwähnt, während es W i d m a n n richtig charakterisiert hat. 4. Das Ei nicht älter als 3X24 Stunden = nicht länger als 3X24 Stunden be- brütet bei +37" C. Figur 9. Im durchfallenden Lichte hebt sich der Em- bryo gut von der Umgebung ab. Füße, Fühler und Körperumriß erscheinen mit scharfer Kontur. Die Rückenpartie ist tief dunkel, da sich hier die Hauptmasse des Dotters konzentriert hat. Dieser selbst tritt nicht mehr in den großen Kugeln auf. Im auffallenden Lichte sehen wir den Embryo glasig hell hervortreten, nur daß dann die Dotter- masse der Rückenpartie mit zarter gelblicher Farbe sich besonders gut abhebt. Der Embryo erfüllt nicht mehr das ganze Eiinnere, er ist nach der Deckelseite hin gedrängt, doch sind Luftblasen innerhalb der Eischale noch nicht zu bemerken. Eine feinste Chitinhaut ohne jeden Farbton um- zieht die Körperumrisse. In den Extremitäten ist der Dotter ziemlich regelmäßig verteilt und hebt sich deutlich ab (Fig. 9 Do). Das Augen- pigment fehlt noch, ebenso wie Bewegungen. Man kann mit geübtem bloßem Auge in diesem Alter den Embryo bereits erkennen, auch der weniger Geübte ist es mit lofacher Lupenvergrößerung imstande. Mit kochendem Wasser behandelt trübt sich das Ganze, aber der Embryo bleibt sichtbar. Nach entsprechender Alkoholbehandlung tritt der- selbe sogar noch schärfer hervor. Das Stadium, welches Wülker (Figur i,III) abbildet, und das dem obigen von mir entsprechen sollte, ist sicher nicht richtig. Fig. 10. Fig. n. 5. Das Ei nicht älter als 4X24 Stunden = nicht länger als 4>;24 Stunden be- brütet bei -{-37" C. Figur 10 u. 11. Im durchfallenden Lichte erscheint der Embryo zart gelblich, das Augenpigment (Au) tritt schwach rötlich hervor, der Rückenteil hebt sich dunkel ab, da hier noch die Hauptmasse des Dotters liegt. Die Anlage des Gabeldarmes (Fig. 10 D) und der Magenscheibe (MS) ist schon klar erkenn- bar, besonders gut, wenn man die Nissen etwas rollt und den Embryo von der Dorsalseite aus Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. betrachtet. In dieser Lage bildete ich ihn in Figur 1 1 ab. Die Extremitäten haben sich ziem- lich gestreckt und wir bemerken bereits die Fuß- klauen, die aber noch glashell erscheinen. Die strukturlose Hülle, die den gesamten Embryo um- gibt, tritt namentlich am Hinterende und an den Extremitätenspitzen deutlich hervor. Dotterreste sind noch vorhanden, ebenso wie in den beiden nächstfolgenden Stadien. Im auffallenden Lichte heben sich die Körper- umrisse scharf ab und erscheinen glashell, der Dotter aber zart gelb getönt. Bei Behandlung mit heißem Wasser und Al- kohol bleibt der Embryo, wie auch später, immer deutlich sichtbar, ich will, um Wiederholungen zu vermeiden, auf diesen Funkt fernerhin nicht mehr zurückkommen. Wülker gibt in seinen Stadien IV und V (Figur i) etwa das Gleiche wieder. Nur fehlt im Stadium IV die Magenscheibe und im Stadium V die Gliederung der Füße. Fig- 13- 6. Das Ei nicht älter als 5X24 Stunden = nicht länger als SX24 Stunden be- brütet bei -f"37" C. Figur 12. Im durchfallenden Lichte sehen wir jetzt das Augenpigment rot und die Fußklauen schön bräunlichgelb gefärbt. Der Dotter, soweit noch vorhanden, ist noch gelblich getönt. Der Darm und die Magenscheibe sind gut erkennbar, ebenso die Gliederung der Extremitäten. Die den Em- bryo umhüllende Haut ist glashell und am Hinter- ende und an den Fußspitzen besonders gut sicht- bar. Ferner bemerkt man die Größenzunahme des Embryos, der am Ende des S.Tages mit den Saugbewegungen des Oesophagus beginnt. Die Gliederung der F'ühler ist auch schon vorhanden. Im auffallenden Lichte erscheinen uns die kom- pakteren Teile des Embryos gelblich mit einem zarten Stich ins Grünliche, namentlich in der Gegend der Magenscheibe. Die P~ußklauen zeigen einen zart braunen und das Augenpigment wieder einen roten Farbton. Die F'igur 12 gibt das Stadium wieder bevor Luft durch den Mikrophyl- apparat ins Eiinnere gepumpt wurde. 7. Das Ei nicht älter als 6X24 Stunden = nicht länger als 6X24 Stunden be- brütet be i -|-37" C. Figur 13. Im durchfallenden Lichte sind fast alle äußer- lichen Einzelheiten am Embryo sichtbar, die inne- ren Organe dagegen treten nicht mehr so deutlich hervor, da das ganze Gebilde mehr gelblichgrün- lich getönt erscheint. Dotterreste (dunkel er- scheinend) liegen noch in der Rückenpartie und in den Extremitäten, deren Klauen jetzt scharf braungelb hervortreten. Das Auge hebt sich braunrot ab und hat an Umfang zugenommen. Die Gliederung der Füße in die einzelnen Teile ist genau zu verfolgen, auch diejenige der Fühler. Ferner sind die 6 abdominalen Stigmen (S) und das thorakale Stigma (ThS) als weitere Merkmale hinzugekommen. Von den großen Körperborsten (Bo) ist namentlich an der Dorsalseite des Em- bryos ein Teil sichtbar. Da sich der Embryo jetzt im „pumpenden Stadium" befindet, so be- merken wir in der Kopfgegend Luftblasen (L), welche hin und her geschoben werden, eben ver- mittels der eigentümlichen Saug- und Pump- bewegung des Oesophagus. Noch schöner tritt die Färbung des fast reifen Embryos im auffallendem Lichte bei dunklem Untergrunde zutage. Das Auge erscheint dunkel- rot, das ganze Tier gelblich- bis schwach-grünlich. Die Dotterreste sind als weißliche Inseln wieder zu erkennen, während sie ja sonst als dunkle Flecke sich abheben. Die Klauen und Borsten, sowie die Stigmata zeigen braungelben Farbton. Der freie Teil in der Eischale erscheint silberweiß, es ist sicher die bereits eingepumpte Luft. Auch zwischen den Extremitäten sind kurz vor der Ge- burt Luftansammlungen zu bemerken. Auch mit bloßem Auge ist der Embryo in der Eischale zu erkennen, die Augen treten dann tiefschwarz hervor. Wie kräftig in diesem Stadium Luft eingesogen wird, kann man durch folgenden einfachen Ver- such feststellen. Bringt man die Eier in Öl und beobachtet längere Zeit, so sieht man, wie die in dem Mikrophylapparat vorhandene Luft nach und nach ins Innere gepumpt wird, bis nichts mehr vorhanden ist und sich die Luftkammern der Mikrophylzellen mit Öl füllen. 8. Die soeben ausgeschlüpfteLarve der Laus. Figur 14 und 15. Die frisch geschlüpfte Larve der Kleiderlaus ist etwa i mm groß und von gelblicher Farbe, mit einem zartem grünlichem Anfluge. Vor allem die Magengegend zeigt diese grünliche Tönung. Im durchfallenden Licht erscheint der Körper hell, die großen Borsten und die Klauen bräun- lich, die Augen tief dunkel. — Die Füße haben eine reiche Beborstung, namentlich nach dem N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Tarsus zu. Die Tibia trägt einen Ivurzen Stummel auf der Innenseite, an dem stets eine besonders lange und eine besonders dicke Borste steht. Sonst sind folgende Borsten noch charakteristisch, da sie regelmäßig bei allen Tieren auftreten. Dorsal betrachtet (Figur 14): Zwei große und eine Anzahl kleinerer Mundborsten. Eine Kig. 14. Fig. 15. kräftige Borste vor dem Auge. Zwei Borsten- paare am Hinterrand des Kopfes. Ein Paar Borsten in der Höhe des thorakalen Stigmas und zwar steht eine vor und eine hinter demselben (das thorakale Stigma steht in der Höhe des I. Fußpaares). Ferner stehen in der Mediane im ganzen 9 große Borstenpaare; davon gehört das I. und 2. Paar dem Thoiax an (von vorn gezählt) und das 3. — 9. Paar dem Abdomen; letzterem kommen somit 7 mediane Borstenpaare zu. Am Rande des Abdomens stehen 5 Borsten jederseits. Die drei ersteren sind kürzer, die beiden letzteren recht groß, auch sitzen sie mehr nach der Mediane zu, besonders die letzte. Am After- ende sind nur kleine Borsten vorhanden. Ventral betrachtet (Figur 15): Vier kräf- tige Borsten stehen am Mundkegel ; ein weiteres Paar vor der Insertionsstelle der F'ühler. Ferner trägt jede Hüfte eine kräftige Borste. In der Mediane stehen sieben Borstenpaare, das erste gehört dem Thorax an, das 2.-7. dem Abdomen. Rechts und links vom 6. und 7. Paar steht noch eine Borste, die also zwischen der Medianlinie und dem Außenrande des .\bdomens entspringt. Der Abdominalrand selbst hat wiederum 5 Borsten jederseits in ganz analoger Stellung und Größe wie auf der Dorsalseite. Das .'\fterende erscheint leicht eingekerbt und zeigt nur unbedeutende Be- borstung. Vier Stigmen treten beiderseitig wie kleine Knöpfchen hervor. Die Fühler der Larven sind nur 3 gliederig, wo- rauf schon Fahrenholz (191 2) hingewiesen hat, ich habe den larvalen Fühler früher im Bilde wiedergegeben (Hase (1915) Figur l6a, S 26). An der Fühlerspitze stehen auf einem besonderen Felde Sinneshaare. Fig. 16. Fig. 17. Auffallend ist die große Übereinstimmung der Beborstung der ganz jungen Larven der Kleider- und Koptlaus. Zum Vergleich gebe ich in Figur 16 u. 17 die entsprechenden Verhältnisse bei der Kopflaus wieder. Bei aufmerksamer Betrach- tung findet man die oben beschriebenen Borsten- anordnung auch bei der Kopflaus. Da ich aber zur Zeit der Abfassung dieser Zeilen über kein frisches Material von der Kopflaus verfügte, so entnehme ich die entsprechenden Abbildungen der ausgezeichneten Arbeit von Fahrenholz. Zum Schluß gebe ich eine ganz kurze Charak- teristik der einzelnen Entwicklungsstadien der Eier. 0. Tag. Soeben abgelegt. Ei glashell, Fett, (Dotter)-Kugeln regelmäßig verteilt. Keinerlei Sonderung von Keimdotter und Nahrungsdotter. 1. Tag. Beginnende Sonderung von Keim- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. dotter und Nährdotter. Zerfall des Eiinnern in polygonale und rundliche Ballen. 2. Tag. Nahrungsdotter von der Embryonal- anlage gesondert. Anlage der Körpersegmen- tierung und der Extremitäten am Schluß des 2. Tages. 3. Tag. Der Embryo ist in seinen Umrissen erkennbar. Körper und Extremitäten deutlich unterscheidbar. Hauptmasse des Nährdotters an der Dorsalseite. 4. Tag. Anlage des Auges, des Darmes und der Magenscheibe sichtbar. Die Fußklauen bereits von den Füßen gesondert. 5. Tag. Anlage des Darmes noch vergrößert, Magenscheibe sehr deutlich. Auge vergrößert und tiefer pigmentiert. F"ußklauen zart gelblich getont. Gliederung der Extremitäten vollzogen. 6. Tag. Embryo kompakter geworden, gelb- lich gefärbt. Augen tief dunkel. Tliorakales Stigma und die abdominalen Stigmen sowie die Hauptbeborstung erkennbar. Fußklauen scharf braungelb hervortretend. Dotter bis auf Reste verschwunden. Pumpende Bewegungen des Oeso- phagus und infolgedessen Luft im Eiinnern. Bedeutung der Buchstaben in allen Figuren: ASch = Analschild. Au = Auge. Bo = Borsten. D = Darm. Do = Dotter (Nahrungsdotter). GP ^ Gonopoden. K = Kittmasse. L = Luft- blasen. MS = Magenscheibe. Ni = Nisse. S = Stigma. ThS = Thorakales Stigma. Literaturangaben. 1. Fahrenholz, H., Neue Läuse, i. Jahresbericht d. niedersächsischen zoologischen Vereins Hannover. 1910. 2. Ders. , Beiträge zur Kenntnis der Anopluren. 2. — 4. Jahresber. d. niedersächs. zoolog. Vereins Hannover. 1912. 3. Hase, A., Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer = vestimenti Nitzsch). Berlin 191 5, P. Parey. 4. DerS. , Weitere Beobachtungen über die Läuseplage. Centralblatt f. Bakt., Parasitenkunde u. Infektionskrankheiten. I. Abt. Orig. 1915. Bd. 76. 5. Ders. , Praktische Ratschläge für die Entlausung der Zivilbevölkerung in Russisch-Polen. Nach eigenen Erfahrungen. Berlin 191 5, P. Parey. 5a. Ders., Die Biologie der Kleiderlaus. „Die Natur- wissenschaften". Heft 46. 1915. 6. Hey mann, Hr., Die Bekämpfung der .Kleiderläuse. Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankh. 80. Bd. 1915. 7. Nocht.B. und Halberkann, J. , Beiträge zur Läusefrage. Münch. med. Wochenschrift Nr. 18. 1915. 8. Provazek, E. v. , Bemerkungen über die Biologie und Bekämpfung der Kleiderlaus. Münch. med. Wochen- schrift Nr. 2. 1915. 9. Sikora, H. , Beiträge zur Biologie von Pediculus vestimenti. Centralbl. f. Bakt, Parasitenkunde u. Infektions- krankheiten. I. Abt. Orig. Bd. 76. 1915. 10. Widmann, E. , Beiträge zur Kenntnis der Biologie der Kleiderlaus und deren Bekämpfung. Zeilschr. f. Hygiene und Infektionskrankheiten. 80. Bd. 1915. 11. Wülker, G. , Zur Frage der Läusebekämpfung. Münch. med. Wochenschrift Nr. i8. 1915. 12. Ders,, Zur Biologie und Bekämpfung der Kleiderlaus. Monatshefte f. d. naturwiss. Unterricht. 8. Bd. 1915. Kleinere Mitteilungen. Eine interessante Pflanzengemeinschaft im Luxemburger Kalksandsteingebiet. In Gebieten, wo ein kalkreicher Sandstein ansteht, wird vielfach durch das kohlensäurehaltige Regenwasser die kalkige Zwischensubstanz aufgelöst und fortgeführt, wäh- rend die eingebetteten Ouarzkörner als kalkfreier Sand zurückbleiben; dieser Sand sammelt sich dann an Vorsprüngen und am P^uße der Felsen in Schichten von wechselnder Dicke an. Für den Pflanzengeographen sind ähnliche Vor- kommnisse insofern interessant, als er dort die Besiedelung mit Pflanzen von sehr verschiedenem Anspruch an den Kalkgehalt des Bodens festzu- stellen in der Lage ist, und das oft auf kleinstem Raum. Ein solches Gebiet ist die Luxemburger Schweiz mit ihren eigentümlichen Bastionquadern und Schlüffen im sogenannten Luxemburger Sand- stein des unteren Juras; dieses Gebiet erinnert viel an die kretazischen Formationen der Sächsi- schen Schweiz und genießt wie diese aus gleichem Grunde in der Welt der Touristen hervorragenden Ruf. In den Verhandlungen des Vereins Luxem- burger Naturfreunde (191 5, Nr. 7, 8 und 9, p. 54ff.) habe ich einen sehr charakteristischen Fall der engen Vergesellschaftung von kalkholden und kalkfeindlichen Gewächsen beschrieben; es handelt sich um die Flora entlang eines Touristenweges in der Nähe des Städtchens Echternach, der erst über die obere Trias hinansteigt und sich dann am Fuße des Luxemburger Sandsteines weiterzieht. Wo hier der kalkige Sandstein als felsige Masse ansteht, sowie auf den darunter liegenden kalkhaltigen Schichten des Keupers, treffen wir auf mehr oder weniger typische Kalksucher, wie Scaiidix, Tun^ciüa, Kiiphurbia c.xii^iia, Spccidaria, Dipsacus fiilhnunu, Aiitliyllis i'iiliicraria, Reseda lutea, //Ulla sahcnia, Sorhiis ^ Ind, Melica unißora, Polypodium Dryoptei-is, F. P//ei;,pU-ris, P. Oreo- pfens, Cystopfcris fragilis. Dort aber, wo der Regen den Kalk zwischen den Quarzkörnern des Sandsteines fortgenommen und den kompakten Fels in losen Sand verwandelt hat, treten dann typische Kalkflüchter in schönster Auswahl auf, am unteren Rande erst schüchtern in wenigen und schwächlichen Exemplaren, bald aber mächtig entfaltet und alles andere verdrän- gend. Da melrlen sich CnUiiua, Sarotliauuuts, 1 ^aeciiiiiDii Myrtilhis, 7'e/icri/ii/i Scorodouia, Epilo- hiitm spieafiiiii, Malva »loscliafa : an sehr charakte- ristischen Stellen treffen wir auf wirkliche Indi- N. F. XV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. katoren des Kalkmangels, wie Rmiux aciiosclla und Digitalis purpiirca. Auch von Kryptogamen zeigen sich echte Kalkfiüchter, wie Ptcridiiim aqitiliimni, die Flechte Cladoiiia raiigifcriim und ein Torfmoos. Der Forstwirt hat die Lage richtig erkannt und überall Kulturen der kalk- feindlichen Kiefer angelegt. Die nebenstehende Skizze zeigt das Vorkommen in stark schematisiertem Aufriß; in dieser Zeichnung sind für die Bedürfnisse der Darstellung die Dimen- SchemaHsches profil duroh den Luxemburger Sandstein und seine mit Angabe der eigentümlichen Pflanzenverlellung. sionen des Luxemburger] Sandsteines sehr über- trieben gegenüber jenen der darunter gelegenen mehr oder weniger kalkreichen Schichten der Trias. Die Sandablagerungen sind punktiert, der Kalkfels ist schraffiert angedeutet. Die Skizze läßt auch erkennen, wie man beim Anstieg bis zum Fuße des Sandsteins nur kalksuchende Pflanzen findet, wie dann (bei a) die ersten Kalk- flüchter einsetzen, erst schmächtige Individuen, deren Wurzeln die dort sehr dünne Sandlage bald durchstoßen haben und auf die darunter- liegende für sie unbrauchbare Kalkschicht treffen, wo sie verkümmern; die mächtigste Sandan- häufung erkennen wir im Punkt b, am Fuße der Sandsteinquader, und dort führt der Touristenpfad gerade vorbei, dessen Pflanzenbesiedelung uns nicht im entferntesten ahnen läßt, daß in nächster Um- gebung alles im Kalke starrt. Die Skizze läßt auch die an den Wänden der Sandsteinfelsen oft feststellbare streifenartige An- ordnung der beiden Gruppen von Pflanzen deut- lich hervortreten. Jeder Vorsprung hält eine Lage Sand auf, in welchem bald Kalkfiüchter aufkommen; dazwischen, an den nackten Sandsteinwänden, hor- sten typische Kalksucher. Diese Streifen sind scharf gegeneinander abgesetzt, an ihren Grenzen zeigen sich die Bestände wie abgeschnitten, und diese Abwechslung ist so charakteristisch, daß sie nur dem ganz Ungeübten entgeht. Im Norden des Großherzogtums dehnen sich die devonischen Ardennen, der sogenannte Ösling aus mit typischer F"lora von Kalkflüchtern ; dieser Teil des Landes wird im \'olksmunde „Heide" genannt, und merkwürdigerweise hat das Volk im Gebiete des Sandsteines die Analogie in bezug auf die Flora erkannt (für die geologische Bodenbeschaffenheit besteht absolut keine Analogie) und nennt die unfruchtbaren, kalkfreien, auf dem Plateau des Sandsteines sich ausdehnenden und mit Kiefern sowie Ginstergestrüpp besetzten Flächen eben- falls „Heiden". Der Luxemburger Sandstein weist auch die bekannten Standorte des seltenen kleinen Farn- krautes Hymiciiophyllitm tiDibridgciisc auf, er ist also für den Pflanzengeographen gewiß das inter- essanteste Gebiet zwischen Mosel und Maas. Edm. J. KleinLuxemburg. Über das Alter der versunkenen Wälder und Moore an den Küsten der Nordsee. An vielen Stellen befinden sich unter der Nordsee ver- sunkene Wälder und Moore, über deren Alter die Ansichten der Forscher ziemlich von einander abweichen. Während einige die Waldreste als sehr alt ansehen und sie bis ins Tertiär oder in eine Interglazialperiode verlegen wollen, halten an- dere sie für verhältnismäßig jung und verlegen die Zeit des Untergangs fast in die geschichtliche Zeit. Wahrscheinlich dürften beide Ansichten etwas Wahres haben ; denn die Reste sind von verschiedenem Alter, was man schon daraus er- sehen kann, daß manchmal mehrere dieser Lager übereinander liegen, getrennt durch eine Schlick- schicht, und hängt innig zusammen mit der Nord- see, wo Bodenhebungen und -Senkungen eine bedeutende Rolle spielten und mehrfach wechselten. Im Miozän war die Nordsee weit über ihre jetzigen Ufer getreten, reichte ostwärts sogar über Schleswig-Holstein hinweg bis zu den dänischen Inseln. Im letzten Tertiär, im Pliozän setzte eine Bodenhebung ein, die sich von Osten nach Westen schob und allmählich die Nordsee immer mehr einengte, bis vielleicht nur ein kleiner Teil übrig blieb im äußersten Westen und die großen Kontinentalströme alle zusammenflössen, wahr- scheinlich sogar auch diejenigen, die östlich der Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. I Elbe lagen und sich erst nordwärts Jütland in den Ozean ergossen. Die Verbreitung der seltenen Unio pseudolitoralis in den Gewässern Schwedens, Rußlands und des nördlichen Schleswig spricht dafür. Während der vier Eiszeiten änderte sich die Küstenlinie der Nordsee abhängig von den wahrscheinlich gleichzeitigen Bodenhebungen und Senkungen. Mehrmals dürfte in den Zwischen- eiszeiten ein großer Teil der Nordsee P'estland gewesen sein, wie man das schließen kann aus den Knochenfunden von damals lebenden Tieren, welche die Fischer mit ihren Netzen gelegentlich von der Doggerbank heraufholen. Etwas klarer liegen die Verhältnisse an der Nordsee während der jüngsten Periode der Erde, wo wir die Hebungen und Senkungen des Bodens besser erkennen können. Die erste Hebung der Alluvialzeit, charakterisiert durch die kleine Ancylus fluviatilis, sowie durch die Birken, Föhren und Eichen als Waldbäume dürfte sicher auch die Nordsee berührt haben, die nach ziemlich über- einstimmender Ansicht verschiedener Gelehrten damals ihre Grenze westwärts schob bis in die Gegend der jetzigen 20 m Tiefenlinie; denn bis dahin nimmt die Tiefe ganz allmählich zu, um dann aber ziemlich schnell zuzunehmen. Während der dann folgenden Litorinazeit, wo sich der Boden senkte, wurde die Zerstörung der weiten Lande an der Nordsee eingeleitet, wo sich die Marsch aus den Schlemmrückständen des Meeres in geschützten Buchten bildete, der Wind die Sandmassen zu Dünen auftürmte und auch die herrlichen Wälder verschwanden. Aber diese Vorgänge vollzogen sich nicht plötzlich, sondern nach und nach und verteilten sich über eine end- lose Zeit bis zur Gegenwart, wo noch das Meer sein Spiel treibt, wenn auch der Boden sich nicht mehr zu senken scheint. Aus dieser kurzen Geschichte der Nordsee, die abhängig ist von den Hebungen und Senkungen des Bodens, erklärt sich auch das Entstehen und Versinken der Waldungen und Moore. Sowie durch eine Hebung des Bodens das Festland sich verschob, wurde dasselbe wie überall sofort von den Pflanzen bedeckt und wenn genügend Schutz vorhanden war, dann grünten auch üppige Wälder empor. Die ältesten bekannten Waldreste können nach der Geologie des Nordseegebietes nur bis in die jüngste Tertiärzeit reichen, und in der Tat sind auf Sylt auch wirklich einige Waldreste pliozänen Alters festgestellt. Hier haben die geringen Überbleibsel bereits mit Braunkohle Ähnlichkeit. Die interglazialen Lager sind eben- falls nur selten, sind sie doch meistens von dem vordringenden Eis der Eiszeiten zerstört worden oder liegen so tief, daß sie selten getroffen werden. An mehreren Stellen, so bei Föhr, bei Sylt kennt man solche Schichten, die von tiefen Watten- strömen angeschnitten werden. Diese Lager ent- halten viel Nadelholz und Bernstein. Die meisten der bekannten IVIoore und Wald- reste sind zweifellos alluvialen Alters und sind bei der letzten großen Bodensenkung zur Litorina- zeit unters Meer geraten und mit Marschboden bedeckt. Daraus erklärt sich auch das Vorkommen von Birken, Erlen, Nadelholz und Eichen, während man Reste der Buche nicht findet, da diese als Waldbaum erst während der letzten Bodensenkung sich einen Platz erkämpfte. Die großen Über- schwemmungen, wovon die Geschichtschreiber berichten, sind wahrscheinlich noch eine Folge der Landsenkungen gewesen, aber von dem Unter- gang der Wälder berichten sie nichts mehr, dieselben müssen also schon in vorgeschichtlicher Zeit in das nasse Grab gesunken sein. Wohl könnte man Geschichtszahlen einsetzen, doch hätten dieselben nur einen zweifelhaften Wert. Als Anhaltspunkt dafür könnte man den Anfang der letzten Bodensenkung, der Litorinazeit oder Buchenzeit wählen, was hier im Norden zu Be- ginn der neolithischen Steinzeit gerechnet wird, etwa um 3000 Jahre vor Beginn unserer Zeit- rechnung. Um diese ferne Zeit herum also begann die Nordsee ihr Zerstörungswerk. Mit der Annahme deckt sich, was man an Steinaltertümern in den versunkenen Wäldern und Mooren gelegentlich gefunden hat, es sind nämlich stets Gegenstände aus der Steinzeit, nie aber aus jüngeren Perioden der Vorzeit, aus der Bronzezeit oder gar aus der Eisenzeit. So ergibt sich denn auch aus der Geschichte dieser versunkenen Landstrecken dasselbe wie bei allen Begebnissen in der Geschichte unserer Erde, was wir geneigt sind als eine Begebenheit anzu- sehen, das schnell kommt und geht, verteilt sich gewöhnlich über eine endlose Reihe von Jahren. PhilippsenFlensburg. Einzelberichte. Biologie. Bei dem Vogehug im Frühjahr land in seinem Zusammenhang mit den Witterungs- und Herbst ist es ein noch ungelöstes Problem Verhältnissen" von Dr. K. Bretscher (Neue 7.U ergründen, was den Zugvogel itn Herbst nach Denkschriften der schweizerischen naturforschenden Süden treibt und was ihn im Frühjahr in die Gesellschaft, Zürich 1915) kommt Verf unter Ver- Heimat zurückführt. Es liegt nahe Witterungs- arbeitung von 9000 Angaben, von denen etwa Verhältnisse zur Lösung heranzuziehen. In einem 6000 den Frühlings-, die übrigen den Herbstzug Buch: „Der Vogelzug im schweizerischen Mittel- betreffen, zu dem Ergebnis, daß die meteoro- N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. logischen Verhältnisse zwar den Zug begünstigen oder erschweren, nicht aber dessen Ursache sein können. Diese liegt vielmehr im Vogel selbst. Es stimmt ganz gut damit überein, das uns der Pirol und der Kuckuck schon dann verlassen, wenn die Außentemperatur noch im Aufsteigen begriffen und Futter reichlich vorhanden ist, sowie damit, daß Zugvögel auch in der Gefangenschaft, wo es ihnen doch an nichts fehlt, in der Zugzeit nachts unruhig werden. In einem besonderen Kapitel: „Der Vogelzug und die Depressionen wird betont, daß die topo- graphischen Verhältnisse zwischen der Schweiz und der ungarischen Tiefebene die vorliegenden Differenzen erklärlich erscheinen lassen. „Dort eine weite ungeheuere Tiefebene, hier ein verhältnismäßig schmaler Streifen von Hügel- land zwischen zwei Mauern von etwa looo m im N. W. bis und über 4000 m im S. O. einge- schlossen." Aus zahlreichen Beispielen etgab sich, daß der Vogelzug nicht durch Depressionen be- stimmt wurde, und daß der Frühjahrszug sich ziem- lich unabhängig von den Zyklonen abwickelte, da er bei allen Lagen der barometrischen Minima stattfindet; er erfolgt auch in Übereinstimmung mit dem Verlauf der Depressionen und letzterer weist keinen wesentlichen inneren Zusammenhang mit ihm auf Das gleiche gilt für den Luft- druck; dem Barometerstand gegenüber verhielten sich die Vögel recht gleichgültig. Doch macht B. ausdrücklich darauf aufmerksam, daß man sich leicht Täuschungen hingeben könnte, wenn man nur ein Zugjahr oder gar nur einen Monat als maßgebend für weitere Schlüsse annehmen wollte. Auch die Windrichtung zeigt keine nennens- werte Beeinflussung des Vogelzuges; ebensowenig die Windstärke. Dasselbe gilt für die Nieder- schläge. Auch bei Regen und Schnee spielt sich der Vogelzug ab. Es ist leicht verständlich, daß Nebel die Beobachtung sehr erschwert und deshalb für den Nebel sehr wenig Beobachtungs- material vorliegt. Einmal wurde beobachtet wie der Zug sich in den besonnten Jurahöhen ab- spielte, während im Aaretal Nebel lag. Ein absolutes Hindernis für die Zugsbewegung bildet der Nebel indes nicht; so kam am 7. IX. 191 3 9 Uhr nachts ein großer Zug von Wachteln, Rot- kehlchen und Stelzen bei dichtem Nebel über Genf. Mehr Bedeutung scheint der Lufttemperatur zuzukommen. „Auf den ersten Blick drängt sich daraus geradezu auf, wie verschieden die Wärmeansprüche der einzelnen Arten sind. Die Schafstelze ver- langt eine Morgentemperatur von etwa i ", die Gebirgsstelze von — 3", und die Bachstelze gar von —5", ja von bloß —7". Der Weidenlaub- sänger zeigt starken Zug bei — 3 ", der Fitislaub- Sänger erst bei 0°, während der Gartenspötter 6" haben muß. Dem Teichrohrsänger genügen 4", der Gartengrasmücke 3", vielleicht auch i ". Der Schwarzkopf begnügt sich mit — 2 " C. Unempfindlich gegen niedere Temperaturen sind die Singdrossel und die Amsel, da beide schon bei — 5", sogar bei —7" lebhaft zu ziehen scheinen. Dem Steinschmätzer genügen — i ", dem Wiesenschmätzer i ". Der Zug des Haus- rötels setzt schon bei —4", der des Garten- rotschwanzes erst bei — 2" kräftig ein. 4" über Null muß die Nachtigall haben, das härtere Blau- kehlchen — 2 " resp. O ". Wmterhart ist wiederum das Rotkehlchen, das bei — 5 " schon viele Daten aufweist. Die Rauchschwalbe begnügt sich mit — 4" oder — 2", während die Mehlschwalbe bei 2 '', der Turmsegler erst bei 3 " lebhafter einrückt. Dem Kuckuck scheint schon I " zuzusagen". Hauptzugstemperaturen nach diesen Tages- mitteln sind folgende; Schafstelze 5", Gebirgs- und Bachstelze 4 ", Weidenlaubsänger 7 ", Fitislaub- sängerö", Gartenspötter 15 ", Teichrohrsänger 12", Gartengrasmücke etwa 13", Schwarzkopf lo", Zaungrasmücke 1 1 ", Dorngrasmücke 13", Sing- drossel 4 ", Amsel 2 ", Steinschmätzer etwa 9 °, Wiesenschmätzer 12°, Haus- und Gartenrötel 5" und 9", Nachtigall 13", Blaukehlchen 7", Rot- kehlchen 5 ", Rauchschwalbe und Mehlschwalbe 6" und 8 ", Turmsegler und Kuckuck je 1 1 ". Frühestes Eintreffen fiel mit höchster Tempe- ratur zusammen bei der Gebirgsstelze im Jahre 1897 und bei der Dorngrasmücke im Jahre 1900; spätestes Eintreffen bei niedrigster Temperatur im Jahre 1910 bei der Nachtigall; frühestes Ein- treffen bei niedrigstem Wärmegrad dagegen 1909 bei der Zaungrasmücke und 1900 bei der Sing- drossel; spätestes Eintreffen wiederum bei höchster Temperatur zeigte 1906 die Mehlschwalbe und 1904 der Turmsegler. 1892 hat viermal die niedrigste, 1909 viermal die höchste mittlere Temperatur. Aus der Zusammenstellung ist deutlich zu er- sehen, wie wenig Zugszeit und Temperatur zu- einander in enger Beziehung stehen. „Haben wir doch kürzeste und längste Zugsdauer bei hohen und niederen mittleren Wärmegraden — bei der Zaungrasmücke treffen sogar längste Zugszeit und höchste Wärme darin zusammen — ohne daß da irgendwelcher Zusammenhang zwischen beiden erkennbar ist." Aus allem schließt B„ daß die Zugsdauer von der mittleren Temperatur der Zugszeit unabhängig ist. Der Turmsegler hat die kürzeste Zugszeit, da sie zwischen 6 und 29 Tagen schwankt; bei der Singdrossel und dem Schwarzkopf geht sie von 22 und 15 bis 72, bei der Schafstelze sogar bis 74 Tage. Die ungarische ornithologische Zentrale stellt dagegen in ihrem Gebiet enge Be- ziehungen zwischen der herrschenden Temperatur und der Lebhaftigkeit des Zuges fest. Aus den Zusammenstellungen für die Monate März und April von 1910 bis 191 2 scheint dies für die Schweiz indessen keine Gültigkeit zu haben. Eine besondere Nachprüfung bedarf nach B. ein der Erwähnung wertes Verhalten, nämlich ob die Temperatur der dem Zugstag vorangehenden Zeit einen Einfluß hat. Es scheint sich aber zu Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. ergeben, daß auf den Zug die Temperatur des Zugstages entscheidender ist als die des Vortages. Die momentane Wärmelage treibt die Vögel an, den Zug fortzusetzen. Die Frage, ob Zugserschei- nungen, die als sehr früh und ausnahmsweise zu bezeichnen sind, als Folge hoher Wärme gelten können, ist nur für einen kleinen Teil der Fälle zn bejahen. Denn bei einer und derselben Art können die Tagesmittel hoch und niedrig liegen. „Von allen äußeren Bedingungen, die wir jetzt als den Vogelzug beeinflussend untersucht haben, seien es die Depressionen, die Schwankungen des Luftdruckes, die Richtung und Stärke des Windes, die Wärmeverhältnisse, die Niederschläge, die allerdings alle untereinander in engem Zusammen- hang stehen, haben wir nun feststellen müssen, daß keine einen entscheidenden Finfluß darauf auszuüben vermag — mit Ausnahme von sehr hef- tigen Winden und Niederschlägen — , und es ist un- möglich zu sagen, daß diese oder jene Bedingung zu gegebener Zeit diese oder jene Zugserscheinung im Gefolge haben müsse. Wo das in einem ein- zelnen Falle so den Anschein hat, läßt sich immer wieder an anderem Orte oder zu ganz anderer Zeit das Gegenbeispiel finden. Mit anderen Worten: Die Kenntnis der äußeren Bedingungen genügt nicht zur Erklärung der Erscheinung des Vogel- zuges". Was für die Gesamtheit des Frühjahrzuges gilt, nämlich seine Unabhängigkeit von den Depres- sionen und dem Luftdruck, gilt auch für die einzel- nen Arten. Es ergibt sich hier doch aus einer Reihe von Beobachtungen, die sich allerdings nur auf acht Arten und die Jahre 1908 — 191 2 be- ziehen, daß von der Bevorzugung bestimmter Luftdruckverhältnisse für die eine oder andere Art keine Rede sein kann. Wenn nämlich die Zahl der Beobachtungen einer Depressionslage durch die Zahl der Zugstage geteilt wird, so erhalten wir bei jeder Art fast dieselben Ergebnisse; die Schwankungen sind so gering, daß sie unbedenk- lich in Zusammenhang mit Zufälligkeiten gebracht werden können, nicht aber eine besondere Auslese in den Zugsbedingungen bekunden. ') Für den Herbstzug stehen weniger Beobach- tungen zur Verfügung als für den Frühjahrszug. Es erklärt sich dies einmal daraus, daß die Ankunft der Sänger in den heimischen Fluren von Jung und Alt begrüßt wird; Zeugnis dafür sind auch die zahlreichen Artikel in den Lokalblättern, in denen alljährlich die Rückkehr des Storches, der Schwalben und des Kuckucks gewissenhaft registriert wird. Nur ') Wie eine Zugvogelart an einem bestimmten Datum festhält, bewies mir in den achtziger Jahren des vorigen Jahr- hunderts der Kuckuck. Während eines ganzen Dezenniums hörte ich ihn in dem Wäldchen am Florenberg bei Fulda etwa am 17. April jeden Jahres zum ersten Male. Merk- würdigerweise scheint er auch hier, in Freiburg (Schweiz) un- gefähr am gleichen Datum anzukommen. Schon früh morgens höre ich dann seinen Ruf aus dem benachbarten Wäldchen herübcrschallen. Dasselbe liegt gerade meiner Wohnung gegenüber, so daß ich vom Bett aus in der Morgenfrühe diese Tatsache konstatieren kann. Bequeme Beobachtung I bei jenen Arten, die vorher sich zu größeren Scharen sammeln, wie z. B. die Schwalben, wird der Abzug mehr auffallend, während die anderen sich nach und nach unbemerkt verlieren. Soweit aber Beobachtungen über den Herbst- zug vorliegen, ist auch dieser von der Lage der Depressionen und vom Luftdruck unabhängig. Ebenso sind keine Beziehungen zwischen dem Herbstzug, den Windverhältnissen und den Nieder- schlägen bekannt. Daß ungünstiges Wetter den Zug mehr oder minder behindert, wird dadurch nicht betroffen. Von der Rauchschwalbe wird berichtet, daß ihr Zug vom 13. — 20. 9. 1885 bei Romont bei dichtem Schneegestöber stattfand. Entsprechende Berichte über den Zug der Mehlschwalbe, der Ufer-, der Rauchschwalbe und des Mauerseglers bei regne- rischem kaltem Wetter liegen von verschiedenen Orten vor. Aus Genf wurde am 7. 10. 191 1 ge- meldet, daß von 9 Uhr abends bis Mitternacht bei dichtem Nebel und Regenschauern ein starker Durchzug von Wachteln, Stelzen und Rotkehlchen stattfand. Kurz, die Witterungsverhältnisse können auch den Herbstzug nicht zurückhalten; ausgesprochenes Unwetter kann ihn nur erschweren und verzögern. Was die Temperatur anbelangt, so ist auf den ersten Blick zu erkennen, daß jede Art für ihren Zug eine gewisse Temperatur begünstigt, die nach oben und unten hin begrenzt ist. Die Nahrungsverhältnisse scheinen keine aus- schlaggebende Bedeutung zu haben. Es scheinen vielmehr auch hier im Vogel selbst liegende uns noch unbekannte Motive den Antrieb zum Zug zu geben. Die Zugdauer scheint im Herbst größer zu sein als im Frühling. „Mit recht geringen Ausnahmen sind sowohl die kürzesten wie die längsten Zugsperioden im Herbst länger als die im Frühling, was wieder mit der Beobachtung übereinstimmt, daß der Frühjahrs- zug sich rascher abwickelt als der Herbstzug." „Zusammenfassend kann nun gesagt werden, daß sowohl der Frühlings- wie der Herbstzug im ganzen in gleicher Weise unabhängig sind von den barometrischen Depressionen, dem Luftdruck, den Niederschlagsverhältnissen. Den größten Einfluß auf die Erscheinungen üben die Wärmebedingungen aus, jedoch nicht so, daß sie durchaus der je- weiligen Temperaturlage entspricht. Wir müssen eingestehen, daß die Vögel ziehen, wann und weil die Zeit dafür gekommen ist, daß die äußeren Bedingungen hierfür keinen ausreichenden Grund abgeben : sie erscheinen mehr als begleitende Um- stände. Ob dieser uns zurzeit noch unerklärliche Rest doch irgendwie in den klimatischen F"aktoren und Ernährungsverhältnissen begründet ist oder ob inneren Triebfedern des Vogels die Hauptrolle zufällt, haben fortgesetzte und eindringlicher durch- geführte Beobachtungen festzustellen." Kathariner. N. F. XV. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschril Geologie. Graptolithen aus dem Elbtalschicfer- system. Die altpaläozoischen Gesteine, die unter dem Namen „Elbtalschiefersystem" zusammengefaßt werden, stehen südöstlich von Dresden, im Lock- witztal bei Kreischa nach Berggießhübel und Gottleuba hin an. Organische Reste waren bis jetzt aus ihnen nur spärlich bekannt geworden. Nur die Kieselschiefer des Sandberges bei Witt- gensdorf lieferten Graptolithen (Monograptus sp.), Radiolarien, Sphärosomatiten. In einer Arbeit gibt nun Kurt Pietzsch von der Sächsischen geologischen Landesanstalt ') seine wichtigen Funde aus den Schichten bekannt. Die silurischen Schichten sind dort ebenso durcheinander ge- worfen, gestaucht und gefaltet wie in Ostthüringen. An zwei Stellen fand Dr. Pietzsch Graptolithen : ') Kurt Pietzsch, Graptolithen aus dem Elbtalschiefer- system. Abdruck aus den Berichten der mathematisch-physi- schen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen- schaften zu Leipzig. LXVII. Band. Seite 270—289. Nachfolgende Arten wies Pietzsch nach: G. N.l Verbreitung in England. Climacograptus MiUleres Llandovery »Törnquisti E. and Wood + Diplograptus + lonograptus priodon (Bronn) E. a. W *Flemingi (Salt.) v. pri- mus E. a. W. . . . -|- Wenlock turriculatus Barr. . . . f *discus Törnquist . . . *Sedgwicki Portlock . . *lobiferus(M'Coy)E. a.W. -f *Becki (Barr.) E. a. W. . exiguus (Nich.) E. a. W. j spiralis Geinitz ... -}- Tarannon, Unt.-Wenlock Ob.-Llandov., Tarannon Ober-Llandovery MiUel- u. Ober-Llandovery Ob.-Llandov., Tarannon Tarannon Ob.-Llandov., Tarannon Die mit einem * versehenen Arten sind abgebildet, der M. discus allerdings von See bei Niesky (Lausitz). So ergibt sich folgende Alterstabelie : Sandberg Nenntmannsdorf I. Schwarze, lydit- I. Schwarze, lydit- Gala-Tarannon. artige Kieselschiefer, artige Kieselschiefer Ober. Llandovery. zu Unterst Zwischen- 1 (mit Mon. priodon, lagen von grauem 1 Mon. Fleming!, Mon. kieseligcm Schiefer [ discus, M. Sedgwicki, M. Becki, M. e.xiguus, M. spiralis. (mit Monograptus lobiferus). 2. Übergangs- schichten mit vor- herrschend kieseligen Schiefern (mit Cli- macograptus Törn- quisti). 3. Hornsteinkom- plex. Hornsteinschichten. Mittl. Llandovery. Unt. Llandovery. dstein. Untersilur, am Sandberg bei Wittgensdorf fanden sich in einer Kiesgrube 2 — 10 cm dicke Platten Kiesel- schiefer mit Graptolithen und in 7 km Entfernung vom Sandberge liegen zwischen dem Geiersberge bei Nenntmannsdorf und den alten Hauswaldschen Kalksteinbrüchen Lesestücke von schwarzem, lydit- artigem Kieselschiefer mit Graptolithen auf Blatt Berggießhübel der geologischen Karte. Interessant ist ihre Erhaltung. Am Sandberg sind die Hohl- räume der zusammengedrückten Reste mit Quarz, oder einer weichen, weißen oder braunroten, ockerigen Masse erfüllt. Die im Kieselschiefer erhaltenen sind verkiest. Vorzüglich ist keine der beiden Erhaltungsweisen. Die Nenntmanns- dorfer Graptolithen aus dem schwarzen Kiesel- schiefer sind „meist nicht oder nur ganz wenig verdrückt". Ich habe sie noch nicht gesehen, vermute aber wegen der gleichen teklonischen Verhältnisse der Schichten wie in Ostthüringen, daß sie doch auch bis zu einem gewissen Grade verdrückt sind. Meist sind sie verkiest. Der Hohlraum ist mit milchweißem, sehen dunkel- grauem Quarz oder Kieselschiefermasse erfüllt. In der Dorsalwandung ist manchmal eine schwarze Linie festzustellen, die Dr. Pietzsch der „couche noire" Ferne r's gleichstellte. Rudolf Hundt. Paläontologie. „Über Placodus" gibt Fr. Drevermann im Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1915 Nr. 13 S. 402— 405 interessante Mitteilungen. Die systematische Stellung dieser im Muschelkalk vorkommenden Reptil- gattung ist noch wenig geklärt, da ein zusammen- hängender Skeletlfund bisher nicht vorlag. Gut bekannt ist der Schädel mit den charakteristischen glänzend schwarzen großen Pflasterzähnen am Gaumen und Unterkiefer, während der Oberkiefer mit kleineren bohnenförmigen Zähnen besetzt ist. Gebiß und Schädel zeigen Anpassung an Muschel- nahrung. Hauptsächliche Fundorte sind Bayreuth, Freyburg a. U., Gogolin ti. a. O. Vor kurzem wurde im Oberen Muschelkalk der Heidelberger Gegend, etwa 10 — 12 m unter der Spiriferinen- bank im Trochitenkalk ein zusammenhängender Skelettfund durch Redakteur König in Heidelberg gemacht. Schädel und Wirbelsäule sind fast ganz unverdrückt in dem dunkelblauen, sehr festen und brüchigen Kalk erhalten. Vorhanden ist weiterhin ein großer Teil des Brust- und Beckengürtels, der Rippen und Bauchrippen, sowie ein Teil der Extremitäten. Um Klahrheit über die Stellung dieser eigenartigen Tiere zu bekommen, bittet Dr. Fr. Drevermann, Kustos am Senkenbergi- schen Museum in Frankfurt a. M. um leihweise Überlassung von jedem, auch unpräparierten und scheinbar ungünstigen Material von Placodus zum Zwecke einer größeren Abhandlung über diese hochinteressanten Tiere. Nicht hierhergehörig ist u. a. Tanystrophaeus conspicuus H. v. M. V. Hohenstein, Halle a. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. I Pflanzenkrankheiten. Wer sich mit häus- Hcher Blumenpflege beschäftigt, muß nicht selten die betrübende Erfahrung machen, daß ein Teil seiner Pfleglinge nach kurzer Zeit eingeht : Die Blätter werden — zuerst am Rande — gelblich und braun, vertrocknen dann und fallen schließlich der Reihe nach ab. Manche Arten (Begonien) werfen auch Blüten und Knospen ab, während andre ihre vergilbten Blätier behalten. Diese für Zimmerpflanzen typischen Krankheits- erscheinungen werden vielfach auf die Einwirkung der Gasbeleuchtung in den Wohnungen zurück- geführt; denn das Leuchtgas enthält Spuren von schwefliger Säure, die bekanntlich das Wachstum schädigt. Von anderen Blumenliebhabern wird diese Behauptung bestritten, indem sie darauf hin- weisen, daß ihre Pflanzen auch in gasbeleuchteten Räumen gedeihen. Die Frage ist neuerdings von Sorauer (Zeit- schrift für Pflaiizenkrankheiten XXV, 325—335. 1915) zum Gegenstande einiger Versuche ge- macht worden. Er stellte in zwei gleichmäßig geheizten Räumen eine Anzahl gebräuchlicher Zimmerpflanzen (blühende und Blattpflanzen) auf. Beide Gruppen genossen gleiches Tageslicht und waren auch sonst gleichen Bedingungen ausgesetzt; nur befand sich in dem einen Raum eine Gas- flamme, welche täglich fünf Stunden brannte. Während des (im Winter ausgeführten) Versuchs wu.de dreimal täglich die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit gemessen und dabei die, im übrigen geschlossen bleibenden Räume auf kurze Zeit geöffnet. 6 Tage bis 3 Wochen nach Beginn des Versuches, je nach der Art, stellten sich in beiden Abteilungen die geschilderten Absterbe- erscheinungen ein, aber in der gasbeleuchteten etwas früher und vor allem stärker. Daraus ergab sich, daß das Gaslicht nicht die unmittelbare Ur- sache sein konnte, wohl aber einen fördernden Einfluß haben mußte. Es wurde festgestellt, daß durch die Gasbeleuchtung die Temperatur um 2" gesteigert und die Luftfeuchtigkeit entsprechend herabgesetzt wurde, und daraus geschlossen, daß die gesteigerte Erkrankung durch die größere Lufttrockenheit bedingt sei. Um die Berechtigung dieses Schlusses zu prüfen, wurde mit denselben Pflanzen ein zweiter Versuch in zwei Wohnzimmern angestellt, in denen im Unterschied von dem ersten durch regen Personenverkehr eine häufigere Luft- erneuerung statthatte. Die Erkrankungen traten jetzt in bedeutend schwächerem Grade auf, sie waren in dem gaslosen Zimmer kaum wahr- nehmbar. Als nun in letzterem durch verstärkte Heizung und möglichst beschränkte Ventilation eine um 2—3" höhere Temperatur und somit eine geringere Luftfeuchtigkeit hervorgerufen wurde, erkrankten die Pflanzen unter denselben Symptomen wie in dem gasbeleuchteten Zimmer. Damit war der Beweis geliefert, daß nicht das Gaslicht als solches, sondern die durch dasselbe bewirkte Steigerung der Lufttrockenheit die Ur- sache des Absterbens ist. Zum Verständnis des Gesagten muß hin- zugefügt werden, daß die Mehrzahl der Versuchs- pflanzen aus dem Kalthaus stammte. Sie hatten sich dort bei niedriger Temperatur und feuchter Luft entwickelt und an eine geringe Verdunstungs- tätigkeit angepaßt. Bei der plötzlichen Überführung in die warme und trockene Zimmerluft mußte die Verdunstung befördert werden. Sie über- schritt dabei die Grenze, bis zu welcher die Ge- fäße ihren Wassertransport steigern können, so daß die Blätter vei trocknen, auch wenn den Wurzeln reichlich Wasser zur Verfügung steht. Manche Arten (Fuchsie, Abutilon, gewisse Begonien) sind imstande, neue, den veränderten Feuchtigkeits- verhältnissen angepaßte Blätter und Triebe zu bilden, sich also wieder zu erholen; andere (Dra- eaena, die Begonie „Gloire de Lorraine") gehen zugrunde. Der schädliche Einfluß der trockenen Luft läßt sich demnach nicht durch reichliches Be- gießen beseitigen. Als wirksamste Mittel sind vielmehr Verminderung der Temperatur und Steigerung der I,uftzirkulation zu bezeichnen. Auch ist auf eine allmähliche Gewöhnung der Pflanzen an die Bedingungen der ZimmerkuUur zu achten. P". Esmarch. Bttcherbesprechungen. Schmeil, Otto, Lehrbuch der Botanik für höhere Lehranstalten und die Hand des Lehrers sowie für alle Freunde der Natur. 35. Auflage. Leipzig 1915, QuelUe & Meyer. — Geb. 6,60 M. Eine neue Auflage von Schm eil's Lehrbuch der Botanik, das sich weit über die Grenzen unseres Vaterlandes — und nicht nur in den Kreisen von Lehrern und Schülern — Freunde erworben hat, bedarf keiner besonderen Emp- fehlung. Die Tatsache, daß dem Buche der sel- tene Erfolg beschieden war, in einem Zeitraum von 12 Jahren 35 Auflagen zu erleben, sagt genug, und es hieße Bekanntes wiederholen, wenn man ausführen wollte, inwieweit die Entwicklung des botanischen Schulunterrichts während des letzten Dezenniums von Seh meil's Lehrbuch beeinflußt wurde. Nachdem die teleologische Ausdrucks- weise, in der im ersten Eifer in der Tat zu weit gegangen war, auf das zulässige Maß beschränkt wurde, haben sich auch viele Kreise, die sich zu- nächst skeptisch oder sogar entschieden ablehnend verhielten, bekehrt und es dürfte die Zahl derer, die aus rein sachlichen Gründen Gegner der Schmeil' sehen Methode sind, heutzutage ver- schwindend gering sein. N. F. XV. Nr. 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. In der neuen Auflage haben neben kleineren sachlichen und stilistischen Verbesserungen vor allem die anatomischen, physiologischen und pflanzengeographischen Abschnitte eine weitere Ausgestaltung erfahren. Auch die Zahl der Ab- bildungen ist vermehrt worden : li farbige Tafeln, darunter 2 anatomische, sind hinzugekommen und auf 20 schwarzen bieten zahlreiche, meist gut ausgewählte Photographien „charakteristische Aus- schnitte aus Heimat und Fremde," sicher zur Freude von Lehrer und Schüler, die, sofern sie selbst der Bildkunst huldigen, hierin eine Anregung zu eigenen Aufnahmen finden mögen. Buder. Graser's Naturwissenschaftliche und land- wirtschaftliche Tafeln. Graser's Verlag (R. Liesche) Annaberg, Erzgebirge. Nr. 14. Tafel der Steinobstsorten. Ausge- wählt von G. Viel wegen, Vorsitz, d. Landes- obstbauvereins Reuss j. L. Nach der Natur gemalt von Walter Müller, Gera-R., litho- graph. V. Walter Müller, lithogr. Kunstanstalt Gera. Preis 1,20 M. Nr. 17. Tafel der Bäume und Sträucher. Von Prof. Dr. Raschke. Nach der Natur ge- malt von Walter Müller, Lithogr. Kunst- anstalt, Gera. Preis 0,90 M. Liesche's naturwissenschaftliche Taschen- atlanten, Heft 13. Atlas der Giftpflanzen in natürlicher Farbe mit Beschreibung, mit 16 bunten doppelseitigen Tafeln in Leporelloform und 16 Seiten Text. Graser's Verlag (Richard Liesche) Annaberg, Sachsen. Preis 0,90 M. Billige Abbildungen sind immer begrüßens- wert, weil dadurch das Interesse an der Pflanzen- welt in weiteren Kreisen mehr gefördert wiid, als durch bloße Beschreibungen und Bestimmungs- bücher, die in der Regel gewisse Kenntnisse voraussetzen. Nach den Graser'schen Tafeln wird wohl jeder Laie die abgebildeten Bäume, Sträucher und Obstsorten ohne weiteres erkennen können. Die Abbildungen sind naturgetreu in der Farbe, wenn auch hier und da die P'arbenschattierung zu wünschen übrig läßt, was übrigens für die meisten bunten Abbildungen, auch in teureren Werken, gilt. Auf der Obsttafel sind besonders die Pfirsiche und Stachelbeeren als wohlgelungen hervorzuheben. Der Atlas der Giftpflanzen, in dem i"] mehr oder weniger giftige Pflanzen abgebildet sind, er- scheint unter alleiniger Verantwortung des Ver- lages. Die Bilder scheinen, nach der Signatur zu urteilen, ebenfalls von Walter Müller gezeichnet und lithographiert zu sein. Leider ist der Text sehr verbesserungsbedürftig; er ist offenbar von einem Nichtfachmann irgendwo abgeschrieben worden. Bei der Beschreibung des Kirschlorbeers steht z. B. : „Enthält wie die vorhergehende Pflanze Blausäure." Nun ist die vorhergehende Pflanze aber Coronilla varia. Offenbar stammt die Notiz aus einem anderen Giftpflanzenbuch, in dem die bittere Mandel, die hier nicht erwähnt wird, dem Prunus laurocerasus vorangestellt ist. Die Papiliona- ceenfrüchte werden als Schoten bezeichnet, Eu- phorbia heloscopia und E. peplus sind verwechselt worden, im Text steht richtig Mercurialis annua, auf der Tafel M. perennis, der Tabak heißt Nicotiana und nicht Nicotina, wie man zweimal auf der Tafel lesen kann. Manche Druckfehler im Text dürften auch zu verbessern sein. Die Leporellofoim ist sehr praktisch, so daß der Atlas bequem auf Spaziergängen mitgeführt werden kann. Wächter. Chr. Brockmann, Lehe. Brackwasserstudien. Separate Schriften des Vereins für Naturkunde an der Unterweser, IV. Mit 10 Abbildungen und 2 Tabellen. Gestemünde 1914. Unter dem bescheidenen Titel „Brackwasser- studien" gibt der Verf. im ersten Teile des 71 Seiten starken Schriftchens die Ergebnisse seiner neunjährigen Untersuchungen und Beobachtungen der hydrographischen Verhältnisse der Unterweser und der Hafenbecken bei Bremerhaven, in bezug auf Salzgehalt und dessen Wechsel durch die Ge- zeiten und den hierdurch bedingten Wechsel der Planktonformen, sowie der Ufer- und Grund- bewohner. Ferner untersuchte der Autor die Sinkstoffe und Sedimente der genannten Gewässer, sowie der Geeste und der Baugruben bei Seelust. Besonders berücksichtigt wurde der Anteil der Diatomeenschalen an der Bodenbildung. Aus diesen Untersuchungen zieht der Verf Schlüsse für die Bedeutung der Diatomeen als geologisches Hilfs- mittel, besonders für die wünschenswerte Gliede- rung postglazialer Ablagerungen der Ost- und Nordsee. In den untersuchten Ablagerungen der Nordseeküste werden 232 Diatomeenarten und Varietäten nachgewiesen. Mit diesen Diatomeen beschäftigt sich nun ausschließlich der zweite Teil von B r o c k m a n n ' s Arbeit. Er bringt eine syste- matische Übersicht derselben mit vielen Beobach- tungen über Lebensweise, Widerstandsfähigkeit gegen Wechsel im Salzgehalt des Wassers, Häufig- keit oder Seltenheit des Vorkommens. Bei den schwierigen Arten von Coscinodiscus werden die unterscheidenden Merkmale scharf hervorgehoben und von kritischen Arten Abbildungen nach sehr guten Mikrophotogrammen gegeben. Als neue Arten und Varietäten werden Navicula frisiae Cymbella parasitica Surirella cardaria Streptotheca thamensis var. lata Auliscus sculptus var. tripodiscus beschrieben und abgebildet. Die letztere, drei- äugige Form von Aul. sculptus dürfte wohl richtiger als Mißbildung, statt als Varietät aufzu- fassen sein. Das inhaltsreiche Schriftchen Brock- mann's ist Geologen und Diatomologen zur Anschaffung zu empfehlen. Hugo Reichelt. Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XV. Nr. I W. Wien, Die neuere Entwiclilung un serer Universitäten und ihreStellung im deutschen Geistesleben. Leipzig 191 5, J. A. Barth. Wien bespricht in gedrängter Übersicht die Fragen, die durch die moderne Entwickkmg an die Universitäten herangetreten sind. Er bedauert, daß die Gelegenheit versäumt worden ist, die technischen Hochscliulen an die Universitäten an- zugliedern, da gerade durch eine solche Vereinigung theoretischer und pral5<) versehen sind und an denen die Namen der Elemente: Pb, Bi, Polonium, RaEm, Ra, Ac, Th, Brevium (UX.,) und U stehen; das sind nämlich jedesmal die langlebigsten Glieder ihrer Plejade. Wie oben auseinandergesetzt ist, erhält man bei Abscheidung aus den betreffenden Mineralien nicht ein einzelnes Element, sondern die ganze Plejade und zwar sind die Isotopen nach Maßgabe ihrer Lebensdauer in dem Gemisch vorhanden, so daß die Bestimmung des mittleren Atomgewichts der Plejade einen Wert gibt, der um so weniger von dem des am langsamsten zer- fallenden Gliedes abweicht, je mehr dessen Lebens- dauer die der anderen Komponenten übertrifft. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 Dieses Atomgewicht ist aber das, welches wir ohne Kenntnis der radioaktiven Methoden ledig- lich mit Hilfe der Chemie finden würden; und man sieht, daß für den Chemiker statt der 35 Ele- mente nur 10 vorhanden wären, die sich mühelos dem System einordnen. 205 zu Tabelle i Gruppe O in der Mitte, links davon die B-, rechts die A- Gruppen. Die drei Zerfall- reihen lassen sich dann schräg von rechts unten nach links oben in dieses System hineinschreiben. Ein langer nach links oben gerichteter Pfeil be- deutet eine ß-Strahlenumwandlung und eine Ver- CX- STRAHLEN- UMWANDLUNG >ß-STRAHLEN-(ODER ^STRAHLENLOSE) U/V\WANDLUN6 230 235 240 Wie der Zusammenhang zwischen der Reihen- folge der Elemente in den radioaktiven Reihen und der in den Horizontalreihen des periodischen Systems ist, zeigt Abb. 2. Bei der Aufstellung derselben und bei der Beurteilung der chemischen Natur derjenigen Elemente, deren chemisches Verhalten wegen ihrer Kurzlebigkeit der Unter- suchung nicht zugänglich war, haben die von Fajans gefundenen Verschiebungssätze große Bedeutung gehabt. Auf Grund des elektro- chemischen Verhaltens der Radioelemente läßt sich der Satz aufstellen, daß nach einer «- Strahlen um Wandlung ein Übergang in die zweitnächste niedrigere Gruppe stattfindet und daß das Umwandlungs- produkt unedler ist als die direkte Muttersubstanz, daß dagegen nach einer /J-Strahlenu m Wandlung ein Über- gang in die nächste höhere Gruppe stattfindet und daß das Umwandlungs- produkt edler ist. In Abb. 2 ist das Atomgewicht als Ordinate von 240 bis 205 als Ordinate eingetragen; die Vertikalspalten enthalten die Gruppen des perio- dischen Systems und zwar liegt im Gegensatze minderung des Atomgewichts um 4 Einheiten das Umwandlungsprodukt liegt in der übernächsten Gruppe. Ein kurzer nach rechts weisender Pfeil zeigt eine /S-Strahlenumwandlung an; bei dieser bleibt das Atomgewicht ungeändert und die Tochtersubstanz liegt in der Gruppe rechts neben der Muttersubstanz. Verfolgt mandieUran-Radium- Familie, deren Anfangsglied das U (238) in Gruppe VI A ist, so findet man eine am Anfang und namentlich am Ende mehrfach gebrochene Linie; ein Knick tritt immer da auf, wo an Stelle einer a- eine ,i-Stralilenumwandlung tritt und umgekehrt. In ihrem mittleren Teil vom U II bis Ra B ist die Linie ungebrochen. Einen ganz ähnlichen Verlauf zeigt die Thorium- und die Aktinium- Familie. Um die Tabelle nicht noch unübersicht- licher zu machen, ist die letztere nach unten ver- schoben für sich gezeichnet; die mutmaßlichen Atomgewichte sind unter die (jlieder geschrieben. AlleElemente, dieinderselben Gruppe (Vertikalspalte) stehen, sind isotop; so enthält die (iruppe IV B die Blei-, II A die Radium- Plejade usf. Die Elemente, die im Vergleich zu ihren Isotopen eine lange Lebensdauer besitzen, haben auf das nach chemischen Methoden be- N. F. XV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23 stimmte Atomgewicht besonderen Einfluß; sie sind in Tabelle i mit einem Kreuz versehen. Man sieht auch hier, daß diese Atomgewichte vom Thallium bis Uran ansteigen. Die Endprodukte der 3 Zerfallreihen haben sehr wahrscheinlich ihren Platz in der Gruppe IV B, also in der Bleiplejade. Daß das Endprodukt der Uran-Familie, das RaG, Blei oder besser gesagt mit Blei isotop ist, steht, wenn es auch noch nicht experimentell nachgevwesen, doch so gut wie fest; in allen Uranmineralien findet sich nämlich Blei und RaG und zwar in Mengen, die von dem Alter und dem Urangehalt abhängen. Das Atomgewicht von RaG berechnet sich zu 206, das des gewöhnlichen Bleis ist 207,81, während das des Uranbleis zu 206,6, also zwischen den beiden liegend, bestimmt ist. Auch die Thorium-Familie endet wahrschein- lich mit Th-D._, (berechnetes Atomgewicht 208,4) in der Bleiplejade. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß sich gegen die Theorie der isotopen Elemente Einwände erheben lassen; es ist z. B. nicht sicher, ob nicht durch spätere Forschungen bei den Isotopen, die uns jetzt als chemisch identisch erscheinen, Unter- schiede im chemischen Verhalten aufgefunden werden. Wenn es gelänge, auch für die kurz- lebigen Elemente chemische Eigenschaften und Atomgewicht zu bestimmen, würde das die Theorie wesentlich fördern und festigen. Eine wichtige Stütze hat sie indessen kürzlich (1914) durch Unter- suchungen von J. J. Thomson erhalten. Läßt man auf Kanalstrahlen (mit positiver Elektrizität beladene Atome) ein elektrisches oder magne- tisches Feld wirken, so wird der Kanalstrahl zu einer Parabel gekrümmt. Erzeugt man die Kanal- strahlen in aus der Luft dargestelltem Neon, so findet man neben der normalen Parabel, die dem Atomgewicht 20 entspricht, eine schwächere, die auf das Atomgewicht 22 hinweist. Thomson schoß daraus, daß Neon ein Gemisch zweier Gase ist; das mit dem höheren Atomgewicht nannte er Metaneon. Durch fraktionierte Diffusion, deren Geschwindigkeit bei Gasen ja lediglich von deren Molekulargewicht abhängt, gelang es eine partielle Trennung zu erzielen: die Dichten der äußersten Fraktionen betrugen 20,15 und 20,28, während die des gewöhnlichen Neons 20,19 'st. Es scheint hier demnach der erste Fall vorzuliegen, wo außerhalb der radioaktiven Reihen ein Ele- ment sich als Gemisch zweier nur durch Atom- gewicht verschiedener Elemente herausstellt. Es ist wahrscheinlich, daß die in den unteren beiden Reihen des periodischen Systems und bei Neon gefundene Erscheinung auch bei den übrigen Elementen wiederkehrt. Benutzte Litteratur: 1. Xaturwissenschaften II (1914) S. 429—434 und 463 — 468. F a j a n s. 2. Umschau 1915, Heft 34 und 35. Faj.-ins. 3. Soddy, Chemie der Radioelemente. 2 Bde. 4. Physikal. Zeilschrift XV (1914) S. 797. v. Hevesy und F. Paneth. 5. Physikal. Zeitschrift .\1V (1913) S. 131, XV (1914) S. 797 und S. 937. Fajans. b. Kultur der Gegenwart. Bd. Physik. 1915. Verüben Tiere Selbstmord? [Nachdruck verboten.] Von A. Milewski. Naturgeschichtliche Fabeln sind ungezählt. Irrige Anschauungen, selbst über unsere bekannte- sten Tiere, leben mit einer seltenen Zähigkeit in der Phantasie des Volkes. Seltsame Mären von Tieren finden sich nicht nur regelmäßig in Schulbüchern, sondern sie beschäftigen auch Dichter, behauj^ten sich sogar in wissenschaftlichen Werken und gelten als ausgemachte Wahrheiten. Dabei bedarf es in manchen Fällen oft nur kurzen, logischen und kritischen Denkens, um zu der Überzeugung zu kommen, daß dieser oder jener eingewurzelte Glauben falsch ist, daß er eine Fabel bedeutet. — Andererseits finden interessante Fragen nach flacher Beurteilung eine Verneinung oder Bejahung, ohne daß also den Quellen und Motiven der Vor- gänge nachgespürt wird. Das Dogma der Allzu- leichtgläubigen ist eben ein Faktor, auf den sich spekulieren läßt. — Auch in wissenschaftlichen Kreisen ist die Ansicht verbreitet, daß es unter den Tieren Selbstmörder gibt. Es besteht die Annahme, daß Tiere sich mit Vorsalz das Leben nehmen, wenn ihnen aus diesem oder jenem Grunde das Leben nicht mehr „lebenswert" erscheint. Es wird zwar nicht behauptet, daß der Selbstmord, wie ihn der Mensch übt, in der Tierreihe ohne Wahl vorkommt, wohl aber, daß er eine Erscheinung bei ganz bestimmten Tierarten sei. Und zwar gilt da nicht jener Selbstmord, der zumeist in einem willenlosen Zustande, in spontan auftretender Geistesabwesenheit verübt wird, sondern jene „Todesart, die jemand in bewußter Absicht und auf gewaltsamem Wege an sich vollzieht", wie es in juristischer Auslegung heißt. Zahlreich sind die Fälle, die als Beispiele und zur Begründung dieser Ansicht angeführt sind. Immerhin sind es aber so ziemlich immer dieselben „verbrieften" Vorgänge. Der wissenschaftlich geschulte Zoologe akzeptiert die These vom Selbst- mord nicht. Ohne das Fundement, auf dem sich seine Auffassung der tierischen Psyche erhebt, zu erschüttern, ist er gezwungen, die angeblichen Beweise seiner Gegner kritisch zu verarbeiten und die Ursachen der Beweise zu ermitteln. Dabei gelangt er zu einem Resultat, daß der wohl- überlegte Selbstmord bei den Tieren prinzipiell 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 abgelehnt werden muß. Es sei aber auch gleich hinzugesetzt, daß einzelne einschlägige Vorgänge im Tierleben noch der wissenschaftlichen Lösung harren. — Wohl am bekanntesten sind die Erzählungen über den „planmäßigen" Selbstmord des Skor- pions. Schon die Alten berichteten von Skor- pionen, die sich mit ihrem eigenen Giftstachel, den sie am Hinterleibe tragen, erstechen, sobald sie, die empfindlich sind gegen Hitze und grelles Licht, in einen Kreis voll glühender Kohlen ge- setzt werden. B r e h m und viele andere Natur- forscher bezeichnen das als Fabel. Schon von Rosenhof, der bekannte Naturforscher des i8. Jahrhunderts, nennt diese Erzählung eine „gemeine Sage." Dagegen haben wiederum andere namhafte Zoologen, wie Biddie, Thomson, Wills und Ray-Lancaster, Experimente geschildert, die erwogen werden müssen. Biddie berichtet z. B. aus Madras: „Eines Morgens brachte mein Diener einen großen Skorpion. Ich brachte ihn unter eine Glasglocke und schob diese in den hellen Sonnenschein. Licht und Hitze waren ihm sehr unangenehm. Nun erinnerte ich mich jener alten Mär, nahm eine Lupe und richtete die Strahlen auf seinen Rücken. Sofort begann der Skorpion wütend hin und her zu laufen und in der in- grimmigsten Weise zu zischen. Plötzlich hob das Tier den Schwanz und stieß sich blitzschnell den Stachel in den Rücken. Sofort quoll aus der Wunde eine Flüssigkeit, und in einer halben Mi- nute war der Skorpion tot." — Ähnliches berich- tet Thomson über Versuche, die in Italien mit dem dort heimischen kleinen schwarzen Skorpion gemacht wurden. — Dr. C. J. Wills erzählt aus eigener Erfahrung: „Eines Tages fing ich in der Nähe von Schiras ein besonders großes Exemplar des in Persien heimischen schwarzen Skorpions. Um die Richtigkeit jener von mir für Aberglauben gehaltenen Geschichte zu prüfen, bildete ich auf meinem Hofe einen Kreis von glühenden Kohlen und ließ das Tier in die Mitte des Raumes gleiten. Es stand einen Augenblick still, lief dann einige Male im Kreise umher, stürzte wieder nach der Mitte, erhob den stachelbewehrten Schwanz und stach sich mehrmals in den Kopf; es war sofort tot." Das sind positive Bekundungen, die an sich für einen Selbstmord des Skorpions sprechen würden. Untersuchungen anderer F"orscher stehen aber dazu in Widerspruch. Budde führt zunächst aus, wie er in einem Feuerkreis von 30—40 cm Durchmesser einen Maikäfer setzte, dem er die Flügeldecken zusammengebunden hatte. Der Mai- käfer setzte sich in Bewegung, kroch in die Nähe der Kohlen, fand es zu warm, wich zurück, ver- suchte an einer anderen Stelle durchzudringen, wich wieder vor der Hitze zurück, nud schließlich blieb er in der kühleren Mitte sitzen, das Weitere abwartend. Dann erzählt Budde, wie sich ein gewöhnlicher brauner Skorpion benahm, den er in den Feuerkreis setzte : „Er betrug sich anders als der Maikäfer. Kaum war er niedergesetzt, so machte er ein paar heftige, anscheinend von höch- ster Aufregung zeugende Bewegungen, hob die Scheren, senkte sie wieder und schoß dann, so schnell er konnte, auf die glühenden Kohlen los. Gerade unter die heißeste, größte Kohle steckte er den Kopf, in weniger als einer Sekunde sah man seinen Vorderkörper in der Glut schrumpfen, der Schwanz streckte sich krampfhaft gerade auf- wärts, schwoll heraus, das Stachelglied senkrecht nach oben, und so, in gewaltsamer, übermäßiger Streckung briet er sich in etwa sechs Sekunden zu Tode. Er hatte sich also getötet, aber nicht durch Stich, sondern durch anscheinend ent- schlossenes — aber blödsinniges Verbrennen." — Weiter sagt Budde von Skorpionen, die er aus Konstantinopel erhalten hatte : „Von einem Dutzend der Versuchstiere verhielt sich die kleinere Hälfte (fünf Stück) wie die Maikäfer. Sie liefen umher, prallten vor der heißen Umwallung zurück, zogen sich nach der Mitte des Feuerkreises und blieben dort mehr oder weniger ruhig. Einige legten sich platt auf den Boden, die anderen krochen in der Nähe des Zentrums umher, ohne sich aber ganz in die Nähe der Kohlen zu wagen, nachdem sie einmal erkannt hatten, daß es an der Grenze überall zu heiß für sie war. Die größere Hälfte dagegen (sieben Stück) taten im wesentlichen das- selJDe, was der italienische Skorpion getan hatte: sie brieten sich zu Tode. Dabei hatte aber ihr Untergang nicht ganz das Ansehen wie bei jenem: sie marschierten nicht mit derselben verzweifelten Energie ins Feuer, ohne einen Augenblick zurück- zuweichen, sondern sie prallten erst vor der Hitze zurück, versuchten an verschiedenen Stellen den Kohlenring zu durchbrechen, liefen wieder nach der Mitte des Kreises, erneuerten ihre Versuche und gingen dabei schließlich zugrunde, indem sie noch im Tode zappelnd unter den Kohlen durchkriechen wollten. Von Selbstmord durch Stich war in keinem Falle die Rede. Dagegen zeigte sich mehrmals eine Erscheinung, die wohl geeignet ist, Aufklärung darüber zu schaffen, woher die Sage der Alten stammt. Der Schwanz des verendeten Tieres streckte sich nämlich anfangs immer nach oben, später aber krümmt er sich öfter nach vorn. Die Stachelspitze des- selben kommt dabei in die Nähe des Kopfes, und für einen etwas entfernten Beobachter kann das so aussehen, als habe der Skorpion sich wirklich in den Kopf gestochen. Zweimal ist es mir begegnet, daß ein Zuschauer, als das Tier sich so zusammen- krümmte, ausrief: „Sehen sie, da hat er sich gesto- chen!" Er hatte sich aber nicht gestochen, wie ich ganz deutlich sah, sondern war schon tot, und der Schwanz hatte sich nur langsam nach dem Kopf hinübergekrümmt, wahrscheinlich infolge der Schrumpfung, welche sich aus der einseitigen Ein- wirkung der Hitze ergab. Man darf wohl ver- muten, daß die Erzählung von Selbstmord durch N. F. XV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 25 Stich in manchen I'ällen aus der Mißdeutung der hier erwähnten Eigentümlichkeiten entstanden ist. Ein in glühende Kohlen eingeschlossener Skorpion europäischer Herkunft bringt sich allerdings in mehr als der Hälfte der Fälle um, aber nicht, wie behauptet wurde, durch sein eigenes Gift, sondern indem er ins Feuer läuft. Er macht dabei den Eindruck eines Tieres, das „den Kopf verloren hat" und selbst den Schmerz des Feuertodes, über dem Bestreben, die P'lucht um jeden Preis zu ergreifen, vergißt. Die wilde, instinktive Furcht überbietet bei ihm jede andere Rücksicht." Bei nüchterner Betrachtung dieser Schilde- rungen sind die Berichte von Biddie, Thomson und Wells, wonach der sich in einer verzweifelten Lage befindliche Skorpion sich durch einen Stich mit dem Giftstachel tötet, mit Vorsicht aufzu- nehmen. Denn giftige Tiere sind gegen ihr eigenes Gift und das ihrer Art stets immun. Immunität gegen das eigene Gift und das der Artgenossen finden wir bei fast allen giftigen Tieren, abgesehen von denjenigen, die mit anderen Völkern gleicher Art ständig im Kampfe liegen und sich hierbei des Gifts als ihrer wichtigsten \\'affe bedienen, deren sie nicht entraten können, wie z. B. die Ameisen. Gifttiere, darunter namentlich Schlangen, besitzen in ihrem Körper Gegen- gifte, Antitoxine, die die Wirkung des Giftes aufheben, paralysieren. Diese Wisserschaft ist längst bekannt; sie bedarf daher keiner weite- ren Erörterung. Speziell beim Skorpion wurden aber auch noch darauf bezügliche besondere Ver- suche angestellt. Budde schreibt darüber fol- gendes: „Vor einem halben Jahr hat ein Lon- doner Gelehrter zunächst die Frage zu beant- worten versucht, ob sich der Skorpion durch Gift überhaupt töten kann und hat ein entschieden negatives Resultat erzielt. Es war nicht mög- lich, einen Skorpion dadurch zu töten, daß man ihm seinen Stachel in das Kopfbruststück bohrte, auch dann nicht, wenn man die Giftdrüse kräftig aus- drückte, so daß ihrlnhalt sicher in den Kopf des Tieres gelangte. Dasselbe war in den schwereren Fällen einige Zeit lang matt, erholte sich aber bald wieder und schien unter seinem eigenen Gifte zu leiden. Ähnliches ist bei Schlangen beobachtet worden." — Auch hier fragt es sich noch immer sehr, ob die beobachtete Mattigkeit des Tieres wirklich durch das eigene Gift und nicht etwa durch eine stärkere physische Ver- letzung x'erursacht worden ist. Wirkliche Tötung durch eigenes Gift ist experimentell wohl noch nicht nachgewiesen. Man weiß nur, daß z. B. die Giftwirkung nicht eintritt, wenn Giftschlangen derselben Art sich gegenseitig beißen, die Ver- schiedenheit der Art aber auch dabei eine nur relative Rolle spielt. Somit kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß der Skorpion an seinem eigenen Gift nicht zugrunde gehen kann. So ähnlich urteilt der Leipziger Zoologe Marshall und wohl die meisten Zoologen. — Kann aber der Skorpion durch Selbstvergiftung nicht sterben, so bleibt nur noch die F'rage zu erörtern, ob er seinem Leben durch Selbstmord infolge tödlicher Ver- letzung ein Ziel setzt. Technisch ist dieses möglich. Sein Kopfbrustslück ist ungepanzert, im Gegensatz zu seinem hinteren Körper. Seine Beute erfaßt er mit den Scheren, wölbt dann den Schwanz, dessen letzter Ring den Giftstachel trägt, hinüber und sticht die Beute. Demnach wäre der Skorpion auch in der Lage, sich selbst in den Kopf zu stechen. Nun sagte schon Budde, daß der Körper des durch das Kohlenfeuer förmlich gerösteten Tieres schrumpft. Es ist dieses ein Vor- gang, den man bei jedem Tierkörper beobachten kann. Sobald das Feuer die Muskeln erfaßt, werden sie angespannt und treten gewissermaßen in eine mechanische Aktion. Da nun der Schwanz des Skor- pions, damit er seinem Zweck dienen kann, mit kräftigen Muskeln ausgstattet ist, da er weiter der beweglichste oder meinetwegen auch nur ein be- weglicher Teil des Körpers ist, und da schließlich seine Bewegungen beim Stich der Beute regel- mäßig in ein und derselben Bahn geschehen, ist sein Muskelspiel derartig geleitet , daß bei der Schrumpfung des Körpers durch das Feuer der Schwanz sich nach dem Kopfe ohne Eigen- bewegung und Willen des Tieres krümmt. Daß dabei Irrtümer, namentlich bei beeinflußten Zuschauern, vorkommen können, beweist am besten die Schilderung Budde 's, wonach Zuschauer zu Un- recht ausriefen, daß der Skorpion sich eben ge- stochen habe. — Nun haben aber Biddie, Thomson und Wills positiv bekundet, daß ihre V^ersuchstiere sich Stiche in den Kopf ver- setzt hätten und dann erst gestorben wären. Auch hierfür ließe sich eine Erklärung finden. Zunächst kann der Skorpion, der doch ein Nacht- tier ist, durch den plötzlichen starken Lichtschein in eine so hohe Erregung geraten sein, daß er, wie z. B. ein schlaftrunkener Mensch, den Kopf verloren hatte und mechanisch da zustach, wo er es für gewöhnlich tut, nämlich nach dem Feinde oder der Beute, die er in den Scheren hält; in der Aufregung mag er den eigenen Kopf ge- troffen haben. Dann aber ist in Betracht zu ziehen, daß bei jenen Versuchstieren die Sonnenstrahlen auf den ungeschützten Kopf brannten und daß die Tiere durch die durch ein Brennglas vereinigten Sonnenstrahlen fürchterlich gepeinigt wurden. Nichts liegt näher als die Vermutung, daß die so gequälten Tiere in dem stechenden Schmerz auf dem Kopf einen Feind vermuteten und instinktiv hinstachen. Der geschilderte schnelle Tod kann aber auch schon durch die hohe Temperatur der im Brennglase konzentrierten Sonnenstrahlen be- wirkt worden sein. Ebenso wahrscheinlich ist es, daß der Stich die oberen Ganglien traf und eine schnelle Lähmung des Individuums zur Folge hatte. — So sehen die Gegenargumente aus, die der Mär vom planvollen Selbstmord des Skorpions entgegengehalten werden können, und der vor- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 urteilslose Anhörer wird zugeben müssen, daß sie zum mindesten ein Recht haben, gehört zu werden. — In zweiter Linie wird von den Anhängern der tierischen Selbstmordtheorie die autentische Eigen- tümlichkeit mancher Insekten (Motten, Nachtfalter) und Vögel, ins Licht und P'euer zu fliegen, um zu verbrennen, mancher Nagetiere, in Scharen zum Meere zu wandern, um in den Fluten zu ertrinken und der Pferde, Schafe und Rinder, in den brennen- den Stall zurücklaufen, um umzukommen, angeführt. — Was zunächst die Insekten betrifft, so ist zunächst festzustellen, daß es nächtliche Formen sind, die sich sporadisch zum Licht hingezogen fühlen, ebenso, wie es Fische, Krebse und Schlangen, die im Dunkeln hausen, tun. Aber auch Licht- feinde finden sich darunter. So sah Marshall um die elektrischen Lampen im früheren Kristall- palast in Leipzig außer Schmetterlingen auch zahllose Cicaden und Wanzen sich tummeln, ob- wohl man von den Wanzen weiß, daß sie gerade durch das Licht am leichtesten verjagt werden. Die Aufklärung dieser widersprechenden Tatsachen ist nicht leicht; fast jeder Zoologe sucht sich mit den Phänomen auf eine andere Art abzufinden. Preyer ist der Ansicht, daß die Tiere durch das Hineinstarren in das Helle, Glänzende hypno- tisiert werden. Unter normalen Verhältnissen suchen sie in der Dämmerung nach helleren Gegenständen, Pflanzen oder Tieren. Wenn nun eine solche Lichtmenge auf einmal über sie herein- bricht, so werden sie gleichsam verwirrt, irrsinnig. Sie werden nur noch von der einen fixen Idee beherrscht, dorthin zu gelangen. Mars hall hält dieser Anschauung entgegen, daß doch sehr viele Nachttiere, wie Fledermäuse, Eulen usw., diesem Einfluß nicht unterliegen, vielmehr vom Licht ab- geschreckt werden und in das Dunkel flüchten. Noch weniger beweiskräftig ist die Ansicht des bekannten englischen Tierpsychologen R o m a n e s , der lediglich Neugier für die Triebfeder zu solchem Handeln sieht. Denn gerade die neugierigsten Tiere, wie z. B. Rehe, Hunde und Schafe, werden eher durch eine plötzliche Lichtquelle abgeschreckt, als davon angelockt. Marshall hält eine „Ver- blendung", eine magische Gewalt für den Grund, der die Insekten machtlos macht, ähnlich den- jenigen Menschen, die, wenn sie nicht ganz schwindelfrei sind, oft von einem hohen Gebirgs- abhang derart angezogen werden, daß sie aller Willenskräfte bedürfen, um sich nicht selbst herab- zustürzen. Die zusammengesetzten Fazettenaugen der Insekten müßten von der starken und unge- wohnten Lichtquelle derart beherrscht werden, daß eine unwiderstehliche Gewalt die Tiere er- faßt. Diese Auslegung hat vieles für sich. Rest- los gelöst ist indes das Rätsel nicht. Ob aber der Zug zum Licht eben nur ein Zug bleibt und nicht eine Sucht ist, Selbstmord zu begehen, ist eine Frage, die sich eher bejahen als verneinen läßt. — Leichter zu erklären ist das massenhafte Umkommen von Insekten, Li- bellen, Heuschrecken usw. im Meer. Hier liegt der bei Tieren so häufig beobachtete Wander- trieb vor. Wie Zugvögel und Wanderfische huldigen sie einem sporadisch auftretenden Wander- triebe. Sie fliegen vorwärts und immer weiter, bis sie schließlich an das Meer kommen. In Unkenntnis der Gefahr, auch beherscht von dem Wandertriebe, geschwächt durch Anstrengung und mangelhafte Ernährung, wagen sie sich auf das Meer hinaus, bis ihre Kräfte erlahmen und zu Tausenden und Abertausenden in den Fluten ein nasses Grab finden. Ahnlich verhält es sich mit wandernden Nage- tieren, vornehmlich mit den nordischen Lemmingen, den bekannten Wühlmäusen. Auch diese werden von einem unwiderstehlichen Wandertriebe be- fallen. Sie kommen vom Gebirge herunter, über- schwemmen das Flachland und machen auch nicht an der Küste halt. Ohne Zögern stürzen sich die sonst so schüchternen Tiere, unbekümmert um Menschen, I-'üchse und Raubvögel, in das Wasser und ertrinken zu Hunderttausenden. Für diese Erscheinung werden die verschiedensten Er- klärungen angegeben. Der englische Naturforscher Crotch führt sie auf den sich Tausende von Generationen sich fortgesetzten, jetzt atavistisch wirkenden Trieb der Lemminge, nach Westen zu wandern. Der Schwede Co 11 et wies jedoch die Unrichtigkeit des Wanderns nach dem Westen nach. Die Lemminge wandern, einmal in die Ebene herabgestiegen, nach allen Richtungen unter Beibehaltung der einmal eingeschlagenen Richtung. Marshall sieht darin wiederum eine Massen- sugestion, indem er auf die Kinderkreuzzüge des Mittelalters verweist. Unzweifelhaft sind diese mit dem Tode endenden Wanderzüge noch nicht erforscht. Ebenso unzweifelhaft handelt es sich aber auch nicht um einen bewußten Massenselbst- mord. Ein solcher wäre nämlich mit der Psyche dieser gesellig lebenden Tiere gar nicht zu ver- einen, da bei ihnen jede Handlung der Erhaltung der Art gilt. Eine bekannte Erscheinung ist das wilde An- fliegen der Zugvögel gegen Leuchttürme, und auch dieser Umstand wird auf Selbstmord zurückgeführt. Tatsächlich ist der Verlust, der dadurch entsteht, groß; betrug doch 1902 die Zahl der auf Helgo- land binnen acht Tagen getöteten Vögel etwa 3600. Nun bleiben Vögel nicht allzu großen Lichtquellen gegenüber, wie z. B. Laternen, wie man weiß, indifferent. Das Licht des Leuchtturmes ist aber hundertmal größer und stärker als eine Laterne. Wieviel Vögeln ist die F'unktion eines Leuchtturms unbekannt I Die Natur hat ihn nicht eingerichtet. Die ungeheure Lichtmenge erweist sich dem Vogel als trügerisch. Er sieht in ihr die Lichtquelle des Tages, zusammengedrängt an einer Stelle. Nichts liegt da näher, als die Ver- mutung, daß der sehr eilige Zugvogel die Ge- legenheit benutzt, um vorwärts zu kommen, in der Annahme, daß hinter dem winkenden großen N. F. XV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 Lichtpunkt sich weiter Helligkeit verbreitet. So schlägt der ganze Schwärm gegen die unsichtbaren Glasfenster, um zu spät den Irrtum zu erkennen. Nichts besser beweist die Richtigkeit dieser An- nahme, als die Tatsache, daß noch nicht beobachtet worden ist, daß außer Zugvögeln, die sich auf der Wanderschaft befinden, auch noch andere Vögel zum Leuchtturm fliegen und ihn umflattern, wie etwa die Motten die Laterne. Letzteres würde aber, wenn nicht als Neugier, so doch als Suggestion, Verblendung usw. ausgelegt werden können. Nicht viel anders verhält es sich mit dem Hineinfliegen von Tauben ins Feuer. Bechstein erzählt als etwas Selbsterlebtes, daß Kraniche einem hellen Feuer zuflogen. Marshall wiederum berichtet, wie er 1877 bei dem Brande des Dorfes Taubach bei Weimar sah, daß ein Schwärm weißer Tauben erschien, der in immer engeren Spiralen um die Flammensäulen herumflog, um sich schließHch hineinzustürzen. Ein Grund für diese Vorgänge ist noch nicht gefunden worden, wenigstens nicht ein solcher, der unbestreitbar wäre. Verblendung und magische Gewalt wären nicht von der Hand zu weisen. Soweit es sich aber um Tauben handelt, die ihren brennenden Schlag umfliegen und dem Feuer zum Opfer fallen, ist eine Er- klärung nicht schwer. Ich selbst sah eine ost- preußische Kaserne in Flammen, in der Hunderte von Tauben gehalten wurden. Der Brand war nicht mehr einzudämmen, und aus Mitleid wurden die noch ziemlich entfernt gelegenen Tauben- schläge geöffnet und die Tiere herausgetrieben. Die Tauben zogen in großen Kreisen um das Feuer, setzten sich aber auch wieder auf das Dach. Erst als die Flammen auch an den Schlägen fraßen, wurden die Tiere verstört. Sin umflogen immer enger ihre brennenden Wohnstätten, wurden vom Feuer erfaßt und verbrannten fast restlos. Tauben sind nun Tagtiere. Urfähig, in der Dunkelheit zu sehen, fliegen sie dem Feuer zu, ohne dessen Wirkung zu kennen. Zerstört dieses nun noch ihre Brutplätze, so werden sie, die, wie alle Haus- tiere, ein stark ausgeprägtes „Heimatsgefühl" be- sitzen, verstört und fallen ihrem unverkennbaren Bestreben, ihre Nistplätze zu erhalten, zum Opfer. Analog ist das Verhalten von Pferden und Schafen bei Feuersbrünsten, die in den brennenden Stall wie unsinnig flüchten. Budde vergleicht ihr Verhalten, mit Recht, mit dem des Skorpions. „Im Stall ist es am sichersten — ist ihr Gedanken- gang und sie unternehmen einen Rettungs- versuch. Sie fühlen sich nicht etwa, wie be- hauptet wird, vom Feuer angezogen, sondern streben nach ihrem Stall — und wenn der Weg durch das Feuer führt. Daß ihnen das Feuer keineswegs sympathisch ist, weiß jeder, der das ängstliche, ergreifende Blöken und Brüllen der Schafe, Kälber und Rinder in der Nähe der tobenden Feuersbrunst gehört hat. (Nur das Pferd verrät hohe Gleichgültigkeit. Ich habe schon oft sengende Pferde gesehen, die sich absolut apathisch verhielten.) Zell hält Zweiflern das Benehmen des Kulturmenschen vor und sagt: „Er be- nimmt sich in Lebensgefahr, namentlich bei Theaterbränden, ja auch nicht verständig. Schlaf- trunkene oder ängstliche Personen handeln bei Gefahren garnicht viel anders. Bei Feuersbrünsten wagen sie Sprünge aus hochgelegenen Fenstern, die sicheren Tod bedeuten, obwohl hierzu noch gar kein Anlaß vorliegt. Bei Wasserfahrten stürzen sie sich wie unsinnig auf eine Seite des Kahnes und bringen ihn dadurch zum Kentern — kurz und gut, ihre Rettungsversuche gereichen ihnen nicht selten zum Verderben. Sind das nun etwa Selbstmörder?" Schließlich werden Tiere, die in der Freiheit leben, und in der Gefangenschaft kein Futter an- nehmen, bis sie sterben (Vögel, Schlangen), als bewußte Selbstmörder bezeichnet. So ist bekannt, daß bei paarweise lebenden Vögeln, wie z. B. den sogenannten „Inseparables", sobald ein Partner stirbt, der Überlebende von da ab jede Nahrung verweigert und schließlich eingeht. — Auch hier ist es sehr fraglich, ob eine bewußte Handlung vor- liegt; es wird vielmehr nach der Ursache der Nahrungsverweigerung zu forschen sein. Gram um den Verlust der Freiheit, Trauer um den Verlust des Genossen werden angesichts der tierischen Psyche nicht immer die Motive sein. Mars hall greift hier auf das Dichterwort zurück, daß die Gewohnheit unsere Amme ist und meint, daß diese Behauptung in noch weit höherem Maße bei den Tieren zuträfe, die noch mehr als wir Sklave ihrer Gewohnheiten sind. — Das gleiche gilt natürlich auch für die angeführten Beispiele von Hunden und Katzen, die auf dem Grabe ihrer Herren verhungerten. Diese Tiere haben sich an ihren Pfleger derart gewöhnt, daß diese Gewohnheit für sie zu einer Lebensbedingung wurde, und ohne diese war ihnen ein Leben nicht mehr möglich. Zell regt außerdem die Frage an, ob nicht die infolge Hungers eingetretene Körperschwäche das Tier unfähig macht, Nahrung zu suchen und aufzunehmen, ob also der Tod nicht doch eine unbeabsichtigte Folge ihrer Hand- lungsweise ist. — Hiernach gerät die Anschauung, daß es ver- schiedenen Tierarten geradezu eigen ist, daß sie sich bewußt das Leben nehmen, ins Wanken. Das schließt indes nicht aus, daß Fälle von wirk- lichem Selbstmord in der Tierwelt vorkommen. Einige solche von Zell gesammelte Fälle seien hier erwähnt. In den Reisen und Abenteuern des „Monsieur Violet" deren Wahrheit Kapitän Marryat verbürgt, wird von Pferden erzählt, die, von anderen tyrannisiert und von der ganzen Herde ausgestoßen, sich den Schädel an Bäumen zerstießen. Ferner von Eichhörnchen, die zu- weilen eines unter ihrer Zahl verfolgen, bis es sich selbst tötet. Ein Neufundländerhund, seit einiger 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 Zeit sehr traurig, machte mehrmals den Versuch sich zu ertränken, wurde aber immer wieder herausgezogen, bis ihm sein Vorhaben zuletzt doch gelang. Bekannter und verbürgter ist folgender Bericht. Der Trompeter Lamont im 7. fran- zösischen Husarenregiment hatte ein weißes Roß, das er wie einen Kameraden liebte und das ihm wohl zehnmal das Leben gerettet hatte. Er sorgte aber auch für dieses Tier fast mehr als für sich selbst. In einem Treffen an der Donau 1809 wurde Lamont durch eine Kugel getötet. Sein treues Pferd blieb bei ihm stehen und verteidigte die Leiche, als Soldaten sie aufheben wollten, mit Gebiß und Huf. Der Kaiser Napoleon be- merkte das Getümmel und das Pferd und befahl es in Ruhe zu lassen; der nächststehende fran- zösische Posten sollte am nächsten Morgen be- richten, was vorgegangen sei. General ßerthier übergab am anderen Tage den Rapport: Das Pferd sei die Nacht beim Leichnam geblieben. Mit Tagesanbruch habe man bemerkt, daß es ihn mehrmals umgewälzt und vom Kopfe bis zu den Füßen berochen habe. Es habe nun wohl er- kannt, daß sein Herr tot sei, dumpf gewiehert, sei dann der Donau zugeeilt, wo es sich hinein- stürzte und ertrank. — Horace Vernet hat dieses Pferd durch ein Gemälde verherrlicht. Kleinere Mitteilungen. Verfärbung der tierischen Gewebe. Es ist be- kannt, daß gewisse im Futter wie in den Arz- neien enthaltene Farbstoffe sich den Gewebssäften und Absonderungen der Drüsen, auch den Aus- scheidungen , Kot und Urin mitteilen können. Selbst die Milch läßt oftmals eine derartige Farb- stoffablagerung im Körper erkennen, so daß sie je nach dem in ihr enthaltenen Farbstoff eine rötliche oder bläuliche Nuancierung aufzuweisen vermag. Man spricht geradezu von roter und blauer Milch. Seitdem man zur Färbung von P"utter- mitteln Eos in benutzt, ist die Frage der Fleisch- färbung wiederholt durch Versuche entschieden worden. *) Man hat hierzu sowohl Schweine als Rinder und Geflügel herangezogen ; es hat sich aber in allen Fällen ergeben, daß bei Verfütterung von Eosingerste eine Färbung des Fleisches nicht entsteht, der Geschmack desselben nicht beeinträchtigt wird und der Gesundheitszustand der Tiere nicht leidet.*) Die Giftigkeit des Eosins ist so gering, daß man durch die hundert- und tausendfache Menge, wie sie mit der vorschrifts- mäßig, d. h. zu 5 "/y der Zahl der Körner ange- färbten Gerste in den Tierkörper gelangt, verab- reichen kann, ohne daß die Schweine erkranken.^) Gleichwohl können Organe, innere Eingeweide infolge der Eosinfütterung bei den geschlachteten Tieren Rotfärbungen und zwar durch Aufnahme von Eosin in großer Menge oder von ungleich- mäßig mit Eosin vergälltem Futter aufweisen. Prof. Glage in Hamburg erwähnt in einem Ar- tikel „Färbung des Fleisches und der Organe bei Schlachttieren intra vham durch Anilin- farbstoffe" in der ,,B. Tier. Wochenschr." vom 28. Okt. 191 5 Fälle, in welchen bei vollständig ') Selbst im Reichstage war einmal von einem Abgeord- neten auf dieselbe hingewiesen und ein ,, Schweinedarm" vor- gezeigt worden, der rot gefärbt war, laut tierärztlichem Attest durch Eos in bedingt. ^) Die Bundesratsverordnung vom 2. Oktober 1915, nach welcher nunmehr die Reichsgetreidestelle Brotgetreide zu Futterzwecken verschroten lassen darf, ordnet auch die Fär- bung mit Eosin an, um dadurch Umgehungen zu verhüten. *) Anm. d. Red. Es wird aber neuerdings vou F. Seh an z die Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung betont. durchgefärbter Gerstenfütterung Anfärbungen der Schleimhaut des Verdauungsapparates, speziell am Schlundübergang in den Magen und von äußeren Färbungen an der Haut beobachtet worden sind. Beim Geflügel zeigten sich rosa Flecke auf der Kalkschale der Eier, und der Kot nahm eine rote Farbe an. Außerdem erwähnt Glage eine andere während des Lebens entstandene und bei der Schlachtung konstatierte Färbung eines Rindes, welche so hochgradig war, daß der ganze Tier- körper dieserhalb als untauglich zum Genuß für Menschen bezeichnet werden mußte und insofern von besonderem Interesse ist, weil sie im (xegen- satz zu den partiellen und mehr oberflächlichen Eosinanfärbungen die Aufmerksamkeit in erweiter- tem Umfange auf die Wirkung von Anilinfarb- stoffen auf das Fleisch der Schlachttiere lenkt. Es handelte sich um eine sonst vollkommen gesunde und ordnungsmäßig, also nicht in der Freibank, geschlachtete Kuh. Nach der Schlach- tung lag eine umfangreiche Färbung an den ver- schiedensten Körperteilen vor, wobei sie streng elektiv nur bestimmte Gewebe betraf, nämlich die Bindegewebssubstanzen, besonders das straffe Bindegewebe, Sehnen, Faszien, Arterien, das Periost, die Kutis; ferner die serösen Häute (Brustfell, einschließlich Mittelfell und Bauchfell) und endlich die Nieren. Nicht gefärbt waren dagegen Blut, Fett, Muskulatur, Knochen und Knochenmark, Schleimhäute und, von den Nieren abgesehen, die drüsigen Organe. Die Grundfarbe war violett, indessen ergaben sich an vielen Stellen des Körpers erhebliche Ab- weichungen von dieser Farbe, die offenkundig teilweise bedingt waren dadurch, daß die natür- liche Farbe des Gewebes mit der künstlichen Färbung eine Mischfarbe vor Augen führte, teils deshalb, weil die Menge des abgelagerten P'arb- stoffes in den einzelnen Geweben verschieden groß gewesen war. Neben der blauvioletten Fär- bung traten daher himmelblaue , graublaue und grüne auf Der -Schluß, daß die blauviolette Farbe die Eigenheit der färbenden Substanz war, erscheint deshalb gerechtfertigt, weil dort, wo die N. F. XV. Nr 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 29 Färbung am intensivsten hervortrat, am Halse und Brusteingange, allein dieser Ton in ausge- sprochenster Weise sich zeigte. Nach dem Ge- setze über die Schlachtvieh- und Fleischbeschau sind bei Verfärbung der Schlachttiere nur die veränderten Teile (und zwar nennt die Instruktion zum Gesetze nur Schwarz-, Braun- und Gelb- färbung) untauglich zum Genüsse. Allein in dem beschriebenen Pralle war es bei der Überschwem- mung des ganzen Körpers mit der Farbe nicht möglich, diese Teile sicher zu entfernen. Glage spricht die Anschauung aus, daß der Farbstoff nicht mit der Futteraufnahme, sondern durch subkutane oder intravenöse Einspritzung eines blauen, als Arzneimittel benutzten Farb- stoffes anzusehen ist. Die Art des Farbstoffes konnte jedoch nicht näher bestimmt werden. Glage nahm darauf Versuche an Kaninchen und Meerschweinchen, welche mit einer Lösung von Pyoktanin. caeruleum (Methylviolett) und mit Methylenblau subkutan und intravenös geimpft wurden, vor, desgleichen wurden diese Farbstoffe auch per os verabreicht. 48 Stunden nach der Tötung wurden nur lokale P'ärbungen in der Nach- barschaft der Einverleibungsstelle vorgefunden oder es war überhaupt keine Blaufärbung zu be- merken. Die Reaktion scheint daher je nach der Tier- art eine verschiedene zu sein. Immerhin ist mit der Möglichkeit einer Gewebsfärbung durch fär- bende Substanzen und Arzneien, von denen nicht wenige Modeartikel sind, zu rechnen und daher bei deren Anwendung gegenüber den Schlacht- tieren eine gewisse Vorsicht, wie diese auch bei stark riechenden oder giftigen Arznei- und Des- infektionsmitteln am Platze ist, zu beobachten. So macht das Fleischbeschaugesetz als für die innerliche, wie äußerliche Anwendung bei Schlacht- tieren zu meidende Heilmittel namhaft den Kampfer, Petroleum, Äther, Terpentinöl, Kümmelöl, Anisöl, Chlorpräparate und Karbolsäure, d. h. vor- nehmlich riechende Substanzen. Allein auch ge- wisse färbende Substanzen wären zu vermeiden. Die Färbung tierischer Gewebe, intra vitam, hat wohl noch niemals eine solche Bedeutung erlangt als in diesem Weltkriege und zwar in bezug auf die Dunkelfärbung der äuße- ren Kör per hülle. Sie wird vorgenommen, um hellfarbige für den eigentlichen Kriegs- bzw. Kampfdienst zu verwendende Tiere und zwar ganz besonders Pferde, Maultiere, Maulesel und wohl auch Hunde, Melde-, Wach- und Sanitäts- hunde und selbst andere Tiere, mehr dem Ge- lände und der Umgebung anzupassen um durch ihre lichte und auffälUge P^ärbung nicht zum Ver- räter zu werden. Schimmelpferde sind, da sie den Gegner leicht markieren können, namentlich bei den Patrouillen, als Kriegs- und Kampfpferde ungeeignet; allein auf deren Einstellung für den Heeresdienst kann nicht verzichtet werden, im Gegenteil sind sie bei dem enormen Pferde- bedarf, bei dem mit der Länge des Krieges immer knapper werdenden Pferdenialerial und dem schweren Ersätze jetzt sogar sehr gesucht. Ganz besonders vorherrschend scheinen in der Türkischen Armee die Schimmel zu sein. Major Dr. Huttner, Stabsapotheker bei der Militärmission in der Türkei, veröffentlicht näm- lich in der „Zeitschr. f Veterinärk." von 19(5 S. 199 eine Anleitung zur Haarfärbung von Schimmelpferden. Dort ist diese Manipulation jedenfalls schon länger als beim deutschen Heere in Gebrauch. Als ein zweckmäßiges Mittel erwies sich bei seinen Versuchen Kaliumperman- ganat in I proz. wässeriger Lösung. Man löst zu dem Zwecke 10 g in i 1 Wasser auf und trägt die Lösung mit einer Bürste auf, indem man auf den Haaren hin- und herfährt. Kopf und emp- findliche Teile färbt man mit einem Schwamm oder Lappen. Nach kurzer Zeit geht die violette Färbung in eine braungrüne über, weil das Kalium- permanganat durch die den Haaren anhaftenden Schweißprodukte zu braunem Mangansuperoxyd reduziert wird. Das Stehenlassen des Pferdes in der Sonne bis zum Trocknen beschleunigt den Übergang. Ein Waschen des Pferdes vor dem Färben ist zu vermeiden. Stärkere Lösungen be- dingen eine tiefere P'ärbung, dieselbe ist aber weniger hallbar, weil die Haare nur eine geringe Menge Braunstein auf ihrer Oberfläche festzuhalten vermögen. Die Färbung ist in dem i proz. Lö- sungsverhältnis zu Wasser gut haltbar und billig (etwa I Mark pro Pferd) und erfordert keine be- sonderen Vorbereitungen, auch ist sie für das Tier unschädlich. Nach den dem Verfasser vom Militärapotheker Weigand in Nürnberg gewor- denen Mitteilungen hat man in Bestätigung der Angaben Huttner's mit stärkeren Mangan- lösungen von über i Proz. an der Westfront keine guten Erfahrungen gemacht; Vergiftungs- erscheinungen sind zwar nicht aufgetreten, hin- gegen hielt die Farbe nicht Bestand. Mittlerweile hat sich auch die Industrie der „Tierfärbung" für Kriegszwecke bemächtigt. Die „Zeitschr. f. Veterinärk." von 191 5 berichtet, daß das von den Anilinfabriken A.-G. Berlin zu Färb- versuchen gelieferte „Primal Veterinär", welches unschädlich sein und eine sofortige Dunkelfärbung hervorrufen sollte, sich als sehr giftig erwiesen hat; denn das zur Probe gefärbte Beutepferd wurde unmittelbar nach der vorschriftsmäßig aus- geführten Färbung unruhig, zitterte heftig und verendete nach i ^2 Stunde. Die Zerlegung des Pferdes ergab die Merkmale der Erstickung, nament- lich hochgradiges Lungenödem und Nierenreizung. Auch bei von anderer Seite angestellten Färbungen mit diesem Mittel wurden Todesfälle beobachtet. Der Preis des Mittels zum Färben eines Pferdes beträgt 20 Mark. Besser bewährt haben sich die Farbstoffe „B" der Höchster Farbwerke und die Farbmischungen „Baumwollblau" und „Vesuvin" der badischen Anilin- und Sodafabrik Ludwigs- hafen. Der Preis dieser Färbemittel beträgt pro Pferd etwa i — 2 Mark. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 Als Anforderungen für ein tierisches Färbe- mittel wären zu stellen: 1. Absolute Unschädlichkeit für das Tier, wie dessen Herrn, Reiter, Begleiter, Führer und Um- gebung. 2. Leichte und rasche Ausführung der Färbung. 3. Möglichst lange Haltbarkeit der Farbe — eine unbegrenzte wird es bei einem nicht beson- ders differenten Mittel kaum geben können. 4. Billiger Preis, da sehr große Quantitäten von dem Färbemittel erforderlich sind. Die Tierfärbung war schon in Friedens- zeiten gang und gäbe, jedoch nur in bezug auf partielle Teile des Körpers, in der Hauptsache zur Kennzeichnung der Tiere, so besonders bei den Schafherden, dann auf Viehmärkten, bei den in größerer Menge eingekauften oder aufgestapelten Tierbeständen. Auch zu betrügerischen Maß- nahmen im Pferde- und Viehhandel, dann für Tierschauen ist die Färbung der Tiere gebräuchlich. Selbst in der Kosmetik und Haarpflege des Menschen ist ja die Färbung im Gebrauche. Am bekanntesten ist aber die Kennzeichnung geschlachteter Tiere an bestimmten Körper- teilen durch blaue und für den Fleischgenuß un- schädliche Farbenabdrücke im Vollzuge des Ge- setzes über die Schlachtvieh- und Fleischbeschau, um dadurch den Nachweis und Befund der Be- schau zu manifestieren. (^-C.) M. Reuter. Einzelberichte. Geologie. „Über die Vergletscherung an den Teichen des Riesengebirges" berichtet G. Berg in der Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft 191 5 Monatsberichte Nr. 3 S. 63 — 82. Die Untersuchungen erstrecken sich besonders auf die Teiche und den Melzergrund. Eine ausge- dehntere Gletscherbildung, insbesondere eine allge- meine Vereisung des ganzen riesengebirgischen Nordhanges bis an das Bobertal, wie es G. He- ren dt annahm, konnte nicht erwiesen werden. Was die Vergletscherung an den Teichen (Großer und Kleiner Teich) betrifft, so liegen diese am Boden (Karboden) zweier gewaltiger steiler Kar- nischen. Die Teiche selbst sind typische Karseen. Große Geröll wälle, die wir als Kargletschermoränen z. T. fast nur als Sturzmoränen am P'irnfleckrande an- sehen müssen, hindern den Austritt der Wasser- massen aus dem Karbecken. Verfolgt man den Abfluß des Kleinen Teiches, die Große Lomnitz abwärts, so kommt man in ein weites, nordwärts sich hinziehendes zungenförmiges Becken, welches im Norden verriegelt ist und im Osten von einer Seitenmoräne mit einem hohen Blockwall begleitet wird, während es im Westen durch den steilen Abfall des .Silberkammes begrenzt wird. Quer über das Becken verläuft in der Mitte eine kleine wallartige Blockanhäufung, eine kurze Stillstands- lage des Gletscherendes bei seinem Rückzug aus dem zweitjüngsten in das jüngste Becken der Teichgrube. Gewaltig ist die Größe und Mächtig- keit der östlichen Seitenmoräne, so besonders in der Firnregion, wo der hinter der Teichbaude ge- legene 60 m hohe Hügel ganz aus Granitblöcken aufgebaut ist. Dieser Hügel wirkte rückstauend auf die Eismassen und gab zur Bildung eines weiter östlich gelegenen Nebengletschers außerhalb des Hauptgletscherbeckens Anlaß. Der kleine Neben- gletscher erstreckte sich nordwärts bis fast an den P'ahrweg Schlingelbaude- Hampelbaude und hinter- ließ beim Abschmelzen zwei sehr gut ausgebildete kleine Endmoränen mit gut ausgeprägten kurzen Zungenbecken. Ebenso wie am Kleinen Teich, so lassen sich auch am Großen Teich zwei gesonderte, nur diesem I'lrngebiet zugehörige Endmoränenstaffeln nach- weisen. Die letzte, oberste und jüngste bildet den gewaltigen, den Teich gegen Nordosten ab- schließenden Blockwall (1263 m), welcher jenseits ziemlich steil abfällt, so daß es nicht zu einem wohl- ausgebildeten Zungenbecken kam. In halber Höhe gegen die Ziegenbrücke kann man am Zölfeshübel noch eine deutlich sichelförmige Staffel erkennen. Beide Teiche besaßen somit je zwei getrennte End- moränen. Verfolgen wir nun die weiter nordwärts, tiefer am Hange gelegene nächstältere Endmoräne, so müssen sich hier die aus beiden Teichgruben heraustretenden Eismassen zu einem einheitlichen Gletscher vereinigt haben. Auf dem kleinen Wald- wege von der Ziegenbrücke östlich des Baches nach Norden — unweit des Weges Hampelbaude- Kessel-Waldhaus — überschreitet man eine nach dem Gebirge zu offene parabelförmige Endmoräne, die ein weites, schön entwickeltes Zungenbecken einschließt. Gegen Süden, also gegen die beiden Teiche, steigt das Gelände in unregelmäßigen Schotterhaufen gegen die unteren Staffeln der beiden eigenen Teichgletscher an. Jenseits (nord- wärts) des großen Endmoränenbogens befindet sich im Gebiet des Türkenhübels ein regelloses Gewirr niedriger Sand- und Schotterhaufen. Zwischen den Sandrücken liegen zahlreiche kleinere abflußlose Becken. Oberhalb des Kessels, kurz vor der Vereinigung des Seifenbaches mit der Großen Lomnitz befindet sich eine .Aufschüttung gewaltiger Blöcke mit regellos zwischengeschalteten Schottern undSanden, die im Einschnitt des Weges nach der Hampelbaude gut aufgeschlossen sind. Bis hierher (Lange Brücke) ist der Gletscher zur Zeit seiner größten Ausdehnung mit seinem äußer- sten Zungenende herabgekommen. Vergleicht man die älteren (äußeren) Moränenbögen mit den jüngeren (inneren), so kann man nirgends einen scharfen Hiatus erblicken, der es mit Sicherheit N. F. XV. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. erlauben würde, die unteren Staffeln etwa einer älteren Eiszeit zuzuweisen als die oberen. In post- glazialer Zeit haben die Gewässer kräftig erodiert, Schuttkegel erzeugt und die Zungenbecken z. T. ausgefüllt. Zwischen der Ziegenbrücke und der Teichbaude befindet sich ein echtes schwammiges Moor mit VVassertümpeln. Das Teichbecken selbst wird immer mehr durch Schuttströme aus den Felsenrinnen zugeschüttet. Im benachbarten Melzergrunde finden wir nirgends Endmoränenwälle und Zungenbecken. Während das Talende einen karartigen Felsen- zirkus bildet, beginnt bald hinter der Vereinigung der Quellbäche eine Terrasse mit geschichteten, gerundeten Gerollen, also eine rein fluviatile Bildung. Merkwürdig ist indessen das jähe Abbrechen der Terrasse, und so ist es sehr wohl möglich, daß bei der Melzcrbaude eine Endmoräne eines bis hierher sich erstreckenden Gletschers gelegen liat, die aber jetzt fluviatil umgearbeitet und eingeebnet ist. Im Riesengrund zeigen die dort deutlich ent- wickelten Endmoränen auffallende Anklänge an jäh einsetzende und jäh abbrechende Terrassen- züge. Schöne Endmoränen sind nur an breiten offenen Gehängen entwickelt. Bei einem Vergleich der Altersbeziehungen der Moränen zueinander und zur nordischen Vereisung kommt G. B e r g zu derselben Ansicht wie W e rt h , welcher die Moränen als Staffeln einer Eiszeit auffaßt. Welcher Vereisung diese indessen ange- hören, läßt sich nicht bestimmt sagen, weil nirgends einheimische und nordische Moränen in unmittel- bare Beziehung zueinander treten. Berg nimmt an, daß die nordische Vereisung des Riesenge- birges der vorletzten, die einheimische Vereisung der letzten Eiszeit angehört. Bestimmt läßt sich dies jedoch nicht sagen. V. Hohenstein, Halle a. S. Parasitenkunde. Der Gedanke ist nicht neu, die Vermehrung und Ausbreitung solcher Orga- nismen zu begünstigen, welche land- und forst- wirtschaftliche Schädlinge zugrunde richten. Diese Art der Bekämpfung wird, wie Prof Dr. K. E s c h e - rieh (München)') ausgeführt hat, namentlich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit Erfolg gepflegt. Die „Hyperparasiten" können tierische Schmarotzer sein oder Seuchen erregende Bakterien. Die biologische Bekämpfung der Heu- schreckenplage durch Infizierung der Wander- heuschrecken mit einem Bakterium, welches eine verheerende Seuche unter ihnen hervorruft, be- sprach in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 26. Oktober 1915 F.d'Herelle (Sur le procede biologique de destruction des sauterelles. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 17). Es handelt sich dabei um einen Coccobazillus, dessen verheerende Wirkung zum ersten Male (1910) in Mexiko in Erscheinung trat. Schon früher ^) hatte d' Herelle darauf hingewiesen, daß derselbe sehr rasch seine Virulenz einbüße, und daß daher Infektionsversuche bei nicht hinreichend starker Virulenz mehr schaden als nützen können, da man alsdann die Heuschrecken gewissermaßen immunisiere. Die Erhöhung der Virulenz aber setze ein delikates Verfahren voraus, welches nur ein geübter Bakteriologe ausüben könnte. Eine andere Schwierigkeit liege darin, daß man nicht immer das nötige Material zur Hand hätte; bei den Feldheuschrecken der Gattung Schisto- cerca betrüge die Inkubationszeit nur ungefähr einen Monat. Wenn man also Tiere benützte, welche Eier ablegten, könnte man die Jungen sofort nach ihrem Ausschlüpfen infizieren. Bei Stauronotus dagegen dauere die Inkubationszeit 8—9 Monate, so daß man keine alten Tiere nehmen könnte; die jungen Tiere aber müßten auch erst eine gewisse Größe erreicht haben, ehe man mit der Laboratoriumsarbeit beginnen könnte; dabei aber würde leicht der zur Infektion geeig- nete Moment verpaßt. Im Sommer 1915 erfuhr d'Herelle, daß in Tunesien bei Sidi-BouBaker ein Schwärm von Wanderheuschrecken zugrunde gegangen sei. Die Tiere schienen einer Seuche erlegen zu sein, die sie aus dem Süden bereits mitgebracht hatten. Wegen verschiedener Umstände konnte er erst nach einem Monat die betreffende Gegend auf- suchen und fand nur noch eine Anzahl toter Tiere. Da sie ungefähr 5 Wochen in der glühenden Sonne gelegen hatten, waren sie völlig ausge- trocknet. Sie wurden pulverisiert, das Pulver in sterilem Wasser aufgeschwemmt und jungen Tieren eingeimpft. Diese gingen nach 4 Stunden zugrunde. Man fand einen spezifischen Coccobazillus. Verf. besaß auch noch einige getrocknete Heuschrecken, die im Sommer 191 3 durch eine Seuche vernichtet worden waren, welche in Epirus Heuschrecken- schwärme befallen hatte, die vermutlich aus Rumänien kamen. Er versuchte, ob in diesen Kadavern, die während 2 Jahren in einer ver- siegelten Tube aufbewahrt waren, der Coccoba- zillus noch lebend und virulent geblieben sei. Junge Tiere wurden mit einer Emulsion geimpft, welche i mg Pulver enthielt. Sie starben nach 6 Stunden, nachdem sie alle für die Seuche charakteristischen Symptome gezeigt hatten. d'H. machte Infektionsversuche an Heuschreckenzügen bei Zaghouan in Tunesien. Dafür nahm er Pulver von Sidi-Bou-Baker. Alsbald brach eine Seuche aus. d'H. schlägt nun folgendes Verfahren für die Kultur des Coccobacillus acridiorum vor. Zunächst wird durch mehrere Passagen die Virulenz des Bazillus soweit gesteigert, daß er in wenigstens 8 Stunden tödlich wirkt. Die zugrunde gegan- genen Tiere trocknet man sorgfältig in einem Schwefelsäureexikkator bei Zimmertemperatur, ') Die angewandte Entomologie Staaten. K. Escherich. 1913. ien Vereinigten >) Comptes rendus, t. 152, 1906, p. 1413 et t. 154, 1907. p. 623; Annales l'institut Pasteur, t. 28, :9I4> n""^ 3 et 4. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 2 pulverisiert sie und verteilt das Pulver zu je einigen Milligramm auf Glasröhren, die dann ver- siegelt werden. Das Gift hält sich 2 Jahre viru- lent und es genügt alsdann, im Bedarfsfall den Inhalt eines Röhrchens in einigen Tropfen Wasser oder steriler Bouillon aufzuschwemmen, den Ba- zillus zu isolieren und nach dem üblichen Ver- fahren auf Agar weiter zu kultivieren. Bei Zimmer- temperatur sind nach i8 Stunden die Kukuren hinreichend entwickelt. Als Nährmedium be- währte sich eine Bouillon mit 5 g Pepton, 5 g Pleischextrakt und 5 g Salz auf i 1 Wasser. Die Kulturen müssen stets in Zimmertemperatur, nie dagegen im Wärmeschrank stehen. Im Ver- lauf einer Kampagne werden tote Heuschrecken gesammelt, getrocknet und pulverisiert, und das Pulver für das nächste Jahr aufbewahrt, um da- mit die ersten Infektionen zu machen. Kathariner. Bücherbesprechungen. Schikora, Friedrich, Taschenbuch der wichtigsten deutschen Wasserpflan- zen. VVasserpflanzenbuch des Fischerei- Vereins für die Provinz Brandenburg. Zum Gebrauch auf Exkursionen für Schüler, Naturfreunde, Fischer und Teichwirte. Mit 48 Lichtdrucken und 4 Textbildern, sowie einem Verzeichnisse der volkstümlichen Namen. Bautzen i. S. 19 14, Emil Hübner's Verlag. In diesem handlichen kleinen Buche des in den Kreisen der Teichwirte bekannten Verfassers werden die wichtigsten Wasserpflanzen in ihrer Beziehung zur Teichwirtschaft und Fischerei be- schrieben. Die Einteilung ist keine botanisch- systematische, sondern eine ökologisch praktische, dem Zweck des Buches entsprechend, das den Teichwirt und Uscher auf die Bedeutung der Wasserpflanzen für seine Gewässer aufmerksam machen soll. Es werden nacheinander die Grund- pflanzen (Bakterien), die schwebenden Pflanzen (Plankton), die Auftriebspflanzen (Diatomeen), die Scharpflanzen (auf der Schar, d. h. den höheren Teilen des Seebodens, wachsend), die echten Schwimmpflanzen, die wurzelnden Schwimm- pflanzen, die Schlammpflanzen, die Verlandungs- pflanzen, die Grabenpflanzen (Sium, Nasturtium), und die Uferpflanzen (Cicuta, Rumex hydrola- pathum) in angenehm lesbarer Weise geschildert. Der Verf. setzt eine gewisse Kenntnis der Pflanzen voraus, verzichtet daher auf eine nähere botani- sche Beschreibung und einen Bestimmungsschlüssel, wodurch ein Anfänger allerdings gezwungen wird, andere Hilfsmittel zurate zu ziehen. Die zahl- reichen schönen Lichtdrucktafeln geben dem Buch etwas außerordentlich Bestechendes. Die Weich- heit der Abbildungen wird durch geschickt ge- wählte Schattenwirkung beim Photographieren erzielt, zuweilen allerdings auf Kosten der Deut- lichkeit. Großes Gewicht legt der Verf auf allgemein verständliche deutsche Gattungs- und Speziesnamen, was ja sicherlich für den Verkehr der Teichwirte aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands praktisch und vorteihaft sein mag. Aber es wäre doch wünschenswert gewesen, wenn die volks- tümlichen Bezeichnungen Aufnahme in den Text, und nicht nur in das Register gefunden hätten. Man müßte es bedauern, wenn auf Kosten der Allgemeinverständlichkeit so schöne Namen wie Bullenpesel, Ahnwop, Fuchwadel, Saulöfiel, Wirbe- krinch allmählich auch im täglichen Leben zu Rohrkolben, Schlammschachtelhalm, ährigem oder quirlblättrigem Tausendblatt, schwimmendem Laichkraut und Seesimse degradiert würden. — Für eine sicher zu erwartende Neuauflage sei der Verf. darauf hingewiesen, daß nicht alle Schar- pflanzen „der Poren oder Spallölinungen" ent- behren. S. 43 werden Vaucheria und Spirogyra Familien genannt, nach Glück dienen die Rhi- zoiden von Ceratophyllum auch der Nahrungs- rungsaufnahme, ebenso vermögen die Wurzeln von Hydrocharis sehr wohl in den Schlamm ein- zudringen. Nymphaea alba hat nach den Unter- suchungen des Ref, wie alle Nymphaeen, eben- falls untergetauchte dünnhäutige Wasserblätter, die allerdings weniger auffällig sind und leichter verschwinden als bei Nuphar. Derartige kleine Ungenauigkeiten sind natür- lich bedeutungslos gegenüber den vielen inter- essanten ökologisch wichtigen Mitteilungen des Verf., die allen Praktikern und Liebhabern von Wasserpflanzen Anregung zu weiteren Beobach- tungen geben werden. Wächter. Literatur. Geographische Zeitschrift. Register zu den Jahrgängen 1905 — 1914. Bearbeitet von D. Häberle. Leipzig '15, Teubner. M ö b i u s , M., Mikroskopisches Praktikum für systemati- sche Botanik (II. Kryptogamae und Gymnospermae). Mit 123 Textfiguren. Berlin '15, Gebr. Borntraeger. — 9,60 M. Ruths, Ch., Neue Relationen im Sonnensystem und Universum. Darmstadt '15, Selbstverlag des Autors. Inhatt: K. Schutt, Das periodische System und die Radioelemente. (2 Abb. u. 3 Tab.) S. 17. Milewski, Verüben Tiere Selbstmord? S. 23. — Kleinere Mitteilungen: M. Reuter, Verfärbung der tierischen Gewebe. S. 28. — Einzelberichte; G. Berg, Über die Vergletscherung an den Teichen des Riesengebirges. S. 30. F. d' Herelle, Die biologische Bekämpfung der Heuschreckenplage durch Infizierung der Wanderheuschrecken mit einem Bakterium. S. 31. — Bücherbeseprechungen: Kr. Schikora, Taschenbuch der wichtigsten deutschen Wasserpflanzen. S. 32. — Literatur: Liste. S. 32. Manuskripte und Zi 1 werden an Privatdozent Dr. Job. Buder, Leipzig, Linnestrafle Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ilge 15. , Reihe Sonntag, den 16. Januar 1916. Nummer 3. [Nachdruck verboten.] Das Flugvermögen von Archaeopteryx. Von Privatdozent Dr. F. Stellwaag (Erlangen). Mit lo Abbildungen. Es mag wenig wissenschaftlich erscheinen, über das Flugvermögen eines Tieres wie des Urvogels Archaeopteryx Siemensi Dames ein Urteil zu fällen , das uns nur fossil und in nicht mehr als zwei Exemplaren erhalten ist, und dessen Stellung im zoologischen System lebhafte Kontroversen hervorgerufen hat. Tatsächlich stellen sich auch einer exakten Untersuchung bedeutende Schwierig- keiten entgegen. Zwar zeigt das Ber- liner Exemplar (Abb. i) einen bedeutend besseren Erhaltungszustand als das Londoner, das schon der Verwesung anheimgefallen war, ehe es von dein feinen Schlamm des Solenhofener Jurabeckens eingeschlossen wurde, aber auch hier ist das Brustbein nicht zu sehen, das als Insertionsstelle der \ Flugmuskulatur indirekt wichtige Auf- \- Schlüsse über die Flugfähigkeit gegeben \ hätte. Außerdem fehlt die Kenntnis des Weichkörpers fast vollkommen und \ von der Körperbedeckung sind nur ^ wenige Teile, wie die Nägel, vorhan- ^ den. Dafür aber wurden die Skeletteile, und gerade die für unsere Fragen wichtigen Arm- und Uandknochen aus- ' gezeichnet konserviert und damit ist die Möglichkeit gegeben, die wichtig- sten Teile des Flugapparates zu ana- lysieren und aus der speziellen Form der Elemente Schlüsse auf ihre I^^unk- tion zu ziehen. Da diese nun aber nicht nur in ihrer Form gut erhalten sind, -r >, sondern sich, beim Berliner Exemplar ^ i wenigstens, in ihrer natürlichen topo- ^ graphischen Lagerung befinden, so kann aus den gegenseitigen Beziehungen dieser Elemente einer mehrgliederigcii mechanischen Kette ein Urteil über ihr Zusammenwirken gewonnen wer- den. In ihrer Abhängigkeit vonein- ander geben sie ein deutliches Bild ihrer Leistungen und ihrer Bedeutung Abb. 1. für die Statik und Mechanik des ganzen etwa '/a Körpers. Auch in aerodynamischer Hinsicht fehlt es nicht an der nötigen Grundlage für zuverlässige Schlüsse. Der Körper war bedeckt mit Federn und zwar mit Deck- und Steuerfedern, wie sie allen fliegenden Vögeln eigentümlich sind. Die Deckfedern legen sich infolge ihrer Schmieg- samkeit eng an den Körper des Tieres an und gleichen die Unebenheiten, die der nackte Körper besitzt, aus, so daß jede unvermittelte und für das ruhige Vorbeigleiten der bewegten Luftmassen schädliche Erhebung vermieden wird. Die Steuer- federn sind weit weniger geschmeidig, denn sie müssen genügend Widerstandskraft und Elastizität besitzen, um durch den Druck ihrer F"läche einen wirkungsvollen und fördernden Gegendruck der Luft zu erzeugen. Nur durch ihre Stellung zum m\n Archaeopteryx der nat. Größe. Siemensi Dames. Berliner Exemplar Aus Kayser, Lehrbuch der Geologie. Flügel und zur Schwanzachse unterscheiden sich die Steuerfedern von Archaeopteryx von denen der Vögel, aber nicht durch ihre histologische und physikalische Beschaffenheit. Das Berliner Exemplar war derart eingebettet, daß es mit ausgebreiteten Plügeln schief auf der Bauchseite lag. Dadurch ist der Umriß und die Form der Segelfläche leicht zu rekonstruieren, 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 aus der sich ohne große Schwierigkeit deren In- halt berechnen läßt. Das gewonnene Resultat bildet die wichtige Grundlage für weitere Berech- nungen, die durch den Vergleich mit rezenten Vögeln mit Sicherheit auf den Grad der Flug- fähigkeit des Tieres schließen lassen. Zwar reichen die Befunde der anatomischen Analyse und die Berechnungen nicht aus, um untergeordnete Fragen, wie die der Steuerung, ausreichend zu beantworten, doch genügen sie für einwandfreie Resultate bezüglich der allgemeinen Flugfertigkeit, wenn man ausgerüstet mit den Kenntnissen der verschiedenen Konstruktionen tierischer Flug- apparate die Gesetze über Luftwiderstand und Physik des Fluges in Betracht zieht. Abb. 2. Skelett ■ Pr.u. Processus retrao (Lyurus) tetrix. P Pygostyl, lati, R Rippen, St Sternokostalia. Die Saururae, als deren einziger Vertreter Archaeopteryx Siemensi Dames gilt, werden ge- wöhnlich definiert als Vögel mit langem Schwanz und paarweise an den Wirbeln desselben ange- ordneten Konturfedern, mit Zähnen in den Kiefern, mit drei bekrallten eidechsenartigen Fingern der Hand, mit Bauchrippen und amphicölen Wirbeln. Von diesen Eigenschaften erscheinen von beson- derem Interesse die anatomischen Verhältnisse des Brustkorbes, der Flügel und des Schwanzes. Hier herrschen ganz andere Verhältnisse als bei den rezenten Vögeln. Besonders klar treten die Unterschiede in der Schwanzregion hervor. Die Abb. 2 zeigt, daß der Vogelschwanz nur aus wenigen beweglichen Wir- beln aufgebaut ist. Er endet mit einer horizontal komprimierten pflugscharähnlichen Platte, dem Pygostyl (Fig. 2, ?), an dem die Muskeln zur Be- wegung des Schwanzes inserieren. Der Schwanz von Archaeopteryx dagegen setzt sich aus 20 Wir- beln zusammen, von denen die ersten sehr kurz sind und Ouerfortsätze tragen (Abb. i). Auch vertikale Fortsätze (Processus spinosi) sind vorhanden, die stets auf den folgenden Wirbel übergreifen. Von der Mitte des Schwanzes ab treten kleine Knöchel- chen auf, die wahrscheinlich als verknöcherte Bänder aufzufassen sind und eine Bewegung des Schwanzes nach verschiedenen Richtungen ermög- lichten. Während bei den rezenten Vögeln die Schwanz- federn fächerartig um das Pygostyl stehen, sind sie bei Archaeopteryx zweizeilig angeordnet, und zwar derart, daß auf jeden Schwanzwirbel ein Paar Federn kommt. Sie besitzen eine Länge von 65 mm und gehen durch weiche Federn in die Region der Schwanzwurzel über. Wer vom flugphysiologischen Standpunkt aus das Skelett der rezenten Vögel beurteilt, er- staunt über die strafte Anpassung an die Auf- gaben, die mit der Flugfähigkeit verbunden sind. Alle Teile stehen unter dem Prinzip größter Festigkeit und höchster Leistungsfähigkeit, ver- bunden mit geringstem Materialaufwand und äußerster Leichtigkeit. Die Rückenwirbel sind in ihrer Zahl beschränkt und durch P'ortsätze und Bandscheiben miteinander verbunden, sofern sie nicht wie in der Kreuzbeinregion zu einer dünnen aber widerstandsfähigen Platte verschmolzen sind. Bei einer Reihe von guten Pliegern (Falken, Möven usw.) vereinigen sich sogar die Brustwirbel zu einem Stück, dem Notarium, das auch bei manchen Hühnern angedeutet ist. Im allgemeinen aber bewahren sie ihre Individualität, wenn auch ihre Beweglichkeit auf ein Minimum herabgemin- dert ist. Von den wenigen fest zusammengefügten Brustwirbeln gehen seitlich die Rippen als flache Spangen (Abb. 2, R) ab, die sich nach abwärts ver- jüngen und mit den pfriemenartigen Sternokostalia (Stj, den Verbindungsstücken mit den Brustbein gelenken. Das Gefüge des Brustkorbes wird da- durch verfestigt, daß die Rippen etwa in der Mitte ihres Verlaufes kurze Äste (Processus unci- nati (Pr. u.)) abgeben. So stellt der Brustkorb ein zwar in seinen Teilen (wegen der Atmung) notwendigerweise bewegliches, aber als Ganzes gegen Zug und Druck außerordentlich festes Ge- bilde dar, dessen Geschlossenheit im Vergleich mit anderen nicht fliegenden Wirbeltieren beson- ders auffällt. Ein ganz anderes Bild zeigt die Konstruktion des Brustkorbes von Archaeopteryx (Abb. 1). In der Form und der Beziehung der einzelnen Teile ist kaum ein ferner Anklang an flugphysiologische Aufgaben vorhanden. Soweit festgestellt werden kann, beträgt die Zahl der Rückenwirbel 12, die bikonkav gestaltet, sich regelmäßig hintereinander N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 35 reihen. Dahinter folgen die schwer zu erkennen- den Kreuzbeinwirbel. Dam es, der die Archae- opteryx zuerst genau beschrieben hat, schätzt ihre Zahl auf sieben. Die von den Brust- wirbeln abstehenden Rippen haben die Gestalt feiner und zarter Gräten „wie chirurgische Nadeln", die gekrümmt und am Ende zugespitzt sind. Ihr Querschnitt ist rundlich, nicht oval oder platt, wie bei den Vögeln. Die Processus uncinati fehlen vollständig. Außer diesen echten Rippen besaß Archaeopteryx noch 12 bis 13 Paar freie, nicht mit dem Brustbein verbundene Bauchrippen. Wie gering die Festigkeit der Runipfgegend bei Archaeopteryx gewesen sein muß, läßt sich leicht daraus erkennen, daß der Rücken durch irgend- einen Zufall etwa in der Mitte eingeknickt wurde. Auch ein noch so starker Druck auf den Rücken eines echten Vogels hätte eine derartige Defor- mation ohne Zersprengung der Wirbelsäule nie- mals herbeiführen können. Während die Schulter- blätter im allgemeinen mit denen der Vögel über- einstimmen , existieren weitgehende Unterschiede im Aufbau und damit auch in der P^lugleistung der Arm- und Hand- knochen. Das typische Skelett der vorderen Extremität höherer Wirbeltiere weist von den Schulter zu den Ungern eine zunehmende Zahl von Knochen auf (Abb. 3). An den Ober- arm oder Humerus (H) schließt sich der Unterarm mit zwei Stücken, der Elle (Radius, R) und der Speiche (Ulna, Uj. Da- rauf folgen zwei Reihen würfelförmiger Knochen, die erste (v, c, c, i, u) und zweite Reihe (1,2,3,4,5) der Handwurzelknochen (Pro- und Mesocarpalia). Sie setzen sich in die 5 schlanken Metacarpalia fort, welche die Phalangen der Finger tragen. Eine Extremität, die nach diesem Grundplan gebaut ist, besitzt in ihren Gelenken eine große Zahl von Freiheitsgraden , so daß sie nicht nur gebeugt und gestreckt, sondern auch bei wech- selnder Stellung der Teile in mannigfacher Weise nach verschiedenen Richtungen gedreht werden kann. Je nach der Aufgabe, welche die Extremität zu erfüllen hat, ob sie zum Gehen, Laufen, Springen, Klettern, Klammern oder Fliegen geeignet sein soll, zeigt der Bauplan mehr oder weniger starke Abweichungen. Von dem allgemeinen Schema unterscheidet sich der Vogelflügel durch Reduktion der Finger Abb. 3. Schema einer pen- tadaktilen Extremität. H Humerus, R Radius, U Ulna. Carpus, bestehend aus zwei Reihen und zwei zentralen Stücken. I.Reihe r radiale, i intermedium, u ulnare, 2. Reihe Carpalia 1—5. C centralia. Die Metacarpalia und Phalangen sind nicht bezeichnet. Nach Ilertwig, Lehrbucli der Zoologie. und ihre Verschmelzung (Abb. 4). Auf den Hu- merus (H) folgt wie sonst Radius und Ulna (R, U). Die Pro- und Mesocarpalia aber sind kaum zu erkennen und auch nur zum Teil embryologisch nachweisbar. Als Verbindungsglieder zwischen Radius und Ulna einerseits und den langgestreckten Mesocarpalia andererseits finden sich nur zwei Knöchelchen von eigenartiger vieleckiger Ober- fläche, die nach ihren Lagebeziehungen als Radiale (ra) und Ulnare (ul) bezeichnet werden. Die distal von ihnen gelegenen Knochen (punktiert) machen den Eindruck einer breiten säbelartigen Platte. Sie besteht aus den unvollständig ver- schmolzenen Metacarpalia (Me) und den Gliedern von nur drei Fingern, die verschiedene Länge besitzen. Die Beweglichkeit der Phalangen (I, II, III) ist kaum nennenswert. Abb. 4. Flügelskelelt vom Huhn, etwa -1.^ nat. Größe. H Humerus, R Radius, U Ulna, ra radiale, ul ulnare, Mc Metacarpalia, I — III Finger, K, Kj Kopf I und 2 des Humerus. Eine unerläßliche Vorbedingung für exakte und wirkungsvolle Flügelschläge ist die Ver- ringerung der Bewegungsfreiheit der den Flügel versteifenden Knochenelemente. Vom äußeren Ende des Humerus an kann die ganze Extremität nur in einer Richtung bewegt werden, nämlich in der Richtung der durch Verschmelzung der Metacarpalia zu einer Art Platte gegebenen Ebene. Dies liegt an der Gestalt und Lage von Ulnare und Radiale. Sie sind derart zwischen die be- nachbarten Knochen eingekeilt, daß die Hand nur wie ein Charnier gebeugt und gestreckt werden kann. Eine Drehung in der Achse der Unter- armknochen bleibt völlig ausgeschlossen. Wir können uns die Verhältnisse veranschaulichen, 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 wenn wir uns an die Verbindung der Teilstücke eines zusammenlegbaren Metermaßes erinnern. Sowohl in der Ruhe wie während des Fluges bei gewissen Stellungen des Flügels wird die Hand gegen den Unterarm gebeugt und dadurch der Flügel verkürzt. Diese Bewegung bewerk- stelligt einerseits eine Sehne, die von der Schulter bis zur Hand läuft und bei der Kontraktion ihres Muskels eine Streckung, bei Entspannung eine Beugung der Hand herbeiführt, andererseits eine eigentümliche Vorrichtung an den Flügelknochen. Der Humerus besitzt, wie aus der Figur 4 hervor- geht, am Ende zwei Verdickungen (Kj u. K,). Wird der Arm gebeugt, so drückt der Kopf K^ gegen den Radius und verschiebt ihn parallel zur Ulna nach der Hand zu , welche dadurch einen Ausschlag nach hinten in der Ebene ihrer Fläche macht. Die umgekehrte Bewegung findet statt, wenn der Radius in entgegengesetzter Richtung wie vorher verschoben wird. Die Komplexbildung der Hand und die starke Beschränkung der Freiheitsgrade der Gelenke sind in flugphysiologischer und mechanischer Beziehung außerordentlich wichtige Tatsachen. Durch sie erhält der ausgespannte Flügel eine physiologisch ununterbrochene Versteifung, ähnlich wie sich trotz seiner vielen Gelenke das zusammenlegbare Metermaß in einen steifen Stab verwandeln läßt, wenn es auseinandergezogen und so gehalten wird, daß seine Fläche horizontal liegt. Der 4: r Abb. 5. Flugphasen der Möve nach Marey. Extreme Hoch- Stellung und e.\trcme Tiefstellung. steife Vorderrand des Flügels kann in der Rich- tung des Schlages nach vorn und unten kraftvoll die Luft zerteilen, damit die geschlagene Luftmenge von der Fläche voll ausgenützt werden kann. Darin liegt eine Hauptbedingung für gesicherte und exakte Flügelbewegungen, wie ich stets in meinen verschiedenen fiugphysiologischen Unter- suchungen betont habe. Nur beim Schlag nach abwärts allerdings kann die vordere Extremität als steif und in sich unbeweglich betrachtet werden (Abb. 5). Greift der F"lügel nach hinten und oben, so wird er eingeknickt und wie oben beschrieben verkürzt, denn es handelt sich nun darum, den Flügel möglichst rasch wieder nach vorn zu bringen und daher möglichst geringen Luftwider- stand zu erzeugen. Die Anforderungen, die während des Fluges bei guten Fliegern an die Festigkeit des Flügel- skelettes gestellt werden, sind bei großer Fort- bewegungsgeschwindigkeit des Tieres und bei ge- steigertem Anprall der Luftströmungen enorm und die einseitige Spezialisierung der Bauelemente, sowie ihre geringe Beweglichkeit wird ohne vi^eiteres verständlich. Je einseitiger der Flügel spezialisiert ist, desto größer ist seine Leistung. C=^" Abb. 6. Flügelknochen von Archaeopteryx Siemcnsi Damcs. H Humerus, R Radius, U Ulna, ra radiale, ul ulnare, de distale Carpalia, I — HI Finger. (Nach Ja ekel.) Anders liegen die Verhältnisse bei der .'\rchae- opteryx-Hand. Das Berliner Exemplar zeigt das in .'^bb. 6 wiedergegebene Flügelskelett. Ein doppelter Kopf des Humerus ist nicht zu erkennen und dürfte höchstens angedeutet gewesen sein. An Handwurzelknochen sind zunächst nur zwei festzustellen, ein kleines Knöchelchen, das in der Verlängerung des Radius (R) liegt, und ein größeres, das nach den neueren Untersuchungen von O. Jäckel Ähnlichkeit mit dem großen Knorpel der distalen Karpalreihe rezenter Vogelembryonen besitzt und daher als ein Verschmelzungsprodukt derartiger Elemente (d. c.) anzusehen ist. In dem Raum zwischen dem Ende der Ulna und den Metacarpalia befand sich wahrscheinlich ein be- sonderes Ulnare, ähnlich dem von Vogelembryonen. Das Vorhandensein eines selbständigen Inter- medium bleibt zweifelhaft, wahrscheinlich war es mit dem Radiale verwachsen , wie aus dem für diese Stücke zur Verfügung stehenden Raum ge- schlossen werden darf. An diese Knöchelchen schliesen sich die Metacarpalia der drei Finger an. Das des äußeren Ungers (III) ist etwas kürzer als die der beiden anderen (I u. 11 ) die ,langgestreckten Stäben vergleichbar sind. Das Metacarpale des mittelsten und längsten Fingers setzt sich in zwei ähnlich geformte lange Fingerglieder fort, die in einer kräftigen Klaue endigen. An das lange Metacarpale des kleinen äußeren Fingers schließen sich nacheinander zwei kleine und ein größeres N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 Fingerglied an, auf dem ebenfalls eine Endklaue sitzt. Der erste Finger ist viel kürzer als die anderen. Auf sein Metacarpale folgt ein gestrecktes Finger- glied, das sich in eine kräftige Endklaue fortsetzt. Weder die Finger der rechten Hand noch die der linken liegen nebeneinander, wie in der Abbildung dargestellt wurde. Jedesmal ist der dritte Finger unter den zweiten derart geschoben, daß die Kralle nach vorwärts sieht (Abb. i ), ein Beweis, daß die Hand hohl und nach vorn gedreht war. Die Zahl der Handwurzelknochen ist wichtig für die Beurteilung der F"unktion der ganzen Hand. Es ist klar, daß ein Gelenkkomplex aus vier ver- schiedenen Elementen eine größere Zahl von Freiheitsgraden besitzt und daher beweglicher ist als ein solcher aus zwei Komponenten, wie sie das Radiale und Ulnare der Vögel darstellen. Dies geht auch aus der Form der betreffenden Handwurzelknochen hervor, die nicht die ausge- sprochene Anpassung an eine einzige Bewegung in einer bestimmten Richtung besitzen, und aus dem Fehlen eines zweiten Humerushöckers. Dem- nach diente die Archaeopteryxhand als Kletter- hand, indem das Tier sich mit ihrer Hilfe an Baumstämmen und Ästen einhackte, um sich vor- wärts zu bewegen , aber auch in beschränktem Maße als Greifhand , insofern als die Hand sich beim Klettern um Aste und dergleichen herum- legen konnte. Der Archaeopteryxflügel hatte also Abb. 7. Metacarpodigitales der Vögel, Schema. '~j:^^&!' Abb. 8. Metacarpodigitales von .Archaeopteryx Siemensi Da zwei Aufgaben zu erfüllen : Einerseits diente er als Flugfläche und andererseits war er als Klam- mer- oder Greiforgan ausgebildet. Keiner dieser Aufgaben war er in genügender Weise angepaßt. Sollte die Hand als Greiforgan richtig funktionieren, so hätte sie von dem lästigen Ballast der Federn befreit sein müssen, sollte sie aber als Flügel gebraucht werden, so dürfte das Handgelenk so wenig wie möglich F"reiheitsgrade besitzen. An den Arm- und Handknochen sitzen die Schwungfedern bei Archaeopteryx wie bei den echten Vögeln. Seit längerer Zeit bezeichnet man die der Handknochen als Handschwingen, oder Metacarpodigitales, gegenüber den am Unterarm sitzenden Cubitales. Erstere kommen beim Vogel in der Zahl 10 — 12 vor, und sind folgendermaßen inseriert (Abb. 7): Die ersten sechs liegen auf den vereinigten Metacarpalia I u. III. Darauf folgt die Addigitalis, die stets auf der Phalanx I des dritten Fingers ruht. Zwei Schwingen sitzen auf der Phalanx I des zweiten Fingers. Die übrigen zwei bis drei Prädigitales sitzen auf der Phalanx II des zweiten Fingers. Viel geringer ist die Zahl der Metacarpodi- gitales bei Archaeopteryx (Abb. 8). Auf der ganzen Vorderextremität sitzen 17 Schwungfedern. Ihre Ansatzstellen am Knochen sind nicht deutlich erkennbar, da die Federkiele von den Deckfedern überlagert wurden. Aus ihrer Richtung ergibt sich, daß sechs Schwungfedern zur Hand und elf zur Ulna zu rechnen sind. Die Handschwingen standen nach der Stellung der Finger zueinander Abb. g. Silhouette des fliegenden Fasans (Phasianus colchicus). Etwa '/,Q der natürlichen Gröi3e. Abb. 10. Silhouette der tliegenden Archaeopteryx Etwa '/iQ der natürlichen GröiSe. Nach einer dänischen Zeichnung. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. mit dem Metacarpale II, also mit dem längsten Finger, in Verbindung. Die geringe Zahl der Metacarpodigitales und ihre Insertion an einer beweglichen Extremität macht sich während des Fluges um so störender geltend, als gerade in der Gegend der Flügelspitze die Schlagweite am größten und daher die Hub- kraft der Luft am stärksten ist. Der Luftwider- stand nimmt ja im Quadrat zu, wenn die Ent- fernung von der Flügelachse linear wächst. Damit geht dem Flügel die Fähigkeit, den Körper ener- gisch und kräftig zu heben, zum großen Teil ver- loren. Es ist also der Schluß berechtigt, daß die Handschwingen für die Fortbewegung des Tieres nur von geringer Bedeutung waren. In der Haupt- sache wares es daher die Armschwingen, die den Flug ermöglichten. Aus der Tatsache, daß einerseits der Rumpf die Geschlossenheit und Festigkeit vermissen läßt, die für einen sicher funktionierenden Flugapparat notwendig ist, und daß andererseits auch der Flügel nicht genügend spezialisiert ist, um den Luftwiderstand erfolgreich auszunützen, ergibt sich zur Genüge, daß Archaeopter)'x ein sehr schlechter Flieger gewesen sein muß, der seine Flügel nicht in der Weise wie seine rezenten Verwandten ge- brauchen konnte. Über den Grad und über die Art des mangelhaften Flugvermögens gibt die Geometrie der Flügelfläche hinreichend Aufschluß. Die beiden Abbildungen 9 und 10 geben den Körperumriß von Archaeopteryx und vom Fasan bei ausgebreiteten Flügeln wieder. Sie stellen die Flug- oder Segelfläche dar, d. h. die Horizontal- projektion der ganzen beim Flug auf der Luft liegenden Fläche. Eine allgemeine Ähnlichkeit in der Form ist nicht zu verkennen. Die Flügel sind wenig länger als breit und die Schwanzregion des Fasans dürfte dynamisch der von Archae- opteryx nahestehen. Allein mit dieser Feststellung ist wenig gewonnen, denn bei der Beurteilung der Flugfahigkeit eines Tieres ist die Kenntnis einer Reihe von anderen Faktoren mindestens ebenso wichtig als die der Flugfläche. Im Jahre 1865 stellte de Lucy bestimmte Beziehungen zwischen dem Gewicht eines Flug- tieres und seiner Flugfläche fest und formulierte den paradox klingenden Satz: Ein Tier besitzt um so kleinere Flugflächen, je größer es ist, d. h. es existiert ein Verhältnis zwischen dem Gewicht P und der Flügelfläche f. Auf ein g Körper- gewicht kommt also f Flugfläche. Dieses Gesetz muß insofern als fehlerhaft bezeichnet werden, als eine quadratische Größe mit einer kubischen ver- glichen wird. M ü 1 1 e n h o f änderte daher das Gesetz folgendermaßen ab: Wenn man die Maße eines Vogels vergrößert, so daß Länge, Breite und Dicke in allen Teilen gleichmäßig wachsen, so müssen, wenn die Länge 1 sich linear vergrößert, die Flächen F (Segelfläche) und f (Flügelfläche) in quadratischem, das Gewicht P in kubischem Verhältnisse wachsen. Es sind demnach nur 1 (Länge) yp (Segelfläche), Vf (Flügelfläche) und fP (Gewicht) vergleichbare Größen. Nach dem , VF Verhältnis yp Segelvermögen teilte Müllenhof eine große Anzahl von Vögeln ein und stellte als erster sechs Typen des Segelver- mögens auf und zwar: 1. Wachteltypus. Tiere mit flatterndem Flug und sehr kleinem Segelvermögen (log a = 0,26 — 0,50), so daß an ein Segeln oder Schweben nicht zu denken ist. Rasche und großen Kraft- aufwand erfordernde Schläge. Sobaldjdiese authören, fallen die Tiere schnell und heftig zu Boden. (Wasserhühner, Hühner ohne große Schmuckfedern). 2. Fasanentypus, Hühner mit großen Schmuck- federn, Fasan, Pfau (log a = 0,6). Die Tiere können zwar ebenso wenig wie die vorigen längere Zeit fliegen, brauchen aber doch nicht beim Senken des Körpers so ängstlich zu flattern. 3. Sperlingstypus (log a = 0,6). Die Tiere können beim Abstreichen gleiten. (Je größer a, um so besser geht das Gleiten vor sich.) Hierher gehören: Sperlinge, Staare, Drosseln, Tauben, Schnepfen usw. 4. Schwalbentypus. Die Tiere besitzen gleiche Segelgröße wie die des dritten Typus. Die starke Verlängerung der Flügel und die riesige Ent- wicklung der Brustmuskulatur bewirkt, daß ein einziger Schlag dem Körper eine sehr bedeutende Bewegungsgröße verleiht. 5. Geiertypus (log a= 0,7 — 0,8). Die Dauer der passiven Flugtouren steigert sich bei großen Krähen, Kiebitz, Falk und Geiern. 6. Möventypus. Die Flügel sind nicht größer als beim Geiertypus, aber viel schmäler. Die Druck- mittelpunkte liegen weit von den Drehungspunkten entfernt. Die Möven können daher die Flügel nicht mit großer Kraft und lange Zeit hindurch bewegen. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Klassi- fikation gewisse Mängel aufweist. Daher führt Barnickel, der in jüngster Zeit eine „Flugtafel" oder eine Berechnung der Kilogrammziffern von 50 Vögeln aufstellte, eine weitere Größe in die Rechnung ein, nämlich die Breite der Flugbahn. „Ein Truthahn hat eine sehr große Flügelfläche, ist aber ein sehr schlechter Flieger, hingegen weisen alle Sturmvögel auffallend lange und schmale Flügel auf." Es ist daher das Segelvermögen /F ys (Segelfläche =_ mit ;j^ = a nach Müllenhof yp /yp dem Verhältnis von Flügelfläche und Flügelbreite =A zu multiplizieren. Ebenso wichtig ist die Klafter- weite oder vielmehr die Kilogrammziffer der Klafterweite d. h. ihre relative Größe zur Kilogramm- einheit. Die Klaflerweite eines kg verhält sich zur wirklichen Klafterweite K wie die Kubik- wurzel aus dem Kilogrammgewicht zur Kubikwurzel aus dem wirklichen Gewicht P. N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 Spezies Körpergewicht Klafterweite Segelfläche Segel vermögen Nr. P in g 3 IP K auf I kg K.ooo S in qdm ]'s 3 l'P größte Länge 100 größte Breite I Arcbaeopteryx a 35° 7,0473 50 70,9 19,80 1,407 0,198 1,79 2,51 2 Archaeopteryx b 300 6,6943 50 74,7 I9,So .,407 0,210 1,79 2,80 3 Colymbus fluviatilis (Zwergsteißfuß) 190 5,7490 38 66,0 2,87 1,694 0,294 1,50 2,91 4 Perdix perdix I. (Rebhuhn) 352 7,0600 44 62,0 4,66 2,159 0,306 1,80 3,41 5 Archaeopteryx c 200 5,8480 50 85,5 19,80 1,407 0,241 ',79 3,68 6 Phasianus colchicus (Jagdfasan) 1351 I 1 ,0600 75 07,0 18,17 4,263 0,385 1,50 3,87 7 Tetrao bonasia (Haselhuhn) 509 7,9840 55 68,0 9,33 3,055 0,383 1,50 3,90 8 Perdix perdix 2. (Rebhuhn) 358 7,1000 49 69,0 5,53 2,352 0,331 1,80 4,11 9 Garrulus glandarius (Eichelhäher) 174 5.5830 5' 91,0 8,48 2,912 0,522 i,So 8,55 10 Columba domestica 467 7,7580 70 90,0 9,5° 3,082 0,397 2,40 12,15 II Accipiter nisus 251 6,3080 70 109,0 13,01 3,607 0,571 2,70 16,80 12 Larus argenteus 448 7,6520 .10 143.0 17,61 4,196 0,549 3,40 26,69 Demnach sind bei der Berechnung des Segel- vermögens eines Flugtieres folgende Größen nötig: Gewicht P. Klafterweite K. Flügellänge : Flügelbreite = k. Segelfläche S. Diese Größen ergeben sich bei Archaeopteryx mit Ausnahme der ersten durch direkte Messung. Das Gewicht muß durch Vergleich mit verwandten Vögeln gefunden werden. In vielen Körpermaßen stimmt Archaeopteryx mit verschiedenen Hühner- vögeln überein. So besitzt sie die gleiche Spann- weite wie das Rebhuhn (Perdix) und eine Segel- fläche wie der Fasan (Abb. 9 und 10) dem sie auch in der Länge von Ober- und Unterarm gleichkommt. Die Länge von Oberschenkel, Unterschenkel und Laufknochen beträgt genau so viel wie beini Haselhuhn (Tetrao bonasia). Daher dürfte für Archaeopteryx auch ein ähnliches Gewicht wie bei diesen Vögeln anzunehmen sein. Ich habe die Berechnung des Segelvermögens von Archaeopteryx mit drei verschiedenen Werten für P vorgenommen, um Fehler möglichst zu ver- meiden (da das Gewicht des Brustmuskels nicht bekannt ist) und demnach auch drei verschiedene Zahlen für das Segelvermögen gefunden. Um einen Vergleich mit anderen Vögeln zu ermög- lichen, wurden die Werte für Archaeopterxy a, b und c in einer Tabelle mit ähnlichen Werten bei anderen Vögeln zusammengestellt und außerdem gradweise abweichende Werte besserer Flieger angefügt. In Übereinstimmung mit Barnikel habe ich die für das Segelvermögen (!') gefunde- nen Zahlen mit 100 dividiert. Nach dieser Zusammenstellung nehmen die Zahlen für das Segelvermögen fortschreitend zu. Bei Archaeopteryx a beträgt der Wert 2,51 und vergrößert sich, bis er bei Larus argenteus 26,29 erreicht. Die Übersicht enthält sonach die ver- schiedenen Typen des SegeK-ermögens, die Bar- nikel ähnlich wie Müllen hof unterschieden hat. PIr klassifiziert folgendermaßen : 1. Segelzifter i — 6; Schwirrvögel: Hühner- vögel, Enten, kleine Kurzflügler, wie Sperlinge, Kolibris. 2. Segelzifter 6 — lO; Wellen- oder Wechsel- flügler: Finken, Spechte, Amseln, Häher, auch Tauben. 3. Segelziff"er 10 — 14; Flatterer: Staaren, Elster, Tauben, Nachtschwalben, Zwergfalken. 4. Segelvermögen 14 — 18; Ruderer: Schwalben, Kleinfalken, Raben, Kibitze, Sperber, Eulen (auch schon z. T. Sturmflieger). 5. Segelvermögen 18 — 28; Segler und Sturm- vögel: Adler, Reiher, Großfalken, Möven. Nach meinen Berechnungen ist das Segel- vermögen von Archaeopteryx außerordentlich niedrig. Es beträgt bei einem Gewicht von 350 g 2,51, bei einem Gewicht von 300 g 2,80, bei einem Gewicht von 200 g 3,68. (Letztere Zahl dürfte allerdings bei den allgemeinen Körper- maßen zu niedrig gegriffen sein.) Man mag aber in gewissen durch die Größe des Tieres gegebenen Grenzen ein Gewicht annehmen, welches man will, stets bleibt der Wert I sehr gering und kommt höchstens dem des Zwergsteißfußes, Reb- huhns, Fasans oder Haselhuhnes gleich. Alle diese Vögel sind aber schlechte Flieger, sie müssen 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. ihr geringes Segelvermögen durch eine über- mäßige Zahl von Flügelschlägen wettmachen und fliegen daher schnurrend oder schwirrend. Ihre Flügel greifen nicht von hoch oben nach tief unten aus, um einen möglichst großen Luft- widerstand zu erzeugen, sondern bewegen sich hastig zitternd und bringen auf diese Weise den Körper ziemlich schwerfällig vorwärts. Eine längere Strecke zu durchfliegen ist ihnen nicht möglich. Trotzdem kann man beim Rebhuhn ebenso wie beim Steißfuß oder beim abstreichenden Phasanenhahn beobachten, daß die Flügel eine Zeit lang stillstehen können, so daß der Vogel gleitend niedergeht. Da dieser Schwebeflug nicht fördert, sondern nur nur ein allzurasches Auffallen auf den Boden verhindert, unterscheidet er sich stark von dem Schwebeflug der I\1öven und an- derer Segler, und muß daher als Drachenflug be- zeichnet werden. Diese Art des Fluges kommt nicht nur bei vereinzelten Vögeln, sondern be- sonders auch bei fliegenden Fischen, bei manchen Reptilien und Säugetieren vor. Führen nun schon Vögel mit der Flugziffer 3 — 6 neben ihrem Flatterflug einen Drachenflug aus, um wieviel mehr muß der Flug von Archae- opteryx ein unbeholfener Flatter-Drachenflug ge- wesen sein, wenn hier I den Wert von 2,5 — 2 oder 3 hat. Dazu kommt noch die mangelhafte Organisation für den Flug überhaupt, die nur schwerfällige und wenig exakte Flügelschläge ge- stattet. Demnach ist der Flug von Archaeopteryx unzweifelhaft ein primitiver Flatterflug gewesen, der leicht in einen Drachen- oder Fallschirmflug überging. Dabei mag der breite Schwanz, der in erster iLinie die Segelfläche vergrößerte, eine ge- wisse Rolle als Steuer gespielt haben, ähnlich dem zweizeilig behaarten Schwanz unserer Eich- hörnchen. Einen ungefähren Begriff, wie Archaeopteryx seine Vorderextremitäten zu den verschiedenen Zwecken benützt hat, gibt das Schopfhuhn oder Hoatzin (Opistokomus caudatus). Dieser Vogel gehört zu den Hühnern und kommt in Britisch Guyana ziemlich häufig vor. Er lebt gesellig auf Bäumen und Büschen an Fluß- und Seeufern. Sein Nest baut er auf Büschen über dem Wasser. Das Nestjunge besitzt an zwei Fingern des Flügels wohlausgebildete Krallen, und ist befähigt durch Kletterbewegungen sich vom Nest zu entfernen. Sein Plug ist sehr unbeholfen. Mit Hilfe kurzer Schläge oder Flattersprünge bewegt es sich, wie Headley berichtet, vorwärts und kann im Höchstfalle vierzig Meter durchfliegen. Gegen Ende der Flugbahn nähert es sich mehr und mehr durch eine Art Fallschirmflug dem Boden. Bei der Untersuchung des Archaeopterxyskelettes vom flugphysiologischen Standpunkt aus habe ich außer den oben mittgeteilten Messungen auch eine Reihe anderer ausgeführt, um einen Vergleich mit rezenten Vögeln zu erhalten. Dabei habe ich gefunden, daß das Fußskelett in seinen Dimen- sionen große Ähnlichkeit mit verschiedenen rezen- ten echten Hühnern (Physianiden) aufweist. Da- gegen weichen die Maße beträchtlich von denen der Tetraoniden oder Waldhühner ab, wie die Tabelle lehrt. Femur Tibiotarsus Laufknochen Archaeopteryx 100 140 80 Tetrao bonasia 100 140 80 Perdix loo 134 75 Phasianus 100 134 86 Tetrao tetrix ■ 100 125 50 Die bei den einzelnen Vögeln gefundenen Werte sind hier wieder so umgerechnet, daß der des L'nterschenkels = 100 gesetzt wurde. Die ungefähre Übereinstimmung mit den Phasianiden ist deslialb interessant, weil die Größenproportionen der einzelnen Teile der Hinterextremität bei den Vögeln allgemein je nach der Lebensweise außer- ordentlich variieren. So beträgt z. B. beim Reiher das Verhältnis der Länge des Laufknochens zur Länge der ganzen Extremität wie i zu 2, beim Steißfuß wie i zu 6. Wie stark die Lebens- weise diese Verhältnisse bestimmt, zeigen be- trächtliche Schwankungen, die innerhalb einer einzigen Vogelgruppe vorkommen können, z. B. bei terrikolen und arbikolen Nashornvögel. Es ist also berechtigt aus den Maßen der Hinter- extremität Rückschlüsse auf die Lebensweise eines Tieres zu ziehen. Daher scheint es mir viel wahr- scheinlicher, daß Archaeopteryx nach Art der echten Hühner sich mehr auf freiem Feld oder im Gebüsch aufgehalten hat, als in Baumkronen, wie gemeinhin angenommen und in den Rekonstru- tionen zum Ausdruck gebracht wird. Wir dürfen uns demnach vorstellen, daß Archaeopteryx ein Vogel von der Größe und Lebensweise des Reb- huhnes oder Fasans war mit ähnlichem, aber noch geringerem Flugvermögen als diese beiden Vögel. Verzeichnis der benutzten Literatur. 1. Barnikel, Flugtafel oder Berechnung der Kilogramm- ziffern von 50 Vögeln. Zeitschrift für Flugtechnik und Motor- luftschiffahrt, Jahrgang V, 19 14. 2. Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreiches, Band Vögel. 3. Dames, Über Archaeopteryx, Paläontologische Ab- handlungen von Dames und Kayser Bd. 2, Heft 3, 1884. 4. Headley, The Strukture and Life of Birds, London 1S95. 5. J aekel, O., Die Flügelbildung der Flugsauricr und Vögel. Anatomischer Anzeiger Bd. 48, 1915. 6. Marey, M. E. I., Le mouvcment 1893. 7. — — . Le vol des oiseaux, Paris 1890. S. Mars hall, Der Bau der Vögel. 9. Müllenhof, Die Größe der Flugflächen. Pflüger's Archiv für Physiologie Bd. 35, 1885. 10. .\bel, Paläobiologie. N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Einzelberichte. Physik. Lichtelektrizität. Untersuchungen von Wiedman n/Hallwachs, Fredenhagen und Küstner*) haben gezeigt, daß die Elektronen- emission des Kaliums bei Belichtung desselben fast vollkommen verschwindet, wenn man dafür sorgt, daß das Metall durch mehrfache Destillation unter dauerndem Betrieb der Luftpumpe möglichst gas- arm gemacht wird. Versuche von Pohl und Frings he im (in den Berichten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft i6 (1914) Seite 336) zeigen dagegen, daß Kalium, das 430 Stunden unter Gasabgabe im Vakuum zwischen 350" und 400" gesiedet hat, in der Nähe der Eigenfrequenz des selektiven Photoeffekts merklich die gleiche P21ektronenemission zeigt wie nicht weiter vorbe- handeltes gasreiches Metall, so daß demnach die Anwesenheit von Wasserstoff im Kalium für das Auftreten des selektiven Photoeffekts keine prinzi- pielle Bedeutung zu haben scheint. Gegen die in diesen Ausführungen gegen seine frühere Arbeit gemachten Einwände wendet sich Wie d mann in den Ben d. Deutsch. Physik. Ges. 17 (1915), Seite 343. Statt einer beschleunigten Spannung von 8 Volt wendet er jetzt eine solche von 2S0 Volt an, bei der sicher Sättigungsstrom eintritt. Von einer Störung des Kontaktes, der nach Pohl/Pringsheim zwischen der Platinelektrode und dem überdestillierten und beim Erkalten häu- fig rissig werdendem Kalium leicht eintritt, wurde nichts bemerkt. Daß eine an der Giaswandung der lichtelektrischen Zelle haftende elektrische Ladung eine Abnahme der lichtelcktrischen Emp- findlichkeit vortäuschen könnten, wurde durch Versuche als nicht zutreffend erwiesen. Die mit dem spektral zerlegten Licht der Quecksilberdampf- lampe sorgfaltig und zahlreich wiederholten Ver- suche zeigten, daß nach jeder Destillation die lichtelektrische Empfindlichkeit des Kaliums ab- nimmt, so daß sie schließlich unter i " ',, der ur- sprünglichen herabsinkt. Die selektive Wirkung des Kaliums, die nach Pohl/Pringsheim bei Bestrahlung mit einer Wellenlänge von 436 /(/( eintritt, verschwindet vollkommen. Der Verf glaubt, daß an dem Ergebnis der Versuche von Pohl und Pringsheim die geringe Menge des verwendeten Kaliums (etwa i cm, während W. 10 — 12 ccm untersuchte) mit schuld ist, da das Metall auf dem Wege zur Meßzelle genügend viel Gas aufnehmen dürfte. Der letztere Umstand scheint für die Erklärung doch nicht ausreichend zu sein, und es wird weite- rer Versuche und des Hineinziehens neuer Ge- sichtspunkte bedürfen, um die sich widersprechenden Versuche zu erklären. K. Schutt. Die Struktur des Aluminiums. Das Metall nimmt leicht einen außerordentlichen Hochglanz an. Zum ') siehe das Referat in der Naturwissenschaftlichen Wochen- schrift Bd. 13 (1914) Nr. 22. Polieren von Aluminium benutzte E. J. Brislee (Elektrochem. Zeitschr. 1914 S. 167) waschlederne Polster mit etwas Metallpolitur für den Anfang und zum Schluß etwas Rot. Bei dem Ätzen der Aluminiumproben wurde ihre Oberfläche durch das Ätzmittel löcherig und dadurch die wirkliche Struktur unkenntlich. Sehr geeignet ist für diesen Zweck aber eine verdünnte Lösung von Fluorwasserstoffsäure. Diese bringt man in Paraffintröge, welche man dadurch her- stellt, daß man einen mit Wasser gefüllten Flaschen- kolben so oft in geschmolzenes Paraffinwachs ein- taucht, bis sich ein Gefäß von genügender Dicke gebildet hat. Nachdem es sich ganz abgekühlt hat, läßt sich der \\'achstrog leicht von der Glas- flasche abnehmen. Nach dem Eintauchen der Aluminiumprobe in die starke Fluorwasserstoff- lösung tritt eine konstante Wasserstoffentwicklung ein. Die polierte Oberfläche wurde durch das Ätzen dunkel und deshalb einige Sekunden in 60 proz. Salpetersäure getaucht. Schließlich wurde die Oberfläche der Probe silberweiß und die Struktur ist unter einem mäßig vergrößernden Mikroskop deutlich sichtbar. Zur Bestimmung der Struktur gegossenen Alu- miniums wurde ein Barren rcchtwinklich zu seiner Länge geschnitten und dieser Querschnitt wieder in 9 Würfel geteilt. Gewisse Oberflächen wurden dann poliert, geätzt und photographiert. Damit die Struktur eine Gleichgewichtsstruktur wurde, unbeeinflußt durch die erkältende Wirkung der Eisenform, in welcher das Metall gegossen worden war, wurden die Proben lange Zeit geglüht. Die gegossene und langsam gekühlte Struktur bestand dann aus großen vielseitigen Kristallen, welche in vielen Fällen Sechsecken im Querschnitt glichen. Die Kristalle selbst zeigen schüsseiförmige Formen und scharf ausgeprägte kristallische Ab- grenzungen. Bei der Untersuchung hartgezogenen oder hartgewalzten Aluminiums in Form von Stäben, Draht oder Blech (zwei Schnitte im rechten Winkel zueinander) war praktisch keine kristallinische Struktur zu sehen, das Aussehen war gestaltlos und nicht kristallinisch. Es waren wohl fließende Linien da in Richtung der Bearbeitung, aber keine Merkmale der scharf ausgeprägten kristallinischen Grenzen, welche die Gußstruktur kennzeichnen. Ebenso deutete keine Veränderung des Polierens und Ätzens auf verlängerte Kristallgrenzen hin, wie sie bei anders bearbeiteten Metallen sichtbar werden. Mehrere Schnitte verschiedener Proben verschieden bearbeiteten Metalls wurden poliert und geätzt und immer bewirkte die Bearbeitung das Verschwinden jeder Spur einer kristallinischen Struktur. Eine Spur davon gegen die Mitte des Schnittes hin zeigte sich bei hartgearbeitetem Metall, während die äußeren Teile gestaltlos blieben. Die Struktur zweier. Schnitte eines heiß ge- 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 walzten Barrens zeigt deutlich die Verlängerung der Kristallgrenzen, welche durch das Walzen be- wirkt wurde. Die kristallinische Struktur blieb hier erhalten, weil sich die Moleküle bei der Walztemperatur bewegen konnten, indem hierbei ein partielles Glühen bewirkt wurde. Die kristallinische Struktur verschwindet aber bei kaltem Walzen und an ihre Stelle tritt eine körnige, gestaltlose Struktur, welche als Begleit- erscheinung eine geringe Dichtigkeit aufweist. Unter gewissen Bedingungen bewirkt die Be- arbeitung des Aluminiums eine Versetzung des kristallinischen Metalls in den amorphen Zustand, und diese Veränderung ist begleitet von einer Verminderung der Dichte. Diese Dichteänderung folgt stets dem Übergang vom kristallinischen in den amorphen Zustand von anderen Elementen, welche in beiden Stadien existieren können. Die Dichtigkeitsveränderungen schreiben Johnston und Adams dem Fluß des Metalls unter Druck zu, der eine Volumenminderung be- wirkt. Diese hat ihren Grund in dem Ausfüllen der Poren und Sprünge im gegossenen Metall, die Volumenzunahme aber bei fortgesetzter Bearbeitung in chemischen Veränderungen und Formverände- rungen. Der Fluß ist praktisch genommen ein Schmelzen, welches nicht durch die ganze Masse des Metalls hindurch vor sich geht, sondern sich nur auf ein- zelne Partikelgruppen erstreckt. Außerdem stehen die elastischen Eigenschaften der Metalle und der zur Herabminderung des Schmelzpunktes nötige Druck in naher Beziehung zueinander. Die in einem polierten Metallwürfel durch Druck bewirkten Veränderungen verfolgte Tam- man, indem er die Strukturveränderungen der polierten Oberfläche mittels eines Mikroskopes untersuchte. Nach ihm bewirkt die Kompression des Metalls eine Umbildung der vielseitigen Form in die Blattform, und umgekehrt ist es beim Er- hitzen und Glühen des Metalls. Unter dem Einfluß der Bearbeitung eines Me- talls tritt Volumenzunahme ein infolge Bildung von Kanälen und Zwischenräumen und Bewegung der Polyeder und Zwillingsbildung der Blättchen. Bei der Bearbeitung der Metalle (Schmieden, Ziehen oder Walzen) erklärt sich ihr Kraftgewinn aus der Zersetzung der Kristalle in Urkristalle durch die Gleitflächen. Die Volumenzunahme während der Bearbeitung des Aluminiums ist begleitet von einem Schwin- den der kristallinischen Struktur infolge des Über- ganges der Polyeder des gegossenen Metalls in einen gestaltlosen oder glasigen Zustand. Die umgekehrte Veränderung geht infolge der Ober- flächenspannung nur sehr langsam vor sich und das Aluminium läßt sich so glühen, daß es weich ist und seine Länge um 30 "/o gegenüber 3 — 4''/q im harten Zustand ändert. Dabei zeigt es mikro- skopisch nur eine sehr unbedeutende Struktur- veränderung. Das harte Metall wird ferner weit mehr durch Säuren angegriffen als das geglühte Metall. Es ist dies beim Ätzen von Proben im harten und weichen Zustand desselben Musters deutlich zu erkennen. Das harte Metall soll einer wirksameren Zerkleinerung unterliegen als das weiche, wenn es denselben Ätzungsagentien ausgesetzt wird. Dr. El. Geologie. Über „Die künstlichen Aufschlüsse unter der Höttinger Breccie bei Innsbruck und ihre Deutung" berichtet A. Rothpletzin Petermanns Mitteilungen Jahrgang 1915 S. 92 — 95 u. S. 138 — 143 mit Tafel 19. Bei Höttingen unweit Innsbruck, dann bei Pianico am Iseosee u. a. O. hat man Ablagerungen gefunden, welche von vielen Geologen als interglazial angesehen werden. Eine genauere Altersbestimmung ist oft recht schwierig und unsicher, so daß manche Geologen auch die Höttinger Breccie als eine präglaziale oder gar tertiäre Ablagerung erklären. Penck hält sie ihrer Lagerung zwischen 2 Moränen zufolge für inter- glazial, während Rothpletz bereits vor 20 Jahren auf Grund ihrer Lebewelt ein jungtertiäres Alter annahm. Zur Klarlegung der Frage wurde ein künstlicher Stollen getrieben, welcher im Sommer 191 3 die Unterlagerung der Höttinger Breccie durch eine Moräne auf 22 m Länge einwandfrei ergab. Die Breccie wäre somit, wenn alles normal wäre, wegen ihrer Lagerung zwischen 2 Moränen sowie wegen der wärmeliebenden Fauna und Flora interglazial. Die Grenzfläche zwischen der unteren Moräne und der Breccie steigt indessen unregel- mäßig auf und ab, auch ist die Breccie zemen- tiert sowie horizontal geschichtet, während die Moräne unverfestigt ist. Zwischen der Moräne und der Breccie liegt eine 5 — 10 cm mächtige, tonigsandige, geschiebefreie Schicht, eine durch- aus selbständige Bildung gegen oben und unten. Über die Deutung der eigenartigen Lagerungs- verhältnisse, welche der Stollen geschaffen hat, gehen nun die Meinungen auseinander. Ampferer nimmt an, daß auf einer breiten Terasse triadi- schen Gesteins eine Grundmoräne abgelagert wurde, welche nach dem Rückzug der Gletscher kräftig erodiert wurde und hernach durch eine dünne Schicht feinen tonigen Sandes überweht wurde. Dann wurde der Hügel durch Schutt der höheren Berghänge überlagert und dabei auch die Fauna und Mora der damaligen Zeit in diesem Schutt — der Höttinger Breccie — eingebettet. Wir hätten also damit eine interglaziale Deutung. Zu einer anderen Auffassung kommt Roth- pletz, welcher den künstlichen Stollen nach der Veröffentlichung von Ampfer er und Lepsius besuchte. Rothpletz geht von der Voraus- setzung aus, daß die Höttinger Breccie unmittel- bar auf triadisches Gestein abgesetzt wurde und daß sie oberhalb der Hungerburgterrasse das Ge- hänge des Inntales herauf bis über 1800 m größtenteils bedeckt. Ihre Schichten sind mit dem Gehänge geneigt und gehen auf der Terrasse in N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. horizontale Lagerung über, wo ihre Mächtig- keit über lOO m ist. Die von den Höhen des Karwendeis herabkommenden Gewässer konnten in der Breccie versitzen und Hohlräume schaffen. Ein die Breccie vertikal durchsetzender rundlicher natürlicher Schacht, sowie die im Stollen ange- troffene Höhle sind nach Rothpletz durch die höhlenartigen Wasserläufe erzeugt. Später wurde in diese Höhlen Moränenmaterial eingeschwemmt, erst eine tonige, später eine mehr kiesartige Schlammmoräne. Im Laufe der Zeit setzte sich die Moräne, so daß zwischen dieser und der hangen- den Breccie ein kleiner Hohlraum entstand, auf welchem ein schwacher Grundwasserstrom zirku- Heren konnte, welcher durch Ausschwemmung der tonigen und glimmerigen Bestandteile aus der Moräne den an der Grenze zwischen Breccie und Moräne gelegenen Streifenlehm erzeugte. Nach Ampfer er ist dieser Streifenlehm ein aeolisches Produkt, das nachher durch Schutt von oben über- deckt wurde und jetzt die Höttinger Breccie bildet. Diese Auffassung hat Rothpletz ent- entkräftet, da bisher an keiner Stelle etwas größere Trümmer von oben in die liegende Grundmoräne hineingestoßen waren, selbst die dünne Haut des Streifenlehms ist nicht einmal dabei verletzt. Nach Rothpletz ist also die Moräne das Jüngere, obwohl sie im Stollen unter der Breccie liegt. Hinsichtlich der stratigraphischen Stel- lung der Höttinger Breccie lehren die Aufschlüsse im Stollen nur, daß die Breccie älter als die Mo- räne ist; sie kann interglazialen Alters sein, da doch anderwärts eine wirklich ältere Moräne unter der Breccie liegen könnte. Außerdem besteht noch die Möglichkeit eines präglazialen oder pliozänen Alters. Für das präglaziale Alter spricht die große Seltenheit und das stellenweise vollständige Fehlen der in den Moränen und glazialen Schottern massenhaft vorhandenen zcntralalpinen Geschieben, was aber mit dem interglazialen Alter unverein- bar ist. Es bleibt also nur noch ein präglaziales (altdiluviales) oder jungtertiäres Alter übrig. Zur Entscheidung dieser Frage können nur noch die Versteinerungen, vornehmlich die gut untersuchte Flora dieser Zeit herangezogen werden. Auf Grund eingehender Vergleiche der Flora der Höttinger Breccie mit derjenigen von Pianico, Leffe, Pontegana, Induna, Val d'Arno, Meximieux, dem Frankfurter Klärbecken und dem Forestbed kommt Rothpletz zu dem Ergebnis, daß die Höttinger Breccie in einem Zeitabschnitt zur Ablagerung kam, der die pliozäne und diluviale Zeit miteinander verband und daß es freisteht, siealsjungpliozän oder als altdiluvial zu bezeichnen. In beiden Fällen kann sie der Sicilienstufe einge- reiht werden. Bezüglich der eiszeitlichen Ver- gletscherung der Alpen gibt uns die Höttinger Breccie einen bestimmten Anhaltspunkt. Damals kann die Vergletscherung das Inntal bei Inns- bruck noch nicht erreicht haben. V. Hohenstein, Halle a. S. „Über die Ergebnisse einer Bohrung bei Oranien- burg^ berichtet K. Keil hack in der Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft 191 5, Monatsberichte Nr. 6, S. 183—186. Der Bohr- punkt liegt 30 km nördlich Berlin und 3 km öst- lich Oranienburg am Westrand der das nordsüd- liche Oranienburg-Berliner Urstromtal begrenzen- den Hochfläche. Die 186,3 m tiefe Bohrung ergab ein lückenloses Diluvialprofil der 3 Eiszeiten und der beiden Interglazialzeiten. Unter 2 m gelbem alluvialem Sand (Flugsand) folgen 4,6 m Sand, Geschiebelehm und Geschiebe- mergel der letzten Eiszeit, darunter 8,4 m Sand und Torf des jüngeren Interglazials. Diese Schicht- folge wird unterteuft von 39 m Sand, Tonmergel und Geschiebemergel der vorletzten Eiszeit. Das darunter folgende ähere Interglazial ist 7,5 m mächtig und besteht aus Ton, Sand und Faul- schlamm. Es ist besonders interessant durch die zu Unterst gelegene 2 m mächtige kalkreiche, aus feinem Sand und zahllosen Paludinen bestehende Paludinenbank, wodurch die stratigraphische Stellung genau festgelegt ist. Darunter lagert eine ca. 125 m mächtige, der ersten Eiszeit zuge- rechnete Schichtfolge, welche von oben nach unten aus 6,5 m Rückzugsbildungen (Tonmergel und Sand), 95 m Grundmoräne (überwiegend Geschiebe- mergel, dann Kies und Sand) und 23 m fast ganz aus umgelagerten Tertiärsanden zusammengesetzten Vorschüttungssanden besteht. Die 95 m mäch- tige Grundrnoräne der ältesten Eiszeit ist insofern interessant, weil sie bei den zahlreichen in der Umgebung Berlins niedergebrachten Bohrungen fehlt, wo stets die Ablagerungen der mittleren Eiszeit unmittelbar dem Tertiär auflagern. Hier bei Oranienburg ist sie in einem tief in das Mio- zän und Oligozän bis fast an die Basis des Sep- tarientones eingeschnittenen Tale zur Ablagerung gelangt, das wahrscheinlich in der Pliozänzeit ero- diert wurde. Diesem Umstände ist es zu ver- danken, daß die älteste Grundmoräne von der Abtragung verschont geblieben ist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die ältesten Glazialbildungen in der folgenden älteren Interglazialzeit einer weitgehenden flächenhaften Abtragung ausgesetzt waren und nur in Tälern wie im vorliegenden P'alle davon verschont geblieben sind. In einer zweiten Bohrung mit etwas anderen Mächtigkeiten zeigt das jüngereinterglazial auffallend geringen Kalkgehalt. Der Geschiebemergel ist stark verwittert und etwa 12 m tief in kalkfreien Geschiebelehm umgewandelt. V. Hohenstein, Halle a. S. Zoologie. Vom Verhältnis zwischen der Wander- und Hausratte. Nach B la s i u s ist die Wanderratte, Mus^ecumanus Pall., erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in Europa einge- wandert. Wo sie festen Fuß faßte, vertrieb sie die vorher heimische Hausratte, Mus rattus L. Es herrschte die Annahme, daß die stärkere, wehr- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 haftere Wanderratte die Hausratte angreite und vernichte. Tatsache war, daß in den meisten Gegenden Europas die Hausratte starl; in Ab- nahme begriffen war. Seit einigen Jahren ist sie aber wieder in Zunahme begriffen. Einen interessanten Beitrag über die Ver- teilung und das Verhalten der beiden Ratten- arten zueinander gibt L. Greppin.') In der Rosegg bei Solothurn, einer Krankenanstalt, deren Direktor der Verf. ist, waren seit jeher die Haus- ratten sehr zahlreich und äußerst lästig. Im Jahre 1910 trat eine Invasion der Wanderratte ein. Die Ursache derselben dürfte darin zu suchen sein, daß eine neue Wasserversorgungsanlage erstellt wurde, welche mit vielen Grabarbeiten in den Höfen und allen Räumen der Anstalt verbunden war. Da dem Personal für das Fangen einer jeden Ratte eine Prämie ausgesetzt ist, kann eine Statistik über den Fang geführt werden. Die Anstalt ist in zwei Abteilungen getrennt; eine für die Frauen und eine für die Männer. In letzterer trat die Wanderratte zuer^t auf und es ist nun interessant zu beobachten, wie die Haus- ratte vor ihr zurückwich. Nachstehend folgt eine aus den gegebenen Daten zusammengestellte Auf- stellung der gefangenen Ratten: indem er Individuen zusammensperrte. „Den Haupt- eindruck, den wir von diesen drei Versuchen er- hielten, läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Hausratte die Nähe einer Wanderratte stets in höchst unangenehmer Weise empfindet und daß sie sich am liebsten weit entfernen möchte, sobald sie in die Lage kommt, die Anwesenheit ihrer Gattungsgenossin festzustellen. In den beiden ersten Versuchen war dagegen die Wanderratte der Hausratte gegenüber weit weniger empfindlich. Sie nahm sie sogar freundlich auf und sie machte absolut keinen Versuch, sie anzugreifen oder sie zu verletzen." Ferner noch: „Unsere nunmehrigen Schlußfolgerungen lauten dahin, daß die Haus- ratte nicht aktiv von der Wanderratte verfolgt wird, sondern daß sie deren Nähe, infolge eines tiefgreifenden Gefühls des Widerwillens und der Abneigung, so viel als es ihr irgendwie möglich ist, meidet. Es würde daher hier ein ähnliches Verhältnis vorliegen wie beispielsweise zwischen F"eldhasen und Kaninchen, zwischen Rauchschwalbe und Hausschwalbe, dann auch zwischen den immer lärmenden und die Gebüsche der Anlagen beun- ruhigenden Haussperlingen und unseren sämtlichen Grasmückenarten." Solche Beispiele der gegenseitigen Abneigung Mänr lerabteilung Frauenabtei lung Ganze Anstalt Jahr Hausratte : Wanderratte Hausratte Wanderratte Hausratte Wander 1909 96 0 66 0 162 0 1910 60 21 2 0 62 23 1911 12 48 170 0 182 48 1912 0 45 141 I 141 46 1913 8 26 112 4 120 30 Der Verf. führte dann auch Versuche aus über das gegenseitige Verhalten der beiden Rattenarten, ') Über das gleichzeitige Vorkommen der Hausratte und der Wanderratte in der Rosegg. (Mitteil, der Naturforschenden Gesellschaft Solothurn. Fünftes Heft 1914.) in der Tierwelt, ohne daß deswegen der Zustand einer eigentlichen Feindschaft besteht, ließen sich noch viele anführen und es machen daher die Ausführungen des Verf den Eindruck großer Wahrscheinlichkeit. Alb. Heß, Bern. Kleinere Mitteilungen. Vögel im Kanonendonner. Eine interessante Illustration zur „ifnvernünftigkeit" der Tiere im Vergleich zum Menschen bildet ilir Verhalten im gegenwärtigen Weltkrieg. Wiederholt wurde aus Nordfrankreich berichtet, daß im Juli v. J. sich ein Bienenschwarm trotz starken Granatfeuers in einem Schützengraben niederließ. (Leipziger Bienen- zeitung, Frankfurter Zeitung usw.). Daß aber auch die höheren Tiere ähnliche Torheiten begehen, er- gibt sich aus der Zuschrift eines an der Front stehen- den Jägers an die „Schweizer Jagdzeitung": „Wiederholt ist bereits die auffällige Beob- achtung gemacht worden, daß die Vogelwelt sich selbst durch stärkste Schußwirkungen in ihrer unmittelbaren Nähe in ihrer gewohnten Lebens- weise nicht stören läßt. Während jagdbare Tiere, wie Rehe und Hasen, sich mit Ausnahme der Höhlenbewohner (Kaninchen und Fuchs) an- scheinend weit hinter die Schußlinie und selbst hinter die Ruhestellung der Truppen zurückziehen, bleibt die Vogelwelt ihrer Nestheimat treu. Das gilt zunächst von den Singvögeln. Hunderte von Lerchen erheben sich wie im tiefsten P"rieden täglich jubilierend über die Öde des Schlacht- feldes mitten im schärfsten Granatfeuer und zwischen den Schützengräben und ihrem an- haltenden Minenfeuer. Auch Buchfinken, Rot- schwänzchen und Regenpfeifer konnten zwischen und über den Stellungen singend festgestellt werden, obgleich diese ständig im Granat-, Schrapnell- und Gewehrfeuer lagen. Während des orkanartigen Kanonendonners, der die Durch- N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 bruchsschlacht bei Gorlicc einleitete, schmetterten Vogelchöre wie im Wetteifer mit den brüllenden Geschützen. In der Champagne-Kriegszeitung des achten Reservekorps berichtet ein Artillerist über ein Kiefernwäldchen, das sich etwa hundert Meter vor seinen Unterständen in gleicher Breite und vielleicht 1 50 Metern Tiefe hinzog, und das von den Unseren Granatwäldchen getauft worden war, weil die französischen Batterien, die dort wohl irgendeine deutsche Stellung vermuteten, es hartnäckig mit Unmengen ihrer 7,5 Zentimeter- Granaten überschütteten. Was an gefiederten Bewohnern in diesem Wäldchen wohnte, schwieg allerdings wohl während starker Beschießung und Zersplitterung der Äste, um aber alsbald um so heller seine Stimme ertönen zu lassen. Der Pirol rief am frühen Morgen, die Drossel sang tagsüber ihr Lied in schmelzenden Tönen und des Abends lockten die verschleierten Kropftöne der großen Holztaube. Auch scheue Vogelarten hatten vor dem Feuer der Batterien nicht das Weite gesucht. Das gilt besonders vom Rebhuhn, das sehr häufig ist. Es befanden sich zwei Gelege in unmittel- barer Nähe unserer Artillerieunterstände, in der früheren Furche eines kreidigen Ackergeländes, das reichlich Granatlöcher aufwies und an einer anderen Stelle, die nahe gegen die Mündung der deutschen Geschütze gelegen war. Das reizvollste Bild eines Rebhuhnpaares bot sich eine Zeitlang vor dem Scherenfernrohr, nur wenige Meter zwischen diesem und einem dicht davor sich hinziehenden, stark begangenen Laufgraben. „Er" und „sie" beide anscheinend in den Flitterwochen, begannen dort ihren Nestbau und es war ein reiz- volles Bild, zu sehen, wie die Henne eifrig und ohne sich stören zu lassen, Halme für das Nest suchte, der Hahn aber ihr Gesellschaft leistete und dabei von Zeit zu Zeit mit hochgerecktem Halse und seinen klaren Äuglein sicherte. Leider war das Paar bald darauf verschwunden; wahr- scheinlich war das künftige Gelege von rauher Soldatenhand gestört worden. Auch die Nacht- vögel, z. B. Eulen verschiedener Arten, Waldkauz, ferner Raubvögel, wie Sperber, Falke, Krähe und Elstern in ganzen Scharen, Eichelhäher waren in dem erwähnten Gefechtsgebiete vertreten und schließlich ist noch erwähnenswert, daß das starke Heimatsgefühl der Schwalbe sich auch im Kriege bewährt hat. Sie nistet in den Trümmern selbst völlig zerstörter Ortschaften, z. B. in Tahure an den stehengebliebenen Trümmern der Giebel- wände mutig weiter. Sie folgt aber auch den Truppen zu ihren Unterständen dicht hinter der Front und baut dort außerhalb der Ortschaften als treue und willkommene Gesellschafterin des Soldaten sich neu an, wie das z. B. selbst bei den vordersten Unterständen unserer Artillerieunter- stellungen vorgekommen ist." Kathariner. Seemoos. Seemoos ist an der Nordseeküste eine ganz gewöhnliche Erscheinung und jedem Fischer genugsam bekannt. Im Binnenlande kennt man es vielleicht am besten in Form der grün gefärbten, moosartigen Zweige, die aus Muscheln oder Trockenbouquets herabhängen. Wer es zum ersten Male sieht, meint eine Moosart vor sich zu haben; aber es ist kein Moos, auch keine Alge, nicht einmal eine Pflanze, sondern der hornähn- liche Stock einer kunstvollen Tiergemeinschaft, einer Hydroidmeduse, die verwandt ist mit den Korallen oder den Aktinien und Quallen. Man kennt eine große Zahl dieser Hydroidmedusen. F"ast alle machen einen Generationswechsel durch. Von manchen kennt man nur die Quallen, von andern nur die Stöcke, so daß es mit der Syste- matik und Benennung dieser Tiere noch recht mangelhaft bestellt ist. Das gewöhnliche Seemoos, Sertularia argentea wächst überall an den Abhängen der Wattenströme der Nordsee und bildet hier bis 50 cm hohe Dickichte, worin es von zahllosem Meeresgetier wimmelt. Vor etwa 30 Jahren begann das See- moos ein Handelsartikel zu werden, und die großen Handelsgärtnereien kauften große Quan- titäten auf. Da wurden ganze Flottillen kleiner Schiffe ausgerüstet, um Seemoos zu fischen. Jedes Schiff schleifte einen Rahmen von Stacheldraht über die Gründe und das Seemoos blieb daran hängen. Es gab Tage, wo ein Fahrzeug 100 Pfund fischen konnte, was bei einem Preise von etwa 1,50 M. ein guter Fang war. Viele Stöcke aber wurden los gerissen und trieben mit Seegras und Algen an den Strand, wo alt und jung sich mit See- moossammeln beschäftigte. Die Seemoospräparate bleichen in Sammlungen schneeweiß und machen sich wunderbar schön, besonders dann, wenn sie mit verschiedenen Tieren und Meerespflanzen in Gemeinschaft vorkommen. Die Einzeltierchen sieht man in Form kleiner Knoten auf den Zweigen. Die getrennt sitzenden Tierchen haben ein gemein- sames Ernährungssystem und Empfindungsorgane, ähnlich wie bei den Korallen. Neben dem Seemoos ist das Korallenmoos, Hydrallmannia falcata ein gesuchter Handels- artikel geworden, das noch teurer bezahlt wird. Es unterscheidet sich vom Seemoos namentlich durch die schraubenförmig um die Hauptachse gestellten fiederförmigen Zweige. Als Mode- artikel ist der Wert sehr schwankend. Die kleinen Seemoosarten, namentlich Campa- nulariaarten überziehen im Sommer alle Treib- gegenstände in der Nordsee, wie P'laschen, Korken, Schulpen von Sepien, Schlacken, Holz, Algen usw. Alle Arten sind äußerst zierlich, wenn auch nur einige Zentimeter lang und geben für Sammlungen die schönsten Präparate. Trotz ihrer Kleinheit sind sie an Schönheit den großen Arten über- legen, wenn sie auch nicht wie diese Verwendung finden können. Die meisten kleinen Arten be- sitzen die Eigentümlichkeit bei einer Berührung im Finstern ein grünliches Phosphoreszieren zu zeigen, das noch anhält, wenn man sie lange aus dem Wasser entfernt hat. Die schönsten natur- geschichtlichen Präparate sind die großen Taschen- 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 krebse, namentlich Cancer und Hyas, deren Rücken- schild nebst verschiedenen Algen und Tieren aller Arten auch oft von mehreren Arten von Seemoos wie mit einem Moospolster bedeckt ist. An vielen Stellen der Nordsee sind die See- moosgründe von dem Abfischen stark erschöpft, doch findet man immer wieder neue. Da manche Grundfische im Seemoos laichen, befürchtete man durch das Seemoosfischen eine Schädigung der Fischerei, doch hat sich diese Furcht als unbe- gründet herausgestellt. Die Abbildung einer Sertularia befindet sich in Heft 36 des vorigen Jahrganges der Nat. Woch. auf Seite 571. Philippsen, Flensburg. Phytonosen im engeren Sinne sind jene Krankheiten, deren Ursachen darauf zurückzuführen sind, daß bestimmte Pflanzenteile oder Pflanzen- sekrete zum menschlichen Körper in Beziehung treten. Am bekanntesten ist die Einwirkung der Brennhaare unserer beiden heimischen Nesselarten auf die Haut. Die Haare ergießen in die Wunde neben Ameisensäure ein stark reizendes eiweiß- haltiges Sekret (Enzym) und erzeugen die be- kannten Quaddeln. Das Exsudat wird jedoch schnell resorbiert, so daß erhebliche Störungen des Allgemeinbefindens nicht erst hervorgerufen werden. Die Affektion erinnert an die Nesselkrankheit (Urticaria) der Mediziner, wie solche entweder durch jähen Temperaturwechsel oder durch den Genuß mancher Speisen (Erdbeeren, Gurken, Garneelen) hervorgerufen werden kann. Durch Peitschen mit Nesseln und durch Erzeugung einer intensiven, weitverbreiteten Urticaria, also eines geradezu krankhaften Zustandes, wird therapeutisch auf hartnäckigen Rheumatismus einzuwirken ver- sucht. — Weniger bekannt dürfte eine andere, eben- falls durch Berührung mit Pflanzen hervorgerufene Krankheit sein, die Sanitätsrat Dr. M. Baruch in Paderborn in der Berliner Klinischen Wochenschrift (cit. 42. Jahresber. d. Westfäl. Provinzialvereins für Wissenschaft und Kunst, Münster 1914) als Heu- Eryt h e m beschrieben hat. Unser Gewährsmann beobachtete an Wiesenmähern eine lebhafte Rötung mit Blasenbildung und Schwellung (Odem) der Umgebung an F'üßen und Unterschenkeln. Die entzündete Hautpartie brannte heftig, juckte und störte den Schlaf Es bestand leichtes Fieber mit geringer Störung des Allgemeinbefindens. Die Affektion heilte in 10 Tagen ab, doch kamen auch chronische Fälle vor, die zu Hautverdickung und Geschwürbilduiig führten. Weil mehrere Schnitter dieselbe Krankheitserscheinungen zeigten, mußte an eine gemeinsame Ursache gedacht werden. Die Kranken selbst bezeichneten die „Kälberblume" als Urheberin ihres Leidens. Es handelte sich um den scharfen Hahnenfuß (Ranun- culus acer), aber auch R. auricomus und repens kamen in Betracht. Die Wiesen waren reich an diesen Gewächsen, und wenn die Leute mit nackten Beinen mähend den Saft aus den durch- schnittenen Stengeln der Hahnenfüße auf die Haut bekamen, wenn dann auch die Sonne auf die Haut schien und sie blutreicher machte, so trat eine Anätzung ein, die zu leichter Entzündung mit Blasenbildung führte. Bekannt, allerdings mehr unter Gärtnern und Botanikern als unter Ärzten, ist die hautreizende Wirkung der Drüsenhaare der als Zimmer- und Gartenpflanzen beliebten Primula obconica, cortu- sioides, japonica, sinensis. Nest 1er in Prag hat die Giftwirkung dieser Pflanzen sowohl als auch noch eines anderen Primelgewächses, Cortusa MalthioH, an sich selbst studiert und näher be- schrieben. — Auch das bekannte Heufieber (Bostockscher Katarrh, Catarrhus aestious) ist als eine Art der Phytonosen zu bezeichnen, deren Ursache der Pollen der Wiesengräser, vor allem von Anthoxanthum odoratum, ist. Heute weiß man, daß die Krankheit eine Intoxikation durch artfremdes Eiweiß ist, das parenteral, d. h. außer- halb des Darmtraktus, in den Kreislauf gelangt, hier nicht wie im Darm zum normalen Abbau geführt wird, sondern zertrümmert oder zersetzt wird und dann schon in unglaublich geringen Mengen ein außerordentlich starkes Gift für den Organismus darstellt. Bfd. Die erste schweizerische hydrobiologische Station. Wie wir Ausführungen Dr. J. W. F e h 1 - mann's in der Neuen Züricher Zeitung entneh- men, ist vor kurzem in Davos eine Einrichtung ins Leben gerufen worden, die auch das Interesse des deutschen Naturfreundes beansprucht. Es handelt sich um die erste schweizerische hydro- biologische Station, die am oberen Seeende, in- mitten der Fischzuchtanstalt von der Landschaft Davos eingerichtet worden ist. Der Wissenschaft ist hierdurch ein unschätzbarer Dienst erwiesen worden, besonders durch den Umstand, „daß es endlich möglich sein wird, einen reinen Alpensee biologisch auf das genaueste und zu allen Jahres- zeiten zu untersuchen und dank der glücklichen Verbindung von Teichanlage und Laboratorium im Hochalpenklima ununterbrochen experimentelle hydrobiologische und fischereiliche Forschungen anzustellen". In weitblickender Weise hat die Landschaft Davos über die Reinhaltung ihres Sees gewacht und zur Erreichung dieses Zweckes selbst kostspielige Kanalisationsanlagen nicht gescheut. So ist das, auch im Winter leicht zu erreichende, Gewässer in seiner Unberührtheit und Reinheit ein Studienobjekt hervorragender Art. Die am oberen Seeende gelegene Station ent- spricht in ihren Einrichtungen in jeder Weise neuzeitlichen Ansprüchen; ein vollständiges und reichhaltiges Instrumentarium gestattet bequeme und sichere Arbeit; die Ausstattung mit Ruder- booten und Motorboot, mit Netzen, Pumpen, Dredschen genügt allen Anforderungen. Im Gebäude selbst schließt sich an das freund- liche Instrumenten- und Aquarienzimmer ein für mikroskopische Studien besonders günstiges La- N. F. XV. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 boratorium, das 3 Forschern gute Arbeitsmöglich- keit bietet. So tritt die Schweiz, die durch ihre bekannten hervorragenden Forscher auf dem so wichtigen Gebiet der angewandten Naturwissenschaften, der Hydrobiologie, seit langem eine führende Rolle innehatte, nun auch in die Reihe der Länder, die ihren Gelehrten besondere Stationen für ihre Studien zur Verfügung stellen und zwar geschieht es hier unter den bemerkenswerten Umständen, daß nicht Universität, nicht Kanton und nicht Bund als Schöpfer der Einrichtung auftreten, son- dern daß die Landschaft Davos in aufopferungs- voller Weise die erste schweizerische hydrobio- logische Station ins Leben gerufen hat. M. H. M. Bttcherbesprechungen. Seitz, A. , Großschmetterlinge der Erde. Stuttgart, A. Kernen. Es stand nicht immer so um die Entomologie, wie dies jetzt der Fall ist. Früher, es ist noch nicht allzulange her, kaum 25 bis 30 Jahre, da galt der Insektensammler, der mit Schmetterlings- netz bewaffnete Entomologe, als Karikatur 1 Die Wissenschaft sah in ihm nur einen iVIenschen, der in seinem Insektenkasten oder Schranke recht viele Schmetterlinge in Reih und Glied aufsteckte, der vielleicht auch nach verschiedenen Arten, Varietäten und Aberrationen geizte, zu einem wissenschaftlichen Interesse sich aber nie empor- zuschwingen vermochte. Der Fachzoologe küm- merte sich nicht oder doch nur recht wenig um den Insektensammler, und dieser glaubte wohl kaum, daß sein Sammeln, sein Einheimsen von Tieren, irgend jemals wissenschaftliche Beachtung verdiene außer vielleicht in IVIuseen und Samm- lungen. Doch blieb diese scheinbare Kluft nicht für die Dauer bestehen, denn die Zoologie, die Unter- suchungsmethoden der Tiere, die Insektenanatomie schritten wacker vorwärts, und als es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gelang, auch die mit Chitin gepanzerten Insekten mit Mikrotom und Mikroskop der Untersuchung besser zugänglich zu machen, als diese Apparate und die Einbettungs- methoden eine vorteilhaftere Bearbeitung des Insektenkörpers ermöglichten, da fanden die Kerfe bald auch in wissenschaftlichen Kreisen zahlreiche Anhänger, die ihren Körper anatomisch durch- forschten und die bald genug auch auf die Gewebe- und Zellenforschung ihre Untersuchungen er- streckten. Nicht zuletzt machte auch die Embryologie der Insekten bemerkenswerte Fortschritte, indem den äußerst verwickelten Vorgängen bei Reifung, Be- fruchtung und Teilung des Eikerns, erhöhte Auf- merksamkeit gewidmet wurde. Dasselbe gilt von den mannigfach verschiedenen Vorgängen bei der Verwandlung der Insekten, gilt von der Insekten- physiologie. Und hierzu halsen die Sammler und Insektenliebhaber zahlreiche Bausteinchen mit herbeigetragen, um das schöne Gebäude der Insektenkunde mit weiter ausbauen zu helfen. Besonders tätig aber waren die Sammler auf den Gebieten der Systematik, der Faunistik und der Ökologie der Insekten, für welche Disziplinen sie in der Tat ein ganz immenses Material zusammen- getragen haben. Der Sammler begnügt sich jetzt nicht mehr damit, Tiere, Formen zusammen- zuhäufen und aufzustecken , vielmehr sucht er gleichzeitig die gesamten Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten seiner Lieblinge zu erforschen, er spürt der Lebensweise der einzelnen Arten nach, sucht ihre Fortpflanzung, ihr häufigeres oder selteneres Vorkommen zu ergründen, beobachtet die Temperatur, die Feuchtigkeit oder Trocken- heit, die verschiedenen Bodenverhältnisse, die Vegetation, kurz der Sammler, wenigstens der größte Teil derselben, wird zum Forscher und arbeitet so dem Wissenschaftler in die Hände. Und auf keinem Gebiete bedarf auch der wissen- schaftliche Forscher so sehr der Unterstützung der Liebhaber, wie gerade auf dem großen, um- fänglichen Gebiete der Insektenkunde. Oft genug ereignet es sich, daß dem Laien, dem Sammler durch Glücksumstand das spielend in den Schoß fällt, wonach der wissenschaftliche Forscher jahre- lang bereits gesucht hat. So kommt es denn, daß Insektenfreunde und Fachzoologen sich nicht mehr fremd gegenüber- stehen, sondern Hand in Hand gemeinsam schaffen. Beweis dafür geben unsere verschiedenen zoologi- schen Zeitschriften, in denen regelmäßig auch Arbeiten über Insekten enthalten sind, geben unsere größeren und größten entomologischen Werke und Handbücher, die fast ausnahmslos von Gelehrten verfaßt und doch für den Sammler be- stimmt sind. Von geradezu rührendem Fleiße zeugt auch ein neuerdings erscheinendes Riesenwerk auf dem Gebiete der Insektenkunde, die „Großschmetter- linge der Erde" von Dr. A. Seitz (Verlag von A. Kernen, Stuttgart), ein Werk, das nichts geringeres beabsichtigt, als möglichst alle Schmetter- linge der Erde in Wort und Bild vorzuführen. Auf nicht weniger denn looo großen Bunttafeln sollen gegen 40000 Schmetterlingsabbildungen wiedergegeben werden, und daß dies in vorzüg- lichster Weise durchgeführt wird, davon zeugen die bereits in größerer Zahl erschienenen vortreff- lichen Lieferungen. Das Gesamtwerk, in Großquart- format erscheinend und außer in deutscher auch in französischer und englischer Sprache ausgegeben, setzt sich aus zwei Hauptteilen zusammen. Der I. Hauptteil enthält die Fauna palaearctica und er- 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3 scheint in 4 Doppelbänden, je den Text und die Tafeln getrennt bietend. Hiervon sind bereits 3 Doppel- bände erschienen, der i. Rand die „Tagfalter" mit 89 Bunttafeln und 3470 Abbildungen , der 2. Band die „Spinner und Schwärmer" mit 56 Farbentafeln und 2489 Faltern, der 3. Band die „eulenartigen Nachtfalter" mit 75 kolorierten Tafeln und 4338 Abbildungen bergend. Auch der 4. Band mit den „Spannern", der 25 Tafeln und 1977 Abbil- dungen bringen wird, i^t trotz der schweren Kriegs- wirren fast fertiggestellt, wohl nur 3 Lieferungen fehlen noch; dann aber steht den Sammlern euro- päischer Schmetterlinge ein Werk zur Verfügung, wie sie es besser, vortrefflicher und vollständiger in Wort und Bild sich nicht wünschen können. Der II. Hauptteil bringt die exotischen Falter und setzt sich aus den drei Unterabteilungen der Fauna americana, der F. indoaustralica und der F. africana zusammen, jede wiederum vier Doppel- bände umfassend. Ihm gehören die hervorragend- sten Lepidopterologen der ganzen Welt als Mit- arbeiter an, und darum gerade ist es so schwierig, da gegenwärtig Deutschland vom Auslande so nachdrücklich geschieden ist, das regelmäßige Forterscheinen der Lieferungen pünktlich einzu- halten. Bis jetzt ist keinerlei Unpünktlichkeit, dank der Rührigkeit von Herausgeber und Verlag, zu verzeichnen gewesen, sollten aber infolge Ver- kehrsunterbrechung die Hindernisse sich steigern, so wird Herr Prof. Dr. Seit z die Bearbeitung der noch ausstehenden Bände unabhängig vom Aus- lande vornehmen. Das Werk ist also trotz des Krieges vollständig gesichert, gewiß ein stolzes Zeichen deutscher Wissenschaft. Von diesem II. Hauptteile sind bereits 238 Lieferungen der einzelnen Unterabteilungen erschienen, nämlich 78 der amerikanischen, 125 der indoaustralischen und 35 der australischen Fauna, so daß zu er- warten steht, daß in Kürze verschiedene Bände fertiggestellt sind. Die Tafeln sind wahre Pracht- stücke und gereichen derdeutschenVervielfältigungs- kunst, der Chromolithographie, zu besonderer Ehre. Vorgenanntes Riesenwerk dürfte nach seiner Fertigstellung das schönste und größte Schmetter- lingswerk sein, das es überhaupt gibt ; es ist dem vorzüglichen Werke Naumanns, Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, an die Seite zu stellen. Mit solch vorzüglichen Hilfsmitteln ausge- rüstet, werden die Sammler sicher auch fernerhin der Entomologie gute Dienste zu leisten vermögen, um weiter mitzuschaffen am Ausbau der Insekten- kunde. Viel, unendlich viel ist noch zu tun, zahl- reiche schwere Aufgaben sind noch zu lösen. Die schönen Fortschritte aber, die in der Entomologie bisher gemacht wurden, berechtigen zu der An- nahme, daß solche auch in kommender Zeit zu verzeichnen sein werden im innigen Einvernehmen von Wissenschaft und Liebhaberei, von Fach- zoologen und forschenden Sammlern, Dr. O. Krancher, Leipzig. Anregungen und Antworten. In Nr. 36 des vorigen Jahrganges der ,,Nalurwissensch. Wochenschrift" werden die Strandgräser in ihren Beziehungen zur Dünenbildung besprochen. Es wird ausgeführt, daß das Primä7e die Ansiedlung der Strandgräser sei, die die Grund- lage zur Dünenbildung geben. Im allgemeinen trifft dies zu. Daß aber auch das Gegenteil der Fall sein kann, ist wohl den meisten Uünenforschern' bekannt. Ein Beispiel hierzu konnte ich gelegentlich eines Aufent- haltes bei Nowo-Minsk beobachten. Dort finden sich größere Felder von Flugsand, welche in ihrem Weiterwandern durch Kiefernwälder behindert werden. Im ganzen russischen Polen finden sich ja diese Flugsandanhäufungen sehr verbreitet und bilden im südlichen Teile dieses Gebietes richtige größere Dünen, die zum Teil schon durch Wälder bedeckt sind und so am Weiterwandern verhindert werden. Auf den erwähnten Flugsandfeldern bei Nowo-Minsk konnten nun sehr schöne kleine und mittelgroße Dünenbildungen von mir beobachtet und studiert werden. Die ganze Oberfläche des Feldes war mit Rippelmarken bedeckt. Graswuchs war nur an einzelnen Stellen bemerkbar und dann nur in etwa band- bis zweihand- großen Stückchen. Hier hatten sich selbstverständlich im Anschluß an diese kleinen Hindernisse in der bekannten Form kleine Dünen gebildet. Aber auch hier war es nicht ganz sicher, ob in der Tat die Dünen sich zuerst auf Grund des Graswuchses gebildet hatten , oder nicht etwa das Gras erst durch die Dünen zur Ansiedelung Gelegenheit gefunden hatte. Denn einmal fanden sich in einem Falle außer dem Gras- büschel auch noch andere Hindernisse wie größere Steinchen oder Glasscherben, dann aber auch traten diese kleinen Dünen mit Graswuchs an einer Stelle auf, wo der Wind sich an einem Bretterzaun stieß und es so zu einem Windstau mit verschiedenen Gegenströmungen kommen mußte. An einer Stelle jedoch war ganz sicher die vorhandene Düne die Ur- sache des Graswuchses, der sich auf ihr zeigte. Es hatte sich nämlich vor einem Tclegraphenmaste , der mit seinem Stützbalken zusammen dem Winde die Breitseite der durch den eigentlichen Telegraphenmast und den Stützbalken ge- bildeten Figur darbot, eine mittelgroße etwas hufeisenförmige Düne abgelagert. Die Entstehung dieser Düne, die eine Höhe von ungefähr einem Meter erreichte, ist gemäß ihrer Gestal- tung zurückzuführen auf den Widerstand, den die herrschende Windströmung durch den erwähnten Telegraphenmast mit seinem Stützbalken fand. Da der Sand dieser Düne nicht mehr weiter trieb, und durch den mitgeführten Staub eine relative Fruchtbarkeit des Dünensandes eingetreten war, so konn angev ;hten Winde abgesetzt wurden, auskeimen und so die Grasvegetation festen Fuß fassen. Daß der Telegraphenmast mit seinem Stützbalken der herrschenden Windrichtung seine Breitseite zukehrt, hatte Veranlassung dazu gegeben, daß man noch eine zweite Stütze senkrecht zur ersten hinzugefügt hatte, die nun erst den eigentlichen Zweck des Stützbalkens erfüllte. Leider war es mir infolge äußerer Umstände nicht möglich, eine photographische Aufnahme zu machen. Dr. Willer. Inhalt G F. Stellwaag, Das Flugvermögen i mann, Lichtelektrizität. S. 41. E, J. B haeopteryx. (10 Abb. u. I Tab.) S. 33. — Einzelberichte: Wied- , Die Struktur des Aluminiums. S. 41. A. Rothpletz, Die künst- lichen Aufschlüsse unter der Höttinger Brcccie bei Innsbruck und ihre Deutung. S. 42. K. Keilhack, Über die Ergebnisse einer Bohrung bei Oranienburg. S. 43. Blasius, Vom Verhältnis zwischen der Wander- und Hausratte. S. 43. — Kleinere Mitteilungen: Kathariner, Vögel im Kanonendonner. S. 44. Philippsen, Seemos. S. 45. Barford, Phytonoscn. S. 46. M. H. Mülberger, Die erste schweizerische hydrobiologische Station. S. 46. — Bücherbesprechungen: A. Seitz, Großschmetterlinge der Erde. S. 47. — Anregungen und Antworten: Strand- gräser in ihren Beziehungen zur Dünenbildung. S. 4S. Manuskripte und Zuschriften werden an Privatdozent Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße I, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. Januar 1916. Nummer 4. Über die Frage der geschlechtsbestimmenden Ursachen. Von Wilh. Schneider, Hamborn. [Nachdruck verboten.] Mit 6 Abbildungen. Es gibt wohl kaum ein Gebiet biologischer Forschung, dem auch in Laienkreisen eine solche Anteilnahme zugewendet wird, wie der Frage nach den Ursachen der Geschlechtsbestimmung. Glaubt man doch mit ihrer Kenntnis das Mittel in der Hand zu haben zu einer beliebigen Regelung der Verteilung der Geschlechter. Dieses Interesse zeigt sich in den zahlreichen Zeugungstheorien, die im Volke — namentlich in Züchterkreisen — verbreitet sind. Meist durch zu wenig zahlreiches und falsch beurteiltes Beobachtungsmaterial ge- stützt (wenn überhaupt auf Beobachtung begründet), fehlt ihnen jeder wissenschaftliche Wert. Klar geht das z. B. aus der Tatsache hervor, daß Schenk seine bekannte Ansicht, nach der durch Ungunst der Ernährung die Entstehung des weib- lichen Geschlechts begünstigt wird, im Laufe von 2 Jahren ins gerade Gegenteil verkehrte. ') In den letzten Jahrzehnten erst haben die Biologen, angeregt durch die nach dem VViederauffinden der Mendel 'sehen Regeln aufblühende Vererbungs- forschung und durch die Fortschritte der Zellen- lehre, in planmäßigen Versuchen und ein- gehendemStu diumderGeschlechtszellen- bildung Ergebnisse erzielt, die uns einer Lösung der Aufgabe näher bringen. Freilich nicht im Sinne der oben erwähnten Hoffnungen; ihre Er- füllung ist weiter als je in die Ferne gerückt. Auch ist es noch nicht gelungen, die Ansichten der auf dem Gebiete Arbeitenden unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu bringen. Viel- mehr geht aus den widersprechenden Angaben immer deutlicher hervor, daß verschiedene Wege der Geschlechtsbestimmung in der Natur verwirk- licht scheinen. Diese Umstände erleichtern gerade nicht den Versuch einer übersichtlichen Darstellung. Im folgenden ist daher das Hauptgewicht auf die tatsächlichen Ergebnisse gelegt, während theore- tische Erörterungen möglichst beschränkt worden sind. Seitdem O. Hertwig 1875 den Befruchtungs- vorgang auf Grund seiner Befunde am Ei des Seeigels Toxopneustes lividus zum erstenmal richtig beschrieb und Slrasburger diese Be- obachtungen für das Pflanzenreich bestätigte, sieht man das Wesentliche der Befruchtung in der Ver- schmelzung des Ei- und Samenkerns. Auch in den Fällen, wo die Vereinigung zunächst unterbleibt, wie bei manchen niederen Pilzen') und bei Cyclops, -) findet sie später dennoch statt. Früher oder später tritt dann das Ei in Teilungen ein. Es wäre aber ein Irrtum, anzunehmen, daß der Beginn der Entwicklung unter allen Umstän- den an die Befruchtung geknüpft sei. Schon Leeuwenhoek wußte, daß die Eier von Blatt- läusen sich parthenogenetisch entwickeln können, und Dzierzon hat schon 1848 richtig erkannt, daß die Drohnen aus unbefruchteten Eiern hervorgehen. Wir werden auf solche Fälle, auch bei Pflanzen, zurückzukommen haben. H. W i n k 1 e r gelang es , befruchtungsbedürftige Eier von Seeigeln durch Extraktivstoffe des Samens zur Teilung anzuregen, und J. Loeb'') zeigte in klassischen Versuchen die Möglichkeit, Eier vieler niederer Tiere durch chemische Mittel (Ölsäure u. a.) zur Entwicklung zu bringen und z. B. Seeigellarven ebensolange weiter zu züchten, wie das auch nach normaler Befruchtung möglich ist. YvesDelage (zit. nachSchleip a.a.O.) will auf diese Weise sogar 2 geschlechts- reife Seeigel erzogen haben, und Bataillon hat aus Froscheiern durch bloßes Anstechen Larven erhalten, die zu Fröschen heranwuchsen. Man muß daher, wie das unter anderen Stras- burger*) ausgesprochen hat, Entwicklungs- anregung und Qualitätskombinationen im Befruchtungsvorgang auseinanderhalten. In der Anregung der Entwicklung sieht Stras- burger nur die Herstellung der Bedingungen, welche es ermöglichen, daß die Vorteile der Be- fruchtung erreicht werden. Es ist also unzulässig, von künst- licher Befruchtung zu reden, wie das gewisse „volkstümliche" Schriftsteller tun, die sich der Loeb'schen Ergeb- nisse als eines Zugkraft ige n St offes be- mächtigt haben und daran die aben- teuerlichsten Ausblicke in die Zukunft knüpfen. Schon bald nach der Entdeckung der Be- fruchtungsvorgänge wurde der Gedanke ausge- sprochen, daß der Zellkern der Überträger der ') Schleip, Geschlechtsbestimmende Ursachen im Tier- reich. Ergebn. u. Fortschr. d. Zool. Bd. III. 3. Heft. 1912. S. 191. '] P. Claußen, Zur Entwicklungsgeschichte der Ascomy- ceten. Ztschr. f. Botanik 1912, 1. Heft. 2) V. Hacker, Über das Schicksal der elterlichen und großelterlichen Kernanteile. Jenaische Ztschr. f. Naturw. 1902. ^) Die ehem. Entwicklungserregung des tier. Eies. Berlin 1909. *) Strasburger, Über Befruchtung. Bot. Zeitg. Nr. 23, 1901. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. erblichen Eigenschaften sei. Der männliche Samen- faden besteht fast nur aus Kernmasse, und doch sehen wir im allgemeinen im Kinde die väter- lichen Eigenschaften in gleicher Stärke auftreten wie die mütterlichen. Und Strasburger be- tont, daß er immer nur die nackten Zellkerne aus dem Pollcnschlauch in das Ei habe übertreten sehen. Boveri hat kernlose Eisiücke des See- igels Echinus microtuberculatus mitSamenfäden von Sphaerechinus granularis befruchtet und dadurch Bastarde erhalten, die Sphaerechmus- Charakter trugen. Daraus scheint auch hervorzugehen, daß dem Eiplasma kein Einfluß auf die Vererbung zukommt. Es soll aber nicht verschwiegen wer- den, daß trotz dieser Beweise, denen sich weitere anschließen lassen, sich in letzter Zeit die Sum- men mehren, die für eme Beteiligung des Zell- plasmas bei der Vererbung eintreten.') Diese Bedenken richten sich natürlich in noch stärkerem IVIaße gegen die Annahme einer ge- formten Vererbungssubstanz innerhalb des Kerns. Man sieht dieses von Nägeli theo- retisch geforderte „Idioplasma" in dem sog. Chromatin. Es färbt sich kräftig in den für Kernfärbung gebräuchlichen Farbstoffen und ist auch durch sein chemisches Verhalten — Unlös- lichkeit in Pepsin-Glyzerin und verdünnter Salz- säure, leichie Löslichkeit in verdünnten Alkalien — einigermaßen scharf charakterisiert. Im ruhen- den Kern mehr oder weniger fein auf dem mit basisciien Farben ungefärbt bleibenden Kernnetz verteilt, sammelt es sich bei der Vorbereitung zur Kernteilung in eine Anzahl von Fäden, "J die man Chromosomen genannt hat. Wie diese nun im Äquator des Kerns zu einer „Äquatorialplatte" zusammenrücken und ihre Längshälften gleich- mäßig auf die beiden Tochterkerne verteilt wer- den — das alles ist so bekannt, daß ich nicht näher darauf einzugehen brauche. Wichtig ist aber für unsere Erörterungen dreierlei. Erstens ist die Zahl der Ch romo- somen für jede Tier- und Pflanzenart in allen Zellen die gleiche. Abweichungen, die in den somatischen (Körper-)Zellen namentlich bei Pflanzen vorkommen, erklären sich durch unvollkommene Trennung der einzelnen Chromosomen, ''j Ebenso lassen sich die weitgehenden Unterschiede in der Chromosomenzahl bei nahe verwandten Arten auffassen (beim Pferdespulwurm Ascaris megalo- cephala z. ß. 4 (2), beim Menschenspulwurm A. lumbricoides 48). Zweitens sieht man nach der Besamung in manchen Fällen mit aller Deutlich- keit, daß Spermakern und Eikern die ') Vgl. R. Fick, Vererbungsfragen, Reduktions- und Chromosomenhypolhesen, Bastardregeln. Ergebnisse d. Anat. u. Entwicklungsgesch. Bd. XVI. 1907. ') Die Frage, ob sich bei der Vorbereitung zur Reduk- tionsteilung zunächst nur ein einziger Faden ausbildet, der hernach in eine Anzahl von Stücken zerfällt, ist noch unent- schieden. ^) Strasburger, Zeitpunkt der Bestimmung des Ge- schlechts, Apogamie, Parthenogenesis und Reduktionsteilung. Histol. Beiträge VII. Jena 1909. gleiche Chromosomenzahl zur Bildung der ersten Teilungsspindel liefern, so daß väterliches und mütterliches Chromatin in gleicher Menge auf die beiden 1 ochterkerne ver- teilt wird. Diese Erscheinung, in Verbindung mit den überaus verwickelten Einrichtungen, die die gleichmäßige Verteilung des Chromalins auf die jungen Kerne gewährleisten sollen, ist eine der Hauptstützen für die Auffassung der Chromo- somen als Vererbungsträger.^) Schließ- lich hat sich gezeigt, daß in den generativen (G esc hlechts-j Zellen die Chromosomen in der fiälfte der Anzahl auftreten wie in den somatischen. Es muß also eine Ver- minderung ihrer Zahl auf die Hälfte eingetreten sein. Wegen der theoretischen Tragweite dieser Tatsache soll auf die Reduktion der Chro- mosomen zahl mit einigen Sätzen eingegangen werden. Ihre Notwendigkeit erhellt aus der Überlegung, daß bei ihrem Fehlen dem Keimkern und damit dem entstehenden Tochterwesen die doppelte Chromosomenzahl der Eltern zukommen würde. In der nächsten Generation träte wieder eine \'er- doppelung dieser Zahl ein und so fort. Sehr bald würde der Kern die Zahl der Chromosomen nicht mehr fassen können.') Im einzelnen ist die Re- duktion der Chromosomenzahl aber noch immer Gegenstand lebhafter Meinungsverschiedenheiten, und die auffallende Erscheinung, daß für ein und dasselbe Objekt widersprechende Angaben gemacht werden, daß auch der gegenseitige Austausch der Präparate keine Klärung gebracht hat, zeigt so recht, wie schwierig eine Entscheidung zu treffen ist. Ohne Zweifel wird eine vorurteilslose Beur- teilung auch dadurch erschwert, daß man sich die Verhältnisse den Ergebnissen der Vererbungs- versuche entsprechend zurechtzulegen sucht und so in Gefahr gerät, etwas in die Präparate hinein- zusehen. ^) Andererseits muß eine solche Über- ') Eine Kritik dieser Annahme bei Fick a. a. O. — Die Ansicht von Meves, nach der gewisse geformte Bestand- teile des Zellplasmas, die Chondriosoraen, Erbträger sein sollen, ist wohl durch den Nachweis ihres Fehlens im Pollen- schlauch unhaltbar geworden. Vgl. Strasburger, Hist. Beitr. Vll. S. 111 ff. ') Den Gebrüdern Marchai ist es gelungen, aus dem Sporophyten (Stiel mit Kapsel) des Mooses Amblystrgium serpens durch Zerschneiden Pflanzen mit der doppelten Chro- mosomenzahl imGametophyten (eigentliches Moospflänzchen) zu erziehen, die nach der Befruchtung einen Sporophyten mit 4 faCher Chromosomenzahl ergaben. Die aus solchen Sporo- phyten erzielten Moospflänzchen mit 4 facher Chromosomen- zahl zeigten anscheinend bei der Ausbildung der Geschlechts- organe bereits kein normales Verhalten mehr. Hier zitiert nach Claußen, Fortpfl. im Pflanzenteiche. In Hinneberg, Kultur der Gegenwart III. Teil, IV. Abt., Bd. I. Allgemeine Biologie, Leipzig 1915. Über das Verhalten der von Nemec durch Chloralisierung von Wurzelspitzen erhaltenen Zellen mit vervielfachter Chromosomenzahl vgl. Strasburger, Kern- teilungsbilder bei der Erbse. Flora Bd. 102, Heft I, igil. '■') Wie leicht Voreingenommenheit zu Täuschungen führen kann, zeigt u. a. das lange Festhalten an der irrtümlichen Annahme des Vorkommens von Centrosomen bei höheren Pflanzen. Vgl. Tischler, Nachruf für E. Strasburger. Archiv für Zellforschung 9. Band, I. Heft, 1912, S. 26 des Sonderabdrucks. N. F. XV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. einstimmung mit Forschungen, die von ganz anderen Gesichtspunkten ausgehen, auf so schwierigem Ge- biete natürlich von größter Bedeutung sein. Im Tierreiche treten bei der Ei- und Samenreife 2 Teilungsschritte auf. Dem entsprechen bei höheren Pflanzen die Verhältnisse bei der Teilung der Sporen- (Pollen-, Embryosack-) Mutterzellen. In den Prophasen der Teilung treten wahrschein- lich je 2 Chromosomen (väterlicher und mütter- licher Herkunft?) zusammen, so daß bei einem der Teilungsschritte ganzeChromosomen getrennt werden. ') Damit wird natürlich jeder Tochterzelle (3 Abkömmlinge der Eizellen gehen zugrunde) nur die halbe Chromosomenzahl zugewiesen. Diese Vorbereitung eines erst später eintretenden Vorgangs (nämlich der Befruchtung) schließt augen- scheinlich ein teleologisches Moment ein. Das läßt sich ausschalten, wenn man annimmt, daß die Reduktionsteilung ursprünglich im unmittel- baren Anschluß an die Befruchtung ein- getreten ist (wie das zuerst von Allen bei der Süßwasseralge Coleochaete nachgewiesen wurde), und daß sich der jetzige Zustand im Laufe der Stammesentwicklung eingestellt hat. Weiter auf diese Dinge einzugehen, ist für uns hier nicht von Belang. Nach dieser gedrängten Darstellung der wich- tigsten Ergebnisse der Zellforschung, soweit sie die morphologischen Grundlagen der Vererbung im allgemeinen betreffen, gehen wir zu unserer eigentlichen Aufgabe über. Es lassen sich hinsicht- lich des Zeitpunktes der Geschlechtsbe- stimmung offenbar drei Fälle annehmen. Erstens könnte das Gesciilecht der weiblichen oder männ- lichen Keimzellen von vornherein festgelegt sein: progame Geschlechtsbestimmung; zweitens ist es denkbar, daß über das Geschlecht im Augen- blick der Befruchtung entschieden wird : s y n g a m e Geschlechtsbestimmung; endlich wäre es möglich, daß eine Beeinflussung während der Entwicklung des Keimes das Geschlecht bestimmt, wobei der Keim zunächst geschlechtlich indifferent sein müßte: e p iga m e Geschlechtsbestimmung. Diese Übersicht hat ihre Mängel, da sie auf partheno- genetisch sich entwickelnde Lebewesen nicht ohne weiteres anwendbar ist und die Möglichkeit von Kombinationen außer acht läßt. Trotzdem soll sie der Einfachheit halber hier beibehalten werden. Wir wenden uns zunächst zur epigamen Geschlechtsbestimmung. Auf ihrer Möglichkeit ') Näheres z. B. in H. Schneider, Die Prophasen der I. Reifeteilung in Pollenrautterzellen. Archiv f. Zellforschung XII. Bd., 3. Heft, 1914. — Strasburger, Die Onlogonie der Zelle seit 1875. Progr. rei bot. I. Bd., 1906. — Stras- burger, Histol. Beitr. VII. 1909. — Strittig ist vor allem, ob die in der Diakinese auftretenden Chromosomenpaare einer Vereinigung und nachträglichen Trennung zweier Chromo- somen ihre Entstehung verdanken (Para'^yndese) oder durch Zusammenlegen der Schleifenschenkel eines Chromosoms sich bilden (Meta'iyndese). Ferner, ob — bei Annahme einer Para- syndese — die Vereinigung eine mehr oberflächliche oder so innig ist, daß die bei der Längsspaltung entstehenden Chromo- somen nicht mehr als die ursprünglich kopulierenden ange- sehen werden können. sind die meisten älteren Hypothesen aufgebaut. Daß sie möglich sein kann, geht daraus hervor, daß auch in eingeschlechtlichen Tieren und Pflanzen (und folglich auch im Embryo) die .'\nlagen des anderen Geschlechts latent vorhanden sind. Sie können gelegentlich hervortreten, doch sind wir über die Ursachen nur in wenigen Fällen unter- richtet. Einige bekannte Beispiele mögen ange- führt werden. Ältere Hühner zeigen manchmal die sekundären Geschlechtsmerkmale des Hahnes (Krähen, Sichelfedern des Schwanzes, vgl. Abb. in Bd. 14 Seite 335; besonders oft treten bei Tieren solche Erscheinungen nach Kastration auf. An Weidensträuchern hat wohl jeder aufmerk- same Beobachter Kätzchen des entgegengesetzten Geschlechts auftreten sehen. Ähnliches gilt für andere zweihäusige Pflanzen, z. B. das Bingel- kraut (Mercurialis annua), bei dem Strasburger i) diese Vorgänge besonders eingehend studiert hat. Bei Krabben findet man gar nicht selten am Hinterleib einen schmarotzenden Krebs (Sacculina carcini), dessen „Wurzelgeflecht" den Wirt völlig durchzieht. Giard und Smith (zi- tiert nach Schleip, a. a. O.) haben gezeigt, daß unter dem Einfluß des Schmarotzers beim Männchen sich weibliche Merkmale zeigen, ja sogar Eier auf- treten können. Einen ganz ähnlichen Fall hat Strasburger-) genau untersucht. Die Licht- nelken Meiandrium album Garcke und M. rubrum G. (oft in der Linne'schen Art Lychnis dioica zusammengefaßt) zeigen sich zuweilen von einem Brandpilz (Ustilago violacea) befallen, dessen Brandsporen sich nur in den S taubbe u teln der angesteckten Pflanzen ausbilden. Männliche Pflanzen lassen daher außer der Färbung der Antheren äußerlich keine Veränderungen erkennen. In weiblichen Blüten dagegen veranlaßt derPilzdie Entstehung von Staubblättern, die sich nicht von denen männlicher Blüten unter- scheiden (Abb. i). Wohl durch den Abfluß der Nahrung zu den Antheren wird ein Stillstand im Wachstum der weiblichen Organe und damit Un- fruchtbarkeit herbeigeführt. Im Unterschied von dem vorigen Fall, bei dem die weiblichen Bildungen durch die parasitäre Kastration des Männchens veranlaßt werden, wird also hier das Auftreten der Staubblätter nicht durch die Zerstörung der weiblichen Samenanlagen ausgelöst. Daß es sich nicht um männliche Blüten handelt, wie man ver- mutet hat, geht schon daraus hervor, daß sich gelegentlich an den ergriffenen Stöcken gesunde Blüten entwickeln, die immer rein weiblich sind. Correns^j weist bei der Besprechung der Ergeb- ') Das weitere Schicksal meiner isolierten weiblichen Mercurialis annua-Pflanzen. Zeitschr. f. Bot. I. Bd. 1909. — Über geschlechtsbestimmende Ursachen. Jahrb. f. wissensch. Bot. 1910. — Siehe auch H. Schneider, Über einen Fall von partiellem Geschlechtswechsel bei Merc. annua 9. Zeitschr. f. Pflanzenkrankheiten 1915, HI. Heft. 2) Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Ge- schlechtsvetteilung. Biol. Zentralblatt XX, Nr. 20-24, 1900. ") Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen. Berlin 1907, S. 50. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. nisse Strasbu rger's darauf hin, daß „wohl eine Änderung des Geschlechts, nicht aber eine völlige Umstimm ung desselben eintritt; dazu müßten nicht nur die bisher latenten Anlagen aktiviert, sondern auch die früher aktiven Anlagen latent gemacht werden. Diese sind aber für den Pilz bedeutungslos, und so bleiben sie bestehen." Abb. I. Lychnis dioica L. A männliche, B weibliche Blüte. Aj mann]., Bj weibl. Blüte, infiziert mit Uslilago violacea. (Nach Strasburger 1900.; Die Untersuchungen an der Lichlnelke bildeten für Strasburger (a. a. O. 1910) den Ausgangs- punkt für sorgfältige Bemühungen, die Wirkung des Pilzes durch äußere Einflüsse zu ersetzen. Einspritzungen mit einem wässrigen Auszug aus den Sporen, Verdunkelung der Versuchspflanzen (außer Lichtnelken auch Hanf), Tränken des Bodens mit chemischen Mitteln hatten keinerlei Erfolg. Auch eine Verschiebung der Zahlenverhältnisse der beiden Geschlechter durch Aufzucht in ver- schiedenen Bodenarten, Aussäen kräftiger und schwacher Samen, mangelhafte Ernährung (Ver- schluß der Gefäße durch Klemmen), Zurück- schneiden der Zweige, Veredlung auf Pflanzen des entgegengesetzten Geschlechts, Verwendung von Samen verschiedener Reife erwies sich als unmöglich. Strasburger kommt daher unter Ablehnung entgegenstehender älterer AngaBen ^) zu dem Ergebnis, daß eine nachträgliche Beeinflussung des Geschlechts bei diö- ') Von solchen erwähne ich — weil im Schrifttum zu- weilen noch als beweiskräftig angesehen — diejenigen von Autenrieth und Manz (1821 und 1822), nach denen durch Zurückschneiden der Zweige männlicher Hanfpflanzen zwittrige Blüten erzielt wurden. Du die Erscheinung auch an anderen zwcihäusigen Pflanzen ohne erkennbare äußere Einflüsse auf- tritt (vgl. S. 7"!, wird es sich um eine Rasse gehandelt haben, die an und für sich schon zur Einhäusigkeit neigte. — Th. Bail hat übrigens neuerdings beobachtet, dai3 auf einem Klee- felde bei Danzig die bei der Kleeernte abgeschnittenen Exem- plare der diöcischen Silene dichotoma Ehrh. Zweige mit männlichen und Zwitterblüten entwickelten. (Angeführt nach Strasburger, Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts usw. 1909, Fußnote S. 18.) cischen Pflanzen vorläufig als aussichts- los zu gelten hat. Zahlreich sind die Versuche, im Tierreich die Möglichkeit epigamer Geschlechtsbestimmung zu erweisen. Hier sei nur je einer aus äherer und neuerer Zeit angeführt. I^^andois (1867) erhielt aus Zuchten des kleinen Fuchses (Vanessa urticae) bei ungenügender Fütterung der jungen Raupen mehr Männchen, bei reichlicher Ernährung mehr Weibchen. Nachuntersuchungen haben ergeben, daß bei mangelhafter Nahrung nur eine Verkümmerung der Keimdrüsen, nicht aber eine Geschlechtsänderung eintritt. (Da die Weibchen mancher Schmetterlinge länger im Raupenstadium verbleiben und mehr Häutungen durchmachen als die Männchen, -) müssen erstere unter schlechter Ernährung stärker leiden, so daß sie an Zahl zurücktreten würden. Ob diese Ver- hältnisse für Vanessa urticae zutreffen, ist mir nicht bekannt.) — Bis in die letzte Zeit wurde in Bienenzüchterkreisen lebhaft die Ansicht F. Dick el's besprochen, daß die Arbeitsbien en durch Ab- sonderung \on Drüsensekreten willkürlich noch bei jungen Larven das Geschlecht bestimmen könnten. Die bekannten Untersuchungen von Petrunkewitsch, Mevesu. a. haben einwand- frei gezeigt, daß die Drohnen aus unbefruch- teten Eiern hervorgehen. Auch der Nachweis, daß schon bei ganz jungen Larven deutliche Geschlechtsunterschiede bestehen (dasselbe gilt übrigens für Raupen), macht die Dickel'sche Hypothese hinfällig. Wir können somit zusammenfassend sagen, daß eine epigame Geschlechtsbestimmung weder im Tier- noch im Pflanzenreiche sicher nachgewiesen ist und jedenfalls nur selten vorkommt, wenn auch ihre Möglichkeit zugegeben werden muß. Ehe wir zur Besprechung der pro- und syngamen Geschlechtsbestimmung übergehen, soll zur Vermeidung von Unklarheiten darauf hingewiesen werden, daß scharf zu unterscheiden ist zwischen dem Vorhandensein der Anlagen für die Geschlechtsmerkmale und der Ent falt- barkeit dieser Anlagen. Daß bei getrennt- geschlechtlichen Tieren und Pflanzen die Merkmale beider Geschlechter vorhanden sind, haben wir gesehen (S. 51). Doch befindet sich nur eine davon im entfaltbaren Zustande. Wir sprechen dann von weiblicher oder männlicher „Tendenz". Damit soll also nur gesagt sein, welches Geschlecht aktivierbar ist, nicht aber, daß die Merkmale des einen fehlen. Diese sind vielmehr latent. Besonders deutlich geht das aus solchen Bastar- dierungsversuchen hervor, bei denen vom einen -) Vielfach gehen zwar aus älteren Larven mit zahl- reicheren Häutungen sowohl Männchen als Weibchen hervor; ein Zusammenhang mit dem Geschlecht ist gleichwohl in man- chen Fällen festzustellen, wenn auch nicht immer. Vgl. die Angaben für Lymantria monacha, Orgyia antiqua und Den- drolimus pini in Eckstein, Schmetterlinge Deutschlands Bd. II. Stuttgart 1915. N. F. XV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 Geschlecht Merkmale vererbt werden, die nur bei dein anderen in die Erscheinung treten, wie z. B. Correns (a. a. O.) an der Kreuz u ng von IVIelandryum album ? mit M. rubrum (^ sehr schön gezeigt hat. „Bei der weißen Licht- nelke, M. aibum, springt die Samenkapsel mit vorgestreckten Zähnen auf, bei der roten Abb. 2. Reife Samenkapseln: .\ von Melandryum album, C von M. rubrum, B des Bastards M. album 9 und M. rubrum a^. Ferner Kapselzähne in Profilansicht : a von M. album, c von M. rubrum, b und b, von zwei verschie- denen Exemplaren des Bastards. Bei s. hört die Kapselwand auf und fängt der Zahn an. (.N'ach Correns 1907.) Lichtnelke, M. rubrum, dagegen mit zurück- gerollten Zähnen. Beide Arten sind streng zweihäusig (diöcisch); die Weise, wie die F"rucht- kapsel sich öffnet, gehört also zu den Charakteren des Weibchens. Befruchtet man nun ein Weibchen des M. album mit Folien des M. rubrum, so haben alle weiblichen Individuen des Bastards zurückgekrümmte Kapselzähne, lange nicht so stark wie M. rubrum sie hat, aber doch sehr deutlich (Abb. 2). Die Keimzellen des M. rubrum, die auf einer männlichen Pflanze gebildet wurden, die nie eine Kapsel, ja nur ein kleines Rudiment des Fruchtknotens überhaupt hervorbringt, müssen also dieses Merkmal des weiblichen M. rubrum übertragen haben." (a. a. O. S. g.) Weiter wird dann an der Größe und Beschaffenheit der äußeren Haut der Pollenkörner nachgewiesen, daß auch umgekehrt das Weibchen von M. album Merkmale der männlichen Pflanze überträgt. Correns fährt dann fort: „Eine Keimzelle hat „männliche oder „weibliche Tendenz", soll also nur heißen, daß kurz au sgedrückt, die männ- lichen oder die weiblichen Anlagen sich in einem entfaltungs fähigeren Zustande befinden. Aufweiche Weise die einen Anlagen in der Keimzelle in den aktiven, die anderen in den latenten Zustand gebracht werden, davon haben wir heute kaum irgendwelche Kenntnis." Von progamer Geschlechtsbestmmung kann man streng genommen nur dann reden, wenn die Ei- oder Samenzelle in ihrer Tendenz derart fest bestimmt ist, daß die Befruchtiuig keinerlei Einfluß mehr auf das Geschlecht der Nachkommen hat. Rein syngame Geschlechtsbestimmung hätte zur Voraussetzung, daß den Keimzellen noch keinerlei bestimmte Tendenz innewohnte, sondern daß eine solche sich erst mit der Be- fruchtung einstellte. Daß sie in solcher Form nicht vorkommt, geht ohne weiteres aus der Ent- wicklung unbefruchteter Eier hervor. Wir müssen also den Begriff so fassen, daß zwar die Keimzellen (die männliche, oder die weibliche, oder beide) eine bestimmte Geschlechtstendenz mitbringen (die gleiche oder die entgegengesetzte), aber erst bei der Befruchtung die Entscheidung fällt, welche Tendenz die herrschende wird. (Schluß folgt.) Eiu neuer Stegosaurier aus Deutsch-Ostafrika Von Dr. Ed [Nachdruck verboten.] Mit 4 Ab Die Ausgrabungen auf Dinosaurier im südlichen Deutsch - Ostafrika , durchgeführt von der durch Herrn Geheimrat Branca's Bemühungen zustande gebrachten Tendaguru Expedition haben im Laufe von 3 bis 4 Jahren das Berliner Naturkunde-Museum um einen gewaltigen Schatz an neuen Formen aus diesem Riesengeschlechte mittelalterlicher Reptilien bereichert. Das Bergen der Funde ge- nügt aber in der Paläontologie noch nicht, um sie in Muße studieren zu können, wie etwa archäo- logische Überreste alter Kulturen. Vielmehr hat mindestens bei Knochenresten dieser Dimensionen eine mühsame, äußerst zeitraubende und kost- spielige technische Bearbeitung zu erfolgen, ehe die Ausbeute ihr wahres Antlitz zeigt. Die Präpa- ration besteht vor allem in der Entfernung der Gesteins- oder Erdhülle und in der Härtung und Zusammenfügung der oft sehr zerbrechlichen und r. Hennig. Idungen. meist in einzelne Bruchteile zerfallenen Knochen. Diese noch auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu bemessende Säuberung und Wiederherstellung ist bei den Tendaguru-Funden noch in vollem Gange. Immerhin sind die Arbeiten seit dem Abschluß der Grabungen nun doch schon so weit gediehen, daß eine gewisse Übersicht über das Gewonnene bereits möglich ist. Im ganzen ist die seltsame Fauna, die da von Haue und Spaten nach jahremillionenlangem Schlafe im träumenden afrikanischen Busche wie- der zum Leben erweckt wurde, in ihrer wissen- schaftlichen Bedeutung durch den Leiter der Ex- pedition, Prof Janen seh bereits kurz geschildert worden. *) Die eingehende Beschreibung und ') W. Janensch, Die Wirbeltierfunde der Tendaguru- Expedition. Archiv f. Biontologie Bd. III, Heft i, 1914. 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4 Bewertung muß selbstverständlich mit der Präparation Hand in Hand vorschreiten. Durch den Krieg ist auch sie natürlich zeitweilig in den Hintergrund gedrängt worden, während die Präpa- ration weiter rüstig gefördert wird. Über eine der vertretenen Formen konnte aber ein kurzer vor- läufiger Rechenschaftsbericht bereits geliefert wer- den. Es handelt sich da um eine Gestalt aus der Familie der Stegosauridae, die vor allem durch eigenartige Hautpanzerbildungen gekenn- zeichnet wird. Da nämlich die Größe dieser Tiere hinter der der eigentlichen Riesenechsen wesent- lich zurücksteht, macht die Präparation entsprechend geringere Schwierigkeiten und schnellere Fort- schritte. Es lagen daher, wie ich an anderer Stelle ') dargelegt habe, im Juni des verflossenen Jahres schon so viel fertige Skeletteile vor, daß eine Bestimmung und Beurteilung möglich wurde. Wie groß die Ausbeute ist, mag aus einigen Zahlenangaben her- vorgehen. Dabei ist zu betonen, daß ja der Stego- saurier nur eine Form aus einer ganzen Fauna von etwa einem Dutzend der verschiedenartigsten (iestalten darstellt und innerhalb derselben an Zahl durchaus nicht vorwiegt. .*^, '*""»'r.>ia'Kriv'-"ii; ""■ Amerikanischer Stegosaurus (St. ungulatusl, unterste Kreide, nach Prof. Tornier (Handwörterbuch d. Naturwiss.). Es fanden sich Reste von solchen gepanzerten Dinosauriern an fast 30 verschiedenen Grabungs- plätzen , die auf ein sehr weites Gebiet verteilt sind. Insgesamt dürften von ihnen etwa 1200 Einzelknochen geborgen sein neben zahlreichen Bruchstücken weiterer Skeletteile. Davon entfallen allerdigs 800 bis goo Stück auf einen einzigen Graben, der wenige Kilometer nordwärts vom Tendaguru bei, last in der Ansiedlung Kindope am Wege ausgehoben und 2 Jahre hindurch ausge- beutet wurde. An dieser einen Stelle muß also eine ganze Herde der Tiere, da sie gemeinsam begraben liegen, gemeinsam umgekommen sein. Etwa 30 große und kleine Individuen haben dort ihre Knochen in wirrem Durcheinander hinter- lassen, wie aus der Zahl der Extremitäten-, Schulter- und Beckengürtel hervorgeht. So ergibt sich also ein Material von einer Reichhaltigkeit, wie es selbst in nordamerikanischen Museen wohl kaum ■) E. Hennig, Kentrosaurus aethiopicus, der Stegosauride des Tendaguru. Sitz.-Ber. Ges. naturforsch. Freunde Berlin 1915, S. 219—243. anzutreffen ist, und zudem von einer Güte der Erhaltung, die kaum irgendwo wesentlich über- troffen werden kann. Der Reichtum ist fast verhängnisvoll zu nennen. Denn zum Verständnis des Skeletts gehört natür- lich mit in erster Linie die Kenntnis der Propor- tionen, z. B. des Längenverhältnisses von Vorder- und Hinterbein, Ober- und Unterschenkel, sowie der genauen Zahl der Wirbel in jedem Körperabschnitt u. dgl. Da aber die Skelette nicht im ursprüng- lichen Zusammenhange gefunden wurden und alte und jugendliche Exemplare nebeneinander in allen Größenmaßen erhalten sind, ist die Beantwortung derartiger Fragen fast unmöglich gemacht. Da müssen denn gerade die weniger reichhaltigen P'undstellen ergänzend aushelfen. Es muß so ge- lingen, das gesamte Skelett in den richtigen Maßen wiederherzustellen, womöglich mehrere dereinst als Schaustücke aufzubauen. Nur ganz geringe, freilich recht wichtige Bestandteile fehlen leider auch unter Zuhilfenahme der anderen Grabungs- stellen völlig; so vom Schädel die ganze Schnauzen- partie. Ein einziges winziges Zähnchen ist von so viel Exemplaren überliefert, ist dann aber auch von großer Bedeutung für die Verwandtschaft mit anderen schon bekannten P'ormen. Auch die Fußglieder sind leider nur schwach vertreten. Der Stegosaurier des Ten- daguru - Gebiets ist verhältnis- mäßig klein zu nennen: eine Länge von wenigen Metern und eine Höhe von noch nicht I '/., m sind ja unter den Dino- sauriern, deren größte 25 bis 30 m Länge aufweisen, nur recht bescheidene Maße. Aber selbst die nächsten An- verwandten übertreffen unseren ostafrikanischen p-und. Als solche müssen der englische, nicht recht vollständig bekannte Omosaurus und der in zahlreichen guten Skeletten und Arten vor- liegende amerikanische Stegosaurus, der Typus der ganzen Gruppe gelten. Letzterer ist ganz besonders ausgezeichnet durch mächtige senkrecht längs der Rückenlinie aufragende Hautknochen- platten (Abb. 1). Sie treten als absonderliche Ausge- stahung für die sonst den Panzer beherrschenden oft langen Hautknochenstachel ein, sind wohl auch durch Übergangsbildungen mit ihnen verbunden. Solche Knochenstacheln zeigt auch unsere neue Form in reichem Maße (Abb. 2^1. 3) ; sie nehmen hier sogar Di- mensionen an, wie sie bei den größeren Verwandten noch nicht bekannt sind! Der Name der Gattung ist nach diesem Kennzeichen der Gruppe gewählt worden {y.ivTQOi ^= der Stachel), der Artname bezieht sich auf das Wohngebiet: Kentrosaurus aethiopicus ist danach die wissenschaftliche Be- zeichnung des neuartigen Fundes, den wir unserer schönen "ostafrikanischen Kolonie verdanken. Be- sonderheiten des Tieres liegen vor allem im Bau N. F. XV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. .\bb 2. Runder Ilautslacliel mit BasalschiKI. .Abb. 3. Plattenartiger Hautstaehel. Ahh .(. OKpn- A„cfMi1„n^ ^»t. ß;;..l.<.„„>o.L6 K^^ti^n tTntpti: Hir.ihöhlenausgu 56 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4 der Schwanzwirbel. Neben den Abweichungen sind aber die Übereinstimmungen mit den räum- Hch so weit getrennten englischen und amerika- nischen Vettern fast noch auffallender und inter- essanter. In der Gestalt des schon erwähnten Zahnes, ja im Bau fast jedes einzelnen Knochens spiegeln sich die engsten verwandtschaftlichen Beziehungen mit jenen wieder. Geradezu über- raschend wird die Ähnlichkeit in der Gestaltung der Hirnhöhle und der Rückenmarkserweiterung im sakralen VVirbelsäulenabschnitt. Einer der drei aufgefundenen Hinterschädel ebenso wie einer unter mehr denn einem Dutzend Beckenknochen gestatteten nämlich einen Ausguß der inneren Hohlräume zu gewinnen. Mit überraschender Schärfe treten besonders am Abguß des Gehirns, den man. auf diese Weise erhält, alle Einzelheiten auf, wie Austritt von Blutgefäßen und besonders sämtliche Nervenpaare. Wir sind also in die Möglichkeit versetzt, selbst Weichteile jener Vor- weltgestalten zu untersuchen, die an sich der Er- haltung im fossilen Zustande nicht fähig sind. Ebenso läßt sich jener Teil des Hohlraums des Rückenmarks ausgießen, ^) der innerhalb der fast miteinander verwachsenen Beckenwirbel gelegen ist. Der amerikanische Erforscher der dortigen Dinosaurierfunde Riarsh hatte dies schon an Stegosaurus mit gutem Erfolge erprobt; und es ergab sich dabei das ganz wunderliche Verhältnis, daß die Hirnhöhle sich als um ein Vielfaches kleiner erwies, die Ansammlung von Nervenmasse ') Der Originalhohlraum wird mit einem elastischen Ma- terial wie Gelatine ausgegossen , nach diesem eine negative Gipsform hergestellt uns aus ihr erst der endgültige Gips- ausguß gewonnen, um Zertrümmerungen des Knochens zu ver- meiden. also im Hinterteil des Tieres wesentlich größer erschien als im Schädel. Bei unserem neuen afrikanischen Vertreter der Familie zeigt sich nun dies Verhältnis und die Gestaltung jener Weich- teile wiederum in fast völliger Übereinstimmung (Abb. 4). Nicht ausgeschlossen erscheint es, daß am Tendaguru mehr als nur eine Art der neuen Gat- tung vertreten wäre. Einstweilen läßt sich ein Beweis oder auch nur eine größere Wahrschein- lichkeit dafür nicht erbringen. Es wäre das aber um so weniger wunderbar, als sich die Stegosaurier- reste in zeitlich getrennten Horizonten überein- ander gefunden haben, von denen der tiefere noch dem untersten Jura angehört, der höhere schon zur untersten Kreide gerechnet werden muß und als sich dazwischen eine völlig marine Fauna aus küstennahen Gewässern einschiebt. Die reicheren und im allgemeinen besseren Stegosaurierfunde hat die tiefere Zone, d. i. die mittlere der drei am Tendaguru zum Absatz gelangten Saurier- schichten geliefert. Besonders bemerkenswert ist bei dieser wie bei anderen kleinen Dinosaurier- formen der Hang zu einem Leben in ganzen Herdenverbänden. Bei Landreptilien findet man dergleichen heut seltener, im Wasser sind es oft die äußeren Verhältnisse, z. B. bei Krokodilen, die ein Zusammendrängen größerer Massen auf engem Räume bewirken. Über die Lebensverhältnisse, Ernährungsweise und die Art des Todes jener seltsamen Urweltformen läßt sich mancherlei aus dem Zahn- und Gebißbau, der Körpergestalt und dem geologischen Befunde der knochenführenden Schichten entnehmen, worauf hier nicht weiter eingegangen sei, um so weniger als auch einzelne Fragen noch ungelöst bleiben müssen. Einzelberichte. Chemie. „Über die Beziehungen zwischen Chlorophyllgehalt und assimilatorischer Leistung der Blätter" haben Richard Willstätter und Arthur Stoll, zwei Forscher, deren grund- legende „Untersuchungen über Chlorophyll" wohl allen Interessenten bekannt sein dürften und deren Leistungen neuerdings auch durch die Verleihung des Nobelpreises für Chemie an Richard Will- stätter die verdiente Anerkennung gefunden haben, eine sehr bedeutsame Arbeit veröffentlicht (Ber. d. D. Chem. Gesellsch. Jahrg. 48, S. 1540 bis 1564; 191 5), über die im folgenden mit der ihrer Bedeutung entsprechenden Ausführlichkeit berichtet werden möge. Die Aufgabe, die Willstätter und Stoll sich gestellt haben, ist durch die Frage gegeben, ob und inwieweit die assimilatorische Leistung der Blätter ihrem Chlorophyllgehalt proportional sei, eine Frage, deren Beantwortung erstens die Messung der assimilatorischen Leistung der Blätter und zweitens die quantitative Bestimmung ihres Chlorophyllgehaltes voraussetzt. Die quantitative Bestimmung des Chlorophylls, die bekanntlich nach kolorimetrischen Methoden erfolgt, ist nicht so einfach, als es zunächst er- scheint. Zwar enthalten die grünen Blätter der verschiedenen Pflanzen den gleichen Farbstoff, aber dieser ist keine einheitliche chemische Ver- bindung, sondern ein Gemisch zweier grüner Farbstoffe, des blaugrünen Chlorophylls a und des gelbgrünen Chlorophylls b , und zweier gelber Pigmente, Carotin und Xanthophyll, zu denen in der Klasse der Phäophyceen noch ein drittes gelbes Pigment, das Fucoxanthin, kommt. Bei der Extraktion des Blattgrüns gehen diese gelben Farbstoffe mit in den Extrakt und müssen daher vor dem kolorimetrischen Vergleich der Extrakte mit einem reinen Gemisch der beiden Chlorophyll- arten a und b in ihrem natürlichen Verhältnis durch Verseifung mit Alkali und Ausäthern, wo- bei nur die beiden Chlorophylle in den ätherischen Auszug gehen, aus dem Gemisch entfernt werden, da sonst erhebliche Fehler bei der Chlorophyll- bestimmung gemacht werden können und auch schon gemacht worden sind. N. F. XV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 Die assimilatorische Leistung eines Blattes hängt unter sonst gleichen Bedingungen erstens von der Temperatur, zweitens von der Stärke der Bestrahlung und drittens von der Konzentra- tion der Kohlensäure in der Atmosphäre ab. Bei konstanter Temperatur steigt die Menge der assi- milierten Kohlen.-äure sowohl mit der Stärke der Bestrahlung als auch mit dem Kohlensäuregehalt der Atmosphäre bis zu einem Grenzwert, der weder durch Vermehrung des Lichtes noch durch Erhöhung der Kohlensäurekonzeniration mehr ge- steigert werden kann. Dieser Höchstwert ent- spricht der maximalen Leistungsfähigkeit des Blattes bei der angenommenen Temperatur und ist daher von Willstätter und St oll als Maß für die assimilatorische Leistung benutzt worden, indem dem Blatte ein Übermaß von Licht, natür- lich nur ein solches Übermaß, daß das Blatt selbst nicht geschädigt werden konnte, und ein Über- maß von Kohlensäure dargeboten wurde. Bei gelben Blättern reichte allerdings, wie VV i 1 1 - stätter und St oll ausdrücklich bemerken, die dargebotene Lichtmenge nicht immer aus. Die Versuchsanordnung selbst war einfach: 5 bis 20 g der Blätter, deren frisch beschnittene Stiele in Wasser tauchten, befanden sich in einer allseitig geschlossenen flachen Glasdose in einem Wasserbade. Die Temperatur wurde nicht im Wasserbade, sondern in der Glasdose selbst un- mittelbar unterhalb der Biälter gemessen. Durch die Glasdose wurde in geeigneter Weise kohlen- säurehaltige Luft geschickt und die in ihr enthaltene Kohlensäuremeiige vor und nach dem Durchgange durch die Glasdose bestimmt. Als Lichtquelle diente eine Einhalbwatt-Osramlampe von 3000 Kerzen Stärke, die in einem Abstände von i 5 bis 25 cm von der Glasdose mit den Blättern aufge- stellt und von ihr, uni die Wärmestrahlung zu absorbieren , durch eine Schicht kalten Wassers getrennt war; die Belichtungsstärke berechnet sich danach zu 48000 bis 130 000 Lux. Die aus dem Luftstrom \-erschwundene Kohlen- säure entspricht nun nicht ohne weiteres der assi- milatorischen Leistung der Blätter, denn gleich- zeitig mit der Assimilation der Kohlensäure spielt sich ja auch noch die .-Atmung des Blattes ab, bei der bekanntlich Kohlensäure gebildet wird. Es mußte daher die bei der Atmung entstehende Kohlensäure bestimmt werden, und dies geschah in der Weise, daß die Versuche unter den gleichen Bedingungen, aber in völliger Dunkelheit wieder- holt wurden. Die assimilatorische Leistung der Blätter ergibt sich dann durch eine einfache Um- rechnung, in der von Willstätter und Stoll auch die mit der Assimilation der Kohlensäure verbundene Bildung von elementarem Sauerstoff CO., =0 + 0, berücksichtigt wurde. Der Diskussion der Ergebnisse wurde die Assimilationszahl zugrunde gelegt, d.h. die- jenige Menge Kohlensäure, die im Laufe einer Stunde von soviel Blattmasse, als i g Chlorophyll enthält, assimiliert wird: -..,.. ,, in I Stunde assimiliertes CO, in? Assimilationszahl= ' ^ Chlorophyll in g Im folgenden seien nun einige der wichtigsten an normalen und an nichtnormalen Blättern er- haltenen Ergebnisse der Arbeit kurz zusammen- gefaßt: I. Die Blätter gut assimilierender, chlorophyll- reicher Pflanzen (normale Laubblätter) haben ähn- liche Assimilationszahlen : Tempe- ratur 48 000 Lux Syringa vulgaris 25» C 48000 Sambucus nigra 25» C 48000 Ulmus 25» C 48000 Prunus Laurocerasus 3°"C 75 000 Primula 30» C 75000 Hydrangca opulodes 30" c 75000 Pelargonium zonale 30« C 75 000 2. Mit dem Wachstum der Blätter nimmt die assimilatorische Leistung zu , aber nicht in dem selben Maße wie das Chlorophyll, folglich sinkt die Assimilationzahl. So hatten junge der Spitze der Zweige entnommene Blätter von Acer pseudo- platanus, deren Chlorophyllgehalt in 6 g der Blätter 5,0 mg betrug, eine Assimilationszahl von 11,8, während an demselben Tage (23. Juni), demselben Baume an der Basis der Zweige entnommene , also ältere Blätter mit einem Chlorophyllgehalt von 24,0 mg nur die Assimilationszahl 5,2 hatten. 3. Die Leistungsfähigkeit von Blättern im Frühling ergibt sich aus den folgenden, an Tilia cordata gewonnenen Ergebnissen, die in ähnlicher Weise auch mit zahlreichen anderen Pflanzenarten erhallen worden sind: Chlorophyll- i Assimilatio gehalt zahl 5.0 mg 6,9 „ 17.3 ,. 7,1 4. Die assimilatorische Leistungsfähigkeit herbstlicher Blätter zeigt ein recht wechselvolles Bild. In manchen Phallen, so bei Sambucus nigra, sinkt die assimilatorische Leistung mit dem Chloro- phyllgehalt, die Assimilationszahl bleibt also an- nähernd konstant. In anderen Phallen, z. B. bei Acer pseudoplatanus, nimmt die assimilatorische Leistung anfangs langsamer ab als der Chlorophyll- gehalt, d. h. die Assimilationszahl selbst steigt zu- nächst an : Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4 ^ c^, Datum der Blätter It 3 2 X! u < 30. Juli tiefgrün 4 g 19,7mg 4,1 17. September grün 12,5 " 6,6 5. Oktober grün mit gelben Flecken 7,8 „ S,5 19. Oktober fast gelb „ 2,1 „ 4,8 Bei den bis zuletzt grün bleibenden Blättern bleibt das Assimilationsvermögen häufig erhalten, so daß selbst schon abgefallene Blätter noch nor- male Assimilationszahlen aufweisen. Es sind aber auch F'älle der An beobachtet worden, daß die im Herbst mit älteren Blättern erhaltenen Assi- milationszahlen erheblich geringer sind als die normalen Assimilationszahlen der gleichzeitig denselben Bäumen entnommenen jüngeren Blätter; Ampelopsis quinquefolia ist ein besonders schönes Beispiel für diese Erscheinung. Anatomische Veränderungen waren in diesem Falle nicht zu beobachten, wohl aber konnten Willstätter und Stoll feststellen, daß die Blätter mit stark- geschwächtem Assimilationsvermögen sich bei längerem Aufenthalt im warmen Zimmer wieder erholten und dann annähernd normale Assimilations- zahlen lieferten. 5. Von besonderem Interesse sind die Ver- suche mit chlorophyllarmen (gelbblätterigen) Va- rietäten sonst normal chlorophyllhahiger Pflanzen. Hier ist vor allen Dingen zu betonen, daß die gelbblätterigen Varietäten im allgemeinen außer- ordentlich viel höhere Assimilationszahlen auf- weisen als die normalen chlorophyllreichen Formen derselben Pflanzen. Pflanzenart Varietät ll ^1 1 S Acer Negundo Stammform 5 g 10,4 mg 12,5 „ gelbblätterig 1.4 „ 55 Huercus Robur Stammform 8 g 20,0 „ 7,8 „ gelbblätterig .,5 „ 55 Sambucus nigra Stammform gelbblätterig 8 g 18,8 „ 0,65 „ 6,2 120 Diese größeren Assimilationsleistungen der gelbblätterigen Varietäten, die übrigens unter ge- wissen Versuchsbedingungen (niedrige Tempe- ratur, starke Belichtung) dazu führen können, daß die von einem Quadratmeter Blattfläche assimilierte Kohlensäuremenge ebensogroß oder sogar größer als bei der Stammform ist, sind nicht auf den Gehalt der Blätter an Carotinoiden zurückzuführen, denn durch die Einschaltung eines Kaliumbichromatfilters zwischen Lichtquelle und Blatt, wodurch das von den gelben Carotinoiden stark absorbierte violette Licht ausgeschaltet wird, wird die assimilatorische Leistung der gelben Blätter nicht geschwächt. 6. Unter Lichtabschluß gezogene (etiolierte) Blätter zeigen ähnlich wie die Blätter von gelben Varietäten grüner Stammformen sehr hohe Assi- milationszahlen und unterscheiden sich dadurch vor allen Dingen auch von den chlorotischen Ge- wächsen, deren Assimilationszahlen normal oder noch etwas niedriger als normal sind. Die Hauptergebnisse der im vorstehenden skizzierten und auch zahlreicher bisher nicht veröffentlichter \'ersuche, die sich besonders auf den Einfluß einer Veränderung der Temperatur sowie der den Blättern dargebotenen Lichtmenge beziehen, fassen Willstätter und Stoll in folgenden, ihrer Wichtigkeit wegen hier im Urtext wiedergegebenen Sätzen zusammen : „Die wichtigsten Fälle, in welchen die assimi- latorische Leistung im entgegengesetzten Sinne wie der Chlorophyllgehalt von der Norm abweicht, sind die folgenden: „Die herbstlichen grünen Blätter, deren Assimi- lationszahlen sehr niedrig sind, die chlorophyll- armen Blätter gelber \'arietäten, die sehr hohe Assimilationszahlen zeigen, und die ergrünenden etiolierten Blätter, die sich hinsichtlich der Aus- nutzung des Chlorophylls ähnlich verhalten. „Diesen Fällen reiht sich die Verschiebung der Assimilationszahlen beim Wachsen der Blätter an, nämlich das Sinken, welches in der Frühjahrs- periode und auch sonst beim Vergleich junger und alter Blätter beobachtet wird. ,, Diese Erscheinungen sind nicht mit der An- nahme verschiedener Verteilung des Chlorophylls zu erklären, sondern sie lassen erkennen, daß außer dem Chlorophyll ein anderer innerer P^aktor an dem Assimilationsvorgang beteiligt ist, und zwar sind sie nur unter der Annahme zu ver- stehen, daß zwei, verschiedenen Gesetzen ge- horchende Faktoren bei der Assimilation zu- sammenwirken. Der Ort, an dem der nun zu definierende zweite Faktor wirkt, ist noch nicht sicher bekannt. „Daß dieser Faktor enzymatischer Natur ist, läßt sich namentlich schließen aus vergleichenden Versuchen, bei verschiedenen Belichtungen und verschiedenen Temperaturen, mit chlorophyll- reichen und -armen Blättern. „Bei chlorophyllreichen Blättern ist unter den geschilderten Verhältnissen eine Vermehrung des IJchtes ohne Einfluß auf die Assimilation: diese sinkt nicht, wenn wir mit der Lichtstärke auf die Hälfte bis ein Viertel hcrabgehen. Das spricht für die Annahme, daß hier das Chlorophyll gegen- über dem assimilatorischen Enzym im Überschuß ist. Erhöhung der Temperatur bewirkt bei den normalen Blättern Steigerung der Assimilation, weil der enzymatische Vorgang durch Tempera- turerhöhung stark beschleunigt wird. Umgekehrt liegen die Verhältnisse bei den wenig Farbstoft' enthaltenden Blättern, bei den untersuchten gelb- N. F. XV. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 blätterigen Varietäten. Hier finden wir nun einen geringen Einfluß der Temperatursteigerung von 15" auf 30". Das Enzym ist aber hier im Über- schuß gegenüber dem Chlorophyll; schon bei mittlerer Temperatur (25*') genügt das Enzym für die Leistung des Chlorophylls. Hingegen ist die Steigerung des Lichtes von Nutzen, bei Ver- minderung der Lichtstärke erfolgt sofort Rück- gang der Assimilation. Nur wenn das Chlorophyll vollständig ausgenützt wird, nämlich bei stärkster Belichtung, läßt sich in den chlorophyllarmen Blättern die maximale Leistung für das vor- handene Enzym erzielen. „Die auffälligen Erscheinungen bei herbstlicher Veränderung des Laubes sind dadurch bedingt, daß entweder das Chlorophyll mehr leidet als das Enzym (Steigerung der Assimilationszahlen) oder daß umgekehrt der enzymatische Prozeß in höherem Maße geschädigt wird als der Chlorophyll- gehalt (Sinken der Assimllationszahlenj. Die Wiederbelebung der zur Assimilation annähernd unfähig gewordenen Blätter beim Verweilen in warmem, feuchtem Räume zeigt die Neubildung des Enzyms oder die Beseitigung von Hemmungen des enzymatischen Vorganges an. „Es war uns bei zahlreichen Versuchen nicht möglich, mit dem isolierten Chlorophyll oder mit isolierten Chloroplasten Assimilation auszuführen; das negative Ergebnis wird darauf beruhen, daß das Chlorophyll mit dem Enzym zusammenwirken muß. Wir haben beobachtet, daß schon milde Eingriffe in die Struktur der Zelle die Assimi- lation aufheben. Blätter, die wir an der unteren Seite von der Epidermis mit ihren Spaltöffnungen und und Schließzellen befreit hatten, assimilierten gut; unterwarfen wir sie aber nur ganz kurz einem gelinden Druck, so erfolgte keine Assimilation mehr. „Aus den geschilderten Versuchen ist also zu folgern, daß eine Teilreaktion der Kohlensäure- assimilation ein enzymatischer Prozeß ist. Dieser spielt sich wahrscheinlich ab an der Berührungs- schicht der Chloroplasten mit dem Plasma. Die Aufgabe des Enzyms mag es sein, den Zerfall eines aus Chlorophyll und Kohlensäure gebildeten C,H,. ,CONH., I. ' )C( >HNO..= C3H, Vo.,H Zwischenproduktes unter Abgabe von Sauerstoff' zu bewirken." Mg. Unter dem anspruchslosen Titel „Studien über die AUyl - propyl - cyan - essigsaure" ist von Emil Fischer eine in Gemeinschaft mit Walter Brieger durchgeführte Untersuchung veröffentlicht worden (Ber. d. D. ehem. Gesellsch. 48, 1517-1530, 1915), die die grundsätzliche Frage der theoretischen organischen Chemie be- handelt, ob und inwieweit die vier Valenzen des Kohlenstoffatoms tatsächlich gleichwertig sind. Einen Beweis für die Gleichheit der vier Va- lenzen des Kohlenstofifatoms zu führen, hat zuerst Louis Henry im Jahre 1886 versucht, indem er das Nitromethan CH, .NO., und das Acetonitril CHj-CN nach vier verschiedenen Methoden dar- stellte, jedoch kann die für ihre Zeit sehr bedeut- same Arbeit darum heute nicht mehr als voll beweis- kräftig anerkannt werden, weil ihr Schwerpunkt in Substitutionen am KoMenstoffatom liegt und nach den bei der Waiden 'sehen Umkehrung ^) gesammelten Erfahrungen bei derartigen Substitu- tionen häufig ein Wechsel der Konfiguration ein- tritt. P'ischer sah daher seine Aufgabe darin, analoge Versuche wie Henry, aber unter Ver- meidung von Substitution an dem in Betracht kommenden Kohlenstoffatom anzustellen, und zwar wählte er, um auch sonst die Gefahr einer intra- molekularen Umlagerung nach Möglichkeit zu ver- meiden, möglichst milde und schon bei nicht zu hoher Temperatur in nicht allzulanger Zeit ver- laufende Reaktionen. Die Theorie des asymmetrischen Kohlenstofif- atoms hat zwei fundamentale Konsequenzen, es muß nämlich erstens die optische Aktivität einer Ver- bindung verschwinden, wenn zwei der am asymmetrischen Kohlenstoffatom haf- tenden Gruppen gleich werden, und zweitens eine glatte Umkehrung des opti- schen Drehungsvermögens erfolgen, wenn zwei Substituenten am asymmetrischen Kohlenstoffatom vertauscht werden. Von diesen beiden P'orderungen der Theorie ließ sich bisher nur die erste, und zwar durch Versuche an der Äthyl-isopropyl-malonamidsäure C.,H, . CONH, " ■ \ C '' i— C3H, /" ^ca^H und an der Allyl-propyl-cyan-essigsäure C3H,. CN i-CgH,^ ^CO^H bestätigen. Behandelt man nämlich die optisch - aktive Äthyl ■ isopropyl - malonamidsäure mit salpetriger Säure, so geht sie, wie die Gleichung I CH,, ,COoH " ■ "■;C( " +N., +H.,0 C,H/ \CO.,H zeigt, in die Äthyl-isopropyl-malonsäure über, die entsprechend der Theorie vollkommen inaktiv ist. In analoger Weise liefert die Allyl-isopropyl- cyan essigsaure bei der Behandlung mit Wasserstoff" in Anwesenheit von Platin nach der Gleichung II (Siehe nächste Seite.) die ebenfalls vollkommen inaktive Dipropyl-cyan- essigsaure. Die Aufgabe, auch die zweite Forderung der Theorie als zutreffend zu beweisen, hat sich bis- ') Vgl. Naturw. Wochenschrift Bd. VlII, S. lo, 1909. — Ebenda Bd. XI, S. 664, 1912. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4 CH.,.CH.CH, . XN CH3.CH.,.CH., ,CN CH3:CH.,-CH,' ^CO,H CH3.CH,-CH./ -CO.,H her — aus rein praktischen Gründen — experi- mentell noch nicht lösen lassen, jedoch ist zu er- warten, daß Fischer bei der Fortsetzung seiner Versuche das erstrebte Ziel erreichen wird. Die Durchfuhrung dieser Untersuchungen könnte manchem Leser zunächst überflüssig er- scheinen, weil die Ergebnisse ja ,, selbstverständ- lich" seien. Indessen ist doch zu bemerken, daß gerade in den experimentellen Wissenschaften die entsprechend den F"ortschritten der Wissenschaft immer wiederholte experimentelle Nachprüfung ihrer theoretischen Grundlagen eine Aufgabe ist, auf die nie zu große Sorgfalt verwendet werden kann. Alle experimentellen Arbeiten sind nur soweit zuverlässig, als die Genauigkeit der Ver- suche es zuläßt, und es ist daher die Pflicht des Forschers, immer dann, wenn wie im vorliegenden Falle die Zuverlässigkeit alter Ergebnisse durch neuere Forschungsergebnisse in Frage gestellt wird, die alten Versuche mit dem Rückzuge der neuen Erkenntnis zu wiederholen. Allen Arbeiten dieser Art, die ja, da sie besondere neue Ergeb- nisse im allgemeinen nicht erwarten lassen, an sich undankbar erscheinen, ist daher besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, hängt doch von der Sorgfalt, mit der sie durchgeführt sind, das Ver- trauen ab, das wir der Wissenschaft überhaupt zu schenken berechtigt sind. Mg. Biologie. Die statische Orientierung stellt der psychophysiologischen Forschung insofern eine besondere Aufgabe, als hier nicht etwa wie beim Tast- oder Lichtsinn ein momentaner Reiz eine Beantwortung hervorruft, sondern als der Reiz der Schwerkraft dauernd auf den Organismus einwirkt und daher einen anhaltenden Reiz aus- übt. Noch schwieriger ist es ein Urteil über die Raumorientierung besonders über das Ortsgedächt- nis und die Heimkehrfähigkeit gewisser Insekten (Bienen, Wespen, Ameisen und Termiten) zu ge- winnen. Von den verschiedenen Forschern, die sich mit dem Problem beschäftigt haben, wurden die widersprechendsten Anschauungen geäußert. Zur Erklärung nahmen die verschiedenen F'orscher ge- heimnisvolle, noch unentdeckte Kräfte an (Fabre, Bethe), eine „absolute, von allen sinnlichen An- hahspunkten der Außenwelt unabhängige innere Richtungskraft" (Cornetz), „eine absolute Kenntnis der vier Kardinalpunkte des Raumes" (Bertheidt), „Wahrnehmung des Erdmagnetismus" (Vignier) oder „infraluminärer Strahlen" (Duchatel), „ein nasaler Raumsinn" (Cyon), „eine minutiöse kinäs- thetische Regristierung sämtlicher beim Hinweg aus- geführter Körperdrehungen" (Bonnier, Reynaud, Pieron), „eine Polarisation chemischer Duft- teilchen" (Bethe). Die Ursache aller dieser Mißgriffe liegt nach einer Untersuchung von Brun (Das Orientierungsproblem im allgemeinen und auf Grund experimenteller Forschungen bei den Ameisen. Biologisches Centralblatt. Bd. XXXV. 1915. I. Teil; Über Raumorientierung im allge- meinen) an dem Mangel einer festeren theoretischen Grundlage, die der Verf. durch scharfe Definition der Begriffe und Klarstellung der in Betracht kommenden Erscheinungen zu geben versucht (siehe auch des Verf. Buch: Die Raumorientierung der Ameisen und das Orientierungsproblem im allgemeinen. G. Fischer Jena. 191 4). Unter Orien- tierung im Raum ist die Fähigkeit der Organismen zu verstehen, ihren Körper oder Teile desselben in bestimmter Weise auf die einwirkenden Reize einzustellen, bezw. ihre räumliche F'ortbewegung in irgendeiner gesetzmäßigen Weise auf die betreffen- den Reizquellen zu beziehen. Die zahllosen Erschei- nungen der Orientierungsmöglichkeiten lassen sich in zwei große Kategorien teilen, in die proprio- zeptive und exterozeptive Orientierung. Durch die propriozeptive Orientierung unterrichtet sich der Körper lediglich über seine absolute Lage zum Raum, indem er als Ganzes oder nur in Teilen sich in bestimmter Weise zur Schwerkraft einstellt (Geotropismus, Heliotropismus usw.). Diese Er- scheinungen werden als statische Orientierung be- zeichnet und zwar als plasmostatisch, wenn das Protoplasma als solches auf den Reiz reagiert oder als neurostatisch, wenn komplizierte Sinnes- organe eine prompte Reizbeantwortung auf die ständige Änderung des Körpergleichgewichtes ver- mitteln. Demgegenüber zeigt die djmamische Orientierung dem Körper Lageveränderungen durch Kinästhesien an, d. h. durch den verschie- denen Kontraktionszustand in den Muskeln (Muskel- sinn) oder durch die Art des Kraftaufwandes beim Besteigen eines Berges (Schwere- oder Kraftsinn) oder durch den Grad der Ermüdung beim Zurück- legen eines Weges (Strecken- oder Podometersinn). Die exterozeptive Orientierung unterscheidet sich von der ersten Art dadurch, daß hier ganz be- stimmte Punkte der Außenwelt durch die Sinnes- organe perzipiert werden und ganz bestimmte Äußer'jngen des Organismus hervorrufen. Sich im Raum exterozeptiv orientieren heißt also: Exterozeptive Reize auf den rezipierenden Sinnes- flächen scharf lokalisieren. Wenn ein enthaupteter Frosch an bestimmter Körperstelle mit Säure betupft wird, und reflektorisch mit dem Bein an der be- treffenden Stelle wischt, so ist das eine extero- zeptive Orientierung auf dem eigenen Körper. Die höchste Stufe wird erreicht durch die selbstän- digen Zielbewegungen, durch das Greifen, Zeigen, Abtasten mit den Fingern, das Fixieren mit den Augen usw. Sobald ein Körper imstande ist, sich fortzubewegen, richtet sich seine Orientierung auch auf fernere Ziele, die nicht immer sinnlich wahrnehmbar zu sein brauchen, aber immer nach Oualität und Quantität spezifische Reize ausüben, auf N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. welche der Organismus mit ganz bestimmter Orien- tierung antwortet. Ist das Ziel der Fortbewegung direkt sinnlich wahrnehmbar, so bezeichnet Wolf die Orientierung als unmittelbar oder direkt. Dabei kann es sich zunächst um einfache Reflexe handeln. So kriecht und springt ein Frosch nur solange nach der Fliege, als sich diese bewegt. Es kann aber auch ein Reiz eine Kette von Re- flexen hervorrufen, die unabhängig von der Fort- dauer des primär auslösenden Reizes ablaufen. Solche Instinktautomatismen werden manchmal durch bestimmte Erfahrungen oder Gewohnheiten der Tiere beeinflußt, ja sogar ganz ausgeschaltet, indem die Erfahrungen die Oberhand behalten. Die höchste Stufe der lokomotorischen Orientierungs- fähigkeit ist in der mittelbaren oder indirekten Orientierung erreicht, wenn das Ziel der Loko- motion nicht mehr sinnlich wahrnehmbar, sondern im „Sensorium", gewissermaßen im Gedächtnis, des Tieres aufbewahrt ist. Die einfachste Möglich- keit ist die, daß das Tier durch ein einziges mittelbares Zeichen (durch eine Art Wegweiser), das die gesamte Strecke begleitet, zum Ziele ge- führt wird. Das ist z. B. der Fall bei einer Ameisenstraße, die von dem am Fuße einer Mauer gelegenen Nest diese Mauer entlang zu einem Blattlausstrauch führt. Hier wird die Orientierung durch die Mauer gleichsam kanalisiert. Das Tier nimmt seine Richtung auf räumlich vorgezeichneter Bahn mit Hilfe eines einphasischen Eiigramm- komplexes, der in einer einzigen zeitlichen Phase sich einprägt. Stets ist dabei der orientierende Reiz- komplex in unmittelbarer Nähe der aufnehmenden Sinnesfläche gelegen. In solchen Fällen spricht man von „kanalisierter Orientierung". Bei der „freien" Orientierung geht der Reiz von relativ unendlich entfernten Quellen aus, wie bei der Orientierung nach der Sonne, oder (beim Schiff") nach dem magnetischen Pol. „Die relativ unendliche Entfernung bedingt einerseits eine Ubiquität der von ihnen ausgehenden Reizwellen und andererseits, daß diese letzteren innerhalb sehr weiter Grenzen in allen von ihnen getroffenen Punkten parallel einfallen". Die absolute Orien- tierungsrichtung wird demnach auch bei starker seitlicher Abweichung nicht geändert. So kommt eine Scheinorientierung zu stände, die wohl hin- sichtlich der Quelle, nicht aber hinsichtlich des erstrebten Zieles exakt ist. Es ist leicht ersicht- lich, daß die Fernwirkung durchaus nicht immer mit Hilfe eines einzigen einphasischen Engramm- komplexes vor sich zu gehen braucht. Während einer längeren Reise gelangt das Tier dadurch zum Ziel, daß es von dem Ausgangspunkt aus sich mit Hilfe wahrnehmbarer Punkte zurechtfindet, von denen es den Reiz zur Weiterreise erhält, bis es durch eine geringere oder größere Reihe zeitlich aufeinander folgender und daher mehr- phasischer „intermediärer Komplexe" am Ziel an- langt. Die indirekte Orientierung ist also nichts anderes als eine etappenweise fortschreitende Serie direkter Orientierungen, veranlaßt durch den inneren Trieb zur Reise, deren Richtung eben durch die verschiedenen Reizpunkte bestimmt wird. Die Rückkehr von einer solchen Reise ist aufzufassen als eine zweite Reise, deren Weg ebenso etappenweise veranlaßt und eingeschlagen wird wie der Hinweg, aber unabhängig davon im Laufe wiederholter Rückwege erworben wurde. Trotzdem bei der einphasischen Orientierung nur ein einziger Komplex wirksam ist, kann doch in den meisten Fällen eine bestimmte Richtung der Fortbewegung eingeschlagen werden. Sie beruht auf der räumlichen Anordnung des Kom- plexes und demgemäß auch auf der sinnlichen Aufnahme der einseitigen Reize. In dem Beispiel der Ameisenstraße liegt die Mauer beim Hinweg zum Blattlausstrauche rechts, sie wird mit dem Facettenauge und mit dem rechten Fühler wahr- genommen. Umgekehrt ist es bei der Rückkehr. Sobald aber die Ameisenstraße in einer Art Hohl- weg zwischen zwei gleichen Mauern verlaufen würde, wäre das Tier nicht mehr in der Lage, sich zielsicher zurecht zu finden. Ebenso schlecht orientiert würde das Tier sein, wenn es sich zwischen zwei Lichtquellen befände, oder wenn es auf einer allseitig gleichen Geruchsspur wandern würde. ' Dr. Stellwaag. Sind die Piastosomen Vererbungsträger? In einem Aufsatze im Jahrgang 1914 der Nalurwiss. Wochenschrift ') habe ich die Ansicht von Meves, daß neben den Chromosomen auch ge- formte Bestandteile des Cytoplasmas, die Piasto- somen (Mitochondrien) Vererbungsträger seien, einer Kritik unterzogen und bin zu dem Resultat gekommen, daß Meves mit seinen bisherigen Arbeiten einen Beweis für die Richtigkeit seiner Ansicht nicht hat erbringen können. Im Gegen- teil, aus den Beobachtungen von Meves kann man mit viel größerer Berechtigung den Schluß ziehen, daß die Piastosomen die ihnen zuge- sprochene Bedeutung nicht besitzen können. Daß selbst Meves diese Folgerung vorausge- sehen hat, zeigt eine Bemerkung am Schlüsse einer seiner Arbeiten, wo er gesteht: „Man wird daher in meinen Befunden am Seeigelei vielfach wohl mehr einen Beweis für das „Kernmonopol der Vererbung" erblicken, als den Gegenbeweis, den ich zu finden gehofft hatte." Inzwischen hat nun Meves zwei neue Arbeiten veröff'entlicht, die er als weitere Stützen für seine Anschauung, „nach welcher die plastosornatischen Bestandteile des Spermiums bei der Übertragung der erblichen Eigenschaften beteiligt sind", betrachtet. Auch diese Untersuchungen erschüttern indessen, um es gleich zu sagen, die Theorie vom „Kernmono- pol der Vererbung" unserer Ansicht nach nicht. Als Ergänzung zu dem zitierten Aufsatze sei aber hier über diese Untersuchungen — die übrigens, was Beobachtung und Technik anbetrifft, muster- ') N a c h t s h e i m , H., Sind die Mitochondrien Vererbungs- träger? Naturw. Wochenschr. N. K. 13. Bd., 1914. 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. gühig sind wie alle Arbeiten vonMeves — be- richtet. In der ersten Arbeit') beschreibt Meves die Befruchtung des Eies von Filaria papulosa unter besonderer Berücksichtigung des Verhaltens der Piastosomen. Filaria papulosa ist ein in der Bauchhöhle des Pferdes lebender Nematode. Die Spermien^dieser Species sind nach Meves rund- liche oder länglich rundliche Zellen, ähnlich ge- staltet wie Insektenspermatiden kurz nach .■\blauf der zweiten Reifungsteilung. Am vorderen Pol des Spermiums liegt in der Regel die Kern- substanz. Sie bildet nicht einen kompakten Körper, sondern die einzelnen Chromosomen liegen locker nebeneinander, sind zumeist sogar vollständig isoliert, so daß man unschwer ihre Zahl feststellen kann. Dabei ist von Interesse, daß nicht alle Spermatozoen die gleiche Chromo- somenzahl aufweisen. Bald sind fünf Chromo- somen, bald sechs vorhanden. Beobachtungen an verwandten Nematoden und anderen Tieren berechtigen uns zu dem Schluß, daß wir hier männchen- und weibchenbestimmende Sperma- tozoen vor uns haben. Die Weibchen von Fila- ria papulosa haben 12 Chromosomen in ihren somatischen Zellen und erzeugen Eier mit 6 Chro- mosomen. Befruchtet ein Spermatozoon mit 6 Chromosomen ein Ei, so entsteht ein Weibchen (6-j-6=i2 Chromosomen), vereinigt sich der Ei- kern hingegen mit einem Samenkern, der nur 5 Chromosomen besitzt, so entwickelt sich ein Männchen (6-|-5 = ii Chromosomen, die für das männliche Geschlecht charakteristische Chro- mosomenzahl). Die Chromosomen im Samen- faden der Filaria sind in eine cytoplasmatische Kappe eingebettet. Diese Kappe umschließt außerdem den sog. „Nebenkern", die plastosoma- tische Substanz. Im obersten Uterusende der begatteten Weib- chen, selbst im Eileiter, findet man die freien Spermien in großer Zahl. Vielleicht folgt schon im Eileiter dieBesamungder Eier. DasganzeSperma- tozoon dringt in das Ei ein, und während der Eikern seine beiden Reifungsteilungen durchläuft, wandelt sich das Spermatozoon in den männ- lichen Vorkern um. Es interessiert uns nun vor- nehmlich das Verhalten der plastosomatischen Bestandteile des Spermiums im Ei. Eine Zeit lang bleibt dieses an dem einen Pol des Eies oder in dessen Nähe unter der Zelloberfläche liegen, nimmt aber alsbald eine mehr rundliche Gestalt an. Die plastosomatischen Substanzen repräsentieren sich als eine körnigfädige Masse. Noch vor Ausbildung der ersten Richtungsspindel aber — die Reifungsteilungen gehen an dem entgegengesetzten Pole des Eies vor sich — lockert sich die plastosomatische Masse auf, und nunmehr findet in ähnlicher Weise eine „Aussaat männlicher Plastochondrien" ') in dem Ei statt, wie sie Meves bereits für die Befruchtung des Ascariseies beschrieben hat. Allmählich treten alle Piastosomen aus dem Spermienkörper in das Eicytoplasma über. Ein Unterschied gegenüber Ascaris zeigt sich insofern, als bei Pllaria die ausgewanderten Körner in eine Reihe kleinerer zerfallen, während dort der Zerfall noch in dem Spermienkörper stattfindet. Auf etwas späteren Stadien sind die Piastosomen des Spermiums nicht mehr als solche zu erkennen. Meves nimmt an, daß sie weiter zerfallen sind und sich infolge- dessen von den Piastosomen des Eies, kleinen Körnern, die ziemlich gleichmäßig durch das ganze Ei verteilt sind, nicht mehr unterscheiden lassen. „Muß man", so fragt dann Meves, „an- nehmen, daß die männlichen Plastochondrien nach ihrer Zerlegung im Eicytoplasma resorbiert worden sind?" Die Abbildungen von Meves legen freilich die Vermutung nahe, daß dem so ist, sie zwingen uns allerdings nicht zu dieser .'\nnahme. Wenn aber Meves meint, daß „zu- gunsten der letzteren Annahme sich kaum etwas anderes geltend machen läßt, als daß eine Per- sistenz der männlichen Plastochondrien im Ei mit der Monopolstellung unvereinbar ist, welche dem Chromatin der Samenzelle noch von vielen Seiten bei der Übertragung erblicher Eigenschaften eingeräumt wird", so vergißt er doch ganz, was er einerseits bewiesen hat, und was er andererseits beweisen muß. Bewiesen hat Meves nur, daß die männlichen Piastosomen mit dem Sperma- tozoon ins Ei gelangen. Selbst wenn wir mit Meves annehmen, daß sie nicht resorbiert werden, und daß ihnen noch eine weitere Bedeutung zu- kommt, so sind wir dadurch nicht auch zu der weiteren Annahme gezwungen, daß die Piasto- somen die Rolle von Vererbungsträgern spielen. Meves merkt nicht, wie er Hypothesen auf Hypothesen baut. Das zeigen auch seine weiteren Ausführungen. Auf weit vorgeschrittenen Furchungsstadien von Filaria beobachtete er dicke stabförmige Piastosomen (Plastokonten) in den Furchungszellen. Wie sich diese Plastokonten aus den Plastochondrien herausbilden, verfolgte er nicht, fahrt aber dann fort: „wie sie (die Herausbildung) aber auch vor sich gegangen sein möge, die Annahme erscheint mir unabweisbar, daß nicht nur die Eiplastochondrien, sondern auch die in der Eizelle ausgesäten und zerlegten männ- lichen Plastochondrien an der Entstehung der Plastokonten Anteil genommen haben. Männ- liche und weibliche Plastochondrien müssen sich also zu einem Misch produkt vereinigt haben". Die zweite Arbeit -) handelt von der Befruch- ') Meves, Fr., Über Mitwirkung der Piastosomen bei der Befruchtung des Eies von Filaria papulosa. Arch. f. mikr. Anat., 87. Bd., a. Abt., 1915. ') Plastochondrien = körnige Piastosomen : Anmerkung auf Seite 580 in meinem bereits satze. -) Meves, Fr., Über den Befruchtungsvorgang bei Miesmuschel (Mytilus edulis L.). Arch. f. mikr. Anat., 87. 2. Abt., 1915. h die 1 Auf- N. F. XV. Nr 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 tung bei der Miesmuschel. Die Samenfäden der Miesmuschel haben die für die Mehrzahl der tierischen Spermien charakteristische Gestalt. Auf den mehr oder weniger rundlichen Kopf, dem vorne ein Spitzenstück (Pcrforatorium) aufsitzt, folgt ein langer Schwanzfaden. Die plastosomatische Substanz befindet sich am hinteren Rande des Kopfes und besteht aus fünf kleinen Kügelchen. Bei der Besamung dringen sie mit in das Ei ein, lösen sich von dem Kopfe ab, lassen sich dann aber nicht weiter verfolgen, da die wenigen männ- lichen Piastosomen von den im Gegensatz dazu in großer Masse vorhandenen Kiplastosomen nicht unterschieden werden können. Überblicken wir die tatsächlichen Ergebnisse der beiden Arbeiten, so kommen wir zu dem Schlüsse, daß Meves um keinen Schritt weiter gekommen ist. Er hat an zwei weiteren Objekten bewiesen, daß die plastosomatische Substanz des Spermiums mit in das Ei gelangt. Daß den männlichen Piastosomen im Ei noch eine weitere Funktion zufällt, hat er nicht bewiesen, geschweige denn, daß sie Vererbungsträger sind. Alles spricht gegen diese Annahme, nichts dafür. Welche Be- deutung haben aber dann, so wird man fragen, die Piastosomen? Wir können wieder mit Meves' eigenen Worten auf diese Frage antworten. Er ist der Anschauung, daß die Piastosomen „allen Dififerenzierungsprozessen, welche sich im Verlaufe der Ontogenese abspielen, als materielles Substrat zugrunde liegen. Zu den Differenzierungs- produkten der Plastosomeii gehören nach meiner Meinung erstens die verschiedenen Faserstrukturen, wie z. B. die „Protoplasmafascrn" der Epidermis- zellen, die Fibrillen der glatten und quergestreiften Muskelfasern, die Neurofibrillen, die Bindegewebs- und Neurogliafasern usw.; zweitens auch die ver- schiedensten auffälligen chemischen Erzeug- nisse des zellulären Stoffwechsels, wie z. B. die Sekretkörner, das Fett, die Pigment- und Dotter- körner". Die Beobachtungen von Meves und zahlreichen anderen Forschern sprechen in der Tat sehr für die Richtigkeit dieser Anschauung. Damit ist die Bedeutung der Piastosomen nach Meves nicht einmal erschöpft. „Ihr Vorkommen in manchen Zellarten, z. B. in Nierenepithelien", sagt er weiter, „läßt mich vielmehr annehmen, daß sie noch eine andere Funktion besitzen müssen. Der Ausdruck Piastosomen ist aber auch dann anwendbar, wenn diese so benannten Struktur- teile nicht oder nicht ausschließlich zu verschiedenen Zwecken umgewandelt werden, sondern wenn sie bei den Bildungs- und Stoffwechsel Vorgängen Inder Zelle überhaupt nur In irgendeiner Weise hervorragend beteiligt sind." ') Neue Beobachtungen und Ex- perimente werden unsere Kenntnisse über die Bedeutung der Piastosomen erweitern und ver- tiefen. Daß ihre Bedeutung groß und mannig- faltig Ist, scheint mir nach den bisher vorliegenden Beobachtungen festzustehen. Nutzlos ist es aber, welter darüber zu streiten, ob die Piastosomen Vererbungsträger sind. Sie sind es ebensowenig wie z. B. die Centrosomen. Nachtsheim. ') Meves, Fr., Was sind die Piastosomen? II. Bemer- kungen zu dem Vortrag von C. Benda : Die Bedeutung der Zelleibstruktur für die Pathologie. Arch. f. mikr. Anat., 87. Bd., I. Abt., 1915. Bücherbesprechungen. Meyer, Arthur. Erstes mikroskopisches Praktikum. Eine Einführung in den Ge- brauch des MIkroskopes und in die Anatomie der höheren Pflanzen. Zum Gebrauche In den botanischen Laboratorien und zum Selbstunter- richte. Für Botaniker, Zoologen, Studierende des höheren Lehramtes, Pharmazeuten und Chemiker. Dritte vervollständigte Auflage. Mit 110 Abbildungen im Text. Jena 191 5. Wenn ein Werk wie das vorliegende neben dem Strasburger'schen Praktikum bestehen kann, wenn man ferner bedenkt, daß an den meisten Hochschulen die mikroskopischen Übungen nach dem ungedruckten „Praktikum" der einzelnen Lehrer abgehalten werden, so muß ohne Zweifel ein Interessentenkreis außerhalb der Hochschulen vorhanden sein, für den sich die Benutzung des Meyer 'sehen Buches empfiehlt. Es werden sicherlich Volksschuhllehrer und andere. Im Titel nicht aufgeführte, Berufskreise das Praktikum mit Erfolg benutzt haben und ferner benutzen. — Wenn man das Buch auf seine Eignung als Leitfaden für den Selbstunterricht prüft — was den Leser der „Naturw. Wochenschr." besonders interessieren dürfte — , so gelangt man zu dem Schlüsse, daß jeder mit den nötigen Vorkenntnissen Ausgerüstete sich ohne Bedenken an das Studium des Prakti- kums heranwagen kann. Selbst die einfachsten Handgrifte sind klar und genau beschrieben und das zu benutzende Material, ebenso wie die Rea- gentien werden überall beschafft werden können, wo eine Apotheke und eine Gärtnerei am Orte sind. — Als Vorbedingung für das Studium seines Praktikums verlangt der Verf. die Durcharbeitung eines Lehrbuches über allgemeine Botanik, ver- mittelt dem Lernenden aber trotzdem in allge- meinen Kapiteln die für das Verständnis des zu untersuchenden Materials notwendigen theoretischen Kenntnisse. Sehr dankenswert sind die historischen Hinwelse, die nicht nur dem Anfänger, sondern auch dem Fortgeschrittenen Gelegenheit geben, sich über den Entwicklungsgang der Pflanzen- anatomie zu orientieren. Wo der Verf. eine von der üblichen abweichende Nomenklatur gebraucht, begründet er sie, ebenso wie seine von anderen Forschern abweichenden theoretischen Anschau- ungen, In besonderen Anmerkungen, die auch stets die in Frage kommenden Literaturnachweise 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4 enthalten. — Ob sich die Mikrotom- und Färbe- technik — ohne Lehrer — für den Selbstunterricht eignet, muß die Erfahrung lehren. Der Verf. hat das Kapitel besonders deswegen in sein Buch aufgenommen, weil es von seinen vorgeschritteneren Praktikanten als Vorbereitung für eigene wissen- schafüiche Arbeiten benutzt wird. Aber vielleicht traut sich ein Autodidakt, wenn er die Kosten für die Apparatur nicht zu scheuen braucht, auch einmal an dieses Kapitel heran. — Die Abbildungen sind zum großen Teil nach Originalen in Strich- manier wiedergegeben, wodurch von vornherein Einfachheit und Klarheit geboten ist. — Wenn auch das Selbststudium der Anatomie der höheren Pflanzen mit Hille des vorliegenden Praktikums aussichtsreich erscheint, so mag zum Schluß doch darauf hingewiesen werden, daß der Verf sein Buch nicht für diejenigen geschrieben hat, die eine „unterhaltende Beschäftigung mit der „„scientia amabilis"" suchen", sondern für Leute, die „in die ernste Arbeit der botanischen Wissenschaften" eingeführt werden wollen. Wächter. Ostwald, Wo., Die Welt der vernach- lässigten Dimensionen. Dresden und Leipzig 1915, Theodor Steinkopff. — 5,75 M. Der durch sein Lehrbuch der Kolloidchemie wohlbekannte Verf, der seit Jahren bemüht ist, iür seine Disziplin Propaganda zu machen und sie zu allgemeiner Wertschätzung zu bringen, bietet hier in einer sehr leichtfaßüchen und angenehm zu lesenden Form die wichtigsten Tatsachen, Gedanken und Probleme der Kolloidchemie einem weiteren Pu- blikum dar. Bei der steigenden Würdigung kolloidchemischer Gesichtspunkte in vielen Zweigen der biologischen Wissenschaften und der Technik wird diese Darstellung, die einige in Amerika oftmals gehaltene Vorträge widergibt, allen will- kommen sein, die sich auf bequeme Weise einen Einblick in das behandelte Gebiet verschaffen wollen. Buder. Hartmann, M. und Ki^kalt, Praktikum der Bakteriologie und Protozoologie. 2. Teil: Protozoologie. 3. Aufl. Jena 191 5, Gustav Fischer. — 4M. Das 110 Seiten starke und mit 83 zum Teil farbigen Figuren ausgestattete Büchlein ist zunächst als Praktikum für den Medizin Studierenden ge- dacht und hat sich in dieser Eigenschaft gut be- währt. Darüber hinaus wird es aber auch dem Zoologen und Bakteriologen, der sich mit der Untersuchungstechnik der Protisten vertraut machen will, ein handUches Hilfsmittel sein. Durch die Erforschung der zahlreichen, durch Protozoen ver- ursachten Krankheiten — es sei nur an die Try- panosomen und Spirochäten erinnert — ist natur- gemäß das Interesse an diesen Lebewesen und damit auch an einer praktischen Einführung in ihr Studium in weiteren Kreisen rege geworden. Daß die pathogenen Formen vor allem berück- sichtigt werden, versteht sich bei der ganzen An- lage des Buches ohne weiteres. Doch ist es zu begrüßen, daß sich der Verf. nicht ausschließlich darauf beschränkt und auch solche nicht patho- gene Arten herangezogen hat, die aus entwick- lungsgeschichtlichen Gründen besonderes Interesse verdienen. Stets sind dabei die für die Be- schaffung des Materiales nötigen Anweisungen gegeben. Neben der kunstgerechten Fixierung und F'ärbung wird auch der Lebendbeobachtung einige Aufmerksamkeit geschenkt. Die Methode der Dunkelfeldbeobachtung scheint aber auf die- sem Gebiete noch wenig entwickelt zu sein, denn von ihr ist mit keinem Worte die Rede. Buder. Literatur. Goebel, K., Organographie der Pflanzen, insbesondere der Archegoniaten und Samenpflanzen. 2. Teil; Spezielle Organographie. I. Hell: Bryophyten. Mit 438 Textfiguren. Jena '15, Gustav Fischer. — 12,50 M. Strigel, Adolf, Geologische Untersuchungen der per- mischen Abtragungsfläche im Odenwald und in den übrigen deutschen Mittelgebirgen. Sonderabdruck aus den Veih. des Nat.-Med. Vereins zu Heidelberg. 2 Teile. Heidelberg '12 bis '14, Carl Winter. — 12,50 M. Hennig, Dr. K., Vom Wetter. Leipzig 'is, Theodor Thomas. — I i\I. Verworn, Max, Die Entwicklung des menschlichen Geistes. 3. Aufl. Jena '15, Gustav Fischer. — 1,20 M. Liesegang, Raphael Ed., Die Achate. Dresden und Leipzig '15, Theod. Steinkopff. — 4,80 M. Michaelsen, W., Beiträge zur Kenntnis der Land- und Süßwasserfauna Deutsch-Süd westafrikas. Lief. 3. (Cole- optera VII, Reptilia und Amphibia.) Hamburg '15, L. Fried- richsen & Co. — 4 M. Gesellschaft Luxemburger Naturfreunde, Festschrift zur Feier des 25 jährigen Bestehens. Luxemburg '15, Selbstverlag. Pascher, A. , Die Süßwasserflora Deutschlands, Öster- reichs und der Schweiz, Heft 5, Chlorophyceen 11 (^bearbeitet von Lemmermann f, Brunntaler f , Pascher). Jena '15, Gustav Fischer. — 6,40 M. Berger, Alwin, Die Agaven. Beiträge zu einer Mono- graphie. Jena '15, Gustav Fischer. — 9 M. Wagner, P.aul, Die Wirkung von Stallmist und Handels- dünger nach den Ergebnissen von 4— 14 jährigen Versuchen. Hell 279 der Arbeiten d. Deutschen Landwirtschaftsgesell- schaft. Berlin '15. Pax.F., Schlesiens Pflanzenwelt. Eine pflanzengeographi- sche Schilderung. Jena '15, Gustav Fischer. — lo M. Inhalte Wilh. Schneider, Über die Frage der geschlechtsbestimmenden Ursachen. 6 Abb. S. 49. Edw. Hennig, Ein neuer Stegosaurier aus Deutsch-Ostafrika. 4 Abb. S. 53. — Einzelberichte: R. WiUstätter und A. Stoll, Über die Beziehungen zwischen Chlorophyllgehalt und assimilatorischer Leistung der Blätter. S. 56. E. F'ischer und W. Brieger, Studien über die Allyl-propyl-cyan-essigsäure. S. 59. F. SteUwaag, Die statische Orientierung. S. 60. Fr. Meves, Sind die Piastosomen Vererbungsträger? S.öl. — Bücherbesprechungen: A.Meyer, Erstes mikroskopi- sches Praktikum. S. 63. Wo. Ostwald, Die Welt der vernachlässigten Dimensionen. S. 64. M. Hart mann und Kißkalt, Praktikum der Bakteriologie und Protozoologie. S. 64. — Literatur: Liste. S. 64. Manuskripte und Zuschriften Leipzig, Linnestraße I, erbeten. en an Privatdozent Dr. Job. Bu Verlag von Gustav Fischer in Je Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Reihe Sonntag, den 30. Januar 1916. Nummer 5. Über die Frage der geschlechtsbestimmenden Ursachen. Von Wilh. Schneider, Hamborn. [Nachdruck verboten.] Mit 6 Abbildungen. Nach dem Gesagten ergaben sich für getrennt- sein könnten, geschlechthche Wesen folgende Möglichkeiten : I. Das Geschlecht ist endgültig festgelegt (progame Bestimmung); b. in der Samenzelle. ir. Bei der Befruchtung fällt die Entscheidung über das Geschlecht (syngame Bestim- mung). a. Beiderlei Keimzellen haben entgegen- gesetzte Tendenz (deren verschiedene Stärke bei ihrem Aufeinanderwirken das Geschlecht entscheidet); 1. das Ei hat weibliche, die Samen- zelle männliche Tendenz; 2. das Ei hat männliche, die Samen- zelle weibliche Tendenz. b. Die eine Art von Keimzellen hat nur eine bestimmte Tendenz, die andere Art teils weibliche, teils männ- liche; 1. Eier teils mit männlicher, teils mit weiblicher Tendenz: cf) Samenzellen mit männlicher Tendenz, ß) Samenzellen mit weiblicher Tendenz. 2. Männliche Keimzellen teils mit männlicher, teils mit weiblicher Tendenz. «) Eizellen mit männlicher Ten- denz, ß) Eizellen mit weiblicher Ten- denz. c. Beiderlei Keimzellen haben teils männ- liche, teils weibliche Tendenz. Es ist also womöglich zunächst die Entscheidung zwischen Fall I und II zu treffen. Dabei müssen wir die Möglichkeit im Auge behalten, daß äußere oder innere Faktoren die Tendenz der Keimzellen progam beeinflussen können. Korscheit hat im Jahre 1882 die Entdeckung gemacht, daß ein kleiner Wurm, Dinophilus apatris, zweierlei Eier erzeugt, kleinere, aus denen Männ- chen, und größere (in jeder Richtung etwa 3 mal so große), aus denen VVeibchen hervorgehen. Hier liegt also der F"all i a vor. Die Befruchtung kann das Geschlecht nicht mehr ändern. Correns er- örtert allerdings (a. a. O. S. 56) die Möglichkeit, daß die kleineren Eier zur Aufnahme von Sperma- tozoen mit männlicher, die größeren zur Aufnahme von solchen mit weiblicher Tendenz bestimmt (Schluß.) Durch die weitere Annahme, daß alle Eier weibliche Tendenz haben, würde sich der Fall mit den Ergebnissen Correns' an Pflanzen (s. später) in Übereinstimmung bringen lassen. Ge- wiß ist zuzugeben, daß eine unbedingte Sicherheit sich nur dann ergeben würde, wenn auch bei parthenogenetischer Entwicklung die kleinen Eier Männchen, die größeren Weibchen lieferten. Das ist aber sicher der Fall bei der Reblaus, Phyllo- xera vastatrix, und anderen Phylloxera- Arten. ') Andere Beispiele, z. T. weniger feststehend, findet man bei Schleip (a. a. O. S. 183 und 184). Die jüngste Zellforschung hat in einer Reihe von Fällen einen Unterschied im Chromo- somenbestand bei Spermatozoen (oder Eiern) festgestellt, der als der Ausdruck (die Ursache?) verschiedenartiger Geschlechtstendenz anzusehen ist. Es könnte hier also die Möglichkeit I b verwirk- licht sein. Wir werden diese Fälle später besprechen. Bei den Ausführungen über epigame Geschlechts- bestimmung haben wir die Unwirksamkeit äußerer Einwirkungen kennen gelernt. Es wäre denkbar, daß eine Beeinflussung der Keimzellen vor der Befruchtung eher ermöglicht ist. Die Ver- suche in dieser Richtung haben besonders einen Einfluß der Temperatur und der Ernährung geprüft, sind aber für Pflanzen (Strasburger) durchweg, für Tiere fast völlig") negativ ausge- fallen. Man wird also innere Ursachen für die progame Festlegung des Geschlechts verantwort- lich machen müssen. Ein Einfluß des Alters der Eltern ist nicht festzustellen gewesen. Da- gegen hat R. H ert wig gefunden, daß überreife (wahrscheinlich auch frühreife) Eier des Frosches Männchen in großer Überzahl ergeben. Frühere Ver- suche (Pflüg er) hatten unklare F>gebnisse gehabt, weil sich (in manchen Rassen sehr zahlreiche) weib- liche Frösche später durch ein zwittriges Stadium hindurch in Männchen umwandeln. Bei Befruch- tung der Eier eines Weibchens mit dem Sperma verschiedener Männchen erhielt H ert wig Männ- chen und Weibchen in ganz verschiedenen Verhalt- es sich dabei um Eier lg unterdrückt ist, so ') Allerdings ist zu beachten, d; handelt, bei denen die Reduktionste: daß sie die doppelte Chromosomenzahl führen fsomatiscne oder diploide Parthenogenesis). Strasburger stellt diese Entwicklung, die bei Pflanzen die verbreitetste ist, zur Apo- gamie, um den Gegensatz zur Parthenogenese aus Eiern mit einfacher (haploider) Chromosoroenzahl scharf hervorzuheben (generative oder haploide P.). Doch hat sich seine Bezeich- nungsweise nicht eingebürgert. •^) Über Dinophilus vgl. Schleip, a. a. O. S. 193 "• Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 nissen. Daraus geht hervor, daß bei derGeschlechts- bestimmungauchdieTendenz der Samenfäden mitwirkte, daß hier also syngame Geschlechts- bestimmung vorliegt. Ähnliche Versuche, wie R. Hertwig mit Fröschen, hat Strasburger mit diöcischen Pflanzen gemacht, ^) doch ohne jeden Frfolg. Wir kommen somit für die rein progame Geschlechtsbestimmung zu demselben Ergebnis wie für die epi- game. Fs bleibt also, wenn wir die unter II ange- führten denkbaren Fähe überblicken, zu unter- suchen, ob es möglich ist, die Tendenz derKeimzellen festzustellen. Das scheint auf den ersten Blick nicht schwierig, können wir doch erwarten, daß die parthenogenetische Ent- wicklung uns wenigstens über die Tendenz der Eizellen eindeutigen Aufschluß gibt. Es wurde aber vorhin schon darauf hingewiesen, daß dabei doppeltchromosomige Eier, als mit be- fruchtungsbedurftigen nicht streng vergleichbar, ausgeschieden werden müssen. IVlit Stras- burg e r -j und Correns**) können wir annehmen, daß bei den Anpassungen, die zur Unterdrückung der Reduküonsteilung führten, Umstimmungen der Tendenz eingetreten sind. Daß solche mög- lich sind, ergibt sich aus der Beobachtung, daß z. B. bei Blattläusen aus unbefruchteten Eiern für gewöhnlich Weibchen, zeitweilig aber Männ- chen und Weibchen hervorgehen. *) Immerhin bleiben noch einzelne Beispiele für partheno- genetische Entwicklung aus Eiern mit einlacher (haploider) Chromosomenzahl. Aus dem Pflanzen- reich ist sie sicher nur lür das Armleuchtergewächs Chara crinita bekannt, das nur in weiblichen Exemplaren auftritt. Hier haben also die Eier weibliche l'endenz. Bei der Honigbiene gehen aber aus haploiden Eiern bekanntlich nur iVl ä n n c h e n hervor. Alle anderslautenden Be- obachtungen sind teils irrtümlich, teits sehr un- sicher. Entweder muß die Königin nach ihrer Wahl die Eier befruchten oder sie unbe- fruchtet ablegen können, oder die „Drohneneier" sind überhaupt nicht be fruchtbar, in welchem Falle die Mutterbiene sie von den be- fruchibaren Eiern muß u n t e rscheide n können, da sie sie doch in verschiedene Zellen legt. Beide Annahmen bieten ihre Schwierigkeiten; aber an der Tatsache, daß bei der Biene mindestens den „Männcheneiern" männliche Tendenz zukommt, ist ') Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Biol. Ceniralblati Bd. XX, S. 761 iT. — Überreife des Pollens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Speimakcrne erst kurz vor der Befruch- tung durch Teilung der generativen Zelle entstehen , womit das Alter der l'olleukörner ganz gleichgültig wird. Man denke auch an die Fälle (manche Gymnospermen), wo die Befruch- tung erst sehr lange nach der Bestäubung eintritt. ^J Über gesciilcchtsbestimmeude Ursachen. S. 488 ff. ^j Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts. S. 13 bis 15. *) Eine ausführliche Besprechung des Schrifttums über die Fortpflanzungszyklen bei Aphiden, Daphnien, Rotatorien u. a. Tierforraen findet man bei Schleip a. a. O. nicht ZU zweifeln. Nun ist es fraglich, ob hier ein ursprüngliches Verhalten vorliegt. Die merk- würdige Erscheinung, daß die Drohne mit der halben Chromosomenzahl auskommt, ist wohl später erworben, „da die Männchen ihre Herkunft ebensogut einer diploiden Generation verdanken müssen, wie die Weibchen. So dürfte auch in der sexuellen Umstimmung eines Teils der Eier, die dann ohne Befruchtung die männliche Ent- wicklungsrichtung einschlagen, eine abgeleitete Erscheinung vorliegen". ') Gestützt wird diese An- sicht durch die Untersuchung der Samenreifung. ^) Eine Chromosomenreduklion muß unterbleiben, da ja schon in den Mutterz eilen nur die einfache Chromosomenzahl vorhanden ist. Trotz- dem treten, offenbar als atavistische Erscheinung, noch beide Reife teilungen ein. Beim ersten Teilungsschritt wird ein kernloses Teilstück abge- schnürt, beim zweiten entsteht eine verkümmerte und eine normale Spermatide, w'elch letztere sich zum Samenfaden ausbildet ^j (Abb. 3). Unzwei- deutige Auskunft über die Tendenz der Eizellen geben uns nach dem Gesagten die Erscheinungen der Parthenogenese nicht.*) Abb. 3. Apis mellifica. a I. Spermatophytenteilung, und c II. Spermatophytenteilung. Abschnürung eines ker Dsen Plasmafragments f und einer rudimentären Spermatide 1 (Nach Meves aus Schleip.) Es ist selbstverständlich, das für die eben erör- terte Annahme einer „Umstimmung" der ursprüng- lichen Tendenz bei unbefruchtbaren Eiern nur dann ein Grund vorhanden ist, wenn solche abweichende Fälle sich dadurch mit anderen Beobachtungen in ') Strasburger, Über geschlechtsbestimmende Ursachen. S. 491. Denselben Gedanken vertritt Correns a.a.O. S. 73. ■-) Meves, Die Spermatocytenteilungen bei der Honig- biene. Arch. mikr. Anal. Bd. 70, 1907. Hier angeführt nach Schleip, a. a. O. S. 187— 1S8. ') Ganz entsprechendes Verhalten ist festgestellt für Ei- apogamie (somatische Parthenogenese) bei Pflanzen. Stras- burg er, Histol. Beitr. VII, 1909, S. 77 u. 78. ■■) Die künsihche Parthenogenesis würde die Frage eindeutig beantworten; doch hat man Seeigel nur bis zur Pluteuslarve züchten können. Von den durch De läge an- geblich d. künstl. Parth. erhaltenen Seeigeln war sicher der eine männlich. Ob die durch Anstechen von Eiern zur Entwicklung gebrachten Frösche (Bataillon) auf ihr Ge- schlecht untersucht werden konnten, ist mir nicht bekannt. N. F. XV. Nr. S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 67 Einklang bringen lassen. Solche liegen tatsächlich vor in den scharfsinnigen Versuchen von Correns und Strasburger. Correns^) experimentierte mit Bastardierungen zwischen der einhäu- sigen Zaunrübe Bryonia alba und der zwei- häusigen Bryonia dioica. Dabei ergab sich fol- gendes: I. Weibliche Blüten von B. dioica wurden mit Pollen von B. alba bestäubt. Die Bastarde waren durchweg Weibchen. Das zeigt, daß die Zweihäusigkeit sich gegenüber der Einhäusigkeit durchsetzt (denn die Bastarde sind eingeschlechtig); ferner, daßdieEizellensämtlichweibliche Tendenz haben. II. Weibliche Blüten von B. dioica wurden mit Pollen eines männlichen Stockes derselben Art be- stäubt. Die Nachkommen waren zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen. Da — nach Versuch I — die Eizellen alle weibliche Tendenz haben, so beweist Versuch II, daß die männlichen Keimzellen bei der Ge- schlechtsbestimmung mitwirken; denn sonst halten nur Weibchen entstehen müssen. Über die Tendenz der Samenzellen wird aber noch nichts entschieden. III. Weibliche Blüten von B. alba wurden mit Pollen von B. dioica bestäubt. Wie nach Versuch I vor- auszusehen, waren die Bastarde a 1 1 e z w e i h ä u s i g. Aber die Pflanzen waren zurHälftemännlich, zur Hälfte weiblich. Wieder zeigt sich, wie in Versuch II, der bestimmende Einfluß des Pollens, da nur dieser das Merkmal der Zweihäusigkeit übertragen kann. Die männlichen Keimzellen können nicht alle männliche Tendenz haben. Es hätten ja, bei ihrer Zweihäusigkeit, die Nach- kommen alle männlich ausfallen müssen. Ebenso- wenig natürlich haben sie alle weibliche Tendenz. P'olghch haben sie zur Hälfte männliche, zur Hälfte weibliche Tendenz. (P'all II 2 ß unserer Übersicht). -) Strasburger') geht bei seinen Überlegungen vom phylogenetischen Standpunkte aus. Wir können nur die Haupt- punkte herausheben. Bei zweigeschlechtigen Moosen vollzieht sich die Geschlechtertrennung bei Anlage der Geschlechtsorgane im eigentlichen Moospflänzchen, also in der haploiden Gene- ration, im Gametophyten. Bei diöcischen Arten ist sie dagegen in die diploide Gene- ') Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes. Berlin 1907. '') Correns hat seine Versuche nicht nur auf andere diöcische Pflanzen, sondern auch auf solche ausgedehnt, die neben rein männlichen oder weiblichen Stöcken noch Exem- plare aufweisen, welche männliche bzw. weibliche und Zwitter- blüten hervorbringen. Hinsichtlich der Ergebnisse wie auch der Kritik seiner Versuche muß auf die Originalliteratur ver- wiesen werden. Vgl. Correns, Die Rolle der männlichen Keimzellen bei der Geschlechtsbestimmung der gynodiöcischen Pflanzen. Ber. deutsch. Bot. Ges. 1908. — Strasburger, Über geschlechtsbestimmende Ursachen. 1910, S. 4S1 ff. '■') .\ußer der zuletzt zitierten Abhandlung in Heft VII der Histol. Beiträge 1909. Vgl. auch: Das weitere Schicksal meiner isolierten weiblichen Mercurialis annua-Pflanzen. Zeit- schrift f. Bot. Bd. I, 1909. ration verlegt und vollzieht sich, wie Stras- burger für Sphaerocarpus zuerst bewiesen hat, bei der Reduktionsteilung in den Sporen- mutterzellen. Aus der Vierzahl der Teilungspro- dukte geben 2 männlichen, 2 weiblichen Pflanzen den Ursprung. Bei farnartigenKryptogamen hat sich nun im Laufe der Stammesentwicklung mehrfach eine Differenzierung der Sporen inkleinerere (Mikrosp.) und größere (Makrosp.) vollzogen, und es geht aus ersteren immer ein männlicher, aus letzteren ein weiblicher Vorkeim hervor. Da nun aus einer Mutterzelle entweder Mikro- oder Makrosporen (nie beide) entstehen, so muß hier schon die Sporen mutterzelle eine bestimmte Tendenz haben, und die Reduktions- teilung ist von der Geschlechtstrennung (die sie bei Sphaerocarpus vollzieht) völlig ausgeschlossen. Da ferner bei den Phanerogamen die Pollen- und die Embryosackmutterzellen den Mikro- bzw. Makro- sporenmutterzellen entsprechen, so müssen sie wie diese schon geschlechtlich bestimmt sein, alle Pollenkörner also männliche, alle Ei- zellen weibliche Tendenz haben. Wie man sieht, kommt Strasburger hin- sichtlich der letzteren zu demselben Ergebnis wie Correns. Zur Erklärung der oben besprochenen Versuche nimmt er an , daß die Pollenkörner (genauer die Spermakerne) zur Hälfte starke, zur Hälfte schwache männliche Tendenz haben. Die schwache würde der weiblichen Tendenz der Eizellen unterliegen und somit bei der Befruchtung weibliche Nachkommen er- zeugen; die starke männliche Tendenz könnte sich aber gegenüber der weiblichen durchsetzen, so daß die Nachkommen männlich wären. Den Nachweis einer Abstufung der männ- lichen Tendenz in den Pollenkörnern führt Stras- burger durch folgende Versuche. Wir haben schon erwähnt, daß gelegentlich an männlichen Pflanzen des Bingelkrauts weibliche, an weiblichen männliche Blüten auftreten. Die weiblichen Blüten an mäiuilichen Planzen wurden mit dem Pollen die- ses Stockes bestäubt. Die Nachkommen waren nicht, wie man erwarten sollte, teils männlich, teils weib- lich, sondern a 1 1 e m ä n n 1 i c h. Umgekehrt lieferten weibliche Blüten, die mit dem Pollen männlicher, vereinzelt an weiblichen Stöcken erwachsenei Blüten befruchtet wurden, weibliche Nach- kommen. Strasburger erklärt die merkwürdige Erscheinung durch die Annahme, daß durch den Einfluß der Mutterpflanze die Pollenkörner an weiblichen Stöcken, die Eizellen an männlichen Pflanzen in ihrer Tendenz so geschwächt waren, daß sich diese nicht mehr durchzusetzen vermochte. (Durch diese Annahme können auch die Ergebnisse, die Correns an gynodiöcischen Pflanzen erhielt, erklärt werden.) Strasburger hat auch versucht, in dem färberischen Verhalten und dem Chromatinbestand der Pollenkerne morphologische Anhalts- punkte für die verschiedene Stärke ihrer mann- lichen Tendenz zu finden, aber ohne Erfolg. 68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 Andere Angaben haben sich nicht bestätigt.^) Dagegen sind solche bei einer ganzen Reihe von Tieren nachgewiesen , vor allem bei Insekten. ^j Damit kommen wir zu einem der bedeutungs- vollsten Ergebnisse moderner Zellforschung, zu der Lehre von den Geschlechtschromosomen. Zwei typische Beispiele mögen sie erläutern. I. Bei einem zu den Schnabelkerfen gehörenden Insekt, Protenor belfragei, finden sich in den Körperzellen des Weibchens 14, beim Männ- chen aber 13 Chromosomen. In dieser Zahl treten sie daher auch in der Äquatorialplatte der Geschlechtszellen vor der Reduktionsteilung auf. (Abb. 4 c, d). Beim Weibchen zeichnen sich 2 von ihnen durch Größe und abweichende Gestalt aus. IVIan nennt sie akzessorische Chromo- somen. Bei den Reifeteilungen werden sie wie die gewöhnlichen Chromosomen gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt, so daß das Ei 6 gewöhn- liche und I akzessorisches Chromosom enthält. :n-|- 2x(Weibch.) 2. Eine andere Wanze, Lygaeus turcicus, hat im männlichem Geschlecht 2 in Größe und Verhallen abweichende, ungleich große „Id lo- ch romosomen" von denen das größere mit x, das kleinere mit y bezeichnet wird (Abb. 5). Seine Formel ist also: n -|- x + y. Beim Weibchen sind beide Idiochromosomen gleich groß und stimmen an Größe mit dem x-Chromosom überein. Formel : n -f- 2 X. Die Hälfte der Spermien erhält das x-, die andere das y-Chromosom, während alle Eier gleichmäßig ein x-Chromosom führen. Es ergibt sich also: " + X (Ei) + " + X (Sperm. I) = n + 2 x (Weibchen) a m Abb. 4. Protenor belfragei. a .■\napliase der II. Spermatophytenleilung, b Tochterplatten derselben Teilung, c Äquatorialplatte einer Spermatogonie, d Äquatorialplatte einer Zelle aus dem Ovariura. X akzessorisches Chromosom. (Nach Wilson aus Schleip.) Das Manchen führt in seinen Zellkernen nur I akzessorisches Chromosom, das bei der Reduk- tionsteilung einer der Tochterterzellen zufällt (Abb. 4 a). Es entstehen also zweierlei Samen fä den, solche mit 6 gewöhnlichen Chromosomen, und solche, die außerdem noch ein akzessorisches Chromosom haben (Abb. 4 b). Bei der Befruchtung werden somit die Eier entweder mit 13 oder mit 14 Chromosomen ausgestattet; aus ersteren entstehen Manchen, aus letzteren Weibchen. Man sieht, daß eine schöne Übereinstimmung mit den Erfahrungen bei Pflanzen vorliegt. Auch hier sind die Eizellen alle gleichartig, und die Samen- zellen bestiminen das Geschlecht. Bezeichnet man die diploide Chromosomenzahl mit n, die akzessorischen Chromosomen mit x, so läßt sich das Verhalten bei Protenor und den diesem Typus folgenden Tieren durch die Formel aus- drücken : ') Über geschlechtsbestimmende Ursachen. S. 452 IT. ') An den Forschungen haben sich besonders amerikani- sche Korscher beteiligt. Das Schrifttum findet man bei Schleip, dem ich hier in der Hauptsache folge ; zum grofien Teil auch bei Strasburger, 191 o. -j- '^ (Ei) + + y (Sperm.II) = n + x + y (Männch.) Das nebenstehende Schema (Abb. 6) soll beide Fälle noch einmal zum Vergleich vorführen. Die bisher untersuchten Tiere zeigen in ihrem Verhalten mancherlei Abweichungen von diesen Typen. Völlig andere Verhältnisse liegen aber (nach Bai tzer 1909) nur bei Seeigeln vor. Bei ihnen scheinen zweierlei, in ihrem Chromosomenbestand unterschiedene Eier vorzuliegen, die Spermien aber alle gleichartig zu sein. Sollten sich^diese Beobachtungen bestätigen, so würde die Ge- schlechtsbestimmung hier beim Ei liegen.') Doch ist auch bei den Seeigeln das Mehr an Chromatin beim Weibchen, wie in den oben geschilderten Fällen. Es scheint also, daß die größere Chromatinmenge die weibliche Ten- denz herbeiführt oder doch ihr morpholo- gischer Ausdruck ist. Damit wäre ein höherer 1) Wie sich die Verhältnisse bei Dinophilus mit den Er- fahrungen über den geschlechtsbestimmenden Einflufl der männlichen Keimzellen in Einklang bringen lassen, ist auf S. 61 angedeutet. N. F. XV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 Gesichtspunkt gefunden, dem sich auch die Be- obachtungen an der Biene und — wie hier nicht näher ausgeführt werden kann — an Tieren mit Generationswechsel, z. B. den Blattläusen, unterordnen ließen. Die oben erwähnte Um- stimmung der parthenogenetischen Eier könnte man sich durch die Änderung des Chromatin- bestandes bewirkt denken. ^) Vorläufig ist , wie gesagt eine Ausdehnung der Befunde auf die Pflanzen nicht möglich. a b c d l^yg-ieus turcicus. c Äquatorialplalle einer Sp( togonie, d einer Ovogonie, a II. Spermatocytenteilung, b 'l'ochterplatten ders. Teilung, x größeres, y kleinere Idiochromosom. (Nach Wilson aus Schleip.) Richtungskörper Spermalog( Reduktionst. Sperm Ovogonium Spermatogonium Reduktionst. Spermien .^bb. 6. Schema des Verhaltens der Geschlechtschromosomen; I. Protenor-Typus, II. Lygaeus-Typus. Gewöhnl. Chromos. punktiert Geschlechtschromos. schwarz. x-Elemente größer, y-Elemente kleiner (Nach Schleip 1912.) Es ist noch kurz die Frage zu besprechen, ob die Vererbung der Geschlechtstendenzen den M e n d e r sehen Regeln folgt. Zunächst sind diese selbst, soweit es für unsere Zwecke nötig- ') Wie diese Wirkung 1. Zt. noch nichts aussagen, denken ist, darüber läßt scheint, in groben Zügen darzustellen. ^) Kreuzt man zwei Bohnen miteinander, von denen die eine weiß, die andere violett blüht, die sich sonst aber nicht unterscheiden, so erhält man Bastarde mit hell violett e n Blüten. Kreuzt man diese wieder untereinander, so sind die Nachkommen (mit geringen Abweichungen) zur Hälfte hellviolett, zu einem Viertel weiß und zueinemViertelviolett blühend. Diese beiden Viertel erweisen sich bei Selbstbe- stäubung als reinrassig wie die Stamm- eltern, die hellviolett blühende Hälfte spaltet bei Inzucht wie die erste Tochtergeneration. ^ Die Geschlechtszellen des einen Stammeiters haben übereinstimmend das Merkmal „Vio- lett"; es sind Homozygoten. Ebenso ist der andere Stammeiter homozygot, da allen seinen Geschlechtszellen dieses Merkmal fehlt. Die Bastarde sind aber hetero- zygot. (Das Merkmal, das sich bei ihnen durchsetzt, nennt man dominierend und bezeichnet es mit großem Buchstaben; das andere heißt rezessiv und wird mit kleinem Buchstaben bezeichnet.) Man nimmt nun an, daß bei der Bildung der Geschlechts- zellen in der i. Filialgeneration (F^) eine „Spaltung" der Merkmale eintritt, so daß die Hälfte das Merk- mal „Violett", die andere das Merk- mal „Weiß" erhält -j. Bei Selbst- bestäubung erhält man also in glei- cher .Anzahl die Kombinationen: Violett mit Violett; Violett mit Weiß; Weiß mit Violett; Weiß mit Weiß, woraus sich das Verhältnis 1:2:1 ohne weiteres ergibt. Be- zeichnen wir die Eltern = (paren- tale) Generation mit P, die Filial- generationen mit Fj, F., usw., ferner das Merkmal „Violett" mit V, sein Fehlen (= das Merkmal „Weiß") mit V, so erhalten wir folgendes Schema: P = VVund vv; (ihre Geschlechtszellen V bzw. v) F, =Vv; (ihre Geschlechtszellen V und v) F2(V + v)X(V + v) VV; Vv; vV; vv. Wie aus den Versuchen von Correns und Strasburger her- vorging, mit denen die Befunde bei vielen Tieren übereinstimmten, sind die Weibchen in bezug auf A-eise auf die Darstellung von W. Johannsen Gegenwart". HI. Teil, IV. Abt., Bd. I. Allg. zig 1915. Ihr ist auch das gewählte Beispiel ■^) Diese „Spaltung" scheint ihren Ausdruck in der Tren nung der konjugierten Chromosomen bei den Prophasen de Reduktionsteilung zu finden, weshalb man diese Chromosomci als homologe von väterlicher und müUerlicher Herkunft an sieht. Siehe S. 50. befruchtetes Ei befruchtetes Ei ? befruchtetes Ei d' befruchtetes Ei ') Ich ver m „Kultur der Bio logie. Leij 70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 ihre Geschlechtstendenz homozy gotisch, die Männchen heterozygotisch, und daß männliche Geschlecht dominiert. Bezeichnen wir entsprechend dem obigen Schema den „Männlichkeitsfaktor" mit M, sein Fehlen mit m, so erhalten wir: P = Mm (Männchen) und mm (Weibchen), für die männlichen Samenzellen also M und m, für die Eier m. Bei der Befruch- tung handelt es sich also um denselben Fall, als ob die F] -Generation mit dem rezessiven Stammeiter (Vv X vv im obigen Schema) rückgekreuzt würde. Das Ergebnis ist, für beide Fälle schematisch dar- gestellt : I. Keimzellen = V \ Es entstehen also, wie im einen Falle zur Hälfte violett, zur Hälfte weiß blühende Bohnen, so im anderen Falle zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen : Die Fi - Generation ist gleich der P-Generation. ') In diesem einfachen F'alle ist die Zurückführung der Geschlechtsverteilung auf die Mendel'schen Regeln somit leicht möglich, doch liegen andererseits noch mannigfache Schwie- rigkeiten vor.^) Vor allem ist zu beachten, daß das Zahlenverhältnis der Geschlechter durch- aus nicht immer lOO S '■ lOO $ ist, sondern manchmal erheblich davon abweicht. Daß es sich dabei um Zufälligkeiten handelt, wird durch die Konstanz des Verhältnisses bei derselben Art widerlegt.^) Ob dabei äußere oder innere Ursachen, etwa von der Art der in Hertwig's Versuchen wirksamen, in Betracht kommen, oder ob es sich ') Wo die Weibchen heterozygot sind (Seeigel), würden sie natürlich die Formel Ff, die (homozygoten) Männchen die Formel ff erhalten. •-) Vgl. Correns, a. a. O. S. 48 ff. ') Bei den verschiedenen Rassen innerhalb einer Art ist die Geschlechtsproportion allerdings zuweilen ungleich. Zahlen- angaben bei Schleip, a.a.O. für Tiere, bei Strasburger (Vers. m. diöcischen Pfl. 1900) für Pflanzen. Beim Menschen ist das durchschnittliche Verhältnis etwa 105 Knaben zu 100 Mädchen, doch kehrt es sich infolge gröfierer Sterblichkeit des männlichen Geschlechts später um. um erblich festgelegte, fest „eingefahrene" Ver- hältnisse handelt, ist vorläufig nicht zu entscheiden. Besonders wertvolle Einsicht in die Vererbung der Geschlechtstendenzen scheint neuerdings von der Aufklärung mancher Vererbungsfälle zu er- warten, die sich den Mendel'schen Regeln nicht fügen wollten. Dabei handelt es sich um ein Verhalten, das als geschlechtsbegrenzte Vererbung bezeichnet wird. Hier soll nur ein Beispiel angeführt werden.^) Wird ein gittriggemusterterPlymouth- Rock-Hahn mit schwarzen Hennen der- selben Rasse gekreuzt, so ist die Fj -Genera- tion in beiden Geschlechtern gegittert. Diese Färbung erweist sich somit als dominierend, der Hahn in bezug auf dieses Merkmal also homozygot. Bei Kreuzung eines schwarzen Hahnes mit gegitterten Hennen sind in der Fj - Generation eigenartigerweise alle Hähne wie die Mutter gegittert, alle Hennen wie der Vater schwarz. Zunächst ist klar, daß die Flenne hinsichtlich der Färbung h et e ro- zygot sein muß. Bezeichnen wir den „Gitte r- faktor" (engl. „Barred") mit B, sein Fehlen {= schwarz) mit b, so erhalten wir die Formeln : Hahn gegittert =; B B ; Henne gegittert = Bb „ schwarz = b b ; „ schwarz ^ b b Die Verteilung der Färbung auf die Ge- schlechter in der Fj - Generation bei der II. Kreuzung deutet auf einen Zusammenhang mit den Geschlechtsfaktoren hin. Aus anderen Versuchen geht nun hervor, daß auch hinsicht- lich der Geschlechtstendenz die Hähne homozygot, die Hennen heterozygot sind. Ihre Formeln sind also (wie oben beim Seeigel): ff für das Männchen, Ff für das Weibchen. Die gegitterte Henne müßte also, weil zweifach heterozygot (Bb, Ff) viererlei Geschlechtszellen bilden (BF, Bf, bF, bf). Da der schwarze Hahn als homozygot (bb, ff) nur Geschlechtszellen mit der Formel bf erzeugt, so ergäben sich für F-^ die Kombinationen Bb, Ff; Bb, ff; bb. Ff; bb, ff, also Hähne und Hühner von schwarzer und gegitterter Farbe in gleicher Zahl, was mit den Versuchsergebnissen in Widerspruch steht. Das nötigt zu der Annahme, daß zwischen dem Gitterfaktor B und dem Weiblichkeitsfaktor F eine „Abstoßung" besteht (bzw. eine „Koppe- lung" zwischen B und f), die es verhindert, daß beide Faktoren in derselben Keimzelle auftreten. Die Eizellen der gegitterten Hennen sind also nur von zweierlei Art, Bf und bF, und in der F,- Generation finden sich die Kombinationen Bb, ff und bb, Ff, gegitterte Hähne und schwarze Hennen. In übersichtlicher Darstellung: -) ') Nach Johannsen, a. a. O. .Andere Fälle ebenda und bei Schleip, a. a. O. 2) Nach Johannsen, a. a, O. S. 639. N. F. XV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. P-Gcneration: Hahn Henne 1. Hahn gegittert, Henne schwarz II. Hahn schwarz, Henne gegittert BB, ff — homozygot, gegittert bb, Ff — schw.arz bb, ff — homozygot, schwarz B b. Ff— heterozygot, gegittert Keimzellen | B,f b, f und b, F b,f B, f und b, F Fi-Generation: Hähne: Hennen : Bb, ff 1 Beide Geschlechter Bb, Ff 1 heterozygot, gegittert Bb, ff — heterozygot, gegittert bb. Ff - schwarz Die Annahme der Abstoßung bzw. Koppehing wird durch den Ausfall der F^-Generation, den wir hier nicht verfolgen wollen, und durch Rück- kreuzungen erwiesen. Als Ergebnis ähnlicher Zuchtversuche sei noch angeführt, d;iß beim Stachelbeerspanner die Weibchen, bei der Bananen- fliege Drosophila ampelophila und der Katze die Männchen heterozygot sind, ebenso höchstwahr- scheinlich beim Menschen. ') Die Möglichkeit, sonst unverständliche Vererbungserscheinungen durch die Annahme zu erklären, daß auch das Geschlecht den Mendel'schen Regeln folgt, läßt diese Annahme als gut begründet er- scheinen. (Schleip S. 302.) Als bisheriges Ergebnis der Forschungen über die geschlechtsbestimmenden Ursachen können wir zusammenfassend anführen : I. Die Keimzellen sind in ihrer Ten- denz progam bestimmt; die endgültige Entscheidung er folgt bei der Befruchtung, also syngam. ') Diese Angaben nach Johanns en, a. a. O. und Schleip, a. a. O. 2. Die Geschlechtsbestimmung liegt bei Pflanzen beim männlichen Ge- schlecht; Tiere verhalten sich in dieser Hinsicht verschieden. 3. Bei zahlreichen Tieren ist die ver- schiedenartige Tendenz an der Ver- schiedenheit des Chromatinbestandes zu erkennen. Dabei bestimmt ein Mehr an Chromatin das weibliche Geschlecht. Pflanzen zeigen solciie morphologischen Merkmale nicht. 4. DieVererbungderGeschlechtsten- denzen folgt sehr wahrscheinl ich den Mendel'schen Regeln; meist ist das weib- liche Geschlecht das homozygotische. Das Schrifttum ist nur soweit angeführt worden, als es für die vorliegende Übersicht unmittelbar benutzt wurde. Es findet sich angegeben in den Darstellungen von Schleip, Geschlechtsbe- stimmende Ursachen im Tierreich. Ergebn. u. Fortschr. d. Zoologie III. 3. H. 1912, und Stras- burger, Über geschlechtsbestimmende Ursachen. Jahrb. f. wiss. Bot. 1910. Zur Geschichte des Wisents (Bison eiiropaens Ow.). Von Dr. S. Killermann, Regensburg. Mit 3 Abbildungen. Polen, das „langweilige Land mit den endlosen Wäldern und Sümpfen" (Napoleon I.), hat nun eine Bedeutung erlangt wie wohl nie zuvor. Von der Natur an und für sich sehr stiefmütterlich bedacht, ist es durch das Schicksal zum Tummel- platz der Kriegsfurie geworden, und schrecklich sollen nach den Zeitungsberichten die Ver- heerungen sein, welche in ihm die einstigen Besitzer anrichteten. Mit Bangen fragt sich der Naturfreund, was aus Polens einzigem und größtem Naturschatze geworden ist, ob die Wisentherde im Urwalde von Bialowieza („Bjelowesch" auf polnisch) noch besteht und unter deutschem Schutze sicher geborgen ist. Der europäischen Wisent oder Bison (Bison europaeus Ow., auch bonasus L.) ') ist das größte Landtier Europas; wie sein amerikanischer Bruder, der Präriebüffel, zeichnet es sich durch gewaltige Ausmaße (Länge bis zu 3,5 m, Höhe bis zu 2 m), sowie durch Massigkeit der vorderen Körperpartien aus. Doch ist unser Wisent nicht so gebuckelt wie jener, ist gleichmäßiger behaart und klein- köpfiger, wodurch er proportionierter erscheint. Die Färbung ist einfach, kastanienbraun bis auf die schwarze Endquaste des Schwanzes. Stirn, Hinterkopf und Nafken sind mit krausen Haaren besetzt, die sich am Kinn und Halse und an der Brust zu einer zottigen Mähne verlängern. Das männliche Tier bekommt so wie der Löwe einen ') Vgl. H. Meerwarth, Lebensbilder aus der Tierwelt. I. Bd. Säugetiere 1. Bison und Wisent von E. Schaff. Über die Unterschiede der verschiedenen Bisonten vgl. die Studie von Dr. M. Hilzheimer, „Wisent und Ur im kgl. Naturalienkabinett zu Stuttgart". Jahreshefte des Vereins für vaterl. Naturkunde in Württemberg, 65. Jahrg. (1909), S. 241 bis 269. 72 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 ungemein stattlichen Charakter. Die Hörner sind dagegen nicht besonders mächtig (im Gegensatz zum Ur, einem zweiten Wildochsen). Sie sind verhältnismäßig kurz und ihre Zapfen nach Hilz- heimer etwa 26 cm lang; sie beschreiben zuerst eine Krümmung nach außen und vorn und nähern sich dann, fast halbmondförmig, in der Höhe mit der Spitze. Das Waldgebiet, in dem sich der Wisent in Europa, abgesehen von dem halbasiatischen Kau- kasus, bisher in freier Wildbahn erhielt, liegt zwischen den Städten Bialystok und Brest- Liiowsk. Die Größe dieses Urwaldes wird auf II 50 qkm angegeben. Im Jahre 1803 wurde er als unantastbares Kroneigentum erklärt. Der Forstdienst wurde von etwa 80 Familien besorgt, die eine Art militärische Organisation hatten. Sie mußten das Wild schützen und füttern. Das Töten eines Wisents wurde mit 150 Rubel Strafe und früher noch schärfer geahndet. Der Wildbestand scheint wenigstens im 19. Jahrhundert keine merkliche Einbuße erlitten zu haben. Die Zahlen, welche Brehm angibt, sind aber nach B. Szalay ') sicherlich übertrieben. Im Jahre 1885, als Brehm sein Werk herausgab, lebten nur 384 Wisente im Bialowiezer Urwald; früher mag die Zahl vielleicht 600 Stück betragen haben; gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts stieg sie wieder und zwar 1890 auf 403, 1891 auf 479 Stück. Unser Wisent ist im Gegensatz zum amerika- nischen Bison, dem einstigen gefürchteten Beherr- scher der endlosen Prärien, ein friedlicher Wald- bewohner. In fast unzugänglichem, von grundlosen Morasten durchzogenem Forste hält er sich am liebsten auf und nährt sich von den gewöhnlichen Waldpflanzen, von Laub und Baumrinden, wobei er besonders die Esche bevorzugt. Er lebt meist in Gesellschaft von 10 bis 20 Stück beisammen und soll nicht gerade angriffslustig sein. Von den in in Bialowieza lebenden Tieren heißt es, daß sie ziem- lich harmlos sind, vielleicht weil sie den Menschen verhältnismäßig oft zu sehen bekommen. Nur alte Bullen, die meist einzeln leben, sind leicht reizbar und daher gefährlich, ebenso die Kühe, wenn sie Kälber haben. Wie bei anderen Arten, so bekämpfen sich auch hier die Stiere manch- mal bis auf den Tod. Da die Kühe durch- schnittlich nur alle 3 Jahre kalben, ist die Ver- mehrung sehr gering und die Inzucht, welche zur Degenerierung führt, unvermeidlich. Die Trächtig- keitsdauer beträgt nach H ei n r o t h'-) etwa 9 Monate. Man hat Versuche gemacht, den europäischen wie den amerikanischen Bison an andere Stellen zu verpflanzen. Auf deutschem Boden unterhält Fürst Pleß im Walde von Mezerzitz in Schlesien eine kleine Herde von Wisenten; nach Schaff pflanzen sie sich regelmäßig fort, so daß hier und ') „Der Wisent im Brehm". Zool. Annalen VI. Bd. (1914), S. 47 — 67. Eine wichtige kritische Arbeit. 2) Zoolog. Garten 49. Jahrg. (190S) S. 18. da einzelne Stücke als seltenstes Wild Europas abgeschossen werden können und gelegentlich auch lebende an zoologische Gärten gelangen. In der hohen Tatra auf den Besitzungen des Fürsten Hohenlohe-Oehringen tummeln sich ameri- kanische Bisons ; M e e r w a r t h gibt in dem zitierten Werke von ihnen eine schöne photographische Abbildung.^) Auch von Kreuzungen der ver- schiedenen Bisonten ist die Rede; eine Umzüchtung derselben zu Haustieren, wie sie dem bekanntlich vor einigen Jahrhunderten (1627) ausgestorbenen Ur (Eos primigenius Boj.) zuteil wurde, scheint nicht möglich zu sein. Was die Geschichte des Wisents betrifft, so ist seine Existenz bereits für die diluviale Vorzeit durch Knochenfunde und namentlich durch die berühmten Höhlenmalereien in Süd- frankreich und Nordspanien (Font - de - Gaume, Marsoulas, Altamira u. a.) klar bezeugt. Vom Ur dagegen kennt man aus dieser Zeit keine Darstellung, sondern nur Knochenfunde. Es müssen damals ganze Herden von Wisenten gleich den amerikanischen Präriebüffeln sich auf den Steppen Europas getummelt haben. In den Höhlenmalereien glaubt man zwei verschiedene Arten zu erkennen, den großen hochbuckeligen Bison priscus Bojan, der dem Amerikaner nahe- steht, und den kleineren, jetzt noch lebenden, ziemlich geradrückigen Bison europaeus, von dem wir vornehmlich reden. In der klassischen Zeit lebte der Wisent nur mehr in Germanien und in den östlichen Gebieten Europas; aus dem Westen war er schon vollständig verdrängt worden. Aristoteles, der den Wisent ßöi'aaogheiQt, und Plinius, der bereits den Namen bison (veson) vorführt, weisen dem Tiere Germa- nien, Pannonien und Thrakien als Standgebiete an. O. Keller 1) glaubt, daß in der Sage vom maratho- nischen Stier des Theseus ein gelegentliches Vor- dringen des Wisents bis zur Nordgrenze von Attika verewigt sei und daß der Mythus von den feuerschnaubenden Stieren Jasons sich auf die heute noch im Kaukasus lebenden Wisente beziehe. Die römischen Kaiser, die bekanntlich ihr Volk gerne mit blutigen Tierhetzen und Gladiatoren- spielen zu befriedigen suchten, ließen neben asia- tischen und afrikanischen Tieren auch Wisente aus Germanien nach Rom bringen. F"ür die Zeit Neros ist das bezeugt durch den Dichter Cal- purnius Siculus (um 50 n. Chr.), der da singt: Vidimus et tauros quibus hirtae Jactantur per colla jubae, quibus aspera mento Barba jacet, tremulisque rigent palearia setis. 2) Vom polnischen Wisent finde ich merkwürdigerweise weder bei Meerwarth noch in anderen Werken eine Ab- bildung. Wir sind fast nur auf altes Material angewiesen (s. u.). ') Die antike Tierwelt, 1. Bd. (Leipzig 1909) S. 341. N. F. XV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 73 Ah! trepidi quoties nos descendentis arenae Vidimus in partes, ruptaque voragine terrae Emersisse feras . . .*) Auch der zu gleicher Zeit lebende Dichter und Philosoph Seneca kennt die Wisente, da er sie mit den langhörnigen Uren u. a. als Jagdbeute der Diana in der Tragödie Hippolytos (Phaedra) aufzählt. Unter Kaiser Domitian scheint man sogar den Versuch unternommen zu haben, die germanischen Wildbtiere zu dressieren. Martial spricht näm- lich in einem Epigramm (lib. I Nr. 105) von „gar- stigen Wisenten, die (in der Arena) ein gallisches Gefährt ziehen" (turpes esseda quod trahunt bi- sontes). Mit welcher Grausamkeit man bei solchen Dressuren damals verfuhr, läßt sich denken und auch „zwischen den Zeilen" aus einem anderen Epigramm desselben Dichters lesen, in dem kurz auf Wisente verwiesen wird, die infolge der langen Gefangenhaltung eine glänzend gescheuerte Haut bekommen hatten (Epigr. lib. IX Nr. 58). Für die spätere Zeit bezeugen der Geograph Pausanias (lebte von 138 — 180 n. Chr.) und der Historiker Dio Cassius (150 bis um 235 n. Chr.) das Auftreten der zottigen Wildochsen in den römischen Tiergärten und Zirkussen. Sie werden jetzt päonische Stiere genannt, woraus Szalay schließt, daß sie nun weniger aus Ger- manien, als aus Osteuropa (Balkan, Siebenbürgen, Südrußland), wo sie noch häufiger waren, bezogen wurden. In der frühgermanischen Zeit fließen die Quellen für die Geschichte des Wisents spärlicher, doch kommen sie aus unserem Lande selbst. Vor allem reden die leges Alamannorum (entstanden um 600 n. Chr.) von dem Tier unter dem Namen Auer; sie suchen die Jagd auf dasselbe, das wohl schon selten geworden war, zu regeln. In einer viel zitierten Stelle schildert uns das Nibelungen- lied den Helden Siegfried als gewalligen deutsclien Nimrod, der den Wildochsen kühn zuleibe geht: „Darnach scluoc er schiere einen Wisent und einen eich, Starker ure viere und einen grimmen schelch". (Vers 3504, 3505.) Als Ort dieser großen Jagd läßt sich die Gegend von Worms (Wasgauwald) feststellen; die Zeit mag vielleicht die der Hunnenkriege um 437 sein. Daß der Dichter sein eigenes Jahrhundert (1200) im Auge hat, ist wohl nicht anzunehmen. Die Voranstellung des Wisents in der Liste der Jagdbeute erscheint etwas auffällig, wie auch die geringe Zahl — nur ein Tier, ebenso nur ein Elchpaar; man deutet den „grimmen Scheich" als männlichen Elch. *) Der Wisent dürfte demnach in Westdeutschland seltener als der Ur gewesen sein. In Karls des Großen Jagdbeute figurieren „Bubali", das sind nach Szalaj' nicht Wisente, sondern Ure. Der Herrscher erlegte solche auf der Fahrt nach Regensburg (803) im Thüringer Wald (saltus hircanus) bei Neustadt a. d. Saale und später (807) bei .Aachen. Doch weisen verschie- dene Ortsnamen, z. B. Wisent bei Regensburg, Wisenttal in der fränkischen Schweiz, auf eine ehe- malige größere Verbreitung des in Rede stehen- den Tieres in Mitteldeutschland hin; den Bezeich- nungen liegt vielleicht ein besonders gutes Jagd- ergebnis zugrunde. Hin und wieder haben sich in Sammlungen alte Jagdstücke vom Wisent er- halten, so im Bamberger Domschatze. Der dort aufbewahrte, ehemals in Silber wie es scheint gefaßte „Trinkbecher Kaiser Heinrichs des Hl." (regierte von 1002 — 24) ist meines Erachtens ein Wisenthorn; es ist von gelbbrauner Färbung, etwa 25 cm lang, 12 cm hoch und 5 cm breit (vgl. Abb. i). Ob es sich hierbei um eine eigene Jagdbeute des Kaisers, vielleicht gar aus der Um- gebung von Bamberg (Wisenttal) handelt, darüber können luii Wrnniluiigen gehegt werden. ') „Und Stiere sahen wir, die eine flatternde, zottige Mähne am Halse haben, unter dem Kinn aber einen großen Bart, und dessen lange Haare auf der Wanne (im Winde) er- zitterten ... Ah I Wie oft sahen wir mit Entsetzen, wie sich die Erde unter unseren Füßen öffnete und aus sich die wilden Tiere ergoß..." Nach B. Szalay, Der Bison in Rom (Zool. Beobachter, 55. Jahrg.). Abb. I. Trinkhorn des Kaisers Heinrich des Hl. im Bam- berger Domschatze. Ein Wisenthorn 25 cm lang (am großen Bogen), 12 cm hoch und an der Mündung 5 cm breit. Gr. '/s- (Nach Phot. des Verf 1. " Merkwürdigerweise ist es gerade ein Franke, Hugo von Trimberg, um 1300 als Rektor an der Gangolfischule in Bamberg tätig, der uns in seinem bekannten, langatmigen, „Renner" ge- nannten Lehrgedichte von einem intimen Zuge im Leben unseres Wildochsen Kunde bringt: ,,Swenn ein ieger (Jäger) dem Wisentier sin iungin ') Vgl. Naturwiss. Wochenschr. XIII. Bd. (1S98) Nr. 23, S. 263—270: „Der Scheich des Nibelungenliedes" von P. Dahms. 74 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 (Jungen) nimpt, so kumpt (kommt) er schier in grozzem zorn gelauffen nach." (Vers 19253.) Die Hl. Hildegard, die älteste deutsche Naturforscherin, Äbtissin auf dem Rupertsberg bei Bingen (f 11 79), kennt den Wisent (wisant) sehr gut, vielleicht aus eigener Anschauung, und emp- fiehlt das Wildbret davon als sehr gesund. Albertus Magnus dagegen, der ein Jahr- hundert später lebte (f 1280), hat, obwohl er weit in deutschen Landen herumkam, den Wisent anscheinend nicht mehr gesehen. Seine Ausfüh- rungen sind in diesem Punkte etwas verworren; ausPlinius hauptsächlich übernommen, entbehren sie der Originalität bis auf einige Jägergeschichten, die Albertus irgendwo gehört und niederge- schrieben hat. Man gewinnt bei diesem Natur- forscher den Eindruck, daß er den Wisent doch eigentlich nicht näher kennt und daß dieses Tier gleich dem Ur damals in Mitteldeutschland nicht mehr vorkam. Die von mir aus sekundärer Quelle geschöpfte und an dieser Stelle') gebrachte Nachricht, daß sich der Wisent mit dem Ur und Elch im großen Neuburger Wald bei Passau bis ins 15. Jahr- hundert herein gehalten hätte, ist, wie ich hier nachtragen möchte, irrtümlich. ^) Bereits um die Wende des ersten Jahrtausends erscheinen die Wildochsen aus Mitteldeutschland durch die Kultur verdrängt. Dagegen müssen die östlichen und nördlichen Gebiete, Ungarn, Siebenbürgen, Moldau, Polen, Pommern und Ost- preußen noch mehr oder minder lange Zeit hin- durch einen ziemlich reichen Bestand an Wisenten aufgewiesen haben. Es zeigen sich auch dort schon frühzeitig Ansätze zur Schonung und Er- haltung des Tieres. In Ungarn gab es nach Szalay vom 11. bis 13. Jahrhundert das Institut der „königlichen Wisentjäger", die für das dem König reservierte Wild zu sorgen hatten. Nach einzelnen Jagdbericliten, die sich erhalten haben, wurde 1240 bei den deutschen Ordensbrüdern in Preußen gelegentlich des Besuches des Herzogs Otto eine große Jagd auf Wisente veranstaltet, in Pommern 1364 das letzte Tier dieser Art, ein riesiges Exemplar, durch Herzog Wratislaw V. und zu Friedrichsburg in Preußen 1595 durch Joh. Sigismund von Brandenburg ein Stück von 19 Ztr. und 5 Pfd. erlegt (nach Bujack und Szalay). 1775 soll bei Tilsit der letzte Wisent einem Wild- dieb zum Opfer gefallen sein. Polen aber blieb das Hauptgebiet für diese Tierart. Bilder vom Wisent sind uns aus der Zeit, wo derselbe noch häufiger war, nicht überliefert. Erst durch Meister A. Dürer gewinnen wir auch eine bildliche Vorstellung von dem zur hohen Jagd ge- hörenden, merkwürdieen Tiere. Ich habe schon an dieser Stelle ') auf die verschiedenen Zeichnungen des Wisents, die uns Dürer hinterlassen hat, auf- merksam gemacht, besonders auf die äußerst ge- diegene Federzeichnung, die 191 2 von Harry David im Britischen Museum entdeckt wurde. Durch die Güte des Herrn Dr. B. Szalay-N. Szeben bin ich in der Lage, die unsignierte Zeich- nung auch einigermaßen zu datieren. Im April 1501 wurden nach der D eich ler'schen Chronik (p. 634) in Nürnberg „5 Auerochsen" zur Schau gestellt und dem „Kunig" (Kaiser Maximilian) ge- schenkt. Auerochs war früher mit Wisent gleich- bedeutend. Offenbar hat Dürer diese Gelegen- heit zur Fertigung der Tierstudie benutzt. In dem für den genannten Kaiser bestimmten Gebet- buche (München, Kgl. Hof- und Staatsbibliothek), . erscheint ja auch eine Wisentzeichnung, freilich viel später (1515) geschaffen und nicht so gut wie die vorhin erwähnte. Abb. 2. Der Wisent bei Petrus Candidus fol. 59. (Nach Phot. des Verf.) 1) Vgl. Naturw. Wochenschr. N. F. XI. Bd. (1912) S. 789. '-) H. Stadler, Geschiclul.-zoolog. Studien usw. Mitt. S. 252. Abb. 3. Der Ur (f| bei Petrus Candidus fol. 61. (Nach Phot. des Verf.) Mit dem österreichischen Gesandten Frh. v. Herberstein und dem Naturforscher K. Gesner beginnt eine neue Ära in der Geschichte des Wisents. Der erstere (f 1566 zu Wien) kam öfters in diplomatischen Aufträgen nach Polen, mehrere Male (1528, 1550 und 52) auch nach Moskau; seine Reiseeindrücke und Beobachtungen legte er in einem Buche nieder, das 1556 zu Basel unter dem Titel erschien: „Rerum moscoviticarum 1) Naturw. Wochenschr. N. F. XI (1912): A. Dürer's Bilder vom WalrolS, Wisent und Elentier. N. F. XV. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. n Commentarii", Basileae, per I. Oporinum 1556, und ein Jahr darauf auch in deutscher Sprache zu Wien: „Moscovia, der Hauptstat in Reissen" usw. Herberstein interessierte sich sehr für die Wisente. Schon 15 17 hatte er den Wildpark von Troki besucht, wo solche gehalten wurden; als Jagdgast der polnischen Könige und auch sonst hat er wohl mehrfach Gelegenheit gehabt, das seltene Wild zu sehen. Er heist es suber (bison) und schreibt von ihm : „Sein Kopf ist kurz, die Stirne sehr breit, die Hörner weitabstehend und dann wieder (mit den Spitzen) einander zugewendet, wie zu Abwehr oder zum Kampf gerichtet ; man hat sie so groß gefunden, daß drei Männer da- zwischen sitzen konnten. An und für sich sind die Hörner kürzer und dicker (als beim Ur). Der Vorderkörper ist mit langen Haaren bekleidet, auch unter dem Kinne, wie mit einem Barte, auch am Nacken langhaarig. Er hat ein grobes, hartes Haar, nicht so schön schwarz wie der Tur (Ur) . . . Darum bin ich der Meinung, der Tur sei der Urochs, wornach in der Schweiz die Stadt Uri benannt ist, welche den Kopf dieses Tier auch in schwarzer Farbe mit gleichen Ochsenhörnern als Wappen führt." Im Jahre 1548 erhielt Herberstein auch einen toten „Tur" von König Sigismund August zum Geschenk. Dieser Ur soll nach Wien ge- bracht worden sein und bildet die Grundlage für das Bild, welches Herberstein und nach ihm Gesner von dem nun ausgestorbenen Tier veröffentlichten. Man ist aber von der Darstellung nicht recht befriedigt; Hilzheimer sieht hier nicht den flinken, gewaltigen, weithörnigen Ur, sondern einen „recht langsamen Mastochsen". Wir haben, wenn wir von der altgriechischen auf dem Vaphiobecher ') gegebenen Szene einer Urochsen- jagd absehen, kein sicheres Bild von diesem Wild- rind. Müßte das im Tierbuch des Petrus Can- didus'-) Mitte des 16. Jahrhunderts geschaffene Miniaturgemälde eines weithörnigen, aber lang- mähnigen Rindes mit sehr gelenkigem Körperbau sich auf den Ur beziehen lassen. Auch ein siche- res Wisentbiid findet sich in diesem Buche. (S Abb. 2 und 3). Der Holzschnitt, den Herberstein vom ') Keller C, Naturgeschichte der Haustiere (Berlin 1905)' S. 128. *) Das Tierbuch des Petrus Candidus, geschrieben 1460, ausgemalt im 16. Jahrh. (Codex Valicanus Urb. lat. 276). Zum erstenmal behandelt von S. Kill er mann. Zool. Ann. Bd. VI (1914). Wisent bringt, ist besser als der vom Ur, wenn auch nicht so gut wie die Dürer'sche Zeichnung. Herberstein's Bild wurde oft, insbesondere in den verschiedenen Auflagen des Gesner'schen Tierbuches, und bis in die neueste Zeit herein (vgl. die Arbeiten Nehring's) als Illustration zum Kapitel von den Wildochsen verwendet, während die Bilder Dürer 's und des Petrus Candidus ganz unbekannt waren. Gesner nun, der große Enzyklopädist der Naturkunde im 16. Jahrhundert, weiß über den Wisent nicht viel neues Material zu bringen. Er hat das Tier nicht gesehen. Als Standort desselben gibt er Slavonien, Ungarn und Preußen (Ostpreußen) an, was wir aus anderen Quellen für jene Zeit schon konstatiert haben. Ein Schüler Gesner's, Schneeberger, durch- streifte von Krakau aus auf mühsamen Fuß- wanderungen Polen und Litauen, um über die Wildochsen genauere Erkundigungen einzuziehen. Unter dem Schutz der polnischen Herrschaft hat sich der Urbestand des Wisents, wenn auch sehr verkleinert gegenüber der früheren weiten Verbreitung, bis auf unsere Zeiten erhalten. Eine Zähmung des Wisents ist noch nicht gelungen, wäh- rend das Brudertier, derUr, zum Teil in den heutigen Viehstapel aufgegangen ist. Hoffentlich wird der polnische Wisent vor dem Artentod, der uns schon so mancher schönen und mächtigen Tier- gestalt beraubte, bewahrt bleiben 1 Wenn ein neues Polen in den Wehen dieses Völkerkrieges geboren werden sollte „mit einer Zukunft, in der es die Eigenart seines nationalen Lebens pflegen und entwickeln kann" (der Reichskanzler am 19 Aug. 191 5), es gäbe wohl für dieses Land kein charakteri- stischeres Wappentier als den Wisent (Bison europaeus). Nachschrift. In der Leipziger Illustrierten Zeitung Nr. 3782 (145. Bd.) S. 852 findet sich unter dem 23. De- zember 1915 ein Photobild: Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern mit einem von ihm erlegten Wisent. Druckfehlerberichtigung. Zu meiner Arbeit „Die ausgestorbenen Maskarenenvögel" i m vorigen Jahrgang der Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. XIV (1915): S. 360, Sp. 2, Z. 3 von oben statt 15. lies 18. Ebenda Z. 9 von unten statt 1848 lies 1814. S. 370, Sp. I Anm. I unten statt Lenz lies Lorenz. S. 375, Sp. I, Z. 4 von unten statt Jukan lies Tukan. Ebenda, Sp. 2 ist die erste Zeile in die Mitte unter Ab- bildung 13 verstellt. Einzelberichte. Chemie. Die interessante Erscheinung einer Abnahme der Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion mit steigender Temperatur, die den Lesern dieser Zeitschrift bereits durch einen vor einiger Zeit erschienenen Bericht (vgl. Naturwiss. Wochenschrift, Bd. XIII, S. 218; 1914) bekannt geworden ist, läßt sich einem größeren Kreise von Zuhörern leicht mit Hilfe der bekannten „Landolt' sehen Zeitreaktion" vorführen (Anton Skrabal, Zeitschrift für Elektrochemie, Bd. XXI, S. 461 bis 463; 19' S)- Für die Ausführung der interessanten Landolt- 76 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 sehen Zeitreaktion stellt man sich zwei wässerige Lösungen von folgender Zusammen- setzung her: A. 1,8 g Jodsäure B. o,9 g Natriumsulfit NaaSOg • 5 H.,0 + 5 g lO proz. Schwefelsäure -f- 9,5 g ver- kleisterte Stärke in je einem Liter Wasser. Mischt man dann etwa in einem Becherglase je lOO ccm der beiden farb- losen und gut haltbaren Lösungen zusammen, so tritt nach einer kurzen — mit einer Stoppuhr oder einem Metronom leicht meßbaren — Zeit plötzlich eine tiefe Blaufärbung ein, eine Erschei- nung, die auch in Zaubervorstellungen bisweilen vorgeführt wird. Durch Verdünnung beider Lö- sungen vor dem Zusammengießen kann man die Zeit bis zum Eintritt der Reaktion leicht inner- halb weiter Grenzen variieren. Theoretisch sind die sich abspielenden Vor- gänge durch die Arbeiten von Hans Landolt, den Entdecker der Reaktion, und von A. Thiel aufgeklärt worden. Nach diesen Arbeiten verläuft die Landolt' sehe Zeitreaktion in drei Stufen: 1. Az + sso^'-^^j'-f 3S0," 2. J0,' + 5J' + 6H- = 3J2 + 3H,0 3- h + SO3" + H,0 = 2 J' + SO," + 2 H-, deren jede für sich der Beobachtung zugänglich ist. Die Geschwindigkeit der Landol t'schen Reaktion, d. h. die Zeit, die zwischen der Her- stellung des oben angegebenen Reaktionsgemisches bis zum Eintritt der Blaufärbung verstreicht, wird durch die Geschwindigkeit der beiden Teilreak- tionen I und 2 bestimmt. Nun ist die Teilreaktion 2 gerade diejenige, die nach den Untersuchungen von Skrabal unter geeigneten Versuchsbedingungen, nämlich wenn das Wasserstoffion H' in geeigneter Weise aus dem System entfernt wird, die Erscheinung eine Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit bei Steige- rung der Temperatur aufweist. Führt man also die Landolt 'sehe Reaktion unter solchen Be- dingungen aus, daß die Reaktionsgeschwindigkeit in erster Linie durch die Geschwindigkeit der Teilreaktion 2 bestimmt wird, dann muß sie sich zur Sichtbarmachung der in Frage stehenden Er- scheinung verwenden lassen. In der Tat konnte Skrabal zunächst die Teilreaktion i als zeit- bestimmenden Faktor ausschalten, indem er zu dem Reaktionsgemisch von vornherein einen großen Überschuß von Jodion in Form von Jodkahum setzte und dann die Reaktion, wie er es schon früher getan hatte, bei Anwesenheit eines großen Überschusses von Natriumsulfat verlaufen ließ. Er stelUe zwei Lösungen her: A'. 10 ccm 0,01 molarer HJOg-Lösung werden mit einer molaren Natriumsulfatlösung zu lOOccm aufgefüllt; B'. 10 ccm 0,01 molarer NaHSOg • 5 HjO- Lösung -|- 5 ccm einer 0,5 molaren KJ-Lösung -|- 10 ccm Stärkelösung werden mit der molaren NaoSO^-Lösung ebenfalls auf 100 ccm aufgefüllt. Mischt man gleiche Mengen der beiden Lö- sungen und kühlt den einen Teil des Gemisches mit Wasserleitungswasser (auf etwa 12" C) ab, während man den anderen Teil im Wasserbade auf etwa 30" C erwärmt, so beobachtet man, daß sich zuerst — nach etwa einer Viertelstunde — die abgekühlte Lösung und die erwärmte Lösung erst einige Minuten später bläut. „Die Erschei- nung ist sehr auffallend und auch aus der Ent- fernung deutlich wahrnehmbar." Mg. Anatomie. Bei der großen morphologischen Übereinstimmung des Mensehen mit den sog. anthropomorphen Affen bietet der Bau des Gehirns der letzteren besonderes Interesse. Das Laboratorium der vergleichenden Anatomie des naturwissenschaftlichen Museums in Paris er- warb kürzlich den Fötus eines Gorilla, über dessen Gehirnbau R. Anthony in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 9. August 1915 berichtete. (Sur un cerveau de foetus de Gorille. Prösentee par Ed. Perrier. C. R. Ac. sc. Paris, Nr. 6). Der Fötus war männlichen Geschlechts, vermutlich 6 — 7 Monate alt und stammte aus der Gegend von Bakiba im französischen Kongo- gebiet. Wie schon früher Deniker (1885) an einem beträchtlich jüngeren Exemplar derselben Art gefunden hatte, entspricht der Gorilla im Bau seines Gehirns von allen höheren Affen am meisten dem Menschen. Das vorliegende Gehirn eines Goriilafötus unterscheidet sich von dem eines gleichaltrigen Menschen durch die niedrige bis dahin erreichte Entwicklungsstufe. Seine Form ist weniger kugelig, die Stirnpartie mehr fliehend und die Unterseite der Orbhaipartie liegt nicht so niedrig, was für eine weniger ausgesprochene Krümmung der Nackenbeuge spricht. Das Profil der Norma late- ralis erinnert sehr an die Abdrücke auf der Innen- fläche des Schädels des quaternären Menschen von La Chapelle aux Saints und La Ouina. Kathariner. Entomologie. Einen automatischen, quan- titativ arbeitenden Fangapparat zum Studium der Insekten- und JVlilbenfauna des Bodens beschreibt Anton Krause im Centralblatt für Bakterio- logie IL Abteil. Bd. 44 S. 663. Neben dem rein mechanischen Mittel des Durchsiebens hat man schon seit längerer Zeit zur Feststellung der Fauna des Erdbodens und des verrottenden, den W'aldboden bedeckenden Laubes das Verhalten der hier hausenden Kerfe gewissen äußeren Ein- flüssen gegenüber ihrem Fange dienstbar gemacht. Bald ist es das Licht, das sie aus ihrem Aufent- haltsmedium hervorlocken soll, bald die F'euchtig- keitsverhältnisse, bald die Wirkung von Terpentin- und Petroleumdämpfen, und von Berlese ist schließlich die Wärme mit Erfolg herangezogen worden. Dieser Faktor ist es denn auch, den Krause seiner Methode zugrunde legt. Er konstruierte sich eine Art Wasserbad, das, wie N. F. XV. Nr. s Naturwissenschaftliche Wochenschrift. n aus der beigefügten Skizze ersichtlich, das Sieb mit dem zu untersuchenden Bodenmateriale um- greift und durch eine seitliche Heizvorrichtung erwärmt wird. Die vor der ganz allmählich von oben und vom Rande her wirkenden Wärme flüchtenden Kleintiere fallen schließlich durch die Maschen des Netzes in einen sehr steilen und glattwandigen Trichter und werden in dem untergestellten Sammelgläschen aufgefangen. Die Ausbeute soll überraschend hoch sein, und der ö l Autor glaubt sogar, die in einem so behandelten Materiale vorhandenen Organismen restlos heraus- holen zu köimen. Damit wäre aber ein Mittel nicht nur zur qualitativen sondern auch zur quantita- tiven entomologischen Analyse der verschiedenen Bodenarten gewonnen, die bisher kaum in Angriff genommen ist und, ganz abgesehen von den Inter- essen des Sammlers, für {)flanzenpathologische und bodenkundliche Untersuchungen von Bedeu- tung zu werden verspricht. B. Vorgeschichte. Zu unseren Ausführungen über die altsteinzeitliche Fundstelle !\larkkleeberg^ Kreishauptmannschaft Leipzig (Vgl. Naturwissen- schaftliche Wochenschrift 1915, S. 705) ist nach- zutragen, daß neuerdings auch E. Werth in einem jetzt gedruckt vorliegendem Vortrage („Das Diluvium der Umgegend von Leipzig mit beson- derer Berücksichtigung der Paläolithfundstätte von Markkleeberg." Zeitschrift der deutschen geolo- gischen Gesellschaft Band 67, 1915. S. 26 — 41) zu der Streitfrage der Datierung dieser Fundstätte Stellung genommen hat. Werth versucht eine Lösung der Schwierigkeiten vom rein geolo- gischen Standpunkt aus; er beschäftigt sich eingehend mit den Schottern am rechten Gehänge des heutigen Pleißetales und entscheidet sich auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung der in Frage kommenden Aufschlüsse für eine glaziale Natur der Markkleeberger Artefakte führenden Schotter und zwar sollen die Ab- lagerungen aus der vorletzten [R iß -j Eiszeit stammen. Die Artefakte selbst spricht Werth als acheuleenzeitlich an; in der Datierung der Artefakte kommt Werth also zu demselben Ergebnis, das bereits vor ihm Wiegers und Gagel ausgesprochen haben (Vgl. Natur wissensch. Wochenschrift 1915, S. 706). In der Deutung der geologischen Stratigraphie sind wir dagegen um eine neue Ansicht reicher: Gäbert und Gagel sind für die vorletzte Interglazialzeit, Wiegers für die erste Interglazialzeit, Werth jetzt endlich für die vorletzte Glazialzeit eingetreten. Angesichts dieser Tatsache haben die Geologen wirklich keinen Grund, den Archäologen ,,eine ganz verschiedene archäologische Auffassung" vorzuwerfen und zu rühmen, daß das ,, einzig sichere an der Fundstelle Markkleeberg die Stratigraphie sei." Über die ar- chäologische Stellung der Fundstücke ist im Laufe der Diskussion eine Einigung auf Acheuleen erreicht; lediglich Karl Hermann Jakob vertritt noch eine andere Meinung. Bei der geologischen Deutung stehen sich jedoch noch immer drei Ansichten gegenüber; welche von ihnen die richtige ist, wird die Zukunft lehren. Wernigerode a. H. Hugo Mötefindt. Kleinere Mitteilungen. Ein wichtiger Beitrag zur Frage unserer Volksernährung wird in dem Büchlein, das der bekannte Rostocker Pharmakologe R. Kobert jetzt in 2. Auflage neu herausgibt, geliefert. Besonders seit Einrichtung der fleischlosen Tage spielt der Ersatz des tierischen Eiweiß durch ent- sprechende andere nahrhafte Stoffe eine große Rolle. Aus den 58 Millionen Kilo Blut die in Deutschland jährlich zur Verfügung stehen, und bisher im wesentlichen nur für Düngerzwecke Verwendung fanden, lassen sich nun Speisen herstellen, die sowohl hinsichtlich ihres Nähr- wertes als auch ihres Geschmackes als Volks- nahrungsmittel in Betracht kommen dürften. Blut enthält bekanntlich Eiweiß (Fibrin), das besonders in dem bei seiner Gerinnung entstehenden sog. Blutkuchen enthalten ist, sich aber auch neben aufgelösten Salzen im Blutserum findet. Bedeu- tende Ärzte, Physiologen, Chemiker haben immer wieder unter Hinweis auf diese Zusammensetzung das Blut zur Verwendung für die menschliche Ernährung empfohlen. In vielen Gegenden Europas, so in Finnland, Schweden, den baltischen Provinzen, Oldenburg wird es auch schon z. T. seit langer Zeit in Brotform verwendet. Im Altertum war schon sein hoher Nährwert bekannt : Die sog. schwarze Suppe der an körperlicher Tüchtigkeit unter allen antiken Völkern hervorragenden Spar- taner soll (neben Fleischbrühe und Essig) haupt- sächlich aus Blut bestanden haben. 78 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5 Nach Mitteilung des Verf. soll sich in der jüngsten Zeit am Rhein ein von Apotheker Block- Bonn angegebenes Brot aus Blutbestandteilen ein- gebürgert haben. v. Aichberger. Bernstein an der Nordseeküste. Das Vor- kommen von Bernstein an der Küste der Ostsee ist längst bekannt, bildete doch der Bernstein in allen Perioden der Vorgeschichte ein beliebtes Tauschobjekt mit südlichen Gegenden. Weniger bekannt ist das Vorkommen von Bernstein an den Küsten der Nordsee, und gerade hier kommt er an einzelnen Stellen viel häufiger vor, als durchweg an der Ostsee, so daß er hier direkt erwerbsmäßig am Strande gesammelt werden kann. DerBernsteni stammt bekanntlich aus den Schichten des Mitteloligozäns, wo er als das Harz der Bern- steinkiefer abgelagert ist. Am meisten Bernstein findet man bekanntlich im östüchen Teile der Ostsee, namentlich an der Küste von Samland in Ostpreußen, wo die Bernstein führenden Schichten ausgebeutet werden, aber auch vom IVleere an- geschnitten werden. Bereits zur letzten Eiszeit sind mit dem Eis, das zur Hauptsache eine Ostwestrichtung besaß, aus dortiger üegend große IVIengen Bernstein entführt worden, die in der Ost- see zerstreut liegen, aber auch in den Ablagerungen Schleswig-Holsteins, namentlich im Mergel. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß der leichte Bernstein mit den Schmelzwassern des Eises weit nach Westen gelangte und dort ab- gelagert wurde. Jetzt werden dort in der Nordsee diese Schichten vom Meere bespült und die einge- schlossenen Bernsteinstücke werden ausgewaschen und treiben an den Strand. Selbst im Marschboden liegen viele Stücke, was sehr gut zu obiger An- nahme passen würde. Es gibt aber auch in Schleswig-Holstein verschiedene Ablagerungen aus dem Mitteloligozän, die Bernstein führen, so daß wohl die Möglichkeit besteht, daß auch diese Schichten einen Beitrag zu dem Vorkommen des Bernsteines an der Nordsee geliefert haben. Man kennt auch mehrere versunkene Wälder in der Nordsee, in deren Resten Bernstein vorkommt. Da aber diese Wälder nicht aus dem Tertiär stammen, so kann der Bernstein nur nach dem dortigen Lager verschwemmt sein. Es bleiben also nur noch die beiden ersten Möglichkeiten. Der meiste Bernstein wird auf der Halbinsel Eiderstedt gesammelt, wo man mehrfach kopfgroße Klumpen gefunden hat. Kleine Brocken kann man im Treibsei sehr häufig finden. Sonst findet man Bernstein am Strande der Halligen, sowie der größeren Inseln Amrum, Föhr, Sylt bis nach Rom im Norden. Auch südlich von Eiderstedt an der Dithmarscher Küste kommt er vor, jedoch ziemlich selten. In vorgeschichtlicher Zeit scheint der Nordseebernstein als Handelsartikel wenig oder nicht bekannt gewesen zu sein; denn in Gräbern aus jener Zeit sind selten Funde gemacht, die auf einen Tauschhandel deuten, wenn nicht die reichen Goldbeigaben in verschiedenen Grä- bern aus dem Bronzealter. Der Nordseebernstein unterscheidet sich äußerlich nicht von dem Ostsee- vorkommen ; man findet ihn in allen Farben, selbst schwarz, auch mit Insekten, Holzteilchen und kleinen Luftblasen. Die Stücke werden auf- gekauft für die Lackfabrikation. Philippsen-Flensburg. Cyprinenton. Im Unterboden des nördlichen Teiles von Schleswig- Holstein findet sich ein grau- blauer, sehr zäher Ton mit vielen Bruchstücken der großen isländischen Venusmuschel, Cyprina islandica, weshalb er unter dem Namen Cyprinen- ton bekannt ist. Besonders überall an der Küste von Alsen und der Steilufer der Meeresbuchten kann man ihn beobachten. Man war früher der Meinung, er sei eine präglaziale Meeresbildung; nachdem man aber an einer Stelle unter dem Cyprinenton eine entschieden interglaziale Süß- wasserbildung entdeckt hat, muß man ihn in die- selbe Zeit setzen. Rätselhaft ist bisher noch ge- blieben, wie es kommt, daß die dickschalige Venus- muschel nur in Bruchslücken zu finden ist. Wohl liegen alle Stücke einer Schale beisammen, doch niemals ganz. Der gewaltige Druck des Eises der späteren Eiszeit wäre wohl eine Erklärung, doch manche zarte Schale einer anderen Schnecken- oder Muschelart ist ganz geblieben. Bisher hat man hier noch nicht eine Erklärung finden können. Der Ton ist an anderen Arten ziemlich arm, doch kommen gelegentlich solche vor, alles Arten, die auf ein sehr gemäßigtes Klima zur Zeit der Ab- lagerung schließen lassen. Die eingesprengten Süßwassermuscheln stammen zweifellos von Schichtenstörungen. Da der Ton jeden Sommer das Objekt der Untersuchungen zahlreicher Geo- logen des In- und Auslandes bildet, dürften alle Rätsel desselben bald gelöst werden. Philippsen, Flensburg. Bücherbesprechimgen. Karny, Dr. Heinrich, Tabellen zur Be- sich ebenso wie der erste (siehe Naturwissensch. Stimmung einheimischer Insekten. Wochenschrift 1914) unter den angehenden Ento- II. Teil: Käfer. Wien 1915, A. Pichler's Witwe mologen viele Freunde erwerben. Er hat von & Sohn. — Preis geb. 2,15 M. den betreffenden Kapiteln der inzwischen erschie- Dieser II. Teil, der die Käfer behandelt, wird nenen Bro h mer'schen Fauna von Deutschland N. F. XV. Nr. S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 79 voraus, daß nicht nur die Bestimmung der Gat- tungen, sondern auch die der häufigeren und be- kannteren einheimischen Arten ermöglicht wird. Dr. Stellwaag. Geologische Karte von Preußen und be- nacnbarten Bundesstaaten. Lief. 191, enthaltend die Blätter Hermannsburg, Sülze und h-schede. Im Gebiet der Lieferung 191 treten nur Bil- dungen des Tertiärs zutage. Von besonderer Wiclitigkeit ist das Diluvium insofern, als hier die Glazialablagerungen der letzten Eiszeit die nördliche Grenze ihres geschlossenen Vorkommens erreichen. Ls sind die hande und Kiese des jungdiluvialen Lüneburger Eisvorstoßes, die in dünner Decke den altdiluvialen, aus Grund- moräne und Eluvioglazial der vorletzten Eiszeit autgeschütleien, in der nachfolgenden Interglazial- zeit stark zerstörten Plateausockel überziehen. Pur den Verlauf und die Richtung des Lüneburger Eisvurstoßes war das Vorhandensein von massigen Endmoranen-Rumpt bergen aus der Zeit der Haupt- vereisung (z. B. Bockiiiiger Holz westlich von VVardböhmen, Wierener Berge zwischen Suderburg und Wieren m der näheren Umgebung unseres Kartengebietes) von Bedeutung. Auch die vor- handene Talentwicklung übte ihren Einfluß auf den Verlauf dieses Eisvorstoßes aus. So waren das 5—6 km breite Örtzetal und das Allerurstrom- tal schon in der Haupteiszeit angelegt und dienten zur letzten Eiszeit erneut als hauptsächlichste Ab- flußwege der südlich gerichteten Schmelzwasser. Das alles ist in der heutigen geologisch morpho- logischen Gestaltung unseres Kartengebietes er- kennbar. Von einwandfreien zwischeneiszeitlichen Bil- dungen und Ablagerungen ist im Kartengebiet selbst bisher nichts beobachtet worden (vgl. da- gegen in der nächsten Umgebung die interglazialen Kieselgurlager von Winkel und Ohr — Blatt Unter- lüß, die interglazialen Torfe und Tone auf den Blättern Celle und Beedenbostelj. Aber es zeigen sich die Spuren dieser Diluvialepoche allgemein in einer unverkennbaren, z. T. mächtigen Ver- wilterungsnnde des unteren Geschiebemergels und in einer starken, tiefgehenden P'errettisierung der älteren Sande und Kiese des Gebietes. Vom Alluvium sind namentlich typische Wannenmoore hervorzuheben, die im Talgebiet der Örtze (Blätter Hermannsburg und Sülze), aber auch in dem das Aschental (Blatt Eschede) queren- den Streifen einer unregelmäßig geformten Niede- rung auftreten und meist den Charakter von Zwischenmooren und Hochmooren besitzen. Anregungen und Antworten. Herrn Rektor R. in Quedlinburg. — Abbildungea von Versteinerungen aus den Kreideschichten nördlich des Harzes (der sog. subhercynen Kreiaelormalionj sind in vielen wissenschaltlichen Einzelwerken zu finden. Zur Bestimmung von Fossilien müssen natürlich auch Arbeiten über Kreide- versteinerungen aus entternteren Gebieten herangezogen werden. Kine Autzäblung selbst aller nur für das engere Gebiet in trage kommenden Arbeiten würde zu weit führen; es seien deshalb nur einige der wichtigsten genannt, aus denen dann übrigens die weitere Literatur ersichtlich ist. Die wichtigsten älteren Werke, auf die immer wieder zurück- gegritlcn werden muü, sind zunächst: F. Koemer, Die Ver- steinerungen des norddeutschen Kreidegebirges (,1841) und dann vor allem die aus den Jahren 1S71 — IS77 stammenden Arbeiten von Clemens Schlüter: Cephalopoden der oberen deutschen Kreide (Palaontogtaphica Bd. 21 und Bd. 24J ; Kreidebivalvea , Zur Gattung inoceramus (Paläontographica Bd. 24J. Aus späterer Zeit seien augeführl: G. Muller, Beitrag zur Kenmnis der oberen Kreide am nördlichen Harz- raude (Jahrbuch der kgl. preuü. geol. Landcsanstalt für 18S7J, Griepenkerl, Versteinerungen der senonen Kreide von Königslutter (l'aläontolog. Abhandlungen von Dam es und Kays er Bd. 4, Heft 5, 1S89;, G. Müller und A. Wolle- mann, Die MoUuskenlauna des Untersenon von Braunschweig und Usede (Abhandlungen der kgl. preuü. geol. Landesanstalt. Neue Folge Heft 25 u. 47, 189S bzw. igoüj, H. Schroeder und J. Boehm, Geologie und Paläontologie der Subhercynen Kreidemulde (Abhandig. d. kgl. preuß. geoL Landesanslalt, Neue Folge Heft 56, I909). P. Wetter-Monatsübersiclit. Innerhalb des vergangenen Dezember kamen in allen Teilen Deutschlands mehrere schroffe WiUerüngsumschläge vor. Zu Beginn des Monats ließ der überall außer im west- lichen Küstengebiete herrschende Frost sehr rasch nach. Im westdeutschen Binnenlande wurden an vielen Orten schon am I. Dezember 10° C erreicht und an den folgenden Tagen überschritten; am 5. stieg das Thermometer in Geisenheim auf 17, am 6. z. B. in Frankfurt a. M., Stuttgart, Erfurt und Tampcrafur-Sßinima ciniaerSrfcimBeiembcr 1915. iDiiemlcr 6. n. 'le. V. * ii. äl. Halle bis auf 16° C. Nachdem am 7. auch im östlichen Ostseegebiete trübes TauweUer eingetreten war, klärte sich in den meisten Gegenden der Himmel vorübergehend auf und Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. S erfolgte überall ein jäher Temperatursturz. Aber schon nach zwei Tagen kehrte die frühere milde Witterung wieder; am n. blieben selbst die tiefsten Temperaturen verschiedener Orte über io° C und brachten es Mülhausen i. E. und München auf 17, Dresden auf 18, Karlsruhe sogar auf 19" C Wärme. Gegen Mitte des Monats fand in Süddeutschland , seit dem 18. auch im Norden eine sehr bedeutende Abkühlung statt, die nach kurzer Aufheiterung des Wetters noch be- trächtlich zunahm; in der Nacht zum 22. hatten z. B. Lands- berg a. W. 18, Greifswald 20, Neustrelitz 22° C Kälte. Aber noch vor dem Weihnachtsfeste stellte sich in fast ganz Deutschland neuerdings regnerisches Tauwetter ein, das bis zum Schlüsse des Jahres ununterbrochen anhielt. Die mittleren Temperaturen des Monats lagen in Nord- deutschland ungefähr um 2', in Süddeutschland sogar bis zu ^^icdor^c^ra^ö^sT^en im Bc|em^r 1915. o'^n"=S,gJ « fe n S S E »;i ng B^i 1 MifflererWertKr Peufsciilancl. ■Hi 5 Grad über ihren normalen Werten. Dabei war die durch- schnittliche Bewölkung an vielen Orten geringer, an anderen, namentlich in den Großstädten, in denen der Himmel meistens mit Nebelgewölk bedeckt war, noch bedeutender als gewöhn- lich. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne im letzten De- zember nur an 24 Stunden geschienen, während hier im Mittel der früheren Dezembermonate 34 Sonnenscheinstunden ver- zeichnet worden sind. Noch ungewöhnlicher als die hohen und tiefen Tempera- turen waren die außerordeutliche Häufigkeit und Menge der Niederschläge, die der Dezember den meisten Gegenden Deutschlands gebracht hat. Nachdem der Monat überall mit leichten Schnee- und Regenfällen begonnen hatte, traten am 2. Dezember in Süddeutschland lange anhaltende heftige Regengüsse ein, die sich allmählich nach Norden und Osten weiterverbreiteten. Vom 2. bis 4 früh fielen z. B. in Mün- chen 24, in Metz 34, in Passau 41 und in Karlsruhe 59, vom 3. bis 5. in Bremen und in Hamburg 26, in Essen und in Ilmenau 27, in Remscheid 35 mm Regen. Auch in der folgenden Zeit wiederholten sich die Regenfälle in allen Landesteilen in größerer oder geringerer Stärke sehr häufig. Dazwischen kamen im östlichen Ostseegebiete vielfach Graupel- und Hagelschauer vor und seit dem II. fanden da- selbst ziemlich starke Schneefälle statt, die eine mehrere Zentimeter hohe Schneedecke zurückließen. Vom 14. bis 20. Dezember waren die Niederschläge im Binnenlande seltener und gering, während sie an der Küste noch ziemlich häufig blieben. Im Laufe des 20. traten zu- nächst im Nordseegebiete Schneefälle ein, die sich rasch süd- ostwätts fortpflanzten und mehrere Tage lang anhielten. Dann gingen sie abermals in Regen über und auch in den letzten Tagen des Monats fanden in allen Gegenden mehr oder we- weniger heftige Regenfälle statt. Die Niederschlagssumme des Dezember belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 102,4 mm und war 50 mm größer als im Mittel der früheren Dezembermonate seit 1S91. In keinem dieser 24 Monate sind in Deutschland auch nur annähernd so viel Niederschläge gemessen worden. Mit den r.aschen Temperaturwechseln und starken Nieder- schlägen stand die allgemeine Anordnung des Luftdruckes im Dezember durchaus im Einklang. In Westeuropa traten ziem- lich zahlreiche tiefe barometrische Minima auf, von denen nicht wenige in Begleitung dampfgesättigter starker, bisweilen stürmischer Südwestwinde nach der Nordsee und dann weiter ostwärts vordrangen. Im Süden der Depressionen befanden sich gewöhnlich mäßig hohe Barometermaxima. Von einem anderen Hochdruckgebiete wurde oftmals, besonders im letzten Drittel des Monats, die skandinavische Halbinsel bedeckt, wo sich daher bei ziemlich ruhigem, klaren Welter außerordent- lich strenger Frost ausbildete. In Haparanda z. B. herrschten seit dem 22. Dezember öfter 30, am 23. sogar 32" C Kälte. Dr. E. Leß. Literatur. Pfeiffer, Ludwig, Die steinzeitliche Muscheltechnik und ihre Beziehungen zur Gegenwart. Jena '14, Gustav Fischer. — 15 M. Tschermak, Gustav, Lehrbuch der Mineralogie. 7. Aufl. bearbeitet von Fr. Becke. Wien und Leipzig '15, Alfred Holder. — 20 M. Hayek, August Edler von. Die Pflanzendecke Öster- reich-Ungarns. Bd. I. Lief. 2 — 4. Leipzig und Wien '14, Franz Deuticke. — Je 5 M. Rabenhorst, L. , Kryptogamenflora von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ed. 6. Lebermoose von Karl Müller. Lief. 24. Leipzig '15, Eduard Kummer. — 2,40 M. Hartmann, M. und Kißkal t, Praktikum der Bakterio- logie und Protozoologie. 2. Teil: Protozoologie. 3. Aufl. Jena '15, Gustav Fischer. — 4 M. Verworn, Max, Allgemeine Physiologie. Ein Grundriß der Lehre vom Leben. 6. Aufl. Jena '15, Gustav Fischer. — 17,50 M. M u c h , Hans , Die Immunitätswissenschcft. Übersicht über die biologische Therapie und Diagnostik für Ärzte und Studierende. 6 Tafeln und 7 Textfiguren. Würzburg '14, Curt Kabitzsch. — SM. Linden, Gräfin von, Parasitismus im Tierreich. (Die Wissenschaft.) Bd. 58. Braunschweig '15, Friedr. Vieweg & Sohn. —SM. Heymans, G., Die Gesetze und Elemente des wissen- schaftlichen Denkens. Ein Lehrbuch der Erkenntnistheorie in Grundjügen. 3. Aufl. Leipzig '15, Joh. A. Barth. — 12 M. Karny, Heinrich, Tabellen zur Bestimmung einheimi- scher Insekten. II. Käfer. Wien '15, A. Pichler's Witwe & Sohn. — 2,15 M. Inhalt I Wilh. Schneider, Über die Frage der geschlechtsbestimmenden Ursachen. 6 Abb. S. 65. (Schluß.) S. Killer- mann, Zur Geschichte des Wisents (Bison europaeus Ow.). 3 Abb. 8.7:. — Einzelberichte: A. Skrabal, Abnahme der Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion mit steigender Temperatur. S. 75. R. Anthony, Gehirn der anthro- pomorphen Affen. S. 76. A. Krause, Automatischer, quantitativ arbeitender Fangapparat zum Studium der Insekten- und Milbenfauna. I Abb. S. 76. E. Werth, Altsteinzeitliche Fundstelle Maikleeberg. S. 77. — Kleinere Mitteilungen : R. Kobert, Beitrag zur Frage unserer Volksernährung. S. 7;. Philippsen, Bernstein an der Nordseeküste^ S. 78. — Cyprinenton. S. 78. — Bücherbesprechungen: Heinrich Karny, Tabellen zur Bestimmung einheimischer In- sekten. S. 78. Geologische Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten. S. 79. — Anregungen und Ant- worten: Abbildungen von Versteinerungen aus den Kreideschichten nördlich des Harzes. S. 79. — Wetter-Monats- übersicht. 2 Abb. S. 79. — Literatur: Liste. S. 80. Manuskripte und Zuschriften len an Privatdozent Dr. Joh. Buder, Leipzig, Linnestraße 1, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 6. Februar 1916. Nummer 6. Theodor Boveri. Von Hans Nachtsheim, Freiburg i Am 15. Oktober des vergangenen Jahres hat die deutsche zoologische Wissenschaft einen schweren Verlust erlitten. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf uns die Nachricht von dem Hinscheiden Theodor Boveri's. Zwar wußte man seit langem, daß sein Gesundheitszustand zu wünschen übrig ließ, aber daß es so schlimm um den kaum Drei- undfünfzigjährigen stehe, ahnte wohl niemand. Wir hatten gehofft, noch manche wertvolle Gabe von dem verehrten Meister der experimentellen Zellforschung erwarten zu dürfen. Mannigfache Probleme mögen den Schaffensfrohen auch noch bis in seine letzten Tage beschäftigt haben, aber der Körper war nicht so gesund wie der Geist, ein schweres Leiden hatte ihn befallen , von dem er in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober durch den Tod erlöst wurde. Theodor Roveri wurde am 12. Oktober 1862 als Sohn des prak- tischen Arztes Dr. Boveri in Bamberg geboren. Nacii Absolvierung des Real- gymnasiums in Nürnberg bezog er die Universität München, um Geschichte zu studieren. Sehr bald aber gab er dieses Stu- dium auf und wandte sich den Naturwissenschaften und der Medizin zu. Im histologischen Laborato- rium C. V. Kupffer's führte er seine erste selbständige Untersuchung aus. Im Jahre 1885 promovierte er mit dieser Arbeit und veröffentlichte sie als „Beiträge zur Kenntnis der Nervenfasern" in den Abhandlungen der Kgl. bayr. Akademie der Wissenschaften (i)^). Zu dieser Zeit war gerade der verwaiste Lehr- stuhl der Zoologie und vergleichenden Anatomie. an der Münchener Universität neu besetzt worden, RichardHertwig war nach München gekommen ') Die in Klammern beigefüglcn Zahlen beziehen sich auf das Literaturverzeichnis. und an ihn wandte sich nun der junge Doktor, um bei ihm weiterzuarbeiten. In der Ansprache, die Boveri bei der Feier des 60. Geburtstages R. Hertwig's hielt, erzählte er von seiner ersten Begegnung mit seinem späteren Lehrer. „Es war Anfang Mai 1885", so sagte Boveri, zu Hertwig gewandt, „wenige Tage nach Ihrer Übersiedelung nach München, daß ich mich drüben in Ihrem Arbeitszimmer als Praktikant bei Ihnen anmeldete. Ihre jüngeren Schüler haben keine Vorstellung mehr, wie damals das Münchener Zoologische Institut beschaffen war. Dieses Dank Ihrer Initia- tive heute umfangreichste und fruchtbarste unserer zoologischen Institute be- stand damals aus sieben Zimmern, von denen das größte der Hörsaal war. Arbeitsplätze für Prakti- kanten gab es noch gar nicht. Als ich nun sagte, ich wolle ganztägig ar- beiten und bäte Sie, mir einen Platz anzuweisen, räumten Sie nach kurzem Besinnen den vor Ihnen stehenden Tisch ab, for- derten mich auf, an dem anderen Ende anzugreifen und trugen so diesen Tisch mit mir in eines der nächsten Zimmer, wo ich dann sogleich mit der Ar- beit beginnen konnte." Diese, wieBoveritreffend bemerkt, für H e r t w i g's Natur in mehr als einer Hinsicht charakteristische kleine Geschichte ist auch für ihn selbst kenn- zeichnend. Mit Begeisterung hatte Boveri Hertwig's Buch über das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen studiert. „Die hier zum erstenmal zu voller Klarheit aufgedeckten Verhältnisse eines einfachsten Nervensystems und die Enthüllung so merkwürdiger mannigfaltiger Sinnesorgane an diesen Geschöpfen, die Feiniieit der Technik, mit der dies alles herausgearbeitet, die Anschaulichkeit und der Geschmack, mit denen es bildlich dargestellt ist, der scharfe Ver- stand, der es beleuchtet, die schriftstellerische 82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 Kunst, mit der es dem Leser vorgeführt wird, — diese Eigenschaften, die freilich auch Ihre anderen Werke zieren, scheinen sich hier in besonders glückhcher Weise zusammengefunden zu haben." Zu diesem Forscher zog es ihn hin, ein Mann, der solche Eigenschaften sein eigen nennt, mußte sein Lehrer werden. Und so sehen wir ihn denn, fast ehe Hertwig seine Tätigkeit aufgenommen hat, bereits im zoologischen Institut mit der Bitte, ihm einen Arbeitsplatz anzuweisen. Die Arbeits- verhältnisse mögen in dem damaligen histologischen Laboratorium weit bessere gewesen sein als im zoologischen Institut, aber was kümmerte das Boveri? Wie er gleich zugrift' an jenem Tisch, so machte er sich auch sofort mit Eifer an die Arbeit. Und wie wird das Zusammenarbeiten mit seinem Lehrer seinen Eifer mehr und mehr ge- steigert haben ! „Nichts kann ja mächtiger den Schüler entflammen als der Anblick des seinem Gegenstand mit einer alles andere vergessenden Begeisterung sich hingebenden Lehrers." Und welch helle Freude mag andererseits Hertwig an der raschen Entwicklung seines Schülers gehabt haben! Er führte ihn auf das Gebiet der Zellenlehre, auf dem er selbst bereits mit so großem Erfolg tätig war, und machte ihn auf die Unzahl der hier noch zu bearbeitenden Probleme aufmerksam. „Wenn auch der eigensinnige Schüler", sagt Boveri, ,,wohl manchmal in etwas anderer Richtung gezogen hat als der Lehrer, vorwärts, einem gemeinsam erstrebten hohen Ziele zu ist es doch immer ge- gangen." Hatte so Boveri in Hertwig einen ausgezeichneten Lehrer gefunden, vermochte sich doch auch gerade unter ihm seine geistige Selb- ständigkeit und seine Eigenart vollkommen frei und unbehindert zu entwickeln. Die erste Frucht seiner Tätigkeit im Münchener zoologischen Institut sind seine Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung des Ascariseies. Mit der ersten ausführlichen Veröffentlichung über seine Untersuchungen, dem ersten Teil der klas- sischen „Zellenstudien" (5) habilitierte er sich im Jahre 1887 an der Universität München als Privat- dozent für Zoologie. Nach 6 Jahren bereits — 1893 • — erhielt er einen Ruf als ordentlicher Professor der Zoologie und vergleichenden Anato- mie an die Universität Würzburg, wo er Nach- folger von K. Sem per wurde. Der Universität Würzburg ist Boveri dann sein ganzes Leben treu geblieben. Wohl hat es ihm auch weiterhin nicht an ehrenden Anerbieten gefehlt. Im Jahre 191 2 berief ihn die Universität Freiburg als Nachfolger Weismanns. Boveri lehnte jedoch den Ruf ab. Er zog die kleine Universität der großen mit umfangreichem Lehrbetrieb vor. Zwar hat es ihm nie an Schülern gefehlt, manche vor- treffliche Arbeit, die den Stempel Boverischen Geistes trägt, ist aus seinem Institut hervorgegangen, aber im allgemeinen war er doch mehr F"orscher als akademischer Lehrer. In Ruhe konnte er in Würzburg den Problemen, die ihn beschäftigten, nachgehen. Einen nicht weniger ehrenvollen Ruf, den er im Jahre 191 3 erhielt, lehnte er eben- falls ab. Man hatte ihm die Leitung des geplanten Instituts für Biologie der Kaiser-Wilhelms-Gesell- schaft in Berlin-Dahlem anvertrauen wollen. Es mag manchen überrascht haben, daß Boveri auch diesem Rufe keine Folge leistete. Wäre es ihm doch hier, entbunden von jeder Lehrtätigkeit, mit reichen Mitteln ausgestattet, möglich gewesen, ganz seiner Wissenschaft zu leben und an der Verwirklichung seiner Ideen zu arbeiten. Aber Boveri strebte nicht nach äußeren Ehren. Viel- leicht war es auch die schon damals angegriffene Gesundheit, die ihn in seinem Entschluß bestärkte. Häufig und gern weilte Boveri in Neapel, dort, wo „auf dem dunkelgrünen Hintergrund der Steineichen am Golf Neapels das schöne weiße Haus mit seinen roten Loggien" steht, das Haus, ,,auf dem der neu angekommene Zoologe mit freudigem Stolz die Aufschrift liest: Statione zoo- logica, die ihm sagt, daß auch für ihn und seine Bestrebungen diese Stätte der Wissenschaft er- richtet worden ist." Was es gewesen ist, das ihn immer und immer wieder an jede Stätte der Wissenschaft getrieben hat, das können wir der trefflichen Gedächtnisrede auf den Schöpfer der Station, Anton Dohrn, entnehmen, die Boveri auf dem internationalen Zoologenkongreß zu Graz im August 1910 gehalten hat (48). In erster Linie war es natürlich das Meer, die Quelle des Lebens, mit seiner Fülle von Geheimnissen, das ihn wie jeden Naturforscher immer aufs neue anzog. In der Station in Neapel standen ihm neben einer reichhaltigen Bibliothek alle Mittel zur Verfügung, um die Probleme des Lebens mit den experimentellen Methoden, die er erdacht hatte, in Angriff zu nehmen. Und das eine seiner beiden Lieblingsobjekte, der Seeigel, bot sich ihm hier ständig in reichem Maße. Was ihm aber außerdem noch den Aufenthalt an der Station so besonders wertvoll erscheinen ließ, das war die Möglichkeit ständigen Gedankenaustausches mit zahlreichen Fachgenossen aus allen Ländern. Ein „gemeinsames Zentrum der Biologie" ist die geniale .Schöpfung Doli rn's geworden, „zahlreiche persön- liche Bekanntschaften und Freundschaften zwischen den Forschern verschiedener Länder sind dort ent- standen", „romanische und germanische Menschen finden sich in jenem deutschen Haus tief unten in Italien in friedlichem Wetteifer zusammen". Muß es Boveri nicht schmerzlich getroffen haben, daß der Weltkrieg auch über die Zukunft seiner geliebten Arbeitsstätte dunkle Schatten gebreitet hat ? Wird auch nach dem Kriege an jener Stätte der friedliche Wettstreit der Nationen wieder möglich sein? Wir hoffen es! Vielleicht ist ge- rade eine Stätte wie die zoologische Station in Neapel berufen, das zerrissene Band der Wissen- schaft, das die Forscher der Länder der Erde eint, in kürzerer Zeit wiederherzustellen, als es uns nach so viel Haß und Streit möglich erscheinen mag. — Nicht zuletzt war aber auch die Liebe zu allem Schönen in der Natur die Quelle von Boveri's N. F. XV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 83 Sehnsucht nach dem Süden und nach dem Golf von Neapel im besonderen. Gern griff er dort in seinen freien Stunden zu Zeichenstift und Pinsel, die er wohl zu handhaben verstand. Hübsche Bilder malte er auch auf dem Boveri'schen Landgute in Höfen bei Bamberg. Auch für Musik hatte er ein feines Verständnis und spielte selbst gut Klavier. Sodann hatte er tiefergehende literarische Interessen. Daß es ihm an äußeren Ehren nicht fehlte, braucht kaum gesagt zu werden. Die Universität Marburg hatte ihn zum medizinischen Flhrendoktor ernannt. Er war Mitglied der Aka- demien in München, Berlin, Kopenhagen und Petersburg. 1905 — 1906 war er Rektor der Universität Würzburg. Die Eigenschaften seines Lehrers R. Hertwig, die er so rühmend hervorhebt, hat Boveri selbst alle in hohem Maße entwickelt. Eine ausge- zeichnete Beobachtungsgabe war ihm gegeben. Nicht nur das sah er, was ihn gerade in dem be- stimmten Falle interessierte, er achtete auf alles. Und so behandelt er denn in seinen Arbeiten neben dem Hauptproblem meist zahlreiche Neben- fragen, so daß man oft viel mehr in den .Arbeiten findet, als man dem Titel nach darin suchen würde. Muß man das wunderbare Talent zum Experimentieren noch besonders erwähnen ? Ist doch Boveri gerade als Schöpfer der experimen- tellen Zellforschung weithin bekannt geworden. Immer neue Wege erdachte er, immer neue Methoden arbeitete er aus, um seine Hypothesen und Theorien auf ihre Richtigkeit zu prüfen. War sein leb- hafter Geist auch zum Theoretisieren geneigt, so blieb er sich doch immer darüber klar, was be- wiesene Tatsache, was Theorie war. Die Theorie baute er auf den Tatsachen auf, diese blieben ihm immer das Maßgebende. Standen die aufge- fundenen Tatsachen nicht mit der Theorie in Einklang, so zögerte er nicht, diese abzuändern oder ganz aufzugeben. Wie gegen sich selbst so war er auch anderen gegenüber ein scharfer Kritiker. Gegen ihn gerichtete unberechtigte Angriffe wies er energisch zurück, ohne dabei aber den Weg vornehmer Polemik zu verlassen. Zu alle- dem war er ein Meister der Sprache, in der Schrift wie in der freien Rede, treffende Ver- gleiche hatte er jederzeit zur Hand, und auch kompliziertere Gedankengänge wußte er mit Leich- tigkeit seinem Leser oder Hörer verständlich zu machen. Das zeigte sich besonders in den Vor- trägen, die er vor wissenschaftlichen Gesellschaften hielt, und in denen er zusammenfassend über die von ihm behandelten Probleme berichtete {2"], 32). Doch auch spröde Materie vermochte er mit lebendiger Sprache zu behandeln, und so darf man wohl sagen, die Lektüre jeder Boveri'schen Arbeit ist ein wahrer ästhetischer Genuß. Sein Zeichentalent kam ihm bei der Ausstattung seiner Arbeiten mit Abbildungen sehr zugute. So werden die Arbeiten Boveri 's in jeder Hinsicht stets musterhaft für uns bleiben. Von verschiedenen Seiten — es waren haupt- sächlich Physiologen und Biochemiker — ist Boveri der Vorwurf gemacht worden, er be- trachte die Probleme zu einseitig mit den Augen des Morphologen. Boveri kann sich, wie mir scheint, diesen \'orwurf sehr wohl gefallen lassen ; denn was er mit einer mehr morphologischen Betrachtung der Probleme erreicht hat, kann sich gegenüber den Leistungen der Biochemiker auf dem gleichen Gebiete sehr wohl sehen lassen. „Auch der Morphologe", sagte Boveri sehr richtig, „wird im Streben nach Erkenntnis so viel Selbst- verleugnung besitzen, um den endlichen Sieg seinem Wettbewerber zu wünschen; auch er könnte sich nichts Besseres denken, als wenn die morpho- logische Analyse bis zu einem Punkt geführt wäre, wo ihre letzten Elemente direkt chemische In- dividuen sind. Allein gerade gegenwärtig er- scheint dieses Ziel ferner als je; ist es doch sogar frag- lich, ob ein solches Ziel in dem Sinne, daß die letzten wesentlichen Elemente der lebenden Materie chemische Körper seien, überhaupt existiert" (32). Ohne dieser hier zuletzt geäußerten .Anschauung beipflichten zu wollen, scheint mir doch auch heute noch eine Warnung vor Überschätzung der Bedeutung biochemischer Theorien sehr am Platze zu sein. Die cytologischen Arbeiten Boveri 's waren es in erster Linie, die seinen Ruf begründeten und seinen Namen weit über die Kreise der F"ach- genossen hinaustrugen. Die von ihm in diesen Arbeiten behandelten Fragen sind außerordentlich mannigfaltig. Aber es war doch ein gewisser Komplex von Problemen, auf den sich sein Interesse ganz besonders konzentrierte. Ausgehend von den Erscheinungen der Befruchtung suchte er vermittels experimenteller Methoden die sich daran anschließenden Probleme in Angriff zu nehmen'). Eine „Embryo nal anal_\se des Zellkerns", diese war das Ziel der meisten und wertvollsten seiner L'ntersuchungen. Das Problem d e r B e f r u c h t u n g hat durch die Feststellungen Boveris und die darauf be- gründete Theorie im wesentlichen eine Lösung gefunden. „Das reife Ei besitzt alle zur Teilung notwendigen Organe und Qualitäten, mit Aus- nahme des Centrosomas, welches die Teilung ein- leiten könnte. Das Spermatozoon umgekehrt ist mit einem solchen Zentralkörperchen ausgestaltet, ihm fehlt aber die Substanz, speziell das Archo- plasma, in welcher dieses Teilungsorgan seine Tätigkeit zu entfalten im'-tande wäre. Durch die Verschmelzung beider Zellen im Befrurhtungsakt werden alle für die Teilung nötigen Zellenorgane zusammengeführt; das Ei erhält ein Centrosoma, das nun durch seine Teilung die Embryonalent- wicklung einleitet" (6). Dieser Mangel der beiden Geschlechtszellen beruht nicht etwa auf „seniler ') Die von Boveri hauptsächlich behandelten, im folgen- den kurz skizzierten Probleme sollen im Laufe der nächsten Zeit in einzelnen Aufsätzen in der Naturw. Wochenschr. nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse dargestellt werden, unter besonderer Berücksichtigung der Verdienste Boveri s Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 Entartung", die Arbeitsteilung zwischen Ei und Samenzelle ist vielmehr eine Einrichtung von äußerster Zweckmäßigkeit. Dadurch , daß der Geschlechtszelle im allgemeinen die Fähigkeit zur selbständigen Weiterentwicklung genommen ist, wird die Qualitätenmischung gesichert, die „das Ziel aller Paarung vom Infusionstierchen bis zum Menschen" ist. „Mischen kann sich Orga- nisches nur im Zustand der Zelle", und so erklärt es sich, daß bei allen höheren Organismen diese Mischung, die A m phim ixis, um mit Weismann zu sprechen, an die Fortpflanzung geknüpft ist. Die Erkenntnis der Bedeutung der Oualitäten- mischung bei der Befruchtung führte naturgemäß zu der Frage der Lokalisation der Qualitäten- träger. Die beiden sich vereinigenden Geschlechts- zellen, Ei und Samenzelle, sind zwei außerordentlich verschiedene Gebilde. Trotzdem sehen wir, daß im allgemeinen das Kind eine Mittelstellung ein- nimmt zwischen den Eltern, vom Vater erbt es ebenso viel wie von der Mutter. Bestimmte Teile des Eies einerseits, des Spermatozoons andererseits kommen also wahrscheinlich für die Vererbung nicht in Betracht, die Übertragung der elterlichen Merkmale auf das Kind dürfte an Substanzen ge- bunden sein, die beide Geschlechtszellen in gleicher Quantität besitzen. Diese Forderung erfüllen ge- wisse Elemente des Kerns, die Chromosomen. Der Kern einer jeden Zelle, sei sie von einem tierischen oder pflanzlichen Organismus, enthält eine be- stimmte Anzahl Chromosomen. Bei verschiedenen Tieren oder Pflanzen kann die Chromosomenzahl verschieden groß sein, für die einzelnen Spezies ist sie in der Regel konstant. Bei der Reifung der Geschlechtszellen wird die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt, so daß jedes Ei und jede Samenzelle nur die halbe „Normalzahl" erhält. Durch die Vereinigung eines Eies mit einer Samen- zelle wird dann die für die Spezies charakteristische Chromosomenzahl wiederhergestellt. So ist es verständlich, daß sich den Chromosomen ganz besonders die Aufmerksamkeit der Forscher zu- wandte. Nahezu alle experimentell-cytologischen Arbeilen B o v e r i's sind Beiträge zu dem Problem derChromosomenalsVererbungsträger, und wenn heute die Chromosomentheorie der Ver- erbung als fest begründete Theorie betrachtet werden kann, so verdanken wir das in erster Linie den vorzüglichen Untersuchungen Boveri's. Die Konstanz in der Zahl der Chromosomen und andere von Boveri und Rabl ermittelte Tatsachen veranlaßten Boveri zur Aufstellung der sogenannten Individualität shypothese, eine Hypothese, die sich in der Folgezeit als außer- ordentlich fruchtbringend erwiesen hat. ,,Ich be- trachte", sagt Boveri, „die sogenannten chro- matischen Segmente oder Elemente als Individuen, ich möchte sagen elementarste Organismen, die in der Zelle ihre selbständige Existenz führen. Die Form derselben, wie wir sie in den Mitosen finden, als h'äden oder Stäbchen, ist ihre typische Gestalt, ihre Ruheform, die je nach den Zellarten, ja, je nach den verschiedenen Generationen der- selben Zellenart, wechselt. Im sogenanten ruhenden Kern sind diese Gebilde im Zustand ihrer Tätig- keit. Bei der Kernrekonstruktion werden sie aktiv, sie senden feine Fortsätze, gleichsam Pseudopodien, aus, die sich auf Kosten des Elements vergrößern und verästeln, bis das ganze Gebilde in dieses Gerüstwerk aufgelöst ist und sich zugleich so mit den in der nämlichen Weise umgewandelten übrigen verfilzt hat, daß wir in dem dadurch entstandenen Kernretikulum die einzelnen konstituierenden Ele- mente nicht mehr auseinanderhalten können. Schickt sich die Zelle zur Teilung an, so kon- trahieren sich die Kernelemente wieder, sie kehren, um sich selbst zu teilen, in ihren Ruhezustand zu- rück" (3). Obwohl die Individualitätshypothese bis in die neueste Zeit manchen Angriff hat aus- halten müssen, darf man doch wohl behaupten, daß es den Gegnern bisher nicht gelungen ist, einen Gegenbeweis zu erbringen, im Gegenteil, die Zahl der direkten Bestätigungen und der Er- scheinungen , welche durch die Hypothese eine Erklärung finden , ist inzwischen so gewachsen, daß wir heute von einer Theorie, nicht mehr von einer bloßen Arbeitshypothese, sprechen müssen. Eine weitere Theorie, die sich mit den Chro- mosomen beschäftigt und ebenfalls durch B o v e r i's Arbeiten eine ganz wesentliche P'örderung erfahren hat, ist durch zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre heute so wohlbegründet, daß kaum noch ein Zweifel an ihrer Richtigkeit möglich ist. Es ist die Theorie der qualitativen Ver- schiedenheit der Chromosomen, welche besagt, daß die in einem Kern vereinten Chro- mosomen nicht alle die gleiche Funktion haben; sie sind an der Übertragung eines elterlichen Merkmals auf das Kind nicht alle in gleicher Weise beteiligt, sondern dieses Chromosom ist der Vererbungsträger für d i eses Merkmal, jenes Chromosom für ein anderes. Da die Zahl der Chromosomen im Vergleich zu der Zahl der Erb- eigenschaften meist außerordentlich gering ist, so ist weiter die Annahme nötig, daß jedes Chromosom Träger einer ganzen Reihe von Erb- eigenschaften ist, es schließt sich an die Theorie der qualitativen Verschiedenheit der Chromosomen ohne weiteres die Theorie der qualitativen Verschiedenheit im einzelnen Chro- mosom an. Auch für die Richtigkeit dieser An- nahme vermochte Boveri verschiedene Beweise beizubringen. Das Problem der Verschieden- wertigkeit der Chromosomen und ihrer Kompo- nenten tritt uns bereits in den ersten theoretischen Schriften Weismann's entgegen. Welche Be- deutung aber das Problem für die moderne Ver- erbungsforschung hat, braucht nicht erst gesagt zu werden; ist es doch eine heutzutage weitbekannte Tatsache, daß der Mendelismus durch die Anschau- ungen, welche wir uns auf Grund der experimen- tell-morphologischen Untersuchungen über das Wesen und Verhalten der Chromosomen gebildet haben, eine vollauf befriedigende Erklärung findet. N. F. XV. Nr. 6 Natu rwissenschaftliche Wochensch rift. 85 Daß die Chromosomen Vererbungsträger dar- stellen, wird heute ein einsichtiger Forscher wohl kaum noch leugnen wollen. Eine weitere Frage ist aber, ob sie die Vererbungsträger darstellen. Oder haben vielleicht noch andere Elemente die gleiche Funktion? Die Frage ist schon viel dis- kutiert worden, und es hat immer Forscher ge- geben, die die Bedeutung des Plasmas für die Vererbung sehr hoch eingeschätzt haben. Besonders in den letzten Jahren macht sich in ge- wissen Kreisen das Bestreben geltend, bestimmte Elemente des Plasmas als Vererbungsträger an- zusprechen. Derartige Versuche sind als gänzlich verfehlt zu betrachten. Waren schon mehrere seiner älteren Untersuchungen beweisend für die Annahme, daß die Vererbungssubstanz im Kern und weiterhin in den Chromosomen lokalisiert ist, so ist es doch ganz besonders seine vorletzte Arbeit über „die Charaktere von Echiniden-Bastard- larven bei verschiedenem Mengenverhältnis mütter- licher und väterlicher Substanzen" (51). Ver- mittels außerordentlich fein durchdachter Experi- mente zeigt Boveri hier, das ein Plus an Plasma auf die Vererbungsrichtung der Larve nicht den ge- ringsten Einfluß hat, während ein Plus an K e r n s u b - stanzen die Vererbungsrichtung nach der Seite verschiebt, von der dieses Plus herrührt. Selbst- verständlich dürfen wir andererseits aber auch die Bedeutung des Cytoplasmas nicht unterschätzen. Niemand wird behaupten wollen, daß es für die Chromosomen gleichgültig ist, in welchem Cyto- plasma sie ihre Tätigkeit entfallen. Ja, wir können ohne Bedenken noch weiter gehen und dem Plasma auch eine gewisse vererbende Kraft zu- schreiben. Das Plasma eines Hühnereies ist an- ders beschaffen als das eines Enteneies, dieses ist anderes zu erzeugen befähigt als jenes. Gesetzt es wäre möglich, ein Hühnerei unter Ausschaltung des Eikernes durch Besamung mit einem Enten- spermatozoon zu normaler Entwicklung zu bringen, wolte jemand glauben , auch wenn er noch so sehr von der Bedeutung der Chromosomen als Vererbungsträger überzeugt ist, es könne sich eine bestimmte Spezies „Ente" daraus entwickeln? Was damit gesagt sein soll, ist, hoffe ich, klar. Die Chromosomen des Samenfadens sind wohl befähigt, dem sich entwickelnden hidividuum die besonderen Merkmale ihrer Spezies zu ver- leihen — und an solche denken wir in den meisten Fällen, wenn wir von Vererbung sprechen; nicht, daß wieder ein Mensch nach der Paarung zweier Menschen entsteht, betrachten wir gemeinhin als „Vererbung", sondern daß eben jener Mensch mit den für Vater und Mutter charakteristischen Eigenschaften entsteht — , die Fähigkeiten des Plasmas zur Gestaltung einer bestimmien Form vermögen sie nicht abzuändern. „Die Struktur des Eiplasmas besorgt" sagt Boveri, „das rein „Promorphologische", sie gibt die allgemeine Grund- form, den Rahmen, in welchem dann alles Spezi- fische vom Kern ausgefüllt wird. Oder auch so ließe sich das Verhältnis vielleicht ausdrücken, daß die einfache Protoplasmadifferenzierung dazu dient, die Maschine, deren essentieller und wahrscheinlich höchst komplizierter Mechanismus in den Kernen liegt, zum Anlaufen zu bringen." Einen ebenfalls sehr treffenden Vergleich zieht er an anderer Stelle: „Mag sogar alles, was uns im Metazoen- körper als Leistung imponiert, direkt Protoplasma- leistung sein, dies schließt so wenig die allei- nige Bestimmung der individuellen Merkmale des Kindes durch die Kerne der kopulierenden Sexual- zellen aus, wie die Herstellung eines Hauses durch Maurer und Zimmerleute ausschließt, daß dieses Haus in seiner ganzen Besonderheit nach dem Kopf eines Architekten erbaut ist" (32). Außer seinen cytologischen Arbeiten verdanken wir Boveri auch noch eine Reihe anderer zoolo- gischer Arbeiten. Seine Doktorarbeit, „Beiträge zur Kenntnis der Nervenfasern" (i), wurde bereits erwähnt. Eine spätere Arbeit hat die „Entwicklung und Verwandschaftsbeziehungen der Aktinien" (11) zum Thema, eine andere „das Genus Gyractis, eine radial-symmetrische Aktinienform" (18). Eine Reihe vortrefflicher Untersuchungen (13, 15, 16, 35, 37) betreft'en Bau und Entwicklung des Am- phioxus, des Lanzettfischchens, jenes niedersten Ver- treters der Wirbeltiere, der eine Übergangsform darstellt von wirbellosen Vorfahren zu den Vertebralen und in der deszendenztheoretischen Forschung immer eine bedeutsame Rolle gespielt hat. Zu den Problemen der Deszendenztheorie nahm Boveri sodann in seiner Rektoratsrede (40) Stellung. Ich vermag seinen Standpunkt in den PVagen der Biologie, die er ,;in dieser Wissenschaft am höchsten stellt", nicht besser wiederzugeben, als wenn ich ihn selbst sprechen lasse, indem ich die Worte zitiere, mit denen er seinen Vortrag beschlossen hat, Worte, die ihn zum Schlüsse nochmals als den großen Meister der Sprache zeigen, als der er uns in allen seinen Arbeiten entgegentritt; „VVie aber der Entwicklungsgedanke in der Zoologie und Botanik selbst alles beherrscht, so ist er es auch, der ihnen ihre Stellung anweist in der Gesamtheit der Wissenschaften, und der ihr Gewicht bestimmt bei der Gestaltung unserer Weltanschauung. So groß man die Kluft schätzen mag zwischen dem Anorganischen und den niedersten Lebewesen, sie kann uns nicht unüber- brückbar erscheinen angesichts der kontinuierlich verknüpften Extreme innerhalb der organischen Reiche, und wenn so der Baum des Lebendigen mit seiner Wurzel dem Boden der anorganischen Natur zustrebt, so erscheint auf der anderen Seile als seine höchste Blüte das Geistige im Menschen. Mögen wir uns noch so klein fühlen, wo wir an irgend einer Stelle in das Kausalgetriebe dieses Werdeprozesses einzudringen versuchen, immer wieder weht es uns wie ein Hauch vom Urgrund der Dinge an, wenn wir das Ganze auf uns wirken lassen. Denn wie wir uns auch die niedersten Stufen organischer Gebilde ausgestaltet denken mögen, an Ein e m können wir nicht zweifeln, daß 86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 aus dem, was sie in sich tragen, unter der natür- lichen Einwirkung einer sich immer mehr kom- plizierenden Umgebung, all die Wunderwerke der Tier- und Pflanzenwelt entstanden sind, Spiegeln gleichend, in denen sich die Außenwelt abbildet, bis zu jenem bewußten Spiegel unseres mensch- lichen Verstandes, der über sich selbst und seine Herkunft reflektiert. Aus den Ahnungen, in denen sich die von hier weiterschweifenden Gedanken ergehen, aus dem Bewußtsein, auf diesem Felde mitzuarbeiten an der Erwerbung geistiger Güter, daraus schöpfen wir immer wieder die Kraft und Begeisterung, um mit neuem Mut zu unserem kleinen Tagewerk zurückzukehren." Boveri's Arbeiten. 1. Beiträge zur Kenntnis der N e r v en f.i sern. — Abliandl. d. K. bayr. Akad. d. Wissenscli., II. KI., ic. Bd. 2. Abt., 1885. 2. Über die Bedeutung der Rieh tun gskörp er- eilen. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in Mün- chen, 2. Bd., 1886. 3. Über die Befruchtung der Eier von Ascaris megalocephala. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, und Phys. in München, 3. Bd., 1887. 4. Über Differenzierung der Zellkerne wäh- rend der Furchung des Eies von Ascaris megalo- cephala. — Anat. Anz., 2. Bd., 1S87. 5. Zellenstudien I. Die Bildung der Rich- tungskörper bei Ascaris megalocephala und As- caris lumbricoides. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., 21. Bd. 1887. 6. Über den Anteil des Spermatozoon an der Teilung des Eies. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in München, 3. Bd., 1887. 7. Über partielle Befruchtung. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in München, 4. Bd., 188S. 8. Zellenstudien II. Die Befruchtung und Teilung des Eies von Ascaris megalocephala. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., 22. Bd., 1888. *9. Die Vorgänge der Zellteilung und Be- fjucht lg ZI frage. — Beitr. z. Anlhropol. u. Urgeschichte Bayerns, 18S8. 10. Ein geschlechtlich erzeugter Organismus ohne mütterliche Eigenschaften. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in München, 5. Bd., 18S9. 11. Ober Entwicklung und Verwandtschafts- beziehungen d er A kti ni en. — Zeitschr. f. wiss. Zool., 49. Bd., 1890. 12. Zellenstudieti III. Über das Verhalten der chromatischen Kernsubstanz bei der Bildung der Richtungskörper und bei derBc fruchtung, — ]en. Zeitschr. f. Naturw., 24. Bd., 1890. 13. Über die Niere des Amphio.\ US. — Münchn. med. Wochenschr., 1S90, sowie in: Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in München, 6. Bd., 1890. »14. Be fruchtung. — Anat. Hefte, 2. Abt., i. Bd., 1892. 15. Ober die Bildungsstätte der Geschlechts- drüsen und die Entstehung der G en i tal ka m mern beim Amphioxus. — Anat. Anz., 7. Bd., 1892. 16. Die Nierenkanälchen des Amphioxus. Ein Beitrag zur Phylogenie des Urogenitalsystems der Wirbeltiere. — Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ont 5. Bd., 1892. 17. Ober die Entstehung des Gegensatzes zwischen den Gesc hlec h t szellen und den somati- schen Zellen bei Ascaris megalocephala, nebst Bemerkungen über die Entwicklungsgeschichte der Nematoden. — Sitzungsber. d. Ges. f. Morph, u. Phys. in München, 8. Bd., 1892. iS. Das Genus Gyractis, eine radial-symme- trische Aktinienform. — Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., Geogr. u. Biol., 7. Bd., 1893. ig. Beziehungen zwischen Zellfunktion und K e r n s t r u k t u r. — Sitzungsber. d. Physik.-med. Ges. zu Würz- burg, Jahrg. 1S94. 20. Über das Verhalten der Centrosomen bei der Befruchtung des Seeigeleies nebst allgemei- nen Bemerkungen über Centrosomen und Ver- wandtes. — Verhandl. d. Physik.-med. Ges. zu Würzbure, N. F. 29. Bd., 1895. 21. Ober die Be fr uchtungs- und Entwicklungs- fähigkeit kernloser Seeigelcier und über die Möglichkeit ihrer Bastardierung. — Arch. f. Ent- wicklungsmech., 2. Hd., 1S95. 22. ZurPhysiologie'derKern- undZellteilung. — Sitzungsber. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, lahrg. 1897. 23. Die Entwicklung von Ascaris" megalo- cephala mit besonderer Rücksicht auf die Kern- verhältnisse. — Festschr. f. C. v. Kupffcr. Jena 1S99. 24. Zellenstudien IV. Über die Natur der Centrosomen. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., 35. Bd., 1901, auch: Jena igoo. 25. Merogonie (Y. Delage) und Eph ebogenesis (B. Rawitz), neue Namen für eine alte Sache. — Anat. Anz., 19. Bd., 1901. 26. Über die Polarität des Seeigeleies. — Ver- handl. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, N. F. 34. Bd., igoi. *27. Das Problem der Befruchtung. — Verhandl. d. Ges. deutscher Naturf. u. Ärzte, 73. Vers., i. Teil, 1901, auch (ausführlicher): Jena 1902. 28. Die Polarität von Ovocyte, Ei und Larve des Strongyloccntrotus lividus. — Zool. fahrb., Abt. f. Anat. u. Ont., 14. Bd., 1901. 2g. Über mehrpolige Mitosen als Mittel zur Analyse des Zellkerns. — Verhandl. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, N. F. 35. Bd., 1902. 30. Über das Verhalten des Protoplasmas bei monocentrischen Mitosen. — Sitzungsber. der Physik.- med. Ges. zu Würzburg, Jahrg. 1903. 31. Über den EinfluU d er Samenzell e auf die I.arvencharaktere der Echiniden. — Arch. f. Ent- wicklungsmech., 16. Bd., 1903. *32. Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz des Zellkerns. — Jena 1904, auch (weniger ausführlich) in: Verhandl. d. deutschen Zool. Ges., 13. Jahresvers., 1903. 33. Noch ein Won über Seeigelbastarde. — Arch. f. Entwicklungsmech., 17. Bd., 1904. 34. (zusammen mit N.M.Stevens) Über dieEntwick- lung dispermer Ascariseier. — Zool. Anz., 27. Bd., 1904. 35 Über die phylogenetische Bedeutung der SehorganedesAmphioxus. — Zool. Jahrb., Suppl. Bd. 7 (Festschr. f. Weismann), 1904. 36. Protoplasmadifferenzierung als auslösen- der Faktor für Kernverschiedenheit. — Sitzungs- ber. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, Jahrg. 1904. 37. Bemerkungen über den Bau der Nieren- kanälchen des Amphioxus. — Anat. Anz., 25. Bd., 1904. 38. Zellenstudien V. Über die Abhängigkeit der Kerngröße und Zeilenzahl der S e e i g e 1 1 a r v en von der Chromosomenzahl d e r A u s g an gs ze 1 1 en. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., 39. Bd., 1905, auch: Jena 1905. 39- Über Doppelbefruchtung. — Sitzungsber. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, Jahrg. 1905. *40. Die Organismen als historische Wesen. — Würzburg 1906. 41. Zellenstudien VI. Die Entwicklung disper- mer Seeigeleier. Ein Beitrag zur Befruchtungs- lehre und zur Theorie des Kerns. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., 43. Bd., 1907, auch: Jena 1907. 42. Über Beziehungen des Chromatins zur Ge- .--chl ech tsbestimmung. — Sitzungsber. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, Jahrg. 1908. 43. I) ie Elastomere nkerne v on A scaris megal o N. F. XV. Nr 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. cepliala und die Theorie derChromosomenimlivi- dualität. — Arch. f. Zellforsch., 3. Bd., 1909. 44. Über „Geschlechtschromosomen" bei Nema- toden. — Arch. f. Zcllforsch., 4 Bd., 1909. 45. (zusammen mit M. F. H o g u e) C b e r d i e M ö g 1 i c h - keit, AscariseierzurTeilung inzwei gleichwertige Blastomeren zu veranlassen. — Sitzungsber. d. Physik.- med. Ges. zu Würzburg, Jahrg. 1909. 40. Über die Teilung zen tr ifugiert er Eier von Ascaris megalocephala. — Arch. f. Entwicklungsmech. 30. Bd. (Festschrift f. Rou.x), 1910. 47. Die Potenzen der A scarisblas tom e ren bei abgeänderter Furchung. Zugleich ein Beitrag zur handl. d. Physik Frage q u al i t a t i v - un gl e i ch e r C h r om os ome nte i - 52. Über lung. — Festschr. f. R. Hertwig, 3. Bd., Jena 191 o. Zwitterbiene 48. Anton Dohrn, Gedächtnisrede, geh. auf d. 1915. Intern. Zoologenkongr. in Graz, am iS. August 1910. — Leipzig 1910, auch in: Verhandl. d. VIU. intern. Zool.-Kongr. zu Graz. Jena igii. 49. Über das Verhalten der Geschlechschromo- somen bei Hermaphroditismus. Beobachtungen anRhabditis nigro venosa. — Verhandl. d. Physik.-med. Ges. zu Würzburg, N. F. 41. Bd., 1911. 50. Zur Frage der Entstehung maligner Tumo- ren. — Jena 1914. 51 ÜberdieCharakterevonEchiniden -Bastard- larven bei verschiedenem Mengenverhältnis mütterlicher und väterlicher Substanzen. — Ver- Ges zu Würzburg, N. F. 40. Bd., 1914. Entstehung der Eugsterschen Arch. f. Entwicklungsmech., 41. Bd., Die Stickstoffuahrii [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. Erich Es ist eine allbekannte Tatsache, daß die grünen Landpflanzen nur dann gedeihen können, wenn ihnen im Boden eine genügende Menge von Stickstoffverbindungen zur Verfügung steht. Die Krtragsfähigkeit einer bestimmten Bodenfläche ist geradezu als I-^unktion ihres Stickstoffgehaltes zu betrachten; denn der größte Überfluß an allen anderen mineralischen Nährstoffen vermag einen etwa vorhandenen Stickstoffmangel nicht auszu- gleichen (Gesetz des Minimums!). An dieser Sachlage wird auch nichts geändert, wenn man den Pflanzen die denkbar günstigsten Assimilations- bedingungen (also Wärme, I'euchtigkeit, Licht und kohlensäurehaltige Luft) bietet. Der Kohlen- hydratbildung durch Assimilation ist ebenfalls eine Grenze gesetzt durch das verfügbare Stickstoff- kapital. Das ist leicht verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß der lebenstätige Teil der Zelle, das Protoplasma, von stickstoffhaltigen Eiweißstoften gebildet wird. Die Menge der täg- lich erzeugten Pflanzensubstanz hängt aber natur- gemäß von der Zahl der vorhatidenen Arbeits- kräfte, in diesem Falle von der Zahl der Proto- plasten, ab. Wenden wir jetzt unseren Blick von den Land- pflanzen zu den Wasserpflanzen ! In welchem Mengenverhältnis steht die St off Pro- duktion des Wassers zu der des Landes? Die pflanzlichen Süßwasserbewohner spielen ihrer Masse nach eine verhältnismäßig geringe Rolle im Gesamthaushalt der Natur. Ganz anders wird aber das Bild, wenn wir die Meere in den Kreis unserer Betrachtung ziehen. Die Litoralzone mit ihren bodenständigen Algengroßformen ist zwar ihres beschränkten Umfanges wegen auch nur von untergeordneter Bedeutung, aber die freie Wasser- fläche der Ozeane ist die Produkiionsstätte einer ungeheuren organischen Stoffmenge. Die ,, Wasser- wüste", von der die Dichtt-r aller Zeiten gesprochen haben, stellt sich dem Naturforscher als üppiges Vegetation^gebict dar. Ungezählte Scharen mikro- skopisch kleiner Algen bevölkern überall die ober- flächlichen Wasserschichten und bilden zusammen Hg der Meeresalgen. Leick, Konstantinopel. mit den mikroskopisch kleinen tierischen Meeres- bewohnern einen in sich geschlossenen Lebens- verein, das Plankton. Sind wir auch nicht in der Lage, genau zahlenmäßig die Stoffproduktion der pflanzlichen Planktonwesen anzugeben, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, dal.5 sie infolge der gewaltigen Ausdehnung ihres Lebens- bereiches in horizontaler und vertikaler Richtung eine viel größere Gesamtwirkung zustande bringen als die räumlich viel mehr eingeengten Landpflanzen. Daraus erhellt die gewaltige ernährungsphysio- logische Bedeutung der Hochseealgen für die Gesamtnatur. Um einen ungefähren Begriff von der Größen- ordnung der im Meer erzeugten Stoffmenge zu ^c- ben, will ich hier einige Zahlen hinzufügen. Es muß aber ausdrücklich hervorgehoben werden, daß solche Berechnungen nur innerhalb sehr weiter Grenzen Gültigkeit haben und daher mit großer Vorsicht zu verwerten sind. Auf Grund der bis- herigen Erfahrungen kann man sagen, daß i m'^ Meeresfläche im Durchschnitt etwa 150 — 180 g organische Substanz liefert. Daraus läßt sich leicht berechnen, daß i km- Meeresfläche mindestens 150000 kg (:= 3000 Ztr.) organische Substanz produziert, und daß an der Oberfläche aller Meere insgesamt etwa 52575000000000 kg {= 1 051 500000000 Ztr.) organische Substanz ent- stehen. Welch ungeheures Kapital ist damit für die Erhaltung des tierischen Lebens im Meere ge- schaffen! Allein der Nordsee entnimmt man jähr- lich etwa 875000000 kg an nutzbaren Produkten. In ihnen sind nicht weniger als 16000000 kg Stickstoff enthalten. Die in i 1 Seewasser lebenden Organismen liefern bei der Analyse im Durch- schnitt 0,000 39 mg Stickstoff. Da nun alle Meere zusammen rund i 330000000 km -'Wasser enthalten, so würde sich daraus ein Gesamtstickstoft'gehalt aller Meeresorganismen von 518 700 000 000 kg ergeben. Da die Vorgänge der Stofferzeugung in der Algeiizelle prinzipiell die gleichen sind wie in jeder anderen Pflanzenzelle, so hängt auch ihre Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 Assimilationsleistung in erster Linie von den im Meere zu Gebote stehenden Stickstoffverbindungen ab. Versuche, die man in dieser Richtung an- stelhe, haben ergeben, daß Algen — es handelt sich allerdings meist um Süßwasseralgen — in stickstoffreien Kulturen auf die Dauer nicht be- stehen können. Der Stickstoffhunger rief bei ihnen bald wesentliche Veränderungen hervor, die vornehmlich in einem Verblassen der Chromato- phoren, einer Abweichung der Zellform vom nor- malen Typus und einer beschleunigten Bildung von Fortpflanzuiigsorganen bestanden. Was für StickstoftVerbindungen sind nun im Meerwasser vorhanden und woher stammen sie? Bevor wir auf diese Frage Antwort geben, wollen wir die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit erörtern, daß die Algen sich den Luft Stickstoff unmittelbar zu Nutzen machen. Tat- sächlich haben Frank und andere Botaniker auf Grund ihrer Beobachtungen im Laboratorium be- hauptet, niedere grüne Algen besäßen die Fähig- keit, atmosphärischen Stickstoff zu binden. Ent- spräche das der Wahrheit, so wäre damit die Öko- nomie der Meeresorganismen auf eine ganz andere Grundlage gestellt als die der Landorganismen. Es hat sich aber später ergeben, daß die obige Behauptung auf einem Irrtume beruht. Zwar ist es richtig, daß Böden, die von einer Algendecke überzogen sind, nach und nach eine Stickstoftan- reicherung erfahren , aber diese Stickstoftan- reicherung ist nicht den Algen auf Rechnung zu setzen. Die Urheber sind vielmehr bestimmte Bakterien, die mit den Algen vereint leben. Daß sie die eigentümliche Fähigkeit der Stick- stoft'bindung besitzen, ist eine durch die Bodenunter- suchung längst bekannte Tatsache. Verwendet man statt der Mischkulturen (Algen -j- Bakterien) ganz reine Algenkulturen, so bleibt die StickstofT- vermehrung aus. Es unterliegt demnach keinem Zweifel, daß das Gedeihen der Algen in den Mischkulturen, wie sie im Freien Regel sind, durch die Bakterien höchst vorteilhaft beeinflußt wird. Befremdlich erscheint auf den ersten Blick das Verhalten dieser Mischkulturen im Dunkeln. Hier unterbleibt nicht nur die Assimilation der grünen Algen, sondern nach und nach auch die Stick- stoffbindung der Bakterien. Erst die Versuche mit Reinkulturen von Bakterien haben uns zu einer Einsicht verhelfen. Führt man nämlich diesen Bakterienreinkulturen lösliche Kohlenhy- drate in Form von Zucker zu, so wird dadurch die Stickstoffbindung wesentlich erhöht. Was hier künstlich geschehen, kann in der Natur durch Vermittlung der Algen vor sich gehen, die durch Assimilation einen reichlichen Überschuß an Kohlenhydraten erzeugen. Also: in der Misch- kultur zieht nicht nur die Alge Vorteil vom Bakterium, sondern auch dieses von jener. Der- artige Vergesellschaftungen zu gegenseitigem Nutzen bezeichnet man als Symbiosen. Fassen wir unsere bisherigen Betrachtungen zusammen, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß den Meeres- algen ebensowenig wie den grünen Landpflanzen die Luft als unmittelbare Stickstofiquelle dient. Wir gehen jetzt an die Lösung der oben auf- geworfenen Fragen: Was für Stickstoffver- bindungen sind im Meerwasser vor- handen und woher stammen sie? Genaue Untersuchungen haben gelehrt, daß die Meere durchweg einen sehr geringen Gehalt an Nitraten aufweisen. Im Mittelmeer wie im Roten Meer fand Natterer nur Spuren von salpetersauren Salzen. Nitrite sind zwar etwas reichlicher vor- handen, bleiben aber auch weit hinter den Er- wartungen zurück. Vergleichen wir hiermit die Salpetersäuremengen, die im Süßwasser angetroffen werden, so ergibt sich ein wesentlich anderes Bild. Ich führe zur Erläuterung einige Zahlen an, die ich dem vortrefflichen Werke von Oltmanns „Morphologie und Biologie der Algen" entnehme. Genfer See Salpetersäure in ; 1 Wasser: o,8i mg Lac de Gerardmer „ „ l 1 ,i ofi' mg Lac de Bourget ,, „ i 1 ,, 1,5 mg Holsteinische Seen (nach Brandt) „ „ i 1 „ 1—3 mg — in einzelnen sogar „ „ I 1 ,1 3 — 12 mg Ein dem Süßwasser entsprechender Nitratgehalt konnte nur in kleinen, rings von Land umschlossenen Meeresräumen, wie z. B. in der Kieler Bucht und im Greifswalder Bodden, nachgewiesen werden. Da — wie wir gesehen haben — die Algen ohne Stickstoffverbindungen nicht gedeihen, so muß der offene Ozean eine andere Stickstoffiiuelle besitzen als das Süßwasser. Das ist auch tatsächlich der Fall. Die fehlenden Nitrate werden hier durch Ammoniumverbindungen (Ammoniaksalze) ersetzt, die in nicht unerheblicher Menge vor- handen sind. Wiederum mögen einige Zahlen aus dem genannten Werke als Beleg dienen: Rotes Meer Ammoniak in i 1 Wasser: 0,17 mg Golf von Bengalen „ „ i 1 ., 0,14 mg Küste von Cochinchina ,, ,1 I 1 „ 0.34 mg Adrialisches Meer ,, ,, i 1 „ 0,14 mg Nordsee „ „ l I ,. >o,io mg Es ergibt sich nun die Frage, ob diese Ammo- niumverbindungen auch wirklich von den Algen ausgenutzt werden können. Höhere Pflanzen be- vorzugen ganz entschieden die salpetersauren Salze. Kulturversuche mit Algen haben aber er- wiesen, daß sie in Nährlösungen, die ausschließ- lich Ammoniaksalze enthalten, bis auf wenige Ausnahmen vorzüglich gedeihen. Es ist also nicht daran zu zweifeln, daß die Meeresalgen ihren Stickstoff aus den vorhandenen Ammoniumver- bindungen beziehen. Für die wenigen Ausseiter, die einzig und allein auf den Verbrauch von Nitraten abgestimmt sind, ist ebenfalls gesorgt. Es leben nämlich im Meere — ebenso wie im Ackerboden — zahlreiche nitrifizierende Bakterien, die die Fähigkeit besitzen, aus den vorhandenen Stickstoffverbindungen Nitrate zu erzeugen. Wie sind nun aber die ansehnlichen Stickstoffmengen ins Meer gelangt? Darauf hat Brandt eine Antwort zu geben ver- sucht. Er geht von der Tatsache aus, daß die N. F. XV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Flüsse infolge der auslaugenden Wirkung der Sicker- und Ouellwässer eine sehr große Menge von Stickstoffverbindungen jahraus, jahrein dem Meere zuführen. Allein das Eibwasser beherbergt so viele von diesen Stoffen, daß man mit ihnen die Stickstoffdüngung des gesamten Kulturbodens der Erde für ein Jahr bestreiten könnte. Infolge der Verdunstung muß derSückstoftVorrat der Meere eine dauernde Steigerung erfahren. Ist die eben dargestellte Meinung richtig, so drängen sich uns notwendig zwei weitere Fragen auf: 1. Wie kommt es, daß die Erdoberfläche in- folge des ununterbrochenen Verlustes an ge- lösten Stickstoffverbindungen nicht völlig verarmt ? 2. Muß die Zunahme der Stickstoffverbindungen im Meerwasser nicht schließlich zu einer solchen Konzentration führen, daß dadurch das Pflanzenleben, das gegen einen Überschuß von Nährsalzen sehr empfindlich ist, ernstlich gefährdet wird ? Brandt bleibt auf beide Fragen die Antwort nicht schuldig. Die Verarmung der Erdoberfläche wird dadurch hintangehalten, daß einerseits durch die elektrischen Entladungen der Gewitter, anderer- seits durch die Tätigkeit besonderer stickstoff- bindender Bakterien im Boden ein ununter- brochener Stickstoffgewinn erzielt wird. Einer Überreicherung des Meerwassers mit Slickstoff- salzen ist aber ebenfalls vorgebeugt. Das Siick- stofifkapital des Meeres erfährt nämlich nach Brandt's Ansicht eine Regulierung durch deni- trifizierende (stickstofi'entbindende) Bakterien, die in großer Zahl im Meerwasser aufgefunden wurden. Wir müssen uns natürlich darüber klar sein, daß die Brandt sehe Erklärung nach mehreren Rich- tungen hin anfechtbar ist. So hat z. B. Johannes Reinke einen durchaus anderen Standpunkt ein- genommen. Er hält die Süßwasserzuflüsse mit ihrem Stickstoffgehalt für lange nicht ausreichend, die ungeheuren Stickstottvorräte der Ozeane zu erklären. Ihm scheint es wahrscheinlicher, daß die — tatsächlich nachweisbare — Wirksamkeit stickstoffbindender Bakterien im Meer für den Stickstoffreichtum des Wassers verantwortlich zu machen ist. Wir müssen abwarten, welcher von beiden Meinungen die ferneren F'orschungsergeb- nisse Vorschub leisten werden. Die Erfahrungen bei Binnenseen haben gelehrt, daß in ihnen der Planktonreichtum dem Gehalt an löslichen StickstoH'verbindungen oft geradezu proportional ist. Man kann hier also von der Menge der in i 1 enthaltenen Organismen unmittel- bar auf den Prozentgehalt des Wassers an Nitraten, resp. an Ammoniumverbindungen schließen. Ob auch für die Meere eine ähnliche Proportionalität angenommen werden darf, erscheint auf den ersten Blick fragUch. Die Verdünnung der ozeanischen Stickstofflösung ist so erheblich, daß man ihr nicht gerne eine so weittragende Bedeutung zu- schreiben möchte. Und doch 1 Wenn wir hören, daß selbst bei einem Nitratgehalt von 0,002 "/(, Algen nach und nach beträchtliche Stickstoffmengen in sich konzentrieren, ^) so .wird uns dadurcli glaubhaft, daß auch im Meer die Menge der leben- den Substanz wesentlich von dem Stickstoffgehalt abhängig ist. Damit wenden wir uns einer für die Hydrobiologie außerordentlich wichtigen Frage zu : Wie gestaltet sich die \'erteilung der Meeresalgen in horizontaler Richtung? Es waren besonders die Ergebnisse der N'ational- Expedition, die hierin wenigstens in großen Zügen Klarheit schafften. Diese Ergebnisse können wir in die paradox erscheinende Form kleiden ; J e wärmer (also südlicher) das Meer, umso algenärmer ist es, je kälter (also nördlicher) das Meer, um so algenreicher ist es! Dafür einige Beispiele! Hensen fand in den Nord- meeren eine 8 mal so große Planktonmenge als in den Tropenmeeren. Nach den Angaben Brandt's ist das Algenvolumen in der Kieler Bucht IG mal, bei Grönland sogar 20 mal so groß als an der sizilianischen Küste. Wir müssen also auf Grund des Tatsachenmaterials zu der Überzeugung kommen, daß sich die Vegetations- verhältnisse der Weltmeere im großen und ganzen umgekehrt verhalten wie die der Kontinente. Das Pflanzenleben des Landes erfährt eine Steigerung in Richtung des Äquators, eine Abnahme in Rich- tung der Pole, das Pflanzenleben des Meeres da- gegen zeigt nach beiden Polen zu einen steigen- den Reichtum, während die Tropenmeere als pflanzenarm zu gelten haben. Was hier von der Verteilung der Pflanzen im Meere gesagt ist, gilt naturgemäß cum grano salis auch für die Ver- teilung der Tiere im Meer, die ja auf die „Ur- nahrung" des Planktons angewiesen sind. Die gewaltigen Schwärme des Herings und des Kabel- jaus sind ausschließlich in den Nordmeeren anzu- treffen, und hier ist auch die Heimstätte der Riesen des Meeres, der Wale und Robben, zu suchen. Da der Gehalt an Planktonorganismen — wie Franz Schutt zuerst nachgewiesen hat — auch für die P'ärbung der Meere maßgebend ist, so macht sich die Verteilung der Pflanzen in den Ozeanen unmittelbar dem Auge bemerkbar. Die pflanzenarmen Südmeere erschei- nen tiefblau, die pflanze nreich en N ord- meere dagegen grün bis gelb. ,,Blau ist die Wüstenfarbe des Meeres" (Schutt). Die ge- schilderte Verteilung der Hochseealgen muß not- wendig auf den ersten Blick überraschen. Sind wir doch zu sehr gewöhnt, in der südlichen Wärme und Lichtfülle zwei mächtige Förderer alles pflanzlichen Lebens zu erblicken, und haben wir doch zu oft in den Reiseschilderungen gelesen, ') Man kann die Algen im Meerwasser geradezu als ,, Attrak- tionszentren" für Nährstoffe betrachten. Unwillkürlich wird man durch die vorliegende Erscheinung an zwei andere er- nährungsphysiologische Tatsachen erinnert, die uns das Ver- ständnis lür die SlickstoiTaufnahme der Meeresalgen trotz der sehr verdünnten Nährlösung erleichtern. Ich meine die Speiche- rung von Jod in manchen Tangen und die Kohlenstoffanhäufung in den Landpflanzen. 90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 welch einen Reichtum von Formen und Farben die Seetiere und Seepflanzen in den Tropen ent- falten. Wenn wir uns jetzt aber klarmachen, daß die Wärmeschwankungen des Wassers nicht annähernd so groß sind als die der Luft, und daß selbst die Polarmeere — infolge der schlechten Wärmeleituiig der Eisdecke — keineswegs so niedrige Temperaturen zeigen, als man häufig glaubt (Bodentemperatur nie unter — 2" bis — 3"), so verliert die Erscheinung schon etwas von ihrer Sonderbarkeit. Auch die farbenfrohen Schilde- rungen der Tropenmeere können zu Recht be- stehen bleiben, denn wir müssen scharf unter- scheiden zwischen der Artzahl und der Individuen- zahl. Die Artzahl ist in den polaren Meeren verhältnismäßig gering, die Individuenzahl dagegen sehr groß. Ungefähr das Umgekehrte gilt von den warmen Meeren, wo es zwar viele Tier- und Pflanzenarten gibt, wo aber jede .'\rt eine verhält- nismäßig beschränkte Zahl von Individuen auf- weist. Trotz alledem: der Pflanzenverteilung im Meer muß ein ganz bestimmter Ernährungsfaktor zugrunde liegen, und es ist von größter theoreti- scher und praktischer Bedeutung, diesen Faktor zahlenmäßig festzustellen. Brandt glaubt ihn in dem Stickstoffgehalt der Meere gefun- den zu haben. Die bi>herigen, allerdings nicht sehr ausgedehnten Erfahrungen haben tatsächlich ergeben, daß die planktonarmen Meere durchweg auch stickstoftarm sind. Selbstverständlich ist der ursächliche Zusammenhang beider Erschei- nungen dadurch noch nicht erwiesen. Wir fragen je' zt weiter: Wie kommt es, daß der Stick- stoffgehalt in den Südmeeren so viel geringer ist als in den Nordmeeren? Auch hierauf findet die Brand t 'sehe Hypothese eine Antwort. Stickst off entbi nden d e Bak- terien, die — wie wir schon hörten — zahlreich im Meerwasser vorhanden sind, sollen nach Brandt 's Meinung die Urheber der ungleichen Stickstoffkonzentration sein. Wie das? Versuche zeigten, daß die Denitrifikationsbakterien bei 20" bis 25" eine sehr lebhafte Tätigkeit entfalteten, d. h. eine große Menge von elementarem Stickstoff in Freiheit setzten und dadurch das Wasser der wertvollsten Stickstofifverbindungen beraubten. Ganz anders verhielten sich diesfiben Bakterien bei einer Temperatur von 5". Ihre Lebenstätigkeit nahm beträchtlich ab, so daß sie dementsprechend auch eine viel geringere Wirkung auf den Stick- stofifgehalt des Meerwassers ausübten. Jetzt ist es ohne weiteres klar, daß in kalten Meeren die Stickstofi'verarmung hintangehalten wird, während sie in den warmen Meeren unaufhaltsam fort- schreitet. So klar und anschaulich die eben näher geschilderte Hypothese ist, so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, daß noch viel mehr experi- mentelle Erfahrungen gesammelt werden müssen, ehe sie als einigermaßen gesichert gelten kann. In neuester Zeit hat Nathansohn in der StickstofTfrage der Meere eine von der Brandt- schen wesentlich abweichende Meinung ge- äußert. Sein Gedankengang ist etwa folgender. Die Planktonalgen entziehen den oberflächlichen Wasserschichten zum Autbau ihres Körpers fort- während eine erhebliche Stickstoft'menge. Würden diese Algen alle wieder an Ort und Stelle ver- gehen, so käme bei ihrer Zersetzung der aufge- nommene Stickstoff wieder an das Oberflächen- wasser zurück. So liegen die Verhältnisse aber nun keineswegs, sondern die Algenleichen sinken ununterbrochen in die Tiefe und dienen hier den Tiefseebewohnern als Nahrung. Diese aber be- schließen ihr Leben in der Tiefenregion und ver- wesen auf dem Meeresgrunde. Der jetzt wieder in Freiheit tretende Stickstoff bedingt zwar eine Bereicherung des Tiefenwassers, gelangt aber sobald nicht wieder an die Oberfläche. Demnach muß eine fortschreitende Stickstoffverarmung des Oberflächenwassers Hand in Hand gehen mit der Stickstoffbereicherung des Tiefenwassers. Pfände kein Ausgleich zwischen den genannten Regionen statt, so müßte nach und nach alles Baumaterial der Einwirkung des Sonnenlichtes entzogen wer- werden. Völlige Unproduktivität aller Meere wäre die schließliche P'olge. Dieser Endzustand w?ird infolge des tatsächlich stattfindenden Aus- gleiches vermieden. Auf zweierlei Weise kann der Nährstoffreichtum der Tiefe wieder an die Oberfläche gelangen, nämlich durch Diffusion und durch Vertikalströmung. Die Diffusion vollzieht sich so langsam, daß sie der Abwan- derung des Stickstoffes aus den oberflächlichen Schichten nicht das Gleichgewicht zu halten ver- mag. Ganz anders die sog. Konvektions- strömung! Sie vermag in kurzer Zeit erheb- lichere Mengen von Tiefenwasser nach oben zu befördern. Bliebe jetzt nur noch die Frage: Liegen die Strömungsverhältnisse der Ozeane tat- sächlich so, daß die Nordmeere in der Regel reichlicher mit Tiefenwasser versorgt werden als die äquatorialen Meeresräume? Darauf läßt sich heute noch keine bestimmte Antwort geben. Nathan söhn ist der Ansicht, daß in den Polar- meeren durch die Eisschmelze Vertikalzirkulationen in größerem Umfange hervorgerufen werden. Ist das tatsächlich der Fall, so können diese Auftriebs- strömungen eine Stickstoftbeteicherung des Ober- flächenwassers dieser Regionen herbeiführen. Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse in der planktonarmen Sargassosee, in der nachweisbar absteigende Strömungen vorherrschen, die not- wendig einen Anstau des Stickstoftes in der Tiefe zur Folge haben. Es kann keinem Zweifel unter- liegen, daß sich auf dem von Nathansohn eingeschlagenen Wege manche lokale Erschei- nungen, wie z. B. verhältnismäßiger Planktonreich- tum einzelner Teile des Tropenmeeres, gut er- klären lassen. Eine endgültige Entscheidung über die Richtigkeit einer der beiden Hypothesen oder über das Zusammenwirken beider ^Erklärungen ist nach dem derzeitigen Stande der Dinge noch nicht möglich. F"assen wir unsere Betrachtungen zusammen, N. F. XV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 91 so ergibt sicJi, daß die Ernährungsverliähnisse der Meeresalgen, insonderheit die Deckung ihres Stickstoffbedarfes, von größter Bedeutung für das Verständnis des Gesamthaushalters der Natur sind. Süßwasserzufluß, Gewitter und Bakterien sind maßgebend für den Stickstoffvorrat des Welt- meeres. Dieser Stickstoffvorrat regelt seinerseits die Menge der im Meere erzeugbaren organischen Substanz und wird dadurch maßgebend für die Produktivität der verschiedenen Meeresräume. Bak- terien, Algen und Tiere sind somit in ihren Lebens- bedingungen aufs engse miteinander verknüpft und veranlassen ihrerseits die verschiedenartige Färbung der Meere. Alle hier im engen Rahmen aufgedeckten Wechselbeziehungen tragen an ihrem bescheidenen Teile dazu bei, uns einen Einblick zu gewähren in die „Feinheit der Abstimmung aller h'aktoren des Weltalls zu einem harmonischen, stets wechselnden und doch steis sich erneuernden Ganzen, einem wirklichen Kosmos, in den wir nun nicht bloß die großen Weltkörper Sonne, Mond, Erde und die unorganische Natur, sondern auch das unendlich verwickelte und vielgestaltete Leben des ganzen Landes und des ganzen Meeres mit hineinziehen müssen" (Schutt). Die wichtigste Literatur. 1. Friedrich Oltmanns, Morphologie und Biologie der Algen. 2 Bde. Jena 1905. 2. Adolf Steuer, Leitfaden der Planktonkunde. Leipzig Pflanzen. 1911. 3. A. Nathan söhn, Der Stoffwechs( Leipzig 1912. 4. W i 1 h e 1 m P f e f f e r , I landbuch der Pflanzenphysiologie. 2. Aufl. 2 Bde. Leipzig 1897 — 1904. 5. Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen. Herausgegb. von d. Kommision z. Untersuchung d. deutschen Meere. Kiel. 6. Franz Schutt, Das Pflanzenleben des Hochsee. Kiel 1893. 7. K. Brandt, Über die Bedeutung der Stickstoffver- bindungen für die Produktion im Meere. Beih. z. Botan. Zentralbl. Bd. 16. 1504. Einzelberichte. Zoologie. Eine sehr merkwürdige Form der Stachelhäuter wurde Ende der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts von der deutschen Tief- seeexpedition der „Valdivia" in 400 — 500 m Tiefe auf der Algulhas-Bank in 5 Exemplaren gedredscht. Das Tier hat die Form eines Fünfeckes von 12 — 13 mm größtem Durchmesser mit geraden oder schwach konvexen Seitenrändern; die Seiten- platten der ersten 7 Armglieder sind derart ver- breitert, daß sie interradial zusammenstoßen. .'\n den Ecken des F"ünfecks ragen noch einige rudi- mentäre Armglieder frei hervor. In der Sitzung der Pariser .\kademie der Wissenschaften vom 15. November d. J. wurde das merkwürdige Tier von R. Koehler be- sprochen und benannt (Description d'une nou- velle espece d'Astrophiura. Presentee par Edmond Perrier. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 20, 191 5). Es waren bisher zwei verwandte Arten in je einein einzigen Exemplar bekannt: A. pcniiira von der Küste Madagaskars, beschrieben 1 879 von S 1 a d e n , und A. Kawamurai, 1913 gedredscht im japa- nischen Meer in einer Tiefe von 500 m. Die neue Art wurde, wie gesagt, von der deutschen Tiefseeexpedition der „Valdivia" 34" 33' südl. Br. und 18" 2 L östl. L. vom Kap der guten Hoffnung gefiuiden. Sie unterscheidet sich von den beiden vorigen durch das Fehlen von Armstacheln und durch die Anordnung der Platten auf der Rücken- seite der Körperscheibe. Die Gattung ist jetzt in je einer Art aus dem atlantischen, indischen und stillen Ozean bekannt. S laden betrachtete die von ihm gefundene Art als eine Mitttlform zwischen den See- und Schlangensternen. Auch Chun glaubt, daß die von ihm gefundene Art eine neue Gattung repräsentiere, welche ein Bindeglied zwischen beiden Klassen darstelle. K. dagegen hält das Tier für einen echten Schlangen- stern. Seine Besonderheiten erklärten sich ohne weiteres aus der starken Verbreiterung der Rand- platten der Arme. Auch andere Ophiuren, so Ophiogyptis, Ophiomisidium und Ophiomidas zeigten eine erhebliche Verbreiterung der ersten Seitenplatien der Arme. Von der früheren Auf- fassung, die paläozoischen Ophiuren stellten ein Bindeglied zwischen Schlangen- und Seesternen Neues Ophiuridi Aus: Chun, , len Tiefen des Weltmeeres" ufl., S. 4S8. dar, sei Abstand zu nehmen, weil sie von beiden Klas'^en gleich weit abständen. Nachdem K. schon eingangs ausdrücklich versichert hatte, daß er vor 1 9 1 4 die Echinodermen aus der „Valdivia- expedition" zur Bearbeitung übernommen habe, schließt er: „Je dedie cette espece ä la memoire de miss Edith Cavell, dont l'odieux assassinat a provoque 92 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 l'indignation et l'horreur dans le monde civi- lise." Ein französischer Forscher, namens Koehler, benennt also eine neue von einer deutschen Tiefseeexpedition gefundene Tierart zu Ehren einer wegen antideutscher Spionage kriegsgerichtlich verurteilten Engländerin. Weiter kann man in der Objektivität in der internationalen Nomenklatur wohl nicht gehen. Kathariner. Botanik. Leuchtwasser in Japan. Das klägliche Beispiel der französischen Gelehrtenwelt, die durch ihr verbohrtes Verhalten gegenüber der deutschen Wissenschaft und ihren Vertretern mehr unser Mitleid als unseren Zorn erregt, scheint in Japan nicht eben aufreizend zu wirken. Zeuge dafür ist ein Sonderabdruck aus dem in Tokyo erschei- nenden „Botanical Magazine", der einem (wahr- scheinlich mehreren) unserer Gelehrten kürzlich „mit bestem Gruße vom Verf." zugegangen ist. Der Verf. ist der den Fachgenossen wohlbekannte Prof. Manabu Miyoshi, der seine wissenschaft- liche Ausbildung in Deutschland genossen und noch vor zwei Jahren längere Zeit bei uns ge- weilt hat. Seine neue Mitteilung ist wie zahl- reiche frühere in deutscher Spraciie geschrieben und handelt von dem „Leuchtwasser und dessen Schutz in Japan". „Leuchtwasser" gibt es auch in Deutschland. Es wird durch die massenhafte Entwicklung einer Chrysomonadine, der Chromu- lina Rosanoffii, erzeugt, deren Zellen bei bestimmter Beleuchtung einen Goldglanz ausstrahlen. Miyoshi konnte es selbst 1913 an einem seiner ausge- zeichnetsten Fundorte, nämlich in den Klüften der Luisenburg im Fichtelgebirge, beobachten. Wie ihm der durch seine Führer durch das F"ichtelgebirge und die Luisenburg vielen bekannte Albert Schmidt mitteilte, ist das Leuchtwasser dort geschützt ebenso wie das Leuchtmoos (Schistostega osmundacea), das übrigens dank den Bemühungen Mij'oshi's auch in Japan an einer Stelle unter Schutz gestellt ist. Ein solcher Schutz ist für diese seltenen Pflanzen sehr not- wendig, um die Ausrottung zu verhindern, der z. B. das früher am Kuhstall in der Sächsischen Schweiz vorkommende Leuchtmoos (nach G. Lindau) zum Opfer gefallen ist. Miyoshi teilt mit, daß Leuchtwasser inzwischen auch an mehreren Punkten in Japan entdeckt worden sei. An einer Stelle wurde beobachtet, daß der goldige Glanz der Wasseroberfläche nur im zerstreuten Lichte deutlich zutage trat, bei starker Besonnung dagegen in einen weißlich gelben Ton überging, eine Farbenänderung, die durch Bewegung der in den Zellen enthaltenen Farbstoffkörper infolge der Einwirkung des starken Lichtes bedingt wird. Die Besitzer der Brunnen , in denen das Leucht- wasser auftritt, haben die Zugänge durch Zäune absperren lassen um jede Ausnutzung des Wassers zu verhüten. Wie Miyoshi annimmt, ist die Alge in Japan wahrscheinlich weit verbreitet, nur findet ihre massenhafte Entwicklung in der Natur ziemlich selten statt. F. Moewes. Prof. Dr. C. Wehmer teilt im Jahresbericht für angewandte Botanik (II, S. 106) einige seiner Versuche über Ansteckung des Holzes durch den Hausschwamm (Merulius lacrymans) mit. Als Er- gebnis zeigte sich überall, daß auf gesundes Holz unter natürlichen Bedingungen die Infektion nur durch auswachsendes Lufimycel von Merulius über- gehen kann. Verf. kommt auf Grund sämtlicher Versuche zu dem Resultat, daß sich der Pilz allein durch Übertragung lebender Hyphen in krankem Holz, unter Umständen auch durch Stränge, nicht aber durch bald absterbende Mycel- teile oder gar durch Sporen verbreitet. Daß Holz für Hausschwamm besonders empfänglich wird, wenn es vorher von anderen Pilzen infiziert ist, glaubt Verf nicht. v. Aichberger. Physiologie. Es ist eine für alle Lebewesen gültige Regel, daß die Entwicklung eines Organs mit seiner Beanspruchung gleichen Schritt zu halten trachtet. Wird es viel gebraucht, so nimmt es an Masse und Leistungsfähigkeit zu (Aktivitätshypertrophie), während es im umge- kehrten Fall kleiner wird und verkümmert (In- akiivitätsatrophie). Beruht doch darauf der ganze Lamarekismus; denn nach demselben ist ja die Mannigfaltigkeit der Organismenformen dadurch zustande gekommen, daß die Organisation in An- passung an den Wechsel der Umwelt sich änderte. Experimentell wurde die Gültigkeit des Satzes von der Aktivitätshypertrophie wiederholt geprüft; es sei nur an den sog. Känguruhhund erinnert, dessen Hinterbeine nach Entfernung der Vorder- beine in früher Jugend eine kompensatorische Hypertrophie zeigten. Aus der pathologischen Anatomie gehört hierher das „Münchener Bierherz", welches eine Vergrößerung des Herzens darstellt, im Anschluß an die erhöhte Arbeitsleistung infolge der Aufnahme größerer Plüssigkeitsmengen. Ein interessanter Beitrag zur P'rage nach der funktionellen Hypertrophie betrittt den Körperbau der in Flandern landesüblichen Ziehhunde. Prof. Dr. Külbs teilt darüber folgendes mit (Weitere Beiträge zur Frage: .Arbeitsleistung und Organ- entwicklung. Münchener med. Wochenschrift Nr. 43, 26. Oktober 1915). Man sieht täglich mit Brot und Gemüse beladene Wagen, die von Hunden gezogen werden, wobei noch ein Mann auf dem Karren sitzt. Von einem mittelgroßen Hund ver- langt man, daß er bis zu 300 kg ohne Mühe vorwärts bewegt. Daneben dienen die Hunde zum Ziehen von Milch, Fleisch, Fischen, Geräten und Materialien aller Art, kurz der Hund ist hier das Pferd des kleinen Bauern und Handwerkers. In Westflandern werden Hunde jeder Größe und Rasse als Zugtiere benützt. Früher war diese Benutzung des Hundes als Zugtier auch in Deutschland gebräuchlich, bis es gesetzlich ver- boten wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut N. F. XV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. aus meiner Jugendzeit, daß die kleinen Metzger die Dörfer in der Umgebung von Fulda besuchten, kleinere Schlachttiere, namentlich Kälber, auf ihrem Wägelchen verluden, sich selbst darauf setzten und in schärfstem Tempo den oft stunden- weiten Weg zurückfuhren. Was die Größe der flandrischen Zughunde anbelangt, so schwankt die Wideristhöhe von 32—65 cm. Mit 9 — 12 Monaten wird der Hund eingeschirrt, nachdem er schon vorher angeseilt neben dem Zughund mitlaufen mußte. Mit 2—3 Jahren steht er auf der Höhe seiner Leistungs- fähigkeit. Bis zu ihrem 10. Lebensjahre werden die Tiere zum Ziehen verwendet. Sie besit2en eine große Ausdauer, machen z. B. viermal täg- lich mit einem beladenen Wagen im Trab den 3 — 7 km langen Weg und müssen oft noch eine halbe Stunde lang in einem Tretrad zum Buttern laufen. Trotz der für unsere Begriffe vorliegenden Überanstrengung sieht man die Hunde noch viel Galopp laufen und sogar dabei bellen, ein Zeichen, daß sie im allgemeinen nicht übermüdet sind. Kinc bestimmte Rasse von Zughunden gibt es nicht; doch werden von manchen Züchtern die Schäferhunde und die sog. Picardiehunde bevor- zugt. Um so überraschender ist ihre Leistungs- fähigkeit. Es hat ein besonderes, Interesse die Ausbildung von Herz- und Körpermuskulatur von Tieren dieser Mischrasse einer vergleichenden Untersuchung zu unterziehen. Verf. hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Größe des relativen Herzgewichtes und sein Verhältnis zur Skelett- muskulatur, sowie die proportionale Beteiligung von Skelettsystem, Haut und Fett festzustellen. Er hatte 10 Zughunde, die imstande waren, je 150 — 250 kg zu ziehen, gekauft, in Narkose ge- tötet, entblutet, die inneren Organe, die Haut, das I<"ett, die gesamte Muskulatur und das Knochen- system gewogen. Das Herzgewicht schwankte zwischen 7,5 und 10,4 "ij. Die proportionale Beteiligung der ein- zelnen Herzabsclinitte am Gesamtgewicht entsprach den früheren Ergebnissen und war ungefähr die- selbe wie beim deutschen Jagdhund. Die Lunge wog 5,3 — 10,3 "(, des Körpergewichtes. Sie war größer als bei den früheren Versuchen K.'s mit Arbeitshunden, die im geschlossenen Raum gear- beitet hatten. Es hängt dies nach K. höchstwahr- scheinlich mit der Bewegung in freier Luft und mit der größeren funktionellen Beanspruchung der Lunge zusammen. Der Brustkorb wies keinerlei Formeigentümlich- keiten auf. Das Proportionalgewicht der Leber war recht hoch, 27 — 38 "/„ ; es war noch höher als bei den Arbeitshunden in den früheren Versuchen des Verf. Die Vergrößerung der Leber hängt nach K. höchstwahrscheinlich mit ihrer stärkeren In- anspruchnahme bei den Kohlenhydratstoffwechsel zusammen (D. m. W. 19 12, Nr. 41). Das Skelettsystem war sehr gut entwickelt. Bei den Kontrolltieren betrug das Gewicht 17 — 22 "/„, bei jungen und weniger angestrengten Arbeits- tieren 19 — 24% und 26 — 32",, bei den fland- rischen Hunden. Es scheint diese Zunahme im Zusammenhang mit der körperlichen Tätigkeit zu stehen. Die Skelettmuskulatur beteiligt sich unge- fähr in derselben Weise, wiejene der Arbeitsversuchs- tiere. Die Verhältniszahlen von Herz und Muskulatur hatten sich nicht verschoben, so daß der Schluß be- rechtigt erscheint, daß wie bei den Arbeitshunden auch hier die Herzmuskulatur wesentlich stärker zugenommen hat, als die Skelettmuskelmasse. Zu- sammenfassend sagt K. : „Dieser Schluß, daß bei dauernder körperlicher Arbeit die Herzmuskelmasse sich erheblich stärker vermehrt als die Skelettmuskulatur scheint durch die vorliegenden Ergebnisse bei flandrischen Hunden nicht umgestoßen, sondern bestätigt zu werden, denn die proportionale Zunahme ist für Herz- wie für Skelettmuskulatur bei den flandrischen Hunden die gleiche wie bei meinen früheren Arbeitstieren." Kathariner. Meteorologie. „Wärmegewitter" und „Front- gewitter" unterscheiden sich in ihrer Entstehung und Ausdehnung. Die Wärmegewilter sind beschränkt auf ver- hältnismäßig kleine Gebiete, sind örtliche Er- .scheinungen. Verursacht werden sie durch örtliche Überhitzung der untersten Luftschichten zur Zeit der stärksten Erwärmung des Erdbodens. Diese Erhitzung wird begleitet von starker Wasserver- dampfung, es bilden sich örtlich aufsteigende Luftsäulen und diese werden zu großen Höhen emporgetrieben. Der Dunstgehalt scheidet sich in den kalten oberen Luftschichten als Wolke aus und diese bilden dann die bekannten hoch aufragenden phantastischen Formen der Gewitter- türme. Solche Wärmegewitter sind die häufigsten aller Gewitter und treten oft sehr heftig auf Bald sind sie aber erschöpft, sie bringen keinen Witterungs- umschlag und „werfen das Wetter nicht um". Sind sie vorübergezogen, so scheint die Sonne wieder wie vorher. Über ganze Länder weg ziehen oft im Sommer mächtige Luftwirbel, ausgedehnte Tiefdruckgebiete. Sie sind begleitet von lebhaften, zuweilen stürmi- schen Winden und enthalten dann umfangreiche aufsteigende Luftmassen. Sobald nun diese infolge kräftiger Sonnenbestrahlung des Erdbodens durch örtlich emporgetriebene feuchtwarme Luftsäulen verstärkt werden, entstehen Wirbelgewitter, welche sich weithin erstrecken. Sie bewegen sich in großer Frontentwicklung mit dem Tiefdruckgebiete, der Lufttalfurche, und ihre starken Entladungen bewirken allgemein Abkühlung der bewegten Luft- masse. Es erfolgt Verdichtung des Wasserdampfes der Luft, immer wieder setzt Wolkenbildung ein und demzufolge Dauerregen von geringer Dichte. Die Entladungen der Gewitterfront leiten schließ- lich Witterungsumschlag ein (Rudel, das Wetter 191 5 S. 93). Dr. Bl. 94 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 Zur Gewittervorhersage. In Innsbruck machte Czermak vor mehreren Jahren die Beobachtung, daß die elektrische Leitfähigkeit der Atmosphäre am Morgen vor Gewittertagen einen höheren Wert zeigt wie der normale Morgenwert. Gockel (Das Wetter 1915, S. 121) fand aus Beobachtungen einer Reihe von Jahren, daß auch ohne solche Erhöhung der Leitfähigkeit am Morgen Gewitter eintreten kann, daß aber ganz gewiß ein Gewitter am Nachmittag oder Abend folgt, sobald am Morgen eine solche Erhöhung eingetreten ist. Nach ihm ist es geradezu unwahrscheinlich, daß sich ein Gewitter an dem Tage entladet über dem Ort, an welchem am Morgen keine Erhöhung der Leitfähigkeit zu beobachten war. Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit geschieht am besten mit einem Aluminiuniblatt- elektrometer in der Form von Elster und G e i t e 1 mit der von Ebert angegebenen Diopterablesung der Elster und G eitel' sehen Spiegelmethode. Auf dieses Blaitelektrometer steckt man einen ca. 80 cm langen und 2 — 5 mm starken Stift (Draht oder Rohr) aus Metall, welcher zur Verhütung lichtelektrischer Wirkung durch Oxydieren, ge- schwärzt sein muß. Die Ladung dieses Zerstreuungskörpers erfolgt solange, bis die Blättchen einen passenden Aus- schlag zeigen, dann wartet man einige Minuten und liest in einem bestimmten Zeilpunkt ab. Nach 10 Minuten liest man nochmals ab. Der Ausschlag der Blättchen ist zwar nicht proportional der Spannung, läßt sich aber aus einer Eichtabeile bestimmen, welche die für jeden Ausschlag zugehörige Spannung angibt. Da am Elektrizitätstransport positive und nega- tive Ionen mitwirken und bei positiver Ladung des Zerstreuungskörpers nur die Entladungsge- schwindigkeit durch negative Ionen gemessen wurde, so sind zur Bestimmung der Leitfähigkeit zwei Messungen nötig, eine mit positiv und eine mit negativ geladenem Zerstreuungskörper. Nach der ersten Messung ladet man daher mit entgegen- gesetztem Vorzeichen neu auf, wartet wieder einige Minuten und mißt wiederum. Beim positiven Aufladen reibt man ein Zellu- loidstäbchen oder Röhrchen an dem Metallstab, beim negativen Aufladen benützt man eine ge- riebene Siegellackstange, oder noch besser eine Zambonische Säule oder ein Ladestab von Spindler und Hoyer in Göttingen. Zur vollständigen Messung der Leitfähigkeit genügt eine halbe Stunde, für Zwecke der Ge- witterprognose die Messung bei negativ aufge- ladenem Zerstreuungskörper. Den Apparat stellt man im Freien auf, ge- schützt gegen den Einfluß des elektrischen Feldes auf einem gedeckten Balkon oder unter einem Baum, in einem luftigen Gartenhaus oder unter dem ofifenen Fenster. Das Gehäuse des Elektro- meters leitet man durch Verbindung der Erde oder Gas- oder Wasserleitung zur Erde ab. Die Träger der Elektroskopblättchen sind nie vollständig isoliert, der Isolationsverlust ist aber leicht zu bestimmen bei dem Elektrometer von Elster und G eitel. Ist das Instrument nun ohne Zerstreuungskörper geladen, das Gehäuse geschlossen, so ist das Luftquantum, welches mit dem geladenen System in Berührung kommt, sehr klein und der beobachtete Rückgang der Blättchen auf Rechnung des Elektrizitätsverlustes durch mangelhafte Isolation zu setzen. Die Kapazität des Systems, d. h. die Elektrizitätsmenge, welche den Spannungsabfall von einem Volt herbeiführt, ist aber dreimal kleiner als bei aufgesetztem Zerstreuungskörper, und es ist nur ^3 des in 10 Minuten beobachteten Spannungsabfalls als Isolationsverlust bei der Messung abzuziehen. Am besten tut man, wenn man die Vermin- derung des Abstandes der Blättchen unberück- sichtigt läßt, sobald sie innerhalb 10 Minuten nicht größer als ein Skalenteil ist. Ist sie größer, so mißt man nochmals nach Trocknung des In- strumentes in der Sonne oder an einem warmen Ort bei > 70 " Temperatur. Trockenmittel (metalli- sches Natrium, Karbid) verschmutzen oft nur den Apparat. Zum Zwecke der Gewitterprognose benutze man die am Morgen 8—9 Uhr erhaltenen Werte. Änderungen von Tag zu Tag, welche auf Gewitter schließen lassen unterliegen örtlichen Verschieden- heiten. Die Erhöhung der Leitfähigkeit selbst dürfte die Folge sein eines Austrittes von Boden- luft, also eines aufsteigenden Luftstromes. Dr. El. Kleinere Mitteilungen. Die Goldglanzalge, Chromulina Rosanoffii, ist ein Organismus, der keineswegs so seilen ist, wie es nach dem Bericht über die Arbeit von Miyoshi (in dieser Nummer) scheinen möchte. Nicht nur im h^ichtelgebirge, sondern in allen deutschen Mittelge- birgen kann man unschwer die reizende Naturerschei- nung des „Goldwa'^sers" beobachten. Aber wir brau- chen nicht einmal ins Gebirge zu gehen, obwohl dort durch die größere Häufigkeit von Grotten und einseitig beleuchteten Klüften, die Tümpel reinen Wassers enthalten, die Entwicklung der Alge am meisten in die Augen fällt ; sie ist nämlich in fast allen Gewächshäusern in den steinernen Wasser- behältern oder größeren Tonschalen, wie sie zur Kultur mancher Wasserpflanzen benutzt werden, ein ganz gewöhnlicher Gast, ja zu manchen Jahres- zeiten gibt es z. B. in den Gewächshäusern des Leipziger Botanischen Gartens kaum eine freie Wasseroberfläche, die die zarte Goldhaut vermissen ließe. Da der Organismus im Gegensatz zu seinem N. F. XV. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 95 Analogon unter den Moosen, dem Leuchtmoos Schizostega osmundacea, merkwürdig wenig be- kannt ist, hat es vielleicht einiges Interesse, etwas Näheres über das Zustandekommen des Goldglanzes mitzuteilen. Die Alge oder richtiger der Flagellat, der zur Gruppe der Chrysomonadinen gehört, ist eine winzige Zelle von etwa 0,005 rnm Durchmesser mit einer sehr zarten Geißel, vermöge deren sie im Wasser umherschwimmen kann. In ihrem Innern befindet sich ein Chromoplast von flach glockiger Gestalt und bräunlich gelber P'arbe, der innerhalb seiner Zelle, wie dies ja für die Chromo- plasten ganz allgemein gilt, seine Lage verändern kann. Die Zelle hat übrigens keine starre Form sondern ist zu gewissen Gestaltsveränderungen fähig. Wie die meisten gefärbten Flagellaten reagiert der Organismus auf Lichtreize, indem er, eine mittlere Intensität des einfallenden Lichtes Abb. I. Eine sehr stark vergrößerte, schematisch gezeichnete Zelle von Chromulina (= Chromophyton) Rosanoffii. r Stielchen, mit dem die Zelle auf dem Wasserspiegel sitzt, SS, parallel auffallende Strahlen, die so gebrochen werden, daß sie gegen den Chromatophor c konvergieren. Abb. 2. 5 dem Wasserspiegel aufsitzende Exempl; Sämtliche Zellen zeigen den Chromatophor auf der Lichtquelle abgewendeten Seite. vorausgesetzt, auf die Lichtquelle zuschwimmt. Gleichzeitig ist ein Bestreben zu erkennen, an die Oberfläche des Wassers zu gelangen. Ist dies erreicht, so schwimmt er nun nicht etwa dicht unter dem Wasserspiegel umher, wie man vermuten könnte, sondern es tritt etwas ganz Merkwürdiges ein: er kriecht nämlich auf die Oberfläche des Wassers her- auf, indem er gewissermaßen den Wasserspiegel durchbohrt! Woronin, der den Organismus zum ersten Male genauer studierte,') schildert diesen Vorgang folgendermaßen : „Die Schwärmzelle rückt bis unter die Wasseroberfläche, an welche sie sich unmittelbar anlegt, kommt hier zur Ruhe, rundet sich dabei ab und fängt gleich darauf an, durch die Wasseroberfläche, als ob diese letztere eine feste .Membran wäre, sich emporzubohren. An der Berührungsstelle mit der Wasserfläche treibt sie einen kleinen dunkelscharfkonturierten steck- nadelförmigen Fortsatz, der über die Wasserfläche in die Luft emporragt. Indem nun dieser sich allmählich vergrößert, verringert sich gleichzeitig und in gleichem Maße der unter dem Wasser liegende Teil der Schwärmzelle, bis endlich diese letztere aus dem Wasser vollständig in die Luft hinübergewandert ist." Schließlich taucht nur ein ganz kurzes Gallertstielchen in das Wasser ein, während die Scharen winziger Zellen wie feine Staubkörner auf der Oberfläche schwimmen. Abb. I u. 2. Die auf ein solches Kügelchen fallenden Licht- strahlen werden nun auf der gegenüberliegenden Seite wie durch eine Schusterkugel gesammelt und gerade an dieses Strahlenzentrum rückt das glockenförmige Chromatophor. Die ganze Einrich- tung stellt also oft'enbar eine .•\npassung zur Aus- nützung schwacher Lichtintensitäten dar, ganz ähnlich wie die analoge Einrichtung beim Leucht- moos. Damit steht das natürliche Vorkommen in dämmrigen Klüften und Höhlen in Zusammen- hang. In genau der gleichen Weise wie beim Leuchtmoose ist auch der Leuchtefifekt zu erklären, nämlich durch die Reflexion der Strahlen in der entgegengesetzten Richtung. Daher ist der Gold- glanz am schönsten zu beobachten, wenn man in genau der gleichen Richumg blickt, in der die Strahlen auffallen. Weicht die Blickrichtung wesentlich von dieser Linie ab, so sieht man statt des zauberischen ^^K Glanzes nur ein unansehnliches braunes Häutchen. Und schöpft man gar das flüssige Gold heraus, um es nachhaus zu tragen, so ist es natürlich mit der ganzen Herrlich- keit zu Ende. Wer dächte da nicht an die Märchen und Sagen, wo irgendeine Bergfee dem Wanderer flüssiges Gold zeigt, ihm zu schöpfen erlaubt, aber streng verbietet, unter- \^^ wegs danach zu sehen : der also Beschenkte aber seine Neugier nicht bezähmen kann, der Versuchung unterliegt — und nur Wasser findet! Die beigefügten Figuren, die die geschilderten Verhältnisse erläutern, sind einer kleinen Studie von Mo lisch entnommen, der das Zustande- kommen des „Leuchtens" untersuchte (Sitzber. Akad. Wiss. Wien, Math.-naturwiss. KL, Bd.CX 1901). Buder. Zeitg. li 96 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 6 Bücherbesprechuugen. P. Placidus Hartmann, Zur Geologie des kristallinen Substrat ums der Dents de Mordes. 82 S. 9 Tafeln, i färb. Profil. Bern 1915, A. Francke. — Brosch. 6 M. Nach kurzer topographischer Übersicht werden im ersten Teile die Gesteine nach petrographischen Gesichtspunkten beschrieben. Da es sich um interessante Kontaktverhältnisse handelt, sind nicht nur die kristallinen, sondern auch die sedi- mentären Gesteine des Gebietes berücksichtigt. Von allgemeinerem Interesse ist eine Triasarkose mit Mußspatzement. Die Resultate dieser Unter- suchung, welche durch eine Anzahl gelungener Mikrophotographien unterstützt werden, dienen als Grundlage des zweiten Teiles, der sich mit den geologischen Verhältnissen des Gebietes be- faßt. Dieser Teil ist durch eine große Anzahl von Profilen ergänzt, auf deren Einzelheiten hier jedoch nicht eingegangen werden kann. Verf. kommt, kurz gesagt, zu der Auffassung, daß die ursprünglich sedimentären Schichten der kristal- linen Schiefer des Gebietes ihren kristallinen Habitus unter dem Einfluß einer intensiven Aplitinjcklion erhielten, die präkarbonisch stattfand. Andree. Paul Ascherson und Paul Gräbner, Synopsis der mitteleuropäischen Flora. 89. Lief. Bd. VII. Rutaceae (Schuß) ; Simarubaceae ; Melia- ceae; Tremandraceae, Polygalaceae. Leipzig 191 5, Wilhelm Engelmann. — 2 M. Die Lieferung enthält unter anderem das schwierige Genus Citrus, das, wie die meisten seit altersher in Kultur befindlichen Pflanzen außerordentlich reich an Formen ist. Bei der Be- arbeitung dieser Gattung konnte sich der Verf. der Mithilfe Seh weinfu rt h 's erfreuen, der vor Jahren die Zitrone und Pomeranze in der Eritrea und auf Socotra in wildem Zustande entdeckte. Vermißt hat der Referent eine Notiz über die sogenannten Bizarrien, jene merkwürdigen Misch- linge zwischen Pomeranze, Zitrone usw., die schon aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt, dann aber z. T. wieder verschollen, in den letzten Jahren sich aufs neue eines weitgehenden Interesses erfreuen. Sie fallen durch die Fähigkeit auf, Früchte hervorzubringen, die an einzelnen Teilen (z. B. verschiedenen Sektoren) reine Apfelsinen- an den benachbarten reine Zitronencharaktere aufweisen, und werden jetzt als „Chimären" wie der bekannte Laburnum Adami und die Cratae- gomespili gedeutet. Ihre genaue Untersuchung steht allerdings noch aus. Buder. Anregungen und Antworten. Zur Frage des gelegentlichen Vorkomn genese bei Lymanlna dispar und andere: In Nr. 41 der Naturw. Wochenschr. S. 656 ns von Partheno- Schnietlerlingen. ;röffcntlicht Prof. Stelle eine kurze Notiz über , .Partheno- genese bei Lymantria dispar" als Ergänzung zu seinem bereits vor einigen Jahren erschienenen Artikel ,,Kin Beitrag zur Kenntnis der Vermehrung von Lymantria dispar: Ausfall der Digenese" (Naturw. Wochenschr. N. F. 10. Bd., 191 1, S. 523 f.). Herr Prof. Fritzsche glaubt, daß außer seinen Beobachtun- gen nur zwei ältere Angaben über das Vorkommen von Parthenogenese bei Lymantria dispar (von Carlier und Weij enbergb) vorliegen. Dem ist indessen durchaus nicht so, im Gegenteil, derartige .'\ngaben sind außerordentlich häufig (s. z.B. die Literaturverzeichnisse in: Taschenberg, O., Historische Entwicklung der Lehre von der Partheno- genesis. Abhandl. d. Naturforsch. Ges. in H.alle, 17. Band, 1892. — Phillips, E. F., A rcview of parthenogenesis. Free. Amer. phil, Soc, Vol. 42, 1903). Auch von anderen Schmetterlingen — z. B. Bombyx mori, Orgyia antiqua — wird immer wieder behauptet, daß sie sich gelegentlich par- thenogenetisch fortpflanzen. Bei weitaus den meisten Beobach- tungen handelt es sich aber nicht um systematisch und mit den nötigen Vorsichtsmaßregeln durchgeführte Experimente; ihr wissenschaftlicher Wert ist daher gering. Besonders skep- tisch macht uns die Tatsache, daß die bisherigen wirklich exakten Untersuchungen über fakultative Parthenogenese bei Schmetterlingen fast ganz negativ ausgefallen sind. Nuß- baum (Zur Parthenogenese bei den Schmetterlingen. Arch. f. mikrosk. Anat. u. Entwicklungsgesch., 53. Bd., 1S99) experi- Bombyx mori , Porthesia chrysorhoea und Ly- mantria dispar. Nur bei Bombyx mori konnte er indessen parthenogenetische Entwicklung feststellen, aber auch die unbefruchteten Eier dieser Art entwickelten sich nur zu 2 "/„ und auch diese gingen nach kurzer Zeit zugrunde, aus keinem Ei schlüpfte eine Raupe aus. Zu ähnlichen Resultaten kam Seiler (Das Verhalten der Geschlechtschromosomen bei Lepidopteren. Nebst einem Beitrag zur Kenntnis der Ei- reifung, Samenreifuug und Befruchtung. Arch. f. Zellforsch., 13. Bd., 1914). ,,In den IIO unbefruchteten dispar-Gelegen, die ich besaß", schreibt Seiler, ,,fand keine parthenogeneti- sche Entwicklung statt. Nun galt gerade dispar als Form, die unbefruchtet sich entwjckeln kann ! Ich zweifle deshalb an dieser und analogen .Angaben." So weit möchte ich nicht gehen mit meiner Skepsis. Die Beobachtungen von Prof. Fritzsche z. B. erscheinen mir einwandfrei. Trotzdem aber wäre es außerordentlich erwünscht, wenn die Untersuchungen Nußbaum 's und Seiler 's auf breiter Basis nochmals wie- derholt würden, und zu diesen Untersuchungen sollen meine Zeilen anregen. Es ist sehr wohl möglich, daß gewisse Rassen z. B. von Lymantria dispar besondere Tendenz zu parthenogenetischer Fortpflanzung zeigen, daß besondere Be- dingungen dazu nötig sind. Lassen sich von gewissen Rassen unter gewissen Bedingungen aus sicher unbefruchteten Eiern Raupen und Schmetterlinge züchten , so erhalten wir ein für das Problem der Geschlechtsbestimmung und für einige Ver- erbungsprobleme äußerst interessantes Material. Auch die Fortpflanzung der Psychiden, die sich an manchen Orten aus- schließlich parthenogenetisch zu vermehren scheinen, da sie nur im weiblichen Geschlechte vorkommen, ist noch viel zu wenig erforscht. Nachtsheim. Inhalt: Hans Nachtsheim, Theodor Boveri. I .Abb. S. Sr. Erich Leick, Die Stickstoffnahrung der Meeresalgen. S. 87. — Einzelberichte: R. Koehler, Eine sehr merkwürdige Form der Stachelhäuter. I Abb. S. 91. Man ab u Miyoshi, Leuchtwasser in Japan. S. 92. C. Wehmer, .Ansteckung des Holzes durch den Hausschwamm. S. 92. Külbs, Körperbau der in Flandern landesüblichen Ziehhunde. S. 92. Rudel, Wärmegewitter und F'rontgewitter. .S. 93. Gockel, Zur Gewittervorhersage. S. 94. — Kleinere Mitteilungen: Buder, Die Goldglanzalge. 2 Abb. S. 94. — Bücherbesprechungen: P. Placidus Hartmann, Zur Geologie des kristallinen Substratums der Dents de Mordes. S. 96. Paul .\scherson und Paul Gräbner, Synopsis der mitteleuropäischen Flora. S. 96. — Anregungen und Antworten: Zur Frage des gelegentlichen Vorkommens von Parthenogenese bei Lymantria dispar und anderen Schmetterlingen. S. 96. Manuskripte und Zuschriften Marienstraße erden an Prof. Dr. 11. Mi che, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Fätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbe Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 13. Februar 1916. Nummer 7. Die Chromatophorenfarbstoffe der Pflanzen. [Nachdruck verboten.] itdozent Dr. Harald Kylin, Upsala (Schwede Mit S Abbildungen. Die grüne Farbe der Blätter beruht auf dem Vorhandensein eines grünen Farbstoffes, des Chlorophylls. Dieses befindet sich in den Zellen des Blattes und ist an bestimmte kleine Körner, die sogenannten Chlorophyllkörner oder Chroma- tophoren gebunden. Außer Chlorophyll enthalten diese auch zwei gelbe Farbstoffe, Karotin und Xanthophyll, welche die oft vorkommenden grün- gelben Schattierungen im Grün der Pflanzendecke verursachen. Die Untersuchungen über die Farbstoffe der Chromatophoren wurden schon von Berzelius (1838) begonnen und sind seither von zahlreichen hervorragenden Forschern fortgesetzt worden. Eine reiche Literatur ist entstanden, aber die Resultate standen nicht immer im richtigen Ver- hältnis zu den gewaltigen Anstrengungen, die gemacht wurden, um die Forschung auf diesem Gebiete zu fördern. Noch vor zehn Jahren war es nicht möglich, sich aus den zugänglichen Literaturangaben sichere Kenntnisse über die Anzahl der in den Chromato- phoren vorkommenden Farbstoffe zu verschaffen, und noch größerer Mangel herrschte natürlich in bezug auf verläßliche Angaben über die chemische Zusammensetzung dieser Farbstoffe. Im Jahre 1906 erschienen die ersten Arbeiten in der langen Serie „Untersuchungen über Chloro- phyll" von R. VVillstätter, Prof. am Kaiser- Wilhelms-Institut in Berlin. Diese Arbeiten, die in einer besonderen Publikation, „Untersuchungen über Chlorophyll, Methoden und Ergebnisse" von Richard VVillstätter und Arthur St oll, Berlin 191 3, zusammengefaßt sind, haben unsere Kenntnisse über die Chromatophorenfarbstoffe mit Riesenschritten vorwärtsgeführt, und die Ergeb- nisse derselben wurden als so wertvoll betrachtet, daß Prof. Willstätter in diesem Jahre (1915) von der Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Chlorophyll. Behandelt man ein grünes Blatt mit starkem Spiritus, so findet man, daß sich das Blatt nach einer Weile entfärbt und schließlich ganz weiß wird, während der Spiritus eine smaragdgrüne Farbe annimmt. Schüttelt man die grüne Spiritus- lösung mit Petroiäther (Benzm), so zeigt es sich, nachdem sich die Flüssigkeiten getrennt haben, daß der Petroiäther den grünen Farbstoff aufge- nommen hat, während der Spiritus eine grüngelbe Farbe annimmt. In der Spirituslösung ist ein gelber Farbstoff, Xanthophyll, nebst Spuren von Chloro- phyll zurückgeblieben. Der Petroiäther hat die Hauptmasse des Chlorophylls nebst dem andern gelben Farbstoft', dem Karotin, aufgesogen. Diese Beobachtung, die schon im Jahre 1872 gemacht wurde, ist die Grundlage, auf der Willstätter seine Methode zur Herstellung reinen Chlorophylls ausgearbeitet hat. Willstätter ist bei der Herstellung des Chloro- phylls von getrockneten pulverisierten Blättern ausgegangen, hauptsächlich von Blättern der Brennessel, die dadurch zu einer in der Geschichte der Chlorophyllforschung geradezu klassischen Pflanze geworden ist. Große Materialmengen sind bearbeitet worden, und bei vielen Extraktionsserien wurden lOO kg oder mehr als Ausgangsmaterial verwendet. Die wichtigsten Momente von Will statt e r's Verfahren zur Herstellung reinen Chlorophylls will ich hier in Kürze berühren. Das Ausgangsmaterial wird zuerst mit Benzol, dann mit Petroiäther be- handelt, um schon von vornherein verschiedene Verunreinigungen zu entfernen. Diese beiden Lösungsmittel extrahieren das Chlorophyll nicht aus den getrockneten Blättern, hingegen kann der grüne Farbstoff leicht mit Alkohol (Äthylalkohol) herausgelöst werden. Die erhaltene Alkohollösung wird mit Petroiäther geschüttelt, wobei dieser, wie schon erwähnt, das Chlorophyll aufnimmt. Behufs weiterer Reinigung wird die Petrolätherlösung mehrmals mit wasserhaltigem Methylalkohol, dann mit 95 "/o igem Methylalkohol geschüttelt, wobei etwas mehr als die Hälfte des Chlorophylls vom Methylalkohol aufgenommen wird. Aus diesem Lösungsmittel wird das Chlorophyll wieder in den Petroiäther zurückgeführt, die Petrolätherlösung wird dann einige Male mit Methylalkohol geschüttelt und dann mit Wasser, welches den Methyl- alkohol aus dem Petroiäther entfernt. In dem- selben Maß, wie der Methylalkohol entfernt wird, fällt das Chlorophyll in P'orm von kleinen Körnern aus, da es in reinem Petroiäther unlöslich, hin- gegen bei Vorhandensein von kleinen Alkohol- mengen leicht löslich ist. Durch Zusatz von wasserfreiem Natriumsulfat können diese Körner abfiltriert werden, und aus der abfiltrierten Masse kann das Chlorophyll mit Alkohol oder Äther gelöst werden. Bei der eben beschriebenen Reinigungsmethode wird keine Rücksicht darauf genommen, ob das Chlorophyll aus chemischem Gesichtspunkt einen einheitlichen Stoff oder eine Mischung von ver- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 7 schiedenen miteinander nahe verwanden Modifilche Zusammensetzung. Das Chlorophyll a ist blaugrün, das Chlorophyll b hmgegen gelbgrün. In auffallendem Licht zeigen dieChlorophyllösungen dunkelrote Fluoreszenz, die bei Chlorophyll b einen Stich ins Braune hat. Das eigentümliche Absorptionsspektrum des Chlorophylls ist schon von älteren Forschern unter- sucht worden, welche als besonders charakteristisch ein kräftiges Absorpiion.^band im Rot hervorhoben. Da aber diese älteren Beobachter nicht mit reinen Lösungen arbeiteten, sind ihre Angaben natürlich mit verschiedenen Unrichtigkeiten behaftet, und erst Willstätter konnte genaue Angaben über die Absorptionsspektren der beiden Chlorophyllmodi- fikationen liefern. Die a-Modifikaiion hat in ihrem Spektrum 7 Absorptionsbänder, nebst einer End- absorption in Violett. Von den beiden am stärksten hervortretenden Absorptionsbändern liegt das eine in Rot, um die Spektrallinie C, das andere in Indigo, um die Spektrallinie G. Beide Bänder sind ungefähr gleich kräftig. Auch Chlorophyll b hat zwei stark hervortretende Absorptionsbänder, das eine in Rot zwischen C und D, aber ganz in der Nähe von C, das andere in Blau, zwischen F und G. Von diesen beiden Bändern ist das in Blau nicht unbeträchtlich kräftiger als das in Rot. (Vgl. Abb. I u. 2.) Chemisch sind die beiden Modifikationen sehr nahe miteinander verwandt. Der wesentlichste Unterschied ist, daß Chlorophyll b zwei Sauer- stoffatome mehr enthält als Chlorophyll a. Im folgenden werde ich den chemischen Bau der Chlorophyllmoleküle etwas beschreiben, doch werde ich dabei die beiden Modifikationen ge- meinsam behandeln, wobei folgende Formel zweck- mäßig verwendet werden kann. CO20H30 (C3,H,3N,Mg)-COCH3 ^COOH Die Formel zeigt, daß das Chlorophyll außer Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff auch Stick- stoff und Magnesium enthält. Dagegen fehlt Eisen und Phosphor. Das Eisen spielt indessen bei der Entstehung des Chlorophylls eine sehr wichtige, wenn auch bisher nicht aufgeklärte Rolle, da ohne Eisen keine Chlorophyllbildung stattfindet. Ver- schiedene ältere Autoren behaupten allerdings, daß in den Chlorophyllmolekülen auch Eisen vor- komme, aber Willstätter scheint endgültig das Gegenteil bewic'-en zu haben. Eine in der Lite- ratur oft wiederkehrende Behauptung ist, daß im Chlorophyll Phosphor enthalten sei. Diese Angabe beruht darauf, daß es bei der Herstellung des Chlorophylls mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, alle phosphorhaltigen Beimengungen zu ent- fernen. Ein vollständig reines Chlorophyllpräparat enthält nach Willstätter keinen Phosphor. )0B C euou £ 3t"J r "-' [B .\bb. I. Absorptionsspektrum des Chlorophylls a. Abb 2 Absorptionsspektrum des Chlorophylls b. N.ich WiUslätler. Wird das Chlorophyll mit verdünntem Alkali behandelt, so erfolgt schon bei Zimmertemperatur eine Spahung, die am besten durch die folgende Formel veranschaulicht wird. COOH C,,oH3oOH (C3.H,„N,Mg)-C00H ^^^^Q^ (Chlorophyllin) \ cOOH (Methylalkohol) Bei der Alkalibehandlung werden zwei Alko- hole, nämlich Phytol und Methylalkohol abge- spalten, und es bleibt dann eine Trikarbonsäure, das Chlorophyllin, übrig, die den für das Chlorophyll charakteristischen farbstofttäldenden Kernkomplex Phytochromin (C31 H.,^ N^ Mg) enthält. Das Phytol ist ein ungesättigter einwertiger Alkohol, der bis- her nur als Bestandteil des Chlorophyllmoleküls gefunden worden ist. Er bildet ungefähr ein Drittel desselben. Das Chlorophyllin bildet blau- grüne wasserlösliche Alkalisalze. Bei saurer Reaktion wird das Magnesium sehr leicht aus den Chlorophyllmolekülen abgespalten. Auch schwache organische Säuren sind schon in stark verdünntem Zustand genügend, um die Re- aktion herbeizuführen. Die Farbe geht dabei von N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 99 Grün in Braun über. Das so entstehende Um- wandlungsprodukt heißt Phäophytin und unter- scheidet sich vom ursprun^JÜclien Chlorophyll- molekül nur dadurch, daß das Magnesium durch zwei Atome Wasserstoff ersetzt ist. Es ist Will- stätter gelungen, das Magnesium wieder in das Phäophytin einzuführen und so das Chlorophyll wieder in unveränderter Gestalt herzustellen. Es gibt zwei Phäophytinmodifikationen, von denen die eine aus Chlorophyll a, die andere aus Chloro- phyll b herstammt. Wird Phäophytin mit kochender alkoholischer Lauge behandelt, so wird das Piiytol und der Methj'lalkohol vom Phäophytinmolekül abgespalten und man erhält zwei neue Spaltungsprodukte, Pliytochlorin und Phytorhodin. Das erstere ist grün und stammt vom Chlorophyll a, das letztere rot und stammt vom Chlorophyll b. Wird Phäophytin bei ungeführ 200 " mit Al- kali behandelt, so erhält man ein Spaltungsprodukt von schöner roter Farbe. Dieser Stotf, der in der Literatur schon längst unter dem Namen Phylloporphyrin bekannt ist, entsteht sowohl aus Phäophytin a wie Phäophytin b. Er hat ein charakteristisches Absorptionsspektrum, das in hohem Grade an dasjenige von Hämatoporjjhyrin erinnert, einem Stoff, der bei der Spaltung des Blut- farbstoffes (Hämoglobin) entsteht. Bei weiterer Spaltung des Phyllopnrphyrins erhält man ver- schiedene Pyrrolderivate, darunter das Hämopyrrol, welches auch bei Spaltung von Hämatoporphyrin entsteht. Dies spricht, wie man meint, dafür, daß der Blätterfarbstoff mit dem Blutfarbstoff verwandt sei. Es verdient in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden, daß der Blutfarbstoff ein eiweißartiger Stoff ist, der aus einer Eiweiß- und einer P'arben- komponente (Hämatin) besteht. Es ist diese letztere, die init dem Chlorophj'll verwandt wäre, und offen- bar spielen Pyrrolderivate beim Aufbau von sowohl Chloroph)-ll wie der Farbenkomponente des Blut- farbstoffs eine wichtige Rolle. K a r o t i n und X a n t h o p h y 1 1. Die goldene Farbenpracht der herbstlichen Blätter wird von zwei Farbstoffen, dem Karotin und dem Xantoph)-ll, bedingt. Diese sind auch während des Sommers vorhanden, aber ihre Farbe wird in den grünen Blättern von den farbenkräf- tigeren grünen Stoffen, die außerdem auch in größerer Menge vorhanden sind, verdeckt. Die ungünstigen Vegetationsverhältnisse des Herbstes schädigen die grünen Farbstoffe mehr als die gelben, und wenn die grünen schon zerstört sind, bleiben die gelben noch erhalten und bedingen die Herbstfarbe der Blätter. ') Während des Früh- ') Der rote Farbenton der Blätter im Herbst beruht auf dem Vorhandensein eines besonderen Farbstoffes, des Antho- cyans. Dieser Stoff, der während der letzten Jahre von Will- slätter gleichfalls genauen Untersuchungen unterworfen wor- den ist, kommt oft in Blumen und Früchten vor und verur- sacht deren rote uod blaue Färbung; so wird z. B. nicht nur die rote Farbe der Rosen und die blaue der Kornblumen herbstes wird die Menge der gelben Farbstoffe, besonders des Xanthophylls, oft etwas größer. Die gelben Farbstoffe begleiten das Chloro- phyll immer, und alle Pflanzen, die höheren sowohl wie die niedrigem, welche Chlorophyll enthalten, enthalten daneben auch Karotin und Xanthophyll. -ältere Untersuchungen über die beiden gelben P"arbstoffe haben nur ein buntes Gemisch von einander widersprechend n Angaben geliefert, in das erst Willstätter Ordnung gebracht hat. Er hat beide in remer Form darzustellen vermocht und gezeigt, daß es sich um zwei miteinander nahe verwandte Farbstoffe handelt. Als Ausgangs- material verwendete er loo kg getrocknete und pulverisierte Brennesselblätter, aus denen er 3,19 g reines Karotin und I2 g reines Xanthophyll er- hielt. Das Karotin ist ein Kohlenwasserstoff mit der Zusammensetzung C^pH-g. Das Xanthophyll ent- hält zwei Atome Sauerstoff mehr als dasKaroün und hat demnach die Formel C^oHsdO.,. Es sei daran erinnert, daß auch die beiden Chiorophyll- modifikationen sich voneinander dadurch unter- scheiden, daß die eine zwei Atome Sauerstoff mehr enthält als die andere. Sowohl das Karotin wie das Xanthophyll kristallisiert in Form von Tafeln oder Nadeln und bildet dann ein orangerotes Pulver. Das Pulver des Karotins spielt etwas mehr ins Rote als das des Xanthophylls. An der Luft auf- bewahrt, oxydiert sich das Pulver nach und nach. Von konzentrierter Schwefelsäure werden beide Stoffe blau gefärbt. Karotin und Xanthophyll unterscheiden sich voneinander durch ihre verschiedene Löslichkeit in Alkohol und Petroläther. In Alkohol sind beide löslich, das Karotin jedoch weit weniger leicht als das Xanthophyll. In Petroläther ist das Karotin leicht lö.slich, das Xanthophyll hin- gegen unlöslich. Wird eine alkoholische Lösung von Karotin mit Petroläther geschüttelt, so nimmt dieser das Karotin auf und der Alkohol wird farb- los. Xanthophyll wäre unter den gleichen Ver- hältnissen im Alkohol geblieben. Verdünnte Lösungen von Karotin oder Xantho- phyll in Alkohol sind gelb, konzentrierte orangerot; solche von Karotin haben einen stärkeren Stich ins Rote als solche von Xanthophyll. Die Ab- sorptionsspektren der Lösungen enthalten zwei Bänder in Blau, nebst einer Endabsorption in Violett. Die beiden Bänder liegen bei Xantho- phyll etwas weiter nach Violett hin als bei Ka- rotin. (Vgl. Abb. 3 und 4.) Die Blätter der höheren Pflanzen enthalten per Kilogramm Trockensubstanz ungefähr I — 2 g gelbe Farbstoffe. Davon besteht ungefähr ein Drittel aus Karotin, zwei Drittel aus Xanthophyll. Der gelbe Farbstoff in der Möhre (Daucus Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. carota) ist mit dem in den Chromatophoren der Blätter vorkommenden Karotin identisch. Aus 5000 kg frischer Möhren erhieh Willstätter 125 g Karotin. Der orangerote Farbstoff der Tomaten ist nach Willstätter eine mit Karotin isomere Verbindung. Abb. 3. Absorptionsspektrum des Karotins. Abb. 4. Absorptionsspektrum des Xanthophylls. Nach Willstätter. Es ist interessant, daß Karotin, welches mit dem aus Blättern hergestellten identisch ist, auch innerhalb des Tierreiches gefunden wurde. Esch er, ein Schüler W illstätt er's, hat diesen Stoff aus dem Corpus luteum von Kuhovarien hergestellt. Aus 10 000 Ovarien erhielt er 0,45 g reines Karotin. Der gelbe Farbstoff im Eidotter, Lutein, ist eine mit dem Xanthophyll isomere Verbindung. Willstätter erhielt aus 6000 Eiern etwa 2,6 g reines Lutein. Fukoxanthin. Bei den Braunalgen tritt außer den bisher besprochenen Stoffen noch ein weiterer gelber Farbstoff auf, das F"ukoxanthin, auch Phykoxanthin genannt. Das Vorkommen dieses Farbstoffes ist schon lange bekannt, aber erst Willstätter ist es gelungen, ihn in reiner Form herzustellen, und genauere Angaben über seine Eigenschaften zu liefern. Das Fukoxanthin ist mit den beiden bisher be- sprochenen gelben Farbstoffen nahe verwandt, unterscheidet sich aber von ihnen durch seitien größeren Sauerstoffgehalt. Seine chemische Formel ist CioHjjOg. Es kristallisiert gleichfalls in Form von Tafeln oder Nadeln, und bildet dann ein orangerotes Pulver, das sich in der Luft allmäh- lich oxydiert. Das Fukoxanthin ist wie das Xanthophyll in Petroläther unlöslich , aber in Alkohol leichter löslich als dieses. Die verdünnte Lösung ist gelb, die konzentrierte orangerot. Das Absorptions- spektrum stimmt in allem wesentlichen mit dem des Xanthophylls überein. Durch verdünnte Säuren (auch organische) wird das Fukoxanthin leicht zerstört und die Lösung nimmt eine grüne bis blaugrüne Farbe an. In fester Form wird das Fukoxanthin ebenso wie das Karotin und das Xanthophyll durch konzen- trierte Schwefelsäure blau gefärbt. In der Literatur findet man verschiedene An- sichten über die Ursachen, die die braune Farbe der Braunalgen bestimmen. Willstätter hat auch diese Frage behandelt und sie in einfacher Weise klargestellt. Er hat nämlich nachgewiesen, daß die Braunalgen verhältnismäßig mehr gelbe P'arb- stoft'e enthalten, als die höheren Pflanzen. Bei diesen finden sich für jedes gelbe Farbenmolekül 3 — 4 grüne, bei den Braunalgen hingegen kommt auf ein gelbes Farbenmolekül nur ein grünes. Ungefähr die Hälfte der gelben Farbstoffe besteht bei den Braunalgen aus Fukoxanthin. Die Chloro- phyllmenge ist bei den Braunalgen geringer als bei den höheren Pflanzen, nämlich nur 0,1—0,2% der Trockensubstanz (bei den höheren Pflanzen da- gegen etwa 0,5 — i^/j). Der braune Farbenton der Braunalgen kehrt bei einer zweiten Algengruppe, den Kieselalgen (Diatomeen) wieder, jedoch spielt er hier etwas mehr ins Gelbe. Auch bei den Kieselalgen tritt, nach den Literaturangaben zu urteilen , außer Chlorophyll, Karotin und Xanthophyll, auch Fukoxanthin auf, und wahrscheinlich ist wohl auch die gelbbraune P'arbe der Kieselalgen durch ver- hältnismäßig reichliche Mengen von gelben Farb- stoffen bedingt, ebenso wie der braune Farben- ton der Braunalgen. Phykoerythrin. Die Vegetation des Meeres prangt nicht nur in den schon erwähnten grünen, gelben und braunen Farbentönen, sondern es finden sich auch zahl- reiche rote und violette Schattierungeti. Eine ganze Gruppe von Meeresalgen, die Rotalgen, hat ihren Namen von ihrer roten Farbe er- halten. Hier begegnet uns ein neuer Farbstoff, das Phykoerythrin, welches seiner Natur nach von den bisher besprochenen grünen und gelben wesentlich verschieden ist. Das Phykoerythrin läßt sich ohne größere Schwierigkeit in reiner Form darstellen. Man be- handelt frisches Material von Rotalgen mit Toluol, übergießt es dann mit destilliertem Wasser, und läßt es einige Tage bei Zimmertemperatur stehen. Die Aufgabe des Toluols ist es, der Verwesung vorzubeugen. Der rote Farbstoff wird im Wasser gelöst und man erhält eine schöne rote Lösung, die im auffallendem Licht eine prachtvolle oran- gerote Fluoreszenz aufweist. Die Lösung wird mit Ammoniumsulfat (ungefähr 10—15 g kristalli- siertes Salz auf ICO cm Lösung) versetzt, und nach einigen Stunden (eventuell i — 2 Tagen) er- hält man einen Niederschlag, der aus kleinen Phykoerythrinkristallen in Gestalt von hexagonalen Prismen besteht. Der Niederschlag wird wieder in Wasser gelöst, und durch wiederholtes Um- kristallisieren mit Hilfe von .\mmoniumsulfat er- hält man schließlich reines Phykoerythrin. Es hat sich gezeigt, das reines Ph)-koerythrin in destilliertem Wasser unlöslich ist. Um den Farbstoff in Wasser auflösen zu können, ist ein kleiner Zusatz von Neutralsalz (Kochsalz oder Ammo- niumsulfat), oder eine kleine Spur Alkali nötig. N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Das Phykoerythrin ist ein eiweißartiger Stoft' und besteht aus einer Farben- und einer Eiweißkom- ponente. Die beiden Komponenten können durch Zusatz von AlkaH oder von einer geringen Säurenmenge leicht voneinander getrennt werden. Hiebei verliert die Lösung ihre F'Iuoreszenz und der rote Farbenton verändert sich etwas. Beim Kochen koaguliert die Ph\-koer\-thrinlösung in der für Eiweißlösungen normalen Weise. Die Ph_\-koerythrinlösung hat ein charakteristi- sches Absorptionsspektrum mit zwei kräftigen Bändern in Gelbgrün, Grün und Blaugrün. Ge- naueres über ihre Lage geht am besten aus Abb. 5 hervor. B C bO |60| 1 0 0 o[ 1 F 0 1 1 0 120 Md 14- u \/ >y V \ 1 \ / \ j V Abb. 5. Absorptionsspektrum des Phykoerythrins. Außer bei den Rotalgen kommt das Phyko- erythrin auch bei verschiedenen blaugrünen Algen vor, welche dann einen blauvioletten , violetten, rotvioletten oder roten Farbenton annehmen. P h y k o c y a n. Das Phykocyan ist der für die blaugrünen Algen charakteristische Farbstoff, der sich aus diesen Algen in der oben beim Phykoer\-thrin be- schriebenen Weise extrahieren läßt. Er ist mit dem Phs'koerythrin nahe verwandt. Beide Farb- stoffe sind nämlich von eiweißartiger Natur und gehören unter den Eiweißstoft'en zur Gruppe der Chromoproteide. Zu dieser Gruppe gehört auch der Blutfarbstoff. Ph\-kocyanlösungen sind blau und zeigen eine kräftige schön rote Fluoreszenz. In bezug auf die Schattierungen der blauen Farbe kann man drei Modifikationen, nämlich blaugrünes, blaues und blau- violettes Phykocyan unterscheiden. Die blaugrüne Modifikation hat nur ein Absorptionsband, das in Orange zwischen den Spektrallinien C und D liegt; die blaue hat zwei Bänder, eines in Orange und eines in Gelbgrün, die blauviolette gleichfalls zwei Bänder, das eine in Orange, das andere in Grün. Die Lage der Absorptionsbänder geht aus Abb. 6-8 hervor. Außer bei blaugrünen Algen kommt Phykoc\'an auch bei verschiedenen Rot- algen vor. Diese haben dann eine purpurrote, dunkel rotbraune oder rotviolette Farbe. Haupt- sächlich sind es die in der Nähe des Strandes in einer Tiefe von 0,5 — 2 m vorkommenden Rotalgen, die außer Phykoerytiirin auch Phykocyan enthalten, und daher einen purpurroten bis rotvioletien P'arbenton besitzen. Die Rotalgen in etwas größerer Tiefe, 10 — 20 m, strahlen in einer sehr schönen roten Farbe, die durch das Ph\-koer\-thrin be- dingt ist. Sowohl Phykocyan wie Phykoerythrin sind für starke Beleuchtung empfindlich, besonders für direktes Sonnenlicht, und werden daher leicht 0 |eoi 70 1 80 90l 100 _L110 120 130l TA \ \ \ \ .0 10 / \ y / '^ — . _ Abb. 6. Absorptionsspektrum des blaugrünen Phykocyans. ,0 0 I6OI D 70 I 8 0 1 E in F 0 1 1 n 1? (1 1 1 m /Vo v^ \ \ \ \ 1. J "^ ~ Abb. 7. Absorptionsspektrum des blauen Phykocyans, T Jt x^ 1^1 t V t \^ / ,^^- .^ Absorptionsspektrum des blauvioletten Phykocyans. zerstört. Das Phykocyan wird leichter zerstört als das Phykoerythrin. ' Es ist eine allgemein vor- kommende Erscheinung, daß viele Rotalgen in der unmittelbaren Nähe des Strandes im Spät- winter purpurrot bis rotviolett sind, während sie im Frühüng einen hellroten P'arbenton annehmen. Dies beruht darauf, daß das Phykocyan, je mehr Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 7 die Lichtstärke während des Frühlings zunimmt, immer mehr und mehr zersetzt wird. Wird die Lichtstärke allzu groß, so nehmen die Rotalgen eine lichtgrüne bis grüngelbe Farbe an. Dann ist auch das Phykoer\thrm zerstört, so daß die gelben und grünen Chromatophorenfarbstofte die Farbe der Alge bestimmen. ') In der folgenden Tabelle gebe ich eine Über- sicht über das Vorkommen der bisher bekannten Chromatophorenfarbstofte bei den verschiedenen Pflanzengruppen. rt XI .= 1 'n 1 1 ? ? u u 0. Höhere Pflanzen + + + + - - - Grünalgen + + + + — — — Braunalgen + Spuren + + + — — Kieselalgen + ? + + + — — Rotalgen + Spuren + + + + - + T Blaugrüne .Algen + + Die Bedeutung der Chromatorenfarb- stoffe. Es sind die grünen Farbstoffe, die die Pflanze in stand setzen, die Energie des Sonnenlichtes aus- zunützen, und mit dessen Hilfe aus Kohlensäure und Wasser Zucker und Stärke zu bilden. Diese Farbstoffe absorbieren aus dem weißen Sonnen- licht die roten und blauen Strahlen, lassen aber die grünen Strahlen durch, ohne sie zu verwenden. Die Energie, die sich in den aufgenommenen roten und blauen Strahlen findet, verwenden die Ge- wächse bei ihrer Kohlensäureassimilation — so heißt der Prozeß, bei dem die Kohlensäure ge- spalten und Zucker und Stärke gebildet werden. Die Kohlensäureassimilation wird von den Chromatophoren besorgt und vollzieht sich in F'orm einer noch nicht genauer bekannten Wechsel- wirkung zwischen dem Chloroph)-ll und der farb- losen Grundsubstanz der Chromatophoren, dem sogenannten Stroma. Eine der Aufgaben des Chloro- phylls ist es, aus dem Sonnenlicht die der Assimi- lationsprozesse nötige Energie zu holen. Wenn sich höhere Pflanzen im Dunkeln ent- wickeln müssen, so werden sie weiß oder gelb- weiß. In den Chromatophoren wird kein Chloro- phyll gebildet, wohl aber die gelben Farbstoffe, Karotin und Xanthoph)'ll. Werden solche Pflanzen dem Licht ausgesetzt, so färben sie sich rasch, oft schon nach ein paar Stunden, grün. Noch hat man nicht mit Sicherheit nachweisen können, daß Chromatophoren, die kein Chlorophyll, wohl aber Karotin und Xanthophyll enthalten. ') Genauere Angaben über di< erythrins und Phykocyans lindet „Zeilschrift für physiologische Che (1912). Eigenschaften des Phyko an in meinen Arbeilen ii ie" Bd. bg (19 10) und 71 die P'ähigkeit besitzen, Kohlensäure zu spalten; es ist vielmehr wahrscheinlich, daß das Chlorophyll eine notwendige Bedingung für die Assimilations- tätigkeit der Pflanzen ist und daß dieser Chromato- phorenfarbstoff nicht durch irgendeinen der anderen ersetzt werden kann. Wozu dienen aber die gelben Farbstoffe : Diese Frage hat bisher nur durch Hxpothesen, von denen einige im folgenden er- wähnt seien, beantwortet werden können. Die gelben P'arb.stofte absorbieren blaue und violette Strahlen, also diejenigen, die auf verschie- dene in den Zellen vorhandene Stoffe die stärkste zersetzende Wirkung ausüben. Es könnte also sein, daß sie zum Schutz gegen diese Strahlen dienen. Besonders hat man dabei an die mannig- fachen Enzyme gedacht, die sich in den Zellen finden. Man hat jedoch auch behauptet, daß das Chloroph)ll durch die blauen und violetten Strahlen angegriffen werden könnte und daher der gelben Farbstoffe als eines Schutzes bedürfe — mit wel- chem Recht, mag dahingestellt bleiben. Ferner ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß Karotin und Xanthophyll bei der Atmung der Pflanzen eine Rolle spielen. Dieser Hypothese hat sich Willstätter angeschlossen, der darauf aufmerksam macht, daß diese F"arbstoffe leicht Sauerstoff aufnehmen. Bei vielen Pflanzen spielen Karotin und Xantho- phyll eine biologische Rolle, indem sie z. B. die gelbe Farbe vieler Blüten und Früchte hervor- bringen. Wenden wir uns der Frage nach der Aufgabe des Phykoerythrins zu, so müssen wir zunächst mit ein paar Worten das Vorkommen der ver- schiedenen Algengruppen in verschiedenen Tiefen berühren, sowie die Beleuchtungsverhältnisse, die in denjenigen Tiefen herrschen, wo die Rotalgen die vorherrschende Vegetation bilden. Die festsitzende Algenvegetation am Meeres- strand setzt sich aus grünen, braunen und roten Algen zusammen. Von diesen kommen die Grün- algen hauptsächlich in einer schmalen Zone zu- nächst dem Strande bis zu einer Tiefe von 0,5 — i m vor, die Braunalgen wachsen reichlich von der Strandlinie bis hinab zu einer Tiefe von etwa 10 m, werden aber dann augenfällig spärlicher, während die Rotalgen gerade an dieser Grenze der Vege- tation ihr Gepräge aufzudrücken beginnen und reichlich vorkommen bis zu einer Tiefe von 20 — 25 m, wo die festsitzende Algenvegetation so gut wie vollständig aufhört. Rotalgen kommen allerdings bis hinauf zur Strandlinie vor und einige von ihnen finden sich überwiegend oder sogar ausschließlich in den geringeren Tiefen, aber erst innerhalb der Zone von 10— 20 m be- herrschen die Rotalgen das Vegetationsbild. Wenn die Lichtstrahlen eine Wasserschicht durchdringen, so erleiden sie eine Abschwächung, die zuerst die roten, dann die gelben, dann die grünen und schließlich auch die blauen Strahlen betrifft. So z. B. absorbiert eine 10 m dicke Wasserschicht 98% des roten Lichts, 92% des N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 103 orangefarbenen, 68 "/g des gelben, aber nur 25 "/o des blauen. Der Algenvegetation, die in einer Tiefe von 10 — 20 m vorkommt, stehen für die Assimilationsarbeit fast nur die grünen und blauen Strahlen zur Verfügung, das rote und orange- farbene Licht ist von den darüberliegenden VVasser- schichten absorbiert. Die Rotalgen enthalten wie die übrigen Pflanzen Chlorophyll, mit dessen Hilfe sie das blaue Licht aufnehmen können. Rotes Licht steht ihnen, da sie in einer Tiefe von 10 — 20 m vorkommen, nicht zur Verfügung, und grünes kann das Chloro- jjhyjl nicht absorbieren. Sie würden daher bei ihrem Assimilationsprozeß nur über eine geringe Lichtenergie verfügen, wenn sie nicht einen neuen Farbstoff produzierten, der grünes Licht absorbiert, so daß sie sich auch diese Lichtart zunutze machen können. Ks fragt sich aber nun, ob das Phykoerj-thrin in derselben Weise wie das Chloroph}-ll assimi- lierend wirken kann. Dies darf man kaum als wahrscheinlich betrachten, weshalb das Phyko- erythrin in gewissen Beziehungen eine andere Rolle spielen muß als das Chlorophyll. Wir können uns seine Tätigkeit am ehesten folgender- maßen vorstellen: das Ph\-koer\thrin absorbiert die grünen Strahlen und überträgt die so ge- wonnene Knergie in irgendeiner Weise auf das Chlorophyll, dessen assimilierende Kraft dadurch gehoben wird. Man kann die Sache ungefähr so ausdrücken , daß das Chlorophyll durch die An- wesenheit des Ph)'koerythrins die Fähigkeit erhält, bei der Assimilation auch grünes Licht zu benutzen. Die hier dargelegte Ansicht über die Rolle des Phykoerythrins ist von mehreren Forschern verfochten, von anderen hingegen verworfen wor- den, und erst vor ganz kurzer Zeit hat ein Autor (A. v. Richter) behauptet, daß das Phyko- er\thrin bei der Kohlensäureassimilation der Algen überhaupt keine Rolle spiele. Er hat zur Stütze seiner Ansicht verschiedene experimentelle Be- weise vorgebraclit, und es ist nicht unwahrschein- lich, daß seine Anschauung in gewissen Fällen berechtigt ist. Dies wäre der P'all, wenn die Rot- algen in geringeren Tiefen vorkommen, wo ihnen eine größere Lichtintensität und, was mindestens ebenso wichtig ist, eine größere Menge rotes Licht zur Verfügung steht. In diesem Falle spielt wohl das Phykoerythrin eine so unbedeutende Rolle, daß sie neben der des Chloroph\lls gar nicht in Betracht kommt. Anders stellen sich die Verhältnisse in einer Tiefe von 10 — 20 m. Ich nehme an, daß die Rotalgen hier wirklich von der P'ähigkeit des Phykoerj-thrins, grünes Licht zu absorbieren, Nutzen ziehen. Die Aufgabe des Ph)kocyans ist in der Lite- ratur noch nicht besprochen worden, aber wahr- scheinlich ist wohl, daß die beiden miteinander nahe verwandten P^arbstoffe Ph\-koerythrin und Ph)-kocyan gleichartige Aufgaben haben. Das Phykocyan absorbiert das orangefarbene Licht und verstärkt wahrscheinlich dadurch die Fähigkeit des Chlorophylls, bei der Assimilationsarbeit diese Lichtart zu verwerten. Kleintleraiifiiahinen. Von B. Haldy. Mit 4 Abbildungen. Wohl kaum ein Gebiet der Photographie ist so sehr vernachlässigt, als die bildliche Darstellung des Kleintierlebens. Gewiß sind solche Aufnahmen nicht so einfach wie Landschafts- oder Personen- aufnahmen, aber unüberwindliche Schwierigkeiten bieten sie keineswegs. Das notwendigste Hand- werkszeug ist, neben einer gewissen technischen P'ertigkeit, allerdings Liebe zur Sache und einige Kenntnis der Lebensgewohnheiten der Tiere. Was man im allgemeinen an Bildern aus diesem Gebiet sieht, das erreicht vielfach nicht den Durch- schnitt. Einiges ist sehr gut, dem anderen merkt man oft nur zu sehr die Gelegenheitsaufnahme nach anderen Grundsätzen an. Es genügt nicht, das Tier einfach zu knipsen, es müssen auch ge- wisse, scheinbar nebensächliche Dinge dabei be- rücksichtigt werden. Der Begriff Kleintier in dem hier in Betracht kommenden Sinne umfaßt die Gesamtheit der Insekten, die Weichtiere, Würmer, Krebse und ge- legentlich auch einige Vertreter aus anderen Familien. Wenn sich ein Lichtbildner mit diesen kleinen Lebewesen beschäftigt, dann wendet er sein In- teresse in der Mehrzahl der Pralle sicherlich den Schmetterlingen zu. Natürlich den großflügeligen Arten, denn diese scheinen in erster Linie ein „wirkungsvolles" Bild zu versprechen. Damit be- ginnt auch gleichzeitig der erste P"ehler: der Ver- such nämlich, das fliegende Insekt auf der Blume festzuhalten. Daß gerade diese Art von Aufnahmen, zumal für den Anfänger, sehr schwierig sein muß, versteht sich von selbst. Selbst der Geübtere wird da noch mit einem gewissen Prozentsatz von Fehlschlägen rechnen müssen. Und wenn natürlich gleich im Anfang die Sache fehlschlägt, dann geht alle Lust und Liebe verloren. Allerdings ist die Aufnahme von Schmetterlingen an Blüten ausführbar und zwar dergestalt, daß die Kamera scharf auf eine erfahrungsgemäß häufiger beflogene Blüte eingestellt wird. Dann wird der Apparat zur Aufnahme fertiggemacht und mit dem Auslöser in der Hand wartet man nun auf den geeigneten Augenblick. Das Warten darf man sich allerdings nicht verdrießen lassen, wenn man brauchbare Aufnahmen erhalten will. I04 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 7 Außerdem aber geliört dazu ein lichtstarlscs Ob- ^ktiv, eine hochempfindliche Platte und gutes Licht. Die Belichtungsdauer darf nur kurz sein; bei anfliegenden Tieren kommen nur kürzeste Augenblicksaufnahmen in Betracht. Aber auch bei sitzenden Schmetterlingen ist man nie sicher, ob nicht während der Auslösung eine plötzliche Bewegung erfolgt; deshalb ist auch hier kurze Belichtung sehr angebracht. wird kaum noch für die Aufnahme „sitzen" wollen, selbst wenn er sich auf dem nächsten Baum wieder niedergelassen hat. Die Einstellung muß sehr scharf, erforderlichen- falls mit starker Abbiendung erfolgen. Dadurch verlängert sich die Belichtungszeit natürlich erheb- lich, an dunkleren Orten oft um Minuten. Abkürzen kann man sie nur, wenn man das Tier kleiner aufnimmt und mit dem Apparat zurückgeht, so daß die erforderliche Schärfe auch ohne stärkere Abbiendung erreicht wird. ^^»SP^^ Weinbergschnecke (Helix pomatia). Kleiner Eisvogel (I.imcnitis sybil Eichenspanner (Boarmia roboraria). Besser eignen sich zu Versuchen schon die Nachtschmetterlinge, die tagsüber an allen mög- lichen Gegenständen unbeweglich sitzen. Zumeist suchen sie sich etwas versteckt liegende ()rtlich- keiten aus, die möglichst dem hellen Licht abge- kehrt sind. Viele von ihnen rühren sich nicht während der Aufnahme und lassen sich durch Manipulationen und Geräusche am Apparat nicht stören. Andere freilich sind nicht so gemütsruhig, sondern wechseln den Ort oder fliegen auch ab. Es ist dann am besten, einen einmal aufgestörten Schmetterling ruhig fliegen zu lassen, denn er Wolfsmilchschwärmers (Sphinx euphorbiae). arven- Aller- Bequemer aufzunehmen sind schon die zustände der Schmetterlinge, die Raupen dings sind auch sie fast stets in Bewegung, fressend, doch ist ihre Lebhaftigkeit gemeinhin nicht so groß, daß sehr kurze Momentaufnahmen N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 105 erforderlich wären. Bei heller Sonne wird man allt-rdings auch mit kurzer gute Bilder erreichen. F"ast unbeweglich bleibt die Puppe. Doch auch nicht ganz. Es gibt gewisse Schnietterlingspuppen, die gelegentlich eine gewisse Lebhaftigkeit zeigen und nach beiden Seiten schnellende Bewegungen machen. Auch darauf ist zu achten. Hautflügler, Zweiflügler und Geradflügler er- fordern für die Aufnahme die gleiche Technik wie die Schmetterlinge. Hummeln, Wespen, Libellen, gewisse Fliegen werden oft noch leichter mit der Kamera zu erreichen sein, denn es gibt bestimmte Blüten und Pflanzenstcfte, die von diesen Tieren immer wieder beflogen werden. Nament- lich zur Zeit der Obstreife wird es nicht schwer sein, an Bienen und Wespen Versuchsaufnahmen zu machen. Es kann nur immer wieder betont werden, daß der Erfolg im wesentlichen von der ausreichenden Geduld des Aufnehmenden abhängt. Irgendwelcher Eingrifte oder sonstiger Zwangs- maßregeln gegen das aufzunehmende Tier muß man sich unbedingt enthalten, denn es handelt sich darum, durchaus zuverlässige Natururkunden zu er- halten. Und solche sind natürlich nur dann zu erreichen, wenn man das Tier unangefochten läßt. Auch das „Stellen" oder „Setzen" der Tiere ist als unangebrachter Eingriff durchaus zu verwerfen. Lieber lasse man eine Aufnahme fahren, anstatt eine solche von zweifelhaftem Wert herzustellen. Ziemlich geduldige Objekte sind die Spinnen im Netz. Nur muß man dabei auf die vielleicht auf das Netz einwirkende Luftbewegung achten. Kann man es ohne Störung des Tieres ermög- lichen, daß sich ein schwarzer Hintergrund hinter dem Netz anbringen läßt, so tritt dieses im Bild scharf in weißer Zeichnung hervor. Spinnen, deren Leben und Weben sich vor unseren Augen ab- spielt, sind überhaupt ein dankbarer Aufnahme- gegenstand für den Naturfreund. Ihre Wohnstätten sind nicht schwer zu finden, sie sind sozusagen überall, im Hause wie in F'eld und Wald. Ihre Netze sind vielfach so angelegt, daß sie volle Be- leuchtung haben, oft auch in Apparathöhe liegen, so daß alle Vorbedingungen für eine gute Auf- nahme gegeben sind. Sieht man von diesen Kleintieren ab, so läßt sich der Kreis der geeigneten Objekte noch er- weitern. Auch Schnecken ergeben dankbare Bilder, den gehäusetragenden läßt sich sogar ein gewisser malerischer Reiz nicht absprechen. Sind sie auch das Symbol der Langsamkeit, so erfordern sie doch kurze Zeitaufnahmen während des Kriechens, auch sind die Fühler in, wenn auch gemessener Bewegung. Nacktschnecken nehme man am besten im liellen Licht auf, damit der meist dunkel gefärbte Körper besser zur Geltung kommt. Schnecken findet man stets an feuchten Stellen, nassen Waldorten, besonders aber nach ergiebigen Sommerregen. Man achte bei dieser Aufnahme darauf, daß der Körper des Tieres während der Aufnahme möglichst genau parallel mit der Platte läuft. Auch die Feinde dieser Weichtiere, Frösche, Kröten und Molche lassen sich ziemlich leicht auf die Platten bannen. Nur mit den behenden Wasser- fröschen wird man oft seine Not haben, dagegen sind die phlegmatischeren Kröten der Sache zu- gänglicher, doch muß man auch ihnen gegenüber möglichst vorsichtig sein, um sie nicht zu ver- scheuchen. Die schönen Feuersalamander verhalten sich vor dem Apparat recht verschieden; während der eine unbeweglich und stumpfsinnig sitzen bleibt , flüchtet der andere eilig in seine Höhle zurück. Im allgemeinen bleiben sie jedoch ruhig siizen, wenn sie nicht durch unvorsichtiges Hantieren an der Kamera scheu gemacht werden. Bei Tieren von solch verschiedener Lebens- weisesind natürlich auch die Aufnahmebedingungen ziemlich verschieden. Ein glücklicher Umstand ist es nun, daß im großen und ganzen auch die Lichtverhältnisse dem Temperamente der Tiere sozusagen angepaßt sind. Die Tagfalter, die kurze Belichtungen verlangen, schwirren durchweg in der hellen Sonne, die phlegmatischen Schnecken und Molche machen ihre Spaziergänge lieber an trüberen Tagen. Diesen VVitterungsverhältnissen muß auch das Aufnahmematerial angepaßt sein. Orthochroma- tische Platten sollte man für diese Zwecke ohnehin grundsätzlich verwenden und zwar solche in guter zuverlässiger Qualität. Sie müßen ferner hochempfindlich genug sein, um sehr rasche Momentaufnahmen zuzulassen und auch für die kurzen Zeitaufnahmen ist eine rasch arbeitende Platte immer angebrachter als eine wenig empfindliche. Die farbenempfindlichen Platten werden jetzt in solcher Empfindlichkeit geliefert, daß sie den ge- wöhnlichen hochempfindlichen Erzeugnissen nicht nachstehen. Hier und da wird man auch einmal zur lichthoffreien Platte greifen, wenn es sich da- rum handelt, grelle Eftekte nicht zu schädlicher Wirkung kommen zu lassen. Man beachte aber, daß Isolarplatten etwas weniger empfindlich sind als gewöhnliche. Bezüglich des Formats wird man bei kleinen Tieren recht oft mit 6;- 9 cm auskommen. Um jedoch etwas Spielraum zu haben, mag man immer- hin gut tun eine 9; 12 - Platte zu wählen. Verfehlt ist es jedoch, die Tiere gleich von vorn- herein in Lebensgröße aufnehmen zu wollen. Dazu gehört eine wohlausgebildete Technik, die nur durch Erfahrung erworben werden kann. Denn gerade auf diesem Gebiet — das kann nur wiederholt werden — spielt die Erfahrung eine Hauptrolle. Zum Schlüsse mag noch auf einige beachtens- werte Nebenumstände hingewiesen werden. Wie schon erwähnt, handelt es sich hier um die Fest- legung von Natururkunden, die einen durchaus wahren Charakter besitzen müssen. Ist schon ein Eingrift' am Gegenstand selbst verpönt, so soll auch an seiner Umgebung möglichst wenig ge- ändert werden. Die Staffage darf nur dann ent- fernt oder beiseite geschoben werden, wenn dies io6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 7 zwecks Erzielung eines brauchbaren Bildes nicht zu umgehen ist, nie aber darf die Umwandlung so weit getrieben werden, daß der Charakter der Umgebung überhaupt verändert wird. Dagegen soll man möglichst den Apparat so richten, daß ein günstig wirkender Hintergrund erzielt wird; natürlich darf die vorteilhafte Beleuchtung darunter nicht leiden. Kleintieraufnahmen lassen sich im Grunde ge- nommen in jeder Jahreszeit machen. Wird man auch in dem reichen Leben des Sommers und Herbstes die besten Flrfolge zu verzeichnen haben, so wird doch auch an sonnigen, milden Winter- tagen dem aufmerksamen Beobachter ein gewisses Leben der Kleiiitierwelt nicht entgehen. Auf jeden Fall aber darf man nicht gleich ganz be- sondere Leistungen beanspruchen, denn hier ist wie auf einem anderen photographischen Gebiete langsames, zielbewußtes Fortschreiten die Quelle des Erfolges. Einzelberichte. Botanik. Die Verdaulichkeit der Zcllwände des Holzes. G. Haberlandt hatte in seiner Arbeit über den Nährwert des Holzes (s. Naturw. Wochenschr. 1915, S. 394) dargelegt, daß die Speichergewebe des lebenden Splintholzes, die Markstrahlen und das Holzparenchym Reserve- stoffe, hauptsächlich Stärke und fettes < )1 , ent- halten, die den Verdauungssäften des Menschen und seiner Haustiere zugänglich gemacht werden können, wenn die verholzten Zellwände zertrüm- mert werden. Inzwischen hat Haberlandt im Verein mit N. Zuntz weitere Untersuchungen ausgeführt, um die Brauchbarkeit der verdickten und verholzten Zellwände, namentlich der dick- wandigen Libriformfasern des Birkenholzes für die Ernährung des Viehes nachzuweisen. Die mikro- chemische Prüfung der einzelnen Holzelemente zeigte, daß die Zelhvände des Birkenholzes ver- hältnismäßig schwach verholzt sind, „genauer ge- sagt, daß sie nur in relativ geringer Menge jene Substanz enthalten — Czapek's Hadromal — , die die charakteristischen Farbenreaktionen ver- holzter Zellwände bedingt. Diese geringe Ver- holzung zeigen jedoch nur die sekundären Ver- bindungsschichten des Holzparenchyms, der Mark- strahlen und vor allem des Libriforms, die (]uan- titativ weitaus den größten Teil der gesamten Wandsubstanz des Holzes ausmachen und deshalb bei Verdauungsversuchen so gut wie allein in Betracht kommen. Stark verholzt sind dagegen die Längswände der Gefäße und die Mitteliamellen der Markstrahlen und des Libriforms". Zur Prü- fung der Verdaulichkeil der Zellwände wurde von Zuntz und R. von der Heide im Tierphysio- logischen Institut der Landwirtschaftliciien Hoch- schule in Berlin ein Fütterungsversuch am Schaf ausgeführt. Das dazu bestimmte Birkenholz ent- stammte 10—15 cm dicken Bäumen, die Ende März 191 5 gefällt worden waren. Sie wurden in einer Papierfabrik von Borke und Rinde völlig befreit und auf nassem Wege zu HoIzschlifiC ver- arbeitet, wobei der Inhalt der zerstörten Zellen hinausgeschwemmt wurde. Teilchen des erhal- tenen Holzschliffes, der also nur aus den Mem- branen bestand, zeigten unter dem Mikroskop zu- meist ein splitteriges oder faseriges Aussehen und wiesen Libriformzellen auf, die mindestens einmal der Quere nach durchrissen waren. Infolge der dadurch bewirkten Öffnung der Zellen können bei der Verdauung die Enzyme oder zelluloselösenden Bakterien die Zellwände auch von innen her an- greifen. Das ist auch insofern von Bedeutung, weil, wie sich später herausstellte, die stark ver- holzten Mittellamellen für die Verdauungsenzyme nur schwer durchlässig sind. Auch die Mark- strahlenfragmente, die sich zwischen den Libri- formzellen befanden, waren größientels quer durch- gebrochen und enthielten nur selten noch spär- liche Plasmareste. Die prozentische Zusammen- setzung des lufttrocknen Holzschliffs war folgende: Wasser 4,56, Trockensubstanz 95,44, Asche 0,46, organische Substanz 94,08, Stickstoff 0,108, an Stoffen, die für die Ernährung in Betracht kommen : Rohprotein 0,675, Rohfett 0,45, Rohfaser 32,5, stickstoffreie Extraktstoffe 61,56. Unter letzteren befinden sich neben echter Zellulose auch Hemi- zellulosen und Pentosane, von denen wenigstens die ersteren nach den L'ntersuchungen von Leclerc du Sablon und Schellenberg als Reserve- stoffe dienen, wenn die Libriformfasern mit leben- den Plasmakörpern versehen sind. Nach Toi lens enthält Birkenholz 25,21 v. H. der Trockensub- stanz an Pentosanen (Xylan, Holzgummi). Das zu dem Fütterungsversuch benutzte Schaf erhielt täglich 450 g Holzschliff, 30 g Weizenkleber, 100 g Melasse und 75 g Stärke, also neben dem Holz- schliff nur fast vollkommen verdauliche Stoffe, außerdem noch eine gewisse Menge von Salzen, Nach einer Verfütterung von 17 Tagen, während deren noch kleine Schwankungen der Futtermenge vorkamen, begann das quantitative Aufsammeln des Kotes und wurde noch 6 Tage lang fortge- setzt. Zu Beginn des \'orversuchs wog das Tier 1955 kg, am ersten Versuchstage 17,2 kg, am letzten 18,84 kg. Aus den Ergebnissen der Kot- analysen läßt sich ersehen, daß die stickstofffreien Stoffe der Zellwände außerordentlich gut ver- wertet wurden; von der Rohfaser wurden 50,50 v. H. verdaut (kaum weniger als bei einem minder- wertigen Heu) und die Menge der verdauten stickstofffreien Extraktstoffe betrug 55,8 V. H. Der Proteinumsatz war allerdings ungünstig, was nach Zuntz wohl darauf beruht, daß der Holzschlifif eine erhebliche Absonderung stickstoffhaltiger N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Darmsekrete bewirkt. Infolgedessen ist die Eiweiß- bilanz des Holzschliffes stark negativ. Da das Verhältnis des Rohproteins zu den stickstofffreien Stoffen im P'utter nur i : i8 (im Verdauten nur I : 24) betrug, ein so weites Nährstoffverhäknis aber die Verdauung der gesamten Nahrung zu beeinträchtigen pflegt, so ist der für die Verdau- lichkeit des Holzschliffes aufgefundene Wert wahr- scheinlich noch zu niedrig. In Kalorien au>ge- drückt betrug er auf 450 g Holzschliff 958,1 von 197 1 Kai. des Holzes, „das sind immerhin 48,6 Prozent des Brennwertes des Holzes, d. h. fast genau so viel, wie nach Kellner's Zusammen- stellung aus geringem Wiesenheu und gutem Haferstroh vom Rinde verdaut wird. Gutes Heu liefert allerdings etwa 60 Prozent seines Brenn- wertes, ist also dem Holzschliff bedeutend über- legen". Die angegebenen 958,1 Kai. stellen noch nicht den wahren Nutzwert des Holzschliffes dar. Es müssen davon vielmehr noch die Beträge für mechanische Verdauungsarbeit unf für chemi- sche Wirkung der resorbierten Stoffe, sowie der Verlust in Form von Methan und Gärungswärme und der Verlust brennbarer Stoffe im Harn ab- gezogen werden. Hierfür berechnet Z u n t z ins- gesamt 575,9 Kai. Mithin bleiben für Arbeit oder Stoffansatz 382,2 Kai., also auf 100 g verfütterten Holzschliff ^ "' = 84,9 Kai. „Da i g F"ett = 4,5 ^ 9,5 Kai., so könnten hieraus 8,94 g Fett entstehen. Nach Kellner wird aus 4 g verdauter Stärke beim Wiederkäuer i g F'ett gebildet; die 8,94 g Fett bedeuten also einen Stärkewert des Holz- schliffs von 35,8. Diese Zahl kommt dem Stärke- wert von sehr gutem Wiesenheu gleich, den Kellner zu 36,2 ansetzt." Die von Haber- landt ausgeführte mikroskopische Untersuchung kleiner Kotteilchen ließ erkennen, daß an den darin enthaltenen Libriformfasern die verdickten Wände in verschiedener Art zerfressen waren. Das Bild, das diese Korrosionen darbieten, läßt nach Haberlandt mutmaßen, daß an der Auf- lösung der Wände mindestens zweierlei Verdauungs- enzyme oder Bakterien beteiligt sind, von denen die einen die gesamte Wandsubstanz angreifen, während die anderen nur die leichter löslichen Be- standteile der Zellwand auflösen. Die Wände der Markstrahlen sind in geringerem Maße, die stark verholzten Gefäßwände gar nicht verändert. Die an den Membranresten der Exkremente zu er- zielenden Färbungen lassen erkennen, daß das Hadromal bei der Verdauung nicht oder nur sehr wenig gelöst wird. Holz mit unverletzten Zellen gestattet keine erhebliche Ausnützung für die Er- nährung, weil weder der Zellinhalt noch auch die Verdickungsschichten wegen des Widerstandes der stark verholzten Mittellamellen den Verdauungs- enzymen oder Bakterien zugänglich sind. Was für das Schaf gilt, trifft zweifellos auch für andere Wiederkäuer, in gewissem Maße wahrscheinlich auch für das Pferd und das Schwein zu, und es darf ferner „wohl schon jetzt als sicher angenom- men werden, daß alle Holzarten, deren Libriform- zellwände wie die des Birkenholzes nur schwach verholzt sind, in bezug auf ihre Verwendbarkeit zu Ernährungszwecken, dem Birkenholze nicht oder nur wenig nachstehen werden. Dabei wird aber auch im Hinkunft nur auf lebendes Splint- holz Rücksicht zu nehmen sein, und zwar nicht nur deshalb, weil dabei, wenn ein trockenes Mahl- verfahren angewendet wird, auch die Zellinhalte ausgenutzt werden und der Nährwert des Holzes nicht unbeträchtlich erhöht wird, sondern auch deshalb, weil sich das tote Kernholz vor dem .absterben mit verschiedenen Substanzen impräg- niert, die seine Verdaulichkeit ebenso herabsetzen müssen, wie sie seine Widerstandsfähigkeit gegen- über den Angriffen saprophytischer Pilze erhöhen." Durch chemische Aufschließung des vermahlenen Holzes würde dessen Nährwert noch erhöht wer- den; hierüber sollen von Zuntz Mitteilungen ver- öffentlicht werden. (Sitzber. der kgl. Preuß. Akad. der Wissensch. 191 5, S. 686 — 708. 1 F. Moewes. Die BeriJhrungsempfindlichkeit der Pflanzen- organe. Während die Empfindlichkeit der Ranken gegen Berührung und die Bedeutung dieser Emp- findlichkeit für das Zustandekommen der Windun- gen eine längst sichergestellte Tatsache ist, hat man viel darüber gestritten, ob eine solche „Kontakt- reizbarkeit" auch den windenden Stengeln zu- kommt. Seit längerer Zeit schon ist freilich die Ansicht allgemein durchgedrungen, daß die Schlingpflanzen keine Berührung>reizbarkeit be- sitzen, und daß der Windevorgang bei ihnen aus- schließlich auf anderen Ursachen beruht. Diese .Anschauung wird nach den jüngst veröffentlichten Untersuchungen von Peter Stark, die aus Pfeffer 's botanischem Institut in Leipzig hervor- gegangen sind, einer Berichtigung unterzogen werden müssen. Stark hat einmal das Verhalten von Keimlingen gegenüber Berührungsreizen untersucht. Erfahrungen hierüber sind schon lyii von v a n d e r W o 1 k und 1 9 1 3 von VV i 1 s c h k e ver- öffentlicht worden ; doch haben sich diese Forscher nur mit Keimlingen von Gräsern beschäftigt, wäh- rend Stark die verschiedensten Pflanzen, im ganzen 40 Arten, zu seinen Versuchen benutzte. Außer mit Keimlingen experimentierte er aber auch mit älteren Pflanzen aus dem botani- schen Garten oder den Gewächshäusern in Leipzig. Die Keimlinge wurden unter Lichtabschluß, also in etioliertem Zustande, beobachtet. Die Reizung wurde durch Streichen mit einem ziemlich glatten Korkstäbchen bei Beleuchtung mit rotem Licht ausgeführt. Bei allen Arten wurden positive Krümmungen erzielt, deren Ausmaß allerdings sehr verschieden war. Die Reaktionszeit war bei starker Reizung sehr gering, bei den meisten Keimlingen nur 10— 20 Minuten, in manchen Fällen auch weniger (Agrostemma Githago, i —2 Minuten). Die Krümmung beginnt bei den Diko- tylenkeimlingen ziemlich nahe an der Spitze und io8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 7 wandert den Stengel hinunter, bis sie in dem ausgewachsenen Teile ausklingt. Mitunter wird sie so staik, daß die Spitze des Keimlings den Boden berührt. Bei Keimlingen mit langer Wachstumszone kann eine Strecke von i dm und mehr an der Krümmung teilnehmen. Die Grami- neenkeimlinge zeigen besondere Verhältnisse. Bei allen Keimhngen erfolgt nach einer bestimmten Zeit eine Gegenreaktion, die häufig zu negativen Krümmungen führt. Die Gültigkeit des Web er- sehen Gesetzes wurde durch Reizung zweier ent- gegengesetzter Flanken der Keimlinge durch Streichen in ungleicher Zahl erwiesen. Es zeigte sich dabei, daß bei geringer Streichzahl schon eine kleine Differenz in den Streichzahlen der beiden Flanken Reaktionen zur Folge hatte, die bei wachsender Streichzahl, aber gleichbleibender Differenz sich verminderten und schließlich auf- hörten. Blieb jedoch bei wachsender Gesamt- streichzahl das Verhältnis der Streichzahlen an beiden Flanken das gleiche, so reagierte im großen und ganzen dieselbe Zahl von Keimlingen auf den Reiz; nur bei sehr starker Reizung beider Flanken blieb die Krümmung aus. Die Empfind- lichkeit der Pflanze gegen den relativen Reiz- unterschied war sehr beträchtlich; noch bei einem Verhältnis der Streichzahlen beider Flanken von 5 : 4 reagierte ein Drittel der Keimlinge, und selbst ein Verhältnis von 10:9 löste noch Krüm- mungen aus. Schon die Versuche mit einseitiger Reizung der Keimlinge lassen erkennen, daß von der Stärke des Reizes nicht nur die Größe der Krümmung, sondern auch die Kürze der Reak- tionszeit und die Zahl der reagierenden Keimlinge abhängt. Bei Agrostemma Githago wurde fest- gestellt, daß die Reizempfindlichkeit an der Stengelspitze am größten ist. Reizleitung kann sowohl in basipetaler wie in akropetaler Richtung stattfinden. Dies und der Umstand, daß auch durch Streichen mit einem feuchten Gelatine- stäbchen und durch Reizung mit einem feinen Wasserstrahl Krümmungen erzielt werden können, bezeichnet die Hauptunterschiede zwischen dem Verhalten der Keimlinge und dem der Ranken. Was nun die Versuche mit älteren Pflanzen betrifft, so wurden zunächst über 100 verschiedene nicht- kletternde Phanerogamenarten beobachtet. Die Reizung wurde durch 50 maliges Hin- und Her- streichen mit einem nicht zu rauhen Holzsiäbchen ausgeführt und erstreckte sich auf Stengel, Blüten- stands-, Blüten- und Blattstiele. Die Reaktion war schwächer als bei den Keimlingen, aber bei einem Drittel aller Versuche positiv. Die Reak- tionszeit betrug fast immer einige .Stunden. Die Krümmungen traten vorwiegend bei behaarten Pflanzenteilen auf Laubsprosse und Blütenstiele unbehaarter Arten zeigten überhaupt keine Krüm- mungen. Die Haare scheinen also die Empfind- lichkeit zu erhöhen. Meist blieb die Reizreaktion auf die gereizte Stelle beschränkt, doch wurde bei einigen Arten auch Reizleitung beobachtet. Mit Gelatinestäbchen wurden hier und da Krüm- mungen erzielt. Bei den Schlingpflanzen war die Reizempfindlichkeit viel häufiger und ausgeprägter. Daß diese Eigenschaft der Schling- pflanzen bisher meist übersehen worden ist, liegt nach der Ansicht Stark 's daran, daß viele For- scher nur mit einer einzelnen Pflanzenart arbeiteten, und daß das Reaktionsbild durch die ausgeprägten Nutationsbewegungen stark gestört wird. iVIehr als die Hälfte der untersuchten Schlingpflanzen- arten zeigte die Reizkrümmung, besonders schön Hopfen, Bohne (Phaseolus multiflorus) u. a. Es ist daher anzunehmen, daß diese Empfindlichkeit gegen Berührungsreize bei dem Zustandekommen der Windungen mitwirkt; doch darf sie, wie Stark hervorhebt, in ihrer ökologischen Bedeu- tung nicht überschätzt werden, da sie nach dem Ausfall der Reaktionen nicht sehr erheblich ist. Von den Rankenpflanzen, die Verf unter- suchte, zeigte nur etwa die Hälfte Berührungs- empfindlichkeit an Blättern, Sprossen und Blüten- standsachsen; die verschiedenen Organe verhielten sich gleichmäßig. Ein Parallelismus zwischen der Empfindlichkeit der Ranken und der übrigen Organe trat nicht hervor; so erwies sich z. B. Passiflora gracilis mit ihren äußerst reaktions- fähigen Ranken in ihren übrigen Teilen als un- empfindlich, während Ampelopsis quinquefolia, deren Ranken nur träge Krümmungen ausführen, schöne Reaktionen gab. Bei Blattstielkletterern (Tropaeolum, Lophospermum, Clematis) führten fast alle Reizungen an Sprossen und Blütenstielen zu sehr entschiedenen Reaktionen. Ablenkungen von etwa 45" waren nicht selten und die Reak- tionszeiten sehr gering. Auch die Reizung mit Gelatinestäbchen und Wasserstrahl löste Krüm- mungen aus, wenn sie auch schwächer waren und fast ausschließlich an behaarten ( )bjekten auftraten. Bei Gefäßkryptogamen stellte Stark die Kontakt- reizbarkeit besonders an Farnwedeln fest. Alles in allem haben seine Versuche die weite Ver- breitung der Krümmungsfähigkeit bei Berührung erwiesen, womit eine nur auf vereinzelte Fälle gestützte Annahme Darwin's (in seinem Buche über die Kletterpflanzen) bestätigt erscheint. Bei Blattstielkletterern ist die Kontaktempfindlichkeit beträchtlich erhöht, ohne daß es zur Ausbildung besonderer Greiforgane wie bei den Rankenpflanzen gekommen wäre, wo die Sensibilität stärker loka- lisiert ist und auch einigermaßen ihren Charakter geändert hat. Wie oben erwähnt, ruft ein Wasser- strahl bei den Ranken keine Krümmung hervor. Wären sie auch in dieser Hinsicht so empfindlich wie beim Berühren einer Stütze, so würden sie durch den Anprall der Regentropfen bald zur Aufrollung gebracht werden. Vielleicht, bemerkt Stark, steht es damit in Zusammenhang, daß die Ranken eine glatte Oberfläche haben, denn be- haarte Pflanzenteile ergaben mit Gelatine und Wasserstrahl die besten Krümmungen. (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft Bd. 33, 191 5, -S. 389 — 402.) F. Moewes. N. F. XV. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 109 Anthropologie. Über .Jährliche Schwankun- gen im Körpcrvvachstum und ihreschulhygieni Gustav Fischer. ■ — Geh. 15,20 M. Notiz. Prof. Miche hat die Redaktionsgeschäfte wieder über- nommen und bittet, alle Sendungen wie früher zu adressieren. Inhalt: Harald Kylin, Die Chromatophorenfarbstoffe der Pflanzen. S Abb. S. 97. B. Haldy, Kleintieraufnahmen. 4 Abb. S. 103. — Einzelberichte: G. Haberlan dt. Die Verdaulichkeit der Zellwände des Holzes. S. 106. Peter Stark, Die Berührungsempfindlichkeit der Pflanzenorgane. S. 107. E. Matthias, Jährliche Schwankungen im Körper- wachstum und ihre schulhygienischen Konsequenzen. S. 109. W. Peukert, Über die Änderung des VVechselstrom- widerslandes von Eisendrähten mit der Temperatur. S. I09. S. Garten, Schallschreiber mit sehr kleiner Seifen- membran. S. 110. — Bücherbesprechungen: Georg Cohn, Geschmack und Konstitution bei organischen Verbin- dungen. S. HO. Hans Wolfgang Behm, Vom Tier zum Fels. S. ill. — Anregungen und Antworten: Kom- men außerhalb Südtirols noch ,,üolumilen" vor und wo? S. 112. — Literatur: Liste. S. 112. — Notiz. S. 112. Manuskripte und Zuschriften :rden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Verlag von Gustav Fischer in Jt G. PäU'schen Buchdr. Lippen & Co. G. m Leipzig, Marienstraße . b. H., Naumburg a. < erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 20. Februar 1916. Nummer 8. Die Kleiderlaus. Eine Besprechung neuer Veröffentlichungen. Von Privatdozent Dr. Stellwaag. Mit 5 Abbildungen. Als Ungeziefer bezeichnet der Laie meist die- jenigen Insektenformen, die zum geregelten Ablauf ihrer Lebenstätigkeiten darauf angewiesen sind, Gewebeflussigkeit oder Blut andeier Tiere, be- sonders von Wirbeltieren zu saugen. Ihre Art der Nahrungsaufnahme gestaltet sich iür Mensch und Tier zu einer lästigen Plage, besonders in solchen Gegenden, wo, wie in den Tropen, Bedingungen für eine starke Verbreitung und massenhaftes Auftreten gegeben sind. Nur teilweise aber kommen sie als gelegentliche Blutsauger, die vorübergehenden Schaden verursachen, in Betracht. In vielen Fällen spielen sie in sanitarisch-pathologischer Hinsicht eine ausschlaggebende Rolle, indem sie als mehr oder minder gefährliche Krankheitsüberträger auf- treten. Am furchtbarsten hat sich in dieser Be- ziehung wohl die Tsetsefliege (Glossina morsitans) durch die Verbreitung der Schlafkrankheit erwiesen. Vom Jahre 1901 bis 1906 waren die 35000 Ein- wohner der Seseinseln des Viktoria Nyanza auf 10 000 zusammengeschmolzen, von welchen über- dies noch 80 "/g mit Trypanosomen infiziert waren ! In der gleichen Zeit werden die Verluste an Menschenleben im tropischen Afrika auf eine halbe Million geschätzt. Die Gefährlichkeit der schmarotzenden Insekten steht nicht immer im direkten Verhältnis zu dem Grad des Parasitismus. Während zum Beispiel gerade die Tsetsefliege ihre Opfer nur besucht, wenn sie Blut saugt, und durch einen Stich den Tod herbeiführen kann, halten sich andere Gliedertiere, wie Dasselfliegen und Milben dauernd oder in irgendeinem Lebensabschnitt in den Geweben des Wirtstieres auf und erzeugen erst dann schwere Krankheitsformen, wenn sie in großer Menge und dicht beisammen auftreten. Darnach kann man also vom biologischen Stand- punkt aus die parasitischen Insekten und ihre nahen Verwandten in zwei Gruppen teilen. Zur kleineren rechnet man alle Insekten, die ihre Larvenentwicklung in Innern des Wirbeltieres durchmachen, und daher die längste Zeit eine echte Schmarotzerlebensweise führen. Hierher gehören Vertreter des Östriden oder Dasselfliegen und gewisse Fliegen oder Museiden. Die größere Gruppe umfaßt diejenigen Formen, die als ge- legentliche Blutsauger durch ihr Nahrungsbedürfnis in ein Abhängigkeitsverhältnis von bestimmten Wirten geraten sind. Sie halten sich auf diesen hauptsächlich in fertig entwickeltem Zustand auf. Wir finden hier alle Übergänge von Raubtieren zu Halbparasiten, von solchen, die im Besitz vor- züglicher Sinnesorgane sind und gewandt ihr Opfer befallen, zu anderen, die sich an der Haut anklammern und eine mehr träge Lebensweise führen. Die Schnaken (Culiciden, Moskitos), die Bremsen (Tabanidenj, Stechfliegen (Stomoxys), Tsetsefliegen (Glossina), verschiedene Mücken- arten (Simuliden, Chironomiden, Psycholiden), ferner Flöne (Aphaniptera), Lausfliegen (Pupiparen), einige Wanzen (Cimex) und Läuse (Anoplura) bilden diese Reihe. Die Läuse stellen den Über- gang zwischen den beiden Gruppen her, indem sie nicht nur ihre Eier häufig auf den Haaren des Wirtes ablegen, sondern auch ihre Larven- entwicklung auf dem befallenen Körper durch- machen. Am bekanntesten unter ihnen sind die auf dem Menschen schmarotzenden 3 Arten: F"il/.laus (Pthyrus pubis L.) Kopflaus (Fediculus capitis Deg.j und Kleiderlaus (Pediculus corporis de Geer = vestimenti Niizsch). Die Kleiderlaus nimmt etwa seit einem Jahre das allgemeine Interesse in Anspruch, nachdem vorher ihr Vorkommen nur wenigen bekannt war. Zahllose unsrer Soldaten, besonders auf dem öst- lichen Kriegsschauplatz werden fortgesetzt durch unerträgliches Jucken belästigt. Besonders in der Nacht, wo die Tiere ungestört Blut saugen können, wird die Plage zur Qual, so daß der Körper nach den Anstrengungen der Märsche und Kämpfe unverhältnismäßig erschlafft. Wichtiger aber noch ist die Tatsache, daß die Kleiderlaus die Über- tragung des gefährlichen Flecktyphus vermittelt, wie durch Versuche an Tieren festgestellt wurde. Die Beseitigung der Kleiderläuse ist somit gleich- bedeutend mit der Bekämpfung des Flecktyphus und es besteht das dringende Bedürfnis, mit allen verfügbaren Mitteln nicht nur bei der Truppe, in den Lazaretten und Gefangenenlagern , sondern auch bei der Zivilbevölkerung die Vertilgung der Läuse zu bewerkstelligen. Hier liegt eines der wichtigsten Aufgaben der angewandten Entomologie der Gegenwart. Erfolgreiche Maßnahmen gründen sich naturgemäß auf die genaue Kenntnis des Baues und der Lebensweise der Tiere und zahl- reiche Zoologen und Mediziner sind bestrebt, von verschiedenen Gesichtspunkten aus den Stoff zu bearbeiten. Zur Förderung der Untersuchungen und zur Beschaffung von Läusevertilgungsmitteln hat die Gesellschaft für angewandte Entomologie dem Zentraldepot für Liebesgaben eine größere Geldsumme überwiesen und sich mit einigen ihrer 114 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 Mitglieder ins Benehmen gesetzt, um sie durch Gewährung von Geldmitteln und Beschaffung von Apparaten zu unterstützen. Außer zahlreichen Veröfteniiichungen ist im Auftrag des preußischen Kriegsministeriums bereits eine eingehende Unter- suchung von Hase erschienen: Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus (I'ediculus corporis de Geer = vestimenti Nitzschj.'j Hase machte seine Beobachtungen im großen russischen Gefangenen- lager Hammer.>tein in Westpreußen und hatte Gelegenheit, mit einem außergewöhnlich reich- haltigen Material zu arbeiten. Der „tägliche Eingang" an frisch abgesuchten Läusen betrug 3000 bis 4000 Stück! Abb. I. Weibchen der Abb. 2. Weibcheu der Kopf- Kleiderlaus vom Racken ge- laus vom Rücken gesehen, sehen, 14 mal vergr. ^Original.) I4mal vergr. (Original.) Die Kleiderlaus unterscheidet sich von der Kopflaus durch verschiedene Merkmale (Abb. i und 2). Sie ist größer als die Kopflaus und zwar erreichen selbst die größten Exemplare von Pediculus capitis nicht die kleinsten von Pediculus corporis. Dies gilt nicht nur von den Ma.>,sen des ganzen Körpers, sondern auch von denen einzelner Abschnitte. Dazu kommen noch geringfügige Unterschiede: unter anderem fehlen bei der Kopflaus die Längsmuskeln der Ventralseite im 4. Hinterleibsring, während sie bei der Kleider- laus in der Fünfzahl vorhanden sind, und die Segmentgrenzen des Hinterleibes treten bei der Kopflaus deutlicher hervor. Darnach sind Kopf- laus und Kleiderlaus wohl als zwei ver- schiedene Arten aufzufassen, die zwar morpholo- gisch nicht leicht, aber doch sicher zu trennen sind. Weniger deutlich sind die Unterschiede des Aufenthaltsorts. Gewöhnlich wird ange- geben, daß die Kopflaus ausschließlich in den Kopt haaren lebt, während die Kleiderlaus die feinen Härchen des Körpers bevorzugt und von hier aus leicht in die Kleider gelangt. Hase hat folgende Wohnorte der Kleiderläuse gefunden : ') Flugschriften der deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie Nr. i. 1. Die Leibwäsche, wo sie sich oft in die Wollfäden vergraben und mechanisch schwer zu eniternen sind. Sie sitzen tief zwischen den um- geschlagenen Säumen. Die Halstücher und Hals- binden. 2. Bänderknoten der Unterhosen und -Hemden; auch unter den Knöpfen versteckt; ferner in den Strümpfen, besonders in Wollstrümpfen. 3. Die Hosen und Waffenröcke, sonstige Zivil- röcke aller Art. Auf den Mänteln (Innerseite); auch in den Taschen der Hosen , Röcke usw. Unter den Rockkragen und unter den Achsel- stücken. Bei Frauen in Blusen und Rockfalten, in den Korsetts. 4. Die Bänder der Amulette, welche von Katholiken vielfach getragen werden, ebenso die Bänder der Brustbeutel und die Brustbeutel selbst. 5. Die Stiefel bis an die Siiefelspitze, ebenso die Zugstrippen an ■ den Stiefeln; ferner die Fußlappen. 6. Der Körper des Menschen, auch an schwer zugänglichen Stellen, wie: der äußere Gehörgang, die Schamgegend, zwischen den Hinterbacken bis zur Afiergegend. Alle Körperhaare, das Kopf- und Gesichtshaar inbegriffen. 7. Riemenzeuge aller Art, die der Verlauste getragen; wie Leibriemen, wo sie sich oft tief in die Schnallen vergraben. 8. Pelzmützen und Pelzmäntel, tief in die Haare eingekrallt. 9. Die Lagerstätten der Verlausten und ihre Bedeckungen. Also die Strohsäcke, Holzwollsäcke, die Wolldecken und hederdf cken. Das Lagerstroh. 10. Die Ritzen, Dielen und Fußböden, die Wände und Decken von verlausten Wohnungen und Baracken. Die Polstermöbel, Vorhänge und Teppiche dieser Wohnungen. Die Eisenbahn- wagen, welche Verlauste benutzten. 11. Die Verbände der Verwundeten, besonders die Watte usw. alter Gipsverbände. 12. Der Sand und die Erde, auf der Verlauste gelagert haben. 13. Schließlich kommt (in seltneren Fällen) in Frage das Papiergeld in den Brustbeuteln, und die Metallamulette selbst, besonders wenn sie gegittert oder durchbrochen gearbeitet sind; die Notizbücher und Brieftaschen. Die genaue Kenntnis der Plätze, an denen sich die Läuse aufhalten, ist praktisch von großer Wichtig- keit. Da die Tiere außer auf dem Körper auch auf den Lagerstätten und in den Wohnungen leben, ja, überall da zu finden sind, wo Verlauste ständig verkehren, so darf sich die Entlausung nicht nur auf Körper und Kleider beschränken, sondern muß alles berücksichtigen, was mit dem Verlausten in Berührung war, wenn eine Neu- infektion der betreffenden Person oder anderer verhindert werden soll. Es genügt also durchaus nicht, den Körper zu waschen und sich neu zu kleiden. Wer sich durch Anstreifen an Verlauste oder durch Aufenthalt in verlausten Wohnungen infi- N. F. XV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. IIS ziert hat, läuft Gefahr, daß seine „Kontaktver- lausung'' in „Stammverlausung" übergeht, indem die Läuse in die Kleider ihre Eier ablegen, welche sich in kurzer Zeit zu Larven entwickeln. Diese Eier oder Nissen haben im Durchschnitt eine Größe von 0,8 mm und ovale Gestalt. An dem einen Pol befindet sich ein Deckel, der von Luftkanälen, den sog. Mikrophylenzellen durch- brochen ist, durch welche die Sauerstoffzufuhr zum Embryo ermöglicht wird. Der andere Pol ist mit Kitimasse bedeckt, welche das Ei mit seiner Unterlage fest verklebt. An der Menge und P"orm der Kittmasse kann man die Eier der Kleiderlaus von denexi der Kopflaus deutlich unterscheiden (Abb. 3 und 4). Bei letzterer wird die untere Eihälfte von der Kittmasse fast völlig umhüllt, während sie bei der Kleiderlaus bis auf Abb. 3. Eier (Nissen) der Kleiderlaus an einem WoU- faden. An 4 Eiern sind die Mikropylenzellen deuUich. Abb. 4. Eier (Nissen) der Bei dem Ei rechts unten ist Kopflaus an einem Haar, der Dcckelverschluß geölTnet, 24 mal vergr. Kiitmasse so dal3 die Larve ausschlüpfen punkuert. (Origmal.) kann. Das El rechts oben ohne Deckel ist leer. Die Kiitmasse wurde punktiert dargestellt. 24 mal vergr. (Original.) eine kleine Stelle frei ist. Auch klebt die Kopf- laus die Eier mehr regelmäßig an, so daß die Eideckel alle nach einer Seite gerichtet sind, während die Eier der Kleiderlaus in verschiedener Richtung ..unordentlich" von der Unterlage ab- stehen. Über die Entwicklung von Eiern und Larven siehe den Artikel von Hase in dieser Zeitschrift Nr. I, 19 16. Die Nissen findet man durchaus nicht will- kürlich auf den Kleidungsstücken verstreut. Die Kleiderlaus bevorzugt für die Eiablage solche Stellen, die leicht au-fasern und daher eine feste Verbindung der Eier mit der Unterlage gestatten. und andererseits eine größere Luftzirkulation für die Entwicklung der Eier gewährleisten. Solche Nissenfelder sind z. B. schadhafte Stellen der Hemden, besonders aber die Falten und Nähte der Wäsche. Bei stark verlausten Unterkleidern kann man genau feststellen, wie die Nissen den Nähten folgen. Dabei werden allerdings manch- mal solche Stellen gemieden, die häufiger ge- scheuert werden und dadurch die ungestörte Entwicklung der Eier in Frage stellen würden. Die Laus berücksichtigt also auch gewisse Zug- und Drucklinien. So fand ich bei Verwundeten- transporten aus dem Osten die Hosenträger be- sonders unter der Schließe dicht mit Nissen besetzt, während der ganze übrige Teil frei war. Allerdings weicht die Laus von dieser Regel ab, wenn die Vei lausung schon weit vorgeschritten ist. Dann werden auch straffe Leinen- und Seidenstoffe, Lederwaren, Haare und sogar Metall- teile nicht verschmäht. Vielfach begegnet man der Ansicht, die Eier könnten durch Ausklopfen oder Abbürsten ent- fernt werden. Wer aber selbst einmal versucht hat, Nissen von der Unterlage abzunehmen, der weiß, wie schwer sie sich ablösen lassen und wie häufig das Ei zerdrückt wird, ehe die Kittmasse zerreißt. Kittmasse und Ei sind eben außer- ordentlich widerstandsfähig gegen mechanische Einwirkungen. Hase hat festgestellt, daß der größte Druck, den ein Ei verträgt, etwa 200 g betragt. Im Durchschnitt halten die Eier eine Belastung von 120-180 g aus. Durch solche Versuche wird erwiesen, das man die Nissen keines- wegs durch Klopfen und Schlagen der Kleider töten kann, wie von verschiedenen Seiten vorge- schlagen wurde. Aus den Nissen kriechen unter normalen Bedingungen, d. h. bei 37 Grad nach 6 — 7 Tagen die Larven aus, die im allgemeinen den er- wachsenen Tieren ähnlich sind, sich aber von ihnen durch geringere Größe, noch unentwickelte Genitalorgane und verschiedene andere anatomische Besonderheiten unterscheiden. Kurze Zeit nach dem Verlassen der Eischale beginnen sie zu saugen. Bei genügender Nahrungsmenge ent- wickeln sie sich ziemlich rasch zum ausgewachsenen geschlechtsreifen Tier, nachdem sie mehrere Häu- tungen durchgemacht haben. Die Abbildung i zeigt, daß das Tier an den Fußenden mit festen Klauen ausgestattet ist, mit deren Hilfe es sich fortbewegen kann, wenn es Stellen zur Nahrungsaufnahme auswählt oder das andere Geschlecht aufsucht. Die Klauenapparate dienen aber auch dazu, den Parasiten eng an die Unterlage anzudrücken, und verhindern dadurch, daß er durch Reiben, Kratzen und Scheuern ent- fernt wird. Gerade gegen einseitigen Druck ist er vorzüglich angepaßt. Der Kopf hat zwar nicht die Fähigkeit, sich in die Brustretjion zurück- zuziehen; er setzt sich aber dafür nicht besonders vom Rumpf ab und der Körper schließt sich ohne Unterbrechung an. Dieser besitzt im allgemeinen Ii6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 die Form einer Linse, d. h. seine Ränder schärfen sich nach außen zu. Wird daher der Körper an die Unterlage angepreßt, so geht er unmerklich in diese über. Dazu kommt noch die Zähigkeit der äußeren Körperbedeckung, des Chitinskelettes, die den Körper vor Verletzungen bewahrt. Die Läuse werden ja ständigem Druck ausgesetzt, wenn sie sich an Stellen befinden, die scheuern. Die Belastung, die sie unter dem Tragriemen der Tornister, unter dem Leibgurt und dem geschul- tertem Gewehr zu ertragen haben, ist sehr be- deutend. Wenn man eine Kleiderlaus auf eine harte Unterlage legt und mit dem Handballen oder Daumen noch so stark darauf drückt, so gelingt es nicht, das Tier zu zerdrücken, denn einmal ist seine Elastizität sehr groß, und dann drückt es sich zum Teil in die Unterlage ein. Zwischen harten und weichen Stoffen halten also die Läuse bedeutende Belastung aus. Hase fand, daß hungernde Tiere im Mittel 1,352 g ertragen, während soeben Vollgesogene schon nach 580 g etwa zerplatzen. Von den drei Läusearten, die oben erwähnt wurden, gehört Pediculus vestimenti zu den be- weglicheren. Im Gegensatz zur Kopf- und Filz- laus macht die Kleiderlaus von ihren Fortbewegungs- werkzeugen einen ausgedehnten Gebrauch. Sie ist stets bestrebt, mit der Bauchseite die Unterlage zu berühren. Wird sie auf den Rücken gelegt, so sucht sie so schnell wie möglich sich aus dieser ihr unbequemen Lage zu befreien, indem sie Anstrengungen macht sich entweder nach der Seite, über das Körperende oder über den Kopf umzuwenden. Ähnliche Bewegungen führt sie aus, wenn sie einen neuen Stützpunkt aufsucht. Sie angelt dabei stets mit dem ersten Fußpaar in der Luft herum. Dieser Fall tritt sehr häufig beim Wandern in Pelzen und filzigen Tucheri ein, und darin liegt eine große Gefahr für die Über- tragung der Tiere. Streift ein Nichtveriauster an einem Verlausten an, so hakt sich die Laus an ihm fest, indem sie die Klaue gegen den Unter- schenkel einschlägt. Dabei ist es für sie gleich- gültig, ob sie senkrechte oder überhängende Unter- lagen ergreifen kann. Sie zieht sofort die anderen Füße nach und gelangt dadurch auf den neuen Wirt. Es wird daher empfohlen, daß Personen, die mit verlausten Menschen häufiger in enge Be- rührung kommen, oder Kleider zu entlausen haben, Gummischuhe oder hohe Stiefel und Schutzkleider aus glatten festen Stoffen tragen. Die Kleidung muß am Hals, an den Handgelenken und Beinen so eng anschließen, daß ein Ükerkriechen von Läusen in die inneren Bekleidungsschichten und auf die Haut tunlichst vermieden wird. Zum Schutz der Hände sind Gummihandschuhe anzulegen. Die Geschwindigkeit, mit der die Läuse vorwärts kommen, hängt ab von der Art und Lage der Unterlage und der Lufttemperatur. Auf horizon- taler Ebene und bei Zimmertemperatur kommen sie überall vorwärts; auf Papier, Stoffen aller Art, Leder, Holz, Sand, Erde, Metallen, Glas, Gummi- waren, mit Ölfarbe gestrichenen Hölzern und der- gleichen. Auf polierten Flächen wird die Be- weguiigsfähigkeit stark vermindert. Ein hungriges Weibchen, das Hase auf rauhem Filtrierpapier wandern ließ, legte in einer Minute durchschnitt- lich 21,8 cm zurück, ein hungriges Männchen 22,7 cm. Wesentlich anders waren die Befunde bei Tieren, die sich kurz vorher mit Blut gesättigt hatten. Ein sattes Weibchen durchwandert auf der gleichen Fläche im Durchschnitt nur 6,5 cm in einer Minute, ein sattes Männchen dagegen 13,5 cm. Senkrechte und überhängende Flächen beeinflussen die Wandergeschwindigkeit beträcht- lich. Auf poliertem Metall und Glas kann die Laus bei stärkerem Neigungswinkel als 2 — 3 Grad nicht mehr nach aufwärts wandern. Da- gegen kommt sie gut vorwärts auf Papier, Stoffen aller Art, rauhem Leder, rauhem Holz und auf kalkgetünchten Wänden. Schmutzige Glasflächen, rauhe Metallflächen bieten ihr kein Hindernis. Daraus folgt, daß sie in den Wohnungen, an den Tapeten, auf dem Weichmobiliar, ebenso gut herumkleitern kann wie an eisernen Bettstellen, Stiefeln, an unsauberen Schüsseln, je sogar an schlechtgeputzten Fenstern und dergleichen. Natür- lich richtet sich die Geschwindigkeit immer nach der Art der Unterlage. Im Durchschnitt kann man annehmen, daß die Laus bei einer Zusammen- setzung von verschiedenen Stoffen und wechselnder Stellung zum Raum in einer Minute etwa 10 cm zurücklegt. Das macht in einer Stunde 600 cm. Nehmen wir an, die Laus würde 4 Stunden wandern, so würde sie im Tage 24 m zurücklegen. Ohne Nahrung zu sich zu nehmen vermag sie 3 Tage auszuhalten. In dieser Zeit würde sie die ansehnliche Strecke von 72 m durchwandern können. Bei 15 cm in der Minute und fünf Stunden Wanderzeit am Tage würde sich die Summe auf 135 m erhöhen. Solche Leistungen sind wohl zu berücksichtigen, wenn es sich darum handelt, ver- lauste Kleider vorläufig in einer abgelegenen Ecke aufzubewahren, bis sie zur Desinfektion gelangen. Es ist sehr leicht möglich, daß hierdurch eine Neuinfektion hervorgerufen wird. Lebende Läuse, die aus der Wäsche ausgelesen werden, oder von Veriausten abfallen und auf den Boden gelangen, gehen hier keineswegs zugrunde. Über den Sand kommt die Laus sogar verhältnismäßig schnell hinweg, etwa 13 cm durchschnittlich in der Minute. Aber auch durch den Sand arbeitet sie sich schnell, wenn sie verschüttet oder in die Erde hineingetreten wurde. Die Geschwindigkeit steht naturgemäß in einem bestimmten Verhältnisse zur Festigkeit, Feuchtigkeit und Temperatur des Bodens. Als kürzeste Zeiten der Durchwanderung beobachtete Hase: 2 cm Sand in 15 Minuten 10 „ „ „ 45 14 „ „ „ 45 22 „ „ „ 2 Stunden 18 Minuten 28 „ „ „ 3 ,. 15 28 „ „ „5 .. - .- N. F. XV. Nr Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Läuse werden demnach nicht abgetötet, wenn sie oberflächHch vergraben werden; sie versuchen im Gegenteil an die Oberfläche zu gelangen und bilden eine ständige Gefahr der Neuinfektion. Ein Boden allerdings, der ganz durchnäßt wurde oder nachher zu einer Kruste erhärtet, bildet ein aus- reichendes Hmdernis. Unter ihm gehen die Läuse zugrunde, wenn er nach dem Trocknen nicht wieder locker wird. Das Verhalten der Läuse zum Licht richtet sich ganz nach ihrem Sättigungszustand. Oftmals konnte ich die Wahrnehmung machen, daß stark infizierte Kleider, die zu Bündeln zusammenge- schnürt waren, äußerlich zunächst gar nichts von den Parasiten erkennen ließen. Erst nach Stunden oder im Laufe des nächsten Tages kamen die Läuse zum Vorschein und sammelten sich in Massen an der Lichtseite , von wo sie bequem abgelesen werden konnten. Die ausgehungerte Laus sucht also das Licht. Daher erscheint sie gegen Abend an Stellen, die dem Licht ausgesetzt sind, wie am Rockkragen, denn sie wurde tags über durch die Bewegungen des Verlausten in ihrem Saugge- schäft oftmals gestört. Morgens dagegen findet man wenige Läuse auf den Kleidern. Sie sitzen in der Wäsche, weil sie nachts ungestört ihren Hunger stillen konnten: Das heißt, die vollgesogene satte Laus verkriecht sich, sie sucht das Licht zu meiden. Das gleiche Verhalten zeigt die Laus, wenn sie beunruhigt wird. Besonders wichtig für die Praxis ist die Untersuchung des Geruchsinnes der Läuse. Die überwiegende Menge von Läusemittelii geht ja darauf hinaus, die Läuse durch bestimmte Gerüche zu vertreiben oder vom Körper abzu- halten, ja sogar zu vernichten. In der Tagespresse wurde auf zahllose solcher Mittel hingewiesen, wobei aber oft viele wirkungslose und von skrupellosen Händlern angepriesene Stoffe, deren Zusammensetzung verschwiegen wird, nicht ent- sprechend von denen unterschieden werden, welche wenigstens einen gewissen Erfolg versprechen. Am aussichtsreichsten schien das echte persische Insektenpulver, das aber gegenwärtig nur in ganz gerirger Menge eingeführt wird. Dafür wurde verfäJchtes, völlig wertloses Pulver in den Handel gebracht. Nach von Prowazek, der bei seinen Läusestudien leider dem Flecktyphus erlag, sollten ätherische Öle, wie Eukalyptus-, Nelken-, Fenchel- und .Anisöl gute Dienste leisten. Noch besser sollen sich 15 Teile Bergamottöl, 25 Teile Calmustinktur und 60 Teile Weingeist bewähren. Blaschko wendet Chlorotan , Cinol, Naphta, Sapalcor, Mercolintschurze, 50 "g Vaselin, Naph- thalin, Naphthalinpuder, Eysell Schwefclpräzipitat- pulver an. Bei der Truppe wird unter anderem empfohlem ; I. Das Tragen von Täschchen in der Kleidung, die Para-Dichlorbenzol, Naphthalin oder Mu.skatnuß enthalten. --< 2. Das Einstreuen von feingepulvertem Naph- thalin oder cresolhaltigem Puder (hergestellt aus Talk, Magnesia usta und Bolus alba mit 3% Trikresol) in die Wäsche. 3. Einreibung des Körpers mit 5 "/(, Naphthalin- Vaselinsalbe oder PerubaLam. 4. Abreiben und Besprengen der Kleider mit einer Tabakabkochung (i Zigarre auf i Liter Wasser). Ich habe aus den zahlreichen Schutzmitteln nur die bekannteren und häufiger gebrauchteren herausgegriffen. Sie haben alle gemeinsam, daß sie, wenn überhaupt, dann nur einen Augenblicks- erfolg erzielen können. Diesen Mißstand sollen die in neuester Zeit in den Handel gebrachten Schutzringe beseitigen. Sie bestehen im wesent- lichen aus Formalingelatine, die mit ätherischen Ölen, Trikresol, p-Dichlorbenzol usw. vermengt wurde. Die Ringe sind elastisch, schmiegen sich daher leicht an, und werden um den Hals, um Arme und Beine und die Hüftgegend getragen. Zum Schutze des Kopfes dient eine gleichfalls imprägnierte Kopfhaube. Nach Bohl mann werden dadurch die Parasiten nicht nur vertrieben, sondern auch vernichtet. Allerdings leiden die Nissen wenig darunter, doch gehen die aus- schlüpfenden Larven rasch zugrunde. Durch die Anwendung der Gürtel soll der Körper längere Zeit vor Ungeziefer geschützt bleiben. Wie alle vorhin genannten Mittel sollen auch die Gürtel durch die Stoffe, die der Gelatine zu- gegeben sind , auf die Läuse wirken. Man darf daher mit Recht fragen, inwieweit die Läuse überhaupt gegen Düfte empfindlich sind, d. h. wie hoch das Geruchsvermögen der Tiere ent- wickelt ist. Daß die Läuse einen Geruchssinn be- sitzen, muß man ohne weiters annehmen, daß er aber gut entwickelt ist, wird durch die Unter- suchung von Hase über die Riechweite stark in Frage gestellt. Dieser brachte hungernde Läuse, die außerdem durch Drücken und Streichen stark be- unruhigt worden waren, in die Nähe der Hand oder des entblößten Körpers. Bei 50—20 Zentimeter Entfernung fand keine Reaktion statt. Die Läuse witterten die Nähe des Menschen nicht und hatten daher keine Ursache sich nach ihm hin zu wen- den. In einer Nähe von 10-15 Zentimeter wurde das Verhalten unsicher, aber erst bei 2 und weniger Zentimetern Abstand fingen sie an zu laufen und zwar um so schneller, je näher sie kamen. Wurde die Hand entfernt, so benahmen sie sich wie jede andere hungernde Laus, das heißt, sie wandten sich vom Licht ab und führten eine hakenförmige Wendung aus. Es ist daher der Schluß berechtigt, daß die Laus wittert, aber das Witterungsvermögen scheint nicht weit zu reichen. Für die Praxis hat diese Erkenntnis die Folge, daß die meisten der angewandten Chemikalien von der Laus gar nicht wahrgenommen werden können, und daher vollkommen wirkungslos sind. Andere Mittel vermögen wohl die Parasiten von be- stimmten Körperstellen zu vertreiben, in dem sie außer auf die Geruchsorgane eine Wirkung auf die Atmungsorgane ausüben. So kann man in einer Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 Schale, in die man zahlreiche Läuse gebracht hat, die Tiere durch ein stark duftendes Mittel aus- einander treiben. Ein ganz sicher wirtcendes Schutzmittel, das gleichzeitig dem menschlichen Körper nicht zusetzt, scheint aber bisher noch nicht bekannt zu sein. Viel wirksamer als Schutzmaßnahmen gestaltet sich die unmittelbare Vernichtung der Läuse am menschlichen Körper und die Entlausung der Kleider, Wäschestücke und des Mobilars. Um den Körper von Läusen zu befreien ist es nötig, alle Körperhaare zu schneiden und die verlausten Teile mit Saba- dillessig oder grauer Salbe gründlich einzureiben. Darnach wird ein warmes Brausebad mit grüner Seife genommen. Man muß sich allerdings hüten, die graue Salbe öfters zu gebrauchen, da das Quecksiber leicht Schädigungen der Gesundheit hervorrufen kann. Eines der vorzüglichsten Des- infektionsmittel für Bekleidungsstücke ist die An- wendung von schwefliger Säure, die bei genügender Konzentration in 6 Stunden die Läuse und deren Nissen vollständig vernichtet. Die Stücke, die entlaust werden sollen, werden in dicht abzu- schließende Kammern auf Gestellen oder Wäsche- seilen locker aufgehängt und den Dämpfen ausgesetzt, die am einfachsten durch Verbrennen von Stangen- schwefel erzeugt werden. Die gleichen Dienste leistet ein Gemisch von Schwelkohlenstoff (90 "/(,), Wasser (5 "/n) ""d denaturiertem Spiritus (5 "/o). Die Menge des Gemisches richtet sich nach dem In- halt des Raumes und beträgt bei 50 cbm 1250 ccm, bei 100 cbm 2090 ccm. Das Gemisch wird in flachen Eisen- oder Emailpfannen verbrannt, wobei auf 100 cbm mindestens ein Gefäß nötig i^^t. Andere Verfahren bestehen in der Aushungerung der Läuse und im Gebrauch von trockener oder feuchter Hitze. Die Läuse benötigen zu ihrer Fortentwicklung strömendes warmes Blut. Wie oft sie unter ge- wöhnlichen Bedingungen saugen , ist noch nicht ganz festgestellt. Jedenfalls aber ist ihr Nahrungs- bedürfnis erheblich von der Temperatur abhängig in der sie leben. Danach dürfte die allgemeine Annahme, daß Läuse in 5 — 6 Tagen den Hunger- tod sterben, in dieser Fassung wenigstens nicht richtig sein. Bei niederer Temperatur, in der an und für sich die Lebensfunktionen herabgesetzt sind, wird der Hunger viel besser ertragen als bei menschlicher Körperwärme , wo der Stoff- wechsel sehr rege ist. Bei +37" wird nur ein Hungertag vertragen, bei -(-25 — 30" werden zwei überstanden, bei -j-io — 20" gegen sieben, bei -fö" bis neun und zehn. Wenn man demnach infizierte Wäsche und Kleider bei höherer Temperatur in verschlossenen Behältern aufbewahrt, so kann man sie nach etwa 14 Tagen als läusefrei be- trachten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Nissen mehrere Tage zu ihrer Entwick- lung bedürfen. Doch geht die jung geschlüpfte Larve weitaus rascher als das geschlechtsreife Tier an Nahrungsmangel zugrunde. Schwankungen der Temperatur vermag die Kleiderlaus gut zu überstehen. Kältegrade bis — 10" wirken nicht absolut tödlich. Erst wenn sehr tiefe Temperaturen auf sie einwirken, stirbt sie ab. Bei der Methode, die Läuse im Freien durch Ausfrieren abzutöten, rechnet man also nicht mit der Widerstandsfähig- keit der Tiere. Das Optimum der Temperatur dürfte die normale Körperwärme des Menschen an der Haut sein. Sie ruft ein großes Nahrungs- bedürfnis und große Beweglichkeit hervor. Höhere Wärmegrade, bis 37^ wirken bei Hunger tödlich, trockene Hitze, etwa -(-50", vernichtet die Läuse unter allen Umständen schon nach V2 — ^/t Stun- den. In der Praxis werden viel höhere Tempera- turen angewandt, da es sich auch darum handelt, die Nissen zu vernichten. Das allgemein übliche Verfahren besteht im Gebrauch strömenden Wasser- dampfes von 100", der ^/.j Stunde lang einwirkt. Wie Ernährung und Temperatur in ihren Wirkungen auf die Läuse voneinander abhängig sind, so steht die Eiproduktion mit diesen Verhält- nissen in engstem Zusammenhang. Hunger wirkt in jedem Falle ungünstig ein, ebenso wie niedere Temperaturen. Am förderlichsten ist Wärme von 25 — 37" C bei guter Ernährung. Über das Zu- sammenwirken der verschiedenen biologischen Umstände konnte Hase folgendes Schema auf- stellen: Es verursacht: A. Hohe Temperatur B. Niedere Temperatur 25-37« +0-6-12" 1. Großes Nahrungs- i. Geringes Nahrungs- bedürfnis, bedürfnis. 2. Verdauung und 2. Verdauung und sonstiger Stoffwechsel sonstiger Stoffwechsel sehr lebhaft. sehr träge oder fast still- stehend. 3. Bei Hungerzustän- 3. Bei Hungerzustän- den den Tod oft in wenig den nicht den Tod. Stunden. 4. Lebhafte Eiproduk- 4. Die Eiproduktion tion, aber baldiges Ab- fällt ganz aus, oder ist sterben der Tiere danach, sehr gering. 5. Große Beweglich- 5. Geringe o-ler gar keit aller Tiere. keine Beweglichkeit. 6. Die Tiere halten 6. Die Tiere halten nur 1—2 Hungertage 3 — 4 — 8 Tage Hunger aus, da sich ihr Nahrungs- aus, da sich ihr Nahrungs- vorrat rasch erschöpft vorrat nur langsam er- (siehe 1.). schöpft (siehe 1.). 7. Nässe wird schlecht 7. Nässe wird gut vertragen. vertragen. Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß die Laus zu ihrer Ernährung menschliches Blut benötigt. Von Meerschweinchen, Kaninchen, Pferden und anderen Versuchstieren saugt sie nur ungern oder gar nicht. Das Blut wird aber nur angenommen, wenn es warm in den Gefäßen strömt. Eine Laus mit Blutstropfen zu füttern, gelingt nicht. Um zur Nahrung zu gelangen muß der Parasit mit seinen Mundwerkzeugen die elastische Haut durchbohren und die Kapillaren N. F. XV. Nr. Natu rwissenschaftliche Wochenschrift. [19 aufschlitzen. Diesem Zweck sind die Mundwerk- zeuge ganz vorzüglich angepaßt. Die Abb. 5 gibt den Kopf einer Laus wieder, welche die Mundwerkzeuge zum Stich bereit hält. Der Stech- apparat in diesem Zustand weist eine relativ be- deutende Größe auf. Er besteht im wesent- lichen aus zwei Teilen : der kürzeren Rüssel- scheide, welche kleine gebogene Zähnchen trägt (rs) und einem langen Stachel (SA), der sich zuspitzt. Sind die Mundwerkzeuge außer Tätig- keit, so liegt die Rüsselscheibe derart umgestülpt Abh. 5. Kopf der Kleiderlaus von unten mit ausgestülpter Rüsselscheide (rs) und vorgestoßenem Stachel (SA). Au = Auge, Fü = Fühler. Kombiniert aus Schjödte und Enderlein. 27 mal vergr. in der Kopfspitze, daß die Häkchen zusammen- geklappt beieinander stehen, während der Stachel im Innern des Kopfes wie in einem Futeral steckt. Schickt sich die Laus, nachdem sie mit Hilfe der um die Mundöffnung stehenden Sinnes- borsten (Abb. 5) eine geeignete Stelle ausfindig gemacht hat, zur Blutentnahme an, so stülpt sie zunächst die Rüsselscheide aus und preßt die Zännchen fest an die Haut an. Fast gleichzeitig oder kurze Zeit danach gleitet der Stachel vor, der die Haut durchbohrt. Ob nun der Stachel außer- dem noch als Saugröhre wirkt, ist noch nicht endgültig festgestellt; jedenfalls sieht man nach kurzer Zeit einen schmalen Strahl Blut durch den Kopf hindurchschießen. Das Blut wird mit Hilfe des Vorderdarmes ange-augt, der sich durch radiär ausstrahlende Muskelgruppen erweitert und durch Ringmuskeln verengt. Da sich dieser Vorgang wechselweise etwa alle Vi — ^s Sekunde abspielt, wird die Nahrung nicht nur eingesogen, sondern auch nach hinten weitergei rieben. Es erfolgt eine lebhafte, ja stürmische Peristaltik und der Magen beginnt sich schnell zu erweitern. Noch während der Blutaufnahme, sogar oft schon nach zwei Minuten tritt die Kotentleerung ein. Der Stich des saugenden Tieres ist nicht mehr zu spüren; es hängt dies von der Hautstelle und der Empfindsamkeit des Einzelnen ab. Nachts macht er sich mehr geltend, wenn der Körper nicht durch anderweitige Aufgaben in Anspruch genommen ist. Auf den Einstich folgt allmählich die Bildung einer Quaddel. Sie ist zurückzuführen auf ein von der Laus abgegebenes Encym, daß die Blutgerinnung verhindert. Befallen die Läuse in größerer Masse den Körper, so treten entzündliche Knoten und Beulen auf, sowie Pusteln und Abscesse. Es ist klar, daß damit auch der Juckreiz ganz erheblich, oft bis zur Unerträglichkeit zunimmt, und damit erhöht sich die Gefahr, durch Kratzen eiternde Wunden zu erzeugen. Schwer Verlauste zeigen daher oft erschreckende Verheerungen ihrer Haut- obei fläche. Wenn die Verlausung einen hohen Grad erreicht, dann fressen sich die Parasiten scharenweise an bestimmten Hautstellen ein und verursachen dort offene oder verdeckte Geschwüre. Derartig .schwere Krankheitsfälle werden als Läuse- sucht (Phthiriasis) bezeichnet und sind besonders aus dem Altertum bekannt. Das Tier iu Sprichwörtern und Redensarten [Nachdruck verboten.] Von Univ.-Prof. Dr. phil. et med. Bei der Rolle, welche das Tier im Leben des Menschen, bald zu seinem Nutzen, bald zu seinem Schaden spielt, und bei dem engen Zusammen- leben und -arbeiten des Menschen mit den Haus- tieren ist es nicht auffallend, wenn sich in den Sprichwörtern und Redensarten aller Zeiten und Völker so vielfache Beziehungen zum Tier finden. Der Mut des Löwen, die Trägheit des Esels, derP'leiß der Biene und die Vorsorge der körnersanimeln- den Ameisen etc. waren schon im Altertum bekannt. Die in der Historia animalium von Konrad Gesner aus dem Jahre 1551 vorkommenden Redensarten und Sprichwörter sind zum Teil noch heute üblich, andere einer unverdienten Vergessenheit anheimgefallen. in der Historia animalium von Konrad Gesner. L. Katharlner, Freiburg (Schweiz). Befremden muß es, daß gerade die auf- fallendsten Tiere, wie Löwe, Elefant, Affe, Kamel u. a. gar nicht oder nur selten genannt werden. Es scheint, daß sie zu selten in den Gesichtskreis des Volkes traten, um in seinem Geistesleben eine Rolle zu spielen. Das Hochwild aber, be- sonders der Hirsch, war in jenen Zeiten für den gemeinen Mann ein , tabu", damals, als auf der Wilddieberei noch vielfach die Todesstrafe stand. Der Gegensatz zwischen Hoch und Nieder kommt zu belustigendem Ausdruck in: „Ein fürst ist wol so seitsam wilp-ät im himmel, als ein hirtz in eins armen mans kuche". Eine schwere Arbeit ist eine „rossarbeit" und einen tiefen Schluck tuen, ist „trincken wie ein Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 ku". Schon damals hieß es: „Wer in den roren sitzt, der schneidet im pfeiffen wo er will". „Ein krähe beisset der anderen kein aug auss". „Wenn dem esel zu wol ist, so geht er auff das eyss tantzen, und bricht ein bein entzwey". „Vil hünd ist der hasen todt". „Die nacht sind all schaaf schwarz". „In der nacht sind alle katzen graw". „Er geht darumbher wie ein katz umb einen heissen brei". „Er laufft darüber, als ein han{Hahn) über die heissen kolen". „Wer bei den wölfen ist, der muss mit inen heulen". „Die todten hünd beysend nitt". Wenn sich jemand in seiner Hoffnung getäuscht hat, „lässt er die oren hangen wie ein esel". Daß der Wert Jemandes oft nur nach der geleisteten Arbeit bemessen wird, kommt in dem Sprichwort zum Ausdruck: „Das pferd ist seines futters werdt" und: Man rufft den esel nit zu hofe, er soll dann secke tragen". Man muß mit dem zufrieden sein, was man hat: ,Man muß mit den pferden pflügen die man hat", „War nit kalch hat, der muss mit leym mauren" und im Auge behalten: „Kleine pferdt, kleine tagreysen". Freilich : „Mit unwilligen ochsen oder pferden ist nit gut pflügen". Etwas verkehrt anfangen heißt: „Die rossz hinder den wagen spannen". Gerade so verkehrt wäre es: „Der katzen den käss (oder den speck) befälhen" oder „Dem wolf das schaaf befälhen". Ganz einfältig ist der, dem man sagen kann: „Du suchst würst in dem hundstal". Auch war es offenbar keine Schmeichelei, wenn man zu jemand sagte: „Du hast äben sinn, wie ein krott (Kröte) haar". Von einem einfältigen Menschen heißt es auch: „War er einem hasen so änlich als einem narren, die hünd hettend in längest zerrissen". Von einem, der sich an die verkehrte Adresse wendet, sagt man: „Du wilt von dem hundschlager ein kolben kauften". „Wan man den hund schlahen will, so hatt er läder (Leder) geessen". Das soll offenbar heißen, daß alle möglichen Ausflüchte einem Ein- geständnis vorgezogen werden. Auf die Mißgunst bezieht sich: „Es ist dem einem hund leid, dass der ander in der kuche gadt"; der Anbringer ist selbst nicht besser: „Er treibt die hünd auss, und gaat selbst mit". Ähnliches will wohl auch besagen: „Ein mensch ist des anderen teufel" oder: „Ein mensch ist des anderen hagel worden". Der Satz: „Art laßt von art njt, die katz lasst jrs musens nit" wird in mannigfaltiger Weise variiert. „Man drybe ein varren (junges männ- liches Rind) gen Montpelier, kumpt er wider er blybt ein stier"; oder: „Man füre ein katz in Engelland, so wird sy doch mauwen". „Die suvv (Sau) ist ein suw, und bh'bt ein suw" und „wenn man einer suw ouch ein gulde stuck anzuge, so legt sy sich doch mit inn dreck". Es wäre verlorene Liebesmühe, wollte man „einr sauw ein beltz anleggen". An das vom Schwein Gesagte erinnert ein Sprichwort, das sich auf den Frosch bezieht und noch heute gang und gäbe ist: „Der vorsch (eine häufig gebrauchte Umstellung des r) hupped wider in den pol, wan he ock sethe uppen gülden stol" (der Frosch hupft wieder in den Pfuhl, wenn er auch säße auf einem goldenen Stuhl). Von dem, der eine überflüssige Arbeit ver- richtet, sagt man: „Er gibt den fröschen zu trincken". Daß die wahre Natur immer wieder zum Vorschein kommt, drückt der Spruch aus: „Es war ein quapp (Kröte) noch nie so gut, Sie heft inn sick eyn patten fut" (Plätschfuß). Der Fuchs war schon damals wegen seiner Schlauheit bekannt. „Man muss fuchs mit fuchs fahen". „Er ist wol mehr vor dem garn gewesst. Er hat das garn gerochen". „Der fuchs kan sine tück nit las'sen". Falschheit und Hinterlist sind gemeint, wo es heißt: „Es sind böse katzen, die forhär lecken, und hinden kratzen". „Er schlaaft den hasen schlaaf" (d. h. mit offenen Augen), weist auf einen Menschen hin, der sich stellt als ob er schliefe, um alles unbeobachtet zu belauschen, was um ihn herum vorgeht. Auf den Eigennutz bezieht sich: „Die katz hat die fisch lieb, sy will aber nit ins wasser"; auch ist sie „gern da man sy strälet (streichelt)". Den angewandten Mitteln entspricht der Erfolg: „War mit katzen jagt, der facht (fängt) gärn meuss". Von einem Menschen, der nicht den Mut hat, sich offen auszusprechen, heißt es: „Er gatt darumb, wie ein katz umb ein heissen brei". Gerade so wie diese Redensart ist auch heute noch gebräuchlich: „Das haasen banner an- nemmen" oder: Er muss syn zyt geschlaffen haben wie ein murmelthier". Selbst die größte Langmut hat ihr Ende: „Man trydt (tritt) oeck ein forsch wol so lange dat he quaket". Daß man in gewissen Lagen vielseitig sein muß, besagt: ,,Du must fuchs und haas syn". Wohl nicht mehr gebräuchlich ist die auf einen Geizigen gemünzte Redensart: „Er ist mit einer silberen büchsen geschossen". „Er hat die geltsucht" und: „Wolffzän in mund haben", wie die Frau von ihrem rohen und zornigen Mann sagt, wohl aber: „Das alter schadet zur torheit niit (Alter schützt vor Torheit nicht)". Mancher Mensch wird alt, aber nicht gescheiter: „Er greyset, ee er weyset". Andererseits wußte man die Erfahrung des Alters zu schätzen : „Wan der alte hund bellet, so sol man aufsähen". Auf den Eigensinn alter Leute bezüglich wird gesagt: „Alte hünd sind nitt gut bendig ze machen" und „Wann die alten geul gehen werdend, so stehen sy nit zu halten". Köstlich ist die Großmannssucht gezeichnet: „Hie schwimmend wir öpfel, sprach der pferds- dreck, so schwamm er under den öpfeln uflf dem wasser". Man muß auch das Seine zum N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. GeHngen eines Werkes beitragen: „Gott gibt einem wol ein ochsen, aber nit bey den hörneren". Von einem Menschen mit angstverzerrtem Ge- sicht sagt man in Westfalen: „Er sieht als ein ochs der dem Fieischhouwer entloffen ist". Von einem heftigen Menschen heißt es: „Er rydt (reitet) ein gäch (hitzig) pferdt". Wenn ein sonst kluger Mensch einmal einen Fehler gemacht hat, sagte man : „Es vertritt sich auch wol ein pferdt das vier füsse hat". Von einem der alles oder nichts haben will, heißt es: „Er will König oder Esel sein", „Er wil künig oder dräck sin". Um ein Nichts streiten, heißt um einen Esel- schatten oder um „ein tubendräck (Taubendreck) haderen". Unter Esel findet sich noch: „Disteln sind des esels salat kreüter". „Vil seck sind des esels todt". „Ein karger reycher ist Salomons esel". „Man sol die seck nitt mit seiden neben". „Hunge- rige fliegen oder mucken beissend scharpfif'. Vom Hund wird gesagt: „Ein schlafender hund sol man nit wecken". Wenig schmeichel- haft für die Handelsleute ist folgender Spruch: „An der hund hincken, An der huren wincken. An der krämer schweeren, Da sol sich nieman an keeren". Seine Unzuverlässigkeit soll es offenbar bezeichnen, wenn von jemand gesagt wurde: , Er bleibt bey seinen Worten, wie ein hase bey seinen jungen". Zur Erläuterung fügt Gesner noch bei: „Aliud stan?, aliud sedens loquitur; „er spricht im Stehen anders, als im Sitzen". Vom Wolf heißt es: „Der wolf isst auch wol ein gezelt (numeriertes) schaaf"; es soll wohl heißen, daß es ihm in seiner Freßgier nicht so genau darauf ankommt. „Der hunger treibt den wolf auss dem busche". „Er bessert sich wie ein junger wolff". Im Abschnitt über den Wolf heißt es weiter: „Ein schalk weiss wie es dem anderen umb das herz ist". „Wo man des teufeis gedenckt, da will er seyn". Eine westfälische Redensart ist: „Wenn die wyden prunen tragend", „wenn die Weiden Pflaumen tragen"; wohl entsprechend einer Vertröstung „ad calendas graecas". Auf das Heimatsgefühl bezieht sich der Aus- spruch : „Der hass (Hase) wil alle zeyt wider da er geworffen ist". Die systematische Einteilung des Tierreiches ist in der Historia animalium von Gesner nach sehr einfachen Grundsätzen durchgeführt. So sind die Säugetiere, Amphibien (Frosch, Salamander) und Reptilien (Eidechse) als Vierfüßler zusammen- gefasst. Von den lebendiggebärenden Vierfüßlern handelt Liberi 1551, von den eierlegenden Vier- füßlern, de quadrupedibus oviparis Liber II 1554. Liber III 1555, welches die Vögel behandelt, bietet viel weniger Ausbeute an Sprichwörtern und Redensarten als die beiden vorigen Bücher. Auffallend ist auch hier, daß man solche gerade bei jenen Vögeln vermißt, deren Volkstümlichkeit eine Fülle davon erwarten ließe, wie Adler, Eulen, Rabe, Storch, Schwalbe und Sperling. Das Wenige, was ich in dem Bande über Vögel gefunden habe, sei in Folgendem wieder- gegeben. Von den Hühnern heißt es: „In der ärn (Erntezeit) sind die hüner taub, per messem fero- ciunt gallinae"; soll offenbar heißen: Die Hühner hören nicht, wenn sie zum Futter gerufen werden zu einer Zeit, wo sie genug zu fressen finden. „Wenn man Hühner hält, muß man ihr Gackern mit anhören können": „War eyer wil haben, der muss der hennenkackelen (Gackern) lyden (leiden)". Auf die Untugend eines Menschen, der es jedes- mal ausposaunt, wenn er etwas Gutes getan hat, bezieht sich wohl : „So mancher Schrey, so manches ey, ihut unsere henne leggen". Auf jemand, der über das Suchen nach etwas Kleinerem das Größere vernachlässigt, bezieht sich die holländische Redens- art: „Du süist nae thennen ay, unde lest tgansen ay varen(Anserinis neglectis ovagallinacea requiris)" Hühnereier suchen und Gänseeier unbeachtet lassen. Das „den hühnern den schwänz aufbinden" gleich- bedeutend mit ,,den adler fliegen lehren" ist wohl jetzt ungebräuchlich. Von der Elster wird gesagt: „Die egster (Elster) kan er huppen (hüpfen) nicht lathen". Von der Krähe heißt es ebenfalls: „Die kräe gehet jres hupfens nit ab" und : „Es ist kein atzel (Elster), sy hab dann etwas bundtes". Die Krähe galt als Vorbote kalter Witterung: „Du bringst den kalten Winter ins lande". Zu jemand, der sich immer wiederholt, sagte man : ,,Du singest yemer (immer) ein gesang wie der G uckguck". Mit einer Eule unter einem Haufen Krähen wird eine gesetztere Person verglichen, die unter einen Haufen ausgelassener und geschwätziger Leute geraten ist. Die auch anderswo wiederholt mit Sprichwörtern bedachte Erfahrungstatsache, daß die wahre Natur unverändert bleibt, trifft auch für die Gans zu: „Ein ganss über meer, ein ganss wider här" und „Es flog ein ganss über Rhein, Und kam ein gagag wider hein". Die Wertschätzung der Freiheit findet in dem deutschen Sprichwort seinen Ausdruck: „Wille gehet für gold, sprach der papageye (Papagei), da sass er im korbe", arbitrium (libertas) auro praeferendum est, aiebat psittacus caveae inclusus. ,,Frässig wie ein Gyr" bezieht sich auf die Ge- fräßigkeit des „Geiers". Unsere Blütenlese sei mit einer von Gesner wiederholten Erklärung der „Redensart" der Nachtigall den Gesang abstreiten, von Erasmus geschlossen. „Die nachtigall kan nit singen" wäre gerade so viel als wollte man be- haupten, daß es der Frau an Worten, dem Dichter an Versen, dem Redner an Schwung und dem Sophisten an Spitzfindigkeit fehle. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 Kleinere Mitteilungen. Fetthefe und Ölpflanzen. Fett im Holz. Die gegenwärtig viel erörterte Fetthefe, von der man sich eine teilweise Deckung des inländi- schen Ölbedarfes erhofft, ist eine Hefe, welche durch besondere Ernährung und wohl auch durch spezifische Veranlagung zur Fettproduktion reicher an Fett ist als die Hefe sonst zu sein pflegt. Der Fettgehalt der Hefe beträgt meist 2 — 5 "/o der Trockensubstanz, nur aus- nahmsweise steigt derselbe bis lO sogar 20 "/,„ und in einzelnen Fällen, bei sehr alten Hefen und bei ,. Involutionsformen" der Hefe hat man bis 50 "/o Fett^ i" der Trockensubstanz vorgefunden. Die alten Hefen sind praktisch von keiner Bedeutung; denn man kann eine Hefe nicht 10 bis 15 Jahre (z. B. in Bier liegend) alt werden lassen, um dann daraus das Fett zu gewinnen. Es gibt natürlich verschiedene Wege, um zu einer fettreichen Hefe zu gelangen. Hier sei nur angedeutet, daß zurFettbildung in normaler Hefe I. Sauerstoft'zutriit, 2. eine nicht unter 15" herabgehende Temperatur, 3. reichliche Ernährung mit Kohlehydrat (Zucker) und Stickstofifsubstanzen gehört. Daß die Hefe immer etwas Fett enthält, ist schon lange bekannt, es wurde das schon vor 3S Jahren von Nägel i und Loew, wie auch von anderem Forschern festgestellt. Die genannten Herren haben auch schon auf den gelegentlichen abnormen Gehalt der Pilze an Fett hingewiesen. Im übrigen ist die Hefe bis jetzt nicht als fetterzeugendePflanze berühmt ge- wesen; eher als Eiweiß fabrikant. Die Hefe ist ein Filz; wir werden sie also am besten zunächst mit anderen Pilzen vergleichen. In Bakterienzellen sind häufig Fetttropfen zu beobachten. Doch führen nicht alle Bakterien Feit als Reservenährstoff. Man fand durch quantitative Untersuchung, daß z. B. Fäulnisbakterien 6—7 "/„ Fett in der Trockensubstanz enthalten: Sie sind darin der Hefe gleich oder überlegen. Ebenso pflegen die Schimmelpilze Peni- cillium usvs?. eine größere Menge von Fett zu produzieren als die Heff-pilze. Aus begreiflichen Gründen wird man aber weder Spaltpilze noch Schimmelpilze behufs Fett- gewinnung züchten wollen. Auch bei höheren Pilzen ist die Eigenschaft, Fett als Reservenahrung abzulagern in Frucht- körpern, Dauermyzelien, Sklerotien, Sporen, sehr verbreitet. Fruchtkörper sind es meistens, was von den Pil/en gegessen wird. Doch ist der Fettgehalt nicht hoch. Der Eierschwamm (Cantharellus cibarius) enthält 1,15 "/u F^tt in seinem Trockengewicht. Der Champignon enthält frisch ca. 0, 1 5 % Fett, lufttrocken 1,45 "/„ Fcü. Die Speise morchel enthält ebenfalls frisch 0,15 "/o Fett, lufttrocken etwa 1,23 %. Der Steinpilz enthält lufttrocken ca. 1,72 % Fett. Noch mehr Beispiele sind überflüssig. (Weitere Zusammenstellungen siehe in König, N. u. G. M. sowie Czapek, Biochemie.) Wir sehen schon jetzt, daß die sog. Hutpilze meist keinen nennens- werten Fettgehalt haben. Praktisch kommen sie für Fettgewinnung nicht in Betracht. Denn wie die eßbaren Hutpilze, die ja zu teuer wären, sind auch andere Hutpilze nicht fettreich. Ebenso ist bei den untersuchten Meeres- algen nur ein geringer Fettgehalt festgestellt worden. Er beträgt V2 — 2 "/q in der Trocken- substanz. Bei P""l echten wurde sehr wechselnder Fett- gehalt gefunden, manchmal sehr hoch, so bei der Kalkflechte (Verrucaria calciseda) zu 80 "/„ der Trockensubstanz. Doch bedarf das noch weiterer Untersuchung. Isländisches Moos enthält ca. 1,40^0 Fett in der Trockensubstanz. Unsere Süßwasseralgen enthalten meist auch nicht viel Fett (ausgenommen die mikro- skopischen Diatomeen). Verf. und Loew fanden aber doch bei Spirogyra 5 — 9 "j^ Fett in der Trockensubstanz vor. Manche Moos arten haben bei der Unter- suchung ansehnliche Fettmengen ergeben, so das Bryum roseum bis 18 "/„ Fett. Bärlappsporen (Bärlappsamen) enthalten bis 50 "/,, Fett. Damit kommen wir an die hohen Fettgehalte, welche Phanerogamensamen oft aufweisen; großen- teils liefern sie das Pflanzenfett des Handels. Eine kurze Zusammenstellung mag zeigen, wie ausgiebig die Fettablagerung ofi bei Samen ist (andere ent- halten Stärke, sehen ist beides zugleich in erheb- licher Menge da) : Fichtensamen enthalten ca. 35 "/o Fett Kiefernsamen „ 30 „ „ Lärchensamen „ i ■ „ ,> Zirbelkiefersamen (geschält) „ 49 „ „ (darunter 1,6 % freie Fettsäure) Ölrapssamen „ bis 49 „ „ Mohnsamen „ 40 „ „ Birn- u. Apfelkerne „ 12 — 15 „ „ Zwetschgensamen „ 20 „ „ Pfirsichsamen „ 32 — 35 „ „ Kirschsamen „ 25 — 30 „ „ Leinsamen „ 20 — 40 „ „ Lindensamen „ 58 „ „ Kürbissamen (ungeschält) „ 33,6 „ „ (geschält) „ 52 „ „ Erdmandeln „ Si,39 „ „ Sonnenrosensamen „ 26 — 28 „ „ Buchensamen (geschält) „ 21 — 26 „ „ Samen der Ölpalme „ 47,5 — 51 „ „ Die meisten der genannten Fette enthalten auch etwas freie Fettsäure neben dem „Neutral- fett". Beim Aufbewahren von P^etten nimmt übrigens der Gehalt an freier Fettsäure zu. Im N. F. XV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. t23 „Neutralfett" sind die Fettsäuren hauptsächlich an Glyzerin gebunden. Durch Verseifung wird letzteres gewonnen; daher stammt das Glyzerin des Handeis. Auch das Fruchfleisch enthält manchmal be- trächtliche Fettmengen, so das der Oliven. Kurz es zeigt sich in Samen und Früchten der Blütenpflanzen oft eine so bedeutende Fett- menge, daß die gewöhnlichen Fettgehalte der Hefe daneben verschwinden. Auf die Pflanzensamen hat daher die praktische Fettgewinnung von jeher zurückgegriffen. Das Feit kann daraus zum Teil durch Aus- pressen gewonnen werden. Bei der Hefe ist ein Extraktionsverfahren (mit Äther usw.) und eine darauffolgende Verdunstung des Lösungsmittels nötig, um das Fett zu erhalten. Die Fettproduktion durch die Pflanzen ist gegenwärtig eine Sache allgemeinen Interesses. Wo bekommen wir das nötige Fett her? Es ist zur Ernährung, zur Seifen- und Kerzenfabrikation, als Schmiermittel usw. vonnöten. Angesichts dessen dürfte noch ein Hinweis auf bisher weniger bekannte Fettvorkommnisse von Nutzen sein. In weiten Kreisen unbekannt ist wohl das Vorkommen von Fett im Holz der Bäume. Wenn der rauhe Herbst einsetzt, geht in dem Holze unserer F"orst-, Obst- und Zierbäume eine merkwürdige chemische Verwandlung vor sich. Die Stärke, die bis dahin in den Parenchym- Zellen des Holzes abgelagert war, um später zum Zellenaufbau in den austreibenden Knospen zu dienen, verwandelt sich allmählich in Fett, wenn man so sagen darf. Faktisch findet man im Spät- herbst Fetttropfen an Stelle der Stärke vor. Es soll ja nicht behauptet werden, daß die Umwand- lung eine direkte sei. In diesem fetthaltigen Zustand, der bis Mitte Dezember perfekt geworden ist, verharrt das Holz bis Ende Februar. Dann beginnt eine Rückverwandlung. An Stelle der Fettlropfen treten dann wieder Kohle- hydrate, welche bald eine Wanderung (als Zucker- stoff) zu den austreibenden Knospen und Wurzeln anzutreten haben. Mit dem Frühjahr ist der Fett- gehalt des Holzes wieder verschwunden. Im Winter haben wiralso fetthaltiges Holz. Der Fettgehalt ist freilich recht schwankend je nach der Art des Holzes. Der Wald birgt immerhin in dieser Zeit eine große Menge Fett. A. Fischer unterscheidet die Fettbäume, wie die Birke, Kiefer, Linde, in denen be- trächtliche Fett mengen während des Winters auf- treten , von den Stärkebäumen, in welchen gegen den Winter zu die Stärke nur wenig schwin- det und dem Fette Platz macht. Erstere sind gewöhnlich weichholzig, letztere hartholzig. Lindenzweige enthalten im Winter in der Trockensubstanz 9 — 10 % Fett. Das Fett der Pflanzen ist aber durchaus nicht immer das gleiche. Meist sind die Pflanzenfette bei 15—20" C Flüssigkeiten, im Gegensatz zu den Tierfeiten, welche bei 15" salbenartige bis feste Beschaffen- heit haben. Das hängt mit dem reichen Gehalt der Pflanzen- fette an ungesättigten Säuren zusammen. Immerhin gibt es auch Pflanzenfette, welche bei 15" fest sind (meist trop'sche Pflanzenfette). DerKohlenstoftgehalt der Pflanzenfette schwankt von 74—78",,,. Es handelt sich dabei also um sehr kohlenstofifreiche Körper. Der Wasserstoff- gehalt liegt zwischen 10 und i3"/o, der Sauer- stoffgehalt von 9—15 "/„. Es sind die Pflanzenfette in der Hauptsache Verbindungen von Fettsäuren mit Glyzerin. Wie schon erwähnt, sind in den Pflanzenfetten fast immer auch freie Fettsäuren vorhanden. Das Glyzerin kann aus den F"etlen leicht ge- wonnen werden, indem man nach Verseifung des Fettes die Seife aus der wässerigen Lösung aus- salzt, vom Niederschlage die Flüssigkeit durch F'iltrieren trennt, das Filtrat eindampft und den Rückstand mit Ätheralkohol extrahiert. Das Glyzerin bleibt nach dem Verdunsten des Ex- traktionsmittels als Syrup zurück. Die Fettsäuren der Pflanzenfette sind: Ölsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure, Linolsäure, Linolen- säure, Laurinsäure, tlrukasäure, Margarinsäure usw. Kurz das Gesamtbild der chemischen Zusam- mensetzung der Pflanzenfette ist ein sehr mannig- faltiges. Die physikalischen und chemischen Eigen- schaften der Pflanzenfette sind demgemäß recht verschieden. Was nun nochmal die neu aufgetauchte Fett- hefe anbelangt, so erscheint ihr Fettgehalt vor- läufig noch wenig untersucht und recht bescheiden. Es muß jedenfalls abgewartet werden, was neue Untersuchungen über das Hefefett und seine praktische Brauchbarkeit zutage fördern. Th. B. Zur Geschichte der Läuseplage. In Kultur- ländern gehören Läuse nachgerade zu dem Unge- ziefer, das kaum gekannt ist und noch weniger genannt wird. Kräftige Schmeichelworte wie Laus- bub, aus alter Zeit überkommen und gedankenlos hervorgestoßen, hört man wohl nur aus süddeut- schem Munde. Erst der uns aufgedrängte Umgang mit fragwürdigen Kultursendboten bringt uns die fast ausgestorbenen Kerfe in unangenehme Erinnerung. Die vor kurzem erst erkannte Übertragung des bei uns auch unbekannt gewordenen Flecktyphus durch sie zwingt sogar dazu, die Schulkinder über ihre Eigenart belehren zu lassen. Ein Blick auf ihre Geschichte dürfte deshalb zweifellos inter- essant sein. Läuse gehörten zu den Landplagen, die der Herr über Ägypten verhängte. „Aaron schlug mit seinem Stabe in den Staub, und es wurden aus [24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 8 diesem Läuse an dem Menschen und dem Vieh. Aller Staub des Landes wandelte sich in sie." So plötzlich kam dieLäiisepest über das Land, so über- wältigend war die Zahl der Schädlinge, daß dem Menschen der Gedanke an eine Wundertat geradezu aufgedrängt wurde. Nur mit Wundern und mit Zauber glaubt man sich ihrer erwehren zu können. Daß man um dieselbe Zeit in Ägypten im zweiten vorchristlichen Jahrtausend sich auch schon ein- salbte und andere Mittel brauchte , um sich und sein Heim vor dem LIngeziefer, d. h. Getier, das nicht znm Opfern würdig war, zu schützen, das bezeugen Papyrushandschriften, wie sie aus jenen Zeiten auf uns gekommen sind. Auch dem „Vater der Geschichte" Herodot schien manches aus dem Leben des vielbeinigen Insekts cfd^eiQ = Pe- diculus erwähnenswert. Wunderlich genug hört sich an, daß die Adyrmacliidenfrauen nach ägyp- tischer Sitte sich die Haare lang wachsen ließen und, wenn sie darin eine Bewohnerin fanden (ver- mutlich nahmen sie schon damals eine Art Schutz- färbung an, eine schwarze in schwarzen, eine helle in blonden Haaren, z. B. in den der ebenda erwähnten blauäugigen skythischen Budiner), so bissen sie sie zur Vergeltung für das geraubte Blut und warfen sie dann fort, während die letzt- genannten Blondinen geradewegs Ungeziefer, hinter dem sich allerdings alle möglichen Kriechtiere bergen mögen, aßen. Von einer ränkesüchtigen Dame Pheretima berichtet der Geschichts- schreiber, es ist der erste Fall, den ich kenne, daß sie zur Strafe für ihr Tun von Würmern, zweifel- los Läusen gefressen worden, an Läusesucht ge- storben sei. Aus einer Rede des Dem osthen es geht hervor, das, bezeichnend auch für die Bekannt- schaft der Griechen mit dem Insekt und für ihre Sittenzustände, eine der Zunftgenossinnen der Phryne, Aspasia und andere Priesterinnen der „freien Liebe", Frauen, die ob ihrer Schönheit in so wunderbaren Bildnissen verewigt wurden, daß sie als solche von Göttinnen auf unsere Zeit gekommen sind, den Beinamen Phtheiropyle, Lauserin, bekommen hat. Ungeniert, soll sie sich vor ihrer Tür solcher Jagd befleißigt haben, neben- bei wohl mit dem Hintergedanken, daß ein solch lebendiges Aushängeschild ihre Bereitschaft, der Göttin zu dienen, deutlich zu erkennen gab. Auch von einem Musenjüiiger Alkmayon wird be- richtet, daß er der P h t h e i r i a s i s , der Läusesucht, zum Opfer gefallen sei. Mangelnde Körperpflege wurde schon damals den Brüdern in Apoll nach- gesagt. Die Beschäftigung mit der Gottheit soll solche irdische Tätigkeit, auch Essen und Trinken gering achten lassen, und auf, durch solches as- ketisches Leben geschwächten Körpern gediehen die Füßlinge, wie Megenberg im „Buch der Natur" im XIV. Jahrh. das lateinische Verkleinerungswort von Pes Pediculus trefflich verdeutscht. Für ihr ge- ruhiges Familienleben graben sie sich Gänge, welche durch nebenbei abgelagerte Hautabsonderungen noch lauschiger werden. Sie „leben wie eine Laus im Grind", wie es bezeichnend im Sprich- wort heißt. An den benachbarten Haaren und Kleiderteilen werden die masssenhafien Früchte ihrer ehelichen Tätigkeit, die Nisse, fein säuberlich festgeklebt. In kurzer Zeit werden diese leben- dig, und in ungeheurer Fruchtbarkeit gebären sie fortzeugend Böses. Die Haut des Wirts täto- wieren sie blau, und richten ihn durch den unauf- hörlichen Juckreiz schließlich zugrunde. Sie wandern gelegentlich aus und impfen, wie wir jetzt wissen, das in sich aufgenommene Gift des Flecktyphus, zum Dank für die freundliche Aufnahme dem neuen Wirt ein. Daß Läuse in Rom bekannt waren, bezeugte der lateinische Wortschatz, bezeugen spottende Anspielungen rö- mischer Schriftsteller. Interessant ist, daß der Viel- wisser Plinius, genierlich wohl, die Tierchen ebensowenig wie ihre harmloseren roten Genossen bei Namen nennt. Er erzählt, daß in den Haaren lebender Menschen (auf Toten gehen sie in der Tat bald ein) ekelhafte Insekten, auf Fasanen, wenn sie nicht ihre Staubbäder nähmen, wohnten. In Kleidern aus Wolle von durch Wölfe getöteten Schafen erzeugten sich andere. Die, welche mit ihren Hinterbeinen Lufisprünge machten, entstünden aus Schmutz durch die Strahlen der Sonne. Wenn er weiter berichtet, daß Sulla und Her od es den Parasiten zum Opfer gefallen wären, so mögen auch deren Körper ausgemergelt, einen vortrefflichen Nährboden für sie abgegeben haben. Und wenn Philipp II. auch ein Opfer der schauderhaften Läusekrankheit gewesen ist, so spricht das wenig- stens dafür, daß die damaligen Heilkünstler weder die Krankheitsursache noch die Lebensgewohn- heiten des Schädlings ergründet hatten, daß sie dem Leiden so machtlos gegenüberstanden wie einem anderen, eben erst aus Amerika, wie man unbe- rechtigt annimmt, über Frankreich eingeschleppten, die Welt in Schrecken jagenden. Wie sie, die Franzosenkrankheit, geradezu modern wurde, wie an ihr zu leiden, fast zum guten Ton gehörte, so sah man auch über die ,,Dusemantchen", wie sie hier und da wegen ihrer verhältnismäßig langsamen Bewegungen genannt werden, ergeben hinweg. Wenn es die Freude des Musensohnes des fröh- lichen alten Englands gewesen sein soll, in der Sonne zu liegen und sich zu lausen, so kann man das immerhin begreifen. Weniger glaubhaft er- scheint einem, daß nach der Schilderung eines französischen Arztes der Hof des Sonnenkönigs geradezu in Schmutz unterging und vorbildlich für Frankreich gewesen ist. Reinlichkeitsbäder wären kaum vorgekommen. Man puderte sich und schminkte sich ausgiebig, aber selbst Damen der Aristo- kratie wuschen sich nicht. Unter den riesigen Perücken lebten ungestört, „ä leur aise" die Tierchen, denen jetzt nur noch die moskowitischen Bundes- genossen gern Gastfreundschaft gewähren. Von Gott oder seinen gottähnlichen Wider- sachern als Strafe gesandt schienen unseren Vor- fahren Krankheiten, deren Art sie nicht zu er- gründen vermochten. Als Gottes Geißeln erschie- nen die ägyptischen Landplagen auch. Aus Staub N. F. XV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. T2S entstanden die Tierchen, unendlich, rätselhaft, unerklärlich. Fort und fort hielt man auch bei ihnen an dem Glauben an eine Urzeugung, der Generatio aequivoca fest. Shakespeare läßt in dem Gasthaus in Rochester das stechende Un- geziefer aus Kehricht und Kammerlauge (Urin) ausgebrütet werden. Vor noch gar nicht langer Zeit sprach die Kieler Richterwelt sich für solche Möglichkeit aus. Das Volk glaubt fest an sie. Daß es ebenso annimmt, daß Ungeziefer allgemein durch Beschwörungen, durch Zauber vertrieben werden kann, erhellt z. B. aus der Sage vom Rattenfänger von Hameln, erhellt aus dem Glauben, daß Sankt Patrick vom Inselreich unserer Vettern allerhand Unzeug „gebannt" hat. Im Lande ihrer östlichen Bundesgenossen fand sich noch kein Heiliger für solrhes Tun, oder er hielt es nicht für würdig solcher Wohltat. Kaum fühlt es die Plage, kaum denkt es an ihre Bekämpfung mit Mit- teln, wie sie Mutter Natur selbst den Tieren in aus- reichender Zahl an die Hand gegeben hat, an Sand- und andere Bäder usw. Das Mittel der Affen, sich zu lausen, scheint ihnen wie den oben erwähnten F'rauen wohl ein angenehmer Sport, vielleicht mit drm Hintergedanken der gründlichen, zugleich dem Feinschmecker erfreulichen Beseiti- gung der Jagdbeute. Ungeziefermittel kannte man, wie ich zeigte, lange. Am gründlich^ten half das Scheren des Haares. Nicht unwahrscheinlich richtete sich die frühere Gepflogenheit der Be- seitigung aller, nicht nur der Kopfhaare auf die gleichzeitige ihrer Bewohnerschaft. Peinliche Sauberkeit, Waschen mit Laugen, mit Soda- See- und Salzwasser, Einreiben mit Ölen und Ruchstoffen (Knoblauch) und mit der Abkochung von Stephanskörn er n, den Sta- phis agria-Samen, wandte schon das Alter- tum an. Die spätere mittelalterliche Zeit ver- feinerte die Mittel nur. Es zog die genannten Samen mit Essig aus, statt Sand nahm es Schwefel, Ruch- „(Anis-, Fenchel-) Öle statt gewöhnlichem Öl. Als Tabak eingeführt wurde, wusch man mit einer Abkochung des Mittels, von dem man fast Aliheilkraft erhoffte. Man schmierte mit Salben aus Quecksilber, grüner Seife, Fett und Nieswurzel, oder man hing einen Gürtel aus solcher Salbe um und rieb sich mit Petroleum ein. Ja man ging ganz gründlich vor und wusch mit Arsenik- lösung. Viele Zentner des Gifts werden im Norden noch alljährlich zur Viehwäsche ver- wandt. Was eben als neu in unzähligen Ein- sendungen in den politischen und Fachzeitschriften anempfohlen ward, ist uralte Weisheit. Nimmt man die Hitze eines Backofens nach dem Backen oder die eines, besonders längs der Nähte hin und hergezogenen Plätteisens hinzu, streut und reibt man sich mit dem unendlich wirk- sameren präzipitierten Schwefel, sog. Schwefel- milch ein, so hat man eine so zahlreiche Aus- wahl von Mitteln, daß man, ein oder das andere stets zur Hand, bei einiger Sorgfalt siegreich den Kampf mit den in Positionsstellung befindlichen Feinden aufnehmen kann, wenn ein wohltätiges Lausoleum nicht in der Nähe ist. „Was nur auf Erden lebt, das ist auch nicht so schlecht, daß es der Erde nicht besondern Nutzen brächt", sagt in nicht eben schöner Ver- deutschung der fromme Freund Romeos. Auch der Bewohnerin des Grinds sagt man einiges Gute nach. Weil sie Körpersäfte als Nahrung braucht, soll sie, hineingesetzt, eiternde und nässende Ge- schwüre heilen. Das Wundertier soll Wunder-, magische Heilung bringen. In eine ausgehöhlte Bohne gesetzt und um den Hals gehängt, soll es gegen Zahnschmerz feien. Ähnlich in einer Pflaume gegessen, vertreibt es Wechselfieber. Lächerlich scheint einem , und doch liegt solcher Annahme die moderne Organtherapie zugrunde, daß die uns geläufige gelbe Farbe des Tieres auch ein Hinweis auf ihren Nutzen bei der Bekämpfung der Gelb- sucht sei. „Einige Veränderung der Leber, ihre Verstopfung" ist nach Megenberg ihr Grund, und wie die Laus gegen sie hilft, so bewirkt sie schon, wenn sie „einem über die Leber läuft", über das Organ , dem man früher eine noch viel wichtigere Rolle im Getriebe des Körpers zu- billigte als jetzt, ihre Erkrankung und damit Ge- fühle des Zorns und der Wut. Wenn das ekle und von uns bis jetzt in seiner ganzen Gefährlich- keit kaum gekannte Insekt in uns auch nur das Verständnis dafür und damit eine dauernde Ab- neigung gegen die in ihrer fadenscheinigen Kultur vollauf erkannten Wirte und die, welche mit ihnen in herzliches Einvernehmen zu treten sich nicht entblödeten, wachruft, so können wir ihm nur dankbar sein. Es bei uns völlig auszurotten, wäre nicht unmöglich. Und gelänge es so nebenbei, so wäre das ein gar nicht übler Erfolg und ein Segen des uns in so schmählicher Art aufgezwun- genen Krieges. Hermann Schelenz. Das Bevölkerungsproblem in den Vereinigten Staaten von Amerika. Welches gewaltige Völker- konglomerat sich in den Vereinigten Staaten herangebildet hat, zeigt die amerikanische Statistik über die ausländische weiße Bevölkerung, also zunächst ganz abgesehen von der farbigen, wonach im Jahre 1910 von 92 Millionen Bewohnern 25 859 834 Ausländer gezählt wurden. Am stärksten vertreten sind hierbei die Deutschen mk 7961 315 Köpfen (gegenüber 8282618 im Jahre 1900), denmächts die Iren mit 4S26904, dann folgen die Russen einschließlich der Finnen mit 2752675 im Jahre 1900 und 903^35 im Jahre 1910 und dann erst die Engländer mft 2 173 741, darauf die Österreicher mit 2001559 im Jahre 1900 und S50884 im Jahre 1910, die Italiener mit 2098360 im Jahre 1900 und 727884 im Jahre 1910, die Kanadier (brit. K.) mit 1638603 aus britisch Kanada und 830335 aus franz. Kanada, die Schweden mit i 364215 im Jahre 1900 und 1082388 im Jahre 1910, dann der Reihe nach abwärts steigend die Norweger, Schotten, Dänen, 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Schweden, Franzosen, Ungarn, aus Wales stammenden, Mexikaner, Holländer, Griechen, Portugiesen, Türken, Belgier, Rumänen und etliche Zehntausend Spanier, Bulgaren, Serben, Montene- griner und, um das Mischmasch fertig zu machen von Ehern verschiedener Nationalitäten 1056 152 im Jahre 1910. Diese Zusammenstellung'] ist nach verschiedenen Richtungen hin sehr lehrreich. Wenn die amerikanische Union im Weltkrieg 19 14/ 15 eine so merkwürdige Moral gezeigt hat, daß sie nämlich obwohl neutral, einseuig die Dreiverbandsmächte begünstigt hat und ihnen das Rüstzeug zur Bekriegung der Zentralmächte ge- liefert hat, so muß man allen rassenpsychologischen und -physiologischen Gesetzen zufolge diese tief- stehende Budiker-Moral mit der Rassenvermischung seiner Bewohner in Zusammenhang bringen. Denn Mischrassen stehen erfahrungsgemäß ethisch und kulturell tief. Auch physiologisch steigen sie ab- wärts und bringen es nur zu vorübergehender Blüte. Amerika hat sich schneller noch als England ent- wickelt, aber es wird auch schneller noch als Eng- land zugrunde gehen. Im Gegensatz zu Japan, das sich noch sprunghafter als England und Amerika entwickelt hat, aber den ausschlaggeben- den Vorteil der Rasseneinheit besitzt. Weiterhin lehrreich ist bei der obigen Zu- sammenstellung der Größe des Anteils der ger- manischen Bevölkerung, zunächst die der skandi- navischen Bevölkerung zuzüglich Dänemarks. Sie betrug im Jahre 1900 2743378, d. i. 8,4 "/(, oder etwa ein Zwölftel der gesamten ausländischen weißen Bevölkerung der Union und im Jahre 1910 etwas weniger, nämlich 2 181273 im Prozentsatz aber wiederum 8,4 der weißen ausländischen Be- völkerung. Nehmen wir noch hinzu die rein germanischen Holländer, Schweizer, Deutschen und Österreicher (bei letzteren ziehen wir, reichlich rechnend, die Hälfte als Nicht- Germanen abj, so kommen wir für das Jahr 19OO auf 12622000, also reichlich iz'^l^ Mill. Germanen in der ameri- kanischen Union. Da die Bevölkerung der Union nach der Volkszählung von 1906 84024000 Be- wohner zählt, macht die germanische Bevölkerung ziemlich V? ^^^ gesamten Bevölkerung aus, wiederum nicht mitgerechnet die germanischen Bastardteile der britischen und amerikanischein- heimischen Bevölkerung (abgesehen von der in- ländischen und von der englischen germanischen Bevölkerung der Union). Die Frage ist die, ob diese 12'/.. Millionen Germanen es vermögen, ausschlaggebend zu wirken. Die Verhältnisse im Weltkriege 1914/15 haben darauf eine verneinende Antwort gegeben. Zudem ist die germanische, ganz besonders die deutsche Einwanderung nach der Union seit 1900 stark zurückgegangen. Wir geben zur Vervollständigung obiger Ziffer noch die entsprechende Zahl in Prozenten: der Anteil 1) Vgl. dazu E. Schultze „Herkunftsland und Rassen- Charakter der Einwanderer in den Vereinigten Staaten" in D. A. Petermaens Mitt. April 1915 der Germanen an der ausländischen weißen Be- völkerung der Union betrug im Jahre 1900 44,2 "/g. Zählen wir demgegenüber die Romanen zu- sammen, also Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, so kommen wir für 1910 zu einer Ge- samtzahl von nur 2624269 Romanen, d. i. 8,1 "/„ der gesamten weißen Bevölkerung der Union. Also i2'/.2 Mill. Germanen gegenüber 2'/o Mill. Romanen oder 44% Germanen gegenüber 8"/^ Romanen. Den beträchtlichen Anteil ger- manischer Bevölkerung Belgiens haben wir dabei noch unterlassen bei der romanischen ab- und bei der germanischen Gruppe zuzuzählen. Was den Anteil der Briten, die meist stark überschätzt wird, an der ausländischen weißen Bevölkrrung der Union betrifft, so sind von 1821 — 1908 7675499 Briten eingewandert, d. i. noch nicht soviel, als Deutsche und Österreicher zusammengenommen und bei weitem weniger als Skandinavier, Dänen, Holländer, Schweizer und Deutsche zusammen (allein 1 621 029 Schweden und Norweger). Mit Recht sagte daher Präsident Wheeler am 8. Juni 191 1 in der Universität von Montana: „Wir nennen uns selbst Angelsachsen und rühmen uns unserer Beziehungen zu England, aber wir sind keine Angelsachsen. Ein Drittel der Bevölkerung der Union ist deutscher Abkunft, 14 Mill. sind rein deutschen Geblütes." Weiter wollen wir noch einander gegenüber- stellen, romanische, slawische und japanische Be- völkerung der Union. Dann ergeben sich folgende Ziffern : Germanen (19C0) 12622 000 Briten und Iren (1900) 7735418 Romanen (1900) 2624269 Russsen und Pinnen (1900) 2752675 Chinesen und Japaner (1900) 200000 Juden (189OJ 130500 Neger und Mulatten (1900) 8800000 Indianer (1900) 298470 Was den Anteil der Neger an der Bevölkerung der Union betrifft, so betrug er im Jahre 1790 i9,3"/g, im Jahre 1860 14,1%, im Jahre 1910 I !"/(,, ist also von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gesunken, aber die Anzahl der Neger hat sich bis auf 10,2 Mill. vermehrt. In der Sammlung „Natur und Geistes- welt" (B. G. Teubner, Leipzig) ist im Jahre 191 5 ein Bändchen „Geschichte der Vereinigten Staaten" erschienen, das auch über die amerikanischen Be- völkerungsprobleme ein Kapitel enthält, danach haben sechs südliche Staaten über 45% Farbige, Südcarolina und Missisippi sogar an 60"/,,. „Hier im sogenannten black belt, im schwarzen Gürtel, wächst die Afrikanisierung, denn die weiße Ein- wanderung ist sehr gering und aus den vernegerten Gebieten ziehen die Weißen weg. Die starke Mischrasse, welche die Sklavenzeit hat entstehen lassen, verschwindet allmählich wieder. Die Mu- latten werden vom Vollblutnegertum aufgesogen. Die Rasse wird wieder schwärzer." Aber erfreu- lich ist es, daß Ehen zwischen Weißen und P'ar- N. F. XV. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 127 bigen in allen Südstaaten streng verboten sind und daß die Gewerkschaften Neger nicht aufnehmen. Was die japanische Bevöll bietet, ebenso wie der 3. Teil, welcher die Längenprofile der fließenden Gewässer nebst typischen Ouerprofilen bringt, überwiegend technisches Interesse und soll daher hier nur kurz angedeutet werden; überdies sind diese beiden Teile bisher nur für sehr wenig Fluß- gebiete publiziert worden. Der 4. und letzte Teil, welcher bisher für das Rheingebiet bis zur Taminamündung und für das Rhonegebiet bis zum Genfer See veröffentlicht worden ist, stellt die I30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 9 Minimalwassermengcn und die Minimalwasser- kräfte der fließenden (3revvässer, sowie ihre Wasser- führung an den Hauptpegelstationen dar. Die im I.Teil vorkommenden Planimetrierungen begegnen besonders großen Schwierigkeiten bei der Ausmessung der Felshänge, Schutthalden und Wälder, einmal, weil diese Gebietsilächen oft un- geheuer kompliziert gestaltet sind und dann, weil sie sehr häufig allmählich ineinander übergehen. Die Flächeninhalte entsprechen jedesmal den Projek- tionen der Oberflächenelemente auf die durch den Meeresspiegel gelegten Xiveauflächen. Ihr Inhalt ist natürlich um einen gewissen Betrag kleiner als die sogenannten „Minimalareale", welche man er- hält, wenn man die Oberflächenelemente auf die Niveaufläche seiner eigenen mittleren Meereshöhe projeziert. Penck hat in seiner „Morphologie der Erdoberfläche" gezeigt, daß die Abweichung der nach der schweizerischen Methode ermittelten Niveauflächen von den Minimalflächen erst dann I "/(lo erreicht, wenn die mittlere Meereshöhe dieser Fläche über 3183m Meereshöhe liegt. Treten die eben genannten Schwierigkeiten nur bei solchen Ländern in die Erscheinung, die überwiegend mit Hochgebirgen bedeckt sind, so kommt eine andere auch im Flachlande häufig vor, sie betrifft näm- lich die Abgrenzung der Einzugsgebiete nach den Wasserscheiden. Weil die Verteilung der Nieder- schlagsmengen auf die Gewässer sich durchaus nicht immer nach dem Verlauf der oberirdischen Wasserscheiden richtet, und nicht selten, nament- lich bei Seen ohne sichtbaren .Abfluß und in breiten aluvialen Talböden mit ihren vielfach sich verzweigenden Gewässerarmen überhaupt nicht genau verfolen lassen. Die einzelnen Bodenarten und Höhenstufen ver- halten sich in den einzelnen Plußgebieten recht verschieden. Während die unfruchtbaren Teile (Felsen und Schutthalden) im Durchschnitt ein Viertel des Areals ausmachen, sinkt ihr Anteil im Aaregebiet auf unter 7? und während die von Pirn und Gletschern eingenommenen Gebiete im Rhonegebiet Vr. vom ganzen ausmachen, macht ihr Anteil im Tessingebiet nur i '/o % aus. Seen spielen nur im Reuß- und Aaregelaiet eine etwas größere Rolle, nämlich 5, bzw. 1 V2 7o' '^^och ist zu beachten, daß, da das Rheingebiet nur bis zur Taminamündung und das Rhonegebiet hier nur bis zum Genfer See reicht, sowohl der Bodensee wie der Genfer See außer Betracht bleiben. Die Untersuchungen der Minimalwassermengen, mit denen sich der 4. 'l'eil beschäftigt, begegneten des- wegen besonderen Schwierigkeiten, weil im Bereich des Hochgebirges bei der Herrichtung geeigneter Messungsprofile an die körperliche Leistungfähigkeit des Personals ganz ungewöhnliche Anforderungen gestellt wurden und selbst da , wo sie überhaupt möglich sind, einen großen Aufwand an Zeit und Kosten verursachten. Messungsreihen, welche eine längere Reihe von Jahren hindurch hätten durchgeführt werden müssen, konnten überhaupt nicht zur Darstellung gebracht werden. Zu allen diesen Schwierigkeiten gesellt sich noch der fatale Umstand, daß oft viele Jahre vergehen, bis in der Wasserführung von Gebirgsflüssen solche Zustände dauernd eintreten, die eine einwandfreie Feststellung des absoluten Minimums gestatten. Man muß also mit der Tatsache rechnen, daß trotz aller aufgewendeten Kosten und Mühen die Ergebnisse und Untersuchungen manches zu wünschen übrig lassen. Wenn irgendwo, so gilt hier das Wort des Dichters: Stat pro ratione voluntas. Der praktische Zweck der Messungen der Minimalwassermengen ist natürlich die Messung der Minimalwasserkräfte. Es bedarf wohl kaum einer besonderen Erwähnung, daß der Begriff einer Wasserkraft ein außerordentlich dehnbarer und verschiedenartiger ist und daß es eigentlich keinen Sinn hat, ungleichartige Größen — und das sind eben die Wasserkräfte — zusammenzuzählen. Um aber wenigstens einen kleinen Anhalt zu geben, sind aus praktischen Gründen die .noch verfügbaren Wasserkräfte in 4 Kategorien eingeteilt : sehr gute Kräfte (I.), gute Kräfte (II.), mittelmäßige Kräfte (III.) und geringwertige Kräfte (IV.), womit aber keines- wegs gesagt sein soll, daß diese Einteilung der Wirklichkeit stets genau entspräche. Nach Fertig- stellung der Albulawerke ergibt sich , daß im Rheingebiet bis zur Taminaeinmündung die noch verfügbaren Kräfte in den Kategorien I und II zusammen auf 79380 HP veranschlagt werden können, während die bereits ausgenutzten Kräfte derselben Kategorien etwa 1 1 400 HP ausmachen. Als im Beginn des neuen Jahrhunderts neue Gesichtspunkte für die praktische Hydrographie der Schweiz in Betracht kamen, namentlich die Frage der Elektrisierung der großen Plisenbahnen und der Abgabe inländischer Wasserkräfte ans Ausland, ergab sich die Notwendigkeit, für die- selben einen weiteren Rahmen zu spannen, und so wurde 190S das hydrometrische Büro, welches bis dahin eine Unterabteilung des eidgenössischen Oberbauinspekiorates gewesen war, zu einer be- sonderen Lande.sanstalt erhoben, welches den Namen „Abteilung für Landeshydrographie" er- hielt. Die Leitung übernahm zunächst Dr. Epper, welcher bei den hydrographischen Arbeiten der Schweiz schon seit vielen Jahren beschäftigt war und nach dessen Rücktritt im Jahre i9i2Dr. Leon W. Collet, der noch jetzt an der Spitze steht. Die durch die neuen Aufgaben dieser Anstalt begründeten Arbeiten konnten natürlich in den bisherigen Veröffentlichungen keinen Platz finden, und dadurch entstanden die neuen Publikations- reihen C, D und E, von denen bisher 8, bzw. 2 und 8 einzelne Arbeiten vorliegen. Sie entsprechen etwa den „Besonderen Mitteilungen" der Preußischen Landesanstalt für Gewässerkunde, doch mit dem bedeutenden Unterschied, daß sie zum Teil als selbständige Arbeiten erschienen sind, die mit der „Abteilung für Wasserwirtschaft" in nur sehr losem Zusammenhang stehen. Eine vortreffliche Übersicht über das Programm N. F. XV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 131 der neuen Anstalt und ihrer Leistungen seit ihrer Eröffnung gibt eine vom Komitee der Gruppe 34: „Wasserwirtschaft" der Schweizerischen Landes- ausstellung zu Bern im Jahre 1914 herausgegebene Broschüre, betitelt: die Wasserwirtschaft in der Schweiz, welche zugleich eine Art Fortsetzung und Ergänzung des im Jahre 1907 erschienenen Pracht Werkes: „Die Entwicklung der Hy- drometrie der Schweiz" bildet. Diese Ver- öffentlichung, welche Nr. 8 der „übrigen Publika- tionen" der Gewässeranstalt bildet, beginnt mit einer Übersicht über die Niederschlagsverhältnisse der Schweiz, welche ja die natürlichen Grundlagen für jede geordnete Wasserwirtschaft sind. In der- selben weist der Vorstand der meteorologischen Zentralanstalt in Zürich, Dr. Maurer, darauf hin, daß schon für die kurze Beobachtungszeit seit 1855 für drei Hauptstationen des Landes: Zürich, Genf und Lugano, Schwankungen der Nieder- schlagsmengen deutlich erkennbar waren , deren Phasen allerdings nicht überall konform gehen und auch keineswegs die Möglichkeit der Berech- nung einer mittleren Periode (von etwa 35 Jahren) zulassen. Über die Niederschlagsmengen in den eigentlichen Hochalpen herrschten bisher nur sehr undeutliche Vorstellungen, da es an zuverlässigen Messungen bislang fehlte. Erst seitdem es dem Forstinspektor Mougin vor einigen Jahren ge- lungen war, Niederschlagssammler zu konstruieren, welche es gestatten, den gefallenen Schnee und Regen monatelang aufzubewahren, so daß nur in der günstigen Jahreszeit eine ein- oder zweimalige Messung notwendig war, und man in dem Niph er- sehen Windschutzring eine Möglichkeit gefunden hatte, den Einfluß des Windes auf die in Schnee- form gefallenen Niederschläge auf ein Minimum zu reduzieren, konnte die Schweizerische Landeshy- drographie dazu übergehen, im eigentlichen Hoch- gebirge einigermaßen einwandsfreie Niederschlags- messungen vorzunehmen. Die teils im Jungfrau- und Aletschgletschergebiet , dann auch am Gotthardmassiv bis zu 3500 m Meereshöhe seit dem Herbst 1913 aufgestellten Instrumente ergaben die überraschende Tatsache, daß in nieder- schlagsreichen Jahren die hochgelegenen Firn- mulden der Westalpen mit gegen 3000 mm jähr- lichem Niederschlag gespeist werden, wovon mindestens 4 Fünftel, also 2400 mm, als Schmelz- wasser gerechnet werden muß. So kann es daher nicht wundernehmen, daß an heiteren , warmen Sommertagen innerhalb weniger Tage ganz enorme Schmelzwassermengen flüssig gemacht werden, ohne einen Tropfen Niederschlag und daß Ende Juni 1897 das Niveau des Genfersees in wenigen Tagen um 35 cm stieg, sein Volumen also um rund 200 Millionen cbm sich vermehrte, obwohl über dem See selbst ständig der Himmel blaute. Die ebenso zeitraubenden wie mühsamen Unter- suchungen über die Zahl der noch ausnutzbaren Wasserkräfte der Schweiz sind zwar noch lange nicht zum Abschluß gekommen, doch bringen Nr. 7 und 8 der „Mitteilungen" bereits eine vor- läufige Übersicht nach dem Stand vom i. Januar 1914. Danach sind die gesamten U'asserkräfte der Schweiz auf rund 2'/., Millionen HP zu schätzen, worunter 24 stündige Nettopferdestärken zu ver- stehen sind, gemessen an den Turbinenwellen bei einem Wirkungsgrad von 75 "/^ der Motoren. Die schweizerische HP entspricht einer Leistung von 736 Watt gegenüber der englischen mit 746 Watt, die also etwas größer ist. Auf das Gesamtareal der Schweiz verteilt kommt auf i qkm im Durch- schnitt 61 HP, während auf das Berg- und Hügelland in Preußen nicht ganz 25 kamen, also erheblich weniger als die Hälfte jener Zahl. Die Nettoleistung aller bereits ausgeführten Wasser- kraftanlagen beträgt etwas über ^'^ Millionen HP, also zwischen 12 und 13 auf i qkm, während in dem entsprechenden deutschen Gebietsteil nur etwa 5 HP zu rechnen sind. An der Spitze aller Kantone steht, absolut genommen, VVallis mit 81 789 HP ausgenutzter Wasserkräfte, gefolgt von Bern (72 8ö2), Graubünden (66041), Aargau (53280) und Tessin (43 681); im Verhältnis aber zum Flächeninhalt steht ain günstigsten Genf da, mit 50 HP auf I qkm, es folgen Aargau (40), Schaff- hausen (35) und Glarus (30). Die wenigsten Kraftanlagen besitzen, absolut genommen, Appenzell- Innerrhoden (745 HP) und Basel-Stadt (976 HP), während im Verhältnis zum .Areal Thurgau, Schwyz und Unterwaiden noch ungünstiger sich verhalten. Von den in den „Mitteilungen" veröffentlichten Sonderarbeiten beschäftigen sich Nr. i und 2 mit neuen Methoden, die einen bestimmten Punkt passierenden Wassermengen möglichst genau zu messen, eine Aufgabe, die ohne Zweifel zu den wichtigsten jeder .Anstalt für Gewässerkunde gehört. Die bisher meist benutzten Messungen durch elektrische Flügel leiden an einer gewissen not- wendigen Ungenauigkeit und kosten viel Zeit. Die Schweizerische Landesanstalt hat seit 1909 Ver- gleichsversuche mit Schirmapparaten ausgeführt, die sich vortrefflich bewährt haben, sie werden in einer Arbeit von Lütschg „Vergl eich s ver- suche mit Flügel und Schir mapparat zur Bestimmung von Wassermengen" (Mitt. Nr. 2, Bern 191 3) ausführlich beschrieben. Bei Wassermessungen solcher Gewässer, die viel Schlamm und Sand mit sich führen, also vor allem der Gletscherbäche, hat die Anstalt mit großem Erfolg die chemische Methode Boucher- M eil et mittels Salzlösung angewandt. Sie wird in der Arbeit von Collet, Mellet und Lütschg „Jaugeagespar titrations" (Mitt. Nr. I, Bern 191 3) dargestellt und besteht im wesentlichen darin, daß man an einer bestimmten Stelle des Flusses demselben ein bestimmtes Quantum Kochsalz einverleibt, den Sättigungs- grad des Wassers an Salz bestimmt und die- selbe Prozedur dann an einer anderen weiter unter- halb gelegenen Stelle wiederholt. Der Grad der Verdünnung ergibt dann die zwischen beiden Stellen vorhandenen Wassermengen. Voraussetzung für die Anwendung dieser Methode bleibt die un- 13: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 9 bedingte Möglichkeit einer vollkommenen Mischung der konzentrierten Salzsäure mit dem Flußwasser. Nr. 3 der Mitt.: „Gutachten über die R'e gulierung des Bodensee s", von W. F. Bossard, mit 9 Tabellen und einem Band Planbeilagen ist deshalb von besonderem In- teresse, weil ziemlich gleichzeitig vom H)-drographi- schen Zentralbureau im k. k. Min. für öffeniliche Arbeiten in Wien eine weitere Abhandlung über den Wasserhaushalt des Bodensees veröftentlicht wurde. Die hydrographischen Angaben über den Boden- see und seine Wasserstandsschwankungen stimmen in beiden Arbeiten im ganzen überein ; gewisse Schwierigkeiten, letztere exakt festzustellen, ergeben sich aus der Tatsache, daß die Aufzeichnungen in Konstanz und Bregenz nicht konform miteinander gehen, weil örtliche Senkungen oder Schollenver- schiebungen den Nullpunkt beider Pegel nicht un- beträchtlich gegeneinander verschoben haben. Auf diese Abweichungen scheint Bossard bei seinen Berechnungen nicht genügend Gewicht gelegt zu haben, soll doch nach C. Regelmann der Nullpunkt des Konstanzer Pegels sich von 18 17 auf 1890 um nicht weniger als 317 mm gesenkt haben! Die Unterschiede in den Angaben der jährlichen Niederschlagsmengen im Finzugs- gebiet des Rheins bis zum Austritt aus dem Untersee (16,96 cbkm jährlich bei Bossard, 14,74 cbkm nach der .'\rbeit des Österreichischen Hydrographischen Zentralbureaus) scheinen mir durch die aus den württembergischen Donaugebiet zwischen den beiden Fndstellen der Messung durchsickernden Wassermengen nicht genügend erklärt zu sein, da nach Fndreß die durchschnitt- liche Jahresergiebigkeit der Aachquelle nur etwa 5 cbm sec beträgt. Bossard hat festgestellt, daß die Abflußmenge des Untersees im Durch- schnitt jährlich 7,2 cbm/sec, 2,1 "'„ der des Ober- sees beträgt und daß dies Mehr sich zusammen- setzt aus der Differenz der Zuflußmenge von 10,7 cbm und dem Verlust infolge von Ver- dunstung an der Oberfliäche und der Ver- sickerung am Seegrund im Betrage von 3,5 cbm. Die Regulierung der Bodenseewasserstände, welche zur Voraussetzung hat, daß als eigentliche Staugrenze die Seespiegelhöhe von 399,72 m, ent- sprechend 4,30 m am Rorschacher Pegel fest- gesetzt wird und daß die künstliche Stauung diese Grenze nicht vor der zweiten Hälfte des Sep- tembers überschreiten darf, kann entweder durch Vergrößerung des .-^bflußprofils bei Konstanz oder durch Frhöhung des Gefälles zwischen Ober- und Untersee erreicht werden, welches jetzt im Mittel 28 cm beträgt und nur bei hohen und tiefen Wasserständen einige Zentimeter Abweichung erlei- det. Durch eine derartige Regulierung wird sowohl eine Senkung der außerordentlichen Hochwasser- stände um ungefähr 80 cm als auch eine Hebung der Abflußmenge bei Niederwasserstand um 10 "/,, erreicht werden. Nicht nur würden so die Ufer- bewohner in hygienischer und ökonomischer Be- ziehung eine erhebliche Besserstellung erfahren. sondern auch die Schiffahrtsdauer Basel-Straßburg würde sich um durchschnittlich 2 Monate verlängern, wobei gleichzeitig für eine konstante Aufrecht- erhaltung des Verkehrs innerhalb der Schiffahrts- periode Gewähr geleistet werden könnte. In einem nahen Zusammenhang mit der eben berührten Arbeit steht diejenige von Ghezzi über die Abflußverhältnisse des Rheins in Basel (Mitt. Nr. 8). Die mittlere Abflußmenge be- rechnet G. in Mittel zu 1013 cbm sec, sie schwankte im Zeitraum 1808— 1913 zwischen 696 cbm (1832) und 1439 cbm (1910), während die Niederwasser- menge während des gleichen Zeitraums sich zwischen 205 cbm (1858) und 615 cbm (1910) bewegte und im Durchschnitt 372 cbm sec betrug. Der höchst beobachtete Wasserstand ergab eine Abflußmenge von 5697 cbm, war also 28 mal größer als die niedrigste, während das Ver hältnis der Abflußmenge bei gewöhnlichem Hoch- und Niederwasserstand nur 11 :i ist. Ghezzi spricht auf Grund seiner Berechnungen im Gegen- satz zu mehreren anderen Beobachtern die Über- zeugung aus, daß die Wasserführung des Rheins unbeschadet kleiner zeitlicher Verschiebungen durch Seeregulierungen, Plußkorrektionen und dem Bau von Wasserkraftanlagen, sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht geändert habe und daß die am Pegel in Basel beobachtete Abnahme von Wasserständen, die sich am deut- lichsten in den Jahren 1879 — 1910 zeigte, lediglich auf eine Vertiefung der Stromsohle zurückzuführen ist. Diese Verminderung aber lasse sich völlig erklären aus der im Jahre 181 7 begonnenen und 1874 vollendeten Korrektion des Oberrheins von Hüningen bis zur hessischen Grenze, wodurch die Länge des Talwegs von 354 auf 273 km, also um 81 km sankl Die Speisung des Rheins durch Grundwasser ist bei Basel im Verhältnis zur gesamten Abfluß- menge sehr unbedeutend, immerhin mußten jedoch im Zeitraum 1896 — 191 3 infolge der Vertiefung des Rheinbettes mehrere nahe dem Rhein gelegene Sodbrunnen tiefer gesetzt werden. An der Gtund- wasserbildung hat jedenfalls das Rheinwasser keinen Anteil, da das Grundwasser auf beiden Seiten des Rheins höher als dieser steht. Fine vorbildliche Arbeit über das schwierige Kapitel des Verhältnisses zwischen Niederschlag und Abfluß im Hochgebirge ist die Abhandlung von Roder über „Niederschlag und Abfluß imbündnerischenRheingebiet" (Mitt. Nr. 5). Die besonderen Schwierigkeiten einer solchen .■\rbeit liegen einerseits in dem Umstände, daß Niederschlagsmessungen im eigentlichen Hoch- gebirge bisher überhaupt nicht oder nur sehr sporadisch vorliegen und überhaupt erst in neuester Zeit (s. o.) einwandsfrei möglich sind, auf der anderen Seite auf der Tatsache, daß die Tal- sohlen der Gebirgswässer eine sehr wechselnde Tiefe besitzen, woraus sich dann oft recht ungleich große Wassermengen ergeben. Im Mittel der hydrographischen Jahre 1894 — 1909 betrug die N. F. XV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 133 jährliche Niederschlagshöhe 1583, die Abflußhöhe 1089 mm, woraus sich ein Abflußkoeffizient von 69 "/q ergibt, was ungefähr im Einklang mit den Ergebnissen der Untersuchungen anderer Gebirgs- flüsse steht. Einen bedeutenden Einfluß auf diesen Koeffizienten besitzen für das bündnerische Rhein- gebiet der Eöhn, der je nach den obwaltenden Ver- hältnissen den Niederschlag oder die Verdunstung begünstigt, und der Umstand, daß die festen Nieder- schläge gegenüber den tropfbar flüssigen überwiegen. Obwohl das von Gletschern und F"irn bedeckte Areal im Verhältnis zur Gesamtoberfläche nur klein ist, so sind doch diejenigen Gebiete sehr ausge- dehnt, in denen der Schnee während des kurzen Sommers gerade noch schmilzt und zum Abfluß gelangt. Ein der vorliegenden Abhandlung verwandtes Thema berührt O. Lütschg im dritten Teil seiner großen Arbeit über den Märj elensee (s. u.); nämlichdasder Abflußmengen der Gletscher- bäche. Es iiandelt sich da einerseits um das Problem der minimalen Abflußmengen, die L. in ordentliche, außerordentliche und mittlere Minima einteilt, und dann um die Bestimmung der winter- lichen Abflußmengen. Als besondere Ursachen außerordentlicher Minima werden angeführt: Starker Schneefall, Eisbildung, Lawinen und Ver- sickerung. Die ordentlichen Minima zeichnen sich im Gegensatz zu den außerordentlichen durch eine gewisse Beständigkeit in einer und derselben Niederwasserperiode aus. Im Winter ist das Retentionsvermögen der im Plinzugsgebiet eines Flusses vorhandenen Gletscher ein sehr bedeutendes ; diese Tatsache geht besonders deutlich hervor aus einer graphischen Darstellung, welche die Abflußmengen der Rhone und ihrer Seitenbäche oberhalb Visp einerseits, der Aare und ihrer Seitenbäche oberhalb des Brienzersees anderseits, in Sekundenlitern pro qkm, als Funktion der zu- gehörigen Vergletscherung des betreffenden Ein- zugsgebietes darstellt. Die oben erwähnte Schrift von Lütschg über den Märjelensee und seine Abflußver- hältnisse, Bern 1915 (Annalen, Heft i), die mit 52 Tafeln und 27 P'iguren im Text geschmückt ist, ist eine ganz hervorragende Leistung und ge- reicht sowohl dem Verfasserwie der hydrographischen Landesanstalt der Schweiz zur hohen Ehre. Der am Rande des Großen Aletschgletschers, des größten Gletschers der Alpen, gelegene Märjelen- see hat die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Welt Europas schon früh durch seine plötzlich auftretenden verheerenden Ausbrüche erregt, deren von 1S13 bis 190S 38 gezählt werden, darunter 9 solche, die zur völligen Entleerung des bei Hochwasser 78 m tiefen Sees führten. Bei dem stärksten Ausbruch am 18. u. 19. Juli 1878 flössen in einer Sekunde durchschnittlich 274 cbm ab. Lütschg hat die Ausbrüche seit dem Jahre 1892 auf das sorgfältigste verfolgt und auch die durch sie erzeugten Flutwellen in der Massa und in der Rhone photographisch aufge- nommen. Die Ursache des Ausfließens beruht einerseits auf Spaltenbildungen des Gletschers, andererseits auf der Schmelztätigkeit des See- wassers. Die letztere Tätigkeit bewirkt auch im Zusammenhang mit der durch Wind verursachten Wellenbildung des Sees das bekannte „Kalben" des Gletschers, eine Naturerscheinung, der man sonst nur auf den Meeren der höchsten nördlichen und südlichen Breiten begegnet. Die einzelnen Stadien derselben sind durch äußerst gelungene Photographien wiedergegeben , ebenso wie die- jenigen des großen Ausbruches vom 22.-23. Sep- tember 1909, welche oft nur unter größter Lebens- gefahr gewonnen werden konnten. Wohl infolge des „Kalbens' des Gletschers kommt es im Gegen- satz zu anderen hochalpinen Seen nicht zur Bil- dung einer dickeren homogenen Eisdecke. Die P'eststellungen über die Eis- und Temperatur- verhältnisse des Sees, ebenso diejenigen über seine Verdunstungsgrößen gehören zu den wertvollsten Studien, die wir auf dem Gebiete der alpinen Physik der Erde be^itzen. Sehr ausführlich, unter Abdruck des Faksimiles von Originalurkunden, verfolgt V^erf die Geschichte der Bemühungen die Ausbrüche des Sees zu verhindern oder wenig- stens abzuschwächen. Seit dem Jahre 1894 ist ein 548 m langer Stollen vollendet, der das Über- laufwasser des Sees aufnehmen soll; da aber in- folge des seit einer Reihe von Jahren beobachteten fortgesetzten Rückgangs des Aletschgletschers jetzt die Überlaufsstelle der See tiefer liegt als die Schwelle der Siollenöffnung, so fließt der See jetzt längs des Südrandes des Gletschers ab, bevor der Wasserspiegel diese Schwelle erreicht hat. Natür- lich ist es beim Wiederanrücken des Gletschers durchaus nicht ausgeschlossen, daß wieder Hoch- wasserstände vorkommen , welche die Höhe des Absenkungsstollen erreichen und in solchem Fall wird dieser dann seine segensreiche Funktion hoffentlich mit vollem Erfolg ausüben können. Der Arbeuen der „Übrigen Publikationen" können wir hier nur ganz kurz gedenken, da sie ganz überwiegend nur technisches Interesse be- sitzen und zudem meist schon vor einer ganzen Reihe von Jahren veröffentlicht sind. Ein allgei meineres Interesse darf der Aufsatz von Ghezz- in Anspruch nehmen (Progetto per la siste- mazione del lago Ceresio (lago di Lu- gano, Bern 1913), der noch mit einem besonde- ren Atlas von 31 Tafeln versehen ist, welche sehr anschaulich die Notwendigkeit der Regulierung des Sees darstellt. Die geplante Regulierung sieht nach den Entwürfen von Ghezzi eine Erniedri- gung des Höchststandes in Lugano um 1,06 m, eine Erhöhung des Niedrigststandes um 0,30 m vor, wodurch die außergewöhnlichen Niederwasser- mengen der Tresa von 4,5 cbm/sec auf 8 cbm/sec steigen würden und außerdem die größten Dampfer allezeit ungehindert die Enge von Lavina, wie die Durchfahrt unter dem Seedamm von Melide- Bissone passieren könnten. Der Abflußkoeffizient 134 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 9 des Einzugsgebietes des Sees wird im Mittel auf 67,7 "/„ berechnet (Niederschlagsmenge 36,2 cbm/sec, Abflußmenge 24,8 cbm/sec). In dem Gutachten, daß in der „Silsersee- Wasserwerkanlage" die Herren Professor A. Heim, G. J. Cardin aux, Epper, Lü- chinger und Peter an das Bau- und Forst- deparlement des Kantons Graubünden erstattet haben, werden auch einige allgemeinere Fragen erörtert, nämlich außer denjenigen, wieweit das Landschaftsbild durch Regulierung bzw. Senkung des Silsersees beeinträchtigt würde, die andere, ob infolge von Senkung von Wasserspiegeln von Seen Ufereinbrüche erfolgen können. Das Gut- achten bejaht diese P'rage sehr richtig, sieht aber die Ursache nicht bloß in den Wassermengen, die im Uferboden dabei zurückbleiben, sondern vor allem darin, daß die Schuttböschungen, welche sich unter stehendem Wasser allmählich ange- häuft haben, um durchschnittlich 2 — 3" steiler sind als die Aufschüttungen ähnlichen Materials trocken und um 3 — 5" steiler als naß in der freien Luft. Selbst in dem Falle, wo das Seeniveau nur langsam sinkt, sind die Schutthänge, sobald ihnen der Gegendruck des Wassers genommen ist, meist zu steiL um feucht in der Luft zu halten. Da aber auch an dem unterhalb des Seespiegels bleibenden Teil der Halden der Gegendruck sich wenigstens vermindert hat, so sind Abrutschungen nicht nur oberhalb, sondern auch unterhalb des Seespiegels zu befürchten. Wir wünschen der Schweizerischen Landes- anstalt für Gewässerkunde von Herzen, daß ihre Arbeiten mit gleichem Erfolg, wie bisher, fort- schreiten werden und daß ihre mannigfachen Arbeitspläne für die Zukunft durch die augen- blickliche Weltlage ungehindert zur Vollendung gedeihen möchten; das lebhafteste Interesse aller theoretischen und praktischen Hydrographen wird ihr zu allen Zeiten gewiß sein ! Einzelberichte. Physik. Den Spannungsverlauf an Röntgenröhren untersucht Wehnelt in einer in den Annalen der Physik IV, 47, S. 11 13 (191 5) veröffentlichten Arbeit. Da der Oscillograph zu viel Strom er- fordert und da bei seiner Verwendung stets ein Punkt des Stromkreises geerdet werden muß, ist er für die Untersuchung nicht geeignet. Der Verf bedient sich daher der Braun'schen Röhre, die ja zur Untersuchung sehr schnell verlaufender Strom- und Spannungsvorgänge des- wegen besonders geeignet ist, weil die Trägheit des abgelenkten Kathodenstrahlbündels praktisch gleich o ist und weil demnach keine Störung der Kurven durch Resonanz zu befürchten ist. Um die Helligkeit des Fluoreszensflecks auf dem Schirm zu steigern, wird dicht hinter der Anode eine Spule um die Röhre gelegt. Schickt man durch diese einen Strom, so wird das von der Kathode ausgehende Kathodenstrahlbündel zu- sammengedrillt; dadurch wird die Menge der Elektronen, die durch das Diaphragma in den erweiterten Teil der Röhre austritt, vergrößert, so daß auf dem Schirm ein sehr hell leuchtender Lichtfleck entsteht, der sich wegen seiner blauen Farbe besonders gut zur photographischen Auf- nahme eignet. Dicht hinter dem Diaphragma sind zwei einander gegenüber liegende Konden- satorplatten in der Röhre angebracht; wird diesen Spannung zugeführt, so wird das Kathodenstrahl- bündel von der negativen Platte abgestoßen, von der positiven dagegen angezogen, so daß der Lichtfleck wandert. Wollte man dem Konden- sator ohne Abschwächungdie hohe an der Röntgen- röhre liegende Spannung zuführen, so würde die Ablenkung der Kathodenstrahlen viel zu stark stark werden. Es wird daher folgende Anordnung getroffen: Der große Induktor, in dessen Primär- spule ein Wechselstrom von 50 Perioden geschickt wird, wird mit einem Hochspannungsumschalter verbunden, so daß der Hochspannungsstrom stets in derselben Richtung durch die Röntgenröhre geht; außerdem ist die Einrichtung getroffen, daß man dem Rohre jede oder auch nur, um dasselbe zu schonen, jede zweite gleichnamige Phase zu- führen kann. Von den Polen der Sekundärspule führen außer der zur Röntgenröhre führenden Leitung zwei etwa 3 m lange, horizontal gespannte Drähte zu 2 Kondensatorplatten von je 10 cm Durchmesser, die einander in i bis 1,50 m Ab- stand gegenüberstehen. Da das Potential der einen Platte stets ebensoviel über Null liegt wie das der anderen darunter, so hat der Punkt des Feldes, der in der Mitte zwischen den Platten liegt, stets das Potential o. Zu beiden Seiten dieses Punktes sind den ersten Platten parallel zwei weitere angebracht, die ihrerseits wieder durch längere Drähte mit dem Kondensator der Braun'schen Röhre verbunden sind und diesem die stark verringerten Potentiale des Induktors zuführen. Es wurde zunächst der Versuch ge- macht, zum Auseinanderziehen der Lichtlinie einen synchron mit dem Wechselstrom rotierenden Spiegel zu benutzen und die bei der schnellen Bewegung des Lichtflecks ziemlich lichtschwachen Bilder mittels einer Zeitaufnahme zu photogra- phieren. Da jedoch die Spannungskurve bei jeder Entladung einen etwas anderen Verlauf zeigte, mußte man sich mit Momentaufnahmen begnügen, die mit einem Görz' sehen Objektiv von der relativen Öffnung 4,8 gemacht wurden. Die Be- tätigung des Momentverschlusses im richtigen Augenblick wird durch den rotierenden Spiegel besorgt. Zum Betrieb der Brau n 'sehen Röhre dient eine Starkstrominfluenzmaschine von W e h r- sen (0,4 • lO"' Amp.). Die der Arbeit beigegebenen Kurven zeigen N. F. XV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 135 sehr schön den Verlauf der Spannung. Zunächst steigt dieselbe etwa sinusförmig an, dann erfolgt ein so plötzlicher Abfall, daß bei der außerordent- lich schnellen Bewegung keine Lichtspur auf der Platte zu sehen ist; darauf steigt die Spannung allmählich wieder an, doch nicht zur selben Höhe wie vorher, und es erfolgt wieder ein plötzlicher Abfall, also eine Entladung. Dasselbe Spiel wieder- holt sich vielfach noch ein drittes Mal. Es geht demnach bei einem Induktorschlag nicht eine einzige, sondern eine Reihe von Partialentladungen durch das Rohr. Ist nämlich die Spannung genügend hoch gestiegen, so wird das Vakuum durchschlagen. Da jetzt der Widerstand der Röhre relativ klein und dem- nach die Stromstärke beträchtlich ist, kann der Induktor wegen seiner hohen Selbstinduktion die große Elektrizitätsmenge nicht so schnell liefern, die Entladung setzt daher aus. Infolge der all- mählich nachströmenden Elektrizität steigt die Spannung wieder an, bis wieder eine Entladung erfolgt. Da von der ersten Partialentladung noch eine gewisse Leitfähigkeit zurückgeblieben ist, ist die zweite Entladungsspannung etwas niedriger als die erste. Bei weichen Röhren fällt die Span- nung bei der Entladung weniger plötzlich ab. Um dieselbe Erscheinung auch mit dem Oscillo- graphen zu untersuchen, wird eine Hilfsspule von wenigen Windungen um den Induktor gelegt; die Enden derselben werden nach Vorschaltung von 100 ß mit der Oscillographenschleife verbun- den. Die Spannungskurve wird dann gleichzeitig mit der der Braun'schen Röhre auf derselben Platte photographiert. Es zeigt sich, daß beide die Partialentladungen wiedergeben, aber ganz ver- schieden in der Form. Schließlich wird mit dem Oscillographen die Stromkurve der Priinärleitung aufgenommen, indem die Schleife an die Enden von 0,01 ß, die in der Primärleitung liegen, an- gelegt wird. Aus der gleichzeitigen photographi- schen Aufnahme beider Kurven (Spannungskurve der Sekundärspule mit Braun 'scher Röhre und Stromkurve der Primärspule mit dem Oscillo- graphen aufgenommen) ergibt sich, daß bei jeder Partialentladung ein steiler Anstieg des Stromes in der Primärleitung stattfindet. K. Seh. Mit den Spannungskurven großer Spannungs- netze beschäftigt sich eine Arbeit von Biermanns in der Elektrotechnischen Zeitschrift 36 (191 5) S. 609. Es kommt häufig vor, daß eine vom Generator gelieferte rein sinusförmige Spannungs- kurve, nachdem sie eine längere Leitung passiert hat, verzerrt erscheint. Der Grund für diese zu Störungen führende Erscheinung liegt darin, daß Oberschwingungen, die in der Spannungskurve der Dynamomaschine wegen ihrer geringen Ampli- tude nicht bemerkt werden, durch Resonanz auf dem langen Leitungswege beträchtlich verstärkt werden. Der Verf. untersucht einen Turbo- dynamo, dessen Spannungskurve wegen seiner Bauart (walzenförmiger Induktor, stark verteilte Wicklung) von vornherein praktisch als rein sinusförmig angesprochen werden darf, und findet, daß die Amplitude der harmonischen Oberschwingungen verschwindend klein ist, ja daß einige (die 3., 9., 15. usw.) ganz fehlen. Am Ende einer über 100 km langen Leitung zeigt sich, daß eine Reihe von Oberschwingungen in der Spannungskurve enthalten sind und daß die- selbe dadurch beträchtlich verzerrt ist. Während eine induktive Belastung die Verzerrung aufhebt oder doch erschwert, wird sie durch eine kapa- zitive begünstigt. In der letzteren Richtung wirkt auch ein zwischen Generator und Leitung liegen- der Transformator, und zwar sind die Ober- schwingungen besonders auf seiner Sekundärseite vorhanden. Diese störenden Resonanzerschei- nungen lassen sich durch Schwingungskreise (sogenannte Kurvenputzer), die auf die be- treffenden harmonischen Oberschwingungen ab- gestimmt sind, vollkommen unterdrücken. K. Seh., Hamburg. Daß sich elektromagnetische Wellen auch an dielektrischen Drähten ausbreiten, wird von H. Zahn in einer vorläufigen Mitteilung in der Physikalischen Zeitschrift XVI (1915) S. 414 nachgewiesen. Nach theoretischen Untersuchungen von Hondros und Debye im Jahre 19 10 war dies Resultat zu erwarten. Unter der Voraus- setzung, daß der Draht unendlich lang und daß das Dielektrikum absorptionsfrei sei, berechnet sich die Wellenlänge A = 2,61 -q ] n'' — i , wo q der Radius des Drahtes und n der Brechungs- exponent des Nichtleiters bedeutet. Wie bei den an Metalldrähten fortschreitenden Wellen (Lecher'sche Wellen) ist auch hier eine Ausbreitung mit Licht- geschwindigkeit zu erwarten. Im großen und ganzen ergeben die Versuche eine Bestätigung der Theorie. Es werden Glasröhren von ver- schiedener Weite, die mit Wasser, Meth)lalkohol und Aceton gefüllt werden, durch einen geeigne- ten Oscillator einseitig erregt, so daß stehende Schwingungen entstehen; mit einem Detektor, der auf das Quadrat der Spannung anspricht, wird das Außenfeld in der Nähe der Röhre untersucht und die Lage der Potential-Bäuche und Knoten bestimmt. Aus ihnen ergibt sich die Wellenlänge in leidlicher Übereinstimmung mit obiger Formel und aus ihr und der Schwingungszahl des Oscilla- tors die Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Ist der auf der rechten Seite der Formel stehende Aus- druck wesentlich größer als A, dann treten nur im Innern des dielektrischen Drahtes Wellen auf, deren Nachweis experimentell wohl kaum möglich sein dürfte. K. Seh. Meteorologie. Wirkungsweise von Böen. Die Wirkungen von böigem Winde von Sturmesstärke beobachtete Rudel (Das Wetter 1915 S. 119) im Nürnberger Reichswalde, einem weithin sich aus- dehnenden Forst mit alten mächtigen Föhren. Unter 136 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 9 diesen stürzten durch die Böen nur ganz vereinzelt wenige Bäume, sie wurden nicht gebrochen, son- dern mit ihren großen Wurzelballen vom Grunde losgerissen und umgeworfen. Zunächst schien die Wirkung des Sturmwindes die Folge zu sein der verschieden starken Ver- ankerung der Bäume im Boden durch Wurzelver- zweigungen, weitere Beobachtungen aber lehrten, daß diese Erscheinungen die Folgen sind von Resonanz zwischen innerer Bewegung des Windes und Baumbewegung. Verfolgt man nämlich während des Angriffs der Böen auf die Baumkronen deren Ausschwin- gungen, so bemerkt man, daß dieses Pendeln mit geringen Ausschlägen beginnt, allmählich zu- und abnimmt bis zur Ruhelage und dann aufs neue einsetzt. Auf einzelne, zeitlich getrennt folgende Windstöße läßt sich dieser Vorgang nicht zurück- führen, denn er wiederholte sich während desselben heftigeren Auftretens vom Sturmwind und dann verhielten sich die Stämme auch ganz verschieden. Bei einigen war das Anschwellen des Pen- deins nur ganz kurz, wenig wachsend, sofort trat wieder Ruhe in den Ausschlägen ein und die Bewegungszustände hielten nur kurze Zeit an; bei anderen Baumstämmen waren die Schwingungen heftiger und die Ausschläge stärker, ihre Zu- und Abnahme hielt länger an. Von diesen beobachteten Bäumen stürzte keiner. Diese Beobachtungen lehren nun, daß die Böen in Reihen von Einzelstößen zerfallen von bestimm- tem Rhythmus und daß jeder Baum je nach Dicke und Länge des Stammes eine eigene bestimmte Schwingungsdauer besitzt. Steht nun der Rhyth- mus in den Stößen im Einklang mit den Baum- schwingungen, indem der Windstoß während eines Hin- und Herganges bei derselben Schwingungs- phase oder während jeden 2., 3. usw. Hin- und Herganges einsetzt, so werden die Ausschläge des Stammes immer größer bis der Stamm eben stürzt, bei genügend langer Dauer des Windes. Selten stimmen nun diese beiden regelmäßig verlaufenden Wiederholungen gleicher Bewegungszustände über- ein ; meist herrscht Verschiedenheit des Rhythmus beider Bewegungen. Ist diese gering, so verstärken die Windstöße das Pendeln des Baumes, solange sie die Krone während des Hinganges der Schwingung treffen, stoßen sieauf diese während des Rückganges, so hemmen sie die Bewegung und schwächen die Ausschläge. Je nach dem Grade des verschiedenen Rhythmus beider Bewegungen gelangt der Baum langsamer oder schneller zu vorübergehender Ruhe- stellung. Dr. Bl. Über die Zunahme des Nebels in Sofia und ihre Ursachen. In den letzten Jahren ist eine auffallende Steigerung der Nebeltage in Sofia zu beobachten. Nach Kaßner (Das Wetter, 191 5 S. 97) ist dort im Winter der Nebel oft so stark, daß man auf 25 m, oft auch auf 12 m Entfernung eine Droschke nicht sehen kann. Mitten in der Straße sieht man von großen Bogenlampen auf etwa 10 m hohen Masten auf lOO m keinen Licht- schimmer mehr. Die neuen Metallfadenlampen sieht man auf mindestens den doppelten Abstand wie die Bogenlampe. Gegen Sonnenuntergang (dieser erfolgt hier etwas früher als in der Ebene) bildet sich nach- mittags der Nebel, und er ist gegen 7 Uhr abends schon recht dicht, so daß er für den Verkehr hinderlich wird. Bis in die Nacht hinein bis gegen etwa Mitternacht nimmt er noch an Dichte zu und hält die ganze Nacht an bis in die ersten Morgenstunden. Am stärksten ist er von etwa 8 Uhr abends bis 8 Uhr morgens. Gegen 8\'., bis 8^ ^ Uhr ist von der Sonne zuerst ein matter Lichtschimmer wahrzunehmen, welcher rasch zunimmt und nach 9 Uhr wird die Sonne als Scheibe sichtbar. Der ganze Nebel ist gegen g^|^ bis 9V2 Uhr verschwunden, der Himmel klar und die Sonne beleuchtet eine wundervolle Rauhreiflandschaft. Infolge Bestrahlung fällt dann dieser, wenn die Lufttemperatur nicht viel unter dem Gefrierpunkt liegt, wie ein leichter Schneefall (von i — 2 mm Dicke) von den Bäumen herab. Bei strengem Frost aber nimmt der Rauhreif nachts von Tag zu Tag zu und wird bis zu 2 cm dick an Bäumen usw. In erster Linie verursacht die Ausstrahlungs- kälte und das Herabsinken kalter Luft in dem weiten Gebirgstal von Sofia die Nebel. Dieses Ansammeln der kalten Luft und damit des Nebels erfolgt natürlich nur in den untersten Luftschichten und das 8 km von Sofia entfernte und nur 100 m höher gelegene Dorf Knjaschewo erreicht der Nebel nicht mehr. In Gebirgstälern ist denn auch diese Nebelbildung nicht selten, auffallend ist für Sofia nur die rasch zunehmende Häufigkeit und wechselnde Dichte des Nebels in den letzten Jahren. Nach den Beobachtungen der meteorologischen Station in Sofia ist in: Tabelle siehe S. 137. An allen drei Terminen ist ein Maximum im Hochwinter, im Januar erreicht die Häufigkeit ihren Höchstwert. Nach allen vorliegenden Beobachtungen kommt der Nebel jetzt öfter vor als früher und zwar ist um 7 Uhr früh die Zunahme von einem Jahr- zwölft zum folgenden 28''/o und um 9 Uhr abends Nach Kaßner ist nun die Zunahme zurück- zuführen auf die, durch das Anwachsen der Be- völkerung bewirkte, größere Zahl der Feuerstellen und Heizungen und damit der Rauchquellen. Die Rauchteilchen sind nämlich gute Ansatzkerne für den durch nächtliche Abkühlung verdichteten Wasserdampf der Luft; sie bewirken Trübung und Verminderung der Durchsichtigkeit der Luft. Ferner treten immer mehr an die Stelle des ziemlich raucharmen, aber teuren Holzes die stark qualmendeBraunkohle, die Zentralheizungen, welche mehr Kohlen kosten und mehr Rauch liefern, N. F. XV. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. den Jahren Jan. Febr. März April Mai Juni Juli ; Aug. Sept. . Okt. Nov. Dez. Jahr 1891— 1910 Die Zahl der Nebeltage im Mittel 12,8 6,7 5.2 0.6 0,2 ' 0,3 0,2 1 0,2 1 0,7 S.9 9,2 ii.S 1 53.6 Die Nebelhäufigkeit zu den drei Beobachtungsstunden. 7 Uhr früh 128 89 60 4 4 2 „ mittags 37 13 — ^ \ ~ 9 „ abends 126 56 ! 18 1 — 1 — 3 ■ 2 2 5 1 42 :!1 84 130 553 10 46 106 31 96 330 Dagegen scheint mittags die Nebelhäufigllimmten morphologischen Aufbau tropischer Landmassen, der einer stärkeren Erwärmung durch die Sonne nicht förderUch ist, die z. B. für das Klima der Gegenwart unserer Erde geltende starke .'Vkzen- tuierung der Tropen im Permokarbon verhindert hat. •') Es wären daher die Ursachen der permokarbo- nischen Vereisungsgebiete nicht nur in der klima- >) Vgl. hierzu die Karte von E. Koken, in: Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie 1907. '-) J. V. Hann, Handbuch der Klimatologie. III. Aufl. I. Bd. S. 379. ■') Eme ähnliche Ansicht hat auch Hans von Staffln seiner Abhandlung: „Zur Entwicklung der Fusuliniden" ge- äußert. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Palä- ontologie 190S, S. 701/02. 148 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 10 tischen Beschaffenheit der Tropenzone und ihrer Grenzgebiete, sondern auch in den EigentümHch- keiten des Klimas der ganzen Erde zur damaligen Zeit zu suchen. Die Folgerung, daß eine für einzelne Teile der Tropen geologisch nachgewiesene Vereisung mit einer Vereisung der ganzen Erde gleichbedeutend sei, ist demnach in keiner Weise begründet. Es hätte gleichzeitig sehr wohl auch nichte vereiste, sondern eben nur mäßig kühle insulare Äquatorialgebiete geben können, während ozeanische Gebiete in der Passatregion sehr wohl ein mildes niederschlagreiches Klima hätten haben können; ja, im abgeschlossenen Innern größerer tropischer oder subtropischer Kontinentalmassen hätte es gleichzeitig sogar ziemlich warm sein können., ') ganz abgesehen davon, daß die Gletscher eine Erscheinung sind, die im Innern größerer Länderräume die geeigneten klimatischen Be- dingungen überhaupt nicht mehr findet und daher auf gebirgige Küsten und Inseln angewiesen ist. Jedenfalls ist es gänzlich verfehlt, eine intensive Vergletscherung, wie es in der Regel geschieht, ohne weiteres mit einer starken Temperaturab- nahme in Zusammenhang zu bringen, man muß viel- mehr bedenken, „daß Gletschereis nicht gefrorenes Wasser, sondern zusammengepresster Schnee ist, daß mithin das Wachsen der Eisströme und die Entstehung neuer Firnfelder wesentlich von einer Vermehrung der atmosphärischen Niederschläge abhängt." ^j Die Vermehrung der Niederschläge selbst war aber zur Permokarbonzeit bei dem all- meiner ozeanischen Klima der Erde, insbesondere in niederen Breiten, allem Anschein nach lediglich durch ansehnliche Erhebungen größerer Länder- strecken bedingt. Denn auf die Bildung der Ge- schiebelehme folgte eine eisfreie Periode, deren Gesteine für ein warmes Klima und üppige Vege- tation in Indien, für ein warmes trockenes in Afrika sprechen. „Das zeigt deutlich", betont J. Walther^j mit Recht, „daß die Gletscher in demselben Maße verschwanden, als die sie nährenden Gebirge wieder abgetragen wurden". Da wir aber bezüglich der Tropengrenzgegenden selbst in der mit den an- der Erdoberfläche zum Tropengebiet zurückkehrenden Passaten herange- führten Feuchtigkeit eine Hauptursache derVereisun- gen erblicken, so liegt es auf der Hand, daß der im Tropengebiet selbst aufsteigende Antipassat keine große Bedeutung für die Vergletscherung besessen haben kann, wenigstens nicht das ganze Jahr hin- durch. Denn beide Strömungen zusammen: Passat wie Antipassat, konnten schon aus dem Grunde ') Vgl. hierüber auch die lehrreichen Abhandlungen von Fritz von Kerner: „Klimalogenetische Betrachtungen zu W. D. Matthews Hypothetical Outlines of the continents in terliary tinus". Verhandlungen der k. k. geol. Reichsanstalt in Wien 1910. 12, sowie ,, Bemerkungen zu Carlos Burck- l'epoque juressigne". Ebenda hardt: Sur le cli 1907. 16. «) J. Walther, Geschichte der Erde Leipzig 1908, S. 343. ») a. a. O. auf den Höhen der Gebirge nicht in gleichem Sinne gleichzeitig zusammen wirken, weil ja zwei einander entgegengesetzte Luftströmungen einander ausweichen müssen. Die Passate hätten also im Permokarbon infolge der Lage der tropischen Landmassen zwischen den Wendekreisen und in- folge der thermischen Verhältnisse der umgebenden Meere einen mehr oder weniger reinen Monsun- charakter besessen, zumal da das Passatvvindsystem infolge der ausgeglicheneren Wärmeverhältnisse gegen heute bedeutend abgeschwächt gewesen sein dürfte. Bei solchen meteorologischen und klimato- logisch sicher gut begründeten Erwägungen werden aber die von E. Koke n, ^) der übrigens als Geo- loge in erfreulichem Gegensatz zu mehreren seiner Fachkollegen das permokarbone Glazialphänomen auch nach der rein geographisch-klimatologischen Seite hin viel gründlicher durchdacht hat als mancher Geograph, der sich mit diesem Problem eingehender beschäftigte, seinerzeit gemachten Superlativen Voraussetzungen, unter denen es auf alle Fälle möglich war, daß die permi- schen Vereisungen auch an den Tropengrenzen den Meeresspiegel erreichten, wie stellenweise in Vorderindien und Südostaustralien, auf ein Mini- mum zurückgeführt. Ja, was die Tatsache anlangt, daß auch die permokarbonen Gletscher Südostaustraliens teilweise das Meer erreichten, so ist dieser Umstand überhaupt nicht weiter verwunderlicher als die tiefe Senkung der Schnee- grenze, wie sie auch zur Diluvialzeit auf Neusee- land unter etwa gleicher Breitenlage stattfand. Bedenkt man, wie groß und wie häufig er- neuert die Luftmassen sein müssen, um eine ge- wisse Wärmemenge zur Eisschmelze zu lietern, so ist es schwerer zu erklären, wie die Eisschmelze gewaltigen, jährlich zukommenden Massen die Wage halten kann, als daß große Gletscher bis in warme Landschaften reichen können. Unter Berücksichtigung solcher Umstände gewinnen die bereits 18S1 von Woeikot^j angestellten wert- vollen Studien über „Gletscher und Eiszeiten" er- neut an Bedeutung; sie gipfeln in dem Satze: „Wer sich Rechenschaft davon gibt, wie wenig die Wärme vieler Gegenden auf unserer Erde der an Ort und Stelle empfangenen Sonnenwärme entspricht, wie sehr kalte Meeresströmungen und die Eisschmelze abkühlen können, und dann Wolken und Nebel die direkte Wirkung der Sonnen- strahlen mindern, der wird in der Vergletscherung Brasiliens keine physikalische Unmöglichkeit sehen und auch zur lirklärung derselben nicht zu völlig unbewiesenen Hypothesen seine Zuflucht ') Indisches Perm und die permische Eiszeit. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläoniologie. 1907, ^- 543/44- Vgl. auch Jahrg. von 1908 dieses Jahibuches. ''} Zeitschrift der Gesellschaft lür Erdkunde zu Berlin 1S81. In dieser für die Paläoklimatologie auUerordentlich wichtigen Abhandlung hat Woeikot auch physikalische Be- rechnungen der hier angedeuteten Möglichkeiten gegeben. N. F. XV. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 149 nehmen . . . sondern sich mit den auf der Erde jetzt wirkenden Ursachen begnügen, nur eine be- sondere Kombination derselben erfordernd". ') Wenn nun nach E. P h i 1 i p p i '') die permischen Glazialablagerungen sich lediglich durch die schnell erfolgende Senkung der die Gletscher tragenden Gebiete bis auf unsere Tage erhalten konnten, da sie nur so vor frühzeitiger Zerstörung geschützt wurden, so wird man sich doch wohl kaum noch zu der Annahme zu versteigen brauchen, daß das Herabgehen der Tropengletscher bis an den Meeresspiegel nur dadurch möglich wurde, daß die Senkungen bei dem ersten großen und wohl äußerst lebhaften Gebirgsbildungsprozeß der Erde im Paläozoikum viel schneller erfolgten, als das Abschmelzen des Eises an gewissen Stellen vor sich gehen konnte. Immerhin hätte eine derartige Annahme noch nicht so viel Abenteuerliches an ') Nach Becker hängt die maximale Entwicklung der Gletscher in einer Gebirgsgruppe ab von dem Ma.\imumwert einer Funktion von zwei Variablen, die zueinander im umge- kehrten Verhältnis stehen. („The influence of Convention to glaciation". Amer. Journ. of Science III, Vol. 27, S 473.) ») a. a. O. sich, wie z. B. die von dem Wandern ganzer Erd- teile über den festen Erdkern, mag es sich nun um größere partielle oder gar holosphärische Gleitbewegungen handeln. Eine ganz im Sinne Woeikof's liegende Erklärungsmöglichkeit der permokarbonen Eiszeit habe ich in der vorstehenden Untersuchung ver- suchsweise gegeben. Einen quantitativ über- zeugenden Beweis hierfür zu leisten, bietet freilich große Schwierigkeiten, weil es bei der noch mehr als mangelhaften Rekonstruktion des Erdbildes jener geologischen Epoche quantitative Be- stimmungen der Verhältnisse zu wenig gibt. Auch sind die Vorgänge, deren Änderungen die Klimaunlerschiede verursachen, sehr kompliziert. Darum müssen wir wohl oder übel vorläufig noch auf eine rechnerische Behandlung des Problems verzichten. ^) Dennoch besteht die be- gründete HDffnung, daß sie sich mit dem Fort- schreiten der Kenntnis-^e über die vergangenen Erdepochen einmal wird durchführen lassen. ') Vgl. hierüber: W. Ramsay, Orogenesis und Klima. Öfversigt af Finska Vetenskaps-Soc. Förh. 52. 1909/10. S. 45. Die Nägeli-Löw'scheu Versuche über Hefeeruähriiusf als Oruiidlageu der heiitigeu Hefeproduktiousbestrebuiigeii. ichdiuck verboten.) Von Th. Bokorny. Die Hefe wird jetzt ernstlich als Eiweißfabri- kant ins Auge gefaßt. Mit welchen Recht, sei nicht erörtert. Gerade aus den Kreisen der Land- wirtschaft, der geholfen werden soll, sind Bedenken laut geworden, wegen des großen Zucker- verbrauches. Es bleibt abzuwarten, wie der Hefe- streit geklärt wird. Vielleicht darf aber hier da- rauf hingewiesen werden, daß die Melasse nicht der einzige für die Hefeernährung verfügbare billige Zucker ist. Man hat ja schon vor dem Kriege Verfahren zur Herstellung von Zucker aus Holz- abfälle n ausgearbeitet. Dieser Zucker wird nicht der Landwirtschaft entzogen, da er aus einem Material stammt, das bislang als Nahrung für Haus- tiere nicht in Betracht kommt. Das Ammonsalz kann in Fabriken nach neuen Methoden aus dem Luftstickstoff hergestellt werden; der Harnstoff ist bis jetzt noch von keiner Seite in Anspruch genommen worden. Also dürfte die Frage der Hefefabrikation für landwirtschaftliche Kraftmittel kaum mehr ganz von der Tagesordnung ver- schwinden. Die Vorzüge der Hefe als Eiweiß- produzent gegenüber den grünen Pflanzen sind bekannt. Die Hefe arbeitet rascher, braucht kein Licht, wächst zu jeder Jahreszeit. Es ist eines der interessantesten und größten Probleme, um das es sich handelt. Kann man den Anbau von grünen Nährpflanzen und damit die Landwirtschaft bei der Nährstofferzeugung bis zu einem gewissen Grade umgehen? Damit rsoll natürlich nicht in Frage gestellt werden, daß die Landwirtschaft auch in Zukunft die Ernährerin von Mensch und Tier sein wird. Es handelt sich um eine Assistenz, welche der Landwirtschaft geleistet werden soll durch das Heranzüchten von rasch wachsenden eiweißreichen Hefepilzen im großen. Daß die getrocknete Hefe als Kraftfuttermittel brauchbar ist, wurde an den in Bierbrauereien und Brennerein abfallenden Hefemengen längst von den Landwirten ausprobiert. An diese Wendung der Hefeernährungsfrage hat wohl Naegeli nicht gedacht, als er seine berühmte Abhandlung über die Ernährung der niederen Pilze durch Kohlenstoff- und Stickstoff- verbindungen vorlegte (Sitz.-Ber. d. Ak. d. Wiss. München 5. Juli 1879). Dieselbe enthält die Keime zu der heutigen Hefeforschung, soweit sie er- nährungsphysiologisch ist. Versuche mit Ammon- salzen, auch mit Harnstoff als Stickstoffquelle, kommen darin vor, Zucker und Glyzerin sind als Kohlenstoffquellen für Hefe erprobt worden, die Rolle des Sauerstoffes bei der Hefeernährung wurde studiert usw. Es fehlt nur die Rücksicht- nahme auf die verschiedenen Heferassen, da dieselben damals nicht bekannt waren. Es dürfte bei dem Aufsehen, den das Hefe- problem gegenwärtig macht, von aktuellem Interesse sein einige Proben jener ersten und bahnbrechenden Versuche vorzulegen. Denn die Dankespflicht erfordert es; auch können wir noch heute manches aus jenen Forschungen lernen. Naegeli hat sogar schon den Torf als Er- ISO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 10 nährer von Pilzen ins Auge gefaßt. „Derselbe wurde in der Kälte oder in der Wärme mit Wasser, das 0,5 "jg kohlensaures Ammoniak enthielt, aus- gelaugt und die Lösun? zu den Versuchen benutzt. Oder es wurden die Gläser zur Hälfte mit Torf und dann zu * ^ mit Wasser gefüllt, welches ent- weder keinen Zusatz erhielt, oder mit 0,2 bis 0,5 ° ,, kohlensaurem Ammoniak, mit 0,2 "d .'\mmoniak, mit 0,1 "„ Kali versetzt war. Die Gläser erfuhren entweder keine weitere Behandlung, oder sie wurden zunächst während längerer Zeit (20 Stunden ) einer Temperatur von 90 bis 92" C ausgesetzt. Die Lösungen, welche einen Zusatz von kohlensaurem Ammoniak, von Ammoniak oder von Kali er- halten hatten, reagierten schwach alkalisch oder sie waren beinahe neutral; diejenigen ohne Zusatz zeigten äußerst schwach saure Reaktion. Die Kulturresultate waren sehr verschieden. Einige Male bildete sich in den Lösungen bald eine mehr spärliche bald eine reichliche Vegetation von Spaltpilzen (Mikrococcus und Spirillum, seltener Bakterien), in welcher sich dann auch Monaden einstellten. Einmal blieb jede Pilzbildung aus. Ich setze den negativen Erfolg auf Rechnung der Unlöslichkeit der Humus- substanzen , nicht etwa wie man allenfalls ver- muten könnte, auf den Mangel an mineralischen Nährsalzen, an denen mancher Torf sehr arm ist. Denn es stellte sich eine ziemlich reichliche Algen- vegetation ein." Die Versuche sprechen dafür, daß man Torfzur Ernährung von Pilzen verwenden kann. Besondere Versuche mit Hefe stehen noch aus. Es ist übrigens bei den verhältnismäßig großen Ansprüchen, welche Hefe an die C-Xahrung stellt, nicht wahrscheinlich, daß ihr die löslichen Humussubstanzen des Torfes genügen. Möglich aber ist es, daß sie dieselben in Verbindung mit besseren Nährstoffen verzehrt. Versuche mit Harn und Sproßpilzen haben unter gewissen Umständen positives Resultat er- geben. Harn ernährt bei Luftabschluß die Sproßpilze nicht, man mag ihn mit Säure versetzen oder nicht. Bei Luftzutritt vermag er ziemlich reich- liche Sproßhefe zu bilden, wenn man ihm zur Abhaltung der Spaltspitze 0,5 bis i % Wein- säure und Citronensäure zufügt. Bei Zusatz von Glyzerin (4,5 bis g^'j,,) vermehren sich die Sproßpilze, wenn die Luft abgehalten wird, eben- falls nicht; dagegen begünstigt das Glyzerin die Vermehrung bei Luftzutritt sehr beträchtlich (N. a. a. O. p. 321). Als Kohlenstoffquelle scheint in ersterem Falle die Weinsäure und Citronensäure zu dienen; denn der Harnstoff (Hauptbestandteil des Harns) kann, wie Naegeli anderweitig festgestellt hat, nicht als Kohlenstoffquelle für Hefe dienen. Wird der Harn mit Zucker (q"/„) ""d Säure (0,5 oder I "Ig Citronensäure) versetzt, so findet bei Luftabschluß reichliche Sproßhefenbildung, dann aber auch Spalipilzbildung statt, was wohl so zu erklären ist, daß der Harnstoff in kohlen- saures Ammoniak übergeht, wodurch die Säure neutralisiert wird. — Enthält der Harn 9 "/(, Zucker und 5*0 Alkohol (absolut), so bleibt bei Abschluß von Luft die Vermehrung der Sproß- und Spalt- pilze aus; während bei Luftzutritt zuerst die Spalt- pilze sich vermehren und Milchsäure erzeugen, worauf die Sproßpilze zu wachsen beginnen. Wir sehen, daß Hefe mit den Nährstoffen des Harns gedeiht, wenn eine gute C-Quelle zugesetzt wird; bei Darbietung von Zucker braucht sie nicht einmal Sauerstoff. Da der Harn auch reichlich Phosphate enthält, so stellt er eine sehr günstige Hefenahrung dar, wenn auch Zucker zugefügt wird. Die Notwendigkeit des Zucker- (Melasse) Zu- satzes ist nun der springende Punkt in der ganzen Hefeerzeugungsfrage. Über die Stickstoffzufuhr braucht man sich weniger Sorge zu machen, da derselbe als .^mmo- niaksalz oder als Harn zugeführt werden kann. Das Ammoniak kann in beliebiger Menge aus der Luft hergestellt werden, gegen die \^erwendung des Harns für Futterhefe dürften sich kaum Stimmen erheben; die Billigkeit des letzteren kommt dem Preis der erzeugten Hefe zugute. Zucker aber ist eine wertvolle Substanz, die von der Landwirtschaft zu Futterzwecken begehrt wird. Ohne Zucker aber scheint die geplante Hefeerzeugung nicht zu gelingen, wiewohl es für Hefe noch manche andere Kohlenstoffquellen gibt. Der Zucker aber bietet den enormen Vorteil, daß er durch die eintretende Gärung der Hefe eine günstige Position gegenüber den schwer auszu- schließenden Bakterien schafft. Man wird wohl, wie schon oben angedeutet, darauf sehen müssen, daß ein Zucker zur Stelle gebracht wird, der von den Landwirten nicht er- zeugt und nicht beansprucht wird, neulich der Holzzucker. Synthetischer Zucker kommt bislang nicht in Betracht. Sehr bemerkentswert ist auch, was Naegeli über die Verwendung von Ammoniaksalzen als einziger Stickstoffquelle sagt fp. 523): Äußerst lebhaft ist das Wachstum der Sproß- pilze, wenn (neben Ammoniaksalz) sich Zucker in der Nährlösung befindet und wenn reichlich Sauerstoff zutritt. Doch wird bei dieser Nahrung die Hefe ge- schwächt und stirbt zuletzt ab. Enthält beispielsweise die Nährlösung 9 "jg Zucker, i oder 0,5 "j^ neutrales weinsaures Ammo- niak und etwas mit Phosphorsäure neutralisierte Erbsen- oder Hefenasche, und wird diese Lösung je nach 2 Tagen erneuert, so kann während der ersten 4Tage die Hefe sich auf das 4 fache Gewicht vermehren, wenn die Trockensubstanz der jedesmal zur Aussaat benutzten Hefemenge 3 — 4% der Nährflüssigkeit ausmacht. Aber das Wachstum ist am Ende dieser kurzen Zeit schon viel träger geworden und es hört bei Fortsetzung des Versuches bald ganz auf, wobei die Spaltpilze N. F. XV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. die Oberhand gewinnen. Durch Erhöhung der Temperatur auf Brutwärme, durch reichliche Luft- zufuhr, durch Zusatz einer größeren Menge von Kaliphosphat und durch Anwendung von Nähr- salzen statt der Asche wird zwar die Vegetation im allgemeinen sehr befördert und durch etwas Säure werden die Sproßpilze gegenüber den Spalt- pilzen begünstigt. Doch erleiden selbst unter den allergünstigsten Bedingungen die Sproßpilze, die den Stickstoff bloß in Form von Ammoniak erhalten, eine zu- nehmende Schwächung und gehen ihrem sicheren Untergang entgegen. Es läßt sich das Gewicht der Bierhefe mit Zucker und weinsaurem Ammoniak unter Durchleitung von Luft im Brutkasten während 64 Stunden auf das I2 fache vermehren. Aber die Hefezellen sind dann viel fettreicher und stickstoffärmer geworden und sie sind in ihrer Lebensenergie geschwächt, indem sie an Gänüchtigkeit eingebüßt haben und viel leichter der Konkurrenz der Spaltpilze unterliegen. Wird der Zutritt der Luft verhindert, so ver- mögen Ammoniaksalze mit Zucker die Sproßpilze zwar noch durch viele Generationen zu ernähren, aber die Vermehrung ist jetzt eine viel geringere und hört infolge von Erschöpfung nach viel weniger Generationen auf als bei Luftzutritt. Befindet sich Glyzerin oder Zucker in der Nährflüssigkeit, so verhalten sich die verschiedenen Ammoniaksalze fast gleich, insofern sie nicht anti- septisch wirken; auch das salpetersaure Ammo- niak gibt keine ungünstigeren Resultate als die übrigen. Dabei muß jedoch beachtet werden, daß bei Abschluß von Luft die Sproßpilze (wie alle Pilze) viel empfindlicher sind und daher ein all- fälliger Säurezusatz sehr vorsichtig zu bemessen ist. Gänzlicher Mangel an freier Säure gewährt zwar die günstigsten Bedingungen für das Wachs- tum der Sproßpilze, aber auch die größte Gefahr, daß sie durch die Spaltpilze verdrängt werden." Aus diesen Anführungen ist nicht nur zu ent- nehmen, daß die Hefeaufzucht mit allerlei unvor- hergesehenen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die rein wissenschaftlich schwer zu erfassen und zu bekämpfen sind, sondern auch daß die Hefe einer enorm raschen Vermehrung fähig ist, die bei grünen Pflanzen ihres gleichen nicht hat. Binnen 64 Stunden das zwölffache Gewicht! Und das ohne Mitwirkung des Lichtes, also zu jeder Jahreszeit. Ein besonderes und sehr wichtiges Kapitel sind die Mineralstofte, wenn es sich um Hefenauf- zucht und Pilzernährung überhaupt handelt. Sie sind bekanntlich den Pilzen ebenso und mit gleicher Auswahl nötig wie den grünen Pflanzen. Welche Mengen, absolut und relativ genommen, sind den Nährlösungen zuzusetzen? Zur Beurteilung dieser Frage stehen die Aschen- analysen der Bierhefe zu Gebote. Wir dürfen in derselben als mittleren Wert 7 % Asche annehmen. Die Nährsalze müßten, um diesem Verhältnis zu entsprechen, so bemessen werden, daß eine Lösung von kohlenstoft" und stickstoffhaltigen Verbindungen, die mutmaßlicher Weise i g Pilz- substanz (trocken gewogen) gibt, 0,0077 g der not- wendigen Mineralstoffe enthält. Da indes die Pilzzellen aus einer sehr ver- dünnten Lösung die Verbindungen weniger leicht aufnehmen können, so sind besonders in Nähr- flüssigkeiten, die geringe Mengen von organischen Stoffen enthalten und daher nur eine geringe Ernte versprechen , die aschegebenden Teile in höheren Verhältnissen zuzusetzen. Bei Anwesenheit von Zucker kann das Kalium- phosphat in erheblichen Mengen mit günstigem Erfolge angewendet werden. Z. B. hatte bei einem Versuch von O. L o e w 2 "/„ Kaliumphos- phat besseren Erfolg als i "/„ (lo",, Zucker war zugesetzt worden). Freilich begünstigen größere Mengen Kaliumphosphat die Spaltpilze noch mehr als die Sproßpilze. Im übrigen können zu große Mengen von sonst nährenden Mineralstoffen direkt schädlich auf die Hefe wirken. Andererseits wurde schon von O. Loew und später von anderen daraufhingewiesen, daß gewisse der Hefe sonst fremde Salze bei nicht zu hoher Konzentration eine Reizwirkung ausüben und das Wachstum erhöhen, z. B. Caesium- und Rubidium- salze. Kleinere Mitteilungen. Erinnerungen an Theodor Boveri. Am 15. Oktober vorig. Jahres verschied nach langem Leiden und doch unerwartet rasch Geh. Hofrat Prof. Dr. Th. Boveri, Professor der Zoologie in Würzburg im Alter von kaum 53 Jahren. Sein Name hat den besten Klang bei allen, die sich mit der mikroskopischen Anatomie je beschäftigt haben. Verdanken wir ihm doch in erster Linie die Kenntnis der Vorgänge und ihre Bedeutung, die den Lebenserscheinungen zu Grund liegen, und die man als Eireife, Befruchtung und Ver- erbung zusammenfassen kann. Namentlich die Chromosomen der Geschlechtszellen als Träger der Vererbungssubstanz bildeten unausgesetzt das Objekt seiner eingehenden Untersuchungen. Immer und immer wieder kehrte er zu diesem Unter- suchungsobjekt zurück. Er hatte sich zur Lebens- aufgabe gemacht, den Schleier zu lüften, welcher seit Jahrtausenden für uns das Rätsel des Lebens, speziell das der Vererbung, verhüllt. Seine zahl- reichen Arbeiten, die er an der zoologischen Station in Neapel ausführte, legen dafür Zeugnis :52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 10 ab. Der Ruf seiner Forschertätigkeit erstrecl56 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. lo ist. Bemerkenswert ist, daß das dem Thionin so nahestehende Isothionin die Fähigkeit zur Färbung der Nerven nicht be- sitzt, wieder ein Hinweis, wie empfindlich die Be- ziehungen zwischen dem Organismus und chemi- schen Reagentien gegenüber dem Chemiker uner- heblich erscheinenden Veränderungen in deren chemischer Konstitution sind. Auch die Versuche von Zaretzki, einem Schüler Ehrl ich 's, der mit Hilfe von Vitalfarb- stoffen an Mäusen nachwies, daß das zwischen Mutter und Embryo eingeschaltete fötale Epithel als ein die Farbstoffe zurückhaltendes Filter dient und seine Schädigung ein Absterben des Fötus zur Folge hat, müssen hier als besonders inter- essante Anwendung der Farbstoffe in der prakti- schen biologischen Forschung erwähnt werden. Selbstverständlich kann man charakteristische Farbstoffreaktionen auch benutzen , um die Ver- teilung solcher Stoffe, die sich leicht in charakte- ristische Farbstoffe überführen lassen, im Organis- mus festzustellen. So läßt sich z. B. die Verteilung des Anilins in einem mit Anilin vergifteten Tiere durch Untersuchung der einzelnen Organe mit /5-Naphtochinonsulfosaurem Natron ermitteln: die Organe, in denen das Anilin aufgespeichert ist, färben sich infolge Bildung eines roten Farbstoffes rot nach der Gleichung: o o S03N Eine Gruppierung der Farbstoffe nach ihrem biologischen Verhalten wurde durch Anwendung des bekannten physiologischen Begriffes der Tropie, d. h. der Verwandtschaft bestimmter Stoffe zu bestimmten Bestandteilen des Organis- mus ermöglicht. So werden solche Stoffe, die, wie das Methylenblau besondere Verwandtschaft zur Nervensubstanz haben, als neurotrope, solche, die wie das Dimethylphenylengrün (CH,),N- N(CH,1, I Cl Uimclhylphe hauptsächlich vom Fettgewebe aufgenommen wer- den, als lipotrope Stoffe bezeichnet; übrigens wirken die meisten neurotropen Farbstoffe auch lipotrop. Ehrlich konnte nun auf Grund dieser Einteilung ein pharmakologisches Verteilungsgesetz aufstellen, nach dem neurotrope Eigenschaften nur bei basischen Farbstoffen auftreten. Die Aufnahme der neurotropen Farbstoffe durch die Nerven (und die Fettgewebe) beruht darauf, daß aus den Farb- stoffsalzen — diese Farbstoffe sind ja bekanntlich meist Salze der Parbbasen — durch die alkalische Reaktion des Blutes die Farbbasen in Freiheit ge- setzt werden, und diese werden dann von der Nervensubstanz aus dem Blute ähnlich wie durch Äther oder andere organische Lösungsmittel aus ihren wässerig alkalischen Lösungen extrahiert. Die bisherigen Darlegungen betreffen zwar interessante und wichtige biologische Probleme, lassen aber die Arbeiten, die sich mit der Heilung von Krankheiten befassen und heute bekanntlich die allergrößte praktische Bedeutung besitzen, noch unerörtert. Ihnen wendet sich der Bericht nun zu. Das erste Beispiel für die Heilung von Krank- heiten mit Hilfe eines Farbstoffes bildet die An- wendung des Methylenblaus, das nach den Unter- suchungen von Ehrlich dank seinen neurotropen Eigenschaften bisweilen zur Linderung von Nerven- schmerzen gute Dienste leistet; allerdings ist die Wirkung ungleichmäßig, und daher hat sich dieses Antineuralgicum in der praktischen Medizin nicht behaupten können. In umfassender Weise konnte Ehrlich das Problem der Heilung von Krank- heiten durch chemische Reagentien erst in Angriff nehmen, nachdem er durch seine langjährigen Verteilungsstudien einen Überblick über den Zu- sammenhang zwischen der chemischen Konstitution der Stoffe und ihrer therapeutischen Wirkung er- halten hatte und ihm durch die Georg Speyer- Stiftung die Mittel zur Errichtung eines be- sonderen, nur den Zwecken der „Chemotherapie" dienenden Institutes zur Verfügung gestellt worden waren. Einen der ersten großen therapeutischen Er- folge bildet die Behandlung von Mäusen, die mit den Trypanosomen des Mal de Caderas infiziert waren, mittels desTrypanrots, einem durch Kom- bination von tetraazotierter Benzidinnionosulfosäure mit zwei Molekülen /S-Naphthylamin - 3,6- disulfo- säure dargestellten Farbstoffe von der auf Seite 157 angegebenen, annähernd symmetrischen Formel, der den Mäusen in einfachster Weise durch Fütte- rung mit mit der F'arbstofflösung durchtränkten und dann getrockneten Kakes beigebracht wird. Die Schädigung der Trypanosomen durch das Trypanrot geschieht nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar durch Aufhebung ihrer Fortpfianzungs- fähigkeit. Selbstverständlich sind bei den zahlreichen, unter Ehrl ich 's Leitung durchgeführten Unter- suchungen auch gewisse gesetzmäßige Zusammen- hänge zwischen der chemischen Konstitution der Stoffe und ihrer therapeutischen Wirkung aufge- N. F. XV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Trypanrot. funden worden. So übt in vielen Fällen die Methyl- gruppe einen ungünstigen, die Einführung von Chlor in das Arzneimittel einen günstigen thera- peutischen Einfluß aus. Sulfo- und Karboxyl- gruppen wirken im allgemeinen entgiftend, schä- digen aber darum auch die Parasiten weniger, die es zu bekämpfen gilt. Von besonderer Bedeutung ist natürlich wie immer in der exakten Wissenschaft die Möglich- keit, einen zahlenmäßigen Ausdruck für die be- obachteten Tatsachen, im l-'alle der Serumtherapie also ein Maß für die günstige therapeutische Wirkung des Arzneistoftes im Gegensatz und Ver- gleich zu einer etwaigen ungunstigen Nebenwirkung zu finden. Jedes Heilmittel, das dem Körper zur Bekämpfung einer durch Parasiten hervorgerufenen Krankheit zugeführt wird, kann nicht nur nützlich infolge von „Parasit et ropie", sondern auch schädlich infolge von „Organotropie" wirken. DieParasitotropie hat ihr Maß in der heilenden Dosis (dosis curativa = c), die Organotropie ihr Maß in der für den Organismus gerade eben noch erträglichen Dosis (dosis tolerata = t) ; einen Maßstab für die praktische Brauchbarkeit bietet dann offenbar das als „therapeutischer Quotieni" bezeichnete Verhältnis beider Dosen Je kleiner der Wert dieses Quotienten ist, um so günstiger ist die Wirkung des Arzneimittels. Von besonderem Interesse ist der Einfluß der orthochinoiden Konstitution gewisser Farbstoffe auf ihre biologische Wirksamkeit, wie er vor allen Dingen beim Studium der komplizierten Erschei- nung der Arzneifestigkeit in Erscheinung getreten ist. Injiziert man z. B. einer mit Trypanosomen infizierten Maus ein Arzneimittel in einer zur end- gültigen Heilung nicht genügenden Menge, so ver- schwinden zwar die Trypanosomen aus dem Blute, treten aber nach einiger Zeit wieder auf Diese neuen Trypanosomen erweisen sich bei der Unter- suchung als widerstandsfähiger gegen das betreftende Arzneimittel als die ursprünglichen Trypanosomen, und man erhält, wenn man die Injektion unzu- reichender Mengen des Arzneimittels wiederholt, seinem Einflüsse immer weniger unterliegende Trypanosomen, und es gelingt schließlich, in der beschriebenen Weise gegen das betreffende Arznei- mittel vollkommen widerstandsiähige, „feste" Try- panosomen zu züchten. Diese Arzneifestigkeit, die bei der Überimpfung der Trypanosomen von einer Maus auf die andere selbst durch viele Hunderte von Tierpassagen erhalten bleibt, ist im allgemeinen eine weitgehend spezifische Eigenschaft. So weisen z. B. Trypanosomen, die gegen Trypanrot gefestigt sind, gegen Arsenverbindungen ihre alte Empfind- lichkeit auf Von dieser Regel macht aber eine bestimmte Gruppe von Farbstoffen, zu denen die Acridine, Pyronine, Oxazine, Thiazine und Selen- azine gehören, insofern eine Ausnahme, als arsen- feste Trypanosomen auch ihnen gegenüber ge- festigt sind, und als Ursache für diese Erscheinung ist nach Ehrlich der Umstand anzusehen, daß gerade diese Farbstoffe orthochinoiden Charakter haben, d. h. sich nicht von dem gewöhnlichen Parachinon I, sondern vom Orthochinon II ab- leiten: /\^° Die Erklärung für das gleichartige Verhalten der Trypanosomen gegen die Arsenikalien und die orthochinoiden Farbstoffe dürfte nach Ehrlich darin liegen, daß die „Chemocep toren", d. h. jene Organe, durch die die parasitotropen Farb- stoffe vor der eigentlichen schädlichen Einwirkung auf den Parasiten an seinem Körper verankert werden, für die Arsenikalien und die orthochino- iden Farbstoffe die gleichen sind und daß sie von den Parasiten unter dem Einflüsse der Arsenikalien eingezogen werden. Dieser Verlust der Fähigkeit zur Aufnahme schädlich wirkender Farbstoffe hat sich mit Hilfe des Triaminophenazselenonium- chlorids M. 1 K/\,J\/' I Cl Triaminophenazselenoniuinchlorid direkt demonstrieren lassen: Normale Trypano- somen werden durch diesen Farbstoff bei geringeren Konzentrationen (i : 75000) noch lebend intensiv rot bis rotviolett getärbt und bei höheren Kon- zentrationen (I : 15000} getötet, arsenfeste Try- panosomen aber werden durch ihn, solange sie .58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 10 leben, nicht angefärbt und erst durch erheblich höhere Konzentrationen als die normalen Parasiten abgetötet. Der für die praktische Medizin bedeutsamste Farbstoff dürfte wohl das E h r li c h ' sehe Salvarsan sein, eine hellgelbe Arsenverbindung von der Formel NHo-HCl NHs-HCl Salvarsan in der die Gruppe — As = As — dieselbe Rolle spielt wie in den Azofarbstoffen die Gruppe — N:=N — . Er ist ein typisches Beispiel von geringer Organotropie und starker Parasitotropie : Die Spirochäten, die bekanntüch die Erreger der SyphiHs sind, werden von ihm wie von einem Pfeile getroffen; der Pfeil haftet an den Chemo- ceptoren und nun tritt die schädliche Wirkung des Stoffes, gewissermaßen das Pfeilgift, in Wirk- samkeit und tötet die Krankheitserreger. Mg. Physik. Die F"arbe der künstlichen Lichtquellen ist mehr oder weniger von der des natürlichen Tages- lichtes verschieden. Die Messung und zahlenmäßige Festlegung der P^arben verschiedener Lichtquellen erfolgte bisher hauptsächlich nach dem spektral- photometrischen Meßverfahren. Man zerlegte das Licht hierbei in sein Spektrum und führte mehrere photometrische Messungen in den ver- schiedenen Spektralbezirken aus. Als Normal- Lichtquelle für alle Messungen der Farben künst- licher Lichtarten wählte man das Tageslicht bei bedecktem Himmel und nahm an, daß es in allen Farben die gleiche Helligkeit, z. B. loo beshzt. Ein direkter Vergleich der verschiedenen Licht- quellen mit dem Tageslicht ist aber nicht nötig, sondern es genügt dazu auch eine Zwischenlicht- quelle, z. B. die Vergleichslampe des Photometers, welche direkt mit dem Tageslicht verglichen wurde. Dadurch ist man unabhängig von den häufigen Schwankungen desselben. Nimmt man nun für eine Lichtart die Messung in den drei P"arben rot, grün, blau vor und be- zieht diese Werte auf Tageslicht, bildet dann das Verhältnis - .. , — —, so läßt sich zur Kenn- grun grün Zeichnung der Lichtfarbe der untersuchten Lichtart sofort entnehmen, ob sie dem Tageslicht gegen- über einen Überschuß in Rot und einen Mangel in Blau besitzt oder umgekehrt. Damit kann man die verschiedenen Lichtarten auf ihre Farbe hin vergleichen. Viel anschaulicher wird aber nach L. Bloch (Naturwissensch. 191 4 S. 87) der Vergleich durch graphische Darstellungs- weise. Man stellt das F~arbendreieck her, mit welchem die Zusammensetzung von Farben aus den drei Grundfarben dargestellt wird, indem man sich in die Ecken eines gleichseitigen Dreiecks die drei Grundfarben gelegt denkt. Die Lichtstärke einer Lichtquelle in diesen drei Farben sei als Gewichte angebracht in den Ecken des Dreiecks und man sucht nun für das so belastete Dreieck den Schwerpunkt. Dieser charakterisiert dann die Farbe der untersuchten Lichtquelle, während der Mittelpunkt des Dreiecks dem weißen Licht bzw. dem Tageslicht bei bedecktem Himmel entspricht. Mit der Entfernung vom Mittelpunkt und der Annäherung an eine Ecke des Dreiecks wird das betrefiende Licht immer mehr einfarbig. Besonderer Nachteile wegen ist dieser Kenn- zeichnung der Farbe der künstlichen Lichtquellen eine Darstellung vorzuziehen, welche auf der Wahl eines rechtwinkligen Koordinatensystems besteht. Es werden die Werte des Verhältnisses blau , , , . , ,. . . rot als Abszissen und diejenigen von — ^- grün ° grün als Ordinaten eingetragen und dadurch erhält jede Lichtart ihren bestimmten und leicht auffindbaren Platz in diesem Koordinatensystem, aus welchem man ihre Entfernung von anderen Lichtarten und vom Tageslicht erkennen kann, welches als Ab- szisse und Ordinale die Werte 100"/,, erhält. Bei entsprechender Wahl des Maßstabes gelingt es, alle darzustellenden Lichtquellen noch einzu- zeichnen. Dr. Bl. A. Magnus: Die spezifische Wärme des Platins und des Diamanten bei hohen Tempe- raturen. Annal. der Physik IV, 48 (1915) S. 983. Die spezifische Wärme der genannten Körper wird nach der Mischungsmethode untersucht und zwar mittels eines Kupferkalorimeters. In einem Kupferzyünder befindet sich zur Aufnahme des erwärmten Körpers eine zentrale Bohrung; der Zylinder liegt zur Verminderung von Wärmever- lusten in einem Dewar'schen Gefäß, das sich seiner- seits in einem größeren mit Wasser gefüllten Ge- fäß befindet. Der Platinklotz, dessen Gewicht 1 16 g beträgt, wird zunächst längere Zeit in einem Heraussehen Ofen erhitzt, so daß seine Tempe- ratur sich nicht mehr ändert. Sie wird mittels eines le Chateher-Pyrometers gemessen. Jetzt wird der Ofen, der auf Schienen beweglich ist, über das Kalorimeter geschoben und eine in seiner unteren Grundfläche befindliche Öffnung geöffnet, so daß der Platinklotz durch ein Leitrohr in das Innere des gleichzeitig geöffneten Kalorimeters fällt; auf diese Weise wird es erreicht, daß der Wärmeverlust des Platin beim Übergang vom Ofen in den Meßapparat sehr klein und außerdem konstant ist. Das heiße Platin gibt nun seine Wärme an das Kupfer ab, der Temperaturgang des letzteren wird durch Thermoelemente ermittelt. Nach dieser Methode wird die spezifische Wärme des Platins zwischen Zimmertemperatur und goo" in 5 Stufen bestimmt; es ergibt sich c = 0,03 1590 -|- 5,8468- 10-'". t. Diese Gleichung stellt mit einer N. F. XV. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 Unsicherheit von 0,5 '% die Abhängigkeit der spezifischen Wärme von der Temperatur dar. — Die spezifische Wärme von Diamant und Graphit wird nicht neu bestimmt, sondern von dem Verf. aus den 1S75 von H. F.Weber gemachten Ver- suchen neu berechnet. Die Alomwärme des Diamanten, d. h. die Anzahl g- Kalorien, die zur Erwärmung von 12 g (Atomgewicht) um i-' nötig sind, nimmt mit steigender Temperatur beträcht- lich zu, wie die folgende Zusammenstellung (in abgerundeten Zahlen) zeigt. Temperatur: o" 200" 400" 600" Sco" Atomw. d. Diamanten: 1,2 3 4 4,6 5 Der Graphit zeigt für die verschiedenen Tempe- raturen von den obigen abweichende Werte, doch werden die Abweichungen mit wachsender Tempe- ratur kleiner. Zu dem obigen sei noch folgendes bemerkt: Durch die Untersuchungen von Du long und Petit (1818) wurde festgestellt, daß die spezifische Wärme der festen Elemente mit wachsendem Atomgewicht abnimmt oder daß das Produkt aus Atomgewicht und spezifischer Wärme (die Atomwärme) eine Konstante, nämlich 6,4 ist. Während dieses Gesetz für die Metalle gut zutrifft, ergeben sich für einige Elemente mit kleinem Atomgewicht (Bor, Kohlenstoff und Silizium) viel zu kleine Werte. Da indessen die spezifische Wärme mit der Temperatur zunimmt, nähert sich auch für diese Elemente der Wert für die Atom- wärmen mit höherer Temperatur dem Wert 6,4. Man kam dadurch zu der Annahme, daß das Dulong-Petit'sche Gesetz nur für den Grenz- zusland gelte, in dem sich die spezifische Wärme nur wenig mit der Temperatur ändert. Neuere Untersuchungen, die namentlich von N ernst und seinen Schülern unter Benutzung von Metallkalori- metern, die sich durch geringe Kapazität aus- zeichnen, bei tiefen Temperaturen (bis zur Tempe- ratur des flüssigen Wasserstoffs) ausgeführt wurden, haben diese Vermutung bestätigt: die spezifische Wärme nimmt mit sinkender Temperatur ab, so daß die Atomwärmen der Metalle, die bei ge- wöhnlicher Temperatur dem Gesetz von Dulo ng und Petit folgen, stark abnehmen; es ist zu erwar- ten, daß bei dem absoluten Nullpunkt derTemperatur der Wert Null erreicht wird. Die Atomwärme des Diamanten, die wie die obige Tabelle zeigt, bei Zimmertemperatur schon sehr klein ist, ver- schwindet schon, bevor dieser Punkt erreicht wird. Von diesem Verhalten des Diamanten gibt eine 1907 von Einstein aufgestellt Theorie Rechen- schaft, die unter der Voraussetzung gewonnen wurde, daß sich die Energie quantenhaft auf die Wärmeschwingungen der kleinsten Teile mate- rieller Körper verteilt, eine Hypothese, die zuerst von Planck ausgesprochen und zur Ableitung seiner Strahlungsformel benutzt wurde. K. Schutt, Hamburg. Über den Einfluß^von Katalysatorgiften auf die lichieiekttische Empfindlichkeit ^s"^P7atin7~be'- richten F. Krüger undli.^Taege inlerZeitschr. für Elektrochemie 21, S. 562 (191 5). Mehrfache Beobachtungen haben gezeigt, daß die katalytische Wirkung des Platin bei der Knallgaskatalyse durch Beladung der Platinoberfläche mit Gasen nach der einen oder der anderen Seite stark beeinflußt wird. Während bei Einwirkung von Wasserstoff eine Erhöhung der Wirkung eintritt, zeigt Sauerstoff den entgegengesetzten Effekt. Eine starke Ver- minderung der Wirksamkeit des Platins tritt auch durch Gifte wie Blausäure, Schwefelwasserstoff ein und zwar stuft sich der Einfluß derselben in derselben Weise ab wie ihre Giftigkeit gegenüber dem menschlichen Organismus. Die vorliegende Arbeit untersucht den Einfluß, den fremde Gase auf den lichtelektrischen Effekt des Platins aus- üben. Zur Untersuchung dient eine stark evakuierte Glasröhre; durch einen seitlichen, mit einer Quarz- platte verschlossenen Ansatz fällt das Licht~einer Heraeus'schen Quecksilberdampflampe schräg auf die in der Mitte der Röhre angebrachte Platin- platte. Mittels eines Schliffes kann dieselbe leicht zur Reinigung der Oberfläche herausgenommen werden. Die unter dem Einfluß des ultravioletten Lichtes aus ihrer Oberfläche entweichenden Elek- tronen fallen in einen ihr gegenüber stehenden Farad ay'schen Eimer, der eine Öffnung von 4 mm hat. Zwischen diesem und dem Platin liegt eine beschleunigende Spannung von 2 Volt. Der F a r a d a y'sche Käfig, der mit einem geerdeten Metallzylinder umgeben ist, steht mit einem Qua- drantelektrometer von Dolezalekin Verbindung. Das Rohr wird mit der Gaed eschen Quecksilber- pumpe evakuiert und der Druck durch in flüssige Luft getauchte Kokosnußkohle, die ja bekanntlich Gase kräftig absorbiert, weiter erniedrigt, so daß das Mac-L eod'sche Manometer Drucke zwischen 0,001 und 0,0001 mm anzeigt. Die Beobachtung geschieht in der Weise, daß bei einer kurzen Be- lichtung von 5 bis 10 Sekunden die dadurch aus der Platinoberfläche entwichene Elektronen- menge mit dem Elektrometer gemessen wird. Der Elektrometerausschlag ist das Maß für die licht- elektrische Empfindlichkeit des Platins. Dann wird das Gas, z. B. Schwefelwasserstoff in das Entladungsrohr geleitet und nach einigen Minuten wieder ausgepumpt. Nachdem der Druck einen genügend niedrigen Wert erreicht hat, wird von neuem in gewissen Zeitabständen die Empfindlich- keit wie oben bestimmt. Bei einigen Versuchs- reihen wird das Rohr inzwischen mit Luft aus- gespült. Als Beispiel sei der Verlauf eines Versuches mit Kohlenoxyd mitgeteilt: Bei Luftfüllung und einem Druck von weniger als 0,0001 mm beträgt der Elektrometerausschlag 130 Skalenteile. Nach einer 10 Minuten währenden Füllung mit Kohlen- oxyd und erneutem Auspumpen ist die Empfind- lichkeit bei einem Druck von 0,0045 mrn nur i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 10 noch 74. Sie steigt nach einer Stunde auf 104, während der Druck auf 0,00015 erniedrigt wird, und nach einer weiteren beträgt sie 102 bei einem Druck von weniger als 0,0001 mm. Die lichtelektrische Wirksamkeit des Platins wird also durch Kohlenoxyd beträchtlich (etwa 25 %) herabgesetzt. Mit der Zeit tritt allerdings eine Erholung der Oberfläche ein, doch wird die An- fangsempfindlichkeit auch nach längerer Zeit nicht wieder erreicht. In derselben Richtung wirken auch Blausäure und Schwefelstofif. Nament- lich das letztere Gas setzt die Empfindlichkeit be- trächtlich, nämlich um 30"/,, (Blausäure ij^/o), herab, und diese Vermindrung erweist sich dauer- haft auch nach Ausspühlung mit Luft, so daß die Vermutung nahe liegt, daß sich Platinsulfid an an der Oberfläche gebildet hat. Als gänzlich unwirksam erweist sich der chemisch indifferente Stickstoff. Kohlendioxyd gibt eine geringe Erhöhung, Wasserstoft" eine solche von etwa 15%, während Ammoniak eine Steigerung der lichtelektriscben Wirkung um 50"/,, bewirkt. Der Referent möchte nicht unterlassen darauf hinzuweisen, daß die Resultate dieser Arbeit geeignet sind, zu neuen Versuchen über das Ver- halten des Kaliums anzuregen. Wie in dieser Zeitschrift schon berichtet wurde, stehen sich in bezug anf das lichtelektrische Verhalten dieses Metalls zwei Meinungen gegenüber. Hall wachs und eine Reihe anderer Forscher berichten von Versuchen, aus denen sich ergibt, daß vollkommen entgastes Kalium lichtelektrisch so gut wie un- wirksam ist, daß demnach die gewöhnliche hohe lichtclektrische Wirkung auf die Beladung der Metalloberfläche mit Gas (Wasserstoft") zurückzu- führen ist, während Pohl und andere bei ihren Versuchen von einer Abnahme der lichtelektrischen Empfindlichkeit mit fortschreitender Entgasung nichts bemerkt haben. Aus den oben mitgeteilten Versuchen geht auf jeden Fall mit Sicherheit her- vor, daß eine Beladung der Platinoberfläche mit verschiedenen Gasen nach der einen oder anderen Richtung die lichtelektrische Empfindlichkeit beeinflußt. K. Seh. Bücherbesprechuiigen. Hennig, Dr. R., Vom Wetter. Gemeinverständ- liche Betrachtungen über Wind und \^'etter und ihr Einfluß auf den Krieg. Deutsche Natur- wissenschaftliche Gesellschaft, Geschäftsstelle Theod. Thomas Verlag, Leipzig, 96 Seilen — Preis geh. i M. In „Krieg und Wetter" erörtert der Verf. an Hand der Kriegsgeschichte die Möglichkeiten des Einflusses einzelner meteorologischer Elemente (Winterkälte, Hitze, Gewitter, Regen, Nebel, Sturm und Wind) auf den Verlauf kriegerischer Ereignisse. Ob eine Wetterbeeinflussung durch den Krieg möglich sei, glaubt Verf. verneinen zu müssen, denn die statistische wie theoretische Erfahrung spricht gegen irgendwelche Wirkung des Krieges im allgemeinen und des jetzigen Weltkrieges im besonderen auf unsere Witterung. In der „Hygiene der Niederschläge" behandelt Verf. die gesundheits- schädlichen Wirkungen des Regens und die ge- sundheitsfördernden Elemente (Schneefall und -decke u. a.). So veranlassen den „Zug nach dem Westen" in unseren Großstädten zum Teil die bei uns vorherrschenden Westwinde, welche die Luft von Qualm und Rauch reinigen. Unsere „F"rühlings- stürme" sind stets von kurzer Dauer und an Ostern können wir mit „Oster-Winter oder Oster- Sommer" rechnen, im allgemeinen aber schwankt um diese Zeit die Witterung zwischen dem här- testen Winter und recht ansehnlicher Sommerhitze hin und her. Für eine vollständige Erforschung und wissenschaftliche Erklärung der „Eisheiligen" (11. bis 13. Mai) ist noch viel zu tun übrig und die Nachtfrostgefahr im F"rühling ist besonders bei bö- igen nordwestlichen Winden am Vortage zu befürch- ten. Dem „Siebenschläferglauben" kann der Verf. einen „beachtenswerten Tatsachenkern" nicht aber- kennen. Unbekannt sind noch die meteorologischen Ursachen des „Altweibersommers". Diesen charakte- ristischen Nachsommer im Herbst nennt man im Inneren Nordamerikas „Indianersommer". Für das „Weinachtswetter" im ebenen Deutschland kommt im Durchschnitt ein Thermometerstand um o" in Betracht, welcher unserer Erwartung über die Weihnachtswitterung wenig entspricht, da wir mit Winterkälte, Eisbahn und Schneedecke rechnen. — Von den anderen Abschnitten sei nur die Über- schrift erwähnt, weil hier auf ihren reichen und interessanten Inhalt des beschränkten Raumes wegen nicht näher eingegangen werden kann. Sie behandeln das Sommerwetter und die Wind- richtung, Hagelkatastrophen, Gewitterfurcht und Gewittergefahr, Häufij^ decemlineata $ F, 34 decemlineata F3 10 pallida X 30 decemlineata F^ 41 pallida 15 pallida + 54 deceml. Das ist eine alternative Vererbung nach dem ein- fachen Mendelschema, im besonderen nach dem Rückkreuzungsschema, wie es uns von Correns' Darstellung einer rot und weiß blühenden Sippe her bekannt ist. Gerade sie aber beweist die genotypische Affektion. Es handelt sich nicht N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 179 mehr um eine bloße Nuance der Reaktionsnorm, die schwächer und schwächer wird und schließ- lich ausl< schwarzes Tier F., b) 13 weiße -f- 13 schwarze weißes Tier X weißes Tier nur weiße F3 c) schwarzes Tier X schwarzes Tier F., 4 schwarze -\- i weißes Fg Genau wie bei Leptinotarsa ist das eine typisch alternative Vererbung nach dem Mendel- Schema. Sie ist begründet in der Heterozygotie. Double- 1) Melanismus bei Lepidopteren als Mutation und indi- viduelle Variation. Zeitschrift für induktive Abstammungs- imd Vererbungslehre, Bd. XIII, S. 58—87, 2 Tafeln. dayaria bildet zweierlei Keimzellen: solche für weiß und solche für schwarz. Kommen die ersteren mit den Gameten der Stammform zu- sammen, so gibt es homoz)'gote betularius. Wenn aber eine Gamete für schwarz mit einer für weiß sich vereint, entsteht die Aberration, weil schwarz dominant ist über weiß. Nachdem wir so den mutativen Charakter der Lepidopteren Melanismen erkannt haben, erinnern wir uns wieder des ersten Resultates dieser Arbeit, das sich auf den Ort ihrer Entstehung bezog. Melanismen entstehen typisch unter dem Schwin- gungskreis in einer ganz gewissen Region. Wir vollziehen jetzt die Synthese dieser beiden Ergebnisse und finden damit das spezifische Neue dieser Arbeit: da§ nämlich unter dem Schwingungskreis nicht blo§ melanotische Formen erzeugt werden, sondern da§ hier auch, was ungleich wichtiger ist, deren erbliche, materielle Fixierung erfolgt. Wie diese freilich zu denken sei, braucht uns hier nicht zu kümmern. Am bequemsten ist es, sich in der Vorstellung an Nägeli oder auch Rhumbler anzuschließen. Der Wert der so gewonnenen Erkenntnis wächst noch, wenn wir die Perspektive auf die Evolution ziehen. Ohne die erbliche Natur hätte ja die Entstehung unter dem Schwingungskreis gar nichts zu sagen. Erst die neue Erbkonstitution schafft dauernde Werte, wie das die folgende Betrachtung noch näher zeigen soll. Wenn , wie das in der freien Natur der Fall ist, Mutanten und Stammformen sich unbehindert mischen können — und sie tun das, siehe oben bei Amphidasys! — dann gilt nach experimen- teller Erfahrung das wichtige Gesetz von der konstanten Zusammensetzung der Population. Die beiden Voraussetzungen dieses Gesetzes: Dominanz der Mutante über die Stammform und Hetero- zyeotie der ersteren, sind in unserem Falle erfüllt. Näheres darüber findet sich bei Arnold Lang, „Die experimentelle Vererbungslehre in der Zoo- logie seit 1900", Jena, Fischer, 1914. Hätten wir es mit autogamen Organismen zu tun, so müßten in wenigen Generationen die Heterozygoten ver- schwunden sein und sich lauter reine Rassen her- ausdifferenziert haben. Es müßten schließlich in der Nachkommenschaft nur die reinen homozygoten Biotypen vertreten sein, mit anderen Worten : die neue schwarze Eigenschaft müßte auf der ganzen Linie gesiegt haben. Da aber die Lepidopteren allogame Organismen sind, gilt der Satz von der konstanten Zusammensetzung, aus dem immerhin hervorgeht, daß unmöglich jemals die neu aufge- tretene Eigenschaft wieder erlöschen kann. Die Bedeutung für die Evolution kann gar nicht ver- kannt werden. Schon Simroth kannte die Beziehung des Melanismus zum Schwingungskreis. Erst jetzt aber liegt der Zusammenhang klar zwischen Evo- lution und Pendulation, und das, weil wir die Erscheinung des Melanismus nach der vererbungs- [8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 12 theoretischen Seite zum Range einer Mutation erheben konnten. Die Pendulation aber rückt die Evolution und damit deren vornehmste Form, die Mutation , in einen kosmischen Zusammenhang. Dies zu erkennen, gewährt eine überaus tiefe und reine Befriedigung, weil damit dem Entvvicklungs- geschehen alles Zufällige und Willkürliche genom- men wird. '■) Betrachten wir in diesem Licht das Artbildungs- problem , so haben wir auf der einen Seite die Variabilität, d. h. die Fähigkeit zur Veränderung oder Abänderung, als Grund- und Ureigenschaft aller Organismen, auf der anderen die Pendulation, d. h. eine geordnete, gesetzmäßige Folge von äußeren Einwirkungen. Das sind zwei Kausal- reihen, die beide vorwärts schieben etwa wie die Räder eines Eisenwalzwerkes. Wie aber hier als Produkt aus der vordem unförmigen, glühenden Masse die geformte Schiene hervorgeht, die durch den Druck der Walzen erzeugt wird, so vollzieht sich dort die Umformung der lebendigen, bildungs- fähigen Substanz von Stufe zu Stufe in aufsteigen- der Linie. Angenommen jedoch, die beiden Walzen des Walzwerkes bewegten sich mit verschiedener Geschwindigkeit in entgegengesetztem Sinne, so würde eine Resultante des Kräftepaares heraus- kommen. Die Vorwärtsbewegung wird nach wie vor erfolgen dann, wenn diese Walze die größere Kraft darstellt. Wie aber, wenn nach Jahrtausen- den die organische Walze der Pendulation nach einer äquatorialen Phase rückwärts dreht? Abge- sehen von sekundären Rückbildungen sehen wir in der organischen Entwicklung nur eine einzige ') Ich will nicht versäumen hier noch darauf hinzuweisen, daß auch einige andere heute bekannte und als solche siclier- gestellte Mutationen unter dem Schwingungskreis entstanden sind, so, um botanische Beispiele zu nennen, Luther Bur- bank's steinlose Pflaume, die aus Frankreich stammte, weiter die laciniate Form von Chelidonium majus, die zuerst 1590 in Heidelberg auftrat. Linie. So wird uns die neue Auffassung zum stärksten Hinweis auf eine Orthogenesis. Trotz der Rückläufigkeit der einen Kausalreihe schiebt die andere, die Variation, in gleicher Richtung weiter. Sie ist die stärkere Kraft. Allerdings müssen wir dann annehmen, daß nicht der spezi- fische Reiz wirkt, sondern nur das Milieu als solches, ein Gedanke, der die Aktivität der Bio- substanz um so höher erscheinen läßt. Damit aber sind wir auf lamarckistischem Boden. In seiner schon erwähnten Studie spricht Steche dem Lamarekismus jede originelle Be- deutung ab. Historisch wie sachlich ist das un- gerecht. Wir brauchen nur zwei Namen zu nennen wie Pauly und Weismaiin, um den ungeheuren Abstand ermessen zu können. Es geht nicht gut an, in einer bestimmten Anschauung die Keime zur Bildung ihres Gegenteils zu finden, noch dazu, wenn dieses Gegenteil schon früher dagewesen ist. Beim Lamarckismus wirkt das Milieu als Reiz primär, dann erfolgt die Variation als teleologische Reaktion. Für den Darwinismus ist die Variation das erste, das Milieu kommt erst in zweiter Linie in Frage als Selektionsfaktor. Im Lamarckismus ist die Zweckmäßigkeit ein immanentes Prinzip von Haus aus, im Darwinismus ergibt sie sich so nebenbei, ungewollt und ungebeten, als eine eigent- lich recht fatale Erscheinung, so wenigstens im Neodarwinismus Weismann' s. Sagt er doch in seinen „Vorträgen": „Die philosophische Be- deutung aber der Naturzüchtung liegt darin, daß sie uns ein Prinzip aufweist, welches nicht zweck- tätig ist und doch das Zweckmäßige bewirkt." Gerade aber die Annahme der Pendulation als einer gesetzmäßigen Veränderung in der Stellung der Sonne zur Erde gestattet, das Milieu als pri- mären Faktor in die Rechnung der Evolution ein- zustellen und die andere, innere Kausalreihe da- mit verbunden sein zu lassen. Eiue eiufache Methode zum Studium des Nanoplanktoulebens des Süßwassers. Von Einar Naumann, Lund (Schweden). [Nachdruck verboten.] Mit 3 Abbildungen. Noch vor einigen Jahren galten ja bekanntlich die Netzfänge als die fast einzige Grundlage bei Untersuchungen über die planktonbiologischen Verhältnisse des Süßwassers. Es kann allerdings nunmehr paradox erscheinen, daß man erst so verhältnismäßig spät die Unmöglichkeit verstand, eben die kleineren Formen mit dem Sieb des Netzbeutels erhalten zu können; von dieser Primärproduktion des Wassers hatte man aber zu dieser Zeit überhaupt eine sehr unsichere Auffassung. Nichtsdestoweniger wurden schon gewisse Betrachtungen — bisweilen mit der Netz- methode als einziger methodologischer Grundlage — z. B. über das ernährungsbiologische Verhält- nis zwischen Konsumenten und Produzenten*) des Planktons angestellt: die Ernährungsbiologie der limnetischen Krustaceen wurde so vielmals er- örtert, ohne daß man die hierbei gewonnenen Schlußfolgerungen durch in hinreichender Aus- dehnung durchgeführte Darmuntersuchungen kontrollierte. So wurde auch in ziemlich mangel- hafter Weise die Theorie von der Möglichkeit einer durchgeführten Detritusernährung betreffs der meisten tierischen Mitglieder der Plankton- formationen begründet: Man kannte ja Plankton- proben, die an Tieren sehr reich waren, Pflanzen aber völlig entbehrten — wovon ernährte sich unter diesen Verhältnissen das Zooplankton? Da ') Vgl. hierüber S des Planktons" im I.X. zig und Berlin 19 10.) teuer's Darstellung „Die Trophologie Kapitel seiner Planktonkunde. (Leip- N. F. XV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. kein Phytoplankton in den Netzproben aufzufinden war, schloß man hieraus oft ohne weiteres auf die völlige .A.bwesenheit aller lebenden Produzenten; und also müßten die Tierchen sich unter diesen Verhältnissen nur von organischem Detritus') ernährt haben. Wenn man aber immer nur einige Darmuntersuchungen z. B. betreffs der Daphnien und Copepoden durchgeführt hätte, so wäre gewiß das Gesamtbild sehr oft ein ziemlich anderes geworden; denn hie und da hätten da- bei eben im Darminhalt der genannten Organismen mehr oder weniger beträchtliche Nanoplankton- formationen -) hervortreten müssen. Wenn so etwas nur in größerer Ausdehnung von Forschern mit den erforderlichen Voraussetzungen beobachtet wäre, dann ist es wohl auch in der Tat ziemlich wahrscheinlich, daß wir eben auf diesem Wege eine nähere Kenntnis des Nanoplanktonlebens des Süßwassers erworben hätten. Das ist allerdings nicht geschehen. Vielmehr hat die Forschung den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Die Or- ganismenformationen des Nanoplanktons sind des- halb nunmehr — dank der jetzigen Technik der Filter-, Zentrifugen- und Kammerfänge — einiger- maßen bekannt, während wir über die natürliche Nahrung des Zooplanktons noch ziemlich lücken- haft unterrichtet sind.-') Es leuchtet indessen ohne weiteres ein, daß eine betreffs dieser Tierformen vorgenommene Darmuntersuchung etwas doppeltes leisten kann : einerseits wird hierdurch Nanoplank- ton in einfachster Weise erbeutet*), andererseits wer- den aber auch wertvolle Beiträge zur Kenntnis von der natürlichen Nahrung des Zooplanktons geliefert. ') Als organischer Detritus werden die mehr oder minder zerkleinerten Reste abgestorbener Organismen bezeichnet. -) Lohmann, dem wir das Wort verdanken, schreibt ursprünglich Nannoplankton. Es dürfte aber richtiger Nanoplankton heißen. ^) Von neueren Untersuchungen über das ernährungsbiolo- gische Verhältnis zwischen den Produzenten und Konsumenten der Planktonformationcn des Süßwassers sei besonders auf folgende Arbeit von V. V. Colditz hingewiesen; Beiträge zur Biologie des Mansfelder Sees. — Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie. Io8. Bd. 4. Heft. Leipzig und Berlin 1914. *) Über derartige Untersuchungen findet man in der Lite- ratur nur vereinzelte Mitteilungen. Einige sehr interessante Bemerkungen betreffs dieser Fragen finden sich indessen in Lampert's Das Leben der Binnen gewässer (2. Aufl., Leipzig 1907 — 1908). Er schreibt nämlich betreffs der Er- nährungsverhältnisse der En tomost raceen u.a. folgendes: „Die einfache Durchsicht einer größeren Anzahl mikroskopi- scher Präparate von Daphnien oder Bosminen vermag einem Botaniker eine Übersicht über die Diatomecnflora des betreffenden Sees zu geben ; ja er findet wohl sogar eine oder die andere Art, die ihm bisher entgangen, in dem Magen einer Bosmina trefflich erhalten." Ich füge hinzu, dafi eine derartige Methode nicht nur für Planktonstudien interessante Ergebnisse leistet, sondern daß sie auch für verschiedene an- dere Aufgaben nach Belieben weiter ausgebaut werden kann. Durch Darmuntersuchungen an anderen Tieren als Planktonten kann man somit auch die Algenformationen anderer Regionen — z. B. des Bodens — binnen gewissen Grenzen kennen lernen. Zwar wird diese Kenntnis unvollständig und fragmen- tarisch ; für produktionsbiologische Studien aber von unzweifel- haftem Interesse, da man ja eben in dieser Weise eine sehr anschauliche Vorstellung der vorhandenen Nährstoffprodu gewinnt. Um eine mehr anschauliche Vorstellung dieser Verhältnisse zu geben, weise ich auf die beige- fügten Textabbildungen i —3 hin. Ich habe dort bei derselbenVergrößerung (ca. 80 mal) erstens einige schematisierte Zeichnungen zwei gewöhnlicher Planktonkrustaceen des Süßwassers (Bosmina 1 o n g i s p i n a bzw. Diaphanosoma brachy- urum) gegeben; die nanoplanktonische Nahrung ist im Darme in ihrer natürlichen Lage dar- gestellt (Abb. I — 2). Die 3. Abbildung gibt bei der- selben Vergrößerung (ca. 80 mal) eine schematische Übersicht der Darmkapizi tat ') gewisser Ento- mostraceen eines südschwedischen Sees; als Vergleich habe ich hier sowohl als in den Abb. i und 2 einige Maschen des feinsten Planktonnetzes abgebildet. Es dürften diese Bilder meine vor- gegangenen Bemerkungen völlig bekräftigen; eben- so wie sie die empirische Begründung der folgen- den Auseinandersetzungen darstellen. Abb. I. Eine Bosmina longispina, die sich z. T. von den Cyclotellen des Nanoplanktons ernährt hat; im Darme sind 17 Ex. der genannten Kieselalge ersichtlich. Darunter zwei Maschen des feinsten Planktonnetzes; im Lumen der- selben habe ich — dem Beispiel Lohmann's folgend — als Vergleich einige Cyclotellen eingezeichnet. Verer. ca. So mal. Das Erbeuten des Nanoplanktons im Darminhalt der Zooplanktonten-) ist be- sonders da von großer Bedeutung, wenn auf an- dere Weise gar keine Kenntnis von den ursprüng- lichen Produzenten zu erhalten ist; auch kann man hierdurch beim Untersuchen älteren Materials bisweilen sehr einfach das vergangene Nanoplank- tonleben z. T. rekonstruieren. Hierdurch sind somit nicht nur allgemein - biologische sondern auch eine Reihe von mehr speziellen Beobachtungen ermöglicht, auch betreiTs mancher schwer zugäng- lichen Gegend, wovon zwar einige ältere Plankton- proben vorliegen können — wo aber das Geräusch der Zentrifuge nocli nicht die moderne Zeit an- gekündigt hat. Es dürfte dies von einem besonderen Interesse sein z. B. betreffs der C y c 1 o t e 1 1 e n vieler nördlicher Gegenden, ebenso wie betreffs ge- 1) Mit diesem Begriff bezeichne ich kurz die durchschnitt- liche Querschnittfläche des Darmes. ■■') Loh mann, der Begründer der marinen Nanoplankton- kunde, hat das Nanoplankton mit weit größerer Präzision in den Copelaten- Gehäusen nachweisen können. Vgl. hier- über seine Publikation ; Über das Nanoplankton und die Zentrifugierung kleinster Wasserproben zur Gewinnung des. Sflben in lebendem Zustande. — Leipzig 191 1, [82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 12 wisser Grünalgen tropischer Seen. In- dessen scheinen derartige Untersuchungen noch niemals durchgeführt worden zu sein, wenn ich von meinen eigenen ziemlich geringfügigen Studien betreffs der Seen Südschwedens absehe. Zwar erhalten wir auf diese Weise nur die Kenntnis eines Teil pla n kt o ns. Allerdings handelt es sich hier um einen sehr wichtigen ernährungsbiologischen Typus : die Urnahrung selbst. Zum Teil gehen aber auch gewisse diesbezügliche h'ormen schon beim Passieren der Mundwerkzeuge der Konsumenten zugrunde. Von den als Näiirstoffproduzenten sehr wichtigen Diatomeen erhalten wir aber alles, was über- haupt als Nahrung in Frage kommt, wie auch von verschiedenen anderen schalentragenden Formen. Von den nackten weniger, da sie gewiß zum Teil unter den Mundwerkzeugen der Entomostraceen zerkleinert werden. Unter allen Umständen erreicht der Fangverlust unserer Methote eben für diese Formen ihre größten Werte. 'V^ Q D Abb. 2. Eine Di apli anoso ma mit verschiedenen Nanu- planktonten im Darm; hauptsächlich kleine Ind. der T räche - lomonas volvocina ebenso wie eine Gallertalge. Darunter zwei Maschen des feinsten Planktonnelzes; in der- selben die betreffenden Nanoplanktonten als Vergleich ein- gezeichnet. Vergr. ca. 8o mal. Die Technik der für unsere Aufgaben er- forderlichen Darmuntersuchung gestaltet sich sehr einfach. Soll das Material auf Diatomeen und andere schalentragende Formen untersucht werden, wird es mit Vorteil in Kanadabalsam montiert: Etwas vom formalin- oder spiritusge- töteten Fang wird in ein Präparatröhrchen über- geführt und mit Alkohol steigender Konzentration — bis zu 95 "/g — behandelt und danach über Karbolxylol in Kanadabalsam übergeführt'). Sind ') Wenn man anstatt des gewöhnlichen Xylols mit Karbol- xylol (durch Auflösen von 22 g kristallisiertem Phenol in looccm Xylol bereitet) arbeitet, kann der absolute Alkohol durchaus entbehrt werden. Die hiermit verbundenen Vorteile sind in der Tat ziemlich beträchtlich ; vgl. näheres hierüber in meinen „Mikrotechnischen Mitteilungen", IV, Botaniska Notiser, Lund ;9i6. — Der sonst sehr oft empfohlene Slyraxbalsam ist jeden- Diatomeen vorhanden, so treten sie in den so bereiteten Präparaten mit vorzüglicher Schärfe hervor; die i. Textabbildung ist nach einer in dieser Weise präparierten Probe gezeichnet. Soll dagegen betreffs anderer Algen, wie z. B. Chlo- rophyceen untersucht werden , so wird der Fang einfach in ziemlich konzentriertem Glyzerin montiert. Die Cladoceren werden, hierdurch in für diesen Zweck hinreichender Weise sehr schnell aufgehellt, und die etwa vorhandenen Algen können dann oft sehr gut näher bestimmt werden; vergl. die 2. Textabbildung. Allerdings ist hier — im Gegensatz zu den Diatomeen — aus früher besprochenen Gründen mit einem ge- wissen „F"angverlust" zu rechnen. Da die Dia- tomeen inGlyzerinpräparaten aus optischen Gründen ebenso schlecht erscheinen , wie zahlreiche von den nicht schalentragenden Formen in Präparaten mit Kanadabalsam, so ergänzen sich somit diese beiden Methoden sehr gut und bieten zusammen ein sehr anschauliches Bild der im Darminhalt der genannten Tiere überhaupt nachweisbaren Mikroflora. Selbstverständlich kann auch die Darmunter- suchung durch Sezieren oder Mazerieren vorge- nommen werden. Es scheint mir aber, als leistete die Untersuchung der Algen in situ — wie hier vorgeschlagen — eigentlich bessere Dienste : denn man erhält ja hierdurch in einfachster Weise ein sehr anschauliches Bild eben von den quantitativen Verhältnissen, d. h. eine Beantwortung der Frage, nicht nur welche Formen des Nanoplanktons über- haupt nachzuweisen sind, sondern auch in welcher Ausdehnung sie für jede der betreffenden Tier- formen als Nahrung in Betracht kommen. Das Untersuchungsergebnis wird zweckmäßig in F"re- quenzzahlen pro Darmlänge angegeben und kann sehr übersichtlich — wenn auch ein wenig schematisch — durch derartige Zeichnungen, wie ich in den Abbildungen i und 2 habe reprodu- zieren lassen, dargestellt werden. Selbst habe ich mich der hier besprochenen Methoden schon seit mehreren Jahren bedient. So unternahm ich schon seit längerer Zeit (1910) — hauptsächlich um die Theorie der durchge- führten Detritusernährung zu prüfen — eine der- artige Untersuchung') betreffs einiger südschwe- dischen Seen, von welchen früher in üblicher Weise mit dem feinstem Seideiinetz eingesammelte Planktonproben zwar große Mengen von Entomo- straceen, hingegen aber kein oder fast kein Phyto- plankton nachgewiesen hatten. Die Darmunter- suchung löste indessen in einigen P'ällen sehr ein- fach das Problem: die Produktion an Nährpflanzen für das Zooplankton war in gewissen Seen haupt- sächlich eben auf die Cyclot eilen des Nano- falls für diese Zwecke gar nicht erforderlich. Persönlich ziehe ich den Kanadabalsam vor, weil der Styrax sich oft sehr lästig im Gebrauch gestaltet. ') Vgl. meinen Aufsatz über diese Fragen in Botaniska Notiser, Lund 1912, S. 257 — 281. — Schwedisch mit deut- schem Resumc. N. F. XV. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. (83 planktons eingerichtet; die betreff. Kleinpflanzen waren in bisweilen sehr beträchtlicher Menge im Darminhalt der Entomostraceen nachzu- weisen. Weitere Untersuchungen führten zu dem interessanten Ergebnis, daß diese — bei uns früher unbekannten — Cyclotellen in der Tat hier zu Lande ziemlich häufig auf- treten. In der ersten Textabbildung habe ich die Darmphysiognomie einer Bosmina bei ziem- lich geringer Cyclotellen-Produktion aus dem zur Zeit der Probeentnahme scheinbar sehr phyto- planktonarmen und sowohl Melosira wie auch Abb. 3. In der oberen Reihe eine schematische Darstellung der durchschnittlichen Darmkapazität einiger Entom o- straceen aus einem südschwedischen See; Holopedium (a), größere bzw. kleinere ßosminen (b, c), Hyalodaph- nia (d), lleterocope (e) und Diaptomus (f). In der unteren Reihe sind bei derselben Vergrößerung drei Maschen des feinsten Planktonnetzes dargestellt. Vergr. ca. 80 mal. Cyclotellen völlig entbehrenden See S t r o k e n der Provinz Vestergötland dargestellt; das gegebene Beispiel dürfte die Leistungsfähigkeit der Methode ohne weiteres darlegen. Als ein allgemeines Ergebnis meiner diesbe- züglichen Untersuchungen über gewisse südschwe- dische Seen mag übrigens folgendes angeführt werden; einige neuere Einzelheiten gedenke ich bald anderswo zu veröffentlichen. — Im großen und ganzen zeigen sich die größeren Entomostra- ceen des Planktons oft als sehr ausgeprägte Diatomeenfresser. Das triftt ganz besonders für Formen wie Heterocope und derartige zu. Hundert Cyclotellen und noch mehr werden oft im Darm dieser Formen aufgefunden; und stehen auch andere Diatomeen zur Verfügung, so werden sie auch gern genommen — nicht einmal Sternkolonien wie Tabellaria und Asterionella werden von Heterocope und den größeren Cyclops- Arten verschmäht. Auch die großen Cladoceren — besonders gewisse Bosminen — fressen gern Diatomeen, haupt- sächlich aber Cyclotellen; die kleineren Cladoceren nützen aber diese Nährpflanzen nur sehr wenig aus ; die kleineren Cyclops- Arten fast gar nicht. Wird unter Anwendung des Kana- dabalsampräparates durchaus nichts von Diato- meen gefunden, so sind doch bisweilen aus dem Glyzerinpräparat einige Aufklärungen über die nanoplanktonbiologischen Verhältnisse zu ermitteln. Versagen die Methoden aber beide, dann liegt allerdmgs die Möglichkeit einer durchgeführten Detritusernährung an der Hand; der Zentrifuge muß daher unter derartigen Verhältnissen das entscheidende Wort vorbehalten sein. Daß es tatsächlich in der freien Natur bisweilen auch größere Zooplanktonformationen gibt, die auf den Detritus als die fast einzige Nährstoffquelle hin- gewiesen sind, werde ich später in einer anderen Publikation andernorts näher auseinandersetzen. Unter Anwendung der hier besprochenen Methoden erhalten wir somit einige Aufklärungen betreffs des komplizierten Problems der Produzenten und Konsumenten im Planktonleben des Süß- wassers. Unsere Kenntnis von diesen P'ragen ist noch beträchtlich lückenhaft, weshalb alle neuen Beiträge hierzu von Wert und Interesse sein dürften, auch wenn sie nur Bruchstücke sind. Das müssen sie aber bisweilen sein; und besonders die hier besprochene Methode kann ja nur die Bedeutung eines Teiles des Teilplanktons enthüllen. Zwar ist dies ein Bruchstück von grundlegender Bedeutung — die Primärproduktion des Wassers betreffend — und eben hierin liegt die biologische Begründung und das ernährungsphy- siologische Kriterium der hier besprochenen Me- thoden zum Studium über das Nanoplankton des Süßwassers. Einzelberichte. Zoologie. Mit der Anpassung der Plattfische an den Untergrund beschäftigen sich Untersuchungen von S. Ö. Mast. Die untersuchten Arten gehören zu den Gattungen Paraliclithys und Ancylopsetta. Außer einer Farbennachahmung im engeren Sinne ist auch eine Nachahmung des Helligkeits- oder Dunkelheitsgrades und eine Nachahmung des Musters, z. B. P"leckenmusters, zu erkennen. Letztere erstreckt sich jedoch nicht auf die Form der Flecken, sondern lediglich auf die größere oder geringere Weitmaschigkeit. Dem interessanten Probleme, zu welchem auch allerlei Tatsachen z. B. von den Schollen der deutschen Meere und von mancherlei anderen Tieren verschiedener Klassen bekannt sind, vermochte Verf. u. a. folgende neue Ergebnisse abzugewinnen. Die Nachahmung erfolgt bei jungen Tieren schneller als bei alten, ferner bei solchen, für die der Untergrund in letzter Zeit viel gewechselt hat, schneller als bei solchen, die lange auf einerlei Untergrund gelebt haben. Die Reflexe werden durchs Auge ver- mittelt, denn sie hängen nur davon ab, auf welchem Untergrunde der Vorderteil des Fisches sich be- findet, nicht der übrige Körper; bei Einwirkurig verschiedenen Untergrundes auf beide Augen tritt eine intermediäre Hautfärbung ein. Gänzlich Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 12 bleiben diese Reaktionen bei geblendeten Tieren aus, so daß keine direkte Wirkung des Lichtes auf die Haut vorliegen kann. Allgemein kann die Änderung von Weiß zu Schwarz in wenigen Minuten, die umgekehrte aber nur im Verlaufe einer Stunde erfolgen. Da die Reflexe durchs Auge vermittelt werden, geben diese Untersuchungen auch Aufschluß über das Sehvermögen der Fische. Und so zeigte sich z. B., daß sie Flecken von 3 mm Durchmesser noch von solchen von 2 mm Durchmesser unter- scheiden, daß sie auch solche von i mm Durch- messer noch wahrnehmen, aber '/2 "im große nicht mehr. Hiernach meint Verf. schließen zu können, daß das Sehvermögen — wir könnten wohl sagen, die Sehschärfe — der Fische wesent- lich dasselbe sei wie beim Menschen; und wird als Untergrund eine rotierende Scheibe von weißen und schwarzen Sektoren verwendet, so tritt die Verschmelzung der Bilder für den Fisch an- scheinend nahezu zu gleicher Zeit wie für den Menschen ein. Da schwarz-weiße Hintergründe nur durch schwarz-weiße Hautfärbung, gelbe Farbe aber durch Ausbreitung der gelben Chromatophoren nachgeahmt wird, schließt Verf., den Fischen sei auch Farbensehen eigen, was bekanntlich aus ähnlichen Gründen v. Frisch nach seinen Ver- suchen an Pfrillen behauptet, während Heß es bestreitet. (S. O.Mast: Changes in shade, color and pattern in fishes and their bearing on cer- tain Problems of behavior and adaptation. Proc. National Acad. of Scienees Vol. I, p. 214 — 219, 1915.) F. Chennie. Über den Heliumgehalt der Gruben- gase und die Radioaktivität der Steinkohlen. Unter den Bestandteilen der Grubengase findet sich eine verhältnismäßig große Menge von Helium. Die Aktivität der Grubengase ist nach Ch. Mo u reu und A. Lepape (C. R. 158, S. 598. 1914) prak- tisch gleich Null, die der Kohle bzw. der Kohlen- asche ziemlich klein. Von dem in den Grubengasen vorhandenen Helium scheint daher nur ein kleiner Teil aus den in den Kohlen enthaltenen radioaktiven Sub- stanzen herzustammen ; der größte Teil aber dürfte fossiles Helium sein. Außer Helium kommen in den Grubengasen noch Neon, Argon, Krypton und Xenon vergesellschaftet war. Dr. Bl. Prüfungen von radioaktiven Präparaten. Vom Juli 191 3 an macht sich eine äußerst lebhafte Nachfrage nach radioaktiven Präparaten bemerkbar, nachdem Radium- und Mesolhor Präparate erfolg- reich zu Heilzwecken verwendet worden waren. Konzentrierte Radium- und Mesothor- Präparate prüften Geiger und Bot he durch Vergleich der ;'■ Strahlung des Präparates mit derjenigen eines Standard-Präparates, welches an das interna- tionale Normale in Paris angeschlossen ist. Man vergleicht durch elektroskopische Messung die von den ;'-Strahlen erzeugten lonisationsströme und bringt dabei Präparat und Standard nach- einander in gleichen Abstand von dem Meß- instrument. Diese einfache Methode ist genau bis etwa 0,5 ";„. Anfangs wollte man nur Präparate messen, welche bereits das radioaktive Gleichgewicht erreicht haben, aber die Präparate sind meist frisch hergestellt und stehen für längere Zeit nicht zur Verfügung. Man beobachtet daher im allgemeinen mehrere Tage lang den Anstieg der Aktivität und extrapoliert den Maximalwert auf Grund der bekannten Anstiegskurve. Die Radium Präparate prüft man unter der Voraussetzung, daß sie frei von Mesothor oder Radiothor sind, denn es gibt noch keine einwand- freie Methode zum Nachweis von Mesothor und seiner Zerfallsprodukte auf Grund von Messungen der durchdringenden Strahlung. Bei Methoden, welche die Öffnung des das Radiumsalz enthaltenden Glasröhrchens verlangen, ist mit der Möglichkeit von Verlust bei stark konzentrierten Präparaten zu rechnen (Elektrochem. Zeitschr. 1914 S. 223). Anfänglich wurde der Gehalt von Radium- Präparaten von verschiedenen Firmen in ver- schiedenen Einheiten angegeben, wie: Radium- Element, Radium-Chlorid, wasserhaltigem und wasserfreiem Radiumbromid. Der Einheitlichkeit der Prüfungsergebnisse wegen ist es jedoch ange- bracht den Gehalt eines Präparates in Radium- Element auszudrücken, wie es auch die Physikalisch- Technische Reichsanstalt anstrebt. Diese schmilzt zur Identifizierung alle von ihr geprüften Präparate in dünnwandige Glasröhrchen ein, welche mit Nummer und Jahreszahl versehen werden. Schwach radioaktive Präparate prüft man teils durch Messung der /-Strahlung, teils durch Ema- nationsbestimmungen auf ihren Radiumgehalt. Es sind meist Erzrückstände, welche zur Radium- gewinnung aufgearbeitet werden. Diese Rück- stände schließt man zunächst auf wegen ihrer Unlöslichkeit in Wasser und Säuren, Hierbei war es oft schwierig, die minimalen Spuren von Radium quantitativ in lösliche Form überzuführen. Diese Präparate enthielten Radiummengen von der Größenordnung 10^* bis lo"* mg Radium-Element pro Gramm Substanz. Dr. Bl. Inhalt! M. Willy Gerscliler, EvoluUon — Mutation - Methode zum Studium des Nanoplanktonlebcns des Süfi' Anpassung der Plattfische an den Untergrund. S. 183. Grubengase und die Radioaktivität der Steinkohlen. S. paraten. S. 184. ■ Pendulation. S. 177. Einar Naumann, Eine einfache ifassers. 3 Abb. S. 180. — Einzelberichte: S. O. Mast, Ch. Moureu und A. Lepape, Über den Heliumgehalt der 184. Geiger und Bothe, Prüfungen von radio.iktiven Prä- Manuskripte Dri ad Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten Verlag von Gustav Fischer in Jena. :k der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 26. März 1916. Nummer 13. über Strahlung. Von K. Schutt, Hamburg. [Nachdruck verboten.] Mit 4 Abbildungen. Versteht man unter dem Emissionsvermögen E daß die G esamtstrah 1 ung S des schw. Ks. diejenige Energiemenge, die von einem Ouadratzenti- mit der 4ten Potenz der absoluten Tem- meter der Oberfläche eines strahlenden Körpers in peratur zunimmt. Das Gesetz ist von Stefan der Sekunde ausgeschickt wird, und unter dem Ab- (1879) experimentell und von Boltzmann (18S4) Sorptionsvermögen A die Menge, die pro Quadrat- auf theoretischem Wege gefunden worden und Zentimeter und Sekunde von dem Körper ver- heißt das Stefan -Boltzmann 'sehe Gesetz: schluckt wird, dann sagt der bekannte Kirch- g^a-T*. (4) ho ff sehe Satz aus, daß das Verhältnis von ff bedeutet die Energiemenge, die i qcm der Emissions- und Absorptionsvermögen für alle Oberfläche des schw. Ks. in der Sekunde aus- Körper von derselben Temperatur konstant ist: ^^^^^It, wenn seine absolute Temperatur i" ist. = Konst. (0 (2) absolute femperatur 10- ,Watt_ cm'- Tabelle gKal. 1,38 Watt gKal. 300" 4000° 5000° 6000° ■38 353 5652 13800 S,».io-» 4,7-io-ä 5.8 93 469 1480 3620 7500 23740 cSooo 0,13 0,64 2 4.9 10,2 32,2 79 Ej _^_§3_^ A, Ag A3 Versteht man unter einem schwarzen Körper einen solchen, der sämtliche auf seine Oberfläche fallende Strahlen absorbiert, der mithin das Ab- sorptionsvermögen A = I hat , so ist nach dem Kirchhoff'schen Satz: Ei^^Ej^^Eg^E Aj Ag Ag A Man kann also das Strahlungsvermögen Ex irgendeines Körpers berechnen, wenn man sein Absorptionsvermögen Ax und das Emissionsver- mögen E des schwarzen Körpers (schw. K.) kennt: Ex = Ax-E (3) Es ist demnach von großer Wichtigkeit die Strahlung des schw. Ks, die größer ist alsdie irgendeines anderen Körpers, zu untersuchen und die Funktion E in ihrer Abhängigkeit von Temperatur und Wellen- länge zu bestimmen. Da sämtliche bekannten Körper stets nur bestimmte Gebiete der Strahlen Mit Hilfe von Gleichung 4 sind die in Tabelle i verschlucken, muß man, um den schw. K. zu angegebenen Energiemengen berechnet, die bei realisieren, zu einem Kunstgriff seine Zuflucht verschiedenen Temperaturen in Gestalt von Strahlen nehmen. Man stellt sich einen Hohlraum her vom schw. K. ausgehen. Es sei bemerkt, daß und überzieht die innere Wandung mit Ruß, einem gKal. .. . , . , ,^ ,,r ,, . ■ . . ,„ .„7 p %.„ „.. , • 1 t- M- .■ •■ u i. I ^ -- äquivalent 4,19 Watt gleich 4,19- 10 trg- Korper, der ein hohes Absorptionsvermögen hat. sec * e. '^' ^ Läßt man nun durch eine kleine Öffnung in der Sekunden und 735 Watt gleich einer Pferde- Wand Strahlen hineinfallen, so wird ein großer kraft (PS) sind. Man erhält die Temperatur in Teil derselben gleich beim Auftreffen auf die be- Celsiusgraden, wenn man von der absoluten 273 rußte Wandung verschluckt; der Rest wird reflek- abzieht. Man sieht, daß bei höheren Temperaturen tiert und trifft dann irgendwo anders auf die be- ganz außerordentlich hohe Energiemengen ausge- rußte Wand usf., so daß nach mehreren Reflexionen strahlt werden: von einem Ouadratzentimeter eines sämtliche Strahlen verschluckt sind, da wegen der schw. Ks. von loooo** abs. würde ein Leistungs- Kleinheit der Öffnung nur ein verschwindender quantum von rund 80 PS ausgestrahlt d. h. so Bruchteil wieder hinaus gelangen wird. Der Hohl- viel, wie ein kräftiger Automobilmotor liefert, räum hat also das Absorptionsvermögen i. Wird Die höchste Temperatur hat Lu mm er ^) erreicht, er irgendwie z. B. elektrisch erhitzt, so tritt die indem er eine Kohlebogenlampe in einem ab- Strahlung aus der Öffnung heraus und zwar strahlt er geschlossenen Raum unter 22 Atmosphären Druck nach dem Kirchhoff'schen Gesetz wie ein schw.K. brennen ließ; sie betrug rund 5900" abs., also Durch Messung der Hohlraumstrahlung bei ver- etwa Sonnentemperatur. Da nun nach Lummer schiedenen Temperaturen findet man zunächst, die Kohle der Glüh- und Bogenlampen nicht wie i86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr ein schwarzer, sondern wie ein grauer Körper strahlt, so ist die von der Flächeneinheit des letzteren ausgestrahUe Energie kleiner als beim schw. Körper von gleicher Temperatur. Die Konstante ff beträgt für die Kohle nur 0,73-10-1-', ist also nur Sß^/o von der des schw. Ks. Daraus ergibt sich, daß bei dem Lummer 'sehen Ver- such rund 5 PS = rund 3700 Watt von dem Quadratzentimeter des positiven Kraters ausgingen, also eine sehr beträchtliche Energiemenge. Wir wollen annehmen, daß sich die Strahlung nicht über den Raum verteilt, sondern nur in einer Richtung, senkrecht zur Oberfläche, fortgeht, so daß sie in einem Zylinder von einem Quadrat- zentimeter Grundfläche bleibt. Dann gehen also 5 PS oder 3700 Watt durch seinen Querschnitt. Da die strahlende Energie in der Sekunde 300000 km zurücklegt, so ist die genannte Energie- menge in einem Zylinder von i qcm Grundfläche und 3- lo'*' cm Länge enthalten; daraus berechnet sich die Energiedichte des Strahlenbündels, d. h. die in i ccm enthaltene Menge in 1,23 Erg. Man sieht also, daß trotz der großen durch das schmale Strahlenbüschel beförderten Energie- menge in der Raumeinheit nur geringe Menge enthalten sind, da eben die Fortpflanzungsge- schwindigkeit so ungeheuer groß ist. Tabelle 2. Lichtes in Zentimetern, dann erhalten wir 4,4- 10^^ Erg im Kubikzentimeter. Es sei bemerkt, daß die Maximalamplitude intensivster Sonnenstrahlung + 5 Volt pro cm beträgt und daß die maximale magnetische Feldstärke etwa gleich i/,,, der Hori- zontalintensität des Erdfeldes in Deutschland ist, indem ja der Energiegehalt der Strahlen zur einen Hälfte elektrischer und zur anderen magnetischer Natur ist. Wenn auch das S tefan-Bol tzmann'sche Gesetz Auskunft über die Gesamtstrahlung des schw. Ks. gibt, so ist doch noch festzustellen, wie die Kirch hoff sehe Funktion E beschaffen ist, d. h. wie sich die Energie bei den verschiedenen Temperaturen auf die einzelnen Wellenlängen ver- teilt. Es sind drei Strahlungsgesetze aufgestellt, von Wien (1896), Rayleigh und Planck (igoi) Während das erste iür große Wellen Abweichungen von der Erfahrung zeigt, versagt das zweite für kurze Wellenlängen und wider- spricht auch sonst der Erfahrung. Die Planck- sche Strahlungsgleichung stimmt da- gegen gut mit der Erfahrung überein. Betriebs- gKal. Watt PS temperatur cm^-sec cm^ cm 2 Kohlefadenlampe 2100" abs. 14,2 59,6 ~o,o8 schwarzer Körper „ 27 113 0,1s Bogenlampe 4200" abs. 227 950 1,3 ,2T (5) Hier bedeutet E die von der Wellenlänge l ausgestrahlte Energie, e ist die Basis der natür- lichen Logarithmen, T die absolute Temperatur, ,. Watt , c, eme Konstante 3,5-10'-'- — 5 und 1,44- Tabelle 2 zeigt die von einer Kohlefadenlampe und einer Bogenlampe ausgesandten Energie- mengen. Der positive Krater der Bogenlampe zeigt nach den Untersuchungen von Lummer") eine in weiten Grenzen von Belastung und Länge des Bogens unabhängige Temperatur (Sublimations- temperatur der Kohle) von 4200" abs. Da man durch Messungen festgestellt hat, daß an der oberen Grenze der Erdatmosphäre ein senkrecht zu den Sonnenstrahlen stehendes voll- kommen absorbierendes Flächenstück in jeder Minute pro Quadratzentimeter 1,902 gKal. (Solar- konstante) Energie von der Sonne empfängt, so läßt sich daraus die Gesamtstrahlung der Sonne in den Raum hinein und daraus unter der Voraus- setzung, daß die Sonne wie ein schwarzer Körper strahlt, ihre Temperatur nach dem S tefan- Bol tzmann 'sehen Gesetz berechnen; sie ergibt sich in rund 5700" abs. Auch die Energiedichte der Sonnenstrahlung kann man leicht aus der Solarkonstante finden; letztere ist 1,902-^ — ^- cm' mm = 1,33-10" «^--- Dividieren wir diese Zahl '•^•^ cm^sec durch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des cm'sec Die Wien'sche Strahlungsformel unterscheidet sich von der Plan ck 'sehen nur dadurch, daß in ihr im Nenner die Eins fehlt. Für T ^ 00 hefert die erstere, demnach den Grenzwert c, -A-^ wäh- rend nach der Planck 'sehen E unendlich groß wird. Abbildung i *) zeigt, wie sich die F.nergie im Spektrum des schw. K. auf die einzelnen Wellen- längen bei verschiedenen Temperaturen verteilt. Die Kurven sind durch Untersuchungen von Lummer und Pringsheim gefunden und stehen in guter Übereinstimmung mit Gleichung 5. Als Abszisse sind die Wellenlängen in Zentimetern (v und r — violett und rot — bedeuten die Gren- zen des von uns als Licht wahrgenommenen Ge- bietes) und als Ordinate die ausgestrahlte Energie eingetragen. Aus den Kurven ergibt sich folgen- des: Das Strahlungsvermögen wächst für jede Wellenlänge mit steigender Temperatur; es wächst für die kürzeren Wellenlängen viel stärker mit der Temperatur als für die längeren, so daß sich das maximale Emissionsvermögen nach den kurzen Wellenlängen verschiebt. Das Spektrum wird bei steigender Temperatur relativ ärmer an den weniger brechbaren, dagegen relativ reicher an den stärker brechbaren Strahlen (von kurzer Wellenlänge). Der größte Teil der Energie liegt *) Aus Lux, Das moderne Beleuchtungswesen. Aus Natur und Geisteswelt, Teubner 1914. N. F. XV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 im Gebiet der ultraroten Strahlen, nur ein kleiner Bruchteil, der mit steigender Temperatur zunimmt, wird als Licht empfunden (siehe weiter unten). Der Zusammenhang der Planck' sehen (5) und der Stefan - Boltzmann 'sehen Gleichung (4) ergibt sich ohne weiteres: berechnet man (Abb. i) den Inhalt des durch die Abszissenachse und eine der Kurven (z. B. Kurve 1727" C = 2000" absolut) begrenzten F"lächenstücks, so erhält man die von dem schw. K. bei dieser Temperatur aus- gestrahlte Gesamtenergie, die nach Gleichung 4 a-T* ist. JK..=J3 C:-A-^ .dA = S = a.T* (6) Das beschriebene Flächenstück sei dieEnergie- fläche genannt. Tabelle i gibt also die Größe der Energieflächen bei den verschiedenen Tem- peraturen des schw. Ks. an. Über die Wellenlänge lmax> bei der bei den verschiedenen Temperaturen jeweilig das Maxi- mum der Energiestrahlung liegt, gibt das Wien'sche Verschiebungsgesetz (1895) Aufschluß : A,„ax-T = 2894. (7) Xma\ ist also der absoluten Temperatur umge- kehrt proportional, so daß es sich mit steigender Temperatur nach der Seite der kürzeren Wellen hin verschiebt, s. Abb. i ; A^ax ist in fi = 0,001 mm zu messen. Die Wellenlängen der von glühenden Körpern ausgesandten Strahlen sind außerordentlich ver- schieden : die kürzesten ultravioletten Strahlen, die man, weil sie von der Luft absorbiert werden, nur im luftleeren Raum untersuchen kann, haben eine Wellenlänge von nur 0,1 /< = 0,0001 mm (Lyman 1906), während die längsten ultraroten Strahlen 342 /( = 0,342 mm (1911)") lang sind, so daß mithin nahezu 13 Oktaven bekannt sind. Aber aus dieser Fülle verschiedener Wellenlängen neh- men wir nur rund eine Oktave mit unserem Auge als Licht wahr, nämlich diejenige, deren Länge zwischen 0,4 fi (violett) und 0,75 ft (rot) liegt. Es ist nun eine interessante Frage, wie sich bei den verschiedenen Temperaturen das Verhältnis der als Licht empfunde- nen Energie zu der Gesamtenergic stellt. Man hat zu dem Zweck aus der Flnergie- fläche S in Abb. i denjenigen Teil herauszu- schneiden, der zwischen r und v liegt ; diese Fläche sei die Leu cht fläche L genannt oder man kann L aus der Planck 'sehen Formel berechnen: /E-dA (8) indem man für A, 0,4 und für A., 0,75 einsetzt. Abbildung 2 *) zeigt die auf das sichtbare Gebiet entfallende Strahlung des schw. Ks. in Prozenten der Gesamtstrahlung bei verschiedenen Tempera- turen: ^ . Man sieht, daß in dem bei unse- ren Glühlampen benutzten Temperaturbereich von 2000° bis 3000" abs. nur i bis 1 1 "/q der Gesamt- strahlung Lichtstrahlen sind und daß der Höchst- wert von 43,6 "/q bei 6800" erreicht wird. Ein schw. K. von dieser Temperatur würde also nahezu die Hälfte seiner Strahlen als Lichtstrahlen aus- senden. "/o ^ .^ 40 / \ 30 / / 20 / / 10 / / ^ ,^ / 1000 3000 5000 7000 9000" aDs. Abb. 2. Nun ist zu bedenken, daß nicht die gesamte durch die Leuchtfläche L dargestellte Energie von unserem Auge als Licht bewertet wird; das wäre der Fall, wenn die Empfindlichkeit unseres Seh- apparates für alle Wellenlängen (Farben) dieselbe wäre. Abbildung 3 *) zeigt die relative Empfind- lichkeit unseres Auges für Reize gleicher absoluter Stärke in Abhängigkeit von der Wellenlänge. Die maximale Empfindlichkeit, die gleich 100 gesetzt ist, liegt bei 550 /(,« (= 0,55 // = 0,00055 mm) im Gelbgrün. Da die Empfindlichkeit für die anderen Farben beträchtlich kleiner ist, kommt für die Beurteilung der Helligkeit eines Körpers Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 nur ein Teil der Leuchtfläche in Betracht. Unter der Helligkeit eines Körpers verstehen wir die Empfindung, welche die von dem betreffenden Körper ausgehende Strahlung in unserem Auge auslöst. Die Helligkeit wird also durch einen physikalischen Faktor, die vom Körper ausge- sandte Strahlung, und einen physiologischen, die Empfindlichkeit des die Strahlung aufnehmenden ^ Auges bestimmt. Nennen wir bei der Wellen- länge l die Augenempfindlichkeit A;. und die in das Auge fallende Strahlungsenergie der gleichen Wellenlänge E, so ist die Helligkeit H;. bei dieser Wellenlänge bestimmt durch die Gleichung: H;. = c-E.A;., (9) wo c ein Proportionalitätsfaktor ist. Die Hellig- keit H des Körpers im Bereich Äj bis A.^ ist dann H f c / E-A;.-dÄ (10), wo E .)-- IT H gibt also die Energiemenge an , die von dem in das sichtbare Gebiet entsandten Teil der Gesamtstrrahlung als Licht bewertet wird; es sei die Lichtfläche genannt. Abbildung 4 *) zeigt, wie bei 5000" abs. das Verhältnis der Leucht- zur Lichtfläche ist. Abscisse ist wieder die Wellen- länge von violett bis rot, als Ordinate die Ener- gie eingetragen. Die gestrichelte Linie gibt, wie es in Abb. i für Temperaturen bis zu 2000" abs. geschehen ist, für 5000° die Strahlungskurve des schw. Ks. nach der Planck'schen Gleichung (5) wieder. Die unterhalb der Kurve bis zur hori- zontalen Achse liegende Fläche bedeutet die Leuchtfläche L. Die ausgezogene Linie ist die schon in Abb. 3 wiedergegebene Kurve der Augenempfindlichkeit: nur für die Wellenlänge 550 ^i^ wird die ganze Energie (100 "/o) als Licht bewertet, von allen übrigen Wellenlängen # violett 550 fifi rot Abb. 4. ein geringerer Prozentsatz. Das zwischen Emp- findlichkeitskurve und Abzissenachse liegende Flächenstück stellt die Lichtfläche H. dar. Bei der Temperatur 5000" abs. liegen die Verhältnisse ganz besonders günstig, indem 34 "/„ der zwischen 400 und 750 /(/t ausgesandten Strahlung als Licht empfunden wird. Tabelle 3 gibt diesen Tabelle 3.^) absolute H-ioo HK Temperat. L mm» 1500" ■'% 2000" 19 7o 0,15 3000» 27 »/o 10 4000» 33 "/o 80 5000" 3^/0 300 6000" 33,5 "lo 700 lOOOO» 32% 4700 Prozentsatz für eine Reihe von Temperaturen an; im besten Fall, bei 5270" abs., beträgt die Licht- fläche doch nur 34,5 "/o der Leuchtfläche. Die Zahlen der 3. Spalte geben an, wie viel sphärische Hefnerkerzen bei den verschiedenen Temperaturen pro mm^ Oberfläche vom schw. K. ausgesandt werden. Wesentlich wichtiger als die vorigen Angaben ist die Feststellung, wie viel der vom schw. K. N. F. XV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. .89 ausgjestrahlten Gesamtenergie bei verschiedenen Temperaturen vom Auge als Licht bewertet wird oder in unserer Bezeichnung: wie viel Prozent der Energiefläche S ist die Lichtfläche H ? Die Zahlen sind naturgemäß noch ungünstiger als die der vorigen Zusammenstellung; sie sind in Tabelle 4 enthalten: Tabelle 4.*) Temperatur H-ioo S 2000° abs. ca. 0,2 "0 3000" 3 7o 4000° 8»/o 5000» 12.5% öooo" 14,2 7o 6600» 14,6 % 7000" 14,5 7o lOOOO" In der für unsere Beleuchtung in Betracht kommenden Temperaturen zwischen 2000" und 3000" liegen die Verhältnisse sehr ungünstig; nur 0,2 bis 3"/o der ausgestrahlten Energie nehmen wir als \ Licht wahr , der große Rest geht als dunkle Strahlung nutzlos verloren. Daß die Zahlen bei Temperaturen über 6600" wieder kleiner werden, erklärt sich daraus, daß sich bei hohen Temperaturen das Strahlungsmaximum /.,nt\x Über das Empfindlichkeitsmaximum unseres Auges nach der Seite der kurzen Wellenlängen verschiebt. Damit lma\ gerade bei 0,55 /( liegt, müßte nach dem Wien'schen Verschiebungs- gesetz (7) die Temperatur des schw. Ks. 5260" abs. sein. Tabelle 5.*) Temperatur absolut 2. HK„ n,m2 3- Watt 4- Watt 5- Watt 2000 0 0,15 0,93 6,2 0,16 3000» 10 4,69 0,47 2,1 4000 0 80 14,8 0,19 5.5 5000» 300 36,2 0,12 8,3 6000» 700 75 0,11 9,3 10000» 4700 580 0,12 8,1 Gesamtleistung ausgestrahlten Hefnerkerzen. Man ersieht aus der Zusammenstellung, daß bei etwa 6000" abs. die Wirtschaftlichkeit mit 0,li tttt^ H K.,1 am günstigsten, daß sie bei tiefen Temperaturen wesentlich ungünstiger ist. Es liegt nahe, einen Blick auf die Verhältnisse zu werfen, die bei den gebräuchlichen elektrischen Glühlampen vorliegen. Bei diesen ist man bemüht, das Material des Glühfadens so auszu- wählen, daß die gesamte zugeführte Leistung nach Möglichkeit ins sichtbare Gebiet ausgestrahlt wird, während der schw. K. insofern ungünstig ge- stellt ist, als er bei allen Temperaturen neben dem Maximum an sichtbarer Strahlung den Höchstwert an unsichtbarer Strahlung aussendet. In Tabelle 5 sind in der 2. Spalte die aus Ta- belle 3 entnommenen sphärischen Hefnerkerzen pro mm-, in der dritten die von i mm'- ausgestrahlte Gesamtenergie in Watt (aus Tabelle i) angegeben. Dividiert man die letzten Zahlen durch die ersten, dann erhält man die pro Hefnerkerze aufge- wendete (jesamtstrahlungsleistung in Watt, also die Wirtschaftli chkeit des schw. Ks., siehe Spalte 4. Die letzte Spalte gibt den reziproken Wert der Wirtschaftlichkeit, also die pro Walt Tabelle 6.*) 1. 2. { 3: Watt Betriebstemp. -^j^- 4- 5. L.ioo 6. Kohlefadenlampe 2130» abs. 3,5 3,6 1,9% 1,8% Tantallampe Wolframlampe 1 1,6 \' 3,S°o 3.4°/o 5,8 %' 4,6 "lo Halbwattlampe 2770» „ 0,55 0,71 II,2<'/o 9.5 7o Zu der Tabelle <> ist folgendes zu bemerken: Die Angaben für die Halbwattlampe beziehen sich auf die dickdrähtigen Typen (looo bis 3000 HK iio Volt.) Die 3. Spalte enthält die Wirtschaftlichkeit Watt , Spalte 4 die Wirtschaftlichkeit des schw. Ks. bei der entsprechenden Temperatur. Spalte 5 gibt an , wie viel Prozent der zugeführten Leistung im sichtbaren Gebiet ausgestrahlt werden, also das Verhältnis der Leucht- zur Energiefläche (vgl. Abb. 2, die dieselbe Größe für den schw. K. darstellt). Die Zahlen sind unter der Voraus- setzung berechnet, daß die gesamte zugeführte elektrische Leistung in Strahlung umgesetzt wird. Berücksichtigt man die Verluste, die durch Wärme- leitung und Konvektion eintreten, dann fallen die Zahlen etwas kleiner aus ; Spalte 6. Aus dei Tabelle ergibt sich die Überlegenheit der Metallfadenlampen vor der Kohle und dem schw. K. und es ist ersichtlich, daß die Halbwatt- lampen, die ja mit Stickstoff von i Atmosphäre Druck gefüllt sind, sowohl in absolutem als auch in relativem Maß sehr günstig gestellt sind. Benutzte Literatur. Lummer, Verflüssigung der Ko Vgl. das Referat i Lu.\, Dasmodei Kultur der Gege dieser Zeitschrift Xlll, S. 8 Beleuchtungswese: irt. Band Physik, ,g Vie. S. 812(1914.)- Teubner 1914. Teubner 1915. R. Meyer, Der schwarze Köper als Lichtquelle. Verhandl. d. D. Physikal. Gesellsch. 17, S. 384—404, ig'S- 5. M. Pirano und H. Miething, Strahlungsenergie, Temperatur und Helligkeit des schw. Ks. Verh. d. D. Phys. Ges. 17, S. 219—240, 191 5. 6. Liebenthal, Praktische Photometrie. Braunschweig 1907. 190 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 [Nachdruck verboten.] Vielfach ist in letzter Zeit das alte Problem des Seidenbaues in Deutschland wieder aufgerollt worden. Die verschiedensten Vorschläge sind gemacht worden; Stimmen haben sich für und gegen die Möglichkeit einer ausgiebigen Seiden- produktion in unseren Gegenden erhoben. Besonders lebhaft wurde die Frage der Futter- pflanze erörtert, tatsächlich auch der wichtigste Teil der Frage , da die Raupe ja bekanntlich im Zimmer gehalten wird, also verhältnismäßig leicht gegen die Einflüsse unseres Klimas geschützt werden kann. Während von der einen Seite die Schwarzwurzel (Scorzonera hispanica) als brauch Zur Frage der Maulbeerbuschzüchtung:. Von Dr. Olufsen (Hamburg). sie unbeachtet in einem Garten gestanden, bis man — auch durch Zufall — auf sie aufmerksam wurde und durch Füttern im kleinen feststellen konnte, daß ihre Blätter ein vorzügliches Raupen- futter abgeben. Man ging nun daran Samen zu ernten, die stark variierende Pflanze durch Selek- tion zu verbessern und in möglichst großem Um- fange zu vermehren. Eine mühsame Arbeit, die noch dadurch erschwert wurde, daß die Pflanze diözisch ist. Nach und nach hat die dänische Seidenbaugesellschaft, die sich im Anschlüsse an den Fund, 1900, gebildet hatte, bis Dezember 191 5 einen Bestand von 62238 Pflanzen groß- bare Ersatzpflanze gepriesen wird, sofern man nur gezogen und in Plantagen rund herum im Lande die erprobten .'\nweisungen streng befolgt besonders Prof Dr. Udo Dammer in seiner Schrift „Über die Aufzucht der Raupe des Seiden- spinners mit den Blättern der Schwarzwurzel" 2. Aufl. 191 5 — warnt eine Autorität wie Maxi- milian Ripper, Leiter der k. u. k. landwirt- schaftl. Versuchsstation in Goerz (Zeitschrift f. d. landwirtschaftl. Versuchswesen in ( )serreich, 191 5, S. 215) vor diesem Futter als ungeeignet und zu wenig erprobt. Ähnliche Erfahrungen werden auch sonst berichtet, so daß daraufhin jetzt viel- fach geraten wird, bei der natürlichen P'utterpflanze, dem weißen Maulbeerbaume, zu bleiben und zu versuchen, die Schwierigkeiten, die seine Zucht in Deutschland bereitet, zu überwinden. Bekannt- lich ist er in Norddeutschland bereits nicht ganz winterhart. So hebt S o r a u e r (Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten, 1915, S. 296, ref in Naturw. Wochenschr. 191 5, S. 740) die Vorteile hervor, die die Züchtung des Maulbeerbaumes in Busch- form biete, wie es vielfach auch sonst geschehe. Was uns hier in Deutschland bei allen Vor- schlägen und Gegenvorschlägen in der Seidenbau- frage fehlt sind die praktischen Erfahrungen in größerem Maßstabe. Ehe solche vorliegen, kann auch kaum sicher entschieden werden, wie die Sache anzufassen ist. Es wird deshalb im gegen- wärtigen Augenblicke von Interesse und von Nutzen sein zu erfahren, daß in Dänemark — was in Deutschland bisher gar nicht bekannt zu sein scheint — seit nunmehr etwa 16 Jahren Seiden- bau betrieben wird (man vergleiche meinen Auf- satz „Seidenbau in Dänemark", Prometheus 191 5, S. 295 ff.) und zwar eben auf Grund der P'ütterung mit Blättern eines Maulbeerbusches. Über diese neue Futterpflanze und die damit durch viele Jahre gemachten Erfahrungen möge deshalb im Interesse unserer deutschen Bestrebun- gen einiges berichtet werden. Bei den in Dänemark benutzten Futterpflanzen handelt es sich um eine für den Zweck besonders gezüchtete buschförmige \'arietät des weißen Maulbeerbaumes. Die Stammpflanzen sind vor reichlich 20 Jahren zufällig in P'orm von Samen aus Nordamerika herübergekommen. Lange haben angepflanzt. Öfter in der Nähe von Erziehung anstalten, Gefängnissen, Sanatorien usw. Ohne Zweifel handelt es sich um eine für nordische Verhältnisse geradezu ideale Form des Maulbeerbaumes, wenigstens geht das aus den Schriften der Gesellschaft und aus sonstigen Mit- teihmgen, die ich persönHcli erhalten habe, hervor. Der Busch ist in Dänemark völlig winter- hart, braucht nicht einmal Windschutz. Unent- behrlich ist nur freie Luft- und Lichtzufuhr. Was den Boden angeht, ist er äußerst genügsam, denn er wächst am besten auf leichtem Sandboden und sandigem Heideboden. Ja, selbst auf rotem Sand, in alten Kiesgruben, auf Bahndämmen, Wällen usw. hat man mit bestem i>folg Anpflanzungen angelegt. Er ist auch eine gute Heckenpflanze. Niedriges, kaltes Land, sowie Lehmböden sind dem Busche nicht zuträglich. Im freien Lande braucht ein Busch von 6 Jahren ca. i '/., qm Platz, in Hecken bedeutend weniger. In den 3^4 ersten Jahren dürfen seine Blätter nicht gepflückt werden, mit etwa (j Jahren vermag dagegen ein Busch ca. 50 Raupen zu ernähren. Die Büsche vertragen auch sehr gut das Abschneiden ganzer Zweige mit ansitzenden Blättern und Knospen, was das E'üttern der Raupen außerordentlich erleichtert. Die Blätter müssen sehr nalirhaft und wohl- schmeckend sein , denn die Raupen bevorzugen sie vor jedem anderen Maulbeerblatt und gedeihen und spinnen vorzüglich bei dem E'utter. Der Durchschnittswert der dänischen Kokons liegt mit etwas über 2 Kronen pro kg (etwa 500 frische Kokons) bedeutend über dem Durchschnittswerte für die ganze Erde, die sich für 1910 auf 1,73 Kronen berechnet. Die Seide ist nach Aussage von Sachverständigen von guter Qualität. Bis 1915 wurden 1778 Ellen Seidenstoff (i Elle =^ 0,63 m) in einem Werte von 6250 Kronen aus der selbterzeugten Seide gewoben. Da dieses Zeug natürlich schon jahrelang im Gebrauche ist, hat man auch in dieser Beziehung reiche Erfah- rungen. Auffallend ist die große -Stärke des Seiden- denfadens, so daß er z. B. gerne zum Aufhängen von Magneten in meteorologischen Instrumenten usw. benutzt wird. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 Die Verwendbarkeit der neuen Futterpflanze ist dadurch erbracht, daß die Gesellschaft in einem eigens zu dem Zwecke erbauten Pavillon, der Raum für 100 000 Raupen bietet. Versuche in großem Maßstabe unternommen hat. Bis Dezem- ber 191 5 sind im Lande 411 000 brauchbare Ko- kons geerntet. Aus dem vorletzten Jahresbericht geht hervor, daß 19 14 66 000 tadellose Kokons von der Gesellschaft produziert wurden, „ohne irgendwelche Krankheit unter den Larven und ohne Heizung des Raumes". Der Sommer 1915 war in der kritischen Zeit ungewöhnlich kalt und feucht, so daß der Raum etwas angewärmt werden mußte. Ks wurden im ganzen jedoch nur für ca. 5 M. Kohlen auf den großen Saal verfeuert. Die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, faßt der Jahresbericht zu folgendem Ergebnis zusammen: „Die Erfahrungen des Sommers 191 5 bestätigen, daß selbst sehr kaltes und feuchtes Wet- ter dem Seidenbau keine ernstlichen Schwierig- keiten bereiten kann, wenn die Fütterung nur mit der nötigen Vorsicht geschieht. . ." Die Saison liegt etwa vom 10. Juni bis 10. August. Diese Versuche sind jetzt zu einem gewissen Abschlüsse gelangt und haben nach dem Jahresbericht von 1914 zu einem bedeutsamen Ergebnisse geführt, denn es heißt dort wörtlich: „Es ist jetzt erwiesen, daß man hierzulande mit derselben Arbeitskraft wie im Süden — der Arbeit einer Erau in ihrer freien Zeit, zeitweilig unterstützt durch Kinder — Seidenraupen großziehen kann, deren Kokons einen Wert von 300 — 400 M. besitzen, wobei sich die Ausbeute noch im Laufe der Jahre in dem Maße vergrößern läßt, wie die Büsche anwachsen und die Futterraumverhältnisse erweitert werden. Da- mit hat die Gesellschaft die eine Hälfte der Auf- gabe gelöst, die sie sich gestellt, nämlich durch Versuche zu beweisen, daß der Seidenbau auf Grund des busch förmigen Maul- beerbaumes hierzulande im selbenUm- fange und mit derselben Arbeitskraft und mindestens mit derselben Ausbeute betrieben werden kann wie in den alten seidenbautreibenden Ländern. . ." Gewiß ein P>gebnis, daß das größte Interesse beanspruchen darf! Um welcheVarietät des weißen Maulbeer- baumes handelt es sich nun? Da hierüber aus den Jahresberichten und sonstigen Schriften des Vereins, wenigstens so weit sie mir bekannt geworden sind, nichts Be- stimmtes zu entnehmen ist, möge darüber noch mitgeteilt werden, was ich habe in Erfahrung bringen können. Die ursprüngliche, aus Amerika herüber- gekommene Pflanze ist die in George W. Oliver, Silkworm Food Plants, Washington 1903, U.S. Department of Agriculture, Bureau of Plant Indu- stry, Bulletin No. 13, behandelte und abgebildete, im Westen und Nordwesten des Landes — wie es heißt — häufig als Heckenpflanze vorkom- mende sog. Russian Mulberry (Morus alba, variety tatarica). Eine einfache Identität mit der seit ca. 150 Jahren in Deutschland als Gartenpflanze vor- kommenden Morus tatarica kann nicht vorliegen. Der Busch ist, wie schon oben erwähnt, in seiner neuen Heimat weiter gezüchtet und für die be- sonderen Zwecke verbessert worden. So hat man erreicht, daß seihe Blätter größer geworden und weniger geteilt sind. Die Vermehrung geschieht durch selbstgeerntete Samen, die aus den merk- würdigerweise bald weißen, bald roten oder schwarzen Beeren der mit 5 Jahren fortpflanzungs- fähigen Pflanzen gewonnen werden. Vegetative Vermehrung ist auch möglich. 191 5 geschah das Merkwürdige, daß unter den ca. 3000 tragfähigen Büschen der Gesellschaft zwei Früchte lieferten, die an Größe und Geschmack fast den Früchten des gewöhnlichen schwarzen Maulbeerbaumes gleichkommen. Jedenfalls ein neuer Beweis dafür, wie stark die neue Kulturpflanze variiert. Im letzten Sommer erntete die Gesellschaft '/.^ kg Samen. Da Samen, die man sich aus Nordamerika nachträglich verschafft hat, nicht keimen wollten, ist der ganze Bestand der in Dänemark vorhan- denen Büsche aus den ursprünglich aufgefundenen Stammpflanzen nach und nach hervorgegangen. .^us diesen Feststellungen geht jedenfalls her- vor, daß die Varietät in ihrer ursprünglichen Form uns hier in Deutschland aus Nordamerika her auch zugänglich wäre — die Abgabe der Pflanze an das Ausland ist in Dänemark durch Gesetz verboten — denn auf die Mißerfolge mit nord- amerikanischen Samen ist sicher nicht viel zu geben. Gute und keimfähige Samen werden in Deutschland ohne Frage zum Keimen zu bringen sein. Übrigens sind ja auch die zuerst aufgefun- denen Büsche, wie schon erwähnt, aus amerikani- schem Samen hervorgegangen. Einem Versuche, eine brauchbare, unserem Klima völlig angepaßte Raupenfutterpflanze auch in Deutschland heran- zuzüchten, steht also kaum etwas im Wege. Kleinere Mitteilungen. Das Moor- und Heidebrennen. Wie die Nordd. Allg. Ztg. mitteilt, haben sich landwirtschaftliche Vertretungen der Provinz Hannover an den Land- wirtschaftsminister gewandt, um ein Verbot dieser alten Form der Bewirtschaftung durchzusetzen, wofür sie folgende beachtenswerten Gründe an- geben : Häufig hat man in den trockenen Sommer- monaten vergangenen Jahres Gewitterwolken, die Regen versprachen, aufsteigen sehen, aber fast immer hat die durch Moorrauch vcranlaßte Ab- kühlung und Luftbewegung die Gewitterbildung wieder zerstört. Diese Wirkung ist erst in letzter Zeit allgemein anerkannt worden. Wie beim 192 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 Vorüberziehen einer Wolke vor der Sonne im kühlen Schattenkegel durch Ausgleich der wär- meren und kälteren Luftschichten sofort Wind auftritt, so verdunkelt auch die Rauchwolke der Moorbrände die Sonne und erzeugt Kälte und Windstöße. Das Moorbrennen, das in der ersten Junihälfte in dem großen Gebiet von der Elbe bis über die holländische Grenze in Hannover, Oldenburg und Westfalen ausgeführt wird, wirkt wie ein elementares Ereignis bis in die weitesten Gegenden Deutschlands und seine Folgeerschei- nung, kein Regen bei stark bewölktem Himmel, ist bis Hinterpommern zu beobachten. Die glei- chen Erscheinungen werden auch aus Thüringen und Nordbayern berichtet. In Hannover hat man häufig beobachtet, wie am wärmsten, klaren Tage der nachmittags aufkommende Moorrauch eine sofortige Abkühlung bis zu Frost in den frühen Morgenstunden herbeiführte. Sogar ein Zusammen- hang der Moorbrände mit den Frösten, die im Osten die Roggenblüte vernichten, ist nicht un- wahrscheinlich. Der Schaden der veralteten Kulturform steht in keinem Verhältnis zu dem Nutzen seines Er- trages, der bei der Bewirtschaftung mit künstlichem Dünger höher ist. Deshalb, so hebt die Eingabe an den Landwirtschaftsminister hervor, sei gerade in jetziger Zeit, wo zur Sicherung und Hebung der kommenden Ernte alles getan werden soll, ein allgemeines Verbot des Moorbrennens am Platze. Zöller. Plastische Massen aus Hefe. Zur Verwertung der Ablälle der Hefeextraktfabrikation ist von H.Blücher und E.Krause ein Verfahren aus- gearbeitet worden, nach welchem man durch Ein- wirkung von Formaldehyd einen Stoff gewinnen kann, der als Ersatz für Ebonit, Celluloid, Galalith und ähnliche Produkte dienen soll. Dies Ver- fahren , das jetzt technisch in größerem Maßstab ausgeführt werden soll, wird dadurch erhöhte Be- deutung erlangen, daß mit der Verbilligung der Hefeherstellung nach dem neuen Verfahren des Instituts für Gärungsgewerbe auch die Hefe selbst als Ausgangsmaterial herangezogen werden kann. Die Fabrikation des neuen Kunstproduktes, das den Namen „Ernolith" erhalten hat, geht in der Weise vor sich, daß man zunächst aus Hefe und Formaldehyd (mit verschiedenen Zusätzen und Füllstoffen) einen Rohstoff herstellt, der getrocknet und gemahlen wird und in diesem Zustand be- liebig lange haltbar ist. Durch Verarbeiten des Roh-Ernoliths in heizbaren hydraulischen Pressen können die verschiedensten Objekte hergestellt werden (Knöpfe, Werkzeuggrifte, Reliefs, Teller usw.). Auch die mechanische Bearbeitung von P>nolithGegenständen (durch Sägen, Feilen, Po- lieren usw.) ist ohne weiteres möglich. Das spe- zifische Gewicht des neuen Stoffes ist 1,33 — 1,35. Er ist fast unentflammbar und verkohlt sehr schwer. — Literatur: Chem.-Ztg. 39, 934; D.R.P. 275857 und 289597. Bg. Einzelberichte. Geologie. Gold in Serbien. PIs ist wenig bekannt, daß in Serbien in alter Zeit ein Bergbau auf Gold umgegangen ist und daß es noch heute als ein- ziges europäisches Land einen nennenswerten Seifenbergbau besitzt, der in den Tälern des Timok und des Peck, den rechtsseitigen vom serbischen Erzgebirge herabkommenden Donau- zuflüssen mit modernen Goldbaggern von einer französischen Gesellschaft betrieben wird. Die Goldausbeute Serbiens, die etwa 1,1 Mill. Mark beträgt, entstammt wohl völlig diesem Bergbau, obschon noch an anderen Stellen, namentlich im Westen des Landes, im erzreichen Kapaonik und den sich südlich anschließenden Gebirgen , Gold- lagerstätten bekannt geworden sind. Darauf deuten auch die vielen Namen hin , die mit „zlot" , dem slavischen Wort für „Gold", zusammenhängen, sowie die geschichtliche Tatsache, daß der Zar Duschan das erste serbische Goldgeld aus den Bergwerken um Nowobrodo Pristina und Giljan ausprägen ließ. Die dortigen Minenbefestigungen wurden im Jahre 1460 durch Muhamed III., den Eroberer Konstantinopels, gestürmt, womit der Bergbau erlosch. Über die Natur der primären Goldlagerstätten ist wenig bekannt. Bei Diakowa, das allerdings schon außerhalb Serbiens nahe seiner Westgrenze in Nordalbien liegt, sollen goldhaltige Quarzgänge mit Pyrit auftreten. Bemerkenswert ist auch das Vorkommen eines goldhaltigen Kon- glomerats bei Verisovich nahe der Bahnlinie Üsküb- Mitrovitza, das 25 g Gold in der Tonne aufweisen soll. Die Vornahme von Schürfarbeiten auf Gold ist übrigens schon von dem deutschen Bergingenieur Herder, der 1830—40 das Land bereiste, emp- fohlen worden. Zöller. Chemie. Ein Beitrag Entstehung des Erdöls wird von E. Donath in der Österr. Chemiker-Ztg. (191 5, Nr. 2) veröffentlicht. Donath hat den bei Raibl in Kärnten vorkommenden Fischschiefer näher untersucht, aus dessen Gestein Erdöl ausschwitzt. Die Analyse des Raibler Usch- schiefers ergab einen Glühverlust von 27,01 %, der 7,89"/,, organischer Substanz entsprach und einen Stickstoffgehalt von 0,15 "0 sowie einen Schwefelgehalt von 0,77 " ^ ergab.. Der Auszug mit Benzol zeigte beim Erhitzen deutlichen Geruch nach Zersetzungsprodukten der h'ette und die charakteristische/ S a 1 k o w s k i ' sehe Cholesterin- reaktion. Das Raibler Fischöl enthält also höchst- wahrscheinlich noch unzersetzte Fette oder Fett- säuren, sowie Cholesterin. Neuere Untersuchungen N. F. XV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 193 haben nun ergeben, das der Raibler Fischschiefer noch gewisse Mengen von stickstoffhaltigen Pro- dukten enthält, die von dem noch nicht zu weit gediehenen Abbau der Proteinstoffe derjenigen Organismen herrühren, deren Fette vorwiegend das Erdöl gebildet haben. Da Eiweißstoffe bei der trockenen Destillation nicht nur zyklische stick- stoffhaltige Verbindungen geben, sondern auch zykli- sche aromatische Kohlenwasserstoffe, so scheinen die Proteinstoffe in noch näheren Beziehungen zur Entstehung des Erdöls zu stehen, als dies bisher angenommen worden ist. Insbesondere sind bei allen stärker fluoreszierenden Erdölen offenbar noch feste Abbauprodukte der Proteinstoffe bei ihrer Bildung beteiligt. Da gewisse Steinkohlen die- selben Kohlenwasserstoffe enthalten, die auch in gewissen Erdölen vorkommen, so kann ange- nommen werden, daß auch die Bildungsweise dieser Kohlenwasserstoffe als Folge der Druck- destillation bestimmter Stoffe eine gleiche oder ähnliche ist. Bg. Die bekannte Erscheinung der Unbenetzbarkeit von feinen Pulvern ist vor einiger Zeit von P. Ehrenberg und K. Schnitze einer sorg- fältigen Untersuchung unterworfen worden, über die im folgenden kurz berichtet werden möge (vgl. Kolloid. Zeitschr., Bd. 15, S. 183—192; 1914)- Wohl einem jeden ist schon aufgefallen, daß Regentropfen oft über die staubige Straße dahin rollen, ohne den Staub zu benetzen, und manchem ist vielleicht auch bekannt, daß nach einem starken Regenguß ,,der Staub der Landstraße kaum '/.j cm tief oder wenig mehr benetzt ist und daß unter dieser angefeuchteten Schicht trockener, pulver- förmiger Staub liegt, während darüber vielleicht gar noch das Wasser über dem feuchten Staub steht", eine Tatsache, die begreiflicherweise für die Landwirtschaft von großer Bedeutung ist. Auch ein stark ausgetrocknetes Moor nimmt im Laufe der Zeit eine staubige Beschaffenheit an und läßt dann ebenfalls das Wasser nur schwer eindringen. ') Über die Ursache dieser Erscheinung, die man auch bei anderen feinen Pulvern, z.B. bei Ruß, findet, sind im wesentlichen zwei Ansichten geäußert worden, die eine von E. Ramann, der die Er- klärung in der Anwesenheit von „harzigen und wachsartigen Stoffen" im Boden sieht, die andere von H. Puchner, nach dem die Erscheinung „von Lufthüllen herrührt, welche die kleinsten Bodenteilchen umhüllen und sie zunächst für die Adhäsion mit Wasser untauglich machen". Als Beweise für die Richtigkeit seiner Anschauung führt Puchner die Tatsachen an, daß erstens die Un- benetzbarkeit der Böden um so deutlicher hervor- tritt, je feiner die Teilchen sind — offenbar ist ja die festgehaltene Luftmenge um so größer, je größer die (Iberfläche des Bodens ist, d. h. eben ') Auch an die Tatsache der Unbenetzbarkeit mancher Blätter, z. B. der Blätter vom gewöhnlichen Weißkohl sei hier erinnert. (Der Ref.) je kleiner die Teilchen sind — und zweitens auch Kaolin die Erscheinung zeigt, also ein Stoff, bei dem nach bisherigen Erfahrungen die Anwesenheit von Harzen, Wachsen und ähnlichen Stoffen als ausgeschlossen gelten kann. Auch eine gelegent- liche Beobachtung von Stellwaag, nach der eine Torfprobe selbst bei Behandlung mit Alkohol und Äther, durch die etwa vorhandenen Harze und Wachse hätten entfernt werden müssen, ihr wasser- abweisendes Verhalten bewahrte, weist auf die Richtigkeit der Puc h n er'schen Ansicht hin. Für die Richtigkeit der Ramann 'sehen Theorie — wenn auch nicht für den Boden oder für Torf, so doch für ein anderes feines Pulver — sprechen Untersuchungen von W. Spring, nach denen durch Wasser nicht benetzbarer Kienruß leicht von Wasser benetzt wird, sofern er vorher mit Benzol, bekanntlich einem guten Lösungsmittel für harzige und ölige Stoffe, behandelt worden ist. Die planmäßigen Versuche von Ehrenberg und S c h u 1 1 z e wurden einerseits mit fein zer- teiltem Torf, andererseits mit Kienruß ausgeführt. Bei den Versuchen mit Torf konnte zunächst die Richtigkeit der St eil waag' sehen Beobach- tung bestätigt werden, dann konnte gezeigt werden, daß, wenn Torf unter Wasser stark zusammenge- preßt wird, große Mengen von Luft entweichen und der Torf darnach vom Wasser leicht benetzt wird, und daß mit Wasser längere Zeit durchge- rührter und dabei benetzter Torf die verlorene Unbenetzbarkeit wiedergewinnt, wenn er bei 100" getrocknet wurde, Tatsachen, die wohl nur durch die Annahme, daß Lufthüllen die Unbenetzbarkeit des Torfes verursachen, erklärt werden können. Die Versuche mit Ruß führten zunächst zu einer Bestätigung der Spring'schen Versuche: durch Extraktion einer nicht benetzbaren Probe von Kienruß mit Benzol wurde der Ruß in der Tat benetzbar, nur muß man die Behandlung, wie auch schon Spring festgestellt hat, mehrere Tage lang fortsetzen. Dasselbe Ziel erreicht man aber auch genau wie beim Torf sowohl durch kräftiges Durchrühren des Rußes mit Wasser als auch — das ist besonders interessant — durch bloßes starkes Pressen des trockenen Rußes; auch kann man dem Ruß sein wasserabweisendes Verhalten nehmen , wenn man ihn , anstatt mit fettlösenden Stoffen wie Benzol, Alkohol oder Äther mit Wasser extrahiert, das bei den Ver- suchen von Ehren berg und -Schultze auch nach dreitägiger Extraktion im Soxhlet' sehen Extraktionsapparat nicht die geringste Spur einer P'etthaut zeigt. Nimmt man zu diesen Tatsachen noch die weitere Tatsache hinzu, daß man dem nach dem Spring'schen Verfahren benetzbar gemachten Ruß seine Unbenetzbarkeit wiedergeben kann, indem man ihn möglichst fein verteilt und dann in geeigneter Weise ') gründlich mit Luft 1) Ehrenberg und Schultze brachten den feiuver- teilten Ruß auf den Boden eines einseitig zugeschmolzenen, etwa 120 cm langen und 3 cm weiten Glasrohres, dessen anderes pnde dijrcb einen Stopfen mit zwei Purchbohrungen 194 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 durcharbeitet, so kommt man mit Sicherheit zu der Erkenntnis, daß der Spring' sehe Versuch wohl richtig, seine Deutung aber falsch ist und daß die Unbenetzbarkeit des Rußes ebenso wie die des Torfes nicht auf einen P'ettgehalt des feinen Pulvers, sondern auf das Vorhandensein von Luft- hüllen um die einzelnen Rußteilchen zurückzuführen ist. Auch die Wirkung des Benzols und der anderen „fettlösenden" Extraktionsmittel beruht daher nur auf einer Entfernung der Lufthüllen, die durch Hüllen von Beiizoldampf, für den der Ruß eine große Adsorptionsfähigkeit, wenn auch nicht eine so große wie für die nach den Versuchen ja sehr schwer verdrängbare Luft, besitzt, verdrängt werden. Mit dieser Erklärung stimmt die Beobachtung überein, daß der mit Benzol behandelte Ruß nach dem Trocknen, wobei natürlich die Hauptmengen des Benzoldampfes entfernt werden, nicht mehr so leicht und locker wie vorher, sondern erheblich stärker zusammengelagert erscheint. Nur die letzten Mengen des Benzoldampfes haften, wie man ja bei allen Adsorptionen beobachten kann, an dem adsorbierenden Stoli', dem Ruß, besonders fest, und daher bedarf es einer besonderen Luft- behandlung, um auch sie wieder durch Luft zu ersetzen. Daß die Benzolhüllen ihrerseits die Be- netzung durch Wasser nicht verhindern , dürfte teils an ihrer geringeren Dicke, teils an ihrer leichteren Verdrängbarkeit durch Wasser liegen. Mg. Zoologie. Grausamkeit bei Vögeln. Aus der Benediktinerabtei Disentis in Graubünden, teilte mir der durch seine pflanzengeographischen For- schungen \) bestens bekannte Dr. F. Karl Hager brieflich folgende Beobachtungen mit: „Im verflossenen Winter 1914/1915 hatte ich vor meinem Fenster eine Schaar Rabenkrähen ge- füttert; darunter waren ein einbeiniger Kerl und ein halber Albino. Die beiden etwas „denaturierten" Individuen hielten sich jeweils von der übrigen Gesellschaft etwas fern, hielten aber in ihrem Mißgeschick treu zusammen. Mit dem Anbruch des neuen Winters am 19. Nov. 191 5 stellten sich nach langer Sommer- vakanz wieder 6 Stück Rabenkrähen vor meinem Fenster ein ; darunter war wieder der einbeinige und ebenso der grau weiß pannachierte Vogel. Wieder halten sich die beiden beieinander; während die übrigen unter Tags ihren Sireifzügen obliegen, halten sich die beiden Isolierten meist während verschlossen war. Durch die eine Bohrung des Stopfens ging ein dünnes Glasrohr bis zum Boden des weiten Glasrohres, wo es in eine feine Spitze endigte, durch die andere Bohrung ging ebenfalls ein dünnes, dicht unterhalb des Stopfens endigendes Glasrohr, das zu einer mit einem Wattebausch angefüllten Vorlage und weiter zu einer S.iugpumpe führte. Wurde die Saugpumpe schwach in 'latigkcit gesetzt, so wurde der Ruß stark aufgcwirkelt und schließlich in der Vorlage von dem Wattebausch aufgefangen. Dieser so gewonnene Ruß erwies sich als unbenetzbar. ') Dieselben betreffen hauptsächlich die Verbreitung der Zirbelkiefer, .\rvc, in den schweizerischen Alpen. des Tages auf einem Türmchen in der Nähe des Futterplatzes auf, von wo aus sie genau auf meinen Schreibtisch sehen und meine Anwesenheit jeweils kontrollieren können. Der Weißgestrichelte krächzt wacker, der einbeinige ist aber immer stumm." Vorstehende Beobachtung liefert einen neuen Beweis dafür, daß ein irgendwie abnormales Tier von seinen Artgenossen gemieden, ev. feindlich behandelt wird. Mitgefühl und Mitleid mit Ihres- gleichen haben ja die Tiere nicht. Daß dasselbe eine Frucht der Erziehung beim Menschen ist, geht ja auch aus der Grausamkeit hervor, die man bei Kindern gegen Tiere oft findet, es sei nur an das Abbrechen und Ausreißen der Beine des Weberknechtes und des Maikäfers, der Flügel der Stubenfliege, an das Aufblasen der Frösche usw. erinnert. Kathariner. Das 10. Abdominalsegment der Käfer als Be- wegungsorgan. Die Larven niederer Insekten, also besonders diejenigen mit unvollkomniener Verwandlung, haben meist ihren Schwerpunkt in der Nähe der Fortbewegungsorgane. Sie sind daher in der Lage, ihren Körper so fortzubewegen, daß der Hinterleib leicht nachgezogen werden kann. Im Gegensatz dazu liegt bei vielen Käfer- larven der Schwerpunkt ein Stück weit hinter der Brustgegend. Das Tier hat daher Mühe, den Hinterleib nachzuschleppen und dieser bedarf der wirksamen Unterstützung durch gewisse Organe, die gewöhnlich als Nachschieber bezeichnet werden. Sie können in Gestalt und Funktion verschieden sein und verschiedenen morphologischen Wert besitzen. Bei manchen Larven geschieht die Unterstützung durch Kriechwarzen an den Hinterleibsringen, bei anderen durch Aufsetzen und Anpressen des Hinter- endes an die Unterlage. Im letzteren F"alle ist die Wirkung um so kräftiger, je enger sich die betreffende Stelle an den Boden anschmiegt. Daher wird bei vielen Käferlarven der After ausgestülpt und als „siebenter" P"uß gebraucht. Obwohl dieser siebente Fuß .schon den For- schern des letzten Jahrhunderts bekannt war, sind die Angaben über seine Natur und Herkunft doch nicht vollkommen, und der morphologische Wert der Einrichtung bedurfte der wissenschaftlichen Analyse. Die Untersuchung von Paul Brass (Das 10. Abdominalsegment der Käferlarven als Be- wegungsorgan, Zool. Jahrb., Abt. System., Geogr., Biol. Bd. 37. 1914) hat hier Klarheit gebracht. Er untersuchte etwa 15 Käferarten aus 14 Fami- lien, lauter Formen, denen ein siebenter Fuß in irgendeiner Ausbildung zukommt. Die Figuren i und 2 geben das Hinterende von einer ursprünglicheren Form, nämlich von Galerucella viburni Payk, eines Blattkäfers (Chryso- melide) wieder. Wie die übrigen Hinterleibs- segmente ist auch das achte mit Warzen ut\d Haaren bedeckt. Das neunte besitzt nur wenige Warzen an der Seite, während die dorsalen zu einer etwas chitinisierten borstenbesetzten Platte ver- schmolzen sind. Das zehnte ist ventral gebogen. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 195 ^^TTTI Abb. I. Ilinterlcibsendc der Larve von Galerucella vi Der siebte Fuß ist ausgestreckt. (Nach Brass.) Abb 2 Hinterleibsende der Lar\e \on Galeruce viburni Kontraktionszustind (\ach Brass.) (Nach Br Alib. 4. Larven von Luciola italica. Streckung des Körpers. (Nai Abb. ^. Luciola italica. Larve mit niedergesetztem Hinterleib. (Nach Brass.) Geht die Larve aus der Ruhe in die Bewegung über, so streckt sich der Körper so weit wie möglich. Während sich der Vorderkörper vorwärts schiebt, bleibt das Analsegment der Unterlage fest angeheftet. Erst nach der größten Streckung des Körpers wird der After unter starker Kontraktion der letzten Segmente (Fig. 2] vorwärts geschoben. Beim erneuten .\ufsetzen tritt aus dem .After eine gelblich weiße Masse (Abb. i) hervor, von grob gelappter unregelmäßiger Form , die sich dem Boden fest anschmiegt. Dabei wird ein klebriges Sekret abgesondert. Die Einziehung er- folgt erst, wenn das Abdomen wieder gehoben wird. Ähnlich wie bei den Chrysomeliden spielt sich der Vorgang der Anheftung auch bei den übrigen untersuchten Arten ab. Abb.3 zeigt diesen Vor- gang bei Agelastica alni, Abb. 4 und 5 die Phase der Streckung und Zusammenziehung bei der Larve des Leuchtkäfers Luciola italica. Die anatomischen Verhältnisse der Ilinterleibsenden allerdings sind nicht immer so einfach wie bei den Blattkäfern, wo das 10. Abdominalsegment in die Augen fällt. Bei anderen Larven kommt es zu einer Umge- staltung des 10. und oft auch des 9. Segments, und zur Ausbildung von Lappen und zahlreichen Schläuchen, welche somit die Berührungsfläche vergrößeren und die Festigkeit der Fixierung wesentlich erhöhen. Das Hauptgewicht der Untersuchung von Brass liegt in der Klärung der Frage, welcher morpho- logische Wert dem ausgestülpten Körperteil zu- kommt. Nach ihm handelt es sich nicht um ein ausgestülptes Stück des Enddarms, sondern viel- mehr um das Ende der äußeren Körperbedeckung, das eingestülpt wurde. Was man also gewöhnlich als After bei untersuchten Larven bezeichnet, ist ein sekundärer After, während der eigentliche gewöhnlich ein Stück weit in das Körperinnere eingezogen ist. Stellwaag. Bticherbesprechungen. Hertwig, Oscar, Die Elemente der Ent- wicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere. Fünfte Auflage, Jena 1915, Gustav Fischer. 196 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 Das Buch dürfte in den weitesten naturwissen- schaftlichen und ärztlichen Kreisen so bekannt und geschätzt sein, daß es genügen würde auf das Er- scheinen seiner neuen Auflage nur aufmerksam zu machen. Es führt immer noch den bescheidenen Untertitel ,, Anleitung und Repetitorium für Studie- rende und Ärzte" ; es ist doch aber viel mehr als das. Trotz der trefflichen größeren Bücher über Entwick- lungsgeschichte und unter ihnen der Hertwig'schen selbst, ist dieser „kleine Hertwig" immer noch dasjenige Buch, in dem man sich im Bedarfsfall stets am schnellsten und am sichersten über die wesentlichsten in Betracht kommenden Punkte irgendeiner entwicklungsgeschichtlichen Frage orientieren kann. Für den Mediziner ist es be- sonders wichtig, daß in dieser Auflage die mensch- lichen Verhältnisse noch mehr in den Vordergrund gestellt sind; aber auch jedem Nichtmediziner wird das natürlich von Wert sein. Hübschmann (Leipzig). Kämmerer, H,. Die Abwehrkräfte des Körpers. Eine Einführung in die Immunitäts- lehre. 479. Bändchen der .Samml. wissenschftlich- gemeinverständlicher Darstellungen „.Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin 191 5, B. G. Teubner. Es existieren wohl heute noch kaum gemein- verständliche Darstellungen der sog. Immunitäts- lehre, und darum ist es zu begrüßen, daß der Verf mit einer solchen an die Öffentlichkeit tritt. Ob das Büchlein viele Leser finden wird, ist schwer zu sagen. Zu wünschen wäre es, daß gerade auch der Laie an diesem Gebiet erkennen lernt, wie ungeheuer fein der tierische und menschliche Organismus zu funktionieren vermag. Aber auch die Biologen von Fach und die übrigen Natur- wissenschaftler sollten sich mehr mit der Immuni- tätslehre beschäftigen, da sie auch außerhalb der medizinischen Wissenschaft für manigfaches Natur- geschehen von hoher Bedeutung ist. Wenn man dazu zunächst einmal eine populär geschriebene Darstellung nimmt, so wird das kein Schade sein, wenn nur eine solche das Tatsachenmaterial in richtiger Weise vorbringt, und ich glaube dies von dem vorliegenden Büchlein sagen zu dürfen. Der Laie wird darin manche willkommene Auskunft und der Forscher, der dem Gebiet bisher fern stand, auch sicher Anregung zu weiterem Studium finden. Verf. bespricht zunächst die natürlichen, resp. die angeborenen Schutzkräfte des Organis- mus und dann die „gesteigerte Widerstandskraft als P'olge überstandcncr Krankheit oder künst- licher Immunisierung", sodann die Prinzipien der verminderten Resistenzfähigkeit und der Über- empfindlichkeit. Es wäre meines Erachtens aller- dings am Platze gewesen, in den letzteren beiden Kapiteln das Prinzip der geänderten Reaktions- fähigkeit des Körpers nach parenteraler Einführung eines Antigens mehr herauszuarbeiten. — Die letzten Kapitel behandeln die Verwertung der Immunitätsreaktionen für Schutz-, Heil- und dia- gnostische Zwecke, ein Gebiet, das gerade weiten Kreisen von hohem Interesse sein wird. — Das Lesen des Büchleins wird auch dem Laien nicht allzu schwer werden, da Verf. alles überflüssige Theoretisieren vermeidet , ohne allerdings den wichtigsten, hochbedeutenden theoretischen Fragen ganz aus dem Wege zu gehen. — Warum aber zum Schluß der Verf. sein Heil bei dem Franzosen Bergson und seinem elan vital sucht, ist schwer zu begreifen. Da wären wir ja mitten im Vita- lismus und bei teleogischer Betrachtungsweise von neuem angelangt. Daß Darwin's Selektions- theorie uns nicht alles, auch nicht die Immunitäts- vorgänge, restlos zu erklären vermag, wird jeder zugeben, aber die genialen Gedanken des gründ- lichen Engländers aus dem 19. Jahrhundert werden noch lange in jeder biologischen Wissenschaft existieren, wenn der geistreiche Franzose des 20. Jahrhunderts lange vergessen sein wird. Hübschmann (Leipzig). Stauffacher, Heinrich, Die Erreger derMaul- und Klauenseuche. Sonderdruck aus „Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie" Bd. 115, H. I. Leipzig, '\\'ilhelm Engelmann. Der lange vergeblich gesuchte Erreger der Maul- und Klauenseuche ist nach den Unter- suchungen des Verf. ein den Leishmanien ver- wandter Euflagellat, der zu den Monadinen gehört und den Verf. Aphthomonas infestans nennt. Als Beleg seiner Ansicht berichtet er über umfang- reiche mikroskopische und kulturelle Untersu- chungen an Blasenlymphe, Blut und Geweben, deren Gang hier weder besprochen noch kritisiert werden kann. Im Mikroskop fand er teils äußerst kleine an der Grenze des Sichtbaien stehende Ge- bilde, teils auch intrazelluläre, den Leishmanien ähnliche Formen. In Kulturen aber traten ganz wie bei den Leishmanien Herpetomonasformen auf. — Leider kann Verf bisher nur mit einem (unter zweien) gelungenen Übertragungsversuch von Reinkultur aufwarten. Im Interesse der Sache ist zu hoften, daß man darüber bald mehr hört. Denn besonders die Kulturversuche müssen als äußerst interessant und sehr vielversprechend zur endgültigen Lösung der Frage bezeichnet werden. Hübschmann (Leipzig). Flesch, Max, Die Entstehung der ersten Lebensvorgänge. Vortrag gehalten in der wissenschaftlichen Vereinigung der Sanitäts- offiziere zu Lille am 26. Mai 1915. Jena 1915, Gustav Fischer. Verf. ist der Meinung, daß die lebende Substanz im Grunde keine einzige Eigenschaft besitze, die ihr allein gegenüber der anorganischen Welt zu- komme. „Erst in dem Zusammentreffen einer großen Summe von Eigenschaften und in der regelmäßigen .Aufeinanderfolge gewißer Vorgänge liegt das Wesen des Lebens." Über die Ehrlich- sche Seitenkettentheorie hin, auf Grund derer man zu einer greifbaren Auffassung gewisser N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 197 Lebensvorgänge unter Ausschaltung der Zellular- theorie kommen könne, kommt Verf. dann auf Grund neuerer Forschungen zu der Anschauung, „daß die Formentwicklung des Lebewesens nichts enthält, was nicht der physikalischen Forschung zugänglich wäre." — So kommt Verf auch zu der hoffnungsvollen Äußerung, „daß bezüglich des Problems der künstlichen Herstellung lebender Substanz wir nicht am Ende des Erreichbaren angelangt zu sein glauben müssen." Für die thera- peutische Praxis hält er das Ziel nicht für allzu fern, durch Schaffung geeigneter Bedingungen eine Einheilung artfremder Gewebe im menschlichen Körper erreichen zu können. Hübschmann (Leipzig). Maurer, Friedrich, Grundzüge der ver- gleichenden Gewebelehre. 486 S. Leipzig 191 5, Emanuel Reinicke. Unter den Neuerscheinungen aus dem Gebiete der biologischen Wissenschaften nimmt das vor- liegende Buch eine hervorragende Stelle ein, gibt es doch nur wenige, die seit Ha ecke 1 die ver- gleichende .Anatomie der Tiere einer zusammen- fassenden Bearbeitung unterzogen, und erst recht wenige, die dabei den histologischen Verhältnissen eine eingehende \\'ürdigung widmeten. Man mag über die Grundlagen solcher Forschungen denken wie man will, Anregungen zu neuer Arbeit wird daraus jeder schöpfen können. Das Buch Maurer's mit seiner klaren und flüssigen Darstellung, aus der des Verf. 30jährige Erfahrung — man kann sagen — fast aus jeder Zeile spricht, und seinen zahlreichen guten Abbildungen ist eine besonders anregende Lektüre. Verf bespricht zunächst die morphologischen Kriterien der Zelle und ihrer Teilung und schließt daran die Schilderung der Differenzierungen an, die in der Protozoenzelle stattgefunden haben, wobei mannigfache Hinweise die Verbindung zu den Organen der Metazoen bilden. Verf. zeigt dann, wie über die Blastula hin bei der zweiblättrigen Gastrula infolge der verschiedenen Funktion auch eine morphologische Differenzierung beider Blätter zustande kommt. Die beiden Blätter, zu denen noch die primitiven Stützsubstanzen kommen, sind sozusagen die Ur- gewebe, von denen sich alle übrigen ableiten. Die Anordnung des Stoffes ist nun darum eine besonders anziehende, daß sie nicht nach den einzelnen Tierklassen, sondern nach den verschie- denen Geweben erfolgt. Die eigentlichen Gewebe werden in vegetative und animale eingeteilt ; zu ersteren zählen die Epithelien und Bindesubstanzen mit Blut und Lymphe, zu letzteren Muskel- und Nervengewebe. — Alle diese Gewebe und die aus ihnen gebildeten Organe werden dann der Reihe nach besprochen. Davon Einzelheiten zu geben, ist im Referat unmöglich. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Darstellung nicht überall die gleiche Ausführlichkeit haben kann; aber für alle Kapitel gilt das oben Gesagte. Besonders anregend erscheinen mir die Abschnitte über die Stütz- substanzen, über das Blut und über das Muskel- gewebe. Ganz fehlt leider eine Darstellung der endokrinen Drüsen (mit Ausnahme kurzer Be- merkungen über die Langerhans'schen Inseln des Pankreas). Ob es da erlaubt ist, einen Wunsch auszusprechen ? — Verf urteilt selbst über sein Buch, daß es Stückwerk bleiben mußte. „Bei dem ungeheuren Material von Tatsachen, das schon vorliegt, ist es kaum möglich ein erschöpfendes Bild zu geben". Vielleicht ist es heute überhaupt schon unmöglich, daß ein einzelner Forscher allein das Riesengebiet der vergleichenden Anatomie und Histologie erschöpfend behandelt. Dann muß man sich auch hier auf ein von verschiedenen Forschern geschriebenes „Handbuch" vertrösten. Aber solche Bücher aus einem Guß wie das vor- liegende werden darum stets ihren ganz besonderen Wert behalten. Sie sind weniger Stückwerk als die andern. M a n r e r ' s Buch ist Ernst Haeckel zu seinem 80. Geburtstag gewidmet; es ist ein wahrhaft würdiges Geburtstaggeschenk. Hübschmann. Ernst Jänecke, Die Entstehung der deut- schen Kalisalzlager. Aus der Sammlung „Die Wissenschaft", Bd. 59. XII und 109 Seiten mit 24 Abbildungen im Text. Braunschweig 1915, Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn. — Preis geh. 4 M., in Leinw. geb. 4,80 M. Das Problem einer Erklärung der Entstehung der deutschen Kalisalzlager, bekanntlich zuerst in mustergültiger Weise von van 't Ho ff bearbeitet (vgl. J. H. van't Hoff, „LIntersuchungen über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salz- ablagerungen", herausgegeben von H. Brecht und Ernst Cohen, Leipzig 1912), ist trotz der großen Erfolge im einzelnen auf gewisse Schwierig- keiten gestoßen, die bislang nicht hatten über- wunden werden können. In der vorliegenden Schrift, die für Chemiker und Geologen von gleich großem Interesse ist, legt nun der Verf., a. o. Prof an der Technischen Hochschule Hannover, in klarer und übersichtlicher Behandlung den augen- blicklichen Stand unserer Kenntnisse auf dem schwierigen Gebiete dar und sucht dann nach- zuweisen — das ist der Hauptzweck der kleinen Schrift — , daß alle Schwierigkeiten bei richtig durchgeführter Betrachtung über die Ausscheidung der Kalisalze aus ihren Mutterlaugen und die Ver- änderungen, die die primär ausgeschiedenen Salze „beim Eintauchen in die Erde infolge Überlagerung durch andere Erdschichten sowie beim Wieder- auftauchen durch Abtragung der überlagerten Schichten" erlitten haben, ohne Einführung neuer Hypothesen von selbst verschwinden. Die anregende kleine Schrift, die voraussicht- lich noch zu mancherlei Diskussionen Veranlassung geben wird, wird gerade in P'achkreisen viel be- achtet werden. Werner Mecklenburg. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 13 H. Thurn, Die Funkentelegraphie. Aus Natur und Geisteswelt Nr. 167. 3. Aufl. Leipzig und Berlin 1915, Teubner. — Preis geb. 1,25 M. Die neue Auflage des sehr lesenswerten Büch- leins ist gegenüber der vorigen ganz beträchtlich verändert. Wenn auch die Seitenzahl von 128 auf III und die Zahl der Abbildungen von 58 auf 51 zurückgegangen ist, so hat die Arbeit doch durch die Geschlossenheit der Darstellung und dadurch, daß für den Nichtfachmann weniger interessantes (z. B. die Funkentelegraphie im Recht) fortgelassen ist, sehr gewonnen. Auch die Anordnung des Stoftes ist übersichtlicher. Zunächst gibt der Verf eine kurze, aber alles Wesentliche enthaltende Darstellung der wichtigsten physika- lischen Begriffe wie Magnetismus, Elektrizität, Induktion, Kapazität, Selbstinduktion u. a. m. Diese Einführung, die für das Verständnis des Folgen- den sehr wichtig ist, bedeutet gegenüber der zweiten Auflage, in der sie fehlt, einen beträcht- lichen Fortschritt. Nach einem kurzen geschicht- lichen Überblick werden dann die Einzelanord- nungen einer funkentelegraphischen Anlage be- sprochen, und zwar werden mit Recht namentlich die Apparate der Deutschen Telefunken-Gesell- schaft behandelt. Im 5. Kapitel, das sich mit den Anvvendungsformen der Funkentelegraphie befaßt, wird eingehender die Anlage des Hapag- Dampfers Imperator und der neuen Großstation in Nauen an der Hand zahlreicher guter Abbil- dungen geschildert. Ein 2. Abschnitt des Buches beschreibt einige Systeme der drahtlosen Tele- phonie, während der dritte und letzte Abschnitt den Einfluß der Funkentelegraphie auf den Wirt- schaftsverkehr und das Verkehrsleben darstellt. Sehr interessant sind eine Reihe von Tabellen, die u. a. über die internationale Verbreitung und die Verwendung der verschiedenen Systeme, über die Zahl der in den Jahren 1910 bis 191 3 aufge- gebenen Funkentelegramme Aufschlüß_ geben. Das Buch kann allen denen, die einen Überblick über die neuen Errungenschaften und über den augenblicklichen Stand der Funkentelegraphie ge- winnen wollen, auf das wärmste empfohlen werden. K. Schutt, Hamburg. Wagner, Paul, Die Wirkung von Stall- mist und Handelsdünger nach denEr- gebnissenvon 4 — 14jährigen Versuchen (Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesell- schaft Heft 279, 191 5). Die umfangreiche Arbeit bietet einen ab- schließenden Überblick über die unter Wagner 's Leitung in den letzten 15 Jahren ausgeführten Düngungsversuche. Das große Zahlenmaterial ist in musterhafter Weise gesichtet und zur Ab- leitung von Folgerungen benutzt worden, welche besonders für die landwirtschaftliche Praxis wert- voll sein dürften. Der Düngungsversuch kann ohnehin nur der Praxis des Pflanzenbaues dienen, zur wissenschaftlichen \'ertiefung besonderer Fragen der Pflanzenernährung ist er nicht geeignet. Aber auch seinen eigentlichen Zweck kann er nur dann erfüllen, wenn die Beurteilung seiner Ergeb- nisse mit größter Kritik und Umsicht erfolgt. Dieser Forderung entsprechen die W.'schen Dar- legungen durchaus, die gewonnenen Resultate sind mit größter Objektivität gedeutet und im ein- zelnen begründet worden. Das Gesamtmaterial, das zum Teil \'ersuche von 14 jähriger Dauer auf den gleichen Versuchs- feldern wiedergibt, ist im ersten Teil der Arbeit unter Anführung aller Einzelwerte dargestellt. Von besonderem Interesse ist aber, was Verf. im 2. Teile zu den Versuchsergebnissen bemerkt. Es wäre vielleicht zu wünschen gewesen, daß die Folgerungen, soweit sie die Wirkung und die Wandlungen des Stickstoffs betreffen, mehr den beteiligten biologischen Vorgängen Rechnung ge- tragen hätten. So ist nach W.'s IVIeinung der durch die Verwendung von Handelsdünger er- zielte Gewinn dadurch zu errechnen, daß zu den Düngerkosten der Wert der unter dem Einfluß der Düngung dem Boden entzogenen Nährstoffe hinzugerechnet und erst der so erhaltene Betrag von dem Werte des Mehrertrages in Abzug ge- bracht wird. Für den Stickstoffzuschuß, welchen der Boden leistet, kann aber während der Versuchs- dauer sehr wohl durch Vorgänge der Stickstoff- sammlung vollständiger oder teilweiser Ersatz geschaffen werden, so daß von einem wirklichen Stickstoffverlust des Bodens nicht gesprochen werden kann. Solche Aufstellungen mögen für Kali und Phosphorsäure berechtigt sein, für Stick- stoff sind sie es nicht, weil dieser eben beständig den verschiedensten Wandlungen durch Vorgänge bakterieller Art unterworfen ist. Aus der großen Zahl der ermittelten Tat- sachen von allgemeiner Bedeutung seien die folgenden erwähnt: In Übereinstimmung mit früheren Angaben des Verf berechnet sich auch aus den vorliegenden Versuchen eine normale Ausnutzung des Salpeter- stickstoffs unter den Verhältnissen der landwirt- schaftlichen Praxis zu rund 60 "'„. Durch i dz Chilesalpeter wurden, ebenfalls in Bestätigung früherer Befunde, im Mittel hervorgebracht: 50 dz Futterrüben, 24 " Zuckerrüben oder rund 4 " Getreidekörner. I dz Stallmist hat im Mittel aller Versuchs- reihen einen Mehrertrag im Werte von 89 Pf. gebracht, W. weist aber mit Recht darauf hin, daß dieser Mittelwert bei den außerordentlich großen Schwankungen der Einzelwerte ziemlich bedeutungs- los ist. Er ist, wie weiterhin nachgewiesen wird, zu niedrig und kann für gewöhnlich auf 124 Pf. erhöht werden, wenn durch Beigabe von Handels- dünger die Nährstoffe des Stalldüngers zu voller Wirkung gebracht werden. Die normale Aus- nutzung des Stallmiststickstoffs ist zu rund 25 "/q innerhalb einer Rotation festgestellt worden. Der mittlere Gehalt mäßig verrotteten Hofdüngers betrug 0,35 »/o P^Og, 0,55 "/o K3O und 0,50 % N. N. F. XV. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 199 Den Düngewert der in i dz Stallmist enthaltenen Nährstofife berechnet W. auf zusammen 65 Pf. im Vergleich zum Preis der Handelsdünger. Höchsterträge an Hackfrüchten waren durch Handelsdünger allein nicht zu erzielen, sondern erst nach Beigabe von Stalldünger. Verf. führt dies auf die schnellere und reichlichere Aufnahme der Stallmist- Phosphorsäure zurück, welche gerade bei Hackfrüchten von größerer Bedeutung ist. Andererseits hat die Stallmistdüngung allein in keinem einzelnen Falle zur Erzielung von Höchst- erträgen ausgereicht. Der Gehalt der Ernteprodukte (mit A'jsnahme der Getreidekörner) an Kali und Phosphorsäure kann einen ungefähren Anhalt für die Beurteilung des Düngebedürfnisses des betreffenden Bodens geben. So hat sich beispielsweise bei Winter- roggen gezeigt, daß der Boden beim Gehalt des Strohes von weniger als 0,12 "/„ P2O5 stets gut auf Phosphorsäure-Düngung reagierte, war dagegen der prozentische Phosphorsäuregehalt des Roggen- strohes höher als 0,42 "/o- so hat die Phosphor- säure-Düngung in keinem P"alle eine merkliche Wirkung ausgeübt. Da durch einseitige Düngung mit Stickstoff- salzen der Stickstoffvorrat des Bodens stark in Anspruch genommen wird, und da die vom Boden für die Pflanzenproduktion gelieferte Stick- stoffmenge beim Fehlen jeder Stickstoffzufuhr (wenigstens beim Sandboden, Ref.) allmählich geringer wird, ist eine gelegentliche Zufuhr von Stickstoff in organischer Form durchaus not- wendig. , Vogel, Leipzig. R. H. Weber und R. Gans, Repertorium der Physik. I. Band: Mechanik und Wärme. I.Teil: Mechanik, Elastizität, Hydrodynamik und Akustik, bearbeitet von R. Gans und F. A. Schulze. 434 .S. mit 126 Figuren im Text. Leipzig und Berlin 191 5, B. G. Teubner. — Preis geb. 8 M. Der hier vorliegende i. Teil des I. Bandes eines Repertoriums der Physik leitet das Erscheinen einer auf zwei Bände berechneten Gesamtdarstel- lung der theoretischen Physik ein. Sie soll nach der Absicht der Herausgeber ein Vademekum sein für den, der selbständig zu arbeiten beginnt, und soll ihm eine erste Einführung in die Literatur bieten. Diesem Zweck vermag das Werk, nach der Anlage seines vorliegenden Teiles zu urteilen, jedenfalls vortrefflich gerecht zu werden. Es dürfte aber auch jedem Studierenden der Natur- wissenschaft einen guten Überblick über das Ge- samtgebiet und einen klaren Einblick in die theo- retische Behandlung aller wichtigen Einzelfragen gewähren. Hervorzuheben ist die anschauliche Verbindung von Theorie und Erfahrung, die trotz der großen Fülle des zu behandelnden Stoffes durch scharfe Präzisierung der Einzelprobleme erreichte vorbildliche Übersichtlichkeit und die bei aller Gründlichkeit doch für den mit der Differential- und Integralrechnung vertrauten Leser durchweg elementare mathematische Behandlung. Durch Beifügung wichtiger Literaturangaben wird dem Bedürfnis desjenigen Lesers Rechnung ge- tragen, der dem einen oder anderen Problem völlig auf den Grund gehen will. Das Gesamt- werk wird darnach zweifellos als eine wertvolle Ergänzung unserer Orientierungsmittel auf dem Gebiete der theoretischen Physik zu betrachten sein. A. Becker. M. Abraham, Theorie der Elektrizität. II. Band: Elektromagnetische Theorie der Strahlung. 3. Aufl. 402 Seiten mit 1 1 Abbildungen im Text. Leipzig und Berlin 19 14, B. G. Teubner. — Preis geb. 11 M. Daß das vortreffliche Abraham 'sehe Werk, auf das ich vor Jahren anläßlich seines ersten Erscheinens in dieser Zeitschrift (5. Band, S. 286, 1906) ausführlich hingewiesen habe, nach relativ kurzer Zeit bereits in 3. Auflage vorliegt, läßt die Wertschätzung erkennen, deren sich dieser gründ- liche Vermittler der gesamten bisherigen Ergeb- nisse der elektrodynamischen F'orschung in weiten Kreisen erfreut. Die rasche Entwicklung, welche die Theorie des Elektrons und die Elektrodynamik bewegter Körper in den letzten Jahren erfahren haben, hat eine teilweise Umarbeitung und Einfügung einiger neuer Kapitel notwendig gemacht. Neu aufge- nommen ist insbesondere im Anschluß an die Be- handlung der translatorischen Bewegung von Elektronensystemen die Theorie ihrer rotierenden Bewegung, welche die Grundlage für die elek- tronentheoretische Deutung der Magnetonen bildet, die für das Verständnis der paramagnetischen und ferromagnetischen Erscheinungen bedeutungsvoll sind. Eine wesentliche Neugestaltung hat die Darstellung der Elektrodynamik bewegter Körper durch eingehende Berücksichtigung der neuesten Untersuchungen auf dem Gebiete der Wellen- strahlung und der Relativitätstheorie erfahren. Die früher in diesem Bande mitgeteilte Theorie einiger Probleme der drahtlosen Telegraphie ist dafür berechtigter Weise nach Band I verwiesen. Zu begrüßen ist es, daß Verf. seiner Darstel- lung gegen früher einige schematische Abbildungen zur Veranschaulichung beigefügt hat; vielleicht wäre eine Vermehrung ihrer Zahl für später wünschenswert. A. Becker. Wetter-Monatsübersicht. 1 vergangenen Februar herrschte in Deutschland ziem- eränderliches, überwiegend trübes, nebeliges Wetter. Zunächst trat überall eine merkliche Erwärmung ein und dann wechselten mäßig hohe Temperaturen und gelinder Frost wäh- rend der Nächte in den meisten Gegenden häufig miteinander ab. Im Westen und Süden wurden 10° C nicht selten erreicht Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i^ cn, am 4. Februar stieg das Thcr- Dortmund, Erfurt und Stuttgart und ein wenig überscliritl mometer z. B. in Trier, bis auf 12° C. Gegen Mitte des Monats gingen die Temperaturen etwas zurüclt, aber erst nach dem 20. stellte sich im größten Teile des Landes strengerer Frost ein, der nicht ganz eine Woche lang Tag und Nacht über anhielt. Zwischen dem 21. und 24. brachten es viele ostdeutsche Orte auf 10 bis 12, in den schlesischen Gebirgen Friedland auf 18, Habelschwerdt Jemjseralur -'Sßinima einiger ©rle irnJcnruarlSlS. Wjllerburuu. auf 19, Schreiberhau sogar auf 21° C Kälte. Die mittleren Monatstemperaturen stimmten in Norddeutschland mit ihren normalen Werten nahezu überein, während sie östlich der Elbe und im Süden etwas zu hoch waren. Der Überschuß war jedoch im allgemeinen gering, allein in der Provinz Ost- preußen erreichte er etwas mehr als 2 Celsiusgrade. Auch die Dauer der Sonnenstrahlung wich von der gewöhnlichen im ganzen wenig ab. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne im letzten Februar an 64 Stunden geschienen , während hier im Mittel der 24 früheren Februarmonate öl Sonnenschein- Die Niederschläge waren, wie aus unserer zweiten Zeich- nung ersichtlich ist, auf die verschiedenen Teile des Monats recht ungleich verteilt. Bis zum Morgen des 6. Februar war das Wetter zwar vielfach nebelig, sonst jedoch überwiegend trocken und im östlichen Binnenlandc ziemlich heiter. Am 6. abends aber setzten an der Nordseeküste Regenfälle ein, die sich allmählich weiter nach Osten und Süden ausdehnten und in den nächsten Tagen öfter wiederholten. In Mittel- und Ostdeutschland gingen sie bald darauf in Schneefälle über. Nach kurz vorübergehender Aufheiterung des Wetters fanden seit dem 14. Februar wieder zahlreichere Nieder- schläge statt, die an verschiedenen Stellen West- und Mittel- deutschlands von Gewittern eingeleitet wurden und noch er- heblich stärker als zuvor waren. Besonders gingen im west- deutschen Binnenland immer neue heftige Regengüsse hernieder, die namentlich im Rheingebiete nicht unbedeutende Hochwasser zur Folge hatten. Gleichzeitig kamen in Ost- deutschland weitverbreitete Schneefälle vor und schützten den Boden gegen das Eindringen der bald nachfolgenden strengeren Kälte. Erst in der letzten Februarwoche ließen die Nieder- schläge an Stärke wieder nach, obschon, besonders im Westen, noch ziemlich häutig Regen-, Schnee- und Graupelschauer ylkdzi'gc^aQ^^i^tn im JcWuar 191B. -• -*- /WiffleperWertfür 21.bis29-Februar. ' '■' I I I I , I L_iJ vorkamen. Die Niederschlagssumme des Monats belief sich im Mittel für alle berichtenden Stationen auf 53,5 mm und übertraf um 15,3 mm die Niederschläge, die die gleichen Stationen in den früheren 25 Februarmonaten durchschnittlich geliefert haben. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa änderte sich innerhalb des vergangenen Monats meistens ziem- lich langsam. In den ersten Tagen rückte ein tiefes barome- trisches Minimum vom Atlantischen Ozean ostwärts vor und drängte ein umfangreiches Hochdruckgebiet, das zu Beginn des Monats den größten Teil des westeuropäischen Festlandes eingenommen hatte, ins Innere Rußlands, während gleichzeitig ein neues Luftdruckhoch in Südwesteuropa auftrat. Andere Barometerminima, die das erste an Tiefe noch bedeutend über- trafen, erschienen um Mitte des Monats auf dem europäischen Nordmeer und zogen zum Teil nordostwärts, zum Teil aber auch, von heftigen Weststürmen begleitet, südostwärts nach der südlichen Nordsee weiter. Am 21. Februar drang das südwestliche Hochdruckgebiet nach Mitteleuropa vor und gelangte zwei Tage später nach Skandinavien und Finnland, wo es an Höhe zunahm und länger verweilte. In Deutschland traten daher ziemlich trockene, kältere östliche Winde ein, die erst gegen Ende des Monats, als von Südwesteuropa mäßig tiefe Minima heranzogen, in eine mildere Südostströmung übergingen. Dr. E. Leß. Inhalt: K. Schutt, Über Stralilung. 4 Abb. S. 185. Olufsen, Zur Frage der Maulbeerbuschzüchtung. S. 190. — Kleinere Mitteilungen: Zöller, Das Moor- und Ileidebrennen. S. 191. H. Blücher und E. Krause, Plastische Massen aus Hefe. S. 192. — Einzelberichte: Zöller, Gold in Serbien. S. 192. E. Donath, Ein Beitrag zur Entstehung des Erdöh. S. 192. P. Ehrenberg und K. Schnitze, Unbenetzbarkeit von feinen Pulvern. S. 193. P. Karl Hager, Grausamkeit bei Vögeln. S. 194. Paul Brass, Das 10. Abdominalsegment der Käfer als Be- wegungsorgan. 5 Abb. S. 194. — Bücherbesprechungen: Oscar Hertwig, Die Elemente der Entwicklungslehre des Menschen und der Wirbeltiere. S. 195. H. Kämmerer, Die Abwehrkräfte des Körpers. S. 196. Heinrich Stauffacher, Die Erreger der Maul- und Klauenseuche. S. 196. Max Flesch, Die Entstehung der ersten Lebens- vorgänge. S. 196. Friedrich Maurer, Grundzüge der vergleichenden Gewebelehre. S. 197. Ernst Jänecke, Die Entstehung der deutschen Kalisalzlager. S. 197. H. Thurn, Die Funkentelegraphie. S. 198. Paul Wagner, Die Wirkung von Stallmist und Handelsdünger nach den Ergebnissen von 4 — 14jährigen Versuchen. S. 198. R. H. Weber und R. Gans, Kepetitorium der Physik. S. 199. M. Abraham, Theorie der Elektrizität. S. 199. — Wetter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 199. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lipperl & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift Sonntag, den 2. April 1916. Nummer 14. Die Zitronen und Orangen in Geschichte und Kunst. 3n Fr. Dr Killermann-Regensburg. Mit 4 Abbildungen. I. Allgemeines. rechts der Bahnlinie Gartenhaine, von reinen Zu den schönsten Gewächsen und begehrtesten Orangenbeständen gebildet. Ganz verführerisch Früchten Italiens gehören die Zitronen und Orangen, blicken einen die goldenen Apfel aus dem dunkel „Der Phantasie des Nordländers", sagt V. Hehn in seinem berühmten Buche, ') „schweben vor allem die Hespcridcnbäume mit den goldenen Früchten vor, die er unter seinem Nebelhimmel nur in Papier gewickelt aus der Hand des Schiffers oder des Kaufmanns erhält". Schön sind in der Tat die Orangenbäume mit ihrem dunkelgrünen, lebens- frischen Laubwerk, den lilienartig duftenden, weißen Blüten und den goldig schimmernden, saftge- schwellten Früchten. Stellt man sich dazu den leuchtenden südlichen Himmel vor, so möchte man in solcher Landschaft ein Bild des Paradieses sehen. Leider ist es, wie so manche Schönheit Italiens, ein Trugbild und die Zitronen- und Orangenbäume sind nicht eigenes Gewächs dieses Landes, sondern ein Geschenk der ostasiatischen Flora, „ein Schmuck mit fremden Federn". Wenn man etwa, lautet eine witzige Bemerkung F. Co hn's, den alten Cicero mit den Worten Goethes ge- fragt hätte: Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n, Im dunklen Laub die Goldorangen glüh'n;, er würde sicher nicht geahnt haben, daß man damit sein eigenes Vaterland meinen könne. Wer nach Italien fährt , erblickt zuerst am Gardasee staunenden Auges die malerischen Zitronengärten. Wie Nixenschwärme tauchen sie aus der azurnen P'lut und sonnen sich an den kahlen, heißen P'elswänden. Man sagt, daß sie im Winter bedeckt werden müssen, um nicht zu erfrieren. Wirkliche Orangenwälder finden sich erst im Süden und auch da nur an besonders günstigen Stellen, auf den Inseln Sardinien und Sizilien. V. Hehn erzählt nach Roß und Fied- ler, daß in dem Orangenhain von IVlilis auf Sar- dinien Exemplare stehen, so stark und mächtig wie Eichen, eines davon mit einem jährlichen Ertrag von über 5000 Früchten. Das Alter wird auf 700 Jahre geschätzt, was aber mit den späteren Ausführungen V. H eh n's nicht zusammenstimmt. Eine blühende Orangenkultur hat sicii nach meinen Beobachtungen -) um Jaffa in Palästina ent- wickelt. P'ährt man im Zuge von da nach Jeru- salem hinauf, so sieht man einige Zeit links und d Haustiere, 6. Aufl. (Berlin 1894), ') Kulturpfia S. 426. ■'} Vgl. S. Killermann, Blume nisclie Auslese einer Frühlingsfahrt du mit 10 Abb. Leipzig, Hinrichs 1915 des Hl. Landes, bota- ch Syrien und Palästina, grünen Laube an. Die Ausfuhr von Orangen aus Jaffa ist eine sehr beträchtliche. Wie gesagt, sind diese Gewächse in den Gegen- den am Mittelmeer, die ihnen nun sehr wohl be- hagen, nicht zu Hause, sondern aus Indien und Ostasien mit der Zeit eingeführt worden. Als wichtigste Arbeiten, welche sich mit der Geschichte dieser Gewächse beschäftigten, sind hier zu nennen : Gallesio, Traite du Citrus (Paris 181 1); Risso, Histoire naturelle des Orangers (1818); A. de Candolle-Goeze, Der Ursprung der Kultur- pflanzen (Leipzig 1884); Engler-Prantl, Natür- liche Pflanzenfamilien, III. Teil, 4. und 5. Abtlg. ; E. Bona via, The cultivated oranges and lemons etc. (London 1890); Leunis, Synopsis des Pflanzenreiches u. a. Die hier in Betracht kommenden Aurantiaceen sind hauptsächlich in zwei Gruppen zu bringen: einerseits die Zitrone (Citrus medica L.), wozu noch die Limone und die große Zitronatzitrone gehören ; andererseits die Pomeranze (Citrus Auran- tium L.), die süße Orange oder Apfelsine, sowie der sog. Adamsapfel (vgl. Abb. i). Die Zitronen haben im allgemeinen längliche, zitzenförmig ausgezogene, meist saure P"rüchte; die Sprosse sind rötlich, die Blätter kahl, die Blüten männlich und zwitterig, sowie meist röt- lich. Die Gruppe der Pomeranzen besitzt fast immer kugelige Früchte, die sauer oder süß sein können; die Schößlinge sind hellgrün, die Blüten weiß, stark wohlriechend und meist zwitterig; die ebenfalls aromatischen Blätter fallen durch den mehr oder minder breit geflügelten Blattstiel auf. Während dieses letztere Merkmal für die Pome- ranzen charakteristisch ist, scheint es bei den Zitronen oft zu fehlen ; der Zitronenbaum ist ferner zumeist klein, ja strauchartig, während der Orangen- baum, wie oben geschildert, eine Stammdurch- messer von '/j m und ein entsprechendes Alter (150 Jahre) erreicht. Der Unterschied zwischen süßen und sauren Früchten ist nicht durchgreifend; es gibt auch süße Zitronen und die bekannte süße Orange hat, wie angenommen wird, als Stammart die saure oder besser bittere Pomeranze (Citr. Aur. subsp. amara L.). B o n a v i a bestreitet aller- dings nach Eng 1er diesen Zusammenhang. Die Unterscheidung der einzelnen Varietäten der genannten Hauptarten ist ziemlich schwierig. Die echte Zitrone (C. medica genuina Engl.) ist Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 14 eine höckrigwarzige, längliche, dickschalige Frucht mit wenig oder nur schwach säuerlichem Saft; die Blattstiele sind meist ungeflügelt (s. Abb. i Bj. Die Limone (Limonum (Risse) Hook, f.) zeich- net sich aus durch eine saftreiche und sehr saure Pulpa; die Rinde ist dünnschalig und glatt; der Blattstiel ist nach Engler berandet oder schwach geflügelt (s. Abb. I C). Diese Frucht ist die gewöhnliche Zitrone des Handels. Eine be- sonders große Form (s. Abb. i A ) stellt die Zitronat- zitrone (C. medica macrocarpa) dar, welche von L e u n i s zur echten Zitrone gerechnet, von E n g 1 e r Abb I \ erschiedene Aurantieen Fruchte in ihren Gr Verhaltnissen und Blattformen zusammengestellt Gr ca '2 A Zitronat B Zitrone mit einem Platt L L raone mit 2 Blattern D Apfelsine oder Orange mit 3 Blättern , E Adamsapfel mit 3 Blättern, F Pompelmus mit i Blatt. (Z. T. nach Weinm ann.) Übergangen wird; diese Zitrone soll meist fehl- geschlagene Samen haben und bis 5 Pfund schwer werden. Dann gibt es noch eine I\Ialta-Limone (Limonum var. vulgaris Risso) mit stets unge- flügehem Blattstiel und eiförmig, dunkelgelben Früchten, sowie eine Süßzitrone, Limette (Limo- num var. Limetta Risso), mit fast kugeligen, süß- lich fade schmeckenden Früchten. Die wichtigsten Spielarten der Pomeranze unterscheiden sich nach Engler in folgender Weise: die Pomeranze selbst iC. Aurantium amara L.) hat tief dunkelgrüne und stets sehr aromatisch riechende Blätter, die Apfelsine (sinensis Gall.) meist blaßgrüne Sprosse und schwach aromatische Blätter. Vom Unterschied im Geschmack der in beiden Varietäten kugeligen Früchten ist schon gesprochen worden; die Pomeranze zeigt ferner eine unebene, die Orange eine glatte Schale (s. Abb. I D). Eine großfrüchtige Form ent- sprechend der Zitronate stellt die Pompelmus oder Riesenorange (var. decumana L.) dar; die Blätter sind groß, stark, ausgerandet und zeigen einen breitgeflügelten Blattstiel. Die Früchte (s. .Abb. i F) sind sehr dickschalig, so daß oft die ganze Frucht aus Schale besteht, weißlich, fleischfarben, aber auch gelb und rotwangig und dem Geschmack nach verschieden. Endlich gehört zu dieser Spiel- art nach De Candolle und Engler auch der sog. Paradies- oder Adamsapfel (Pomum Adamum Risso), während ihn Leunis zu den Zitronen rechnet. Die Fruchtschale zeigt hier (s. Abb. i E) starke Unebenheiten, welche an Bißwunden er- innern; die Blattstiele sind wie bei allen Auran- tiumvarietäten geflügelt. Nach De Candolle (a. a. O. S. 218) bildet sich diese Form zu einem größeren Baume heran und ist die einzige, bei der die jungen Triebe und die untere Seite der Blätter mit Flaumhaaren bekleidet sind. Die Zitronen und Limonen tragen Blüten und Früchte zu gleicher Zeit und sind empfindlich gegen kalte Temperaturen. E. Strasburger') bemerkt, daß die Zitronen schon bei — 3" C er- fiieren. Wenn an der Azurküste im Winter die Temperatur auf o" sinkt, was hin und wieder vor- kommt, so herrscht große Aufregung bei den Gartenbesitzern, von denen einer ihm erzählte, daß er in kalten Nächten viele Stunden am Ther- mometer gestanden und mit Angst auf die sinkende Quecksilbersäule gestarrt habe. Die Bäume er- frieren gerade bei der angegebenen Kälte noch nicht, können aber auch nicht viel ertragen. Die Orangen sind etwas kältefester, können wenigstens — 4" C bei bedecktem Himmel aushalten, und die Kälte muß längere Zeit — 6" C betragen, damit der Baum getötet werde. Auch die Orangen können Blüten und Früchte zu gleicher Zeit be- sitzen, wie die schöne Aufnahme von Underwood bezeugt (allerdings aus einem kalifornischen Garten). In Rom sagte man mir, daß die Zitronen wert- voller seien als die Orangen, da sie eine bessere Pflege erheischen. Die Zitronen werden aus Samen gezogen und sind dann lebensfähiger; durch Stöck- linge vermehrt, sind sie fruchtbarer als im ersteren Falle, gehen aber eher ein. Die Heimat dieser herrlichen Pflanzengebilde ist im südlichen Ostasien zu suchen; speziell die Pomeranze und die Orange sind im südlichen China (Conchinchina), wo die Einwohner sie als Bäume ihres Landes ansehen, zu Hause. Bezüglich der Zitrone ist man nicht einig; Hooker fand sie wild in den Tälern des Himalaya und in an- deren gebirgigen Gegenden Indiens; Bonavia glaubt aber, daß sie dort nur verwildert und gleich den vorigen weiter östlich beheimatet sei. ') Slreifzüge an der Riviera, 2. .\utl. Jen.i 1904, S. 282. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 203 2. E i n f ü h r u n g der Zitrone. Nach Europa gelangte zuerst von den Auran- tieen die Zitrone. Ihr Weg ging wohl über Indien, Persien und Syrien. Nach den Ausgra- bungen im alten Nippur in Südbabylonien , das bis in die sumerische Zeit (4000 v.Chr.) hinaufreicht, war hier im Altertum bereits die Zitrone bekannt; V. Frimmel konnte dortselbst gefundene Samen als Zitronenkerne bestimmen. Die Griechen sahen den schönen Baum mit den goldgelben Früchten zuerst auf dem Alexanderzug in Medien. Theo- phrast, der die erste Beschreibung von der Zitrone gibt, nennt sie den „medischen oder per- sischen Apfel" (lib. IV, 4, 2). *) Er sagt, daß diese Frucht zwar ungenießbar, aber sehr wohlriechend sei und als Mittel gegen Motten, Gift und die „Mundfäule" (?) gelte. Man müsse den Baum, der Blüten und Früchte zu gleicher Zeit trage, sorg- föltig in tönernen, durchlöcherten Gefäßen ziehen. Virgil und Plinius sprechen über den Zitronenbaum fast mit den Worten Theophrast's. Wir entnehmen aus Plinius, daß die Einbürge- rungsversuche dieser asiatischen Pflanze anfangs nicht gelingen wollten. Man hatte die Bäumchen in Kübeln mit Erde aus Persien nach Rom ge- bracht, aber keine P'rüchte erzielt. Im 3. Jahr- hundert scheint man dieser Schwierigkeiten Herr geworden zu sein. Der um 220 n. Chr. lebende Schriftsteller Florentinus ist nach V. Hehn der erste, der die Kultur des Zitronenbaumes in ähnlicher Weise beschreibt, wie sie heute am Gardasee geübt wird. Palladius, ein Schrift- steller des 4. Jahrhunderts, schildert uns sehr aus- führlich die Behandlung und Vermehrung des Gewächses; er hatte selbst in Sardinien und auf seinen Gütern bei Neapel, wo der Boden und das Klima warm und genügend feucht sind, beobachtet, wie dieser Baum Früchte, reife und unreife von herbem Geschmack, und Blüten zugleich trug, als ob die Natur ihm einen gewissen Kreislauf be- ständiger Fruchtbarkeit gewährte. Palladius hörte auch, daß die herben Früchte süß werden, wenn man die Samen drei Tage lang mit Wasser oder noch besser mit Schafmilch aufweiche, und daß man Zitronen auf Birn- und Maulbeerbäume aufpfropfen und mit einiger Vorsicht (Zudecken mit Gefäßen) durchbringen könne. -) ') Theophrasti Eresii historia plantarura. cd Fr. W immer. Vratislaviae 1842, p. I43. -) Ego in Sardinia, et in territorio Neapolitano in fundis raeis comperi (quibus solum et caelum tepidum est, et huraor exundans) per gradus quosdam sibi semper poma succedere, cum maturis se acerba substituantur, acerborum vero aetatem florentia consequantur, orbem quendam continuae foecunditatis sibi ministrante natura. Feruntur acres meduUas mutarc dulcibus, si per triduum aqua mulsa semina ponenda mace- rentur, vel ovillo lacte, quod praestat. . . . Inseritur et piro, ut quidam (volunt), et moro, sed insiti surculi qualo desuper omnino muniendi sunt, vel fictili vasculo". (De re rustica lib. I Martius, de Citreo). Auch in dichterischer Form wird der letzte Gedanke vor- getragen : Necnon et Citrei patiuntur mutua rami Pignora, quae gravide cortice raorus alit, Die Zitronenkultur muß allmählich im Römer- reiche einen großen Aufschwung genommen haben. Das Edictum Diocletiani (6, 75) setzt als Preise für diese Früchte fest : eine große Zitrone (citrium maximum) kostet 24 Denare, eine kleine (sequens) 16 Denare, eine Melone nur 2 Denare.') Die Züchtung des Zitronenbaums ist vielleicht das einzige Beispiel von einer aufwärts gerichteten Entwicklung im römischen Kaiserreiche, dieser Periode unrettbaren politischen Verfalls. Nach DeCandolle sind auch die semitischen Völker an der Ausbreitung des Zitronenbaumes beteiligt gewesen. Die Hebräer dürften ihn viel- leicht schon vor den Griechen infolge ihrer nahen Beziehungen zu den mesopotamischen Ländern kennen gelernt haben. Flavius Josephus er- zählt, daß die Juden zu seiner Zeit beim Laub- hültenfest „persische Äpfel" (mala persica) '-) in den Händen hielten, wohl in symbolischer Be- deutung. Diese Äpfel sind nichts anderes als Zitronen. In der christlichen Welt spielt die Zitrone bei religiösen Feierlichkeiten ebenfalls eine große Rolle; bei Leichenbegängnissen wird sie von den Trägern des Sarges mancherorts in der Hand ge- tragen oder sie wird neben dem Altare mit Brot- wecken auf einen Tisch gelegt. Die Zitrone scheint hierbei die Stelle des Rosmarinstrauches, der mehr eine festliche, hochzeitliche Pflanze dar- stellt, zu vertreten. Doch kommt meiner Be- obachtung nach auch die Sitte vor, beide Ge- wächse zu vereinen, d. h. den Rosmarin in eine Zitrone zu stecken und diese in der Hand zu halten. E. Strasburger ist dem Ursprung dieser eigentümlichen symbolischen Gebräuche nachgegangen und weist auf das Werk Fried- rich's hin, „Die Symbolik der Mythologie in der Natur", worin es heißt: „Das Aromatische, Er- quickende imd Belebende der Zitrone hat sie zum Symbol des Lebens und des Schutzes gegen das Lebensfeindliche geinacht. . . . Daher die noch übliche Sitte , dal3 bei einem Leichenbegängnisse die Leidtragenden die das neue Leben des Abge- schiedenen symbolisierende Zitrone in der Hand tragen" usw. Diese Gebräuche dürften auf ein hohes Alter- tum und vielleicht auf die Beschreibung Theo- phrast's zurückgehen. Isidor v. Sevilla") und Rhabanus,*) der berühmte Abt von Fulda (822 — 856), heben gleichfalls die guten, antisepti- Pomaque pasturi blande redolentia succo Armatis mutant spicula nota piris (De insitione, Vers. 109). Palladius Rutilius Taurus de re rustica libri XIV. Ausgabe 1595, pag. 578; von F. G. Schneider 1795, p. 262; von J. C. Schmitt 1898. 1) Fischer-Benzon, Altdeutsche Gartenflora, Kiel 1S94, S. 221. 2) Der Name stammt von Theophrast (s. o.), ging später auf die Pfirsiche über. 3) Isidori Etymologiae II. Bd. lib. XVII, VII, 8. Aus- gabe von W. M. Lindsay. Oxford 1911. ••) Vgl. Fellner, St., Compendium der Naturwiss. an der Schule zu Fulda im IX. Jahrh. Berlin 1S79, S. 183. Rhabanus schreibt in der betr. Sache nur Isidor ab. 204 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 14 sehen Eigenschaften der Zitrone hervor. Als ihr Vaterland sehen sie Medien an, deshalb malum medicum geheißen, auch y.tdQüi.tri}.ov bei den Griechen, weil Blätter und Früchte nach Zedern riechen usw. Albertus Magnus i) ist sichtlich bestrebt, eigene Beobachtungen über den Zitronenbaum vorzutragen. Er vergleicht die Frucht mit einer Gurke (Cucumer) und findet den Geschmack der Körner und des Fleisches sauer. Der Baum, der Sommer und Winter Blüten und Früchte hervor- bringe, sei sehr empfindlich gegen die Kälte, so daß man „in den Gegenden des 4., 5. und 6. Klimas" die Zweige im Winter mit Tüchern zudecken müsse. Albertus hat m. E. den Zitronenbaum und seine Kultur in Oberitalien wirklich beobachtet. 3. Einführung der Pomeranze und ihrer Varietäten. Die bittere Pomeranze (Citrus Aurantium subsp. amara L.), welche als Stammart der süßen Orange und einiger anderer Varietäten betrachtet wird, erscheint viel später als die Zitrone in Europa. Sie nahm ungefähr denselben Weg, über Indien, Persien, dann Arabien, Nordafrika und Sizilien. Im Jahre 1002 taucht die Pomeranze auf der genannten Insel auf, offenbar von den Arabern eingeführt. Diese haben sie auch nach Ostafrika gebracht, wo sie die Portugiesen fanden, nachdem sie 1498 das Kap umsegelt hatten (De Candolle, a. a. O., S. 227 und 228). Die süßfrüchtige Varietät der Pomeranze, die sog. Orange oder Apfelsine (C. Aur. subsp. sinensis Gall.), die, wie schon der deutsche Name anzeigt und erklärt wurde, sicher ein Geschenk Chinas ist, tritt anscheinend noch später in Europa auf als die Pomeranze. Aus dem in Südeuropa für die Orange gebräuchlichen Namen „portogallo" schließt V Hehn, daß sie erst im 16. Jahrhundert (1548) und zwar hauptsächlich durch die Portu- giesen in Europa bekannt gemacht wurde. Der Urbaum, das erste Orangenbäumchen, das in Europa gepflanzt und gezogen wurde, war nach alten Berichten noch im Jahre 1679 zu Lissabon im Hause des Grafen St. Laurent zu sehen. Von dort her kamen auch die Orangen, die als besondere Neuheit in Rom in den Gärten der Pier und Barberini im 16. Jahrhundert gezogen wurden. -) Gallesio und De Candolle setzen für die Einführung der Orange ein früheres Datum an, den Anfang des 15. Jahrhunderts; Engler sagt sogar 14. Jahrhundert. Nach Gallesio ergibt sich aus den Akten von Savona, daß diese Stadt damals ihrem Gesandten zu Mailand ein Geschenk von eingemachten Zitronen und Limonen, sowie von frischen Citruli verehrte. Weil nun diese letztgenannten Früchte „frisch" gesandt wurden, dünken sie Gallesio als Orangen, da der Ge- sandte bittere Pomeranzen nicht wohl hätte essen mögen. ') Die Citruli können aber auch ganz andere Früchte sein, vielleicht, wie aus der leider sehr unklaren Beschreibung des Albertus Mag- nus hervorgeht, Gurken oder Melonen (vgl. Fisch er -Benzon a. a. O. S. 221 f.). Im Archiv eines Notars in Savona, bemerkt Gallesio weiter, ist ein Verkaufsakt vom Jahre 1472 über eine Schiffsladung von 1 5 000 Citranguli oder Cetroni aufgefunden worden, und es erhebt sich die Frage, was man wohl mit diesen 15000 bitteren Pome- ranzen angefangen hätte. Sie können gewiß, da sie zu medizinischen Zwecken und zu Getränken beliebt waren, in solcher Masse ausgeführt worden sein. Citrangulum ist in alten medizinischen Werken der Name für die bittere Pomeranze. Die Frage über die Einführung der süßen Orange vor 1500 erscheint uns also nicht gelöst. Es besteht die Möglichkeit, daß eine schlechte Orange schon im Mittelalter bekannt war und daß durch die Portugiesen mit der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien eine bessere süßere Qualität der schönen und angenehmen Frucht nach Europa gebracht wurde. Merkwürdigerweise sagen die Schriftsteller vor der Zeit um 1500 nichts über den Geschmack der von ihnen etwa beschriebenen Pomeranzen. Albertus Magnus (lib. VI tr. I cp. XI §54 und 55) erwähnt neben der Zitrone wohl eine Orange (arangus). Die Frucht ist nach seiner Beschreibung kurz und rund, das Fleisch weich (mollis), die Körner (Samen) sind etwas härter als die der Zitrone und besitzen eigene Reproduktions- kraft. Der Stamm des Baumes ist dick und hoch und weniger kälteempfindlich (als der Zitronen- baum). Diesem schreibt A Ib er tu s männliches Geschlecht zu (cedrus masculina) und unfruchtbare Samen; darnach wäre der „arangus"baum, in dem Jessen wohl mit Recht die Pomeranze (Citrus Aurantium L.) sieht, in der Anschauung des Albertus weiblichen Geschlechts. Aus seiner Beschreibung geht nicht deutlich hervor, ob die Früchte süß und eßbar sind. Wäre das der Fall gewesen, so wäre es gewiß von diesem Natur- forscher erwähnt worden. Daß es sich aber um den Pomeranzenbaum handelt, zeigt die weitere Schilderung: Der Baum habe Dornen und Blätter, die zweigeteilt erscheinen; ein größeres Blatt gegen das Ende zu stehe über einem kleineren, das gegen das Innere (domesticum) gewendet sei, und wo die Blätter sich teilen , sei ein großer Einschnitt zu sehen. ") Auch den Aderverlauf des eigentümlichen Pomeranzenblattes schildert Al- bertus sehr genau, indem er bemerkt, daß die seitlichen Adern am Rande sich bogenmäßig ver- ') Liber de Vegetabilibus VI tr I, cp XI §51—53. Aus- gabe von Jessen pag. 362, 363. 2) V. Hehn, a. a. O. S. 43S. Kerrarius, S. J., Hcs- perides Romae 1646. 1) Strasburger, a. a. O. S. 63 f. '•') Et folium huius arboris duo repraesentat folia in figura, ita i|uod malus folium in e.\tremitate inserlum super folium minus versus domesticum folii, et est distinctio magna in loco divisionis foliorum (Jessen, p. 364), N. F. XV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 20s einigen. Hier dürfte wohl die erste Beschreibung der Pomeranze vorliegen; auch der Name „arangus", der später auf süße Pomeranze (Orange) überging, erscheint m. E. bei Albertus zum erstenmal. Isidor von Sevilla, der in seinem oben zitierten „über Etymologiarum sive Originum" viele Tier- und Pflanzennamen bringt, führt das Wort nicht auf. Von Konrad v. Megenberg (71374), dem zweiten deutschen Naturforscher des Mittelalters, erfahren wir einiges über den Adamsapfel: „In den Ländern gegen Sonnenaufgang", so heißt es in seinem Buche ') (IV, 2), „wachsen nach Angabe des Jakobus Bäume, die sehr schöne apfelartige P'rüchte bringen. An diesen Äpfeln kann man ganz deutlich den fc^indruck vom Bisse eines Menschen erkennen. Deshalb nennt man sie Adamsäpfel. Wahrlich ein großes Wunder, daß Gott die Sünde des ersten Menschen an diesen Früchten hat kenntlich machen wollen". Die Früchte sollen auch im Talmud erwähnt und dort ebenfalls als die paradiesischen F'rüchte vom „Baume der Erkenntnis" angesprochen werden. Der von Konrad angezogene Jakobus dürfte wohl kein anderer sein als der berühmte Kreuzprediger und Bischof von Akkon, Jakob von Vitr}- (f 1240), der aus Palästina höchst interessante Beobachtun- gen über Flora und Fauna in seinen historischen Büchern (entstanden 12 13 — 1216) und in den als „Zeitungen gedachten" Briefen (1216 — 1221) nach Europa sandte. Ich weiß keine frühere Quelle, in der des Paradiesapfels, den wir oben näher geschildert haben (subspec. decumana L. oder Pomum Adami Risso), Erwähnung geschieht. Die süße Pomeranze oder Apfelsine dürfte nach allem eine spätere tlinführung sein; sie ist an- scheinend in der Literatur vor 1500 nicht sicher nachzuweisen. Erst im r6. Jahrhundert unter- scheidet L o b e 1 i u s '-) Orange (Arantia) mit saurem und süßem P'ruchtfleisch und rühmt die Orangen- kultur in der Provenze. Weiters unterscheidet er noch Limonen (limonia). Zitronen (medica malus sive cidromela), Limae und Adamsapfel (pomum Asyrium Adami). Der Ausdruck „portogallo" findet sich bei diesem Autor nicht. Die deutschen Pflanzenvätcr des 16. Jahrhunderts z. B. Leonh. Fuchs übergehen die Aurantieen oder kennen sie nicht. Gesner'') führt nur zwei Arten auf: Citrus medica und Aurantium und identifiziert sie, die erstere mit der Zitrone (Citri arbusculae), die zweite — mit der Limone (Limonum arbusculae). 4. Darstellung von Aurantieen in der Kunst. Es wäre auffallend, wenn die schönen, gelb- früchtigen, immer als edle Pflanzengestalten be- ') Das Buch der Natur von Conrad v. Megenberg, Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Herausgeg. von H. Schulz, Greifswald 1897. ■-) Planlarum seu stirpium Historia. Observationes et Adversariorum volumen. Autverpiae 1576. ä) Horti Germaniae (1561) 254. Vgl. auch Wein, Deutschlands Gartenpflanzen um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Bot. Zentralbl. Beihefte Bd. XXXI (1914) Abt. II, p. 497. trachteten Gewächse von der mittelalterlichen Kunst nicht beachtet und dargestellt worden wären. Tatsächlich findet man besonders auf italienischen Gemälden nicht selten Bäume und Früchte von der Art der Aurantieen. Ich erlaube mir hier eine Übersicht und Deutung solcher Darstellungen zu geben , ohne jedoch auf Voll- ständigkeit derselben Anspruch zu erheben. Wohl die erste Abbildung des Zitronenbaumes erscheint auf einem Fresko in S. Croce (Florenz), das Taddeo Gaddi, einem Schüler Giotto's zugeschrieben wird (1300 — 1306). Er gewährt uns mit seinem Bilde „Vermählung Mariens" einen Blick in einen florentinischen Garten seiner Zeit. Eine Palme steht darin, verschiedene Sträucher, vielleicht Rosen und M)Tten blühen, und daneben grünt ein niedriges Zitronenbäumchen. ') Auf dem besten Bildwerk, das der Norden im Mittelalter geschahen , dem berühmten Genter Altar der Gebrüder v. E\-ck (1420 — 32 entstan- den) erscheint auf dem Plan, wo der Lebensbrunnen quillt, neben Dattelpalmen, Rosen- und Granat- büschen auch Zitronengesträuch. Es blüht und fruchtet zu gleicher Zeit und hat offensichtlich die Bedeutung, das Leben zu symbolisieren. Einer der Brüder E \- c k , Jan, hat nachweisbar in Por- tugal einige Jahre gelebt und dort sich wohl die genauen Kenntnisse südlicher (Jewächse geholt. Auf den beiden, nicht weniger berühmten Tafeln „Adam und Eva", -) die zu dem genannten Altar- werk ursprünglich gehörten (jetzt Brüssel, Museum Nr. 170), sieht man in der Hand der Stammeltern Teile von Aurantiaceen; die gelbe warzige Frucht, welche Eva dem Adam reicht, scheint wirklich der Adamsapfel (Citrus Aurantium v. decumana L.) im botanischen Sinne zu sein. Pomeranzenartige Bäume mit schön gewach- sener kugeliger Krone und runden gelben Früchten sieht man erstmals auf den Bildern der Sienesen Duccio Buoninsegna um 13 10 (Siena, Opera del Duomo Nr. 6) und Sano (Anzano, Ansano) di Pietro (1406— 1481) im Vatikan (Nr. 184) und im Louvre (Nr. 11 29 und 11 30). Leider ist die Form der Blätter nicht zum Ausdruck gekommen. Ich vermute, daß diese Bäume, zumal sie bei traurigen Szenen (Flucht nach Ägypten, Christus am Olberge) als Staffage figurieren, herbfrüchtige Pomeranzenbäume sind. Dagegen kann man nach F. Rosen ^) auf dem Bilde des Florentiners Paolo Uccello (1396 — 147S), genannt „die Reiterschlacht bei S. Egidio" (jetzt in London), deutlich die -,'5 Stellung der Blätter des „Orangen"- baumes erkennen. Benozzo Gozzoli (1420 — 1498) läßt die „Hl. drei Könige" (Palazzo Riccardi, Florenz) unter „Orangenbäumen" einherziehen. Das Fresko ist 1460 entstanden. Auch auf seinem Louvrebild (Nr. 1320), genannt „Altar Marias mit 1) Vgl. F. Rosen, Die Natur in der Kunst. Leipzig 1903, S. 37. ■') Abgebildet bei Seemann, Galerien Europas X, Bd. (1915) Nr. 663. ■') A. a. O., S. 169 f. 2Ö5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 14 den Heiligen", sehen wir Orangensträucher mit breit gestielten Blättern und teils grünen, teils rötlichbraunen Früchten. In einen wahren, mit vollendeter Kunst ge- malten „Orangenhain" führt uns sodann S. Botti- celli, der berühmte Florentiner Maler (1447 — 15 10). Wer hätte noch nicht von seinem welt- bekannten Bilde Primavera (Florenz, Akademie Nr. 80) gehört? In der Mitte steht Venus gene- trix, die Göttin der in Frühlings- und Liebeslust erwachenden Natur. Vor ihr führen Merkur und die Grazien den Reigen; es treten mit leichten Füßen heran die in Blüten prangende Primavera und Flora, die durch die Berührung des Zeph\T zur Blumenspenderin wird. Rosen, Lorbeer und M\*rten, aber auch ganz gewöhnliches Blumenvolk: Veilchen, Damaszenerröschen, Hirtentäschchen, Schaumkraut, Taubenkropf, Kronenlichtnelke, Gänseblümchen, Löwenzahn, Kornblume, Schwert- lilie, Traubenhyazinthe u. a. sprossen aus dem Gartenboden. Den Hintergrund bilden Sträucher mit breit geflügelten herzförmigen Blattstielen, kugelrunden, blaßgelben Früchten und weißen Blüten dazwischen — offenbar Pomeranzengewächse, i'ber den Geschmack der Früchte können wir natür- lich nichts sagen. Sollten es schon süße Orangen sein? Die Italiener erklärten sie mir als „arangi". Das herrliche Bildwerk, das im Auftrage eines Mediceers geschaffen wurde, kann ziemlich genau auf das Jahr 1478 datiert werden. Mantegna ( 143 1— 1506), der wegen seiner plastischen und naturgetreuen Malweise hochge- schätzte norditalienische Meister, liebt es, die gol- denen Hesperidenfrüchte in Guirlanden gebunden uns vorzuführen. Auf der berühmten „thronenden Maria" in St. Zeno- Verona, die 1460 entstanden sein soll, kann man neben Pfirsichen, Nüssen usw. Zitronenfrüchte und zwar Limonen mit Sicherheit erkennen, auf der „Madonna della Vittoria" vom Jahre 1496 (Louvre) auch Orangen, wie mir scheint. Andere Bilder dieses Künstlers führen uns lebende Zitronenhecken vor, so die Gemälde „Orpheus und der Parnaß" (Louvre Nr. 137S) und „Opferung des Isaak";') die Sträucher sind einmal auch sehr künstlich geschnitten und zu lebenden Architek- turen und Bogengängen gestaltet, so auf dem Bilde „Die Weisheit siegt über das Laster" (Louvre Nr. 1376). Es sind die ersten „Orangerien", die später (s. u.) auch bei uns zur Mode kamen. Besonders schöne Darstellungen der in Rede stehenden Gewächse verdanken wir den beiden Bergamesen G. Busi, genannt ("asiani (1480 — 1547.?) und Palma Vecchio (1480— 1528). Der erstere führt uns auf dem Bilde „Madonna cucitrice, Madonna beim Nähen" (Rom, Nationalgalerie Nr. 6 1 8) in eine oberitalienische voralpine Landschaft (vgl. Abb. 2). Granatbüsche blühen und Zitronen- sträucher tragen Blüten und Früchte. Es scheint ') Vgl. P. Kristeller, Zwei dekorative Gemälde Man- tegnas in der Wiener K. Gemäldegalerie. Jahrbuch der K. hist. Sammlungen des allcrh. Kaiserhause.s Bd. XXX (191 1) Heft 2, Taf. VII. eine Freilandkultur am Fuße eines burggekrönten Hügels zu sein. Nicht fern von der Szene weidet ein Hirte seine Schafe. Wir erkennen in den großen gelben Zitronen die oben beschriebene Zitronatzitrone (C. medica macrocarpa), welche Wein mann (s. Abb. i A) unter dem Namen „Malus citria fructu magno" abbildet. ') Die Blätter freilich gehörten den verbreiterten Stielen nach eher zur Aurantium-Art. Palma Vecchio sodann betrachtet eine Aurantie als den „Baum des Paradieses", von dessen Frucht „Adam und Eva" essen (Haupt- bild des Braunschweiger Herzog!. Museums Nr. 45 3). Abb. 2. Zitronenstraüch mit groß( i „Casiani", la Madonna cucitrice. (Ausschnitt nach Phot. ] 1 Zitronatfruchten. Rom, Galeria Corsini. rogi.) Es ist ein schöner , fester Baum , unter dem die Stammeltern stehen (vgl. Abb. 3). Die Blätter zeigen herzförmige Stiele; die wenigen Früchte, die sichtbar sind und von denen Eva eine in der Hand hält, erscheinen rundlich, rauhschalig mit rundlicher Zitze; der P'arbton ist gelbbräunlich. Ich möchte das Gewächs als den echten .^dams- oder Paradiesapfel ansprechen, von dem wir bereits gehört, daß er sich zu einem größeren Baum heranbildet. Die Früchte gleichen einigermaßen Weinmann's Abbildung (s. Abb. iE). Wir haben den Adamsapfel (Citrus Aurantium var. Pomum Adami Risso), der wie oben erzählt im Mittelalter sicher bekannt war, bereits beiv. Eyck vermutet. Die interessante Frucht, die auch eßbar ist, paßt wie keine zu der beschriebenen Szene. Palma Vecchio ist wohl der erste und einzige ') Siehe unten; p. 338, Taf. 701 unter d. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 Maler, der uns einen Baum dieser Art vorführt. Das Bild dürfte in den Jahren 1504 — 15 12 ent- standen sein.') In den phantasiereichen Guirlanden der R a ff a el' sehen Loggien (entstanden um 1520) im Vatikan bemerkt man mitten unter anderen Früchten -j auch Aurantieenfrüchte, Zitronen und Pomeranzen, vielleicht auch Orangen. Sie er- scheinen rotgelb (orangefarbig), rund und von dunkelgrünen Blättern umgeben. Die Flügelung des Blattstiels ist nicht zu erkennen. Das Orangen- motiv wurde später in der Gobelinmalerei gerne angewendet. Ich sah (Ostern 1914) ähnliche Muster auf den herrliciien Gobelins, welche ehe- mals die Kathedrale von Rh ei ms schmückten, und führe hier (Abb. 4) einen Ausschnitt von dem berühmten, etwa um 1600 entstandenen Aeneas- Teppich aus dem Schatz des Regensburger Rathauses vor. Mit großer Naturtreue sind hier die breitgeflügelten Blätter einer Pomeranzenart dargestellt. Noch meisterhafter arbeitete die holländische Blumenmalerei, die uns selbst die Unterscheidung von Pomeranze und Orange auf Mittelalter die Pomeranze und der Paradies- oder Adamsapfel, endlich um 1500 die süße Orange aus Ostasien, ihrer Heimat, in die Mittelmeerländer überpflanzt wurden. ') Ob die späteren Einfüh- rungen das Züchtungsprodukt späterer Zeiten sind oder früher nicht beachtet wurden, wissen wir nicht. Der Geschmack S[)ielt gewiß auch bei diesen Dingen eine große Rolle. Wie dann im Verlaufe des 17. und 18. Jahr- hunderts die Orangenkultur sich in Deutschland einbürgerte und fast alle P'ürstenhöfe aus Lieb- haberei kostspielige Orangerien einrichteten , ist bekannt. Man züchtete Zitronen, Pomeranzen und Orangen. Im Hortus Eystettensis (um 16 13) stan- den nach J. Seh wert Schlager -j Zitronen- und Pomeranzenbäumchen, „mala medica seu citria und poma aurantia nana dicta, kleine vieltragende Zwergpomeranzen". Der Erfolg dieser Kulturen Abb. 3. Ad.imsapfel (Citrus Aurantium var. Pomum Adami Risso). Palma Vecchio, Paradies. Braunschweig, Herzogl. Museum. (Ausschnitt nach Phot. Bruckmann.) Abb. . flügeU( Rathai Orangenmotiv ; runde Früchte und breitge- ilattstiele. Sog. .Aeneas-Teppich, Regensburger 1 6. Jahrb. ? (Ausschnitt nach Phot. D i 1 1 m a r.) ihren Bildern nicht schwer macht. Es würde zu weit führen, alle diese Kunstwerke hier namhaft zu machen. Nur ein Velasquez (1599 — 1660) sei noch genannt, „die Szene im Wirtshaus" (Buda- pest, Museum der schönen Künste). .Auf dem Tische steht ein Weinglas, daneben liegen Brot, Meerrettich und ein Orangenzweig mit geflügelten Blattstielen, Ich möchte dieses Bild, das 161 9 entstanden ist, als eine der ersten sicheren Ab- bildungen von der süßen ( )range ansprechen. Schluß. Das Resultat, das wir aus dem Studium der geschichtlichen und kunstgeschichtlichen Ouellen gewonnen haben, verdichtet sich zu dem Satze, daß zuerst im Altertum die Zitrone, dann im ') Ich verdanke diese lechsig in Braunschweig. -) Ich vermute unter die ie Ananasfrucht. Angabe Herrn Prof. Dr scheint bei der Rauhigkeit unseres Klimas den Erwartungen nicht entsprochen zu haben. Ein Hauptwerk über die Zitronen- und Orangen- kultur jener Zeit bildet das in Nürnberg erschie- nene Buch Hesperides von J. Ch r. Volkamer. ■') Er unterscheidet, was uns hier besonders inter- essiert, bei den Pomeranzen 3 Arten , eine saure, eine süßsaure, und eine ganz süße; die erstere sei bei den Italienern, die letzte bei den Deutschen beliebt. Der Regensburger Botaniker J. W. Wein- ■) Di. •) uie Ansicht Saccardo's, daß die Pomeranze (Citrus Aurantium L., gleich der Zitrone den Römern schon bekannt •war, durfte nicht richtig sein; bei Rinio(l41S) mag sie wohl erscheinen. Vgl. P. A. Saccardo, Cronologia della Flora Italiana. Padova 1909, p. 200. 2) Der botar Daselbst 1890. ') Nürnbergische Hesperides von J. C. V. (Volkamer) I. Bd. Nürnberg 1704. II. Bd. Continuation. Ebendort 170S ;che Garten der Fürstbischöfe von Eichstätt. 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 14 mann führt uns in seinem 1742 gemalten Werke ^) die \'erschiedensten Arten der Aurantieen, auch Bildungsabweichungen, gefingerte und gemischte Früchte (Bizzarien) vor. Er kennt einen „Malus aurantia hermaphroditus fructu medio citro, medioque Aurantia", „Malus Lemonia fructu super- ficie aurantii", also Bastardformen. Noch mehr weiß ein anderer Regensburger Botaniker, G. A. Agricola,-) von merkwürdigen Experimenten ') Phytanthoza - Iconographia oder eigene etlicher Tausend Pflanzen. III. Bd. Regensburg, J742, p. 333—337 und Tafel 698—703. ellung Lentz ZU erzählen, die bezüglich der vegetativen Ver- mehrung dieser Gewächse in damaliger Zeit an- gestellt wurden. So führt er in einer Zeichnung (Taf. V) eine Zitronenpflanze mit reifer Frucht vor, die aus einem Blatte gezogen wurde. Es tauchen hier schon Probleme auf, die ge- rade in neuerer Zeit sehr viel Interesse erwecken und jetzt natürlich mit besseren Mitteln erforscht werden können. ^) '^) Versuch der ... . Vermehrung aller Bäume, Sta und Blumengewächse. Regensburg 17 16. ^) Vgl. H. Buder, Chimären und Pfropfmischlinge. Naturwissenschaften III. Jahrg. (1915) Heft I — 3. [Nachdruck verboten.] Über Kasseuhygiene. Von H. Fehlinger. Das Ziel der Rassenhygiene ist die Verhütung der Entartung und die Verbesserung der erb- lichen körperlichen und geistigen Eigenschaften der Menschen. Die Rassenhygiene will durch be- wußtes Einwirken dasselbe erreichen, was sich in der freien Natur durch den Ausleseprozeß voll- zieht: Die Erhaltung der tüchtigsten oder der am besten angepaßten Individuen. Dabei wird von der Tatsache ausgegangen, daß die einzelnen In- dividuen einer Generation nie unter sich völlig gleich sind, sondern Abweichungen vom Mittel- typus zeigen, die nicht immer für die Art nützlich, vielmehr auch schädlich sind. Es findet eine Auslese unter den Individuen statt, wobei die der Umwelt am besten angepaßten Individuen er- halten bleiben, während die schlecht angepaßten vorzeitig vernichtet oder wenigstens in der Fort- pflanzung beeinträchtigt werden. .Andern sich die Lebensbedingungen, so bewirkt dies unter Um- ständen, daß andere Varianten als vordem der Um- welt am besten angepaßt sind und daher erhalten bleiben. Voraussetzung der Auslese ist über- schüssige Fruchtbarkeit, die allen Organismen eigen ist: Es wird eine die Zahl der Eltern mehr oder weniger übersteigende Zahl von Nachkommen hervorgebracht. Im allgemeinen ist die Frucht- barkeit um so geringer, je milder die Auslese ist. Bei den Menschen, die auf ihre Umwelt in bedeutendem Maße Einfluß nehmen , sie nach ihren Bedürfnissen gestalten, das heißt eine Kultur entfalten können , bleiben auch solche Personen erhalten, die ohne die Hilfsmittel der Kultur früh- zeitig zugrundegehen müßten, die nicht zur Fort- pflanzung kämen und somit nicht in der Lage wären, ihre mangelhafte Konstitution auf Nach- kommen zu übertragen. Es gibt viele Eigenschaften, die ihrem Träger verderblich werden würden, wenn es nicht möglich wäre, ihren Einfluß durch Mittel der Kultur aufzuheben. Wir können sie schon nicht aus dem Grunde alle anführen, weil man sie nicht sämtlich sicher kennt. Es ist bei- spielsweise die Kurzsichtigkeit zu nennen. Im Naturzustande würde Kurzsichtigen das Fort- kommen sehr schwer fallen. Sie würden bei der Nahrungsbeschaffung erheblich weniger erfolgreich sein als Normalsichtige und es bestünde die Wahr- scheinlichkeit, daß sie v'iel leichter als diese Un- fällen erliegen oder Feinden zum Opfer fallen würden. Es gibt zwar Kurzsichtige auch unter sogenannten „Wilden", doch körmen sie sich nur deshalb erhalten, weil sie bei Jagden usw. die Unterstützung ihrer Stammgenossen finden. Noch auffälliger ist der Nachteil der mangel- haften Veranlagung bei Taubheit, die in sehr vielen Fällen auf Vererbung beruht. Taubstumme würden im freien Wettstreit um die Mittel des Daseins zweifellos unterliegen, sie danken aus- schließlich der L'nterstützung seitens der Gemein- schaft ihr Fortkommen und ein großer Teil von ihnen wird auf Kosten der Gemeinschaft versorgt. PJn schwerer erblicher Mangel ist die Becken- enge der Frau, welche die Geburt von Kindern ohne ärztliche Hilfe (in der Regel ohne operative Eingriffe) unmöglich machen würde. Infolge da- von, daß die Frauen mit engem Becken sich dank der ärztlichen Kunst fortpflanzen können, wird dieses Übel auf die folgenden Generationen über- tragen und es ist wahrscheinlich, daß es von Generation zu Generation an Umfang zunimmt (was gewiß nicht dazu dient, die „Gebärfreudigkeit" zu stärken). Engbrüstige Personen, deren Lungen weniger Arbeit leisten können als kräftige, werden den Einflüssen des Klimas und der Einatmung schäd- licher Substanzen nur verhältnismäßig geringen Widerstand zu bieten vermögen und sie werden viel eher unterliegen als andere. Daher kommt das familienweise Auftreten von Lungenkrankheiten, das zu der Annahme .Anlaß gab, solche Krank- heiten seien vererbbar, was tatsächlich nicht zu- zutrifft. Dagegen ist die Vererbbarkeit der Geistes- krankheiten eine feststehende Tatsache, und durch sie kann das Gemeinwohl arg bedroht werden. Unsere moderne Kultur ist der Auslösung von Geisteskrankheiten günstig, doch ist andererseits ?u N. F. XV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 209 bedenken, daß durch die zunehmende Absperrung der Geisteskranken deren Fortpflanzungsgelegen- heit im Vergleich zu früheren Zeiten stark ein- geschränkt ist, und daß durch das gegen früher viel häufigere Hervortreten des vorhandenen geistigen Defekts, das auf die geistige Anspannung durch unser Wirtschaftsleben zurückzuführen ist, dessen Fortpflanzung auch viel häufiger verhindert wird; denn von der Absperrung ganz abgesehen ist es für eine Person mit ofien zutage tretendem Defekt schwer, einen ehelichen Partner zu finden, während dem kein Hindernis entgegenstellt, wenn das Gebrechen, mangels äußerer Anreize zu seinem Sichtbarwerden, verborgen bleibt. Außer diesen und anderen Mängeln, die un- streitig vererbbar sind, werden von den meisten Rassehygienikern auch noch gewisse moralische Mängel als Entartungserscheinungen aufgefaßt, wie Verfehlungen gegen bestehende Regeln des Ge- schlechtsverkehrs, Trunksucht usw. Es ist gewiß, daß moralische Mängel vererbt werden können, aber ganz unsicher ist, ob in dem einzelnen Fall der Mangel auf erblicher Veranlagung beruht oder durch Erziehung verschuldet ist; denn gleichartige äußere Einflüsse, die eine Reihe von Generationen betreffen, täuschen nur zu leicht Vererbung vor, wo eine solche nicht besteht. Strittig sind die sogenannten Keimvergif- tungen, nämlich Schädigungen des Keimplasmas einer Person durch auf sie einwirkende Gifte, wie Alkohol, Syphilisgift, gewerbliche Gifte usw. und Hervortreten der Schädigungen bei den aus diesem Keimplasma hervorgehenden Nachkommen. Mit Weismann kann man annehmen, daß auf solche Weise die Entwicklungsfähigkeit der Keime be- einträchtigt wird, daß aber die Zusammensetzung des elterlichen Erbguts einer Person dadurch nicht geändert werden kann. (Vgl. Weisman n's Vor- träge über Deszendenstheorie, 3. .^ufl-, Jena 1913). Wenn nun auch so ziemlich t'bereinstimmung besteht, daß Entartung zu verhüten und die Ent- wicklung passender Eigenschaften zu fördern ist, so gehen doch die Meinungen weit auseinander hinsieht des Weges, auf dem das Ziel zu erreichen ist. Die natürliche Auslese, die durch die be- stehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen fast gänzlich aufgehoben wurde, wieder in vollem Unfang wirken zu lassen, wird allgemein als dem „sitt liehen Empfi nden der zivilisierten Menscheit widerstrebend" bezeichnet (ein Einwand, der sich besonders jetzt recht seltsam ausnimmt), und wir haben in Zukunft eher mit noch stärkerem als vermindertem Schutz der mit körperlichen und geistigen Gebrechen be- haften Glieder der zivilisierten Gemeinwesen zu rechnen, die im freien Wettbewerb ums Dasein zugrundegehen müßten. Da nicht das Dasein, sondern die Fortpflanzung der Mißbildeten eine Gefahr für die Art ist, so liegt der Gedanke nahe, daß die praktische Rassen- hygiene auf die Verhinderung der P'ortpflanzung der mit vererbbaren Mängeln behafteten Personen gerichtet ist, und die große Mehrzahl der Rassen- hygieniker fordert diesbezügliche gesetzgeberische Maßregeln, besonders Eheverbote für Minterwertige, ^) Unterbringung der Minderwertigen in .'Anstalten, wo sie keine Gelegenheit zur Fortpflanzung haben, sowie Unfruchtbarmachung durch operative Ein- griffe oder durch Röntgenstrahlen. In dieser Richtung sind in der Tat bisher nicht bloß Forde- rungen gestellt worden, sondern es wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits Gesetze erlassen, welche die Ausmerzung der für das Wohl der Allgemeinheit gefährlich betrachteten Personen bezwecken.-) Ende 1913 bestanden solche Gesetze in den Staaten Connecticut, Kansas, Indiana, Michigan, Minnesota, New Jersey, Ohio, Utah, Washington, Penns\-lvanien, Nord-Dakota, Oregon und Wisconsin; dazu kam 19 14 noch der Staat New ^'ork, und es ist möglich, daß auch einige andere Staaten zu solchen Maßregeln griffen, ohne daß es der Verf in Erfahrung brachte. Die rassen- h\gienischen Eheverbote erstrecken sich haupt- sächlich auf Epileptiker, Geschlechtskranke, Per- sonen, die der öftentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen und auf Alkoholiker, in einigen Fällen auch auf Personen, die an übertragbaren Krankheiten leiden (einschließlich der Tuberkulosen) und auf Gewohnheitsverbrecher.-') Nach den vorhandenen Angaben über die Durchführung dieser Gesetze zu urteilen war ihre praktische Wirkung bisher unbedeutend, weil sie erstens nicht strenge ge- handhanbt und zweitens umgangen werden. Vermutlich war es besonders die Wirkungs- losigkeit der Eheverbote, welche die amerikanischen Rassenhygieniker veranlaßte, das Hauptgewicht ihrer Propaganda auf den Erlaß von Sterilisa- tionsgesetzen zu legen, wobei sie einen ziem- lichen Erfolg hatten. Nach einer vom „Eugenics Record Office" veröffentlichten Zusammenstellung wurden bis Ende 1913 in 13 von den 48 Unions- staaten Gesetze über Unfruchtbarmachung Minderwertiger erlassen, und zwar in Indiana, Washington, California, Connecticut, Nevada, Iowa, New Jersey, Neu York, Nord Dakota, Michigan, Kansas und Wisconsin, sowie in Oregon, wo aber das betreffende Gesetz zuerst vom Staatsgouver- neur und nach seinem neuerlichen Erlaß von den Wählern in Urabstimmung verworfen wurde. Von den Staatsgouverneuren verworfen wurden ähnliche Gesetze in Nebraska, Pennsylvanien und Vermont. In einigen anderen Staaten wurden Sterilisationsgesetze den Parlamenten vorgelegt, aber nicht angenommen. Die Unfruchtbarmachung ist in fünf Staaten obligatorisch, und zwar ') Vgl. Hoffmann, Die Regelung der Ehe usw. Archiv f. Rassen- u. Gesellsch.-Biol., 9. Jahrg., S. 73off. — Forrer, Rassehygiene und Ehegesetzgebung. Aarau 1914. •-) Vgl. Hoffmann, a. a. O., sowie Legal, Legislature and Administrative Aspects of Sterilization. Cold Spring Harbor, New York 1914. ä) Geisteskranke und Schwachsinnige sind in über 30 amerikanischen Bundesstaaten aus rechtlichen Gründen von der Verehelichung ausgeschlossen. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 14 in Connecticut, Iowa, New York, Michigan und Kansas. Der Kreis der Personen, die fortpflanzungsun- fahig zu machen sind, ist in den einzelnen Staaten verschieden. In den meisten Staaten fallen die Insassen von Irren-, Besserungs- und Strafanstalten in den Bereich der Sterilisationsgesetze. Im Detail aufgezählt sind die zu sterilisierenden Gruppen von Minderwertigen in dem Gesetz von Iowa ; es sind dies : Geisteskranke, Schwachsinnige, Idioten, Verbrecher, Notzüchter, Trunksüchtige, auf den Genuß von Droguen erpichte Personen, Epileptiker Syphilitiker, moralisch und sexuell perverze Personen, sowie kranke und degenerierte Personen. Das Programm der amerikanischen Rassen- h}'gieniker, das im Bulletin lo .A. des Eugenics Record Office abgedruckt ist, fordert die Unfrucht- barmachung von Geisteskranken, Schwachsinnigen und Epileptikern; von Personen, die auf öffent- liche Unterstützung angewiesen sind; Trinkern; Schwächlingen und zu Krank- heiten neigenden Personen; sowie von Personen mit Sinnesmängeln. Mit der Verhinderung der P'ortpflanzung be- droht werden also außer Geisteskranken, Schwach- sinnigen und dgl. Personen besonders „moralische Minderwertige", deren Laster aber ebensogut durch Umwelteinflüsse erworben sein als sie auf angebor- nen (geistigen) Defekten beruhen können. Die Be- kämpfer der Entartung scheinen im Handumdrehen vergessen zu haben, daß tätsächliche Entartung, soweit sie vorhanden ist, auf erblich erworbenen Konstitutionsmängeln beruht; sie richten ihre Auf- merksamkeit gar nicht oder nur wenig darauf, sondern vielmehr auf Personenkreise, die als (3pfer der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse betrachtet werden müssen. Gegen die Mängel einer gegebenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung gibt es aber doch viel bessere Mittel als Unfruchtbarmachung jener, die infolge ungeeigneter Erziehung und widerwärtiger Lebens- verhältnisse zu Boden sinken mußten. Ich bin der Meinung, daß der von diesen Rassenhygienikern eingeschlagene Weg, den zu gehen auch in Europa häufig empfohlen wird, nicht der richtige ist. Verhinderung der Ehe- schließung gewisser Personengruppen, sowie Un- fruchtbarmachung wirklich oder vermeintlich ge- fährlicher Individuen bedeuten die Einleitung der künstlichen Zuchtwahl durch Beamte des Staates, die gewiß bald einen großen Umfang an- nehmen würde, wenn sie nur einmal grundsätzlich anerkannt ist. Eine solche künstliche Zuchtwahl birgt aber weit schlimmere Gefahren in sich, als sie zu beheben vermag. Ihre Tendenz muß un- fehlbar auf die Züchtu ng eines Normaltypus, auf die Nivellierung der Fähigkeiten, gerichtet sein. Es würde ein Menschenschlag herangezüchtet, dessen innere Variabilität und damit Anpassungs- fähigkeit durch gewaltsame Beseitigung der ex- tremen Varianten mehr und mehr beschränkt würde, der sich nur unter den gegebenen künstlichen Lebensverhältnissen erhalten könnte, aber unter- gehen müßte, sobald es wieder auf die Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten im Wettbewerb ums Dasein ankäme. Zu befürchten wäre bei einer solchen Ordnung der Dinge, daß jede weitere F'ortbildungsmöglich- keit abgeschnitten wird. Man nehme nur die „geistig nicht normalen Menschen"; die Abnormität, die auch das Talent und Genie umfaßt, mutet den Durchschnittsmenschen so fremdartig an, daß er nur zu leicht ge- neigt ist, ihr feindlich gegenüber zu treten, sie vernichten zu wollen. Die rassen- hygienisch-nivellistische Ordnung der Dinge, die Allmacht des Staates in Fortpflanzungsfragen, böte dazu die beste Handhabe. Nehmen wir ferner die ,, Sexualverbrecher", auf die es besonders die Amerikaner scharf haben. Der Begriff ist so leicht dehnbar, daß bei der großen natürlichen Varia- bilität des Geschlechtstriebes die gesetzliche Vor- schrift zur Unfruchtbarmachung der als sexuell ge- fährlich geltenden Personen auf einen ungemein weiten Kreis der Bevölkerung erstreckt werden könnte. Gilt doch gerade in Amerika jedes Mäd- chen, das im Verdacht außerehelichen Geschlechts- verkehrs steht, als eine tief Verkommene, ebenso wie jede uneheliche Mutter als Auswürfling be- trachtet wird. Die Amerikaner bringen es zuwege, solche „Verbrecherinnen" gegen die zurzeit gel- lende Sexualmoral schlimmer zu behandeln, sie mehr zu ächten, als gemeine Verbrecher. Nicht viel besser ist es in der Beziehung in Großbritannien. Die üblen P^olgen der Aufhebung der natür- lichen Auslese würden durch eine bureaukratische Regelung des Rechts auf Fortpflanzung kaum be- seitigt werden können. Diese Regelung wäre viel- mehr ein weiteres und noch viel ärgeres Hinder- nis der biologischen Höherentwicklung der Menschheit. Man wird fragen, was soll dann geschehen, um die drohende Entartung der zivilisierten Menschheit abzuwenden.'' Dazu muß vor allem bemerkt werden, das die Gefahr der Entartung lange nicht so groß ist, als sie gewöhnlich von Leuten gemacht wird, die von der Wirklichkeit nicht übermäßig viel Kenntnis haben, fis ist ein- fach nicht wahr, daß die Kulturmenschen körperlich so sehr entartet, so sehr verkommen sind, daß sie weit hinter den in dieser Beziehung so glücklichen „Wilden" zurückstehen. Der Glaube, daß bei wilden Völkern, wo die natürliche Auslese noch wenig eingeschränkt ist, körperliche Gebrechen nicht vorkommen oder ganz selten sind, ist falsch. Wer die ethnographische Literatur der neueren Zeit verfolgt, der findet, daß es auch unter jenen Völkern viel körperliches Elend gibt und selbst Geisteskrankheiten treten in Kulturkreisen auf, innerhalb welcher die geistige Anspannung und der Anreiz zum Hervortreten vorhandener krank- hafter Anlagen äußerst minimal ist. Was bei diesen Völkern Entartung bewirkt, ist nicht recht klar. Ich möchte in erster Linie die bei den meisten N. F. XV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. von ihnen bestehenden Einschränkungen der ge- schlechtüchen Zuchtwahl verantwortlich machen. Selbst bei kulturell so sehr tiefstehenden Menschen wie den Eingebornen Australiens finden wir ver- wickelte Eheregeln, die den Kreis der möglichen Gatten stark einschränken ; noch schlimmer ist, daß bei diesen wie bei anderen Wilden die Verheira- tung noch unreifer Mädchen und der Kauf der Ehegenossin fast allgemein üblich ist. Das weib- liche Geschlecht hat keinen Einfluß auf die Gatten- wahl und die Männer werden bei der Gattenwahl von ganz anderen Rücksichten als solchen der körperlichen und geistigen Tüchtigkeit geleitet. Im Bereiche des europäischen Kulturkreises bestehen zwar auch erhebliche Beschränkungen der Gattenwahl, doch geht mit der fortschreitenden Demokratisierung unserer Einrichtungen und der Ausbreitung der Stadtkultur die Neigung einher, solche Beschränkungen zu beseitigen. Immer mehr werden für die Gattenwahl persönliche Vorzüge ausschlaggebend und zugleich verringert sich der Einfluß, den Eltern und andere Verwandte auf die Entschließungen der jungen Leute haben. Freilich spielt das Trachten, materielle Vorteile duch die Eheschließung zu erlangen, noch eine große Rolle und beeinflußt vielfach die Gatten- wahl in einem für die Rasse ungünstigen Sinne. Dennoch ist es eine Tatsache, daß in Europa die Gattenwahl nun freier ist als sie in früheren Jahr- hunderten war und als sie noch bei der Mehrzahl der Völker anderer Kulturkreise ist. Die Befreiung der Gattenwahl von traditionellen Hemmungen ist aber für die Rasse von großer Bedeutung, da hierdurch die geschlechtliche Auslese verschärft wird, die darauf gerichtet ist, die in einer Gemeinschaft als gut erkannten und geschätzten körperlichen und geistigen Eigen- schaften höher zu züchten, gegenteilige Eigen- schaften aber zu unterdrücken, denn wer durch derartige schlechte Eigenschaften ausgezeichnet ist, wird viel schwerer einen ehelichen Partner finden können als wer von ihnen frei ist. Wenn die Instinkte, welche bei der geschlechtlichen Zuchtwahl wirksam sind, nicht durch Aussichten auf materielle Vorteile besiegt werden, so werden die Entarteten, die Unpassenden, in weitestem Umfang von der Fortpflanzung ausgeschlossen bleiben ; denn von den relativ seltenen Fällen von „Geschmacksverirrung" abgesehen, wird jeder Mann und jede Frau einer körperlich wohlge- bildeten Person den Vorzug vor einer mißbildeten geben. Mit fortschreitender Kenntnis der Vererbungs- gesetze wird es auch möglich sein, durch Auf- klärung oder Gesetzgebung auf die Paarung in richtiger Weise einzuwirken, in einer Weise, die Willkürakte und schwere Mißgriffe vermeidet, während sie bei praktischer Rassenhygiene nach amerikanischem Muster unvermeidbar sind. Die Vererbungsforschung hat beispielsweise gezeigt, daß bei den Nachkommen eines Paares, das hinsichtlich eines bestimmten Körpermerkmales ungleich veranlagt ist, nicht beide elterlichen Merkmale an einer Person vereinigt zum Vorschein kommen, sondern daß nur ein Merkmal hervor- tritt. So sind die Kinder eines braunäugigen Vaters und einer blauäugigen Mutter nicht etwa durch mischfarbene Augen ausgezeichnet, sondern sie haben braune oder blaue Augen. Manche Merkmale verhalten sich bei der Vererbung domi- nant, andere rezessiv (oder latent). Rezessive Merk- male können bei den Nachkommen eines Paares nur dann hervortreten, wenn die Anlage dazu aufbeiden elterlichen Seiten vorhanden ist. Das ist für die praktische Rassenhygiene sehr wichtig, denn wenn man weiß, daß sich eine unerwünschte Anlage rezessiv verhält, so ist es möglich, das Wiederauftreten des Übels zu ver- meiden, indem man Angehörige von Familien, in welchen die betreffende rezessive Eigenschaft fest- gestellt ist, nicht untereinander heiraten läßt. Es würde wohl auch genügen, solche Personen an der Verehelichung miteinander zu hindern, bei welchen die unerwünschte Eigenschaft sichtbar zutage tritt (bei andern kann sie verborgen vor- handen sein), namentlich dann, wenn es sich nicht um eine Eigenschaft handelt, die geschlechtsbe- schränkt vererbt wird, d. h. nur bei einem Ge- schlecht in Erscheinung tritt. Die Vererbungs- forschung hat ferner ergeben, daß die meisten Entartungsmerkmale rezessiv sind, auf einem Defekt, einem Nichtvorhandensein, beruhen. Also wäre es desto leichter, auf diesem Wege zu positiven Ergebnissen zu kommen. Einzelberichte. Botanik. Bei dem großen Interesse, das man in unserem Zeitalter des Naturschutzes Bäumen von bemerkenswertem Alter entgegenbringt, ver- dient eine kurze Mitteilung') K. Müll er 's über das Alter, das die Bergkiefer Pinus montana auf den Mooren des Schwarzwaldes erreicht, in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Während im allge- ') Naturwiss. Zeitschr. f. Forst- 1916. S. 38. nd Landwirtschaft Bd. 14 meinen Bäume von höherem Alter zu stattlicher, ja imposanter Größe heranwachsen, bleiben die „Kücheln" und „Spirken" Zeit ihres Lebens im Vergleich mit jenen klein und unansehnlich. Die Stämme von über hundert Jahre alten Bäumen erreichen noch nicht die Dicke eines Armes. So zeigte z. B. ein Exemplar von 4,2 cm Stammdicke 1 1 5 Jahresringe, so daß also hier auf den Jahres- zuwachs eine Breite von durchschnittlich 0,182 mm kommt. In anderen Fällen ist es noch Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. w weniger. Daß die IVIoorlmd Urgeschichte" 1915 (XLVI. Jahrg.) S. 30/31. regelmäßig schwarzbraune, halbkugelige Ansamm- lungen eines Minerals in zwar mitunter winzig kleinen Mengen, aber regelmäßig nachweisbar an I*"euersteinen, die von Menschenhand bearbeitet waren. Er stellte fest, daß es sich um eine Eisen- verbindung handele und die äußere Form derselben ließ ihn zersetzten P_\Tit vermuten. Dieser kommt in der Natur entweder als Ausscheidung auf Erz- gängen oder als Vererzungsmiltel, z. B. innerhalb der Gehäuse der Cephalopoden vor. Die Chemie hat nun festgestellt, daß Pyrit aus einem chemisch flüssigen Prozeß hervorgeht, daß seine Bildung sich aber immer nur an solchen Orten vollzieht, wo Verwesung stattgefunden hat, wo Schwefel- ammonium aus Eisenvitriol Schwefeleisen fällte oder auch die Bildung von Eisensulfid (= Pyrit) veranlaßte. Das Erscheinen von P)Tit an den Artefakten beweist also, daß hier an diesen eine Verwesung stattgefunden haben muß. Die Ver- wesungserscheinungen können nur dadurch ver- ursacht sein, daß die Feuersteinwaffen beim Ge- brauch durch Menschenhand mehr oder weniger Fett aufgesogen haben, mitunter wohl auch mit tierischen Stoffen behaftet waren, dann in die Erde kamen, wo nun der geschilderte chemische Prozeß zur Bildung von Schwefeleisenverbindungen ein- treten konnte. Diese Verbindungen finden sich an den Artefakten aller Altersstufen, selbst an den Eolithen von Kent. Niemals konnten sie aber an Feuersteinen und Splittern aus natürlichen Fund- plälzen (Kiesgruben) nachgewiesen werden. M. H. Anthropologie. Die ältesten Darstellungen des Ur-Rindes. Die eminente kulturgeschichtliche Bedeutung des Rindes, die in seiner Stellung als erstes wirtschaftliches Haustier und in der hervor- ragenden Rolle liegt, die ihm bei der Entstehung des Pflugbaues als Grundlage der europäisch-asia- tischen Vollkultur zugefallen ist — wie uns das Eduard Hahn so glänzend auseinander gesetzt hat ^) — läßt uns mit besonderem Interesse den ältesten Berührungen der Menschheit mit der Stammform unseres heutigen Hausrindes nach- spüren. Wenn S. Kill er mann in seiner sehr zeit- gemäßen Abhandlung zur Geschichte des Wisents in Nr. 5 (1916) dieser Zeitschrift schreibt, daß man aus der Diluvialzeit wohl Knochenfunde, aber keine bildliche Darstellung des Ur kenne, so dürfte das nach dem gegenwärtigen Stande der menschlichen Urgeschichtsforschung nicht mehr zutreffen. Aus der Epoche der freinatura- listischen Kunst der Magdalenienkultur im letzten Abschnitte des Eiszeitalters, in der Tier- darstellungen eine so große Rolle spielen, fehlen an den Fundplätzen Frankreichs und Nordspaniens auch solche des Ur-Stieres nicht. Zwar treten sie zurück gegenüber denen vom Wisent, Renntier ') Vergl. u. a. F.. Hahn: Das Alter der wirtschaftlichen Kultur der Menschheit. Heidelber}; 11)05. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 213 und Pferd, den am meisten bevorzugten Vorlagen künstlerischen Schaffens jener Zeit; doch ist immerhin die Urform des europäischen Hausrindes an verschiedenen Magdalenienstationen uns vom Eiszeitjäger im Bilde überliefert worden. Aus der „Magdalenengrotte" von Lourdes stammt die in unserer Figur unten wiedergegebene zierliche Skulptur eines Urstierkopfes. In der Höhle von Combarelles, in einem Nebentälchen der Vezere, in der Dordogne wurde als Felsgravierung der Bos primigenius-Kopf der Figur oben, mit dem charakteristischen „lyraförmigen" Gehörn gefunden, und aus dem Vezeretale selbst, von Laugerie-Basse, ist der DoppelRinderkopf unserer Figur in der Mitte, der die charakteristi- sche doppelte Krümmung und die (im Profil) nach vorn gerichtete Stellung der Hörner noch besser erkennen läßt. Darstellungen des Ur-Rindes aus der Magdalenienpc Nach H. Obermaier. Interessant ist, daß aus dem an bildlichen Darstellungen bisher so armen Jung-Paläolithikum Osteuropas, und zwar aus der Höhle Kostelik in Mähren, ebenfalls die Gravierung des Ur und zwar in doppelter Ausführung auf den beiden Seiten einer Knochenplatte vorliegt, falls die Er- gänzung des Fragmentes durch H. Brenil — woran man allerdings bei Vergleichung mit den westeuropäischen besser erhaltenen Gravierungen wohl kaum zweifeln kann — das Richtige ge- troffen hat. ') Zum Schluß sei zu dem erwähnten Aufsatz von Kill er mann (Nr. 5, 19 16, dieser Zeitschr.) noch ergänzend bemerkt, daß sich eine photo- graphische Freilandaufnahme des polnischen Wisent in Obermaier, Der Mensch der Vorzeit (Berlin- München-Wien 1911/12) aufTaf. 28 findet. Ferner dürfte die Auffassung des „grimmen Scheich" als männliches Elen doch wohl nicht so allgemein und selbstverständlich sein, wie K. glaubt, nach- dem E. Hahn sehr überzeugend den Scheich zu dem althochdeutschen — heute in „Beschäler" noch fortlebenden — „scelo" in Beziehung gebracht und damit als Hengst der Wildpferdherde erklärt hat.-) E. Werth. Chemie. Eine neue Methode der mechani- schen Bodenanaiyse wird von Sven Oden in den „Internationalen Mitteilungen für Bodenkunde", Jahrg. 191 5, beschrieben, über die im folgenden, da sie ebenso ein theoretisches wie ein praktisches Interesse besitzt, kurz berichtet werden soll. Das Ziel der mechanischen Bodenanalyse, die Feststellung der sowohl für den Landmann als auch für den Geologen wichtigen Größe und Verteilung der in ihm enthaltenen Körnchen, sucht man meist dadurch zu erreichen, daß man eine gegebene Bodenprobe durch Abschlämmen in Fraktionen zerlegt, deren Teilchen innerhalb bestimmter Größen liegen, und das Gewicht dieser Fraktionen feststellt. Dies Verfahren ist einer- seits umständlich, andererseits wenig genau, da ja die Anzahl der PVaktionen aus praktischen Grün- den nicht über eine verhältnismäßig kleine Höchst- zahl hinaus gesteigert werden kann. Sven Oden hat daher — im Anschluß an eine ältere Arbeit von The Svedberg und K n ud P2st r u p (KolL- Zeitschr. 9, 259; 191 1) — eine Art von Differen- tialverfahren ausgearbeitet, das die Charakterisierung des Bodens durch Zerlegung in eine beliebig große Anzahl von Fraktionen gestattet. Er bringt eine möglichst homogene wässerige Suspension des Bodens in einen Glaszylinder, in dem dicht über dem Boden des Gefäßes eine den Quer- schnitt des Zylinders fast vollständig ausfüllende Wagschale schwebt, die durch ein kleines genau bekanntes Übergewicht am anderen Arm der Wage am Niedersinken und durch eine Arretie- rung am Emporsteigen verhindert wird. Wenn nun die in der Flüssigkeit suspendierten Teilchen auf die Wagschale herabfallen, so beginnt diese, sobald das vorhandene kleine Übergewicht über- >) Vergl. M. Kriz, Beiträge zur Kenntnis der Quartär- zeit in Mähren, Steinilz 1903. S. 47 1, und H. Obermaier: Diluviales aus Österreich, Präbistorische Zeitschrift VI, 1914. S. 194- 2) Vgl. E. Hahn, Über den Scheich des Nibelungen- liedes. Verb. Ges. f. Anthropologie. Berlin 1912, S. 121 ff. L. Wilser, Nochmals der „grimme Scheich". Diese Zeit- schrift 1898, S. 305. 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. schritten wird, sich zu senken. In diesem Augen- blick aber wird ein elektrischer Kontakt ausge- löst, durch den das Gegengewicht wieder um einen kleinen Betrag erhöht wird, und nun wieder- holt sich das Spiel von neuem. Liest man nun an einer Uhr die Zeiten ab, die vom Beginn des Versuches bis zu dem Augenblick verfließen, wo die jeweiligen Übergewichte überschritten werden, so erhöht man in feiner Difterenzierung die für den betreffenden Boden charakteristischen Sedi- mentierungsgeschwindigkeiten und aus diesen dann, wie leicht zu ersehen ist und auch sogleich näher gezeigt werden soll, die Verteilung der Korngrößen. Der Zusammenhang zwischen der Suspensions- geschwindigkeit und der Korngröße läßt sich mit Hilfe des St okes 'sehen Gesetzes unter der An- nahme ermitteln, daß die Körnchen Kugelgestalt haben. Ein mit gleichmäßiger Geschwindigkeit v sich bewegendes Kügelchen vom Radius r erleidet in einem Medium, dessen innere Reibung *; ist, den Reibungswiderstand R = 6 iT »1 r V. Handelt es sich bei der Bewegung der kleinen Kugel um eine Fallbewegung, so ist eine gleich- mäßige Geschwindigkeit offenbar nur dann mög- lich, wenn die Gravitationskraft, welche ja eine Beschleunigung der Bewegung bewirken möchte, gerade gleich dem Reibungswiderstand ist. Nun ist die auf das Kügelchen wirkende Gravitations- kraft, das Gewicht G, bekanntlich wenn man mit a das spezifische Gewicht der kleinen Kugel, a' das spezifische Gewicht der Flüssigkeit und g die Konstante der Erdanziehung bezeichnet. Es ergibt sich demnach für den Fall einer kleinen Kugel als Bedingung dafür, daß diese mit konstanter Geschwindigkeit fällt, die Beziehung 6 y-T /^ • r • V ^ r'' /r (ff — ff') g, die in der Form 2 , a—a' V = ~ r-p 9 ^ '; das bekannte St okes 'sehe Gesetz darstellt. Diese Gleichung gilt nur für den Fall, daß die Kügelchen groß gegenüber den Molekülen des Mediums, in dem sie fallen, aber doch nicht allzu groß sind. Die obere Grenze für die Gültigkeit des St okes'schen Gesetzes liegt für Ouarzkugeln nach Allen bei einem Radius von 0,0085 cm := 85 /(. Nun sind die Körnchen eines Bodens natürlich keine Kugeln, sie besitzen vielmehr im allgemeinen eine recht unregelmäßige Gestalt. Man kann also zweifelhaft sein, ob das Stokes'sche Gesetz auf sie überhaupt angewendet werden darf. Oden hat daher den Begriff des „Äquivalentradius" ein- geführt, und zwar versteht er unter dem Äqui- valentradius eines Teilchens den Radius der Kugel, die aus demselben Material wie das Teilchen be- steht und gerade ebenso schnell wie dieses durch die F"lüssigkeit fällt. Selbstverständlich fällt ein Teilchen — dies lehrt auch die strenge hydro- dynamische Analyse des Problems — je nach der zufälligen Lage, die es in der Flüssigkeit hat, mit sehr verschiedener Geschwindigkeit, so eine Scheibe z. B. viel schneller, wenn sie senkrecht steht, als wenn sie wagerecht liegt. „Man wäre vielleicht aus diesem Grunde geneigt, sagt Sven Oden, jede Verwendung von Schlämmanalysen als unzu- länglich zu erklären. Wäre die Bodenprobe so klein, daß sie nur aus wenigen Teilchen bestände, oder wäre die Fallhöhe sehr klein, so wäre dies auch richtig. Hier aber liegt die Sache anders, denn es handelt sich um eine Summation, welche sich über eine große Menge von Teilchen einer bestimmten Größenordnung erstreckt, und man kann nicht den e i n z el n e n Äquivalentradius be- stimmen, sondern muß sich damit begnügen, den mittleren Äquivalentradius einer bestimmten Fraktion zu ermitteln. Es dürfte die Wahrschein- lichkeit für die eine oder die andere Falllage gleich groß sein, und da wir nicht jede einzelne Geschwindigkeit der Teilchen messen, sondern die mittlere Geschwindigkeit, so dürfte der berechnete mittlere Äquivalentradius der mittleren Teilchengröße ziemlich gut ent- sprechen. Hierzu kommt , daß bei den kleinen Teilchen die Falllage keineswegs unverändert bleibt, sondern infolge der Molekularstöße befinden sich die Teilchen in einer unregelmäßigen rota- torischen Bewegung, wodurch der Widerstand gegen die Bewegung immerfort wechselt." In der Tat hat der Versuch unm.ittelbar die Richtigkeit dieser Überlegung gezeigt. Dies läßt die folgende Tabelle erkennen, die die mittlere Fallgeschwindigkeit v der Teilchen einer Boden- probe, ihren aus der St okes'schen F"ormel be- rechneten Äquivalentradius und ihren mikroskopisch von Atterberg gemessenen wirklichen mittleren Radius enthält. F.-illgeschwind gkeit Äquivalentradius*) wirklicher mittlerer Radius cm/sec 78-10-4 cm < ICQ. 10-4 cm 0,2 25-lo-J „ < 30.10-4 „ 22,2 -lO 3 8,3-io-i „ < 10- 10-4 „ 27,78 -lO-i 2,9-IO-'i „ < 3- 10-4 „ 3,472-10-4 io,3-io-.'i „ < 10- 10-5 „ 1,157 lo-i 5,97- lo--' „ 26,78 -lO-U 2,9-10--> „ *) Bei der Berec Wert hnung wurde für 2,7 und für g „ 0,0114 (innere Reibung des Wa 98 1 cm/sec eingesetzt. 15° C) N. F. XV. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 215 Nun gibt das Stokes'sche Gesetz die F"ali- geschwindigkeit v der einzelnen Teilchen als Funktion ihres Äquivalentradius r und der Sven Oden 'sehe Apparat die Gewichtsmenge p der sich absetzenden Teilchen als Funktion der Zeit t seit Beginn des Absitzens. Es besteht also jetzt die Aufgabe, zwischen den, innerlich offenbar in engstem Zusammenhange stehenden Ergebnissen der Stok es 'sehen Theorie und der Sven Oden 'sehen Praxis eine Beziehung zwischen der Gewichtsmenge p der sich absetzenden Teilchen und ihrem Äquivalentradius r herzustellen. Diese Aufgabe, im wesentlichen ein Problem der mathe- matischen Physik, zu lösen, ist Sven Oden ge- lungen; es ist, insbesondere durch Verwendung eines graphischen Verfahrens möglich, aus den Daten der Sven Oden' sehen Versuche die Ver- teilung der Einzelteilchen in einer Bodenprobe nach ihrem Äquivalentradius nach verschiedenen Methoden zu berechnen, jedoch würde eine ge- nauere Darlegung dieser Berechnungsmethoden, die überdies für weitere Kreise der Freunde der Naturwissenschaft kein besonderes Interesse bietet, an dieser Stelle zu weit führen, und es muß daher ihretwegen auf die Originalarbeit verwiesen werden. Sowohl die unmittelbar durch den Versuch erhaltene Kurve, die die Abhängigkeit der Menge der abgesetzten Teilchen von der Zeitdauer des Versuches darstellt, als auch die abgeleitete Kurve, die die Beziehung zwischen der Menge der abge- setzten Teilchen und den Äquivalentradien wieder- gibt, ist für eine gegebene Bodenprobe außer- ordentlich charakteristisch, und so ist zu erwarten, daß sich die Sven Oden' sehe Methode auch in die Praxis der Bodenuntersuchungen im Laufe der Zeit einführen wird, besonders wenn die Umrech- nung der experimentell gefundenen Absatzge- schwindigkeiten auf die Teilchengröße durch Ta- bellen u. dgl. erleichtert wird. Mg. Physik. Aufzeichnung schnell veränderlicher Vorgänge. In einer umfangreichen Arbeit be- spricht K u n a t h (Elektrotechn. Zeitschr. 36 (1915), 633—635, 651—653, 662—664, 679—682) alle diejenigen Apparate, die zur Aufzeichnung ver- änderlicher elektrischer Vorgänge dienen. Sie beruhen alle auf demselben Prinzip : in einem starken Magnetfelde ist drehbar eine Spule auf- gehängt ganz ähnlich wie in den gebräuchlichen Drehspul-Ampere- und Volt-Metern. Lenkt man die Spule aus ihrer Ruhelage ab, so führt sie unter dem Einfluß der elastischen Kräfte ihrer Aufhängung drehende Schwingungen aus, deren K das Dauer (Eigenperiode) T ^ 2/r-l/=- ist, wo K Trägheitsmoment der Spule und D die auf sie wirkende Direktionskraft bedeutet. Die Eigen- frequenz n ist gleich -=r. Damit der veränder- liche Vorgang richtig wiedergegeben wird, ist es nötig, daß n größer ist als die Frequenz der aufzuzeichnenden Schwingung, da sonst durch Resonanz Störungen eintreten, die ihren größten Wert erreichen, wenn die beiden Frequenzen übereinstimmen. Handelt es sich also um die Wiedergabe sehr schnell verlaufender Vor- gänge, dann muß T sehr klein sein. Das wird erreicht, wenn das Trägheitsmoment K klein, wenn also die schwingende Spule möglichst leicht ist und die Entfernung ihrer Teile von der Drehachse gering sind. Man muß, um T auf den halben Wert zu bringen, das Trägheitsmoment auf ^|^ verkleinern. Eine Vergrößerung der Direktionskraft D bringt ebenfalls eine Verkleinerung der Periode T hervor. Doch kann man bei gegebenem Trägheitsmoment die Direktionskraft zur Erzielung einer hohen Eigenfrequenz nicht beliebig vergrößern, da neben der Eigenschwingung auch die Dämpfung des schwingenden Systems über seine Brauchbarkeit entscheidet. Letztere hängt von jK-D ab. Als erste Vorrichtung für den gedachten Zweck kommt die Brau n'sche Röhre in Betracht, bei der ja bekanntlich ein schmales Bündel Ka- thodenstrahlen durch eine Spule, der man den veränderlichen Strom zuführt, oder durch zwei Kondensatorplatten, an die die veränderliche Spannung angelegt wird, abgelenkt wird, so daß auf dem in der Röhre liegenden Leuchtschirm ein vertikales Lichtband entsteht. Dieses wird im rotierenden Spiegel beobachtet und photo- graphiert; letzteres macht wegen der geringen Helligkeit unter Umständen Schwierigkeiten. Da die Kathodenstrahlen praktisch keine Trägheit haben, folgen sie momentan jeder ablenkenden Kraft und geben den Schwingungsvorgang genau wieder. Die Verwendung der Braun'schen Röhre beschränkt sich indessen meistens auf wissenschaftliche Untersuchungen. Ein auch in der Technik viel verwendeter Apparat ist der Oscillograph. Zwischen den keilförmig zugeschärften Polen eines kräftigen Elektromagneten ist eine Drahtschleife aus dün- nem Silberdraht ausgespannt; an dieser ist ein kleiner Spiegel von nur '/., mm'- Fläche und etwa '/j(,^, mm Dicke befestigt. Wird die elektrische Schwingung z. B. ein Wechselstrom der Schleife zugeführt , so führt sie Schwingungen aus. Die Drehungen des Spiegels werden durch einen Lichtzeiger sichtbar gemacht und auf beweglichem photographischen Papier photographiert. Je nach Dicke und Spannung des Drahtes und nach Größe des Spiegels ist die Eigenfrequenz verschieden, sie liegt zwischen 50 und 12000 ganzen Schwin- gungen pro Sekunde, so daß außerordentlich schnell verlaufende Vorgänge mit dem Oscillo- graphen aufgezeichnet werden können. Dabei ist der Energieverbrauch der Stromschleife sehr ge- ring; er beträgt z. B. für die feinsten Apparate nur V40000 Watt für einen Ausschlag von i mm auf dem lichtempfindlichen Papier. Große Ähnlichkeit mit dem Oscillographen 2l6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. hat der in der Medizin verwendete Elel Sek.) belichten, daß die Verschie- bung des Mondbildes auf der Platte während dieser Zeit praktisch zu vernachlässigen ist. Wie groß sie ist läßt sich ja auch leicht ab- leiten. Der Mond nimmt ja auch an der scheinbaren täglichen Drehung des Himmels teil, nur geht er selbst täglich 13'/.," von West nach Ost, also dieser Bewegung entgegen. Es legt also im Mittel 349*'5o' in 24'' zurück und braucht demnach um sich um seine eigene Scheibenbreite (im Mittel = 31') zu verschieben 21440' : 86400^ = 31' : x^; X ^ 120,5 Sekunden oder rund 2 Zeitminuten hinzu. Diese Beziehung 2™ für die eigene Bildgröße gilt natürlich immer. Daher beträgt bei 30 cm Brennweite 3 mm großem Mondbild in I Sek. die Verschiebung nur '■^ljon^= ^Ik, mm, in 7., Sek. '\„ mm in '/i Sek, nur V,„o mm. Dies ist prak- tisch gleich Null und könnte auch bei 10 — 15 facher nachträglicher Vergrößerung der Platte theoretisch nur ' |,j — '/,., mm ausmachen. Das wird man nicht bemerken und von diesem Standpunkte aus müßte die 45 mm große 1 5 fache Vergrößerung des 3 mm Originalbildes noch sozusagen absolut scharf erscheinen. Der Einfluß der Veränderung der Luftbrechungs- exponenten ist auch unmerkbar. Die Unscharfe des Bildes hat auch nicht in der Platte ihren Grund, das Korn mittel- und N. F. XV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 235 selbst hochempfindlicher Platten ist immerhin so fein, daß die lO — 15 fache Vergrößerung nichts machen würde. Die Unscharfe hängt hauptsächlich von der mangelhaften Abbildung durch das Objektiv und der ungenauen Einstellung des Operateurs ab. Ist der Apparat gut, das Objektiv exquisit, durch entsprechende Präzision der Kasettenführung garantiert, dal.) die Schicht der Platte genau dort zu stehen kommt, wo vordem die Mattscheibe ge- standen hat, so ist es lediglich der Einstellung zuzuschreiben, wenn das Bild gut oder minder wird. Es ist darum Einstellung mit Lupe dringend anzuraten. Eine Unscharfe von 0,i mm beim Einstellen kommt schon mit 1 '/., mm auf der Vergrößerung heraus. Daher diesbezüglich größte Sorgfalt. l^rschütterungen des Apparates beim Expo- nieren sind bei gut arbeitenden Verschlüssen nicht zu fürchten. Bei der l"'okalbiIdsaufnahme mit I'^ernrohrcn liegen die Gründe hingegen anders. Infolge des lichtschwächeren Offnungsverhält- nisses i : 15 bis i : 20 muß man mit Expositionen von ''2 — I Sek. rechnen. Das lO mm-I<"okalbild verschiebt sich nun in i Sek. schon um '/12 r"m. in '/., Sek. um '/jt ^^- Das macht bei 5 — 6- facher Vergrößerung auf 5 - 6 cm Bildgröße schon '/., resp. '/4 mm. Das ist schon hinreichend um das Bild nicht mehr scharf erscheinen zu lassen. Nachdem wir auch bei 10 mm direktem Fokal- bild wenig Hoffnung haben dürfen, kleinere Ob- jekte als solche von i' = ^.j,, des Monddurch- messers = ','3 mm auf der Platte darzustellen, zumal die Bildverschiebung auch schon ' j ,, mm beträgt, sind uns höchstens die größten Krater erreichbar. Dabei ist noch aus der Praxis leider zu be- merken, daß gerade um die Krater an der Lichtgrenze herauszukriegen die längere Exposi- tionszeit von I Sek. genommen werden muß, wäh- rend man für das helle Mondscheibeninnere mit den Meeres-Flecken mit ^^ Sek. Exposition aus- kommt. Bei dieser Art der Aufnahme ist es daher die Bewegung des Mondes, welche hauptsächlich die Unscharfe erzeugt. Dieser kann man leider nicht abhelfen. Ferner ist schon als wichtiger F"aktor zu be- denken , daß Aussichtsfernrohre für visuelle und nicht für photographische Strahlen achromatisch sind. Einstellen mit Lupe nützt daher wenig. Viel- mehr muß man durch praktische Versuche den chemischen Brennpunkt zu ermitteln suchen. Dies ist nur nach vieler Übung möglich und jedenfalls ist die Kontrolle für jede Aufnahme viel schwieriger als bei Kameras. Aus diesen zwei Gründen also werden solche Aufnahmen unscharf Immerhin ist aber in dem Umstand, daß eigent- lich das Detail da ist, trotz der erwähnten üblen Umstände die Lage etwas besser als mit kurzen Brennweiten. Mit jenen kann nichts herausschauen, mit längeren Brennweiten könnte wenigstens theore- tisch ein Erfolg erblühen. Wir müssen also trachten uns Instrumente von längerer Brennweite zu schaffen. Dies erreichen wir fiktiv dadurch, daß wir nicht das Originalfokalbild, sondern das mittels des Okulars nach rückwärts projizierte vergrößerte Fokalbild auf die Mattscheibe und Platte bringen. Zum Auffangen dieses Bildes dient uns eine entweder nach Abb. 6 auf einem neigbaren Brett achsenparallel gestellte Kamera (ohne Linsen) lediglich als Kamera obskura zum Schutze der Platten und zur Vollziehung der Exposition mittels des Verschlusses oder eine nach Abb. 7 fix am Fernrohr angebrachte ebenso eingerichtete Kamera. Je nach der Schärfe des Okulars fällt das pro- jizierte Bild näher oder ferner dem Okularende des Fernrohrs, je nachdem ist also die Kamera nach Abb. 6 näher oder ferner einzustellen, nach Abb. 7 der Balgen länger oder kürzer auszuziehen In jedem Abstände für jede Bildgröße kann schwach eingestellt werden. Natürlich muß das verwendete Okular so viel Gesichtsfeld haben, daß der ganze Mond hinein- geht. Wir hätten es nun in der Hand beliebig große Mondbilder einzustellen und in der Tat, wenn man das betrachtet, was man auf der Mattscheibe sieht, so sollte man glauben, wie feines Detail man wird darstellen können. Das Auge ist aber empfindlicher als die beste Platte und man bedenkt nach dem Urteil des Auges zu wenig, wie lichtschwach so ein schon 4 — 5 fach linear vergrößertes direktes Fokalbild 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i6 auf der Mattscheibe ist. Vor allem aber muß man bedenken, daß außer der im Quadrat abnehmen- den Lichtstärke noch die dem Bilddurchmesser proportionale Fortbewegungsgeschwindigkeit des Mondbildes in Betracht kommt. Wollte ich — angenommen daß das direkte lO mm große Fokalbild eines Fernrohres von 7 cm Objektivöffnung i m Brennweite auf Hauff- ultra-rapid-I'latten in '1^ Sek. bei besten Luftver- hältnissen gerade richtig und tadellos exponiert ist — bei nur 3 fach linearer Fokalbildvergrößerung desgleichen tun, so daß das Bild auf der Matt- scheibe 30 mm mißt, so müßte man, da sich das Licht auf eine 9 fach größere Fläche verteilt, 9 mal länger exponieren. Dabei würde die Bildverschie- bung aber 27 mal so groß, da der Mond 3 mal so schnell geht. Nun haben wir oben gehört, daß die Unscharfe im einfachen Fall schon ^|.,^ mm beträgt. Hier würde sie, bei "'o^ also mehr als i mm betragen. Das ist praktisch unbrauchbar. Ich habe praktisch die Erfahrung gemacht, man soll keine größeren Mondbilder einstellen als der halbe Objektivdurchmesser des verwendeten Fernrohrs mißt. Mehr läßt sich im allgemeinen nicht sagen. Es ist jedoch sicher, daß ein geschickter Amateur schon mit Fernrohren von 5 — 7 cm, noch mehr natürlich von 7 — 10 cm Objektiv, nette und inter- essante Mondphotos erhalten kann. Soviel, wie unser letztes Bild, Abb. 8, vorstellt. läßt sich bei 10 cmObjektiv 1,80 m Brennweite, Originalfokalbild iS mm vergrößert auf 60 mm während der Aufnahme, Platte nachträglich ver- größert auf 17 cm Monddurchmesser gewiß er- reichen. Das habe ich selbst erprobt. Bücherbesprechungen. M. Koppe, Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre i 9 i 6. Berlin 1916, Julius Springer. Durch sehr übersichtliche graphische Darstel- lungen ermöglicht auch dies Jahr der Verf. dem Beobachter der Planeten sofort festzustellen, wo einer der großen Planeten sich befindet, und ob er sichtbar ist. Es ist also eine Ergänzung zu den bekannten drehbaren Sternkarten, die nur die Fixsterne enthalten können. Auch der Lauf der Sonne nebst der wechselnden Länge der Tage ist zur Darstellung gebracht, und besondere Auf- merksamkeit erfährt die etwas schwierige Dar- stellung der astronomischen und zyklischen Mond- phasen, die für die Bestimmung des Osterdatums, und damit des Kalenders von Wichtigkeit sind. Der geringe Preis von 40 Pfg. kann einer weiten Verbreitung des lehrreichen Heftchen nur förder- lich sein. Riem. Max Valier, Das a s t r o n o m i s c h e Z e i c h n c n. München 1915, Verlag Natur und Kultur. Eins von den wenigen Werken, die eine wirk- lich vorhandene Lücke auch wirklich ausfüllen. Den zahlreichen Liebhabern der Astronomie, die Zeit, Lust und Hilfsmittel besitzen, die Himmels- körper zu betrachten, und sich von dem Gesehenen Rechenschaft zu geben, wird hier in eingehender Weise gezeigt, wie das anzufangen ist, wie man einen gesuchten Körper zwischen den Sternen finden und ihn, etwa einen Kometen, zeichnen kann, oder ein Meteor. Ferner was auf den Pla- neten mit kleineren P^ernrohren zu sehen ist, und wie zu zeichnen, vor allem beim Monde, dem für solche Zwecke wichtigsten Gegenstand. Zahlreiche eigene Bilder des Verf. geben eine gute .Anleitung, und zeigen das Erreichbare. Die Sonne ist ja wegen ihrer Helligkeit ein etwas gefährlicher Körper, aber wir finden hier alle Mittel und Wege, der Schwierigkeiten Herr zu werden, und I'lecke, Fackeln, unter Umständen auch Protube- ranzen zu zeichnen, sowie bei Finsternissen die Korona. Man merkt aus jeder Zeile den durch lange Übung hindurchgegangenen P'achmann, der nur das empfiehlt, was er erprobt hat. Vielen wird auch der Anhang über Mondaufnahmen will- kommen sein. Riem. Hans Besser, Raubtiere und Dickhäuter in Deutsch -Ostafrika. Stuttgart, Verlag PVanckh'sche Verlagshandlung. — Geh. i M., geb. 1,80 M. N. F. XV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 237 Die Tiere, die der Verf. schildert, sind in ihren körperlichen Eigenschaften jedem Besucher eines zoologischen Gartens bekannt. Aber mit Recht wird betont, daß es dort nicht möglich ist, ihr natürliches Verhalten kennen zu lernen, da sie meist in engem Raum gehalten werden; und auch da, wo sie sich freier bewegen können, wie in den neueren Tierparks, zeigen sie ein verändertes Benehmen. Sie haben dem Wärter und den Zuschauern gegenüber neue Gewohnheiten an- genommen. Wer aber ein Tier in seinem ur- sprünglichen Verhalten kennen lernen will, muß sich darüber klar sein, daß es in der freien Natur mit der Umgebung verwachsen und auf sie an- gewiesen ist. Er muß es also beurteilen als Teil eines Ganzen, als untrennbares Stück seiner Um- welt. Von einer guten Tierschilderung ist daher zweierlei zu fordern : genaue Kenntnis des Tieres und Vertrautsein mit der Umgebung. Besonders günstig gestalten sich die Verhältnisse in den Tropen, wo die Natur noch von keiner verbessern- den Menschenhand beeinflußt ist. Der Verf. hielt sich 14 Jahre in Deutsch-Ostafrika auf und hat das Schutzgebiet nach verschiedenen Richtungen durchquert. Mit Kamera und Büchse ausgestattet, fand er reichlich Gelegenheit, das Wild in seiner natürlichen Lebensweise zu beobachten. Er hat alle möglichen Kunstgriffe bei seinen Streifzügen angewandt um die Tiere zu photographieren oder zu erlegen. Seine Mitteilungen sind nun aller- dings keine tierpsychologischen Studien, sondern Schilderungen seiner Jagderfahrungen aus der Fülle seiner Erlebnisse. Er will seine „Skizzen" auch als solche aufgefaßt wissen, obwohl aus ihnen überall das Verständnis für die Tierwelt klar her- vorgeht. In verschiedenen Kapiteln werden seine Begegnungen mit Löwen, Leoparden, gefleckten Hyänen, Schabrackenschakalen, wilden Hunden, Flußpferden und Elefanten erzählt. Der Verf. hält sich frei von Übertreibungen der Naturschilderung und seiner Erlebnisse und ermöglicht es dem Leser, sich ohne Schwierigkeit in die großartige Natur Deutsch-Ostafrikas zu versetzen. Der Re- ferent, dem das Schutzgebiet aus eigener Anschauung bekannt ist, kann das Büchlein gerne empfehlen. Stellwaag. Chemie der Erde. Beiträge zur chemischen Mineralogie, Petrographie und Geologie. Heraus- gegeben von Dr. G. Line k. Bd. I, Heft 2, 3. Jena 191 5, Gustav Fischer. Was das erste Heft dieser neuen Zeitschrift erhofifen ließ, haben die beiden nächsten, die mir heute vorliegen , durchaus gehalten. Sind auch die in den verschiedenen Beiträgen behandelten Materien bei dem Umfang des Gebietes recht verschiedenartig, so findet man doch auch in diesen Heften wieder eine Anzahl Arbeiten, welche allgemeineresinteresse dessen beanspruchen müssen, den die Chemie der Erde etwas angeht. Ich meine da vor allem einige Arbeiten, die sich mit den Differentiationserscheinungen in Eruptivmassen beschäftigen (P. Niggli, Probleme der magmati- schen Differentiation. O. H. Erdmannsdörfer, Über die Entstehungsweise gemischter Gänge und basischer Randzonen), bzw. das zurzeit sehr aktuelle Thema der „petrographischen Provinzen" auf ein besonderes Beispiel anzuwenden versucht (K. E. Haase, Die Gauverwandtschaft der Erguß- gesteine im Rotliegenden des nordwestlichen Thüringer Waldes). Während demgegenüber andere Arbeiten, die hier nicht alle aufgezählt werden sollen, nur mehr den Spezialisten inter- essieren dürften, hat in Heft 2 noch eine wert- volle Arbeit von R. Lang (Die klimatischen Bil- dungsbedingungen des Laterits) Aufnahme gefun- den; der Verf., dem wir schon wichtige Studien über den Laterit verdanken, kommt hier zu dem Resultat, daß der Laterit den Gebieten des tro- pischen Regenwaldes (mit mehr als 1800 mm jährlicher Niederschlagsmenge) fehlt, dagegen den Ländern mit lichtem Monsumwald und den Sa- vannen eigentümlich ist, in denen bei hoher Temperatur und bei für eine gründliche Aus- waschung genügender Befeuchtung der Pflanzen- wuchs nicht intensiv genug ist, um Humus zu er- zeugen. Der Laterit bildet somit das Verwitte- rungsprodukt des mäßig humiden heißen Klimas. Wo er sich im tropischen Regenwald findet, ist er das Erzeugnis einer vergangenen Klimaperiode, welche andere chemische Gleichgewichte erzeugte, als die heute dort sich bildenden Böden erkennen lassen. So können wir dem jungen Unternehmen nur weiteren guten Fortgang wünschen. K. Andree. Dr. Oskar Krancher, Entomologisches Jahrbuch 1916. Jahrgang 25. Leipzig 1916, Verlag von Frankenstein & Wagner. Dieser Jubiläumskalender wird allen Insekten- sammlern ebenso willkommen sein wie die früheren. Er enthält wieder neben dem Kalendarium eine größere Zahl von Aufsätzen aus den verschiedenen Gebieten der Entomologie und aus der Praxis des Sammeins, sowie entomologische Mitteilungen von den Kriegsschauplätzen. Bemerkenswert ist besonders der Artikel: Erforschungsgeschichte der Parthenogenesis bei den Schmetterlingen von Dalla Torre. Dem Büchlein ist eine Farbentafel von Deilephila euphorbia n. ab. Krancheri bei- gegeben. Dr. Stellwaag. Zittel, Karl A. von, Grundzüge der Palä- ontologie (Paläozoologie) I Inverte- brata. 4. verbesserte und vermehrte Auf- lage, neu bearbeitet von F. Broili, XII, 694 S. mit 1458 Textabbildungen. München und Berlin 191 5. R. Oldenbourg, Geb. 18 M. Bereits in der dritten 1910 erschienenen Auf- lage, durch welche die Grundzüge I Abt. von Zittel eine Neubearbeitung durch F. Broili erfuhren, war eine Vermehrung und Durch- 238 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i6 arbeilung des Textes sowie der Abbildungen er- folgt. Die Beifügung erklärender Buchstaben bei einer größeren Anzahl von Abbildungen hat sich als sehr brauchbar erwiesen. In der vorliegenden 4. Auflage sind entsprechend den Fortschritten der Wissenschaft neuere Ansichten in systematischer Beziehung mitverwertet. Fast kein Stamm ist unberücksichtigt geblieben. Manche bisher als Anhang angeführte Gruppen sind zu Klassen, Unterklassen oder Ordnungen erhoben. Die be- deutendste Änderung zeigt sich bei den Insekten, wo die II. Unterklasse der Pterygogenea von 12 Ordnungen in der 3. Auflage auf 29 Ord- nungen in der 4. Auflage angeschwollen ist. Eine Reihe älterer Abbildungen ist durch neue ersetzt, die Zahl der Abbildungen von 1414 auf 1458 gestiegen. Wertvoll dürfte sich die Er- weiterung des Inhaltsverzeichnisses erweisen. Bei der heute üblichen schärferen Artfassung ist eine Veimehrung der l'erminologie für den angehenden Paläontologen geradezu Bedürfnis gewordtn. In den Handbüchern über Formationskunde stößt der Leser auf diesen oder jenen neuen Namen, für dessen Einreihung ins System er sehr dankbar ist. Das in jeder Beziehung gediegene, altbewährte Lehrbuch kann jedem Naturwissenschaftler, vor allem aber jedem, der sich mit systematischer Paläontologie und Zoologie befaßt, als unser bestes Lehrbuch wärmstens empfohlen werden. V. Hohenstein, Halle a. S. Suess, F. E., Rückschau und Neueres über die Tektit frage. Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft, Wien I, II, 1914. Mit 3 Tafeln I — III und 3 Figuren im Text S. 51 — 121. Verf. hat bereits in einer früheren Arbeit (Die Herkunft der Moldavite und verwandter Gläser, Jahrbuch der K. K. Geol. Reichsanstalt, Wien Bd. 50, 1900) die kosmische Herkunft der Tektite ausführlich begründet. Vorliegende Arbeit ist ein Nachtrag dazu. Tektite sind kosmische Gläser von hohem Kieselsäuregehalt, dunkelgrüner bis brauner Farbe, durchscheinend, welche anscheinend als größere Glasmassen in die Erdatmosphäre kamen, hier beim rapiden Falle durch Reibung an der Luft (Zusammenpressen derselben!) zum Glühen kamen, infolge der großen Spannung in mehr oder weniger zahlreiche Scherben zersprangen und dann in einem häufig beträchtlichen Streukegel auf die Erde ge- fallen sind. Vielfach kam es zum Erweichen oder Durchschmelzen der Glasmassen ; einige wurden zähflüssig, andere dagegen sind spröde geblieben. Beim raschen Fluge wurde die halbweiche zähe Glasmasse nach hinten gedrängt, so daß ab- geplattete oder verlängerte Sphäroide, birnförmige, glockenschwengel- und uhrglasartige Rotations- körper entstanden. Es werden 5 Tektitarten unterschieden: Die Moldavite, Australite,Billitonite,Queen- stownite, und der Schonit, welche sich der Gestalt nach stark voneinander unterscheiden, aber durch das Band der chemischen Verwandt- schaft zusammengehalten werden. Gegenüber den irdischen Gläsern, den Obsidianen, sind die Tektite durch ungewöhnlich hohen Kieselsäure- gehalt (70—80 "/„ SiOg) und Tonerdeüberschuß (10—17"/;, A1.>0..), den höheren Gehalt an Magne- sia und Eisen gegenüber den Alkalien, die Armut an Wasser, sowie das Fehlen der Mikro- lithen charakterisiert. Verhältnismäßig basisch sind die Australite, sauer die Moldavite und extrem sauer die Oueenstownite. Massenhaft zu- sammengehäuft kommen die Moldavite vor. Die Moldavite finden sich häufig irrr Räume zwischen Budweis in Böhmen und Trebitsch in Mähren; Streukegel etwa 150 km. DieBilli- tonite sind bekannt geworden auf der Zinninsel Billiton, im südlichen Java, im südöstlichen Borneo und auf der Malayischen Halbinsel; Streukegel vom südöstlichen Borneo bis Pahang über weit mehr als 1500 km. Die Australite sind über das ganze südliche Australien verbreitet, am dichtesten in Nord-Tasmanien, Süd-Viktoria und in den Coolgardie- und Kalgoorlie-Golddistrikten Westaustraliens; Streukegel über 4000 km. Der Schonit auf Schonen ist ein vereinzeltes dunkles von einer fein gefältelten Schmelzrinde überzogenes Glasbruchstück. Die Queenstow nite endlich sind in Tasmanien gefunden worden und nach der nächst größeren Stadt Queenstown neu be- nannt worden. Gewaltige Katastrophen müssen es gewesen sein, wenn wir uns den Streukegel der Moldavite (150 km), der Billitonite (1500 km) und gar den der Australite (über 4000 km) vergegenwärtigen, wo sich ein Hagel von glühenden Glastropfen eines Tages über den ganzen Süden des austra- lischen Kontinentes ergossen hat. Tektite finden sich vom jüngeren Tertiär an ; sie sind leichter erhaltungsfähig als die durch Verwitterung und Oxydation längst aufgezehrten Steitimeteoriten und meteorischen Eisen vergangener Epochen. Auch beim meteorischen Eisen wurden ähnlich weite Ausstreuungen festgestellt. Gegenwärtig fallen meteorische Gläser weit seltener als Steine und Eisen. Im übrigen ist auf die interessante Arbeit zu verweisen, welche die einzige ist, die uns einen Überblick über die bisherige Literatur wie über den derzeitigen Stand der Tektitfrage gibt. V. Hohenstein, Halle a. S. Adolf Cohen-Kypser, Die mechanistischen Grundlagen des Lebens. Leipzig 19 14, Ambrosius Barth. Ausgehend von Hertz' Prinzipien der Me- chanik, versucht Verf. „den Nachweis zu erbringen, daß es möglich ist, ohne die Bahnen des Vitalismus N. F. XV. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 239 zu beschreiten und auch ohne auf der Grundlage des Materialismus zu verharren, die Lebenserschei- nungen in zureichender Weise darzustellen . . . ., nämlich durch eine strenge Darstellung auf Grund- lage der Gesetze der Mechanik (8)". Einen Vorgang erklären, nennt Verf. „ihn einem Begriff zuordnen, welcher eine Aussage über gleiche Merkmale enthält, wie wir sie an dem Gegenstand oder Vorgang gewahren (n)". Ihn mechanistisch erklären heißt ihm, „ihn auf allgemeine Gesetze der Massenbewegung zurückzu- führen (14)". Damit wird als Ziel naturwissenschaftlicher Betrachtung, die Bildung von Begriffen allgemeiner Geltung angegeben, wie das von Rickert in den „Grenzen der Naturwissenschaftlichen Be- griffsbildung" ausführlich dargestellt wurde. Neben- bei bemerkt wird dieses Buch nirgends erwähnt, obgleich gerade die dort behandelten Probleme in besonders enger Beziehung zu den Absichten, die Verf. verfolgt, stehen. Eine solche Begriffsbildung wird nun in den folgenden Kapiteln in x'^ngriff genommen. Manches besonders in den ersten Abschnitten liest sich recht gut und klingt bestechend. Je weiter der Leser jedoch kommt, um so weniger fühlt er sich befriedigt. Auf vielversprechende Einleitungen und Vordersätze folgt nichts, das nun irgendwie als neue, oder besonders klare und zu neuen Über- blicken führende Formulierung der Probleme be- zeichnet werden könnte, oder das eine neue Lösung dieser Probleme anzubahnen geeignet wäre. Kurz, man meint immer, nun käme was besonderes, und es kommt nichts. Genau genommen ist das nicht weiter ver- wunderlich und hängt weniger mit der speziellen Darstellung als mit allgemeinen erkenntnistheo- retischen Wahrheiten zusammen. „Die Mechanik faßt nicht die Grundlage, auch nicht einen Teil der Welt, sondern eine Seite derselben." (Mach, Mechanik, Schlußsatz.) Sie erfaßt die empirische Wirklichkeit eben nur soweit sie Mechanik, d. h. Massenbewegung ist, alles Besondere der einzelnen Erscheinung geht dabei verloren. Was also diese Begriffe auf dem Gebiete der Sprache sollen (176), bleibt unerfindlich. Nun kann man sehr wohl den Versuch machen, biologische Vorgänge als Unter- ordnung unter einen weiten formalen Begriff zu bringen, aber diese reine Form muß dann zu- vor mit einem spezifisch biologischen Inhalt ange- füllt werden. Ref. denkt hier an den grandiosen Versuch von Avenarius in der ,, Kritik der reinen Erfahrung", nämlich den Erkenntnisvorgang als die Reaktion eines sich erhaltenden Systems auf Gleichgewichtsstörungen, darzustellen. Aber das System, die Störung, die Schwankung sind hier von vornherein biologische Begriffe, die für Orga- nismen gelten, eben aus dem Begriff des Orga- nimus heraus entwickelt sind, und keine „Massen- bewegung". Rickert hat in dem erwähnten Buche ein logisches Schema entwickelt, wie die „relativ historischen" Begriffe der einzelnen Wissenschaften von einer solchen mit übergeordnetem Begriffs- system übernommen werden können, die sie dann weiter in Urteile und Gesetze auflöst. Dabei gehe dann die Anschaulichkeit der empirischen Wirklich- keit, die Besonderheit und Spezifität der Er- scheinungen immer mehr verloren. Als Beispiel, wie ein solches allem anderen übergeordnetes Be- griffssystem zu denken sei, führt Rickert gerade die Hertz 'sehe Mechanik an, und das ist ein Grund , weshalb hier gerade soviel von dem Rickert 'sehen Buche die Rede ist. In dem Buche von Cohen-Kypser wird nun gerade umgekehrt verfahren, wie in der Rickert'schen Entwicklung; nicht Spezialbegriffe, die für einen Teil der empirischen Wirklichkeit gelten, werden allgemeineren mit weiterem Geltungsbereich untergeordnet, sondern „letzte" Begriffe, im Sinne Rickert und der Hertz 'sehen Mechanik, werden, ohne daß ihnen der Gehalt an „relativ historischem" wiedergegeben wird, was doch bei der Umkehr des Rickert 'sehen Schemas naturgemäß zu geschehen hat, auf biologische Vor- gänge angewandt. Daß dabei dann keine Bio- logie herauskommt, ist nicht weiter verwunder- lich. Es kommt vielmehr günstigen Falls ein voll- ständig leerer Begriffsschematismus zustande, wenn es nicht bei bloßen, inhaltleeren Wortkombi- nationen bleibt. Man vergleiche z. B. folgende Stelle : „Die Reaktion eines vitalen Systems auf einen verändernden Einfluß wird durch innere Kräfte des Systems mitbestimmt, aus deren Ursache die Wiederherstellung seines aufgehobenen Ausgleichs in veränderter Lage des Systems erfolgt. Aus der Ursache dieser Kräfte vermag daher ein vitales System mit einem äußeren Einfluß in Ausgleich zu gelangen, in Hinsicht auf die Inten- sität, Quantität und Qualität des äußeren Einflusses wie in Hinsicht auf die Zusammensetzung des vitalen Systems und die Größe seiner Funktion" (S. 87). Was man sich weiter von der Einführung der Begriffe, „Integration, dynamischer Ausgleich, konstruktiver Ausgleich" für einen Nutzen in der Biologie versprechen soll, bleibt völlig dunkel; oder soll gar damit zu einer Erkenntnis eines „wahren Wesens" der Lebensvorgänge, das hinter der empirischen Wirklichkeit liegt, vorgedrungen werden ? Ref. ist nicht der Ansicht, daß derartige Begriffsschematismen irgend etwas nützen oder fördern. Allerdings ist Ref. der Ansicht, daß die Problemstellung in der Biologie und deren geistige Methodik, sowie die weiteren Forschungsziele einer Diskussion mehr, und eingehenderer Art bedürfen, als das vielleicht in anderen Wissenschaften der Fall ist. Diese Diskussion ist jedoch ein Teil der Erkenntnistheorie und hat daher in enger Fühlung mit dieser zu geschehen. Von einer erkenntnis- theoretischen Einstellung ist in dem Buche von C. K. wenig zu spüren. So bleibt denn die Er 240 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i6 örterung vielfach da stecken, wo die eigeiillichcn Probleme erst beginnen. Daß die Probleme der Biologie in befriedigender Weise behandelt seien, wie es der Verf. in der Einleitung verspricht, diesen Eindruck dürfte der Leser des Buches am Schlüsse kaum gewonnen haben. Petersen. E. Wagner, Spektraluntersuchungen an Röntgenstrahlen. Ann. d. Phys. 46, S. 868 (1915)- Die Untersuchung beabsichtigt, namentlich die Eigenschaften und die Entstehung zweier Banden aufzuklären, die von de Broglie im Gebiete sehr kurzer Wellenlängen entdeckt worden sind. Zur spektralen Zerlegung der Strahlung einer mit Hochspannungsgleichrichter betriebenen Röhre wird ein Steinsalzkristall benutzt, der durch einen Motor langsam um eine vertikale Achse hin- und hergeschwenkt wird. An den Netzebenen ^) des Kristalls werden die Strahlen reflektiert, es treten Interferenzen auf, und so werden bei der Drehung 'J siehe Reflexion und spektrale Zerlegung der Röntgen- strahlen. Naturw. Wochenschr. XIII, S. 437 (1914). die verschiedenen Wellenlängen nebeneinander auf die photographische Platte gelegt. Aus seinen Versuchen schließt der Verf, daß die erwähnten Banden nicht auf eine besonders starke Strahlung der Röhre in diesem Wellenlängengebiet zurück- zuführen sind; vielmehr wird das in der licht- empfindlichen Schicht enthaltene Sil- ber und Brom durch diesen Wellen- längenbereich zu starker Fluoreszenz- strahlung angeregt, und diese sekun- däre Strahlung ruft die Banden hervor. Läßt man nämlich die Strahlen, bevor sie auf den Kristall treffen, durch dünne Silberfolie fallen, so hält diese den Teil des Spektrums der Silber- Röntgenfluoreszenz erregt, zurück; die Silberbande tritt jetzt nicht auf Eine w'eitere Stütze erhält diese Erklärung der Entstehung der Banden durch folgenden Versuch : Eine Zinnfolie wird fest auf die photographische Platte gelegt, und nun wird mit ihr eine Speklralaufnahme gemacht. In dieser tritt eine neue Bande, die Zinnbande, auf; ihre Entstehung ist wie die der beiden anderen der Fluoreszenzstrahlung (des Zinns) zuzuschreiben. Sie ist wegen ihrer großen Intensität (beträcht- lichen Schwärzung) bemerkenswert. K. Seh. Anregungen und Antworten. Museen für Naturgeschichte in einem zusammenfassenden Werke mit Abbildungen gibt es unseres Wissens nicht. V. Hohenstein, Halle a. S. Herrn J. J. P. Fap , Haag. Ein moderneres Werk als Zittel, Grundzüge der Paläontologie, ebenso umfassend mit guten Abbildungen gibt es eigentlich nicht. Für gebildete Laien dürfte Fraas, E. , Der Petrefaktensammler, Stuttgart 1910, in Betracht kommen. Von Werken, welche verweltliche Tiere restauriert wider- gehen, sind neben den von Ihnen angeführten: Osborn, H. F., The Age of Mammals und Scott, A Hislory of Mammals in the Western Hemisphere , noch folgende zu nennen ; Abel, O., Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere, Stuttgart 1912. British Museum (Natural History), Cataloge der einzelnen Abteilungen. Jaekel, O., Die Wirbeltiere. Berlin 1911. König, F., Fossilrekonstruktionen, Bemerkungen zu einer Reihe plastischer Habitusbilder fossiler Wirbeltiere. Mit 8 Tafeln. München 1911. Lucas, F. A. , Animals of the Past. New York 1902. Stromer von Reichenbach, E. , Lehrbuch der Pa- läozoologie. II. Wirbeltiere. Leipzig und Berlin 1912. Walther, Joh. , Geschichte der Erde und des Lebens. Leipzig 1908. Zittel, K. A. V., Grundzüge der P.-iUiontologic. II. Abt. Vcrtebrata. München und Berlin 191 1. Ausschließlich mit Rekonstruktionen vorweltlicher Tiere beschäftigt sich die interessante Broschüre von König, die auch vor allem wegen der Modelle fossiler Wirbeltiere (Paläo- zooplastica) an erster Slelle genannt sein möge. Eine Beschreibung der europäischen und amerikanischen Inhalt: H. E. Ziegler, Amöboide Bewegung bei Gewebczellen. 17 Abb. S. 225. Max Valier, Mondaufnahmen mit Liebhabermitteln. 8 Abb. S. 232. — Bücherbesprechungen: M. Koppe, Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1916. S. 236. Max Valier, Das astronomische Zeichnen. S. 236. Hans Besser, Raubtiere und Dick- häuter in Deutsch-Ostafrika. S. 236. G. Linck, Chemie der Erde. S. 237. Oskar Krancher, Entomologisches Jahrbuch 1916. S. 237. Karl A. von Zittel, Grundzüge der Paläontologie (Paläozoologie) I Invertebrata. S. 237. F. E. Suess, Rückschau und Neueres über die Tektikfrage. S. 238. Adolf C o h en-K yp s e r , Die mechanistischen Grundlagen des Lebens. S. 238. E. Wagner, Spektraluntersuchungen an Röntgenstrahlen. S. 240. — Anregungen und Antworten : S. 240. — Literatur : Liste. S. 240. Literatur. Davis, W. M. und Braun, G., Grundzüge der Physio- geographie. II. Morphologie. Leipzig '15, B. G. Teubner. — Geb. 5 M. Bahrdt, Dr. Wilhelm, Physikalische Messungsmethoden. (Sammlung Göschen 301."! Berlin und Leipzig 'm. — Geb. go Pf. Herzig, Dr. E. , Zwangsvorstellung und Hallunzination. München '15, Verlag Natur und Kultur. Birkner, Prof. Dr. F., Der diluviale Mensch in Europa. 2. Aufl. München '16, Verlag Natur und Kultur. — Geb. 3,20 M.. Valier, Max, Das astronomische Zeichnen. München '15, Verlag Natur und Kultur. — Geb. 2 M. Besser, Hans, Raubwild und Dickhäuter in Deutsch- Ostafrika. Stuttgart '15, Franckh'sche Verlagshandlung. — Geh. I M. Koppe, Prof. M., Die Bahnen der beweglichen Gestirne 19 16. Berlin '16, Julius Springer. — 40 Pf. Schmaler, Dr. M., Das Königreich Sachsen. Geo- graphisches Lehr- und Übungsbuch. Leipzig '15, Quelle & Meyer. — Geb. 2,20 M. Brehms Tierleben. 4. Aufl. II. Bd. Vierfüßler, Insekten und Spinnenkerfe. Neubearbeitet von Richard Heymons. Leipzig und Wien '15, Bibliographisches Institut. — Halbfrz. geb. 14 M. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. April 1916. Nummer IT. Einige vergleichende tier- und menschenpsychologische Skizzen. Von Ernst Mach i'. [Nachdruck verboten.) Mit S Abbildungei Der Gedanke, die Entwicklungslehre auf die Physiologie der Sinne und auf die Psychologie überhaupt anzuwenden, ist schon vor Darwin bei Spencer'] zu finden. Durch Charles Darwin 's Buch über den Ausdruck der Gemüts- bewegungen'') hat er des weiteren eine mächtige Förderung erfahren und später hat dann Schuster (1879) die I'Vage: „Ob es ererbte Vorstellungen gebe" im Darwinschen Sinne erörtert, und endlich bin ich für eine Anwendung der Ent- wicklungslehre auf die Theorie der Sinnesorgane eingetreten ^). Ewald Hering hat in einer akademischen Festrede das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der belebten Materie bezeichnet. '') Gedächtnis und Vererbung fallen in einen Begriff zusammen, wenn man überlegt, daß Organismen, welche einst Teile des Elternleibes waren, aus- wandern und zu neuen selbständigen Individuen auswachsen, also in diese ihre Eigenschaften mit hinübernehmen. In der Zusammenfassung von Gedächtnis und Vererbung aber liegt eine mächtige Erweiterung des Blickes, denn die Vererbung wird uns durch Erfassen dieses gemeinsamen Zuges ebenso verständlich wie die Beibehaltung der englischen Sprache und anderer Einrichtungen durch die Amerikaner der Union. In neuerer Zeit hat A. Weismann den Tod als eine Vererbungserscheinung aufgefaßt; längere Lebensdauer und verminderte Fortpflanzung lassen sich nach seinen Untersuchungen als gegenseitig bedingende Anpassungen auffassen. ^) Als ich noch als Gymnasiast von meinem verehrten Lehrer P. F. X. VVesseh- hörte, daß die Pflanzen der südlichen Hemisphäre bei uns blühen, wenn in ihrer Heimat Frühling ist, dachte ich unwillkürlich an ein „Gedächtnis" der Pflanze. Die sogenannten Reflexbewegungen der Tiere lassen sich ganz ungezwungen als Gedächtnis- erscheinungen außerhalb des Bewußtseinsorganes auffassen; so trinken enthirnte Tauben, mit den Füßen in kaltes Wasser gesetzt, mit der Präzision eines Uhrwerkes auch Quecksilber und andere Flüssigkeiten. Goltz hat in einem Werke über die Nervenzentren des Frosches (1869) eine ')HerbertSpencev, The principles of psychology ( 1 S55). ^) Charles Öarwin, The expression of the emotions in men and animals, London 1872. ') Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1866. ■*) E, Hering, Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organischen Materie. — Almanach der Wiener Akademie 1870. '') A. Weismann, Über Leben und Tod. Jena 1SS4. von Felix Mach. ganze Reihe derartiger Reflexgewohnheilen be- schrieben. Indessen hat wohl A. Weismann Unrecht, wenn er die „Vererbung erworbener Eigen- schaften" bestreitet und eine neue Keimplasma- theorie aufstellt. ') Nach dieser sind die Vorgänge der Entwicklung und Deszendenz Vorgänge, die ganz unabhängig von den Einflüssen auf die Ent- wicklung des Individuums sind, womit der ein- heitliche Gesichtspunkt der Entwicklungslehre aufgehoben ist. Ich bin vielmehr mit Hering der Ansicht, daß durch diesen Zug die Harmonie der ganzen Entwicklungslehre gestört wird und eine solche Annahme das „Absägen des Astes bedeutet, auf dem man sitzt". Jean Henri Fabre in Serignan,'-) ein Meister der experimentellen Methode, ein unge- wöhnlicher Künstler in der poetischen Schilderung der Welt der Insekten, kann uns mit seinen Aus- führungen gegenüber der Weismann 'sehen Theorie recht mißtrauisch machen. So beschreibt Fabre") den Lebenslauf der Holzbockkäferlarve ausführlich; fressend bohrt diese einen ihren zu- nehmenden Dimensionen sich anpassenden Gang in den Baumstamm, verstopft die Äusgangsöftnung leicht mit Mull, so daß der Austritt für das nach der Verwandlung ausschlüpfende, ausgebildete Insekt ohne Schwierigkeit stattfindet. Dies findet vermöge des sich erhaltenden Gedächnisses in jeder folgenden Generation wieder statt. Wie denn aber, wenn die Larve etwa durch einen Schwarzspecht aus dem Baumstamm heraus- geklopft wird, ohne bei diesem Ausflug gefressen zu werden; dann muß sie wohl in den Baum- stamm zurückkehren oder sich anderswo einen Unterschlupf suchen? So fand einmal meine Frau zwischen ihren Röcken einen dicken, lebendigen Knollen, der lebhaft gegen die Kündigung dieses Aufenthaltes zu protestieren schien. Ein anderesmal sah ich eine unter unserer Sitzbank gefundene Larve, die am P'uße einer mächtigen Esche stand, auf diese gesetzt lebhaft an dem Stamme hinauf- laufen, und in einem der vielen Bohrlöcher, welche die Rinde aufwies, verschwinden. Diese beiden Fälle schienen im Zusammenhang mit der Beobachtung eines schönen großen Schwarzspechtes ') A. Weismann, Die Continnität des Keimplasmas ah Grundlage einer Theorie der Vererbung, Jena 1885. -) 1. H. Fabre, Bilder aus der Insektenwelt, I.— 4.Reihe. Stuttgart, Kosmos Verlag. '■>) J. H. Fabre, Ein Blick ins Käferleben. Stuttgart, p. 27—29- 242 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i; zu stehen, den wir im vorausgehenden Winter tot aufgefunden hatten. Abgesehen von den Störungen durch einen Specht oder anderes Getier, mag die Entwicklung ganz so verlaufen wie Fahre sich dies denkt. Wenn aber die genannten Störungen eingreifen, ist die Änderung des Verlaufes ganz erheblich — für das betroffene Tier ist es von geringem Belang, ob es im Magen eines Spechtes oder eines welt- beherrschenden d. h. welttyrannisierenden Gour- mand's als geschmorter oder gerösteter „Cossus" .endet. Auch meinem Vater, zuletzt Besitzer des land- täflichen Gutes Slatenegg in Krain, sowie meiner Schwester Marie verdanke ich Aufklärungen be- züglich der W eisma n ' sehen Keimplasmatheorie. Er zog den chinesischen Morus- Seidenspinner, ein sehr unselbständiges degeneriertes Haustier, und die viel größeren und stärkeren japanischen Eichen- seidenspinner frei im Eichenwalde. Den Morus - Raupen pflegt man seit Jahren zur Zeit des Ein- spinnens Strohbündel zurecht zu legen, und sie warten, wenn man so sagen darf, auf dieses Signal und befolgen es gehorsam. Mein Vater kam nun auf den Gedanken, einer kleinen Raupengesellschaft diese anerzogenen Strohbündel einmal nicht hinzu- legen; — die Mehrzahl ging zugrunde, während die Minderzahl, die „Genies", sich dem eigenen Be- dürfnis folgend dennoch einspannen. Da meine Schwester beobachtet haben will, daß die folgende Generation sich schon in einer größeren Anzahl einspinnt, so wäre die Sache einer neuerlichen Prüfung sehr wert. Natürlich hängt es vom Zufall, dann auch von den Umständen ab, ob und wie die persönlich erworbenen „Engramme" ^(übertragen werden; die durch Generationen in Übung gewesenen „En- gramme" kommen natürlich viel bestimmter und treuer zum Vorschein. Wenn von persönlich er- worbenen und vererbten Engrammen die Rede ist, muß ich daran denken, wie wenig ich deren besitze, aber das mag daher kommen, daß mein Vater Philologe war, ich dagegen Naturforscher bin. Man versuche aber einmal sich den Sohn in demselben Fache zu denken wie den Vater, dann wird man sehen, wie vollkommen oft auch die später erworbenen Engramme übertragen werden. Ich will nun einige schon früher erzählte ^) aber jetzt erweiterte und vor allem illustrierte Beobach- tungen zum Besten geben und glaube, daß sie aus letzterem Grunde für die Leser dieser Zeit- schrift von Interesse sein dürften; zudem geben diese Skizzen als Ergebnisse langer, teilweise sehr mühsamer Studien mehr wie wortreiche und um- ständliche Beschreibungen, und sind als jede ') R. Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im .Wechsel des organischen Geschehens, Engelmann, Leipzig igi I. R. Semon, Die Mnemischen Kmpfindungen, Engelmann, •Leipzig 1909. ^) E. Mach, Analyse iler Empfindungen, Jena. persönliche Färbung oder Zutat entbehrende nur bildlich fixierte Erlebnisse von Wert. In den Herbstferien 1873 brachte mir mein fünfjähriger Junge einen aus dem Nest gefallenen federlosen Spatzen und wollte ihn aufziehen. Die Sache war jedoch nicht so einfach, denn das Tier war nicht zum Schlingen zu bringen und wäre den Insulten einer künstlichen Fütterung unter- legen. Da stellte ich folgende t'berlegung an: Das neugeborene Kind wäre sicherlich verloren, wenn es nicht die zum Saugen vorgebildeten Or- gane und den Saugtrieb hätte; etwas Analoges mußte in anderer Form auch beim Vogel exi- stieren. Ich bemühte mich nun mannigfach den passenden Reiz zu finden, welcher die Reflex- bewegung des Schlingens auslöste. Endlich wurde ein kleines Insekt (Heuschrecke) um den Kopf des Vogels rasch herumbewegt (Abb. i). Sofort sperrte dieser den Schnabel auf und schlug mit den Stummeln seiner Flügel. Der richtige Reiz für die Auslösung des Triebes und der automatischen Bewegung war damit also gefunden. Zusehends wurde der Vogel nun stärker, gieriger, schnappte nach der Nahrung, nahm einmal ein auf den Tisch gefallenes Insekt von da auf, und fraß von nun ab selbständig. Um diese Zeit erlebte ich auch, wie ich mich nun erinnere, eine schreckhafte Halluzination, ob- wohl ich vor einigen Jahren gelegentlich eines Besuches des Herrn Dr. E. v. Niessl-Meyendorf auf sein ausdrückliches Befragen eine solche gänz- lich in Abrede gestellt hatte, was ich nun hier richtig stelle. Ich hatte meinen Sperling mit Heuschrecken groß und flügge gefüttert; da sah ich im Traum eine riesenhafte Heuschrecke mit den Vorderbeinen sich auf meine Brust stützend, unheimlich mit den Fresszangen und Fühlern um mein Gesicht spielend, als wollte auch sie sagen: „Raum für alle hat die Erde, was verfolgst du meine Herde? ..." Darauf erwachte ich, und die Unheimlichkeit des Bildes konnte gegenüber dem wachen Intellekt nicht Stand halten — aber ich war mir bewußt, Hunderten, ja Tausenden kleiner Heuschrecken in wenigen Wochen die Sprungbeine ausgerissen und hierdurch mein buddhistisches Gewissen verletzt zu haben; die Kinderjahre abgerechnet, habe ich bewußt keine Grausamkeit, später auch keine Vivisektion ver- brochen. Wenn ich als Anhänger des Winterkönigs nach der Schlacht am weißen Berge durch die Bemerkung eines klerikalen V^erwandten lebend dem Nachrichter ausgeliefert worden wäre, dürfte ich auch nicht ohne schreckhafte Halluzination davongekommen sein — und man weis nicht, ob man den bedauern oder beneiden soll, der in diesem Falle keine solche hätte. Wie oft mag sich aber in dem imaginären Raum hinter der Spiegelebene einer Ritterburg in Böhmen dies Geinütsdrama abgespielt haben 1 Ich kehre nach dieser Abschweifung zu meinem Pflegling zurück. In dem Maße, als sich der N. f. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. M3 Intellekt entwickelte, war ein zusehends kleinerer Teil des ursprünglich auslösenden Reizes notwendig. Das allmählig selbständig gewordene Tier nahm sukzessive alle possierlichen Spatzenmaniereii an, es sprang auf meinen vorgehaltenen F"inger, wetzte an ihm den Schnabel und ergötzte das Auge, indem es die mannigfaltigsten Bewegungen er- wachsener Sperlinge annahm, die es doch nie ge- sehen noch eigens gelernt haben konnte. Das flügge Tier fing an, allerlei Kurzweil zu treiben — sich mit der Umgebung Eins fühlend — und wenn es mit „kindlicher Zärtlichkeit" seinen Schnabel an meinem Finger wetzte, erlebte ich wahre Vater- oder Mutterfreuden. Auch benahm es sich keineswegs diskret, zupfte mich oft an Haar und Bart, zwickte mich mitunter ins Ohr- läppchen. P:s war also mehr das Verhältnis zwischen Potentat und Hofnarr, ähnlich wie es sich gelegentlich zwischen Eltern und Kindern herstellt, wenn diese den Grad der Intelligenz oder der Macht ersterer noch nicht in Betracht ziehen können. Wenn ich am Morgen meinen Spaziergang auf der Wiese längs einer Baumreihe machte, pflegte ich meinen Sperling mitzunehmen, er flog auf die Bäume, kam aber auf meinen Ruf „Zip . . . Zip" immer wieder auf meinen ^ Finger herab. Schließlich zeigte sich, daß der vermeintliche „Er" eine „Sie" war; denn nachdem die Heuschreckenkost mit mehr solider und gemischter Kost ver- tauscht war, fing „Sie" in parthenogeneti- scher Anwandlung an, Eier zu legen, und ging auf diese Weise nach einiger Zeit ein. Ich könnte also wenig mehr be- richten, wenn nicht meine Tochter diese Versuche mit anderen Sperlingskindern fortgesetzt hätte. Mein Enkel brachte ihr ein ganzes zur Erde gefallenes Nest mit etwa sechs Sperlingen, darunter auch Männchen, durch hübsche schwarze Kravattenandeutungen ausgezeichnet. Nun konnte sich eine Mutter den Luxus einer Heuschreckenjagd, um Sperlinge aufzu- ziehen, nicht gestatten, demnach mußte ein vereinfachtes Verfahren angewendet werden, das sich sehr gut bewährte. Weiß- brot (Semmel) wurde in Milch erweicht und eine mit den Mngern entnommene Prise genügte zur Abfütterung eines Vogels nach der oben erwähnten Methode (.Abb. i ). In diesem Falle wurde die Prozedur noch dadurch erleichtert, daß das alte Vogel- paar Hilfe leistete, indem es sich an der Fütterung beteiligte, sobald das Fenster geöffnet war oder die Jungen hinausgesetzt wurden. Die später freigegebenen Jungen kamen, beim Einfall schlechter Witterung und sobald die Versorgung durch die Alten ungenügend wurde, von selbst ins Zimmer (Abb. 2). Ich erhielt nun einmal von H4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 meiner Tochter bei ihrer Rückkehr vom Lande ein derart aufgezogenes IVIännchen — kaum hatte aber die begleitende Magd den Käfig auf den Gartentisch gestellt, so war auch schon die Nachbar- katze dahinter, und es war gefressen, bevor ich es noch gesehen halte. Ich konnte also wieder kein Männchen studieren, wie ich es mir gewünscht Das „Krepaunzl" lebte nun 8 Jahre bei mir, und ich konnte dieses Tier genügend beobachten und dort weiter fortsetzen, wo ich vor Jahren aufgehört hatte. Meine Enkel erlieiterte es, wenn mich der Sperling an Haar und Bart zupfte und manchmal empfindlich zwickte, denn sie meinten, der Vogel wollte mich necken (Abb. 3). F"ast hätte ich anfangs diese naive Auffassung geteilt, aberwelcheintelligenz, welcher Humor und welch ein Standpunkt, den man einem jungen Tier überhaupt nicht zutrauen kann, gehört dazu, die X'^orstellung des Neckens .Abb. 3. Abb. 4. Abb. 5. Allerlei Kurzweil. hatte, und mußte mich mit dem Rest der Auf- zucht, dem Schwächlichsten, dem „Krepaunzl", das wieder ein Weibchen war, begnügen, und das aus Besorgnis, daß es dem Existenzkampfe nicht ge- wachsen wäre, zurückbehalten worden war. anzunehmen I Dies könnte noch bei einem intelligenten Hündchen zutreffen, das schon durch die Erziehung eines Menschen eine klarere Vorstellung (Gefühl) eines eigenen und fremden „Ichs" gewonnen hat. Intelligente Tiere wie Sperlinge könnten vielleicht diese Stufe durch Er- ziehung gewinnen, angeboren ist dieselbe gewiß nicht. Ich meine also, daß diese Tiere nur ihre eigenen Angelegenheiten im Auge hatten und beispielsweise ihren angeborenen Nestbauinstinkt übten, indem sie mit meinem Haupt- und Barthaar spielten. Was ich des weiteren über dieses zweite Spatzenweibchen zu sagen habe, ist eine Ergänzung des Früheren und beruht auf neuen persönlichen Beobachtungen, die mit den ganz unabhängigen meiner Tochter und Enkelkinder sich fast voll- ständig decken. Meine Spätzin hielt einen Serviettenring, wenn dieser unbeweglich auf dem Tisch lag oder stand, für ganz harmlos, sobald er aber rollte oder vermöge eines mittleren um seinen äußeren Umfang ziehenden Wulstes hin- und herschwankte, stellte sie sich mit gespreizten Beinen, gesenktem Kopf N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 245 und aufgesperrten Schnabel gereizt gegen den Ring (Abb. 4) und hackte wütend auf ihn los; dann hielt sie ihn offenbar für belebt und hatte ihn vielleicht im Verdacht, daß er konkurrenzfähig im Fressen seil Wer wollte sich über die Spätzin wundern — man denke doch an die Erzählung von dem Nürnberger Peter Hele [auch Henlein genannt (1480 — 1542)], gegen den ein Bauer vom Lande, ja sogar sein eigenes Weib klagbar auf- getreten ist; sie hielten die klappernden Uhren für lebende Wesen und ihn mit Teufeln und Hexen im Bunde ! Meine langsam anrückenden Finger wurden energisch angegriffen im Gegensatz zur stets zärt- lich behandelten Hand meiner Tochter, wobei sich der Vogel vielleicht seiner ihm vertrauten Ernährerin erinnerte. Jede sich bewegende Tisch- tuchfalte wurde aufmerksam verfolgt, ja belauert, dann aber mit einem Male darauf losgefahren, und die verdächtige Stelle mit wütenden Schnabel- hieben bearbeitet. Eine weggezogene Serviette wurde oft mit der ganzen Körperkraft stemmend zurückgehalten. Das kleine Wesen pickte Brot- krümel und Kümmelkörner auf, vergaß nie auf seine Prise aus dem Salzfaß; sich mitunter ge- waltig reckend, guckte es neugierig, doch immerliin mit einer gewissen Reserve und Vorsicht, in alles hinein, recht oft Kostproben machend. Die kleinen Bildchen „Allerlei Kurzweil" (Abb. 5, 6 u. 7) geben Beispiele dieser lehrreichen Idyllen auf dem abge- deckten Mittagstisch. Mein Vögelchen hatte, wie ich im Laufe der Zeit unschwer herausfand , an schönen heiteren Tagen eine andere Physiognomie wie bei trübem, kühlem oder gar nebeligem Wetter, und in hohem Grade ist die jeweilige Stimmung und das Temperament von der Witte- rung abhängig. Die behagliche Stellung, wenn die Sonne in den Bauer spielt, Siesta, Selbst- gespräche, „nach dem Bade", oder wenn ein be- liebtes Bröckchen in den F'utternapf kommt oder von oben gereicht wird, sind im Schlußbild un- schwer zu finden. Mein langjähriger Hausgenosse wurde schließlich leidend durch eine schmerzhafte, krebsartige Wucherung unter einem F"lügel und so schwach, daß er nicht mehr im Stande war, sich auf eine höhere Sprosse zu setzen, weswegen mein Sohn durch eine Äthernarkose seine Über- führung in das Nirväna der Sperlinge bewirkte; und damit war dieses stille, kleine und doch wieder so lange Leben zu Ende. Ich habe noch Allgemeines nachzutragen. Meine Sperlinge machten sehr bald die Erfahrung, daß sie nicht durch das Glas ins Freie kommen konnten, und flogen, außer zu Beginn, nie an eine Glasscheibe an, sondern setzten sich immer an die Fensterleiste. Ich führe dies an, weil wirbel- lose Tiere, wie Wespen, Bienen, Schmetterlinge, darin inkurabel sind. Auch waren meine Sperlinge bei Tage (also bei wachem Intellekt) sehr zutrau- lich und liebenswürdig, gar nicht scheu; sie be- trachteten den Menschen als ihresgleichen. Des Abends bei eintretender Dämmerung traten in- dessen regelmäßig andere Erscheinungen auf. Das Tier sucht dann immer die höchsten Orte der Stube auf und beruhigt sich erst, wenn es durch die Zimmerdecke verhindert wird, höher zu steigen. Bei meiner Annäherung zeigte es den Ausdruck der Furcht, des Entsetzens , ja ich kann sagen, der leibhaftigen Gespensterfurcht, denn es sträubte die Federn, blähte sich auf, drückte sich in einen Winkel, sperrte den Schnabel auf und hackte wütend auf die genäherte Hand los. Diese wehr- losen Tiere haben eben mannigfaltige Feinde und ihr Verhalten ist also ganz zweckmäßig. _ Das menschliche Kind findet sich in recht ähnlichen 246 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 Umständen und es ist wohl irrtümlich, die Ge- spensterfurcht auf die Erzählungen von „Mormo und Lamia" oder „Hannibal ante portas'" oder andere noch modernere Schreckmittel zurückzu- führen; diese Furcht ist vielmehr ein altes, durch vorausgegangene Generationen eingeprägtes, an- geborenes „Engramm". Mit der Religion verhält es sich ähnlich, und es ließe sich dies des weiteren ausführen. So wie die Vögel auf von Menschen unbe- wohnten Inseln nach Chamisso und Darwin die Menschenfurcht erst durch Generationen er- lernen müssen, so müssen wir umgekehrt das „Gruseln" im Laufe der Generationen zu verlernen suchen, was für uns zweckmäßiger wäre. Dorfe die Spatzen den Ruf meiner Schwester und kamen herbei, beachteten einen anderen Ruf nicht und flohen einen Priester, der nach ihnen schoß. Die Tiere haben alle, von den niedersten ab- gesehen,') ein Gehirn, und in der Natur muß die Kontinuität eben so existieren wie in den Systemen der Philosophen, und wir müssen annehmen, daß jedweder Anfang psychischen Lebens vielleicht analog dem Roux' sehen Prinzip in und von jeder Stufe an entwicklungsfähig ist. Ich bin des weiteren mit M. v. Unruh-) der Meinung, daß das Leben mit Tieren unvergleich- lich mehr wert ist wie die bloße Beobachtung von solchen. In diesem Sinne ist auch die Nach Beobachtungen meines Schwiegersohnes wird das Entsetzen der Tiere durch Verhüllen des Kopfes mit einem weißen Tuche noch gesteigert. Mein letzter Sperling geriet darüber auch am hellen Mittag in Aufregung. Es ist ein großer Übelstand bei der Beobachtung von Tieren, daß sie zumeist lückenhaft sind, indem die wichtigsten Momente wegfallen. So ist es ja wahrscheinlich, daß die seit vielen Generationen geübten „Engramme" in einem Augenblick lebendig werden, allein es können in solchen Momenten auch große P'ehler gemacht werden; die konti- nuierliche Beobachtung ist eben durch Nichts zu ersetzen. Merkwürdig ist es, wie rasch die Tiere lernen, den Menschen als ein analoges Agens in Rechnung zu ziehen. So kannten in einem Menschenaft'enstation in Orotawa auf Tene- riffa als ein neues, vielversprechendes Unternehmen zu begrüßen. Höchst wichtig wäre des weiteren die genaue Untersuchung der Vorgänge im Großhirn — die Entwicklung von Erfahrungen, wobei ich nur an die schöne Beobachtung mit L. Morgan's^) Hund zu erinnern brauche, der zuerst ein Kanin- chen auf seinen Zickzackwegen verfolgte, aber nach einigen Mißerfolgen den geraden Weg zum Bau einschlägt und dadurch desselben habhaft wird. ') Vgl. L. Edinger, Die Lehre vom Bau und den Ver- richtungen des Nervensystems. Leipzig 1909. ■-) C. M. V. Unruh, Leben mit Tieren. Suttgart 1905. ■') C. Lloyd Morgan, Animal Ufe and intclligencc London 1891. N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 247 Ich glaube, daß man oft durch das Gemüt der Tiere einen Einblick in deren psychisches Leben erhält, denn von der Gemüts- und Willen- seite sind Mensch und Tier näher als von der Seite des Verstandes. Die Wunder der Insektenwelt liefern ein uner- meßlich reiches Material, zu weiteren Forschungen einladend, und sind durch ihre „relative" Einfachheit einer weiteren experimentell analytischen Methode eher zugänglich. Ich verweise auf einzelne Ka- pitel Fabre's wie über die Musikinstrumente der Laubheuschrecken, Versuche über das Scor- pionengift, aus welchem sich als vorläufiges Resultat ergibt, daß der für das ausgebildete Insekt tödliche Stich für die Larve von nur geringem Nachteil ist, die Befruchtung der Nacht- pfauenaugen, die nachweisbar durch einen für uns unfaßbar feinen Duftstoff vermittelt wird, wobei die Männchen stunden- ja meilenweit herbeifliegen. Wir lernen dabei Systeme von Reflexen kennen, die auf verschiedene Ziele abgepaßt sind und demnach in ihrer Kombination nicht ein- heitlich wie beim Wirbeltier auf ein Ziel zu- sammenwirken können. Es wird bei diesen selten vorkommen, daß nach dem der Begattung voraus- gehenden und sie begleitenden Liebesrausch ein Mord des Partners stattfindet, während das zu- meist schwächere Männchen unzählige Male oder fast regelmäßig bei Spinnen, Käfern, Heuschrecken aufgefressen wird. Trotz dieser psychologischen Verschiedenheit, trotz dieses enormen Abstandes darf man aber nicht glauben, daß die Beobachtung der niederen Tiere dem Studium der menschlichen Psychologie nicht förderlich sei, im Gegenteil, wer die einzelnen Reflexe getrennt zu beobachten und einzeln auf- zufassen versteht, wird sie auch im Palle des höheren Tieres, des Menschen, zu kombinieren und vereinigen wissen. Bei einem so reichen, mannigfaltigen, so viel Möglichkeiten erschließenden und Auffassungen zulassenden Gegenstand darf ich mit Solon's Worten schließen: Kleinere Mitteilungen. Eingeweidevorfall bei Fischen. Es ist seit langem bekannt, daß Fische, die plötzlich aus größeren Tiefen an die Oberfläche des Wassers gebracht werden, einen stark aufgetriebenen Leib zeigen. Man nannte die Erscheinung „Trommel- sucht" und sie ist darauf zurückzuführen, daß in- folge der plötzlichen Druckverminderung der aut dem Plsche lastenden Wasserschichten eine er- hebliche Ausdehnung der Schwimmblase folgte, die natürlich je nach der Tiefe des Wassers, der Schnelligkeit des Aufziehens usw. variiert. In neuerer Zeit ist diese Erscheinung von Klunzinger an den Kropfteichen oder Kilcheii (Coregonus acronius Rapp), den Renken (C. wartmanni Bl.), wie an andern Coregonusarten des Bodensees be- sprochen worden. Sie zeigt sich an diesen, wenn sie beim Fang oder durch andere Umstände rasch an die Oberfläche gelangen, ist aber nicht nur auf diese beschränkt, sondern auch beim Hecht, Saibling u. a. wahrgenommen worden. Da diese Fische ein schlechtes Aussehen für den Markt haben, sucht man durch vorsichtiges Streichen gegen den Kopf zu den Inhalt der Schwimmblase durch den Schwimmblasen-Darmgang zu entleeren, was aber nicht immer gelingt. Haempel hat dann diesen Gang bei den Renken untersucht, ob eine Klappenvorrichtung diese Entleerung verhindere, konnte aber keine solche finden. In der Tat läßt sich auch durch vorsichtiges Auf- ziehen die Trommelsucht vermeiden. Nun bleibt es aber manchmal nicht bei der Trommelsucht. Ist der Druck gar zu groß, so werden die Eingeweide gegen den Mund gepreßt und in eine im Munde kolbenförmig herausstehende Vorwöjbung der Rachenwand gedrängt. Diese Erscheinung ist auch an Tiefseefischen des Meeres schon längst fallweise beobachtet worden. ') Daß aber dies nicht immer gleich erkannt wird, zeigt folgender Bericht. Kürzlich bekam U. Gerhardt mehrere Exemplare des zu den Sternoptychiden gehörigen Leuchtfisches Ichthyococcus ovatus (Bon.) aus dem Wiener Hofmuseum. Aus der Mundöffnung ragte ihnen ein mit weißen Papillen besetzter schwarzer konischer Zapfen hervor. Anfangs wurde an ein ausgestülptes Sinnesorgan gedacht, Quer- schnitte jedoch zeigten, daß es sich um zwei in- einander gesteckte Zylinderrohre handle, zwischen denen die verschiedenen Bauchorgane lagen. Beim Vergleich mit normalen Exemplaren erwies sich der Zapfen mit den weißen Papillen als die nach außen gestülpte Speiseröhre. Der Grund der Ausstülpung ist ihm unklar. Es kommt bei ein- zelnen Exemplaren von Sc\'llium (Hundshai, wird wegen seiner Kleinheit und Erhältlichkeit zu Sezierübungen in den Zoologischen Instituten in Mengen benützt) aus dem Kursmaterial des Bres- lauer zoologischen Institutes vor, daß der Darm in sich selbst eingestülpt ist, so daß der Magen- grund samt Milz in den Mundteil des Darmes zu liegen kommt. Es scheint hier wie dort das Tier während des Todeskampfes durch Preßbewegungen den Mitteldarm in den Vorderdarm hineinzudrängen, wobei das Ganze so weit herausgepreßt wird, als es die Länge und Befestigung des Darmes ge- stattet. Wenn wir aber unsere bisherigen Er- lahrungen über den Eingeweidevorfall bei Fischen heranziehen, so ist u. E. die Erscheinung bei Ichthyococcus sicher den eingangs geschilderten anzureihen und auch so wie diese zu erklären. I D o flein gibt in sei eine gute Abbildung. scliönen Reisewerk „Ostasien- 248 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 Freilich erfahren wir von Gerhardt nichts über die Schwimmblase, doch fällt andererseits in die Wagschale, daß Ichthyococcus ein Tiefseefisch ist. Ob auch die von Gerhardt erwähnten Fälle von Scyllium hereingehören, ist eine andere Frage, da diese keine Schwimmblase haben. Übrigens ist dieses Vorkommnis schon längere Zeit bekannt. IVIudge berichtete 1906 von einem abnormalen Hundshai, Scyllium canicula, bei dem der Anfangs- teil des Darmes bruchsackartig in die Mundhöhle vorgestülpt war. Im Bruchsack lag die Milz und die hintere Magenschleifc. Der Bruchsack war hinten etwas eingeschnürt. Mudge hielt seinen Fall wieder für eine angeborene Verbildung, da „die Milz-Magen-Arterie in normaler Weise von der Hauptschlagader entspringend stark verlagert nach vorn zur Milz verlief", was natürlich nichts beweist. Literatur: Gerhardt, U., Ober die Üsophaguspapillen von Iclithyococcus ovatus. Verli. D. Zool. Ges. 24. \'crs. Freiburg i. Br., 1914, p. 290—293. — llaempel, V., Einiges zur Anatomie und Physiologie der Schwimmblase beim Aal und den Renken. Zool. Anz. 34. 1909, p. 381. — Klunzinger, C. B., Die Trommelsucht der Kropffelchcu oder Küchen (Coregonus acronius Kapp). Verb. D. Zool. Ges. 18. 1908, p. 241 — 242. — Mudge, G. F., Aa ab- normal Dogfisch (Scyllium canicula). Zool. Anz. 30. 1906, p. 278—280, 1 Fig. Priv.-Doz. Dr. Ludwig Freund (Prag). Wichtige Aufschlüsse für die Geologie und Prähistorie hat eine Baggerung zur Vertiefung der Flensburger Förde gebracht. Schon früher hatten Baggerungen in der Innenförde viele schöne Funde gebracht, sodaß ich die Behauptung aufstellen konnte, daß in der Zeit der ersten Bodenhebung nach der letzten Eiszeit, der Ancyluszeit, noch keine Förde bestand, doch waren an den tiefsten Stellen eine Anzahl von Seen, die durch die Ab- flüsse miteinander verbunden waren; die ausge- dehnten Wälder reichten bis an die Seen, an deren Ufer sich die ersten Ansiedlungen befanden. Diese Annahme gilt wenigstens für innere Hälfte der Förde. Die letzten Baggerungen haben die Behauptung voll bestätigt. Die ersten Funde wurden nahe der Stadt aus dem Hafen hoch ge- bracht, aber jetzt ist am Außenrand nahe der Halbinsel Holnis, etwa 12 km weiter entfernt das Fahrwasser vertieft, und hier hat man ganz ähnliche, jedenfalls gleichaltrige Funde gemacht. In einer Tiefe von etwa 9 m traf man eine Schicht von Waldtorf, die von ausgestorbenen Austernbänken der Litorienzeit überlagert war. Im Waldtorf fanden sich Reste von Eichen, Birken, Erlen und Buchen. In dem Torf oder darunter befanden sich verschiedene Tierreste und primitive Gerät- schaften der Urbevölkerung. Zunächst wurden Hornzapfen vom Auerochsen gehoben, sodann einige Geweihstücke vom Edelhirsch und merk- würdigerweise ein Rehgehörn. Bisher war man der Meinung, das Reh sei erst später, etwa zur Litorienzeit hier eingewandert; dieser Fund zeigt aber, daß es schon früher hier gelebt hat. Von den Hirschgeweihen waren manche Stücke mit einem Feuersteinspan angeschnitten und dann abgebrochen. Man hatte aus Hirschgeweih sich Hacken, Äxte, Dolche, Lanzenspitzen und dergl. gemacht. Die anderen Gerätschaften waren aus Feuerstein, doch sind von solchen nur wenige ge- funden. Es ist ja freilich nicht mit Sicherheit zu sagen, daß diese Funde der .Ancyluszeit angehören, doch sind sie von den Litorinaschichten über- lagert, mithin älter als diese und wenigstens der Prälitorinazeit angehörig. Aber noch eine Eigenart mehr trat hier zum ersten Male bei der Unter- suchung auf. Die Torfschichten waren an Stellen mit reichlich fingerstarken Röhren von Pholaden durchbohrt. Lebende Pholadenarten gibt es in der Ostsee nicht mehr, somit bleibt nur die Möglichkeit, daß es Tiere des Litorinameeres waren. Damit ist denn auch das Vorkommen dieser Bohrmuscheln in früherer Zeit hier nach- gewiesen. Von der zerbrechlichen Schale war leider nichts mehr erhalten, doch nach den Bohr- löchern kann es sich nur um Pholas dactylus handeln. Die Austerschalen aus dieser Gegend waren bedeutend dickschaliger, als die im Hafen. Von Teredo navalis findet man dicke Eichenstämme durchlöchert und noch wohlerhaltene Kalkrohren. Auf der äußersten Spitze der Halbinsel Holnis findet man im Meer zahlreiche Wurzelstubben versunkener Wälder aus jener Zeit und auf der Sandbank davor die alten Feuersteingeräte. Philippsen- Flensburg. Polypen auf Fischen. Zu den bekannteren Formen der Süßwasserfauna gehören die zierlichen Polypen, die, wie Hydra fusca, allenthalben bei uns vorkommen und dem Fischpfleger im Aqua- rium wegen ihren feindlichen Beziehungen zu den Fischen sehr unangenehm sind. Nun haben. die Polypen sehr zahlreiche Verwandte im Meere, die sich durch ihre reiche Vielgestaltigkeit und oft komplizierte Fortpflanzungsverhältnisse auszeichnen. Von einigen wenigen derselben sind im Laufe der Zeit ebenfalls Beziehungen zu Fischen bekannt geworden, welche freilich etwas harmloserer Natur zu sein scheinen. Es handelt sich um Hydroid- polypen, welche sich mehr weniger zahlreich den I<"ischen anheften, sei es direkt an die Oberhaut, sei es an Außenschmarotzer (parasitische Krebse), die den Fischen aufsitzen. Dabei können sie außerdem noch an anderen, unbelebten Gegen- ständen angeheftet vorkommen, so daß ihre An- heftung an den Fisch den Charakter des Zufälligen erlangt, es sind aber auch Fälle festgestellt, wo die Hydroidpolypen Veränderungen im Bau auf- weisen , welche als Anpassungen an das dann gesetzmäßige Zusammenleben mit dem F'ische zu deuten sind. Es ist in allen diesen Fällen schwer zu entscheiden, ob aus dieser Vergesellschaftung für beide Teile oder nur für einen ein Vorteil erwächst, ob also die Hydroidpolypen als Sym- bionten oder als Kommensalen aufzufassen sind. Von den bisher bekannt gewordenen h'ällcn N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 249 seien nach Junge rsen, der sich zuletzt mit dem vorliegenden Thema beschäftigt hat, nachstehende aufgezählt. Die erste Gruppe bilden Beispiele von „Triple - Association^'. AI. Agassiz fand öfters auf Copepoden einer Art Penella, die auf Orthagoriscus mola schmarotzte, Eucope parasitica. Letztere wurde dann von Leidy auf Lernaeonema procera, das auf Odontaspis littoralis schmarotzte, wiedergefunden. Auch Paul Mayer erwähnt eine „Campanularia", in großer Zahl auf einer Penella sitzend, die auf Xiphias gladius parasitierte. Juiigersen beobachtete Obelia geniculata auf Lernaea branchialis, welche an den Kiemen eines gewöhnlichen Gadus angeheftet war. S a e m u n d - sen erwähnt einen ähnlichen Fall. Von der Obelia muß bemerkt werden, daß sie auch auf anderen Substraten sitzend gefunden wurde. Eine zweite Gruppe bilden Fälle, wo die Po- lypen dem Fisch direkt aufsitzen. Hier wäre zuerst Alcock zu erwähnen, der St\lactis minoi (Podocoryne minoi) immer auf der Haut des Scor- paena-ähnlichen Fisches Minous inermis von der Küste Britisch -Indiens aus 80 — 130 m Tiefe an- geheftet gefunden hat. In Japan wurde dann das Gleiche beobachtet. Franz und Stechow, bzw. Stechow fanden Minous inermis von der Sagami-Bai aus 150 m Tiefe besetzt mit Podoco- ryne (= Stylactis Alcock) minoi. Bevorzugt war die Gegend zwischen Bauch- und Brustflossen und die Umgebung des Afters. Aus dem Atlantischen Ozean stammt wieder die Meldung Heath's, welcher den Cottus-ähnllchen H_\-psagonus quadri- cornis mit Perigonimus pugetensis, aus dem l'uget- sund (Friday Harbor) gefangen, besetzt fand. P^eilich war dies nur bei 10 von 27 Fischexem- plaren der Fall. Dasselbe wissen wir von Minous inermis, von dem auch unbesetzte Exemplare ge- fangen wurden. Nach Heath (in seinem Pralle) wirbeln die am Meeresgrunde lebenden Fische mit ihren langen Flossenstacheln Nahrungspartikel auf, die den vornehmlich auf der Bauchseite sitzenden Hydroidpolypen zugute kommen. Die dritte Gruppe wird endlich von jenen P'ällen gebildet, wo die gefundenen Hydroidpolypen in ihrem Bau Anpassungen an die Lebensweise auf dem Fische erfahren haben. Hier herein ge- hört der Befund von Fewkes, betreffend Hydrichthys mirus auf Seriola zonata von der atlantischen Küste der Vereinigten Staaten. Sie fanden sich kolonienweise in der Nähe des Afters. Lloyd berichtet von Nudiclava monocanthi, die in kleinen Kolonien auf einem 2 cm langen Exem- plar von Monocanthus tomentosus aus der Ada- manensee saß. Schließlich beschrieb Jungersen selbst Ichthyocodium sarcotretis, welches unter Vermittlung des parasitischen Copepoden Sarco- tretes scopeli auf Scopelus glacialis angesiedelt war. Freilich waren unter 2000 untersuchten Scopelus nur 23 mit beiden infiziert, doch kann der Fisch mit dem Copepoden allein behaftet sein. Seine Pfunde stammen von der Küste Grönlands aus Tiefen bis 900 m. Allen diesen drei Polypen ist gemeinsam, daß sie ihre Tentakel verloren haben. Ichthyocodium selbst fehlen auch die Nematocysten (Nesselkapseln). Es scheinen also die Polypen ihre Nahrung in anderer Weise zu erlangen, wie ihre normalen Verwandten, wobei sie in irgendeine Abhängigkeit von dem Fische, auf dem sie leben, geraten sind. Der im letzten Falle zwischengeschaltete Copepode scheint nur bezüglich der Anheftung eine Rolle zu spielen. Keinesfalls nehmen sie ihre Nahrung aus der Haut des Fisches, da diese durch die netzartig ver- zweigten Fußausläufer der Polypen (Hydrorhiza) in keiner Weise alteriert erscheint. Ob sie nun an der Nahrung des P'isches teilnehmen, oder auch von seinen Ausscheidungen leben, worauf die An- heftung in der Nähe des Afters hindeuten könnte, ist vorderhand unsicher. Auch die durch das Leben auf dem Fische geförderte Verbreitung der Art dieser sonst festsitzenden Tiere könnte in Frage kommen, da ja zahlreiche Fälle von Ver- gesellschaftung bekannt sind, bei denen dieses Moment sicher eine Rolle spielt. Hanstein (Biologie der Tiere, Leipzig 1912, p. 341) hat wenigstens den mit Polypenkolonien besetzten Minous als Beispiel passiver Verschleppung ver- zeichnet. Allein die P'ortpflanzung mittels frei- schwimmender Medusen , die von P" e w k e s be- züglich Hydrichthys sogar im Aquarium beobachtet wurde, benimmt jenem Moment seine Bedeutung. Wir müssen uns vorderhand bescheiden, alle diese Polypen nur als Kommensalen oder Mitesser ihrer Wirte anzusehen. Literatur. Agassiz, AI., North American .\calephae. 111. Catal. Mus. comp. Zool. Harvard Coli. Boston, 1865. — Alcock, A., Natural History Notes from il. M. Indian Mar. Surv. Steamer „Investigator", Ser. II. No. 6: A Gase of Commen- salism between a gymnoblaslic Anthomedusoid (Stylactis minoi) and a Scorpaenoid Fish (Minous inermis). .^nn. Mag. Nat. Ilist. London, (7) 10, 1892, p. 207. — Fewkes, J. W., On certain Medusae from New-England. Bull. Mus. comp. Zool. Harvard Coli. Boston, 13. 1SS7, p. 209 — 240. — Fewkes, J. W., A new Mode of Life among Medusae. Proc. Boston Soc. Nat. Hist. 23. 18SS. — Kranz, V. und Stechow, E., Symbiose zwischen einem Fisch und einem Hydroidpolypen. Zool. .^nz. 32. 190S, p. 752. — Heath, H., The Association of a Fish with a Hydroid. Biol. Bull. Mar. Lab. Woods Hole, 19. 1910, Xo. 2, p. 73 — 78, 2 Fig. — Jungersen, H. E., On a new Hydroblaslic Hydroid (Ichthyocodium sarcotretis) epizoic an a new Parasilic Copepod (Sarcotretes scopeli) in- festing Scopelus glacialis Rhdt. Vidensk. Medd. Dansk nath. For. Kopenhagen, 64, 1913, p. 1—33, 6 Abb. 2 T. ; auch: Rep. Sl. Meet. Brit. Ass. Adv. Sc. 1912, p. 407. — Junger- sen, H. E., Addilions and Correctiuns to the Paper: On a new Gymnoblastic Hydroid (Ichthyocodium sarcotretis) epizoic on a new Parasitic Copepod (Sarcotretes scopeli) infesting Scopelus glacialis Rhdt. Vidensk. Medd. Danks nath. For. Kopenhagen, 64. 1913, p. 211— 214. — Leidy, J-, Parasitic Crustacea (Lernaeocera procera with attached Hydromedusa Eucope parasitica). Proc. Ac. Nat. Hist. Philadelphia, 1S88. — Lloyd, R. E., Nudiclava monocanthi, the Type of a new Genus of Hydroids parasitic on Fish. Rec. Indian Mus. Cal- cuUa, 1. 1907, p. 281 — 2S9, 2 Taf. — Mayer, Paul, Car- cinologische MiUeilungen, V. Penella und Conchoderma. Mitt. Zool. Stat. Neapel, I. 1S79. — Saemundsen, B., Bidrag til Kundskaben om de islandske Hydroider, 11. Vidensk. Medd. Dansk nath. For. Kopenhagen, 63. 1911. — Stechow, E., Hydroidpolypen der Japan. Ostküste, I. T. Beitr. Natg. Ost- .isien, Doflein, Abh. II. Kl. Ak. Wiss. München, I. Suppl. 6. Abh. III p. 7 T. 3 Abb. 191 1. Priv.-Doz. Dr. Ludwig P>eund (Prag). Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 Einzelberichte. Zoologie. Über den Geruchsinn der Bienen vierte Kästchen geruchlos blieb. Das Ergebnis und seine Bede^ng für d^n Blumenbesuch hat zeigt die folgende Tabelle: K7 von Frisch, der durch seine Experimente über den Farben- und Formensinn der Biene be- kannt ist, bemerkenswerte Dressurversuche gemacht. (Verhandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft m Wien, 65. Bd., Heft 1 — 2, 191 5.) Er verwendete Kartonkästchen, (10, io>'iO cm) die an ihrer Vorderwand, knapp über dem Boden, mit einem Loche von i V» cm versehen waren. Die Deckel der Kästchen waren aufklappbar. Von 4 aufgestellten Kästchen blieben 2 stets leer. Die andern aber wurden mit irgend einem Duft, meist mit einem Parfüm versehen, das dem natürlichen Blütenduft möglichst nahe kam, und diesem gegen- jjj^gg ^„j ähnliche Versuche zeigten, daß die über stets in genügender Menge beschafft werden ßjgngn Düfte scharf unterscheiden, konnte. Die Kästchen erhielten einen Napf mit Weiterhin suchte K. von Frisch festzustellen, Zuckerwasser, von welchem die Bienen Nahrung ^^ ^ynk oder Farbe von den Bienen mehr be- holten, wenn sie mit Honig angelockt waren. Um ^^htet wird, wenn man beide Faktoren miteinander die Dressur auf einen bestimmten Ort zu ver- ^^^ Konkurrenz setzt. Er benützte ein Kästchen hindern, wurde die gegenseitige Lage der Kästchen ^^j^ ^j^uer Vorderwand mit Blumenduft und häufig verändert. Es fragte sich nun, ob die Zuckerwasser und ein gelbes, das leer blieb. Auf - j ^ , Beobachtungszeit Rose Lavendel Akazie leer Von IG fhr 55 0 0 22 bis I Uhr 0 0 26 I 0 0 28 0 0 ° 31 0 Biene überhaupt die Fähigkeit hat, den Duft wahrzunehmen und ob sie lernt, Duft und Futter zu assoziieren. Zum Versuch wurden nach der Dressur alle Kästen entfernt, und durch vier reine, noch nicht benützte Kästchen ersetzt. Eines der Kästchen enthielt das Parfüm. Darauf wurden das blaue duftende Kästchen dressierte er die Bienen. Danach wurden die beiden Kästen ent- fernt und an ihre Stelle kam ein reines blaues neben ein gelbes duftendes Kästchen. Die Bienen bevorzugten keines der Kästchen deutlich, sondern flogen zögernd in beide. Nur beim Anflug die Bienen gezählt, die in jedes Kästchen eintraten, ^nachte sich ein deutlicher Unterschied bemerkbar, Aus den verschiedenen Protokollen, die K. von Frisch veröffentlichte, seien zunächst 2 mitge- teiU. An den mit * bezeichneten Plätzen waren die Bienen zuletzt gefüttert worden ; flogen sie also an den alten Platz, so konnte dies nur zu Ungunsten des erwarteten Erfolges wirken. Beobachtungszeit leer leer Akazi enduft Von 9 Uhr 55-5S I 2 0 I Beobachtungszeit leer Akazienduft leer leer Vnn 0 Uhr C8 Daraus ergibt sich, daß, die Bienen in den du ft enden Kästchen nach dem gewohnten Futter suchten, auch wenn dieses nicht vorhanden war. Um festzustellen, ob die Bienen aus verschiedeneu Düften einen bestimmten herausfinden können, waren die Bienen unter anderem einige Zeit hindurch in einem nach Akazien duftenden Kästchen ge- füttert worden. Danach wurden die vier Dressur- kästchen mit unbenutzten vertauscht, von denen eines mit Akazienduft, eines mit Rosenduft, eines mit Lavendelduft versehen war, während das schienen die Farbe aus viel größerer Entfer- nung wahrzunehmen als den Duft, denn sie flogen aus einer Entfernung von mehreren Metern direkt auf die Dressurfarbe los und stutzten erst in nächster Nähe, weil sie jetzt das Fehlen des ver- trauten Geruches bemerkten. Trotzdem sich aller- dings hierbei die Bienen verschiedenen Düften gegenüber verschieden verhalten können und auch wohl die Windrichtung eine Rolle spielt, ergänzen sich also Duft und h'arbe wirksam. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, daß sich die Bienen auf widerliche Gerüche, wie Lysol dressieren lassen, sobald sie bemerkt haben, daß der Lysolgeruch eine Nahrungsquelle bedeutet. K. von Frisch kommt zu folgenden Ergeb- nissen: Der Duft an sich ist ebenso wenig wie die Farbe ein Lockmittel; er ist ein Merkzeichen. Wohl mag der Duft eines blühenden Strauches oder eines Blütenfeldes schon von weitem auf die Bienen wirken, namentlich wenn der Wind mit im Spiele ist. Im allgemeinen aber wirkt der Duft viel weniger weit als die Farben. In einem Punkte, nämlich in seiner großen Mannig- faltigkeit, ist der Duft der Farbe überlegen. Dr. Stellwaag. Über die entwicklungsg^hichtlichen_J3e- ziehungen zwischen Rhizopoden und Flagellaten veröffentlicht "A. Pasche r-Prag in Archiv für Protistenkunde (Bd. 36. 191 5) seine Untersuchungs- N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 251 ergebnisse. Übergänge von monadiden und rhizo- podialen I'"ormen treten bei fast allen Reihen gefärbter Flagellaten, am meisten bei den Chryso- monaden aui^, bei welchen schon die dauernd rhizopodialen Formen den vorherrschend mona- doiden gegenüber gestellt worden sind. Der Verf. faßt sie als Rhizochrysidinen zusammen. Er weist an bestimmten Organismen nach, daß fast für alle Reihen dieser Flagellaten rhizopodiale Orga- nisationen nachweisbar sind, die in Organisation und Lebensweise völlig mit den Rhizopoden über- einstimmen, in Einzelheiten der Gestalt dagegen starken Anklang an einzelne Flagellaten zeigen. Die Annahme einer genetischen Beziehung zu einer Reihe rezenter Flagellaten liegt natürlich nahe, wenn sich bei rhizopodialen Formen deren charakteristische Eigenschaften, wie bestimmte Stoft'wechselprodukte, Chromatophoren, Cysten, Schwärmer usw. finden. Verf. bringt als Beleg für die Annahme, daß unter Betonung der ani- malischen Ernährung und Anpassung an diese, gänzlich rhizopodiale Formen von den F"lagellaten abzweigen können, drei F'ormen, die er Rhizaster, C h r y s o c r i n u s und C h r y s o t h y 1 a k i o n nennt. Für alle drei sind meist gelbbraune Chroma- tophoren, Fett und Leukosin im Plasma, anderer- seits verschieden angeordnete Pseudopodien charakteristisch. Ebenso beobachtete Verf. die Aufnahme und Verdauung kleiner Organismen. R. V. Aichberger-München. Bekanntlich unternehmen gewisse Fischarten zur Laichzeit oft weite Wanderungen aus dem Meer in das Süßwasser (Lachs, Maifisch) oder umgekehrt aus dem Süßwasser in das Meer (Aal), um dort zu laichen. Es ist nun rätselhaft, welcher Sinn dabei die betreft'enden Fische nach der Laichstelle führt. WieRoule (Sur l'influence exercee sur la migration de montee du Saumon (Salmo salar L.) par la proportion oxygcne dissous dans l'eau des fleuves. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 19, 19 14) mitteilte, konnte er an der Südküste der Bretagne feststellen, daß der Lachs nicht unter- schiedslos alle Ästuarien aufsucht, sondern nur dort eindringt, wo das Wasser sauerstoffreicher ist und ihm eine intensive Atmung ermöglicht. Er nennt den entsprechenden Sinn „Branchio- tropismus". In einer weiteren Untersuchung (Sur les mi- grations des poissons de la famille des Mugilides. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 18, 2 nov. 1915) wandte er sich der Frage zu, wodurch Süßwasserfische zur Laichzeit in das Meer geleitet werden. Ein geeignetes Untersuchungsobjekt schienen ihm die Laichzüge der Meeräschen (Mugilidae), Gattung Mugil-Art. aus den stehenden Gewässern (etangs) an der Mittelmeerküste in das offene Meer zu sein. Obschon die Wanderrichtung eine um- gekehrte ist wie vorher, dient doch auch hier die Zunahme des Wassers an gelöster Luft als Führer. Speziell geeignet erwies sich zu den Untersuchungen der bereits physikalisch und bio- logisch erforschte Teich von Thau. Die Nähe von Cette begünstigte außerdem das wissen- schaftliche Arbeiten. Die Untersuchungen wurden ausgeführt Ende September und anfangs Oktober 191 5. Zu ver- schiedenen Zeiten wurden Wasserproben ent- nommen und auf ihren Gehalt an gelöster Luft geprüft. Es ergab sich daraus, daß in gleicher Tiefe bei gleichen Witterungsverhältnissen das Küstenwasser luftreicher war als jenes des Teiches. Die Temperaturunterschiede betrugen zu dieser Jahreszeit höchstens Vio"- dagegen war der Luftgehalt des freien Wassers viel größer, bisweilen fast doppelt so groß als der des Wassers aus dem Teich. Daraus folgert R., daß der größere Luftgehalt des Wassers es ist, welcher die Meeräschen bei ihrer Laichwanderung führt. Er meint, daß das Wandern des Lachses und der Meeräsche, welche trotz umgekehrter Wander- richtung darin übereinstimmen, daß sie zum Laichen das luftreichere Wasser aufsuchen, damit zusammenhänge, daß die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen zur Fortpflanzungszeit eine intensivere Aufnahme von Sauerstoff durch die Atmung nötig mache, und daß dieses Bedürfnis den Wandertrieb auslöse und seine Richtung be- stimme. Bisher habe man dieses Moment ver- nachlässigt zugunsten der Verschiedenheit des Wohn- und des Laichgewässers in Temperatur und Salzgehalt. Die Lachse dringen bei ihren Wanderungen, welche sie zum Zweck des Laichens vom Meer in die Flußläufe ausführen, in jene ein, deren Wasser möglichst reich an darin gelöster Luft ist. Nachdem L. Roule dies schon für jene Fische festgestellt hatte, welche im Frühjahr wandern, zu einer Zeit also, in der ihre Plierstöcke erst im Begrift' sind anzuschwellen, untersuchte er nun, ob auch bei der Herbstwanderung, für Tiere also, deren Ovarien voll entwickelt sind, der Luftgehalt des Wassers wegweisend wirke. Über seine in bejahendem Sinn ausgefallenen Ergebnisse berichtet er in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften vom 6. Dezember 191 5. (Sur de nouvelles recherches concernant la migration de montee des saumons. Presentee par Ed. Perrier. C. R. Ac. sc. Paris Nr. 23, 1915). Die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen der Herbst- lachse hat schon im Meer stattgefunden, kann also nicht die auslösende Ursache bilden. Als geeignete Örtlichkeit wählte Roule ein Küsten- flüßchen der Bretagne, den Aven, das gewöhnlich von Lachsen aufgesucht wird. Wegen der Kürze seines Laufes, des Fehlens zahlreicher größerer Zuflüsse und von Verunreinigungsursachen (Ab- wässer aus I'^abriken und Bergwerken) sowie wegen des regelmäßigen Baues seines Astuariums er- schien es besonders für eine solche Untersuchung geeignet. Im Astuarium schichtet sich das ein- gedrungene Süßwasser über dem schwereren Salz- wasser und je weiter nach oben, desto luft- 2S2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 reicher ist es. Ein Kilometer vom Städtchen Pont d'Aven enthält das salzige Wasser des Grundes durchschnittlich im 1 3,14 ccm Luft, das Lachs- wasser hat durchschnittlich in i m Tiefe 6,48 ccm und ganz süßes Wasser an der Oberfläche 7,27 ccm. Was den Fluß selbst anlangt, so ist das Wasser des Aven während der Frühjahrswanderung der Lachse infolge des reißenden Laufs und des Fehlens von Verunreinigungsursachen auch außer der Zeit des Steigens des Wassers und der Überschwem- mungen reich und überreich an Luft. Ein Kilometer stromaufwärts vom Pont d'Aven enthielt das Wasser 6,91 bis 7 ccm Luft in i 1 Wasser. Am luftreichsten war es oberhalb der Laich- stellen der Lachse, nämlich 8,50 ccm bei einer Temperatur von 6,8 ". Diese für die Wanderung der llachsc im Frühling bei niedrigem Wasserstand gültigen Zahlen für seinen Luftgehalt weichen nun durchaus nicht von jenen ab, welche für ihn den Lachs im Herbst bei steigendem Wasser gelten. .•\uch hier steigen die Lachse zum luftreicherem Wasser empor. Nachdem sie den Laich abgesetzt haben, kehren sie wieder in das Astuarium zurück, indem sie, was den Luftgehalt anbelangt, den um- gekehrten Weg einschlagen. R o u 1 e schließt aus seinen Beobachtungen, daß man bei der Besetzung von Wasserläufen darauf stets entsprechende Rücksicht zu nehmen habe, wolle man keine Enttäuschungen erleben. Referent glaubt , daß auch damit das Rätsel der Fischwanderungen keineswegs restlos gelöst ist. Die großen Meerestiefen (1000 — 2000 m), welche der Aal zur Laichzeit aufsucht, sind doch ärmer an Atemluft als das Oberflächenwasser, und es bleibt ferner unerklärt, warum der Lachs hunderte von Kilometern stromaufwärts wandert, bis er wieder in den kleinen Süßwasserlauf kommt, aus dem er stammt. Denn nichts spricht dafür, daß nicht andere viel nähere und leichter zu er- reichende Wasserläufe ebenso reich an Atemluft sind. Die vonRoule gemachten Beobachtungen können deshalb nur eine lokale Bedeutung haben. Für den in das Süßwasser zurückkehrenden Aa! aber fehlt jede Erklärung. Kathariner. Paläontologie. Über die paläontologische Be- deutung des Massensterbens unter den Tieren. Die Menge der Fossilien, die in den Museen auf- gehäuft sind, regen C. Wiman in Upsala zu Be- trachtungen im ersten Jahresband der Paläonto- logischen Zeitschrift an, die sich mit der Art ihres Sterbens und den besonderen Umständen ihrer Erhaltung in so großen Mengen befassen. Nach seinen .'\nschauungen sind die marinen Tiere meistens dort eingebettet, wo sie lebten und starben. Das trifft aber nicht da zu, wo große, breite Schicht- flächen mit Fischleichen bedeckt sind. Das Sterben auf dem Lande hat für paläontologische Funde keine große Bedeutung, denn selten trifft man auf dem Lande tote Tiere an, es verschwindet, ver- west vieles oder es wird aufgefressen, denn sonst müßte die ganze Erde mit Knochen reich be- deckt sein. Professer Hambus von Post hat 1862 in einer Arbeit gezeigt, daß außer den Torf- mooren von den Tausenden von Generationen von Pflanzen und Tieren nur etwa eine 3 — 4 cm dicke Erd- schicht übriggeblieben ist. So wenig bleibt auf dem Lande erhalten. Als nun Wiman im Sommer 1900 im Lapp- land beim Überschreiten einer Stromschnelle von seinem Bootsführer hört, daß an dieser Stelle ein- mal mehrere hundert Renntiere abstürzten und im Wasser den Tod fanden, fing er an, Angaben über Massensterben und Unglücksfällen im Tierreich zu sammeln. Aus dieser Sammlung teilt nun oben angeführte Arbeit manches Interessante mit, gibt auch Erklärungsgründe für die einzelnen Fälle von Massensterben. Er erklärt sich den Absturz der vielen hundert Renntiere durch Schneesturm, in dem die Tiere gegen den Wind laufen. Tage und Nächte hin- durch. Die Lappen können den Tieren dabei schwer oder garnicht folgen. Beunruhigende Wölfe erzeugen unter den Tieren eine Panik, die das Abstürzen der in der Gegend bekannten Tiere wahrscheinlicher macht. Dieser Panik, sei sie durch Durst, Präriebrand, Erdbeben, Vulkanaus- brüchen entstanden, mißt Wiman bei dem Tod von Tieren große Bedeutung bei. In Jemtland rutschten einmal 400 Renntiere in einen See. Dreimal brachen in den Jahren 1909— lO nach- einander 93, 80, 94 Renntiere in Norrland auf dem Eise ein. Wiman erlebte nun einen P'all, wo in der Gegend von Upsala ein Elch im Moore stecken blieb. Diese F"älle häufen sich aber oft, so daß gerade fossile und rezente Moore zu ergiebigen paläontologischen F'undorten werden. Von Darwin führt er Sterbefälle aus Hunger und Durst in den ProvinsenBuenos-.^iresundSanta-Fe an, wo ein Guts- besitzer 20000 Stück Rindvieh verlor, die im Steppen- sande eingebettet werden konnten. Zu Tausenden rannte das Vieh in den Parana, an einer Stelle in solcher Menge, daß der Fluß an einer Stelle des Gestankes wegen nicht befahren werden konnte. 191 3 brannte in Westschweden ein Waldgebiet ab, aus dem sich das größere Wild in ein Moor rettete, die kleineren Tiere umkamen, so daß in einem ausgtrockneten Bach W i m a n Mäuse, Igel, Ot- tern und Nattern fand. Andere Brände können auch größeres Wild in Sümpfen stecken bleiben oder an Steilrändern abstürzen lassen. — Giftquellen ließen Nashorn und Mammut in petroleumreichem Sumpfe umkommen, wie es Funde in der Ozokaritgrube bei Starunia zeigten. Huc und Gäbet, zwei Jesuiten, die in Tibet reisten, sahen am Eis des Yang-Tse-Kiang 50 Yaks in schwimmender Stellung eingefroren. Schneesturm ließ nach Erzählungen von Helmersen im April 1832 im Gouverne- ment Saratow 10 500 Kamele, 280500 Pferde, 304S0 Stück Rindvieh, i 012 oco Schafe zum Opfer fallen. Ahnliches wurde auch von Middendorf und Hedin berichtet. Auf Wanderungen fanden viele Tiere den Tod, selbst dann, wenn sie, wie die Eichhörnchen, ein- N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 253 zeln wandern, stauen sie sich aber vor einem Hindernis wie 1847 Tausende dieser Tiere bei Krasseojarslv am Jenissei, den sie überschwammen, natürlich nicht ohne den Fluten Tribut an Leben zu zollen. Zu Tausenden durchschwammen 1727 die braunen Ratten auf ihrem Zuge nach Europa bei Astrachan die Wolga. Nach Wim an ist die Ursache des Wanderns der Lemminge eine Epi- demie, die eine „Art Verrücktheit" erzeugt. Viele gehen in den Wäldern verloren, wo sie ver- wesen. Wenn sie Flüsse oder Seen durchschwimmen, kommen viele um. In Jemtland sah Wiman an einem See einen Uferwall von Lemmigleichen. Dr. Eckman berichtete ihm von einer Endmoräne aus toten Lemmigen. Batil H ö gbom sah 1910 im Meere von Tromsö einen 2 — 3 km langen Lemmingschwarm. Derselbe F'orscher beobachtete einen ganzen Zug von Wühlmäusen. Lund fand in Brasilien eine Grotte, von einem Paar Stryx perlata bewohnt. Beim Ausgraben der 24 Fuß tiefen Höhle fand er Gewöllbälle von nahezu 7500000 Tierresten. 1873 sah A. E. Norden- skjöld auf Spitzbergen auf dem Eis eine Menge toter Alken. Wieviel Vögel sterben an Erschöpfung auf Schiffen oder ertrinken auf offener See. \^on Dr. Kolt hoff erfuhr Wiman einen interessanten Fall, wo große Massen von Zaunkönigen, die sich auf dem südlichen ( )land angesammelt hatten, auf günstigen Wind warteten. Der Vogel zieht nur mit dem Wind. Mit nördlichem Wind flogen sie davon und als sich der Wind drehte, wurden sie von dem südlichen Wind wieder ans Land geworfen. Weil tote Vogelkörper wegen ihres geringen spezifischen Gewichtes sich lange treibend auf dem Wasser halten, und von da leicht ans Land gespült werden, trifft man auch so wenige fossile Cari- naten an. Wenn Vögel im Frühjahr in der Nacht in der Gegend von Upsala einfrieren, kommen sieam Vor- mittag wieder los, aber nicht im Herbst, wo Wiman beobachtet hat, daß mehrere Schwäne schon, Herbste hindurch, einfroren und umkamen. Gla- dow erzählt von Krokodilen auf der Insel Marajo, daß sie nach anderen Flüssen wanderten, als alle Seen und Flüsse infolge einer Dürre austrockneten. Dabei kamen an einer Stelle 8500 Alligatoren um, am Ende des Sees Arary mehr als 4000. Das läßt auf die Entstehung der mesozoischen Belodon- nester Württembergs schließen. Von Heuschrecken erzählt H. Sjöstedt, daß er an der Westküste Afrikas solche Mengen von Echistocera peregrina beobachtete, daß der Dampfer 3 Stunden brauchte, um durch den Schwärm zu kommen. Auf den Wanderflügen müssen eine Unmenge ertrinken. Mit der Entstehung von Erdöl haben sie E n g 1 e r und Hüfer in Verbindung gebracht, die eine Beobachtung rechnerisch ausbeuleten, wonach ein holländischer Ozeandampfer 33 Stunden durch eine Heuschreckenschicht fuhr, bei der manchmal auf I qm 2 - 300 Tiere kamen. Wenn man nach ihrer Berechnung nur 20 — 30 auf den qm annimmt, so würde die Menge ausreichen, um mehrere solche Erdölvorkommen wie Baku zu erzeugen. Auch Schmetterlinge wandern viel, z. B. Vanessa caodui, eine Colisatt. Darwin sah an der Küste von Südamerika bei ruhigem Wetter einen Schwärm, den ein Sturm vernichtet haben konnte. So wan- dert auch der Sonnenkäfer nach England, Schwe- den, Finnland in solchen Schwärmen, daß ganze Städte davon bedeckt werden. Maikäfer wurden in Irland einmal in solchen Mengen ans Land geworfen, daß sie in Karren weggefahren werden mußten. In den achtziger Jahren wurden sie an der schwedischen Westküste mit Walzen vernichtet. In Dalarne sah Wiman in einem kleinen Bache Millionen Insekten angeschwemmt. Spiegelnde Pfützen aus Erdöl locken Insekten an, in einem Falle sah Wiman 78 Käfer so gefangen. Dabei liegen die Reste in einer Schichtfläche. Für Ar- chaeopteryx nimmt Wiman eine solche Todesart an. In Lüneburg fand Oder heimer in einem Tontümpel mit Erdöl tote Mistkäfer, die sehr wahrscheinlich der Ölgeruch anzog. War Erdöl da, schwammen die Tiere darauf, war es ausge- trocknet, dann krochen sie bis 7 cm tief in die Trockenrisse hinein. So kommt Wiman zu der Ansicht, daß nur der katastrophale Massentod für die Paläontologie von Bedeutung ist, wenn er auch nur einen kleinen Bruchteil aller tierischen Sterbefälle ausmacht. Dieser katastrophale Massentod findet sich auch im Leben der Wassertiere. Rüssel weiß von Lachsen zu erzählen, die bei Überschwem- mungen des Yukon auf Alaska in Becken hinein- geschwemmt wurden, in denen sich Ton ablagerte, wo sie starben, h' o r c h h a m m e r beobachtete 1825, als die schmale Landzunge, die den Lim- fjord vom Meere trennte, durchbrochen wurde, daß mit dem nun eingetretenen Salzgehalt die Fischfauna starb und Alillionen von ihnen ans Land geworfen wurden. Am besten konservieren die abflußlosen, salzigen Binnengewässer die Leichen. Porsild fand auf dem Boden des Hafens von Disko eine Menge Lodden, die bald nach der Fortpflanzung einen Massentod starben. Diesen Fisch findet man nun sehr häufig in nor- wegischen und grönländischen Konkretionen im glazialen Ton. So können auch andere Konkre- tionen um ein P'ossil gebildet sein, das einen Massentod starb. Fischkatastrophen scheinen fol- gende Ursachen zu haben: Zufluß von chemisch verschiedenem Wasser,Vulkanausbrüche, Blitzschlag, Epidemien. Im Juni 1880 waren im mexikanischen Meerbusen 275 qkm mit kranken, grünen Schild- kröten bedeckt. Verschiedene Robbenarten schei- nen nach Skopman, Shackleton, Anders- so n in Südamerika und der Antarktis bestimmte Sterbeplätze zu haben. Nach Wiman 's .'\nsicht hat man vor 1850 mehr Angaben über Katastrophen in der Tierwelt gesammelt, wahrscheinlich darum, weil die Kata- klysmentheorie für solche Todesart mehr Ver- ständnis besaß. Aber im Hinblick auf die Be- deutung solcher Beobachtungen für die Paläonto- 254 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i; logie wäre es angebracht, dieser Art des Tier- sterbens mehr Beachtung zu schenken. Rudolf Hundt. Botanik. Die Wacholdermistel. Die besonders auf dem südeuropäischen Zedern-Wacholder, Juni- perus Oxycedrus, wachsende Wacholdermistel, Ar- ceuthobium Oxycedri, hat Beeren (genauer Schein- beeren), die den „Samen" (ein dem Samen anderer Pflanzen nicht ganz homologes Gebilde) explo- sionsartig ausstoßen. E. Heinrich er hat den anatomischen Bau und die Mechanik dieser Beeren, die verschieden gedeutet worden ist, neuerdings untersucht. Eine wesentliche Rolle bei der Ex- plosion spielt nach ihm ein collenychymatisches Gewebe im unteren Teile der Frucht, das leicht verkorkt ist. Der in der Beere zur Zeit der Reife herrschende Druck bewirkt eine starke .Spannung des festen, aber dehnbaren und elastischen CoUen- chyms und schließlich auch das Zerreißen einer aus mehreren Zellagen bestehenden meristemati- schen Trennungsschicht, durch welche die Beere mit dem Stiel verbunden ist. Im Augenblick, wo dies geschieht, zieht sich das Collenchym plötzlich zusammen, und diese Kontraktion ist nach Hein- richer die hauptsächliche Ursache, daß der Same durch die infolge der Ablösung der Beere ent- standene Öffnung hinausgeschleudert wird. Die Ursache der in den reifenden Beeren entstehenden Spannung ist in der Schleimschicht zu suchen, die den Samen ringsum außer am unteren Pol be- kleidet. Sie besteht nach Heinricher's Unter- suchungen nicht aus eigenen Zellen, sondern aus haarartigen Schleimfäden, die aus den darunter liegenden Zellen des Endokarps hervortreten. Verf. stimmt mit Peirce, der Arceuthobium untersuchte, darin überein, daß die Spannung durch Ouellung der Wandungen in dieser Schleim- schicht entsteht. Turgeszenz ist nicht dabei be- teiligt. Das Wasser wird den quellenden Schleim- fäden anscheinend durch ein großzelliges Paren- chym geliefert, das unter der Collenchymschicht liegt; der Turgor der Parenchymzellen ist aber für den Endeffekt nicht maßgebend, da sie häufig schon vor dem Auswerfen des Samens zusammen- fallen. Auch der Umstand, daß die Ausstoßung des Samens an Alkoholmaterial von reifen Beeren hervorgerufen werden kann, beweist, daß eine Mitwirkung turgeszierender Zellen nicht in Frage kommt. MacDougal, der seine Beobachtungen an Arceuthobium robustum anstellte, verglich den Samen mit einer an der Basis konischen, an der Spitze abgestumpften, im allgemeinen Umriß zylin- drischen Gewehrkugel. Dieser Vergleich trifft nach Heinricher zu, doch verläßt das Geschoß die Beere in der umgekehrten Lage einer Kugel, die aus einer Büchse verschossen wird. Die Schleimschicht in der Beere hat eine ähnliche Aufgabe wie das Pulver einer Schußwaffe. „Sie liefert aber nicht nur die zu erzielende nötige Spannung, sondern ist gleichzeitig auch ein ge- eignetes Schmiermittel, damit das Geschoß, der auszuwerfende Same, ohne Reibungswiderstand entlassen wird." Die zurückbleibende Beeren- wandung wird vom Verf. mit einer leeren Patronen- hülse verglichen. Im Spinngewebe, das die mistel- tragenden Wacholdersträucher durchzieht, finden sich diese „Patronenhülsen" massenhaft verfangen. Nach Mac Dougal ist die Explosion (von A. robustum) von einem gut hörbaren, scharfen Knacken begleitet; er und besonders Peirce (für A. occidentale) „schildern anschaulich, wie auf Erschütterung eines Astes, der mit reifen Beeren behangene Arceuthobium -Pflanzen trägt, eine förmliche Fusillade momentan einsetzt, da nahezu alle Beeren sofort platzen und ihre Geschosse, die Samen, nach allen Richtungen verschießen". Von einem Gewehr- oder Geschützrohr unterscheidet sich die Beere durch ihre elastische Wandung. Das Collenchym wird beträchtlich gedehnt; seine Rolle „kann mit der der elastischen Zugbänder einer Schleuder verglichen werden, und der ganze Mechanismus ist als eine eigenartig konstruierte Schleuder zu bezeichnen". Heinricher hat auch mehrere Jahre hin- durch Kulturen und Versuche durchgeführt, um die Keimung und Entwicklungsgeschichte der Wacholdermistel zu studieren. Es zeigte sich, daß die Samen wie die der Mistel zur Keimung des Lichtes bedürfen. Die künstliche Aufzucht von Pflanzen gelang auf dem gewöhnlichen Wacholder, Juniperus communis, und auf der diesem zugehörigen Form intermedia, Unterabart compressa. (Daß Arceuthobium auf J. communis vorkommt, wird schon in der „Flore de France" von Grenier und Godron erwähnt. Ascher- son und Gräbner nennen in der „Synopsis der mitteleuropäischen Flora" als weitere Träger des Schmarotzers J. phoenicea, J. Sabina und J. dru- pacea). Wie alle Loranthaceen hat auch die Wacholdermistel einen wurzellosen Embryo, dessen Hyokot\'l stark entwickelt ist, während Plumula und Kotyledonen sehr rückgebildet sind. Die Infektion des Nährgewebes erfolgt vom H_\pokotyl aus; das plumulare Ende mit den Kotyledonen entwickelt sich nicht weiter. Das Hypokot}'l (das ausgesprochen negativ phototropisch ist) kann mit seiner Spitze, aber auch mit der ganzen, dem Nähraste anliegenden Flanke in das Gewebe des Wirtes eindringen. Der zweite Vorgang, der bei der gewöhnlichen Mistel nie beobachtet worden ist, scheint der häufigere zu sein. In beiden Fällen kann es zur Bildung einer haftscheibenartigen Ver- breiterung kommen. Der Keimling, der im Samen außer einer Epidermis keine Gewebedifie- renzierung aufweist, bildet gleich nach Keimbeginn ein axiles Frokambiumbündel aus, das von unter- halb der Plumula bis gegen das Hjpokotylende reicht und zu einem Tracheidenstrang wird. Der außerhalb der Nährpflanze befindliche Keimling kann lange lebend bleiben, aber auch früh ab- sterben, ohne daß die Weiterentwicklung der Mistel dadurch beeinträchtigt wird; die Ausbildung und Ausbreitung des Absorptionssystems im Innern N. F. XV. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 25s der Nährpflanze ist zunächst die Hauptaufgabe des Parasiten. Seine Sprosse sind Adventivsprosse, die aus dem Innern des Wirtes hervorbrechen. Schon die jugendlichen, etwa i V2 jährigen Pflanzen vermögen, wenn ihre Zahl groß ist, das Absterben der VVacholdersprosse zu bewirken. (Sitzungs- berichte der Wiener Akademie, Math.-naturw. Kl. Abt. I, Bd. 124, H. 3/4, S. 181—230; H. 5, S. 319 bis 352.) F- Moewes. Makroskopischer Eiweißnachweis in Fflanzen- organen. Hans Molisch hat ein Verfahren ent- deckt, um das Eiweiß in Blättern und anderen Pflanzenteilen ebenso aufzuweisen, wie es für die Stärke durch die Sachs'sche Jodprobe geschieht. Die Vorbehandlung ist die gleiche. Die Blätter usw. werden zunächst eine Minute in siedendes Wasser getaucht und dann in warmem, etwa Soproz. Alkohol vom Chlorophyll befreit, bis sie ganz weiß erscheinen. Hierauf werden die ver- schiedenen Eiweißproben zur Anwendung gebracht : die Xanthoproteinsäurereaktion, die eine kanarien- gelbe, die Biuretprobe, die eine violette, und die Millon'sche Probe, die eine ziegelrote Färbung hervorruft. Wie für die Sachs'sche Jodprobe sind nicht alle Blätter für die Eiweißprobe ge- eignet, weil in manchen Stoffen vorkommen, die mit der Eiweißreaktion auch verschiedene Fär- bungen geben. Vorzüglich brauchbar sind z. B. Tropaeolum majus, Phaseolus multiflorus, Brassica oleracea usw. Man kann dieses Verfahren zur makroskopischen Entscheidung verschiedener Fragen benutzen, wenn man berücksichtigt, daß keine der bekannten Eiweißproben eindeutig ist, und wenn man daher immer möglichst viele zur Anwendung bringt. Behandelt man z. B. Keim- linge vom Kohl in der beschriebenen Art, so findet man das Eiweiß ganz besonders in den Blättern, innerhalb der Wurzel aber an den Vege- tationspunkten angehäuft. Man kann daher die Eiweißprobe benutzen, um die im jungen VVurzel- kiirper noch verborgenen Vegetationspunkte sicht- bar zu machen. Vergilbte Laubblätter zeigen die Reaktion nur sehr schwach. Dies beruht darauf, daß die plasmatische Grundlage der Chloroph\-ll- körper, das Chromatophorenstroma, verschwunden ist. Dieses Plasma wird augenscheinlich in lös- liche Stoffe umgewandelt, auch in abgeschnittenen Blättern, die, auf Wasser liegend oder im dunst- gesättigten Räume aufgehängt, vergilben; bei Blättern an der Mutterpflanze wandern diese lös- lichen Stoffe wahrscheinlich aus dem Blatte aus. Das übrige Plasma der Zelle mit Einschluß des Zellkerns bleibt aber in den vergilbten Blättern erhalten und damit auch das Leben der Zelle. Das vergilbte Blatt ist also nicht tot, wie schon von anderer Seite betont worden ist. Die makro- und mikroskopische Eiweißprobe lehrt, daß die Hauptmasse des Eiweißes der Blätter in den Chro- matophoicn steckt. Daher geben die grünen Blätter bei Anwendung von Molisch's Eiweiß- probe eine intensive und ganz vergilbte, deren Chromatophoren zerstört sind, eine äußerst schwache Reaktion. Der Umstand, daß der größte Teil des Eiweißes in den Chromatophoren steckt, ist auch der Grund, warum Schwankungen im Eiweißgehalt eines grünen Blattes durch die makro- skopische Eiweißreaktion nicht angezeigt werden; es ist eben mit dem Stroma der Chromatophoren schon so viel Eiweiß gegeben, daß man immer ein gutes positives Ergebnis erhält. (Zeitschrift für Botanik Jahrg. 8, 1916, H. 2, S. 124— 131.) F. Moewes. Astronomie. Über einige Wirkungen der Sonne im Planetensystem stellt Torvald Kohl eine Anzahl von Beobachtungen zusammen (Astr. Nachr. 4821). Der Zusammenhang zwischen Flecken, P^ackeln und Protuberanzen auf der einen Seite und elektromagnetischen Störungen auf der anderen Seite ist ja längst bekannt, und er meint, daß auch andere irdische Vorgänge, wie Hagel, Ge- witter und Stürme hier in Betracht kämen, und ebenso auf andern Planeten etwa das seltene asch- graue Licht auf der Nachtseite der Venus, und gewisse Schwankungen im Aussehen der Streifen auf dem Jupiter, also Beobachtungen in den Ge- dankengängen der Glazialkosmogonie von Hör- biger, die eine große Menge solcher Abhängig- keiten nachweisen will. Kohl hat seit 1879 Beobachtungen über das Aussehen der beiden wichtigsten Streifen des Jupiter gemacht, und er findet durch deren Vergleich, daß der nördliche zu den Zeiten des Sonnenflecken-Maximums be- sonders schwach sei, der südliche um so stärker, und umgekehrt. Ein Zusammenhang zwischen den irdischen Nordlichtern und denen auf der Venus, wie er das aschgraue Licht auffaßt, scheint ihm wahrscheinlich, wenn auch wegen unzuläng- lichen Materiales nicht erwiesen. Aber zu dem Zusammenhang zwischen dem Durchgang sehr großer Sonnenflecken durch den Zentralmeridian und gewaltigen elektromagnetischen Störungen auf der Erde bringt er neues wertvolles Material, von dem nur einiges hervorgehoben sei. 1882 Nov. iS ein ungewöhnlich großer Sonnenfleck im Zentralmeridian, Nov. 17 gewaltsame magne- tische Stürme stören den Telegraphenbetrieb in New York. Nov. 18 ebenso in Kopenhagen. Nov. 22 früh 4 — 6 V2 Uhr ein gewaltiger heller Lichtgürtel im Himmelsäquator. Ein pulsierendes Zittern der sich oft blitzschnell ändernden Hellig- keit, offenbar eine besondere .'\rt Nordlicht. 1892 Februar 13 zwei sehr große Sonnenflecken, mit bloßem Auge sichtbar, und gleichzeitig magne- tische Stürme und Nordlicht beobachtet in Kopen- hagen und in Potsdam. Solcher Fälle sind noch eine Anzahl angeführt. Besonders interessant ist das Zusammentreffen am 9. Sept. 1898, gewaltiger Sonnenfleck im Zentralmeridian, magnetische Stürme an verschiedenen Orten und ein pracht- volles genau beschriebenes Nordlicht. Als die Entwicklung der Nordlichtkrone am größten war, trat eine solche Störung in den Telegraphenlinien 2S6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 17 ein, daß die elektrischen Glocken in Fredericia von selbst klingelten. Da wir gegenwärtig wieder in der Zeit eines Maximums stehen, können sich ähnliche Vorgänge wiederholen. Riem. Physik. Über einen neuen Frequenzmesser be- richtet W.Peukertin der Elektrotechn. Zeitschr. 3 7, S. 45 (1916). Da ein Wechselstrom stets indu- zierende Wirkungen ausübt, ist der Wechselstrom- widerstand größer als der Gleichstrom- oder Ohm 'sehe Widerstand. Während ein Gleichstrom mit überall gleicher Stromdichte durch den ganzen Querschnitt des Drahtes fließt, ist dies beim Wechselstrom nicht mehr der Fall. Je höher seine Frequenz ist, desto weniger Strom fließt durch die der Achse nahe gelegenen Teile des Leiters, desto mehr werden nur die an der Ober- fläche liegenden 1 eile zur Leitung benutzt. Denkt man sich nämlich den massiven Leiter aus ein- zelnen P'äden aufgebaut, so wirken auf jeden Faden die benachbarten induzierend ein und zwar werden nach der Lenz'schen Regel die Strom- schwankungen vermindert. Da nun die innersten Fäden allseitig, die äußeren nur teilweise von be- nachbarten Fäden umgeben sind, werden im Innern die Stromschwankungen stärker herabgedrückt als an der Oberfläche. Diese als Hauteffekt bezeichnete Erscheinung bewirkt, daß namentlich bei hohen Frequenzen nur die äußersten Schichten des Leiters für den Strom passierbar sind, daß mithin sein Wechselstromwiderstand ein beträcht- liches Vielfaches seines Ohm 'sehen ist. Wegen der besonderen magnetischen Eigenschaften des Eisens tritt diese Erscheinung an Eisendrähten ganz besonders auf Der Verf weist zunächst nach, daß der effektive Widerstand von Spulen aus Eisendraht bei konstanter Stromstärke in einfacher Beziehung zur Frequenz des Wechselstroms steht. Da die in der Spule verbrauchte Spannung von ihrem jeweiligen Widerstand abhängt, ist die Frequenz n von der Spannung e an den Enden der Spule abhängig. Man kann demnach n aus e bestimmen. Der Frequenzmesser besteht aus einer Eisendrahtspule, welcher ein in Frequenzen geeichtes Voltmeter parallel geschaltet ist. Da ja die Stromstärke in der Spule konstant sein muß, wird ihr ein sogenannter Nernstwiderstand vor- geschaltet (ein sehr dünner Eisendraht in einer Wasserstofiatmosphäre) ; er ist so gewählt, daß bei den praktisch vorkommenden Spannungs- Schwankungen der Maschine die Stromstärke dieselbe bleibt. Eine Reihe von Versuchen zeigt, daß bei einer Erhöhung der Spannung von 50 auf 80 Volt bei Verwendung eines Nernstwider- standes die Stromstärke von 0,798 auf 0,805 steigt, also praktisch konstant bleibt. — Der Frequenz- messer wird von der Firma Siemens und Halske angefertigt. K. Seh. Anregungen und Antworten. Herrn Hubert, Königsberg. Was für Bedeutung besitzen die Haare, die sich a Insekten befinden? Wird dadurch nicht einträchtigt? physiologische ■n .\ugen vieler Sehschärfe be- hlich auf den Schematischer Längsschnitt durch ein Fazettenauge (nach Zander, Der Bau der Biene, verändert). As = .Vchscnstab, B = Borsten, F = Fazctte. Fazettenaugen von Insekten vor , welche Blüten besuchen (Hymenopteren und einige Fliegen, n.amentlich Bombyliden, Empididen und Syrphiden) , während sie z. B. allen Wasser- bewohnern und Raubinsekten fehlen. Wie sich nun der Blütenstaub auf dem Körper festsetzt, und die Tiere oft über und über einpudert, so würde er auch die Augen mit Pollen beschmutzen und verkleben, wenn sie nicht durch Borsten ge- schützt wären, von denen er leicht mit Hilfe der Vorderbeine abgebürstet werden kann. Demnach wären die Borsten phy- siologisch im gewissen Sinn den Wimperhaaren unserer Augen- lider vergleichbar. Die Sehschärfe wird durch ihre Anwesen- heit keineswegs beeinträchtigt. In der Abbildung ist ein schematischer Schnitt durch das Fazettenauge dargestellt. Nach der Theorie des musivischcn Sehens wird durch jedes Einzel- auge nicht ein vollständiges Bildchen der Umgebung zu den Nervenfasern hindurchgeworfen, sondern es dringt nur ein be- stimmter Lichtstrahl ins Ommatidium ein, nämlich der, welcher den Achsenstab (As) in dessen Verlaufsrichtung trifft. Es wird somit aus dem Objekt nur ein einziger Punkt von jedem Einzelauge wahrgenommen. Der Pfeil vor dem Fazettenauge wird nicht als Linie, sondern als eine Punktreihe perzipiert. Die Punkte rücken im Augengrunde zwar zusammen, doch bleibt das Bild stets lückenhaft. Würden die Borsten auf den Fazetten (F) stehen, so würde dadurch die Projektion des Bildes ins Auge wesentlich beeinträchtigt werden. Da sie aber auf ihren Berührungskanten und zwar senkrecht zur Augonoberfläche (B) stehen, so werden die ins Einzelauge fallenden Lichtstrahlen nicht abgelenkt oder vernichtet, auch wenn die Borsten eine beträchtliche Länge erreichen. Übrigens sind sie hier viel spärlicher vorhanden, als auf anderen Körper- teilen, wie etwa der Stirne oder den Wangen. Dr. Stellwaag. Inhalte Ernst Mach f. Einige vergleichende tier- und mensclienpsychologische Skizzen. 8 Abb. S. 241. — Kleinere Mitteilungen: Ludwig Freund, Eingcweidevorfall bei Fischen. S. 247. Philippsen, Wichtige .\ufschlüsse für die Geologie und Prähistoric. S. 248. Lu d w i g F r e u n d , Polypen auf Fischen. S. 24S. — Einzelberichte: K. von Frisch, Über den Geruchsinn der Bienen und seine Bedeutung für den Blumenbesuch. S. 250. A. Pascher, Über die entwicklungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen Rhizopoden und Flagellaten. S. 250. Roule, Laichzüge der Meeräschen und Lachse. S. 251. C. Wim an, Über die paläontologische Bedeutung des Massensterbens unter den Tieren. S. 252. E. Heinrich er, Die Wacholdermistel. S. 254. Hans Molisch, Makroskopischer Eiweiß- nacbweis in Ptlanzenorganen. S. 255. Torvald Kohl, Einige Wirkungen der Sonne im Planetensystem. S. 255. W. Peukert, Ein neuer Frequenzmesser. S. 25(1. — Anregungen und Antworten: Physiologische Bedeutung der Haare, die sich auf den Augen vieler Insekten befinden. I Abb. S. 256. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi Leipzig, Marienstraße 1 1 erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift Sonntag, den 30. April 1916. Nummer 18. Geschichtliches über den Naturselbstdruck. [Nachdruck verboten.] Hieroglyphische Untersuchungen und Funde von Webstoffen beweisen für das Wunderland der Pyramiden die Kenntnis des Zeugdrucks minde- stens für das zweite vorchristliche Jahrtausend. Durch Fortnehmen von Holz mit Hilfe von Grab- stichel ähnlichen Geräten hob der Künstler in Erz und Holz, der '/'imcuv, wie Christi Vater auch einer war, Umrißzeichnungen aus dem Holzstock heraus. Auf einer, mit Farbe aus mineralischen oder pflanzlichen Stoffen, einer Beize und öligen oder wässrigen Flüssigkeiten bedeckten Unterlage färbte er die Erhöhungen ein und drückte den Stock mit der Hand auf das zu bedruckende Ge- webe, wie man das in Färbereien vor wenig Jahr- zehnten als allein geübte Kunstfertigkeit beobachten konnte und gelegentlich noch sehen kann. Wer die grundlegenden Entdeckungen für solche Bildnerei gemacht hat, wird kaum zu er- gründen sein. Lange bevor die sagenhafte Tochter des korinthischen Töpfers Dibutades nach des Plinius Angabe an einer Felswand den Schat- ten von des Geliebten Kopf mit dem eingefärbten Finger oder einem zufällig gefundenen Stück Röthel oder einer Kohle umriß, also eine Um- rißzeichnung atifertigte, hat man sicher schon ur- wüchsig gezeichnet, ja gemalt. Die auf der Leipziger, so schmählich durch den noch wüten- den Krieg gestörten Bugra wiedergegebenen Tier- bilder auf den Wänden unlängst in Spanien und Südfrankreich entdeckter Höhlen sind vielleicht recht viel älter als jenes sagenhafte Töpfertöchter- lein. Wer zum ersten Male die Spur eines flüch- tigen Wildes in weichem bildbarem Ton oder in Schnee abgedrückt fand und seinen Fuß oder die Hand nachahmend daneben eindrückte, noch mehr, wer wahrnahm, daß seine schmutzige oder zutällig gefärbte Hand sich auf einer hellen Fläche abdruckte, wer gar mit der naiven Freude des Naturkindes solches Tun wiederholte, der ist, richtiger, da solch erst zufälhges, dann tappend vorgenommenes Versuchen gewiß häufig vor- kam, die sind die Entdecker des Drückens, und es ist auffallend, daß so lange erst, nachdem schon das Wort 'Ix^'oyQacpia, also das Schreiben durch Eindrücken der Spur [rb r/j'Oi oder rö r/viov. Vitruv braucht das Wort für die Spur, die ein zerstörtes Bauwerk hinterlassen würde. Solche Umrisse nur hinterließen die Russen häufig genug beim Verlassen der von ihnen zerstörten, auch heimischen Grundstücken] hierfür gebraucht wurde, die Kunst auftaucht, mit Hilfe der von der Natur selbst gelieferten Druckform zu drucken : der eben beschriebene Naturselbstdruck. Von Hermann Schelenz, Cassel. Daß er, bei dem die im Bilde wiederzugeben- den Gegenstände zu gleicher Zeit die Druckform abgeben, schon zu der Zeit geübt wurde, als die ursprüngliche Bilderschrift (wie sie überall die Anfänge der Schrift darstellt, die in den Hiero- glyphen der Ägypter Jahrtausend überdauerte und die moderne Naturvölker noch brauchen) den schon einen großen Fortschritt bedeutenden Zeichen der Keilschrift gewichen waren, das beweisen manche lafelchen aus der berühmten Schrift- sammlung (Bücherei paßt weder in der alten noch in der neuen Bedeutung des Worts hiefür !) des Königs Asarrhadon, die ob ihres unvergäng- lichen Stoffes, anders wie unsere modernen Stoffe das hoffen lassen, heil, unversehrt auf unsere Tage gekommen sind, trotzdem sie in den Trümmer- haufen des alten Niniweh allen Unbilden der Witterung ausgesetzt waren. Von solchen Keil- schrifitäfelchen der Kujundschicksammlung, die jetzt kostbares Eigentum des auch in solcher Be- ziehung rücksichtslos zugreifenden England sind, seien zwei hier herausgehoben, die beweiskräftig für das Gesagte sind.') Nach der zweiten Zeile der Keilschriftzeichen, die in den weichen Ton halb geritzt, halb einge- drückt sind, sieht man auf der ersten Tafel, die ein Rechtsgeschäft behandelt, das im Jahre 698 v. Chr. aufgezeichnet wurde, gleichgestaltete Eindrücke. Einer der Beteiligten hat sie, ein „Analphabet", weil er außerdem kein Siegel besaß oder ob ge- ringen Standes keins führen durfte, mit einem seiner Fingernägel, richtiger mit der Fingerkuppe „L. S." an Stelle der Unterschrift oder des Siegels eingestapft, mit diesem Finger zwar, weil die Kuppe eigentümlich bezeichnend gestaltet war und eine Nachahmung völfig ausschloß. Auf dem zweiten Text, wiederum einem Protokoll, sieht man die fest an- oder hintereinander gepreßten Finger eingedrückt, wieder L. S. Beide Täfelchen sind Belege für das gewohnheitsgemäße Siegeln, das Eindrücken der Finger, des Naturdrucks als Signum seiner selbst, seiner Spur, seines Zeichens. Die klassischen Völker scheinen sich mit solcher Ichnographie nicht abgegeben, sie scheinen sie gar nicht gekannt zu haben. Sie wurde ganz ver- gessen, wie man in der christlichen Zeit offenbar auch vergessen hatte, daß die Assyrer mit ihren Siegelzylindern, die Ägypter mit Holzformen, die Römer sogar mit zerlegbaren Stempeln, die die wesentlichen Merkmale der Gutenberg'schen ') Der bekannte , jetzt in New York lebende Dr. von Oefele hatte die große Liebenswürdigkeit, mich auf diese Zeugen aus dem Altertum hinzuweisen. 2S8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i8 Typen zeigen, Zeug und Papier bedruckt haben. Aber von einem Selbstdruck der Natur hatte man Kenntnis, man beobachtete, daß sie in Wirklichkeit in solcher Art dargestellte Abbil- dungen von ihrer Schöpfung, Jahrtausende über- dauernd, aufbewahrt hat: Abdrücke vorsindflut- licher Pflanzen und Tiere, unter schieferig abge- lagertem Gestein begraben. Theophrast im 3. und Polybius im 2. vorchristlichen Jahr- hundert berichten von solchen Abdrücken. Von menschlicher Ausübung der Naturselbstdrucktechnik finde ich keine Berichte. Möglich immerhin, daß sie als Liebhaberkunst, instinktiv fast, so häufig getrieben wurde, daß sie als Äußerung des kind- lichen Gemüts mißachtet, der Ehre einer Be- schreibung gar nicht gewürdigt wurde. Auch Matthioli, von dem man wohl eine Andeutung solcher Fertigkeit erwarten konnte, schweigt davon, die eben erwähnten Zeugen des Naturwaltens aber waren ihm bekannt. Er erzählt: Didacum Mendo- cium lapideas quasdam tabellas mihi ostendisse, ex Veronensi agro delatas, quae pisces veluti in- sculptos habebant cum ossibus suis particulis quamvis minimis in lapidem versos. Er erwähnt auch die Angaben von Theophrast und Po- lybius, und er erzählt: quin et in Germania ultra Albim fluvium quibusdam in locis pisces fos- siles hac aetate effodiuntur, in Wahrheit, wie solche Gebilde im 17. Jahrhundert genannt wur- den, Phyto- und Zootypolithi. Daß zu seiner Zeit gewiß Naturdruck hier und dort geübt wurde, das geht aus einer Darlegung, 20 Jahre vor der Drucklegung des von Matthioli er- läuterten Dioskorideswerks hervor, die Hierony- mus Rosello, besser bekannt unter dem Namen Alexius Pedemontanus, gibt. Vermutlich holte Alexius') seine Weisheit aus dem Lande der Künste und Wissenschaften Italien, vielleicht, wie anzunehmen naheliegt, aus den Arbeiten „de arte illuminandi", des Heraclius, dem „Liber sacerdotum" oder der „Mappae clavicula" usw., auf welche zuletzt der hervorragende Turiner Hochschullehrer Icclio Gurareschi aufmerk- sam machte, der freimütig seiner Sympathie für unser Vaterland Ausdruck gab. Meine Nach- forschungen nach solchen Grundlagen blieben bis- lang ergebnislos. Anzunehmen ist immerhin, daß die weltbewegende Erfindung unsers Gutenberg einigen Einfluß auf die Vorschrift ausgeübt hat. Wenn das Buch „De secretis naturae" wirklich von dem So jährigen Alexius im Jahre 1557 ge- schrieben worden ist, dann darf man wohl an- nehmen, daß er die Methode im ersten Viertel des Jahrhunderts irgendwo kennen gelernt hat. Der wackere Baseler Arzt Joh. Jacob Wecker hielt es für wissenschaftlich, vielleicht auch für geschäftlich angebracht, das ziemlich wahllos, mehr in der Art eines Kochbuchs zusammengetragene, ') Er ist nicht mit dem bekannteren Landsmann Fran- ziscus Pedemontanus zu verwechseln, der schon um 1319 gestorben sein dürfte. Über beide teilte ich das Nötige in meiner „Geschichte der Pharmazie" mit. durch den Titel „Geheimnisse" auf die Kauflust kräftig wirkende Buch als „Kunstbuch in Teutsch gebracht" im Jahre 1570 herauszugeben. Die ur- sprüngliche Vorschrift lautet: Modus eftbrmandi omnis generis frondes viri- des, ut naturalibus similes habeantur. Sumito frondes virides, quarum in postera parte majores venas ligno aliquo contundito, mox sequente colore tingito, qui hujusmodi est: R. o 1 e i communis vel lini vel alterius rei, quae fumum creat, quantum satis esse videatur, accendatur inlucerna olla superposita, ut totum f u m u m recipiat. Quod cum factum fuerit, adhaerens fumus diiigenter colligatur atque oleo vel vernice liquida contemperatur, fiat tinctura, qua contusa pars frondis tingatur cum panno linteo vel bombyce, mox super chartam duplicem locetur pars tmcto comprimendo leviter manu vel panno aliquo, quo Charta tingi queat. Fronde mox dextre sublata chartam egregie tinc- tam invenies ad minimam usque venulam, ita ut prorsus naturali respondeat. Quod si lianc viride colore tingere voles: R. Aceti acerrimi, Flo res aeris Pastae vesicae sing. q. v. coquatur fiatque color viridis, ut supra suo loco dictum est, qua Charta formata tingatur, atq. hoc modo poteris efficere varia pulcherrima, quibus cubicula intrinsecus obduci possint. Frische Blätter also, besonders die hervor- ragende Berippung zeigen, sollen mit einer schwar- zen Kienruß- oder Grünspanölfarbe eingefärbt werden, nachdem die Rippen vorerst mit einem passenden Holz etwas „contundiert", d. h. ge- quetscht, erweicht worden sind. Dann werden sie auf weißes Papier gelegt und angedrückt. Das ist, soweit ich sehe, die erste bekannte Anweisung zur Ausführung von Naturdruck, auch die erste Erwähnung nach solcher Art zu fabrizierender Tapeten. Was der bekannte Hieronymus Cardanus in seinem Sammelwerk „De subtili- tate" von der, in diesem Falle m. W. allein „Ichnographia" genannten Kunst sagt, ähnelt dem von Alexius empfohlenen Verfahren fast völlig. Von einem am Ende des 16. Jahrhunderts in Naturselbstdruck hergestellten Werke wurde hier und da berichtet. Dieses danach älteste derartige Werk soll von dem am 21. April 15 18 in Dresden geborenen Joh. Ke n(n) tman n ') herrühren. Nach Studien in Deutschland, dann in Padua ließ er sich, zurückgekehrt, in Torgau, dann in Meiningen nieder, wo er den 14. Juni 1574 starb. Er beschäftigte sich, einer der ersten auf diesem Gebiet, viel mit dem Sammeln von allerhand Naturerzeugnissen. Die gedachte Druck- kunst brachte er vielleicht von Padua mit, viel- ') Eben machte Rud. Zaunick auf seine Angaben über die Fischfauna Sachsens in seiner Zeit aufmerksam. Abhandl. der naturwissenschaftl. Gesellschaft in Dresden. 1915, Heft I. N. F. XV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 259 leicht hat er sie Buonafede, der damals an der dortigen Hochschule „de simplicibus", d. h. Pharmakognosie, angewandte Botanil< las, abge- lernt. Ein Band des Werkes unter dem Titel „Icones stirpium impressae a Johanne Kenntmanno medico ao. 1583" soll am Ende des 18. Jahr- hunderts Hofrat Christian Wilh. Büttner in Jena besessen haben. Nach einem einleitenden Gedicht von Michael Bojemus Pirnensis soll bei seiner Darstellung der Sohn Kenntmann's, Theophil, bei der „nova et certe pluribus ante ignota ratio, plantas fuligine pingui tingere" ge- holfen haben. Der so lange für dieses Werk ge- haltene Foliant, Handschriftenkatalog 71 der kgl. öffentlichen Bibliothek in Dresden, erwies sich mir als ein, in der Tat auch kostbares auf An- regung und im Auftrage Kenntmann's in Wasserfarben dargestelltes botanisches Ab- bildungswerk. Den Naturdruckband konnte ich noch nicht finden. Ein weiteres hierhergehöriges deutsches Abbildungswerk gehörte der Straßburger Bibliothek. Es war von dem Apotheker Salad in daselbst angelegt worden. Bei Belagerung der wunderschönen Stadt fiel es wie so viele andere ähnliche Schätze dem Kriege 1870/71 zum Opfer. Davon, daß unsere Kunst auch im Norden bekannt war und geübt wurde, zeugt der bekannte Reisende Balthasar Monconys, Lyon 1698. Er be- richtet von einem Dänen Walguestein, wie er schreibt, von dem er gelernt hätte, Pflanzen einfach in der Art abzudrucken, daß er sie über einer rußenden Flamme einschwärzte und dann zwischen Papier einem Druck aussetzte. Daß auch schon eine Presse bei der Arbeit in An- spruch genommen wurde, belegt ein Arzt J. Da- niel Geyer in dem „Thargelus Apollini sacer", Dissertatio de Dictamno, Frankfurt 1687, wo es heißt „si sumat atramentum impressorium opeque pilae superillinat folio plantae, ac illa vel manu vel trochlea vel sucula leviter imprimat chartae nonnihil madefactae" etc. In ein hierher gehöriges Werk aus der berühmten Bodleyana- Bibliothek in Oxford habe ich , dank der freund- lichen Hilfe des mir. befreundeten Lehrers an dem dortigen Berton-College Harald Joachim') Ein- sicht nehmen können. Paolo Boccone, Vertreter der Physica, Prof der vorwiegend der Arzneikunde dienenden Botanik in Padua, gestorben als Cister- cienser 1704 in Palermo, legte auf seinen Reisen, die ihn auch in unser Vaterland führten, die Sammlung an. Nach einer Eintragung in der Sammlung hat sie in Venedig ein Graf von Manchester von Boccone zum Geschenk erhalten. Später kam sie an Elias Ashmode und von ihm in die gedachte Bibliothek. Bis zu dreien sind die Pflanzen sauber schwarz abge- druckt, zum Teil mit einem Schutzpapier bedeckt. Von der Anwendung des Naturdrucks in Amerika berichtet Linne in seiner Philosophia botanica. Ein gewisser H e s s e , Näheres über ihn ') Einem Neffen des berühmten Geigers. konnte ich nicht entdecken, soll nach diesem Ver- fahren schon 1707 Pflanzen abgebildet haben, und ein Dr. Sherard, vielleicht der Pate der be- kannten niedlichen Sherardia, soll ebenfalls um diese Zeit schon ein solches Kräuterbuch herge- stellt haben. In unserm Vaterlande bildete in derselben Zeit auch der Wolfenbütteler Prof. der Medizin Franz Ernst Brückmann die ihn interessierenden Kinder Floras ab, wie er meinte, nach einer Vorschrift des Helmstedter Prof. Dr. S t i s s e r , in Wahrheit , wenn nicht irgendein anderer Liebhaber der Pflanzen oder anderer Natur- erzeugnisse die Arbeitsart selbständig erdacht hat, in der Weise des Alexius aus Piemont, für seinen eigenen Gebrauch, wie man Pflanzen der Regel nach auch nur für sich einlegt. Anders, im großen, wollte der Erfurter Prof Joh. Hein- rich Kniphoff vorgehen, er wollte einen Ersatz für die in der Tat wunderschönen Pflanzenatlanten schaffen, wie sie nach dem Vorbild des Hortus Eistettensis des Nürnberger Apothekers Ba- silius Beseler im Buchhandel, aber ihres natur- gemäß hohen Preises wegen für den gewöhnlichen Sterblichen schier unerschwinglich waren. 1728 sprach er in A. E. Buch ner's „Miscellaneae physico - medico ■ malhematicae" von einer „sehr bequemen und nützlichen Art, die Kräuter abzu- drucken und nach ihrer natürlichen Art abgebildet vorzustellen". Er erzählt, daß er seine Arbeitsart von einem „fleißigen ausländischen Botanicus er- halten" habe, in der Hauptsache ist es ihm aber darum zu tun, darauf hinzuweisen, daß er mit dem Erfurter Buchdrucker und -händler Michael Funcke auf Anregung des Weimarischen Hofrats Dr. med. P a u 1 J u c h , eine Sammlung von Pflanzen- abdrucken nach jener Art hergestellt herauszu- geben die Absicht habe. Im ersten Bande wolle er die, immer noch die Hauptrolle spielenden offizineilen Pflanzen, nach dem „Pinax" von Cas- par Bauhin (also secundum genera et species, nach einem natürlichen System) und nach der „Flora Jenensis" von Bern h. Rupp e, ') im zwei- ten Bande die anderen Pflanzen nach der Blüte und den Samen und ihrem Charakter nach der eben genannten Flora geordneten Pflanzen heraus- geben. Eine Centurie würde einen Dukaten, nach unserem Gelde etwa 10 Mark, also recht viel kosten. Trotz der Anfeindung des schon ge- nannten Prof. Brück mann erschien im Jahre 1733 die „Botanica in originali, d. i. Lebendiges Kräuterbuch, worinnen die in hiesigen Landen wachsende Kräuter nach ihrer Schönheit vorge- stellet werden. Erfurt." Der Text ist von dem Ratsmeister und älteren Bürgermeister Christian Reinhardt, dem Erfurt für seine Förderung des Gartenbaus unendlichen Dank schuldet, zum 1) Goethe bildete sich an der ersten Auf läge der Flora von 17 18. Er schreibt im Band 14, S. 44 der Werke, Stutt- gart 1867: Durch das Buch wäre der bis jetzt auf einen engen klösterlichen Garten eingeschränkte, blo(3 zu ärztlichem Zwecke dienenden Pflanzenbetrachtung die ganze reiche Gegend eröffnet und ein freies, frohes Naturstudium eröifnet worden. 26o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i8 Teil von Kniphoff selbst verfaßt. An Stelle von Funcke trat sehr bald wohl auf Betreiben von Büchner und dem Leipziger Prof. Christ. Gottlieb Ludwig der Hallenser „Typograph" Joh. Gottfried Trampe. Von ihm heraus- gegeben erschien dann 1758 — 64 in Folio eine zweite Auflage der „Botanica" und gleichzeitig, 1760, eine weitere Ausgabe unter dem Titel „Ectypa Vegetabilium usibus medicis" usw., nach der Natur verfertigte Abdrücke der Gewächse unter Aufsicht von Christ. Gottlieb Ludwig. Zweifellos paßt auf diese Werke nicht, was 177 1 in den „Commentaria de rebus in scientia naturali et medicina gestis", Lipsiae 1775, gesagt ist. Es heißt da: Plantas chartis commode imprimendi ratio manuscriptis Pigeronii ducta est, estque ea, quam Trampius (der eben gedachte Drucker jedenfalls) olim apud nos adhibuit. Es bezieht sich diese Bemerkung jedenfalls auf einen Artikel in des bekannten Abbe Rozier „Introduction aux observations sur la physique, sur l'histoire et sur les arts", Oktober 1771, Paris. Dort wird ein „Moyen facile pour prendre l'empreinte d'une feuille et d'une fleur de Mr. Pingeron (über ihn konnte ich nichts erfahren!) empfohlen. Nach ihm soll ein dünner Papierbogen geölt, dann mit Ruß geschwärzt, darauf die Pflanze gedrückt wer- den. Die so eingefärbte Naturdruckform soll jetzt auf Papier gelegt und durch Anpressen mit Hilfe eines blanken Schlüssels od. dgl. darauf übertragen werden. Das ist zweifellos keine Verbesserung der alten Alexius- Vorschrift, sondern eine Ver- schlechterung. Neu ist die gleichzeitig empfohlene Erweiterung ihrer Anwendung: Junge Leute, die ihre Freude an Stickereien halaen, könnten auf gleiche Art sich Abdrücke der Stickereien anfertigen. Aus dem Bereich der Naturwissen- schaften heraus, in das Gebiet der Technik gehört ebenfalls die, nichtsdestoweniger einschlägige Nachricht, daß nach einer Angabe der „Erlanger gelehrten Anzeigen" von 1791 der Naturselbstdruck in Nordamerika bei der Anfertigung von Papier- geld herangezogen worden ist. Auf Grund der Vermittlung meines Freundes Prof Kremers von der Universität in Madison und der des „Superintendent of the State historical Society of Wisconsin" Prof R e u b e n G. T h w a i t e s ebenda schrieb mir der Direktor des „Treasury Departe- ment Bureau ofengraving and painting" auf Grund eigener „diligent inquiries", daß das Papiergeld »typographically printed" war, während ein Herr „M. Andrew Mc Farland Davis of Cam- bridge, who has, more than one I know, spezia- lized on this currency" mir freundlichst mitteilte, er müsse der, also vermutlich dort gängigen An- sicht entgegentreten, daß E>anklin'die Rückseite des Papiergeldes aus den „Continental days" mit Hilfe des Naturdrucks habe darstellen lassen, daß aber in der Tat Noten von Pennsylvania, New Jersey und Maryland auf der Rückseite nach sol- chem Verfahren bedruckt gewesen wären, daß also L i n n (§ ' s Angaben den Tatsachen entsprächen. Da mit Pflanzenteilen als Druckstöcken gewiß nicht in solchem Umfang hätte gearbeitet werden können, wie der Notendruck das nötig gemacht haben muß, ist man zu der Annahme gezwungen, daß man schon einen Weg gefunden haben muß, dauerhafte Druckstöcke darzustellen, welchen, konnte man mir nicht mitteilen, oder man tat es wenigstens nicht. Daß unser Verfahren international, in aller Welt bekannt war, ob von einer Stelle ausge- gangen oder überall selbständig erdacht, bleibe dahingestellt, konnte ich gelegentlich der Natur- forscherversammlung in Dresden auf der Suche nach Kenntmann's Werk feststellen. In der schon gedachten öffentlichen Bibliothek wurde mir ein Band in Naturselbstdruck hergestellter Pflanzenabbildungen vorgelegt — aus dem Reich der Mitte. Die und jene der sauber und botanisch mustergültig dargestellten Pflanzen gehörte, so viel ich sehen konnte, dem chinesischen Arznei- schatz, wie er im Pentsao enthalten ist, an. Wann das Werk entstanden ist, stellt vielleicht einmal ein der chinesischen Sprache mächtiger Forscher fest. In seinen Wanderjahren hatte ein talentvoller junger Apotheker Ernst Wilh. Martins wohl von der Naturdruckarbeit gehört. In Dillenburg war er durch eine „Demoi seile" Dörrien^) für die Scientia amabilis, deren Pflege seit jeher den Pharmazeuten am Herzen lag, besonders ein- genommen worden, und eifrig wandte er die er- lernte Kunst an, seine gesammelten Lieblinge im Bilde festzuhalten. In Wetzlar, unterstützt von dem k. k. Gerichtsmedikus Held, einem den Naturwissenschaften eifrig dienendem Herrn mit * einer großen Bücherei, und in seinen späteren Aufenthaltsorten setzte er seine Tätigkeit fort und vervollkommnete seine Fertigkeit. In einem Büch- lein Neueste Anweisung, Pflanzen nach dem Leben abzudrucken, Wetzlar 1785, gibt er einen guten Abriß der Geschichte der Kunst und beschreibt sein Verfahren. Es ist im wesentlichen das altüberkommene, nur macht er sich ein Farbkissen in Art der Kissen der Ver- golder. Das färbt er ein und drückt die „einge- legte", d. h. jedenfalls die möglichst bezeichnend zurechtgelegte getrocknete Pflanze durch Auflegen eines reinen Bogens Papier, einiger Lagen Makulatur und eines beschwerten Bretts darauf ab. Mit diesen trocken-harten Pflanzen konnte er begreiflicherweise immerhin eine große Menge von Abdrücken machen, ohne daß der „Stock" litt und sich verrückte. In Nürnberg lernte er von einem Fachgenossen, der ihm gleich arbeitete, daß das P""arbkissen zweck- mäßiger durch eine Glasplatte zu ersetzen sei. Er nahm später, sicher noch besser, ein glattes Brett, schließlich eine Kupfertafel. Auch von ') Catarine Helene gab ein „Verzeichnis und Be- schreibung der sämtlichen in den fürstlich oranisch-nassauischen Staaten wildwachsenden Pflanzen, Herborn, 1777, heraus. Sie ist ein Beleg dafür, daß die wissenschaftliche Tätigkeit der I'rau keineswegs eine Errungenschaft der Neuzeit ist. N. F. XV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 261 einer ihm bekanntgewordenen „Verbesserung" spricht Marti US, die Pflanze mit einem Ruß aus Wei h rauch einzufärben. Er empfiehlt, diese der Ro zier 'sehen ganz ähnUche Art durchaus nicht, wohl ersetzt er aber später die früher genommene Druckerschwärze durch eine aus FrankfurterSchwarz und Leinöl dargestellte Farbe, auf die ihn ein Kupferstecher Hayd in Augsburg aufmerksam gemacht hatte. Ein Verfahren von David Heinrich Hoppe teilte Martins später in dem „Botanischen Taschenbuch" von 1790 mit, ein Schriftsetzer Mayr in Regensburg gab 2 Jahre später auf Grund „vieler Anfragen" eine „Ausführ- liche Beschreibung seiner Arbeitsart", der bekannte Jenaer Botaniker J. Ch. Friedrich Graumüller empfahl 1809 seine „Neue Methode von natür- lichen Pflanzendrucken", die im Grunde stets die- selben blieben. Von Mund zu Mund pflanzte sich zumeist wohl die als Liebhaberbeschäftigung ganz vortreffliche Kunst zumeist fort, einer lernte sie von dem andern (ich lernte sie in den fünfziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts für wenige Pfennige von einem reisenden Manne, der sie in den Schulen vorführte, um sein Leben zu fristen), bedeutungsvoll wurde sie nicht, der Vergänglich- keit der Formen wegen. Der erste, der m. W. daran ging, diesem Ubelstande, vielleicht ebenso abzuhelfen, wie das in Amerika Jahrzehnte früher geschehen sein muß, ist, wie ich das durch die Hilfe des leider verstorbenen tüchtigen Geschichts- forschers E m i 1 D a m in Kopenhagen ermitteln konnte, ein dortiger Goldschmied Peter Khyl gewesen. Von seinen Arbeiten erfuhr die große Welt erst durch eine Veröftentlichung des Direktors der kgl. dänischen Kupferstichsammlung Prof. J. M. Thiele in der Berlingske Tidende 1853. Danach hat der erfindungsreiche Mann schon im Jahre 1833 eine „Beschreibung mit vierzehn Ab- bildungen über das Verfahren, flache Natur- und Kunstprodukte abzubilden" herausgegeben. Die betreffenden Gegenstände (Pflanzenteile ließ Khyl erst zwischen Papier, darauf etwas Sand und ein beschwertes Brett, auf dem Ofen troknen, dann eine Viertelstunde im Wasser liegen und wieder, in rechte Lage gebracht, zwischen Fließpapier trocknen) werden zwischen einer eine halbe Linie dickem ver- zinnten P^isenblech und einer Zink-, Zinn-, gut ausgeglühten Kupfer- oder einer Bleiplatte durch blank polierte Stahhvalzen unter passenden Druck und der Vorsicht, daß die Platten nicht verrückten oder schief laufen, hindurchgezogen. Sie werden sich unter der härteren Eisenplatte und dem Druck des Walzenpaarens in der weicheren Platte abformen, naturgetreu, mit allen ihren Erhabenheiten usw. eindrücken. Die Ver- zinnung der Eisenplatte verhindert ein Verrücken des Modells. Von den weichen Metallplatten sind sozusagen unendlich viele Abzüge zu machen. Einige Proben von Khyl's Arbeiten kann ich vorführen. Daß die Methode wenigstens für Spitzen auch bei uns in Anwendung gezogen worden ist, glaube ich in der „Encyklopädie aller weiblicher Hauptkenntnisse" von Karoline Leonhard- Lyser, Leipzig 1843 haben fest- stellen zu können. Daß die gedachte Arbeitsart nicht über die Grenzen Österreichs gedrungen sein soll, ist kaum anzunehmen. Daß Fachleute sie nicht kennen gelernt haben, ist zum mindesten als Unterlassungssünde anzusehen. Sie könnte kaum entschuldigen, daß ein „wirkliches Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, k. k. Regierungsrat, Direktor der k. k. Hof- und Staatsdruckerei" Alois Au er in Wien 1853, seine eigene „Entdeckung des Naturselbstdrucks oder die Erfindung von ganzen Herbarien und Stoffen, Spitzen, Stickereien usw. (in langer Reihe fort), Druckformen herzustellen" und wiederum in gleicher Ausführlichkeit weiter fort herausgab. Neu ist bei A u er nur, daß er auch die Galvanoplastik*) heranziehen wollte, neu auch und in der Tat sehr anerkennenswert ist der von ihm gewählte nach- gerade eingebürgerte deutsche Name für das Ver- fahren: Naturselbstdruck. Die Erfindung, die fast, neben die von Gutenberg gestellt zu wer- den, das Recht haben sollte, die Österreich eben so ehren dürfte wie die Daguerrotypie Frankreich ehrte, wurde Au er 1852 privilegiert, Prof Leidolt's Verfahren, auch Mineralien durch seinen Druck abzubilden, gab er einer Broschüre mit, die sein Verfahren der großen Welt bekannt geben sollte, Ritter von Perger bereicherte sie durch einen geschichtlichen Abriß (in dem Martins aber nicht erwähnt wurde). Des letzteren Rede über dasselbe Thema in dem zoologisch-botanischen Verein erregte „einen solchen Beifall , daß den weiteren Vorträgen Einhalt geboten werden mußte, bis sich die Aufregung gelegt hatte". Mit den in derTat wunderschönen, geradezu staunenerregenden Naturdrucken, die Alois Pokorny 1865 undCon- stantin Ritter von Ettinghausen 1Ö61 und G. Ch. Rcuss, Wien 1862 herausgaben, erreichte der Naturselbstdruck wohl seine Höhe in Deutschland. Durch die Freundlichkeit von Paul Dorveaux in Paris, dessen nimmerm.üden F"reundschaft ich mich rühmen durfte und hoffentlich noch rühmen darf, wurde ich noch auf den „Herbier de la flore frangaise" von Cusin und Ansb erq u e, Lyon 1867, aufmerksam gemacht, deren Herstellungsart Phytoxygraphie genannt wird. D o r v e a u x's Belesenheit und die ihm unterstellte Bibliothek der Pharmacie centrale erlaubte ihm, mich auch noch auf Arbeiten hinzuweisen, welche das Ver- fahren zeitgemäß ausgestalten, Anilinfarben an Stelle der früher gebrauchten Farben setzen wollten •) Die Vorschrift: Man überstreicht das Original mit auf- gelöster Guttapercha und benutzt nach vorher stattgefundenem Überzug von Silberlösung die abgenommene Guttaperchaform als Matrize zur galvanischen Vervielfältigung, hört sich nicht gerade vertrauenserweckend an 1 '^) Nähere Angaben über bio- und bibliographische Tat- sachen teilte ich in einer Arbeit im Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und Technik Band I 1909 mit, auf welche eingehendere , wenn auch etwas veraltete Arbeit ich hinweisen möchte. 262 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i8 und dgl. mehr. Die Zeit des Naturdrucks war jedenfalls gekommen, er ist der Geschichte ver- fallen, die Lichtbildkunst hat ihn verdrängt, uner- reichbar überholt. Schon im Jahre 1839 hat Tal bot, der die Daguerre'sche Erfindung durch die Einführung des lichtempfindlichen Papiers wesentlich gefördert hat, angeregt und versucht, die lichtdurchlässigen Blätter gleich zu kopieren, und man benutzt diese Art immer noch, um die Blattstruktur, Olzellcn und ähnliche Gebilde fest- zuhalten, ja die Röntgenstrahlen ermögliclien, noch dem Auge verborgene Tatsachen auf die Platte zu bannen, Naturaufnahmen zu machen, mit denen sich die unseres Naturdrucks in der Tat nicht im geringsten messen können. Das Bessere ist des Guten Feind und jagt ihn zu Paaren. Auch auf ihn paßt das ttü>'tc< gel des Herakleitos. Von der Raupe des Seidenspinners. Assistent am Zoolog. [Nachdruclc verboten.] Von Fritz Huttenlocher, Institut der K. Techn. Hochschule Mit 4 Abbildungen. Stuttgart, z. Zt. im Felde Bei zoologischen Übungen kann man sich als Beispiel für die Raupen zuweilen Seidenraupen ver- schaffen. ^) Sie sind zur zootomischen Präparation sehr geeignet, aber man findet in den Lehrbüchern keine genügende Auskunft, daher mögen hier einige Bilder veröffentlicht werden. Die Gliederung des Körpers (Abb. i) ist die- selbe wie bei den meisten Raupen; auf den Kopf folgen 3 Brustsegmenle mit 3 Brustbeinpaaren, dann 10 Hinterleibssegmente, von denen das 3.-6. und dann das letzte falsche Füße (Pedes spurii) tragen. Auf dem 8. Hinterleibscgment sitzt das Hörn. Am ersten Brustsegment und an den ersten 8 Hinterleibsegmenten sind seitlich die Stigmen zu sehen (Abb. i). Flecken finden sich auf dem 2. und 3. Segment der Brust und auf dem 2. und 5. Segment des Hinterleibs. ngsruhe. Abb. I. Stellung der Seidenraupe wahrend d Der Kopf der Seidenraupe (.Abb. 2) besteht aus 2 seitlichen Chitinkapseln, die oben median zusammenstoßen und an ihrer Vorderseite die kleinen unscheinbaren Antennen tragen (Abb. 2). Diese sind aus 4 Gliedern zusammengesetzt, wo- von das letzte sehr klein und dem breiteren Ende des vorletzten Gliedes aufgesetzt ist, das daneben noch 2 Sinneshaare trägt. — Am P^uße des Fühlers liegt eines der 6 Punktaugen (Ocellen), seitlich davon die 5 übrigen, 4 davon sind halbmond- förmig angeordnet, das 5. liegt iin Mittelpunkt des Halbkreises. — An der Vorderseite des Kopfes sind zwischen den seitlichen Chitinkapseln (Wangen) 3 unpaare Chitinstücke eingeschaltet; das unterste Stück ist die Oberlippe (Labrum), die mit regel- mäßig angeordneten Haaren besetzt ist (Abb. 3). Darüber liegt der Kopfschild (Cl_\-peus) und über diesem das Stirnstück (Frons). Unter der Oberlippe sieht man die stark chitini- sierten Oberkiefer (Mandibel), die jederseits 4 große ineinandergreifende Zähne besitzen und zum Ab- beißen der Nahrung dienen. Unterhalb der Man- dibeln liegen die paarigen Unterkiefer (Maxillen) und zwischen denselben die unpaare Unterlippe (Labium), welche aus der medianen Verschmelzung des dritten Mundextremitätenpaares hervorging. ') Wir bezogeu solche von dem Entomologen Ischow in Schwerin (Meckl.). oc Ib sp Abb. 2. Kopf der Seidenraupe, Seitenansicht. cl Kopfschild, Ir Oberlippe, md Oberkiefer, ant Fühler, max Ladenteil des Unterkiefers, pm Tasterteil des Unterkiefers, pl Taster der Unterlippe, sp Spinnröhrchen , Ib Unterlippe, oc Augen, st I. Bruststigma. Die Unterkiefer sind mit der Unterlippe ver- wachsen ; sie bestehen aus einem kleinen Angelglied (Cardo), und einem großen, in der Mitte gefurchten Stamm (Stipes), an welchem sich ein viergliedriger Taster (Palpus maxillaris) und ein ungegliederter, oben stumpf endender, mit 6 Borsten besetzter Anhang befindet (.Abb. 3). Letzterer entspricht der Innenlade der Maxille, welche aber nicht mehr als Kaulade wie bei den anderen Insekten in Tätig- keit tritt. — Die zwischen den Unterkiefern liegende Unterlippe besteht aus Unterkinn (Submentum) und Kinn (Mentum). Das Kinn besitzt paarige Anhänge, die Lippentaster, und einen unpaarigen, N. F. XV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 263 das Spinnröhrchen. — Die Lippentaster (Palpi labiales) sind so klein, daß sie dem Beobachter leicht entgehen können und bestehen aus einem breiten Basalglied, welchem ein dünnes Gliedchen aufgesetzt ist, das an seinem Ende 2 kleine Ilaare trägt. Das in der Mitte liegende, größere Spinn- röhrchen sitzt ebenfalls einem niederen Basalglied auf. Der über dem Spinnröhrchen gelegene Teil des Kinns ist mit einer Längsrinne versehen und mit kleinen Höckerchen (nicht in der Abbildung gezeichnet) bedeckt und wird im oberen Teil von den Oberkiefern verdeckt. Bei der Nahrungsauf- nahme bewegt sich die Unterlippe mit den Unter- kiefern langsam auf und ab. halt der Sammelblase hergestellte Fäden werden nämlich vom Wasser stark angegriffen, was bei der natürlichen Seide ja nicht der Fall ist. In der Mitte des unpaaren Ausführungsganges, welcher in dem obengenanntenSpinnröhrchen endet, befindet sich eine kleine Anschwellung, an welche sich ein Muskelapparat ansetzt. Nimmt man schließlich noch den Darmkanal und den Seidenapparat aus der Raupe heraus, so sieht man in der Mittellinie das Bauchmark mit den in den einzelnen Segmenten liegenden Gan- glien, ferner die von den Stigmen ausgehenden reich verzweigten Tracheenbüschel. Zum Schlüsse möchte ich noch einige Bemer- Abb. 3. Mundwerkzeuge der Seidenraupe von unten gesehen. Ir I »berlippc, md Oberkiefer, ant Fühler, pl Tasler der Unter- lippe, sp Spinnröhrchen, ment Kinn, sment Unterkinn, c .\ngel- glied des Unterkiefers, st Stammglied des Unterkiefers, pm Taster des Unterkiefers, max Ladenteil des Unterkiefers, oc .Augen. .\bb. 4. Die Seidendrüsen von ßoiiifyx mori L. Nach Gilson(i89o), aus Schröder's Handbuch der Ento- mologie. 2. Lief. Jena 1913. gl.a Drüsen (nach Filippi oder nach Lyonet benannt), p der mittlere Teil des unpaaren Ausführungsganges, an welchem sich Muskeln ansetzen. Schneidet man die Seidenraupe durch einen Längsschnitt in der Rückenlinie auf, so sieht man zunächst den Darmkanal, an welchem leicht Vorder-, Mittel- und Enddarm zu erkennen sind. Dem Darm aufliegend sind die Malpighischen Gefäße zu sehen, welche in den Anfang des Enddarms münden; sie sind durch ihre weiße Farbe sehr auffallend. Zu beiden Seiten neben und unter dem Darm liegen die schlauchförmigen Seidendrüsen, deren Wandzellen eigenartige, verästelte Kerne besitzen. Der lange und dünne Drüsenschlauch erweitert sich und bildet jederseits eine in doppelt U-förmige Schlinge gelegte Sammelblase für die flüssige Seide. Die Ausführungsgänge sind eng und verschmelzen zu einem einzigen Kanal. Un- mittelbar vor dieser Verschmelzung münden in die Ausführungskanäle 2 kleine Drüsen (siehe Abb. 4), welche nach dem Entdecker Filippische Drüsen genannt werden. Das Sekret derselben soll die beiden Fäden verkleben und gegen Wasser widerstandsfähig machen. Künstlich aus dem In- kungen über die Lebensweise der Raupe hinzu- fügen, da ja ihre Zucht neuerdings in Deutschland wieder empfohlen wird. Die Raupe macht im ganzen vier Häutungen durch, und zwar unter günstigen Lebensbedingungen, wozu vor allem die nötige Wärme gehört, am 5., 10., 16. und 22. Tag ihres Lebens. Die Einleitung der Häutung kenn- zeichnet sich durch einen Wechsel der P^arbe, das weiße, opake Kleid wird gelb und durchsichtig. Weiterhin stellt die Raupe ihre bisher einzige Be- schäftigung, das Fressen, ein. Ferner spannt sie zwischen den umliegenden Gegenständen Fäden, unter denen sie durchkriecht, um anscheinend den Zusammenhalt zwischen alter und neuer Haut zu lockern. Nun nimmt sie eine eigenartige Stellung ein, Kopf und Brust etwas erhoben (Abb. i) und verharrt so 12 — 24 Stunden. Nach Ablauf dieser Zeit, welche von den französischen Züchtern „Schlaf" genannt wird, bricht die Haut in Kopf- und Brust- gegend auf, und das Tier streift seine bisherige Hülle ab. Eine Stunde später schon frißt es 264 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 18 wieder. Den Höhepunkt ihrer Gefräßigkeit er- reicht die Raupe etwa am 6. Tag nach der 4. Häutung, einige Tage vor der Verpuppung. An diesem Tage sollen die aus 30 g Eiern her- vorgegangenen Tiere ebensoviel fressen wie 4 Pferde. Dies ist leicht zu verstehen, denn das Tier muß ja das Material für die Seide seines Kokons und auch die Nahrung für Puppe und Schmetterling aufnehmen. Denn nicht nur die Puppe, sondern auch der Schmetterling nimmt keine Nahrung während seines kurzen Lebens zu sich; die Mund- werkzeuge des Schmetterlings sind verkümmert. Der junge Schmetterling kann nicht einmal den Kokon durchbeißen, sondern weicht denselben mit einer ätzenden Flüssigkeit auf. — Am 9. Tag nach der 4. Häutung beginnt die Raupe, die bis- her nur soweit sich bewegte als es zum Fressen nötig war, wanderlustig zu werden. Der Züchter stellt kleine Reisigbündel in den Behälter, an den- selben klettern die Tiere empor (la niontee) und bauen zwischen den Astchen und Verzweigungen das kostbare Gehäuse für ihre Puppenruhe. Einzelberichte. Physiologie. Über die Giltigkeit des Gesetzes von Bunsen-Roscoe für die phototropischen Reak- tionen bei Tieren. Seit 1888 hat J. Loeb in einer Anzahl von Veröffentlichungen die Ansicht vertreten, daß die angeblich willkürliche Hin- bewegung von Tieren zum Lichte in Wirklichkeit ein Vorgang sei, der auf einer automatischen Orientierung der betreffenden Tiere durcli die Lichtquelle beruht, und der vergleichbar, ja iden- tisch sei mit den wohlbekannten Erscheinungen des Heliotropismus bei Pflanzen. Für die Be- gründung seiner Ansicht nahm Loeb an, daß in den Zellen der Netzhaut oder an sonst lichtempfind- lichen Stellen des Körpers dieser Tiere durch die Einwirkung des Lichtes bestimmte photochemische Prozeße ausgelöst werden, die, wenn sie auf beiden Seiten des Körpers gleichmäßig stattfinden, eine Fortbewegung in gerader Linie hervorrufen, während ungleichmäßige Beleuchtung der beiden Körper- hälften auf der stärker beleuchteten Seite kräftigere Reaktionen und damit auch eine Änderung in der Bewegungsrichtung des Tieres veranlassen. Es war nun nur noch zu zeigen, daß das Gesetz der photochemischen Reaktion in gleicher Weise für die heliotropischen Reaktionen der Tiere gilt. In einer kleinen Arbeit, die Loeb im November 1914 der amerikanischen Akademie der Wissenschaften vorgelegt hat , und die im Bd. I , S. 44 der „Proceedings of the National .Academie of Science" 191 5 abgedruckt ist, berichtet er über das Ergebnis von Untersuchungen die er mit H. Wasteney's zur weiteren Klärung dieser I'rage angestellt hat. Das Gesetz der photochemischen Wirkung von Bunsen-Roscoe sagt, daß (innerhalb ge- wisser Grenzen) sie gleich sei dem Produkt von Intensität und Dauer der Beleuchtung. Blaauw und Fr Öse hl haben nachgewiesen, daß die helio- tropische Reaktion der Pflanzen dem Gesetz von Bunsen-Roscoe folgt. Loeb und Ewald zeigten ein Jahr später an jungen Polypen von Eudendrium, daß dasselbe Gesetz auch für Tiere gilt. Blaauw hatte gezeigt, daß die Stengel von Hafersämlingcn am besten mit Krümmung auf blaue Strahlen des Spektrums einer Bogenlampe von der Wellenlänge 466 — 478 /(/< reagierten. Es genügten für so"/;, derselben 4 Sekunden Expositionszeit, um dieses Ergebnis herbeizuführen. Für längere Wellen waren längere Expositionszeiten notwendig, so z. B. für Wellen von 499 /(,« schon 120 Sekunden und für solche von 534 111.1 gar 6300 Sekunden. Die gelben und roten Partien des Spek- trums erwiesen sich als völlig unwirksam. Loeb und Ewald fanden nun, daß die geringste Exposi- tionsdauer, um bei mehr als 50 "/„ der Polypen helio- tropische Wirkungen zu erzielen, bei derselben Licht- intensität 5 Minuten beträgt. Die Region der höchsten Erregbarkeit lag demnach bei 473,5 fifi also in der höchsten Empfindlichkeitszone der Hafer- sämlinge. Die gelben und roten Wellen lösten auch bei 5 stündiger Expositionsdauer keine Reak- tionen aus. Kurz, die Versuche beweisen, daß die Wirkung der verschiedenen Teile vom Spektrum einer Bogenlampe bei dem Tier Eudendrium und den Sämlingen der Pflanze Avena praktisch die- selbe ist, was natürlich zugunsten von Loeb's Annahme von der photochemischen Natur des Heliotropismus sprechen würde. M. H. Baege. Bei unseren jetzt im Felde stehenden Truppen ist wiederholt in einer größeren Anzaiil von Fällen eine Augenerkrankung aufge- treten, welche die Befallenen mehr oder minder felddienstuntauglich macht. Es ist die im Frieden nur selten zur Beobachtung kommende Nacht- blindheit (Hemeralopie). Sie besteht darin, daß Personen mit sonst gutem Sehvermögen im Zwie- licht der Dämmerung unverhältnismäßig schlecht, bzw. gar nicht mehr sehen. Derart kranke Soldaten müssen auf dem Marsch gleich Blinden geführt werden, sollen sie nicht jeden Augenblick stolpern und hinstürzen. In hochgradigen Fällen ist ihnen das Marschieren auf dem P'elde ohne Führung abends überhaupt unmöglich, sollen sie nicht alsbald in eines der zahlreichen Granatlöcher stürzen, weil ihnen das Sehvermögen gänzlich fehlt, wie einem total Blinden. Die beängstigende Erscheinung hat be- züglich ihrer Ursachen die mannigfachsten Deu- tungen erfahren. Zunächst liegt es natürlich nahe, bei einem sich krank meldenden Soldaten an „Drückebergerei" zu denken. Der Schwierigkeit, welche daraus entsteht, eine vorwiegend subjektive N. F. XV. Nr. iS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 265 Beschwerde auf ihre objektive Richtigkeit zu prüfen, zumal mit der dem Feldarzt zur \^erfügung stehenden primitiven Apparatur wird natürlich entsprechende Beachtung geschenkt. Fs bleiben aber genug Fälle übrig, die eine andere Erklärung verlangen. Man dachte an die psychische Depression, welche bei der langen Dauer des Schützengrabenkriegs die Kämpfer überkommen hätte. Da ferner namentlich die U'achtposten in den vordersten Reihen heimgesucht waren, glaubte man an eine Übermüdung des Auges infolge des fortgesetzten scharfen Sehens. Man meinte, der übernormale Verbrauch einer für das Sehen unentbehrlichen Substanz, des Sehpurpurs, trage die Schuld. In der Münch. med. Wochenschr. Nr. 50 vertritt Marineassistenzarzt d. Res.Dr. Wietfeld denStand- punkt, es handele sich bei der Nachtblindheit um eine Avitaminose, eine Erkrankung, welche verur- sacht wird durch das Fehlen des für den normalen Stoffwechsel unentbehrlichen Vitamins (s. „Ein unentbehrlicher Bestandteil unserer Nahrung" und ,,Die Ursache der Pellagrakrankheit" Nr. 17 u. 45, Bd. XIII 1914 d. Bl.). Die von W. ausgeführten Gründe scheinen sehr einleuchtend. Wie schon Dr. Paul, Stabsarzt d. Res., in der Feldärztlichen Beilage („Beobachtungen über Nachtblindheit im Felde" zu Nr. 45 d. Münciiener med. Wochenschrift) mitteilte, ist die Krankheit mit Anbruch der warmen Jahreszeit rasch zurückgegangen, so daß seit Mai keine neuen Fälle mehr zur Beobachtung kamen. Es ist dies die Zeit, wo durch Genuß frischer Gemüse usw. dem Mangel an vitaminhaltiger Nahrung vorgebeugt werden konnte. Ganz entsprechend werden ja auch andere Avitaminosen, wie der Skorbut und die Beri-Beri-Krankheit, die bei lang- dauernden Schift'sreisen ausbrachen , durch die Ernährung mit frischen Gemüsen, Früchten usw. rasch geheilt. Das Vitamin aber fehlt auch, be- sonders während der Wintermonate, in der Nahrung der Fcldsoldaten. Es ist nämlich eine sehr labile Verbindung, welche bei länger dauernder Erhitzung zerfällt. Es fehlt infolgedessen in allen Konserven, welche zum Zwecke der Sterilisierung lang ge- kocht worden sind, sowie in der Nahrung, welche, wie in Kochkisten, stundenlang auf hoher Tem- peratur gehalten werden. Das Auftreten der Nachtblindheit auch bei Kolonnensoldaten, welche ja gleichfalls aus der Feldküche gespeist werden, widerspricht durchaus nicht der Auffassung der Nachtblindheit als einer Avitaminose. Daß nicht alle Soldaten im gleichen Maße unter ihr leiden, hat seine Analogie darin, daß auch die Beri-Beri den einen früher oder heftiger, den anderen später oder gelinder heimsucht. W. befürwortet die Zusendung von frischem Obst an die Feldsoldaten, was ja infolge der diesjährigen reichen Apfelernte diesen Winter besonders leicht geschehen könnte. (G.H) Kathariner. Chemie. Die Doppelbrechung von kolloidalen Vanadinpentoxydlösungen ist eine sehr eigenartige, neuerdings von H.l)iesselhorst, H. Freund- lich und W.Leonhardt beobachtete Erscheinung, über die im folgenden im Anschluß an eine Ver- öftentlichung der genannten Autoren in der „Elster- und Geitel-Festschrift" (Braunschweig 1915, Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn) und in der Physik. Zeitschr. Bd. 1(5, S.419— 425 (1915) und an einen Vortrag, den H. Freundlich auf der letzten Hauptversammlung der Deutschen Bunsen-Gesell- schaft für angewandte physikalische Chemie im Herbst 191 5 gehalten hat (Zeitschr. f. Elektroch. 2'2, 27 bis 33; 1916), berichtet werden möge. Kolloidale Vanadinpentoxydlösungen können entweder nach Wilhelm B i 1 1 z durch Verreiben von käuflichem Ammoniumvanadat mit verdünnter Salzsäure, Dekantieren des abgeschiedenen Vanadin- pentoxyds mit Wasser, bis die Waschwässer gelb abzulaufen beginnen, und x\uflösung des Rück- standes durch Schütteln mit destilliertem Wasser oder nach Ditte durch vorsichtiges Erhitzen von Ammoniumvanadat im Platintiegel, Wässerung des entstandenen ockergelben Pulversdurch Liegenlassen in einem mit Wasser beschickten Exsikkator, bis es wenigstens zum großen Teil eine rote P'arbe an- genommen hat, und Auflösung des so erhaltenen Vanadinpentoxyds in kaltem Wasser hergestellt werden. Die Konzentration der vonDiessel hörst, Freundlich und Leonhardt hergestellten tief bräunlichroten Lösungen , die durch Zusatz von Elektrolyten leicht koaguliert werden konnte, sich aber, falls zur Koagulation schwach koagu- lierende Elektolyte wie z. B. Kaliumchlorid be- nutzt wurden, nach der Koagulation durch bloßes Waschen mit Wasser wieder auflösen ließen, lag zwischen 4 und 13,5 g V.20,5 im Liter. „Alle diese Sole zeigten nun folgende auffallende Erscheinung: Rührte man in ihnen mit einem Glasstab und betrachtete sie im auffallenden Lichte, so war die Flüssigkeit voller gelblicher, seide- glänzender Schlieren, als ob reichlich feine Kriställ- chen in ihr schwebten. In der Dunkelheit sieht man, daß die in der Ruhe völlig klare Flüssigkeit auch beim L^mrühren klar bleibt und daß dabei nur dunkle Schlieren auftreten". Diese Erscheinung hängt damit zusammen, daß die kolloidale Vana- dinpentoxydlösung beim LImrühren stark doppel- brechend wird, denn wenn man sie in einem rechteckigen Trog aus Spiegelglasplatten zwischen gekreuzte Nikols bringt, es hellt sich das dunkle Gesichtsfeld selbst bei der leisesten Erschütterung der Flüssigkeit auf. Im Kardioid - Ultramikroskop lassen sich wenigstens konzentriertere und verhältnismäßig grobteilige Vanadinpentoxydsole auflösen, aber ein 'zeigen" ein "ganz ungewöhnliches Bild: die Teilchen funkeln; man kann sie nicht, wie bei anderen Solen, eine Zeitlang mit dem Auge ver- folgen und sehen, wie sie in höhere oder tiefere Flüssigkeitsschichten eindringen, sondern sie tauchen rasch und plötzlich auf und wieder unter. Auch erscheinen die Beugungscheibchen nicht rund, sondern länglich wie etwa Diatomeen in einem Wassertropfen. „Bei einem Sei, das dreimal ko- 266 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i8 aguliert und wieder peptisiert worden war, sah man unter dem Ultramikroskop ganz lange Stäb- chen — etwa zehnmal so lang wie dick — , deren Brown' sehe Bewegungen höchst merkwürdig waren." Nun ist ja allerdings ein einfacher Zusammenhang zwischen dem Beugungsbilde ultramikroskopischer Teilchen und ihrer wirk- lichen Gestalt nicht vorhanden , immerhin aber neigen Diessel hörst, Freundlich und Leon - hardt zu der Anschauung, daß die einzelnen Teilchen in den kolloidalen Vanadinpentoxyd- lösungen wirklich eine längliche Gestalt haben, und diese — zunächst hypothetische — An- schauung führte die genannten Autoren dann zu sehr interessanten weiteren Beobachtungen. So ist zu erwarten, daß sich längliche, also z. B. stäbchenförmige Teilchen, sobald die Flüssig- keit in einer bestimmten Richtung zu strömen beginnt, in der Richtung der Stromlinien einstellen werden. Man könnte in diesem Falle daran denken, einen Querschnitt der strömenden Flüssigkeit mit einer parallel zur optischen Achse aus einem einachsigen Kristall herausgeschnittenen Kristall- platte zu vergleichen : Läßt man nun geradlinig polarisiertes Licht auf die strömende Flüssigkeit fallen und betrachtet sie zwischen gekreuzten Nikols, so muß, wenn die Strömungsachse der Flüssigkeit senkrecht steht, das Gesichtsfeld dunkel bleiben, wenn der elektrische Vektor des polari- sierten Lichte wagerecht oder senkrecht steht, und sich aufhellen, wenn der Vektor mit der Strömungsachse einen Winkel von 45" bildet, ein Satz, der natürlich, wenn auch in geringeren Maße für jeden anderen Winkel zwischen 45" und o" bzw. zwischen 45" und 90" liegt. In diesem Falle sollte sich also das bei ruhender Flüssigkeit zunächst dunkle Gesichtsfeld aufhellen, wenn sie zu strömen beginnt. Die Versuche bestätigten in der Tat diese Erwartungen: Ein strömendes Vanadinpentoxydsol verhält sich wie eine parallel zur optischen Achse aus einem einachsigen Kristall geschnittene Kristall- platte, und mit dieser Feststellung hat die Hypo- these von der länglichen Form der Vanadinpen- toxydteilchen erheblich an Wahrscheinlichkeit gewonnen. In ähnlicher Weise wie durch die mechanische Energie strömenden Wassers läßt sich eine Gleichrichtung der Vanadinpentoxyd- stäbchen auch mit Hilfe eines die Flüssigkeit durchfließenden Stromes oder mit Hilfe eines magnetischen Feldes erreichen : Die Teilchen stellen sich mit ihrer Achse in die Richtung der elek- trischen Stromlinien bzw. der magnetischen Kraft- linien. Die Analogie im Verhalten einer in der ange- gebenen Weise geschnittenen Krystallplatte und einer strömenden Vanadinpentoxydlösung geht noch weiter; Ahnlich wie etwa bei einer Turma- linplatte der senkrecht zur .Achse stehende Vektor stark absorbiert, der zu ihr parallel stehende aber gut durchgelassen wird, zeigt auch das strömende Vanadinpentoxydsol je nach der Stellung des Vektors einen Unterschied im Absorptionsvermögen: der senkrecht zur Strömungsachse stehende Vektor wird stärker durchgelassen, der parallel zu ihr stehende stärker absorbiert. Ja, die verschiedenen Lichtarten verhalten sich sogar in dieser Hinsicht verschieden: bei senkrechter Stellung des Vektors erschien das Licht nicht nur dunkler, sondern auch röter, und bei paralleler Stellung nicht nur heller, sondern auch gelber, eine Erscheinung, die bei spektralanalytischer Untersuchung noch deutlicher hervortrat. Das strömende Vanadinpentoxydsol besitzt also eine Art von Dichroismus. Auch das Achsenkreuz, das senkrecht zur optischen Achse geschnittene Kristalle im konvergenten Lichte auf- weisen, konnte, wie die nebenstehende Abbildung zeigt, beim strömenden Vanadinpentoxydsol be- obachtet und es konnte sogar mit Hilfe einer Viertelwellenglimmer -Platte festgestellt werden, daß das fließende Sol den Charakter eines positiv- einachsigen Kristalls hatte, d. h. daß sich in der strömenden Flüssigkeit der positive Sti'ahl schneller fortpflanzt und demgemäß schwächer gebrochen wird als der außerordentliche Strahl. Sucht man in der Literaturnach Beobachtungen, die mit denen von Diessel hörst. Freundlich und Leonhardt inParallele gestellt w^erden können, so findet man zunächst das sogenannte Majorana- Phänomen. Dieses Phänomen besteht darin, daß kolloidale Lösungen von Eisenhydroxyd, be- sonders sofern sie ein hohes Alter besitzen, ihre Teilchen also ziemlich groß sind, im magnetischen Felde Doppelbrechung zeigen. Als nun Diessel- horst. Freundlich und Leonhardt ein mindestens 13 bis 14 Jahre altes Ferrihydroxyd- sol untersuchten, das das Maj orana- Phänomen sehr schön und deutlich zeigte, fanden sie, daß es sich auch sonst wie ein Vanadinpentoxydsol ver- hielt; es wies Doppelbrechung beim bloßen Rühren, Schlierenbildung, Dichroismus und — im Ultramikroskop — die beschriebene Flimmer- erscheinung, diese allerdings nicht so deutlich wie die Vanadinpentoxydlösung auf, und es ließen sich mit ihm ebenfalls die weiter oben beschriebenen Versuche, die Teilchen durch Strömung oder mit Hilfe des elektrischen Stromes zu richten , aus- führen. Nur ist, vermutlich infolge des größeren Unterschiedes der magnetischen Suszeptibilität von Kolloidteilchen und Wasser, beim Ferrihydroxyd- sol die Wirkung des Magnetfeldes ausgesprochener als beim Vanadinpentoxydsol, während dieses die N. F. XV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 267 Wirkung der anderen mechanischen Kichtkräfte deutlicher als jenes zeigt. Eine weitere Analogie zeigen die am Vanadin- pentoxydsol beobachteten Ercheinungen mit den Erscheinungen der sogenannten anisotropen Flüssigkeiten. Die anisotropen Flüssigkeiten wie z. B. die Schmelzen von p-Azoxyanisol CHg-OQH,— N --N— C„H,.0-CH3 und p-Azoxyphenetol aH,.O.QH,-N N— QHi-O.QH, \o/ bestehen bekanntlich nach Vorländer aus solchen organischen .Stoffen, die nach Art und Weise der üblichen Strukturformeln dargestellt, längliche Mole- küle besitzen. An diese Entdeckung vonVorländer hat dann Böse die sogenannte Seh wärmt heorie der IHüssigkeiten geknüpft, die heute wohl als die wahrscheinlichste Theorie der Erscheinung ange- sehen werden kann. Nach Bose's .Sclnvarmtheorie haben die langgestreckten Moleküle die Neigung, sich zu Schwärmen gleichgerichteter Moleküle an- zuordnen; durch Einwirkung äußerer Kräfte könne man, so sagt Böse, alle Moleküle gleichrichten, und es verhalte sich eine derartige Schicht gleich- gerichteter Moleküle wie eine aus einem optisch einachsigen Kristall geschnittene Kristallplatte. In der Tat konnten auch Mauguin und v. Warten- berg eine derartige Richtung der Moleküle, die von dem Entdecker der flüssigen Kristalle, O. Lehmann, bereits auf mechanischem Wege erreicht worden war, mit Hilfe eines magnetischen Feldes erzielen, und zwar legten sich auch bei den von ihnen benutzten Schmelzen von p-Azoxyanisol und p-Azoxyphenetol die Moleküle in die Richtung der magnetischen Kraftlinien. Die Ähnlichkeit zwischen dem Verhalten der anisotropen Flüssigkeiten und dem des Vanadin- pentoxyds und dem des Ferrihydroxj-dsols springt in die Augen. Ein Unterschied besteht vor allen Dingen darin, daß die Vanadinpentoxydsole klare Flüssigkeiten sind, während die anisotropen Flüssig- keiten getrübt erscheinen. Dieser Unterschied dürfte indessen kaum eine grundsätzliche Bedeutung haben, denn einerseits sind ja auch die den Vana- dinpentoxydlösungen sonst so ähnlichen Ferri- hydroxydlösungen viel weniger klar als die Vana- dinpentox)'dlösungen — gerade die Ferrihydroxyd- sole, die das Majoranaphänomen besonders deutlich zeigen, sind deutlich getrübt — , und anderseits hängt die Trübung sowohl von der Konzentration der trübenden Elemente als auch von deren Größe ab. In den Vanadinpentoxydsolen sind die Teilchen offenbar klein und ihre Konzentration ist nur gering, in den anisotropen Flüssigkeiten scheinen die Molekülschwärme zwar auch verhältnißig klein zu sein, ihre Konzentration aber dürfte sehr viel erheblicher sein. Durch ihre relative Klarheit stehen also die kolloidalen Vanadinpentoxydlösungen nicht in prinzipiellem Gegensatz zu den mehr oder minder stark getrübten anisotropen Flüssigkeiten. Anhangweise sei bemerkt, daß vor kurzem von Hakan Sandqvist (Ber. d. D. Chem. Gesellsch. 48, 2054; 191 5) auch unter den Verbindungen der organischen Chemie ein Stoff aufgefunden worden ist, der eine anisotrope wässerige Lösung liefert. Es ist dies ein Abkömmling des Phen- anthrens nämlich die io-Brom-phenanthren-3 oder 6-sulfon- säure, deren wässerige Lösungen bei ganz be- stimmten, für jede Konzentration charakteristischen Temperaturen trübe werden und dann nach Unter- suchungen im Polarisationsmikroskop die Eigen- schaften einer anisotropen Flüssigkeit aufweisen. Mg. Physik. Die Röntgenröhre nach Lilienfeld be- schreibt F.J.Koch in den Fortschritten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. XXIII, 191 5. Bekanntlich werden die Röntgenstrahlen beim Aufprall der Kathodenstrahlen (Elektronen) auf den aus schwer schmelzbarem, gut gekühltem Metall hergestellten Antikathodenspiegel erzeugt. In den gebräuchlichen Röntgenröhren entstehen die Elektronen durch Ionisierung der geringen in der Röhre vorhandenen Glasmengen unter dem Einfluß der hohen Spannung. Die Härte der Röhre d. h. die Durchdringungsfähigkeit ihrer Strahlen hängt daher von der Höhe des Vakuums ab ; je größer dieses ist, desto härter sind die Strahlen. Nun ist aber das Va- kuum durchaus nicht konstant, vielmehr ändert es sich beträchtlich mit der Belastung der Röhre d. h. mit der Stärke des Stromes, der durch die Röhre geht. Ist dieser zu stark, so löst sich von den Glaswänden Gas los, das Vakuum wird schlechter und die Röhre weicher. Wird die Röhre hin- gegen zu niedrig belastet, so schlägt sie nach hart um, da jetzt Gas von den Wänden adsorbiert wird. Sie zeigt mithin nur für eine ganz bestimmte Be- lastung, bei der sich eben Gas-Ausscheidung und — Adsorption die Wage halten, eine kon- stante Härte. Der Röntgenologe ist genötigt, sich einen größeren Park von Röhren verschiedener Härte zu halten, damit er jede Durchstrahlung ausführen kann. In der Lilienfeld-Röhre werden die Röntgen- oder richtiger die Kathodenstrahlen nach einem ganz anderen Prinzip erzeugt. Die Röhre ist abso- lut luftleer, so daß eine Entladung durch sie nicht hindurch geht. Der Stromdurch- gang wird auf folgende Weise ermöglicht. Nach den Untersuchungen von Wehnelt gehen von glühenden Körpern, namentlich den Oxyden der Alkalierdmetalle, reichlich Elektronen aus. In dem unteren Teile der Röhre (siehe Abb.) ist solcher Glühdraht G angebracht. Er wird durch den Heiztransformator H (14 Volt, 4 Amp.) zum Glühen 268 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. gebracht und leuchtet wie eine Metallfadenlampe. In der Mitte der Röhre liegt die Röntgenkathode K, die mit einer achsialen Bohrung versehen ist. Ein zweiter Transformator Z, dessen Sekundär- spuhle mit K und mit G verbunden ist, liefert eine Spannung von etwa 5000 \'olt, so daß ein Strom von K nach G fließt (Zündstrom). Die Kathodenstrahlen dringen durch die Öffnung von K und machen den oberen Teil der Röhre, die eigentliche Röntgenröhre, leitend. Ein Induktor T von 30 cm Schlagweite beschleunigt die Elek- tronen, so daß sie gegen die Antikathode (zu- gleich Anode) prallen, die der wirksamen ( )ffnung der Röntgenkathode K dicht gegenübersteht. Auf dieser entsteht ein scharfer, nahezu punktförmiger Brennpunkt, von dem die Röntgenstrahlen ausgehen. Da sämtliche Kathodenstrahlen auf den Kathoden- spiegel fallen, so ist die Ausbeute an R-Strahlen beträchtlich; der Wirkungsgrad der Röhre ist groß. Die weitere angenehme Folge ist die, daß die Glaswandung gegenüber der Antikathode kalt bleibt und nicht fluoresziert, im Gegensatz zu den gewöhnlichen Röhren. Daß schon in dem Glühkathodenrohr, also zwischen K und G, Röntgen- strahlen entstehen, ist wegen der geringen Zünd- stromspannung ausgeschlossen. Durch V e r ä n d e - rung der Zündstrom stärke kann die Härte der Strahlen in sehr weiten Grenzen ver- ändert werden. Je stärker der Zündstrom, desto stärker ist die Auslösung der Elektronen und desto weicher die erzeugte Röntgenstrahlung. Abschwächung des Zündstroms erhöht den Wider- stand der Röhre, bewirkt demnach eine Erhöhung des Röntgenröhrenpotentials und damit eine Steigerung der Durchdringungsfähigkeit der Strah- lung. Der Fortschritt, den das Lilienfeld- Rohr der Röntgentechnik bringt, ist ganz außerordentlich: Eine unbeabsichtigte Zustands(l Iärte)änderung ist ausgeschlossen, gleich- viel ob die Röhre hoch oder niedrig belastet wird. Durch geeignete Einstellung des Zündstromes kann jeder beliebige Härtegrad während des Be- triebes augenblicklich eingestellt werden; z. B. kann unmittelbar nach der kontrastreichen Auf- nahme einer Kinderhand eine Dauertiefenbestrah- lung mit größter Härte vorgenommen werden. Die erzengte Röntgenlichtmenge ist proportional dem arithmetischen Mittelwert der Stromstärke, so daß eine genaue Dosierung möglich ist. Während man die Lebensdauer einer Wasserkühlröhre zu 8 bis 12 Brennstunden annimmt, ist zu erwarten, daß die neue Röhre wesentlich länger aushalten wird. Abschließende Erfahrungen liegen darüber noch nicht vor. Wahrscheinlich wird ihre Lebens- dauer nur durch die der Glühkathode (800 — lOOO Brennstunden) begrenzt. Es kommt hinzu, daß die elektrotechnische Ausführung der ganzen Appa- ratur außerordentlich einfach ist. Ein besonderer Zündstromkreis kann fehlen; man schaltet den Induktor an G und die Antikathode und legt zwischen dieser und K einen regulierbaren Hoch- spannungswiderstand, so daß eine vollkommene Neuanlage einer vorhandenen Röntgeneinrichtung nicht erforderlich ist. Die geschilderten großen Vorzüge werden der neuen Röhre sehr bald weitere Verbreitung schaffen, trotz ihres hohen Preises, der aber bei der langen Lebensdauer keine Rolle spielt. K. Schutt, Hamburg. Anthropologie. Die Eingebornen von Neu-Süd- wales. Vor einigen Jahren besuchte der österreichische Anthropologe Prof. Dr. Rudolf Pöch die Einge- bornen im Clarencebezirk in Neu-Südwales, welcher die einzige Gegend in diesem australischen Staate ist, wo noch ziemlich viele eingeborne Australier („Australneger") leben. Prof Pöch stellt nun in den Mitteilungen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft, Jahrgang 1915, vor allem einen raschen Rückgang der Zahl der Eingebornen fest, als dessen Ursachen er die Berührung mit der europäischen Kultur, die Vernichtung der eigenen Kultur der Eingebornen, und die damit zusammen- hängende vollständige Änderung der Lebensweise betrachtet. Prof Pöch sagt : „In früheren Zeiten haben Kämpfe der Einwanderer gegen die Ein- gebornen eine große Rolle gespielt, und zwar so- wohl organisierte V^erfolgungen , als auch Einzel- kämpfe. Dann brachte der Europäer viele Infek- tionskrankheiten ins Land, die den Eingebornen früher ganz fremd waren und denen sie wider- standslos erlagen. Krankheiten, die bei uns als ganz leichte Kinderkrankheiten bekannt sind, kosteten zahlreiche Menschenleben. Masern und auch Keuchhusten sind bei den australischen Ein- gebornen häufig tödlich. Für Tuberkulose sind sie sehr empfänglich, die Widerstandskraft ist eine sehr geringe. Ebenso sind alle anderen Krank- heiten der Atmungsorgane für den Eingebornen sehr bedenklich. Eine besonders verhängnisvolle Rolle spielt der Alkoholismus." Gegenwärtig ist der Verkauf alkoholischer Getränke an Eingeborne verboten, aber das Verbot wird vielfach umgangen. Überdies hat die europäische Kolonisation den Nahrungsspielraum der Eingebornen eingeengt. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 269 „Die veränderte Lebensweise allein ist für diese Menschen eine Quelle der Degeneration , weil es für sie unmöglich ist, sich den vollständig ver- änderten Bedingungen anzupassen. Nicht nur ihre ganze Lebensweise, sondern auch ihre Ernährung ist eine vollständig andere. Statt der vielen Feldfrüchte, Wurzeln, Knollen, Beeren, Grassamen usw., von welchen sie früiier lebten, ernähren sie sich heute von den Überresten des europäischen Tisches und von Mehl und Mais, die ihnen von der Regierung geliefert werden." Als ein Zeichen der eingetretenen Degeneration infoige der ver- änderten Lebensweise und des Alkoholismus faßt Prof. Pöch die Häufigkeit der Zahnkaries auf, die er auch bei reinrassigen Eingebornen von NeuSüdwales beobachtet hat. Alte Schädel, die Prof. Pöch erwarb, zeigen dagegen keine Spur von Karies. Wie bei vielen anderen Wild- oder Natur- völkern, so nimmt auch bei den Australiern die Kinderzahl rasch ab. Zahlenmäßige Angaben über die Eingebornen des Clarence-Bezirks macht Prof Pöch wohl nicht, doch führt er solche an, die von dem bekannten Völkerforscher Dr. Walter Roth im benachbarten Queensland gesammelt wurden. Die Zahl der Eingebornen, die unter Überwachung von Dr. Roth standen, und der Prozentsatz der darunter befindlichen Frauen und Kinder gestaltete sich in den Jahren 1901 — 1904 wie folgt: Eingeborne Fraueo Kinder überhaupt in % der Gesamtzahl 1901 .... 5597 39,3 16,6 1902 .... 5855 39,4 13,1 1903 .... 4500 38,7 13,9 1904 .... 7600 36,1 12,7 Als Kinder gelten Eingeborne unter 16 Jahren; diese verminderten sich , wie aus obiger Zusam- menstellung ersichtlich ist, im Laufe von 3 Jahren um 3,2''/||, die Frauen um 3,9 "/o- Prof. Pöch führt die Abnahme der Kinderzahl darauf zurück, daß „den Eltern das Aufziehen der Kinder lästig fällt; das Vergnügen und das Interesse an der Familie schwindet durch den vollständigen Zerfall der Familienorganisation, der Kindersegen erscheint nur mehr als eine Last. Die Zahl der Geburten wird künstlich herabgesetzt, und neu- geborne Kinder werden häufig getötet". Auf welche Weise die Herabsetzung der Kinderzahl erfolgt, sagt Prof Pöch leider nicht. Es kann sich jedenfalls nur um Abtreibung handeln. Aber in der Regel kennen Wildvölker wirksame Ab- treibungsmittel nicht. Auffallend ist, daß unter den Eingebornen von Neu-Südwales und Queensland sehr viele Misch- linge sind. So befinden sich, nach behördlichen Angaben, unter den 6828 Farbigen von Neu-Süd- wales 2880 Reinrassige und 3948 Mischlinge. Gleichzeitig mit der Abnahme der Reinrassigen findet eine Zunahme der Mischlinge statt. Ob dies die Folge fortsch reitend er Vermischung und geringer Fruchtbarkeit der Mischlinge ist, oder ob sich darin — bei nicht bedeutender Zahl neuer Mischehen — eine höhere Frucht- barkeit der Mischlinge ausdrückt, ist ungewiß. Prof Pöch meint, das letztere sei der Fall. Der Ref dagegen hält es für unwahrscheinlich, daß Rassenkreuzung zu gesteigerter Fruchtbarkeit führt. — Von den Mischlingen meint Prof Pöch, daß sie dank der europäischen Blutbeimischung eine größere Widerstandskraft besitzen als die reinrassigen Australier, und daß sie sich leichter dem europäischen Kulturmilieu anpassen, als die aus ihrer Wildnis herausgerissenen Ureinwohner. Über die Zukunft der Eingebornen von Australien bemerkt Prof Pöch, daß die Reinrassigen zweifel- los ganz aussterben werden; ihre letzten Reste werden in einer Mischlingsbevölkerung aufgehen. Der Eingeborne hat neben dem Europäer einen ganz enge beschränkten Wirkungskreis; er kann nur untergeordete Stellen als Diener, Hirt, Hilfs- arbeiter bei der Goldgräberei usw. in befriedigen- der Weise ausfüllen. Es nutzt nichts, den Ein- gebornen zum Ackerbau anhalten zu wollen, denn nach kurzer Zeit schon wird der nomadische Trieb wieder Herr über ihn und er läuft davon. „Immer sind es Unstetigkeit und Wandertrieb, welche bei dem australischen Ureinwohner ebenso wie bei dem südafrikanischen Buschmann die Er- folge der europäischen Erziehungsversuche wieder aufheben." Über die körperlichen Eigenarten der Plingebornen von Neu-Südwales sagt Prof Pöch, daß sich diese von anderen dunkelhäutigen Rassen durch ihre Schlichthaarigkeit am auffallendsten unterscheiden. Die Schlichthaarigkeit und der Bartwuchs geben vielen Männern bei flüchtiger Betrachtung ein überraschend europäisches Aus- sehen, unter ihrem Eindruck übersieht man im ersten Augenblick die breite Nase, den tiefliegen- den Nasenansatz, die fliehende Stirn, die breite Mundspalte, das zurückweichende Kinn usw. Es kommen jedoch unter den Australiern von Neu- Südwales auch Personen mit lockigem oder ge- kräuseltem Haar vor, obzwar in diesem Gebiet weder an polynesische noch melanesische Blut- beimischung zu denken ist. Ein bezeichnendes Merkmal der Australier sind mächtige Augen- brauenbogen, die bei manchen Männern 13 mm, oder noch mehr, über das Nasion hinausragen. Bei weiblichen Personen werden sie nie in so exzessiver Ausbildung beobachtet. Oberhalb der Augenbrauenbogen ist häufig eine deutliche Furche zu sehen. Die Augen liegen tief unter dem mäch- tigen Augenschirm, der die Augen beschattet und schützt. Die Lidspalte ist gewöhnlich mittelbreit, aber sie kann sogar sehr weit geöftnet sein. Die Pupillardistanz ist groß, die Nasenwurzel breit, die Nase im ganzen flach und breit ; alle beobachteten Personen waren chamaerrhin bis h\-perchamacrrhin. Bei Frauen kann bei kurzem, leicht konkavem Nasenrücken die Nasenspitze mit den Nasenflügeln wie knopfartig aufgesetzt sein. Bei Männern sieht die Nase, wenn der Nasenrücken gerade ist, im Profil fast europäerähnlich aus; unverkennbar sind aber die Aufblähung der Nasenflügel und die l^o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i8 runde, manchmal ebenfalls halbkugelige Nasen- spitze. Die Oberlippe ist gewöhnlich ganz gerade, mit einem verhältnismäßig schmalen Lippensaum. Die Unterlippe ist stärker gewulstet. Sehr tiefe Nasolabialfurchen sind häufig. Die Ohrmuscheln sind groß und bei den Männern mitunter sogar sehr groß. Das Ohrläppchen ist gut entwickelt und auch verhältnismäßig groß; vielfach ist das sog. Dar win'sche Höckerchen daran. Der Unter- kiefer ist breit ; das Kinn geht — wie schon be- merkt — stark zurück. Die absolute Kopflänge betrug bei den von Prof. Pöch gemessenen Männern 190 — 202 mm, die Breite 138 — 149 mm; der Längenbreitenindex schwankt zwischen 69 und 79. Die Variabilität ist also groß, doch herrscht anscheinend allgemein Schmalköpfigkeit (Dolichokephalie). Die weiblichen Schädel sind relativ breiter als die männlichen. Die Körper- größen der Männer bewegen sich zwischen 1584 und 1754 mm. Die Körperform ist schlank. Im Zustande der Wildheit scheinen dickleibige Per- sonen gar nicht vorzukommen, wohl aber finden sich solche als seltene Ausnahmen unter den Australiern , die sich ständig in der Nähe euro- päischer Siedelungen aufhalten. Die bildliche Darstellung von Eingebornen in Prof Pöch's Aufsatz läßt bei den Männern eine im Verhältnis zur Beckenbreite sehr große Schulterbreite er- kennen und die Messungsergebnisse bestätigen dies. Die Lendenlordose erscheint relativ gering. Die Schultern stehen hoch. Die Wadenmuskeln sind lang und schlank. Die Behaarung des männ- lichen Körpers ist reichlich, besonders an der Brust- und Bauchgegend. H. Fehlinger (z. Zt. im Felde). Geologie. Der Zinnerzbergbau der Provinz Yünnan. Yiinnan, die südwestlichste an Burma und Tonking grenzende der 18 Provinzen des Reiches der Mitte, war bis zum Anfang dieses Jahrhunderts wenig durchforscht, da kein schiff- barer Wasserweg zu ihr hinführte und Handels- straßen fehlten. Seit 1910 ist die Provinz durch eine von Tonking zu ihrer Hauptstadt Yünnanfu erbaute Bahn, die Chemin de fer de Tonkin et du Yünnan, an den Weltverkehr angeschlossen und das Interesse für sie, besonders bei ihren Nachbarn, den Engländern und Franzosen, er- wacht. Der enorme Erzreichtum der Provinz, namentlich an Zinn, war schon seit langem bekannt. DieHaupteinnahmequelle der Provinz bildete jedoch früher nicht der Bergbau sondern der Anbau des Mohns zur Opiumgewinnung. Als vor einigen Jahren die Bewegung gegen das Opium einsetzte und die Regierung sich gezwungen sah, den weite- ren Anbau des Mohns zu untersagen, mußte man neue Erwerbsmöglichkeiten für die 12 Millionen Einwohner der Provinz schaffen und richtete sein Augenmerk neben dem vermehrten Anbau von Tabak und Mais auf den Bergbau. Zur Unter- suchung der Erzlagerstätten berief die Provinzial- regierung den Diplomingenieur Frau lob, der die Erzvorkommen auf ihren Wert untersuchen sollte. Über seine Erfahrungen auf dieser Reise hat er in „Metall und Erz" 191 5 Heft 22 u. 23, einen Bericht erstattet, dem Nachstehendes ent- nommen ist. Die Zinnerzgruben liegen in der Nähe der Stadt Kotschiu und treten im triadischen Kalk auf, sie sind an Granit gebunden, gehören also der am weitesten verbreiteten und den größten Teil der Weltproduktion liefernden Lagerstätten- gruppe an; Frau lob konnte das Erzvorkommen auf einem Gebirgszug von 24OO m Höhe 35 km weit verfolgen. Das Erz besteht nur aus Zinnstein, meist in kleinen Kristallen unter 2 mm Korn- größe, und findet sich zusammen mit Braun- und Roteisenstein, einem zähen, roten Letten und Kalk- steintrümmern als Spaltenausfüllung. Hiernach scheint es sich um tiefgründig verwitterte Pegmatit- gänge zu handeln, deren Bestandteile sich bis auf den kaum verwitterbaren Zinnstein iu Letten um- gewandelt haben; der Braun- und Roteisenstein ist eine Umbildung aus dem Magneteisenstein des Pegmatits, oder er hat sich aus Eisenlösungen neu ausgeschieden. Die Kalksteintrümmer entstammen dem Nebengestein. Der Gehalt des Roherzes schwankt zwischen ^/^ und 10%. Neuerdings hat man auch Zinnseifen mit 15 — 20% Zinn gefunden. Das Gestein ist so lose, daß es überall mit der Hacke gewonnen werden kann ; in die unverwitterten Partien ist man noch nicht vorgedrungen. Seit mehr als 200 Jahren wird der Bergbau bei Kotchiu betrieben, ohne daß sich die Art der Gewinnung geändert hätte. Aus den kleinen und engen Schächten wird das Erz in Säcken zu Tage ge- tragen und, nachdem es auf der Halde getrocknet ist, mit Holzschlägeln zerkleinert. Dann folgt eine einfache Aufbereitung durch Schlämmen und Um- rühren mit einem Rechen und Verwaschen auf kleinen, aus Backsteinen erbauten Herden, bis das Zinn auf 20 — 30 "/^ angereichert ist. Durch Trag- tiere kommt dieses Roherz nach Kotchiu, wo mehr Wasser wie im Gebirge vorhanden ist und wird durch abermaliges Waschen zu einem fertigen Hüttenprodukt von 50 — 70^/0 Zinn. Die Ver- hüttung erfolgt, da das Erz nicht ausgeführt werden darf, nur in Kotchiu selbst, z. T. in der alten Weise in kleinen chinesischen Schachtöfen, z. T. aber auch in einem neuerrichteten modernen Werk, das mit nur deutschen Maschinen und Apparaten ausgestattet wurde; es besitzt eine neue Aufbe- reitung und arbeitet mit Flammofenbetrieb, in dem auch die in der Nähe vorkommenden schlechten Steinkohlen verwandt werden können, während man in den chinesischen Schachtöfen Holzkohlen verfeuert. Der zunehmende Mangel an letzteren hat zum Bau des neuen Werkes veranlaßt, dessen Eigentümerin, die Yünnan Tin Trading Comp, ein Unternehmen der Provinzialregierung, hoher Be- amte und Grubenbesitzer darstellt, eine halb staat- liche, halb privatwirtschaftliche Gesellschaftsform, wie wir sie auch besitzen. Die Produktion an Zinn beträgt 7000 t und ist noch sehr steigerungsfähig; dem ausgedehnten Erz- N. F. XV. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 271 gebiet steht eine große Zukunft bevor, wenn, was anzunehmen ist, die Förderung in Straits und den malayischen Staaten nachläßt. Außer Zinn finden sich in Yünnan noch reiche Lager an Kupfer, Blei und Zink, die in hergebrachter Weise von den Chinesen ausgebeutet werden. Diese verschiedenen, uralten berg- und hütten- männischen Industrien zeigen, daß die Chinesen schon lange vor uns die Gewinnung der Metalle gekannt haben. Sollte einst China von einem größeren Schienennetz durchzogen werden, so können die reichen Bodenschätze Yünnans von hoher Bedeutung für die industrielle Entwicklung des Landes werden. Zöller. Bücherbesprechungen. Stuhlmann, Prof. Dr. F., D i e M a z i g h - V ö 1 k e r. Ethnographische Notizen aus Süd -Tunesien. (Abhandlungen des Hamburgischen Kolonial- Instituts, Bd. 27.) Hamburg, Friederichsen & Co. Prof Stuhlmann unternahm im Frühjahr 191 3 eine Studienreise in Süd-Tunesien, über deren Ergebnisse er in der vorliegenden Abhandlung berichtet. „Mazigh" nennen sich die Leute, die wir nach dem Vorbild der Griechen und Araber „Berber" nennen. Sie sind die älteste uns be- kannte Bevölkerung Nordafrikas und es wird immer mehr klar, daß es sich bei ihnen um „eine ethno- graphische und kulturelle Einheit handelt , die allerdings politisch wohl nie vereint war". Ihre Sprache „Tamazight", ist von Tripolitanien bis zum äußersten Westen von Marokko verbreitet und im Süden reicht sie bis zu den Grenzen der als Tuareg bezeichneten Leute. Doch ist heute die Sprache der arabischen Eroberer weit mehr verbreitet als das Tamazight, das sich überall inselweise als Relikt der früheren Zeit vorfindet, aber nur in Marokko in großen zusammenhängenden Ge- bieten. Schon dem flüchtigen Beobachter fällt auf, daß die Mazigh Süd-Tunesiens, im Vergleich mit den Küstenbewohnern, ziemlich grobe Züge haben. Von den Bewohnern der Djerid Oasen (bei Nefta) sagt Prof. Stuhl mann, daß sie durch ziemlich niedrige und fliehende Stirne, ein wenig vor- springende Wangen, und einen großen Mund mit starken Lippen ausgezeichnet sind. „Die Zähne neigen sehr zur Karies und zeigen oft braune Streifen und Rillen. Die Leute sind hoch ge- wachsen, ihre mittlere Größe soll etwa 1,69 m sein. Es sind die richtigen Saharaleute, die wohl eine starke Beimischung von Negerblut haben. Den feinen Mediterran -Typus von Nord-Tunesien trifft man hier nur selten. Die Männer tragen Hemd und Burnus, selten Hosen, die Frauen die sog. Beduinenkleidung." Die noch weiter im Süden, in den Berggegenden lebenden Mazigh „ähneln ein wenig den Oasenbewohnern. Ihre länglichen Gesichter zeigen ziemlich hervorstehende Backen- knochen". Die Kleidung der Männer besteht hier aus Hemd und weißwollenem Manteltuch, bis- weilen einer Mütze; dazukommt dann und wann noch ein Burnus; die Füße sind der Felsen wegen immer durch Halfasandalen geschützt. Die Frauen haben das Peplumgewand und darüber ebenfalls ein Umschlagetuch. — Die Kultur des Landes ist seit der Zeit der arabischen Invasion zurückge- gangen. So blieb z. B. der reichliche Wasserlauf bei Sbeitla bis zur Franzosenzeit unverwertet. Die Reste großer Ölpressen bezeugen, daß da einst der Ölbaum in beträchtlichem Umfang gepflanzt wurde, aber heute ist weit und breit keiner mehr zu sehen. „Nicht die Veränderung des Klimas, die sich in geschichtlicher Zeit nicht nachweisen läßt, sondern das durch den Einbruch der arabi- schen Horden erzeugte Sinken des Kulturniveaus, hat diese Wandlung hervorgebracht." Durch die arabische Invasion wurden die Mazigh teils ver- drängt, teils zum Nomadenleben gezwungen. Auch im südtunesischen Berglande sind gegenwärtig nur mehr wenige Ölbäume zu finden ; hier erhielten sich zwar die seßhaften Ureinwohner, aber ohne neue Befruchtung von außen, von der Ebene her, sank auch da das Kulturnivcau , der Landbau wurde zwar nicht aufgegeben, jedoch die Sorge für die Baumkullur schwand immer mehr. Die echte Sahara beginnt in Tunesien südlich von Metlaoui : Eine weite wellige, mit sehr wenig Gestrüpp und spärlichen Kräutern bestandene Ebene. Die Siede- lungen im Bereich der Wüste sind an das Vor- handensein von Quellen gebunden. Besonders reichhaltige Quellen kommen beiderseits aus dem Fuße der niedrigen Bodenwelle, welche den Schott el Gharsa vom Schott el Djerid trennt. Die Quellen sind durch horizontal angeordnete flache Gräben geschützt, die verhindern sollen, daß bei den wolkenbruchartigen Regen die zu Tal gerissenen Erdmassen die Quellen verschlam- men. Dattelpalmen sind in den Oasen dieses Gebiets die auffälligsten und wichtigsten Frucht- bäume. „Ist ein Besitzer wohlhabend, so pflanzt er zwischen den Palmen nicht viel anderes, da sie so die besten Erträge geben ; meist aber wird der Boden sehr ausgenützt, indem alle erdenklichen PVuchtbäume, wie Mandeln, Granaten, Feigen, Aprikosen usw. dazwischen gepflanzt werden; außerdem wird als dritte Kulturgattung Gemüse vieler Sorten, ja auch Gerste gebaut. Eine Üppig- keit sondersgleichen herrscht in diesen Oasen- gärten." Neben den üblichen Häusern aus Lehm- ziegeln werden auch Erdhöhlen als Wohnungen benutzt. In dem Orte Sened und in dessen Um- gebung wohnen noch viele Leute in Felshöhlen ohne Vorbau. Bei Zafrane, südlich von Nefta, sowie bei Gafsa, fand Prof. Stuhlmann Kiesel- artefakte. Bei dem letzteren Ort sind die un- zweifelhaft bearbeiteten Kiesel besonders zahlreich. Sie wurden seinerzeit schon von Seh wein furth beschrieben. „Mit einer grenzenlosen Material- verschwendung und in unendlichen Zeiträumen müssen Menschen hier gearbeitet haben, so daß ihre Werkzeuge, oder die Abfälle bei deren Her- 2; 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Stellung, in einer geologischen Schicht wie zahl- reiche Fossilien liegen können." In besonderen kurzen Abschnitten behandelt Prof. Stuhlmann den Pflug und andere Acker- geräte der Mazigh, Bäckerei, Ölpresse, Wasser- hebewerk, Schmiede, Weberei, Siebweberei, Wetter-Mouatsübersicht. Auch im vergangenen März herrschte trübes, nebeliges Wetter in Deutschland bei weitem vor, er war jedoch viel trockener als die beiden ersten Monate des Jahres. Die Tem- peraturen waren anfangs ziemlich niedrig ; während der Nächte SßirffereXemp.erafuren einiger ©rfe im SRär^l91G. irlVelterbureau. herrschte in den meisten Gegenden gelinder Frost und auch in den Mittagsstunden blieb das Thermometer an den meisten Urten unter lo, im Osten sogar an vielen unter 5" C. Erst etwa seit dem 10. März wurde es allmählich wärmer. Kurz vor Mitte des Mon.ats wurden in Mittel- und Süddeutschland, etwas später im Nordwesten 15° C überschritten, am 13. stieg das Thermometer in Posen, am 14. in Frankfurt a. M. , am 15. in Bamberg bis auf 18, am ig. in Trier und am 20. in Cleve bis auf 21° C. Bald darauf stellte sich unter zahl- reichen Gewittern ein sehr empfindlicher Käherückfall ein. Im größten Teile Norddeutschlands kamen wieder Nachtfröste vor, die stärksten im Küstengebiete, wo es in der Nacht zum 23. Memel auf 9, am 25. nachts Flensburg auf 8" C Kälte brachte, jedoch erfolgte schon nach wenigen Tagen ein neuer Übergang zu milder Witterung, mit der der Monat allgemein endigte. Im Monatsmittel war es überall wärmer als gewöhnlich. Der Überschuß war zwar in Nordwestdeutschland sehr gering, erreichte aber östlich der Elbe und im Süden 1 bis 2, in Schlesien und Posen sogar 2 bis 3 Celsiusgrade. Dagegen fehlte es, namentlich dem mittleren Norddeutschland, in augen- fälligem Maße an Sonnenschein. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne im ganzen an nicht mehr als 56 Stunden geschienen, während hier in den 24 früheren Märzmonaten durchschnitt- lich 104 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Trotz der starken Bewölkung waren ergiebigere Nieder- schläge im vergangenen Monat nur selten. Zwar fanden in seinen ersten beiden Wochen in ganz Deutschland ziemlich zahlreiche Regen- und Schneefälle statt, ihre Stärke war je- I'lechten und Mattenweben, Brettchenweberei, Kleidung, Wohnung usw. Dem Texte beigedruckt sind 18 Figuren; außerdem schmücken das Buch 2 farbige und 8 schwarze Tafeln in vorzüglicher Ausführung. H. Fehlinger.j doch im allgemeinen gering. Allein um im oberen und mittleren Rheingebiet, Provinz und dem Königreich Sachsen, beiden Seiten der Oder größere Schneen für einige Tage Schneedecken von i bis hinterließen. jBiedl"erp'c^raC5<^Iiö^en im ^är 1 Ä s: < ü i: m Q CO z: 2: li Li: m z: ^ 1916. 3 "" Mittlerer Wert für Dculschland. MonalssummcimHarz HJ6. 15. It. 13, 12. II. L 1.bis13.März. 11 Vom 14. bis 21. März war das Weiler überwiegend trocken und in Süddeutschland vielfach heiter, während im Norden, besonders an der Küste, der Himmel noch größtenteils mit Nebelgewölk bedeckt blieb. Seit dem 21. nachmittags fanden in West- und Mitteldeutschland wieder ausgedehntere , an vielen Orten von Gewittern eingeleitete Kegenfälle statt, die sich allmählich nordostwärts weiterverbreiteten und in den nächsten Tagen öfter mit Schnee- und Hagel- oder Graupel- fällen abwechselten. Aber noch vor Ende des Monats ließen sie in den meisten Gegenden nach. Die Monalssumme der Niederschläge belief sich für den Durchschnitt aller berichten- den Stationen auf 36,6 mm und war um 10,4 mm kleiner als die Summe, die im Mittel der letzten 25 Märzmonate von den gleichen Stationen gemessen worden ist. Die allgemeine Druckverteilung in Europa änderte sich während des diesjährigen März von einem Tage zum andern meistens nur sehr wenig. Zwischen der skandinavischen Halb- insel und Nordrußland wanderte ein barometrisches Maximum vielmals hin und her, während Südwesteuropa gewöhnlich von einem ausgedehnten Tiefdruckgebiet eingenommen wurde, von dem einzelne Teile nicht selten bis in die Mitte Europas vor- zudringen vermochten. In Deutschland herrschten demgemäß während des größeren Teiles des Monats östliche und nord- östliche Winde von mäßiger Stärke vor. Erst als am 24. März ein tieferes Minimum vom Atlantischen Ozean herannahte, trat eine sehr milde Südströmung ein , die vorübergehend durch starke, stellenweise stürmische Südwestwinde abgelöst wurde. Dr. E. Leß. Inhalt: Hermann Schelenz, Geschichtliches über den Naturselbstdruck. S. 257. Fritz Hultenlocher. Von der Raupe des Seidenspinners. 4 Abb. S. 262. — Einzelberichte: J. Loeb, Über die Giltigkeit des Gesetzes von Bunsen-Roscoe für die phototropischen Reaktionen bei Tieren. S. 264. Wietfeld, Nachtblindheit (Hemeralopie). S. 264. H. Diessel hörst, H. Freundlich und W. Leonhardt, Die Doppelbrechung von kolloidalen Vanadin- pentoxydlösungen. I Abb. S. 265. F. J. Koch, Die Röntgenröhre nach Lilienfeld. I Abb. S. 267. Rudolf Pöch, Die Eingebornen von Neu-Südwales. S. 268. Fraulob, Der Zinnerzbergbau der Provinz Yünnan. S. 270. — Bücherbesprechungen: F. Stuhlmann, Die Mazigh-Völker. S. 271. — Wetter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 272. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 7. Mai 1916. Nummer 19. Neuere Forschungen über die Chemie und Physiologie der Fette. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Egon Eichwald (Halle a. S.). Während die Chemie des Eiweißes und der Kohlehydrate dauernd auf das lebhafteste bearbeitet und mit ständig wachsendem Erfolg auf die Physiologie und Pathologie angewendet wurde, ist die Chemie und im Zusammenhang damit die Physiologie der Fette erheblich weniger gefördert worden. Der Grund dafür war die scheinbar klarere Sachlage auf diesem Gebiete. Seit den ersten aufklärenden Arbeiten Chevreul's und den etwa 40 Jahre später erfolgten Synthesen Berthelot's ist lange Zeit hindurch überhaupt kein weiterer Fortschritt in der Chemie der Fette getan worden. Erst, als man erkannte, daß die physiologisch vorkommenden Fette durchaus nicht immer als einfache Triglyzeride anzusehen sind, sondern daß vielfach gemischte Triglyzeride sich isolieren lassen, wurde es notwendig, die Unter- suchung der F'ette neu aufzugreifen. Eine Reihe von Forschern beschäftigte sich damit, solche ge- mischte Fette aufzufinden und auch synthetisch darzustellen, wobei man vor allem Gewicht darauf legte, Fette von bestimmter Konstitution zu ge- winnen, bei denen sich genau zeigen ließ, an welcher Stelle des Glyzerinmoleküls die ver- schiedenen Fettsäuren gebunden waren. Gleichzeitig fast mußte sich ein anderes Problem erheben, das physiologisch und chemisch von er- heblich größerer Bedeutung war: Das der optisch- aktiven Fette. Das Studium der Kohlehydrat- und der Eiweiß-spaltenden Fermente hatte die Be- deutung der optisch aktiven Verbindungen in der Natur zur Genüge kennen gelehrt. Auch vorher hatte es natürlich schon die Aufmerksamkeit er- regt, daß in der Mehrzahl der Fälle nur die eine der beiden möglichen optisch aktiven Verbindungen, die rechts- oder die linksdrehende, sich als Neben- produkt vorfand, während die andere Komponente nur durch häufig sehr umständliche Verfahren darstellbar war. So z. B. die d-Glukose, deren Antipoden, die 1-Glukose, E m i 1 F i s c h e r in außer- ordentlich mühsamer Synthese gewonnen hat, so auch z. B. aus dem Gebiet der Eiweißchemie das d-Alanin, dessen Antipode durch Aufspaltung des formylierten Racemkörpers mittels Brucin erhältlich ist. Die wahre Bedeutung der optisch-aktiven Verbindungen erhellte jedoch erst, als man sah, daß die Fermente in hohem Maße spezifisch auf ihre Substrate eingestellt sind, und daß z. B. die a CH.Xl + CH3(CH..),eC°K„ I ' ß CH-OH y CHjOH in der Hefe enthaltene Zymase wohl die natür- liche d-Glukose, nicht aber die 1-Glukose in Alkohol und Kohlensäure -zu spalten vermag. Ähnliches ergab sich allgemein auch für die Eiweiß spaltenden Fermente, die Peptasen. E. F"i scher und E. Abderhalden haben nachgewiesen, daß solche Polypeptide, in denen die natürlichen Amidosäuren als Bausteine vorkommen, durch die Fermente des Magen- und Darmsaftes gespalten, solche, in denen die künstlich gewonnenen Antipoden vorkommen, jedoch nicht gespalten werden. P'ür die große Gruppe der fettspaltenden Fer- mente, dieLipasen, waren ähnliche Versuche deshalb bisher nicht möglich, weil es in der Natur keine optisch-aktiven Fette gab, wenigstens nicht in dem hier in Betracht kommenden Sinn. Fette, in denen die Säuregruppen aktiv sind, gibt es allerdings z. B. das Rhizinusöl, sowie einige wenige indische Pflanzenöle. Physiologisch haben diese Fette jedoch nur geringe Bedeutung, da im allgemeinen nur optisch inaktive Säuren, wie Ölsäure, Stearinsäure, Buttersäure usw. in den Fetten vorkommen. Um so interessanter aber mußte es sein, optisch aktive Fette zu gewinnen, die im Glyzerinmolekül aktiv sind, also z.B. folgende Konstitution haben: CH, CH I CH,, C8(CH2)-CH3 C8(CH,)-CH3 Co(CH2),«CH8. Das mit + bezeichnete Kohlenstofifatom ist asymmetrisch. Bevor wir die Methoden besprechen, wie es gelungen ist, solche P'ette darzustellen, müssen wir uns darüber orientieren, nach welchen Verfahren man überhaupt Fette bestimmter Kon- stitution gewinnt. Synthese von Fetten bestimmterKon- stitution und Konfiguration. Die hierfür verwendeten Methoden sind haupt- sächlich von G u t h , sowie von Grün und seinen Mitarbeitern entwickelt worden. Das wichtigste Verfahren bedient sich der halogensubstituierten Glyzerine, aus denen das Halogenatom durch Er- hitzen mit dem Silber- oder Alkalisalz einer Fett- säure entfernt und durch Fettsäure ersetzt wird. Z. B. erhält man aus a-Mono-Chlorhydrin mittels Natriumstearat das ß-Monostearin : CH.,.C8lCH.,),eCH3 = CH-OH CH,OH + NaCl. 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 Hier hat natürhch die eintretende Stearinsäure den Platz besetzt, den vorher das Chlor inne hatte, so daß über die Konstitution a CH,Br I ß CHBr - des gewonnenen C8Na(CH2),CH, y CH2OH Dibromhydrin Fettes kaum ein Zweifel herrschen kann. Ähn- lich liegen die Verhältnisse, wenn man von a-ß- Dibromhydrin ausgeht: CHj • CovCHojäCHg I C8Na(CH.)2CH3 = CHXSiCROäCHg + 2 NaCl. I CH.OH a-/3-Dibutyrin gruppen mittels Säurechlorid beliebige F"ettsäuren einführt, z. B. in a-Monostearin zwei Buttersäurereste ; Zu Triglyzeriden gelangt man dann sehr ein fach, indem man in die noch freien Hydroxyl CH, . C8(CH,)i«CH, CH,C8(CH,)ieCH3 CH • OH +2 CH3(CH„).,Ca = CH2C8(CH2)2CH8 + 2 HCl. I ■ I , CH,OH CHj-CoCCHa^aCHg a-Monostearin Buttersäurechlorid a-Stearo-jS-y-dibutyrin Abgesehen von dieser Methode, die von den Halogenhydrinen ausgeht (so bezeichnet man all- gemein die Halogensubstitutionsprodukte des Glyzerins), hat Grün noch ein zweites Verfahren gefunden, nach welchem man a-y substituierte a CR^-O-SOgH /9 CH-OH +2CH3(CH2)i6C8h I y CH2— O-SOgH Auch hier läßt sich dann das /9-Hydroxyl durch irgendein beliebiges Fettsäurechlorid verestern. Wir werden bald sehen, daß dieses zweite Ver- fahren wertvoller ist als das erste, weil die Re- aktion sich bei tieferer Temperatur vollzieht. Bei der ersten Methode bedarf es einer Temperatur von ca. 130'', häufig 150" und mehr, so daß Um- lagerungen nicht ausgeschlossen sind. Fi der Tat ist es nicht möglich, dieses Verfahren bei optisch- aktiven Substanzen anzuwenden, da infolge der hohen Temperatur stets die optische Aktivität zer- stört wird. Bereits Grün hatte beabsichtigt, optisch-ak- tive Fette darzustellen, ohne daß es ihm glückte, einen Weg dazu aufzufinden. Abderhalden undEichwald') erreichten die Synthese auf folgen- dem Wege. Sie gingen aus von Allyl-Senföl, aus dem sie durch Verseifen AUylamin darstellten. Hieran lagerten sie Brom und erhielten Dibromallylamin. C=N=S CH.,NH, CH^NH., I I I ' CHj Verseifen CH + Brom CHBr II > II > I CH2 Cflj CH^Br. AUylsenföl AUylamin Dibromallylamin. Dieses Amin, das in sehr großen Mengen dar- Fette gewinnt. Wird nämlich ein Gemisch von Gh'zerinschwefelsäure mit Fettsäure mehrere Stunden auf ca. 70" erhitzt, so treten die Fett- säuremoleküle in die a- und y-Stellung des Gly- zerins: a CH2C8(CH2),oCH3 I = ß CH— OH +2H.jS0,. I y CH2.C8(CH„)i„CH3 a-;'-Distearin stellbar ist, läßt sich nun leicht mittels d-Wein- säure durch häufiges Umkristallisieren des wein- sauren Salzes in die optischen Komponenten spalten. Das schwer lösliche Salz liefert die rechts- drehende Verbindung. Durch Behandeln mit salpetriger Säure erhält man daraus das d- Dibrom- hydrin : CRNH, i + CH.Br +HNO„ I CH„Br CH„OH I = -{-CH-Br +N3 + H2O. CH,Br d-Dibromhydrin Mit der Darstellung dieses Körpers in optisch- aktivem Zustand schien die Synthese der optisch- aktiven Fette gelöst. Man brauchte ja nur die beiden Bromatome durch Fettsäuren zu ersetzen, um zu aktiven Diglyzeriden zu gelangen. Leider zeigte sich, daß hierbei, wie bereits oben erwähnt, vollkommene Inaktivierung eintritt. Der Grund lag augenscheinlich in der zu hohen Reaktions- temperatur. Es galt deshalb, vom aktiven Dibrom- hydrin aus durch gelindere Verfahren zu Fetten ^) Berichte der deutsch. Chem. Gesellsch. 47. 1856. 47. 2880. [1914]. 48. 113. 48. 1847. [igiS]' N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 275 zu gelangen. Dies erwies sich schließHch als durchführbar nach folgender Methode: Mittels wässerigen Kalis wurde aus dem Dibrom- h)-drin ein Molekül Bromwasserstoff abgespalten und die zyklische Verbindung Epibromhydrin ge- wonnen. Diese Substanz lagert in sehr gelinder Reaktion Ameisensäure an, und bildet dabei den Diformylester des Monobromhydrins. Hieraus lassen sich die Ameisensäuregruppen leicht ent- fernen, und es resultiert Monobromhydrin, das ebenso wie alle früheren Verbindungen, optisch- aktiv ist. CHoBr I CHBr I CH2OH Dibromhydrin Einwirkung von KOH CHgBr I CH , CH./ Einwirkung von Ameisensäure > und Entfernen der Ameisen- CH„Br 1 CHOH CH,OH Epibromhydrin Man ist so bereits sehr nahe an das Glyzerin selbst gekommen. Glyzerin aber ist symmetrisch gebaut, und die Schwierigkeit der weiteren Synthese lag gerade darin, daß man optisch-aktive Derivate einer Verbindung herstellen wollte, die selbst in- folge ihrer Symmetrie nicht aktiv sein kann. Auf zweierlei Art ließ sich die Schwierigkeit über- winden. Zunächst spalteten wir nochmals Bromwasser- stoff ab und erhielten aktiven Epihydrinalkohol: sauregruppen Monobromhydrin CH.j-Br I Einwirkung CH-OH > I von KOH CH„ I CH CH2 I CH \. CH.,OH Epihydrinalkohol Ein anderer Weg besteht in der Addition von Ammoniak an Epihydrinalkohol. Hierbei entsteht aktives Aminoglvzerin. CH.,, ^O + NH3 I CH I CHo CH2OH ^^'' CH„OH Monobromhydrin Epihydrinalkohol Dieser Alkohol lagert unter Aufspaltung des Ringes leicht niedere Fettsäure an und bildet daher «-Monoglyzeride. Man erhält so z. B. aktives a-Monobutyrin : CHo • Co(CH2)2CH.^ I + CH3(CH,,),,CoH = CH-OH +H2O. CHjOH aktives a-Monobutyrin In diesem Aminoglyzerin kann man die beiden Hydroxylgruppen mit Schwefelsäure und Fettsäure verestern. Entfernt man darauf die Amidogruppe mittels salpetriger Säure, so erhält man aktive Diglyzeride z. B. Dibulyrin: ■ OH CH.,NH, I CH-OH I CH2OH CH.,.NH, I CH-OH I CH2OH aktives Aminoglyzerin CH2NH2 ;restern | mit Buttersäure > CH.C^(CH2),CH3 I CH.,.C8(CH5,)2CH3 Behandeln mit salpetriger Säure CH2OH I CH-Cg(CH2).,CH3 CH2.C§(CH2)2CH8. aktives Dibutyrin. Das aktive Dibutyrin zeigte eine spezifische Drehung von iiio". Die bisher dargestellten Triglyzeride haben eine äußerst geringe Drehung. Optische Umkehrungen im 3-Kohlen- stoffsystem. Wir müssen noch etwas länger bei den rein chemischen Betrachtungen verweilen, da nur so ein volles Verständnis der physiologischen Folge- rungen möglich ist. Die Bedeutung der optischen Aktivität tür die Einwirkung der Fermente ist oben bereits dargelegt worden. Es ist nun inter- essant, daß man bei den Fetten nicht in dem sonst üblichen Sinne von einer Konfiguration sprechen kann. Um die Zugehörigkeit der ak- tiven Verbindungen zueinander deutlich zu machen, hat Emil Fischer das sogenannte gene- tische System eingeführt, d. h. er bezeichnet eine Substanz als rechts- oder linksdrehend nicht nach ihren wirklichen, häufig mit dem Lösungs- mittel auch dem Vorzeichen nach wech- selnden Drehungsvermögen, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu einem be- stimmten Ausgangsmaterial z. B. der d-Glukose. Auf diese Weise werden viele Körper als dextrogyr bezeichnet, die in Wahrheit links- 276 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr drehend sind, aber von der d-Gluio CH ' I CH,OH Einwirkung von > Buttersäure d-Epihydrinalkohol CHo • Co(CHo)2CH3 I CH-OH I CH,OH 1-Monobutyrin CH,.C8(CH,),CH3 I CH • Co(CH2)2CH3 I CH„OH 1-Dibutyrin. CHj I CH CH.,OH Einwirkung von d-Epihydrinalkohol CHoNH, I CH-OH — 1 CH2OH 1-Aminoglyzerin CHjOH I -> CH-CgCCHJaCHa I CH2-C8(CH2)3-CH3 d-Dibutyrin. Beide Dibutyrine sind praktisch auf etwas ab- weichendem Wege dargestellt worden, der von Wichtigkeit ist, weil er eine sehr einfache op- tische Umkehrung innerhalb des 3-Kohlensystems bedeutet. Lagert man nämlich an d Epibrom- hydrin Salzsäure an und behandelt das entstandene Produkt mit wässeriger Kalilauge, so erhält man ohne weiteres 1-Epichlorhydrin: CH,Br ^ , CH,Br I Anlagen 1 " CH. ^°" CH-OH I )0 ~^ I CHä / CH^Cl d-Epibromhydrin Abspalten 1 ^\ ^°" . CH / I CHXl HBr -Epichlorhydrin Daß dies Epichlorhydrin der Antipode des Epibromhydrins ist, ließ sich nachweisen durch Überführen beider Verbindungen in Aminoglyzerin auf dem oben geschilderten Wege: Es entstehen die beiden entgegengesetzten Aminoglyzerine. Physiologische Folgerungen. Wir wollen jetzt sehen, welche physiologi- schen Folgerungen sich aus den mitgeteilten chemi- schen Resultaten ziehen lassen. Wir sahen, daß die aktiven Fette nicht gene- tisch zu einer bestimmten anderen Verbindung in Beziehung gesetzt werden können, sondern sich aus einem bestimmten Ausgangsmaterial beide Konfigurationen bilden können. Obwohl nun also ein Fett sich im Organismus z. B. aus aktiven Kohlehydraten ableitet, wird dennoch kein aktives, sondern inaktives Fett entstehen, da eben beide Konfigurationen sich wahrscheinlich nebenein- ander bilden. (Ganz abgesehen von dem mög- lichen Auftreten von inaktivem Glyzerin als Zwischenprodukt.) Es erhellt daraus, weshalb bisher noch keine im Glyzerin aktiven P'ette in der Natur gefunden wurden und aller Wahr- scheinlichkeit nach auch nicht gefunden werden. In Übereinstimmung steht dies auch mit der physiologischen Natur der Fette. Eiweiß und Kohlehydrate sind Bestandteile der lebenden Ma- terie, die Fette jedoch haben, soweit bisher be- kannt ist, die Rolle von Reservestoffen, die nicht an dem eigentlichen Lebensprozeß beteiligt sind. Es entspricht ganz dieser Rolle, wenn die Fette im Gegensatz zu Eiweiß und Kohlehydraten in- aktiv sind und nicht so vollkommen wie diese an den Organismus angepaßt sind, sondern mehr ein totes, jederzeit zur Verfügung stehendes Material darstellen, das an leicht zugänglichen Stellen im Organismus aufgestapelt wird. Natürlich können bei dieser Sachlage auch die Lipasen nicht spe- zifisch auf eine der beiden Konfigurationen einge- stellt sein. Es sind nichtsdestoweniger noch zahlreiche Schwierigkeiten in der Physiologie der Fette zu überwinden, bevor sich ein klares Bild des Fett- stoffwechsels darbietet. Zunächst liegen einige Angaben dafür vor, daß man nicht alles Fett ein- fach als Reservematerial, das nicht am Lebens- prozeß teilnimmt, auffassen kann. Es scheint, daß man zwischen Depot fett und zelleigenem Fett unterscheiden muß, ebenso wie man bei den Eiweißkörpern zwischen artfremdem und art- eigenem Eiweiß unterscheidet. Beim Eiweiß hat Abderhalden wahrscheinlich gemacht, daß eine vollständige, zum wenigsten aber weitgehende Spaltung des Eiweiß in seine Bausteine innerhalb des Magen- Darmkanals stattfindet und aus den Bruchstücken des artfremden Eiweiß jenseits der Darmwand das arteigene Eiweiß aufgebaut wird. Auch wenn artfremdes Eiweiß in die Blut- bahn injiziert wird, findet Aufspaltung statt, in- dem sich Abwehrfermente bilden, ein Ergebnis, auf dem weiter bauend, Abderhalden eine Frühdiagnose der Schwangerschaft gegründet hat. Es würde zu weit führen, hierüber eingehend zu berichten. N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 277 Ob nun auch beim Fett eine totale Aufspal- tung vor der Resorption eintritt, ist trotz zahl- reicher, dahin zielender Versuche noch nicht hin- reichend entschieden. Sehr dafür spricht der Be- fund von Argyris undFrank, daß verfütterte Monoglyzeride im Chylus als Triglyzeride wieder auftreten, aber es wäre immerhin an eine ein- fache Einlagerung von Fettsäuren zu denken. Irgendein entscheidendes Ergebnis ist über diese Frage noch nicht gewonnen worden, wohl aber ist gewiß, daß von einer gänzlichen Umschmel- zung artfremden Fettes keine Rede sein kann. Bereits M u n k hat gezeigt, daß das Depotfett der Tiere sich je nach der Art des verfütterten Fettes ändert. Auch das Fett der Milch sowie das Bürzeldrüsenfett der Vögel nimmt den Cha- rakter des verfütterten Fettes an. Daß aber außerdem noch ein arteigenes Fett zu berück- sichtigen ist, geht aus Versuchen von Abder- halden und Brahm hervor. Zuvor müssen wir einen höchst eigenartigen Vorgang besprechen, der zuerst vonConnstein und Michaelis untersucht wurde: Die „Mas- kierung" der Fette im Blute. Wenn man F"ett in Blut suspendiert, so findet man, daß sehr bald ein großer Teil des I-^ettes verschwindet und nicht mehr mit Äther zu extrahieren ist. Mansfeld hat gezeigt, daß hierbei wahrscheinlich eine Ver- einigung von Fett mit Eiweiß stattfindet, und dieses Additionsprodukt unlöslich in Äther ist. Durch Kochen mit Salzsäure wird daraus wieder Fett abgespalten, das dann mit Äther extrahiert werden kann. Diese Additionsprodukte spielen nun eine große Rolle in der neueren Physiologie der Fette. Wir müssen uns dabei jedoch stets gegenwärtig halten, daß es sich in chemischem Sinne keines- ' wegs um wohldefinierte Substanzen handelt. Nach- gewiesen ist nur, daß Fett verschwindet und durch Hydrolyse mit Salzsäure wieder zum Vorschein gebracht wird. Die auf diese Art verschwundenen Fette sind nun in höherem Grade arteigen als die Depotfette. Abderhalden und Brahm') haben Hunde mit Hammeltalg gefüttert und nach längerer Fütterung die Depotfette sowie die nach der Hydrolyse wieder erscheinenden Fette unter- sucht. Es zeigte sich, daß das Depotfett den Charakter des verfütterten Fettes angenommen hatte, das maskierte Fett jedoch war das alte ge- blieben. Auch zur Erklärung von pathologischen Er- scheinungen des Fettstoffwechsels wird neuerdings gerne die Maskierung des Fettes herangezogen. Es ist seit langem bekannt, daß zahlreiche Ur- sachen zu einer Verfettung der Leber führen, vor allem Vergiftungen mit Phosphor und Arsen. Man war früher der Ansicht, daß unter der Einwirkung des Giftes sich aus Eiweißstoffen Fett bilde. Nun ist aber, wie genaue Bestimmungen ergeben haben, der Gesamtgehalt des Organismus an Fett infolge 1) Zeitschr. f. Chemie 65. 330. (19Q9). der Phosphorvergiftung keineswegs erhöht worden' Auch wird hierbei, falls man die Depots mit einem artfremden Fett anfüllt, dieses I-'ett in großen Mengen in der Leber wieder gefunden, während es vor der Vergiftung sich dort nur in kleinen Mengen befand. Man faßt deshalb den Vorgang heute vielfach so auf, daß infolge der Vergiftung eine Erhöhung des Fettstoffwechsels eintritt und der Leber, dem Zentralorgan für die Verarbeitung der Stoffwechselprodukte, große Mengen mobili- sierten Fettes zugesandt werden. Immerhin ist es jedoch auch möglich, daß durch das Gift eine Zersetzung der Eiweiß-Fettverbindung eintritt und demnach neben der Infiltration der Fette in die Leber gleichzeitig ein Neuerscheinen von gebun- denem Fett, eine sog. Fettphanerose stattfindet. Sehr für diese Möglichkeit spricht auch eine am isolierten Säugetierherzen gemachte Beobachtung von Cesaris-Demel. Hier kann, da das Herz außer Zusammenhang mit dem übrigen Organis- mus steht, von einer Infiltration des Fettes keine Rede sein. Trotzdem tritt durch Vergiftung mit Phosphor Fettbildung ein, d. h. das Erscheinen des Fettes ist in diesem Falle ein echter Ent- artungsvorgang. Die Probleme liegen bei physiologischen Fragen häufig so, daß man nicht imstande ist, sich für die eine oder andere Lösung zu entscheiden, son- dern daß je nach den Umständen mehrere Er- klärungsweisen in Betracht kommen. Sehr wider- spruchsvoll ist auch die neuere Literatur über die Rolle der Pankreasdrüse für die Fettverdauung. Bereits im Magen setzt eine geringe Verdauung der Fette ein. Man hat dies früher vielfach be- zweifelt, heute jedoch ist durch Michaelis und Davidson sicher festgestellt, daß von der Magen- schleimhaut eine Lipase ausgeschieden wird, die von der Pankreaslipase verschieden ist. Die Pan- kreaslipase hat das Optimum ihrer Wirkung in alkalischer, die Magenlipase in saurer Lösung. Für die Pankreaslipase ist weiter von Interesse, daß sie durch die Galle und zwar im besonderen durch die Gallensalze in ihrer Wirkung gefördert wird. Solche Aktivierungen finden sich auch bei anderen Lipasen, so z. B. bei der Rhizinus- lipase, deren Wirkung erhöht wird durch Zusatz geringer Säuremengen, sowie vor allem durch Mangansalze. Man macht hiervon im größten Maßstabe in der Technik Gebrauch bei der fer- mentativen Aufspaltung der Fette. Daß die Pankreasdrüse eine echte Lipase an den Darm abgibt, steht außer Zweifel. Es haben aber manche Forscher, einer modernen Strömung in der Physiologie folgend, auch die Ansicht aus- gesprochen, daß von der Pankreasdrüse ein inneres Sekret an das Blut abgegeben würde, daß zu der Fettspaltung, nach anderen zu der Fettresorption in Beziehung stehe. Es gibt zahlreiche Drüsen im Organismus, die solche innere Sekrete abgeben, vor allem die Keimdrüsen, die Nebennieren und die Schilddrüse. Für die Pankreasdrüse ist dies bestimmt der Fall hinsichtlich des Kohlehydrat- 278 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Stoffwechsels. Durch die totale Exstirpation der Drüse tritt nämlich sofort Zuckerkrankheit ein. Wird jedoch ein noch so winziges Stück der Drüse unter die Haut verpflanzt, so bleibt die Erkrankung aus. Man hat dies durch die Annahme erklärt, daß der Überrest der Drüse ein Sekret an das Blut abgibt, das vollkommen die von der unversehrten Drüse ausgeschiedenen Sekrete ersetzt. In der Tat tritt sofort Zuckerausscheidung im Harn ein, wenn man durch eine leichte Operation das in die Bauchwand eingenähte Drüsenstück entfernt. Richtet man bei den gleichen Operationen sein Augenmerk auf den Fettstoft'wechsel, so findet man, ') daß , solange der Rest der Drüse sich in der Haut befindet, die Fettverdauung kaum ge- stört ist. 75 "/„ des verfütterten Fettes werden verdaut. Nach 3 Wochen wurde das Pankreas- segment aus der Haut weggenommen. Es trat sofort 6 "/o Zucker im Harn auf. Die Fettresorp- tion wurde erst allmählich gestört und sank nach einer Woche auf 50 ''/„, darauf auf 20 — 30 %. Nach einigen Wochen stieg die Fettverdauung wieder an. Während Lombroso, sowie Fleck seder der Ansicht ist, daß hier ein für die Fettverdauung bedeutsames inneres Sekret der Pankreasdrüse in Frage kommt, setzt Jansen mit größerem Recht die beschriebenen Erscheinungen zu der Änderung des Kohlehydratstoffwechsels in Beziehung. Wie stets beim Diabetes, steigt der Fettstoffwechsel an. Solange die Depots hinreichend Fett ent- halten, bleibt das Nahrungsfett schlecht ausgenutzt. Erst wenn die Depots erschöpft sind, wird das Nahrungsfett wieder stärker resorbiert, soweit der Organismus überhaupt hierzu ohne Mitwirkung der Pankreasdrüse befähigt ist. Wir müssen es uns versagen, näher auf die Organlipasen sowie auf die im Blut zirkulierenden Lipasen einzugehen. Unsere Betrachtungen über die neueren Forschungen der Physiologie der Fette wären jedoch unvollkommen, wenn wir nicht wenigstens kurz die Umwandlungen und die Entstehungsweisen der Fette im Organismus be- handeln wollten. Abbau und Aufbau der Fette im Organismus. Früher begnügte man sich bei dieser Art von Stoffwechselproblemen mit einer sehr summarischen Beantwortung. Man untersuchte, ob Fette in Kohlehydrate und Eiweiß verwandelt werden kön- nen und umgekehrt, ob aus verfütterten Kohle- hydraten und Eiweißstoffen sich im Organismus Fette bilden. Die hierbei angewendete Methode war die des Stoffwechselversuchs unter genauer Verrechnung der Kohlenstoff- und Stickstoff- einnahme und -Ausgabe. Betreffs der Fette fand man so, daß sie leicht aus Kohlehydraten gebildet werden. Ob sie auch aus Eiweiß entstehen können, ist trotz zahlreicher Versuche noch nicht endgültig entschieden und hängt mit der oben besprochenen Maskierung der F"ette zusammen, da in zahlreichen Fällen, die man als Fettbildung aus Eiweiß ge- deutet hatte, in der Tat nur Fettphanerose vor- liegt. Umgekehrt kann aus Fett ganz sicher Kohlehydrat entstehen, wie Versuche am Dia- betiker gezeigt haben. Wahrscheinlich vermag P^tt auf komplizierterem Wege auch Eiweiß zu liefern. Die ganze Frage der gegenseitigen Beziehungen der Hauptnahrungsstoffe im Organismus ist aber durch neuere Forschungen und Erklärungen in ein anderes Licht gerückt worden. Hauptsächlich Abderhalden vertritt die Auffassung, daß eine summarische Betrachtung der einzelnen Nahrungs- stoffe nicht genügt, und daß wahrscheinlich aus allen sich zunächst ein tief abgebautes Gemisch von Substanzen des Zwei- und Drei-Kohlenstoff- systems bildet, aus dem dann der Organismus je nach Bedarf seine Bestände ergänzt. Diese Auf- fassung ist deshalb so wichtig, weil sie auf ein- fache Art die vorher sehr komplizierten und un- verständlichen Umwandlungen erklärt, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß eine gewisse Gefahr der Schematisierung vorliegt. Wie ist es nun experimentell möglich, die verborgenen, im Innern der Organismen statt- findenden Stoffwechselvorgänge in ihren Einzel- heiten zu verfolgen ? Es stehen dafür im wesent- lichen zwei Methoden zur Verfügung: Erstens die Durchblutungsmethode überlebender Organe, die besonders von Embden ausgebildet wurde, und zweitens die Beobachtung pathologischer Fälle, in denen durch Stofifwechselerkrankungen Produkte an die Oberfläche des Stoffwechsels gelangen, die sonst sofort weiter abgebaut werden und nicht zur Beobachtung kommen, jetzt aber sich irgend- wo, meistens im Harn oder Blut anhäufen und wichtige Rückschlüsse auf den normalen Stoff- wechsel gestatten. Die vielseitigere Methode ist die Durch- blutungsmethode, da man durch das überlebende Organ irgendeine Substanz, deren Veränderung im Organ man kennen will, hindurchführt und die ausfließenden Lösungen auf die Endprodukte unter- sucht. Für die Fette hat sich hierbei Folgendes ergeben: Bereits Knoop hat 1905 gezeigt, daß der Abbau der Fettsäuren durch die sog. /3 Oxydation erfolgt, d. h. es wird zunächst das zur Karboxyl- gruppe in /J-Stellung befindliche Kohlenstoffatom oxydiert und eine /)-Oxysäure gebildet. CH3 CH3 1 1 CH, 1 CH., CR. CH-OH CO 1 1 gibt 1 >• 1 > CO + CO« CH., CH2 1 1 CH, 1 1 CH3 CoH CoH Cgn ') Jansen, Zentralblatt für Physiologie igil, 105. Butter- ;^-Oxybuttcrsäure Azetessigsäure Azeton N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 279 Durch weitere Oxydation entsteht eine /3-Keto- säure, hier also Azetessigsäure, die durch Kohlen- säureabspaltung in Azeton zerfällt. Bei den höheren Fettsäuren findet Bildung von Essigsäure und der um zwei Kohlenstofiatome niedrigeren Karbonsäure statt. Schließlich entsteht so bei allen Säuren mit gerader Ko h lenstoff- A tomzahl Azeton als Endprodukt. Die Versuche stehen damit im Einklang. Denn bei Durchblutung einer über- lebenden Hundeleber bilden nur die Säuren mit gerader Kohlenstoffzahl in erheblichem Maße Azeton, die mit ungerader Kohlen- st offzahl dagegen zeigen keine Erhöhung der Azetonbildung. Vor allem sprechen für dieses Schema des Fettsäureabbaus auch die beim Diabetiker gemachten Beobachtungen. Wir sahen bereits, daß bei Exstirpation der Pankreasdrüse und dadurch hervorgerufene Zuckerausscheidung auch der Fettstoffwechsel erheblich in Mitleiden- schaft gezogen wird. Oft ist in schweren Fällen von Diabetes das Blut ganz von Fett überschwemmt. Alles spricht dafür, daß ein erhöhter Umsatz der Fette stattfindet. Dabei müßten dann auch in ge- steigertem Maße die Abbauprodukte der Fette sich vorfinden, und in der Tat ist ja das Coma diabeticum, jener tiefe Erschöpfungszustand hoch- gradig Zuckerkranker, in erster Linie hervorgerufen durch Anhäufung von /3 Oxybutlersäure, Azetessig- säure und Azeton im Organismus. Diese Stoffe, soviel ist sicher, sind entstanden als Abbauprodukte der Fettsäuren. Wie dann aber die weitere Verarbeitung der /5 O.vybuttersäure im gesunden Körper sich vollzieht (Azetessigsäure und Azeton sind pathologische Produkte), darüber ist noch keine hinreichend klare Auffassung gewonnen. Möglich ist, daß die ß Oxybuttersäure direkt zu Kohlensäure und Wasser verbrannt wird, aber es ist auch möglich, daß Substanzen des 3- und 2- Kohlenstoffsystems daraus entstehen, die dann zu neuen Synthesen benutzt werden. Wir können um so leichter auf die Diskussion dieser Fragen verzichten, als, wie gesagt, noch wenig Positives dabei herausgekommen ist. Nur noch kurz ein Wort über die Synthese der Fettsäuren im Organismus. Hierbei spielen wahrscheinlich Aldehyde, vor allem Azetaldehyd eine Rolle, der seinerseits durch Abbau der Kohle- hydrate entstanden ist. Es ist dem organischen Chemiker bekannt, daß sich Aldehyde leicht mit- einander vereinigen. Azetaldehyd bildet so Aldol, der durch Oxydation /SOxybuttersäure liefert: CH3 CH3 CH3— CH-OH-CHo-CHaOH I + I - CS cg Azetaldehyd Azetaldehyd Aldol Bei Durchblutung der Leber mit Azetaldehyd entsteht Azetessigsäure. Man kann sich wohl vor- stellen, das durch ähnliche Reaktionen höhere Oxy- säuren und daraus durch Reduktion gesättigte Fettsäuren entstehen. Wir wollen diese Fragen, so interessant sie auch sind, nicht weiter verfolgen, da noch zu viel Hypothetisches in diesen Erklärungen enthalten ist. Nicht zu verkennen jedoch ist, daß man all- mählich sich auf diesem schwierigen Gebiete vor- wärts tastet und die merkwürdigen Methoden erkennt, deren sich die Organismen im Getriebe ihres Stoffwechsels bedienen, Methoden, die uns eine ganz andere Art der organischen Chemie kennen lehren, als wir sie vom Laboratorium her gewohnt sind. Zur Lehre von der [Nachdruck verboten.] Von Eilhard Bekanntlich hat man früher vielfach eine Ge- neralio spontanea angenommen und geglaubt, daß selbst höher organisierte Tiere aus Schmutz usw. entstehen können. Auch in den arabischen naturwissenschaftlichen Werken finden sich dies- bezügliche Angaben. Ich erlaube mir einige den Originalwerken entnommene hierhergehörige Stellen mitzuteilen. i) Einen der ältesten arabischen Berichte über die Generatio spontanea liefert der Polyhistor a/ Gd/iig, (d. h. der Glotzäugige), in seinem Tierbuch {Kifdb al Hajaiviui). Das Werk ist nicht eine Zoologie im eigentlichen Sinne des Wortes, wie das von al Damir'i oder die betreffenden Abschnitte von al Qazii'uii : es ist vielmehr aus philologisch-histo- rischem Interesse entstanden und enthält neben zahlreichen Bemerkungen über das Leben der Tiere, die Zweckmäßigkeit ihres Baues und die Gründe für diesen, philosophische Betrachtungen, Erzäh- lungen und Verse, die sich auf die Tiere beziehen. Generatio spontanea. Wiedemann. Deren Beschreibung wird aber nur ganz beiläufig und nicht als Hauptzweck gegeben. Bei der Behandlung der Fliegen {Diibäb, Bd. 3, S. HO ff.) berichtet al GdJiic folgendes; „Die P^liegen haben die Eigenschaft, daß sie manchmal durch Begattung und Geburt und manchmal durch Verwesung von Substanzen und Verderben von Körpern entstehen. Wird die Bohne {Bäqilä) in Kellern alt, so verwandelt sie sich ganz in Fliegen. Manchmal vergißt man die Bohne im Keller, kommt man dann in diesen, so fliegen die Fliegen aus Fenstern und Spalten. Von den Bohnen sind nur die Schalen übrig. Die Fliegen, die aus den Bohnen erschaffen wurden, sind [zunächst] Würmer und werden dann zu Fliegen. Man beobachtet meist an diesen Bohnen, daß sie durchbohrt sind und daß sie einen pulver- förmigen Inhalt haben. In diesem Fall hat Gott in ihnen die Fliegen geschaffen und sie aus ihnen ausfliegen lassen. Meist findet man, daß in ihnen 28o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 die Erschaffung vollendet ist; falls ihre Flügel vollendet sind, so fliegen sie fort." Als Beispiel für eine Erzeugung von Lebe- wesen ohne Männchen und Weibchen wird noch angeführt, und zwar um Gegner der Ansicht, daß die Erschaffung von Lebewesen ohne Männchen und Weibchen möglich sei zu widerlegen: „Wir wissen, daß der Mensch Speisen und Getränke zu sich nimmt, in denen sich keine Schlange und kein Wurm befindet, und aus ihnen entstehen [doch] in seinem Innern Schlangen- und Würmerarten, ohne daß ein Männchen und ein Weibchen vorhanden ist, indes müssen die zusam- mentretenden Körper und die Art, wie das Zu- sammenkommen geschieht, den im Mutterleib vorhandenen ähnlich sein. Indes sind zum Entstehen von Tieren stets zwei Dinge nötig, die die Stelle von Männchen und Weibchen vertreten." Noch wird angeführt, daß beim Öffnen von Flaschen, in denen gewisse Getränke enthalten sind. Motten herauskommen, obgleich kein Männ- chen und Weibchen vorhanden war; der Vorgang kann nach al Gähiz nur auf der Veränderung von einigen Teilen der Luft herrühren. Auch die Entstehung von verschiedenen Wes- den und Würmern aus dem Mark der Palme wird erwähnt. ') 2) Auch einer der größten arabischen Natur- forscher Abu Raihäu al Birüm (973— 104S) ist von der Generatio spontanea fest überzeugt wie uns Ausführungen in seiner Chronologie (Ausgabe von Sachau, Text S. 227/228, Übersetzung S. 214) lehren. Zunächst erwähnt er, daß Würmer aus Fleisch entstehen. Dann teilt er das folgende mit, was jedenfalls einer weitverbreiteten Ansicht entsprach, da es sich auch bei al QacTi'ini (Bd. I, S. 432) findet: Zieht man ein Haar mit der weißen Wurzel aus, mit der es ursprünglich im Fleisch befestigt ist und wirft es in der Mitte des Sommers auf Wasser oder eine feuchte Stelle, so entsteht aus ihm nach drei oder weniger Wochen eine Schlange. Diese Tatsache kann nicht geleugnet werden, da sie ebenso wie die Entstehung anderer Tiere aus anderen Materialen durch Augenzeugen bestätigt ist. — So berichtet al Gailiäni (ein Geograph), daß aus dem zusammengerollten Blatt eines Baumes im indischen Ozean eine Bienenkönigin entsteht, die dann fortfliegt. Allen Naturforschern ist wohl bekannt, daß Skorpione aus Feigen und Basilikum entstehen, Bienen aus Ochsenfleisch sowie Wespen aus Pferdefleisch. Ich {al Binnii] selbst habe be- obachtet, daß viele Tiere, die ihre Art [geschlecht- lich] fortpflanzen können, ursprünglich offensicht- lich aus Pflanzen und anderem Stoff entstanden waren und dann ihre Art durch geschlechtlichen Verkehr vermehrten. 3) Die folgende hierhergehörige Stelle aus der Kosmographie von al Qazwiiii, der 1283 starb, dürfte, da sie sich auf die Laus bezieht, gerade jetzt ein besonderes Interesse haben. Er berichtet (arabischer Text herausgegeben von Wüstenfeld Bd. I, S. 444): „Die Laus entsteht aus Schweiß und Schmutz auf dem menschlichen Körper, wenn diesen ein Kleid oder Haare bedecken; denn der Schweiß verwest, wenn ihn das Kleid oder die Haare warm halten, so daß die Laus entsteht. Diese Laus legt dann ein Ei und ihr Ei ist dann das Richtige (d. h. aus ihm entstehen in gewöhnlicher Weise die Läuse). *) Die Laus klebt das Ei an eine Stelle so fest an, daß man es nur mit Gewalt entfernen kann." Auch die folgenden Bemerkungen sind nicht uninteressant: „Auf schwarzem Haar entstehen schwarze, auf weißem weiße, auf grauwerdendem Haar teils schwarze, teils weiße Läuse. Entsteht eine Laus auf dem Kopfhaar des Menschen, so wird es gelb. Will man wissen, ob eine Frau mit einem Jungen oder einem Mädchen schwanger geht, so nimmt man etwas von deren Milch "') auf die flache Hand und wirft eine Laus hinein; kann sie nicht heraus, so ist es ein Junge, kann sie aber herauskommen, so ist es ein Mädchen. Die Milch für den Jungen ist nämlich dick, die für das Mäd- chen dünn, so daß sie die Laus nicht am Heraus- kommen hindert." 4) Noch für andere Tiere gibt al Qazwiin eine Generatio spontanea an; der Mistkäfer entsteht aus stinkendem Pferdemist, die Fliege aus faulen- den Substanzen und dem Mist der Haustiere. 5) Eine Angabe über die Umwandlung einer Tierart in eine andere macht al Qazwiiii nach Jahjä Ihn Cliälid. Danach soll es in der Natur des Flohes liegen, daß er auch das Fliegen erwirbt und dann zur Fliege wird, wie der Raupe die Flugfähigkeit zuteil wird, so daß sie zum Schmetterling wird. 6) Von den Fröschen berichtet al Qaziviid, daß nach al Gähiz die P'rösche zu den Tieren ge- hören, die keine Knochen haben, und daß sie im Mutterleib der Tiere und in demjenigen der Erde erschaffen werden, wenn das Wasser letztere be- fruchtet. Für letzteres liegt der Beweis darin, daß am Ende eines langanhaltenden Regens eine un- zählige Menge von Fröschen entsteht und zwar an Orten, in deren Nähe sich kein Meer, kein Fluß und kein Teich befindet, sondern an seichten und glatten Orten. Daher behaupten viele Men- schen, daß sie in den Wolken gewesen seien. 7) In der Einleitung zu dem Abschnitt über die ') Im Anschluß hieran werden Betrachtungen über die Möglichkeit der Metallverwandlung angestellt, die ich im Journal für praktische Chemie [2] Bd. 76, S. 73, 1907, besprochen habe. ') Interessant ist auch hier, daß nur eine erste Laus durch die Generatio spontanea entsteht, die anderen aber aus Eiern. '') Es handelt sich hier um das schon früh in der Brust sich bildende Colostrum, N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 281 Kriechtiere {Haschara), ^) dem die obigen Angaben entnommen sind, macht al Qaswiiil noch einige allgemeine Bemerkungen über die Generatio spon- tanea. Er knüpft an die Frage gewisser Leute an: „Was ist der Nutzen dieser Tiere {Hascliara und Iläiiuiia), bei dem vielen Schaden, den sie 'J Die in S. deSacy Chrestomathie arabe Bd. 3, S. 417, 1827 gegebene Übersetzung von L. de Chezy ist sehr frei. Zu den Kriechtieren rechnet nl Qazwhn selir verschiedene Tiere, ja sogar Säugetiere, nämlich den Igel, die Maus, das Stinktier; dann Reptilien, wie die Eidecbsenarten, den Waran, ferner das Chamäleon, die Schlangenarten, die Schildkröte, dann Insekten, wie die Mücke, die Stechfliege, die spanische Fliege, die gewöhnliche Fliege; die Wespe, die Biene, die Viehzecke, die Ameise, den Schmetterling, die Seidenraupe, den Mist- käfer, die Wanze, die Laus, die Heuschrecke, die Grille, dann die Spinnen, den Skorpion, die Tarantel, endlich die Schnecke, den Bohrwurm, den Regenwurm. In dem Werk sind hier die Tiere nach dem Alphabet geordnet. Wenn in der obigen Aufzählung eine Reihe wichtiger Tiere, vor allem Reptilien und Fische fehlen, so liegt das daran, daß al Qazw'im diese in einem besonderen Abschnitt über die Wassergeschöpfe be- handelt hat; so das Krokodil, den Aal, den Krebs, den Scincus, die Schildkröte, den Frosch, den Blutigel. — Den entsprechenden Abschnitt von Ibn Qutaiba habe ich Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften XLIII. S. 107, 1915, übersetzt. anrichten?" und führt das Folgende aus: „Diese Leute beachten nicht, daß Gott für das Wohl des Ganzen sorgt. Es verhält sich damit, wie mit dem Regen, der den Ländern und den Menschen Nutzen bringt, wenn er auch die Ursache für den Zusammensturz der Häuser der alten Weiber ist. Ebenso verhält es sich mit der Schöpfung der Kriechtiere. Gott erschafft sie aus verdorbenen Stoffen und vorhandenen verwesenden Gegen- ständen, damit die Luft von diesen gereinigt wird und sie nicht verdirbt. Letztere ist die Ursache für das Auftreten von Seuchen und dafür, daß die Tiere und Pflanzen zugrunde gehen. Er erschafift die Insekten, obgleich damit [für uns] ihr Stich verbunden ist. Ein Beweis hierfür ist, daß die Fliegen, Würmer und Mistkäfer sich in den Läden der Fleischer und Konditoren {Diibbä) vorfinden, nicht aber derer, die mit Stoffen handeln und der Schmiede. Die göttliche Weisheit bestimmte, daß diese Tiere aus den verwesenden Substanzen entstehen, um diese einzusaugen und zu verzehren, so daß dadurch die Luft von ihnen gereinigt und frei von Seuchen werde." Über die neueren Ergebnisse der Hydraforschung. Von Eduard Boecker. [Nachdruck verboten.] Seit der letzten zusammenfassenden Darstellung über „den gegenwärtigen Stand unseres Wissens vom Süß Wasserpolypen (Hydra)" von O. Steche (Internat. Revue der ges. Hydrobiologie und Hydro- graphie, Bd. I, 190S) sind wieder eine Reihe von bemerkenswerten Tatsachen aus der Biologie dieses interessanten Coelenteraten bekannt geworden. Vor allem sind hier die Arbeiten von R. Hert- wig's Schülern Krapfenbauer, Frisch holz und Koch zu nennen, die sich mit den Erschei- nungen und Bedingungen der Fortpflanzung von H. fusca und grisea beschäftigten. Bekanntlich geht diese vorzugsweise auf ungeschlechtlichem Wege vor sich, indem schnell wachsende Knospen seitlich aus der Magenwand hervorsprossen, die sich nach Ausbildung der Tentakel und des Mundes vom Muttertier abschnüren und dann als selbständige Individuen weiterleben. Die jungen Tiere sind unter günstigen Bedingungen schon bald zu der gleichen Fortpflanzung fähig, nnd so kommt es durch rasche Wiederholungen des Vorganges bei Eltern und Nachkommen in der warmen Jahres- zeit gelegentlich zu den enormen Populationen, von denen bereits Trembley (1744) berichtet. Demgegenüber tritt die seltenere Produktion von Hoden und Ovarien fast ganz in den Hintergrund; sie wird nur unter bestimmten Bedingungen be- obachtet. Eintritt und Maß der Knospenbildung scheint in der Hauptsache von dem Grade der Fütterung abzuhängen, während die Temperatur wohl nur auf die SchnelHgkeit ihrer Entwicklung von Ein- fluß ist. Demgemäß trifft man sie in der freien Natur vorzugsweise im Sommer an, wenn zahl- reiche Krustazeer die geeigneten Gewässer beleben, in Zimmerkulturen bei Fütterung; doch wird sie auch im Winter, selbst unter starker Eisdecke, selten vermißt. Während es nach den Berichten älterer Autoren (Kleinenberg 1872, Delage 1899) vielfach den Anschein hatte, daß die Knospen- bildung großen Unregelmäßigkeiten unterworfen wäre, stellte R. Hertwig (1906) für H. fusca end- gültig gesetzmäßige Entstehung fest. Zunächst sprossen Knospen nur aus einer ganz bestimmten Zone hervor, nämlich dem untersten Teil der Magenpartie, da wo der Körper in den abgesetzten verjüngten Stiel überzugehen beginnt. Sodann ist auch die Aufeinanderfolge der Knospen an eine Regel gebunden: ist ein Tochterindi\iduum ent- standen, wird das nächste, gleichviel ob das ältere noch auf dem Muttertier sitzt oder sich bereits abgelöst hat, kurz oberhalb, d. h. mundwärts, von jenem gebildet, so daß bei gleichzeitigem Vor- handensein von mehreren das jüngste stets zugleich das oberste ist. Dabei stehen die, übrigens nicht etwa dauernd präformierten, Germinationsherde nicht, wie frühere Abbildungen es bisweilen zeigen, sich diametral gegenüber, vielmehr betragen ihre Abstände nur ca. 120". Sie reihen sich also nach und nach zu einer den unteren Körperteil aufsteigend umkreisenden Spirallinie aneinander, was besonders gut an durch Reizung kontrahierten Muttertieren mit mehreren Knospen zu sehen ist. Die verschiedene Höhe der Spiralgänge soll eine Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 P'unktion hauptsächlich der Ernährung sein; ist diese gut, verlaufen die Linien dicht übereinander, im umgekehrten Fall ist die Steigung eine steilere. Nur ausnahmsweise kommt es vor, daß sich zwischen älteren Knospen jüngere bilden. Das Auftreten ähnlicher Unregelmäßigkeiten bei Tieren mit Hoden gegen Ende der Geschlechtsperiode, von dem bereits Laurent (1844) berichtete, ist von Krapfenbauer (1908) und Frischholz (1909) bestätigt worden. Für H. grisea glaubt letzterer die gleichzeitige Entstehung von je zwei gegenüberstehenden Knospen festgestellt zu haben. Ein jüngeres Paar soll stets gekreuzt zum älteren stehen. Hertwig (1906) erklärt die gesetzmäßige Sprossung dahin, daß sich die Knospen einen günstigen Ernährungsbezirk suchen, indem sie all- zu nahen Abstand vermeiden. Die braunen Schollen des Entoderms werden überall, wo Knospen entstehen, in diese hineingezogen; nach Ablösung der letzteren bleiben an der betreffenden Stelle nur fast leere Zellen, wie sie in der Innenhaut des Stieles vorkommen, zurück. Auf diese Weise wird nach und nach ein Teil des Körpers in Stielgewebe und Stiel umgewandelt. Während die Knospen im allgemeinen bald nach Ausbildung der Tentakel selbständig werden, kommt es gelegentlich zu einem längeren Ver- weilen derselben auf dem Muttertier. Dieses Ver- halten kann zur Ausbildung von Stöcken, die denjenigen der Hydroidpolypen ähnlich sind, führen, wenn die noch festsitzenden Knospen bereits wieder eine zweite Generation erzeugen. Koch (191 1) sieht die Ursache dieses übrigens seltenen Vorkommens in den beobachteten De- pressionszuständen (s. unten) seiner Kulturen. Auch Verf. konnte derartige Stöcke nur feststellen, wenn entweder Depression kurz vorhergegangen war oder noch bestand. In einem Fall ließ sich gleichzeitig auch bei einem Teil der übrigen Tiere der betreffenden Kultur ein außergewöhnlich hoher Prozentsatz an Knospen feststellen, der wohl dadurch zustande kam, daß damals eine große Tendenz zu längerem Verbleiben derselben auf den Muttertieren bestand. Jedenfalls muß man die Auffassung, es handelte sich bei den Stock- bildungen um Alterserscheinuiigen (Hase 1909) zurückweisen. Das klassische Beispiel, das Trem- bley (1744) auf seiner Tafel VIII abgebildet hat, trug 10 Knospen erster und 5 zweiter Generation und war doch erst 2 Wochen alt. Was nun die geschlechtliche Fortpflanzung angeht, so haben die Münchener Arbeiten das interessante Resultat gehabt, daß die Produktion von Hoden und Eiern nicht durch Hunger, wie meist angenommen (Schulz 1906, Nußbaum 1909), angeregt wird, sondern lediglich von den Tempe- raturverhältnissen abhängt. In Kulturen mit und ohne Fütterung traten sie bei H. fusca nur dann auf, wenn eine Zeillang die relativ kühle Temperatur von 5 bis höchstens 13" herrschte, bei H. grisea nur bei 15 bis 25". Die Optima waren 10 bzw. 20". Beide Arten zeigen also abgesehen von den morphologischen Unterschieden auch ein be- merkennswert verschiedenes biologisches Ver- halten, trotzdem sie vielfach in denselben Ge- wässern nebeneinander vorkommen. — Diesen Beobachtungen an Kulturen entsprechen auch die Funde in der freien Natur: H. fusca wird im Spätherbst, Winter und Anfang Frühjahr geschechts- reif angetroffen; H. grisea im Sommer und Früh- herbst. Wie aus einer verdienstvollen Zusammen- stellung zerstreuter Notizen der früheren Autoren, die von Frischholz stammt, hervorgeht, stimmen auch deren Beobachtungen durchweg mit seinen Resultaten überein. Einige scheinbare Wider- sprüche lassen sich befriedigend erklären. Verf. fand hodentragende grisea bei Berlin nur in den Sommermonaten, fusca mit Hoden oder Eiern bei zahlreichen Untersuchungen in verschiedenen Gauen Deutschlands und Frankreichs, nur im Spätherbst bei etwa 11—4" Wassertemperatur, nie in der warmen Jahreszeit. Leider fehlen fortlaufende Untersuchungen eines und desselben Gewässers für Hydra fast noch ganz. Eine längere Reihe von Befunden an fusca, die an Pflanzen aus der Orne (Lothringen) saßen, ergaben folgendes Resultat : Dalu,n Tem- peratur Zahl Zahl der fusca der • 15 7° 29 — — 12. 15. II. 15 5» 9 — — ij- 20. 11. 15 3» II — — 14- 26. 11. 15 20 ! 8 — — ■5. 2. 12. 15 4» \ 3 - - 16. 19. 12. 15 2,5" 1 I — — i7- 28. I. 16, 7» 4 1 - - * liei § Die weilerer Kultur unter g t Desgl. neben vie Populationen 8 — 17 b eeigneten B len a-V ei ieben, sov edingungen n neues 9. i-eit sie al viele o-V. Kulturen Auch hier läßt sich ein deutlicher Einfluß der Temperatur erkennen. Zugleich sieht man, daß wie nach oben, auch nach unten eine Grenze be- steht, die übrigens gelegentlich tiefer liegen kann als im vorliegenden Fall. Bei allzu niedrigen Wärmegraden hört mit der Herabsetzung der übri- gen Lebensfunktionen auch die Produktion von Geschlechtsorganen auf. Ein Teil der aufgeführten N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 283 Populationen wurde noch eine Zeitlang weiter gepflegt. Bei Nr. i betrug die tägliche Durch- schnittstemperatur mindestens 13,5°; sie blieb demgemäß steril. Bei Nr. 2 und 4 bildeten sich, da sie in geeigneten Temperaturen gehalten wurden, nachträglich Hoden bzw. Eier. Diese Kulturen verhielten sie halso auch nach der gefundenen Regel. In den Münchener Versuchen haben sich beide braunen Arten streng gonochoristisch erwiesen ; das geht besonders aus den Mitteilungen von Koch zweifelsfrei hervor. Sämtliche von einer isolierten Hydra stammenden Knospen bildeten, wenn überhaupt, nur eine und dieselbe Art von Geschlechtsprodukten, entweder Eier oder Hoden. In sehr interessantem Gegensatz zu diesem Befunde steht die seit langem bekannte Tatsache, daß so- wohl grisea als auch fusca hermaphrodit mit Bildung von Eiern und Hoden auf demselben Tiere vor- kommen. (Göeze [1778I, Laurent [1844^ Brauer [1909J, Schulz [1906], Downing. Eine befriedigende Erklärung hat dieses verschiedene Verhalten bisher noch nicht gefunden. Sicher war es verfiüht, dasselbe systematisch zur Absonde- rung einer neuen Art zu verwerten, wie Downing (1905) es mit seiner H. dioecia getan hat. Wahr- scheinlich liegen nur Rassenunterschiede vor, oder aber die früheren Berichte über Proterogynie und Proterandrie bei hermaphroditen Hydren geben einen Fingerzeig. Sie lassen es nach Frisch holz „für möglich erscheinen, daß die Beobachtungen von reinen Männchen und Weibchen sich nur auf eine weit auseinandergezogene Bildungsfolge der Hoden und Eier beziehen, ein Zustand, der in einem gewissen Alter oder unter noch unbekannten Bedingungen durch Zusammendrängung leicht in deutlichen Hermaphroditismus übergeführt gedacht werden kann". Diese leztere Erklärung stößt auf gewisse Schwierigkeiten; wo es nämlich gelang, ein und dasselbe Tier wiederholt zur Bildung von Geschlechtsorganen zu veranlassen, behielten diese stets den gleichen Charakter. Klarheit könnte wohl nur geschaffen werden, wenn es gelänge, alle Knospen einer aus einem befruchteten Ei entstandenen Hydra mit ihren sämtlichen Nach- kommen unter ständiger Isolierung derselben bis zur Geschlechtsreife zu züchten. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß der bei Zusammenfassung einer solchen gesamten Nachkommenschaft sich ergebende ideelle Polypenstock sich als herma- phrodit erweist, wenn auch die einzelnen Knospen- linien für sich betrachtet gonochoristisch sein mögen. Wie die Tabelle zeigt, wird nur ein Teil der Hydren geschlechtsreif. Außerdem ist es wohl kein Zufall, daß die Tiere mit Hoden stark in der Überzahl sind; andere Autoren konnten das gleiche feststellen. Großes Interesse vom theoretischen Gesichts- punkt aus verdienen die Beobachtungen speziell von Frisch holz über die sogen. Depressions- zustände der Hydra. Bekanntlich versteht man unter diesen die eigentümliche Erscheinung, daß in bis dahin gesund aussehenden und sich kräftig vermehrenden Kulturen plötzlich ohne zunächst erkennbare Ursache eine Art Stillstand eintritt. Die Tiere sehen kränklich aus, sind oft leicht kontrahiert, zeigen träge Bewegung, fressen schlecht ; die Knospenbildung ist meist deutlich gehemmt, die Tentakel verkürzen sich unter knopfartiger Verdickung ihrer Enden, und das sonst durch- scheinende Ektoderm erscheint weißlich getrübt. Solche — noch leichte — Grade können ohne äußere Einwirkung nach einiger Zeit überwunden werden ; oft geht der Prozeß aber weiter. Die Tentakel zerfallen, und unter fortschreitender Ar- rosion des Körpers geht auch dieser der vollstän- digen Auilösung entgegen. So können große Populationen binnen kurzer Zeit aussterben, was gelegentlich auch in der freien Natur beobachtet wurde, z. B. von Trembley. Andererseits kommen aber auch bei schon stark mitgenommenen Tieren dank ihrer großen Regenerationsfähigkeit Heilung und Restitution der verloren gegangenen Partien vor. Hertwig glaubte zunächst, entsprechend seinem Vorgehen bei gewissen ähnlichen Zuständen mancher Protozoen, daß auch bei der Hydra ein Zusammenhang zwischen leichten Depressions- zuständen und Geschlechtsperioden bestände. In der Tat schien auf den ersten Blick gelegentlich eine weitgehende Übereinstimmung bei beiden Tiergruppen vorzuliegen; wie jedoch aus den Mitteilungen von Frischholz und Koch klar hervorgeht, hat sich eine solche Auffassung als irrtümlich erwiesen. Depression und Ausbildung von Geschlechtsorganen haben nichts miteinander zu tun; im Gegenteil scheint der erstere Zustand den zweiten hintanzuhalten und gelegenlich Ursache der so oft zu konstatierenden Sterilität sonst normaler Kulturen zu sein. Überhaupt muß man wohl die Auffassung, die Depression der Hydra sei eine physiologische Erscheinung, gänzlich fallen lassen, wie es Enriques übrigens schon für die Proto- zoen getan hat. Wenn Frischholz von einer pathologischen, d. h. durch Schädigungen entstan- denen Depression nichts wissen will, so sprechen doch gerade seine eingehenden Untersuchungen sehr für eine solche. Gewiß haften der Kultivierung vielköpfiger Populationen in kleinen Gläsern zahlreiche, wenn auch oft nicht greifbare Mängel an, die genügen, bisher gesunde Tiere krank zu machen. Bei Frischholz traten Depressionen vorzugsweise dann auf, wenn Kulturen, die eine Zeitlang gehungert hatten, plötzlich mit Futter versehen wurden. Hunger allein erzeugt meist etwas andere Erscheinungen, die besser als Reduktionen be- zeichnet werden (Schultz 1906, Berninger 1910). Nach den Erfahrungen des Verf. bilden die sich bei länger bestehenden Kulturen im Wasser durch die Lebensprozesse der Insassen ansammelnden Salze und sonstigen Stoffe, gelegentlich wohl auch Bakteriengifte, eine wesentliche schädigende Rolle. Wie reich ein älteres Kulturwasser an derartigen fremden Beimengungen sein kann, ist schon aus der starken SchHerenbildung zu ersehen, die ein- 284 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 tritt, wenn man mit der Pipette einen Tropfen von ihm in frisches von der gleichen Temperatur einbringt. Osmotische Differenzen sind darum wohl die Ursache, daß Depression fast stets eintritt, wenn man Hydren aus längere Zeit bestehenden Gläsern in solche mit frischem V\'asser überführt — ein Umstand, der sich bei Versuchen sehr un- angenehm bemerkbar machen kann. Frischholz fand, daß man die krankhaften Erscheinungen durch kräftige Durchlüftung und überhaupt Sauer- stoffzufuhr bei Verbleiben der Tiere im alten Wasser sowohl zeitlich verkürzen, als auch heilen kann. Mißbildungen kommen bei der Hydra durchaus nicht selten vor; bereits von den ältesten Autoren sind solche beschrieben worden. Die wichtigsten hierher gehörenden Erscheinungen sind: gespaltene Tentakel, schlingenförmige Verwachsung derselben, Stockbildungen und besonders Doppelköpfigkeit, bei der zwei Köpfe sozusagen symmetrisch auf einem gemeinsamen Stielkörperteil aufsitzen. Alle diese Abnormitäten sind nur vorübergehender Natur, da gleich nach ihrem Auftreten regulatorische Prozesse einsetzen, die meist den Erfolg haben, daß wieder ein normales Individuum zustande kommt. Bei gespaltenen Tentakeln verkürzen sich die Gabeläste, und indem das Basalstück in entsprechendem Maße vom Kopf her nachwächst, rückt die Verzweigungsstelle weiter nach außen, bis sie schließlich am Ende des Tentakels ange- langt ist, und die beiden immer kürzer werdenden Äste ganz verschwinden. Niemals ist die Gabelung Phase einer Längsteilung des Tentakels, wie Leiber (1909) irrtümlicherweise angenommen hat. Sind zwei Arme an ihren Spitzen zu einer Schlinge miteinander verwachsen, kommt es nach einigen Tagen zur Loslösung. Auch die Doppel- köpfigkeit ist kein dauernder Zustand; für ge- wöhnlich wird sie in der Weise reguliert, daß sich das basale Stück des Doppeltieres vom Ver- einigungswinkel beider Teilindividuen aus all- mählich der Länge nach aufteilt, bis nach Teilung auch der Fußscheibe zwei normale Polypen übrig bleiben. Dieser Vorgang hat \'on jeher besonderes Interesse gefunden, da man in ihm den Beweis sah, daß die Hydra der Vermehrung durch Längs- teilung fähig ist. Koelitz (1911) und Verf. haben neuerdings eine große Anzahl von derartigen Fällen mitgeteilt. Koch (1911I hat als erster auf den bemerkens- werten genetischen Zusammenhang hingewiesen, der zwischen dem Auftreten von Abnormitäten und den Depressionszuständen zu bestehen scheint. Auch Verf. glaubt an Hand eines größeren Ma- terials gezeigt zu haben, daß nur dann in seinen Kulturen Mißbildungen zu finden waren, wenn entweder kurz vorher Depression bestanden hatte oder noch bestand. Daß es bei den nach einer solchen einsetzenden Reparationsvorgängen leicht zu seitlicher Verwachsung zweier Tentakelbasen und so zur Bildung von gespaltenen Tentakeln kommen kann, ist plausibel. Ebensowenig stößt die Erklärung der übrigen Heteromorphosen von diesem Gesichtspunkte aus auf Schwierig- keiten. Bereits oben wurde gesagt, daß es bei der Depression zu einem abnorm langen Ver- bleiben der Knospen auf dem Muttertier und so zu einer vorübergehenden Stockbildung kommen kann. Bisweilen löst sich eine Knospe überhaupt nicht mehr ab; sie kann dann unter Verbreiterung ihrer Basis am Muttertier allmählich so weit nach oben rücken, bis sie zusammen mit dessen Kopf ein symmetrisch doppelköpfiges Individuum bildet (Koch, Koelitz). Verf. beobachtete in zwei Fällen, wie durch seitliche Verwachsung zweier zunächst getrennt stehender Knospen auf dem Muttertier die gleiche Abnormität entstand. Die Regulation des er- wachsenen Tieres erfolgte später durch die be- kannte typische Längsteilung des einheitlichen Stielteiles. Diese Erfahrungen lassen es recht fraglich erscheinen, ob die bisher übliche Erklä- rung, Doppeltiere seien durch Längsteilung ent- standen und repräsentierten Phasen einer solchen (Korscheit, Koelitz, Joseph u. a.) noch weiterhin durchweg haltbar ist. Den ersten Be- ginn einer der Vermehrung dienenden Längsteilung hat bisher noch niemand in einwandfreier Weise beobachtet. Die Regulation der gelegentlich ge- fundenen doppelköpfigen Hydren durch Längs- teilung des Stielkörperteiles beweist nichts; sie fand sich ebenso bei den erwähnten durch Kon- kreszenz gebildeten. Auch das äußerst langsame Fortschreiten des Teilungsprozesses spricht sehr dagegen, daß wir es mit einer physiologischen, wenn auch seltenen Vermehrungsart der Hydra zu tun haben. Zudem erfolgt die Regulation häufig auch in entgegengesetztem Sinn, indem durch nach oben weiterschreitende seitliche Ver- wachsung beider Teilindividuen ein gewöhnlicher Polyp entsteht (Koelitz, Verf.). Bisher nicht beobachtet waren zwei vom Verf beschriebene Fälle von symmetrisch dreiköpfigen Hjdren, von denen das eine Exemplar noch als Knospe auf dem Muttertier saß. Hier versagt die Erklärung durch Längsteilung ganz; man müßte dann schon eine zweimalige genau gleichartige annehmen. Leiber (1909) berichtet über ein Doppeltier, bei dem das eine Individuum angeblich durch Längs- teilung 2. Ordnung selbst wieder doppelköpfig war; doch sind seine Angaben nicht genügend klar. Ähnliche Exemplare mit gewissermaßen dichotomer Verzweigung bildeten Krapfen- bauer und Verf. ab. Hinweise auf Vererbung von Mißbildungen haben sich auch neuerdings nicht ergeben. Wie bereits gesagt wurde, ist das Vorkommen einer Vermehrung der Hydra durch Längsteilung recht fraglich geworden. Anders verhält es sich mit derjenigen durch Querteilung mit nachfolgen- der Regeneration beider Teilstücke zu vollstän- digen Individuen; sie wurde von K oelitz (1910) wieder in einer größeren Anzahl von Fällen be- obachtet. Doch ergibt sich aus der Literatur, daß N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 285 es sich um ein recht seltenes Vorkommen handelt, nach dem viele P'orscher vergeblich gefahndet haben. Mit dem feineren Bau und der Wirkungsweise der Nesselkapseln hat sich Toppe (1909) be- schäftigt. Dabei ergab sich von neuem, daß ihre verschiedene Form, Zahl und Größe bei den einzelnen Arten sich gut als systematische Merk- male verwerten lassen. Recht instruktiv sind einige Abbildungen, die zeigen, wie der Nessel- faden der großen Kapseln den Panzer der Beute- tiere bis zu deren Weichteilen durchdringt. In der Umgebung solcher Durchschlagsstellen ist das Chitin des Panzers verändert, weich und durch- lässig, wahrscheinlich infolge chemischer Beein- flussung durch das ergossene Kapselsekret. Die kleinen Kapseln dienen wohl nur zum F"esthalten, indem sich ihre Fäden eng um die Haare oder Borsten der erbeuteten Tiere schlingen. Eine umfangreiche experimentelle Arbeit stammt von Korschelt's SchülerKoelitz (1911). Auf Einzelheiten ihres reichen Inhaltes einzugehen, würde hier zu weit führen. Sie bestätigt im allge- meinen die Resultate früherer Autoren, die sich mit der Regeneration der Hydra beschäftigten. Versuche, Individuen der gleichen Art miteinander zur Verwachsung zu bringen, hatten dauernden Erfolg. F"usca und grisea ließen sich ebenfalls vereinigen, dagegen gelang es nicht, viridis einer der braunen Arten für längere Zeit aufzupfropfen. Systematik. Die seit Linne (1767) üb- liche Unterscheidung der drei Arten H. viridis, grisea und fusca nach deren Gesamthabitus hat sich auch neuerdings durchweg behaupten können. Dabei spielten das Vorhandensein eines vom Körper deutlich abgesetzten Stieles, die enorme Dehnbarkeit der Tentakel und ihre gesetzmäßige Entstehung an der Knospe bei fusca eine Haupt- rolle. Solche IMerkmale genügen vollkommen, um bei längerer Kulturführung eine Verwechselung mit grisea auszuschließen, wenn auch gelegentlich einzelne Induviduen diese Charaktere nicht so deut- lich aufweisen mögen (Fr i s c h h o 1 z). Brau er ist da- für eingetreten (1909), daß die althergebrachten Art- namen nach dem Gesetze der Priorität gegen die Be- zeichnungen von P a 1 1 as ( 1 766) : viridissima, vulgaris und oligactis umgetauscht werden müßten. Außerdem hat er, und wohl mit größter Berechtigung, eine bereits früher von ihm beschriebene braune Hydra als neue Art H. polypus aufgestellt. In der Tat scheint sich diese durch den Besitz von 4 Nesselkapseln und ihr abgeplattetes Ei, das nur auf der konvexen Seite mit Stacheln besetzt ist, als gute Art von der sonst ähnlichen fusca zu unterscheiden. Die letztere hat nur 3 Sorten von Nesselkapseln (die größte 8,5 » dick), während grisea deren ebenfalls 4 (die größte 10 — 13,5 /t dick) aufweist. Auf Grund der von ihm besonders geförderten Kapsel- messung benannte Toppe eine von den übrigen etwas abweichende Form attenuata, wodurch der alte lange vergeblich gesuchte strohgelbe Polyp Rö sei's wieder zu Ehren käme. Es scheint aber kaum fraglich, daß die attenuata des letzteren lediglich eine grisea in leichtem Depressionszustand war. — Die wohl nur eine Lokalrasse vorstellende H. rhaetica Asper's ist neuerdings allgemein als besondere Art nicht anerkannt worden. Ebenso haben die Bestrebungen verschiedener Forscher (Brauer, Weltner, Koelitz) Hermaphroditis- mus oder Gonochorismus als Artcharaktere zu prägen, Widerstand gefunden. Wohl mit Recht sagt R. Hertwig: „Wir wissen noch zu wenig, ob Hermaphrodilismus oder Gonochorismus im- manente Charaktere der verschiedenen Hydraarten sind oder nicht die Konsequenzen ihrer Existenz- bedingungen im weitesten Sinn des Wortes, so daß je nach der Einwirkungsvveise derselben hermaphrodite, männliche und weibliche Indivi- duen entstehen würden." In höchst geschickter und anmutiger Weise hat O. Steche in dem Band „Hydra und die Hydroiden" der Monographien einheimischer Tiere (herausgegeben von Ziegler und Woltereck, Verlag Künkhardt) die Anatomie und Biologie der Süßwasserpolypen umfassend zur Darstellung gebracht. Das reich illustrierte Werkchen kann nur empfohlen werden. Hier, in der Frischholz- schen Abhandlung „Biologie und Systematik im Genus Hydra" (Zool. Annalen Bd. 3, 1909) und in den Arbeiten des Verf. (Zool. Anzeiger, Bd. 44) findet man zusammen die wichtigste Literatur angegeben. Anregungen und Antworten. Zur Sprachreinigung. In unseren Tagen, wo man mit besonderem Eifer die deutsche Sprache reinigt, möchten auch wir Naturforscher vor der eigenen Türe kehren, soweit das für uns nützlich ist. Nicht jedes Fremdwort mu)3 verdeutscht werden, das gilt auch für uns, und zwar in sehr verschiede- nem Grade, je nachdem, ob wir das Wissen zum internatio- nalen Gebrauch auf dem Papier niederlegen oder davon einem deutschen Publikum, welches unserem Fache Interesse ent- gegenbringt, mitteilen, oder ob wir endlich zu Männern sprechen, die besondere Vorkenntnisse in unserem Fache und ein eigenes Interesse dafür nicht haben. Daß wir ihnen gegen- über hundertmal unverstanden bleiben, kann man im Kreise der Feldgrauen nur zu oft erfahren. Wir dienen unserem Fache, wenn wir dafür sorgen, daß unsere Bemühungen nicht bei der breiten Masse des Volkes bloßem Kopfschütteln be- gegnen. Schuld am bisherigen Zustande sind nicht nur die zahlreichen Fremdworte , sondern zur Sprachreinigung gehört auch die Ausmerzung verunglückter Fremdwortverdeutschungen. Das deutsche Schrifttum muß auch auf unserem Gebiete auf deutschem Empfinden beruhen und darf nimmermehr durch allzu wörtliche Übersetzungen fremdsprachlicher Worte beein- trächtigt werden. Zugegeben, die Worte „Biologie" und „Biologe" sind schwer zu verdeutschen, da man bei „Lebenskunde" als Nichtfachmann eher an die Kenntnis des Menschenlebens als an die des Tier- und Pflanzenlebens denken wird. Da Um- schreibungen wie ,,die Erforscher der Lebewesen" sich nament- lich für den mündlichen Gebrauch nur selten eignen werden, 286 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 ist dem Worte „Biologe" eine ähnliche Volkstümlichkeit zu wünschen, wie sie „Hygiene" oder „Bakterien" erlangt haben. Wenn man aber bemerkt, daß der einfache Mann sich oft nicht darüber klar ist, ob der „Botaniker" ein „Pflanzen- kenner" oder ein „Tierkenner" oder „Tierkundiger" ist, so sollte man sich doch wohl vornehmen, Worte wie „Tier- kunde" und „Pflanzenkunde" öfter zur Hand zu haben. Muß denn jede größere Stadt einen „Zoologischen Garten" haben, wo doch das Wort „Zoologie" überhaupt für den Deutschen recht -wenig mundgerecht ist, und soll es allein Königsberg, der Residenz des Ostens, vorbehalten bleiben, sich eines „Tiergartens" zu erfreuen? Die einzige berechtigte Aus- nahme liegt in Berlin vor, wo der Tiergarten etwas anderes ist als der ,,Zoo" und der Berliner sich mit dieser Abkürzung vortrefflich forthilft. Unter sich nennen sich die Leiter der Zoologischen Gärten nicht anders als ,,die Tiergärtner". Statt „Fauna" und „Flora" wird man immer „Tierleben" und „Pflanzenleben", statt ,,Ürnis" „Vogelleben" sagen können. Nur wo man sicher nicht mißverstanden wird, mögen die wohlklingenden Freradworte beibehalten bleiben, unter denen „Ornis" den besonderen Vorzug besitzt, mit seiner wörtlichen Bedeutung „der Vogel" zwar nicht nach griechischem, wohl aber nach tiefem deutschem Sprachemptinden das auszudrücken, was wir mit der „Ornis" meinen. Das Wort „Insekt" ist zwar schon seit langer Zeit populär geworden und hat „Kerf" oder „Kerbtier" leider dermaßen verdrängt, daß wir heutzutage nur dem ausgesprochenen und belesenen Naturfreunde mit dem deutschen Worte kommen dürfen, dem einfachen Manne aber mit dem fremden. Der Insektenkenner, der bei der zu- nehmenden wirtschaftlichen Bedeutung seines Faches oft zum Mann aus dem Volke und mit ihm sprechen muß, wird es in der Hand haben, als „Kerbtierkenner" aufzutreten, was ent- schieden schöner klingt, aber ja nicht außerhalb der Fach- kreise als ,, Entomologe" ; seinem Fache und der deutschen Sprache würde er damit keinen guten Dienst leisten. Der Weichtier- kenner rechnet auf Freunde seines Studiums meist nur im engeren Fachkreise; hier aber möge er sich ruhig „Malako- loge" nennen und nicht mit „Malokozoologe" die deutsche Sprache vergewaltigen. Man muß eben nicht zu wörtlich und auch nicht zu buchstäblich verdeutschen. Die Aquarienfreunde sind in Verlegenheit, wie sie den Gegenstand ihrer Liebhaberei deutsch benennen sollen. Wie wärs mit „Fisch garten"? Was tuts denn, wenn der „Wasserkasten", der „Kasten" oder wie man sich sonst hat ausdrücken wollen, ganz wörtlich genommen kein Garten ist? Auch die ,, Schneckengärten" in Süddeutschland sind nicht eigentlich Gärten, noch weniger die Kindergärten, und ein Wintergarten ist ein Gewächshaus. Und was tuts , wenn jemand einmal einen ,, Fischgarten" hat ohne Fische darin? Gewöhnlich fehlen jedenfalls Fische in der Besetzung eines Aquariums nicht, hingegen enthält ein Schauhaus wie das Berliner Aquarium, das Leipziger und viele andere, noch viel mehr als bloß Aquarien und Wassertiere. Solche Stätten könnten den Namen „Fischhaus" führen. Es braucht eben nicht jede Verdeutschung sich aufs Haar mit dem Inhalt des Begriffes zu decken, wenn sie nur nicht mißverständlich ist. Statt „Terrarium" kann man „Lurchgarten" sagen, und wer Kerbtiere pflegt, wird sich mit dem ,, Kerfgarten" gern be- freunden, während „Insektarium" unschön klingt und dazu noch sprachlich falsch gebildet ist; denn nach dem Vorbilde von„sanctuarium" oder „Aktuar" müßte es schon „Insektuarium" heißen. Das Seewasseraquarium heiße einfach „Meergarten", das Süßwasseraquarium kann kurz „Seegarten" genannt wer- den, und für das ,,Paludarium" würde ich die schöne Bezeich- nung „Moorgarten" empfehlen. Das Wort ,, Station" ist in Zusammensetzungen wie „Ver- suchsstation" ganz gut mit „Anstalt", also „Versuchsanstalt", zu ersetzen; statt „Biologische Station" aber sollte man nicht „Biologische Anstalt", sondern, nach dem Vorbilde von Stern- warte, Wetterwarte, Vogelwarte und ,, Pädagogische Warte", wie eine Fachzeitschrift heißt, gut deutsch „Biologische Warte" sagen. Eine „Fischereizoologische Versuchsstation" aber könnte einfach „Fischwarte" heißen. Eine schwierige Aufgabe ist manchmal die Auffindung geeigneter deutscher Namen für Tiere oder Tiergruppen. Ehe- mals hat man bekanntlich einfach die lateinischen Namen ver- deutscht, und nur wenige Schriftsteller hatten darin eine glück- liche Hand, wie z. B. Christian Gottfried Ehrenberg in seinem Monumentalwerk „Die Infusionstierchen als voll- kommene Organismen". Andere beglückten den Leser mit monströsen Namen wie ,,diezwiegefältelie Schließmundschnecke" für Clausilia biplicata und vielen anderen. Das war über- mäßige Schulmeistere!, wie sie auch den Inhalt jener Bücher durchzog, die noch gar zu wenig auf die Bedürfnisse des Lesers, der angeregt sein will, Rücksicht nahmen. Heute ist das ja besser geworden, und es wird sich wohl jeder darüber klar sein, daß deutsche Tiernamen überhaupt nur insoweit angebracht sind , als der interessierte Nichtfachmann von den Tieren eine klare abgerundete Vorstellung hat oder sie durch die Darstellung sofoit gewinnen soll. Behandelt man jedoch Organismen nach biologischen Gesichtspunkten, z. B. das Geschwebe, das lebende Plankton, nach dem Bau der Schwebe- organe, so mögen die lateinischen Namen der Tierarten ge- nügen. Wir haben also nur noch einigen Überbleibseln aus der früheren Zeit und daneben höchstens ganz vereinzelten neueren Mißgriffen entgegenzutreten. Zunächst möchte ich zu dem Worte „Urtiere" Stellung nehmen. Diese wohlklingende Verdeutschung des lateinischen Namens ,,Protozoa" erweckt auch beim gebildeten Uneinge- weihten ganz andere Vorstellungen als bei uns: er glaubt sich im Geiste zwischen Mammutkadaver oder Ammonshörner oder zu den vorzeitlichen Resten im Solnhofener Schiefer versetzt, auf die er vielleicht den Vers bezieht „Hu, wie muß das schrecklich sein Zwischen all' dem Urgebein." Gerade dies ist einer von den Punkten, wo wir bei Un- eingeweihten die Verständnislosigkeit für unser Fach groß ziehen und damit der guten Sache schaden. Daher sollte man die Protozoen lieber als „Einzeller", „Einzellige", „Zel- linge" oder am besten als „Einhe itstierchen" bezeichnen. Selbst vor Nalurkennern und in Fachkreisen soll man das schöne Wort „Urtiere" nur noch ausnahmsweise verwenden und es mit frommer Scheu wie ein historisches Denkmal be- wahren, denn darin werden mir wohl heute nur noch wenige wissenschaftliche Biologen widersprechen, daß die Protisten nicht wirklich Urwesen, Urzustände des Lebens, sind. Nicht ganz unähnlich liegt der Fall der ,, Amöbe". So freudig wir es begrüßen, daß dieses Wort mehr oder weniger populär geworden ist, dank dem lebhaften Interesse des Volkes für unser Fach , ruft doch die übliche Redeweise „die Amöbe", als ob das nur eine Art wäre, eine ganz falsche Vorstellung hervor, die tatsächlich noch in weiten Kreisen von Nicht- fachleuten herrscht, während es in Wirklichkeit einen bis jetzt unübersehbaren Arten- und Formenreichtum unter diesen form- losesten aller Lebewesen gibt. Da ist es entschieden besser, mindestens neben „.Amöbe" das zum Glück noch nicht ganz vergessene Wort „Wechseltierchen" wieder mehr in Gebrauch zu bringen, welches unmittelbar eine in der geeigneten Rich- tung liegende Anschauung erweckt. Selbst wenn ein Un- kundiger beim „Wechseltierchen" zunächst noch anderen Wechsel als bloß den der äußeren Gestalt, der Umrißform, vermuten sollte, so wäre das gerade wegen der vielerlei Natur der verschiedenen Amöben, deren einige bekanntlich Stadien von Geißelträgern, andere von Sporentierchen und nur manche dauernd Amöben sind, kein Schade. Sonst trefl'en wir im Bereiche der Einheitstierchen kaum viele sehr verunglückte deutsche Tiernamen. Unter den Viel- zellern mögen „Koralle" und „Polyp" bleiben wie sie sind, „Coelenterata" aber wäre vielleicht besser mit „Sacktiere" als mit „Hohlliere" zu übersetzen. „Stachelhäuter" für „Echino- dermata" mag hingehen. Wenn wir in ,, Kriechtiere" für Reptilien zwar nicht ein ebenso schönes deutsches Wort haben wie in ,, Lurche" für Amphibien, so ist doch zu bedenken, daß infolge der so sehr ungleichen äußeren Erscheinung der verschiedenen Kriechtierordnungen aus unmittelbarer lebendiger Anschauung kein geeigneterer Sammelname für die Krokodile, Schildkröten, Echsen und Schlangen hervorgehen konnte und demgemäß auch keiner so leicht gefunden werden kann. Es gibt Dinge , die zwar in systematischen Tabellen nicht zum Ausdruck kommen, wohl aber in der Sprache. Endlich erwähne ich drei zu unverdienter Duldung ge- kommene Monstra, die im naturwissenschaftlichen Kabinett geboren sind , niemals vollen Eingang in die breiten Massen des Volkes linden und somit eine Schranke zwischen uns und N. F. XV. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 287 jene Menschen setzen, denen wir docli auch wünschen müssen, daß sie uns verstehen. Die Sache hat um so größere Bedeutung, als es sich, bei zwei von den drei Worten wenig- stens, um sehr gebräuchliche, täglich wiederkehrende Begriffe handelt. Das eine ist das Wort „Wirbeltier". Wie konnte nur diese (Tbersetzung des lateinischen „Vertebrata" das alte Wort „Rückgrattiere", das unsere Väter noch gebrauchten, so ganz verdrängen ? Es ist schade darum, und wir werden dem Übelstande wieder abhelfen müssen. Denn sprechen wir zum einfachen Manne von „Wirbeltieren", so wird er, obwohl er weiß, was Hals- und Rückenwirbel sind, doch nie eine einiger- maßen klare Vorstellung mit jenem Worte verbinden, während er bei „Rückgrattiere" sofort die ganze Reihe von den menschenähnlichsten Tieren bis zum Fisch mit seiner „Rücken- gräte" vor sich sieht. Auch Menschen mit feinem Sprach- gefühl stoßen sich an dem Wort „Wirbeltier" und erinnern sich dabei eher an zarte Rädertierchen oder zierliche Schnecken- häuser als an jene meist großen Tiere, zu deren Gerippe eine Wirbelsäule gehört. Und so stammen denn auch diese Ein- würfe gegen das „Wirbeltier" nicht von mir, sondern von einem kunstsinnigen Schriftsteller, der sie vor einigen Jahren erhob, leider ohne gehört zu werden. Fast noch schlimmer steht es um das Wort „Säugetiere", das verdeutschte „Mammalia", das wir doch durch das gute, alte Oken'sche Wort „Haartiere" in einwandfreiester Weise ersetzen können. Auch jeder Wal hat noch ein paar Haare auf seinem Körper. Wie leicht würde daher der Schüler verstehen, daß der Wal kein Fisch, die Fledermaus kein Vogel ist, wenn man ihm beide als Haartiere vorstellte. Wie aber geht es bisher im ersten Tierkundeunlerricht zu? Statt zu lehren „Der Hund gehört zu den Haartieren", und damit gut, heißt es „Der Hund gehört zu den Säugetieren. — Was sind Säugetiere? Diejenigen, welche ihre Jungen säugen, das heißt : sie Milch saugen lassen." So wird von der unmittelbaren und für jedes Kind leicht erfaßbaren Anschauung sogleich abgeschweift zu einem Kreis von Vor- stellungen, der den Kindern, wenn sie nicht zu Hause kleine Geschwister oder einen Hof voll Vieh haben, meist ganz fern liegt. Und der Lehrer beglückwünscht sich, wenn er nunmehr den Wissensdurst der Schüler befriedigt hat und ihm keine Fragen gestellt werden; denn wenigstens nicht jedermanns Sache wäre es, sich nun in anschließende Erörterungen über den Unterschied der Geschlechter — denn nicht der Hund, sondern die Hündin säugt — und über die Zitzen einzulassen. Wenn er aber nach einer halben Woche abfragt und er die Antwort erhält „Der Hund ist ein Säugling", so wird er ge- wahr, daß er sowie seine Schüler betrogene Betrüger waren. Endlich — jene merkwürdigen australischen eierlegenden Säugetiere, die in ihrer Organisation so vielfach an die Sauropsiden erinnern, haben gewiß das Anrecht, einen dauern- den Platz in den Kenntnissen wenigstens des gebildeten Mannes einzunehmen. Wer ein wenig Mutterwitz zu schätzen weiß, der wird die von unserm ersten Tiergärtner, Heck, in „Brehm's Tierleben" so ganz nebenbei gebrachte wörtliche Übersetzung des Wortes Monotremata mit ,, Einiocher" für den gelegentlichen Gebrauch ganz geeignet fmden, selbst in der Schule, sobald die lateinischen Tiernamen erwähnt und erklärt werden können. Für gewöhnlich aber können die bis- her so scheußlich genannten „Kloakentiere", die echten Schnabeltiere und die Schnabeligel, ganz einfach und treffend fortan „Schnabeltiere" heißen. Wenn der Ge- lehrte zum Unkundigen spricht, den er ebenso herablassend wie unschön und wiederum undeutsch den ,, Laien" nennt, kann er ihm dann zumuten, von der so sinnfälligen Vor- stellung eines Schnabeltieres gleich abzuschweifen nicht nur zu dessen Fortpflanzungsweise , nein auch zu den ihr dienen- den inneren Organen, und insbesondere zu einem anatomischen Bestandteil, der, zugleich dem Darm angehörig, dem Vergleichenden Anatomen besonders interessant ist, und von da zu der lateinischen Bezeichnung dieses Organs .... um dann endlich zurückzukehren — zur deutschen Sprache? Dr. V. Franz. Herrn Paul Hoffmann, Leipzig-Dölitz. Nahezu sämtliche Kulturstaaten der Erde haben für die geologische Landes- untersuchung besondere staatliche Anstalten , denen die Auf- gabe obliegt, das Staatsgebiet planmäßig geologisch zu durch- forschen und von den durchforschten Gebieten geologische Karten und Beschreibungen zu liefern. Die folgende Übersicht, in der mit Deutschland begonnen wird, enthält in alphabetischer Reihenfolge die Länder, die amtliche Bezeichnung der geologischen Anstalt und deren Sitz. Zur genaueren Orientierung wird auf den Geologen- Kalender (zehnter Jahrgang für die Jahre 1913—14, bearbeitet von Dr. W. Quitzow, Verlag von Max Weg, Leipzig 1913) verwiesen, dem auch die folgenden Angaben zum Teil ent- nommen sind. Europa. Deutschland. Baden; Großh. Bad. Geol. Landesanstalt, Freiburg i. Br. Bayern : Geognostische Landesuntersuchung, geognostische Abteilung des Königl. Bayer. Oberbergamtes, München. Elsaß-Lothringen: Geol. Landesanstalt von Elsaß-Lothrin- gen, Straßburg. Hessen ; Großh. Hess. Geol. Landesanstalt, Darmstadt. Mecklenburg: Großh. Mecklenburg. Geol. Landesanstalt, Rostock. Preußen : Kgl. Preuß. Geol. Landesanstalt, Berlin. Sachsen: Kgl. Sachs. Geol. Landesanstalt, Leipzig, Tal- straße 35. Württemberg : Geol. Abteilung des Statistischen Landes- amtes, Stuttgart. Belgien: a) Commission Geologique de Belgique, b) Ser- vice Geologi'iue de Belgitjue, Brüssel. Bulgarien: Geologische Landesuntersuchung, verbunden mit der Section des Mines, Sofia. Dänemark: a) Dänemark: Danmarks geologiske Under- sögelse, Kopenhagen ; b) Grönland : Commissio- nen for Ledelsen af de geologiske og geogra- fiske Undersögelse i Grönland, Kopenhagen. Frankreich: Service de la Carte Geologique de la France, Paris. Großbritannien: Geological Survey of Great Britain. a) Geological Survey of England and Wales, London. b) Geological Survey of Scotland, Edinburgh. Geological Survey of Ireland, Dublin. Italien: Reale Ufficio Geologico, Rom. Niederlande: Ryksopsporing van Delfstoffen, Haag. Norwegen: Norges Geologiske Untersökelse, Kristiania. Österreich-Ungarn: Bosnien-Herzegowina: Bosnisch-Herzegowinische Geologi- sche Landesanstalt, Sarajewo. Galizien: Physiographische Kommission der Kais. Aka- demie der Wissenschaften. Geologische Sektion, Krakau. Kroatien • Slavonien ; Geologische Kommission für die Königreiche Kroatien-Slavonien, Agram. Österreich; a) K. K. Geologische Reichsanstalt, Wien. b) K. K. Quellen-Inspektorat, Karlsbad (Böhmen). Ungarn : Magyar Kiralyi földtani intezet, Budapest. Portugal; Coramissäo do Servigo Geologico, Lissabon. Rumänien: Institutul geologic al Romäniei, Bukarest. Rußland: Finland ; Geologiska Kommissionen i. Finland, Helsingfors. Rußland; a) Comite Geologique, St. Petersburg. b) Section geologique du Cabinet de Sa Mageste, St. Petersburg. Schweden: Sveriges geologiska Undersökning, Stockholm. Schweiz: a) Schweizerische geologische Kommission, Zürich. b) Schweizerische geotechnische Kommission, Zürich. Spanien: Institute Geologico de Espana, Madrid. Asien. Ceylon; Mineralogical Survey of Ceylon, Co- lombo. Indien; Geological Survey of India, Calcutta. I n d o - C h i n a ; Service geologique de l'lndo- Chine, Saigon. Japan; a) Imperial Geological Survey of Japan, Tokyo. b) Imperial Earthquake Investigation Committee, Tokyo. Mysore: The Mysore Geological Department, Bangalore. Batavia: Hoofdbureau van het Mijnwesen. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 19 Afrika. Ägypten: Geological Survey of Egypt, Kairo. Algier: Service de la Carte Geologique de 1' Algeric, Algier. Südafrika: Geological Survey of the Union of Soutli Afrika, Pretoria. Rhodesia: Geological Survey of Rhodesia, Bulawayo. Ameiika. Argentinien: Direcciön de Minas, Geologia e Hidrologia, Buenos Ayres. Brasilien: Commissäo Geographica e Geologica de Estado Säo Paulo, Säo Paulo. Kanada: a) Geological Survey of Canada, Ottawa. b) The Mines Brauch, Ottawa. Chile: Provisorische Landesanstalt, Santiago. Mexiko: Instituto Geolögico Nacional, Mexiko. Neu-B"undland; Geological Survey of New Foundland, St. Johns. Peru: a) Comisiun geologica, Lima. b) Cuerpo de Ingenieros de minas del Peru, Lima. Uruguay: Instituto de Geologia y Perforaciones, Monte- video. Vereinigte Staaten von Nordamerika: United States Geological Survey, Washington. AuiSerdem haben die meisten Einzelstaaten noch ihre igenen geologischen Landesanstalten. Australien. Neuseeland: Geological Survey of New Zealand, Wellington. Neu-Süd Wales: Geological Survey of New South Wales, Sydney. Queensland: Geological Survey of Queensland , Bris- bane. Süd-Australien: Geological Department, Adelaide. Victoria: Geological Survey of Victoria, Melbourne. West-Australien: Geological Survey of Western Australia, Perth. Tasmanien; Geological Survey of Tasmania, Launceston. Niederländische Kolonien: Hoofdbureau van het Mijnwesen, Batavia. Kaunhowen. Herrn Alwin Arndt, Berlin-Friedcnau. Wenn Kartoffel- knollen grün sind, so liegt das daran, daß sie kürzere oder längere Zeit dem Licht ausgesetzt waren, was bei Ausstellungs- gut natürlich leicht vorkommen kann. Ob eine Sorte früher ergrünt als die andere, scheint nicht untersucht zu sein. Die Ergrünungsfähigkeit wird abhängen von der Lichtdurchlässig- keit der äußeren Schichten, also von der Stärke der Schale und der Färbung der darunter gelegenen Gewebsschichten. DerSolaningehalt ergrünter Kartoffelleile soll erheblich größer sein als der nicht ergrünter Knollenteile. Da aber nach den vorhandenen Analysen der Solaningehalt der Knollen ein sehr schwankender ist, so kann man nicht ohne weiteres behaupten, daß ergrünte Kartoffeln immer ,, giftiger" sind als nicht er- grünte. Nach Schmiedeberg und Meyer enthält I kg geschälter Kartoffeln 0,024 g, ungeschälter 0,044 g, I kg Schale 0,071%, I kg der Keime 0,5% im Durchschnitt. Nach Angaben von Wintgcn (Zeischr. z. Unters, f. Nahr.- u. Genußm. 1906) wurden als Höchstzahlen in ganzen Kar- toffeln 0,1059 g und 0,0892 g Solanin pr. kg gefunden und Esser (Die Giftpflanzen Deutschlands 1910) gibt für frische Frühjahrstriebe bis 1,5% Solanin an. — Offenbar schwankt der Solaningehalt nicht nur bei den verschiedenen Sorten, son- dern ist auch abhängig von den Kulturverhältnissen. Veran- lassung zu vielen Analysen gaben Massenerkrankungen , an- geblich infolge reichlichen Kartoffelgenusses ; indessen scheinen die Toxikologen derartigen angeblichen Vergiftungserscheinun- gen skeptisch gegenüberzustehen. Nach Dieudonnc soll z. B. eine derartige Massenerkrankung im Jahre 1904 nicht auf den Solaningehalt der Kartoffeln zurückzuführen sein, sondern auf die Gegenwart des Bact. proteus, bzw. seiner Stoffwechselprodukte. — Wie Kobert (Compend. d. prakt. Toxikologie) mitteilt, geht übrigens ein großer Teil des Sola- nins beim Kochen der Kartoffeln in Lösung, wodurch natür- lich auch der Solaningehalt der grünen Teile stark vermindert würde. Nach den Untersuchungen Wintgen's wird — ent- gegen anderen Angaben — der Solaningehalt beim Lagern und Austreiben in den Knollen selbst nicht erhöht. Wächter. Herrn Paravicini in Zürich. Blätter so zu konservieren, daß das Blattgrün erhalten bleibt, ist meines Wissens ein noch ungelöstes Problem, wenigstens, wenn man die Pflanzen in Flüssigkeit konservieren will. Eine Methode von Gre- villius finden Sie in der Naturw. Wochenschr. Bd. 12(1913) S. 752 angegeben. Wie mir jedoch Herr Prof. Harms mit- teilt, nehmen die Objekte einen bläulichen Farbton an, so daß auch diese Methode nicht vollkommen befriedigt. In etwa I — 2 proz. Formalinlösung hält sich die Farbe ebenfalls nicht unbegrenzt. Für andere Farben, wie z. B. die rote des Arillus der Muskatnuß, lernte ich in Paraffinöl ein sehr gutes Kon- servierungsmittel kennen. Natürlich ist, wie wohl bei allen etwa noch auszuprobierenden Mitteln, Aufbewahrung im Dun- keln notwendig. Andere Pflanzenteile lassen sich aber nicht so ohne weiteres in Öl aufbewahren. Vielleicht könnte man Trocknen und Öl kombinieren, wobei vielleicht eine Injektion unter der Luftpumpe erfolgen könnte. Inwieweit man etwa starke Lösungen von Kochsalz bereits versucht bat, ist mir nicht bekannt. Man könnte immerhin einen Versuch machen. Miehe. Vögel im Gewehrfeuer. Bei einem Scharfschießen (80 Ge- wehre gleichzeitig in Feuerstellung) in der Umgebung von Aschersleben auf einem zur Bestellung vorbereiteten Rüben- felde saßen in einer Entfernung von 200 — 300 m (man schoß auf 500 — 600 m) auf dem Felde Rebhühner, Krähen und Sperlinge, die sich durch unser Schießen auch nicht im ge- ringsten stören ließen, sondern ruhig weiter nach Futter suchten. Einige Schüsse, von liederlichen Schützen abgegeben, schlugen etwa in einer Entfernung von 100, 150, 200 m ein. Die meisten Geschosse werden in einer Höhe von 0,75 bis I ra über die Vögel hinweggeflogen sein. Während des Schießens herrschte sehr starker Wind von halblinks, so daß der Knall auf die Schützen getrieben wurde. R. Glaesemer, Lt. d. R. Herr Prof. Dr. Felix Koerber schreibt uns : Gestatten Sie mir, darauf aufmerksam zu machen, daß die Seite 175 (Nr. II) von K. Seh. an H. D. in A. gegebene Antwort durchaus irrig ist. Es handelt sich bei den Rad iumziffe r blättern, wie sie z. B. die Firma Junghans in den Handel bringt, in der Tat um Spuren radioaktiver Substanzen (es soll Meso- thorium sein), die der Leuchtmasse beigemischt sind und diese unabhängig von jeder Belichtung zum Leuchten bringen. Mit dem Mikroskop kann man in einem ganz dunklen Räume sehr schön das bekannte Scintillieren sehen, wie es auch Sidotblende bei Bestrahlung mit Radiumbromid zeigt. Kbr. Inhalt: Egon Eichwald, Neuere Forschungen über die Chemie und Pliysiologic der Fette. S. 273. Eilhard Wiede- mann, Zur Lehre von der Generatio spontanea. S. 279. Eduard Boecker, Über die neueren Ergebnisse der Hydraforschung. S. 2S1. — Anregungen und Antworten: Zur Sprachreinigung. S. 2S5. Übersicht über sämtliche staatliche geologische Landesanstalten. S. 287. Grüne Kartoflelknollen. S. 288. Blätter so zu konservieren, daß das Blattgrün erhalten bleibt. S. 288. Vögel im Gewehrfeuer. S. 2S8. Radiumzifferblätter. S. 288. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. a, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 14. Mai 1916. Nummer 30. Die Petroleumfelder Mesopotamiens. Von Otto Debatin, Stuttgart, [Nachdruck verboten.] Mit I Karte im Text. Unter den reichen Bodenscliätzen des asiatischen Gebietes unserer türkischen Bundesgenossen ver- dienen unser besonderes Interesse nicht zuletzt auch die Erdölvorkommen Mesopotamiens. Schon seit dem frühesten Altertum bekannt und ausgebeutet, fanden sie in neuester Zeit erst wieder Beachtung, als England sich so eifrig um Konzessionen für die persischen Petroleumfeldcr bemühte. Die Anglo-Persian-Oil-Company hat seit dem Jahr 1909 mit der persischen Regierung mehrere Kontrakte abgeschlossen, durch die der Gesellschaft die Ausbeutungsrechte aller Petroleum- felder Süd- und Westpersiens zugesprochen wurden. Seither ist auch das Interesse für die Petroleum- vorkommen in der Türkei, hauptsächlich für die mesopotamischen, reger geworden.') Im Frühjahr 1914 kam nach einem Alarm- artikel im „Temps" auch die „Kölnische Zeitung" auf die Frage der türkischen Petroleumgerecht- same zu sprechen. Es hieß damals, die englische Regierung hätte sich gewisse Vorrechte auf diese Konzession zu sichern gewußt. Die Franzosen regten sich darüber auf, daß auch die syrischen Petroleumfelder darin einbegriffen sein sollten, dem türkischerseits schnell widersprochen wurde. Dann sollte auch die Deutsche Bank ihre Rechte auf die mesopotamischen Petroleumlager geltend ge- macht haben und sollten sich Engländer und Franzosen zu gemeinschaftlichem Handeln zu- sammengeschlossen haben. In Paris bildete sich ein Syndikat, bestehend aus der Banque de L'Union Parisienne imd dem Hause Thalmann & Co. für die Erschließung der Petroleumfelder in Syrien. Bei diesem allgemeinen Wettbewerbe der Ausländer um das türkische Petroleum konnten die Türken natürlich nicht zurückbleiben, und es wurde eine Zeitlang viel von der Gründung eines osnianischen Syndikats für die Ausbeutung der mesopotamischen Petroleumfelder gesprochen. P^ür die türkische Volkswirtschaft wäre die Ausbeutung der Petroleum- felder nicht ohne Bedeutung, um so mehr, als die Regierung das Petroleummonopol einführen will. Über die Reichhaltigkeit und Ausdehnung der türkischen Petroleumfelder gehen die Ansichten der Sachverständigen allerdings noch auseinander. Die von der Deutschen Bank 1905 ausgesandte Studienkommission hat einen sehr zurückhaltenden Bericht über die mesopotamischen Petroleumfelder erstattet. Sie glaubt, daß dort das Petroleum nicht in weitausgedehnten Horizonten vorkomme wie in Baku, sondern nur in örtlichen Ansammlungen von geringer Reichhaltigkeit. Dem würde jedoch die Tatsache widersprechen, daß die meisten der mesopotamischen Erdölquellen schon seit Jahr- tausenden von den Anwohnern ausgebeutet werden, wenn auch nur jeweils in geringem Maße. Zurzeit werden nur einige Brunnen von den Einheimischen betrieben, und das Petroleum wird notdürftig ge- reinigt. Abdul Hamid wollte die sämtlichen Pe- troleumfelder an sich bringen und ausbeuten, über bescheidene Anfänge ist aber die Verwaltung seiner Zivilliste nicht hinausgekommen. Der Ausbeutung der Petroleumfelder im großen stellt sich namentlich eine Schwierigkeit entgegen, d. i. der vollständige Mangel an Verkehrsmitteln. Es sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, dieser Schwierigkeit Herr zu werden. Es sollte der Tigris bis Mosul schiffbar gemacht werden, mindestens für Kähne von 3 — 400 t Tragfähigkeit. Diese sollten bis Basra geschleppt, und dort sollte das Petroleum auf Hochseeschiffe gepumpt werden. Man hat auch an die Anlegung von Rohrleitungen gedacht, wie solche in Amerika, Rumänien usw. bestehen. Auch in Persien gibt es eine derartige Rohrleitung gegen Muhammera. Manche Gegenden sind jedoch topo- graphisch noch nicht genügend aufgenommen und sind teilweise auch sehr sumpfig, so daß die An- legung von Rohrleitungen außerordentlich kostspielig sein würde. Die Bagdadbahn kommt aber nahe bei M ende li, nahe den reichhaltigsten Petroleum- vorkommen auf türkischem Boden, vorbei, sie durch- quert auch die reichen Petroleumfeldcr von G ayara, und eine Zweigbahn ist nach dem Erdölgebiet vonTuz Churmati geplant. Sicherlich werden auch nach anderen Petroleumfeldern Anschluß- bahnen gebaut werden, wenn die Notwendigkeit dafür vorliegen wird. Wie die Verhältnisse heute in Mesopotamien liegen, dürfte das dortige Petroleum vorerst noch keine Rolle auf dem Weltmarkte spielen, wohl aber auf dem inneren Markte. Man findet auch in Mesopotamien die anderwärts ge- machte Erfahrung bestätigt, daß sich Steinkohlen- lager und Erdölvorkommen gegenseitig fast immer ausschließen.') ') Vgl. auch meinen Aufsatz in der „Frankfurter Zeitung" vom 28. Dezember 1915 Nr. 359. ') Doch wurde unlängst in einer amerikanischen Zeitschrift (Journal Washington Academy of sciences 1915, Bd. 5) auf einen anscheinenden Parallelismus zwischen der Anreicherung von wasserstoftreichen Kohlenwasserstoffen in Erdöl und von Kohlenstoff in kohlehaltigen Rückständen (Steinkohlen, Kohlen- schiefer usw.) hingewiesen. Dieser Parallelismus, den die geologische Betrachtung der nordamerikanischen Kohlen- und Ölfelder mehr oder minder klar erkennen läi3t, würde hohe wissenschaftliche und technische Bedeutung besitzen. D. Verf. 290 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 20 Da die Kohlen von weit hergebracht werden müssen, ist es naheliegend, daß die Bagdadbahn ihre Lokomotiven mit Petroleum heizt; ferner dürfte die Anwendung von Petroleummotoren, namentlich für Bewässerungszwecke, und Petroleum- lampen zunehmen; auch wird man Petroleum nach Syrien und Kleinasien befördern, insoweit der Wettbewerb des auswärtigen Petroleums einen weiteren Bahntransport erlaubt. Es braucht nicht auf die große Bedeutung des geplanten Petroleum- monopols für die Ausbeutung der mesopotamischen Petroleumfelder hingewiesen zu werden. Der „Korr. Piper" wurde im Frühjahr 1914 von sachverständiger Seite aus London über die Pe- troleumlager Mesopotamiens folgendes geschrieben: „Die mesopotamischen Olfelder sind anscheinend geologisch ein Teil des persischen Systems. Wahr- scheinlich bilden sie die Westgrenze des riesigen Ölfeldergebiets, das sich von Quetta und Mokran längs der westlichen Gebirge Persiens (einschließlich einiger Inseln im Golf) bis nach Baku am Kaspischen Meer erstreckt. Untersuchungen des Öls bei M e n d e 1 i haben ergeben, daß es fast die gleiche chemische Zusarnmensetzung besitzt wie das Ol von Baku. Die Olfelder, die in Frage kommen, gehören mit Ausnahme des von Tuz Churmati der türkischen Zivilliste und liegen in den Wilajetcn Mosul und Bagdad. Im Wilajet Mosul sind es die Öllager von Abjak, Baba Gurgur nördlich von Kerkuk, Gayara am Tigris, Gull süd- lich von Tschemtsch emol, Nimrud, Kifri, Tuz Churmati und Zahrou am Flusse Ch ab ur. Im Wilajet Bagdad liegen die von Hit, Ramadi, Nafata und Mendeli. Die wichtigsten der ge- nannten sind die von Gayara, Guil, Tuz Churmati, Zahrou, Hit, Ramadi und Men- del i ; die Lager von H i t sind besonders bemerkens- wert wegen der zahlreichen wichtigen Quellen von bitumiosem Pech. Die Felder von Mendeli sind die reichsten; über ein Dutzend Quellen ergießen das Öl mit großer Gewalt, und es ist von ausge- zeichneter Beschaffenheit." Es handelt sich hier in der Hauptsache um zwei Erdölzonen; die eine umfaßt die Gebiete von Hit, Ramadi und Nafata am Euphrat, die andere erstreckt sich von Mendeli, das noch im Wilajet Bagdad liegt, nordwestlich bis hinauf nach Mosul. Zu ihr sind die im Wilajet Mosul gelegenen, oben bereits genannten Gebiete zu rechnen. Einige von ihnen verdienen neben dem geologischen auch unser historisches Interesse. Eine zusammenfassende Beschreibung ist noch nirgends veröffentlicht, die vollständigsten Angaben hat C. Ritter') in seinem „West -Asien" ge- sammelt, sie stimmen auch durchaus mit neueren Einzelberichten überein. Nächst Mendeli, dessen Bedeutung schon durch die angeführten Berichte gekennzeichnet wird, ist als eines der wichtigsten Petroleumfelder ') Carl Ritter, Die Erdltunde, Drittes Buch. West- Asien. Berlin, Reimer. die Gegend von Tuz Churmati und Kifri zu nennen. Tuz Churmati ist nach Ker Porter') mit seinen 5000 Einwohnern eines der wohlhabendsten kleinen Städtchen im mesopotamisch-persischen Grenzgebiet. Es liegt ungemein reizend zwischen Gärten in einem Wald von Dattelbäumen, Orangen, Granaten, Oliven, Feigen, die dicht bis an den P^uß der schwefelreichen Gipsberge reichen, an denen die Stadt liegt. In einem Spalt oder Durch- bruch, durch den sich unweit der Stadt im Süd- osten der Askufluß nach der Ebene hindurch- zwängt, tritt eine Erdölquelle mit einer Salz- quelle und etwas südlicher noch eine zweite Naphthaquelle hervor. Schon N i e b u h r -) hat ihrer erwähnt, obwohl er bemerkt, daß die dortige Quelle des Gir (d. i. Bitumen) weniger beachtet sei wegen der größeren Mengen Asphalt, welche die Hitquelle am Euphrat darbiete, wo das Erd- pech zum Kalfatern der Schifte benutzt werde. Die Naphtha (Naft, arab.=Erdöl) dagegen sei weit geschätzter. Die gemeine Sorte sei schwarz und werde zum Brennen in den Lampen verwendet; alle Fackeln in Bagdad seien aufgerollte Lumpen, die in Naphtha getaucht und getrocknet seien. Die seltenere hellere Naphtha werde in den Apo- theken als Heilmittel feilgeboten. Im allgemeinen finden sich die Erdölquellen um Tuz Churmati in der Tiefe der Spalten der Gipsberge, zusammen mit Salzsolequellen. Die genannte Ölquelle fandRich^) über 5 Meter tief und über 3 Meter hoch mit einer Salzsole an- gefüllt, auf der das Erdöl aufschwimmt. Die Araber leiten das Salzwasser in Sandrinnen, an deren Seiten das Salz in Kristallen anschießt und dann weit durch ganz Kurdistan verbreitet wird. Eigentümer der Ölquellen sind die Anwohner, die Hauptölquellcn liegen jedoch in den Bergen, die von Kifri und Tuz Churmati herüberstreichen und zwar westlich des genannten Passes. Rieh zählte dort fünf oder sechs Quellen, weit ergiebiger als die erwähnten. Er stellte außerdem noch neben den Quellen Alaun, Kreide, auch Vitriolerde und Schwefel fest; daher die dortigen Berge auch Schwefelberge genannt wjerden. Der Engpaß, aus dem der Asku bei Tuz Churmati hervorbricht, zieht von Osten nach Westen. Es ist dies einer der Hauptpässe nach Kurdistan, der auch früher durch Quermauern, deren Ruinen noch zu sehen sind, gesichert war, um die Überfälle der räuberischen Kurden zu wehren. An seiner Südseite sind die Hänge ein- gestürzt, durch Regen ausgewaschen, nur einzelne Felspfeiler sind stehen geblieben. Auf einem Gipfel dieser Klippen liegen die Trümmer eines alten Kastells, nach aufgefundenen Tonscheiben zu schließen, aus der Sassanidenzeit. Auf dem Gipfel an der Nordseite des Passes steht ein kleiner Tempel des Kalifen Ali; darin soll jeden I'^reitag eine Lampe von selbst aufleuchten. ') Iver Porter II, p. 434—436- ^) C. Niebuh r, Reisebeschreibungen II, p. 335. ') J. Rieh, Narrat. I, p. 35—54- N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 291 Von Tuz Churmati gelangt man auf der Straße, die in nordwestlicher Richtung nach Mosul führt, in 6 Stunden nach Kerkuk. In der Nähe dieses (Irtes sind schon seit uralter Zeit Bitumenvorkommen bekannt. Ker Porter*} zählte an dem Abhang eines niederen Rergzuges 10 Erdölquellen, die sich schon auf große Ent- fernung durch ihren Geruch verrieten. In der Nähe verursachten die Schwefeldünste Kopf- schmerzen. Mehrere dieser Brunnen, die in einem Umfange von etwa lOO Meter beisammen lagen, maßen 2 — 3 Meter im Durchmesser und waren bis zu 4 Meter tief; man hatte Stufen in den F'els bis zu ihnen hinunter ausgehauen. Die Naphtha steigt oder fällt darin, je nachdem das Wetter trocken oder feucht ist. Das jährliche Einkommen aus diesem schwarzen Erdöl, das in Schläuchen nach Kerkuk transportiert wird, schätzt Ker Porter auf 30000 bis 40000 Piaster. Doch wird die Naphtha nur in den Bazaren von Kurdistan verkauft, da Bagdad von Kifri und von Hit aus besser versehen werden kann. Dicht neben diesen Quellen liegen einige ausgedehnte Sümpfe voll schwefligen Schlammes, hundert Schritt weiter gegen Osten auf dem Gipfel derselben Anhöhe befindet sich eine flache kreisrunde Einsenkung im Boden von etwa 16 m im Durchmesser, aus der zahllose Flämmchen ohne eine Spur von Rauch hervorlecken, dabei einen starken Schwefelgeruch verbreitend. Die ganze Oberfläche dieses gleichsam von Flämmchen durchlöcherten Siebes schien Ker Porter eine Schwefelkruste über einem Feuerherd zu sein. Wo er mit einem Dolch ein Loch bohrte, da brach eine neuere größere Flamme hervor. Die An- wohner haben dieser für sie geheimnisvollen Stelle den mystischen Namen Baba Gurgur, „Vater des Erdöls" gegeben. Ainsworth") verdanken wir eine ausführliche wissenschaftliche BeschreibungdieserFlammenstelle. Er nennt sie nach den Türken Korkuk Baba und übersetzt dies mit father of boiling, „Vater des Kochens". Schon Strabo wußte von dieser Stelle, daß hier Naphthaquellen und Flammen hervor- brechen und daß ein Heiligtum der Anaitis dort liege (ij Tov Ndfpd-a Jt)]yi], xö< tu /riQti, x«/ to Tijg 'Avaiac, isQÖr. usw. XVI, 737). Der Kalkstein hat hier den Mergel und Gips völlig verdrängt, die Flämmchen zeigen sich auf dem Gipfel der Kette in einer rundlichen Ein- senkung. Die F"lammenstelle hat bei Tageslicht ein dunkles, düsteres, aschiges .aussehen, über dem man nur bei genauerem Zusehen das Spiel der Flämmchen erkennen kann, das sich aber durch eine sehr starke Entwicklung von „schwefel- saurem Gas" kund tut. Das Thermometer stieg darin über 100" C. Wo man mit dem Speer ein- stach, brach eine neue Flamme hervor. Aller Boden umher ist veränderter, kalzinierter Kalk- stein, mit den verbrannten Resten bedeckt. Selten zeigen sich Schwefeleisen, staubige Eisenkalke und rote Zinnoberspuren. Das seltsame Phänomen ist anderen bekannten Vorkommnissen dieser Art ana- log, doch wegen seiner weiten .Ausdehnung, langer Dauer (seit 2000 Jahren) und dem nie aussetzenden Hervorlodern der Flammen, auch bei trockenstem Wetter, bemerkbar. Brunnen in der Nähe dieser Flammenstelle, die in der Sprache der Araber auch .'\bu Geger genannt wird, zählte Ainsworth sieben, die aber häufig ihre Stellen wechseln, weil immer da, wo man in den Berg gräbt, auch das Erdöl hervorschwitzt. Die Erdschicht in der Tiefe ist ein grobes, bituminöses Lager mit zwischen- gelagertem Muschelkalk, in den oberen Schichten von Sandmergeln begleitet, die körnige Schwefel- teile enthalten. Man gräbt die Brunnen 3—4 m tief, bis zu gleicher Tiefe wie die Flammenbildung von Abu Geger reicht; das Erdöl quillt aus den ') Ker Porter II, p. 440 — 444. ^) W. Ainsworth, Res. p. 27, 243—245. Seitenwänden der Brunnen hervor, schwimmt also nicht auf Wasser oder Salzsole, wie im Gipsboden zu Tuz Churmati. Das schwarze hier gewonnene Naphtha nennen die Araber Kara-.Naphtha, das helle aber Naphtha Abiat, d. h. weiße Naphtha. Große Bedeutung kommt auch dem Erdöl- gebiete von Ga)-ara zu, nicht nur wegen seiner Ergiebigkeit, sondern vor allem auch wegen seiner günstigen Lage zu großen Verkehrswegen, nämlich dem Tigris und der Bagdadbahn. Wohl ist die Möglichkeit einer Schiffbarmachung des Tigris so weit hinauf schon bestritten worden, aber schon i. J. 1839 ist das englische Dampfschiff „Euphrates" bis in die Nähe von Gayara gelangt. Dann wird auch dieses Gebiet von der Bagdad- bahn mitten durchquert, was für beide Teile von großer Bedeutung ist, da man, wie schon gesagt, in Ermangelung billiger Kohle die Lokomotiven, überhaupt den ganzen Betrieb der dortigen Bahn- 292 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 20 anlagen mit Petroleum versorgen wird. Gayara liegt wenige Stunden unterhalb Mosul auf der rechten Seite des Tigris. Rieh*) sah bei seiner Vorbeifahrt neben dem Ort schwarzen Dampf aus Bitumenquellen aufsteigen. Ainsworth be- richtet von dortigen nackten Gipshügeln, an deren Fuß zahlreiche Quellen von Asphalt und Bitumen hervortraten. Sie schwitzten aus kleinen, kreis- runden Vertiefungen aus, wurden aber oft wieder er- stickt oder auch nur beengt durch die umgebende er- härtete Bitumenkruste, die sich fortwährend bildet. Die niederen Gipshügel westwärts dieser Quellen werden AI Gayara, d. i. der Pechplatz genannt. Ainsworth") bemerkt noch, dies seien die einzigen Quellen ganz reinen Asphalts, die er in ganz West- Asien kennen gelernt habe. Ältere und neuere Be- richte melden auch von Erdölvorkommen in der Nähe vonNimrud. Ks ist dies ein heruntergekommenes Dorf südöstlich von Mosul, das seinen Namen auf den großen Nimrod zurückführt. Die Ebene von Mosul ist auch ausgezeichnet durch warme Quellen. Von Mosul und Bagdad aus werden die Bäder von Aman Ali gern besucht. Die warme Quelle dort ist überbaut, wenn auch ziemlich primitiv, und fließt sehr reichlich. Auch Moltke^) be- richtet von dortigen heißen Schwefelquellen, neben denen auch Petroleum aus den Gipsschichten hervor- schwitze. Ainsworth kennt sie ebenfalls, er nennt ihrer sechs, von denen drei so reichhaltig fließen, daß sie vereint einen milchweißen Bach bilden, der seine T'arbe von dem „reichlichen Schwefelniederschlag" erhält. Einige Kilometer flußabwärts von Gayara, etwas unterhalb der Einmündung des Kleinen Zab, hat sich der Tigris durch eine quergelagerte Bergkette einen Durchbruch geschaffen. Diese Enge, wo der Fluß nur noch 80 m breit ist, wird El F a 1 1 ' h h a genannt. In diesem Bergpasse der zer- trümmerten Gebirgskette tritt auf dem linken Ufer eine Naphthaquelle zutage, und zwar aus dem Flußbett selbst. In schwarzen Flecken wirbeln hier bedeutende Ölmengen zur Oberfläche empor, die in den Wasserwogen immer wieder verwirbelnd allmählich wieder verschwinden. K i n n e i r *) er- zählt, er habe das Erdöl bei der Vorbeifahrt schon gerochen, bevor er noch in die Nähe der Quelle gekommen sei. Auf der rechten Uferseite wird Schwefel gefunden. Nach einer Sage der Anwohner hat Allah die beiden Berghänge dazu verurteilt, in immerwälirender Fehde miteinander zu stehen. Durch ihre Streiche und Stöße, die sich die beiden Berge gegenseitig versetzen, wird nun jene Naphtha aus der Tiefe hervorgetrieben. Von dem Erdölvorkommen im Stromgebiet des E u p h r a t ist das von Hit das weitaus wich- tigste wegen seiner ungemein reichhaltigen Quellen von bituminösem Pech. Das heutige Hit, schon zu Her odot's Zeiten als Is durch seinen Asphalt 1) Rieh, Narrat. II, p. 131;. ^) W. Ainsworth, Trav.'and Res. 11, ji. lt;2. ") V. Moltke, Briefe a. a. O. S. 242. *) Med, Kinneir, Journ. thr, Asia usw. I, c. p- 467. berühmt, der schon zum Schilfverband der babylo- nischen Backsteinmauern diente, liefert schon 3Y2 Jahrtausende ununterbrochen große Mengen Erdharz. Auch der mesopotamische Asphalt, von dem S trab o und Plini US berichten, stammt un- streitig aus der Gegend von Hit. Aber erst eine Dampfschiffsexpedition in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts belehrte uns näher über Stadt und Asphaltvorkommen. 0 1 i v i e r ') sah den uralten Ort auf einer Anhöhe liegen. Er schätzte seine Einwohnerzahl auf etwa 1000 Seelen. Beim Übersetzen über den Euphrat sah er, wie Frauen Wasser in aus Stroh geflochtenen Krügen schöpften, die mit Bitumen wasserdicht und sehr haltbar überzogen waren. Irdene Krüge kennen die dortigen Araber kaum. Als Bindemittel bei Mauern und Häuserbau findet heute das Erdharz keine Ver- wendung mehr, wohl aber dichtet man mit ihm noch VVasserleitungsanlagen, Badstuben, Wasch- behälter, überhaupt alles, was Wasser halten soll, ab, insbesondere kalfatert man damit noch heute, wie nach der Überlieferung schon in biblischer Zeit die Euphratschiffe, wobei sich als Vorteil ergibt, daß das Erdharz, wenn die Boote alters- schwach und verbrannt werden, abschmilzt und wieder aufgefangen werden kann. Ainsworth") verdanken wir wieder eine genaue Beschreibung auch dieser Quellen. Er zählt mehrere auf. Zwei der größten liegen eine halbe Stunde landein von der Stadt, in einer tonigen Kalksteinformation. Die eine Quelle schmeckte bittersüß, ihr Wasser war klar und durchsichtig. Fortwährend stiegen in den Tümpeln Gasblasen und große Bitumen- stücke an die Oberfläche. Die Türken, die dieses Bitumen von der Naphtha oder Nafti unterscheiden, die vierStunden unterhalb Hit, am linken Euphratufer bei der Salzlagune von Nafata gewonnen wird, nennen das Erdharz von Hit Kara Sakiz. Bei den Arabern heißt es Geiser. Aus dem Buschwerk, das ihnen der Strom zuführt, flechten sie ver- schiedenartige Boote, meist mit flachem, ovalem Boden und aufrechtstehenden Seitenwänden. Dieses Geflecht wird dann noch mit Rindenstücken und Stroh abgedichtet und schließlich mit Erdharz gründlich kalfatert. W e 1 1 s t e d t ^) führt lO solcher Quellen an, die Bitumen ausstoßen. Das erkaltete Bitumen wird in viereckige Stücke geschnitten und weithin verfrachtet. Schon Dr. Bai pries stellte im Jahre 1833 Versuche*) an, mit Asphalt von Hit die Kessel seines Expeditionsdampfers zu heizen, und fand, daß er ein eben so starkes Feuer gebe wie die Kohle. Verflüssigt durch Kochen, eigne sich das Bitumen auch zum Brennen in Lampen, zu Fackeln und stelle sich auch hierbei so billig, daß es, wie Chesney schon damals meinte, an Brennmaterial, an Asphalt und Naphtha, bei einer Beschiffung dieses Stromsystems nie fehlen werde. ') Olivier, Voy. I, c. Vol. III, p. 448. 2) W. Ainsworth, Res. in Assyria usw. p. 29. ') Wells tedt, Travels to the City of the Kaliphs usw. ^- 3'5- ■") Chesney in Report s. Appendix p. 64. N. F. XV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 293 Dr. Winchester, ^) der Schiftsarzt der schon mehrfach erwähnten Dampfschiffsexpedition, hat die Quelle ebenfalls besichtigt. Ihn interessierte vor allem die Hauptquelle, die P e t r o 1 e u m lieferte. Er fand sie mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit gefüllt, deren Mitte immerfort Gasblasen aufwirft. Am Rande des Teiches schöpfen die Arbeiter die zähe Flüssigkeit ab und lassen sie an der Sonne eintrocknen, um sie dann als Brennmaterial beim Kalkbrennen zu verwenden. Trotzdem seit un- denklichen Zeiten täglich große Mengen dieses Erd- öls gewonnen werden, zeigt sich keine Abnahme der Ergiebigkeit. Das Öl fühlt sich ganz fettig an, sagt Dr. Winchester, kannaber, wenn die Hand naß ist, geschöpft werden, ohne an derselben hängen zu bleiben. Er nennt es verschieden, sowohl vom Asphalt wie auch von der dünnerflüssigen Naphtha, die bei Nafata gefunden wird. Neuere Reise- berichte sprechen gar von einem Pechsee bei Hit, der einen Durchmesser von 2 (engl.) Meilen auf- weise, also gleichsam ein Gegenstück zu dem be- rühmten Pechsee auf der Insel Trinidad bilden würde. Gleich unterhalb Hit verschwindet die feste Uferbildung, und weiche, niedere Uferebenen breiten sich unabsehbar aus. Schon in der Nähe des Dorfes Nafata (4 Stunden unterhalb Hit) be- ginnnen große Sümpfe und Salzlagunen. In der Umgebung Nafatas wird schon seit alters ein vor- zügliches Erdöl gewonnen. Es liefert ein aus- gezeichnetes Gas zur Beleuchtung, gibt die besten Fackeln (in Erdöl getauchte Aufrollungen von Lumpen) und dient als feinstes Öl zur Malerei. Die Araber gewinnen eine schwarze und eine helle Sorte; diese geht als Maleröl bis nach Indien. Etwa 3 Stunden flußabwärts von Nafata liegt auf dem rechten Euphratufer die kleine Uferstadt Ramadi, in deren Nähe sich ein großer Salz- see an 2 Stunden von West nach Ost hinzieht. An seinem Ostende wird ebenfalls ein vorzügliches Erdöl gewonnen. — Der letzte Sachverständigenbericht über die mesopotamischen Erdölvorkommen, der vor etwa 2 Jahren veröffentlicht wurde, kommt im Gegen- satz zum Gutachten der Studienkommission der Deutschen Bank aus dem Jahre 1905 zu folgendem günstigen Ergebnis: „Wenn man bedenkt, daßdasPetroleumgebietsichüberiOOkm ausdehnt, und daß das Öl in Qualitäten ') J. W. \Vinch< p. 12-17. r, Memoir on the River Euphrates zur Oberfläche kommt, die bisher in der Geschichte der Petroleumgeologie unbekannt waren, so ist man zu derAn- nahme berechtigt, daß diese Petroleum - gebiete zu den reichsten der Welt ge- hören. Die einzige Schwierigkeit für die Auf- schließung des Gebietes ist die des Transportes." Aber was der Anglo-Persian-Oil-Company bei dem persischen Petroleumfeld Kasr-i-Schirin, das hart an der türkischen Grenze gegenüber Kifri liegt, schon gelungen ist, sollte sich auch in Mesopotamien durchführen lassen. Es sind dort bereits fünf Bohrlöcher gegraben, die dauernd gute Ausbeute ergeben. Es ist dort auch eine kleine Raffinerie errichtet, die der Reinigung des Rohöls dient. Die gesamte Ausbeute bleibt vor- erst noch im Lande und wurde bisher in den umliegenden Teilen Persiens und vor dem Kriege auch in den benachbarten Gebieten der Türkei verbraucht. Bei Bagdad und Bassorah hat die Gesellschaft große Lagerstellen errichtet und von hier aus wird die Ware flußabwärts nach dem Meeresufer gebracht. Wir haben hier also schon den Beweis, daß das Verhältnis zwischen Anlagekosten und Gewinn durchaus nicht so ungünstig ist. Schon der lokale Bedarf für Mesopotamien allein müßte in kurzer Zeit die Versuche, die dortigen ergiebigen Ölvorkommen modern auszubeuten, lohnen. Die meisten der Dampfer des Tigris und Euphrats sind bereits zur Ölfeuerung übergegangen. Ein weiterer guter Kunde ist die Bagdadbahn und wird es in noch viel höherem Maße werden, wenn erst einmal ihre Zweiglinien, von denen die nach Mendeli und Tuz Churmati schon geplant sind, ausgebeutet werden. Auch in Mesopotamien selbst wächst die Nachfrage nach Leuchtöl und nach Brennöl, da in den dortigen Ebenen an Stelle der vorsint- flutlichen Wasserräder immer mehr Motorpumpen für Bewässerungszwecke aufgestellt werden. Meso- potamien, einst ein üppiges, überreiches Land, verspricht wieder ein bedeutendes Getreide- und Baumwolland zu werden. Seiner Erschließung wird auch eine moderne Ausbeutung seiner reichen Petroleumfelder zugute kommen, deren Bedeutung zunächst auf der Beschattung der Betriebsstoffe zur Krafterzeugung aller Art beruht. Die weitere Zukunft muß uns dann erweisen, bis zu welchem Grade die türkischen Erdölvorkommen auch für den Wellhandel, vor allem für die Versorgung Mittel- europas mit Petroleum in Betracht kommen. ( G. C. ) Einzelberichte. Paläontologie. Als weitere Folge (VII) seiner biologisch-paläontologischen Betrachtungen gibt W. Deecke eine recht anregende Studie „Über Crustaceen" im Neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie, i. Band 3. Heft 191 5, die sich vor allem mit dem Vorkommen der Crustaceen in den Sedimenten der Vorzeit befaßt. Krebse leben heute in allen Zonen und Regionen, im salzigen wie im süßen Wasser und nähren sich in der Hauptsache als Aasfresser von Abfällen aller Art. Verfolgt man ihre Reste und Spuren in den Sedimenten, so findet man sie in Tonen, 294 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 20 Kalken, Sanden, Sandsteinen, ja selbst in Konglo- meraten. Auffallend arm an Resten sind doio- mitische Gesteine, doch hängt dies wohl mit der Umkristallisierung zusammen. An und für sich ist der chitinige Panzer gut konservierbar. Als besonderer Faktor muß bei den Krebsen berücksichtigt werden, daß ein einzelnes Tier zeit seines Lebens infolge der mehrfachen Erneuerung der Haulbedeckung mehrere bis zahlreiche erhaltungsfähige Reste zu liefern vermag. Besonders reichliche Vorkommen von Krebsen sind auf eine ganz bestimmte bio- logische Fazies beschränkt, also auf die Existenz- bedingungen der mit den Krebsen zusammen vorkommenden Lebewesen. Mit dem Begriff der Fazies, wofür verschiedener Ablagerungsort und Gleichaltrigkeit Vorbedingung ist, hat sich W. Deecke in einer früheren ebenso anregenden Arbeit: „Faziesstudien über europäische Sedimente" (Ber. d. Naturf. Ges. Freiburg i. B. 191 3) befaßt. Sehr verschiedenartig verhalten sich die ein- zelnen Gruppen der Krebse im Laufe der Erd- geschichte. Aufgewachsene Cirripedien und die in der Strandzone bis zur Flutgrenze festsitzenden Bala- niden werden naturgemäß vielfach vor der Ein- bettung in die Sedimente zertrümmert und mischen sich dann in den Strandgrus. An und für sich müssen sie sehr alt sein, doch kommen sie ab- gesehen vom Tertiär und einigen vereinzelten Kreidevorkommen sehr selten vor, weil die von ihnen bevorzugten Abrasionsstellen zumeist zer- stört werden. Eine weitere Gruppe, die L e p a d i d e n ist in der Regel auf treibende Körper (Schiffe, Treibholz, Bimsstein, Pseudoplankton) festgewachsen und vom Silur ab bekannt. Deshalb finden wir dieselben, da sie oft eine weite Strecke zuiücklegen können, in Sedimenten aller Art, wo sie gerade stranden und eingebettet werden. Interessant sind weiterhin die Ostracoden, welche als die universalste Gruppe unter den Krebsen bereits vom Silur ab gesteinsbildend auf- treten und auffallenderweise hier schon die größten Formen erlangten. Sie leben in allen Regionen des iVIeeres, treten aber gesteinsbildend doch nur in Schichten auf, die in ruhigem Wasser abgelagert wurden, wo die Ostracoden möglicherweise zu- sammen mit einer üppigen Algenvegetation gelebt haben. Im Silur sind es die Beyrichienkalke, im Oberdevon die Cypridinenschiefer, in der germa- nischen Trias die Bairdienschichten, im Wealdcn und Tertiär die Cypristone. Vielfach sind es Sedimente, die sich in der Übergangszone vom Meer zum Süßwasser als Ostracodenschlamm niedergeschlagen haben. Infolge ihrer plankto- nischen Lebensweise fehlen Ostracoden wenigen Sedimenten, sind jedoch nur in Mergeln und Tonen leicht erkennbar und durch Abschlämmen isolierbar. Leitfossilien sind die altpaläozoischen Beyrichien, Leperditien und Cypridinen, dagegen die jüngeren Formen, auch die Bairdien, nicht mehr. Die nun folgende Gruppe der Phyllop öden zeigt wie die vorhergehende weitgehende An- passung an verschiedene Medien — Meer, Süß- wasser, salzige Tümpel. Leaia im Carbon und Perm ist nach der begleitenden Fauna und Flora eine Süßwasserform. Estheria vermag anscheinend als letztes Tier wie die rezente Artemia salina in salzigen bis übersalzenen Gewässern auszuharren. Vielfach kommt sie massenhaft, oft nur auf eine sehr dünne Lage beschränkt, in feinschichtigen Tonen vom Carbon bis zur Trias vor. Der Grund für die weite Verbreitung und Häufigkeit der Phyllopoden liegt in der Bildung von langlebigen Dauereiern, in der ungeheuren Produktion unter günstigen Verhältnissen und wohl auch in der Verfrachtung von Dauereiern durch die Luft. Die Amphipoden und Isopoden sind zarte kleine Tiere, die in feinschichtigen Bildungen — Süßwassermergeln, Kalkschiefern oder Brack- wassertonen — vorkommen. Die Hauptmasse der fossilen Crustaceen, die Trilobiten und die Podopht halmen oder Thoracostraca, zeigt hinsichtlich biologischer Fragen vieles Gemeinsame. Korallenriffe, seichte an organischen Abfällen reiche Strandbildungen, sowie bituminöse Tone und Mergel bieten uns die meisten fossilen Formen. Wichtig sind die pelitischen Sedimente. Die Marschen und Halligen sind bei Ebbezeit wie tot; kommt aber das Wasser wieder, so kriechen Tausende von Brachyuren aus dem moorigen Boden heraus. Treten einmal Verwesungsgase auf, so sterben die Tiere ab und liegen nebeneinander noch mit Beinen in einer bestimmten Schichtlage. Ähnliche Verhältnisse zeigen die cambrischen Alaunschiefer mit ihrer reichen Trilobitenfauna, die Schichten von Bundenbach im rJieinischen Unterdevon, die Tone im oberen Lias (f ) und oberen Dogger (i') Schwabens, die .Septarientone Holsteins; z. T. sind CS Littoralabsätze oder flache Meeresablagerungen (Ölschiefer). Eine ausgesprochene Flachwasser- schicht ist das elsässische Roeth von Wasseln- heim mit zahlreichen Krebsen, worüber in N. F. 1 3. Bd. Nr. 43. S. 679, 1914 der Naturwissenschaftl. Wochenschrift berichtet wurde. Eine reiche Krebs- fauna hat in der Lagune von Solnhofen am Rande eines offenen Meeres gelebt. Reich an Krebsen sind die organismen- reichen Sande des flachen Wassers; hieher gehören die untersilurischen Grauwackenschiefer des Fichtelgebirges, die Spiriferensandsteine des mitteldeutschen Devons (Rhein, Harz) mit Phacops, Homalonotus und Cryphaeus, die eocänen Sande des Kressenbergs, die oligocänen Bernstein- und Stettiner Sande. Glaukonit ist ein häufiges Begleitmineral. Vielfach graben sich die Krebse in den Sand ein und geben Anlaß zur Bildung von Konkretionen (Stettiner Kugel). Manclie Sandsteine sind arm an Krebsen, z. B. die Murchisonaeschichten, dafür zeigen sich dann ihre Kriechspuren, die sogenannten Zopfplatten. Von besonderer Bedeutung sind auch die N. F. XV. Nr. 20 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 295 Kalke. Das Korallenriff ist heute ein beliebter Aufenthaltsort der Crustaceen. Dasselbe mag wohl auch beim obersenonen Faxe - Riff mit unzähligen Dromien und bei den oberjurassischen Riffkalken mit Prosopon-Individuen und Glyphaea- Scheeren der Fall gewesen sein. Dagegen fehlen auffallend die Trilobiten in den echten silurischen und devonischen Korallenriffen. Dies liegt wohl an den Beinen, welche bei den Thoracostraken das Klettern besser ermöglichten als bei den Trilobiten. Dafür kommen die Trilobiten umso häufiger im Liegenden und im Flangenden der Riffe vor; z. B. die Calceolabänke unter dem Stringocephalusriffkalk der Eifel. Auffallende Armut oder Fehlen von Krebsen ist auf eine bestimmte Fazies beschränkt. In dolomitischen Gesteinen kann sie durch öm- kristallisation oder aber auch durch schlechte Existensbedingungen im magnesiareichen Wasser erklärt werden. Ganz fehlend oder spärlich sind Krebse in echten Cephalopodenkalken und Tonen, in reinen Globigerinenkalken aller Formationen, in Schvvammriffen, sowie in typischen Crinoiden- kalken (ausgenommen die Ostracoden). Von großer biologischer Bedeutung ist die Anpassung der Trilobiten an schreitende, sprin- gende, schwimmende und schwebende Lebens- weise. Die Annahme, daß blinde, großäugige oder gestielte Trilobiten Tiefseeformen seien, paßt nicht zu den Sedimenten und ist wohl irrig. Im Oberkarbon und Perm klafft eine gewaltige Lücke im Crustaceenstamm. Die im oberen Buntsandstein und Wellenkalk auftretenden Thora- costraken sind von da an herrschend infolge ihrer leistungsfähigeren Beine und vor allem derScheeren, die sich zu Raub- und Verteidigungswerkzeugen ausbilden. Feinde der Krebse sind die Tinten- fische und in flachem Wasser die Seevögel (Möwen). Die paläozoischen Nautiliden mögen die Feinde der Trilobiten gewesen sein. V. Hohenstein, Halle a. S. Physik. Mit dem Wesen der Emission der in Flam- men leuchtenden Metalldämpfe beschäftigt sich eine Arbeit von HedwigKohn in den Ann. d. Phys. IV, 44, S. 749—782 (1914). Das Licht eines Nernstfadens fällt durch eine mit Salzen von Ka- lium, Natrium, Lithium, Thallium oder Rubidium gefärbte Flamme und wird im Spektrometer be- obachtet. Steigert man durch Erhöhung der Stromzufuhr die Intensität des kontinuierlichen Nernstfaden-Spektrums, so sieht man, daß die beobachtete Alkalisalzlinie, die sich anfangs hell von dem kontinuierlichen Spektrum abhob, all- mählich schwächer wird, dann ganz verschwindet, um bei höherer Temperatur und Strahlenintensität des Nernstkörpers dunkel auf hellem Grunde zu erscheinen. Die Temperatur 1\ des Nernstfadens, bei der die Linie verschwindet, die Umkehrtempe- ratur, wird bestimmt nach der spektrometrischen Methode von K u r 1 b a u m und Schulze, bei der die Stromstärken gemessen werden, bei denen der Nernstkörper ebenso hell ist wie der schwarze Körper. Qualitative Vorversuche ergeben, daß die Umkehrtemperatur innerhalb 5 — 8" unabhängig ist von der Dispersion, von der Dichte des leuch- tenden Dampfes und von der Art des in die Flamme eingeführten Salzes. Im zweiten Teil der Arbeit wird die wahre Temperatur T., der Flamme nach der Methode von H. Schmidt gemessen. Zu dem Zweck wird ein Platinrhodiumdraht horizontal in die Flamme gebracht ; die schwarze Temperatur des Drahtes wird mit dem optischen Pyrometer von H o 1 b o r n und K u r 1 b a u m gemessen und aus dieser nach der Wien' sehen Formel seine wahre Temperatur und damit die der Flamme berechnet. Es ergibt sich, daß zwischen 900 und 1800" die wahre Temperatur Tj der Flamme mit der Um- kehrtemperatur Tj der in der Flamme leuchtenden Metalldämpfe mit einer Genauigkeit + 10" iden- tisch ist. Das Versuchsresultat gestattet den Schluß, daß das Kirchh off'sche Gesetz für die durch Metalldämpfe gefärbten Flammen giltig ist, daß solche Flammen mithin reine Temperatur- strahler sind. Man kann nach der Umkehrmethode die wahre Temperatur einer Flamme bestimmen. Von Interesse ist weiter die Untersuchung einer sogenannten kalten Schwefelkohlenstoffflamme, deren Temperatur man durch Veränderung des Mischungsverhältnisses von Luft und Schwefel- kohlenstoff weitgehend ändern kann. Schon bei 150" C gibt die Flamme ein kontinuierliches Spek- trum; dagegen treten die Natriumlinien erst bei 670" C auf Auch hier wird die Flammentempe- ratur durch einen eingeführten Meßdraht er- mittelt. K. Seh. Chemie. O. Hönigschmid bestimmt (Zeitschr. für Elektrochemie 1916, Heft i u. 2) das Atomge- wicht von reinem Thorium aus Monazit und von Thorium-Ionium aus Pechblende durch Analyse der betreffenden Bromide. Die beiden Präparate sind sowohl chemisch wie auch spektroskopisch vollkommen identisch, da ja Thorium und lonium isotop sind; sie stehen trotz verschiedenen Atom- gewichts an derselben Stelle (Plejade) des perio- dischen Systems. Nach der Zerfalltheorie berechnet sich das Atomgewicht des loniums zu 230,0; es entsteht nämlich aus dem Uran (238) durch zwei ohne Masseänderungen verlaufende /J-Strahl- und durch zwei «-Strahl-Umwandlungen, bei denen zwei Heliumatome, also 8 Einheiten verloren gehen. Das Atomgewicht des reinen Thoriums wurde zu 232,15 + 0,017, das des Isotopengemisches zu 231,51 +0,015 bestimmt. Daraus geht hervor, daß das Gemisch etwa 30% lonium enthält. Es gibt «-Strahlen von sich, und das Bromid leuchtet mit blau-violetter Farbe im Dunkeln. K. Seh. Zoologie. Beobachtungen an Fischen in Frank- reich. Der bekannte Zierfischzüchter Willi. Schreit- müll er, der z. Z. im Felde steht, berichtet aus Frank- reich, daß dort Groppen (Cottus cobio) auch in 296 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 20 durch schmutzige Abwässer aus Häusern und Aborten verunreinigtem Wasser, das von der Sonne stark durchwärmt wurde und einen widerlichen Ge- ruch hatte, angetroffen wurden. Dasselbe gilt vom Dreistachiigen Stichling. Groppen sah Seh. auch bei zwei französischen Knaben in Gefangen- schaft, und zwar 8 Stück in einer einfachen blechernen Waschschüssel ohne Sandbelag oder Pflanzenwuchs, wo sie seit 6 Wochen mit Regen- würmern gefüttert wurden. Bei der großen .Sauer- stoffbedürftigkeit der Groppen und ihrer Hinfällig- keit im Aquarium fiel ihre Ausdauerfähigkeit dem deutschen Beobachter auf, und er meint, daß der in Deutschland an kühle, kristallklare Bäche oder Gebirgsgewässer gebundene Fisch in jener Gegend sich den örtlichen Verhältnissen angepaßt habe. Auffallend war bei fast allen Exemplaren die ge- ringe Breite der Köpfe und die anscheinend ge- ringere Stärke der harten Flossenstrahlen, beides vermutlich Degenerationserscheinungen. — In einer zweiten Mitteilung berichtet Seh. aus Frankreich die ganz neue Beobachtung, daß nicht nur Barben, sondern auch Quappen (Lota vulgaris), zu größeren Schwärmen vereinigt, der Winterruhe pflegen, hifolge ihres lethargischen Zustandes können sie leicJit unter Steinen hervorgeholt werden, was auch der Fischotter weiß (Bl. f. Aquarienkunde, 191 6, S. 22 u. 29/30). F. Anregungen und Antworten. Dr. phil. H. Dihm, Giäfelfiog bei München. — Sie fragen: „I. Gibt es einen Inde.x, der die bis jetzt bekannten Mineralien lediglicli dem Namen nach (ohne nähere und ein- gehende Beschreibung), nebst chemischer Formel, nach neue- ren Gesichtspunkten geordnet, aufführt? Die Angabe von Varietäten wäre dabei sehr erwünscht. Auch Beigabe der fortlaufenden Nummer, so daß der „Katalog" zur Ordnung und Einrichtung von Mineraliensammlungen dienen kann. Die Nummer erweist sich zur schnellen Auffindung eines Stückes als sehr praktisch. 2. Ist ein Verzeichnis in gleicher Fassung und den glei- chen Zwecken dienend auch für Gesteinsproben (geo- logische Handstücke) vorhanden?" I. Wenn ich Sie recht verstehe, verlangen Sie Unmög- liches. Zwar wäre es theoretisch denkbar, alle überhaupt möglichen Elementkombinationen und damit auch die mög- lichen Mineralien in einer tabellarischen Übersicht so zusam- menzustellen, daß jede Kombination eine bestimmte Zahl er- hielte; aber eine derartige Zusammenstellung würde einen solchen Umfang erreichen müssen, daß sich kaum jemand die Mühe machen wird, sie herzustellen, und dabei würde sie ihren praktischen Zweck in der geforderten Richtung deshalb nicht erfüllen können, da die Mineralien nur einen verschwin- dend kleinen Teil aller denkbaren anorganischen Verbindungen und Mischungen darstellen und sich die geologischen Be- dingungen, von denen die Entstehung der einzelnen Mineralarten abhängt und aus denen sich die mehr oder weniger beschränkte Anzahl der vorkommenden Mineralparagenesen erklärt, nicht in das Schema eines Inde.x hineinpressen lassen. Das aber um so mehr, wenn man die Varietäten berücksichtigen wollte, deren Unterscheidung in der Hauptsache entweder auf iso- morphen Beimischungen oder auf Verunreinigungen beruht. Auch ein Mineralindex wird daher immer zuerst von der Chemie, dann von der Physik (insbesondere Kristallographie) der einzelnen Minerale auszugelien haben und ,,kristallochemisch" im Sinne des alten Rose'schen Systems sein müssen. Wer für Samm- lungs- und Katalogzwecke Bedürfnis nach einer Nummerierung empfindet, mag getrost in eines der gebräuchlicheren Lehr- bücher der Mineralogie (Bauer, Tschermak, Klock- mann) oder der Bestimmungstabellen (Fuchs-Brauns, Weisbach) eine Nummerierung mit Zahlen und Buchstaben einführen. Aber eine jede solche Nummerierung wird eine künstliche sein. Zum Teil kommt Ihren Wünschen vielleicht ,,Ein neues Mineralsystem" entgegen, welches K. Fr. Foehr beim Unterricht am Friedrichs-Polytechnikum zu Cöthen nach seiner Angabe mit didaktischem Erfolg anwendet, über welches Sie in den Verh. d. Ges. Deutsch. Naturforscher und Ärzte, Si. Vers., 1909, Teil II, Leipzig 1910, S. 146 — 150 nachlesen wollen. Foehr trug auf der Naturforscherversammlung in Salzburg darüber vor, begegnete aber — m. E. mit Recht — bei den anwesenden zünftigen Mineralogen, die zu den be- deutendsten Vertretern dieser Wissenschaft gehörten, eisigem Schweigen. Foehr wendet das Dezimalsystem an, in Nach- ahmung einer Idee des Amerikaners Dewey, der diesen Be- griff mit großem Vorteil derart in die Bibliographie eingeführt hat, daß man aus der drei- oder vierstelligen Nummer eines Buches (Index) ohne weiteres die Art seines Inhaltes heraus- lesen kann. Foehr unterscheidet 10 Klassen von Mineralien nach der Chemie, in jeder Klasse wieder 10 Ordnungen nach der Kristallform und in jeder Ordnung 10 Gruppen nach der Härte. Da jedes Mineral jeweils in eine dieser Klassen, Ord- nungen, bzw. Gruppen hineingehört, besitzt es auch eine drei- stellige Kennnummer, deren erste Zifter die Klasse, deren zweite die Ordnung, deren dritte die Gruppe angibt. So be- kommt Steinsalz bei Foehr die „Kennnummer" 112 (als ganze Zahl: hundertundzwölf zu lesen). Zur weiteren Be- grenzung setzt derselbe noch das Molekulargewicht bei. 2. Noch viel weniger als für Mineralien kann Ihr Wunsch für Gesteinsproben (geologische Handstücke) erfüllt werden. Hier könnten Sie jedoch zu einer natürlichen Klassifikation gelangen, wenn Sie in die ,, Sammlungsanordnung" , wie ich sie mehrfach (Geologische Rundschau V, 1914, S. 53 — 63, 537 — 551 und Naturw. Wochenschr. N. F. 14, 1915, S. 145 bis 155, 161 — 170, 179 — 1S6; in etwas erweiterter Form unter dem Titel „Allgemeine Geologie und allgemein-geologische Sammlung". Marburg 1915 (zu beziehen durch Max Weg, Leipzig), vorgeschlagen habe, je nach Ihrem Bedürfnis Zahlen und Buchstaben einführen. Andree. Literatur. Nußbaum, Prof. Dr. J., Der Krieg im Lichte der Bio- logie. Vortrag. Jena '16, G. Fischer. — 75 Pf. Buesgen, M., Der deutsche Wald. 2. durchgesehene Auflage. Mit zahlreichen Abbildungen und 3 Tafeln. Leip zig 'xe, Quelle & Meyer. — 1,80 M. Die Kriegsschauplätze. 2. Heft: Der französisch belgische Kriegsschauplatz von Prof. Dr. A. Philippson l,So M. 3. Heft: Der östliche Kriegsschauplatz von Prof. Dr J. Parts eh. 2 M. Leipzig und Berlin '16, B. G. Tcubncr. Inhalt: Otto Debatin, Die Petroleumfelder Mesopotamiens. I Karte. S. 289. — Einzelberichte: W. Deecke, Üb. Cruslaceen. S. 293. Hedwig Kohn, Wesen der Emission der in Flammen leuchtenden Metalldämpfe. S. 295. O. Honig seh inid , Atomgewicht von reinem Thorium. S. 295. Wilh. Schreitmüller, Beobachtungen an Fischen in Frankreich. S. 295. — Anregungen und Antworten: Index der bis jetzt bekannten Mineralien. S. 296. — Lite ratur: Liste. S. 296. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Leipzig, Marienstraße IIa, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. rbeten Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 21. Mai 1916. Nummer 31. [Nachdruck verboten.] Am 7. Januar dieses ordentliche Professor für Anthropologie an der Universität Breslau, Dr. Hermann Klaatsch, in Eisenach im Kreise seiner Verwandten plötz- lich verstorben. Ein Leben, das reich an Erfül- lung war und reicher noch an Verheißung, fand damit für die Wissenschaft viel zu früh sein Ende. Mit H e r m a n n K 1 a a t s c h hat die Naturforschung unserer Tage eine ihrer schönsten Hoffnungen zu Grabe getragen. Mitten in seinem reichsten Schäften, in der Vollkraft seines Lebens stürzte ihn ein jäher Tod und gab ihm keine F'rist, das zu vollenden, was von allen nur er vollenden konnte. Was die Wissenschaft vom Menschen in Hermann Klaatsch verloren hat, ist nicht mit wenigen Worten zu sagen; die folgenden Zeilen beschränken sich von vornherein auf das Ziel, einen Überblick über die Forschungen zu geben, durch die Klaatsch für die Wissenschaft vom Menschen bahnbrechend gewirkt hat. Hermann Klaatsch entstammte einer be- rühmten Berliner Ärztefamilie. Als Sohn eines Geh. Medizinalrates wurde er am 10. März 1863 in Berlin geboren. Auf dem Wilhelmsgymnasium erhielt er seine Schulbildung. Schon in dem Jüngling muß die Richtung, die sein späteres Schaffen bestimmte, innegewohnt haben. Den 18jährigen Studenten finden wir bei Gegen- baur und Wald ey er, den genialsten ver- gleichenden Anatomen der Gegenwart, vom ersten Semester an als eifrigen Schüler wieder. Noch als Student erhielt er 1885 die Stelle eines Assi- stenten an der Berliner Anatomie. Im nämlichen Jahre promovierte er auf Grund einer entwick- lungsgeschichtlichen Arbeit über die Eihäute von Phocaea communis. Nachdem er 1886 sein Staats- examen gemacht hatte, ging Klaatsch 1888 als Assistent an die Heidelberger Anatomie, wo er sich 1890 habilitierte und 1895 zum außer- ordentlichen Professor ernannt wurde. In diese Jahre nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor fällt die Veröffent- lichungen der ersten aus der langen Reihe seiner Arbeiten, die ihn immer weiter von der Anatomie zur Anthropologie führten und sehr schnell den großen Bahnbrecher erkennen lassen. In der Fest- schrift für Gegenbaur (1896) finden wir eine umfangreiche Untersuchung über „die Brust- flosse der Crossopte rygier, ein Beitrag zur Anwendung der Archipterygiumtheorie auf die Gliedmaßen der Landwirbeltiere". Hierin betrat Klaatsch zum ersten Male jenes Sondergebiet, Hermann Klaatsch t« Von Hugo Mötefindt, Wernigerode a. H Jahres ist der außer- umfangreichen Studie war kurz gesagt die Er- kenntnis, daß sich innerhalb des Dickflossermate- rials bezüglich des Brustfiossenskeletts eine Ent- wicklungsrichtung zu einem Zustande kundgibt, der in seinem Grundplan ganz auffallend dem der Landgliedmaßen („Cheiropodium") gleicht. In späteren Jahren hat Klaatsch dieses Ergebnis noch einmal im Zusammenhange für ein größeres Publikum dargestellt und weitergehend daraus seine Schlußfolgerungen auf die Heranbildung der menschlichen Endgliedmaßen entwickelt. („Ent- stehung und Entwicklung der Menschenmerkmale" in Abderhalden's Fortschritte der natur- wissenschaftlichen Forschung III u. IV, 1911/12.) Im Jahre 1898 kam dann jener denkwürdige Anthropologenkongreß in Lindau, auf dem sich Klaatsch weithin vernehmlich von der Darwin-Huxley- Häckel'schen Anschau- ung über die Ahnenreihe des Menschen lossagte. In diesem so heftig befehdeten Vortrag über „die Stellung des Menschen in der Reihe der Säugetiere, speziell der Primaten, und den Modus seiner Heranbildung aus einer niederen Form" legte Klaatsch auf Grund vergleichend anatomischer Tatsachen und zumal auf die Ge- staltung der Extremitäten bezugnehmend dar, daß der Mensch ein selbständiger Primaten- zweig und ein direkter Abkömmling niedererPrimaten sei, die Primaten überhaupt aber als primitive Glieder des Säugetierstammes betrachtet werden müßten. „Das ist nicht Wissen- schaft, das ist Phantasie" schleuderte Ranke, der hochverdiente Altmeister der anthropologischen Forschung, den Bannstrahl gegen den kühnen Neuerer, und seit jenen Tagen datieren die un- zähligen Angriffe, unter denen Klaatsch schwer hat leiden müssen; sie haben ihm den Mut seiner Überzeugungstreue nicht geraubt : 1902 hat er das ganze Material, zusammenfassend und ausbauend, mit großem Geschick in einer für gebildete Leser berechneten Fassung unter dem Titel „Ent- stehung und Entwicklung des Menschengeschlechts" in Krämer's Weltall und Menschheit Band II noch einmal veröffentlicht und damit jedem zur Nach- prüfung zugänglich gemacht. Seit jener Zeit dürfte die F"rage für jeden denkenden Menschen im Sinne der Klaatsch 'sehen Erkenntnis erledigt sein. Schon in dem erwähnten Vortrage hatte Klaatsch auch die Frage nach dem Alter des Menschengeschlechts angeschnitten. Diesem Problem bzw. dem vergleichenden Studium der bis dahin bekannten fossilen Menschenreste das nachmals seine unbestrittene Domäne werden galten seine Forschungen in den nächsten Jahren, sollte. Das Resultat der sehr ausgedehnten und Von Veröffentlichungen über diese Frage sei vor 298 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 allem sein Vortrag über „das Gliedmaßenskelett des Neandertalmenschen" auf dem Bonner Ana- tomenkongreß vom Jahre 1901 genannt. Aus diesen Forschungen ergab sich immer greifbarer das Bild einer besonderen menschlichen Urzeitrasse, der Neandertaler. Unermüdlich hat Klaatsch an der Erforschung dieser Rasse ge- arbeitet. Er scheute keine Mühen und Kosten, wenn es galt, durch eine Forschungsreise dem Problem näher zu kommen. Sobald er die erste Kunde von den Entdeckungen des öster- reichischen Forschers Gorjanonic- Kram- berger in Krapina nördlich von Agram in Kroatien erhielt, eilte er dorthin, um die Funde persönlich zu studieren (1901). 1902 finden wir ihn auf einer großen Studienreise durch Belgien, Frankreich und England, um die gerade in diesen Jahren so heiß umstrittene Eolithenfrage durch Besichtigung und persönliche Grabungen an den wichtigsten Fundstellen zu lösen. Wertvolle Bei- träge zu der Frage aus seiner Feder enthalten die nächsten Jahrgänge der Zeitschrift für Ethno- logie. Bereits in dem nächsten Jahre geht er auf eine fast vierjährige Forschungsreise (1903 — 1907) nach Australien, um dem Australierproblem, das schon H u x 1 e y bei der Betrachtung des Neandertalschädels gestreift hatte, in dem unwirt- lichen Erdteil selber nachzugehen. Dort bringt er, oft unter Lebensgefahr, ein anatomisches und ethnologisches Vergleichsmaterial zusammen, wie es kein Museum Europas aufzuweisen hat, und gewinnt dadurch Aufschlüsse, die vorher niemand geahnt hatte. Über diese Australieriorschungen finden sich einige kurze Berichte und Mitteilungen gleichfalls in der Zeitschrift für Ethnologie der nächsten Jahre veröffentlicht. Auf dem Straß- burger Anthropologenkongreß vom Jahre 1907 hat er auch schon eine vorläufige Nachricht über die Gesamtergebnisse gegeben. Klaatsch liefert hier den wichtigen Nachweis, daß die Australier als ein Zweig der Menschheit zu beurteilen sind, der sich schon sehr frühzeitig von der gemein- samen Wurzel der Menschenrassen abgegliedert hat. Ein großes, gewiß epochemachendes Werk über diese Australierforschungen hat er uns noch ungedruckt hinterlassen. Forscher, die Einsicht nehmen durften in dieses bedeutsame Manuskript, in all die unbekannten und unveröffentlichten Photographien, bezeichnen es als einen unersetz- lichen Schatz für Anthropologie und Ethnologie. Wir dürfen wohl hoffen, daß dieses Werk mög- lichst bald in würdiger Weise aus dem Nachlaß herausgegeben wird. — Auf der Rückreise von Australien erhielt Klaatsch in Sidney die Berufung an die Universität Breslau. Von 1907 an hat er hier in segensreicher Lehrtätigkeit gewirkt, daneben aber auch noch genügend Muße und Mittel ge- funden, seine Forschungen in großzügiger Weise fortzusetzen. Das Jahr 1908 ward für Klaatsch ein be- sonders glückliches und bedeutungsvolles. Er hatte gerade aus dem Bonner Schädeldach, dem Unterkiefer von Spy und einem Oberkieferfragment von Krapina eine Rekonstruktion des Schä- dels der Neandertalrasse versucht. Auf dem Kongreß deutscher Naturforscher und Ärzte 1908 wies er diese Rekonstruktion vor und sagte dabei: „Wenn je ein gut erhaltener Schädel eines Neandertalers gefunden werden sollte, so muß er meiner Idealrekonstruktion ähnlich sein." (Vgl. auch die Abhandlung, „Das Gesichtsskelett der Neandertalrasse und der Australier". Verhandlungen der anatomischen Gesellschaft zu Berlin 1908.) Wenige Wochen darauf durfte er die Probe auf das Exempel machen : der Schweizer Prähistoriker Otto Hauser entdeckte im August 1908 in Le Moustier in völlig gesicherter Lagerung ein Skelett, dessen Hebung und anatomische Bearbeitung er Klaatsch anvertraute. Hier konnte Klaatsch den ersten zieml ich vollständig erhalte- nen Vertreter der Neandertalrasse feststellen; der Schädel des jugendlichen Neandertalers be- stätigte die Richtigkeit seiner Rekonstruktion. Im September des Jahres 1909 folgte die Hebung des Hauser'schen Fundes von Combe-Capelle. Alsbald vermochte Klaatsch nachzuweisen, daß hier der Vertreter einer zweiten, von der Neandertalrasse wesentlich verschiedenen Urzeitrasse, der Aurig nacrasse, vorlag. Die ersten Ergebnisse der Untersuchungen der beiden Skelette finden wir in den Abhandlungen : „Homo mousteriensis Hauseri" im Archiv für Anthropo- logie N. F. VII, 1909 und „Homo aurignaciensis Hauseri, ein paläolithischer Skelettfund aus dem unteren Aurignacien der Station Combe-Capelle bei Montferrand (Perigord)" in der Prähistorischen Zeitschrift I, 1909. Noch ein drittes Mal weilte Klaatsch in dem Paradies der Prähistoriker, in der Dordogne, um im Jahre 1910 Skelett reste aus dem Aurig- nacien von La Rochette nachzuprüfen, über die er im Archiv für Anthropologie 1914 zusam- men mit seinem Assistenten Lustig schrieb. Seit der Entdeckung des Jahres 1909 be- schäftigte ihn die weitere Erforschung dieser beiden Urzeitrassen. Ich weise hier auf die beiden zusammenfassenden Veröftentlichungen hin : „die neuesten Ergebnisse der Paläontologie des Menschen und ihre Bedeutung für das Ab- stammungsproblem" (Zeitschrift für Ethnologie 1909) und „die Aurignacrasse und ihre Stellung im Stammbaum der Menschheit" (^ebenda 1910). Aus diesem Studium ergab sich für den un- ermüdlichen Forscher das Problem der Ur- heimat dieser beiden so verschiedenen Vertreter einer frühen Menschheit, und darüber hinausreichend und doch eng damit verbunden, das der Beziehungen der ver- schiedenen Menschenaffen zu den ver- schiedenen Menschenrassen. Vgl. „Men- schenrassen und Menschenaffen", in Korrespondenz- blatt für Anthropologie 19 10. Das wichtigste Ergebnis dieser Forschungen bildet die F'eststellung N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 299 höchst auffälUger Parallelen im Knochenbau der offenbar einst mit einer afrikanischen Tierwelt eingewanderten Neandertalrasse und des Gorilla einerseits, der mit einer von Osten aus Asien ein- dringenden Fauna nach Europa gekommenen Aurignacrasse und des Orang andererseits. K 1 a a t s c h erschloß hieraus eine frühzeitige Sonderung der Urgruppe der Primaten und einen West- und Oststrom von affenähnlichen Vorfahren der euro- päischen IVIenschen. In den letzten Jahren beschäftigten Klaatsch neben diesen auf rein anatomischen Grundlagen beruhenden anthropologischen Forschungen auch mehr und mehr die Kulturprobleme der Urzeit. Einen Niederschlag seiner F'orschun- gen bieten uns die kleine geistvolle Studie „An- fänge der Kunst und Religion in der Urmensch- heit" und eine zweite, im Laufe dieses Jahres er- scheinende umfangreichere Arbeit „Der Werde- gang der Menschheit und die Anfänge der Kultur". — In voller PVische haben wir ihn im Juni vorigen Jahres sein fünfundzwanzigjähriges Dozentenjubi- läum feiern sehen. Obschon eingeweihte Kreise seit Jahren von seinem Lungenleiden wußten, und, namentlich nach der schweren Malaria, die er sich auf seiner australischen Forschungsreise zugezogen hatte, mit schweren Besorgnissen um ihn erfüllt waren, kam sein Tod völlig überraschend : mitten aus frischem Schaffen rief der Tod den noch nicht Dreiundfünfzigjährigen gerade da ab, wo er die letzte F"eile an das lange erwartete große Australier- werk legen wollte. Omnes una manet nox Et calcanda semel via leti. — Klaatsch war in seinem ganzen Wesen durchdrungen von einer großen Gewissen- haftigkeit und Pflichterfüllung. Die Ehr- lichkeit seines Willens, das in ihm wurzelnde Be- wußtsein, welch große Pflicht und Verantwortlich- keit gegenüber der nach Erkenntnis ringenden Allgemeinheit ihm oblag, brachte es mit sich, daß er von sich und den anderen viel verlangte. Man muß ihn bei der minutiösen Kleinarbeit auf der Anatomie gesehen haben, um sein Schaffen zu verstehen. In außerordentlich gewissenhafter Weise hat er die Ergebnisse seiner bisherigen Forschun- gen an immer neuen Materialien nachgeprüft. Sein Ziel war Wahrheit, und die Erreichung dieses Ziels zwang ihn als Gelehrten, mehr als ihm als Menschen lieb war, hart und unerbittlich gegen seine Gegner zu sein. Er hat viele Neider gehabt, offene und noch mehr versteckte Feinde. Und die eindringliche Art, wie er das von ihm gefun- dene vortragend gegen alle Angriffe zu verteidigen wußte, schuf ihm unter den im Besitz überkom- mener Lehrmeinungen sich sicher und unverletz- lich dünkenden Alten immer wieder neue Gegner. Auf den Kongressen der Anatomen, Anthropologen und Naturwissenschaftler wurde er bald ob seiner stets wehrbereiten Schlagfertigkeit, seiner treffen- den Logik, seiner formvollendeten sarkastischen Rede und nicht zuletzt wegen des ihm in jedem Augenblick gegenwärtigen P'achwissens bald ebenso berühmt wie gefürchtet. Die künftigen Kongresse dieser Forschungsgebiete verlieren in Klaatsch eine prägnante Figur, einen hinreißenden Redner. Sehr bald wird hier wohl ein anderer an seine Stelle treten, denn auch hier gilt der Satz „Menschen kommen und vergehen". Die Lücke jedoch, die sein Tod in sein Spezialarbeitsgebiet, in die mo- derne Wissenschaft vom Menschen gerissen hat, wird sich nicht so bald wieder schließen : Un- ersetzliches ist mit ihm unwieder- bringlich in die Erde gebettet. Nosce te ipsum. INachdruck verboten.] Von E. Werth. Zur Frage, ob die Wissenschaft vom fossilen Menschen eine geologische oder eine vorgeschicht- liche Disziplin ist, nimmt in der ersten November- nummer 191 5 dieser Zeitschrift Hugo Möte- findt das Wort. Wenn hier der Archäologe in diesem zu einem bösen Konkurrenzneid sich zu- spitzenden Streite der Diluvialgeologie ganz er- hebliche Zugeständnisse macht, so wird man daraus von vornherein die wohltuende Überzeugung gewinnen, daß ihm an einem Ausgleich zwischen den entgegenstehenden Meinungen gelegen ist. Jeder, dem eine gesicherte wissenschaftliche Er- kenntnis über die persönliche Eitelkeit geht, wird daher Mötefindt wohl zustimmen in der Auf- fassung, daß bei der Erforschung des fossilen Menschen alle in Betracht kommenden Wissens- zweige Hand in Hand gehen müssen. Es kann aber ferner keinem Zweifel unterliegen, daß dieses Handinhandgehen am gesichertsten ist, wenn hier wie auf jedem anderen Grenzgebiete die in Be- tracht kommenden Disziplinen sich jeweils in ge- nügender Vertiefung in einem Kopfe vereinen. Jeder, der auf einem naturwissenschaftlichen Grenz- gebiete längere Zeit gearbeitet hat, wird wohl den Erfahrungssatz unterschreiben können, daß die häufigsten und größten Fehler der wissen- schaftlichen Forschung aus ungenügender Be- herrschung nächster Nachbardisziplinen hervor- gehen. Man kann es daher auch nur gut- heißen, wenn Mötefindt die Forderung Wie- gers' besonders unterstreicht: „ohne Diluvial- geologie läßt sich keine wissenschaftliche Diluvial- prähistorie betreiben". Ganz gleich, ob wir die Wissenschaft vom fossilen Menschen der Vorgeschichte oder der historischen Geologie — nur dieser Teil der Geo- logie kommt natürlich zunächst in Betracht — zurechnen wollen, auf alle Fälle handelt es sich 3o6 iSfaturwIssenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 um eine historische Wissenschaft im weiteren Sinne. Jede historische Wissenschaft ist aber nur denkbar auf ciironologischer Grundlage. Ohne eine solche ist eine gesicherte Erkennt- nis auch in der diluvialen Vorgeschichte ganz unmöglich. Die Methoden der Zeitbestimmung in diesen weit zurückliegenden — geologischen — Zeiträumen sind nun aber einmal geologische Arbeitsmethoden, die dem Prähistoriker im allge- meinen ganz fremd sind. „Der Vorgeschichts- forscher ist sehr selten geologisch geschult; in den allermeisten Italien fehlt ihm jedes Verständ- nis für geologische Fragen" (Mötefindt). Die Geologie gibt aber damit die sichere Grundlage in der Wissenschaft vom fossilen Men- schen ab. Dies erkennt auch Mötefindt an, wenn er bei Behandlung des Streites um die Zeitlage von Markkleeberg sagt, „daß die Datierung einer Fundstelle zurzeit im wesentlichen von der Geologie abhängt". Allerdings sagt er einschrän- kend „zurzeit" und im gleichen Sinne weiterhin ; In der Feststellung des absoluten Alters der Kulturschichten „ist augenblicklich die Geologie die überlegenere Wissenschaft. Nur möchte ich bezweifeln, ob dieses Verhältnis so bleiben wird. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß wir zu einer derartigen feinen Unterscheidung unserer Artefakte kommen werden, daß wir Vorgeschichtler die Geologen korrigieren können". Mötefindt denkt hierbei natürlich an die Benutzung der Artefakte als „Leitfossilien", wie sie schon vor langen Jahren gerade von geologi- scher Seite vorgeschlagen und geschehen ist. Die aus dem Geiste und der Hand des fossilen Men- schen hervorgegangenen Steinwerkzeuge sind natürlich an sich ['"ossilien, genau so gut wie z. B. die Schalenbildungen der Mollusken, und als solche hat sich der Geologe mit ihnen zu befassen. Es ist auch nicht einzusehen, inwiefern dem durch die paläontologische Schulung morphologisch gut vor- gebildeten Geologen hier dem aus dem histori- schen Fache hervorgehenden Archäologen gegen- über Schwierigkeiten erwachsen könnten. Überdies aber vergißt Mötefindt, daß ein Fossil erst dann zu einer Leitform werden kann, wenn vorher seine chronologische Stellung auf rein stratigraphischem Wege sicher fixiert ist. Also nur als Ergänzung, als Behelf kommt den Leitfossilien ein stratigraphischer Wert zur in- direkten Bestimmung der Ablagerungszeit einer geologischen Schicht zu. Das gilt auch für die Artefakte des diluvialen Menschen. Mag der Vorgeschichtler daher zu einer noch so feinen Unterscheidung derselben kommen, er so wenig wie der an die Auswertung von Leitfossilien viel mehr gewöhnte Geologe wird mit ihnen die stratigraphisch - geologische Methode jemals korrigieren können. Nur wo im gegebenen Falle zur Zeitbestimmung die direkt zum Ziele führende rein stratigraphische Methode nicht anwendbar ist — wie z. B. bei isolierten Höhlenablagerungen — greifen wir zur indirekten Zeitbestimmung mittels Leitfossilien. Es liegt in der Natur der Sache, daß das unmittelbar aus den Lagerungsverhältnissen erschlossene geologische Al- ter einer Schicht eine zuverlässigere chronologische Grundlage bietet, als das nach den in der Schicht vorhandenen Fossilien vergleichsweise geschätzte Alter. Es ist daher ein großer Fehler, das Alter einer F"undschicht nach dem Fossilinhalt zu be- stimmen, wenn die Möglichkeit rein stratigraphi- scher Altersfeststellung vorliegt! Und dies gilt ganz besonders auch bei Benutzung der mensch- lichen Artefakte als Leitfossilien, wenn anders die archäologischen Periodensysteme nicht zu einer bloßen Gedanken- spielerei ausarten sollen. Hiernach dürfte es wohl klar sein, daß das Fundament, die — für die im weiteren Sinne historische Wissenschaft vom fossilen Menschen unbedingt notwendige — chronologische Grund- lage, nur durch geologische Forschungsmethoden zu gewinnen ist. F"ällt damit schon dem Geologen ein Haupt- anteil an der Erforschung des fossilen Menschen zu, so ist seine Aufgabe darin doch keineswegs erschöpft. Wollen wir ein lebendiges, nicht auf Phantasie beruhendes Bild unserer Vorläuferrassen rekonstruieren, so müssen wir einen möglichst umfassenden Blick in die jeweilige Umwelt der- selben zu gewinnen suchen. Hier ist es aber wiederum der Geologe, der aus den in der P'und- schicht gelegenen Knochen die Tiere bestimmt, „mit denen der diluviale Mensch zusammengelebt hat, deren Fleisch ihm zur Nahrung, deren Fell ihm zur Kleidung, deren Geweih ihm als Werk- zeug, deren Zähne ihm als Schmuck gedient haben", wie das Wiegers ausführlich darge- tan hat (Zeitschrift für Ethnol. 1914, S. 422). Dasselbe gilt für die gleichfalls als Schmuck her- gerichteten Schnecken und Muscheln, deren rich- tige Herkunftsbestimmung durch den Geologen auch Auskunft über Wanderungen oder Handels- beziehungen des damaligen Menschen zwischen entfernten Orten, zwischen dem Binnenlande und der Meeresküste usw. gibt. Der Geologe leitet ferner aus den Tieren und Pflanzen der Fund- schicht unter Berücksichtigung der heutigen Ver- breitungsgrenzen derselben das Klima der be- treftenden Zeit ab. „Die Geologie lehrt uns weiter die Geographie der Diluvialzeit, indem sie die damaligen Grenzen der Kontinente, die Verbrei- tung von Festland und Meer und den Lauf der großen Flüsse durch ihre Untersuchungen fest- stellt" und damit die wichtigste Grundlage für die F"rage der Wanderungs- und Ausbreitungs- möglichkeit der fossilen Menschenrassen gibt. Die Geologie-Paläontologie lehrt uns auch die als Vorläuferformen der ältesten Menschen eventuell in Betracht kommenden Tierarten kennen usw. „Die richtige Erkenntnis des Diluvialmenschen, seines Alters, seines Lebens und Treibens, seines Wanderns und Werdens läßt sich mithin allein auf breitester geologischer Grundlage gewinnen" N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 301 Wieners a. a. O.). Im besonderen ist eine ge- naue Kenntnis der jüngsten geologischen Forma- tionen, des Tertiärs und namentlich des Diluviums oder Eiszeitalters unbedingtes Erfordernis für eine gedeihliche wissenschaftliche Beschäftigung mit dem fossilen Menschen, mit dem „Eiszeitmenschen". Man kann daher sagen : Die Wissenschaft vom fossilen Menschen, die Paläontologie des Menschen, ist Eiszeit forschung! Es kommt aber schließlich noch ein mehr praktisches Moment hinzu, welches von ausschlag- gebender Bedeutung werden wird. Es ist der Umstand, daß bei einem Funde von Knochen oder Werkzeugen des diluvialen Menschen die — wir wir gesehen haben — unbedingt erforderliche geologische Altersbestimmung der Fundschicht häufig nicht mehr nachzuholen ist, wenn sie gleich bei Entnahme der Fundobjekte versäumt wurde. Entweder war die Eröffnung der Fundschicht nur eine vorübergehende (bei Haus-, Wege-, Kanal-, Bahn- usw. Bauten), oder die P'undschicht selbst läßt sich nachträglich nicht mehr mit Sicherheit angeben, nachdem die Entnahme der Objekte einem geologisch ungeschulten Auge anvertraut wurde. Die gewöhnliche Angabe der Tiefe unter der Erdoberfläche ist wissenschaftlich gänzlich wertlos, wenn sie nicht auf eine ganz bestimmte (seit dem Funde nicht weiter abge- baute) Stelle eines bestimmten Aufschlusses be- zogen werden kann, was faktisch fast nie möglich ist. Die anatomische Untersuchung gehobener Knochen, die archäologische Vergleichung, Be- stimmung, Beschreibung und sonstige Auswertung gefundener Artefakte kann jederzeit, auch nach Jahr und Tag noch ausgeführt werden, kann vor allem auch zu jeder Zeit noch nachgeprüft und kontrolliert werden. Allein die in der Be- urteilung der Fundschicht selbst liegen- den — wie jeder zugeben wird rein geo- logischen — Arbeiten tragen die größte Gefahr der Versäumnis mit sich. Es ist bei dieser Sachlage klar, daß solange die Leitung der für die Aufsammlung und wissen- schaftliche Auswertung der hier in Betracht kom- menden Fundobjekte bestimmten provinzialen und Landeszentralen wie bisher ausschließlich in der Hand von Prähistorikern liegt, ungezählte Objekte der Menschheitswissenschaft verloren gehen und als totes Material in den Museen liegen. Nur bei Daueraufschlüssen, die fortlaufend neues Fund- material liefern , ist es so dem auf eigene Mittel angewiesenen Geologen vergönnt, Anteil an der Erforschung des fossilen Menschen zu nehmen. Wollen wir der „Frage der Fragen", der Frage nach der Herkunft des Menschengeschlechts die nötige wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuwenden, so müssen wir der Urgeschichte des Menschen auch in unseren öffentlichen Instituten neben der Vor geschichte einen gebührenden Platz einräumen. Es können dann nicht ferner die Hunderttausende von Jahren menschlicher Urgeschichte als gleich- gültiges Anhängsel der paar tausend Jahre vor- geschichtlicher Periode betrachtet werden. Die intensiv arbeitende (jüngere) Vorgeschichte ab- sorbiert den Archäologen vollständig, und er wird schwerlich je Zeit finden, sich die — zur erfolg- reichen Beackerung und Bebauung des urgeschicht- lichen Bodens, wie ich gezeigt zu haben glaube, unbedingt notwendige — breite geologische Grundlage zu verschaffen. F'ür die Vorgeschichte (im hier gemeinten Sinne) ist dies kein Schaden. Aber die L^rgeschichte kommt dabei zu kurz. Schaffen wir darum auch bei uns der Urge- schichte, der Wissenschaft vom fossilen Menschen, ein eigenes Heim. Was in Frankreich durch die Errichtung des sog. internationalen Instituts für Paläontologie des Menschen geschehen ist, sollte auch in dem wissenschaftlichen Deutschland mög- lich sein. Man wende nicht ein, daß Frankreich in dieser Hinsicht ein viel günstigeres, mit seinen reichen paläolithischen Schätzen eben ein Ideal- land sei, mit dem sich Deutschland gar nicht ver- gleichen lasse. Ganz im Gegenteil! Ich habe erst kürzlich (Zeitschr. f. Ethnol. 191 5, S. 234 ff.) gezeigt, daß wir die — in Frankreich abseits der eiszeitlichen Gletscherablagerungen ge- wonnene — Folge von „Kulturperioden" erst in günstigeren Gebieten auf ihre Richtigkeit zu prüfen haben und die einzelnen Formenkreise zu den klimatischen Perioden in Beziehung zu bringen suchen müssen, die das Fundament der modernen Eiszeitchronologie und damit auch die Basis für jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem fos- silen Menschen bilden. Die moderne Diluvial- oder Eiszeitchronologie gründet sich auf den geologischen Ausdruck eines Wechsels klimatischer Verhältnisse, der während des Gesamteiszeitalters allem Anschein nach die ganze Erde betroffen hat, aber in voller Schärfe naturgemäß nur da zum Ausdruck gekommen ist, wo die diluvialen Riesengletscher in den kälteren Perioden selbst hingelangt sind und ihre charak- teristischen Moränen- und Schotterablagerungen hinterlassen haben. Diese Verhältnisse bringen es mit sich, daß eine Chronologie des Eiszeit- menschen am besten in d e n Ländern zu gewinnen ist, die von größeren diluvialen Vereisungen be- troffen waren, während in solchen, wo zur Eiszeit eine Gletscherentwicklung ganz fehlte oder doch in bescheidenen Grenzen blieb, eine unmittelbare Bestimmung des genaueren geologischen Alters einer diluvialen Fundschicht in den meisten Fällen gar nicht möglich ist. Zu den letzteren Ländern gehört Frankreich, zu den ersteren aber Deutsch- land. Deshalb ist hier ein denkbar günstiger Boden gegeben zur Klärung der ältesten — bis- lang dunkelsten und daher für die Forschung dringendsten — Menschheitsgeschichte. Hier in Deutschland — wo von Norden wie von Süden her, aus dem skandinavischen wie dem alpinen Zentralgebiete, die eiszeitlichen Gletscher dereinst das Land überfluteten und ihm in I'ormen wie Ablagerungen ein Zifferblatt chronologischer Folge 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 aufdrückten — hat der Hebel anzusetzen, um eine Grundlage zu gewinnnen, von der aus auch die reichen paläolithischen Funde Frankreichs und anderer Länder in einem neuen, klareren Lichte erscheinen werden. Die wissenschaftliche Erkenntnis unseres eigenen Geschlechts ist ein dringendes Bedürfnis geworden. Die induktive Erforschung der Stammes- geschichte des Menschen und seiner körperlichen wie kulturellen Entwicklung verlangt auch in Deutschland — und gerade hier — eine zeitge- mäße Pflegestätte. Scheut man sich aus nahe- liegenden Gründen dieser Stätte gleich auch nach außen hin einen selbständigen Charakter zu geben, so läßt sie sich zunächst leicht an vorhandene Institute angliedern; ob an ein geologisches oder ein archäologisches, scheint eine mehr praktische, verwaltungstechnische Frage zu sein. Ein geo- logisches Institut würde in wissenschaftlicher Be- ziehung der speziellen Arbeitsweise eine Förderung gewähren, während ein archäologisches Institut oder Museum in der Regel den Vorteil einer nach der anthropologisch- urgeschichtlichen Seite hin vollkommeneren Sammlung voraus hat. Jeden- falls kann die hochwichtige Urgeschichtsforschung des Menschen einer tatkräftigen, auch staatlich anerkannten Hilfe von selten der Diluvialgeologie nicht mehr entbehren. [Nachdruck verboten.] Die Polyembryonie. -Prof. Dr. phil. et med. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). Mit I Abbildung. Das befruchtete Ei der Tiere bildet die Grund- lage für den sich daraus entwickelnden Körper, da es eine einzige Zelle darstellt, welche durch Ver- einigung der Ei- mit der Samenzelle entstanden ist. Es kann daher der Körper eines vielzelligen Or- ganismus nur dadurch Zustandekommen, daß dieses einzellige Verschmelzungsprodukt sich durch Tei- lung vervielfacht, so lange bis das Wachstum ab- geschlossen ist. Das Material, aus welchem sich der jugendliche Organismus aufbaut, ist bei allen eierlegenden Tieren, im strengsten Sinn des Wortes (Tiere mit äußerer Befruchtung) sowie bei jenen, welche gewöhnlich als eierlegend bezeichnet wer- den (Reptilien und Vögel) quantitativ begrenzt; bei den Lebendiggebärenden dagegen wird während des ganzen uterinen Lebens Baumaterial seitens des mütterlichen Körpers zugeführt. Etwas Er- staunliches hat die Polyembryonie insofern, als jeder kernhaltige Teil des Eies die Grundlage für ein neues Individuum bilden kann, nicht. Durch eine Reihe von Versuchen wird dies erwiesen. So wurden die Furchungszellen eines Seeigeleies durch Schütteln voneinander getrennt, und jede ergab eine Pluteuslarve, welche abgesehen von der natürlich geringeren Größe der normalen Larvenform entsprach. Dasselbe Ergebnis hatten Versuche von Herbst, bei denen die F"ur- chungszellen sich voneinander trennten, wenn das einen Zellhaufen bildende Entwicklungsstadium des Seeigeleies in kalkfreies Seewasser gebracht wurde. Zellen, welche nur 'Z^, '4, Viei j^ "Uf Vsj der ursprünglichen Masse darstellten, ver- mochten sich nicht weiter zu entwickeln. Ganz Entsprechendes gelang Driesch bei dem Lan- zettfischchen (Amphioxus) , Bataillon beim Neunauge und Morgan bei einem Knochenfisch (Fundulus). Chun beobachtete, daß bei einer Rippenqualle im Laufe der normalen Entwicklung prinzipiell das Gleiche vorkommt. Nicht anders ist wohl auch die merkwürdige Erscheinung in der Fortpflanzung der Distomeen zu verstehen. Aus einem Ei entwickelt sich eine Flimmerlarve (Miracidium), welche sich nach ihrem Eindringen in eine Sumpfschnecke (Limnaeus minutus) zur Sporocyste umwandelt. In dieser, einem Keim- schlauch, entstehen die Redien, und in diesen bis- weilen noch eine zweite Generation von Redien. In den Redien entwickeln sich die Cercarien aus in diesen enthaltenen Furchungszellen ; sicher gehen alle aus einem einzigen Ei hervor. Die ineinander geschachtelten „Generationen" sind alle Abkömmlinge des einen ursprünglichen Eies. Noch auffallender wird die Erscheinung, wenn jede Furchungszelle sich zu einem vollständigen der Mutter ähnlichen Tier entwickelt; da sie einander gleich sind, scheinen sie, obschon gleich alt, nur verschieden weit in ihrer Entwicklung vorgeschritten, im Verhältnis von Eltern- und Kindesgeneration zu- einander zu stehen. Erwähnt sei in dieser Beziehung Gyrodactjlus elegans v. Nrdm. , ein Trematode auf der Haut der Süßwasserfische. Man findet in dem freilebenden Wurm stets noch ungeborene Tiere. Drei Generationen, Kind, Mutter und Großmutter sind ineinander und in einer vierten, der Urgroßmutter, eingeschaltet enthalten und doch sind sie, wie Verfasser seinerzeit nach- wies,*) alle vier Abkömmlinge eines Eies, also nicht verschiedene Generationen, sondern nur zeit- lich verschieden weit entwickelte Geschwister. Seit seinem ersten Bekanntwerden erregte der Wurm die allgemeine Aufmerksamkeit der Zoologen, weil ein noch unvollständig entwickeltes und selbst noch nicht geborenes Individuum bereits ein Junges einschließt. Im Falle der eierlegenden Tiere reicht die Menge des Dotters gewöhnlich nur für ein Individuum aus, so daß es besondere Erwähnung findet, wenn aus einem Ei mehrere bzw. viele ') Über die Entwicklung von Gyrodactilus elegans v. Nrdm. Zool. Jahrb. Festschrift zum 70. Geburtstag von August Weißmann. Gustav Fischer, Jena 1904. Supplement VII, N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 Individuen entstehen. Weniger auffallend aber ist es, wenn man bei den lebendiggebärenden Tieren Polyembryonie findet; werden doch hier die erforderlichen Baustoffe vom Mutterkörper in der Menge geliefert, in welcher sie die Entwick- lung für die Jungen anfordert. In Wirklichkeit aber ist es gerade umgekehrt. Die Polyembryonie ist in der Natur vornehmlich auf eierlegende Tiere beschränkt. Der Ausdruck Polyembryonie wurde von P. Marchai geprägt. Aus einem einzigen Ei von parasitischen Schlupfwespen können zahl- reiche Larven hervorgehen; während der Körper des Wespchens nur für höchstens lOO Eier Raum hat, kommt doch in einer einzigen Raupe bis- weilen ein ganzer Schwärm von Schmarotzern zur Entwicklung. Das ist nur möglich, wenn die Eier sich durch P'ragmentation in viele einzelne Stücke zerlegen, von denen jedes sich verhält wie ein ganzes Ei, d. h. zur selbständigen Entwicklung befähigt ist. P. Marcha 1 hat eine derartige Ent- wicklung bei einem Chalcidier, Encyrtus (Ageniap- sis fusciocollis) nachgewiesen. Die Entwicklung dieser parasitischen Hymenoptere findet in den Raupen von Hyponomeuten statt. Die Hypono- meuten gehören zu den Tineiden. Ihre Larven fressen die Blätter gewisser Pflanzen aus der Fa- milie der Rosaceen , deren Zweige sie mit ihren Seidengespinstfäden überziehen. Wenn die Falter im Sommer ausschlüpfen, legen sie ihre Eier in kleinen Häufchen an der Rinde oder an den Ästen ihrer Futterpflanze ab. Die Encyrtus schlüpfen zu derselben Zeit aus ihren Kokkons, durchbohren mit ihrem Legestachel die Eischale und legen in das Ei der Hyponomeuta ihre eigenen Eier ab. Wenn Ende September die junge Raupe aus- schlüpft, trägt sie bereits in ihrem Körper einen Zelliiaufen, welcher aus dem zerklüfteten Ei des Parasiten besteht. Bis zum Frühjahr verharren beide im Winterschlaf Die weitere Entwicklung der Raupe und die des Schmarotzers beginnen aufs neue, wenn die jungen Blätter treiben. Die äußere Protoplasmahülle bildet das „Trophamnion". Es absorbiert durch Diosmose die nötigen Nähr- stoffe aus der Körperflüssigkeit des Wirtstieres. Dadurch wird dem Keim des Parasiten das Ma- terial geboten, welches seine Vermehrung ermög- licht. Die jungen Larven des Encyrtus und die Raupe der Hyponomeuta wachsen zugleich heran. Silvestri fand dasselbe bei einem Schlupf- wespchen der Gattung Polygnotus, von denen als Hyperparasit die Art P. hiemalis die dem Getreidebau außerordentlich schädliche Hessen- fliege (Cecidomyia destructor Say) befällt und da- durch außerordentlich nützlich wirkt. Die Poly- embryonie wird hier dadurch bewirkt, daß die Furchungskugel durch die Peristaltik des Magens des Wirtstieres in einzelne Zellen zerlegt wird, von denen jede sich selbständig entwickelt. Nur so ist die enorme Vermehrung möglich. Ihren Höhe- punkt erreicht diese Art der Vervielfachung des Keimes bei den Litomastixarten, Parasiten der Raupen der Gattung Plusia ochs; nach Silvestri gehen im Durchschnitt aus einem einzigen Ei 1000 — 2000 Individuen hervor. Die unmittelbare Ursache des Zerfalls ist hier noch nicht bekannt. Ebensowenig kennt man bisher mit Sicherheit die Ursache für die Polyembryonie bei gewissen Säugetieren aus der Gattung der Gürteltiere. Man weiß schon längere Zeit, daß in einem einzigen Chorion mehrere Feten enthalten sind, von welchen jeder sein eigenes Amnion hat. Schon 1871 gab A. Milne-Edwards die Abbildung der Keim- blase von Tatusia novemcincta L. Er meint, in der sekundären Verwachsung der ursprünglich getrennten Chorions von vier Feten fände der Befund vielleicht seine Erklärung. Alle entstamm- ten einem Graafschen Follikel, welcher vier Eier enthalten hätte. Rosner glaubt nach histo- logischer Untersuchung der Ovarien dies bestätigen zu können. In 42 % der Fälle nämlich fand er Follikel, welche mehr als ein Ei enthielten. Die zwei am weitesten entwickelten Follikel enihielten davon jedes vier. C u e n o t kam bei einer Nach- prüfung nicht zum gleichen Ergebnis. P"ollikel mit zwei Eiern bildeten eine Ausnahme oder fehlten ganz ; niemals aber hatte ein Ei mehr als einen Kern. Zusammenfassend meint er, daß die Eierstöcke der Gürteltiere keinerlei Besonderheit darböten, wodurch sie sich von der Mehrzahl der übrigen Säugetiere unterschieden. Indessen fand er doch bei ihnen eine andere bemerkenswerte Besonder- heit. Die Jungen einer Mehrfachgeburt hatten stets das gleiche Geschlecht. Diese auch den Jägern bekannte Eigentümlichkeit wurde schon früher durch v. Ihering (1885 — 1886) für Tatusia hybrida Desm. angegeben, v. Ihering spricht dabei die Meinung aus, daß alle Jungen eines Wurfs Abkömmlinge eines und desselben Eies waren, die sich erst nach der F"urchung voneinander getrennt hätten. Daß er damit das Richtige traf, wurde durch die interessanten Unter- suchungen von Miguel P'ernandez (Morphol. Jahrb. Bd. 39, 1909) für die nämliche Art, Tatusia hybrida Desm., bestätigt. Der Wurf besteht hier aus 7, 8 oder 9 Jungen, alle Männchen oder alle Weibchen. Wenn man aber ein trächtiges Tier untersucht, fände man stets nur ein einziges Corpus luteum an dem einen oder anderen Ovarium. Es handele sich also um das Bersten nur eines Graafschen Follikels; die Frucht entstamme nur einem einzigen Ei; in den ersten Stadien der Entwicklung bestehe übri- gens eine einzige Keimblase mit einer Umkehr der Keimblätter entsprechend jener bei der Ratte. Es sei also im Anfang offenbar nur ein Ei vor- handen, gerade so als hätte sich nur ein Fetus bilden sollen. Erst später träte eine Zerstückelung des Zellhaufens der Furchungskugel ein. Die Ursachen seien noch nicht hinreichend bekannt, da Zwischenstadien fehlten. Auf der Innenfläche der Keimblase, die anfangs einfach ist, sieht man entlang den Meridianen so viele Enibryonalfelder sich abgrenzen, als später Junge vorhanden sein 304 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. werden. Der innere Hohlraum wird später in eben- soviel Amnionhöhlen zerlegt; die einzelnen Früchte stehen nur an einem gemeinsamen Kreuzungs- punkt miteinander in Verbindung. Neuerdings haben N e w m a n und Patterson die Frage be- züglich der Tatusia novemcincta L., einer nord- amerikanischen Art der Gürteltiere, von neuem aufgenommen. ') Der Uterus enthält vier Embry- onen, alle von dem gleichen Geschlecht. New- man und Patterson hatten ältere Entwick- lungsstadien vor sich; dieselben waren nicht nur gleichgeschlechtlich, sondern glichen sich stets in einem mehr oder minder hohen Grad. Die Ähn- lichkeit konnte bis zur Gleichheit gesteigert sein. Die P'orscher konnten dies feststellen durch Zäh- lung der Hautplatten der Rückenbeschilderung. Untersucht man ohne jede Wahl eine Reihe In- dividuen, so schwankt die Zahl der Hautschilder der Rückenseite zwischen 5 1 1 und 620, die Varia- tionsbreite beträgt also 109. Bei Tieren desselben Ausgebreitete Keim blase voa Tatusia hybrida Desm. c.am.c. Gemeinsame Amnionhöhle. cu.am. Amnion- verbindungskanal. s.v. Dottersack. tr. Trophoderm (Träger), (Nach Miguel Fernaudez.) Wurfs aber war die Zahl bisweilen nur 5 — 6, im Durchschnitt 12. Sie betrug also noch nicht '/„ der Variabilitätsbreite, welche der Art zu- kommt. Die vier Jungen können noch weiterhin auf zwei Paare verteilt sein; die zwei Stücke eines Paares gleichen einander bis zur völligen Übereinstimmung. Die Forscher schließen daraus, daß alle vier Embryonen aus einem Ei ent- standen seien und jedes Paar wieder aus je einer Elastomere. Die Entwicklung der Mulita (Tatusia hybrida Desm.) erfährt eine ausführliche durch viele photo- graphische Aufnahmen von Naturobjekten erläuterte Darstellung („Revista del Museo de la Plata, Tomo XXI, La Plata 191 5 von Dr. Miguel Fernande z, ') I. Biological Bulletin, t. ];, 1909 et Journal of Mor- phology t. 21, 1910 et 22, 191 1. Prof. der vergleichenden Anatomie an der Univer- sität La Plata). Verf. begann mit seinem anfangs 1906 erfolgten Eintritt in das La Plata-Museum Material von der einen der beiden in der Provinz Buenos -Aires häufigsten Tatusiaformen (Tatusia hybrida Desm.) zu sammeln. Wie er ausführt, war der Haupt- grund gerade diese Form zu wählen, für ihn der Umstand, da sie als Delikatesse dort sehr geschätzt und deshalb in der Jagdzeit, besonders während der Monate Mai, Juni und Juli zu Tausenden auf den Markt gebracht wird. Innerhalb der ersten drei Jahre (1906— 1909) erhielt er über 230 Weib- chen. Die letzten Jahre war es dagegen kaum möglich, eine größere Anzahl von Mulitas zu er- halten ; sei es, daß die Art infolge der schonungs- losen Verfolgung gerade während der Tragzeit stark zurückgegangen ist, oder daß eine vorüber- gehende Ursache ihren Rückgang bedingte. Auch gelang es nicht die Tiere in der Gefangenschaft zu züchten; sämtliche Weibchen wurden lebend eingeliefert, durch Chloroform getötet und die LIteri entsprechend fixiert (Platinsublimat, Pikrin- sublimat, konzentriertes wässeriges Sublimat mit oder ohne 5 proz. Eisessig, Zenker 'sehe Lösung, I proz. Chromsäure usw.), gefärbt (Boraxkarm.in und Dela field'sches Hämatoxylin) und in Mi- krotomschnitte (15/', 22,5 /< und 30 /() zerlegt. Patterson und New man, welche die Ent- wicklung des nordamerikanischen Gürteltieres (Tatusia novemcincta L.) bearbeiteten, hatten sich (1911) auf Grund einer Analyse der Variabilität alle Embryonen eines Wurfs mit Bezug auf die Anordnung und Anzahl der Schuppen in den Rückenbändern älterer Feten dahin ausgesprochen, daß jeder der Embryonen von T. novemcincta L. von einer der vier Blastomeren des Vierzellstadiums abstamme; die beiden auf derselben Seite der Medianebene des Uterus liegenden aber sogar von derselben Blastomere des Zweizellstadiums. Dies sollte bedingen, daß die beiden auf derselben Seite liegenden Embryonen einander ähnlicher sind, als denen der anderen Seite. Nach einer neueren Mitteilung (1912) hat sich indes Patterson dahin ausgesprochen, daß nicht jeder der Embryonen der T. novemcincta L. auf eine besondere Blasto- mere zurückgeht; er erklärt vielmehr den Prozeß der Bildung der einzelnen Embryonen durch eine Knospung aus einem ursprünglich einheitlichen Embryo. Die jüngste Keimblase bei N. und P., die eben im BegrifT war aus der Tube in den Uterus über- zugehen, hat einen Durchmesser von 265 ft. Eine zweite von P. abgebildete Keimblase lag bereits im Fundus uteri in dem sie sich gerade festzuheften beginnt. Sie hat einen Durchmesser von 430 /(. Eine dritte Keimblase zeigt den Vor- gang der Keimblätterinversion bereits vollzogen, so daß wir über das Zustandekommen derselben nicht aufgeklärt werden. Auch F. kann nichts darüber sagen, weil die jüngste Keimblase der Mulita bereits zuweit vorgeschritten war. Soviel N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 305 läßt sich indes erkennen, daß alle Keimblasen im wesentlichen nach dem Typus, der von den Nage- tieren mit Keimblätterinversion bekannt ist, ge- baut sind. Faßt man die einzelnen Fälle von Polyem- bryonie ins Auge, so sieht man, daß diese be- sondere Verhältnisse bezüglich der Ernährung seitens der Mutter oder eine Art von Parasitismus, welche die Ernährung des Keimes ermöglicht, vor- aussetzen. Jedenfalls aber bildet das Vorkommen von Polyembryonie ein wichtiges Tatsachen- material für die Beurteilung der verschiedenen Entwicklungstheorien. Der Befund spricht jewcilen zugunsten der einen Theorie dadurch, daß die Annahme der gegenteiligen auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. So spricht die Polyembryonie für die Epigenesistheorie und gegen die Präformations- und Mosaiktheorie. Auch bezüglich anderer P'ragen ergeben sich inter- essante Gesichtspunkte. So zeigt sich z. B., daß die Bestimmung des Geschlechts schon sehr frühzeitig statt hat. Haben doch die aus einem Ei ent- standenen Individuen stets das gleiche Geschlecht, ferner wie bei Tatusia hybrida eröffnen sich Aus- blicke bezüglich der Variationsbreite bei eineiigen Mehrfachgeburten, die ja alle ein gleichartiges Erbgut übernommen haben usw. Einzelberichte. Völkerpsychologie. Der Volkscharakter der Engländer. Der Volkscharakter beruht auf Rassen- eigenart, also auf erblicher Veranlagung, doch ist er, wie die körperlichen Merkmale einer Bevölke- rung, bis zu einem gewissen Maße der Umwand- lung durch Blutmischung (Kreuzung), durch die geographische Umwelt und andere äußere Lebens- bedingungen ausgesetzt; er bleibt also nicht immer derselbe. So ist auch im Laufe der Zeit der Charak- ter der Engländer in mancher Beziehung ein anderer geworden als jener ihrer nächsten Stammesver- wandten, der Niedersachsen Nordwest-Deutschlands. Bei Betrachtung des Volkscharakters der Engländer, der gewiß viel beigetragen hat, um ihnen zu ihrer heutigen Weltmachtstellung zu verhelfen, muß man vor allem bedenken, daß dieses Volk überwiegend germanischer Abstammung ist. Namentlich im Süden und Osten Großbritanniens fand bis in die neueste Zeit keine Vermischung mit den dort vor der angelsächsischen Invasion ansässig gewesenen kleinwüchsigen und brünetten Kelten statt. Diese wurden vielmehr nach Westen zurückgedrängt, wo sie sich, zum Teil unter Wahrung ihrer Sprache und sonstigen geistigen Kulturbesitzes, bis in die Gegenwart erhielten. Erst mit der Entwicklung der modernen Industrie und des modernen Ver- kehrswesens fand eine stärkere Mischung des ger- manischen mit dem keltischen T)'pus statt, da von überall her Arbeitskräfte nach den gewerb- lichen Mittelpunkten zogen. — Die römische Herr- schaft in Großbritannien war nicht mit Koloni- sation verbunden und hat demnach auch nicht zu völkischer Vermischung führen können. Die Bei- mischung von französischem Blut, welche die Eroberung durch die Normanen im Gefolge hatte, war jedenfalls ganz gering und sie betraf haupt- sächlich die höheren Gesellschaftsstände. In seinem neuen Buch „Englands Weltherrschaft und der Krieg" (Leipzig 191 5, Teubner) sagt Prof. Dr. Alfred Hettner ganz ichtig, daß einerseits die Inselnatur Großbritanniens eine starke Mischung mit fremden Volksbestandteilen verhütete, während andererseits das Fehlen größerer Verkehrshindernisse und die vcrhältnismälSige Gleichartigkeit der Lebens- bedingungen in diesem Lande die einheitliche Durchbildung und die Geschlossenheit des eng- lischen Typus begünstigten. Überdies kamen die auswärtigen Kultureinflüsse alle aus derselben Richtung und sie waren alle derselben Art. Das nationale Leben der Engländer zeigt deshalb eine erheblich größere Einheitlichkeit als das der Deut- schen und anderer kontinentaler Völker. Es mag sein, daß mit dem Mangel einer Differenzierung des Volkscharakters, wie Prof. Hettner meint, auch ein starker Trieb zum Fortschritt mangelt. Unrichtig ist es jedoch, wenn er annimmt, daß sich daraus eine „Herdengesinnung" ergab; denn gerade die Engländer sind durch ein großes Maß persönlicher Selbständigkeit, durch einen Individualismus ausgezeichnet, wie man ihn sonst nirgens in Europa findet. Prof. Hettner hebt auch die starke Willenskraft der Engländer hervor, die sich aber nicht in einzelnen starken Impulsen ausgibt — wie bei den Romanen und den Süd- ländern überhaupt — sondern in Zähigkeit und Beharrlichkeit besteht; oft ist mit dieser starken Willenskraft Langsamkeit des Denkens verbunden. Diese Eigenart des Willens, die man auch beim Niederdeutschen findet, ist wohl darin begründet, daß infolge der Natur Großbrittanniens der Mensch nur durch unausgesetzte Anstrengung und bestän- digen Kampf Herr über die Umwelteinflüsse werden kann. Den starken Eigenwillen betrachtet Prof. Hettner auch als die Grundlage der persönlichen Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit, die den Engländern nicht abgestritten werden können, wenn sie auch bei manchen hohen Politikern und ihren journa- listischen Werkzeugen nicht vorhanden sind. In naher Beziehung zu der starken Willenskraft, aber auch in der Art der Siedelung und in der Wirt- schaftsweise begründet, ist der Individualismus der Engländer, der Drang nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit von den Nachbarn, besonders aber Unabhängigkeit von öffentlichen Behörden und Einrichtungen. (Vgl. Dr. Carl Peters, England und die Engländer. 3. Auflage, Hamburg 1915)- 3o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 Fraglich ist, ob es zutrifft, daß die ungünstigen Einflüsse des britischen Klimas und der durch sie bedingte starke Erwerbssinn des englischen Volkes für das Entstehen des Calvinismus oder Furitanis- mus verantwortlich sind. Die Bevölkerungen gar mancher Länder, deren Klima entschieden viel rauher ist, als das Großbritanniens, sind nicht zu einer derartigen, die Lebensfreude verneinenden Weltanschauung gekommen, wie es der Puritanismus ist. IVIit Recht sagt Prof. Hettner, daß der Puritanismus das fröhliche England der Alten (merry old England) zerstört und den Geist des Pharisäertums erzeugt hat, so daß trotz der per- sönlichen Wahrheitsliebe nur allzu oft Heuchelei und Scheinheiligkeit das Leben vergiften; diese äußern sich hauptsächlich, soweit es sich um reli- giöse Angelegenheiten und um die Beziehungen der Geschlechter zueinander handelt. Der Puri- tanismus ist m. E. auch an dem unweiblichen Wesen vieler Engländerinnen, dem „Mannweibtum", am meisen Schuld. Im allgemeinen ist der Geist des Engländers auf das Praktische gerichtet, auf das Wesen, den Inhalt einer Sache; dabei wird die äußere Form nur allzusehr vernachlässigt und man kann sich nicht gar leicht an all das gewöhnen, was der mangelhafte Schönheitssinn zur Folge hat. Wir werden abgestoßen, wenn wir zum erstenmal nach englischen Städten kommen, durch die geschmack- lose Bauweise, die nur zu häufig zu beobachtende Unordentlichkeit, die Verunzierung der Gebäude mit Reklameaufschriften, die wohl aufdringlich, aber durchaus nicht anziehend wirken, usw. Einen Beweis, daß schwerster Kampf um die Lebens- bedürfnisse nicht IVIangel an Schönheitssinn zur Folge haben muß, haben wir z. B. in den Busch- leuten; also können wir Prof. Hettner wieder nicht zustimmen, wenn er das Klima auch für die englischen Geschmacklosigkeiten verantwortlich macht. Der Verfasser dieser Zeilen hat übrigens das Klima Englands nicht sonderlich rauh und widerwärtig gefunden; es ist entschieden milder und angenehmer als etwa das unserer bayerischen Hochebene. Zu bestätigen ist die Angabe Prof. Hettner's, daß der Engländer zum Mystizismus neigt, daß aber davon abgesehen das Denken des Engländers nüchtern und praktisch ist und sich scharf von der Phantasie des Südländers abhebt. Damit steht in Zusammenhang, „daß der Engländer im Leben und in der Wissenschaft bei den Tatsachen bleibt, Empiriker ist. Wissenschaft und Leben bauen sich in England nicht auf Theorien und Idealen auf, sondern auf Erfahrungen, von denen eine immer unmittelbar an die andere anknüpft. Der Eng- länder . . . setzt die Ziele kurz. Auch heute noch stützt sich die Technik mehr auf Routine als auf Theorie, die Wissenschaft entbehrt der fruchtbaren Deduktion und der S_\-stematik, das öffentliche Leben der Organisation." Der Engländer ist eben Eingriffen von obenher, und seien sie auch organi- satorischer Art, entschieden abgeneigt. Eine auffallende Eigenart des englischen Volkes ist sein Konservatismus, die Neigung zum Hängen am Hergebrachten und die Abneigung zur Nach- ahmung von anderen gegebener Beispiele. Eigen- tümliche alte Sitten und Gebräuche werden be- wahrt, so lange sie mindestens nicht zum Schaden ausschlagen. Auch der nationale Stolz, meint Prof. Hettner, scheint eine aus älterer Zeit stammende Eigenart des englischen Charakters zu sein. Stark entwickelt ist bei den Engländern die Neigung zum Heimleben. Ihre Zurückhaltung im Verkehr mit Fremden, auch wenn sie dem eigenen Volk angehören, ist groß. So bald aber eine Be- kanntschaft enger wird, schwindet die übermäßige Zurückhaltung und in vertrautem Kreise werden die Engländer sogar recht mitteilsam, ihr Wesen verliert dann die sonst zur Schau getragene kalte Ruhe. H. Fehlinger. Geologie. Bisweilen ist in Kriegsberichten auf die großen Veränderungen aufmerksam ge- macht worden, welche die Gestaltung der Erd- oberfläche in den vom augenblicklichen Weltkriege betroftenen Gebieten erleidet. Durch die langen Ketten von Schützengräben mit ihren Unterständen, die Minengänge, Sprengtrichter, einschlagenden Granaten usw. wird die Erdoberfläche durchwühlt. Da und dort mußte einschneidend in die Wasser- verhältnisse einer Gegend eingegriffen werden, mancher Wald und andere Hindernisse zur Er- zielung eines besseren Schußfeldes niedergelegt werden. Den Sedimenten der heutigen Meere wird durch die in erhöhtem Maße untergegangenen Kriegsschiffe und anderen Seefahrzeuge eine recht beträchtliche Menge an Stoffen aller Art zugeführt. Riesige Moorflächen werden, um nutzbares Acker- land zu gewinnen, entwässert und damit unter ganz andere Bedingungen gebracht. In einer noch vor dem Kriege verfaßten geistreichen Studie: „Der Mensch als geologischer Faktor", welche in d^en Abhandl. d. Zeitschr. d. deutschen Geol. Ges. 1915 H. 2 S. 106—148 erschienen ist, behandelt der so früh in den Vogesenkämpfen im August 1914 gefallene Verfasser Dr. E. Fischerf den Einfluß des Menschen auf die Natur. Unsere einschlägigen Lehrbücher haben sich bisher nur wenig oder gar nicht mit dieser P'rage beschäftigt i einzelne Teilgebiete sind hier und da in Spezial- arbeiten in den Kreis der Untersuchungen gezogen worden. Am augenfälligsten ist der Einfluß des Menschen bei den direkt in die Erdkruste eingreifenden Vorgängen, so bei der Massenbewegung fester Gesteine von einer Stelle zur anderen, ihrer me- chanischen oder chemischen Änderung, sowie bei der Produktion von Erzen, Kohlen und Salzen. Die Montanstatistik zeigt uns die gewaltige Steige- rung der Weltproduktion der technisch wichtigen Metalle in den letzten Jahrzehnten. Die Statistik von 1910 ergibt für in Deutschland geförderte Erze, Salze, Steinkohlen und Braunkohlen zusammen ca. 255 Millionen Meter-Tonnen gegenüber ca. 172 N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 307 Millionen Meter-Tonnen im Jahre 1900, mithin eine Steigerung um etwa 50 "/j innerhalb 10 Jahren. Die gesammte Jahresförderung der Welt an Erzen und Nichtmetallen samt dem dabei bewegten Gestein ist auf ca i cbkni zu veranschlagen, läßt sich also etwa mit der Wirksamkeit der Flüsse ver- gleichen. Mindestens ebenso wichtig ist die Gewinnung von Baumaterialien aller Art, also von Bausteinen, Kies, Sand, Ton, Kalk, Gips. Diese sind viel leichter zu gewinnen und auch weiter verbreitet, dadurch ist die Statistik lückenhaft. Eine kleine Vorstellung kann man sich aber aus der Betrach- tung machen, wenn man die Gebäude unserer Städte und Dörfer zerstören würde. Breite, je nach der Dichte der Bebauung, der Höhe der Gebäude und der Art des verwandten Materials wechselnde Hügelmassen würden entstehen. Dies zeigen alte zerstörte Siedlungen, so z. B. römische oder diejenigen von Hissarlik und der Euphratgegend. Straßen-, liisenbahn Tunnel- und Kanalbauten erfordern ganz gewaltige Erdbewegungen, sowie eine dauernde Instandhaltung. Beim Kaiser Wilhelm- kanal (98,6 km) wurden bei der Erstanlage 83 Millionen cbm bewegt, während bei dem ver- breiterten Kanal 100 Millionen cbm Erdmassen zu bewegen waren. Terrassierung von Berghängen in Weingegenden, Eindeichungen, Trockenlegungen von Mooren, Wildbachverbauungen, Flußkorrek- turen, Uferschutzanlagen verursachen nicht unbe- deutende Erd- und Gesteinsbewegungen. Der Mensch wirkt außerdem fördernd oder hemmend, aber stets wirksam in den Ablauf einiger Naturvorgänge. Tektonische Spannungen in Berg- werken und Tunnels sind vielfach durch den Menschen zur Auslösung gekommen, ebenso das Nachsacken über alten Bergwerken, ja selbst ein Bergsturz wie der von Elm ist durch einen unge- schickt angelegten Steinbruch verschuldet worden. Vielfach besteht ein starkes Mißverhältnis zwischen der tatsächlich erfolgten Leistung und der mensch- lichen Arbeit. Nicht selten ist die Rolle des Menschen eine geringfügige und zufällige, die er- zielte Leistung eine große; kleine Ursachen, große Wirkungen I Die Hauptarbeit wurde durch andere Kräfte und geologische Faktoren geleistet und wurde dadurch auch eine solche des Menschen, da die bestehenden Hemmungen erst durch ihn beseitigt werden mußten. Im ganzen genommen sind die Wirkungen des Menschen auf die Gesteinshülle unseres Erdballes geringfügig und oberflächlich, da er nur ganz ge- ringe Tiefen der Erdkruste, intensiv nur die obersten paar Dutzend Meter zu verändern vermag. Auch auf die Wassermassen unseres Erd- balles vermag der Mensch einzuwirken. Die Ozeane, jene übergewaltigen Wassermassen, sind seinen Einflüssen zwar noch ziemlich fern und folgen ihren eigenen Gesetzen. Und doch hat er ihnen in einigen Punkten Grenzen gesetzt. Ein großer Teil von Holland — 26S Quadratmeilen — ist durch Menschenhand Festland geblieben, Ufer- bauten, Strandbefestigungsarbeiten und Wellen- brecher schützen diese wie auch zahlreiche andere Küsten und Inseln vor dem Ansturm des Meeres. Unser stolzes Helgoland hält durch Menschenkraft im Sturmgebrause und Wellengetobe der Nordsee aus. Unterliegend drückt der Mensch den Meeres- sedimenten seinen Stempel auf. In den 3 Jahren von 1829 — 1831 gingen zusammen 1953 englische Schiffe mit je 150 t unter, zusammmen 300000 t, mithin looooo t jährlich. In moderner Zeit ist die Zahl der Schiftsunfälle geringer geworden, dafür ist aber der Tonnengehalt recht beträchtlich gestiegen und der Untergang eines einzigen Riesen- schift'es wie des „Titanic" vermag Vieles wettzu- machen. Ganz gewaltig ist der Tribut, welchen der Mensch den Meeren im augenblicklichen Welt- kriege entrichtet. Daneben gibt jedes Schiff zeit seines Lebens oft recht beträchtliche Mengen an Abfällen, Schlacken, Ballast usw. den Sedimenten ab. Wichtiger ist die Einwirkung des Menschen auf die Festlandsgewässer, die zur Gewinnung von elektrischer Kraft oder auch zur Schift"bar- machung mannigfache Umänderungen erfahren. Dadurch ist die Erosions- und Transport kraft unserer Flüsse vielfach vermindert. Die Hebung oder Senkung des Spiegels von Seen liegt ganz in der Gewalt des Menschen. Riesige Wasser- massen sammelt er hinter oft gewaltigen Stau- dämmen. Von großer geologischer Bedeutung hinsichtlich der Verwitterung der Gesteine ist die Änderung des Grundwasserstandes. Das immer mehr durch dielndustrialisierung gesteigerte Wasser- bedürfnis führt, da die natürlichen Quellen nicht mehr ausreichen, auf die relativ reinen, vielfach unerschöpflich scheinenden Wasservorräte des Grundwassers. Indessen muß man sich vor einer dauernden plan- und rücksichtslosen Entnahme der Wasservorräte hüten, da ihre Wiedererneuerung in Frage gestellt werden kann und zu immer weiteren Extremen, ja bis zu einer völligen Ver- trocknung des betreffenden Gebietes führen kann. Dadurch können Wälder zum Absterben kommen. Italiens unkluge Wasserpolitik ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie sehr menschliche Einflüsse die hydrographischen Verhältnisse eines Landes soweit zu ändern vermögen, daß selbst menschliche Ein- flüsse oft nichts mehr nützen können. Sache der mehr noch auszubauenden Wassergeologie dürfte es sein, die Grenzen des normalen Wasserhaus- haltes zu ziehen. Diese hängen von der Menge, Art und zeitlichen Verteilung der Niederschläge, sowie von der Zusammensetzung und Wasser- führung des Untergrundes ab. Sicher ist, daß im vergangenen Jahrhundert und noch mehr in augen- blicklicher Zeit durch Wasserentnahme, Regulierung von Flüssen usw. der Grundwasserspiegel weiter Gebiete gesenkt worden ist, wodurch sehr tief- greifende Einwirkungen auf die geologischen Ver- hältnisse und Zustände der Festländer zu erwarten sind. Ein wichtiger Faktor ist auch die weit- gehende, im augenblicklichen Kriege ganz außer- ordentlich gesteigerte Austrocknung von Sümpfen 308 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 und Mooren zum Zwecke ihrer Überführung in nutzbares Ackerland. Sehr wohl ist es möglich, daß mit der Vernichtung dieser groiSen Wasser- speicher, wenn auch kaum spürbare Änderungen der klimatischen Verhältnisse wie auch der ver- schiedenen geologischen Vorgänge der Verwitte- rung und Bodenbildung verbunden sind. Alles in allem stellt der Einfluß des Menschen auf das Wasser, besonders auf das Grundwasser wahrschein- lich den bedeutendsten Eingrift" des Menschen in den Ablauf der natürlichen Vorgänge dar. Die Erd- und Wasserbewegungen haben oft tiefgreifende Einflüsse auch auf die Verteilung der Pflanzenwelt. Diese ist dem Menschen mehr und mehr unterworfen. Die natürlichen Pflanzen- formationen weiter Gebiete hat er vernichtet und daraus die Formationen des Getreide-, Kartofiel- und Rübenackers, des Obstgartens, Weinbergs und des Weidelandes geschafi'en. Vielen Pflanzen, so unseren hauptsächlichten Kulturgewächsen hat er neue Verbreitungsgebiete erschlossen. Mit der Zunahme einer Pflanzenart geht die Abnahme irgendeiner anderen Hand in Hand. Sehr groß ist der Einfluß des Menschen auf die Wälder. Schon zu allen Zeiten hat er VValdvernichtung getrieben, früher um Kulturboden für andere Ge- wächse zu schaffen, jetzt immer mehr, um das im Wert bedeutend gestiegene Holz zu gewinnen. Altbekannt ist die Entwaldung der Mittelmeer- länder zu Zeiten der Römer und Venetianer. Gegenwärtig gehen große Waldverwüstungen in Rußland und Nordamerika vor sich. Damit tritt nicht nur eine Änderung der klimatischen P"ak- toren ein, sondern es führt auch zur Austrocknung und damit zur leichten Abspülung oder Abwehung des Bodens, so daß auf den nackten und kahlen Felsflächen oft gar keine Kultur mehr möglich ist. Gegenüber der Einwirkung des Menschen auf die Hydrosphäre ist der Einfluß auf die Pflanzen- welt wie auch auf die Tierwelt nicht so be- deutend. Seine Einflüsse sind vielgestaltig und gipfeln hauptsächlich in einer Einschränkung der Arten im allgemeinen und einem Ausgleich der ursprünglich vorhandenen Unterschiede. Von den landbewohnenden Tieren ist vielleicht keines un- beeinflußt geblieben, aber auch auf die meerbe- wohnenden hat sich sein Einfluß immer mehr ausgedehnt. Die Wirksamkeit des Menschen als geologischer Faktor beschränkt sich im wesentlichen auf die Erdoberfläche. Im Vergleich zum ganzen Erd- durchmesser ist er nur in sehr geringe Tiefen vor- gedrungen; seine tiefsten Bergwerke stehen bei 1600 m, seine tiefsten Bohrlöcher bei 2200 m. Oberflächlich aber spielt der Mensch eine recht bedeutende Rolle; sein Einfluß ist ein vorwiegend abtragender. Er hat sich mit seinen Begleitern am weitesten zu verbreiten vermocht. Der Mensch ist mit seinen Produkten und Begleitern zum Leit- fossil der gegenwärtigen Periode geworden. Seine Wirkungnngsweise ist außerordentlich vielseitig und kompliziert. Seit den ältesten Tagen ist seine Wirksamkeit in einer im ganzen ansteigenden Kurve verlaufen, die mehr einer geometrischen als einer arithmetischen Progression gleicht. Unter den geologischen Faktoren ist der Mensch der jüngste. Sein Wirken und seine Bedeutung für die Geologie verdient deshalb ein würdiger Gegen- stand der geologischen Wissenschaft zu sein. V. Hohenstein, Halle a. S. Zoologie. Über das Plankton des Tegernsees in Oberbayern, der bekanntlich eine der reichsten Fundgruben für den Planktologen unter den deut- schen Seen ist, veröfi"entlicht die Zeitschrift der dtsch. mikr. Gesellschaft „die Kleinwelt" (H. 3/4, Mai 1915) eine nach ihren über ein Jahr fortge- setzten Untersuchungen zusammengestellteStatistik, die dadurch besonderes Interesse gewinnt, das der Tegernsee, der etwa den Typ des tiefen Voralpen- sees darstellt (71 m) ein für die alpinen Seen geradezu typisches Plankton aufweist, weshalb dessen Kenntnis von mehr als bloß lokalem Inter- esse ist. Von den bisher gefundenen 39 rein- pelagischen Arten sind 10 typisch und in jeder Jahreszeit vorhanden. Als Leitform erweist sich die Kieselalge ^htcrioiicUa gracilliina, zur Zeit der Frühlings- und Herbstmaxima kommt dazu noch Fragilaria crotoiicnsis. Immer häufig vor- handen ist Ccratiitni kintiidiiiclla, Aiiahacna cir- ciiialis, die Rosenkranzalge tritt im Oktober so massenhaft auf, daß sie eine Wasserblüte bildet. Daneben wurden noch folgende Algenformen ge- funden, von denen die sechs am Anfang stehen- den häufig, die anderen mehr vereinzelt auftreten: Cyclotella comta, Synedra acus, Cymatopleura elliptica, Tabellaria flocculosa,Pediastrum Boryanum, Peridiniumcinctum, Eudorinaelegans, Pandorinamo- rum, Cosmarium sp., Botryococcus Braunii, Merismo- poedia glauca, Synedra splendens var. delicatissima, Nitzschia sigmoidea, Melosira varians, Cymato- pleura elliptica, Schizonema molle, Fragilaria vires- cens, Tabellaria fenestrata, Stephanodiscus astraea. Von Protozoen wurden gefunden : Actino- phrys Sol, Vorticella microstoma, Cryptomona ovata, Mallomonas Ploessli, fc,pystylis plicatilis. Von Rot atorien: Notholca longispina, Anu- raea cochlearis, Polyarthra platyptera, Chromogaster testudo, Asplanchna priodonta. Von Entomostraken: Diaptomus gracilis, Cyclops strenuus, Daphnia longispina, Daphnia hyalina, Bosmina longirostris, Leptodora hyalina, Bythotrephes longimanus als Tiefenform. Dem Reichtum an Plankton entspricht eine ziemlich üppige Fischfauna des Sees. Weitberühmt sind seine Saiblinge (Salmo savelinus) ebenso die echten Planktonfresser, die Renken (Coregonus Wartmanni). Nicht selten sind auch Barsche (Perca fluviatilis und Seeforellen (Trutta lacustris). R. V. Aichberger-München. Heilkunde. Aus der Geschichte der Erforschung des F'leckfiebers. Das Fleckfieber (Flecktyphus, Petechialtyphus, Typhus exanthematicus) das N. F. XV. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 309 unseren Truppen besonders zu Anfang dieses Krieges nianclierlei zu Schäften machte, und noch jetzt Opfer fordert, ist zum ersten Mal von Virchow in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo es in Oberschlesien epidemisch auftrat, be- schrieben worden. Noch heute ist man sich über den Erreger nicht im Klaren. Man weiß, daß die furchtbare, ungeheuer ansteckende (noch nach sechs Monaten !) Krankheit durch Hunger, schlechte Luft, elende Lebensverhältnisse — enges Beisammen- wohnen hauptsächlich, begünstigt wird, weshalb sie besonders häufig unter Umständen, die starke Menschenansammlungen bedingen („Kriegs"-, „Laza- rett"-. „Schiffs"-, „Kerkertyphus") auftritt. Auch nach Mißernten („Hungertyphus") ist sie be- obachtet worden. Dichtbevölkerte Industriegebiete, schlecht ernährte, schmutzige, eng zusammen- hausende Bevölkerung (Oberschlesien, Polen) sind Flecktyphusherde. Die furchtbaren Verluste der Serben durch ihn, die zu Anfang des Krieges unter unseren Soldaten im Osten häufig auf- tretenden Fälle erklären sich aus diesen Fest- stellungen leicht. Man wußte mit Sicherheit bis jetzt weder Erreger noch Überträger anzugeben. In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts glaubte zwar E. Gottschlich den Erreger in einem I — 3 /( großen, also winzigen Organismus, den er als Spermatozoen ähnlich beschrieb, gefunden zu haben. Er stellte ihn zu den Protozoen. Man hielt den Organismus dem Erreger des Texas- fiebers verwandt, für das eine Zeckenart als Über- träger angenommen wurde, während man als wahrscheinlichen Überträger des Fleckfiebers die Wanze annahm. Heute hat man — und das ist nicht zum mindesten den in diesem Kriege ge- machten Erfahrungen zuzuschreiben — als solchen die Kleiderlaus (Pediculus vestimenti) erkannt. Die infizierte Laus, nicht der Kranke, führt jeden- falls die Ansteckung herbei, wenn auch die Möglichkeit einer Stoffübertragung nicht ganz abgewiesen werden darf, bis wir den Erreger mit Sicherheit bestimmen können. In der allerjüngsten Zeit sind nun von Pröscher im Blute von F'leckfieberkranken bestimmte Zellen, deren Plasma und Kern sehr kleine Diplokokken und Diplo- bazillen enthalten sollen, aufgefunden worden, welche, da sie, wie durch Färbungsmethoden usw. bewiesen wurde, für den Flecktyphus spezifisch sind, vielleicht als seine Erreger betrachtet werden können. ') Seit Kriegsbeginn hat eine rege Tätig- keit — über 200 wissenschaftliche Arbeiten sind allein über die Kleiderlaus bis jetzt seitdem er- schienen! — in der Untersuchung der Ätiologie, Epidemiologie (Jürgens, der sich besondere Verdienste um die Bekämpfung des Eleckfiebers unter Gefangenen erwarb), Diagnose (Fränkel) und Therapie des Fleckfiebers eingesetzt. Mit der Er- forschung seiner Übertragung haben sich besonders Skuketzky, Lindner, Gottschlich be- schäftigt. Auf den Untersuchungsergebnissen baute man eine Therapie auf, die zwar in der Bekämpfung des Einzelfalles noch nicht immer von Erfolg begleitet ist, aber bei epidemischem Auftreten der Krankheit doch schon große Resul- tate aufzuweisen hat. Neben der strengen Iso- lierung ist die Eintlausung von Kranken und Pflegern das Wichtigste. Eine peinlich durch- geführte Prophylaxis, die auf Fernhaltung und Vernichtung des Überträgers gerichtet sein muß, verspricht natürlich am meisten. Was in früheren Jahren auf therapeutischem Wege durch kalte Bäder, Chinin, streng diätetische Pflege u. a. selten erreicht wurde — die Bekämpfung der furchtbaren Krankheit — ist heute den vorbeugenden sanitären Maßnahmen im P'eldheer, unter denen die Ent- lausungsanstalt wohl die Hauptrolle spielt, ge- lungen, so daß ein Übergreifen auf Deutschland nicht zu fürchten ist. (G. c.) R. v. Aichberger. ') In den letzten Tagen kommt aus Petersburg die Nach- richt, daß es zwei russischen Forschern gelungen ist, den Er- reger des Flecktyphus zu linden. Nähere Mitteilungen darüber stehen noch aus. Bücherbesprechuugen. Birkner, F., Der diluviale Mensch in Europa. 2. verm. Aufl. 102 Seiten. 2 Tafeln und 186 Textfiguren. München 1916, Verlag Natur und Kultur. — Brosch. 2,50 M. Obwohl es nicht an populären Darstellungen der europäischen Prähistorie fehlt, so darf man die vorliegende Studie Birkner's doch begrüßen, denn sie zeichnet sich durch einen kurzgefaßten klaren Text und durch zahlreiche gut ausgewählte Abbildungen vor manchen anderen Publikationen dieser Art aus. Der erste Abschnitt behandelt die stoffliche Kultur des diluvialen Menschen nach der bekannten Stufengliederung, vorwiegend im Anschluß an die ausgezeichnete Publikation Obermaier's (Der Mensch aller Zeiten. Bd. i, Der Mensch der Vorzeit. Allg. Verlagsbuchhand- lung, Berlin 1912), auf die auch an dieser Stelle nachdrücklichst hingewiesen sei. Die wichtigsten Fundorte sind nach photographischen Aufnahmen des Verf wiedergegeben ; auf einigen derselben würde man allerdings die menschliche Staffage, die nur störend wirkt, gerne entbehren. Eine Gegenüberstellung der archäologischen Einteilungen von Penck, Obermaier, Wiegers und Bayer orientiert über die noch bestehenden großen Meinungsverschiedenheiten über die Gliede- rung der Diluvialzeit. In dem zweiten Abschnitt: „Die geistigen Eigen- tümlichkeiten des diluvialen Menschen" gibt Verf einen reich illustrierten Überblick über die künst- lerische Produktion der Diluvialzeit. Die erst in die letzten Jahre fallenden PIntdeckungen der 310 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 wunderbaren Wandmalereien in Südfrankreich und Spanien sind ihrem Wert entsprechend gewürdigt. Überall kommt der beste Kenner dieser Kunst, H. Breuil, zu Wort. Etwas summarischer ist der dritte Abschnitt, der den körperlichen Eigentümlichkeiten des dilu- vialen Menschen gewidmet ist, behandelt. Verf. steht auf dem Standpunkt, daß Homo Neander- thalensis keine selbständige Hominidenart, sondern nur eine Rasse von Homo sapiens sei und weist zur Begründung auf die Untersuchungen von Klaatsch an Australiern hin. Mit Recht wehrt er sich dagegen, das einzelne Skelet vom Combe- Capelle als eine eigene Rasse hinzustellen. Mit zwei Ausnahmen sind die verschiedenen Schädel- bilder gleichmäßig in die Ohraugenebene einge- stellt, was zu einem Vergleich der einzelnen Typen unbedingt notwendig ist. Im Schriftenverzeichnis entbehrt Ref. einige wichtige neuere Werte, doch ist die gegebene Aufzählung zu einer allgemeinen Orientierung genügend. R. Martin. Lowie H. Robert, The Sun Dance ofthe Crow Indians. Anthropological Papers of the American Museum of Natural History. Vol. XVI, Part. I. 50 Seiten mit 11 Abb. New York 1915. Die hier geschilderte Zeremonie der Krähen- Indianer beruht auf Erzählungen, die der Verf von Teilnehmern und Augenzeugen selbst einholte. Sie decken sich in allen wesentlichen Punkten mit der von Cu rtis (The North American Indians IV. S. 6-] u. ff.) gegebenen Darstellung. Der „acki'cirüa" der Krähen indianer entspricht in der Tat dem Sonnentanz der übrigen Dakota-Stämme, obwohl es sich nicht um ein periodisch wieder- kehrendes Fest, sondern vielmehr um eine Zere- monie handelt, die nur ausgeführt wurde, wenn ein Leidtragender die Tötung eines nahen Ver- wandten durch Angehörige eines feindlichen Stammes rächen wollte. Darum fand die Zere- monie in dem Zeitraum von 1830 bis 1874 auch nur ungefähr alle 3 bis 4 Jahre statt. Der Name „acki'cirüa" soll sich auf eine Art Miniaturhütte beziehen, wie sie von Kindern beim Spiel angefertigt wird. Verf schildert in allen Einzelheiten die verschiedenen sich folgenden Phasen der Zeremonie, das Gelübde, die Jagd zur Erlangung der notwendigen Zahl von Büffelzungen für die Teilnehmer des Festes, die Gewinnung des Leiters, die Herstellung der Zauberpuppe, die Errichtung der Zauberhütte und schließlich die Ausführung der Beschwörung selbst, die mit der Vision des „ak'ö'oce", d. h. des Trauernden endet. Ist die letztere eingetreten, so begibt sich der Stamm auf den Kriegspfad, um die Erfüllung der Vision zu erlangen. R. Martin. W. M. Davis und G. Braun, Grundzüge der Physiogeographie. II. Morphologie zum Gebrauch beim Studium und auf Exkursionen. Zweite Auflage. Leipzig und Berlin 1915, B. G. Teubner. — Geb. 5 M. Es spricht sicherlich für den Wert des Buches, daß schon nach 2 Jahren eine neue Auflage not- wendig geworden ist; ihre Besorgung danken wir Herrn Prof Braun in Basel. Gegenüber der ersten Ausgabe zeichnet sich die Neuauflage durch verschiedene wichtige Änderungen aus, die zweifel- los auch große Verbesserungen bedeuten. Die einschneidendste betrifft wohl die An- lage des Ganzen: die vier einleitenden Ka- pitel der Erstausgabe über die Grundlagen der Morphologie, die schon seinerzeit wegen ihres vielfach unzureichenden Ausbaues mit Recht kriti- siert worden waren, sind jetzt als besonderer Band abgesondert. Der vorliegende zweite Teil enthält daher ausschließlich die Morphologie selbst. Eine Angabe seiner Stoffeinteilung wird am besten den Charakter der neuen Auflage zu zeigen ver- mögen. Die Einleitung beginnt mit einer allgemeinen Darstellung der Lehre vom Zyklus, und einigen Grundsätzen über geographische Beschreibung und Nomenklatur. Daran schließt sich passend ein Abschnitt über bildliche Darstellung, in dem wir u. a. einen neuen Absatz über morphologische Karten begrüßen. In der nun folgenden eigent- lichen Darstellung des „Systems der Mittelformen" (ein Ausdruck, der übrigens — wie auch ver- schiedene andere — merkwürdigerweise im Buch keine Erklärung findet), ist zwar die Grundanord- nung des Stoffes im wesentlichen unverändert geblieben. Die genaue Durchsicht der einzelnen Kapitel ergibt aber nicht nur Erweiterungen gegen- über dem Text der alten Auflage, sondern auch tiefgreifende Verbesserungen. Deutlich macht sich das Bestreben nach einem klareren Aufbau des Ganzen in einer strafferen, geschickteren Disposi- tion des Stoffes bemerkbar. So sind die ein- fachen Gebirge nunmehr von den Formen mit komplizierter Entwicklung getrennt und die End- phasen schärfer herausgearbeitet worden. Wert- voll ist ferner die Trennung der Struktur- und Skulpturformen in dem folgenden Kapitel über die Vulkane. Auch der Abschnitt über die Täler hat größere Veränderungen erfahren. Die Dar- stellung der hydrographischen Momente ist ent- fallen; es beginnt sofort die Schilderung der nor- malen Entwicklung der Täler. Die Ergebnisse zahlreicher neuerer Untersuchungen finden wir in dem neu eingeschobenen Abschnitt über den be- sonderen Einfluß des Gesteinscharakters auf die Talbildung berücksichtigt. Das frühere Kapitel über den Schutt des Landes ist als selbständiges Kapitel gestrichen; seine einzelnen Abschnitte sind organisch an anderen Stellen eingefügt. Die Ka- pitel 5 — 7 bilden wie in der alten Auflage eine Gruppe für sich; sie behandeln die Anwendung der Zyklustheorie auf Gebiete mit aridem, nivalem und feuchtheißem Klima, wobei wir namentlich in dem Absatz über die Entwicklung der Formen im feuchtheißen Klima eine sehr erfreuliche Er- N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 311 Weiterung der Darstellung feststellen können. Das Schlußkapitel ist wiederum der Darstellung der Küstenformen gewidmet. Hier sind jetzt den durch Hebung entstandenen Küsten die durch Senkung gebildeten als zweite große Hauptgruppe gegenübergestellt. Neu ist ferner ein Abschnitt über klimatisch bedingte Küstenformen. So sehen wir überall die Spuren weitgehender Erweiterung und Verbesserung des Werkes. Aller- dings scheint mir, daß auch die neue Anordnung noch nicht aller Schwierigkeiten Herr geworden ist, die sich dem Bestreben, eine übersichtliche und systematische Anordnung des Stoffes zu bieten, entgegenstellen. So ließe sich z. B. über die Ein- reihung der alten Plateaus in das System (Land- schaften mit einfacher Struktur) und über vieles andere mehr recht streiten. — Was neben den bisher erwähnten Änderungen den Charakter des Buches im ganzen wesentlich verändert und zwar entschieden abgerundet hat, ist die Fortlassung der verschiedenen, in der ersten Auflage enthal- tenen anthropogeographischen Bemerkungen. Ihr aphoristischer Charakter vermochte niemand zu befriedigen, sie sind deshalb zum Vorteil des Ganzen nunmehr stillschweigend unterdrückt worden. Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, daß auch diesmal das Buch reichlich mit guten Ab- bildungen ausgestattet ist. Die Beigabe der Kartennachweise, die von Anfang an eine beson- dere Auszeichnung dieses Werkes bildeten, ebenso die zahlreichen Literaturnachweise, die in der neuen Auflage ergänzt und aufs Laufende gebracht wurden, empfehlen das Buch als Grundlage zum Studium; das kleine handliche Format der neuen Auflage läßt es sogar für die Mitnahme auf Ex- kursionen geeignet erscheinen. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Prof. Dr. Paul Hoering, Moornutzung und Torfverwertung mit besonderer Be- rücksichtigung der Trockendestilla- tion. Berlin 191 S, Julius Springer. — Pr. 12. M. Die restlose Ausnützung aller im Inlande brach- liegenden Kräfte ist das herrschende Gebot unserer wirtschaftlichen Kriegführung, das auch, da die wirtschaftlichen Schäden des Krieges sobald nicht ausgeglichen sein werden, über die Dauer desselben hinaus in Geltung bleiben muß. Zwei Riesen- kräfte lagen jedoch im Vaterlande unbenutzt: die Wasserkräfte vornehmlich in Deutschlands Süden und die Moore vorherrschend in dessen Norden; die Erschließung der letzteren, das un- gleich schwierigere Problem, stellte sich erst die jetzige Generation zur Aufgabe und der Krieg erbrachte den Nachweis der Dringlichkeit einer Lösung der Moorfrage. Unter diesem Gesichtspunkte beansprucht das Werk Hoering's ein besonderes Interesse. Verf kennzeichnet als das Grundübel der vielen mißlungenen Unternehmungen auf dem Gebiete der technischen Moorverwertung den Mangel eines genügenden Vorstudiums der Erfinder. Deshalb geht Hoering daran, im ersten Teil seines Werkes die naturwissenschaftlichen und landwirtschaftlichen Grundlagen der Moorver- wertung festzulegen. Die Abhandlung der Bildung und Bestandteile der Moore leitet über zu einer Moorstatistik, welcher sich ein Kapitel der Moorkultur anschließt. — Der zweite, chemische, sowie der dritte, tech- nische Teil gibt uns die fleißigen, umfangreichen eigenen Arbeiten des Verfassers wieder. Die phy- sikalischen und chemischen Eigenschaften und Umwandlungsprodukte des Moores werden erörtert. Hieran schließt sich ein Kapitel über die Ge- winnung und L^ntersuchung der Destillations- produkte durch Laboratoriumsversuch, sowie durch Versuche im großen. Torfkoks, Torfteer, Torfgas und Torfschwelwasser finden eingehende Unter- suchung. Im folgenden technischen Teil reiht sich dem fundamentalen Kapitel der Torfentwässerung eines der Torfbrikettierung an. Der Torf als Brennstoff wird hinsichtlich der Verfeuerung, Verkohlung und Vergasung besprochen. Den Schluß bildet das neuzeitlich volkswirtschaftlich so wichtige Problem der Torfzentralen. H o e r i n g's Buch bildet eines der bedeutsamsten Werke der neueren Literatur über die Moorver- wertung für alle, welche diese Frage beschäftigt oder interessiert, nach der kulturtechnischen oder rein technischen Seite hin, beachtenswert für den Landwirt, Chemiker, Juristen, Ingenieur und Volks- wirt zugleich. Erst wenn das Problem der indu- striellen Torfverwertung auf breiter Basis nach seiner wissenschaftlichen Seite hin, wie Hoering dies mit dem genannten Werke beginnt, restlos erforscht ist, wird eine gewinnbringende Moor- verwertung möglich sein. Dann erst wird von ihr der Satz gelten können: „Königreiche können im Frieden erobert werden 1" O. Nß. Wetter-Monatsübersicht. Die ersten und letzten Tage des diesjährigen April zeich- neten sich in ganz Deutschland durch trockenes, außerordent- lich freundliches Wetter aus , wogegen dazwischen eine sehr veränderliche, überwiegend trübe Witterung herrschte. Wäh- rend die Nächte noch kühl waren, stiegen die Tagestempera- turen sogleich am Anfang des Monats für die Jahreszeit außer- ordentlich hoch empor. Seit dem 3. überschritten sie in den meisten Gegenden 20" C, am 4. stieg das Thermometer in Berlin und verschiedenen anderen Orten bis auf 24, in Mag- deburg und Torgau bis 25" C. Selbst die mittlere Tempe- ratur dieses Tages erhob sich in Berlin, ebenso wie in Han- nover, auf l6'/2» C und übertraf die der allerwärmsten Tage, die hier im ersten Drittel des Monats April mindestens seit Mitte des vorigen Jahrhunderts dagewesen sind. Bald darauf trat, besonders in Mittel- und Ostdeutschland, eine sehr emp- findliche Abkühlung ein, und dann blieb das Wetter bis etwa zum 20. überall recht kühl. Nicht selten kamen Nachtfröste vor, in der Nacht zum II. brachten es z. B. Trier, Weilburg 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 und Dahm auf 2 , Coburg und B.inibcig sugar auf 3" Kälti-. In der allgemeinen Luftdruckverteilung traten während des Auch in den Mittagsstunden wurden etwa während zweier größeren Teiles des Monats von einem Tage zum anderen Wochen 10" C, namentlich im Osten, oftmals nicht erreicht, nicht selten rasche Änderungen ein. Hochdruckgebiete drangen seit dem 26. aber im größeren Teile des Landes neuerdings mehrmals von Südwest- nach Mitteleuropa und dann weiter 20° C überschritten. nach Skandinavien oder Nordrußland vor, wo sie meistens ißilTfcre JemjÄcrafuren dnigcrörfeiml/lisrir 19t Upr.l 6. '^ n. 16. 2.. ^ 26. 3 1. G. 13' 10» 15' c. 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11,1 J^ '. y/^ " V ■* ^,:tX^^ — T'^^ 7,5- ..y \\m. _| .. .'—-_• 5' .'^. ■•. Neutahrwassir. .•••■■■ ■••.• ... r /^ \ Inannovep. /\^ 8,s- ^•/"^-«-^ ,.-'' vi Berlin. '■' '>• lU ..-•^- --''->-H •—«■...- BrVsU, •' 8- ••.•••••■•••.. , ,.•• „5. Franhfurt?'M. ;•' ^^*'^*v '■ ., U^ L. — ly «,!• 1 V "■*«•.. .»-•* ' \ / ^»v'' "-- " 111, ,11, ,1,1 1 1 , BtrlincrWetUrbiir»; J Die mittleren Temperaturen des Monats lagen im Norden, besonders östlich der Elbe um reichlich einen Grad über ihren normalen Werten, von denen sie hingegen in Süddeutsch- land nur sehr wenig abwichen. Auch die Dauer der Sonnen- strahlung übertraf die sonstige in Norddeutschland ziemlich bedeutend. Beispielsweise hat in Berlin im vergangenen April die Sonne an 202 Stunden geschienen , während hier in den 24 früheren Aprilmonaten durchschnittlich 167 Sonnenschein- stunden verzeichnet worden sind. Bis zum II. April waren Niederschläge in Deutschland verhältnismäßig selten und ihre Mengen im allgemeinen gering. Nur zwischen dem 4. und 7. kamen in Süd-, Mittel- und Ost- deutschland zahlreiche Gewitter vor, die in den Provinzen West- und Ostpreußen von starken Regengüssen begleitet waren. Vom 12. bis 24. aber gingen in allen Gegenden sehr häufig Regenschauer hernieder, zwischen denen sich der Him- mel immer nur kurz vorübergehend aufklärte. Eisweilen wechselten sie, so am 12. und 14. in Halle, mit Hagelschauern und namentlich in Nordostdeutschland mit Schneefällen ab. Besonders ergiebig waren die Niederschläge um Mitte des Monats im Rheinland und im Odergebiete, wo z. B. am 13. und 14. zusammen in Aachen 38, vom 13 bis 15. in Rem- scheid 62, am 16. und 17. in Beuthen 68 mm Niederschlags- höhen gemessen wurden. Während der Ostertage fand die kühle Regenzeit in ganz Deutschland ihren Abschluß; dann blieb das Wetter bis zum Ende des Monats fast ununterbrochen trocken und außer im Südosten sonnig. Die gesamte Niederschlagshöhe belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 48,7 mm und war um 4,2 mm größer als die mittlere Regenmenge, die die gleichen Stationen in den früheren Aprilmonaten seit 1891 geliefert haben. T^ieofens'c^Ta^^IzöIien im ^prif 1916. Mittlerer Wert für i^^ il_ ,^g £, ilijj fe-f"i-5 |.gi %% =^ S"£ -S^1"i"i 5 m ic :£ ^[0:gS: <=£ :£ lö QcQ S 21 li it tS £ ■ 1. Ins n.Apn, 12.bis2'».April. ■lilii *E5Ej?!^^B53, Detdschland. Monalssumme imApril 1916.15. l-t, 13. 12.11. ■ BerilnerWjlltrbureaii. etwas länger liegen blieben, während nördlich und westlich von ihnen atlantische Depressionen nordostwärts zogen. Zwei besonders tiefe Minima breiteten, das eine vom 4. bis 5., das andere vom 1 1. bis 14. April, ihr Gebiet sehr weit nach Süden aus und gaben in Deutschland wie in ganz Mitteleuropa zu ergiebigen Gewitterregen bei dampfgesättiglen westlichen Win- den Anlaß, wogegen in der letzten Aprilwoche unter dem Ein- fluß eines hohen Maximums, das seit dem 24. zwischen Nord- westrußland und Skandinavien verweilte, überall sehr trockene, mäßig starke Ostwinde wehten. Dr. E. Leß. Literatur. Blücher, H., Der praktische Mikroskopiker. Ergänzt durch eine eingehendere Beschreibung der mikroskopischen Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers von Walter Richter. 4. wesentlich vermehrte Aufl. Leipzig '15, Verlag der Leip- ziger Lehrmittelanstalt von Dr. O. Schneider. W a s i e 1 e w s k i , W. v., Was muß Jedermann vom Okkul- tismus wissen? Leipzig '15, M. Altmann. — I M. Meyer's Physikalischer Handatlas. 51 Karten zur Ozeanographie, Morphologie, Geologie, Klimatologie, Pflanzen- und Tiergeographie und Völkerkunde. Leipzig und Wien '16, Bibliographisches Institut. — 4 ^L Rabes, Dr. O. und Löwenhardt, Prof. Dr. E., Leit- faden der Biologie für die Oberklassen höherer Lehranstalten. 2. verb. Aufl. Mit 7 färb. Tafeln und zahlreichen Textbildern. Leipzig, Quelle & Meyer. — 3 M. Kammerer, Paul, Allgemeine Biologie. Stuttgart und Berlin '15, Deutsche Verlagsanstalt. — 7,50 M. Inhalt: Hugo Mötefindt, Hermann Klaatsch f- S. 297. E. Werth, Nosce te ipsum. S. 299. L. Kathariner, Die Polyembryonie. I Abb. S. 302. — Einzelberichte: Alfred Hettner, Der Volkscharakter der Engländer. S. 305. E. Fischer f. Der Mensch als geologischer Faktor. S. 306. — Über das Plankton des Tcgernsees in Oberbayern. S. 30S. — Aus der Geschichte der Erforschung des Fleckfiebers. S. 308. — Bücherbesprechungen: F. Birkner, Der diluviale Mensch in Europa. S. 309. Lowie H. Robert, The Sun Dance of the Crow Indians. S. 310. W. M. Davis und G. Braun, Grundzüge der Physiogeographie. S. 310. Paul Hoering, Moornutzung und Torfverwertung mit besonderer Berücksichtigung der Trockendestillation. S. 311. — Welter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 311. — Literatur: Liste. S. 312. Manuskripte und Zi 1 werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. rbele Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 28. Mai 1916. Nummer 33. Dispersoide. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Ernst Behandelt man Kalziumkarbonat mit Wasser, so löst es sich nur zu einem ganz geringen Teile. Die Hauptmasse bleibt ungelöst und schwimmt fein zerteilt in der Flüssigkeit, die dadurch ein milchiges Aussehen erhält. Läßt man die Flüssig- keit einige Zeit ruhig stehen, so setzen sich die Kalziumkarbonatteilchen, dem Gesetz der Schwere folgend, am Boden ab, und die darüber stehende Flüssigkeit wird klar. Durch erneutes Schütteln kann man leicht den milchigen Zustand wieder hervorrufen. Waren die aufgeschwemmten Teil- chen sehr klein, so sinken sie nur sehr langsam zu Boden. Bei besonders kleinen Teilchen anderer Aufschwemmungen tritt ohne äußere Einflüsse allein durch die Schwere überhaupt keine völlige Absetzung ein. Wohl aber werden die Schichten am Boden erheblich konzentrierter als die oberen. Andererseits lassen sich die aufgeschlemmten Teil- chen von der Flüssigkeit stets leicht durch Fil- trieren oder durch Abschleudern mit der Zentri- fuge trennen. Gebilde von der eben beschriebenen Art sind unter dem Namen Suspensionen schon lange bekannt. Sie kommen auch natürlich vor. Die bekannteste Suspension ist das Blut, das eine Suspension der Blutkörperchen in der Blut- flüssigkeit darstellt. Den Suspensionen ähn- lich sind die Emulsionen. Man erhält eine Emulsion, wenn man ein Öl in absolutem Alkohol löst und die Lösung in Wasser gießt. Dann scheiden sich, da das Öl in Alkoholwasser unlös- lich ist, feinste Öltröpfchen in der Flüssigkeit ab, die in ihr schweben und ihr ein milchiges Aus- sehen geben. Da die Milch eine ebensolche Emul- sion von Fetttropfen in der Milchflüssigkeit ist, schlägt Wilh. Ostwald vor, die Emulsion Milche zu nennen. Die Milche unterscheiden sich von den Suspensionen dadurch, daß die in der Flüssig- keit schwebenden Teilchen nicht fest, sondern flüssig sind. Sie sind im übrigen den Suspen- sionen sehr ähnlich, nur setzen sich in ihnen die schwebenden Teilchen weniger leicht ab, als in den Suspensionen. Ist der in einer Flüssigkeit schwebende Bestandteil gasförmig, so reden wir von Schäumen. Am bekanntesten ist der Bier- schaum, bei dem gasförmige Kohlensäure in der Flüssigkeit schwebt. Auch das geschlagene Eiweiß, das die Hausfrauen und Bäcker vielfach verwenden, ist ein derartiger Schaum (Luft in Eiweiß), ebenso der Seifenschaum und die Schlagsahne. Suspensionen, Emulsionen und Schäume können von einem gemeinsamen Gesichtspunkte aus be- trachtet werden. Sie bestehen alle aus mindestens Fock, Liegnitz. zwei Bestandteilen, sie sind zweiphasig oder heterogen. Und zwar ist der eine Bestandteil, die disperse Phase, in feinster Verteilung in den anderen Bestandteil, das Dispersionsmittel, eingelagert. Wir können daher alle drei Arten von Gebilden unter den Namen Dispersoide zusammenfassen. Dispersoide zeichnen sich stets durch die feine Verteilung des eingelagerten Stoffes und durch Heterogenität aus. Charakte- ristisch für heterogene Gebilde ist die Eigenschaft, sich im Räume periodisch zu ändern. Wenn man nämlich in dispersen Gebilden räumlich fortschreitet, so trifft man bald auf ein Teilchen der dispersen Phase, bald auf eins des Dispersionsmittels und dementsprechend ändern sich sprungweise die physikalischenEigenschaften.wieDichte, Brechungs- koeffizient usw. Ebenso wie die disperse Phase kann auch das Dispersionsmittel fest, flüssig oder gasförmig sein. Bezeichnen wir fest mit F", flüssig mit Fl und gas- förmig mit G, so sind Dispersoide von den folgen- den P'ormen möglich : I. F + F. 2. F + Fl. 3. F + G. 4. Fl + F. 5. Fl + Fl. 6. Fl + G. 7. G + F. 8. G + Fl. 9. G + G. Die 9. Form, bei der Dispersionsmittel und disperse Phase gasförmig sind, kommt nicht vor, wenn man nicht die Luft als eine Dispersion von Sauerstoff, Kohlensäure usw. in Stickstoff auffassen will. Die anderen sind aber sämtlich in der Natur anzutreffen und lassen sich auch künstlich her- stellen. Dispersoide von der Form F -|- F finden wir bei den Mineralien, in denen feste Partikelchen eingelagert sind, beim Roheisen, Gußeisen und Stahl, wo in das feste Eisen Kohlenstoffteilchen ein- gelagert sind, beim gefärbten (natürlichen) Stein- salz, wo kleine Einlagerungen die Färbung ver- ursachen, bei farbigen Gläsern (feste kolloide Lösungen), Email, keramischem Geschirr usw. Dispersoide von der F'orm F -J- Fl sind Mineralien, in denen Flüssigkeitstropfen eingelagert sind, und Kristalle, die Mutterlauge eingeschlossen haben und die daher beim Erwärmen dekrepieren. Auch die Lösung von Wasser in Seife, die bekanntlich fest ist, stellt ein derartiges Dispersoid dar. Der Meerschaum, die Lava und der Bimstein, überhaupt alle Mineralien, die Gaseinschlüsse ent- halten, sowie die Lösungen von Gasen in festen Stoffen (z. B. Wasserstoff in Palladium, geriebene Tierkohle, die Gase absorbiert hat), sind Disper- soide von der Form F -f- G. Von der Form Fl + F" sind die Suspensionen, von denen wir ausgingen und die so zahlreich iu Natutwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 und allgemein bekannt (Blut, Kalkmilch, Auf- schwemmung von Tonerde in Wasser bei der Töpferei usw.) sind, daß sie nicht einzeln aufge- zählt zu werden brauchen. Dasselbe gilt von den Emulsionen oder Milchen, die Dispersoide von der Form FI + Fl darstellen. Von der Form Fl -]- G sind die Schäume, unter denen der Bierschaum, der Seifenschaum, das ge- schlagene Eiweiß und die Schlagsahne die be- kanntesten sind. Von der Form G -[- F ist der Rauch (Kohlen- staub in Luft bzw. Verbrennungsgasen), der Sal- miakdampf, die staubige Luft u. a. Die Nebel und die Wolken sind Dispersoide von der P'orm G + Fl. Zwischen den einzelnen Formen liegen Über- gangsformen, auch kann ein und dieselbe disperse Phase in ein und demselben Dispersionsmittel je nach den äußeren Einflüssen bald diese, bald jene Form eines Dispersoids annehmen. So entsteht z. B. bei gewöhnlicher Temperatur eine Suspension, wenn wir Kolophonium in absolutem Alkohol lösen und diese Lösung in Wasser gießen. Bei Erhöhung der Temperatur schmelzen die in der Flüssigkeit schwebenden Kolophoniumteilchen, und es entsteht schließlich eine Emulsion. Zwischen beiden Stadien liegen Übergangsformen. Die Dispersoide spielten bis vor kurzem in der reinen Chemie und Physik keine wesentliche Rolle, während sich die angewandte Chemie, so die Keramik, die Glasfabrikation und vor allem die Agrikulturchemie schon seit längerer Zeit ein- gehender mit ihnen beschäftigen mußte und daher schon mit gewissen Eigenschaften von ihnen ver- traut war. So wußte man z. B. schon seit längerer Zeit, daß die Dispersoide bei hohem Dispersions- grad, d. h. bei großer Kleinheit der Teilchen, der dispersen Phase, besondere, ihnen sonst nicht zu- kommende Eigenschaften zeigen. Unter anderem wird der Teig bei der Brotbereitung, wenn er zu lange ge- knetet wird, totgearbeitet, d. h. die Mischung wird so innig und die Teilchen werden so klein, daß der Teig dann für das Backen unerwünschte Eigenschaften annimmt. Als man sich in neuester Zeit eingehender mit den Kolloiden zu beschäfti- gen begann, gewannen die Dispersoide auch für die reine Chemie bzw. Physik an Bedeutung, namentlich als man einsah, daß man mit der bis- herigen Erklärung vom Wesen der Kolloide nicht mehr weiter kam. Der Begründer der Kolloidchemie war Gra- ham (1862). Bei seinen grundlegenden Ver- suchen über Diffusion und Dialyse fand er, daß gewisse Stoffe sich bei der Diffusion ganz anders verhalten als die übrigen, daß sie vor allem außerordentlich viel langsamer diffun- dieren als diese. Als Hauptvertreter dieser neuen Gruppe von Stoffen erkannte er das Hydrat der Kieselsäure, der Tonerde und der analogen Metall- oxyde, soweit sie in löslicher Form existieren, ferner Stärkemehl, Dextrin, die Gummiarten, Karamel, Albumin, Leim, vegetabilische und ani- malische Extraktivsubstanzen u. a. Alle diese Stoffe sind nach Graham unfähig, den kristal- linischen Zustand anzunehmen, ihre Hydrate sind gallertartig. Trotzdem sie löslich sind, werden sie nur durch eine äußerst schwache Kraft in Lösung gehalten. Auch zeigen sie alle nur ein geringes Reaktionsvermögen. Da Graham den Leim als den typischen Vertreter dieser Gruppe ansah, schlug er vor, sie Leimstoffe oder Kolloide bzw. Kolloidsubstanzen zu nennen. Das K o 1 1 o i d s e i n stellte er in Gegensatz zu dem Kristalloidsein und meinte, daß alle Stoffe entweder Kristalloidsubstanzen oder Kolloid- substanzen wären. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen beruht nach ihm ohne Zweifel auf der Verschiedenheit der innersten Molekular- struktur, d. h. auf chemischer Verschiedenheit. Lange Zeit galt Graham 's Ansicht als die richtige. Als es aber in neuester Zeit gelang, eine große Menge typischer Kristalloide (z. B. Koch- salz, Silberkarbonat, Silberphosphat) in den kollo- iden Zustand überzuführen (ein großes Verdienst erwarb sich hierbei der Schwede Svedberg), da konnte die Graham 'sehe Ansicht nicht mehr aufrecht erhalten werden. Die meisten Forscher sind vielmehr heute der Ansicht, daß Kolloidsein einen p hysikalischen Zustand der Materie be- deutet, in den alle kristalloiden Stoffe, oder zum mindesten doch die meisten übergeführt werden können. Auf der Suche nach einer geeigneten Erklärung für den besonderen Zustand des Kolloid- seins besann man sich auf die obenerwähnte, in der Technik lange bekannte Tatsache, daß die Dispersoide bei großem Dispersionsgrad besondere Eigenschaften annehmen, die denen der Kolloide ähnlich sind. Was lag da näher, als die Annahme, daß die Kolloide, wenigstens die kolloiden Lösun- gen, Dispersoide mit besonders kleinen Teilchen seien. Schon die leicht erkennbare Tatsache, daß die Kolloide ebenso wie die Dispersoide im auf- fallenden Lichte meistens trüb oder doch opali- sierend erscheinen, ließ die Richtigkeit dieser An- nahme vermuten. Wenn man jedoch eine kolloide Lösung unter dem Mikroskop betrachtet, so sind bei noch so starker Vergrößerung keine in der Lösung schwimmenden Teilchen zu entdecken. Bekanntlich kann man aber im Mikroskop die Vergrößerung nicht bis zu jeder beliebigen Höhe treiben. Die kleinsten Teilchen, deren Sichtbar- werden wir im Mikroskop erreichen können, dürfen nicht kleiner sein als die Wellenlänge des Lichtes ist, mit dem sie beleuchtet werden. Die kürzesten Lichtwellen (violettes Licht) haben eine Länge von etwa 0,0001 mm = 0,1 /< = 100 ,«/(. Wenn also in einer kolloiden Lösung Teilchen schweben, die kleiner sind als 0,1 /< , dann gibt uns das Mikroskop über ihr Vorhandensein oder Nicht- vorhandensein keine Auskunft. Eine Auskunft auf diese Frage ist überhaupt erst möglich, seit man durch die Erfindung des Ultramikroskops durch Siedentopf und Zsigmondy in der Lage ist, N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^IS auch das Vorhandensein von Teilchen, die kleiner als o,i /< sind, nachzuweisen. Die Einrichtung des Ultramikroskops beruht auf dem Tyndallphänomen. Läßt man einen Sonnenstrahl in ein möglichst verdunkeltes Zim- mer fallen, so werden, wenn man den Verlauf des Strahles von der Seite betrachtet, die Staubteilchen der Luft an den beleuchteten Stellen sichtbar, während sie im übrigen Zimmer unsichtbar blei- ben. Untersucht man das von den Staubteilchen zurückgeworfene Licht, so erweist es sich als po- larisiert. Läßt man einen derartigen Lichtstrahl (gesammeltes Bogenlampenlicht genügt auch) in eine disperse Lösung fallen, so werden auch hier die Teilchen sichtbar. Diese Erscheinung nennt man den Ty ndalleffekt. Von der bekannten Fluoreszenzerscheinung unterscheidet sich der Tyndalleffekt dadurch, daß bei ihm der hellauf- leuchtende Lichtkegel polarisiertes Liclit, bei den fluoreszierenden Körpern dagegen gewöhnliches Licht enthält. In einem Ultramikroskop wird das Tyndallphänomen insofern benutzt, als in ihm das Objekt (die zu untersuchende Lösung) nicht von unten, sondern von der Seite stark beleuchtet kleinsten Teilchen sehr stark disperser Kolloide wenig größer als die Moleküle sind. Da wir an- nehmen, daß in den echten Lösungen die Mole- küle als kleinste Teilchen schweben , so ergibt sich ein steter Übergang von den kolloiden zu den echten Lösungen. Dies erkennt man auch daran, daß gewisse stark konzentrierte echte Lö- sungen im Ultramikroskop einen schwachen Licht- schimmer zeigen und daß andererseits z. B. eine hoch disperse Goldkolloidlösung eine Farbe an- nimmt, die der des Goldions ähnlich ist, daß also vermutlich die Teilchen in ihr den Goldionen fast gleich sind. Wir müssen also auch die kolloiden und die echten Lösungen zu den Dispersoiden zählen. Um nun die Teilchen verschiedener Größe unterscheiden zu können, benennen wir sie. Die mit dem bloßen Auge sichtbaren sind makroskopisch, die nur mit dem Mikroskop wahrnehmbaren heißen Mikronen, die im Ultramikroskop erkennbaren heißen Sub- mikronen und die noch kleineren Teilchen heißen Amikronen. Hierher gehören auch die Moleküle und die Ionen. Wir können jetzt folgende Übersicht aufstellen: Dispersoide. Namen Grobe Aufschwem- mungen oder eigenll. Dispersoide Kolloide Echte Lösungen oder molekulardi Makroskopische Teilchengröße Teilchen und Mikronen >o,l « Submikronen Amikronen 0,1 ^— I t^fl Amikronen (Mole- küle, Ionen) < I (ifi Suspensionen Fl + F Emulsionen Fl -\- Fl Schäume Fl -|- G, ferner F-f F, F-f-Fl, If + G, G + F,G-f Fl Suspensoide Fl -{- F , Emulsoide Fl -4- Fl wird. Wird nun eine kolloide Lösung unter dem Ultramikroskop beobachtet, so bemerkt man in ihr viele kleine, sich schnell bewegende leuchtende Scheibchen (Brown 'sehe Bewegung). Diese Scheibchen sind die vermutete disperse Phase. Bei sehr hoher Dispersion der Teilchen beobachtet man keine Scheibchen mehr, sondern nur noch einen schwachen Lichtschimmer. Die Teilchen sind dann auch für das Ultramikroskop zu klein, um deutlich wahrgenommen werden zu können. Teil- chen, die kleiner sind als i /(,", sind auch im Ultramikroskop nicht mehr wahrnehmbar. Ersetzt man im Ultramikroskop die kolloide Lösung durch eine echte Lösung, so bleibt das Gesichts- feld dunkel. Das Nichteintreffen des Tyndall- phänomens beweist uns also, daß die in ihr etwa vorhandenen Teilchen so klein sind, daß sie auch mit dem Ultramikroskop nicht mehr zu erkennen sind. Sie müssen also kleiner als I /(/( sein. Die Teilchen der Kolloide von größter Dispersität stehen, wie wir sahen, an der Grenze der Wahr- nehmbarkeit im Ultramikroskop, sie sind also wenig größer als i /(,(/. Die Größe der größten Moleküle, z. B. das Stärkemolekül, beträgt aber auch etwa i ,«/(. Daraus ergibt sich, daß die In den Dispersoiden im weiteren Sinne haben wir also Gebilde vor uns, in denen Teilchen aller Größenordnungen und Formarten im Dispersions- mittel schweben. Zwischen allen Gebilden dieser Art muß also eine gewisse Übereinstimmnug bzw. eine stetige Änderung einzelner Eigenschaften zu beobachten sein. Die Scheidegrenzen zwischen den einzelnen Unterabteilungen sind scheinbar will- kürlich. Sie beruhen aber auf der praktischen Er- fahrung und sind gerechtfertigt, weil zwischen den Unterabteilungen so wesentliche Unterschiede be- stehen, daß man auf den ersten Blick geneigt ist, sie als weit wesentlicher anzusehen als die Über- einstimmungen. Doch sind sie im Rahmen unserer Theorie leicht zu erklären, nur muß man eine Energie zu Hilfe nehmen, die bis dahin wenig Beachtung fand, nämlich die Oberflächen- energie. In unmeßbar kleinen Mengen ist sie überall vorhanden. Sie äußert sich z. B. in der Adhäsion von Gasen bzw. Flüssigkeiten an festen Körpern. Größere Werte nimmt sie schon an, wenn die spezifische Oberfläche, d. h. der Quo- Gesamtoberfläche , ... . ..„. „« tient aus r^r-, verhältnismäßig groß Volumen 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 wird. So ist allgemein bekannt, daß Tier- und Pflanzenkohle ein bedeutendes Absorptionsvermögen für Gase besitzen, das den nicht porösen Kohlen- arten, die also eine weit geringere spezifische Oberfläche haben, nicht zukommt. Auch die Fähigkeit des Platinmohrs, Schwefel- dioxyd und Sauerstoff katalytisch zu Schwefel- trioxyd zu vereinigen, gehört hierher, ferner die Erscheinungen, die wir als Kapillarität zu be- zeichnen gewöhnt sind. Nimmt die Oberfläche unverhältnismäßig große Werte an, so werden wir vermuten können, daß dann auch die ihr inne- wohnende Oberflächenenergie erhebliche Ände- rungen der Eigenschaften des Stoßes hervorrufen wird. Ähnliche erhebliche Änderungen der Stoff'eigenschaften haben wir schon bei der elek- trischen Energie dei Ionen kennen gelernt. Wie sehr die absolute und auch die spez. Oberfläche der dispersen Phase und damit der ganzen Dis- persoide bei steigender Dispersität (Verkleinerung der Teilchen) zunimmt, zeigt die folgende Tabelle. Wachstum der Oberfläche eines Würfels bei zunehmender Teilung. Seitenlänge Zahl der Würfel Oberfläche I cm I 6 cm'^ l mm lo' 60 cra^ 0,1 mm 10'' 600 cm* 00,1 mm lo» 6000 cm^ 0,001 mm=I/' 10'- 60000 cm' — 6m'- 60 m'' 600 m* 6000 m- 0,01 ,H 10'° 0,001 /( = 1 fi/i 10'' Schon bei der Teilchengröße i /( ist die Ober- fläche 1000 mal so groß, als bei einer Teilchen- größe I mm. Die Oberflächenenergie beginnt also bei der Teilchengröße 1—0,1 /( sehr erhebliche Werte anzunehmen und es ist daher leicht einzu- sehen, daß bei dieser Größenordnung die Disper- soide erheblich andere Eigenschaften zeigen, als wenn sie gröbere Teilchen enthalten. Daß die echten Lösungen sich wiederum von den kolloiden Lösun- gen, durch erhebliche Unterschiede in den Eigen- schaften unterscheiden, erklärt sich ebenfalls aus der besonderen Kleinheit ihrer Teilchen. Eine weitere Bestätigung unserer Theorie gibt das sonstige Ver- halten der Dispersoide. Bei groben Dispersoiden (z. B. frisch gefällten Niederschlägen) bleiben die Teilchen beim Filtrieren auf dem Filter. Die Teilchen der kolloiden und der echten Lösungen sind dagegen so klein, daß sie durch die Poren des Filtrierpapiers hindurch gehen. Durch durch- lässige Häute gehen auch die kolloiden Teilchen nicht mehr hindurch, wohl aber noch die Teilchen der Lösungen. *) Das Vorhandensein von Übergängen zwischen ') Hierauf beruht ein wichtiges Unterscheidungsmittel zwischen echten und kolloiden Lösungen. Füllt man nämlich zwei Reagenzgläser zur Hälfte mit Gelatine und gießt in das eine darauf eine kolloide, in das andere eine echte Lösung, so diffundiert nach einiger Zeit die echte Lösung in die Gela- tine, die kolloide Lösung dagegen nicht oder doch nur sehr wenig. den groben Dispersoiden und kolloiden Lösungen einerseits und zwischen kolloiden und echten Lösungen andererseits, das völlige Fehlen scharfer Grenzen, spricht ebenfalls für die Richtigkeit unserer Theorie. Die Theorie vermag aber auch befruchtend auf die Erforschung der Eigenschaften der Kolloide zu wirken, wie die folgende Betrachtung zeigt. Da wir bei den echten Dispersoiden 8 ver- schiedene Formen unterscheiden, so müssen nach dem Analogieschluß auch 8 derartige Formen bei den kolloiden und echten Lösungen vorhanden sein, oder wenn wir uns auf Lösungen im engeren Sinne (das Lösungsmittel ist eine Flüssigkeit) be- schränken, doch mindestens drei. In der echten Lösung sind die Teilchen zu klein, als daß zwischen fest, flüssig und gasförmig bei ihnen unterschieden werden könnte. Moleküle haben keinen besonderen Aggregatzustand. Bei den kolloiden Lösungen müßte man aber mehrere Arten unterscheiden können, mindestens zwei, wenn man die Lösung gasförmiger Teilchen außer Betracht läßt. In der Tat hat auch die Erfahrung gelehrt, daß man zwei Arten von kollo- iden Lösungen unterscheiden kann, die auch bei gleicher Dispersität durch ihre Eigenschaften sich scharf unterscheiden. Bei ihnen beruht die Ver- schiedenheit wahrscheinlich darauf, daß bei der einen Gruppe die Teilchen fest, bei der anderen dagegen flüssig sind. Man nennt diese Kolloide Suspensoide und Emulsoide zum Unterschied von den grobdispersen Suspensionen und Emulsionen. Typische Vertreter dieser Klassen sind die be- kannte kolloide Goldlösung (Zsigmondy) und Eiweißlösung oder auch Gelatinelösung. Für beide Gruppen sind auch andere Namen eingeführt. So werden sie als instabile und stabile, als hydro- phobe und hydrophile, als lyophobe und lyophile Kolloide unterschieden, je nach den Eigenschaften, welche dem betreffenden Forscher am wichtigsten erschienen. Bei den Komplikationen , die auf- treten, wenn disperse Phase oder Dispersionsmittel selbst schon an sich Dispersoide sind (komplexe Dispersoide), kann man nicht erwarten, daß bei der Verschiedenheit des Einteilungsprinzipes die entsprechenden Gruppen sich völlig decken. Am ehesten trifft dies noch bei den Suspensoiden zu. Daß die im Dispersionsmittel schwebenden festen Teilchen leichter ausflocken (koagulieren) als flüssige Teilchen und daß also Suspensoiden weniger stabil sind als die Emulsoiden , leuchtet ohne weiteres ein. Bei ihnen wird die disperse Phase tatsächlich sehr leicht durch Hinzufügen einer sehr geringen Menge eines zweiwertigen Salzes (zweiwertiges Kation) ausgeflockt, während die Emulsoide oft erst koagulieren, wenn das Salz bis zur Sättigung hinzugefügt wird. Daß lyophile bzw. hydrophile Kolloide mit den Emulsoiden identisch sind, ist noch nicht völlig erwiesen. Wahrscheinlich ist Emulsoid der weitere Begriff. Jedenfalls lassen sich die Eigenschaften der lyo- bzw. hydrophilen Kolloide, soweit bekannt, mit N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 317 Hilfe der Annahme der Flüssigkeit ihrer dispersen Phase erklären. Auch die Ähnlichkeit der Emulsoide mit den molekulardispersen Lösungen ergibt sich daraus ohne weiteres (Wo. Ostwald 191 2), wenn wir mit den modernen Lösungstheoretikern anneh- men, daß in den echten Lösungen die Moleküle des gelösten Stoffes sich mit mehreren Molekülen des Lösungsmittels (Wasser) zu selbständigen Teilchen verbinden, also auch eine Art Emulsoid bilden. Wohl zu unterscheiden vom Aggregatzustand der dispersen Phase ist der Aggregatzustand des gesamten Dispersoides. Dieser ist bei molekular- dispersen Lösungen lediglich vom Lösungsmittel abhängig. In Fällen, wo dies nicht zuzutreffen scheint, haben wir es wahrscheinlich nicht mehr mit echten Lösungen zu tun. Die Moleküle sind dann voraussichtlich zu Molekülkomplexcn zusam- mengewachsen, so daß wir dann kolloide Lösungen vor uns haben. Bei den kolloiden Lösungen und den eigentlichen Dispersoiden wird im allgemeinen auch die Formart des Dispersionsmittels maßgebend für den Aggregatzustand des Dispersoids sein. Bei extremen Konzentrationen kann aber z. B. bei flüssigem Dispersionsmittel die Formart des Dis- persoids fest sein, sowohl wenn die disperse Phase fest, als auch wenn sie flüssig oder gasförmig ist. Ein besonderes typisches Beispiel bietet die tech- nische Bereitung der konsistenten Maschinenfette. Hierbei wird nämlich Kalkseife in schweren Mineral- ölen zu einer kolloiden Lösung gelöst und darauf etwas Wasser (komplexes Emulsoid) hinzugefügt. Darauf wird das vorher flüssige Gebilde fest und salbenartig. Auch Emulsionen von Wasser in Mineralölen sind bei bestimmter Konzentration fest. Eine Suspension von Sand in Wasser kann bei sehr großer Sandkonzentration so fest sein, daß sie in Scheiben schneidbar ist. Eine Lösung von Luft in Eiweiß (geschlagenes Eiweiß) ist bei geeigneter Luftkonzentration fest , desgleichen ist die Schlagsahne ein Schaum, der zum mindesten fast fest ist, demselben Zustand nähert sich der Rasierseifenschaum usw. Literatur. Wilh. Ostwald, Grundriß der allgemeiuen Chemie. \Vu. Ostwald, Grundriß der Kolloidchemie. .\rndt, Bedeutung der Kolloide in der Technik. H. Leiser, Die Welt der Kolloide. [Nachdruck verboten Die Ernährung ist so offensichtlich mit der großen Mannigfaltigkeit der Erscheinungen des sozialen Lebens verknüpft, daß es auf den ersten Blick scheinen mag, man renne offene Türen ein, wenn man die Ernährung in ihren Beziehungen zum sozialen Leben aufs Neue zu erörtern suche. Betrachtet man jedoch genauer, was bisher den Gegenstand aller Erörterung der Beziehungen zwischen der Ernährung und den Erscheinungen des sozialen Lebens ausgemacht hat, so wird inan finden, daß diese Diskussion nur einseitig ge- wesen ist. Man hat die Beziehungen der Wirtschaft zu den einzelnen Ausdrucksformen des sozialen Lebens untersucht, und man kann mit gutem Recht Wirtschaft und soziales Leben gleichsetzen : die einzelnen Momente oder Ausdrucksformen des sozialen Lebens sind eben nur Ausdrucks- formen der Wirtschaft, Mittel zur Realisierung der Wirtschaft. Wollten wir die Gesamtheit des sozialen Lebens in einer mathematischen Formel zum Ausdruck bringen, wo die einzelnen Momente des sozialen Lebens zu Worte kämen, so würde diese Formel des sozialen Lebens gleich- zeitig auch die Formel der Wirtschaft sein. Da nun aber unter all den Momenten des mensch- lichen Seins, aus denen die Wirtschaft erwächst, das der Ernährung, d.h. der Befriedigung des Soziale Lage und Eruähriing. ') Ein ernährungsphysiologisches Programm. Von Dr. med. Alexander Lipschütz, 'rivatdozent der Physiologie an der Universität Bern. Bedarfes an bestimmten Nährstoffen, an erster Stelle steht, so ist klar, daß mit der Erörterung der Beziehungen der Wirtschaft zum sozialen Leben auch eine Diskussion der Beziehungen der Ernährung zum sozialen Leben gegeben ist. Eine solche Diskussion hat die Feststellungen der Ernährungsphysiologie als etwas P'ertiges zu nehmen. Die Momente der Ernährung domi- nieren gewissermaßen über dem sozialen Leben, richten dieses. Sie sind für eine solche Diskussion da als etwas Abgerundetes, Unveränderliches. Diese Diskussion greift nicht in die Ernährungs- physiologie ein, sie fragt nicht nach den gestalten- den Faktoren der Ernährung: sie übernimmt vom Physiologen das „Kostmaß", wie er es ermittelt hat. Das „Kost maß", um mit diesem Ausdruck alle mannigfaltigen Feststellungen der Ernährungs- ') Als Einführung in die hierhergehörigen Probleme können die bezüglichen Aufsätze in dem Buch von Mos se- Tugend- reich , Krankheit u. Soziale Lage (München, Lehmann's Verlag), dienen. Auch manche Kapitel vonGrotjahn, Soziale Medizin (Berlin, Verlag Hirschfeld). Ganz besonders aber sei hingewiesen auf die zahlreichen Arbeiten von Rubner, namentlich auf „Volksernährungsfragen", „Wandlungen in der Volksernährung" (Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft) und „Ernährungs- reformen" (München, Oldenbourg's Verlag). Die von Rub- ner entwickelten Gesichtspunkte sind für den weiteren Aus- bau dieses Wissensgebietes von grundlegender Bedeutung. Vgl. auch Lipschütz, Stoffwec Menschen (Leipzig. Voigtländi Kapitel „Eiweißstofifwechsel". Sätze und Buchbesprechungen •'s V( ergiew( chsel des rlag) — .Abschnitt d im ;r meine zahlreichen Auf- „Neuen Zeit" seit 1909. 3i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 Physiologie über das Nahrungsbedürfnis des Men- schen zu umfassen, istabergarkeine unver- änderliche, abgerundete Größe. Nicht etwa bloß in dem Sinne, daß Alter, Geschlecht, Körpergröße und Klima das Kostmaß verändern. Auch in dem Sinne, daß das Kostmaß, die Ernährung gestaltet wird durch das soziale Leben. Die Anforderungen der Ernäh- rung sind, auf der einen Seite, ein gestaltender Faktor des sozialen Lebens, und dieses wieder, auf der anderen Seite, modelt, gestaltet neu die Ernährung. Das Individual-physiologische ist noch für die meisten das einzige Maß der Ernährungsphysiologie : das Kostmaß „bei freier Wahl" der Nahrung ist das Kostmaß, das entspringt aus den „physiologischen", „normalen" Bedürfnissen des menschlichen Orga- nismus von bestimmtem Alter und Geschlecht. Das Soziale, die Summe der Momente, die mit dem Zusammenleben der Men- schen gegeben sind, mit derEinfügung des Einzelmenschen in eineGruppe von Menschen mit bestimmter wirtschaft- licher Funktion, ist in der ernährungsphisio- logischen Diskussion mehr Kuriosum, „Ausnahme- fall", der nur als solcher das „Normal-physiologische" zu verschieben vermag. Bis in die jüngste Zeit hinein wurde nur in einem Falle das Soziale bewußt in die ernährungsphysiologische Diskussion eingeführt, indem man den Einfluß der Arbeit auf die „freie" Wahl der Nahrung einer eingehen- den wissenschaftlichen Untersuchung unterwarf Es sind hier in der Ernährungsphysiologie ähn- liche Beziehungen wie in der wissenschaftlichen Medizin. Man erkannte die ätiologische Bedeutung der Mikroorganismen für das Zustandekommen einer Reihe von Krankheiten. Als Beispiel mag hier die Tuberkulose dienen. Um sich mit der Theorie den Tatsachen mehr anzupassen, sah man sich aber bald genötigt, in die Ätiologie der Tuberkulose neben dem Tuberkelbazillus das Mo- ment der „individuellen Disposition" einzuführen. Eine tiefgehendere Analyse der individuellen Dis- position ergibt jedoch, daß sie gar keine indivi- duelle, sondern eine Gruppe ndisposition ist. Die berufliche Betätigung, die Einkommensverhält- nisse, die Art zu wohnen: das sind die gestalten- den Faktoren der „individuellen" Disposition für die Tuberkulose — und diese Faktoren stempeln diese eben als eine Gruppendisposition. Die Be- rücksichtigung des Sozialen, wie es oben definiert worden ist, erweist sich als notwendig, wenn die wissenschaftliche Analyse der Tuberkulose weit genug fortgeführt werden soll. Berücksichtigen wir die sozialen Bedingungen der Tuberkulose nicht, so führen wir damit die Analyse nicht bis zu jener Grenze der Erkenntnis durch, die zu er- reichen auf diesem speziellen Gebiet des Wissens heute möglich ist. Alle Ätiologe der Tuberkulose hat die sozialen Bedingungen zu berücksichtigen, die für das Zustandekommen der Tuberkulose mit in Betracht kommen, Das ist uns nur ein Beispiel unter vielen. Aus der Erkenntnis, daß soziale Momente beim Zu- standekommen der Krankheiten eine Rolle spielen, ist ein spezielles Gebiet medizinischer Forschung erwachsen, die „Soziale Medizi n", die die Lehre ist von den sozialen Bedingungen der Krankheiten. Die Krankheit wissenschaftlich erfassen, heißt fortan nicht nur diejenigen Bedingungen erkennen, die mit dem engen Kreis des erkrankten Indi- viduums gegeben sind, sondern aus diesem engen Kreis heraus in die unermeßliche Mannigfaltigkeit und die ganze Weite des Sozialen zu treten, das eine Bedingung dieses engen „individuellen" Kreises ist. Und in derselben Weise ist die wissenschaftliche Analyse des „Kostmaßes" in der Ernährungsphysiologie nicht damit erledigt, daß man mit den Hilfsmitteln der chemischen Analyse in so und so viel Fällen die verzehrten Mengen von Eiweiß, Kohlehydrat, Fett, Salzen und Wasser ermittelt oder daß man mit Hilfe des Stoffwechsel- versuches das Minimum an Nährstoffen feststellt, das zur Erhaltung des Stoffbestandes eines Indi- viduums nötig ist. Eine wissenschaftliche Behandlung der Ernährungsphysiologie muß aus dem statistisch oder durch den Stoffwechsel versuch ermittelten „Kostmaß" diejenigen Bedingungen heraus- zuheben wissen, diesozialer Natur sind. Denn soziale Momente greifen ständig in die Ernährung ein, indem sie die An- forderungen des Organismus an die Nahrung mit Bezug auf Quantität und Qualität verändern, d. h. neue physio- logische Si tuation en schaffen und da- mit die Wahl der Nahrung bestimmen. Und auf der anderen Seite erwachsen aus sozialen Momenten Disharmonien zwi- schen den Anforderungen des Organis- mus an die Nahrung und dem, was zu Gebote steht. Das sind zwei große Gruppen von Problemen, die die Ernährungsphysiologie zu diskutieren hat. IL Eine ganze Reihe von Autoren hat hierher- gehörige Teilprobleme in ausgezeichneter Weise behandelt, so daß wir in Wahrheit schon heute über ein beträchtliches Wissen auf diesem Gebiete verfügen. Worauf es jetzt ankommt, das ist die bewußte Systematisierung dieses Wis- sens, die Förderung der Erkenntnis, daß alle diese Teilprobleme zusammen- gehören und teilhaben müssen an der Ernährungsphysiologie. Indem wir uns dieser großen Zusammenhänge bewußt werden, fördern wir die weitere wissenschaftliche Bearbei- tung dieser Probleme in sehr weitgehendem Maße. An einer Reihe von Beispielen wollen wir nun zeigen, wie vielfach soziale Momente in die Er- nährung eingreifen und von welch ungeheurer Mannigfaltigkeit die Probleme der Ernährungs- N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 Physiologie sind, die aus einem solchen Eingreifen resultieren. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß in einem Falle die Ernährungsphysiologie soziale Momente ganz bewußter Weise mitberücksichtigt hat. Man hat den Einfluß untersucht, den die körperliche Arbeit bei der Wahl der Nah- rung ausübt. Dieses eine Problem enthält wieder eine ganze Reihe von Teilproblemen in sich : die quantitative Frage, wie die gesamte Kalorien- menge, die durch die Nahrung dargestellt ist, durch die Arbeit vermehrt wird, und wie das quantita- tive Verhältnis zwischen den einzelnen Kompo- nenten der Nahrung dadurch verschoben wird; wie die Wahl der Nahrungsmittel durch die Arbeit beeinflußt wird; wie die einzelnen Arten der Arbeit in verschiedener Weise ihren Einfluß üben. Es ist das große Verdienst von Tigerstedt das ganze Bündel dieser Fragen in zusammen- fassender Weise aufs neue aufgeworfen zu haben, nachdem eine große Reihe von Autoren die hier- hergehörigen Teilprobleme behandelt hatten. Weniger bewußt war man sich der sozialen Beziehungen in der Appetit frage. Seit Voit datiert die starke Betonung der Genußmittel und der Abwechslung in der Nahrung als wichtiger Momente der Ernährung. Die Untersuchungen von Pawlow und seinen Schülern haben uns gezeigt, worin die physiologische Bedeutung dieser Momente besteht. Ein psychischer Komplex, den wir als „Appetit" zusammenfassen, greift in das Spiel der Verdauung, der Ernährung ein. Ein psychischer Komplex kann aber niemals unab- hängig sein von dem Sozialen. Die Psyche des Menschen wurzelt ganz in dem Sozialen, und es ist nur eine willkürliche Abstraktion, wenn wir die individuelle Psyche unabhängig fassen von dem Sozialen. Beruf und Lebensweise modeln die Psyche und modeln damit den Appetit. In- dem wir den Appetit in der Ernährungsphysio- logie mitsprechen lassen, geben wir zu, daß soziale Momente mit maßgebend sind für die Wahl der Genußmittel und für die Wahl und die Zuberei- tungsart der Nahrungsmittel. Ganz besonders klar treten uns diese Beziehun- gen vor Augen in der Fleisch frage, die mit der Appetitfrage in engstem Zusammenhang steht. Der Fleischverbrauch hat außerordentlich zuge- nommen und ist stets dort in der Zunahme be- griffen, wo ein Übergang von der ländlichen Lebensweise zur städtischen stattfindet. Industri- alisierung und Zunahme des Fleischverbrauches gehen Hand in Hand. Man steht vor dieser Tat- sache wie vor einem Rätsel, solange man nicht die Einflüsse berücksichtigt, die die Industrialisie- rung auf den „Appetit" übt. Durch die Entfernung der Menschen von der Natur, durch das Ein- sperren in geschlossene Arbeitsräume, durch die Spezialisierung der Muskelbewegungen in der in- dustrialisierten Arbeit wird der Appetit verändert. Er wird geschwächt, untergraben. Die pflanz- lichen Nahrungsmittel können jetzt nicht rnehr so leicht in denselben großen Mengen verzehrt wer- den wie auf dem Lande, und ihre Verdauung ist ebenfalls erschwert. Es macht sich die Tendenz bemerkbar, einen immer größeren Anteil des Ei- weißes durch Fleisch zu decken. Zweierlei ist damit erreicht: das Volumen der Nahrung wird verringert und der Appetit wird durch die Ex- traktivstoffe des Fleisches angeregt. Mit dem F"leisch wird der Abschwächung des Appetits entgegengearbeitet, die die Industrialisierung der Arbeit nach sich zieht. Es ist das große Verdienst von Rubner, diese Beziehungen zwischen Industrialisierung und vermehrtem Fleischverbrauch betont zu haben. Eine andere Erscheinung der Ernährung, wo soziale Momente eine große Rolle spielen, ist der Alkoholismus. Wir sehen hier ab von den Fällen, wo anthropologisch niedriger stehende Stämme gewissermaßen im Sturme vom Alkohol- teufel genommen werden, um ihm zu erliegen. Wir haben den Alkoholismus im Auge, wie er in der modernen Kulturgesellschaft auftritt, mit der Tendenz zu einer stets zunehmenden Verbreitung. Der Unterschied zwischen dem schnell dahin- raffenden Alkoholismus der primitiven Stämme und dem Alkoholismus der modernen Kulturvölker ist ein Unterschied zwischen akutem und chroni- schem Verlauf einer sozialen Krankheit. Auf jeden Fall: der Alkoholismus der modernen Kultur- völker ist eine soziale Krankheit in dem Sinne, daß die Bedingungen dieser Krankheit auch sozialer Natur sind. Wichtige soziale Säulen des Alkoholismus sind das Wohnungselend und die ermüdende Hast der modernen Arbeit auf der einen Seite, das Interesse der Alkohol-produzieren- den Kreise auf der anderen. Jedes dieser Momente liefert seinen Beitrag zur Stütze des Alkoholismus, jedes dieser Momente fördert ihn. m. In den oben herangezogenen Beispielen sahen wir die Wahl der Nahrungsmittel und der Genuß- mittel und die Menge der Nahrung mitbestimmt durch soziale Momente. Wir haben dabei still- schweigend die Voraussetzung gemacht, daß die gesellschaftlichen Gruppen ihr Nahrungsbedürfnis in dem Maße und in der Richtung befriedigen können, wie diese durch die soziale Lage bestimmt werden. Aber das ist nicht immer der Fall. Eine große Reihe von statistischen Erhebungen, die hier im einzelnen nicht aufgezählt werden sollen, lassen mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß ganze soziale Gruppen nicht in der Lage sind, ihr Nahrungsbedürfnis voll- auf zu befriedigen, und sich im Zu- stande der Unterernährung befinden. Sogar die mittlere Körpergröße ganzer Volks- gruppen wird mitbestimmt durch die soziale Lage. Rubner hat auf die Tatsache hingewiesen, daß mit dem Schwanken der Marktpreise der einzelnen Nahrungsmittel die Befriedigung des Nahrungsbedarfes der Bevölkerung noch aus folgen- 320 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 dem Grunde erschwert wird. Die Neuanpassung an die billigeren Nahrungsmittel, die dem Ge- schmack weniger gerecht werden , geht nur sehr langsam vor sich. Und da die wohlschmeckenden Nahrungsmittel {F"leisch, eiweißreiche Gemüse), von denen man sich nicht trennen mag, gerade die teuersten sind, so bleibt das Bedürfnis nach bestimmten Nährstoffen unbefriedigt, weil zunächst der Geschmack befriedigt sein will. Zahlreiche Einzelprobleme sind in diesem Zu- sammenhang noch zu behandeln. Es ist ein großes Kapitel der Ernährungsphysiologie, das sich beschäftigt mit den aus sozialen Momenten erwachsenden Disharmonien zwischen dem Nah- rungsbedürfnis und der zu Gebote stehenden Nahrung. An anderer Stelle habe ich darauf hin- gewiesen, wie vielgestaltig und bedeutungsvoll diese Probleme sind.*) IV. Von größtem Interesse sind die sozialen Be- ziehungen auch in der Frage der Säuglings - ernährung. Zahlreiche Statistiken haben ergeben, daß die Sterblichkeit unter den künstlich ernährten Säug- lingen sehr viel größer ist als unter den an der Mutterbrust genährten. Berücksichtigt man allein diese Statistiken, so wird man kaum geneigt sein, irgendwelche soziale Beziehungen zu vermuten in der Frage der größeren Sterblichkeit unter den künstlich ernährten Säuglingen. Ein ganz anderes Gesicht gewinnt aber die Frage, wenn man die Sterblichkeit der Säuglinge, die künstlich und an der Mutterbrust ernährt werden, nach Einkommensstufen geson- dert betrachtet. Es ergibt sich dann, daß der Anstieg, den die Säuglingssterblichkeit bei künst- licher Ernährung erfährt, in den niederen Ein- kommensstufen sehr viel größer ist als in den höheren. Der Nachteil, den die künstliche Ernährung gegenüber der Ernährung an der Mutterbrust mit sich bringt, ist in den minder wohlhabenden Schichten der Bevölkerung größer als in den wohlhabenderen. Klar und deutlich tritt uns hier vor Augen, daß soziale Momente in das Problem der Säuglingsernährung eingreifen. Welche diese sozialen Momente im einzelnen sind, das ist eine Frage für sich. Die geringere Wider- standskraft der Neugeborenen in den ärmeren Volksschichten, die schlechtere Qualität der Milch bei der künstlichen Ernährung in den ärme- ren Kreisen, die hygienisch mangelhafte Zubereitung der künstlichen Nahrung und das Wohnungselend — alle diese Momente mögen eine Rolle spielen. Namentlich das Wohnungselend — überhitzte Dachwohnungen — als bedingender Faktor der Säuglingssterblichkeit ist in den letzten Jahren Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. ') Lipschütz, Zur Allgemeinen Physiologie des Hungers. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1915. Vgl. Kap. IX. V. Jede einzelne der oben berührten Furagen hat nicht nur ein theoretisches Interesse für uns, son- dern auch ein praktisches. Ein „praktisches" Interesse im Sinne des Unmittelbaren, Nahen." Alle Theorie ist nichts anderes als eine konzentrierte Praxis. Und wenn ich hier das theoretische und das praktische Interesse gegen- überstelle, so nur, um anzudeuten, daß das Wissen von den sozialen Beziehungen in der Ernährung unser unmittelbares, nahes Handeln sehr zu beeinflussen vermag. Das Problem der Gestaltung der Ernährung bei der Arbeit, das Problem der Genußmittel, die Fleischfrage, die Alkoholfrage, das Problem der Säuglingsernährung, das Problem der Sicherung der nötigen Nahrungsmengen für die minder- bemittelten Schichten der Bevölkerung — tief greifen alle diese Probleme in unser Leben ein. Alle diese Fragen sind da — und sie lassen sich nicht durch noch so gutgemeinte Traktätchen aus der Welt zaubern. Wir sind vor diese P' ragen ge- stellt und wir müssen handeln. Daraus erwächst unser unmittelbares, nahes, unser „praktisches" Interesse an der Diskussion dieser Fragen. Denn je nachdem unser Wissen ist in diesen Fragen, soll auch unser Handeln sein. An einem Beispiel mag das erläutert werden. Solange uns die sozialen Beziehungen in der Alkoholfrage nicht offenbar geworden sind, wer- den wir vielleicht in die Behauptung einstimmen, man könne den Alkoholismus bekämpfen allein durch das gute Wort von all den Schäden, die der Alkohol im Organismus setzt. Sobald wir jedoch erkannt haben, daß soziale Bedingungen am Alkoholismus mit schuld sind, wird unsere Einstellung im Kampfe gegen den Alkoholismus eine ganz andere sein: wir werden uns nicht mehr beschränken auf das Wort, wir werden zur Tat greifen. Wir werden dem Alkoholismus seinen sozialen Boden zu entziehen suchen. Wir wer- den vor allem anderen das Wohnungselend zu lindern suchen. Und dort, wo wir auch das Wort zur Geltung kommen lassen werden, da werden wir es vor allem an jener Stelle anbringen, wo das Wort eine soziale Tat ist: in der Schule. Je besser die Schule, desto geringer die Gefahr des Alkoholismus. Und ebenso werden uns eine ganze Reihe sozialer Maßnahmen gewiesen durch die Erkenntnis der sozialen Beziehungen in der F'leischfrage , in der Säuglingsernährung usw. Die Systematisierung unseres Wissens von den sozialen Beziehungen in der Ernährung würde die experimentelle und statistische P'orschung auf den einzelnen Teilgebieten dieses großen Kapitels der Ernährungsphysiologie in außerordentlichem Maße anregen. Und damit würde auch, wie wir ge- sehen, unser Handeln in bestimmter Weise ge- richtet. Es ist darum unbedingt nötig, daß wir N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 321 der zusammenfassenden Arbeit auf diesem Gebiete der Ernährungsphysiologie unsere ganze Aufmerksamkeit schenken. Wir finden es selbstverständlich, daß einzelne ex- perimentelle Teilfunktionen der wissen- schaftlichen Forschung durch eigene Spezialisten an wissenschaftlichen For- schungsinstituten vertreten sind. So sollten wir es auch selbstverständlich finden, daß die literar isch-zusammen - fassende Arbeit in den wissenschaft- lichen Forschungsinstituten vertreten sein muß. Denn auch diese Arbeit ist eine wich- tige Teilfunktion der wissenschaftlichen Forschung, eine Teilfunktion, die zum Schaden der Wissen- schaft einstweilen arg vernachlässigt wird. (g. c.j Kleinere Mitteilungen. Geschoßfernwirkung durch die Luftströmung. Im gegenwärtigen, wie auch in früheren Kriegen trat oftmals die eigenartige Erscheinung zutage, daß der Kanonendonner der Schlachten und Be- lagerungen nach einer gewissen Entfernung vom Orte des Entstehens aus, 30—60 km, im Durch- schnitte aber etwa 40 km, verstummt und dann darüber hinaus bis auf eine Entfernung von 160 km — für Antwerpen nahm man sogar bei der De- tonation der 42 cm-Geschütze über 200 km an — wieder hörbar wurde. Auf verschiedenfache Weise wurde bisher dieses Phänomen zu erklären gesucht. Bestimmte Luftkonstitutionen, hoher Feuchtigkeits- oder Trockengehalt, intensive Luft- strömung, Dämpfung der Luft- und Schallwellen durch die Belaubung der Wälder wurden hierfür geltend gemacht. Nach den ausführlichen Ver- suchen und Beobachtungen von Physikern leitet aber die Luft den Schall praktisch gleich gut, ob sie trocken oder feucht oder ob sie von Nebel, Regen, Schnee oder Hagel durchdrungen ist. Alle diese Momente ändern fast nichts an der Durch- dringlichkeit für Schallwellen, solange der Schall- erzeuger und der Beobachter sich innerhalb des gleichen Zustandes der Atmosphäre befinden. Andere Verhältnisse treten erst ein, wenn sich z. B. die Schallquelle in trockener Luft und der Beobachter in einer mit Regen oder Nebel er- füllten Atmosphäre befindet. In einem solchen F'alle wird sogar der Schall an der feuchten At- mosphäre reflektiert und der Beobachter hört auf verschieden feuchte Luftschichten zurückzu- führen. Für die Fernleitung der Schallwellen der Schwergeschütze und die in dem Verlaufe durch das Eintreten einer sog. „Schwingzone" sich unter Umständen geltend machende Unterbrechung der Leitung ist daher einzig und allein maßgebend die Homogenität der Atmosphäre, bzw. die nicht erheblich abweichende und sich im großen und ganzen wieder ausgleichende Luft- konstitution im Bereiche der Schallerzeugung und der Beobachtung. Fritz Lux, zurzeit wissenschaftlicher Hilfs- arbeiter an der kgl. bakt. Untersuchungsanstalt zu Landau, bringt in einem dem Verf. zur Verfügung gestellten Manuskript einen Beitrag zur Lösung des Problems der Schweigzone und führt u. a. folgendes aus: „Die Fortpflanzung des Geschütz- donners in der Luft wird nur durch die von stellenweiser Erwärmung bzw. Abkühlung hervor- gerufenen Störungen der Homogenität der Atmosphäre beeinflußt. Die Störungen können, wie bereits erwähnt, bei klarem, warmem Wetter viel leichter auftreten, als wenn die Erd- oberfläche durch einen gleichmäßigen die Wärme schlecht leitenden Nebel oder durch sehr feuchte Luft bedeckt ist. Aus diesen Tatsachen läßt sich auch ohne weiteres die sog. „Zone des Schweigens" erklären. (Tyndall hat hierüber Experimente angestellt.) Folgende Darstellung wird dies veranschaulichen: überhaupt nichts! Nun braucht aber die Luft nicht einmal verschiedenen Feuchtigkeitsgrad zu besitzen. Es genügt schon, wenn sie verschieden stark erwärmt ist und dadurch verschiedene Dichtigkeit besitzt. Wenn sich z. B. an den ent- gegengesetzten Seiten eines Raumes Personen be- finden und man läßt in der Mitte des Raumes eine Wand von heißer Luft aufsteigen, so können sich die Personen gegenseitig nicht mehr ver- ständigen, obwohl optisch gar nichts zu beachten ist. Man hat auch häufig ein Echo an optisch wolkenlosem Himmel beobachtet. Dies ist auch In der Skizze stellt a die Erdoberfläche dar. b ist ein Geschütz und c eine Luftschicht (Wolken- schicht), die entweder feuchter als die darunter- liegende oder wärmer oder kälter ist. Durch die gewellten Linien ist die Fortpflanzung der Schall- wellen angedeutet. Die Schallwellen pflanzen sich nun zunächst gleichmäßig vom Geschütz aus nach allen Rich- tungen des Raumes fort. Ein Teil (d) derselben breitet sich also entlang der Erdoberfläche aus. Ein anderer Teil nimmt den Weg e, trifft auf die erwähnte Luftschicht (Wolkenschicht) c, wird von 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 hier wieder reflektiert und Ivommt so wieder zur Erdoberfläche zurücl<. Der auf diese Weise zurück- gelegte Weg ist aber länger als derjenige, den die Schallwellen, die sich direkt über der Erdober- fläche fortpflanzen, zurückgelegt haben. Die Phase ihrer Wellen ist daher gegeneinander verschoben. Beträgt nun diese Verschiebung 180", so heben sie sich in ihrer Wirkung gegeneinander auf, d. h. es herrscht Ruhe. Die nach der Erdoberfläche reflektierten Schall- wellen werden aber von dieser auch wieder re- flektiert. Dann tritt die erste sich über der Erd- oberfläche fortpflanzende Welle wieder allein in Erscheinung und der Schall wird wieder gehört. Es wechselt also je nach dem Zusammentreffen der Wellenzüge durch deren Interferenz verstärkte Lautwirkung und Ruhe miteinander ab. Experimentell läßt sich der Versuch folgender- maßen zu Darstellung bringen: a ist eine kleine Trompete, die ihre Schall- wellen in der durch die radialen Striche ange- deuteten Weise aussendet, b ist ein Trichter, dessen enge Mündung auf eine sog. empfindliche Flamme c gerichtet ist. Sobald man die Trom- pese ertönen läßt, zuckt und flackert die Flamme c. Nun nähert man parallel zu der ganzen Vorrich- tung ein Brett d (Wolkenschicht). An diesem werden die Schallwellen reflektiert. In einem ge- wissen Abstand tritt dann im Trichter durch Interferenz gegenseitige Aufhebung der direkten und der reflektierten Schallwellen ein und die Flamme kommt wieder zur Ruhe." Lux führt für seine Theorie zwei Beobach- tungen aus dem Kriege 1870/71 und aus der Schlacht bei Gains Farn, Nordamerika 1874 an. Außerdem weist Lux auf Grund der für die Fern Wirkung des Schalles maßgebenden Homo- genität der Luft nach , warum man während der Wintermonate seinerzeit häufig den Geschütz- donner der Westfront bis in die Vorderpfalz ge- hört hat und warum diese Erscheinung mit Be- ginn der warmen Jahreszeit fast vollständig auf- gehört hat. Der gegenwärtige Krieg bietet hinreichend Gelegenheit sich von der Richtigkeit der Lux- schen Theorie zu überzeugen, (g. c.) M. Reuter. Krieg und Geburtenhäufigkeit. In den letzten Jahrzehnten trat nach und nach in allen Ländern Europas (mit Ausnahme des äußerten Ostens und Südostens), sowie in den vorwiegend von Euro- päern bewohnten Ländern der anderen Erdteile, ein Rückgang der relativen Geburtenzahl ein, der weiteste Aufmerksamkeit fand. Der Krieg hat die Dis- kussion auch dieses Problems in den Hintergrund gedrängt, aber nach dem Kriege wird es von noch größerer Wichtigkeit sein, als vordem, denn in allen beteiligten Staaten sind ungeheure Menschen- verluste eingetreten und der Ausfall an Geburten ist enorm. In früheren Zeiten war nach Kriegen, und besonders bei den siegreichen Völkern, ein be- trächtliches Ansteigen der Geburtenziffern zu merken. So war es in Deutschland noch nach dem Krieg von 1870/71. Aber seitdem haben sich die Ver- hältnisse wesentlich geändert. In unserer in wirt- schaftlicher Beziehung besonders empfindlichen Zeit verursacht ein Krieg arge wirtschaftliche Verluste, die selbst in den siegreichen Ländern noch lange fühlbar sein werden. Zahlreiche Elternpaare werden sich veranlaßt finden, die materiellen Einbußen durch Beschränkung der Kinderzahl wieder einzu- bringen. Nach dem Kriege 1870/71 war dies noch nicht von Belang, denn erst viel später ist die Kenntnis der Mittel zur Verhütung der Empfängnis in die breiten Volksschichten gedrungen. Nun sind solche Mittel nahezu allgemein bekannt. Daß manche von ihnen im einzelnen Falle unsicher sind, spielt für die Allgemeinwirkung keine Rolle, da ihre massenhafte Anwendung einen Geburten- rückgang zur Folge haben muß, der von der Zu- verlässigkeit der VVirkung im einzelnen Falle unab- hängig ist. Wir müssen damit rechnen, daß binnen kurzem die meisten Ehepaare Kenntnis von der Möglichkeit besitzen, durch einfache Mittel Präven- tion zu treiben. ') Es ist aber nicht allein die weite Verbreitung der Präventionsmittel, welche ein weiteres Sinken der Geburtenzahl nach dem Kriege wahrscheinlich macht. Um die wirtschaftlichen Verluste wieder gut zu machen, werden alle Kräfte angestrengt werden müssen. Aber die im Menschen gelegene Energie läßt sich nicht beliebig vermehren, sie ist beschränkt. Je mehr Energie die wirtschaftliche Produktion beansprucht, desto weniger bleibt für die Fortpflanzungsfunktionen. Diese Tatsache ist wohl auch dafür mit verantwortlich, daß in den Städten, mit ihrem im Vergleich zum Lande viel regeren und anstrengenderen Wirtschaftsgetriebe, die Geburtenhäufigkeit gewöhnlich auffallend ge- ringer ist als auf dem Lande, wenn auch die größere Aufgeklärtheit der Städter in sexuellen Dingen stark in Betracht kommt. Auf diese Weise, durch Reduktion der auf die Artvermehrung treffen- den Energie, kann eine wichtige Arteigenschaft, die Zahl der Nachkommen, auf natürliche Weise in sehr kurzer Zeit geändert werden. -) Die zur Ausgleichung von Kriegsschäden er- forderliche gesteigerte wirtschaftsliche Tätigkeit wird ferner zur Folge haben, daß die Frauen in größerer Zahl als früher zur Arbeit herangezogen werden, und es ist bekannt, daß namentlich die gewerbliche Arbeit der Frau auf ihre Geburtszahl herabsetzend wirkt, teils wegen der oben erwähnten ') Gro tj ahn, Wehrbeitrag der deutschen Frau, S. 10 — II. 2) Vgl. Prof. Sellheim's Schrift über wirtschaftliche Produktion und Geburtenrückgang, Stuttgart 1914. N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3^3 Änderung in der Energieaufvvendung, teils weil die arbeitende Frau zu Empfängnisverhütung und Abtreibung besonders gern Zuflucht nimmt, um keine Störung ihres Erwerbslebens zu erleiden. Manche Arten der gewerblichen Arbeit führen wahrscheinlich auch zu Keimschädigungen, z. B. ungenügender Keimernährung, und damit zur Ver nichtung oder Verringerung der Fortpflanzungs fähigkeit. Die gewerbliche Arbeit unverheiratete Mädchen ist überdies häufig ein .Anlaß, welche: diese Mädchen von der Eheschließung und Fort pflanzung abhält. Sie wollen das Maß der Selb- ständigkeit, das sie als Arbeiterinnen haben, nicht gern aufgeben und dafür die Abhängigkeit vom Manne und die Bürden des Haushalts eintauschen. Soll aber die wirtschaftliche Produktionstätigkeit wieder in vollem Umfang aufgenommen werden, so ist es klar, daß Ersatzkräfte gefunden werden müssen für die im Kriege gestorbenen, erwerbs- unfähig gewordenen oder in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigten Männer. Um dem Mangel abzu- helfen, werden zweifellos weibliche Arbeitskräfte in beträchtlicher Zahl herangezogen werden, und damit werden die Übel, die im Gefolge der Frauen- arbeit in bezug auf die Fortpflanzung auftreten, verstärkt und verschärft werden. Begünstigt wird die vermehrte Ausnutzung der weiblichen Arbeitskraft dadurch, daß zahlreiche Frauen und Mädchen, die vordem nicht erwerb- tätig waren, aber durch den Krieg ihre Ernährer verloren, nachher selbst ihren und ihrer Ange- hörigen Lebensunterhalt beschaffen müssen. Die Nachfrage wird also ein Angebot vorfinden. Vordem bestand ein nennenswerter Frauenüber- schuß nur in den höheren Altersklassen, die für Verehelichung und Fortpflanzung nur mehr ausnahmsweise in Betracht kommen. Nun hat aber der Krieg viele weibliche Personen der jüngeren Altersklassen überzählig gemacht, sie können nicht heiraten oder wieder heiraten, weil die Zahl der Männer gerade in den Altersstufen der aus- giebigsten Fortpflanzung zu gering sein wird. Die außereheliche Geburtenzahl dieser überschüssigen weiblichen Personen wird voraussichtlich sehr ge- ring sein. Wahrscheinlich ist ferner, daß ein erheblicher Teil der zurückkehrenden Krieger infolge der aus- gestandenen Überanstrengungen, Entbehrungen und Leiden vermindert fortpflanzungsfähig oder über- haupt fortpflanzungsunfähig sein wird, da anzu- nehmen ist, daß diese Überanstrengungen usw. in vielen Fällen das Keimplasma schwächen oder entwicklungsunfähig machen werden. Bemerkungen über sexuelle Erschlaffung und mangelndes Be- dürfnis nach sexuellem Verkehr sind unter den Soldaten an der Front gar nicht selten zu ver- nehmen. Diesen Tatsachen gegenüber fällt der Umstand, daß vielfach nach langer Trennung von Ehepaaren die sexuelle Zuneigung wieder stärker aufzutreten pflegt, nicht viel ins Gewicht. Ob eine staatliche Elternversicherung, die Ge- währung von Prämien an kinderreiche Ehepaare, wie sie z. B. Prof Grotjahn in der eingangs angeführten Schrift empfiehlt, die Geburtenhäufig- keit stark zu heben vermöchte, ist recht fraglich. Auch der Vorhalt nationaler Pflicht wird kaum vermögen, die Empfängnisverhütung in bedeuten- dem Maße einzuschränken. (G.C.) H. F'ehlinger, z. Zt. im Felde. Einzelberichte. Physik. Über eine neue Versuchsanordnung zur Prüfung der menschlichen Hörschärfe für reine Töne verschiedener Höhe berichtet J. W. Birnb^aum in den Annal. d. Phys. IV, 201 — 228 (1916). Gewöhnlich wird zur Untersuchung der Hörschärfe eine Stimmgabel benutzt, die stets gleich stark angeschlagen und in verschiedener Entfernung von dem zu prüfenden Ohr gehalten wird. Hierbei macht es beträchtliche Schwierig- keiten, eine gleich starke Erregung der Stimm- gabel zu erzielen, ferner nimmt die Schallinten- sität in geschlossenen Räumen nicht mit dem Quadrat der Entfernung von der Schallquelle ab. Das Prinzip der neuen Anordnung ist folgendes: Die schwach gedämpften Schwingungen eines aus Kapazität und Selbstinduktion bestehenden elektrischen Schwingungskreises dienen zur Er- regung eines Telephons. Der erzeugte Ton wird durch einen Lufttresonator von Obertönen ge- reinigt und durch Luftleitung ans Ohr übertragen. Dann wird er so weit abgeschwächt, bis er nicht mehr gehört wird. Das Verhältnis der so be- stimmten Schwellenwerte des kranken und gesunden Ohres ist das Maß der Hörschärfe. Damit ein Knacken der Telephonmembran nicht auftritt, ist es nötig, daß der Schwingungs- kreis schwach gedämpft ist; die Energieverluste in ihm müssen also gering sein. Es wird zu dem Zweck aus 550 m Emailledrahtlitze eine Spuhle gewickelt, die bei einem Widerstand von gut 6 12 eine Selbstinduktion von 1,2.10'* cm besitzt. Drei Kondensatoren, zwei mit Papier und einer mit Glimmerisolation, werden verwendet; ihre Kapazität ist 0,052, 0,83 und 13,3 .« F. Wird der Kondensator durch Gleichstrom von etwa 490 Volt Spannung aufgeladen und durch Um- legen einer Wippe durch die Selbstinduktions- spuhle entladen, dann beträgt die Frequenz der elektrischen Schwingung und damit der im Telephon erzeugten Töne, je nach der eingeschalteten Kapazität 2048, 512 u. 218. Wegen des geringen Widerstandes des Schwingungskreises ist die Dämpfung gering, das logarithmische Dekrement beträgt für den am stärksten gedämpften Ton 324 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 22 (n = 218) 0,26, für die beiden andern ist es beträchtlich kleiner. Um einwandfreie Resultate zu erhalten, ist es erforderlich, daß die Anfangs- amplitude der Schwingung stets dieselbe ist. Es genügt nicht, daß der Kondensator immer zu der gleichen Spannung aufgeladen wird. Vielmehr wird die Anfangsamplitude durch die Art beeinflußt, wie der Schwingungskreis geschlossen wird; eine Wippe gibt ganz unsichere Resultate. Als Strom- schlüssel wird daher eine etwa zur Hälfte mit Queck- silber gefüllte geschlossene Röhre verwendet. Zwei unteren Ansatzrohren werden durch einge- schmolzene Platindrähte den beiden Enden des Schwingungskreises zugeführt. Anfangs ist die Röhre schräg geneigt; wird sie horizontal gestellt, so wird durch das fließende Quecksilber die Ver- bindung hergestellt, so daß der Kondensator sich entlädt, und zwar ist die Anfangsamplitude auf 7.2 "/„ konstant. Das Telephon ist mit der Selbst- induktionsspuhle induktiv gekoppelt. Die Ver- änderung der Lautsärke wird auf doppelte Weise erzielt: Zunächst wird die Spannung, die den Kondensator auflädt, dadurch verändert, daß man die 400 Volt durch einen großen Widerstand schließt. Von diesem kann man durch einen Schieberkontakt einen geeigneten Bruchteil der Spannung abnehmen. Da aber die so erzielte Verkleinerung der Tonintensität nicht ausreichend ist, wird gleichzeitig die Koppelung zwischen Schwingungskreis und Telephon verändert. Liegt die Spuhle, die das Telephon erregt, parallel dicht neben der Selbstinduktion, dann ist die Koppelung am engsten und die Tonstärke am größten. Die Koppelungsspuhle ist an einem Arm befestigt; wird dieser gedreht, dann ändert sich sowohl der Abstand als auch die gegen- sehige Richtung der beiden Spuhlen. Durch Vergrößerung der Entfernung und durch Heraus- drehen aus der parallelen Lage wird die Koppelung verkleinert. Durch diese Vorrichtungen ist es möglich die Tonstärke zwischen 1 und lo** zu variieren. Sowohl am Widerstand als unter der Koppelungsspuhle ist eine Skala angebracht, die die eingestellte Tonintensität auf einfache Weise abzulesen gestattet. Für das akustische System ist zu fordern, daß es genügend empfindlich, daß sein Ton rein und schwach gedämpft ist. Es werden Mono- telephone, d. h. solche mit ausgesprochenem Eigenton verwendet. Eine kreisförmige Well- blech-Membran (2 r = 8 u. 5 cm) aus Neusilber (Dicke = 0,1 mm), die in der Mitte durch auf- geschraubte Eisenbleche beschwert ist, wird in einer kreisförmigen Fassung fest eingespannt. Statt eines Stahlmagneten wird unter derselben ein Elektromagnet angebracht, dessen Eisenkern aus Transformatorenblech besteht und der durch einen Akkumulator erregt wird. Um ein Mit- schwingen der Membranfassung zu verhüten, ist eine feste Einlagerung in einen Bleirahmen er- forderlich. Über der Membran liegt die untere Öffnung eines Kugelresonators, der auf den Ton des Telephons abgestimmt ist; bei dem Ton 2048 erwies sich ein Halbkugelresonator als zweck- mäßiger. Der in dem Resonator gereinigte Ton wird durch ein oben befindliches Ansatzrohr, kurzen dickwandigen Gummischlauch und Steth- oskop dem Ohr zugeführt. Die 3 schwingenden Systeme, elektrischer Schwingungskreis, Telephon- membran und Resonator werden sorgfältig für alle drei Töne aufeinander abgestimmt. Die Vor- aussetzung, auf der die ganze Anordnung beruht, ist die, daß die Schallenergie proportional der elektrischen Energie ist; ist das der Fall, dann ist die dem Telephon zugeführte elektrische Energie ein Maß für die Schallenergie. Um hierüber Aufschluß zu bekommen, wird dem Telephon ein Glasrohr als Resonator gegenüber gestellt; die Länge der Luftsäule läßt sich durch einen beweglichen Stempel ändern und dadurch die Resonanzlänge genau einstellen (Kundt'sche Röhre). In die Röhre wird ein Rayleigh'sches Scheibchen, d. h. ein leichter Spiegel (3 — 5 mm Durchmesser) gebracht, der an einem dünnen Kokonfaden aufgehängt ist. Seine Ebene bildet mit der Rohrachse einen Winkel von 45". Wird die Luftsäule im Rohr zum Schwingen gebracht, so sucht sich der Spiegel senkrecht zur Rohr- achse zu stellen, wie die Rippen der Kundt'schen Staubfiguren. Das auf ihn ausgeübte Drehmoment, das mittels Fernrohr und Skala gemessen wird, ist proportional der Energiedichte der Wellen- bewegung. Die Messung ergibt, daß eine strenge Proportionalität zwischen elektrischer und Schall- Energie für die Töne 512, und 2048 bis zur 10^ fachen, für den Ton 218 bis zur 10',^ fachen Intensität des Schwellenwertes besteht. Eine Reihe von an verschiedenen Personen aus- geführten Messungen zeigt, daß der zu verschie- denen Zeiten gemessene Schwellenwert ausreichend konstant ist. An einem Beispiel wird gezeigt, wie es auf einfache Weise möglich ist, aus den Messungen die Hörschärfe des kranken Ohres in Bruchteilen des gesunden zu berechnen. K. Seh. Zur Erklärung der während des Krieges häufig beobachteten Zone des Schweigens wird meistens die Hypothese v. d. Borne's (Physikal. Zeitschr. XI, S. 483, 19 10) herangezogen. Nach ihr liegt über der Stickstoff- Sauererstofi'-Atmo- sphäre in großer Höhe eine solche aus Wasserstoff, doch ist zwischen beiden keine scharfe Grenze vorhanden, sondern ein allmählicher Übergang findet statt. Von der Erdoberfläche ausgehende Schallstrählen werden in der Übergangsschicht stetig vom Lote weggebrochen, so daß sie eine gegen die Erde konkave Bahn beschreiben. Dort wo sie wieder die Erdoberfläche erreichen, liegt die äußere Zone abnormer Hörbarkeit, während die Zone des Schweigens sich unterhalb der höchsten Wölbung der Schallstrahlen befindet. In der Physikal. Zeitschr. XVII, S. 31 (191 6) bringt Fr. Nölke eine Reihe schwerwiegender Bedenken N. F. XV. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 325 gegen diese Erklärung vor. Wäre sie richtig, dann müßten die Zonen des Schweigens und der Hörbarkeit die Schallquelle in konzentrischen Kreisen umgeben. Doch sind höchstens Viertel- oder Halbkreise beobachtet worden. So hat u. a. de Quervain im Winter 191 5 festgestellt, daß der vom Sundgau ausgehende Kanonendonner von einer zungenförmigen Zone des Schweigens umgeben ist, die sich vom Schweizer Jura bis in die Gegend des Feldbergs erstreckt, während nördlich davon in der Gegend von Stuttgart bis Mannheim der Donner hörbar ist. Dadurch ist der Einfluß lokaler Verhältnisse erwiesen, die aber bei V/ d. Borne's Erklärung keine Rolle spielen dürften. F'erner ist nachgewiesen, daß die Schall- stärke nach oben hin sehr viel schneller abnimmt als nach den Seiten. Es finden nämlich beim Übergang in die dünneren und anders temperierten oberen Luftschichten vielfach Reflexionen statt, die die Energie der Schallwellen verringern. Es ist demnach nicht zu erwarten, daß die Schall- wellen, die V. d. Borne's konkave Bahn durcheilt und dabei zweimal, beim Auf- und beim Absteigen, durch Reflexionsverluste geschwächt sind, noch wahrnehmbar sind. Ist der Himmel bewölkt, so ist die Dämpfung noch beträchtlich größer. Bevor N ö 1 k e nun seinerseits eine neue Er- klärung der Erscheinung gibt, geht er auf die Frage ein, wie sich der Schall durch die Luft fortpflanzt. Da die Temperatur der Luft mit der Höhe über dem Erdboden normalerweise ab- nimmt, findet eine Brechung der Schallstrahlen statt. Unter der Voraussetzung, daß das normale Temperaturgelälle in unseren Breiten 6" auf looo m beträgt, läßt sich berechnen, daß ein Schallstrahl, der in horizontaler Richtung die Schallquelle ver- läßt, in einer Entfernung von 14 km schon i km über der Horizontalen liegt (in 10 bzw. 5 km Ent- fernung 500 bzw. 5 m). Je weiter wir uns von der Schallquelle entfernen, desto stärker werden die Schallstrahlen durch die Brechung nach oben gebogen. Hiernach wäre es gar nicht einzusehen, wie es möglich ist, daß die normale Hörbarkeit des Kanonendonners sich bis zu 80 km erstreckt, zumal in dieser Entfernung wegen der Krümmung der Erde ihre Oberfläche 500 m unter der Tangen- tialebene liegt. Die wegen der großen Wellen- länge beträchtliche Beugung der Schall- strahlen erklärt die Tatsache, daß die Schallwellen sich längs der gekrümmten Erdoberfläche aus- breiten. Und nun zur Erklärung der Fortpflanzungs- eigentümlichkeiten des Schalles: „Es sind stets in größerer Entfernung von der Schall- quelle noch kräftige abgebeugte Strahlen vorhanden, die unter kleinen Winkeln der Erdoberfläche verhältnismäßig nahe Luftschichten treffen und, falls diese eine etwas höhere Temperatur besitzen als die unter ihnen befindlichen Schichten, an ihnen zur Umkehr gezwungen werden könne n". Eine solche Temperaturinversion in ver- hältnismäßig geringen Höhen findet ziemlich häufig statt, z. B. wenn wärmere Luftschichten über kältere streichen, oder wenn durch Wolkenbildung die Kon- densationswärme frei wird. Ist eine Luftschicht nur um i" wärmer als die darunterliegende, so wird ein Schallstrahl, der sie unter einem Winkel bis zu 3*/2*' triff't, total reflektiert und kehrt also zur Erdoberfläche zurück. Ungleichmäßige Ausbildung der Inversionsschicht (verschiedene Höhe, Lücken in ihr) bedingen Unregelmäßigkeiten der Erschei- nung. Die Zone des Schweigens erklärt sich also daraus, daß der Einfluß der Beugung, dem die Brechung in der verschieden temperierten Luft entgegenarbeitet, nicht mehr ausreicht, die Schall- strahlen zur Erdoberfläche zurückzubiegen. In größerer Höhe über derselben sind aber gebeugte Strahlen in der Zone des Schweigens vorhanden, — daß das stimmt, haben Beobachtungen d e Quer - vains' an hochgelegenen Orten in der Schweiz ergeben — ; treffen diese eine wärmere Luftschicht, so werden sie an ihr zurückgeworfen, kehren zur Erde zurück und erzeugen hier die äußere Zone abnormer Hörbarkeit. Das Auffallende an der ganzen Er- scheinung ist demnach nicht die Zone des Schweigens, sondern vielmehr, daß hinter derselben der Schall wieder hörbar wird. Daß die Schallintensität trotz der großen Entfernung von der Schallquelle noch merklich ist, erklärt sich wohl daraus, daß die Schallstrahlen sich zwischen zwei parallelen Wänden, der Erdoberfläche und der reflektierenden Luftschicht, bewegen, an denen sehr wohl mehr- fache Reflexionen stattfinden können. Die Inten- sität nimmt daher nicht mit dem Quadrate der Entfernung, sondern nur mit ihrer ersten Potenz ab. K. Seh. Geologie. Das masurische Interstadial. Im süd- lichen Teile von Ostpreußen, in Masuren, wurden bei Kartierungsarbeiten der Preußischen geologischen Landesanstalt früher schon wiederholt fossilführende Süßwasserablagerungen beobachtet, die zu einem zu- sammenfassenden Ergebnis wegen ihrer Lücken- haftigkeit nicht verarbeitet werden konnten. Erst vom Jahre 1906 an wurde diesem Vorkommen von fossilführenden Schichten im obersten Diluvium von Harbort und Heß von W ich do rff größere Beachtung geschenkt. Und als im Jahre 1907 tiefe Einschnitte beim Bahnbau entlang der Eisen- bahnstrecke Kruglanken-Marggrabowa die Beobach- tung der fossilführenden Schichten in größerem Zusammenhange und reicherer Ausbildung erlaubte, faßte Heß vonWichdo rff seine Untersuchungen im 35. Bande des Jahrbuches der Königl. Preuß. Geol. Landesanstalt, Seite 298 — 353, zu einer be- merkenswerten Arbeit zusammen. Er erkannte diese Schichten zwischen zwei Moränen als Inter- stadial, wie auch die eingeschlossenen Fossilien für kein Interglacial sprechen. Diese Untersuch- ungen haben nicht nur eine Bedeutung für die Art und Entstehung der ostpreußischen Ablagerungen am Ende der Eiszeit, sondern sind von weittragender Bedeutung für die Entstehung ähnlicher Schichten im Bereiche des ganzen baltischen Höhenrückens. 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Die verschiedensten Schichten stellen das masu- rische Interstadial dar, das in der unten nach Heß von VVichdorff angeführten Übersicht sich lückenlos in dieser Vollständigkeit nirgends in Masuren findet, sondern nach vergleichenden Unter- suchungen von dem Autor als Normalprofil aufge- stellt wurde. 1. Normaler braunroter Geschiebe- mergel mit zahlreichen polierten und ge- schrammten Silurkalkgesteingeschieben. I — 3 m mächtig. In der untersten Lage zahlreiche in der Grundmoräne aulgenommene, vollständig erhaltene zweiklappige Anadonten enthaltend. 2. Schokoladebrauner, fetter, ge- schichteter Bändertonmergel mit zahl- reichen, vorzüglich erhaltenen zwei- klappigen Anadonten und zahllosen Pi- sidien. Gewöhnlich lo — 30 cm stark, stellenweis bis i^., m mächtig. 3. Heller bis rein weißer Kalk, zahl- lose kleine Cruchylien führend (Pisidien, Planorben, Lymnäen usw.). 10 — 12 cm mächtig. 4. Moosgrüner, kalkreicher, magerer, feinsandiger Ton bis toniger Feinsand mit zahlreichen kleinen Conchylien wie in 3. (Pisidien, Planorben, Lymnäen usw.) 10 — 30 cm mächtig. 5. Dunkelgrauer bis grünlichgrauer, schwarzgeflammter Sapropelit, mit einer Blätter und Zweigreste enthaltenden Moosbank nnd darunter einer Anadonten- bank. Bis 50 cm mächtig. 6. Heller, grobsteiniger Kies mit Sandeinlagerungen, fossilfrei. 0,2 — 1,5 m mächtig. 7. Normaler braunroter Geschiebe- mergel mit zahlreichen polierten und geschrammten Silurkalkgeschieben. 35m mächtig. O Heß von Wichdorf führt aus Masuren 37 charakteristische Interstadialvorkommen an, die er im einzelnen beschreibt. Sie liegen beim Gansen- stein, in einer Endmoränenkuppe beim Vorwerk Louisenhof, bei Regulowken, Mosdzehnen, Ober- försterei Borken, Jorkowan, Steinbach, Gronsken, Orlowen, Friedrichsheide, Wessolowen, Knobben- orth, am Kanopkenberg südlich von Angerburg, am Goldapger-See zwischen Jesziorowken und Kruglanken, Rothebude. Auch in den Decktonen der Ziegeleien Orlowen, Chelchen und Kl. Schwaly wurden Fossilien (Pia- norbis borealis Lov.) gefunden. Aus dieser Fossil- führung mancher Decktone und der Tatsache, daß Decktone in Geschiebemergelgebiete hineinsetzen und dort im Zusammenhange mit Interstadial- bildungen auftreten, geht nach Heß vonWich- dorff hervor, daß „gewisse Decktonvorkommen in Masuren als jüngste Interstadialbildungen" aufzu- fassen sind, während alle anderen Decktone Ab- satz aus Gletschertrübe in zwischen Eis einge- schlossene Staubecken im Sinne Keil hack 's dar- stellen. Die hohe Seeterrasse am Goldapger-See von Jesziorowken entpuppte sich nach Heß von Wichdorff's Untersuchungen auch als fossil- führend und zwar wurden nach Bestimmungen nach H. Menzel folgende Spezies neben einem fossilen Barsch festgestellt: Limnaea stagnalis L, Lim. ovata Drp., Lim. lagotis Schrenk, Lim. pa- lustris Müll., Lim. peregra Müll., Planorbis Stroemi Westerl., Plan, concinnus Westerl., Valvata Andraei Menzel, Sphaerium corneum L., Sphaer. duplicatum Cless., Pisidium amnicum Müll., Unio tumidusRetz. In dem Terrassenkalklager in dem von Morstein- schen Wäldchen am Mühlengrundstücke von Krug- danken fanden sich auch Fossilien wie auch in demselben Kalke, der durch die Kruglanker Kalk- werke erschlossen ist : Planorbis Stroemi Westerl., Plan, borealis Lov., Plan, nautileus L., Sphaerium corneum L., Valvata piscinalis Müll., Bithynia tenta- culata L., Pisidium amnicum Müll., Pis. sp. den- selben fossilführenden Seekalk fand Heß von Wichdorff nördlich vom Goldapger-See bei Kl. Eschenort wieder. Dabei stellt Heß von Wich- dorff fest, daß das Liegende der Terrassen Inter- stadialbildungen sind, die sich als älter erwiesen, wie die vom Mauerseebecken, zu dem einst der Goldapger-See auch gehörte, gebildeten Terrassen. Alle diese fossilführenden Ablagerungen ge- hören einheitlich dem masurischen Interstadial an und sind nach Heß von Wichdorff nicht Niederschläge mehrerer, unter sich getrennter Seen, sondern von einem großen interstadialen Stausee, der ganz Masuren in den letzten Phasen der Eis- zeit bedeckte und in dem eine individuenreiche, aber artenarme Fauna mit zweifellos arktischem Ein- schlag lebte. Und so kommt Heß von Wich- dorff zu den interessanten Schlußfolgerungen: Das Inlandeis lag noch im Norden von Ostpreußen, von Masuren, als sich das interstadiale Staubecken mit seinen Faulschwammablagerungen, in die die annähernd arktische Fauna eingelagert wurde, bildeten. Beim langsamen Vorrücken des Eises wurde ein Teil der Decktone im Interstadialbecken abgelagert. Das Eis drang bis zum Baltischen Höhenrücken vor, bedeckte die Interstadialbildungen mit einer Grundmoräne und nahm aufgeblätterte fossilführende Interstadialbildungen darin auf. Beim Stillstand des Inlandeises und langsamem Ab- schmelzen wurden die Südflächen des baltischen Höhenrückens mit Sandreflächen bedeckt. In der Umgegend von größeren Eisspalten entstanden Staubecken, in deren Buchten und Untiefen See- kalk ausgeschieden wurde, in dem die subarktische Fauna eingeschlossen sich bewahrte. An den Rändern dieser Staubecken lagerten sich End- moränen ab und in den größeren Staubecken schlugen sich Dektone nieder. Als das Eis lang- sam nach Norden zurückschmolz, lagerte es End- moränenstaffeln ab, die bisher getrennten Stau- becken lösten sich örtlich zu Urstromtälern auf. Und als das Eis Masuren längst verlassen hatte, N. F. XV. Nr. 11 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 32; floß das angestaute Wasser in eisfreie Gebiete ab, die Seeterrassen kamen zum Vorschein und die großen Staubecken lösten sich in Einzelseen auf. Nach völligem Rückzug des Eises aus Norddeutsch- land entwickelte sich die subarktische Fauna zur heutigen und im Alluvium begann dann die Ver- landung (Torfbildung) in den einzelnen Seen und die Ablagerung von Wiesen- und Seekalk. Rudolf Hundt. Zoologie. Über die V^erwendung der Fledeimaus zur Vertilgung der Stechmücken, die bekanntlich in den Tropen die Überträger der verschiedensten Krankheiten sind, wird im „Scientific American" 191 5 berichtet. Der Mitchellsee in Texas, in welchen die Abwässer der Stadt S. Antonio fließen, bildet durch die dadurch hervorgerufene Mückenplage einen der schlimmsten Malariaherde Amerikas. In der Umgebung dieses Sees ist nun eine Station errichtet worden, in der infolge der lebhaften Vertilgung der Mücken durch die dort gezüchteten Fledermäuse ein großer Schritt vor- wärts in der Bekämpfung der furchtbaren Krank- heit gemacht zu sein scheint. Die Fledermaus ist bekanntlich ein Fleisch- fresser (Gebiß, kurzer Darm!) und ungemein ge- fräßig. Durch die Vertilgung von Nachtschmetter- lingen, deren Raupen starke Schädlinge für unsere Wald- und Obstbäume sind (Prozessionsspinner!), Maikäfer usw. macht sie sich bei uns außer- ordentlich nützlich. Die voll Blut gesogenen Moscitos bieten ihr natürlich eine willkommene Nahrung. Daß sie davon in reichem Maße Ge- brauch macht, kann man aus dem starken Eisen- gehalt ihrer Exkremente schließen, der von der Aufnahme einer riesigen Menge Blut zeugt. Dieser Fledermausguano ist außerordentlich frucht- bar, und es erscheint auch nach dieser Seite hin die Errichtung solcher Stationen als sehr aussichtsreich. Die Immunität des Tieres selbst gegen den Moscitostich, die natürlich für alles Vorbedingung ist, wird vermutlich durch ihr dichtes (ca. i V2 Mill- Haare !) und absonderliches Haarkleid hervorgerufen. Die Haare sind nicht wie die der anderen Säuger gleichstarke Röhren, sondern bestehen aus einzelnen tütenförmigen Abschnitten, ähnlich dem Stengel eines Schachtelhalms, die infolgedessen sehr fest aneinanderhaften, so daß der Mückenstachel nicht hindurchzudringen vermag. R. V. Aichberger, München. Die Stare von Frankfurt a. M. Wie die Deutsche Jägerzeitung Bd. 66, Nr. 45, S. XII mitteilt, haben im Winter 191 5/16 etwa looo Stare Winterquartier in der Großstadt Frankfurt a. M. genommen, und zwar haben die geschwätzigen Gäste ein warmes und geschütztes Plätzchen an einem mit Efeu be- wachsenen Hause in der Paul Ehrlich-Straße ge- funden, wo sie allabendlich eintreffen, vor dem Schlafengehen meist noch auf den benachbarten Dächern Umschau halten, morgens aber aus- schwärmen — wohin, wird nicht gesagt. Es mag sich um ein vereinzeltes Vorkommnis handeln, doch sollte man es im Auge behalten; denn es ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß bei den Staren in Deutschland allmählich ein winter- licher „Zug nach der Großstadt" bemerkbar wird, wie er auch bei der Amsel festgestellt und in den letzten Jahren wiederholt besprochen worden ist: viele Amseln wandern jetzt im Winter nicht mehr nach Süden, sondern in die Städte. Bei den wärmeren Wintern F'rankreichs bleiben mit manchen anderen Zugvögeln im Aisnegebiet auch ungemein viele Stare und wohl alle Amseln den Winter über im Lande, die Stare als Feld- und Wiesenvögel, die Amseln als Waldbewohner. Franz. Zu dem Aufsatze des Herrn Dr. O. v. Linslow. Seil längerer Zeit habe ich es unterlassen, in der wissenschaftlich nicht ernst zu nehmenden Literatur dem Wünschelruten-Aber- glauben entgegenzutreten, möchte mir aber doch vorbehalten, in den naturwissenschaftlich vollwertigen Zeitschriften gelegent- lich das Wort zu der genannten Frage zu ergreifen. Daher erlaube ich mir zu dem in Nr. 1 1 dieser Wochenschrift ent- haltenen schätzenswerten Beitrage des Herrn Dr. O. v. Lin- stow die folgenden Bemerkungen, die zwei zu befürchtenden Mißverständnissen begegnen sollen. I. Die Überschrift dieses Aufsatzes „Ergebnisse von Grund- wasserfeststellungen mittels der Wünschelrute bei der Försterei Trassenmoor, Kr. Usedom-Wollin" wird von der G. m. b. H. der Rutenmänner unzweifelhaft in dem Sinne verstanden und ausgebeutet werden, als ob diese Ergebnisse positiv gewesen wären. Da aber gerade das Gegenteil der Fall ist und zu be- fürchten ist, daß der der Überschrift folgende Aufsatz in jenen Kreisen unbeachtet bleibt, so wäre es erwünscht gewesen, wenn es schon in der Überschrift statt „Ergebnisse" geheißen hätte „Ergebnislosigkeit". Jedenfalls möge hier besonders unterstrichen wurden, daß Herr Dr. v. Linstow durch seine klare und dankenswerte Untersuchung den Gegnern die Mög- lichkeit genommen hat, den Fall Trassenmoor für ihre Zwecke weiter auszubeuten. Anregungen und Antworten. 2. Ein zweites Mißverständnis droht dem Satze des Herrn Verfassers (S. 163 Abs. 3): „An der Tatsache, daß mittels einer Rute gewisse Linien festgelegt werden können, ist kaum zu zweifeln, nur haben diese Linien, wie das vorliegende Bei- spiel zeigt, mit der Feststellung von Wasserläufen auch nicht das Allergeringste zu tun." Diese Worte können und werden voraussichtlich mißdeutet werden als ein Zugeständnis, daß mittels der Rute doch irgendwelche objektiv und außerhalb des Beobachters vorhandene Dinge aufgefunden werden könn- ten. Freilich nimmt dnr Herr Verf. die Wasseraufsuchung von diesen Dingen gleich aus und ebenso betont er in den folgenden Ausführuogen die ebenso hohe Unwahrscheinlich- keit, daß andere Dinge, wie Kohle, Gold, Petroleum, Radium oder dessen Strahlungen, kurz alles, was als Stein der Weisen gilt, aufgefunden werden könnte. Nur etwas wird nicht aus- drücklich ausgenommen , nämlich alle die Dinge , die nur in der Idee der Rutenleute vorhanden sind oder deren Kenntnis auf irgendeinem bewußten oder unbewußten, legitimen oder illegitimen Wege bereits vor dem E.'iperiment erworben war. Und nur für diese Dinge würde der zitierte Satz seine Gültig- keit behalten. Vielleicht gestattet mir Herr Dr. v. Linstow auch auf diese unzweifelhaft in seinem Sinne liegende Ergänzung seiner wertvollen Darlegungen hinzuweisen. L. Weber. 328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 21 Herrn W. O. in G. — I. Es ist ganz unmöglich, hier in kurzen Worten eine Übersicht über unsere gegenwärtigen Kenntnisse vom Wesen der Katalyse zu geben. Nur darauf sei hier hingewiesen, daß die bekannte und heute fast allge- mein als zweckmäßig anerkannte Definition von Wilh. Ost- wald „unter Katalyse versteht man die Beschleunigung (oder Verlangsamung) eines chemischen Vorganges durch Stoffe, die selbst durch den Vorgang nicht dauernd verändert werden" natürlich keine Erklärung des eigentlichen Reaktionsvorganges gibt, wie sich denn eine einheitliche Erklärung kataly- tischer Erscheinungen deswegen nicht geben läßt, weil die verschiedenen katalytischen Reaktionen von ganz verschiedener Art sind. So kennt man Katalysen, z. B. den Kontaktschwefel- säureprozeß, bei denen der Katalysator, im vorliegenden Falle das Platin, die reaktionsfähigen Stoffe adsorbiert und so durch Konzentrationserhöhung eine starke Reaktionsbeschleunigung bewirkt. In anderen Fällen, so z. B. bei der Beschleunigung des Zerfalls der Kamphokarbonsäure in Kampfer und Kohlen- oxyd durch organische Basen, ist das wesentliche zweifellos die Entstehung labiler Zwischenprodukte. In der Mehrzahl der Fälle hat man wohl eine Vorstellung über die Ursache der katalytischen Wirkung, aber keinen ausreichenden Beweis für ihre Richtigkeit. Hier einige Literaturangaben: W. Herz, Die Lehre von der Reaktionsbeschleunigung durch Fremdstoffe (Katalyse). Stuttgart 1906. Preis 1,20 M. Gertrud Woker, Die Katalyse I.Teil. Stuttgart 1910. Preis geb. 2i M. II. Teil. Stuttgart igiq. Preis geh. 2S M. III. Teil im Druck. • II. Spezielle Literatur über ,,die Atomtheorie im Unter- richt" ist dem Referenten nicht bekannt. Mg. Herrn I. I. P. Tap im Haag. — Ihre Frage über die Stellung der wissenschaftlichen Kritik zu der HörbigeT^ sehen Glazialkosmogonie ist dahin zu beantworten, daß eine solche bisher kaum bekannt geworden ist. Außer einer Zahl sehr günstiger Besprechungen in Zeitschriften ist mir nur eine absprechende Kritik eines Oberlehrers in Petermann's geogr. Mitteilungen zu Gesicht gekommen, die sich aber nur auf ein Referat, nicht auf das Werk selber bezog. Es kann also von einer ablehnenden Kritik nicht geredet werden, nur von einer Nichtbeachtung, die offenbar zwei Gründe hat. Zunächst hat das Buch einen zu großen Umfang, und seine Zeichnungen müssen mit sehr viel Nachdenken gelesen werden. Sodann hat der praktische Astronom viel zu viel mit den Sternen von heute zu tun, als daß er Zeit hätte, sich mit der Frage nach ihrer Entstehung zu befassen, eine Frage, für die meist kein Interesse vorhanden ist. Riem. Die Untersuchungen von L. Greppin (diese Zeitschrift 1916, p. 43) über Verhältnis zwischen der Wander- und Haus- ratte, kann ich ganz bestätigen. Seit Jahren habe ich für meine Experimente in meinem Laboratorium Haus- und Wanderratten. Wanderratten haben Hausratten nie anzugreifen versucht. Ich muß auch bemerken, daß Hausratten, die sich schon lange Zeit im Laboratorium befinden, immer sehr an- greifend gegen Menschen sind. Im Gegensatz, die Wander- ratten zähmen sich oft sehr gut, so daß sie aus den Hän- den fressen lernen können. Ich glaube also nicht, daß die Wanderratten die Hausratten angegriffen und vernichtet haben. B. Galli-Valerio. In seinem interessanten Artikel über Zitronen und Orangen in Geschiclite und Kunst (diese Zeitschrift 1916, p. 201) sagt Killermann, daß nach Theophrast die Zitronen ein gutes Mittel gegen Mundfäule sind. Verf. hat die Worte ,, Mundfäule" mit einem Fragezeichen folgen lassen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Theophrast von Skorbut sprechen wollte. In der Tat wissen wir, daß man noch heute gegen diese Krankheit mit Zitronen sehr wohl kämpfen kann. Es ist bekannt, daß in der englischen Marine „lemon juice" als ein vorzügliches Mittel gegen Skorbut betrachtet wird. B. Galli-Valerio. In der Frankfurter Zeitung (Nr. 68, 9. März 1916) finden wir folgende für die systematische Zoologie erfreuliche Mit- teilung: Die Vogelsaramlung des Grafen von Berlepsch. „Die berühmte Vogelsammlung des vor anderthalb Jahren verstor- benen Grafen Hans von Berlepsch, um deren Erweib das Ausland, besonders auch Amerika sich stark bemüht hat, bleibt Deutschland erhalten. Das Senckenbergische Museum hat die unvergleichliche Sammlung käuflich erworben. Sie zählt mehr als 55000 Bälge, darunter viele Unica und größte Seltenheiten. Ihren wissenschaftlichen Wert bedingen vor allem die Original- stücke der etwa 300 neuen .^rten, die von dem Grafen, einem der besten Ornilhologen, beschrieben worden sind. Besonders reich vertreten ist die farbenprächtige Vogelwelt von Süd- amerika; ihr galt die ganze Neigung des Gelehrten, und ihr zuliebe hat er erprobte, von ihm selbst geschulte Sammler auf viele Reisen gesandt. Von Vögeln aus Peru und aus Bolivia enthält die Sammlung Berlepsch mehr und besseres Material als irgendein Museum, das Londoner einbegriffen. Einzelne Vogelfamilien, Papageien, Pfefferfresser, Tyraneen und Pracht- finken sind nahezu vollständig vertreten. Den kostbarsten Bestandteil stellt die Sammlung der Kolibris dar. Sie ist die zweitvollständigste der ganzen Welt und überaus reich an den allerschönsten und glänzendsten Formen. Darunter ist eine Reihe von mehreren hundert Stücken, die von dem Sammler an Ort und Stelle ausgestopft und so in einer Frische und Pracht des schimmernden Gefieders erhalten worden sind, wie sie bei der sonst üblichen Herrichtung getrockneter Bälge sich niemals erreichen läßt." Kathariner. Literatur. Moliscb, Prof. Dr. Hans, Pflanzenphysiologie als Theo- rie der Gärtnerei. Für Botaniker, Gärtner, Landwirte, Forst- leute und Pflanzenfreunde. Mit 127 Abbild, im Text. Jena 'lö, G. Fischer. — 10 M. Herz, Prof. Dr. W., Grundzüge der Geschichte der Chemie. Richtlinien einer Entwicklungsgeschichte der allge- meinen Ansichten in der Chemie. Stuttgart '16, F. Enke. — 4 Mk. Hjelt, Prof. Dr. Edv., Geschichte der organischen Che- mie von ältester Zeit bis zur Gegenwart. Mit 3 Figuren. Braunschweig '16, F. Vieweg. — 16 M. Synopsis der Mitteleuropäischen Flora von P. Ascherson und P. Gräbner. 90. Lieferung. Bd. VII Poly- galaceae (Schluß); Euphorbiaceae. Leipzig '16, W. Engel- mann. — 2 M. Rabenhorst 's Kryptogaraenflora usw. VI. Band; Die Lebermoose. 25. Lieferung. Leipzig '16, E. Kummer. — 2,40 M. Peters, W., Über Vererbung psychischer Fähigkeiten. Fortschritte der Psychologie usw. Bd. III. 4. — 6. Heft. Inhaltt Ernst Fock, Dispersoidc. S. 313. Alexander Lipschütz, Soziale Lage und Ernährung. S. 317. — Kleinere Mitteilungen: M. Reuter, Geschoßfernwirkung durch die Luftströmung. 2 Abb. S. 321. H. Fehlinger, Krieg und Geburtenhäufigkeit. S. 322. — Einzelberichte: J. W. Birnbaum, Über eine neue Versuchsanordnung zur Prüfung der menschlichen Hörschärfe für reine Töne verschiedener Höhe. S. 323. Nölke, Zone des Schweigens. S. 324. Harbort und Heß von Wichdorff, Das masurische Interstadial. S 325. — Über die V'erwendung der Fledermaus zur Vertilgung der Stechmücken. S. 327. — Die Stare von Frankfurt a. M.S. 327. — Anregungen und Antworten: Zu dem Aufsatze des Herrn Dr. O. v. Linstow. S. 327. Übersicht über unsere gegenwärtigen Kenntnisse vom Wesen der Katalyse. S. 32S. Die Stellung der wissenschaftlichen Kritik zu der Hörbiger'schen Glazialkosmogonie. S. 328. Verhältnis zwischen der Wander- und Hausratte. S. 328. Zitronen ein gutes Mittel gegen Mundfäule. S. 32S. Die Vogelsammlung des Grafen v. Berlepsch. S. 32S. — Literatur: Liste. S. 328. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. PäU'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 4. Juni 1916. Nummer 33. Die Aalfrage. Von Dr. K. Marcus, Hamburg, Zt. Adjutant beim Kriegsgefangenenlager Münsingen. [Nachdruck verboten.] Mit 2 Abbildungen. Der merkwürdigste Vertreter unserer heimi- schen Fischfauna ist zweifellos der Aal (Anguilla vulgaris), der dem menschlichen Denken Rätsel aufgegeben hat, wie nur wenige andere Tiere. Seine schlangenähnliche Gestalt, seine versteckte Lebensweise, sein Wandertrieb, der ihn an Stellen auftreten läßt, wo man ihn nie vermuten würde, und der ihn Wege weist, die für einen „Fisch" kaum passierbar erscheinen, stempeln ihn von vornherein zu einem Tier von biologischer Be- sonderheit. Das hat das Volk auch erkannt und hat seinem Charakter sogar noch manchen Zug hinzugedichtet, der sich bei strenger Beobachtung als falsch erwies. Es sei nur erinnert an das Märchen von langen Landwanderungen und nächt- lichen Besuchen in Erbsenfeldern. Bis vor kurzer Zeit kannte man nur einen Ausschnitt aus dem Leben des Aals, — und diesen nur recht unvollkommen ') — eingerahmt von zwei eigenartigen Phänomenen: auf der einen Seite der Aufstieg der Aalbrut (Montce) in den Flußunterläufen im Frühjahr, wo Millionen und aber Millionen winziger, 6 — 8 cm langer, durch- sichtiger Glasälchen oft in geschlossenen Zügen vom Meere her unter dem Einfluß eines unbe- zwingbaren Wandertriebes einwandern und mit größter Ausdauer und Zähigkeit alle sicli ihnen in den Weg stellenden Hindernisse überwinden; auf der anderen Seite im Hochsommer und Herbst das massenhafte Abwandern der sich aus den Gelb- oder Freßaalen entwickelnden Blank- oder Silberaale aus den Flüssen ins Meer, ein Vorgang, der besonders in dunklen stürmischen Nächten sehr lebhaft zu sein pflegt. Einen Teil dieser abwandernden Aale konnte man noch durch die Ostsee und das Kattegat verfolgen; dann aber entschwanden sie den Blicken, und nur gelegent- liche F^änge, z. B. im Englischen Kanal, zeigten, daß die Wanderung vielleicht gar bis zum Ozean führte. Alles, was zwischen dem Abwandern der Blankaale und der Einwanderung der Glasaale lag: Wanderung zu den Laichplätzen, Lage der- selben. Ablaichen, Tod, Rückwanderung der jungen Tiere usw., kannte man nicht. Ja, sogar die Ent- deckung der männlichen Aale, die sich bereits bei ') In neuester Zeit beschäftigt sich die fischereibiologische Forschung sehr eifrig mit der Lösung einer Reihe von Fragen aus dem Süflwasserleben des Aals. Es handelt sich z. B. um die Schnelligkeit des Wachstums und die Dauer des Süß- wasseraufenthalts, um die verschiedenartige Verteilung der Geschlechter in den Flußgebieten, um Unterschiede im Wander- instinkt bei Männchen und Weibchen u. dgl. einer sehr viel geringeren Körpergröße in Blank- aale umwandeln, als die Weibchen, gelang dem Triester Zoologen Syrski erst im Jahre 1874. Die wissenschaftliche Geschichte der Aal frage ist kurz und reicht wenig über 20 Jahre zurück. Sie begann mit der Erkenntnis, daß der junge Aal im Meer eine Metamorphose durchmacht. Nachdem schon früher die Vermutung geäußert worden war, daß die Vertreter der bis dahin als selbständig beschriebenen Fischgattung Lepto- cephalus die Larven der aalartigen Fische seien, gelang es Mitte der neunziger Jahre den Italienern Grassi und Calandruccio nachzuweisen, daß der Leptocephalus brevirostris die Larvenform von Anguilla vulgaris ist. Diese Larven haben die Gestalt eines auf der Kante stehenden Weiden- blattes von 6 — 8 cm Länge und sind vollkommen durchsichtig. Sie werden in der Straße von Messina durch die eigenartigen dort herrschenden Strö- mungsverhältnisse ziemlich häufig an der Ober- fläche geführt, so daß sie leicht gefangen werden können. Als zweiter Fundort war der Golf von Neapel bekannt, wo man einzelne FIxemplare mehr in der Tiefe gefangen hatte. Dort, im tyrrhenischen Meer schien also ein Laichplatz des Aals vorhanden zu sein. Wo aber waren die Leptoccphalen zu suchen, von denen die großen Mengen der nordischen Aale stammen .' Hier schafften die vom Zentralausschuß für die internationale Meeresforschung ins Leben ge- rufenen regelmäßigen Untersuchungen der nor- dischen Meere Aufklärung. Auf derartigen Fahrten fingen im Jahre 1904 der dänische Forschungs- dampfer „Thor" westlich der FärOer und der irische Dampfer „Helga" westlich von Irland je einen Leptocephalus. Damit war ein wichtiger Fingerzeig gegeben, und nun setzte eine intensive Arbeit seitens des dänischen F"orschers Dr. Joh. Schmidt ein, dem es gelungen ist, durch seine außerordentlich scharfsinnig und geschickt an- gestellten Untersuchungen und Erkundungsfahrten das Aalproblem in seinen wesentlichen Zügen zu lösen und sich dadurch eine weit über die Fach- kreise hinausgehende Anerkennung seiner Ver- dienste zu sichern. Er nahm im Jahre 1905 seine Untersuchungen wieder auf und fing vermittels des von dem Dänen Petersen konstruierten sog. Jungfischtrawls am Rande des europäischen Kontinentalsockels außerhalb der looo m-Linie auf eine weite Erstreckung westlich vom Kanal und von Großbritannien große Mengen von Lepto- ccphalen des Flußaals. Diese leben pelagisch in 330 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 23 Tiefen von etwa 100 m, kommen jedoch nachts mehr an die Oberfläche. Im gleichen Jahre gelang es Schmidt auch, mehr nach der Küste zu sämtliche Stadien der Metamorphose bis zum Glasaal nachzuweisen (s. Fig.) und so festzustellen, das die Umwandlung vom Leptocephalus bis zum Beginn der Pigment- bildung beim Glasaal unserer Flüsse etwa ein Jahr in Anspruch nimmt und etwa im Mai beginnt. Während der ganzen Zeit der Metamorphose wird keine Nahrung aufgenommen. Eine anschließend vorgenommene Durchforschung der Nordsee, des Skagerak und Kattegat, der Gewässer östlich von den l''är-( )ern und von Island nach Leptocephalen hatte negativen Erfolg; diese Meeresteile durch- wandert der Aal im Zustand des Glasaals. Da es aussichtslos erschien mit einem so kleinen Schiff, wie dem „Thor" den ofienen Ozean zur Winterszeit zu befahren, wandte sich Schmidt dem Studium der Verhältnisse im Mittelmeer zu. Im Winter 1908 — 09 und im Sommer 1910 wurde dasselbe in seiner ganzen Erstreckung durchforscht. Diese mit größter Gründlichkeit aus- geführten Untersuchungen, die für die Hydrographie und Hy- drobiologie des Mittelmeeres sehr wertvolle PIrgebnisse ge- liefert haben, hatten das über- raschende Resultat, daß das Mittelmeer keine Laichplätze des Aals enthalten kann, daß vielmehr die Aallarven des Mittelmeers durch die Straße von Gibraltar vom Atlantischen Ozean her einwandern müssen. Die Gründe, auf die sich diese Erkenntnis stützt, sind verschiedener Art. Der „Thor" liat im Mittelmeer die Eier, Larven und Jugendformen fast aller dort vorkommenden Mu- raeniden gefangen; dagegen war unter den zahlreich ge- fangenen Leptocephalus brevi- rostris kein Exemplar kleiner als etwa 6 cm. Da, wie weiter unten erwähnt, es selbst ge- wöhnlichen Seglern und Dampfern gelingt, mit ganz einfachem Gerät im Atlanti- schen Ozean Leptocephalen von geringerer Größe als 6 cm zu erbeuten, hätte der „Thor" mit seinem komplizierten For- schungsapparat und der ge- schulten Mannschaft solche unbedingt im Verlaufe eines Jahreszyklus fangen müssen, wenn sie vorhanden gewesen wären. Auch unter mehr als 1000 in der Straße von Messina gefangenen Aallarven waren nur Längen von 64 — 85 mm vertreten ; kein einziges Exem- lar fand sich, das kleiner war. Die geographische Verteilung der vom ,,Thor" gefangenen Leptocephalen ist derartig, daß die kleineren im allgemeinen im westlichen Teile des Mittelmeers gefangen wurden , die größeren mehr nach Osten. Von den westlich des 3." w. L. (Meridian von Al- boran) gefangenen Aallarven waren 60 "j^, kleiner als 70 mm, östlich desselben dagegen nur S "/o- Diese Tatsache läßt auf ein Heranwachsen N. F. XV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 331 während einer Wanderung von Westen nach Osten schHeßen. Ob dieselbe aktiv oder passiv erfolgt, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen. Allerdings existiert eine sehr lebhafte Oberflächen- strömung vom Atlantik durch die Straße von Gibraltar in das Mittelmeer hinein, der eine Tiefen- strömung in entgegengesetzter Richtung entspricht. Auch die Häufigkeit der Larven und ihre Ver- teilung im Mittelmeer läßt einen Rückschluß auf ihre Herkunft zu. Während die Leptocephalen im westlichen Mittelmeer verhältnismäßig häufig sind, nehmen sie gegen Osten mehr und mehr ab. Wäre die Gegend von Messina ein bevor- zugter Laichplatz des Aals, so müßten auch in der östlichen Hälfte die Aallarven häufiger sein, als tatsächlich der Fall ist. Eine bekannte und oft kommentierte Tatsache, die hierzu in Beziehung steht, ist das Fehlen des Aals im Donaugebiet. Man hat früher angenommen, die Aale könnten im Schwarzen Meer nicht laichen wegen des in den tieferen Schichten hohen Gehalts an Schwefel- wasserstoff. Jetzt ergibt sich eine plausiblere Er- klärung. Wenn die Aallarven auch in großen Mengen durch die Straße von Gibraltar ins Mittel- meer eindringen, so bieten den sich inzwischen entwickelnden Glasaalen auf der Wanderung nach Osten sich so viele Gelegenheiten, das Süßwasser anzunehmen, daß an den engen Eingang zu den Dardanellen nur noch relativ wenige gelangen, und daß die Anzahl, die den weiteren Eintritt durch den Bosporus ins Schwarze Meer findet, so geringfügig ist, daß sie praktisch bedeutungs- los bleibt. Diese Schlüsse Schmidt 's wurden in Frage gezogen durch die Italiener, an ihrer Spitze Grassi, die das Mittelmeer als Laichplatz des Aals nicht aufgeben wollten. Ihre Einwände hat Schmidt entkräften können durch eine L^ntersuchung, der folgende Argumentation zugrunde lag. Es ist bekannt, daß bei den Fischeh gewisse Verschieden- heiten in den äußeren Lebensbedingungen — namentlich spielt wohl der Salzgehalt hierbei eine Rolle — zur Ausbildung sog. Lokalformen oder Rassen führen können. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Hering, der nach Heincke's klassischen Untersuchungen in eine große Anzahl von Rassen zerfällt. Auch für andere Fische, z. B. Scholle und Flunder, ist dieser Nachweis geführt worden. Wäre nun tatsächlich das Mittelmeer ebenso ein Laichplatz des Aals, wie der Atlantische Ozean, so würden an beiden Stellen die Eier sich unter ganz verschiedenen Bedingungen entwickeln. Diese Verschiedenheit müßte sich in einer Spaltung in zwei Rassen kund geben. Diese Untersuchung wurde von Schmidt zu- gleich mit einer groß angelegten Arbeit über die Systematik der aalartigen Fische, die er im Auf- trage des Zentralausschusses für die internationale Meeresforschung ausführte, vorgenommen. Wegen der außerordentlichen Variabilität dieser Gruppe, die die früheren Bearbeiter nicht in Betracht ge- zogen haben, ist ihre systematische Zergliederung außerordentlich schwierig und kann nur bei Be- trachtung großer Zahlen von Individuen zu be- friedigenden Ergebnissen führen. Von den Resul- taten dieser Untersuchungen Schmidt' s können hier nur die für die Aalfrage wichtigen erwähnt werden. Als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal gegen- über dem amerikanischen Aal (Anguilla rostrata), dessen Larvenform ebenfalls im Atlantischen Ozean vorkommt, hat die Anzahl der Wirbel zu gelten. Das lehrt die Gegenüberstellung je einer Probe der beiden Arten: Zuhl der ladividuen : Zahl der Wi rbel: Europa Amerika (Nord -Irland I 905) (St. Lorenzstrom 1905) 119 nS 2 117 9 — 116 20 — •15 3Ö — 114 31 — 113 14 — 112 3 — III 2 — 110 — I 109 _ II loS — 18 107 — 24 106 — 23 105 — 8 104 — I 103 — — Gesamtzahl der Individuen: 117 86 Durchschnitts zahl der Wi rbel : 1 [14,726 107,012 Mittlt-rc .Abweichung: ro,4lS + 0,450 Demnach ist die Anzahl der Wirbel beim euro- päischen Aal durchschnittlich um fast 8 größer als beim amerikanischen Aal, so daß sich eine Unterscheidung mit voller Sicherheit durchführen läßt. Um den Nachweis zu erbringen, daß der euro- päische Aal eine einheitliche Rasse darstellt, hat Schmidt 16 Proben verschiedener Herkunft auf die Wirbelzahl hin untersucht. Das Ergebnis zeigt folgende Zusammenstellung: (Tabelle siehe nächste Seite.) Aus dieser Tabelle geht mit vollkommener Klarheit hervor, daß der europäische Flußaal von Island bis Madeira und Cypern eine einheitliche Art ist. Die kleinen Abweichungen in den Durch- schnittszahlen der einzelnen Proben fallen inner- halb der Fehlergrenzen. Zum Überfluß mögen noch die Herkunftsorte nach der arithmetischen Folge der Durchschnittszahlen von den niedrigeren zu den höheren aufsteigend gegeben werden : Azoren, Livorno, Bristol Kanal 1909, Bayonne, Kopenhagen, Bristol Kanal 191 1, Island, Irland, Bristol Kanal 1908, Cypern, P'är-Öer, Comacchio, Madeira, Ravenna, Cette, Orkney-Inseln. Es ergibt sich kein Hinweis, der auf eine geographische An- ordnung schließen ließe. Schmidt hat sich nicht darauf beschränkt. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Herkunft : ') Anzahl der Wirbe Summe der unter- Durch- schnitts- zahl der Mittlere Ah- 1 suchten In- 110 III 112 113 114 ■«5 116 117 118 I 19 jdividuen: Wirbel: weichung: Island 191 1 V 19 62 30 10 2 I 179 114,726 ±0,320 Fär-Öer 1911 3 42 75 55 22 3 — 280 114,768 ±0,250 0 [ Orkney-Inseln 1906 — 7 25 15 6 I - 75 114,893 ±0,475 Sä 1 Irland 1905 ° ' Bristol 1 1 908 — 2 14 3" 20 9 2 — 117 114,726 ±0,418 — 2 20 44 29 8 I 13S 114,746 ! ±0,384 ^ Kanal 1909 — — 19 61 28 9 2 - 184 114,658 ±0,290 1 (Aalbrut) ( 191 1 — 2 21 49 30 9 4 — 163 114,718 1 ± 0,347 1 1 Kopenhagen 1905 — 3 17 43 22 9 2 - 127 114,677 , ±0,418 < Bayonne 1906 — — II 33 65 43 '5 3 - 1 228 114,671 ±0,293 Madeira 1911 — I 24 57 32 16 3 1 1 173 114,827 ±0,364 Azoren 1909, 1912 — I 18 44 21 8 - - 1 131 114,603 1 ±0,377 Cette 191 1 _ _ 18 43 37 12 2 - ! 152 114,888 ! ±0,348 Livorno 1911 — 3 15 49 122 130 61 24 5 - j 409 114,62s ± 0,209 Ravenna 1906 — I 14 33 29 14 I I 1 133 114,835 ±0,421 1 Comacchio 191 1 — I 28 70 33 ■5 3 - 1 .97 114,772 ± 0,307 Cypern 1911 1 — 2 9 26 28 15 6 2 - ; 89 114,753 i ±0,475 ') Anguilla vulgaris ist verbr von Nord-Norwegen bis etwa zum Kap deira und den Canarischen Inseln. 352 719 865 der europäischen und afrikanischen \Vc , Im Atlantischen Ozean kommt er aul3er 4 ^ 2775 I 114,728 j ±o,c nur die Wirbelzahl in Betracht zu ziehen. Er hat weiterhin folgende Merkmale untersucht : Zahl der Flossenstrahlen in der Afterflosse, in den Brust- flossen, in der Schwanzflosse, und die Zahl der Strahlen in den Kiemendeckeln. Das Ergebnis war das gleiche, denn es fehlte jeglicher Hinweis auf eine Trennung in zwei oder mehr Rassen. Durch die Ergebnisse seiner beiden Mittelmeer- reisen sah Schmidt sich wieder auf den Atlanti- schen Ozean als Untersuchungsgebiet zurückge- wiesen, und es war ihm schon vor der Vornahme der eben geschilderten Untersuchungen gelungen, weitere Aufklärung zu schaffen. Im zoologischen Museum zu Kopenhagen fand er eine reiche Samm- lung pelagischer Fischlarven, die vor einem halben Jahrhundert auf Veranlassung des dänischen Zoo- logen Lütken von dänischen Segelschiffen im Atlantischen Ozean gefangen worden waren. Bei genauer Durchsicht zeigte es sich, daß in der- selben auch eine Anzahl von Leptocephalen ent- halten war, die zum Teil zum europäischen, zum Teil zum amerikanischen Flußaal gehörten. Die Exemplare der Leptocephalus brevirostris waren bedeutend kleiner als alle bisher bekannten, und zwar herab bis zu ungefähr 3 '/, cm Länge. Fast zu gleicher Zeit wurden die Resultate der nordatlantischen Expedition von Murray und Hjort auf dem norwegischen Forschungs- dampfer „Michael Sars" im Jahre 1910 bekannt. Dieselbe fing 44 Exemplare von Leptocephalus brevirostris. Von diesen maßen 23 Stück, die sämtlich nördlich und östlich der Azoren gefangen waren, über 60 mm. Die übrigen 21 wurden südlich und westlich der Azoren gefangen; 3 Exem- plare maßen zwischen 40 und 50 mm (das kleinste davon 41 mm), der Rest 50 — 60 mm. Hjort knüpfte an diesen Fund die Vermutung, daß die Laichplätze des Aals irgendwo im Atlantischen Ozean zwischen den Azoren und den Bermudas- Inseln liegen müßten. Es gelang Schmidt zu veranlassen, daß dänische Kriegs- und Handelsschiffe die früheren Untersuchungen wieder aufnahmen, und so konnte er, gestützt auf ein recht reichhaltiges Material, fest- stellen, daß Larven des Flußaals, die weniger als 60 mm maßen, über ein Gebiet des Atlantik ver- breitet sind, das im Osten begrenzt ist etwa durch den 33.'^ w. L. (Meridian von Corvo, Azoren), im Westen etwa durch den 53.'^ w. L. (Meridian von Neu-P"undland). Im Norden und Süden wird es ungefähr eingeschlossen vom 45." und 25." n. B. (s. Karte). Da diese Larven aber alle schon in Wanderung nach dem Osten mit der Golfstrom- drift begrift'en sind, wird man die Laichplätze mehr im Westen dieses Gebietes, der Sargassosee, zu suchen haben. Nachdem so durch die Untersuchungen Schmidt 's, Hjort's u. a. die nötigen Unter- lagen gegeben waren, galt es nun, die Laichplätze des Aals selbst im Atlantischen Ozean aufzufinden. Zu diesem Zwecke sollte der Motorschoner „Mar- grethe" benutzt werden, der von der dänischen Regierung zum Studium der Fischereiverhältnisse in Dänisch-Westindien ausgesandt wurde. Ein Assistent Schmidt 's nahm auf der Ausreise im Sommer 191 3 die vorbereitenden Arbeiten vor, und es gelang, in der Sargassosee und bei den Bermudas-Inseln zahlreiche kleine Leptocephalus brevirostris bis herab zu sehr geringen Größen zu fangen. Ja, die kl einst en Exemplare bekam man sogar westlich der Bermudas-Inseln. Auf diese vielversprechenden Nachrichten hin reiste N. F. XV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 333 Schmidt nach Amerika, um sich auf St. Thomas der Expedition anzuschließen. Bei seinem Ein- treffen dort erhielt er jedoch die niederschmetternde Nachricht, daß die „Margrethe" kurz vorher auf den Klippen bei St. Thomas gescheitert und daß ein großer Teil der Sammlungen verloren gegangen sei. Glücklicherweise waren außer den Aufzeich- nungen auch die gesammelten Leptocephalusfor- men — etwa 10 000 Stück — gerettet worden, darunter auch 700 Larven des europäischen Aals, von deren Bearbeitung man sich sehr interessante Ergebnisse versprechen darf ^). Da es nicht gelang, ein anderes für die Zwecke der Expedition ge- eignetes Schiff aufzutreiben, mußten die Forscher sich mit diesem halben Erfolg zufrieden geben. zurückzulegen. Über die Dauer der Wanderung, während der die Aale sich dunkel färben und riesenhafte Augen bekommen, wissen wir nichts, doch wird sie ziemlich lang sein, da während dieser Zeit die Reifung der Geschlechtsorgane, die im Süßwasser erst ganz schwach entwickelt sind, vor sich geht. In der betreffenden Gegend ange- kommen, erfolgt das Ablaichen wahrscheinlich nicht am Grunde, sondern in den mittleren oder auch höheren Wasserschichten, worauf die Eltern- tiere zugrunde gehen. Vermutlich sind die Eier relativ groß, mit Öltröpfchen versehen, und schwimmen in den höheren Wasserschichten. Die Leptocephaluslarven besitzen anfangs lange, dünne Hakenzähne, die später wieder verloren gehen. Verbreitung der Aallarven (Leptocephalus brevinistns; den Untersuchungen auf der „Thor" nd anderen Dänischen Fahrzeugen #Larve 3v, - e cm. O .. grösser als 6 cm. Wenn es ihnen auch nicht gelungen ist, die letz- ten Schleier von dem Aalrätsel zu lüften, — und der Krieg wird eine Fortsetzung dieser Unter- suchungen wohl noch für längere Zeit verhindern, — so dürfen wir doch mit den bisherigen Ergeb- nissen, die wir fast ausschließlich der rastlosen Forschertätigkeit Schmidts verdanken, wohl zufrieden sein. Fehlen doch nur noch einzelne Glieder in der Kette der Entwicklung dieses merkwürdigen Fisches. Und auch diese vermag man durch Analogieschlüsse aus der Entwicklung anderer Muraeniden mit großer Wahrscheinlich- keit einigermaßen richtig zu ergänzen. Es mag daher zum Schluß kurz zusammengefaßt werden, wie etwa die Entwicklung des Aals verläuft. Die aus den Flüssen abwandernden Blankaale haben den weiten Weg bis in die westliche Hälfte des Nordatlantischen Ozeans — vermutlich bis in die Gegend südwestlich der Bermudas Inseln — ') VeröffentUchungen über die E.\pedition mit der „Mar- grethe" sind bisher nicht erschienen. Die hier gemachten .An- gaben beruhen auf mir freundlichst zur Verfügung gestellten privaten Mitteilungen von Herrn Dr. Schmid t an Herrn Prof. Ehrenbaura in Hamburg. Im Laufe der Zeit wandern die Larven mit der Golfstromdrift nach Osten und machen in der Nähe der Küste ihre Metamorphose zum Glasaal durch. Diese wandern im Frühjahr in großen Scharen in die Flüsse ein, um im Süßwasser wiederum zum Blankaal heranzuwachsen. Benutzte Literatur: Grassi und Calandruccio, Riproduzione e meta- niorphosi delle Anguille. Giornale Italiano di Pesca ed Aqui- coltora, Jahrg. 1897. Grassi, Quel che si sa e quel che non si sa intorno alla storia naturale dell' Anguille. R. Comitato Talassografico Italiano, Memoria 37, 1914. Murray and Hjort, The Depths of the Ocean. Mac- millan & Co., London 1912. Schmidt, Contributions to the Life-History of the Eel (Anguilla vulgaris Flem.). Rapports et Procus-Verbaux du Conseil international pour l'E.xploration de la Mer, Vol. V, 1906. Schmidt, Danish Researches in the .Atlantic and Medi- terranean on the Life-History of the Freshwater-Eel (Anguilla vulgaris Turt.). Internationale Revue der gesamten Hydro- biologie and Hydrographie, Bd. V, 1912. Schmidt, First Report on Eel Investigations 1913. Ra- ports et Procrs-Verbaux, Vol. XVIII, 1913. Schmidt, Second Report on Eel Investigations 19 15. Ebenda, Vol. XXIIl, 1915. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 23 Einzelberichte. Botanik. Die Lichtempfindlichkeit der Os- zillarien. Im vorigen Jahre wurde hier über zwei Arbeiten berichtet, die sich mit Reizwirkungen bei Oszillarien beschäftigten. (Nat. Woch. Bd. 14, 191 5, S. 558). A. Pieper hatte den Lichtreiz unter- sucht und war zu dem Schlüsse gelangt, daß für die Phototaxis der Oszillarien die Richtung der einfallenden Lichtstrahlen bestimmend sei. Von R. Fechner andererseits waren Versuche über die Chemotaxis ausgeführt worden, die u. a. er- gaben, daß die Perzeption des chemischen Reizes an einer Spitze des Osziliarienfadens erfolgt und daß dieser Reiz dann zum anderen linde geleitet wird. Dieses Ergebnis der P' e c h n e r ' sehen Arbeit hat zu neuen Oszillarienforschungen geführt, die W. Nienburg (gleich seinen Vorgängern auf Anregung von W. Magnus) in der Absicht unter- nahm, festzustellen, ob auch für den Lichtreiz die Perzeption auf bestimmte Stellen des Fadens be- schränkt sei. Wurde ein Oszillarienfaden (unter dem Mikroskop) so beleuchtet, daß ein kleiner Lichtfleck auf bestimmte Stellen des Fadens ein- wirkte, so wurde dieser in seiner Bewegung gar nicht beeinflußt. Wurden aber kleinere Fäden in ihrer ganzen Länge beleuchtet, während sie rings von Dunkelheit umgeben waren, so wirkte der helle Fleck als Lichtfalle, die die Pfaden nicht ver- lassen konnten. (Vgl. die Untersuchungen von Buder über die Purpurbakterie Thiospirillum je- nense, Nat. Woch. Bd. 14, 191 5, S. 700). In den beigegebenen Diagrammen stellt der helle innere Teil der kleinen Rechtecke den Lichtfleck dar, während die ihn umgebende Dunkelheit schraffiert ist; der dicke Strich bezeichnet Länge und Lage des Osziliarienfadens. Man sieht, wie der durch das Lichtfeld kriechende Faden meist ein Stückchen in das Dunkel eindringt, sich dann aber wieder zurückzieht und die entgegengesetzte Richtung einschlägt. Dieses Spiel wiederholt sich; der hier dargestellte Faden war während der Zeit von g^'^ bis 1 1 -■' (hier nicht wiedergegeben) 13 mal umgekehrt. Die Versuche wurden noch in ver- schiedener Weise abgeändert, um deutlich zu zeigen, daß die Pendelbewegung nur durch Übergang vom Hellen ins Dunkle bestimmt wird. Die P'est- stellung, daß die Fäden fast immer mit einem beträchtlichen Teil ihres Körpers ins Dunkle kriechen müssen, ehe eine Reaktion eintritt, zeigt schon, daß die Perzeption des Lichtreizes nicht wie die des chemischen Reizes in der Fadenspitze lokalisiert ist. Dieser Schluß wurde durch sinnreiche Modifikation der Versuchsanstellung noch sicherer begründet. Die Annahme, daß in der Mitte des Fadens irgendwelche besonders lichtempfindliche Stellen vor- handen seien, wurde gleichfalls als nicht zutreffend nachgewiesen. Die Fäden sind also für den Lichtreiz überall gleichmäßig empfindlich. Dementsprechend nimmt auch der Reizerfolg mit der Größe der gereizten Körperfläche zu. Dies wurde dadurch gezeigt, daß der Reizerfolg bei totaler und bei partieller Verdunklung verglichen wurde: die Pfaden kehrten bei totaler Verdunklung bedeutend rascher um als bei partieller Verdunklung. Hier- mit stimmt auch die Beobachtung, daß ein Faden um so langsamer kriecht, je tiefer sein Körper in die Dunkelheit vor- dringt, und um so schneller, je mehr nach der Umkehr von ihm belichtet ist. Die zumeist theoretischen Bemerkungen, die Verf unter Anknüpfung an die P'echn er- sehen Ausführungen über das Problem der Reizleitung macht, müssen hier über- gangen werden. Die Angabe Piep er 's, daß die phototaktischen Bewegungen der Ozsillarien durch die Richtung der Lichtstrahlen bedingt seien, fand in den Versuchen Nienburg's keine Stütze. Dagegen wurde nachgewiesen, daß auch geringere Helligkeitsunterschiede auf die Bewegungen von Einfluß sind. Schon eine ganz leichte Beschattung wird von den Os- zillarien wahrgenommen und mit einer Verlang- samung der Bewegung beantwortet; wenn die Be- schattung aufliört, steigert sich auch die Geschwindig- keit wieder. „Unter diesen Umständen", bemerkt Verf, „wird man den Intensitätsunterschieden eine größere Bedeutung für die phototaktischen Reizbe- wegungen den Oszillarien zuschreiben dürfen. Man kann sich wohl vorstellen, daß die stärkere Ausbreitung der Pfaden, die Pieper in seinen heliotropischen Kammern nach der Lichtseite hin beobachtete, dadurch zustande kommt, daß die in eine höhere Lichtintensität gelangenden P'äden ihre 10^15 N. F. XV. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 Geschwindigkeit steigern". (Zeitschrift für Botanik 8. Jg. (1916), H. 3, S. 161 — 193). F. Moewes. Geologie. Ein Beitrag zur Paläogeographie Deutschlands. Da durchaus keine einheitliche Auffassung der beteiligten Autoren über die Art der Abtragung des einst durch Mitteldeutschland hindurchziehenden Variscischen Hochgebirges oder der karbonischen, mitteldeutschen Alpen besteht, hatte AdolfStrigel (Geologische Untersuchung der permischen Abtragungsfläche im Odenwald und in den übrigen deutschen Mittelgebirgen. Verhandlungen des Naturhistorisch - Medizinischen Vereins zu Heidelberg, N. F. XII. Bd. i. Heft 19 12. S. 63—172. Tafel V— IX und N. F. XIII. Bd i. Heft 1914. S. I — 243) es auf Anregung von Prof. Salomon in Heidelberg unternommen, eine Höhenschichtenkarte der permischen Abtragungs- fläche im Odenwald herzustellen, und zwar für die Zeit, in der die Abtragung des gefalteten Untergrundes und die Eindeckung mit Sedimenten im wesentiiclien abgeschlossen war, die Decke von Rotliegendablagcrungen daher ihre größte Aus- dehnung besaß. Betreffs der Methode der Her- stellung dieser Karte muß .luf das Original ver- wiesen werden. Die gefundene Fläche stellt aber naturgemäß nicht mehr den ursprünglichen Zu- stand dar, sondern ist nachträglich deformiert worden; so ist z. B. ihre sanfte Abdachung nacli SO, O und N mit Sicherheit auf eine jüngere Ver- biegung zurückzuführen. Gleichwohl darf mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden, daß das Aussehen des Variscischen Gebirges nach der in Frage stehenden Abtragung das eines flach- welligen Berglandes war. Der mittlere Böschungs- winkel lag etwa zwischen 3 und 5". Dem ent- spricht ein mittlerer Horizontalabstand der 50 m- Höhenschichten von 950 — 570 m, in welchen Grenzen sich die Abstände in der Tat durchweg halten. Strigel möchte es vermeiden, die per- mische Abtragungsfläche eine Fastebene zu nennen. Als solche erscheint sie ihm höchstens relativ zu den bewegten Formen unmittelbar nach der Auf- richtung der gefalteten Schichten des Variscischen Gebirges, aber doch nicht absolut betrachtet. 1 )ie vielfachen Angaben in der Literatur bezüg- lich der übrigen deutschen, in Betracht kommenden Mittelgebirge (Schwarzwald, Rheinisches und Ost- thüringisches Schiefergebirge usw.) zeigen, daß auch in diesen Gegenden das Variscische Gebirge durch Erosion zu einem flachgewellten Relief ab- getragen wurde. Daneben aber mögen durch tektonische Versenkungen Senken von größeren Dimensionen entstanden sein, wie z. B. die Saar- Saale-Senke. So scheinen im allgemeinen, ebenso wie bei der heutigen Erdoberfläche, die Groß- formen der karbonisch-permischen Landschaft durch endogene Kräfte geschaffen worden zu sein; die Ausgestaltung im kleinen aber war das Werk der exo- genen Dynamik. F. von Richthofe n glaubte nun bekanntlich in der Brandungswelle ein Agens gefunden zu haben, welches bei genügend langer Zeit allein imstande sein könnte, ganze Kontinente und Gebirge abzutragen. Offenbar ist dieses nur dann möglich, wenn gleichzeitig eine Senkung der betreftenden Länder hinzukommt. Da aber von Rieht holen fast alle seine Beispiele aus der geologischen Vorzeit nahm und kaum eines davon unbestritten ist, da andererseits die aktualistische Betraclitung des Abrasionsvorganges keineswegs genügt, um eine Entscheidung für oder gegen marine Abtragung in unserem Falle zu fällen, so müssen wir — da uns auch die T^orm der Rot- liegendbecken nicht nach Abrasionsbuchten auszu- sehen scheint — noch andere Kriterien zu Hilfe nehmen. Zunächst spricht die eigenartige Rot- färbung der variscisch gefalteten Gesteine von der permischen Abtragungsfläche aus durchaus gegen marine Entstehung' Leider ist dieser Punkt vom Verf nur im Vorübergehen gestreift worden (und Ref hat versucht, in einem kleinen, demnächst in Petermann's Geographischen Mitteilungen erscheinenden .'\ufsatz hier eine gewisse Ergänzung zu geben). Vor allem beweiskräftig für die sub- aerische Bildung der Abtragungsfläche ist aber die Natur der Rotliegend-Sedimente. Das Vor- herrschen mechanischer Verwitterung, der z. T. wenig weite Transport der Gesteinskomponenten, die so sehr schwankende Mächtigkeit, der Mangel mariner Tierformen u. a. m. spricht alles für terrestrische Bildung der Rotliegend-Ablagerungen, und wir können mit Strigel hierfür einen Wechsel von längeren Trocken- mit kürzeren Regenzeiten annehmen. Daß in der auf das Rotliegende fol- genden Zechsteinzeit ein Teil der besprochenen Abtragungsfläche weiterhin auch mariner Abrasion unterlag, ist sicher. Diese Abrasion der Zech- steinzeit war aber ganz unbedeutend, und die ge- waltigen Gesteinsmassen, welche in der Stein- kohlen- und Rotliegendzeit von den Gipfeln der mitteldeutschen Alpen entfernt wurden, um in den Kohlen- und Rotliegendbecken zu neuen Gesteinen zusammengeführt zu werden, standen während der ganzen Zeit unter dem Einfluß terrestrischer, sub- aerischer Kräfte. Und so dürfen wir hoffen, daß die interessante und fleißige Arbeit Strigel's die noch hier und da bei manchen Autoren bestehenden Zweifel an der subaerischen Natur der permischen Abtragungsfläche beseitigt, wodurch wir wiederum in der Paläogeographie Deutschlands ein kleines Stück vorwärts gekommen sind. K. Andrce. Zoologie. Erfolg der künstlichen Befruchtung der Fischeier. Bekanntlich werden die im freien Wasser abgelegten Eier nur zu einem geringen Prozentsatz befruchtet. Livingston Stone berechnete, daß es nur etwa 8 "/o seien. Zum Teil aus diesem Grunde ist die künstliche Fischzucht eingeführt worden (zum anderen um den Jungfischen über die großen Fähr- lichkeiten der ersten Lebensperiode hinweg- zuhelfen). Es wurde angenommen, daß durch die 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 23 künstliche Befruchtung 90% der Eier zur Ent- wicklung kämen. Bemerkenswert ist daher das Ergebnis, das an Hand des Berichtes für das Jahr 191 5 der schweizerischen Inspektion für Forst- wesen, Jagd und Fischerei ausgerechnet werden kann. Derselbe gibt die Zahl der in 212 schweize- rischen Fischzuchtanstalten eingesetzten Eier sowie die Zahl der ausgebrüteten Fischchen an. An Hand dieser Zahlen kann das Ergebnis der künst- lichen Befruchtung berechnet werden. Außerdem erzeigen sich interessante Unterschiede zwischen den einzelnen Fischarten. In Prozenten angegeben, wurden von den eingesetzten Eiern befruchtet bei Lachs (Trutta salar L.) 93,8, Lachsbastard 91,9, Seeforelle ( Trutta lacustris L.) 9 1 ,2, Bachforelle (Trutta fario L.) 89,9, Regenbogenforelle (Salmo irideus Gibb.) 80,4, Bachsaibling (Salmo fontinalis Mitsch.) 100,0, Rötel (Salmo salvelinus L.) 90,3, Äsche (Thymallus vulgaris Nilss.) 72,9, Felchen (Coregoni) 82,6, Hecht (Esox lucius L.) 70,9, Flußbarsch (Perca fluviatilisL.) 72,2, Karpfen (Cyprinuscarpio L.) 100,0; Durchschnitt: 82,2%. Im Durchschnitt wurde also das Ergebnis von 90 "/„ befruchtete Eier nicht erreicht, während das- selbe bei einzelnen Arten z. T. sogar erheblich überschritten wurde. Alb. Heß. Bücherbesprechuugen. Hayek, Dr. August Edler von, Die Pflanzen- decke Österreich-Ungarns. Bd. i, Lief. 2 — 5. Leipzig und Wien 1916, Franz Deuticke. — Jedes Heft 5 M. Seitdem wir (Naturw. Wochenschr. Bd. 14, S. 511, 1915) die erste Lieferung dieses groß an- gelegten Werkes anzeigten, sind in steter, durch den Krieg nur wenig verlangsamter Folge vier weitere Lieferungen erschienen, so daß nunmehr der erste Band fertig vorliegt. Der zweite soll etwa in gleicher Stärke tunlichst bald nachfolgen. Nach einem allgemeinen Teil, von dem wir in unserer ersten Besprechung bereits berichteten, wird in 4 Kapiteln die Pflanzendecke der Sudeten- länder, Galiziens, der Bukowina und des östlichen Schlesiens, der Karpathen und des ungarischen Tieflandes behandelt. Jedes Kapitel wird einge- leitet durch eine Darstellung der Beziehungen zwischen der betreffenden Vegetation und dem Klima und der Bodenbeschaffenheit der Gebietes, das sie trägt. Alsdann werden die unterscheid- baren Pflanzengenossenschaften, die jene Gebiete kennzeichnen, und daran anschließend eingehende Einzeldarstellungen des Pflanzenwuchses nach der topographischen Gliederung des Landes gegeben, wobei auf wichtige und bezeichnende Arten samt ihren Veibreltungsgrenzen besonders Bedacht ge- nommen wird. Zahlreiche Vegetationsbilder, die meistens sehr gut und nur hie und da wohl in ihrer Wiedergabe hinter den Erwartungen des Autors etwas zurückgeblieben sind, sowie Einzel- bilder von interessanten und charakteristischen Pflanzen unterstützen den Text. Am Schluß jedes Kapitels findet man ein Verzeichnis der umfang- reichen Literatur und am Schluß des Bandes einen ausführlichen Index, der ein Sachregister, ein Re- gister der Pflanzennamen, und eins der geogra- phischen Namen umfaßt. Ein so weitgreifendes, pflanzengeographisches Werk wie das v. Hayek'schc, gab es bisher für die Donaumonarchie nicht, ja es ist wohl bisher ein ähnlich großes Gebiet so eingehend pflanzen- geographisch noch nicht dargestellt worden. Dabei ist es keine bloße Kompilation, sondern ist in der Konzeption und in der Verwertung sehr ausge- dehnter eigener Erfahrungen und Studien eine selbständige Leistung. Man kann das Werk somit füglich als unentbehrlich für jeden bezeichenen, der sich über die Pflanzendecke ( )sterreich-Ungarns unterrichten will, nicht nur für den Fachmann, dem es überdies mannigfache Anregung zu neuen Studien geben wird, sondern auch für den gebil- deten Laien, den die Liebe zur Natur zu einem ernsthaften Studium der Pflanzenwelt führt, wobei er in der Anlage des Werkes auch noch den schätzenswerten Vorteil findet, sich bequem über die Flora seiner engeren Heimat unterrichten zu können. Dabei sei für den größeren Leserkreis nochmals besonders darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Hayek'schen Buche nicht um eine P'lora, d. h. eine systematische Aufzählung von Pflanzenbeschreibungen und Standortsangaben handelt, sondern um eine umfassende Schilderung der natürlichen Zusammensetzung der Vegetation, die überall den Benutzer aus der Enge der reinen Sammeltätigkeit hinausführt. Wir wünschen dem mühevollen Unternehmen des Verfassers den Erfolg, den es verdient. Miehe. Literatur. jboscideum Bohl. Rayss, Tscliarnu, Le coelastri Coelastrum tle la Suisse. Vol. V, Fase. 2 der „Materiaux pour la Flora cryptogamique suisse." Bern '15, K. J. Wyss. Die Seele des Tieres. Berichte über die neuen Be- obachtungen an Pferden und Hunden. Herausgegeben von der Gesellsch. f. Tierpsychologie. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. E. Ziegler. Berlin 'l6, W. Junk. Inhalt: K. Marcus, Die Aalfrage. 2 Abb. S. 329. — Einzelberichte: W. Nienburg, Die Lichtempfindlichkeit der Oszillarien. 2 Abb. S. 334. Adolf Strigel, Ein Beitrag zur i'aläogeographie Deutschlands. S. 335. — Erfolg der künstlichen Befruchtung der Frischeier. S. 335. — Bücherbesprechungen: August Edler von Hayek, Die Pflanzendecke Österreich-Ungarns. S. 336. — Literatur: Liste. S. 33Ü. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. II. Miehe, Leipzig, Marien Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. I a, crbete Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ii. Juni 1916. Nummer 34. [Nachdruck verboten.] Ernst Mach. Von Dr. M. H. Baege. Am 19. Februar ist Ernst Mach im Alter von 78 Jahren auf seinem Besitztum Haar bei München, wo er seit einigen Jahren in ländlicher Zurück- gezogenheit lebte, gestorben. Ein ganz Großer der Wissenschaft, der bahnbrechend sowohl als Physiker wie auch als Psychologe und Philosoph gewirkt hat, ist mit ihm dahingegangen. Von Hause aus Mathematiker und Physiker führten ihn seine Studien bald in das Gebiet der Sinnes- ph_\-siologie, von dort in die Psychologie und schließlich zur Beschäftigung mit philosophischen oder richtiger mit wissenschaftstheoretischen und forschungspsj'chologi- schen Problemen. Aber selbst seine philosophi- schen Studien trieb er vom Standpunkte und in der Art und Weise des Naturforschers. Stets fühlte er sich als solcher und oft genug hat er es abgelehnt, ein Philosoph zu sein oder auch nur heißen zu wollen. Trotz- dem war er — ohne seine hervorragende Begabung für experimentelles .Ar- beiten und seine bedeut- samen Leistungen auf die- sem Gebiete dabei an- tasten zu wollen — im innersten Wesen seiner Persönlichkeit ein durch und durch philosophischer Kopf, und es erscheint uns deshalb zunächst fast sonderbar, daß er trotz- dem den Ehrentitel eines Philosophen so energisch ablehnte. Die Haupt- ursache für diese Ablehnung ist wohl darin zu suchen, daß ihm in seinen Jugendjahren und sehr oft auch noch später die Philosophie in der Haupt- sache als ein Unternehmen entgegengetreten ist, das auf dem Wege reiner Spekulation, gewisser- maßen aus den Tiefen der menschlichen Seele heraus, ein Weltbild zu geben bestrebt war. Sein stark entwickelter Tatsachensinn sträubte sich gegen derartige tatsachenfremde Begriffssysteme. In seiner vielleicht zunächst mehr intuitiven Ab- lehnung dieser Art von Philosophie wurde er dann bestärkt durch das Ergebnis seiner historisch- kritischen Untersuchungen über die Grundbegriffe der Ph}-sik, wie er sie uns in seinen physikali- schen 1 lauptwerken ') gegeben hat. Fast auf Schritt und Tritt hatte er bei diesen Studien Gelegenheit festzustellen, wie die Naturwissen- schaft in ihrer Entwicklung durch die Autorität philosophischer Systeme aufgehalten, durch die in sie hineingetragene philosophische Spekulation und Terminologie zur Beschäftigung mit allerlei Scheinproblemen und durch die in sie verpflanzte Metaphysik zu mancherlei Unklarheiten und Wider- sprüchen gekommen war. Kurz, er hatte die Ge- fährlichkeit und Unfruchtbarkeit rein spekulativ- konstruktiven Denkens zu gründlich erkannt, um sich als exakter F^orscher nicht energisch genug dagegen zu wenden. Deshalb ist es ihm auch nie eingefallen, ein philosophisches System oder eine abgeschlossene, fertige Weltanschauung geben oder, wie hier und da behauptet worden ist, auch nur eine neue Philo- sophie in die Naturwissen- schaft einführen zu wollen. Er war überhaupt kein Freund vorschnellen Sy- stematisierens und Sche- matisierens und erklärte schon zufrieden zu sein, „wenn er die bewußte psychische Tätigkeit des h'orschers als eine me- thodisch geklärte, ver- schärfte und verfeinerte Abart der instinktiven Tätigkeit der Tiere und Menschen wiederer- kannte, die in Natur und Kulturleben täglich geübt wird". Daher kommt es dann auch, daß ihn von den traditionellen philosophischen Hauptpro- blemen außer den allgemeinpsychologischen nur die logisch-erkenntniskritischen und methodologi- schen Probleme der theoretischen Naturwissenschaft interessierten und beschäftigten. Auf diesem Ge- biete hat er dann aber auch geradezu revolutionierend gewirkt. Vor allem war es ihm darum zu tun, alte abgestandene Begriffe und Theorien aus ') Geschichte u. Wurzel d. Satzes v. d. 2. Aufl. Leipzig 1909. Die Prinzipien der Wärmelehre. 2. Au Die Mechanik in ihrer Entwicklung. d. Ar lg 1900. Leipzig 338 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 der Naturwissenschaft zu entfernen und die natur- wissenschaftlichen Tatsachen nur durch solche Beg^riffe und Theorien darzustellen, die aus der Wirklichkeit, aus der Erfahrung, nicht durch reine Spekulation gewonnen worden sind. Er erstrebte also gewissermaßen eine Reinigung der natur- wissenschaftlichen, psychologischen und erkeiintnis- kritisch-logischen Probleme von allen metaphy- sischen Verschleierungen und philosophischen Scheinproblemen und wandte sich gegen die Dar- stellung und Beschreibung der Ergebnisse moderner physikalischer und psychologischer Forschung durch die überkommenen Begriffe längst über- wundener metaphysischer Systeme. Ein Be- streben, durch das er übrigens nicht nur bei den herrschenden philosophischen Schulen, sondern auch bei den Naturwissenschaftlern, die ja oft, ohne daß sie es wissen oder wahr haben wollen, irgendeiner metaphysischen Anschauung — meist der materialistischen — , anhängen, heftigen Anstoß und starken Widerspruch erregte. Zwar war M ach also kein Philosoph im tra- ditionellen Sinne, d. h. der Schöpfer irgendeines philosophischen Systems oder einer geschlossenen Weltanschauung, trotzdem war er ein eminent philosophischer Kopf, d. h. ein Forscher, der seine Einzeluntersuchungen stets in Hinblick auf d ie Stelle betrieb, an der sie sich in den großen Zusammen- hang alles Fragens und Forschens einreihen, und der in Verfolg der Probleme, die er erlebte, sich nicht scheute, weit über die engen Grenzen seiner Fachwissenschaft hinauszugreifen, um sie zu einer endgültigen Lösung zu bringen. Er gehörte zu jenen echten Forschern, bei denen man, wie I. Petzoldt') einmal so treffend sagt, nicht nach dem Fach fragen soll, dem sie sich gewidmet, sondern nach den Problemen, von denen sie gepackt wurden, ist also jenem Forschertyp zuzu- zählen, dem auch die Galilei, Newton, Johs. Müller, Lamarck, Darwin, Maxwell, Rob. Mayer usw. angehört haben, und von denen jeder einzelne das menschliche Denken und Erkennen mehr gefördert hat, als alle Metaphysiker und spekulativen Philosophen zusammen genommen. Welche Probleme haben ihn nun hauptsächlich beschäftigt und in welcher Weise hat er sie ge- löst? Wir erwähnten oben schon seine historisch- kritischen Untersuchungen über die Grundbegriffe der Physik, die er mit einer scharfen Kritik der überkommenen Newton' sehen Grundbegriffe ein- leitete, und die in eine Reform der Physik, ja der naturwissenschaftlichen Piegriffsbildung und der Theorie der Naturwissenschaften überhaupt, sowie in dem Nachweis der Unhaltbarkeit der mecha- nischen Naturansicht ausliefen. Seine kritische Prü- fung der N e w t o n'schen Grundbegriffe, die er uns in seiner „Mechanik in ih rer En t wie kl u n g historisch kritisch dargestellt" gibt, brachte ihn zu der Einsicht, daß diese überkommenen Begriffe unhaltbar ') Petz ol dt. Das Wcltproblem vom Standpunkte des relativistischen Positivismus. Leipzig 1912. geworden sind, weil sie weder unserem heutigen Wissens- und Erkenntnisstande, noch den Bedürf- nissen moderner I^hysik entsprechen. Mach zeigt uns da, daß das behauptete Absolute, auf das Newton und alle Physik seit ihm die Naturvor- gänge zurückzuführen bemüht war, immer nur ein Relatives war und sein kann; denn alles, was wir erkennen können sind immer nur Rela- tionen, Beziehungen von Tatsächlichem zu Tat- sächlichem. Weder der Raum, noch Zeit und Bewegung dürfen absolut aufgefaßt werden, wie das seit Newton die Physik tat. Raum') und Zeit sind ihm übrigens auch keine apriorischen Anschauungsformen wie bei Kant. Die räum- lichen und zeitlichen Merkmale unserer Erlebnisse (und der Dinge also) sind nur Empfindungen nebe n allen anderen Empfindungen, nicht vor ihnen. Die Sätze der Mechanik sind auch relativ, und niemand ist berechtigt, sie über die Grenzen der Erfahrung auszudehnen. In Konsequenz seiner, der Erfahrung besser entsprechenden relativistischen Grundanschauung beseitigt Mach auch den un- deutlichen, mit einem metaphysischen Moment be- lasteten Massenbegriff Newton 's. Schon in seiner 1869 verfaßten Mitteilung „Über die Masse", die, wie 1841 Rob. Mayer's „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur" nicht in P o g g e n - dorf's Annalen aufgenommen wurde, weil man die fundamentale Bedeutung des neuen Massenbegriffs noch nicht zu erkennen vermochte, definiert er das Massenverhältnis zweier Körper als das negativ umgekehrte Verhältnis der gegenseitigen Beschleuni- gung. Während also für Newton die Statik die Grtmdlage der Dynamik bildet, sieht Mach die Statik als einen Sonderfall der Dynamik an. Nicht nur die Begriffe „Masse", „Zeit", „Raum", „Bewe- gung", sondern auch noch viele andere physika- lische Grundbegriffe, wir nennen hier nur noch den Temperatur- und Energie-Begriff, hat Mach von dem überkommenen metaphysischen Bestandteile befreit. Eine weitere Folge von M a c h's relativistischem Standpunkte war seine Ablehnung der alten wissen- schaftlichen Forderung, welche die Aufgabe der Naturwissenschaft dahin bestimmte, die Mannig- faltigkeit und Fülle der Naturvorgänge auf letzte Ureinheiten, ein ewig Unveränderliches (Atome, Monaden usw.) zurückzuführen. Mach zeigt uns da, daß das nicht nur eine unerfüll- bare Forderung ist, weil ein derartiges Absolutes nirgends existiert, sondern daß es auch eine recht gefährliche Forderung ist, weil sie uns immer in das unfruchtbare Gestrüpp der Metaphysik führt. Die Geschichte des Atombegriffs zeigt uns das. Zwar billigt Mach die Verwendung der A t o m h y p o t h e s e als Arbeitshypothese , d. h. als provisorisches Hilfsmittel des Denkens zur bequemen Darstellung einer Reihe von Tatsachen, ') Mach unterscheidet übrigens einen physiologisclien und metrischen Raum und den physiologischen wieder in einen Seh- und Tastraum, die alle nur mehr oder weniger Gemein- sames haben. N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 ist aber im übrigen der Überzeugung, daß man auch ohne sie auskommen könne. TatsächHch hat er selbst sie auch nie gebraucht. „Atome können wir nirgends wahrnehmen , sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge". ') An Stelle der Atome stellt Mach seine Volum- elemente. Das ist, wie Mac h's Biograph Hans Henning ganz richtig bemerkt, "j nicht lediglich eine Frage terminologischen Geschmacks. Mit dem Volumelement ist der Tatsächliches dar- stellende begriffliche Kern der Atomistik gegeben, also das was Richtiges und F"ruchtbares an ihr ist, und was seiner Anschaulichkeit wegen ihren heuristisch -didaktischen Wert ausmacht. Ausge- schaltet sind hier aber „die kindischen und über- flüssigen Nebenvorstellungen, die willkürlichen Zu- taten zu dem Tatsächlichen, die dem Atombegriff von Alters her anhaften". ") Was versteht nun Mach unter einem Volum- element? Er sagt: *) „Einem Volumelement schreibe ich, nur mit verändertem Maßstab, solche Eigen- schaften zu, wie sie an ausgedehnten Körpern be- obachtet werden, und die Erfahrung hat mich gelehrt, daß man den Maßstab außerordentlich verkleinern kann, ohne die Form der Tatsachen zu ändern. Darin liegt also gar nichts Hyptheti- sches und keinerlei Unklarheit. Kirch hoff hat ganz gut gewußt, warum er gerade diese Be- trachtungsweise jeder anderen vorzog. Die Volum- elemente mit ihrem Temperaturgefälle verhalten sich ganz so wie endlich ausgedehnte Körper unter ähnlichen Umständen, nur habe ich den Vorteil, daß ich aus solchen kleinen Volumele- menten mit beliebiger Genauigkeit jeden noch so komplizierten Fall zusammensetzen kann. Ich kann darum auch nicht einsehen, warum jede Differentialgleichung sich notwendig auf atomisti- sche Betrachtungen gründen müßte." Vielfach kann man nun heute — besonders in Ph)-sikerkreisen — die Meinung vertreten hören, daß die Erforschung der elektrischen Strahlungserscheinungen zwar nicht die Realität des alten Atoms, aber doch seines modernen Er- satzes, des Elektrons, nachgewiesen habe, daß also die Mach'sche Auffassungsweisc unhaltbar geworden sei. Das Elektron soll nach der Vor- stellung dieser Physiker jenes absolut Unver- änderliche sein, nach dem die Physik schon so lange gesucht habe. Die Elektronen seien wirklich die letzten Elemente der Welt. Dem können wir entgegenhalten, daß der Be- griff des Elektrons noch we it er analys ierbar ist, denn wir sprechen ihm elektrische Ladung, Volumen, Geschwindigkeit usw. zu. Das sind aber Merkmale, die wir auf eng miteinander zusam- menhängende Elementar-(Empfindungs-)Komplexe zurückführen können. Was das aber bedeutet. 1) Siehe Mach, Geschichte der Mechanik S. 532. ■^) Siehe Henning, Ernst Mach als Philosoph, Phy- und Psycholog. (Leipzig 1915) S. 85. ^) Siehe Mach, Prinzipien der Wärmelehre S. 430. *) Siehe Mach, Prinzipien der Wärmelehre S. 431. werden wir weiter unten näher auseinandersetzen. Auf jeden Fall zeigt uns diese Tatsache, daß auch die Elektronen nicht die erkenntnistheoretischen Elemente der Welt sind. Die Elektronentheorie ist nichts anderes als ein provisorisches Hilfsmittel der Forschung, dessen Ersatz nach Mach „durch eine natürliche Anschauung angestrebt werden muß". Genau so, wie man in der Elektrizitäts- lehre von der vorläufigen Annahme elektrischer Fluida allmählich zur Feststellung der Gesetze des elektrischen F"eldes gekommen ist, ebenso werden die nur provisorisch gültigen Annahmen von Itlektronen einmal durch die Gesetze der elektri- schen .Strahlung ersetzt werden. Die in den letzten Wochen der wissenschaftlichen Welt über- mittelte Nachricht, daß es Nernst gelungen sei, die Quantentheorie in der Form von Differential- gleichungen darzustellen, kann wohl als eine Wen- dung der theoretischen Plu'sik zu diesem Ziele hin angesehen werden. Es gibt also nichts Ab- solutes in oder gar hinter den Naturvorgängen, auf das als letztes Unveränderliches diese zurück- zuführen seien, noch einen absoluten, gewisser- maßen außerhalb der Welt gelegenen Standpunkt, von dem aus wir die Welt begrifflich zu erfassen vermögen. Bei Theorien, die von derartigen An- nahmen ausgehen, muß immer ein letzter unerklär- barer Rest übrig bleiben und tatsächlich sind auch alle bisherigen Weltanschauungen an der H_\'posta- sierung eines Absoluten gescheitert. Alles Grübeln nach sogenannten letzten Gründen hat sich als unfruchtbar erwiesen. Die Annahme eines Abso- luten hat uns nicht nur keine neuen Erkenntnisse gebracht oder gar über die stets als zuverlässig erwiesene Erfahrung hinausgehoben, sie hat sich vielmehr geradezu als gefährlich erwiesen, indem sie häufig der fclrfahrung den Weg versperrte und ihrer Unkontrollierbarkeit wegen zu unfruchtbaren Wortstreitereien führte. Durch den Nachweis der Unerkennbarkeit eines Absoluten hat Mach die Naturwissenschaften in dreifacher Hinsicht aus den Banden metaphysischen Denkens befreit. Er lehrte sie die Unh al tbarkeit des Substanz- begriffes, der letzten Endes auf die Denk- gewohnheit zurückzuführen ist, alle „Eigenschaften" eines Körpers als von einem unveränderlich be- harrenden, ewig bleibenden Kerne ausgehende, durch Vermittlung des Leibes dem Ich beige- brachte „Wirkungen" desselben anzusehen (weil wir den haptischen „Eigenschaften" eine größere logische Kraft zuschreiben als den übrigen). Das, was im tradionellen Substanzbegriff der Natur- forschung unkritische Köpfe zu der falschen Vor- stellung eines ewig Beharrenden, eines Unver- änderlichen führen kann, ist lediglich die Be- ständigkeit eines gesetzmäßigen Zu- sammenhangs der Reaktionen, und das, was wir „Mater! e" nennen, ist nichts anderes als die Vorstellung vom Zusammenhang jenes Komplexes. Mach befrehe ferner die Naturwissenschaft von der Herrschaft des mechanistisclien Materialis- mus, indem er aufzeigte, daß es i . r e i n mechanische 340 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr: 24 Vorgänge gar nicht gibt; denn alle sind mit elek- trischen, thermischen usw. Änderungen verbunden; 2. daß die chemischen Änderungen viel tiefer greifen als die physikalischen; 3. daß die mecha- nische Ansicht den Forderungen der Denkökonomie nicht zu genügen vermag, da sie statt der Tat- sachen nur Hypothesen gibt, die noch dazu unter- einander in starkem Widerspruch stehen. Er tritt deshalb auch für eine phänomenologische (ver- gleichende) Phvsik ein, die es gestattet, die ganze Naturwissenschaft mit einem weiten Blick zu um- fassen. Aus demselben Grunde ist er auch Gegner einer rein mechanistischen Ph)-siologie , die sich allzu leicht in allerlei Scheinprobleme verliert, wie z. ß. zu dem Versuch einer Ableitung der Emp- findungen aus der Atommechanik u. a. m. Schließlich ist er infolge seines Verzichtes auf den absoluten Wahrheitsbegriff in die Eage ge- kommen, der Naturwissenschaft ihre wirkliche Aufgabe zu bestimmen, sie von wirklichkeitsfremden und verstiegenen Zielen wegzulenken und ihr neue fruchtbarere Denk- und Forschungsmethoden nachzuweisen. Früher bestimmte man ^) die Auf- gabe der Naturforschung dahin, daß sie die (Ob- jekte und Naturvorgänge zu „erklären" habe und unter „Erklärung" verstand man letzten Endes die Zurückführung der Vorgänge usw. auf Atom- mechanik. Worin sieht Mach nun die Aufgabe der Naturwissenschaft? An Stelle der „Erklärung" setzt er die „Beschreibung". Er versteht aber beileibe nicht unter diesem Begriff eine nur bloße Aufzählung des Beobachteten, eine rein äußerliche Feststellung der Merkmale. Mach ist da vielfach mißverstanden worden. Sein Begrift der „Beschreibung" ist eigentlich nichts anderes als der seines metaphysischen Bestandteils ent- kleidete Begriff der „Erklärung". Was heißt denn wirklich erklären? Doch nichts anderes als „klar machen", mit anderen Worten : die Abhängigkeit der Erscheinungen von- einander darzulegen, ihren Zussmmenhang zu stu- dieren. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es nach Mach deshalb, die Umstände oder Be- dingungen festzustellen, die einen Vorgang in Er- scheinung treten lassen. Mach bezeichnet (wie nach ihm auch Kirch ho ff) diese wissenschaft- liche Betätigung als „Beschreibung". Er setzt diesen neuen Begriff an Stelle von dem der „Erklärung", um von vornherein alle Metaphysik auszuschalten, die nun einmal seit alters her dem Begriff der Erklärung anhaftet. Wert hat allein die Beziehung des Tatsächlichen zu Tatsächlichem und diese wird durch die Beschreibung gegeben. Unter Beschreibung ist also nach Mach zu verstehen: 1. die Feststellung des reinen Tatsachen- bestandes, 2. seiner Abhängigkeit von anderen Tatsachen, 3. seiner Gesetzmäßigkeit, d. h. die Festlegung der Bedingungen eines Vorganges. ') Auch heute noch finden wir diese Bestin naturwissenschaftlichen Lehrbüchern. Eine Tatsache ist wissenschaftlich er- kannt, wenn wir die Summe der Beding- ungen und die Abhängigkeit derselben voneinander festgestellt haben, die sie auftreten lassen, denn eine Tatsache ist die Summe ihrer Bedingungskom- plexe, nicht die Folge (Wirkung) derselben. Fehlt ein Bedingungselement, so tritt die Tatsache nicht ein. Durch diese Auffassungsweise gelingt es Mach zugleich auch die Metaphysik, die im alten Kau- salitätsbegriff drinsteckt, auszuschalten. Die Kausalität ist beinahe zu einer geheimnisvollen Macht geworden. Man hat geradezu „einen be- sonderen mystischen Kult" mit ihr getrieben.^) Die Naturforschung wurde ganz allgemein als Ursachenforschung bezeichnet. Auf letzte Ur- sachen, letzte unveränderliche Elemente, ja auf eine einzige allerletzte Ursache (Materie, Un- bewußtes, Geist usw.) glaubte man die Mannig- faltigkeit der Vorgänge und Fälle der Erscheinun- gen zurückführen zu müssen. Der Begriff der Ursache erhält seinen metaphysischen Charakter in der Hauptsache vom Begriff des Absoluten her, mit dem er innig zusammenhängt. Er ist ein letzter Überrest der animalisch - fetischistischen Denkweise des Urmenschen. Beer bezeichnet ihn geradezu als einen „Gespensterglauben äußer- ster Verdünnung".^) Das sog. Kausalgesetz lautet: „Jede Wir- kung hat eine Ursache" und man denkt sich ge- wöhnlich die Sache so, daß auf eine bestimmte Dosis „Ursache" eine bestimmte Dosis „Wirkung" folgt. So wird auch heute noch in vielen natur- wissenschaftlichen Lehrbüchern der Kausalitäts- begriff dargestellt. Dieser „Pharmazeuten-Stand- punkt" ist aber nicht mehr aufrecht zu erhalten. Es gibt keine „Ursachen" und keine „Wirkungen"; denn die Natur ist nur einmal da. Es ist Mach's Verdienst, die Metaphysik des Ursachen- begriffs und seines Gegenbegriffs „Wirkung" er- kannt und ihn durch den klareren und schärferen Funktionsbegriff ersetzt zu haben. Er hat uns gezeigt, daß es nur auf die Feststellung gegen- seitiger Simultanbeziehungen der Funktionen an- kommt. Was dem Begriff des „Kausalgesetzes" als rein Tatsächliches zugrunde liegt, ist lediglich die Feststellung, daß mit der Veränderung einiger Naturerscheinungen auch Veränderungen anderer eintreten, daß sie also abhängig voneinander sind. „Wo wir eine Ursache angeben, drücken wir nur ein Verknüpfungsverhältnis, einen Tat- bestand aus.""^) Das, was wir gewöhnlich als Ursache bezeich- nen, ist das zu einem bestimmten Bedingungs- komplex zuletzt noch hinzutretende Bedingungs- element, das den Komplex erst so ergänzt, daß nun eine bestimmte Tatsache eintreten kann. ') Siehe Beer, Die Weltanschauung eines modernen Naturforschers. Dresden und Leipzig 1903. S. 85. 2) Siehe : Prinzipien der Wärmelehre, 2. Aufl., S. 435. N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 Wenn z. 13. ein Funke in ein Pulverfaß fliegt, so wird dieser als die „Ursache" der Explosion auf- gefaßt. Der Funke ist aber nicht die Ursache der Explosion, sondern nur einer der Faktoren, durch die der Explosionsvorgang bestimmt wird. Es gibt keinen Naturvorgang, der nur von einem Faktor abhängig sei. Wie wir schon oben fest- stellten, ist jeder Vorgang (oder Zustand) der Summe seiner Bedingungen gleich. Er wird also bestimmt durch zahlreiche andere Vorgänge; denn in Wirklichkeit existiert kein Vorgang für sich allein, sondern steht in mannigfaltigster Ver- bindung mit anderen Vorgängen. Wir denken uns nur bei unserer wissenschaftlichen Betrachtungs- weise aus praktischen Gründen die Vorgänge als isolierte Teilsysteme. Mit dem Begriff des „Absoluten" fällt also auch der Begriff der „Ursache". Der exakte Natur- forscher fragt nicht mehr „warum?", sondern „wie?". An Stelle des unklaren und zu allerlei Scheinproblemen führenden Kausalitätsbegriffs tritt der der „Funktionalität". Mach zeigt übrigens, daß alle F"ormen des Kausalgesetzes subjektiven Trieben entspringen , denen die Natur nicht zu gehorchen braucht. Er zeigt uns weiter, daß das Hervorheben von „Ursache" und „Wirkung" hin- fällig wird, sobald uns die Tatsachen geläufig werden. Wir brauchen dann die zwei Begriffe nicht mehr. „Die Säure ist die Ursache der Rötung der Lackmustinktur, später gehört die Rötung unter die Eigenschaften der Säure." ') Bei Ge- brauch dieser alten Begriffe heben wir willkürlich jene Momente heraus, auf deren Zusammenhang man bei der Nachbildung einer Tatsache in der gerade wichtigen Richtung zu achten hat. Wie kann nun der Naturforscher bei seiner Weltanalyse die Hypostasierung eines Absoluten vermeiden? Auch diese fundamentale Frage löst Mach, indem er uns lehrt, die Welt so zu ana- lysieren, wie wir sie wirklich vorfinden. Halten wir uns streng an die Erfahrung und untersuchen wir die Dinge der Außenwelt oder unseren Leib oder unsere Bewußtseinserlebnisse, so finden wir, daß sie immer aus denselben Ele- menten z. B. Farben, Drucken, Wärmen, Tönen, Gerüchen usw. zusammengesetzt sind. Nur ist die Zusammensetzung bei jedem Erlebnis ver- schieden. Die Elemente befinden sich in ver- schiedener Abhängigkeit voneinander und Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Abhängigkeit genau zu ermitteln. Diese Elemente stellen sich dar als eine Beziehung zwischen Leib, Bewußtsein und Außenwelt. Keinen dieser drei Komplexe darf man fortlassen, ohne das Bild zu zerstören. Aus rein pädagogischen Gründen — weil nämlich die meisten Menschen die gemeinten Elemente als Empfindung (Farben, Drucke, Töne, Zeiten, Räume usw.) viel geläufiger sind — be- zeichnet Mach die Elemente auch als Emp- findungen. Er scheidet jedoch seine Emp- findung, die er als Funktion auffaßt, scharf von der psychologischen Größe Empfindung. Die Mach 'sehen Elemente sind nicht „Bewußtseins"- Elemente, sondern gewissermaßen „Erlebnis"- Elemente. Man darf sie sich auch nicht als die letzten Bausteine der Welt, sondern nur als eigen- artige Relationen zwischen dem Ich als „denk- ökonomischer Einheit" und seiner Umgebung denken. Sie sind also ihrer Natur nach weder psychisch noch physisch. Das haben viele seiner Gegner nicht genügend berücksichtigt und ihn deshalb zu einem erkenntnistheoretischen Idea- listen machen wollen. Die Empfindungen als Funktionalbeziehungen sind also nach Mach die gemeinsamen Elemente aller möglichen physischen und psychischen Erlebnisse. Denn wie erhält der Naturforscher (und über- haupt jeder Mensch) z. B. Kenntnis von dem X'orhandensein eines beliebigen Naturkörpers, etwa eines Tisches? Doch nur durch Sinnes- wahrnehmungen verschiedenster Art. Gesichts-, Gehörs-, Geruchs-, Tast-, Druck- usw. Empfin- dungen sind es, die letzten Endes der Vorstellung eines Körpers zugrunde liegen, also die wirklichen Elemente des Körpers bilden. Ein Körper oder Vorgang ist nichts anderes als ein Komplex von Empfindungen (Elementen), die verschiedenen Sinnesgebieten zugehören. Man bezeichnet nun vielfach jene Grundbestand- teile, aus denen sich die Element- (Empfindungs-) Komplexe zusammensetzen, die wir „Körper" nennen, oft auch als „Eigenschaften" des Körpers. Man sagt z. B. die Eigenschaften eines Körpers seien .Ausdehnung, Härte, Elastizität usw. Diese Ausdrucksweise sollte man aber lieber ver- meiden, da sie leicht die Annahme aufkommen läßt, daß die Elemente, aus denen der Empfindungs- komplex aufgebaut ist, den wir Körper nennen, einzeln vom Körper abgelöst werden können und daß dann noch etwas bleibt. Man sollte also nie von „Eigenschaften" sondern höchstens von „Merk- malen" eines Körpers sprechen. Man kann nun nicht alle Merkmale von einem Körper weg- nehmen, und es bliebe dann noch etwas übrig. Damit fällt natürlich auch die Fiktion des „Dings an sich". Die Tatsache, daß wir die Dinge mit ihrem Namen in der Regel auch dann weiter be- zeichnen, wenn sie sich irgendwie verändert haben, ist die Grundlage für die Annahme, daß sie außer ihren unzweifelhaft sinnlich erkennbaren Eigen- schaften auch noch einen unerkennbaren beständigen Kern hätten. Alle Körper sind nur Gedankensymbole für bestimmte Zusammen- hänge von Empfindungen (Elementen). „Den dunklen Klumpen, den wir unwillkürlich hinzu- denken, suchen wir vergeblich außerhalb unseres Denkens." ^) Die Empfindungen (Elemente) sind nicht Wir- ') Siehe; Die Mecha S. 524. ik in ihrer Entwicklung, 7. Au 1) Siehe Mach, Populärwissenschaftliche Vorlesungen, 4. .■\ufl., S. 231. 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 kungen der Eigenschaften der Außenwelt, nicht die Körper erzeugen die Empfindungen, sondern aus Empfindungsgi uppen entsteht die Vorstellung der Körper. Dieselben Elemente, aus denen wir uns den Begriff einer Körper- oder Außenwelt bilden, gelsen nun auch den Stoff für die Bildung der ichvorstellung ab. Ebensowenig wie die Körperwelt ist das „Ich" eine unveränderliche scharf begrenzte Einheit. Es gibt zwischen beiden keine starre Grenze. Sie ist vielmehr recht un- bestimmt und verschiebbar. Mein Leib, der doch einen wesentlichen Teil meines Ich bildet, gehört z. B. zur Körperwelt, man denke ferner an die Stoffwechselvorgänge usw. Das Ich verändert sich aber außerdem auch als solches, es bleibt und ist sich nie gleich (Entwicklung vom Kind zum Greis; Zustände verschiedener Stimmung; pathologische Fälle usw.). Die Begriffe „Ich" und „Außenwelt" sind nur als eine praktische, nur für eine vorläufig orien- tierende Betrachtung geschaffene Einheiten anzu- sehen. Für die wissenschaftliche Arbeit sind sie unzutreffend und unzureichend. Jeder dieser Be- griffe bezeichnet nichts anderes als eine in sich stärker zusammenhängende Gruppe von Elementen, welche mit anderen Gruppen in bedeutend loserem Zusammenhange stehen. Der Unterschied zwischen Körperlichem und Geistigem ist also nicht prin- zipieller Natur, sondern nur durch die Verschie- denheit der Abhängigkeitsverhältnisse, den Unter- schied der Betrachtungsweise gegeben. Unter- suche ich die Abhängigkeit eines Teils der sog. Außenwelt von einem anderen Teil derselben, so treibe ich Phj'sik; prüfe ich seine Abhängigkeit von der Beschaffenheit meiner Sinnesorgane und meines Nervensystems, so treibe ich Physiologie; untersuche ich aber die Wirkung desselben Gegen- standes auf mich als bewußtes Wesen, so treibe ich Psychologie. Diese Betrachtungsweise enthebt uns also der metaphysischen Annahme von der Existenz einer besonderen psychischen Kraft ; denn ein mannigfaltig zusammenhängender Inhalt des Bewußtseins ist um nichts schwerer zu verstehen als der mannigfaltige Zusammenhang in der sog. Außenwelt. Die Elemente aller Vorstellungsgruppen (Außenwelt, Leib, Bewußtsein) sind also gleich- artig. Nur stehen sie bald in loserer, bald in festerer Verbindung miteinander. „Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume, Zeiten usw. sind in mannigfaltigster Weise miteinander verknüpft und an dieselben sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Aus diesem Gewebe tritt das relativ Festere und Beständigere hervor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein und drückt sich in der Sprache aus." ') Absolut beständig sind solche Körper natürlich nicht. „Mein Tisch ist bald heller, bald dunkler beleuchtet, kann wärmer und kälter sein, kann einen Tintenfleck bekommen, ein Fuß kann abbrechen, er kann repariert, poliert, Teil für Teil neu ersetzt werden, er bleibt für mich doch derselbe Tisch, an dem ich arbeite." ') Das Gleiche gilt übrigens auch für das „Ich". Mein Gesicht kann ernst oder heiter im Ausdruck sein, sowohl Gesichtsfarbe wie Haltung, aber auch meine Vorstellungen, Gefühle und Willensimpulse können sich ändern , trotzdem bleibt auch hier ein gewisser als beständig angesehener Komplex von Erscheinungen, die als Übergewicht gegen das Veränderliche und oft auch ihrer größeren Geläufigkeit wegen mich veranlassen, von meinem Ich als von etwas Konstantem zu sprechen. Was auf einmal vorgestellt wird, erhält einen Na- men, eine Bezeichnung. Was ist nun mitMach's Elementenlehre ge- wonnen. I. Sie enthebt uns der Notwendigkeit, ein Absolutes anzunehmen. 2. Mit dem Nach- weis der gleichen Elemente für das Physische und Psychische ist allem Dualismus ein für allemal der Boden entzogen. Wir haben es also mit einer echt monistischen Auffassung, einem Monismus des Geschehens, wie es W. Jerusalem einmal ausdrückt, nicht mit Begriftsmonismus, wie es z. B. der Materialismus oder Spiritualismus ist, zu tun. 3. Man braucht nicht mehr — was Mach lange Zeit als große intellektuelle Unbehaglichkeit empfand und ihn zur Durchdenkung dieser Probleme trieb — mit dem Übergang in ein anderes Forschungsgebiet die allgemeinen Grundanschauungen zu ändern. Hier ist ein Standpunkt gegeben, den man nicht zu verlassen braucht, wenn man von der Physik in die Sinnesphysiologie oder gar in die Psychologie hinüberzugehen gezwungen ist, um dort dasselbe Problem unter anderem Gesichtspunkte zu be- handeln. Es ist also eine Betrachtungsweise ge- wonnen, die sich für alle naturwissenschaftlichen Gebiete als Basis eignet ; denn schließlich behandeln Physik, Physiologie und Psychologie dieselben Gegenstände; nur die Standpunkte, von denen aus es geschieht, sind verschieden. Mach 's Auf- fassung ist also eine wirklich einheitliche, während alle anderen mit ve rsc hi ed en en Begriffssystemen arbeiten müssen, deshalb ein- und dasselbe Phä- nomen nicht einheitlich erfassen können und infolgedessen auch mißverständlichen Formulie- rungen nicht zu entgehen vormögen. Mit der Ele- mentenlehre ist endlich die Basis für eine natür- liche, von spekulativ-metaphysischen Zutaten freie Weltauffassung gefunden. In Parenthese möchten wir aber noch darauf hinweisen, daß einem Mach seine Elemente selbstverständlich nichts Fertiges, Endgültiges, sondern nur ein Vor- läufiges sind. Um die Gedankenwelt Mach 's in ihren Grund- lagen richtig zu erfassen, ist es notwendig, noch mit einigen Worten auf eine Tatsache hinzuweisen, deren Kenntnis uns den Schlüssel für das Verständnis seiner ausgesprochen antimetaphysischen 1) Analyse der Empfindungen, C. .\uli., ') Analyse der Empfindungen, 6. Aufl., S. 2. N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 343 Denkweise gibt und uns zeigt, daß diese nicht etwa nur subjektiv bedingt ist. Er faßt nämHch — und das ist auch wieder ein ebenso neuer wie fruchtbarer Gedanke für die Wissenschaft — den Flrkenntnisvorgang als einen biolo- gischen Anpassungsprozeß auf und be- zeichnet dementsprechend das Ziel der Wissen- schaft auch als eine Anpassungsarbeit und zwar als eine Anpassung unserer Gedanken an die Tatsachen (Erfalirung) und außerdem der Gedanken untereinander. Damit dehnt er die biologische Betrachtungsweise auf alles Geistige, besonders die Wissenschaft und ihre Methoden aus und führt sie in konsequenter Fortsetzung von Darwin's Gedankenwelt auch in die Psycho- logie ein. Dadurch ist es ihm gelungen die Betrach- tungen des psychischen Lebens ein für allemal der metaphysischen Spekulation zu entziehen und der psychologischen Forschung ihre exakte Grund- lage zu geben. Eine Folge seiner biologischen Auffassung des Geistigen im allgemeinen und der wissenschaft- lichen Forscherarbeit im besonderen war das von ihm aufgestellte Gesetz der Denkökonomie, durch das er die wissenschaftliche Forschung ökonomischen Gesichtspunkten unterordnete. Das Gesetz der Denkökonomie zwingt ihn nun, alles Metaphysische als müßig und unfruchtbar abzu- lehnen. Alle unkontrollierbaren Annahmen sind auszuschalten, Aufgabe der Wissenschaft ist es, eine übersieh tlich e Darstellu n g desTat- sächlichen zu geben, um dadurch „Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung und Vorbildung von Tatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind als die Er- fahrungen selbst und diese in mancher Beziehung vertreten können." ') Diese Nachbildungen können — und das spricht auch wieder für den ökono- mischen Charakter der Wissenschaft — selbstver- ständlich immer nur Abstraktionen sein. Die ökonomische Tendenz wissenschaftlicher Forschung zeigt sich auch besonders klar in der Feststellung sogenannter Naturgesetze (z. B. Lichtbrechungs- gesetz), durch die es uns möglich ist, das Geniein- same mehrerer Tatsachen ein für allemal heraus- zustellen. So ist auch die Mathematik nichts anderes als eine Ökonomie des Zählens. Mit der Feststellung des biologischen Charakters und der da- raus resultierenden ökonomischen Funktion hat Mach der Wissenschaft die fruchtbare Verbindung mit dem Leben und damit ihre natürliche Auf- gabe wiedergegeben, die eine verstiegen spekulativ- metaphysische Denkweise ihr geraubt hatte. Was Ernst Mach als Spezial forscher auf dem Gebiet der Physik, Physiologie und Psycho- logie in zahlreichen Einzeluntersuchungen geleistet hat, das auch nur hier anzudeuten ist Raum- mangels wegen ganz unmöglich. Ebenso müssen wir es uns hier leider versagen , auf die mannig- faltige Förderung einzugehen, welche die päda- gogische Wissenschaft und Praxis (besonders natür- lich der naturwissenschaftliche Unterricht) durch Mach, der sich auch als Verfasser physikalischer Lehrbücher und Erfinder instruktiver Demonstra- tionsapparate betätigte, erfahren hat. Worauf es uns hier ankam war in großen Zügen die Hauptgedanken dieses genialen Er- forschers der theoretischen Grundlagen der Natur- wissenschaften darzustellen und dabei die außer- ordentliche Bedeutung aufzuzeigen, die Mach 's Gedankenwelt dadurch für den Naturforscher und Naturphilosophen besitzt, daß sie sich nicht wieder in weitabgewandte Spekulation und unfruchtbare Metaphysik verliert, sondern endgiltig auf den Ver- . such verzichtet, ein auf ganz anderem Boden ge- wachsenes Begriffssystem in die Naturwissen- schaften zu verpflanzen, und eine naturwissenschaft- liche Methodologie und Forschungspsychologie, eine Theorie der Naturwissenschaften gibt, die auf dem Boden streng naturwissenschaftlicher Denk- weise erwachsen ist. In seinem naturphilosophi- schen Hauptwerke ^) hat er seine wissenschafts- theoretischen Grundanschauungen in geradezu klassischer Weise zur Darstellung gebracht. Man wird lange suchen müssen, um in der naturphilo- sophischen Natur ein Werk von gleicher Klarheit der Gedankenführung, Tiefe des Blicks und von einer so ungeheuren Fülle der herangezogenen Tatsachen wieder zu finden wie dieses feine Buch, das uns als die reichste und wertvollste Frucht von M a c h ' s Lebensarbeit erscheint. ') Die Mechanik 1912. S. 457. iirer Entwicklung, y. Aufl. Leipzig ') Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung. 2. Aufl. Leipzig 1906. Einzelberichte. Geologie. Gletscher im Vorrücken. Nacl jahrelangem Rücktritt der Gletscher scheinen die selben in den Zentralalpen wieder die Tendenz zum Vorrücken zu haben. Aus dem Geschäfts bericht des schweizerischen Departement des Innern ist in betreff der im Jahre 191 5 vorge nommenen Messungen der Gletscherzungen zi entnehmen : (Tabelle siehe nächste Seite.) Die im Jahre 1913 festgestellte, 1914 be stätigte Tendenz des Vorstoßes hat im Berichts- jahr 191 5 angehalten. Die vorstoßenden Gletscher nehmen auf Kosten der zurücktretenden zu, was sich aus folgenden Zahlen ergibt: Von 100 Gletschern befanden sich: im Vorstoß unverändert im Rücktritt 191.'. 33 8 59 1914 30,5 10 53.5 1915 39,5 io>5 5° 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 Beo Gl bachtcte etscher Im Vor stoß Anzahl der Gletsche Im Rü< rktri ^, Fluflgebiet Kant( Dne sicher scheinlic zweifel- :h haft un verändert sicher _ wahr- icheinli, ch zweifel- haft Rhone ( Wallis \ Waadt l - 4 2 6 2 I I Aare Bern l I 2 I l Rcuß Uri — — I 1 4 — Rhein St. Call eu — . — — — 2 — Tessin / Graubünden l \ Wallis 1915 ^usc immen 1 — — — — — — 38 5 3 ~1 4 13 'S I Verhältnis in «/o 1915 _ I3>2 7,9 18,4 10.5 34,2 13,2 2.6 Verhältnis in % 1914 — 24,5 7.3 4.9 9,8 4,9 2,4 2,4 Es ist, wie der Bericht richtig bemerkt, an der Zeit, daß nunmehr die Beobachtungen auf eine möglichst große Zahl Gletscher ausgedehnt werden. A. H. Merkwürdige Koprolithenformen Geraer Kupferschiefer. Früher konnte man den Geraer Kupferschiefer, der in aller einschlägigen Literatur eine große Rolle spielt, an mehreren Stellen erfolgreich ab- suchen. Nachdem auch der letzte Kupferschiefer- fundort in Geras Umgebung mit der pietätlosigen Zuschültung der in Fachkreisen hinlänglich be- kannten „Schiefergasse" bei Milbitz verschwunden ist, war der Kupferschiefer nirgends mehr so recht erreichbar aufgeschlossen. Als man aber bei Neu- anlage einer Straße in unmittelbarer Nähe der Schiefergasse den ganzen unteren Zechstein vom Konglomerat bis zum Knollenzechstein (die Schichten i — 6) aufschloß, konnte man nicht nur in der Hoffnung auf umfangreiche Neuaufschließung von Kupferschiefer leben, sondern die Tatsache selbst erfreute den Forscher und Naturfreund. Viel Schönes wurde gesammelt an Pflanzen und Tieren, besonders prächtige Pflanzen in bemerkens- werter Größe (Ullmannia, Voltzia, Sphenoptoris, Baiera) wurden gesammelt, die im neuen Geraer Stadt. Museum aufgehoben werden. Mich inter- essierten von allen den Resten vor allen Dingen merkwürdige Koprolithen, von denen ich erstmalig 1910 in der „Neuen Zeitschrift f. Min„ Geol. und Paläontologie" Mitteilung machen konnte. Seitdem sammelte ich weiter und konnte unter dem Riesen- material drei Gruppen von Koprolithen unter- scheiden, wie ich es im 53. — 54. Jahresbericht der Gesellsch. v. Fr. der Naturwissenschaften in Gera getan habe. Diese Koprolithen finden sich nesterweise in überreicher Menge. Das läßt leicht den Gedanken aufkommen, daßsie zusammengeschwemmt wurden, weil die sie liefernden Tiere in auch nur kaum im Verhältnis dazu stehenden Zahlen vorkommen. V.s ist aber auch ein zweiter Grund zu erwägen, nach dem die draußen im Kupferschiefermeer lebenden Erzeuger an den Strand und seine Buchten kamen, wo sie sich in gewissen Zeiten aufhielten. So würde auch gleich das sporadische Vorkommen ihrer Knochenreste im Geraer Kupferschiefer erklärt. Zur ersten Art der merkwürdigen Koprolithen gehören die Formen, die sich durch ihre Größe und durch die in ihnen erhaltenen Reste aus- zeichnen. Ich überwies dem Stadt. Museum zu Gera einen von 14 cm Länge, von dem die erste Hälfte 3 — 3,5 cm, die deutlich abgesetzte zweite Hälfte 1,2 — 2 cm dick war. Im größten Durch- einander lagen darin Bryozocnreste (Acantho- cladia anceps Gein), Molluskenreste (Strophalosia lamellosa), in gebleichten noch sehr gut erhaltenen Resten. Bei einem lag ein Zahn von Pygopterus daneben, so daß die Annahme nicht unmöglich ist, dem liefernden Tiere waren auch diese Fische Beute. Aus Kupferschieferschichten von Eisenach erkannte Geheimrat Zimmermann, daß bei einem Exemplar von Janassa bituminosa Schloth. in der Magengegend zwei Schalen von Productus lagen, die von dem Tier aufgefressen sein müssen. Das ist deshalb leicht möglich, da ja auch die ebenso festen Schalen von Strophalosia verschlungen wurden. Unter diesen Mollusken- und Br\'Ozoen- resten liegen in bunter Zerstreuung Schuppen von Palaeoniscus Freieslebeni und Acrolepis. Oft sind diese Koprolithen in Bleiglanz umgewandelt. Diese Koprolithen stammen wohl sicher von Glo- bulodus. Diese Anschauung teilt auch Pomp eck j in seiner Arbeit für die Branca-Festschrift mit mir. (S. 494)- Nicht so groß sind die Koprolithen der zweiten Art, in denen sich vorzugsweise Fisch- schuppen in großer Menge und guter Erhaltung finden. Als größte Länge beobachtete ich bis jetzt 3 cm. Am häufigsten trifft man sie als Bruchstücke an. Die Bruchfläche ist scharfkantig, uneben, von einheitlicher graugrüner Farbe. An Häufigkeit stehen sie der ersten .Art nach. Ihre Lieferanten waren die Raubfische des Kupfer- schiefermeeres wie Pygopterus Humboldti, Acro- lepis asper, von denen häufiger Zahn- und Schuppen- reste im Geraer Kupferschiefer eingeschlossen sich zeigen. Die dritte Koprolithenart ist die kleinste von höchstens 2 cm Durchmesser, die gar keine er- kennbaren organischen Reste einschließt, grau- grüner Farbe ist und vermutlich den Palaeoniscus Freieslebeni Bl. zum Lieferanten hat. Es mag auch vorgekommen sein, daß aus den Koprolithen wieder, besonders Bryozocnreste aus- geschwemmt und später wieder eingelagert wurden, denn es fallen sehr verwitterte, vielleicht schon N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 345 erheblich in den Gedärmen der Tiere verdaute, Bryozoen auf, die sich im sonstigen Geraer Kupfer- schiefer gerade prachtvoll erhalten bewahrt haben. Nicht weit von dieser interessanten Stelle Geraer Kupferschiefers fand sich in der gleichen Schicht der erste Nautiliden-Unterkiefer im ganzen Paläozoikum, den Joh. Böhm dem Temnocheilus Frcieslebeni Gein. sp. in seiner Arbeit im Zentral- blatt f. Min., Geol. und Pal.: „Temnocheilus (Conchorhynchus) Freieslebeni Geinitz sp." zuteilt. Rudolf Hundt. Zoologie. Die Steuerung des Insektenfluges. Daß bei den mechanischen Verrichtungen der Organismen vielfach Maschinenelemente ohne Ver- mittlung von Nerven und Muskeln funktionieren ist schon seit längerer Zeit bekannt. Dagegen hatte Fr. Stellwaag bei seiner Analyse des Flug- apparates der Biene (Zeitschrift für wissenschaft- liche Zoologie Bd. XCV 1910) zum ersten Male nachgewiesen, daß es im Organismenreich auch komplizierte Maschinenanlagen gibt, bei welchen die gleichmäßig hin und hergehende Bewegung eines Motors mittels zahlreicher, nur mechanisch miteinander verbundener Maschinenelemente in die bestimmten Zwecken entsprechenden Be- wegungsformen umgewandelt wird. Nach Stell- waag stehen nämlich die mächtig entwickelten Flugmuskeln der Bienen mit den Flügeln in keiner direkten Verbindung. Sie inserieren vielmehr nur am Rücken- und Bauchschild des Thorax und versetzen durch ihre Kontraktion den Rückenschild in Schwingungen. Diese schnellen, auf und nieder- gehenden Bewegungen des Rückenschildes ent- sprechen aber vollständig dem Kolbenspiel eines aufrecht stehenden Motors. Sie werden durch eine Zapfenverbindung von Rückenschild und Flügelwurzel auf die Flügel übertragen und durch verschiedene F'ührungen und Gelenke der komplizierten Flügelwurzel in die zweckmäßigen Drehbewegungen des Flügels ohne Vermitt- lung von Nerven und Muskeln umgesetzt. Wir haben daher in dem Flugapparate der Biene — und nach einer weiteren Arbeit von Stell- waag wahrscheinlich der meisten Insekten — in der Tat eine eigentliche Maschine vor uns. (Fr. Stellwaag, Der Flugapparat der Lamelli- cornier. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Band CVIII, 1914.) Diese eingehenden, hoch- interessanten Untersuchungen waren nur auf die Analyse des Flugmechanismus gerichtet. Bei jeder der Fortbewegung dienenden Maschine muß nun aber auch eine Steuerung vor- handen sein, durch welche die Richtung der Bewegung willkürlich besdmmt werden kann. Sie bildet den Gegenstand einer neuen Untersuchung Stellwaag' s. (Fr. Stellwaag, Wie steuern die Insekten im Flug? Biologisches Zentralblatt 1914.) Es handelte sich bei ihr zunächst darum, festzustellen, welche Art von Steuerung bei den Insekten über- haupt anzunehen ist. Das Prinzip der Steuerung kann verschieden sein. Nach Stellwaag: hat man vor allem Gewichts- und Drucksteuerung zu unterscheiden. V/ie kommen beide zustande? Ein in Luft oder Wasser sich frei bewegender Körper muß den Reibungs- und Trägheitswider- stand des Mediums überwinden. Dieser setzt sich aus den zahllosen einzelnen Widerständen zu- sammen, die an allen Punkten der Oberfläche des bewegten Körpers angreifen. Wie man sich nun das Gewicht eines Körpers in einem bestimmten Punkte, dem Schwerpunkte vereinigt denkt, so kann man auch bei einem Körper, der sich in der Luft fortbewegt, und daher auf allen Seiten dem Luft- widerstande ausgesetzt ist, lür diesen Widerstand einen Druckmittelpunkt annehmen. Es ist der Punkt, von dem ausgerechnet rechts und links, oben und unten, vorn und hinten die Summe der Widerstandsmomente gleich ist. Ein solcher Druckmittelpunkt ändert seine Lage, wenn auf einer Seite etwa der Reibungswiderstand durch Vergröße- rung der Oberfläche vermehrt wird, genau so, wie der Schwerpunkt seine Lage ändert, wenn man die Massen einseitig verlagert. Das Prinzip des Gewichts- und Drucksteuers versteht man nun leicht, wenn man festhält, daß ein bewegter Körper die einmal eingeschlagene Richtung nur so lange einhalten kann, als Schwerpunkt und Druckmittelpunkt einer in der Bewegungsrichtung liegenden Linie ange- hören. Eine Steuerung muß dann zustande kommen, d. h. die Richtung muß geändert werden, wenn entweder der Schwerpunkt (bei Gewichtssteuer) oder der Druckmittelpunkt (bei Drucksteuer) ver- schoben wird. Das erste geschieht bei manchen Luftschiffen. Man wendet dazu Laufgewichte an. Das zweite findet bei dem gewöhnlichen Steuer der Schiffe statt. Letzteres wirkt um so stärker und um so schneller, je größer die Geschwindig- keit des bewegten Körpers ist, da mit ihr der Reibungs- und Trägheitswiderstand des Mediums und damit auch die drehende Kraft wächst. Nach Joussetde Bellesme, auf den unsere bisherigen Kenntnisse der Steuerfähigkeit der In- sekten zurückgehen, erfolgt bei diesen die Steuerung durch Verlagerung des Schwerpunktes. Es sollen die meisten Insekten Kopf und Thorax, die Haut- flügler den gestielten, sehr beweglichen Hinterleib, die Geradflügler die Hinterbeine nach der Seite drehen, nach welcher sie fliegen wollen. Nur bei den Fliegen und Käfern seien besondere Or- gane für die Schwerpunktsverlagerung vorhanden, bei den Fliegen in den Schwingkölbchen, bei den Käfern in den Flügeldecken, die während des Fluges über den Thorax gehoben, so über dem Schwerpunkte stehen, daß schon kleine Schwankungen geeignet seien, seine Lage zu be- einflussen. I3ei einer kleinen Anzahl von Insekten wie Aeschna und Schmetterlingen nahm Jousset de Bellesme ein gleich zu besprechendes weiteres Steuerungsprinzip an, bei welchem Bewegungs- und Richtungsfunktion zusammenfallen. Die Auffassung von Jousset de Bellesme teilen Plateau, Bert und andere Autoren. Eine entgegengesetzte Meinung vertritt jedoch neuer- 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 dings Am ans. Nach ihm wirkt die verschiedene Stellung des Hinterleibes der Insekten nicht wie ein Gewichtssteuer, sondern wie ein Drucksteuer. Da beide Auffassungen gegenüber unseren gegenwärtigen Kenntnissen der morphologischen Verhältnisse nicht mehr standhalten, unterzog Stellwaag das ganze Problem des Steuerungs- vermögens der Insekten einer erneuten und gründlichen Prüfung, die ihn zu sehr ineressanten neuen Resultaten führte. Schon früher hatte er in seiner Abhandlung über den Flugapparat der Lamellicornier nach- gewiesen, daß den Flügeldecken die ihnen von Jousset de Bellesme zugeschriebene Rolle keineswegs zukommt. Sie wirken nicht als Ge- wichtssteuer, sondern als Stabilisierungsflächen. Auch die Schwingkölbchen der Fliegen können nicht als Gewichtssteuer funktionieren, da sie dazu von viel zu geringem Gewichte sind und nach Messungen von Stellwaag der Schwer- punkt bei den meisten Arten außerdem hinter der Wurzel der Schwingkölbchen liegt. Bei ihnen ist aber auch die Annahme ausgeschlossen, daß sie Drucksteuer sind, da sie gerade bei den besten Fliegern von der Squamula thoracaii über- deckt werden und keinen Reibungswiderstand ver- ursachen können. Durch seine neue Untersuchung stellte St eil - waag zunächst bei den Libellen, deren Flug- bewegungen bei trübem Wetter ziemlich matt sind und sich dann direkt verfolgen lassen, fest, daß bei ihnen auch bei plötzlichen Wendungen von keiner Änderung der Lage ihres Hinterleibes die Rede sein kann. Aber auch bei anderen In- sekten, die zum Teil in außerordentlich geschickter Weise nach allen Richtungen des Raumes steuern, läßt sich nichts von den von Bellesme und Amans angenommenen Steuerbewegungen des Hinterleibes und der Hinterbeine der Insekten bemerken. Doch war hier die einfache Beob- achtung durch die Schnelligkeit der Bewegungen so erschwert, daß sich sichere Resultate durch sie nicht erlangen ließen. Stellwaag suchte daher die Bewegungen im Bild zu fixieren. Er ließ den Schatten fliegender Insekten auf licht- empfindliches Papier fallen, das mittels eines von der F"irma Stegemann hergestellten Schlitzver- schlusses durch parallele Lichtstrahlen belichtet wurde. Bei diesem Verfahren erhielt er Schatten- bilder der fliegenden Insekten mit scharfen Kon- turen. In keinem Falle konnte eine Lagever- änderung des Abdomens festgestellt werden. Nach Stellwaag erfolgt die Steuerung der Insekten tatsächlich in ganz anderer Weise als Bellesme und Amans voraussetzten, nämlich durch die Flügel. Sie gleicht der eines Boots- führers, der das Steuerruder fest gebunden hat und nur durch die Bewegung der Schlagruder die Richtung des Bootes bestimmt. Die Schlag- ruder üben hier einen nach vorn gerichteten Druck aus, der an beiden Seiten des Bootes an der Auflagestelle des Schlagruders angreift und das Boot vorwärts schiebt. Sind die Kräftemomente auf beiden Seiten gleich, so verharrt das Boot in der eingeschlagenen Richtung, sind sie auf einer Seite größer als auf der anderen, so dreht sich das Boot um seinen Schwerpunkt. Um auf diese Weise mit den beiden Schlagrudern zu steuern, muß sie der Bootsführer in verschiedener Weise gebrauchen. Sollen bei den Insekten die Flügel den Schlagrudern entsprechen, so müssen auch sie bei der Steuerung rechts und links ver- schiedene Bewegungen ausführen können. Durch Marey war festgestellt worden, daß die Bewegungen der Flügel vollkommen synchron vor sich gehen, daß also die Zahl der Flügelschläge auf beiden Seiten gleich ist; und diesen Befund hatte die morphologische und physiologische Untersuchung des Bienenfluges durch Stellwaag voll bestätigt. Die Flügel können daher nur dann als Steuer funktionieren, wenn sich ihre Bewegung in anderer Weise variieren läßt, wenn also die Flügel bei ihrer Bewegung etwa eine verschiedene Stellung einnehmen und einen verschiedenen Aus- schlag haben können. Das war von Stellwaag nachzuweisen. Vorher vergewisserte er sich aber durch einen siimreichen Versuch, daß tatsächlich nur den Flügeln die Steuerung obliegt. Die Schwingkölbchen der Fliegen sind, wie gesagt, ihrer ganzen histologischen Struktur nach als Gleichgewichtssinnesorgane zu betrachten. Sie haben die Aufgabe, die lokomotorischen Erfolgs- organe so zu beeinflussen, daß aus deren regula- torischen Bewegungen eine bestimmte Körperlage resultiert. Die Fliege muß daher bei einer künst- lichen Lageveränderung mit solchen Körperteilen reagieren, die bei der Richtungsänderung eine ausschlaggebende Rolle spielen. Stellwaag faßte nun Vertreter von Dipterenarten, die als besonders gute Flieger gelten, mit einer feinen Zange bei der Brust, bzw. am Hinterleibe und brachte sie in verschiedene Stellungen, so daß sie bald auf der Seite, bald auf dem Rücken, bald in schräger Stellung lagen. Die Organe, welche gegen die unnatürliche Stellung reagierten, waren die Flügel. Der Hinterleib blieb unbeweglich in der Längsachse des Tieres liegen und auch die Beinbewegungen konnten nicht als Kompensations- bewegungen gegen die veränderte Gleichgewichts- lage aufgefaßt werden. Durch weitere Experi- mente, bei welchen das Versuchstier so befestigt war, daß es sich nicht fortbewegen, aber um seine Achse drehen konnte, — St. durchstach die Brust mit einer feinen Nadel — stellte Stell- waag fest, daß die betrachtete Flügelbewegung in der Tat eine Reaktion ist, welche die Gleich- gewichtsstörungen zu kompensieren vermag. Vari- ierte er die Lage des Körpers wie vorher, so rotierte das Tier bald im Sinne des Uhrzeigers, bald im um- gekehrten Sinne um seine Achse, je nachdem es nach der linken oder rechten Seite aus der Gleich- gewichtslage gebracht war. Versuche, die mit Wespen, Bienen, Hummeln, Schwärmern und mit Libellen angestellt wurden, hatten den gleichen N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 347 Erfolg. Sie beweisen zunächst, daß die Insekten eine gestörte Gleichgewichtslage durch aktive Bewegungen wieder herstellen; aber da dies hier mittels der Flügel geschieht, beweisen sie zugleich, daß die Flügel die Steuerorgane sind. Bei einer genaueren Betrachtung der Flügel- bewegung während der Richtungsänderung ließ sich nun auch feststellen, wie die Flügelsteuerung zustande kommt. Wenn Stel Iwaag das mit der Gabel gefaßte Tier leicht nach verschiedenen Seiten des Raumes neigte, änderten sich die Ebenen, in denen die beiden Flügel schwingen, unabhängig voneinander. Die Abweichungen der beiden Schwingungsebenen ließen sich am besten von der Seite wahrnehmen. Um sie auch in der Vorderansicht deutlich zu machen, brauchte man die Flügel nur nach der Angabe Marey's zu vergolden und in bestimmter Richtung einen Lichtstrahl auf sie fallen zu lassen. Dabei erschien häufig der eine Flügel dunkel, während der andere die Strahlen 'zum Beschauer hin reflektierte. In manchen Fällen änderte das Versuchstier aber nicht nur die Schwingungsebene, sondern auch den Ausschlag der Flügel so, daß die Schwingungsebenen und Ausschläge auf beiden Seiten des Körpers verschieden waren. Die Ex- perimente mit Dipteren und Sphinx pinastri L. ergaben sogar, daß der Ausschlag des einen Flügels sich bisweilen so weit verringert, daß er völlig stillsteht, während der andere weiter schwingt. In einer theoretischen Auseinandersetzung, auf die wir hier nicht näher eingehen können, zeigt Stellwaag noch, wie durch Kombination der verschiedenen Schwingungsebenen und des ver- schiedenen Ausschlags der Flügel die überraschend- sten Richtungsänderungen ermöglicht werden und das Insekt ganz unvermittelt aus einer Richtung in die andere übergehen kann. Tatsächlich werden während des Fluges Abschnitte von Kreisbogen beschrieben, bei deren Ausführung der Kopf in der Richtung der Bewegung vorangeht, dann schwenkt sich aber auch das Tier bisweilen seit- lich aus der eingeschlagenen Richtung, ohne die Stellung des Körpers zum Raum zu verändern. Solche Steuerbewegungen, die weder bei einem Druck- noch bei einem Gewichtssteuer möglich sein würden, hat Stellwaag bei zahlreichen Dipteren, Hymenopteren und Nachtfaltern beob- achtet. Bei den Käfern ist die Steuerung nach der Seite erschwert, da sich die Deckflügel dem Luftstrom in den Weg stellen. Die Vergleichung der Steuerfähigkeit der ver- schiedenen Insekten ergibt, daß Flugfertigkeit und Steuerfähigkeit, nicht aber Flugfertigkeit und Körperform, wie es nach B e 1 1 e s m e und .\ m a n s sein müßte, eng miteinander verknüpft sind. Je höher der Grad des Flugvermögens ist, desto besser vermag das Tier auch zu steuern. Für die anatomische und physiologische Ana- lyse des Flugapparates hat die neugewonnene Erkenntnis einen heuristischen Wert. Es müssen sowohl bestimmte Elemente der Flügelachsel, wie einzelne Muskeln in den Dienst der Steuerung ge- stellt sein. Die weitere Untersuchung hat nun festzustellen, welche Elemente das sind, und ob es sich bei den Muskeln um direkte oder in- direkte Muskeln handelt. Kranichfeld. Biologie. Zur Frage nach dem Ursprung der sog. „Sternschnuppen-Gallerte". — In der Naturw. Wochenschr. XXIV. (1909) S. 160 habe ich aus Anlaß einer Anfrage die Literatur über die „Stern- schnuppen-Gallerte" zusammengestellt. Letzthin stieß ich nun zufällig auf eine vor kurzem er- schienene Arbeit, die sich mit derselben Frage beschäftigt, einer Frage, an deren Lösung Astro- nomen, Botaniker und Zoologen mitgewirkt haben. Es besteht, wie F. Cohn (Über Sternschnuppen- Gallerte, in Abhandl. Schles. Gesellsch. für Vater- land. Kultur 1868/69, S. 130) auseinandersetzt, fast in allen Ländern Europas und Nordamerikas der Glaube, daß Sternschnuppen bei ihrem Fallen auf der Erde eine farblose Gallerte, flüssigem Eiweiß oder Stärkekleister vergleichbar, zurücklassen; diese Gallerte soll bald einen tellergroßen zähen Klumpen bilden, bald flüssiger und schleimiger sein und sich an allen Gegenständen festhaften. Die älteren Nachrichten über solche Gallerte hat der bekannte Astronom Galle in Breslau zusammen- gestellt (Über den gegenwärtigen Stand der Unter- suchungen über die gelatinösen sog. Sternschnuppen- Substanzen; in Abh. Schles. Gesellsch. für vaterl. Kultur 1868/69, S. 69—90). F. Cohn hat ver- schiedene ihm unter der Bezeichnung „Stern- schnuppen-Gallerte" übergebene Substanzen unter- sucht und nachgewiesen, daß sie tierischen Ur- sprungs sind, nämlich aufgequollene Eileiter (oviductus) von Fröschen. Wie Galle ausein- andergesetzt hat, geht die Meinung, daß die frag- lichen Stoffe von toten Fröschen stammen, weit zurück, nämlich bis auf eine Notiz des englischen Naturhistorikers Merret in seinem 1667 erschie- nenen Pinax rerum britannicarum p. 219, wo es heißt: „Draco, Stella cadens, est substantia quae- dam alba et glutinosa, plurimis in locis conspicua, quam nostrates Star faln nuncupant, creduntque multi, originem suam debere stellae cadenti hujus- que materiam esse, sed Reginae Societati palam ostendi, solummodo oriri ex intestinis ranarum a corvis in unum locum congestis, quod alii ejus- dem societatis viri praestantissimi confirmarunt." Ferner sagt der Astronom Benzenberg (1839) in verschiedenen Publikationen nach Galle fol- gendes: „Trciiiclla mcfcorica , Wetterglitt, Lever- see, Sternschnuppe sind verschiedene Namen desselben Dinges, welches einige Gelehrten für eine Pflanze, andere für eine ausgebrannte Stern- schnuppe hielten. Mehrere Exemplare, die ich an der Leine fand, zeigten, daß es weder Sternschnuppe noch Pflanze ist. Eins, welches ich einige Tage vorher Lichtenberg geschickt hatte, enthielt neben der gallertigen Masse noch einen unverdauten Froschkopf und zweitens ein PVoschbein, an dem 348 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 die Zehe und das grüne Oberhäutchen zu sehen war." Später hat von Zoologen besonders von Baer sich mit solchen Gebilden abgegeben (Die Schleim- und Gallertmassen, die man für Meteor- falle angesehen hat, sind weder kosmischen noch atmosphärischen, sondern tellurischen Ursprungs, in Bull. Soc. natural. Moscou XXXVIII. 2, 1865, S. 314 — 330); er hat zuerst betont, daß es sich um aufgequollene Froscheileiter handelt, und die Vermutung geäußert, daß Vögel das Herauspräpa- rieren der Eileiter besorgen und die unverdauliche gallertige Masse, die, nachdem der Frosch verzehrt ist, im Magen aufgequollen ist, ausspeien und so verbreiten. Nach C o h n sind solche Massen be- reits zweimal für pflanzliche Gebilde gehalten worden. Denn sehr wahrscheinlich gehört hierher die von A. Meyen (in Linnaea II. (1827) 433) aufgefundene und unter dem Namen Acfuio- mycc Horkclii beschriebene Gallert (in flachem Wasser auf schön bewachsenem Rasen bei Köln Nov. 1826 gefundene bläulich milchweiße Gallert, auf einem i Zoll langen Stück Fett mit Häuten, die er für das Überbleibsel eines von einem Raub- tier verschlungenen Vogels hielt). Meyen hielt das Objekt für eine neue Gattung der Pilze (Strahlenpilz), die er mit Aclilya in eine neue Familie lIydrotranclli)iac brachte; die darin gefundenen Pilzfäden sind aber nach Cohn offen- bar erst nachträglich hineingekommen. Ferner hat Ehrenberg in den Schriften der Berliner Akademie 1835 eine von ihm in fließendem Wasser aus einem toten Frosch herausgewachsene Gallert, die zahreiche verästelte Gliederfäden einschloß, für eine Alge gehalten und sie Tremclla victcorica alba pstiidoiiietcorica genannt; auch auf einer be- nachbarten Wiese im Trockenen, hier aber mit kürzeren Gliedern als im Wasser, sah er die Gallert entwickelt, deren Unterlage oft, aber nicht immer tote Frösche waren. Beide Gebilde, sowohl die von Ehrenberg wie die von Meyen beschrie- bene Gallert, sind aber nach Cohn nichts weiter als aufgequollene und von Pilzfäden durchwachsene Froscheileiter. Daß die sog. Sternschnuppengallert immer nur im Herbst und im Winter gefunden worden ist, scheint daher zu rühren, daß die Froscheileiter nur vor der Laichzeit außerordent- lich quellbar sind. — Nun hat R. H. Stamm (Om danneisen af de saakaldte Sternschnuppen ; Videnskabelige Meddelels. fra Dansk Naturhist. Forening Kjoebenhavn 66. Bd. (191 5) S. 237) Ende Februar 1914 bei Silkeborg in Jütland an dem ausgetrockneten Bölling-See große Mengen sog. Sternschnuppengallert gefunden; es sind schleimige formlose Massen von etwa 6 — 7 cm Durchmesser, von der Konsistenz eines halbstarren Eiweiß, von klarer oder weißlicher Farbe; ein gelegentlich vor- kommender gelblicher Ton soll von dem ocker- reichen Boden herrühren. Nach ihm handelt es sich zweifellos um die von Schleim umgebenen Eileiter der F"rösche, die in solchen Massen bei- sammenliegen, daß man sie stiegweise findet. Durch Einwirkung des Wetters sind die Gebilde etwas verändert; sie erinnerten bisweilen an schlei- mige Pilzmassen wie TrcincUa. Andere Reste von Fröschen wurden dabei nicht gefunden. Die Abbildungen zeigen deutlich die darmähnlichen Windungen der Eileiter. Das Tier, das die Frösche verzehrt hat, mußte sie offenbar ganz verzehrt haben, bis auf die ziemlich ansehnlichen Eileiter. Die Frage nun, welches Tier dabei in Betracht kommt, konnte Stamm nicht mit Sicherheit lösen. Frühere Beobachter haben besonders an Vögel gedacht; diese Möglichkeit verwirft der Verf, da größere Vögel gerade in der Gegend zur Winters- zeit nicht vorkommen sollen, auch Krähen nicht. Es müssen schon Säugetiere die Frösche verzehrt haben, und wahrscheinlich sind es Fischottern ge- wesen, obgleich etwas bestimmtes sich nicht er- mitteln ließ; übrigens sollen die Jäger in Jütland die Schleimmassen in Verbindung bringen mit den Ottern, da sie sie geradezu als deren Exkre- mente bezeichnen. Nach Stamm hat Wesen- berg-Lund auch auf Nord-Seeland solche Gallert- massen gerade im Februar und März beobachtet. Aus vorstehendem geht hervor, daß über die Art und Weise, wie diese Froschgallert auf die P'elder gelangt, immer noch Unklarheit herrscht. Viel- leicht kann uns aber ein Zoologe aus dem Leser- kreise darüber seine Erfahrungen mitteilen. — Cohn hat früher hervorgehoben , daß ihm kein P'all bekannt sei dafür, daß einem mit dem Mikro- skop vertrauten Botaniker jemals schleimige Ge- bilde aus dem Pflanzenreich wie Nostoc, Collcma, PaliiicUa oder Tremclla wirklich unter dem Titel einer Sternschnuppengallert zur Untersuchung ge- bracht worden seien. Es wäre aber immerhin doch wohl möglich, daß gelegentlich auch solche pflanzlichen Stofi'e so bezeichnet werden, wie ich schon früher gesagt habe. Bei Frank-Leunis (Synops. III. (1886) 221) heißt es ausdrücklich, daß A^osfoc coliiuiiiiic von den Landleuten Stern- schnuppen genannt werde. - — Von Botanikern hat aus neuerer Zeit R. Kolkwitz (in Krypto- gamenflora d. Mark Brandenburg V. i. (1909) 31) ,,stärkekleisterartige etwa faustgroße Klumpen am 5. Dezember 1906 am Ufer des Fließgrabens bei Blankenburg unweit Berlin" beobachtet; die ver- hältnismäßig wenigen darin enthaltenen Bakterien schienen ihm sekundär eingedrungen zu sein. Er hielt diese Gallerte für solche von Fröschen. H. Harms. N. F. XV. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 349 Büclierbesprechungen. Brehm's Tierleben. 4. vollständig neubeatbeitete Auflage, herausgegeben von l'rof. Dr. O. zur Strassen. 2. Band: Die Vielfüßler, Insekten und Spinnenkerfe. Neubearbeitet von R. Hey- mons unter Mitarbeit von H. Heymons. Mit zahlreichen Abbildungen und Tafeln. — Geb. 14 M. 3. Band: Die Fische. Unter Mitarbeit von V. Franz neubearbeitet von O. Steche. Mit zahlreichen Abbildungen und Tafeln. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut. Neulich stand irgendwo in einer Auseinander- setzung über volkstümliche Literatur zu lesen, daß man den „Anekdotenerzähler" Brehm nicht mit Kern er vergleichen dürfe, trotz der ähnlichen Titel ihrer Werke. Zwar nimmt der betreffende Richter den neuen Brehm ausdrücklich aus, aber selbst mit dieser Einschränkung scheint mir dieses Urteil nicht berechtigt zu sein. Es liegt in der Natur des Stoffes, daß die erzählende Weise in einer volkstümlichen Darstellung des Tierreiches sich viel mehr von selbst ergibt, als auf irgend- einem anderen Gebiete. Ohne genötigt zu sein, allzu tief auf Feinheiten und Einzelheiten der inneren Gestaltung und Wirkungsweise des Tier- körpers einzugehen, erweckt hier der Schrift- steller ganz ungezwungen die Teilnahme des großen Leserkeises, wenn er mit offenem Sinn für die Lebewelt und genauer Kenntnis ihrer mannig- faltigen Erscheinungen die Gabe des Erzählers vereinigt. Von Tieren läßt sich besser erzählen als von I^flanzen, die dem Unkundigen immer nur durch künstliche Mittel nahe gebracht werden können. Das Tier, wenigstens das höhere, steht ihm näher. Deshalb gewinnt auch jede Dar- stellung seiner Lebensweise leicht den Anstrich einer Vermenschlichung und damit eine novelli- stische Färbung, die gewiß oft in unzulässiger Weise gesteigert worden ist, im Grunde aber nur in der Natur der Sache liegt. Der älteren Gene- ration ohne Unterschied des Alters und Bildungs- grades ist der alte Brehm gerade durch diese mit den vielen Bildern wirksam zusammenarbeitende Erzählerkunst zu einem wahrhaft volkstümlichen Geschichten- und Bilderbuch im besten Sinne ge- worden, trotz mancher Unzulänglichkeiten. Es ist erfreulich, daß diesen Grundzug auch der neue Brehm beibehalten hat, wenn auch in großen Teilen der alte nur als eine Hefe fortwirkt, die den gewaltigen neuen Stoff durchdringt. Ge- läutert und auf den gegenwärtigen Stand der Kenntnisse gebracht, bereichert um zahlreiche künstlerische und treffende Bilder erweckt er die gleiche Teilnahme und das gleiche Vergnügen wie früher. Damit ist nicht gesagt, daß die Brehm' sehe die einzig mögliche Art der Darstellung des Tier- lebens ist. Eine vorzügliche Ergänzung wäre z. B. „Tierbau und Tierleben" von Hesse und Dof- lein, in dem uns das tierische Leben als Ge- samtbild seiner Äußerungen entgegentritt, während es im Brehm in der ganzen bunten Mannigfaltig- keit seiner Einzelformen an uns vorüberzieht. Im Hinblick auf dies Ziel ist es durchaus kein Mangel, daß auf anatomische und physiologische Einzel- heiten verzichtet wird. Die beiden Bände, die wir hiermit anzeigen, besitzen die Vorzüge der vorangegangenen, die in diesen Blättern schon des öfteren hervorgehoben worden sind. Steche, bei den Plattfischen und Dorschen von F" ranz unterstützt, hat mit großem Geschick das trotz der verhältnismäßig geringen Artenzahl doch recht umfangreiche Material der Fische in einem Bande, dem dritten, vereinigt, der noch dazu die Manteltiere, Salpen, Meerscheiden usw. enthält. Die Fische unserer Binnengewässer sind sogar vollzählig, die unserer i\Ieere zum größten Teile vertreten. Auch für die besondere Berück- sichtigung unserer Kolonien wurde Raum geschafft. Die große wirtschaftliche Bedeutung der Fische und die verbreitete Liebhaberei für Aquarien wird gerade diesem Bande ein großes Interesse sichern. Dasselbe ist auch dem zweiten Bande sicher, in welchem Heymons die Vielfüßler, Insekten und Spinnenkerfe behandelt. Bei der fast uferlosen Formenmannigfaltigkeit war hier Beschränkung doppelt geboten. Gleichwohl wird man kaum wichtiges vermissen. Vorzüglich ist in beiden Bänden wiederum der — fast hätte ich das beliebte buchhändlerische Schlag- wort „Bilderschmuck" gebraucht, das eigentlich in naturwissenschaftlichen Werken ein Unsinn ist, zumal beim Brehm, in dem Wort und Bild eng zusammengehören. Miehe. Das Pflanzenreich. 64. Heft (IV. 23 De.) Ara- ceae — Philodendroideae — Anubiadeae , Dieffen- bachieae, Zantedeschieae, Typhonodoreae, Pelt- andreae mit 340 Bildern von .A.. Engler. 4M. 65. Heft (IV. 147. VIII) Euphorbiaceae^Phyllan- thoideae — Bridelieae mit 84 Bildern von E. Ja- blonszky. 5 M. Leipzig 1915, W. Engelmann. In dem ersten der inzwischen herausgegebenen Hefte, das sich an das 48. anschließt, setzt Engler die Familie der Araceen fort, die ihm ganz be- sonders vertraut ist. Das andere bringt die P'ort- Setzung der Euphorbiaceen. M. Lindau, Prof. Dr. G., Die .Algen. 2. Abteilung. (Kryptogamenflora für Anfänger. Bd. IV, 2.) Mit 437 F'g- im Text. Berlin 1914, J. Springer. — Geb. 7,40 M. Die zweite Abteilung dieses für den Anfänger berechneten Buches, dessen erste Abteilung wir früher besprachen, umfaßt die Conjugatae und Chlorophyceae sowie die Charophyta, bringt also die Land- und Süßwasseralgenflora zum Abschluß. In einem dritten Bändchen sollen dann die fast ganz auf das Meer beschränkten Braun- und Rot- algen behandelt werden. 3SO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 Im allgemeinen Teil wird eine zusammen- fassende Charakterisierung der Klassen und Ord- nungen mit besonderer Berücksichtigung der Ent- wicklungsgeschichte gegeben, soweit sie für die Bestimmung der Algen notwendig ist. Dann folgt eine Übersicht über die Klassen, die z. T. eine Wiederholung des entsprechenden Teiles des frühe- ren ersten Bändchens ist, und darauf die Tabellen der Ordnungen samt denen ihrer Familien. Der Hauptteil ist der systematische Teil, der in der üblichen Weise auf die Einzelbeschreibungen der Arten führt.' Klare einfache Zeichnungen unter- stützen in reicher Anzahl die Bestimmungstabellen und erhöhen die Brauchbarkeit des handlichen und für die gewöhnlichen Zwecke des Kr)-ptogamen- freundes und -Sammlers gut geeigneten Buches. Den Preis kann man nicht gerade billig nennen. Miehe. Synopsis der mitteleuropäischen Flora von P. Ascherson und P. Graebner. 83. — 90. Lieferung. Leipzig und Berlin 1914, W. Engel- mann. Der V. Band dieses bekannten großen Werkes, das nach dem Tode Ascherson's jetzt von P. Graebner fortgesetzt wird, ist inzwischen bis zum Bogen 24 gediehen. Die betreffenden Hefte enthalten den Schluß der Chenopodiaceen, die Amarantaceen , innerhalb welcher Familie das Genus Amarantus selbst von T h e 1 1 u n g bearbeitet wurde, die Nyctaginaceen, Thelygonaceen, Phyto- laccaceen, Aizoaceen, Portulacaceen, Basellacecn und den Anfang der Caryophyllaceen. Etwa gleich weit ist der VII. Band vorgerückt, seine letzten Lieferungen bringen die Geraniaceen, Oxalidaceen, Tropaeolaceen, Linaceen, Zygophyllaceen, Cneora- ceen, Rutaceen, Simarubaceen, Meliaceen, Treman- draceen, Polygalaceen und von den Euphorbiaceen die Ph)llantheae. Ziel und Bedeutung sind aus früheren Besprechungen so bekannt, daß hier nur auf den Fortgang des Werkes hingewiesen werde. Miehe. Die natürlichen Pflanzenfamilien usw. Ergän- zungsheft III. Lieferung i — 4 bearbeitet von Dr. R. Pilger und Dr. K. Krause. Leipzig und Berlin 1915, W. Engelmann. — Jedes Heft Einzelpreis 6 M. Mit diesen Lieferungen ist das Ergänzungsheft III der „Natürlichen Pflanzenfamilien" beendet und damit das große, bedeutende Werk vollkommen abgeschlossen. Es stellt in seiner Gesamtheit eine aus 22 Bänden bestehende systematisch-botanische Bibliothek dar, in welcher alles auf die Merkmale, die systematische Stellung, die Verbreitung und Verwertung der Pflanzen unserer Erde bezügliche gefunden wird. M. Goebel, Prof Dr. K., O rgan ogr aph ie der Pflanzen. 2. umgearbeitete Auflage. II. Teil: Spezielle Organographie. i. Heft: Bryophyten. Mit 438 Textabbildungen. Jena 1915, G. Fischer. 12,50 M. Von G o e b e 1 's Buch gilt in eigentlichem Sinne, daß es in keiner botanischen Bibliothek fehlen solle, wie es ja auch tatsächlich kaum in einer fehlt. Es gibt trotz des bewußten Verzichtes auf jede Zusammentragung, der alles und jedes zu sammeln, das höchste Ziel ist, wegen des Reichtums der eigenen Beobachtungen und Erfahrungen die wich- tigste Quelle, die uns in der pflanzlichen Morpho- logie fließt. Man findet nicht viele Bücher von dem Umfange des Goebel'schen, die so eng mit dem Autor verwachsen sind, ein so starkes persön- liches Gepräge tragen. Mit der Sicherheit eines Herrschers, der seinen Titel aus einer umfassenden, ins einzelne wie ins allgemeine dringenden Forscher- tätigkeit herleitet, wird das Gesamtgebiet der Pflanzengestalten geschildert, die Organographie, wie Goebel diesen Zweig der Pflanzenkunde nennt. Denn ihr Grundgedanke ist im Gegensatz zu der rein logisch verfahrenden, älteren idea- listischen Morphologie der, die Teile der Pflanzen als Organe kennen zu lehren, die bestimmte Funk- tionen ausüben und auch in engem gestaltlichen Zusammenhange mit den Bedingungen der Um- gebung stehen. Dem im Jahre 191 3 erschienenen i. Bande der 2. Auflage, dem allgemeinen Teil läßt hier der Autor das erste Heft des speziellen Teiles folgen, das aber auch schon einen ansehnlichen Band darstellt. Er schildert darin stets im Hin- blick auf den Grundgedanken und in steter Ab- wägung der Momente für die natürlichen syste- matischen Zusammenhänge die Bryophyten, die Laub- und Lebermoose. Sie sind stets von be- sonderer Wichtigkeit für vergleichend morpho- logische und stammesgeschichtliche Spekulationen gewesen. Dem Phylogenetiker, der sich von den Blütenpflanzen über die Gymnospermen bis zu den I^^arnpflanzen halbwegs leidlich hinabgetastet hat, bieten in dem jähen Abgrund, der sich plötz- lich vor ihm öffnet, die Bryophyten die einzige Handhabe und noch dazu eine recht kümmerliche. Leiten sie ihn wirklich weiter oder ist der Riß ein vollkommener? Goebel hält die Bryophyten weder für unmittelbar anschließende Stationen auf diesem Wege noch für Wegweiser, die nach solchen Anschlüssen zeigen. Sie sind vielmehr — das ist das von dem Autor selber hervorgehobene all- gemeinste Ergebnis seiner Studien — der Rest einer im Absteigen begriffenen Pflanzengruppe, deren Eigenschaften also nicht nach vorwärts sondern nach rückwärts weisen. Innerhalb der Bryophyten ist die auch bisher für gewöhnlich an- genommene Zweiteilung in Lebermoose und Laub- moose nach demVerfasserinnerlich durchaus gerecht- fertigt, und zwar sollen die Laubmoose einen fort- geschritteneren, die Lebermoose einen einfacheren Bau besitzen, und unter den letzteren wiederum die Marchantiales und Anthozerotales in bezug auf den Aufbau der Antheridien primitiver sein als die Jungermanniales. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 Das Buch ist für das gelehrte Studium be- rechnet. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die ja recht zahlreichen Moosfreunde, die sich bisher mehr in reiner Sammlerfreude und mit dem emsigen Eifer des Einheimsens und Regi- strierens an der „multipliticas" und den „elegantiae et pulchritudines" des kleinen Gewächsreiches er- götzten, eine mächtige Erweiterung des Blickes und eine Veredlung ihres Genusses erfahren würden, wenn sie in dies Buch einzudringen versuchten. Miehe. Molisch, Prof. Dr. Hans, Pflanzenphysio- logie als Theorie der Gärtnerei. Für Gärtner, Landwirte, Forstleute und Pflanzen- freunde. Mit 127 Textabbildungen. Jena 19 16, G. Fischer. — 10 M. Jede praktische Betätigung kann durch die Kenntnis ihrer theoretischen Grundlagen nur ge- winnen. Sie kann die Praxis nicht ersetzen, die Erfahrung bleibt immer die beste Lehrmeisterin, sie hebt aber die Selbständigkeit gegenüber her- kömmlichen Methoden, gibt eine mächtige Hilfe bei Bewältigung neuer Aufgaben und schärft das Urteil. Manches, worauf der Praktiker mit Selbst- bewußtsein pocht, erweist sich, bei Licht besehen, als Vorurteil, Märchen, Aberglaube, manches wird zur sinnlosen Gewohnheit, da es ohne tieferes Verständnis getan wird. Der gebildete Gärtner hat nun von jeher Interesse an der Botanik ge- zeigt, er hat sich aber merkwürdigerweise meist gerade dem Zweige gewidmet, der, so wichtig er auch sonst für ihn ist, ihn am wenigsten zum Verständnis seiner praktischen Tätigkeit führt, nämlich der Systematik. Es ist somit ein guter Gedanke von Molisch, dem praktischen Gärtner (und ganz ähnlich dem Forstmann, Landwirt usw.) die Physiologie der Pflanzen in einer solchen Darstellung und Aus- wahl vorzuführen, daß er hieraus die theoretische Grundlage für seine Kunst gewinnen kann. Eine Schwierigkeit bleibt allerdings bei allen solchen oder ähnlichen Versuchen auf anderen Gebieten insofern bestehen, als zu einem wirklichen Ver- ständnis schon eingehende und schwieriger zu er- werbende Kenntnisse auf anderen Gebieten ge- hören, so bei der Pflanzenphysiologie z. B. solche in der Anatomie und in naturwissenschaftlichen Hilfsfächeni. Da kommt es dann sehr auf das darstellerische Geschick des Autors an, dem aber stets ein eifriges Selbststudium entgegenkommen muß. Der Wiener Pflanzenphysiologe war wie kein anderer der richtige Mann, ein solches Buch zu schreiben, da er von jeher nahe Beziehungen zur praktischen Gärtnerei gepflegt und bereits in einer Reihe von wertvollen Abhandlungen gärtnerisch wichtige Fragen behandelt hat. Ich erinnere nur an seine Methoden des Frühtreibens. Die Anordnung des Stoffes entspricht den physiologischen I lauptthemen : Ernährung (Aschen- bestandteile, Boden, Düngung, Assimilation, Wasser- bewegung. Transpiration, Speicherung der Assi- milate, heterotrophe Ernährungsweise usw.), At- mung, Wachstum (bei dem auch die Tropismen, die Polarität, die Ruheperiode usw. behandelt werden), das Erfrieren, die Fortpflanzung, Keimung und zum Schluß eine kurze Skizze der Variabilität, Vererbung und Züchtung. Bei allen Auseinander- setzungen ist auf die gärtnerischen Bedürfnisse Rücksicht genommen. Das Buch wird ein wertvolles Hilfsmittel im Betriebe der Gärtnerlehranstalten und in der Hand jedes Gärtners werden, der das Bedürfnis fühlt, seine Kenntnisse zu vertiefen. Es ist aber in gleicher Weise sehr gut als eine leicht faßliche Einleitung in die Pflanzenphysiologie zu gebrauchen. Eigentlich sollte es als Gegenstück auch ein Buch für den Pflanzenphysiologen geben , das ihn mit den für ihn wichtigen Elementen der praktischen Gärtnerei bekannt macht, es würde dann wohl nicht so mancher Schulversuch des botanischen Adepten und auch manches hoffnungsvolle Ex- periment des „Forschers" kläglich und vorzeitig scheitern. Miehe. Büsgen, Prof. Dr. M., Der deutsche Wald. 2. durchgesehene Auflage. Mit zahlreichen Ab- bildungen und 3 Tafeln. Verlag von Quelle & Me)-er in Leipzig. — In Leinenband 1,80 M. Hausrath, Prof Dr. H., Der deutsche Wald. 2. Aufl. Mit einem Bilderanhang und 2 Karten. 153. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin 1914, B. G. Teubner. — 1,25 M. Nach einer historischen Einleitung, in der Büsgen das Schicksal des deutschen Waldes dar- stellt (und in der er auch z. B. erneut auf den Irrtum hinweist, das alte Germanien sei ein von dichter Urwaldnacht begrabenes Land gewesen), werden in abgerundeten und auch sprachlich und illustrativ wohlgefälligen Kapiteln die Hauptbäume eingehender geschildert, die bei uns waldbildend auftreten, wobei jedesmal auf Eigenart des Wuchses, der Pflege, die wirtschaftliche Nutzung usw. Be- dacht genommen ist. Daneben werden in ge- sonderten Kapiteln der Baumstamm, die Forst- unkräuter, der Wald an der Baumgrenze und der Mischwald geschildert. Aber auch sonst beschränkt sich die Darstellung nicht auf die eigentlichen Waldbäume, sondern es wird das gesamte für das Waldbild in Betracht kommende Pflanzenleben herangezogen. Auch die wichtigsten Forstschäd- linge werden erwähnt. Daß auch der deutsche tropische Wald gestreift wird, ist für das Ver- ständnis des einheimischen wertvoll. Zweckmäßig ist auch das Verzeichnis der lateinischen Pflanzen- namen am~ Schluß (in welchem aber wohl besser die Arten unter den deutschen Gattungsnamen auffindbar sein würden). Wir weisen mit Ver- gnügen auf dies mit Sachkenntnis und feinem Naturgefühl geschriebene, mit treffenden Bildern versehene Bändchen hin. Hausrath's Teubnerbüchlein ist umfassender 352 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 24 und systematischer angelegt. Der Schwerpunkt ruht bei ihm auf den historischen, statistischen, Volks- und forstwirtschaftlichen Momenten , wie das aus den Kapitelüberschriften hervorgeht: Die Waldfläche und ihre Veränderungen. Die Holz- arten des deutschen Waldes. Die Waldformeii. Die geschichtliche Entwicklung des Waldeigentums. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Wald- erträge und die Waldarbeit. Der indirekte Nutzen des VValdes. Zur Pflege der Waldesschönheit. Auch dieses Buch verdient eine Empfehlung; beide sollte der Wanderer zu sich stecken, wenn er, hoffentlich bald wieder unbeschwert von Sorgen und ohne Gewehr und Tornister, die Wälder der Heimat durchstreift. Miehe. Steinmann, Dr. Paul, Praktikum der Süß- wasserbiologie. I. Teil: Die Organismen des fließenden Wassers. Mit Beiträgen von Dr. K. S i e g r i s t (Phanerogamen und Moose) und H. Gams (Kryptogamen exkl. Moose). 118 Abb. 184 Seiten. (Sammlung naturwissen- schaftlicher Praktika Band VII.) Berlin 191 5. Gebrüder Borntraeger. — Preis 7,60 M. Das Büchlein stellt sich die Aufgabe, die Lebens gemeinschaften der fließenden Gewässer zu schil- dern: „Wer die Süßwasserorganismen aus eigener Anschauung kennen lernen will, ist zunächst ge- nötigt, Exkursionen zu machen. Dabei tritt ihm die Lebewelt nicht systematisch, sondern ökologisch geordnet vor Augen; er lernt Organ ismen- gesellschaften kennen. Muß er nun die ein- zelnen Glieder dieser ihm unbekannten Tier- und Pflanzengesellschaft an verschiedenen Stellen eines Buches oder gar in verschiedenen Werken zu- sammensuchen . . ., so geht leicht der Blick auf das Ganze, das Interesse an den ökologischen Ver- hältnissen, an den Konvergenzerscheinungen, ver- loren. Hier soll das vorliegende Praktikum in die Lücke treten." Wenn man bei einem ersten Versuch den guten Willen für die Tat nimmt, kann man das Büchlein — obschon der Inhalt der P'orm eines „Praktikums" wenig entspricht — willkommen heißen. Wenigstens gilt das für den zoologischen Teil, der den größeren Raum ein- nimmt. Die botanischen Abschnitte fallen dagegen stark ab. Das liegt auch nicht daran allein, daß die betreffenden Mitarbeiter wenig für ihren Zweck vorbereitetes Material in der Literatur vorfanden. Bei verständiger Benutzung der vorhandenen Quellen wäre mit einiger Sachkenntnis etwas ganz anderes zustande gekommen. Die Phanerogamen, für die sich in den Glück 'sehen Studien einige Anhaltspunkte boten , mögen noch allenfalls hin- gehen, obwohl auch hier vieles der Verbesserung bedarf Ganz schlecht sind aber die Kryptogamen weggekommen. Von Moosen werden z. B. nur P'ontinalis und Cinclidotus angeführt, aus der Gruppe der Leber- moose, die doch in großer Artenzahl die über- rieselten Blöcke der Bergbäche bevölkern, ist kein einziger Vertreter erwähnt. Ganz zu verwerfen ist die Art, wie bei den einzelnen Algen und Pilzen unter der Rubrik „systematische Stellung" auf Dinge hingewiesen wird, die dem betreffen- den Vertreter gerade fehlen, z. B. bei Batracho- spermum auf die Tetrasporen. Die Darstellung ist so gehalten, daß der unbefangene Leser glauben muß, die Alge hätte meist diese Vermehrungszellen. Leptomitus soll Spermatozoen bilden, Beggiatoa gar sich mit Hilfe einer „undulierenden Membran" bewegen! Das ist doch ein bischen zu stark! Dabei sind dies aber nur einige der gröbsten Schnitzer. Auf andere Mängel der botanischen Abschnitte, falsche Worterklärungen (trotz zweier hilfreicher Philologen!) usw. soll gar nicht erst eingegangen werden. Aber eine dieser Erklärun- gen (perfoliatus „reichbeblättert" statt durchwach- sen) zeigt, wie fern dem betreffenden Mitarbeiter die botanische Terminologie liegt. Die botanischen Abschnitte müßten, falls das gut gemeinte Büchlein trotz des hohen Preises, eine Neuauflage erlebt, gründlich umgearbeitet werden. Buder. Literatur. Lorentr, H. A., Les theories statistiques en thermo- dynamique. Conferences faites au College de France en No- vembre 1912. Redigees en 1913 par L. Dunoyer. Leipzig et Berlin '16, B. G. Teubner. — 5,80 M. Müller, C, Einiges über Beobachtungsfehler beim Ab- schätzen an Teilungen geodätischer Instrumente. Ebenda. Bd. IV. I. Heft. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 37. Lief. München, Lehmann's Verlag. — 1,50 M. Hahn, Prof. Dr. Ed., Von der Hacke zum Ptlug. Bd. 127 der Sammlung „Wissenschaft und Bildung". Leipzig '14, Huelle & Meyer. — 1,25 M. Tornquist, Prof. Dr. A., Geologie. I. Teil: Allge- meine Geologie. Mit 233 Abbildungen im Text und I Titel- bild. Leipzig '16, W. Engelmann. — 27 M. Hausbrand, E., Die Wirkungsweise der Rektifizier- und Destillierapparate mit Hilfe einfacher mathematischer Be- trachtungen. 3. völlig neu bearbeitete und sehr vermehrte Autl. Mit 25 Figuren im Text und auf 16 Tafeln. Berlin '16, J. .Springer. — 10 M. Inhalte M. H. Baege, Ernst Mach, i Abb. S. 337. — Einzelberichte: Gletscher im Vorrücken. S. 343. — Merk- würdige Koprolithenformen aus dem Geraer Kupferschiefer. S. 344. Fr. Stellwaag, Die Steuerung des Insekten- fluges. S. 345. R.H.Stamm, Zur Frage nach dem Ursprung der sog. „Sternschnuppen-Gallerte". S. 347. — Bücher- besprechungen: Brehm's Tierleben. S. 349. Das Pflanzenreich. S. 349. G. Lindau, Die Algen. S. 349. Synop- sis der mitteleuropäischen Flora. S. 350. Die natürlichen Pflanzenfamilien usw. S. 350. K. Goebel, Organographie der Pflanzen. S. 350. Hans Molisch, Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. S. 351. M. Büsgen und H. Hausrath, Der deutsche Wald. S. 351. Paul Steinmann, Praktikum der SülSwasserbiologie. S. 352. — Literatur: Liste. S. 352. Manuskrip pte und Zus ichi •iften werde :n an P rof. Dr. I I. Miehe Leipzig, , Marienstraße : IIa Verlag von . Gustav I '"ischer in u ■na. Druck der G. Pätz'schen Buchdr . Lippert & Co. G. . b. H., Naumb. irg a. d.s. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i8. Juni 1916. Nummer 25. Das Problem des Generationswechsels bei den Florideen. [Nachdruck verboten.] Obwohl die Entdeckun schlechtliche Organismen sind, schon zu Ende des 17. Jahrhunderts von Camerarius gemacht wurde, dauerte es doch noch mehr als 150 Jahre, bis auch nur die großen Hauptzüge der Embryologie der höheren Pflanzen festgestellt wurden. Erst im Jahre 1849 erschien nämlich Wilhelm H of- meist er's bemerkenswerte Arbeit: „Die Ent- stehung des Embryo der Phanerogamen", der ein paar Jahre danach eine andere ebenso wichtige folgte : „Vergleichende Untersuchungen der Kei- mung, Entfaltung und Fruchtbildung höherer Kryp- togamen und der Samenbildung der Koniferen." In diesen Arbeiten berichtete Hofmeister über die Organisation der phanerogamen Samenanlage, die Entwicklung des Pollenkorns und die zellulare Entwicklung des jungen Embryos von der befruch- teten Eizelle an Schritt für Schritt. Durch ähn- liche Untersuchungen über einige Moose und Farne wurde die bis dahin ziemlich unbekannte Entwicklungsgeschichte auch dieser Pflanzen klar- gestellt, und hierbei entdeckte Hofmeister zuvor ganz unbekannte, eigentümliche Übereinstim- mungen und Gegensätze in der Entwicklungsge- schichte dieser beiden Pflanzengruppen. Betrachten wir in kurzen Zügen die Entwicklung eines Farnkrauts und eines Mooses, — alles nun wohlbekannte Sachen, die auch in den elemen- tarsten Lehrbüchern dargestellt werden : Eine Farnspore — gebildet in den auf der Unterseite der Blätter in dunklen Gruppen wachsenden Sporangien — keimt, bildet aber nicht wieder ein neues Farnkraut von derselben Art, sondern aus ihr entsteht eine kleine grüne, herzförmige Zellscheibe. An dieser Scheibe, die ältere Bota- niker als „das Keimblatt" des F"arnkrauts betrachtet hatten, hatte bereits N ä g e 1 i im Anfange des 19. Jahrhunderts eigentümliche kleine Organe ent- deckt, in denen bewegliche, in Wasser frei umher- schwimmende Körper gebildet wurden, welche recht sehr mit den kurz vorher von NeesvonEsen- beck und Unger bei den Moosen entdeckten Spermatozoiden übereinstimmten. Diese Bildung konnte also nicht gut ein Keimblatt sein, und Nägeli gab ihr den Namen „Prothallium". Kurz darauf wurden an diesen Prothallien noch andere Organe entdeckt, die vollkommen den weiblichen Reproduktionsorganen, den sog. Archegonien, bei den Moosen ähnelten. Hofmeister studierte nun die Befruchtung beim Farn, verfolgte die Teilungen des befruchteten Eies im Prothal- lium und zeigte, daß erst daraus eine Farnpflanze hervorging, die sich ihrerseits wieder nur durch Von Prof. Dr. N. Svedelius, Upsala (Schweden). Mit 14 Abbildungen. daß Pflanzen ge- die auf ungeschlechtlichem Wege gebildeten Sporen vermehrte. Zweimal in der Entwick- lungsgeschichte des Farnes bildet also eine ein- zelne Zelle den Ausgangspunkt für eine neue Entwicklungsphase: das eine Mal die Spore, das andere Mal die befruchtete Eizelle. Aus der ersteren geht hervor, was Ho fm eiste r die erste Generation nannte (= die geschlechtliche Gene- ration), das befruchtete Ei dagegen wird zu dem, was Hofmeister als die zweite Generation (^ die sporenerzeugende Generation) bezeichnete. Zwischen diesen findet ein ständiger Wechsel statt. Hofmeister nannte dies Generations- wechsel. Hofmeister zeigte ferner, daß etwas ähn- liches auch in dem Entwicklungszyklus der Moose wahrzunehmen war, obwohl die Verhältnisse hier sich anders gestalteten. Wenn die Moosspore keimt, geht aus ihr früher oder später eine Moospflanze hervor, an deren beblättertem Stamm der Vater der Bryologie, Pledwig, im 18. Jahrhundert zwei Arten von Organen, Antheridien und Archegonien, entdeckt hatte, die von ihm als Reproduktions- organe aufgefaßt worden waren. Hofmeister führte nun dieselbe Untersuchung hier durch, wie er sie vorher betreffs des Farns ausgeführt hatte, und zeigte, daß die befruchtete Eizelle — an- dauernd in Verbindung mit der Mutterpflanze — sich zu einer langgestielten Kapsel, „dem Sporogon", entwickelt, und daß sich in dieser nun von neuem einfache Vermehrungszellen bil- den, die sich direkt entwickeln: Sporen. Hof- meister faßte nun die ganze Moospflanze als die erste, geschlechtliche, Generation auf, ent- sprechend dem kleinen Prothallium beim Farn- kraut, und die zweite Generation, die sporen- bildende, war nur das sog. Sporogon, das also der F"arnpflanze entsprach, obwohl diese zweite Generation hier das ganze Leben hindurch mit der ersten in Verbindung bleibt. Auch in der Entwicklung der Moose sah also Hofmeister einen Generationswechsel zwischen einer ge- schlechtlichen ersten Generation und einer un- geschlechtlichen sog. zweiten Generation. Hofmeister dehnte seine entwicklungsge- schichtlichen Untersuchungen auch auf die höchst- stehenden Pteridophyten, die sog. Bärlappgewächse (Lycopodineae) aus, insbesondere auf die Gattung Selaginella, die im Unterschied von anderen Lyco- podineenzwei Arten von Sporen, jedoch an dem- selben Individuum, hat. Eigentliche Prothallien konnte indessen Hofmeister nicht bei der Keimung der kleinen Sporen entdecken, höchstens 354 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 Rudimente, wohl dagegen bei der Keimung der ,t großen; diese Prolhallien verblieben aber im In-'' nern der großen Spore und bildeten nur Arche- gonien aus. Aus den kleinen Sporen sah Hof- meister Spermatozoiden hervorgehen, und es gelang ihm, die Befruchtung zu beobachten. Hofmeister hatte also gefunden, daß die Verschiedensporigkeit ein tiefergehendes Merkmal als nur ein Größenunterschied sei; sie war ver- bunden mit der Bildung von Prothallien ver- schiedener Art, kleinen, rudimentären männ- lichen Prothallien und größeren, in der Spore ganz eingeschlossenen weiblichen Prothallien. Hofmeister hatte somit eine Art Geschlechts- unterschied schon in den Sporen selbst nach- gewiesen. Selaginella ließ sich also hinsicht- lich ihrer Entwicklung wohl den anderen Farn- kräutern mit Generationswechsel wie bei ihr an- fügen, zeigte aber außerdem eine bemerkenswerte höhere Differenzierung in einer bis dahin ganz unerklärten Verschiedensporigkeit, einer „Hetero- sporie", die nun erst ihre Erklärung erhielt, indem sie sich als mit der Ausbildung von eingeschlech- tigen Prothallien verknüpft erwies. Nachdem nun der Entwicklungsgang bei diesen heterosporen Farnen klargestellt worden war, verglich Hofmeister ihre Entwicklung mit der der Nadelbäume und sprach als erster den Ge- danken aus, daß die Pollenkörner der Nadelbäume den Mikrospuren der Selaginella entsprächen, und daß die seit lange bekannte Endospermbildung bei den Nadelbäumen der Prothallienbildung der Makrosporen entspräche, und an dem Endosperm der Nadelbäume fand er die den Archegonien der Prothallien entsprechenden Organe in den seit alters dort beobachteten sog. Korpuskeln. Nach Hofmeister lägen also bei den Nadelbäumen Bildungen, die den Sporen und Prothallien der Farne vollkommen entsprechen, demnach auch ein Generationswechsel vor, obwohl die sog. erste Generation, die geschlechtliche, vollständig zurück- gedrängt und unterdrückt würde. Auch bei den allerhöchsten Pflanzen, den An- giospermen, fand Hofmeister die letzten, noch weiter reduzierten Spuren eines Generationswech- sels, der noch bei den Farnen so klar und deut- lich vorlag. Der Nachweis der Veränderungen, welche die verschiedenen Generationen in der Serie: Moose, Farne, Gymnospermen und sonstige Samenpflanzen nach aufwärts hin erfuhren, war also etwas fast ebenso Bemerkenswertes wie die Entdeckung des Generationswechsels selbst. Durch Hofmeisters im wahren Sinne bahn- brechende .Arbeiten erfuhr nicht nur die Entwick- lungsgeschichte der höchststehenden Pflanzen we- sentliche P'örderung, sondern weit wichtiger war der durch die Untersuchung gelieferte Nachweis, daß ein entwicklungsgeschichtlicher Zusammen- hang zwischen Moosen, P'arnen und sog. „Pha- nerogamen" aufzuzeigen war, Pflanzengruppen, die bis dahin recht isoliert gegeneinander dagestanden hatten, und insbesondere waren ja die Samen- pflanzen, die Phanerogamen, lange als von den übrigen Pflanzen der Art nach wesentlich ver- schieden betrachtet worden. Und um voll zu verstehen, was dieser wissen- schaftliche P'ortschritt bedeutete, muß man in Betracht ziehen, daß Hofmeister 's letztgenannte Arbeit 185 1 erschien, also 8 Jahre vor dem Er- scheinen von Darwins „Origin of Species". Also vor Darwin hatte Hofmeister tatsäch- lich mit großartigem Resultat in der Botanik eine vergleichend entwicklungsgeschichtliche Methode, eine vergleichende Morphologie und Embryologie, angewandt, die dann nach Darwin mit so großem Erlolg sowohl in der Botanik als in der Zoologie zur Anwendung gekommen ist und zu so schönen Ergebnissen geführt hat. Hofmeisters bemerkenswerte Entdeckung des Generationswechsels bei den höheren Pflanzen hatte natürlich bald zur Folge, daß man zu unter- suchen begann, ob nicht ein derartiger Wechsel von Generationen auch innerhalb anderer Pflanzen- gruppen erkennbar war. Auch bei den niederen Pflanzen waren nach und nach Entdeckungen ge- macht worden, die deutlich darauf hinwiesen, daß die Sexualität nicht, wie die Botaniker des 18. Jahr- hunderts annahmen, etwas bezeichnete, das nur für die höchststehenden Pflanzen charakteristisch war. So hatte Vau eher in seiner „Histoire des Con- fervcs d'eau douce" schon im Jahre 1803 bei einer kleinen Grünalge — deren wissenschaftlicher Name noch nach ihm Vaucheria ist — sowohl männüche als weibliche Reproduktionsorgane entdeckt, außerdem aber nachgewiesen, daß bisweilen die Zweigspitzen anschwellen, durch Wände abgeteilt werden und einen einzigen, großen Vermehrungskörper aus- bilden konnten, die direkt, nachdem er sich von der Mutterpflanze isoliert, zu einem neuen Indi- viduum auswuchs. Man kannte also schon seit langer Zeit auch bei niederen Pflanzen sowohl eine geschlechtliche als eine ungeschlechtliche Vermehrung. Ähnliche Entdeckungen wurden allmählich auch innerhalb anderer niedriger ste- hender Pflanzengruppen, sowohl Algen als auch Pilzen, gemacht. Hatte man somit auch bei niederen Pflanzen nicht nur eine sexuelle Vermehrung, sondern auch eine rein neutrale gefunden, so lag es ja nahe zu untersuchen, ob auch bei diesen Organismen ein Wechsel zwischen geschlechtlicher und .unge- schlechtlicher Generation vorlag. Der erste, der systematisch eine derartige Auffassung durchzu- führen versuchte, war Julius Sachs, der neben Hofmeister den allergrößten Einfluß auf die Entwicklung der modernen Botanik ausgeübt hat. In derselben Richtung wie Sachs arbeitete auch N. Frings he im, dessen Forschungen grund- legend für unsere Kenntnis der Entwicklungs- geschichte großer Gruppen innerhalb der niederen Pflanzenwelt gewesen sind. Man glaubte nun einen Generationswechsel fast überall bei diesen niederen Pflanzen zu finden. N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 35S sobald es gelang eine sowohl ungesciilechtliche als geschlechtliche Vermehrung — ungefähr wie bei Vaucheria — nachzuweisen. Eine bemerkens- werte Verschiedenheit glaubte man indessen bei den niederen Pflanzen darin angetroffen zu haben, daß die verschiedenen Generationen sich nicht immer im Äußeren voneinander unterschieden wie bei den Farnen, gleichwie man auch bei den niederen Pflanzen gefunden zu haben meinte, daß die Generationen nicht so streng und regel- mäßig zu alternieren brauchten, sondern daß bei ihnen beispielsweise mehrere sporenbildende Gene- rationen aufeinander folgen konnten, um dann mit einer geschlechtlichen zu alternieren, oder auch daß mehrere Geschlechtsgenerationen auf- einander folgen konnten, um schließlich mit einer ungeschlechtlichen zu alternieren usw. Infolge- dessen unterschied man bald zwischen sog. „ho- mologem Wechsel", wobei gleiche Generationen aufeinander folgten, d. h. Wiederholungsgene- rationen von Individuen derselben Art, und sog. „antithetischem Wechsel", wobei eine Generation anderer Natur folgte (Celako wsky). Der Generationswechsel des Farnes war streng antithe- tischer Natur. Zu beachten ist nun jedoch, daß diese An- sichten über den Generationswechsel bei den niederen Pflanzen zu jener Zeit fast ausschließlich auf eine vergleichende morphologische Unter- suchung der verschiedenen Entwicklungsstadien, die man in der Natur antraf, gegründet waren. Dagegen war es damals noch ziemlich schwach bestellt mit der experimentellen Behandlung des Generationswechselproblems. Einer der ersten, der ernstlich hierhergehörige Fragen zum Gegen- stand experimenteller Untersuchungen machte, war Klebs. Dieser Forscher untersuchte bei ver- schiedenen Grünalgen die physiologischen Bedin- gungen für ungeschlechtliche und geschlechtliche Vermehrung, und es war ja nur der Wechsel zwischen solchen, den man damals als Generations- wechsel auffaßte. Die Resultate, zu denen er ge- langte, schienen den Gedanken an einen gesetz- mäßigen Generationswechsel bei niederen Pflanzen vollständig unmöglich zu machen. Er fand näm- lich, daß man es durch die Einwirkung gewisser äußerer Verhältnisse, z. B. durch Temperatur- Vv'echsel, durch veränderte Ernährungs- und Be- lichtungsverhältnisse usw., in der Hand hatte, bei einer ganzen Reihe von Grünalgen Vermehrung auf ungeschlechtlichem oder geschlechtlichem Wege hervorzurufen. So z. B. experimentierte er mit der oben erwähnten Vaucheria und erhielt unfehlbar eine Sporenbildung, wenn vorher in Nährlösung gezüchtete Algen in reines Wasser übergeführt wurden; dasselbe Resultat wurde er- halten, wenn in Licht gehaltene Kulturen in Dunkelheit übergeführt wurden usw. Auf Grund dieser Untersuchungen von Klebs stellte man sich sehr bald recht zweifelnd gegen den ganzen Gedanken, daß es bei den niederen Pflanzen einen regelmäßigen Generationswechsel, analog dem bei den Farnen, gäbe, welch letzterer natürlich als eine Tatsache, wenn auch eine ziem- lich isolierte, bestehen blieb. Dies war die Auffassung, als auf anderen Ge- bieten wichtige Entdeckungen gemacht wurden, die ein ganz neues Licht auf den Generations- wechsel warfen und das Problem wieder aktuell gemacht haben. Diese Entdeckungen geschahen auf dem Gebiete der Zellkernforschung, und zwar war es, genauer gesagt, die Entdeckung der sog. Re- duktionsteilung auch im Pflanzenreiche. Unsere Kenntnis von dem Bau des Zellkerns machte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ungeheure Fort- schritte. Während noch zu H ofmeiste r's Zeit die Auffassung herrschte, daß Zellkerne aus dem Plasma selbst entstehen und sich herausdifferen- zieren könnten, war allmählich der Satz durch- gedrungen, daß Kerne nur durch Teilung anderer Kerne entstehen können: damit erlangte das Ge- setz „omnis nucleus e nucleo" dieselbe Anerken- nung der Allgemeingültigkeit wie das Gesetz „omnis cellula e cellula". Ganz besonders be- deutungsvolle Entdeckungen wurden aber bezüg- lich des Verlaufes der Teilungen der Zellkerne gemacht, und die Hauptzüge der komplizierten Veränderungen bei der Kernteilung, der sog. Karyokinese, wurden nun von zahlreichen For- schern, von denen besonders der Zoologe Flem- ming und der Botaniker St rasb u rger genannt seien, festgestellt und als gleichmäßig für das Pflanzen- und für das Tierreich geltend befunden. Hier ist natürlich nicht der Ort, eine Darstellung dieses so interessanten Kapitels zu liefern, nur auf die wichtigsten Momente, die für das Generations- wechselproblem Bedeutung besitzen können, sei hier kurz eingegangen. IVIan vergleiche zu der ganzen Frage beispielsweise F. Rawitscher, Die Reduktion der Chromosomenzahl in den Pflan- zen, in Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. VII, 1908, S. 577. In diesem Zusammenhange wurden nun die Chro- mosomen entdeckt, deren Spaltung der Kernteilung vorausging, so daß jedem Tochterkern der halbe Anteil an den Chromosomen des Mutterkerns ge- sichert wurde, und in den iSSoer Jahren stellte dann Strasburger die wichtige Tatsache fest, daß die Ciiromosomenzahl für ein und dieselbe Pflanzenart stets konstant ist usw. Dann kam es schließlich auch innerhalb des Pflanzenreichs zur Entdeckung der Reduktionsteilung, wobei die Tochterkerne nur halb so viele Chromosomen wie der Mutterkern erhalten. Diese Reduktionsteilung, die zuerst im Tierreich nachgewiesen wurde, war bereits vor ihrer Entdeckung aus theoretischen Gründen von dem Zoologen Weismann ge- fordert worden. Bei jeder Befruchtung findet ja eine Kernverschmelzung statt, was also zu einer ins Unendliche fortgesetzten Verdoppelung der Chromosomen der Kerne führen würde, wenn dies nicht auf irgendeine Weise kompensiert wer- den könnte. Auch nachdem so festgestellt worden war, daß eine Reduktionsteilung stattfindet, dauerte 356 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 es doch noch ziemhch lange, ehe man Klarheit über den wirklichen Verlauf dieser Teilung im einzelnen erlangte. Jetzt wissen wir, daß bei dem wichtigsten Moment dieser sog. Reduktionsteilung überhaupt keine wirkliche Spaltung der Chromo- somen wie bei gewöhnlicher, sog. typischer Teilung stattfindet, sondern daß von der in dem Kern vorhandenen Chromosomenzahl die halbe Anzahl ganzer Chromosomen an jeden der beiden Tochter- kerne geht, dies geschieht aber auf eine Weise, die einer gewöhnlichen Spaltung täuschend ähnlich sieht, was darauf beruht, daß die Chromosomen vorher je 2 und 2 zu sog. Doppelchromosomen zusammengefügt worden sind, und daß diese Doppelchromosomen es sind, die dann geteilt werden. Hierdurch wird bewirkt, daß die Tochter- kerne bei einer Reduktionsteilung nur die halbe Anzahl Chromosomen gegenüber der Anzahl in dem Mutterkern erhalten. Diese sind ganz einfach auf die 2 Tochterkerne verteilt worden. Die Bedeutung der Reduktionsteilung liegt in- dessen nicht ausschließlich darin, daß die ursprüng- liche Chromosomenzahl wieder hergestellt wird. Eine derartige Ansicht, der man oft begegnet, wurzelt in einer unrichtigen Auffassung von der wirklichen Natur der Reduktionsteilung. Während alle übrigen Kernteilungen zur Entstehung von Tochterkernen führen, die hinsichtlich des Chromo- somenbestandes vollkommen mit dem Mutterkern übereinstimmen — d. h. zu gleichen Teilungs- produkten führen, weshalb sie auch eben Äquations- teilungen genannt werden — so entstehen bei der Reduktionsteilung deshalb, weil sie von zu „Doppel- chromosomen" vereinigten Einzelchromosomen ausgeführt wird, die bei der Teilung zu verschie- denen Kernen gehen können, Tochterkerne, die hinsichtlich des Chromosomenbestandes von ein- ander verschieden sind. Durch die Reduk- tionsteilung können also Neukombinationen von Chromosomen in den Tochterkernen entstehen, was dagegen bei den somatischen Äquationsteilungen ausgeschlossen ist. Die Reduktionsteilung spielt bei der Neukombination von Chromosomen im Kerne eine ebenso wichtige Rolle wie die Be- fruchtung selbst, als deren Schlußakt sie betrachtet werden kann. Denn in ebenso hohem Grade, wie durch die Befruchtung selbst die Möglichkeit neuer Kern- und Chromosomenkombinationen gegeben ist, so ist durch die Reduktionsteilung eine Möglich- für neue Kombinationen von Chromosomen inner- halb der Kerne geschaffen. Welche Rolle die Klarstellung des Verlaufes der Reduktionsleilung auch für das rechte Ver- ständnis der mendelistischen Phänomene gespielt hat, ist hier nicht der Ort eingehender darzulegen, es sei aber jedenfalls im Vorbeigehen darauf hin- gewiesen. Wo kommt nun die Reduktionsteilung bei den Pflanzen vor? Durch eine Reihe wichtiger Arbeiten von Strasburger, Guignard und Gregoire wurde gezeigt, daß die Reduktionsteilung, die bei den Tieren bei der Bildung der Geschlechtszellen eintritt, z. B. bei Farnen und Moosen bei der Bildung der Sporen und bei den höchststehenden Pflanzen (den Phanerogamen) sowohl bei der Bil- dung der Pollenkörner als auch bei der Bildung derjenigen Zelle stattfindet, die z.B. bei den Gym- nospermen zur Endospermbildung führt, und die, wie bereits Hofmeister gezeigt hat, mit den Makrosporen der heterosporen Farne homolog ist. Auf Grund dieser wichtigen Entdeckungen stellte nun Strasbu rger in emem vielbeachteten Vortrag auf der Jahresversammlung der British Association 1894 „Über periodische Reduktion der Chromosomenzahl im Entwicklungsgang der Or- ganismen" den Satz auf, daß bei den höchst- stehenden Pflanzen mit Generationswechsel die ungeschlechtliche, sporenbildende Generation stets durch eine Chromosomenzahl charakterisiert ist, die doppelt so groß ist wie bei der Geschlechts- generation. Strasburger selbst hatte bei dem Königsfarn (Osmunda) 12 Chromosomen in den Prothallien ganz wie in den Sporen gefunden — eben diese Zahl auch im männlichen Kern und in der Eizelle, die also im Gegensatz zu dem Verhältnis im Tierreich ohne Reduktionsteilung gebildet werden — während dagegen das Farnkraut selbst 24 hatte. Durch diese Entdeckungen kam nun Hofmeister's alte Generationswechseltheorie wieder zu Ehren, und das ganze Generalions- wechselproblem wurde auf einen anderen Plan gestellt, da nun die Generationen durch eine wesentliche Verschiedenheit im Bau des Zellkerns selbst charakterisiert waren. Hiermit war auch ein anderer Grund für die Beurteilung dessen ge- legt, was ungeschlechtliche Generation (= sporen- erzeugende Generation ^ Sporophyt) und was geschlechtliche Generation (:= Gametophyt) war, oder wie man nunmehr mit Strasburger die Sache auch ausdrücken konnte, was haploide und was diploide Generation (x- und 2x-Generation nach L o t s y) war. Es ist kaum eine Übertreibung, zu sagen, daß diese Betrachtung des Generationswechsels nicht nur unsere Auffassung des fraglichen Phänomens an und für sich vertieft hat, sondern auch in ge- wissem Grade eine neue Epoche für unsere all- gemeine Auffassung von dem Gange der Ent- wicklungsgeschichte der ganzen Pflanzenwelt be- zeichnet. Wie nahm sich nun der Generations- wechsel im Pflanzenreich von diesem neuen Gesichtspunkt Strasburger's, der ganz wie der Hofmeister's von den Verhältnissen bei den Farnen ausging und sich auf sie gründete, aus ? Verfolgt man die Serie aufwärts bis zu den höchststehenden, den Phanerogamen, so fällt der neue Generationswechselbegriff vollständig mit der Hofmeister'schen Auffassung zusammen, die er nur des weiteren bestätigt. Betrachtet man die Serie abwärtsschreitend von demselben Gesichtspunkt aus, ja, dann zeigt es sich, daß unsere Auffassung von dem, was Sporophyten- generation ist, zwar höchst wesentlich geändert wer- den muß, daß der Generationswechsel selbst aber N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 357 — jedenfalls entweder rudimentär oder reduziert — sich dort stets findet, sobald eine Befruchtung stattfindet. Zunächst ist es klar, daß das Zugrunde- legen der Chromosomenzahlen bei der Auffassung der verschiedenen Generationen die Generations- wechselfrage zu etwas anderem als zu der bloßen Konstatierung eines Wechsels zwischen geschlecht- licher und ungeschlechtlicher Vermehrung macht, denn die letztgenannte Art der Vermehrung kann sehr wohl neben der anderen bei beiden Gene- rationen vorhanden sein, ohne in den regelmäßigen Generalionswechsel einzugehen, in ganz derselben Weise wie z. B. bei den Phanerogamen eine Ver- mehrung mittels Brutknospen, Sprosse u. dgl. neben der normalen Vermehrungsweise der Generationen vorkommt. Klebs' Untersuchungen stellten sich nun in einem anderen Licht dar, denn wir müssen streng den Generationswechsel von den Be- dingungen für geschlechtliche und eine der Brut- knospenbildung analoge ungeschlechtliche Ver- mehrung innerhalb einer und derselben Generation unterscheiden. Wie verhält es sich nun mit der Reduktions- teilung und dem Generationswechsel bei den niederen Pflanzen? Es ist dies eine Frage, die allerdings noch nicht vollständig beantwortet wer- den kann, da auf diesem Gebiet die Forschung andauernd im Gange ist und viele Gruppen über- haupt noch nicht Gegenstand von Untersuchungen gewesen sind. Rein technisch sind ja auch die Schwierigkeiten hier bei den niederen Pflanzen so ungeheuer viel größer, da das Untersuchungs- material so viel schwieriger zu beschaffen ist, und da der Entwicklungsgang bei ihnen nicht so leicht sich verfolgen läßt wie bei den höheren Pflanzen. Im folgenden will ich versuchen, eine Dar- stellung von der Stellung des Reduktionsproblems und der Generationswechselfrage bei einer niede- ren Pflanzengruppe zu geben , wo ich selbst Ge- legenheit gehabt habe, bei der Arbeit an der Lösung des Problems mitzuwirken, nämlich bei den Rotalgen, den Florideen , Provinz Rhodo- phyceae. Es dürfte am zweckmäßigsten sein, da zunächst über die Hauptzüge der Organisation dieser Pflanzen- gruppe vom Gesichtspunkt der P'ortpflanzungs- organe aus zu berichten. Und für diese einleitende Orientierung dürfte vielleicht eine kurze geschicht- liche Darstellung, wie die Rhodophyceengruppe im Laufe der Zeiten von den Botanikern aufge- faßt worden ist, nicht unangebracht sein. Die großartige reformatorische Arbeit der Li nne' sehen Epoche auf dem Gebiete der Pflanzensystematik hatte die niederen Pflanzen ziemlich unberührt gelassen, was ja ganz natürlich war für eine Zeit, wo das Mikroskop kaum schon in allgemeinen wissenschaftlichen Gebrauch ge- kommen war. Alle niederen Pflanzen w^urden von Linne unter der vagen Bezeichnung „Krypto- gamen" vereinigt mit den Untergruppen P'ilices, Musci, Algae und Fungi. Bald begann indessen die wissenschaftliche Arbeit innerhalb dieser großen Sammelgruppe, um die Systematik aufzuklären. Der Begründer der Algensystematik wurde C. A. Agardh (1785—1859), Professor der Botanik in Lund, später Bischof in Karlstad (Schweden), Von seiner Hand rührt der erste Entwurf zu einer rationellen Systematik der Algen her in „Synopsis Algarum Scandinaviae" (Lund 1817), wo man zum erstenmal in der Literatur „Plorideae" als Bezeichnung für die Rotalgen findet, welche Be- zeichnung dann auch in allgemeine Aufnahme ge- kommen ist. Schon bei der ersten Charakteristik der Gruppe hob C. A, Agardh hervor, daß die Vermehrungsorgane bei dieser Pflanzengruppe von zweierlei Art seien, nämlich teils solche, die manchmal in einer Art Kapsel eingeschlossen seien, die Karposporen, und teils solche, die ein- zeln in den Sproß eingesenkt seien, die Tetra- sporen, („Fructus aut duplex: capsuliformis & semina immersa aut alter horum"). Einen bedeutenden P'ortschritt macht die Plori- deenkunde durch J. G. Agardh (1813—1901), den Sohn des älteren Agardh und gleich ihm Prof. in Lund. J. G. Agardh hat nicht nur eine groß- artige Tätigkeit als deskriptiver Algologe ausge- übt, sondern er hat auch zur Förderung der all- gemeinen Systematik der Gruppe beigetragen. Auf dem von seinem Vater gelegten Grunde weiterbauend, hat er mehrere von den Untergruppen aufgestellt und charakterisiert, in die wir noch heute die Provinz der Florideen zerlegen. Das Verdienst des J. G. Agardh 'sehen Systems hegt darin, daß es grundsätzlich auf die Fortpflanzungs- organe gegründet wurde, insbesondere auf die sog. Kapselfrucht, d. h. auf das, was wir jetzt Zystokarp nennen, von dem vier verschiedene Typen unterschieden werden. Der anderen Art von Vermehrungsorganen, von J. G. Agardh „Sphärosporen" (= Telrasporen) genannt, wurde keine systematische Bedeutung zuerkannt, obwohl sie für die Florideen so charakteristisch waren. Schon J. G. Agardh hat indessen die Vierteilung als für sie charakteristisch betont, gleichwie auch J. G. Agardh der erste war, der die drei ver- schiedenen Typen unterschied, in welchen diese Vierteilung stets bei den Tetrasporen auftritt, näm- lich I. die Zonenteilung („Tetrasporae zonatim divisae"), 2. die Kreuzstellung (T. cruciatim divisae) und die Tetraederteilung (T. trianguläre divisae, Abb. i). Als eine Eigentümlichkeit sei erwähnt, daß J. G. Agardh's Zeitgenosse, der französische Algologe Decaisne (1807 — 18S2), eine ganz ent- gegengesetzte Auffassung betreffs der Bedeutung der verschiedenen Fortpflanzungskörper für die Florideensystematik hegte, indem er meinte, daß das S>'stem ausschließlich auf die sog. Tetrasporen als die „normalen" Vermehrungskörper zu gründen sei, während den sog. Zystokarpien von Decaisne nur ein untergeordneter systematischer Wert bei- gemessen wurde. Der erste, der den Florideen Sexualität zuer- 358 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 kannte, war der hervorragende Botaniker Carl von Nägel i. Nägel i glaubte gesehen zu haben, daß in den Organen, die bereits der ältere A ga r d h — wegen der Übereinstimmung mit den männlichen Organen der Moose — als „Antheridien" bezeichnet hatte, sich kleine bewegliche, mit Zilien versehene männliche Körper bildeten. Nägel i faßte nun die Tetrasporen als Eier auf, während er in dem Zj'stokarp eine Sammlung ungeschlechtlicher Keimzellen erblickte. Daß die Antheridien männ- liche Körper erzeugen, war freilich richtig, die Behauptung betreffs des Vorhandenseins von Zilien beruhte aber auf einer Fehlbeobachtung. Im Gegenteil zeigte es sich später, daß„es gerade äußerst charakteristisch für die Florideen war, daß thamnion corymbosum (nach Tetrasporangium (Tetraederteilung). ihre männlichen Sexualzellen, die Spermatien_ jeder Spur von Eigenbewegung entbehren. Dies wurde binnen kurzem von Pri ngsh eim konstatiert, der auch in einem anderen wichtigen Punkt Nägeli's Auffassung berichtigte: er wies nämlich nach, daß die von Nägel i als Eier aufgefaßten Tetrasporen direkt ohne Befruchtung sich zu neuen Individuen entwickeln. Pringsheim zog daraus den Schluß, daß die sog. Tetrasporen der Florideen nur Organe für ungeschlechtliche Vermehrung seien. Da in- dessen Organe, die aller Wahrscheinlichkeit nach männliche Körper seien, vorhanden sind, so müßten natürlich auch weibliche Organe da sein. Prings- heim nahm an, daß die im Zystokarp gebildeten Körper entweder die weiblichen Körper seien oder wenigstens mit dem weiblichen Organ in irgend- welchem Zusammenhang ständen. Die PVage nach der Befruchtung der Plorideen wurde indessen kurz danach endgültig von den beiden französischen Forschern Bornet und Thuret gelöst, die in einer kurzen Notiz an die französische Akademie der Wissenschaften (Compt. Rendus für den 10. Sept. 1S66) zum erstenmal ihre Beobachtungen über die Befruchtung bei den Florideen veröffentlichten. Bald darauf erschien dann eine ausführlichere, von außerordentlich schönen Tafeln begleitete Abhandhing in Annales d. Sc. Naturelles (5 ser., Tome VII, 1867), und nach und nach wurden die großartigen Tafelwerke „Notes algologiques" und „Etudes phycologiques" herausgegeben, in denen die Entwicklungsgeschichte mehrererFlorideen analysiert und in unübertrefflicher Weise durch Abbildungen erläutert wurde. Es war das Studium der frühesten Entwicklungsgeschichte der sog. Kapselfrucht, des Zystokarps, das den Anstoß Nemalion (nach Abb. 3. Spermothamnion Thuret). Karpogon (cpg) f 1 a b e 1 1 a t u m (nach N ä g e 1 i). und Spermatangien (a). Karpogone mit 2 Auxiliarzcllen in GonimoblastentwickluDg. zur Lösung der Frage gab. Schon Nägel i und Pringsheim hatten beobachtet, daß der Aus- bildung der „Kapselfrucht" ein aus wenigen Zellen bestehender Zellenkomplex vorausging , dessen oberste Zelle durch ein langes, einzelliges Haar abgeschlossen wurde. Nägeli nannte diesen Zellenkomplex „Trikophorkomplex" oder „Triko- phor", ohne eine Ansicht über seine Funktion zu äußern. Borne t und Th uret wiesen nun nach, daß wir hier das weibliche Organ der Florideen vor uns haben, das aus einer flaschenförmigen Zelle besteht, die in ein langes h\alines Haar aus- läuft. Das weibliche Organ wird „Karpogon" ge- nannt, und das Haar, das als Fangapparat für die im Wasser umhertreibenden, einer Eigenbewegung ermangelnden männlichen Körper, die Spermatien, dient, wird als „Trichogyne" bezeichnet. Bornet und Thuret schilderten nun die Befruchtung bei etwa 30 Arten, und das nicht zum wenigsten Bemerkenswerte war, daß eine ganze Reihe ziem- N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 359 lieh verschiedener Entwicklungstypen hinsichtlich des Verlaufes nach der Befruchtung unterschieden werden konnten. Am einfachsten wird der V^er- lauf bei den Gattungen Nemalion (Abb. 2) und Ba- trachospermum geschildert. Das Karpogon (cpg) sitzt an der Spitze eines kleinen besonderen Zell- astes. Hinige Zeit nachdem die Spermatien auf die Trichogyne gelangt sind, beginnt der Basal- teil anzuwachsen, und binnen kurzem wächst von dort ein Bündel kurzer Zellfäden aus, die in ihren Scheitelzellen je einen kleinen Ver- mehrungskörper, eine sog. Karpospore, ausbilden. Es zeigte sich also, daß die sog. „Kapselfrucht" der älteren Algologen aus einer Befruchtung her- vorging. So einfach wie bei Nemalion gestaltete sich jedoch der Verlauf nicht bei allen Florideen. So fanden Bornet und Thuret, daß beispiels- weise bei der Gattung Callithamnion das Zysto- karp sich nicht direkt aus dem Karpogon wie bei Nemalion entwickelt, sondern von zwei anderen, angrenzenden Zellen, die beiderseits von dem Karpo- gon saßen (Abb. 3). Hierdurch entstand eine Art Doppelzystokarp oder zwei Zystokarpien, geschie- den voneinander durch das Karpogon, das hier nur als eine Art Aufnahmeapparat für die Sper- matien zu fungieren schien. Noch komplizierter waren die Verhältnisse bei der Gattung Dudresnaya. Hier wie bei Callitham- nion entwickelt sich das Zystokarp nicht von dem Karpogon, sondern von anderen Zellen aus, diese Zellen aber, die die Ausgangspunkte für die Zysto- karpbildung abgeben, sind weit von dem Karpogon entfernt belegen, und nach der Befruchtung wachsen von diesem lange, schlauchähnliche Zellfäden, „tubes connecteurs", aus, die in plasmatische Ver- bindung mit diesen Zellen treten, welche schon von der ersten Anlegung an dazu bestimmt sind, Zentren für die Zystokarpbildung zu werden. Bornet und Thuret bezeichneten diesen eigen- tümlichen — ohne Analogie im Pflanzenreiche dastehenden — Prozeß als eine doppelte Befruch- tung („deux fecondations successives"). Diese be- merkenswerten Entdeckungen der b?iden franzö- sischen Forscher brachten die Kenntnis der Flori- deen einen Riesenschritt vorwärts. Schon damals wurde darauf hingewiesen, daß die Befruchtung der Florideen durchaus nicht der bei anderen Algen glich, wo im allgemeinen alle männlichen Körper Eigenbewegungen mittels Zilien hätten, und wo in der Regel keine speziellen Fangorgane für sie an den weiblichen Organen vorhanden seien, wozu dann noch die eigentümlich komplizierten Be- fruchtungsverhältnisse im übrigen kamen. Die Florideen erwiesen sich durch diese Entdeckungen als eine äußerst distinkte Pflanzengruppe ohne engeren An.-;chluß an andere Algengruppen. (Schluß folgt.) In letzter Stunde. Zu der Denkschrift der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege der Schaffung von Moorschutzgebieten". [Nachdruck verboten.] Von H. KlOSe. Es ist heute nicht mehr notwendig, die Be- rechtigung der Naturdenkmalpflege zu begründen oder zu erörtern; eine reiche Literatur, die aner- kennenswerte Mitarbeit der Presse, insbesondere auch der volkstümlich-wissenschaftlichen Zeit- schriften, haben dafür gesorgt, daß nicht nur in der Theorie, sondern auch praktisch für die Er- haltung ursprünglicher Natur allerwärts nach Kräften gearbeitet wird. Aber noch immer über- wiegt bei weitem die Zerstörung, und auch die erfreulichste Erhaltung einzelner Naturdenkmäler und die P^inrichtung von Naturschutzgebieten darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß erst der Anfang gemacht ist, und daß es einer beschleu- nigteren Arbeit bedarf, will man die letzten Reste der ursprünglichen Natur im Interesse von Wissenschaft und Heimatschutz wirklich und in ausreichendem Maße retten. Seitdem es eine Naturdenkmalpflege gibt, ist immer wieder auf den Wert der „Ödländereien" und Moore für die Schaffung von Naturschutz- gebieten hingewiesen worden, einesteils, weil man erkannt hatte, daß einigermaßen unberührte Natur in größerem Umfange nur dort noch zu finden ist, andernteils, weil man hier mit verhältnismäßig ,über die Notwendigkeit geringeren Mitteln Wesentliches zu erreichen hoffen durfte. Zwar hatte man bald die Moore zum größten Teil ausnehmen müssen, seitdem nämlich die wirtschaftliche Bedeutung der Moor- kultur zahlenmäßig, in Heller und Pfennig, nach- gewiesen werden konnte. Immerhin durfte man aber erwarten, daß die Kultivierung lange Zeit in Anspruch nehmen würde, und daß die inzwischen mehr und mehr erstarkende Naturschutzbewegung mittlerweile Gelegenheit gefunden hätte, das un- bedingt Notwendige vor der Zerstörung zu sichern. Man würde Mittel und Wege gefunden haben, unbeschadet wirtschaftlicher Notwendigkeiten den Erfordernissen der Geologie, Geographie, Botanik, Zoologie, Vorgeschichte einerseits, des Heimat- schutzes andererseits gerecht zu werden. Da aber kam der Krieg und in seinem Ge- folge ein gewaltiges Zusammenfassen aller wirt- schaftlichen Kräfte, ein Zurückgreifen auf alle Hilfsmittel, ein Ausnutzen der verfügbaren An- baufläche und nach Möglichkeit auch des Brach- liegenden. Es ist nur zu begreiflich, daß alsbald auch der Ruf nach Nutzung alles Ödlandes, aller Moore ertönte. Kein Fuß deutschen Bodens darf der Volksernährung entzogen werden, erscholl 36o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 der Schlachtruf; Meliorationstechniker und Torf- bauern spitzten die Ohren und übersetzten das Wort Konjunktur ins Hoch- und Plattdeutsche. Einige Phantasten wollten sogar die Kriegsbe- schädigten auf Neuland ansiedeln, eine Sinnlosig- keit, wenn man bedenkt, daß solcher Boden auf viele Jahre allerstärkste Arbeitskraft beansprucht, daß Kriegsverletzte aber nur einen Bruchteil der Vollarbeit leisten können. Den Meliorationsfana- tikern gegenüber verfängt es gar nicht, wenn je- mand darauf hinweist, daß die Gesamtarbeitskraft unseres Volkes infolge der Menschenverluste für mehr als zwei Jahrzehnte gemindert sei, und daß wir schon die bisher vorhandene Anbaufläche nur mit Mühe und mit Hilfe sehr vieler ausländischer Arbeiter würden bestellen können. Niemand fragt sich, ob es nicht vielleicht ratsam sein könnte, für spätere Bevölkerungszunahme gewisse Land- reserven zu halten. Niemand kümmert sich auch um die hydrographischen Bedenken und überlegt, ob nicht nachteilige Folgen für benachbarte Boden- teile und Bewohner infolge der Entwässerungen eintreten würden; die klimatologischen — schwer nachzuprüfenden — Bedenken werden ebenso- wenig beachtet. Die Moorzerstörung ist in einem solchen Umfange und mit solcher Geschwindig- keit begonnen und in der Durchführung begriffen, daß die Naturdenkmalpflege und die ihr ver- wandten Bestrebungen ihrerseits zu schnellstem Vorgehen veranlaßt werden müssen. Zeit ver- lieren heißt hier Alles verlieren, weil das Unter- lassene niemals wieder gut gemacht werden kann. Hiernach darf man sagen, daß es wirklich in letzter Stunde war, als die berufenen Ver- treter der Naturdenkmalpflege ihre oftmals ge- stellten Forderungen noch einmal zusammenfaßten und in einer Denkschrift an die Öffentlichkeit brachten. Die seit 1908 in Berlin stattfindenden Jahreskonferenzen für Naturdenkmalpflege hatten 1914 infolge des Krieges eine Unterbrechung er- fahren. Für 1915 jedoch rechtfertigten die Wich- tigkeit und Dringlichkeit der Moorfrage die Be- rufung der VII. Jahreskonferenz, die am 3. und 4. Dezember vorigen Jahres wie üblich in den Räumen der Preußischen Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege im Berliner alten Botanischen Museum stattfand. Die zum Hauptgegenstand der Tagesordnung gemachte Moorfrage bedingte auch die ungewöhnlich hohe Zahl von 75 Teil- nehmern, die für die Kriegszeit geradezu eine Höchstleistung darstellt, wenn man bedenkt, daß zahlreiche Herren durch den Heeresdienst am Kommen verhindert waren. Einige hatten Urlaub erhalten, um der Konferenz beiwohnen zu können. Neben den Geschäftsführern der Ausschüsse (Komitees) für Naturdenkmalpflege waren hervor- ragende Vertreter aller naturwissenschaftlichen Fächer, der Kunst, des Meliorationswesens, der Moorkultur, sowie des Heimatschutzes und Vogel- schutzes aus Preußen, den Bundesstaaten und Österreich erschienen. Die Preußischen Ministerien für GeistUche und Unterrichtsangelegenheiten, so- wie für Landwirtschaft, Domänen und P'orsten waren durch die Geheimräte Dr. Norrenberg und Egger t vertreten. Den Vorsitz führte der Leiter der Staatlichen Stelle, Geheimrat Conwentz. Aus seinem ein- leitenden Vortrage entnehmen wir zunächst mit Befriedigung, daß er bereits Ende 1914 in Ge- meinschaft mit dem Leiter der Vorgeschichtlichen Abteilung des Museums für Völkerkunde eine Eingabe an den Kultusminister gerichtet hat, um die Ansprüche der Naturdenkmalpflege gegenüber der Kriegsmeliorierung zu wahren. Hierauf ist am 17. 5. 15 ein Erlaß des Ministers an die Ober- präsidenten ergangen, in dem die Berücksichtigung der naturwissenschaftlich oder geschichtlich wich- tigen Vorkommen verlangt wurde, „soweit es mit den wirtschaftlichen Zielen vereinbar sei." Eine ähnliche Verfügung erließ am 16. 6. 15 auch der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten an die Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Präsidenten der Generalkommissionen und die Königlichen Regierungen. Die Behörden der Landeskultur wurden angewiesen, den entsprechen- den Organen der Naturdenkmalpflege von den auf MeHorationsfläclien aufgefundenen Naturdenk- mälern u. dergl. Mitteilung zu machen. Anderer- seits bemühte sich die Staatliche Stelle im Verein mit den Ausschüssen, Vorschläge für die Errich- tung von Reservaten zu machen und ließ eine Anzahl der wichtigsten Moorgebiete von einer Reihe von Fachleuten auf ihren Wert für Naturwissen- schaft und Heimatkunde untersuchen. Die Eile, mit denen die Meliorierungsarbeiten in Angrifif genommen wurden, veranlaßte manche Schwierig- keit. Erfreulich war die Feststellung, daß die Meliorationsbaubeamten dankenswertes Entgegen- kommen bezeigten. Für die Einrichtung von Schutzgebieten ergab sich in der Folge der Grund- satz, daß nur geschlossene Moorflächen, nicht ein- zelne Teilgebiete in Frage kamen, weil die Ent- wässerung das betreffende ganze Gebiet derart beeinflußt, daß jeder Teil seinen ursprünglichen Charakter verliert. In einer weiteren Eingabe vom 30. 9. 1 5 hat dann die Staatliche Stelle den Herrn Kultusminister gebeten, dahin wirken zu wollen, daß in jeder Provinz durchschnittlich wenigstens ein bis zwei größere Moore von der IVIelio- rierung ausgeschieden und als Naturdenkmäler er- halten werden möchten. Im Verlauf der Konferenz kamen zunächst die Fachleute zu Worte, die über die Entstehung, Entwicklung und Klassifikation der Moore (Ge- heimrat K eil hack- Berlin), ihre floristischen (Dr. Ginzberger-Wien, Prof. Grad mann -Tü- bingen, Dr. Paul -München, Oberlehrer Tessen- dorf -Berlin, Dr. Wanger i n -Danzig, Wehr- hahn-Hannover u. a.) und faunistischen (Prof. Pax - Breslau) Verhältnisse referierten. Geheimrat E. Krüger -Berlin sprach eingehend über Art und Ausführung der Melioration und Moorkultur. Von besonderem Wert waren die Ausführun- gen eines Sachverständigen auf dem Gebiet der N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 361 Moorkultur, Prof. Weber von der Moorversuch- station in Bremen. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß in Prof Hoffmann-Fallcrsleben -Berlin ein berufener Vertreter der Kunst das Wort er- griff, um deren Interesse an der Erhaltung einzelner Moore im Naturzustande zu schildern, was ihm um so besser gelang, als er durch eine größere Anzahl prächtiger Gemälde und Studien aus deutschen Moorgebieten den Eindruck des ge- sprochenen Wortes wesentlich zu verstärken ver- mochte. Dr. Kiekebusch vertrat die Wünsche der Vorgeschichtswissenschaft. Einen wesentlichen Teil der Konferenz nahmen naturgemäß die Be- richte der Forscher ein, die im Auftrag der Staat- lichen Stelle Untersuchungen und Aufnahmen von Moorgebieten ausgeführt hatten. Eindrucksvoll war die Feststellung Tessendor f 's, daß es unter den gewaltigen Moorflächen Hannovers kaum noch ein einziges unberührtes, größeres Moor gebe. Mit Befriedigung wurde beispielsweise auch der Bericht des Bergischen Komitees für Naturdenkmalpflege angehört, dem es schon jetzt gelungen ist, die Moorflächen des Bergischen Landes in ausreichen- dem Maße zu sichern. Bei allen Teilnehmern hinterließ die Konferenz einen nachhaltigen, starken Plindruck. Die Festigkeit, mit der die ersten Fachgelehrten — wir nennen hier nur die Namen A. Engler, Brauer, Witt- mack, Drude — die Ausführungen der Redner bestätigten und bekräftigten, der Ernst und die Hingebung, womit die wichtige Angelegenheit in jeder Hinsicht erörtert wurde, können unmöglich nach außen hin ihre Wirkung verfehlen. Werden jetzt die Wünsche und Vorschläge der Naturdenk- malpflege nicht in vollstem Maße berücksichtigt; nun, den Naturwissenschaftlern, der Naturdenkmal- pflege und dem Heimatschutz wird ein Vorwurf nicht gemacht werden können. Daß ein Gelehrter ganz besonders bei der Konferenz vermißt wurde, einer, dessen Urteil und Ratschläge von hohem Werte gewesen wären, wird den Lesern gerade der „Naturwissenschaft- lichen Wochenschrift" nicht verwunderlich sein. Wir meinen den leider zu früh verstorbenen H. Potonie, der lebhaft für die Erhaltung der Moore eingetreten ist. (S. diese Zeitschrift 1907, S. 337-) Es ist dem Leiter der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflcge, wie Hr. Geheimrat Engler hervorhob, als hohes Verdienst anzurechnen, daß er in dieser Zeit eine solche Konferenz zu ver- anstalten und durchzuführen vermochte. Hierfür und für die aufopfernde, anstrengende Leitung der Verhandlungen gebührt ihm öffentlicher Dank. Verdienstvoll ist es ferner, daß der Konferenz auf dem Fuße die Herausgabe einer im Verlage von Gebr. Bornträger in Berlin erschienenen „Denk- schrift" gefolgt ist. ') Hierin ist zunächst kurz über die Konferenz berichtet, dann wird eine Reihe von Äußerungen, wie sie von hervorragen- den Fachgelehrten zur Moorschutzfrage vorliegen, auszugsweise wiedergegeben. Die Denkschrift soll das Ergebnis der Konferenz auch in weitere Kreise bringen und wird allen denjenigen, die bei der Schaffung von Moorreservaten tatkräftige Hilfe leisten wollen, ein Wegweiser sein. Dem Erscheinen des ausführlichen Sitzungsberichts, der in den „Beiträgen zur Naturdenkmalpflege" (Berlin, Gebrüder Bornträger) demnächst herausgegeben werden soll, wird viel Interesse entgegengebracht werden. Er wird die sämtlichen Referate im Wortlaut enthalten. (G.c.) ') Über die Notwendigkeit der Schaffung von Moorschutzgebieten. Denkschrift nach den Beratungen der VII. Jahreskonferenz für Naturdenkmalpflcge in Berlin am 3. und 4. Dezember 1915, ausgeführt von der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen. iSSeitcn. Berlin 1916. Einzelberichte. Astronomie. Einen Mondkrater auf der Erde beschrieb M. Barringer (Nature, 1916 Nr. 2413) in eingehender, durch eine Abbildung unterstützter Darstellung. Wenn auch die Mondkrater, von uns aus gesehen, an die unsrigen erinnern, also aus der Vogelperspektive, so ist doch immer ein großer Unterschied zu betonen. Unsere Krater gleichen Kesseln, ihre Tiefe ist beträchtlich im Vergleich zu ihrem Durchmesser, diesem manchmal gleich oder größer. Die Mondkrater aber sind an sich von einer riesigen Größe, den unsrigen vielfach überlegen, solche von 100 km Durchmesser sind nicht selten, und im Vergleich dazu sehr flach wie Pfannen. Bei der starken Krümmung der Mondoberfläche kann man bei so großen Kratern nicht mehr von dem einen Rand bis zum gegen- überliegenden sehen. Unter den verschiedenen Erklärungsversuchen dieser Gebilde nimmt die- jenige den ersten Rang ein, die riesige Meteore einstürzen läßt, deren Aufstoß einen so starken Rückstoß ergibt, daß die Materie sich kreisförmig aufwirft, und so den Kraterwall herstellt. Der neuentdeckte irdische Mondkrater befindet sich im nördl. Zentral- Arizona, 140 km erntfernt von dem berühmten großen Cannon, und 5 km ent- fernt von dem Cannon Diablo, das bekannt ist durch die Unmasse verstreuter Meteore, die einem früheren Meteorfall ihre Entstehung verdanken. Das Gelände ist geologisch gut bekannt, es liegen übereinander eine Schicht von 15 m Dicke roter Sandstein, dann So m Kalkstein und 300 m weißer Sandstein. Wie zahlreiche Bohrungen bewiesen haben, ist in der ganzen Gegend keine Spur einer vulkanischen Tätigkeit vorhanden, auch keinerlei vulkanisches Gestein ist nachweisbar. Erst in 40 km Entfernung ist ein Herd früherer vulkanischer 362 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 Tätigkeit. Unser Krater nun ist eine \'ertiefung von ringförmiger Form, deren größter Durch- messer 1300 m beträgt, bei einer Tiefe von 174 m. Der Boden dieser Pfanne ist vollkommen eben, bis an die Randböschungen. Diese Böschungen nun zeigen die Wirkung ungeheuerlicher mecha- nischer Einwirkungen. Die Gesteinsschichten sind umgekippt zum Teil bis zu einem Winkel von 90 Grad, und bis zu mehreren km Entfernung liegen die Gesteinstrümmer der Grundschichten herum. Eckige Blöcke, Kalkstein von lausenden von Tonnen Gewicht, während der Sandstein oft zu Pulver zerrieben und verwittert ist. An manchen Stellen ist das Gestein der Grundschichten ab- gespalten wie Schiefer. Der Kiesel tritt in selt- samen Vermischungen auf, und Teile von Sand- körnern sind in Chalzedon eingehüllt, einem bimssteinartigen Mineral, das sich bildet, wenn es im Wasser treibt. Unter den herausgeschleu- derten Bruchstücken finden sich viele Schieferbälle oder Eisenschiefer, nämlich abgerundete oder kug- lige Stücke, deren chemische Untersuchung sich als Oxyde von Nickeleisen erweist, und in einzelnen Fällen lassen sich trotz ihrer Verwitterung die Widmanstätten 'sehen Figuren nachweisen, die den meteorischen Ursprung beweisen. Die Kerne dieser Kugeln bestehen bisweilen noch aus un- verändertem Nickeleisen. Im Gegensatz dazu zeigen die Meteore des vorhin genannten Cannon Diablo bei einem Gewicht von i 50 — 450 kg keine Spur von Verwitterung, aber dafür zeigen sie die bekannten löcherigen Oberflächen und sonstigen Äußerlichkeiten der Meteore. Offenbar handelt es sich um zwei Arten von Massen, deren eine leichter oxydierbar ist als die andere. Die amerikanischen Geologen haben sich nun gefragt, wie dieses Gebilde entstanden sein könne, und sind zunächst einig in dem nicht vulkanischen Ursprung des Kraters. Gilbert läßt einen großen Meteor herabstürzen, oder eine Gruppe davon, deren Einsturz die mechanische Wirkung hervor- gebracht hat. Man kennt ein paar Fälle, wo Meteore solche Trichter, allerdings in sehr viel kleinerem Maßstabe erzeugt haben. Da bleiben aber noch manche Schwierigkeiten zu erklären. Man fragt sich vergeblich, wo denn die riesige Einschlagsmasse hingekommen ist. Außer den herumliegenden Bruchstücken ist nichts zu sehen. Magnetische Beobachtungen habenkeine Andeutung der Anwesenheit einer ungeheuren Masse von Nickeleisen tiefer im Boden ergeben, auch nicht in der Umgebung. Deswegen hat Rüssel eine andere Erklärung gegeben, er läßt ebenfalls den oder die Meteore mit planetarischer Geschwindig- keit einstürzen, dann aber beim Eindringen in die .Atmosphäre hier eine Masse komprimierter Luft vor sich hertreiben, die zunächst die Vertiefung eindrückt und dann beim Entweichen der Luft nach außen die Felsmasse hebt, herausschleudert und die Randschichten kippt. So bleibt freilich die Frage nach dem Verbleiben der großen Meteormasse oder nach deren Verschwinden durch langsame Oxydation noch immer offen. Dies tut aber dem auffallenden Charakter dieses einzigartigen Kraters keinen Abbruch. Riem. Pflanzenkrankheiten. Woher kommt die verschiedene Anfälligkeit der Getreidesorten gegen Brand und Rost? — Die verschiedenen Getreide- sorten sind bekanntlich gegenüber dem Brand und Rost nicht in gleichem Maße empfänglich. Neben ganz oder fast ganz immunen gibt es sehr an- fällige Sorten und zwischen diesen Extremen alle möglichen Übergänge. Der Grad der Anfälligkeit einer bestimmten Sorte kann zwar durch äußere Einflüsse, wie Witterungs- und Ernährungsverhält- nisse, weitgehend modifiziert werden, muß aber doch im ganzen, namentlich auf Grund neuerer Kreuzungsversuche, als eine erbliche Eigenschaft angesehen werden. Wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die Angriffsenergie des betr. Brand- oder Rost- pilzes gleich groß ist, — eine Voraussetzung, die allerdings näherer Prüfung bedarf, nachdem es gelungen ist, gewisse Pilze an ihnen gewöhnlich unzugängliche Wirtspflanzen allmählich anzupassen, — ist die Ursache der ungleichen Anfälligkeit in der Beschaffenheit der einzelnen Sorten zu suchen. Dabei kommt entweder der anatomische Bau oder die chemische Zusammensetzung des Zellinhaltes als fördernder bzw. hemmender Faktor in Frage. Für die verschiedene Brand- und Rostfestigkeit hat man bisher meist den ersteren verantwortlich gemacht. Unzweifelhaft festgestellt ist aber nur, daß die Immunität bestimmter Gerstensorten gegen den Flugbrand Ustilago kordei durch deren kleisto- games Blühen, das eine Blüteninfektion mechanisch unmöglich macht, bedingt ist. Im übrigen stehen nach Kirchner (Über die Ursachen der ver- schiedenen Anfälligkeit der Getreidesorten gegen Pilzkrankheiten. Frühling's Landw. Zeitung 65, S. 92 — 137, 1916) anatomische Eigenschaften, wie Anzahl und Größe der Spaltöffnungen, Dicke der Epidermisaußenwände, Wachsüberzug der Ober- haut, Zähigkeit und Behaarung der Blätter u. a., in keinem Zusammenhang mit der ungleichen Anfälligkeit. Vielmehr scheinen hier Unterschiede in der chemischen Beschaffenheit des Zellinhaltes die ausschlaggebende Rolle zu spielen : Es ist von vornherein zu vermuten, daß hochgradige Anfällig- keit durch das Vorhandensein von pilzanlockenden Stoffen (Zuckerarten), Immunität durch besondere Schutzstoffe (Säuren, Enzyme, Antitoxine) bedingt ist. Dafür spricht schon die Beobachtung, daß die Sporen gewisser Pilze beim Übertragen auf fremde Wirtspflanzen in normaler Weise keimen und die Keimschläuche in deren Gewebe ein- dringen, um früher oder später unter Erscheinun- gen, die auf Nahrungsmangel schließen lassen, ab- zusterben. Kirchner hat nun jeweils eine stark anfällige und eine sehr widerstandsfähige Sorte einer ver- gleichend-chemischen Prüfung unterzogen und ge- N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 funden, daß die letztere im Verhältnis mehr Säure und weniger Zucker (Dextrose) enthält. So ergab ein Vergleich für Gelbrost verschieden empfäng- licher Sorten in der Trockensubstanz : bei Säure Zucker Hohenheimer Nr. 77 (wenig anfällig) 0.67 7o 5.97 7o Michigan Bronze (stark anfällig) 0.55 7o 6,03 % Roter kahler Binkelweizen (sehr wenig anfällig) 0,82 0/0 7.24 7o Beloturka-Weizen (stark anfällig) 0,69% 7,66 o/o Die Unterschiede sind zwar, absolut genommen, nicht groß; aber es lagen ja auch keine absolut immunen Sorten, sondern solche von verschieden starker Anfälligkeit vor. Bemerkentwert ist, daß in beiden Fällen das Verhältnis der vorhandenen Säure- und Dextrosemengen nahezu gleich ist, nämlich bei den widerstandsfähigen Sorten i : 8,g bzw. 1:8,8, bei den stark anfälligen 1:11,0 bzw. Auch die Untersuchung zweier, für den Stein- brand ungleich empfänglichen Sorten ergab bei der widerstandsfähigeren einen größeren Säure- gehalt. Damit gewinnt die oben ausgesprochene Ver- mutung an Wahrscheinlichkeit, wenn auch zur Entscheidung der Frage noch weit umfangreichere Versuche erforderlich sind. F. Esmarch. Chemie. Die Synthese des Obsidians und des Bimssteins ist vor kurzem in Gemeinschaft mit Rudolf Zünckel von Walther Hempel (Dresden) durchgeführt worden (Zeitschr. f. angew. Chem. 19 16, I, S. 173—175)- Der Obsidian ist bekanntlich ein wasserhaltiges vulkanisches Glas, das beim Erhitzen bis zu seinem Erweichungs- punkt große Massen von Wasserdampf und ande- ren Gasen entwickelt und beim Erstarren dann eine poröse, schaumige Beschaffenheit annimmt. Man hat daraus geschlossen, daß der Obsidian ein unter hohem Wasserdampfdruck entstandenes Silikatglas ist, daß bei plötzlicher Druckentlastung in Bimsstein übergeht. In der Tat ist es den bei- den genannten Autoren nun gelungen, auf Grund dieser Hypothese sowohl Obsidian als auch Bims- stein künstlich darzustellen. Sie bauten einen kleinen elektrischen Ofen, mit dessen Hilfe Tem- peraturen bis zu 1600" unter einem gleichzeitigen Wasserdampfdruck bis zu 100 Atmosphären er- halten werden konnten. Als sie nun in diesem Ofen, wegen dessen Konstruktion auf die Original- arbeit verwiesen sei, versuchten, auf Grund von Obsidian- und Bimsteinanalysen (vgl. die Tabelle) Obsidian zu erschmelzen, erhielten sie, solange sie das Eisen — etwa 1,5 "j^ — in Form von Ferri- oxyd anwendeten, niemals homogene Gläser, wohl aber, als sie dem Substanzgemisch das Eisen in Form von Eisenspat FeCOg, also in Form von zweiwertigem Eisen hinzufügten. „Nach mannig- fach abgeänderten Versuchen gelang es, durch Zusammenschmelzen von 6,602 g Feldspat 1.983 g Quarzpulver 0.197 S Spateisen und 0,17 g Soda bei einem Wasserdampfdruck von 85 Atmosphären ein Glas zu erschmelzen, das in seinem Äußeren dem Obsidian völlig gleicht und einen Wasser- gehalt von 0,65 % hat. In der Gebläseflamme erhitzt, zeigt es genau wie der natürliche Obsidian das Phänomen des starken Aufblähens. Die Her- stellung künstlicher Bimssteine erfolgte ganz un- freiwillig dadurch, daß bei einigen Versuchen die Leitung des Apparates nicht aushielt, sondern plötzlich abblies. Stellte man dann sofort die die elektrische Steigiing ab, so fand man nach dem Abkühlen und Öffnen des Schmelzofens die Silikate in Form des Bimssteins." In ähnlicher Weise wie Wasserdampf nehmen geeignete Silikate, wenn sie unter Kohlensäure- druck geschmolzen werden, Kohlensäure, diese allerdings in geringeren Mengen als Wasserdampf auf. .-^uch „die unter Kohlensäuredruck herge- stellten Gläser verhielten sich genau so wie die natürlichen Obsidiane, sie blähten sich beim Er- hitzen in der Gebläselampe wie diese auf". Werden die Schmelzen bei Anwesenheit von Kochsalz durchgeführt, so erweisen sich die ent- standenen Gläser bei der Analyse als chlorhaltig. Anal yse eines Glühverlust Obsidians bei 105° getrockneten Binissteinsandes l.26»/„*) 4.27 7o SiO, 73.97 71,39 AloOa 12,91 12,17 Fe^Os 0,88 1,42 FeO 0.77 0,58 CaO 0,48 0,46 MgO 0,49 K,0 5.°i 4,52 Na.,0 3,81 3,62 Cl 0,31 — — — *) davon HjO 0,67 % Mg. Eine Verbindung des Stickstoffs mit fünf Kohlenwasserstoffresten hat W. S c h I e n k zu- sammen mit J. Holtz dargestellt und in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft (49, Nr. 4/5, S. 603) näher beschrieben. Eine derartige Verbindung, deren allgemeine Formel N;r(R)5 ist, worin R einwertige Kohlenwasserstoff- reste bedeutet, ist theoretisch von hohem Inter- esse, da man bisher angenommen hat, daß der Bildung derartiger Körper die Ungleichheit der fünf Valenzen des Stickstoffatoms hindernd im Wege stehen müßte. Diese Annahme muß jetzt fallen gelassen werden, da es Seh lenk gelang, das Triphenylmethyltetramethylammo- nium, (CgH5)3C-N = (CH3)^ zu synthetisieren. Diese eigenartige Verbindung entsteht bei der 364 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 doppelten Umsetzung von Triphen}lmethylnatrium mit Tetramethylammoniumchlorid im Sinne der Gleichung (C6H5)3=CNa+CiN(CH,), = (QH3)3=C-N-(CH3), -fNaCI, wobei natürlich ziemlich subtile Versuchsbedingun- gen zur Isolierung der gegen Wasser und Luft hochempfindlichen Substanz einzuhalten sind. Die neue Verbindung wird aus ihrer Pyridinlösung durch Äther als prächtig flimmernde, rote Kristall- masse mit blauem Metallglanz abgeschieden. Mit Wasser setzt sie sich sofort um unter Bildung von Triphenylmethan und Tetramethylammonium- hydroxyd ; an der Luft tritt sofort Entfärbung ein, wobei sich wahrscheinlich Triphenylmethyl und Tetramethylammoniumperoxyd bilden. Bg. Physik. Über eine neue Glühlampe berich- ten E. .'\. Ginningham und R. S. Mullard im Electrician Bd. 76, S. 390. In einer luftleeren Glasbirne ist ein Wolframdraht von einigen Zenti- metern Länge, der mit Zirkon-, Yttrium-, Thorium- oxyd überzogen ist, horizontal ausgespannt. Wird der Draht durch einen Heizstrom zum Glühen ge- bracht, so gehen von den Oxyden in reichlicher Menge Kathodenstrahlen aus. Dicht oberhalb des Glülidrahtes liegt ein Wolframstäbchen, das in einer Kugel von 2,5 mm Durchmesser endet; dieses ist mit dem positiven Pol der Stromquelle verbunden, während der Glühdraht Kathode (Wehneltkathode) ist. Sobald von dem letzteren Elektronen ausgehen, wird das Vakuum leitend und der Strom geht vom Kügelchen zum Leucht- draht. Durch eine einfache elektromagnetische Vorrichtung wird jetzt der Heizstrom ausgeschaltet. Das Wolframkügelchen sendet blendend helles Licht aus. Bei den höherkerzigen Lampen ist die Zündung etwas komplizierter. Die Glasbirne der neuen „IBogenglühlampe" ist erheblich kleiner als die einer gleichhellen Metallfadenlampe; ihr Durch- messer beträgt z. B. für eine Lampe von 500 HK nur 10 cm. Die Flächenhelligkeit des Leucht- kügelchens ist sehr beträchtlich, bis zu 4700 j, cm- während die einer Metallfaden-, resp. Kohlefaden- lampe rund 156 bzw. 59 — 5 beträgt. Der normale Effektverbrauch ist 0,5 Watt pro Kerze; geht man indessen mit der Belastung so weit, daß nahezu der Schmelzpunkt des Wolframs erreicht wird, so verbraucht die Lampe nur 0,3 Watt pro Kerze. Ihre Lebensdauer beträgt 500 Stunden, doch hofft man durch Verbesserungen auf 800 Brenn- stunden zu kommen. Wegen der Kleinheit der Lichtquelle wird die neue Lampe namentlich für Projektionszwecke Verwendnng finden. K. Seh. Zoologie. Vom Schwarzspecht, Dryo- copus martius (L), macht der Erforscher der Bio- logie dieses Vogels, Forstmeister Kurt Loos in Liboch (Böhmen) neuerdings verschiedene inter- essante Angaben. ') Er stellt fest, daß der Schnabel des Männchens, das bei der Höhlenbereitung auch die Hauptarbeit besorgt, stärker und kräftiger ist, als derjenige des Weibchens. Die Maximallänge des Oberschnabels beim Männchen betrug von einer großen Zahl Stücke 71 mm, beim Weibchen 67 mm. Die durchschnittlichen Maße des Oberschnabels waren : Beim Männchen beim Weibchen Länge 66,6 mm 64,0 mm Breite an der Schnabelbasis 21,4 „ 21,0 ,, Breite in der Schnabelmitte il,3 „ u.l „ Der Verfasser kann leicht eine Jugendform und eine Altersform des Schwarzspechtschnabels unterscheiden. Bei ersterer bildet die Krümmung der Oberschnabelspitze zur Basis des Oberschnabels einen spitzen Winkel, während bei der AUersform dieser Winkel ziemlich stark abgestumpft ist. Demnach findet eine Abnützung statt. — Der Schwarzspecht ist ein Nadelholzbewohner, der diese Wohnstätte nur selten verläßt. Der Verfasser konnte aber im Februar 191 3 einen Schwarzspecht antreffen, der sich in Weidenstöcken auf der Suche nach Bockkäferlarven befand und zu diesem Zwecke 3,5 km vom Nadelwalde entfernt hatte und über offenes Gelände geflogen war. Natürlich brütet der Vogel erst recht im Nadehvalde, der ihm die nötige Nahrung liefert. Doch gibt es auch hier seltene Ausnahmen. So wurde im Jahre 1909 eine Brut in einer Baumgruppe weit entfernt vom nächsten Walde angetroffen. Bereits in der zweiten Hälfte Februar wird der Balzruf vernommen, An- fangs März fliegen die Schwarzspechte paarweise. Der Schwarzspecht benutzt jahrelang eine aus- erkorene Höhle als Brutstätte. .'\ls Beispiel führt der Verfasser eine Bruthöhle in einer Kiefer an, die in den Jahren 1907 und 190S zur Aufzucht der Brut benutzt wurde. Im Jahre 1909 benutzte ein Kleiber die Höhle für seine Brut. In den Jahren 1911 und 191 2 waren wieder Schwarzspecht- bruten darin. Im August 1912 setzte sich ein Bienenschwarm darin fest. Am 8. Januar 191 3 wurde er vom Schwarzspecht ausgeräumt, um von der Höhle wieder Besitz zu nehmen. Die Durchschnittsgröße eines Schwarzspechteies im 33,6 Libocherrevier ist 35.5 mm Durchmesser. Die jungen Schwarzspechte schlüpfen nackt aus dem Ei. Schon nach acht Tagen haben sie 3 mm lange Federn an den Flügeln. Nach 18 Tagen sind die Spechte völlig befiedert. Sie verweilen 24—28 Tage in der Bruthöhle. Im Jahre 191 1 blieben sie bei naßkalter Witterung sogar 31 Tage darin. Solange die jungen Schwarzspechte noch nackt sind, werden sie von den Alten behütet, wobei hauptsächlich das Männchen dieses Amt ') Ornithologische Monatsschrift, 41. Jahrg. No. 2, 1916: Beobachtungen und Untersuchungen am Schwarzspechl auf dem Libocher Doraänengebiet. N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 365 besorgt. In der Höhle zugrundegegangene Junge werden von den Alten weit fortgeschafft und nicht etwa darin gelassen. — Die jungen Schwarzspechte werden eine Zeitlang im Revier der Eltern geduldet, dann aber aus demselben vertrieben. So ziehen sie offenbar recht weit fort. Ein am 25. Mai 1914 mit einem „Lotos"-Ring im Libocherrevier versehener Jungspecht wurde Mitte Dezember, von einem Raubvogel geschlagen, verendet im Kreis Bunz- lau (Preußisch-Schlesien) iio km nordöstlich vom Geburtsort aufgefunden. Dieser Jungspecht hatte in seinem ersten L^ebensjahr durch eine waldreiche Gegend und über Gebirgsketten hinweg eine be- deutende Reise unternommen. — Vom bekannten Trommeln der Schwarzspechte berichtet der Ver- fasser, daß die durchschnittliche Länge einerTrommel- tour I '/., Sekunden betrage und das für eine solche 12 bis 20 Schabelschläge nötig seien. Nsch dem Verfasser wählt der Schwarzspecht die Nist- und Schlafhöhlen als Totengruft, da in ihnen oft verendete Vögel dieser Art gefunden werden. Aber auch Erdlöcher werden als Toten- stätte benutzt, wie dies auch andere Vogelarten tun. Bemerkenswert ist der Vergleich des Größen- verhältnisses der Eingeweide zwischen Schwarz- und Großem Buntspecht (Dendrocopus maior [L]). Speise- Vor- röhre magen Magen Darm beim Schwarzspecht 13,5 cm 5 cm 2 cm 26 cm lang beim großen Buntspecht 7,0 „ — 3,5 ,, 39,5 ,, ,, Das Verhältnis zu Speiseröhre, Vormagen und Magen, Darm ist beim Schwarzspecht 2:1:4, beim Großen Buntspecht 2:1:11 '/..• Bekanntlich haben die Einfarbenspechte (Grau-, Grün- und Schwarz- spechl) einen Vormagen, während bei den Bunt- spechten ein solcher fehlt. Der viel kleinere Große Buntspecht besitzt also einen um 50 "/g längeren Darmkanal als der Schwarzspecht, dagegen hat letzterer eine doppelt so lange Speiseröhre. Beim Schwarzspecht ist der Darmkanal doppelt so lang wie die Speiseröhre, beim Buntspecht ersterer bei- nahe sechsmal so lang wie letztere. Dieses Ver- hältnis dürfte auf das Vorhandensein bzw. Fehlen des Vormagens zurückzuführen sein. Damit wäre ein Hinweis vorhanden, welche Rolle der Vormagen im Verdauungsgeschäft spielt. Alb. Heß. Der Sperling als Zugvogel. Im Anschluß an die Mitteilung über gelegentlich den Winter hin- durch in Frankfurt a. M. verbliebene Starmengen sei erwähnt, daß zufolge der Ornithologischen Monatsschrift Werner Hagen in einer Arbeit „Ein Beitrag zur Avifauna von Hessen-Nassau (Jahrbuch f. Ornith. 1916, S. 129) die Behauptung aufstellte, daß der Hausspatz ihm in Norddeutsch- land nur als Stadtbewohner bekannt sei, der zur Sommerzeit aufs Land gehe. Dies wird jedoch von F. T i s c h 1 e r im 2. Heft der genannten Monats- schrift, Jahrg. 1916, für Ostpreußen bestritten, ebenso im 4. Heft von H. Krohn für Hamburg, Scheswig-Holstein und angrenzende Teile Mecklen- burgs und der Provinz Hannover und von W. Hennemann für das sauerländische Bergland: auf dem Lande wie in der Stadt bleiben überall die Haussperlinge sommers und winters gleich häufig. Dennoch ist, wie O. Leege im 3. Hefte ausführt, der Sperling ein bedingter Zugvogel. In Helgoland unterscheidet Gätke Durchzügler und Brutvögel. Die letzteren ziehen gleich den erbrüteten Jungen im Herbst oder Sommer ab, nur ein Stamm von 20 bis 30 Stück ist den ganzen Winter über auf der Insel anwesend. Ähnlich liegen die Veihältnisse nach Leege auf allen deutschen Nordseeinseln; in den Marschen der Festlandsküste stand vor mehreren Jahrzehnten die Zahl der überwinternden Sperlinge auf den Dörfern wohl kaum hinter derjenigen im Sommer zurück. Jetzt, wo der Dreschflegel durch die Dreschmaschine verdrängt ist und die neueren Höfe dem Hausspatz auch keine Schlupflöcher mehr bieten, verbleibt nur ein Bruchteil der Haussperlinge im Winter auf den Dörfern; wo aber die Landflüchtigen hin wandern, ist unbe- kannt, und Anzeichen für einen „Zug in die Stadt" bestehen nicht. Auch ein kleiner Teil der Fcld- sperlinge ist dort unter die Zugvögel zu rechnen. Heft 4 berichtet auch über das gelegentliche Überwintern von vereinzelten Girlitzen in Leipzig und von zwei nicht genau bestimmten Laubsängern in einem anderen Stadtgebiet. Im letzten Falle handelt es sich jedoch offenbar um Zuzügler aus dem Norden oder Nordosten. Franz. Botanik. Ratten als Nektardiebe. In seinem Buche „Die Agaven" (Jena, G. Fischer, S. 7) be- richtet A. Berg er, daß bei den Agaven die Honigabsonderung der Blüten außerordentlich reichlich ist, so daß die Perigonröhre stets bis zum Überlaufen gefüllt ist. Man könne von einem mit etwa lOO Blüten besetzten Aste von A. Salmiania leicht ein mittleres Trinkglas süßen, klebrigen, wasserhellen Saftes sammeln. Merk- würdig ist nun, daß in dem Garten von La Mor- tola bei Ventimiglia, wo Berger seine Studien machte, außer den Bienen auch die Ratten zu den eifrigsten Besuchern der großen Blütenstände ge- hören. Miehe. Bücherbesprechuugen. Leonhard, Prof. Dr. Richard, Paphlagonia. im Texte. Berlin 191S, Dietrich Reimer (Ernst Mit einer topographischen und einer geologischen Karte in 1:400000, 47 Tafeln und 119 Bildern Vohsen). Dieses schön ausgestattete Werk wird, wenn 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 es auch rein wissenschaftlichen Bestrebungen seine Entstehung verdankt, auch über den Kreis der Geographen hinaus Interesse erwecken, da es einen Teil jenes Landes schildert, das jetzt aller Augen auf sich lenkt, nämlich Kleinasiens. Der Verf. benennt das Gebiet, das ungefähr dem Vilajet Kastamuni und dem Sandjak Angora ent- spricht, mit dem Namen, den es im Altertume führte, Paphlagonia. Diesen schwer zu be- reisenden und noch ungenügend bekannten Land- strich zwischen der Linie der Anatolischen Bahn Eskishehr- Angora und dem Pontus, östlich bis zum Halys, hat der Verf. auf drei Reisen in den Jahren 1899, 1900, 1902 auf seinen un- bekanntesten Strecken durchzogen und längs seines Weges topographisch aufgenommen. Außer der Festlegung der Naturbeschaffenheit der be- reisten Strecken hat auch der Verf. den übrigen landeskundlichen Elementen jenes Gebietes, den wirtschaftlichen, administrativen, völkischen Ver- hältnissen und vor allem den höchst interessanten historischen Überbleibseln seine Aufmerksamkeit zugewandt, welch letztere ihm Anregung zu be- merkenswerten und fesselnden Exkursen und Konstruktionen über die Rolle angeregt haben, die die Pontusländer Ivleinasiens, speziell Paphla- gonien, in der Kulturgeschichte des alten Orients gespielt haben. Das Werk zerfällt in zwei Hanptteile. Den ersten füllen die drei Reiseberichte aus. Der Leser folgt Tag für Tag dem Reisenden auf seinen Fahrten und nimmt teil an seinen Schicksalen und den vielseitigen Beobachtungen. Der zweite ent- hält eine Reihe von abgeschlossenen Einzeldar- stellungen, die in gedrängter Form die wichtigsten Probleme und Ergebnisse der Reise zusammen- fassen. Da sie die beste Vorstellung von der Vielseitigkeit des Buches geben, sei hier kurz der wesentlichste hihalt gekennzeichnet. Im ersten Kapitel wird allgemeines über topo- graphische Aufnahmen und Höhenbestimmungen mitgeteilt nebst Bemerkungen Dr. Richard Kiepert 's zu der von ihm auf Grund der Leonhard'schen Routenkarten und den Routen anderer Reisender hergestellten und dem Werke beigefügten Karte. Dann folgt je ein Kapitel über die Stratigraphie und den Aufbau des Landes. Es folgt dann ein kurzer Abriß der Pflanzenver- breitung und im Zusammenhang mit dieser eine Charakteristik des Klimas. Die nächsten Kapitel behandeln dann die zahlreichen, seit uralten Zeiten hinterlassenen Spuren der menschlichen Tätigkeit, die die kleinasiatische Landschaft in ganz beson- derem iVlaße zu einer historischen machen. Es werden die großen Tumuli, die merkwürdigen unterirdischen Kuppelbauten, die Verf. mit dem mykenischen Kuppelgrab in Beziehung setzt, sowie die Felstreppen und -Höiilengänge, die L. als Kult- stätten der alten „Großen Mutter", der Erd- und Bergöttin Kybele auffaßt, beschrieben und ganz besondere Aufmerksamkeit den Felsgräbern ge- widmet. Dies sind an weit sichtbarer, aber un- zugänglicher Stelle oberhalb begangener Tal- strecken in den Preisen hineingearbeitete Kammern, deren sorgfältig ausgeführte Fassade die eines von Pfeilern getragenen und meist von einem Giebel gekrönten Hausvorbaues nachahmt. Das Vorbild dazu sieht der Verf. in dem noch jetzt am Kau- kasus vorkommenden „Pontischen Hause". Die alten Rassen- und Sprachenverhältnisse, schwie- rigste Dinge in diesem Lande bekannter „Geschichts- losigkeit", werden in einem weiteren Kapitel be- handelt. Der Name Paphlagonien soll von illy- rischen Einwanderern, den Pelagoniern stammen, die mit der kimmerischen Flut ins Land kamen und sich unter einer thrazischen Herrenschicht ansiedelten. Auf breiter geschichtlicher, archäo- logischer und literarischer Grundlage wird dann die Rolle behandelt, die der Pontus und die ihn im Süden und Osten umschließenden Länder im frühen griechischen Altertum gespielt haben. In diesem besonders interessanten Abschnitt kon- struiert der Verf. zahlreiche Linien, die in die Ägäis hineinführen. Vom unterirdischen Kuppelbau zum mykenischen Kuppelgrabe, vom pontischen Hause zum griechischen Tempel, von kaukasischer Männer- und P>auenschönheit zu dem eigentlich ganz ungrie- chischen Schönheitsideal des griechischen Künst- lers laufen Beziehungen, die jenen Pontusländern in frühen Zeiten eine zentrale Bedeutung zuweisen, bis dann in der späteren griechischen Blütezeit wieder hellenische Beziehungen zurückstrahlen. In Paphlagoniens Innere ist aber der Hellenismus erst zur Römerzeit eingedrungen, was weiterhin an Hand von Altertümern, besonders der mit griechischen Inschriften versehenen F"elsengräber, dem Vorbild der Katakomben, geschildert wird. Den Schluß dieser historischen Exkurse bildet dann eine Skizze der nachhellenischen Zeit, der byzantinischen, und der neueren Zeit, der tür- kischen, während welcher das Land fast wieder in prähistorisches Dunkel zurücksinkt. In der Darstellung der jetzigen Menschheit Paphlagoniens interessiert die Schilderung der Kyzylbash, die der Autor für die Nachkommen der keltischen Galater hält, sowie die Charakterisierung des anatolischen Türken. Das Bild fällt sehr ungünstig aus, L. läßt ihm kein gutes Haar. Er muß wohl sehr schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht haben, die ihn vielleicht voreinnehmen. Ein Kapitel über Siedelungen, Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse macht den Schluß dieses Werkes, dessen viel- seitiger Inhalt ein allgemeines Interesse verdient. Sehr zu rühmen sind die vorzüglichen Bilder. Miehe. Dethlefsen, Baurat Prof. Dr., Das schöne Ostpreußen. Mit 154 Bildern. München 1916, R. Piper & Co. Ostpreußen gehörte bis vor kurzem zu dem am wenigsten besuchten Gebieten Deutschlands. Welchem Beamten, Gelehrten hätte es nicht bei dem bloßen Gedanken an eine Verschlagung nach dem äußersten Osten gegraust 1 — und wie man- N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 eher, der als Soldat in diesem Kriege (wie z. B. auch der Referent) zum ersten Male durch das Land kam, ist aufs schönste enttäuscht worden! Allen den vielen, die auf diese Weise die Bekannt- schaft Ostpreußens machten, und allen, die es schon schätzten oder schätzen lernen wollen, sei dieses Buch empfohlen. Sein Schwerpunkt und Hauptvorzug liegt in den zahlreichen vorzüglichen Bildern, die Land und Leute, die liebhche ost- preußische Landschaft mit ihren Seen und Wäldern, die idyllischen Dörfer, die spitztürmigen Kirchen, die behaglichen Städte mit ihren Toren, die alten Burgen vor Augen führen. Immer wieder, wenn man das Buch durchblättert, steigt der Dank auf gegen die Männer und vor allem ihren Führer, dem das Buch gewidmet ist. Der begleitende sachkundige Text beschränkt sich auf einen knap- pen .•\briß der Geschichte und der Landeskunde mit Bevorzugung der Architektur. (gTc;) Miehe. Die Seele des Tieres, Berichte über die neuen Beobachtungen an Pferden und Hunden. Her- ausgegeben von der Gesellsch. für Tierpsycho- logie. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. H. E. Ziegler. Berlin 1915, W. Junk. — 1,50 M. Es ist heikel, sich über denkende Tiere zu äußern. Ganz verschwindend wenige haben von dieser Art von Tierpädagogik eine eigene An- schauung; sie ist ja fast eine Geheimwissenschaft, d. h. eine nur von wenigen ausgeübte und nur an wenige sich wendende Beschäfügung. Sie ermangelt auch ganz der sonst bei jeder neuen Wissenschaft vorhandenen oder sich rasch herstellenden theo- retischen und methodischen Beziehung zu anderen Zweigen, aus denen sie hervorvvächst; sie sprang ja gleich in einer ziemlich vollendeten Form aus dem Kopf ihrer Begründer und hat seither keine neuen Anschlüsse erreicht. Man kann also wenig dazu sagen und darf sich auch dieser neuesten, von Prof. Ziegler mit einer hübschen theoreti- schen Einführung versehenen Veröffentlichung gegenüber auf die Aufforderung beschränken: Leset selbst! Merkwürdig genug ist es. Einen rein persönlichen Eindruck kann Referent, der sich sonst als großen Tierfreund bekennt, hier nicht verschweigen: Dieser Hundekult ist ihm zu- wider. Auch fällt es ihm auf, daß dieser „Loll" in seinen Äußerungen eher der Abklatsch eines verzärtelten Kindes als ein richtiger Köter ist. Miehe. Berger, Alwin, Die Agaven. Beiträge zu einer Monographie. Mit 79 Textabbildungen und 2 Karten. Jena 191 5 G. Fischer. 9 IVI. Der Autor stand lange Zeit dem bekannten von den Brüdern Hanbury gegründeten Garten in La Mortola bei Ventimiglia an der Riviera als wissenschaftlicher Leiter vor. Das dort kultivierte, umfangreiche Material ausgezeichnet gedeihender Agaven — eine lebende Sammlung, die nicht zum wenigsten durch das Interesse des Verfassers zu der größten Europas geworden ist — wurde zum Ausgangspunkt von systematischen Studien, die Berger in diesem Buche als Bausteine zu einer Agavenmonographie vorlegt. Nach einer allgemein orientierenden Einleitung, die das wichtigste, aus der Morphologie, der Lebensgeschichte, der geo- graphischen Verbreitung der Agaven samt der Geschichte ihrer Ausbreitung in Europa, ihre systematische Erforschung und wirtschaftliche Nutzung bringt, wird eine Übersicht samt Schlüssel der systematischen Gruppen innerhalb des Genus Agave, in der aucli ein Bestimmungsschlüssel nach den Blattmerkmalen enthalten ist, gegeben. Es folgen dann nach mit besonderen Schlüsseln versehenen Untergattungen angeordnet die Einzelbeschrei- bungen der. '\rten, die durch gute, nach Photographien hergestellten Abbildungen und Zeichnungen er- läutert werden. Bei der Lückenhaftigkeit und dadurch bedingten großen Schwierigkeit der Agaven- systematik ist diese auf dem Studium einer großen Zahl lebender Arten begründete Darstellung für den Botaniker wertvoll, aber auch dem Liebhaber und Gärtner von Nutzen, der am Schluß einige Winke über die Zucht und Behandlung von Agaven findet. Miehe. Beiträge zur Kryptogamenflora der Schweiz. Band V, Heft i: Die schweizerischen Proto- mycetaceen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklungsgeschichte und Biologie von GünthervonBüren. Heft 2 : Le coelastrum proboscideum Bohl. Etüde de planctologie ex- perimentale suivie d'une revision des coelastrum de la Suisse par Tscharna Rayss. Bern 191 5, K. J. Wyß. — Je 8 M. In dem i. Hefte des S.Bandes dieser auf An- regung der Schweizer Botanischen Gesellschaft von einer Kommission der Schweiz. Naturf. Ge- sellsch. auf Staatskosten herausgegebenen „Beiträge" teilt V.Büren die Ergebnisse seiner Studien über die kleine, aber systematisch wichtige Pilzfamilie der Protomyceten mit. Dies sind parasitische Pilze , welche meist schwielige Auftreibungen an den von ihnen befallenen Pflanzen (Umbelliferen und Compositen) hervorrufen. Einem zytologi- sehen und entwicklungsgeschichtlichen Hauptteil, der besonders die beiden Arten Protomyces ma- crosporus und P. pachydermus behandelt und in dem auch mit Hilfe von Kulturversuchen die Frage zu beantworten versucht wird, inwieweit Standortsrassen von Protomyces auf bestimmte Pflanzen spezialisiert sind, folgt die Systematik der Familie mit Standortsangaben. Literatur, Namen- und Nährpflanzenverzeichnis machen den Schluß. Die zweite Abhandlung verfolgt die Frage, wie eine typische Planktonalge, Coelastrum pro- boscideum, sich bei veränderten Außenbedingun- gen verhält. Die Alge wurde dazu in Reinkultur gezogen (Nr. 133 des Genfer Botanischen Insti- tutes!). Wie zu erwarten war, zeigte die Alge die wunderlichsten Veränderungen, die jeden Sy- stematiker in Verwirrung setzen würden und aufs neue die Wichtigkeit der Reinkultur für die Syste- 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 25 matik der einfachen Algen dartun. Die Einzel- heiten der Antworten der Alge auf die verschie- denen Zuchtbedingungen, die beschrieben und umständlich abgebildet werden, brauchen" hier nicht wiedergegeben zu werden. Am Schluß werden nach einer allgemein-systematischen Über- sicht über das Genus die in der Schweiz vor- kommenden Arten zusammengestellt. Miehe. Blücher, H., Der praktische Mikrosko- piker. Ergänzt durch eine eingehendere Be- schreibung der mikroskopischen Pflanzen- und Tierwelt des Süßwassers von Dr. W. Richter. 4. wesentlich vermehrte Aufl. Leipzig 1915, Verlag der Leipziger Lehrmittelanstalt von Dr. O. Schneider. Das Buch wendet sich an den Liebhaber, der im Besitze eines Mikroskopes zu einer vernünftigen Handhabung und Anwendung desselben auf ver- schiedene Objekte gelangen will. Es kommt dem Zweck recht gut entgegen und kann empfohlen werden. Die Abbildungen sind ohne Detail, aber für den Zweck geeignet; Abb. 30 samt der Er- klärung scheint nicht ganz zu stimmen. Die für den Anfänger wichtige Methode, festhaftende Luft zu vertreiben (z. B. mit Alkohol) hätte noch er- wähnt werden können. Miehe. Mannes, der in der Einsamkeit der Wildnis zum lächelnden Überwinder mancher Klein- und Pein- lichkeiten unseres Kulturlebens geworden ist. Miehe. F. Bronsart v. Schellendorf, Afrikanische Tierwelt. IL Novellen und Erzählungen. Leipzig 1915, E. Haberland. Seinem von uns bereits früher (Naturwissensch. Wochenschrift Band XII, 1914) besprochenen I. Bändchen läßt der Verf. hier ein zweites folgen, das gewiß ebenso gefallen wird. In derselben schlichten, aber sehr anschaulichen und trotz der novellistischen Form den Euidruck von Zuverlässig- keit erweckenden Art werden hier wieder Szenen und Ereignisse aus der afrikanischen Tierwelt ent- rollt, wie sie der Verf. während seines jahrelangen Wildnislebens mit scharfer Beobachtungsgabe und instinktivem Feingefühl belauschte. Besonders sind hier des öfteren Beziehungen verschiedener Tiere zueinander geschildert. Der Verf meint, daß auch bei wilden Tieren wirklich eine Art von Zuneigung vorkommen könne, die sich nicht auf den gegen- seitigen Vorteil zurückführen lasse. Köstlich ist der alte Vogelphilosoph, der Marabu, gesehen und auf dem Titelbilde gezeichnet, köstlich auch manche eingestreute, in der Einleitung sogar im Gewände des Reimes auftretende Bemerkung des Beintker, Kreisarzt, Dr. med. Erich, Apparate und Arbeitsmethoden der Bakterio- logie. Bd. II. Die Methoden des Tierversuchs und der Serologie. Handbuch der mikroskopi- schen Technik, herausgeg. vom „Mikrokosmos", 6. Teil. Stuttgart 1914, Franckh'sche Verlags- handlung. — 1,50 M. Noch mehr bei diesem zweiten Hefte (vgl. die Besprechung des ersten in Naturw. Wochenschrift Bd. XIII, 1914, S. 318) muß man fragen, für wen es bestimmt ist. Wendet es sich an den hygie- nischen Praktikanten, an den älteren Arzt, Che- miker, Apotheker, die sich einarbeiten wollen, an den Biologen, der auf dem Nachbargebiet Beleh- rung sucht, oder gar an den krassen Laien? Das letztere wäre ganz verfehlt, ja gefährlich. Für die übrigen Benutzer wäre die große Kürze, die überall mehr orientiert und andeutet als anleitet, störend. Man hätte als einführende Schulversuche wenige aber sehr genau beschriebene grundlegende Experimente wählen können, aus denen dann auch die schwierigen theoretischen Vorstellungen orga- nisch abzuleiten wären. So hängt die Theorie ziemlich in der Luft. Was Opsonine sind, wozu die Ermittlung des opsonischen Indexes gut ist, dürfte wohl dem Laien ein Geheimnis bleiben. Dabei hebe ich ausdrücklich hervor, daß der sach- kundige und erfahrene Verfasser sein Möglichstes getan hat. Ja, das Heft ist für den nichtmedizini- schen Bakteriologen in mancher Hinsicht ganz nützlich. Der Satz, den Verf. gleich in der Ein- leitung aufstellt, d^ß nämlich jede in nur hin- reichender Menge in den Körper eingeführte Bakterienart schädigt, ist in diesem Zusammen- hange nicht unbedenklich. Er verwischt ja ganz den grundlegenden Unterschied zwischen parasi- tären und nicht parasitären Bakterienarten. Miehe. Literatur. Berichte über Pflanzenschutz der Pllanzenschutz- stellen a. d. Kgl. Landw. Akademie Bonn-Poppelsdorf und a. d. Kgl. Lehranstalt f. Wein-, Obst- u. Gartenbau Geisen- lieim. Die Vegetationsperiode 1913/14, herausgegeben von Dr. ¥.. Schaflnit und Prof. Dr. G. Lüstner. Mit 11 Te.xtabbild. Bonn 'l6. Inhalt: N. Svedelius, Das Problem des Generationswechsels bei den I-'lorideen. 14 Abb. S. 353. H. Klose, In letzter Stunde. S. 359. — Einzelberichte: M. Barringer , Mondkrater auf der Erde. S. 361. K ir ebner, Woher kommt die verschiedene Anfälligkeit der Getreidesorten gegen Brand und Rost? S. 362. RudoIfZünckel und Walthcr Hempel, Die Synthese des Obsidians und des Bimssteins. S. 363. W. Seh lenk und J. Holtz, Eine Verbindung des Stickstoffs mit fünf Kohlenwasserstoffresten. S. 363. E. A. Ginningham und R. S. Mullard, Neue Glühlampe. S. 364. Kurt Leos, Schwarzspecht. S. 364. Werner Hagen, Der Sperling als Zugvogel. S. 365. A. Berger, Ratten als Nektardiebe. S. 365. — Bücherbesprechungen: Richard Leonhard, Paphla- gonia. S. 365. D ethle fsen, Das schöne Ostpreußen. S. 366. Die Seele des Tieres. S. 367. AI w in Berger , Die Agaven. S. 367. Günther von Büren u. Tscharna Rayss, Beiträge zur Kryptogamenflora der Schweiz. S. 367. H. Blücher, Der pr,aklische Mikroskopiker. S. 368. F. Bronsart v. Seh el len d orf , Afrikanische Tierwelt. S. 368. Erich Beintker, Apparate und Arbeitsmethoden der Bakteriologie. S. 368. — Literatur: Liste. S. 368. Manuskripte und Zuschrifte werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstrafie na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 25. Juni 1916. Nummer 36. Naturschätze in der Türkei. Von Dr. A. Friedmann, Königsberg. Unsere Verbrüderung mit der Türkei legt uns nicht bloß das Sludium und die tiefere Erkennt- nis unserer Bundesgenossen auf, sondern auch die Erforschung des Bodens und der wirtschaftlichen Möglichkeiten des uns befreundeten Landes. Durch die Pflege der türkischen Sprache, die jetzt einen außerordentlich großen Umfang in Deutsch- land genommen, rücken wir dem gastfreundlichen Türkenvolke näher und die daraus angeknüpften Beziehungen sollen auch in wirtschaftlicher Be- ziehung ausgebaut werden. In diesem Aufsatz sollen einige Naturwunder des Landes auf Grund persönlicher Studien beschrieben werden, und zwar die berühmten Thermalbäder Palästinas. In Palästina befinden sich eine Reihe von Thermalquellen, die eine sehr alte Tradition auf- zuweisen haben und noch heute im guten Rufe ihrer Heilkraft stehen. Sie liegen größtenteils in dem vulkanischen Jordatigebiete. Die V\'ert- Schätzung ihrer therapeutischen Kraft scheint aber nur Erfahrungssache zu sein, da genaue chemische und physikalische Untersuchungen, sowie ärzt- liche Gutachten bis jetzt nur spärlich und unvoll- kommen vorliegen. Das Interesse an diesen Quellen wird noch durch die abnorme Lage der- selben (ca. 200 m unter dem Meeresspiegel) und durch die Höhe der Temperatur erhöht. In der Literatur werden sie sehr oft gelobt und ihre Heilkraft gerühmt. So bezeichnet Pli- In der späteren Literatur und in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts werden die Thermen von Reisenden oft aufgesucht. Es sind meistens Schilderungen erzählender Natur, die ihren Leser unterhalten wollen. Rehland und Hassel- quist bewundern in ihren Werken die Thermen von Tiberias. Besonders letzterer beschreibt die Umgebung derselben in jener Zeit recht genau : „ . . . daneben war ein elendes Haus zum Baden aufgebaut, aber es war verfallen, hier, wo man die Geschenke der Natur nicht benutzt." Lud- wig August Frankel, der viele Studien in Palästina machte, besuchte im Jahre 1876 Tiberias und gibt uns eine sehr schöne Beschreibung der heißen Quellen. Die Angabe dieses guten Be- obachters ist insofern von großer Wichtigkeit, als Franke Arzt war. Die Temperatur, daß erste- mal mit Tiiermometer gemessen, zeigte 49". Das Wasser schmeckte scharf, salzig und bitter und hat einen schwefligen Geruch. Er bedauert, daß es noch keine gründliche Analyse dieses Wassers gibt und vergleicht die Bäder von Tiberias mit den Thermen von Krapina in Kroatien, die einen gleichen Wärmegrad hätten, und in welchen er, wie in Tiberias, mit überraschendem Erfolg Gicht- kranke und Rheumatiker Hilfe suchen sah. Spärlicher sind die Nachrichten und Daten, die wir über die Bäder von Gadarra und El Hammi haben, die am Ufer des Jarmukflusses ent- nius das Wasser der Thermalquellen von Tiberias springen. Das Lob dieser Quellen war noch größer ils „aquae calidae salubres". Sein Zeitgenosse Joseph US spricht auch von der Heilkraft der Quellen, indem er sagt: „Es ist bei Amos (Tibe- rias) eine sehr heilkräftige Quelle von warmem Wasser." A n t o n i u s M a r t y r i u s bringt die Notiz : „Deinde veniamus ad mare Tiberiadis in civitatem Tiberiadem, in qua sunt thermae salutares." Auch die arabischen Schriftsteller staunen oft über diese Naturwunder, die im Sommer wie im Winter heiß sind. So erzählt Mukaddasi in seiner im Jahre 365 (986/86) verfaßten Beschrei bung der islamitischen Länder, daß sich in Tibe- rias 8 warme Quellen befinden, die keiner Heizung bedürfen. Jacubi, der als Regierungsbeamter durch das Land zog 278 (891/92) bewundert die Eigenart dieser Quellen im Winter wie im Sommer ohne Feuerung heiß zu sein. Istarchi erzählt, daß F'elle in diesem Wasser ihre Haare verlieren, und es will nach diesen Schilderungen scheinen, als ob man das Thermalwasser zu Gerbzwecken benutzte. Wichtig ist die Angabe Edrisis, wo- nach das Wasser so heiß gewesen wäre, daß man ein Ei drin hätte kochen können (es ist die erste genaue Temperaturangabe). als das von Tiberias, und die Römer schrieben ihnen dieselbe Wirkung zu wie den auf dem mise- nischen Vorgebirge gelegenen mit allen Reizen der Natur ausgestatteten Baiae, die 1538 durch ein Erdbeben völlig zerstört wurden. Daß aber Gadarra des Vergleiches auch würdig war, wird noch heute jeder Besucher dieser wildromantischen Gegend zugeben. Selbst die Verwüstung und Verlassenheit, die sich hier im Jarmuktal ganz besonders breit machen, haben diesen herrlichen Flecken Erde seiner Schönheit nicht berauben können. Die trauernden Überreste eines groß an- gelegten Theaters, sowie einige geknickte Säulen zerstörter Hallen lassen erkennen, das Gadarra zu den ersten Badeplätzen zählte. Von balneologischem Interesse sind die An- gaben von Buckingham. Nachdem er die che- mischen und physikalischen Eigenschaften dieser Thermen beschreibt, meint er, daß nach Angaben, die er von den Arabern erhalten hatte, die Quellen besonders bei Rheumatismus, Arthritis und Krätze wirken. Soviel über die balneologische Literatur. In der Frage der wirtschaftlichen Erschließung des 370 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Landes sind diese Thermen durch den guten Ruf, den sie in der Bevölkerung genießen, noch be- rufen, eine wichtige Rolle zu spielen. Ich hatte mir daher die Aufgabe gestellt, diese Thermen chemisch und physikalisch zu untersuchen. Vom Standpunkte des Chemikers ist wohl der gute Ruf der Thermen begründet. Besonders sind es die Thermen von Tiberias, die sich durch ihren hohen Salzgehalt und ihre Radioaktivität aus- zeichnen. Meine Untersuchungen erstrecken sich auf: a) die Ouellengruppe von Tiberias am See Genezareth ; b) die Quellengruppe von El Hammi am Jar- mukufer. I. Die Thermen von Tiberias. Die Thermen entspringen am westlichen Ufer des Tiberiassees, eine halbe Stunde von der be- rühmten Stadt Tiberias, die Tiberius zur Ehre er- baut wurde. Noch heute strömen von allen Teilen Palästinas Badegäste hierher, um ihre Gesundheit durch Badekuren zu stärken. Die ersten chemischen Untersuchungen stammen von Hasselquist, einem Schüler von Linne, der die Quellen besucht und sie als Naturwunder preist. Über die physikalisch-chemische Beschaffen- heit der Thermen von Tiberias faßt er sein Urteil folgendermaßen zusammen : 1. Das Wasser hat einen hohen Grad von Hitze, daß man die Hand hineinstecken kann, ohne sie zu verbrennen, jedoch muß man sie bald wieder herausziehen. 2. Der Geruch ist sehr schweflig. 3. Der Geschmack bitter und dem Kochsalz etwas gleich. P o c o c k e will gefunden haben, daß das Ther- malwasser „ziemlich große Mengen von grobem, dichtem Vitriol, etwas Alaun und Mineralalkalien enthält." Körte beschreibt die Thermen von Tiberias: „Am Ende der alten Stadt Tiberias ist eine mine- ralische Quelle. Das Wasser kommt etwas heißer aus der Erde, als man es leiden kann. Es ist nicht nur salzig, sondern hat einen bitteren, derben Geschmack, fast wie das Wasser des Toten Meeres. Es wird für gesund gehalten, darin zu baden." Die späteren Forscher wie Mariti, Volny, Buckingham, Richardson glauben als Be- standteile der Quelle angeben zu können : schwef- ligsaures Flisenoxyd, Soda, Mittelsalze und Hydro- gengas. Auf Grund dieser Beobachtungen findet man sehr oft die Thermen von Tiberias und El Hammi mit den Thermen berühmter europäischer Badeorte verglichen. So werden oft Vergleiche mit Wiesbaden und Aachen angestellt. Auch durch die Wirkung der Bäder bei verschiedenen Krankheiten wird ein Schluß auf die Gleichheit in der chemischen Zusammensetzung dieses Ther- malwassers mit denen der oben genannten gezogen. So soll auch das Bad bei Tiberias vorzugsweise gegen schmerzhafte Geschwülste, Rheumatismus und Gicht wirken. Die Temperatur wird von fast allen Forschern als sehr heiß angegeben, so daß man die Hand darin nicht halten könne, ohne sie zu verbrennen. Der erste Forscher, der mit einem Thermometer die Temperatur der Quellen gemessen hat, ist Buckingham. Er gibt die Temperatur auf 130 Fahrenheit an (in der Übersetzung Weimar 1827 steht nur 86")- Im Jahre 1839 erscheint die erste wissenschaft- liche Abhandlung über dies Thema. Wilhelm Eggel, ein Schüler des bekannten Forschers C. G. Gmelin, bearbeitet als Dissertation das Thema: „Chemische Untersuchung der heißen Quellen von Amaus am Galliläer Meere." Gmelin, der sich auch um die chemische Erforschung des Toten Meeres wohl verdient gemacht hat, besorgte seinem Schüler das Wasser durch Herrn Dr. A. Veit aus Bartenstein, der eine Reise nach dem heiligen Land gemacht hatte. Der Überbringer beschreibt die Thermen folgendermaßen: „Die Temperatur des Wassers glaube ich dem Gefühle nach auf 50 bis 55" R angeben zu dürfen. In dem Bade als auch an den Quellen ist ein deutlicher Schwefelwasserstoffgeruch wahrzunehmen; man merkt jedoch nirgends an Steinen und dergl. Schwefel abgesetzt. Ich schöpfte das Wasser an den Quellen am 6. April 1838. Als ich es vor einigen Wochen bekam, waren beide Flaschen vollkommen eingefroren, wodurch die Stöpsel derselben bis zur Hälfte hervorgetrieben waren, ich öffnete sie vollends und ließ sie in einem un- geheizten Zimmer auftauen. Bald darauf, nach- dem eine Linie des Eises im Halse der Hasche flüssig geworden war, entwickelte sich im Zimmer ein starker Geruch nach Schwefelwasserstoff, stärker als ich ihn an der Quelle selbst wahr- genommen hatte, der sich aber bald wieder verlor und auch bei fortdauerndem langsamen Auftauen sich nicht wieder zeigte. Bartenstein, den 25. Januar 1839". Daß Gmelin das so behandelte Wasser über- haupt noch einer Analyse unterwarf, wird sich wohl durch die Schwierigkeit erklären mit der man zu jener Zeit Wasser aus den heißen Quellen aus Tiberias hat beschaffen können. Gleichzeitig kann man daraus ersehen, welche Bedeutung dieser Forscher diesem Wasser 7,uschrieb. Die Annahme, daß der Reichtum des Salzgehaltes des Toten Meeres auf die ihn durch den Jordan zugeführten Salze der Thermalquellen beruht, scheint auch Gmelin vorgeschwebt zu haben, wie aus der Schlußfolgerung der Arbeit zu ersehen ist. Die .Arbeit ist sehr methodisch durchgeführt und das Resultat genau beschrieben. Die Abwesenheit von Brom und Jod wurde festgestellt. Das spezi- fische Gewicht wird mit 1,022775 angegeben, be- zogen auf destilliertes Wasser bei 9 'V^ " R. Die Analyse ergab, daß das Wasser einen Gehalt von 2,913 g Salz auf 100 Teile Wasser enthält. Auch die große Expedition, die im Jahre 1852 unter Leitung von Leych zur Erforschung des Toten Meeres abging, untersuchte dies Thermalwasser N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3;i und fand 3,056 g Salz auf 100 Teile Wasser und macht darauf aufmerksam, daß sich in diesem Wasser — Brom befindet. Es war kurz nach der Zeit der Entdeckung des therapeutisch wichtigen Broms durch Ballard, wo nach diesem Stofte überall gesucht wurde. Den richtigen Nachweis des Broms hat die Expe- dition nicht erbracht. Die Temperatur des Wassers wird mit 143,3" Fahrenheit angegeben. Das ist fast die ganze Ausbeute der Literatur, die ich über die chemische Beschaffenheit der Thermen habe finden können. Mit größeren che- mischen und physikalischen Studien im Auftrage einiger wissenschaftlicher Gesellschaften im Lande selbst beschäftigt, konnte ich die Quellen eine längere Zeit beobachten und die Untersuchungen im Lande selbst durchführen. Es wurde untersucht das Thermalwasser des noch im Gebrauche stehenden „Alten Bades", das Thermalwasser des „Neuen Bades" und das Ther- malwasser einer unbenutzten offenen Quelle, deren Wasser ohne ausgenutzt zu werden, sich in der Tiberiassee ergießt. Ganz besondere Aufmerk- samkeit wurde dem Nachweis des Broms in diesen Thermalwässern geschenkt, da dieser Körper bis jetzt noch nicht nachgewiesen worden war. Die Temperatur des Wassers ist für das Ther- malwasser des „Neuen Bades" 61,5" C, für das des „Alten Bades" 58,7" C, für das der offenen Quelle 61,9" C. Die genauen in allen Teilen nach den neuesten Methoden durchgeführten chemischen Analysen ergaben, daß das Thermalwasser in seiner Zusammensetzung einer Lösung entspricht, die im Liter 32,298 g Salz enthält, unter welchen Chlor und Natrium neben Sulfat und Hydrocarbonat- ionen vorherrschen. 2. Die Thermen von EI Hammi. Die Hauptquellen entspringen am rechten Ufer des Jarmukflusses und sind von Haifa aus mit der Haifa-Damaskus- Eisenbahn in 3 '/^ Stunden zu er- reichen. Es sind hier eine ganze Reihe von Quellen, die sich in den Jarmuk ergießen. So fand Buckard in dieser Gegend 10 heiße Schwefelquellen, während Merril die Temperatur von 5 Quellen angibt. Schumacher undNöt- ling zählten am rechten Ufer 5 Quellen, zweifeln aber nicht, daß sich in dieser Gegend noch mehrere befinden. Meine Untersuchungen erstrecken sich nur auf die noch heute in Gebrauch stehenden Thermen, die von der Bevölkerung als Heilquellen sehr ge- schätzt werden und sich durch ihre Temperatur und ihren Schwefelgeruch vor den anderen aus- zeichnen. Es wurden untersucht: 1. Hammed ed Dscharab; 2. Hammed Selim; 3. Hammed er-rih. Die Nachrichten und Daten, die wir über diese Bäder haben, sind sehr späriich. Da sie bis zum Bau der Eisenbahnlinie Haifa-Damaskus ganz ab- seits lagen, so wurden sie nach ihrem Verfall sehr selten aufgesucht. Der alte Ruhm dieser Quellen, die zur Zeit ihrer Blüte noch viel mehr geschätzt wurden, als die Thermen von Tiberias, veranlaßte die Reisenden Rehland, Seetzen und Buckard sie zu besuchen; aber ihre Mit- teilungen sind zu sehr allgemein gehalten, um hier verwertet werden zu können. Höchstens sind aus den Temperaturmessungen einige Schlüsse zu ziehen. Am schätzenswertesten sind die Beschreibungen von Buckingham. Von den 4 Quellen, die er fand, liegen demnach 3 auf der rechten Seite des Flusses und eine auf der linken Seite. „Die Schwefelquellen enthalten auch andere Salze, vielleicht auch Magnesia". Die Temperatur ist verschieden 34 — 43" C. Die Quellen haben ver- schiedenen Salzgehalt und je nach der Krankheit gebraucht der Araber bald die eine, bald die andere Quelle. Besonders sollen die Quellen bei Rheumatismus und Krätze wirken. Merril lobt in seiner Arbeit über die heißen Schwefelquellen in Palästina besonders die Quellen von Gadarra oder El Hammi. Von den 5 Quellen, die er be- obachtete, gibt er folgende Temperaturen an: 115", 112^ 103", 92", 83". Das Baden in den Quellen von 103", die die größeste und breiteste ist, ist sehr angenehm, doch die von 115" ist zu heiß. Die Araber jedoch ziehen das Baden in dieser heißen Quelle vor. Merril macht den Vorschlag, all die Quellen zusammenzufassen und hier einen Badeort anzulegen. In seiner gründlichen Arbeit „Beschreibung des Dscholan" bringt G. Schumacher einige sehr wertvolle Angaben über die Thermen von El Hammi. Die Beobachtungen dieses deutschen Forschers sind auch aus dem Grunde von großer Wichtigkeit, weil Schumacher jahrelang im Lande lebte und wie selten einer Land und Leute kennt. „El Hammi entspricht dem zur Zeit der Römer hauptsächlich besuchten Bade „Anmatha" oder den heißen Quellen von Gadarra. Aus der heißen Ebene der Quelle werden sich die Badenden häufig nach dem kaum eine halbe Stunde entfernten hoch gelegenen Gadarra begeben haben, wo sie sich an der kühlen Luft und der herrlichen Aussicht er- freuen konnten. Aber auch heute noch eilen viele Hunderte von Eingeborenen aus allen Teilen des Landes nach El Hammi. Die des Kindersegens entbehrende arabische Frau sucht in den warmen Fluten Hilfe, und zahlreiche Beispiele werden er- zählt, daß das Bad die gewünschte Wirkung ge- habt habe. Daher sieht man dort namentlich junge Frauen in Begleitung ihrer Männer oder Verwandten." Nach demselben Autor soll der Gehalt der Quellen dem der Karlsbader zu ver- gleichen sein. Die ersten wissenschaftlichen Angaben über den Salzgehalt dieser Thermen auf Grund aus- geführter Analysen verdanken wir dem Geologen Fritz Nötling, der im Auftrage der Beriiner Akademie der Wissenschaften und des Deutschen 372 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Palästina- Vereins im Jahre 1885 eine Reise nach Palästina unternahm, um eine geologische Unter- suchung des Dscholan durchzuführen. Dieser mit großem Erfolg durchgeführten Reise entstammt eine Arbeit, „Geologische Skizze der Umgebung von El Hammi", die wertvolle Angaben zu unserem Thema bringt. Bei dem engen Zusammenhang der physikalisch-chemischen Natur einer Quelle mit dem Innern der Erde, an deren Oberfläche sie hervordringt, ist sie auch für den Geologen, der die VVasserquelle als eine der wichtigsten Er- scheinungen der Erde betrachtet, ein Zeugnis der inneren Prozesse derselben. So hat auch N ö 1 1 i n g zunächst versucht, die Temperatur der Thermen festzustellen. Er fand bei seinen Messungen fol- gende Temperaturen: 1. Hammet ed Dscharab 40,6° C; Lufttemperatur 27» C 2. Ilammet Seüm 48,75" C „ 27,5» C 3. Hammet er-rih 34" C „ 27" C 4. Ain s ad el-far 28,7» C „ 27" C 5. Ain bulus 25" C „ 27» C Er gibt auch eine Beschreibung der Lage der Quellen. Die Temperaturbeobachtungen sind nicht längere Zeit durchgeführt worden. Das mitge- brachte Wasser überließ Nötling Herrn Dr. Bär- wald zur Untersuchung. Die Analysen sind leider nicht ganz durchgeführt und auf dem Transport wurden die Pfropfen vom Wasser angegriffen, so daß sich in den Gefäßen ein flockiger Bodensatz bildete. Über die physikalische Beschaffenheit des Wassers erfahren wir sonst nur sehr wenig. Das spezifische Gewicht wird nicht ange- geben. Auch diese Quellen wurden von dem Schreiber dieser Zeilen eingehend untersucht. Die Analysen- ergebnisse zeigen, daß der Ruhm der Thermen von Tiberias und El Hammi vom Standpunkte des Chemikers und Baineologen wohl begründet ist. Besonders sind es die Thermen von Tiberias, die sich durch ihren Salzgehalt und ihre Radio- aktivität auszeichnen. Das Problem des (Generationswechsels bei den Florideen. Von Prof. Dr. N. Svedelius, Upsala (Schweden). Mit 14 Abbildungen. (Schluß.) Die Entdeckung derBefruchtung derFlorideen ver- anlaßte sehr bald weitere eingehende entwicklungs- geschichtliche Studien über diese Pflanzengruppe. Nächst Bornet undThuret hat Fr. Schmitz, Professor in Greifswald, sich das größte Verdienst um die Erforschung der Entwicklungsgeschichte der Florideen erworben. Schmitz hat die Be- fruchtung bei zahlreichen Plorideen der verschieden- sten Gruppen untersucht, er hat auch die Ter- minologie ausgebildet, die auf diesem Gebiete noch heute gebräuchlich ist, und er hat vor allem die Systematik der Florideen reformiert, indem er die großen Gruppen eben auf die Befruchtungs- verhältnisse und die Zystokarpentwicklung gründete. Schmitz gleichwie Bor net und Th uret sahen einen Befruchtungsakt in der Verschmelzung, die „les tubes connecteurs" — von Schmitz „Oo- blastemfäden" genannt — mit den von Schmitz als „Auxiliarzellen" bezeichneten Zellen eingingen, die dann die Ausgangspunkte für die Zystokarpien- bildung abgaben. Schmitz nahm also auch eine „doppelte Befruchtung" der Florideen an. Die theoretischen Einwände, die man gegen die An- nahme eines derartigen zweimaligen Befruchtungs- aktes im Entwicklungskreis einer einzelnen Spezies als durchaus der herkömmlichen Auffassung von der Natur der Befruchtung widerstreitend erheben konnte, wurden von Schmitz durch den Hin- weis darauf abgewiesen, daß „zwingenden Tat- sachen ja doch stets die Tradition weichen muß". Schmitz war auch mit Nägeli der erste, der eine Generationswechseltheorie für die P'lori- deen aufgestellt hat. Ganz unabhängig davon, wie man die sog. doppelte Befruchtung auffaßte, lag jedenfalls für Schmitz eine offenbare Über- einstimmung wenigstens zwischen solchen Typen wie Nemalion und den Moosen vor, indem bei beiden der Gametoph)t der dominierende war, während der Sporophyt (bei den Moosen == das Sporogon mit Kapsel und Sporen, bei den Flori- deen = das Zystokarp mit den Karposporen) nur auf eine Art Organ, das an der geschlechtlichen Generation entwickelt war, beschränkt war. „So" — sagt Schmitz — „wird es leicht, im Entwicklungs- gange dieser einfachsten Florideen den Generations- wechsel der Archegoniaten wiederzuerkennen." An den ursprünglichen Nemalion-Typus schlössen sich nach Schmitz ohne Schwierigkeit die übrigen komplizierteren Florideentypen an, obwohl die Sache allerdings durch die Einfügung des „zweiten Sexualakts" sich etwas verwickelter ge- staltete. Die Tetrasporen faßte Schmitz als akzessorische Vermehrungsorgane auf, als eine Art Gemmenbildungen, die zwar der Regel nach an besonderen neutralen hidividuen, zuweilen aber auch an geschlechtlichen Individuen auftreten. Dieser Umstand erscheint indessen Schmitz' Auffassung von der Übereinstimmung zwischen dem Generationswechsel der Florideen und dem der Archegoniaten beirrt zu haben. Doch fügt er hinzu, daß „bei manchen Florideen zu jenem typischen Generationswechsel noch eine weitere Komplikation sich hinzuzugesellen scheint, indem eine regelmäßige Abwechselung von geschlecht- lichen Individuen und Tetrasporen-Individuen sich herausbildet". Schmitz hat nämlich in der Natur einen periodischen Wechsel in dem Vor- kommen von geschlechtlichen Individuen und Tetrasporenindividuen beobachtet, den er „für sich allein als eine besondere Art von Generations- N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 373 Wechsel" aufgefaßt hatte, also, wie wir sehen, ziemlich komplizierte Verhältnisse. Die sog. „doppelte Befruchtung" bei den Flori- deen wurde indessen ziemlich bald von der Tages Ordnung abgesetzt. Schon iSgS wies Olt manns in einer schönen entwicklungsgeschichtlichen Arbeit nach, daß nur die Verschmelzung des Spermatiums mit der Eizelle des Karpogons einen Befruchtungs- akt darstellte; die Einwanderung der Karpogon- kerne in die Auxiliarzellen dagegen war mit keiner Kernverschmelzung verbunden, sondern die Auxiliar- zellen waren nur eine Art Speicherzellen, von denen aus die Zystokarpienbildung stattfand. Im übrigen schloß sich aber Oltmanns an Schmitz' Auffassung betreffs des Generationswechsels bei den F"lorideen an. Diese läßt sich kurz folgender- maßen charakterisieren : Man kann bei den Morldeen eine Gametophjtengeneration unter- scheiden , die Geschlechtsorgane , Spermatangien (auch Antheridien genannt) sowie Karpogone nebst Tetra- und Monosporen ausbildet. Bei der Be- fruchtung der Eizelle im Karpogon wird die Sporophytengeneration , die früher oder später die Karposporen ausbildet, erzeugt. Monosporen und Tetrasporen sind nur als eine Art Keimzellen (Gonidien) anzusehen, die nicht zu dem normalen Generationswechsel gehören, also nur als „Neben- fruchtformen". Diese Schmitz- Oltman ns'sche Auffassung von dem Generationswechsel der Florideen hat auch eine gewisse zytologische Bestätigung durch Wolfe (1904) erhalten, der bei Nemalion zu finden geglaubt hat, daß in mehr vorgeschrittenem Stadium der Entwicklung des Zystokarps die Kerne eine geringere Chromosomenzahl zeigten als die, welche unmittelbar nach der Befruchtung auftrat, und daß diese geringere Chromosomenzahl die- selbe sei wie die, welche bei den vegetativen Teilungen vorhanden war. Eine Reduktionsteilung wäre demnach mit der Karposporenbildung ver- bunden, aber eine Reduktionsteilung, die mit keiner Bildung von Tetraden verbunden wäre, wie sie sonst so charakteristisch für die Reduk- tionsteilungen aller anderen Sporenmutterzellen ist. Diese Beobachtung gab ja eine gewisse Stütze für die Seh mitz- Olt man ns'sche Auffassung von dem Generationswechsel der Florideen ab, und dies um so mehr, als bei Nemalion das ganze Problem in so hohem Grade dadurch vereinfacht wurde, daß alle Mono- und Tetrasporen bei dieser Art fehlen. Indessen konnte das Generationswechselpro- blem der F'Iorideen natürlich nicht als gelöst an- gesehen werden lediglich auf Grund der Unter- suchung Wolfe's. Insbesondere waren ja die Tetrasporen wohl einer zytologischen Unter- suchung wert. Da in allen bis dahin nachge- wiesenen Fällen von Reduktionsteilung bei Pflan- zen diese ja stets mit einer Vierteilung verbunden war, so lag ja natürlich der Verdacht nahe, daß die stets mit Vierteilung verbundene Tetrasporen- bildung vielleicht doch eine Reduktionsteilung sei. Dieser Gedanke wurde von Lotsy bereits 1904 ausgesprochen. Einige Jahre darauf veröffent- lichte Vamanouchi (1907) seine zytologische Untersuchung über Polysiphonia violacea. In dieser Arbeit wurde zytologisch Schritt für Schritt die ganze Entwicklungsgeschichte einer tetrasporen- bildenden Floridee verfolgt. Yamanouchi fand, daß die Reduktionsteilung bei der Tetrasporen- bildung vor sich ging. Durch diese Untersuchung kam die ganze Frage des Generalionswechsels der Florideen in eine völlig neue Lage. Die Re- sultate der Untersuchung Y a m a n o u c h i 's können folgendermaßen zusammengefaßt werden. Bei Polysiphonia violacea kommt ein Gene- rationswechsel zwischen tetrasporenbildenden In- dividuen (ohne Geschlechtsorgane) mit 40 und Geschlechtsindividuen (ohne Tetrasporen) mit 20 Chromosomen bei den vegetativen Kernteilungen vor. Letztere Chromosomenzahl findet sich auch in dem Spermatium und in dem Eikerne des Karpo- gons. Bei der Befruchtung entsteht als Resultat ein Kern mit 40 Chromosomen, der erste diploide Sporo- phytenkern, der die karposporenbildenden F"äden, den SQg. „Gonimoblast", bildet. Auch die Karpo- sporen haben 40 Chromosomen. Die Reduktion tritt bei der Tetradenteilung ein, die bei der Bil- dung der Tetrasporen stattfindet. Das Eigen- tümliche trift't also ein, daß das Leben der di- ploiden Generation, des Sporophyten, gleichsam in zwei verschiedene Phasen geteilt wird, die erste, die Gonimoblastenphase im Zystokarp, in intimer Verbindung mit dem Gametophyten ganz wie das Moossporogon, die zweite, die tetrasporenbildende Phase, die ihren Ursprung von der keimenden Karpospore herleitet, und die hier als eine selb- ständige Lebensform auftritt, dem Äußeren nach mit den Gametophyten ganz übereinstimmend. Durch diese wichtige Untersuchung Yama- nouchi's wurde die Grundlage für eine ganz neue Auffassung von dem Generationswechsel- verlauf bei den Florideen gegeben. Natürlich wurde durch Yamanouchi's Unter- suchung die Generationswechselfrage der Florideen nicht vollständig gelöst, denn dazu standen die Resul- tate, zu denen er gelangt war, in allzu starkem Gegensatz zu dem, was Wolfe bei Nemalion gefunden hatte. Yamanouchi's Auffassung wurde gestützt durch eine Reihe Beobachtungen, die man betreffs eines regelmäßigen Wechsels im Vor- kommen zwischen geschlechtlichen Individuen und Tetrasporenindividuen in der Natur (z. B. Harve- yella mirabilis nach Kylin, Chantransia efflorescens nach Rosenvinge u. a.) gemacht hatte, und die dafür sprachen, daß aus Karposporen Tetrasporen- individuen und aus Tetrasporen Geschlechtsindi- viduen hervorgehen, was ja auch mit gewissen älteren Beobachtungen von Schmitz überein- stimmte. Andererseits fehlen ja gänzlich Tetra- sporen bei einer ganzen Reihe Florideen. Be- sonders ist dies der Fall bei vielen der zur Gruppe Nemalionales gehörigen, wo dafür ungeteilte sog. Monosporen äußerst gewöhnlich auch an geschlecht- 374 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 liehen Individuen sind. Bei diesen konnten also aus leicht ersichtlichen Gründen nicht gut Re- duktionsteilung und Sporenbildung verbunden sein. Man stand hier demnach vor einem noch ungelösten Problem. Sehr bald lagen indessen neue zytologische Untersuchungen über Florideen vor. So konnte Lewis (1909) mitteilen, daß bei Griffithsia Bor- netiana gleichfalls die Tetrasporenbildung mit Reduktionsteilung verbunden ist, und daß die geschlechtlichen Individuen dieselbe niedrigere Chromosomenzahl wie die Tetrasporen haben. Obwohl Lewis' Untersuchung von rein zyto- logischem Gesichtspunkte aus verschiedenes zu wünschen übrig läßt — so z. B. dürfte, den Bildern nach zu urteilen, die Bestimmung der definitiven Chromosomenzahlen ziemlich unsicher sein — so liegt doch wohl kein Grund vor, das Hauptresultat seiner Arbeit zu bezweifeln, näm- lich daß zwischen Polysiphonia und Griffithsia betreffs der Reduktionsteilung Übereinstimmung herrscht. .^bb. 4. Delesseria sanguinea (nach Svedelius). Tetradenteilung der Tetrasporenmutterzelle ; a Diakinese, b die erste (heterolypische), c die zweite (homöotypische) Teilung; d Teilung beinahe vollendet. Mit Polysiphonia stimmt meinen eigenen Untersuchungen nach auch Delesseria sanguinea überein. Auch bei dieser Floridee erfährt der Kern der Tetrasporenmutterzelle eine Tetraden- teilung, der ein für jede Reduktionsteilung so charakteristisches Diakinesenstadium (Abb. 4, a, 5) vorhergeht. In der Diakinese (Abb. 5) treten 20 Doppelchromosomen auf. Nach einer hetero- typischen und homöotypischen Teilung (Abb.4, b, c) bilden sich die definitiven Tetrasporenkerne mit 20 Chromosomen. Die somatischen Kerne der Tetra- sporenpflanze haben 40 Chromosomen (Abb. 6, a). Die somatischen Kerne sowohl der männlichen (Abb. 6, b) wie der weiblichen Pflanze (Abb. 6, d) haben dagegen 20 Chromosomen , ganz wie die Tetrasporen. Sowohl Spermatienkerne (Abb. 6, c) wie Eikerne haben auch 20 Chromosomen. Nach der Befruchtung treten wieder 40 Chromosomen in den Kernen des Gonimoblast (Abb. 6, f) auf, und diese diploide Zahl ist also auch die Chro- mosomenzahl der Karposporen. Aus zytologischen Gründen folgt also, daß aus Karposporen Tetra- sporenindividuen hervorgehen müssen. Die Ent- wicklung von Delesseria bestätigt demnach die Auffassung Yamanouchi's betreffs des Gene- rationswechselverlaufs der Florideen. Abb. 5. Delesseria sanguinea (nach Svedelius Diakinese des Tetrasporenmutterkerns mit 20 Doppcl- chromosomen. fnii. ji^^^^ vfvi ^#4 Abb. 6. Delesseria sanguinea (nach Svedelius). Zellkerne; a somatischer Kern der Tetrasporenpflanze (mit etwa 40 Chromosomen) ; b desgl. von einer männlichen Pflanze; c Spermatiumkern (beide mit etwa 20 Chromosomen); d so- matischer Kern von einer weiblichen Pflanze ; e Kern von dem Karpogonaste der weibl. Pflanze, beide mit etwa 20 Chro- mosomen; f Kern von dem Gonimoblasten mit etwa 40 Chro- Weitere zytologische Bestätigungen konnte ich bald wieder beibringen in einer Untersuchung über Nitophyllum punctatum, wo gleichfalls die Reduk- tionsteilung im Zusammenhang mit der Tetra- sporenbildung vor sich geht. Nitophyllum bietet ein ganz besonderes Interesse aus dem Grunde dar, weil es eine Floridee mit zahlreichen Zell- kernen in jeder Zelle ist. Auch die Tetrasporen anlagen sind anfangs vielkernig (Abb.7,a), und meh rere Kerne können hier die ersten Stadien der Re duktionsteilung durchlaufen, aber schließlich ge winnt doch ein Kern die Oberhand, und ei allein macht die Reduktionsteilung bis zu Ende durch (Abb. 7, b) , so daß vier Tetrasporenkerne N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 vorhegen, während alle übrigen Kerne degenerieren und sich auflösen. Das Gleiche ist wahrscheinlich der Fall bei sämtlichen der Nitophyllum- Gruppe angehörigen Florideen, so z. B. sicher bei der Gattung Martensia. Abb. 7. Nitophyllum punctatum (nach Svedelius). a mchrkernige Tetrasporangiumanlagc ; b die meisten Kerne degeneriert, der grol3e Tetrasporenmutterkern in Diakinese. Weiterhin haben Untersuchungen von Kylin ergeben, daß auch eine Rhodomela-Art sowie Griffithsia corallina genau denselben Reduktioiis- verlauf wie Polysiphonia, Delesseria usw. haben. Schließlich liegen nun auch die experimen- tellen Beweise für die Richtigkeit dieser Auffassung vom Generationswechsel vor, und sie bestätigen durchaus die durch zytologische Untersuchungen erhaltenen Resultate. Lewis hat nämlich bei Kultur von Tetrasporen und Karposporen einiger Florideen gefunden, daß aus Tetrasporen nur Geschlechtsindividuen und aus Karposporen nur Tetrasporenindividuen hervorgehen. Hiermit kann man sagen, daß, was die tetrasporenbildenden Florideen betrifft, ihr Generationswechsel- und Reduktionsteilungsproblem der Hauptsache nach gelöst ist. Noch aber lagen andauernd im Zusammenhang mit dem Generationswechsel der Florideen eine ganze Reihe ungelöster Rätsel vor. Wie sollte man z. B. erklären können, daß Sporenbildung tatsächlich wieder an geschlechtlichen Individuen beobachtet worden ist? üies stand nicht in rechtem Einklang mit der Auffassung vom Gene- rationswechsel, wie sie hier oben verfochten worden ist. Und vor allem, wie verhalten sich in Wirk- lichkeit die nicht tetrasporenbildenden Florideen ? Wolfe hatte ja nicht die Reduktionsteilung selbst nachzuweisen vermocht, sondern er hatte nur aus gewissen Gründen eine Wahrscheinlichkeit dafür angenommen, daß sie der Karposporenbildung unmittelbar vorausginge. Hier mußten offenbar neue Untersuchungen die Antworten auf die Fragen liefern. Einen Beitrag zur Beantworturig der ersteren Frage habe ich in dem Aufsatz „Über Sporen an Geschlechtspflanzen von Nitophyllum punctatum" (Ben d. Deutsch. Bot. Ges. 32, 1914) liefern können. Es stellte sich heraus, daß die an normalen ha- ploiden Geschlechtsindividuen ausgebildeten Sporen haploide Monosporen waren, die sich ohne Reduk- tionsteilung entwickeln, obwohl sie im übrigen in morphologischer Hinsicht normalen Tetrasporen völlig homolog sind (Abb.8). Ja, auch darin zeigten sie eine höchst bemerkenswerte Übereinstimmung mit den Tetrasporenanlagen, daß sie ursprünglich viel- kernig sind in dem Maße aber, wie die Spore reift. Abb. S. Nitophyllum punctatum (nach Svedelius). Weibliche Pflanze (Trichogyne sichtbar !) mit Monosporen. liblichen Pflanze mit defin anderen degeneriert. degenerieren alle Kerne bis auf denjenigen, der dann zu dem einzigen definitiven Monosporenkern wird (Abb. 9). Das Vorkommen solcher Monosporen an Geschlechtspflanzen steht also durchaus nicht in Widerspruch zu der neuen Auffassung von dem Generationswechsel der Florideen. — Wie es sich mit den wirklich vierteiligen Tetrasporen an Geschlechtsindividuen verhält, bleibt aber noch zu erforschen. 376 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Wie schließHch eine nicht tetrasporenbildende Floridee sich bezüglich ihrer RedirKtionsteilung verhält, ist mir neulich gelungen an Scinaia fur- cellata zu studieren, einer im Mittelmeer und im mittleren Atlantischen Ozean vorkommenden, zur Familie der Chaetangiaceae (Gruppe Nemalionales) gehörigen Floridee. Das Resultat läßt sich in Kürze folgendermaßen zusammenfassen. Mono- sporangien kommen bei Scinaia an den monö- zischen Geschlechtsindividuen von ungefähr dem- selben Bau und Aussehen wie bei anderen Nema- lioneen vor (Abb. lo). Die Chromosomenzahl der Kern, der nun 20 Chromosomen hat, in eine der Auxiliarzellen ein (Abb. 12, c), die miteinander mehr oder weniger fusionieren. Die erste Teilung des diploiden Kerns ist eine Reduktionsteilung, der ein kurzes Spiremstadium und eine deutliche Diakinese mit 10 Doppelchromosomen (Abb. 13, a) vorhergeht. Als Resultat der Reduktionsteilung entstehen 4 Zellkerne (Abb. 13, c). Nur aus einem entwickelt sich der Gonimoblast, der später die karposporenbildenden Zweige erzeugt (Abb. 1 3, d, e). Der Gonimoblast sowie die Karposporen haben 10 Chromosomen (Abb. 14). Abb. 10. Scinaia furcellata (nach Svedelius). Monosporangien. o Chromosome ch Svedelius). , b Spermalangien. Monosporen ist approximativ 10. Auch die Sperma- tien (Abb. 11) haben Kerne mit 10 Chromosomen. Der Karpogonast, der 3zellig ist, bildet von der obersten, ersten Zelle das Karpogon nebst Tricho- gyne, mit eigenem Kern, aus. Von der hypogynen zweiten Zelle werden vor der Befruchtung vier mit plasmatischem Inhalt versehene sog. Auxiliar- zellen ausgebildet (Abb. 12). Die unterste, dritte Zelle des Karpogonastes bildet die Hülle des Zysto- karps aus. Alle Zellkerne des Karpogonastes ein- schließlich des Eikerns haben 10 Chromosomen. Nach der Befruchtung wandert der diploide Abb. 12. Scinaia furcellata (nach Svedelius). Karpogonast; a Karpogone vor der Befruchtung mit Eikern und Trichogynenkern ; b die Befruchtung; sp männlicher Kern ; c der befruchtete Kern in eine Auxiliarzelle hineingewandert. Scinaia ist also Repräsentant eines besonderen Reduktionsteilungstypus unter den Florideen, ge- kennzeichnet dadurch, daß die erste Teilung des diploiden Kerns eine Reduktionsteilung ist. Die Karposporen sind also bei diesem Typus haploid. Wolfe's Annahme einer Reduktionsteilung un- mittelbar vor der Karposporenbildung erhält keine Bestätigung. Es geht aus dieser Darstellung also klar her- vor, daß innerhalb einer und derselben als völlig einheitlich angesehenen Pflanzenprovinz, der Rho- dophyceae, zwei wesentlich verschiedene Reduk- tionsteilungstypen vorkommen. Hierdurch erklärt sich nun auch die bisher schwerverständliche Tat- sache, daß gewisse Florideenfamilien der sonst für diese Provinz so charakteristischen Tetrasporen voll- kommen entbehren. Die nicht tetrasporenbildenden Florideen (Nemalionales) haben nämlich eine Reduk- tionsteilung, die unmittelbar auf die Befruchtung folgt, und die bei diesen Typen vorkommenden Mono- sporen sind reine Keimzellen, die nicht als ein notwendiges Glied in dem Generationswechsel- verlauf eingehen. Diese beiden Rcdaktionsteilungs- typen sind auch dadurch charakterisiert, daß der N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 377 letztgenannte Typus nur eine Art Individuen auf- weist, nämlich (monözische oder diözische) Ge- schlechtsindividuen mit oder ohne Monosporen, der letztere Typus dagegen zwei Arten von In- dividuen, nämlich teils (monözische oder diözische) Geschlechtsindividuen und teils ungeschlechtliche Tetrasporenindividuen, und zwischen diesen beiden Arten findet ein regelmäßiger Wechsel statt. Da der erstere Typus demnach dadurch gekennzeichnet ist, daß die Pflanze in nur einer Lebensform auf- tritt, so liabe ich ihn den haplobiontischen genannt, den letzteren Typus dagegen, der in zwei Lebensformen auftritt, den diplobionti- schen. tophyt stets als primär und der diploide Sporo- phyt stets als sekundär aufzufassen. Die ursprüng- lichsten Generationswechseltypen haben daher stets die rudimentärsten diploiden Sporophyten. Ein rudimentärerer Generationswechseltypus als der, bei dem das befruchtete Ei sofort eine Reduktions- teilung erfährt, läßt sich jedoch nicht denken, und mancher zieht vielleicht sogar in Frage, ob hier wirklich ein Generationswechsel vorliegt. Derartige primitive Typen sind zuerst von ge- wissen Grünalgen, speziell Konjugalen, z. B. Spirogyra und Desmidiaceen, bekannt geworden. Aus dem Gesagten geht hervor, daß der haplo- biontische Scinaia-Typus unzweifelhaft ursprüng- licher sein muß als der diplobiontische Polysiphonia ■ Delesseria - Typus, der leicht aus dem ersteren in der Weise abgeleitet gedacht werden kann , daß die Reduktionsteilung aus irgendeinem Anlaß nicht sofort stattgefunden hat, sondern aufgeschoben worden ist. So sind Karposporen mit diploiden Kernen entstanden, und beim Keimen dieser Karposporen sind Pflanzen zustande gekommen, die in morphologischer Hinsicht mit ihren betreffenden Mutter- individuen vollständig übereinstimmen außer bezüglich der Chromosomenzahl der Kerne. Vielleicht haben eben aus diesem Grunde diese Individuen nicht Geschlechtsorgane ausbilden können, sondern ausschließlich die ungeschlecht- lichen Vermehrungsorgane, und so ist hier zuerst die Reduktionsteiiung wieder Abb. 13. Scinaia furcellata (nach Svedelius). a der diploide Kern in Diakincse mit 10 Doppelchromosoraen ; b die heterotypische Teilung des diploiden Kerns ; c Tetraden- teilung vollendet, vier Kerne; d, e die ersten Stadien der Gonimoblastent Wicklung. Scinaia furcell ach Svedelius). etwa 10 Chroraosome Hervorzuheben ist, daß diese verschiedenen Lebensformen bei den Diplobionten nicht streng mit den zwei Ge nerationen vom zyto- logischen Standpunkte aus zusammenfallen, da ja der diploide Gonimoblast und die Karposporen gleichfalls der diploiden Sporophytengeneration angehören. Lebensform in diesem Sinne darf also nicht mit Generation verwechselt werden. Wie soll man nun einen so verschiedenen Ent- wicklungsgang bei einander doch zweifellos so nahestehenden Zweigen einer und derselben Pflanzengruppe erklären ? Zunächst : welches ist der ursprünglichere Typus und welches der abgeleitete r Da Reduktionsteilung ja unbedingt als eine F'olge der Befruchtung aufgefaßt werden muß, so ist natürlich der haploide Game- hervorgedrungen und hat sich geltend gemacht, d. h. das Monosporangium der diploiden Generation ist zu einem Tetrasporangium mit Reduktionsteilung geworden. Auf diese Weise muß man sich die Entstehung der zwei verschiedenen Lebensformen auseinander denken. Im allgemeinen haben dann die Geschlechtspflanzen der allermeisten diplo- biontischen Florideen aufgehört, Monosporen zu bilden, daß es aber doch nicht ganz ausgeschlossen ist, zeigen einige beobachtete Fälle, über deren einen (Nitophyllum punctatum) ich oben berichtet habe. Die Fälle, in denen vierteilige Tetrasporen an Geschlechtsindividuen gefunden worden sind, sind bislang zytologisch noch nicht untersucht. Mehrere Möglichkeiten für ihre Erklärung stehen 378 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 offen : vielleicht ist die Vierteilung hier nicht mit einer Reduktionsteilung verknüpft, sondern stellt nur eine vegetative Spaltung des Monosporangiums dar, oder vielleicht liegt apogame Entwicklung (d. h. Entwicklung ohne Befruchtung) des Karpo- gons vor. Hierüber wissen wir bis dato nichts, nur fortgesetzte Untersuchungen können in Zu- kunft eine Antwort auf diese Fragen geben. Von allgemeinbotanischem Interesse ist es je- doch, daß der Vergleich zwischen dem Poly- siphonia- und Scinaia - Typus zeigt, daß bei den Florideen die diploide tetrasporenbildende Generation sozusagen mit einem Schlage ent- standen sein muß. Die allgemeine Auffassung dürfte sonst die sein, daß bei Pflanzen mit ausge- sprochenem Generationswechsel, besonders z. B. den Archegoniaten, der Sporophyt durch eine sog. suk- zessive Interpolation entwickelt, d. h. Schritt für Schritt zwischen die Gametophytengenerationen ein- geschoben worden ist. Der Sporophyt hätte also seine spezielle Entwicklungsgeschichte für sich gehabt, was dann die Erklärung dafür abgäbe, daß innerhalb der ArchegoniatenreiheGametoph)-ten und Sporophyten so diametral einander entgegen- gesetzt sind, wie z. B. das Farnprothallium und das Farnkraut es sind. Diese Verschiedenheit ist ja so groß, daß, wenn die Zusammengehörigkeit nicht jederzeit direkt nachgewiesen werden könnte, man wohl kaum glauben möchte, daß das kleine Prothallium und der stattliche Farn nur verschiedene Phasen im Entwicklungszyklus einer und derselben Pflanze darstellen. Wettstein hat ja in diesem Entwicklungsgang von Gametophy t zu Sporophyt bei den Archegoniaten eine stetig fortschreitende Anpas- sung der Pflanzenwelt an das Landleben erblicken wollen, denn Archegoniatengametophyten erweisen sich ihrer ganzen Organisation nach entschieden mehr als die Sporophyten als eine Art Wasserorganismen — man erinnere sich z. B. nur daran, daß die männ- lichen Organe der Gametophyten ja stets mit Zilien versehene Spermatozoiden sind, die nur im Wasser ihre Aufgabe erfüllen und sich zu den weiblichen Organen hinbewegen können, während die Sporen der Sporophyten der Regel nach stets in der Luft mit dem Winde verbreitet werden. Je mehr diese Anpassung an Land- und Luftleben bei den Sporophyten hervortritt, um so mehr wird diese Generation die dominierende unter den zweien — die Systematik der Farne ist ja vollständig auf dieSporophyten begründet worden — und die Gametophyten treten mehr und mehr zurück, um schließlich bei den höchststehenden Pflanzen (den Gymnospermen und .\ngiospermen) rudimentär zu werden, so daß sie bei diesen Pflanzen- gruppen nur auf dem Wege der vergleichen- den Morphologie sozusagen hervorkonstruiert werden können. Auch wenn es an Einwänden gegen diese Auffassung, daß .^rchegoniatensporo- phyten durch sukzessive Interpolation zwischen die Gametophytenstadien entstanden sind, nicht gänzlich fehlt, dürfte sie gleichwohl die allgemein vertretene sein. Gern sei zugegeben, daß sie recht gut für die Archegoniaten — auf deren Entwick- lungsgeschichte ja auch diese Interpolationstheorie gegründetworden ist — paßt; für die Florideen ist dies aber nicht der F"all. Ganz unerklärlich bleibt es, wie ein diploider Fiorideensporophyt dann so in allem genau — außer bezüglich der Chromosomenzahl — dem Gametophyt ähneln sollte, wenn der Sporo- phyt wirklich eine selbständige lange Entwicklungs- geschichte hinter sich hätte. Viel einfacher wird die ganze Sache, wenn, wie oben dargestellt, das Ganze darauf beruht, daß die Reduktionsteilung, die bei den ursprünglicheren Florideen (Scinaia) unmittelbar eintritt, ganz einfach aufgeschoben wird und dann diploide Karposporen gebildet werden, aus denen Abkömmlinge hervorgehen, die morpholo- gisch der Mutterpflanze homolog sind und ihr glei- chen, außer bezüglich der Chromosomenzahl und der dadurch verursachten Unfähigkeit, Geschlechts- organe zu bilden, so daß die ungeschlechtlichen Vermehrungsorgane die einzigen sind, die zu Ge- bote stehen. Dadurch daß hier die Reduktions- teilung hervortritt, wird die Verzauberung gleichsam gelöst, und Geschlechtsorgane können wieder in der nächsten Generation gebildet werden usw. Vielleicht zeigen die oben verglichenen Pflanzengruppen (Archegoniaten und F"lorideen), daß ein Generationswechsel im Pflanzenreiche innerhalb verschiedener Pflanzengruppen, unab- hängig voneinander, auf verschiedene Weise entstehen kann. Dies ist ja auch nicht weiter erstaunlich, denn auch von der Sexualität muß ja angenommen werden, daß sie in verschiedenen entwicklungsgeschichtlichen Epochen und inner- halb verschiedener Pflanzengruppen, unabhängig von den Verhältnissen in anderen Gruppen, ent- standen ist. Die Frage läßt sich nun erheben : wie wirkt die Entdeckung dieser beiden Reduktionsteilungs- typen bei den Plorideen auf unsere Auffassung von der Systematik der Florideengruppe ein ? Eine befriedigende Antwort auf diese Frage ist bei der geringen Anzahl gegenwärtig sicher bekannter I^lorideen nicht möglich. Künftige Untersuchungen werden das endgültige Wort zu sprechen haben. Eines aber ist klar, nämlich daß jede rationelle Systematik der niederen Pflanzengruppen den Generationswechsel und dann im Zusammenhang damit auch die zytologischen Erscheinungen nicht außer Betracht lassen darf Will man heut- zutage sichere Grundlagen für den Aufbau eines Systems des Pflanzenreichs schaffen, so darf also der Systematiker an den neuen Forschungs- bahnen, die von der modernen Zcllkernforschung eröft'net worden sind, nicht achtlos vorübergehen. Upsala, im Februar 191 6. Literatur. Bonnet, J., Reproduction sexuee et Alternance des gtncrations chez les Algues. — Progressus Rei Botanicac, Bd. 5, Jena 1915- Hörnet, E., et T huret, G., Recherches sur la fccon- dulion des Kloridees. — Ann. d. Sc. nat. 5 ser. T. VII, 1867. — — , Notes algologiques. Paris 1876 — 80. N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 Bower, F. O., The Origin of a Land-Flora. — London 1908. CL-iussen, P., Fortpflanzung im Pflanzenreiche.— Kultur d. Gegenwart, T. 111, Abt. 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Fast alle Pferde unseres Regiments — es sind vorwiegend Ostpreußen — haben sich hier in Rußland mit einem auffallend langen , beinahe zottigen Haarkleid bedeckt. In dem lebhaften Bewegungskrieg des vergangenen Herbstes mußten die Tiere trotz der oft empfindlichen kalten Witte- rung meist die Nacht im Freien verbringen oder sie mußten in Baulichkeiten eingestellt werden, welche sie nur sehr wenig gegen Wind und Kälte schützten. Trotzdem blieben bei ihnen Krankheiten seltener, als sie beispielsweise ein Jahr vorher im milden Westen gewesen waren. Schon im Oktober wurden aus den meisten der bisher glänzend glatten Pferden zottelhaarige Tiere, deren Fell sich von demjenigen der einheimischen Pferde kaum wesentlich unterschied. Auch den Mannschaften fiel ihr stark verändertes Aussehen auf. Nun ist es ja bekannt, daß auch in Deutsch- land ein Pferd im Winterhaar oft kaum wieder- zuerkennen ist. Aber dieses in Rußland entstan- dene Winterfell stand in keinem Verhältnis zu einem in Deutschland erworbenen. Da vor wenigen Tagen ein Pferdetransport aus Deutschland hier eingetroffen ist, so bin ich in der Lage, ver- gleichende Maße der Haarlänge zu geben. Von jeder der unten genannten Kategorien wurden 5 beliebige Pferde untersucht. Die erste Zahl ist der Durchschnittswert aus den längsten Haaren in der Ganaschengegend, die zweite der- jenige aus den längsten Bauchhaaren. Natürlich handelt es sich um ganz rohe Annäherungswerte. Deutsches Pferd, erst seit wenigen Tagen bei der Front: 2,5 cm und 4 cm Deutsches Pferd, seit etwa einem Jahr an der Front: 4 cm und 8 cm Russisches Bauernpferd, Landschlag: 6 cm und 10 cm Es fehlt nicht an Beispielen für eine Akkom- modation an eine veränderte Lebenslage, eine „zweckmäßige Reaktion auf den bewirkenden Milieureiz" (Goldsch midt). Angenommen, ich bringe eine gewisse Anzahl gleichartiger Organis- men gleichzeitig in eine veränderte Lebenslage. Sie passen sich den „neuen" Bedingungen in einheitlicher Weise an, indem sich eine bestimmte Eigenschaft zweckmäßig verändert. Bin ich be- rechtigt, anzunehmen, daß sich vor meinen Augen etwas abgespielt hat, was eine ad hoc neu ent- standene Erscheinung ist? Wenn — um ein bekanntes Beispiel zu nennen — durch Temperatureinfluß der Schmetterling Araschnia levana in die in der Natur vorkommende Form prorsa übergeführt wird, so können wir uns diesen Vorgang etwa so vorstellen : Die Eigen- schaft, um welche es sich hier handelt — nennen wir sie „Flügelzeichnung" — ist noch in der Puppe gewissermaßen neutral oder, anders aus- gedrückt, innerhalb der Variationsgrenzen der .Araschnia labil. Nun setzt der entscheidende Reiz ein, und je nach seiner Stärke entsteht levana oder prorsa oder irgendeine Zwischenform. Diese Vorstellung ist verhältnismäßig einfach, denn es handelt sich um eine Eigenschaft, welche sich bei Beginn der Reizwirkung gewissermaßen in statu nascendi befindet. Nehmen wir nun ein Beispiel, wo dies nicht der Fall ist: die Überführung des Axolotls in das Amblystoma. Scheinbar handelt es sich zwar auch hier um die Beeinflussung eines Status nascendi, denn der Axolotl ist ja nur ein statio- näres Larvenstadium des Amblystoma. Aber in Wirklichkeit müssen wir im erwachsenen Axolotl nicht eine Larve, sondern eine Akkommodations- form sehen, ebensogut wie im Amblystoma, wel- ches sich ja auch seinerseits wieder in den Axo- lotl verwandeln läßt. Hier wird also eine fertige, erwachsene Form durch einen Reiz verändert. 38o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Aber in allen Fällen, wo sich auf einen be- stimmten Reiz hin ein immer gleichartiger Prozeß prompt, reflexartig abspielt, müssen wir annehmen, daß ein stammesgeschichtlich alter Vorgang hier nur repetiert wird. Übertragen wir diesen Gedankengang auf unseren P"all, so kommen wir zu dem Schluß : die in Rußland entstandene, auffallend langhaarige Beschaffenheit des Winterfells deutscher Pferde ist eine alte Eigenschaft. Sie war durch das Aus- bleiben des für ihre Entwicklung notwendigen Reizes latent geworden (cf. Axolotl Amblystoma), oder hatte sich nur in geringerem IVIaße gezeigt, entsprechend dem geringeren Reiz. Diese Er- wägung kann für phylogenetische Studien von Interesse sein, für welche hier nicht der Ort ist. Soviel mir bekannt ist, unterscheidet man (z. B. Hilzheimer) zwei Stammtypen des mo- dernen Pferdes: den orientalischen und den nor- dischen. Dies veranlaßt mich, ganz kurz noch etwas weiteres zu erwähnen. Wie oben gesagt wurde, bekamen zwar bei weitem die meisten unserer Pferde lange Winter- haare, aber nicht alle. Und auch von den ersteren reagierten nicht alle gleich stark auf die klimati- schen Einflüsse. Es fiel mir auf, daß einige Pferde, vor allem solche, welche sich im Privatbesitz von Offizieren befanden und besonders edler Abstam- mung waren, keine so langen Haare bekamen, wie die anderen. Auch unter den vielen in Rußland requirierten Pferden zeigten sich Ausnahmen. Die meisten sind vom russischen Landschlag und haben ein langes Winterkleid. Aber drei Pferde, welche wir wegen ihres lebhaften Temperaments als Troikapferde verwenden, und welche auf verschie- denen größeren Gütern requiriert worden sind, haben viel kürzere Haare. Im übrigen fallen sie durch „trockenen" Kopf und große Augen auf. Sollte bei diesen Ausnahmen orientalisches Blut hemmend gewirkt haben, oder ist die Ursache in der Veredelung als solcher zu suchen? Zu bedenken ist allerdings, daß die gewissenhaftere Pflege, wie sie bei Offizierspferden und auch bei den erwähnten Troikapferden ausgeübt wird, zweifellos auf das Fell von Einfluß ist. Es liegt keineswegs in meiner Absicht, Be- hauptungen aufzustellen. Aber vielleicht veran- lassen diese Mitteilungen den einen oder anderen, sein Augenmerk auf diese Dinge zu richten. Im Felde, Februar 1916. Hans Krieg, Assist.-Arzt bei einem Jägerrgt. zu Pferde. Ist der afrikanische Elefant mit dem indischen verwandt? Es ist bekannt, daß manche systema- tische Kategorien künstlich sind und nicht die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse wieder- geben, indem sie auf Grund äußerlicher Überein- stimmung Formen ganz verschiedener Herkunft in sich vereinigen. Es sei nur an die Gruppe der Rochen oder der Laufvögel erinnert, die wegen ihrer „Heterogenität" längst aufgelöst werden mußten. Aber auch für kleinere systematische Abteilungen, wie z. B. die Gattungen ist mit fortschreitender stammesgeschichtlicher Aufliellung von paläontologischer Seite die heterogene Zu- sammensetzung aufgedeckt worden, z. B für die „Gattung" Cervus, Equus unter den Wirbeltieren; viele Ammonitengattungen, z. B. Scaphites, die Gattung Ostrea u. a. unter den Wirbellosen. Die mehrfache Entstehung (Polygenie) der Gattung Homo durch „Homination" verschiedener Anthropo- morphensiämme ist bekanntlich ein immer noch umstrittenes Problem. Aus verschiedenem Ausgangs- material können durch konvergente oder parallele Umformung gleiche oder ähnliche Endprodukte erzeugt werden. — Auch für die Gattung Elephas sind neuer- dings einige paläontologische Stimmen zugunsten einer zweifachen (digenen) Entstehung laut geworden. Während bisher kaum jemand an der nahen Blutsverwandtschaft des afrikanischen und indischen Elefanten zweifelte, wird jetzt behauptet, daß in Wirklichkeit E. africanus mit E. indicus nicht das geringste zu tun hat; beide Elefanten sollen nicht auf eine gemeinsame Stammform zurück- gehen, sondern E. africanus soll völlig unabhängig aus jungtertiären Mastodonten afrikanischen Ur- sprungs, E. indicus dagegen von indischen Ur- elefanten (E. planifrons) bzw. Übergangselefanten (Stegodon) entstanden sein. Was läßt sich zugunsten dieser Auffassung anfüh- ren ? In der Tabelle (S. 381 ) seien in aller Kürze die Besonderheiten des afrikanischen Elefanten im Skelett und die relativen Unterschiede vom indischen, soweit sie für die zu entscheidende Frage in Be- tracht kommen, zusammengestellt. Die äußerlichen Verschiedenheiten (in Ohr, Rüssel, Haut, Hufzahl, Rückenlinie usw.) sind bekannt. Die Bedeutung der Unterschiede liegt kurz gesagt darin, daß Elephas africanus in allen den angeführten Merkmalen primitive auf Mastodon hinweisende Züge verrät, während wir die Merk- male des E. indicus fast durchweg auch schon bei seinen altdiluvialen Vorfahren (E, hysudricus) antreffen. Wegen der Begründung muß auf die im Literaturanhang angegebenen Arbeiten, die aber teilweise auch die Herkunft des E. africanus von Stegodonten befürworten (Soergel) oder die Frage ganz offen lassen (Sc hlesi nge r), ver- wiesen werden. E. africanus ist ein Elefant mit Mastodon- charakteren oder, wie man im Hinblick auf den phyletischen Vorgang vielleicht sagen darf, ein elefantisierter Mastodon; E. indicus dagegen ein aus primitiven echten Elefanten gewordener fort- schrittlicher Elephas (Euelephas). E. indicus stammt von Elephas hysudricus, E. africanus dagegen von Mastoden sp. hypothetica. — Es wäre nun inter- essant, wenn diese auf rein paläontologischem Wege gewonnene Ansicht physiologisch durch eine biochemische Verwandischaftsreaktion geprüft werden würde, ähnlich wie die Verwandtschaft zwischen dem ausgestorbenen sibirischen Mammut N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 381 E. africanus E. indicus Schädel Kopfhaltung Unterkiefer Molaren Aufbau der Molaren Milchzähne Vorderster Milchzahn (m -J-) Ellenbogengelenk Handwurzel rundlich, klein mehr erhoben, „vorgestreckt" gestreckt, niedrig klein , mit wenig Jochen und dickem Schmelz nicht rein lamellär; mit Sperr- höckern m^ ]> mi absolut größer als beim indischen Elefant der Radius liegt an der Außen- seite das Intermedium überlagert sehr häufig die seitlichen Knochen der distalen Reihe die Fossa intercondyloidea ist breit getürmt, groß mehr gesenkt verkürzt, höher groß, mit zahlreichen Jochen und dünnem Schmelz rein lamellär; ohne Sperrhöcker niy ■<; mi der Radius ist einwärts vor die UIna verlagert die beiden Reihen der Carpal- knochen liegen vorn serial übereinander die Fossa intercondyloidea ist schmal und dem lebenden indischen Elefanten durch An- wendung der Serummethode bestätigt werden konnte. Schließlich kämen auch Kreuzungsversuche in Betracht. Ob solche jemals angestellt worden sind, ist mir nicht bekannt. Es ist dabei aber zu bedenken, daß ein negatives Ergebnis noch keineswegs für die NichtVerwandtschaft beider Elefantenarten sprechen würde, denn erfahrungs- gemäß zeigen Angehörige einer so uralten Familie, wie die Elefantiden, die eine hohe Geschichte und dementsprechenden Ahnensaal hinter sich haben, wenig Neigung zur Bastardierung, weil die einzelnen Stämme völlig in sich gefestigt und ab- geschlossen sind. VV. O. Dietrich, Berlin. Literatur. Pohlig, H., Dentition und Craniologie des Elephas anti- quus Falc. mit Beiträgen über E. primigenius und E. mcri- dionalis. Nov. Act. K. Leop.-Carol. Deutsch. Ak. Naturf. 53 und ,57 1S88— 1891. Stromer v. Reichenbach, E., Fossile Wirbellierreste aus dem VVadi Faregh und VVadi Natrun in Ägypten. Abh. Senckenberg. Naturf. Ges. 2!t 2 1905. Soergel, W. , Elephas trogontherii Pohl, und E. anti- quus Falc. , ihre Stammesgeschichte und ihre Bedeutung für die Gliederung des Deutschen Diluviums. Paläontogr. 00 1912. W. O. Dietrich, Zur Stammesgeschichte des afrikani- schen Elefanten. Zeitschr. für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. 10 Heft 1 und 2, 1913. G. Schlesinger, Ein neuerlicher Fund von Elephas planifrons in Niederösterreich. Jahrb. K. K. Geol. Reichs- anstalt 1913. 63 Heft 4 1914, S. 711. W. Soergel, Die diluvialen Säugetiere Badens. Ein Beitrag zur Paläontologie und Geologie des Diluviums. I. Teil: .\lteres und mittleres Diluvium. Mitt. Grofib. Bad. Geol. Landesanst. 9. I. Heft 1914. , Die Stammesgeschichte des Elefanten. Centralbl. f. Min. usw. Jahrg. 1915, Nr. 6 u. folg., S. 179. , Das vermeintliche Vorkommen von Elephas plani- frons Falc. in Niederösterreich. Paläontolog. Zeitschr. 2. 1915. G. Schlesinger, Meine Antwort in der Planifrons- Fragc. I. Die Herkunft des Elephas antiquus. Centralblatt f. Min. usw. Nr. 2 und 3. 1916. W. O. Dietrich, Elephas antiquus Recki n. f. aus dem Diluvium Deutsch-Ostafrikas. Nebst Bemerkungen über die stammesgeschichtlichen Veränderungen des Extremitätenskeletts der Proboscidier. Archiv für Biontologie, herausgegeben von der Gesellsch. Naturf. Freunde zu Berlin. (Im Erscheinen.) Einzelberichte. Bau, Leistung und Herkunf^ ,^.^^^,^ ^j^,^ verjüngender Körper (Abb. i). Mit den Zoologie. Übe der Tricliocysten berichtet C. Tonn ig er (Arch, f. Protistenkd. XXXII. 1914) nach Untersuchungen an Frontonia leucas (Ehrbrg.), einem holotrichen Infusor, das in oberflächlichen Schlammschichten von Wassergräben lebt und diese verhältnismäßig großen Organellen (0,006 mm) ähnlich wie Para- maeciiiin in radiärer Anordnung an der ganzen Körperoberfläche trägt. Im ruhenden Zustande sehen die Trichocysten der Frontonia etwa wie eine tricystide Gregarine mit kleinem , haarför- migen Epimerit aus, d. h. es sind an ihnen drei Teile zu erkennen, ein haarförmiger Fortsatz am Außenende, ein ovoider Kopf und ein längerer, nach Fortsätzen durchsetzen die 1 richocysten die Alve- olarschicht, indem sie sich zwischen zwei benach- barten Waben einschieben. Im ausgeschnellten Zustande erreichen die Trichocysten das Zehnfache an Länge und erscheinen dann als langgestreckte spindeltörmige Gebilde mit gleichmäßig spitz aus- laufenden Enden. Die vielfach am distalen Ende ge- sehenen flammen-, haar- oder hakenförmigen An- hänge, die nicht selten auch den Kautschukhütchen auf Tropfgläschen gleichen, scheinen nur bei nicht völlig ausgeschnellten Trichocysten bzw. bei solchen vorzukommen, die während des Ausschnellens fixiert und abgetötet worden sind. Den Tricho- 382 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Cysten spricht der Verf. eine Eigenbewegung zu, die sie aus dem Entosark, wo man sie nicht nur fertig ausgebildet, sondern auch in Entwickkmg begriffen antrifft, nach der Peripherie führt. Die Bildungsstätte der Trichocysten ist der Makronucleus, aus dessen achromatischer und chromatischer Sub- stanz in Mengen kleine, kuglige Körper hervor- gehen, in denen schließlich, nachdem eine Mem- bran ausgebildet worden ist, die chromatische Substanz zu einem stäbchenförmigen Gebilde zu- sammentritt (Achsenstab) (Abb. 2). Auf diesem Zu- stande pflegen die „Trichochromidien" den Groß- kern zu verlassen und in das Entosark überzutreten, in welchem sie die definitive Umwandlung zur I Abb. I. Trichocyste von Abb. 2. Entwicklungssfadien Frontonia Uucas. h = hals- der Trichocysten von Fronlon'ui artige Einschnürung; k= aus Trichochromidien; Aus- Kopf; tf = haarförmiger bildung des Achsenstabes. For Kö rper. Abb. 3. Querschnitt durch Frontonia liucas in der Höhe der Mundöffnung (o). d = dorsal, 1^ links, r = rechts, v = ventral. Trichocysten im Endosark und in der Oberflächenschicht. Trichocyste erfahren. Hierbei streckt sich der Achsenstab in der sich ebenfalls verlängernden achromatischen Hülle, die sich mehr und mehr verschmächtigt, ohne jedoch ganz zu schwinden; ein unter der Membran bleibender Rest soll sich zu längsverlaufenden Fibrillen differenzieren, die auf Querschnitten wie auch nach Maceration zur An- schauung gebracht werden können. Durch eine halsartige Einschnürung sondern sich Kopf und Körper und zuletzt tritt das Spitzenstück auf; in diesem fertigen Zustande gelangen die Trichocysten nach der Oberfläche (Abb. 3). Abb. 4. Trichocyste im Be- griff zu explodieren; f = Faden; p = Pellicula. 2600/1. Die Explosion der Trichocysten, der stets eine ruckartige Zusammenziehung des ganzen Tieres vorausgeht, erfolgt so plötzlich, daß der Vorgang im einzelnen nicht zu verfolgen ist; ebensowenig glückte dies an durch raschen Druck auf das Tier isolierten. Dagegen läßt sich durch Über- gießen mit heißen Fixierungsflüssigkeiten die Ex- plosion so verlangsamen bzw. auf einzelnen Phasen fixieren, daß man sie schrittweise verfolgen kann. Trotzdem ist es aber dem Verf nicht gelungen, den Vorgang wirklich aufzuklären; er hält ihn im Gegensatz zu anderen Untersuchern, die nur plötzliches Erstarren einer ausgepreßten Flüssig- keit annehmen, lür einen mechanischen, dessen Ursache hauptsächlich in der Trichocyste selbst liegt. Zuerst tritt über die Pellicula ein hohler, glatt- wandiger „Faden" hervor (Abb.4), der sich auf Kosten des Kopfes immer mehr und mehr verlängert, bis plötzlich Kopf und Kör- der eine starke Längs- streckung erfahren und die ganze Trichocyste mit dem „ausgestülpten Fa- den", der über die Körper- oberfläche herausragt, eine „stäbchenförmige gleich- mäßige Masse" bildet; am lebenden Objekt fliegt die Trichocyste aus dem Tier heraus. Woher der „Fladen" stammt, von dem weder in ruhenden Trichocysten noch in Entwicklungsstadien eine Spur zu sehen ist, bleibt fraglich^ Handelt es sich bei der Explosion wirklich nicht um einen chemischen Vorgang, dann muß der Faden prae- formiert sein; der Verf. nimmt an, daß der Kopf eine entsprechende, aber nicht zu erkennende Struktur besitzt, und macht für das Austreiben des Fadens nicht so sehr die Zusammenziehung des Körpers des Infusors als die mit kontraktilen Fi- brillen versehene Hüllen der Trichocysten ver- antwortlich. Brn. Wiederkonjugation bei Infusorien. Seitdem die Konjugationsvorgänge der Infusorien in ihren Einzelheiten und ihrer Bedeutung genauer bekannt geworden sind, geht allgemein die Ansicht dahin, daß die vegetative Vermehrung durch Teilung, deren Dauer je nach den Arten verschieden ist, aber auch individuell variiert, von Konjugationen unterbrochen wird; während derselben findet die Befruchtung und nach ihr eine Neubildung des Kernapparates statt, die Voraussetzung für das Eingehen erneuter Teilungen ist. Da die Neu- bildung des Kernapparates mit dem Trennen der Konjuganten noch nicht vollendet ist, so sind diese als „Exkonjuganten", die sich erst noch teilen werden, an der Beschaffenheit ihres Kern- apparates zu erkennen. Bütschli hat zuerst N. F. XV. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 (1S76) ein derartiges Tier {Payaniacc'mm putriinnit) in Konjugation mit einem normalen gesehen, Doflein (1907) dasselbe bei Faramaecium cau- datmn\ die Aufmerksamkeit auf diese „Wieder- konjugation'' lenkte aber erst Enriques (1908) durch seine Studien an Cliilodon uncinatiis und stellte fest, daß Exkonjuganten direkt wieder eine Konjugation eingehen können, entweder mit anderen Exkonjuganten oder mit normalen, konjugations- reiien Individuen. Kürzlich hat auch M. Klitzke die Wiederkonjugation bei Parainaeciuni caudatnm studiert (Arch. f Protistenkd. 33, 19 14). Hier liegen die Dinge insofern anders, als die Aus- bildung des normalen Kernapparates erst nach zwei Teilungen der Exkonjuganten eintritt, also lassen sich auch Wiederkonjuganten erster und zweiter Generation erkennen, die sowohl unter- einander wie mit normalen Tieren konjugieren können. Brn. Geologie. Dinosaurierreste aus der ägyptischen Wüste. Ägypten, an dessen geologischer und paläon- tologischer Durchforschung neben Engländern einer großen Zahl deutscher Gelehrter ein Hauptver- dienst zukommt, hat schon verschiedentlich äußerst reichhaltiges und ungemein wertvolles Material zur Kenntnis der Tierformen vergangnner Zeiten geliefert. Neben der riesigen, wenn auch nicht ungewöhnlich großen Ausbeute an IWeeresbewoh- nern der Kreide- und Tertiärzeit, sind es vor allem tertiäre Säugetierreste aller Art, die auf große Gebiete der Wirbeltier-Paläontologie helles Licht geworfen haben. Die geologische Geschichte des Landes bringt es mit sich, daß lange Zeiten hindurch die Erhaltungsbedingungen für Bewohner der salzigen Küstengewässer, der Strommündungen und Astuare, der Flußniederungen und des trocke- nen Landes selbst fast gleichmäßig günstig lagen, so daß uns die Tierwelt des Tertiärs in seltener Vollständigkeit aus einem verhältnismäßig be- schränkten Bezirk überliefert ist. Ein alter kristalliner Kontinentalkern im Süden ist nach der Mittelmeerzone hin durch die ganze Ausdehnung des ägyptischen Nillaufs und seiner Seitenländer mit Schichten der mittleren und oberen Kreide, sowie fast sämtlichen Stufen des Tertiärs überdeckt. In ihnen spiegelt sich aufs deutlichste ein schrittweises Vordringen des Meeres der Mittel- kreide und seine ganz allmähliche, im einzelnen vielfach wechselnde Abdrängung nach Norden hin bis in sein jetziges Mittelmeerbereich. Wie nun die Küstenniederungen beim Abzug während der jüngeren Tertiärzeit besonders in dem weiter westlich als heute gelegenen Mündungsdelta des Urnilstromes die Überbleibsel der damaligen hoch- interessanten Säugetierwelt aufnahmen und über- lieferten, so hat sich an den Ufern des vorrücken- den Kreidemeeres Gelegenheit gefunden, Reste der Binnenfauna auch aus jener Zeit zu erhalten. Daß randliche Gewässer oder Flußtäler auch da- mals die Hand im Spiel hatten, geht aus den Befunden von Lungenfischresten usw. hervor. Denn die Wüstenzone, die sich heute breit und tyrannisch auf das ganze Land legt, ist nur erst ganz jungen Datums und darf uns in der Vor- stellung der geographischen Verhältnisse der Ver- gangenheit nicht irre machen. Selbst noch im Diluvium, zur Zeit unserer nordischen Vereisungen, hat an der Stelle, wo jetzt unabsehbar Fels und Sand in der Sonne glüht, ein niederschlagsreiches Klima und üppige Vegetation geherrscht. Unter den Wirbeltierfunden, die Prof E. Stro- mer von Reichenbach') und der Sammler Markgraf in Kairo auf mehrfachen Vorstößen und Erkundungsreisen in den kontinentalen Ab- lagerungen im Liegendsten der ganzen vorhande- nen Kreideserie am Grunde des Oasenbeckens von Bahariah gemacht haben, erregen die Dino- saurier besonderes Interesse. Etwas jünger als die umfangreicheren Schätze Deutsch - Ostafrikas stimmen sie im Alter überein mit Befunden im südlichen Algerien, bis wohin sich die Küste des damaligen Mittelmeeres einigermaßen verfolgen läßt. Freilich ist die bisherige Beute noch spär- lich, die Erhaltung nicht völlig einwandfrei und ein Teil der Funde infolge des Kriegsausbruchs noch nicht im Münchener Museum angelangt. Doch läßt auch das bisher Vorliegende erkennen, daß es sich um hochwichtige Bereicherungen unserer systematischen wie tiergeographischen Kenntnisse der Dinosaurierwelt handelt. Ein durch Stromer kürzlich beschriebener Theropode Spino- saurus aegyptiacus n. g., n. sp. vertritt einen ganz neuen Typ unter den fleischfressenden Dinosauriern, vermittelt uns somit auch eine neue F'amilie Spinosauridae. Ausgezeichnet ist er vor anderen Theropoden durch mächtige langgestreckte Dorn- fortsätze an den Rückenwirbeln, denen ein Haut- kamm aufgesessen haben mag und die auch den Gattungsnamen bedingten. Die Zähne weichen von der bei Theropoden üblichen Gestalt ab, in- dem eine seitliche Abplattung hier einem rundlich- ovalen Querschnitt Platz macht und außer der Kerbung der Längskanten auch eine Rückbiegung der ganzen Krone fehlt. Die Extremitäten sind leider noch nicht genauer bekannt und werden vielleicht dereinst noch bessere Anhaltspunkte liefern. Unter den nicht wenigen überraschenden Dinosaurierfunden von deutscher Seite in den letzten Jahren, auf die ich an dieser Stelle früher im Zusammenhange hinwies, verdienen auch diese auf nicht-deutschem Boden gelungenen erwähnt zu werden. Dr. Edw. Hennig. ') Ernst Stromer, Ergebnisse der Forschungsreisen Prof. E. Stromer's in den Wüsten Ägyptens. II.: VVirbel- tierreste der Bahiarije-Stufe (unterstes Cenoman). Abb. d. kgl. bayr. Akad. d. Wissensch., mathem.-physikal. Kl. Bd. 26-28, I914/'S- 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 26 Weller-Mouatsübersicht. Der diesjährige Mai wies mehrere ziemlich starke Wille- rungsschwankungen auf, jedoch herrschte heiteres, sonniges Frühlingswetter in Deutschland im allgemeinen vor. Am An- fang des Monats war es sogar hochsommerlich warm, seit dem JuifiTerc 'J'emjfsäraFuren einiger 0rfe imJßai 1916. Wel'crburcau. 4. wurden in vielen Gegenden 25° überschritten, am 5. stieg das Thermometer in Gardelegen, Magdeburg und einigen anderen Orten bis auf 30" C, auch die mittleren Tempera- turen dieses Tages überschritten beispielsweise in Berlin und Frankfurt a. M. 20» C. Bald darauf aber trat eine allgemeine bedeutende Abkühlung ein, die sich bis gegen Mitte des Mo- nats langsam fortsetzte. Am 13. und 14. kamen in Nord- deutschland verschiedentlich Nachtfröste vor, wobei es Orteisburg in Ostpreußen und Bromberg auf 4 Grad Kälte brachten. Während der zweiten Hälfte des Monats stiegen die Tem- peraturen zunächst im Westen, später auch östlich der Elbe wieder höher empor. In einigen klaren Nächten aber kühlte sich die Luft noch immer sehr stark ab; am 19. früh fand in Schrimm starke Reifbildung statt, in der Gegend von Storkow wurden an Kartoft'eln und Bohnen Frostschäden wahrgenom- men. Auch die letzten Tage waren in West- nnd Süddeutsch- land ziemlich kühl. Die Monatsmittel der Temperatur lagen jedoch allgemein über ihren normalen Werten, die im Norden um I bis 2, im Süden etwa um einen Grad übertroffen wur- den. Dagegen war die Dauer der Sonnenstrahlung nirgends wesentlich größer als gewöhnlich, so hatte z. B. Berlin im vergangenen Mai 229 Stunden mit Sonnenschein, während hier im Mittel der 24 früheren Maimonate 228 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Sehr zum Segen unserer Land- und Gartenwirtschaft wech- selten kürzere Reihen trockener und längere Reihen nasser Tage im vergangenen Monat zweimal miteinander ab. Bis zum 6. Mai blieben die Niederschläge im wesentlichen auf kuize, größtenteils geringe Gewitterregen beschränkt, die nur an einzelnen Stellen des westlichen Binnenlandes etwas er- giebiger waren. Dann aber folgte eine allgemeine Regenzeit, die mit starken Gewittern im Süden begann und sich allmäh- lich auch auf den Norden ausdehnte. Die Regenfälle waren an verschiedenen Stellen Süddeutschlands sowie des östlichen (Jatsccgebictes von Hagelschauern begleitet, vom 6. abends bis 7. früh fielen z. B. in München 45 mm Regen, in Friedrichshafen 14 mm Regen und Hagel, vom 7. bis 8. in I.auenburg i. P. 24, vom 8. bis g. in Graudenz 40 mm Regen und Hagel. ^gi^ö^cn im Sßai 1916. ___^J CO Milll.r.r Wert für "^"^ Beutsctjland. MoralssumnieimMa, 1916 15, 1"» 13. 12. 11. -|-|444,_^2i:Ma,-.;; ;^^ TTflfflifflnn I Beclintr Welttrhure Inhalt: A. Friedmann, Naturschätze in der Türkei. S. 369. N. Svedelius, Das Problem des Generationswechsels bei den Florideen. 14 Abb. (Schluß.) S. 372. — Kleinere Mitteilungen: Hans Krieg, Beobachtungen an deutschen Pferden in Rußland. S. 379. W. O. Dietrich, Ist der afrikanische Elefant mit dem indischen verwandt? S. 380. — Einzelberichte: C. Tönniger, Über Bau, Leistung und Herkunft der Trichocysten. 4 Abb. S. 381. M. Klitzke, Wiederkonjugation bei Infusorien. S. 382. E. Stromer von Reichenbach, Dinosaurierreste aus der ägyptischen Wüste. S. 383. — Wetter-Monalsübersicht. 2 Abb. S. 384. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg I Vom 17. bis 21. Mai herrsclitc trockenes, heiteres, ob- schon vielfach nebeliges Welter in Deutschland bei weitem vor. Fast allein in den Provinzen Ost- und Westpreußen reg- nete es noch ziemlich häufig; doch blieben die Regenmengen auch dort im allgemeinen gering. Darauf nahmen die meistens mit Gewittern und stellenweise mit Hagelschlägen verbundenen Regenfälle wieder mehr und mehr zu. Gegen Ende des Mo- nats wurden besonders die Provinz und das Königreich Sachsen, Thüringen, Schlesien und der nördliche Teil von Posen von sehr argen Unwettern betroffen, die vom 26. nachmittags bis 27. früh in Görlitz 47, vom 27. bis 28. früh in Leipzig 4g, in Ilmenau 5g, in Halle sogar 106 mm Regen brachten und im Elbetal ein nicht unbedeutendes Hochwasser zur Folge hatten. Die Niederschlagshöhe des ganzen Monats belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen, fast über- einstimmend mit ihrem normalen Werte, auf 57,1 mm. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa änderte sich im Laufe des letzten Monats ziemlich häufig, je- doch waren die Druckunterschiede zwischen den entgegen- gesetzten Gebieten nicht sehr groß. In den ersten Tagen drangen mehrere, nur mäßig tiefe barometrische Minima von Frankreich und England ostwärts vor und trieben ein zunächst in Westrußland befindliches Hochdruckgebiet langsam vor sich her. Ein anderes Hoch folgte am 8. Mai von Südwesten nach und dehnte seinen Bereich allmählich auf die ganze westliche Hälfte Europas aus. Erst am 21. Mai wurde es durch eine vom Eismeer nuch Rußland vordringende Depres- sion, auf die mehrere flachere Minima von Westen her folgten, weit nach Süden verschoben, während in Nordskandinavien bald darauf ein neues, ziemlich hohes Barometermaximum er- schien. Zwischen dem 25. und 27. drang ein etwas tieferes Minimum in die Mitte Europas ein, wo es sich zwar mehr und mclir verflachte, aber dennoch an einzelnen Stellen zu sehr starken Niederschlägen Veranlassung gab. Dr. E. Lcß. .d.s. Naturwissenschaftliche Wochenschrift Sonntag, den 2. Juli 1916. Nummer 3'J'. Nordamerikas Dinosaiirierschätze. (Nachdruck verboten.] Von Ur. Ec Ein ander Ding ist es, die Tiere unserer Erde im Zoologischen Garten in aller Muße und aus der Nähe zu betrachten, ein anderes ihnen im freien Reviernach- zuspüren, sie in ihrer natürlichen Umgebung zu be- lauschen. Die morphologischen und anatomischen Merkmale lassen sich bei ungestörter Annäherung an eine enge Umzäunung oder gar am toten Tiere mit dem Seziermesser allein und besser beob- achten, die biologischen Verhältnisse wenigstens bei den Vierfüßlern einzig am ungestört lebenden in der ursprünglichen Freiheit. Es ist der Weg, den ein Schillings als einer der ersten bewußt beschritt, als er (und seither mancher andere) uns mit Blitzlicht und Büchse so köstliche Urkunden aus dem paradiesischen Leben des afrikanischen Großwilds heimbrachte. Nicht die systematische Einreihung in ein System, auch nicht allein die Erforschung stammesverwandtschaftlicher Verhält- nisse und Entwicklungsreihen vermag den wahren Tierfreund letzten Endes zu befriedigen — und ein Forscher muß Freund und Liebhaber seines Objekts sein. Die Lebensäußerungen der leben- digen Natur gehören für ihn unentbehrlich zum eigentlichen Wesen von Tier und Pflanze, stellen womöglich die sicherste Brücke zur wahren inner- lichen Erfassung dieses Wesens her. Der Arbeits- tisch, der Lehrstuhl vermögen wenig in dieser Beziehung zu vermitteln, jeder ist genötigt un- mittelbar aus der Quelle den Heiltrunk der echten Erkenntnis zu nehmen, höchstens den Weg zur Quelle kann die Erfahrung der Vorgänger bahnen und weisen. Wo aber das Leben endgültig erloschen ist? Ist es der Paläontologie ewig unbenommen an ihren längst ausgestorbenen Objekten gleicher- weise das pulsierende Leben zu erforschen, ist sie verdammt Museumswissenschaft zu bleiben und so, mit allem Staub beladen, die wahrhaft Dürstenden von sich zu weisen? In gewisser Hinsicht ganz gewiß, doch nicht in entscheidendem Maße. Zwar die Tier- und Pflanzenwelt ver- gangener Zeiten ist nur in einer Art von Abbild auf uns gekommen, bruchstückweise, lückenhaft. Aber einAbbild hat auch die freieNatur jener Tage uns hinterlassen müssen. Wie wir durch Kombination das Einzelwesen aus seinen ruinenhaften Überbleibseln wieder er- gänzen und aufbauen können, so sind wir in der Lage auch seine Umgebung, seine Ernährungs- verhältnisse, Lebensbedingungen, Todesursachen vor unseren Augen wieder erstehen zu lassen. Es ist O. Abels Verdienst, die fossile Wirbel- tierwelt zum ersten Male konsequent von diesem Gesichtspunkte aus in seiner „Paläobiologie" ge- f/. Hennig. mustert zu haben. Auch hier muß der wesent- liche Teil des Verständnisses in freiem Felde ge- wonnen werden. Die versteinerte Land- schaft der Vorwelt finden wir in den Schichten und Fossilverbänden, aus denen wir unsere Studienobjekte ge- wonnen haben, nicht im Museumsschrank. Es liegt sogar ein wesentlicher Reiz der Paläontologie darin, daß sie zugleich organische und anorganische Wissenschaft ist. Der Geologie kann sie um so weniger entraten, je mehr sie sich jenen moderneren Gesichtspunkten biologischer Art zuzuwenden bestrebt ist. Denn diese Art, Fossilien „in der Freiheit" zu be- trachten, ist wirklich noch durchaus neu, ja erst in der Entwicklung begriff"en. Die Paläontologie ist ihren hervorragenderen Vertretern seit langem durchaus nicht ein bloßes Hilfsmittel gewesen Leitfossilien für geologische Zwecke zu gewinnen. Das echt zoologische Streben, dem einstigen Lebewesen selbst zugewandt, ist ihr seit langem eigen und selbstverständlich. Was ihr aber sehr vielfach bisher gefehlt hat, war die rationelle Gewinnung ihres Arbeits- materials nach bestimmten rein palä- ontologisch gerichteten Grundsätzen, die archäologische Methode des zielbe- wußten Sammeins und Ausgrabens. Sie erhielt ihre Objekte aus dritter Hand, aus zufälligen Funden bei technischen Erdarbeiten, von Händlern, die wahllos oder doch planlos zu- sammenrafiten, oder als Brosamen von des Geo- logen Tische. Sie war und ist dadurch noch immer allzusehr reine Museumsarbeit, auf Syste- matik und Entwicklungsgeschichte vorzugsweise und notgedrungen eingestellt. Es gilt die Palä- ontologie im Felde bewußt zu pflegen und weiter auszubauen. Ansätze dazu sind in jüngerer Zeit von den verschiedensten Seiten auch bei uns in Deutschland gemacht worden. Ausbeutungen der lithographischen Solnhofener Schiefer oder der Württembergischen Liasplatten auf den Fossil- gehalt hin, Untersuchungen diluvialer Höhlen und ihrer einstigen Bewohner, die Durchforschung der Säugerfundstätten von Pik-ermi bei Athen, der Wildunger devonischen Fisch - Lagerstätten, der Dinosaurier-Plätze von Halberstadt, Württemberg, Deutsch-Ostafrika sind um so erfreulichere An- fänge, wenn sie nicht vereinzelt bleiben, sondern als erste Schürfarbeit einer bewußten und stän- digen Methode künftig werden gelten können. Es bedurfte so seltener und ertragreicher Ansammlungen fossiler Riesenkadaver, wie sie Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 27 besonders sinnfällig die Dinosauriervvelt des Mesozoikums uns hinterlassen hat, um den Anrei/, zu größeren Untersuchungen dieser Art zu geben und die Mittel dafür zu erlialten. Die Lagerstätten wie die Mittel standen Nordamerika früher zur Verfügung als Deutschland. So ist man denn dort auch schon seit den 70 er Jahren mit gutem Beispiel vorangegangen. Eine große Zahl von Expeditionen sind von den verschiedensten Museen ausgesandt worden, um in großem Maßstabe Fossi- lien, in erster Linie Wirbeltiere zu sammeln und der Wissenschaft dienstbar zu machen. Es gibt dort etwas wie ein paläontologisches Prospektorentum, das aus- gezeichnete Erfolge zu verzeichnen hat, Spezialisten auf dem Gebiet des Fossilentdeckens, -Ausgrabens und -Bergens. Die Natur des Landes (auch die wirtschaftliche!), vor allem die meist spärliche Vegetation, die Übersichtlichkeit des Geländes, bieten ja günstigste Vorbedingungen zur Auffindung und zum Abtransport. Die unabsehbaren Reich- tümer an Säugetieren und Reptilien aus nord- amerikanischen Ablagerungen in den großzügig geleiteten Museen des Landes legen Zeugnis von der emsigen Tätigkeit ab. Die Ausbeutung in- discher, ägyptischer und ostafrikanischer Säugetier- Fundstellen durch englische, amerikanische, deut- sche Unternehmungen sind diesen Spuren mit kaum geringerem Ergebnis gefolgt, und ähnlicher Beispiele ließen sich noch viele nennen. Und doch : was ich die Paläontologie im Felde nannte, ist dabei nicht immer zu seinem vollen Rechte gelangt. Man begnügte sich vielfach mit .der Bereicherung der Museumsschätze, ohne all den vielseitigen natürlichen Bedingungen der Vor- kommnisse selber die gebührende Beachtung zu widmen. In den zahllosen kleinen Mitteilungen eines Cope und Marsh, die mit fast erdrückender Schnelligkeit einen Typ nach dem anderen ans Licht beförderten, eine ungeheure Pauna der Vor- zeit vor den erstaunten Augen der Mitwelt ent- stehen ließen, .Skelett über Skelett rekonstruierten und bekannt gaben, sucht man vergebens nach Angaben über die Gewinnung und natürliche Lagerung, über Zusammenvorkommen der Tiere untereinander und mit anderen Faunen oder Ploren, aus denen sich ein Bild der Lebensbedingungen gewinnen ließe. Alle biologischen Bemerkungen sind rein spekulativer Natur. Ja selbst genaue strati- graphische und öfters auch topographische Kenn- zeichnung der Lagerstätten fehlen in zuweilen erstaunlichem Maße. Spätere Teilnehmer an jenen Expeditionen haben einiges in dieser Beziehung nachgeholt, freilich zumeist in vereinzelten und versprengten populären Aufsätzen. Über die Natur der Gebiete und Schichten, aus denen die Dinosaurier stammen, über die Art und Weise der Gewinnung war es lange Zeit und ist es zum Teil noch schwierig für den Fernstehenden sich eine Vorstellung zu verschaffen. Da ist es denn mit Dankbarkeit zu begrüßen, daß in einer klaren und gut ausgestatteten Übersicht für die Besucher der nordamerikanischen Schausammlungen, insbesondere des American Museum of Natural History in New York ein dort tätiger bekannter Gelehrter W. D. Matthew unter Zuhilfenahme und Wiedergabe früherer Auf- sätze von Fachgenossen alles über die Dinosaurier zusammenfaßt, was für das Publikum von Wert und Interesse ist.') Die in Betracht kommenden Zeiträume, die geographischen und klimatischen Verhältnisse jener Tage der Reptilien-Herrschaft, die Lebensweise und Zusammensetzung der Dino- saurierfaunen sind in den wichtigsten Zügen sicher entworfen, die Haupttypen und Gruppierungen sehr übersichtlich beschrieben und abgebildet und die oft romantische Art der Entdeckung und Ge- winnung der Skelette aus der Feder der ausge- zeichnetsten Teilnehmer und Leiter höchst an- schaulich beschrieben. Es gibt wohl kein besseres Mittel, Verständnis und Interesse für den durch die stratigraphische und paläontologische Nomenklatur äußerst spröden Stoff der an sich ungemein reiz- vollen Wissenschaft in weite Kreise zu tragen. Indem man den Leser teilnehmen läßt an der Erweckung der fossilen Bodenschätze zu neuem Leben, gewinnt jene fernliegende Welt eine ganz andere Plastik, als wenn man den Besucher einer Schausammlung vor fertig präparierte und mon- tierte Skelette stellt und es seiner eigenen Phan- tasie überlassen muß, das unvollständige tote Gerippe mit Blut und Leben zu erfüllen, also erst den eigentlichen Schritt zur Vergegenwärtigung selber zu tun. Über die von deutscher Seite verschiedentlich veranstalteten Ausgrabungen von Dinosauriern habe ich mehrfach, auch an dieser Stelle,'-) berichtet. Über die nordamerikanischen dürften einige An- gaben ebenfalls nicht unerwünscht sein. Wie oft in derlei Phallen, mußten auch den Riesenkirchhöfen der Dinosaurier gegenüber Aufmerksamkeit und Augen erst auf die unge- heuren Schätze der Nähe eingestellt sein, ehe man aufhörte ahnungslos und achtlos an ihnen vor- überzugehen. Dinosaurier zwar waren aus Europa schon in wichtigen und interessanten Vertretern (Iguanodon, Megalosaurus, Scelidosaurus) bekannt. Niemand aber dachte an so gewaltige Knochen- felder, wie wir sie heut von Nordamerika kennen. Da war es denn möglich, daß die rein geologische PIrforschung gewisser Gebiete, auf denen man später die Riesengebeine massenhaft herausge- wittert liegend fand, 4 Jahre hindurch nicht mehr als einen halben Schwanzwirbel entdeckte 1 Dann kam die Einsicht in den wahren Sachverhalt Schlag auf Schlag. Im Frühjahr 1877 brach das Eis: Unabhängig voneinander erfolgte die Auf- klärung an drei Stellen der Rocky Mountains. Die daran geknüpften Erwartungen wurden bald noch bei weitem durch immer neue Ergebnisse ') Matthew: Dinosaurs, with special rcfercnce to the American Colleclions. New York, Amer. Mus. Nat. Hist. 1915. 162 S. ") Naturw. Wochenschr. 5. Juli 1914. S. 417 ff. N. F. XV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 387 und seither durch die schier unerschöpfliche Aus- beute so zahlreicher Sammelreisen und Expedi- tionen überboten; denn al>bald warf man sich in Amerika auf die nunmehr planmäßige Ausbeutung im großen, auf eine Durchforschung des Landes mit rein paläontologischen Zielen. Die beiden P"orscl]cr Marsh an der Yale-Universität in New Haven, Conn. und Cope, denen die ersten Funde zur Begutachtung vorgelegt wurden, haben sich das Hauptverdienst um die Organisation und Anregung zu diesen Forschungen erworben. Selbstredend konnten sie aber nicht selbst die umfangreichen und zeitraubenden Ausgrabungs- und Bergungsarbeiten ständig leiten oder be- gleiten. Eine größere Zahl anderer Fachgelehrter wurde bald herangezogen. Unter ihnen hat wohl Williston an den meisten Arbeiten der ersten Jahre mittelbar oder unmittelbar teilgenommen und hat zum Glück in dem genannten Büchlein als lebender Zeuge jene Vorgänge uns nach- träglich noch geschildert. Zwei geologische Zeitabschnitte sind es haupt- sächlich, die uns in Amerika Kunde von jener sagenhaften Vorwelt überliefert haben: Die Übergangsperiode zwischen Jura und Kreide (in Nordamerika als „Comanchic" selbständig zwischen jene beiden eingeschoben und unserem Wealden entsprechend), sowie die letzte, jüngste Kreide- zeit. Infolge des gewaltigen zeitlichen Zwischen- raums handelt es sich um zwei voneinander völlig abweichende, aber miteinander doch in mannig- facher verwandtschaftlicher Beziehung stehende Faunen. Unter der unabsehbare Fülle wichtiger Fundorte auf Unions- und später auch kanadischem Boden ragen einige durch die Menge und Voll- ständigkeit der gefundenen Skelette, wie auch durch die Vielgestaltigkeit der Saurierformen be- sonders hervor. Zu ihnen gehört die Umgebung der Stadt Morrison in Colorado, nach der die jura-kretazische Grenzschicht auch Morrison- Schichten genannt wird. Daneben heißt sie nach der ersten dort aufgedeckten Riesenform Atlanto- saurus-Schichten oder nach einem anderen Fund- platze bei Como in Wyoming auch Como- Schichten. Ist auch die Prioritätsfrage der Entdeckung nicht mit Sicherheit zu entscheiden, so dürfte doch der kürzlich erst verstorbene W. Reed, damals noch Beamter der Union Pacific Railroad in Wyo- ming, später Kustos für Paläontologie an der Wyoming-Universität, innerhalb des Frühjahrs 1877 der eigentlich erste Entdecker gewesen sein. IVIit seinem Jagdbegleiter zusammen glaubte er aber sein Geheimnis ängstlich hüten zu müssen. Marsh erfuhr von seiner Entdeckung erst im Herbst. 5 Jahre vorher waren ihm persönlich gelegentlich eines Aufenthaltes zu zoologischen Studienzwecken einige fossile Knochenfragmente aus der Umgebung von Como vorgelegt worden, denen er aber damals weiter keine eingehende Beachtung schenkte. Nunmehr ging er der Sache aber energisch auf den Grund. Schon im November 1877 entsandte er Willis ton zur näheren Er- kundung der Vorkommnisse. Sehr hübsch schildert dieser, wie eine Kiste Zigarren ihn seinem Ziele näher bringen mußte, so daß alsbald die Arbeiten in den Como-Bergen aufgenommen werden konnten. Freilich war für diesmal die Jahreszeit schon allzuweit vorgeschritten, um bessere Er- gebnisse zu liefern oder gar in dieser Beziehung unsern heutigen verwöhnten Ansprüchen Genüge leisten zu können. Vorher aber hatte Willis ton mit ausge- zeichnetem Erfolge auch an anderen Stellen an wichtigen Aufschließungsarbeiten teilnehmen können: Bei Morrison in Colorado hatten Lakes und Beckwith auf der Suche nach Blattabdrücken in den Kreideschichten einen Dino- saurierwirbel gefunden und, da Ersterer ähnliche Funde von England her bereits kannte, seine Be- deutung richtig erkannt. Der Titanosaurus (Atlant osaurus) immanis Marsh hatte das Licht einer neuen späteren Welt erblickt. Die weiteren Nachforschungen an Ort und Stelle wurden unverzüglich ins Werk gesetzt. Williston beteiligte sich im September des Jahres kurze Zeit daran und ging von hier — stets in Marsh 's Auftrage — , nach Canon- City in Colorado, wo ihm mit Mudge und P'elch zusammen die ersten Funde zu dem Original des nachmals zu besonderer Berühmtheit gelangten Diplodocus glückten. Den Fundplatz ') selbst hatte ebenfalls im März des Jahres ein Liebhaber-Botaniker namens Lucas entdeckt. Seine ersten Knochenfunde ge- langten in Cope 's Hände und legten den Grund- stock zu dessen Cam arasau rus supremus. Kein Wunder, wenn W i 1 1 i s t o n nach so reicher Ausbeute eines ersten Jahres sich über den wahren Gehalt der amerikanischen Erde an fossilen Knochenreichtümern sehr optimistisch aussprach. Aber selbst seine Erwartungen sind durch die späteren Ergebnisse noch weit übertroffen worden. Eine große Zahl neuer P\mdorte kam mit der Zeit hinzu, zumal der Beruf des das Land weit- hin durchstreifenden „Fossiljägers", d. h. des Sammlers im Auftrage bestimmter Museen dank der reichen dafür zur Verfügung stehenden Mittel schnell zur Blüte gelangte. In großem Maßstabe ging man an die Gewinnung der eigenartigen Bodenschätze, auch die Methoden des nicht immer leichten Bcrgens und Transportes verbesserten sich zusehends und erlaubten später mitzunehmen, was man anfangs wegen des brüchigen Zustandes nicht selten hatte liegen und dem Verderben an- heim fallen lassen müssen. Wohl die reichsten Fundplätze sind für die Dinosaurier des Wealden das Bone-cabin - quarry im mittleren Wyoming, für die jüngeren Kreide- formen die Niederungen am Red-Deer-river in Alberta. Das „Knochenhäuschen'' war die Wohn- hütte eines mexikanischen Schafhirten, der in der 1) Geschildert von Hatcher in „Osteology of Haplo- canthosaurus" Mem. Carnegie Mus. Bd. 2, Pittsburgh 1903- 388 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 27 Steppe sein Quartier aufgeschlagen hatte. Wie das Knusperhäuschen der Märchen - Hexe aus Süßigkeiten aller Art, so bestand seine Hütte aus wahren paläontologischen Leckerbissen: den Knochenresten der urweltlichen Riesen. Natürlich hat der Erbauer das nicht geahnt. Vielmehr besteht die Bodenerhebung, die die Hütte trägt, wie Osborn aus eigener Anschauung bestätigen konnte, erstaunlicherweise so gut wie ausschließ- lich aus den versteinerten Dinosaurier-Knochen- resten. Vermutlich ist an dieser Stelle das ein- bettende Gestein fortgewaschen und hat allein seinen allerdings besonders reichhaltigen Fossil- inhalt an der Oberfläche dicht aufgehäuft hinter- lassen. Die übriggebliebenen Trümmer sind na- türlich so verwittert, daß man ihnen die Knochennatur nicht immer auf den ersten Blick ansieht; der einfache Hirt hatte sie als rohe Steinblöcke betrachtet und verwendet. Aber es steckte im Hang noch genug brauchbares Material. Osborn glückte 1898 wenige Tage nach Beginn seiner Ausgrabungsarbeiten die Auf- deckung einer senkrecht im Erdreich steckenden, vollständigen Hinterextremität von Diplodocus; ein Beweis, wie mir scheinen will, daß es sich nicht ursprünglich um eine regellose Anhäufung von Knochentrümmern handelt, sondern auch ganze Skelette in primärer Lagerung eingebettet gewesen sein müssen. Auch Krokodile und Schildkröten hat die Schicht geliefert. Der Platz wurde erst 1897 von einer Sammelexpedition des New-Yorker AmericanMuseum unter Granger entdeckt und stand in den folgenden Jahren fast dauernd in Bearbeitung. Osborn zählt als Aus- beute in den ersten 6 Jahren bis 1904 nach den gefundenen Extremitätenknochen nicht weniger als 73 natürlich nicht durchweg vollständige Exemplare auf, darunter 44 Sauropoden, 3 Stego- sauriden, 4 Iguanodontiden, 6 große, 3 kleine Carnivoren Formen, 4 Krokodile, £ Schildkröten. Damals war jedoch eine Erschöpfung bei weitem noch nicht erreicht und hinzuzuzählen sind die vielen schon früher herausgewitterten und meist unkennt- lich gewordenen Skelettstücke. Insgesamt dürfte daher Osborn's Schätzung von über 100 auf verhältnismäßig kleinen Raum vereinigten Tieren aller Art nicht zu hoch gegriffen sein. Es sei im Hinblick auf die Deutung solcher Lagerstätten bemerkt, daß die in Deutsch Ostafrika ange- troffenen Verhältnisse durchaus entsprechende Anhäufungen aufgewiesen haben. Reiche Fimde lieferte seit 1899 auch ein Knochenlager am Sheep Creek in Wyoming (Albany County). Das Skelett „Nr. 84" von dort aus dem Jahre 1899 hat den Hauptanteil am Diplodocus Carnegiei geliefert. Unter all den nordamerikanischen Sammel- expeditionen vielleicht die eigenartigste war eine von Barnum Brown geleitete, gleichzeitig mit der deutschen Tendaguru Expedition nämlich 1909 — 191 1 ins Werk gesetzte, die den langge- streckten Canon desRed-deer-river in Alberta auf kanadischem Boden zum Arbeitsgebiet gewählt hatte. Der Fluß fließt tief eingeschnitten in einer meist flachen Platte aus leicht geneigten Schichten der oberen Kreide und des Aktertiärs. Die Prairie- Ebene droben ist vielfach unter Kultur ge- nommen und gut besiedelt. Die enge Tal- schlucht bietet dafür keinen Raum, ist größten- teils fast unzugänglich. Ein Farmer des Landes namens Wagner war es, der die Augen der wissenschaftlichen Welt auf den tiefen Einschnitt hinlenkte. An seinen Steilhängen und in den sie durchfurchenden seitlichen Schluchten sind die Dinosaurier-führenden Kreideschichten vorzüglich auf weite Erstreckung aufgeschlossen. Jährlich sich erneuernde Abrutschungen gewähren immer wieder neue Einblicke in die Schichtentafel und ihren Fossilgehalt. Entsprechend schwieriger ge- staltet sich natürlich das Aufdecken und Freilegen größerer in den Schichten gelegener Knochen- verbände. Hier galt es ein planmäßiges, möglichst vollständiges Absuchen. Bei der Weglosigkeit des Tales war das nur mittels eines für den Zweck hergerichteten Flachbootes zu ermöglichen, das gleichzeitig als beliebig verschiebbares Lager und zum Abtransport der Ausbeute diente. Die Plrgebnisse des Unternehmens waren außerordent- lich zufriedenstellend. Was nun die sozusagen geologisch-biologische Seite der Sauriervorkommnisse anbetrifft, so müssen wir, wie wir die Skelette im Geiste zu lebenden Wesen wieder erwecken, aus den sie einhüllenden Gesteinsschichten und dem übrigen P'ossilgehalt die Landschaft und zeitgenössische Fauna, in denen unsere Drachenwelt lebte und starb, herauszulesen versuchen und verstehen. Es ist weder hier noch anderwärts eine einheitliche Gesteinsart, die die Knochen enthält. Tone, Mergel, sandige und kalkige Gesteine wechseln ab. Die Art des Wechsels nach den Seiten wie nach oben kann indes schon mancherlei Hinweise geben. Auf dem Meeresboden ist die Verteilung des Scdiment- materials eine andere und zwar meist gleichmäßigere als auf dem Lande, bzw. in dessen mannigfachen Seen, Flüssen, Becken usw. Aller Zweifel über die allgemeine Herkunft der Gesteine muß aber schwinden, wenn wir die zusammen mit den Dinausoriern auftretenden Reste von Krokodilen, Schildkröten, spärlichen Süßwassermuscheln be- denken. Nicht ein einziges sicheres marines Fossil ist in den eigentlichen Dinosauriergesteinen Nord- amerikas (Colorado, Wyoming, Dakota, Laramie, Montana, Alberta) bisher festgestellt worden. Meeresablagerung kommt also nicht in F"rage, wohl aber ist mindestens zu einem großen Teile Absatz in Gewässern sichergestellt. Bei einer durchschnitt- lichen Mächtigkeit der Dinosaurierschichten der Unterkreide von lOO m kann man auf die Länge der Zeit schließen, die zu ihrer Enstehung er- forderlich gewesen sein mag. So kann es auch nicht wundernehmen, daß unter und über ihnen andere Schichten lagern, bei denen durch das Auftreten meeresbewohnender Reptilien, Ichthyo- N. F. XV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 389 Saurier bzw. Mesosaurier, und andere Befunde eine marine Entstehung mit Sicherheit anzunehmen ist. Wir sehen im Laufe gewaltiger Zeiträume den Meeresboden emportauchen, sich mit der selt- samen Tierwelt der Dinosaurier und ihren faunisti- schen und floristischen Zeitgenossen beleben und ein späteres Meer mit neuen Bewohnern von dem Gebiete wieder Platz ergreifen, das heut mitten im Kontinente gelegen den Fuß des Felsengebirges in gewaltiger Erstreckung einsäumend vom Süden der Vereinigten Staaten bis nach Kanada hinein- reicht. Eine ganz leichte Faltung der knochenführen- den Schichten läßt erkennen, daß auch nach ihrem neuerlichen Emportauchen gebirgsbildende Kräfte am Werke waren; die Entstehung der westamerika- nischen Gebirge fällt größtenteils in die Zeiten nach der Saurierherrschaft. Die Faltung bringt es auch zuwege, daß die heutige ebene Oberfläche die Fundschichten zu wiederholten Malen offen ausstreichen, in der Tiefe verschwinden und zwischen den Mulden zuweilen ganz oder teilweise vermissen läßt, weil die Erosion die Sättel abgetragen oder angefressen hat. Dadurch ist wieder die Abbau- fähigkeit der Fossilschätze und ihre Beeinflussung durch Verwitterungsvorgänge in allen möglichen Abstufungen bedingt. Gänzlich lückenlose und ungestörte Skelette haben sich in Nordamerika so wenig wie anderswo auf der Erde finden lassen und sind wohl auch kaum je zu erwarten. Doch liat die reiche Ausgrabungstätigkeit nun schon recht häufig wenigstens diesem Idealbefunde an- genäherte Reste geliefert. Dahin gehört der Brontosaurus excelsus Marsh, der das Museum der Yale-Universität ziert, je ein Saurolophus und und Corylhosaurus- Exemplar des American- Museums u. a. m. Hierzu ist indes nicht der be- kannte Diplodocus Carnegiei zu rechnen, der in Ge- stalt eines Gipsabgusses den Museen von Bologna, Wien, Berlin, Paris und London als Geschenk überwiesen wurde und hier die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf jene Vorweltriesen lenkte; der Abguß stützt sich vielmehr von einzelnen Er- gänzungen abgesehen auf die Überbleibsel mehrerer Individuen, die anscheinend nicht einmal der gleichen P'orm angehören und sicherlich in Alter und Größe nicht völlig übereinstimmten. *) Im unverwitterten Schichtenverband hängt die Art der Erhaltung natürlich nicht von nachträglichen Verwitterungs- vorgängen, sondern von der ursprünglichen Ent- stehung der Absätze, der Art des Todes und den Umständen bei der Einbettung ab. Einige Zeit muß selbst unter günstigsten Vorbedingungen verstreichen, bis ein Kadaver völlig verdeckt und gegen außen abgeschlossen ist; bis dahin sind aber hinreichend Gelegenheiten zum Abfaulen oder zur Verschleppung ungeschützter Teile geboten. Diese Vorbedingungen sind selbstverständlich nicht immer und überall die gleichen gewesen. 'I Abel, Die Rekonstrukti. k. zool.-botan. Ges. Wien 1910. Diplodocus. -Abb. k. Es kann nicht eine Erklärung für alle Mannig- faltigkeiten der Knochenlagerstätten genügen. Hier versank eins der schweren Ungetüme rettungs- los im weichen Schlamm, so daß seine Extremi- täten noch jetzt im erhärteten und zusammenge- preßten Gestein aufrecht stehend bloßgelegt werden. Dort wurden Kadaver der verschiedensten Sorte in stillen Wässern träger P'lüsse oder in seichten Lagunen zusammengeschwemmt. Wieder an anderer Stelle m.ögen Hochwasser und Über- schwemmungen in kleinerem Umfange katastrophal gewirkt, alte Tiere besondere Sterbeplätze auf- gesucht, fleischfressende P'ormen ihre Opfer zu- sammengeschleppt haben. Unter den großen Sauropoden hat es offenbar nicht wenige gegeben, die in den stagnierenden und seichten Gewässern des flachen dem Meere entstiegenen Landes dauernd nach Art unserer heutigen Nilpferde ein stumpf- sinniges Dasein fristeten. Die Ungeheuerlichkeit der Körpermassen hängt wohl zum Teil damit zusammen, daß bei solcher Lebensweise ein größeres Eigengewicht ohne Gefährdung und Beschwerden erzielt werden kann, indem das Wasser einen großen Teil der Last trägt und die Extremitäten entlastet. Bei gewissen Formen ist eine Anpassung an das Leben im Wasser soweit erfolgt, daß die Nasenlöcher von der Schnauzenspitze rückwärts auf den Schädel hinauf verlagert wurden, um leich- teres Atmen an der Wasseroberfläche zu ermög- lichen. Bei Trachodon wollte man sogar Schwimm- häute feststellen. Es ist das diejenige Form, von der überraschenderweise ganze sog. Mumien ge- funden worden sind, d. h. Skelette mit rings umhüllendem Abdruck der Haut im Gestein. Es sind also nicht Mumien im Sinne der ägyptischen Leichenpräparate oder der im sibirischen Eise bzw. in galizischen Naphtha-Lagen überlieferten Kadaver vom Mammut und Nashorn der Eiszeit, bei denen die getrocknete Haut mit Haaren auf uns gekommen ist. Aber für die Kenntnis der Hautbekleidung ist die Erhaltungsweise bei Trachodon kaum minder wertvoll. Zugleich beweisen solche Fälle, daß auch auf dem trockenen Lande unter Einwirkung der dörrenden Sonnenstrahlen die Kadaver erhalten und durch spätere Überdeckung bewahrt bleiben konnten, also selbst für gewisse Eigenschaften des Klimas finden sich Anhaltspunkte. Es sind reiz- volle Aufgaben mannigfachster Art, die sich aus solchem Studium der Paläontologie im Felde gewinnenundgroßenteils einigermaßen befriedigend lösen lassen. Auch die nordamerikanischen For- scher schenken ihnen jetzt mehr und mehr die gebührende Beachtung. Es ist kaum zweifelhaft und niemand zum Vorwurf zu machen, daß bei- spielsweise die Hautabdrücke früherer Trachodon- Funde beim Bloßlegen der Skelette zerstört worden sind, weil man derartige Erhaltungsmöglichkeiten gar nicht ins Auge faßte. Wir Paläontologen wissen noch gar nicht, wie reich wir sind I Nicht von einem eigentlichen Gelehrten, sondern von dem höchst verdienstvollen Berufssammler Sternberg wurde die erste Dinosauriermumie gefunden und fest- 390 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. ¥. XV. Nr. 27 gestellt. Seither sind mehr derartige Stücke ge- wonnen worden. Ein schönes Exemplar hat das Frankfurter Senckenbergische Museum erworben, das ja auch vom Diplodocus ein Originalskelett besitzt. Die Faunengemeinschaften, die an der Wende von Jura und Kreide und zum Abschluß der letzteren Periode die nordamerikanische Land- schaft der damaligen Zeit bevölkerten, ergeben sich schon fast unmittelbar aus solchen Knochenfeldern wie dem von der „Knochenhütte". Große und kleine, plumpe, ungeschlachte neben behenden, ge- wandten, pflanzenfressende und räuberische, wasser- bewohnende, vierfüßig sich schleppende und zwei- beinig hüpfende F'ormen erfüllten das ebenso viel- gestaltige Gelände. So seltsam uns manche der fremdartigen Drachengestalten anmutet, man er- kennt doch in ihrer Gesamtheit das Wirken ähn- licher Geslaltungsgesetze, wie sie unsere heutige Säugetierwelt beherrschen und formen. Nilpferd, Känguruh, Gürteltier, Nashorn, Rind, und andere finden bei ihnen ihre Vorgänger, was Eigenheiten der Lebensweise, Verteidigungspanzer oder An- griffswaffen angeht, zuweilen in solchem Maße, daß selbst in ernsthaften Kreisen der völlig irre- führende Gedanke an entfernte Verwandtschaften auftauchen konnte. Wie eng im Räume gedrängte Kristalle einander im Wachstum und P'orm beein- flussen, so die Lebensbeziehungen und Konkur- renzen gleichzeitig lebende Pflanzen oder Tiere nicht minder. Diese Beziehungen können wieder- kehren in den verschiedenartigsten Gruppen der Lebewesen, ihre Wirkung wird immer angenähert die gleiche sein. Angriff und Verteidigung, Ver- folgung und Fluchtbedürfnis finden bei aller uner- schöpflichen Mannigfaltigkeit im einzelnen immer wieder entsprechende Lösungen, das Leben in Niede- rungen, Sümpfen, Steppen, Wäldern prägt dem Körper seinen Stempel auf, die Gesamtheit einer Fauna muß sich zur Ausnutzung aller Lebens- bedingungen auf alle diese Bezirke verteilen und so eine große Mannigfaltigkeit der Einzelformen erwerben, die in gewissem Maße bei jeder anderen Fauna wiederkehren kann und muß. Daher die mancherlei zum Teil auffälligen Wiederholungen von Dinosaurier-Eigentümlichkeiten in der jüngeren Säugerfauna, ohne daß irgendwelche noch so ent- fernte Abstammung der einander ähnlichen Typen auch nur im mindesten in I'Vage käme. Unnötig zu betonen, daß daneben bei den Riesen Reptilien Merkmale sich finden, die bei anderen Vierfüßlern nicht ihresgleichen finden. In erster Linie gehören hierhin die Dimen- sionen, die von den ungeheuren Sauropoden erreicht werden, wenngleich auch da eine Warnung vor Überschätzung am Platze ist. Die bei uns aus der Anschauung der erwähnten Gypsabgüsse bekannteste Form Diplodocus erreicht die statt- liche Länge von 25 m von der Schnauze bis zum letzten Schwanzwirbelstäbchen. Man vergleiche aber beispielsweise im Berliner Naturkunde- Museum das daneben stehende Skelett eines großen Wal- fisches und ergänze bei beiden die Weichteile. Dann ist kein Zweifel, daß an Körpermasse dem lebenden See Säuger der Vorrang gebührt. Der Rumpf des Dinosauriers umfaßt einen sehr geringen Teil des gesamten Leibes, die unerhörte Länge wird durch einen Hals von 7 '/o m und die selbst unter Dinosauriern ungewöhnlich lang gestreckte Schwanzpeitsche erreicht. Hinzu kommt in diesem Falle, daß dem kleinen Köpfchen am Vorderende des trotz mächtiger Extremitäten fast schlangen- artigen Diplodocus-Leibes beim Walfisch ein Sciiädel gegenübersteht, der allein fast die Hälfte des Körpers ausmacht. Nun ist freilich noch dem verbreiteten Irrtum zu begegnen, Diplodocus sei der größte Dinosaurier. Nicht einmal unter den amerikanischen Zeitgenossen gebührt ihm in dieser Hinsicht der Vorrang. Brontosaurus und vor allem Brachiosaurus, dessen vollständigeres Bild freilich erst die ostafrikanischen Befunde liefern werden, übertreffen ihn sogar noch ganz bedeutend, wenn auch vielleicht nicht an absoluter Länge. Wenigstens besteht kein Anlaß einen ähnlich ex- tremen Schwanz bei diesen Formen vorauszusetzen, dafür beträgt die Halslänge bei dem größten bisher bekannten Skelett, dem Brachiosaurus Deutsch-Osl- afrikas nach Branca's Mitteilung') angenähert das Doppelte derjenigen des Diplodocus Carnegie!. Die Höhe der gestreckten Vorderextremität nebst zugehörigem Schulterblatt dürfte 6—7 m erreichen. Bei Brachiosaurus ist freilich die Vorderextremität länger als die hintere im Gegensatz zu dem Pro- portionen bei Brontosaurus und Diplodocus. Da letzterer wieder im Gebiß und ganzen Schädelbau einen Sondertypus für sich darstellt, haben wir es mit drei gesonderten Gruppen von diesen Riesenformen, Sauropoden genannt, zu tun, die in sich natürlich wieder zahlreiche recht abweichende Gestalten umfassen können , deren viele uns in mehr oder minder vollständigen Resten auch be- reits bekannt sind. Die zweite größere und den Sauropoden ver- wandtschaftlich nächstehende Abteilung unter den Dinosauriern sind die an eine ganz entgegen- gesetzte Ernährungs- und Lebensweise angepaßten räuberischen Theropoden. Als fleischfressende Verfolger finden sie sich nicht allein in Amerika, sondern auch sonst allenthalben auf der Erde in Begleitung der anderen Dinosaurier. Selbst keinen Gefahren ausgesetzt und in hohem Maße beweg- lich haben sich diese z. T. fürchterlichen Raub- tiere fast durch die gesamte Periode der Reptilien- herrschaft zu halten gewußt. Im schroffen Gegen- satze zu den unbeholfenen , zu stark an ganz be- stinmite einseitige Lebensbedingungen gebundenen Sauropoden , deren Daseinsdauer eigentlich auf die geologisch kurze Grenzperiode der Jura- und Kreidezeit beschränkt ist, die wir daher innerhalb der jüngeren Dinosaurierfaunen Amerikas und anderer Erdteile vergeblich suchen. Zeigten die ') Archiv, f. liiontologic, Wissensch. Krgebn. der Tenda- gura-E.\pedition 1909 — 1912, Bd. 111, Heft 1, N. F. XV. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 391 Sauropodcn durchweg große bis riesige F"ormen, so gibt es unter diesen Fleischfressern alle Größen von der etwa einer Taube bis zu Tieren von mehr als 15 m Länge und einer Körpermasse gleich der der größten Elephantiden, z. B. des Mammut. Ein solcher „König der Tiere" in Reptiliengestalt, der Tyrannosaurus rex entstand erst in jüngerer Kreidezeit. Doch erreicht auch sein gleichzeitig mit den Sauropoden auftretender Vorgänger Allosaurus schon 10 m und darüber. Ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß es sich bei vielen dieser Raubtiere nur um Aasfresser gehandelt haben dürfte. Ihre mächtigen scharf- kantigen Zähne, die ja häufiger ersetzt wurden als bei raubenden Säugern, finden sich recht häufig nicht nur als Einzelfunde, sondern auch bei den Resten anderer Dinosaurier, so daß man in den Knochenfeldern förmlich die gierige Mahl- zeit sich wiederspiegeln zu sehen glaubt. Mächtig entwickelt ist das Gebiß, mit ihm der ganze Schädel. Zurückgeblieben dagegen sind in immer gesteigertem Maße die vorderen Extremitäten, offenbar wurden zur Fortbewegung in schnellem Lauf oder Sprung vorzugsweise die hinteren verwandt. In dieser Eigentümlichkeit der Fortbewegungs- art stimmen mit ihnen oftenbar nicht wenige Typen aus einem anderen Formenkreise überein, der gleichfalls unter den Sammelbegriff der Dino- saurier fällt, aber schon frühzeitig abgespalten eine völlig selbständige Entwicklung genommen hat. Der zweifüßige Gang oder doch die F'ähig- keit zu vorübergehender Annahme einer solchen Stellung ist also unabhängig voneinander mehr- fach erworben worden. Die zweite große Ab- teilung der Dinosaurier, durch ein zahnloses, mit Hornscheide bekleidetes Prädentalstück im Vorder- teil des Maules und Eigenarten des Beckens (beides vogelähnliche Merkmale) scharf gekenn- zeichnet, hat ihrerseits eine außerordentlich reiche Gestaltungskraft entfaltet. Der in Europa be- kannteste ihrer Vertreter, „der Iguanodon der Lümmel", fehlt in Nordamerika. Doch finden sich ihm einigermaßen verwandte F'ormen von wesentlich geringeren Dimensionen, aber immer- hin in gewissen Vertretern einem kräftigen Kän- guruh an Größe kaum nachstehend. Davon gehört Camptosaurus der älteren, Thescelosaurus der jüngeren Dinosaurierfauna an. Daneben treten in reicherer Entfaltung noch andere zu denPrä- dentaten gehörige Gruppen auf, die es wieder zu ganz extremen und abweichend gestalteten Typen gebracht haben. Ihr Schwerpunkt liegt in der jüngeren Fauna. Zwei von den drei Gruppen gehören ganz dorthin, die dritte zieht sich von der mittleren Jura- bis zur späten Kreidezeit in zahlreichen ganz absonderlichen Formen hindurch. Schon genannt wurde Trachodon mit breit- schnabeltierartigem Maul, dessen Reste uns zu- weilen als Mumien erhalten sind. Zu ihm gehören noch mehrere andere, sämtlich der jüngeren Kreide angehörige Formen. Gleichaltrig sind die ebenfalls bereits erwähnten gehörnten Dinosaurier, die an Nashörner oder Rinder erinnern. Der mächtige zu Stoß und Schutz gleichmäßig geeignete Schädel ist durch seine P"estigkeit besser als andere der fossilen Erhaltung fähig und gibt durch Verteilung und wechselnde Gestaltung und Zahl der Hornfortsätze günstige Anhaltspunkte zu systematischer Gliederung. Triceratops ist der am besten bekannte Vertreter dieser offenbar sehr aktiven, angriffslustigen Sippe. Von den Trachodontiden ist durch die Hautab- drücke bekannt geworden, daß zahllose kleine Verknöcherungszentren über den ganzen Leib verteilt und eng gedrängt einen gewissen Schutz gewährten, sie waren also nicht „nackt". Solche Schuppen und Platten sind ja bei Reptilien fast die Regel. Ganz absonderlich ausgestaltet aber findet sich ein solcher Hautpanzer bei der letzten PrädentatenGruppe, dem Stegosaurus und seinen näheren und ferneren Verwandten in Jura- und Kreidezeit. Der genannte Hauptvertreter selbst ist Zeitgenosse der Sauropoden, also Mitglied der älteren Fauna Nordamerikas. Mächtige aus dem Rücken senkrecht herausragende Kammplatten und kräftige Stacheln am Schwanzende geben dieser Drachengestalt ein höchst seltsames Ge- präge, das durch beträchtliche Dimensionen noch gesteigert wird. Gürteltier- oder Schildkröten- artigen Schutz entwickelt diese Formenreihe in ihren jüngsten Vertretern, beispielsweise bei An- kylosaurus, wo ein geschlossenes Knochengehäuse den gesamten Körper vom Kopf bis zum Schwanz umgibt und ganz wie bei dem tertiären Säuger Glyptodon selbst das Skelett als Träger dieser schweren Last auf Kosten anderer wichtiger Funk- tionen umgestaltet, vor allem durch Verwachsungen versteift wird. So wechselt das Bild, das aus den Knochen- feldern Nordamerikas aufsteigt, je nach der geo- logischen Periode, in die wir forschend hinab- steigen, ganz außerordentlich. Die unausgesetzten Durchforschungen des Bodens nach neuen Schät- zen bereichern und verändern es ebenfalls noch dauernd. Denn bei weitem ist eine Erschöpfung der Überlieferungen jener fernen Tage noch nicht erreicht, so mannigfaltig und lebendig uns ihre Tierwelt heute schon vor Augen steht. Die Aus- dehnung der Nachforschungen auf andere Erdteile kann dies reizvolle Bild fast noch ins Ungemessene ergänzen. Einzelberichte. Zoologie. Über den Entwicklungsgang Jer ^^^ genannte Bandwurm bewohnt den Darm von Ichthyotaema torulosa (Batsch) macht O. Wagner Süßwasserfischen und verläßt, nachdem er im bemerkenswerte Angaben (Zool. Anz. 46. 191 5). Frühsommer geschlechtsreif geworden ist, spontan 392 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 27 durch den After seinen Wirt, um erst im Wasser, nicht wie sonst im Darm, seine Oncosphären in Massen frei zu geben und dann abzusterben. Süßwasserkruster, Copepoden sind es nun, welche die Oncosphären mit der Nahrung aufnehmen; im Darm lösen sich ihre Hüllen, die befreiten Larven durch- bohren die Darmwand und entwickeln sich in der Leibeshöhle zu Plerocercoiden, wobei die Bildung des Scolex nicht wie bei Cysticerken und Cysti- cercoiden in einer Einstülpung vor sich geht, sondern direkt an einem Körperende. Wagner hat weiter festgestellt, daß nach Übertragung der Plerocercoide, die er in Diaptotmis castor Jur. gefunden bzw. erzogen hatte, kein Teil des Finnen- körpers abgeworfen wird, sondern das Plerocercoid durch fortschreitendes Längenwachstum direkt in den gegliederten Bandwurm übergeht. Die Infek- tion der Fische, in diesem Falle der Goldorfen eines Teiches in Hohenstein, findet im Sommer statt, die Bildung von Proglottiden erst im fol- genden Winter und die Geschlechtsreife im Früh- jahr. Der ganze Entwicklungsgang läuft demnach innerhalb eines Jahres ab. Als Zwischenträger kommen nach Grub er Cyclops brevicaudatus Cl. [= C. strcniius Fisch.) und nach M r ä z e k C. agilis [= C. serrulatus) in Betracht. Brn. Ein Parasit in der Haut von Singvögeln. In erbsengroßen Cysten der Haut von Singvögeln lebt paarweise, ausnahmsweise auch zu dreien, eine monostome Trematode, die Bremser ^/(?«öj/ö;«ß faba, Miescher Äfon. bij/igi/i/i genannt hat. Für sie hat Kossack 191 1 die Galtung Collyricbini aufgestellt. Man hat diese schon durch den Wohnsitz bemerkenswerte Art bisher in Deutsch- land, Frankreich, Italien und der Schweiz beson- ders bei jungen Singvögeln gefunden. In Basel ist sie bei Haussperlingen relativ häufig und diese Gelegenheit hat G. Jegen zu erneuten Unter- suchungen benutzt, die auch über die Entwicklung Aufschluß gegeben haben (Zool. Anz. 46. 1915). Die Träger der Parasiten versuchen nämlich selbst, den am Hinterleib und den Beinen sitzenden, un- bequemen Gast mit dem Schnabel zu entfernen und verschlucken ihn; damit gelangen auch die gedeckelten Eier in den Darm, wo sie den Rest der Embryonalentwicklung durchmachen, schließ- lich im Enddarm ausschlüpfen und mit dem Kot entleert werden. Die freien Miracidien sind läng- lich oval, ohne Wimpern und am Vorderende mit besonders starker Hautschicht bedeckt. Sehr merkwürdig ist die Angabe, daß der Inhalt in zwei längliche Portionen zerfällt, womit zwei Indi- viduen gegeben sind, die ihre Ausbildung aller- dings erst erfahren, wenn das sie bergende Mira- cidium, die Infektionsform in die FederfoUikel junger, noch nackter Vögel eingewandert ist. Dann wird der Mutterkörper gesprengt, die beiden- frei gewordenen jungen Parasiten wachsen in der sich vergrößernden Cyste mehr und mehr heran, bilden den Mundnapf, die Darmschenkel, die Geni- talien usw. aus und nehmen schließlich die plan- konvexe Gestalt der erwachsenen an, sich mit den Bauchflächen aneinander legend. Wenn jedoch im Nest Trockenheit herrscht bzw. am Ende der Brutperiode Nestjunge nicht mehr erzeugt werden, umgeben sich die Miracidien mit einer stachlichen Hülle und bleiben in diesem Zustande in den Nestern bis zur nächsten Brutperiode liegen. Die dann wieder eintretende Feuchtigkeit im Nest löst, wohl im Verein mit der höheren Temperatur die Hülle auf und gibt dem Insassen die Möglichkeit zur Einwanderung in die Haut junger Vögel. Brn. Meteorologie. Das Brummen der Telegraphen- stangen. Nach dem Volksglauben soll das Brummen der Telegraphenstangen einen Wetterumschlag an- künden, und zwar soll nach einigen bei recht hohem Ton der Tiefdruckkern nicht weit von dem Beobachter liegen, und der Umschlag um so eher eintreten. Tägliche und regelmäßige Beobachtungen von B.Liese (das Wetter 1916, S. 70) an einer Tele- graphenstange (das Singen der .Stangen ändert sich sehr bei den einzelnen Stangen) haben nun folgendes ergeben. Das Brummen der Stangen kann nicht als Wetterprophet benutzt werden, denn die Schwingungen, durchweiche das Brummen erzeugt wird, rührt nur von Temperaturverände- rungen her und nicht von PLrdschwingungen, die von Tiefdruckgebieten stammen. Die Erscheinung, daß bei großen Leitungen oft Stangen Tag für Tag hoch brummen und andere überhaupt nicht, wenn auch starke Kälte einsetzt, könnte seine Ursache im geologischen Untergrund haben. Steht eine Stange auf einer eingebrochenen Stelle des Trias, deren Umgebungs- spalten mit diluvialen Massen angefüllt sind, so erhält sie vielleicht die möglichen Schwingungen nicht so wie eine, welche auf Urgebirge sitzt. Vielleicht kommen auch Schwingungen in Be- tracht, die dieselbe Schwingungszahl haben wie das Stück Draht zwischen zwei Stangen (ähnlich wie bei Violinsaiten). Blaschke. Literatur. Niedzwiedzki, Prof. Dr. J., Über die Art des Vor- kommens und die Beschaffenheit des W.issers im Untergrunde, in Quellen, Flüssen und Seen. Eine geologische Übersicht mit Berücksichtigung praktischer Beziehungen. Mit Abbildun- gen im Texte. Wien '15, Lehmann & Wentzel. — 3 M. Inhalts Edw. Hennig, Nordamerikas Dinosaurierschätze. S. 385. — Einzelberichte: O. Wagner, Über den Entwick- lungsgang der Ichlhyotacnia torulosa (Batsch). S. 391. G. Jegen, Ein Parasit in der Haut von Singvögeln. S. 392. B. Liese, Das Brummen der Telegraphcnstangen. S. 392. — Literatur; Liste. S. 392. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippen & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 9. Juli 1916. Nummer 38. [Nachdruck verboten.) Die Aufgaben der angewandten Zoologie. Von Dr. phil. G. Wülker (Heidelberg). Die biologische Wissenschaft dient, wie die meisten wissenschaftlichen Disziplinen, nicht aus- schließlich der theoretischen Erkenntnis ihrer Auf- gabe, die für sie in der Erforschung alles Lebenden liegt, sondern sie berührt in einem Teil ihrer Arbeit praktische l'^ragen, die für einzelne Wirt- schaftskreise, ja für das Gedeihen eines Volkes erheblichen Wert, auch in materieller Beziehung, gewinnen können. Da die außerordentliche Er- weiterung unserer Kenntnisse und der Ausbau aller Teilgebiete der Wissenschaft den Forscher oft verlocken, über Plinzelfragen das große Ganze zu vergessen, so ist es für ihn nicht ohne Wert, bisweilen, gleichsam von einem Ruhepunkt aus, den Inhalt und die Ziele seines Arbeitsgebietes zu betrachten. Wenn wir an dieser Stelle die Aufgaben eines Teiles der praktisch biologischen Forschung, der angewandtenZoologie, behandeln, so müssen wir klar darüber sein, daß die Trennung zwischen wissenschaftlicher (theoretischer) und angewandter (praktischer) Wissenschaft keine vollständige und logisch gegebene ist, sondern nur als zweckmäßig im Arbeits- und Lehrbetrieb der Zoologie, wie der anderen Naturwissenschaften, seit langem an- gewandt wird. Auch die angewandte Zoologie bedient sich aller wissenschaftlichen Arbeits- methoden, nur daß einzelne große Gesichtspunkte der Biologie, wie die Frage nach der Stammes- geschichte der Organismen (Phylogenie), nach ihrem zeitlichen Auftreten in der Erdgeschichte (Paläontologie) und ihrer räumlichen Verteilung (Tiergeographie) für sie in den Hintergrund treten. Sie beschäftigt sich vielmehr mit denjenigen tie- rischen Organismen, deren Kenntnis nicht nur für den engen Kreis der Fachzoologen, sondern für weitere Schichten des Volkes, namentlich für das wirtschaftliche Leben und für die öffentliche Gesundheitspflege Bedeutung besitzt; bei diesen Tieren richtet sich die Untersuchung vornehmlich auf Körperbau und -entwicklung (Morphologie und Ontogenie), auf ihre Lebensvorgänge (Physio- logie) und ihre Beziehungen zur Außenwelt (Ökologie). Im Grunde genommen ist die Disziplin so alt, wie die Tierkunde überhaupt, und schon z. B. die ersten Versuche vorgeschichtlicher Wandervölker, durch zweckmäßige Auswahl und Kreuzung aus wilden Tierstämmen brauchbare Haustierrassen hervorzuzüchten, können hierher gerechnet werden. In ihren Besonderheiten aber hat sie sich erst spät beim Aufschwung der Zoologie im 19. Jahrhundert herausgebildet und seit höchstens 40 Jahren eigene Einrichtungen und F"orschungsstätten erhalten, die ihren besonderen Zielen Rechnung tragen. Als ein äußerlicher Zug sei erwähnt, daß die wissen- schaftliche Zoologie in Deutschland bereits seit langem ihre Fachzeitungen hat, z. B. als ältestes und vornehmstes Organ die „Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie", begründet 1849 von v. Sie- bold und Kölliker, während die angewandte Zoologie überhaupt erst seit kurzer Zeit zusammen- fassende Veröffentlichungen, wenigstens für ein- zelne Sondergebiete, kennt, wie die „Zeitschrift für angewandte Entomologie", herausgegeben von Escherich seit 191 3. Welcher Art sind nun die Hauptaufgaben der angewandten Zoologie und die Gebiete des öffent- lichen Lebens, in deren Dienst sie sich stellt ? Welche Unternehmungen und Institute haben sich ihr bis jetzt namentlich in Deutschland, dessen Gedeihen uns jetzt vor allem am Herzen liegt, erschlossen? Welche Tierklassen sind es schließlich, deren Er- forschung praktische Bedeutung erhalten kann? Gehen wir davon aus, daß die Untersuchungs- objekte der angewandten Zoologie von Bedeutung für die Allgemeinheit sind, so wird uns klar, daß nur ein kleiner Teil der mannigfachen Tierformen, die wir kennen, für die Menschen praktisches In- teresse besitzt. In diesem P"all sind sie entweder nützlich, indem sie Nahrungsmittel oder tech- nisch verwertbares Rohmaterial liefern, oder schädlich, sei es als Zerstörer und P'einde gegenüber Nutzpflanzen und -tieren, sei es indem sie den Menschen unmittelbar an seinem Körper schädigen. Ein großer Teil der Tierwelt, ja ganze Tierkreise besitzen für uns sozusagen nur Lieb- haberwert, sie sind für den Menschen nichts als Schöpfungen der Natur, die nur das wissenschaft- liche Interesse oder den ästhetischen Sinn be- rühren. Solche Tierformen stehen eben außerhalb derjenigen Lebenskreise (Biocönosen), in denen der Mensch dieHauptroUe zu spielen scheint, und gehören anderen, für unser Dasein unerreichbaren Gebieten an, etwa demjenigen der Tiefsee. Dabei kann hier unberücksichtigt bleiben, daß für den Tieferblicken- den überall mittelbare Beziehungen zu finden sind: der große Tierkreis der Cölenteraten z. B. ist bis auf einige Ausnahmen, etwa den Badeschwamm und die Edelkoralle, für uns praktisch bedeutungs- los; bedenken wir aber, daß gerade gewisse For- men von Schwämmen und Koralien in früheren Erdperioden die Gesteinsformationen zusammen- gesetzt haben, auf denen wir heute vielerorts wandeln und die wir technisch verarbeiten, so finden wir auch hier einen realen Wert, der frei- lich auf der Ausbildung dieser P'ormen in der Vergangenheit beruht. 394 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 28 Es liegt ferner auf der Hand, daß erst eine möglichst volllagen und Auskünfte und praktische Belehrung. Für die Arbeit draußen in den Kolonien waren vor dem Kriegsbeginn je ein Zoologe in Ostafrika, Kamerun und Samoa tätig. In diesem Zusammen- hang ist noch die Station für Pflanzenschutz in LIamburg zu nennen, die durch Überwachung des Welthafens eine Einfuhr ausländischer, namentlich tropischer Schädlingsinsekten verhindern soll. Mit diesen Beispielen ist die Aufzählung der im Dienste der Wirtschaftszoologie stehenden In- stitute fast erschöpft. Wenn man die Schwierig- keit und Langwierigkeit vieler einschlägiger Untersuchungen, die besonders auf experimenteller Grundlage und auf der Züchtung durch viele Generationen hindurch beruhen, kennt und die oft plötzlich gefährdeten materiellen Werte be- rechnet, so wird man darüber klar, daß zwar schon manche Grundlage zur erfolgreichen Be- kämpfung gegeben, manche wertvolle Arbeit ge- leistet ist, daß aber noch viel mehr zu tun übrig bleibt. Neben den genannten Arbeitsstätten sind es namentlich noch die kleinen Laboratorien einiger Zoologen an landwirtschaftlichen und Forst-Hochschulen, aus denen die wichtigsten Er- gebnisse hervorgegangen sind. Hier könnte mit reicheren Mitteln und einem größeren, wissen- schaftlich geschulten Personal viel segensreiche Arbeit geleistet werden. Welche Ziele dabei, zunächst für die Entomologie, anzustreben sind, hat Escherich in seinen Reformvorschlägen dargelegt. Ohne im einzelnen auf die ihm vor- schwebenden amerikanischen Verhältnisse ein- zugehen, sei der Kern seiner Forderungen wiedergegeben : Zur intensiven Bearbeitung brennender Fragen sind Forschungsstätten im Gelände, ev. wandernde Stationen, zu errichten, an denen Fachleute an Ort und Stelle, etwa als „Landesentomologen" nach Art der Landesgeologen, die Verhältnisse einer Insektenplage studieren. Auch in den Kolonien muß die Zahl der Entomologen wegen des Umfanges der Probleme und der räumlichen Entfernungen stark vermehrt werden ; jede Kolonie sollte ihr Institut für angewandte Zoologie haben, dessen Forscher auch als Wanderlehrer zur Be- ratung der Farmer tätig sein könnten. Ihre Arbeit müßte zusammenlaufen in einer Zentrale in der Heimat als Auskunfts- und Sammelstelle für kolo- niale Zoologie. Auch für Forst-, Obst- und Wein- bau müßten mehr geschulte Kräfte vorhanden sein, um namentlich den seuchenartig um sich greifenden Insektenschäden rasch entgegenzutreten. Die Grundbedingung all dieser Einrichtungen ist die Schulung einer Schar von Entomologen, die Ein- richtung eines Instituts, in dem eine mehrjährige theoretische und praktische Ausbildung ermöglicht wird, und die Gründung entomologischer und pflanzenpathologischer Professuren an einzelnen Hochschulen. Alle diese Einrichtungen erfordern natürlich beträchtliche Kosten, die in erster Linie aus der fördernden Hand des Staates kommen müssen; diese Mittel sind jedoch gering im Ver- gleich zu den Verlusten, die den beteiligten Wirtschaftskreisen durch die Schädlinge erwachsen. Die Verwirklichung der genannten Vorschläge Esch erich 's wird zunächst die Hauptaufgabe der „Gesellschaft für angewandte Entomologie" sein. *) Viele der hier für die Insektenforschung dar- gelegten Überlegungen gelten in ähnlicher Weise auch für die anderen Gebiete der praktischen Zoologie. Während diese Forschung in der Land- und Forstwirtschaft tatsächlich vielfach gleichbe- deutend ist mit Entomologie, treten in anderen Gebieten andere Tiergruppen in den Vordergrund. Vor allem eine Klasse der Wirbeltiere, die Fische, sind als Volksnahrungsmittel, dessen Fang und Zubereitung breiten Schichten als Broterwerb dient, von hervorragender wirtschaftlicher Be- deutung. Obwohl die F'ischereiwirtschaft, nament- ') Zusatz bei der Korrektur : Die Gesellschaft hat unter- des einzelne Fragen in Flugschriften (Nr. i Hase, Biologie der Kleiderlaus — Nr. 2 Zander, Zukunft der deutschen Bienenzucht — Nr. 3 Escherich, Bekämpfung der Mai- käferplage) und in Merkblättern behandelt. N. F. XV. Nr. 2& Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 397 Hch die Msclizucht im Binnenlande, vielfach als Teil der Landwirtschaft gilt, sind ilire wissen- schaftlichen Grundlagen docli besonders Aufgabe der Zoologen gewesen. Die Fischereizoo- logie umfaßt sowohl die Erforschung der Msche der Binnengewässer (Teich-, Bach-, Fluß-, See- fischerei) als auch die Grundlagen des Hochsee- fischfanges. Die Probleme der Süßwasserfischerei liegen einmal in der Verbesserung der rationellen Fischzucht: ihre Bedingungen, z.B. die Abhängigkeit der Eientwicklung von äußeren Faktoren, wie Temperatur und chemischer Beschafienheit des Wassers, die Ernährung der Fischbrut, die Ein- führung fremder Fischarten, die Kreuzung der Plschrassen und ähnliche Fragen lassen sich ex- perimentell studieren und zweckmäßig zur Hebung der Fischwirtschaft verwerten ; andererseits können durch systematische Durchforschung der Flüsse und Seen Probleme, wie die Verbreitung der Nutzfische, ihre Laichplätze, ihre Wanderungen im Lauf der Entwicklung, ihre Gefährdung durch Raubfische und durch ansteckende Krank- heiten untersucht und die Ergebnisse praktisch nutzbar gemacht werden. Eine Forschungsstätte dieser Art ist das preußische Institut für Binnen- fischerei in Friedrichshagen am Müggelsee, dessen Aufgabe die Erforschung der märkischen Seen und Gewässer ist. Auch einzelne landwirtschaft- liche Versuchsstationen (z. B. Münster i. W.) haben fischereiwissenschaftliche Abteilungen unter zoo- logischer Leitung. Die bayerische Biologische Versuchsstation für Fischerei in München hat Außerordentliches in der Untersuchung der iMschkrankheiten, die meistens auf Bakterien und tierische Parasiten zurückgehen, geleistet; sie trägt außerdem durch die Schulung wissenschaftlich gebildeter Fischereisachverständiger in vorbild- licher Weise zur Verbreitung der nutzenbringenden Ergebnisse unter den Fischwirten bei. Die Frage nach der Ernährung der F"riedfische führt zur Vertiefung in die Kleinlebewelt des Wassers, die eine wichtige Rolle im Haushalte der Natur spielt. Diese kleinen Organismen, unter den Tieren namentlich Protozoen, Krebstiere, Würmer, Rädertiere und Insektenlarven, die in den verschiedenen Schichten der Gewässer schwe- bend vorkommen, werden als Plankton bezeichnet. In ihrer Erforschung, der Planktonkunde, treten neben praktischen Gesichtspunkten auch bedeutsame wissenschaftliche Fragen, z. B. der Einfluß von Temperatur und Dichte des Wassers auf die periodische P'ortpflanzung und die äußere Körperform der Planktontiere hervor. Die Plank- tonforschung in Süßwasserseen ist vor allem die Aufgabe der Biologischen Anstalt in Plön (Holstein), während in der unter deutscher Leitung stehenden Station Lunz in Niederösterreich namentlich die einzigartigen Verhältnisse der Alpenseen und Ge- birgswässer untersucht werden. Die Beschaffenheit der Kleinlebewelt des Wassers ist weiter auch ein wichtiger Anhalt bei der Er- forschung der Veränderungen, die ein Gewässer durch Abwässer aus gewerblichen Betrieben und Kläranlagen erleiden kann; deshalb ist die Mit- arbeit eines Zoologen in der Landesanstalt für Wasserhygiene in Berhn-Dahlem von unverkenn- barem Wert für die Wasserversorgung und Hygiene der Industriestädte. Auch die großen deutschen Flüsse sind von Zoologen teils im Interesse der Fischerei, teils unter hygienischen Gesichtspunkten jahrelang durch- forscht worden, so der untere Lauf der Elbe bei Hamburg und der Rhein mit seinen biologisch interessanten Altwässern. Es sei noch darauf hingewiesen, daß neben den Fischen noch andere Tierklassen im Süßwasser einen Handelswert haben, der durch gründliche Kenntnis der Biologie gesteigert werden kann, so der Flußkrebs oder die Perlmuschel. Für die Hochseefischerei gilt Ähnliches: wenn wir uns vor .Augen halten, daß der Ertrag der deutschen Seefischerei an Fischen, Krebsen und Muscheln jährlich ungefähr 50 Millionen Mark beträgt und daß noch mehr als das Doppelte (120 Mill. im Jahre 1912) für Einfuhr von Seefischen aus dem Ausland gezahlt wurde, so wird uns klar, daß eine Steigerung der Ausbeute durch ent- sprechende Untersuchungen einen wichtigen Er- werbszweig bedeutend fördern würde. Um die Ergiebigkeit bestimmter Fangplätze beurteilen zu können, mußten vorallemdie ausgedehnten Wander- züge, die viele Fischarten in verschiedenem Lebens- alter, namentlich als Larven oder zur Fortpflanzungs- zeit ausführen, in ihrem Zusammenhang mit den Strömungen des Meeres erkannt werden. Es galt weiter, die ganze Lebensgeschichte der Fische, ihre Wachstumsgeschwindigkeit, ihre Laichzeiten, ihre Rassenbildung usw. zu verfolgen. Eine un- mittelbare Hebung des I-lschertrages durch Anlage von großen Fischzuchten, ähnlich wie im Süßwasser, ist in den unermeßlichen Räumen des Meeres natürlich kaum möglich ; aber durch Einschränkung des Plschfanges an den Laichplätzen könnten die reifen Irische und die junge Brut geschützt und ebenso durch geeignete Überwachung eine über- mäßige Ausbeutung bestimmter Fangplätze ver- mieden werden. An den in praktischer Hinsicht grundlegenden Untersuchungen hat die preußische Biologische An- stalt auf der Insel Helgoland seit 25 Jahren hervor- ragenden Anteil genommen. Dort hat zuerst Prof. Fr. H e i n c k e die Rassen unseres wichtigsten Nutz- fisches, des Herings, studiert; ferner sind von ihm sinnreiche Versuche mit „gemarkten" Fischen ver- anlaßt worden, bei denen Schollen und andere Plattfische mit Marken versehen ausgesetzt wurden und später wieder an anderen Stellen in die Netze der Fischer gerieten, eine Maßregel, durch welche die ausgedehnten Wanderungen der Fische ver- folgt werden konnten. Zur gründlichen Erforschung der biologischen,, sowie der hydrographischen, ozeanographischen und chemischen Verhältnisse der Nordsee und der 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 28 angrenzenden Gewässer hatten sich in Zeilen des friedlichen Wettbewerbes der Nationen die nord- europäischen Staaten zur „Internationalen Kom- mission für i\Ieeresforschung" zusammengefunden, die eine gemeinsame Lösung der Grundfragen der Hochseefischerei beabsichtigte. Deutschland war durch Helgoland und durch die Kieler Kom- mission zur wissenschaftlichen Untersuchung der Deutschen Meere, sowie durch den Deutschen Seefischerei- Verein in Berlin bis zum Kriegsaus- bruch daran beteiligt. Wie überraschende Ergebnisse hier auch jetzt noch möglich sind, zeigt die Entdeckung der Ent- wicklungsgeschichte des Aals, die dem Dänen Johannes Schmidt vor kaum mehr als 10 Jahren gelang: er fand durch methodische Tiefen- fänge die Laichplätze der Aale in großen Tiefen, weitab von den Küsten, erkannte die Verwand- lung der eigentümlichen abgeplatteten Lepto- cephalus-Larve in die typische Gestalt des Aales und löste das Rätsel des Wandertriebes, der die jungen, unreifen Aale in das Süßwasser, strom- aufwärts in Flüsse und Bäche, und später wieder nach seiner mehrjährigen Entwicklungszeit die geschlechtsreifen Weibchen flußab zu den fernen Laichplätzen dem Meere zu treibt. Auch im Meere spielt beim Umsatz der orga- nischen Stoffe das Plankton, das hier noch mannig- fachere Bestandteile zeigt (u. a. Wurm- und Echino- dermenlarven, Algen, viele marine Protozoengruppen usw.) eine hervorragende Rolle. Seine Erforschung ist deshalb unter theoretischen und praktischen Gesichtspunkten unternommen worden, in Deutsch- land namentlich durch die Kieler Kommission, deren Arbeit auf die von H e n s e n geleitete Plankton- expedition (1887) zurückgeht: die hier erprobten Methoden zur quantitativen Bestimmung des Plank- tons haben ausgedehnte Arbeiten über die \'er- teilung und die Mengen der im Meere vorhandenen organischen Stoffe und ihre Verwertung bei der Ernährung der Organismen ermöglicht. Die fischcreibiologischen Untersuchungen, die von Hamburg (Naturhist. Museum) ausgehen, stehen ebenfalls teilweise unter praktischen Gesichts- punkten, während die Arbeit der deutschen zoolo- gischen Mittelmeer-Stalionen in Neapel undRovigno der rein wissenschaftlichen Forschung und der Fachausbildung junger Gelehrter dienen. Auch für die P'ischereibevölkerung am Meere sind neben den tischen einige andere Tierklassen von wirtschaftlicher Bedeutung, so Krebse, wie Hummer, Krabbe, Garnele und Muscheln. Auch hier würde, z. B. in der Austernzucht, durch Er- forschung aller Lebensbedingungen eine Steigerung des Ertrages und damit Förderung des Erwerbs- lebens zu erreichen sein. Die vorstehenden Beispiele mögen als Skizze einiger Hauptgebiete der Wirtschaftszoologie ge- nügen; natürlich sind manche praktisch zoologische P^ragen noch ganz unberührt geblieben. Es sei noch darauf hingewiesen, daß der Wert mancher Tiere im Lauf der Zeiten wechseln kann, wie denn einzelne P"ormen, die in früherer Zeit eine gewisse volkswirtschaftliche Bedeutung hatten, etwa die Purpurmuschel und der Tintenfisch, durch die P'ort- schritte der chemischen Industrie wertlos geworden sind. (Schluß folgt.) [Nachdruclt verbot! Die Siwalik-Primaten und der Stanimbauni des Menschen. Von Prof. Dr, Rud. Martin. Mit 4 Abbildungen. Seit durch die großen Arbeiten von F a 1 c o n e r , Cautley und Lydekker das Interesse der Paläontologen auf die Fauna der im Nordwesten Vorderindiens gelegenen Siwalikketten gerichtet wurde, hat sich die Überzeugung immer mehr Bahn gebrochen, daß auch für die Abstammung der Primaten und speziell der Hominiden wichtige Aufschlüsse aus diesen P'unden zu erwarten sein dürften. Diese Hoffnung ist nicht getäuscht wor- den. Schon im Jahre 19 10 hat Guy E. Pil- grim, der rührige Superintendent des Geological Survey of India, eine kurze Beschreibung eines neuen Primatengenus, Sivapithccus , und zweier neuer Affenarten, Dryopitheciis punjabicus und Seuinopithecus asnoti gegeben,') aber seitdem haben sich die Funde noch vermehrt und zur Aufstellung weiterer Arten geführt. ") Außerdem ist es Pilgrim gelungen, die Stratigraphie der Siwalikketten aufzuhellen, die einzelnen, P'ossilien führenden Schichten ihrem geologischen Alter nach genauer zu bestimmen und mit den ent- sprechenden Säugetierhorizonten Europas in Zu- sammenhang zu bringen. •') Sie reichen vom mitt- leren Miozän bis zum oberen Pliozän. Es dürfte sich empfehlen, zunächst eine Zu- sammenstellung aller bis jetzt bestimmter Primaten Indiens nach ihrer mutmaßlichen Schichtenfolge zu geben: (Siehe Seite 399.) Eine Beschreibung dieser 13 verschiedenen Affenarten ist an dieser Stelle ausgeschlossen; es kann sich vielmehr nur darum handeln, die für die Stammesgeschichte wichtigsten Genera kurz zu skizzieren und die sich ergebenden Schluß- folgerungen zu ziehen. ') Pilgrim E. Guy, Nolice of new mammalian genera and species from the Tertiaries of India. Reo. Geol. Surv. India. Vol. 40, igio, S. 63. -1 Derselbe, New Siwalik Primates and Iheir bearing on the .|uestion of the Evolution of Man and the Anthro- poidea. Reo. Geol. Surv. India. Vol. 45, 1911;, Parti, S. I. 3) Derselbe, The correlation of the Siwaliks with mam- mal horizons of Europa. Rec. Geol. Surv. India. Vol. 43, 1913, S. 264. N. F. XV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschri-ft. 399 Presbytis [Senmopiihecus) entelbis (.-) Simia cf. satynis Papio falconeri Lyd. Papio snbhhnalayanus Meyer Presbytis {Sevuiopilhecus) palaeindiais Lyd. Macacus {?) sivalensis Lyd. Cercopitliecus {?) asnoti Pilg. Palacopitliccus sivalensis Lyd. Dryopitliccus giganteus Pilg. Dryopithecus punjabiciis Pilg. Sivapitheciis indiciis Pilg. Palaeosimia rugosidens Pilg. Dryopithecus chinjicnsis Pilg. Sehr bedeutungsvoll ist der Nachweis des asiatischen Vorkommens von drei verschiedenen Arten dts Dryopithecus, eines Genus, das bis 1910 nur aus Europa belonnt war, wodurch die Theorie von der nahen Verwandtschaft der asiatischen und afrikanischen Anthropomorphen eine neue Stütze erhält. Bisher beruhte unsere Kenntnis von dem Gebiß dieser Form auf einzelnen isolierten Mo- laren , während jetzt die ganze obere Bezahnung bekannt ist. Für Dryopithecus punjabicus verfügte Pilgrim außerdem über zwei Bruchstücke des Unterkiefers, die den letzten und vorletzten Mo- laren mehr oder weniger intakt enthielten. Vom Menschen wie von den drei lebenden Anthropo- morphen-Genera unterscheidet sich Dryopithecus besonders durch die relativ größere Breite (mesio- distaler Durchmesser) von Mg gegenüber M.3. Be- rechnet man das Verhältnis der beiden Mal3e zu- /Breite v. M„ X iOO\ einander ^^ ^-. , so ergibt sich ein \ Breite v. M, / ^ Index für Simia satyrus von 94,2, für Anthropo- pithecus niger von 96,7, für Gorilla savagei von 101,2, für Homo von 100,0, für Dryopithecus pun- jabicus aber von 107,7. Nur Sivapithecus indicus mit 110,0 und Pliopithecus antiquus mit lio, i weisen noch höhere Werte auf. Ferner ist der als Mesoconid bezeichnete Höcker der Kaufläche bei Dryopithecus stärker entwickelt als bei den genannten Formen, bei denen er, besonders am 3. Molaren, ganz fehlen kann. Von Dryopitliccus punjabicus unterscheiden sich die beiden anderen Arten, D. chinjicnsis und D. giganteus hauptsäch- lich durch die absolut größeren Ausmaße ihrer Molaren. Die nächste Verwandtschaft mit Dryo- pithecus zeigt der schon von Lyddeker be- schriebene Palacopitliccus sivalensis, der seinerseits wieder dem Pliopithecus, mit dem er im Zusam- menhang mit dem schmalen Gaumen die Kürze der Prämolaren teilt, nahesteht. Die wichtigste Form aber ist Sivapithecus Indiens, weil das Genus Sivapithecus hinsichtlich seines Zahnbaues dem Menschen ähnlicher ist als irgendeinem der lebenden Menschenaffen, so daß es Pilgrim direkt zu den llominiden rechnet. Das erhaltene Unterkieferfragment (Abb. 1 1 entbehrt leider der Symphyse und des Unter- Karnul- Höhlen ! Ober-Siwalik I (obere Schichten) I Dhok - Pathan- Schicht Nagri-Schicht I Nagri- und ) Chinji-Schichten Chinji- Schichten Pleistozän Oberes Pliozän Pontisclie Stufe Untere pontische Stufe Sarmatische Stufe Sarmatische Stufe randes, trotzdem wird man es seiner allgemeinen F'orm nach in die Nähe von Dryopithecus und //omo stellen dürfen. Die drei Molaren liegen genau in einer Reihe, aber die beiden Prämolaren und der Caninus weichen stark von dieser Linie ab, wie es ähnlich nur beim Menschen sich findet. Dadurch ist der ganze Unterkieferkörper etwas nach innen gekrümmt, zeigt aber gleichzeitig vom Niveau von Mj an auch eine Biegung nach außen. <;. Abb. 1. Bruchstück des rechten Unterkiefers von Sifo/Mcais iiiiliiiis. a von oben, b von der Innenfläche. f ^ Koramcn mentale. Vollständig erhalten sind nur P.>, M, und M.,, unvollständig C, P, und M3. Natürl. Größe. Nach Pilgrim. In jedem Falle ist die Konvergenz der beiden Unterkieferhälften nach vorn eine größere als bei den Anthropomorphen, und wenn die Symphyse auch fehlt, so lassen die vorhandenen Teile des Unterrandes doch den Schluß zu, daß sie länger und nicht so weit zurückgebogen war, wie bei Orang ittan, Gorilla, Schimpanse imd selbst bei den Uylobatiden. Damit aber nähert sich die Form der vorderen Kieferplatte der menschlichen Bildung. 400 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 28 Ein zweites Unterkieferfragment (Abb. 2), das aus Haritalyangar stammt und das außer dem Caninus die Wurzeln der beiden Incisiven und des I. Prämolaren sowie Vorder- und Rückfläche der Symphysengegend enthält, bildet eine wert- volle Ergänzung zu dem oben beschriebenen und gestattet eine Rekonstruktion des ganzen Unter- kiefers (Abb. 3). Es bestätigt vor allem auch die aus dem ersten Fragment über den Bau der vorderen Kieferplatte gezogenen Schlüsse, denn die erhaltene Innenfläche dieser Region ist viel abfallender als bei den Affen und enthält sogar die Andeutung einer Spina mentalis, ähn- lich derjenigen des Menschen. Der wohl erhaltene starke und konische Eckzahn hat eine Kronen- höhe von 19,0 mm, einen mesio-distalen Durch- messer von 13,9 mm und einen labio- lingualen glichen werden kann, von denen er sicii aber doch in einigen Details unterscheidet. Die Rekonstruktion des ganzen Unterkiefers (Abb. 3), die Pilgrim auf Grund der erhaltenen Bruchstücke, die natürlich nicht demselben Indi- viduum, vielleicht nicht einmal derselben Art ange- hören, entworfen hat, macht daher nicht den An- spruch auf absolute Genauigkeit, sondern soll nur die Beschreibung unterstützen. Für den Unter- kiefcrwinkel und den Ast fehlten außerdem alle Anhaltspunkte, und Pilgrim hat sich bei ihrer Abb. 2. Bruchstück des linken Unte erhaltenem Eckzahn von Sii'afilli.iiis iihliius. a b von der Außenfläche, c von drr Inncnlläcl ar = vordere Wurzel von P3 ; pr = hintere Wurzel Natürl. Größe. Nach Pilgrim. Rekonstruktion des Unterkiefers von , iitdkus. a von der Seite, b von oben. Ungefähr V2 natürl. Größe. Nach Pilgri Durchmesser von 10,2 mm und ist demjenigen des Hylobates am ähnlichsten. Einen ähnlich starken Eckzahn besitzt auch Eoanthropus, voraus gesetzt allerdings, daß der isoliert gefundene Zahn wirklich zu dem Schädelfragment von Piltdown gehört. In einem anderen Bruchstück von der- selben Fundstelle ist auch ein erster unterer Prä- molar erhalten, der infolge seiner Verkürzung in labio-lingualer Richtung und seines stark vor- springenden mittleren Höckers am ehesten mit den Prämolaren von Gorilla und Orang utan ver- Rekonstruktion nach den allgemeinen Größen- und I-'ormverhältnissen des Unterkiefers des Homo Heidelbergensis und des Homo Neanderthalensis von Chapelle-aux-Saints gerichtet. Die Berechtigung dazu nimmt Pilgrim aus der Tatsache, daß vor allem in Bau und Größe der Prämolaren und Molaren und in der Kürze und Krümmung der Kinnregion Sivapithecits dem Menschen näher steht als den Anthropomorphen, denn die lange Unterkiefer-Symphyse der letzteren ist ein relativ rezentes Merkmal, Zugleich ist aber N. F. XV. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 401 das Vorkommen eines solchen menschenähnlichen Typus in einer der sarmatischen Stufe entsprechenden Periode des Miozäns ein Beweis dafür, daß sich die Entwicklungsreihe der Hominiden schon frühe von derjenigen der Anthropomorphen abgespalten haben muß. Das Nebeneinanderbestehen von menschlichen und primitiven Merkmalen, welch letzere sich bei den rezenten Affen noch erhalten haben und in abgeschwächter Form selbst bei den ältesten Vertretern der Hominiden beobachtet werden, gibt eine gewisse Berechtigung, Sira- pithcciis in die Ahnenreihe des Menschen, wenn auch als Seitenzweig, einzureihen. Dadurch wird die Entstehung des Menschengeschlechts allerdings im einzelnen zu begründen, soweit die vorhandenen Materialien es ihm gestatteten. Zu der frühen Abspaltung des Zweiges, der zu Eoanthropus führt, hat ihn der Umstand bewogen, daß Eoantliropus eine hohe Symphyse, kleine Zähne und eine mehr geradlinige Anordnung derselben d. h. also eine Reihe primitiver Charaktere besitzt, die Siva- pithcats bereits verloren hatte. Daß durch diese Anordnung Sivapitltcciis dem Homo sapiens näher- rückt als Homo Neanderthalensis hat allerdings seine schweren Bedenken. Man darf eben nicht vergessen, daß der ganze Stammbaum Fi Igr im 's nur auf Merkmalen des Zahnbaues und des Unter- kiefers aufgebaut ist, und daß die wichtigen -"- - - CO« LLA CHia _ 0» '"T""" rL.,s™cc.r «».....,„..... / mocEN. /....„ / PONTInN ° pXI"-, ™L.tU.'lTHECUC PLIOMTLOBATtS ..,,„y \ \ SA«M.T,^. D 'd"l;. \ \ // ,^,«„ \ \ / ....... US TORTO.VUN \ PLlOflTMECUS la.-t,,ui,!i 1 ty D d„.,., K HELVETUN \3\ \ 0„.HOP,T HECUS / „UKO,C.U.. ^\^^ <5i. y PLIO»! — ' / 1 — '■•■™ "X^ \ \ / LOWER ULIGOCENE \ \ C'7"""" / Die Abslammun Anthropi bis ins Pliozän zurückverlegt werden müssen. Diejenigen Charaktere, die Sivapitliccits mit Ilylo- bates gemeinsam hat und die bei den anderen lebenden Affen nicht vorkommen, weisen auch auf eine Verwandtschaft von Sivapithecus sowie von Homo mit den Hylobatiden hin. Zu einem ähnlichen Schluß hatte bereits die Untersuchung von Pitliecantliropus ercctus geführt. So kommt Pilgrim zur Aufstellung eines Stammbaumes der Anthropomorphen und Homi- niden, der in Abb. 4 wiedergegeben ist. Auf die Stellung, die den einzelnen Genera in diesem Stammbaum angewiesen wurde, kann hier nicht eingegangen werden. Pilgrim hat versucht, sie Charaktere des Gehirnschädels und des ganzen übrigen Skelets dabei gar nicht in Betracht ge- zogen wurden. Infolgedessen bleibt auch die gegenseitige Stellung von Pitliecantliropus und Sivapithecus durchaus hypothetisch. Trotz dieser Vorbehalte hat der Stammbaum Pilgrim's aber doch seine Bedeutung. Er gibt einen guten Überblick über den engeren Zusammen- hang von Hylobatiden und Hominiden auf der einen und von Anthropomorphen und Dryopithccus auf der anderen Seite und er zeigt vor allem, welch reiche Entfaltung die Anthropomorphen schon während des Miozäns und des unteren Pliozäns in Asien gefunden haben. 402 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 28 Einzelberichte. Zoologie. Wie viele Hydra-Arten kommen in Betracht kommt Deutschland vor? Die Beantwortung _ dieser manchem vielleicht recht müßig erscheinenden Frage hat kürzlich eine überraschende Wendung genommen. In der von A. Brauer herausge- gebenen „Süßwasserfauna Deutschlands", in der der Herausgeber selbst die Hydrozoen bearbeitet hat (Heft 19, Jena 1909, S. 191 — 194), werden als Vertreter der Gattung Hydra L. vier Arten behandelt, eine grüne (//. viriJissima Fall.) und drei nicht -grüne (//. vulgaris Pal!., H. oligactis Fall, und H. polypus L.) — und in einer kürzlich erschienenen „Bestimmungstabelle der deutschen Hydra- Arten" von P. Schulze (Sitz.-Ber. Ges. naturf. Freunde, Berlin, Jahrg. 1914, S. 395 — 398) ist die Artenzahl auf acht erhöht ! In der Literatur fanden wir meist drei Arten unter Namen ange- führt, die ihnen Linne in der 12. Ausgabe seines Systema naturae (1767) gegeben hat, nämlich H. viridis, H.grisea und H.fusca; die vierte //y>C -- ^ l^ / liii :: 05 L i — > g Cssigsäure in 100 g der Lösung. 1 1 1 1 1 1 1 1 Abb. 2. Adsorpt: von Essigsäure durch lo g Rohrzuckerkohle nach G. C. Schmidt (Zeitschr. f. physik. Chem. 77, 652; 1911). Das, was hier am Beispiel der Kohle und des Gases beziehungsweise der Essigsäure erläutert worden ist, ist eine sehr allgemeine Erscheinung: Immer dann, wenn ein Stoff, der wie die Kohle eine sehr stark entwickelte Oberfläche hat, z. B. Wolle, Baumwolle, Ton, Meerschaum, fein ge- pulverter Quarz, gefälltes Eisenhydroxyd usw., mit einem Gase oder einem Dampfe oder mit einer Lösung, z. B. einer wässerigen Lösung von Koch- salz, von Kupfersulfat, von Malachitgrün, von Kristallviolett, von Aceton usw. oder von einer Lösung von Jod in Älhylazetat oder von Essig- säure in Chloroform, in Berührung kommt, tritt, indem von dem oberflächenreichen Stoffe ein Teil des Gases, des Dampfes oder des gelösten Stoffes aufgenommen wird, unter Einstellung eines Gleich- gewichtes eine Konzentrationsänderung im Gas- oder Dampfraum bzw. in der Lösung auf, eine Konzentrationsänderung, die je nach der chemischen Natur der einzelnen Stoffe und je nach den Ver- suchsbedingungen bald groß, bald klein, bisweilen auch unmeßbar klein ist. Die Erscheinung selbst wird, wie bereits ange- deutet wurde, als „Adsorption", der „adsor- bierende" Stoff, die Kohle, die Wolle, der Ton usw. wird als ,.Adsorbens" und der von dem Ad- sorbens aufgenommene Stoff, das Gas, der Dampf, die Lösung als „Adsorbend" bezeichnet. Di Adsorptionskurve. Die „Adsorptionskurve", d. h. die Gleichgewichts- kurve, welche die Verteilung des .Adsorbenden zwi- Stellung von Formeln geführt, die die Berechnung der Adsorptionskurven aus einigen Konstanten ge- statten sollten, ohne daß jedoch bisher von einer streng gültigen mathematischen Theorie der Er- scheinung gesprochen werden könnte. Es mag daher genügen, an diese Stelle nur die in der Praxis bei weitem am häufigsten angewendete Formel y = ax'' anzuführen, in der y die adsorbierte Menge des Adsorbenden, x seine Konzentration im Gasraum oder in der Lösung und a und b zwei Konstanten sind, von denen a beliebige Werte besitzen kann, während der Wert von b meist zwischen 0,2 und 0,8 liegt. Die Formel hat allerdings, das sei hier ausdrücklich betont, nur die Bedeutung einer Interpolationsformel und gibt die experimentellen Werte meist nur dann befriedigend wieder, wenn sich die Versuche nur über ein nicht zu großes Intervall der Adsorptionskurve erstrecken, versagt aber in der Regel, sobald der Verlauf der Kurve von den niedrigsten bis zu den höchsten Konzentrationen verfolgt wird. Die Prüfung ihrer Gültigkeit ge- schieht in der Weise, daß man die Formel zunächst logarithmiert log y =^ log a + b log X und die experimentell gefundenen Werte log y und log x in ein rechtwinkliges Koordinatensystem einträgt. Ordnen sich hierbei die Punkte zu einer Geraden an, so gibt die Formel die gefundenen Werte richtig wieder, liefern sie aber eine ge- N. F. XV. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. krümmte Linie, so hat die Formel für die Ver- suche keine Gültigkeit. Abbildung 3 und 4 er- läutern das Gesagte an einigen Beispielen. 0,8 07 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 >Loj.K. Abb. 3. Verlauf von logarithmierten Adsorptionskurven log y = log a -|- b log X nach Robert Marc (Zeitschr. f. physik. Chem. 81, 659; 191 3). 1. Adsorption von Wasserglas an Strontiumkarbonat. 2. Adsorption von Wasserglas an Baryumkarbonat. 3. Adsorption von löslicher Stärke an Baryumkarbon.at. Die Gleichung y^ax'' vermag die Versuchsergebnisse nicht darzustellen. 0.1 0,3 0,» 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0 1,1 i;a~i;3 > loj. X Abb. 4. Verlauf von logarithmierten Adsorptionskurven log y = log a -)- b log X nach Robert Marc (Zeitschr. f. physik. Chem. 81, 059; 1913). 4. Adsorption von Albumin durch Strontiumkarbonat. 5. Adsorption von Albumin durch Baryumkarbonat. 6. Adsorption von löslicher Stärke durch Strontiumkarbonat. 7. Adsorption von Dextrin durch Baryumkarbonat. Die Gleichung y = a x'' vermag die Versuchsergebnisse darzustellen. Unter diesen Umständen ist es zweckmäßig, die weiteren Betrachtungen anstatt, wie es fast immer geschieht, an mehr oder minder unzuver- lässige Interpolationsformeln an das von jeder Formel unabhängige Bild der Adsorptionskurve selbst anzuknüpfen. Gewöhnlich sind in der graphischen Darstellung die Versuche in der Weise wiedergegeben, daß als Abszisse die Konzentration des nicht-adsorbierten Anteiles des Adsorbenden, d. h. die Anzahl g, die in loo ccm des Gasraumes bzw. der Lösung enthalten sind, und als Ordinate seine von i g der Adsorbens adsorbierte Menge, ebenfalls in g, in das Diagramm eingetragen wird. Nun hängt — das ist eine bekannte Tatsache — in einem heterogenen Gleichgewicht — und ein solches liegt ja bei der Adsorption vor — die Lage des Gleichgewichtes nicht von der absoluten Menge der einzelnen Phasen ab. Man kann daher leicht aus der auf i g des Ad- sorbens bezogene Kurve die auf 2 g bezogene Kurve ableiten, indem man die zu derselben Abs- zisse gehörigen Ordinaten verdoppelt, denn zu der doppelten Menge des Adsorbens gehört ja, wenn anders das Gleichgewicht erhalten bleiben soll, auch die doppelte Menge des Adsorbenden. Adsorptionskurven, die eine so nahe Verwandt- schaft wie die beiden als Beispiel angeführten, auf I und auf 2 g des Adsorbens bezogenen und in Abbildung 5 dargestellten Kurven haben, werden als „affine Adsorptionskurven" bezeichnet Ai A3 A» A3 As Abb. 5. Affine Adsorptionskurven. und folgendermaßen definiert: Ist bei zwei Ad- sorptionskurven das Verhältnis je zwei zu der- selben Abszisse gehöriger Ordinaten konstant, so sind die beiden Adsorptionskurven affin. Die beiden in Abbildung 5 dargestellten Adsorptions- kurven sind also affin, weil AiRi _ A,Ba ^ A3B3 _ A,B, ^ ^ ä;Bi'-a,b7~A3B3'-a,b,' ••■ ^°"' ist. Zu den affinen Adsorptionskurven kann man nun aber noch auf einem anderen Wege gelangen. Da Adsorptionsvorgänge nur dann beobachtet zu werden pflegen, wenn das Adsorbens eine sehr ausgedehnte Grenzfläche gegen den Raum besitzt, in dem der Adsorbend enthalten ist, so liegt es nahe, als wesentliche Bedingung für eine merk- liche Adsorption eine große Grenzfläche, d. h. die in ihr sich äußernde Grenzflächenenergie und, da jede Grenzflächenenergie der Größe der Grenz- fläche proportional sein wird, auch die Menge des unter sonst gleichen Bedingungen adsor- bierten Adsorbenden als proportional der Grenz- fläche anzusehen. Als das Wesentliche bei der 4i: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 Verdopplung der Menge des Adsorbens wird man also nicht die Verdopplung der Gewichts- menge, sondern die Verdopplung der Grenzfläche ansehen, und diese Verdopplung der Grenz- fläche kann man offenbar auch in der Weise er- reichen, daß man die einzelnen Teilchen des Ad- sorbens, ohne ihr Gesamtgewicht zu ändern, in kleinere Teilchen zerlegt. Mit anderen Worten: Affine Adsorptionskurven sind auch dann zu er- warten, wenn als Adsorbens unter sonst gleichen Umständen gleiche Gewichtsmengen zweier nur durch ihre Oberfläche verschiedener Präparate desselben Stoffes wirken. Diese theoretische Überlegung findet ihre Rechtfertigung in den Ergebnissen der Praxis. Schon seit langem ist bekannt, daß mit ver- schiedenen individuellen Präparaten desselben Ad- sorbens und demselben Adsorbenden verschiedene Adsorptionskurven erhalten werden, ohne daß man jedoch bisher über einen etwaigen Zusammenhang dieser verschiedenen Adsorptionskurven etwas Näheres gewußt hätte. Jetzt aber ist an einer Reihe von Beispielen erwiesen, daß verschiedene Präparate desselben Adsorbens mit demselben Ad- sorbenden affine Adsorptionskurven liefern, konnte doch z. B. bei der Adsorption von Arsenik durch Eisenoxydhydrat die Affinität der Kurven für 1 1 verschiedene Eisenoxydpräparate festgestellt werden. Tabelle i gibt ein Beispiel. Tabelle i. Beispiel für affine Adsorptionskurven. Adsorbens: Hydratisclies Fcrrioxyd. a) ein bei 100" gefälltes und dann getrocknetes Präparat. b) ein bei 30" gefälltes, in reinem Wasser aufgeschlämmt gehaltenes Präparat. Adsorbend: Arsenik in rein wässeriger Lösung. Eine praktisch wichtige Aufgabe liegt in der Erage, welches Adsorptionsgleichgewicht sich bei gegebener Anfangskonzentration A des Adsor- benden in der Lösung einstellen wird, wenn die Adsorptionskurve selbst bereits durch eine Reihe von Adsorptionsversuchen mit den Anfangskonzen- trationen Aj, A,,, A^, A4 . . . A„ festgelegt ist. Natürlich läßt sich diese Aufgabe, sofern eine Interpolationsgleichung, etwa die einfachste Inter- polationsgleichung y = a-s}> die Versuchsergebnisse mit genügender Genauig- keit wiedergibt, durch mathematische Berechnung lösen. Denkt man sich die Versuche der Einfach- heit wegen mit je 100 ccm der Lösung durchge- führt, so ist ja X --[- y = A oder y ^ A — x, also erhält man A — x = ax'', d. h., da b eine gebrochene Zahl ist, eine trans- zendente Gleichung, deren Lösung eine Frage der Geduld ist. Schneller und bequemer kommt man auf graphischen Wege zum Ziele, Zunächst kann man, anstatt die adsorbierte Menge y als Funk- tion der Zusammensetzung x der mit dem Ad- sorbens im Gleichgewicht stehenden Lösung im Diagramm darzustellen, sie als Funktion der Anfangskonzentrationen Aj, A.,, A. . . . der Lösung vor Beginn des Adsorptionsvorganges in das Koordinatensystem eintragen. Man erhält, wie Abbildung 6 zeigt, in diesem Falle eine der eigent- lichen Adsorptionskurve I sehr ähnliche Kurve II, aus der man die der Anfangskonzentration A ent- sprechende Menge des Adsorbenden y = AB, die unter den angegebenen Versuchsbedingungen ad- sorbiert wird, ohne weiteres ablesen kann. Lösung Adsorbiert von I g FejOs des Präparates a Adsorbiert on I g Fe^Oä Präparates y' I,I5mg..\5.,0, 39,7 mg Asj Jjliesmg AsjOa 0,243 S,6 ,, „ 69,2 „ „ j306 . .. 0,226 30,2 „ „ «9,4 „ „ ■396 , 0,226 63,2 „ „ 104,9 „ „ 451 . 0,233 101,1 „ „ 112,6 „ 480 1 0,235 140,0 „ „ 118,4 ,- 501 0,236 344.2 „ „ 132.4 .. 56S „ 0,233 508,0 „ „ 142,6 „ „ 591 , „ 0,241 762,6 „ „ 143.3 ,. „ 619 , 0,232 1014,0 „ „ 149.9 .. „ 632 , 0,237 i>8i,7 „ „ 153,9 .. „ ,640 , 0,240 '431,4 „ „ 158,9 ,. " 646 , 0,246 Mittel 0,238 Auf die Bedeutung, die die affinen Adsorp- tionskurven insbesondere für die für den Kolloid- chemiker so außerordentlich wichtige Aufgabe der Charakterisierung seiner individuellen Präpa- rate durch eine Zahl besitzen, sei hier nur hin- gewiesen. Zweckmäßiger und vorteilhafter ist der folgende Weg: Man trägt die Anfangskonzentration A des Adsorbenden in der Lösung vom Nullpunkte des Koordinatensystems ausgehend sowohl auf der Abszissen- als auch auf der Ordinatenachse bis A bzw. A' ab und verbindet die beiden Punkte durch eine Gerade. Für jeden Punkt dieser Ge- raden gilt, wie ein Blick auf die Abbildung zeigt, die Beziehung, daß die Summe der Abszisse X und Ordinate Y gleich der Anfangskonzentration A ist N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 X -f Y = A. Also gibt der Schnittpunkt B' der Geraden mit der Adsorptionskurve rasch und sicher das zu er- wartende Adsorptionsgleichgewicht an. Als Beispiel für die Nützlichkeit dieses zwar selbstverständlichen, bisher aber, wie es scheint, wenig beachteten Hilfsmitttels sei die neuerdings von Interesse gewordene Frage hier kurz be- handelt, welches Adsorptionsgleichgewicht sich einstellt, wenn man auf eine Lösung gleichzeitig zwei Adsorbentien, z. B. Kohle und Quarz ein- wirken läßt. Diese Frage läßt sich graphisch leicht beantworten, sofern erstens die Adsorptions- kurven für jedes einzelne der beiden Adsorbentien für sich bekannt sind und zweitens eine gegen- seitige Einwirkung der beiden Adsorbentien auf- einander nicht statthat. Seien 00, und OO3 (siehe Abb. 7) die beiden einzelnen Adsorptions- kurven, so ergibt sich in ähnlicher Weise wie vorhin die affine Adsorptionskurve, die der gleich- N \ \ ^ O3 1 \, ■Jl ^ s / \ \ 0. 0, — u ^ 3 " ■ v^ \ \ ■ Men^e des At/sorienäen ui der Losung. zeitigen Wirkungbeider Adsorbentien entsprechende „zusammengesetzte Adsorptionskurve" OO3 , in- dem man schrittweise je zwei zu derselben Abszisse gehörige Ordinaten der Einzelkurven addiert und die so erhaltenen Punkte verbindet. Für die Anfangs- konzentration A in der Lösung folgt dann für die Adsorptionskurve 00^ das Adsorptionsgleich- gewicht Xj = OAj und y^ = AjBj die zweite Adsorptionskurve 00.^ das .Adsorptions- gleichgewicht X.2 = OA.2 und y., ^ A.jBg und für die zusammengesetzte Adsorptionskurve OO.. end- lich das Gleichgewicht x« = OA3 und y^ = A3B3 Durch die Praxis kann diese Berechnung na- türlich eine Bestätigung nur dann finden , wenn Nebenreaktionen, wie z. B. irgendeine Wechsel- wirkung der Adsorbentien ausgeschlossen ist; er- weist sich daher in einem Pralle die Rechnung als unzutreffend , so ist damit das Auftreten von Nebenerscheinungen irgendwelcher Art bewiesen. Allgemeines. Zur Erklärung der Adsorptionsvorgänge sind drei allerdings nicht in gleichem Range stehende und sich gegenseitig nur zum Teil ausschließende Theorien aufgestellt worden, die „Lösungstheorie", die „Grenzflächentheorie" und die „chemische Theorie". Diese drei Theorien sind im folgenden näher zu erörtern. Die Lösungstheorie, welche behauptet, daß das .Adsorbens den Adsorbenden in Form einer „festen Lösung" aufnimmt, d. h. daß der Adsorp- tionsvorgang ein vollkommenes .Analogon zu der im folgenden kurz als „Doppellösung" bezeich- neten Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Lö- sungsmitteln ist, hat viele Gegner. Zunächst wird ihr entgegengehalten, daß die Doppellösung nach einem ganz anderen Gesetz als die Adsorp- tion, nämlich nach dem bekannten Henry- Nernst 'sehen Verteilungssatz erfolge: Nennt man die Konzentration des sich verteilenden Stoffes in dem einen Lösungsmittel y, seine Kon- zentration in dem anderen Lösungsmittel x, so ist das Verhältnis der beiden Konzentrationen bei konstanter Temperatur konstant und unabhängig von dem Absolutwerte der Konzentrationen selbst: — = k oder y = k-x X Dieser Einwand ist jedoch kaum haltbar, denn einerseits sind unzweifelhafte Lösungsvorgänge bekannt, bei denen die Verteilung nicht nach dem — bekanntlich durch eine vom Nullpunkte des Koordinatensystems ausgehende Gerade darzu- stellenden — Verteilungssatz erfolgt, sondern sich durch eine „typische Adsorptionskurve" wieder- geben läßt, andererseits kennt man Fälle, bei denen die Verteilung nach dem Henry 'sehen Verteilungssatz erfolgt, obwohl tatsächlich „Ad- sorption" vorliegt. Beide Möglichkeiten müssen hier kurz besprochen werden. Das Henry 'sehe Verteilungsgesetz ist, wie wohl allgemein bekannt und anerkannt ist, ein Grenzgesetz, das in vielen I''ällen den wahren Sach- verhalt darum nicht richtig wiederzugeben vermag, weil die seiner theoretischen Ableitung zugrunde liegenden einfachen Voraussetzungen in der Wirk- lichkeit nicht immer erfüllt sind. Auch die Ver- teilung eines Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln ist daher häufig nicht durch eine Gerade, sondern durch eine gekrümmte Linie wiederzugeben. Allerdings ist die Krümmung der Verteilungskurve in der Mehrzahl der Fälle nur wenig ausgeprägt, sie kann aber in besonderen Fällen so ausge- sprochen sein, daß man den Verteilungsvorgang, wenn man ihn nicht unmittelbar als Doppellösung erkennen würde, als „Adsorption" ansehen mül3te. So verteilt sich nach G u r w i t s c h , wie Abb. 8 zeigt, die Valeriansäure zwischen Benzin und konzen- trierter Schwefelsäure gerade so, wie sie sich zwischen Benzin und irgendeinem Adsorbens ver- teilen würde, und nach den Untersuchungen von Sieverts und seinen Schülern gilt für die Lös- 414 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 lichkeit von Schwefeldioxyd in geschmolzenem Kupfer ziemlich genau die Gleichung y = a x°'5, also die Gleichung einer typischen Adsorptions- kurve, obwohl es sich auch in diesem Falle, wie Sieverts mit Recht betont, zweifellos nicht um eine „Adsorption" handelt. Adsorpt: -79° C 1 Tabelle 2. Wasserstoffgas durch Kokosnußkohle bei ^ t-sVaUr amäuniM 100s *'• Beminlös ^g. 5 Abb. 8. Verteilung von Valeriansäure zwischen Benzin und 98,5 proz. Schwefelsäure nach L. Gur witsch (Zeitschr. f. physik. Chera. S7, 329; 1914). Da ferner eine Theorie, durch die das zulässige Krümmungsmaß von Adsorptionskurven begrenzt wird, nicht existiert, sind wir grundsätzlich nicht berechtigt, wenig oder gar nicht gekrümmte Ver- teilungskurven als unvereinbar mit dem Begriff der Adsorption anzusehen. In der Tat ist sowohl theoretisch von Eucken der Nachweis erbracht, daß bei der Verteilung eines Gases zwischen einem Gasraum und einem Adsorbens wie z. B. Kohle auch unter der Annahme, daß die Adsorption ein an der Grenzfläche zwischen Kohle und Gasraum sich abspielender Vorgang sei, der Henry 'sehe Verteilungssatz gelten, als auch von verschiedenen Autoren durch den Versuch gezeigt worden, daß nicht nur bei der Adsorption von Gasen, sondern auch bei der Aufnahme von Stoffen aus Lösungen zwischen der adsorbierten Menge und dem Gas- druck bzw. der Konzentration des Adsorbenden in der Lösung einfache Proportionalität bestehen kann. Als Beispiel seien die Adsorption von Wasserstoff durch Kokosnußkohle und die von Jod durch basisches Lanthanazetat in den Tabellen 2 und 3 dargestellt. Hier ist nun allerdings zu bemerken, daß nicht sehen gerade aus der Tatsache, daß für manche Adsorptionsvorgänge der Hen ry'sche Verteilungs- satz gilt, der Schluß gezogen worden ist, daß es sich — zunächst wenigstens in diesen P'ällen — um eine echte Lösung des Adsorbenden in dem Adsorbens handele, und weiter der Schluß, daß, da ja auch bei der Verteilung eines Stoffes zwi- schen zwei Lösungsmitteln bisweilen ein durch eine typische Adsorptionskurve darstellbares Gleich- gewicht vorkomme, überhaupt alle sogenannten Ad- sorptionen in letzter Linie als Doppellösungen auf- gefaßt werden köimten imd müßten. Die Einen off (Zeitschr. f. physikal. Chem. 74, 650; 1910). p = Druck in mm Hg y = adsorbierte Gasmenge in Normal - ccm (o» und 760 mm Druck). p ' k = X P 7,9 0,0586 0,00 742 19,0 0,1480 779 67,5 0,5313 787 141,9 1,1214 79a 236,9 1,892 799 347,9 2,787 804 471,8 3,007 765 561,9 4,276 760 721,6 S.414 750 Mittel 0,00 775 Tabelle 3. Verteilung von Jod zwischen basischem Lanthanazetat einer wässerigen Jodjodkaliumlösung nach Wilhelm B (Ber. d. D. Chem. Gesellsch. 37, 722; 1904). g Jod n 100 ccm in 0,409 g k — " der Lösung La^Oj y >; y i 0,0562 0,0067 8,3 0,148 0,0202 ' 7-3 0,331 0,0462 7,2 0,518 0,0692 j 7-5 0,708 0,0885 8,0 0,887 0,120 7,4 1,07 0,145 7,4 1,25 0,174 7,2 1,45 0,190 7,6 1,62 0,221 7,3 Mittel 7,5 schließen also aus der Tatsache, daß die Ver- teilungskutve bei echten Adsorptionen normaler- weise einen anderen Verlauf zeigt als bei echten Doppellösungen, daß beide Vorgänge verschieden seien, die Anderen kommen auf Grund der Tat- sache, daß sowohl bei Adsorptionen als auch bei Doppellösungen die gleichen Verteilungskurven beobachtet worden sind, wenn auch bei den Doppellösungen die gerade, bei den Adsorptionen die gekrümmte Verteilungslinie vorherrscht, zu dem entgegengesetzten Schluß, daß nämlich beide Vorgänge in ihrem Wesen identisch wären. Die Möglichkeit, aus demselben Tatsachen- komplex entgegengesetzte Schlüsse zu ziehen, weist auf einen Fehler in den Grundlagen der Überlegung hin. In der Tat ist sowohl die Iden- tifizierung der Doppellösung mit einer nur durch ein Grenzgesetz begründeten Form der Verteilungs- kurve als auch die prinzipielle Gegenüberstellung N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 415 der beiden Begriffe „Doppellösung" und „Adsorp- tion" unzulässig. Bei der Doppellösung ist ebenso wie bei der Lösung der gelöste Stoff homogen im Innern des Lösungsmittels verteilt, während der Begriff" „Adsorption" überhaupt keine be- stimmte Annahme über die Art erfordert, wie der Adsorbend im oder am Adsorbens verteilt ist. Unter Adsorption ist vielmehr nach dem heutigen Stande unserer Kennt- nisse und entgegen der ursprü nglich e n Auffassung, die das Wesentliche in der Form der Verteilungskurve sah, eine in ihrem Betrage nicht nur von der Natur, sondern auch von der Größe der Grenzfläche abhängige Verteilung eines Stoffes zwischen zwei Phasen zu verstehen. Durch diese Definition wird nicht der Begriff „Adsorption" dem Begriff „Lösung", sondern die Lösungstheorie der Adsorption, die eine homogene Verteilung des Adsorbcnden in dem Adsorbens annimmt, der Grenzflächentheorie der Adsorption gegenübergestellt, welche mit einer Anreicherung des Adsorbenden in oder an der Grenzfläche zwischen Adsorbens und Lösung rechnet. Da in die Definition des Adsorptionsbegriffes der Begriff der Grenzfläche aufgenommen ist, so könnte man glauben, daß damit bereits die Lösungs- theorie zugunsten der Grenzflächentheorie aus- geschaltet sei. Diese Auffassung ist indessen nicht ganz richtig, nur ist der Beweis, der für die Anerken- nung der Richtigkeit der Lösungstheorie verlangt wird, von ganz anderer Art als der bisher für sie geltend gemachte. Da nämlich die große Ent- wicklung der Grenzfläche in der Praxis stets auf einer ungewöhnlich weitgehenden Verteilung der einen der beiden Phasen, des Adsorbens, beruht, so müßte gezeigt werden, daß die Löslichkeit eines Stoffes mit steigendem Verleilungsgrade des Lösungsmittels stark ansteigt. So und nur so ließe sich die Tatsache, daß manche Stoffe von feinen Quecksilberkügelchen stark adsorbiert wer- den, obwohl ihre Löslichkeit in einer zusammen- hängenden Quecksilbermasse gleich Null ist, oder daß die Geraden, welche die Verteilung von Jod zwischen basischem Lanthanazetat und wässeriger Jodjodkaliumlösung angeben , für verschiedene Präparate des Adsorbens verschieden sind, mit der Lösungstheorie der Adsorption in Einklang setzen. Da jedoch bisher, wie es scheint, nicht einmal Ansätze zu einem derartigen Beweise vorhanden sind, so scheidet die Lösungstheorie der Adsorp- tion zurzeit aus Mangel an Grundlagen aus der Diskussion überhaupt aus. Immerhin soll nicht in Abrede gestellt werden, daß, wenngleich sich gegen die Lösungstheorie als a 1 1 g e m e i n e Theorie der Adsorption zahlreiche Bedenken geltend machen lassen, doch vielleicht später einmal der eine oder andere Einzelfall von „Adsorption" durch sie seine Erklärung finden wird. Die heute wohl beliebteste Theorie der Adsorp- tionsvorgänge, die Grenzflächentheorie, die die Ursache der Adsorptionserscheinungen in die Grenzfläche zwischen den verschiedenen Phasen verlegt, tritt je nach der Annahme, die über die in der Grenzfläche wirkenden Kräfte gemacht werden, in verschiedenen Formen auf. So hat schon Freundlich auf Grund der thermodynamischen Betrachtungen von Gibbs darauf hingewiesen, daß ganz allgemein die Kon- zentration eines Stoffes an der Grenzfläche einer Phase einen anderen Wert als in ihrem Inneren haben muß und daß der Unterschied in den Kon- zentrationen insofern in einem engen Zusammen- hange mit dem Potential der Grenzflächenenergie, der Grenzflächenspannung, steht, als der Konzen- trationsunterschied — das erscheint ja selbstver- ständlich — • immer auf eine Erniedrigung der Grenzflächenspannung hinwirken muß, d. h. : Nimmt die Grenzflächenspannung mit steigender Konzentration zu , so ist die Gleichgewichtskon- zentration in der Grenzfläche kleiner, nimmt die Grenzflächenspannung dagegen mit steigender Konzentration ab, so ist die Gleichgewichtskon- zentration in der Grenzfläche größer als im Innern der Lösung. Mit anderen Worten: Anreicherung des Stoffes in der Grenzfläche, d. h. Adsorption findet statt, wenn die Grenzflächenspannung mit steigender Konzentration abnimmt. Leider bietet die experimentelle Prüfung dieser Theorie recht große Schwierigkeiten. Bei den gewöhnlichen Adsorptionsvorgängen handelt es sich, da als Adsorbens meist feste Stoffe wirken, in der Regel um die Anreicherung des Adsorben- den an der Grenzfläche zwischen einem festen Stoff und einer Flüssigkeit oder einem Gase, und gerade über die Spannung der Grenzflächen zwi- schen festen Stoffen und Lösungen oder Gasen wissen wir nichts Sicheres. Man ist daher auf die Benutzung von Flüssigkeiten als Adsorbens ange- wiesen, und zwar darf die adsorbierende Flüssig- keit, welche, damit die Oberfläche möglichst groß sei, in Form feinster Tröpfchen verwendet wird, den Adsorbenden natürlich nicht lösen, denn sonst würde ja nicht die reine Oberflächenerscheinung, mit der die Gibbs -Fre u n dlich' sehe Theorie rechnet, beobachtet und gemessen werden. In- folge dieser Beschränkung in der Wahl des Ver- suchsmaterials sind bisher nur verhältnismäßig wenige Versuche, und zwar mit Quecksilber als Adsorbens, ausgeführt worden. Das Ergebnis dieser — auch experimentell sehr schwierigen — Versuche läßt sich dahin zusammenfassen, daß zwar qualitativ ganz im Sinne der Gibbs- Freundlich 'sehen Theorie Adsorption dann eintritt, wenn durch die Anreicherung des Adsor- benden an der Grenzfläche des Adsorbens deren Spannung herabgesetzt wird, daß aber von einer quantitativen Bestätigung der Theorie nicht die Rede sein kann; die erhaltenen Daten sind, soweit sie sich zu quantitativen Betrachtungen verwerten lassen, mit den Forderungen der Theorie nur in einzelnen Fällen in Einklang zu bringen. Ob eine Verbesserung der unter vereinfachten Annahmen 416 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 abgeleiteten Theorie quantitative Übereinstimmung mit der Praxis ergeben wird, läßt sich zurzeit nicht übersehen, jedoch dürfte nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse die Annahme wohl be- rechtigt sein, daß die Oberflächenspannung zwar für die Adsorption von erheblicher Bedeutung, aber doch nicht der allein wirksame Faktor ist. Unter den anderen Faktoren, die bisher in Betracht gezogen worden sind, seien zunächst elektrische Vorgänge an der Grenzfläche der Phasen erwähnt. Die große Mehrzahl der Adsorp- tionsversuche sind mit wässerigen Lösungen von Elektrolyten ausgeführt worden , bei denen als Adsorbenden weniger die nicht-dissoziierten Mole- küle als die einzelnen Ionen in Frage kommen. So haben Michaelis und Lachs nachgewiesen, daß erstens bei der Adsorption von Chlorkalium durch Kohle — um sogleich einen konkreten Fall anzuführen — die Adsorption des Kaliumions und die des Chlorions keineswegs im Äquivalenzver- hältnis erfolgt, ja die Adsorptionen der beiden Ionen einander nicht einmal parallel gehen: aus ausgesprochen sauren Lösungen, in denen die Kohle infolge der Adsorption von Wasserstoffionen eine positive Ladung gegen die Lösung annimmt, wird nur das tiegativ geladene Chlorion, aus aus- gesprochen alkalischen Lösungen, in denen die Kohle infolge der Adsorption von Hydroxylionen eine negative Ladung gegen die Lösung annimmt, wird nur das positive Kaliumion adsorbiert, Tat- sachen, die entschieden auf eine Beeinflussung der Adsorption durch elektrische Vorgänge hinweisen. Es ist also neben der eigentlichen Grenzflächen- spannung bei vielen Adsorptionsvorgängen zweifel- los auch die wechselseitige elektrostatische An- ziehung oder Abstoßung der einzelnen Ionen in Betracht zu ziehen. Schließlich kann die in der Grenzfläche wirk- same Kraft auch chemischer Natur sein. Aller- dings wird vielfach auf Grund phasentheoretischer Betrachtungen die chemische Reaktion der Ad- sorption als etwas grundsätzlich Verschiedenes entgegengestellt. Als Beispiel wird immer die- selbe Reaktion, nämlich die von Appleyard und Walker untersuchte Aufnahme von gelber Pikrinsäure aus ihrer wässerigen Lösung durch weißes Diphenylamin unter Bildung von schoko- ladebraunem Diphenylaminpikrat angeführt. Fügt man zu einer wässerigen Aufschlämmung von Diphenylamin eine geringe Menge von Pikrinsäure, so löst sich die Pikrinsäure im Wasser auf, ohne daß — so wird meist angegeben — auch nur eine Spur von ihr mit dem Diphenylamin zu dem in Wasser unlöslichen Pikrat verbände. Steigert man nun allmählich die Konzentration der Pikrin- säure durch weitere Zugaben des festen Stoffes, so kommt eine ganz bestimmte Konzentration — bei 40,6" C 13,4 mg Pikrinsäure auf i ccm — , von der ab sich Pikrinsäure und Diphenylamin verbinden. Durch Hinzufügung weiterer Mengen von Pikrinsäure wird die Konzentration der Säure in der Lösung nicht erhöht, es vereinigt sich viel- mehr die Gesamtmenge der weiter hinzugefügten Pikrinsäure mit dem Diphenylamin; der Vorgang setzt sich solange fort, bis die Gesamtmenge des Diphenylamins zu Diphenylaminpikrat umgesetzt ist, und erst nach Überschreitung dieses End- punktes würde die Einführung weiterer Mengen von Pikrinsäure in das System zu einer entsprechen- den Erhöhung der Pikrinsäurekonzentration der Lösung führen. Das schematisch gezeichnete Diagramm (Abb. 9) zeigt den Sachverhalt. — > Menge des Stoffes m lOOSÜder Losanj Abb. 9. Mit der Phasentheorie steht dieses Ergebnis in bester Übereinstimmung. Da nämlich die Zahl der Komponenten K im vorliegenden Falle gleich 2 ist (eine Komponente ist die Pikrinsäure, die andere das Diphenylamin), so muß die Summe der Phasen P und der Freiheiten F, d. h. der innerhalb gewisser Grenzen beliebig frei wählbaren Existenzbedingungen des Systems gleich 4 sein: 'p + F = K + 2=4, oder F = 4 — P. Nun ist, solange sich kein Diphenylaminpikrat gebildet hat, die Anzahl der Phasen gleich 2, nämlich das feste Diphenylamin als Bodenkörper und die darüber stehende Lösung, also bleiben zwei Existenzbedingungen des Systems zur freien Wahl. Über die eine wird durch Festlegung der Temperatur verfügt, folglich bleibt noch eine Freiheit übrig, d. h. der osmotische Druck oder, das ist ja sachlich das Gleiche, die Konzentration der Lösung kann — innerhalb gewisser Grenzen — beliebige Weite annehmen, wie es die Kurve auch zeigt, denn die Konzentration der Pikrinsäure in der Lösung kann vom Werte O bis zum Werte 13.4 mg Pfo ccm steigen. Sobald sich aber Diphenylaminpikrat gebildet hat und neben ihm noch nicht umgesetztes Diphenylamin als Boden- körper vorhanden ist, liegen drei Phasen vor, d. h. das System ist durch die P'estlegung der Tempe- ratur eindeutig bestimmt, die Konzentration der Lösung kann, wie die Praxis auch zeigt, durch Phnzufügung weiterer Pikrinsäure nicht geändert werden. Ist alles Diphenylamin in das Pikrat verwandelt, so liegen die Verhältnisse phasen- theoretisch ebenso wie vor dem Auftreten des Pikrats, d. h. die Konzentration der Lösung kann wieder veränderliche Werte annehmen. So klar und so einwandfrei diese Betrachtung N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 417 auch erscheint, so ist sie doch gerade auf die Frage nach der MögHchkeit der Entstehung che- mischer Verbindungen an der Grenzfläche zwischen Adsorbens und Lösung nicht anwendbar. Durch die Grenzflächentheorie der Adsorption wird ja gerade die Annahme einer in der Grenzfläche wirlvsamen, unter den gewöhnlichen Versuchsbe- dingungen nicht hervortretenden Energie gemacht, die, auf den Quadratzentimeter der Grenzfläche bezogen, nur klein ist und daher unbedenklich vernachlässigt werden darf, solange die Grenz- fläche, wie es unter den gewöhnlichen Versuchs- bedingungen der Fall ist, nicht besonders ausge- dehnt ist. Gerade bei den Adsorptionsvorgängen aber darf die in der Grenzfläche wirksame Energie nicht vernachlässigt werden, d. h. die Phasenrcgel ist bei ihnen nicht in der üblichen Form, in der nur zwei auf das System einwirkende physikalische Kräfte berücksichtigt sind, sondern in der auf drei Kräfte erweiterten Form P+F=K+3 zu schreiben. Darnach ist ein aus zwei Kompo- nenten bestehendes System F=K+3— P=2+3-2=3 erst dann vollkommen bestimmt, wenn außer der Temperatur und der Konzentration der Lösung noch eine dritte Größe, z. B. der Sättigungsgrad der Grenzfläche zwischen Lösung und Bodenkörper, festgelegt ist. Experimentell findet diese Auffassung eine Stütze zunächst sogar in dem Schulbeispiele der dem theoretischen Schema offenbar nicht genau entsprechenden Aufnahme der Pikrinsäure durch das Diphenylamin, denn wie Walker und Apple- yard an einer, wie es scheint, wenig beachteten Stelle ihrer Arbeit bemerken, läßt eine Lösung von 13 mg Pikrinsäure im ccm, die theoretisch mit Diphenylamin überhaupt nicht reagieren sollte, in Wirklichkeit „the diphenylamine colourless, or only stains it pale brown after prolonged contact", eine Bemerkung, die nur als ein Hin- weis auf eine allerdings sehr geringe und darum analytisch nicht beachtete Aufnahme der Pikrin- säure unter Bildung der schokoladebraunen Färbung von Additionsprodukten aufgefaßt werden kann. Eine weitere sehr beachtenswerte Stütze findet sich in dem Verhalten der radioaktiven Elemente insbesondere des mit dem gewöhnlichen Blei che- misch identischen Thorium B bei Fällungs- reaktionen. Nach den Versuchen von Fajans und Paneth und ihren Schülern und von Wojta- szewski wird nämlich das Thorium B bei der Fällung aller der Niederschläge mitgerissen, mit deren Anion das Blei- oder Thorium B-Ion eine schwerlösliche Verbindung bildet, 'j Daß es sich bei diesem Mitreißen um richtige Adsorptions- erscheinungen handelt, geht erstens daraus hervor, daß die Konzentration des Thoriums B in den Lösungen viel zu klein ist, als daß man eine Ab- scheidung infolge Überschreitung des Löslichkeits- produktes annehmen dürfte, zweitens daraus, daß die Erscheinung nur bei sehr schwer lös- lichen Niederschlägen auftritt, die wie das Schwefel- wismut, das Mangankarbonat, das Baryumsulfat, das Chlor- oder Jodsilber amorph oder kr^pto- kristallinisch , d. h. mit sehr stark entwickelter Oberfläche ausfallen, und drittens endlich daraus, daß man das mitgerissene Thorium durch Aus- waschen von den Niederschlägen trennen, es sich also nicht in deren Innern befinden kann. Welche Vorstellung man sich nun auch über den Mecha- nismus dieser Vorgänge bilden mag — eine auf den B r ag g ' sehen Arbeiten über die Kristallstruktur beruhende sehr beachtenswerte Theorie hat Haber entwickelt — , jedenfalls geht aus den Tatsachen selbst zur Genüge der Einfluß hervor, den die chemische Affinität auf zahlreiche Ad- sorptionsvorgänge ausübt. Berücksichtigt man ferner noch, daß ausgesprochene Adsorption vielfach gerade dann beobachtet wird, wenn man, wie z. B. bei der Adsorption von Salzsäure oder Natronlauge durch Zinnoxydhydrat oder bei der Adsorption von Arsenik durch Eisenoxydhydrat, an die Entstehung echter chemischer Verbindungen denken möchte, dann wird man der chemischen Theorie der Adsorption wohl eine Bedeutung für die Erklärung der Adsorptionserscheinungen bei- messen müssen. Schluß. Faßt man die im Vorstehenden gemachten Dar- legungen, in denen, um den Umfang des .Aufsatzes nicht zu sehr anschwellen zu lassen, die sogenannten irreversibelen Adsorptionen und die Aufnahme von Flüssigkeiten in kapillaren Räumen ^) unberück- sichtigt gelassen worden sind, zusammen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die .Adsorption, definiert als eine von der Größe der Grenzfläche abhängige Verteilung eines Stofi'es zwischen zwei Phasen, Erscheinungen sehr verschiedener Art umfaßt, die eine einheidiche theoretische Deutung kaum zulassen dürften. Sieht man selbst von der zur Zeit nicht diskutierbaren und nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse auch nicht sehr plau- sibelen „Lösungstheorie" der Adsorption ab, so findet man, wenn man sich auf den Boden der „Grenzflächentheorie" stellt, nicht nur eine einzige Ursache für die Adsorptionserscheinungen, sondern deren mehrere, das Bestreben zur Erniedrigung der Grenzflächenspannung, elektrostatische An- ziehungen und Abstoßungen und chemische Re- aktionen. Welche dieser Ursachen, ob nur eine oder gleichzeitig mehrere, in einem gegebenen Einzelfalle wirksam sind, muß jedesmal durch eine besondere Untersuchung festgestellt werden; durch die Festlegung der Adsorptionskurve allein ist eine Verteilungsreaktion nicht aufgeklärt, insbe- sondere ist damit auch nicht der Nachweis erbracht, daß ein Vorgang nicht als eine eigentliche che- mische Reaktion aufzufassen sei. ') Vgl. Naturw. Wochenschr. N, F. Bd. 14, S. 471; 1915. ') Vgl. den Aufsatz „über das Gel der Ki Naturw. Wochenschr. N, F. Bd. 14, S. 545; 19 'S- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 Daß bei einer so verwickelten Sachlage alle Versuche, eine Theorie der Adsorption aus einer einfachen Annahme über die mechanische An- ziehung der Moleküle des Adsorbenden durch das Adsorbens zu entwickeln, gescheitert sind, erscheint begreiflich, wie es andererseits als ein ernster Mangel der meisten der im Vorstehenden darge- legten Vorstellungen über die Ursachen der Ad- sorption angesehen werden muß, daß sie sich bisher nicht zu einer quantitativen, exakt greif- baren Theorie der Erscheinungen haben ausbauen lassen. Die Aufgaben der angewandten Zoologit Von Dr. phil. G. Wülker (Heidelberg). (Schluß.) Ein neues großes Gebiet der angewandten Zoologie eröffnet sich uns, wenn wir den Zu- sammenhang der Zoologie mit der Gesundheits- lehre (Hygiene) ins Auge fassen. Die große Bedeutung von tierischen Organismen als Krank- heitserregern und Überträgern ist in den letzten Jahrzehnten sowohl für die menschliche, als für die Veterinärmedizin immer mehr erkannt worden. Die medizinische Zoologie ist deshalb in erster Linie Parasit ologie. Sie ist schon mehrfach als Sondergebiet behandelt worden, zum Teil in eigenen Lehrbüchern, wie etwa Raillet's Traite de Zoologie medicale. Die un- vollständigen Kenntnisse früherer Zeiten von den Wurmerkrankungen des Menschen wurden erst zu Anfang der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die gemeinsame Arbeit von Zoologen und Medizinern nutzenbringend ausgebaut (Leuckart, Küchenmeister, Pagenstecher u. a.) und dadurch der Anstoß zu gründlichen hygienischen Maßnahmen gegeben. So ist die Trichinenkrankheit, die früher bei epidemischem Auftreten große Opfer an Menschenleben forderte, nach Feststellung ihrer biologischen Grundlagen bei uns fast ganz beseitigt worden, indem durch die überall durchgeführte Fleischbeschau alles wurmkranke Fleisch von der Bevölkerung ferngehalten wird. Ähnliches hat sich für die rationelle Bekämpfung der Bandwurm- krankheiten bewährt. Auch andere, in bestimmten Berufsklassen weitverbreitete Wurmkrankheiten, wie die Ankylostomum-Krankheit der Bergwerk- und Tunnelarbeiter haben sich nach Erforschung ihrer zoologischen Bedingungen erfolgreich ein- dämmen lassen. Noch mehr als in unserer Zone sind tierische Krankheitserreger in südlicherer Breite, besonders in den Tropen ein wichtiger hygienischer Faktor. Neben den Würmern treten hier einzellige Tiere, die Protozoen, hervor. Die Entdeckung der Malariaerreger und der Trypanosomen der Schlaf- krankheit, sowie die Kenntnis von ihrer Über- tragung durch stechende Insekten haben den An- stoß zu einer Fülle wissenschaftlicher Forschungen und praktischer Maßregeln gegeben. In der Er- forschung pathogener einzelliger Organismen sind die (irenzgebiete erreicht worden, in denen Zoo- logen, Botaniker und Hygieniker mit gleichem Interesse nebeneinander arbeiten. Die Spirochäten (Erreger der Syphilis, des Rückfallfiebers usw.) und die noch sehr problematischen Chlamydozoen (Pocken, Flecktyphus usw.) sind vielfach von den Bakteriologen mit ihren wohldurchdachten, auf die Schule Robert Koch 's zurückgehenden Untersuchungsmethoden in Angriff genommen worden, aber auch den Zoologen (Schaudinn, v. Prowazek) gebührt ein wichtiges Verdienst um die Förderung dieser Fragen, die noch ein weites Gebiet künftiger Forschung sind. Die Bekämpfung der blutsaugenden Insekten und anderer Gliederfüßler (Zecken, Milben) ist zum Teil auch eine Aufgabe der angewandten Ento- mologie; sie richtet sich gegen die Schädigungen, die diese Tiere unmittelbar durch ihre Stiche und Bisse und mittelbar durch Übertragung von Krankheitskeimen verursachen. Ein Beispiel, wie solche Probleme scheinbar plötzlich Bedeutung er- langen und eine weitgehende wissenschafiliche und praktische Arbeitsbetätigung hervorrufen, gibt die Bekämpfung der Stechmücken und neuestens diejenige der Kleiderlaus ; in beiden Fällen sind die Schädlinge einerseits schon durch ihre Stiche lästig und stören schließlich das körperliche Wohlbefinden, andererseits werden sie durch die Übertragung schwerer Krankheiten (Malaria und Fleckfieber) unbedingt gefährlich. Es hat sich gerade hier gezeigt, wie schwer eine gründliche und dauernde Vernichtung der Tiere ist, und wie große Mängel die biologische Kenntnis unserer bekanntesten Schmarotzerinsekten noch aufweist. Da die Lehre von den Krankheiten des Menschen und denjenigen der Haustiere soviele Be- ziehungen besitzt, ist es nicht verwunderlich, daß auch die Veterinärmedizin vielfach bei uns und in den Tropen tierische Parasiten zu erforschen hat; so ist auch hier ein Gebiet vorhanden, wo Tierärzte und Zoologen in Fragen der angewandten Zoologie zusammenwirken. Als Forschungsstätten für die erwähnten und ihnen verwandte Aufgaben der medizinischen Zoologie dienen in Deutschland bisher einige große Institute, in denen im Interesse der öffent- lichen Gesundheitspflege neben Ärzten, Tierärzten und Chemikern auch eine Anzahl Zoologen tätig sind. Von den zoologischen Mitarbeitern des Kaiserlichen Gesundheitsamtes in Berlin sind seit den Zeiten, wo der frühverstorbene Schaudinn seine bahnbrechenden Forschungen unternahm, hauptsächlich die Protozoen als Krankheitserreger untersucht worden. In ähnlicher Weise ist die entsprechende Abteilung des preußischen Instituts N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 419 für Infektionskrankheiten „Robert Koch" der Ausgangspunkt einer lebhaften Protozoenforschung geworden. Im Institut für Schiffs- und Tropen- krankheiten in Hamburg wurden im Zusammen- hang mit dem großen Seemannskrankenhaus, das viele aus den Tropen zurückkehrende Kranke birgt, namentlich die tierischen Parasiten des Tropengebietes erforscht; zahlreiche Arbeiten über pathogene Protozoen, besonders über Chlamydo- zoen, sowie über Würmer und Gliederfüßler sind von dort ausgegangen. Auch an anderen medizinischen Forschungs- instituten wirken zoologische Kräfte, so an dem von Paul Ehrlich gegründeten Georg Speyer- Haus in Frankfurt a. M., wo die Methoden der Chemotherapie in ihrer Anwendung auf Protozoenkrankheiten zu erproben sind. Auf dem Gebiete der Krebsforschung (Institut für Krebsforschung in Heidelberg) richtet sich das zoologische Interesse auf die bösartigen Ge- schwülste selbst in ihrem überraschend häufigen Vorkommen in der ganzen Wirbeltierreihe und auf ihre Beeinflussung durch therapeutische Ein- griffe, gegen die menschliche und tierische Ge- schwülste vielfach gleichartig reagieren; anderer- seits auf das Rätsel der Krebsätiologie, wobei die Frage nach der parasitären Natur der bösartigen Geschwülste und nach der Rolle, die bisweilen tierische Parasiten bei ihrer Entstehung spielen, noch immer nicht eindeutig gelöst ist. An den Hochschulen hat die Parasitenkunde bisher keine selbständige Stellung eingenommen und ist nur jeweils nach der Neigung einzelner Dozenten stärker betont oder in besonderen para- sitologischen Laboratorien im Anschluß an zoo- logische oder medizinische Institute (z B. in Bonn) gefordert worden. Besondere Lehrstühle für Para- sitologie sind in Deutschland vorläufig, ebensowenig wie für Entomologie, nicht vorhanden. In dieser Richtung haben andere Länder (Amerika, Italien, Frankreich) dem praktischen Bedürfnis mehr Rechnung getragen. In die medizinische Zoologie läßt sich weiter noch ein Zweig der Biologie einbeziehen, nämlich die von Zoologen und Botanikern aufgebaute Vererbungslehre, die für die soziale Hygiene und für die Rassenbiologie eine immer größere Bedeutung gewonnen hat. Ausgehend von den Erfahrungen der Pflanzen- und Tierzüchter hat schon Darwin die Gesetze der Variabilität und Vererbung und die Steigerung günstiger Eigen- schaften durch bewußte Zuchtwahl erforscht. Im Anschluß hieran versucht der moderne Tier- und Pflanzenzüchter tiefer in das Rätsel der Artbildung einzudringen und dadurch eine Verbesserung der Rassenzüchtung zu erreichen; ebenso erwägt der Hygieniker die Bedingungen, unter denen günstige körperliche und geistige Eigenschaften eines Volkes gesteigert und minderwertige Anlagen ausgeschaltet oder chronische Schädigungen des Keimplasmas durch Krankheiten ferngehalten werden. Die moderne experimentelle Vererbungslehre, die sich in den letzten 15 Jahren durch Forscher aller Kulturnationen zu ungeahntem Umfang ent- wickelt hat, findet jetzt in Deutschland eine groß- zügig angelegte Arbeitsstätte in dem Kaiser- Wilhelmslnstitut für Biologie in Berlin-Dahlem, dessen Forschungen auch der Praxis zugute kommen werden. Wie die Vererbungslehre auf die menschliche Rassen- und Gesellschaftsbiologie und Hygiene anzuwenden ist, lehrte sehr anschaulich die Darstellung des Gebietes „Fortpflanzung und Vererbung" auf der Hygiene-Ausstellung in Dres- den (191 1). Zu den Aufgaben der angewanden Zoologie möchte ich schließlich noch alle diejenigen Unter- nehmungen rechnen, in denen die Zoologie der allgemeinen Volksbild ung dienen soll, um das Naturgefühl und den Heimatssinn zu vertiefen, die aus einer Innigen Vertrautheit mit den Lebewesen der Natur hervorgehen. Die Grundlagen der Unterweisung und Anregung auf diesem Gebiet liegen natürlich im Schulunterricht an Volks- und Mittelschulen; auf seine Ziele, die in den letzten Jahrzehnten durch die Reform des biologischen Lehrplanes mächtig gefördert worden sind, soll hier nicht eingegangen werden, da sie in der Praxis eine Domäne für sich geworden ist, über deren Stoff und Methoden die dazu berufenen Lehrkräfte entscheiden. Auch andere Wege der zoologischen Belehrung, soweit sie, wie die Volks- hochschulkurse, die P'ormen des akademischen Unterrichtes übernommen haben, sowie die Ver- allgemeinerung zoologischer Kenntnisse durch die populär- wissenschaftlfcher Literatur, die neben vielen phantastischen Spekulationen auch manches Wertvolle geleistet hat, sollen hier nur kurz er- wähnt sein. Die größten Einrichtungen, die dauernd der zoologischen Belehrung breitester Volksschichten dienen, sind die zoologischen Museen und die zoologischen Gärten. Die Museen, wenigstens die großen Anstalten, dienen ebenso rein wissen- schaftlichen wie populären Zwecken. Der dem Publikum geöffnete Teil, die Schausammlung, gibt nur eine Auswahl des besten und anschaulichsten Tiermaterials; daneben besteht ein großes Magazin, dessen Schätze der systematischen Durcharbeitung durch den Spezialforscher unterliegen, sowie ev. eine Lehrsammlung für systematische und ver- gleichend anatomische Studien. Die Schausammlung hat die Aufgabe, den zoologisch interessierten Laien einen Einblick in die Mannigfaltigkeit der tierischen Formen zu geben, ohne durch überreiche Fülle das Dargebotene zu verwirren ; durch über- sichtliche Anordnung, ev. an der Hand eines leicht- verständlich abgefaßten Führers, sollen die Grund- linien der Systematik der Tierwelt erkennbar werden. Begreiflicherweise werden die größten und für den Laien auffälligsten Tiere, nämlich die Wirbeltiere, und unter ihnen namentlich Säuge- tiere und Vögel den Hauptraum einnehmen. Außer der äußeren Form der Tiere kann auch ihr innerer 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 Bau in geeigneten Präparaten anschaulich darge- stellt werden. Weitere dankbare Aufgaben für Museen stellt das Gebiet der Ökologie: einerseits die Darstellung charakteristischer Anpassungen an die Umwelt (etwa Schutzfärbung, Flugvermögen ; Anpassungen an die Fortpflanzung : sekundäre Ge- schlechtsmerkmale, Brutpflege usw.), andererseits die Wiedergabe einzelner charakteristischer Lebens- gemeinschaften (z. B. Polarwelt, Steppentiere, Höhlenfauna). Auch die geographische Verbreitung der Tiere läßt sich unter Zuhilfenahme orien- tierender Karten im Museum besonders anschau- lich darstellen. Schließlich können dort, wo zoolo- gische und paläontologische Schätze zusammen zur Schau gestellt werden, die Beziehungen zwischen lebenden und fossilen Tieren und die Bedeutung ausgestorbener, vermittelnder Formen für die Stammesgeschichte verständlich gemacht werden. Die angedeuteten Aufgaben werden von unseren Museen je nach Umfang und Ursprung ihres Materials und verfügbarem Raum mehr oder weniger erfüllt. Die größten Schöpfungen (Berlin, Hamburg, P'rankfurt, Stuttgart) haben neben großen systematischen und vergleichend anatomischen (bes. osteologischen) und paläontologischen Samm- lungen auch besonders schöne biologische Gruppen und bieten durch die Aufstellung der Ausbeute zoologischer Forschungsreisen besonders inter- essante Eindrücke aus dem Gebiet der Tier- geographie. Die kleineren Museen sind entweder an zoologische Institute der Hochschulen ange- gliedert und dienen dann besonders dem Lehr- betrieb, oder sie sind Abteilungen von Landes- und Provinzialsammlungen; 'in diesem Falle be- tonen ihre Ausstellungen meist das für den Be- schauer Naheliegendste, nämlich die Tierwelt der Heimat, deren Verständnis durch systematische und biologische Gruppen angeregt werden soll. Es sei noch erwähnt, daß einige wenige Museen bestimmten Sondergebieten gewidmet sind, so das Phyletische Museum in Jena, das in einzigartiger Weise die Grundfragen der Stammesgeschichte der Organismen durch Vorführung anschaulicher Beispiele erläutert, oder die Zoologische Abteilung des Museums für Meereskunde in Berlin, das die Tierwelt der Meere zur Anschauung bringt. Welche weitentwickelte Technik und wie viel künstle- risches neben wissenschaftlichem Verständnis zur Einrichtung eines modernen Museums nötig ist, welche große Kunstfertigkeit namentlich auch die moderne Präparationsart ausgestopfter Tiere (Dermo- plastik), die möglichst auf photographische Natur- aufnahmen zurückgeht, erfordert, soll hier nicht weiter ausgeführt werden, obwohl auch hier wichtige Aufgaben der angewandten Zoologie vor- liegen. Die zoologischen Gärten bieten dem Volk durch den Anblick lebender Tiere Eindrücke, wie sie von konserviertem Material und von ge- druckten .Schilderungen nie in gleichem Maße er- reicht werden können; die Möglichkeit, die I-'ormen und Lebensgewohnheiten der Tierwelt unmittelbar zu beobachten, regt das Interesse besonders dann an, werm es sich um fremdländische oder seltene einheimische Tierarten handelt. Es ist dabei be- sonders wichtig, daß den Tieren möglichst günstige und natürliche Bedingungen geboten werden; unter geeigneten Verhältnissen können in den Gärten interessante Versuche über Kreuzung von Rassen und Arten und über Aufzucht seltener Tiere, sowie Beobachtungen zur Tierpsychologie gemacht wer- den. Da die zoologischen Gärten in der Tat nicht nur rein belehrenden Zwecken, sondern allgemein als Unterhaltungsstätten der großen Städte dienen, so muß der zoologische Praktiker, der solche An- lagen leitet, auch der kaufmännischen Seile seines Amtes gewachsen sein. Meist in Verbindung mit zoologischen Gärten angelegt, geben die Aqua- rien Einblick in die Tierwelt des Süßwassers und des Meeres; in großen Anlagen ist ihnen auch ein Insektenhaus angegliedert, das die Insektenbiologie veranschaulicht. Schließlich sind zur praktischen Zoologie auch die Bestrebungen des Naturschutzes zu rech- nen : sie erstreben eine Vertiefung des Naturgefühls und schützen alle „Naturdenkmäler" und seltene Tiere und Pflanzen, namentlich die vielfach be- drohte Vogelwelt und ihre Brutstätten. Die im vorliegenden Aufsatz berührten Auf- gaben der angewandten Zoologie könnten natür- lich durch eine Fülle von Beispielen ergänzt und erläutert werden ; ich hoffe aber, daß die erwähnten Tatsachen die Hauptgebiete und einige Grund- fragen hinreichend dargelegt haben. Wir erkennen, daß die hier voneinander gesondert betrachteten Gebiete in der Tat innig ineinander übergreifen. Fragen der angewandten Entomologie spielen hin- über in das Gebiet der medizinischen Zoologie, parasitologische Probleme gewinnen Bedeutung für die landwirtschaftliche Zoologie, die Unter- suchung tropischer Schmarotzer berührt die kolo- niale Zoologie usw. Wie wir sehen, sind eine ganze Anzahl von Instituten der intensiven Erforschung praktisch zoologischer Fragen gewidmet, aber so sehr wir den Wert des Vorhandenen zu schätzen wissen, müssen wir zugeben, daß die P'orderungen, die wir oben in Escherich's Sinn für die Reform der angewandten Entomologie angegeben haben, auch für andere Gebiete in ähnlicher Weise gelten. In manchen F"ällen, z. B. auf dem Gebiet der medizinischen Zoologie, ist an sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitsstätten nicht zu gering; hier wäre eine Zersplitterung in viele, nicht organisch miteinander verbundene kleinere Institute gar nicht erwünscht. Wohl aber könnten die Forschungen an den vorhandenen Stellen mit zahlreicheren wissenschaftlichen Hilfskräften und größeren Mitteln weit fruchtbarer gestaltet werden. Denn die meisten Aufgaben der Praxis, namentlich da, wo es sich um tierische Schädlinge handelt, sind im Augenblick ihres Auftretens auch N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. 421 schon brennende Fragen geworden; das Studium biologischer Verhältnisse aber erfordert immer langwierige und ununterbrochene Beobachtung der Lebensvorgänge und gewissenhafte experimentelle Nachprüfungen , deren Versuchsbedingungen oft erst lange Zeit durch Vorversuche und Vergleiche mit verwandten Lebewesen erkannt werden müssen. Diesem Mißverhältnis kann nur dann erfolgreich begegnet werden, wenn die Probleme gleichzeitig von möglichst vielen Forschern unter verschiedenen Gesichtspunkten , aber mit gemeinsamen Zielen in Angriff genommen werden. Zur Schulung genügend zahlreicher Kräfte wird eine stärkere Betonung der angewandten Zoologie im Hochschulunterricht nötig sein. Die Vorschule des zoologischen Praktikers muß ihn möglichst vielseitig in alle Zweige der angewandten Zoologie einweihen, um der später unvermeidlichen Spezialisierung ein ausreichendes Gegengewicht zu halten. Jeder Teil der angewandten Zoologie fordert natürlich wieder sein Sonderprogramm, das seinen Eigentümlichkeiten gerecht wird: wie Escherich für die Entomologie, so hat kürzlich Thienemann für die Planktonforschung im Süß- wasser (191 4 auf dem Zoologentag in Freiburg) Richtlinien und Reformwünsche dargelegt, die zum Teil die Interessen der Land- und Fischerei- wirtschaft betonen. Ohne die Leistungen anderer Völker über Ge- bühr hoch zu bewerten, können wir doch durch den Vergleich mit den Einrichtungen des Aus- landes manche Fingerzeige erhalten, wie dies Escherich an der nordamerikanischen Ento- mologie gezeigt hat. So müssen wir z. B. aner- kennen, daß Frankreich mit seinen Zweiglabora- torien des Institut Pasteur, die der sanitären Hebung seiner Kolonien dienen. Bedeutendes für die Erforschung tropischer parasitärer Krank- heiten geleistet hat; daß England sowohl für kolonialzoologische Fragen, als auch für Fischerei- biologie reiche Institute besitzt, die der großen Bedeutung dieser Gebiete für das britische Volk Rechnung tragen; daß schließlich auch Italien im Interesse seiner Obst-, Wein- und Seidenkultur musterhafte entomologische Institute eingerichtet hat. Es ist jetzt nicht an der Zeit, mit Wünschen und Vorschlägen hervorzutreten, zu deren voller Befriedigung nur der Staat die erforderlichen Mittel geben kann. Wenn, wie wir alle zuversichtlich hoffen, aus allen schweren Kämpfen ein größeres, mächtigeres Deutschland erstanden sein wird, dann werden auch alle Kräfte des Wirtschafts- und Volkslebens, wie auch der wissenschaftlichen Arbeit sich zu neuem Aufschwung entfalten. Dann wird auch die praktische Zoologie, in erster Linie im Dienst unserer heiß umkämpften überseeischen Kolonien neue Aufgaben und neue Förderung finden. Auch ihre Ziele sind letzten Endes natio- naler Natur, indem sie der Steigerung unseres Wirtschaftslebens und der Ausbreitung deutscher Eigenart und Kultur dient. [Nachdruck verboten Über die Taenieii der Süßwasserfische. Von Oskar Wagnei in Weimar. Mit 3 Abbildungen. In unseren Süßwasserfischen kommen Band- würmer häufig vor, aber diese gehören meistens der Familie der Bothriocephaliden an '), während Taenien verhältnismäßig selten sind. In Deutsch- land ist nur eine Gattung von Fischtaenien hei- misch, die Gattung Ichthyotaenia Lönnberg. In systematischer Hinsicht nehmen die Fisch- taenien eine sehr primitive Stellung innerhalb der gesamten Bandwurmgruppe ein. Verwandtschaft- lich stehen sie den Tetraphylliden am nächsten; manche Forscher (Braun, Luhe u. a.) rechnen sie dieser Gruppe zu, die sich an die Bothrio- cephalen eng anschließt. Außer in Knochen- fischen kommen Fischtaenien auch in Amphibien und Reptilien, besonders Schlangen, schmarotzend vor. Der Kopf (Scolex) der Fischtaenie (Abb. i) ') z. B. Bothriocephalus infundibuliformis Rudolphi in Salmoniden, in Barsch, Hecht und anderen B'ischen, Bothrio- cephalus proboscideus Rudolphi in Salmoniden, Triaenophorus nodulosus Rudolphi im Barsch, Hecht, Stichling, Rotauge u. a. Der kleine ungegliederte Caryophyllaeus mutabilis Rudolphi, der in vielen Fischen vorkommt, sieht in seiner Organisation auch den Bothriocephaliden nahe. ist mit 4 sehr kräftigen muskulösen Saugnäpfen ausgestattet. Ein deutliches Rostellum mit Haken- kranz gelangt nie zur Entwicklung; statt dessen ist jedoch die Scheitelregion meist rostellumartig vorstülpbar, oder es kommt ein kleiner scheitel- ständiger 5. Saugnapf zur Ausbildung, der wie bei Ichthyotaenia osculata Goeze noch mit win- zigen Häkchen besetzt sein kann. Der Scolex geht ohne scharfe Abgrenzung in den ungeglieder- ten, sehr dehnbaren Halsteil über. — Das den Körper erfüllende parenchymatische Bindegewebe zeichnet sich bei Ichthyotaenia torulosa Batsch durch einen Reichtum an großen, konzentrisch geschichteten Kalkkörperchen aus (Abb. 2). In der Gesamtorganisation finden sich unter- scheidende Merkmale gegenüber anderen Band- würmern hauptsächlich im Bau des Wassergefäß- systems und der Geschlechtsorgane. Das erstere weist eine hohe Ausbildung auf. In der Regel kommen 4 Längsgefäße zur Ausbildung, bisweilen auch bloß 2, nicht selten dagegen wird eine größere Anzahl Gefäßstämme gebildet, wie bei Ichthyotaenia longicollis (Rud.) und Ichthyotaenia torulosa (Batsch). Die Längsgefäße münden in 422 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XV. Nr. 29 eine kontratctile Endblase am Ilintereiide des Körpers. Außerdem kommen häufig an den Längsgefäßen randständige Abzweigungen und Ausmündungen (F"oramina secundaria) im Verlauf des ganzen Bandwurmkörpers vor. Bei Ichthyo- taenia torulosa entspringen diese als unverzweigte Seitenäste direkt den Längsgefäßen (Abb. 2f). Köpfe von Ichlhyotaenia torulosa in verschiedenen aktionszusländen. (Größte Breite 0,5 — o,S mm.) -\. Miim Abb. 2 : Schema des Plerocercoiden von Ichthyotaenia torulosa. ebl Endblase, eh Embryonalhäkchen, ez Endzipfel der Neben- gefäßstämme, f randständige Scitenäste, hst Hauptstaram des Wassergeräßsystems, ilm innere Längsmuskelbündel, k Kalk- körperchen, nst Nebenstamm des Wassergefäßsystems, s Saug- napf, wf Wimpcrtlammen (schwarz angegeben). Im Kopf (Scolex) \-ereinigen sich die Längsgefäß- stämme zu einem unregelmäßig verzweigten und vielfach verschlungenen Gefäßnetz oder Gefäß- körbchen. Die Geschlechtsorgane sind zwitterig; man findet in jedem Glied als männliche Organe die zahlreichen kleinen Hoden, einen zu einem Knäuel aufgewickelten Samenleiter und einen randstän- digen Cirrusbeutel, als weibliche Teile die seitlichen Dotterstöcke, den flügelartigen Keimstock, den Keimgang, die Scheide (Vagina), den Eileiter und den Eibehälter (Uterus). Die Geschlechtsöfifnung liegt seitlich an den Gliedern. Über die Entwicklung der Fischtaenien war bis jetzt wenig bekannt. Ich habe bei der Icht- hyotaenia torulosa Batsch, welche in Goldorfen (Cyprinus orfus L.) und anderen Cypriniden lebt, folgenden Entwicklungsgang gefunden. ^) Der mit reifen Hakenembryonen (Onco- sphaeren) prall gefüllte Eibehälter (Uterus) der Taenia hat keine Ausmündung und wird durch heftige Kontraktion der Körpermuskulatur des Tieres meist auf der Bauchfiäche zum Bersten ge- bracht, wobei der Inhalt in einem kräftigen Strahl nach außen entleert wird. Dies salvenartige Aus- stoßen der Oncosphaeren findet bei I. torulosa augenblicklich statt, sobald die vollständig reifen Taenien aus dem Fischdarm ins Wasser gelangen; die Fischtaenien gehen im ganzen nach außen ab, ohne Kopf und Halsabschnitt zurückzulassen. Die Anzahl der Embryonen, die ein einziger Wurm hervorbringen kann, ist so außerordentlich groß, daß nach dem Ausstoßen das umgebende Wasser von den massenhaft umherschwimmenden Oncosphaeren milchig getrübt erscheint. Wie gelangen nun die ins Wasser ausge- stoßenen Embryonen zur Weiterentwicklung? Die Oncosphaeren von I. torulosa werden zunächst von gewissen kleinen Planktonkrebsen, haupt- sächlich Diaptomus castor Jur. und Cyclops stre- muus F. gern gefressen. Im Darmkanal dieser kleinen Ruderfüßer (Copepoden) lösen sich die Hüllen der aufgenommenen Oncosphaeren auf. Der befreite Embryo bohrt sich darauf mit Hilfe der 3 Paar beweglicher Embryonalhäkchen durch die Darmwand hindurch und gelangt somit in die Leibeshöhle des Krebses. Hier entwickelt sich der anfangs kugelige Embrj'o zur Taenien-Larve aus. Diese besitzt einen zungenförmigen , sehr kontraktilen Körper, der vollständig solide ist und weder eine mit Flüssigkeit erfüllte Blase wie die blasigen Pinnen (Cysticerken) bildet, noch einen Schwanzanhang hat, wie ihn die Cysticercoiden zeigen. Man bezeichnet diese auch bei anderen niederen Bandwürmern (Bothriocephaliden) vor- kommende Larvenform als Plerocercoid. Der durch eine leichte Einschnürung vom Larven- körper abgesetzte Kopf des Plerocercoiden von ') Die Untersuchung wurde im Zoologischen Institut der K. Technischen Hochschule in Stuttgart ausgeführt. Der ein- gehendere Bericht wird in der Jenaischen Zeitschrift ver- öffentlicht. N. F. XV. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 423 I. torulosa besitzt 4 kreisrunde Saugnäpfe und einen leicht verstülpbaren Scheitel (Abb. 3 a). Im ausgestreckten Zustande erreichen die Taenicn- Larven eine Länge bis zu i mm und eine größte Breite von 0,2 — 0,4 mm. Sie zeichnen sich durch große Bewegungsfähigkeit aus, wobei sie fort- während ihre F'orm ändern. In Abb. 3 a— c sind einige typische Kontraktionszustände dargestellt. b Abb. 3 : Plerocercoid von Ichthyotaenia torulosa in verschie- denen Forraveränderungen, a) Plerocercoid mit vorgestülptem Scheitel. b) Gestreckte Form, c) Eingestülptes Plerocercoid. Auf äußeren Reiz ziehen sich die Plerocercoide kugelförmig zusammen. Der Kopf stülpt sich dabei in den sehr dehnbaren kontraktilen Körper ein, so daß der Scheitel des Tieres den Grund der Einstülpung bildet (Abb. 3 c). Die lebhaft sich fortbewegenden Larven suchen in alle Teile der Leibeshöhle der Copepoden einzudringen; meistens findet man sie in der Nähe der Keim- stöcke und des Darmkanales. Die weiblichen Krebschen werden in der Regel stärker von den Taenien-Larven befallen ') als die etwas kleineren Männchen, die auch viel seltener eine Infektion aufweisen. Ein und dasselbe Tier kann mehrere ') In einem Fall fand ich in der Leibeshöhle von Diap- tomus castor 9 nicht weniger als lo Larven auf den ver- schiedensten Entwicklungsstufen vor. Plerocercoide enthalten, die oft nicht alle auf der gleichen Entwicklungsstufe stehen. Eine sicht- bare Beeinflussung des Wirtes durch den Parasi- tismus zeigt sich jedoch gewöhnlich nicht; es ist nur hin und wieder eine geringere Ausbildung der Keimstöcke zu beobachten. Der von parenchymatischem Bindegewebe erfüllte Körper der Larve (Abb. 2 u. 3) ist reich an großen lichtbrechenden , geschichteten Kalk- körperchen und feinen hellen Tröpfchen, die un- regelmäßig im Parenchym verteilt sind. In dem allmählich sich verjüngenden hinteren Abschnitt des Plerocercoiden sind nicht selten noch alle sechs Embryonalhäkchen unregelmäßig zerstreut im Bindegewebe vorhanden (Abb. 2 ch). Die für die Plattwürmer charakteristischen Endorgane des Wassergefäßsystemes, die bekannten Wimpertrichter mit ihren lebhaft flackernden Wimperflammen, sind bei der Larve von I. toru- losa in ziemlich regelmäßiger Verteilung zahlreich zu sehen (Abb. 2 wf). Meist liegen sie in der Nähe der Längsgefäße, mit denen sie durch feine Kapillaren in Verbindung stehen. Das weitere Schicksal der in der Leibeshöhle der Copepoden lebenden plerocercoiden Larven ist dadurch bestimmt, daß die infizierten Krebschen von den Fischen (Goldorfen, Cyprinus orfus L. u. a). gefressen werden. Durch den Verdauungsvor- gang zerfällt der Körper der Ruderfüßer und die jungen Schmarotzer werden in Freiheit gesetzt, worauf die allmähliche P^ntwicklung zum ge- gliederten, geschlechtsreifen Bandwurm beginnt. Bemerkenswert ist, daß beim Übergang der Ple- rocercoiden in die gegliederte Form kein Teil des Larvenkörpers abgeworfen wird, wie dies bei den Blasenwürmern bekanntlich der Fall ist. Die Infektion der Fische findet im Sommer und im f^erbst statt; während des Winters voll- zieht sich dann langsam im Fischdarm die Bil- dung der Gliederkette, aber die Geschlechtsreife wird erst im Frühjahr erreicht. Die Plierproduk- tion dauert etwa bis zum Juni an, dann treten die Taenien aus dem Fischdarm aus, entleeren in großen Mengen infektionsfähige Oncosphaeren und gehen kurze Zeit darauf zugrunde. Der gesamte Entwicklungszyklus läuft demnach inner- halb eines Jahres ab. Die in den Copepoden lebenden Plerocercoiden findet man also nur im Hochsommer und im Herbst. Bücherbesprechungen. M. Schmaler, Das Königreich Sachsen. Geographisches Lehr- und Übungsbuch. 8". 192 S. Leipzig 1915, Quelle & Meyer. — Geb. 2,20 M. Das vorliegende Lehr- und Übungsbuch ist vom Verf. in erster Linie für die Schüler sächsi- scher Seminare geschrieben, in seiner Form aber so gehalten, daß es sich auch zum selbständigen Weiterstudium und als Hilfsbuch für den Lehrer eignet. Es bietet daher neben der nach Land- schaften geordneten Darstellung des Gesamtgebietes teils Aufgaben für die Vorbereitungsarbeit der Schüler, teils zahlreiche Anregungen und Hilfen (z. B. Literaturangaben) für selbständige Arbeiten. Was wir — ohne an dieser Stelle auf den Inhalt im einzelnen eingehen zu können — besonders hervorheben wollen, ist das Bestreben, überall den geographischen Gesichtspunkt richtig herauszu- 424 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 29 arbeiten und die geographischen Tatsaclien, die das Land bietet, untereinander in Beziehung zu setzen. F"erner die umfassende und vielseitige Behandlung des Stoffes: die modernen physio- geographischen Gesichtspunkte finden neben der Darstellung der anthropogeographischen Verhält- nisse die gebührende Berücksichtigung. Freudig begrüßen wir die Forderung eines gründlichen Kartenstudiums und die Einschätzung der Wande- rungen als wichtigstes Hilfsmittel des Unter- richtes. Die gute Ausstattung des Werkes mit Bildern, Karten, Tabellen, Profilen, Diagrammen verdient schließlich namentlich angesichts des außerordentlich niedrigen Preises noch besonders bemerkt zu werden. Dr. E. WunderHchBerlin. V. Bardeleben, K., Die Anatomie des Men- schen. Teil II— IV: Das Skelett, Das Muskel- und Gefäßsystem, Die Eingeweide. Zweite Auflage. „Aus Natur und Geisteswelt", B. G. Teubner, Leipzig. Von den gemeinverständlich dargestellten 6 Bändchen von Bardeleben's Anatomie des Menschen sind die drei vorliegenden, die die ge- samte systematische Anatomie mit Ausnahme des Nervensystems enthalten, in zweiter Auflage er- schienen. Das Werk scheint also trotz seines relativ hohen Gesamtpreises seinen Leserkreis ge- funden zu haben. Der Preis (1,25 das gebundene Bändchen) ist aber auch das einzige, was an dieser Anatomie auszusetzen wäre. Ob es aller- dings möglich ist, den Stoff weiter zusammenzu- drängen, ohne daß die Klahrheit der Darstellung verliert, ist fraglich. Wenn das Werk weiter einen so guten Absatz findet, soll es so bleiben. Man findet darin die allgemeinen und speziellen Ver- hältnisse der menschlichen Anatomie in einer Weise dargestellt, daß ziemlich weiten Ansprüchen Genüge geleistet werden kann. Zum Selbststudium scheint es mir sehr geeignet zu sein, auch für „Nicht-Humanisten", da die lateinische und grie- chische Nomenklatur fast ganz vermieden ist. Als Anhalt bei gemeinverständlichen Vorlesungen habe ich es selbst mit großem Vorteil benutzt. Die zahlreichen Abbildungen sind zum größten Teil sehr lehrreich und dabei nicht zu weit schema- tisiert. Hübschmann. Meyer's Physikalischer Handatlas. 51 Karten zur Ozeanographie, Morphologie, Geologie, Kli- matologie. Pflanzen- und Tiergeographie und Völkerkunde. Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien. — In Leinen geb. 4 M. Den Besitzern des weitbekannten Meyer'schen flandatlasscs wird mit diesem in gleichem Format gehaltenen schmalen Bande eine sehr schätzens- werte Ergänzung dargeboten. Die Karten , die aus dem großen und kleinen Meyer'schen Kon- versationslexikon sowie aus der von W. Sievers herausgegebenen „Allgemeinen Länderkunde" zu- sammengestellt sind, enthalten moderne karto- graphische Darstellungen der Fluß- und Gebirgs- systeme, der Gebirgshöhen und Meerestiefen, der Verbreitung geologischer Formationen, sowie der Pflanzen, Tiere, Menschenrassen und z. T. auch der Bevölkerungsdichte und Sprachen, der Ver- teilung von Wärme, Wind, Niederschlägen und der Oberflächentemperatur und Eisverhältnisse der Ozeane, und zwar sind obige Verhältnisse zunächst für die ganze Erde bzw. die Meere und dann für die einzelnen Erdteile dargestellt. Ein kleiner wahrscheinlich wohl durch die Entstehungsart be- dingter handschriftlich aber leicht zu beseitigender Mangel ergibt sich aus dem Fehlen einer dem Inhaltsverzeichnis entsprechenden Bezifferung der Karten. Miehe. Karl Blau, Das Automobil. Dritte Auflage. Aus Natur und Geisteswelt, Band 166. Leipzig und Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis geh. I M. geb. 1,25 M. Das kleine Büchlein stellt eine Einführung in den Bau und den Mechanismus des heutigen Personenkraftwagens dar. Wenn der Verf sein Werk als einen Versuch bezeichnet, in gedrängter Darstellung einen Überblick über das Gesamtge- biet des modernen Automobilismus zu geben, so muß dieser Versuch als völlig gelungen betrachtet werden. Es ist ein Meisterwerk umfassender, fließender und gemeinverständlicher Darlegung. Es ist eine Freude zu sehen, mit welcher Gründ- lichkeit und Sorgfalt selbst diejenigen Dinge be- handelt werden, die lediglich als Mittel zum Zweck dienen, deren Kenntnis aber naturgemäß zum völligen Verständnis des ganzen Wunderbaues eines modernen Automobiles unerläßlich ist. So wird, um hier nur ein Beispiel zu nennen, bei Gelegenheit der Besprechung des elektrischen Wagens eine ausführliche Erklärung der Wirkungs- weise von .'Akkumulatoren, Dynamomaschinen und Elektromotoren gegeben. Wesentlich unterstützt wird der Text durch eine große Anzahl ganz vor- züglicher Abbildungen, die sich aus schematischen Zeichnungen und aus photographischen Wieder- gaben einzelner Vorrichtungen, bestimmter Wagen- teile sowie auch einiger fertiger Kraftwagen zu- sammensetzen. Zeichnungen und Abbildungen sind sehr klar und übersichtlich. Am Schluß be- findet sich ein Namen- und Sachregister. Harry Schmidt. Inhalte Wer ner M e c k 1 e n b u r R. Die Adsorption. P ^ Abb. S. 409. G. Wülker, Die Aufgabe n der angewa ndten Zoologie. (Schk .ß) S. 418. 0 skai -Wagner, Üb, ;r die er Süßwasserfische. 3 Abb. S. 421 . — Bü cher- besprech ungen : M. Schma 1er , Das Königreic h S; ichsen . S. 423- K. V. Bardeleb en, Die Anato mie des Men- sehen. S. 424. Meyer's Physika! ischc ■r Handatlas. S. 424. Karl Kl au, Das Automobil . S. 424 Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Uucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. c Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. Juli 1916. Nummer 30. Luftpumpen nach Gaede. Von K. Schutt, Hamburg. [Nachdruck verboten.] Mit 8 Abbildu Als gebräuchliche Hochvakuumpumpen kom- men in Betracht Kolben- Rotations-, Öl- und Quecksilberluftpumpen. Ihnen allen liegt der Gedanke Otto v. Guericke's zugrunde: ein Kolben, der aus festem Material oder einer Flüssig- keit besteht, schließt eine gewisse Luftmasse von dem zu evakuierenden Gefäß ab und führt sie durch seine Bewegung dem Vorvakuum oder der Atmosphäre zu. Der PVeiburger Professor Gaede hat in verhältnismäßig kurzer Zeit nicht weniger als fünf neue vorzüglich wirkende Luftpumpen gebaut; drei derselben, die rotierende Kapsel- pumpe, die rotierende Quecksilberpumpe und die Kolbenpumpe, beruhen auf dem alten Prinzip, das allerdings in neuer, sehr wirksamer Weise zur Geltung gebracht wird. Den beiden anderen, die im folgenden geschildert werden sollen, liegen ganz neue Gedanken zugrunde; sie nutzen ziel- bewußt die aus theoretischen Überlegungen und Versuchen erschlossenen Eigentümlichkeiten des gasförmigen Zustandes aus. l.Die Molekularluftpumpe.^) Dreht sich (Abb. i) der Zylinder A um die Achse a inner- halb des Hohlzylinders B, in dem eine von n bis m reichende Nut eingeschnitten ist, dann wird die Luft mitgerissen, so daß das Quecksilber in dem mit n und m verbundenen Manometer M in dem rechten Schenkel bis o fällt, während es in dem linken bis p steigt, diese Druckdifferenz ist um so größer, je höher die Turenzahl des Zy- linders A und je größer die innere Reibung des Gases ist. Die kinetische Theorie der Gase (Max- well 1866) berechnet, daß die innere Reibung eines Gases vom Druck unabhängig ist, indem bei steigender Verdünnung allerdings die Zahl der Moleküle, die sich reiben, abnimmt, dafür aber die freie Weglänge in demselben Maße zunimmt. Die Bestätigung dieser Rechnung durch das Ex- periment bedeutet einen der ersten großen Er- folge der kinetischen Theorie. In Übereinstimmung hiermit ergibt unser Versuch, daß die Druckdifferenz o p bestehen bleibt, wenn man mittels einer Luft- pumpe die Luft in dem Räume n m verdünnt. Ist z. B. die Druckdifferenz o p 10 mm, dann bleibt diese, ungeänderte Drehgeschwindigkeit von A vorausgesetzt, bestehen ganz unabhängig von dem bei m herrschenden Druck. In dieser 'j6o, 500 oder 20 mm, dann ist er bei n 750, 490 bzw. 10 mm. Erniedrigen wir den Druck bei m mittels 1) Verhandl. d. Deutsch. Physik. Ges. 14, S. 775. Die Naturwissenschaften I, S. 11 (1913). Ann. d. Phys. IV 41, S 337—390 (1913)- der Vorpumpe auf 10 mm, dann müßte bei n der Druck O mm betragen. Wenn sich die Verhält- nisse bei sehr niedrigen Drucken auch etwas anders gestalten, so läßt sich nach diesem Prinzip doch eine vorzüglich wirkende Pumpe bauen. Die Erklärung der Erscheinung ist folgende: Nach den Anschauungen der kinetischen Gastheorie sind die Moleküle eines Gases in sehr schneller geradliniger Bewegung ; doch trifft in einem Gas von normalem Druck jedes Molekül sehr bald auf ein anderes und wird nach dem Zusammenprall zurück- geworfen ; die mittlere freie Weglänge ist dem- nach sehr gering (in Luft von 760 mm und o" etwa o,ocoi mm). Ist der Druck geringer, dann werden die Zusammenstöße seltener, die freie Weglänge wird größer; sie beträgt bei 0,76 mm Druck 0,1 mm, für 0,00076 mm 100 mm. Bei geringen Drucken prallen die Moleküle im Räume zwischen n und m kaum mehr aufeinander, sondern haupt- sächlich gegen die Wandungen des Raumes, von denen sie in absoluter Unordnung nach allen Richtungen reflektiert werden. Man kann sich demnach vorstellen, von jedem kleinen Flächen- stück der Mantelfläche des Zylinders A nach allen Richtungen Moleküle fortgeschleudert werden. Ist nun die Geschwindigkeit der Zylinderwandung größer als die Geschwindigkeit der Moleküle, die für Luft rund 5C0 m in der Sekunde beträgt, so bewegen sich die Ausgangspunkte der Moleküle schneller nach rechts als die Moleküle nach links fliegen. Mithin bewegen sich alle die Moleküle, die bei ruhendem Zylinder nach links zurückge- worfen würden, nach rechts, so daß keine Mole- küle nach n reflektiert werden. Schießt ein Bogenschütze, der auf einem fahrenden Wagen steht, einen Pfeil nach rückwärts ab, so fliegt dieser (für einen seitlich stehenden ruhenden Be- obachter) in Richtung der Wagenbewegung, wenn die Wagengeschwindigkeit größer als die des Pfeils ist. Bei n entsteht demnach ein Vakuum. Da die Pumpe mithin den molekularen Mechanismits der Gase ausnutzt, trägt sie mit Recht den Namen Molekularluftpumpe. Die technische Ausführung der Pumpe zeigen die Abbildungen 2 und 3. In dem Gehäuse B, das durch die beiden Scheiben E luftdicht ver- schlossen ist, rotiert der Zylinder A um die Achse a. In den Zylinder sind die Nuten D eingeschnitten, in welche die am Gehäuse befestigten Lamellen C hineinragen. Erfolgt die Drehung im Sinne des Pfeils, so wird die Luft bei n verdünnt; n führt zum Saugrohr S für das Hochvakuum. In Abb. 2 stelle D eine Nut in der Mitte dar. Durch einen 426 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 Kanal in dem Aufsatz K ist ihre Drucl^öffnung m mit der Saugöffnung n der nächste Nut verbunden usf. Die einzelnen Nuten sind demnach hinter- einander geschaltet, so daß sie sich in ihrer Wirkung verstärken. Die Drucköffnung der letzten Nut, in der der Druck am größten ist, steht mit dem Rohr T in Verbindung, an das die Hilfspumpe angeschlossen wird. Die Achsenlager sind durch welche der zum Elektromotor (^ PS) führende Riemen gelegt wird, Abb. 4. Die Leistungsfähigkeit der Pumpe ist beträchtlich: eine Röntgenröhre von etwa I 1 Inhalt wurde von 5 mm Anfangsdruck (Vorpumpe) in 10 Sek. so weit evakuiert, daß an einer ihr parallel geschalteten Funkenstrecke von 15 cm Länge der Funkenstrom einsetzte, da die Röhre in dieser kurzen Zeit zu hart geworden die Ölbehälter F abgedichtet. Damit aus diesen kein Öl durch den äußeren Luftdruck in den inneren Hohlzylinder gepreßt wird, ist in die Welle eine Spiralnut N eingeschnitten, der bei der Drehung das Öl nach außen treibt. Durch Einstellen der Schrauben G wird erreicht, daß der rotierende Zylinder sich ohne zu streifen zwischen den Lamellen bewegt. H ist die Riemenscheibe, über war. Bei Verwendung von anderen Luftpumpen ist zur Erzielung eines hohen Vakuums ein gutes Trocknen des Gases durch Phosphorpentoxyd von großer Bedeutung. Eine nach dem Guericke- schen Prinzip wirkende Pumpe ist nämlich nicht imstande, Wasserdampf zu entfernen, da der Wasserdampf durch die bei einem Kolbenhub erzeugte Abkühlung sicli kondensiert, um beim N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 Rückgang des Kolben wieder zu verdampfen. Die G a e d e 'sehe Pumpe fördert dagegen Dämpfe genau so wie jedes Gas, so daß ein Trocken- mittel nicht verwendet zu werden braucht. Die Tabelle gibt den Zusammenhang der Turenzahl n, dem durch die Vorpumpe (Gaede'sche Kapselpumpe) erzeugten Druck p^ und dem an der Saugdüse S mit dem Mac Le od 'sehen IVIanometer gemessenen Druck p.2. n pro Min. pj p.^ 12000 0,05 mm 0,0000002 mm 12 000 I „ 9,000005 12000 10 „ 0,00003 12000 20 „ 0,000 3 6000 0,05 „ 0,00002 2500 0,0s „ 0,000 3 gegangen werden, nur einen Punkt möchte der Referent hervorheben, da er die Richtigkeit unserer Vorstellungen vom gasförmigen Zustand beweist. Durch die schnelle Drehung des Zylinders A in Abb. 2 wird die Molekulargeschwindigkeit des Gases, das die Nute füllt, mechanisch erhöht. Da aber die Wärme des Gases nichts anderes als die Bewegung der Moleküle ist, bedeutet eine Steigerung der Geschwindigkeit eine Erhöhung der Temperatur. Da die Molekulargeschwindigkeit im Sinne der Umdrehung vermehrt, im entgegen- gesetzten Sinne aber vermindert, muß die Ge- schwindigkeit und damit die Temperatur links der Lamelle C höher, rechts derselben niedriger sein. Wird die Lamelle durch ein geeignetes Thermoelement ersetzt, dann ergibt der Versuch die Richtigkeit obiger Überlegung. Bei 8000 Um- Abb. 5. Den bisher noch nie erreichten Druck von 0,0000002 mm \) gelang es nur auf Umwegen zu messen. Die Molekularpumpe ist auf Grund eingehender Studien und Versuche von Gaede über die äußere Reibung der Gase -) ersonnen worden. Auf die Ergebnisse dieser Arbeiten soll hier nicht ein- ') Da sich die mittleren freien Weglängen umgekehrt wie die zugehörigen Drucke verhalten, kann man leicht die mitt- lere freie Weglänge bei dieser Verdünnung berechnen; sie beträgt 380 m, d. h. diese Strecke legt ein Molekül im Mittel geradlinig zwischen zwei Zusammenstößen zurück. Auch die Zahl der Moleküle im Liter läßt sich leicht angeben : bei o" und 760 mm beträgt sie rund 2,7 •lo'^^ bei dem obigen ge- ringen Druck 7-10'" — ist also immer noch außerordentlich groß — das sind so viel Moleküle wie 70 Milliarden Mark Pfennige enthalten. *) Ann. d. Phys. IV 41, S. 289—336 (1913). drehungen in der Minute und einem Druck von 0,01 mm war die Temperatur links von C 1,9" höher als rechts. Dieser Versuch stellt eine direkte experimentelle Bestäti- gung der Anschauung dar, daß die Wärme des Gases in Molekularbe- wegung besteht. 2. D i e D i f f u s i o n s 1 u f t p u m p e. 1) Verbindet man ein Gefäß A, das Luft enthält, durch ein Rohr mit einem zweiten B, in dem sich Wasser- stoff befindet, so stellt sich durch Strömung in der einen oder anderen Richtung — wenn näm- lich die Gase vor ihrer Verbindung ungleichen ') Ann. d. Phys. IV 46, S. 357—392 (1915): W. Gaede: Die Diffusion der Gase durch Quecksilberdampf bei niederen Drucken und die Diffusionsluftpumpe. 428 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV, Nr. 30 Druck hatten — sehr schnell ein Gleichgewichts- zustand her, der dadurch charakterisiert ist, daß der Druck p, in A gleich dem Druck pj in B ist. Im Laufe der Zeit werden die beiden Gase ineinander diffundieren, so daß die Gefäße schließ- lich ein Wasserstoffluftgemisch von überall kon- stanter Zusammensetzung enthalten. Stets ist Pj = p,, wobei zu beachten ist, daß sich pj aus dem mit der Zeit abnehmenden Partialdruck der Luft und dem zunehmenden Partialdruck des Wasser- stoffs zusammensetzt; dasselbe gilt für p.,. Ganz anders werden die Verhältnisse, wenn sich in dem Verbindungsrohr eine poröse Wand befindet, die die beiden Gefäße trennt. Jetzt ergibt sich in A ein höherer Druck, in B ein niedrigerer. Abb. 5 zeigt eine häufig benutzte Vorrichtung, die dies nachweist. Mit der Tonzelle T ist das Flüssigkeits- manometer n verbunden. Leitet man in die Glas- glocke G, die über T gestülpt ist, Wasserstoff oder Leuchtgas, so zeigt das Manometer fast momentan einen Überdruck in T an.') Die Er- klärung beruht darauf, daß die kleineren und ge- schwinderen Wasserstoffmoleküle schneller nach innen dringen als die größeren und sich langsamer bewegenden Luftmoleküle nach außen. Die selek- tive Durchlässigkeit der Tonzelle für leichte Gase ist keine besondere Eigenschaft des Materials, sie beruht vielmehr auf der Kleinheit der Poren. Daß es lediglich auf die Kleinheit der Öffnung ankommt, zeigt die in Abb. 5 rechts angebrachte Vorrichtung; in ihr ist die Tonzelle durch einen Metallzylinder A ersetzt, auf dessen präzis gear- beiteten oberen Rand der Metalldeckel B gesetzt ist, so daß ein feiner Spalt frei bleibt. Der Ver- lauf der Erscheinung ist derselbe wie vorher. Wird dagegen zwischen A und B ein Blatt Papier gelegt und dadurch der Spalt verbeitert, so tritt bei Wiederholung des Versuches keine Druck- steigerung in A ein, da das Gleichgewicht zwischen den Drucken in den beiden Räumen nur bei sehr enger Spaltöffnung gestört wird. Eine von Gaede durchgeführte theoretische Betrachtung liefert das gleiche Resultat. Abb. 6 zeigt eine Vorrichtung, in der dieses Prinzip zur Konstruktion einer Luftpumpe ver- wendet ist. In dem Gefäß A wird Wasser zum Sieden gebracht, der Dampf entweicht durch das Rohr f in die Glasglocke B und tritt hier bei c c ins Freie. In dem Tonzylinder C ist eine Kühl- vorrichtung D angebracht; durch a strömt kaltes Wasser zu, durch b wieder ab. Der zwischen Kühl- gefäß und Tonwand liegende Raum ist durch das Rohr d mit dem Rezipienten E und einem Steig- rohr verbunden, dessen unteres Ende in der mit Quecksilber gefüllten Wanne Q liegt. Der luft- freie Wasserdampf dringt durch die Tonzelle nach innen, wird hier kondensiert und fließt nach E. Die Luft dringt dagegen nach außen und wird durch den Dampfstrom fortgespült. Das Quecksilber steigt langsam bis nahezu auf Barometerhöhe nach m. Die Vorrichtung wirkt also als Luftpumpe; sie erniedrigt den Druck in E auf die Spannkraft des Wasserdampfes, die bei der Temperatur des Kühlwassers etwa 15 mm beträgt. In der Ar- beit sind noch zwei weitere Apparate beschrieben, die auf demselben Prinzip beruhend bei einer Kühlung auf — So" und unter gleichzeitiger ge- eigneter Verwendung einer Wasserstrahlpumpe ') Diese Vorrichtung wird zum Nachweis von Kohr- brüchen oder Undichtigkeiten der Gasleitung verwendet. Das in die Zelle eindringende Gas treibt das Quecksilber im rechten Schenkel in die Höhe; dadurch wird ein elektrischer Strom geschlossen, der eine Klingel betätigt und so eine Störung anzeigt. Abb. 7. eine Erniedrigung des Vakuums bis zur harten Röntgenstrahlung gestatten. So einfach diese Pumpen auch sind, sie haben alle einen großen Fehler, nämlich ihre Sauggeschwindigkeit ist sehr gering. Durch eine theoretische Betrachtung findet Gaede, daß man die beste Saugwirkung erhält, wenn die lineare Abmessung der Öffnung, durch welche die Diffusion sattfindet, von der Größen- ordnung der freien Weglänge der Moleküle ist. Die praktische Ausführung der Diffusionspumpe zeigt Abb. 7. In ihr wird als verdampfende Flüssigkeit N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 statt Wasser Quecksilber verwendet, weil die Spannkraft des Quecksilberdampfes bei Zimmer- temperatur einen sehr kleinen Wert besitzt. Durch den Brenner F wird das Quecksilber O erhitzt : der Dampf in A strömt in Richtung des Pfeils in den Stahlzylinder b, durch das (oben offene) Rohr a nach c und wird hier durch den rechten Wasserkühler mn kondensiert, so daß es nach Q zurückfließt. Der Stahlzylinder b steht in der mit Quecksilber gefüllten Rinne d, so daß durch diese der Raum A von dem Räume B vollständig abge- schlossen ist. Die Verbindung zwischen beiden wird durch den feinen Spalt e im Stahlzylinder hergestellt. Durch diesen findet die Diffusion statt und zwar dringt der Quecksilberdampf nach außen (B), wird hier durch den linken Wasserkühler mn kondensiert, fließt in die Rinne d und von hier nach Q zurück. Die im Räume B befindliche Luft hingegen diffundiert in entgegengesetzter Richtung, also in das Innere A des Stahlzylinders, wird von hier durch den Quecksilberdampf über a nach c befördert und durch die bei g angeschlossene Vorpumpe (Kapselpumpe) entfernt. Die Theorie ergibt, daß bei einem bestimmten Dampfdruck des Quecksilbers die höchste Saugwirkung erzielt wird. Der Versuch zeigt, daß dies bei gg" ein- tritt. Das Thermometer h gestattet die Ablesung der Temperatur; durch Regulieren des Brenners kann sie auf die richtige Höhe gebracht werden, k ist ein mit Quecksilber abgedichteter Schliff, V ein Manometer; bei f wird der Bezipient ange- schlossen. Zu Beginn des Evakuierens wird die Vorpumpe auch bei fj angeschlossen zwecks schnellerer Wirksamkeit; bei genügend niedrigem Druck steigt das Quecksilber im linken Schenkel des Manometers V und sperrt die Öffnung f^ vom Räume B ab. Die richtige Breite des Spahes wird dadurch eingestellt, daß man ein Stahlblättchen von passender Dicke (0,04 mm) zwischen die Spaltränder legt und nur die Schrauben i anzieht. Der Hauptvorzug der Pumpe besteht darin, daß sie ohne mechanische Bewegung arbeitet; das Strömen der Gase wird vielmehr durch Erwär- mung erzeugt. Es ist daher zweckmäßig, wenn man bei genügend vorgeschrittener Verdünnung die mechanische Vorpumpe abstellt. Die letzten Gasreste läßt man sich dann in einem größeren bei g angeschlossenen Vakuumreservoir ansammeln. Die Abschaltung der Vorpumpe erfolgt ebenso wie bei fj durch ein als Ventil wirkendes Mano- meter. Während alle übrigen Luftpumpen eine mit sinkendem Druck abnehmende Sauggeschwindig- keit aufweisen, ist dieselbe bei der Diffusions- pumpe — in Übereinstimmung mit der Theorie — auch bei der höchsten Verdünnung dieselbe. Das äußerste Vakuum, das mit der Pumpe zu erzielen ist, ist unbestimmbar hoch. Die Theorie ergibt, daß die Saugwirkung für Gase von geringerer Dichte (schnellere Diffusion) größer ist; in Über- einstimmung hiermit zeigt der Versuch, daß Wasserstoff erheblich rascher, über viermal so rasch abgesaugt wird als Luft. Die Pumpe über- trifft in ihrer Leistungsfähigkeit jede andere, selbst das Absorptionsverfahren mit Koks bei — 180". Mit diesem Entlüftungsverfahren hat die Diffusions- pumpe im Betrieb die größte Ähnlichkeit. Neuere Arbeiten über die Erosion des fließenden Wassers. [Nachdruck >e. holen.) Von Prof. Dr. W. Zu denjenigen P'aktoren, welche die sinnfällig- sten Züge im Antlitz der Erde gegraben haben und noch immer fortfahren zu graben, gehört un- streitig in erster Linie die Erosionskraft des fließen- den Wassers, d. h. die Fähigkeit des bewegten Wassers, Teile der Erdoberfläche zu verfrachten und sie an anderer Stelle wieder abzusetzen. Die quantitative Bestimmung dieser Kraft, die ja je nach den begleitenden Umständen zeitlich wie örtlich großen Schwankungen unterliegt, ist mit rel. großen Schwierigkeiten und Kosten verknüpft und es ist daher kein Wunder, daß manche nume- rische Angaben über Landabtragung und Anhäufung von Land in Deltas im Meer und in Binnenseen an großer Unsicherheit leiden und vielfach durch unzulässige Verallgemeinerung vereinzelter Be- obachtungen entstanden sind. Unter dem Titel „Le charriage des alluvions dans certains cours d'eau de la Suisse" (Annalen der Schweiz. Landeshydrograhie II, i, Bern 1916) faßt L. W. Coli et, der Chef der Schweiz. Hy- drograph. Landesanstalt eine Reihe von Arbeiten zusammen, welche in den letzten Jahren, teilweise Halbfaß in Jena. durch die Initiative der Landesanstalt selbst, in der Schweiz (und Savoyen) unternommen wurden, um über die Erosion der Flüsse möglichst exaktes Beobachtungsmaterial zu erhalten. Die Erosionskraft des fließenden Wassers äußert sich teils durch die Menge der im Flusse suspen- dierten, teils durch die Menge der am Boden ab- gesetzten festen Bestandteile. Hinsichtlich der Menge der im Flußwasser suspendierten festen Bestandteile unterscheidet C o 1 1 e t zwischen Bergströmen (cours d'eau tor- rentiel), gemischten Strömen (cours d'eau ä regime mixte (glaciaire et torrentiel) und Gletscherströmen (cours d'eau ä regime glaciaire). Von den Flüssen, für welche längere Messungsreihen vorliegen, ge- hören die Arve zur ersten Gattung, die Rhone, Drance und Borgne zur zweiten, die Massa zur dritten Gattung, während in anderen Flüssen der Schweiz nur während kürzerer Zeit Beobachtungen gemacht wurden. Co 11 et weist nun nach, daß die Ablationsberechnungen in Lehr- und Handbüchern der allgemeinen Erdkunde, welche sich auf die Messungen von Baeff in der Arve (Les eaux de 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 l'Arve. Recherches de Geologie experimentale sur l'erosion et le transport dans les rivieres torren- tielles ayant des affluants glaciaires. These de Doctorat. Universite de Geneve 1891) und von Uetrecht in der Rhone (Die Ablation der Rhone in dem Walliser Einzugsgebiet im Jahre 1904/05. Inaug.-Diss. Univers. Bern 1906) stützen, vielfach fehlerhaft sind, weil beide Autoren nicht genügend Rücksicht auf die verschiedene Geschwindigkeit des Flusses in vertikaler Richtung genommen und da- durch die durchschnittliche Wassermenge zu klein angenommen hatten, Baeff um 30 "/i,, Uetrecht um 20 "/ß. Infolgedessen sind auch die von beiden Forschern erhaltenen Resultate mit Fehlern be- haftet. Das Gewicht der in der Arve jährlich suspendierten Menge beträgt demnach nicht 610572 t, sondern 652290 t, dasjenige in der Rhone statt 3094328 3420180 t. Der Blick in die für jeden einzelnen Tag aufgestellten Tabellen nach den ursprünglichen Angaben der Autoren und nach der von Coli et bewirkten Korrektion ist sehr lehrreich. Von neueren Beobachtungen über die Ablation in der Schweiz sind weitaus die wichtigsten die von dem Kraftwerk bei Martigny Bourg in der Drance, die von Raiichenstein in der Borgne und die von Lütschg in der Massa. Gemeinsames Resultat aller dieser Messungen ist die Tatsache, daß die Menge der suspendierten Teilchen in keinem bestimmten Verhältnis zu der jeweiligen Wassermenge des Flusses steht, im einzelnen aber ergeben sich vielfach Abweichungen, je nach dem Charakter des Flusses, um den es sich handelt. Die Messungen in der Drance umfassen die Zeit vom 24. März bis 8. November 1909, vom i. Mai bis zum 13. September 1910, vom 11. April bis zum 31. Oktober 191 1, vom I. Mai bis zum 17. September 1912, und vom i. April bis zum 30. September 1913, also für die 5 Jahre 1909 — 191 3 durchschnittlich die Sommerhälfte; sie stellen die Wassermengen jedes Tages morgens und abends fest, die betreffenden Mengen suspendierter Bestandteile von g in 1; die mittleren Tempera- turen auf dem Gr. St. Bernhard, endlich die Regenmengen dort und in Orsieres, das in 890 m Seehöhe an der Mündung des Ferrattales in das der Drance liegt. Das Flußgebiet der Drance bis Martign)' ist zu 20 "j^ vergletschert. Die An- gaben der meteorologischen Verhältnisse auf dem Gr. St. Bernhard ist sehr wichtig, denn aus ihr geht deutlich hervor, daß eine Zunahme von Nieder- schlägen und Temperatur, welche den Schnee zum Schmelzen bringt, einer rel. Zunahme an suspen- dierten Teilchen entspricht. Beschränkt man sich auf die Ergebnisse der 5 Monate Mai bis Sep- tember, weil nur für sie während aller 5 Jahre Messungen vorliegen, so ergibt sich, daß die Menge der suspendierten Teilchen im Jahre 1909 fast so groß war wie diejenige der folgenden 4 Jahre zusammengenommen, nämlich rund 2 162 000 t. Leider fehlen genaue .Angaben über das spezifische Gewicht der festen Teile, es wird nur gesagt, daß es zwischen 1,43 und 1,66 schwanke. Nehmen wir als Mittel 1,55 an, so entspricht jenem Ge- wicht ein \^olumen von rund I400 000cbm. Da das Gebiet der Drance 670,77 qkm groß ist, so entspräche jenem Volumen eine Abtragung des Drancegebietes in den 5 Sommermonaten um 2 mm; eine Verallgemeinerung auf ein ganzes Jahr läßt sich jedenfalls nicht ohne weiteres daraus ableiten. Das Übergewicht des Jahres 1909 über seine Nachfolger beruht übrigens ausschließlich auf den Resultaten der beiden I\'Ionate Juli und August, welche das 20 bis 25 fache der entsprechen- den Menge der gleichen Monate vom Jahrei9i3 brachten. In diese beiden Monate fallen auch die beobachteten absoluten Tagesmaxima, nämlich 32,953 g im 1 am 29. Juli und 28,286 g am 12. August, während z. B. die Maxima der Jahre 1911 und 1913 nur 5,498 g bzw. 4,123 g betrugen. Die Ursache der übermäßig starken Sedimentation vom Juli und August 1909 beruht auf dem Um- stand, daß, wie die Witterungsbeobachtungen auf dem Gr. St. Bernhard und in Orsieres zeigen, längere Zeit hindurch ungewöhnlich warmes Wetter im Einzugsgebiet herrschte, das große Schnee- massen schnell zum Abschmelzen brachte und dadurch zugleich auch große Massen dem Erd- boden entführte. Das sehr niederschlagsarme Sommerhalbjahr 1911 ergab trotzdem mehr als dreimal so viel Sedimente als das niederschlags- reiche Halbjahr 1913, welches absolut genommen bei weitem an unterster Stufe steht, ein Beweis dafür, daß die Summe der Niederschlagsmenge, also auch der Wasserstand des Flusses, keineswegs für die Denudationsfähigkeit des Flusses maßgebend ist. Ausschlaggebend ist vielmehr die Intensität der Niederschläge, die sich 1913 sehr gleichmäßig über das ganze Sommerhalbjahr erstreckten. Die Messungen bei Lion an der Borgne umfassen einen viel kleineren Zeitraum, reichen nämlich nur vom 5. Juni bis zum 31. August 1909 und vom 24. Mai bis zum 20. August 1910. Das Maximum suspen- dierter Teilchen im Liter betrug 1909 35,14 g, im folgenden Jahr nur 6,0 g, entsprechend den Re- sultaten, die bei der Drance gewonnen wurden. Auch im Borgnegebiet ist rund 20 "/o vergletschert. Absolute Wassermenge und Menge suspendierter Teilchen gehen keineswegs miteinander konform. Die Wassermenge z. B. am 18. August 1909, an dem Tage, an welchem das Maximum suspendierter Teilchen konstatiert wurde, betrug 24,95 cbm/sec, stieg dagegen 2 Tage später auf 38,66 cbm, wäh- rend am gleichen Tage nur 6,85 g im 1 gemessen wurden. Am 23. Juli 1910 betrug die Wasser- menge gar 48,64 cbm, die suspendierte Menge fester Bestandteile dagegen nur 2,35 g. Leider fehlen Angaben über absolute Menge der abge- lagerten Teilchen, so daß nicht angegeben werden kann, um welchen Betrag etwa das Flußgebiet der Borgne jährlich denudiert wird. Hydrographisch wesentlich verschieden vom Gebiet der Drance und der Borgne ist dasjenige der Massa, des Ausflusses des Aletschgletschers, N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 des größten Gletschers der Alpen, denn es ist zu 72 "/„ vergletschert. Die 4-/3 Monate, i. Juni bis 23. September, brachten 1913 rund 276000, 1914 nur 125000 t; die größten Gegensätze sind der Juni mit 75000 bzw. 22 000 und der Juli mit 120000 bzw. 38000t, während z.B. die 23 Sep- tembertage nur 686 bzw. 1202 t eintrugen. Das große Übergewicht des Jahres 191 3 über 19 14 beruht übrigens in der Hauptsache auf dem Ausijruch des Märjelensees im erstgenannten Jahr, welcher das Bett des Gletschers wahrscheinlich von festen Bestandteilen gereinigt hatte. Im Jahre 1913 betrug das Maximum 14,9 g im 1 am 30. Juli, 19 14 nur 3,772 g am 17. August. Das spezifische Gewicht der suspendierten Teil- chen wird auf durchschnittlich 1,48 angegeben; da das Einzugsgebiet der Massa 190 qkm umfaßt, so wurde es in der Zeit vom i. Juni bis 23. Sept. 191 3 im ganzen um rund i mm denudiert, im folgenden Jahre nur um die Hälfte. Nehmen wir für die Schlammassen der Rhone das gleiche spezifische Gewicht an, so gelangen wir zu dem bemerkenswerten Resultat, daß sie im Jahre 1904/5 ihr Einzugsgebiet nur um 0,4 mm erniedrigt hat, wobei wir aber daran erinnern, daß es sich hier nur um die suspendierten, nicht aber auch um die zu Boden gefallenen gröberen Bestandteile handelt. Vergleiche der Resultate im Massagebiet mit den an Zahl allerdings weit zurückstehenden Messungen Grelms am Jambach (Studien aus dem Paznaun in Gerland's Beiträgen zur Geophysik V. 4, Leipzig 1903), dessen Gebiet nur zu 30% vergletschert ist, zeigen, daß in rel. stark vergletscherten Ge- bieten der Transport der AUuvien fast allein von den Temperaturverhältnissen des Einzugsgebiets abhängt, und daß im Massagebiet, wo Moränenab- lagerungen beinahe nicht vorhanden sind, der stärkste Transport im Beginn des Sommers statt- findet, während er im Jambachgebiet mehr gleich- mäßig mit der vorhandenen Wassermenge verläuft. Nur kürzere Zeit andauernde Messungen wurden an der Kander bei Spiez, der Sarine beim lac de Perolles, der Sihl bei Sihlbrugg, der Emme bei Emmenmatt und der Aar bei Räterichsboden betätigt, welche übrigens wieder die oben aus- gesprochenen Tatsachen bestätigten, daß die Menge der suspendierten Teilchen von der Höhe des jeweiligen Wasserstandes unabhängig ist, so betrug z. B. die Menge in der Enime bei Emmen- matt am IG. Sept. 7^40^ 191 3 67,612 g, am folgenden Tag 7''30^ nur 0,101 g, also innerhalb 12 Stunden eine Abnahme um 67 ^I Wichtig sind die Resultate der gleichzeitig von 15 Flüssen der Alpen und 8 der Pyrenäen erfolgten Messungen, welche Münz und Lainc ausgeführt haben (C. R. de l'Acad. des Sciences T. 156, p. 848/51, Paris 191 3); sie ergaben, daß die Pyrenäengewässer im allgemeinen weit weniger Lehm enthalten als diejenigen der Alpen. So führt die Garonne nur 5 — 50 g im cbm und nur zur Hochwasserzeit 1500 g, entsprechend 24 Stunden 52000 t, während die Sihl bei Zürich 1 910 in 12 Stunden 260000 t abführt, also ungefähr IG mal mehr. Bei der Adour beträgt das Maximum nur 50 g im cbm, dahingegen bringt es die Du- rance bei Mirabeau auf 11,435 ^S ^^^ cbm, ent- sprechend 11,435 g auf I 1, also 37GC00 t in 24 Stunden und die Isere auf die Riesensumme von 4 Mill. t in der gleichen Zeit. Auch diese Messungen beziehen sich lediglich auf die Menge der suspendierten Teilchen, nicht auch auf die Ablagerungen auf dem Grunde der Flüsse. Die Ablationsfähigkeit der Flüsse kann be- sonders dann exakt nachgewiesen werden, wenn sie sich in einen Binnensee ergießen und dort das mitgeschleppte Material ablagern. Das eigent- liche Geröll am Boden erzeugt die bekannten unterseeischen Deltas, von denen nachher die Rede sein wird. Hier ist zunächst nur von der Ablagerung der feinsten Teile am Boden des Sees die Rede als feiner Schlamm oder Staub, die durch Versenkung geeigneter Schlammkisten aufgefangen und gemessen werden können. Aus älterer Zeit stammen die bekannten Messun- gen über Schlammablagerungen im Vierwaldstätter- see, welche A. Heim in den Jahren 1897 bis 1901 eine Zeitlang vornahm und welche vonein- ander sehr abweichende Resultate ergaben; etwas später fallen die Messungen im Brienzersee, welche Epper im Auftrage der Hydrologischen Kommision der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft 1908 bis 191G im Brienzersee betätigte und das Resultat ergaben, daß die abgesetzten Schlammengen im Winterhalbjahr nur etwa % bis '/e von denjenigen im Sommerhalbjahr waren, nämlich im Mittel o,G 1 8 mm pro Tag gegen 0,090 mm. Nehmen wir für den Jahresdurchschnitt 0,054 mm an und setzen wir voraus, daß der Schlamm sich gleichmäßig über den ganzen See in gleicher Mächtigkeit ausbreitet — eine Voraussetzung, welche natürlich nicht im entferntesten exakt ge- nannt werden kann — , so würden sich pro Tag rund 1600 cbm Schlamm ablagern, im Jahre also 5S400Gcbm. Bei einem Einzugsgebiet von I135 qkm würden auf i qkm etwa 510 cbm entfallen, ent- S]5rechend einer Abtragung von rund V2 ^^■ Wahrscheinlich sind diese Zahlen etwa auf die Hälfte zu reduzieren, da an den Gehängen des Seebodens die Schlammablagerungen sicher geringer sind als auf dem „plafond" des Sees. Sehen wir von den Versuchen im Oeschinensee ab, da sie zeitlich zu beschränkt sind, um aus ihnen Schlußfolgerungen zu ziehen, so bleiben noch die neuesten Messungen im Walensee über, welche Stumpf im Auftrage der Schweiz. Landesanstalt für Gewässerkunde 191 1 und 191 2 machte. Messungen vom Mai 191 1 bis Mai 1912 ergaben eine tägliche Schlammab- lagerung von 0,025 n^ri''- Auf den ganzen See verteilt, ergibt das eine tägliche Ablagerung von 580 cbm, eine jährliche von 21 2 000 cbm, auf I qkm Einzugsgebiet entfallen 25G cbm, also nur etwa halb soviel wie im Brienzersee. Ein Vergleich mit den Beobachtungen Göt- zinger's am Untersee von Lunz in Niederöster- 432 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 reich (Verh. K. K. Geol. Reiclisanstalt Nr. 8, Wien 191 1) zeigt, daß dort die Ablagerungen wesentlich geringer sind, wohl infolge des geringen Verhält- nisses des Seeareals zum Einzugsgebiet (1:40) und der Tatsache, daß der Zufluß des Sees, der Seebach, meist eine nur geringe Wasser- und daher auch Schlammführung besitzt. Rechnen wir die Mächtigkeit der täglichen Schlammab- lagerung im Mittel zu 0,006 mm, das Areal zu 60 ha, so beträgt die tägliche Zufuhr 0,36 cbm, die jährliche also 13 cbm, auf i qkm der Einzugs- fläche kommen also nur etwa ^2 cbm, also außer- ordentlich viel weniger als bei den Schweizer Seen. Gleichzeitige Messungen in der Mitte des Sees und mehr nach dem Ausfluß zu ergaben nur wenig voneinander abweichende Mengen, ein Re- sultat, das, wie Collet sehr richtig bemerkt, man sich sehr hüten muß zu verallgemeinern. Würde man denselben Versuch z. B. am Genfersee wiederholen, so würden unstreitig nahe dem Ausfluß bei Genf erheblich geringere Schlammengen sich ergeben als in der Mitte des Sees. Ablagerung der Gerolle. Das sicherste Mittel, sich eine quantitative Vorstellung über die von einem Fluß fortgeschleppten Geschiebe und GeröUe zu verschaffen, also über diejenigen Abtrags- niassen der Festländer, welche nicht im Fluß- wasser suspendiert sind, besteht in der möglichst genauen Vermessung der allmählichen Vergrößerung der Deltas, welche die Flüsse an ihrer Mündung im Ozean bzw. in Binnenseen ablagern. In der Schweiz sind in neuerer Zeit durch die Schweize- rische Landeshydrographie solche Vermessungen vorgenommen worden und zwar sind untersucht worden die Delta der Aare im Bielersee, der L i n t h im Walensee und des R h e i n s im Bodensee. Diese Arbeiten, welche deshalb ein besonderes hydrographisches und geographisches Interesse für sich in Anspruch nehmen können, weil bei ihnen ein neues Lotungsverfahren angewandt wurde, das das hergebrachte mittels eines Zählwerkes an Genauigkeit weit übertrifft, sind auch in einer besonderen Abhandlung von V\' . S t u m pf, „Methode der Deltavermessungen" in den Annalen der Schweiz. Landeshydrographie II, 2 Bern 1916 dargestellt. Wir geben hier nur kurz das Resultat tabellarisch wieder. Die Abtragung ist also durchschnittlich erheb- lich geringer als diejenige, welche durch Suspen- sion kleinster Teilchen vor sich geht. Zum Vergleich seien noch aus älterer Zeit die Deltaanhäufung derReuß im Vierwaldstättersee, des Kanderbaches im Thunersee und der Tiroler Ache im Chiemsee herangezogen. Im Durchschnitt der Jahre 1851— 187S betrug sie im Reußgebiet 0,176 mm, im Kandergebiet im Durchschnitt der Jahre 1714 — 1866 0,362 mm und im Gebiet der Tiroler Ache im Durchschnitt der Jahre 1879 — 1882 0,140, im Jahre 1909/ 10 nur 0,079 mm. Es liegt der Gedanke sehr nahe, zu bestimmen, in welchem gegenseitigen Verhältnis die Mengen stehen, welche der Fluß an seinem Boden absetzt und diejenigen, welche in seinem Wasser suspendiert bleiben und es ist ein unbestreitbares Verdienst Collet's, diesen Versuch zum ersten Male exakt durchge- führt zu haben. Die Rhone wurde bei dem Kraftwerk von Chippls bei Leux während der 18 Stunden vom 6. August 4''p bis zum 7. August 10'' a im Jahre 191 3 völlig gesperrt und es zeigt sich, daß sie während dieser Zeit 2850,179 cbm suspendierte Stoffe enthielt und 2303,417 cbm feste- Stoffe am Boden absetzte, so daß das gegenseitige Verhältnis etwa 1:1, genauer wie 28:23 betrug. Das spezi- fische Gewicht der suspendierten Teile wurde dabei zu 1,5 angenommen. Man muß sich natürlich sehr hüten, aus diesem einen Versuche vorschnell Folgerungen zu ziehen, die nicht einmal für den- selben Fluß Gültigkeit hätten, geschweige denn für andere; Wilhelm (La Houille Blanche 1910 p. 116) fand für das Stauwerk im Verdon bei Ouinson im Jahre 1869 das Verhältnis zwischen abgelagerter und suspendierter Materie wie i : 3, Lugeon (Etüde geologique sur le projet de barrage du Haut-Rhon. Mem. Soc. geol. de France, 4""= ser, t. II, Mem. N. S 1912 p. 82) für die Aare bei Genf wie i : 48. Collet versucht das gegenseitige Mengenverhältnis beider Ablagerungen in enge Beziehung zu den sog. „ravins sous-lacustres", den unterseeischen Rinnsalen, zu bringen, welche sich im Bodenrelief des Bodensees wie des Genfersees deutlich kennzeichnen, in denen das Flußbett des Rheines bzw. der Rhone sich eine beträchtliche Strecke im See fortsetzten, während sie z. B. im Vier- waldstättersee, im Brienzcr und im Lago Maggiore fehlen. Die neuesten Deltamessungen Stumpfs (s. o.) haben ergeben, daß sie auch an der Ein- mündung der Aare in den Bielersee und der neuen Rheinmündung in der Fussacher Bucht zu fehlen scheinen, während sich an der Linthmündung in den Walensee Spuren des Phänomens zeigen, die wahrscheinlich durch spätere AUuvionen, nament- lich die ungewöhnlich des Jahres 1910, vernichtet wurden. Collet ist nun geneigt, zu glauben, daß die Bildung der Rinnsale nur erfolgen kann, wenn die Menge der suspendierten Teilchen die der ab- gelagerten Senkstoffe nicht allzusehr überwiegt und daß sie erfolgen muß, wenn im Laufe der Zeit das gegenseitige Verhältnis der beiden Mengen sich zugunsten der zu Boden gefallenen verändert hat. Das letztere scheint beim Vierwaldstätter- see seit dem Jahre 1878 der Fall zu sein, doch fehlt es, um dies streng beweisen zu können, noch an einer neueren genauen Aufnahme des Rcuß- deltas im See, die baldmöglichst erfolgen soll. Delebecque, der diesem Phänomen schon früher seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte (Les Ravins sous-lacustres des fleuves glaciaires, Arch. des Sciences phys. et nat. 4"'<= ser. Bd. I, Gtneve 1896 und CR. de l'Academie Francaise 6. juillet 1896), war der Ansicht, daß ihre Bildung in der Hauptsache von der chemischen Beschaffenheit des Wassers abhängt. Er hatte nämlich gefunden, daß das N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 433 Wasser des Bodensees und Genfersees mehr als 0,06 g CaO + MgO in 1 1 enthält, während das Wasser der Seen ohne unterseeische Rinnsale davon erheblich weniger enthält. Je mehr Tone aber das Seewasser enthält, desto schneller erlolgt, wie Schloesing experimentell nachgewiesen hatte. der Niederschlag, der dann kräftig genug ist, um jene 30 — 50 m hohen Wände zu erzeugen, die die Rinnsale auf beiden Seiten begleiten, während im anderen F"alle die festen Bestandteile sich so langsam ablagern, daß es nicht zu einer solchen Bildung kommt. Delta der Aare im Bielersee Delta der Linth im Walensee Deha des Rheins im Bodensee 187S-97 1897— 1913 1S60— 1910 1900— 1911 Gesamte Blockablagening ^ ^^g ^^ 2 496 000 3738000 7 000 000 Jährliche Zunahme in cbm 335 400 156000 74 000 580 000 Jährliche Zunahme in cbm auf I qkm der Einzugsfläche 241 112 119 94>7 Horizontale Abtragung jährlich in mm 0,24 0,112 0,12 0,095 Kleinere Mitteilungen. Ein Nachtrag zu der Katastrophe von Krakatau in der Sundastraße. Bekanntlich brachte das Jahr 1883 eine Riesenkatastrophe für unseren Erdball, wie eine solche, soweit menschliche Überlieferun- gen reichen, noch nie zu verzeichnen gewesen ist. In der Sundasn-aße zwischen den Inseln Sumatra und Java, in der verstreut eine Anzahl kleiner Inseln liegen, befindet sich am südlichen Eingange der Meerenge auch eine unbewohnte Insel, etwa 5 deutsche Meilen von den nächsten Punkten der Inseln Sumatra und Java entfernt, die den Namen Krakatau oder auch Krakatoa führt. Diese Insel wurde im vorhin erwähnten Jahre durch einen fürchterlichen, vulkanischen Ausbruch etwa zur Hälfte vernichtet, denn ihre Größe ver- ringerte sich dabei von 33,5 Quadratkilometer auf 15,3 Quadratkilometer. Den Kern, der mit einer üppigen, tropischen Vegetation bedeckten Insel, bildete früher ein 840 m hoher Berg, der seit der erwähnten Kata- strophe zur Hälfte verschwunden und zwar senk- recht von oben gespalten ist. Die jetzt ver- schwundene Hälfte und der angrenzende Teil der Insel wurde durch eine Explosion von unglaub- licher Gewalt in Staub verwandelt und mit Wasser- dampf vermischt in die höchsten Regionen der Atmosphäre emporgewirbelt. Die Gesamtmasse des emporgeschleuderten Materials wurde auf nicht weniger als achtzehn Kubikkilometer geschätzt. Wie erwähnt, wurde der Berg, der Vulkan Rakata, senkrecht gespalten, die dadurch entstan- dene Felswand berührt jetzt mit ihrem Fuße das Meer; bis zum Gipfel ist der innere Bau des Vul- kans freigelegt, die halbierte Kraterröhre ist von von unten bis oben mit den Blicken zu verfolgen, sie gewährt einen Anblick, wie er auf der ganzen Erde sich nicht wieder findet. Diese Lage der Insel Krakatau ist nun inso- fern sehr bedenklich, weil sie sich genau auf der Kreuzung zweier vulkanischer Spalten befindet, welche die Erdrinde hier durchsetzen und welche eine ganze Reihe Vulkane auf Java und Sumatra tragen. Bereits seit dem 20. Mai 1883 zeigten der bis dahin ziemlich harmlose Vulkan Rakata, sowie eine Reihe benachbarter Vulkane eine erhöhte Tätigkeit, sie stießen unter schwachen Erderschütte- rungen große Rauchwolken aus, später gesellte sich den Auswürfen glühende Asche hinzu, durch welche schließlich in der ersten Hälfte des August die gesamte Vegetation auf Krakatau vernichtet wurde. Aber dennoch erwartete man keine ernstliche Gefahr, da die Insel unbewohnt war; niemand ahnte, daß der Berg 50000 Menschenleben ver- nichten und fast auf dem ganzen Erdball sich fühlbar machen würde. Es war in der Nacht vom 26. bis 27. August, nachdem schon am 26. morgens schwerste Er- schütterungen sich eingestellt hatten, als ein Donner von unbeschreiblicher Gewalt erdröhnte, eine Riesenexplosion hatte auf Krakatau stattgefunden, das Meer war meilenweit mit Bimsstein bedeckt, neue Inseln entstanden, eine Flutwelle, die in der Sundastraße selbst in der Nähe des zerstörten Krakatau eine Höhe von 36 m erreichte, über- flutete die Ufer der nahen Inseln Java und Sumatra und vernichtete viele Ortschaften an der Küste nebst den Bewohnern. An Stelle der verschwundenen Berghälfte war ein Meeresbecken von 200 bis 300 m Tiefe ent- standen. Die Dampf- und Aschensäulen wurden in ge- waltige Höhen, nach Schätzung mehr als 30 km 434 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 hoch emporgewirbelt, die feinen Staubteilchen wurden von den Luftströmungen allmählich über den größten Teil der Erdoberfläche fortgetragen und gaben noch viele Monate nach dem Ausbruch Veranlassung zu den merkwürdigen, farbenpräch- tigen Dämmerungserscheinungen, welche allgemein Erstaunen und Bewunderung hervorriefen. Der Donner der Explosion wurde noch in Entfernungen von 2900 (Manila), 3600 (Alice Springs, Zentralaustralien) und Rodriguez bei Madagaskar in 4775 km Entfernung vernommen. Wenn nun auch die Erschütterungen, welche die Katastrophe hervorrief, auf große Entfernungen noch fühlbar waren und die Dämmerungserschei- nungen in ganz Europa beobachtet wurden, so ist derzeit jedoch nicht bekannt geworden, daß auch in Deutschland diese Erschütterungen sich stellen- weise, wenn auch schwach so doch noch deutlich fühlbar machten , also auf eine Entfernung von annähernd 8000 km. Daß diese Erschütterungen derzeit übersehen wurden, ist darauf zurückzuführen, daß damals Beobachtungsstationen für Erdbeben, die mit den äußerst empfindlichen Registrierapparaten (Hori- zontalpendel) ausgerüstet waren, noch nicht vor- handen waren. Durch einen Zufall ist nun jetzt mit Sicherheit nachgewiesen, aber erst jetzt in weiteren Kreisen bekannt geworden, daß diese gewaltigen Erschütte- rungen derzeit bis nach Nordwestdeutschland aus- strahlten. Die zahlreichen Beobachter haben der- zeit den in F"rage kommenden merkwürdigen Vor- fall eifrig besprochen und nach wenigen Tagen auch richtig gedeutet, aber da zufällig niemand daran dachte, den Tageszeitungen Mitteilung zu machen, geriet die Sache in Vergessenheit und wurde in Fachkreisen leider nicht bekannt. Es mag bemerkt werden, daß noch mehrere .^LUgenzeugen , völlig glaubwürdige Personen, da- runter Mitglieder des Kirchenvorstandes zu Altona, hier noch anwesend sind und den Vorfall bestätigen köimen und falls es gewünscht werden sollte, auch bestätigen werden. ') Es war am Sonntag, den 26. .August 1883, vormittags lo^o Uhr, als während der Predigt in der Hauptkirche zu Altona plötzlich der schwere große Kronleuchter, anscheinend ohne irgendwelche Ursache, stark ins Schwanken geriet, so daß der Prediger, Pastor Kost er, der leider vor einigen Jahren verstorben ist, betroften die Predigt auf kurze Zeit unterbrach und dann nach Beendigung des Gottesdienstes bei den Anwesenden, welche sämtlich die rätselhafte Erscheinung beobachtet hatten, anfragte ob auch sie das Schwanken be- merkt hätten , was natürlich bejaht wurde. Man war sofort allgemein der Ansicht, daß irgendwo ein schweres Erdbeben dieses Schwanken hervor- gerufen hätte, denn es war bekannt, daß auch am I. November 1755 das Erdbeben von Lissabon in ') Der Synodale O. Mei ist einer der GewSlirsmäDner, •f, Altona, Kathausmarkt II ganz Nordwestdeutschland sich durch ähnliche Erscheinungen bemerkbar machte. Nach zwei oder drei Tagen traf dann auch die Nachricht von der Katastrophe in der Sunda- straße ein und hierdurch wurde die Vermutung zur Gewißheit erhoben. Es mag hinzugefügt werden, daß der Kron- leuchter an einer etwa 15 Meter langen Kette hängt, die Schwankungen etwa ^'^ Meter betrugen und erst nach einer Viertelstunde der Leuchter wieder ruhig hing. Dieses Schwanken kann jedoch nur durch schwere Zuckungen der Erdrinde vom Sonntag Vormittag hervorgerufen sein, denn die eigent- liche gigantische Explosion, welche noch weit größere Erschütterung hervorrief, ereignete sich erst in der darauf folgenden Nacht. Diese dürfte unbedingt den Kronleuchter in noch weit stärkere Schwankungen versetzt haben, diese aber wurden natürlich nicht gesehen, weil in der Nacht die Kirche menschenleer war. Da nun dieser Vorgang zeitlich genau mit der Katastrophe im fernen Osten zusammentrifft, und an anderen Orten derzeit keine Erderschütterungen von irgendwelcher Bedeutung beobachtet wurden, so ist ganz selbstverständlich, daß diese Bewegung der Kronleuchter auf die Explosionen in der fernen Sundastraße zurückzuführen sind. Vielleicht werden durch diese Mitteilung auch noch Beobachtungen in anderen Orten zur Mit- teilung gelangen. Th. Overbeck, Altona. Ein neues Verfahren zur Überführung von Bananen in dauerhaft trockene Pulverform ist der Gegenstand eines kürzlich veröffentlichten deut- schen Reichspatentes (Nr. 290840, Kl. 82 a, vom 15. 16. 1913, ausgegeben am 21. 3. 1916) von Friedrich Brau nb eck in Berlin. Die Herstellung einer Konserve aus der für die Volksernährung so wertvollen Banane ist bisher ein immer noch nicht ganz befriedigend gelöstes Problem gewesen. Zurzeit verfährt man entweder in der Weise, daß man die reife Frucht zur Bananen feige aus- dörrt, einer ziemlich unappetitlich aussehenden klebrigen Masse von nur begrenzter Haltbarkeit, — oder in der Weise, daß man aus der unreifen Frucht durch Trocknen an der Luft und Ver- mählen das sog. Bananenmehl herstellt. Im letzteren Falle erhält man ein Mehl, das im wesent- lichen aus Stärke besteht, die erst während des Reifungsprozesses der Banane in Zucker übergeht und noch nicht die Duftstoffe enthält, welche der reifen P^ucht das angenehme Aroma verleihen. Es ist zwar verschiedentlich versucht worden, Bananenpulver aus reifen Bananen herzustellen, also ein Mehl von höherem Nährwert und besserem ' Aroma als Bananenmehl zu erhalten; alle der- artigen Versuche scheiterten aber daran, daß die beim Trocknen resultierenden Massen die unan- genehme Eigenschaft haben, in kurzer Zeit feucht und klebrig zu werden, sich nicht zerkleinern lassen oder sich bald wieder zusammenzuballen. Das N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 435 neue Verfahren von Braunbeclc vermeidet die Übelstände der bisher bekannten Trockenverfahren auf folgende Weise : Die reifen entschälten Bananen werden in Breiform mit einem aus unreifen Ba- nanen gewonnenen, aufgeschlossenen, stärkehaltigen Mehl vermischt und alsdann in bekannter Weise (erforderlichenfalls im Vakuum) getrocknet. Die Aufschließung des Bananenmehls wird derart ausgeführt, daß man es auf sich drehenden Walzen rasch auf höhere Temperaturen erhitzt, so daß es sein Wasser plötzlich abgibt, und dann trocknet. Er läßt sich dann gut pulvern und gibt ein hell gefärbtes Mehl mit den Zuckerstoffen und dem Duft der reifen Bananen. Bg. Thüringisch-vogtländischer Marmor. Viele deutsche Bodenschätze sind in den Friedenszeiten völlig vergessen worden. Die Not des Krieges, der Abschluß gegen das Ausland hat deutsche Wissenschaft zu Entdeckungen allerhöchster Trag- weite geführt, hat sich manches Schatzes im Boden erinnert. Zu diesen Bodenschätzen gehören auch die thüringer und vogtländischen Marmorarten, die immer nur für kurze Zeit, solange eben die Mode ihrer bedurfte, Verwendung fanden. Aber ihre Farbenfülle verdient es, daß sie ausländischem Material erfolgreich gegenübertreten können. Sie sind oberdevonische und obersilurische Kalke, die durch die Nähe von Eruptivgesteinen (Diabasen in der Mehrzahl) marmorisiert wurden. Fast alle werden in dem Marmorwerk in Saalburg an der Saale, in das sie von den einzelnen Brüchen hinbefördert werden, bearbeitet. Aber dort wurden in Friedenszeiten nicht nur die einheimischen, thüringer und vogländischen Marmore poliert, sondern auch fast alle ausländischen. Auf Veranlassung des jetztigen Geheimrat Zimmermann wurden 1894 bei Tanna und Rothenacker im reußischen Vogtlande größere Brüche im Oberdevon in Gang gesetzt, um die oberdevonischen Kalke für die „Saalburger Mar- morwerke" zu gewinnen. In den kürzlich er- schienenen Erläuterungen zu Blatt Gesell der geolo- gischen Karte von Preußen und benachbarten Bundes- staaten beschreibt Zimmermann die beiden Marmorarten von Tanna und Rothenacker genauer. Der Kalkstein ist ein typischer Knoten- und Kramenzelkalk, dessen lichtgraugrüne oder violette Schieferflasern zwischen den ebenso aber in helleren Tönen gefärbten Kalkknoten sich, schwach von der Schieferung betroffen, hindurchschlängeln. Das Gestein in den Marmorbrüchen läßt die Schiefer- masse mehr zurücktreten. Die oft hauchdünnen Überbleibsel der Schieferflasern sind oft vollständig in „fein- bis grobschuppigen, silberglänzenden Serizit" umgewandelt. Aus dem dichten Kalk ist ein kristallinisches, kantendurchscheinendes Kontaktgestein geworden. Die Farbentönung ist bei dem Tannaer Vorkommen „dunkelrosen- bis leuchtend blutrot", bei dem Marmor von Rothen- acker „hellviolettgrau mit lichtrosa- oder hellfleisch- roten Flecken". Diese Farbenpracht erhöhen hellere und dunklere Tönungen, weiße Ausschei- dungen von Kalkspat, die gefältelt sein können oder in mehr oder weniger dicken Aderi\ das Gestein in allen möglichen Richtungen durch- ziehen. Nur der bayarifche Frankenwald hat bei Gottsmannsgrün, Horwagen, Selbitz und Boben- grün ähnliche so wundervoll marmorisierte und seritizierte oberdevonische Kalke. Die vielen weißen Kalkspate sagen uns von gewaltigen mechanischen Druckerscheinungen, die das Gestein ehemals zerstückelten und durch die Kalkspate wieder zusammenkittete, daß es nach Zimmer- mann keine Seltenheit bedeutet, wenn man 13 m lange, 5 m breite und 1,5 m dicke Blöcke, die sich vollständig natürlich ablösen, gewinnen kann. Neuerdings hat man auch bei I\ihren unweit von Schleiz im reußischen Oberlande angefangen, die dortigen oberdevonischen Knotenkalke für das Saal- burger Marmorwerk zu gewinnen, die einen röt- lichen Stein geben. Weil die Witterung dem Stein zusetzt, wird er meist in der Innenarchitektur ver- wendet. So finden sich beide, der Tannaer und Rothenackerer Marmor in der Predigtkirche des Berliner Domes. Der Pahrener Stein wurde für die neue Kaiserpfalz in Posen bestimmt. Marmor von Rothenacker weisen die Darmstädter Bank, Nationalbank für Deutschland, Viktoria- Ver- sicherungsanstalt, Berliner Handelsgesellschaft, Weinhaus Rheingold, Hotel Fürstenhof, das Neue Schauspielhaus in Berlin auf. In Dresden finden wir ihn in der Sächsischen Handelsbank, in Stettin im Regierungsgebäude, in Rom in der deutschen Botschaft wieder. Tannaer Stein zeigen die Lukas- kirche in Dresden und das Großherzogliche Schloß in Neustrelitz. Auf den polierten Flächen finden sich nicht selten Versteinerungen wieder (Crinoiden, Goniatiten und Clymenien). Besonders reich daran sind die Pahrener oberdevonischen Kalke. Der obersilurische Kalk, der älteste Kalkstein Thüringens, ist wie der oberdevonische Kalk ein polierfähiger Knotenkalk, den man an verschiedenen Stellen in Ostthüringen gewonnen hat. So liegen bei Garnsdorf in der Nähe von Saalfeld zwei Brüche, die einen brauchbaren Marmor enthielten, der die Altarplatten der Kirche zu Graba lieferte. Heute sind diese wie auch der frühere Marmor- bruch an der Bärenmühle bei W'urzbach nicht mehr in Betrieb. Dagegen gewinnt man in den Marmorbrüchen des Pößnigstal bei Saalburg an der Saale, die in der Nähe der Saalburger Marmor- werke liegen, noch jetzt brauchbare Steine. Durch Diabase ist der Kalk feinkristallinisch geworden, Chlorit und Kalksilikate haben ihn imprägniert, wolkig und strauchig marmoriert, so daß graue, grüne und dunkle Marmore erzeugt wurden. Auch er hat in der Innenarchitektur verschiedener öffent- licher Gebäude reichlich Verwendung gefunden (Krematorium zu Dresden, in Leipzig in der Christianstaße Nr. i, im Regierungsgebäude zu Stettin, Postgebäude zu Halle, Predigtkirche des Berliner Domes). Rudolf Hundt. 436 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 Bücherbesprechuugen. Anton Kerner von Marilaun, Pflanzen leben. 3. Auflage, neu bearbeitet von Dr. Adolf Hansen. 3. Band: Die Pflanzenarten als Floren und Genossenschaften (Abstammungslehre und Pflanzengeographie mit 63 Abbildungen im Text, 9 farbigen Tafeln von A. Grimm, H. v. Königs- brunn,]. Seelos, J. Selleny und K. Springer, 29 doppelseitigen schwarzen Tafeln nach Zeich- nungen und Photographien und drei farbigen Karten. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut 1916. Trotz des Druckes, den auch das geistige Leben Deutschlands durch den vom Wahnsinn unserer Feinde uns aufgezwungenen Krieg erleidet, hat in Verbindung mit dem Herausgeber das Bibliographische Institut mit größter Opferfreudig- keit für gleichmäßige Gestaltung und Ausstattung den dritten Band des Werkes erscheinen lassen. Auf Wunsch der Verlagsleitung wurde der Inhalt der dritten Auflage anstatt auf 2 umfangreiche Bände auf drei handlichere Bände verteilt. Dadurch wurde es möglich, unter Beibehaltung einiger Kapitel von Kerner, die in der früheren Auflage nur kurz gestreifte Abstammungslehre und die wichtige und allgemein interessante Pflanzen- geographie mit ihren Grundlagen, der Paläonto- logie und Klimatologie, ausführlich zu behandeln. So hat dieses Werk eine erfreuliche Ergänzung und Abrundung erhalten, die nicht nur eine neue Seite des Pflanzenlebens behandelt, sondern auch den Inhalt der vorhergehenden Bände wieder fruchtbar macht. Eine verständliche Darstellung der Abstammungslehre bis Darwin und bis zu seinen Nachfolgern wird den Freunden der biolo- gischen Wissenschaft erwünscht sein, da sie hier in wenigen Bogen dargelegt wird, ohne auf die Erwähnung wichtiger Schritte ihrer Blntwicklung Verzicht zu leisten. Die neue Vererbungslehre greift nun allmählich bei den landwirtschaftlichen und anderen Züchtungsmethoden so sehr in die Praxis des Lebens ein, daß eine Darstellung, nament- lich auch der Bastardierungsregeln von Gregor Mendel, für weitere Kreise eine Forderung der Gegenwart ist; denn aus diesen Beobachtungen hat sich eine ganze Sonderwissenschaft entwickelt, welche von Correns, B aur, Tsch e rmak und zahlreichen anderen Forschern gepflegt wird. Es war nicht ganz leicht, die Pflanzengeographie aller 5 Erdteile auf ca. 20 Bogen unterzubringen, zumal auch eine kurze Darstellung der Pflanzenpaläonto- logie und Klimatologie erwünscht war. Doch ist wenigstens erreicht, daß mit dieser Übersicht der Leser imstande ist, größere Spezialwerke, wenn er deren Studium ergreifen will, zu verstehen. Hier handelte es sich vor allem darum, einen Be- griff davon zu verschaffen, wie die Pflanzendecke, die Vegetation unserer Erde, sich in den verschie- denen Erdräumen ausnimmt, worauf ihr Charakter und ihre Herkunft in den einzelnen Erdteilen be- ruht. Die geographische Anordnung erschien dabei empfehlenswerter, als die nochmalige Dar- stellung nach ökologischen Gesichtspunkten, da die Ökologie schon in den ersten beiden Bänden ausführlich behandelt wurde und die Anwendungen leicht zu machen sind. Bei pflanzengeographischen Schilderungen läßt sich die Anführung von Pflanzen- arten nicht umgehen, anderenfalls würde die Dar- stellung ganz leer bleiben. Leider sind nun einmal die Pflanzennamen wegen des internationalen Ge- brauchs lateinisch und lassen sich nur in wenigen Fällen verdeutschen. Daran muß sich eben, wer Botanik treiben will, gewöhnen, ebenso wie der Chemiker seine vielfach noch unverständlicheren Namen bei seinen Darstellungen benutzt. Die Kenntnis der Pflanzen selbst wird zum Teil durch die Abbildungen vermittelt, mit denen der Verlag das Werk in reichstem Maße ausgestattet hat. Unsere Flora sollte in der Hauptsache aus eigener Anschauung bekannt sein. Wer eine systematische Anleitung braucht, um die angeführten Pflanzen nach ihrer Verwandtschaft näher kennen zu lernen, findet eine Darstellung des Pflanzenreiches in dem beim bibliographischen Institut erscheinenden reich illustrierten Werke „Die Pflanzenwell" von Prof. O. Warburg. Was die Tafeln unseres vor- liegenden Bandes anbetrifft, so sind es. Naturauf- nahmen und auch die farbigen Tafeln des ganzen Werkes sind keine Phantasiebilder, sondern von Künstlern an OrtundStelleaufgenommene Aquarelle, durch die Kern er 's Pflanzenleben auch einen nicht unbedeutenden künstlerischen Wert behält. Wenn der Herausgeber das Werk selbst zur Anzeige bringt, so ist damit der Wunsch ver- bunden, einige Hinweise anzufügen, um Zweifeln vorzubeugen, welche durch mehrere frühere Be- sprechungen des Werkes entstehen könnten. In einer Besprechung meinte man, das schöne Bild der durch den Schnee gewachsenen Soldanella (Band i) wäre besser fortgeblieben und in der populären Zeitschrift „Die Kleinwelt" erschien die Behauptung, es würde mit der Schilderung dieser auffallenden Erscheinung „ein bekannter Irrtum" aufrechterhalten. Zur Aufklärung diene das folgende. Das Bild Kerner's ist nach der Natur vortrefflich gemalt, und bei rechzeitigem Besuch der Alpen im Frühling kann man die Erscheinung leicht beobachten. Zuerst geschah dies 1852 von Lortet, und in der Botan. Ztg. 1852 S. 648 wurde die von Kern er benutzte Erklärung schon kurz an- gedeutet. Nun hat jemand in neuerer Zeit in einer kurzen bloß brieflichen Mitteilung die Er- scheinung auf Grund unzureichender Beobachtung bestritten. Sie ist aber kürzlich wieder von E. Rubel als richtig bestätigt und in Band 49 von Engler's Botan. Jahrb. photographisch abgebildet worden mit der Angabe, das die durchschmolzene Eisdecke 4 cm dick war. Auch die von K e r n e r gegebene Erklärung sollte durch eine angeblich bessere ersetzt werden. Nicht die Atmungswärme sollte ein solches Durchschmelzen überhaupt er- N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 möglichen, sondern der Schnee sei für die Soiinen- wärme diatherman, diese erwärme die violetten Blüten stärker als den Boden und mit Hilfe dieser Wärme würde der Schnee geschmolzen. Unter- suchungen über Diathermansie des Schnees sind nicht veröffentlicht. Es ist aber wenig wahr- scheinlich, daß der lufthaltige Schnee so diatherman sei, vorausgesetzt, daß die Sonne zur Blütezeit stets scheint. Außerdem sind die Blüten unter der hirndecke noch im Knospenzustande und die violette Farbe dürfte keine große Rolle spielen. Die Erwärmung der Blüten unter diesen Be- dingungen müßte doch erst einmal durch Tempe- raturmessungen wirklich festgestellt werden. Mit bloßen Meinungen kann man nichts beweisen. Dagegen ist die Erwärmung der Blüten bei ihrer Atmung experimentell bewiesen und, da die Tempe- ratur unter dem Schnee nur o Grad beträgt, auch ausreichend, um ihn langsam zu schmelzen. Vor- läufig kann man die Kerner'sche Erklärung keineswegs als „Irrtum" bezeichnen. Der Kritiker der Kleinwelt bemängelt auch Kern er 's hübsche Abbildung von Frullania (Bd. i, S. 417) in deren Wassertaschen das Rädertierchen Calidina lebt: „Das Rädertierchen bewege seine Wimpern unnatür- licherweise in der Luft." Im Text ist jedoch aus- führlich beschrieben, daß Frullania vom Regen überrieselt wird, wobei ihre Wassertaschen sich mit Wasser füllen. Man kann freilich die dünne Wasserschicht nicht mit abbilden. Von anderer Seite wurde die Ausschaltung des Kapitels über die Ameisenpflanzen gewünscht, da man an der Richtigkeit der Schutzwirkung zweifeln könne. Was im K e r n e r über Organi- sation der Ameisenpflanzen und ihrer Bewofiner mitgeteilt ist, sind zunächst unbestreitbare Tat- sachen. Bestreiten könnte man nur die von Müller, Schimper u. a. angenommene theoretische Er- klärung, dann steht man aber bei der Bildung der Nährkörper der Ameisenpflanzen und ihren weiteren Eigentümlichkeiten vor unerklärbaren Rätseln. Die Gegenmeinungen von H. v. Ihering u. a. sind aber selbst auch noch nicht genügend geklärt, so daß auch Neger in seinem neuesten Buche über „Experimentelle Biologie" der Ansicht ist, daß man die bisherige Theorie nicht ohne weiteres aufgeben könne. Solange alle maßgebenden Hand- bücher die Ansicht beibehalten, lag für den Heraus- geber kein Grund vor, sie aufzugeben. Noch weniger kann dem Verlangen nachge- geben werden, die Überzeugung von der Farben- unterscheidung der blumenbesuchenden Insekten aufzugeben, weil der Ophthalmologe von Heß sie auf Grund seiner Versuche bestritten hat. Diese Versuche sind nicht durchschlagend und andere Versuche von K. v. Frisch sowie Beobachtungen von Kr an ich feld stehen jenen gewichtig genug gegenüber. Ich beseitige endlich den ausgesprochenen Zweifel, der in Band i abgebildete Pilz sei nicht Agaricus melleus, sondern Hypholoma fasciculare. Agaricus melleus kommt hier bei Gießen jährlich reichlich vor und ist gar nicht mit Hypholoma zu verwechseln. Auf dem Bilde sind in der Dämmerung des Waldes die feinen Zotten der Hüte freilich nicht deutlich herausgekommen. Leider ist ein Schreibfehler der Berichtigung entgangen. Seite 4 Zeile 4 v. u. muß es statt: Individuen derselben Art heißen : ungleicher Art, was sich auch aus dem folgenden ergibt. A. Hansen. Elschner, C, The Leeward Islands ofthe Hawaiian Group. Contributions to the Knowledge of the Islands of Oceania. Reprinted from the Sunday Advertiser. Honolulu 191 5. Die 68 Seiten umfassende Druckschrift des durch seine Untersuchungen über die Phosphatlager auf Nauru bereits bekannten Verf. ist der Abdruck einer Artikelserie des in Honolulu erscheinenden Sunday Advertiser über den als L e e w a r d - Gruppe bezeichneten Teil der Hawaii-Inseln. Es handelt sich dementsprechend nicht um eine systematisch- länderkundliche Beschreibung der genannten Inseln, sondern mehr um eine Art länderkundlicher Tagebuchnotizen und Reisebeobachtungen, die aber ungemein vielseitig gehalten sind und namentlich außerordentlich viel morphologisch und geologisch Interessantes bieten. Im Vordergrunde stehen die überaus kompli- zierten biologisch-chemischen Vorgänge, die sich auf den Inseln infolge der dort vorhandenen Guano- lager abspielen. Der Südostteil der Gruppe, nämlich Bird, Necker und Gardiner Island, sowie French Frigates Shoal sind reine Vulkaninseln resp. Koralleninseln mit vulkanischem Kern (Reste von Aschen- und Schlackenkegeln). Hier führt die Auslaugung der Guanolager zur Zerstörung und Umwandlung der vulkanischen Gesteine, namentlich zur Bildung von Eisen- und Aluminiumphosphaten. Unter dem Einfluß der subaerilen Verwitterung findet zunächst Hydratisierung der Gesteine statt; aus den AI- Hydraten resp. AlHydrosilikaten wird dann in Gegenwart von Ammonium-Üxalat und -Phosphat der Guanolösungen Eisen- und Aluminiumphosphat gebildet. Ersteres schlägt sich sofort nieder ; das Aluminiumphosphat bleibt länger löslich, dringt auf Spalten usw. tiefer in den Felsen ein und bildet dort Absätze, oft von achatähnhcher Struktur. Entsprechend bilden sich Gips und Calciumphos- phate, aber mehr in stalaktitähnlicher Form. — Die übrigen Inseln der Leeward-Gruppe sind — soweit sichtbar — reine Koralleninseln und zwar Atolle (Pearl, Brook und Hermes Riff, Midway und Ocean Island, ebenso Laysan und Lysianski Island). Hier wirken die Guanolösungen auf Korallenkalk resp. dessen Residuen, und führen zur Bildung von Kalkphosphaten, Phosphat-Konglo- meraten und Breccien. Die biologisch chemischen Prozesse sind hier außerordentlich verwickelt. Das Ammoniumoxalat z. B. ist die Ursache einer be- ständigen Wanderung des Phosphates im Kalk, da es in wässeriger Lösung Calciumphosphat zu 438 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 zersetzen vermag usw. Kng verknüpft mit diesen Vorgängen erscheint ferner das Problem der Dolomitisierung, das aber noch nicht genügend geklärt ist. — Wie wichtig es auch für den Morphologen ist, alle diese teils biologischen teils chemisch geo- logischen Vorgänge genauer kennen zu lernen, haben schon die früheren Untersuchungen von El sehn er auf Nauru gezeigt, über die ein gutes deutsches Referat von Hambruch (Z. G. f. E. Berlin 1912, S. 671) vorliegt. Eine Fülle der interessantesten F"ragen über den Aufbau und die Zerstörung der Koralleninseln läßt sich jedenfalls nur mit Hilfe dieser exakten geochemischen Grund- lagen lösen. Dazu gehören auch die Fragen nach der jüngsten Entwicklungsgeschichte der Inseln, namentlich ihrer Bodenbewegungen. Auf Nauru konnte seinerzeit eine Wechsellagerung von Phosphat- und Korallenkalkschichten festgestellt und damit auf abwechselnde Hebung und Senkung der Inseln geschlossen werden. Anzeichen für ähnlich komplizierte tektonische Vorgänge hat Elschner auch auf den Leeward-Inseln gefunden. Die großen Inseln der Hawaii Hauptgruppe sind entschieden in Hebung begriffen, die aber offenbar verschieden stark ausgeprägt ist und im Osten am stärksten zu sein scheint. (Wie weit die vul- kanischen Erscheinungen — tätige Vulkane finden sich auch nur im Osten — damit zusammenhängen, bleibt offen.) Die westlichen Inseln von Laysan bis Ocean Island scheinen dagegen langsam zu sinken; das beweisen die dort neugebildeten Riffe über den alten Kalken. — Soweit einige Angaben aus dem reichen, viel- seitigen Inhalt der Schrift, die sicherlich nicht nur unsere Kenntnis, sondern auch das Interesse an diesen bisher nur floristisch und faunistisch näher untersuchten Inseln fördern wird. Dr. E. Wunderlich-Berlin. schließt mit ausführlichen Mitteilungen über die Anlage- und Betriebskosten. Harry Schmidt. A. von Ihring, Die Wasserkraftmaschinen und die Ausnutzung der Wasserkräfte. Zweite Auflage. Aus Natur und Geisteswelt, Band 228. Leipzig und Berhn 1914, B. G. Teubner. — Preis geh. i M., geb. 1,25 M. An der Hand zahlreichen und guten Abbildungs- materials wird in 6 Kapiteln die Theorie und Praxis der Wasserkraftausnutzung dargelegt. Nach einigen einleitenden allgemeinen Bemerkungen über Vor- und Nachteile der Wasserkraftmaschinen den Dampf- und Gaskraftmaschinen gegenüber bringt das erste Kapitel alles Wissenswerte über die Messung und die Berechnung von Wasser- kräften. Im zweiten Kapitel werden die verschie- denen Wirkungsweisen des Wassers erläutert, im 3. und 4. Kapitel die Wasserräder und Turbinen behandelt. Ein 5. Kapitel enthält die Beschreibung einiger ausgefüiirter Turbinenanlagen, unter denen wohl diejenigen am Niagarafall das größte Interesse bieten dürften. Das letzte Kapitel belehrt über die wirtschaftliche Bedeutung der Wasserkräfte und Much, Hans, Die Immunitätswissenschaft. Eine kurzgefaßte Übersicht über die biologische Therapie und Diagnostik für Ärzte und Studie- rende. Zweite Anflage. Würzburg 1914, Ka- bitsch. Das Buch beginnt mit einer erkenntnis- theoretischen Einleitung. Der eigentliche Inhalt wird durch zwei kurze Kapitel über Immunität und Virulenz im allgemeinen und über die Prinzi- pien der Immunisierung eingeleitet. Dann folgt die Besprechung der eigentlichen Bakterientoxine und der ihnen verwandten Gifte, sowie des Vor- ganges der Antitoxinbildung. Das nächste Kapitel handelt über die durch giftige Leibesbestandteile wirkenden Krankheitserreger, das folgende über das Phänomen der Überempfindlichkeit oder Ana- phylaxie. Dann werden die Antikörper besprochen und die verschiedenen Methoden, mit denen sie diagnostischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Ein besonderes Kapitel ist der Chemotherapie ge- widmet. Im letzten Teil werden die bakteriellen Endotoxinkrankheiten, das sind die meisten mensch- lichen Infektionskrankheiten, die Protozoenkrank- heiten, die Pilzkrankheiten, die bösartigen Ge- schwülste, einige Tierseuchen und endlich die durch säurefeste Bazillen erzeugten Krankheiten, Lepra und Tuberkulose, in ihren Beziehungen zur Immunitätslehre, mit vorwiegender Berüchsichtigung also der biologischen Diagnostik und Therapie, besprochen. — Es erhebt sich hier die Frage, ob das Buch, obwohl es für Ärzte und Studierende (der Medizin) geschrieben ist, auch weiteren natur- wissenschaftlichen Kreisen zum Studium empfohlen werden kann. Es muß zunächst durchaus betont werden, daß das Buch sehr gut geschrieben ist und daß das Lesen auch wohl dem ferner Ste- henden nicht allzu große Schwierigkeiten machen wird. Die erkenntnistheoretischen Betrachtungen, die der Verf einzustreuen liebt, drohen zwar zu- weilen die Gedanken von dem eigentlichen Thema abzulenken, sie machen aber den Leser darauf aufmerksam, daß man in keiner Wissenschaft weniger als in dieser auf theoretisch wirklich fest fundierten Tatsachen baut. Dessen muß man sich aber auch dem Verf. selbst gegenüber bewußt sein. Bei eigener großer Skepsis bemüht er sich zwar, Einseitigkeiten aus dem Wege zu gehen, so z. B. wenn er gegen die humorale Immunitätslehre oft mit Nachdruck auf die zellulären Probleme hin- weist; aber gerade auf theroretischem Gebiete geht er doch wieder selbst höchst subjektiv vor, ohne daß man eine genügende Begründung seiner Anschauungen findet. Die Tatsachen sind so natürlich auch nicht in der Weise verwertet, daß man sich daraus ein vollkommenes Bild der heu- tigen Immunitätswissenschaft machen könnte. Das kann ja allerdings kein Nachteil sein für den, der sich einen Überblick verschaffen will, und ich möchte besonders betonen, daß das meiste Material N. F. XV. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 439 recht geschickt verwertet wird, wenn auch dem Fachmann bis zur Unrichtigkeit gehende Verall- gemeinerungen auffallen. Dahin gehört auch die menschlich wohl verständliche Bevorzugung dessen, was der Verf. selbst auf dem Gebiete der Immuni- tätslehre gearbeitet hat. Es ist unendlich viel, aber manches darunter, was noch nicht genügend nachgeprüft und noch nicht über die Kritik hinaus ist. — Die Technik sowohl der praktischen als auch der mehr theoretischen Methoden der Immuni- tätsforschung ist in weitem Maße in besonderen Abschnitten berücksichtigt; Verf. hat es da ver- standen, gemäß den großen Erfahrungen, die er selbst besitzt, die Sache so darzustellen, daß auch ein Neuling nach seinen Angaben manche Ver- suche ohne weiteres wird anstellen können. — Ich möchte zusammenfassen, daß ich trotz der Ausstellungen, die ich machte, das Buch für die erste Orientierung in der Immunitätslehre für ge- eignet halte; aber ohne Skepsis und Vorsicht darf es nicht gelesen werden. Man merke sich, daß für den Verf. wahre Wissenschaft Kunst ist, daß er also selbst Künstler sein und seinen Intuitionen gern freien Lauf lassen will. Hübschmann. Gräfin von Linden, Prof. Dr., Parasitismus im Tierreich. Bd. 58 der Sammlung: Die Wissenschaft. Einzeldarstellungen aus den Ge- bieten der Naturwissenschaft und der Technik. 214 Seiten mit 102 Abbildungen im Text und 7 Tafeln. Braunschweig 191 5, Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn. — Preis geh. 8 M., geb. 9 M. Das vorliegende Werk ist nicht dazu bestimmt, unseren klassischen Werken der Parasitologie, vor allem Braun 's Tierischen Parasiten, Konkurrenz zu machen. Es ist, wie die Verfasserin in dem Vorwort bemerkt, eine Frucht von Volkshoch- schulkursen über Parasitismus im Tierreiche und soll in erster Linie dem Laien in der Parasitologie Anregung auf diesem interessanten und wichtigen Forschungsgebiet geben, ihn in das Leben der Schmarotzer einführen und ihm einen Einblick in die medizinische und wirtschaftliche Bedeutung der tierischen Parasiten verschaffen. Dieser Auf- gabe wird das Buch in vollem Maße gerecht. Es kann zu einer allgemeinen Orientierung über das behandelte Gebiet bestens empfohlen werden. Das Werk läßt sich in zwei Teile gliedern. In dem ersten Teil wird eine Reihe von Fragen mehr allgemeiner Natur besprochen, während in dem zweiten Teile die wichtigsten durch Parasiten hervorgerufenen Seuchen eine Darstellung finden. Lebewesen, die auf Kosten eines anderen Or- ganismus leben und auf oder in ihm wohnen, be- zeichnen wir als Schmarotzer oder Parasiten. Das Heer der Parasiten ist außerordentlich groß. Die Mehrzahl der Vertreter stellt das Pflanzenreich und im besonderen die Klasse der Bakterien. Aber auch im Tierreich ist das Schmarotzertum weit verbreitet, nahezu in allen größeren Gruppen fin- den sich parasitisch lebende Arten, ja manche Gruppen, wie die der Sporozoen unter den ein- zelligen Tieren, wie die Saugwürmer und die Bandwürmer, sind vollständig zum Parasitismus übergegangen. Außer unter Protozoen und Wür- mern gibt es auch unter den Insekten zahlreiche Parasiten, Ekto- wie Entoparasiten. Nur wenige Schmarotzer finden wir unter den Weichtieren und den Wirbeltieren, welch letztere schon wegen ihrer Größe wenig zum Parasitismus geeignet, aber eben deshalb für die schmarotzenden Tierformen sehr gesuchte Wirte sind. Über die Entstehung der Parasiten war man lange Zeit im unklaren. Noch am Ende des 17. Jahrhunderts nahm man allgemein an, daß die Darm- und Blutschmarotzer, wie überhaupt zahlreiche niedere Tiere, ihre Ent- stehung einer Urzeugung verdanken. Erst durch die Fortschritte der Wissenschaft und Technik im 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese und ähnliche Hypothesen langsam beseitigt, immer mehr lernte man die einzelnen Stadien der Lebenszyklen verschiedener Parasiten kennen. Die eigenartige Lebensweise vieler Schmarotzer er- schwert das Studium des Parasitismus außerordent- lich. Häufig muß der Parasit einen Wirtswechsel vornehmen, um sich weiterentwickeln zu können, mit dem Wirtswechsel ist in den meisten Fällen ein Generationswechsel verbunden, ja es kann sich der Kreislauf dadurch noch weiter kompli- zieren, daß mehrere Zwischenwirte passiert wer- den müssen, bis schließlich im Endwirt das ge- schlechtsreife Individuum entstehen kann. Die schmarotzende Lebensweise bleibt nicht ohne Wirkung auf den Körperbau und die Lebenstätig- keit der Tiere. Wie stark die Veränderungen sind, hängt davon ab, wie weit sich die Lebens- bedingungen des Schmarotzers von denen der ihm nächst verwandten freilebenden Arten entfernen. Werden einerseits beim Parasiten besondere Or- gane entwickelt, die zum Parasitismus in irgend- einer Beziehung stehen, wie Haftorgane zum F"est- halten an dem Wirt {Saugnäpfe, Saugscheiben, Haken, Krallen), so werden andererseits über- flüssig gewordene Organe, wie Sinnesorgane, Darmtraktus, rudimentär oder verschwinden voll- ständig. Die Umwandlungen, die der Parasit durchmacht, können so groß sein, daß es oft schwer wird, auch nur die Klasse festzustellen, welcher der Parasit angehört; nur die Entwick- lungsgeschichte kann bisweilen Aufschluß geben über seine systematische Stellung. Ganz besonders stark entwickelt sind bei den meisten Schmarotzern die Geschlechtsorgane, und die Fülle von Ge- schlechtsprodukten, welche sie zu produzieren vermögen, ist häufig ganz erstaunlich. Man hat dieses Phänomen teleologisch zu erklären versucht: die Erzeugung zahlreicher Nachkommen ist für die Parasiten eine conditio sine qua non , da die Chancen auf Erhaltung der Nachkommen, die wieder einen geeigneten Wirt finden müssen, in der Regel sehr gering sind. Nach der Ansicht der Verfasserin ist dieser Erklärungsgrund ent- behrlich. Die starke Entwicklung des Geschlechts- 440 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 30 apparates ist ledigHch eine Folge des Brachlicgens der Funktionen der meisten anderen Organsysteme, die dadurch hervorgerufene Störung des Gleich- gewichtes wird durch das schrankenlose Wachstum der Fortpflanzungsorgane wieder behoben. Der Einfluß der Schmarotzer auf den Organismus des Wirtes kann sehr verschiedener Natur sein. Viele Parasiten sind ganz harmlos, andere werden für den Wirt nur gefährlich, wenn sie in großer Zahl auftreten, besonders dann, wenn sie lebenswichtige Organe befallen und Funktionsstörungen in diesen Organen zur Folge haben. Es kommt hinzu, daß manche Parasiten für den Wirt giftige Stoffe pro- duzieren. Als Überträger anderer, meist äußerst gefährlicher Parasiten spielen viele Ektoparasiten eine verhängnisvolle Rolle. So wird z. B. die seit Kriegsausbruch zu so zweifelhafter Berühmt- heit gelangte Kleiderlaus für die Verbreitung des Rückfallfiebers und des Fleckfiebers verantwort- lich gemacht. Im zweiten Teile des Werkes werden zunächst die durch Protozoen hervorgerufenen Seuchen ein- gehend behandelt, Malaria, Schlafkrankheit, Nagana, Kala-Azar, Orientbeule, Texasfieber, die Coccidiosen und IVlyxosporidienerkrankungen, um nur einige zu nennen. Es schließen sich an die zahlreichen durch Würmer erzeugten Erkrankungen. Saug- würmer erzeugen die Leberfäule der Schafe und Rinder und die besonders in Ägypten verbreitete Bilharziosis des IVIenschen, das sog. „Ägyptische Blutharnen". Durch Fadenwürmer entstehen die Filariosen, Trichinosen, die Grubenkrankheit, dann die Anguillulosen und Strongylosen. Als Erreger der verschiedenen Räudenerkrankungen bei unseren Haustieren und beim Menschen sowie bei Vögeln sind die parasitischen Milben gefürchtet. Diese kurzen Andeutungen mögen genügen um zu yeigen, welch eine Fülle von Erscheinungen in dem Buche besprochen werden. Ein Kapitel über die rechtzeitige Erkennung und Bekämpfung der Parasiten beschließt die interessanten Ausführungen. Außer 102 Abbildungen im Text illustrieren 7 Tafeln die Darstellung in zweckdienlicher Weise. Die meisten Figuren sind Reproduktionen be- kannter Abbildungen aus älteren zoologischen, speziell parasitologischen Werken, eine Reihe Fi- guren sind Originale. Von diesen lassen allerdings leider manche sehr viel zu wünschen übrig, so z. B. der auf S. 19 und auf Tafel 5 abgebildete Menschenfloh. Wenn — wie in diesem Falle — gute Abbildungen bereits vorliegen, so sollte man lieber diese reproduzieren, statt schlechte „Origi- nale" zu geben. Nachtsheim. Albers-Schönberg, Seeger und Lasser, Das Röntgenhausdesallgemeinen Kranken- hauses St. Georg in Hamburg, errichtet 1914/15. Leipzig, 191 5, V. Leineweber. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, welche Entwicklung Theorie und Praxis der Röntgenlehre von der ersten Strahlenröhre Rönt- gen's bis in die Neuzeit durchgemacht haben, der möge sich davon in dieser fast 100 Seiten starken, in Großquart gedruckten Beschreibung der mustergültigen Hamburger Anstalt unterrichten. Wer sich irgendwie mit der Einrichtung eines Röntgeninstitutes zu beschäftigen hat, wird diese Beschreibung nicht übersehen dürfen. Ein Mediziner, ein Baumeister und ein Ingenieur haben darin das Wort. Der Mediziner beschreibt nicht nur die seinen verschiedenen Zwecken dienenden Räume, sondern widmet auch ein besonderes Kapitel den allgemein-hygienischen Einrichtungen und den so überaus wichtigen Schutzvorrichtungen gegen die gesundheitlichen Schädigungen durch Röntgen- strahlen; der wörtliche Abdruck der Betriebsvor- schriften des Institutes beschließt diesen Teil. — Der Architekt gibt über alle Einzelheiten der beim Bau befolgten Grundsätze Auskunft. Es geht daraus u. a. hervor, in wie weitgehendem Maße bei der Wahl des Materials überall auf den besonderen Zweck solcher Anstalten Rücksicht genommen werden muß. Während die zu dem Bau an sich gehörenden technischen Anlagen schon hier be- sprochen werden, beschäftigt sich dann der Ingenieur mit den besonderen elektrotechnischen Einrich- tungen, die den eigentlichen Aufgaben der ver- schiedenen Röntgenverfahren dienen. Es zeigt sich da auch, daß die Röntgentechnik nicht an ihrem Ende angelangt ist, sondern daß die schnelle Entwicklung der Elektrotechnik auch auf diesem Gebiete neue Zukunftsaussichten und Aufgaben bringen muß. — Der Beschreibung sind zahlreiche vorzügliche und lehrreiche Abbildungen beigegeben. Hübschmann. Literatur. Fuß, K. und Hcnsold, G. , Lehrbuch der Physik für den Schul- und Selbstunterricht. 13. und 14. vermehrte und verbesserte AuH. Freiburg i. Br. '15, Herder'sche Verlags- handlung. — 7,20 M. Landsberg's Streifzüge durch Wald und Flur. Eine Anleitung zur Beobachtung der heimischen Natur in Monats- bildern. 5. Aufl., vollständig neu bearbeitet von Dr. A. G ün t- hart und Dr. \V. B. Schmidt. Mit zahlreichen Original- zeichnungen und .Abbildungen. Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — 5,40 M. D r e i s , J., Die Wunder der .^tmosphäre. Leipzig, Deutsche Naturw. Gesellsch. Mit 35 Abb. — i M. Inhalt: K. Schutt, Luftpumpen nach Gaede. (S Abb.) S. 425. W. Halbfaß, Neuere Arbeiten über die Erosion des fließenden Wassers. S. 429. — Kleinere Mitteilungen: Th. Overbeck, Ein Nachtrag zu der Katastrophe von Krakatau in der Sundastraße. S. 433. Fr. Braun beck, Ein neues Verfahren zur Überführung von Bananen in dauerhaft trockene Pulverform. S. 434. Rudolf Hundt, Thüringisch-vogtländischer Marmor. S. 435. — Bücherbesprechungen: Anton Kerner von Marilaun, Pflanzenleben. S. 436. C. Elschner, The Leeward Islands of the Hawaiian Group. S. 437. A. von Ihring, Die Wasserkraftmaschinen und die .Ausnutzung der Wasserkräfte. S. 438. Hans Much, Die Immunitätswissenschaft. S. 438. Gräfin von Linden, Parasitismus im Tierreich. S. 439. Albers- Schönberg, Seegcr und Lasser, Das Röntgenhaus des allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg. S. 440. — Literatur: Liste. S. 440. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße iia, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 30. Juli 1916. Nummer 31. Der Vergleich der Einzelligen mit den Metazoen. INachJruck verboten.) Von D. V. Eine interessante Abhandlung vonH. E. Ziegler über die amöboide Bewegung bei Gewebezellen in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift" Nr. 16 d. J. beginnt mit folgenden Worten: „Ver- gleicht man einzellige Tiere (Protozoen) mit viel- zelligen (Metazoen), so entspricht dem Protozoon nicht das Metazoon als Ganzes, sondern nur eine einzelne Zelle des Metazoenkörpers." Diese An- sicht ist eine vielfach verbreitete; sie war es früher vielleicht ausschließlich. Aber sie ist geeignet, Mißverständnisse hervorzurufen, was mich veran- laßt, einige Worte darüber zu schreiben. Der Vergleich zwischen Protozoen und einzelnen Zellen der Metazoen ist ein sehr naheliegender und infolgedessen schon alter. Die Ähnlichkeit mit den Leukozyten ist auch in der Tat so auf- fällig, daß von der ersten Entdeckung der Be- weglichkeit der Leukozyten durch R e c k 1 i n g - hausen bis in die neuere Zeit hinein man die Leukozyten als amöboide Zellen bezeichnet hat. Daß auch andere Zellen der Metazoen amöboide Bewegungen ausführen können, ist besonders den pathologischen Anatomen seit langer Zeit bekannt und vielfach erwähnt worden. Ganz besonders betrifft das auch die Zellen bösartiger Geschwülste, und man nimmt deshalb allgemein an, daß diese amöboide Bewegungsfähigkeit die Veranlassung gibt, daß diese Zellen in die Lymphbahn hinein- kriechen können und so zur Verbreitung (Meta- stasenbildung) der bösartigen Geschwülste bei- tragen. Insofern ist also der Vergleich einzelner Zellen der Metazoen mit Protozoen ein vollständig zutreffender. Wenn man aber auf die physiolo- gische Seite der Frage eingeht, so stellt sich sehr bald heraus, daß zwischen den eineinen Zellen der Metazoen und den Protozoen ein prinzipieller Unter- schied besteht. Bei der Entwicklung der Meta- zoen findet eine Differenzierung der Zellen statt. Es ist vielfach behauptet worden, daß diese Diffe- renzierung eine epigenetische sei, d. h. daß zuerst die Zellen durch Teilung aus dem Ei entstehen, und daß sie nachher, beeinflußt durch die Situation, bestimmte Funktionen annehmen. Daß diese An- schauung nicht zutreffend ist, habe ich mich ver- schiedentlich bemüht, nachzuweisen. ^) Bei der Entwicklung mancher Tiere, deren Eier sich nicht von vornherein in gleiche, sondern in ungleiche Teile teilen, ist das direkt nachzuweisen. Für andere läßt es sich aus dem späteren Verhalten der Zellen mit größter Sicherheit schließen. Die ') V. Hani äen- lann „St. jdien über d ie Spez ;ifi2 Altru ismus und die Anaplasie der Zellen b( wald 1893- Hansemann. Differenzierung der Zellen entsteht also nicht durch Epigenese, sondern durch Protogenese, d. h. da- durch, daß die Zellen bei ihrer Teilung einen anderen Charakter annehmen, so daß aus einer Mutterzelle zwei physiologisch verschiedenwertige Tochterzellen entstehen. Die F'olge dieses Pro- zesses ist darin zu erkennen, daß die einzelnen Zellarten der Metazoen einen vollkommen fixierten spezifischen Charakter haben, und daß nicht eine Zellart für eine andere Zellart eintreten oder sich in dieselbe umwandeln kann. Nur ganz nahe verwandte Zellarten vermögen eine solche Um- wandlung auszuführen, so weit man bis jetzt weiß. So können z. B. aus Zellen der Talgfollikel Epi- dermiszellen werden, und aus manchen Binde- gewebszellen Knochenzellen. Über diese Um- wandlung nahe verwandter Zellen hinaus aber geht dieser Prozeß nicht. Daher sind die Zellen im allgemeinen als spezifisch zu bezeichnen. Aus einer Muskelzelle kann keine Fettzelle, aus einer Bindegewebszelle keine Drüsenzelle werden usw. Weiter aber führt diese Protogenese zu einer Ab- hängigkeit der Zellarten voneinander, indem jede Art eine bestimmte Funktion übernimmt, die die andere Zellart nicht besitzt, so daß sich sämtliche Organzellen in die Funktionen des Gesamtkörpers teilen. Jede Zellart übernimmt also nicht nur diese spezifische F'unktion für sich, sondern auch für die übrigen Zellarten mit und erhält dafür von den übrigen Zellarten eine Leistung, die ihr selbst wieder zustatten kommt. Diese gegen- seitigen Beziehungen habe ich als Altruismus der Zellen in den Metazoenkörpern bezeichnet und habe die Folgen dieser Arbeitsteilung für die Physiologie und die Pathologie mehrfach ausein- andergesetzt. Diese altruistischen Beziehungen sind nicht bloß von größter Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten (sog. altruistische Krankheiten), sondern auch ganz besonders für die Entstehung des physiologischen Todes. ') Aus alledem geht nun hervor, daß die Proto- zoen Tiere sind, die sich für sich allein ernähren und fortpflanzen können, während die einzelnen Zellen der Metazoen sich in einer Abhängigkeit befinden, und, wenn sie isoliert werden von dem übrigen Körper, zugrunde gehen. In Wirklichkeit kann auch ein Leukozyt eines Metazoons nur so lange existieren, so lange er sich in dem Körper des Metazoons befindet. Wandert er einmal aus demselben aus, so geht er in kurzer Zeit zugrunde. Ganz besonders kann man das auch beim Men- ') Vgl. V. Hansemann, ,, Deszendenz und Pathologii Berlin bei Hirschwald 1909. 442 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 sehen beobachten. Die Leukozyten des Menschen wandern fortwährend in großer Zahl aus dem Körper. An der äußeren Oberfläche gehen sie schon in der Hornschicht der Epidermis zugrunde. An den Schleimhäuten des Verdauungstraktus mischen sie sich den Verdauungssäften bei und werden hier zerstört. In den Atmungswegen können diese ausgewanderten Leukozyten unter Umständen in die Lymphbahnen zurückkriechen, aber niemals werden sie dann wieder zu Bestand- teilen des Körpers, sondern auch in diesem P'alle gehen sie bald zugrunde. Das kann man z. B. an solchen Leukozyten beobachten, die an der Oberfläche der Bronchialschleimhaut sich mit Kohlenpigment beladen haben und mit diesem in die Gewebe zurückwandern. So bald sie in die Lymphspalten zurückgekehrt sind, sterben sie ab und deponieren das Kohlenpigment an diesen Stellen. Gegen diese Tatsachen spricht es nicht, daß es gelungen ist, auf geeigneten Nährböden ein- zelne Gewebsarten von Metazoen selbständig fort- zuzüchten. Diese Züchtungsmöglichkeit sagt viel- mehr gar nichts anderes aus, als daß es unter ganz besonderen Bedingungen gelingt, den iso- lierten Zellen für eine gewisse beschränkte Zeit die Lebensbedingungen zu schaff"en, die sie im Metazoenkörper selbst hatten. Und falls es mög- lich wäre, diese Bedingungen dauernd aufrecht zu erhalten, so würde man ja auch gerade so wie im Metazoenkörper selbst diese künstlich gezüch- teten Zellformen zu sogenannten Dauerzellen ent- wickeln können, die dann ein ebenso langes Leben hätten wie die Zellen des Metazoenkörpers selber. Darüber hinaus aber sicherlich nicht; und sie würden auch unter den theoretisch günstigsten Verhältnissen schließlich zugrunde gehen müssen. Aus alledem geht also der prinzipielle Unter- schied zwischen den Protozoenzellen und einzelnen Metazoenzellen hervor. Vielmehr entspricht der Protozoenkörper dem Gesamtkörper eines Meta- zoon, und gerade so wie in dem Protozoonkörper gewisse Differenzierungen eingetreten sind, z. B. an der äußeren Oberfläche in der Form von Flimmerhaaren und Geißeln oder an dem inneren Körper durch Stomata und Alveolen, so ist auch diese Differenzierung am Metazoenkörper einge- treten nur mit dem Unterschied, daß das Proto- zoon mit allen seinen verschiedenen physiologi- schen Eigenschaften eine einzelne Zelle bleibt. das Metazoon sich in eine Anzahl einzelner Zellen auflöst, die miteinander mechanisch oder physio- logisch zusammenhängen. Es entspricht also das Protozoon dem ganzen Metazoonkörper. Die Ähnlichkeit aber zwischen den einzelnen Metazoen- zellen und den Protozoen stellt sich so als nichts anderes dar als eine Konvergenzerscheinung. Diese Betrachtungsweise hat nun aber auch einen Einfluß auf unsere Vorstellung von der phylogenetischen Entstehung der Metazoen aus einzelligen Urtieren. Es gibt bekanntlich Proto- zoen, die die Gewohnheit haben, sich zu Kolonien aneinander zu legen und nun einen Gesamtkörper zu bilden, der sich gemeinsam bewegt und ge- meinsam Nahrung aufnimmt. Es gibt unter den Gesellschaftstieren auch solche (Volvox), bei denen sich die einzelnen Individuen differenzieren zu Bewegungstieren und zu Fortpflanzungstieren (Parthenogonidien, Makro- und Mikrogameten). Man hat nun vielfach die Meinung geäußert, daß diese Koloniebildungen gewissermaßen die ersten Stadien seien der Entwicklung eines Metazoons aus einem Protozoon. Diese Meinung ist meiner An- sicht nach unrichtig. Vielmehr stellt die Kolonie- bildung einen Vorgang dar, der von der Bildung der Metazoen aus der Eizelle gänzlich verschieden ist. Denn bei dieser Koloniebildung ist die Differenzierung der einzelnen Individuen tatsäch- lich eine epigenetische. Die einzelnen Individuen haben ursprünglich die gleiche Bedeutung, und erst durch ihre Vergesellschaftung und Aneinander- lagerung übernehmen sie die einzelnen P'unktionen. Sie sind also vollständig zu vergleichen mit der Entwicklung eines Bienen- oder Ameisenstaates, oder mit denSiphonophoren und ähnlichen niederen Kolonietieren. Ja selbst mit der menschlichen Gesellschaft kann man diese vergleichen, in der jeder Mensch je nach seiner Fähigkeit und nach der Stellung, die er durch Geburt oder zufällige Bedingungen erlangt, eine bestimmte Punktion übernimmt. Aber einen Vergleich mit den Meta- zoen sollte man diesen Kolonietieren nicht an- hängen und sie infolgedessen auch nicht auffassen als Übergang von Protozoen zu Metazoen. Die Koloniebildung ist nicht ein Anfangsstadium zu weiterer Entwicklung, sondern ist offenbar in der betreffenden Tierreihe eine hoch difierenzierte Er- scheinung, die ein Endstadium in der Entwicklung dieser Tiere darstellt. tNachdruck verboten.] Das subjektive Maß der Zeit. Von Adolf Mayer. Über das objektive Maß der Zeit ist ja viel gehandelt mit und ohne Relativitätsprinzip. Aber wir wollen heute die Frage stellen, ob das Leben eines kurzlebigen Geschöpfes, sagen wir, einer Maus, auch nach dem subjektiven Empfinden dieses so kurz ist, wie es uns nach unseren subjektiven Maßen (die aber durch objektiv re- gistrierende Instrumente ausreichend kontrolliert werden) erscheint, oder ob sich auch die Emp- findungen der Kurzlebigen so in der objektiv kürzeren Zeit zusammendrängen, daß sie vielleicht ihrer Em p findung nach eben so lange leben wie die langlebigen Geschöpfe. Um der Beantwortung dieser Frage näher zu N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 443 treten, so kann zunächst gesagt werden und als ganz sicher gelten, daß das subjektive Maß nicht bei allen Geschöpfen gleich sein kann: denn in diesem Falle müßte durch ein allgemeines psycho- logisches Gesetz die Gleichheit verbürgt sein. Das ist aber sicherlich nicht der Fall; denn bei manchen krankhaften Zuständen, wie z. B. Fieber, schwindet uns die Zeit auffallend langsam. Wir haben z. B. in unseren Phantasien viel erlebt, und doch zeigt die Uhr, die wir von Zeit zu Zeit be- raten, nur wenige Minuten Fortschritt. Das ist also ein Erfahrungssatz, der einem solchen Gesetze widerspricht. Auch in der Kindheit lebt man sehr merklich langsamer, wie im Alter, und schon hierin ist eine gewisse Kompensation für die Kurzlebigkeit frühzeitig dem Tode Geweihter — wenn sie einer bedarf — enthalten, insofern einer, der im mitt- leren Alter dahingerafft wird, nicht um sein hal- bes empfundenes Leben verkürzt wird, sondern um weit weniger. Unterschied ist also vorhanden. Die Frage ist nur: „Wie viel?" und: „Läßt sich eine Be- ziehung finden zu der Größe der Geschöpfe?", die ja, wie Rubner unlängst wiederum gezeigt hat, zu der Langlebigkeit in ziemlich einfachen Verhältnissen steht. Und zwar ist dies Verhältnis, wenn auch nicht nach der von Rubner beliebten Ausdrucksweise, aber abgeleitet aus dem von ihm behaupteten und wenigstens einigermaßen empirisch belegten Satze, gleich den Verhältnissen der re- spektiven Körperlängen. Wenigstens gilt dies für eine ganze Reihe von in dieser Richtung untersuchten Säugern mit Ausnahme allerdings des Menschen, der im Verhältnis zu seiner Körper- größe viel zu lange lebt, oder im Verhältnis zu dieser Langlebigkeit viel zu klein bleibt. Notieren wir uns diese allerdings etwas unbestimmte Ge- setzmäßigkeit, über deren Begründung durch Rubner noch weiter die Rede sein wird, zu et- waigem Gebrauche und kehren zu unserer Frage- stellung zurück. Gibt es keine Gründe, um bei Geschöpfen von verschiedener Körpergröße verschiedenes subjek- tives Zeitmaß anzunehmen? — Allerdings, und das ist: die Länge der Nervenbahn vom ner- vösen Zentralorgan bis zu den wahrnehmenden und ausführenden Nervenendungen. Man mag über das Verknüpftsein des Geistigen mit dem Körperlichen denken, wie man will, und braucht durchaus nicht der bekannten mecha- nistischen oder energetischen Hypothese, daß das Geistige nur eine komplizierte Funktion des Körperlichen sei, zuzuneigen, um doch zugeben zu können, daß die psychischen Erscheinungen in Mensch und Tier mit den physiologischen aufs engste verknüpft sind, und zwar mit dem Geschehen in deren Nervenbahnen. Für dieses Geschehen in den Nervenbahnen haben wir nun auf Grund genauer experimenteller Untersuchungen in der Tat zuverlässige Maße der Schnelligkeit. Die Fortpflanzung des Reizes von dem Organe der Reizung (Auge, Ohr, Nase gleichviel) bis zum Zentrum der Empfindung in Hirn, Rückenmark oder Ganglienknoten geschieht mit einer Geschwin- digkeit von 30 — 40 m in der Sekunde, also keines- wegs, wie man meint, mit Blitzesschnelle, sondern mit einer relativen Langsamkeit, so daß die Di- mensionen des Tierkörpers dagegen keineswegs verschwinden, wie denn schon H e 1 m h o 1 1 z bemerkte, daß das größte aller Ungeheuer, der Walfisch, der nahe jene Länge erreicht, ungefähr eine Sekunde nötig haben wird, um auch nur zu bemerken, daß ihn eine Harpune am Schwänze verwundet hat. Daß Zeit nötig ist zur Empfindung, kann man auch ohne Apparat an sich erfahren, z. B. bei einem Schrecken, wo häufig die entsprechende Abwehrbewegung eher geschieht als die bewußte Empfindung. Beide Erscheinungen bedienen sich offenbar verschiedener Bahnen zu ihrem Zustande- kommen, und eine Zeitdifferenz kann natürlich nur zustande kommen, wenn überhaupt Zeit für das Durchschreiten der Bahnen erforderlich ist. Diese Tatsache ist in mehrerer Hinsicht interes- sant. Es geht aus ihr unter anderem hervor, daß die Telegraphie im Tierkörper, obgleich sie von elek- trischen Erscheinungen begleitet wird, doch nicht, wozu der Vergleich verführt, auf Elektrizität be- gründet ist, und außerdem, daß schon aus diesem Grunde der Größe der Tiere in der Ökonomie des Kampfes ums Dasein eine ziemlich enge Grenze gesetzt ist. Doch diese letzteren Folgerungen liegen ab- seits unseres augenblicklichen Interesses. Wir haben hier nur festzuhalten, daß für das psychische Geschehen, und zwar gleichviel, ob es sich um Wahrnehmungen des von außen Gegebenen in das Innere oder um Willensäußerungen des Inneren auf das Äußere handelt, Zeit erforderlich ist, und daß somit die Maße des Tierkörpers für die Schnelligkeit alles dieses binnenkörperlichen Ge- schehens keineswegs gleichgültig sind. Wir brauchen nun für unseren Zweck nur zu der Verallgemeinerung fortzuschreiten, daß es mit allem geistigen Geschehen oder wenigstens mit dem, aus welchem sich das geistige Zeitmaß er- gibt, gerade so bestellt sei, was wohl zulässig erscheint, indem ja doch im größeren Körper alle Organe, auch die nervösen, weiter auseinander liegen. Man kann hier auch wieder den vielbeliebten und in der Tat wohlberechtigten Vergleich zwischen Tierkörper und Staat ziehen. Im weiten Rußland nimmt der ganze Verkehr zwischen Verwaltungs- zentrum und Peripherie sehr viel mehr Zeit in Anspruch als in einem kleinen Staate Westeuropas. Man erinnert sich aus dem Kriege, in dem wir noch stehen, der Langsamkeit der Mobilmachung. Was Wunder also, daß die ganze Entwicklung, die doch von dem Austausch von Meinungen zwischen hier und dort in hohem Grade abhängt, in einem langsameren Tempo stattfindet! — Verfolgt man diese Gedanken, so kommt man 444 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 zu dem Resultat, daß alle geistigen Prozesse oder wenigstens diejenigen, die sich auf Wahrnehmung und Handeln beziehen, sich im kleinen Tiere mit größerer Schnelligkeit abspielen, und zwar genau im Verhältnis ihrer Größe, und daß also mit diesem Maße die Zeit subjektiv gemessen wird. Und nun berührt sich die Gesetzmäßigkeit mit jener anderen, die vor kurzer Zeit durch Rubn er in ein freilich fast übertriebenes Licht gestellt wurde, nämlich der, daß wenigstens bei den Säu- gern die Körper länge ein ungefähres Maß ist für die Lebensdauer. Allerdings wurde diese Gesetzmäßigkeit meines Wissens durch den genannten Forscher nicht als solche verkündet; aber sie ist die logische Fol- gerung zweier anderer von ihm verteidigten Sätze. Einmal kommt der Satz in Betracht, daß der Energieverbrauch mit der Größe der Oberfläche wächst, zweitens, daß dieser Verbrauch bei jedem Tier von der Reife bis zum Tode gleich sei. Diese beiden Sätze zusammen ergeben die be- hauptete Gesetzmäßigkeit, vorausgesetzt, daß die Zeit von der Reife bis zum Tode der ganzen Lebenszeit proportional ist.^) Indem wir beide Gesetzmäßigkeiten aufeinander beziehen, gelangen wir in der Tat zu dem schon eingangs dieser Plauderei angedeuteten Resultate: die Kleinen leben nach ihrem subjektiven Empfinden gleich lang wie die Großen, also z. B. das Schaf, das von der Schwanzwurzel bis Kopf 100 cm mißt, 1 5 Jahre, ein Pferd von der 3 fachen Länge etwa ') Man kann nämlich den letzteren Satz Rubner's auf die algebraische Formel bringen T.U_ „ worin T die Zeit, gleichviel ob die Zeit des Differentialzu- wachses, die Zeit bis zur Reife oder die bis zum Tode be- deutet, worin U die Summe von Umsatz und Ansatz von Nährstoffen und M die Masse des Tierkörpers bezeichnet. Der aus diesen drei Größen gebildete Quotient soll (annähernd) konstant sein , was deutlich wird , wenn man überlegt , daß —, der Umsatz für die Einheit der Körpermasse, mit den Zeiten von der Reife bis zum Tode annähernd dieselbe sei. Nun kann man aber den ersten Satz, der aussagt, daß der Körperumsatz mit dem Quadrat der Körperoberfläche wächst, also U = c,P in jene Gleichung einführen und gleichzeitig M durch c„l' ersetzen. Dann hat man oder einen neuen Konstanten, woraus sich die umgekehrte Proportionalität von Körperlänge und Lebenszeit ergibt. 40 Jahre, der noch größere Elefant noch länger und der Walfisch von der 20 fachen Länge viel- leicht beinahe ein Vierteljahrtausend, gewiß ein versöhnliches Resultat für diejenigen, die die Kleinen wegen der Kürze ihres Lebens bedauern. Genau ist die Regel freilich nicht. Zumal die ganz Kleinen machen hier Ausnahmen. Die Maus, die nur 8 cm mißt, lebt so lange wie das zwei- einhalbmal längerere Eichhorn.') Und dann der Mensch macht unter den Säugern die schon von R u b n e r betonte Ausnahme. Er lebt viel zu lange im Verhältnis zu seiner Körpergröße, oder (anders gesagt) er ist viel zu klein im Verhältnis seines langen Lebens; denn er mißt (auf die gleiche Weise bis zum Steißbein gemessen) etwa I m, und seine natürliche Lebenslänge ist 86 Jahre, was ein Verhältnis gibt sechsmal zu groß für die Lebensdauer. Das liegt vielleicht an der kolossalen Ent- wicklung seines Nervensystems, das ausreichen würde, einen sehr viel größeren Körper in bezug auf seine animalischen h^unktionen zu regieren, und nun, zusammengedrängt, ihn selbst befähigt, eine große weite Welt außer sich zu regieren und noch dazu das Leben der ihn umgebenden Tiere willkürlich zu verkürzen, so daß er als Herr- scher über Leben und Tod erscheint. Auch das ist ein Ausblick, der von unserem Standpunkte aus geeignet ist, uns freudig zu stimmen. Und warum macht der Mensch solche folgen- schwere Ausnahme im Gesetze der Lebensdauer? — Nun vielleicht, weil ein vollausgebildetes Ge- hirn (auch schon innerhalb der Haushaltung des Körpers) vor Fährlichkeiten schützt, wie anderer- seits viel Zeit nötig ist, um es aufzubauen. Also in dem Sinne, den wir der gestellten F'rage unter- legten, ist das Gehirn das Maß der Zeit. Auch innerhalb des Menschenlebens bestätigt sich das Gesetz: die Langlebigkeit der großen arischen Rasse, das rasche Nervenleben der Kinder: Weinen und Lachen in einem Atem. Das alles läßt sich auf dieselben Gesichtspunkte zurück- führen. Ausch ist bekannt, daß kleine Menschen rascher in Bewegung geraten — man sagt wohl, daß kleine Töpfe rascher überschäumen — ; während die großen Menschen gleichmütiger sind (die Niedersachsen). ') Lebenslänge ist, genauer betrachtet, eine viel zu kom- plizierte Funktion, als daß sie sich unter eine so einfache Formel zwingen ließe. Von Weismann wurde die längere Lebensdauer bei größeren Tieren einfach als notwendig hin- gestellt; denn „wenn sie kurz lebten wie die kleinen, würde die Zeit nicht ausreichen , den kolossalen Körper zu ent- wickeln". Siehe Jessen: Über die Dauer des Lebens. 1882 S. 3 und 8). Nachweis einer Notwendigkeit ist aber keine Erklärung. Kleinere Mitteilungen. Die Rattenplage in Frankreich. Ebenso bekannt wie die Läuseplage bei unseren im Felde stehenden Truppen ist aus Berichten vom westlichen Kriegs- schauplatz die Rattenplage. Während jedoch je- der auch von Abwehrmaßregeln gegen die Kleiderlaus gehört hat, denen überall unverkenn- N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 445 bare Erfolge, im Westen eine sehr weitgehende Zurückdrängiing des Übels und für unser Vater- land die so gut wie völlige Sicherung vor den unerwünschten Eindringlingen nachgerühmt werden kann, dürfte von Abwehrmaßregeln gegen die Ratten kaum etwas bekannt geworden sein. Da man sich überhaupt bisher in der Heimat im all- gemeinen keine bestimmten Vorstellungen über das Auftreten der Ratten in Frankreich und die von ihnen verursachten Übelstände machen kann, mag die Mitteilung einiger persönlicher Erfahrungen aus der Front im Aisnegebiet am Platze sein. Es handelt sich überall um Mus decumanus, die Wanderratte. Dieses Tier ist am häufigsten in den Ortschaften, sehr häufig aber auch in Feldern weit von jeder menschlichen Behausung, und in großer Zahl findet es sich daher auch schnell bei den Schützengräben und sonstigen Unterstands- siedelungen ein. Im Winter, wenn die Nahrung im Freien knapper wird, kommen die Ratten wohl noch zahlreicher als im Sommer in die Nähe des Menschen und in seine Bauwerke. Tritt man nachts mit der elektrischen Taschenlampe in den Hof eines dörflichen Gehöftes, so sieht man ihrer meist mehrere auf einmal davonhuschen. Zwanzig oder noch mehr bekommt man jedoch zu Gesicht, wenn man plötzlich eine Kornscheune erhellt. Am Boden, zwischen den Vorräten, über- all huschts und raschelts dann, und oben im Ge- bälk vollführen sie scheinbar die gewagtesten Tänze. An solchen Örtlichkeiten verursachen sie zweifellos den hauptsächlichsten Schaden, indem sie an den Vorräten fressen. Dieser Schade ist in erster Linie ein landwirtschaftlicher, ein militärischer ist er nur in zweiter Linie, nämlich insofern, als die Landwirtschaft im besetzten Frankreich fast aus- schließlich nach Anordnung der deutschen Heeres- leitung durch die Truppen und durch bezahlte Einwohner besorgt, oder, soweit sich noch Vieh in den Händen der Einwohner befindet, von der Heeresleitung kontrolliert wird und die Erträge nicht anders als genau nach Erfordernis abge- geben werden. Freilich in den Truppenverpfiegungs- magazinen wird man gleichfalls Grund haben, den Ratten zu steuern, doch auch das möchte ich als einen militärischen Schaden nur in zweiter Linie bezeichnen. Anders ist es, wenn im harten Winter die Ratte in den Pferdeställen, namentlich in den improvisierten, die ehemals Scheunen waren, sich am Lederzeug vergreift. Wenn sie etwa, wofür sie unter solchen Umständen eine gewisse Vor- liebe zu haben scheint, die aus Schweinsleder- Strängen geflochtenen Sattelgurte, die sog. Trans parentgurte, einfach durchfrißt, so ist das ein Schade, der, theoretisch gesprochen, die Gefechts- bereitschaft der Truppe herabsetzen könnte. Aber natürlich kommt es nicht immer gleich zum voll- ständigen Unbrauchbarwerden solcher Gegenstände, und zudem kann man diesem überhaupt seltenen Vorkommnis durch geeignete Aufhängung des Ledermaterials ganz gut vorbeugen. Als ein weiterer militärischer Schade, der je- doch ebensowenig wie der zuvor erwähnte je im entscheidenden Augenblick Nachteil gebracht haben dürfte, wäre zu nennen, daß so gut wie sonstige Nahrungsmittel die sog. eisernen Portionen, soweit sie in Unterständen nicht unter Blechverschluß liegen, von den Ratten gefressen werden können. Damit dürfte so ziemlich das, was über die Ratte als für die Truppen ernsthaft schädliches Tier vorzubringen wäre, gesagt sein. Im übrigen macht sich die Ratte noch dadurch unangenehm bemerkbar, daß sie Löcher in Dielen und Holzwände von Wohnungen und Unterständen frißt und sich dadurch Zugangswege zu diesen Räumlichkeiten verschafft. Die Untaten, die sie darin weiterhin verübt, sind mehr Kleinigkeiten. In Brote bohren die Ratten an der Seite oder an der Schnittfläche große, runde, tiefe Löcher hin- ein. Harte Würste höhlen sie kahnfömig aus. Butter fressen sie gern und lassen in dem übrig- bleibenden Rest die Abdrücke ihrer Nagezähne zurück. Bei Schokoladetafeln fressen sie die Papier- und Stanniolumhüllung einfach durch und knabbern an dem süßen Inhalt. Auf solche Weise werden die Nahrungs- und Genußmittel natürlich den Soldaten oft verekelt — andererseits aber läßt sich auch dieser Schade leicht durch geeig- nete Aufbwahruug unter Verschluß oder auf hohen Wandbrettern vermeiden. Ferner machen sich die Ratten als Ruhestörer verhaßt. Die nächtlichen Geräusche ihres Herum- laufens in den verschiedenen Gangarten, das laute Kratzen ihrer Nagezähne, das oft sehr lebhafte Gequieke, selbst das laute Gepolter, mit dem sie einmal eine Blechbüchse herumschleppen, würden ihnen zwar die wenigsten übelnehmen, denn einen gesunden Soldatenschlaf stört dies alles nicht. Ein höchst unangenehmer Schauer überläuft jedoch jeden, der, auf einem Strohsack oder sonstigen Lager am Erdboden schlafend, plötzlich dadurch erwacht, daß eine schwere Ratte auf ihm sitzt. So fühlte ich einmal auf meinem Kopf solch eine warme lebende Masse hin- und herwogen, und in diesem Moment habe ich als Zoologe, als Tier- freund und Tierforscher, dem sonst nichts Lebendes widerlich, nichts Organisches unüberwindlich ist, wahrhaftig das Gruseln kennen gelernt. Grund zu objektiverer Beschwerde liegt in den allerdings sehr vereinzelten Fällen vor, so schlafende Leute von wahrscheinlich recht hungerigen Ratten ge- bissen wurden. Als Verunreiniger dermenschlichen Behausungen machen sich die Ratten kaum irgendwo in schwer- wiegendem Maße bemerkbar. Ihren vor allem im Freien stellenweise massenhaft umherliegenden Kot findet man freilich auch in geschlossenen Räumen, hier aber haben, wo Soldaten wohnen, auch ohnedies Kehrbesen und Wischtuch täglich genug zu tun, so daß wohl niemals eine Verun- reinigung durch Rattenkot aufgefallen ist. Selbst- redend macht der Abscheu vor etwaigen Exkre- menten dieser Tiere dennoch der Ordnungsliebe 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 unddem Sauberkeitssinn des Soldaten Ehre. Nirgends hat man je Harn von Ratten bemerkt. Gesundheitliche Nachteile der Ratten sind mir vom westlichen Kriegsschauplatze gleichfalls nicht bekannt geworden. Unsere ausgezeichnete Militär- hygiene hat es verstanden, allen etwaigen Schäden der Sauberkeitszustände, die an heimatliche Ver- hältnisse nicht immer ganz heranreichen konnten, vortrefflich vorzubeugen. Ähnliches wie von den Ratten gilt allgemein von den Mäusen, also in erster Linie von der Hausmaus, die gleichfalls in keinem Wohnraum oder Unterstande fehlt, und von den im Winter den Kornspeichern zuwandernden Feldmäusen. Zweifellos sind auch die Mäuse hier in Frankreich zahlreicher als im allgemeinen in Deutschland, namentlich die Hausmäuse in den Wohnungen, doch dürfte dieser Unterschied gegenüber den heimatlichen Verhältnissen, namentlich wenn sich diese örtlich oder zeitlich steigern, nicht ganz so groß sein wie bei den Ratten. Die gegen Ratten ergriffenen Abwehrmaßregeln bestehen zunächst in der rattensicheren Aufbe- wahrung oder Aufliängung der in Frage kommenden Gegenstände. Ferner werden gut angelegte Unter- stände, wie sie je länger je mehr hergestellt werden, durch allseitige Verschalung mit Holz zugleich für längere Zeit rattendicht und gestatten, das Auftreten etwaiger Rattenlöcher zu überwachen und zu verhindern. Sodann wurden vor etwa Jahres- frist im Lande Ratten- und Mäusefallen requiriert, nach Verlangen verteilt und von der Mannschaft namentlich anfangs mit regem natürlichen Jagd- eifer benutzt, und es mag bemerkenswert sein, daß man unter den Rattenfallen in dieser Gegend vorwiegend solche großen Reusen bekam, in denen sich oft mehrere, nach meinen Erfahrungen bis 7 Stück Ratten zugleich fangen. Jetzt sind jedoch wohl die meisten Ratten- und Mäusefallen als nicht etatsmäßige Gegenstände infolge des häufigen Wechsels der Mannschaften bereits „verblüht" (on n'a pas oder il n'a plus). Es ist selbstver- ständlich, daß die Soldaten auch mit Lust Ratten erschlagen, so oft es ihnen gelingt, und in einigen Ortschaften hat die Militärbehörde diesen Eifer nutz- bar gemacht, indem sie für jedes erlegte Tier eine kleine Prämie, z. B. 10 Pfennige, zahlt. Wenn man in einzelnen Gegenden des Kampf- gebietes eine Zunahme der Ratten bemerkt haben will, so dürfte das wohl ein wenig genau be- gründetes Urteil sein. Fasse ich das Wichtigste von meinen persön- lichen Beobachtungen zusammen, so ist den Ratten eigentlich militärischer Schade nur in der Theorie nachzusagen. Größer ist ihr wirtschaftlicher Schade, und der ihnen geltende Haß beruht hauptsächlich auf Kleinigkeiten und auf subjektiven Gründen. Hiernach wird man es verstehen, daß offizielle Abwehrmaßregeln gegen die Ratten zwar ergriffen wurden, aber doch nicht die Bedeutung erlangten wie bei den Läusen, die durch ihre schmerzhaften Stiche viel lästiger fallen, wobei ihre Vermehrung selbst gegenüber der Fruchtbarkeit der Nagetiere geradezu uferlos ist und bei ihrer Vernachlässigung schwere Krankheiten drohen würden wie die Phthiriasis, der P'iecktyphus und etwaige Spiro- chätosen oder Spirillosen. (g7c) Franz. Einzelberichte. Chemie. Eine interessante Zusammenstellung über „Zusammensetzung und Heizwert der Kohle" gibt der Ingenieur VV. Hopf in der Zeitschr. f. Dampfkessel und Maschinenbetrieb Jahrgang 1915, S. 313 — 316. Ihr sind die folgenden Angaben entnommen. Jede Kohle besteht aus der eigentlichen brenn- baren Substanz, der sogenannten „Reinkohle" (in der Hauptsache Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauer- stoff und daneben geringere Mengen von Schwefel und Stickstoff), der F'euchtigkeit und den minera- lischen Bestandteilen. Je nach dem Feuchtigkeits- gehalt der Kohle unterscheidet man die Roh- oder grubenfeuchte Kohle, die luft- trockene Kohle, die bei Zimmertemperatur an Luft von 50 "j^ relativer F'euchtigkeit weder Wasser abgibt noch auch aus ihr aufnimmt, und die wasserfreie Kohle, die bei lOS^C bis zur Gewichtskonstanz getrocknet ist. Wird Kohle bei Luftabschluß erhitzt, so entweichen die flüchtigen Bestandteile und es bleibt der aschehaltige Koks zurück, und zwar unterscheidet man die Kohlen je nach ihrem auf Reinkohle bezogenen 20 — 25 80-75 Gehalt an flüchtigen Bestandteilen nach folgendem Schema : Menge der Bezeichnung der Kohle flüchtigen Koksmenge Bestandteile .Anthrazite 4— 8 % 96—92 % Magerkohlen 8—15 92—85 Eßkohlen 15 — 20 85—80 Kurzfiammige Fettkohlen (Kokskohlen) Langflamraige Fettkohlen , (Gaskohlen) "5— 0° 75 7° Gasflammkohlen 30—45 7°— 55 Braunkohlen 45 — 55 55—45 Als „Heizwert" (auch „unterer Heizwert" ge- nannt) bezeichnet man die Anzahl von Wärme- einheiten (großen Kalorien), die bei der vollstän- digen Verbrennung von I kg der Kohle zu Kohlen- säure, Schwefeldioxyd und dampfförmigem Wasser frei wird. Er ist zu unterscheiden, von der Verbrennungswärme (auch „oberer Heizwert" genannt), die sich auf flüssiges Wasser bezieht. Da nun bei der Kondensation von i kg Wasser- dampf zu flüssigem Wasser 600 Wärmeeinheiten N. ¥. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 frei oder bei der Verdampfung von i kg flüssigem Wasser zu Wasserdampf ebenso viele Wärme- einheiten gebunden werden, so ist, wenn die Kohle a "/o Flüssigkeit enthält und bei der Verbrennung aus dem Wasserstoff noch b "j^ Wasser entstehen, der gewöhnlich angegebene „untere Heizwert" um 6(a-f b) Kalorien niedriger als die Ver- brennungswärme. Die Ermittlung des Heizwertes geschieht ent- weder durch unmittelbare Verbrennung einer mit besonderer Sorgfah genommenen Durchschnitts- probe ') in komprimiertem Sauerstoff in der Berthelot 'sehen Kalorimeterbombe oder durch Analyse der Kohle und Berechnung nach der sogenannten „Verbandsformel". Natürlich müssen, da bei der Verbrennung der Kohle im Kalori- meter das Wasser als flüssiges Wasser auftritt, die Menge (a + b) "/„ dieses flüssigen Wassers bestimmt und von der unmittelbar erhaltenen Verbrennungswärme V 6 (a -f b) Kalorien in Ab- zug gebracht werden, um den (unteren) Heizwert W zu erhalten: W = V — 6 (a 4- b) Kai. Die zuerst von Du long angegebene soge- nannte „Verbandsformel" geht von dem Gedanken aus, daß bei der Verbrennung von I kg Kohlenstoff zu COg 8100 Kai. I kg Wasserstoff zu flüssigem H^O 29000 Kai. und von i kg Schwefel zu SO.^ 2500 Kai. entstehen, macht die Voraussetzung, daß der in der Kohle vorhandene Sauerstoff mit einem ent- sprechenden Teil des Wasserstoffs zu Wasser ver- bunden sei, und nimmt schließlich an, daß die Form, in der im übrigen Kohlenstoff, Wasserstoff und Schwefel in der Kohle gebunden sind, auf die Verbrennungswärme ohne Einfluß sei und daß als Verbrennungswärmen die oben für die reinen Elemente angegebenen Werte eingesetzt werden dürften. Dementsprechend berechnet sich, wenn man mit C den Prozentgehalt der Kohle an Kohlenstoff mit H ihren Prozentgehalt an Wasserstoff mit O ihren Prozentgehalt an Sauerstoff') mit S ihren Prozentgehalt an Schwefel und mit F ihren Prozentgehalt an Wasser^) bezeichnet, der untere Heizwert W nach der Formel W = 8iC + 29o(H — |\ + 25S — 6F. Diese Formel stimmt, wie leicht begreiflich ist, im allgemeinen um so besser, je älter die Kohle ist, d. h. je höher ihr Kohlenstoff- und je geringer ihr Wasserstoffgehalt ist; meist sind die Unter- schiede zwischen dem berechneten und dem in der Kalorimeterbombe gefundenen Wert nur i "/„, können aber besonders bei Braunkohlen auch viel größer sein. Auf Holz, Torf sowie auf flüssige Heizmaterialien ist die Formel nicht anwendbar. Eine Übersicht über die auf Reinkohle bezogenen Heizwerte der wichtigsten in Deutschland ge- brauchten festen Brennmatetialien gibt die beige- gebene Tabelle, zu der nur noch ergänzend be- merkt werden möge, daß sich die Heizwerte der besten Heizöle, wie sie aus dem Erdöl gewonnen werden, auf lOOOO bis 1 1 000 Kalorien belaufen. Tabelle ') Die Entnahme einer richtigen Durchschnitlsprobe aus einem großen Kohlenhaufen ist eine sehr schwierige Aufgabe, die nach ganz bestimmten Gesichtspunkten zu erfolgen hat und viele Erfahrung voraussetzt. Es ist ganz unzulässig, aus einem großen Kohlenhaufen etwa eine einzelne Kohle be- liebig herauszugreifen und sie zu untersuchen, denn der er- haltene Heizwert kann sehr erheblich von dem durchschnitt- lichen Heizwert des Haufens, den es zu ermiUeln gilt, ab- weichen. 2) In der Praxis wird niemals der Sauerstoff direkt be- stimmt. Man verfährt daher so, daß man den Prozentgehalt aller Bestandteile der Kohle mit Ausnahme des Stickstoffs und des Sauerstoffs ermittelt, das an 100 Fehlende als Summe von Stickstoff und Sauerstoff ansieht und für den Stickstoff, vpenn man seine Menge nicht unmittelbar bestimmen will, einen konventionellen Durchschnittswert — 1 "/„ — ansetzt. 3) Es handelt sich hier nur um die Feuchtigkeit selbst, denn das erst durch die Verbrennung entstehende Wasser ist ja bereits in der Formel durch das Glied (H — J berück- sichtigt. Deutsche Steinkohlen Westfälische Magerkohle Westfälische Fettkohle Westfälische Gasflammkohle . . . . Saar- und Lothringer Steinkohle . . . Schlesische Steinkohle Hannoversche und sächsische Steinkohle Stcinkohlenbriketts Steinkohlenkoks , . . . Englische Steinkohlen Durham Yorkshire Schottische Steinkohle . . . Englischer Gaskoks . . . . Englische Steinkohlenbriketts . Braunkohlen aus der Provinz Brandenburg . . • aus der Lausitz aus dem Königreich Sachsen ' 6boo — 7000 aus der Provinz Sachsen , aus Thüringen und Anhalt , 6300— 6S00 aus Westdeutschland, Rheinland und Hessen j 6300—6600 aus Böhmen 6900—7500 Heizwert der Reinkohle 8400- -S500 Kai. 8200- -8400 8000- -8200 7800- -8100 7SOO- -8000 77°°- -8000 8200- -8500 7900- -Sioo 8200- -8400 7900- -8000 7600- -8000 7800- -8000 8300- -8500 5600 -6400 5900 -6300 Braunkohlenbriketts aus der Provinz Brandenburg 6000—6400 aus der Lausitz 5900-6300 aus dem Königreich Saclisen 6300—6700 aus der Provinz Sachsen, aus Thüringen und Anhalt 6300—6700 aus Westdeutschland, Rheinland und Hessen 5S00-6100 Sonstiges Norddeutscher Torf 5100-54°° Holz i 430°— 450° Mg. Über das absolute System der Farben. In eineT^längeren Abhandlung macht Wilhelm Ostwald^) den folgenden sehr beachtenswerten Vorschlag zur Ausarbeitung einer Methode, die 1) Zeitschr. f. phys. Chemie 91, Heft 2, 1916. 448 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 Farben zahlenmäßig festzulegen, mithin das abso- lute Maßsystem auch auf die P'arben auszudehnen. Die Mannigfaltigkeit der Farben wird bestimmt durch drei unabhängige Urvariabeln: Die Reinheit, das Grau und den F"arbton. Sie lassen sich experi- mentell folgendermaßen ermitteln. Man faßt die Farbe als ein Gemisch aus einem farbigen und einem farblosen oder grauen Anteil auf. Der Bruch, welcher den farbigen Anteil im Gesamt- licht angibt, ist die Reinheit f. Nennen wir den Anteil weißen Lichtes, das etwa ein farbiger Auf- strich zurückwirft, w, und den Anteil, den er ab- sorbiert, s, so gilt offenbar die Beziehung: (1) f+w + s=i. Das Grau wird durch folgenden Bruch definiert: w w-f-s Entwirft man nun auf der zu untersuchenden Fläche ein möglichstausgebreitetesSonnenspektrum, so wird es darauf eine Stelle maximaler und eine solche minimaler Helligkeit geben: nämlich die beiden Spektralstcllen, deren Farbe mit der des Aufstrichs übereinstimmt resp. zu ihr komplementär ist. Deren Helligkeiten müßten, wenn der Auf- strich von vollkommen reiner Farbe wäre, gleich der Helligkeit der absolut weißen Fläche, d. h. gleich I, resp. der der absolut schwarzen Fläche, d. h. gleich o, sein. Die tatsächlich erhaltenen Helligkeiten hj resp. h^ lassen sich experimentell ermitteln durch Vergleichen mit einer Stufenreihe rein grauer Aufstriche, deren Helligkeiten im Ver- gleich zu derjenigen der absolut weißen Fläche chemisch reinen Bariumsulfats zuvor irgendwie photometrisch bestimmt worden sind. Dann haben wir: (2) h, =f+w, also nach (i): (3) i-h, =s. Ferner: (4) ho = w, also nach (2) : (5) f=lH-h., Ebenso nach (3) und (4): ^^ w + s I + h, — h, Damit sind, gemäß (5) und (6), zwei Urvari- abeln bestimmt, und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen subjektiven Momenten. Bei der dritten lassen sich diese nur zu einem recht beträcht- lichen Teil ausschalten. Man benutzt zur Be- stimmung des Farbtons einen Farbenkreis folgender Beschaffenheit. Er umfaßt 100 Farbtöne, wobei jeweils zwei komplementäre Farbtöne einander diametral gegenüberliegen. Es wird dann gemäß folgender Festsetzung der gesamte Farbenkreis in eindeutiger Weise eingeteilt: „Es seien a und c zwei beliebige Punkte des Farbenkreises und b ein Punkt, welcher sj'mmetrisch zwischen a und c ge- legen ist, so gehört nach b diejenige P'arbe, welche sich bei additiver Mischung aus gleichen Anteilen der Farben a und c ergibt." Der Anfangspunkt der Zählung liegt im reinen Gelb zwischen den Übergängen nach Grüngelb und Rotgelb; ihr fortschreitender Sinn geht von dort aus durch Orange, Rot, Violett, Blau und Grün. Die Aus- führung des Vergleichs des zu untersuchenden Farbtons mit den Tönen des Kreises hat bei Tageslicht zu erfolgen. Damit sind die allgemeinen Grundlagen zur zahlenmäßigen Kennzeichnung einer jeden be- liebigen vorgelegten Farbe gegeben. Es ist zu hoffen, daß diese Ausführungen Ostwald's recht bald allgemeine Anerkennung und Eingang in die Praxis finden werden, damit endlich einem für die Technik und die Wissenschaft gleich lästigen Übelstande abgeholfen würde. Harry Schmidt. Physiologie. Die Frage: Kann der tierische Organismus Kohlenoxyd umsetzen? ist wiederholt geprüft worden, neuerdings von Dr. Marie Krogh (Pflüger's Archiv für die gesamte Phy- siologie des Menschen und der Tiere. Bd. 162, I. und 2. Heft, 191 5). Während die warmblütigen Tiere nach Grehant und Gaglio dazu nicht imstande sind, hielten St. Martin und Wach- holz dafür, daß Kaninchen, Mäuse und Mehl- würmer es vermöchten. Von Haidane wurde die Frage für die Warmblüter abermals geprüft, da es eine Voraussetzung für die Haldane- Smith'sche Methode der Bestimmung der Sauer- stoffspannung des Blutes ist, daß die aufge- nommene Kohlenoxydmenge nicht aus dem Blut verschwindet. Es wurden bei den Haldane- schen Versuchen Mäuse viele Stunden lang in einem Glas eingeschlossen gehalten. Die gebil- dete Kohlensäure wurde durch Natronlauge ab- sorbiert und der verbrauchte Sauerstofi' ständig ersetzt. Bei genauer Analyse von Luftproben aus dem Behälter auf CO ergab sich, daß die Mäuse nicht imstande gewesen waren, das Kohlen- oxyd zu oxydieren oder anderweitig umzusetzen. Wach holz und Worgitzki stellten aber- mals Versuche mit Mäusen, Meerschweinchen, Kaninchen, Tauben, Mehl- und Regenwürmern an. Ersterer fand, daß die Mäuse kein Kohlen- oxyd umsetzen können, die Mehlwürmer dagegen einen bedeutenden CO-Verbrauch zeigten. Das- selbe fand auch Worgitzki. Während bei den anderen Versuchstieren kein Kohlenoxyd ver- schwand , absorbierten die Mehlwürmer davon rund 7in des gleichzeitigen Sauerstoffverbrauchs. K. suchte zu ermitteln, zu welchen chemischen Verbindungen das Kohlenoxyd umgesetzt würde. Hundert Mehlwürmer wurden in einem Glasbe- hälter von 700 ccm 34 Stunden lang eingeschlossen. Zur Absorption der Kohlensäure war derselbe mit Natronlauge beschickt. Die Analyse der Luft am Ende der Versuche ergab eine bedeutende Vermin- derung des CO-Gehaltes, welcher am Beginn ca. S "/„ der atmosi^härischen Luft betragen halte. Beim Fehlen von Druckmessungen konnte indessen nicht festgestellt werden, ob die verschwundene Kohlen- N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 449 oxydmenge von den Mehlwürmern aufgenommen oder ob sie wegdiffundiert war. Es zeigte sich, daß die Mehlwürmer einen mehrstündigen Aufent- halt in reinem Kohlenoxyd gut vertragen, aber nicht imstande waren, das Kohlenoxyd zu ver- werten. Wie die Larven, verhielten sich auch die Puppen des Mehlwurms. Die Ergebnisse ihrer zahlreichen Versuche mit dem Mikrorespirationsapparat und nach einer Analyse der Luft mit einem Apparat, welcher dieselbe auf CO mit einer Genauigkeit von 0,001 "/„ zu analysieren gestattet, fand K. : 1. Kohlenoxyd wird nicht von den Mehl- würmern zerstört. 2. Kein brennbares Gas wird von den hungern- den Larven gebildet. 3. Der Stoffvvcclisel bleibt nahezu konstant und ist von dem Gehalt der Luft unabhängig. Der respiratorische Quotient entspricht einer Fettver- brennung. Kathariner. Strohmehl als Nahrungs- und Futtermiitel. In den „Arbeiten aus dem kaiserlichen Ge- sundheitsamte", Band 50, Heft 2, 1915 bringen Geh. Rat Dr. K e r p , Dr. Frz. Schröder u. Dr. Pfyl Mitteilungen über ihre Erfahrungen in diesem Gegenstand, der anfangs vorigen Jahres außer- ordentlich eifrig besprochen wurde. Verf. sind zu dem Ergebnis gekommen, daß für die Ernährung des Menschen, besonders zur Brotbereitung das aus Stroh hergestellte Mehl zurückzuweisen ist. Für die Ernährung der Wiederkäuer, zu welcher man es hauptsächlich zu verwenden gedachte, halten es die Verf. für ganz überflüssig, weil Strohhäcksel von ihnen ebenso wie Mehl ausgenützt wird. Ebenso- wenig kommt es als Nahrung für andere Tiere in Betracht, besonders ist es nach verschiedenen Fütterungsversuchen für Schweine ein wertloser Ballast, wenn man es den Tieren sogar in feinster Form darbietet. Aichberger. Zoologie. Angaben über die Lebensweise des Kleinen Frostspanners, Cheimatobia (Öperaphtcra) brumata und die Bekämpfung dieses Schädlings bringt eine neue Arbeit von Schneider-Orelli an der Schweizerischen Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil '). Für das Versuchsgebiet auf dem Wädenswilerberg 580 m ü. M. wird als frühste Flugzeit des Kleinen Frost- spanners der II. Oktober festgestellt. Nach Mitte Dezember konnten keine brumata- Falter mehr ge- fangen werden. Die Hauptflugzeit würde von Ende Oktober bis Mitte November sich ausdehnen. Im Gebirge sollte der Kleine Frostspanner schon im September erschei.ien. So soll dies im Riesen- gebirge 1300 m ü. M. der Fall sein. Durch das Anbringen von zwei Leimringen in 1 Meter Entfernung voneinander um den Stamm ') Weitere Untersuchungen über die Lebensweise und Bekämpfung des Kleinen Frostspanners. Landwirtschaftliches Jahrbuch der Schweiz. Heft 5, 1915. haben ergeben, daß das ungeflügelte brumata- Weibchen den ersten Klebring nicht über- schreiten kann. Beim geflügelten Männchen ist dies natürlich der Fall, aber auch belanglos für die Bekämpfung des Schädlings. Das Aufsteigen der jungen Räupchen vom Boden, wo die Überwinterung im Eistadium er- folgt, zur Baumkrone — das durch Klebringe ver- hindert werden kann — begann in den Versuchs- jahren 191 3/14 am 14. April und war am 6. Mai beendet. Die Haupltage waren der 28. 29. und 30. April. Der Verfasser hat festgestellt, daß es vorkommen kann, daß in seltenen Fällen (unge- fähr I "/g) Raupen des Kleinen Frostspanners sich in der Baumkrone verpuppen, anstatt normaler- weise im Erdboden. Aus diesen Puppen schlüpfen normale Falter, Männchen und Weibchen. Zuchtversuche haben ergeben, daß innerhalb weiter Grenzen eine fast vollständige Unempfindlich- keit des Puppenstadiums gegen Wärme- und Kälte- reize besteht. Der Verfasser hält es daher für sehr unwahrscheinlich, daß ein Teil der Falter des Kleinen Frostspanners erst im Frühjahr erscheint, obschon solche Angaben in der Literatur immer wieder anzutreften sind. Auch die jungen Räup- chen sind gegen selbst starke Frühlingsfröste soviel wie unempfindlich. Solche Räupchen wurden im Laboratorium einer 14 Stunden lang andauernden Kälte von 10 bis 17" C unter Null ausgesetzt und bis auf 10 "/o erholten sich alle vollständig. Die Arbeit des Verfassers leistet für die Be- kämfung des bemerkenswerten Schädlings gute Dienste. Alb. Heß. Das vonFantham 1910 entdeckte Trypano- plasma dendrocoeli lebt nach J. G e 1 e i nicht nur in der Lichtung des Darmes des allbekannten Turbellars Dendrococluui lacteian und im Innen- raum des sogenannten Uterus (richtiger Bursa copu- latrix), sondern auch in verschiedenen Gewebs- zellen des Wirtes, diese mehr oder weniger ver- ändernd oder zur Lösung des Zellverbandes ver- anlassend. Die Übertragung Tier zu Tier — ein Zwischenträger ist wohl ausgeschlossen — geschieht in der Regel bei der stets wechsel- seitigen Begattung, kann aber auch bei der Nahrungsaufnahme stattfinden, wenn, wie häufig, zwei oder mehrere Dendrocoelen über eine Beute herfallen und wenigstens bei einem Trypanoplasmen in der Pharyngealtasche vorhanden sind. Nicht ausgeschlossen, jedenfalls aber viel seltener, ist die vonFantham festgestellte Übertragungsart durch Eier, die innerhalb der Eischale Parasiten beher- bergen. Andere, ebenfalls bei der Begattung über- tragen werdende Trypanoplasmaarten leben im Receptaculum seminis einheimischer (und fremder) Helix- und Limnaea-hxttn (vgl. Kühn in Schrift. d. Phys.-oek. Ges. Königsberg Pr. 52. 1911)- während Tr. bore/H im Blute zahlreicher Süßwasser- fische vorkommt und auf diese durch Piscicola und andere Egelarten übertragen wird. Es ist also wohl überall auch im Binnenlande die Möglichkeit Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. gegeben, diese interessanten Parasiten im lebenden Zustande zu untersuchen (Gel ei im; Arch. f. Protistenkd. 32. 1914)- Brn. Eine den Darm von Ti/w/rt-Larven bewohnende Amöbe (Loeschia Iiartmanni), die zu den kleinen Arten gehört und sich durch Bruchsackpseudopodien fortbewegt, bildet nach D. L. Mackinnon (Arch. f Protistenkd. 32. 1914) kleine dickwandige Cysten, in denen schließlich 10 Kerne zu erkennen sind. Man nimmt an und stützt sich hierbei auf mehr oder weniger sichere Beobachtungen, daß im Leben parasitischer Amöben ein Geschlechtsakt entweder als Autogamie während der Encystierung oder als paarweise Verschmelzung der jungen, aus den Cysten nach Einfuhr in den Mist ausgeschlüpften Amöben eintritt. Bei den Bewohnern des Darmes von TiJ'ida-hzrven (Schottlands) will Mackinnon sich überzeugt haben, daß die Kopulation unmittel- bar vor der Bildung des encystierten Stadiums eintritt. Brn. Erfahrungen im Vogelschutzgebiet Hiddensee. Der deutsche Vogelschutz liegt unter den er- schwerenden Verhältnissen des Krieges nicht darnieder. Als ausgezeichnetes Vogelbrut- und Vogelschutzrevier wird bekanntlich in den letzten Jahren das nehrungsartig langgestreckte, meist ganz flache, sandige und nur spärlich be- wachsene Eiland Hiddensee gepflegt, das der Insel Rügen im Westen vorgelagert ist. Hier nisten, man möchte sagen, ungezählte Scharen von Wiesen-, Ufer- und Schwimmvögeln, die bis 1910 der rück- sichtslosen Verfolgungdurch Eierraub und Sonntags- jägerei preisgegeben waren und daher ständig ab- nahmen und zum Teil in ihrem Bestände bedroht waren, während sie seither ausgezeichnete, ja einen Teil des Jahres hindurch absolute Schonung ge- nießen, so daß wieder Zunahmen zu verzeichnen sind, seltene Arten, wie der interessante, schöne Säbelschnabler, Recurvirostra avosetta, vor der Vernichtung bewahrt blieben und Beobachtungen über den Vogelzug, auch mit Hilfe von Beringungen, und über sonstige Lebensgewohnheiten der Be- fiederten angestellt werden konnten. Außer den zahlreichen jedem Wanderer auffallenden und ihn sogar gelegentlich fast belästigenden Brutvögeln — natürlich läßt sich jeder ihr Treiben gern gefallen und der zu harte Ausdruck soll lediglich die er- staunliche Häufigkeit der den Wanderer hier und da umfliegenden Vögel, namentlich Kiebitze, versinn- lichen — gehören die großen Mengen der sich dort auf dem Bodden herumtreiben ehefeindlichen Schwäne, Cygnus olor, zu den hervorragenden Naturschönheiten des ländlichen Ornithologen- paradieses. Dem i. und 4. Hefte der „Ornitho- logischen Monatsschrift" 1916, seien aus den fünf Berichten des Bundes für Vogelschutz und der Herren Fr. Lindner, E. Hübner und vor allem H. Berg hier folgende Angaben entnommen. Berg macht darauf aufmerksam, daß die Insel Hiddensee einschließlich der kleinen Nebeninseln Fährinsel und Gänsewerder zusammen mit der bei der Insel Ummanz liegenden Inseln Heuwiese, Liebes und Wührens und den gegenüber von Bar- höft gelegenen Werderinseln ein einheitliches Brutgebiet darstellen, innerhalb dessen die Vögel von Jahr zu Jahr teilweise wechseln, was bei Aufstellungen über die Brutzahlen in den einzelnen Gebieten berücksichtigt werden muß. In diesem ganzen „Westrügenschen Schutzgebiet" wurden 191 5 von H. Berg folgende eher zu niedrig als zu hoch gegriffene Zahlen von brütenden Paaren ermittelt, wovon bei der Sturmmöve (Larus canus), der Lachmöve (L. ridubundus), der Flußseeschwalbe (Sterna hirundo) und dem Austerfischer (Haema- topus ostralegus) der Hauptanteil auf die Werder- inseln, bei den übrigen Arten aber wohl auf Hiddensee entfällt: Larus canus looo Paare, L. ridibundus 2000, Sterna hirundo 500, St. minuta 70, Mergus serrator 40, Tadorna tadorna 50, Anas boscas 200, A. acuta 40, A. crecca 10, A. quer- quedula 10, Spatula clypeata 50, Vanellus vanellus 800, Haematopus ostralegus 250, Totanus totanus 500, T. pugnax 200, Tringa alpina schinzi 150, Charadrius hiaticula 100, Fulica atra 20, Rocurvi- rostra avosetta 60 Paare, dazu einige Paare von Gallinago gallinago, Rallus aquaticus, Strepsilas interpres, Colymbus cristatus, ferner eine Menge Lerchen, Pieper, Rohrammern, Kuhstelzen und viele andere Kleinvögel. Eine noch etwas größere Zahl von Brutvogelarten zählt H ü b n e r auf; als Durchzügler werden erwähnt Eiderenten, der Große Säger, Ringelgänse, als häufige Gäste Kor- morane, Fischreiher und andere mehr. Der Vogel- bestand ändert sich von Jahreszeit zu Jahreszeit. Die meisten auf Hiddensee nistenden Strand- und Wasservögel, also auch einige Arten Singvögel, wieFinken und Grünlinge, verlassen, nach Lindner, die Insel nach Vollendung des Brutgeschäftes und machen fremden Zuzüglern Platz. Die Erfolge des Vogelschutzes bestehen außer in der Erhaltung aller Brutvögel mindestens auf der bisherigen Zahl in einer auffälligen Zu- nahme der Lachmöve und Flußseeschwalbe, dem- nächst des Kiebitzes, des Rotschenkels, der Stock- ente, des Schinz'schen Alpenstrandläufers, ferner auch der Löffel- und Spitzente und des Säblers. Beim Kiebitz, Rotschenkel, Alpenstrandläufer und Kampfläufer ist noch eine Zunahme von 1914 zu 1916 zu verzeichnen; als neue Brutvögel wurden erst 191 5 die Bekassine und die Wasserralle mit Sicherheit festgestellt. Ebenso schwierig wie beim Säbelschnälber war die Sachlage beim Steinwälzer (Strepsilas interpres), der nur in vereinzelten Paaren auf Hiddensee brütet und jetzt, nach ge- ringer Zunahme, vor dem Verschwinden bewahrt sein dürfte. Ein Hemmnis des Vogelschutzes ist außer dem Eierdiebstahl durch fremde Fischer namentlich die Krähen plage. Der ungeheure Schaden, den nicht die Saatkrähen, sondern die von Jahr zu Jahr zunehmenden Nebelkrähen den Brutgebieten zufügen, übersteigt weit den mehr N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4SI gelegentlich durch Raubvögel verursachten. Zwar wissen Kiebitze und andere Vögel, nach H ü b n e r besonders auch Sturmmöven und Austernfischer ihre Gelege oft mutig gegen einzeln nahende Krähen zu schützen, sind aber der Dickfälligkeit der zum Teil auch von Rügen herüberkommenden Krähen in der Zeit, wo sie Junge haben, nicht gewachsen. Viele Möven-, Enten-, Austernfischer- und andere Brüten fallen den Krähen zum Opfer. Besondere Maßregeln werden gegen die Krähen ergriffen werden müssen, wie die Anlage von Krähenhütten und Anbringung von Tellereisen. Turmfalk und Mäusebussard werden laut Hüb n er von den Möven, da sie ihnen nichts anhaben, kaum beachtet, auch wenn sie sich längere Zeit in einem und demselben Gebiete zeigen. Viel regelmäßiger erfolgen jedoch Alarm und Angriffe von selten der Seevögel beim Erscheinen des Wanderfalken, der die erjagte Beute oft inmitten der Brutkolonie verspeist, mitunter aber auch, sie in den Fängen haltend, vertrieben wird. Weidendes Vieh schadet dagegen den Bodenbrütern im allgemeinen nicht. Im Laufe von Jahrhunderten haben sich das Vieh und die Vögel so aneinander gewöhnt, daß die brü- tenden Vögel sich überhaupt nicht von ihren Nestern erheben, wenn das Vieh in ihre Nähe kommt, und das Vieh weicht ihnen aus, so daß man kaum je ein zertretenes Gehege findet. So ist es nament- lich, wo auf kleinen Inseln das Vieh ohne Hirten weidet. Die Vögel nisten sogar vorzugsweise dort, wo auch Vieh weidet, vielleicht um des kürzeren Grases willen. Die Anwesenheit eines Hirten wirkt schon eher störend, die Vögel werden durch ihn aufgescheucht, und die Nester werden dann häufiger vom Vieh zertreten. Dieser Schade durch die Gegenwart des Menschen ist nicht groß, er warnt aber zugleich vor Über- treibungen im Errichten von Schutzhütten mit Wärtern sowie vor allzuhäufigem Abstreifen der Gebiete. Ein Fehler wäre es, wie Berg ausführt, Brutgebiete durch Drahtzäune einzufriedigen. Als Schutz gegen Vieh sind sie nach Vorstehendem überflüssig, Eierdiebe halten sie nicht fern, da- gegen verletzen sich Vögel an ihnen oder fliegen sich tot, und die Kolonie verarmt zusehends, wie die Erfahrung in einem Falle gezeigt hat. Zudem würde der Vogelschutz durch Drahtzäune den Zweck, ein Teil des Naturschutzes zu sein, nur in wenig befriedigender Weise erfüllen. Im Anschluß an den ornithologischen Bericht erwähnt Hübner, daß die Schutzarbeit auch den seltenen Strandpflanzen zugute kommt, und daß ein förmlicher botanischer Strandgarten auf Hidden- see-Süd entstanden ist. Franz. Zur Biologie des Kolkraben teilt W. Graß- mann') einige teils an sich, teils aus allgemeinen Gründen beachtenswerte Beobachtungen vom öst- lichen Kriegsschauplatze mit. Daß der in Deutsch- land, ausgenommen das Hochgebirge von Ober- bayern, ziemlich selten gewordene Kolkrabe ebenso wie der Steinadler in vielen sonstigen Gebieten seines Vorkommens durchaus nicht in seinem Bestände bedroht ist, dürfte ja bekannt sein. Immerhin überrascht es, zu erfahren, daß er nicht nur in einem Wald südlich Grabischow am Bug nicht selten, sondern 30 Kilometer weiter nordwestlich in und um Wladimir- Wolynsk geradezu gemein ist, so daß man öfter bis über 100 Stück starke Schwärme und auf einem ein- stündigen Spaziergang oft 40 bis 50 Stück zu sehen bekommt.') An dem letzteren Platze mögen die Raben allerdings durch Mengen von Speiseresten, Viehkadavern und Kaidaunen angelockt worden sein, und bei dieser ihrer Tafel wiegt ihr Nutzen den der dortigen schlechten Niederjagd zugefügten Schaden bei weitem auf. Ich übergehe Einzel- heiten über die Größe der Jungen, die Stimme, erwähne aber, daß von dem scheuen Wesen, welches der Rabe bei uns in Deutschland zur Schau trägt, dort nach Graßmann wenig zu bemerken ist; er ist in der Umgebung der Stadt ebenso dreist wie die Krähe. Auch bei einzelnen anderen Vögeln hat man beobachtet, daß sie, je häufiger, um so weniger scheu sind. So berichtet „Brehm's Tierleben" derartiges vom Wiedehopf und von der Blaurake, und die Elster ist im Aisnegebiet und in der Champagne, wo sie zu den häufigsten Vögeln zählt, viel weniger scheu als in Deutschland, wo sie schon viel seltener geworden ist. Ferner berichtet G raßm an n, daß die Raben sich in der Mehrzahl nach Beschießung der Stadt durch die russische Artillerie verzogen haben. Dies stimmt überein mit der in anderen Gebieten gemachten Erfahrung, daß größere Vogelarten, Auer- und Birkwild, Fasanen, Seeadler und Wild- enten, sich durch den Kanonendonner vertreiben lassen, wie auch Schwarzwild, Reh- und Rotwild vom Kriegsschauplatz des Westens nach Luxem- burg, Belgien, der Schweiz und den nicht vom Kampfe betroffenen Gebiet Frankreichs abwan- derten und den Wolf der Schlachtenlärm vertreibt, wohingegen kleinere Haartiere, wie der Hase, ferner kleinere Vögel, wie die Singvögel, Eulen, Falken und Krähen, ihr Gebiet behaupten. Zwar nicht ausnahmslos besteht dieser Unterschied im Verhalten der größeren und kleineren Tiere, sondern gleich dem Rebhuhn meidet die Zwergtrappe., obwohl zu den größeren Vögeln gehörig, im Westen keineswegs die stark beschossenen Zonen mit dem Geschützdonner und den mächtigen Staub- und Raucherscheinungen. Immerhin ist jenes verschiedene Verhalten auffällig genug — Singvögel schweigen nur während heftiger Be- schießung des von ihnen bewohnten Waldes, und Lerchen schmettern ihr Lied vom Ähterblau in die heftigste Kanonade hinein — und darin liegt ein deutliches Anzeichen dafür, daß im allgemeinen ') Oraithol, Monatsschr. 1916 Heft 1) Anmerkung der Redaktion. Der Herausgeber hat ihn iiuch in Kurland beobachtet, 452 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 für die kleineren Warmblüter die Umwelt, mit V. Mexküll gesprochen, auch abgesehen von den gewiß sehr beträchtlichen Unterschieden nach Arten schon von vornherein eine ganz andere ist als für die größeren und für die Menschen. Franz. Meteorologie. Der Einfluß des Geländes auf die Bildung von Hagelwolken. Die Gestaltung des Geländes und die Vegetation scheinen auf die Bildung von Hagelgewitter von großem Ein- fluß zu sein und R. Greipel (das Wetter 1916 S. 87) kommt auf Grund seiner Beobachtungen in Raase und Spachendorf (Österreich-Schlesien) zu folgenden Schlüssen: 1. Das Massiv eines Bergkegels (5 bis 6 qkm umfaßt der dortige Bergkegel) ist ungeeignet für das Zustandekommen eines auf größerer Fläche gleichmäßig und rasch aufsteigenden Luftstromes. 2. Die Luftverhältnisse über einem Berge und dem anliegenden Talkessel (östlich) hindern oder stören Hagelwolken, welche sich (westlich davon) bilden und über den Berg hinwegziehen, so daß die Bildung des Hagels nur mangelhaft eintritt, oder schon gebildeter Hagel nur ganz oder teil- weise geschmolzen den Erdboden erreicht. 3. Hagelwolken, welche sich über einem Tal- kessel (östlich) bilden und nicht über den Berg ziehen, entladen ihre Niederschläge erst 4 bis 6 km vom Berge entfernt. Die Luftverhältnisse über und neben einem Berge scheinen also (östlich und nordöstlich desselben) für gewisse Seiten desselben eine Schutzwirkung zu äußern gegen heftige Hagel- schläge. Dr. Blaschke Botanik. Die Entstehung der Schlafbewegungen. Schon 1 805 hat A. P. d e C a n d o 1 1 e die Frage auf- geworfen, ob die Schlafbewegungen der Pflanzen durch den Lichtwechsel erzeugt werden, ob sie also nach der Bezeichnung Wilhelm Pfeffers ait logen (aitionom, aitionastisch) sind, oder ob sie auf einer autonomen Bewegungstätigkeit, einer tagesperiodischen Innentätigkeit beruhen, die nur durch den täglichen Lichtwechsel reguliert werde (Autonastie). Pfeffer war bei seinen grundlegenden Untersuchungen über diesen Gegen- stand (1875 und 1907) zu dem Ergebnis gelangt, daß die Schlafbewegungen nicht autonomer (oder autogener) Natur seien, sondern durch den Licht- wechsel, in manchen Phallen auch durch den Tem peraturwechsel hervorgerufen würden. Inzwischen sind aber einige Pflanzen bekannt geworden, bei denen unter gewissen Bedingungen tatsächlich autonome Schlafbewegungen auftreten. Sie wur- den zuerst von Rosa Stoppel (1910) nachge- wiesen, die zeigte, daß die Blüten von Calendula arvensis, die ohne Licht zur Entwicklung kommen können, im Dunkeln tagesperiodische Schlaf- bewegungen ausführen. In den meisten Fällen, so besonders bei grünen Blättern , können solche Bewegungen wegen des Eintritts der Dunkelstarrc nicht sichtbar werden. Jedoch können sie hier, wie Pfeffer in einer dritten großen Abhandlung über die Schlafbewegungen (191 1) für Phaseolus mitteilte, dann hervortreten, wenn man nur das an der Bewegung beteiligte Blatt gelenk, nicht aber die Blattspreite verdunkelt. Unter diesen Umständen bleibt das Blatt bewegungstätig und führt bei Dauerbeleuchtung tagesperiodische Be- wegungen aus, die also autonomer Natur sind. R. Stoppel hat dann (1912) gezeigt, daß solche Bewegungen auch von Phaseolus-Blättern voll- führt wurden, die sie unter Verwendung eines besonderen Kulturverfahrens in dauernder Fin- sternis aktionsfähig erhielt. Eine solche Be- fähigung zu autonomen tagesperiodischen Be- wegungen ist indessen nicht bei allen schlaf- tätigen Pflanzen vorhanden, wie Pfeffer in einer neuen Arbeit nachweist, die gleich den beiden vorhergehenden in den „Abhandlungen der mathe- matisch-physikalischen Klasse der königl. sächsi- schen Gesellschaft der Wissenschaften" (Band 34, Nr. I, Leipzig 191 5, S. 154) erschienen ist. Nach einer Darlegung der Methode, bei welcher die schon in den früheren Untersuchungen vom Verf. angewendete automatische Registrierung der Be- wegungen (auf Zylinderflächen) zur Anwendung kam, beschreibt er unter reichlicher Beigabe von Kurvenbelegen die Ergebnisse seiner Versuche an den Blüten von Tulipa und Crocus, den Fieder- blättchen von Albizzia lophantha, den Blättern von Phaseolus vulgaris und Flemingia congesta usw. und tritt dann in eine allgemeine Besprechung des vorliegenden Tatsachenmaterials ein, das er in gewohnter Weise aufs eindringlichste prüft und nach allen Richtungen erörtert. Aus seiner Dar- stellung ergibt sich, daß für die Schlafbewegung der Tulpenblüten und der Blätter von Albizzia und Flemingia eine autonome tagesperiodische Bewegung überhaupt nicht vorhanden ist oder, falls sie — bei Albizzia und Flemingia — doch neben der aitionastischen Reaktionsfähigkeit be- stehen sollte, für das Zustandekommen der nor- malen Schlafbewegungen keinerlei Bedeutung hat. Diese werden bei den genannten Pflanzen allein durch den täglichen Wechsel der Beleuchtung oder (bei Tulipa und Crocus) der Temperatur hervor- gerufen. Wo die Befähigung zu tagesautonomischen Schlafbewegungen vorhanden ist, wie bei den Blättern von Phaseolus und den Blüten von Calen- dula, da ergeben sich die tatsächlich auftretenden Bewegungen im allgemeinen als Resultanten aus dem Zusammengreifen der autonastischen Bestre- bungen und der aitionastischen Reaktionen, die auch bei diesen Pflanzen unter normalen Verhält- nissen eine hervorragende Rolle spielen. Es ist aber bei diesen physiologischen Vorgängen oft schwierig oder unmöglich, die Rolle und die Be- deutung der einzelnen F"aktoren genau zu bestim- men, und es ist wohl möglich, daß unter Um- ständen die autonome Bewegungstätigkeit durch die Aitionastie oder diese durch die Autonastie ausgeschaltet oder verändert wird. Immerhin er- N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4S3 scheint es nach Pfeffer's Ausführungen nicht zweifelhaft, daß die Blüten von Calendula wie die Blätter von Phaseolus eine so bedeutende aitio- nastische (photonastische) Reaktionsfähigkeit haben, daß durch diese allein die vollen Schlafbewegun- gen erzielt werden können. Unter den gewöhn- lichen Vegetationsbedingungen dürften die Schlaf- bewegungen in der Regel unter dem hervorragen- den oder vielleicht dem dominierenden Einflüsse der Photonastie zustande kommen. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß es auch Pflanzen gibt, die ein so geringes aitionastisches Reaktions- vermögen besitzen, daß unter normalen Verhält- nissen die vollen .Schlafbewegungen nur mit Hilfe der „tagesautonomischen" Bewegungstätigkeit zu- stande kommen. Auf die bemerkenswerten Reiz- leitungsvorgänge, die bei den Versuchen hervor- traten, sei hier zum Schluß noch hingewiesen. Die eingangs erwähnten Versuche an Phaseolus- blättern mit verdunkeltem Gelenk zeigen, daß von der beleuchteten Blattspreite Einflüsse auf das Gelenk ausgeübt werden, durch die der Eintritt der Dunkelstarre verhindert wird. Solche Blätter setzen die Schlafbewegungen fast ebensolange fort wie die Blätter, deren Bewegungsgelenk be- leuchtet ist. Die erwähnte Beeinflussung kann sich aber auch von einem Blatt auf das benach- barte erstrecken, wie sich herausstellte, als ein Primärblatt von Phaseolus beleuchtet, das gegen- überstehende aber ganz verdunkelt wurde. Unter diesen Umständen blieb die Bewegungstätigkeit auch in dem verdunkelten Blatt lange erhalten, wenn auch im allgemeinen nicht solange wie in dem freien Blatte. Indessen läßt Verfasser die IVIöglichkeit offen, daß Wärmeschwankungen da- bei beteiligt seien. Er hat nämlich bei seinen Versuchen gefunden, daß die Blätter von Pha- seolus und Flemingia auch in geringem Grade thermonastisch sind, so daß schon allein durch tagesperiodische Temperaturschwankungen Schlaf- bewegungen hervorgerufen werden können. Daß die Thermonastie bei den Schlafbewegungen der Tulpen- und Crocusblüten die Hauptrolle spielt, wurde oben erwähnt; auf Lichtwechsel antworten diese Organe nur in geringem Maße. Bemerkt sei noch, daß es sich bei den Blüten von Tulipa, Crocus und Calendula um Wachstumsbewegungen (Nutationsbewcgungen) , bei den Blättern von Phaseolus, Albizzia und Flemingia dagegen um Variationsbewegungen (d. h. auf elastischer Ver- längerung und Verkürzung beruhende Bewegungen) handelt. F. Moewes. Franz Anderle, Lehrbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie. Dritte, umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 233 Figuren und Abbildungen im Text. Leipzig und Wien 19 16, Franz Deuticke. — Preis geh. 9 M. Der Hauptwert des vorliegenden Buches dürfte darin bestehen, daß es dem Leser an der Hand zahlreicher, ganz vorzüglicher Abbildungen einen tiefen Einblick in die Praxis der drahtlosen Tele- graphie und Telephonie gibt. Die Darstellung der theoretischen Grundlagen ist dabei naturgemäß weniger umfassend ausgefallen und genügt nicht immer ganz strengen Ansprüchen. Jedenfalls wird man den größten Nutzen aus der Lektüre des Buches dann ziehen können, wenn man mit einigen allgemeinen Vorkenntnissen ausgerüstet an sie herantritt. Das Fehlen eines Schlagwort- registers kann durch die Gliederung des Inhalts- verzeichnisses nur unvollkommen ausgeglichen werden; bei einem Werke von der Art des vor- liegenden bedeutet ein sorgfältig ausgearbeitetes Register immer eine wesentliche Erhöhung seiner Brauchbarkeit. Harry Schmidt. J. Nusbaum-Hilarowicz, Der Krieg im Lichte der Biologie. 30 S. Jena 19 16, G.Fischer. - 75 Pf. E. Haeckel, Ewigkeit. Weltkriegsgedanken über Leben und Tod, Religion und Entwick- lungslehre. 128 S. Berlin 1915, G. Reimer. Bttcherbesprechimgen. Die Schrift von Nusbaum, ein in Lemberg gehaltener Vortrag des Augenzeugen der schreck- lichen Kriegswehen dieser Stadt und ihrer Be- völkerung, wird von jedermann mit inniger P>eude gelesen werden. Wir Biologen können nicht unterlassen, den Krieg auch als ein biologisches, naturgesetzliches Geschehen zu betrachten, und mit Genuß finden wir unsere eigenen Gedanken bei Nusbaum in lichtvoller Weise weiter aus- geführt und zu einem wahrhaft erquicklichen Ge- samtbilde gerundet. Beispiele aus dem Tierleben lehren, daß Expansionstrieb und Rassenegoismus in der ganzen lebenden Welt zu Kämpfen, zur Verschärfung des Kampfes ums Dasein, führen und führen müssen. Der Verf. beachtet zwar nicht, daß im gegenwärtigen Kriege, wie oft her- vorgehoben wurde, weniger Rassen gegen Rassen, als vielmehr Völker gegen Völker auftreten, doch beeinträchtigt das die sachliche Gültigkeit seiner Ausführungen kaum. Die hoffnungsvolle Gewißheit, daß die durch den Krieg geschlagenen Wunden nach den Gesetzen der Regeneration und Selbstregulation schnell heilen werden, wird jeder Biologe mit dem Verfasser teilen und sich aufs neue von ihm darüber belehren lassen, daß zwi- schen dem Leben der Menschheit und dem eines Organismus Parallelen bestehen, die uns erstaun- liche Ausblicke eröffnen. Dagegen teile ich die Hoffnung, daß in entfernter Zukunft die höhere Entwicklung der ethischen Kultur zur Überwindung der Kriege und zum ewigen Frieden führen könne, nicht in vollem Umfange. Beim Ausblick in die 454 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3) Ewigkeit mag dem Menschen und dem Natur- forscher doch jene höchste Bescheidenheit ge- ziemen , die anerkennt, daß die Natur stärker ist als der iVIensch, daß Werden und Vergehen sich abwechseln, auch in der menschlichen Kultur. Wohl aber haben wir die Aufgabe, nach ewigen Frieden zu streben in unserer Entwicklungs- phase, der wir unabsehbare Dauer wünschen, und in der das Leben des einzelnen nur einem Zeit- differential gleichkommt. Ha e ekel scheint mir in diesem Punkte rich- tiger zu sehen als N u s b a u m , da er die Hoff- nung hegt, „daß früher oder später die Herstellung eines dauernden (wenn auch nicht „ewigen"!) F'riedens zwischen den höher entwickelten Kulturnationen gelingen wird". Wie jeder Kenner von H a e c k e 1 ' s Schriften von vornherein erwar- ten wird, finden wir nicht viel neues aus der Feder des greisen Gelehrten in den „Wekkriegsgedanken über Leben und Tod, Religion und Entwicklungs- lehre", deren Haupttitel „Ewigkeit" nur wenig an- deutet von dem Inhalt der vier Kapitel „Welt- krieg und Naturgesetz", „Weltkrieg und Religion", „Wellkrieg und Kardinalfrage" — die Kardinalfrage ist die Primatenherkunft des Menschen — und „Weltkrieg und Entwicklungslehre". Allerdings das hat Haeckel früher wohl noch nicht be- tont, daß „die hohe praktische Bedeutung des Christentums, sein wirklicher Wert für höhere Ethik und veredelte Lebensführung historisch außer Zweifel steht". Für ebenso gegenstandslos wie die Polemik gegen das Entropiegesetz, die hier wiederholt wird, halte ich die gegen das Relati- vitätsgesetz. Unser Interesse an der Haeckel- schen Schrift geht vor allem auf die Persönlichkeit des Verfassers zurück und mag für den einen ein subjektives, für den anderen ein psychographisches sein. Für beide Standpunkte verdient es Beach- tung, daß Haeckel, der als Forscher eine Zierde des Deutschtums und durch seine Offenheit wohl ein unwillkürlicher Bekenner desselben ist, der jedenfalls zu den namhaftesten deutschen Männern gehört und seinen Blick stets über das Fachgebiet hinaus gerichtet hat, auch im jetzigen Völker- ringen nicht zurücksteht als Kämpfer hinter der Front, obschon er sich gelegentlich mit Recht als eine sehr unpolitisch veranlagte Natur bekannt hat. Die somit sympathische, streitbare Schrift unseres Veteranen wird auch schließlich eine befriedigende tröstliche Antwort auf manche Fragen geben, die sich in dieser Zeit jedem aufdrängen. In der Tat haben wir weder den Untergang unse- rer Kultur zu befürchten noch ein goldenes Zeit- alter voll lauter Glück und Frieden zu erhoffen, sondern der jetzige Wendepunkt, wo „unter der vereinten Wucht gewaltiger Fortschritte und tief einschneidender Zufälle neue Gestaltungen aus dem Schutte der zusammenstürzenden „Guten alten Zeit" sich erheben", ist für die zweifellos genußreiche wissenschaftliche Betrachtung ein er- greifender Moment im Werden und Vergehen, in der beständigen Metamorphose des Kosmos, in der Ewigkeit, die nicht in ewiger Ruhe, sondern in ewiger Bewegung besteht. Den Reinertrag der Schrift bestimmt der Vcrf für die Hinterbhebenen deutscher Krieger. V. Franz. Richard Müller-Freienfels, Das Denken und die Phantasie. Psychologische Untersuchun- gen nebst Exkursen zur Psychopathologie, Ästhe- tik und Erkenntnistheorie. XII und 341 Seiten. Leipzig 1 9 1 6, Verlag von Johann Ambrosius Barth. Richard Müller- P"reienfels, dessen mit Beifall aufgenommene „Psychologie der Kunst" wir seinerzeit in der Naturw. Wochen- schrift^) besprochen haben, hat in diesem neuen Werke sich die Aufgabe gestellt, das Denken und die Phantasie eingehend zu untersuchen. Nach- dem der Verf. die Voraussetzungen entwickelt und die Problemstellung gegeben hat, behandelt er die Analyse der Vorstellungen, die analytische und die synthetische P'unktion im Wahrnehmen, die Wahrnehmungsurteile und Wahrnehmungs- begriffe, die Abstraktion, den Bewußtseinsverlauf, das zielstrebige Denken in seinen drei Phasen und das Verhältnis zwischen Denken und Sprache, um schließlich noch einige erkenntnistheoretische Be- merkungen folgen zu lassen. Der Verf ordnet den Denktätigkeiten durch- weg nervenphysiologische Vorgänge zu und betont die Rolle der von gefühisartigen Bewußtseins- zuständen begleiteten, vorwiegend innerlich ver- laufenden motorischen Reaktionen. Das Wesen des Vorstellens sieht er weniger in der Empfin- dungsreproduktion als in einem unanschaulichen Gerichtetsein mit ganz bestimmten Beziehungen und Bedeutungen; ebenso erblickt er im Wahr- nehmen und Wiedererkennen vorwiegend moto- rische, von einem eigenartigen Tätigkeitsbewußt- sein begleitete Erwiderungsweisen. Die Stellung- nahme kann durch sinnliche Eindrücke hervor- gerufen werden, aber auch von innen her; im letz- teren Falle wird sie als Einstellung bezeichnet. Die Einstellung kennzeichnet namentlich das ab- strakte Denken. Der Begriff ist nicht gleich- bedeutend mit Wort oder lexikaler Bedeutung, sondern ist physiologisch vielmehr Mittelpunkt von Tätigkeitsmöglichkeiten, die sich dem Bewußt- sein meist als von einem Gefühlskranze des Ver- ständnisses umgebene Worte darstellen. Eine scharfe Kritik übt der Verf. an den üblichen Assoziationspsychologien, die die Vorstellungen als deutlich abgegrenzte Gebilde betrachten, in den Vorstellungen lediglich Empfindungsreproduk- tionen sehen, die Gefühle und motorischen Re- aktionen unterschätzen, im abstrakten Denken die Rolle der Worte verkennen. In der Analyse des Denkvorganges hält sich der Verf. an die von R. Avenarius aufgestellte Dreiteilung eines psychischen Aktes, um auch hier wieder die Rolle des Stellungsnehmens in den einzelnen Phasen herauszuheben. ') N. F. XI. S. 651 und 652. N. F. XV. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 455 Wenn das vorliegende Werk auch hier und da Widerspruch wecken dürfte, so bedeutet es doch ebenso wie die erste große Arbelt des Verf. eine wertvolle Bereicherung des psychologischen Schrift- tums. Mögen viele Leser der Wochenschrift sich mit dem durch klaren Ausdruck und eine gewisse Breite der Darstellung leichtverständlichen Werke eingehend beschäftigen! Angersbach. W.Herz, Grundzüge der Geschichte der Chemie. VIII und 142 Sehen in 8". Stutt- gart 19 16, Verlag von Ferdinand Enke. — Preis geh. 4 M. Die Lektüre der vorliegenden kleinen Ge- schichte der Chemie, die der Verfasser selbst im Untertitel des Buches als „Richtlinien einer Ent- wicklungsgeschichte der allgemeinen Ansichten in der Chemie" bezeichnet, hat dem Berichter- statter besonders in den ersten Kapiteln dank der Klarheit der Darstellung und dank auch mancher hübschen Bemerkung viel Freude gemacht. Und wenn die letzten Abschnitte des Büchleins vielleicht nicht alle Erwartungen erfüllen, die in den ersten Abschnitten erweckt sind, so liegt dies wohl weniger am Verfasser als an dem Umstände, daß uns zur Be- urteilung und Bewertung der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart die historische Perspektive fehlt, und erfahrungsgemäß leider weder Verfasser noch Leser einer geschichtlichen Darstellung auf deren Fortführung bis zur Gegenwart verzichten möchten. Wie dem auch sei, jedenfalls ist das Herz'sche Büchlein besonders in jenen Kapiteln, in denen es sich wirklich um die Betrachtung der geschicht- Wetter-Monatsübersicht. Während des diesjährigen Juni war das Wetter in Deutsch- land größtenteils trübe, regnerisch und für die Jahreszeit un- gewöhnlich kühl. In mehreren klaren Nächten, besonders zu Beginn, aber auch noch in der zweiten Hälfte des Monats gingen die Temperaturen unter 5" C herab, in der Nacht zum 17. sank das Thermometer z.B. in Erfurt, Plauen, Passau und München bis auf 3, in Ilmenau bis auf 2 und in Bam- berg sogar bis auf einen Grad über Null. Selbst in den Mittagsstunden wurden, namentlich am 4. und 5. sowie zwi- schen dem 15. und 20. Juni, an vielen Orten 15° C nicht erreicht. Allein am 9. Juni und später wieder in der Zeit zwischen dem 22. und 25. trat plötzlich starke Hitze ein, auf die aber beidemal sehr bald eine ebenso rasche Abkühlung folgte ; am 24. brachte es Berlin auf 30, Magdeburg auf 31° C. Die mittleren Temperaturen des Monats lagen nordöstlich der Elbe durchschnitUich um 2, in Nordwest- und Süddeutsch- land sogar um 3 bis 372 Grad unter ihren normalen Werten. Beispielsweise betrug in Berlin die Mitteltemperatur 14,8" C und war nur um 0,6 Grad höher als im Juni iSyi, dem käl- testen Juniraonat, der hier mindestens seit Mitte des vorigen Jahrhunderts vorgekommen ist. Wie die Temperaturen nah- men auch die Zeiten mit Sonnenschein innerhalb Deutschlands in der Richtung von Südwesten nach Nordosten zu , waren aber an den meisten Orten viel zu kurz. So hat in Berlin die Sonne im ganzen an nicht mehr als 178 Stunden ge- schienen, während hier im Mittel der 24 früheren Junimonatc 247 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Desto größer waren in ganz Deutschland die Häufigkeit und die Mengen der Niederschläge , die in unserer zweiten Zeichnung veranschaulicht sind. Namentlich während der ersten Hälfte des Monats verging kaum ein Tag ohne weit- verbreitete, mehr oder weniger ergiebige Regenfälle. liehen Entwicklung der Chemie handelt, eine wohl- gelungene Veröffentlichung, und es sind ihm da- her sowohl unter den jüngeren Chemikern als auch in sonstigen naturwissenschaftlich interessierten Kreisen recht viele Leser zu wünschen. Auch er- scheint es recht geeignet, in allen den Freunden der Chemie, denen das Verständnis für die Be- deutung einer geschichtlichen Betrachtung der Wissenschaft noch fehlt, den Sinn dafür und die Freude daran zu erwecken und zu beleben. Eine wertvolle Bereicherung und Ergänzung des Werkes wäre es nach Ansicht des Berichterstatters, wenn der Verfasser sich entschlösse, in einer etwa nötig werdenden zweiten Auflage die wichtigsten Ori- ginalarbeiten, vor allen Dingen solche, die in leicht zugänglichen Neudrucken vorliegen, anzuführen und dem Leser auch zu sagen, wo er sich leicht und bequem weitere Belehrung über einzelne Per- sonen und I'^ragen holen kann. Werner Mecklenburg, Berlin Lichterfelde W. A. Schau, Statik mit Einschluß der Festigkeitslehre. Aus Natur und Geistes- welt. Bd. 497. 144 Seiten mit 149 Figuren. Leipzig 191 5, B.G.Teubner. — Preis geb. 1,25 M. Wie so manches andere der schönen Samm- lung des Teubner'schen Verlages gibt auch das vorliegende Bändchen einen für den Nichtfachmann vollkommen ausreichenden Überblick über das behandelte Gebiet. Zahlreiche gute Figuren und viele durchgerechnete Beispiele tragen dazu bei, das Interesse zu wecken und das Verständnis zu fördern. K. Seh. TemperaTur^SRaxima einiger &rh rm 3 Berliner ^etterbureiu. Zunächst gingen in Schlesien, Südposen, Bayern und WürUemberg vielfach starke Regengüsse hernieder, die vom 3. bis 5. morgens z. B. in Breslau 27, in Habelschwerdt 38, in Ostrowo 40, in München 44 und in Friedrichshafen 57 mm Niederschlagshöhen ergaben. Bald darauf traten im Westen und längs der ganzen Küste heftige Gewitterregen 456 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 31 ein, die sich während mclirercr Tage öfter wiederholten und allmählich auch wieder auf das östliche Binnenland aus- dehnten. Sie waren .am 7. Juni beispielsweise in Cleve und J^ieJer^c^fag^^ö]^en im 3t :Z -t oicmoco s: 2: ij- u. co i: ■illi l8.bis26.Ju l£^ I I I I I I ■' "27-30.Juni.M " ' 44-}-]- Mittlerer Wert für Deutschland. MonalssummcimJuni miätt. 13.12. tl. ^: j Eimrlllll Berliner WellerbJreau. Halle von Ilagel- und Graupclschauern begleitet. Ihre gröÜte Stärke erreichten sie am Tage und in der .Xachl vor Pfingsten in der Uckermark und Pommern, wo am Morgen des n., des Pfingstsonntags an verschiedenen Stellen über 40 mm Niederschläge gemessen worden sind. Nach vorübergehen- der Aufheiterung nahmen die Regenfälle besonders im Westen neuerdings zu, in Cleve liclen vom 13. bis 14. früh 47 mm Regen. Erst seit dem iS. Juni lieBen die Niederschläge im größ- ten Teile des Landes an Stärke wesentlich nach, jedoch waren sie noch sehr häufig und in einzelnen Gegenden, hauptsäch- lich zwischen dem 24. und 25. in Sachsen und Thüringen, auch höchst ergiebig. In den letzten Tagen des Monats wur- den die Regengüsse, die während des ganzen Monats, gleich- viel ob bei hohen oder niedrigen Temperaturen, sehr häufig von Gewittern begleitet waren, wiederum viel allgemeiner, z. B. ergaben sie am 29. in Dresden 33, am 30. in Osterode ebenfalls 33, in Schrimm 35 und in Tremessen 4g mm. Die Monatssumme belief sich für den Durchschnitt aller be- richtenden Stationen auf 89,3 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der Junimonate seit 1S91 nur 67,9 mm Regen geliefert haben. Während der ganzen 25 Jahre ist nur im Juni igio eine noch um fast 5 mm gröflere Regen- menge gefallen. Die außerordentlich zahlreichen Niederschläge standen im Zusammenhange mit mehr oder weniger ausgedehnten Tief- druckgebieten, von denen im Laufe des Juni West- und Mittel- europa durchzogen wurden. Sie drangen anfangs vom Atlan- tischen Ozean ziemlich langsam ostwärts vor. Zwischen dem II. und 15. Juni, nachdem in Nordskandinavien ein baro- metrisches Maximum erschienen war, das später mehrmals dorthin zurückkehrte, zog ein Tief von der östlichen Ostsee westlich nach der südlichen Nordsee hin, und auch in der zweiten Hälfte des Monats hielten sich mehrere, teils von Westen, teils von Süden hergekommene Minima immer am längsten zwischen der Nordsee, Südskandinavien und der süd- lichen Ostsee auf. Für Deutschland wurden durch diese lang- samen Verschiebungen der Tiefdruckgebiete weit überwiegend kühle, feuchte westliche Winde bedingt, die zwar im allge- meinen nur in mäßiger Stärke, aber in desto größerer Bestän- digkeit wehten. Dr. E. Leß. Anregungen und Antworten. Bemerkungen zu dem Aufsatze „Geschoßfernwirkung durch die Luftströmung". Der in Nr. 22 der Naturw. Wochenschr. unter der angegebenen, nicht ganz verständlichen Überschrift abgedruckte Aufsatz bedarf in einem Punkte einer Berichtigung. Es wird dort mit Recht auf den großen Einfluß hingewiesen, den durch ungleiche Erwärmung und verschiedenen Keuchtig- keitsgehalt hervorgerufene Störungen der Homogenität der Atmosphäre auf die Fortpflanzung des Schalles ausüben, und außerdem auf die Möglichkeit einer Reflexion der Schallwellen an Inversionsschichten aufmerksam gemacht. Aber die Er- klärung der „Zone des Schweigens" gründet sich auf physi- kalisch nicht zu rechtfertigenden Voraussetzungen. Lux glaubt, die Entstehung dieser Zone auf Interferenzen direkt sich fortpflanzender und reflektierter Schallwellen zurückführen zu können. Diese Erklärung ist aus zwei Gründen nicht zu- lässig. Erstens besteht der beim Abfeuern der Geschütze und Explodieren der Geschosse entstehende Schall nicht, wie der musikalische Ton, aus Wellen einer und derselben Länge. Wenn daher Interferenzen eintreten, so könnten nur Wellen von ganz bestimmter Länge ausgelöscht werden ; andere müßten sich aber gegenseitig verstärken. Zweitens hängt die Breite der Interferenzzone von der Wellenlänge der inter- ferierenden Strahlen und von dem Winkel ab, den sie mitein- ander bilden. Sie ist der Wellenlänge direkt und näherungs- weise dem sinus des Interferenzwinkels umgekehrt proportional. Nimmt man an , daß die Zone des Schweigens in ungefähr 80 km Entfernung von der Schallquelle beginne und daß die reflektierende Schicht I km hoch liege, so beträgt der Inter- ferenzwinkel ungefähr l'/a"- L'^gt die Zone des Schweigens der Schallquelle näher und die reflektierende Schicht höher, so wird der Interferenzwinkel größer. Da die tiefsten an der Grenze der Wahrnehmbarkeit liegenden Töne höchstens 20 m Wellenlänge besitzen, so würde hiernach die Zone des Schwei- gens eine Breite von höchstens einigen hundert Metern haben können, während sie in den wirklich beobachteten Fällen viele Kilometer breit ist. Fr. Nölke. Inhalt: D. v. Ilansemann, Der Vergleich der Einzelligen mit den Metazoen. S. 441. Adolf Mayer, Das subjektive Maß der Zeil. S. 442. — Kleinere Mitteilungen: Franz, Die Rattenplage in Frankreich. S. 444. — Einzelberichte: W. Hopf, Zusammensetzung und Heizwert der Kohle. S. 446. Wilhelm Ostwald, Über das absolute System der Farben. S. 447. Marie Krogh, Kann der tierische Organismus Kohlenoxyd umsetzen? S. 448. Kerp, Schröder und Pfyl, Strohmehl als Nahrungs- und Futtermittel. S. 449. Schneider-Orelli, Lebensweise des Kleinen Frost- spanners. S. 449. J. Gelei, Trypanoplasma dendrocoeli. S. 449. D. L. Mackinnon, Eine den Darm von Tipula- Larven bewohnende Amöbe (Loeschia hartanni). S. 450. II. Berg, Vogelschutzgebiet Hiddensee. S. 450. W. Graß- mann, Biologie des Kolkraben. S. 451. R. Greipel, Der Einfluß des Geländes auf die Bildung von Hagelwolken. S. 452. Wilhelm Pfeffer, Die Entstehung der Schlafbewegungen. S. 452. — Bücherbesprechungen: Franz Anderle, Lehrbuch der drahtlosen Telegraphie und Telephonie. S. 454. J. Nusbaum-Hilarowicz, Der Krieg im Lichte der Biologie. E. Haeckel, Ewigkeit. S. 454. Richard Müller-Freienfels, Das Denken und die Phantasie. S. 455. W. Herz, Grundzüge der Geschichte der Chemie. S. 455. A. Schau, Statik mit Einschluß der Festigkeitslehre. S. 455. — Wetter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 455. — Anregungen und Antworten: Bemerkungen zu dem Aufsatze ,,Gcschofifernwirkung durch die Luftströmung". S. 456. Manuskripte d Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstrafle na, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 6. August 1916. Nummer 33. Über die Verdunstungsgröße freier Wasserflächen. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. W. Eine sowohl theoretisch wie praktisch wichtige Aufgabe meteorologischer und hydrographischer Forschung besteht in der Ermittlung der Ver- dunstungsmenge an freien Wasserflächen. Theo- retisch ist sie besonders deshalb wichtig, weil sie ein unentbehrliches Zwischenglied in der Berech- nung des Wasserhaushaltes der Erde bildet, prak- tisch, weil sie für die Hydrotechniker bei ihren Kanalbauten, Bewässerungsanlagen, Einrichtungen von Staubecken usw. eine derartig bedeutende Rolle spielt, daß die Durchführbarkeit dieser Bauten nicht selten allein von einer möglichst sicheren Kenntnis ihrer Größe abhängt. Bis vor kurzem liefen alle Methoden, die Ver- dunstungsmenge von Wasserflächen zu finden, darauf hinaus, daß man diese nicht direkt maß, sondern die in einem Gefäß befindlichen, welche auf dem betr. Gewässer schwamm. Selbstver- ständlich wurden diese Versuche nach und nach unter immer größeren Vorsichtsmaßregeln und immer sorgfältigerer Beobachtung aller in Betracht kommenden meteorologischen Einflüsse ausgeführt. Besonders verdienen nach dieser Richtung hin hervorgehoben zu werden die unter F. H. Bigelow's Leitung durchgeführten Verdunstungsmessungen in Kalifornien und Argentinien ') und die noch nicht abgeschlossenen Beobachtungsreihen der Preußischen Landesanstalt für Gewässerkunde im Grimnitzsee und VVerbellinsee in der Mark.'^) Aber alle gemachten Kautelen können schließlich doch nicht die immanenten Fehler, die dieser Methode anhaften und die besonders darin bestehen, daß es unmöglich ist, völlig exakte Beziehungen zwischen der VerdunstungsgrößederWassersin dem Messungs- gefäß und in der Wasserfläche selbst zu finden, aus der Welt schaffen. Und selbst wenn es ge- länge, diese Schwierigkeiten zu überwinden, so wäre der gefundene Wert doch nur für diejenige Stelle des Sees gültig, wo sie eben gefunden war, nicht aber für andere Stellen, für welche die meteorologischen Funktionen, von welchen die Verdunstung abhängt, also vor allem die Tempe- ratur und die Richtung und Geschwindigkeit des Windes, wesentlich andere sein können. Die Fehlerquellen, welche mit der üblichen ') Las leyes de la evaparacion del aqua de fuentes, de- positos y lagunas, arena, melos y plantes. Hol. Ofic Met. Argent. Bol. N 2. Buenos Aires 1912. ^) K. Fischer, Maurer's Verdunstungsmessungen an Alpenseen und die Verdunslungsmessungen der preuß. Landes- anstalt für Gewässerkunde am Grimnitzsee. Met. Zeitschrift 191 2, Heft S. Vgl. dazu den Aufsatz des Ref. Neuere Ver- suche, die Verdunstung von Wasserflächen zu messen, insbe- sondere von Seen, in Gerlands Beiträgen zur Geophysik. XII. Bd. 3. Heft, Leipzig 19 13. , Halbfaß-Jena. Methode die Verdunstungsgröße zu messen, ver- bunden sind, hat kürzlich W. Schmidt in einer sehr bedeutsamen Abhandlung, auf die noch aus- führlich zurückzukommen ist, ausführlich erörtert. Nach einer gänzlich von der bisher üblichen ab- weichenden Methode hat J. Maurer, Direktor der Meteorologischen Zentralanstalt in Zürich, in den Jahren 191 1 und 191 2 dieVerduns tungsmengen an einigen Seen am Nordfuß der Alpen, nämlich an dem Zürichersee und Greifensee 191 1, andemZuger- und Ägerisee 1912, zu bestimmen versucht.^) Er geht dabei von dem unzweifelhaft richtigen Grund- satze aus, daß man die Verdunstungsmenge eines Sees während einer bestimmten Zeit erhält, wenn man von der Summe der Zufluß- und Regen- menge die Abflußmenge abzieht und dann noch die aus der Niveaudifferenz sich ergebende Wasser- menge zu- oder abzieht, je nachdem der See sich während dieser Zeit gesenkt oder gehoben hat. Der sofort in die Augen springende Vorteil dieser Methode besteht darin, daß man auf diese Weise ohne weiteres die gesamte Verdunstungs- menge gewinnt und nicht genötigt ist, aus den Beobachtungsergebnissen einiger weniger Punkte auf die Verhältnisse über den ganzen See zu schließen, wodurch sie zugleich von dem Vorwurf befreit ist, welchen Schmidt der gewöhnlichen Methode gegenüber erhebt, daß sie den Begriff der Verdunstung zu eng fasse. Ihre Achillesferse ist der fatale Umstand, daß man genötigt ist, die Beobachtungen über einen längeren Zeitraum zu erstrecken, man also nicht die Verdunstungsgröße in einem bestimmten Moment finden kann. Dem Geographen und dem Hydrotekten, denen es in erster Linie darauf ankommt, zu wissen, um wieviel sich das Volumen einer offenen Wasserfläche während einer bestimmten Zeit infolge der Ver- dunstung des Wassers an der Oberfläche ver- ringern würde, wenn nicht andere Faktoren der Verminderung entgegen wirkten, würde dieser Nachteil der „hydrographischen" Methode Maurer's wenig verschlagen, und für sie würden die gesamten Schwierigkeiten, die Verdunstungs- größe zu finden, gehoben sein, wenn — nur die Möglichkeit überall existierte, die zur Berechnung nötigen Größen exakt zu finden. Am wenigsten Schwierigkeiten bereitet offenbar die Feststellung der Differenz im Niveau des Sees, sofern es an ') Die Verdunstung auf den Seen am Nordfuß der Alpen während der großen Hitze- und Dürrezeit 191 1. Met. Zeitschr. 191 1, Heft 12; Anhang dazu 1913, Heft 2; Derselbe: Über die Größe der jährlichen Verdunstung auf Schweizer Seen am nordalpinen Fuße, ebenda 1913, Heft 5. Vgl. auch Schweiz. Wasserwirtschaft Bd. IV, Nr. 8 und Bd. V, Nr. II. 4SS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 32 einer genügenden Zahl von l'egehi an verschiedenen Stellen des Sees nicht felilt, auch die Feststellung des atmosphärischen Niederschlags auf dem See selbst kann nur dann ein Hindernis bieten, wenn der See große Dimensionen besitzt, denn in den übri- gen Fällen kann man sich mit den Beobachtungen von Regenstationen unmittelbar am Ufer völlig begnügen. In anderem Fall müßte man auf dem See selbst eine Reihe fliegender Meßstationen er- richten. Weit mehr Kopfzerbrechen verursachte jeden- falls die exakte Feststellung der Zu- und Abfluß- menge eines Sees. Zwar sind Seen mit mehreren oberflächlichen Abflüssen recht selten und die oberflächlichen Abflußmengen zu messen unter- liegt technisch keinen Schwierigkeiten, aber wie findet man den Wert der unterirdischen Abfluß- mengen ? Auf diesem Bedenken beruhen haupt- sächlich die Einwendungen, welche K. Fischer gegen die Maure r'sche Methode erhoben hat. Das gleiche Bedenken betrifi't oftenbar auch die Messung unterirdischer Zuflüsse. Es ist bekannt, daß Seen, welche in alten Gletscherböden einge- bettet sind, reich an Grundwasserströmen sind, und aus dieser Tatsache allein folgt schon, daß die Verdunstungsmengen norddeutscher Seen nach der Maurer'schen Methode schwerlich mit der nötigen Exaktheit gemessen werden können. Hin- sichtlich der Messung der oberflächlichen Zufluß- mengen kommt noch der fatale Umstand hinzu, daß es zwar leicht gelingt, die Zuflußmenge des eigentlichen Hauptzuflusses zu ermitteln, aber was soll man mit den vielen Nebenbächen machen, die in manche Seen einmünden ? In dieser Be- ziehung sind die norddeutschen Seen besser daran, als die Seen der Alpen und nur der glückliche Umstand, daß im trockenen Sommer 191 1 so ziemlich sämtliche Nebenflüsse des Zürichersees und des Greifensees versiegt waren, ermöglichte die Durchführung der betreffenden Messungen, er war aber auch der Punkt, von dem aus Maurer auf den Gedanken kam, seine Methode praktisch auszuproben. Was nun die unterirdische Speisung und Ge- wässerabführung der in der Schweiz untersuchten Seen anlangt, so können über ihre Mengen nur Vermutungen mehr oder weniger begründeter Art ausgesprochen werden. Nach A.Heim, un- streitig einem der besten Kenner der dortigen Gegend in geologischer Beziehung, sind für keinen der vier in Betracht kommenden Seen irgendwelche bedeutende unterirdische Zu- oder Abflüsse anzu- nehmen, insbesondere liegt der Zugersee in einem hohen Tal, dessen Oberlauf keinen ausgedehnten Kiesboden aufweist und der Ägerisee wird durch eine undurchlässige Grundmoräne gestreut; beide Seen weisen nirgends größere Quellen auf und sind nach dieser Richtung hin etwas günstiger gestellt als das andere Seenpaar: Züricher und Greifensee. Aber hier konnten die eigentlichen und bedeuten- den Grundwasserquellen der bei dem außer- gewöhnlich niedrigen Wasserstand trockenen Ufer gesehen und gemessen werden und eine konstante unterseeische Wasserzufuhr von 60 cbm/Min. beim Zürichersee (bzw. 6 cbm'Min. beim Greifensee), welche die Gesamtverdunstung eines Tages durch- schnittlich um I mm vergrößert hätte, erscheint nach A. H e i m's Urteil als höchst unwahrscheinlich. Den hydrographischen Vorteilen des Zuger- und Ägerisees steht aber wieder der meteorologi- sche Nachteil entgegen, daß die Witterungsverhält- nisse, unter denen bei ihnen die Vermessungen vorgingen, auch nicht entfernt so günstig lagen, wie beim Züricher- und Greifensee 1911, denn namentlich in der zweiten Hochsommer- und ersten Herbstperiode fehlte es nicht an heftigen Niederschlägen, welche bewirkten, daß zahlreiche kleine Bäche ihr Wasser dem See zuführten. Jedenfalls begegnet die Maurer'sche Methode, so sehr sie auch vom geographischen Standpunkt aus zu begrüßen ist, in der praktischen Ausführung nicht selten unüberwindlichen Schwierigkeiten und gerade für die Bestimmung der Verdunstungsgröße des Ozeans, die ja für den Wasserhaushalt der Erde ausschlaggebend ist, versagt sie aus nahe- liegenden Gründen völlig. Auf diesem wichtigen Betätigungsfelde von Verdunstungsmessungen schien es also so, daß man auf die Ergebnisse der alten Methode ange- wiesen sei, nach welcher Lü t ge n s ^) eine große Zahl von Beobachtungen angestellt hatte, welche bisher als maßgebend galten, obwohl sich auch der Autor selbst keiner Täuschung darüber hin- gab, daß die erhaltenen Werte ungewöhnlich hoch waren und daher ernste Bedenken erregen mußten. Gerade dieser Umstand veranlaßte W.Schmidt, dem wir schon so manche wertvollen Studien über die Physik des Wassers und der Luft ver- danken, eine Methode zu suchen, die der eigent- lichen Verdunstungsmessungen entbehrt und sich auf die zuverlässigen Instrumente zur Feststellung der Strahlungsenergie beschränkt. Der Ge- dankengang , von dem aus seine Berechnungen -) einsetzen, ist kurz folgender: Soll überhaupt Ver- dunstung stattfinden, so muß das Wasser die dazu nötige Energie liefern ; zur Erwärmung der das Wasser berührenden Luft ist aber nicht nur die- jenige Erwärmung nötig, welche unter gewöhn- lichen Umständen aus der Temperaturzunahme folgt, sondern auch diejenige, welche erforderlich ist, um auch bei jedem Temperaturanstieg ent- sprechend viel Wasserdampf nachzuschaften, damit der Sättigungsdruck erreicht werde. Der gesamte Energieaufwand setzt sich also aus der zur ein- fachen Temperaturerhöhung notwendigen Wärme- menge, die Seh. Konvektion nennt, und der eigent- lichen Verdunstungswärme zusammen. Auf Grund ') Ergebnisse einer ozeanographischen Forschungsreise in den AtlantiscJicn und den südöstlichen Süllen Ozean. Archiv der deutschen Seewarte. 34. Jahrg. Hamburg 19 u. ^) Strahlung und Verdunstung an freien Wasserflächen, ein Beitrag zum Wärmehaushalt der Erde. Annalen der hydrogr. u. marit. Met., Aprilheft 1915. Derselbe, Zur Frage der Verdunstung; ebenda, Märzhefl 1916. N. F. XV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 459 der Zahlenwerte, die Neuhoff in seiner Berliner Inauguraldissertation über den wechselnden Gehalt von Wasserdampf in feuchter Luft angegeben hatte, berechnet Seh. das gegenseitige Verhältnis beider Energiemengen bei verschiedenen Tempe- raturen und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Luft über dem Ozean nicht 100 "/o> son- dern im Durchschnitt nur 80 '^j,, rel. Feuchtigkeit besitzt und kommt zu dem allgemeinen Ergebnis, daß bei hohen Temperaturen die Verdun- stungswärme, bei niedrigeren die Kon- vektion das Übergewicht besitzt. Für den Wärmehaushalt der Ozeane kommen positiv hauptsächlich in Betracht: die Sonnen- strahlung und die Gegenstrahlung der Atmosphäre (G), wogegen der Wärmestrom aus dem Erdinnern vollkommen vernachlässigt werden kann, negativ die Ausstrahlung (A), die Konvektion der Luft (K) und die Verdunstung (V). Die Sonnen- strahlung läßt sich in ihrer Wirkung noch zerlegen in die direkte (S) und die diffuse (D). Da der Energieinhalt des Ozeans sich ohne Zweifel im großen und ganzen im Gleichgewicht befindet, also der Wärme gewinn dem Wärme- verlust gleichzusetzen ist, so folgt, daß diejenige Wärmemenge W, die nach Abzug des Betrages der Ausstrahlung von der Summe von Sonnen- strahlung und atmosphärischer Gegenstrahlung übrig bleibt, für Verdunstung V und Erwärmung der Luft durch Konvektion K verwendet werden muß. Es besteht also die Gleichung W = S + D + G — A=V + K. Wir gewinnen also die Summe von V und K, da wir aber außerdem noch das Verhältnis V zu K kennen, das sich nach der Temperatur der Wasser- fläche richtet, bekannt ist, so können wir daraus den Betrag der Verdunstung in den bei der Strahlungsenergie üblichen Einheiten finden. Da das Verhältnis zwischen Verdunstungs- und Konvektionswärme, wie schon oben hervorgehoben, durchaus eine Funktion der Temperatur des Wassers ist, so ist es selbstverständlich nicht für die ganze Ozeanmasse gleich, sondern ist großen Veränderungen ausgesetzt, die, um überhaupt eine Berechnung zu ermöglichen, für die Ozeanmasse zwischen je 10 Breitengraden als konstant ange- nommen wird. Zugleich muß auch innerhalb dieser — natürlich willkürlichen — F^inteilungen der Wasserhaushalt in bezug auf Einnahme und Ausgabe als im Gleichgewicht befindlich ange- sehen werden. Das sind zwei Annahmen, die offenbar mit der Wirklichkeit in energischem Wider- spruch stehen und auf das Resultat der Rechnung nicht ohne Einfluß bleiben können. Schmidt ist der Ansicht, daß, da es sich hier lediglich um optima dreht, die Abweichung von der Wirklich- keit von nicht zu großer Bedeutung sei und hilft sich ferner damit, daß er seiner Rechnung für den Energiehaushalt jeder Breite den Energietransport selber setzt, indem er annimmt, daß die Lü t ge ns - sehen Verdunstungswerte durchschnittlich um denselben konstanten Wert zu groß sind, der, nebenbei bemerkt ungefähr 1,917 ist. Hier scheint mir die schwache Stelle der Beweisführung für die Richtigkeit der von ihm berechneten Werte zu liegen und man wird gut tun, ihnen gegen- über einige Reserve zu beobachten. Immerhin scheint mir der Weg, den S. betreten hat, erstens durchaus gangbar zu sein und zweitens geeignet, richtigere Werte der wirklichen Verdunstungs- größe zu liefern, als die bisher benutzten Methoden. Bei der Berechnung der in einzelnen Breiten möglichen Verdunstung vom Meer aus setzt Schmidt für die Strahlungskonstanten solche Werte ein, welche einen oberen Grenzwert garantieren, so daß die wirkliche Verdunstung die berechnete auf keinen Fall übersteigen kann. Er setzt also z. B. den Transmissionskoeffizienten = 0,7, also bestimmt zu hoch an, nimmt für die Bewöl- kung die für die ganze Erde geltenden Zahlen von Arrhenius an, obwohl sie über dem Ozean sicher höher ist, ebenso für die atmosphärische Gegenstrahlung einen um 5% höheren Wert, ver- nachlässigt ferner den Einfluß einer Temperatur- differenz zwischen Luft und Wasser, und setzt die relative Feuchtigkeit der Luft lOO^^, während sie wahrscheinlich nur So^/g ist, dagegegen wird der Solarkonstante ihr wahrscheinlichster Wert auf 2 Grammkalorien auf i qcm in der Minute gelassen. Die Resultate dieser Berechnungen gipfeln darin, daß die Verdunstung des Weltmeeres eine sehr erheblich geringere sein muß, als Lütgens gefunden hatte. Die mittlere tägliche Verdunstungs- höhe über allen Ozeanen beträgt nämlich nach Schmidt höchstens 2,07 mm, die jährliche also rund 76 cm, während sie Lütgens beinahe um das doppelte bestimmt hatte, nämlich zu 141,5 cm im Jahr. Setzen wir den von S. gefundenen Wert für die mittlere Verdunstung über dem Ozean im Jahre (76 cm) in die Bilanz für den Wasserhaus- halt des Meeres und der Erde ein, behalten aber für die Verdunstung vom Land aus und für die Wasserdampfzufuhr vom Meer aufs Land den früher angenommenen Wert, so gelangen wir zu folgen- dem Ergebnis: Die Verdunstung vom Meer aus beträgt 273000 cbkm, vom Land aus 81 000 cbkm, der gesamte Regenfall der Erde, der natürlich an- nähernd der Verdunstungshöhe im ganzen gleich sein muß, mhhin 354000 cbkm. Subtrahiert man von der Meeresverdunstung die Menge des auf das Land übertretenden Wasserdampfes — die sozu- sagen das Betriebskapital in der Wasserwirtschaft der Erde darstellt — , im Betrage von 31 000 cbkm, so ergibt sich als Summe des Regenfalls auf dem Ozean 242000 cbkm. Es mag daran erinnert werden, daß diese 31 000 cbkm diejenige Wassermenge repräsentieren, welche von der Gesamtzahl der Flüsse der Erde jährlich im Durchschnitt dem Ozean einverleibt werden und daher, da das Niveau des Ozeans keinen merkbaren Änderungen unterworfen zu sein scheint, durch Verfrachtung der Meeres- 460 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 3: Verdunstung dem Festland wieder zugeführt werden. Nach Brückner würde der Regenfall der ganzen Erde 465 000 cbkm, nach Lütgens gar 587000 cbkm betragen; da nun die Zahlen für die Verdunstung des festen Landes die gleichen geblieben sind, so würde der Anteil, den das Meer an dem Regenfall der Gesamterde bildet, von 86 "/,, (Lütgens) und 79% (Brückner) auf TJ *■\^^ (Schmidt) fallen. Der Regenfall auf dem Ozean würde nach Brückner 353 000 cbkm, nach Lüt- gens 475000 cbkm betragen. Mag man den Ergebnissen der Berechnungen von Schmidt im übrigen noch so skeptisch gegenüberstehen , so sind sie doch jedenfalls der ernstesten Beachtung seitens der Geographen und Hydrographen wert und die einzelnen Konten des „Wasserhaushalts der Erde", den ich auch in diesen Blättern (Nr. 38 vom 20. Sept. 1914) eine nähere Betrachtung widmete, bedürfen aufs neue einer sorgfältigen Schätzung. Auch die so wichtige Frage nach dem Ursprung des Regens rückt durch die Arbeit von Schmidt in eine neue Beleuchtung. Kamelfragen. Dr. Max Hilzheimer. In Nr. 4 Jahrg. 19 vom April 1916 der „Orien- talischen Literaturzeitung" erörtert Meißner die Frage: „Enthält der Kamelmagen eine trinkbare Flüssigkeit?" Bei der Behandlung der Kamele für die neue Auflage von B r e h m's Tierleben war ich ebenfalls gezwungen mich mit der Behauptung zu beschäftigen, daß das Wasser des Kamelmagens in der höchsten Not von Verdurstenden getrunken werde. B r e h m selbst hatte auf Grund persönlicher Erkundigungen in der nordafrikanischen Wüste in den früheren Auflagen eine ablehnende Stellung eingenommen. Keiner von seinen Gewährsmännern „hatte jemals eine solch ungeheure Lüge auch nur erzählen hören". „Und später", fährt er fort, „habe ich mich beim Schlachten der Kamele, welche noch am Tage vorher getränkt worden waren, selbst überzeugt, daß es ganz unmöglich ist, Wasser zu trinken, welches tagelang mit den im Magen aufgehäuften Nahrungsstoffen und dem Magensafte vermengt war. Das ganze Kamel hat einen widerwärtigen Geruch; solcher Magenbrei muß selbst einem Halbverdursteten unüberwind- lichen Ekel erregen. Der Gestank eines frisch aufgebrochenen Kamelmagens ist geradezu uner- träglich." Hier übertreibt Brehm ganz ent- schieden. Denn Kamele werden in Ägypten in nicht unbedeutender Anzahl geschlachtet und ver- speist. Und mir haben Deutsche, die Kamel- fleisch gegessen haben, versichert, daß es keines- wegs übel schmecke oder rieche. AuchHartert, der ebonfalls in Nordafrika reiste, hält in einem mehrfach von mir für den neuen Brehm be- nutzten Brief „die Geschichte mit dem im Magen aufgestapelten Trinkwasser für eine Fabel". Nach diesen beiden Berichten glaubte ich schon die Behauptung von der Trinkbarkeit des Wassers im Kamalmagen als eine der vielen aus dem Altertum überkommenen fabelhaften Tiergeschich- ten ansehen zu sollen. Da kam mir eine im Berliner Tageblatt veröffentlichte Erzählung eines Teilnehmers an der Wüstenfahrt der Emden- Mannschaft zu Gesicht, die offensichtlich den Stempel der Wahrheit an der Stirne trug. Es heißt da bei einer Schilderung der Belagerung durch Beduinen in einem wasserlosen Gebiet, wo- bei die Eingeschlossenen von furchtbarem Durst geplagt wurden : „Die arabischen Gendarmen schnitten einfach den angeschossenen Kamelen den Hals durch und tranken dann das gelbe Wasser, das in den Mägen enthalten war. Die Kerls ver- tragen ja alles." Hier scheint es sich doch um eine tatsächliche Beobachtung zu handeln; wie käme sonst der Berichterstatter zu der Erzählung? Auch die Beifügung des Eigenschaftswortes „gelb" bei Wasser spricht dafür. Hier liegt also ein wirklicher Bericht aus Asien vor. Auch die zahl- reichen von Meißner in dem erwähnten Auf- satze genannten Berichte stammen sämtlich aus Asien. Sie erstrecken sich über einen Zeitraum von 2500 Jahren und sind vollständig unabhängig voneinander, wodurch sie viel an Glaubwürdigkeit gewinnen. Darnach scheint in Westasien die Kenntnis von der Verwendung des Wassers im Kamelmagen weit verbreitet und uralt zu sein. Es scheint aber auch aus den von Meißner mit- geteilten Berichten hervorzugehen, daß nicht, wie dies Brehm und wohl auch Hart er t anzuneh- men geneigt sind, der Kamelmagen einfach aufge- brochen und das Wasser getrunken wird, sondern es scheint eine gewisse Behandlung, sei es des lebenden Kamels, sei es des Magens allein, vor- herzugehen. Es gehört also eine gewisse Kunst dazu aus dem im Kamelmagen enthaltenen Wasser eine trinkbare Flüssigkeit zu gewinnen. Vergegenwärtigen wir uns nun die Geschichte des Kameles in Afrika. Zwei Funde etwa aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend aus Ägypten, die einzigen die man kennt (vgl. Hilzheimer, Aus der Natur Jahrg. 191 2, Zoologische Annalen Jahrg. 1912) zeigen, daß damals das Kamel dort, obwohl außerordentlich selten, doch nicht unbe- kannt war. Dann verschwindet das Kamel min- destens 2^2 Jahrtausend völlig aus Ägypten und erscheint erst zur Ptolemäerzeit wieder. Hier wird es aber nicht etwa durch Wanderzüge mit dem Tier vertrauter Volksstämme , sondern zunächst vereinzelt als Schaustück, dann allmählich zahl- reicher seines Nutzens wegen importiert. Daß N. F. XV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 461 hierbei die wohl auch nur von gewissen Stämmen und nur in Fällen äußerster Not geübte Kunst, ein trinkbares Getränk aus dem im Kamelmagen enthaltenen Wasser zu gewinnen, nicht mit nach Afrika kam, dürfte einleuchten. Es ist etwa das- selbe wie bei dem modernen Transport von Ka- melen nach Südwestafrika. Wenn auch im Heimat- land das Wasser des Kamelmagens getrunken worden wäre, so wäre diese Kenntnis schwerlich mit nach Deutsch-Südwestafrika gelangt. Nach den bisher vorliegenden Nachrichten dürfen wir wohl annehmen, daß zwar in Nord- afrika das Wasser des Kamelmagens nicht benutzt wird, daß es aber in Westasien in Fällen äußer- ster Not getrunken wird. Doch ist dies nur eine Annahme, die allerdings viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Da aber jetzt Deutsche Gelegenheit haben in allerhand Stellungen und in die ver- schiedensten Gegenden Westasiens zu kommen, so sei hiermit auf die vorliegende Frage hinge- wiesen. Hoffentlich wird es auf diese Weise ge- lingen nach der einen oder anderen Richtung ab- solut einwandfreies entscheidendes Material zu erlangen. Noch eine zweite Frage könnte der Klärung nahe gebracht werden. Auf Grund zoologischer, geologischer und anthropologischer Daten bin ich in den genannten Arbeiten im Gegensatz zu der bisherigen Anschauung zu der Ansicht gekommen, daß Kamel und Dromedar zwei wohl getrennte Arten seien, die unabhängig voneinander domesti- ziert seien und von zwei verschiedenen wilden Arten abstammen. Als Heimat des Dromedars sehe ich Arabien, als Heimat des Trampehieres Zentralasien an. Meine Ansicht gründete ich hauptsächlich auf die geschichtlichen Nachrichten aus Westasien. Es spielt dabei eine Rolle das h'ehlen des Kameles im nordwestlichen Kleinasien bis zur Mitte des i.vorchristliclien Jahrtausend, während es in Palästina z. B. schon mindestens 500 Jahre früher nachweisbar ist. Dann veranlaßten mich dazu die assyrischen Denkmäler, die in mir den Eindruck erweckten , als kämen Dromedare stets aus Arabien, Trampeltiere stets aus dem Norden. Für meine Behandlung des Kamels in Brehm's Tierleben, wandte ich mich an Herrn Prof. Bruno Meißner in Breslau um Auskunft. Herr Prof. Meißner hatte die große Güte mir eine ein- gehende Antwort auf meine Frage in dankens- werter Weise zukommen zu lassen. Leider reichte der Platz in B r e h m's Tierleben nicht aus, sie so ausführlich zu verwenden, wie sie es verdient hätte. Deshalb möchte ich sie hier bei ihrer Bedeutung im Auszuge etwas ausführlicher wiedergeben. Vorausgeschickt sei, daß das Schreiben des Herrn Prof. Meißner meine früher auf Grund ganz anderen Materiales über die Einführung beider Kamelformen in das Zweistromland geäußerte Ansicht zu bestätigen geeignet ist. Zunächst einmal hebe ich als sehr wichtig hervor, daß es im assyrischen für das Trampeltier und das Dromedar zwei getrennte Bezeichnungen gibt. Das Trampeltier heißt udra, uduru, fem. udratu, das Dromedar gammalu, fem. anäkater. Die Bezeichnungen für das Dromedar sind wohl ara- bische Lehnwörter (gämal und näka). Das Trampeltier ist zuerst von Tiglat-Pileserl. (c. iioo) eingeführt worden, woher ist unbekannt (Meißner. Assyr. Studien V. 12). Aber nach den Tributlisten der späteren assyrischen Könige kamen die udräti besonders aus Medien, einmal wird das Land Parsuas (s. d. Urmia Sees) als ihre Heimat bezeichnet. Werden so Trampeltiere immer als Herkömmlinge aus dem Norden und Osten bezeichnet, so findet sich doch eine Aus- nahme, nämlich auf dem berühmten schwarzen Obelisk Salmanassars III. (c. 850), wo das etwas rätselhafte Land Musri als Heimat bezeichnet wird. Meißner will unter Musri Ägypten verstehen. Da es aber zu dieser Zeit, wie ich ausführte, in Ägypten keine Kamele gab, ist entweder mit Musri ein anderes Land gemeint, oder es liegt ein Irrtum des assyrischen Künstlers vor, eine Mög- lichkeit, die Meißner ebenfalls zuläßt. Dromedare werden im Zweistromlande nach Meißner zuerst im Jahre 854 bei Gelegenheit der Schlacht von Karkar erwähnt, in der der Araberscheich Gindiba mit looo Kamelen gegen Salmanassar II. kämpft. Auch in der Folge- zeit erscheinen Kamele stets in Verbindung mit Arabern. Nach diesen und den früher von mir in den er- wähnten Arbeiten gemachten Ausführungen dürfen wir als mindestens wahrscheinlich annehmen, daß: 1. in Kleinasien lange Zeit Kamele fehlten, 2. Kamele etwa um iioo herum nach Klein- asien gelangten, 3. Trampeltiere aus dem Norden oder Osten, Dromedare aus dem Süden oder Westen kamen. Dieser letzte Punkt macht eine getrennte Domestikation wahrscheinlich und steht der älteren Ansicht entgegen, daß das Dromedar eine Zucht- form des Trampeltieres sei. So großen Wert aber auch alle diese Erwägungen haben mögen, so muß doch zugegeben werden, daß sie die Frage nach die Verwandtschaft der beiden altweltlichen Kamelformen nicht restlos klären. Ein wesentlicher Beitrag dazu würde geliefert werden, wenn man über das Verhalten des Kreuzungs- produkts beider Sicheres wüßte. In einer breiten Zone, wo Dromedar und Trampeltier nebenein- ander leben, also ebenfalls in Kleinasien, werden beide auch miteinander gekreuzt. Es wäre nun sehr wichtig festzustellen, ob die Mischlinge beider fruchtbar sind. Mit der Bestimmung der Ver- wandtschaftsgrade von Tieren durch die P"rucht- barkeit ihrer Mischlinge hat man ja im Hallensee Haustiergarten bei Rindern sehr schöne Erfolge erzielt. Es hat sich dabei folgendes gezeigt. Misch- linge können sein: 1. Unbegrenzt fruchtbar. 2. Nur mit einer der beiden Elternarten frucht- bar. 3. Unter sich fruchtbar. 462 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 32 4. Nur in einem Geschlecht, dann gewöhnlich bei dem weiblichen fruchtbar. 5. Nur einige Generationen hindurch fruchtbar. 6. Völlig unfruchtbar. Es wäre nun sehr erwünscht, wenn an Ort und Stelle, d. h. wo Mischlinge zwischen beiden Kamelformen gezüchtet werden, genaue Erkundi- gungen über deren F"ruchtbarkeit unter Erwägung der 6 oben genannten Punkte eingezogen werden. Dabei ist allerdings insofern noch Vorsicht nötig als derartige Mischlingszuchten oft mit aber- gläubischen Vorstellungen verbunden sind. Es ist z. B. denkbar, daß Mischlinge auf Grund irgend- welcher abergläubischer Erwägungen nicht zur Zucht benutzt werden. Die Möglichkeit der- artiger Vorstellungen sind bei Erkundigungen zu erwägen. Sehr wesentlich wäre es übrigens, wenn Hoden von Mischlingen beider Kamelformen zur Untersuchung eingesandt werden. Herr Prof. Po 11 vom 2. anatomischen Institut der Universität Berlin, der schon durch derartige Untersuchungen so über- aus interessante und wichtige Befunde erhalten hat, würde gewiß auch Hoden von Kamelmischlingen zu seinen Studien mit Freuden begrüßen. Einzelberichte. Anthropologie. Zur Anthropologie der Tas- manier. Die Tasmanier sind als reine Rasse schon seit Jahrzehnten ausgestorben und es sind von ihnen auch nur verhältnismäßig wenige Skelettreste, Haarproben und Bilder erhalten. Zudem ist das, was vorhanden ist, weit verstreut. Einen großen Teil des auf diese Rasse bezüglichen kraniometrischen Materials hat Prof. Dr. Rud. Pöch gesammelt und mit ähnlichem auf die Australier bezüglichen Material verglichen.^) Auf Grund des Vergleiches folgert Pöch, daß der Typus des Tasmaniers von dem des Australiers wohl unterschieden werden kann. Der Tasmanier „fällt zwar mit keinem Merkmale ganz aus der Variationsbreite des Australiers heraus, aber die Mittelwerte entfernen sich oft sehr deutlich von- einander. Es sind gewiß Verschiedenheiten ge- nug da, nach denen wir berechtigt sind, die zwei Gruppen, Australier und Tasmanier, aus- einanderzuhalten. Man wird wohl nicht jeden Tasmanierschädel von jedem Australierschädel unterscheiden können, aber die meisten." Auf- fallende Unterschiede am Kopfskelett sind beispiels- weise die im Vergleich mit dem Australier größere Schädelbreite und die geringere Nasenbreite des Tasmaniers. Besonders charakteristisch für den Tasmanierschädel ist die seitliche dachförmige Abschrägung der Scheitelbeine, die auch Lopho- kephalie genannt wird. „Zur Lophokephalie ge- hört, daß sich die Pfeilnaht kammförmig erhebt (Scheitelkante) und daß sich die Scheitelbeine seitlich abflachen; häufig zeigen sich beiderseits auch noch flache Gruben." Andere Merkmale, wie die starke Entwicklung der Augenbrauenbogen beim männlichen Geschlecht, die starke Einsenkung der Nasenwurzel usw. haben Tasmanier und Australier gemein. Sehr häufig fehlt bei den Tasmaniern der dritte Mahlzahn. Aber mit der Deutung dieses Befundes muß man vorsichtig sein, „da man die Möglichkeit eines sehr ver- späteten Durchbruches nicht aus dem Auge lassen ') Rudolf Pöch, I. Ein Tasmanierschädel im k. k. naturhistorischen Hofmuseum. — 2. Die anthropologische und ethnographische Stellung der Tasmanier. Mitteil, der Anthrop. Gesellsch. in Wien, Bd. 4Ö, Seite 37—91, mit 9 Tafeln und Z Abbild, ira Text. Wien 1916. darf." Bei dem Australier sind solche P'älle selten. Stark verschieden ist die Haarform. Sie ist bei den Australiern wellig, bei den Tasmaniern kraus. Pöch sagt u. a. : „Die Kraushaarigkeit der Tasmanier ist eines der Hauptmerkmale, auf welche sich die Abtrennung dieser Gruppe von den Australiern und ihre Zuteilung zu den Melanesiern stützt. Es müßte vor allem klargestellt werden, ob die Haarform des Menschen wirklich ein so konstantes Merkmal ist (wie z. B. !<" riede nthal meint), daß aus seiner Verschiedenheit Rassen- verschiedenheit folgen würde . . . .Auf den vor- liegenden Fall der Übereinstimmung der Tas- manier mit den Melanesiern in bezug auf die Haarform würde man aus diesem Merkmal allein noch nicht zwingend Verwandtschaft folgern müssen ... Es liegen aber noch andere zwischen Melanesiern und Tasmaniern gemeinsame soma- tische Eigenschaften vor, z. B. die Hautfarbe, außerdem andere Beziehungen", nämlich solche des Kulturbesitzes. Die Hautfarbe der Tasmanier war, nach Angabe von Personen, die noch Ange- hörige dieser Rasse kannten, erheblich dunkler als die Hautfarbe der Australier. Darüber, wie die Verschiedenheiten des tas- manischen Typus vom australischen und seine Ähnlichkeiten mit dem melanesischen zu erklären sind, herrscht unter den Anthropologen noch Meinungsverschiedenheit. Die Wohngebiete der Tasmanier und Australier liegen gar nicht weit voneinander getrennt, es scheidet sie nur eine 224 km breite Meeresstraße, die „Basstraße",zwischen dem australischen Kontinent und Tasmanien. Mela- nesier und Tasmanier waren dagegen durch weite Meere voneinander getrennt. H. Klaatsch nimmt an, daß sich die Tasrnanier vor langer Zeit von den Australiern trennten, zu denen sie gehörten, und daß infolge der gesonderten Weiterentwicklung die somatischen Unterschiede entstanden. Ganz ähnliche Anschauungen vertritt H. Basedow, welcher den tasmanischen Typus als insulare Ab- art des australischen bezeichnet. F. von Luschan dagegen hält die Tasmanier sogar für „echte Melanesier" und Pöch neigt gleichfalls zu der N. F. XV. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 Annahme ihrer nahen Verwandtschaft mit den Melanesiern. Es besteht die Möglichl^eit, daß die Besiede- lung Tasmaniens vom Hauptlande Australien er- folgte, als zwischen beiden noch eine Landbrücl^e bestand. Doch ist der Übergang auf einer solchen nicht gerade unbedingt anzunehmen, denn wir können aus dem relativ seetüchtigen Bau der tasmanischen Flöße schließen — sagt Pöch — „daß der tasmanische Mensch auch zur See nach dieser Insel hinübergekommen sei, zu einer Zeit, da die Insel schon abgetrennt war. Selbst weitere Wanderungen liegen im Bereiche der Möglichkeit. Geologische Tatsachen machen es wahrscheinlich, daß zur Zeit des ersten Auftretens der Menschen in diesem Gebiete im Südosten Australiens eine anders gestaltete Inselwelt mit reichen Inselbrücken vorhanden war; „es würden dann Überwande- rungen sehr primitiver paläolithischer Menschen auf Flößen einfacher Art zwischen Neu-Seeland, Neu-Kaledonien, der Lord Howe-Insel, der Ost- küste von Australien und endlich Tasmanien möglich gewesen sein." Das würde auch „das sonst schwer verständliche Vorkommen tasmanoider anthropologischer Merkmale auf den genannten melanesischen Inseln einerseits und im Südosten Australiens andererseits erklären". Auf das Vor- kommen tasmanierähnlicher Menschentypen auf Neu-Seeland und verschiedenen Inseln Melanesiens haben schon verschiedene Forscher aufmerksam gemacht, so z.B. v. Luschan, Volz, H. Po 11, Mollisonusw. Diese tasmanoiden Typen treten nicht vereinzelt unter der übrigen Bevölkerung auf, sondern sie bilden regional kompakte Ein- heiten. Eine Besiedelung Tasmaniens von den polyne- sischen Inseln her könnte durch zufällige Ver- schlagung oder Einwanderung erfolgt sein. In jedem Falle muß angenommen werden, daß die Fahrt über das Meer, dem Kulturzustand der Tasmanier entsprechend, auf Flößen ohne Segel und Steuerung erfolgte, sie mußte also von den herrschenden Meeresströmungen und Winden ab- hängen. In der Tat sind diese so geartet, daß sie die Möglichkeit einheitlicher Besiedelung melane- sischer Gebiete, Ostaustraliens, Tasmaniens und Neu-Seelands bieten, und zwar in der hier be- zeichneten Aufeinanderfolge : Als Ablenkung und Fortsetzung des südlichen Äquatorialstromes führt an der Ostküste Australiens die warme nach Süden setzende „australische Strömung" vorbei. Dazu kommt, daß bis etwa zum 25. Grad südlicher Breite im westlichen Stillen Ozean abwechselnd Nord- west-und Südost-Monsun auftritt, der Wanderungen in beiden Richtungen sehr begünstigt. In den Tasman-See, zwischen Australien und Neu-Seeland, herrschen während des ganzen Jahres Westwinde und überdies führt eine nach Osten gerichtete Meeresströmung die Wässer südlich von Tas- manien nach der Südinsel von Neu-Seeland. — Pöch wendet sich entschieden gegen die viel- fach anzutreffende Ansicht, „die immer bestrebt ist, altertümliche und kulturell ganz primitive Menschengruppen nur auf dem Wege von Fest- landswanderungen über hypothetische alte Land- brücken nach Inselgebieten hinübergelangen zu lassen". Es scheint dagegen „schon in früheren Zeiten, bei schwachem Ansatz zum Bau von See- fahrzeugen, auf dem Wege von Verschlagungen, vielleicht sogar bei erzwungenem oder beabsich- tigten Verlassen der heimischen Küsten unter Mithilfe von stetigen Winden und von Strömungen, die Möglichkeit vorgelegen zu haben, auch weite Strecken zur See zu überwinden. So würde manche heute noch rätselhafte Besiedlung entle- gener Inseln durch Völker mit ganz primitiven Kulturen erklärlich sein." Ein Vergleich wichtiger Kulturelemente der Tasmanier, Australier und Melanesier ergibt, daß sich fast alle tasmanischen Kulturgüter in der australischen Kultur ebenfalls finden; doch auch in der melanesischen Kultur sind alle die be- treffenden Elemente vorhanden. Dagegen besitzt die australische Kultur eine Menge sehr bezeich- nender Kulturgüter, welche den beiden anderen Kulturen mangeln; hierzu gehören der Bumerang, das Speerschleuderholz, der Parierschild, die Feuer- säge, der Erdofen, die geschäftete Axt, die halb- kugelige Hütte mit einem auf zwei Firststangen ruhenden Gerüst, das Rindenboot, die Bestattung auf Bäumen, der Dingo als halbgezähmter Hund usw. Auf der anderen Seite fehlen der austra- lischen Kultur einige Güter, welche die tasma- nische und melanesische Kultur gemein haben, nämlich die als „F'euerpflug" bekannte Vorrichtung zum Feuermachen, die Seeschiffahrt und die Leichenverbrennung. Bei der engen Beziehung, die bei ganz primitiven Menschengruppen zwischen Rasse und Kultur noch bestehen, weisen diese gemeinsamen tasmanischen und melanesischen Kulturgüter auf nahe Rassenverwandtschaft ihrer Träger hin. Kurz zusammengefaßt ist das Ergebnis von Prof Pöch's Untersuchung über das Verhält- nis der Tasmanier zu den Australiern wie folgt: „Wir können in bezug auf somatische Be- ziehungen der Tasmanier zu den Australiern so weit Verwandtschaft annehmen, als beide wahr- scheinlich von einer mehr oder weniger weit zu- rückliegenden Grundform aus ihre verschiedene Differenzierung genommen haben. Wir können also die Tasmanier als eine „voraustralische" Be- völkerungsschicht auffassen. Dabei ist aber gar nicht notwendig, anzunehmen, daß diese ebenso wie die heutigen Australier über den ganzen Kontinent verbereitet war. Die kulturellen Eigen- tümlichkeiten, welche die Tasmanier mit den Australiern gemein haben, sind hauptsächlich im Südosten des Kontinents lokalisiert, also auf den Tasmanien näher liegenden Teil beschränkt. Man könnte sich vorstellen, daß die Wanderung längs der Ostküste Australiens gegangen sei, von einem im Norden angenommenen Zentrum her. Dieser Zug längs der Küste würde den Ansätzen zu 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. i< einer Seeschiffahrt und der Abhängigl^ ^ \ A '•J ' \ / \ M ^^N '^^^ Sauerstoffverbrauch des Aalmontes im Hunger. Ordinalen : Logarithmen der Werte für den Sauerstoffverbrauc Unterbrochene Linie: theoretisch berechneter Verlauf; Ausg zogene Linie; beobachteter Verlauf des Versuches. Der Ve lauf der ausgezogenen Linie weicht nur zu Ende des Bunge Versuches wesentlich vom Verlauf der Geraden ab. Nach Pütter und Lipschütz. Zahlen jedes folgenden Tages bilden das 0,64- fache des vorhergehenden. Die Werte für die Wärmebildung im Laufe der sechs Tage bilden eine geometrische Reihe und ihre Logarithmen N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 501 liegen mit nur geringen Abweichungen auf einer geraden Linie, wie die Abbildung 3 uns zeigt. „Es liegt also eine die Lebenstätigkeit gesetzmäßig schwächende Erscheinung vor." Nun wissen wir, daß die Abnahme der Stofifwechselintensität im totalen Hunger denselben gesetzmäßigen Verlauf zeigt wie die Abnahme der Wärmebildung bei der Hefezelle in Zuckerlösung: die Werte z. B. für den SauerstofTverbrauch von hungernden Monte- Aalen bilden annähernd eine geometrische Reihe (Abb. 4). Könnte es sich vielleicht auch bei der Hefezelle, die in Rohzucker gärt, um eine Hunger- erscheinung handeln, und zwar um die Folgen eines Stickstoffhungers? Der erste, der diese Möglichkeit erwogen hat, war Adolf Meyer. 1) Adolf Meyer hat ge- zeigt, daß man das Absinken der Gärkraft oder die Abnahme der Alkoholbildung bei der Gärung der Hefe in Zucker hintanhalten kann, wenn man zum Zucker geringe Menge von Pepton hinzufügt. Diese eine Beobachtung schon bringt uns dem Gedanken näher, daß die Abnahme der Gärkraft der Hefe in einer stickstofi freien Zuckerlösung der Ausdruck eines Stickstoffhungers ist. An diese Beobachtung hat R u b n e r angeknüpft und durch eine Reihe ausgezeichneter Versuche manche Breschen in die Lehre vom Stickstoff- wechsel der Hefezelle geschlagen. Rubner hat den Stickstoffbestand der Hefezellen in Zucker an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen untersucht und er hat gefunden, daß der Stickstoffgehalt der Hefe von Tag zu Tag abnimmt. Rubner ist dabei in folgender Weise vorgegangen. Eine be- stimmte Menge Hefe von bekanntem Stickstoff- resp. Eiweißgehalt wurde in lo^ Rohrzucker- lösung gebracht und dann die Hefe nach Abiaul von 24 Stunden aus der Nährlösung abzentri- fugiert und ausgewaschen. Der in die Nähr- lösung und in das Waschwasser übergegangene Stickstoff wurde bestimmt und auf diese Weise ermittelt, mit welch einem Stickstoft'bestande die Hefe in den zweiten Versuchstag eintrat. Die abzentrifugierte Hefe wird dann wieder in reine Zuckerlösung gebracht, und nach 24 Stun- den wird wieder in der angegebenen Weise 5 g Hefe in 10 "/o Rohrzucker -) Relative Stickstoff Relative Zahl für Stickstoff Zahl Kultivier- Abnahme Tag in der Hefe der Zellen Millionen bare Zellen Millionen der kultivier- baren Zellen 0 0,093s 100 84600 20355 100 0,0789 84,4 62845 20898 103 0,0663 70,9 66605 13728 67 0,0559 59,8 66950 824 4 0,0471 50,3 8S600 218 1 0,0396 42,3 105 400 8,2 0,04 6 0,0280 30,0 10 1 600 6,2 0,02 ') Zit. nach Rubner. 2) tjber Spalte 5 und 6 der Tabelle vgl. S. 503 (VI). verfahren usw. Wie die Tabelle (Spalte 2 und 3) uns zeigt, sind in der Hefezellc nach sechs Tagen Gärung in Rohrzucker nur noch 30 % des Anfangsbestandes an Stickstoff vorhanden. In der allmählichen Abnahme des Stickstoffbestandes kommt wieder dieselbe Gesetzmäßigkeit zum Ausdruck, die wir schon bei der Betrachtung der Wärmebildung an den aufeinanderfolgenden Tagen der Gärung in Rohr- zucker festgestellt haben: die Werte für den Stick- stoffbestand — und für die absolute tägliche Stick- stoffeinbuße — an den aufeinanderfolgenden Tagen stellen eine geometrische Reihe dar. Es geht aus diesen Versuchen von Rubner mit Sicher- heit hervor, daß die Gärleistung der Hefe- zelle mit einer Einbuße an Stickstoff- substanzen einhergeht, daß die Hefe- zelle einen Stickstoffwechsel hat, der sich energetisch bisher nicht erfassen ließ. Aber man könnte hier folgenden Einwand er- heben. Es könnte ja möglich sein, daß die Einbuße, die die Hefezelle in einer stickstofffreien Zuckerlösung erfährt, auf einem Zugrundegehen, auf einem Absterben von Hefezellen beruht, nicht auf einem Verbrauch von Stickstoffsubstanzen im Lebensprozeß jeder einzelnen Hefezelle. Daß dieser Einwand aber nicht gerechtfertigt ist, ergibt sich, wenn man von Tag zu Tag in einer der Hefe entnommenen Probe die vorhandenen Zellen aus- zählt. Man kann das mit Hilfe desselben Appa- rates tun, den man zum Zählen von Blutkörperchen benutzt. Man überzeugt sich dann, daß die Zahl der Zellen nicht abgenommen hat. Die 4. Spalte der Tabelle gibt die an den einzelnen Tagen ge- fundenen Zellenzahlen an. Da die Zählung mit Fehlern behaftet ist — die Probeentnahme ist auch bei gutem Schütteln nicht exakt zu machen — , so schwanken die Werte von Tag zu Tag. Aber im ganzen sieht man, daß ein Zugrundegehen von Zellen im Laufe der 6 Tage nicht stattgefunden hat. Es ist also klar, daß die Einbuße an Stick- stoff, die die in Zucker gärende Hefe erfährt, auf einem Verbrauch von Stickstoff in der einzelnen Hefezelle beruht. Wie die 3. Spalte der Tabelle uns zeigt, büßte die Hefezelle ca. 15 bis 16% von ihrem Stickstoffbestande pro Tag ein. Allerdings muß noch berücksichtigt werden, daß bei der Auswaschung der Hefe den Zellen eine gewisse Menge von wasserlöslichem Stickstoff entzogen wird, so daß also der tägliche Stickstoffverlust etwas größer erscheint, als in Wirklichkeit Stick- stoff in Form von Stoffwechselprodukten in die Nährlösung ausgeschieden worden ist. Zieht man diesen Fehler, den Rubner auch zahlenmäßig zu erfassen versucht hat, in Betracht, so bleibt doch noch ein täglicher Stickstoffverlust von 10 bis ii^/o- Man sieht, die Intensität des Eiweißverbrauches ist bei der Hefezelle sehr groß. Daß der Eiweißverlust, den, wie wir gesehen haben, die Hefezelle bei der Gärung im stickstoff- freien Medium erfährt, einen ?, Verbrauch im 502 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 Lebensprozeß der cinzehien Hefezelle darstellt, hat Rubner noch durch eine andere Reihe von Versuchen nachgewiesen. R ubn er ließ Hefe bei verschiedenen Temperaturen gären und er fand, daß der Stickstoftverlust, den die Hefe bei der Gärung erfährt, um so größer ist, je höher die Tempe- ratur, d. h. je größer die Gärleistung, wie die folgenden Zahlen ergeben: 5 g Hefe in lo % Rohzu ;kerlösung To Nach 3 Tagen in der Hefe L , „ , wiedergefundener N, in % ! N- Verlust pro Tag des anfänglichen Bestandes ; '° '» 22 28 39 78,1 ■) 66,0 50,0 7.3 ".3 16,6 Nach alledem brauchen wir nicht daran zu zweifeln, daß die Gärleistung der Hefe- zelle mit einem Verbrauch von Eiweiß- stoffen verbunden ist. Auf die große allgemein-physiologische Be- deutung dieser Tatsache haben wir schon oben hingewiesen: die Auffassung, daß der Stoffwechsel der Pflanze, der Umsatz der Kohlehydrate in ihr sich unabhängig von einem Eiweißumsatz abspielt, erfahrt durch die Beobachtungen an der Hefe- zelle keine Stütze. Rubner hat noch andere Probleme des Stickstoffwechsels der Hefezelle in Angriff genom- men, auf die wir im VI. Abschnitt zurückkommen, zum Teil im Zusammenhang mit dem großen Problem des Wachstums und des Todes, das Rubner in außerordentlicher Weise gefördert hat. V. Die bekannten Untersuchungen von E. B u c h - ner haben die Tatsache aufgedeckt, daß sich aus der Hefezelle ein den Zucker vergärendes F"erment gewinnen läßt. Die alkoholische Gärung, die wir bei der Hefezelle beobachten, könnte darauf- hin als eine reine Fermentwirkung aufgefaßt werden : in der Hefezelle werden Fermente gebildet, die in das zuckerhaltige Medium sezerniert werden und nun ihre Wirkung ausüben. Aber nach Rubner ist diese Auflassung, die auf den ersten Blick wohl gerechtfertigt erscheinen mag, nicht richtig. Die alkoholische Gärung, die die Hefezelle vornimmt, ist nach Rubner kein rein fermen- tativer, sondern ein „vitaler" Prozeß, d. h. an der Gärung ist auch das Protoplasma, die lebendige Substanz der Stelle beteiligt. Das „Vitale" ist hier aber nichts Mystisches. Rubner will damit nur zum Ausdruck bringen, daß, seiner Meinung nach, bei der Gärung, wenn sie durch die lebende Hefezelle vorgenommen wird, „die Fermentgruppe direkt mit dem lebendigen Komplex in Zusammen- hang steht." Seine Auffassung hat Rubner durch ') Im Buch von Kubner lieißt es hier 6S,I, 3. Spalte der Tabelle folgt, daJ3 es wohl 78,1 heil eine große Reihe von quantitativen Versuchen über die Gärleistung lebender und abgetöteter Hefezellen begründet. Über diese Versuche wollen wir hier berichten. Man kann mit Hilfe verschiedener Methoden dasFerment (oder richtiger das Substrat derF'erment- wirkung, denn diese allein können wir messen) aus der Hefezelle isolieren. Man kann Hefe mit Protoplasmagiften (Aceton, Toluol) versetzen, wobei die Hefezellen abgetötet werden, das Gemisch aber noch imstande ist, Zucker zu vergären. Man kann die Hefe mechanisch abtöten, sie zerreiben, wie es B u c h n e r getan hat, um sich seinen Hefe- preßsaft darzustellen. Die Gärung, die mit Gift versetzte Hefe oder der Preßsaft von Hefe hervor- rufen, ist reine Fermentwirkung, denn die lebendige Substanz, die Hefezelle, ist abgetötet. Es wirken in diesen Fällen Fertnente, die aus der Zelle isoliert sind. Vergleicht man nun die Gärwirkung lebender Hefe mit der Gärwirkung abgetöteter Hefe, so ergibt sich ein ganz gewaltiger Unterschied : das aus einer bestimmten Menge von Hefe isolierte Ferment hat eine um ein Vielfaches geringere Gärkraft als dieselbe Menge lebender Hefe. Ein Beispiel aus den Versuchen von Rubner mag das vor Augen führen. 50 Gramm Hefe lieferten in 20 "/o Rohzucker in 20 Stunden 6921 Gramm- Kalorien Wärme. Diesen 50 Gramm frischer Hefe entsprachen 12,5 Gramm vom sehr wirksamen Zymase-Präparat ') „Zymin" (Acetonhefe), die in 20 "/„ Rohzucker 1324 Gramm-Kalorien in 20 Stunden lieferten. Die abgetötete Hefe lieferte also bloß etwa 20 ",;, derjenigen Wärmemenge, die dieselbe Hefemenge zu liefern vermag, wenn sie un- versehrt ist. Nun kommt noch folgendes hinzu. Bei der Gärung von Hefe in Zucker unterliegt die Hefezelle der Wirkung des bei der Gärung ent- stehenden Alkohols, der als Gift auf die Hefe- zellcn wirkt und die Gärkraft derselben abschwächt. Wenn wir also unseren Versuch so einrichten, daß wir Hefe in einer Zuckerlösung gären lassen, so erfahren wir in Wahrheit noch nicht, was die Hefezelle wirklich zu leisten vermag. Rubner hat in einer langen Reihe von Versuchen die lähmende Wirkung des Alkohols auf die Hefezelle quantitativ zu erfassen versucht und er hat be- rechnet, daß wenn man sich die hemmende Wir- kung des Alkohols auf die Hefezelle wegdenkt, I Gramm frische Hefe in 24 Stunden 860 Gramm- Kalorien Gärungswärme zu liefern vermag. Da- gegen liefert i Gramm Hefe in F'orm von Zymin .... 27 Gramm-Kalorien Preßsaft nach E. Buchner. . 41 Gramm-Kalorien Oder : dieWirkung desausdcr Hefeiso- lierten Ferments beträgt bloß 3 bis 4,6 Prozent von der Gesamtleistung der lebenden Hefezelle. Sehr illustrativ wirkt die graphische Darstellung das zuckerspaltende Kcrment, das der ') Zymase nen ß. aus der Hefe gewonnen wird, N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 von Versuchen, in denen Rubner die Gärleistung lebender Hefe mit der Gärleistung von Hefe ver- glich, die mit Toluol abgetötet war (Abb. 5). Die Kurven zeigen uns, daß die fermentative Wärme- bildung, d. h. die Wärmebildung von Hefe, die mit Toluol verrieben war, weit hinter der Wärme- bildung lebender Hefezellen zurücksteht. In der 8. Stunde hatte die abgetötete Hefe versagt, sie hörte beinahe ganz zu gären auf. Dieselbe Menge lebender Hefe gärte 28 Stunden lang, bis schließ- lich aller Zucker vergärt war. Zieht man von der Gesamtleistung der lebenden Hefe die Gär- leistung der abgetöteten Hefe ab, die man auf reine Fermentwirkung zurückführen muß, so er- gibt sich die gestrichelte Kurve, die in der 6. bis 7. Stunde fast ganz mit der Kurve der unver- sehrten Hefe zusammenfällt. r \ \ \ \ \ \ WÜ Zucke ■ '9 Uff, l€b nd. -\ \ V \ \ ung. \ ir \ r .«. \ \ r- ivent >»..) \ ^^ ~~ ^ -^ . i ' ' ' " " i Abb. 5. Gärleistung lebend» Es ist also möglich, „vitale" und „fermentative" Gärung voneinander zu trennen, wobei die quanti- tative Untersuchung ergibt, daß der überwälti- gende Anteil der Gärleistung nicht Wirkung eines freien Ferments, sondern Z e 1 1 w i r k u n g ist. Man könnte ja den Einwand erheben, daß alle diese Versuche nur das besagen, daß man eben bei der Darstellung des Ferments aus lebender Hefe nicht alles Ferment zu gewinnen vermag, das in der Zelle vorhanden ist. Rubner weist aber darauf hin, daß die Wirkungen mit Hilfe von Fermentproben, die von verschiedenen Methoden dargestellt werden, annähernd ähnlich seien, und daß es darum unwahrscheinlich sei, daß nur tech- nische Mängel der Zymasedarstellung an dem ungleichen Ausfall der Gärung mit lebender und abgetöteter Hefe schuld sein sollten. Rubner zieht aus seinen Befunden an der Hefezelle Schlüsse über die Rolle der Fermente im Stoffwechsel der Mikroorganismen überhaupt. Die große Bedeutung, die den Fermenten zweifellos im Zelleben zukommt, hat dazu ver- leitet, das für uns noch dunkle Spiel der chemi- schen Vorgänge in der Zelle als ein Spiel von freien Fermenten aufzufassen. Dieser Auffassung will Rubner einen Riegel vorschieben. ,,Die einfache Tatsache des Nachweises von Stoff- wechselfermenten beweist noch keineswegs, daß alle sonst gefundenen Spaltungen der gleichen Art auf freie Fermente zu beziehen sind." Mögen freie Fermente auch eine gewichtige Rolle im Leben einer jeden Zelle spielen: mit einem Ein- blick in das Spiel von freien F'ermenten, die sich aus der Zelle isolieren lassen, ist unsere Erkennt- nis vom Leben der Zelle keinesfalls erschöpft. VI. Wenn wir uns die Tabelle auf Seite 501 an- sehen, so überzeugen wir uns , daß die Einbuße an Stickstoffsubstanz, die die Hefezellen bei der Gärung in einer stickstofffreien Lösung erfahren, nicht gleichgültig ist für die Zelle. Die Zellen haben eine wichtige biologische Eigenschaft ein- gebüßt. Wie die 5. Spalte der Tabelle uns zeigt, nimmt die Zahl der Zellen, die teilungs- fähig, auf einem geeigneten Nährboden (Bier- würzagar) kultivierbar sind, mehr und mehr ab, und schon am 3. Tage können sich nur noch 4 "/(, der normalerweise teilungsfähigen Zellen teilen. Die Hefezellen, die durch Gärung in einer stickstofffreien Nährlösung geschädigt worden sind, können sich jedoch vollkommen erholen, wenn man sie in eine stickstoffhaltige Nährlösung, z. B. in Pepton-Zuckerlösung, verbringt. Die Zahl der wachstumsfähigen und teilungsfähigen Zellen nimmt zu. In der Zuckerlösung dagegen gehen die Zellen nach einigen Tagen zugrunde. Also so viel sagen uns diese Versuche von Rubner: daß es unter geeigneten Versuchs- bedingungen gelingt, Wachstum und Teilung bei der Zelle auszuschließen, ohne daß damit auch alle anderen Lebenseigenschaften, z. B. die Gärung, unterdrückt zu werden brauchen. Dieser Befund ist in einer Beziehung von außer- ordentlichem Interesse. Bei den vielzelligen Or- ganismen haben wir es zum Teil mit solchen Zellen zu tun, die ihre Teilungsfähigkeit ganz eingebüßt haben. Manche Zellen des vielzelligen Organismus, wie z. B. die Nervenzellen, vermehren sich nach der Geburt nicht mehr, ihre Zahl bleibt für die ganze Dauer des Lebens unverändert. Die Drüsenzellen und die Herzmuskelzellen hören auf sich zu teilen, wenn die spezifische Körpergröße der Art erreicht ist. Mit dem Moment, wo die Teilungsrate dieser Zellen gleich Null geworden 504 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 ist, sind diese Zellen des Metazoenkörpers wie die Hefezellen, die aufgehört haben, sich zu teilen: sie besitzen eine Reihe anderer Lebenseigenschaften, ohne sich vermehren zu können. Hier hat nun Rubner mit folgender Frage- stellung angeknüpft. Die Hefezellen büßen ihre Gärkraft ein und gehen in einer Zuckerlösung, wo es ihnen an Stickstoffsubstanz mangelt, zu- grunde. Was wird geschehen, wenn man die Hefezellen in Stickstoffgleichgewicht bringen wird wie die Zellen des erwachsenen Metazoenkörpers ? In ein Stickstoffgleichgewicht, wo es keine Ein- buße aber auch keinen Ansatz von Stickstoff, also auch kein Wachstum gibt. Wird die Hefezelle bei Stickstoffgleichgewicht ohne Wachstum und Vermehrung unendlich lang ihre Gärkraft beibe- halten ? Oder werden die Hefezellen ohne Ver- mehrung allmählich doch an Gärkraft abnehmen und schließlich sterben? Wie die Zellen des Metazoenkörpers, die trotz des Stickstoffgleichge- wichts eine Abnahme ihrer Stoffwechselintensität erfahren, atrophisch werden und schließlich zu- grunde gehen. Liegt das bei den Zellen des Metazoenkörpers vielleicht gar daran, daß sie nach einiger Zeit aufhören, sich zu teilen? Die Ver- suche von Rubner sind eben die experimentelle Prüfung dieser Frage: Ob eine Zelle mit unterdrückter Teilungsfähigkeit sich bei Stickstoffgleichgewicht unendlich lange unverändert zu erhalten vermag. Zuerst galt es, Versuchsbedingungen ausfindig zu machen, unter denen es gelänge, die Hefezelle in Stickstoffgleichgewicht zu bringen. Rubner hat gefunden, daß Wachstum und Vermehrung der Hefezelle nur eintritt, wenn in der Nährlösung eine bestimmte Grenze der Stickstoffkonzentration erreicht ist. Unterhalb dieser Grenze d. h. wenn das Verhältnis zwischen dem Stickstoff der Nähr- lösung und dem Stickstoff der ausgesäten Hefe- zellen nicht groß genug ist, unterbleibt Wachstum und Zellteilung. Dabei kann nicht nur Stickstoff- gleichgewicht, sondern sogar Stickstoffansatz ge- geben sein. Als Beispiel mag folgender Versuch dienen. Das Verhältnis des Stickstoffs der Hefe- aussaat zum Stickstoff der Peptonlösung betrug I :2i,7. Die Zahl der Zellen hatte sich bei diesem Verhältnis nicht vermehrt, obgleich es sogar zu einem sehr bedeutenden Stickstoffansatz gekommen war. Die „Nährstoffspannung" wie Rubner sich ausdrückt, war nicht genug groß, um Wachs- tum und Zellvermehrung zu ermöglichen, wenn auch Stickstoffansatz vorhanden war. Nachdem somit die Möglichkeit gegeben war, Hefezellen in Stickstoffgleichgewicht oder sogar zu Stickstofifansatz unter Ausschluß von Zell- teilung zu bringen, gingRubner daran, zu prüfen, wie sich die Gärkraft solcher Hefe verhalten würde. Als Indikator für die Gärkraft diente ihm auch hier wieder die Wärmeproduktion, die er mit Hilfe seines Mikrokalorimeters maß. Und es ergab sich, daß auch die Hefe, die sich in Stickstoffgleichgewicht befindet, im Laufe der Zeit an Gärkraft einbüßt. R u b n e r hat seinen Versuch in folgender Weise ausgeführt. Gleiche Mengen Hefe kamen in Traubenzuckerlösung resp. PeptonTraubenzucker- lösung in das Mikrokalorimeter zur Messung ihrer Wärmeproduktion. Täglich wurde die Hefe ab- zentrifugiert und die Nährlösung erneuert. Das Ergebnis des Versuchs ist durch das Kurvenbild (Abb. 6) illustriert. Die Ordinaten der kleinen Kur- ven bedeuten die abgelesenen Temperaturen. Wir sehen, daß in Peptonzucker die Temperatur steiler rmebüdung gleicher Hefe mengen in Traub Zuckerlösung und in Traubenzuckt lösung. Zwei Versuche derselben Art. Ausgezogene Linie : Versuche in Traubenzucker und Pepton ; Unterbrochene Linie: Versuche in Traubenzucker allein. Nach Rubner. und höher ansteigt als in Zucker — die Gärkraft der Hefezellen in einer stickstoffhaltigen Nähr- lösung ist größer, weil die Zellen keine Einbuße an Stickstoffsubstanz erfahren. Die Gärkraft nimmt in Peptonzucker in den folgenden vier Tagen kaum ab, während in Zucker allein sich viel schneller eine Abnahme bemerkbar macht. Aber am 5. Tage beginnt auch in Peptonzucker eine deutliche Abnahme der Gärkraft. Wenn also die Zugabe von Stickstoff — in einer Menge, die es den Zellen gestattet, in Stickstoffgleichgewicht oder sogar zu Stickstoffansatz zu kommen, nicht aber zu wachsen und sich zu teilen — die Gärkraft höher werden ließ als in Zucker allein, so konnte dadurch doch nicht verhindert werden, daß die Gärung der Zellen schließlich abnahm. „Die Hefe, Weichenichtwachsen kann, stirbt ab, hier rascher, dort langsamer; ... auch die Versorgung mit einem eiweiß- haltigen und zuckerhaltigen Nähr- material rettet und erhält sie nicht auf die Dauer... Ohne Wachstum ist die Zelle zum Tode bestimmt." So haben diese Versuche Rubners an der Hefezelle auch das große Problem des Todes bei den Metazoen unserem Verständnis näher ge- bracht. ^) Es zieht sich durch das ganze Reich des Lebendigen das Gesetz, „daß die durch Teilungsich mehrende Zelle durch Er- nährung im Beharrungszustand nicht ') Vgl. darüber Lipschütz, .Vllgemeine Physiulogic des Todes. Braunschweig 1915. N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 505 dauernd am Lebe n erhalt en werden Art, kan n sie dauernd lebe n". Und weil die k an n. S 1 e s 1 1 r b t e n d 1 1 c h u n d n u r durch lebenswichtigen Zellen des Metazoenkörpers früher solche Vorgange welche eine Teilung oder später ihre Teilungsfähigkeit einbüßen ist z u r I- Ol g c h a b e n , d u r c h W a c h s t u m c c h t e r die Lebensdauer der Metazoen beschränkt Einzelberichte. Chemie. Eine sehr beachtenswerte Studie denn bei den radioaktiven Prozessen zerfallen wie „über den Element- und Atombegriff in Chemie die fest und sicher begründete Theorie von un^ Radiologie" hat vor kurzem Fritz Paneth Rutherford und Soddy lehrt, die Atome, in- in derZeitschr. f.physik.Chem.(Bd. 91, S. 171 — 198; ^^'^ ^^^ Produkte des Zerfalls Elektronen, Helium- 1916) veröffentlicht, die, mag man Pan et h's An- atome und Atome neuer Elemente auftreten, schauungen im einzelnen zustimmen oder nicht, andererseits hat die Lehre von der Isotopie ') ge- viele Anregung gibt und die Beachtung aller ^^'g*: '^^ß in radioaktiver Hinsicht und ihrem I-'achleute verdient. Ihr sind die folgenden Dar- Gewicht nach verschiedene Atome chemisch voU- legungen entnommen. kommen identisch sein können, also im perio- Der Begriff des chemischen Elementes, wie er tischen System der Elemente auf denselben Platz heute allgemein angewendet wird, stammt bekannt- gestellt werden müssen, d. h. „Isotop" sind. Mit lieh von Robert Boyle. Allerdings hielt der Entdeckung der Isotopie ist der Ost wald 'sehe Robert Boyle als Theoretiker und Philosoph ^a^z gefallen, daß, wenn zwei Stoffe in einigen an dem Gedanken einer Urmaterie fest und er- Eigenschaften übereinstimmen, sie dies auch in klärte daher ganz im Anschluß an die herrschenden ^'^'^" übrigen Eigenschaften tun. „Wir wissen Ideen seiner Zeit die qualitative Verschiedenheit heute, sagt Paneth, daß vollständige Überein- der Stoffe durch verschiedene Aneinanderlagerung Stimmung fast sämtlicher Eigenschaften nicht aus- der kleinsten Teile eines Urstoffes — animad verto schließt, daß in einzelnen anderen größere oder quod sulphur ipsum fiat ex eadem universali ma- geringere Differenzen konstatierbar sind. Während teria, ex qua cetera corpora constant, et nihil ^^ darum bisher als selbstverständlich galt, daß aliud sit quam coalitio quarundam eius particula- ^^^^ Stoffe in allen ihren Eigenschaften gleich rum, quarum aggregatumquoniam habet talem con- s^'" müssen, wenn sie mit dem selben Namen texturam talem motionem etc. proprietates illas ac- belegt werden sollen, ergibt sich nun die Frage, quirlt, propterquas corpus sulphurisnomensortitur", ^^ nicht in bestimmten Fällen auch die über- sagt er im „Appendix ad Chymistam scepticum" — , wiegende Mehrzahl der Eigenschaften dafür aus- als experimenteller Chemiker aber definierte er reichend sein soll, und speziell für den uns hier 1661 im „Chymista scepticus" die chemischen Ele- interessierenden Elementbegriff, welche Eigen- mente rein experimentell als Stoffe, die durch die Schäften innerhalb einer gewissen Grenze schwanken chemische Analyse nicht weiter zerlegt werden dürfen." Rein logisch erscheint zunächst die Fest- können. Setzung zweckmäßig, daß zwei Elemente nur dann Als gleichberechtigt und gleichbedeutend trat ?'^ „gleich" angesehen werden sollen, wenn sie neben den Begriff des chemischen Elementes der '" allen ihren Eigenschaften übereinstimmen, Begriff des chemischen Atoms, als Dal ton im tatsächlich aber wäre eine derartige Festsetzung, Anfange des vergangenen Jahrhunderts, die Hypo- meint Paneth, nicht zweckmäßig. So ist, vor these aufstellte, daß es ebenso viele Atomarten allen Dingen durch die Forschungen von Fajans wie chemische Elemente gäbe und daß die Atome ^"^ ^on Hönigschmid, bekannt geworden, desselben Elementes gleich seien und insbesondere '^^^ ^^ verschiedene Arten eines chemisch als Blei dasselbe Gewicht hätten, dessen relative Bedienung anzusprechenden Elementes gibt, dessen Atome durch die Analyse der chemischen Verbindungen, J^ "ach ihrer Herkunft ein ganz verschiedenes d. h. der aus Atomen verschiedener Art zusammen- Gewicht haben, nämlich ein Gewicht, das zwischen gesetzten reinen Stoffe, ausgeführt werden könne. '^^^ "^^^ reinen Radiumbleies — 206,0 — und Welche Bedeutung der Boyle'sche Begriff des '^^"^ ^^^ reinen Thoriumbleies 208,4 liegt, chemischen Elementes und der Dal ton 'sehe „Nehmen wir nun, sagt Paneth, folgendes Begriff des chemischen Atoms für die Chemie Beispiel: Ein Chemiker habe Blei vom gewöhn- hat und in wie glücklicher Weise sich beide Be- liehen Atomgewicht 207,2 dargestellt und be- griffe, einander stützend, ergänzt haben, bedarf zeichne es, da es nicht weiter zerlegt werden an dieser Stelle keiner weiteren Erörteruno-. kann, als Element A. Aus einem anderen Mate- Die im vorstehenden skizzierten Anschauungen ""'al erhalte er ein sehr ähnliches Element vom über den Element- und Atombegriff sind nun in Atomgewicht 206,0, das er Element B nennt, neuerer Zeit insbesondere durch die Entdeckungen Beide Elemente schmelzt er nun in demselben auf dem Gebiete der Radiologie schwer erschüttert Gefäß und erhält so einen Stoff, der genau so worden. Einerseits ist die Annahme der Un- rT^rT^T . „, u . ., „. .. c zerlegbarkeit der Atome als falsch erwiesen worden, .9,5.^ ^''- ''^'"^''- ^-''--''■■- ^^^ "■ ^<'- !*• «. .07-, . . ; So6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 wie die beiden ersten allen Anforderungen ent- spricht, die an ein chemisches Element gestellt werden, aber ein in der Mitte liegendes Atom- gewicht, sagen wir 206,6, zeigt ; er muß nun diesem Stoff, da er sich im Atomgewicht von beiden anderen unterscheidet, wieder einen neuen Namen, C, geben. Er hat aus zwei Elementen ein neues hergestellt! Der Satz, daß Elemente unerschaff- bar sind — auf dem im wesentlichen der Wert des chemischen Elementbegriffs beruht — wird also damit hinfällig. Ebenso ist es auch möglich, Elemente zu zerstören: z. B. kann das Element B nach einmaligem Vermischen mit gewöhnlichem Blei nie wieder gewonnen werden, das Element vom Atomgewicht 206,6 ist dauernd und unwieder- bringlich verschwunden. Ja noch mehr als das 1 Durch Mischen der beiden Elemente A und B in verschiedenen Verhältnissen könnte jeder Chemiker eine unbeschränkt große Zahl von bleiähnlichen Stoffen mit Atomgewichten zwischen 206,0 und 207,2 darstellen, die sämtliche als eigene Elemente anzusehen wären und die einzeln zu unterscheiden nur die unvermeidlichen Fehler der Atomgewichts- bestimmungen hindern würden. Dadurch würde die Entwertung des chemischen Elementbegriffs vollendet, denn nicht nur die Unerschaffbarkeit und Unzerstörbarkeit, sondern auch die beschränkte Zahl der Grundstoffe müßte somit aufgegeben werden".') Unter diesen Umständen schlägt Paneth die folgende neue, an die alte Boyle'sche Definition sich eng anschließende Definition vor: „Ein Element ist ein Stoff, der durch kein chemisches Verfahren zerlegt werden kann. Stoffe, die dieser Definition ge- nügen, gelten als ein und dasselbe Ele- ment, wenn sie, einmal miteinander ge- mischt, durch kein chemisches Ver- fahren wieder getrennt werden könne n." Auch für die Atome ergibt sich auf Grund der neueren Forschungen eine etwas andere als die übliche Definition als notwendig. Die Atome eines „Elementes" brauchen untereinander nicht völlig gleich zu sein, eine Möglichkeit, auf die übrigens schon Boltzmann lange vor der neueren Entwicklung der Wissenschaft hingewiesen hat, die Atome sind auch nicht die kleinsten Teilchen, in die man ein Element zerlegen kann, denn in einem Gemisch von Isotopen Atomen haben die die schweren Atome dasselbe Recht wie die leich- teren, Atome sind vielmehr — diese Defi- nition schlägt Paneth als korrekt und anschaulich vor — „jene Bausteine der Materie, bis zu denen die chemische Zerteil ungvor- 1) In dieser Allgemeinheit sind die Darlegungen P a n e t h ' s nicht ganz richtig, denn, wie Paneth selbst betont, lassen sich die verschiedenen Atome des gleichen „Elementes" durch physikalische Trennungsmethoden (Diffusion, Zentrifugierung) trennen. Mit dieser Möglichkeit einer Trennung, wenn auch nicht auf chmischem, so doch auf physikalischem Wege, fällt ein großer Teil, vielleicht die Ges.amtheit, der von Paneth ge- äußerten Bedenken. Ref, dringen kann, die selber aber bei allen chemischen Reaktionen unversehrt bleiben". Nach diesen Definitionen wäre die, bisher in der radiologischen Literatur übliche Bezeichnung der verschiedenen Isotopen Stoffe als verschiedener „Elemente" unzulässig; neue radioaktive Konstanten wären nicht als Beweis für die Existenz eines neuen „Elementes", sondern nur für die einer neuen radioaktiven Substanz aufzufassen usw. Diese Auffassung wäre natürlich auch für die Terminologie der Radioelemente zu verwenden, und Paneth empfiehlt daher im Anschluß an Dar- legungen von G. V. Hevesy und N. Bohr eine rationelle Terminologie, und zwar soll der erste Bestandteil des Namens immer die Zerfallsreihe, aus der der Stoff stammt, der zweite seine che- mische Natur, „das Element", angeben ; das „lonium" hieße danach „Uranothor", das Radium D Radio- blei, das Radium C Radiowismuth usw., ein Vor- schlag , der natürlich von einem internationalen Kongreß anerkannt werden müßte, wenn er allgemein befolgt werden soll. Nun kann für bestimmmte Zwecke die Frage nach der Einheitlichkeit eines „Elementes" von Be- deutung und damit die Möglichkeit einer sprach- lichen Unterscheidung einheitlicher und nicht- einheitlicher „Elemente" notwendig sein. Paneth macht daher den sehr hübschen Vorschlag, von „Reinelementen" und von „Mischelementen" zu reden. Ausdrücke, die inhaltlich viele Ähn- lichkeit mit den Begriffen der „reinen Linie" und der „Population" in der biologischen Vererbungs- lehre haben. Von prinzipieller Bedeutung ist natürlich die Frage, welche Eigenschaften nun eigentlich bei den verschiedenen Erscheinungsfragen eines Misch- elements konstant sein müssen und welche vari- ieren dürfen. Diese P>age läßt sich auf Grund des bisher vorliegenden theoretischen und experi- mentellen Materials kurz in folgender Weise be- antworten : konstant und charakteristisch sind für ein jedes „Element" seine chemischen und elektro- chemischen Eigenschaften, sein Spektrum, sein Röntgenspektrum und die Anzahl der im Atom vorhandenen Elektronen, d. h. die „Kernladungs- zahl". Atomgewicht und radioaktive Eigenschaften können verschieden sein. Darnach können die verschiedenen Atome desselben „Elementes" sich bei chemischen Reaktionen vollkommen vertreten, lassen sich aber durch physikalische Reaktionen, die auf Verschiedenheiten des Atomgewichtes oder der Radioaktivität beruhen, so z. B. durch Zentri- fugierung oder durch Diffusion oder durch ver- schiedene Geschwindigkeit des radioaktiven Zerfalls, voneinander trennen. Mg. Neue Forschungen über die Chemie der Kohle. Aus dem neugegründeten Kaiser -Wil- helm-Institut für Kohlenforschung in Mühlheim- Ruhr liegen einige vor kurzem erschienene Mit- N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 teilungen') vor, in denen einige sehr interessante Ergebnisse der Tätigkeit dieser Anstalt veröffent- licht werden. F"ranz Fisclier und Wilhelm Gluud berichten über die Ergiebigkeit der Kohlenextraktion mit Benzol. Man hat bisher bei der wissenschaftlichen Erforschung und der chemisch technischen Ausnutzung der Stein- kohle sein Augenmerk in erster Linie auf die Pro- dukte geworfen, die bei der Destillation der Kohle entstehen. Der große Erfolg, den dies Vorgehen gehabt hat (man denke an die zahlreichen Farb- stoffe, Arzneimittel usw., die aus den Bestandteilen des Kohlenteers hergestellt werden), hat die For- schung ganz von einem anderen Weg abgelenkt, auf dem man gleichfalls zu wertvollen Ausgangs- material für wissenschaftliche und technische Unter- suchungen gelangt ■ — von dem Extraktionsver- fahren. Daß man die Produkte, die sich mit Lösungsmitteln aus der Kohle extrahieren lassen, bisher nur wenig untersucht hat, liegt vor allem auch daran, daß die zu diesem Zweck angewandten Lösungsmittel nur ganz geringe Ausbeuten an Extrakt liefern. Es ist nun Fr anz P'isch er und seinem Mitarbeiter gelungen, die Ausbeute bei der Extraktion der Kohle mit Benzol ganz beträchtlich zu erhöhen, so daß sie der Ausbeute, die bei der Kohlendestillation erzielt wird, völlig gleichkommt. Aus Steinkohle, die bei 80" nur 0,1 bis O,i5"/o lösliche Substanz an Benzol abgab, wurden t^j^'U Extrakt erhalten, aus Braunkohle 25 °/o und aus Cannelkohle (bituminöser Kohle) 4%. Diese Ver- besserung der Extraktionsmethode wurde durch Anwendung hoher Temperaturen (bis 275") und hoher Drucke (bis 55 Atmosphären), d. h. durch Erhitzen der Kohle mit dem Lösungsmittel in einer geschlossenen „Stahlbombe" erzielt. Eine wesentliche Zersetzung scheint bei diesen Ver- suchsbedingungen im Gegensatz zu dem Vorgang bei der Destillation der Kohle nicht einzutreten; man erhält also wahrscheinlich in den Extrakten wenigstens einen Teil der Substanzen, die ur- sprünglich in der Kohle enthalten sind. Man darf auf das Ergebnis der bereits eingeleiteten Unter- suchung der Extrakte gespannt sein, da sie mög- licherweise ganz neue Stoffe enthalten, die noch wertvoller sein können als die Bestandteile des Teers. Gegen diese Extraktionsmethode läßt sich nun einwenden, daß der Einwirkung der erhöhten Temperatur immerhin flüchtigere und empfind- lichere Bestandteile der Kohle nicht Widerstand leisten dürften, daß mit anderen Worten derartige Substanzen auf diesem Wege nicht unverändert isoliert zu werden brauchen. ¥.s ergab sich daher das Problem, ein wenn möglich anorganisches Lösungsmittel zu finden, das eine genügende Menge Substanz aus der Kohle herauslöst, ohne sie dabei anzugreifen, und sich bei möglichst niedriger Tempe- ratur auch wieder restlos entfernen läßt. In der flüssigen schwefligen Säure wurde ein Lösungs- ') Berichte d. D. cherrj. Ges, 49. 1460, 1469, 1472, mittel entdeckt, das allen diesen P'orderungen einigermaßen gerecht wird. Bei der Behandlung der Steinkohlen mit flüssiger schwefliger Säure wurde die überraschende Beobachtung gemacht, daß die Kohle in Berührung mit der Säure all- mählich aufquillt und dabei ihren ganzen Zusammen- hang verliert, so daß sie beim Schütteln in der P"lüssigkeit in staubfeine Teilchen zerfällt. Nur Anthrazit zeigt dies eigenartige Verhalten nicht. Offenbar löst also die schweflige Säure aus der Steinkohle die Stoffe heraus, welche die Verkittung der Kohlensubstanz bewirken. Nach dem Abdunsten- lassen des Schwefeldioxyds aus der Lösung hinter- bleibt ein dunkelrotes schweres Öl, aus dem ver- schiedene andere noch unbekannte Stoft'e isoliert werden können, deren eingehende Untersuchung noch aussteht. Bei der Braunkohle erhält man bekanntlich durch Extrahierung mit Benzol das sog. Montanwachs; mit kalter schwefliger Säure extrahiert liefert die Braunkohle ein typisches Har7. Eine dritte Mitteilung Franz Fisch er's hat die Überführung der Steinkohle in lös- liche Stoffe durch Ozon zum Gegenstand. Als über westfälische Steinkohle Ozon geleitet wurde, trat nach Unterbrechung des Versuchs ein eigenartiger an Caramel erinnernder Geruch auf; an der Oberfläche der Kohle hatte sich ein bräun- licher Belag gebildet, der sich auffallenderweise in destilliertem Wasser mit tiefbrauner Farbe auf- löste. Nach genügend langer Ozonisierung konnten über 92 "/o der Kohle in das wasserlösliche Pro- dukt übergeführt werden. Wahrscheinlich wird also der Hauptbestandteil der Kohle, das Um- wandlungsprodukt der Cellulose, durch Ozon in eine wasserlösliche Substanz umgewandelt, die durch primäre Bildung von Ozoniden und nach- folgende Zersetzung der Ozonide durch Wasser entstehen dürfte. „Wenn man bedenkt," so schließt F i s c h e r ' s Abhandlung, „daß bis heute der Haupt- bestandteil der Steinkohle, wenn man ihn über- haupt verarbeitet, lediglich in Koks umgewandelt wird, so ersieht man die Wichtigkeit der Aufgabe, die Hauptmasse der Kohle in Produkte umzu- wandeln, mit denen die Chemie weiterarbeiten kann." Man darf deshalb mit Interesse weiteren Untersuchungsergebnissen, insbesondere der Iden- tifizierung der neu erhaltenen Stoffe, entgegensehen. Botanik. Beförderung des Austreibens der Pflanzen durch Rauch. Es sind eine Reihe von Mitteln bekannt, durch die ruhende Knospen vor- zeitig zum Austreiben veranlaßt werden können; praktische Bedeutung haben nur das Johannse ti- sche Ätherverfahren und die Warmbadmethode von Molisch erlangt. Nachdem diese die Ätherisierung großenteils verdrängt hat, liegt jetzt die Möglichkeit vor, daß sie selbst durch ein neues Verfahren ersetzt wird, das Molisch so- eben bekannt gemacht hat, nämlich durch Räuchern der Pflanzen, Früher hat Mo lisch gezeigt, daß 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 der Rauch, besonders der Tabakrauch die Pflanzen schädigt, u. a. dadurch, daß er bei manchen Arten das Abwerfen der Blätter beschleunigt. Da nun dem Blattfall die Bildung einer Trennungsschichte vorhergeht und da der Tabakrauch ferner bei ge- wissen Pflanzen die Bildung von Lenticellen- wucherungen befördert, so ist ersichtlich, daß der Rauch aufZellen nicht bloß zerstörend wirkt, sondern unter Umständen auch Neubildung und Wachstum von Zellen hervorruft. Hierdurch kam Mo lisch auf den Gedanken, daß der Rauch auch geeignet sein könne, ruhende Gewächse zum Treiben zu veranlassen, und seine Versuche haben diese An- nahme völlig bestätigt. 20 — 25 cm lange, ein- bis zweijährige, mit Endknospen versehene Zweige von Rhus typhina, P'orsythia, Flieder, Haselstrauch, Roßkastanie usw. werden kurz vor Beginn des Versuchs abgeschnitten, in Wasser gestellt und unter einen Glassturz von 7 1 Rauminhalt ge- schoben, unter dem zuvor bei geringem Luftzutritt etwas feuchtes Zeitungspapier verbrannt oder in den Tabakrauch eingeblasen worden ist. Die Rauchteilchen, die feine Flüssigkeitströpfchen dar- stellen, fallen nach einiger Zeit zu Boden oder legen sich der Wand an und dunsten von hier die in ihnen gelösten flüchtigen Stoffe aus, so daß der Rauch noch weiter auf die Pflanzen einwirkt. Diese bleiben 24 Stunden oder nach Erneuerung der Rauchentwicklung noch einmal so lange unter dem Glassturze, werden dann eine Stunde ins Freie gebracht und hierauf im feuchten Warmhaus bei 15—20" aufgestellt. In einigen Fällen wurden Topfpflanzen verwendet, die in einen Vegetations- kasten gestellt und mit Rauch aus Sägespänen behandelt wurden. Auch ,, Keime" von Maiblumen dienten als Versuchsobjekt. Die Wirkung des Rauches war auffällig: Die geräucherten Zweige trieben oft um eine bis drei Wochen früher aus als die daneben beobachteten ungeräucherten Kon- trollzweige. Eine Schädigung der im winterlichen Zustande befindlichen Zweige durch den Rauch trat unter den angegebenen Versuchsbedingungen nicht ein, während beblätterte Pflanzen oft dadurch erheblich leiden. Es ist vorauszusehen, daß die Gärtner sich des bequemen Verfahrens bemäch- tigen und es weiter entwickeln werden. Nicht in jedem Eiitwicklungsstadium sind die Zweige für das Räuchern geeignet; Fliederzweige, die Mitte Oktober behandelt wurden, trieben nicht aus, während der Versuch schon Anfang November recht gut gelang. Entsprechende Beobachtungen sind bereits mit der Äther- und der Warmwasser- behandlung gemacht worden. Wie die Einwirkung des Warmbades, so ist ferner auch die des Rauches nur lokal und überträgt sich, wenn man z. B. von einem Gabelzweig des Flieders oder der Roß- kastanie nur den einen Ast räuchert, nicht auf den anderen. Molisch nimmt an, daß eine chemische Einwirkung des Rauches auf die Vege- tationspunkte stattfindet. Welche der im Rauche enthaltenen Verbindungen der eigentliche „Treib- stoff" ist, bleibt noch zu uiitersuchen. Vielleicht sind Acetylen und Äthylen hauptsächlich daran beteiligt. Jedenfalls besitzen, wie besondere Ver- suche des Verf. zeigten, Leuchtgas, Acetylen, Aceton, Thymoldämpfe, Chloralhydrat, Kampfer und Naphthalin in mehr oder minder hohem Grade, die Eigenschaft, die ruhenden Pflanzen zum Aus- treiben zu veranlassen. (Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien Math.-naturw. Kl., Abt. I, Bd. 125, S. 141 — 162). F. Moewes. Mistelstudien. E. Heinricher hat seine Versuche mit der Zwergmistel (Arceuthobium Oxycedri (D C.) M B.) fortgesetzt (vgl. Naturwiss. Wochenschr. Nr. 17, S. 254) und an seinen kulti- vierten Pflanzen bemerkenswerte Eigenschaften der männlichen und weiblichen Blüten festgestellt. Hier sei nur hervorgehoben, daß die unter schuppen- artigen Blättern verborgenen weiblichen Blüten einen glitzerndenTropfen ausscheiden, der aus nichttrock- nendem fettem Öl besteht und als Fangapparat für den (nichtstäubenden, sondern in Ballen ausfallenden) Pollen dient, „eine kaum anderswo bei Blüten- pflanzen vorkommende Einrichtung". Saugt man die Tropfen ab, so vermag die Pflanze sie wenig- stens eine Zeitlang wieder zu ersetzen; schließlich werden sie von den Blüten selbst wieder aufge- sogen. Hierbei wird der Pollen in die Narben- höhlung gebracht und schreitet dann wohl zur Keimung. Das Öl scheint durch Spaltöffnungen am Griffel ausgeschieden zu werden. Anscheinend kann die Bestäubung sowohl durch Insekten wie durch den Wind vermittelt werden (Sitzungsberichte der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien 191 5, Math.-Naturw. Kl. Abt. I, Bd. 124, S. 48 1 bis 504). Weitere Untersuchungen H e i n r i c h e r's gelten der Frage, ob die Samen der gemeinen Mistel (Viscum album L.), wie dies von Wiesner an- gegeben worden ist, eine Ruheperiode durch- machen müssen, bevor sie zu keimen vermögen. Die P^age, ob solche Ruheperioden durch innere oder durch äußere Ursachen bedingt sind, ist in neuerer Zeit mehrfach zugunsten der letzten Auf- fassung beantwortet worden, namentlich durch Klebs, dem es kürzlich erst gelungen ist, die Ruheperiode bei der Buche aufzuheben , „einem Objekt, das allen Treibmitteln gegenüber durch lange Zeit versagte". Einen ähnlichen Erfcrfg hat nun Heinricher bei der Mistel erzielt. Nach- dem er schon in vorausgegangenen Versuchen eine Abkürzung der Ruhezeit der Mistelsamen erreicht hatte, gelang es ihm neuerdings, im De- zember am 3. Tage nach der Aussaat alle Samen zur Keimung zu bringen. Die Bedingungen dafür waren: dauernde Einwirkung des Lichtes (Tages- und elektrisches Licht) mit konstanter Intensität von 1600 K. und ein feuchtigkeitsgesättigter Raum. Aus den Versuchen ergibt sich, daß die Mistel- samen nicht durch innere Ursachen gezwungen sind, eine Ruheperiode bis zur Keimung durch- zumachen: wenn sie in der freien Natur tatsäch- N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 lieh 5 — 6 Monate ruhen, so geschieht dies wegen der ungünstigen äußeren Bedingungen. Wiesner liatte die Ruliczeit der Mistelsamen z. T. dem Vorhandensein eines die Keimung hemmenden Stoffes im Mistelschleime zugeschrieben. Auch diese Annahme wird von Heinricher mit dem Hinweis darauf widerlegt, daß er auch Samen mit vollem Schleimbelag in 3 Tagen zur Keimung zu bringen vermochte. Die von Wiesner als Beweis für das Vorhandensein von Hemmungs- stoffen im Mistelschleim angeführte Tatsache, daß die Samen sonst rasch keimender Pflanzen auf Mistelschleim nicht keimen, erklärt Verf. dadurch, daß diese Samen dem Mistelschleim das zur Kei- mung nötige Wasser nicht zu entziehen vermögen, der Mistelschicim für die Samen also ein „physio- logisch trockener Boden" ist. (Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1916, Abt. i, Bd. 125, S. 163—188.) F. Moewes. Zoologie. Maikäferbekämpfung. Die Über- vermehrung der beiden einheimischen Maikäfer- arten Melolontha vulgaris und M. hippocastani hat in dem letzten Dezennium manchen Laubwald- komplex ernstlich gefährdet und besonders in Wäldern, welche auf sandigem Boden stocken und sich dabei eines wärmeren Klimas erfreuen, ist die Maikäferplage zu einer wahren Kalamität geworden. So lag z. B. die Forstverwaltung des Bienwaldes in der bayrischen Rheinpfalz seit etwa 15 Jahren in einem beständigen Kampf mit diesem Schädling und es ist sehr interessant durch eine zusammen- fassende Arbeit Prof. Dr. K. Esch erich's in der Zeitschrift für angewandte Entomologie (3. Jahrg. Heft i) von den Bekämpfungsmaßnahmen zu erfahren, welche gegen den Maikäfer dort er- griffen worden sind. Die Maikäferbekämpfung im Bienwald stellt ein Musterbeispiel einer technischen Schädlingsbekämpfung dar. Man hatte früher mit allen möglichen Mitteln versucht, der rapiden Überhandnähme des Maikäfers zu steuern. Man hatte versucht, die Engerlinge dadurch zu ver- nichten, daß man den Boden mit Schwefelkohlenstoff tränkte, ferner dadurch daß man den Larven die nötige Nahrung entzog, alles vergebens. Es blieb also nichts anderes übrig, als sich der rein tech- nischen Bekämpfung, d. h. dem Absammeln der Maikäfer zuzuwenden. Natürlich durfte dieses Absammeln nicht planlos geschehen : die Kampagne gegen den Maikäfer mußte regelrecht vorbereitet werden. Man mußte vornehmlich darauf bedacht sein, die zum Absammeln ungeeignet erscheinenden Partien des Waldes als Deckungsgelegenheiten des Schädlings durch Aushieb auszuschalten, an- dererseits aber auch durch Darbietung geeigneter Fangbäume natürliche Fraßplätze der Käfer zu schaffen. Um das Absammeln leichter zu gestalten, wählte man als Fangbäume niedrige tiefbeastete Bäume, welche den Käfern als Balz- und Tummel- plätze äußerst zusagend erschienen. Diese Fang- plätze enttäuschten denn auch in der Folge die in sie gesetzten Hoffnungen nicht, sie erwiesen sich von geradezu „ansaugender Wirkung". Um weiterhin zu ermöglichen, daß das gesamte Mai- käfergebiet während der Hauptflugzeit täglich wenigstens einmal vollkommen abgesammelt werden konnte, wurden schon vorher einzelne Fangsektionen eingerichtet, deren jede 7 Personen als Wirkungs- kreis zugeteilt wurde; neben dem Sektionsführer, von dessen Zuverlässigkeit, wie sich zeigte, der ganze Erfolg der Unternehmung abhängen konnte, und dem Schüttler, der mit einer Hakenstange und Steigeisen versehen war, gesellten sich i Träger, der mit Käfereimer und Käfersack aus- gerüstet wurde, und 4 Mädchen, deren Aufgabe darin bestand, die Fangtücher zu halten. Sobald nun die ersten Maikäfer erschienen — der Termin schwankt je nach der Witterung, ist aber im all- gemeinen um den 25. April herum zu erwarten — muß die Tätigkeit der Fangsektionen beginnen. Das Schwärmen der Käfer richtet sich ebenfalls ganz nach der Witterung: je nachdem setzt es früher oder später ein, ist schwächer oder stärker und bevorzugt den oder jenen Tummelplatz mehr. Es ist deshalb unumgänglich nötig, daß sich die Sektionsführer über alle diese Schwankungen des Schwärmverlaufes genau unterrichten, bevor sie mit ihrer Sektion in den Kampf ziehen. Das geschieht am besten dadurch, daß sie allabendlich während der Schwärmzeit ihre E'angbezirke be- gehen und die Käfer „verhören". Die Schwärm- zentren sind dabei, wenigstens in der Hauptschwärm- zeit, leicht zu erkunden, da die schwärmenden Käfer ein ganz beträchtliches Gesumme vollführen. Nach den Beobachtungen der Sektionsführer richten sich dann die Sammelmaßnahmen, welche am nächsten Morgen ergriffen werden müssen. War das Schwärmen nicht sehr stark, so wird es nicht nötig sein, so viele Sektionen auszuschicken, wie im entgegengesetzten Falle. Weiterhin muß vor- nehmlich darauf gesehen werden, daß mit dem Absammeln dort begonnen wird, wo „am Abend vorher der lauteste Baß ertönte"; denn dort hat sich dann auch die Mehrzahl der Käfer auf den hauptsächlich umschwärmten Bäumen niederge- lassen, um ihren ersten Hunger zu stillen. Dort findet man sie dann auch am nächsten Morgen, in Mengen übereinander hängend, in den Bäumen, welche während der Nacht von den Tausenden von Käfern gewöhnlich vollkommen kahlgefressen worden sind. Die beste Zeit zum Absammeln ist natürlich der frühe Morgen, etwa zwischen 4 — 6 Uhr, je nach der Witterung, jedenfalls aber so zeitig, daß die Käfer noch von der Nachtkühle erstarrt sind. Beim Sammeln breiten die 4 Mädchen das Fangtuch unter dem Baum aus, der Schüttler schüttelt mit seinem Haken Ast für Ast ganz sorgfältig ab und dann werden die Massen ab- fallender Käfer in den Sack des Trägers eingefüllt. So muß Baum für Baum mit aller Sorgfalt Tag für Tag abgeschüttelt werden, wenn man der Kalamität nur einigermaßen steuern will. Der jeweilige Tagesfang wird dann nach dem Kom- postierungshaufen geschafft, wo der „Scharfrichter" Sio Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 die Käfermassen in Holzfässern mit Schwefelkohlen- stoff — lOO g pro Hektoliter — übergießt und über Nacht verschlossen stehen läßt. Anderntags werden die Käferleichen auf einer lo cm hohen Lage von Torfmull ausgebreitet, mit Stücken ge- brannten Kalkes überdeckt und diese durch Be- brausen mit Wasser gelöscht. So roh und mühselig dem Laien das Verfahren dieser technischen Bekämpfung erscheinen mag, die Ergebnisse, welche damit im Bienwald erzielt werden konnten, haben gezeigt, daß wir damit wohl imstande sind, einer so gewaltigen Plage, wie sie der Maikäfer dort darstellt, wirksam ent- gegenzutreten. Im Jahre 191 1 wurden dort nach den Angaben Prof. Escherich's allein 22 Mill. Käfer abgesammelt; nehmen wir nur an, daß sich darunter 10 Millionen Weibchen befunden haben, deren jedes — wenig gerechnet — sicher- lich 50 Eier gelegt hätte, so wäre der Bienwald durch diese Safnmelkampagne allein vor dem Fräße von 500 Millionen Engerlingen bewahrt geblieben. Die Kosten des Verfahrens waren allerdings in den Hauptflugjahren — und nur dann ist es ja möglich, eine derartige Bekämpfung zu organisieren — ganz erhebliche : betrugen sie doch zwischen 16 — 20000 Mark. Immerhin aber haben sich diese Ausgaben vollkommen bezahlt gemacht: dort wo sich vor 15 Jahren noch trostlose Kahl- flächen mißglückter Kulturanpflanzungen vorge- funden haben, stehen heute die besten 5 und mehrjährigen Kulturen, lückenlos, gleichmäßig und gesundheitsstrotzend. Der jetzige Jahresgewinn steUt sich deshalb heute schon auf 75 000 Mark. Daraus erhellt am besten der völlige wirtschaft- liche Erfolg dieser rein technischen Maikäferbe- kämpfung. H. W. Frickhinger (München). Brutergebnisse in der Vogelkolonie Memmert. Wie O. Leege im i. und 3. Heft der Ornitho- logischen Monatsschrift 19 16 ausführt, stellt in der geschützten Vogelkolonie Memmert, einer winzig kleinen unter den südfriesischen Inseln, das Ergebnis des Jahres 1915 alle früheren Erfolge in den Schatten, erreichte doch die Zahl der Ge- hege 5S87 gegen 4390 im Vorjahre. Es sind im Jahre 1915 mehr als 17 000 Jungvögel ausgebrütet worden. Und zwar betrug die Zahl der nach- gewiesenen Nester bis zum 20. Juli, von wo ab keine mehr hinzukamen, für die Silbermöve 3108, die Sturmmöve 8, Brandseeschwalbe 1500, Fluß- und Küstenseeschwalbe 745, Zwergseeschwalbe 249, Stockente 7, Brandgans 35, Austernfischer 71, Seeregenpfeifer 43, Kiebitz 6, Rotschenkel 5, Star 49, Wiesenpieper 34, Gelbe Bachstelze 5, Feld- lerche 18, Krickente 3 und Grünfüßiges Teichhuhn i. Die beiden letztgenannten Arten sind neu hinzu- gekommen. Die Zahl der Brandseeschwalben hat sich im Jahre 191 5 auf das siebenfache erhöht. Die überraschende Zunahme der Entenarten er- klärt sich aus dem Schießverbot auf den Watten und den angrenzenden Gebieten. Von den Staren überwinterte wie immer eine geringe Zahl. Die weiße Bachstelze, von der vor zwei Jahren zwei Paare gebrütet hatten, blieb wieder aus, und Eiderenten entschlossen sich nicht zum Bleiben, obwohl ein Paar in der Brutzeit öfters in der Nähe der Kolonie gesehen wurde. Franz. Geologie. Über Bulgariens nutzbare Mineralien und ihre Ausbeutung handelt ein Aufsatz von W. K. WeißBartenstein (Z. f. prakt. Geologie, bergwirtschaftliche Mitteilungen, H. lo/ii, 191 5). Schon zu Zeiten der Römer wurden Kupfer-, Blei- und Zinkerze in Bergwerken gewonnen. Unter türkischer Herrschaft ruhte der bulgarische Bergbau völlig mit Ausnahme von Samakow, wo seit alter Zeit bis heute auf sehr einfache Weise Eisen aus Eisensand gewonnen wird, der von den Gebirgs- abhängen ins Tal geschwemmt wird. Im Jahre 1879 begann der bulgarische Staat den Bergbau durch Ausbeutung einer Braunkohlengrube in die Hand zu nehmen. Von den 90 er Jahren an da- tieren erst oberflächliche geologische Untersuchun- gen, welche die große Mannigfaltigkeit an Erzen und Kohlen zeigten. Indessen fehlte das Kapital und erst in neuester Zeit konnte durch ausländi- sches Geld ein gewaltiger Aufschwung erfolgen. Freilich sind die Förderungen gegenüber west- europäischen Ländern klein. Von 1902 — 191O wurden gewonnen: 83000 t Kupfererz, 9300 t Bleierz, 2400 t Zinkerz, 12100 t Zink- und Blei- erz, 1000 t Blei- und Kupfererz und 1900 t Man- ganerz. Die Förderung an Stein- und Braun- kohlenbetrug 1911 268600 t, während die Kohlen- einfuhr 184070 t betrug. Bulgarien muß also immer noch die Hälfte seines Kohlenverbrauches aus dem Auslande beziehen, was sich während der letzten Kriege unangenehm bemerkbar machte, indem während der zeitweiligen Sperrung der Dardanellen der Preis guter englischer Kohle in den Häfen des Schwarzen Meeres von 30 Fr. auf 50 — 60 I^"r. pro t gestiegen war, soweit sie über- haupt erhältlich war. Das Volk verwendet Holz als Brennstoff. In letzter Zeit hat sich auf dem Gebiete des Mienenwesens eine stärkere Unter- nehmungslust gezeigt. An der Erforschung von Lagerstätten nutz- barer Mineralien waren hauptsächlich deutsche und österreichische Geologen und Bergleute be- teiligt. In neuerer Zeit betätigen sich auch bul- garische Geologen. Seit 1905 besteht eine geo- logische Landesuntersuchung mit dem Sitze in Sofia, welche mit der Section des Mines verbunden ist. Nach den bisherigen Schürfarbeiten läßt sich sagen, daß Bulgarien über ansehnliche Lagerstätten an Erzen und Kohlen verfügt. Die wichtigsten Vorkommen sind folgende: Kupfererze sind reichhaltig vorhanden; östlich von Sliven kommen sulfidische Kupfererze vor, welche sekundär in Rotkupfererz, gediegen Kupfer, Malachit und Kupferiasur umgewandelt sind. Kupfererzgänge finden sich südöstlich von Burgas 3 — 4 km vom Schwarzen Meere entfernt, sowie bei Zgorigrad im Westbalkan 4 — 5 km N. F. XV. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 511 südwestlich der Stadt Wratza an der neuen Eisen- bahnlinie Wratza-Rahovo, wo besonders in Plakal- nitza 40—50 '% Kupfererze seit 1903 in lebhaftem Abbau stehen. Die Förderung betrug ig 10 8000 t Kupfererze, welche nach England und den Vereinigten Staaten gingen, neuerdings nach Deutschland und Österreich abgesetzt werden. Verschiedentlich kommen in den Kupfererzgängen noch Bleiglanz und Zinkblende vor. Bleierze sind ebenfalls häufig. Bleierzgänge sind bekannt geworden von Belitza, 8 km süd- westlich der . Station Hebibcevo (Philippopel — Adrianopel), sowie bei Celopec, 71 km östlich Sofia auf dem Landwege Dolni — Karmazi — Zlatiza, 54 km von der Bahnstation Novoseltzi entfernt, daher noch von geringem wirtschaftlichem Werte, was auch von der staatlichen Mine beim Dorfe Lakavitza im Rhodopegebirge gilt. Eine beachtens- werte Bleierzlagerstätte ist diejenige beim Dorfe Brezje, ebenso die Bleizinkerzlagerstätte von La- katnik an der Eisenbahnlinie Sofia— Varna. Eine Bleizinkerzgrube ist weiterhin beim Dorfe Mossul (Bezirk Küstendil) an der früheren serbischen Grenze gelegen. Manganerzvorkommen mit 30 — 35% Mangan sind bei Burgas am Schwarzen Meere bekannt, kommen aber wegen ihres hohen Kiesel- säure- und Phosphorgehalts für die Ausfuhr nicht in Betracht, wohl aber für einen späteren Inlandsbedarf. An Eisenerzvorkommen soll kein Mangel herrschen, indessen sind die meisten Vorkommen stark titanhaltig. Magneteisen findet sich im Syenit des Vitoschagebirges fein eingesprengt, sowie aus- gewittert als Seifen in den Wasserrinnen des Ge- birges bei Samakow; zu erwähnen sind weiterhin die Magnetitseifen am Schwarzen Meere bei Burgas, die indessen ohne wirtschaftliche Bedeutung sind. Kohlen wurden in fast allen Provinzen fest- gestellt, indessen sind abbauwürdige Kohlenvor- kommen noch wenig aufgeschlossen, was für die Entwicklung der bulgarischen Industrie von Nach- teil war. Karbon kohlen sind bekannt im Isker Gebirge und im Westbalkan. Bei den Sta- tionen Rebrovo und Soodje wurden nesterförmige Kohlenvorkommen entdeckt, welche für die Be- dürfnisse der nahen Hauptstadt in Betracht kom- men. Wegen starker Brüchigkeit muß die Kohle brikettiert werden. In wirtschaftlicher Beziehung viel wertvoller sind die Kohlenvorkommen im Westbalkan bei Belogradcik, sowie ein 2,5 m mächtiges Anthrazitflöz bei Stakewtzy mit an- scheinend weiter Ausdehnung. In den Kreide- schichten des südöstlichen Balkans sind auf der Linie Gabrovo — Trevna — Twardiza — Sliven in einer Längenausdehnung von fast 100 km senone Steinkohlen nachgewiesen worden. Die Kohle ist durch den starken Gebirgsdruck brüchig ge- worden. Abbau findet bei Gabrovo und Trevna, sowie beim Dorfe Nikolajevo (Kr. Stara Zagora) von einer deutschen Gesellschaft statt. Tertiäre Braunkohlen kommen bei Pernik und Bobov- dol sowie 1 2 km nördlich von Burgas beim Dorfe Hodjamar vor. Die größte im Betrieb befindliche Grube Bulgariens ist die staatliche Grube Pernik südwestlich Sofia (Sofia — Küstendil), in welcher 2 — 3 m mächtige feste schwarze Braunkohle bei durchweg horizontaler Lagerung und wenige Meter unter Tag gefördert wird. Im Jahre 1906 betrug die Förderung 161 000 t, 191 2 bereits 294394 t, welche z. T. für die bulgarischen Eisenbahnen verwendet werden. Rohstoffe für die Bau-, Glas-, und Porzellan- industrie sind in genügender Menge vorhanden. Nicht erschürft sind bisher Erdöl und Steinsalz. Ein englisches Syndikat hat die Bohrkonzession zum Zwecke von Petroleumbohranlagen bei Dedea- gatsch bereits von der türkischen Regierung er- halten. In den beiden Seestädten Anchialo und Baltschik des Schwarzen Meeres wurden in fast 8000 Salinen durchschnittlich 13000 t Seesalz jährlich in flachen Becken durch Sonnenwärme eingedünstet; über 35000 t Steinsalz müssen jähr- lich noch eingeführt werden. Mineralquellen sind in großer Zahl vor- handen. Einige der bedeutendsten sind schon zur Römerzeit oder später unter der türkischen Herrschaft benutzt worden. Die Mineralquellen in Sliven, Banki, Verschetz und Meritschleri wer- den vom Staate ausgebeutet. An einigen dieser Orte sind Bäder mit modernsten Einrichtungen von meist ausländischen Firmen errichtet worden. Über 900 heiße und mineralhaltige Quellen ver- teilen sich auf 80 verschiedene Orte. Im Bezirk Sofia befinden sich 33, von denen die Quelle von Dolnia Banja die heißeste (61" C) ist. Sofia be- sitzt schwach mineralhaltige heiße Quellen (47" C), welche in mehreren öffentlichen neuzeitlich ein- gerichteten Bädern ausgenutzt werden. Berühmt sind die heißen heilsamen Quellen von Verschetz (Bezirk Wratza). Die Provinz Philippopel hat über 40 Quellen, von denen diejenigen von Hissar als die bedeutendsten im ganzen Orient bekannt sind. Im Rhodopegebirge ist der wunderbare Sprudel von Tchepino gelegen. Die heißeste Quelle Bulgariens kommt im Dorfe Banja (Bezirk Küstendil) mit einer Temperatur von 83" C aus der Erde. Der Bezirk Siara Zagora hat sehr viele heiße Quellen, deren bedeutendste in Meritschleri sich dem Karlsbader Sprudel nähert. Die Erdschätze Bulgariens sind nach alledem reich genug, um eine blühende Industrie zu zu schaffen. Die Ausbeutung der vorhandenen Erz- und Kohlenlager ist noch dürftig, weshalb sich auch die Metall- und Maschinenindustrie Bul- gariens zurzeit nicht auf selbständiger Grundlage entwickeln kann. Für die allgemeine wirtschaft- liche Entwicklung Bulgariens wäre eine intensivere Förderung an Kohlen, sowie ein Ausbau des Eisenbahnnetzes zu wünschen, damit die Trans- portkosten in ein günstigeres Verhältnis zu den Gestehungskosten kommen. In allerneuester Zeit hat sich deutsches Kapital mehr als bisher für den bulgarischen Bergbau interessiert. V. Hohenstein, Halle a. S. SI2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 35 Wetter-Moiiatsiibersiclit. Wie schon im ersten Sommermonat, so herrschte auch im diesjährigen Juli trübes, regnerisches, verhältnismäßig kühles Wetter in ganz Deutschland bei weitem vor. Nur an wenigen Tagen, hauptsächlich am Anfang und gegen Ende des Monats Xemperarur-SKaxima einiger Orfe im 911^ 1916 wurden 25" C überschritten, am 5. Juli stieg das Thermo- meter in Ostrowo und Beuthen bis auf 31, am 28. in Mag- deburg und Schwerin, am 29. in Trier und Posen bis 29° C. In der Zwischenzeit aber blieben die Temperaturen nirht selten selbst in den Mittagsstunden unter 15» C. Im Monatsmittel waren sie östlich der Elbe um etwa einen, in Nordwestdeulschland l'/, bis 2 und in Süddeutschland sogar um 2 bis 3 Grad zu niedrig. In noch höherem Grade als das Fehlen sommerlicher Wärme machte sich der Mangel an Sonnenschein bemerkbar, der ebenfalls im Nordosten noch am geringsten, im Südwesten am bedeutendsten war. In Berlin hat beispielsweise die Sonne im ganzen Monat an nicht mehr als 175 Stunden geschienen, wogegen hier in den letzten 24 Julimoaten durchschnittlich 232 Sonnenscheinstunden ver- zeichnet worden sind. Die schon im Monat Juni ungewöhnlich häufigen Regen- güsse setzten sich im größten Teile des Landes bis nach Mitte des Juli mit kurzen Unterbrechungen fort. Von besonders schweren Unwettern wurden zwischen dem 5. und ii. ver- schiedene Stellen des Küstengebietes betroffen, so fielen in Ostpreußen vom 5. nachmittags bis zum 6. früh in Osterode 59, in Königsberg 61 und in Orteisburg sogar 75, vom 8. bis 9. früh fielen in Swinemünde 51, vom lo. bis II. in Wilhelms- haven 49 mm Regen. Aber auch im mittleren Norddeutsch- land und im Süden kamen um diese Zeit in verschiedenen Gegenden außerordentlich starke Gewitterregen vor, die z. B. am 4. in Magdeburg 44, am 5. in Metz 41, am II. in Berlin 33 und am 12. in Friedrichshafen 30 mm Niederschlagshöhen ergaben. Seit dem 19. Juli ließen die Niederschläge im Westen bedeutend nach, dagegen fanden jetzt wieder nordöstlich der Weichsel mehrere Tage lang anhaltende starke Regenfälle statt, die sich in Begleitung von Gewittern langsam nach dem Oder- und Elbegebiet hin fortpflanzten. Am 19. bis 21. früh wurden in Tilsit insgesamt 69, in Insterburg 67, in Marien- burg 44, am 22. früh in Schrimm 47, in Beuthen 29, am 25. in Küstrin 30, in Gardelcgcn 33, am 26. in Dresden 30 mm Regen gemessen. Erst in den letzten Julitagen stellte sich in ganz Deutschland das längst ersehnte trockene, überwiegend heitere Sommerwetter ein, obschon der Himmel besonders in J^iedfer^c^fa^^l^öl^en im ciiifi 1916. -4^' "27.bls3tJ«li." ttffl Mittlerer Werf für Det/tschland. Monatssumme imJull 1916. 15. \h. 1S. IE, den Morgenstunden großenteils mit Nebelgewölk bedeckt blieb. Die Monatssumme der Niederschläge belief sich für den Durch- schnitt aller berichtenden Stationen auf Sl,9 mm und über- schritt um 2 mm den durchschnittlichen Betrag an Regen, den die gleichen Stationen in den letzten 25 Julimonaten geliefert hatten. Die allgemeine Luftdruckverteilung Europas änderte sich im vergangenen Juli von einem Tag zum anderen immer nur sehr langsam. Verschiedene, im allgemeinen mäßig tiefe baro- metrische Minima zogen vom Atlantischen Ozean über die Nordsee nach dem Ostseegebiete hin, wo sie meistens unter geringen Lagenveränderungen ziemlich lange verweilten. Flachere Depressionen drangen z. B. am 3. und IG. in die Mitte des europäischen Festlandes ein, wogegen der Südwesten und Nordskandinavien gewöhnlich von Hochdruckgebieten einge- nommen wurden. In der zweiten Hälfte des Monats dehnte sich das südwestliche Maximum allmählich weiter nach Nor- den, etwas später auch nach Osten aus, aber erst in den letzten Tagen vermochte es bis nach Mitteleuropa vorzurücken, während bald darauf auf der skandinavischen Halbinsel ein tieferes Barometerminimum erschien. Die während des ganzen Monats bei uns vorherrschenden westlichen Winde nahmen daher jetzt bedeutend zu und wuchsen an der Ostseeküste vorübergehend zu Stürmen an. Dr. E. Leß. Inhalt: Alex. LipschUI den Element- und At< Forschungen über die S. 507. E. Heinri itergebnissc in e Ausbeutung. z. Aus dem Leben der Hefezelle. 6 Abb. S. 497. — Einzelberichte: Fritz Paneth, Über mbegriff in Chemie und Radiologie. S. 505. Franz Fischer und Wilhelm Gluud, Neue Chemie der Kohle. S. 506. Molisch, Beförderung des Austreibens der Pflanzen durch Rauch. eher, Mistelätudien. S. 508. K. Esche rieh, Maikäferbekämpfung. S. 509. O. Leege, der Vogelkolonie Memmert. S. 510. S. 510. — Wetter-Monatsübersicht. K. Wei 2 Abb. -Ba S. 5. Bulgar utzbare Mincralie und Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Leipzig, Marienstraße 1 1 a, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'srhen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 3. September 1916. Nummer 36. Einzelberichte. Chemie. Die Herstellung des „Konversions- salpeters" erfolgt bekanntlich meist in der Weise, daß heiße konzentrierte Lösungen von Chilesalpeter NaNOg mit äquivalenten Kaliumchloridlösungen umgesetzt werden. Aus diesen Lösungen kristallisiert beim Eindampfen zunächst schon in der Hitze Kochsalz NaCl aus, und läßt man dann nach dem Filtrieren die Lösung erkalten, so tritt eine reich- liche Abscheidung von Kalisalpeter KNOg auf: NaNO^ + KCl = KNO3 + NaCl. ^ ^ sss^ ^ ^ ^ -- f\ ^ / Y, e\_ . ___ — -— — » y ■ N3 öl -^ p^— y^ ° on ' s 0 KN03 NaNOj KCl Naei ».Temperatur in G» Abb. I. Löslichkeit NaCl, KCl, NaNOa und KNOj in Wasser. Eine allgemeine Vorstellung über die Ursachen dieser Umsetzung gewinnt man durch Betrachtung der Abb. i, die die Löslichkeit der vier in Frage kommenden Salze KCl, NaCl, KNO3 und NaNOg in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur, darstellt: Da sich aus einer mehrere Salze enthaltenden Lösung beim Eindampfen immer das Salz zuerst ausscheidet, das am wenigsten löslich ist, so muß sich beim Eindampfen zunächst das in der Hitze am schwersten lösliche Salz, das Chlornatrium, und in der Kälte dann das in der Kälte am schwersten lösliche Salz, der Kalisalpeter, abscheiden. So plausibel diese Er- klärung aber auch im ersten Augenblick er- scheinen mag, so ist sie doch nur oberflächlich, denn die in der Abbildung wiedergegebenen Löslichkeitskurven der vier Salze beziehen sich auf die Löslichkeit eines jeden einzelnen von ihnen in reinem Wasser, während es sich in Wirklich- keit nicht um die Löslichkeit der Salze in reinem Wasser, sondern in wässerigen Lösungen anderer Salze handelt. Ein richtiges Bild der Sachlage kann man also nur gewinnen, wenn man ähnlich wie es van't Hoff bei der systematischen Unter- suchung der Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen gemacht hat, die Gleichgewichte in dem System KCl + NaNO, :<=> KNO3 + NaCl einer eingehenden Untersuchung unterwirft. Eine derartige Untersuchung ist nun vor kurzem von W. Reinders (Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. 93, S. 202 — 212; 1915) ausgeführt worden. Über sie soll im folgenden, da sie ein neues, schönes Bei- spiel für die Klärung prak- tischer FVagen durch die verständnisvolle Anwendung der physikalischen Chemie darstellt, ausführlicher be- richtet werden, und zwar soll der Sachverhalt, da bei Untersuchungen dieser Art dem Nichtfachmann erfah- rungsgemäß gerade die Me- thode, nach der die analyti- schen Untersuchungsergeb- nisse im Interesse klarer Übersichtlichkeit im Dia- gramm dargestellt werden, im ersten Augenblick Schwierigkeiten zu machen pflegt, an Hand der Ana- lysendaten von Reinders besprochen werden. In 100 g Wasser lösen sich bei 25 " C 36,04 g NaCl, d. h. bringt man eine größere Menge Salz, z. B. 40 g, mit den lOO g Wasser zusammen, so bleibt der Rest, also 40—36,05 = 3,95 g Salz als „Bodenkörper" ungelöst. In chlorkalium- haltigem Wasser ist das Kochsalz schwerer löslich als in reinem Wasser, es lösen sich nämlich in 100 g Wasser, die 5, 10 oder 15 g KCl enthalten, nur noch 34,13, 32,28 oder 30,27 g NaCl, d. h. die 100 g Wasser vermögen zwar bei 25" nicht mehr als die angegebenen Mengen Kochsalz aufzu- nehmen, ein Überschuß würde als Bodenkörper ungelöst bleiben; an Chlorkalium aber sind diese Lösungen nicht gesättigt. Setzt man nun der Lösung mehr und mehr Chlorkalium hinzu, so sinkt zunächst ihre Aufnahmefähigkeit^ für Koch- salz weiter, bald aber kommt eine Grenze, in- dem die Lösung außer an Kochsalz auch an Chlorkalium gesättigt ist: die Lösung, die bei 25» 29,62 g NaCl und 16,45 g KCl enthält, ist gleichzeitig sowohl mit festem Chlornatrium als auch mit festem Chlorkalium als Bodenkörper im ?i4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 36 QTeichgewicht und bleibt daher bei Hinzufügung von festem Kochsalz oder von festem Chlorkalium ungeändert. Durch eine zweite Versuchsreihe wurde in gleicher Weise die Löslichkeit von Chlorkalium in wässerigen Kochsalzlösungen ermittelt, und zwar wird auch die Löslichkeit des Chlorkaliums um so geringer, je mehr der Gehalt der Lösung an Kochsalz steigt. Erhöht man den Kochsalzgehalt der Lösung immer weiter, so kommt man wieder zu derselben gleichzeitig an KCl und an NaCl ge- sättigten Grenzlösung mit 16,45 g KCl und 29,62 g NaCl in lOO g Wasser. Um diese Tatsachen im Bilde darzustellen, berechnet man zunächst aus den gefundenen Löslich- keiten die — in Molen anzugebende — Wasser- menge, die erforderlich ist, um im ganzen gerade ein Grammmolekül KCl -\- NaCl aufzulösen. Am Beispiel der gleichzeitig an Kaliumchlorid und an Natriumchlorid gesättigten Lösung möge dies näher erläutert werden. Da das Molekularge- wicht von Natriumchlorid NaCl = 58,46, von Kaliumchlorid KCl = 74,56 und von Wasser H„0= 18,016 ist, so ist der Molekulargehalt der Lösung an NaCl durch die Zahl ^^' l = 0,5067 58,40 an KCl an H„0 16,45 0,2206 und = 5,551 " 18,016 gegeben. In dieser Lösung kommen also auf 0,5067 + 0,2206 = 0,7274 Mol Salz NaCl -j- KCl 5,551 Mol H.3O, also ist ein Mol Salz, das sich aus °^^^ = 0,697 Mol NaCl und Tabelle I. Zur Lösung von i Mol (NaCl + KCl) erforder- liche Anzahl von Molen H.,0 nach W. Rein ders (Zeitschr. f. anorg. Chem. Bd. 93, S. 204; 191 5). Zusamme nsetzung der Lösung in . NaCl KCl H,0 Bodenkörper 1,000 0,897 0,805 0,720 0,103 0,195 0,280 9,01 8,53 8,09 7,72 \ NaCl 0,697 0,303 7,63 NaCl + KCl 0,541 0,437 0,364 0 0,459 0,563 0,636 1,000 8.77 9,45 9,84 11,51 1 KCl • ^ "-^ / ^ An NA gesatt Lösun — (NAer Bodenkö gte en also per) ^ An K Gl gesättigte l'ösungen (K ei also Bodenkörper) 0, t M„ eKG Abb. 2. Löslichkeit von NaCl in KCl-Lösungen und von KCl in NaCl-Lösungen nach W. Rein ders. _! = 0,303 Mol KCl zusammensetzt, 0,7274 in ^^^^ = 7,63 Mol H2O 0,7274 gelöst. Die so berechneten Mole HgO, die zur Lösung von i Mol Gesamtsalz erforderlich sind, sind, wie das Beispiel auch zeigt, in der Tabelle 1 angegeben. Graphisch wird nun die Zusammen- setzung der einzelnen Lösungen so dargestellt, daß man in ein rechtwinkliges Koordinatensystem als Abszisse die Zusammensetzung des gelösten Salz- gemisches in Bruchteilen eines Moles (KCl von links nach rechts und NaCl dementsprechend von rechts nach links), als Ordinate die Anzahl Mole HjO, für das gegebene Beispiel also die Zahlen H2O = 7,93 NaCl = 0,697 1 KCl = 0,303 I ''"°° einträgt. Tabelle i enthält die in der beschriebenen Weise umgerechneten Löslichkeiten von NaCl in wässerigenKClLösungenundgleichzeitigauchdiein genau derselben Weise bestimmten und umge- rechneten Löslichkeiten von KCl in wässerigen NaCl Lösungen, und Abb. 2 gibt diese Zahlen im Bilde wieder. In gleicher Weise wie für das durch den ge- meinschaftlichen Besitz des Chlorions ausgezeichnete Gemisch von Kaliumchlorid und Natriumchlorid wurden auch für die anderen Kombinationen von Salzen mit gleichem Ion, nämlich für die Kombi- nationen. NaCl und NaNGj KCl und KNO, und NaNOg und KNO3 die Löslichkeiten in Wasser ermittelt. Zu diesen Bestimmungen muß, um das Problem der Gewinnung des Konversionssalpeters zu lösen, noch die Bestimmung der gleichzeitigen Löslich- keit von zwei Salzen in Lösungen, die das dritte Ion enthalten, also die Bestimmung der Löslich- keit i) von NaCl + KCl in N03--haltigen Lösungen 2) von KCl + KNOg in Na+-haltigen Lösungen 3) von NaCl -f- NaNOj in K+-haltigen Lösungen und 4) von NaNOj + KNO.j in Cl^-haltigen Lösungen hinzukommen. Versuche, die wieder bis zur Sätti- N. F. XV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 515 gung an dem Salz mit dem dritten Ion fortgesetzt werden müssen. Hier aber tritt eine gewisse Be- sonderheit auf. Setzt man z. B. zu Lösungen, die gleichzeitig an KCl und NaCl gesättigt sind, wachsende Mengen von KNO^, so gelangt man allerdings ganz, wie zu erwarten ist, schließlich zu einer Lösung, die gleichzeitig an allen drei Salzen KCl, NaCl und KNO3 gesättigt ist. Anders aber ist die Sachlage, wenn man an Stelle des KaHumnitrats Natriumnitrat nimmt. Alle Ver- suche, eine gesättigte Lösung dieser drei Salze, d. h. eine Lösung herzustellen, die sowohl mit festem KCl, als auch mit festem NaCl und festem NaNOg als Bodenkörper im Gleichgewicht ist, scheitern, weil immer dann, wenn der Natrium- nitratgehalt der Lösung über eine bestimmte, weit unterhalb der eigentlichen Sättigung an NaNO., liegende Grenze hinausgeht, sich das Nitration in Form von KNO3 ausscheidet, so daß eine weitere Anreicherung der Lösung an NOg"" und damit die eigentliche Sättigung an NaNOg unmöglich wird. In gleicher Weise erweist sich auch die Herstellung einer Lösung, die gleichzeitig an NaNOg, KNO3 und KCl gesättigt ist, als unmöglich, d. h. von den vier theoretisch denkbaren Kombinationen dreier Salze i) NaCl + KCl + KNO, 2) NaCl -i- KCl + NaNOg 3) NaCl 4- NaNO, + KNO3 4) NaNOg + KNÖ3 + KCl kommen tatsächlich nur zwei, nämlich die Kom- binationen i) NaCl + KCl + KNO3 und 3) NaCl 4- NaNOg + KNOg in Form einer an allen drei Salzen gesättigten, d. h. mit ihnen als Bodenkörpern im Gleich- gewicht befindlichen Lösungen vor, die beiden anderen Kombinationen wandeln sich spontan und, ehe Sättigung erfolgt ist, in die beiden möglichen Kombinationen um. Diese Tatsache wird ver- ständlich, wenn man daran denkt, daß in der Lösung ja zum großen Teile nicht die Moleküle der Salze, sondern die Ionen vorhanden sind. So enthält die Kombination 2) NaCl + KCl + NaNOg die Ionen Na+, K+, Cl~ und NOg^ und, da im Schöße der Lösung sämtliche möglichen elektro- lytischen Gleichgewichte auch realisiert sind, nicht nur die Salze NaCI, KCl und NaNOg, sondern auch das Salz KNO3 , und sowie mit steigenden Konzentrationen die Löslichkeit des Kaliumnitrats überschritten wird, muß dieses sich ausscheiden auf Kosten des aus dem Kaliumchlorid stammen- den und durch Auflösung von festem KCl immer wieder ersetzten Kaliumion und des aus dem Natriumnitrat stammenden Salpetersäureions. Ist dieser Augenblick erreicht, so ist die Lösung, obwohl zu ihrer Herstellung die Kombination 2) NaCl + KCl + NaNOg benutzt worden ist, gesättigt an 1) NaCl + KCl + KNO3, d. h. die Kombination 2) hat sich spontan in die Kombination i) verwandelt. Unter diesen Umständen reicht es hin, durch einige Versuche die Löslichkeit je zweier gleich- ioniger Salze in Lösungen zu bestimmen, die das dritte Ion enthalten. Die Ergebnisse dieser Löslichkeitsbestimmungen sind mit sämtlichen anderen Löslichkeitsbestim- mungen, die in dem System bei 25" C ausgeführt worden sind, in Tabelle 2 zusammengestellt, in der in der weiter oben beschriebenen Weise die Anzahl Moleküle H.,0, die auf ein Molekül Ge- samtsalz in der Lösung kommen, und die Zusam- mensetzung dieses Grammmoles Salz in Gramm- ionen des Kations und des Anions angegeben sind; die Lösung enthält also stets außer dem Wasser e i n Grammion K+ + Na+ und ein Gramm- ion Cl--f-N03-. Da die in dieser Weise dargestellte Lösung aus drei unabhängigen Variabelen besteht, näm- lich der Menge H.^O, der Menge des einen Anions und der Menge des einen Kations, so bedarf man zu ihrer Darstellung im Bilde drei Koordinaten, d. h. man muß, um das System wiederzugeben, zu einem räumlichen Modell greifen. Das ist zweifellos unbequem, und darum schlägt Rein- ders, einem Vorschlage von Ja necke nach- gehend, den folgenden Weg ein (Abb. 3):- r l ^e " ■^ NO3 3 aNU :: A' ^X .«r^ \ 0 /- 1 ;'- N ei -I -^, fo K '' / * , j 1 Abb. 3. Das Konversionssalpeterdiagramm bei 25° C nach W. Reinders. In ein rechtwinkliges ebenes Koordinaten- system trägt er als Abszisse die Menge des Ka- liumions, als Ordinate die Menge des Salpeter- säureions in der Lösung oder — das ist sachlich das gleiche — er trägt, indem er den Punkt x=i und y= I als Nullpunkt wählt, auf der Ordinate nach unten die Menge des Chlorions und auf der Abszisse nach links die Menge des Na-Ions von o bis 1,000 ein, verzichtet aber zunächst über- haupt auf die Angabe des Wassergehaltes der Lösungen. Wollte er auch diese angeben, so müßte er sie auf einer dritten Koordinatenachse senkrecht zur Zwischenebene auftragen, und man muß sich daher auf jedem Punkte der Ebene eine Senkrechte vorstellen, deren Höhe den Wasser- 5i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 36 Tabelle 2. Löslichkeitsbestimmungen im System des Konversion ssalpeters. Zusammensetzung der Lösung in Grammionen bzw . Molen Bodenkörper Na+ K+ NO3- ci- H,0 NaCl 1,000 Q 0 1,000 9,01 „ 0,897 0,103 0 000 8,53 „ 0,805 0,195 0 000 8,09 „ 0,720 0,280 0 000 7,72 NaCl + KCl 0,697 0,303 0 000 7.63 KCl 0,541 0,459 0 000 8,77 „ 0,437 0,563 0 000 9,45 „ 0,364 0,636 0 000 9,84 „ 0 1,000 0 000 11,51 1, 0 1,000 0,093 0 907 10,48 „ 0 1,000 0 172 0 828 9,64 „ 0 1,000 0 240 0 760 8,96 KCl + KNO3 0 1,000 0 325 0 675 8,00 KNOj 0 1,000 0 599 0 401 11,39 II 0 1,000 0 699 0 301 12,46 „ 0 1,000 0 838 0 162 13,44 „ 0 1,000 000 0 14,65 II 0-135 0,865 000 0 12,78 ,1 0,241 0,759 000 0 11,37 „ 0,323 0,677 000 0 10,15 „ 0,388 0,612 000 9,^5 „ 0,547 0.453 000 0 6,48 0,630 0,370 000 0 4,95 KNO3 -f NaNOj [ 0,722 0,278 000 0 3,38 NaN03 1 _ 0,79S 0,205 000 0 3,83 ' 0,851 0,149 000 0 4,18 11 0,918 0,082 000 0 4,62 0,958 0,042 000 0 4,83 1,000 0 000 0 5,14 „ 1,000 0 0 921 0,079 5,13 ,1 1,000 0 0 S42 0,158 5,13 „ 1,000 0 0 764 0,236 5,10 NaNOs + NaCl :,ooo 0 0 624 0,37*5 5,08 NaCl 1,000 0 0 239 0,761 7,51 1,000 0 0 169 0,831 7,96 1,000 0 0 089 0,911 8,43 ,, 1,000 0 0 1,000 9,01 NaCl -f- KCl 0,67 0,33 0 20 o,So 6,15 KCl + KNO3 0,3s 0,62 0 34 0,66 5.79 KNO3 + NaNOs 0,87 0,13 0 68 0,32 4,24 NaNOj + NaCl 0,73 0,27 0 88 0,12 3,51 NaCl + NaNOs + KNO3 0,74 0,26 , 0 74 0,26 3,54 NaCl + KCl + KNO3 0,64 0,36 0 36 0,64 5,01 gehalt der Lösung repräsentiert. Im Nullpunkte des Koordinatensystems, in dem K+ = o und N03~' = 0, also Na+ = 1,000 und Cl^ = 1,000 ist, der also einer reinen gesättigten Kochsalzlösung ent- spricht, muß man sich demnach eine Senkrechte von 9,01 Längeneinheiten, im Punkte K~ = 1,000 und NOg" = o, also dem der Löslichkeit des reinen KCl in Wasser entsprechenden Punkte eine Senkrechte von 8,77 Längeneinheiten usw. denken. Alle Punkte, die auf der Abszisse liegen, entsprechen Lösungen, die je nach der Lage des Punktes entweder an NaCl oder an KCl oder gleichzeitig an NaCl und KCl, alle Punkte auf der Ordinate solchen Lösun- gen, die an NaCl oder an NaNO.j oder sowohl an NaCl als auch an NaNO., gesättigt sind, usw. Die Länge der Senkrechten , die den Wasser- gehalt der Lösungen angeben, sind für jeden ein- zelnen bestimmten und im Diagramm durch ein X gekennzeichneten Punkt unmittelbar aus der Tabelle 2 (Mole H.^O) zu entnehmen, so daß sich jeder Leser das Raummodell des Systems, etwa mit Hilfe einer Holzplatte und von Kisenstäbchen, konstruieren kann. ') Wie aus Abb. 3 hervorgeht, die sämtliche Zahlen der Tabelle 2 mit Ausnahme der H.3O- Werte darstellt, zerfällt das ganze Gebiet in vier Einzelfelder, das NaCl-Feld, das KCl-Feld, das KNOg-Feld und das NaNOg-Feld. Diese Felder ') Wer die Konstruktion durchfülircn will, wird zweck- mäßig zunächst die Kurven für die Zweisalzsysteme nach dem Muster von Abb. 2 konstruieren, aus dieser durch graphische Interpolation die Zusammensetzung der Lösungen für HjO = lo, HjO = 9, ILO = 8 usw. entnehmen und für die Konstruktion des Kaummodells die so gewonnenen Angaben benutzen. Er kann die Spitzen einerseits der benachbarten Stäbchen, anderer- seits der zu einer Ecke des Modells gehörigen Stäbchen gleicher Länge durch Fäden miteinander verbinden und erhält dann das Dach des Modells in Form einer „VoIumHäche''. Projiziert mau die Fäden , die Stäbchen gleicher Länge ver- binden, senkrecht auf die Grundfläche des .Modells, so erhält man eine Schar von ,,Isohydoren" , d. h. Kurven gleicher Wassermcngp, so dafl man schließlich auch durch eine ebene Darstellung annähernd das Gleiche wie durch das Kaummodell erreichen kann, N. F. XV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 517 geben an , mit welchem festen Salz als Boden- körper die gesättigte Lösung ■ — zu jedem Punkte des Diagrammes gehört ja die zur Auflösung eines Moles Salz erforderliche Wassermenge — im Gleichgewicht steht. So kann z. B. eine Lösung, die 0,5 Mol Na+, 0,5 Mol K-^, 0,5 Mol NO,- und 0,5 Mol Cl- enthält, wie ein Blick auf das Dia- gramm zeigt, nur mit festem KNO3 als Boden- körper im Gleichgewicht stehen, und darum muß sich, wenn wir eine verdünnte, d. h. nicht ge- sättigte Lösung von der angegebenen Zusammen- setzung bei 25" C verdunsten lassen, aus der Lö- sung zuerst nur KNO, abscheiden. Ebenso er- sehen wir aus dem Diagramm, daß beim Ein- dunsten der Lösungen 0,2 K+ + 0,8 Na+ + 0,2 NO3- + 0,8 Cl- Kochsalz, 0,8 K+ + o,2Na+ +0,2 N08-+o,8Cl- Chlorkalium, o,8KI--t-0,2Na++o,8N03-+0,2Cl- Kaliumnitrat, 0,2 K+--I- 0,8 Na+-f 0,8 NO3 - + 0,2 Cl~ Natriumnitrat entsteht, während beim Eindunsten der Lösungen 0,4 K !- -|- 0,6 Na+ + 0,4 NOg- -)- 0,6 Cl - \ immer 0,6 K-l- + ü,4 Na+ + 0,4 NOg- + 0,6 Cl- ( nur 0,6 K+ + 0,4 Na+ 4- 0,6 NO3- + 0,4 Cl- Kalium- 0,4 K-l- -j- 0,6 Na+ + 0,6 NO3- + 0,4 Cl- ) nitrat abgeschieden wird. In gleicher Weise gilt, daß beim Eindunsten solcher Lösungen, deren in lonen- form ausgedrückter relativer Salzgehalt durch einen Punkt auf der Grenzlinie zweier oder gar durch den gemeinsamen Grenzpunkt dreier Felder wieder- gegeben wird, beim Überschreiten der Löslichkeits- grenze zwei oder gar drei Salze gleichzeitig aus- kristallisieren. So fallen gleichzeitig auf der Linie AF Kristalle von KCl und NaCl BF Kristalle von KCl und KNO3 EF Kristalle von NaCl und KNO3 CE Kristalle von KNO3 und NaNOg DE Kristalle von NaCl und NaNOj und in den Punkten F Kristalle von NaCl, KCl und KNO3 und E Kristalle von NaN03, KNO3 und NaCl aus der Lösung aus. Gerade so wie das Löslichkeitsdiagramm, das für 25" C gilt, hat Reinders auch die Löslich- keitsdiagramme für o", 50** und 100" ausgearbeitet. Diese haben, wie die Abb. 4 zeigt, in die der Vollständigkeit und Übersichtlichkeit wegen auch das für 25" C geltende Liniensystem noch einmal aufgenommen ist, den gleichen Charakter wie dieses, und es erübrigt sich daher ihre Besprechung im einzelnen. Von Wichtigkeit ist die Frage, wie sich ein Kristallisationsvorgang im Diagramm ausdrückt. Entspricht die Zusammensetzung der Lösung etwa — um sogleich ein Beispiel herauszugreifen — den Punkte X des Diagramms der Abb. 3 , so scheidet sich beim Verdunsten der Lösung bei 25" zunächst KNO.; ab. Dadurch verliert die Lösung gleichzeitig Kalium- und Salpetersäureion, und entsprechend wachsen, da ja die Summe der Anionen ebenso wie die der Kationen gleich i bleiben muß, die Menge des Natrium- und des Chlorions. Konstant aber bleibt — das ist wesent- lich — das Verhältnis der Menge der Na- und der Chlorionen. Die Änderung der Zusammen- setzung der Lösung muß sich also im Diagramm derart ausdrücken, daß das Verhältnis der Natrium- ionen (i — x) zu dem der Chlorionen (i — y) kon- stant bleibt: = konstant. I— y Dieser Bedingung genügt, wie die analytische Geo- metrie lehrt, allein die Gerade, die von dem Punkte X = y = I ausgehend durch den Punkt X, den — willkürlich gewählten — Ausgangspunkt der Kristallisation, geht. Die Änderung der Konzen- tration der Lösung folgt also im Diagramm der Geraden als „Kristallisationsbahn" und zwar in der Richtung des Pfeiles, denn K+ und NO3— nimmt ja ab, Cl— und Na+ zu. Im Punkte Y trifft die Gerade auf die Grenzlinie BF zwischen dem KClunddemKNOg-Feld, es scheidet sich also jetzt gleichzeitig KNO3 und KCl ab. Die weitere Ab- scheidung muß jetzt auf der Linie BF in der Richtung nach V hin verlaufen, denn einerseits ist eine Überschreitung dieser Linie unmöglich, weil damit die alleinige Kristallisation von KCl und damit aus demselben Grunde wie vorher bei der 5» i5 0 500 ,000 NaN 031' '*-' \ K ^°l- ioo° -1 ■'[ \ ^ 50° 1 sn .J^-; ' .6 ö»- ~ ^ r \' V 5°- 1 21 Y' .-.. 1 -50 0 ■in« \/ 1 ■■■{_ 1 1 25 0 25° r iire IJ- 1 1 5 lü T .k. «■ i !/ 1 / Abb. 4. Das Konversionssalpeterdiagramm bei o", 25°, 50° und 100" nach W. Reinders. Abscheidung von KNO3 eine Verschiebung der Zusammensetzung der Lösung wieder auf die Linie BF zu verbunden wäre, andererseits bedeutet die gleichzeitige Kristallisation von KCl und KNO3 eine Anreicherung der Lösung an Na+-Ion, d. h. eine Verschiebung nach F hin. Ist der Punkt F erreicht, so scheidet sich gleichzeitig neben KCl und KNO3 auch noch NaCl aus. Im vorliegenden Falle ist F der Endpunkt der Kristallisation, in anderen Fällen kann sich auch die Kristallisation weiter in der Richtung nach E hin fortsetzen, doch kann auf diese P^inzelheiten, weil dies zu weit führen würde, hier nicht eingegangen werden. Nach diesen Darlegungen ergibt sich die Theorie der Gewinnung des Konversionssalpeters in ein- fachster Weise, und sie soll daher im folgenden sogleich an einem Beispiele erörtert werden. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 36 Gehen wir etwa aus von einer Lösung, deren Zusammensetzung durch den Punkt a in Abbil- dung 4 0,31 NO3- 0,6901-, 0,26 K+, 0,74 Na2+ gegeben ist und lassen diese bei loo" eindunsten, so scheidet sich, da der Punkt « im NaCl-Gebiet liegt, NaCl aus, und die Zusammensetzung der Lösung ändert sich längs der Kristallisationsbahn in der Richtung des Pfeiles bis ß. Bei ß trifft die Kristallisationsbahn auf die Grenzlinie zwischen KCl und NaCl, es würde sich also von nun an gleich- zeitig mit dem NaCl auch KCl abscheiden, und das würde für die Technik unerwünscht sein, da das K+-Ion neben dem NO.,— -Ion gerade der wert- volle Bestandteil ist, der als KNO., gewonnen werden soll. Hört man daher, sobald der Punkt ß erreicht ist auf und kühlt die Lösung auf 5" ab, so tritt jetzt eine starke Ausscheidung von KNO3 aus, weil ß im S^-Diagramm im KNOg-Gebiet Hegt. Die Zusammensetzung der Lösung ändert sich jetzt auf der Geraden ßy in der Richtung des Pfeiles, trifft bei dem Punkte y auf die Grenz- linie des KNO3- und des NaCl-Gebietes und es würde sich infolgedessen nunmehr neben dem KNO3 auch noch NaCl abscheiden, d. h. das Produkt, um dessen Gewinnung es sich handelt, würde durch Kochsalz verunreinigt werden. Man würde daher zweckmäßig an dieser Stelle die Kristallisation unterbrechen und die Lösung durch Hinzufügung von Wasser, NaNO^ und KCl wieder auf die Anfangskonzentration bringen, um den Prozeß zu wiederholen. So erscheint das Prinzip des Prozesses geklärt, und es bliebe nur noch die Ermittelung derjenigen Zusammensetzung der Lösung übrig, bei der der Prozeß am vorteihaftesten verläuft, jedoch muß wegen Beantwortung dieser Frage, da deren Er- örterung hier zu weit führen würde, auf die Originalarbeit von Re Inders verwiesen werden. Mg. Zoologie. Der Geschäftsbericht des schwei- zerischen Oberforstinspektorates teilt aus dem Gebiete des Fischereiwesens an Hand der Statistik mit, daß in der schweizerischen Bodenseefischerei im Jahre 1915 ein Fangergebnis von 150715 Kilo im Werte von 247 181 Fr. erzielt wurde, d. i. 4000 Kilo mehr als im Vorjahr. Aus den verschiedenen Veröffentlichungen des Fischerei- inspektors geht hervor, daß schon jetzt die schweizerischen Seen und fließenden Gewässer jährlich schätzungsweise für etwa 8 Millionen Franken F'ische liefern, während andererseits bei sachgemäßer Bewirtschaftung derselben noch be- deutend mehr zu erzielen wäre. Während der Fischbrutperiode 1914/1015 waren in der Schweiz 212 Fischbrutanstalten im Betrieb, die zusammen 128857000 Fischchen produzierten, die unter amtlicher Kontrolle in öffentliche Gewässer ein- gesetzt wurden, wovon rund 97 Millionen Felchen, 9 Millionen Bach- und p'lußforellen, 4 Millionen Rötel, je 2 '/2 Millionen Äschen_ und Seeforellen, über I Million Lachse usw. Der Bund unter- stützte diese Zuchtbestrebungen mit 35000 Fr. Kathariner. Ein neuer Fall von Leuchtfähigkeit wurde von I. Isak (Biol. Centralblatt 1916) beim braunen Bär, Arctia caja L., entdeckt. In der Ruhe sitzt der Schmetterling derart, daß die Längsachse des Kopf- abschnittes in einer Ebene mit der gleichen Achse der Brust bzw. des Bauchabschnittes liegt. Die 2 ersten Brustringe sind von einem Kragen aus braunen Haaren überdeckt, welcher zum Prothorax gehört und dem Körper flach anliegt. Nach der leisesten Berührung nimmt das ruhende Tier eine Trutzstellung ein, indem es Kopf und Prothorax gegen die Bauchseite drückt, wodurch der Kragen gehoben wird und die vor- her verdeckten Leuchtorgane sichtbar macht. Sie sind in der Zweizahl vorhanden und liegen rechts und links von der Medianebene als zwei helle I-'lecken, die von roten, rosettenartig angeordneten Haaren umstellt sind. Sie bilden die Öffnungen von Drüsen. Nach genügend starker mechanischer Reizung, z. B. nach einem Stoß auf den Kopf des Schmetterlings scheiden diese beiden Drüsen je einen Tropfen Sekret aus, das ein grünliches Licht ausstrahlt. Das Leuchten dauert bei kräftigen Individuen wohl lO Sekunden, darauf wird das Sekret wieder eingesogen und das Leuchten hört auf. Das Tier verharrt indessen noch einige Zeit in der oben angegebenen Trutzstellung. Das lichterregende Sekret kann man auch ohne aktive Tätigkeit des Tieres austreten lassen, wenn man das Tier in die Trutzstellung bringt und kräftig auf den Kopf drückt; und zwar gelingt dies gleich gut bei Männchen und Weibchen. Während bei vielen anderen leuchtenden In- sekten besonders bei Lampyris das Licht vom Tier instinktiv reguliert werden kann (siehe Naturw. Wochenschrift 191 5. S. 592) und Bedeutung für das Erkennen der Geschlechter haben kann, dürfte es sich hier wohl um ein Schutzmittel handeln, nachdem nur ein äußerer Reiz .die Leucht- erscheinung hervorruft. Dr. Stellwaag. Physiologie. Gelegentlich der Besprechung des Buches vonHarms (Experimentelle Untersuchungen über die innere Sekretion der Keimdrüsen und deren Beziehungen zum Gesamtorganismus. Naturwiss. Wochenschr. Bd. XIV, 191 5, S. 62) wurde darauf hingewiesen, daß die inneren Sekrete der männ- lichen Keimdrüse, die eine so hohe Bedeutung in physischer und psychischer Hinsicht haben, von den Zellen des interstitiellen Gewebes, den sog. Leydig'schen Zellen, gebildet werden. P'ür den Menschen scheint sich nach den Ergebnissen zweier erfolgreicher Transplantationen von Hoden- gewebe diese Vermutung vollauf zu bestätigen. Wie wir einem Bericht der Münchener med. Wochenschrift (Nr. 19, 1916) entnehmen, wurden N. F. XV. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 bei zwei Patienten, denen durch eine Kriegsver- letzung beide Testikel total zerstört worden waren, je die Hälfte eines operativ entfernten Testikels von einem durchaus gesunden wegen Kryptorchis- mus behandelten 40jährigen Mann in die Leisten- gegend bzw. auf die Bauchmuskulatur verpflanzt und zur Einheilung gebracht. Die physischen und psychischen Ausfallerscheinungen bildeten sich in steigendem Maße zurück; das Ausfallen der Pubertätshaare — Schnurrbart, Achsel- und Schamhaare, Behaarung der Linea alba — unter- blieb, sowie die Depressionszustände und die Teilnahmslosigkeit an allen Geschehnissen der näheren und weiteren Umgebung hörte auf und machte einem stetig wachsenden Interesse Platz. Eine genaue mikroskopische Untersuchung hatte ergeben, daß die Samenkanälchen des kryptorchi- schen Hodens atrophisch gewesen waren; die Samenzellen darin waren völlig verschwunden. Das interstitielle Gewebe der sog. Pubertätsdrüse dagegen war mächtig gewuchert; es bestand aus übereinander gelagerten Schichten Leydig'scher Zellen von normaler Struktur. Dr. Lichtenstein, Chefarzt der I. chirurgi- schen Abteilung am k. k. Reservespital Nr. i in Wien, schließt aus dem Erfolg der Operation, bzw. der Wiederherstellung des durch die totale Kastra- tion teils geschädigten, teils verminderten Ge- schlechtscharakters somatischer und psychischer Art, daß derselbe ausschließlich der innersekre- torischen Tätigkeit der eingepflanzten männlichen Pubertätsdrüse zu verdanken ist. Durch dieses Ergebnis sind die bezüglichen tierexperimentellen Befunde auch für den Menschen einwandfrei be- stätigt. Kathariner. Anthropologie. Besonderheiten des mensch- lichen Haupthaares besprach Geh. Med. -Rat Prof. Dr. Gustav Fritsch in Versammlungen der Berliner Dermatologischen Gesellschaft und der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, ^j Er machte dabei folgende Ausführungen: Die Haar- bildung erfolgt durch die Konkurrenz der Epi- dermisschichten mit ihrer Unterlage, dem Binde- gewebe. Gegenüber dem allgemeinen Ent- wicklungsgang der Epidermisschichten ist die Haar- bildung derart ausgezeichnet, daß auf einer be- stimmten Papille eine ganz exzessive Proliferation der Zellen stattfindet, welche dadurch zustande- kommt, daß die betreffende Papille in besonderer Weise ernährt und innerviert wird; indem sie sich so vor allen benachbarten Papillen auszeichnet, wird sie zur Haarpapille. Der Wucherungsvorgang bringt es mit sich, daß die neugebildeten ver- hornten Zellen nach außen vorgeschoben werden, während gleichzeitig die Papille selbst in die Tiefe gedrängt wird. „Auf diese Weise erklärt sich unmittelbar die Bildung eines Haarbalges mit der Haarpapille in der Tiefe und dem Haar, welches ') Siehe „Dermatologische Zeitschrift" Bd. 20, S. 440 ff., sowie ,,Zeitschr. f. Ethnologie" 1915, S. 232 u. 233. sich dort bildet, um nach oben als freies Haar vorgeschoben zu werden, während die Wurzel selbst noch in dem Haarbalg ruht. Die Konsequenz dieses Entwicklungsvorganges ist, daß man sich keine Haarbildung ohne Papille denken kann. . . Die von dem Proliferationsherd aufsteigenden Zellwucherungen werden zu Haarfasern zusammen- gepreßt und bilden so einen soliden Strang, eine Substanz, welche ihrem Bau nach dem Prosenchym eines Pflanzenstengels entspricht. Niemand würde daran denken, das Prosenchym der Pflanze „Rinde" zu nennen, während diese Bezeichnung beim ent- sprechenden Gewebe des Haares allgemein üblich ist." Diese Gepflogenheit ist nicht gerechtfertigt durch das gelegentliche Auftreten einer ab- weichenden Zellbildung im Innern des Haares, die „Mark" genannt wird. Dieses Mark „zeigt durch die Unsicherheit seines Auftretens und die häufig zu beobachtende Diskontinuierlichkeit seines Stranges, daß es nicht einer besonderen Anlage seinen Ursprung verdankt, sondern Schwankungen des Wachstumsprozesses. Voll ausgebildete, starke, widerstandsfähige Haare entwickeln Mark, wenn sie so langsam wachsen, daß die innersten Zellen nicht vollständig zu Haarfasern zusammengepreßt werden . . . Diskontinuierlich wird das Mark bei wechselnden Wachstumstempo." Wenn die Be- zeichnung Rinde beim Haar durchaus festgehalten werden soll, so wäre sie nach Prof. P'ritsch's Ansicht nur auf das Oberhäutchen des Haares anzuwenden, welches das Haarprosenchym bedeckt. Die Haarzwiebel sitzt der Papille nicht fest auf, sondern es besteht hier ein Lymphraum, den Prof. Fritsch „Papillenmantel" nennt. Durch diesen treten die von der Tiefe her einwandernden Pigmentzellen in den Bulbus über. „Die Pigment- zellen geben dann ihren Inhalt an die Haarzellen ab, die ihn als Pigmentkörnchen mit nach außen tragen. Noch an dem schon scheinbar festen Haar ist die Saftströmung jedenfalls noch sehr kräftig, solange das Haar lebendig ist. Das durch irgendwelche Zirkulationsstörungen veranlaßte Zurückströmen des Saftes reißt auch unter L'mständen das körnige Pigment wieder mit sich und veranlaßt das zu Unrecht oft bezweifelte plötzliche Ergrauen des Haares." Aus der allgemeinen Grundlage der Haar- anlage entwickeln sich außerordentlich mannig- faltige Abweichungen. Das zeigt die Vergleichung des Haupthaares und seiner Bildungsstätte bei den verschiedenen Menschenrassen. „Sie lehren die Abhängigkeit der Haarbildung von der Gestalt, Krümmung und Lagerung der Wurzelscheiden, sowie von der Einpflanzung der Haare in der Kopfhaut." Die abweichenden Gestaltungen lassen sich in eine Reihe anordnen, in welcher die ganz besonders kräftigen geraden Haarwurzeln der Chinesenkopfhaut das eine Ende bilden; am anderen Ende finden wir die säbelförmig ge- krümmten flachgelagerten Wurzeln mit abge- knickter Papille, wie sie das Hottentottenhaar und noch mehr das Buschleutehaar zeigen. 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 36 Die neuesten I'"orschungen von Prof. F r i t s c h haben ergeben, daß sich bei allen untersuchten Rassen „neben dem charakteristischen Haarwuchs in sehr wechselnder Häufigkeit eine andere davon abweichende Haarform findet, welche gekenn- zeichnet ist durch oberflächlichere Lagerung der Wurzeln, auch bei den sonst spiralig gedrehten Haaren gestreckten Verlauf und sehr viel geringeren Durchmesser des Haares". Es kommt also beim Menschen, wie bei den Tieren, neben dem Ober- haar oder Konturhaar ein sehr viel spärlicheres und markloses Unterhaar oder Wollhaar vor, dessen Anordnung und geringe Verbreitung darauf schließen läßt, daß es sich „in Rück- bildung befindet und bei den Kulturrassen das Feld dem Oberhaar fast gänzlich überläßt". Die Anlage der Haarwurzeln antwortet auf Blutmischung (Kreuzung) mit erstaunlicher Prompt- heit. So weicht z. B. ein Buschleutemischling mit noch sehr typischen äußeren Rassenmerk- malen in der Anordnung der Haarwurzeln schon sehr stark von der für die Buschleute typischen Form ab. Es zeigt sich hier, „daß der durch die Besonderheit der Rasse gegebene Zwang ver- loren gegangen ist, und jedes Haar scheint Ver- lauf und Stellung der Wurzel lediglich dem Zufall zu verdanken". Prof. Fritsch hält es für aus- geschlossen, daß eine solche Anordnung der Haar- wurzeln durch die Mendel'sche Spaltung „jemals wieder in der Nachkommenschaft zu der regelmäßig geordneten F"orm zurückkehren könnte". H. Fehlinger. Physik. Über den Anteil des Wasserdampfes an der Schwächung der Sonnenstrahlung in der Erdatmosphäre hat F. E. F o w 1 e Untersuchungen angestellt, über die in der Meteorolog. Zeitschr. 33, S. 211 (1916) berichtet wird. Der eigentliche Zweck der Beobachtungen, die in einem längeren Zeitraum in verschiedener Höhe über dem Meeres- spiegel angestellt wurden, war die Bestimmung der Solarkonstanten 1,93 - .7 ' -' )• Gleichzeitig \ ^ cm--mm./ wurde die obige Frage dahin beantwortet, daß etwa die Hälfte des E nergie ve rlustes der Sonnenstrahlen dem Wasserdampf zuzuschreiben ist. Der Gehalt der Luft an Wasserdampf wurde mit Hilfe des Bolometers aus der Stärke und Breite der Absorptionsstreifen im infraroten Teil des Sonnenspektrums bestimmt und zwar wurden die Angaben in der Weise ge- macht, daß die Regenhöhe in Zentimetern er- mittelt wurde, die sich ergeben hätte, wenn der gesamte über dem Orte der Beobachtung in der Luft enthaltene Wasserdampf als Regen herunter- fallen würde. Die Energieverhistc, die die Sonnen- strahlung auf ihrem Wege durch die Erdatmosphäre erleidet, setzen sich aus 5 Teilen zusammen. 1) Verluste durch die Zerstreuung an den Molekülen der „permanenten" Gase {Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure und in höheren Schichten Wasserstofl'), 2) Verluste durch die Zerstreuung an den Wasserdampfmolekülen, 3) Verluste durch selektive Absorption der „permanenten" Gase, 4) Verluste durch selektive Absorption des Wasserdampfes, 5) Verluste durch Zerstreuung und Absorption an Dunst (Staub). Durch geeignete Wahl der Beobachtungstage und durch Beobachtung in größeren Höhen lassen sich die unter 5 aufgeführten Verluste ausschließen. Die durch i bis 4 hervorgerufenen Verluste der Sonnenstrahlung betragen Wasser- dampf- gehalt Sonne i. Zenit Zenit- distanz der Sonne 70» 12% 17% 20°/„ 23 7o 33 7o 42 7o 1) Mount Whitney 4420 m 12 7o 23 "/» o.l cm 2) Mount Wilson 1 730 m 17 % 33 % o.7 cm 3) Washington, in Meereshöhe 20 °/(, 42 "/o °'5 cm Es gelang den Anteil, den einerseits die Mole- küle der Luft, andererseits die Wasserdampf- moleküle an diesem Gesamtverlust haben, fest- zustellen. Für den Mount Wilson (1730 m) seien die Resultate mitgeteilt: mittlerer Wasserdampf- gehalt 0,7 cm. Verlust durch Verlust durch trockene Luft Wasserdampf Sonne im Zenit Zenitdistanz der Sonne 70" 8%=o,i5g-Kal, 20%=o,39g-Kal, 9i'/(,=o,i7g-Kal. ;3»/„=o,25g-Kal. Namentlich in geringer Höhe über dem Meeres- spiegel und bei niedrigein Sonnenstand sind also die durch den Wasserdampf hervorgerufenen Energieverluste nicht unbeträchtlich. (öTcj K. Seh. Literatur. Dr. Jakob Lorscheid's Kurzer Grundriß der organischen Chemie für höhere Lehranstalten, insbesondere für Oberreal- schulen und Realgymnasien. Vollständig neu bearbeitet von l'rof. P. Kunkel. 3. .^ufl. Mit 28 Fig. Freiburg i. Br. '15, Ilerdcr'sche Verlagshandlung. Führer durch die Feengrotten von Saalfeld in Thüringen. Mit 14 Abbildungen und ! Karten. Unter wissenschaftlicher Mitwirkung von Dr. Heß v. Wichdorff und Dr. A. Berg herausgegeben von der Grottenverwaltung. Saalleld '14. — 50 Pf. Inhalt: Einzelberichte \V. Re nder Die He rstellung des , Konversionssalpeters". 4 Abb. S 513. Statistik der seh Bori enscehsche rei. S, SiS ak, Ein neuer Fall von Leuchtfähigk it. S. 51S. Lichtens ein, Die ren Sekrete der männliche n Kei Tidr lise. S. 518. Gusta y F itsch, Besonderheiten des menschlichen Haupt- haa res. S. mg F E. Fow e, An teil des W isserdampfes ar 1 der Schwächung der Sonnenstrahlung in der Erdatmo- Sphäre. S. 520 - Literatur Liste . S. 520 Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. 11. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. September 1916. Nummer S7. Über Pseudo-Tierpsychologie. Versuche mit dem Mannheimer „denkenden" Hunde Rolf. med. Wilhelm Neumann, z. Z. Baden-Baden. [Nachdruck verboten.) Von Die Beschäftigung mit dem Tiere als seelen- begabtem Geschöpfe ist uralt. Aus der Zoolatrie, d. h. dem Tierdienste früher Völker, entwickelte sich die Heilighaltung gewisser Tiere, wie sie z. R. bei den alten Ägyptern üblich war. Wir finden weiterhin in der Tierfabel und in den Tiersagen eine ganz außerordentlich weitgehende Beseelung, ja Vermenschlichung der Tiere. Auch die zahl- losen Erzählungen der Tierzüchter, Naturforscher und Tierliebhaber, nicht zuletzt das berühmte Latein der Jäger legen Zeugnis davon ab, einen wie hohen Grad von Intelligenz wir geneigt sind, den Tieren zuzumessen. Kein Wunder also, daß die moderne Bewegung der Tierpsychologie, die im Jahre 1904 mit dem Auftreten des „klugen Hans", eines von Herrn von Osten „unterrichteten" Pferdes, einsetzte, ein großes Interesse vorfand, welches sich noch verstärkte, als Herr Karl Krall in Elberfeld seine „denkenden Tiere" der Öffentlichkeit zugäng- lich machte. Vor ungefähr drei Jahren erschienen dann die ersten Mitteilungen über den „denkenden Hund Rolf in Mannheim. Von diesem Hunde, einem Bedlington Terrier, behauptete seine Besitzerin, die im November 191 5 verschiedene Frau Paula Moekel, daß er vermittels eines Klopfalpha- betes, einer Art Morseschrift, imstande wäre, seine Gedanken und Beobachtungen wie ein Mensch auszudrücken. Der Hund rechnete, schrieb Briefe, las die Zeitung, verfaßte seine Selbstbiographie, machte Gedichte, beschäftigte sich mit Fragen der Religion und Ethik usw. ; in letzter Zeit inter- essierte er sich auch für Politik. Er arbeitet über- dies heute, nach dem Hinscheiden von Frau Moekel, mit deren Kindern, besonders mit Frl. Luise Moekel, der ältesten Tochter, in gleicher Weise, wie er es mit der früheren Besitzerin tat. Rolfs Ausdrucksweise steht auf der Stufe eines zwei- bis dreijährigen Kindes, während seine Denk- leistungen sich oft über das hinauserheben, was in dem Hirn eines vierzehnjährigen Knaben sich ab- spielt. Das Arbeiten des f^undes geht so vor sich, daß ihm die Versuchsleiterin, früher Frau Moekel, jetzt Frl. Luise Moekel, einen Papp- deckel hinhält, auf den er die einzelnen Buch- staben klopft, z. B. 4 Klopfschläge für a, 11 für g, 9 für d. Hinter jedem Buchstaben wird eine kleine Pause gemacht. Die einzelnen Buchstaben werden immer sorgfältig protokolliert. Ein rein mechanisches, objektives Registrierverfahren für die Klopfschläge ist bisher nie angewandt worden, vielmehr hält die Versuchsleiterin Frl. Moekel den Pappdeckel immer so in der Hand, daß will- kürliche oder unwillkürliche Zeichengebung von ihrer Sehe objektiv nie mit Sicherheit auszu- schließen ist. Trotzdem wird irgendeine solche von den Autoren, die sich für die Richtigkeit des Phänomens einsetzen, für ganz ausgeschlossen er- klärt. Ferner wird immer wieder betont, daß es sich bei den Denkleistungen nicht um Dressur, sondern um eigene selbstständige Denkarbeit des Tieres handele. Um diese Behauptungen zu beweisen, wurden von einer größeren Anzahl von Forschern sog. unwissentliche Versuche angestellt, denen allen der Gedanke zugrunde lag, das Tier zu Antworten zu bewegen, die niemand von den ihn Piüfenden wissen konnte. Auf diese Weise sollte jede will- kürliche oder unwillkürliche Beeinflussung ausge- schlossen sein. So wurden ihm z. B. Bilder ge- zeigt und zwar so, daß nur er allein sie sehen konnte. Und tatsächlich benannte der Hund, wie es schien, in zahlreichen Fällen die von ihm ge- sehenen Gegenstände ganz richtig. Wir werden später sehen, wie weit diese unwissentlichen Ver- suche der Autoren einer Kritik standzuhalten ver- mögen. Wer Tiere kennt, zweifelt nicht daran, daß ihnen mit Recht eine große Anzahl psychischer Reaktionen zugeschrieben werden. Indessen wird hier oft zu weit gegangen. Auch bei der Be- schreibung Rolfs haben manche Autoren den Fehler begangen, zufälligen Äußerungen des Hundes, besonders in bezug auf seine Mimik, psychische Vorgänge zu unterlegen, von denen der Hund gewiß keine Ahnung hatte. Bei meinen Beobachtungen fand ich, daß das schöne und im allgemeinen wohl gutmütige Tier nicht so intelligent und ansprechend ist wie viele seiner Artgenossen. Er war 4 Jahre alt, als ich selbst sah, daß er noch nicht durchaus stubenrein war. Beim Tode seiner Herrin sah ich ihn ohne eine Spur von Trauer, und auch später, wenn von Frau Moekel gesprochen wurde, zeigte er keinerlei Bewegung. Wie sehr eine solche Teilnahmelosig- keit von seinen „Denkleistungen" absticht, davon sollen einige Proben der von Rolf geklopften Äuße- rungen Zeugnis geben: Ein Herr richtete an Rolf ein Gedicht, in dem er seine Klugheit, besonders sein Kechentalent pries. Der Hund ant- wortete in Versen: „Von wegen Rechnen Lei nicht ist klug. All Tiere kann. In Auge guck Katz, Gaul und Hund, dann du kannst sehn Tiere können denken und essen. t,2i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 Lol (Rolf nannte sich selbst LolJ nicht kann Liedel machen. Dankt Dir. Gruß Lol." Einmal schickte ihm eine seiner Verehrerinnen einige Süßigkeiten und schrieb ihr dazu, daß ihre eigenen Hunde sich; die vom Maule abgespart hätten. Darauf antwortete Rolf „Hat Deine Hundel Maul? Rolf hat einen Mund." Rolf hatte mit seiner Hündin Jela einen Wurf von 10 Jungen gezeugt. Eines der jungen Tiere, Roland oder auch Guckerle genannt, wurde im Alter von einem Jahre von einem Automobil überfahren und starb trotz der Pflege von Frau Moekel (von Rolf Mutter genannt) und deren Mutter, Frau von Moers, die der Hund Großmutter nannte. Nachdem das Tier vergraben war, klopfte Rolf folgende lange Gefühls- äußerung: „Lol hat arg weh, weil arm Roland ist tot. Wüstes Auto und wüster Mann im Auto. Lol nicht wissen , was machen mit denen, will suchen bis findet und dann beißen Mann. Lol immer meint, Guckerle muß kommen, ist furcht- bar lieb gewesen. Lol war oft wüst zu ihm, von wegen Mutter hat immer angesehen, kann nicht dafür. Lieb Mutter nicht traurig sein, arm Roland hat sein froh, ist bei Urseele, hat nicht Hunger wie arm Lol, wird nicht geschimpft von wegen machen naß von Herr und Barbara, Tinel und Marie. Lol hat gewußt, daß arm Guckerle nicht gesund wird, nicht gesagt, weil Mutter immer hat gehofft und Großmutter auch. Waren so lieb mit mein krank Roland, Lol nicht vergißt. Lol immer macht sein Wasser an den Platz, wo er liegt . . . usw. usw." Es bedarf eines ziemlich hohen Grades von Verstand und Einsicht, um derartige Äußerungen von sich zu geben. Darum ist es verständlich, daß unter den Menschen, die an die Wahrheit der „Mannheimer Tatsachen" glaubten, eine große Aufregung entstand, daß man von Umwälzungen in der Weltanschauung und in den Rechtsbegriffen sprach und daß in Hunderten und aber Hunderten von Veröffentlichungen Gelehrte und Ungelehrte zu dem Problem der Tiersychologie Stellung nahmen. Ich habe meine Versuche mit dein Mannheimer „denkenden Hunde" in der Absicht begonnen, einen Beweis für das selbständige Denken des Tieres zu erlangen : sie führten mich aber gerade zum Gegenteil des erstrebten Ergebnisses. An- scheinend hatte Rolf von Anfang an großes Zu- trauen zu mir: er hat mich nie angeknurrt, ließ sich von mir anfassen und streicheln. Nach dem Tode von Frau Moekel erhielt ich von ihm folgenden Brief: „Libl Arm Lol ist traurig, wegen weil meine arme Mutter ist tot. Du sollen kommen trösten arm Lol. Lol will wissen, wie lange muß warten, bis kann gehen zu ihr. Wissen Du ? Kuß von Deinem armen Lol." Meine Versuche mit dem denkenden Hunde teile ich in vier Gruppen ein. Die Versuche wurden teils in Bergzabern, dem Sommer- aufenthalte der Familie Moekel, teils in Mannheim angestellt; nur zürn geringsten Teile noch zu Lebzeiten von Frau Moekel. Die erste Gruppe umfaßt die Bemühungen, den Hund zu bewegen, auf die von mir selbst gehaltene Klopftafel zu klopfen. Das Ergebnis war gänzlich negativ. Rolf klopfte wohl auf den ihm vertrauten Pappdeckel, dem ich ihm hinhielt, aber er klopfte entweder ohne aufzuhören, einen Klopfer nach dem anderen, bis ich seine Pfote durch entsprechende Bewegung des Pappkartons arretierte, oder er klopfte unzusammenhängendes Zeug, immer wieder dieselben Buchstaben, aus denen absolut kein Zusammenhang oder überhaupt Wortbilder abzuleiten waren. Da mir die Familie Moekel versicherte, das Versagen des Hundes be- ruhe vor allem darauf, daß ich es nicht verstände, die Klopfschläge des Tieres richtig abzunehmen, so gab ich schließlich diese Richtung auf und überließ die Klopftafel den Moekels. Zur zweiten Gruppe rechne ich alle jenen un- wissenschaftlichen Versuche, bei denen ich dem Hunde einen ihm schon bekannten Gegenstand zeigte und zwar unter Ausschluß der Mitglieder der Familie Moekel. Nur wenn jede Möglich- keit einer Übertragung der Lösung der gestellten Aufgabe auf die Versuchsleiterin von vornherein ausgeschlossen war, konnte man wirklich von un- wissentlichen Versuchen sprechen. Das war leider bei früheren Versuchen gerade von maßgebenden Forschern nicht genügend beachtet worden. Ich zeigte dem Hunde z. B. zwei Zehnpfennigstücke. Niemand wußte, wieviel Geld ich in der Hand hatte. Als Rolf von Frl. Luise Moekel gefragt wurde: „Wieviel Geld hat dir Dr. Neumann gezeigt f", antwortete er: „Geld geben arm Lol für Wurst." Ein andermal wurde Rolf, dessen Besitzer nicht müde wurden, sein gutes Gedächtnis zu rühmen, gefragt, wann ein bestimmter Herr ihn besucht habe. Niemand erinnerte sich des Datums, so daß Herr Dr. Moekel meinte: „Fragt doch den Hund, der erinnert sich solcher Daten noch nach Jahren." Die Antwort Rolfs lautete: „Du kannst gucken in der ,, Tier- seele." (Der betreffende Herr hatte seinen Besuch in der Zeitschrift „Tierseele" beschrieben.) Als man weiter in ihn drang, klopfte er: ,,Du sollst gehen lassen mich." Ohne auch nur eine einzige Einschränkung machen zu müssen, kann ich von der Reilie dieser Versuche, die ich Versuche ohne Zeugen nenne und die alle so ausfielen wie die beiden hier mitgeteilten, sagen, daß ihr Ergebnis gänzlich negativ war. Sie hatten alle das gemein, daß Rolf, anstatt einfach das eine Wort zu sagen, das die Lösung der Aufgabe darstellte, eine Menge für ihn höchst unbequem zu klopfender, mit der verlangten Antwort in keinem sachlichen Zu- sammenhange stehender Worte und Sätze gab, obgleich er wissen mußte, daß er im Falle der glücklichen Beendigung des Versuches belobt, belohnt und entlassen werden würde. Frau Moekel und ihre Jünger nannten diese Erscheinung den Eigensinn des Tieres. Man bezeichnet sie aber besser als das Symptom derVerlegen- heitsphrasen. Und zwar entstammen diese Phrasen nicht etwa der Veriegenheit des Tieres, sondern der der Versuchsleiterinnen. Solcher Ver- legenheitsphrasen besaß Rolf oder vielmehr die P\imilie Moekel ein ganzes Register. Wurde der Versuch unbequem, so klopfte der Hund: „Buckel steigen!" oder „Mag nit." oder „Gehn lassen." oder „zu fressen geben." Oder er wurde sogar ausfallend und beschimpfte den Untersucher: „Ist Professor" oder „ist Jud", was für ihn anscheinend der Gipfel menschlicher Scheußlichkeit war. Wir werden diesem Symptom der Verlegenheitsphrasen später noch begegnen, wobei noch einiges darüber zu sagen sein wird. N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 Ich komme nun zu der dritten Gruppe meiner Versuche, der unwissentHchen Versuche mit Zeugen. Die Famihe Moekel sprach die An- sicht aus, daß ich dem Hunde die Gegenstände, die er benennen sollte, so ungeschickt gezeigt hätte, daß das Tier nicht imstande gewesen wäre, sie zu erkennen. Ich hatte zwar Rolf jedesmal den Versuchsgegenstand so vor Augen gehaUen, daß er ihn sehen mußte und zum Überflusse ihn mehrfach benannt. Da aber die Familie Moekel verlangte, daß der in Frage kommende Gegenstand dem Hunde durch eines ihrer Mitglieder oder wenigstens in Anwesenheit desselben gezeigt werden sollte, so gab ich nach. Ich lasse einige Auszüge aus Protokollen derartiger Versuche folgen : Einmal brachte ich einen kleinen, nachgemachten Kanarien- vogel mit, wie man ihn in Scholcoladengeschäften zum Füllen mit Zuckerwerk findet. Rolf bekam ihn durch die jüngste Tochter von Frau Moekel, Karla, gezeigt. Außerdem wurde ihm mehrfach gesagt ; „Sieh mal, was für ein schöner Kanarien- vogel I" Rolf wurde dann in ein anderes Zimmer zu Frl. Luise Moekel geführt, der er sagen sollte, was er gesehen, während ich mit Karla dem weiteren Versuche fern blieb. Es durfte auch niemand zu uns kommen, damit jede Verbindung ausgeschlossen war. Die Sitzung dauerte fast 2 Stunden, während welcher Zeit Rolf nur Verlegenheitsphrasen klopfte : ,,Guck selber I Kann nit wissen. Frag Karla ! Muß nit, usw." Wir mußten schließlich aufhören, und ich fuhr nach Baden- Baden zurück. Kaum aber hatte Karla Gelegenheit gehabt, sich mit Frl. Luise Moekel zu verständigen, da klopfte der Hund auf Befragen sofort ohne weitere Verlegenheitsphrase: „Der wüste Vogel." Von dieser Antwort wurde ich am nächsten Tage brieflich in Kenntnis gesetzt. Ein anderer Versuch dieser .'\rt wurde mit einer in Lebensgröße prachtvoll ausgeführten Henne gemacht, in deren Innerem Schokolade sich befand. Frl. Luise Moekel als Ver- suchsleiterin und Karla als Protokollantin hielten sich in einem entlegenen Zimmer auf, während ich in Gegenwart der übrigen Familie Moekel, darunter auch die Zweitälteste Tochter, Frl. Frieda Moekel, dem Hunde die Henne zeigte und ihm Schoko- lade aus ihrem Inneren zu fressen gab. Dann wurde Rolf zu Frl. Luise Moekel gebracht und sollte ihr sagen, was er ge- sehen und zu fressen bekommen habe. Zum Verständnis des Folgenden sei hier mitgeteilt, daß ein ähnlicher Versuch mit einem Biskuithasen einige Zeit vorher von Herrn Prof Wolff aus Basel mit Rolf angestellt worden war. Dieser Versuch soll vollkommen gelungen sein. Die Sitzung dauerte wieder über zwei Stunden, während welcher Zeit Rolf sich hartnäckig weigerte, etwas von der Henne zu sagen. Statt dessen klopfte er folgende Verlegenheitsphrasen; ,,Lol krabbelt nicht auf Neumann seinen Leim. Ist auch Versuch Wolff. Buckel steigen. Lol, ei, hat Wolff gehört. Neumanns Versuch. Mag nit." Inzwischen waren wir alle in das Zimmer getreten , in dem Rolf arbeitete. Die Versuchsleiterin, Frl. Luise Moekel, war infolge des vergeblichen Bemühens sehr nervös geworden. Plötzlich sagte ihr ihre Schwester, Frl. Frieda M., die vorher die Henne gesehen hatte, leise etwas ins Ohr, worauf sich die Nervosität sofort verlor und sie Rolf nochmals bat, ihr zu sagen, was er gesehen. Und nun klopfte das Tier sofort: „Gehen lassen! Die dumme Gockel 1" Auch diese unwissentlichen Versuche mit Zeugen, von denen die beiden eben wiederge- gebenen Beispiele genügen mögen, zeigen gemein- same Eigenschaften, deren merkwürdigste folgende ist : In stundenlangem Bemühen, während welchem jede Verkehrsmöglichkeit zwischen der Versuchs- leiterin einerseits und dem Zeugen andererseits ausgeschlossen war, konnte aus dem Hunde nichts herausgeholt werden als die oben erwähnten Ver- legenheitsphrasen. Sobald aber diese beiden Per- sonen Gelegenheit hatten, sich miteinander in Ver- bindung zu setzen, gab der Hund seinen Wider- stand und die Verlegenheitsphrasen auf, und es dauerte kaum einige Minuten, bis er die erwartete Antwort geklopft hatte. Wie erklärt sich das? Es ist von der Familie Moekel und deren Jüngern viel von dem Eigensinn Rolfs geredet worden. Ich habe aber niemals beobachtet, daß das Tier eigensinnig war, wenn essichum Antworten handelte, die der Versuchsleiterin bekannt waren. Dann ant- wortete er immer willig und feierte seine großen Triumphe. Der „Eigensinn" Rolfs kam nur bei den unwissentlichen Versuchen zu Tage (wenn er sich nicht überhaupt weigerte zu klopfen, was höchst selten geschah) und machte sich dann in den Verlegenheitsphrasen Luft. Es ist schwer sich vorzustellen, daß ein so kluges und einsichtiges Tier, wie es Rolf seinen Antwort nach sein müßte, es vorziehen sollte, stundenlang Verlegen- heitsphrasen willig zu klopfen, während es ablehnen sollte, die gewünschte Antwort zu geben, die meist nur in einem Worte bestand und die ihm Be- lohnung, Belobung und Befreiung von weiterer Arbeit einbrachte. Nein, es handelt sich hier nicht um Eigensinn: auf Grund der später noch mitzu- teilenden Versuchsergebnisse kann ich behaupten, daß die Verlegenheitsphrasen aus der Verlegen- heit der Versuchsleiter entstammen, weil sie nicht wußten, welche Antwort sie den Hund klopfen lassen sollten. Und sie setzten das Klop- fen der Verlegenheitsphrasen so lange fort, bis es ihnen durch irgendwelchen Zufall, durch Kunstgriffe oder durch Raten gelungen war, sich in den Besitz der erwarteten Antwort zu setzen. Um diese meine Behauptung zu stützen und zugleich um Licht in die Arbeitsmethode der Familie zu bringen, teile ich eine vierte Gruppe von Versuchen mit, die ich Vexierversuche nenne. Durch einen Zufall wurde ich auf diese Art von Versuchen durch die Familie Moekel selbst gebracht. An einem Nachmittage war ich mit den drei Fräulein Moekel in der Stadt ge- wesen und hatte dort Lebkuchen eingekauft, ohne zu sagen, welchem Zwecke der Einkauf dienen sollte. Als wir nach Hause kamen, wurde mit Rolf ein unwissentlicher Versuch angestellt. Frl. Luise Moekel und Karla begaben sich wieder in ein entlegenes Zimmer, während wir anderen Rolf einen Gegenstand zeigten. Das Paket mit dem Lebkuchen lag an einem dritten Orte gut ver- packt und verschnürt. Rolf wurde zur Versuchs- leiterin gebracht und klopfte dort ohne Zögern und ohne Verlegenheitsphrase auf die Frage, was er gezeigt bekommen habe: „Lebkuchen". Er hatte aber das Paket weder gesehen, noch etwas von dem Kuchen zu fressen bekommen. Ich er- klärte mir die Sache so, daß die Versuchsleiterin, Frl. Luise Moekel, der Ansicht war, ich habe die Lebkuchen gekauft, um Rolf davon zu fressen zu geben. Und dann hat sie in ratender Weise den Hund veranlaßt, das Wort Lebkuchen zu klopfen. 524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 Einige Zeit später sagte ich gelegentlich einer Sitzung in Abwesenheit von Rolf, der in einem entlegenen Zimmer sich befand , zu Frl. Luise Moekel folgendes: „Ich werde jetzt zu Rolf gehen und ihm den Leckerbissen zeigen, den ich ihm mitgebracht habe; er bekommt ihn aber erst dann zu fressen, wenn er ihn richtig benannt hat." Ich ging zu Rolf ins andere Zimmer und zeigte ihm unter Ausschluß von Zeugen einen aus Papier ge- preßten Dackel, aber nichts zu essen. Als dann Rolf gefragt wurde, was ich ihn habe sehen lassen, antwortete er: „Zu essen geben Kuchen." Es ist selbstverständlich, daß diese seltsamen Ergebnisse mich peinlich berühren mußten, um so mehr, als ich ja auf der Suche nach einem Beweise f ü r das selbständige Denken des Hundes war. Um mir Klarheit zu schaffen, beschloß ich, nur die Wichtigkeit der so viel umstrittenen Er- scheinung in Rücksicht " zu ziehen und einen Vexierversuch anzustellen, der einen Einblick in das Phänomen des , .denkenden" Hundes geben sollte. Ich bat Herrn Dr. Lotmar, Privatdozent für Neurologie, mich nach Mannheim zu begleiten. Das Protokoll der nun folgenden Sitzung möge ausführlicher wiedergegeben werden. 5. III. 16. Anwesend waren Frau von Moers, die Mutter von Frau Moekel, die 3 Töchter Frl. Luise, PVieda und Karla Moekel, Dr. Lotmar und ich. Als Versuchsgegenstände dienten: I. Ein aus Pappe gepreßter Dackel, der in doppelter Papier- einhüllung so verpackt war, daß niemand erraten konnte, was in dem Paket wäre. 2. Eine kleine braune viereckige Schachtel aus sehr gebrech- lichem Kartonpapier, ca 3,5:3,5:7 cm groß. 3. Zwei Fähnchen, eine in den deutschen, die andere in den bayerischen Farben. 4. Ein kleiner geräucherter Hering. Nachmittags ^2 4 Uhr kamen Dr. Lotmar und ich zu Moekels. Die Familie Moekel hatte bisher von der Existenz des Herrn Dr. Lotmar keine Ahnung. Der Name ist sehr selten, er soll nur 4 männliche Träger haben. Als wir in die Wohnung eintraten, befand sich Rolf hinten in der Küche. Ich stellte Dr. Lotmar den Damen vor, sprach aber absichtlich seinen Namen so leise und undeutlich aus, daß es ganz unmöglich war, ihn zu verstehen. Der Name Lotmar ist überhaupt schwer zu merken, wie ich mich mehrfach über- zeugt habe. Ich sah auch bald, daß die Damen Moekel ihn sich nicht gemerkt oder verstanden hatten. Wir begaben uns ins Klavierzimmer, und ich bat, man möge Rolf von der Küche ins Eßzimmer bringen, das durch drei Türen vom Klavierzimmer getrennt ist. Das tat P^rl. Frieda, und nachdem sie zurückgekehrt war, wurde der Name Lotmar wieder von mir ausgesprochen. Trotzdem merkten sich die Moekels den Namen nicht. Ich ging nun mit Karla in den Vorplatz, wo wir allein waren. Dort zeigte ich ihr das Paket mit dem Dackel, packte es aber nicht aus, sondern sagte ihr nur, daß da ein Dackel drin sei, und steckte es so zwischen Rock und Weste, daß niemand gewahr werden konnte, daß ich da etwas habe. Dann wies ich Karla die kleine braune Schachtel, die ich aus meiner Hosentasche hervor- holte, und sagte ihr dazu: „Ich wollte die Schachtel eigentlich an den Dackel ankleben, aber ich werde sie lieber in der Hand behalten und sie an den Dackel andrücken. Ich will was zu essen hinein- tun." (Diese Bemerkung bezog sich auf frühere Versuche). Damit steckte ich die Schachtel in die Hosentasche und darüber zwei Taschentücher. Dabei zerbrach die Schachtel völlig und zerfiel in ein paar Pappstücke. Während die Moekels im Klavierzimmer blieben, gingen Dr. Lotmar und ich nach hinten zu Rolf. Zuerst ging P>1. Frieda mit, um zu verhüten, daß Rolf etwa Dr. Lotmar beiße. Aber Rolf war so- fort ganz friedlich, und wir schickten Frl. Frieda weg, bevor noch irgend etwas von Belang ge- sprochen worden war. Nachdem wir mit Rolf allein waren, stellte ich ihm Herrn Dr. Lotmar vor. Wir beide hatten aber ausgemacht, dem Hunde nicht den Familien- namen Lotmar, sondern Dr. Lotmar's zweiten Vor- namen Ferdinand zu sagen. Rolf hat also den Namen Lotmar nie gehört. Ich sagte zu Rolf: „Sieh mal, Rolf Hier ist ein neuer Besuch. Der Herr heißt Ferdinand. Merk dir den Namen Ferdinand. Fer-di-nandl" Und ich wiederholte den Namen Ferdinand mehr- mals mit scharfer Betonung. Auch Dr. Lotmar sagte ihm den Namen Ferdinand wiederholt. Nun zog ich die beiden Fähnchen aus der lasche, hielt sie Rolf so hin, daß er sie sehen mußte, und sagte: „Sieh, Rolf, hier ist eine deut- sche Fahne und hier eine bayerische. Die baye- rische ist deiner lieben Mutter (Frau Moekel war Bayerin) ihre feine Farbe." (Die letzte Äußerung bezieht sich auf die öffentliche Vorführung Rolfs in Mannheim am n. Mai 1915. Bei dieser Vorführung sollte Rolf Fähnchen benennen. Bei der gelbweißen Fahne buchstabierte er „esdeig", bei einer türkischen „dirgig", bei einer badischen „baadis", und eine württembergische Fahne sah er als eine deutsche an. Bei einer bayerischen Fahne buchstabierte er: „lib mudr sei fei färb", d. h. die feine Farbe der lieben Mutter. Vgl. Die Seele des Tieres. Berlin 1916, i. Aufl., S. 114. Rolf konnte damals also die Fahnen wohl unter- scheiden und benennen.) Die Fahnen wurden ihm unter obigen Worten mehrfach gezeigt. Rolf schnappte fortwährend nach ihnen, als ob er sie fressen wollte. Nun holte ich noch den geräucherten Hering aus der Rocktasche hervor, zeigte ihn dem Hunde, nannte den Leckerbissen wiederholt mit Namen und gab ihn Rolf zu fressen. Damit schlössen wir die Vorbereitungen des Versuchs. Um kurz zu wiederholen: Rolf hatte den Na- men Lotmar nicht gehört, er hatte weder den doppelt eingewickelten, unter meinem Rocke be- N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 525 findlichen Dackel, noch die in der Hosentasche zerdrückte braune Schachtel gesehen oder von ihnen etwas gesagt bekommen. In der braunen Schachtel war nie etwas Eßbares drin. Hingegen war er nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, daß der neue Onkel Ferdinand heiße; er hatte zwei Fahnen zu sehen und einen geräucherten Hering zu fressen bekommen. Wir waren eben mit den Vorbereitungen fertig, als die Haushälterin Barbara, mit der der Hund ebenso wie mit den anderen Familienmit- gliedern arbeitet, durch das Zimmer ging, was gegen die Verabredung war. Nun brachten Dr. Lotmar und ich den Hund nach vorne ins Klavierzimmer, und es begann die Sitzung. Frl. Luise Moekel hielt die Tafel, Karla protokollierte. Auf Frl. Luisens Aufforderung zu klopfen, be- gann Rolf sofort zu buchstabieren: „Hundel. Mag nit." Ich überging diese Antwort, werde aber später noch auf sie zurückkommen. Nun gab ich Rolf Rechenaufgaben. Zuerst 18:6-5. Antwort sofort richtig 15. Weiter 27 -f- 3 : 5. Antwort falsch 3. Jetzt fragte ich: „Rolf, kennst Du noch meinen Namen ?" Das Tier zögerte keinen Augenblick und klopfte: „Willy, wie Mackenzie." Er erinnerte sich also des Vornamens meines F"rcundes Dr. William Mackenzie, der ihn im September 191 3 besucht hatte und der sich bei der Familie Moekel ein sehr freundliches Andenken bewahrt hat. Ich fragte weiter, indem ich auf Dr. Lotmar zeigte: „Rolf, wie heißt denn dieser Herr?" Der Name Lotmar war in Rolfs Gegenwart noch nie ausgesprochen worden; darauf hatte ich ganz besonders scharf aufge- paßt. Rolf antwortete: „Mag nit." Das ist eine Verlegenheitsphrase. Frau von Moers war schon vorher aufgestanden und hatte drei Keks vom Anrichtetisch genommen. Rolf stürzte gierig nach ihr hin und war nur da- mit beschäftigt, die Keks zu erlangen. Da ich mir klar darüber war, daß Frl. Luise Moekel den Namen Lotmar sich nicht gemerkt hatte, flüsterte ich ihr ganz leise, aber deutlich ins Ohr: „Glau- ben Sie, daß der Name Lotmar vielleicht zu schwer für Rolf ist?" Meine Lippen waren ganz nahe an Frl. Moekel's Ohr, mein Flüstern war von niemandem gehört, ja nicht einmal bemerkt worden, da man sich abseits in dem großen Zimmer mit Rolf beschäftigte, der nur Sinn für die Keks hatte. Sogar Dr. Lotmar, der scharf aufpaßte, war der Vorgang entgangen. Frl. Luise hatte nun den Namen Lotmar deutlich verstanden und antwortete: „Nein, nicht zu schwer!' Jetzt wurde Rolf, der die Keks nicht bekom- men hatte, mit Klapsen wieder in den Kreis der Zuhörer gezwungen, mußte sich niedersetzen und wurde nochmals gefragt: „Wie heißt der Herr?" Rolf antwortete jetzt ohne Zögern: „Lotmar." Er buchstabiert also einen Namen, den er nie gehört hat, der auch unabsicht- lich in seiner Gegenwart nicht ausge- sprochen worden war, während er den Namen Ferdinand, der ihm für den Neu- angekommenen gesagt wurde, nicht erwähnt. Nun fragte ich noch: „Rolf, wer war mit mir, als ich das letztemal hier war?" Antwort: „Dein Bruder." Das stimmte; Rolf wurde belobt und entlassen. Nach einer Weile wurde zum Spazieren- gehen aufgebrochen. Während dieser Zeit und während Dr. Lotmar und ich uns zum Ausgehen fertig machten, hatten die Mitglieder der F"amilie Moekel Zeit und Gelegenheit genug, unbeobachtet miteinander zu sprechen. Frau von Moers und Frl. Luise Moekel blieben allein zu Haus: Rolf sollte ihnen inzwischen sagen, was er von Dr. Lotmar und mir gezeigt bekom- men. Nach ungefähr einer Stunde kehrten wir zurück. Rolf hatte diesmal bereitwillig folgendes geklopft, während Frl. Moekel das Klopfbrett hielt und Frau von Moers protokollierte: „In klein braun ist was zu essen." Darauf korrigierte er sich an- geblich gleich selber: „eckig Schachtel von der Dackel." Der ganze Satz lautet also in Schrift- deutsch : „In der kleinen braunen eckigen Schachtel von dem Dackel ist was zu essen." Ich sagte zu Frl. Moekel, Rolf habe noch nicht alles geklopft. Vor allem solle er ihr mitteilen, was ich ihm gegeben habe. Damit verabschiedeten Dr. Lotmar und ich uns und fuhren nach Baden- Baden zurück. Die in den nächsten Tagen aus Mannheim anlangenden Briefe ließen wohl er- kennen, daß man sich mit Rolf abgemüht hatte. Aber der Hund hatte weder von den F"ahnen, noch von dem Hering etwas verraten. Dieser Versuch enthüllt mit einem Schlage so- wohl die Arbeitsmethode des Hundes als auch die der Menschen, die mit ihm arbeiten. Das heißt: der Hund klopft rein mechanisch, ohne einen inneren Anteil an seinen Äußerungen zu haben das, was die Versuchsleiterin von ihm geklopft haben will. Augenscheinlich bedient sie sich da- bei des höchst einfachen Kunstgriffes, daß sie durch leichtes Heben des Klopfbrettes die Pfote des Hundes anhält, sobald er die genügende An- zahl von Klopfschlägen gegeben hat. Ich stelle ausdrücklich fest, daß Rolf von dem Augenblicke an, da ich Karla den Dackel gezeigt hatte, bis nachdem er „dein Bruder" geklopft hatte, fort- während unter meiner aufmerksamen Beobachtung stand, daß es also ausgeschlossen ist, daß er das Wort „Hundel", welches er zuerst klopfte, von einem der Moekels gesagt bekommen oder sonst gehört habe. Vielmehr hat wohl Karla dem Frl. Luise Moekel in der Zeit Mitteilung von dem Dackel gemacht, während Dr. Lotmar und ich dem Tiere die Fahnen und den Hering zeigten. Und auf diese Kenntnis hin hat die Versuchs- leiterin den Rolf ohne mündliche Mitteilung, also ohne daß er auch nur eineAhnung 526. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 hatte, um was es sich handle, veranlaßt, jeweils so viele Klopfschläge auf die Papptafel zu klopfen, daß deren Zusammensetzung das Wort „Hundel" ergab. Nicht den geringsten inneren Anteil hat der Hund an dem, was er klopft. Sollte es wirklich Menschen geben, die behaupten wollten, daß ein Wesen wie Rolf, das seinen Ant- worten nach doch mit hoher Einsicht begabt sein müßte, sich zu einem derartigen Hokuspokus her- geben würde ! Ganz ebenso wie mit dem Worte „Hundel" verhält es sich mit dem Namen Lotmar. Rolf hat niemals diesen Namen zu hören bekommen: das kann ich mit Sicherheit feststellen. Namen, nach denen man ihn fragte, hat er immer ohne Weigerung gesagt, und gerade an jenem letzten Versuchstage war er ja recht willig. Trotzdem gebraucht er erst die Verlegenheitsphrase: „Mag nit", als er nach dem Namen Ferdinand gefragt wird. Natürlich ; denn von dem Namen Ferdinand wußte die Versuchsleiterin überhaupt nichts und den Namen Lotmar hatte sie sich nicht gemerkt. Erst nachdem ich ihr den letzteren ins Ohr geflüstert, läßt sie den Hund die Antwort klopfen : leider gerade die falsche. Die Tatsache fernerhin, daß F'rl. Luise Moekel bei der einzigen Möglichkeit , die selbständige Gedankenarbeit des Hundes zu beweisen, d. h. bei den unwissentlichen Versuchen, sich nicht scheute, anscheinend zweckdienliche Mitteilungen von ihrer jüngeren Schwester entgegenzunehmen, und diese Mitteilungen irrtümlich zur Lösung der gestellten Aufgabe verwandte, diese Tatsache wirft ein Licht auf den Wert aller bisher angestellten unwissentlichen Versuche und stellt dieselben auf eine Stufe mit den mediumistischen Sitzungen einer Anna Rothe. Bei einer kritischen Betrachtungsweise auf Grund der von mir angestellten Versuche liegt die Er- kenntnis nahe, daß es sich bei dem „Rolf-Problem" gar nicht um eine Frage der Tierpsychologie handelt: das Studium der mit der Angelegenheit in Beziehung stehenden Menschenpsychen ist — zum mindesten für den Psychologen und Psychi- ater — ungleich interessanter. Wir werden später noch davon sprechen. Prüft man nun auf Grund der von mir ge- wonnenen Ergebnisse die Versuche derjenigen Forscher, die nach ihren Resultaten sich für die Richtigkeit der „Mannheimer Tatsachen" einsetzen zu müssen glaubten, so findet man, daß diese Ver- suche einer Kritik nicht standzuhalten vermögen. Ein Grundübel, das allen Versuchen anhaftete, ist die mangelhafte Objektivität des Registrierver- fahrens, aber es muß zugegeben werden, daß von selten der Familie Moekel ein passiver Widerstand gegen eine derartige Objektivität bestand, der wohl kaum zu besiegen war. Immerhin wäre es wohl nicht allzu schwer gewesen, diejenige Hand der Versuchsleiterin, die den Klopfkarton hielt, mit einer Mareyschen Kapsel oder dergleichen zu verbinden. Vielleicht hätte eine solche Methode wertvolle Aufschlüsse gegeben. Die Autoren fühl- ten diesen schwachen Punkt wohl und bemühten sich, ihn durch die Veranstaltung der sog. un- wissentlichen Versuche wett zu machen. Diesen unwissentlichen Versuchen fehlte aber teilweise die für diesen Zweck nötige Umsicht; wichtige Vorsichtsmaßregeln wurden unterlassen oder nur unvollkommen angewandt. Auch zeigen meine Versuche, zumal die Vexierversuche, in denen die mit dem Hunde arbeitende Persönlich- keit in die von mir gestellten Fallen (Ferdinand statt Dr. Lotmar, Dackel, braune eckige Schachtel) ging und den Hund etwas klopfen ließ, was er nie gesehen oder gehört hatte, mit ziemlicher Deutlichkeit, welchen Maßstab man den früheren Versuchen anzulegen hat. Was nützen ferner selbst so exakte und mit so großer Sorgfalt und Ge- wissenhaftigkeit ausgeführte Untersuchungen, wie sie Dr. Mackenzie angestellt hat, wenn sie durch Eingriffe, wie solche aus meinen Versuchen her- vorgehen, illusorisch gemacht werden ! Hier wird es notwendig — als ein Beispiel für viele — Versuche zu besprechen, die einer der Hauptverfechter der „Mannheimer Tatsachen", Herr Professor Dr. H. E. Ziegler in Stuttgart, zum Gegenstande einer Arbeit über den ,, denkenden Hund" in den „Mitteilungen der Gesellschaft für Tierpsychologie" 4. Jahrgang. Nr. i. 19 16 machte. Herr Professor Z i e g 1 e r stellte seine Versuche ungefähr zu gleicher Zeit an wie ich die meinen. Er schreibt über seine Versuche: „Ich hatle zwei Feldpostschachteln mitgebracht, deren Deckel mit einer Nadel durchlöchert waren, und in welche ich Käse und geräucherten Lachs, in Papier eingewickelt, ge- legt hatte. Niemand wußte , was sich in den Schachteln be- fand. Rolf konnte sich wohl denken, daß ich ihm etwas zu fressen mitgebracht hatte, aber nicht wissen, was es sei , um so weniger, als ich ihm bei früheren Besuchen Gebäck ge- geben hatte. Ich machte ihm klar, daß er an der Schachtel riechen solle und dann buchstabieren, was in der Schachtel sei. Er zeigte sich aber sehr ungeduldig und setzte sich nur ungern zum Buchstabieren neben Frl. Luise hin ; es ergaben sich die Worte: „Gb libr dsu sn" (geb lieber zu essen!). Aber ich verharrte auf dem Plan ; der Hund mußte an der Schachtel riechen und wieder buchstabieren. Nun kam eine lange Äußerung: „Is Lags odr Bradn (Braten), weis nid gnau (genau), weil Sagdl (Schachtel) arg rign (riechen)." — Er konnte also nicht erkennen, was in der Schachtel war — es war Käse — , weil die Schachtel einen zu starken Geruch hatte; es ist daraus zu schließen, daß die Pappe einen für den Menschen weniger auffallenden, aber für den Hund stär- ker sich geltend machenden Eigengeruch besaß. Dasselbe bewies der zweite Versuch. Er roch an der zweiten Schachtel, welche Lachs enthielt, und buchstabierte; „Wird Wurst sei". Er konnte also den Inhalt wiederum durch die Schachtel hin- dujch nicht ganz richtig erkennen. Ich öffnete nun den Deckel und ließ ihn an dem Einwickelpapier riechen. Nun kam die richtige Antwort: „S rigd (Es riecht) dog (doch) wie bei Lachs"." Dieser Versuch zeigt recht gut die Merkmale der Oberflächlichkeit, mit der diese tierpsycho- logischen Experimente angestellt wurden. Solange die Versuchsleiterin sich über den einzuschlagenden Weg noch nicht klar ist, gebraucht sie erst einmal eine Verlegenheitsphrase: „Geb lieber zu essen!" Daraus geht auch hervor, daß Fräulein Moekel sich über den Inhalt der Schachteln bereits so N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 527 weit entschieden hat, daß sie etwas Eßbares darin vermutet. Das zu erraten, ist ja — auch nach Herrn Professor Ziegler 's eigenen Worten — nicht schwer. Nun kommt aber der schwierigere Teil der Lösung: was für einen Leckerbissen birgt die Schachtel? Hier kommt der Versuchsleiterin die durch längere Erfahrung gewonnene Erkenntnis zustatten, daß die Skala der eßbaren Mitbringsel für Rolf klein ist. Es handelt sich da um fünf Möglichkeiten: vor allem Lachs, dann Schokolade, ferner Wurst und Braten, Kuchen oder Käse. Da es was zu riechen ist, so scheidet Schokolade zuerst aus, die anderen Dinge riechen wohl stärker. Nun beginnt das Raten : die Versuchsleiterin fühlt sich unsicher und macht in ihrer Verlegenheit den seltsamen Lapsus, den Hund so darzustellen, als ob er zwischen Fisch und Fleisch (Lachs und Braten) sich nicht entscheiden könnte. Ich würde einem Menschen überhaupt den Geruchsinn ab- sprechen, wenn er aus einer durchlöcherten Scliachtel einen geräucherten Fisch nicht heraus- zuriechen verstände. Aber hier handelt es sich um einen Hund, über dessen verfeinerten Geruch- sinn ja kein Wort gesagt zu werden braucht. Frl. Moekel fühlt denn auch sofort den Lapsus heraus, den sie gemacht hat und bemüht sich, die Schuld auf die Schachtel zu schieben: „weiß nit genau, weil Schachtel arg riechen." Es hilft ihr aber nichts, sie hat zu gründlich daneben ge- raten, weder Lachs noch Braten waren in der Schachtel, sondern — Käse. Mit der zweiten Schachtel geht's ihr nicht besser: sie hat offen- sichtlich Pech an diesem Tage. Sie ratet: „Wird Wurst sein," und dabei ist es Lachs. Herr Professor Ziegler nimmt daim den Lachs aus der Schachtel und läßt Rolf an dem Einwickel- papier riechen. Nun ist die Versuchsleiterin selbst der Mühe überhoben zu raten; die meisten Mög- lichkeiten sind erschöpft und außerdem wäre wohl jeder Mensch imstande gewesen, an den charakterischen Fettflecken, die geräucherter Lachs auf seinem Einwickelpapier hervorbringt, den Inhalt des Paketchens zu erraten. Herr Professor Ziegler folgert aus diesen beiden Versuchen: „Jedenfalls ist es ein ziemlich gut ge- lungener, unbewußter Versuch; denn derHund hat den Inhalt derSchachteln wenigstens annährend richtig angegeben." Diese höchst seltsam anmutende Folgerung versetzt mich in die Lage, den Versuch nicht weiter kommentieren zu müssen. Am gleichen Tage machte Herr Professor Ziegler noch einen zweiten unwissentlichen Versuch, den er ebenfalls als gelungen betrachtet. Er berichtet darüber: ,,Ich nahm einen in der Nähe stehenden Band eines Kon- versationslexikons, schlug ein Bild auf, das sonst niemand sah — es waren schwarze Hühnerrassen — und wünschte, daß Rolf das Bild betrachte und darüber berichte. Aber Rolf war sehr unaufmerksam und lief im Zimmer umher. Herr Dr. Moekel versprach ihm nun etwas Gebäck, wenn er Antwort gebe. Daraufhin setzte er sich wieder hin zum Buchstabieren und sagte ; „Wird nit sad (satt) fon swards dirn (Tieren) aufs Bild ; is frsn (fressen) gans dag." Diese Antwort war zwar nicht höflich, aber vom Standpunkt des Hundes aus durchaus begreiflich." Auch diesen Versuch kann man weder als unwissentlich noch als gelungen bezeichnen. Wenn Herr Prof. Ziegler ein Bild in einem Konver- sationslexikon aufschlägt, so hat die Versuchs- leiterin zuerst die Wahl, zwischen einem bunten Bilde und einer Schwarz- Weiß-Illustration zu raten. Sie entscheidet sich für die letztere, wobei der Zufall will, daß sie anscheinend richtig ratet, da dem Hunde gerade schwarze Hühnerrassen ge- zeigt werden. Die Vorbedingungen sind also für einen unwissentlichen Versuch ungenügend. Von den Hühnern selbst erwähnt der Hund oder vielmehr die Versuchsleiterin nichts; in vager Weise spricht sie nur von Tieren, weil sie ohne Schwierigkeiten erraten kann, daß in einem Kon- versationslexikon es vor allem und fast ausschließ- lich die Tierbilder sind, die billigerweise dem Hunde gezeigt werden können. Es ist außerdem zu einer stillen Tradition geworden, dem Rolf bei unwissentlichen Versuchen mit Bildern vor allem Tierbilder zu zeigen. Danach weiß sich die Ver- suchsleiterin zu richten. Die unwissentlichen oder wissentlichen Ver- suche mit Tierbildern gehen im allgemeinen so vor sich, daß, wenn dem Hunde eine Karte z. B. mit einem Dackel gezeigt wird und die Versuchs- leiterin bekommt sie auch zu sehen, die Antwort gewißlich „Dackel" lauten wird; sieht aber nur der Hund die Karte, so ergibt sich, daß er „Tier" klopft. Herr Prof. Z i e g 1 e r hat dann noch weitere Versuche angestellt, die alle ungefähr den gleichen Charakter haben, wie die oben beschriebenen. Es sind zum Teil Freßversuche, in Gegenwart der Versuchsleiterin mit Pfefferkuchen und Fleisch an- gestellt. Sie wurden zur Hälfte falsch erraten. Dabei ist noch zu bedenken, daß das Geräusch des Fleischfressen von dem des P'ressens von har- tem Pfefferkuchen charakteristisch verschieden ist: ersteres schlingt der Hund hinunter, letzteren muß er zerbeißen. Auch die unwissentlichen Versuche mit Schokolade sind nicht einwandfrei: Reste der Schokolade bleiben im Maule zurück und sind leicht erkennbar. Ich will auf die Versuche von Herrn Prof. Ziegler nicht weiter eingehen; sie bewegen sich alle im gleichen Geleise wie die eben beschriebe- nen. Auch die Versuche anderer Forscher — von denen einige erheblich sorgfältiger und geschickter angestellt wurden als die Ziegl er 'sehen — so- wie überhaupt sämtliche über Rolf aufgenommenen Protokolle leiden an Untersuchungsfehlern und an unzulänglichen Schlüssen, die oft ans Unglaubliche streifen. Unterzieht man sie auf Grund der von mir gewonnenen Erfahrungen einer Nachprüfung, so werden ihre F'ehler leicht aufgedeckt, aber der Fleiß, der zu solch einer .Arbeit gehörte, würde wohl kaum zweckmäßig verwandt sein. Wir haben nun zu der Frage Stellung zu neh- 528 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 men, ob und wie die Tierpsychologie im wissen- schaftlichen Sinne von den „Mannheimer Tat- sachen" berührt wird. Wenn man Hunde, Pferde, Elephanten, Katzen usw. als „derikende Tiere" bezeichnet, so sehe ich darin nichts weiter, als wenn man ihnen etwa die Bezeichnung „fressende Tiere" geben wollte. Denn es ist ebenso selbstverständlich, daß diese Tiere denken, wie es selbsverständlich ist, daß sie fressen. Ganz sicherlich bilden die Tiere in einer gewissen Weise Begriffe nach ihren Vorstellungen, sie sind wahrscheinlich auch imstande, sich auf irgendeine Weise im Bereiche . ihrer Rassenge- meinschaft und darüber hinaus zu verständigen; aber das Menschenwort ist für sie ein Schall, der wohl gewisse ,,Gnosieen" und „Praxieen"' (L. Edinger) bei ihnen auszulösen vermag, der aber nie ein abstraktes, menschenartiges Denken hervorrufen kann. Als Beispiel dafür zitiere ich aus der vortrefflichen Arbeit von L. Edinger: „Zur Methodik in der Tierpsychologie" (Zeitschrift für Psychologie Bd. 70), in der er den Status eines von ihm gut beobachteten Hundes wiedergibt, folgendes: „Als mein Kind (Tilly) krank war, hatte der Hund mit überraschender Leichtigkeit gelernt, ihm Briefe und Zeitungen zu bringen. Er mußte eine Treppe hochgehen, die Schlafzimmertüre öffnen und die Gegenstände aufs Bett legen. Gleich- nach der Genesung gab ich ihm einmal, während er mit dem Kinde in meinem Zimmer spielte, den Befehl „bring den Brief der Tilly". Er raste davon, die Treppe hinauf in das Zimmer und legte ihn dorthin." Aus diesem Beispiel sieht man deutlich, daß dem Hunde jede Einsicht in das gesprochene Wort fehlt. Er erkennt an dem Schall der Worte die .Aufforderung, eine gewisse Handlung auszu- führen, der Gnosie folgt die Praxie; aber den Satz als solchen faßt er nicht auf. Eigenartig ist es, wie Herr Prof. Ziegler gerade das ebenerwähnte Beispiel Edinger's zitiert. In einer Arbeit „Die psychische Ver- schiedenheit der Hunderassen" (Mitteilungen der Gesellschaft für Tierpsj'chologie. 4. Jahrg. 1916. Nr. i) schreibt er, daß Prof. Edinger dem Hunde die Einsicht nicht abspiäche. „Bei dem Befehl: „Bring den Brief der Tilly" rast er davon und legt ihn in ihr Zimmer." Die zweite, wichtigste Hälfte des Edinger'schen Versuches übergeht er mit Stillschweigen. Herr Prof. Edinger folgert aus diesem Versuche „mangelnde Ein- sicht," Herr Prof. Ziegler hingegen teilt mit, der Autor spräche ihm die Einsicht nicht ab. Jede Psychologie muß von der Psyche des- jenigen Individuums ausgehen, über das sie sich Klarheit verschaffen will. Identifizieren wir aber von vornherein Menschenpsyche mit Tierpsyche, wie es von den Mannheimer Jüngern geschehen ist und was als durchaus unwissenschaftlich be- zeichnet werden muß, so werden wir der Tier- psyche nicht näher kommen. Erst gilt es, die Seele des Tieres als solche zu erforschen, so wie es uns wegweisend die Edinger 'sehe Arbeit zeigt, dann können wir weiter gehen. Es erübrigen sich demnach vorläufig alle psycho- logischen Diskussionen über die Mannheimer Phä- nomene, soweit sie den Hund angehen, es erübrigen sich alle aprioristischen Erörterungen. Denn nach- dem festgestellt ist, daß der Hund Rolf nicht imstande ist, sich durch welches System immer sprachlich zu äußern, hat es wenig Zweck, theo- retisch darüber nachzugrübeln, ob ein Hund über- haupt solche Fähigkeiten in sich birgt oder nicht. Erst wenn ein Hund gefunden worden wäre, der wirklich das leistet, was die Mannheimer Jünger von Rolf behaupten, erst dann gewinnt die Diskussion Daseinsberechtigung. Vorläufig müssen wir sagen, daß der „denkende Hund Rolf" außer- halb der Tierpsychologie steht. Nur in der Dichtung haben wir bisher das Recht, die Tiere zu vermenschlichen, Hidigeigei und P^alada sind aber in der Wissenschaft unmöglich. Durch diese Worte stelle ich mich unversehens als einen Gegner der von Krall in seinem Buche „Denkende Tiere" niedergelegten Forschungen dar. Und wenn ich auch zugeben muß, daß ich nur zögernd einer mit soviel Ernst, Hingebung und Ausdauer ausgeführten Arbeit die Daseinsberech- tigung abspreche, so kann ich auf Grund meiner Ergebnisse vorläufig doch nicht anders, als die dem Hunde Rolf gegenüber gewonnenen Erfah- rungen auch auf die Elberfelder Pferde zu über- tragen. Da ich aber nicht in den Fehler verfallen will, experimentelle Arbeit durch Logik anstatt durch Gegenexperimente zu widerlegen, so muß ich mit einem abschließenden Urteile warten, bis ähnliche Versuche, wie ich sie mit dem Hunde anstellte, auch mit den Pferden unternommen wurden. Daß derartige Experimente schwer durchzu- führen sind, das ergibt sich aus dem Fehlschlagen der wohl schon vor den meinigen unternommenen Versuche. Kritik und Skepsis genügen scheinbar nicht dazu : sonst wäre es kaum möglich gewesen, daß eine so große Anzahl bedeutender Forscher den Mannheimer Tatsachen nicht auf den Grund gekommen wäre. Es bedarf dafür auch ein wenig detektivischer Begabung. Ja, würde es sich hier um einen einfachen Betrug handeln, dann wäre er wohl schon entdeckt worden. Aber ich glaube nicht, das ausschließlich vorsätzliche Täuschung vorliegt. Herr Prof. Ziegler schreibt in einem Aufsatz: „Ehrlichkeit oder absichtliche Täuschung?" (Mit- teilungen der Gesellschaft für Tierpsychologie, 2. Jahrgang. 1914. Nr. 2) folgendes: „Es gibt bei den Elberfelder Pferden und bei dem Mannheimer Hund nur zwei Möglichkeiten : entweder ist es wahr, daß die Tiere denken, oder es liegt ein ganz ungeheurer Schwindel vor. Die Hypothese der unwillkürlichen Zeichen oder des unabsicht- lichen Täuschung ist vollkommen ausgeschlossen. Wenn man also behaupten will, daß die Antworten der Tiere nicht aus ihrem eigenen Denken stammen, N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 529 so muß man die Entdecker des Tierverstandes für die größten Betrüger halten, die es je gegeben hat". Das ist doch wohl zu weit gegangen. Zwischen Wahrheit und bewußtem Betrüge gibt es noch Zwischenstufen, die dem Psychologen und beson- ders dem Arzte bekannt sind und nichts Außer- gewöhnliches bieten. Ich nehme bei der Familie Moekel in ihren Beziehungen zum Hunde Rolf zum Teil eine sehr weitgehende Autosuggestion an, vermittels derer es einzelnen ihrer Mitglieder möglich war, das Tier, ohne daß sie sich dessen bewußt wurden, jeweils so viele Klopfschläge auf die Klopftafel machen zu lassen, als es ihnen ge- rade nötig schien. Selbst die Tatsache, daß Frl. Luise Moekel, der — wie überhaupt allen Mitgliedern der Fa- milie — das Wesen der unwissentlichen Versuche durchaus bekannt war, als Versuchsleiterin von ihrer jüngeren Schwester Nachrichten annahm, die ihr in bezug auf den geheim zu haltenden Ver- suchsgegenstand hinterbracht wurden und diese Nachrichten so verwertete, wie sie es irrtümlich für das Gelingen des Versuches für geeignet hielt, selbst diese Tatsache kann mich nicht bestimmen, nur von einem bewußten Betrüge zu sprechen. F"ür die Familie Moekel ist der „denkende Hund" ein wahrer Lebensinhalt geworden. Wenn aber der Mensch, so wie die Moekel's an ihrem Rolf, an irgend etwas mit seiner ganzen Seele hängt und fest daran glaubt, dann ist es schließ- lich zu verstehen , daß er in der Angst , diesen Lebensinhalt verlieren zu müssen, nach jeder Er- haltungsmöglichkeit greift, auch wenn sie nicht einwandfrei ist: das Bewußtsein der Täuschung wird dann leicht beiseite gedrängt. Wir haben ja nicht exakte und kritische Forscher vor uns, sondern phantasiebegabte, zum Teil künstlerisch veranlagte Frauen, von denen wir Beobachtung und vor allem sichere Selbstbeobachtung nicht verlangen können. Das ist das Allgemeine, das wir aus dieser, nunmehr hoffentlich erledigten Rolfaffäre gewinnen, daß die Natur gegen nur mit Phantasie begabte Eindringlinge ihr Reich „mit gelassener Abwehr" verschließt und daß es ernster Arbeit und For- schung bedarf, um ihr ihre Geheimnisse abzu- ringen. Einzelberichte. Geologie. Über die aus der Gleichheit jier , .Geologischen Position" sich ergebenden natürlichen Verwandtschaften der ErzFagerstätten berichtet Fr. Beyschlag (Zeitschrift für praktische Geo- logie 191 5 Heft 10/ 11). Zu den 3 für die Syste- matik der Lagerstätten maßgebenden Faktoren der Form, des Inhalts und der Entstehung kommt als 4. und wichtigster derjenige der „Geologischen Position" hinzu, worunter Beyschlag die Summe aller Beziehungen versteht, welche eine Erzlager- stätte mit ihrer Umgebung verknüpfen. Die früheren Einteilungsprinzipien beruhten auf einem oder mehreren der 3 erstgenannten Faktoren, während die „Geologische Position" zumeist unberücksichtigt blieb. Bei einseitiger Berücksichtigung des Inhalts (Füllung) der Lagerstätten z. B. werden die zu- sammengehörigen Ganggebiete des Harzes aus- einandergerissen , nur weil die Bleizinkerze in Clausthal mit Schwerspat und Kalkspat, in Neudorf wegen der größeren Granitnähe aber mit Quarz und Flußspat, sowie in St. Andreas- berg vorwiegend mit Silbererzen vergesellschaftet sind. Mit Hilfe der „Geologischen Position" lassen sich stofflich einheitliche oder verschiedene, der Form nach stark voneinander abweichende, meist räumlich benachbarte Lagerstätten zu natürlichen Bezirken vereinigen, für welche Beyschlag die Bezeichnung „Lagerstätten-Provinzen" vorschlägt. Die Gemeinsamkeit der Geologischen Position in einer solchen Provinz kann von dem gleichen oder gleichartigen Magmaherde abhängen. Nach allgemeiner Annahme befindet sich der ur- sprüngliche Sitz aller Schwermetalle in dem erup- tiven Magma. An zahlreichen Stellen Deutschlands enthalten z B. die permischen Ablagerungen primäre oder umgewandelte Kupfererze, welche von den zahlreichen Eruptionen dieser Zeit ab- geleitet werden können. (Pfalz-Nahe, Harz, Mans- feldisches, Thüringen, Niederschlesien, Böhmen.) Noch auffälliger tritt die Gleichheit der Geo- logischen Position bei einigen oberflächlichen Mangan- und Eisenerzvorkommen hervor, wobei folgende 4 Momente mitspielen: 1. Die Abhängigkeit von einer alten Land- oberfläche, 2. Gemeinsame Entstehung durch Ver- witterungsvorgänge auf dieser, 3. Die ursprüngliche Gelnatur der Erze, 4. Die Bildung aus descendierenden Lösungen. Eine alte Landoberfläche ist die mitteldeutsche präoligocäne Fastebene mit + frischer gleichmäßiger Höhenlage und Ebenheit der Abrasionsfläche. Auf diesen Hochflächen streichen die Erzlager- stätten aus, welche, sollen sie durch Verwitterung entstanden sein, auch Produkte der oberflächlichen Verwitterung der jüngeren mesozoischen und alt- tertiären Zeit enthalten müssen. In Schiefer-, Grauwacken- und Sandsteingebirgen entstehen Kaolin, Ton, Kiesel und Lydite als letzte Produkte der Verwitterung, während in Kalkgebirgen eine Dolomitisierung mit zerfressenen Oberflächenformen eintritt, wobei Taschen und Spalten neben den Verwitterungsresiduen mit Erzen angereichert sind. Das 3. gemeinsame Merkmal ist die Gel-Natur der Erze; das aus kolloidalen Lösungen sich ab- scheidende Polianit-Gel MnOg mit traubiger 530 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 nierenförmiger Oberfläche, kristallin als Psilomelan, Wad, Pyrolusit; das Eisenhydroxyd-Gel, kristallin als Glaskopf, Goethit, Lepidokrokit; die nicht- metallischen Gele Kaolin, Phosphorit usw. Die Gele entstehen an oder nahe der Tagesoberfläche in der Zone des Luftsauerstoffs (Oxydationszone). Als 4. Moment kommt die Entstehung der Erze aus descendierenden Lösungen hinzu. Für die F"üllung von oben spricht auch die Tatsache, daß Taschen und Gangspalten niemals bis zu großer Tiefe gefüllt sind, daher auch die Bezeichnung „Rasenläufer" in der alten Bergmannssprache. Überaus häufig bevorzugen die oberflächlichen Mangan- und Eisenerzbildungen die Kalkgebiete, wo sie als Folge kumulativer Verwitterung unter Fortführung von Ca und Mg in Hohlformen an- gereichert wurden. Die Erzlösungen aus der Ver- witterungskruste sickerten in die Grenzzone der Verwitterung ein und häuften sich hier zusammen mit anderen Verwitterungsprodukten zu nutzbaren Lagerstätten an. Unter den deutschen Eisen- und Manganerz- lagerstätten gehören folgende den geschilderten Bildungsbedingungen an. Die Manganerzgänge des Thüringer Waldes füllen Spalten im Rot- liegenden, vornehmlich in den Porphyren und deren Tuffen aus und sind von oben her gefüllt. Es muß betont werden, daß die Gangspalten schon vorher bestanden haben und einer früheren Gang- füllungszeit angehören, wo sie mit P"lußspat, Kup- ferXNickel, Kupfer)- Nickel, Schwerspat usw. angefüllt wurden. Die Spalten klafften, z. T. sind sie neu aufgerissen worden. In tertiärer Zeit sind die Manganerzgänge als Gel aus dem in der präoligocänen Landoberfläche verwitternden Bunt- standstein und Zechstein auf Spalten absteigend zusammengeführt worden und beschränken sich auf den unmittelbaren Liegendsockel der Zechstein- bildungen. Die alte Landoberfläche ist gut erhalten im ostthüringischen Schiefergebirge und dem an- grenzenden Vogtland, im FVankenwald, Fichtel- gebirge und sächsischen Erzgebirge, wo die Eisen- und Manganerzlagerstätten von Schwarzenberg, Schneeberg, Eibenstock und JohannGeorgenstadt zu erwähnen sind. Vom Fichtelgebirge mit seinen Hunderten von kleinen unbauwürdigen Eisen- und Manganerzvorkommen erstreckt sich die alte Land- oberfläche weit hinein in das alte Rumpfgebirge der böhmischen Masse. Die weitverbreitete Kaolinisierung des Granits und der rotliegenden Porphyre, Arkosen und Schiefertone sind auf alttertiäre Verwitterungsvorgänge unter der präoligocänen Landoberfläche zurückzuführen. Auslaugungsprodukte der Verwitterungsrinde dieser Landoberfläche sind auch die Brauneisen- erzvorkommen des Fichtelgebirges und der fränkischen Alb. Kyffhäuser und Harz, ebenso das Rheinische Schiefergebirge waren Teile dieser alten Landoberfläche. Von der Höhe des Huns- rücks oder Soonwaldes blickt man über eine weite ebene Abrasionsfläclie, in welche Rhein und Mosel sich eingeschnitten haben. Hunderte von Eisen- steinfundpunkten sind Oberflächenbildungen, die als Hunsrücker oder Soonwälder Eisenerzformation bekannt sind. Wo der devonische Stringocephalen- kalk in das Niveau der vortertiären Abtragungs- ebene tritt, nimmt der Mangangehalt und die Masse der Erze zu. Größere Betriebe sind in der Gegend von Bingerbrück (Gewerkschaft Dr. Geier) in lebhaftem Abbau. Rechtsrheinisch fehlen im Gebiete der Schiefer nirgends Eisenerze (Kr. Biedenkopf im Hess. Hinterland, Waldeck), in- dessen konnte sich bei der schlechten Erzführung kein erfolgreicher Abbau entwickeln. Reich an ausgezeichneten Manganerzen sind dagegen die Kalkgebiete des rechtsrheinischen Schiefergebirges, also die mitteldevonischen Massenkalke der Lahn- mulde, dann diejenigen am SO-Rand des Schiefer- gebirges von der Lindener Mark bei Gießen (Ferniewerke) über Butzbach, Nauheim, Ober- rosbach, Köppern und im weiteren Anschluß an den Südrand des Taunus sowie jenseits des Rheins an den Bingerbrücker Kalkzug. Die zuletzt genannten reinen und mächtigen, an Kalk gebundenen Manganerze füllen unregelmäßig Taschen und Becken der Oberfläche des zer- fressenen dolomitisierten Kalksteins aus, nament- lich auf der Grenze von Kalk gegen Schalstein und Schiefer. Ob die Eisen- und Manganerzlager- stätten am Rande von Spessart und Odenwald auch hierhergehören, bedarf noch weiterer Unter- suchungen. Die große deutsche kontinentale Mangan- Eisenerz-Provinz ist somit eine durch \^er- witterungsvorgänge der präoligocänen Landober- fläche entstandene Erzablagerung. Sie zeigt vieles Gemeinsame. Örtliche Verschiedenheiten sind hauptsächlich durch das Gestein bedingt. Reich an Eisen und Mangan sind hauptsächlich die Eruptivgesteine; einerseits die porphyrischen Gesteine im Thüringer Wald und Harz, anderer- seits die erzreichen Diabase und Schalsteine im Lahn- und Dillgebiet. Reich an Eisen- und Mangankarbonaten waren auch die Zechsteinkalke und -dolomite, stellenweise auch der Buntsand- stein. Größe und Güte unserer Erzlagerstätten hängt von der Möglichkeit metasomatischer L^mwandlungen ab. Durch die Anwesenheit von Fällungsmitteln der kolloidalen Lösungen sind die Kalkgebiete als Sitz unserer Erzlager- stätten vor den Schiefergebieten ausgezeichnet. V. Hohenstein, Halle a. S. Paläontologie. Mit der stetigen Erweiterung unserer geologischen und paläontologischen Kennt- nisse dürfen wir auch die Hoffnung verbinden, daß sich die Lücken der paläontologischen Über- lieferung mehr und mehr schließen und verringern werden. Einen interessanten Beitrag zu dieser Furage gibt E. Wepfer in einem im Centralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie Nr. 5 1916 erschienenen Aufsatze; „Ein wichtiger Grund für die Lückenhaftigkeit paläontologischer Über- lieferung." N. F. XV. Nr. Z7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 531 Die Lückenhaftigkeit paläontologischer Über- lieferung zeigt sich vor allem in Zeiten großer Unterbrechungen wie in der Dyas. Doch davon ist hier nicht die Rede. Wir treffen sie auf Schritt und Tritt auch zwischen je zwei wohlbe- kannten Fossilzonen. Beispielsweise die Jura- formation ist sehr gut gegliedert und macht durch die innerhalb der gleichen Fazies auf der ganzen Erde wiederkehrende Zonengliederung durchaus den Eindruck des Gesetzmäßigen ; trotzdem wer- den wir auch hier Lücken finden. Der Kernpunkt in der Frage der Lückenhaftig- keit paläontologischer Überlieferung liegt in der Überlegung wie überhaupt eine Fossilisation möglich ist. Beim abgestorbenen Organismus beginnt der Zerstörungsprozeß mit dem Zerfall der Weich- teile, alsdann geht es an die Hartgebilde, wenn nicht eine Einbettung erfolgt. Damit also ein Organismus erhalten bleibt, ist Voraussetzung, daß überhaupt sedimentiert wird. Für die Vollkommen- heit der Erhaltung ist es von grundlegender Be- deutung, daß die Sedimentation schnell vor sich geht, damit die Hartteile nicht schon vor der Einbettung einem Lösungsprozeß unterliegen. Bei sehr langsamer Sedimentierung kann selbst ein reiches Tierleben spurlos verschwinden. Deshalb ist die Lückenhaftigkeit paläontologischer Über- lieferung vielfach eine Folge zu langsamer oder gänzlich fehlender Sedimentierung. Manche Lücken in den Entwicklungsreihen der Tierwelt sind so entstanden. Jede Schichtfuge bedeutet eine Ände- rung in den Sedimentationsbedingungen und wird zumeist eine Lücke in der paläontologischen Über- lieferung geben. Aber auch jede versteinerungs- lose Schicht zeigt klaffende Fugen. Fossilarme Gesteine brauchen nicht immer durch Umkristalli- sation arm an Überresten geworden zu sein oder etwa in einem an Lebewesen armen IVIeere ent- standen zu sein. Das Kriterium liegt in der Er- haltungsweise der Fossilien. Gesteine mit zahl- reichen Bruchstücken von Organismenresten zeigen uns, daß ein reiches Tierleben geherrscht haben muß, andererseits aber auch, daß ein großer Teil der Auflösung des Meerwassers zum Opfer ge- fallen ist. Zahlreiche Lumachellen mit gerundeten Bruchstücken sind so zu verstehen , nicht etwa immer als Strandbildung, wie es bisher fast allge- mein angenommen wurde. Die Auflösungs- geschwindigkeit von Kalk- und Knochenteilen hängt von der Temperatur sowie dem Sättigungs- grad des Meerwassers an Kalk ab und ist örtlich verschieden. Je mehr Organismen an einer Stelle sind, um so größer die Wahrscheinlichkeit ihrer Erhaltung, weil das Wasser mit Kalk gesättigt ist. Aus der Erhaltungsweise der Fossilien kann man nunmehr auch Schlüsse auf die relative Zeit- dauer des Absatzes einer Schicht ziehen. Der Posidonienschiefer des oberen Lias mit seinen mit der Haut erhaltenen Ichthyosauriern, die Soln- hofener Schichten des oberen Malms mit ihren Medusenresten müssen schnell abgelagert und die Tierwelt rasch mit Schlamm zugedeckt worden sein. Die Hecticoceras- Schichten des oberen Doggers Süddeutschlands, die von gut erhaltenen Versteinerungen wimmeln, müssen ebenfalls sehr rasch entstanden sein. Unvermittelt treten uns hier neue Typen entgegen. Liegt hier eine plötz- liche Ausbreitung oder eine Einwanderung solcher vorher und nachher unbekannter Formen vor oder ist es nicht einfacher anzunehmen, daß nach langer Pause wieder einmal schneller sedimentiert wurde und uns gerade zufallig jene Epoche des alten Meereslebens, jener Abschnitt der Entwick- lung erhalten wurde, während der allgemeine Gang der Entwicklung unabhängig davon sich fortsetzte. Eine größere Menge von Fossilien in einer Schicht beweist uns nicht -so sehr ein blühendes einstiges Leben als vielmehr ein reichliches Sterben. Das Absterben braucht nicht plötzlich erfolgt zu sein. Eine neue Sedimentationsphase schafft neue Lebensbedingungen, denen manche P'ormen nicht gewachsen sind und absterben. Die fossilreichen Hecticoceras-Schichten brauchen deshalb lücht eine Blüteperiode jener Tierwelt zu sein, sondern viel- mehr eine Sterbeperiode, in der Tiere in Menge abstarben, die vorher schon lange Zeit gelebt haben mögen und uns nur wegen der vorher mangelnden Sedimentierung nicht erhalten bleiben konnten. Die Hecticoceras-Schichten repräsen- tieren deshalb nicht die HecticocerasZeit, sondern nur einen Abschnitt derselben, vielleicht den letzten. Sehr empfehlenswert und von allgemeinem Interesse wäre es, Beobachtungen in verschiedenen Gegenden darüber anzustellen, ob in einer Schicht große (ausgewachsene) und kleine (jugendliche) Formen beieinander liegen, weiterhin die Art des Vorkommens der F'ossilien, ihre Menge und Er- haltung in jedem einzelnen Falle zu prüfen. Ausgeschlossen von diesen Betrachtungen müssen ausgesprochene Strandbildungen und ein großer Teil der Seiclitwasserbildungen werden, da sich innerhalb ihrer Ablagerungen keine welt- weit verbreiteten Zonen nachweisen lassen (Tertiär, Diluvium). Am Strande sind Schwankungen im Salzgehalt, in der Strömung, in der Temperatur usw. vorhanden. Unsere Betrachtungen lassen sich dahin zu- sammenfassen, daß die zahlreichen Lücken inner- halb der Entwicklungsreihen so zu verstehen sind, daß aus der langen Kette des Lebens ab und zu infolge rascher Sedimentierung gewisse Abschnitte vollständig erhalten sind. V. Hohenstein, Halle a. S. Zu „Über dorsale Wirbelsäulenkrümmung fossiler Vertebraten" liefert E. H e n n i g im Zentralblatt für Min. usw. Jahrg. 191 5 einen beachtenswerten Beitrag. Archaeopteryx und mehrere Pterosaurier, der kleine Dinosaurier Compsognathus sind in Solnhofen mit zurückgelegtem Kopfe erhalten. Bei den ostafrikanischen Sauriern vom Tendaguru konnte am Stegosauricr E. Hennig beobachten, wie zwei zusammenhängende Schwanzwirbelsäulen 532 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 halbkreisförmig dorsal eingebogen waren. Ähnliches beobachtete man nach Tornier am Diplodocus. Im Kilwa Hinterlande lag ein Sauropode mit rechtwinklig vom Rumpf nach oben abgeknicktem Halse da. Nach Heniiig hat alles dies mit den Lebensgewohnheiten des Tieres nichts zu tun. Bei den Wasserbewohnern trifft diese Verkrümmung die ganze Wirbelsäule. Die Massenansammlungen auf Solenhofenerplatten (in einem Falle 27 Stück) von Leptolepis sprattiformis , von Pholidophorus pusillus in alpinen Triasschiefern, Eurylepis tuber- culatus aus den schwarzen Kohlenschichien des Ohio-Karbons, manche Exemplare von Rhinellus furcatus aus der Oberkreide Westfalens und des Libanons zeigen alle mehr oder weniger dorsale Wirbelsäulenkrümmung von Berührung an bis Kreuzung von Kopf- und Schwanzende. P o m p e c k j hat durch ähnliche Beobachtungen am Kupfer- schieferPalaeoniscus eine Erklärung dieser Er- scheinung gegeben, die nicht der Lebensweise der Tiere, sondern dem Sterben der Tiere entnommen ist. Durch Totenstarre, bei schlanken Fischen durch Verwesungsgase im Bauch soll der Rücken eingebogen worden sein , so daß die Bauchseite konvex hervortritt. Diesen Gedanken nimmt H e n n i g auf, fügt Muskeleinschrumpfungen der Wirbelsäulenmuskeln hinzu, so daß er zu der ein- leuchtenden Erklärung kommt: „Die dorsale Rückenkrümmung ist weder ein Zeichen für Ab- sterben wasserbewohnender Wirbeltiere auf dem Trockenen (Fische nach Abel), noch mißglückte Tauchversuche (Archaeopteryx, Pterosaurier nach De ecke) auf dem Lande und in der Luft leben- der Formen, sondern nach dem Tode und vor der eigentlichen Einbettung automatisch zustande gekommen, unbeeinflußt durch Einwirkungen von außen und unabhängig von Lebensweise und Todesart." Rudolf Hundt. Spuren der älteren Steinzeit in Deutsch- Ostafrika ? In Heft 16 des Jahrgangs 1914. dieser Zeitschrift (S. 254 — 256) besprach ich den Fund eines Menschenskeletts aus den säuge- tierführenden Tuffen des Oldoway im nördlichen Deutsch-Ostafrika: Der Eiitdecker Reck hatte ihm primäre Lagerung und dementsprechend hohes Alter zugeschrieben. Demgegenüber glaubte ich mindestens die Fragestellung erweitern zu müssen : Rezentes Grab — fossiles Grab — fossiler Mensch in ursprünglicher Einbettung? Seither hat die Annahme eines diluvialen menschlichen Zeitgenossen der Oldoway Fauna an Wahrschein- lichkeit nicht gewonnen.') .^uch Branca'-^) stellt ') 11. Reck, „Erste vorläntige Mitteilung über den Fund eines fossilen Menschenskclettcs aus Zentralafrika" und „Zweite vorläufige Mitteilung über fossile Tier- und Menschenfunde aus Oldoway in Zentralafrika". Sitz.-Ber. ües. naturforsch. Freunde Berlin 19 14, Heft 3 bzw. Heft 7. '-) Branca, Bisherige Ergebnisse der Untersuchung der von Dr. Reck in der Serengeti-Sleppe, Deutscli-Ostafrika, ausgegrabenen Reste von Säugetieren. Sitz.-Ber. Akad. Wiss. Berlin 47, 1914, S. 1164—1183. sich auf wenn nicht ablehnenden, so doch minde- stens abwartenden Standpunkt. • Nun wird die Frage nach dem Vorhandensein des Diluvialmenschen in Deutsch-Ostafrika bzw. nach den Beweisen für sein an sich sehr wahr- scheinliches Auftreten abermals auf ganz neuer und andersartiger Grundlage aufgerollt. Nicht Knochenreste, sondern Artefakte, nicht aus dem Norden, sondern vom Süden der Kolonie 1 Unter der Ausbeute der Tendaguru-Expedition befinden sich neben dem Dinosauriermaterial und sonstigen Nebenergebnissen aller Art auch einige wenige von Professor Janensch aufgesammelte Stein- werkzeuge und Splitter solcher Erzeugnisse. Werth') hat sie einer Prüfung unterzogen und sein Urteil in der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin ') vorgetragen. Danach liegen außer bedeutungsloseren Gesteinsscherben ein sog. „Diskus" und ein kleiner P"austkeil vor. Ersterer ist weniger typisch, da solche P^ormen imPaläolithikum, aber ganz ähnlich auch im Mesolithikum Europas auftreten; er fand sich am Nordhange des Tenda- guru beim Abstieg ins Mbenkuru-Tal zusammen mit den formlosen Splittern. Der P^äustling da- gegen stammt von der Kuppe des Tendaguru- Hügels selbst und läßt sich „nach Formgebung und Arbeitsweise" durchaus mit den Artefakten des europäischen Alt-Paläolithikums (Chellean- Mousterian-Typ) vergleichen. Ein Kenner wie Schweinfurth hat ihm Bedeutung genug bei- gemessen, um seine rühmlichst bekannte Zeichen- kunst zum Zweck der Abbildung an ihm zu er- proben. NachWerth „dürften in den vorliegen- den Steinwerkzeugen jetzt die wirklichen ersten Spuren des fossilen Menschen aus unserer ost- afrikanischen Kolonie vorliegen". An sich würde eine solche Feststellung zwar von allerhöchstem Interesse, aber nicht übermäßig überraschend sein. Denn abgesehen von den zahlreichen Fundstellen Nordafrikas hat man nach Wert h 's Mitteilung das Paläolithikum auch im westlichen, zentralen, östlichen und südlichen Afrika, in Nigeria, im Kongogebiet, -) im Somali- lande, am Zambezi, am Orange Fluß feststellen zu können geglaubt.^) Der neue Fund würde also lediglich eine Lücke in der Kette bis- heriger Beobachtungen auszufüllen haben, sich in unsere sonstige Erkenntnis sehr wohl ein- reihen. Auch istWerth unbedingt darin beizu- stimmen, daß das Tendaguru-Gebiet für eine Kultur der Feuersteintechnik in hohem Maße anziehend gewesen sein muß. Denn der sog. „Newala- ') E. VVerth, Die ersten Spuren des fossilen Menschen in Deutsch-Ostafrika. Sitz.-Ber. Ges. naturforsch. Freunde Berlin 1916, Heft 2. S. 40—42. ^) Vgl. M. Stainier, L'äge de la pierre au Congo. Ann. Mus. Congo, ser. 111, A. I, fasc. 1, 1899. ") Ich füge noch hinzu : im Distrikt Mossaraedes, Angola. Das von P. Choffa (Comraunicacües da direc^-äo dos servi^jos geol. de Portugal, Bd. IV, Lissabon 1900/01, S. 190 — 194) abgebildete Stück ähnelt etwas dem Diskus vom Tendaguru. Seine Zugehörigkeit zum Paläo- oder Neolithikum wird übri- gens nicht mit Bestimmtheit entschieden. N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 533 Sandstein", ein durch Kieselsäurcverkittung zu- stande gekommener typischer Horizont im ganzen I'lateaugebicte des südhchen Deutsch - Ostafrika, konnte hier durchaus die Rolle des P^euersteins auf afrikanischem Boden spielen, hat auch tatsäch- lich für die vorliegenden Fälle das Material hergegeben. Dennoch scheint mir auch in diesem Falle eine endgültige Auswertung des zweifelsohne wichtigen Fundes zunächst noch unmöglich. Werth hat sich denn außer im Titel auch entschieden vorsichtiger ausgedrückt als Heilborn in einer Wiedergabe des Vortrages in der „Deutschen Kolonialzeitung".') Fs kann nicht genug vor dem blinden Schematis- mus gewarnt werden, der in prähistorischen Dingen nicht selten noch immer zu finden ist : F i n A r t e - fakt ist kein Petrefakt, die vorge- schichtlichen Kulturtypen dürfen nicht ein fach als Leitfossilien behandelt wer- den! Sie stehen nun einmal nicht in dem glei- chen verwandtschaftlichen Abstammungsverhältnis wie jene, sondern gehen immer wieder auf die- selbe nie erlahmende Quelle, den denkenden Men- schen zurück. Sie können, von unserem Willen abhängig, jederzeit von neuem ins Leben gerufen werden. Ist aber ein Fossil einmal ausgelöscht, dann unwiderruflich für alle Zeit. Selbst beim tierischen oder pflanzlichen Leitfossil muß seine wegweisende Eigenschaft zunächst rein erfahrungs- gemäß auf stratigraphischem Wege erkannt und erwiesen werden. An dieser streng erdgeschicht- lichen Methode der Altersfeststellung ist fürs erste hinsichtlich prähistorischer Befunde unbedingt fest- zuhalten, wenn wir auch hier auf entsprechende erfahrungsmäßige Gesetzmäßigkeiten hoffen wollen. Denn solange selbst innerhalb Europas noch so ungeheuerliche Unstimmigkeiten in der Datierung diluvialer Kulturen bestehen wie das bisher der Fall ist, kann von einer Übertragung irgendeines der vielen stratigraphischen Schemata auf fremde Erdteile mit so grundsätzlich andersgearteten Be- dingungen füglich keine Rede sein. Was aber in Europa einmal festgestellt werden könnte, ließe sich selbst dann noch nicht einfach verallgemeinern. Unsere derzeitige Erkenntnis lehrt uns doch vielmehr, daß die Menschenrassen in kultureller Beziehung sehr verschiedenartige Enlwicklungs- Stadien zugleich vertreten können. Es gibt Stein- werkzeuge noch heut unter primitiven Völkern (z. B. Südsee), d. h. die „Steinzeit*' ist hier und da noch nicht erloschen. Die Typologie läuft also der Chronologie nicht parallel, das stratigraphisc he Schema wird vom typo- logischen gleichsam schräg geschnitten. Aus der Zugehörigkeit eines Instrumentes oder einer Waffe zu einer bestimmten „Kultur" geht also nicht ohne Einschränkung schon das geolo- gische Alter ^) hervor. Vielmehr ist umgekehrt für ') Dr. A. Heilborn, Die Menschen in Deutsch - Oslafrilia 1916, S. 73/74. '') Das Paläolithikum ist z ersten Spuren des fossilen Deutsche Kolonialzeilung nur eine Kulturform, jeden Fund noch heut genaueste Prüfung der Fundstelle, insbesondere ihres Alters zu fordern. Ganz gewiß ist zuzugeben und scharf zu betonen, daß unter dem heut noch auf der Erde entstehenden und im Gebrauch befindlichen Steinwerkzeugen keine vom Typ unserer älteren Steinzeit, sondern nur solche vom neolithischen Habitus bekannt sind. Gerade unter diesem Gesichtswinkel verdienen aber hierher gehörige Funde aus Erdteilen mit tief- stehender Bevölkerung wie Afrika eingehendste Beachtung. Es ließe sich ja theoretisch voraus- setzen, daß gleiches Material unabhängig von der Zeit zu sehr ähnlichen künstlichen Gestaltungen Anlaß gäbe, durch entsprechend gleichartige Vor- bedingungen zu Konvergenzerscheinungen führte. Zum mindesten ist zu bedenken, daß wirklich gleichzeitige Herstellung gewisser Formen auf verschiedenen Kontinenten oder gar der ganzen Erde während der älteren Diluvialzeit Rückschlüsse auf kaum begreifliche wechselseitige Einwirkungen erforderlich machen würde. Natürlich hat Werth die stratigraphische F"rage nicht ganz außer acht gelassen. Vielmehr glaubt er aus der Fundstelle eine Bestätigung für hohes Alter entnehmen zu können. Die winzige Restfläche der Tendaguru-Kuppe ist nämlich, wie das von Staff in helles Licht gerückt hat, mit wenigen Schottern bedeckt. Deren Entstehung war nur möglich zu einer Zeit, da der heutige ziem- lich steilwandige Hügel noch nicht aus seiner Umgebung herausgeschnitten war. Die Schotter gehören unstreitig zu den sog. „Mikindani- Schichten", fluviatilen Geröillagen, wie sie sich in größerer Mächtigkeit (8— 10 m) in bestimmter Höhenlage (um 250 m) rings auf der zugehörigen Terrasse finden. Das Alter dieser Terrasse und ihrer Ablagerungen konnte von der Küste aus rückwärts verfolgend als etwa altdiluvial bestimmt werden. In diesen mächtigen und ungeheure P'lächen bedeckenden Mikindani-Schichten syste- matisch nach weiteren menschlichen Spuren zu forschen oder zu graben, wie das Werth fordert, verbot sich im Tendaguru- Gebiete schon aus dem Grunde, weil sie hier ein weites Waldreservat trugen, in dem nicht gebrannt werden konnte, das daher nahezu unzugänglich und jedenfalls vollkommen unübersichtlich war. Die nächtliegcnde Frage lautet nun; gehört der Fäustel vom Tendaguru zu den Resten der Schotter auf dem Gipfel? Er wäre dann auch stratigraphisch als wirklich frühdiluvial eindeutig bestimmt. Dazu ist zu bemerken, daß der Schleier von Gerollen auf dem Tendaguru-Erosionsrest so außerordentlich dünn und die Fläche so gering ist, daß man fast die Zahl der noch vorhandenen Gerolle würde feststellen können. Der Faustkeil wäre also durch einen ganz außerordentlichen Zufall aus der einstigen mächtigen Sedimentdecke keine ZeitI In Europa scheint es bisher auf das Diluvium oder Teile desselben beschränkt zu sein und soweit als eine bestimmte Steinzeit behandelt werden zu können. Für das Ausland reicht entschieden unsere Erfahrung noch nicht aus. 534 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 gleichsam ausgewählt worden. Das ist noch kein Gegenbeweis. Aber an Wahrscheinlichkeit steht die Annahme kaum zurück, der bereits fertige Hügel in seiner heutigen Gestalt habe zu irgend- einer Zeit, jedenfalls in geologischer Gegenwart, als natürliche Burg zur Ansiedlung oder Aufent- halt verlockt. *) Für den Diskus ist der Lage nach die junge Entstehung ja geradezu geologisch gesichert. Es ist doch wohl das natürlichste, ihn und den Faustkeil zeitlich nicht auseinanderzu- reißen. Aus jenem einzigen übrigbleibenden Fund- stück weitgehende Schlüsse herleiten zu wollen, geht jedenfalls doch wohl nicht an. Die Ent- stehung eines „paläolithischen" Werkzeuges in postdiluvialer Zeit auf afrikanischem Boden wäre ja übrigens eine kaum minder wertvolle Tat- sache. Lebhaftes Interesse verdient es also in jedem Falle. Ein so geringes Material kann nur erst Frage, nicht schon Antwort sein. Es ist Werth zu danken, daß er die Frage in ihrer ganzen Trag- weite gestellt, die Anregung zu weiteren Unter- suchungen in dieser Sache gegeben hat, die in hoffentlich nicht zu ferner Zeit auf deutsch-afrika- nischem Boden mit weiterem Erfolge wieder auf- genommen werden können. E. Hennig. Zoologie. Ein Beitrag zur Kenntnis des Sand- felchens des Bodensees. Neben dem Biaufelchen kommt im Bodensee eine weniger wichtige .'^rt vor: das Sandfelchen (Coregonus schinzii helveti- cus, var. bodensis, Fatio-Coregonus fera, Jurine). Die Lebensweise usw. dieses Fisches war bisher nicht genau bekannt. Aus diesem Grunde hat die internationale Sachverständigen -Kommission für die Fischerei im Bodensee die Untersuchung dieser Fischart in Angriff genommen. In der Laichzeit, d. h. in den Tagen vom i8. — 20. Novembnr 191 5 wurden 54 Sandfelchen gefangen und untersucht. Der schweizerische Fischereiinspektor, Herr Dr. G. Surbeck in Bern, hat einen Bericht über das Ergebnis dieser Untersuchungen veröffentlicht. ■) Aus demselben ist u. a. zu entnehmen, daß von den 54 Stück 26 Milchner (Männchen) und 28 Rogner (Weibchen) waren. Die verhältnismäßig geringe Zahl der beobachteten Stücke läßt aber kein end- gültiges Urteil über die Geschlechterverteilung zu. ') Wenn der Hügel zur Zeit der Expedition als Geister- berg galt und anfänglich von den Schwarzen nur ungern be- treten wurde, so hat ja die Bevölkerung des Landes in den früher ständigen Kriegsunruhen zu oft gewechselt, um diesem Zustande irgendeine lungere Dauer zuzusprechen. ') Beobachtungen und Untersuchungen an Sandfelchen. Schweizer. Fischereizeitung Nr. 5, 1916. Das Alter der gefangenen Sandfelchen wurde nach der bekannten Methode durch Untersuchung der Schuppen ermittelt, was bei dieser Fischart besonders gut ging, da die Jahreszuwachsringe deutlich erkenntlich sind. Das Alter schwankte zwischen 3 bis 8 Jahren. Dabei ergab sich, daß die Männchen vor den Weibchen geschlechtsreif werden, was auch bei anderen Fischarten der Fall ist. Die Körperlänge der untersuchten Fische war 31 bis 51 cm. 25 Stück, also fast die Hälfte hatte eine Länge von 40 — 45 cm. Nach dem Alter war die durchschnittliche Länge mit 3 Jahren 35,0 cm, mit 4 Jahren 38,8 cm, mit 5 Jahren 41,0 cm, mit 6 Jahren 44,6 cm, mit 7 Jahren 41,2 cm'), mit 8 Jahren 51,0cm. Offen- bar bleiben die Milchner im Längenwachstum hinter den Rognern zurück. Das Körpergewicht entspricht der Länge. Das Gewicht der Fische bewegte sich zwischen 265 und 11 10 g. Eine Zählung der Eier ergab, daß 100 Eier durchschnittlich I g wiegen. Bei einem durch- schnittlichen Körpergewicht von 825 g von 4 ge- nauer untersuchten Rognern entfielen pro Stück 154 g auf den Eierstock, der 15 750 Eier enthielt. „Will man in der Praxis die Eierzahl eines Sand- felchenrogners schätzen, so geht man nicht weit fehl, wenn man einfach die Anzahl Gramm des vollen Körpergewichtes mit 20 multipliziert." Das Gewicht sämtlicher Eingeweide laichreifer Sand- felchen beträgt beim Milchner rund 6 "/g und beim Rogner rund 20 % des Gesamtkörpergewichtes. Die mit Rücksicht auf die künstliche Befruch- tung und Zucht vorgenommenen Untersuchungen über die Bewegungsdauer der Spermatozoen er- gaben, daß die Eigenbewegung der Spermatozoen der Sandfeichenmilch nach etwa V., Minute (nach erfolgtem Wasserzusatz) in ihrer Lebhaftigkeit merklich nachläßt um nach und nach innerhalb I Minute ganz aufzuhören. Der Untersuchungsbefund über den Magen- und Darminhalt ergab, daß das Sandfelchen sich von der Bodenfauna und vom Plankton, insbeson- dere von kleinen Krebsen und Weichtieren nährt. Der Fisch scheint ein Allesfresser zu sein. Ferner muß während dem Herannahen der Laichreife keine eigentliche Fastenperiode eintreten, wie z.B. beim Lachs. Das Gleiche wurde seinerzeit auch für das Biaufelchen festgestellt. Alb. Heß. ') Darunter war ein verkümmertes Stück (Milchner) von nur 31 cm Länge. Ohne dasselbe beträgt die Durchschnitts- liinge der übrigen 3 Stück 44,6 cm, welche immer noch nicht dem richtigen Maß von vermutlich ca. 47 cm entsprechen wird. Bücherbesprechuugen. Leipzig und Berlin 19 16, B. G. Teubner. — Preis geh. 2 M. Schauplätze, herausgegeben von Prof. A. Hettner. Philippson, A., Der französisch-belgische Partsch, J., Der östliche Kriegsschau platz. Heft 3 der Sammlung: Die Kriegs N. F. XV. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 535 Kriegsschauplatz. Ebenda, Heft 2. — IVeis geh. i,8o M. Wir begrüßen es dankbar, daß die vorliegen- den Skizzen der beiden Haupt-Kriegsschauplätze, die zuerst in der geographischen Zeitschrift ab- gedruckt sind, nunmehr auch als selbständige Broschüren erschienen und damit einem weiteren Kreise zugänglich geworden sind. Das Bestreben von Bartsch, die großen militärischen Ereignisse dieses Weltkrieges geo- graphisch, d. h. durch Beleuchtung ihres Schauplatzes faßbarer und verständlicher zu machen, hat uns eine wertvolle — vorwiegend müitär-geographische Darstellung der Kampfge- biete in den Karpathen und ihrem Vorland , in Russisch-Polen, Ostpreußen und Westrußland von der Düna bis zum Dnjester beschert. Ihre Lek- türe ist bei den vorzüglichen Informationen des Verfassers über die militärischen Vorgänge im einzelnen, bei der großzügigen Anlage des Ganzen und infolge zahlreicher interessanter historischer Parallelen außerordentlich anregend. Die Arbeit von Philippson ist anders ge- halten. Die Exaktheit in der Darstellung der militärischen Ereignisse tritt hier zurück, es do- miniert das Bestreben, dem Leser ein möglichst abgerundetes landeskundliches Bild vor Augen zu führen, wofür sich hier — im Gegensatz zum Osten — , auf Grund zahlreicher, vortrefflicher Vorarbeiten die besten Unterlagen boten. So wird uns denn in den verschiedenen Abschnitten auf exakter, geologisch- morphologischer Basis ein abgerundetes, anschauliches Bild der einzelnen Landschaften entroüt. Nicht nur zu Haus, sondern auch im Feld wird man für beide Schilderungen dankbar sein. Dr. E. Wunderlich-Berlin. Landsberg, Bernhard, Streifzüge durch Wald und Flur. Eine Anleitung zur Be- obachtung der heimischen Natur in Monats- bildern. 5, Auflage, vollständig neu bearbeitet von A. Günthart und W. B. Schmidt. 8" X u. 252 S. Mit zahlreichen Abbildungen. Leipzig u. Berlin 1916, B. G. Teubner. — 5 M. Vom warmen Ofen des Wohnzimmers und von den Topfpflanzen des Wintergartens führt uns dieses Buch hinaus in den winterlichen Wald, zu den Vorboten des Frühlings im Garten, an die Ufer des Flusses und Sumpfes, unter die blühenden Obstbäume, auf die Ödung und an das Seeufer, auf die Wiese des Talgrundes, den Bahndamm und Kartoffelacker, auf das Roggen- und Stoppelfeld. Wie diese Monatsschilderungen nicht in der Studier- stube, sondern auf Wanderungen durch Wald und Flur entstanden sind, so wollen sie auch miterlebt werden und zu unmittelbarem Verkehr mit der heimischen Natur anregen. Sie belehren uns u. a. im Januar über Verbrennung, Fäulnis, Gärung, Körperwärme und Assimilation, im Februar über die Wuchsformen und Knospen der Bäume, den Zweck des Laubfalls und die Spuren der Tiere im Schnee, im März und April über den Bau der Blüte, die Bestäubung der Pflanzen, das Leben der Biene, die Entwicklung des Frosches und die Bedeutung der Stammteile, im Mai über das Licht- und Wasserbedürfnis der Pflanzen, das Tierleben unter Steinen, den Maikäfer, das Kleinleben in Sumpf und See, über die Kern- und Steinobst- gewächse, den Ameisenlöwen und die Grabwespe, im Juni über die Gliederung der Wiesenvegetation, die wichtigsten Wiesenpflanzen und Wieseninsekten sowie über die Entstehungsgeschichte der Wiese, im Juli über die Anpassungen der Feldrainpflanzen an die Trockenheit, die P^einde des Feldes und die insektenfressenden Pflanzen, im August über die Sonnenblume, die Schild- und Blattläuse, die ungeschlechtliche Vermehrung der Pflanzen und die Verbreitungsmittel der tauchte, im Sep- tember über die Herbstzeitlose, die Heuschrecken, die Bodenarten und Zugvögel, im Oktober und November über die Winterruhe der Pflanzen und Tiere. Die Dezemberbetrachtungen werfen einen Rückblick auf das im Laufe des Jahres Erlernte und versuchen ein einheitliches Gesamtbild zu ge- winnen, wobei die Probleme der Vielgestaltigkeit und Zweckmäßigkeit in der Natur in den Vorder- grund gestellt und die Aufgaben der Klassifikation, der Abstammungslehre, der Selektions- und Mu- tationstheorie behandelt werden. Mit Recht bezeichnen die Verf. ihr Werk als eine vom Einfachsten zum Schwierigeren fort- schreitende Einführung in die Grundlehren der Biologie, als ein pädagogisches Buch, das bei naturwissenschaftlichen Schülerwanderungen zu- grunde gelegt werden kann. Es muß für den Lehrer eine Freude sein, an der Hand dieses Buches die Jugend mit den Erscheinungen vertraut zu machen, die ihr auf Schritt und Tritt im Hause, im Garten, auf der Wiese, im Wasser, im Wald und auf dem Feld entgegentreten. Lebendiges Wissen zu fördern im Gegensatz zu Buchstaben- und Wortweisheit ist dieser treffliche Führer durch die heimische Natur so recht geeignet. Walther May, Karlsruhe. E. Hausbrand, Die Wirkungsweise der Rektifizier- und Destillierapparate mit Hilfe einfacher mathematischer Be- trachtungen dargestellt. 3. völlig neu be- arbeitete Aufl. Mit 25 Fig. im Text und auf 16 Tafeln. Berlin 19 16, Verlag von Julius Springer. — Preis geb. 10 M. Die Trennung zweier Flüssigkeiten durch wiederholte Verdampfung spielt in der technischen Chemie eine sehr wichtige Rolle. An der Lösung dieses Problems ist der praktische Chemiker ebenso beteiligt wie der Physikochemiker, der die theo- retischen Grundlagen schafft, und der Ingenieur, der die Apparate baut. Der Verf hat sich in dankenswerter Weise der Aufgabe unterzogen, die überall in der Literatur verstreuten Angaben über Mischungsverhältnisse, spezifische und latente Wärme, Temperatur, Wärmeleitung usw. — soweit sie der Lösung des Problems dienen — zi sammeln 536 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 37 und zur Ausarbeitunfj einer Theorie nutzbar zu machen, welche die Berechnung der Destillier- apparate ermöglicht. Da ein derartiger Versuch bisher noch nicht veröffentlicht worden ist, wird das vorliegende Buch zweifellos in allen inter- essierten Kreisen der Industrie die ihm gebührende Beachtung finden, um so mehr als der Verf. Gelegenheit hatte, seine Erfahrungen in einem bekanntem Werk der Maschinenindustrie zu sammeln und in der Praxis zu erproben. Bg. Schumburg, Die Geschlechtskrankheiten, ihr Wesen, ihre Verbreit u ng, Bekämp- fung und Verhütung. Für die Gebildeten aller Stände bearbeitet. III. Auflage, 251. Bänd- chen der Sammlung „Aus Natur und Geistes- welt". Leipzig und Berlin 1915, B. G. Teubner. Es sollte nicht nötig sein, immer wieder darauf hinzuweisen, eine wie einschneidende Bedeutung die Geschlechtskrankheiten für die Volksgesund- heit und für das Familienleben haben. Aber es muß gegenüber Unwissenheit und Gedanken- losigkeit immer wieder von neuem betont werden. Es gibt kein Gebiet der Volksgesundheitspflege, auf dem bei allen, Laien und Ärzten, die darüber nachgedacht haben, eine so vollkommene Einig- keit herrscht. Daß gerade dem Volkswohl zu Liebe die Geschlechtskrankheiten bekämpft werden müssen, kann jedermann an der Tatsache ermessen, daß die neugegründeteGesellschaft für Bevölkerungs- politik in enge Veibindung getreten ist mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Ge- schlechtskrankheiten. Wer sich über das Wesen dieser Krankheiten und über alles, was mit ihnen zusammenhängt, unterrichten will, dem kann das vorliegende Büchlein nicht genug empfohlen werden. Bei der Beschreibung der in Betracht kommenden Krankheitsprozesse und ihrer Behandlung sind auch die neuesten Forschungen mit verwertet. Wer daraus gelernt hat, welche P'olgen ein „harmloser" Tripper oder die Syphilis haben können, und dann das Kapitel über die Verbreitung der Geschlechts- krankheiten liest, dem werden genug ernste Über- legungungen in den Sinn kommen. Für den Ab- schnitt „Bekämpfung und Verhütung" ist es charakteristisch, daß darin der Prostitution und dem Kurfuscherwesen der breiteste Raum zukommt. Die heikle Frage der Belehrung darüber, wie eine geschlechtliche Infektion vermieden werden kann und wie sich jemand, der sich eine Infektion zu- gezogen hat, zu verhalten hat, ist von dem Verf. in würdiger Weise gelöst worden. Jede Einseitig- keit ist, soweit es der Ernst der Frage gestattet, vermieden worden. Zu begrüßen ist es, daß am Schluß die Merkblätter der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten abge- druckt sind. Der Verf. ist kein Fanatiker. Seine ernste und sachliche Art, die Dinge zu sehen und wiederzugeben, reihen das Büchlein unter die besten der popularisierenden medizinischen Schriften überhaupt. Möge es bald seine vierte Auflage erleben! Hübschmann (Leipzig). Literatur. Keil hack, K., Lehrbuch der praktischen Geologie. Arbeits- und Untersuchungsmethoden auf dem Gebiete der Geologie, Mineralogie und Paläontologie. 3. völlig neube- arbeitete Aufl. I. Band. Mit 2 Doppeltafeln und 222 Text- abbildungen. Stuttgart '16, F. Enke. — I s M. Euler, H. und Lindner, P., Chemie der Hefe und der alkoholischen Gärung. Mit 2 Kunstdrucktafeln und zahl- reichen Textabbildungen. Leipzig '15, Akad. Vcrlagsgesellsch. Schmeil, O., Lehrbuch der Zoologie für höhere Lehr- anstalten und die Hand des Lehrers sowie für alle Freunde der Natur. Mit 48 farbigen und 21 schwarzen Tafeln sowie mit zahlreichen Texibildern. Leipzig '16, Quelle & Meyer. — 6,60 M. „Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 514: G. Schneide- mühl, Die Handschriftenbeurteilung. Bd. 516: R. Vater, Technische Wärmelehre (Thermodynamik). H. Boruttau, Forlpflanzung und Geschlechtsunterschiede des Menschen. Eine Einführung in die Sexualbiologie. Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. — Jedes Bändchen 1,25 M. Schöndorf, Fr., Wie sind geologische Karten und Pro- file zu verstehen und praktisch zu verwerten? Mit 61 Abbil- dungen. Braunschweig '16, Fr. Vieweg & Sohn. — 3 M. Grünbaum, F. und Lindt, R. , Das physikalische Praktikum des Nichlphysikers. Theorie und Praxis der vor- kommenden Aufgaben für alle, denen Physik Hilfswissenschafl ist. 2., verbess. und erweit. Aufl. Mit 131 Textabbildungen. Leipzig '16, G. Thieme. — 6,20 M. Benedikt, M., Leitfaden der Rutenlehre (Wünschelrute). Mit 6 Abbildungen. Berlin und Wien 'j 6, Urban & Schwarzen- berg. Bölsche, W., Der Stammbaum der Insekten. Stuttgart, Kosmos, Gesellsch. der Naturfreunde. Geschäftsstelle Frankh- sche Verlagshandlung. — 1 M. Abderhalden, E., Neuere Anschauungen über den Bau und den Stoffwechsel der Zelle. Vortrag, gehalten an der 94. Jahresvers, der Schweizerischen Naturforschenden Gesell- schaft in Solothurn 2. Aug. 1911. Berlin '16, J.Springer.— I M. Hell, H., Die Arbeit des freien Mannes als Quell des Friedens. Versuch einer deutschen Volkswirtschaftslehre. Teil I, 11. Leipzig 'l6, Krüger & Co. — 3 M. Kremann, R. , Die Eigenschaften der binären Flüssig- keitsgemische. Ein Beitrag zur Theorie der konzentrierten Systeme. Mit 80 Textabbildungen. Stuttgart '16, F. Enke. — g M. Banse, E. , Die Länder i nd Völker der Türkei. Eine kleine ästhetische Geographie. Braunschweig, G. Westcr- mann. — 3 M. Inhalt B Wilhelm Neumann, Über Pseudo-Tierpsychologie. S. 521. — Einzelberichte: Fr. Bey schlag. Die aus der Gleichheit der „Geologischen Position" sich ergebenden natürlichen Verwandtschaften der Erzlagerstätten. S. 529. E. Wepfer, Ein wichtiger Grund für die Lückenhaftigkeit paläontologischer Überlieferung S. 530. E. Hennig, Über dorsale Wirbelsäulenkrümmung fossiler Vertebraten. S. 531. Werth, Spuren der älteren Steinzeit in Deutsch- Ostafrika? S. 532. G. Surbeck, Ein Beitrag zur Kenntnis des Sandfelchens des Bodensees. S. 534. — Bücher- besprechungen: J. Bartsch, Der östliche Kriegsschauplatz. A. Philippson, Der französisch-belgische Kriegs- schauplatz. S. 534. Bernhard Landsberg, Streifzüge durch Wald und Flur. S. 535. E. Hausbrand, Die Wir- kungsweise der Rektifizier- und Destillierapparate. S. 535. Schumburg, Die Geschlechtskrankheiten, ihr Wesen, ihre Verbreitung, Bekämpfung und Verhütung. S. 536. — Literatur: Liste. S. 536. Ma skripte ad Zuschriften erden an Prof. Dr. II. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der ü. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. September 1916. Nummer 38. Der kluge Hund von Mannheim. Nach Beobachtungen bei einer öffenthchen Vorführung. Von Curt Herbst (Heidelberg). [Nachdruck verboten.] Zum Besten der Zentrale für Kriegsfürsorge und des deutschen Vereins für Sanitätshunde hatte sich Frau Dr. Mo ekel entschlossen, ihren be- rühmten Hund Rolf am 11. Mai 1915 öfTentlich vorzuführen. Ich wohnte dieser Vorführung bei und brachte meine Beobachtungen bald nachher zu Papier, ohne freilich die Absicht zu haben, die- selben zu veröffentlichen. Erst der gläubige Be- richt, welchen H. E. Ziegler in diesem Frühjahr in der Schrift „Die Seele des Tieres" ') über die- selbe Sitzung veröfifentlicht hat, veranlaßte mich, im Interesse der Wissenschaft auch meine Auf- zeichnungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Als ich gerade dabei war, die Publikation zu be- sorgen, erfuhr ich, daß ein Herr Dr. Neumann auf der Baden- Badener Neurologenversammlung einen Vortrag über Experimente mit Rolf und seiner jetzigen Besitzerin, Fräulein Mo ekel, ge- halten und darin nachgewiesen hat, daß auf die gestellten Fragen nicht der Hund, sondern das Fräulein antwortet, welches durch gegebene Zei- chen das Klopfen des Hundes leitet. Da ich durch ein rasches Publizieren meiner Beobachtun- gen Herrn Dr. Neu mann seine Resultate nicht vorwegnehmen wollte, beschloß ich so lange mit der Veröffentlichung meines Berichtes zu warten, bis die Abhandlung Neumann's erschienen war. Da nun von Herrn Prof. Edinger einige Resul- tate der N e u m an n ' sehen Experimente bereits publiziert worden sind, -) ja Ziegler darauf sogar schon geantwortet hat, ^j so mag auch mein Be- richt nunmehr der Öffentlichkeit übergeben sein. Er soll bis auf die veränderte Einleitung genau so gedruckt werden, wie ich ihn schon längst verfaßt habe, wenn ich so auch manches wieder- holen werde, was schon gesagt ist. Überflüssig dürfte er deshalb nicht sein, weil auch nach Neumann's Versuchen den Rolf- Gläubigen, die nicht wie Ziegler die Beweiskraft der Ver- suche von Neu mann bemängeln, sondern die- selben zugeben, noch der Ausweg offen steht, zu sagen: „Freilich gibt Fräulein Mo ekel dem Hunde Zeichen wie Pfungst dem klugen Hans, aber mit Frau M o e k e 1 war es ebenso wie mit Herrn von Osten anders. Fräulein Mo ekel hat den klugen Hund durch Zeichengeben ebenso verdorben wie Pfungst einst den klugen Hans." ') Die Seele des Tieres. Berichte über die n-uen Be- obachtungen an Pferden und Hunden. Berlin 1916, W. Junk. ^) Frankfurter Zeitung I. August 1916 I. Morgenblatt. Der ausführliche Bericht Neumann's ist nunmehr in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift erschienen. ^) Ebenda 12. August 1916 Abendblatt. Dieser letzte Ausweg dürfte den Anhängern Rolfs durch die kritische Schilderung dessen, was ich in der öffentlichen Sitzung beobachtet habe, ver- legt werden. Wollte man mir auf meine Aus- führungen erwidern, daß eine öffentliche Vorführung nicht geeignet sei, sich ein richtiges Urteil über den klugen Hund zu bilden, so sei bemerkt, daß meiner Meinung nach eine öffentliche Vorführung auf einem Podium einer häuslichen gegenüber den Vorteil hat, daß die gesellschaftlichen Rück- sichten wegfallen, und daß man alles viel besser überblicken kann, wie doch auch im Theater der Zuschauer von einem guten Platze aus die Bühne besser übersieht als ein Mitspieler. Der Verlauf der Vorführung war folgender: Nach einem ein- leitenden, für das große Publikum abgestimmten Vortrag des Herrn Prof. Kraemer ausHohen- heim wurde Rolf an der Leine hereingeführt, wobei er sich ziemlich unruhig zeigte. Dann wurde er auf einen kleinen Tritt, der mit einem Fell bedeckt war, gebracht. Prau M o e k e 1 wurde in ihrem Fahrstuhl neben den Tritt geschoben und begann sofort, die Anwesenden aufzufordern, dem Hund, der sich beim Eintritt keineswegs die Anwesenden angesehen hatte, eine Rechenaufgabe zu stellen. Dieser Aufforderung wurde so rasch nach der Unruhe des Auftrittes von einer Person, die Rolf nicht sehen konnte, Folge geleistet, und dabei die Aufgabe in einer Weise ausgesprochen, daß der Hund schwerlich wissen konnte, daß man sich an ihn gewendet hatte. Trotzdem wurde die Lösung sofort richtig gegeben. Dieses sonderbare und zu denken gebende erste Auftreten Rolfs ist wohl nicht nur mir, sondern auch noch anderen Zuhörern aufgefallen , denn es erscholl aus dem Zuschauerraum der Zuruf: lauter. Infolgedessen wurden in der F'olge die Aufgaben lauter ausge- sprochen. Die Antworten waren alle verblüftend richtig. Der Hund rechnete z. B. glatt aus: 8x9:12; 7x11—7:10; 3x9+9 und daraus die 3 — Quadratwurzel; y27 usw. Nach dem Wurzelziehen gab Lol seinen Widerwillen gegen diesen Zweig der Rechenkunst Ausdruck, was er schon früher bei ähnlichen Gelegenheiten oft getan hatte. „Dann nannte er die Namen verschiedener Personen, welche er in der Versammlung erkannte, zuerst „dand Speiser basl (Frau Dr. Speiser aus Basel), dann „glein" (ein Herr Klein, den er seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte), darauf „ongl Isr (Herr Landgerichtsrat Leser)", so berichtet H. E. Ziegler. ') Das stimmt, merkwürdig war ') 1. C. p. 112. 538 Naturwissenschaftliche Wochenschrif N. F. XV. Nr. 38 aber dabei, daß Frau Speiser und Herr Klein hinter Rolf saßen, so daß sie gar nicht von ihm gesehen werden konnten, während Frau Moekel beiden das Gesicht zudrehte. Herr Leser hatte zwar einen anderen Platz als die beiden zuerst gekannten Persönlichkeiten, weiter hinten im Saal, doch konnte auch ihn Rolf schwerlich gesehen haben. Man könnte vielleicht einwenden, daß der Hund die Personen erkannt habe, als er herein- geführt wurde, aber er zeigte bei seinem Auftritt die größte Unruhe und nicht die Spur eines ruhigen Betrachtens der dicht gedrängten Zuhörer- schaft. Das deutet natürlich darauf hin, daß das, was der Hund klopft, durch Frau Moekel geht. Man muß in dieser Meinung noch mehr durch die Tat- sache bestärkt werden, daß Rolf nur dann buch- stabieren kann, wenn Frau Moekel den Pappdeckel, auf den der Hund klopft, in der Hand hält. Ein Herr verlangte nämlich , Frau Moekel möge den Pappdeckel auf den Boden legen und dann den Hund klopfen lassen. Es wurde ihm aber der Bescheid gegeben, daß dann die Sache überhaupt nicht gehe. Beobachtete man nun den Unterarm von Frau Moekel während des Buchstabierens genau, so sah man, daß sie, wenn die richtige Anzahl von Schlägen geklopft war, den Deckel nach oben gegen die Pfote des Hundes leise hob. Bei Locke- rung des Pappdeckels fing dann Rolf wieder an zu klopfen. Der Hund hatte also Anhaltspunkte, wann er mit dem Klopfen beginnen und aufhören sollte. Hierzu kommt noch, daß Frau Moekel die Schläge leise für sich mitzählte. Da braucht nur die letzte Zahl etwas anders betont zu werden, und der Hund hat wieder einen Anhahepunkt, wann er aufhören soll. EndHch ist noch zu beachten, daß der Hund von F"rau Moekel an der Leine gehalten wird, wie z.B. das Bild auf der genannten Schrift: „Die Seele des Tieres" deutlich zu erkennen gibt. Ob- wohl ich glaube, daß bei der öffentlichen Vor- führung die Leine nur dazu diente, ein Davon- laufen des Hundes während eines Experimentes zu verhindern, kann doch bei anderen Versuchs- anordnungen die Leine sehr wohl als Überträgerin von Mitteilungen in Betracht kommen. Sehen wir von dem ebenfalls bedenklichen Umstand ab, daß Frau Moekel den Hund bei den Versuchen anblickt, so gibt es also drei Wege der unbewußten oder bewußten Zeichenübertragung, und genügt es somit nicht, wenn bei einer Ver- suchsanordnung einmal die eine der Übertragungs- möglichkeiten in Wegfall kommt. Die ganze Versuchsanordnung der Frau Moekel ist somit gänzlich unwissenschaftlich und wertlos. Man hat diesen Vorwurf bekanntlich dadurch zu entkräften versucht, daß man eine Versuchs- anordnung wählte, bei der das Wissen der Frage und somit der Antwort durch Frau Moekel aus- geschlossen sein sollte. Herr Prof. Ziegler stellte einen solchen „unbewußten Versuch", wie er ihn nennt, an: Nachdem Frau Moekel durch das Dienst- mädchen hinausgefahren worden war, trat er auf das Podium und öffnete eine Schachtel, die er dem Hunde zeigte und so in die Höhe hielt, daß die Anwesenden im Saal den Inhalt sehen konnten. Die Kinder der Frau Moekel standen anfangs hinter Herrn Ziegler, beugten sich aber nach Offnen der Schachtel so nach vorn, daß auch sie den Inhalt sehen konnten. Ja selbst das Dienst- mädchen war wieder hereingekommen, doch will ich nicht sicher behaupten, daß auch sie den In- halt der Schachtel selbst gesehen hat; sie konnte aber durch die wieder zurücktretenden Kinder Mitteilung von demselben erhalten haben. In der Schachtel befand sich ein großer Maikäfer, offen- bar eine gefüllte Bonboniere, obwohl nicht gezeigt worden war, daß etwas darin war. Der Hund konnte das aber natürlich gerochen haben. Nachdem die Schachtel wieder geschlossen und weggetan worden war, wurde Frau Moekel von dem Dienstmädchen wieder hereingefahren, und der Hund klopfte ihr: „Maikäfer in Schachtel, innen was zum Essen , nicht F"ressen". ') Lol wußte also, daß etwas in dem Maikäfer war, und war so gebildet, von selbst zu erklären, daß man den feinen Inhalt nicht frißt, sondern ißt. So legte ich mir wenigstens die Antwort aus, wäh- rend Ziegler „nid frsn" mit „nicht gefressen" übersetzt und meint, der Hund habe damit sagen wollen, daß er den Inhalt noch nicht zum Fressen bekommen habe. Der Versuch wäre einwandsfrei gewesen, wenn die Möglichkeit 'der Übertragung der Kenntnis vom Inhalt der Schachtel auf Frau Moekel über die Kinder und das Dienstmädchen nicht vorhan- den gewesen wäre. Jedem kritischen Beobachter mußte sofort dieser Mangel der Ziegl er'schen Versuchsanordnung auffallen. Deshalb stellte ein Herr aus dem Zuschauerraum die Frage, ob er Rolf einen Gegenstand zeigen könne, den er sicher kennt, und zwar wieder so, daß ihn Frau Moekel selbst nicht sehen konnte. Das wurde zuge- standen. Bei diesem neuen unbewußten Versuch wurde Frau Moekel nicht hinausgefahren, sondern ein- fach auf dem Podium mit ihrem F"ahrstuhl so um- gedreht, daß sie den Zuschauern den Rücken zu- drehte , die Kinder aber und das Dienstmädchen, welche Miene machten, auf dem Podium zu bleiben, mußten hinaus, nur Herr Moekel, den der 1 Icrr auch noch weghaben wollte, blieb und hielt den Hund an der Leine. Der Herr kehrte I'Vau Moekel den Rücken, den Zuschauern das Gesicht zu und zeigte nun Lol, der sich ruhig verhielt, ein Maiblümchen, das er sicher kennen mußte, denn wir lebten im Mai, und es waren überall ') Ich gebe die Antwort in gcwöhnli nicht in derjenigen Kolfs wieder. Schreibweise, N. F. XV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S39 auf der Straße und in den Wohnungen Maiglöck- chen zu sehen. Nachdem der Hund das Blümchen gesehen hatte, steckte es der Herr in die Tasche, PVau Moekel wurde wieder umgedreht und Rolf sollte nun sagen, was er gesehen hatte. Das war der spannendste Augenblick der ganzen Sitzung, denn jetzt mußte ja die Entscheidung kommen. IVIan beachte wohl den Unterschied zwischen dem Versuche Ziegler 's und dem eben geschilderten: Im ersteren Falle war eine Übertragung der Kennt- nis des gezeigten Gegenstandes auf Frau Moekel durch Kinder und Dienstmädchen noch möglich, in diesem zweiten war letzteres ausgeschlossen, und hätte höchstens Herr Moekel seiner Frau noch sagen können, was dem Hunde gezeigt wor- den war. Was geschah nun? Rolf klopfte zunächst überhaupt nichts. Erst nach wiederholter Auf- forderung gab er eine Antwort, die recht sonderbar war; sie lautet in gewöhnlicher Schreibe- weise: „Nicht, Lol ärgert der wüste Mann." Er sagte also nicht, was ihm gezeigt worden war. Kam nun aber die Antwort überhaupt aus der Psyche Rolfs? Ich glaube nicht, denn sie ist nicht aus seiner, wohl aber aus der Psyche der Frau Moekel verständlich. Denn warum sollte sich der Hund geärgert haben, wenn er die Blume vielleicht der Art nach nicht gekannt hatte. Daß er Blumen überhaupt kannte, zeigte er nämlich gleich hinterdrein, als er die Blumen in einem Strauß zählte und nach Art und F'arbe unter- schied. Er hätte also einfach „Blümchen" sagen können, oder, falls er den Gegenstand nicht deutlich gesehen haben sollte: „noch mal zeigen". Wer sich geärgert hatte, das war doch nur Frau Moekel! Dazu kommt noch das Besondere der Antwort, die derartig war, daß das Publikum in großes Gelächter ausbrach. Der Herr war so der blamierte, und das Peinliche der Situation war für P"rau Moekel beseitigt. Ziegler denkt über den Fall natürlich ganz anders und stellt für die sonderbare Antwort des Hundes zwei Erklärungsmöglichkeiten auf. Er sagt erstens: „Es mag sein, daß er das Mißtrauen gegen seine Herrin herausgefühlt hat." Wenn das wirklich der P^all war, dann hätte er aber erst recht angeben müssen, was er gesehen hatte, denn so vergrößerte er ja nur durch seine Antwort das Mißtrauen gegen Frau Moekel! Die Deutung wäre nur dann diskutierbar, wenn Rolf zuerst geklopft, was er er gesehen hatte, und dann noch eine abfällige Bemerkung über den wüsten Mann hinzugefügt hätte, der durch eine so vorsichtige Versuchsanordnung Mißtrauen gegen seine Herrin und ihre Umgebung gezeigt hatte. „Aber sein Verhalten kann auch daraus erklärt werden, daß fast jeder Hund auf die Aufforderung von Fremden hin nichts leistet", so sagt Herr Ziegler weiter. Hierauf ist zu erwidern, daß der fremde Herr dem Hunde das Maiblümchen nur gezeigt hat, daß aber die Aufforderung, zu sagen, was er gesehen hat, von Frau Moekel ausging. Man könnte also nur sagen, daß Rolf sich das Blümchen nicht genau angesehen hat, weil es ihm ein P'remder gezeigt hatte. Das stimmt aber auch nicht, denn P^ahnen, die später im Publikum verteilt, also dem Hunde auch von Fremden gezeigt wurden, erkannte er. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß die Rechenaufgaben, welche vorher Rolf aufgegeben worden waren, ebenfalls aus dem Publikum ihm zugerufen wurden, und daß er sie glatt löste, obwohl die Aufforderung von F"remden ausging. Ziegler' s zweite Er- klärungsmöglichkeit ist deshalb ebenfalls ab- zuweisen. Ich selbst hegte den Argwohn, daß Rolf viel- leicht im weiteren Verlauf der Sitzung noch ein- mal auf den Versuch des unbekannten Herrn zurückkommen und dann richtig Maiblümchen sagen würde. Da Herr Moekel letzteres gesehen hatte, so wäre es möglich gewesen, daß dieser später seiner Frau Mitteilung von dem gezeigten Gegenstand machen würde, wobei seinerseits nur die Absicht vorzuliegen brauchte, seine Frau voll- ständig über den mißlungenen Versuch aufzuklären. Ich habe deshalb Herrn Moekel immer scharf beobachtet und konnte keine Kommunikation zwischen ihm und ihr bemerken. Eine verspätete richtige Antwort kam infolgedessen im Verlaufe der Vorführung auch nicht heraus, und es stand darum für mich fest, daß gegen die Teilnahme des Herrn Moekel an dem Experiment nichts einzuwenden ist, da er nicht einmal durch eine nicht recht überlegte Unvorsichtigkeit eine Fehler- quelle in den Versuch hineingebracht hat. Wie recht ich aber trotzdem mit meiner Er- wartung einer verspäteten Antwort hatte, zeigt die Anmerkung, welche Ziegler zu dem Protokoll der Sitzung macht und die lautet : „Wie mir Frau Dr. Moekel mitteilt, hat sie den Hund am folgenden Tage nochmals gefragt, was der ge- zeigte Gegenstand gewesen sei. Der Hund ant- wortete: „hd sdld bei arm Grosfader grab Hb meiblim I" (hat gestehlt bei des armen Großvaters Grab das liebe Maiblümchen)." Ziegler fügt dazu, daß einige Tage vorher die Mutter der Frau Moekel den Kindern erzählt hatte, daß sie alle Maiblumen auf das Grab gebracht habe. „Der Hund scheint sich also den Gedanken gemacht zu haben, daß das Blümchen von dort gestohlen gewesen sei"! Ein Kommentar dazu scheint mir überflüssig zu sein, denn Frau Moekel hatte natürlich unter- dessen die verschiedenste Gelegenheit gehabt, zu erfahren, was der Herr Rolf gezeigt hatte. Das braucht gar nicht durch Herrn Moekel ge- schehen zu sein. Der einzige Versuch, der während des ganzen Abends mißlang, war dieser eine des unbekannten Herrn, und nur dieser war einwandsfrei angestellt. Alle anderen Fragen, deren Antworten entweder Frau Moekel selbst kannte oder die sie von Mittelspersonen erfahren haben konnte (Ziegler's Versuch) wurden richtig beantwortet. Es hat gar S40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 38 keinen Sinn, alle diese Versuche aufzuzählen, da sie sämtlich in derselben unkritischen Weise an- gestellt wurden; nur zwei Fragen und Antworten sollen noch erwähnt werden, da sie weitere Indizien für die Ansicht liefern, daß Frau Mo ekel den Hund bei seinen Antworten dirigierte: Bei dem Zeigen von Fahnen wurde Rolf auch eine badische vorgehalten, die er sofort richtig erkannte. Das Sonderbare bei der Antwort war aber, daß er badisch mit 2 a buchstabierte, was zwar sehr schön das langgezogene helle a des Dialektes wiedergibt, aber bei Rolf merkwürdig an- mutet, da einem doch immer gesagt wird, daß der Hund, wie seine vermeintlichen Antworten auch zeigen, eine sehr vereinfachte Orthographie befolgt, die alle irgendwie überflüssigen Buch- staben, besonders Vokale, wegläßt. Sollte dieses Sichlustigmachen über den einheimischen Dialekt nicht aus der Seele der F'rau Mo ekel stammen? Oder will man allen Ernstes behaupten, Rolf könne die deutschen Dialekte nicht nur ausein- anderhalten, sondern ulke sogar über den seines Ländchens? Ich gebe zu, daß die Inkonsequenz im Buchstabieren des Hundes noch kein Beweis gegen sein „Denkvermögen" ist, aber Mißtrauen erweckt sie im hohen Maße. Soweit man überhaupt aus dem Mienenspiel eines Menschen seine Gedanken erraten und so- weit man aus der Art und Weise einer Ant- wort auf das Motiv schließen kann, das zur Wahl derselben lührte, bin ich mir aber ganz sicher, daß im folgenden anderen Fall, der in der Sitzung zeitlich früher fiel, die Antwort Rolfs durch Vor- gänge in der Psyche der Frau Mo ekel bestimmt war: Ein alter Herr, der in der ersten Reihe saß, fragte den Hund, ob er seinen Namen nennen könne? Sie hätten sich zwar noch nicht gesehen, aber sich schon öfter geschrieben. Ich beobachtete gerade Frau Moekel's Gesicht genau und las aus ihrem Mienenspiel und leichtem Kopfnicken ab, daß das keine Schwierigkeit biete. Da aber rief jemand aus dem Zuschauerraum: „Das ist zu schwer", und Rolf klopfte : „Lol nit wissen." Ich bin so fest, wie man nur sein kann, überzeugt, daß diese Antwort erst durch den Zuruf bestimmt worden ist und die Psyche der Frau Moekel als Ursprungsort hat, denn der Hund hätte doch, wenn er nicht mit einem, sondern mit mehreren Herren, die er nie gesehen hat, korrespondierte, einfach mehrere Namen nennen können. Auch hätte er im Zweifelsfalle vor den Namen ein „vielleicht" setzen oder nach dem Wohnort des Herrn fragen können. Die Antwort: „Lol nit wissen" ist auf die Frage ganz unmotiviert, als eine Folge des Zurufs „das ist zu schwer" aber sofort verständlich. Trotzdem Herr Prof. Kraemer in seinem einleitenden Vortrag gegen die Auffassung der Tätigkeit des klugen Hundes von Mannheim als Dressur protestierte, zeigte die öffentliche Vor- führung doch, daß Rolf auf keiner anderen Stufe wie irgendein Zirkustier steht und genau wie ein solches auf bestimmte Zeichen reagiert. Es soll damit keineswegs gesagt sein, daß P'rau Moekel und ihre Mittelspersonen bewußt die Antworten geleitet haben, denn das Dienstmäd- chen und die Kinder brauchen sich gar nicht der Tragweite ihrer Handlungsweise bewußt gewesen zu sein, wenn sie Frau Moekel bei gewissen Versuchen übermittelten, was Rolf gezeigt worden war, und was Frau Moekel anbetrifft, so mag sie eine psychische Eigenschaft besessen haben, die ihrem Träger nicht mehr gestattet, Wunsch und Wirklichkeit rein auseinander zu halten. „Das Problem von Mannheim ist nicht der kluge Hund, sondern Frau Moekel, und es hätten sich die Gelehrten mehr mit ihr als mit Rolf beschäftigen sollen. Ihre Leistung an dem Abend der Vor- führung war bewunderungswürdig, und fraglich ist, ob der Hund ebenso klug ist, wenn er bei anderen Personen die gegebenen Zeichen aufzu- fangen gelernt hat", so sagte dem Sinne nach eine Dame aus Heidelberg, welche in der Sitzung neben mir saß und aus dem Veilauf derselben den gleichen Eindruck gewann wie ich. Die Terteilung toii Land (Nachdruck verboten. I Von Prof. Dr. Unsere Atlanten zeigen uns die Erde in einer Darstellung, die auf einem Blatt fast die gesamte Landmasse vereinigt wiedergibt, auf dem anderen fast die ganze Wassermasse. Der Mittelpunkt des ersten Kreises liegt nach Herschel etwa in Falmouth, England, der des anderen in Neuseeland. Zu der hier offensichtlich ganz ungleichmäßigen Verteilung der Land- und Wassermassen kommt noch eine zweite, ebenso merkwürdige Tatsache; das ist die Zuspitzung der Kontinente nach Süden. Beide Tatsachen enthalten Probleme, von denen nicht gerade gesagt werden kann, daß sie in be- fi'iedigender Weise gelöst wären. Die Tatsachen und Meer auf der Erde. Riem, Berlia. selber waren schon im 16. Jahrhundert bekannt, aber die Versuche zu einer Erklärung sind viel späteren Datums. Newton hat sich zwar bei seiner Arbeit über die Entstehung der Gezeiten mit dem Problem der Verteilung des Wassers be- faßt, ohne aber die Frage zu beruhen, woher sie stamme; La place beschäftigte sich mit dem Problem des Gleichgewichtes der Meere, und erwog auch einen etwaigen Einfluß dieser un- gleichmäßigen Verteilung auf die Bewegung der Himmelskörper, aber die beiden genannten Pro- bleme hat er nicht berührt. Man hat dann den Grund in der Lage der Erdachse gesucht ; da um N. V. XV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 541 den Januar herum die Erde in Sonnennähe steht und dabei ihre südliche Hälfte der Sonne zuwendet, so hat also um diese Zeit hier die Anziehung der Sonne das Übergewicht, die beweglichen Wasser- massen geben nach, und sammeln sich also auf der südlichen Erdhälfte an. Da die Lage der EIrdachse infolge der Präzession in 26000 Jahren einen Umlauf macht, so sollten innerhalb einer Periode von dieser Länge sich die beiden Halb- kugeln mit der Wasseransammlung abwechseln, und man erhielt gleichzeitig eine Erklärung der Sintflut, der Eiszeiten und anderer Erscheinungen. Freilich scheitert dieser Erklärungsversuch an der viel zu langsamen Bewegung der Erdachse; und ge- nügt auch sonst keineswegs. Nun kommt eine anscheinend sehr befriedigende Erklärung von T. I. I. See [Astron. Nachrichten Nr. 4844/45], die «das Problem statisch auffaßt, als einen notwendigen Gleichgewichtszustand, und die sich der allgemein anerkannten Isostasie der Erdkruste bedient. Diese durch sehr eingehende geodätische Untersuchungen, Schweremessungen, Lotabweichungen usw. fest- gestellte Tatsache besagt folgendes. Während der eigentliche Erdkern unbeweglich und unveränderlich ist, ist der Sitz aller Veränderungen, Erdbeben, des Vulkanismus, des Wechsels von Berg und Meer nur die etwa 150 km dicke äußere Hülle. In dieser nun herrscht ein Gleichgewichtszustand, eine Isostasie, derart, daß den Stellen, an denen sich hohe Gebirge befinden, auch sogleich Stellen entsprechen, in denen Massendefekte vorkommen, während andererseits unterhalb des Meeres, das ja eine im Vergleich zu den Gesteinen sehr ge- ringe Dichte hat, zum Ausgleich eine größere Dichtigkeit anzutreffen ist. Sehr eingehende Versuche H e c k e r ' s über die Schwerkraft auf dem Meere, beruhend auf Messungen mit dem Siedethermometer auf dem Meere zwischen Europa und Südamerika, haben dies bewiesen. See beschäftigt sich zunächst mit der Frage der Anziehungskraft, die ein mit Land bedeckter Meniskus ausübt auf die gegenüberliegende Wasser- fläche, und findet einen sehr hohen Retrag. Er veranschaulicht ihn in der Weise, daß er annimmt, jene Wasserhälfte würde in Land verwandelt, so daß dann ihre Anziehung sich wesentlich ver- größern würde. Dann würde das Wasser um die Küsten Englands um etwa 500 Meter flacher werden, also die Nordsee würde vollständig ver- schwinden, ebenso die irische See und Irland würde weit in den atlantischen Ozean hinein- reichen. Hieraus geht hervor, wie verschieden die Verteilung von Land und Wasser sich ergeben würde; wenn man den Erdradius um etwa 3000 Meter verkürzen würde. In dieser Tiefe sind Land und Wasser etwa gleich verteilt, in noch größerer Tiefe hat das Land die Oberhand. Da nun aber eben jene 3000 Meter dicke Schicht dazu kommt, so ergibt sich aus der Lehre vom Gleichgewicht, daß diese so' verteilt sein muß, daß sich Land und Wasser hinsichtlich der Anziehung durch den Erdkern die Wage halten. Und dies geschieht eben dadurch, daß sich das Land an einer Halb- kugel ansammelt, und das Wasser an der anderen. Eng damit ist nun die zweite Tatsache verbunden, die der Zuspitzung der Kontinente nach Süden. Denn eben aus dem Gleichgewichtsbestreben muß das Wasser um so tiefer werden, je weiter man sich von der Landhälfte entfernt. Das Wasser steigt also nach Süden hin an, läßt die Kontinente tiefer eintauchen. Wäre dies nicht der Fall, würde also der Ozean gewissermaßen nur die ihm mathematisch zukommende Tiefe haben, die sich aus der Länge des Erdradius an der betreffenden Stelle ergibt, so hätten die Kontinente eine ganz andere Form. Südamerika würde bis zu den Falklandinseln reichen , Afrika sich stark nach Süden und Osten ausdehnen, und im Gegensatz dazu müßte das Wasser nach Norden sich ver- tiefen, Europa würde ertrinken, ebenso Sibirien, der größte Teil von Amerika, usw. Hieran knüpft sich sogleich die F"rage nach der Entstehung der E'estländer. Gewöhnlich wird diese auf die Wirkung der Zusammenschrumpfung der sich abkühlenden Erdoberfläche zurückgeführt, ein Gedanke, der auf die Laplace'sche Nebular- hypothese zurückführt, die den ehemals feurig- flüssigen Erdball voraussetzt, und die eigentlich nur noch in den in der Schule gebräuchlichen Physik- und Geographiebüchern ein unverdientes Dasein fortführt, weil deren Verfasser noch immer nicht wissen, daß an der La place 'sehen Hypo- these nichts mehr als haltbar übriggeblieben ist. Wenn die Kontinente und vor allem die Gebirge durch einen Schrumpfungsvorgang hochgehoben wären, dann müßten sich hier gerade die Stellen der größten Dichtigkeit finden, was der Tatsache des isostatischen Gleichgewichtes widerspricht. Vielmehr ist nach See der Grund anderswo zu suchen. Offenbar war ursprünglich der ganze Erdball vom Wasser bedeckt. Aber der Meeres- boden war nicht dicht, bei dem hohen Wasser- druck drang eine große Menge Wasser in die heiße Erdschicht ein, lockerte diese auf, indem sie in Dampfform überging, und zuletzt als länder- hebende Macht auftrat, mit der Kraft des über- hitzten und unter Siedeverzug stellenden Wasser- dampfes. So hoben sich Gebirge und Festländer, so entstanden die sonst unbegreiflichen Massen- defekte an den Stellen der stärksten Erhebungen, so kommt der Zusammenhang zwischen Vulkan- reihen und Meeresküste zu seinem Recht. Und wir sehen, wie das Wasser die bewegende welten- formende Kraft ist, wie es am besten und weit- gehendesten für alle kosmischen Probleme in der Glazialkosmogonievon H örbiger durchgearbeitet ist, deren literarischer Verbreitung der Ausbruch des Krieges so hinderlich geworden ist, obwohl sie mehr ist als ein bloßer Versuch oder eine Arbeitshypothese [Hörbiger's Glazialkosmogonie, Kaiserslautern 1913, Kayser's Verlag]. Es erscheint demnach die Erde als ein Rotations- ellipsoid, dessen Dichtigkeit nach außen mit dem Radius abnimmt, und das wegen seiner sehr 542 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 38 großen Starrheit, die sich als doppelt so groß, wie die des Gußstahls ergibt, als absolut unver- änderlich anzunehmen ist. Auf diesem Kern ruht eine dünne Schale auf, deren Durchmesser etwa V50 des Erdradius sein kann. Diese ist der Sitz der isostatischen Ausgleiche, ihr Schwerpunkt fällt mit dem des Kernes zusammen. Aus diesen Feststellungen folgt nun weiter, daß zunächst die Bewegung der Erde um ihre Achse absolut gleich- mäßig ist; da sich wegen der Isostasie alle Ver-, Schiebungen der äußeren Schicht aufheben, so ist die Lage der Erdaxe unveränderlich, und ebenso die Umdrehungszeit. Es hat also weder die durch die D a r w i n ' sehe Gezeitenreibung errechnete Ver- änderung der Erdrotation statt, noch eine Ver- lagerung der Erdachse, wie sie die S i m r o t h ' sehe Pendulationshypothese erfordert. Dieser ist damit der Boden entzogen, weil ein mechanischer Grund zur Verlagerung der Achsen nicht anzu- geben ist. Bei dem hohen Interesse, das kosmologische Arbeiten beanspruchen, ist es nun lohnend, zu sehen, wie See die Erdgeschichte kurz zusammen- faßt, ganz im Gegensatz zu den Spekulationen von Laplace, von denen einst Gauß sagte, daß jeder wohl mal auf solche Gedanken käme, aber er begriffe nicht, wie ein Mann wie Laplace hätte seinen guten Ruf als Mathematiker aufs Spiel setzen können, daß er so etwas hätte drucken lassen. Und Holzmüller bezeichnet die La- place'sehen Ausführungen als unheilbar krank, die eine Förderung der Wissenschaften nicht be- deuten, was übrigens schon Faye 40 Jahre früher auch gemeint hat. See sieht also die Erde an als einen Körper, der selbständig in großer Ent- fernung von der Sonne entstanden ist, der sich im Laufe der Zeit aufgebaut hat durch Anhäufung der von ihm angezogenen Massen, und der in einer Bahn umläuft, die infolge des Widerstandes des nebeligen Mediums immer kleiner und kreis- förmiger wird. Die Umdrehung bildete sich langsam aus in dem Maße, wie der Planet sich der Sonne näherte und an Masse zunahm. Die Atmosphäre hatte sich längst ausgebildet, und der Ozean stürzte auf dem mit einer festen Kruste umgebenen Planeten. Gegenwärtig kämpfen Wasser und Land miteinander, bis zuletzt der Ozean, der das Land durch die Kräfte des Dampfes empor- gehoben hat, wieder das Land überspülen wird, nachdem es durch die abnagenden Kräfte desselben Wassers in das Meer zurückgetragen sein wird. So verdankt auch das organische Leben, insbe- sondere das der höheren Tiere und des Menschen sein Dasein dem Wasser, das den Schauplatz seines Dasein erst geschaffen hat, und nun zu» den wichtigsten Lebensbedingungen gehört. See stellt sich damit auf den Boden der Meteoriten- hypothesen, deren erste Locky er aufgestellt hat. Er läßt die Himmelskörper durch den Vorgang des Einfangens entstehen, der größere Körper fängt den kleineren ein und vergrößert sich so immer mehr, so ist die Erde entstanden, sie hat den Mond eingefangen, der einst ein selbständiger kleiner Planet war, sie wird ihn auch eines Tages ganz einfangen und zum Aufsturz zwingen, und so wird die Sonne ebenfalls im Laufe der Zeiten ihre Planeten, die sie einst eingefangen hat, auf- schlucken. Und so sehen wir, wie die Frage nach der Herkunft der ungleichmäßigen Verteilung von Land und Wasser und von der Zuspitzung der Festländer nach Süden kein geographisches Problem mehr ist, sondern ein mechanisches, das der Lehre vom Gleichgewicht angehört, und ein kosmologisches. Das Fleckfleber. Von Dr. Albert Koch, Münste [Nachdruck verboten.] Mit lO Kur' In Nr. 2 1 dieser Zeitschrift wurde kurz über die Geschichte der Erforschung des Fleckfiebers be- richtet. Wenn es uns bis heute auch noch nicht möglich ist, ganz sichere Angaben über den Er- reger des Typhus exanthematicus (s. u.) zu machen, so haben sich unsereKenntnisse von den Krankheits- erscheinungen selbst doch so erweitert, daß es sich lohnt, an dieser Stelle einen kurzen Überblick über die Symptome des P'leckfiebers zu geben, zumal der Krieg auch das Interesse der weiteren, nicht-medizinischen Kreise für diese Seuche wach- gerufen hat. Nach Jürgens '■) kommen als charakteristische ') Auf die Verdienste von Prof. Jürgens bei der Be- kämpfung des Fleckfiebers ist in dem erwähnten Aichberger- schen Referate bereits hingewiesen. Die Ausführungen des ersten Teiles dieses Aufsalzes lehnen sich im wesentlichen an die Jürgens'sche Abhandlung „Das Fleckfieber" (Bibl. von Coler von Schjerning Nr. 38), Berlin 1916, an. Kennzeichen des Fleckfiebers hauptsächlich in Betracht : i . das E x a n t h e m , d. h. der den Namen Fleckfieber verursachende Hautausschlag, 2. der Fieberverlauf, 3. die Kreislau fstörungen und 4. dieSchädigungen desZentralnerven- systems. Am 3. oder 4., spätestens am 5. oder 6. Krank- heitstage nach dem gewöhnlich genau zu be- stimmenden, influenzaartigen Beginn der Krank- heit treten die ersten Zeichen des Fleckfieber- ausschlages auf. Es handelt sich um ein von dem Typhusauschlag zunächst kaum zu unterscheidendes Exanthem; man redet deshalb ja auch von Fleck- typhus. Schon nach 2 — 3 Tagen erreicht der Ausschlag seine größte Ausbreitung. Meist auf dem Schultergürtel oder an den Unterarmen be- ginnend, breitet sich die Roseola (d. h. der aus kleinen rosenroten bis bläulichroten, auf Druck verschwindenden Flecken bestehende Ausschlag) N. F. XV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 543 über den ganzen Rumpf, die Arme und Hände aus; auch der Hals, die behaarte Kopfhaut und die Stirn, seltener das Gesicht, werden befallen. Die Beine sind gewöhnlich weniger in Mitleiden- schaft gezogen. Ist diese Ausbreitung erreicht, so nimmt das Exanthem ein anderes Aussehen an: aus der zarten Roseola wird ein allmählich dunkler aussehender Anschlag, der auf Druck nicht mehr verschwindet. Im Mittelpunkt dieses so umge- wandelten Fleckchen können dann — meist aber nur in schwereren Krankheitsfällen — kleine Haut- blutungen auftreten ; jedoch ist das Zustande- kommen eines ausgeprägten hämorrhagischen (d. h. zu Blutungen führenden) Exanthems(sog.Petechien) 1) kein charakteristisches Merkmal für das Fleck- fieber. — Mit dem Ende der übrigen Krankheits- ') Daher der gelegentlich angewandte Name ; typhus für Flecktieber. erscheinungen verschwindet auch der F"ieberaus- schlag meist spurlos, nur hämorrhagische Exan- theme sind manchmal hartnäckiger, und deren Reste können oft noch bis in die Rekonvaleszenz hinein verfolgt werden. Ein weiterer Anhaltspunkt bei der Diagnose des Fleckfiebers ist der Fieberverlauf. Betrachtet man die Fieberkurven (s. Abb.) einer Reihe schwerer Fieberfälle (die leichten Krankheits- bilder zeigen — wie bei allen Infektionskrankheiten — auch hier große individuelle Schwankungen), so kann man von einem gewissen Typus der Fleckfieberkurve sprechen. Es handelt sich um einen kurzen, mit wieder- holtem Frösteln verbundenem Fieberanstieg, der innerhalb 3 — 4 Tagen stetig oder in großen Sprüngen, aber ohne das Auftreten regelmäßiger Remissionen (d. h. vorübergehender Fieberabfälle) gleich bis zur maximalen Höhe führt. Die Fleck- % Wh §.mmmmmm\ m Wr-"' ^ A MS]Üiiiimi;mi!nM:l:iH:!:rJ:i!| [i^üi?|'jii^i]ji!Hii!|?j7!'fMr!?!?!Tl;|?&! ^^xx:;; ■ i ■ • '^ Hfl - - ^ ,j rT iJ,, : *'--«!l |V|ll2|3|,|-l6lTJ.|5l»]n|r:]v|.|r,|»|rl„!n S-SItH 1 iL ^ --\::z:.j'''^^ -. M Zusammenstellung von F leck fiek er kurven (nach Jürgens). Die Ordinaten stellen die Temperaturen von 3^0—41'', die Abszissen die Krankheitstage dar. In Nr. I, 6, 7 erfolgt der Fieberanstieg in großen Sprüngen unter wiederholtem Frösteln; in Nr. 3, 4, 5 steigt die Temperatur rasch bis zur höchsten Höhe; Nr. 2, 3, 4, 6 zeigt, wie die Temperatur, nachdem sie sofort nach dem ersten Anstieg um einige Zehntelgrade gefallen ist, in einer Continua (s. Te.xt) verharrt. In Nr. lo vollzieht sich der Fieberabfall sehr rasch, Nr. 2, 3, 9 zeigen einen ,, normalen" Fieberrückgang, Nr. <; zeigt einen (ausnahmsweise vorkommenden) iutcrmittierenden Charakter beim Fieberabstieg. Schwerere Fälle zeigen gewöhnlich schon in der 2. Woche eine leichte Neigung Nr. 2, 3, 5, 6, 7, S, 9. eberkurve: 544 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. fiekerkurve ist also — bei einem Vergleich mit der Fieberkurve bei Typhus — charakterisiert durch ein schnelles, stetiges Ansteigen, das zeitlich mit dem Auftreten des Exanthems zu- sammenfällt, während die Typhuskurve einen langsamen, durch regelmäßige Fieberabfälle unterbrochenen (geometrisch : großzackigen) Fieber- anstieg zeigt, der zeitlich vor die Erscheinung der Roseola fällt. Auf den Fieberanstieg folgt eine, wenigstens immer in Andeutungen vorkommende, typische Continua (d. h. ein anhaltendes, stets ungefähr gleichmäßig hohes Fieber). Auch in dieser Periode, die in schweren P'ällen durchschnittlich etwa 7 Tage anhalten kann, fehlt die Tendenz zu regel- mäßigen Remissionen, wie wir sie beim Typhus antreffen. In der zweiten Woche beginnt gewöhnlich ein allmählicher Abfall des Fiebers, der mit einer raschen und völligen Entfieberung endigt. Dieser Abstieg, der im allgemeinen auch ohne große Fieberrückfälle vor sich geht (im Gegensatz zu dem intermittierenden Fieberabfall bei Typhus), bedeutet jedoch keine entscheidende Wendung im Verlaufe der Krankheit. Man kann also beim F"leckfieber nicht von einer Krise sprechen! Denn auch beim Herannahen des Todes sinkt die Tem- peratur allmählich , so daß der Kranke fast aus- nahmslos während oder gar nach der Entfieberung stirbt. In günstigeren Fällen beginnt die end- gültige Besserung gewöhnlich schon in der zweiten Woche; denn nach dem Fieberabfall lenkt die Temperatur meist unmittelbar in ruhige Bahnen ein, ohne daß nochmalige Temperaturschwankun- gen der Entfieberung folgen. Die als drittes Kennzeichen des Fleckfiebers eingangs erwähnten Störungen des Blutkreislaufs treten als Veränderungen des Pulses und des Her- zens meist frühzeitiger als bei anderen Infektions- krankheiten in Erscheinung. In schweren Fällen geht mit dem Fieberanstieg auch die Pulszahl schon in der ersten Krankheitswoche herauf auf 100 — 120 Schläge in der Minute. Im Beginn der zweiten Woche erreicht sie eine noch höhere Frequenz, die dann auch oft mit Unregelmäßigkeiten in der Schlagfolge verbunden ist. Der Puls selbst wird klein, weich, leicht unterdrückbar und ist schließ- lich überhaupt kaum mehr zu fühlen. Hand in Hand mit diesen Befunden gt ht eine Erweiterung und Schwäche des Herzens, ein Zu- stand, der — charakteristisch für das Fleckfieber ! — jedoch niemals unmittelbar zum Tode führt, sondern oft eine ganze Woche unverändert fort- bestehen kann, um erst nach Ablauf dieser Zeit zum letalen *) Ausgang zu führen. Auch weniger schwere Fälle zeigen ent- sprechende Kreislaufstörungen; denn in der zweiten Krankheitswoche wird in der Regel der Puls kleiner und unregelmäßiger, er kehrt aber dann meist schon in der dritten Woche, gleichzeitig mit dem Temperaturabfall, wieder zu normaler Frequenz zurück. Die Art und Weise, wie die Kreislaufstörungen, vor allem die so gefürchtete Herzschwäche, in Erscheinungen treten, läßt darauf schließen , daß es sich nicht um eine lokale Erkrankung der Herzmuskulatur handelt, sondern daß den Vaso- motoren (d. h. den Gefäßnerven, welche die Blutbewegung und Blutverteilung regulieren), die Schuld für diese Störungen zuzuschreiben ist. Das Versagen der Vasomotoren weist schon hin auf die Störungen des Zentralnervensystems, die nun noch als letztes, aber wichtigstes Krank- heitssymptom zu besprechen sind. Denn „das Krankheitsbild des Fleckfiebers wird beherrscht von den Schädigungen des Gesamtnervensystems. Das zeigt sich nicht allein in den (noch zu be- sprechenden) Gehirnsymptomen Schwerkranker, sondern überall in der Beeinträchtigung der geisti- gen Funktionen. Auch die frühzeitigen Störungen der Atmung, des Pulses und anderer zentral regu- lierter Funktionen deuten darauf hin, und schließ- lich sind auch Eigentümlichkeiten im Temperatur- verlauf am einfachsten durch die Abhängigkeit von zentral wirkenden Schädigungen zu erklären" (Jürgens). Die Gehirnstörungen treten auf als anfängliche Kopfschmerzen, Schwindel, allgemeine Abgespanntheit, Schlaflosigkeit und geistige Er- müdung, zeitweilige Unbesinnlichkeit und Delirien, die in leichteren Fällen gegen Ende der 2. Woche mit den übrigen Krankheitserscheinungen zurück- gehen. Bei schwereren und tödlich verlaufenden Erkrankungen nehmen sie jedoch noch an Stärke zu, führen zu Wahnvorstellungen und quälenden Traumbildern, und peinigen den Kranken schließ- lich so lange, bis das Gehirn völlig erschöpft ist. Der Patient verfällt dann — bei günstiger Wen- dung der Krankheit — in einen erlösenden, ruhigen Schlaf, oder aber — bei letalem Ausgang — er ge- rät in den Zustand, den man als Coma vigile (d. h. eigentlich: tiefe, aber schlaflose Bewußtlosigkeit) bezeichnet hat. Denn der Kranke reagiert zwar noch auf Anreden, aber es sind bereits alle An- zeichen eines baldigen Todes vorhanden, die auf schwerste Schädigungen des Zentralnervensystems zurückzuführen sind. Nach diesen klinischen Befunden müssen wir das Fleckfieber als eine Vergiftung auffassen, die vorwiegend das Zentralnervensystem angreift und die übrigen, beschriebenen Krankheitssymptome erst als sekundäre Erscheinungen hervorruft. Genaue Angaben über die Mortalität lassen sich noch nicht mit genügender Sicherheit machen. Das Lebensalter, aber auch andere persönliche Verschiedenheiten der Körper- und Geisteskonsti- tution des von dem Fleckfieber Befallenen scheinen dabei eine gewisse Rolle zu spielen ; denn es soll z. B. für Jugendliche bis zu 20 Jahren die Sterb- lichkeit kaum 5 %, bei Leuten über 50 Jahren hingegen 60—70 '% betragen. ') = tödlichen. N. F. XV. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 545 Die neuesten, in dem Bericht von Aich berger noch nicht erwähnten Untersuchungen über den ErregerdesFleck Fiebers stammen von Prof Stern pell -Münster und sind als vorläufige Mit- teilungen in Nr. 15 und 17 der Deutschen Medi- zinischen Wochenschrift, 191 6, veröffentlicht. Die Arbeiten erstrecken sich einmal auf die Untersuchung von Läusen, die von dem Körper Fleckfieberkranker abgenommen worden waren. Bei zwei solchen „Fleckfieberläusen" fanden sich im Inhalt des Darmes zwischen den als Nahrung aufgenommenen, menschlichen roten Blutkörperchen ungeheure Massen sehr kleiner, bei schwacher Vergrößerung oft kommaförmig aussehender Para- siten; die größten Exemplare hatten eine Länge von etwa ^/,ooo ^n"^' ^""^ Teil blieben sie aber weit hinter dieser Größe zurück. Bei vier weiteren „F'leckfieberläusen" waren die Befunde zweifelhaft ; eine „kranke" Laus schien frei von Parasiten zu sein. Da niemals eine der vielen , .gesunden" Läuse, die auf dieselbe Weise untersucht wurden, im Darmkanal irgendwelche Gebilde aufwies, die Ähnlichkeit mit den beschriebenen Formen ge- habt hätten, so lag es natürlich nahe, eine Be- ziehung zwischen diesen Gebilden und dem Virus exanthematicum (Fleckfiebergift) zu vermuten. Weniger zweifelhaft ist natürlich die Tatsache, „daß es sich bei den im Darm gefundenen Formen um einen bisher unbekannten und stellenweise sehr häufigen Parasiten der Kleiderlaus handelt, der vermutlich als ein Protozoon anzusehen ist und vielleicht in die Verwandtschaft der Babesien oder auch der Leishmanien gehört, . . . daß dieser Parasit einen Teil seiner Entwicklung in den Ge- weben der Kleiderlaus durchmacht und daß er bei der innigen Berührung zwischen Laus und Mensch zuweilen in großen Massen auf letzteren übertragen wird, sonach also auch als Parasit des Menschen angesehen werden kann" (Stempell). Sodann hat Prof Stempell weiße Blutkörper- chen Fleckfieberkranker und Gesunder untersucht, und zwar mittels Mikrophotographie mit ultra- violettem Licht. Denn bei Anwendung dieser Methode kann die Auflösungsfähigkeit des Mikro- skopes bis zu 3600-facher Vergrößerung gesteigert werden, und ferner ist es möglich, infolge der verschiedenen Absorptionsfähigkeit der einzelnen Zellbestandteile für ultraviolettes Licht, eventuell vorhandene Leukozyteneinschlüsse auch ohne An- wendung künstlicher Färbung nachzuweisen. Von den so untersuchten Fleckfieberleukozyten ließen 80 v. H. keine bemerkenswerten Einschlüsse er- kennen, die übrigen 20 v. H. zeigten aber eigen- artige, durchschnittlich 0,7 /< (i ^ = ^lio■ Peptone, Albumosen, Proteine oder Eiweißkörper. Umgekehrt erhält man durch Spaltung der Eiweißkörper, je nach der Stärke der spaltenden Mittel wieder Albumosen, Peptone und Amidosäuren. Und zwar kann diese Auf- spaltung des Eiweißmoleküls geschehen mit kochenden Säuren oder durch Verdauung mit Pepsin; Trypsin- oder Papainlösungen. So, wie aber der Aufbau unter Austritt von Wasser stattfindet, erfolgt, an gleicher Stelle, der Abbau wieder durch Eintritt von Wasser in das Molekül. Es ist also eine Hydrolyse. CH.,NHo -f OC— CH^NHo I ^ " / COOH HO Diese beiden Operationen vollzieht nun, wie bekannt ist, der Organismus mit großer Virtuosität. Er zerlegt die artfremden und größtenteils un- löslichen Eiweißkörper mit Hilfe der Verdauungs- fermente zu Amidosäuren, die in Lösung die Darmwand passieren und baut sie „drüben" im Gewebe und im Blut wieder zu arteigenem Eiweiß auf. Während nun diese Amidosäuren ungiftige Zwischenprodukte im Stoffwechsel sind, nehmen die Amine eine ganz andere Stellung in demselben ein. Chemisch unterscheiden sie sich, was die Formel anbelangt von jenen nur durch die Ab- wesenheit von COo. CH. CHNR, y CH. CH.,NH.3 CH^NH, COOH -> CH.NH, COOH .Mamin Äthylamin GlykokoU Methylamin Aber gerade dieser Wegfall von COg, also von Kohlensäure, — den man auch experimentell erreichen kann, macht die Amine zu stark basischen und z. T. auch zu giftigen Ver- bindungen. Sie sind, infolge der ersteren Eigen- schaft, in verdünnten Säuren, — mit denen sie Salze geben — löslich, sowie auch, in ihrem basischen Zustande löslich in Äther, Chloro- form usw., worin hingegen die Amidosäuren un- löslich sind. Organische Substanzen, löslich in Äther und Chloroform, mit basischem Charakter und mit Säuren zu wasserlöslichen Salzen vereinbar, sind aber bekanntlich auch die Alkaloide. Auch sie enthalten Stickstoff, aber im Gegensatz zu den Aminen in etwas anderer Bindung. Auch geben sie, wie viele Amine, mit schwachen Säuren (Phosphorwolframsäure, Phosphormolyb- dänsäure, Gerbsäure) Fällungen und eine Anzahl wichtiger P^arbenreaktionen. Diese Eigenschaften haben, schon vor bald 100 Jahren, dazu geführt, die Alkaloide aus den Pflanzen zu isolieren und zu identifizieren. Man hat dann aber auch davon Gebrauch gemacht in der gerichtlichen Chemie, zum Nachweise von Alkaloiden — und damit giftiger Pflanzen oder Arzneimitteln — bei Ver- dacht auf Vergiftungen. Diese analytischen Me- thoden erlitten aber bereits eine Beeinträchtigung ihrer unfehlbaren Sicherheit, als einige deutsche und französische Chemiker aus Leichen, wie auch aus anatomischen Präparaten, die der P'äulnis aus- gesetzt wurden, alkaloidartige Substanzen isolierten, deren Farbenreaktionen und physiologische Wir- kung aber doch nicht auf ein bestimmtes Alkaloid hinwiesen. Als erster hatte der Apotheker Marquardt in Stettin 1865*) ein flüchtiges Alkaloid in einem Leichnam gefunden, daß er „Septicin" benannte. Ein Jahr später extrahierten Dupre und Bence-Jones aus Leichenteilen das „animalische Chinoidin" und in den nächsten Jahren folgten weitere ähnliche Entdeckungen von Kadaverbasen von Sonnenschein, Caillot, Ritter, Gautier-) und wiederum von Mar- quardt. Ihre große Bedeutung für die forense Chemie trat aber erst zu Tage, als anfangs der 70 er Jahre in Italien kurz hintereinander verschiedene Vergiftungsprozesse die Gerichte beschäftigten. In drei Fällen hatten die Experten, auf Grund ihrer Untersuchungen und Reaktionen, die Anwesenheit von Alkaloiden in den aus- gegrabenen Leichen festgestellt (Delphinin — im Prozesse des Generals Gibbone; Morphin — in dem der Witwe Sonzogno und Strychin bei einem Kriminalprozesse in Verona) und in allen drei Fällen konnte der Oberexperte, Professor Selmi-') nachweisen, daß Verwechslungen mit Kadaverbasen stattgefunden hatten. Nicht alle Reaktionen der isolierten, angeblichen Alkaloide 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 39 stimmten mit denen der wirklichen überein, und auch die physiologischen Prüfungen mit den extra- hierten Basen ergaben zweifelhafte oder direkt abweichende Resultate. Im Anschlüsse an die früheren Beobachtungen von Marquardt, Sonnen- schein und anderen lieferte Selmi weitere Bei- träge zur Kenntnis dieser wichtigen Kadaverbasen oder Ptomaine, wie er sie nun nannte. Seit dieser Zeit sind durch die Arbeiten zahlreicher Forscher noch eine Reihe von Ptomainen oder „Leichenalkaloiden" bekannt geworden. Viele entpuppten sich bei der näheren Prüfung als ein- fache Amine von bereits bekannter Konstitution und z. T. sehr geringer Giftigkeit. Sehr große Verdienste um dieses neue Gebiet erwarb sich sodann Prof. Brieger*) in Berlin, der auch aus Kulturen von verschiedenen Krankheitserregern (Typhus-, Tetanus-, Cholera-, Diphtheriebazillen u. a.) äußerst stark wirkende Gifte isolierte, für die er die Bezeichnung Toxine einführte und deren Eigenschaften und Bruttoformel er feststellte. Das Resultat für den Toxikologen war also nun folgendes: Es braucht keine Vergiftung mit Alkaloiden oder alkaloidhaltigen Stoffen statt- gefunden zu haben, es können sich trotzdem in den untersuchten Leichenteilen Körper finden, die sich chemisch oder physiologisch ähnlich verhalten wie Alkaloide. Es liegen dann Pto- maine vor, die sich bei der Fäulnis der Eiweiß- körper unter Mithilfe von, meist anaeroben Bak- terien, nach Eintritt des Todes gebildet haben. Ferner können zu Lebzeiten und auch noch einige Zeit nachher, infolge infektiöser Krankheiten, als weitere Art von Giften Toxine im Körper sein. Da trat um die Mitte der 90 er Jahre noch eine weitere Möglichkeit des Vorhandenseins an Giften im Körper hinzu. Die Versuche von Brown-Sequard^) hatten die alte Organsaft- therapie wieder aufleben lassen. Die besten Erfolge Ijatte man mit der Verabreichung von Schilddrüsen- substanz erzielt und man erwog nun, auch die Addison 'sehe Krankheit mit dem Extrakte von Nebennieren zu behandeln. Als aber Glucinski-) 0,5 ccm eines wässerigen Glyzerinauszuges von Nebennieren einem Kaninchen einspritzte, traten Lähmungserscheinungen und binnen Aj^eniger Mi- nuten der Tod ein. Cybulski und Scymono- witz ') (an der Universität Krakau) stellten sodann fest, daß bei einem Tiere Entfernung der Neben- nieren starke Blutdruckerniedrigung mit tödlichem Ausgang verursachte. Wird nun einem solchen Tiere Nebennierenextrakt injiziert, so kann man diese Blutdrucksenkung — aber natürlich nur für kurze Zeit — hintanhalten. Daraus, und aus einer Reihe weiterer Versuche, wurde geschlossen, daß die Nebennieren dauernd sehr kleine Mengen einer Substanz in den Blutkreislauf abgeben, die /^"^ NH N I I CH = C— CH.,-CH(NH.,)COOH Histidii) blutdruckregulierend wirken. Analog hierzu nimmt man das nun auch von anderen Drüsen mit innerer Sekretion, deren Zweck im Haushalte des Organismus bis dahin unbekannt war, an; so von der Schilddrüse, dem Hirnanhang (Hypophysis), der Thymusdrüse u. a. Die Stoffe, die der Körper fortwährend produziert, und die z. T. antagonistisch aufeinander wirken, nannte man Hormone. Ihren chemischen Charakter dachte man sich bald ei- weißartig, bald enzymartig. Während aber die Versuche, das wirksame Prinzip der Schilddrüse in Form einer chemischen Verbindung zu isolieren, bis heute noch nicht gelungen sind, hat bekannt- lich Takami ne*) in NewYork schon 1901 den wirksamen Körper der Nebennieren in kristalli- sierter P'orm erhalten. Bald darauf hat dann auch Friedmann ") die Konstitution dieser, Adrenalin genannten, Verbindung entdeckt. ,H /\ /CH(OH).CH.,N( HO|/ Y " ^^^ H0\/ Dieses Adrenalin ist bekanntlich ein starkes Gift, und, wie wir aus der Formel ersehen, ein sekundäres Amin, in dem ein Wasserstoffatom durch die Äthylgruppe und das zweite H durch einen Verbindungsrest ersetzt ist, der phenolartige Eigenschaften hat. Also außer den Alkaloidgiften, die dem Körper von außen zu therapeutischen oder verbrecherischen Zwecken zugeführt werden, den Ptomainen, die sich im Körper bei dessen Verwesung bilden, und den Toxinen, mit denen eingedrungene Bazillen den Körper vergiften, bildet der gesunde Körper selbst täglich Gifte in Form von Hormonen, von denen der einzige, bis jetzt chemisch bekannte Vertreter, wieder ein Amin ist. Woraus mag dieses nun entstehen? Nun haben wir aber eingangs gesehen, daß i.die Amidosäuren im Körper sich bilden und wieder verschwinden und daß 2. durch einfache Kohlen- säure(CO.,)abspaltung aus den Amidosäuren Amine entstehen. Dies gelingt aber nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Retorte, und man nimmt nun auf Grund einer Reihe von physio- logischen und chemischen Beobachtungen an, daß diese Abspaltung auch im Organismus vor sich gehen kann. Diese Beobachtungen und Erwägungen gestatten nun hoffnungsvolle Ausblicke hinsichtlich der Bereicherung unserer Kenntnisse über die Ptomaine einerseits, wie über die der Hormone andererseits. Nach den Untersuchungen von Guggenheim") scheint das wirksame Prinzip der Hypophysenpräparate (Pituitrin usw.) ebenfalls ein proteinogenes Amin zu sein und in naher Be- ziehung zu der Amidosäure Histidin zu stehen NH N I I CH = C-CH.J— CH.,— NH2 Amin daraus = ^-Imidazolyläthylamin N. V. XV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 563 ebenso wie das Adrenalin der Formel nach Ähnlich- keit hat mit der schon längst bekannten, auch im Harn und alten Käse aufgefundenen Amidosäure Tyrosin HO^ ^Ci H,jCH(NH„)COOH. Es ist auch wahrscheinlich, daß manche von den Ptomainen, deren chemische Struktur noch unbekannt ist, sich als proteinogene Amine oder Gemische solcher entpuppen werden, durch bak- terielle Umsetzung der Amidosäuren entstanden. Also nicht nur der Pharmakologie, auch der ge- richtlichen Toxikologie werden durch diese Ent- deckungen und Erwägungen neue Bahnen gewiesen werden. Ich habe nun eingangs erwähnt, daß sich die Identifizierung der Alkaloide und besonders der Ptomaine, namentlich zur Unterscheidung vonein- ander, nicht nur auf die chemischen Reaktionen, sondern auf die physiologische Wirkung am leben- den Tier zu erstrecken hat. Eine vorteilhafte Art ist aber noch eingeführt worden durch die Prüfung an überlebenden Organteilen, von denen die einen charakteristisch auf dieses, die anderen typisch auf jenes Gift reagieren. Frisch ent- nommene Darmstücke oder Herzen, oder ein frisch präpariertes Uterus von Meerschweinchen, Kanin- chen, Katzen, Ratten usw., in R i n g e r ' sehe Lösung gebracht, führen bei Bluttemperatur rhythmische Kontraktionen aus, die mit einer feinen Schreib- hebelübertragung auf einer sich drehenden berußten Trommel in Form einer Zickzacklinie aufgeschrieben werden. Durch Zusatz einer Giftlösung kann man nun, je nach der Art des Organs und der Natur des Giftes sowie dessen Konzentration, mit- unter charakteristische Abweichungen in der Kurve konstatieren. Übergehen der Zickzacklinie in eine annähernde Gerade ( = Lähmung des Organs) oder starke Steigerung der Ausschläge ( = Reizung). Hat man nun einmal für eine bestimmte giftige Verbindung (Alkaloid, Ptomain, Amin, proteino- genes Amin) das Organstück gefunden, auf das es am charakteristischsten wirkt (und auch die Tierart), so kann man umgekehrt mit diesem Organ (Rattenuterus, Froschherz, Kaninchendarm) das Gilt, durch Anwendung steigender Ver- dünnungen, auf seine Stärke prüfen. Diese Methoden bedeuten einen großen Er- folg, denn einerseits lassen sie sich in vielen Fällen schärfer und einwandfreier gestalten als das Tierexperiment, wo noch viele Zufälligkeiten, wie Alter, Gesundheitszustand und Geschlecht (Trächtigkeit) des Tieres eine Rolle spielen, anderer- seits sind diese Methoden sehr oft viel empfind- licher als die analystischen Reaktionen, bei deren Ausführung sehr oft noch das untersuchte Material chemisch verändert, zerstört wird; man denke nur an die Strychninreaktion mit Bichromat und Schwefelsäure. So geht z. B. aus den neuesten Versuchen von Guggenheim") hervor, daß das wahrscheinlich wirksame Prinzip der Hypo- physis, das /i-Imidazolyläthylamin , am Meer- schweinchendarm noch in einer Verdünnung von 1:40000000 deutlich nachweisbar ist und das Adrenalin noch in Verdünhung i : 50 000 000, das Cholin, ein schwach giftiges Ptomain, nach Acetylierung noch in Verdünnung i : 100 000 000. Daß also, nach weiterer Bearbeitung dieser Metho- den auch die gerichtliche Chemie große Vorteile daraus ziehen kann, dürfte ohne weiteres ein- leuchten. Literatur (zu den Fufinoten). 1) Th. Husemann, Eine Reihe von Aufsätzen im „Ar- chiv für Pharmacie" ßd,. 216 bis Bd. 223 (1880— 18S4). 2) Gautier und Etard, Bull, de la soc. chim. 37. 305 (18S2) und Gautier „Alcaloides, ptomaines et leucomaines". Paris 1886. 3) Selrai, Gazetta chimica italiana 1872—1882. 4) Brieger, Die Ptomaine. 3 Teile. Berlin 1885—86 (bei Hirschwald). 5) Brown-Sequard & d'Arsonval, Archiv de Physiologie 491 (l 891) und G. Buschan, Die Brown-Sequard- sche Methode und ihr therapeut. Wert. Neuwied 1895. 6) und 7) Siehe A. Wolf f- Eisne r , Handbuch der Serumtherapie und L. Szyraonowitz, Die Heilkunde. I. Heft 4 u. 5 (1897}. 8) Takamine, Therapeutic Gaz. 221 (1901) und Ald- rich, American Journal of Physiol. 457 (1901). 9) Friedmann, siehe Abderhalden, Lehrbuch der physiolog. Chemie. 10) Guggenheim, Beitrag zur Kenntnis des wirksamen Prinzips der Hypophyse. Biochcm. Zeitschrift 65. 189 (1914)- Fühner, Pharmakologische Untersuchungen über die wirk- samen Bestandteile der Hypophyse. Zeitschrift für die ges. e.xper. Medizin 1. 397. 11) Guggenheim und Löffler, Biologischer Nach- weis protciooger Amine in Organextrakten und Körperflüssig- keiten. Biochem. Zeitschrift 72. 303 (1915) (hier auch weitere Literaturangaben der einschlägigen Arbeiten von Ellinger Ackermann, Kutscher, Barger, Dale und Magnus) Kleinere Mitteilungen. Deutsche Seide und deutsche Nesselwolle. Wie wir der Zeitschrift für die gesamte Textil- industrie, XIX. Jahrg., No 26, 1916, entnehmen, hat im Lemcke-Saale der Kgl. Gewerbesammlung in der preußischen höheren Fachschule für Textil- industrie in Krefeld jetzt die dort jährlich für Anschauungszwecke betriebene Seidenraupen- zucht begonnen. Die aus Eiern gezüchteten Raupen des Seidenspinners werden zum Teil mit Maulbeerblättern, zum Teil mit Schwarzwurzel- blättern gefüttert. Außer der Aufzucht des Seiden- spinners, Bombyx mori, wird auch die von Antherea pernyi, eine Eichenspinnerart, betrieben, die einen Falter von 14 cm Flügelspannung ergibt und die sogenannte Tussah- oder Bastseide liefert, welche unter anderem viel Verwendung für Flugzeugflügel- bespannung und Ballonhüllen liefert. Noch größere praktische Bedeutung scheint 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 39 bisher die öfter erörterte Spinnfasergewinnung aus Brennesseln zu erlangen. Denn wie der gleichen Quelle zu entnehmen ist, hat die mecha- nische Weberei I*". W. Wilde in Meerane (Kgr. Sachsen) ein Verfahren gefunden, das nach dem Urteil des Königl. Materialprüfungsamtes einen Fortschritt gegenüber dem bisherigen darstellt, und da die Firma nicht auf den vielleicht unren- tablen Anbau von Brennesseln ausgeht, sondern für in geeigneter Weise geerntete wildwachsende Urtica dioica einen hohen Preis zahlt, lo Mk. für loo kg vorschriftsmäßig getrockneter und ent- raufter Stengel, während die verbleibenden Blätter noch als Viehfutter verwendet werden können und nach dem Welken nicht mehr stechen, so steht zu hoffen, daß aus den Dörfern, vielleicht unter Mitwirkung von Kindern, genügend Rohstoff ein- kommen wird. Aus dem Felde kann hinzu- gefügt werden, daß auch Truppenteile an der Sammlung von Brennesseln eifrig teilnehmen, wo- bei sich herausstellt, daß gegen die nicht ganz zu vermeidenden Brennesselstiche in wenigen Tagen eine merkliche Immunität erworben wird, so daß sie kaum mehr empfunden werden und Schwellungen ausbleiben. F. Die Rechenkunst der Frankfurter Schimpansin im Tichte der Psychologie. Seit den Rechen- künsten des „Klugen Hans" des Herrn von Osten haben mehrere „denkende Tiere" die allgemeine Aufmerksamkeit erweckt, aber in allen Fällen, bei den denkenden Pferden KarlKralls in Elberfeld wie bei dem Mannheimer Hunde Rolf der Frau Paula Moekel, war das Ergebnis das gleiche: es fand sich rasch eine Anzahl von Anhängern der denkenden Tiere, die deren Denkleistungen unbedingt anerkannten und eifrig neue Anhänger warben, und es bildete sich eine Gruppe von Gegnern, die die Denkleistungen der Tiere ebenso unbedingt verwarfen. In beiden Lagern fanden sich Laien neben Männern der ernsten Wissen- schaft; Anhängern wie Gegnern war der gute Glaube und die ehrliche Überzeugung nicht ab- zusprechen, und das Anbahnen einer Verständigung schien ausgeschlossen. Die Frage nach dem Denk- vermögen der Tiere, die kurz vor dem Kriege in allen Ländern eifrig erörtert wurde, scheint jetzt ihrer Lösung entgegenzugehen, denn der Vor- steher des psychologischen Institutes der Uni- versität Würzburg, Prof. Karl Marbe, veröffent- licht in den „Fortschritten der Psychologie und ihrer Anwendungen" (IV, 3; Seite 135 — 185, 1916) eine eingehende Untersuchung über einen rech- nenden Mcnschenaften und fügt einen offenen Brief an Karl Krall an, in dem er den Vorschlag, die denkenden Pferde in Elberfeld einer Prüfung auf seine Art zu unterziehen, in einer Form macht, daß deren Besitzer — vorausgesetzt, daß er zur Zeit überhaupt noch rechnende Pferde in Händen hat — den Vorschlag Marbes kaum wird ab- lehnen können, ohne daß im Kreise seiner Gegner wie seiner bisherigen Anhänger die Meinung hervor- gerufen würde, er stünde den etwaigen Ergebnissen der Versuche Marbes ängstlich gegenüber. Die Schimpansin Basso, die gegenwärtig acht bis neun Jahre alt ist, gelangte im Jahre 191 1 als Geschenk des Herzogs Adolf- PViedrich zu Mecklen- burg in den Besitz des Frankfurter zoologischen Gartens. Sie führt nicht nur mit größter Geschick- lichkeit alle nur erdenklichen Kunststücke aus, sondern gibt auch Vorstellungen im Rechnen. Hierin ist sie von ihrem Wärter Burkhardt nach allgemeinen Angaben des Direktors Dr. Priemel unterwiesen worden. So verwickelte Rechen- leistungen wie die Kr all sehen Pferde vermag sie freilich nicht auszuführen; sie beherrscht nur das Zahlengebiet bis lOO, und unterhalb dieser Grenze führt sie mit großer Sicherheit, häufig allerdings widerwillig, alle Aufgaben der vier Grundrechnungsarten aus, wenn das Ergebnis eine ganze Zahl ist. Bei den Vorführungen sitzt sie auf einem Stuhle links neben ihrem Wärter hinter einem Tische; auf dem Tische liegen schwarze Täfelchen, die in weißer Schrift die Zahlen von i bis 10 zeigen, und sie gibt die Lösung jeder Aufgabe dadurch an, daß sie eine Tafel aufhebt und dem Wärter übergibt. Dieser nimmt ihr die Tafel ab, um sie sogleich wieder hinzulegen. Ist die Lösung einer Aufgabe größer als 10, so setzt Basso die Zahl durch Addition zusammen. Bedeutungsvoll ist, daß die Schimpansin beim Rechnen ihren Wärter immer anblickt wie ein ängstlicher Schüler, ferner, daß sie nur bei diesem rechnet, während sie ihre übrigen Kunststücke auch in Abwesenheit des Wärters ausführt. — Der Verdacht, die rich- tigen Antworten der Schimpansin beruhten auf Zeichen des Wärters, fand zuerst nicht den ge- ringsten Anhalt; der Wärter bestritt dies auf das entschiedenste, keiner von den Zuschauern hatte etwas von Zeichen bemerkt, und auch Marbe selbst konnte trotz aufmerksamster Be- obachtung nichts dergleichen wahrnehmen. Dr. Prieme 1 wie der Wärter glaubten allerdings nicht, daß Basso wirklich rechnen könne, vielmehr nahmen sie irgendeine Art der Übertragung an, der Wärter einen „geistigen Konnex". Marbe wandte bei seiner Untersuchung nun eine „Variationsmethode" an: er wollte nicht fest- stellen, ob Basso rechnen könne und die mensch- liche Sprache verstehe, sondern fragte sich, unter welchen Bedingungen Basso richtig, unter welchen falsch oder überhaupt nicht reagiere, wobei die Frage nach dem Rechenvermögen und dem Sprach- verständnisse der Schimpansin von selbst beant- wortet wurde. Zunächst ließ er sich von Herrn Burkardt die Art des Rechenunterrichtes aus- einandersetzen. Basso hatte die Zahlen an Flaschen erlernt, ganz allmählich war sie mit den Grund- rechnungsarten vertraut gemacht worden, ebenso allmählich war der Zahlenkreis erweitert worden, kurz der Unterricht wich nicht von der üblichen Unterweisung in den Anfangsgründen der Rechen- kunst ab, ausgenommen, daß der Begriff der Null N. F. XV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 56s (die auch als Lösung in allen Beispielen Marbes nie auftritt) dabei fehlt. IVlarbe sah Basso z. B. folgende Aufgaben lösen, die alle restlos ohne den geringsten Fehler gelangen: drei mal zwei? — fünfzehn und eins, das ganze geteih durch zwei ? — vierundzwanzig weniger sechs, der Rest geteilt durch zwei ? — Wenn Basso eine Aufgabe nicht beim ersten Male richtig löste, gab sie doch nach einigen falschen Lösungen immer die richtige an. Allein um Zufall konnte es sich dabei nicht handeln: nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird die Wahrscheinlichkeit dafür, zufällig die richtige Tafel aufzuheben, erst innerhalb von sieben oder mehr Griffen (bei zehn Tafeln) größer als '/2 i Basso dagegen hob bei Marbes Untersuchungen niemals später als beim vierten Griffe die richtige Tafel auf, meistens aber schon beim ersten Male. Von vornherein hielt Marbe es für durchaus möglich, daß ein l'ier von der Intelligenz des Schimpansen, die sicher nicht geringer als die der Hunde oder der Pferde ist, rechnen könne. Basso konnte entweder ein natürliches Rechenvermögen besitzen, sie konnte automatisch rechnen, das heißt, ein- geübte Beispiele richtig beantworten, sie konnte weiter selbständig rechnen, daß heißt, nichtgeübte Aufgaben richtig lösen, und schließlich bestand die Möglichkeit, daß ihre richtigen Antworten durch Zeichen des Wärters ausgelöst wurden. Da der Wärter das Geben solcher Zeichen auf das entschiedenste bestritt, konnte es sich freilich nur um unbewußte Zeichen handeln. Durch Variieren der Versuchsbedingungen fand Marbe nach langem Suchen die richtige Er- klärung der Rechenkünste Bassos. Auf Befragen erfuhr er von dem Wärter, daß dieser die Fähigkeit habe, sich Zahlen sehr lebhaft vorzustellen. Augen- scheinlich gehörte er zu dem optischem Typus. Auf Wunsch Marbes stellte er sich nun bei einer Reihe von zwölf Rechenaufgaben, die Basso lösen sollte, nacheinander die Zahlen von i bis lO und dann 20 und 30 vor, die mit den Lösungen der Aufgaben nichts zu tun hatten. Das merk- würdige Ergebnis bestand darin, daß Basso achtmal die Zahl als Lösung angab, die der Wärter sich vorgestellt hatte, und bei Wiederholung des Ver- suches tat die Schinipansin das fast regelmäßig! Hatte der Wärter bei Bassos Rechnen die Augen geschlossen, so kam es gewöhnlich zu keinem Ergebnisse, da der Wärter ja die Tafel abnehmen sollte, jedenfalls rechnete Basso dann erstaunlich schlecht und beantwortete leichte Aufgaben wie das Addieren oder Multiplizieren einziffriger Zahlen erst nach 12, 16 oder gar 25 Fehlgriffen richtig. Die Annahme Marbes, Basso beobachte unwillkürliche Augenbewegungen des Wärters, traf nicht zu, vielmehr war es die Kopfrichtung des Wärters, die der Schimpansin die aufzuhebende Tafel bezeichnete, wie Marbe bald zu vermuten Grund fand. Bei zehn Versuchen stellte er daher den Wärter mit seinem Kopfe so ein, daß dessen Mittelebene nacheinander die Tafeln mit den Zahlen 10, 9, usw. bis I schnitt. In allen zehn Fällen hob Basso die Tafel auf, die die Kopfrichtung des Wärters bezeichnete, und jedesmal war die Lösung der Aufgabe falsch! Dadurch kam Marbe auf die Vermutung, daß Basso weder rechnen könne noch überhaupt die Zahlen kenne. Wurden die Zahlentafeln i und 10 rechts und links neben den VN'ärter gelegt, während dieser starr geradeaus sah, so hob Basso auf Befehl: „Hole die eins," „Hole die zehn" in der Hälfte der Versuche die richtige, in der anderen die falsche Tafel auf, und auch halbstündiges Üben, das der Wärter vor- geschlagen hatte, änderte nichts an diesem Er- gebnisse, das durchaus mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Einklänge steht. Das bisherige Ergebnis, daß Basso nicht rechnen könne, wohl aber sehr gut zu beobachten wisse, fand seine Bestätigung in einer weiteren Reihe von Versuchen: wenn auf dem Tische die Tafeln I und 10 allein lagen und der Wärter mit ge- schlossenen Augen arbeitete, aber jedesmal seinen Oberkörper leicht nach der Seite der zu holenden Tafel neigte oder einen kurzen Blick auf sie warf, brachte Basso sie auch. Das eindeutige Ergebnis der Untersuchungen Marbes ist folgendes: die Schimpansin Basso rechnet nicht, sie kennt auch nicht die Zahlen, sondern sie gibt ihre richtigen Antworten infolge von unwillkürlichen Zeichen des Wärters. Neben den Zeichen, die Marbe festgestellt hat, können noch andere in Frage kommen, die ihm ent- gangen sind ; jedenfalls hat er durch Versuche an sich selbst festgestellt, daß die Beobachtungsgabe der Schimpansin für solche Zeichen erheblich größer ist als die menschliche. Die Bedeutung dieser vorbildlichen Untersuchung, deren Methode sicherlich bei der Prüfung anderer rechnenden oder denkenden Tiere zum Ziele führen würde, wenn der Gang der Untersuchung im einzelnen auch anders sein müßte, geht weit über den Fall Basso hinaus. Denn Marbe hat zugleich nach- gewiesen, daß ein denkendes Tier, das wie Basso auf unbewußte Zeichen seines Lehrers die ge- wünschte Antwort gibt, ohne weiteres als Sprach- genie oder Denkwunder auf sonst einem Gebiete vorgeführt werden könnte, ohne daß der Lehrer auf die geringsten Zweifel an dem Denkvermögen seines Schülers käme. Man brauchte nur ent- sprechend den Zahlentafeln dem Tiere eine Buchstabiertafel vorzulegen, auf dem es die ein- zelnen Buchstaben nach unbewußten Zeichen des Wärters angäbe; in einer Sprache, die dem Wärter geläufig ist, kann es sich dann natürlich ausdrücken! Schaustellungen dieser Art sollen voraussichtlich demnächst in Frankfurt mit Basso gezeigt werden. Hans Pander (Berlin). 566 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 39 W. Brunner, Dreht sich dieErde Berlin 1915, Teubner. — Preis 80 Pf. Das Werkchen bemüht sich, als Ergänzung zum Unterricht in der Physik und der Geographie diejenigen Versuche zu besprechen und anschaulich zu machen, die uns die Drehung der Erde direkt vor Augen führen, und die auch ohne große Mittel nachgemacht werden können. So greift es aus der Fülle der Beweise nur die geeignetsten heraus, den frei fallenden und dabei nach Osten abweichenden Körper, die Versuche mit der Fall- maschine; Foucault's Pendelversuch, die Ver- suche mit dem konischen Pendel, und die mit dem Kreisel oder Gyroskop. Den Geographen interessieren dann noch die Ablenkungen hori- zontaler Bewegungen, der Meeresströmungen, der Plüsse, Eisenbahnen, und Passatwinde. Besonders anziehend ist die Beschreibung historisch wichtiger Versuche, und die Angabe der hierbei zu über- windenden Schwierigkeiten und der erlangten Genauigkeit, aus der sich unmittelbar ersehen läßt, welches Vertrauen diesen Arbeiten zuzu- schreiben ist. Als Titelbild finden wir die pholographische Aufnahme der Sterne um den Polarstern während mehrerer Stunden, die in dieser Zeit durch konzentrische Kreisbögen ihre Bewegung als Spiegelbild der Erdbewegung selbst aufgezeichnet haben. Riem. Pohlig, Hans, Erdgeschichtliche Spazier- gänge, nützliche Plaudereien da und dort in Ernst und Scherz. Mit zahlreichen Abbildungen im Text und einer farbigen Tafel. 448 S. Alfred Kröner Verlag. Leipzig 1914. — ■ Brosch. 6 M., geb. 7,50 M. Wie der Verf. im Vorwort bemerkt, sollen die Erdgeschichtlichen Spaziergänge ein allererster Versuch zu einer allgemeinen deutschen Exkursions- geologie sein. In 28 Kapiteln — ausgenommen von zweien, welche der Besprechung von Vesuv und Ätna zur Erläuterung des 28. Kapitels „Er- loschene Gluten" dienen — wird der Leser mit der erdgeschichtlichen Entstehung der einzelnen Gaue unseres schönen deutschen Vaterlandes auf Wanderungen vertraut gemacht. Zugleich will das Buch eine Einführung in die Erdgeschichte selbst geben. Das i. Kapitel „Auf, nach Rügen 1" z. B. gibt allgemeine Bemerkungen über den Auf- bau und die Entstehung der Erde — über das Meer, den Lieferanten vieler Ablagerungen, die uns im Laufe der Erdgeschichte als Kalk, Mergel, Sandstein, Schiefer, Ton, Gips, Steinsalz usf. je- weils mit der entsprechenden Lebewelt entgegen- treten — über die wechselvolle Geschichte der heutigen Ostsee. Im besonderen lernen wir die dort vorkommenden Gesteine kennen: Die Kreide mit ihren häufigsten Versteinerungen, die F"euer- steine, die aus zahlreichen Urtierschälchen be- stehende weiße Kreide ; am Strande die zahlreichen verschiedenartigen Geschiebe, welche in der Eiszeit Bücherbesprechuugen Leipzig durch den nordischen Gletscher nach Süden ge- tragen und weit über das norddeutsche Flachland ausgestreut wurden. In den folgenden Kapiteln werden Erzgebirge, Riesengebirge, Böhmerwald, Sclnvarzwald, Vogesen, Thüringen, Rheinland, Harz, Dortmunder Kohlenrevier, Kyffhäuser, Berchtesgadener Alpen, Ilmtal, Schwäbische Alb, Lothringen und seine Minette, Teutoburger Wald, P^'ränkische Schweiz, Altmühltal mit Solnhofen, Harzvorland, Eibsandsteingebirge, AUgäu, Mainzer Becken, Gegend von Leipzig, Köln und Bonn, Berlin, Vesuv und Ätna und im Anschluß daran die Eifel mit ihren erloschenen Vulkanen ge- schildert. Inhaltlich ließe sich über Manches verschiedener Meinung sein, was in einem volkstümlichen Buche lieber wegzulassen wäre. Nur ein Ausdruck das „Granitrift"", das „Porphyrrifif" soll hierherausgegriften werden, der in volkstümlichen Kreisen irreführend ist. Unter Riffen verstehen wir durch Organismen (Korallen, Schwämme, Austern, Kalkalgen) auf- gebaute klotzige Kalk- und Dolomitmassen, die vielfach in steilen Wänden abbrechen, wie es manchmal auch der Granit und Porphyr tut. Granit und Porphyr sind aber Massengesteine. Man kann in Volksbüchern nicht genug mit derartigen mißverständlichen Ausdrücken vor- sichtig sein, die einmal eingebürgert, sich schwer wieder ausmerzen lassen. Im Heft lo/ii der Zeitschr. f. prakt. Geologie 191 5 z. B. bemüht sich O. Herr mann für die irreführende Be- zeichnung „belgischer Granit" (ein aus unzähligen weißen Seelilienstielgliedern, Korallen, Muscheln usw. bestehender Kalk des belgischen Kohlen- kalks, welcher in poliertem Zustande vielfach in Deutschland verwendet wird; vgl. auch S. 394) den Ausdruck Crinoiden-Marmor oder besser „bel- gischer Fossilien-Marmor der Industrie zur An- nahme zu empfehlen. Trotz dieser im ganzen genommen kleinen Mängel ist das Buch zu begrüßen. Es kann als eine volkstümliche erdgeschichtliche Landeskunde Deutschlands bezeichnet werden. Freilich als deutsche Exkursionsgeologie mag es viel zu weit- schweifend sein, da viel Text auf Kosten der behaglich breiten Plaudereien zu setzen ist. Die Abbildungen sind gut, viele Skizzen infolge ihrer Einfachheit geradezu prächtig. Die Sprache ist leicht verständlich, nicht selten durch manchen Humor und Witz allzureichlich gewürzt. Geo- logisch „Ungelernten" ist das Buch vor allem als Lektüre zu empfehlen. Naturwissenschaftlich interessierten Studenten und Wandervögeln wird das Buch durch seinen frischen Zug mancherlei Spaß und PVeude bereiten. V. Hohenstein, Halle a. S. Emil Abderhalden, über den Bau Zelle. 2. Aufl. Neuere Anschauungen und Stoffwechsel der Berlin 1916. — Preis i M. N. F. XV. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 567 Dieser Vortrag Abderhaldens ist wichtig, weil er eine treffliche Einführung in die von A. bearbeiteten Probleme bietet ; wer hier die Problemstellung er- faßt hat findet dann in den großen Werken Abderhaldens die ausführliche Darstellung. Der Vortrag ist — wie alle Arbeiten dieses Autors — genial großzügig und voll weiter Beziehungen. Es gruppiert sich die große Menge der hier angeregten Fragen um das eine Problem: Besitzt die einzelne Körperzelle oder wenigstens das ein- zelne Körperorgan eine konstante chemische Zu- sammensetzung, physikalische Struktur und eine konstante Funktion? Antwort: Wenn auch die Vorgänge in einer Zelle und damit die im Augen- blick vorhandenen Stoffe von Sekunde zu Sekunde sich ändern können, so sind doch die Ergebnisse des Zellebens: bestimmte Substanzen einer Zell- gruppe durchaus konstant. Das Problem der chemischen Zellkonstanz ist das Problem des Vortrages. Eine Reihe von Tatsachen werden zum Beweise angeführt: 1. Die Alge Spirogyra muß einen von anderen Algenarten unterscheidbaren chemischen Aufbau besitzen, den das Protozoon Vampyrella vermittels seiner nach außen tretenden Fermente auffinden kann, während wir nur mit dem Auge die Algen- form zu unterscheiden imstande sind. 2. Eine gleiche Nahrung bedingt bei ver- schiedenen Tieren nicht einen gleichen Art- charakter; vielmehr sind trotz gleicher Nahrung die einzelnen Tiere und die einzelnen Zellgruppen im Tier verschieden. Abderhalden sagt bild- lich : wenn ein Architekt eine Kirche in ein Schulhaus umbaut, muß er die Kirche in die ein- zelnen Bausteine zertrümmern und aus diesen das Schulhaus bauen. So müssen alle Tiere vom Protozoon bis zum Menschen die Nahrungsstoffe abbauen ; diese Bausteine werden teilweise in den Darmzellen zu höheren Molekulargruppen zu- sammengesetzt, teils als einfache Bausteine im Blut, Lymphe und Gewebssaft den Zellen dar- geboten; diese entnehmen ihren Bedarf diesen Transportstraßen und bauen sie zu zellspezifischen Stoffen auf. Dadurch wird die Art der Zelle und die Art des Organismus garantiert; keine zell- fremden Stoffe gelangen in den Organismus. Kommt dies doch vor (z. B. durch Einspritzen von Stoffen in das Blut), so baut der Körper im Blut durch Abwehrfermente diese Stoffe ab oder scheidet sie aus, welcher Vorgang nach A. eine bedeutende Rolle bei Infektionskrankheiten spielt. 3. Die Organe eines Organismus stehen in chemischen Beziehungen zueinander: „Jede einzelne Zelle liefert Stoffe, welche im gesamten Haushalt eine ganz bestimmte, ein für allemal festgelegte Rolle spielen." Ein Organ sondert z. B. einen Stoff aus, der nur von ihm stammen kann und der nur auf ein bestimmtes anderes Organ wirkt (Hormone). Oder die Produkte zweier Organe vereinigen sich zu einem nun erst wirksamen Stoffe: so der Pankreassaft und Darmsaft zu dem nun erst wirksamen Ferment. — Wenn also bestimmte Stoffe nur auf bestimmte Zellen wirken, dann müssen diese eine Spezifität besitzen; dann wird die Heilkunde vermittels abgestimmter Stoffe immer spezifischer auf Zellen heilend einwirken können. Auch die Einwirkung der Nerven auf bestimmte Zellen sieht A. als die Einwirkung spezifischer Stoffe auf andere spezifische Stoffe in besonderen Zellen an. — Soweit Abderhalden. Seinen wichtigen Ergeb- nissen zur Theorie der chemischen Zellkonstanz kann man anfügen: diese Konstanz der Bestandteile ist das Produkt eines konstanten Arbeits- ablaufes in der Zelle, der autonom, in ge- regelten Bahnen sich vollzieht und dessen Aus- lösung und Zeitspanne zwar äußeren Einwirkungen auf die Zelle unterliegt, dessen Zeitfolge jedoch konstant ist. Dies läßt sich zunächst an Sekretions- zellen nachweisen (vgl. d. Aufsatz des Referenten in dieser Nr. d. N. W. über die „Erregung und den Arbeitsablauf der Verdauungsdrüsen"). Der kon- stante Arbeitsablauf und die variabeln äußeren Reize bedingen die Funktionsrichtung eines Organs. — Zweitens besteht neben einer chemischen Spezifität der Zellen noch eine chemische Gemein- schaft aller Zellen innerhalb eines Individuums, mindestens innerhalb einer Art, wodurch die Art- konstanz mit gewährleistet wird. Zwischen Organ- spezifität und Artspezifität muß geschieden werden. Gottwalt Chr. Hirsch, z. Zt. im F"elde. Ernst Haeckel, Fünfzig Jahre Stammes- geschichte. Historisch kritische Studien über die Resultate der Phylogenie. Mit 5 Tabellen und 2 Stammbaumschemen. 8 ''. II -(- 70 S. Jena 1916, G. Fischer, brosch. 2 M. Mit den Büchern und Schriften, die Haeckel sonst in den letzten Jahren herausgab, wandte er sich an weitere Kreise. Dagegen ist die vor- liegende Arbeit, die zugleich in der Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft, Bd. 54, Heft 2, erschien, in erster Linie den Forschern zu- gedacht, ihnen legt Haeckel 50 Jahre nach Erscheinen der Generellen Morphologie in Kürze seine heutigen Ansichten über den Stammbaum der Tiere vor. Damit wurde ein äußerst scharf umrissenes Bild geschaffen, für das selbst derjenige dankbar sein würde, der an ihm keine neuen Züge entdecken könnte. Aber man findet auch solche; so hat Haeckel, um nur ein Beispiel zu er- wähnen, einiges von den Ausführungen Klaatschs über die Herkunft des Menschen angenommen, darunter die Ansicht, daß gegenüber den stark transformativen laufenden Säugetieren die klettern- den Primaten als eine sehr konservative Legion erscheinen. Philosophisches wird nur kurz berührt; das Leitwort weist mit den Worten H. Schaaff- hausens aus dem Jahre 1867 darauf hin, daß die Erkenntnis vom wahren Ursprung des Menschen für alle menschlichen Anschauungen als die folgen- reichste gelten könne, die je dem menschlichen Geiste beschieden war. Dr. V. Franz. 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 39 VVetter-Moiiatsübersicht. Während des diesjährigen August herrschte land ziemlich veränderliches, im allgemeinen n Wetter. Stärkere Hitze kam in N'orddeutschlane den Tagen zwischen dem lo. und 17., im Südv Xemperafur-SKaxinia einiger ©rfe itn ^hcj"^^ ^^^ß- dem ganz am Anfang des Monats vor. Am 2. stieg das Ther- mometer z. B. in Frankfurt a. M. , Geisenheim, Trier und Mülhausen i. E., am 10. in Halle und Magdeburg, am 17. in Oppeln bis auf 30 und in Pleß in Schlesien sogar bis 31" C. .'Xn einigen Tagen, besonders um den 5. und 20. August, wur- den selbst in den Mittagsstunden 15° C nicht überall erreicht. Aber auch die nächtliche Abkühlung war gewöhnlich nicht gar zu stark , allein in der Nacht zum 8. August sank die Temperatur an verschiedenen Orten bis auf 5 und in Garde- legen bis auf 3V2'' C. Die mittleren Monatstemperaturen waren überall zu nie- drig, am meisten im Nordosten, bis etwa zur Oder hin, wo der Wärmemangel 1 bis I '/a Grad betrug, während er sich im übrigen Deutschland auf etwa einen halben Grad be- schränkte. Die Bewölkung war allgemein zu groß und dem- gemäß die Sonnenstrahlung zu gering. Beispielsweise hat in Berlin die Sonne im ganzen Monat an nicht mehr als 174 Stunden geschienen, während hier in den früheren 24 August- monaten durchschnittlich 214 Sonnenscheinstunden verzeichnet worden sind. Die in unserer zweiten Zeichnung dargestellten Nieder- schläge waren innerhalb Deutschlands recht ungleich verteilt. In sehr vielen Gegenden zeichneten sich die beiden ersten Augustwochen durch größtenteils trockenes und auch nicht selten heiteres , für die Ernte überaus günstiges Wetter aus. Nur in den Provinzen Ost- und Westpreußen war es während des größten Teiles dieser Zeit trübe und fanden sehr zahl- che, obschon nicht allzu bedeutende Regenfälle statt. Da- gegen in Süd- und Mitteldeutschland, hauptsächlich am II. August, zahlreiche, außerordentlich starke Gewitter- regen vor, die z. B. in Plauen 42 und in Frankfurt a. M. sogar 60 mm Niederschlagshöhen lieferten. Kurz vor Mitte des Monats nahmen die Regenfälle im größten Teile des Landes beträchtlich za und wiederholten sich sodann bis zum Schlüsse überall häufig. Von besonders heftigen Regengüssen, die meistens von Gewittern, strichweise auch von Hagel begleitet waren, wurden abermals verschiedene Gegenden Mittel- und Süddeutschlands betroffen. Beispiels- weise fielen am 15. in Posen 41, am 17. in Fulda 34 und i'^ieLCer^'ci^fa^Qß'^ö^enjm^usu^f :3:x:Wx:S: <0:!=cOocQ : in Darmstadt sogar 70, am 18. in Gai delegen und in Schwerin je 43, am 26. in Mülhausen i. E. 39 mm Regen. Die Niederschlagssumme des Monats belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf So,5 mm und stimmte mit der mittleren Regenmenge, die die gleichen Sta- tionen in den letzten 25 Augustmonaten geliefert haben , fast genau überein. Die allgemeine Druckverteilung Europas wies ebenfalls im Laufe des Monats mehrere starke Änderungen auf. In den ersten Tagen zog ein für die Jahreszeit ungewöhnlich tiefes Barometerminimum vom Nordmeer südostwärts über Skandinarien mit stürmischen West- bis Nordwestwinden nach der Ostsee und dann weiter ins Innere Rußlands hin. Ihm folgte vom Atlantischen Ozean ein barometrisches Maximum nach, das längere Zeit in der Nähe der britischen Inseln ver- weilte, jedoch sein Gebiet allmählich auch auf den größten Teil des westeuropäischen Festlandes ausdehnte, während die skandinavische Halbinsel und Nordrußland gleichzeitig von neuen Depressionen durchwandert wurden. Gegen Mitte des Monats trat auf dem Ozean ein mäßig tiefes Minimum auf und drang langsam ostwärts, indem es das Hochdruckgebiet zum Teil nach Nordosten, zum Teil nach Süden verschob, an die Ostsee und ins Innere Deutsch- lands vor. Nachdem dann das südwestliche Hoch vorüber- gehend nach Mitteleuropa gelangt war, erschienen andere neue atlantische Minima rasch hintereinander auf der süd- lichen Nordsee, schlugen aber eine mehr nach Nordosten ge- richtete Straße ein, so daß die Witterungsverhältnisse Mittel- europas durch sie nicht ganz so stark wie durch das erste atlantische Tief beeinflußt wurden. Dr. E. Leß. Inhalt: Gottwalt Chr. Hirsch, Die Erregung und der .'\rbeitsablauf der Verdauungsdrüsen. 11 Abb. S. 553. — E. P. Häußler, Über .Vmine, Amidosäuren und Eiweißkörper, Alkaloide, Hormone, proteinogene Amine und ro.\ine S. 560. — Kleinere Mitteilungen: Franz, Deutsche Seide und deutsche Nesselwolle. S. 563. Marbe, Di< Rechenkunst der Frankfurter Schimpansin im Lichte der Psychologie. S. 564. — Bücherbesprechungen: W Brunner, Dreht sich die Erde? S. 566. Hans Pohlig, Erdgeschichtliche Spaziergänge. S. 566. Emil Abder halden. Neuere Anschauungen über den Bau und Stoffwechsel der Zelle. S. 566. Ernst Haeckel, Fünfzig Jahr( Stammesgcschichtc. S. 567. — Wetter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 56S. Manuskripte und Zu werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Bucbdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i. Oktober 1916. Nummer 40. Über Mazeration von kohlig Von Dr. phil. K. [NachdiQck verboten.] Mit 3 Abbi In Nr. 48 dieser Zeitschrift vom 28. November 1915 findet sich auf 5. 748 von V. H ohen stein - Halle eine kürzere Notiz „Über neuere Erfolge der Mazerationsmethode in der Paläobotanik", wo namentlich auf die neuerdings gelungene Ge- winnung von Blattepidermen von kohlig erhaltenen Pflanzenresten nicht nur aus dem Mesozoikum, sondern sogar aus dem Karbon hingewiesen wird. Wer jemals die oft recht schlechten „Abdrücke" aus der Steinkohlenzeit betrachtet hat, wird eine Eignung dieser für mikroskopische Untersuchungen kaum für möglich halten. Es lohnt sich daher wohl, den Gegenstand vor einem größeren Leser- kreise eingehender zu behandeln und namentlich durch Abbildungen das Gesagte zu erläutern. Beim Beschauen eines Pflanzenrestes aus dem Karbon, z. B. Neuropteris oder Mariopteris, er- kennt man sofort, daß die Bezeichnung „Abdruck" meistens nicht zutreffend ist. Der Abdruck im eigentlichen Sinne gibt nur mehr oder minder deutlich das Negativ des Fossils wieder, den Gegenstand selbst läßt er vermissen. Daraus erhellt, daß für die oben angegebenen Unter- suchungszwecke nur solche Stücke brauchbar sind, bei denen der Blattrest selbst, von dem der Ab- druck herrührt, als kohlige Masse erhalten geblieben ist. Welche Veränderung ist nun in dem einstigen Blatt, daß Jahrmillionen zwischen dem Sedimentgestein wie in einem Herbarium aufbewahrt gewesen ist, vorgegangen? In dem wesentlich aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauer- stofi" bestehenden Pflanzenrest hat wegen der all- mählichen Abschließung gegen äußere Luft ein nur unvollständiger Fäulnisprozeß stattgefunden, der unter langsamer Abnahme von Wasserstoff und Sauerstoff eine Konzentrierung des Kohlen- stoßes zur F"olge hatte. Diesem chemischen Vorgange haben nur die beiden Häute des Blattes, die bald mehr, bald minder kutinisiert, d. h. mit einer korkartigen, konservierenden Substanz durch- setzt, bzw. überzogen sind, widerstehen können. Dies ergibt sich nämlich aus dem Folgenden. Es gelingt, durch geeignete chemische Methoden das Fossil zu erreichen, die für die mikroskopische Untersuchung lästige Kohle zu beseitigen, und so bleiben die beiden Epidermen zurück und lassen die einstige Oberflächenstruktur des Blattes er- kennen. Zu diesem Zwecke bedient man sich des Schulze' sehen Mazerationsgemisches, das zuerst der Rostocker Chemiker Schulze in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei der Untersuchung von Steinkohle erprobt hat, und das seitdem zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel erhaltenen Pflanzenresten. Nagel-lierlin. Idungen. bei dergl. Arbeiten geworden ist. Man legt das mit einem Meißel vorsichtig mit oder ohne Schieferunterlage abgeschlagene Bröckchen des zu untersuchenden Objektes in ein Gemisch von chlorsaurem Kali und konzentrierter Salpetersäure KCIO3+HNO3]. Dieses Gemenge, das stark nach Chlor und chlorigen Säuren riecht, wirkt bleichend und oxj'dierend und bringt damit gleich- sam den Gegenstand auf den weichen, etwa torfigen Zustand, in dem er sich früher befunden hat, zurück, ihm dabei eine schwach durchscheinende, rotbräunliche Farbe verleihend. Alsdann nimmt man das Stück aus der Lösung, wäscht es mit Wasser aus und bringt es in mäßig kon- zentriertes Ammoniak. Hier vereinigt sich die bei der Oxydation entstandene unlösliche Humus- säure mit dem Ammoniak zu löslichem sog. ,,Humat", das in dunkelbraunen Wolken abgeht, und die wegen der starken Kutinisierung un- verändert gebliebenen Epidermen bleiben zurück. Sie werden mit Wasser ausgewaschen, auf einem Objektträger in ein Tröpfchen Glzyerin gebettet, das zur Erzielung einer besseren optischen Wirkung mit etwas Zinksulfokarbolat versetzt sein kann, mit einem Deckgläschen versehen, das man zweckmäßig ankittet, und das Präparat ist für die Untersuchung und Aufbewahrung fertig. Es sei hier gleich erwähnt, daß man je nach der Widerstandsfähigkeit des Objekts statt Kalium- chlorat und Salpetersäure auch andere stärkere oder schwächere Mittel anwenden kann, wie z. B. Eau de Javelle, Wasserstoftsuperoxyd, rauchende Salpetersäure, Kalilauge. Im Anschluß an die theoretischen Ausführungen sollen nunmehr einige praktische Beispiele be- sprochen werden. Die Abb. i a und i b zeigen die auf solche Weise gewonnenen Oberhäute von Neuropteris ovata Hoffmann aus der Saar- brückener F'lammkohle. Abb. i a stellt die Ober- haut dar, an der die wellenförmige Verzahnung der Zellwände sichtbar ist. Außerdem erkennt man drei Züge von langgestreckten Zellen, die ehemals auf den Blattadern gelegen haben. Auch bei rezenten Pflanzen sind die den Nerven auf- liegenden Oberhautzellen im Gegensatz zu den übrigen .stets langgestreckt. Abb. i b zeigt die untere Epidermis desselben Blättchens allerdings nur in halber Vergrößerung wie die vorige. Hier erkennt man keine undulierten Zellwände. Die vier Reihengruppen dunkler Punkte sind Atem- öffnungen. Die größeren Löcher stellen Haar- ansätze dar. (In manchen Fällen sind auch die §;o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 40 Haare erhalten geblieben.) Die spaltöffnungsfreicn Linien sind wieder Aderspuren. Abb. 2 stammt von Anomozamites gra- cilis Nathorst aus dem unteren Lias; a ist ein Stückchen des Blattes in natürlicher (nulle, von dem die Oberhaut b gewonnen wurde. Auch sie zeigt deutlich wellige Zellwände. Sehr instruktiv ist auch Abb. 3. Es ist ein Stück von Ctenopteris Wolfiana Goth. aus dem unteren Lias bei Nürnberg in halber natür- ..aL ...J^Sm; Abb. I. Karbo nn. a = Oberhaut ch Gothan.) ('"»/i). b = Unterhaut ca. C"/,; (Nach Gothan.) lieber Größe; b zeigt die obere, c die untere Epider- mis mit Atemöffnungen. Die Zellwände stoßen bei dieser Art im Gegensatz zu den vorigen gradlinig aneinander. Die Beispiele ließen sich noch vermehren. So hat Gothan, dem die letzten glänzenden Erfolge auf diesem Gebiete zuzuschreiben sind, sehr gute IVäparate von einem ganz unansehn- lichen Stück von Callipteris conferta Brgt. aus dem Roiliegenden hergestellt, auf deren 131att- unterseite Zellkomplexe zu sehen sind, die wahrscheinlich ehemalige Innendrüsen andeuten. Ferner haben W. Huth und R. Potonie durch IVIazeration die Epidermen von einigen Mario- pteris-Arten und von Palaeo wei chsel ia ge- wonnen. Von karbonischen Pflanzen eignen sich nach den Angaben Gothan 's am besten die (Nach Gothan.) N. F. XV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 571 Blätter der zu den Pteridospermen gehörigen Gattungen Neuropteris, Callipteris und Mariopteris, weniger gut dagegen Aletho- pteris und Lonchopteris, und überhaupt nicht viele echten Farne, wie z. B. Pecopteris und Sphenopteris, weil ihre Häute gar zu zart sind und darum den chemischen Eingriften nicht widerstehen können. Viel bessere Erfolge hat man bei der Mazeration von Fruktifikationsorganen (Sporen, Pollen usw.) erzielt, deren Hüllen sehr stark verkorkt sind, da diese nämlich das Proto- plasma bis zum Eintritt günstiger Keimungsbe- dingungen vor Austrocknung schützen sollten. So ist es gelungen, Sporen und Pollen von Farnen, Calamiten, Sphenophyllen und anderen Sieinkohlenpflanzen zu gewinnen, wobei unter dem Einfluß des Ammoniaks die Sporen in Massen hervortreten. Zweifelhafte Pflanzenreste können oft nur auf diese Weise in ihren natür- lichen Verwandtschaftskreis eingeordnet werden. Welche Bedeutung solchen Untersuchungen bei- zumessen ist, davon sei folgendes Beispiel ange- führt. Der berühmte schweizer Paläontologe Heer hatte eine Fruchtähre aus der oberen Kreide Grönlands als einen P'arn Ophioglossum granulatum beschrieben, und Jahrzehnte hindurch hat man diese Bestimmung für richtig gehalten. Erst vor wenigen Jahren ist der Engländerin Stopes durch Mazerierung des Originals der Nach- weis gelungen, daß es sich bei diesem Fossil um die männliche Blüte einer Kiefernart handelt. An jüngeren karbonischen Pflanzen ist die Mazeration in größerem Maßstabe zuerst von Schenk an- gewendet worden, dessen Ergebnisse leider lange Zeit hindurch nicht genügend gewürdigt worden sind. Erst Zeil 1er und C. W. von Gümbel haben die Versuche systematisch wieder aufge- nommen. Das Verdienst aber, diese Unter- suchungsmethode wissenschaftlich weiter ausgebaut und also überhaupt die neueren Fortschritte be- wirkt zu haben, gebührt Nat hörst, der in seinen zahlreichen Arbeiten in den letzten zehn Jahren immer wieder die Wichtigkeit der Mazeration durch eigene Praxis betont hat. Zum Schluß seien noch die bemerkenswerten Erfolge des Amerikaners Jeffrey erwähnt, dessen Versuche allerdings noch nicht abgeschlossen sind. Ihm ist es nämlich geglückt, Kohlen und kohlig erhaltene Reste sogar für das Mikrotom herzu- richten. Da viele Kohlen wegen ihrer Sprödig- keit keine Dünnschlifi'e ergeben, so mazerierte er sie mit Fluorwasserstoffsäure und bettete sie nach sorgfältiger und umständlicher chemischer Behand- lung in Zelloidin ein, worauf sie zum Schneiden fertig waren. Auf diese Weise hat er in der Kännelkohle zahlreiche Sporen nachweisen können. Die Paläobotanik sowohl wie die Wissenschaft der Kohlen darf daher auch fernerhin wichtige Auf- klärungen von der Mazeration erwarten, nament- lich auch an zweifelhaften fossilen Funden. Liter in Aus' 1912, Nathorst, A. G. , Paläobotanische Zeitsc S. 26. W. Gothan, Über die Epidermen einiger Ncuropteriden dei Karbons. [Jahrbucli königl. preuß. geol. Landesanstalt für 1914, Bd. 35, Teil 2, Heft 2] (1915). — — , Über die Methoden und neue Erfolge bei der Untersuchung kohlig erh.altener Pflanzenreste. [Sitzungsber. Gcsellsch. Naturforsch. Freunde, Berlin, Jahrg. 191 5, Nr. 2.] — — , Neuere Verfahren zur Untersuchung von kohlig erlialtenen Pflanzenresten und von Kohle. [Glückauf, Jahrg. 51, Nr. 2g, vom 17. Juli 1915.] Die mechanische Einwirliiing von Forinica fiisca cinerea (Majr) For, [Nachdruck verboten.] Von Dr. Anton Krauße, Eberswalde Ulf Sandboden. Wie wenig die Einwirkung der Tiere und be- sonders der Insekten auf den Boden bisher ge- würdigt worden ist, zeigen deutlich die Ausfüh- rungen Prof. E. Ramann's in seiner „Boden- kunde" (dritte Autlage, 191 1). Daß es sich hier um ganz beträchtliche Leistungen handelt, ist a priori klar; es sind indes genauere, zahlenmäßige Angaben erwünscht. Im folgenden seien mir einige Angaben über die Arbeitsleistungen einer Ameise erlaubt, die sich mit Vorliebe in Sandboden ansiedelt und wegen des Ausbaues und der Instandhaltung ihrer Larven- und Puppenkammern unausgesetzt Sandkörner aus der Tiefe an die Oberfläche schaffen muß. Über diese mechanische Arbeitsleistung dieser Ameisen- rasse lag mir daran einmal einige genauere Zahlen zu ermitteln. Formica fusca cinerea (Mayr) Forel, die alt- bekannte bei uns und in Südeuropa heimische Ameise bevorzugt Sandboden, doch findet sie sich auch unter Rinde, gern haust sie auch unter Steinen; sie baut keine Haufen, ihre Kolonien sind meist volkreich, oft stehen mehrere Kolonien mit- einander in Verbindung. Bei Eberswalde ist sie häufig. So befindet sich eine große Ansiedlung in der Nähe der Chaussee nach Trampe auf dem vor den Leuenberger Wiesen nach Sommerfelde führenden breiten Sandwege. Das besiedelte Terrain umfaßte am 3, Mai ca. 100 qm (genauer maß ich 22,5 qm;N,4,5 qm); jedenfalls wird sich die Ansiedlung noch ausdehnen. Die Tiere standen, wie einige Versuche zeigten, miteinder in freund- schaftlichem Verkehr, was sich leicht feststellen läßt: man braucht nur einige Arbeiter, ohne sie mit dem Finger zu berühren, von dem einen Ende an das andere zu transportieren und zu beobachten, ob die neuen Ankömmlinge angefallen oder ob sie freundschaftlich aufgenommen werden (ich erinnere an das „Betrillern", um einen Wasmann- schen terminus zu gebrauchen). 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 40 Das Wohngebiet ist ein etwas erhöhter Sand- streifen, am Rande des Kiefernwaldes. Bei meiner ersten Exkursion 1916 hierher, Mitte April (am 19.), fand ich daselbst auch eine winzige Kolonie desLasius nigeralienus(Foerster), ferner einige Ameisenlöwen, einige Sandwespen, Aphodien und Elasteriden, am auffallendsten aber waren zahlreiche, überwinterte Tettigiden. Als ich diese Kolonie zum zweiten Male, am 3. Mai, aufsuchte, war nur noch Formica fusca cinerea (Mayrj For. vorhanden, offenbar waren alle anderen Insekten durch die immer zahlreicher auftretenden Ameisen vertrieben und aufgefressen. Die Stelle ist nur mit spärlichem Gras be- wachsen; am 3. Mai blühte in der Nähe Löwen- zahn und Wolfsmilch. In der Nacht vorher hatte es etwas geregnet, vormittags herrschte stärkerer Wind, es war bewölkt, die Ameisen arbeiteten nur träge. Mittags (l h. p. m.) schien die Sonne und die Ameisen begannen tüchtig zu arbeiten. Ich stellte zunächst die Anzahl der Eingänge auf je einen (Juadratmeter fest; ich fand, fünf Quadratmeter genau abzählend : I: 30 Eingänge auf i qm II: 41 „ „ I „ HI: 53 „ „ I „ IV: 29 „ „ I „ V: 54 „ ., I „ Im Durchschnitt rechne ich danach rund 40 Eingänge (resp. Ausgänge) auf i qm (genauer 41,4). Es handelte sich weiter darum, genau festzu- stellen, wieviel Sandkörner an den Löchern in der Stunde herausgebracht werden. Mit einigen Unter- brechungen — ich war bald von den Arbeitern bedeckt, und ihr Gewimmel wurde oft recht un- angenehm, obschon diese Art nicht so kräftig beii.5en kann, wie einige andere F"ormicaarten — • habe icli die Zahl der in der Stunde an einem Loch herausgeschaft'ten Sandkörner in fünf Fällen genau festgestellt: es wurden in i Stunde bei Eingang I 480 Sandkörner herausgebracht „ I , II 360 „ I „ „ ., III 540 „ I „ „ „ IV 528 , I „ „ „ V 600 Im Durchschnitt kann ich danach rund 500 Sandkörner auf i Loch rechnen (für die Stunde). Auf Grund dieser Zahlen ergibt sich folgendes. Nimmt man für den Tag nur eine vierstündige Arbeitszeit an, was sehr niedrig ist, da die Ameisen sehr früh beginnen und meist bis Sonnenuntergang ununterbrochen tätig sind'), so erhält man für den Tag für i Loch 2000 Sandkörner; demnach für den Monat für i Lochöoooo Sandkörner. Die Arbeitszeit dauert von Mitte April bis Mitte Oktober hier bei uns, also rund 6 Monate; indes ist zu beachten, daß die Arbeit bei trübem Wetter, bei Regen und niedriger Temperatur ein- gestellt wird; diese Zeit nehme ich nach meinen Erfahrungen im Jahre 191 5 auf etwa 2 Monate an. Man erhält dann — nur 4 Monate Arbeits- an einem Loch werden (bei vierstündiger Arbeit) an einem Tage herausgehoben das macht für ein Loch im Monat für ein Loch im Jahre (bei viermonatiger Arbeit) zeit im Jahr gerechnet — 240000 -Sandkörner im Jahre für jedes Loch. Auf I qm (^ 40 Löcher) werden also 9600000 Sandkörner im Jahre aus der Tiefe heraufgebracht. Für die ganze Kolonie — rund lOO qm — erhält man im Jahre demnach 960000000 Sand- körner. Das ist eine ganz beträchtliche Leistung. Dabei möchte ich nochmals betonen, daß eine nur vierstündige Arbeitszeit für den Tag und eine nur viermonatige Arbeitszeit für das Jahr ange- nommen worden ist. Um diese Leistungen anschaulicher zu machen, wog ich die mitgenommenen, von den Arbeitern herausgebrachten Sandkörner; es wogen 20 Stück dieser .Sandkörner rund 11 Milligramm. Man erhält dadurch folgende Resultate: 1,1 g Sand; 33 g Sand; 132 g Sand; auf I qm werden demnach gehoben (40 Löcher!) im Jahre 5,28 kg Sand; auf der ganzen Fläche, die die Kolonie einnimmt, also im Jahre 5^8 kg Sand; Einige Wägungen und Messungen zeigten: 3. 10 g Sand = 5,45 ccm 1. 10 g Sand = 5,25 ccm Indem ich den zweiten Wert annehme, ergibt 2. 10 g „ = 5,3 ccm sich folgendes: an einem Loch werden am Tage (vierstündige Arbeit) herausgebracht 0,583 ccm Sand; das macht für ein Loch im Monat 17.49 ccm ,. ; für ein Loch im Jahre (viermonatige Arbeit) 69,96 ccm „ ; auf I qm werden demnach gehoben (40 Löcher) 2798,4 ccm „ ; auf der ganzen Fläche der Kolonie (100 qm) im Jahre 279840 ccm = 0,27984 cbm. >) Auf Sardinien beobachtete die Ernteameisen (Messorartenj Tage, besonders mittags aber Eingängen oft Temperaturen v teles berichtet, daß die Ameisen auch nachts arbeiten. jhten, hier maß ich 50»— 60» C. .Schon . ihren N. F. XV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 573 Nachtrag. Wie diese Ameise sich durch ihre fortwährende Erdarbeit oft unangenehm be- merkbar macht, ersieht man a. e. aus folgendem Artitcel aus dem „Preußischen Stadt- und Land- boten", 76. Jahrg., Nr. 176, vom 3. JuH 1916: „Massenhaftes Auftreten der schwarzen Wander- ameise wird aus dem im Bezirke Potsdam ge- legenen Vorort Glasow gemeldet. Unter dieser eigenartigen Sommererscheinung haben besonders die Landhausbesitzer sehr zu leiden, zumal es an Leuten fehlt, die die Straßen und Gehwege rein- halten. Die Ameisen schaffen sich unter den Mosaiksteinen eine Wohnstätte und bringen da- durch den lästigen Sand an die Oberfläche. Ihre Wühlarbeit hat auch zur P'olge, daß bei Regen die Steinchen sich lockern und im Pflaster Lücken entstehen. Um die lästigen Gäste los zu werden, wird die Brut vielfach mit kochendheißem Wasser zerstört. Als einfacheres und sehr wirksames Mittel erwies sich auch die Anwendung fein- körnigen Karbids. Wenige Körner in die sicht- baren Eingänge und die offenen Ritzen gestreut, genügen, um den Ameisen den Garaus zu machen. Das Karbid entwickelt langsam Azetylen, welches stark giftig ist und als spezifisch schweres Gas in die unterirdischen Gänge eindringt. Irgendwelchen Nachteil für Menschen und Haustiere hat die Ver- nichtungsweise nicht gebracht." Auf meine Bitte war der Herr Gemeinde- vorsteher von Glasow so freundlich mir eine Reihe dieser Ameisen zuzusenden (13. Juli 1916). Es handelt sich um unsere Formica fusca cinerea (Mayer) [28 5^]. Außerdem befanden sich bei der Sendung 4 Arbeiter von Myrmica scabrinodis rugulosa Nyl. Bücherbesp Hahn, Ed., Von der Hacke zum Pflug. Wissenschaft und Bildung Nr. 127. 114 Seiten. Leipzig 1914, Quelle u. Meyer. Mit großer Genugtuung legt Ref. das kleine Buch aus der Hand, in dem Ed. Hahn seine Theorien über Hackbau und Pflugkullur, über die Stellung der beiden Geschlechter zur Wirtschaft und die vielen damit zusammenhängenden Fragen in gedrängter und allgemeinverständlicher P'orm entwickelt hat. Hier handelt es sich nicht um leicht hingeworfene Hypothesen, sondern um An- schauungen und Überzeugungen, die aus einer Lebensarbeit herausgewachsen sind. Danach sind sie zu werten. Sie sind aber auch deshalb so beachtenswert, weil uns hier wieder einmal einer an die Quellen des menschlichen Lebens führt, unsern Gesichtskreis weitet und uns zeigt, wie unser als selbstverständlich hingenommenes kom- pliziertes Wirtschaftsleben sich aus ganz einfachen und ungeahnten Anfängen entwickelt hat. In wenigen Sätzen sei der wesentliche Ge- dankengang des Verfs skizziert. Das Menschen- tum beginnt mit der Erwerbung und gewohnheits- mäßigen Verivendung des Feuers. Die Anfänge aller wirtschaftlichen P'ürsorge und damit auch der Bodenkultur sind der Tätigkeit der Frau zu- zuschreiben. Aber auch höhere Ideen wirken mit, besonders die Vorstellung von einem beseelten Leben der Pflanzenwelt, auf das der Mensch ein- wirken kann und muß. Die früher herrschende Vorstellung, daß der Kulturmensch erst Jäger dann Hirte gewesen und erst zuletzt Ackerbauer ge- worden sei, ist falsch. Die primitivste Form der Wirtschaft ist vielmehr das Sammeln, wobei eine grundsätzliche Scheidung der Geschlechter be- steht, indem die Frau sich auf die vegetabilische, der Mann auf die erst in zweiter Linie stehende animalische Nahrung beschränkt. Die ständige Versorgung des ganzen Stammes als tägliche Pflicht fällt also der Frau zu. Interessante Übergänge führen vom bloßen Sammeln zu den Anfängen des Anbaues wirt- rechungen. schaftlich geeigneter Pflanzen, der zunäch.st in der Form des Hackbaues, wozu auch der Gartenbau gehört, auftritt. Grabstock und Hacke sind die dabei gebrauchten Geräte; tierische Kraft findet in den ursprünglichen Verhältnissen keine Ver- wendung. Auch diese Art der Bodenwirtschaft bleibt ausschließlich oder überwiegend in den Händen der Frau. Nach Ursprung und Wesen ganz verschieden vom Hackbau ist die Pflugkultur, die für Europa seit den prähistorischen Zeiten die allein maß- gebende P'orm der Bodenwirtschaft gewesen ist. Sie ist enge mit der Viehzucht verbunden, die ihr vorausgegangen sein muß. Nicht des Nutzens wegen, sondern aus religiösen Gründen, die mit dem Mondkultus zusammenhängen, sind die ersten Haustiere gezüchtet worden. Überall war das Rind das heilige Tier der Ackerbaugöttin. Neben dem Tier selbst wurde die Milch als Opfer dar- gebracht und auf diese Weise die Kuh allmählich an die große Überproduktion von Milch gewöhnt. Die Verwendung der Rinder als Zugtiere erfolgte erst später, und das erste Zuggerät ist nicht der Pflug sondern der Wagen gewesen. Der letztere ist aus einem religiösen und zeremoniellen Gerät ohne jede praktische I5enutzung erst allmähhch zu dem alltäglichen in so weitem Maße in der Wirtschaft gebrauchten Gerät geworden. Vom Hackbau ist die Pflugkultur aber nicht nur durch die Verwendung des Pfluges und des Zugtieres unterschieden, sondern es kommt noch die spezi- fische .Anlage des Getreidefeldes und die ausge- prägte Vorherrschaft des Mannes auch in der Pflanzenkultur hinzu. Auf der durch den Pflugbau bedingten Weltanschauung beruht auch unsere Weltanschauung, die die geschichtlichen Völker von den Zeiten der Urbabylonier bis auf unsere Tage, von Irland bis Nordchina und von Marokko bis Nordindien beherrscht. Was schließlich die Hirten Wirtschaft anlangt, so ist sie nach Hahn gar keine ganz selbständige Kulturform. Den Hirten vom Jäger abzuleiten, 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 40 wie das bisher geschah, geht schon deshalb nicht an, weil dem Jäger die Stetigkeit fehlte, die not- wendig war, um gezähmte Tiere zu Haustieren werden zu lassen. Die ganze Hirtenwirtschaft steht auf der Benutzung der Milch der Herden- tiere, und zur Erzeugung der außerordentlichen Milchprodukiion war die Gewöhnung und syste- matische Zucht vieler Jahrtausende erforderlich. Die Anfänge der Hirtenwirtschaft sind in Mesopotamien zu suchen, wo die aus Ziegen und Schafen bestehenden Tempelherden Bab_\-loniens in die Steppengebiete hinausgetrieben wurden. Über Südarabien müssen dann sowohl Ziege und Schaf als auch das Rind nach Ägypten und von da in das übrige Afrika gekommen sein, wobei das letztere aus dem sonst so festen Gefüge der Pflugkultur losgelöst, mit dem afrikanischen Hack- bau und später sogar mit der Hirtenwirtschaft ohne Bodenkultur verbunden wurde. Mit der Züchtung des Esels, der aus dem afrikanischen Stamm des Somalesels hervorgegangen ist, beginnt dann die historische Bedeutung der Wanderhirten, die sowohl für den Handel wie für die ganze politische Konstellation der alten Welt von so ein- schneidender Bedeutung werden sollte. In einem Schlußkapitel stellt Verf. dann noch die wichtigsten Grundlinien für die wahrschein- liche Entwicklung auf, die die Bodenkultur aller Voraussicht nach bei uns und in den Außen- gebieten nehmen wird. Der produktiven Wirt- schaftsform wird die eduktive, wie sie z. B. durch die Hüttenindustrie charakterisiert ist, gegenüber- gestellt und ein weitsichtiges wirtschaftliches Pro- gramm für Bodenproduktion , Industrie und Be- völkerungspolitik von selten des Staates gefordert. Die mannigfachen fruchtbaren Ideen des Verf.s anzuführen, verbietet der Raum. Es muß aber ausdrücklich gesagt werden , daß nicht nur hier, sondern durch das ganze Buch sich zahlreiche Ausführungen finden, die ganz neue Einsichten in altgewohnte Verhältnisse vermitteln und Be- ziehungen zu fast aljen menschlichen Lebensäuße- rungen schaffen. Überall wird der Leser zum Nach- und Weiterdenken angeregt. Möge das inhaltsreiche Büchlein recht viele Leser finden und dazu beitragen, die Anschauungen des Verf.s in die weitesten Kreise zu tragen. R. Martin. Niedzwiedzki, Julien, Über die Art des Vor- kommens und die Beschaffenheit des Wassers im Untergrunde, in Quellen, Flüssen und Seen. Eine geologische Über- sicht mit Berücksichtigung praktischer Be- ziehungen. Mit Abb. im Text. Wien 191 5, in Kom- mission bei Lehmann u. Wentzel. — Preis 3 M. Wie schon der Titel verrät, soll keineswegs eine erschöpfende Darstellung des Gegenstandes gegeben werden, vielmehr eine kurze Zusammen- stellung des Wissenswertesten auf diesem Gebiet, die im allgemeinen als gelungen betrachtet werden kann. In die Tiefe gräbt die Schrift nicht, so streift sie nur die Frage nach der Entstehung des Grundwassers, das Problem des sog. „juvenilen Wassers", das Verhältnis der Grundwassermenge zur Oberflächenwassermenge u. a. Am ausführ- lichsten werden die geologischen und chemischen \'erhältnisse der Quellen besprochen und die Dar- stellung dieser Materie ist eine sehr ansprechende und führt Anfänger sehr rasch in sie hinein. Hier wird auch auf praktische Verhältnisse gebührend Rücksicht genommen, wobei insbesondere Öster- reich-Ungarn treffliche Beispiele bieten. Daß der Kaiscr-Wilhelm-Kanal nicht Schleswig, sondern Holstein durchschneidet und Baden kein Herzog- tum, sondern ein Großherzogtum ist, mag nur nebenbei erwähnt werden. Die Chemie und Geologie der Flüsse, noch mehr aber diejenige der Seen ist recht dürftig behandelt, auch fehlt es hier nicht an wirklichen Irrtümern, so z. B. die Angabe, daß in stehenden Gewässern die Wärme- schwankung kaum bis 40 cm tief, die jährliche nur wenig über 7 cm hineindringe. Der Druck und die Abbildungen sind sehr zu loben und sehr nützlich ist das kleine, aber korrekt durchgefülirte Inhaltsverzeichnis; das Literaturverzeichnis hätte etwas ausführlicher sein können. W. Halbfaß. A. Stein, Die Lehre von der Energie. Zweite Auflage. Aus Natur und Geisteswelt, Band 257. Leipzig und Berlin 1914, B.G.Teubner. — Preis geh. i M., geb. 1,25 M. Der Verf. stellt den Begriff der Energie als das leitende Prinzip der physikalischen Wissen- schaft dar; seine Einführung geschieht an der Hand der allgemeinen Grundbegriffe der Mechanik. Indem dann in mehreren Kapiteln die Hauptformen der Plnergie in ihren wichtigsten Erscheinungen besprochen werden, wird dem Leser ein guter Überblick über das Gesamtgebiet derjenigen physi- kalischen Kenntnisse gegeben, wie man sie heute etwa auf unseren höheren Schulen zu vermitteln pflegt. Moderne Überlegungen, wie sie im Anschluß an die Elektronen- und Quantentheorie angestellt wurden, sind gänzlich von der Be- handlung ausgeschlossen. Die Darstellung ist knapp und klar und im allgemeinen auch sachlich einwandfrei. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie zieht sich naturgemäß als roter Fladen durch das ganze; seine Berücksichtigung bei der Betrachtung der Energieverhältnisse im Organismus wird manchem von Interesse sein. Recht anziehend ist das Kapitel zu lesen, das die Sonne als Energiezentrum schildert, als letzte Quelle aller derjenigen Energieformen, deren Schalten und Walten das Leben auf der Erde ausmacht. Be- trachtungen über das perpetuum mobile geben Veranlassung, die Großtat Robert Mayer's gebührend zu würdigen, indem darauf hingewiesen wird, wie die feste Überzeugung von der Un- möglichkeit eines perpetuum mobile, wie man sie schon bei Stevin, Galilei, Toricelli, Huygens und Carnot ausgesprochen findet, bei weitem nicht ausreichte, um das Energiegesetz zu erkennen. Die Ausführungen des letzten Kapitels, das die Bewegungen der Energie zum Gegenstand hat, gipfeln in der Besprechung des N. F. XV. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärme- theorie. Auch hier dürfte es dem Verf. gelungen sein, das Wesentliche in klarer Form zur Dar- stellung zu bringen. Alles in allem erscheint das Buch als eine Darstellung der elementaren Physik von dem einheitlichen Gesichtspunkt der energetischen Betrachtung aus, welcher die weiteste Verbreitung zu wünschen ist. Harry Schmidt. Dr. C. Doelter. DieFarbenderMineralien, insbesondere der Edelsteine. Mit 2 Abb. Braunschweig 191 5, Friedr. Vieweg und Sohn. — Preis geh. 3 M. Das vorliegende Büchlein des bekannten Wiener Mineralogen, das in der Vieweg'schen Sammlung „Tagesfragen aus den Gebieten der Natur- wissenschaften und der Technik" als 27. Heft erschienen ist, behandelt ein überaus reizvolles Thema. Die Frage, woher die verschiedenen Farben der Edelsteine kommen, hat schon in den frühesten Perioden der naturwissenschaftlichen Forschung reges Interesse und eine je nach dem Stande der Wissenschaft mehr oder weniger zutreffende Be- antwortung gefunden. Aber erst seit einigen Jahren ist die Wissenschaft einer allseitig be- friedigenden Lösung dieser Frage näher gekommen, und zwar waren es in erster Linie die experi- mentellen Arbeiten des Verf, die dazu beigetragen haben, tiefer in das Wesen der Mineralfärbung einzudringen. Zwei Wissensgebiete haben sich in dieser Hinsicht als unentbehrliche Hilfsmittel er- wiesen : die Kolloidchemie, die auch für andere Probleme der Mineralogie immer mehr Bedeutung erlangt hat, und dieKctuitnis der radioaktiven Strah- lung und anderer Strahlungsarten, deren Anwendung es ermöglicht hat, die natürlichen P^arben der Edelsteine zu verändern und in vielen P'ällen die Natur als P'ärberin nachzuahmen. Doelter hat es im vorliegenden Buch verstanden, die hier in Betracht kommenden Fragen klar und anschaulich vorzutragen, so daß nicht nur der Fachmann, sondern jeder naturwissenschaftlich Interessierte einen guten Überblick über diese neuen Forschungen erhalten kann. Bg. Anregungen und Antworten. Nochmals die Stare von Frankfurt a. M. In Nr. 22 der Naturw. Wochenschr. bespricht Herr Franz die Beobachtung, daß 1915/16 allabendlich etwa 1000 Stare den Efeu eines Hauses als Winternachtquartier benutzten. Er meint — falls es sich nicht um ein vereinzeltes Vorkommnis handele — ver- diene die Erscheinung Beachtung, weil sich in ihr möglicher- weise ein winterlicher „Zug nach der Großstadt" bemerkbar mache. Für Frankfurt dürfte diese letztere Vermutung sicher zutreffen. In den ersten Jahren meiner nun 15 jährigen Beobachtun- gen stellten sich fast regelmäßig erst um Mitte Februar, und meist nur für 2 — 3 Wochen, große Starenschwärme hier ein. Ihr Kommen war gewöhnlich von starkem Schneefall begleitet; meine Futterstätten wurden gestürmt. In den Gärten der Stadt blieben jedoch kaum Stare zur Brut. Später gelang es ande- ren und mir — nach Mißerfolg mit Nistkasten aus dünnem Holz — bei Verwendung dickwandiger Kasten mehreren Staren nicht nur während der Brutzeit Wohnung zu beschaffen, sondern die lustigen Gesellen auch für den Winter in gewollter Nähe des Städters einzubürgern. Mehr wie eine Brut im Jahre machten die Stare aber bei mir nie, sondern sie ver- ließen immer mit ihren flügge gewordenen Jungen ihre Nist- stätten, um frühestens im September, paarweise oder einzeln, zurückzukehren. Bei stärkerer Winterliälte übernachteten zu- weilen 3 und 4 Stare in einem Kasten, was oft zu Lärm- szenen bis in die Dunkelheit hinein Veranlassung gab. Meine Stare waren schließlich solche „Haushocker" geworden, daß ich — bevor die Axt an ihren Baum gelegt werden mußte — ihre beiden Nistkasten auf den Baum eines Nachbargartens hängen lassen konnte, ohne dadurch die bald darauffällig gewesene Brut zu beeinträchtigen. Seit einigen Jahren schon erhalten die hier angesiedelten Stare zu Beginn der kälteren Jahreszeit starken Zuzug, während ihre Zahl um Mitte Februar, wenn überhaupt noch, jetzt nicht mehr merklich zunimmt. — Großen Zuspruch als ,, Freibad" fand im verhältnismäßig kalten Winter 1913/14 der bachartige Zufluß zum Weiher der HohenzoUernanlage , selbst wenn die Sonnenstrahlen das Eis nur ein wenig zur Schmelze brachten. — Bis kurz vor Sonnenuntergang ist auf dem Turm der Mathäuskirche (oberster Verzierungskranz) im Winter regel- mäßig „großer Rat" der Stare. Von allen Seiten kommen Abordnungen an. Da der Kranz aber nicht für so viele Sitz- gelegenheit bietet, so erhebt sich jedesmal Zank und Streit, wenn Neuankömmlinge noch Platz suchen. Nichtsdestoweniger wird seit Jahren zäh an diesem Treffpunkte festgehalten. — Zum Übernachten sah icli die Stare an verschiedenen Stellen meist zu Hunderten, einfallen; immer wählten sie alte, efeu- umrankte Bäume oder bewachsene Häuser. Früher oder später im März verlassen die Winterstare — wenn ich sie einmal kurz so nennen darf — wieder Frankfurt. Ernst Cnvrim. Beobachtungen am Hirschkäfer. Eine der auffallendsten Erscheinungen in der Tierwelt des niederrheinischen Industrie- bezirks ist die Zunahme des Hirschkäfers Lucanus cervus L. ; auffallend nicht nur wegen der Stattlichkeit des Käfers, sondern vor allem, weil wir hier sonst — von einigen Schäd- lingen abgesehen — eine .Abnahme der Arten- und Individuen- zahl zu beklagen haben. Man geht wohl nicht fehl, wenn man die bemerkenswerte Erscheinung in ursächlichen Zusam- menhang bringt mit dem durch Hüttenrauch bewirkten Ab- sterben zahlreicher Eichbäume, die dann den Larven vermelirte Ernährungsmöglichkeiten bieten. Immerhin scheinen die Lebensbedingungen nicht so günstig zu sein wie in solchen Gegenden, in denen die Käfer alte, mulmerfüllte Kopfeichen zur Verfügung haben. Darauf deutet wenigstens das überaus zahlreiche Vorkommen von Kümmerformen in allen Über- gängen bis zur typischen v. capreolus Fuessl., an deren Kopf vom Scheitelkiel keine Spur mehr zu sehen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß hier Männchen und Weibchen in annähernd gleicher Zahl auftreten, wenn nicht gar — wie ich nach meinen Beobachtungen glauben möchte — die letzteren überwiegen. Sonst wird von berufener Seite als Verhältnis der Männchen zu den Weibchen 4 : i ange- geben. Ob in der weitgehenden Abweichung von dem nor- malen Verhältnis Einflüsse der Ernährung zum Ausdruck kom- men, möchte ich dahingestellt sein lassen. — Bekanntlich sieht man die verlängerten Oberkiefer der Männchen als Waffen im Kampfe um die Weibchen an. Ohne die veröffent- lichten Beobachtungen über solche Kämpfe in Zweifel zu ziehen, scheint mir die Hauptfunktion der Oberkiefer doch eine andere zu sein. Unter meinen in der Gefangenschaft ge- haltenen Hirschkäfermännchen fanden keine Kämpfe statt, ob- gleich sie mit Weibchen zusammengehalten wurden und sehr begattungslustig waren. Wurden die Tiere absichtlich in Be- rührung gebracht, so gingen sie sich immer aus dem Wege. Kam dagegen ein Weibchen in die Nähe eines Männchens, so faßte dieses sofort mit den Kiefern zu. Meist griff dabei ent- weder die von den beiden Spitzenzähnen gebildete Gabel in die Kerbe zwischen Kopf und Halsschild, oder das Weibchen 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 40 wurde hinter dem Halsschild gepackt, wobei das vordere Drittel der Kiefer bis zu dem seitlichen Hauptzahn in Tätig- keit trat. In beiden Fällen erschienen Bau und Funktion ein- ander so entsprechend, daß ich die Kiefer für ein Hilfsorgan der Begattung halte. Ob diese Ansicht schon von anderen Beobachtern ausgesprochen worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis; in der mir gerade zugänglichen Literatur fmde ich sie nicht. Im weiteren Verlaufe der Begattung übertritt nun das Männchen das Weibchen, öffnet den Griff der Kiefer und hält das Weibchen mit den Vorderbeinen fest, die im Ver- gleich zum Weibchen recht lang sind. Ich habe als Mittel aus 24 Messungen als Verhältnis zwischen Körperlänge und Länge der Vorderbeine bei Männchen i : 1,06, bei Weibchen I : 0,74 gefunden. Dabei ist, um die Beziehung vergleichbar zu machen, die in beiden Geschlechtern so abweichende Länge des Kopfes nicht berücksichtigt worden. Wenn das Weibchen unter dem Männchen nach vorn durchzukriechen versucht, wird es durch die vorgehaltenen Kiefer immer wie- der zurückgehallen. Oft wird die Balgerei so lebhaft, daß die Käfer auf äen Rücken zu liegen kommen, ohne daß sich das Männchen durch die unnatürliche Lage irgendwie stöien ließe. Kopf und Halsschild des Weibchens werden während des ganzen Vorganges mit den Kiefertastern gestreichelt und beklopft ; die Fühler betmden sich in leise zuckender Bewegung. — Überhaupt scheinen die Taster der Sitz der wichtigsten Sinnesorgane zu sein , wenigstens wurde der als Nahrung ge- reichte Zuckersaft immer erst genommen, wenn die Kieler- taster mit ihm in Berührung gekummen waren. Die Tatsache, daß das Männchen das Weibchen nicht wiederzufinden vermag, wenn es sich von ihm befreit und einige Zentimeter weit ent- fernt hat, läßt ebenfalls auf geringe Leistungen der Gesichts- und Geruchsorgane schließen. Es scheint mir auch nicht für besondere geistige Fähigkeiten zu sprechen, daß der Käfer mit der Nahrungsaufnahme oder den Vorbereitungen zur Be- gattung beginnt, während man ihn noch mit den Fingern ge- faßt hält. Die Verdauung ist sehr lebhaft, was mit den Be- obachtungen an anderen Käfern (z.B. F'abre's Bericht über Ateuchus sacer L.) stimmt; meist wurden schon bald nach Beginn des Trinkens die flüssigen Abgänge in etwa '/a ™ weitem Bogen entleert. Wilh. Schneider (Hamborn a. Rh.l. Die eiserne Deklinationsnadel. Es ist längst bekannt, daß jedes Stück Eisen von Natur infolge des Erdmagnetismus schon etwas magnetisch ist und daß ein Eisenstab in der Ebene des magnetischen Meridian in die Richtung der Inkli- nationsnadel gebracht durch Klopfen die Eigenschaft des Magneten annimmt für die Dauer der Innehaltung dieser Richtung. Doch auch in der Horizontalebene wirkt der Erdmagne- tismus auf Eisen dergestalt, daß eine eiserne (unmagnctisierie) Nadel, als Deklinationsnadel alle Eigenschaften einer (magne- tisietten) Magnetnadel zeigt und zwar ohne Klopfen usw. — Lagert man nämlich auf feinst polierter Nadelspitze ein Streif- chen feinstes Weißblech (ich nahm 0,15 mm Stärke, etwa I mm breit und 50 mm lang), dessen Mitte mit stumpfspitzem poliertem Körner versehen und dessen Schenkel etwas dach- artig abgebogen sind, um so eine sichere Auflage zu ermög- lichen, so sieht man, daß diese eiserne Nadel sich in der Nord-Südrichtung des magnetischen Erdfeldes einstellt wie eine Magnetnadel; das Streifchen Weißblech ist also sofort nach dem Abschneiden ein Magnet geworden und nun als Magnetnadel verwendbar. Unter Glas kommt sie am besten zur Ruhe; auch läßt man für Experimente das Glas darüber- gestülpt, um sie vor Luftunruhe zu schützen, doch muß es möglichst dünnwandig und nur so groß sein, als unbedingt zum Freibewegen der Nadel nötig ist, damit man sich so dicht wie möglich den Polen nähern kann, da der Magnetis- mus im Eisen ja nur schwach ist. Aus diesem Grunde ist auch für die Nadel, um sie recht empfindlich zu machen, größte Leichtigkeit und feinste Lagerung Bedingung. Eine frisch geschnittene Nadel ist zwar sofort ein Magnet, doch zeigt sie, auf die Nadelspitze gelegt, meist noch keine starke Richtkraft, sie stellt sich wohl ein, aber, in eine andere Richtung gebracht, sucht sie vorerst nocli meist zögernd die Nord-Südstellung wieder auf, da ihre Molekularmagnete noch nicht genügend geordnet sind, daher gelingt es noch leicht, die schon schwachen Pole noch mehr zu schwächen, ja sogar sie umzumagnetisieren. — Behält indes die Magnetnadel längere Zeit ihre Einstellungsrichtung ununterbrochen bei, so daß sich ihre Molekularmagnete genügend richten konnten, so sind diese auch schwerer in Unordnung zu bringen. — Nähert man dem einen Pol der unter Glas stehenden Magnetnadel den gleichnamigen stärkeren Pol eines Eisenstückes (da ja der natürliclie Magnetismus im Eisen stets etwas Polabsonderung zeigt, die bei manchem Eisenstück sogar kräftig in Erscheinung tritt), so stoßen sich die Pole zunächst ab; durch längeres Ver- harren des Eisenpols an derselben Stelle wird jedoch aus der .\bstoßung eine Anziehung. Nach sofortigem Entfernen des Eisenstücks kehrt zwar die Magnetnadel in ihre alte Stellung (manchmal nur annähernd) zurück, doch geschieht dies meist zögernd, die Pole haben an Richtkraft verloren. Längeres direktes Berühren mit gleichnamigem Eisenpol (also ohne Glashülle) kann zum vollständigen Wechseln der Pole führen, so daß sie sich entgegengesetzt einstellen. Es liegt aber an der Polstärke des Eisenstücks und der Materialbeschaffenheit der Nadel, ob und in welcher Zeit dies geschieht. — Man tut gut, die Pole zu zeichnen, um richtig beobachten zu köanen. Eine eiserne Magnetnadel wird von Eisen- und Stahl- stücken nicht nur angezogen, sondern, wie schon erwähnt, von deren natürlichem gleichnamigem Pol auch abgestoßen, was bei einer sonst gebräuchlichen Magnetnadel nicht der Fall ist, da diese unmagnetisches Eisen und Stahl nur anzieht und so- mit keine Schlüsse auf deren Pole zuläßt, weil diese, als be- deutend schwächer, sich von der Magnetnadel uramagneti- sicren lassen, wie ja auch unter künstlichen Magneten von be- deutend unterschiedlicher Intensität Anziehung ihrer gleich- namigen Pole erfolgt. — Bei der eisernen Magnetnadel ist gerade die Schwäche 'ihrer magnetischen Kraft zur Polunter- suchung bei Eisen und Stahl geeignet. Mit den natürlichen Polen eines Eisenstücks läßt sich übrigens auch magnetisieren. Streicht man mit den Polen eines Eisenstücks die ungleichnamigen der Magnetnadel, so stärkt man letztere; diese Verstärkung bleibt längere oder kürzere Zeit bestehen. Die Remanenz im Eisen ist also auch mit Eisen möglich zu erzeugen. Streicht man die Magnetnadel- pole dagegen mit den gleichnamigen des Eisenstücks, so wer- völli lagn Eine völlige Ummagnetisierung dl erfolgt nach Stunden oder Tagen, je Magnetnadel. — Eine Anzahl eiserner gezeichnet hatte, legte ich zu einem : ihren Nordpolen nach Sude rch den Erdmagnetismus nach dem Material der Nadeln, deren Pole ich olchen Versuch fort, mit 1 ich sie zuvor mehrere Tage hindurch in ihrer Einstellungsrichtung belassen hatte. Nach zwei Tagen hatte eine Nadel bereits ihre Pole gewechselt. Nach vier Tagen hatte ich vier gewechselte Nadeln; zwei andere zeigten halbgcwechselte , also konfuse Pole, die an Richtkraft eingebüßt liatten. Nach zwei weiteren Tagen waren auch diese ummagnetisiert. — Halbgewechselte Pole brauchen nur ganz kurze Zeit, manchmal nur einige Minuten (gleich auf der Nadelspitze) in ihre erste Richtung gezwungen zu werden, so sind sie wieder zurückgewechselt, so daß sie sich nicht anders einstellen wollen, als vor dem Versuch. ihalt: K. Nagel, Über Mazeration von kohlig erhaltenen Pflanzenresten. 3 Abb. S. 569. Anton Krauße, Die mechanische Einwirkung von Formica fusca cinerea (Mayr) For. auf Sandboden. S.571. — Bücherbesprechungen: Ed. Hahn, Von der Hacke zum Pflug. S. 573. Julien N i e d z wi e d zk i , Über die Art des Vorkommens und die Beschaffenheit des Wassers im Untergrund^, in Quellen, Flüssen und Seen. S. 574. A. Stein, Die Lehre von der Energie. S. 574. Dr. C. Doelter, Die Karben der Mineralien, insbesondere der Edelsteine. S. 575. — Anregungen und Antworten: Nochmals die Stare von Frankfurt a. M. S. 575. Beobachtungen am Hirschkäfer. S. 575. Die eiserne Deklinationsnadel. S. 576. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Leipzig, Marienstraße IIa, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^ Folge 15. Band; izen Reihe 31. Band. Sonntag, den 8. Oktober 1916. Nummer 41. Die Quautenhypothese. [Nachdruck verboten.] Zwei fundamentale Hypothesen sind es, die in den letzten Jahren in der physikalischen Welt berechtigtes Aufsehen erregt haben, die Einstein- scheRelativitätstheorie unddie Plank- s c h e O u a n t e n h y p o t h e s e. Wenn im folgen- den eine Darstellung der letzeren versucht wird, so verkennt der Verf. die Schwierigkeiten nicht, die immer bestehen, wo es sich um ganz neue Anschauungen handelt, die in regem Fluß sind, deren Einordnung in das bestehende Alte durch- aus nicht abgeschlossen ist. Andererseits gewährt die Beschäftigung gerade mit diesem Gegenstand in der Kriegszeit deswegen besondere Freude und Befriedigung, weil die ganze Arbeit von deutschen Forschern geleistet ist. I. Gesetz der gleichmäßigen Energie- verteilung. Denken wir uns eine bestimmte Menge eines einatomigen Gases in einem undurch- sichtigen Gefäße, dessen Wände von außen durch geeignete Vorrichtungen erwärmt werden, einge- schlossen, so wird sich nach einiger Zeit im Innern ein Gleichgewichtszustand einstellen : ein an irgend- eine Stelle des Raumes oder der Wandung ge- brachtes Thermometer wird überall dieselbe Tempe- ratur anzeigen. Nach den Vorstellungen der kinetischen Gastheorie ist die Wärme des Gases nichts anderes als eine lebhafte Bewegung der Moleküle, die in unserem Fall mit den Atomen identisch sind. Die Bewegung ist durchaus unge- ordnet, so daß an keiner Stelle irgendeine Rich- tung bevorzugt ist. Die Geschwindigkeit der einzelnen Moleküle ist verschieden, sehr große und kleine sind selten, mittlere am häufigsten (Max- well • B o 1 1 z m a n n ' sches Verteilungsgesetz) ; auch die Geschwindigkeit ein und desselben Moleküls ist infolge der Zusammenstöße zu verschiedenen Zeiten verschieden. Verfolgt man indessen das Molekül eine genügend lange Zeit hindurch, so läßt sich aus allen Werten, den die Geschwindig- keit annimmt, ein Mittelwert v bilden, der wie die Analyse zeigt für alle Moleküle des Gases denselben Wert hat. Dasselbe gilt für die kine- tische Energie der Moleküle, die durch den Aus- druck (m = Masse) gegeben ist. Man findet daher den Energieinhalt eines Mol^) 2 wo N (= 6,17- 10-^) die A vogadro'sche Zahl, d. h. die Zahl der im Mol enthaltenen Moleküle Von Dr. K. Schutt, Hamburg. Mit I Abbildung. bedeutet. Andererseits zeigt die Erfahrung, daß für einatomige Gase 3 L R.T ') das sind so viel Gramm , wie das Molekulargewicht ist, wo R die Gaskonstante (1,98 g Kai = 8,315 • 10" Erg) und T die absolute Temperatur bedeutet. Daraus berechnet sich der Energieinhalt unseres Mol bei o" (= 273" abs.) zu 810 g Kai = 350 mkg, und zwar ist dieser Wert ganz unabhängig von der Natur des einatomigen Gases. Führt man jetzt durch Erwärmen des Gefäßes dem Gase (i Mol) soviel Wärme zu, daß seine Temperatur um i" steigt, so ist dazu ein Energiebetrag von |r(T+ 0— ^RT = ^R nötig, d. h. aber, daß die Molwärme aller einato- migen Gase gleich R = 2,97 g Kai sein muß, eine Folgerung, die durch den Versuch bestätigt wird. Der Energiezuwachs jedes Atoms beträgt demnach pro Grad 3 R 3 , , Gaskonstante -•kt= - K wo k = ^ — -- — r—r — ^ ,, ist; 2 N 2 Avogadrosche Zahl er macht sich durch eine entsprechende Steige- rung der mittleren Geschwindigkeit v bemerkbar. Stellt man sich das Atom unseres Gases als Kugel vor, so ist seine jeweilige Lage durch An- gabe von drei Größen (z. B. den Koordinaten X, y, z seines Mittelpunktes) vollkommen be- stimmt. Zur Festlegung der N Moleküle des Mol sind demnach 3 N Beslimmungsstücke nötig. Man sagt, das System hat 3N Freiiieits- grade, indem man unter Freiheitsgraden die voneinander unabhängigen Be- stimmungsstücke versteht, die zur De- finition eines Systems nötig sind. Ein zweiatomiges Molekül baut sich aus 2 Kugeln auf, hat also die Gestalt einer Hantel. Es hat 5 Freiheitsgrade, da seine Lage im Räume durch die Angabe von 5 Bestimmungsstücken festgelegt ist, nämlich den Koordinaten des Mittelpunktes der einen Kugel und 2 Winkeln, die die Lage der Molekülachse festlegen. Das Molekül hat also eine 5 fache Bewegungungsfreiheit: 3 Translationen in Richtung der Koordinatenachsen und 2 Rota- tionen, eine um die Hantelachse und eine zweite um eine dazu senkrechte. Ist die Hantel nicht starr, sind vielmehr die Atome gegeneinander beweglich, so kommt ein weiteres ßestimmungs- stück hinzu, so daß ein solches Molekül 6 Freir heitsgrade besitzt. - Nun ist ja die Energie gleichmäßig auf die 578 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. Atome verteilt, jedes nimmt bei Erwärmung um I " den Betrag k auf. Ein wichtiger Satz der statistischen Mechanik sagt aus, daß im Gleich- gewichtszustand sich die Energie in der Weise verteilt, daß jeder unab- hängige Freiheitsgrad die gleiche mitt- lere Energie erhält und zwar ist dieser Be- trag, da unser Atom 3 Freiheitsgrade besitzt, 2"n""2 ^^ 0,67.10-"' Erg. Wie schon oben erwähnt, ist dieses Gesetz der gleichmäßigen Energieverteilung für einatomige Gase in Übereinstimmung mit der Er- fahrung. Sehen wir zu, ob es auch für mehr- atomige und für feste Körner gilt. Das zweiatomige Molekül (Hantel) hat 5 Frei- heitsgrade. Nimmt jeder bei der Erwärmung um i" den Energiebetrag - auf, so erhält das Molekül 15 • und das Mol ^ 2 5 3N = 2-R=4,97gKal. Nun ergibt sich in der Tat. daß die Molwärme einer ganzen Reihe von zweiatomigen Gasen (0.,, X.,, Ho, HCl, CO, NO u. a.) bei mittleren Temperaturen rund 5 ist. Mit wachsender Temperatur nimmt allerdings der Wert zu, z. B. für Sauerstoff bei 300" 5,17, bei 500" 5,35, bei 2000" rund 6. Für eine Reihe anderer Gase (J.,, Br.,, Cl,, JCl) ist die Molwärme größer als der von derTheorie geforderte Wert. Man kann beides daraus erklären, daß bei höherer Temperatur ein Zerfall des Moleküls statt- findet und daß schon vor der Dissoziation innere Veränderungen im Molekül vor sich gehen, die Energie beanspruchen (6. Freiheitsgrad). Man sieht also, daß dieexperimentellenErgebnisse der Hauptsache nach mit der Theorie im Einklang stehen. Anders ist die Sach- lage bei tiefen Temperaturen: Durch Messungen von Eucken ist festgestellt, daß die spezifische Wärme des Wasserstoffs unter 50" abs. dieselbe Größe hat wie für einatomige Gase, also 3. Ja es ist wahrscheinlich, daß sie für alle Gase bei genügend tiefer Temperatur diesen Wert annimmt. Das heißt aber, daß die Zahl der Freiheitsgrade von 5 auf 3 zurückgeht, daß mithin nur die Trans- lation Energie beansprucht, daß e i n e R o t a t i o n nicht mehr stattfindet (siehe unter 5). Wie steht es nun mit der Anwendung des Gesetzes auf die festen Körper? Das Atom eines solchen kann Schwingungen in Rich- tung der Koordinatenachsen ausführen, macht 3 Freiheitsgrade. Da es aber im Gegensatz zum Gasatom an eine bestimmte Ruhelage elastisch gebunden ist, so kommen 3 weitere hinzu, da jeder der 3 quasielastischen Bindungen potentielle Energie beansprucht. Es ist demnach zu erwarten, daß die Atomwärme 6- .N ^ 3 R = 5,94 g kal. ist. Wie bekannt stimmt das für eine ganze Reihe von festen Elementen nahezu (D u 1 o n g und Petit, 1818), wenigstens bei gewöhnlicher Temperatur. Einige Elemente von kleinem Atomgewicht (z. B. Bor, Diamant) weisen dagegen beträchtliche Ab- weichungen auf; erst bei höherer Temperatur nähert sich ihre x'\tomwärme dem Wert 6. Ja Beobachtungen haben ergeben, daß auch für Ele- mente, die bei Zimmertemperatur demDulong- Petit 'sehen Gesetz folgen, bei niedrigen Tempe- raturen die Atomwärme eine starke Abnahme er- fährt, die darauf hindeutet, daß sie beim abso- luten Nulpunkt der Temperatur den Wert Null erreicht. Wir kommen also hier zu dem Resultat, daß das Gesetz d ergleich mäßigen Energie- verteilung nicht vollständig mit der Erfahrung in Üb e r e i nst i mm u n g ist, daß es namentlich bei extremen Tempe- raturen zu Widersprüchen führt. 2. Die Rayleigh-Planck'sche Strahlungs- formel. Die F"rage, wie sich die Energie auf die Glieder eines Systems verteilt, spielt nicht nur in der kinetischen Gastheorie eine Rolle, sie hat viel- mehr auch in einem ganz anderen Gebiet der Ph)'sik eine hervorragende Bedeutung, nämlich i n der Lehre von der Strahlung und zwar in der sogenannten Temperaturstrahlung, die also durch den Wärmezustand des Körpers hervor- gerufen wird. Denken wir uns aus dem (xefäß, welches unser Gas enthält, dieses entfernt, so wird auch jetzt ein an irgendeine Stelle des Innenraumes gebrauchtes Thermometer stets und überall die- selbe Temperatur anzeigen. Wenn auch das Gefäß jetzt keine Materie mehr enthält, dann ist es doch von Energie in Form von Strahlung er- füllt. Steigert man die Temperatur der (undurch- sichtigen, d. h. für Strahlen undurchlässigen) Wandung, so zeigt unser im Innern angebrachtes Thermometer dieselbe Zunahme; es bildet sich ein Gleichgewichtszustand aus. Doch wäre es falsch anzunehmen, daß jetzt im Innern gar nichts geschieht. Es gehen vielmehr fortwährend und nach allen Richtungen Strahlen durch den Raum; doch ist keine Richtung vor einer anderen bevorzugt. Tatsächlich empfängt des Thermo- meter auch jetzt noch von den Wänden Strahlung, doch sendet es wieder ebensoviel aus, so daß seine Temperatur ungeändert bleibt. Man sieht, der stationäre Strahlungszustand hat große Ähn- lichkeit mit dem thermischen Gleichgewicht, der sich im Innern einstellt, wenn der Raum mit einem Gase angefüllt ist. Die Natur und die Gestalt der Wände haben auf den Zustand im Innern keinen Einfluß. Wie Kirchhoff gezeigt hat, stellt sich in unserem evakuierten Hohlraum automatisch der schwarze Strahlung s- zustand her, er strahlt wie der schwarze Körper, dessen Emissionsvermögen E nur von seiner Tem- peratur T und der Farbe (Wellenlänge /.) der Strahlung abhängt und der alle auf ihn fallenden N. F. XV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 579 Strahlen vollkommen verschluckt. Die Auf- stellung einer Strahlungsformel, d. h. die Beantwortung der Frage, wie E von T und A abhängt, ist ein Hauptproblem der Strahlungstheorie. Für die Lösung dieser Aufgabe ist es zunächst von Wichtigkeit, Aufschluß zu erhalten über die Strahlungsdichte,') d. h. diejenige Energie- menge, die in einem Kubikzentimeter im Innern unseres von schwarzer Strahlung erfüllten Raumes enthalten ist. Planck denkt sich den Raum mit einer großen Anzahl N linearer Resonatoren von der Frequenz v erfüllt, die aus zwei mit gleich großen jjositiven und negativen Elektrizitätsmengen beladenen Polen bestehen, die auf einer geraden Linie, der Achse des Oszillators, beweglich sind. Sie sind nach Art akustischer Stimmgabeln schwach gedämpft und sprechen daher nur auf ihre eigene Frequenz r an. Über diese streicht die schwarze, alle Frequenzen von O bis 00 enthaltende Strah- lung. Nur die Wellen von der Frequenz v wer- den mit den Resonatoren in einen Energieaustausch treten, der zu einem Gleichgewichtszustand zwi- schen Resonatoren und Strahlen führt. In diesem Zustand wird im Mittel ebensoviel Energie von den Resonatoren aufgenommen, wie von ihnen nach außen abgegeben wird. Die t'nergie des Resonators hat einen bestimmten zeitlichen Mittel- wert U, und die Energiedichte u, der Strahlung von der Frequenz v ebenfalls. Die genaue Unter- suchung ergibt, daß u, = „ -U,, c^ ist, wo c die Lichtgeschwindigkeit bedeutet. Der als Strahlung im Räume und der im Resonator enthaltene Energiebetrag sind also einander pro- portional. Gelingt es zu ermitteln, welchen Wert U, hat, wie sich also die Energie auf die Resonatoren verteilt, dann ist damit die Frage nach der Energiedichte u, beantwortet. Nun müssen die Resonatoren, die im thermi- schen Gleichgewicht mit der Strahlung sind, eben- sogut auch im thermischen Gleichgewicht mit einem Gase sein, das bei der betrachteten Tem- peratur den Hohlraum erfüllt. Der mittlere Energie- betrag der Resonatoren wäre derselbe, wenn sie denselben, statt sich mit der Strahlung in Gleich- gewicht zu setzen, durch Stöße der Moleküle des Gases erhalten hätten. Wir können also das Ge- setz der gleichmäßigen Energieverteilung zur Be- stimmung von U, auf die Resonatoren anwenden. Das auf einer Geraden schwingende Elektron be- sitzt sowohl kinetische wie auch potentielle ') Die Strahlendichte ist bei gewöhnlicher Temperatur außerordentlich klein, sie steigt nach dem St e f an - B o 1 1 z- mann' sehen Gesetz mit der 4. Potenz der absoluten Tempe- ratur, so daß die spezifische Wärme des leeren Raumes, d. h. diejenige Wärmemenge, die nötig ist, um die Temperatur der in einem Kubikzentimeter enthaltenen Strahlung um I» zu steigern, bei höheren Temperaturen merkliche Werte erreicht; bei einer Temperatur von looooooo" würde sie von der Größenordnung der spezitischen Wärme des Wassers sein. Energie, hat also zwei Freiheitsgrade. Da jeder (siehe unter i.) den Energiebetrag - pro Grad aufnimmt, ist bei der Temperatur T der Energie- inhalt des Resonators U,=k.T und Es fragt sich nun, ob dieses Rayleigh- Planck'sche Gesetz mit der Erfahrung überein- stimmt. Bringt man in der Wandung unseres Hohlraumes eine kleine Öffnung an, so wird da- durch an dem Zustand im Innern eine unmerk- liche Störung hervorgerufen. Die Strahlungs- menge, die durch die Öffnung nach außen dringt, ist dieselbe, die eine gleich große, irgendwie orientierte Hache im Innern des Hohlraums von der einen oder anderen Seite durchsetzt. Diese pro Sekunde austretende Energiemenge steht augenscheinlich in einfacher Beziehung zu der im Innern bestehenden Strahlungsdichte u,, so daß uns die Untersuchung der austretenden Strahlung zugleich Aufschluß gibt über die Zusammen- setzung der im statistischen Gleichgewicht befind- lichen Strahlung im Innern des isothermen Raumes. Zerlegt man durch ein Prisma die austretende Strahlung, so erhält man ein kontinuierliches Spektrum. Durch ein geeignetes Kalorimeter kann man die Intensität eines engbegrenzten Teiles desselben messen und auf diese Weise Auf- schluß erhalten, welchen Wert u, für verschiedene Farben ()') annimmt. Die Versuche sind nament- lich von Lumnier, Wien, Kurlbaum und Pringsheim ausgeführt. Aus ihnen geht hervor, daß das oben ange- führte Strahlungsgesetz für lange Wellen oder hohe Temperaturen mit der Erfahrung überein- stimmt, daß es aber für hohe Frequenzen in grellem Widerspruch zu ihr steht. Während der Versuch ergibt, daß bei jeder Tem- peratur stets eine Farbe (F"requenz) am stärksten emittiert, daß also die Kurve, welche u als Funk- tion von )' darstellt, stets ein Maximum besitzt, steigt die theoretische Kurve mit wachsender Frequenz v dauernd an. Das Experiment liefert eine endliche, die P^ormel dagegen eine unend- liche Gesamtstrahlung. Die Annahme, daß sich die Energie gleichmäßig über die Freiheitsgrade verteilt, führt also zu einem falschen Strahlungsgesetz. Das Gesetz der gleichmäßigen Energieverteilung ist demnach für die Strahlung nicht brauch- bar; man muß daher eine neue Hypo- these über die Energieverteilung heran- ziehen. Das tut Planck in seiner Quantenhypothese (1901). 3. DieQuantentheorie und diePlanck- sche Strahlungsgleichung. Wenn oben gesagt wurde, daß die Energie sich gleichmäßig über die Resonatoren verteilt, so ist das so zu 58o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr verstehen, daß der zeitHche Mittelwert des Energie- gehalts für alle Resonatoren gleich groß ist, ähn- lich wie es unter i. für die mittlere Geschwindig- keit der Gasmoleküle dargestellt wurde. Stellt man dagegen etwa durch eine Momentaufnahme fest, wie die Energie über die Resonatoren ver- teilt ist, so findet man ganz verschiedene Werte; die nebenstehende Abbildung ') gibt hierüber Auf- schluß. Auf der horizontalen Achse sind die N,, Resonatoren von der Frequenz v in gleichen Ab- ständen nach der Größe ihrer augenblicklichen Energiewerte geordnet, aufgestellt; als Ordinate sind die zugehörigen Energiewerte aufgetragen. Die ausgezogene Kurve stellt dar, wie sich die Energie (nach dem Max weU'schen Verteilungs- gesetz) auf die Resonatoren verteilt. E„ ist der mittlere Energiebetrag, den wir in unserer Rech- nung benutzt haben; man erhält ihn dadurch, daß man entweder aus allen in der Kurve enthaltenen Momentanwerten das Mittel oder daß man aus den Energiewerten , die ein Resonator während einer langen Zeit (es durchläuft während dessen die Abszissenachse von links nach rechts) besitzt, das Mittel nimmt. Man sieht, daß dieEnergien der einzelnen Resonatoren eine stetige Folge bilden, daß die Energie jedes schwingenden Körpers sich hiernach in kontinuierlicher Weise ändert. Die Planck'sche Quantenhypothese nimmt im Gegensatz hierzu an, daß die Ener- gie der Oszillatoren nicht stetig ver- änderlich ist, daß sie nicht jeden be- liebigen Wert zwischen O und oo an- nehmenkann. Sie ist vielmehr ein ganz- zahliges Vielfaches eines bestimmten Quantums e^=h-v, von denen der Reso- nator O,«, 24, 3« usw. enthält. Die treppen- förmige Linie der Abbildung gibt darüber näheren Aufschluß: Die erste Gruppe von Resonatoren (links auf der Achse) enthält kein, die nächste ein Quant 6 = h-i', die folgende zwei Quanten 26 = 2h-)' usf. Ganz rechts liegen die Gruppen, die eine große Anzahl Quanten enthalten. Wie aus der Abbildung hervorgeht , nimmt die Zahl der in einer Gruppe enthaltenen Resonatoren mit zunehmender Quantenzahl ab. Jede Gruppe nimmt einen bestimmten Teil der Gesamtenergie für sich in Anspruch; dabei sind es dauernd andere Oszil- latoren, die eine Gruppe bilden, da ja infolge der Zusammenstöße eine fortwährende unstetige Ände- rung des Energieinhalts der einzelnen Resonatoren stattfindet ; der Oszillator wandert von einer Gruppe zur anderen. Neben dieser Atomisierung der Energie nimmt die Planck'sche Theorie an, daß die Größe der Quanten für Resonatoren von verschiedener Frequenz verschie- den und zwar derFrequenz proportional ist. Ist die Schwingungszahl eines Stralilers loi', dann ist sein Quant iO£. Es ist £ = h-y; hier bedeutet h eine universelle Konstante , das Planck'sche elementare Wirkungsquan- tum: 6,415-10"-' erg. sec. Die Energie Ver- teilung für Resonatoren von der Frequenz 2v würde demnach sein: O, 2h- r, 2 -2 h-)', 3-2 h-v usw. (die Höhe der Treppenstufen in der Figur wäre die Doppelte). Von diesen beiden Annahmen ausgehend führt die weitere nicht ganz einfache Untersuchung zu dem Resultat, daß die mittlere Energie des Re- sonators beträgt U, h-) (e = Basis der natür- lichen Logarithmen), während der Satz der gleichmäßigen Energie- verteilung den Wert k - T lieferte. Setzt man T = O, dann wird U, h-)' , also auch beim ch Ncrnst, Zeit (1911)- 17, S. 205 sohlten Nullpunkt der Temperatur besitzt der Resonator noch Energie, die sog. Nullpunkts- energie.') Nur der von der Temperatur ab- hängige Teil der Oszillatorenergie soll mit der Strahlung in Austausch stehen. Setzen wir diesen Wert für U, in die Gleichung für u, auf Seite ein, dann erhalten wir die Planck'sche Strah- lungsgleichung Sn-h.v^ I Es zeigt sich, daß sie in vorzüglicher Überein- stimmung mit der Erfahrung ist. Aus verschie- denen durch Messung gefundenen Werten lassen sich die Konstanten c, = — 5— und c, = , be- ' c^ - k rechnen, aus diesen ergibt sich dann h und die schon häufig erwähnte Größe k ^= ^. Der Wert von N (Anzahl der im Mol enthaltenen Moleküle) ') Auf die Bedeutung und die Scliwierigkeiten, die mit der Ann.ihme einer solchen verbunden sind , soll hier nicht weiter eingegangen werden. N. F. XV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 581 berechnet sich hieraus zu 64-10--. Aus h und k läßt ferner die Ladung e des Elektrons zu 4,64- io^'° elektrost. Einh. bestimmen. Beide Werte stimmen mit den nach anderen Methoden bestimmten über- ein. Alles zusammen bedeutet natürlich einen außerordentlichen Erfolg der Planck'schen Hypothese und spricht sehr zugunsten der Quantentheorie. DieTheoriehatwegensich ergebender Schwierig- keiten im Laufe der Zeit mancherlei Wandlungen durchgemacht. In seiner Veröffentlichung 1901 steUt Planck die Forderungen auf, daß sowohl die Absorption als auch die Emission der Oszilla- toren nach Quanten vor sich gehen soll, eine Hypothese, die in striktem Widerspruch zu der klassischen Elektrodynamik steht; denn nach der Maxwell' sehen Theorie muß ein schwingendes Elektron stetig absorbieren und ausstrahlen. Einstein und Stark haben einen Ausweg ge- sucht in der Annahme, daß alle Strahlung aus unteilbaren Quanten (Lichtatomen) besteht. Wenn sich auch der Erfolg dieser Anschauung bei eini- gen physikalischen Problemen nicht verkennen läßt, so hat doch die 191 1 von Planck ausge- sprochene Hypothese') mehr Wahrscheinlichkeit für sich Nach ihr absorbiert der Reso- natornachdenGesetzenderklassischen Elektrodynamik durchaus stetig, so daß der Energiegehalt der Oszillatoren stetig veränderlich ist, und jeden Wert zwi- schen O und 30 annehmen kann. Die Emission der Strahlung verläuft da- gegen quantenhaft und unstetig. Der Oszillator strahlt nur dann aus, wenn seine Energie gerade ein ganzes Viel- faches von e beträgt. Das Leuchten ist mithin ein explosionsartiger Vorgang, die Strahlung erfolgt in einzelnen Güssen. Ein Oszillator läßt sich mit einem Gefäß vergleichen, in welches Wasser hineinläuft (stetige Absorption); hat das- selbe eine gewisse Höhe erreicht, dann schlägt das Gefäß plötzlich um und schüttet seinen ganzen Inhalt aus. Auch durch diese ."Xnnahmen wird natürlich der Widerspruch zu den auf zahllosen Erfahrungstatsachen beruhenden Gesetzen und Anschauungen der Elektrodynamik nicht aufge- hoben. Wahrscheinlich wird die quantenhafte Ausstrahlung der Energie durch bisher noch un- bekannte Eigenschaften der Atome und Elektronen bedingt. Aber nicht nur in der Theorie der Strahlung, sondern in vielen anderen Gebieten der Physik spielt die Planck'scheQuanten- hypothese eine hervorragende Rolle, wie im folgenden kurz dargestellt werden soll. 4. Die Atomwärme fester Körper. Wie unter i gezeigt wurde, sind wir nicht imstande, den bei tiefen Temperaturen erfolgenden Abfall der Atomwärme unter den von der Theorie (Ge- setz der gleichmäßigen Energieverteilung) gefor- derten Wert (5,94 g Kai) zu erklären. Die Energie muß sich also nach einem anderen Gesetz auf die Atome verteilen. E i n s t e i n') nimmt an, daß der mittlere Energiegehalt eines Atoms derselbe ist wie der eines Planck'schen Resonators. Da in- dessen das Atom nach drei Richtungen schwingen kann (6 Freiheitsgrade), setzt er seine Energie der dreifachen des Resonators (2 Freiheitsgrade) gleich : Durch Multiplikation mit der im Grammatom enthaltenen Zahl von Atomen N ergibt sich der Energiegehalt bei T" abs. und durch Differentiation dieses Wertes nach T die Atomwärme C. Die so erhaltene Formel stellt mit ausreichender Ge- nauigkeit den Verlauf der Atomwärme des Dia- manten dar, die sich von —50" bis looo" Celsius von 0,76 bis 5,5 ändert. Bei sehr tiefen Tempe- raturen versagt die E instein'sche Formel. Eben- falls unter Benutzung der Quantenhypothese sind eine Reihe anderer aufgestellt worden, so z. ß. von N ernst und Linde mann,-) durch die der Temperaturverlauf der Atomwärme des Diamanten und einer Reihe anderer fester Körper bis zu den tiefsten Temperaturen in überraschender Weise richtig dargestellt wird. Die Formeln führen für höhere Werte von T zu dem von demDulong- Petit'schen Gesetz geforderten Wert von 3 R= 5,94. Es fragt sich noch, was unter der Frequenz v des Atoms eines festen Körpers zu verstehen ist und wie v zu bestimmen ist. Jedes Atom ist durch elastische Bindungen mit den benachbarten (Raumgitter) verknüpft, so daß sich die Wärme- schwingungen der einzelnen Atome gegenseitig beeinflussen. Es kann demnach kaum von einer reinen Frequenz (Spektrallinie) die Rede sein, sondern vielmehr von einem Frequenzgebiet etwa nach Art der Bande eines Spektrum. Es wird sich also stets um einen Mittel- oder Näherungs- wert für )' handeln, der sich auf verschiedene Weise aus dem physikalischen Konstanten des Körpers berechnen läßt, z. B. aus den elastischen Kon- stanten (Einstein), aus der Frequenz der läng- sten vom Körper ausgesandten ultraroten Wellen (N ernst), aus der mittleren Geschwindigkeit, mit der sich Schallwellen im Innern des Körpers fort- pflanzen (Born und v. Kar man).'') Daß bei einer quantenhaften Energieverteilung eine Abnahme der .'\tomwarme mit der Tempe- ratur zu erwarten ist, kann man sich auf folgende Weise plausibel machen: Gemäß der Gleichung £ = h-)' schlucken die Atome von hoher Frequenz die Energie in großen Brocken, während die lang- sam schwingenden sie in kleinen Bissen aufnehmen.*) ') Sie führt zur Annahme der Nullpunktenergie. Die oben gegebene Darstellung fulgt in der Hauptsache dieser neueren Hypothese. ') Ann. d. Phys. IV, 22, S. 180 (1907). 2) Zeitschr. f. Elektrochemie XVII, S. 265 (191 1)- 1) Physikal. Zeitschr. XIV, S. 15 (1913)- *) Es ist hier in Übereinstimmung mit der ersteren Fassung der Planck'schen Hypothese unstetige Absorption ange- 582 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 41 Mithin ist eine starke Einwirkung nötig ein Atom von kurzer Periode in Erregung zu bringen. Ver- mutUch bleibt daher ein mit sinkender Tempe- ratur wachsender Teil von diesen in Ruhe, weil sie unter ihr Quant geraten sind. Bei tiefer Temperatur beansprucht daher nur eine kleinere Anzahl von Atomen (die mit niedriger Frequenz) Energie; die Atomwärme ist demnach kleiner. 5. Molwärme der Gase. Die Unstimmig- keiten, die sich in der Molwärme 2 atomiger Gase zwischen Theorie und Erfahrung bei tiefen Tempe- raturen zeigen, schwinden bei Anwendung der Quantentheorie auf dies Problem, vgl. Unter- suchungen von Nernst und Bjerrum. ^) Die Energie eines Moleküls, das die Gestalt einer starren Hantel hat, setzt sich aus zwei Teilen zusammen; der translatorischen und der rotatori- schen und zwar beansprucht die erstere Art der k k •• Bewegung 3 — , die zweite 2 , eine Über- legung, die bei gewöhnlicher Temperatur mit der Erfahrung übereinstimmt (Molwärme rund S g Kai.). Für die translatorische Bewegung, die ja nicht periodisch ist, soll ein stetiger Energieaus- tausch, für die zweite dagegen, die periodisch ist (Rotationsfrequenz )'), ein diskontinuierlicher, quantenhafter stattfinden. Ist J das Trägheits- moment des Moleküls in bezug auf die zur Hantel- achse senkrechte Achse (von der Rotation um die Hantel (Längs)achse wollen wir zunächst ab- sehen), dann ist die Rotationsenergie i(277.)l Die Annahme geht nun dahin, daß nur diejenigen Rotationsgeschwindigkeiten vorkommen, für welche die Rotationsenergie irgendein ganzes Vielfaches n des halben Energiequantums e = hr ist, so daß die Gleichung besteht l{2n.vy = ^n.h. woraus sich n • Konst. = n ■ t '- 2/7'^J ergibt. Die Tourenzahl soll mithin stets das i- oder 2- oder 3 fache (usw.) eines bestirnmten Wertes t sein. Worauf diese sprungweise Ände- rung der Drehgeschwindigkeit zurückzuführen ist, darüber läßt sich zunächst nichts sagen. Ist das Trägheitsmoment J, wie das beim Wasserstoff- molekül wahrscheinlich ist, klein, dann ist v sehr groß und damit auch das Energiequantum i = h-)', das beim Zusammenstoß mit einem zweiten dem Molekül zugeführt werden muß, damit seine Tourenzahl auf den nächst höheren Wert steigt. Ist nun, wie es bei tielen Temperaturen der Fall ist, der Energiegehalt der Moleküle klein, dann wird ihr Energieinhalt in den allermeisten Fällen kleiner sein als das erforderliche „Rotationsmini- mum" £ = h)'. Es wird also kaum zu einer Steige- ') Nernst- Festschrift S. 90 (1910) Halle, Knapp. rung der Rotationsenergie auf Kosten der Trans- lationsenergie kommen. Vielmehr wird das Um- gekehrte stattfinden: bei einem Zusammenstoß wird das rotierende Molekül Rotationsenergie ein- büßen und die Translationsenergie des zweiten erhöhen. Daraus geht hervor, daß mit sinkender Temperatur die Zahl der Rotationen abnehmen und damit die Molwärme kleiner werden muß. Besonders wird sich das bei Molekülen mit klei- nem Trägheitsmoment und daher großem Rota- tionsminiinum zeigen ; dies wird durch die Unter- suchung der Molwärme des Wasserstoffs bei tiefen Temperaturen bestätigt. Bei schweren Gasen ist der Abfall der Molwärme beträchtlich geringer. Daß bei genügend tiefen Temperaturen die Mol- wärme der zweiatomigen sehr wahrscheinlich gleich der der einatomigen (rund 3) wird, erklärt sich daraus, daß dann entweder gar keine Rotation mehr stattfindet oder daß sie keine Änderung bei den Zusammenstößen mehr erfährt, also keine Energie beansprucht, da die im Molekül zur Ver- fügung stehende Translationsenergie nicht an das „Rotationsminimum" heranreicht. Hieraus läßt sich auch verstehen, daß die Moleküle der ein- atomigen Gase beim Zusammenstoß keine dauernde Rotationsenergie aufnehmen, so daß ihre Molwärme von der Temperatur unabhängig stets gleich 3 ist (gemessen für He bei der Temperatur der flüssi- gen Luft und für A bis zu 2000"). 6. Absorptionsspektrum des Wasser- dampfes. Eine schöne Bestätigung der Bjer- rum'schen Annahme der unstetigen Tourenzahl- änderung der Moleküle findet sich in folgender Überlegung. Da die Atome elektrische Ladungen (Elektronen) enthaUen, so ist zu erwarten, daß sich Rotationen der Moleküle optisch bemerkbar machen, daß die Moleküle alle diejenigen Wellen- längen einer sie durchsetzenden Strahlung absor- bieren, deren Frequenz mit ihrer Rotationszahl zusammenfällt. Die Beobachtung zeigt, daß die Absorptionsstreifen des Wasserdampfes tatsächlich die Lage zeigen, die nach der Bj erru m 'sehen Theorie zu erwarten ist. Bezüglich der Einzelheiten sei auf den Bericht des Referenten über die Arbeit von Rubens und Hettner: Das Rotations- spektrum des Wasserdampfes (Verh. d. Deutsch. Physikal. Ges. XVIII, 5.154(1916)) in der Naturw. Wochenschr. 1916 verwiesen.') 7. Theorie der Spektrallinien. Wie eine Saite außer ihrem Grundton eine Reihe von Obertönen gibt, deren Schwingungszahlen viel- fach in einfacher Beziehung zu der des Grund- tons stehen, so senden auch die Atome und Mole- küle eines leuchtenden Gases eine ganze Reihe von verschiedenen Wellenlängen aus, über die uns das Linienspektrum Aufschluß gibt. Jedoch sind die Beziehungen zwischen den Frequenzen der einzelnen Linien keineswegs einfacher Natur. Doch ist es gelungen, die Linien zu Gruppen, die ähnliches Aussehen und Verhalten zeigen, ') N. F. XV, S. 495 (igi6). N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 583 den Serien, zusammenzufassen und Gesetz- mäßigkeiten zwischen den Wellenlängen einer Serie zu finden. Die erste dieser Formeln ist 1885 auf empirischem Wege von Bai m er aufge- stellt worden ; Sie gestattet die Wellenlängen der Serienlinien des Wasserstoffs mit überraschender Genauigkeit zu berechnen, wenn man für n die Zahlen 3, 4, 5 usw. einsetzt. Ähnliche Gesetzmäßigkeiten sind später namentlich von Kayser und Runge auf- gestellt worden. Die in den Spektren sich zeigen- den Regelmäßigkeiten müssen sich natürlich in den Licht aussendenden Atomen wiederfinden ; es kommt also darauf an, ein Atommodell zu er- sinnen, dessen Mechanismus der Art ist, daß sich aus ihm die an den Serienlinien beobachteten Ge- setze ableiten lassen. Das Bohr 'sehe') Mo d eil desWasserstoffatoms wird dieser F" orde- rung gerecht. Um den positiven Kern des Atoms bewegt sich nach dieser Theorie ein Elek- tron in Kreisen von ganz bestimmten Radien. Die Kreisbahnen sind dadurch bestimmt, daß der Unterschied, den die Energie des Elektrons zeigt, wenn es sich auf einem inneren oder äußeren Kreis bewegt, gleich einem ganzen Vielfachen des Energieelements h-v ist. Beim Kreisen findet keine Strahlung statt, diese tritt vielmehr nur dann auf, wenn das Elektron von einer Bahn auf eine andere übergeht. Dann wird jedesmal das Energiequantum h-v ausgestrahlt. Man sieht so- fort, daß diese Annahmen im Widerspruch zur Elektrodynamik stehen; z. B. müßte schon beim Umlauf, bei der vermöge der dauernden Richtungs- änderung der Bewegung das Elektron eine Be- schleunigung erfährt, eine Strahlung stattfinden. Also auch hier wieder der Gegensatz zwischen Ouantenhypothese und den altgewohnten Anschau- ungen. Unter den genannten Voraussetzungen er- gibt sich eine Formel, mittels der sich, indem man ähnlich wie bei der Bai mcr 'sehen für eine Laufzahl der Reihe nach die ganzen Zahlen ein- setzt, die Wellenlängen der Serienlinien in ausge- zeichneter Übereinstimmung mit der Erfahrung berechnen lassen. In ähnlicher Weise lassen sich Formeln für die Serienlinien anderer Elemente (mit mehr als einem Elektron) aufstellen. Es sei noch erwähnt, daß auch bei den Phos- phoreszenz- und Fluoreszenzerscheinungen quanten- hafte Vorgänge vorzuliegen scheinen. 8. Elektronenemission. Während die bisher betrachteten Anwendungen der Quanten- theorie sich auf periodische Vorgänge beschränken, erstreckt sich eine von A. Sommerfeld aufge- stellte Ouantenhypothese auch auf nichtperio- disch eMolekularvorgänge. Läßt man ultra- violettes Licht oder Röntgenstrahlen, also kurz- wellige elektromagnetische Strahlen, auf die Ober- fläche fester Körper fallen, so sendet diese Elek- tronen aus, deren Geschwindigkeit lediglich von der Frequenz (Wellenlänge) der auffallenden Strah- lung, nicht aber von ihrer Intensität abhängt. Bei den hochfrequenten Röntgenstrahlung ist die Ge- schwindigkeit beträchtlich, etwa 30 000 Volt,') beim ultravioletten Licht entspricht sie einigen Volt. Die elastisch gebundenen „lichtelektrischen" Elektronen fangen unter der Einwirkung des Lichtes an zu schwingen (Resonanz), so daß sich ihre Schwingungsamplitude allmählich steigert. Hat diese und damit die in dem Elektron aufge- speicherte, dem auffallenden Licht entnommene Energie einen bestimmten Wert erreicht, dann zerreißt die Bindung, und das Elektron fliegt fort. Nun zeigt aber die Rechnung, daß eine sehr lange Einwirkung des Lichtes (Akkumulationszeit) nötig wäre, um so hohe Energiebeträge in den Elektronen anzuhäufen, wie die Beobachtung er- gibt. Andererseits zeigt der Versuch, daß die Elektronenemission gleich mit Beginn der Be- strahlung einsetzt. Es bleibt demnach nur übrig anzunehmen, daß die Energie zum Teil aus dem Energieinhalt des Elektrons stammt. Nun ergibt sich, daß die Energie e des ausgesandten Elektrons nahezu gleich h-v ist, wenn man für v die Frequenz der auslösenden Strahlung einsetzt. Man muß den Vorgang wohl so auf- fassen, daß die Emission des Elektrons erst er- folgt, wenn die Energie des Atoms den Betrag des Elementarquantums h-i' erreicht hat. Da nun der ■ Energiegehalt der Atome verschieden ist, so werden diejenigen, deren Energiebetrag nur sehr wenig unter diesem Wert liegt, sofort bei Beginn der Belichtung Elektronen emittieren, während es bei anderen einer mehr oder weniger langen Zeit bedarf, bis sie aus der auffallenden Strahlungs- energie ihre Energie bis zu dem kritischen Wert gesteigert haben. Auch der umgekehrte Vorgang, Er- regungvonLichtdurch Elektronenstoß, verläuft quantenhaft. Trifft ein Elektron, dessen kinetische Energie kleiner ist als h v, auf ein Molekül dampfförmigen Quecksilbers, so wird es elastisch reflektiert. Erreicht seine Energie dagegen diesen Betrag, dann wird sie auf das Quecksilberatom übertragen; dieses fängt infolge- dessen an zu leuchten und zwar sendet es Licht von der Frequenz v aus. ^) Überblicken wir zum Schluß noch einmal die obigen Ausführungen, so läßt sich zusammen- fassend folgendes sagen: Das Gesetz der gleich- mäßigen Energieverteilung versagt in der Theorie der spezifischen Wärme und vor allem in der elbe , wie sie dem Volt . ., 30000 erteilt ') Naturwissenschaften II, 8.289(1914): Seeligcr, Ent- stehung der Spektrallinien und die Serienspektra. ') d. h. die Geschwindigkeit ist Elektron in einem elektrischen Felde *) Frank und Hertz, ZusammenstölJe zwischen Elek- tronen und den Molekülen des Quecksilberdampfes. Ber. d. Deutsch. Physikal. Ges. XVI, S. 457 u. 512 (1914). Bericht darüber in der Naturw. Wochenschr. Xlfl, S. 648 (1914). 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 4' Lehre von der Strahhing. Es ist um so weniger erfüllt, je rascher die Oszillatoren schwingen und je tiefer die Temperatur ist; es ist nur als Grenz- fall gültig. Im allgemeinen dagegen verteilt sich die Energie nach Maßgabe der Frequenz. Die Planck 'sehe Quantenhypothese entspricht wohl den tatsächlichen Vorgängen , sie liefert brauch- bare Formeln, doch nicht volles theoretisches Verständnis. Eine befriedigende Einordnung der- selben in das System der bisherigen theoretischen Physik ist heute noch nicht möglich. Planck selber sagt: „Die Quantentheorie bildet in dem Organismus der theoretischen Physik einen Fremd- körper, der um so unbequemer empfunden wird, als die eigentliche Bedeutung des elementaren Wirkungsquantums bis jetzt der Anschaulichkeit fast gänzlich entbehrt. Es werden daher sicher noch Jahre vergehen, bis sich der beiderseitige Assimilationsprozeß vollzogen hat. Neben der schon im Te.xt angegebenen sei auf folgende Literatur verwiesen : 1. Planck, Vorlesungen über die Theorie der Wärme- strahlung. 1903, neue Autl. 1913. J. A. Barth, Leipzig. 2. Poincare, Letzte Gedanken. Teubner, Leipzig. 3. Kultur der Gegenwart: Physik. Teubner, Leipzig 1915. 4. Valentiner, Die Grundlage der Quantentheorie. 5. — , Anwendungen der Quantentheorie. Beide in der Sammlung Vieweg Heft 15 und 16. Vieweg, Braunschweig 1914. 6. Reiche, Die Quantentheorie. Naturwissenschaften!, S. 549 u. 568, 1914. 7. Lande, Neue Experimente zur Quantentheorie. Natur- wissenschaften 111, S. 15, 191 5. S. Born, Die Theorie der Wärmestrahlung und die Quantenhypothese. Naturwissenschaften I, S. 499, 1914. 9. Perrin, Die Atome. Steinkopff, Dresden und Leipzig 1914- Einzelberichte. Meteorologie. Über die Entstehung des Höhleneises. Schon früh suchte man die Ent- stehung und Erhaltung jenes Plises zu ergründen, welches den Boden einzelner Höhlen vergletschert, die Wände mit Millionen Kristallen übersät und Kolosse von märchenhaftem Glanz aufbaut und glitzernde Vorhänge und Zapfen von der Decke herabhängen läßt (Das Wetter 191 5 S. 242). Zu- erst hielt man das in Grotten vorkommende Eis für einen Rückstand aus der Periode der Ver- gletscherung und glaubte an keine Neubildung von Höhleneis in der Gegenwart. Bald ließ man aber diese Theorie der Kälte- überreste aus der Eiszeit fallen (Herzog von Lewy, Dawkins) und erklärte die Entstehung des Höhlen- eises aus der Abkühlung durch Lösungen von Salzen, durch eine Wärmeentziehung infolge Ver- dunstung (Lohmann), durch eine Unterkühlung des Wassers, welches durch das Gestein in die Höhlen einsickert und beim Durchtritt durch haarfeine Felsenrisse in unterkühltem Zustand in das Höhleninnere eindringe und zu Eis erstarre (Schwalbe). Man dachte an eine Aufspeicherung der Winterkälte, wobei die einsinkende kalte Winterluft Eisbildung bewirke und die Sommer- wärme das entstandene Eis nicht schmelzen könne (Fugger). Nach H. Bock endlich ist die Eisbildung in Höhlen bei einer Temperatur von o" C und bei Wassereintritt in den unterirdischen Hohlraum etwas Selbstverständliches und es gilt weit mehr die Frage zu lösen, auf welchen Umständen die ungewöhnliche Temperaturerniedrigung beruht, deren bloße Folgeerscheinung die Eisbildung ist. Dr. Bl. Die Höhlentemperatur. In den Kalkgebirgen kommen am häufigsten unterirdische Hohlräume vor, welche sich oft in gewaltiger Ausdehnung in das Erdinnere erstrecken und mit ihren vielfachen Verzweigungen ganze „Höhlensysteme" und mit ihren Über- und Untereinanderlagerungen förmliche „Höhlenlabj'rinthe" bilden. Diese Grotten haben ihre eigenen meteorologischen Verhältnisse und am meisten interessiert wieder den Besucher die Temperatur des Höhleninnern (Das Wetter 1915 S. 241). Die Beobachtungen an zahlreichen Höhlen haben ergeben, daß die Temperatur in den natür- lichen Hohlräumen der Erde im allgemeinen un- verändert bleibt. Deshalb kommt uns auch eine Höhle im Sommer kühl und im Winter warm vor. Die Höhlentemperatur bleibt beständig, weil sich die Höhlen meist weit ins Erdinnere erstrecken, wohin weder Winterkälte noch Sommerhitze ein- dringen kann. Daher folgt die Höhlenluft wenig oder gar nicht den Temperaturschwankungen der Außenluft, sondern bleibt fast das ganze Jahr hindurch konstant. So zeigt die Riesengrotte bei Triest zu verschiedenen Jahreszeiten -j- 1 1 bis + .20C. Die Normaltemperatur der Höhlen entspricht annähernd der mittleren Jahrestemperatur des- jenigen Ortes, in welchem die Höhle liegt, sie ist verschieden für jede Grotte je nach deren geographischer Lage und Meereshöhe und schwankt unter Umständen etwas in einzelnen .Abteilungen einer und derselben Höhle. Es gibt aber Höhlen, deren Temperatur stark vom Jahres- mittel abweicht, es ist dies besonders zu be- obachten in Grotten zu Tage, die in ihrem Innern mächtige, auch im Sommer nicht schwindende Eisbildungen bergen. In manchen Höhlen wieder- um übersteigt, die Temperatur oft beträchtlich das Jahresmittel, es zeigt sich eine Abnornialität der Höhlentemperatur. Dr. Bl. Physiologie. Die Zahl der farblosen Blut- körperchen (sog. weiße Blutkörperchen oder Leukozyten) beträgt im normalen Blut höchstens N. F. XV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 5S5 0,5 "/q der Blutkörperchen überhaupt oder 5000 bis locoo Stück pro i mm^ im entleerten Blut. Eine Vermehrung dieser Zahl unter physiologischen Umständen begegnen wir bei der Verdauung, der Schwangerschaft, nach Muskelarbeit, Massage, epilep- tischen Krämpfen usw. Interessant ist es nun, daß eine Vermehrung der weißen Blutkörperchen beim Säugling während des Schreiens gleiciifalls statt- findet, wie Rudolf Heß und Rieh ardSeyder- helm fanden (Münchener med. Wochenschrift Nr. 26, 19 16). Bei Gelegenheit regelmäßiger Blutuntersuchun- gen am Säugling, die zu anderem Zweck vorge- nommen wurden, fiel ihnen auf daß die Zahl der weißen Blutkörperchen im Kubikmillimeter ver- mehrt war, wenn das Kind zuvor geschrieen hatte. Dabei waren die sonstigen Bedingungen (Tages- zeit, Temperatur, Nahrungsaufnahme, Schlaf) jedes- mal dieselben. Die Zählungen wurden in der Weise vorgenommen, daß zuerst die Zahl der Leukozyten in einer Blutprobe (mit einer Breu er- sehen Zählkammer) festgestellt wurde, welche nach Einstich einer Zehe entnommen wurde. Nach mindestens 10 Minuten Schreiens, welches durch Vorhalten der Milchflasche hervorgerufen wurde, wurde aus derselben Zehe eine abermalige Blut- probe entnommen. Die Vermehrung betraf nicht allein das Blut in den Hautkapillaren, sondern auch jenes in den tieferen Venen. Sie beruht wahr- scheinlich auf einer Auspressung der Lymphzellen aus einem zentralen Depot in die Blutbahn, etwa durch den Ductus thoracicus; sie ist also keine eigentliche Vermehrung, sondern ein erhöhtes Sicht- barwerden bereits vorhandener Lymphzellen. Dem entspricht auch der rasche Eintritt der Erscheinung schon nach wenigen Minuten, während die Leuko- zytose infolge der Verdauung viel längere Zeit, bis V2 Stunde, beansprucht. Die Kinder waren durchaus gesund oder befanden sich in der Re- konvaleszenz. Die Untersuchungen wurden nach der letzten Mittags- oder Abendfütterung vorge- nommen. Die Rückkehr zum Ausgangswert trat schon nach kurzer Zeit ein, höchstens nach einer ^/a Stunde. Die Leukozytose infolge des Schreiens kann denselben Tag sich mehrmals wiederholen. Die Auspressung wird bewirkt durch die Muskel- zusammenziehungen beim Schreien, wie auch bei dem Erwachsenen eine Leukozytose nach Muskel- arbeit, Massage und epileptischen Krämpfen be- obachtet wird. Kathariner. Chemie. Unter dem Titel „Metallnebel und Pyrosole" hat Richard Lorenz (Kolloid.-Zeit- schrift, Bd. XVIII, S. 177 bis 190) eine mit zahl- reichen, allerdings wohl nicht besonders gut re- produzierten Abbildungen versehene, übersicht- liche Darstellung ') der von ihm in Gemeinschaft mit seinen Schülern ausgeführten einschlägigen Untersuchungen veröftentlicht. ') Eine kürzer gefaßte Übersicht hat Lorenz in der Physikal. Zeitschrift .\VI, S. 204—206 (1915) gegeben. Schon Bunsen wurde bei seinen Unter- suchungen auf die Tatsache aufmerksam, daß bei der Elektrolyse geschmolzene Salze nicht selten eine eigentümliche „Verschmierung" des zunächst ganz klaren und durchsichtigen Elektrolyten auf- tritt, die, äußerlich hauptsächlich an einer Fär- bung der Schmelze erkennbar, die saubere Durch- führung der Elektrolyse erheblich erschwert. Die eingehende Untersuchung dieser Erscheinung durch Richard Lorenz und seine Schüler ergab, daß es sich hier um einen ganzen Komplex von Einzelphänomenen handelt. Zunächst kann durch Oxydation des bei der Elektrolyse abgeschiedenen Metalles durch den Luftsauerstoff ein Oxyd ge- bildet werden, das sich je nach den Umständen entweder in der Schmelze lösen oder in ihr sus- pendiert bleiben kann. Löst es sich, so wird die Schmelze basisch, bei Fortsetzung der Elektrolyse wird an der meist aus Kohle bestehenden Anode Sauerstoff entwickelt und von diesem die Anode zu Kohlensäure verbrannt, so daß in der Schmelze Karbonate entstehen können. Auch lösen sich hierbei leicht Kohleflitterchen von der Anode los, die, in der Schmelze herumschwimmend, an die Kathode gelangen und dort, wie z. B. bei der Elektrolyse von Calciumchlorid, Karbidbildung ver- anlassen können. Man wird also bei der Elektro- lyse zunächst durch geeignete Versuchsanordnungen den Zutritt von Luft zur Schmelze ausschließen. Damit aber sind, wie Lorenz gefunden hat, die Schwierigkeiten noch nicht überwunden; die Er- scheinungen bleiben im wesentlichen die gleichen, nur tritt noch ein neuer Vorgang hinzu, die von der Kathode ausgehende Bildung eines gefärbten Metallnebels. Die Tatsache, daß auch bei sorg- fältigem Luftabschluß die Entstehung von Oxyden und die daraus sich ergebenden Störungen nicht zu vermeiden sind , hat ihre Lirsache in den großen Schwierigkeiten, die Schmelzen vollständig zu ent- wässern. Selbst noch bei 700" halten geschmol- zene Salze kleine Wassermengen mit größter Zähigkeit fest, eine Eigenschaft, die keineswegs etwa nur die bei Zimmertemperatur als hygro- skopisch bekannten Stoffe wie z. B. Chlorcalcium oder Zinkchlorid, sondern selbst so „trockene" Salze wie PbCl„ oder AgCl besitzen. Dieses Wasser bewirkt eine wie jede Hydrolyse mit steigernder Temperatur rasch wachsende Hydrolyse nach dem Schema ZnCl., + 2 H.,0 :4=± Zn(OH)., + 2 HCl eine Hydrolyse, die einerseits durch die Tempe- ratursteigerung, andererseits durch die P'lüchtigkeit der entstehenden freien Säure sehr begünstigt wird und so die „Entwässerung" illusorisch macht. Um diesen Vorgang zu verhindern, hat Lorenz unter Benutzung des Massenwirkungsgesetzes die Entwässerung der Salze im Salzsäurestrom vor- genommen und, um auch die durch rasche Tem- peratursteigerung beförderte Bildung von gröberen Oxyd- und Hydroxydteilchen zu verhindern, die bekanntlich von Salzsäure nur schwer angegriffen werden, die Temperatur nur sehr allmählich ge- 586 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 41 steigert. Auf diese Weise gelang es Lorenz, Chloridschmelzen zu gewinnen, die bei der Elek- trolyse, ohne daß die Anoden angegriffen wurden, reines Chlor gaben. Nun aber trat die bereits erwähnte Bildung von Metallnebeln um so deut- licher hervor: „Von der Kathode sieht man eigen- tümliche Wolken entweichen, die sich in dem Elektrolyten ausbreiten und ihm außerordentlich starke Trübungen erteilen. Er bleibt jetzt zwar im durchfallenden Lichte durchsichtig (gefärbt), erscheint aber im auffallenden Lichte trübe." Die „Metallnebel" können von gefärbten Subchloriden herrühren, für die Mehrzahl der Fälle aber sprach Lorenz die Ansicht aus, daß sie aus metallischen Teilchen beständen, also Analoga der kolloidalen Goldlösungen, insbesondere der Goldrubingläser seien, und bezeichnete sie dementsprechend als „Pyrosole". Beweise für die Richtigkeit dieser Auffassung hat Lorenz zunächst auf indirektem Wege er- bracht. Bringt man z. B. in eine Kadmiumchlorid- schmelze ein Stück metallischen Kadmiums, so steigen schon bei 600", also erheblich unterhalb des bei 780" C liegenden Kadmiumschmelzpunktes von dem Kadmiumregulus braune Nebel auf, da schon bei 600 " das Kadmiummetell einen sehr erheblichen Dampfdruck besitzt. Bei weiterer Temperatursteigerung wird die Nebelbildung immer intensiver, bis schließlich, sobald der Siedepunkt des Kadmiums überschritten wird, das Metall durch die Schmelze hindurchsiedet. Beim Erkalten erstarrt die „genebelte" Kadmiumschmelze zu einer grauen Masse, die nach dem Auflösen in Wasser kleine Kriställchen von Kadmiummetall in äußerst feiner Verteilung zurückläßt. Die naheliegende ultramikroskopische Unter- suchung der genebelten Schmelzen bot anfangs vor allen Dingen darum erhebliche Schwierig- keiten, weil auch die mit aller Sorgfalt herge- stellten Schmelzen, die bei der Elektrolj'se ein- wandfreie Ergebnisse lieferten, nach dem Erstarren im Ultramikroskope nicht vollkommen farblos und „optisch leer" erscheinen, sondern, vermutlich in- folge einer schwachen Dissoziation des Chlorids nach dem Schema ^) MeCl,, :^=> Me + Cl, zahlreiche einzelne metallische Teilchen erkennen ließen. Um optisch vollkommen leere Kristalle zu erhalten, genügt es aber (vgl. Richard Lorenz und W. Eitel, Z. f. anorg. und allg. Chem., Bd. 91, S. 46—56; 191 5), die Metallschmelzen, z. B. eine Bleichloridschmelze, anstatt mit Chlorwasser- stoff mit einem etwa hälftigen Gemisch von Chlor- wasserstoff- und Chlorgas zu behandeln. Man er- hält dann einwandfreie Kristalle, die bei der ultra- mikroskopischen Untersuchung optisch vollkom- men leer erscheinen. Wirft man in die so vor- bereiteten Schmelzen nun einige Schnitzel blank geschabten Bleibleches, so tritt, ebenso wie es soeben für die Kadmiumschmelze beschrieben ist. ') Me veiwertiges Metalla Färbung und Trübung der Schmelze auf und beim Erkalten erhält man dann in der Durchsicht ziem- lich klare, sich im übrigen von den reinen Kri- stallen nicht unterscheidende Kristalle, die bei der Untersuchung im Ultramikroskop einen über- raschenden Anblick gewähren: „Man erkennt ähnlich wie bei den Rubingläsern zahllose glän- zende Lichtpünktchen auf tiefschwarzem Grunde, die auf die Anwesenheit einer feinverteilten Materie in den Kristallen schließen lassen. Aber jedes Beugungsscheibchen erscheint infolge der starken Doppelbrechung des Bleichlorids doppelt, und auch die um das Scheibchen konzentrisch liegen- den farbigen Beugungsringe zeigen dieselbe Ver- doppelung, so daß ein äußerst reizvolles Bild ent- steht." In ganz ähnlicher Weise wie die Bleinebel in Bleichlorid kann man Silbernebel in Silberchlorid und Silberbromid ') und Thalliumnebel in Thallium- chlorid und Thalliumbromid erhalten (vgl. Richard Lorenz und W. Eitel, a. a. O. S. 57—65). Von besonderem Interesse ist es, daß das ge- nebelte Silberchlorid und Silberbromid auch noch auf einem anderen als dem angegebenen Wege, nämlich durch bloße Belichtung der Silberchlorid- oder Silberbromidkristalle erhalten werden kann, eine Tatsache, die für die Theorie des laten- ten photographischen Bildes von größter Wichtigkeit ist (vgl. hierzu Richard Lorenz und K. Hiege, Zeitschr. f. anorgan. und allgem. Chemie Bd. 92, S. 27—34; 1915)- Schon von Lorenz und Eitel war be- obachtet worden, daß ein optisch leerer Silber- kristall im Strahlenkegel des Ultramikroskops all- mählich eine violette bis schwarze Farbe annimmt und schließlich undurchsichtig wird, eine eigentliche Trübung aber, die sich, wenn die trübenden Teil- chen zu klein oder zu nahe benachbart wären, um einzeln im Ultramikroskop sichtbar zu werden, doch durch einen Tyndallkegel bemerkbar machen mußte, konnte damals nicht festgestellt werden. Diese Beobachtungen wurden von Lorenz und Hiege bestätigt, gleichzeitig aber stellte sich heraus, daß sich bei längerer Belichtung doch ein Tyndall- kegel bildete, der sich bei noch weiter — etwa 1 5 Minuten lang — fortgesetzter Belichtung in ein Konglomerat sehr kleiner immer heller werdender Pünktchen umwandelte. Es haben sich also vor den Augen des Beobachters in dem optisch leeren Bromsilberkristall ultramikroskopisch sichtbare Teilchen gebildet, die wohl nur als Teilchen von metallischem Silber aufgefaßt werden können. Durch Erwärmen der Präparate auf höhere Temperaturen kann man die durch kurze Be- lichtung entstandenen und nur als schwache Nebel bemerkbaren Teilchen entwickeln, ist aber ein Präparat nicht vorbelichtet worden, so treten auch bei lange fortgesetzter Erwärmung keine Einzel- teilchen auf. Die Teilchen können also, wenn ') Die .SilliL-rlironiidschraclzen werden natürli vüu Bromwasserstoff und Bromdampf hergestellt. N. F. XV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 sie einmal vorhanden sind, auf Kosten ihrer Um- gebung — der Nebel verschwindet nämlich in dem Maße, wie die Teilchen sich vergrößern — wachsen, eine Erscheinung, die in vollständiger Analogie mit den von Zsigmondy und anderen an kolloidalen Gold- und Silberteilchen beobach- teten Wachstumserscheinungen steht. Also auch hierdurch wird es wieder wahrscheinlich gemacht, daß die im Ultramikroskop sichtbaren Teilchen tatsächlich metallisches Silber sind. Diese Tatsachen sprechen für die bekannte „Silberkeimtheorie", nach der auch das latente Bild, wie es beim Photographieren entsteht, nur von Spuren metallischen Silbers gebildet wird, also in Wirklichkeit nichts anderes als ein äußerst feiner Silbernebel im Bromsilber ist. Mg. Zoologie. Vogelzug. Eine Untersuchung ') an Hand des vorhandenen Materials über den Frühlingszug von 24 Vogelarten in der Schweiz hat u. a. K. Bretscher zu folgenden Schlüssen geführt: Nach der Art des Einzuges haben wir drei Typen zu unterscheiden, nämlich: „i. Arten, die nur vom Genfersee her in das Mittelland ein- ziehen (die Gebirgsstelze, die Zaungrasmücke, die Dorngrasmücke, die Singdrossel, die Amsel, der Hausrotschwanz, die Nachtigall, der Turmsegler und der Kuckuck). 2. Arten, die auch über den Gotthard, im O über die Bündner Alpen und bei Basel von W her einzurücken scheinen (die Bach- stelze, der Weidenlaubsänger, der Schwarzkopf, der Gartenrotschwanz, das Blau- und das Rot- kehlchen, die Rauch- und die Mehlschwalbe) und 3. Arten, die anscheinend von O her bei uns ein- treffen (die Schafstelze, der Gartenlaubvogel, die Gartengrasmücke)". Was die Zugsrichtung anbetrifft, so „besteht im P'rühling durch das schweizerische Mittelland ein Hauptzug von SW nach NO; für einzelne Arten ist ein Zug in entgegengesetzter Richtung wahrscheinlich; auch über die Alpen und über Basel darf eine Zuwanderung angenommen wer- den". Auffallend ist das langsame Vorrücken der Vögel von ihrem Eingangsort nach dem entgegen- gesetzten. Die daherigen Daten sind aber noch ungenügende und ist ein weiteres fleißiges Be- obachten seitens der schweizer. Vogelkundigen hier vonnöten. Eine weitere Arbeit ") verarbeitet das durch den Landesforstmeister Freiherr von Berg in Elsaß-Lothringen gesammelte Material, das für die Jahre 1885 — 1897 gegen 4000 Beobachtungen um- faßt und vergleicht es mit dem im schweizer. Mittelland gewonnenen. Die barometrischen Depressionen haben keinen ') Die Einwanderung und Abreise der Zugvögel im schweizerischen Miuelland. Vierteljahrsschrift der Naturforsch. Gesellschaft Zürich, Bd. 61 (1916). ^) Vergleichende Untersuchungen über den Frühjahrszug der Vögel. (Elsafl-Lothringen und das schweizer. Mittelland.) Biolog. Centralblatt Bd. XXXVl, 1916, Einfluß auf den Frühjahrszug der Vögel. „Die Vögel ziehen nicht, weil ihnen diese oder jene Lage der Depressionen zu Gebote steht und dann diese benützend, sondern sie wandern bei jeder ihrer Lagen, wenn die Zeit für ihre Wanderungen gekommen ist." Auch der Luftdruck ist für die Abwicklung des Vogelzuges belanglos. Desgleichen sei die Witterung nicht entscheidend. Bei hefti- gem Wind, sogar Sturm, sei der Vogelzug nicht notwendig unterbrochen. „Bei Regen und Schnee hat Zug nicht selten stattgefunden; sogar bei Nebel ist er wiederholt ausdrücklich festgestellt; also derartige, sicher ungünstige Bedingungen sind für ihn ebenfalls kein unbedingtes Hindernis." Was den Einfluß der Temperatur angeht , so kommt der Verf. zu dem Schluß, „daß die Vögel mit Linien gleicher mittlerer Tagestemperaturen — oder wenn man will, auch gleicher Morgen- temperaturen — ziehen", und daß eine jede Vogel- art unabhängig von einer jeden anderen zieht, eine Tatsache, die ein jeder aufmerksamer Feld- ornithologe bei seinen Beobachtungen wahrnehmen wird. Der Nachweis, daß zwischen der jeweilen herrschenden Temperatur und der Lebhaftigkeit des Zuges ein offensichtlicher Zusammenhang be- steht, konnte nicht erbracht werden. Für beide Länder wurde ermittelt, daß die Vögel sich eher durch die am Zugstage herrschende Temperatur zur Wanderung bestimmen lassen, als durch die- jenige des dem Reisetag vorangehenden. Für Elsaß-Lothringen konnte ermittelt werden, daß die Höhenlage auf die Ankunft der Zugvögel auf je 100 Meter Mehriiöhe eine Verzögerung von I — 10 Tagen, je nach der Art, zur F"olge hat. Für die Schweiz konnte dies nicht in gleich deutlicher Weise festgestellt werden. In der Regel wurden hier die höheren Lagen eher bezogen als im Nachbarlande. Was die Hauptrichtung des Zuges anbetrifft, so geht er in Elsaß-Lothringen nach N, NO und O. Das ganze Gebiet ist Zugsstraße, also es sind keine verhältnismäßig eng begrenzte Wander- straßen nach Palme n'scher Auffassung vorhanden. Herr Dr. Hans Böcker (im Feld) ^) gelangt auf Grund seiner allerdings nur kurz dauernden Beobachtungen des Herbstzuges 191 5 bei Reims in bezug auf den Einfluß von Wind und Wetter zu einer abweichenden Ansicht: „Wind und Wetter haben einen sehr feinen Einfluß auf den Vogelzug, in dem Sinne, daß bei nach W und S drehendem V/ind und bei fallendem Barometer der Zug sofort oder sehr bald danach nachläßt und aufhört, und bei einer auch nur geringen Besserung des Wetters der Zug wieder einsetzt. Diese Erfahrung drängte sich mir gewissermaßen auf, da ich zur selben Zeit aus militärischem Interesse mehr als sonst Wind und Wetter beobachtete, und dabei bald merkte, wie der Zug schwächer wurde, wenn der Wind von O oder N nach W und S herumging. ') Der Herbstzug bei Reims 1915. ,,Ornith. Monats- berichte" 24. Jahrg. (1916) S. 103 — 109. Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 41 Das veranlaßte mich, mir die Barometerlont den Donner der Geschütze gehört haben wollten; natürlich sei darauf zu achten, daß die Be- treffenden keiner Einbildung zum Opfer gefallen wären. Kathariner. ' Eine ganze Reihe von Erscheinungen, die aus den verschiedensten Gebieten der Physik stammen, gestatten uns, die Loschmidt'sche Zahl zu bestim- men. Alle ergeben mit überraschender Überein- stimmung, daß ein Kubikzentimeter eines Gases bei o'^ und 760 mm Druck n = 2,6 — 3,1- 10*'' Moleküle enthält. Eine dieser Methoden, welche die Auslöschung des Lichtes in der Atmosphäre zur Messung von n benutzt, liefert einen Wert, der mit den übrigen schlecht übereinstimmt. Eine von H. Dember in den Ann. der Physik IV 49, 599 (191 6) veröffentlichte Arbeit setzt es sich zum Ziele, die einschlägigen Messungen zu wiederholen und daraus n neu zu bestimmen. Nacii einer 1881 von Rayleigh aufgestellten Hypothese findet beim Durchgang des Sonnenlichtes durch die Atmosphäre eine Zerstreuung desselben statt und zwar durch die Lufimoleküle, deren Durch- messer ja klein gegenüber der Wellenlänge des 590 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 41 Lichtes ist. Die Theorie ergibt, daß die Intensität des zerstreuten Lichtes umgekehrt proportional der 4. Potenz der Wellenlänge ist; mithin ist, da die Wellenlänge von Rot rund doppelt so groß wie die von Blau ist, im zerstreuten Licht die Intensität von Blau 16 mal so groß als die von Rot. Durch die Erfahrung wird die Theorie be- stätigt: der unbewölkte Himmel zeigt eine blaue Farbe; bei der Erscheinung der Morgen- und Abendröte tritt dagegen der hindurchgelassene rötliche Teil des Sonnenlichtes in unser Auge. Der blaue Teil ist hier nicht durch die Luftmole- küle, wohl aber durch feine in der Luft schwebende Staub- und Wasserteilchen zerstreut worden. Da es die einzelnen Luftmoleküle sind, welche die Zerstreuung des Lichtes bewirken, ist es plausibel, daß in eine Formel, welche die Intensität des zer- streuten Himmelslichtes darstellt, die Loschmid t - sehe Zahl eingeht. Der Verf. legt seinen Rech- nungen eine von Planck aufgestellte Formel zugrunde. Die Messungen wurden im August und Septembar 1914 auf dem Pik von Teneriffa (3280 m ü. d. :\I.) ausgeführt. Um einwandfreie Resultate zu erhalten, ist es erforderlich, daß die Luft möglichst frei von Staub und Wasserdampf ist. An den 7 Tagen, an denen die Versuche stattfanden, war sie so klar, daß die Preisen einer 90 km entfernten Inselgruppe dem unbewaffneten Auge sichtbar waren. Zur Zerlegung des Him- melslichtes wurde ein Ouarzspektrometer, zur Messung der Intensität der verschiedenen VN'ellen- längen eine mit einem Helium - Argon - Gemisch gefüllte lichtelektrische Zelle mit Ouarzfenster ver- wendet. Der Verlust des kolloiden Natrium an negativer Ladung bei der Belichtung wurde mit einem Wulf 'sehen Einfaden - Elektrometer ge- messen. Als Mittel ergibt sich für n°6o 2,89-10^^ Moleküle im Kubikzentimeter, ein Wert, der mit den nach anderen Methoden gefundenen in guter Übereinstimmung ist. K. Seh. Moorschutzheft. Beiträge zu pflege, herausgegeben von H. Conwentz. Band 5, Heft 2. Mit 10 Abbildungen. 284 Seiten. Berlin 1916, Gebrüder Bornträger. Das Heft enthält den größten Teil der Ver- handlungen der am 3. und 4. Dezember 191 5 in Berlin abgehaltenen 7. Konferenz für Naturdenkmal- pflege in Preußen, namentlich die Vorträge und Erörterungen, die der Frage des Ausschlusses einer Anzahl von Mooren aus den Meliorationsarbeiten gewidmet waren. Über den allgemeinen Verlauf und die Bedeutung dieser Besprechung hat bereits H. Klose in dieser Zeitschrift Nr. 25, Seite 359 berichtet. Das vorliegende Heft bringt die Vorträge in Wortlaut. Die Reihe beginnt mit den Aus- führungen von H. Co n w e nt z - Berlin über die Notwendigkeit der Schaffung von Moorschutz- gebieten und die hierauf bezüglichen Schritte der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen. Ihm folgen K. Ke i 1 h ack - Berlin mit einer eingehenden Schilderung der Moore vom geologischen Standpunkt, E. Krüger- Berlin mit einer Darstellung der Meliorationstechnik und F. H of fm ann-F" allersieben- Berlin mit einem Vortrage „Die Moore Nordwest-Deutschlands in künstlerischer Hinsicht". Dann aber kommen die Biologen, in erster Linie die Botaniker zum Wort. Die Pflanzenwelt der hannoverschen, rheinischen. Bücherbesprechuugen. Naturdenkmal- schleswig-holsteinischen, pommerschen, west- und ostpreußischen Moore wird mehr oder weniger ein- gehend von F\ Tessendorff-Berlin, W. Wehr- h ahn- Hannover, H. Höppner- Crefeld, W. H e e - ring- Hamburg (f), I. M att fe 1 d • Berlin und W. Wan gerin -Danzig, die der bayrischen und der österreichischen Moore von H. Paul- München und A. Ginzberger- Wien behandelt. R. G r a d - mann -Tübingen erörtert die Bedeutung der Moorschutzgebiete für die pflanzengeographische P'orschung. i'ber die Tierwelt der deutschen Moore und ihre Gefährdung durch Meliorierungen berichtet F. Pax jr. In der Erörterung, die sich an die Vorträge anschließt, nehmen die Aus- führungen des Bremer Moorforschers C. A. Weber einen besonders breiten Raum ein. Den Moor- verhandlungen geht eine Eröffnungsrede des Leiters der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege, H. Conwentz, voran, in der die Einwirkung des Krieges auf die Tätigkeit der Staatlichen Stelle und ihrer Mitarbeiter geschildert wird. Mehrere von diesen hat der Krieg hingerafft; ihnen sind ehrende Nachrufe gewidmet. Beigefügt ist dem Hefte die bereits von H. Klose erwähnte „Denkschrift". Möge dem „Moorschutzheft" in den Fachkreisen wie bei allen l'reunden der un- entweihten Natur eine freundliche Aufnahme zuteil werden ! F". Moewes Anregungen und Antworten. Zur Abwehr. Herr Dr. E. W e r t li hat auf meine in dieser Zeitschrift S. 77 erschienene Besprechung seiner .Arbeit über „das Diluvium der Umgegend von Leipzig" (Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft Bd. 67, 191 5. S. 26 bis 41) mit einer Mitteilung geantwortet (diese Zeitschrift S. 408) , die „verschiedene Mißverständnisse und Unrichtig- keiten" in meiner Besprechung richtigstellen soll. In dieser Kiehtigstellung erfolgt von Seiten des Herrn Dr, Werth je- doch nur eine ,, Klarstellung" seiner .Ansiclit über die Ein- reihung der Funde von Markkleeberg in das archäologische Schema, zu der Herr Dr. Werth selber bemerkt, er habe sich vielleicht nicht klar genug ausgedrückt. Ich bin mir darüber unklar, ob er hiermit sich selber oder mich entschul- digen will. Nach der erneuten Lektüre seines diesbezüglichen Aufsatzes in der Zeitschrift der geologischen Gesellschaft glaube ich meine Angaben über die Datierung aufrecht er- N. F. XV. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. halten zu müssen. Im übrigen kann ich bei dieser Gelegen- heit wohl darauf hinweisen, dal3 mir Herr Max Näbe- Leipzig im März v. J. als neueste Entdeckung aus Mark- kleeberg einen typischen, prächtigen Acheulfaustkeil gezeigt hat, der jeden weiteren Streit erübrigt. Die von Herrn Dr. Werth unter dem Titel „Nosce te ipsum" in dieser Zeitschrift S. 299 veröffentlichten Ausführun- gen zu meiner Abhandlung „die Wissenschaft vom fossilen Menschen eine geologische oder vorgeschichtliche Disziplin" (diese Zeitschrift 1915, S. 705) scheinen mir sachlich in keiner IBeziehung etwas Neues zu bringen. Wenn Herr Dr. Werth die paläolithischen Artefakte als Fossilien betrachtet und da- durch die Geologie in den Vordergrund schiebt, — dann freilich können wir mit demselben Recht die ganze Urge- schichte als eine naturwissenschaftliche Disziplin und als eine Unterabteilung der Geologie ansehen. Wernigerode a. H. Hugo Mötefindt. Ein bemerkenswertes Baumpaar. Zwei Baumkronen über- Weide, darüber eine Eberesche zeigt In der Höhlung der Weide bietet sich ein Gewirr von Stämmen, die bis an den ben, so dafi es den Anschein hat, als sei die Eber- rhalb der hohlen Weide aus der Erde emporge- unsere Abbildung Weide, auf welcher eine Ebe wachsen. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch , dal3 die Eberesche ursprünglich als echte ,, Überpflanze" sich auf dem Stammende der Weide angesiedelt hat; das erkennt man da- ran, daß von jener Stelle aus ein starker Stamm in die Höhe strebt. Die dünneren Stämme, die sich von dort abwärts er- strecken, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Wurzeln, die zunächst in den Mulm der Weide hineingewachsen, dann, nachdem dieser gänzlich verfault war, bloßgelegt worden sind und sich nun an der I^uft stammartig entwickelt und mit Borke umkleidet haben. Da sie außer anderen Wurzeln auch Wurzelschößlinge nach oben getrieben haben, wird das Bild noch verworrener und schwerer verständlich. Bleiben die beiden Bäume sich selbst überlassen, so dürfte künftig einmal nur die Eberesche übrig bleiben, die in der seltsamen Form des Stammes noch Spuren ihrer Lebens- geschichte bewahren wird. Vorläufig freilich werden vermut- lich noch lange Jahre die beiden in ihrem innigen Beieinander finden. _ Georg Klatt. An die Schilderung des hübschen Falles von einheimischen Überpflanzen könnte man noch folgende Bemerkungen über epiphytische Vegetation anschließen. Sie erreicht ihre eigent- Üche, mannigfaltige Entwicklung erst in den immer feuchten Ländern des Tropengürtels, ist aber in einigen Ansätzen auch cgeno t feuchtem Klima dem berühmten, und warmen Wintern. So kann man aus einem Hutwalde hervorgegangenen Forst bei Varel in Oldenburg, zwischen Neuenburg und Bockhorn, auf den Asten der Eichen unseren Farn Polypodium vulgare entlangkriechen sehen, der so einen ganz ähnlichen Eindruck macht, wie z. B. das tropische Polypodium sinuosum. Auch sind die, wieder- um in feuchten Gegenden besonders üppigen Überzüge von Algen, Flechten, Moosen, die die Äste und Stämme der Bäume bedecken, typische epiphytische Pflanzengesellschaften. Wir können aber auch solche Pflanzen der einheimischen epiphyti- schen Vegetation zuzählen, die auf Mauern, Dächern, Türmen, einzeln stehenden, steilen Felsen vorkommen, und es würde sich lohnen, diesen Pflanzenwuchs einmal systematisch mit Rücksicht auf die Bedingungen des Epiphytismus zu studieren. Neben der Substratfrage spielt besonders die der vertikalen Verbreitungsmöglichkeit eine Rolle. Nur solche Pflanzen können gelegentlich über dem allgemeinen Mutterboden sich ansiedeln, deren Samen in vertikaler Richtung verbreitet wer- den können. Das kann entweder durch den Wmd geschehen oder durch Tiere. Namentlich sind es, wie auch sicher in dem obigen Falle bei der Vogelbeere, die Vögel, die die Samen verschleppen oder mit ihrem Kot an hochgelegenen Stellen deponieren können. Ebenso wie die Mistel (die aber ein echter Parasit ist) durch Vögel, namentlich die Drossel, auf Äste verpflanzt wird, kann dies auch mit anderen beeren- tragenden Gewächsen geschehen. Deshalb findet man häufig den Holunder auf Mauern, Türmen ; auch das Vorkommen der Felsenmispel (Amelanchier vulgaris) an isolierten Felsen würde so zu erklären sein. Auf den Wind als Verbreiter würde das häufige Auftreten von Birken auf Türmen usw. zurückgehen. Daß man so oft das Schöllkraut (Chelidonium majus) auf Mauern und in Ritzen antriflft, kommt daher, dafi die Ameisen die Samen wegen der fetthaltigen Anhängsel sammeln und damit verschleppen. Ganz in ähnlicher Weise wie in dem obigen Falle die Eberesche aus einem Samenkorn hervorgegangen ist, das ein Vogel mit seinem Kot auf die Weide transportierte, keimen auch der jedem bekannte Gummibaum (Ficus elastica) sowie einige andere ihm ähnliche riesige Feigenbäume der Tropen. Man kann leicht solche mit einer Knolle versehenen Keim- pflanzen auf den Ästen finden ; bei diesen Bäumen ist sogar Regel, was bei der Vogelbeere oben nur eine Ausnahme ist. Vögel und Affen verschleppen die kleinen Samen in ihrem Kot auf die Bäume, der kleine heranwachsende Baum sendet nun seine Wurzeln aus, die aber nicht, wie bei Sorbus, in dem Mulm des hohlen Stützbaumes abwärts wachsen, sondern außerhalb am Stamme herabkriechen, oder später sogar direkt durch die Luft dringen in Form von strickartigen Luftwurzeln. Wenn diese Wurzeln dann den Anschluß an das große Re- servoir des Bodens erreicht haben, ist ein solcher Feigenbaum kein F^piphyt mehr, sondern ebenso wie der Vogelbeerbaum ein Halbepiphyt. Schließlich vernichtet er sogar seinen Stütz- baum, indem ihm seine mächtige dichtblätterige Krone Luft und Licht nimmt, gänzlich. Nunmehr steht die Feige auf einem phantastischen System von Stelzen , das sich weiterhin durch Dickenwachstum und ein Gewirr von neuen verflochtenen Wurzeln zu einem merkwürdigen Stamme ausbildet. Oder an- dere Feigenbäume wachsen in derselben Weise an ihrem Umfange dauernd weiter. So gehen dann aus solchen unscheinbaren 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 41 Keimpflänzchen riesige Bäume hervor, die einem ganzen Walde gleichen. Die Abbildung 2 zeigt den berühmten Banyan (Ficus bengalensis) im Botanischen Garten zu Calcutta, der nach der Überlieferung vor 130 Jahren seine Laufbahn als kleiner Epi- phyt auf einer inzwischen natürlich längst erwürgten Palme begann. Sehr hübsch wird die Entwicklungsgeschichte solcher tro- pischer Feigenbäume in ein malayisches Märchen über das Thema: Kleine Ursachen, große Wirkungen, verflochten. Ein Papageienkönig wollte auf seinem angestammten Baume der Fauth, l'h., 25 Jahre Planetenforschung. Beobachtungs- tcchnischc Erfahrungen und Ergebnisse, gesammelt an Refrak- toren seiner Privatsternwarte zu Landstuhl. IV. Mit 245 Ab- bildungen im Te.xt und auf 11 Tafeln. Eine Kriegsgabe. Kaiserslautern '16, Kommissionsverlag Hermann Kayser. Zschokke, Fr., Der Schlaf der Tiere. Basel '16, B. Schwabe & Co. — 1,20 M. Boerner's Vorschule der Experimentalphysik für den Anfangsunterricht an Gymnasien und Realgymnasien sowie an den entsprechenden NichtvoUanstalten. 7. Aufl. , bearbeitet Abb. (nach S e iplar dos Banyan (!• Ruhe pflegen und schärfte seiner Leibwache ein, sie solle jedem fremden Tiere den Aufenthalt in seinem Reich ver- wehren. Da flatterte ein Vogel herzu und bat, sich auf einem Aste niederlassen zu dürfen. Die Wächter wiesen ihn ab, ließen sich aber, als sie der fremde Vogel nur um ein kleines Augenblickchen Rast bat, erweichen. Dieses .\ugenblickchen benutzte der Gast aber dazu, um ein .Andenken auf dem Aste niederzulegen, und kaum war dies geschehen, so erwuchs mit märchenhafter Schnelligkeit ein Feigenbaum aus dem Kot, der sich alsbald mit einem solchen Schwärm lärmender Vögel und Affen belebte, daß sich der arme Papageienkönig nach einer anderen Residenz umsehen mußte. Miehe. Literatur. Goeldi, E. A. und Fischer, Ed., Der Generations- wechsel im Tier- und Pllanzenreicli, mit Vorschlägen zu einer einheitlichen biologischen Auffassung und Benennung. Ein Beitrag zur Förderung des höheren naturkundlichen Unter- richts und des Verständnisses fundamentaler Lebensvorgänge. Vortrag, gehalten vor der Naturforschenden Gesellschaft in Bern 4. März 1916. '16, K. J. Wyß. unter Mitwirkung von G. Mohr mann. Mit 13S Textabbil- dungen. Berlin '16, Weidmann'sche Buchhandlung. — 2,40 M. Hcrtwig, O., Das Werden der Organismen. Eine Widerlegung von Uarwin's Zufallstheorie. Mit 115 Textab- bildungen. Jena '16, G. Fischer. — 18,50 Mk. Doflein, Fr., Zell- und Protoplasmastudien. II. Unter- suchungen über das Protoplasma und die Pseudopodien der Khizopoden. Mit 4 Tafeln und 9 Textabbildungen. Jena '16, G. Fischer. — 6 M. Br ohmer, P., Biologie. Lehre vom Bau und Leoen der Tiere und Pflanzen. Ein Hilfsbuch für den naturkund- lichen Unterricht in Lehrerbildungsanstalten. Mit drei mehr- farbigen Tafeln und zahlreichen Text.abbildungcn. Leipzig '16, Quelle i\: Meyer. — 3,20 M. Haeckel, E., Fünfzig Jahre Stammesgeschichte. Histo- risch-kritische Studien über die Resultate der Phylogenie. Jena '16, G. Fischer. — 2 M. Berichtigung: Im Inhaltsverzeichnis zu Nr. 38 dieses Jahrganges ist unter dem Abschnitt „Kleinere Mitteilungen" statt C. Heß zu lesen Hans Henning. Der kleine Aufsatz fußt auf eigenen Beobachtungen des Verfassers. Inhalte K. Schutt, Die Quantenhypothese, i Abb. S. 577. — Einzelberichte: H. Bock, Über die Entstehung des Ilöhleneises. S. 584. Die Höhlentemperatur. S. 584. Rudolf Heß und Richard Seyderhelm, Vermehrung der weißen Blutkörperchen beim Säugling während des Schreiens. S. 584. Richard Lorenz, Metallnebel und Pyrosole. S. 5S5. K. Bretscher und H. Böcker, Vogelzug. S. 587. R. Mertens, Herpetologisches aus St. Petersburg. S. 58S. P. Schirch, Pelomyxa palustris (Greeff 1867). S. 58S. G. Bigourdan, Hörbarkeit des Kanonendonners auf weite Entfernungen. S. 58g. II. Dember, Loschmidt'sche Zahl. S. 589. — Bücherbesprechungen: H. Conwentz, Moorschutzheft. S. 590. — Anregungen und Antworten : Zur Abwehr. S. 590. Ein bemerkenswertes Baumpaar. I Abb. S. 591. Bemerkungen über epiphytische Vegetation, i .\bb, S. 591. — Literatur: Liste. S. 592. — Be- richtigung. S. 592. Ma luskripte und Druck Zuschriften werden an Prof. Dr. II. Miehe, Leipzig, Marienstr; Verlag von Gustav Fischer in Jena. 1er G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg ße IIa, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 15. Band; - ganzen Reihe 31. Ba Sonntag, den 15. Oktober 1916. Nummer 42. Das Kleinhirn. Eine monographische Schilderung von diplom. Tierarzt Dr. Ludwig Reisinger. [Nachdruck »erboten.) Mit II Abbildungen. Im folgenden soll der als Kleinhirn bezeich- nete Teil des Zentralnervensystems einer näheren Besprechung gewürdigt werden, da dieses Organ, sowohl morphologischer als auch physiologischer Eigentümlichkeiten wegen, ein über den engeren Fachkreis der Anatomen und Physiologen reichen- des Interesse verdient. Die biologischen Besonder- heiten differenzieren das Kleinhirn scharf vom Großhirn und sie sind es auch, die das Organ tig, daß sie sich in massenhafte Querfalten legen muß, bei den Teleostiern sich sogar unter das Mittelhirndach in den Aquäduct (einem Kanal) hinein- vorstülpt. Die im Schlamm lebenden Dipnoi (Lungenfische) haben ein kleines Cerebellum, welches bei der Myxine, die an Steinen ange- saugt oder im Innern von Fischen dahinvegetiert, sogar ganz fehlt. Das Kleinhirn der Teleostier (Knochenfische) hat im allgemeinen die Form nach Art und Klasse innerhalb der Wirbeltier- eines hinten weit über die Oblongata ragenden reihe deutlich unterscheidbar machen. Das Klein- Körpers, an dessen Seiten — über dem Austritts- hirn oder Cerebellum findet sich bei sämtlichen gebiete des Trigeminus^) etwa — sich je eine Wirbeltieren, doch hält es in Größen- und Form- entwicklung nicht immer Schritt mit dem Auf- stieg im System, da seine Beschaffenheit in erster Linie von der physiologischen Beanspruchung ab- hängt. Es sollen nun Anatomie, Histologie und Verdickung vorfindet. Diese Verdickung wird bei Mschen durch eingelagerte Kerne bedingt. Das über den Kernen eingelagerte Kleinhirnstück heißt Crista cerebellaris. Das Kleinhirnmittel- stück überragt nach vorne fast immer um ein Physiologie des Kleinhirns nacheinander erörtert Stück das Vierhügeldach und wächst mit seinem werden, wobei sich die Schilderung an das natür- liche System der Vertebraten halten wird. Anatomie des Kleinhirns. Bei den Fischen, wie überhaupt bei allen Wirbeltieren, liegt das Kleinhirn über der Faserung des verlängerten Markes (Medulla oblongata). Es geht nach rückwärts (caudal) in ein Gefäßgeflecht, den Plexus chorioides ventriculi quarti, und nach vorne (frontal) in eine dünne Platte, das Velum anticum, über, welches zum Dach des Mittelhirns führt (Abb. ventralen (unteren) Abschnitt sogar unter dieses, in den Aquäductus hinein, welcher Teil Valvula cerebelli genannt wird. Jeglicher Kleinhirntypus, auch derjenige der Vögel und Säuger ist nach Edinger aus Einstülpungen und VVachstumsver- größerung einer einfachen Platte ableitbar, welche den IV. Ventrikel (die 4. Hinikammer) überdeckt. Den Wechsel der Kleinhirnfaltung innerhalb einer einzigen Ordnung zeigen drei Schnitte durch Hai- hirne nach Edinger (Abb. 2). Wie bei den Cyclostomen stellt auch das Klein- hirn der Amphibien und Reptilien eine dünne Abb. I. Gehirn des Schellfisches. (Edinger.) V Vorderhirn. N Mittelhirn. K Kleinhirn. M Verlängertes Mark. Selbst bei nahestehenden Arten weist das Kleinhirn oftmals große Differenzen im Bau auf Die einfachste Form findet sich bei den Cyclo- stomen (Rundmäulern), bei welchen das Klein- hirn eine dünne, quer über den Ventrikel gestellte Platte darstellt, welche beiderseits in die Seiten- wände der Oblongata übergeht. Bei den großen Schwimmern unter den Fischen, den Teleostiern und Selachiern, ist die Kleinhirnplatte so mäch- Abb. 2. Drei Sagittalschnitte dicht an der Medianebene durch Kleinhirne von Haien. Nach Edinger. I. Centrophorus. 2. Acanthias. 3. Galeus canis. Platte dar, welche quer über dem Ventrikel steht. Bei jenen Reptilienarten aber, welche schwimmen, wie Alligator, Krokodil, Chelone midas, ist die Kleinhirnplatte um das Doppelte vergrößert. Bei den Vögeln ist das Kleinhirn gut ent- wickelt, seine Größe je nach den Arten verschieden. Es liegt wie bei den Fischen über der Medulla oblongata, einen Teil des Daches des IV. Ven- trikels vorstellend. Das hintere Ende des Vogel- Ein wichtiger Nerv jptsächlich Empfindunge 594 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 kleinhirns ist frei, das vordere liegt zwischen den Lobi optici (den beiden Sehhügein). Seitlich steht es durch einen Stiel, dem Crus cerebelli (Stieda) mit der MeduUa oblongata in Verbindung Am Kleinhirn sind zu unterscheiden das Mittelstück Vermis und die Lobi laterales, welche dem Floc- culus der Säuger entsprechen (Abb. 3). Abb. 3. Kleinh: der Taube (links) und der Gans (rechts). Eig. Beob., Zool. Anz. d Kleinhirn, f Flocculus. c Verlängertes Mark. Die Oberfläche des Wurmes weist transversale Wülste auf, deren Zahl nach Art und Individuum variiert. So zählte ich an vier verschiedenen Taubenkleinhirnen 15, 16 und zweimal 17 Ouer- wülste. An vier Hühnerkleinhirnen konnte ich 10 bis II, 15, 18 und 19 Querwülste feststellen. In den Körper des Cerebellums dringt als schmale Spalte der Kleinhirnventrikel, an welchem jeder- seits die Kleinhirnkerne liegen. Nach Brandis ist deren graue Substanz durch eindringende Vor- sprünge der Marksubstanz in einen inneren und äußeren Kern geteilt. Der Ventriculus cerebelli steht durch seinen engeren Teil, dem Aquaeductus cerebelli, mit dem 4. Ventrikel in Verbindung. Von dem Körper ziehen markhaltige Faserbündel fächerförmig in die Lappen, um deren Marklager zu bilden. Eine besonders dicke Markstrahlung stellt die dorsale Fortsetzung des Kleinhirnkörpers dar. Durch diese Markstrahlung, Kleinhirnventnkel und Aquäductus sieht S h i m a z o n o den Kleinhirn- wurm in eine dorsale kaudale (obere hintere) und eine ventrale frontale (untere vordere) Hälfte ge- teilt, welche als Vermis posterior und Vermis anterior zu bezeichnen sind. Vom Kleinhirnven- trikel geht eine rückwärtige Verlängerung, der Recessus posterior ventncuii cerebelli, aus. Kra- nial verläuft der Recessus anterior. Die Weite des Ventrikels ist bei den einzelnen Arten der Vögel verschieden. Als Ausstülpungen desselben sind, außer den bereits angeführten noch zu nennen: Recessus dorsalis, Rec. ventralis, Rec. lateralis dorsalis, Rec. lateralis ventralis (Aquae- ductus cerebelli) (Abb. 4). Während das Kleinhirn der Vögel seinem Bau nach bei den verschiedenen Arten nahezu über- einstimmt, weist dieses Organ bei den Säugern große Unterschiede auf. Aus der großen Anzahl der Spezies der verschiedenen Ordnungen mögen einige leicht zugängliche Typen angeführt werden, um die Differenzen deutlich zu machen. Vor allem soll als Vertreter der Unpaarzeher das Pferd Erwähnung finden, da bei diesem die anatomischen Verhältnisse am übersichtlichsten sind. Beim er- wachsenen Pferd beträgt der Längendurchmesser des Kleinhirns 6 — 7, wohl auch 8 cm, sein Breiten- durchmesser — senkrecht auf den Wurm gemessen — zählt mit ungeführ 7 cm etwas weniger als der Längendurchmesser. Das fast kugelige Klein- hirn zerfällt in den median gelegenen Wurm und die Seilenlappen. Der Wurm ist ein nahezu kreis- förmig gekrümmter Wulst, desseri Enden ventral (unten) gegeneinander gekehrt sind, einen schmalen, vom IV. Ventrikel ausgehenden Spalt — den Re- cessus tecti ventriculi IV. — freilassend. Dieser Spalt führt in eine kleine Höhle im Corpus medul- läre des Wurmes, welche Dachkammer oder Zelt genannt wird. Diesem gegenüber senkt sich ein tiefer Spalt ein, der Sulcus primarius, welcher den Wurm in einen Lobus nasalis und einen Lobus caudalis teilt (Abb. 5). litt des medialen Teiles des Kleinhirns der Eule. Nach Shimazono. Vc Ventriculus cerebelli. Ac Aquaeductus cerebelli. Rp Recessus posterior. Ra Recessus anterior. Medianschnitt durch das Kleinhirn des Pferde . Truncus nasalis. 2. Truncus caudalis. 3. Sulcus Primarius. 4. Fastigialspalte. -Als Kleinhirnhemispären werden die seitlich vom Wurm gelegenen, halbkugelförmigen Partien bezeichnet, die seitwärts und abwärts bis an die MeduUa oblongata reichen. Mit dem Hirnstamm steht das Kleinhirn durch folgende Teile in Ver- bindung: 1. Durch das Velum medulläre nasale mit der Vierhügelplatte. 2. Durch die Brachia cerebelli nasalia mit dem Mittelhirn. N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 595 3. Durch die Brachia cerebelli lateralia mit der Brücke. 4. Durch die Brachia cerebelli caudalia (Klein- hirnstiele) mit der Medulla oblongata. 5. Durch das Velum medulläre caudale mit der rudimentären Decke des IV. Ventrikels. Das Kleinhirn besteht im Innern aus weißer Substanz, dem Corpus medulläre, welches in den Nucleus meduUaris vermis und die kleineren Nuclei medullaris haemisphaer. zerfällt. Beide Kerne gehen breit ineinander über. In die Markkerne der Hemisphären (Nucl. medull. hemisph.) treten die Kleinhirnbindearme ein. Von den Markkernen gehen Markblätter aus, die sich wieder in sekun- däre und tertiäre Blättchen aufspalten, welche von grauer Substanz bedeckt sind. Durch die Auf- spaltung und Verzweigung der weißen Substanz kommt der sog. Arbor medullaris cerebelli (Lebens- baum) zustande. Faserzüge, welche Laminae arcuatae genannt werden, stellen die Verbindung zwischen zwei benachbarten Markblättchen her. Auf dem Medianschnitt durch den Wurm erkennt man zwei Hauptstämme seines Markkörpers, von denen der eine nach vorne und aufwärts (nasodorsal) zieht, Truncus nasalis genannt, der andere nach rückwärts und aufwärts verläuft und daher als Truncus caudalis bezeichnet wird. Diese Stämme gabeln sich wieder in einen Ramus nasoventralis und Ramus nasodorsalis, bzw. in einen Ramus caudoventralis und Ramus caudodorsalis. Diese Zweige geben wieder reichlich Äste ab. Die Kleinhirnfurchen senken sich tief in die Hirnmasse und veranlassen dadurch eine Lappung dieses Or- gans. Die beiden Hauptlappen, Lobus nasalis und Lobus caudalis — durch den Sulcus primarius getrennt — werden auch als Vorder- und Hinter- wurm bezeichnet (Abb. 5). Die Lappung des Wurmes beginnt mit dem nasal von der Incisura fastigii liegenden Vertikal- läppchen, Lingula genannt, das 2 bis 3 Ouer- windungen aufweist. Der anschließende Lobus centralis ist 2 bis 3 teilig, sein ventraler Abschnitt ist so schmal wie die Lingula, da er noch in der Rautengrube des verlängerten Markes liegt. Der dorsale Abschnitt zeigt seitlich knopfförmige Ver- dickungen, die Alae lobuli centralis. Der nun folgende Lobus ascendens und Culmen sind zwei- teilig und mit Alae versehen, die manchmal nur auf einer Seite entwickelt sind. Das Declive, welches hinter dem Sulcus primarius liegt, besteht aus querverlaufenden Windungen und hat mit dem eigentlichen Tuber einen gemeinsamen Mark- strahl. Das nun folgende Tuber vermis besteht aus drei ineinandergeschobenen Läppchen. Die anschließende Pyramis ist durch einen seichten Spalt von der Uvula getrennt, an welche der letzte Abschnitt der Wurmes, der Nodulus, grenzt. Gleichwie der Wurm lassen sich auch die Hemisphären des Kleinhirns anatomisch zerglie- dern (Abb. 6). Man unterscheidet die seitlich von der Brücke liegenden beiden Tabulationen, welche als laterale Portion zusammengefaßt werden, im Gegensatz zu der medialen Portion, welche zwischen den Tabulationen und dem Wurm zu liegen kommt. Die beim Pferd 4- bis 5 lappige laterale Tabulatio besitzt unten einen nach rückwärts gerichteten Anhang, den Flocculus. An der medialen Portion unterscheidet man den lateral vom Tuber vermis liegenden Lobulus quadrangularis, der wieder in den Lobulus lunatus nasalis und Lobulus lunatus caudalis zerfällt. Der Lobulus lunatus nasalis be- steht aus 4 bis 5 Querwülsten und geht in das Declive des Wurmes über. Der Lobulus lunatus caudalis überragt die anderen Teile der Hemi- sphäre und geht nach vorne in den Wurm über. An den Lobulus quadrangularis schließt nach rückwärts der Lobulus semilunaris dorsalis an, der aus zwei Unterläppchen besteht. Seitwärts vom Tuber vermis und der Pyramide (Pyramis) kommt der Lobulus semilunaris ventralis zu liegen. Von den zahlreichen Furchen, welche die erwähnten Teile des Pferdekleinhirns voneinander trennen, seien als die wichtigsten die Fissura sagittalis profunda zwischen medialer und lateraler Hemi- sphärenregion und die Fissura sagittalis superficialis zwischen lateraler und medialer Tabulativ erwähnt. An Stelle der Kerne grauer Substanz, wie man sie im Innern des Corpus medulläre beim Men- schen sieht, finden sich beim Pferd nur eingestreute Nervenzellhaufen. Abb. 6. Seitenfläche des Pferdekleinhirns. Bp Brachium laterale. Cu Culmen. Fl Flocculus. La Lobus ascendens. Lc Lob. centralis. Li Lingula. Lq Lob. quadrangularis. m laterale Scheibe des Lob. cuneatus. No Nodulus. Py Pyramis. Si Lobulus semilunaris ventr. Ss Lobul. semilunaris dorsalis. üv Uvula. T Tuber vermis. Das Kleinhirn des Hundes weicht im Bau von dem des Pferdes nicht unwesentlich ab, wie aus folgender Schilderung deutlich zu ersehen sein wird. Das Hundekleinhirn hat die Gestalt eines quergestellten Ellipsoides. Der etwas geschlän- gelte, walzenförmige Wurm ist reichlich mit Querfissuren versehen und überragt die Hemi- sphären. Zwischen seinen einander gegenüber- stehenden Enden bleibt wie beim Pferd ein Spalt, das bereits erwähnte Zelt, frei. Die Hemisphären dachen sich seitlich erheblich ab. An ihrer ven- tralen Fläche findet sich eine mediane Längs- furche (die Fissura cerebelli longitud.), in welcher die umgeschlagenen Wurmenden liegen. Am Wurm läßt sich ein nasaler, caudaler und ventraler Teil unterscheiden, wogegen eine Unterscheidung in Vermes superior und inferior beim Hund nicht 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 durchführbar ist. Der Wurm des Hundes besteht aus dem abwärts gebogenen Vorderende, das wie beim Pferd Lingula genannt wird und aus 3 bis 5 Läppchen besteht. An die Lingula schließt der Lobus centralis, der noch vom Vierhügel bedeckt wird. Lobus ascendens und Culmen sind im Ver- gleich mit dem Pferd nicht getrennt, sie bilden einen einheitlichen Wulst, der sich über 10 Läpp- chen erstreckt. Das anschließende Declive, aus 3 querverlaufenden Wülsten bestehend, ist deut- lich zu erkennen. Culmen und Declive werden von Ellenberger und Baum als Monticulus zusammengefaßt und als der breiteste Teil des Hundekleinhirns beschrieben. Das Tuber vermis besteht beim Hund nur aus zwei gewundenen Läppchen und geht in die Pyramide über, die jedoch nicht an jedem Hundekleinhirn deutlich abgegrenzt erscheint und aus etwa 3 bis 5 Quer- läppchen besteht. Uvula (dem verlängerten Mark aufliegend) und Nodulus machen, von der Ober- fläche besehen, den Eindruck vollkommener Ver- schmolzenheit, während am Längsschnitt sowohl diese als auch die anderen Teile des Wurmes durch die in die Tiefe reichenden Spalten besser zu unterscheiden sind. Am deutlichsten ist der Sulcus Primarius sichtbar, der Culmen und Declive trennt. An den Hemisphären ist der Lobus qua- drangularis als großer, dreiseitiger seitlich zu- laufender Lappen jederseits vom Monticulus deut- lich zu erkennen. Dieser Lappen zerfällt durch einen Einschnitt in den Lobus lunatus anterior und Lobus lunatus inferior. Seitlich von der Py- ramide befindet sich ein kleiner Lobus cuneiformis. Den Lobus quadrangularis umziehen halbkreis- förmig der Lobus semilunaris superior und inferior, die nach rückwärts an den Lobus cuneiformis grenzen, vorne in einem Bogen ineinander über- gehen. Der Flocculus ist entweder schwach ent- wickelt oder mit dem Nodulus verschmolzen. Die Oberfläche des Hundekleinhirns wird wie beim Pferd von grauer Substanz gebildet, welche den weißen Markkörper (Corpus medulläre) mantelartig umgibt. Besonders einfach gestalten sich die anato- mischen Verhältnisse beim Kaninchen, wie die Schilderungen von Gerhardt und Krause, so- wie eigene Beobachtungen lehren. Das Organ ist I bis 1,5 cm lang und 1,5 bis 2,5 cm breit. Es überlagert die Rautengrube und reicht nach vorne bis in eine Vertiefung des Mitielhirns. Das Kleinhirn besteht wieder aus dem unpaaren Wurm und den seitlichen Hemisphären, wobei der Wurm durch seine Größe auffällt. An jeder Hemisphäre lassen sich zwei vordere und zwei hintere Lappen und ein seitlicher, etwas abwärts gerichteter An- hang (Flocculus) unterscheiden. Ähnliche Ver- hältnisse sind am Kleinhirn der Ratte festzustellen, die Lappung der Hemisphären ist jedoch wenig ausgeprägt. Aus den gegebenen Beispielen ist zu ersehen, daß im allgemeinen von den niederen Arten aufwärts das Kleinhirn immer mehr an Kompliziertheit der Form und Masse gewinnt. Der einfache Wulst der Reptilien, sowie der be- reits zahlreiche Krümmungen aufweisende ,,Wurm" der Vögel wird von Edinger als das Paläcere- bellum aufgefaßt, welches den niederen Wirbeltieren zukommt und zu welchem die Säuger das Neo- cerebellum, das sind die beiden Hemisphären, dazu- gebildet haben. Dieser Teil findet sich daher be- sonders bei höherstehenden Arten gut entwickelt vor, wie beim Pferd, dessen Kleinhirn deshalb eingehender besprochen wurde, ebenso bei den Affen, vor allem aber beim Menschen. Histologie des Kleinhirns. Die Histologie, das ist der mikroskopische Bau des Kleinhirns, ist bei allen Wirbeltieren im wesent- lichen gleich, mag es sich nun um die Kleinhirn- platte der Amphibien, den „Wurm" der Vögel oder um irgendeine Stelle des mächtig ent- wickelten Säugerkleinhirns handeln. Um den Bau des Kleinhirns unter dem Mikroskop studieren zu können, muß man ein etwa i bis 2 ccm großes Stückchen des Organs in eine Fixierungsflüssigkeit bringen, dann mittels steigenden Alkohols ent- wässern und schließlich in Zelloidin einbetten. Hat dieses die Hirnsubstanz genügend durchtränkt, so läßt man erstarren und kann dann mit Hilfe des Mikrotoms 10 bis 15 fi (1 /t =0,001 mm) dicke Schnitte vom Kleinhirn herstellen. Unter- wirft man einen dieser Schnitte der Färbung mit Häniatoxylin und Eosin, so kann man bei unge- fähr 80 facher Vergrößerung die einzelnen Schichten deutlich wahrnehmen (Abb. 7 und 8). / II m Abb. 7. Schema des Baues der Kleinhirnrinde. (Nach Günther.) Molekularschicht. II. Körnerschicht. III. Marksubstanr. Purkinje'sche Zelle, b Korbzelle. c Kleine Rindenzelle. Wie aus dem Schema ersichtlich, kann man eine innere Markschicht, eine mittlere Körner- schicht und eine äußere Molekularschicht unter- scheiden. Die Markschicht besteht aus mark- haltigen Nervenfasern, welche von Kleinhirnzellen stammen oder zu den Rindenzellen ziehen. Die Körnerschicht führt große und kleine Körnerzellen. Die kleinen Körnerzellen sind vielgestaltige, mit N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 3 bis 5 Ausläufern versehene Nervenzellen, deren Nervenfaser sehr dünn ist. Die großen Körner- zellen haben verschiedene Gestalt und senden vielfach verzweigte Dendriten (Ausläufer) aus. Die Nervenfaser dieser Zellen gibt zahlreiche Zweige ab und endigt noch in der Körnerschicht, woselbst sie in feine Fäserchen aufsplittert. Die Körnerschicht wird noch von zahlreichen Nerven- fasern durchsetzt, welche der Rinde entstammen oder dieser zustreben. An der Grenze zwischen Körnerschicht und Molekularschicht liegen be- sonders große Nerven- oder Ganglienzellen, die sog. Purkinje'schen Zellen, welche in einer Reihe angeordnet sind. Der birnförmige Zellkörper gibt ein oder zwei, in die Molekular(Rinden)schicht eindringende Dendriten ab, während die an der Basis der Zelle entspringende Nervenfaser in die Markschicht eintritt. Die Molekularschicht führt zweierlei Zelltypen. Die Korbzellen, deren Nerven- fasern Äste zu den Purkinje'schen Zellen sen- den und diese in ein Korbgefiecht einkleiden. Sphäre des Pferdes angefertigt wurden, bewiesen. An beiden Schnitten sind die drei Schichten und die zelligen Kiemente des Kleinhirns in gleichem Maße entwickelt. Unterwirft man Paraffinschnitte des Kleinhirns der Methylenblaufärbung, wie sie Nissl angegeben, so kann man unter dem Mi- kroskop die nach diesem Forscher benannten blauen Schollen — besonders im Zellkörper der Purkinje'schen Zellen — dentlich wahrnehmen. Es handelt sich um bald stäbchenförmige, bald mehr rundliche Gebilde von unscharfer Begrenzung, wie aus der Abbildung (Abb. 9.) zu ersehen ist. '^ ^ .'^bb. 9. Nisslkörperchen der Kleinhirnzellen (stark vergr.). Eig. Beob., Zool. Anz. Abb. 8. Mikroskopischer Bau des Kleinhirns. (Eigene Beobachtung, Zool. Anz.) Molekularschicht, b Purkinje'sche Zellen, c Körnerschicht. d Markschicht. Während die Korbzellen sich in den tieferen Schichten vorfinden, hat man den zweiten Zell- typus, die kleinen Rindenzellen, in den äußeren Schichten zu suchen. Diese Zellen fallen durch ihre Kleinheit und die zahlreichen feinen Dendriten auf. Außer diesen nervösen Elementen findet sich im Kleinhirn noch bindegewebiges Stütz- gerüst vor, welches Neuroglia genannt wird. Die F"asern dieses Gewebes sind in der äußersten Schicht nicht besonders dicht angeordnet und strahlen in der Molekularschicht in radiärer An- ordnung in die Tiefe. Der histologische Aufbau des Kleinhirns ist in allen seinen Teilen gleich, wie Präparate, welche aus dem Wurm und der Kleinhirnhemi- Selbstverständlich steht das Kleinhirn durch zahlreiche Nervenbahnen mit anderen Gehirnpartien in Verbindung, was für seine physiologische Leistung-sfähigkeit von besonderer Bedeutung ist. .So führt die Kleinhirnseitenstrangbahn, welche im Rückenmark verläuft, dem Kleinhirn Reize zu, während die Fasern der Kleinhirnkerne in die sognanntc Haube des Mittelhirns, des verlängerten Alarkes und des Rückenmarkes ziehen. Physiologie des Kleinhirns. Nach den bisherigen anatomischen Auseinander- setzungen drängt sich die Frage auf, welche Arbeit das Kleinhirn im Körperhaushalt zu verrichten hat, was zu erforschen Aufgabe der Physiologie (als der Lehre von der Tätigkeit der Organe) ist. Um die Bedeutung eines Organes kennen zu lernen, bedient sich der Physiologe eines operativen Ein- griffes, der sogenannten Erstirpation, er entfernt nämlich das Organ, dessen Funktion er erforschen will, um aus den eintretenden Ausfallserschei- nungen, welche das Versuchstier zu erkennen gibt, auf die Tätigkeit des entfernten Organs im nor- malen Zustande zu schließen. Der gleiche Weg wurde auch zur Erforschung der Kleinhirnfunktion eingeschlagen. Die schwierige Operation der Kleinhirnexstirpation läßt sich aber nur unter be- sonderen Voraussetzungen ausführen, die um so peinlicher eingehalten werden müssen, als das Tier nach der Operation noch längere Zeit am Leben bleiben soll, was nur möglich, wenn jegHche Infektion während des Eingriffes sorgfältig ver- mieden wird. Um das Kleinkirn zu entfernen, muß es vorerst freigelegt werden. Zu diesem Zwecke legt man bei Fischen einen einfachen Lappenschnitt im Schädeldach an, biegt den Lappen sodann zurück und kann nun die Operation am Gehirn vornehmen. Nach dem Eingriff wird der Lappen in seiner ursprünglichen Lage durch eine einzige Naht festgeheftet, wobei die ganze Operation, 598 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr wenn nicht zu lange dauernd, außer Wasser vor- genommen werden kann. Nicht so einfach ge- staltet sich der Eingrifi" bei Vögeln und Säuge- tieren. Versuchstiere dieser Klassen werden in einem besonders konstruierten Apparat befestigt, den Kopf stark gegen die Brust gebogen, um das Kleinhirn vom Nacken aus in Angriff nehmen zu können. Nach Anlegung eines Längsschnittes in der Mittellinie und Abpräparierung der im Wege stehenden Muskeln, wird mit dem Trepan (einem Kreisbohrer) oder mit der Hohlmeißelzange ein beträchtliches Stück der Hinterhauptschuppe entfernt und das Kleinhirn freigelegt. Nach Ent- fernung der Hirnhäute trägt Luciani zuerst den Wurm ab und dann die Seitenlappen, während Munk den umgekehrten Weg einschlägt. Auf diese Weise wurden zahlreiche Versuche am Kleinhirn von Affen und Hunden (Luciani, Munk), auch Katzen und Kaninchen (Lewan- dowsky) vorgenommen. Im folgenden mögen nun die Ausfalls- erscheinungen nach Kleinhirnexstirpation bei ver- schiedenen Tieren Erwähnung finden, um auf diesem Wege die physiologische Funktion des Kleinhirns klarzumachen. Zu meinen Unter- suchungen an Fischen benutzte ich ungefähr lo bis 15 cm lange Barsche, welche sich ihrer Widerstandsfähigkeit wegen besonders für er- heblichere Eingriffe eignen. Einem Exemplar wurde mittels einer krummen Schere die Schädel- decke abgetragen und das Kleinhirn freigelegt, welches als unpaares, kugeliges Gebilde, hinter dem paaren Mittelhirn liegend, sofort zu erkennen ist. Das Kleinhirn wurde sodann mit der Pinzette abgetragen, wobei die Blutung nur gering war. In den Behälter verbracht, ließen sich neben erhöhter Reflexerregbarkeit sofort Ausfallser- scheinungen feststellen. Auffallend sind die nach abwärts verdrehten Augen, sowie die grol3e Un- ruhe des Fisches. Verhält er sich ruhig, so schwimmt er vorerst auf der Seite, sucht dann die normale Lage einzunehmen, schwankt jedoch bei der Fortbewegung bald nach links oder rechts, welche Gleichgewichtsstörung bei schnellem Schwimmen deutlich hervortritt. Manchmal dreht sich der Fisch sogar um seine Längsachse, wie es ein später operiertes Exemplar kontinuierlich tat. Später nahm der Fisch in der Ruhe eine seitlich geneigte Stellung ein. Die beobachteten Störungen sind nicht auf die Wunde zurück- zuführen, da der Fisch versuchsweise nach Er- öffnung des Schädels in den Behälter gesetzt wurde, woselbst er in normaler Weise schwamm. Erst nach Entfernung des Kleinhirns traten die beschriebenen Störungen in Erscheinung. Be- sonders charakteristisch für den kleinhirnlosen Fisch ist die bereits erwähnte Unruhe : während der normale Kontrollfiisch auf einer Stelle verharrt und nur von Zeit zu Zeit dieselbe wechselt, ist das Versuchstier nahezu immer in Bewegung. Dieses Verhalten steht in affallendem Gegensatz zu dem der kleinhirnlosen Säuger, welche nach den Ausführungen Munk's — längere Zeit nach der Operation jegliche Bewegung zu vermeiden trachten. Das gegensätzliche Verhalten der Fische dürfte seinen Grund in deren labilem Bewegungs- medium haben. Während die Säuger, festen Boden unter sich habend, in Ruhe verharren können, ist der kleinhirnlose Fisch gezwungen, Bewegungen zu machen, um in annähernd normaler Stellung verharren zu können. Über die physiologische Bedeutung des Vogel- kleinhirns finden sich in Shimazono's Arbeit genauere Mitteilungen. Nach den Beobachtungen dieses Forschers geht eine Taube bei einseitiger Verletzung des Kleinhirnkörpers im Kreis, dreht den Hals in entgegengesetzter Richtung, bis der Kopf nach rückwärts sieht. Die Taube liegt immer diagonal auf der unverletzten Seite. In 7 bis 10 Tagen nehmen die Zwangsbewegungen ab, die Taube bewegt sich im Kreis, welcher mit zunehmender Besserung immer größer wird. Später geht sie auch geradeaus, kann jedoch noch schlecht fliegen. Nach Shimazono kann die schwer verletzte Taube nicht fressen, was auf Nervenverletzungen zurückzuführen sein dürfte, wie ich aus eigenen Versuchen ersehen konnte. Ein wesentlich besseres Resultat erzielte ich durch Exstirpation des Kleinhirns eines jungen Hahnes, i'berhaupt eignen sich Hühner ausgezeichnet zu physiologischen Versuchen, da sie für Infektion sehr wenig empfänglich sind und die hohe Ge- rinnungsfähigkeit des Blutes zum raschen Verschluß der gesetzten Wunden wesentlich beiträgt. Einem jungen Hahn wurden in der Kleinhirngegend die Feedern abgeschnitten, das Operationsfeld mit Jod- tinktur desinfiziert und das Tier in leichte Chloro- formnarkose versetzt. Hierauf wurde ein ungefähr 2,5 cm langer, sagittal verlaufender Schnitt bis auf den Knochen geführt. Nach Zurückschiebung des Periosts (Knochenhaut) wurde mittels eines kleinen Trepans ungefähr 2 cm hinter der Ver- bindungslinie der hinteren Augenhöhlenränder in der Mittellinie eine Lücke von 0,6 cm Durch- messer gesetzt. Nachdem die ziemlich starke Blutung einigermaßen gestillt war, wurde mittels einer Pinzette so viel als möglich vom Kleinhirn entfernt und die Hautwunde vernäht. Sogleich nach der Operation waren Ausfallserscheinungen zu beobachten. Der Hahn lag dauernd auf der linken Seite, hielt die Beine maximal gestreckt, den Kopf verdrehte er nicht. Das Spiel der Sinne war normal, ein Beweis, daß eine Neben- verletzung des Großhirns nicht zu verzeichnen war. Ebenso war auch das verlängerte Mark un- versehrt geblieben, da das Tier Futter aufzunehmen und leicht abzuschlucken vermochte. Am nächsten Tag versuchte der Hahn sich spontan fortzube- wegen, indem er sich mit den Beinen weiter schob und durch flatternde Bewegungen hin und wieder sich aufzurichten suchte (Abb. 10). Am 7. Tag nach der Operation vermochte das Versuchstier bereits zusammengekauert zu sitzen, ein Beweis, daß die Kompensation (Ausgleich) der N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 599 Ausfallserscheinungen nach Kleinhirnverletzung plötzlich über Nacht eingesetzt hat. Das Tier ver- mied jedocli sorgsam jede Bewegung, was zu er- kennen, wenn ihm Futter gestreut wurde. Es pickte dann nur jene Körner auf, die es bei maximaler Streckung des Halses erreichen konnte. Beim Versuch sich etwas vorwärts zu bewegen, verlor der Hahn das Gleichgewicht und drohte nach der linken Seite umzufallen. Neun Tage nach der Exstirpation war das Tier fähig zu gehen, die Bewegungen waren jedoch unsicher, die Füße wurden tappend vorgesetzt. Die Bewegungen waren schlaffer als es normalerweise der Fall ist, sie ermangelten entschieden der ent- sprechenden Energie. Zu rascherer Bewegung angetrieben, suchte das Tier durch Flattern das Gleichgewicht zu erhalten. Wenige Tage nachher nach Kleinhirnexstirpation verdanken. Seine Ver- suche an Hunden und Affen ergaben, daß die Sinne, sowie die vegetativen und psychischen Funktionen nach einseitiger Exstirpation des Klein- hirns intakt bleiben. Nach Erwachen aus der Narkose machten die Tiere den vergeblichen Versuch sich aufzurichten. An den folgenden Tagen begannen sie ungeschickt zu gehen, zehn Tage nach der Operation konnte der Affe in der Sitzstellung, der Hund in der normalen Brustbauch- oder Brustbeckenlage verharren. Allmählich wandelte sich der schwankende in taumelnden Abb. 10. Hahn n.ich der Kleinliirnexstirpalion. Eig. Beob., Zool. Anz. schwanden auch diese Erscheinungen, die Be- wegungen verblieben nur noch etwas ungeschickt (Abb. II). Die Ausfallserscheinungen nach Kleinhirnzer- störung beim Säugetier studierte ich an Meer- schweinchen und Katze. Ein Meerschweinchen wurde trepaniert und dann mit heißem Draht (zwecks Asepsis) das Kleinhirn von der Lücke aus zerstört. Wie die Sektion nach dem Tod des Tieres ergab, wurden besonders der Wurm und die rechte Hemisphäre des Kleinhirns durch den Eingriff getroffen. Starkes Blutgerinnsel bedeckte die zerstörten Partien, das Großhirn war unver- letzt. Nach dem Erwachen aus der Narkose konnte festgestellt werden, daß die Sensibilität (Empfindung) keine Störung erlitten hatte. Das Tier reagierte auf Einführen eines Stäbchens ins Ohr durch Kopfbewegung nach der anderen Seite und quiekender Lautgebung. Druck auf eine der Hinterexuemitäten veranlaßte Beugung jener der anderen Seite, ebenso war der Cornealreflex positiv, alles Beweise, daß die Allgemeinempfindung nicht gestört war. Anders verhielt sich das Gleichge- wichtsvermögen des Tieres; es vermochte nicht zu stehen, lag immer auf der Seite und verfiel von Zeit zu Zeit (besonders nach Berührung) in Streckkrämpfe. Im wesentlichen das gleiche Re- sultat war bei der Katze zu verzeichnen. Auch sie war unfähig sich fortzubewegen, indem sie bei jedem Versuch sich aufzurichten und zu gehen nach links oder rechts umfiel. Ähnliche Be- obachtungen teilt Munk mit, dem wir sehr genaue Angaben über die Ausfallserscheinungen selbe Hahn im Kc Eig. Beob., Zool. Gang, das Umfallen wurde seltener. Später trat langsame Besserung ein. Gänzliche Restitution war beim Affen 5 Wochen, beim Hund 7 bis 10 Wochen nach der Operation zu verzeichnen. Doch blieb der Gang noch nach vielen Monaten ungeschickt. Wie aus den angeführten Beispielen ersichtlich, machen sich bei allen Tieren — ob nun Fisch, Vogel oder Säugetier — nach Verletzung oder Entfernung des Kleinhirns schwere Gleichgewichts- störungen geltend, so daß mit Recht gesagt werden kann, daß das Kleinhirn das zentrale Organ des Gleichgewichtssinnes ist. Durch Vermittlung der Nervenbahnen veranlaßt somit das Kleinhirn eine ständig wechselnde Muskelspannung, die erforder- lich ist, um das Gleichgewicht des Körpers zu erhalten, welche Funktion des Kleinhirns nach E d i n g e r als Statotonus zu bezeichnen ist. Auch bei ganz jungen Tieren funktioniert das Kleinhirn bereits als statisches Zentralorgan, l-egt man nämlich ein nur wenige (8 bis 10) Tage altes Tier auf den Rücken und hält es in dieser Stellung fest, so macht es energische Lage- korrektionsversuche. Daß das Kleinhirn auch während des Schlafes zu Tätigkeit bereit ist, lehren die Untersuchungen Legendre's und Pieron's, welcheHunde viele Stunden lang zwangen wach zu bleiben. Wie die nachherige mikrosko- pische Untersuchung ergab, waren in den Nerven- zellen der Stirnregion des Großhirns die Nissl- Schollen geschwunden, im Kleinhirn wies jedoch nur hin und wieder eine Zelle Chromatolyse auf 6oö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 atomie des Hundes. 1S91. ndbuch der vergleichenden Literat' 1. Ellenberger-Baum, / 2. Ellenberger-Baum, I Anatomie der Haustiere. 1912. 3. Edinger, Vergleichende Anatomie des Gehirns. 1908 2. Bd. d. „Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentral- organe". 4. Edinger, Bau und Verrichtungen des Nervensystems, 1912. 5. Edinger, Über das Kleinhirn und den Statotonus, Zentralbl. f. Physiologie. 1912. 6. V. Franz, Das Kleinhirn der Knochenfische. Zool, Jahrb., Abt. f. Anat. u Ontog. 191 2. 7. Gerhardt, Das Kaninchen. 1909. 8. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. 1868. 9. Legendre und Pieron, Recherches sur le besoin de sommeil consecutif a une veille prolonge. In Verworn's Zeitschrift für allg. Physiologie. 1913. 10. Munk, Über die Funktionen des Kleinhirns. Sitr.- Ber. d. Kgl. Preuß. Akad. d. Wissenschaften. 1906. 11. Reisinger, Die zentrale Lokalisation des Gleich- gewichtssinnes der Fische. Biol. Centralblatt. 191 5. 12. Reisinger, Das Kleinhirn der Hausvögel. Zool. .■\nzeiger. 19 16. 13. Shimazono, Das Kleinhirn der Vögel. Archiv für mikroskop. Anatomie. Abt. I. 1912. 14. EUenberger, Handbuch der vergleichenden mikro- skopischen Anatomie der Haustiere. 2. Bd. 191 1. 15. Szymonowicz, Lehrbuch der Histologie. 1915. lö. Tigerstcdt, Handbuch der physiologischen Metho- dik. 3. Bd. Zentr. Nervensyst. 1910. Einzelberichte. Botanik. Experimentelle Erzeugung von Pflan- zen mit abweichenden Chromosomenzahlen. Unter den Öenothera- Mutanten gibt es einige, deren Chromosomenzahl nicht die gleiche ist wie die der Stammart. Die bemerkenswerteste davon ist mut. gigas, die bisher bei drei Oenothera-Arten (Lamarckiana, pratincola, stenomeres) aufgetreten ist. Alle ihre Organe sind kräftiger entwickelt als bei der Mutterart, und hiermit geht eine Ver- doppelung der Chromosomenzahl Hand in Hand (14 statt 7 in den generativen, 28 statt 14 in den somatischen Zellen). Die Mehrzahl der Erblichkeitsforscher, die sich mit diesem Gegen- stände beschäftigt haben, de Vries an ihrer Spitze, hält diese Änderung der Chromosomen- zahl für eine Folgeerscheinung der Mutation, wäh- rend Gates die Ansicht vertritt, daß die neuen morphologischen Eigenschaften der Mutante auf der Änderung der Chromosomenzahl beruhen. Wenn Gates' Auffassung richtig ist, so scheint die Möglichkeit vorzuliegen, eine gigas- Form zu er- zeugen, falls es gelingt, experimentell die Chromo- somenzahl in einzelnen Zellen einer Pflanze zu verdoppeln und diese Zellen zum Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen Individuums zu machen. Diesen VVeg hat Hans Winkler, dem wir bereits die schönen Versuche zur Erzeugung von Pfropf bastarden von Solanum- Arten verdanken (vgl. Naturw. Wochcnschr. 191 1, X, 609). mit Er- folg beschritten. Sein Bestreben war, Zellen mit verdoppelter Kernmasse dadurch zu erhalten, daß zwei somatische Zellen zur Verschmelzung gebracht wurden. Hierzu bediente er sich der zahlreichen Pfropfungen von Tomate (Solanum lycopersicum) auf Nachtschatten (Solanum nigrum), die er all- jährlich in Fortsetzung seiner Pfropfbastard- versuche zu machen hatte. Nachdem die Ver- wachsung erfolgt war, wurde das Pfropfsystem in der Verwachsungsstelle durchschnitten. Es bildet sich dann ein regenerierendes Gewebe, das aus Zellen der beiden verschiedenen aufein- andergcpfropften Arten besteht. Hierbei kann es nun geschehen, daß infolge irgendwelcher mit der Pfropfung verbundener Umstände ein Adventiv- sproß aus einer Zelle entsteht, in die ein Kern der Nachbarzelle, die aber von der gleichen Pfropf- komponente stammt, übergetreten ist. In der Tat gelang es dem Verf. so, drei Individuen zu erhalten, die sich von den Stammarten durch kräftigere Entwicklung aller Teile auszeichneten und von denen eine eine doppeltchromosomige Tomate, zwei doppeltchromosomige Nachtschatten waren. Noch interessanter wäre es gewesen, wenn, wie Winkler wohl auch ursprünglich gehofft hatte, auf die oben gekennzeichnete Weise ein Tomatenkern mit einem Nachtschattenkern sich vereinigt hätte und hieraus ein neues Individuum hervorgegangen wäre. Das wäre dann ein richtiger Pfropf„bastard ' gewesen. Hoffentlich gelingt dem Verf. auch noch dieser wichtige Nachweis. Die erste Form — Solanum lycopersicum gigas — wurde aus einem Adventivsproß abge- leitet, der ein Solanum Koelreuterianum darstellte, d. h. eine Periklinalchimäre, die unter einer Epi- dermis von Solanum nigrum einen Gewebekern von S. lycopersicum besitzt. Diese Chimäre w^ar in des Verfassers Kulturen häufig entstanden; aber in dem hier behandelten Falle unterschied sie sich von allen anderen Individuen auffällig dadurch, daß die Blätter dunkler grüngefärbt und auch größer, kräftiger und länger waren als bei jenen. Nachdem der Sproß abgeschnitten und zur Bewurzelung gebracht worden war, entwickelte er sich üppiger und kräftiger als das normale S. Koelreuterianum. Hierdurch entstand die Ver- mutung, daß die unter der Nachtschatten-Epider- mis liegende Tomaten-Komponente die doppelte Chromosomenanzahl führte. Die zytologische Untersuchung ergab die volle Bestätigung dieser Vermutung. Es gelang auch, durch Entgipfelung der Chimäre und Auswahl eines Regenerations- triebes, der ohne Milbeteiligung der Nachtschatten- Epidermis entstanden war, das doppelchromo- somige S. lycopersicum gigas rein zu erhalten. Von den beiden doppelchromosomigen Nacht- schattenformen — Solanum nigrum gigas — war die eine aus einem Solanum tübingense erhalten, d. h. einer Periklinalchimäre mit einer Tomaten- N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 601 Epidermis und einem Gewebekern aus Nacht- schatten. Auch dieses Individuum unterschied sich von der normalen S. tübingense.durch dunkler grüne Färbung und breitere Blätter, später auch durch größere, oft polymere Blüten. Wiederum ergab die anatomische und zytologische Unter- suchung, daß in der Pflanze ein doppelchromo- somiges S. nigrum steckte, das auch wie die ent- sprechende Tomate rein erhalten werden konnte. In dem dritten Pralle waren an der Schnitt- fläche zahlreiche normale nigrum- und lycopersi- cum- Adventivsprossen, aber kein Pfropf bastard entstanden; dagegen erschien ein abweichend ge- bildeter nigrum-Sproß, der sich durch tiefdunkel- grüne, breitere Blätter, größere, stark zu Anoma- lien neigende Blüten und kräftigere Gesamtentwick- lung vor den normalen Sprossen auszeichnete. Auch er konnte erhalten und vermehrt werden und erwies sich bei der zytologischen Unter- suchung als aus Zellen mit doppelter Chromo- somenzahl bestehend. Abb. I läßt den Riesenwuchs der gigas-Formen erkennen. Man sieht links ein normales Solanum nigrum, rechts ein Solanum nigrum gigas. Beide waren nebeneinander im Gewächshaus ausgepflanzt. Sehr deutlich treten die Unterschiede der Blatt- entwicklung in Fällen, wie dem in Abb. 2 dar- gestellten hervor; sie zeigt ein halbzurückgeschlage- nes Blatt der Riesenform des Nachtschattens (die gigasHälfte ist punktiert). Nennt man, wie es üblich ist, die normale Chromosomenzahl der generativen Zellen haploid, die (doppelt so große) der somatischen Zellen diploid, so wären die somatischen Chromo- somenzahlen der von Wi n k 1 e r erhaltenen Pflanzen als tetraploid zu bezeichnen. Die zytologische Untersuchung ergab mithin , daß die generativen Zellen (Pollenmuttcrzellen) der drei Formen im. ^ Lr 'S.^i i}-% ^' 6o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 Vergleich mit den normalen Formen die diploide, die somatischen Zellen die tetraploide Chromo- somenzahl aufweisen. Die Zahl war an den fixierten und gefärbten Präparaten mit absoluter Sicherheit festzustellen, wie die schönen Abbil- dungen, die der Verf. auf drei Tafeln gibt, zeigen. Dabei ist zu beachten, daß die Chromosomenzahl von normalem Solanum nigrum schon außerordent- lich hoch ist, nämlich haploid 36, diploid 72; es waren also fi-ir die somatischen Zellen der gigas- Formen 144 Chromosomen sichtbar zu machen, was tatsächlich gelungen ist. Der anatomische Bau der tetraploiden Riesen- formen von Solanum ist im wesentlichen derselbe wie der der diploiden , doch sind die Zellen bei ihnen allgemein größer als bei den Stammarten. Dies hängt mit der Verdoppelung der Chromo- somenzahl und der damit verbundenen Vergröße- rung der Plasmamasse (Kern-Plasma-Relation) zu- sammen. Als Beispiel mögen (Abb. 3) die Spalt- öffnungen des normalen Nachtschatten (n) und der Riesenform (g) dienen. Die dunklere Grünfärbung der gigas-F'ormen (die auch deVries für Oeno- thera gigas angibt) beruht darauf, daß, wie Ver- fasser zeigt, auch die Chlorophyllkörner bei den tetraploiden P'ormen größer sind als bei den diploiden. Die Chromosomenzahl würde mithin durch Regulierung derChloroplastengröße auch den Assimilationsvorgang beeinflussen. Winkler prüft sorgfähig alle Möglichkeiten für die Entstehung der tetraploiden Sprosse aus den diploiden Stammpflanzen und verweilt besonders eingehend bei der Annahme, daß schon in den letzteren einzelne tetraploide Zellen vorhanden ge- wesen sein und sich am Aufbau der Sprosse be- teiligt haben könnten. Tatsächlich konnte er nachweisen, daß in den somatischen Zellen des normalen Solanum lycopersicum die tetraploide oder eine noch höhere „polyploide" Chromosomen- zahl auftreten kann, ja, er glaubt, aus vorläufigen Beobachtungen und verschiedenen Angaben schlie- ßen zu können, daß das normale Vorkommen polyploider Zellen im Soma der höheren Pflanzen eine weitverbreitete Erscheinung sei und daß dies mit dem im Pflanzenkörper auftretenden Bedürfnis nach Zellvergrößerung zusammenhänge, die eben durch Vergrößerung der Chromosomenzahl erreicht werde. Indessen sprechen verschiedene Gründe, wie hier nicht weiter ausgeführt werden kann, gegen die Möglichkeit, daß tetraploide Zellen die Ausgangszellen für die gigas-Adventivsprosse bil- deten. Es ist vielmehr, wie eingangs angenommen wurde, wahrscheinlich, daß diese Ausgangszellen dadurch tetraploid wurden, daß zwei diploide be- nachbarte Zellen miteinander verschmolzen. Daß durch mechanische Einwirkungen Kerne aus einer Zelle in die benachbarte übertreten können, hatte seinerzeit Mi ehe entdeckt, und nach Nemcc vermögen so übergetretene Kerne zu verschmelzen und die entstandenen Doppelkerne können sich teilen. Die Bedingungen zu Kernübertritten und Kernverschmelzungen werden nun auch durch das Pfropfverfahren geboten , bei dem unvermeidlich Quetschungen und Pressungen auf die weichen Gewebe des Kambiums ausgeübt werden. In der Tat finden sich im Verwachsungsgewebe nicht selten mehrkernige Zellen, die im normalen Gewebe nur sehr vereinzelt auftreten. Man müßte auch dieselben Tetraploidrassen erhalten können, wenn man zwei Pflanzen der gleichen Art aufeinander- pfropft und in der bekannten Weise weiter ver- fährt. Doch erhielt merkwürdigerweise Winkler auf diesem Wege bislang keine Resultate. Verf. legt nun weiter dar, daß der Riesenwuchs der Solanum-P^ormen zweifellos auf der Tetra- ploidie beruht und also mit Mutation nichts zu tun hat. Er hält es danach für höchstwahr- scheinlich, daß die Gates' sehe Deutung der Oenolhera gigas richtig ist. Der Anschaung von de Vries, daß diese Form eine gute neue Art sei, pflichtet Winkler aber nicht bei. „Die drei gigas- Formen, die bis jetzt in der Gattung Oenothera bekannt geworden sind, unterscheiden sich voneinander genau so wie ihre drei Stamm- arten und haben gemeinsam alle diejenigen Eigen- schaften, auf die die Verdoppelung der Chromo- somenzahl unmittelbaren Einfluß hat. Ich glaube, daß man daraus wie auch aus der ganzen Ge- staltung der gigas-Formen von Solanum nigrum und lycopersicum schließen muß, daß durch die Tetraploidie die Grenzen der Art nicht über- sprungen werden, daß also die gigas-Formen nicht al,s neue Arten, sondern nur als tetraploide For- men ihrer Stammart anzusehen sind." Diese Auf- fassung „steht auch durchaus im Einklang mit den theoretischen Vorstellungen, die wir uns hin- sichtlich der Bedeutung der Chromosomen für die Eigenschaftsübertragung und -Bestimmung machen müssen". Mithin behauptet der Verfasser nicht, daß er durch sein Verfahren experimentell neue Arten erzeugt habe. Trotzdem beanspruchen die von ihm gewonnenen Ergebnisse das größte Interesse, und die Wichtigkeit weiterer Versuche auf diesem Gebiete liegt auf der Hand. Man darf von ihnen wertvolle Aufschlüsse über Zahl und Bedeutung der Chromosomen erwarten. Die vom Verf. fest- gestellte Tatsache, daß das Vorkommen nicht- diploider („heteroploider") Zellen im Soma der Pflanzen ganz allgemein ist, läßt an die Möglich- keit denken, daß aus diesen Zellen Adventivsprosse erhalten werden können, denen die entsprechende heteroploide Chromosomenzahl zukommt. In den Geweben des normalen Solanum lycopersicum fand Winkler Zellen mit „oktoploider" Chromo- somenzahl und sogar mit dem 16 fachen der haploiden Zahl der Chromosomen. Es fragt sich, wieweit die Polyploidie gesteigert werden kann. Da die vom Verf. erhaltenen gigas-Formen be- trächtlich weniger fruchtbar sind als die Stamm- arten oder gar hochgradige Sterilität zeigen, so ist es wahrscheinlich, daß bei weitergehender Polyploidie auch die Störungen zunehmen. ,.Denn es ist eigentlich selbstverständlich, daß die Größe N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 der Chloroplasten, die Weite der Gefäße, die Dicke des Blattes und andere unmittelbar von der Chromosomenzahl abhängige Eigenschaften nicht über ein gewisses Maß hinaus gesteigert werden können, wenn Schädigungen ausbleiben sollen." (Zeitschrift für Botanik Jahrg. 8 (1916), Heft 7/8, S. 418 — 531.) F. Moewes. Die Erschließung neuer Fett- und Ölquellen ist eine sehr wichtige Frage. In der Zeitschr. f. angewandte Chemie (29, I, Heft 71, 337) wird von fachmännischer Seite ein Überblick über die Möglichkeiten der Ülgewinnung aus einheimischen Pflanzen gegeben, der auch deshalb, weil er ver- schiedene ungenaue Angaben über den Olgehalt mancher Samen richtig stellt, Beachtung verdient. Fast aus jedem Samen läßt sich Ol gewinnen, und zwar entweder durch Pressung, oder durch Extraktion ; der letztere Weg gibt im allgemeinen größere Ausbeuten, aber eine schlechtere Ölqualität. Trotzdem sollte dem Extraktionsverfahren in Deutschland eine größere Aufmerksamkeit zuge- wendet werden, da es Mittel gibt, das extrahierte Öl durch geeignete Raffination zu verbessern. I'ür die Olgewinnung kommen in erster Linie die bisher fast wertlos gebliebenen Trauben- kerne in Betracht. Durch Extraktion lassen sich aus frischen Kernen 9,6 % Weinöl erhalten. Leider sollen die Weinbauern — in dem Glau- ben, in den VVeintraubenkernen eine Goldgrube gefunden zu haben — durch maßlose Forde- rungen eine rationelle Ausnutzung dieser Abfall- produkte sehr erschweren. Reich an Öl ist ferner der Spargelsamen. Nach Literaturangaben enthält er 15%, nach dem Befunde der Verfasser der oben genannten Arbeit 12 "/o Öl, das sich leicht durch Extraktion, dagegen nicht durch Pressung gewinnen läßt. Da die Spargelsamen auch ein gutes Futtermittel sind, sollte auf jeden Fall für die Einbringung der Ernte gesorgt werden. Die Einsammlung der Kirsch-, Pflaumen - und anderer Obst kerne zur Olgewinnung scheint nicht in allen Teilen Deutschlands mit gleichem Eifer betrieben worden zu sein. Die Schwierig- keiten, die sich bei der Raffination der Öle aus diesen Kernen ergeben haben, lassen sich bei Be- rücksichtigung der Eigenart dieser Öle überwinden. Auch die Wal- und Haselnüsse sollten mehr zur technischen Ölerzeugungals zum unmittelbaren Genuß verwendet werden. Die Lindenfrü chte, d. h. die Kügelchen ohne Stiel und P'ahne, enthalten nach neueren Analysen 9,4 "/„ Lindenöl. Die Literaturangabe von 58"/,, bezieht sich auf die in den Kügelchen sitzenden kleinen Samenkerne. Aus den zahl- reichen deutschen Lindenalleen könnte also eine recht beträchtliche Ernte erhalten werden. Der „Kriegsausschuß für pflanzliche und tierische Öle" hat zwar bei einem Großversuch zur Verarbeitung der Lindenfrüchte auf Öl nur eine Gesamtausbeute von etwas über 6^/, "/„ Öl erzielen können und es daher abgelehnt, Schritte zur Organisierung des Einsammelns und der Verarbeitung des Linden- samen zu unternehmen; der Mißerfolg des Kriegs- ausschusses dürfte aber durch die von ihm an- gewandte Gewinnungsmethode des Auspressens zu erklären sein. Die um den Samen der Linden- früchte sitzende halb holzige Schale ist nämlich so schwammig, daß sie beim Auspressen den größten Teil der Öle zurückhält. Hier ist also Extraktion am Platze. Wenn man bedenkt, daß es sich lohnt, die Sojabohne aus China nach Deutschland einzuführen und hier zu entölen, ob- wohl sie nur doppelt soviel Öl (iS''^) enthält wie die Lindenfrucht, so müßte es doch wohl möglich sein, auch dieses einheimische Produkt gewinnbringend zu verwerten. Die Roßkastanie kommt als Ölfrucht weniger in Betracht, ist aber als Futtermittel und zur Gewinnung von Gerbextrakt verwendbar. Reich an Öl sind dagegen die geflügelten Früchte der Ulme, in denen die Verfasser 9— 14''„ Öl fanden. Auch hier ist wegen der lockeren, aufsaugenden Beschaffenheit der Hülle das Öl durch Extraktion, nicht durch Pressung zu gewinnen. In den ge- flügelten Ahorn fruchten wurden nur 3— 4V2.'!/(i Öl gefunden; sie eignen sich also kaum zur Ol- gewinnung. Ein systematisches Sammeln ist ferner für die Bucheckern vorgeschlagen worden. Vielleicht ist es aber vorteilhafter, die großen Buchen- waldungen Deutschlands zur Schweinemast nutz- bar zu machen, wie dies im Mittelalter geschah, wo man die Wälder bekanntlich nicht nach den Holzerträgen bewertete, sondern nach der Zahl der Schweine, die sie zu mästen imstande waren. Außerdem sind als ölliefernde Kerne noch genannt worden: Johannisbeerkerne, Quitten-, Apfel- und Birnenkerne, Kürbis- kerne, Sonnenblumenkerne und andere. Alle Öle aus diesen Kernen unterliegen nicht der Beschlagnahme, was für die kleinen Ölpressereien und landwirtschaftlichen Betriebe von Wichtigkeit ist und ein Anreiz zu eifrigem Sammeln sein sollte. Als wenig beachtete Ölfrucht sei endlich noch der rote Hollunder iSambucus racemosa) er- wähnt, dessen P"rüchte früher beispielsweise in den Dörfern des Schwarzwaldes allgemein auf Ol ver- arbeitet wurden. In den frischen, von den Stielen abgelösten Beeren ist ein Gehalt von 3,45 "/o Öl gefunden worden; die getrockneten Beeren ent- halten etwa 23 "0 Öl. Hoffentlich läßt man sich in Deutschland da- durch nicht entmutigen, daß die Erwartungen, die man auf die Erschließung der einheimischen Öl- quellen gesetzt hat, bisher nicht in dem ge- wünschten Maße erfüllt worden sind. Eine bessere Organisation des Einsammelns — wobei ein gelinder Zwang seitens der zuständigen Behörden vielleicht ganz nützlich wäre — und zweckmäßigere Ver- fahren zur Verarbeitung der gesammelten Ölfrüchte würden sehr dazu beitragen, dem Fett- und 01- mangel wirksam zu steuern. (gTc:) Bg. 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 Paläontologie. Im 8. Artikel „Über Crinoiden" seiner ungemein lehrreichen „Paläontologischen Betrachtungen" behandelt W. De ecke das strati- graphische Auftreten der Crinoiden. Die heutigen Crinoiden leben unter völlig ande/en Bedingungen als die fossilen. Sessile rasenbildende Formen sind heute auf die Tiefsee beschränkt, während in den flachen Küstengewässern die frei beweglichen Comatuliden vorkommen. Letztere sind seit dem oberen Jura im Aufblühen, während erstere, welche die Hauptmasse der fossilen Crinoiden ausmachen, langsam ausstarben oder auf die Tiefsee abge- drängt worden sind. Die Tiefseeformen sind natür- lich Kaltwasserformen. Ebenso wie bei den kürz- lich besprochenen Crustaceen (Nr. 20) rekonstruiert W. Deecke die Lebensbedingungen der fossilen Crinoiden mit Hilfe der petrographischen Fazies und der jeweiligen Lebensvergesellschaftung. Auf dem Meeresgrunde festgeheftete Crinoiden waren früher wie heute rasenbildend. Im Paläo- zoikum und Mesozoikum gaben rasenbildende Crinoiden durch ihr massenhaftes geselliges Auf- treten zur Bildung von Crinoidcngesteinen Anlaß. Je nach der petrographischen Fazies sind alle Übergänge vom Kalkmergel bis zum Crinoiden- marmor vorhanden. Durch dichte Crinoidenrasen erzeugte reine Crinoidenkalke enden mit dem Malm. Das beste deutsche Beispiel bietet der Trochitenkalk, der unterste Haupthorizont des Oberen deutschen Muschelkalks mit dem Leitfossil Encrinus liliiformis. Massenhaft sind die spätigen, überaus charakteristischen Stielglieder (Trochiten, im Volksmund „Bonifatiuspfennige") angehäuft. Die Verhältnisse sind im Norden wie im Süden ganz dieselben, so daß durchaus gleichartige Lebensbedingungen anzunehmen sind. In Gesell- schaft der Crinoiden finden sich Brachiopoden und Muscheln. Sobald sich tonig-mergelige Lagen einstellen, verschwinden die Crinoiden und kommen wieder zum Vorschein, sowie die Schichten kalkiger werden. Ähnliche deutsche Beispiele sind das rheinische Mittel- und Oberdevon, sowie die wenig mächtigen Crinoidenkalke des Thüringer Zechsteins. Etwas länger, vom Obersilur bis ins Alttertiär reichend, erhält sich ein zweiter Typus, bei wel- chem Korallen, Spongien oder riff- bauende Algen mit Crinoiden vergesell- schaftet sind; er endet mit dem Überhandnehmen der Korallen. Beispiele sind der Crinoiden- Korallenkalk des Obersilurs von Böhmen, Gotland und England, der devonische und karbonische Riffkalk im mittleren und westlichen Europa, die Riffkalke im alpinen Jura. Ein dritter im Mesozoikum entwickelter, vom Silur bis zur Kreide reichender Typus ist der oolithische, welcher durch Übergänge mit den beiden anderen Typen verbunden ist. In reiner Entwicklung treten die Korallen stark zurück. Crinoiden und Korallen, die infolge ihrer gemein- samen Scheu vor tonigen Sedimenten lebhafte Konkurrenten waren, sondern sich immermehr und gedeihen dann jeweils an denjenigen Stellen üppig, wo die anderen nicht fortkamen. Immer mehr werden die fossilen Crinoiden durch die fester gebauten Korallen verdrängt. Crinoiden- reiche Partien mit Oolithstruktur kommen bereits im silurischen Korallenkalk Gotlands vor, weiter- hin in der alpinen Trias (Esino). Das beste deut- sche Beispiel bietet der süddeutsche Dogger, wo in den Murchisonae- , Sowerbyi- , HumphriesI-, Blagdeni- und Parkinsonizonen oolithische Echino- dermenbreccien da und dort lokal zu erheblichen Mächtigkeiten anschwellen können. Untiefen oder geschützte Ränder vor Inseln und Halbinseln mögen günstige Lebens- und Nahrungsverhältnisse gewährt haben. Zu den Korallen gesellt sich in der mediterranen Fazies der Kreide noch ein weiterer gefährlicher Konkurrent, die Rudisten, welche die Crinoiden aus der Flachwasserregion vertreiben. Etwas weniger häufig, nicht vorherrschend, kommen Crinoiden auch in kalkig-mergeligen Bildungen vor. Die schlammfeindlichen Korallen haben sich auch hier angepaßt und dominieren. In Löchern und an den Seiten der Riffe siedeln sich die Crinoiden an; im Paläozoikum entwickeln sich hier Formen mit mannigfaltigen Kelchen. Die im mergeligen Gestein vorkommenden Apio- criniden haben sich im weichen Schlamm mit einer kompakten Wurzel verankert. Für die Mergel des Weißen Jura « und y sind kleine Pentacriniden sowie die zarten Gruppen des Euge- niacrinus, Tetracrinus, Plicatocrinus mit z. T. stark verkürztem Stiel charakteristisch. Die großen Pentacriniden der Liastone und -Mergel Mittel- europas dagegen sind auf Treibhölzern aufge- wachsen oder mit ihren langen lockergebauten Stielen verschlungen wohl als große flottierende Massen pseudoplanktonisch durch Meeresströmun- gen umhergelriebcn worden. Das letztere mag auch für die zierlichen dünnen Formen des Dog- gers und Malms zutreffen. Die letzte Gruppe der Crinoidensedimente um- faßt Flach Wasserbildungen von sandigem oder o o 1 i t h i s c h e m Charakter, wo die Crinoiden- reste nicht als Crinoidenbreccien entwickelt sind, sondern zwischen Gesteinsmaterial und anderen I'^ossilien eingebettet liegen. Hierher gehört der obersilurische Phacitenoolith Gotlands (Geschiebe in Norddeutschland), die Schaumkalkbank des Wellenkalks Süddeutschlands, der Spiriferensand- stein des Harzes und der Eifel. Im Süßwasser und Brackwasser fehlen Crino- iden vollständig, ebenso in schlammigen sowie in Piefseesedimenten. Fast ganz fehlen Crinoiden in typischen Ammoniten- und Zweischalerkalken. Gute deutsche Beispiele sind einerseits manche Cephalopodenlagen der norddeutschen unteren Kreide, andererseits die Orbicularis-Region und die darunter liegenden muschelreichen Schichten des süddeutschen Muschelkalks, weiterhin die Pteroceras- und Virgulamergcl des oberen Malms Norddeutschlands. Die Crinoiden waren wie die Cystideen und Blastoideen Bewohner des flachen N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 Wassers, die erst von der Kreide ab in die Tiefsee abzuwandern begonnen haben. Ihre Blütezeit liegt im Paläozoikum. Entweder haben sie für sich allein oder zusammen mit Kalkalgen, Korallen und Spongien üppig gelebt. Im Mesozoikum kom- men Crinoiden für sich allein im Muschelkalk vor. Ein lebhafter Kampf ums Dasein entspinnt sich im Jura mit den Korallen, welche die Oberhand gewinnen. In erhöhtem Maße tritt nunmehr flottierende Lebensweise auf, die am schönsten sich bei den vollkommen stiellosen Comatuliden zeigt. Crinoiden und Brachiopoden zeigen viel Gemeinsames in ihrer Gesamtentwicklung. Ihre Blütezeit fällt zusammen, aber auch ihr Verblühen. Vom Tertiär ab werden beide auf die Tiefsee ab- gedrängt. Aus dem Zusammenvorkommen mit den Korallen hat man geschlossen, daß die Cri- noiden wärmeliebend waren. Sicheres läßt sich darüber indessen nicht sagen. Die Erhaltung der Crinoiden wie überhaupt aller Echinodermenreste ist meist spätig und durch die schon primär vorhandene orientierte Ablage- rung der Kalkteilchen bedingt. Bisweilen sind in gewissen Schichten durch spätere Verkieselungs- und Pyritisierungsvorgänge die Reste mit einer Haut von Kieselsäure oder Pyrit überzogen wor- den. Die Crinoiden haben wichtige Leitfossilien geliefert, weshalb die genaue Unterscheidung der einzelnen Stielglieder für den Stratigraphen uner- läßlich ist. Großkelchige Arten besitzen meist kräftige Stiele, zierliche wesentlich dünnere Stiele. Die alten Formen der Cystideen und Blastoideen haben einen im Verhältnis zur großen Kelch- kapsel dünnen Stiel; die älteren Cystideen waren direkt mit dem Dorsalpol aufgewachsen. Der Stiel ist vielfach dem Untergrund angepaßt. Riff- bewohnende Crinoiden haben einen starken kalkigen Stiel, ruhige Stellen bewohnende Formen einen zarteren Stiel, während auf Treibholz aufgewachsene oder halbplanktonisch treibende Formen locker gebaute Stiele besitzen. V. Hohenstein, Halle a. S. Geologie. Über Buntfärbungen von Gesteinen, besonders in Thüringen hielt Geh.-Rat Zimmer- mann in der Deutsch. Geol. Gesellsch. einen Vor- trag, der im Jahrg. 1915 der Zeitschr. der Gesellschaft abgedruckt ist. Buntfarbige Gesteine kennt man in Deutschland in den verschiedensten Formationen vom ältesten Paläozoikum an bis ins obere Miozän (Posener Flammenton). Manchmal schon sind sie Gegenstand geologischer Untersuchungen gewor- den, sind als leitende Horizonte ausgeschieden worden, haben selbst auf geologischen Karten Darstellung gefunden, aber gewisse, ebensolche bedeutende Buntfärbungen sind bis jetzt außer einem ersten Versuch von K. Th. Liebe in seiner „Übersicht über den Schichtenaufbau in Oslthü- ringen" noch niemals systematisch „untersucht, gegliedert und nach Wesen und Bildung beschrie- ben worden". Nichtbunte Gesteine sind nach Zimmermann weiße oder durch humose, bituminöse oder kohlige Bestandteile, feinstverteiltes Eisensulfid hellgrau bis schwarz, blaugrau und braungrau gefärbte Gesteine. Auch die durch Beimischung von Eisen- hydroxyd durch Verwitterung entstandene Fär- bung, die Flecken, Wolken, konzentrische Ringe erzeugte, rechnet Zimmermann zu den nicht- bunten Gesteinen. Seine Untersuchungen erstrecken sich auf Sedi- mentgesteine, auch Eruptivgesteine, die in einzel- nen Schichten, aber auch in großen Mächtigkeiten einfarbig ,, violett-, blut-, zinnober-, mennig-, orangerot, braunrot, rot- und orangebraun, licht- schimmel- bis dunkellauchgrün" gefärbt sind. Der rote Farbstoff ist zum Teil sicher wasser- freies Eisenoxyd, entweder amorph oder als kri- stallisierter Eisenglanz. Von letzterem erhalten gewisse Schiefergesteine ihre violette P'arbe. Grün färbt die Gesteine mit Tonerde oder Magnesia verbundenes wasserhaltiges Eisenoxydulsilikat. Manche dunkelblutrote Gesteine werden leicht wolkig, zeigen scharfumrissene kreisrunde Flecke, werden in der Nähe faulender Wurzeln licht- schimmelgrün. Wenn diese rote Farbe feinster Beimischung von Hämatit zu danken wäre, dürfte das bei der chemisch so schweren Angreifbarkeit von Eisenoxyd ohne Wasser nicht vorkommen. Dies Ausbleichen führt Zimmermann auf Re- duktion des Oxyds zu Oxydul durch organische Stoffe, wenn es Flecke gibt, durch oxydierenden Schwefelkies im anderen Falle zurück. So ent- stände freies Eisenoxydul, das wegen der Unbe- ständigkeit in Verbindung mit Kieselsäure geht. Zimmermann nimmt an, daß im roten Farb- stoff häufig schon Kieselsäure enthalten ist. Diese grünen Flecke sind nicht selten im roten Gestein des Rotliegenden, Buntsandsteins (Röt), Keupers. Roter und grüner Farbstoff können einen violetten Farbton erzeugend, miteinander vorkommen. Auf einzelne Arten von Eisen- hydroxyden und Eisenhydrox\-dsiiikaten führt Zimmermann die andersroten außer blut- und violettroten obengenannten Färbungen zurück. Vier Gruppen unterscheidet Zimmermann unter den bunten Gesteinen. Der Vertreter der ersten Gruppe ist der deut- sche Buntsandstein. Am ursprünglichen Gestein fehlen gelbe und braune Farbentöne. Nur blut- rote und grüne Färbungen kommen an den un- verwitterten Stücken vor. Am auffallendsten ist die Farbe im Letten, weniger dunkel im lettigen Sandstein, am hellsten im reinen Sandstein. Häufig besitzen fossilführende Schichten mit Estherien, Fischschuppen, Myophoria costata, Rhizocorallium jenense grüne Farbe. Keuper und Münder Mergel gleichen dem Buntsandstein. Oberdevonische Cypridinenschiefer und Kramenzelkalke, gewisse unterkambrische Schichten von Greiz besitzen die violetten und grünen Farbentöne des Buntsand- steins, während manche Diabase, die meist grün sind, blutrote Farbe besitzen, besonders wenn es Ergußdiabase sind. 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 Zur zweiten Gruppe gehören Rotliegendes, die taube Fazies des Karbon bei Halle a. S. , rote Konglomerate im niederschlesischen Kulm. Sie sind rot wie der Buntsandstein. Die grünen Far- ben fehlen. Humusgrau wechselt an ihrer Stelle mit Rot. Die dritte Gruppe machen die Gesteine aus, die in der Rötungszone liegen, über die Zimmer- mann in der Geol. Zeitschr. 61, 1909, S. 149 schrieb. Sie findet sich vom Glimmerschiefer, Kambrium an bis zum Oberkulm. Von oben und außen, auf Klüften, von diesen ins Innere des Gesteinskernes zieht sich diese Rötung hin. Mit grauen und grünen Farben des Schiefers und Dia- bases hat sie sich so vermengt, so daß grüne Farben als begleitende Töne nicht auftreten. Licht- grün ist das Konglomerat in der Transgredions- zone des Zechsteinmeeres und aller daran grenzen- den Formationen durch chemische Reduktion ge- färbt. Bei den Gesteinen der vierten Gruppe tritt Hämatitrot ganz zurück, ebenso Grün, das über- haupt gänzlich fehlt. Dafür erscheinen Weiß und eisenhydroxydische gelbe, rostbraune und grellrote Farbtöne. Die vogtländischen „bunten Grau- wacken" Naumann's aus der Gegend von Greiz über den Kuhberg bei Fisterberg, über Plauen, Issigau, Steben hin sind die typischsten Vertreter, die der Kulmformation angehören. Ähnlich bunt sind in diesem Gebiete kambrische und unter- devonische Schiefer. Diese Buntfärbung erstreckt sich nicht auf einzelne Schichten, sondern gewisse Gebiete umfassen alle Schichten auf einmal, die einzelnen entweder mehr oder weniger kräftig. Die Farbentöne gleichen den „Flammen" im Posener Flammenton, dem Beutenberger Konglo- merat im niederschlesischen Kulm, vielleicht den bunten Gesteinen des norddeutschen Eozäns. Liebe hat die bunten Gesteine als erster systematisch gegliedert. Er unterschied erstens eine „primäre oder mindestens frühzeitige Rö- tung". Er rechnete bestimmte Schichten des Thüringer Oberdevons und Kambriums dazu, die bestimmte stratigraphische Horizonte weithin in gleichmäßiger Farbe innehalten. In den primär- roten Gesteinen soll größerer Reichtum an Kali, geringerer Gehalt an Rutil als in den grünen Schichten vorhanden sein. Zimmermann wagt wegen der noch nicht ausreichenden Untersuchun- gen in letztem Punkte keine Verallgemeinerung wie Liebe, stimmt aber mit diesem in der An- sicht überein, daß diese Rötung die ursprüng- liche ist. Zur „sekundären oder nachträglichen Rötung" betont Zimmermann, daß die sekundär ge- röteten Gesteine einfach mit rotem Farbschlamm durchdrängt zu sein scheinen. Auf Klüften fand sich manchmal kristallisierter Eisenglanz, der einen genetischen Zusammenhang zwischen Rötung und Eisenglanzbildung möglich erscheinen läßt. Liebe's dritte Art der Buntfärbung wird durch die Art der Färbung von Naumann's bunter Kulmgrauwacke belegt. Sie geschah von Klüften aus, erstreckte sich auf zermürbte , ausge- laugte Gesteine, die später mit Eisen- und Kiesel- lösungen imprägniert und so wieder verhärtet, bunt gefärbt wurden. Tonschiefer sind zu Ton aufgelöst, oft in Braun- und Roteisenerz umge- wandelt worden. Selbst Kieselschiefer und Dia- base wurden vererzt und gefärbt. Für die jungpaläozoischen, konglomeratischen Schichten Schlesiens, wo mächtige Schichten, stratigraphisch weit verbreitet in ihrer Grund- masse in der Liebe 'sehen Auffassung primär gerötet sind, nimmt Zimmermann ursprüng- liche Rotfärbung an. Ein wesentlicher Unterschied von Liebe's primärer Rötung besteht darin, daß „dieser vierte Typus ganz hauptsächlich an kon- glomeratische, nach aller Wahrscheinlichkeit an kontinentale Bildungen geknüpft ist". Als jüngeren Vertreter fügt Zimmermann die zentralasiati- schen HanhaiSchichten an. In Niederschlesien tritt eine im Farbenton gleiche Rötung entlang von Spalten auf in Kulmkonglomeraten, Diabasen, altpaläozoischen Schiefern in der Gegend von Salzbrunn. Vielleicht entspricht sie der sekun- dären Rötung Thüringens. Die Triasgesteine sind wohl ursprünglich bunt, wenn die Farbe grün oder rot auch nicht gleich beim Absatz vorhanden war. Zimmermann spürt auch anderen Zusam- menhängen zwischen Farbe und Eigenschaften der Gesteine nach. So besteht ein Zusammenhang zwischen primärroten — und grünbunten Ge- steinen und Gips im oberen Zechstein, Buntsand- stein, bunten Keuper, Münder Mergel. Wenn solchen Zusammenhängen nachgegangen wird, entstehen neue Fragen, die erst nach neuen sorg- fältigen Untersuchungen und Beobachtungen end- gültig gelöst werden könnnen; wie: „Ist nun aber auch umgekehrt aus primärer Rot- und Grün- färbung, wie z. B. im Fall der Cypridinenschiefer und gewisser Schichten im Thüringer Kambrium der Schluß zu ziehen, daß diese Schichten ur- sprünglich mit Gips- (oder Anhydrit)Lagern ver- knüpft waren.?; sind die roten, fossilführenden vielleicht erst aus grünen entstanden?; ist es für diese bunten Schichten bezeichnend, daß ihre überhaupt vorhandene Fauna sich wesentlich aus Schwärmen kleiner Crustaceen (Estherien, Cypri- dinen zusammensetzt?; wie steht es mit dem ur- sprünglichen Schwefelkiesgehalt in den rot- und grünbunten Gesteinen?; ist er auf die grünen Schichten beschränkt, und sind rote, in denen er etwa vorkommt, als aus grünen entstanden anzu- nehmen ? Gesteine mit allein blutroter Farbe fanden sich immer ohne Gips, dagegen von humusreichen und Kohlenschichten begleitete häufig als Kon- glomerate. Schwefelkies fehlt und auch meistens Fossilien. Wenn diese auftreten, färben sich die Schichten grau. Landpflanzen, Wirbeltiere, die Gesteinsbeschafifenheit machen die Gesteine zu N. F. XV. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 nicht-marinen Ablagerungen. Die ebenfalls rot- oder graugefärbten eingeschlossenen Kalksteine von Ruppersdorf und Ottendorf im böhmischen Rotliegenden sind nach Zimmermann Süß- wasserkalke. Die „sekundäre Rötung" und die „Buntfärbung im engeren Sinne" beschränken sich nicht auf einzelne Schichten, sondern sind in allen Schichten jedes Alters vorhanden. Wo die sekundäre Rötung auftritt, ist Schwefelkies da und zwar als Rot- eisenpseudomorphose. Schwefelkies ist nicht erst mit der Rötung entstanden , auch ist die Rot- eisenpseudomorphose nicht als Oxydation aus ihm aufzufassen, es müßten denn betroffene Kalksteine stark zersetzt worden sein. Die Buntfärbung im engeren Sinne betrifft auch Schwefelkies führende Schichten, der in Pseudo- morphosen von Rot- und ßrauneisen vorhanden ist. In der Erklärungsweise stimmt Zimmer- mann mit Liebe nicht überein. Eine Erklärung der Rot- und Buntfärbungen wagt Zimmermann noch nicht endgültig zu geben, dazu reichen die Beobachtungen noch nicht aus. Rudolf Hundt. Bücherbesprechungen. M. Benedikt. Leitfaden der Rutenlehre (Wünschelrute). 80 S. m. 6 Textfig. Berlin und Wien 1916. — Preis 2,50 M. Verf. bespricht zunächst die drei Formen der Rute, die Holzrute, die Spiralrute und die Schlingen- rute. Bei der Holzrute reagiert die Rute beim Obergriff auf viel mehr Objekte als beim Unter- griff (S. 4)! Bei der Spiralrute ist „strenge un- geteilte und unveränderte Aufmerksamkeit eine Grundbedingung für einen richtigen Anschlag" (S. 6) ! Die Spiralrute kann auch zahlenmäßige, quantitative Aussagen liefern, doch haben wir „bis Oktober 1915 weder solche Aussagen verlangt und noch weniger erhalten" (S. 6); auch die Schiingenrute ergab bis heute keine zahlenmäßigen Angaben (S. 7I. Bei der Stahlrute kann durch Umspinnung die Emanation in die Seide verladen und so immerfort zum Vorschein kommen (S. 9/10). Fast alle Objekte in der Natur sind ruten- wirksam, nur sehr wenige gibt es, die nicht ruten- wirksam sind. Dabei ergeben sich für bestimmte Substanzen bestimmte Zahlenwerte (S. 14): Mit 90" wirken folgende Substanzen: Eisen, mit dem Ausschlag nach unten; Stahl, Silber und Gold mit 90" nach oben (Stahl besteht aber doch auch aus Eisen I Ref.), Zink mit 120", gutes, trinkbares Wasser mit etwa 220", Kohle mit 270", Blei mit 360", Kupfer mit 400", Zinn, Mangan und Kobalt mit 450" usw. bis 1170" (Bakterien S. 80). Das wahre Wesen der Rute wird auf einen „Körperrutenstrom" zurückgeführt, der Ähnlichkeit haben soll mit farblosen und farbigen Leucht- erscheinungen im Dunkeln (S. iS — 21) und von „organischen Spannungen" herrührt. „Wichtig ist, zu bemerken, daß auch die Zahl von im Dunkeln Lebenden bald steigen wird" (S. 20, unten). Es folgen Ausführungen über Rutenkünstler in der Dunkelkammer; über den speziellen Rutenausschlag ; das Verladungsgesetz; die Aneinanderreihung von Emanationen respektive Ausschlägen; die Gegen- kräfte. „Vielleicht der wichtigste Repräsentant von solchen Gegenkräften ist der Mensch über- haupt mit seinen starken und besonders, wenn er offenbar nicht ganz normal ist, oppositionellen Emanationen" (S. 34). Weiter werden besprochen: die Schrägstrahlen, die Wassersuche, die Tiefen- bestimmung mit der Wünschelrute, die Phasen- erscheinungen in der Rutenlehre usw. Wissenschaftlich ist u. a. darauf hinzuweisen, daß das Wasser, wie so oft, als in „Adern" fließend bezeichnet und auch abgebildet wird, die ge- waltigen Grundwasserströme des Tieflandes sind Verf. wohl gänzlich unbekannt. Hier kann man freilich mit Hilfe der Wünschelrute gewisse Linien festlegen, bei denen sich Wasser findet. Da sich letzleres aber auch zu beiden Seiten dieser Linien findet, so ist das Festlegen dieser Linien für das Wassersuchen vollkommen wertlos. Das Wesen der Schrift wird wohl am besten durch einen Abschnitt (S. 14) bezeichnet, der hier ohne Kürzung wörtlich wiedergegeben sei: „Der schlichte Mann erkennt instinktmäßig die Souveränität der Tatsachen an; der akademisch Verbildete die Souveränität der Meinungen. Der Bauer kennt die Tatsachen von Kindheit an durch Tradition und sie wird für ihn zum unumstößlichen Ereignisse, sobald er den ersten Rutenausschlag gesehen und gefühlt hat. Der „Intellektuelle" legt Scheuklappen gegen die Wahrheit an, wenn er Tatsachen nicht in die Kammer seiner Weisheit einreihen kann". O. v. L. Buschan, Georg, Die Sitten der Völker. 3 Bände in 56 Lieferungen. 1344 Seiten Text mit 1499 Abbildungen und 56 Kunstbeilagen. Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig, ohne Jahr. — Preis brosch. 33,60 M. Das hier zu besprechende Werk führt den Untertitel: „Liebe, Ehe, Heirat, Geburt, Religion, Aberglaube, Lebensgewohnheiten, Kultureigentüm- lichkeiten, Tod und Bestattung bei allen Völkern der Erde." In der Einleitung sagt der Verf.: „An einer zusammenfassenden Darstellung dieser Ge- bräuche, Sitten und Gewohnheiten der Völker des Erdenrundes fehlte es bisher in der Literatur. Aus der Erkenntnis dieses Mangels ist das vor- liegende, für die weitesten Volks kr eise be- stimmte Buch entstanden. Bei der Abfassung 6o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 42 habe ich mich bemiiht, ein für jedermann verständliches Werk zu schaffen. . ." Von diesem Gesichtspunkt aus muß das Buch beurteilt werden, einen anderen Maßstab anzulegen, würde ungerecht sein. Von einer „zusammen- fassenden Darstellung" kann allerdings keine Rede sein, denn Verf. wählt die geographische Anord- nung des Stoffes, so daß man es mit einem ethno- graphischen, d. h. beschreibenden, nicht mit einem ethnologischen Werke zu tun hat. Beginnend mit Australien und Ozeanien führt uns der Verf. über Afrika und Asien nach Amerika und Europa und behandelt innerhalb der Erdteile für die einzelnen Länder resp. geographischen Bezirke die im Unter- titel genannten Sitten und Gebräuche. Gelegent- lich wird auch eine eingehendere Schilderung von Kleidung und Schmuck, Wohnung und Nahrung beigefügt, dagegen sind die materielle Kultur im allgemeinen, Wirtschaftsformen, Rechtsverhältnisse u. dgl. , dem Programm entsprechend, nicht be- handelt oder nur gestreift. Eine ganz kurze Be- schreibung des physischen Typus der einzelnen Menschengruppen bildet jeweils die Einleitung der verschiedenen Abschnitte. Bei dieser Stoffanordnung bekommt der Leser wohl einen Einblick in die ethnographischen Ver- hältnisse eines bestimmten Landes, wie sie ähnlich durch Reisewerke vermittelt wird, aber die größe- ren und wichtigeren Zusammenhänge muß er sich selber schaffen, was gerade für den Laien schwierig sein dürfte. Die geographische Anordnung hat ferner den Nachteil, daß sie Wiederholungen un- vermeidlich macht und dadurch ermüdet. Der Verf hat sein Material mit großem Eifer zusam- mengetragen, wenn auch gelegentlich grundlegende Werke unberücksichtigt blieben. Manche Sitten und Gebräuche sind sehr breit bis in alle Einzel- heiten geschildert, andere mehr summarisch ab- getan. Da, wo primitive Stämme neben Halb- kulturvölkern wohnen, hätte eine schärfere Schei- dung der einzelnen Stufen im Interesse einer klareren Darstellung gelegen. Ebenso sind manche Urteile direkt dadurch unrichtig, daß sie in einer zu allgemeinen Form ausgesprochen werden. Besonders gut behandelt sind Melanesien, Australien, Westafrika, das Kongobecken und Süd- amerika, während Korea, Nordasien und das ark- tische Amerika eher kurz weggekommen sind. Geglückt scheint dem Ref. auch die volkskundliche Darstellung Europas, besonders diejenige des ger- manischen Kulturkreises. Die Vermengung heid- nischer und christlicher Vorstellungen wird im Anschluß an die einzelnen christlichen I-'este klar und übersichtlich dargetan. Mancher, der bis dahin den Forschungen der heimatlichen Volks- kunde gleichgültig gegenüberstand, wird nach der Lektüre dieses Buches den Einrichtungen und Gebräuchen des eigenen Volksstammes mehr Ver- ständnis entgegenbringen und er wird auch die interessanten Parallelen mit den Sitten primitiverer Menschengruppen nicht mehr übersehen können. Kritische Bedenken über Einzelheiten sollen hier im Hinblick auf den populären Charakter des Werkes zurückgestellt werden. Ein Werk, wie das vorliegende, will aber nicht nur durch den Text, sondern vielleicht noch mehr durch seine Bilder wirken. Es ist daher überreich mit Abbildungen ausgestattet. P'ür die Hahnen- kämpfe der Malaien sind, um nur ein Beispiel zu nennen, drei Illustrationen vorhanden. Im allge- meinen entstammen die Abbildungen den wissen- schaftlichen Publikationen der Forschungsreisenden, aber dazwischen finden sich auch nicht wenige der in den Hafenstädten käuflichen Photographien, die nicht immer einwandfrei sind. Die Repro- duktion der pholographischen Aufnahmen ist, unseren modernen technischen Methoden ent- sprechend, eine vorzügliche. Nur hinsichtlich der Auswahl und der oft übertriebenen und unnatür- lichen Farbengebung einiger Kunstbeilagen hat Ref seine Bedenken. Abbildungen wie ,,Weib oder Vase?", „Arabischer Schleiertanz" u. a. m. nach Gemälden europäischer Maler sind nicht nur unbedeutend, sondern passen auch nicht zu dem sonst ernsten und instruktiven Charakter des gan- zen Werkes. R. Martin. Literatur. Haberlandt, G., Über Pflanzenkost in Krieg und Frieden. Ein Vortrag, Leipzig, B. G. Teubner. — 75 Pf. Was mann, E., S. J., Ernst Haeckel's Kulturarbeit. 1. u. 2. Aufl. Freiburg i. Br. '16, Herder'sche Verlagshandlung. — 1,20 M. Röhmann, F., Die Chemie der Cerealien in Beziehung zur Physiologie und Pathologie. Mit 7 Texlabbildungen. Stuttgart '16, F. Enke. — 1,50 M. Tschirch, A., Kriegs-Chemie. Vortrag, gehalten an der Hauptversammlung des Bernischen Hochschulvcrcins am 28. Nov. 1915 in Bern. 2. Aufl. Bern '16, M. Drechsel. — I M. Thedering, F., Das Quarzlicht und seine Anwendung in der Medizin. Oldenburg i. Gr. '16, Stalling. — 5 M. Erhebungen über die wildwachsenden Holz- arten in der Schweiz. Bearbeitet und verölTcntlicht im Auftrage des Schweiz. Departement des Innern. Zu beziehen beim Sekretariat der Schweiz. Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei in Bern. — lu Fr. Müller, Dr. Aloys, Theorie der Gezeitenkräfte. Mit 17 Abbildungen. Braunschweig '16, Fr. Vieweg & Sohn. — 2,80 M. Abel, O., Paläobiologie der Cephalopoden aus der Gruppe derDibranchiaten. Mit einem Titelbild und looText- figuren. Jena 'j6, G. Fischer. -—SM. Inhalt: Ludwig Reisingcr, Das Kleinhirn. II Abb. S. 593. — Einzelberichte: Hans Winkler, E:xperimentelle Erzeugung von Pflanzen mit abweichenden Chromosomcnzahlen. 3 Abb. S. 600. Die Erschließung neuer Fett- und Ölquellen. S. 603. W. Deecke, Über Crinoiden. S. 604. Zimmermann, Über Buntfärbungen von Gesteinen, be- sonders in Thüringen. S. 605. — Bücherbesprechungen: M. Benedikt, Leitfaden der Rutenlehrc (Wünschel- rute). S. 607. Georg Buschan, Die Sitten der Völker. .S. 607. — Literatur: Liste. S. 608. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafie 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 22. Oktober 1916. Nummer 43. Über den Jahreshaushalt der Elbe und Oder. Ein Beitrag zur Grundwasserkunde. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr, In der Zeitschrift „Das Wasser" hat Friedrich König vor einiger Zeit den Versuch gemacht, eine Bilanz über den jährlichen Wasserhaushalt des Rheins aufzustellen, und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß im gesamten Rheingebiet im Durch- schnitt in einem Jahre rund 27 cbkm Wasser auf- gespeichert werden, welche in der Hauptsache dazu dienen, die wechselnden Wasserstände des offenen Rheinlaufs auszugleichen. Von diesem Volumen treffen nach seiner Rechnung 23 cbkm auf das Grundwasser, der Rest auf die mit dem Rhein in Verbindung stehenden Seen; es stellt mit etwa 28 v. H. der gesamten jährlichen Wasser- führung des Rheins das Reservekonto dar, das im Wasserhaushalt dieses Flusses enthalten ist, jeden- falls eine sehr günstige Bilanz, welcher sich nicht alle Flüsse rühmen können. Ich möchte hier kurz das Ergebnis der analogen Rechnung im Haushalt der Elbe und der Oder vorführen, die ich von einem etwas anderen Standpunkte aus, als dies König getan hat, aufgestellt habe. In mancher Beziehung baut sich der Wasser- haushalt beider Ströme auf einer weniger günsti- gen Basis auf als dies beim Rhein der Fall ist. Es fehlen ihnen die das Oberflächenwasser auf- speichernden Seen im Oberlauf, es fehlt ihnen das Hochgebirge, dessen Schneereichtum dort gerade dann zum Abschmelzen gelangt, wenn es im Mittelgebirge und Flachlande an Niederschlägen mangelt, es fehlen endlich die Grundwasser- schätze vom Oberlauf des Flusses im Ober- rheintal, da ihr eigenes Ursprungsgebiet entweder gar nicht und nur oberflächlich lokal vergletschert gewesen und infolge davon auch nicht imstande ist, Wassermengen auf Vorrat an tiefer gelegene Teile des Stromgebietes abzugeben. Doch besitzt das Elbe- und Odergebiet auf der anderen Seite doch auch wieder günstige JVIomente, die im Rheingebiet nicht vorhanden sind. Die Elbe besitzt in der Havel, die Oder in der Warthe in ihrem Unterlauf bedeutende Neben- flüsse, die ebensowohl durch ihren Seenreichtum, wie durch ihren sehr niedrigen Abflußkoeffizienten Spartöpfe für die Zeiten der Wasserklemme dar- stellen. Weiter fällt beider Flüsse Unterlauf, zum größeren Teil auch der Mittellauf, in früher ver- gletschert gewesene Gebiete, deren diluviale Fluß- täler als in hohem Maße grundwasserführend be- zeichnet werden müssen. Bei der Oder fällt dabei noch der Umstand ins Gewicht, daß ihr jetziges Tal schon oberhalb Berlin, also noch zu Beginn des Mittellaufes, sich im Bereich jener diluvialen Halbfaß-Jen.->. Talzüge befindet, welche weiter unterhalb schon vom Weichseltal herüberstreichen und vom unter- irdischen Wasserreichtum dieses Flußgebietes also mit profitieren. Die Grundlage für die nachfolgenden Rech- nungen bilden die jährlichen Niederschlags- und Abflußmengen, deren Kenntnis außer in dem amt- lichen Eibstrom- und Oderstromwerk der preußi- schen Bauverwaltung und den Jahrbüchern der Königlich Preußischen Landesanstalt für Gewässer- kunde in den bekannten Arbeiten von Penck, Ruvarac und Schreiber über den Abfluß- vorgang der Elbe, vonUle über die Hydrographie der Saale, von Keller über Niederschlag, .Abfluß und Verdunstung von Mitteleuropa und von K. Fischer über das gleiche Thema von Oder-, Havel- und Spreegebiet veröffentlicht sind. Auf die gleichen Quellen sind die Angaben über die im Einzugsgebiet der Elbe und Oder gefallenen Schneemengen zurückzuführen, während diejenigen über die im Grundwasser und in Seen aufge- speicherte und verfügbare Wassermenge auf eigenen IViessungen und Erwägungen beruhen. Wie üblich, verstehe ich unter Jahr nicht das bürgerliche, sondern das hydrographische Jahr, das für die niederdeutschen Ströme im November des Vorjahres beginnt und Ende Oktober des Jahres schließt, das demselben folgt. Dieses Ab- flußjahr zerlege ich in zwei Abschnitte, in das Winterhalbjahr, das bis April einschließlich reicht und in das Sommerhalbjahr, das sich daran an- schließt. Der nachfolgenden Untersuchung lege ich fol- gende Erwägung zugrunde: da das niederschlags- ärmere Winterhalbjahr zugleich das abflußreichere und das niederschlagsreichere Sommerhalbjahr das abflußärmere ist und beide Halbjahre in den meisten Stromabschnitten beider Flüsse rechnungsmäßig ziemlich genau ihre Rollen mit- einander tauschen, so müssen die im Winter auf- gehäuften, nicht zum Schmelzen gekommenen Schneevorräte, zugleich mit dem Grundwasser- vorrat derart den Ausgleich zwischen Sommer- und Winterhalbjahr bewirken, daß der Überschuß aus dem Sommer und der Verbrauch im Winter sich gegenseitig im großen und ganzen decken müssen. Ich habe also für jeden Stromabschnitt des Hauptflusses und für einige seiner Nebenflüsse die Abflußmenge jeden Halbjahres nach dem Abfluß- koeffizienten des ganzen hydrographischen Jahres berechnet, die im Winter aufgespeicherte Schnee- 6io Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. menge im Sommer ab-, im Winter hinzugerechnet Havelmündung und endlich von da bis zur und dann diese Summe verglichen mit der wirk- Mündung in die Nordsee; die in der Literatur liehen Abflußmenge des Halbjahres. Die sich vorhandenen Daten waren für die Einteilung maß- daraus ergebende Difterenz muß im großen und gebend, nicht die natürlichen hydrographischen ganzen identisch sein mit der Grundwassermenge Verhältnisse des Flusses. Die in jedem Strom- des betreffenden Flußabschnittes, vermindert um abschnitt vorhandene Grundwassermenge habe den Wasservorrat der dort etwa vorhandenen Seen, ich aus folgenden Erwägungen heraus zu be- Selbstverständlich können alle diese Rechnungen stimmen versucht. Zunächst nehme ich an, daß nur einen rohen Überblick liefern, da sie samt- im obersten Abschnitt (51000 qkm) 30 v. H. lieh nur Schätzungsgrößen innerhab einer recht grundwasserführend sei, im zweiten Abschnitt erheblichen Spannung bedeuten; es kam mir in (47000 qkm) 60 v. H., im dritten (46000 qkm) der Hauptsache nur auf einen ersten Versuch an, 70 v. H. ^). Das Porenvolumen des Bodens sei über diesen Gegenstand ins klare zu kommen, ein entsprechend seiner verschiedenartigen Beschaffen- Versuch, der m. W. in der Literatur bisher noch heit für den ersten Abschnitt 30 v. H., für den gefehlt hat. Den Verbrauch der Vegetation an Wasser habe ich nicht gesondert geführt, da er nach meiner Überzeugung nur eine bestimmte Form der Grundwasseraufnahme des oberflächlich fließenden Wassers darstellt und daher von dem gesamten VVasserschatz des Grundwassers nicht gut zu trennen ist. I. Das Eibgebiet. Das Eibgebiet wurde in 3 Unterabteilungen zweiten 40 v. H., für den dritten 35 v. H. Der Unterschied zwischen dem mittleren JMiederwasser- stand (MNW) und dem mittleren Wasserstand (MW) beträgt im ersten Abschnitt durchschnitt- lich 1,1 m, im zweiten 1,3 m und im dritten 1,4 m. Mit Keilhack nehme ich an, daß er für die Mächtig- keit des Grundwasserstandes jeweils maßgebend ist; wegen des ungleichen Gefälles in den drei Abschnitten nehme ich als durchschnittliche Mächtigkeit nur 0,8 m, bzw. 0,7 m, bzw. 0,5 m. Hieraus ergeben sich für die mutmaßlichen zerlegt: von der Quelle bis zum Eintritt in das Grundwassermengen jedes Abschnittes folgende I<.önigreich Sachsen, von da bis oberhalb der Werte: für den ersten Abschnitt 51 000 000 000 X 0,3 X 0,3 X 0,9 ;= 3672 000 000 cbm, d.i. rund 3,7 cbkm für den zweiten Abschnitt 47 000 000 000 X 0,6 X 0,4X0.7 = 7 896000000 cbm, d. i. rund 7,9 cbkm für den dritten Abschnitt 46000000000X0,7X0,35X0,5 = 5635000000 cbm, d. i. rund 5,6 cbkm für den ganzen Eibstrom 17,6 cbkm, d. i. rund 70 V. H. der durchschnittlichen jährlichen Abfluß- menge und 43 V. H. der anderweitig von mir be- rechneten mutmaßlichen gesamten Grundwasser- menge des Eibstromgebietes. Die nur im dritten Stromabschnitt vorhandenen Seen besitzen zusammen ein Areal von höchstens 700 qkm, bei der jährlichen Niveauschwankung von 0,4 ergibt sich hieraus ein für die Elbe jährlich zur Verfügung stehender Wasservorrat von 0,3 cbkm, also wenig mehr als der 60. Teil der durch das Grundwasser gespeisten Reserven. Um die jeweils vorhandenen Schneemengen zu ermitteln, die im Winter aufgespeichert werden, im Sommer zum Abfluß kommen, gehe ich von der Voraussetzung aus, daß im ersten Abschnitt 20 v. H., im zweiten 15 v. H. und im dritten 10 v. H. des Nieder- schlags aus Schnee bestehen. Rechnet man die Wasserhöhe einer i cm hohen Schneedecke zu 15 mm, so ergeben sich als Schneemengen in den 3 Flußabschniiten i bzw. 0,6 bzw. 0,4 cbkm. Der Einfachheit wegen wird im folgenden ange- nommen, daß die gesamte Schneemenge im Winterhalbjahr liegen bleibt und im Sommerhalb- jahr vollkommen zur Abschmelze gelangt, obwohl selbstverständlich diese Annahme nicht als korrekt bezeichnet werden darf. Der jährliche Wasserhaushalt in den drei Stromabschniiten gestaltet sich dann folgender- maßen. Im obersten Abschnitt fließen von 32,7 cbkm Niederschlag im Durchschnitt 9,8 cbkm. also 30 v. H. ab; von den Niederschlägen treffen 11,45 cbkm auf den Winter, 21,25 cbkm auf den Sommer. Bei einem durchschnittlichen Abfluß- koeffizienten von 30 v. H. würden im Winter 3,44, im Sommer 6,36 cbkm abfließen; diese Zahlen vermindern bzw. vergrößern sich aber noch um eine Schneemenge von rund i cbkm auf 2,44 bzw. 7,36 cbkm. Nach den Messungen fließen aber in Wirklichkeit im Winter 4 bzw. im Som- mer 5,8 cbkm ab. Da andere Wasservorräte in diesem Stromabschnitt nicht zur Verfügung stehen, so hat im wesentlichen das Grundwasser die Auf- gabe zu lösen gehabt, den Wasserhaushalt im Gleichgewicht zu halten. Es hat also im Winter 4 — 2,44= 1,56 cbkm an den Fluß abgegeben und ebensoviel, nämlich 7,36 — 5,8 cbkm im Sommer wieder augespeichert. Führen wir die gleiche Rechnung lür den zweiten und dritten Strom- abschnitt durch, wobei wir zu berücksichtigen haben, daß die im dritten Abschnitt vorhandenen Seen sozusagen keine Reserve abseits des Grund- wassers darstellen, da sie in der Hauptsache durch dasselbe gespeist werden, so lassen sich die Er- ') Als Grundwasser jenige Teil des Bodei diesem Sinne :he ich nur den- ,—.„-_ _.. . o.„..o, ...,.„.. .„.. der Oberfläche im beständigen potentiellem Austausch steht, also nicht in so tiefen Schichten liegt, daß eine direkte Beziehung mit den Niederschlagsmengen überhaupt nicht stattfindet. Wollte ich hier den Begriff des Grundwassers so weit ausdehnen, so müßte ich das gesamte Elb- und Oderstromgebiet als grund- wasserführend bezeichnen. N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. gebnisse in folgender kleinen Tabelle anschaulich zusammenfassen I. Stromabschnitt. Zuschuß Theoretische Schnee- Wirkliche speicherung Abfiußmenge menge ,^bflußmengc ^ ^^^^^^ cbkm cbkm cbkm G,^,„dwasser 1,56 - 1,56 Sommer C',36 + I = 5.S + Winter 3,44 — I =4.0 II. Stromabschnitt. Sommer 4,9 + 0,6 = 3 + Winter 3,1 ^ 0,6 = 5 III. Stromabschnitt. Sommer 4,8 + 0,4 = 3 + Winter 3,2 — 0,4 = 5 — Im ganzen würden also aus dem Grundwasser- schatz des Eibstromgebietes zur Ausgleichung des Wasserstandes, also des Zu- und Abflusses jährlich etwas über 6 cbkm beansprucht, d. h. etwa der dritte Teil derjenigen Menge, welche mutmaßlich für diesen Zweck im Boden des Eibgebiets vor- handen ist. Durch die wertvollen Arbeiten von K. Fischer (Niederschlag und Abfluß im Havel- und Spree- gebiet im Jahresbericht des Berliner Zweigvereins der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, Berlin 19 13) und W. Ule (Zur Hydrographie der Saale und den Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Bd. 10, Heft i, Stutt- gart 1896) sind wir in die erfreuliche Lage versetzt, die oben ausgeführte Rechnung auch für zwei der wichtigsten Nebenflüsse der Elbe, nämlich die Havel und die Saale, gesondert aufzustellen, deren Resultat um so größeres Interesse darbietet, da die Flußgebiete der beiden Flüsse ziemhch genau gleich groß sind, sowohl im Ganzen, wie bis zu denjenigen Punkten, bis zu welchen von der Quelle aus das Beobachtungsmaterial vorlag. Die be- treffenden Flußareale umfassen in beiden Fällen rund 80 V. H. des ganzen Stromgebietes. Ohne mich in Emzelheiten zu verlieren, auf welche ich in meiner Arbeit über den gleichen Gegenstand in der Zeitschrift „das Wasser", Jahrg. 1916 ausführlich eingegangen bin, will ich hier nur kurz die Resultate nach obigem Schema mit- teilen. Sie lauten für das Saalegebiet Sommer 2 + 0,26 = 1,24 -\- 1,02 Winter 2 — 0,26 = 1,96 — 1,02 für das Havelgebiet cbkm Sommer 1,47 -|- 0,16 = 1 + 0,61 Winter 0,98 — 0,16 = 1,42 — 0,62 Die Havel nimmt danach nur etwa 6o v. H. der Grundwassermenge des Saalegebietes in An- spruch, wohl aus dem einfachen Grunde, weil ihr Abflußfaktor ein weit geringerer ist, während der zur Verfügung des Haushahes stehende Grund- wasserschatz des Havelgebietes den des Saale- gebietes jedenfalls weit überragt. Die bei Ule angeführten Tabellen für die Niederschlags- und Abflußmengen einzelner Jahre veranlaßten mich für das wasserarme Jahr 1893 und das wasser- reiche Jahr 1882 die Rechnung gesondert durch- zuführen, obwohl ich mir wohl bewußt bin, daß sie für einzelne Jahre dem Irrtum weit mehr unter- worfen ist als für das Durchschnittsjahr eines größeren Zeitraums. Danach stellt sich die Rech- nung für 1893 nach dem oben aufgestellten Schema wie folgt auf cbkm Sommer 1,09 + 0,26 = 0,45 + 0,90 Winter 0,55 — 0,26 = 1,17 — 0,88 und für das Jahr 1882 cbkm Sommer 3,08 + 0,26 = 2,57 + 0,77 Winter 0,77 — 0,26 = 1,27 — 0,76 In beiden Fällen wird das Grundwasser also etwa in gleichem Maße in Anspruch genommen wie im Durchschnitt. Dieses auf den ersten Blick befremdende Ergebnis findet seine einfache Lösung in folgenden Tatsachen. Das Jahr 1892 war seit 1882 das niederschlagärmste, infolge- dessen war der Grundwasserstand ein sehr niedri- ger und daher war auch die Abflußmenge dieses Jahres beinahe so niedrig wie die des folgenden Jähret, dessen Niederschläge zumeist erst in den Herbstmonaten erfolgten. Andererseits war das Jahr 1882 zwar das wasserreichste im Zeitraum 1882/1901, zugleich überragten aber auch seine Niederschläge das 20jährige Mittel um 30 v. H., so daß das Grund- wasser bei weitem nicht in dem Maße beansprucht wurde, als man sonst hätte erwarten dürfen. Man muß zudem wohl auch darauf Rücksicht nehmen, daß der Umsatz des Grundwassers eines einzelnen Jahres bedeutend größer sein kann und auch wohl in der Regel sem wird, als dem be- rechneten durchschnittlichen Jahresverbrauch ent- sprechen würde, weil die zur Verfügung stehende Grundwassermenge im Laufe eines hydrographi- schen Jahres sich ohne Zweifel zu einem beträcht- lichen Teile erneuern kann, woraus mir zu folgen scheint, daß zwischen dem durchschnitt- lichen jährlichen Verbrauch von Grundwasser und dem faktischen Verbrauch in einem be- stimmten Abflußjahr kein irgendwie notwendiger Zusammenhang zu bestehen braucht. IL Das Odergebiet. Das Odergebiet habe ich räumlich in 3 sehr verschieden große Gebiete eingeteilt, nämlich von der Ouelle bis Ratibor (6737 qkm), von Ratibor bis Sieinau (23 141 qkm) und von Steinau bis Hohensaathen (79686 qkm). Das Restgebiet von Hohensaathen bis zum Stettiner Haff konnte nicht in Betracht gezogen werden, weil die Daten über die Niederschlags- und Abflußmengen, welche ich der Arbeit von K. Fischer (Niederschlag und Abfluß im Odergebiet, in den Besonderen Mitt. des Jahrb. f. d. Gewässerkunde Norddeutschlands, Bd. 3 Nr. 2, Berlin 191 3) entnommen habe, nur bis Hohensaathen reichen. 6l2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 Für das oberste Stromgebiet nehme ich 20 v. H., für das folgende 40 v. H., für das letzte 55 v. H. als Grundwasser führend an (s. o.), das Poren - Volumen zu 35 bzw. 40 bzw. 40 v. H. Der Unter- schied zwischen MNW und MW beträgt im ersten Abschnitt i, im zweiten Abschnitt 1,2, im dritten Abschnitt 1,3 m, wegen des verschiedenartigen 1. Stromabschnitt: 6737000000X0,2X0,35X0,7 2. „ 23141000000X0,4X0,4 Xo,6 3. „ 79686000000X0,55X0,4X0,5 Gefälles des wahrscheinlichsten Grundwasser- stromes nehme ich aber nur 0,7 m bzw. 0,6 bzw. 0,5 m als Mächtigkeit in Anspruch. Hieraus ergeben sich für die im Jahreswasser- haushalt mutmaßlich zur Verfügung stehenden Grundwassermeneen folgende Werte. rund 330 Mill. cbm rund 2220 Mill. cbm rund 8760 Mill. cbm Die Summe ergibt für die ganze Oder rund 11,3 cbkm, entsprechend 60 v. H. der Abfluß- menge eines Jahres, während bei der Elbe das Verhältnis 70 v. H. betrug. Ein exakter Vergleich des Haushalts beider Flüsse verbietet sich aus dem Grunde, weil die für die Rechnung grundlegenden Niederschlags- und Abflußmengen sich nicht auf die gleichen Zeit- räume beziehen und diese selbst auch für beide Flußgebiete von ungleicher Länge sind. Das Areal der im Odergebiet vorhandenen Seen veranschlage ich zu 600 qkm, die bei einer lieh 300 Mill. cbm zur Verfügung stellen, wobei, wie bei der Elbe, die einschränkende Bemerkung zu machen ist, daß diese Menge zum größten Teil schon bei der Grundwassermenge in Rech- nung steht. Die im Winter aufgespeicherten, im .Sommer zum Abschmelzen kommenden Sehr mengen werden zu 30 bzw. 20 bzw. 15 gesamten Niederschlagsmenge angesetzt, Durchschnitt im i. Abschnitt 800, im zweiten 650, im dritten 600 mm jährlich betragen möge. Setzt man wieder den Wasserwert des Schnees zu 15 V. H. an, so ergeben sich für den 3. Ab- schnitt die folgenden Schneemengen : ri Schnee- ! V. H. der || ;, die im ]' jährlichen Durchschnittsschwankung der Niveau höhe von etwa 0,5 m seinem Wasserhaushalt jähr- I. 6737000000X0,8 Xo,3 Xo,i5= 240 Mill. cbm II. 23141000000X0,65X0,2 Xo,i5= 460 Mill. cbm III. 79686000000X0,6 Xo,i5 X 0,15 ^ 1090 Mill. cbm zusammen also nur 1,8 cbkm gegenüber 2 cbkm im Elbegebiet Im Durchschnitt des Jahrzehnts 1896 — 1905 betrug die jährliche Niederschlagsmenge im obe- ren Stromabschnitt 5,6 cbkm (1,9 im Winter, 3,7 im Sommer), die Abflußmenge 2,1 cbkm (1,1 im Winter, i im Sommer), der Abflußkoeffizient also 37,5 V. H. Im zweiten Stromabschnitt war die Niederschlagsmenge 15,7 cbkm (5,7 im Winter, 10 im Sommer), die Abflußmenge 4,4 cbkm (2,3 im Winter, 2,1 im Sommer), der Abflußkoeffizient also 28 V. H. Im unteren Stromabschnitt war die Niederschlagsmenge 44,5 cbkm (17,4 im Winter, 27,1 im Sommer), die Abflußmenge 9,6 cbkm (6 im Winter, 3,6 im Sommer), der Abflußkoeffizient mithin 21,5 v. H. Im ersten und zweiten Ab- schnitt ist die Niederschlagsmenge des Sommers nahezu die doppelte des Winters, im dritten nur etwa das i'/.2 fache; die Abflußmengen sind im I. und 2. Abschnitt im Sommer und Winter nahezu gleich groß, im 3. Abschnitt verhalten sie sich wie 5 : 3. Ohne Zweifel spielen die hier im Boden und in den Seen aufgespeicherten Wasserschätze eine einschneidende Rolle. Die Wasserhaushaltsrechnung, nach derselben Methode durchgeführt wie beim Eibstrom, ge- staltet sich dann folgendermaßen : I. Stromabschnitt. cbkm Sommer 1,39 -f- 0,24 = I -\- 0,63 Winter 0,71 — 0,24 =1,1 — 0,63 II. Stromabschnitt. Sommer 2,8 + 0,46 = 2,1 -f 1,16 Winter 1,6 — 0,46 ^= 2,3 — I,l6 III. Stromabschnitt. Sommer 5,83 -f 1,09 = 3,6 + 3.32 Winter 3,74 — 1,09 = 6,0 — 3,35 Ist diese Rechnung richtig, so würden von der für den Jahreshaushalt zur Verfügung stehenden Grundwassermenge von 1 1,3 cbkm im Durchschnitt nur 5,1 cbkm, also etwas weniger als die Hälfte wirklich in Anspruch genommen werden, während die entsprechende Menge im Eibgebiet etwa nur den dritten Teil davon betrug. In niedcrschlags- reichen und in niederschlagsarmen Jahren wird das Resultat der Rechnung natürlich davon sehr abweichen können. Daß die für den ersten Strom- abschnitt in Anspruch genommene Grundwasser- menge die für den Durchschnitt eines Jahres zur Verfügung angenommene Menge erheblich über- schreitet, darf nicht befremden, da eben in diesem Falle, wie schon früher hervorgehoben, der Bestand der für einen Flußabschnitt zur Verfügung stehenden Grundwassermenge im Laufe eines Jahres sich zu einem beträchtlichen Teil mehrfach erneuern kann. Es hängt eben alles von der BeschafTenheit des Untergrundes und nicht zum wenigsten von den Gefällverhältnissen des Grundwasserstromes ab. Die Tabellen der Fisch er'schen Arbeit ge- statten den Wasserhaushalt auch für mehrere wich- tige Nebenflüsse der Oder gesondert aufzustellen. Das -Stromgebiet der Warthe zerlegen wir in den Abschnitt von der Quelle bis Posen (24820qkm) und von da bis Landsberg (27073 qkm), das Restgebiet bis zur Einmündung der Warthe in die Oder bei Küstrin (1817 qkm) muß außer N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 613 Ansatz bleiben, da es aber nur 3 v. H. des ganzen Flußareals umfaßt, kommt nichts darauf an. Im ersten Stromabschnitt betrug die jährliche Niederschlagsmenge im Durchschnitt 13,8 cbkm (8,32 im Sommer, 5,48 im Winter), die Abfluß- menge 2,95 cbkm (1,14 im Sommer, 1,80 im Winter), der Abflußfaktor demnach 21,3 v. H. Im zweiten Stromabschnitt war der jährliche Niederschlag im Durchschnitt 14,32 cbkm ['j^Q im Sommer, 6,72 im Winter), der Abfluß 3,26 cbkm (1,38 im Sommer, 1,89 im Winter), der Abflußfaktor also 22,8 V. H., etwas höher als im oberen Abschnitt. Der jahreszeitliche Unterschied sowohl bei der Niederschlags- wie auch bei der Abflußmenge ist im zweiten Abschnitt erheblich geringer als im ersten Abschnitt. Die gesamte Grundwassermenge, die für den Jahreshaushalt zur Verfügung steht, berechnet sich, das Porenvolumen des Bodens zu 40 V. H., die beweglichen Horizonte des Grund- wassers zu 0,5 m im oberen und 0,4 m im unteren Stromabschnitt und -/g des Flußgebietes als Grund- wasser führend angenommen, zu 3 bzw. 2,5 cbkm; zusammen also 5,5 cbkm, d. i. 88 v. H. der jähr- lichen Abflußmenge. Da die in den Abschnitten vorhandenen Schneemengen, nach den oben ent- wickelten Prinzipien berechnet, 400 Mill. bzw. 320 Mill. cbm sein mögen, so steht sich der Wasserhaushalt der Warthe folgendermaßen: I. Stromabschnitt, cbkm Sommer 1,77 -|- 0,4 = 1,14 + '.«S Winter 1,17 — 0,4 = 1,80 — 1,03 II. Stromabschnitt. cbkm Sommer 1,73 -f- 0,32 = 1,38 -|- 0,67 Winter 1,53 — 6,32 = 1,89 — o.bS Also würden nur 1,70 cbkm Grundwasser, d.h. nur etwa der 3. bis 4. Teil der zur Verfügung stehenden IVIenge im Durchschnitt in Anspruch genommen werden, ein Resultat , auf welches jedenfalls die beträchtliche in den Wartheseen enthaltene Grundwassermenge einen entscheiden- den Einfluß ausübt. Zu einem ähnlichen Resultat führt die Auf- stellung des Wasserhaushaltes für die Netze, den größten Nebenfluß der Warthe. Bis Vordamm beträgt ihr Gebiet 15 812 qkm, d. i. 90 V. H. ihres Gesamtgebietes. Der Nieder- schlag eines Durchschnittsjahres ist 8,52 cbkm (5,09 im Sommer, 3,43 im Winter), der Abfluß 2,04 cbkm (0,86 im Sommer, 1,18 im Winter), der Abflußfaktor ist also 23,8 v. H., also noch etwas größer als derjenige des unteren Strom- abschnittes der Warthe. 250 Mill. cbm Schneemenge angenommen (20 V. H. des Niederschlags) gestattet folgende Bilanz eines Jahres: cbkm Sommer 1,21 -\- 0,25 = 0,86 -\- 0,60 Winter 0,82 — 0,25 = 1,1 8 — 0,61 Die zur Benutzung angenommene Grund- wassermenge ist die gleiche wie bei der Havel, ein Umstand, der bei der Gleichheit der Nieder- schlagsgebiete und der natürlichen Vorbedingungen beider Flußsysteme nicht wundernehmen kann. Das zur Verfügung stehende Grundwasser kann, die Hälfte des Stromgebietes als grund- wasserführend angenommen, bei einem Poren- volumen von 40 V. H. und einem Gefäll von 0,6 m, zu rund 1,9 cbkm angesetzt werden (93 V. H. der jährlichen Abflußmenge) oder etwas mehr als das dreifache der obigen Menge, ent- sprechend den ähnlich gelagerten Verhältnissen im Warthegebiet. Im Verhältnis zum Flußareal ist die Grundwassermenge im Netzegebiet etwas größer als im gesamten Warthegebiet, was jeden- falls auf den Umstand zurückzuführen ist, daß die Seen im Netzegebiet ein relativ größeres Areal ein- nehmen als dort. Endlich habe ich auch noch für drei weitere wichtige Nebenflüsse der Oder, die Glatzer Neiße, die Bober und die Lau- sitzer Neiße, den Wasserhaushalt aufstellen können mit folgendem Resultat: I. Glatzer Neiße. cbkm Sommer 0,78 -(- 0,15 = 0,60 -f 0,33 Winter 0,42 — 0,15 = 0,60 — 0,33 II. Bober. Sommer 1,04 -\- 0,18 = 0,78 + 0,44 Winter 0,07 — 0,18 = 0,92 — 0,43 in. Lausitzer Neiße. Sommer 0,60 -\- 0,13 = 0,43 -\- 0,30 Winter 0,40 — 0,13 = 0,57 — 0,30 Die in Betracht kommenden Grundwasser- mengen sind für die beiden Neiße, entsprechend den gleichen Flächenarealen nahezu gleich groß. Dasselbe ist bei der überhaupt für den Jahreshaushalt zur Verfügung stehenden Grundwassermenge der Fall, die rund 0,4 cbkm, also nur wenig größer als der beanspruchte ist. Für den Bober ist letz- tere Menge 0,57 cbkm, also etwa im gleichen Verhältnis größer. Daß ein sehr ansehnlicher Bruchteil der zur Verfügung stehenden Grund- wassermenge nun auch wirklich für den Wasser- haushalt in Anspruch genommen wird — dieser Ausdruck selbstverständlich unter den nötigen Kautelen verstanden — ist ein Resultat, daß auch sonst sich gezeigt hat und ganz allgemein den Schluß zu ziehen gestattet, daß der Umsatz aus den Wasserschätzen des Bodens für den Oberlauf der Flüsse und überwiegend im Gebirge liegende Nebenflüsse relativ erheblich stärker ist als für den Unterlauf der Hauptflüsse und wesentlich im Plachland sich bewegende Nebenflüsse. Folgende Tabelle faßt die Ergebnisse über die Aufspeicherung und Verwendung der Grund- wassermengen und ihr Verhältnis zur entsprechen- den Abflußmenge kurz zusammen. ., „ „ Vor- Bean- ^''*'""' handene spruchtc Verhältnis Verhältnis ■"^"-^ Grundwassermenge A : B B : C ^ B C cbkm Elbe 26 18 6 100:70 3:1 Havel 2,4 2,7 0,6 100:110 4,5:1 Saale 2,4 2,2 I 100:90 2,2:1 Oder 16 11,3 5 100:70 2,6:1 Warthe 6,2 Netze 2,1 0,6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 [Nachdruck verboten. 1 Seit Nehring's und Branc; über dihiviale Pferde in den achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts ist keine zusammen- fassende Darstellung der deutschen diluvialen Wild- pferde mehr erschienen. Die fossilen Materialien haben sich seitdem bedeutend vermehrt, namentlich sind inzwischen die alt- und mitteldiluvialen Pferde, die Nehring noch gar nicht kannte, gut be- kannt geworden. Die Fragen, die mit diesen Unsere diluTialen Wildpferde. Von W. O. Dietrich, Berlin. s Abhandlungen auftreten und wieder abreißen oder sich mehr oder weniger weit zurückverfolgen lassen. Jüngst hat nun W. v. Reich enau in einer größeren Arbeit ') eitien schönen Beitrag zur Sichtung und schärferen Scheidung der deutschen fossilen Reste geliefert, so daß wir uns jetzt von den körperlichen Eigenschaften und dem Äußeren unserer diluvialen Wildpferde ein besseres Bild machen können als es bisher möglich war. So Resten aus der Diluvialzeit zusammenhängen, sind zeigt sich jetzt, daß eines unserer ältesten Pferde, unterdessen ebenfalls andere geworden. Während es sich für Nehring vor allem um die oberste Frage, die nach dem Zusammenhang des deutschen diluvialen Wildpferdes mit unseren heutigen Haus- pferdrassen handelte, ist diese Frage gegenwärtig (bei den Paläontologen wenigstens) zurückgetreten vor anderen, die erst beantwortet sein wollen, wie z. B. solche nach der Zahl der selbständigen Arten, ihrer Geschichte im Verlauf des Eiszeitalters, ihrem Zusammenhang untereinander, ihrer Lebensweise, ihrer Herkunft usw. Für derartige Fragen sind in den letzten Jahrzehnten von vielen Forschern Bausteine in kleineren Einzeluntersuchungen zu- sammengetragen worden, so von E. Wüst, W. Freudenberg, W. Soergel, O. Antonius u. a. Während Nehring nur eine einzige deutsche diluviale Wildpferdart kannte, den Equus germanicus oder, wie er ihn bezeichnete, den Equus caballus fossilis var. germanica, dessen Typusexemplar aus dem Löß am Unkelstein bei Remagen a. Rh. stammt, sind jetzt deren acht bis neun bekannt, also schon eine ganz stattliche Zahl, die sich wahrscheinlich mit fortschreitender Kennt- nis noch erhöhen wird, aber jedenfalls heute schon neben den zahlreichen nordamerikanischen Arten des Pleistozäns sich sehen lassen kann. Einen Equus süssenbornensis, aus den alten Schottern von Süßenborn bei Weimar ein echtes Zebra ist. v. Reichenau vergleicht es mit dem lebenden Grevy's Zebra (H. Grevyi) aus dem Somali- land, d. h. es war ein großes gestreiftes Pferd mit außerordentlich langem und schmalem Kopf, mächtigen Ohren, niedrig gestellten plumpen Leib und mit Eselsschwanz. Der Nachweis des Zebras zur älteren Diluvialzeit in unseren Breiten ist höchst bedeutsam, denn wir sehen damit an einem neuen Beispiel, wie die Fauna, die heute als äthiopische bezeichnet wird, einstmals weit nach Norden bis Mitteleuropa reichte. Sie hat sich im Verlaufe des Eiszeitalters immer mehr nach Süden zurück- gezogen; wir treffen im mittleren oder jüngeren Diluvium Zebras noch in Nordafrika (Algier), während sie in der Gegenwart nur noch südlich der Sahara vorkommen. Bei uns sind die Tiger- pferde früher als die Flußpferde vom Schauplatz verschwunden, denn in den Mosbacher und Maurer Sanden (zweites Interglazial) treffen wir sie nicht mehr, sondern hier tritt bereits ein Pferdetyp auf, der mit der occidentalen Haupt- rasse der Hippologen gemeinsame Züge aufweist: Equus mosbachensis, von dem fast das ganze Skelett bekannt ist, ist ein großes Pferd mit Überblick gibt die nachstehende Tabelle, in der massigen Knochen, großköpfig, lang- und schmal- die wichtigsten dieser Arten nach dem geologischen Alter unter kurzer biologischer und systematischer Kennzeichnung zusammengestellt sind. Auch sind die gleichzeitigen Menschenarten beigefügt, was bei dem allmählich sich herausbildenden engen Ver- hältnis von Pferd und Mensch nicht ohne Reiz sein dürfte. gesichtig, mit gewaltigen Nasenbeinen und großen Zähnen. Man hat es als „schweres" Pferd be- zeichnet und es als noch massiger als eines der schweren Arbeitspferde (Brabanter, Belgier) hin- stellen wollen; aliein dies ist, wie sich aus V. Reichenau's Messungen ergibt, eine Über- treibung, ganz abgesehen davon, daß es natürlich Die geologische Aufeinanderfolge der auf- unzulässig ist, ein Wildpferd mit einem auf be- geführten Arten ist nun keineswegs so zu verstehen, als stehen alle in einem ununterbrochenen genea- logischen Zusammenhang; wir können bei dem immerhin engbegrenzten Gebiet und der ver- hältnismäßig kurzen und dabei höchst wechsel- vollen Zeit, wie sie das Eiszeitalter darstellt, nach stimmte Leistung gezüchteten Hauspferd zu ver- gleichen. E. mosbachensis ist nur den anderen Wildpferdarten gegenüber ein schweres Pferd. Wegen seiner schmalen und hohen Hufbeine — eine Anpassung an das Laufen auf hartem Boden — spricht v. Reichenau es als „Grassteppenpferd" allen paläontologischen Erfahrungen eine solche an; dies steht im Einklang mit So er gel's Ansicht, geschlossene Stammreihe in Mitteleuropa während --.--.. _. . des Diluviums gar nicht erwarten. Vielmehr finden wir auch bei den Pferden, wie stets bei den Säugetieren, sobald zahlreichere alters- verschiedene Funde zu Gebote stehen, daß wir es mit mehreren getrennten, „parallelen" Stämmen zu tun haben, die bald unvermittelt wonach die Mosbacher Elefanten, Wisente und ') W. V. Reichenau, Beiträge zur näheren Kenntnis fossiler Pferde aus deutschem Pleistozän, insbesondere über die Entwicklung und die Abkaustadien des Gebisses vom Ilochterrassenpferd (Equus mosbachensis v. R.). Abhandl. d. Großlierz. Hessisch. Geol. Landesanst. zu Darmstadt. 7, H. I, S. I — 155. Mit 164 Abb. Darmstadt 1915, XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 615 Die wichtigsten de utschen diluvialen Pferdearten. Stufe Untergattungen Arten Ethologischer Typ Menschen Postglazial Equus s. str. Erste Hauspferde — Moderne Rassen Spätglazial Microhippus E. Przewalslsii foss. „Steppenpferd" Cr6 Magnon-Rasse Würmglazial Equus s. Str. E. germanicus E. Abeli „Tundrenpferd" H. aurignacensis „Lößmensch" 3. Interglazial Equus s. str. E. taubachensis „Wald-Weidepferd" H. neandertalensis Rißglazial Euhippus E. steinheimensis ' „Weidelandpferd" 2. Interglazial Equus s. str. E. mosbachensis „Grassteppenpferd" H. heidelbergensis Mindelglazial I. Interglazial Equus s. Str. Hippotigris H. süssenbornensis u. a. „Weidelandpferd" Günzglazial Letzte Stenos-Zebras Präglazial und Oberpliozän Hippotigris Euhippus H. Stenonis E. „quaggoides" in Italien „Weidelandpferde" Elche Bewohner eines waldarmen ebenen Gras- landes waren. Im dritten Interglazial (Taubacher oder La Micoque Stufe) tritt uns wieder ein schweres „Gemeinpferd" (Equus s. str.) entgegen, das zuerst von Wüst erkannte, von Freudenberg benannte E. taubachensis. Es unterscheidet sich in einigen Zahnmerkmalen von dem älteren E. mosbachensis, und ist vielleicht etwas größer als dieses. Der Innenpfeiler der oberenMolaren springt sehr stark nach innen vor, stärker als bei den übrigen Pferden. Wahrscheinlich ist das Taubacher Pferd der un- mittelbare Nachkomme der Mosbacher Art oder es geht auf eine Form aus Süßenborn zurück, die V. Reichen au als E. taubachensis var. praecursor bezeichnet. Wir dürfen jedenfalls mit einiger Sicherheit annehmen, daß der Stamm der schweren, gemeinen Wildpferde seine Entwicklung im wesentlichen an Ort und Stelle, innerhalb Deutschlands, durchgemacht hat und wir können ihn vielleicht von der ersten Zwischeneiszeit bis an den Schluß der vierten Eiszeit verfolgen, denn auch das sog. „Lößpferd", E. germanicus, genauer gesagt, der noch näher zu sichtende Kreis des E. germanicus, dürfte als unmittelbarer Nachfahr des E. taubachansis diesem Stamm einzureihen sein. Dieser im jüngeren Löß weitverbreitete E. germani- cus ist an dem lang nach hinten ausgezogenen Innen- pfeiler seiner Oberkiefermolaren kenntlich ; er zeichnet sich ferner durch niedrige und breite Hufe aus, ein Zeichen der Anpassung an weicheren Boden als den der harten Steppe, v. Reichenau möchte E. germanicus als „Flechtensteppenpferd" bezeichnen; er vermeidet mit Recht den Begriff „Tundra", denn wir begegnen diesem Lößpferd auch außerhalb der Inlandeisrandgebiete (wo die Tundra sich hauptsächlich einstellte), in eisfernen, niemals vergletscherten Strichen, z. B. im Neckar- tal. E. Abeli, ein aus einer Sumpfschicht unter dem Löß der Heiligenstadter Ziegeleien (im Nord- westen von Wien) stammendes schweres Diluvial- pferd, wird von seinem Bearbeiter ') allerdings geradezu als „Tundrapferd" bezeichnet, weil die Sumpfschicht Zeugnis für das Vorhandensein ein- stiger Tundrabedingungen lieferte. — Von E. ger- manicus leitet N e h r i n g „unser schweres gemeines Pferd" ab; aber es fehlt noch der sichere Nach- weis der verbindenden Reste und es scheint, als ob der Zusammenhang in der Spätglazial- und nachglazialen Zeit abgerissen war, denn in dieser Zeit bringt die aus Innerasien vorstoßende und Mittel- und Westeuropa bis jenseits der Pyre- näen gleichsam überflutende Steppenfauna neue Equiden auf den Plan, Steppenesel und Steppen- pferde, hauptsächlich Dschiggetai (A. hemionus) und Tarpan (E. Przewalskii). Das fossile Prze- walski's Pferd ist bekannt als wichtiges Jagdtier des Menschen der magdalenischen Kulturperiode. V. Reichenau bezeichnet es als Microhippus oder eurasiatisches Kleinpferd. Es zeichnet sich dadurch aus, daß seine Backenzähne dünnen und scharfen Schmelz besitzen, eine Anpassung an hartes Grasfutter und eine Parallele zum Backen- zahn des sibirischen Mammuts. Im Skelett ist das „Magdalenierpferd" durch plumpen breit- stirnigen und kurzschnauzigen Kopf, den kleinen und gedrungenen Körperbau ausgezeichnet, das Äußere ist durch die paläolithischen Darstellungen 1) O. Antonius, Equus Abeli nov. sp. Eiu Beitrag zur genaueren Kenntnis unserer Quartärpferde. Beiträge zur Paläont. u. Geol. Österr.-Ung. u. d. Orients. 2(5, S. 241— 301. Mit 6 Taf. Wien 19 13. 6i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 und die Tiere in den Zoologischen Gärten jeder- mann bekannt. Mit dem Aufkommen der Wald- fauna in der neolithischen Zeit verschwindet der Microhippusstamm rasch wieder aus Europa. Wir haben also bis jetzt drei verschiedene Stämme in unserem Diluvium kennen gelernt: I. den aus dem Pliozän überdauernden Hippotigris- Stamm, den wir als mediterran- afrikanischen be- zeichnen können; 2. den bodenständigen Stamm des abendländischen Gemeinpferdes und 3. den ortsfremden, eurasiatischen Microhippus- Stamm. V. Reichenau hat nun in seiner erwähnten Ar- beit noch einen vierten Stamm bekannt gemacht, über dessen Vorhandensein in unserem Diluvium bisher in der Literatur wenig Klarheit herrschte : Es ist der Euhippus-Stamm, der in seinen Merk- malen der orientalischen Hauptrasse oder dem arabischen Typus der Hippologen entspricht und „Edelpferde" mit kleinem, breitstirnigem Kopf, trockenem Gesicht, schlankem, hohem und festem Knochenbau umfaßt. Der von v. Reichenau in die Literatur eingeführte fossile Vertreter Euhippus steinheimensis, mit dem sich zuerst W. Soergel beschäftigt hatte, stammt aus Schotter- ablagerungen unweit Marbach am Neckar, die dem System der Neckarhochterrasse angehören und ihrem geologischen Alter nach zwischen die Maurer Sande und die Travertine von Taubach und Cannstatt zu stellen sind. In der Chrono- logie des Eiszeitalters müssen wir sie in das Riß- glazial einreihen. E. steinheimensis zeichnet sich durch ziemlich geradsäulige Molaren mit mäßig starkem, ungekräuseltem Schmelz aus. Der Innen- pfeiler ist kürzer als bei den übrigen Pferden. Der Unterkiefer verjüngt sich nach vorn, sehr stark und mit geraden Konturen entsprechend der Fein- köpfigkeit des arabischen Typs. Um Miß- verständnisse zu vermeiden, sei betont, daß V. Reichenau offenbar keinen genealogischen Zusammenhang zwischen unseren Vollblütern der Gegenwart und diesem mitteldiluvialen wilden Edelpferd annnimmt, — er spricht sich darüber nicht aus — , sondern die Gruppe Euhippus be- greift anscheinend nur denselben konvergent ge- züchteten, leichten und schnellen Renntyp, wobei das eine Mal die Natur, das andere Mal der Mensch der Züchter war. Die jungpaläolithischen westeuropäischen Künstler haben den arabischen Typ ebenfalls dargestellt (Altamira u. a. Höhlen). Noch harren manche Reste, z. B. aus den norddeutschen Interglazialablagerungen (Rixdorf usw.), der Untersuchung, aber das bisher Ge- leistete setzt uns vielleicht bereits instand, an die Vergleichung der völlig unabhängig vonein- ander aufgestellten Arten des nordamerikanischen, asiatischen und übrigen europäischen Pleistozäns zu gehen. Dabei wäre besonders festzustellen, welche von den neuweltlichen Arten aus Europa eingewandert sind und wieweit bei den in Amerika selbst aus pliozänen Vorfahren ent- standenen Arten die Annäherung an die ent- sprechenden altweltlichen Typen getrieben ist. Letzteres wäre für Fragen allgemeiner Natur (mehr- fache Entstehung ein und derselben Form, be- grenzte Entwicklungsmöglichkeiten usw.) von .Be deutun?. Kleinere Mitteilungen, Das Vogelleben im Aisnegebiet. Im Aisne- gebiet von Asfeld bis zur Front habe ich in fast 2 Kriegsjahren bis September 19 16 einige 90 Vogel- arten festgestellt und den ornithologischen Cha- rakter der Gegend, der in manchem von demjenigen deutscher Landesteile abweicht, genauer kennen gelernt. Nur wenige Arten wurden lediglich außer- halb der Aisneniederung auf den Feldern und in den spärlichen Nadelwäldern beobachtet, wie der Mäusebussard, Korn- oder Wiesenweihen, der Graue und der Raubwürger, der Steinpieper, die Garten- ammer, die Heidelerche, der Triel und in den Dörfern die zahlreichen Schleiereulen. Überaus reich ist das Vogelleben in der breiten, vom Aisnestrom und dem ihn begleitenden Kanal durchglänzten Au. Zahlreiche Sperlingsvögel aller Größen von den drei Krähenarten, deren zwei nur Wintergäste sind, bis zum Sommer- und Wintergoldhähnchen bevölkern den Auewald. Aus dem vieltausend- stimmigen Konzert tönen besonders die Stimmen des Pirols und der Amsel hervor, während die Singdrossel fehlt, ferner die der Nachtigall und des Zaunkönigs, des Buchfinken und, bis tief in der Amsel wurde die Misteldrossel und, wenigstens zur Zugzeit, die Wacholderdrossel sichergestellt, von Meisen die Kohlmeise, Blaumeise, Sumpfmeise und die ihr so sehr ähnliche, dicknackige, matt- sch warzköpfige Weidenmeise, ParussalicariusBrehm, ferner die weißköpfige und die schwarzbrauige Schwanzmeise, jene vielleicht nur als Durch- züglerin, diese aber zu jeder Jahreszeit.^) Häufig ist das auffällige Schwarzkehlchen und für ein aufmerksames Auge das Braunkehlchen. Für größere Raubvögel ist das Gelände nicht geeignet. Auch hochbeinige Vögel spielen keine große Rolle; es kommen vor, außer dem schon er- wähnten Triel: der Kranich als Durchzügler, ferner außer Schnepfe und Bekassine der Fisch- reiher, der große Brachvogel , der Flußuferläufer und der Waldwasserläufer, während Kiebitze zwar auf dem Durchzuge in Schwärmen bis zu 10000 -Stück erscheinen, aber kein einziger hier zur Brut schreitet. Der einzige hier heimische ') Herr Hauptmann Heyne teilte mir mit, daß er Anfang September 1916 auch Bartmeisen beobachtet hat. Der sonst , „ , . . , „ , , . mehr dem Osten angehörige Vogel hat in Holland sein west- den Sommer hmein, des Schwarzplättchens. Außer lichstes Brutgebiet. N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 617 Schwimmvogel ist das überaus häufige Grünfüßige Teichhuhn, wohingegen das Schwarze Wasserhuhn, der lebende Schmuck fast aller deutschen Binnen- seen, hier völlig fehlt und von Stockenten höch- stens ganz vereinzelt einmal ein Paar hier zur Brut schreiten mag, andere Entenarten aber und der Haubentaucher wie der Singschwan nur als Durchzügler gesehen wurden. Wenn der Waidmann sich mit Recht über die ungepflegten, obschon von Natur überaus geeig- neten Jagdgründe beklagt, so ist auch die Vogel- welt noch weniger abgeschossen und reicher an etwas größeren Arten als fast überall in Deutschland. Unerwünschte Bruträuber wie nützliche oder nutzbare Arten sind aus diesem Grunde noch in ursprünglicherer Häufig- keit erhalten. So ist hier wie im ganzen nord- östlichen Frankreich die Elster einer der häufig- sten Vögel und der auffälligste unter den größeren. Weniger zahlreich als ihre Horste, doch immer noch recht häufig sind die der Rabenkrähe. Turm- und Baumfalke treiben sich bei Tage, Eulen bei Nacht auffallend häufig umher. Es wurden außer der Schleiereule der Waldkauz und der Steinkauz, die Waldohreule und die in unseren Breiten seltenere Sumpfohreule festgestellt. Nirgends fehlt am fließenden oder stehenden Wasser der Eisvogel. Gelegentlich macht sich der Wiede- hopf, überall aber die Wachtel bemerkbar, zwei Vogelarten , die in vielen Teilen Deutsch- lands bereits so gut wie ausgerottet sind. Man staunt auch über die Häufigls-eit der Zwerg- trappe und möchte meinen, daß dieser haus- huhngroße Vogel, der ein geschätztes Wildpret abgibt, bei regerem Jagdbetriebe, wie er in Deutsch- land an der Tagesordnung ist, sich nicht mehr in so großer Zahl finden würde. Die Häufigkeit der Zwergtrappe, einer südlichen Zugvogelart, die in Deutschland nur seltene Gastrollen gibt , ist aber zugleich eine Folge von der milden klimatischen Lage des Landes. Diese spiegelt sich in der Vogel- welt noch vielfach wieder. Neben der Zwerg- trappe ist ein Beispiel hierfür die Zaunammer oder Zirlammer, Emberiza cirlus, eine eigent- lich mediterrane Art, die als Seltenheit im süd- westlichen Deutschland auftritt, hier im nordöst- lichen Frankreich aber häufig namentlich an Dorfrändern brütet. Vor allem fällt auf, daß eine stattliche Reihe Vogelarten, die Deutschland jeden Winter fast vollzählig verlassen, den äußerst schneearmen, feuchten Winter Frankreichs bereits über- stehen können und daher auch in der kalten Jahreszeit sich hier dauernd zahlreich aufhalten. So sind dort Zugvögel, hier aber Stand- vögel: Baumfalke, Turmfalke, Amsel, Star, Rot- kehlchen, Gebirgsbachstelze, Grünfüßiges Teich- huhn. Die Amsel ist noch reiner Waldvogel ohne die Vorliebe für die Städte, die sie in Deutsch- land namentlich für den Winter im letzten Jaiir- zehnt angenommen hat. Den Dompfaffen, von dem man aus Deutschland neuerdings dasselbe berichtet wie von der Amsel, sah ich hier gleich- falls sommers und winters nur im Walde. In größerer Anzahl als in Deutschland ver- bleiben hier den Winter über: Stieglitz, Ringel- taube und Fischreiher, letzterer vielleicht voll- zählig. Ich vermute nach meinen Beobachtungen, daß manche Vogelarten im Herbst aus Norden oder Osten kommend dieses Gebiet überfliegen, während die gleichen Arten, die hier gebrütet haben, hier verbleiben. Die Stieglitzschwärme des Winters könnten allerdings auch solche sein, die hier bereits Winterquartier nehmen, während ihre Artgenossen aus dem Sommer von hier abgezogen wären. Sicher nehmen hier bereits sehr zahlreiche Grünlinge Winteraufenthalt, während in Deutschland nur die wenigsten verbleiben, wahr- scheinlich auch viele Buchfinken, deren jedenfalls keine von hier fortziehen und zu jeder Jahreszeit beide Geschlechter angetroften werden, abweichend von Deutschland, und endlich ist hier auch bereits das Winterquartier einer Anzahl Stockenten, die mit nahendem Frühjahr unser Gebiet so gut wie vollzählig verlassen, nachdem eine kurze Zeit ihre Zahl infolge der Durchzügler vermehrt war. Begreiflicherweise begi n n t d enn auch das sommerliche Vogelleben hier früher als auf deutschem Boden. Ja, schon Ende Dezember vernahm man das erste Amsellied in der Cham- pagne. Seit dem 27. Januar vermißte ich den Lerchenschlag kaum mehr einen Tag. Der Pirol erschien in beiden Kriegsjahren bereits Ende April. Auch die Rotkehlchen lassen ihren Gesang bisweilen wie die Zaunkönige mitten im Winter vernehmen und balzen bereits früh im März un- ermüdlich von den noch unbelaubten Bäumen herab, während zu gleicher Zeit in unserer Heimat das lenzliche Liebesleben der Vögel noch kaum erwacht ist. Im Herbst sah man nicht weit von hier Rauchschwalben und andere Vogelarten später fortziehen als aus Deutschland. Es ist ja bekannt, daß die klimatischen und phänologischen Unterschiede in Deutschland weniger von Norden nach Süden, als vielmehr von Osten nach Westen fortschreiten. Immerhin ist es überraschend, daß gleichsam der eine Schritt westwärts, der die deutschen Truppen in die Gegend von Rheims führte, sie sogleich in ein Land mit so hochgradigen Wärmecharakteren versetzt. Das muß seinen Grund haben in der Zuspitzung des europäischen Kontinents nach Westen, nach der vom Golfstrom bespülten Küste hin, und in dem Umbiegen der Alpenmauer nach Süden. Als unmittelbare P'olge davon spürt man wenn nicht einen wärmeren Sommer, so doch sicher meist fast schneelose und frostarme, naßkalte und somit für den Soldaten allerdings keineswegs milde Winter. Auch die Pflanzenwelt enthält gleichsam südliche Züge in Menge, nicht minder die übrige Tierwelt. So ist hier die große Blaue Holzwespe der Mittelmeerländer häufig oder unter den Schnecken neben der gewöhnlichen 6i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 Weinbergschnecke bis an die Küste des Ärmel- kanals die Gesprenkelte Weinbergschnecke, Heli- cogena adspersa Müll., die der französische Bauer am Gehäuse ins Feuer hält und dann verzehrt. Das letzte Liebesglühen des Johanniswürmchens sah ich 1914 am 10. November. Dr. V. Franz. Die Entstehung der Achate. Im vorigen Jahre erschien ein neues Buch von Raphael Ed. Liesegang') über die Achate und verdient dieses Werk um so mehr Erwähnung, als es längst eingewurzelte Ansichten über die Entstehung dieser schon seit altersher bekannten Steine be- seitigt und neue an deren Stelle bringt. Das wesentlichste darüber mag hier erläutert werden. Der Achat ist der Hauptsache nach „als ein aus verschiedenen Modifikationen der Kieselsäure SiOg bestehendes Mineral-Aggregat" aufzufassen. Die wesentlichen Bestandteile bilden Chalcedon und Quarz, wozu gegebenenfalls noch akzessorische Mineralien hinzutreten können. Die Bildung der Achate, welche sich nament- lich in mandel- oder spaltförmigen Hohlräumen des Melaphyrs, so in der Obersteiner Gegend vor- finden, vollzieht sich nach neuerer Forschung in kurz gedachten Zügen folgendermaßen : Die ursprüngliche Kiesel.säure in weich-galler- tiger Beschaftenheit füllte den ganzen Hohlraum des Gesteins gleichmäßig aus. Die Kieselsäure, entweder rein oder mit sonstigen Mineralsubstanzen, so von Eisen und Mangan beladen, kann durch noch so feine Spalten aus dem umgebenden Ge- stein (Melaphyr) in den Hohlraum eingedrungen sein. Die Ausfüllung des letzteren ist meiner Ansicht nach etwa in der Weise erfolgt, wie wenn man ein Gefäß mit Wasser füllt, d. h. sie geschah von oben nach unten! Nach dem Gesagten fällt von selbst jede Theorie von einem s. Zt. von G. A. Nöggerath aufgestellten Einflußkanal hinweg, sowie die frühere Annahme, daß eine Apposition der einzelnen Lagen von der Außenwand der Mandel nach dem Zentrum derselben erfolgte ! Die Kieselsäure kann nicht nur an einem, sondern gleichzeitig an ver- schiedenen Punkten des ursprünglichen Hohl- raumes eingedrungen sein! Das würde auch mit Haidinger's „Durchschwitzungstheorie" über- einstimmen. Der berühmte Mineraloge steUte sich nämlich vor, „daß die kieselsäurehaltigen Lösungen das Nebengestein „durchschwitzten" und dadurch auch einen darin enthaltenen allseitig geschlossenen Hohlraum zu füllen vermochten". Die ursprüngliche gallertige Substanz der Kieselsäure, welcher man eine bedeutende Plasti- zität zuschreiben muß, suchte sich bei ihrem Fest- werden auszukristallisieren. Durch den Kristalli- sationsprozeß entstand eine Schrumpfung oder Kontraktion, wodurch sich ein mehr oder minder ') Vgl. die Besprechung in Nr. 11 des gegenwärtigen Jahrganges der Naturw. VVochenschr. S. 175. großer Hohlraum bildete. Da der Kristallisations- vorgang auch nach der Bildung des Hohlraumes noch nicht beendet war, fand die Substanz, welche äußerlich die Wandungen des letzteren bekleidete, Gelegenheit sich auszukristallisieren und zu dem Auge sichtbaren deutlichen Kristallen auszubilden, während die übrige, innen gelegene Masse zu einem krypto- kristallinen Zustande infolge von Zusammendrängung der Teile reduziert wurde, somit natürlich eine Kristallhemmung voraus- zusetzen ist. Wir haben es hier also gewisser- maßen mit einer dynamometamorphorischen Er- scheinung zu tun, wo ein gleichmäßig wirkender Druck vorherrschte! Tatsächlich findet man viele Achate mit Kristalldrüsen im Innern. In den Stücken, wo man jene Hohlräume nicht antrifft, ist die durch die Kontraktion der Galjcrte entstandene Lücke nachträglich durch einen Überschuß von zufließen- der Kieselsäure ausgefüllt worden. Durch die Kontraktion der Kieselsäuregallerte wurde natürlich ein gleichzeitig erfolgender Druck von innen nach der Peripherie der Mandel hin erzeugt. Hierbei mag es zu konzentrisch-schaligen Absonderungen der Gallerte gekommen sein, wel- che dadurch die Bänderung hervorriefen und sich der Kontur des Mandelhohlraumes anschmiegten. Mit der Bildung der Achate dürfte auch gleich- zeitig deren Imprägnierung, sagen wir besser Dif- fusion mit Eisenverbindungen erfolgt sein, und zwar sind es das Eisenoxyd und das Eisenhydroxyd, welche je eine rote und braune Färbung bedingten. Es zeigt sich, daß dabei nur der Chalcedon von der färbenden Substanz angegriffen wurde, der reine Quarz dagegen gar nicht, und läßt sich daher die größere und leichter zugänglichere Porosität des ersteren voraussetzen. Nach dem, was schon gesagt wurde, kann man die Bänderung der Achate auf eine rhythmische Fällung der Gallerte, welche durch die nachträg- lich einsetzende Kontraktion bewirkt wurde, zurück- führen, das ist und bleibt jedenfalls das wesent- lichste Dogma über die Genese der Achate, mag es sich nun um den natürlichen Vorgang oder um künstliche Nachahmungsversuche handeln. Daß die Gallerte schon im ursprünglichen Zustande krypto-kristallin gewesen sei, wird von manchen behauptet, wiederum von anderen be- stritten, es bleibt dies noch eine offene Frage. Trifft es zu, so müßte man nach Liese gang bei der späteren Umwandlung nicht von einer Kristalli- sation an sich sprechen, sondern nur von einer Um- kristallisation. Ich meinerseits neige mich der Ansicht hin, daß die ursprünglich weiche Gallerte erst bei deren Festwerdung, wie schon gesagt, in den krypto- kristallinen Zustand überging. Daß bei der Ge- staltung des letzteren auch der durch die Kon- traktion gleichzeitig erfolgende Druck eine nicht unwesentliche Rolle spielte, davon bin ich um so mehr überzeugt, als dynamo - metamorphorische Vorgänge uns eine Umwandlung zahlreicher ur- sprünglich mehr oder weniger dichten Gesteine N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 619 in den kryptokristallinen Zustand darlegen, ich erinnere z. B. an diejenige des Kalksteines in Marmor. Das Vorkommen von weicher Gallerte, welche man vielleicht bezeichnenderweise als „Ursprungs- gallerte" bezeichnen könnte, wurde übrigens in Hohlräumen verschiedener Gesteine, also im pri- mitiven Zustande nachgewiesen. G. Spezia fand sie zuerst im Jahre 1899 in einer Gneiß- spalte bei dem Bau des Simplontunnels und soll darin kleine Quarzkristalle gefunden haben; Levings wies das Vorhandensein von ursprüng- lich weicher Gallerte in einigen australischen Minen nach. Die natürliche Färbung der Achate ist außer untergeordneten Mineralsubstanzen, wie schon an- gedeutet, im wesentlichen auf Eisenverbindungen zurückzuführen. Das Porensystem im Chalcedon selbst, welches die Farbdurchdringung zuläßt, haben wir uns wahrscheinlich am besten vorzu- stellen nach der Art desjenigen, wie es in Schwäm- men ausgebildet erscheint, wo also größere und kleinere Poren oder Hohlräume durch ein gröberes oder feineres Kanalsystem anastomosenartig ver- bunden ist. Die einzelnen Poren hängen also zusammen, kommunizieren miteinander und sind also nicht isoliert, wie man Liesegang zufolge nach O. Bütschli's Wabentheorie der Gallerten annehmen könnte! Bei der Erörterung der Entstehung von röhren- artigen Bildungen im Achate kommen zwei Um- stände in Betracht. Einesteils ist eine Präexistenz, resp. Scheinvorhandensein von pseudo- stalaktiti- schen Gebilden anzunehmen. Um letztere lagerte sich dann die noch im gallert-flüssigen Zustande befindlich gewesene Kieselsäure in konzentrischer Weise und führte zu dem, was man gemeiniglich als sog. „Augenachat" bezeichnet. Es ist aber mit Liesegang anderenteils an- zunehmen, daß röhrenartige GeJDilde auch derart entstanden sein können, indem sie die noch nicht zur Konsolidierung gelangte gallertartige ursprüng- liche Kieselsäure nachträglich durchsetzten, seit- liche Apophysen bildeten und so tannenzweigartige Formen hervorriefen. Horizontale Lagen treten am schönsten in den Uruguay-Achaten auf. Das Charakteristikum bei diesen ist, daß die horizontalen Bänder senkrecht, also fast in rechtem Winkel zu der normalen bandförmigen Zone, welche den Umriß der durch- schnittenen Mandel begleitet, stehen. Die Er- klärung dieser auffallenden Erscheinung läßt Liesegang noch offen, nach meiner Ansicht ist sie nur durch das Phänomen der „falschen oder transversalen Schieferung" annähernd zu deuten. Ich stelle mir nämlich vor, daß bei der schon erwähnten Kontraktion der Gallertmasse ein gleich- zeitiger Druck der zonaren Massen auf die zen- tralen, innen gelegenen erfolgte und dadurch letztere eine der transversalen Schieferung voll- kommen analoge Richtung annahmen, so daß sie also auf die normal geschichteten senkrecht zu stehen kamen. Man muß natürlich eine bedeutende Plastizität der Masse, deren kleinste Teilchen in höchstem Maße verschiebbar waren, voraussetzen 1 Ergriff der Druck nur teilweise das Zentrum, so kann innerhalb desselben wieder eine periphere Zone auftreten, so daß man also je zwei periphere und horizontale Lagen unterscheiden kann. Die tlntstehung der Trümmerachate ist leicht zu erklären. Durch Gebirgsdruck wurden die fertig ausgebildeten Achate zertrümmert; die ein- zelnen Bruchstücke, welche durch die gleichzeitig erfolgende Verschiebung in die verschiedensten kaleidoskopartigen Richtungen zueinander gerieten, wurden dann durch nachträglich hinzugetretene Kieselsäure wieder zusammenverkittet. Die sog. „mehrfachen Achate" Liesegang's sind meiner Meinung nach nicht streng genommen zu den eigentlichen Trümmerachaten zu rechnen. Ich kann mir die Bildung dieser zusammen- gesetzten Achate nur auf die Weise erklären, daß in der primären Kieselsäure Risse entstanden, welche noch vor der Konsolidierung der letzteren zu eigenen Diffusionszentren wurden, in welchen dann die isolierte Bildung der einzelnen Achate erfolgte, welche dann wiederum nach Art der typi- schen Trümmerachate durch Kieselsäure nachträg- lich verkittet wurden. Die sog. „Moosachate" sind nicht zu den eigentlichen Achaten zu zählen, obgleich sie in letzteren begleitend auftreten können. In streng wissenschaftlichem Sinne sind unter denselben Chalcedonmassen zu verstehen, in welchen noch nicht endgültig festgestellte grüne , braune oder rote mineralische Substanzen fadenartig in mehr oder weniger verworrener Weise derart gruppiert sind, daß sie bei dem Laien den Eindruck wirk- licher Moose hervorrufen können. Die Fädchen in den Moosachaten sind vielleicht als äußerst feine röhrenartige Lumina, durch welche die fremdartigen mineralischen Substanzen, etwaChlorit oder Eisensulfat, eindringen konnten, zu betrachten. Es drängt sich mir aber die Frage auf, ob nicht die Bildung dieser röhrenartigen Gebilde auf die Austrocknung resp. Konsolidierutig der ursprüng- lichen, nehmen wir also an, gallertigen Kieselsäure zurückzuführen wäre, etwa wie sich dies bei den Septarien vollzieht, welche ja auch ein anasmosto- sierendes Netzwerk, welches nachträglich mit Mineralsubstanzen ausgefüllt sein kann, aufweisen. Noch am ehesten glaube ich, daß die Moos- achate echte dendritische Gebilde sind, wie dies schon 1S45 von Haidinger in seinem „Hand- buch der bestimmenden Mineralogie" wohl richtig gedeutet wurde. Dadurch wären die Moosachate in nahe genetische Beziehung mit den sog. „Mocca- Steinen" zu bringen, welche die typische Dendriten- form am deutlichsten aufweisen. Leopold H. Epstein, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 Einzelberichte. Zoologie. Bekämpfung der Fliegenplage in Wohnräumen. V. Haecker (Zeitschr. f. angew. Entomologie, 1916,5.204) teilt eine Beobachtung mit, auf Grund welcher es gelingt, Wohnräume frei von Fliegen zu bekommen, die auf dem üb- lichen Wege mit Fliegenfallen, F"liegenpapier und -tüten nicht zu säubern waren. Er bemerkte (was jeder, der Fliegen beobachtet hat, ihm sofort be- stätigen wird), daß die Fliegen bei Tage nur die besonnten Stellen der Hauswände anfliegen. Von hier aus dringen sie dann durch die Fenster, so- weit solche in der Nähe offenstehen, in die Zimmer ein. Kommt ein Fenster bei dem weite- ren Vorrücken der Sonne in den Schatten, so wechseln die Fliegen nur noch nach außen, kom- men aber nicht mehr von außen nach innen. Mit Ausnahme vielleicht der kleinen Stubenfliege (Homalomyia canicularis) verhiejten sich alle Fliegen in dieser Weise. Aus dieser Beobachtung ergab sich nunmehr die praktische Folgerung, die Fenster zu schließen, bevor ihnen die Sonne nahe- rückt. Die Maßnahme erwies sich in der Privat- wohnung des Verf. als sehr wirksam, sie versagte auch nicht in einem Lazarett, das unter außer- ordentlich starker Fliegenplage zu leiden hatte, indem sie hier merklich gemindert wurde. Der Umstand, daß in dem Lazarett die Plage bereits im März akut war, veranlaßte den Verf., die Frage aufzuwerfen, wie die P^liegen überwintern. Er schließt sich der in Deutschland allgemein ange- nommenen Ansicht an, daß die Fliegen im fertigen, freien Zustand überwintern, und hält die Meinung einiger englischer und amerikanischer Autoren, die ein Überwintern im Puppenzustand nachzu- weisen versuchen, für unwahrscheinlich, wenigstens für unsere deutschen Verhältnisse. Miehe. Zunahme des Auerhuhns in Süd Westdeutsch- land. Während man gewöhnlich annimmt, daß das Auerhuhn auf deutschem Boden sich immer weiter in den weltentrückten Gebirgsforst zurück- zieht, wird in der Deutschen Jägerzeitung Bd. 67, Nr. 28, festgestellt, daß das Auergeflügel seit etwa drei Jahrzehnten in den durchaus nicht sehr ruhigen Waldungen des Odenwaldes, des Spessarts, des Schwarzwaldes und der pfälzischen Hardt sich stark vermehrt hat und an Stellen, wo es früher so gut wie unbekannt war, jetzt regelmäßig auftritt, sogar in der Rheinebene. Geklagt wird über seine große Schädlichkeit durch Verbeißen der Kiefernknospen. Die Zunahme mag auf die Verminderung von Füchsen und sonstigem Raub- zeug zurückzuführen sein, vielleicht auch auf das Erlöschen von früher beobachteten Hühnerkrank- heiten. V. Franz. Botanik. Das Alter von Hochmooren. Karl M ü 1 1 e r M hat das Wildseemoor bei Kaltenbronn ') Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtschaft. 14. Jahrg. I916. S. 393. im Schwarzwald an Profilen untersucht, die zum Teil durch die zahlreichen Abzugsgräben geboten wurden, und ist, begünstigt durch den Umstand, daß sich auch über die Geschichte des Moores wichtige Daten ermitteln ließen, zu allgemein interessanten Feststellungen gelangt. Das etwa kreisrunde, i^/., km breite Moor liegt etwa in einer Höhe von 900 m und schließt zwei ver- schieden große Seen ein. Es wird von NW bis O von dem Abhang nach den Eyachtal begrenzt, im S von dem Abfall nach dem Kegelbach, einem Seitenbach der Enz, während es auf den übrigen Seiten in Hochwald übergeht, z. T. ohne scharfe Grenze. Das Wasser des Moores wie der Seen stammt nur aus der Atmosphäre, Quellen fehlen. Die Dicke der Moordecke nimmt von den Rän- dern her allmählich bis zu dem Höchstbetrage von 5 m in der Mitte zu, das Moor stellt also eine uhrglasförmige Emporwölbung dar. Es ist ein typisches Sphagnum-Hochmoor, dessen Fläche stellenweis von Vaccinium-Arten und Empetrum, an den Abzugsgräben auch von Heide bedeckt ist. Außerdem ist das ganze Moor von nieder- liegenden Bergkiefern bestanden, die einen fast undurchdringlichen Urwald bilden. Die Untersuchung der Profile ergab einen ganz einheitlichen Bau der Moordecke. Das Moor liegt dem Buntsandstein oder seinem Verwitterungs- produkt, einem lehmigen Sande, unmittelbar auf. In der tiefsten Schicht finden sich Stümpfe von Bergkiefern, Moorbirken usw., dann aber zieht sich in geringer Höhe über dem Untergrunde eine Brandschicht hin, über welcher sich die Hauptmasse der typischen Sphagnum-Moordecke erhebt. Der Verf. stellt sich nun die Entstehung des Moores folgendermaßen vor: Ursprünglich wuchsen auf dem Sandsteinrücken Bergkiefern, be- gleitet von den üblichen Moor- und Heidesträuchcrn, in einem dünnen Sphagnumpolster, das sich infolge der Wasserundurchlässigkeit der Unterlage bilden konnte. Dies breitete sich aber gewaltig aus, als der Mensch das Urgestrüpp abbrannte, und lagerte im Laufe der Zeit die ansehnliche Torfschicht ab, auf deren Oberfläche sich schließlich vor etwa 150 Jahren wieder die Bergkiefer mit ihren Be- gleitern anzusiedeln begann. Die Auffindung der Brandschicht erleichterte die Bestimmung des Alters des Wildseemoores. Da der nördliche Schwarzwald nicht vor dem 12. Jahrhundert besiedelt worden ist, konnte die Zeitspanne, während welcher die Moordecke auf der Brandschicht heranwuchs, höchstens 800 Jahre betragen. Diese auf historische L'berlegungen gegründete Schätzung suchte dann der \''erf. durch Bestimmungen des Jahreszuwachses der Moor- decke zu ergänzen. Die Wachstumsenergie des Moores bestimmte er dadurch, daß er an den Kieferstämmen die Dicke der Moosdecke von der Ansatzstelle der Wurzeln bis zur Oberfläche fest- stellte und dazu die Anzahl der Jahresringe der N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. betreffenden Kiefer ermittelte. So fand er, daß gegenwärtig das Moor einen jährlichen Zuwachs von durchschnittlich 9,25 mm zeigte. Um nun diese Zahl auf die Gesamtdicke anwenden zu können, mußte noch die nach der Tiefe zunehmende Dichte der Torfdecke bestimmt werden. Der Verf gelangt auf diesem Wege zu dem Ergebnis von 1000 — 1 100 Jahren für die größte Stärke des Torfes (5,40 m), bestätigt also die auf historische Er- hebungen begründeten Feststellung, daß sich das Moor erst seit der Zeit der ersten menschlichen Be- siedelung gebildet hat. Das Wildseemoor ist also sehr schnell gewachsen, dank den besonders reich- lichen Niederschlägen, durch die Kallenbronn aus- gezeichnet ist, und unterscheidet sich sehr von den Muldenhochinooren des südlichen Schwarz- waldes, deren dichte Torfdecken Jahrtausende zu ihrem Wachstum gebraucht haben. Interessant wäre eine Diskussion der Frage gewesen, wehalb in einem Falle der Torf sehr dicht wurde, im anderen locker blieb. Miehe. Chemie. Ein schon vor längerer Zeit von L.Cr ismer angegebenes, aber wenig beachtetes Verfahren zur quantitativen Bestimmung von Spuren von Wasser im Alkohol ist 'neuerdings von V. Rodt (Mitt. d. königl. Materialprüfungs- amtes zu Berlin- Lichterfelde, Jahrg. 19 16, S. 426 bis 433) mit sehr befriedigenden Ergebnissen nach- geprüft worden. Das Verfahren beruht auf der starken Beein- flussung der kritischen Lösungstemperatur eines Gemisches von Petroleum und absolutem Alkohol durch sehr geringe Mengen von Wasser. Als kritische Lösungstemperaiu-r bezeichnet man be- kanntlich die Temperatur, bei der ein homogenes Gemisch zweier Flüssigkeiten plötzlich heterogen wird. Mischt man z. B. gleiche Volumina von wirklich absolutem Alkohol, den man nach Crismer durch mehrtägiges Kochen von so- genanntem absoluten Alkohol, wie er im Handel ist, mit gebranntem Kalk und Ab- destillieren erhält, und von Petroleum mitein- ander, so entsteht je nach der Art des Petroleums entweder ein homogenes oder ein durch geringe Temperaturerhöhung leicht homogenisierbares Ge- misch. Kühlt man nun dies Gemisch langsam ab, so kommt ein mit Sicherheit auf 0,1" C ables- barer und reproduzierbarer Punkt, bei dem das vorher klare Gemisch plötzlich trübe wird: die kritische Lösungstemperatur. Ist der Alkohol nicht vollkommen absolut, sondern enthält er geringe Mengen von Wasser, so liegt die kritische Lösungs- temperatur höher, und zwar entspricht einem Wassergehalt des Alkohols von i "l„ eine Erhöhung der Temperatur um rund 16", man kann also, da die Erhöhung dem Wassergehalt annähernd pro- portional ist, mit größter Leichtigkeit den Wasser- gehalt des Alkohols auf 0,01 "/g genau oder noch genauer bestimmen. Bemerkt muß nur werden, daß die kritische Lösungstemperatur des Alkohol- Petroleumgemisches in hohem Maße von dem zufällig benutzten Petroleum abhängt 'j und daß es daher erforderlich ist, das Petroleum, das man für die Messungen benutzen will, vorher mit absolutem Al- kohol und mit einigen durch Mischung von Wasser und absolutem Alkohol leicht herstellbaren Proben wasserhaltigen Alkohols zu mischen. Von dem Mengenverhältnis von Alkohol und Petroleum aber hängt die kritische Lösungstemperatur, wie Rodt festgestellt hat, nur in geringem Maße ab, so daß es genügt, zu der abgewogenen Alkoholmenge die berechnete Menge des geeichten Petroleums (etwa 5oGew.-7o) ai-'s einer Bürette hinzuzugeben. — Wegen der technischen Einzelheiten des Ver- fahrens, die infolge der großen Hygroskopizität des absoluten Alkohols für die Praxis von beson- derer Wichtigkeit sind, muß auf die Ausführungen in der Originalarbeit von Rodt verwiesen wer- den. Mg. ') Zweifellos würden unsere Kenntnisse über die Chemie des Erdöls wesentlich gefördert werden, wenn man zur Cha- rakterisierung der einzelnen Fraktionen des Erdöls ihre kriti- sche Lösungstemperatur benutzen würde. Bücherbesprechungen. A. Hellwig, Moderne Kriminalistik. Mit 18 Abbildungen im Text. 476. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt". Leip- zig und Berlin 1914, B. G. Teubner. — Preis 1,25 M. Wenn der Kriminalist vor die Aufgabe gestellt wird, die objektiven Spuren zu untersuchen , die der Verbrecher am Ort der Tat hinterlassen hat, so könnte man schon diese Tätigkeit in gewissem Sinne als eine naturwissenschaftliche bezeichnen, wenn sie sich auch noch nicht speziell natur- wissenschaftlicher Hilfsmittel bedient. Sie wird aber ganz zu einer solchen, wenn die kriminalisti- sche Untersuchung das ganze Rüstzeug heranzieht, das ihr Chemie, Physik, Anthropologie, Serologie und bei den Zeugenaussagen auch Psychologie an die Hand geben. Es ist für den Naturforscher sehr reizvoll, aus einem Büchlein, wie dem vor- liegenden, zu ersehen, wie seine Methoden einer- seits auf die kriminalistischen Probleme ange- wandt, andererseits auch vom Verbrecher im Kampf gegen die menschliche Gesellschaft benutzt werden. Der Verf., der bereits durch ein anderes Bändchen (Verbrechen und Aberglaube) bekannt ist, wird also nicht nur in den Kreisen der Juristen und Polizeibeamten, sondern auch bei den Natur- kundigen Leser finden, zumal das kriminalistische Verfahren an einer Anzahl interessanter Beispiele vorgeführt wird. Miehe. 622 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 O.Wünsche, Die Pflanzen Deutschlands, eine Anleitung zu ihrer Kenntnis. II. Die höheren Pflanzen, lo. neubearb. Aufl. herausgegeben von Joh. Abromeit. Leipzig und Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis 6 M. Schmeil, O. und Fitschen , J. , Flora von Deutschland. Mit 1000 Abbildungen. 17. Aufl. Leipzig 1916, Quelle & Meyer. — Preis 3,80 M. Die neue Auflage des „Wünsche" ist wiederum sorgfältig durchgearbeitet worden und weist gegen die vorige, um 75 Seiten schwächere manche Erweiterungen und Umarbeitungen auf Rezensent, der das Buch aus seiner mehrjährigen Praxis als ein sehr gutes Bestimmungsbuch hat kennen und schätzen lernen und der es auch in seiner neuen Auflage warm empfehlen kann, möchte sich er- lauben, auf einige Punkte aufmerksam zu machen, die vielleicht bei künftigen Auflagen in Erwägung zu ziehen wären. Bei Parietaria sind die Neben- blätter so schwer zu erkennen, daß sie sich als Bestimmungsmerkmal nicht empfehlen dürften. Wenn man eine Nigella, besonders N. damascena, zu bestimmen hat, kommt man nicht auf die Fa- milie der Ranunculaceen, da ja das gewöhnlich apokarpe Gynäceum der Ranuculaceen in dieser Gattung teilweis oder ganz synkarp geworden ist. Wenn in der Bestimmungstabelle der Cruciferen- gattungen die Schote von Sinapis durch drei starke Nerven charakterisiert wird, so muß es ver- wirren, wenn in der Artbeschreibung von Sinapis alba die Schote als fünfnervig bezeichnet wird. Da bei Salvia die beiden Staubfäden nur je eine halbe Anthere tragen, die anderen Hälften aber als solche nicht ohne weiteres zu erkennen sind, verursacht der Satz: „Staubbeutel h äl ften durch ein langes bogiges Mittelband getrennt" einiges Kopfzerbrechen. Vielleicht würde es sich emp- fehlen, die Bestimmungsmerkmale „paarig, unpaarig, gefiedert" zu formulieren „Fiederblätter ohne, mit endständigen Blättchen". Das Bestimmungsbüchlein von Schmeil und Fitschen ist ganz besonders auf die Praxis kon- zentriert, indem alles für diesen Zweck unwesent- liche ausgelassen ist. Dafür sind dann zahlreiche trotz der Kleinheit scharfe Bildchen eingefügt, die einen besonderen Vorzug des Buches darstellen. Will also jemand möglichst rasch und bequem nur den Namen einer Pflanze feststellen, so leistet ihm dieser schmale Band eine gute und zuver- lässige Hilfe. Will er aber auch außer den Be- stimmungsmerkmalen allerhand über die Pflanze erfahren, so ist ein ausführlicheres Buch wie der „Wünsche" oder ein ihm ähnliches vorzuziehen. Auch den „Schmeil - Fitschen" hat Rezensent als sehr brauchbar aufzahlreichen Exkursionen erprobt. Miehe. Euler, H. und Lindner, P., Chemie derHefe und der alkoholischen Gärung. Mit 2 Kunstdrucktafeln und zahlreichen Text- abbildungen. Leipzig 191 5, Akad. Verlags- gesellsch. Daß sich E u 1 e r der großen Mühe unterzogen hat, das Gebiet der alkoholischen Gärung einer zusammenfassenden Darstellung zu unterziehen, wird nicht nur in den Kreisen des Gärungsgewerbes sondern auch von Physiologen und Biologen dankbar begrüßt werden. Die Aufgabe war bei dem großen Umfang der stetig anwachsenden Literatur gewiß nicht leicht. Verf. behandelt nach einem historischen Abriß die chemischen Bestand- teile des Zellinhaltes, die Enzyme der Hefe, den Chemismus der Gärung selber samt den Stoffen, die ihr unterliegen, wobei ein besonderes Kapitel die alkoholische Gärung der Aminosäuren dar- stellt, den Stoff- und Energiewechsel in der Hefe- zelle, d. h. ihre Ernährung und Atmung, dann das Wachstum und die Einflüsse des Mediums auf dieses sowie auf die Lebenstätigkeit im allgemeinen. In besonderen Kapiteln wird auch die Technik der Herstellung von Preßsaft und Dauerhefe be- schrieben, ferner Selbstgärung und Selbstver- dauung, Vergiftungen, Reiz- und Anpassungs- erscheinungen, die Regeneration besprochen. Lindner's beide Kapitel, die über Morpho- logie, Systematik, Kultur und Bestimmung der Hefen handeln, scheinen mir weniger gut ge- lungen. Sie stellen eine aus ziemlich willkürlichen Elementen bestehende, nicht gerade übersichtliche Aneinanderreihung von Daten dar, unter denen bei der sonst geübten Sparsamkeit in Literatur- nachweisen die Reichlichkeit der Hinweise auf den Verf selbst auffällt. Man kann nicht sagen, daß der Uneingeweihte aus dieser Darstellung eine klare Vorstellung von den Hefen bekommt, so wertvoll auch dem Kenner die Mitteilungen aus der reichen praktischen Erfahrung des Ver- fassers sind. Miehe. Hettner, A., Rußland. Eine geographische Betrachtung von Volk, Staat und Kultur. 2. er- weiterte Aufl. des Werkes „Das europäische Rußland". Mit 23 Textkarten. Leipzig und Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis 4,20 M. Das vorliegende Buch, das Referent mit dem größten Interesse gelesen hat, geht, was Tiefe und Umfang der Darstellung angeht, weit über die üb- lichen geographischen Zusammenstellungen hinaus und enthält so viele aus der geographischen Grund- lage organisch herauswachsende Bemerkungen, Ausblicke und Urteile geschichtlicher, politischer, wirtschaftlicher und ethnographischer Art, daß es schwer fällt, in Kürze seinen Inhalt zu charakte- risieren. Von besonderem Interesse ist es, dem Verf. in der Schilderung der allmählichen Entstehung des russischen Riesenreiches zu folgen. In vor- geschichtlicher Zeit wahrscheinlich ähnlich den Germanen lebend, haben sich die Russen, oder vielmehr der Volksstamm, der dem Reiche schließ- lich seinen Stempel aufdrückte, dadurch von dem Abendlande entfernt, daß sie die byzantinische Kultur annahmen. Auf diesen Umstand kommt Verf. immer wieder zurück, auf ihm beruht die N. F. XV. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wocliensclirift. 623 Fremdartigkeit, die er als allgemeinste Sig- natur des Russentums hinstellt, ohne sie zunächst ohne weiteres mit Rückständigkeit zu identifizieren. Die Europäisierung, die erst spät und bewußt unter Peter dem Großen einsetzt, erstreckte sich nur auf gewisse Äußerlichkeiten, ähnlich wie in Indien und Japan ; trotz dieses westländischen Über- zuges bleibt der Kern östlich und Rußland der westliche Vorposten fremdartiger orientalischer Kulturkreise. In der Entwicklung des russischen Reiches spielte anfänglich der Gegensatz zwischen Waldland und Steppe eine große Rolle. In den von Wäldern bedeckten Quellgebieten der Düna, des Njemen, Pripet, Dnjepr, der Wolga und Oka saß das Stammvolk, die Weißrussen, von diesem inneren Gebiet heraus begann die Ausbreitung des Russentums. Es brach zunächst die Zwing- herrschaft der tartarischen Steppe, übernahm aber aus ihr als Erbteil die starre, orientalisch-despoti- sche Regierungsform. Drang es so gegen die Steppe kriegerisch vor und mußte es noch oft gegen die asiatischen Steppenvölker mit dem Schwerte ankämpfen, so breitete es sich im Nor- den und Osten durch einen vorwiegend friedlichen Kolonisationsvorgang großartigsten Stiles immer weiter aus und leistete und leistet noch heute diesen kulturell tiefer stehenden Völkern gegen- über eine nicht zu unterschätzende Kulturarbeit. Gegen Westen dagegen stieß der Russe auf Völker von höherer westlicher Kultur, die er sich aber, zum Teil nach Kampf, politisch einzugliedern ver- mochte. Ähnlich war auch sein Verhältnis zu den mohamedanischen Randvölkern, deren selbständige Kultur sich der einfachen Kolonisation widersetzte. So entstand aus dem aus Wald und Steppe zu- sammengeschweißten Massiv ein Reich, das im Osten offen , sich im Westen und Südosten mit einem Kranz von Randvölkern umgab; ein sehr zusammengesetztes Gebilde, dessen Kern, ähnlich wie bei Preußen und Österreich, eine binnen- ländische Kolonialmacht war. Dieses aus einem Mittelpunkte Heraus- und Weiterwuchern sowie der merkwürdige kolonisatorische Amalgamierungs- vorgang im N und O wurde in hervorragendem Maße durch das Fehlen natürlicher Schranken, durch die Einheitlichkeit des osteuropäischen, sich auch nach Asien fortsetzenden Flachlandes be- günstigt, durch jene Breite und Weite der russi- schen Natur, die Verf. in feinsinniger Weise in Beziehung zu russischer Eigenart und Kultur setzt. Ob freilich der Biologe ohne weiteres dem Grund- satz zustimmen kann, daß „Denken, Fühlen und Wollen des Menschen von der Kulturstufe und der Lebensweise und dadurch mittelbar von der Landesnatur abhängt", ist zweifelhaft. Er denkt an die große Zähigkeit, mit der die Organismen ihre Eigenart gegenüber den Einflüssen der Um- welt bewahren, die immer nur eine geringe, zeit- weilige, äußerliche Wirkung ausübt. Sollte bei- spielsweise wirklich das Meer die germanische Küstenbevölkerung zu jener ungeheueren über- seeischen Eroberungs-, Entdeckungs- und Koloni- sationstätigkeit angeregt haben? Ist es nicht wahrscheinlicher, anzunehmen, daß jenen Stäm- men eine große Kühnheit innewohnte, ein unbän- diger Tatendrang, der sie selbst vor dem I\Ieere nicht halt machen ließ, und dementsprechend auf der anderen Seite sich die Russen ergeben in ihre Wälder begruben, weil sie ihren Ansprüchen ge- nügten, und sie höchstens Platz- und Nahrungs- mangel zum Weiterwuchern veranlaßten? Mit anderen Worten und etwas gewaltsam ausge- sprochen, die Menschen besiedeln die Teile der Erde, die ihnen konform sind. PVeilich wird es dabei auch manche Zufälligkeiten geben, doch möchte ich glauben, daß sich ihr Spielraum im Lauf langer Zeiträume verringert. Sehr schätzenswert sind die lehrreichen Kärt- chen, die in größerer Zahl dem Buche beigegeben sind, sowie das Literaturverzeichnis am Schluß. Besonders sei auch noch auf die Nutzanwendungen hingewiesen, die der Verf. aus seinen politischen Betrachtungen zieht und die z. B. in dem Kapitel über die deutsch russische Grenze zum Ausdruck kommen. Miehe. Anregungen und Antworten. der Das äquipolentiell-harmonische System. Das äquipoten- tiell-harmonische Syslem ist ein Gebilde der grübelnden Naturwissenschaft, etwa ähnlich wie einst der Horror vacui. Gleichwie man zu Descartes's Zeiten striU, ( Natur ein Vakuum gäbe oder nicht, so sehen ' und Flaskamper dafür eintreten, daß bei den Ve lungsheilungen jugendlicher und ausgewachsener Tiere die Vorgänge nach dem Schema des ätiuipolentiell- harmonischen Systems verlaufen, während Schaxel das leugnet. Daß das Vakuum eine ideale Abstraktion ist, sieht heute wohl jeder- mann ein. Es gibt für den Naturforscher wohl unerforschte und äußerst widerstandsarme Räume, aber von leeren Räumen im strengen Sinne wird er, wenn er wohl beraten ist, nicht sprechen. Mit dem äquipotentiell- harmonischen System scheint es mir ähnlich zu sein. Die Heiluogsvorgänge bei verstümmelten Seeigeljugendformen und bei Clavelma ähneln denen emcs äciuipotentiell-harmonischen Systems. Die Seeigel und Salpen haben einen Horror vor unharmonischen und differentpoten- tiellen Lagen ihrer Teile und formen sich, wenn solche durch Verletzungen geschaffen wurden, wieder zur altüblichen Gestalt um. Ihr Ideal ist ein voll äquipotentiell harmonisches System, und in gewissem Sinne erreichen sie es vielleicht auch manch- mal. Driesch meint, sie erreichen es immer. Flaskamper meint, sie erreichen es meist. Scha.xel meint, sie erreichen es nie. Soll man sich in diesen Streit einlassen? Dann müßte man I. eine abschließende Übersicht der ge- samten Verstümmelungsheilungen beibringen und 2. eine ge- naue Einsicht erreichen, was denn eigentlich unter einem äquipotentiell-harmonischen System gemeint ist. Ob zum ersten unser Wissen ausreicht, sei dahingestellt. Dagegen bin ich der .Ansicht, daß zurzeit der Begriff des äquipotentiell-harmonischen Systems keineswegs soweit fest- steht, daß eine klare F.msicht gewonnen werden kann, was ein solches ist und was es im Einzelfalle kann und vermag. Darin liegt ofl'enbar der Widerstreit zwischen Schaxel und 624 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 43 Flaskämper, daß sie vom äquipotentiell - Iiarmonischen System verschiedene Vorstellungen haben. Der Begriff des äquipotentiell - harmonischen Systems stammt von Driesch. Bei Driesch müßte man erfahren, was damit gemeint ist. Aber Driesch spricht sich darüber so abstrakt und unanschaulich aus, daß immer wieder Be- denken auftauchen, was ein solches System ist, und was es im einzelnen kann und nicht kann. Warum redet Driesch so abstrakt und unanschaulich? Das ist nicht Zufall und nicht Ungeschick, sondern das ist der Grundzug seines Denkens. Der Zug zur weiten und weite- sten Allgemeinheit. Weg vom anschaulichen , bestimmten Einzelfall; hin zum unanschaulichen, unhandgreiflichen, mög- lichst weitumfassenden Allgeraeinfall. Eine Biologie innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft zu schreiben , das ist sein Ziel. Darum wird, was für den Naturforscher körperlich an- schaulich und faßlich vorliegt, für ihn in seiner Denk- und Sprechweise so unanschaulich, so unhandgreiflich, so unkörper- lich und abstrakt. Auch sind für ihn die Verstümmelungsheilungen, deren erstaunliche Leistungen er als Leistungen eines äquipotentiell- harmonischen Systems kennzeichnet, nur das Sprungbrett, von dem er zu seiner philosophischen Kennzeichnung der Lebe- wesen überhaupt aufsteigt. Drei Merkmale, alle drei unter- einanderverwandt, und eines aus dem andern folgernd, spricht er den Lebewesen zu: 1. daß sie äquipotentiell-harmonische Systeme bilden, 2. daß sie Individuen sind, 3. daß sie Ente- lechie haben. Man sieht, alles griechisch benannte, hochabstrakte, un- anschauliche, unmeßbare Merkmale. Driesch will heraus aus dem Bereich des Körperlichen. Zwar fängt er mit den Wiederherstellungsvorgängen der See- igeleier als Naturforscher an; aber wohin er uns führt, über das äquipotentiell-harmonische System und die Individualität zur Entelechie, das ist nicht mehr Naturforschung, auch nicht mehr spekulative theoretische Naturwissenschaft; sondern das ist „Philosophie des Organischen" — eine Lehre, die ent- schieden moralphilosophische Elemente enthält, und damit jen- seits der Grenzen der Naturwissenschaft steht. Jeder der Driesch 's Philosophie des Organischen ge- lesen hat, wird finden, daß diese Schrift von einer großen Ehrerbietung vor dem Organischen getragen ist, und daß da- selbst alles Unorganische geringschätzend und mißachtlich be- handelt wird — eben weil es unorganisch ist. Das Organi- sche ist das Gute und Preiswerte; das Unorganische ist das Geringe und Untergeordnete; besonders wo es meß- und be- rechenbar ist. Das ist der Standpunkt des Moralisten und des Nicht- Naturforschers. Driesch's Philosophie des Orga- nischen ist eben kein naturwissenschaftliches, sondern ein philosophisches Buch, welches zwar von naturwissenschaft- lichen Fragen ausgeht, aber auf Seelen- und Vollendungs- fragen hinausläuft. Darum ist auch seine Beschreibung des äquipotentiell-harmonischen Systems so abstrakt, so unanschau- lich und für den Naturforscher so unbefriedigend. Scha.xel ist unbefriedigt, weil er hier wie bei der gan- zen Entelechielehre Driesch's Zug zur äußersten, unbedingten Unkörperlichkeit als unnaturwissenschaftlich empfindet. Er sagt ganz mit Recht, daß man, um naturwissenschaftlich arbeiten zu können, eine körperliche und nicht eine unkörper- liche Theorie der Naturgebilde haben muß. Aber auch Flas- kämper, obwohl Driesch's Anhänger, ist von Driesch's Darstellung des äquipotentiell-harmonischen Systems unbe- friedigt, denn er macht die redaktionelle Bemerkung: , .natür- lich ist die regulative Kraft dieses Faktors begrenzt und be- schränkt". Bei Driesch findet sich nichts dergleichen. Da- mit aber entfernt er sich von Driesch's philosophischer und absolutistischer Auffassung der Entelechie und des äqui- potentiell-harmonischen Systems und geht über zur relativisti- schen und naturwissenschaftlichen Auffassung dieser Begriffe. Sowie Entelechie, Individuum und äquipotentiell-harmoni- sches System relative und nicht absolute Begriffe sind , dann ist ihnen der philosophische Giftzahn aasgezogen und sie lassen sich naturwissenschaftlich verwenden. Die Entelechie wird dann eine wohlzentrierte, ringartig geschlossene Dienst- ordnung; die Individualität wird die zyklische Wiederkehr derselben Form, das äquipotentiell-harmonische System wird die vielfällige Wiederherstellung des zyklischen Formenkreis- laufs. So umgedeutet lassen sich Driesch's Begriffe natur- wissenschaftlich verwenden. Aber sie verlieren dann auch das, was ihnen bei Driesch ihren Reiz gibt: den unaufhaltsamen Zug ins Weite und Allgemeine und den philosophischen Aus- blick in das Reich der Seelen- und Vollendungslehre. Dr. R. Dehler, Frankfurt a. M. Literatur. Hauberrisser, Dr. Georg, Anleitung zum Photogra- phieren. 16. u 17. erweiterte Auflage. Mit Ibl Abbildungen, 8 Tafeln, 16 Bildvorlagen. Leipzig, Ed. Liesegang's Verlag, M. Eger. — 1,65 M. Fortschritte d er M i n e ral ogi e usw. Herausgegeben von der Deutschen mineralogischen Gesellschaft unter der Redaktion von Prof. Dr. G. Linck. 5. Band. Mit 43 Abbil- dungen. Jena '16, G. Fischer. — 11,50 M. Bronsart von Schellendorf f, Fr., Afrikanische Tierwelt. 111. Löwen und IV. Novellen und Erzählungen. Leipzig '16, E. Haberlandt. — 4M. Pöschl, Viktor, Stoff und Kraft im Kriege. Mannheim, Berlin und Leipzig '16, J. Bensheimer. — 1,20 M. Raben horst's Kryptogamenflora. VI. Band: Die Lebermoose. 26. und 27. Lieferung. Leipzig '16, Ed. Kummer. — Jede Lief. 2,40 M. Löns, Hermann, Aus Forst und Flur. Tiernovellen. Mit einer Einleitung von Karl Soffel, einem Bildnis des Verfassers und 15 Tierphotographien nach dem Leben. 5. Aufl. Leipzig, R. Voigtländer. — 4M. Krebs, Prof. Dr. N. und Braun, Prof. Dr. Fr., Die Kriegsschauplätze auf der Balkanhalbinsel. 4. Heft der Samm- lung „Die Kriegsschauplätze". Leipzig und Berlin '16, B. G. Teubner. Dolder, J., Die Fortpflanzung des Lichtes in bewegten Systemen. Eine Theorie. Mit 9 Figuren. Bern '16, M. Drechsel. Freundlich, E., Die Grundlagen der Einstein'schen Gravitationstheorie. Mit einem Vorwort von A. Einstein. Berlin '16, J. Springer. — 2,40 M. Mittag, M., Anfangsgründe der Chemie und Mineralogie mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des prakti- schen Lebens. 9. erweiterte Auflage unter Mitwirkung von W. Haber. Mit 112 Te.\tabbildungen und einer farbigen Tafel. Hildesheim und Leipzig '16, A. Lax. Hertwig, Prof. Dr. Richard, Lehrbuch der Zoologie. II. vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 588 Textabbil- dungen. Jena '16, G. Fischer. Adressenänderung. Die Adresse der Redaktion ist von jetzt H. Miche, Beriin N 4, Invalidenstraße 42. Inhalts Ilalbfaß, Über den Jahreshaushalt der Elbe und Oder. S. 609. W.O.Dietrich, Unsere diluvialen Wildpferde. S. 614. — Kleinere Mitteilungen: V. Franz, Das Vogelleben im Aisnegebiet. S. 616. Leopold H. Epstein, Die Entstehung der Achate. S. 618. — Einzelberichte: V. Haecker, Bekämpfung der Fliegenplage in Wohnräumen. S. 620. Zunahme des Auerhuhns in Südwestdeutschland. S. 620. Karl Müller, Das Alter von Hochmooren. S. 620. V. Rodt, Verfahren zur quantitativen Bestimmung von Spuren von Wasser im Alkohol. S. 621. — Bücher- besprechungen: A. Hellwig, Moderne Kriminalistik. S. 621. O.Wünsche, Die Pflanzen Deutschlands, eine An- leitung zu ihrer Kenntnis. O. Schraeil und J. Kitschen, Flora von Deutschland. S. 622. H. Euler und P. Lindner, Cliemie der Hefe und der alkoholischen Gärung. S. 622. A. Hettner, Rußland. S. 622. — Anregungen und Antworten: Das äquipotentiell-harmonische System. S. 623. — Literatur: Liste. S. 624. — Adressenänderung. Manuskripte und Zuschrifte Druck der G. Pätz'schen Buchd rdeu an Prof. Dr. H. Mi ehe, Beriin \"erlag von Gustav Fischer in Jena. Lippert .'<: Co. G. m. b. I 4, Invalidenstraße 42, erbete , Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 29. Oktober 1916. Nummer 44. Über Entstehung menschlicher Rassenmerkmale. „.I Von H. (Nachdruck verboten. | Durch Forschungen über Vererbungsvorgänge beim Menschen ist der Beweis erbracht worden, daß verschiedene Merkmale des menschlichen Körpers genau nach den Mendel 'sehen Regeln vererbt werden. Am deutlichsten wurde diese Tatsache durch Prof. Dr. Eugen Fischer's Untersuchungen an südwestafrikanischen „Bastards" zum Ausdruck gebracht.') Ferner führten zu dem gleichen Ergebnis Beobachtungen von Prof. v. L u - schan, G. und C. Davenport, Bean, Sala- man und anderen. Infolge der Geltung der Mendel'schen Spaltungsregel für die Vererbung menschlicher Körpermerkmale wird eine neue erb- liche Variante, die in einer Bevölkerung bei einigen wenigen Individuen auftritt, nicht dadurch wieder verwischt, daß die Kreuzung dieser Individuen mit der alten Form (die zahlenmäßig stark vor- wiegen mag) dauernd intermediäre Formen er- gibt. Die neue Variante erlischt nicht mehr, wenn sie nicht durch von außen wirkende Kräfte ausgemerzt wird, was wahrscheinlich dann ge- schieht, wenn die neue Eigenschaft unter den ge- gebenen Lebensbedingungen nachteilig ist. Das spontane Auftreten neuer somatischer Merkmale dürfen wir als feststehend betrachten, wenn es auch sehr schwer ist, eine Erklärung dafür zu geben. Seine Häufigkeit hängt bei jeder Art von dem Maße ihrer Variabilität ab, die beim Menschen besonders groß ist, größer als bei allen anderen Säugetierarten, die frei leben. Einer ähn- lich großen Variabilität wie beim Menschen be- gegnet man hingegen bei manchen Haustieren. Zur Erklärung des häufigen Auftretens erb- beständiger Variationen beim Menschen zieht Prof. Eugen Fischer die Domestikation heran.-') Es ist wohlbekannt, daß die Domestikation (die will- kürliche Beeinflussung der Ernährung und Fort- pflanzung eine Reihe von Generationen hindurch) die Variabiliiät der domestizierten Tiere und Pflanzen sehr bedeutend steigert. Beim Studium der Genese der menschlichen Rassen ist jedoch dieser Faktor erst wenig berücksichtigt worden. Der Mensch ist jedentalls als domestizierte Form zu betrachten, da er selbst in einschneidender Weise in seine Ernährungs- und Fortpflanzungs- verhältnisse eingreift. Selbst „bei den primitivsten heutigen Menschen ist die gesamte Ernährung sehr stark, willkürlich beeinflußt", und „überall, wo wir über genügend Kenntnisse verfügen, sehen '} Die Rehobother Bastards und das Bastardierungspro- blem beim Menschen. Jena 1913. "j Die Kassenmerkmale des Menschen als Domestikations- erscheinungen. Zeitschr. f. Morph, u. Anthropologie, Bd. 18, s. 479—524- Fehlinger. wir die Fortpflanzung durch Sitte und Brauch, ja durch Recht und Gesetz, aufs stärkste modifiziert". Betrachtet man die für domestizierte Tiere charakteristischen Arten der Variation und an- dererseits die menschlichen Rassenunterschiede, so findet man eine auffallende Übereinstimmung. Prof. Fischer sagt: „Alle Merkmale, die beim Menschen als Rassenunterschiede vorkommen, treten als solche auch bei Haustierrassen auf, und umgekehrt, die meisten Haustierbesonderheiten findet man beim Menschen als Rasseneigenheiten wieder. Daß einzelne fehlen, entspricht nur der Erscheinung, daß auch bei den meisten Haustier- arten einzelne fehlen, die wieder andere haben. Von typischen Haustiereigenheiten, also Varia- tionen der einzelnen Rassen der Haussäugetiere, fehlt dem Menschen nur die starke Variabilität der Ohrmuschel." Besonders stark ist beim Men- schen, wie bei den Haustieren, die Variabilität des Haarkleides, der Pigmentierung, sowie der Körpergröße. Die Gesamtnacktheit des Menschen, die von P"riedenthal und Hahn als Dome- stikationsfolge erklärt wurde, faßt Prof Fischer nicht als solche auf Er hält dalür, daß sie zu- sammen mit jenen Veränderungen entstand, die den ganzen Körper der betreffenden Primatenform betrafen, so daß er spezifisch menschlich wurde. Für diese Monophylie der Nacktheit sprechen unter anderem die bei allen Rassen gleichen aber sexuell verschiedenen eigenartigen Grenzen der Schambehaarung. „Dagegen läßt sich schon an- nehmen," sagt Fischer, „daß die starken Schwan- kungen in der Stärke der menschlichen Be- haarung, Länge des Haupthaares, Stärke und Ver- breitung des Bartes domestikal bedingt sind, wie wir etwa Mähnenverlängerung beim Pferd, gegen- über den Haarkämmen der wilden Equiden, Schnautzerbildung bei Hunden sehen usw." Deut- lich zeigt die Haar form den Domestikaiions- charakter: „Bei allen Haussäugetieren tritt neben den normal schlicht- und strafi"haarigen Formen gelegentlich Locken- und Kraushaar- oder Woll- bildung auf . . . Gegenüber all diesen Locken- haarbildungen sind alle freilebenden Säugetiere schlicht- oder straft'haarig, wobei alle Primaten ausdrücklich einzuschließen sind. Beim Menschen treten rassenmäßig die verschiedensten Haarformen auf, doch herrscht auch innerhalb der Rassen große Variabilität. Sogar unter den im allge- meinen auffallend straffhaarigen Ostasiaten kommen Personen mit „krausem Negerhaar" vor. Gewöhn- lich werden solche Erscheinungen mit Rassen- kreuzung erklärt. Beispielsweise leben von den Japanern, unter denen es kraushaarige Personen 626 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 44 gibt, Negrito nicht allzuweit entfernt, nämlich auf den Philippineninseln. Aber es ist an den Japanern nirgends etwas „Negritohaftes" aufge- fallen, so daß auch das bei ihnen relativ selten zu beobachtende Kraushaar nicht gut durch Kreuzung mit Negnto zu erklären ist. Wahrscheinlich ist, hier wie anderwärts, spontanes Neuentstehen, ver- anlaßt durch Einflüsse der Domestikation. Wenn die Kraushaar- und Lockenbildung beim Menschen ein Domestikationsprodukt ist, wird sie wohl bei verschiedenen Zweigen der Menschheit selbständig aufgetreten sein. In diesem Falle fällt auch jede Wahrscheinlichkeit weg, daß Rassen mit gleicher oder ähnlicher Haarform deswegen einander be- sonders nahe verwandt sind, wie etwa Melanesier und Neger, oder daß die Ungleichheit der Haar- form notwendigerweise einen erheblichen Rassen- unterschied anzeigt. Hinsichtlich der starken Variabilität der Pig- mentierung stimmt der Mensch ebenfalls mit den domestizierten Tieren überein, denen gegen- über sich die wildlebenden Formen durch ver- hältnismäßig große Konstanz auszeichnen. Von besonderem Interesse ist der als Albinis- mus oder Lcukismus bekannte Pigmentmangel der Haustiere und des Menschen, der selten total, häufiger partiell ist. Ein Zusammenhang zwischen rassenmäßiger Pigmentarmut und individuell vor- kommendem „pathologischen" Albinismus wurde bisher fast stets bestriiten. Doch sind beide im Grunde nichts Verschiedenes, und mit Recht wendet Prof. Fischer ein, ob man etwa die ganzen Zuchten von Weißvieh, von dem „Blond- vieh" überdies nur graduell verschieden ist, als „pathologisch" bezeichnen will. „Es besteht kein Gegensatz zwischen physiologisch (im Sinne von normal) und pathologisch; nähert sich ein Zu- stand den Grenzen der Anpassungsbreite, so ist er in entsprechendem Grade krank." Die An- passungsgrenzen heller Formen sind immerhin etwas enger als die von dunklen. Wir Bio- logen dürfen nicht bestimmte Dinge als „patho- logisch" aus unserer Betrachtung ausscheiden, eine Grenze besteht nicht. ^j Speziell die hellen Augen sind ein sicheres Domestikationszeichen : „Es gibt kein einziges frei- lebendes Säugetier, das eine Pigmentverteilung im Auge hat wie der Europäer und umgekehrt gibt es bei fast allen Haustieren Individuen oder Schläge, bei denen sie jener vollkommen identisch ist." Die helle Pigmentierung der Europäer wird zumeist als Folge der Anpassung an klimatische Verhähnisse betrachtet. Doch läßt gerade die Pigmentierung von Iris und Sklera annehmen, daß diese Erklärung nicht zutrifft : Bei weißen Polar- tieren gerät niemals „die Pigmentierung von Iris und von Sklera ins Variieren, stets bei dome- stizierten". Für die helle Pigmentierung des euro- ') Vgl. Lenz, Krankhafte Ivrbanlagen päischen Menschen ist allerdings die nordische Heimat „nicht ohne Bedeutung". Prof. Frischer glaubt, „sie ist als Er halt er in der auf der Do- mestikaiionsbasis aufgetretenen Blond- Variante absolut und unumgänglich notwendig gewesen". Partieller Albinismus kommt anscheinend bei allen Menschenrassen vor. Freilich herrschen viel- fach falsche Vorstellungen über den Albinismus bei farbigen Rassen. Zum Beispiel: „Die anato- misch genauer untersuchten Negeralbino sind strohblond oder weißlichblond, haben Hautfarbe wie Nordeuropäer und blaue Augen." Die Aus- breitung der Albino in heißen Klimaten ist jedoch nicht möglich, weil sie die Wirkungen der Tropen- sonne nicht ertragen. Davon abgesehen könnte es gar keinem Zweifel unterliegen, daß man etwa aus Negeralbino „eine entsprechende Rasse künst- lich züchten könnte, denn die Erscheinung vererbt sich konstant nach den Mendel'schen Regeln ... Wenn durch Vererbung gruppenweise jeweils irgendwo in der Menschheit Albinismus auftrat, so wurde er in den Tropen, ja schon in den Sub- tropen, unter jenen primitiven Verhältnissen der sich bildenden Rassen, bar jeder genügenden Mittel gegen die Sonnenwirkung, durch Natur- auslese, d. h. durch Ausmerzung, beseitigt; nur in gemäßigten Gebieten — nicht etwa polaren Eis- gegenden — konnte er sich halten und hielt er sich gelegentlich". Das ist leicht zu erklären, da man weiß, daß in verschiedenen Nahrungsmitteln enthaltene Stoffe unter dem Einfluß des hellen Lichtes, je nach dessen Intensität, die Blutkörper- chen und (jewebe schädigen , daß aber starke Pigmentierung gegen diesen schädigenden Einfluß Schutz bietet. Angehörige farbiger Rassen haben auch an der Pia von Gehirn und Rückenmark stärkeres Pigment als Weiße, das als Schutz dieser empfindlichen Organe gegen die Tropensonne zu be- trachten ist. Selbst bei den Weißen der gemäßigten Zone, die im allgemeinen den Pigmentverlust er- trugen, ist das Haar nicht ganz albinotisch ge- worden, „der Kopf, das empfindliche Hirn, behielt etwas Schutz". Ist die auf Pigmentverlust be- ruhende helle Färbung der europäischen Menschen eine Domestikationserscheinung — ebenso wie die entsprechende Variation bei den Haustieren — so ist es klar, daß solcher partieller Albinismus un- abhängig an allen möglichen Stellen in der Mensch- heit auftreten kann. Daß daraus eine Rassen- eigenschaft wird, ist wohl nur ganz selten mög- lich, weil eben das aufgetretene neue Merkmal meist ausgetilgt oder wenigstens nicht gezüchtet wird. So findet man in der Tat überall die ersten Stufen des Domestikationsalbinismus in Form blondhaariger heller Einzelindividuen in dunklen Rassen. Gerade als charakteristisch für die Pig- mentstörung in der Domestikation erweist sich dabei die Tatsache, daß Haar, Haut und Auge ganz verschieden betroffen werden können." Des- halb berechtigt auch die Feststellung blonder oder blauäugiger Menschen beispielsweise in Süd- indien, in Melanesien und Polynesien, nicht ohne N. F. XV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 627 weiteres zu der Annahme einer „europäischen Blutbeimischung". Eigentliche Fleckung kommt bei wilden Tieren nicht vor, aber bei fast allen Haustier- schlägen. Beim Menschen ist Fleckung zwar selten, doch nicht unbekannt, und sie ist bei ihm, vermutlich ebenso wie bei den Haustieren, eine durch Einflüsse der Domestikation verursachte Variation. Bei Negern und Mulatten ist Pleckung schon wiederholt festgestellt worden und sie kommt bei anderen Rassen ebenfalls vor. Prof. F"ischer zählt hierzu auch das Auftreten weißer oder blonder Haarbüschel in sonst dunklem Haar. Auffallend ist, daß sich die Scheckung dominant vererbt, der Albinismus jedoch rezessiv. Im Rahmen seiner Auffassung betrachtet Prof. Fischer selbst „die Gesamtnuancen der mensch- lichen Pigmente als Variieren im Zustand der Domestikation. Es ist doch sicher ein an frei- lebenden Formen unerhörtes Wechseln von Braun in Rot, Gelb, Olive, Schwarzbraun, was wir als Farbunterschiede der menschlichen Rassen wahr- nehmen können". Mit den domestizierenden Tieren gemein hat der Mensch die bedeutende Variation der Körper- größe. Teils sind Unterschiede im Größenwachs- tum wohl umweltbedingt, teils jedoch sind sie zweifellos erbliche Variationen, Rassenmerkmale. Wäre das nicht der Fall, so müßte es die Mensch- heit längst durch Kreuzung zu einer relativ ein- heitlichen Mittelgröße gebracht haben. Prof. Fischer ist davon überzeugt, „daß wir keine „Mutationsperiode" für den Menschen anzunehmen brauchen, in der aus einer allgemein kleinwüchsigen (phylogenetisch älteren) Menschheit allenthalben großwüchsige Rassen entstanden", und er glaubt nicht, daß die Annahme von der Zusammen- gehörigkeit aller Pygmäen, die besonders P. W. Schmidt vertritt, richtig ist. Die Auffassung der Variation der Körpergröße als Domestikations- folge erklärt das häufig ganz isolierte Auftreten einer kleinwüchsigen, mitten in einer großwüchsigcn Bevölkerung, das besonders aus Indonesien und Melanesien schon oft berichtet wurde. Die nicht als Gruppenmerkmal, sondern als Einzelerscheinung auftretenden, vom Durchschnitt der betreffenden Bevölkerung stark abweichenden Nasen- und Physiognomieformen — über die von Reisenden aus allen Teilen der Erde berichtet wurde, — betrachtet Prof. Fischer als „neue Erbvarianten, die nur gezüchtet zu werden brauchten, um neue Rassenmerkmale ent- stehen zu lassen". Sie sind ebenfalls Beweise der starken Variabilität der Art Mensch, deren wahr- scheinlichste Ursache der Domestikationseinfluß sein dürfte. Die Steatopygie der Hottentotten, Buschleute usw., die anatomisch mit den Fettsteißen einzelner Schafarten, den P'etibuckeln einzelner Rinderarten usw. völlig gleichzuwerten ist, darf man als ein ganz typisches Domestikationsmerkmal ansehen, das einmal bei jenen Gruppen der Menschheit entstanden ist und durch Zucht erhalten wurde. In derselben Weise enstanden wohl auch die als Mongolenfalte bekannte Bildung am Auge (die bis nun, außer bei „Mongolen", auch bei den Hottentotten sicher festgestellt ist), sowie manche andere Rassenmerkmale. Doch möchte Prof Fischer nicht alle Merkmale auf diese Weise entstanden denken; man darf das Prinzip nicht zu Tode leiten. Sicher sind einzelne Bildungen hier und dort bei Rassen gleich, weil sie von der ge- meinsamen genetischen Stufe her sich erhalten haben, andere weil sie durch direkte Umwelt- wirkungen auf gleiche Weise geworden sind, oder endlich weil wirklich Rassenmischung vorliegt. Prof Fischer's Erklärung der reichen Ent- faltung der Rassenunterschiede beim Menschen vornehmlich als Resultat der starken Variation einer Domestikationsform ist viel einfacher als alle anderen, bisher verursachten Erklärungen der überraschend zahlreichen Abweichungen der erb- lichen Körpermerkmale innerhalb unserer Art. ^) Die großen Unterschiede, die augenscheinlich in der geistigen Veranlagung der Menschenrassen be- stehen, kann man, von Prof. P'ischer's Stand- punkt betrachtet, ebenfalls gut begreifen. ') Vgl. Fehlinger, „Domestikation und die sekundären Geschlechtsmerkmale". (Zeitschr. für Sexualwissenschaft, Jahr- gang 1916.) [Nachdruck verboten Zur Frage von der Vogelabuahme. Von Dr. Friedrich Knauer. Jahr für Jahr bringen die Tagesblätter von da und dort Klagen über die fortschreitende Abnahme vieler Vogelarten, zumal der insektenfressenden Kleinvögel. Auch die beiden Kriegsjahre sollen zu solcher Abnahme besonders der Singvögel bei uns beigetragen haben. Man könnte da an eine allgemeine Vogelabnahme glauben. Von einer solchen kann aber gewiß keine Rede sein. Nicht nur, daß es heute noch ausgedehnte, von der Kultur nicht oder wenig berührte Gebiete gibt, in welchen die Vogelwelt heute wie einst ihre vollen Lebensbedingungen vorfindet, haben sich auch in den durch fortschreitende Kultur vielfach umgewandelten Landgebieten für so manche Vogel- arten die Lebensverhältnisse nicht zu ihren Un- gunsten verändert. Lerchen und Wiesenschmätzer z. B. tummeln sich auch heute, jene auf den Feldern, diese im Wiesenlande, in unverminderter Menge. Für andere Arten sind gerade durch den F'ortschritt der Bodenkultur neue, ihnen zusagende Aufenthalte erstanden. Mit dem sich ausbrehenden Getreidebau ist die Wachtel, doch ein aus- 628 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 44 gesprochenes Steppentier, überall dorthin, wo Ge- treide noch gedeihen konnte, weit ins Gebirge hinauf vorgedrungen. Ich wohnte durch mehr als ein Jahrzehnt den Sommer über in einem, in der Nahe des Schöpfeis (in Nieder- Österreich) ge- legenen Walddorfe, wo außer der Forstkuliur eigentlich nur VViesenpflege zu sehen war. Dann begannen trotz Hirschen und Rehen einige Bauern mit Getreidebau, den sie weiter ausbreiteten, nach- dem ihnen die Jagdpächter die bebauten Hächen durch Schutzzäune gegen den Wildfraß geschützt halten. Schon im dritten Jahre hörte ich auf meinen Sommerwanderungen den heimlichen, hier bisher ganz fremd gewesenen VVachielschlag. Durch die kriegerischen Verhältnisse von weiteren Sommerreisen abgehalten durchstreifte ich um so eifriger die Auen und Wälder unserer Wiener Umgebung. Ich konnte nicht finden, daß diese an Kleinvögeln, besonders an den hier heimischen Singvogelarten ärmer geworden wären. Zumal in den Donauauen herrschte reges Vogel- leben und war überall der Sang des Sprossers, der Singdrossel, der verschiedenen Grasmücken, der Rohrsänger zu vernehmen. Ks handelt sich also, wenn von da und dort über die auffällige Abnahme dieser und jener Vogelart berichtet wird, um lokale, hoffentlich vorübergehende Abnahme. Am nächsten geht uns da die nicht zu leugnende Abnahme der Schwalben. Man hat hierfür die von Jahr zu Jahr gesteigerte Nachfrage der Federnmode nach Futzfedern aller Art und den Vogelmassenfang in den südlichen Winterquartieren dieser Zugvogel als Hauptursache der Schwalbenverminderung an- gegegeben und wird damit ja gewiß einen der Gründe gefunden haben, wenn auch Massenmord an den Kleinvögeln seit langem geübt worden ist, ohne daß früher eine Verminderung dieser Klein- vögel augenfällig geworden wäre. Bei dem Suchen nach den Ursachen der Schwalbenabnahme bei uns haben wir aber noch manche andere Umstände in Betracht zu ziehen. Seit man in den Städten nicht nur, sondern auch in den kleineren Ort- schaften mit den offenen Gerinnen aufgeräumt hat, auf die Reinhaltung der Gassen, Beseitigung der Lachen und Tümpel, gesundheitsmäßigere Unter- bringung des Düngers dringt, sind die Nahrungs- verhältnisse der Schwalben, die sich ihre Nahrung überwiegend aus der Fliegenwelt holen, ohne Frage ungünstigere geworden. Eine Zeitlang, bis sie sich doch daran gewöhnt halten, schreckte das Drahtgewirre der Flektrizitätswerke, Telegraphen- und l'elephoneinrichtungen die Schwalben von den Städten und F"abriksorten ab. Es wird auch viel Wahres daran sein, wenn es heißt, daß viele Schwalben, seit der Bodenbau in Algier und anderen Orten Nordafrikas gute Fortschritte gemacht hat, in diesen Gebieten, statt sie zu überfliegen, ver- bleiben. Da die Schwalben gewisser Gebiete zu- sammenhalten, familienweise ziehen und sich an die Familien der benachbarten Gebiete anschließen, auch in der Fremde Landsmannschaften bilden, kann es oft genug sich ereignen, daß eine ganze solche Reisegesellschaft auf dem Zuge durch Stürme verunglückt oder gemeinsam ein Opfer der südlichen Vogelfänger wird. Dann sind ihre Heimatsorte im nächsten Jahre fast unbesiedelt. Aber auch durch ungünstige Witterung bei uns können die Schwalben eines Gebietes arg dezimiert werden, sei es, daß nach ihrem Einiücken im Frühjahr ein plötzlicher Winterrückfall eintritt. Kälte und Hunger die Schwalben in Menge tötet, sei es, daß wahrend der Brutzeit die Jungen mangels Futters zugrundegehen. Solch ein schlimmes Jahr war für die Schwalben das Jahr 191 3. Nach Beobachtungen von Forstmeister Kurt Loos, Revierförster Storch, Ökonom Schöbel u.a. sind im Monate Juli, der reich an Niederschlägen und kalten Tagen war, in Liboch in Böhmen und in den benachbarten Orten Sche- lesen und Jeschowitz in den Nestern über hundert tote, der Kälte und dem Hunger zum Opfer ge- fallene Rauch- und Mehlschwalben aufgefunden worden. Und noch ein anderer Grund mag in manchen Jahren nicht wenig zur Verminderung der Schwalbenbestände beitragen. Nach länger andauernden Wintern kommen die Schwalben ver- spätet zu uns zurück. Die Herstellung der Nester, besonders da, wo sie kein gutes Baumaterial vor- finden und die Nester von den glatten Wänden leicht abfallen, erfordert immerhin zwei bis drei Wochen. So kann es geschehen, daß die zweite Brut bis spät zum Sommerende sich verschiebt und die Zugzeit gekommen ist, ehe noch die zweiten Jungen für die weite Wanderfahrt kräftig und flugfähig genug sind. Es gehen dann Tausende Schwalben zugrunde. Es bedarf dann einer Reihe warmer Sommer, ehe sich diese Abgänge in den Schwalbenbeständen ersetzt haben können. Auch die Störche nehmen in vielen Ge- bieten ab. Dort, wo es zu Trockenlegung stehender Gewässer im großen Umfange gekommen ist, hängt solche Abnahme der Störche ohne Frage mit diesem durchgreifenden Wandel der örtlichen Verhältnisse im ursächlichem Zusammenhange. Aber auch aus Gebieten, deren Wasserverhältnisse sich wenig geändert haben, kommt die Klage über Verminderung der Storchbestände. Auch da kann es sich um eine vorübergehende Abnahme handeln. Das Storchleben hängt enge mit den Nahrungs- verhältnissen zusammen. Es gibt gute und schlechte Storchjahre. Das Jahr 1912 war z. B. in Ungarn ein ausnehmend gutes Storchjahr, in welchem viel weniger Horste unbesetzt blieben, die (jelege eine größere Zahl von Eiern aufwiesen. Auf dieses IVIaximum folgte im Jahre 1913, in welchem viele Horste unbesetzt blieben, heftige Stürme die Horste beschädigten oder ganz vernichteten, war ein sehr schlechtes Siorchjahr. Zur Abnahme unserer heimischen Storchbestände kann aber noch ein anderer Umstand wesentlich beitragen. Es sind die Unmengen der Heuschrecken, von welchen die südafrikanischen Gebiete Jahr für Jahr heim- gesucht werden, die Ursache, welche den weißen N. F. XV. Nr. 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 629 Storch veranlassen, diese afrikanischen Gebiete als Winterherber^e zu wählen. Die dänischen, deutschen und unjrarisrhen Störche heißen dort kurzweg die großen „Heuschreckenvögel". Nun haben aber die südafrikanischen Kolonisten begonnen, sich der Heuschreckenplage durch Vergiftung der Heu- schreckenbrut zu erwehren. Solchen vergifteten Henschreclch für sie ist, und dasjenige, was zur sicheren Unterscheidung gegenüber den anderen dient. Meine Ausführungen unterstütze ich durch ein Bildmaterial, welches vollkommen neu ist. Es wurde die Art der Dar- stellungen immer so gewählt, daß das Gleich- sinnige dieselbe Ausführung erfuhr, z. B. ist die Kittsubstanz immer tiefschwarz gehalten, gleich- güliig ob bei Wanzen- oder Läuseei. F'erner wurden dieselben Vergrößerungen bei den Parallelfiguren genau eingehalten, z. B. sind die Eier, die Ei- deckel, Eischalen usw. bei derselben Vergrößerung gezeichnet. Ich denke auf diese Art wird der Vergleich am leichtesten und übersichtlichsten werden. Auch die textliche Gruppierung ist in Abschnitt i — 3 immer die gleiche. Wenn ich hier von Laus, P'loh und Wanze spreche, so sind, um nicht Irrtümer aufkommen zu lassen, stets nur die drei auf dem Titel ver- merkten Arten gemeint, die ich der Einfachheit halber mit der kurzen Bezeichnung nenne. Was allen dreien gemeinsam ist, ist folgendes: Erstens haben wir es mit ektoparasitären Insekten zu tun, die im geschlechtsreifen Zustande nur von Blut leben. Zweitens sind alle drei Formen mit stechen- den Mundwerkzeugen in erwachsenem Zustande versehen. 650 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 46 Drittens gingen, wohl infolge ihrer Lebens- weise die Flügel verloren. Viertens sind alle drei unangenehm treue Begleiter des Menschen, besonders der armen Be- völkerung in unhygienischer Umgebung. Als biologisch unterscheidend wäre anzuführen: Am meisten im parasitären Leben vorgeschritten ist die Laus, die ohne ihren Wirt in der Jugend wie im Alter nur kurze Zeit (etwa 10 Tage) zu leben vermag. Von ihr kann man in Rücksicht auf ihre Fortbewegungsorgane sagen, die Laus klammert sich an den Menschen an- Weniger abhängig ist schon die Wanze, sie be- darf zwar in der Jugend wie im Alter ausschließ, lieh des Blutes, vermag aber sehr lange zu hungern (bis 12 Monate habe ich jüngst festgestellt); in bezug auf ihre Füße und ihre Behendigkeit darf man sagen, die Wanze läuft den Menschen an oder läßt sich auf ihn fallen. Am selb- ständigsten ist der Floh geblieben, im Jugend- zustand bedarf er des Menschen gar nicht, da die Larve Staubfresser ist, nur in geschlechtsreifem Zustand ist er Parasit; der Floh springt den Menschen an. Von allen drei aber finden wir die Eier und Larven in der nächsten Umgebung des Menschen und bei flüchtiger Beobachtung, namentlich mit unbewaffnetem Auge, sehen sich die Eier wie Fig. i zeigt ähnlich. I. Die Eier und Larven des Menschen- flohes. a) Die Form der Eier ist oval (Fig. i rechts); die Pole sind etwas abgeplattet. Der Längsdurch- messer übertrifft den Ouerdurchmesser etwa um "... Manche Eier sind fast genau elliptisch geformt. b) Die Größe schwankt etwas, sie bleibt aber stets unter i mm. In Fig. 2, 3 u. 4 habe ich 3 verschieden große Eier im optischen Schnitt gesehen abgebildet. Im allgemeinen beträgt der Längsdurchmesser 0,5 — 0,75 mm, der Querdurch- messer 0,35 — 0,45 mm. c) Die Farbe der frisch gelegten Eier ist weißlichmilchig, mit einem sanften Perlmutter- glanz. Ist der Embryo zur Entwicklung gelangt, so bekommt das Ei einen gelblichen P'arbton. Es lassen sich hier bei dieser Art der Figurenrepro- duktion diese zarten Farbtöne nicht wiedergeben, ebensowenig wie bei den Eiern der Wanze und Laus. d) Ein Deckel fehlt völlig, hierdurch ist das Flohei sofort von dem der Wanze und Laus zu unterscheiden (Fig. i). e) Die Oberfläche des Eies ist glatt, d.h. ohne jedes Relief Doch scheint es mir, als ob die Außenfläche immer schwach klebrig bliebe, besonders in feuchter Luft. Den P^iern selbst haften fast immer feine Schmutzteilchen an (Fig. 7, S); ebenso feine Stofffasern (P'ig. 7, St). •"ig, 6. f) Die Ankittung der Eier an ihre Unter- lagen ist eine lose mit sehr wenig Kittsub- stanz (Fig. 5, Ki). Selbst bei schwacher Berührung fallen die Eier ab, aber sie haften auch ziemlich leicht wieder und dies brachie mich auf die Ver- mutung, daß die Oberfläche ständig schwach klebend sein müßte. Absolut sicheres kann ich aber darüber nicht behaupten. N. F. XV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 65 i Das Behaftetsein mit Staubfädchen und Schmutz- teilchen spricht mit für meine Vermutung. Jeden- falls stellt fest, daß die Eier sehr leicht von ihrer Unterlage loszulösen sind und niemals reißt man dabei, wie z. B. beim Ablösen eines Läuseeies, eine größere Menge Stofffasern mit ab. Vielfach findet man 2 — 4 Eier in Gruppen vereinigt, eine solche von 3 Eiern zeigt Fig. 5. Die Kittsubstanz (Ki) wurde schwarz gehalten, sie ist aber so spär- lich, daß man Zweifel hegen könnte, ob es sich wirklich um eine besondere Substanz handelt. S und St in Fig. 5 bezeichnen wieder Schmutz- teilchen und feine Stofffasern. g) Der Embryo im Ei ist bei durchfallen- dem Licht gut zu beobachten. Er liegt, wie Fig. 6 darstellt, im Ei etwas spiralig aufgerollt. Je nach dem Entwicklungszustande kann man natürlich mehr oder weniger Einzelheiten unterscheiden. In dem hier abgebildeten Falle ist etwa -/g der Entwicklung abgelaufen. Das Hinterende mit der Anlage der beiden „Nachschieber" liegt oben, das Kopfende ist darunter versteckt. Die Körper- abschnitte sind erkennbar, ebenso die Darmaniage, bei noch älteren Embryonen dann auch die Be- borstung. Augenflecke sind nicht vorhanden, durch diesen Mangel sind in Entwicklung begriffene Floheier sofort von denen der Laus und Wanze zu unterscheiden. Eine bestimmte Orientierung des Embryos im Ei zur Unterlage konnte ich bis- her nicht feststellen. h) Die Eischale (Fig. 7), d. h. das leere aus- geschlüpfte Ei, zeigt Besonderheiten, wodurch sie sofort von den gleichen Gebilden der anderen beiden Parasiten zu unterscheiden ist. Da das Ei ungedeckelt ist, so bahnt sich der fertige Embryo in der Weise den Weg ins Freie, um sein Larven- leben zu beginnen, daß er mit dem Eizahn (Fig. 8, EZ), der auf der Mitte des Hinterkopfes sitzt und dessen Spitze nach vorn gerichtet ist, die Ei- schale von innen aufschlitzt. In Fig. 7 sehen wir eine solche aufgerissene Schale, es kann die Rißlinie natürlich mannig- faltig gestaltet sein, aber immer verläuft sie von Pol zu Pol, d. h. in der Längsachse des Eies. Ferner bemerken wir an den beiden Polen der Eischale je eine Siebplatte (Fig. 7, SP). Bei vollen Eiern, die im optischen Schnitt gesehen werden, ist diese Platte nur sehr schlecht sichtbar, da sie ohne jede weitere Begrenzung ist. Ich habe in Fig. 7 links unten die Siebplatte nochmals stark vergrößert dargestellt; sie besteht wie wir sehen, aus etwa 25 — 30 feinsten Kanälen. Wir haben es hier mit den Mikropylkanälen zu tun. In der entsprechenden Fig. 7 habe ich die Rißlinien und die Eiumrandung stark ausgezogen dargestellt, die mannigfachen „Zerknitterungen", welche die Schale dann noch erhält, deuten die schwachen Linien an. i) Die Flohlarve (Fig. 8) ist im Gegensatz zu derjenigen von Wanze und Laus wurmförmig gestaltet und ohne alle Extremitäten. Sie sieht einer kleinen Obstmade nicht unähnlich. Ihre Größe beträgt knapp 2 mm, ihr Dickendurch- messer etwa 0,3 mm. Frisch ausgeschlüpft sieht sie schmutzig weißlich aus, hat sie Nahrung zu sich genommen, so schimmert der Darm bräun- lich-rötlich hindurch. Der Körper besteht aus 14 Segmenten. Das Kopfsegment trägt den schon erwähnten Eizahn (Fig. 8, EZ), der braun gefärbt ist, ebenso wie die zarten beißenden Mundwerk- zeuge. Am Kopf stehen ein Paar kurze ein- gliedrige Taster. Die Augen fehlen der Larve. Jedes Segment ist beborstet. Die Beborstung ist gering. In Fig. 8 ist die Larve von der Bauch- seite gesehen dargestellt. Der Eizahn schimmert aber deutlich durch den Kopf hindurch und des- halb bildete ich ihn mit ab. Wir sehen in jedem Halbsegment 2 mittlere kleinere und 4 größere äußere Borsten , die dem Körperrand zunächst liegenden Borsten sind die größten. Das Hinter- ende mit den beiden „Nachschiebern" (Fig. 8, NS) ist reicher beborstet. Die Bewegung ist ein wurmähnliches Kriechen unter Zuhilfenahme der Nachschieber und Borsten, Fig. 8. Fig. 9. aber der Körper bleibt beim Kriechen in der Längsachse im wesentlichen gestreckt und macht nur schwache seitliche Biegungen. Die Larve bewegt sich vor- wie rückwärts mit ziemlicher Schnellig- keit. Bei Beunruhigung rollt sie sich spiralig ein und verharrt in der Lage einige Zeit. Das ganze Tier ist sehr zart und wird durch unsanftes An- fassen leicht zerstört. Um sich zum geschlechts- reifen Tier zu entwickeln, macht die Larve nach etwa 14 Tagen Larvenleben noch ein Puppen- stadium durch, auf welches ich hier nicht weiter eingehen will. Die Nahrung der Flohlarve besteht nicht aus Blut, sie unterscheidet sich dadurch ebenfalls von denen der zwei anderen Formen, sondern sie ist ein sog. Staubfresser, d. h. sie nährt sich von allerlei organischen Resten (Hautschuppen, Fettteil- chen usw.), die sich an ihrem Aufenthaltsorte finden. 652 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 46 k) Die Fundorte der Floheier und -Larven sind: etwas feuchter Kehricht aller Art, schmutzige Winkel, in altem Bettstroh, in schmutzigen Klei- dern und ebensolcher Wäsche, in schmutzigen Bettlaken. Überall da, wo es an Sauberkeit man- gelt, doch scheint ein gewisser Feuchtigkeitsgrad vonnöien zu sein. 2. Die Eier und Larven der Kleider- laus. a) Die Form gibt in Fig. i das mittlere Bild wieder, sie ist länglich oval, aber nicht ganz regel- mäßig, da der hintere Eipol meist etwas zugespitzt ist (Fig. 9 u. 15). Das Vorderende trägt einen halbkugeligen, abgeplatteten Deckel, der ganz ähnlich wie beim Ei der Wanze in einen beson- zwar so, daß sie der Bauchseite des Embryos am nächsten liegen (Fig. 17). Sie erheben sich hügel- förmig über das sonstige Deckelniveau (Fig. 9). Der Deckel ist in den Ringteil des Eies fest ein- gelassen, er wird vom ausschlüpfenden Embryo abgehoben, bleibt aber vielfach an der Rücken- seite des Eies hängen. Oben sagte ich, der Deckel sei immer oval gestaltet. Dieses „Oval" ist aber einer außer- ordentlichen Variabilität unterworfen, ebensn wie die Zahl und die Anordnung der Mikropyl„Zellen" (cum grano salis, s. o.) eine ganz erstaunliche aber doch gesetzmäßige Variabilität zeigt. Ich habe an 200 verschiedene Varianten feststellen können. Die Zahl der Mikropylkanäle kann nach meinen Beobachtungen an rund 2000 Eiern von deren Ring der Eischale eingefügt ist (Fig. 9, 15, 16, De, Ri). Aber der Deckel sitzt gleichsam schief auf dem Ei, d. h. seine höchste Erhebung liegt exzentrisch verschoben. b) Die Größe der Eier beträgt 0,9 — 1,00 mm in der Länge, vom Hinterende bis zum oberen Deckelrand gemessen. Der Querdurchmesser be- trägt im Mittel etwa 0,3 - 0,4 mm. Auch hier kommen unwesentliche Größenschwankungen vor. c) Die Farbe der frisch abgesetzten Eier ist weißlich glasig, mit einem zarten Ton ins Gelb- liche und einem schwachen Perlmutterglanz. Die älteren Eier sehen ausgesprochen gelblich aus mit grünlichem Anflug. Die gelbe Farbtönung ist hier viel ausgesprochener als beim Floh- und \Vanzenei. d) Der Deckel des Eies (Fig. 10 — 14) er- scheint von der Fläche gesehen stets oval im Gegensatz zu dem kreisrunden des Wanzeneies. Die Mikropyl-„Zellen" — wenn man den Ausdruck „Zelle" überhaupt gebrauchen will — mit den Mikropylkanälen sitzen immer exzentrisch und 6 — 23 schwanken. Auch Mißbildungen aller Art treten am Deckel auf und trotzdem entwickeln sich in diesen Eiern ganz normale Larven. Fünf solcher Varianten geben die Figg. 10 — 14 wieder. Zunächst bemerkt man, daß das Oval des Deckels sowohl in Größe als auch in seiner Form immer verschieden ist. Was die Zahl der Mikropylkanäle anbelangt, so schwankt sie bei diesen 5 Deckeln von lo — 19. In Fig. 10 sind 17 vorhanden, da- von liegen 5 zentral und 12 peripher; abgekürzt pflege ich dies durch eine Formel, d. h. durch eine ganze Zahl und einen Bruch auszudrücken, die für Fig. 10 lautet 1 7^-75. Für die übrigen Deckel würden die entsprechenden F'ormeln lauten, wenn ich die erste nochmals voranstelle: Fig. 10 if^ls II 12 13 14 17 'Ve mi- N. F. XV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 Der Deckel, den F\g. 14 wiedergibt, ist miß- gebildet, dies bedeutet das „mi" in letzter Be- zeichnung. Bei soiciien Mißbildungen schließen sich die einzelnen „Mikropylzellen" nicht völlig zu einer Platte zusammen, sondern sie bleiben zum kleineren oder größeren Teil, bisweilen auch alle isoliert. Betrachtet man die Anordnung dieser Gebilde, so bemerkt man leicht, wie verschieden dieselbe sein kann. In Fig. 13 z. B. kann man eine Zentral-„Zeile" unterscheiden, um die 2 kon- zentrische Ringe liegen, also eine ganz andere An- ordnung als z. B. in Fig. 10. An anderer Stelle werde ich mich mit diesen Erscheinungen, ihren Ursachen und ihrer Bedeu- tung zu befassen haben. Hier wollte ich nur auf die große Verschiedenheit hingewiesen haben. e) Da die Oberfläche des Eies glatt ist, so wie diejenige des Floheies, so bietet sie nichts Besonderes. f) Die Ankittung geschieht mittels einer sehr festen und reichlich vorhandenen Kittsub- Fig. 18. stanz. Bei den Eiern der drei hier behandelten Arten ist sie am reichlichsten (Fig. 9, 15, 16, 17, Ki). Sie sieht glasig aus und wird zwischen die Stofffasern der Unterlage gleichsam eingegossen, oder falls die Eier an Körperhaaren befestigt sind, umfaßt sie dieselben manschettenähnlich, aber un- regelmäßig (Fig. 15). Der hintere Eipol kann mit eingekittet sein, so wie es in Fig. i 5 beim oberen Ei der Fall ist; er kann aber auch, und dies ist eigentlich die Regel, frei von Kittsubstanz sein. Die Kittmasse ist oft in unförmlichen Klumpen abgesetzt, gewissermaßen im Überschuß ausge- stoßen worden; einen solchen Klumpen zeigt die Fig. 1 5 am oberen Ei. Stets ist das Ei derart angeheftet, daß die Bauchseite des Embryos der Unterlage zugewendet ist (Fig. 17), beim Wanzenei ist dies gerade um- gekehrt. Die Eier können in Gruppen vereinigt sein und dies treffen wir besonders bei der An- heftung an Körperhaaren an, doch ist die An- heftung dann immer hintereinander. Die Fig. 15 zeigt eine solche Eigruppe. Auf Stoffen kommt es bei stärkerer Besetzung mit Eiern zur Aus- bildung von ganzen Ei-(Nissen-)Feldern, darüber habe ich an anderer Stelle ausführlich gesprochen.') g) Der Embryo ist im Ei sehr gut zu be- obachten in allen seinen Entwicklungsstadien.-) In Flg. 17 sehen wir einen fast schlüpfreifen Embryo. Die Augen treten deutlich (braunrot) hervor. Die Gliederung der Füße und der Fühler ist zu unterscheiden. Ferner bemerkt man an jeder Seite 6 Stigmen und einen Teil der Haupt- borsten des Hinterleibes. Diese wie die großen Fußklauen treten bei älteren Embryonen scharf braun hervor. Schließlich ist noch die Magen- scheibe (als dunkler Fleck) sichtbar und Dotter- reste. Die Farbe des Embryos ist erst glashell und zart gelblich, später wird sie ausgesprochen gelblich- grünlich. h) Die Eischale sieht weiß aus und irisiert an der stärkst belichteten Seite ziemlich lebhaft, ganz ähnlich wie bei der Eischale des Wanzen- eies. Die Form der Schale weicht etwas vom noch gefüllten Ei ab; sie ist etwas breiter, mehr elliptisch, aber kürzer als das noch volle Ei (Fig. 16). Dies hängt sicher damit zusammen, daß die Span- nungsverhältnisse durch Abheben des Deckels andere geworden sind. Reste der Embryonalhülle bleiben vielfach am oberen Pol hängen wie kleine zarte Fähnchen (Fig. 16, Hü). Daß die leeren Schalen durch allerlei äußere mechanische De- formierungen mehr oder minder zerstört und ver- drückt werden können, brauche ich wohl kaum zu betonen, von solchen Verstümmelungen sehen wir hier natürlich ab. i) Die Larve (Fig. 18) ist 1,0 mm lang und 0,4 mm breit mit unbedeutenden Abweichungen von diesen Maßen. Die Farbe ist gelblich mit grünlichem Anfluge, namentlich in der Magen- gegend. Die Füße sind mit scharfen, braun ge- färbten Klauen bewehrt, die nach rückwärts ein- schlagbar sind. Die Tibia trägt einen kleinen daumenartigen Stummel auf der Innenseite und an dieser Stelle eine besonders steife und kräftige Borste. Mit der rückwärts geschlagenen End- kralle und diesem tibialen Stummel klammert sich die Larve sehr geschickt fest. Die Bewegungen sind gewandte Kletterbewegungen in und auf den Stofffasern. Der Kopf ist deutlich gesondert und trägt 2 tiefschwarze Augen. Die Körpersegmen- tierung ist verwischt, nur aus den konstant auf- tretenden Borstenreihen (2 thorakale und 7 ab- dominale Paare) kann man sie noch erschließen. Die Mundwerkzeuge sind stechend und gänzlich in den Kopf zurückziehbar. Die Fühler sind nur dreigliedrig, aber die spätere Fünfgliederung ist schon angedeutet. Ein thorakales Stigmenpaar liegt in der Höhe des ersten Beinpaares. Die Larve muß sich dreimal häuten, ehe sie geschlechtsreif wird. Das Durchlaufen der Larvenstadien ist ganz von ') Hase, A., Beiträge zu einer Biologie der Kleiderlaus Berlin 1915, Verlag P. Parey. 2) Vgl". Hase, A., Über die Entwicklungsstadien der Eiei und über die Larven der Kleiderlaus. Naturw. Wochenschr N, F. XV. Bd., Nr. I, 1916. Verlag G. Fischer^ Jena. 654 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 46 Temperatur und Ernährung abhängig und läuft in günstigen Fällen in etwa 14 Tagen ab. Die Nahrung der Larve besteht nur aus Blut. Im voll gesogenen Zustande schwillt das Tier auf und erscheint zunächst schön korallenrot, später wird das Blut tiefschwarz. Eine Verwechslung mit einer jungen Wanzenlarve ist dann nicht ausge- schlossen. Hunger hält die Larve höchstens 4 Tage aus, im Gegensatz zur Wanzenlarve. k) Die Fundorte der Kleiderlauseier und der Larven sind ; in den Kleidungsstücken, in den Körperhaaren, besonders den Schamhaaren, in alten Bettlaken, in der Leibwäsche, kurz in all den Sachen, die ein Verlauster getragen oder auf denen er geschlafen hat. 3. Die Eier und Larven der Bettwanze. a) Die Form (Fig. 1 links) der Eier ist schlauchförmig mit einer sanften Biegung im oberen Teil (F"ig. 19, 24 und 25), das hintere Ende ist immer etwas aufgetrieben. Von vorn gesehen ist die erwähnte Biegung nicht gut zu bemerken, da diese Krümmung eben nach vorn zu gerichtet ist. Scharf hebt sich der Deckelrand ab, der ganz ähnlich dem Läuseei, in einen be- sonderen Ringteil (Fig. 19 u. 24, Ri) der Eischale eingepaßt ist. Bei den älteren Eiern mit dem schon teilweise entwickelten Embryo verändert sich die Eiform insofern, als das Ei rechts und links im oberen Teil zwei seitliche längliche Ein- buchtungen erhält. Diese Buchten treten aber erst dann auf, wenn das Augenpigment sich ent- wickelt hat. In Fig. 19 gibt die punktierte Linie an, wo diese Buchtungen liegen, sie erstrecken sich etwa über "1.^ der ganzen Eilänge. Legt man an dieser Stelle einen (Juerschnitt durch das Ei vor und nach Einbuchtung, so erhält man eine Umgrenzung, wie sie in Fig. 20 wiedergegeben ist. Die ausgezogene Linie gibt den Umriß nach erfolgter Einbuchtung an und die punktierte Linie zeigt wie derselbe vorher war. Der Querschnitt in Fig. 20 ist an der Stelle genommen, wo in Fig. 19 die punktierte Linie verläuft. b) Die Größe der Eier beträgt 0,9— 1,0— 1,1 mm und ihr Durchmesser an der engsten Stelle, nahe dem oberen Eipol, ca. 0,3 mm, an der weite- sten Steile aber 0,5 mm. Auch hier sind gering- fügige Schwankungen vorhanden. c) Die F"arbe der Eier ist in frisch abgelegtem Zustande weißlich milchig trüb. Der Deckelrand bzw. der Ringteil sieht schneeweiß aus (Fig. 1) und das Ei zeigt an den stärkst belichteten Stellen einen schwachen Perlmutterglanz. Nach etwa 36 Stunden Bebrütungsdauer wird das hintere Ende etwas glasig hell und das vordere Ende be- kommt einen schwach gelblichen Schimmer, nach noch längerer Bebrütung kehrt sich die Sache um, vorn wird das Ei heller, hinten dunkler. Ältere Eier mit dem schon weiter entwickelten Embryo sehen gelblich aus. Erst zart rot, dann scharf rot, schimmert das Augenpigment hindurch und kontrastiert lebhaft gegen den schneeweißen Deckelrand. d) Der Deckel (P'ig. 21) des Eies erscheint von der Fläche gesehen stets kreisrund, im Gegen- satz zu dem immer oval gestalteten des Läuseeies. Der schlüpfreife Embryo hebt ihn mittels eines merkwürdigen „Deckelsprengapparates" beim Aus- kriechen ab und er sitzt der halbgeschlüpften Larve mitten auf dem Kopfe zwischen den Augen, um später ganz abzufallen. Am Ei selbst bleibt er gewöhn- lich nicht hängen. Der Deckel ist in einen ent- sprechenden Ringteil am Ei (Fig. 19 u. 24, Ri) aufs genaueste eingepaßt, in dieser Hinsicht sind Läuse- und Wanzenei recht ähnlich. Von der Seite gesehen erscheint der Deckel halbkugel- förmig, die höchste Erhebung liegt zentral (Fig. 19). Von der Fläche betrachtet bemerkt man ein Ge- wirr von Leisten, die in der Mitte verstärkt sind und unregelmäßig verlaufen (Fig. 21), nach außen zu umschließen sie unregelmäßige polygonale Felder und am Rand verdichten sie sich mehr und mehr zu einem kaum entwirrbaren Netz. Be- sonders gestaltete Mikropylkanäle habe ich im Deckel nicht finden können mit den mir hier zu Gebote stehenden Hilfsmitteln, soviel ich gesehen, sitzen die Kanäle im Ringteil des Eies. e) Die Oberfläche des Wanzeneies ist nicht glatt, wie die der beiden anderen Formen, sondern sie ist mit einer Unmenge feiner und feinster Wärzchen, Stacheln und Buckeln versehen, welche am hinteren Eipol am dichtesten stehen und am größten sind. In Fig. 22 ist ein Ausschnitt aus dem mittleren Teil des Eies stark vergrößert wiedergegeben von der Fläche gesehen, und in Fig. 23 sehen wir ein Stück des Eirandes im optischen Schnitt mit den wagrecht abstehenden Stacheln und Erhebungen aller Art. Die Stacheln sind nur wenig zugespitzt, viele sogar unregel- mäßig abgestumpft. f ) Die A n ki 1 1 u ng erfolgt mit einer glasig weißen Kittsubstanz, die nicht übermäßig reichlich ist. N. F. XV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 655 In den Fig. 19, 24 u. 25 (Ki) ist sie tiefschvvarz gehalten. Die Eier sind stets mit der konvexen Seite (es ist dies immer die Rückenseite des Em- bryos) an die Unterlage (in Fig. 19, U, gestrichelt dargestellt) angekittet. Das Ei ist also auf seiner Unterlage halb liegend, bisweilen mehr stehend befestigt, es kann dies, wie aus der Ausdehnungs- möglichkeit der Kittsubstanz in Fig. 19 hervor- geht, verschieden sein. Mehrere Eier (ich habe als Höchstzahl 9 gefunden) können zu einer Ei- gruppe vereinigt sein (Fig. 24); aber es brauchen die Eier nicht immer nebeneinander zu liegen. Oft findet man 2 oder 3 Eier kettenförmig ver- einigt; doch sind in solchen Gruppen die be- ,1''^'? -«■^.V'^^y' licher sind die Extremitäten und die Gliederung des Kopfes zu beobachten. Da der Embryo be- sonders in fast reifem Zustande ziemlich dunkel erscheint, so erschwert dies bei durchfallendem Lichte das Erkennen von weiteren Einzelheiten und im auffallendem Lichte ist fast gar nichts er- kennbar. h) Die Eischale sieht weiß aus mit zartem bläulichen Schimmer und irisierenden Glanzlichtern. Die vorerwähnten Einbuchtungen der Eier beulen sich vielfach, doch nicht immer, wieder aus und die Schale bekommt so die ursprüngliche Schlauch- form wieder (Fig. 24). Reste der embryonalen Hülle hängen in der Regel wie zarte F"ähnchen aus dem Schlüpfloch heraus (Fig. 24, Hü). Der Deckel fehlt der Eischale in der Regel zum Unter- schied des Läuseeies, wo er meist einseitig hängen bleibt. i) Die Larve (Fig. 26) ist etwa 1,3—1,5 mm lang und 0,6 — 0,7 mm breit. Das soeben ge- schlüpfte Tier sieht glasig weiß aus, nur der Darm Fig. 26. treffenden Eier gleichsinnig orientiert, d. h. alle konkav bzw. konvex gekrümmte Seiten liegen nach derselben Seite. In Fig. 24 tritt, da von vorn gesehen, die Krümmung nicht so deutlich hervor wie in Fig. 19 u. 25. Die Eier einer Gruppe werden von ein und demselben Weibchen hintereinander abgelegt wie ich es im Experiment feststellte. Den Eiern können, das ist bei der ge- rauhten Oberfläche ja klar, allerlei Schmutzteile anhaften oder mit angekittet sein (Fig. 24, S). g) Der Embryo im Ei ist nicht so deutlich zu beobachten wie beim Floh- und Läuseei. Das Oberflächenrelief der Schale erschwert das Beob- achten im durchfallenden Lichte erheblich. Aber immerhin sind manche Einzelheiten wahrzunehmen. Zunächst sehen wir, daß das Ei immer an der Rückenseite des Embryos befestigt ist, also gerade umgekehrt wie beim Läuseei (Fig. 25). Ferner sind die roten Augenflecke gut zu sehen und die Andeutung der Körpersegmentierung. Undeut- schimmert gelblich hindurch und die Augen leuchten tiefrot. Nach 24 Stunden etwa freien Larvenlebens verfärbt sich das Tier mit zunehmen- der Erhärtung des Chitins. Es sieht dann gelb- rot bis orangefarben aus, um noch später bräun- lich gelb zu werden. Diesen letzten Farbton be- hält die Larve dann bis zum geschlechtsreifen Tier bei. Besonders gut zu sehen ist ein schwarz- brauner ',U"-förmiger, nach hinten zu offener Bo- gen des Enddarmes bei Larven die längere Zeit hungerten. Die Fühler sind viergliedrig. Die I^üße mit je 2 sehr scharfen kurzen Krallen versehen. Die Brustsegmente sind scharf gesondert, aber es fehlen die Flügelstummel gänzlich, wodurch sich die Larve vom erwachsenen Tier unterscheidet. Deutlich erkennbar sind 6 Abschnitte am Hinter- leib, die letzten Segmente sind nur ganz undeut- lich erkennbar. Jedes Hinterleibssegment trägt eine Reihe von Borsten und den Borstenreihen nach zu urteilen sind wohl 9 Abdominalsegmente an- 656 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 46 zunehmen. Unter den 3 hier behandelten Larven ist die der Wanze die größte und die am reich- sten beborstete. Die Nahrung besteht nur aus Blut. Die Mund- werkzeuge sind wie die der alten Tiere stechend und liegen zum Rüssel vereinigt außerhalb des Kopfes an dessen Unterseite nach hinten einge- schlagen. Beim Saugakt wird der Rüssel im rechten Winkel zur Körperachse aufgerichtet und auch rechtwinklig zur Haut eingestoßen. Im voll- gesogenen Zustande schwillt die Larve dick auf und erscheint zunächst blutrot, ganz ähnlich der Läuselarve, nur größer. Das Blut im Darm wird später schwarzrot, noch später tiefschwarz, ganz analog wie bei der Kleiderlauslarve. Die Bewegungen sind lebhafte Lauf- und Kletterbewegungen. An überhängenden wie senk- rechten Flächen bewegen sich die Tiere gleich geschickt. Sie sind lichtscheu und aus ihren Schlupfwinkeln (Ritzen aller Art im Gebälk und im Bett) aufgestört, suchen sie eiligst das Dunkle. Finden sie kein Versteck, so lassen sie sich meist zu Boden fallen. Die Wanzenlarve vermag, selbst wenn sie nach der Geburt noch nie Nahrung zu sich nahm, sehr lange zu hungern. Ich habe Tiere in Beobachtung, die seit ihrer Geburt noch 56 Tage hungernd am Leben blieben. k) Die Fundorte der Eier und Larven der Wanzen sind: die Ritzen und Fugen im Gebälk, hinter Bildern und Tapeten, in den Moosver- stopfungen der Balken, im Bettstroh und in Bett- laken, in den Ritzen der Betten, in Kleidern, die an verwanzten Wänden oder in ebensolchen Schränken gehangen haben. Die Figurenerklärungen befinden sich im Texte Durch die Reproduktion wurden die Figurer etwas verkleinert, aber es sind die sich ent sprechenden Abbildungen stets in gleichem Maß Stabe verkleinert worden, wie sie auch bei der selben Vergrößerung gezeichnet wurden. Auf diese Art ist ein Vergleich der Größenverhältnisse zueinander sofort möglich. Fig. I vergr = 24 ma 2—4 = n :, 5 = 45 ,, 6, 7 = 77 n 8 = 45 ., 9 = 77 .. 10—14 = 180 „ 15 = 42 „ 16 = 77 „ 17 = 45 . 18 = 45 ,. 19, 20 „ = 77 ,■ 21 = 180 „ 22 u. 23 „ = 320 „ 24 = 42 „ 25 = 45 ., 26 = 45 „ Bei Fig. 6 mußte ich aber eine Ausnahme machen wegen der Kleinheit des Eies. Es ist bei Vergrößerung jy gezeichnet, um Einzelheiten zur Darstellung bringen zu können, während die ent- sprechenden Fig. 17 und 25 bei Vergrößerung 45 gezeichnet wurden. Bei der Reproduktion wurden alle drei auf 7io verkleinert. Sämtliche Figuren sind Originale. Holzdiagnostische Beiträge zur Systematik norddeutscher Gyniuospermen. [Nachdruck verboten Die Aufstellung mikroskopischer Holzdiagnosen hatte bei den Gymnospermen früher die Haupt- aufgabe, die versteinerten Überreste fossiler Ver- treter in die heute vorkommenden Gattungen ein- zureihen. Der Versuch, unter Verwendung von Dünnschliffen die fossilen Gymnospermen mikro- skopisch zu untersuchen, ist noch nicht sehr alt. Witham ofLartington berichtete über solche Untersuchungen in größcrem Umfange erst 1831 ') und begründete seine neue Klassifikation ausführ- lich 1833 in seinem Werk „Internal structure Ol fossil vegetables". Welch große Bedeutung für die Systematik der fossilen Gymnospermen die mikro-anatomische Holzuntersuchung der leben- den Nadelhölzer hat, rief erst 1864 Gregor Kraus wieder ins Gedächtnis zurück durch seine Arbeit „Mikroskop. Untersuchg. über d. Bau leben- der u. vorweltlicher Nadelhölzer" (Würzburg. Nat. Zeitschr., Bd. V, 1864, 144 S., i Tafel). In den 80 er und 90 er Jahren arbeiteten Forscher wie Von H. Pfeiffer, Bremen. Schenk in Leipzig, ^) Möller,-) C. Schröter u. a. analytische Tabellen aus, mit deren Hilfe man die fossilen Gymnospermen durch holzanato- mische Untersuchungen den lebenden Gattungen zuweisen konnte. Leider sind aber ihre Ergebnisse für die heutige Forschung, wie W. Gothan in Abh.d. Königl. Preuß. Geolog. Landesanstalt, N. F., Heft XLIV, 1905, kurz nachweist, teils nicht mehr brauchbar, teils wenig ausführlich oder lückenhaft. Theodor Hartig versucht in der Bot. Ztg. 1848, p. 122 ff. eine Systematisierung tertiärer Hölzer auf Grund der Maüverhältnisse der Holz- parenchymzellen. Wie wenig das von ihm fest- gelegte Verhältnis des Querschnitts der Holz- parenchymzellen zu ihrer Länge diagnostisch ver- wertbar ist , untersucht W. Gothan kritisch in der bereits zitierten Abhandlung. Ebenso erscheint das Längenverhältnis der Markstrahlzellen zu den ') „Observations on fossil vegetables" In Zittel's Denkschrift. p. 3oSfr. der Paläontologie II, 1890. I. Wiss. in Wien, Bd. .\XXVI N. F. XV. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 657 radialen Holzparenchymzeilen, das Gürich') bei der Systemati'iierung der Gymnospermen auf Grund des anatomischen Holzbaues heranzieht, heute nicht mehr brauchbar. Die Zahl der Hoftüpfel- reihen ist abhängig von der Breite der Holzzellen und diese wiederum eine F"unktion der W'achstums- bedingungen usw. Darum kann man auch die Reihenzahl der Hoftüpfel bei der diagnostischen Differenzierung in Gattungen und andere syste- matische Einheiten nicht heranziehen.'') Als diagnostisch verwertbar bleibt deshalb bloß übrig; Markstrahlen und ihre Tüpfelung (bes. auch bei der Zerlegung in Familien), Vorkommen und Aus- bildung des Holzparenchyms ^) und der Harzgänge und ihrer Epithelauskleidung und das Auftreten oder Fehlen spiraliger Verdickungen in den Tracheiden. *) I. Über die Markstrahltüpfel als Diagnostikum. Vielreihige M^rkstrahlen, wie sie bei zahlreichen fossilen Gymnospermen beobachtet sind, scheinen den lebenden Typen fremd zu sein, wennschon Mehrreihigkeit auch hier mitunter vorkommen mag. Kleeberg") hat bis 20 Markstrahlzellen übereinander beobachtet. Essner") gibt an, daß höchstens 10 Markstrahlzellen übereinander liegen. Mit m. E. mehr Berechtigung als die Zahl der übereinander gelagerten Zellen der Markstrahlen verwertet Gothan') die im Tangential- oder Querschnitt beobachtete Form der Markstrahlzellen bei der Aufstellung von Diagnosen, weist dann allerdings auch gleich auf die Täuschungen hin, die durch die Erhaltungszustände einiger fossiler Formen veranlaßt werden können.*) Ein außer- ordentlich wichtiges Diagnostikum ist dann jedoch die Tüpfelung der Markstrahlen. Die Markstrahl- tüpfel entstehen dort, wo die Wand einer Mark- strahlzelle an die einer Holzprosenchymzelle stößt. Außerhalb des schräg elliptischen Porus sieht man ') cf. Zeitschr. d. Deutsch, geolog. Gesellsch., 1SS5, P- 433 ff- 1 -1 cf. Gothan, 1. c, 1905, p. 51I ') Unter Holzparenchym ist hier und auf den folgenden Seiten stets dasselbe verstanden, was bei anderen Autoren die nicht anatomische, sondern mehr physiologische Bezeichnung „Harzparenchym" besagt. *) Bei den nachfolgend notwendigen mikrotechnischen Arbeiten leisten unentbehrliche Dienste die üblichen Färbungs- raethoden mit schwefelsaurem Anilin oder mit Phloroglucin und Salzsäure (cf, deren Einführung bei Wiesner, Sitzungs- berichte d, math. naturwiss. Kl. d. Wiener Akademie d. Wiss., Bd. L.XXVII, Abschnitt 1!) oder die Mäule'sche Reaktion. (Nachzulesen: G. Mäule, Fünfstück's Beiträge z. wiss. Bot., Bd. IV, 1900, p. lööff.!) Bei Dauerpräparaten ist die Dauer- färbung der Hoftüpfel nach Kowallik unentbehrlich, nämlich Färben mit Anilingrün und Differenzierung mittels Chrysoidin ; cf. z. B. Dr. G. Stehli, D.is Mikrotom und die Mikrotomtechnik (Handbuch d. mikroskop. Technik, Tl. II); Franckh-Stultgart 1912, p. 64. '>) „Die Markstrahlen der Coniferen", Bot. Ztg. iSSs, p. 673tf.! ") „Diagnostischer Wert der Anzahl und Höhe der Mark- strahlen bei den Coniferen", 1882. ') Abh. 1. c, p. 33- *) cf. 1. c. Fig. 61 von den Tüpfeln sehr häufig nur recht undeutlich den rundlichen Hof. Auf Tangentialschnitten be- obachtet man, daß bei den Vertretern der Fam. Abietaceae Richard die Membranen auffallend lochporig sind. Radialschnitte zeigen die starke Tüpfelung der horizontalen und vertikalen Wände der Markstrahlzellen. Beim Genus Pinus L. tritt bei unseren Formen eine mehr oder weniger be- deutsame Reduktion der für die Familie charakte- ristischen Tüpfelung ein. Bei der Spezies P. Strobus und verwandten, in unserer Flora nicht vertretenen Arten ist sie kaum noch festzustellen. Dafür treten dann, ganz besonders im Spätholz, Harzgänge auf. Überhaupt sind die hoflosen Mark'^trahltüpfel mitunter nur im typischen Frühholz erkennbar. 2. Der Bau des Holzparenchyms und sein diagnostischer Wert. Bei der Auffindung des Holzparenchyms geht man am besten von Querschnitten aus und sucht Harzzellen mit ihrem mehr oder weniger dunkel gefärbten Inhalt in größerer Zahl aufzufinden. Sie deuten fast stets auf das Auftreten von Holz- parenchym. Durch horizontale Querwände, die man bei genauerem Beobachten leicht feststellen kann, unterscheiden sich die harzführenden Holz- parenchymzeilen von den häufig in ihrer Gesell- schaft oder allein auftretenden harzleitenden Tracheiden. In manchen Fällen, besonders bei fossilen Hölzern, können jedoch auch regellos zer- streute Harztracheiden vorhanden sein. Einen weiteren Unterschied zwischen den Zellen des Holzparenchyms und den genannten Tracheiden kaim man auf Radialschnitten erkennen. Auf solchen fallen die Zellen des Holzparenchyms durch das Fehlen kleiner Hoftüpfel auf. Von den um- liegenden wasserführenden Tracheiden unterschei- den sich die Holzparenchymzeilen nur durch das P'ehlen von Hoftüpfeln. Dafür treten bei ihnen Tüpfel vom Typus derer der Markstrahlen auf. Auf Radialschnitten sind die Holzparenchymzeilen äußerst schmal, und sie werden nur auf Quer- schnitten besser kenntlich. Doch haben die Nadel- hölzer mit schlechter Jahresringbegrenzung auch weitere Holzparenchymzeilen. Das Holzparenchym am Ende des Jahresrings war bei G ö p p e r t ^) bereits das Hauptdiagnostikum bei der Familie Cupressaceae Richard und ihren nächsten Ver- wandten. Die für die meisten Spezies auffallenden glatten Markstrahlwände verwendete er in seinen Diagnosen nicht. Ganz ohne Zweifel sind sie aber diagnostisch brauchbar. Aber auch bei den anderen Familien der Gymnospermen scheidet das Fehlen oder Auftreten von Holzparenchym die Genera viel natürlicher als z. B. der Bau des Harzgangepithels, den Gothan bei seinen Ta- bellen heranzieht. ^) ') „De coniferorum structura ; graph. d. fossil. Conifer.", 1S50. -) cf. 1. c, p. 102 1 ^41 und „Mono- 658 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 46 3. DieHarzgä ausln Manche Vögel, wie der Ararauna, Sittiche, Schmetterlingshnken und andere mehr, erwiesen sich leider zu Fütterungsversuchen als ungeeignet, da bei ihnen viel schwerer als bei Hühnern die störende Mitwirkung der ungewohnten Umgebung und des fremdartig gefärbten Fuiters auszuschalten ist. Die Kenntnis des F'arbensinnes gerade dieser Vögel hätte besonderes Interesse für die Frage nach der Bedeutung der Schmuckfarben. Somit steht die Gewinnung einer experimentellen Grund- lage für die Schmuckfarbentheorie noch aus, aber die dieser Theorie bisher entgegenstehende Schwierigkeit ist behoben. Weitere Untersuchungen Hahn's beschäftigen sich mit den farbigen Ölkugeln, die zum Teil auch mikrospektroskopisch geprüft wurden. Während bei allen Tagvögeln rote und orangegelbe Kugeln gefunden wurden, wechselte das Vorkommen von gelbgrünen, ausgesprochen grünen und ganz schwach grünen, fast farblosen Kugeln. Eine weitere Über- einstimmung jedoch liegt dann, daß bei allen untersuchten Tagvogelaugen die Zahl der für alle Strahlen durchlässigen farblosen oder schwach grün- lichen Kugeln größer als die der farbigen ist. Eine einheitliche Deutung der Funktion der Ölkugeln läßt sich, wie Hahn meint, bis jetzt nicht geben, ob- schon gewiß zu sein scheint, daß sie mit dem Farbenunterscheidungsvermögen der Vögel im Zusammenhange stehen. In der Entwicklungs- geschichte fand Hahn die Ölkugeln beim Hühn- chen früher auftretend, als M. Schultze ange- geben hatte. Auch verhalten sich verschiedene Flühnerrassen hierin nicht ganz gleich. V. Franz. W. Stendell's Mormyriden-Arbeiten. Die schon viel untersuchten Mormyriden sind eine Familie höchst eigenartiger afrikanischer Süßwasserfische; im Tertiäi- haben sie sich wohl von den Cypnniden abgezweigt und viele Besonderheiten gewonnen, die übrigens von Gattung zu Gattung sehr ver- schieden stark ausgeprägt sind. Dies gilt auch von dem Gehirn, welches zweifellos das merk- würdigste aller Tiergehirne genannt werden kann ; denn infolge einer ungeheuren Vergrößerung des Kleinhirns, die wiederum bei den verschiedenen Gattungen verschiedene Grade erreicht, aber stets ungemein auffällt, wurden diese Fische zu den Tieren mit den weitaus größten Gehirnen über- haupt im Verhältnis zur Körpergröße. Mit der Faseranatomie des Mormyridengehirns beschäftigt sich eine Arbeit von W. St ende 11 in den Abhandlungen der Senkenbergischen Natur- forschenden Gesellschaft, Bd. 36, Heft i, die im Februar 1914 erschien. Ebenso wichtig für die Aufklärung des Geheimnisses des Mormyriden- gehirns ist eine Arbeit ,,Die Schnauzenorgane der Mormyriden", die in der Zeitschrift für wiss. Zool., Bd. 115, erst 1916 erschien. Sie war als Manu- skript mit Abbildungen vom Verf. hinterlassen und L. E d in g e r zum sechzigsten Geburtstage gewidmet worden, als Stendell bei der Mobilmachung 1914 ins Feld zog und bald darauf vor dem Feinde fiel. Ein vorläufiger Bericht über diese Unter- suchungen war schon 1914 in den Verhandlungen der Deutschen zoologischen Gesellschaft zum Ab- druck gelangt. In der Gehirnarbeit bestätigt Stendell die morphologischen und vergleichend anatomischen Befunde von Franz, wie die Ableitung des Mormyridengehirns vom Cyprinidengehirn ; er führt jedoch gegen Franz aus, daß der die Kleinhirn- vergrößerungverursachende, selberstark vergrößerte Sinnesnerv nicht als Nervus facialis, sondern als Nervus lateralis aufgefaßt werden müsse. Außer- dem beschreibt er eingehend die Faserverbindungen und Kerne im ganzen Gehirn und besonders im Kleinhirn. Nachdem inzwischen auch Franz eine Mit- teilung über die Faseranatomie des Mormyriden- gehirns, insbesondere des Kleinhirns, im Anato- mischen Anzeiger Bd. 45 veröffentlicht hatte, nahm Stendell noch Anlaß, sich an gleicher Stelle, Bd. 46, 1914, mit F"ranz über die differierenden Punkte auseinanderzusetzen. Für den Kenner der vergleichenden Hirnanatomie haben alle diese An- gaben außerordentliches Interesse, denn, wie es nicht anders sein kann, das Gehirn ist reich an starken Faserzügen, die an normaler gebauten Fischgehirnen viel schwächer oder in anderer Lagerung vorhanden sind oder dort sogar völlig fehlen. Kurz und allgemeinverständlich berichten läßt sich jedoch über alle diese Verhältnisse kaum, wie immer in Dingen der Faseranatomie, solange die Gleichung zwischen Gestaltung und Funktion nicht völlig ist. In der nachgelassenen Arbeit über die Schnauzenorgane wird darauf hingewiesen, daß viele Mormyriden eigenartige rüsselähnliche Verlängerungen der Schnauze haben und in der Haut der Schnauze sehr eigentümliche innervierte Apparate erkennen lassen. Mormyrops hat an Stelle der komplizierten Organe vorwiegend ein- fache Endknospen, Mormyrus und Gnathonemus dagegen die komplizierten Apparate. Diese stellen eine Kombination eines Sinnes- und Drüsensystems dar und erinnern auch etwas an Geschmacksknospen sowie an die Reihe der Lateralorgane, also der Kopfkanäle, der Savi'schen Bläschen, der Lorenzini'schen Ampullen und ähn- lichen Organe bei Fischen. Wie die nach Sten- dell'schen Abbildungen kombinierte und sche- matisierte Abbildung (s. S. 678) zeigt, liegen sie in der Epidermis, getragen von einer Papille der Cutis, und bestehen aus einem Hohlraum oder der Sinneskapsel, in die sich eine Mehrzahl flaschen- förmiger Drüsen hineinöffnen. Ob die Sinnes- kapsel immer oder nur manchmal einen nach außen sich öffnenden Ausführungsgang hat, ob er, soweit vorhanden, dauernd geöffnet oder zeitweilig geschlossen ist, bleibt unentschieden. Zwischen den flaschenförmigen Drüsen wurden langgestreckte Zellen gefunden, die als Sinneszellen gedeutet 678 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 47 werden, außerdem aber endigen an dem Apparat Äste des Nervus lateralis mit feinen End- bäumchen, die an ihren zahlreichen Spitzen kleine Blättchen oder Kügelchen tragen. Die Drüsen werden vom Nervus trigeminus innerviert. Da diese Organe überaus zahlreich vorhanden sind, erklärt sich die mächtige Vergrößerung des Nervus lateralis und somit, wenigstens teilweise, die des Kleinhirns. Daß sie allein die Hypertrophie des Lateralis und von da weiter die eigenartigen Umbildungen im Gehirn hätten bedingen können, hält allerdings St ende 11 für zu weitgehend; jedenfalls aber sei ein neuer Sinn hinzugekommen, der wohl allerlei Assoziationen zur Folge habe. Als letzten Gruß von St ende 11 an seine Fachgenossen gab Edinger noch im Zool. Anz., Bd. XLV, S. 438—441 eine kurze Mitteilung Stendell's über den Nervus electricus von Mormyrus heraus. Zu den Eigentümlichkeiten Epidermis Flaschenformige Sinnes/ 'Sinnesnerv Drusen zelle Ä(N lateralis) der Mormyriden gehört nämlich auch, daß sie schwache elektrische Organe besitzen. Der sie innervierende Nerv wurde anfangs als ein moto- rischer Rückenmarksnerv beschrieben, später aber als ein Ast des sensiblen Nervus lateralis, wie denn auch die elektrischen Organe bei diesen Fischen nach Fritsch abweichend von denen der sonstigen elektrischen Fische nicht aus moto- rischen Organen, sondern aus der Haut entstehen sollten. Diese Unklarheit wird nun durch Sten- dell's Miiteilung insoweit beseitigt, als der elek- trische Nerv mit Sicherheit als ventraler und so- mit motorischer Rückenmarksnerv erkannt wird. Er ist eine einzige kolossale Nervenfaser und zwar ist er die besonders hypotrophierte Kolossalfaser des ersten und zweiten Rückenmarksnerven, die ihren eigenen Weg zieht; was nämlich bisher ganz unbekannt war: auch die nächstfolgenden Rückeimiarksnerven von Mormyrus führen je eine analoge Kolo.-salfaser , deren Bedeutung jedoch bisher unaufgeklärt ist. V. Franz. Klima und Körpergröße. K. Birkmann hatte 1849 die Theorie aufgestellt, daß bei warmblütigen Tieren die größeren Formen einer engeren Gruppe in kälteren, die kleineren dagegen in wärmeren Gebieten bessere Lebens- bedingungen fänden, da der kleinere Körper ver- hältnismäßig mehr Wärme abgibt, als der größere. Diese Anschauung, führt H. v. Bottich er aus (Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., Bd. 40, H. 1,2, S. 1 — 56), muß im Grunde als richtig bezeichnet werden, denn in vielen Fällen können wir in der Tat bei Vögeln und Säugern eine Größenzunahme nach kälteren und umgekehrt eine Größenabnahme nach wärmeren Gebieten hin feststellen. In den Fällen, wo wir eine solche Feststellung nicht machen können, finden wir meistens irgend ein anderes Mittel zum Schutz gegen die klimatischen Einflüsse besonders stark ausgebildet, so gegen die Kälte starke Behaarung und Befiederung, Fettansammlung unter der Haut, eine in der Lebensweise be- gründete Anpassung wie Höhlenleben, Nesterbau, Winterschlaf, Wanderung und Zug und andere mehr. Zur Begründung dieser Sätze kann sich V. Bötticher auf ein ungemein großes von ihm selbst durchgearbeitetes Material stützen, woraus im folgenden nur Vereinzeltes erwähnt werden kann. Der Gänsegeier ist im Himalaya bedeutend größer, in Vorder- und Hinterindien dagegen kleiner als in den Mittelmeerländern. Der euro- päische Mäusebussard wird in Südeuropa durch den kleineren Buteo arrigonii ersetzt. Der Lämmer- geier ist auf Sardinien und im Atlas kleiner als in den Pyrenäen, Seealpen, Apenninen, dem Balkan und dem Hochgebirge Asiens bis China. Der Uhu ist in Sibirien größer als in Europa, in Nordafnka und Indien dagegen kleiner. Der Steinkauz ist in Südeuropa kleiner als in Nord und Mitteleuropa. Besonders eignet sich zur Darlegung des Prin- zips die Gattung Corvus. Der Kolkrabe hat im Norden stärkere Vertreter als in Mitteleuropa, wie Corvus islandicus und andere mehr; der Rabe von Tibet, wo die Temperatur oft bis —30" und darunter sinkt, ist ebenfalls riesengroß, der größte Riese aber, C. principalis, der das arktische Nordamerika bis über die Januarisotherme — 35" als Standvogel bewohnt, mißt nach einem Stück im Berliner Museum ohne Schnabel und Schwanz 410 mm. Die südeuropäischen Kolkraben und die afrika- nischen sind sämtlich kleiner, zum Teil beträchtlich kleiner als C. corax. Ähnliches läßt sich für die Krähenarten zeigen. Der allei kleinste amerikanische echte Corvus, der nur 150 mm lang wird, gemessen wie oben angegeben, C. mexicanus, lebt zum Teil schon in den Tropen. Bei allerlei Rabenvögeln sonst noch, sowie bei zahlreichen Singvögeln kehrt dasselbe Prinzip wieder. Der Riese unter den Zaunkönigen lebt auf Island, der Stieglitz ist auf Sardinien und Korsika und in sonstigen Mittel- meerländern und iiiseln kleiner, in Turkistan und und Sibtrien größer als in Mitteleuropa. Begreiflicherweise eignen sich Zugvögel weniger gut zum Beweis der oben aufgestellten Sätze als Standvögel. Bei Säugern treten sehr oft noch andersartige Anpassungen an das Klima in Er- N. F. XV. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 scheinung, so daß die Rumpfvergrößerung als An- passung an kälteres Klima nicht immer nötig ist und oftmals unterbleiben kann. Gleichwohl treffen viele Beispiele unmittelbar zu. Echidna aculeata von Australien hält die Mitte zwischen den Maßen der Art von Neuguinea und der von Tasmanien. Die Gemse ist in den Abruzzen im südlichen Italien und im cantarischen Gebirge in Spanien kleiner als auf den Alpen, Apenninen, dem Balkan und Kaukasus. Beim Edelhirsch, beim Reh, beim Renn, beim Elch gehen die Größenunterschiede der einzelnen Unterarten dem Klima sehr genau parallel, ähnlich bei Wildschweinen, bei Hasen. Selbst bei Affen, welche doch in verhältnismäßig ähnlichen Klimaten leben, sind oftmals Formen, die sehr hoch ins Gebirge hinaufgehen, größer als ihre Verwandten aus dem heißeren Tiefland. Haustiere und Mensch müssen wegen ihrer besonderen Lebens- bedingungen außer Betracht bleiben, immerhin ist bemerkenswert, daß die kleinsten Menschen gerade in den heißesten Gebieten, in den Tropen leben, und zwar in Urwäldern mit ihrem geringen Tem- peraturwechsel. Auch sonst noch sind oftmals südlichere Rassen auf der Nordhälfte der Erde kleiner als nördlichere, z. B. bei den Chinesen. V. Franz. Ein eigenartiges Süßwas^erkrebschen, Bathynella natans, das Vejdowsky in 2 Stücken 1880 in einem Brunnen bei Prag fand und 1882 beschrieb, wurde von Chappuis 33 Jahre später, nachdem es schon von manchen Forschern als Fantasie- gebilde beiseite geschoben worden war, in einem alten Sodbrunnen bei Basel wiedergefunden. Chappuis schließt sich der Anschauung an, daß der Krebs durch Grundwasser in die Brunnen gelangt, wie auch für einige andere Arten erwiesen. Er gehört zu den Anomostraca Grobbens, einer sonst nur noch in zwei Arten aus Australien und Tasmanien bekannten süßwasserbewohnen- den Krebsordnung, die Mischcharaktere von Entomostraken und Malakostraken zur Schau trägt und aus der Vorzeit, wo sie nach Fossilfunden häufiger war, wie ein paar „lebende Fossilien" in die Jetztzeit hineinragt. (Zool. Jahrb. Abt. f. System. Bd. 40, Heft 1/2.) V. Franz. Bücherbesprechuugen. F. Grünbaum und R. Lindt, Das physikali- sche Praktikum des Nichtphysikers. Zweite, verbesserte und erweiterte Auflage. 425 S. mit 131 Abb. im Text. Leipzig 19 16, G. Thieme. — Preis geb. 6,20 M. Die Notwendigkeit einer Neuauflage zeigt, daß es diesem Leitfaden für das physikalische Prakti- kum gelungen ist, sich im Unterricht der Hoch- schulen neben dem „Kohlrausch" den Platz zu erwerben, der ihm von vornherein im Hinblick auf die Übersichtlichkeit und große Sorgfalt der Ausarbeitung der Aufgaben zu wünschen war. Den Studierenden, die Physik im Nebenfach treiben und daher im allgemeinen auf einen elementarer gehaltenen Führer angewiesen sind , vermag er durch seine Präzision und Leichtverständlichkeit der Darstellung in der Tat ein wertvolles Hilfs- mittel zu sein für das Verständnis und die experi- mentelle und rechnerische Durchführung ihrer Aufgaben. Da sich die Verf. insbesondere bemüht haben, durch Zahl und Art der behandelten Auf- gaben möglichst allen Verhältnissen an unseren Hochschulen gerecht zu werden, so ist der Nutzen des Buches kaum durch örtliche Verhältnisse be- schränkt. Abgesehen von kleineren Verbesserungen ist die Neuauflage durch einige neue Aufgaben und eine Logarithmentabelle erweitert worden. Die Aufnahme einer kurzen Tabelle der trigonometri- schen Funktionen wäre wohl weiterhin vorteilhaft. Ref möchte schließlich noch bemerken, daß die, wie hervorgehoben, durchaus empfehlenswerte Benutzung dieses Leitfadens doch nicht mit einer völligen Ausschaltung des „Kohlrausch" auch seitens des Nichtphysikers verbunden sein sollte. Ist vielmehr durch Verwendung des ersteren dem Verständnis des letzteren vorteilhaft vorgearbeitet, so sollte dessen Studium zum mindesten in ein- zelnen besonderen Fragen auch dem Nichtphysiker zum Zweck tieferen Eindringens in das betreffende Problem erstrebenswert bleiben. A. Becker. Die Hydrolyse der Zellulose und des Holzes. Von Dr. Erik Hägglund. Sonderausgabe aus der Sammlung chemischer u. chemisch-tech- nischer Vorträge, herausgegeben von Prof. Dr. W. Herz. Bd. XXII. Stuttgart 191 5, Verlag von Ferdinand Enke. — Preis geh. 1,50 M. Die vorliegende Schrift behandelt ein sehr zeitgemäßes Thema. Sie stellt die bisher auf dem Gebiete der Hydrolyse der Zellulose gemachten Erfahrungen kritisch zusammen und bespricht die sich hierauf aufbauenden Versuche, Zucker und Alkohol aus Holz technisch zu gewinnen. Seit- dem Bracon not vor etwa 100 Jahren die ersten Versuche auf diesem Gebiete angestellt hat, haben sich zahlreiche Forscher mit dem Abbau der Zellulose zu Zucker beschäftigt. Nach den Arbeiten von Flechsig und den neueren Unter- suchungen von Ost kann jetzt kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß sich Zellulose quantativ in Glucose überführen läßt. Allerdings bietet die wirt- schaftliche Holzverzuckerung im großen noch man- cherlei Schwierigkeiten. Es ist aber schon jetzt mög- lich, überall da, wo Sägespäne usw. billig zur Ver- fügung stehen, Alkohol aus Holz mit ökonomischem Vorteil herzustellen. Besonders rentabel scheint sich die Gewinnung von Sprit aus den Ablaugen 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 47 der Sulfitzellstofiffabriken zu stellen, zumal wenn es sich um Anlagen in großem Maßstabe handelt. Allen, die sich über diese interessanten Fragen unterrichten wollen, sei die zuverlässige und klar geschriebene Arbeit H ä g g 1 u n d warm empfohlen. Bg. H. Kayser, Lehrbuch der Physik für Studierende. Fünfte, verbesserte Auflage. 554 S. mit 349 in den Text gedruckten Ab- bildungen. Stuttgart 1916, F. Enke. — Preis geh. 13,40 Mk. Das seit 26 Jahren an unseren Hochschulen von Studierenden zur Orientierung über die Grund- lagen der physikalischen Kenntnis vielbenutzte Kays er 'sehe Lehrbuch sucht mit der gegen- wärtigen Neuauflage durch eine Reihe eingefügter kurzer Ergänzungen dem Fortschritt der letzten Jahre gerecht zu werden, soweit dies für ein ele- mentares Buch geboten erschien. Bemerkens- wertere Veränderungen gegen früher sind nicht vorgenommen worden. A. Becker. G. Jäger, Theoretische Physik. IV; Elek- tromagnetische Lichttheorie und Elektronik. (Sammlung Göschen Nr. 374.) Zweite, verbesserte Auflage. 146 S. mit 17 Fig. im Text. Berlin u. Leipzig 1916, G. J. Göschen- sche Verlagshandlung G. m. b. H. — Preis geb. 90 Pf. Der erstmalig im Jahre 1908 erschienene vierte Teil der bekannten, durch ihre Übersichtlichkeit und die große Anschaulichkeit der mathematischen Behandlung ausgezeichneten kurzen Darstellung der Elemente der theoretischen Physik von Jäger (vgl. diese Zeitschr. 7. Band, S. 511, 1908) liegt jetzt in zweiter Auflage vor. Ihr Inhalt ist gegen früher um die Elastizitätstheorie verringert, welche inzwischen logischerweise vom ersten, die Mechanik behandelnden Bändchen aufgenommen worden ist. Im übrigen ist, von einigen kleinen Modifikationen in der mathematischen Entwicklung einiger Fragen abgesehen, keine wesentliche Änderung eingetreten. A. Becker. R.Vater, Technische Wärmelehre (Thermo- dynamik). 516. Bändchen von „Aus Natur und Geisteswelt". 112S. mit 40 Abb. im Text. Leipzig u. Berlin 1916, B. G. Teubner. — Preis geb. 1,25 M. Das vorliegende Bändchen gibt eine gründ- liche, allgemeinverständliche Betrachtung der me- chanischen Wärmetheorie mit besonderem Hin- blick auf deren Bedeutung in der Technik. Es bietet dadurch weiteren interessierten Kreisen, insbesondere auch angehenden Praktikern auf dem betreffenden Gebiet, einen guten tLinblick in die physikalischen Grundlagen der technisch wichtigen Wärmevorgänge und damit in die Wirkungsweise der Wärmekraftmaschinen, die Verf. im einzelnen in besonderen Bändchen der Sammlung beschrie- ben hat. Der Veranschaulichung dienen zahlreiche einfache Diagramme und die Einfügung einer Reihe praktischer Zahlenbeispiele. A. Becker. Anregungen und Antworten. Herrn O. P. in H. Die Angabe, die aus Eisen gefertigten Schmuckgegenstände wie Trauringe usw. „wären binnen weniger Tage so durch den Schweiß, die Feuchtigkeit der Luft und beim Waschen verändert worden, daß dieselben schon nach höchstens einer Woche nicht mehr zu tragen seien", wird übertrieben sein. Allerdings dürlte es zweifelhaft erscheinen, ob Schmuckgegenstände aus Eisen sich im täglichen Gebrauche besonders gut bewähren würden; sie sollen ja in erster Linie auch Erinnerungsgegenstände, nicht Gebrauchsstücke sein. Davon, daß sich das „besonders reine Eisen" als wesentlich haltbarer erweise, ist dem Unterzeichneten und auch den von ihm befragten Fachleuten nichts bekannt. Um das Eisen haltbarer zu machen, dürfte einzig und allein die .\nbringung eines schützenden Überzuges, zweckmäßig eines solchen von Eisenoxyduloxyd in Frage kommen, wie er bei den „inoxy- dierten" Taschenuhren mit stählerner Kapsel und — nach Zeitungsnotizen zu schließen — auch bei den von der Reichs- bank als Ersatz für goldene Stücke ausgegebenen Schmuck- gegensländen aus Eisen vorhanden ist. Weitere Auskunft wird Ihnen möglicherweise von der Reicbsbank oder von den Firmen erteilt werden, die eiserne Schmuckstücke herstellen oder mit ihnen handeln (vgl. die Annoncen in den illustrierten Auf eine Anfrage in „Anregungen und Antworten" Nr. 39 erlaube ich mir zu erwidern: „Betreffs des Zusammenhangs von Augenerkrankungen mit dem Auftreten von Kaupen ist folgendes zu bemerken. Es gibt ein ganz eigenartiges Krankheitsbild am .Auge, das man als Ophthalmia nodosa oder Raupenhaar- Conjunctivitis be- zeichnet. Meist handelt es sich um feinste Knötchen oder Abszeßchen in der Bindehaul, die sich um die außerordentlich dünnen, in sie eingedrungenen Raupenhaare bilden. Auch im Augeninnern kommen diese Haare und Knötchenbildungen vor. Die Knötchen erinnern mikroskopisch an Tuberkel; Fremdkörper-Riesenzellen werden in ihnen nicht vermißi." Prof. Dr. Cords Zt. Inhalt I Ernst He dinger. Die Konstitutionslehre in der modernen Medizin. S. 665. E. Hoehne und W. Wagner, Ein Beitrag zur Frage der Wünschelrute aus der Umgebung Straßburgs. 3 .Abb. S. 672. — Einzelbetichte ; A 1 o i s Kr eid 1, Hypnose bei Fischen. S. 675. Über den Biß der Kreuzotter. S. 676. Reboussin, Vögel im Geschützfeuer. S. 676. E. Hahn, Farbensinn der Vögel. S. 676. W. StendeU, W. Stendell's Mormyriden-Arbeiten. 1 Abb. 8.677. H. V. Bottich er, Klima und Körpergröße. S. 078. Chappuis, Ein eigenartiges Süßwasserkrebschen. S. 679. — Bücherbesprechungen: F. GrUnbaum und K. Lindt, Das physikalische Praktikum des Nichtphysikers. S. 679. Erik Hägglund, Die Hydrolyse der Zellulose und des Holzes. S. 679. H. Kayser, Lehrbuch der Physik für Studierende. S. 6S0. G. Jäger, Theoretische Physik. S. 680. R. Vater, Technische Wärmelehre. S. 680. — Anregungen und Antworten: Schmuckgegenstände aus Eisen. S. 680. Zusammenhang von Augenerkrankungen mit dem .Auttreten von Kaupen. S. 680. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift Sonntag, den 26. November 1916. Nummer 4S. Die Bedeutung des Jahres 1865 für die Deszendenzlehre. [Nachdruck verboten.! Dr. M. J. Sirks Ebenso wie die Existenz des Planeten Neptunus von Leverrier aus seiner Wirkung auf andere Planeten hergeleitet wurde, noch bevor der Planet selber bekannt war (Galle entdeckte ihn, von Leverrier's Anweisungen dazu gelührt), so hat auch die Entdeckung einer ganz neuen Wissen- schaft stattgefunden, nachdem sie schon lange ihren Einfluß auf andere Richtungen der mensch- lichen Arbeitstätigkeit fühlbar gemacht hatte. Diese Wissenschaft war die Vererbungslehre, deren Äußerungen in der Medizin, in der Praxis der Landwirtschaft und Gärtnerei als angewandten Wissenschaften und in der Abstammungslehre als reiner Wissenschaft bemerkbar waren, aber deren selbständige unabhängige Existenz erst im Jahre 1865 von (iregor Mendel erkannt worden ist. Lang war der Weg, welcher zurückgelegt werden sollte, bevor eine Arbeit, wie diejenige Mendel's, wodurch ein ganz neues Untersuchungs- feld eröffnet wurde, möglich war; in einem früheren Artikel ') in dieser Zeitschrift habe ich diesen Weg mit seinen wichiig-ten Meilenzeigern dar- gelegt bis an den Zeitpunkt, wo die Sexualität der Pflanzen und die Bedeutung der Staubgefäße für die Befruchtung felsenfest begründet war. Die Weiterentwicklung zweier Arbeitsrichtnngen, der Blütenbiologie, welche die Lebensweise der Blume besonders mit Rücksicht auf Insekten- besuch studiert, und des Studiums der feineren Einzelheiten des Befruchtungsprozesses, haben wir damals auch kennen gelernt ; jetzt möge die dritte Seite der Untersuchung, die Anwendung der Sexualität auf die Probleme der Bastardierung, in ihrer Entwicklung beobachtet werden. Schon bevor die Treviranus 'sehe Schrift er- schien, durch welche die Sexualität der Pflanzen unerschütterlich dargetan wurde, halten einige Pflanzenzüchter sich auf die künstliche Anfertigung verschiedener Pflanzenbastarde verlegt, u. zw. be- sonders von Hybriden beliebter Gartengewächse und Zierpflanzen. An erster Stelle waren dies in England der Fachmann-Gemüsezüchter Th. A. K night und der Amateurzüchter W. Herbert, in Deutschland C. F. von Gärtner, von denen die künstliche Bastardierung angewandt wurde; aber ihre Arbeit war, wissenschaftlich betrachtet, nur von untergeordneter Bedeutung. Nur ein ein- ziges wissenschaftliches Problem wurde von Knight und Herbert besprochen: die Frage, ob es frucht- bare Arthybriden gibt oder nicht; Knight war der Meinung, daß jede Hybride zweier zu ver- ') M. J. Sirks, 1915. Altes und neues über Bestäubung und Befruchtung der hölieren Pflinzen. (Naturw. Wochenschr. N. F., Bd. XIV, .S. 729—740. 1915O (Bunnik bei Utrecht). schiedenen Arten gehöriger Pflanzen unfruchtbar sein würde und daß umgekehrt ebenso die Fruchtbarkeit eines Bastardes zweier Pflanzen diese Pflanzen alsX'arietäien einer undderselben Art erwies, während Herbert glaubte, fruchtbare Artbastarde zu kennen, obschon er gestehen müßte, daß die Fruchtbarkeit einer Hybride einen Hinweiß auf ehemaligen genetischen Zusammenhang, also auf Verwandtschaft gäbe. Auch die Diskussionen Klotzsch's und Regel's in Deutschland ebenso wie diejenigen Godron's und Jordan's in Frankreich ergaben nur wenige wissenschaftliche Resultate: die Aus- sage Klotzsch's, daß Hybridenpollen immer steril waren und eine Bastardpflanze nur vom Pollen einer der beiden Eiterarten befruchtet werden konnte, war in ihrer Allgemeinheit völlig un- richtig, und die Debatte zwischen Godron und Jordan über die eigentliche Natur einer Triti- cum-Aegilops Hybride war vom gegenwärtigen Standpunkt ohne Wert. Indirekt war die Bedeutung dieser wissenschaft- lichen Berührungen groß: die Pariser Academie des Sciences beschloß am 30. Januar 1860 einen Preis zur Verfügung zu stellen für die beste Ab- handlung über Bastardierung im Pflanzenreiche. Die F'ragestellung lautete: „Eludier les Hybrides vegetaux au point de vue de leur fecondite et de la perpetuite de leurs caracteres." Und diesem Preisausschreiben verdanken wir die Reihe sehr wichtiger Untersuchungen des Charles Naudin, der im Dezember 1861 eine eingehende Abhand- lung darüber der Akademie vorlegte, welche Arbeit das goldene Ehrenzeichen erhielt, während eine analoge Abhandlung D. A. Godron's mit einer Auszeichnung aus dem Kampfe trat. Es hat den Anschein, als hätte der Zufall es so gelenkt, daß N a u d i n ' s Arbeit erst im Jahre 1 865 ins Licht gegeben wurde; denn ein merkwürdiges Zusammentreffen ist davon die Folge gewesen; in dem genannten Jahre sind drei Abhandlungen über das Problem der Bastardierung veröffentlicht worden: diejenige N a u d in's, eine aus der Paeder Max Wichura's und eine von Gregor Jo- hann Mendel. Und es ist eine interessante Tatsache, daß die Untersuchungen Naudin's und M e n d e r s in sehr vielen Hinsichten parallel gehen, daß sie beide zu ähnlichen Schlußfolgerungen ge- langt sind, obwohl Mendel's Schlüsse schäifer ausgesprochen und leichter in ihren weiten Folgen zu durchschauen sind als diejenigen Naudin s. In dieser Hinsicht finden wir eine bezeichnende Geistesverwandtschaft zwischen Naudin, Wi- chura und Mendel: sie alle bautet) ihre Mei- 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. nung ausschheßlich auf ihren eigenen Resultaten auf, ohne sich von Untersuchungen aus fiüherer Zeit davon ablenken zu lassen, und jeder, der einigermaßen mit den Schwierigkeiten wisstn- schafilich-zuverläs.siger Kreuzungsversuche vertraut ist, wird dieses als einen sehr glücklichen Umstand betrachten. Wenn wir der Besprechung dieser drei Ab- handlungen eine chronologische Grundlage geben wollten, so sollten wir >ie in folgender Reihenfolge behandeln: Naudin (legte seine Arbeit mi De- zember 1861 vor), Mendel (lasseine IVlitteilungen in den Versammlungen des Naturforschenden Vereins in Brunn am 8. Februar und 8. März 1865) und Wichura. Es erscheint aber richtiger die Arbeit Mendel 's denjenigen Naudin's und Wichura's vorangehen zulassen, weil Mendel durch seine einfachere Problemstellung klarere Resultate erhalten hat als die beiden anderen. In anspruchsloser Form und an einer sehr an- spruchslosen Stelleder wissenschaftlichen Literatur^) publizierte der Lehrer am Brünnschen Augustiner- Stift Gregor Johann Mendel seine „Detail- versuche" bezüglich des Problems der Vererbung, Untersuchungen, welche „sachgemäß auf eine kleine Pflanzengruppe beschränkt wurden" und „nun nach Verlauf von acht Jahren im wesent- lichen abgeschlossen" waren. Dennoch glaubt Mendel selber, daß „es noch nicht gelungen ist, ein allgemein gültiges Gesetz für die Bildung und Entwicklung der Hybriden aufzustellen". Das Urteil der Untersucher aus den Jahren 1900 bis 1915, welche derartige Versuche wie Mendel angestellt haben, war wohl einigermaßen anders gestimmt I Durch die modernen Vererbungsarbeilen ist die Mendel'sche Meinung bezüglich der an- zustellenden Versuche völlig bestätigt worden: „Wer die Arbeiten auf diesem Gebiete überblickt, wird zu der Überzeugung gelangen, daß unter den zahlt eichen Vei suchen keiner in dem Um- fange und in der Weise durchgeführt ist, daß es möglich wäre, die Anzahl der verschiedenen Formen zu bestimmen, unter welchen die Nachkommen der Hybriden auftreten, daß man diese Formen mit Sicherheit in den einzelnen Generationen ordnen und die gegenseitigen numerischen Ver- hältnisse feststellen könnte. Es gehört allerdings einiger Mut dazu, sich einer so weit reichenden Arbeit zu unterziehen; indessen scheint es der einzig richtige Weg zu sein, auf dem endlich die Lösung einer Frage erreicht werden kann, welche für die Entwicklungsgeschichte der organischen Formen von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist." ^) Mit Bewunderung erregendem Scharfsinn hat Mendel an dieser Stelle auf den Kern der Sache gedeutet; vor allem Exaktheit I so lautet die wichtigste Forderung, welche an sämtliche Vererbungs- und Variabilitätsversuche gestellt werden soll. Hier nochmals auf die Mendel'schen Ver- suchsanordnuiigen und -Ergebnisse näher einzu- gehen, erscheint mir weniger angebiacht, weil darüber schon vielfach in der Naturw. Wochen- schrift geschrieben wurde. Die Schlußfolgerung, zu welcher Mendel auf Grund seiner Versuche gelangte, ist diese: „Da- mit ist zugleich erwiesen, daß das Verhalten je zweier differierender Merkmale in hybrider Ver- bindung unabhängig isi von den anderweitigen Unterschieden an den beiden Stammpflanzen." Und: „Konstante Merkmale, welche an verschie- denen Formen einer Pflanzensippe vorkommen, können auf dem Wege der wiederholten künst- lichen Befruchtung in alle Verbindungen treten, welche nach den Regeln der Kombination möglich sind." 1) Die Erklärung dieser Erscheinungen ? Für uns ist diese ziemlich leicht faßbar; jetzt, wo wir so viel weiter sind mit unserer Kenntnis des Be- fruchtungsprozesses, wo wir Bau und Wirkung der Polleiikörner und der Eizellen so viel besser kennen gelernt haben, wo die Prinzipien der Mend ei- schen Lehre der Vererbung uns von Jugend an eingeschärft werden. Aber es erfordert unzweifel- haft die Genialität und die mathematische Ein- sicht eines Gregor Mendel, um aus diesen Ergebnissen im Jahre 1865 die Erklärung heraus- zuholen, die er uns gegeben hat. Destomehr sollen wir den klaren Scharfsinn Mendel's bewundern, wenn wir sehen, daß er die Bedeutung seiner Versuche so vollkommen faßt, um „Aufschlüsse über die Beschaffenheit der Keim- und Pollenzellen zu geben" (jetzt würden wir sagen: „der Ei- und Pollenzellen", weil jetzt das Wort Keimzellen ganz allgemein für Eizellen und Pollenkörner benutzt wird), und wenn wir alsdann bedenken, wie primitiv damals die Kennt- nis der Befruchtungserscheinungen war. „Soweit die Erfahrung reicht, finden wir es überall be- stätigt, daß konstante Nachkommen nur dann ge- bildet werden können, wenn die Keimzellen und der befruchtende Pollen gleichartig, somit beide mit der Anlage ausgerüstet sind, völlig gleiche Individuen zu beleben, wie das bei der normalen Befruchtung der reinen Arten der Fall ist. Wir müssen es daher als notwendig erachten, daß auch bei Plrzeugung der konstanten Foimen an der Hybridpflanze vollkommen gleiche Faktoren zu- sammenwirken. Da die verschiedenen konstanten Formen an einer Pflanze, ja in einer Blüte der- selben erzeugt werden, erscheint die Annahme folgerichtig, daß in den Fruchtknoten der Hybriden so vielerlei Keimzellen (Keimbläschen) und in den Antheren so vielerlei Pollenzellen gebildet werden, als konstante Kombinationsformen möglich sind, und daß diese Keim- und Pollenzellen ihrer inneren Beschaffenheit nach den einzelnen Formen entsprechen." -) 1) Gregor Johann Mendel, 1S65. Versuche über Pflanzenhybriden. (Verhandl. naturf. Vereins. Brunn, IV, S. 3—47.) ä) Mendel a. a. O. S. 4. 1) Mendel a. a. O. S. 22. 2) Mendel a. a. O. S. 23—24. N. F. XV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68; Damit war der Kern der Bastardierungslehre entdeckt worden; diese Betrachtung wurde später zur Grundlage einer ganz neuen Wissenschaft, der Vererbungslehre oder Genetik. Und zu Ehren des Entdeckers wird diese wissenschaftliche Grund- lage „Mendelismus" genannt und sagen wir, daß eine spaltende Bastardpflanze, welche also eine vielförmige Nachkommenschaft gibt und sich den Mendel 'sehen Regeln nach verhält, „mendelt". Samenbeständige Pflanzen bilden nur einerlei Art Eizellen und einerlei Art Pollenkörner; Hybrid- pflanzen verschiedene Arten Eizellen und ver- schiedene Arten Pollenkörner u. zw. soviele Arten einer jeden als konstante, d. h. samen- beständige Kombinationsmöglichkeiten bestehen. Weitere Schlußfolgerungen als die oben- genannten aus seinen Versuchen zu ziehen, er- achtet Mendel nicht als angebracht, denn „ob die veränderlichen Hybriden anderer Pflanzenarten ein ganz übereinstimmendes Verhalten beobachten lassen, muß gleichfalls erst durch Versuche ent- schieden werden; indessen dürfte man vermuten, daß in wichtigen Punkten eine prinzipielle Ver- schiedenheil nicht vorkommen könne, da die Ein- heit im Entwicklungsplane des organischen Lebens außer Frage steht". ') Es gab für Mendel einen wichtigen Grund, um bei der Verallgemeinerung seiner Schluß- folgerungen besondere Vorsicht anzuwenden ; von Gärtner waren eine Anzahl Hybriden gezüchtet worden, welche sich von Anfang an in ihrer Nachkommenschaft als konstant zeigten, bei welchen also keine Spaltung beobachtet werden konnte. Und wenn solche Bastarde wirklich her- gestellt werden könnten , dann würde die Be- deutung der Men del'schen Regeln nur sehr be- schränkt sein. Aber der behaupteten Samen- beständigkeit dieser Hybriden gegenüber verhält Mendel sich sehr skeptisch; er durchschaut völlig die Schwierigkeiten, welche eine verwickelte Spaltung in einigen Fällen ergeben kann, so daß eine ziemlich kleine Generation Einförmigkeit vor- täuschen wird. „Gärtner gesteht selbst, daß die genaue Bestimmung, ob eine Form mehr der einen oder der anderen von den beiden Stamin- arten ähnlich sei, öfter große Schwierigkeiten habe, indem dabei sehr viel auf die subjekiive An- schauung des Beobachters ankommt. Es kann jedoch auch ein anderer Umstand dazu beitragen, daß die Resultate trotz der sorgfältigsten Beob- achtung und Unterscheidung schwankend unl un- sicher werden. Für die Versuche dienten größten- teils Pflanzen, welche als gute Arten gelten und in einer größeren Anzahl von Merkmalen ver- schieden sind. Nebst den scharf hervortretenden Charakteren müssen da, wo es sich im allgemeinen um eine größere oder geringere Ähnlichkeit handelt, auch jene Merkmale eingerechnet werden, welche oft schwer mit Worten zu fassen sind, aber dennoch hinreichen , wie jeder Pflanzen- kenner weiß, um den Formen ein fremdartiges Aussehen zu geben . . . Bei einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Versuchspflanzen konnte dann das Resultat nur annähernd richtig sein und in einzelnen Fällen nicht unbedeutend abweichen. Wären z. B. die beiden Stammarten in 7 Merk- malen verschieden und würden aus den Samen ihrer Hybriden zur Beurteilung des Verwandt- schaftsgrades der Nachkommen lOO bis 200 Pflanzen gezogen, so sehen wir leicht ein, wie unsicher das Urteil ausfallen müßte, da für 7 differierende Merkmale die Entwicklungsreihe 163S4 Individuen unter 2187 verschiedenen Formen enthält. Es könnte sich bald die eine, bald die andere Verwandtschaft mehr geltend machen, je nachdem der Zufall dem Beobachter diese oder jene Formen in größerer Anzahl in die Hand spielt." '■) Allerdings ist es eine nicht so leichte Aufgabe, festzustellen, ob eine Pflanze in ihrer Nachkommen- schaft konstant, also samenbeständig ist, oder nicht. Nicht nur die Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit des Forschers, sondern auch die stets mehr oder weniger vorherrschende Beschränkung des Unter- suchungsmateriales und die nicht erblichen Modi- fikationen unter Einwirkung der äußeren Um- stände, sind die diese Arbeit besonders erschwe- renden Faktoren. Die für die Genetik so außer- ordentlich wichtige F"rage , ob es in Wahrheit sofort samenbestäiidige Hybriden gibt, werden wir unten näher erörtern. Sodann versucht Mendel noch die Aufstellung einer Hypothese, in welcher das verschiedene Ver- halten emes sofort samenbeständigen Bastardes und einer in ihrer Nachkommenschaft spaltenden Hybride eine Erklärung finden dürfte. „Gelingt es, eine Eizelle mit einer ungleichartigen Pollen- zelle zu verbinden, so müssen wir annehmen, daß zwischen jenen hlementen beider Zellen, welche die gegenseitigen Unterschiede bedingen, irgend- eine Ausgleichung stattfindet. Die daraus hervor- gehende Vermittlungszelle wird zur Grundlage des Hybridenorganismus, dessen Entwicklung not- wendig nach einem anderen Gesetze erfolgt, als bei jeder der beiden Stammarten. Wird die Aus- gleichung als eine vollständige angenommen, in dem Sinne nämlch, daß der hybride Embryo aus gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die Difierenzen gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde sich als weitere P"olgerung ergeben, daß die Hybiide, wie jede andere selbständige Pflanzen- art in ihren Nachkommen konstant bleiben werde. Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Frucht- knoten und den Antheren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit der zugrunde liegenden Vermittlungszelle überein." „Bezüglich jener Hybriden, deren Nachkommen veränderlich sind, dürfte man vielleicht annehmen, daß zwischen den differierenden Elementen der Keim- und Pollenzelle wohl insofern eine Ver- ') Mend< O. S. 42—43. ') Mend< O. S. 39. 684 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. mittlung stattfindet, daß noch die Bildung einer Zelle als Grundlage der Hybride möglich wird, daß jedoch die Ausgleichung der widerstrebenden Elemente nur eine vorübergehende sei und nicht über das Leben der Hybridpflanze hinausreiche. Da in dem Habitus derselben während der ganzen Vegetationsdauer keine Änderungen wahrnehmbar sind, müßten wii weiter folgern, daß es den differierenden Elementen erst bei der Entwicklung der Befruchiungszellen gelinge, aus der erzwungenen Verbindung herauszutreten. Bei der Bildung dieser Zellen beteiligen sich alle vorhandenen Elemente in völlig freier und gleichmäßiger An- ordnung, wobei nur die difterierenden sich gegen- seitig ausschließen. Auf diese Weise würde die Entstehung so vielerlei Keim- und Pollenzellen ermöglicht als die bildungsfähigen Elemente Kom- binationen zulassen." ^) Dieses lange Zitat der Mend el'schen Hypo- these, welcher er selber „nur den Wert einer Hypothese, für welche bei dem Mangel an sicheren Daten noch ein weiterer Spielraum offen stände" zuerkannt, hat darum eine solche Bedeutung, weil sie einerseits in so wichtigen Zügen eine Über- einstimmung zeigt mit der Meinung Naudin's, andererseits aber ebensowohl von einem modernen Vererbungsforscher im Jahre 1915 hätte geschrieben werden können als von Mendel in 1865. In der Gegenwart sind die Einzelheiten des Be- fruchtungsprozesses viel besser bekannt, wir kennen den Bildungsgang des Pollens und der Eizelle und wir gaukeln mit Chromosomen und Reduktionsteilung und so vielem anderen, im Grunde genommen sind wir aber noch nicht weiter als Mendel in seiner Hypothese. Auf Grund ganz anderer Versuche kam Charles N a u d i n -) zu ungefähr den>elben Auf- fassungen wie Mendel. Aber der letztere hatte einen großen Vorsprung; er arbeitete nur in großem Umfange mit Pflanzen, welche in einer sehr beschränkten Zahl der Merkmale voneinander verschieden waren, während Naudin sich be- schäftigte mit Bastardierungen verschiedener Arten desselben Genus ; so z. B. Papaver, Mirabilis, Primula, Datura, Nicotiana, Petunia, Digitalis, Linaria, Ribes, Lufta, Coccinia und Cucumis. Es ist Naudin's scharfer Beobachtung zu verdanken, daß er, un- geachtet der Schwierigkeiten, welche Arthybriden meistens darbieten und welche für Gärtner, wie wir sahen, so groß waren, daß seine Versuche zum Teil ihn zu falschen Schlußfolgerungen führten, dennoch zur selben Meinung wie Mendel ge- langt ist und er die Betrachtungen Mendel 's im großen und ganzen unterschreibt. Zwar finden wir in Naudin's Arbeit nicht die Regel der Zahlenverhältnisse, welche Mendel durch seine einfache Problemstellung herauszuholen imstande ') Mendel a. a. O. S. 41—42. 2) Ch. Naudin, 1865. Novelles recherches sur l'hybri- dite dans les vegetaux. (Nouv. Arch. du Museum, Tome 1, p. 25-176, 1865.) war, im übrigen aber stimmen die Arbeiten Mendel's und Naudin's weitgehend überein. An erster Stelle wurde die einleuchtende Ein- förmigkeit der Fj- Generation von Naudin mit scharfer Betonung festgestellt; er sah in dieser Einförmigkeit einen prinzipiellen Gegensatz zwischen der Fj und den nachfolgenden Gene- rationen : „Pour se faire une idee juste de l'aspect que presentent les hybrides, il est essentiel de distinguer entre la premiere generation et Celles qui la suivent. J'ai toujours trouve dans les hybrides que j'ai obtenus moi-meme et dont l'origine m'etait bien connue, une grande uniformite d'aspect entre les individus de premiere generation et provenant d'un meme croisement, quel qu'en ait ete le nombre." Und weiter: „En somme, on peut dire que les hybrides d'un meme croisement se ressemblent entre eux, ä la premiere generation, autant ou presque autant que des individus, qui proviennent dune meme espece legitime." ') Auch das übereinstimmende Äußere der beiden reziproken Bastarde, d. h. der Bastarde von A als Samenträger mit B als Pollenlieferant und die reziproke Hybride von A als Pollenlieferant mit B als Samenträger, wurde von Naudin nach- drücklich hervorgehoben : „Ce que je puis affirmer, c'est que tous les hybrides reciproques que j'ai obtenus, tant entre especes voisines qu'entre especes eloignees, ont ete aussi semblables les uns aux autres que s'ils fussent provenus du meme croisement ... II se peut sans doute qu il n'en soit pas toujours ainsi, mais, si le fait est vrai, il doit etre rare et etre considere bien plus comme l'exception que comme la regle."-) Außerhalb der Einförmigkeit der F^-Generation und der Übereinstimmung zwischen den reziproken Hybriden, gibt Naudin als dritte Folgerung diese: „A partir de la seconde generation, la physionomie des hybrides se modifie de la maniere la plus remarquable. Ordinairement, k l'uniformite si parfaite de la premiere generation succede une extreme bigarrure de formes." Damit ist also die Tatsache festgestellt worden, daß Hybriden, auch Arthybriden, in ihrer Nachkommenschaft nicht einförmig sind, sondern spalten und also sehr abweichende Typen bilden können. „C'est qu'effectivement c'est a la deuxieme generation que, dans la grande majorite des cas (et peut etre dans tous), commence cette dissolution des formes hybrides, entrevue dejä par beaucoup d'observa- teurs, mise en doute par d'autres, et qui me parait aujourd'hui hors de toute contestation." ^) Aber in einer Hinsicht steht die Arbeit Nau- din's hinter derjenigen Mendel's zurück, oder besser gesagt, in einer Hinsicht weichen ihre Re- sultate voneinander ab, während die Mend ei- schen jetzt als richtig erkannt sind. Aus den Ver- suchen Mendel's war hervorgegangen, daß er in der Nachkommenschaft der l'^jGeneration Formen ') Naudin a. a. O. S. 146- 147. 2) Naudin a. a. O. S. 147- .148. "j Naudin a. a. O. S. 149. N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 685 auffand, welche sich völlig samenbeständig zeigten und die verschiedenen von beiden Eltern vererbten Eigenschaften in sich vereinigt hatten. In dirser Weise erhielt Mendel durch Kreuzung neue Formen, welche in ihrer Nachkommenschaft keine Bastardnatur erkennen ließen und sich als reine Arten ergaben. Naudin gelangte bei seinen verwickeiteren Untersuchungen nicht zu derartigen samenfesten Neukombinaiionen: ,,Ce que je puis affirmer, c'est qu'aucun des hybrides que j'ai ob- tenus n'a manifeste la moindre tend^nce ä faire souche d'espece." ') Aber dieses abweichende Ver- halten braucht uns gar nicht zu wundern, wenn wir bedenken, daß Naudin mit der Herstellung von Arthybriden beschäftigt war, also B.istarde anfertigte zweier in manchen Hinsichten von- einander verschiedenen Pflanzen. Denn je größer die Zahl der zwischen den Eltern bestehenden Differenzen, je geringer die Chance, um unter den Nachkommen in jeder Hinsicht konstante Bastarde aufzufinden ; in Zahlen ausgedrückt, so finden sich in der Fj einer Kreuzung zwischen zwei in zwei Eigenschaften verschiedenen Pflanzen 2 (2^ 2) neue samenbeständige P'ormen auf 16(2*) Pflanzen, während die F',, einer Kreuzung zwischen zwei in zehn Eigenschaften verschiedenen Pflanzen 1022 (2*" — 2) neue samenbeständige Formen enthält auf 1048576 (2-") Pflanzen. Kein Wunder also, daß Naudin, der seine Pflanzen nicht gegen Insektenbesuch schützte und daher fast immer spontane Fremdbestäubung stattfinden ließ, keine neuen samenbeständigen Formen entdeckte. In der theoretischen Erklärung dieser Spaltungs- erscheinungen finden wir bei Naudin dieselbe Gedankenentwicklung wie bei Mendel, aber in viel höherem Grade ausgearbeitet: Mendel gab in einigen wenigen Zügen seine Vermutung als Hypothese und formulierte die Erscheinungen buchstäblich in seinen Buchstabenformeln; Nau- din sah die Spaltungsverhältnisse nicht in so außerordentlich regelmäßiger Weise auftreten, be- obachtete keine festen Zahlenverhältnisse und war also genötigt sich auf eine nur wenig scharf be- grenzte hypothetische Betrachtung zu beschränken; auch hier tritt der kennzeichnende Unterschied zwischen dem exakt-mathematisch denkenden Mendel und dem mehr philosophischen Nau- d i n klar zu Tage. Dennoch gibt es in Naudin 's Betrachtungen manche kennzeichnende Äußerung, welche darauf hinweist, daß Naudin das Wesen der Sache er- faßt hat: „Une plante hybride est un individu oii trouvent reunies deux essences differentes ayant chacune leur mode de Vegetation et leur finalite particuliere, qui se contrarient mutuellement et sont Sans cesse en lutte pour se degager l'une de lautre. Ces deux essences sont-elles intimement fondues? se penetrent-elles reciproquement au point que chaque parcelle de la plante hybride, si petite, si divisee qu'on la suppose, les contienne egalement toutes deux? II se peut qu'il en soit ainsi dans l'embryo", et peut-etre dans les pre- mieres phases du developpement de Thybride, mais il me parait bien plus probable que ce dernier, au moins a l'etat adulte, est une agregation de parcelles, homogenes et unispecifiques prises se- parement, mais reparties, egalement ou inegale- ment entre les deux especes, et s'entremelant en proportions diverses dans les organes de la plante . . . Les faits autorisent ä penser que le pollen et les ovules, le pollen surtout, qui est le terme extreme de la floraison male sont preci- sement les parties de la plante oü la disjonction specifique se fait avec le plus d'energie ... Et comme les disjonctions, tant dans le pollen que dans les ovules, peuvent se faire ä tous les degres, il resultera des combinaisons qui pourrnnt avoir Heu, et que le hasard seul dirige, cette multitude de formes que nous avons vues se produire dans les Linaires hybrides et les Petunias, des la deu- xieme generation." ') Wir sehen also aus den Untersuchungen Gregor Mendel's und Charles Naudin's dieselben Schlüsse hervorgehen, Schlußfolgerungen, welche am schärfsten formuliert wurden in der Aussage Mendel's: „Daß das Verhalten je zweier differirender Merkmale in hybrider Vereinigung unabhängig ist von den anderweitigen Unterschieden zwischen den beiden Stammpflanzen" und „Daß die Hybride so vielerlei Ei- und Pollen- zellen erzeugt, als konstante Kombinationsformen möglich sind." -) Einen anscheinenden Gegensatz zu diesen Thesen bilden die Re-ultate der Arbeit Wichura's*), der zahlreiche Bastardierungsversuche zwischen verschiedenen Weidenarten anstellte, Versuche, welche um vieles verwickelter waren als diejenigen Mendel's oder Naudin's und dadurch keine klaren, unzweifelhaften Schlüsse erlauben. Wichura erachtete es als besonders wichtig, daß er sechs verschiedene VN'eidenarten in einer Pflanze zu- sammenbringen konnte, wenn er den Bastard zweier Arten mit Pollen einer dritten Art be- fruchtete und so fortfuhr. Wichura 's Arbeit wurde von vielen Seiten als das wichtigste Argument gegen eine Verallgemeinerung der Mendel'schen Regeln betrachtet; außer seinen ganz unsicheren Beweisen für die Möglichkeit einer sofort samenbeständigen Hybride sind Argumente für diese Meinung auch aus Gärtner's Bastardierungen von Dianthus armeria mit D. del- toides geschöpft, welche Hybride von Gärtner bis in die zehnte Generation durchgezüchtet wurde und ihm eine völlige Samenbeständigkeit zu zeigen schien. Wie aber Wie hl er 's Versuche zeigten, daß dieser Gärtner'schen Hybride die Samen- i) Naudi a. a. O. S. I 57- ') Naudin a. a. O. S. 150— 153. 2) Mendel a. a. O. S. 42. ') Max Wichura, 1865. Die Bastardbefruchtung im P/lanzenreich, erläutert an den Bastarden der Weiden. (Breslau 1865, 95 Seiten, 2 Taf.) 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 48 beständigkeit gänzlich fehlt'), so konnte auch die Arbeit W ic h u r a's als eine wirkliche Stütze für so- fortige Samenbeständigkeit einer Hybride nicht be- trachtet werden. Wie ich an anderer Stelle ") nach- wies, gibt es in seiner Arbeit manche Äußerung, welche auf eine Spaltung seiner Bastarde hindeutet und von späteren Autoren übersehen worden ist. So z. B. die folgende : „Man sieht, die Frage ist noch weit davon entfernt, ins klare gebracht zu sein, doch scheint durch Gärtner's und meine eigenen Beobachtungen wenigstens festgestellt, daß die Zeugungsprodukte des hybriden Pollens vielgestaltiger als die des Pollens echter Arten sind."^) Ein deutlicher Hinweis auf Bastard- spaltung, sollte man doch meinen! Eine merkwürdige P'ügung des Schicksals hat bestimmt, daß die unsicherste und ver- wickeltste dieser drei Abhandlungen , diejenige Wichura's, den größten Einfluß auf die späteren Botaniker ausgeübt hat. So spricht Focke in seinem im übrigen berühmten Buche über Pflanzenbastarde '), einem eminenten Werk, in welchem eine gewaltige Literatur verarbeitet worden ist, mit größtem Wohlwollen von den „zahlreichen und mühevollen eigenen Versuchen", und stellt sich bezüglich eventueller Samenbeständig- keit von Hybriden auf die Seite Wichura's. „Er bestätigte", sagt Focke bei der Besprechung der Untersuchungen Wichura's, „im Gegensatz zu Godron die Angaben Koelreuter's, Her- bert's, Gärtner's, Naudin's und anderer, daß die Bastarde häufig mit zugehörigem Pollen fruchtbar sind, fand auch, im Gegensatze zu Naudin, die Nachkommenschaft der Weiden- bastarde konstant. Er widerlegte somit die wesentlichsten Irrtümer seiner beiden nächsten Vorgänger, deren Arbeiten er übrigens gar nicht gekannt zu haben scheint."'') Aber die Zeit hat Naudin und nicht Wichura recht gegeben (d. h. wenn man Wirhura in der Weise Focke's liest), denn sowohl die Hy- briden der beiden Dianthus-Arten, welche nach Gärtner bis in die zehnte Generation hinein als konstant sich gezeigt haben sollen, sind jetzt, wie gesagt, erkannt worden als völlig, aber sehr verwickelterweise, spaltende Bastarde, wie auch die Weidenbastarde Wichura's, welche so lange das Paradepferd der Anhänger der sofort- konstanten Hvbriden bildeten, in Wahrheit eine vielförmige Nachkommenschaft gaben. Nau- din's Arbeit findet in Focke's Buch auch eine ') G. Wichler, 1913. Untersuchungen über den Bastard Dianlhus armeria und Dianthus deltoides nebst Bemerkungen über einige andere Artkreuzungen der Gattung Dianthus. (Zeitschr. f indukt. Abstamin.- u. Vererb.-Lehre, X, 1913, S. 177—232.) 2) M. J. Sirks, 1915. Waren die Salix -Hybriden Wichura's wirklich konstant? (Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb.-Lehre, XV, 1915, S. 164—166.) ") Wichura a. a. O. S. 57. *) W. O. Focke, 1881. Die Pflanzenmischlinge. (Berlin, Bornträger, 1881.) "■) Focke a. a. O. S. 443. ziemlich eingehende Besprechung; er meint, daß sie, von dem klaren und deutlichen Stil und von der fesselnden Schreibweise abgesehen, sowohl Wichura's wie Gärtner's Abhandlung nach- stände. Und Mendel' s geniales Werk findet im Buche Focke's nur kurz Erwähnung: „doch glaubte Mendel konstante Zahlenverhältnisse zwischen den Typen der Mischlinge zu finden." ') In diesen Worten war für Focke das Wichtigste der Mendel' sehen Schlüsse gesagt. Und Focke war auf dem Gebiete der Bastardierung eine anerkannte Autorität. Unter keinen Umständen wollte er weiter gehen als zuzugeben, daß ,,das Schwanken der Charaktere unter den Nachkommen von Hy- briden gewöhnlich ist." -) Aber eine allgemein- gesetzliche Regelmäßigkeit anzunehmen, weigerte er sich völlig: ,, Nichts hat sich verkehrter er- wiesen als das voreilige Verallgemeinern einzelner Erfahrungen. Ohne Zweifel kann man wohl- begründete Regeln über das gewöhnliche Ver- halten der Bastarde aufstellen, aber man darf nicht vergessen , daß jede dieser Regeln mehr oder minder zahlreiche Ausnahmen zuläßt. Gegenüber der starren Gesetzmäßigkeit, wie sie in der an- organischen Natur herrscht, zeigen die Organismen in ihren Lebenserscheinungen eine gewisse Frei- heit, eine sich jeder Berechnung entziehende Bildsamkeit." '^} Ebenso interessant ist es zu sehen, wie der seinerzeit tonangebende Carl von Nägeli, dessen Wort über Vererbung und Abstammungs- lehre für viele Leute ein Gesetz war, und mit dem Mendel in Briefwechsel über seine Bastar- dierungsversuche stand, den Wert dieser Mend ei- schen Resultate nicht gefaßt hat, ebensowenig wie Anton Kerner von Marilaun, der berühmte Verfasser des „Pflanzenleben", aus Mendel's Werk, das er dem Anscheine nach gekannt hat, die daraus resultierenden Schlüsse verarbeiten konnte. Beide erachten Artbastarde als samen- beständig und sind der Meinung, daß die Schluß- folgerungen, die Mendel in seinem Versuchs- garten aus künstlichen Kreuzungen herleitete, keine Gültigkeit für die wilden, in der Natur lebenden Pflanzen beanspruchen könnten. Und Darwin erwähnt den Namen Mendel's weder in seinem ,,Originofspecies", noch in seinem „Varia- tions of animals and plants under domestication"! Die wichtige Wendung in der Anerkennung der Mendel'schen Arbeiten erfolgte im Jahre 1900; nachdem seit fünfunddreißig Jnhre die öffent- liche Meinung in der Botanikerwelt die Unter- suchungen Mendel's völlig ignoriert hatte, wurden im genannten Jahre, wie bekannt, drei kurze Mitteilungen aus den Federn dreier europäischer Gelehrten im selben Bande derselben Zeitschrift veröffentlicht.^) Es waren Publikationen Hugo ') Focke a. a. O. S. iio. ') Focke a. a. O. S. 443. ') Focke a. a. O. S. 445. *) Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft, i. XVUI, 1900. N. F. XV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 687 de Vries', Carl Correns' und Erich von Tscher mak's, die in ihren Versuchen EU ähnlichen Ergebi'issen gelangt waren, als Mendel schon im Jahre 1865 erhallen hatte, die iViendersche Arbeit aber erst später kennen gelernt hatten. Und diese drei Veröffentlichungen wurden zur Dämmerung einer neuen Zeit, einer Zeit, in welcher mit Erstaunen erregender Emsigkeit „mendelistische" Untersuchungen in Gang gesetzt wurden, in welcher der Name M e n d e 1 ' s aus dem Dunkel der Unbekanntheit zur Weltberühmtheit gelangte. Eine große Zahl von Biologen, sowohl Botanikern wie auch Zoologen, arbeiteten zusammen an dem Aufbau einer neuen Wissenschaft, der Vererbungslehre, gegründet auf den von Mendel gelegten Grundlagen. Die Vererbungslehre ist eine internationale Arbeitsrichtung geworden, eine Wissenschaft, deren Vormänner nicht nur in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, sondern auch in Amerika, Dänemark, Holland, Österreich und Schweden gefunden werden. Inter- national auch in ihren Zeitschriften : es gibt schon verschiedene Zeitschriften verschiedener Natio- nalität, in welchen in verschiedenen Sprachen Beiträge zur Ausarbeitung der Vererbungslehre erscheinen. Haben nun die „Men de 1' sehen Gesetze", wie die erwähnten Regeln vielfach genannt werden, auch allgemeinere Bedeutung? Mendel selbst zeigte ihre Gültigkeit für sieben Eigenschaftspaare mit Beziehung auf Samenform, Kotyledonenfarbe, Hülsenform, Hülsenfarbe, Infloreszenz und Pflanzen- höhe. Und aus modernen Untersuchungen ist bekannt geworden, daß sehr verschiedene Pflanzen- und Tiermerkmale, wie auch solche des Menschen, sich den Mendel'schen Regeln nach verhalten. In seinem vorzüglichen Buche „Mendels Principles of Heredity" gibt Bateson') eine Liste der bis 191 3 bekannt gewordenen Fälle der Mend ei- schen Spaltung, in welcher Liste wir z. B. treffen: Farbenmerkmale bei einer Anzahl von Pflanzen und Tieren, behaarte Epidermis bei Pflanzen, starke Verzweigung, Anwesenheit von Drüsen- haaren auf den Blättern einiger Pflanzen, gefüllte oder hohle Stengel, Blatiform, eingeschnittene Blätter, zweijähriger Lebensdauer, Krankheits- empfänglichkeit, Kurzgriffligkeit der Priineln, Stärke- oder Zuckergehalt einiger Samen, einfache oder gefüllte Blüten, Gehörntheit bei Rindern, Paßgänger unter Pferden, Kammformen bei Hühnern. Dann gibt L. Plat e in seiner „Vererbungslehre" '-) eine eingehende Übersicht der mendelistischen Vererbung beim Menschen, worunter wir finden; Fälle der Brachydaktylie (eine Mißbildung der Hand, wodurch jeder Finger nur zwei Phalangen hat) neben Vererbung musikalischer Anlage usw. Also müssen wir wohl gestehen , daß diese Regeln eine weitreichende Bedeutung haben und daß sehr verschiedene Eigenschaften sich bezüg- lich ihrer Erblichkeit nach fe.sten Regeln verhalten. Wenn wir diese Tatsache im Auge behalten, so werden wir auch eingehen, daß die Wahrschein- lichkeit des Bestehens sofort kon.stanter Hybriden durchaus klein ist. Eine Anzahl von Beispielen ist in der Literatur erwähnt worden als Stütze für die Meinung, daß ein Bastard von Anfang an ganz und gar einander gleiche Nachkommen bilden würde, aber bei einer genaueren Prüfung hat sich diese Meinung als völlig unberechtigt gezeigt. Man hat lange den Glauben gehegt, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen sog. Arten und sog. Varietäten darin zu finden sei, daß Varietätshybriden in ihrer Nachkommenschaft Mendel 'sehe Spaltung zeigen, daß aber im Gegensatz hierzu die Bastarde zweier zu ver- schiedenen Arten gehöriger Pflanzen von Stund an sich konstant erhalten. Aber eine derartige Unterscheidung zwischen Arten und Varietäten kann jetzt nicht aufrecht erhalten werden, da doch aus den eingehenden Untersuchungen Baur's (über Antirrhinum- Arten ')), Gersch- 1er 's (über die Kreuzung zweier Usch Spezies Platy- poecilius maculatus und Xiphophorus strigatus -)), Jesenko's (über Hybriden zwischen Weizen und Roggen^)), Lotsy's (über Arthybriden in den Gattungen Antirrhinum, Nicotiana und Petunia*)) und Wichler's (über die historisch bedeutungs- volle Hybride Dianthus Armeria und D. deltoi- des ^)) wohl die Unhaltbarkeit der Annahme kon- stanter Spezies -Hybriden eindeutig bewiesen worden ist. Arthybriden mendeln ebensogut wie Varietätsbastarde. Auch andererseits gibt es in der Literatur Erwähnungen konstanter Hybriden, welche jetzt als falsch zu betrachten sind: noch im Jahre 1912 wurde von de Vri es ") die Farben- konstanz der Mulatten als Beispiel konstanter Hy- briden genannt, Davenport') hat jedoch durch seine eingehenden Untersuchungen gezeigt, daß die Hautfarbe der Mulatten schöne Spaltungs- erscheinungen aufweist, und daß aus einem Mulattenpaare ein weißes Kind geboren werden kann. Ich glaube deshalb nicht, daß es jetzt noch erlaubt sei, eine These zu verfechten, wie sie ein holländischer Botaniker im Jahre 1908 1) W. Bateson, 1913. Mendels Principles of Heredity. (Cambridge, University-Press, 3rd Impression, 1913) 2) L. Plate, 1913. Vererbungslehre. (Handb. der Ab- stammungslehre, II, Leipzig, Engelraann, 1913). S. 304—398. ') E. Baur, 1910. Vererbungs- und Bastardierungs- versuche mit .antirrhinum. (Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb -Lehre, III, S. 34— 9S, besonders S. 91—92.) ») M. VV. Gerschier, 1914. Über alternative Vererbung bei Kreuzung von Cyprinodontiden-Gattungen. (Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb.-Lehre, XII, S. 73—96-) ^) F. Jesenko, 1913. Über Getreide -Speziesbastarde (Weizen- Roggen). (Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb.- Lehre, X, S. 311—326.) *) J. F. Lotsy, 1914. La theorie du croisement. (Arch. neerlandaises des Sc. exact. et natur. Ser. III B, Tome II, S. 178— 238 und andere Publikationen in den Jahren 1912— 1916.) s) G. Wich 1er, 1913 a. a. O. «) H. de Vries, 1912. Die Mutationen in der Erb- lichkeitslehre. Vortrag. (Berlin, Borntraeger, 1912) S. 33. ') G. C. and C. B. Davenport, 1910. Heredity of Skin Pigment in Man. (American Naturalist., XLIV, S. 641— 672, 705—73'-) Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 48 unter den seiner Inauguraldissertation beigegebenen Thesen verteidigte: „Mendeln ist selten." Dem- gegenüber dürfen wir jetzt wohl aus den^ bekannten griechischen Satze: „Ttäna gtl", „alles fließt", die Variante: „alles mendclt" machen. Aber wir sollen in dieser Verallgemeinerung doch einigermaßen vorsichtig sein; die Mendel 'sehen Spaltungen nach dem Verhältnis i : 2 : i sind ja selten, weil wir nur sehr ausnahmsweise Kreuzungen zweier in nur einem Merkmale verschiedenen Individuen herstellen oder in der Natur antreffen. Wenn wir aber als Ausgangsmaterial zwei völlig samenbeständige (reine) Individuen nehmen, so wird die Nachkommenschaft der Hybride stets eine Vielförmigkeit zeigen und stets einer be- stimmten Regel nach spalten. Wir brauchen nicht zu betonen, daß derartige „reine" Individuen nur schwer zu erhalten sind. Denn die Kontrollierung der Reinheit ist gar nicht leicht! Man bedenke, daß eine Pflanze oder ein Tier, kurz ein Organismus, der einer Befruchtung seine Entstehung verdankt, und also sich entwickelt hat aus dem Verschmelzungsprodukt zweier, meistens von verschiedenen Individuen stammenden Keimzellen, daß ein solcher Organismus kein ein- faches, sondern ein doppeltes Wesen bildet, in welchem die von Seiten des Vaters und von Seiten der Mutter herkünftigen Eigenschaftsträger in buntem Durcheinander gemischt sind. Und wenn diese Eigenschaftsträger nur hölzerne Würfel wären oder der Organismus eine mit Brettsteinen ge- füllte Tasche, so wäre die Sache der Züchtung eines reinen Individuums ziemlich leicht, aber die Merkmale sind Äußerungen verschiedener che- mischer Stoffe, die befruchtete Eizelle, aus der der hergestellte Organismus mit seinen Eigenschaften aufwachsen soll, ist also ein sehr verwickeltes chemisches System, in dem sämtliche Gesetze der physikalischen Chemie und der Kolloidchemie ihre Gültigkeit beanspruchen. Zu oft wird, selbst von Untersuchern aus dem mendelistischen Lager, ein sog. „Eigenschaftsträger", die Grundlage eines äußeren Merkmales, ein Faktor, ein Gen, oder wie man das Ding benennen will, als ein an sich vollständiges Ganze betrachtet; selbstverständlich eine Folge der auf die Spitze getriebenen zweiten Regel Mendel's, welche besagt, daß die Eigen- schaften unabhängig voneinander spalten. Wenden wir jetzt unseren Blick einem Pro- blem zu, welches durch die in 1865 begründeten modernen mendelistischen Erblichkeitsuntersuchun- gen vielleicht seiner Lösung ein gutes Stück nähergerückt ist, der Frage des „Origin of species". Die Entwicklungsgeschichte dieses Problems zu schreiben, ist jetzt nicht meine Absicht; Ideen über die schwierige Frage finden sich schon bei Aristoteles vor und erreichen besonders in der Zeit der französischen Enzyklopädisten, in der Umgebung Goethes und bei Lamarck und Geoffroy St. Hilaire ihreBlütezeit. Nicht gerne würde ich die Bedeutung derartiger Meinungen und Betrachtungen unterschätzen, aber dennoch . . . keinem der genannten Gelehrten ist die Überredung seiner Zeitgenossen gelungen, und das bleibt doch auf immer Darwin 's großes, unsterb- liches Verdienst. Nun wird man, wenn man so wünscht, Darwin Originalität absprechen können (wurde nicht vor kurzem im Biologischen Zentral- blatte die Frage „War Darwin ein originelles Genie?" verneint, und damit der Eindruck er- weckt, als sei vor Darwin schon die Evolutions- frage gelöst und es gäbe überhaupt vollkommen originelle Menschen), trotzdem läßt sich nicht leugnen, daß Darwin der erste war, dessen Arbeit sich des allgemeinen Beifalls erfreute. Gewiß, die Frage und ihre Lösung schwebte in der Luft; das anonym erschienene Buch „Vestiges of creation", als dessen Verfasser später Robert Chambers bekannt wurde, hatte Darwin's Weg vorbereitet, aber das über- wältigende Tatsachenmaterial, welches Darwin zusammengetragen hat, hat ihm den Sieg ge- bracht. Es ist keineswegs eine leichte Aufgabe, die Auffassungen Darwin's über den „Origin of species", m.a W. über den Gang des Evolutionspro- zesses, kurz zusammenzufassen, und zwar besonders weil Darwin sich eines langen Lebens erfreut hat und der 7 5 jähriger Denker nicht dieselbe Meinung zu hegen braucht wie der 20jährige. Aber trotzdem will ich es versuchen, gerade weil seine Vorstellungen oft so falsch und verwirrt wiedergegehen werden und besonders weil Darwin seine Theorie veröffentlicht hat, bevor Mendel's Arbeit zur allgemeinen Anerkennung gelangt war, während die späteren Theorien de Vries' und Lotsy's unter dem Einfluß des Mendelismus stehen. An erster und wichtigster Stelle war Dar- win's Zweck, der Menschheit die Überzeugung zu geben , daß die „Art" als solche kein kon- stantes Wesen darstelle, sondern vielmehr in hohem Grade veränderlich sei, daß überall im Pflanzen- und Tierreich eine Veränderlichkeit, eine Variabilität herrsche, welcher die ganze Welt der Lebewesen unterworfen sei , und von welcher die kleinen und großen Unterschiede zwischen „verwandten" Organismen herstammten. Mit der Natur, mit dem Wesen dieser Variabilität hat Darwin sich nicht beschäftigt; er unter- schied zwar verschiedene Formen der Veränder- lichkeit, individuelle Variabilität und sprungweise Variabilität und Variabilität unter Einfluß äußerer Umstände, aber er wußte nicht, welche dieser verschiedenen Formen als die wichtigste anzu- erkennen wäre; bald gibt er dieser, bald jener den \'orzug. Diese innere, mehr oder weniger mysteriöse Variabilität war nach Darwin allseitig, d. h. sie wirkte nach allen Richtungen ; die von ihr gebildeten Abweichungen konnten nützlich oder schädlich oder für das Leben des Organismus indifferent sein. Und diese sämtlichen Variationen waren mehr oder weniger erblich, so daß sie von den Eltern auf die Kinder vererbt und in dieser Weise durch N. F. XV. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 689 die nachfolgenden Generationen hindurch stärker wurden , sich sozusagen häufen konnten. Aber die mächtige Natur gestattete nicht die Verstär- kung einer jeden Abweichung; in der Natur werden viel mehr Lebewesen ins Leben gesetzt, als am Leben erhalten werden können und erwachsen; es gibt in der ganzen Natur einen steten Kampf ums Dasein, „a struggle for life", von welchem die ganze Organismenweit gesiebt wird, so daß aus der Gesamtheit jener durch „Variabilität" entstandenen Abweichungen nur diejenigen am Leben erhalten bleiben und zur Fortpflanzung schreiten , welche aus dieser oder jener Eigenschaft Vorteil ziehen und ihren diese Eigenschaft entbehrenden Zeit- genossen die Lebenslage ungünstig machen. Die „Selektion", die „Naturzüchtung" fängt also zu arbeiten an, und ist in dieser Weise die Ursache der am Leben bleibenden günstig-abweichenden Organismen. Von einer direkten Anpassung, wie Lamarck diese zu sehen glaubte, findet sich bei Darwin keine Spur; wohl aber von einer indirekten Anpassung, einer Auslese derjenigen Formen durch den Kampf ums Dasein, deren Abweichung den Lebensverhältnissen entgegenkommt, der Llm- gebung angepaßt ist. Also zuerst Variabilität, von welcher Ursache diese auch herrührt, und erst später die alles lebendige auslesende Selektion. Nach dem Vorgange Nägel i 's, der eine Trennung zwischen erblicher und nicht-erblicher Variabilität durchzuführen versucht hat, dessen theoretische Betrachtungen aber der tatsäch- lichen Grundlage entbehrten und der Fantasie zu großen Raum gestatteten, gab Hugo de Vries als erster eine scharfe Definition der verschiedenen Variabilitäisformen mit Rücksicht auf ihre Erblich- keit. Die ganze sogenannte individuelle Variabili- tät faßte er als nicht- erbliche zusammen, weil ihre Nachkommen immer zum Typus der Art, zu welcher sie gehörten, zurückschlagen. Demgegen- über beobachtete de Vries bei einer Pflanzenart, Oenothera Lamarckiana, daß diese Art gar nicht samenbeständig sei, sondern imstande war, jedes- mal eine Anzahl Nachkommen zu bilden, welche in diesem oder jenem Merkmale von der Eiter- pflanze scharf unterschieden werden konnten; die Nachkommenschaft dieser abweichenden Pflanzen war dann zum größten Teile sofort samen- beständig. Diese Erscheinung wurde von d e V r i e s als Mutation gedeutet; die abweichenden Nach- kommen hießen Mutanten. Diese Mutationen gingen nach allen Richtungen; von einem „Ver- vollkommnungstriebe", wie er in der Nä gel i' sehen Theorie eine Rolle spielt, war in der Mutations- theorie keine Rede. Aber durch die große Samen- beständigkeit dieser Mutanten gewannen sie einen wichtigen Vorsprung vor den Darwin 'sehen Varianten; die Selektion sollte alsdann die ab- weichenden Individuen bevorzugen, ihre Fort- pflanzung begünstigen und ihre Anzahl überaus steigern. Theoretisch steht de Vries auf mende- listischem Boden ; er betrachtet demnach eine jede Pflanze als einen Komplex vieler unter sich unabhängiger Einheiten, welche entweder plötzlich neuerscheinen (progressive Mutation), oder aus aktivem Zustande in eine latente Lage übergehen (retrogressive Mutation), oder aus der latenten Lage wieder in die aktive zurückkehren (degressive Mutation). In den ersten Jahren nach dem Erscheinen der „Mutationstheorie" (1901 — 1903) hatte es allen Anschein, als wäre mit dieser Entdeckung ein außerordentlich wichtiges Fundament gelegt wor- den. Und allerdings gestatteten die Tatsachen da- mals keine andere Erklärung. Von der großen Trag- weite der Mendel'schen Spaltungen war noch nichts bekannt; das ganze Feld der exakten Bastardierungsversuche lag noch brach. Bahn- brechend war die experimentelle Arbeit de Vries' jedenfalls; die fünfzehn Jahre intensiver Studien, welche er der Untersuchung der Oenothera Lamarckiana und den Mutatinnserscheinungen ge- widmet hat, bevor er sein großes Buch veröffent- lichie, waren nicht vergebens. Daß die Frage des „Origin of species", des Evokuionsvorganges experimentell in Angrifi" genommen werden kann und exakte, systematische Züchtungs- und Basiar- dierungsversuche uns ein gutes Stück der Lö- sung näher bringen können, das hat de Vries uns gezeigt; dafür schulden wir ihm großen Dank. Aber es gibt eine andere Frage, u. zw. ob die Erklärung der von de Vries beobachteten Erscheinungen die rechte war. Fußend auf einer von Darwin in großen Zügen aufgestellten Pan- genesis-Hypothese, welche wir hier nicht eingehen- der erörtern können, hat de Vries selber diese Theorie prinzipiell geändert, ') und auf diesem theo- retischen Boden glaubte er die obengenannte Er- klärung der Mutationsphänomene geben zu dürfen. Aber nach einigen Jahren wurden von verschie- denen Seiten Bedenken demgegenüber geäußert: Bateson (1902)'-) wies hin auf die Möglichkeit, die Oenothera Lamarckiana sei keine reine Art, sondern ein Bastard; Lotsy (1906)*) betrachtete die Sache von demselben Standpunkt, maß die Vorzüge der Mutationslehre ab gegen die Schwierig- keiten und kam zu der Schlußfolgerung, daß die Schwierigkeiten ziemlich ernsthaft wären. Und wirklich gibt es schwerwiegende Argumente für die mögliche Bastardnatur der Oenothera Lamarcki- ana; so z. B. daß Oen. Lam. als wilde Pflanze, obwohl von de Vries und von zahlreichen Amerikanern diesbezüglich eingehende Unter- suchungen angestellt wurden, völlig unbekannt geblieben ist, so daß gegen ihre Existenz als wilde Art begründeter Zweifel erhoben werden darf; zweitens ist die stete Zahlenkonstanz der auftretenden „Mutanten" (einige ungefähr i 7o, andere 0,1 %, wieder andere 0,01 '■%} doch ein ') H. de Vries, 1889. Intracellulare Pangeoesis. (Jena, Fischer, 1889.) ") W. Bateson, 1902. Reports to the Evolution Com- mittee of the Royal Society, Vol. 1, S. 153. ") J. P. Lotsy, 1906. Vorlesungen über Deszendenz- theorien. (Jena, Fischer, 1906) S. 233. 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. gutes Argument zugunsten der Meinung, daß die Mutationen zwar sehr verwickelte, aber doch Mendclspaltungen seien, und diittens ist durch Unter>uciiungen des Amerikaners Davis') ge- zeigt worden, daß durch Kreuzung von zwei in Amerika wachsenden wilden Oenothera- Arten eine Hybride gezüchtet werden kann, welche der Oeno- thera Lamarckiana in vielen Hinsichten ähn- lich ist. Lassen wir aber die Frage, ob Oenothera La- marckiana hybrider Herkunft sei, beiseite, so ist doch auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß die genannte ,,Ari" gar keine Einheit bildet, son- dern ein schon sehr verwickeltes Gemisch einer großen Anzahl von Kleinarten, von vielleicht an sich samenbeständigen Typen ist, welche in der Natur durch fortwährende Hybridisation einer ganzen Menge ver>chiedener Formen das Dasein geben. Von diesem Standpunkte hat Heribert Nilsson-) eingehende Züchtungsversuche mit Oenothera Lamarckiana angestellt und er hat aus diesen Untersuchungen gefolgert, daß dies wirk- lich so sei, und daß die Mutationserscheinungen als Neukombinationen der in diesen Unterarten verfügbaren Faktoren zu betrachten seien. Die Gesamtheit dieser Bedenken , welche gegen die Erklärung der von de Vries be- obachteten Abänderungen als Mutationen erhoben werden konnten, würde eine nur untergeordnete Bedeutung haben, wenn uns andere Pflanzenarten bekannt wären, mit ähnlichen Abänderungen in ihrer Nachkommenschaft. LTnd das schien tat- sächlich der Fall zu sein. Von verschiedenen Mutations-Theoretikern wurden Mutationserschei- nungen beschrieben, welche an anderen Pflanzen beobachtet werden konnten, so z. B. bei Oeno- thera biennis, welche Art gewiß in dieser Hin- sicht der Oenothera Lamarckiana vorgezogen werden darf, weil sie als wilde Pflanze in Europa bekannt ist und zwar seit Jahrhunderten. Aber ebensowenig wie Oen. Lam. ist O. biennis als wilde „Art" eine Einheit; jeder, dem die Pflanze aus der Natur bekannt ist, keimt auch ihre unend- liche „Variabilität", die Folge der Anwesenheit einer großen Zahl Unterarten, welche unter sich ständig Bastarde bilden. Denn man nennt zwar O. biennis einen Selbstbestäuber und die Griffel sind wohl noch vor dem Eröffnen der Blüten mit eigenem Pollen überhäuft, aber damit wird Kreuz- befruchtung nicht ausgeschlossen. Daher ist es auch nicht möglich, während einer oder zwei Generationen „reine Linien" zu erhalten. Wie weit der Pollen der O. biennis von der Pflanze ') B. M. Davis, 1910— 1914. Genetical studies in Oenothera, I—V. (American Naturalist, XLIV.S. 108 — tI5,XLV, S. 193 — 233 usw. auch in Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb.-Lehre XIV.) 2) N. Heribert Nilsson, 1912. Die Variabilität der Oenothera Lamarckiana und das Problem der Mutation. (Zeitschr. f. indukt. Abstamm.- u. Vererb.-Lehre, VIII, S. 89—231.) N. Heribert Nilsson, 1915. Die Spaltungserschei- nungen der Oenothera Lamarckiana. (Lunds Univ. Aorsskr., N, K., 2, XII, S. I— 132.) fortgetragen werden kann, zeigt wohl am besten die Tatsache , daß ich einmal im Innern eines hölzernen Gebäudes mehr als 50 Meter von der nä'-hsten Oenothera-Pflanze entfernt den typisch viskosen Pollen dieser Pflanzen auffand. Keiner der bisher als Mutationen beschriebenen Fälle des Auftretens abweichender Formen genügt der prinzipiellen Forderung, welche Lotsy mit Recht derart formuliert hat: „Wir verlangen, daß derjenige, der Mutationen beweisen will, als Ver- suchsart eine Art wählt, deren Reinheit nicht an- gezweifelt werden kann.'- ') Dieser P^orderung ent- spricht kein einziger Fall einer „Mutation" und wohl am allerwenigsten die Mutationen, welche nach vorangehender absichtlicher Kreuzung auf- treten. Und ebensowenig sind die von de Vries ^) vor kurzem zusammengestellten Beispiele gruppen- weiser Artbildungen, welche von dem Eintreten einer Mutaiionsperiode verursacht sein sollen, in Wahrheit Mutationen. Dem Pflanzenreiche ent- nahm de Vries als Beispiele die Gruppen der Rosen, der Brombeeren, der Veilchen und der Draba Unterarten, dem Tierreiche die der Insekten. Wie aber schon Lotsy'') in einer kritischen Be- sprechung dargetan hat, sind diese Beispiele gar keine Beweise für das Auftreten plötzlicher Mu- tationen; die Bastardierung der Rosen ist viel ver- breitet, die Bastardierung als Ursache der Viel- förmigkeit der Rubus-Arten hat Lidforß ein- deutig erwiesen, Veilchen sind zum weitaus größten Teile Hybridisationsprodukte usw. Wer Mutation beweisen will, der soll mit einem völlig reinen Ausgangsmateriale zu arbeiten anfangen und jede Möglichkeit einer hybriden Natur aus- schließen; es ist eine sehr schwere Forderung, welche in dieser Weise den Mutationisten gestellt wird, aber die einzige Forderung, welche mit unserer modernen exakten Variabilitäts- und Erb- lichkeitsforschung vereinbar ist. Aber wenn keine Mutation, was dann? Die Beantwortung dieser Frage hat sich aus den Untersuchungen ergeben, welche Lotsy in seinem Versuchsgarten in Bennebroek bei Haarlem an- gestellt hat, und welche an erster Stelle die Art- bastarde berücksichtigten. Oben sahen wir, wie ■Artbastarde während langer Zeit als sofort samen- beständig betrachtet wurden, wie aber nach den schönen Untersuchungen Baur's, Gersch- ler's, Jesenko's, Lotsy's und Wichler's von einer Konstanz keine Rede sein kann. Spezies- hybride spalten ebensogut wie Bastarde verschie- dener sog. Varietäten, sei es auch, daß die Spaltung um vieles verwickelter verläuft. So wurde die von Lotsy*) dargestellte Hybride ') J. P. Lotsy, 1914. De Kruisingstheorie. (Leiden, Sythoff, 1914, S. 18) -) H. de Vries, 1914. Sur l'origine des especes dans les genres polymorphes. (Rev. gen. d. Sc. 15 Mars 19 14.) ^) J. P. Lotsy, 1915. Kreuzung oder Mutation die mutmaßliche Ursache der Polymorphie. (Zeitschr. indukt. Abstamm.- u. Vererb.-Lehre, XIV, S. 204—225.) *) J. P. Lotsy, 1914. La theorie du croisement. (Arch. neerl. sc. ex. et nat., Serie HIB, T. II, S. 178—238.) N. F. XV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 zweier Petunia-Arten, P. nyctaginiflora und P. vio- latea zur Quelle einer unübersehbaren Menge neuer Formen; unter den 1400 Exemplaren, welche zur gleichen Zeit blühten, waren sozusagen nicht zwei gleiche. Das gibt also einen F"all des explosiven Entstehens mancher neuen Formen, von denen eine Anzahl sich schon in einigen Merkmalen samen- beständig zeigte. Und in dieser Weise geht es mit jeder Spezieshybride, welche bis in die zweite Generation durchgezüchtet werden kann, wenn nur die Anzahl verfügbarer Fg-Pflanzen genügend ist. Wenn wir uns nun einmal der von Mendel hergestellten Kreuzung einer gelben runden Erbse mit einer grünen kantigen Erbse erinnern, so er- hellt sofort das prinzipiell wichtige einer der- artigen Bastardierung. Diese Hybride ist der schlagende Beweis für die Meinung, daß aus einer Bastardierung ein völlig samenbeständiges, neues Wesen hervorgehen kann, daß also Kreuzung als „Origin of species" arbeiten kann. Aber — wird man vielleicht einwenden — in diesen neuen samenbeständigen Formen treten keine neuen Eigenschaften hervor; es sind nur neue Gruppie- rungen alter, schon vorhandener Merkmale. Dem stelle ich folgende Beispiele gegenüber : Correns') kreuzte eine weiße samenbeständige Linaria maroc- cana mit einer roten samenbeständigen Linaria maroccana und erhielt in der F^ eine violette, sich samenbeständig zeigende Linaria maroccana- Pflanze. B a t e s o n ') kreuzte zwei weiße Varietäten von Lathyrus odoratus, welche nur an der Gestaltung der Pollenkörner erkennbar waren, erhielt eine rosablühende Fj -Generation und in der Fj-Generation mehrere rosa- oder violettblühende F'ormen, welche sich konstant züchten ließen. L o t s y fand unter seinen Hybriden zweier Antirrhinum-Spezies: A. glutinosum und A. majus in der F, und späteren Generationen Pflanzen mit sehr abweichend gestalteten Blüten- formen, von denen einige von der Systematik eher zur Gattung Rhinanthus als zur Gattung Antirrhinum gehörig betrachtet werden sollten. Bewiesen ist also, daß Kreuzung die Ursache der Entstehung neuer Formen bilden kann, und daß je größer die Zahl der Unterschieds- merkmale der beiden Elternarten, je größer auch die Zahl der in Fj und späteren Generationen auftretenden Neuheiten. Diese Tatsache geht wohl über jeden Zweifel hinaus, sie ist der schärf- sten Kritik gewachsen und bildet die Grundlage der Kreuzungstheorie Lotsy's, welche besagt: „Neue Arten entstehen als Folgen einer Kreu- zung zweier schon bestehender Arten. Die neu- gebotene Art ist fix und fertig und samen- beständig und keiner einzigen Form erblicher Variabilität unterstellt, mit der möglichen, aber m. E. unwahrscheinlichen Ausnahme eines zu- fälligen Faktorenverlustes." ') C. Correns, 1912. Die neuen Vererbungsgesetze. (Berlin, Bornträger, 1912, S. 57.) «) W. Bateson, 19 13. Mendels Principles of Heredity. (Cambridge, Univ. Press, 1913), S. 88 ff.) „Die Natur macht also Sprünge, aber diese dürften außerordentlich klein sein; nicht die Größe des Sprunges ist wesentlich, sondern die Tatsache, daß es keine Übergangsformen im Sinne der Varietäten zwischen den verschiedenen Arten gibt." „Die Natur kann keine Arten bilden durch Selektion bestimmter Individuen, welche zur um- zuändernden Art gehören, denn eine derartige Selektion ist selbstverständlich erfolglos, weil sämtliche zur selben Art gehörigen Individuen dieselbe erbliche Konstitution haben." „Mit einem Wort: jede intraspezifische (inner- halb der Art wirkende) Selektion ist unmöglich. Interspezifische Selektion dagegen (also zwischen verschiedenen .Arten) bleibt möglich; ihr Wesen zu studieren, gehört zu einem anderen Wissenszweig (zum Problem der Erhaltung einzelner Arten, während andere verschwinden) und liegt also außerhalb der Grenzen einer Theorie über die Entstehung neuer Arten." ^) Auf den ersten Blick kann man es vielleicht als unzulässig erachten, daß durch Kreuzung zweier Individuen mit verschiedenen erblichen An- lagen jemals eine höhere Entwicklung erreicht werden kann. Aber ist dies tatsächlich befrem- dend? Betrachten wir die Kreuzung vom Stand- punkte des Chemikers, so dürfen wir sagen, daß im Grunde genommen, Kreuzung ist das Zu- sammenbringen zweier nicht-identischer chemischer Systeme mit gewaltiger Verwickeltheit. Und aus der Chemie kennen wir die Tatsache, daß das Zusammenbringen von zwei verschiedenen Stoffen zur Bildung einer verwickelter gebauten Ver- bindung führen kann. Ist Kaliumplatinchlorid, welches entsteht nach Zusammenfügung zweier Molekeln Kaliumchlorid mit einem Molekül Platin- chlorid (2KCI + PtCl, = K,PiCI„), nicht eine „höhere" Verbindung als jede der beiden Ur- sprungsstofife? Oder will man ein Analogon aus der organischen Chemie, so gedenke man Emil Fischers weltberühmter Eiweißsynthese. In der organischen Chemie kennen wir eine Gruppe saurer Verbindungen, welche sich von gewöhn- lichen organischen Säuren unterscheiden durch die Substitution eines H-Atoms von einer NH4- Gruppe, die sogenannten Aminosäuren. Diese Aminosäuren lassen sich künstlicherweise her- stellen. Und wir sind auch, wie F i s c h e r gezeigt hat, imstande mit Hilfe bestimmter Arbeits- methoden, derartige Aminosäuren zu langen Ketten aneinanderzureihen und in dieser Weise Stoffe herzustellen, welche von einfachen pjweiß- stoffen kaum unterscheidbar sind. Durch „Kreu- zung" der Aminosäuren ist so eine „höher organi- sierte" Hybride dargestellt. Ich muß aber mit Nachdruck betonen, daß dieser Vergleich nur ein sehr oberflächlicher ist. Eins hat uns die moderne Vererbungsforschung ') J. P. Lotsy, 1914. De Kruisingstheorie. (Leiden, Sythoff, 1914, S. 38—39,) 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 48 gelehrt: die Forderunjren, welche an die Exakt- heit der Versuche zu stellen sind, sind keines- wegs leicht, aber mit wirklich exakter Arbeit schreiten wir in der Richtung vor, in welcher die Lösung der Evolutionsfragen gesucht werden muß. Im Jahre 19 II beendete Baur sein schönes Buch: „Einführung in die experimentelle Ver- erbungslehre" mit den Worten : „Viel mehr Ex- perimentieren und weniger Theoretisieren ist die Parole für die nächste Zeit!" Gewiß wir ver- fügen niemals über eine genügende Menge zu- verlässiger Tatsachen, denn nur von diesen wird eine feste Grundlage für eine gesunde Meinung auf naturwissenschaftlichem Gebiete gebildet, aber dennoch liegt in Baur's Aussage die Gefahr, daß wir zuviel experimentieren und so schließlich vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. So viel zuverlässige Experimente wie möglich , daneben aber Liebe für Hypothesen und Theorien, welche unserer Arbeit das Leben einhauchen sollen, aber auch Bereitwilligkeit, diese Theorien umzu- ändern, wenn vermehrte Tatsachenkenntnis und geänderte Tatsachenanerkennung dies erfordert! Auch in dieser Hinsicht finden wir in M e n d e l's kleiner, aber genialer Arbeit ein leuchtendes Bei- spiel: viele Tatsachen, doch auch Theorie. Ohne Tatsachen keine gesunde Theorie, ohne Theorie keine lebendigen Tatsachen. Bücherbesprechungen. Hubert Erhard, Priv.-Doz. für Zoologie an der Univ. Gießen, Tierphysiologisches Prak- tikum. Mit 83 Abbildungen im Text. 127 S. Jena 1916, G. Fischer. — Preis 4,40 M. Selten habe ich den Gedanken eines Buches für die Praxis so begrüßt wie dieses Werk Hubert Erhard's. Denn in das Arbeitsziel der Zoologie ist seit einigen Jahren die physiologische Frage- stellung von neuem aufgenommen worden. Seit dem Erscheinen von Darwin's Hauptwerk 1859 haben sich die zoologischen Forscher vornehmlich mit Problemen der Morphologie beschäftigt, wel- cher die Deszendenztheorie und deren Einzelziele eine breite gedankliche Grundlage gaben. In neuerer Zeit mehren sich die Veröffentlichungen, welche eine Beschreibung der Organarbeit der Tiere im Auge haben, und es sind auch eine Reihe zusammenfassenderBücher erschienen, welche die Physiologie der Wirbeltiere und Wirbellosen darstellen ( W i n t e rs t ei n's Handbuch, Jordan's Vergl. Physiologie, Pütt er 's und Verworn's Allgemeine Physiologie und neuerdings Stempel und Koch, Elemente der Zoophysiologie). So Wichtiges diese Werke an gedanklichen Zusammen- hängen und physiologischen Beschreibungen ein- zelner Tiergruppen leisten, so konnten und wollten sie nichts Technisches daneben darstellen. Der Zoologe aber, der seinen Hörern auch die Arbeit der von ihm zunächst morphologisch demonstrierten Tiere darlegen will, steht der gewaltigen Literatur menschlicher Physiologie naturgemäß ferner und kann sich auch aus den für den Mediziner be- stimmten physiologischen Praktika oder den zwei großen technischen Sammelwerken von Abder- halden und Tiegerstedt nur schwer für seine Tiere Rats holen. Aber wie eine morphologische Vorlesung ihre Probleme durch Präparate und Bilder darlegen muß, so muß eine physiologische mit Versuchen am lebenden Tier arbeiten. Diesen Wünschen soll nun P>hard's „Tier- physiologisches Praktikum" entgegenkommen und es entspricht in der Tat trefflich der Notwendig- keit. Das Buch stellt ein ausführliches, sehr leicht verständliches Protokoll über 15 Kurse eines Se- mesters dar, jeder Kurs zu 4 — 6 Stunden. Die Teilnehmerzahl ist etwa 20 gedacht , die Arbeit so, daß je 2 Kur.sisten an einem Apparat oder Tier beschäftigt sind. Besonders zu begrüßen ist es , daß möglichst billige Versuche ausgewählt sind, möglichst leicht und selbst herzustellende Hilfsmittel, sodaß ein solcher Kurs eine einmalige Ausgabe von 350 — 500 Mk. , dann eine jährliche von ca. 50 Mk. bedeuten würde, während allein die Anschaffung der Apparate für 20 Teilnehmer eines großen medizinisch - physiologischen Prakti- kums 2000 — 3000 Mk. nach Erhard's Angabe be- tragen würde. Dabei wird viel Erforderliches sich bereits im Besitz zoologischer Laboratorien und auch in der biologischen Einrichtung einer Schule befinden. Erhard hat sich bemüht, das Praktikum nur auf leichtzubeschafiende Tiere, aber auf möglichst alle Haupiklassen unserer Binnenfauna auszudehnen. So werden unter den Protozoen vor allem Para- mäcium, Amöben, Euglena, Vorticellen herange- zogen, von den Cölenteraten Hydra, und dann Würmer (Regenwurm, Ascaris, Planarien, Aulasto- mum), die Weinbergschnecke, viele Arthropoden (Daphnia, Asseln, Flußkrebs, Periplaneta) und zu- letzt Frösche, Meerschwein, Ratte, Kaninchen und Hund, die Haustiere der Physiologie. Die Anord- nung der Versuche ist aber keine zoologisch- systematische, wie die zoologischen Praktika sie geben, sondern eine ausgesprochen vergleichende. Es mag dem Verf. ein Studentenkreis als Hörer vorgeschwebt haben, der die morphologischen Kollegs und das kleine Praktikum absolvierte und sich während des großen Praktikums mit der allen Tieren gemeinen, also der allgemeinen Phy- siologie, beschäftigen will; oder «eine Prima, wel- cher der Lehrer die wichtigsten Leistungen unseres Körpers und der Tiere an der Hand einfacher Versuche darlegen will. So gliedert sich der Kurs in 3 Teile: die physikalischen und chemischen Eigenschaften der lebendigen Substanz — der Stoffwechsel — und Energieumsatz und -auslösung. N. F. XV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 693 Es werden im ersten Teile einige nicht immer glückliche Versuche zu physikalischen Erschei- nungen am Tier gemacht (Adhäsion , Diffusion, Osmose, Oberflächenspannung) und dann in 3 Kursen die wichtigsten Nachweise der physio- logischen Chemie angeführt (die S. 16 f. angeführte „Jiidlösung" oder „Jodkalium" soll wohl Jodjod- kalium heißen). In 4 Kursen wird der „Stoff- wechsel" behandelt, z. T. an trefflichen neuen Versuchen, über die Milch, innere Sekretion, das Blut, die Atmung. Exkretion, den Hungerstoff- wechsel, Winterschlaf, Nahrungsaufnahme usw. (je- doch zu Versuch 10 S. 45 bitte ich, doch mal den Kontrollversuch ohne Frosch zu machen). Einen beträchtlichen Teil in 9 Kursen nehmen „Energieumsatz" und „Energieauslösung" ein in Versuchen über Produktion von Wärme, Elektri- zität und Gift, Regeneration, Muskel- und Nerven- physiologie, und zuletzt in 5 Kursen (auffallend weit aber ungemein interessant) die Sinnesphysio- logie, welche ja Hörern immer mehr Freude be- reitet als chemische Nachweise. — Jedem Ver- suche ist eine knappe und klare Darstellung der Frage, die durch ihn beantwortet werden soll, an- gefügt, wenn es auch dem Lehrer stets überlassen bleibt, den gedanklichen Zusammenhang zwischen den Versuchen herzustellen. Mit fortschreitender Kurserfahrung anderer Hochschullehrer und mit forlschreiiender Erkennt- nis der physiologischen Zusammenhänge im Körper der Tiere wird sich naturgemäß noch vieles in solchem Buche, das als erstes seiner Art erscheint, ändern. Dafür, daß es praktische Wmke für das Darlegen einer jungen Wissenschaft geben will, ist es ausgezeichnet, wenn auch der Suchende bei dieser Schnelligkeit, mit der die allgemeine Tierphysiologie in 15 Kursen demonstriert werden soll, manches vermissen mag. Es wäre schön, wenn in weiteren Auflagen die Probleme noch mehr an den behandelten wirbellosen Tieren dar- gestellt würden und wenn im Anhang durch eine Übersicht nach Tieren geordnet dem Zoologen, der über eine Tierklasse arbeitet oder vorträgt, gezeigt würde, wie er gerade an seinem Objekt auch Physiologisches demonstrieren kann; es würde damit eine notwendige Ergänzung zu den gebräuch- lichen zoologischen Praktika gegeben, die alle systematisch geordnet sind. Gottwalt Chr. Hirsch, z. Zt. im Felde. Die Cumarine. Von Prof. Dr. H. Simonis. VIII. Bd. der „Chemie in Einzeldarstellungen", herausgegeben von Prof. Dr. Julius Schmidt. Mit 10 Abb. im Text. Stuttgart 1916, Verlag von Ferd. Enke. — Preis geh. 12 M., in Leinw. geb. 13 M. Im Jahre 1820 entdeckte Vogel in den Tonka- bohnen, den Samen von Dipterix odorata oder „Coumarouna", eine Substanz, die man zunächst für Benzoesäure hielt. Später zeigte sich aber, daß dieser „Tonkakampfer" eine von der Benzoe- säure verschiedene Substanz war, deren Formel (CgHijO.,) zwei Kohlenstoffatome mehr enthielt als die P'ormel der Benzoesäure. Erst ;,0 Jahre nach der Entdeckung de^ Cumarins erfolgte seine Syn- these (durch Perkin sen.), und noch später die Auf- klärung der Konstitution dieses Körpers (durch Fit t ig). Eine große Anzahl von Homologen und Derivaten ist hergestellt worden, so daß das Gebiet der Cumarinchemie sich allmählich zu einem um- fangreichen Sondergebiet der organischen Chemie entwickelt hat, für das es an einer größeren literarischen Darstellung bi>her noch gefehlt hat. Durch die vorliegende IVlonographie ist diese Lücke jetzt ausgefüllt worden. Das Buch von Simonis bietet eine übersichtliche und umfassende Sammlung der überall verstreuten Cumarinliteratur, die kritisch gesichtet und besonders in systematischer Hinsicht vortrefflich bearbeitet ist. Eine wertvolle Be- reicherung bilden die zum Teil hier zum ersten Mal verötfentlichten eigenen Beobachtungen und Untersuchungen des Verf., der mit seinen Mit- arbeitern nicht wenig zum Ausbau dieses inter- essanten Gebietes beigetragen hat. Bg. K. Keilhack: Lehrbuch der praktischen Geologie. Dritte Auflage, Bd. I., 522 S., 2 Doppeltaf., 222 Textabb., Stuttgart 1916, Enke. — Preis 15 M. Es ist ein neues hocherfreuliches Zeichen für die unbeirrbar ruhige Fortentwicklung deutschen Wirtschafts- und Kulturlebens im Weltensturm, daß eine neue Auflage des vorzüglichen Lehr- buchs während des Kriegs nötig und möglich werden konnte. Die Neuerscheinung geschah nicht ohne Erweiterung in der von Anfang an vorgezeichneten Richtung. Aus dem ursprüng- lichen Lehrbuch beginnt nach dem nicht sonder- lich glücklichen Sprachgebrauch ein Handbuch zu werden. Schon in der zweiten Auflage hatte der Verf. für bestimmte Abschnitte die Mitarbeit von Fachgenossen herangezogen. Abermals treten neue hinzu. Dem inneren organischen Wachstum entspricht ein erweiterter Rahmen: Das Werk wird nunmehr in zwei Bände zerlegt, von denen zunächst nur der erste vorliegt. Auch er enthält bereits z. T. ganz neue (Bohr- probenuntersuchung, Höhlenforschung, Wissen- schaftliche Torfmooruntersuchung, Baumaterialien), z. T. wesentlich erweiterte und ergänzte (bergbau- liche Gegenstände, Vulkanismus, Erdbeben) Ab- schnitte. Der zweite Band wird sogar die zur- zeit so stark in den Vordergrund des Interesses gerückte Kriegsgeologie bereits auf Grund der nunmehr vorliegenden Erfahrungen enthalten und auch bezüglich des Grundwassers und der Quellen wird eine erweiterte Darstellung angekündigt. Die Verläßlichkeit der Ausführungen, wie die Ausstattung des Werkes bedürfen, zumal bei einer dritten .Auflage, keines empfehlenden Wortes mehr. Das Werk wird sich seinen Weg auch fernerhin selbständig bahnen. Edw. Hennig. 694 Naturwissenschaftliche Wochensciirift. N. F. XV. Nr. 48 O. Abel. Paläobiologie der Cephalo- poden aus der Gruppe der Dibran- chiaten. 281 S., i Taf. u. 100 Textfig. Jena 1916, Gustav Fischer. — Preis M. 8. Noch im Jahre 1914 konnte ich an dieser Stelle ein Buch des gleichen Verfassers „Tiere der Vorwell" besprechen und verlieh meinem Bedenken über die geringe Meinung Ausdruck, die Abel damals von der Möglichkeit physiologisch-biolo- gischer Auswertung der wirbellosen Fossilien zu haben schien. Keine bessere Widerlegung konnte es geben als die, die er jetzt selbst geliefert hat. In großangelegtem Vorgehen überträgt er in seinem neuen Werke die fruchtbare Methode biologischer Betrachtung auf eine Gruppe von Invertebraten. Es mag nicht einmal die günstigste sein, die er zu diesem Versuche auserkoren hat. Um so glück- licher das Gelingen. Es ist charakteristisch für den Geist, der diese Methode beherrscht, daß nahezu die Hälfte des Buches gewissermaßen der Vorbereitung gewidmet ist. In unbeirrbarem Drange nach Vollständigkeit der Einsicht wird die Gestaltung und Lebens- weise der lebenden Dibranchiaten an Hand einer äußerst sorgfältig studierten und mit Geschick ver- werteten Literatur der Analyse unterworfen. Wohl- tuend ist es zu sehen, wie der unbegrenzten Mannigfaltigkeit der Natur Gerechtigkeit widerfährt, nicht in irgendeinen Schematismus wird die Fülle der Lebensmöglichkeiten eingezwängt, keine „Ver- einfachung" durch Gliederung künstlich erzwungen. So ist die einzig mögliche Grundlage geschaffen für das Unternehmen aus den verhältnismäßig ge- ringen Anhaltspunkten, die uns Form und, was wichtiger ist, Struktur der Belemniten liefern, nach Maßgabe der gefundenen Gesetzmäßigkeiten und Beziehungen Gestalt und Gebrauch des zu- gehörigen Weichkörpers zu erschließen. Gegen- über dem bisherigen theoretischen Tasten auf diesem Gebiet, das eine gleichfalls recht vollstän- dige historische Übersicht veranschaulicht, be- treten wir da ersichtlich festeren Boden. Während bisher ,,den Belemniten" oder Dibranchiaten ins- gesamt bald diese bald jene Lebensweise zuge- sprochen wurde, öffnen sich jetzt Wege zur Tren- nung in die verschiedenartigsten Lebensweisen. Die Probleme streifen gleichsam von selbst die Hüllen ab und springen scharf und klar heraus. Überzeugend wird nachgewiesen, wie auf konver- genten Wegen gleichartige äußere P'ormen erreicht werden, wobei die verschiedenartige Herkunft aus dem inneren Aufbau der Belemnitenrostren ein- leuchtend erschlossen wird (Conirostren und Clavirostren). Recht dankenswert ist auch die Heranziehung einer fachmännischen Stimme zur Entscheidung über die Frage etwaiger Beeinträchtigung der Schwimmfähigkeit durch das Gewicht des Belem- nitenrostrums. Die Belemniten waren danach imstande, „ihr spezifisches Gewicht beliebig zu regulieren." Anhangsweise wird die Armzahl der Dibran- chiaten und ihre phylogenetische Bedeutung diskutiert. Sehr zu begrüßen ist die ausgesprochene Ab- sicht des Verfassers nach und nach noch weitere Abteilungen der Invertebraten von „paläobiolo- gischen" Gesichtspunkten zu mustern, um so der- einst ein Gegenstück zu seiner bekannt Paläobio- logie der Vertebraten zu schaffen. Die Methode hat sich entschieden als sehr fruchtbringend be- währt. Edw. Hennig. Pfeiffer, Ludwig, Die steinzeitliche Muscheltechnik und ihre Bezie h u n gen zur Gegenwart. VIII u. 334 S. u. 332 Abb. im Text. Jena 1914, Fischer. — Preis brosch. 15 M. Der Verf., dem wir bereits ein vorzügliches Werk über die Stein-, Fell-, Fleisch-, Holz- und Knochentechnik (Die steinzeitliche Technik und ihre Beziehungen zur Gegenwart. Jena, Fischer 191 2, F"estschr. d. 43. allg. Vers. d. Deutsch, anthrop. Gesellschaft) verdanken, legt in der vorliegenden Arbeit seine reichen Erfahrungen über die Muschel- technik dar, die sich als Mitträgerin der mate- riellen Kultur und in Konkurrenz mit der Stein- technik entwickelt hat. Der Schwerpunkt auch dieser Untersuchung liegt auf der Technologie, die von Prähistorikern und Ethnologen aus nahe liegenden Gründen meist stiefmütterlich behandelt wird. Um so dankbarer wird man dem Verf. für seine eingehenden P'orschungen sein müssen. Das eigentliche Land der Muscheltechnik ist Ozeanien, aber auch in Nordamerika findet sich viel Muschelmaterial, aus dem Geräte und Schmuck helgestellt sind. In beiden Erdteilen ragt die steiiizeitliche Muscheltechnik bis in die Gegen- wart hinein. Auch in Europa ist in prähistorischer Zeit Conchylienmaterial in viel größerem Umfang verarbeitet worden, als man bisher angenommen hat, und schon vor dem Auftreten der Bronze findet man das fremdländische Cypraea- und Spon- dylusmaterial weit verbreitet. Nach einem orientierenden Kapitel über die allgemeinen Eigenschaften des Schnecken- und Muschelmaterials sowie über die Schleif- und Bohr- technik behandelt der Verf. der Reihe nach die einzelnen Schnecken- und Bivalvenarten , überall von der natürlichen Form der Gehäuse ausgehend. Denn durch die im voraus gegebene Gestalt der einzelnen Schalen wird sowohl Fabrikation als P'orm der Schmuckslücke bestimmt. Er berück- sichtigt dabei sowohl Halb wie Ganzfabrikate und schildert genau die Technik der Verarbeitung so- wie die geographische Verbreitung der fertigen Stücke. Ein reiches, wohl ausgewähltes, aus Museen und der Literatur zusammengetragenes Bildermaterial illustriert auf das beste den klar- gefaßten Text. Sehr zu begrüßen sind auch einzelne zusammen- fassende Abschnitte, so im Anschluß an Tricadna die Behandlung des Ringschmuckmotivs, dann besonders die Schlußkapitel über Haus-, Waffen-, N. F. XV. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69s Lippen- und Ohrenschmuck, über Muschelgeld, über die Bedeutung des Muschelmaterials in Kon- kurrenz mit Stein und Metall und über die Tauschwerte im vorgeschicnilichen Europa. So- gar die Verwendung von Schildplatt, Bernstein, Gagat, Früchten, Zähnen u. dergl. zu Sciimuck wird in einem besonderen Kapitel eingehend be- sprochen. Diese kurze Aufzählung mag einen Be- griff von der Mannigfaltigkeit und dem reichen Inhalt des Buches geben; nicht nur dem P'ach- mann, sondern auch dem gebildeten Laien bietet es eine Fülle von Belehrung und Anregung. R. Martin. Lipschütz, Alexander, Allgemeine Physio- logie des Todes. Bd. 57 der Sammlung „Die Wissenschaft", Braunschweig 1915, Vieweg u. Sohn. Tod ist dem Verf. der irreversible Stoffwechsel- stillsland eines Organismus, und eine Physiologie des Todes habe darum „diejenigen Veränderungen im Stoffwechsel der lebendigen Substanz zu er- fassen, die die Bedingungen eines schließlich irre- versiblen Stillstandes des Stoffwechsels sind". Das Hauptproblem aller Betrachtungen über den Tod ist nun dies, ob es einen naiürlichen Tod, „aus Altersschwäche" gibt, der aus den Lebens- bedingungen des Organismus selbst resultiert und im Gegensatz steht zu dem Tod „aus Krankheit '. Verf erörtert dieses Problem getrennt bei den Einzelligen und bei den Metazoen. Unter kritischer Würdigung der Literatur schließt er sich für die Einzelligen denjenigen Autoren an, die einen Tod aus Altersschwäche für sie ablehnen. Was den Tod bei den Metazoen betrifft, so beschränkt sich die Erörterung im wesentlichen auf den Menschen. Die Frage des Todes aus Altersschwäche hängt da eng mit den sogenannten Altersveränderungen der Organe zusammen. Von diesen erscheinen dem Verf am wichtigsten die Pigmentierungen, an zweiter Stelle nennt er den Ersatz der Paren- chyme durch Bindegewebe. Die Pigmentierungen, insbesondere die der Ganglienzellen, die infolge eines Mißverhältnisses zwischen Assimilation und Dissimilation und infolge schnellerer Bildung als Fortschaffung gewisser Stoffwechseiprodukte ent- ständen , seien die wesentlichsten Lirsachen der Altersatrophie und des daraus resultierenden Todes „aus Altersschwäche". Die Differenzierungen der Melazoenzellen und die damit in Zusammenhang stehende Abnahme der Wachstumsintensität seien weitere, die Abnutzung des Körpers unterstützende Momente. Durch gewisse Experimente werde direkt bewiesen, daß eine Begrenzung der Teilungs- fähigkeit der Zellen auch eine Begrenzung ihrer Lebensdauer bedeute. In einem weiteren Kapitel werden dann noch die Gesetze der Lebensdauer an der Hand der Literatur erörtert. Dabei ist der Beziehungen der Lebensdauer zur P'ortpflanzung gedacht, die schließlich den Verf. zu dem Satze führen: So mündet die allgemeine Physiologie des Todes aus in das große Problem der Sexualität und Vererbung. In einem Abschnitt über den Mechanismus des Todes beim Menschen kommt Verf zwar zu dem Schluß, daß bei dem Tod aus Altersschwäche wohl das Versagen des Nerven- systems, insbesondere der MeduUa oblongata, in zweiter Linie vielleicht die Veränderung der Herz- muskulatur, die Hauptsache ist, daß aber doch die ganze Frage komplexer Natur ist, da ja sämtliche Organe einer Altersatrophie anheim- fallen. Das gehe auch schließlich für den patho- logischen Tod, wenn man auch die Gewohnheit hat, einen bestimmten krankhaften Prozeß für die eigentliche Todesursache zu erklären. Wer sich mit den vorliegenden Fragen be- schäftigt hat und wer das Buch des Verf liest, wird erkennen, daß die Erörterung solcher Pro- bleme tief in allgemeinphysidlogische Fragen und noch weiter greifen, indem sie selbst auf erkenninis theoretische Probleme hinauslaufen. So wird, soweit man über die eigentlichen Tatsachen hinausgeht und auf ihre Deutung kommt, jede kritische Äußerung zu einer sehr ausführlichen Diskussion lühren müssen. Das ist im Rahmen dieser Besprechung nicht möglich. Als Beispiel sei nur erwähnt, daß, wenn man über das Ver- hältnis von Lebensbedingung und „Reiz", über das zwischen äußeren und inneren Lebensbe- dingungen anderer Meinung ist als der Vetf — es handelt sich da um Dinge der persönlichen .Anschauung, um „Prämisse" — , daß man dann auch in manchen Punkten zu anderen Schluß- folgerungen kommen muß. — Der eigentliche Wert des Buches würde durch solche Meinungs- verschiedenheiten aber natürlich in keiner Weise beeinflußt werden. Wir können dem Verf dankbar sein, daß er auf Grund einer eingehenden Analyse der Literatur in so umfassender Weise unsere Kenntnisse über das Problem des Todes zusammen- gestellt hat. Wer sich weiter damit befaßt, wird an dem Buche nicht vorübergehen können. Die in der Literatur vorliegenden, aus anatomischen und experimentellen Untersuchungen hervor- gehenden Tatsachen, wird man z. T. natürlich auch anders bewerten können. Die Abbildungen, deren ein Teil nicht einmal besonders geschickt ausgewählt ist, hätten getrost ganz fortbleiben können. Für das Verständnis der angeschnittenen Probleme sind sie nach meinem Empfinden ganz ohne Belang. Hübschmann. Wetter-Monatsübersicht. Während des diesjährigen Oktober wechselte das Wetter in Deutschland mehrmals seinen Charakter trübe, regnerische Witterung bei jedoch herrschte ir. Anfangs war es für die Jahreszeit überall kühl, besonders nordöstlich der Elbe kamen zahlreiche Nachtfröste vor, sogar die Mittags- temperaturen blieben daselbst an verschiedenen Orten unter 10" C. In Westdeutschland aber trat am 4. Oktober eine rasche Erwärmung ein, die sich mit zunehmender Bewölkung 696 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 48 rasch weiter nach Osten fortpflanzte. Bis zur Mitte des Mo- nats blieb darauf das Wetter außerordentlich mild; am 7. Ok- tober stiegen die Temperaturen z. B. in Breslau, Posen, Karlsruhe und München bis auf 21 und noch am 15. wurden in Oppeln 20" C erreicht. Zwischen dem 15. und 17. Oktober erfolgte eine neue, sehr empfindliche Abkühlung. Bei vielfach heilerem Himmel traten zunächst wieder im Nordosten weitverbreitete, zum Teil recht strenge Nachtfröste ein, die sich allmählich auch auf Vom 22. bis 26. Oktober war das Wetter in Deutschland größtenteils trocken und ziemlich heiter, darauf nahmen die Niederschläge zunächst im Westen, später auch östlich der Elbe wieder beträchtlich zu. Ihre größte Stärke erreichten sie gegen Ende des Monats in der Provinz Ostpreußen, wo vom 27. nachmittags bis zum 28. früh in Osterode 26, bis zum 29. früh in Königsberg 31 mm Regen fielen. Die Nieder- schlagshöhe des ganzen Oktober betrug iür den Durchschnitt aller berichtenden Stationen 77,9 mm, 20,1 mm mehr, als die SKiHTere Jeni)!>crafureti einiger 0rfe im ©Rfoter J916. CBt.Ber 6 11. tC. 21. 26. 3t ü 1 . 1 1 1 .. 1 1 1 1 I 1 1 1 1 1 1 1 G 9,5" 13" 13' 11,s- 11' ^^ ^ : — — V Wilhelmsh avpn «,J > „—--'" 'K' — r»»..-.. ,..»,.■'' n^ •• Kiel. ' *^ --.. ..- ^Ne-=fah7w^ '^■■■■■. ■■ ....::... j^» XV v ^y »^ ■■ '*^\ Hannover. ^ '^■^ .. je. [■^"^^ / ^'~">s_ '!■'• ..Be^rhn. '.= • ■•....•■■■■ "— ., / ' •.. Breslau. ■•■•..... -— ^^ _^ IS- '^ ^°''''"'""'*^ y ■• ^^ 1«- j > -♦•< ' V 4 •"»V...., ^ta. ...'-- ', ^'•« ',i- \.. . ^ 1 1 1 1 ',., , ,_ , ,_, ,. ^, BcrlinarWctUrbur.j», j^iecfer^c^racj^^ö^cn im 0Rfo&erl916. Mitllerer Wert für Deutschland. Monatsswmme im OKI. 1916 15. 1f, 13. 12. 11. I Süd- und Westdeutschland ausdehnten. In der Nacht zum ig. brachte es z. B. Bromberg, zum 22. Trier auf 6" C Kälte, zu München blieb am 21. selbst die mittlere Tempe- ratur einen halben Grad unter dem Gefrierpunkt. Erst gegen Ende des Oktober wurde es abermals mild. Seine mittleren Monatstemperaturen wichen vom langjährigen Durchschnitts- wert an den meisten Orten nur sehr wenig ab. Die Dauer der Sonneustratilung war jedoch in den meisten Gegenden merklich geringer als gewöhnlich. So hatte z. B. Berlin im ganzen nicht mehr als 76 Stunden mit Sonnenschein, während hier im MiUel der 25 früheren Okiobermonate 96 Sonnen- scheinstunden verzeichnet worden sind. Die Niederschläge waren im größten Teile des Monats außerordentlich zahlreich und oft sehr ergiebig. Bis zum 9. Oktober fanden an der Küste und in Süddeutschland heftige Regengüsse statt, die beispielsweise vom 2. bis 3. früh in Rügenwaldermünde 21, vom 5. bis 6. in Friedrichshafen 34, vom 6. bis 7. in Kiel 23 und vom 7. bis 8. in Karls- ruhe gleichfalls 23 mm Niederschlagshöhen lieferten. An verschiedenen Orten, am 5. nachmittags z. B. in der Gegend von Jüterbog, am 7. in Dresden, Karlsruhe und Kriedrichs- hafen kamen auch Gewitter vor. Während in den meisten Gegenden Norddeutschlands das Regenwetter mit kurzen Unterbrechungen weiter fortdauerte, blieb der Süden vom 10. bis 15. von meßbaren Niederschlägen nahezu frei. Dann setzten dort neue kräftige Regen ein, die am 20. und 21, ebenso wie in Mitteldeutschland, vielfach mit Schneefällen abwechselten. gleichen Stationen ergeben haben. Mittel der 2S letzten Oktobermonate Auch in der allgemeinen Druckverteilung Europas kamen abermals durchgreifende Veränderungen vor. Anfangs er- streckte sich ein Hochdruckgebiet von Südwest- nach Mittel- europa hin, während der Norden von wenig tiefen Depressionen eingenommen wurde. Zwischen dem 2. und 3. Oktober drang ein enger begrenztes Tief nach Südschweden und dann nach 0.^tdeutschland und Polen vor, so daß im gtöBlen Teile Deutschlands sehr kühle Nordwestwinde herrschend wurden. Doch drehten sie sich bald darauf nach Südwest zurück und behielten diese Richtung längere Zeit hindurch unter geringen Schwankungen bei, da vom atlantischen tlzean rasch hinter- einander verschiedene tiefere Minima erschienen und mit mäßiger Geschwindigkeit nordostwärts weiterzogen. Nachdem das tiefste und umfangreichste von ihnen unter Stürmen am 16. Oktober nach Finnland gelangt war, bildete sich auf der skandinavischen Halbinsel ein neues Barometer- maximum aus, dessen Höhe in den nächsten Tagen bis reichlich 775 mm zunahm. Die milde Westströmmung wurde aber zunächst in Norddeutschland, später auch weiter im Süden durch kalte nordöstliche V/inde abgelöst, die nur lang- sam, während sich das Hoch bei Annäherung einer neuen atlantischen Depression südostwärts verschob, in Ost- und Südostwinde üb.-rgingen und erst kurz vor Schluß des Monats sich neuerdings nach Südwesten drehten. Inhalt: M. J. Sirks, Die Bedeutung des Jahres 1865 für die Deszen Hubert Erhard, Tierphysiologisches Praktikum. S. 692- H. Sim Lehrbuch der praktischen Geologie. S. 693. O. Abel, Paläcbiolog chiaten. S. 694. Ludwig Pteiffer, Die steinze Alexander Lipschütz, Allgemeine Physiologie L.C1, ....... ■i^.uwj;.^ der Cephalopoden aus itliche Muscheltechnik und ihre - ' ' des Todes. S. 695. — Wetter izlehre. S. 6St. — Bücherbesprechungen. Die Cumarine. S. 693. K. Keil hack, der Gruppe der Dibran- ..igen zur Gegenwart. S. 694. ibersicht. 2 Abb. S. 695. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 3. Dezember 1916. Nummer 40. Kristallisationskraft und lineare Kraft wachsender Kristalle. Von Franz E. Sueß. Mit I Abbildung im Text. [Nachdruck verboten.] Der Gedanke, daß wachsende Kristalle im- stande seien gegen ein Hindernis einen Druck auszuüben, wurde zuerst von Mineralogen und Geo- logen geäußert. Schon 1836 dachte C. G. A. von Weissenbach, daß einzelne allseitig aus- gebildete Kieskristalle im Nebengestein erzgebir- gischer Gänge durch ihr Wachstum die um- gebende Gesteinsmasse beiseite gedrängt und sich Platz geschaffen hätten; daß demnach auch die vorschreitende Auskristallisation einer Kluft- füllung imstande sein müsse, die Klufiwände mit starker Kraft auseinanderzudrängen. Diese Vor- stellung diente ihm auch zur Erklärung gewisser „Sphärengesteine", das sind eigenartige Gang- strukturen — auch Ringel- oder Kokardenerze genannt — , nicht selten in Erzgängen, und dadurch gekennzeichnet, daß Gesteinsbruchstücke, ohne gegenseitige Berührung und ohne Berührung mit den Gangwänden, von der kristallinen Gangfüllung gleichsam frei schwimmend ringsum gehalten werden. Die Trümmer müssen, wie Weissenbach darlegte, einst aneinander gelegen haben und durch die „Kristallisalionskraft" der eindringen- den Gangfüllung auseinander getrieben worden sein. Eine stattliche Reihe von Forschern könnte hier genannt werden, die bei Besprechung von mancherlei Gangstrukturen , konkretionären Bil- dungen und bei anderen Gelegenheiten die gleichen Ansichten geäußert haben; darunter befinden sich nicht wenige bedeutende Namen, wie z. B. Cotta, Bunsen, Volger, Bischof, Grod- deck, J. Lehmann und Reyer. Nur einige von den Darlegungen über den Gegenstand aus neuerer Zeit seien hier erwähnt. R. Daly beschrieb eingehend radialstrahlig- kristalline Kalkspatkonkretionen, welclie devo- nischen Schiefern am Ufer des Huron-Sees ein- gelagert sind. Sie erreichen in einzelnen Fällen eine Durchmesserlänge von mehr als einem Meter. Ohne Zweifel sind sie im bereits fertigen Schiefer entstanden. Die Schieferung legt sich gewölbeartig von oben und von unten um die Kugeln; in einer Zone in der Umgebung des .Äquators" der Kugeln sind die Schiefer oft stark gestaucht, und eine quer gerichtete falche Schiefe- rung ist ein Ergebnis des gewaltigen Druckes mit dem sich die wachsenden Konkretionen im um- gebenden Schiefer Platz geschaffen haben. Daly ist jedoch der Ansicht, daß der Kristalli- sationsvorgang allein nicht genüge zur Erklärung der Kraftwirkung; er sucht die eigentliche Ur- sache derselben vielmehr in der Volumvermehrung, die bei der Ausscheidung des Kalkes aus der Lösung eintrete. Durch eine „Arbeitshypothese" sucht er den auffallenden Umstand zu deuten, daß die Druckwirkung nicht durch Ausweichen des Flüssigkeits- und Gasgemisches ausgeglichen wird. Er nimmt an, daß die I'ällung des Calcium- karbonates aus der Flüssigkeit auf kapillaren Spalten vor sich ging; zwischen den Flüssigkeit- fäden waren Gasbläschen eingeschaltet, die in kapillaren Röhren als Puffer wirken, d. i. den Druck aufnehmen können, ohne ihn weiter zu leiten. Durch Diffusion wurde den Kristallisations- stellen immer wieder neues Calciumkarbonat zugeführt und so das Wachstum der Konkre- tionen genährt. Bornhardt widmet der „Kristallisationskraft" einen ausführlicheren Abschnitt in seiner großen Arbeit „über die Gangverhältnisse des Siegerlandes". Er erkannte im allgemeinen räumlichen Verhalten der Spatheisensteingänge, so in der flachen Lage- rung mächtiger Gänge, die nicht durch Kluftaus- füllung entstanden sein konnten, in der Abhängig- keit der Gangbreiten vom Nebengestein, ferner in mancherlei inneren Gangstrukturen : schwimmen- den Trümmern in der Gangmasse u. a. sichere Anzeichen einer Kristallisationskraft. Andree verwies auf die Rolle des „Wachs- tumsdruckes der Kristalle" bei der Verhärtung der Sedimente zu Sedimentgesteinen, besonders bei der Ausbildung der gewöhnlichen Konkretionen. Er beschrieb u. a. Rutschflächen in kohligen Stinkkalken von Kinekulle in Schweden, die durch den „Wachstumsdruck" konkretionärer Anthrakonit- kristalle hervorgerufen worden sind. Prächtige Belege für die Druckwirkung wachsen- der Kristalle, an Klarheit imd überzeugender Lehrhaftigkeit kaum zu übertreffen, waren im Jahre 1907 in der Stadt Karlsbad für kurze Zeit sicht- bar. Heute sind sie wohl auf Nimmerwiedersehen zugedeckt. Im Plane großzügiger Quellsanierungs- arbeiten war unterhalb des Flußbettes der Tepl in Karlsbad eine rechteckige Grube, 72 m lang und 4 m tief, ausgehoben worden. In den Längs- wänden der Grube war zu unterst zersetzter Gra- nit zum Vorscheine gekommen; seiner flachwelligen Oberfläche war verhärtetes Konglomerat aufge- lagert. Beide Gesteine waren an zahllosen Klüften innig durchsetzt von rein weißem oder hellbraunem Aragonit, dem Absätze des Karlsbader Thermal- wassers. Viel breiter als die steilen Kluftfüllungen waren schwebend lagernde Gänge; ihre stärksten Anschwellungen waren über einen Meter mächtig. In flachen Wellen auf- und niedersteigend lagen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 49 solche Gänge z. T. im Granit und z. 1". im Konglomerat; ohne ihre Breite zu verändern querten sie die Grenzen beider Gesteine. Hohl- räume mit den Umrissen dieser Gänge konnten in klaffender Leere unmöglich bestanden haben. Die Gangräume konnten nur zugleich mit der Füllung gewachsen sein. Die wachsenden Ara- goniikristalle haben das Gestein, wo es nach oben ausweichen konnte, emporgestemmt; Granit und Konglomerat wurden gleichsam schalig auf- geblättert. Auch in den Einzelheiten ließ sich der Vor- gang verfolgen. Man konnte sehen, wie einzelne Trümmer und GeröUe von den Konglomerat- bänken weggedrängt worden waren und in den Aragonitbänken schwebend gehalten wurden. In manche GeröUe war der Aragonit auf Klüften eingedrungen, hatte sie auseinandergetrieben und zerteilt. Die spitzwinkelig auskeilenden Enden der Granit- und Konglomeratkörper zwischen den Aragonitgängen waren oft zu äußerst dünnen fadenförmigen Streifen ausgezogen; häufig endigten sie, sich allmählich verlierend, in losen Reihen ein- zelner Körner. In beistehender Figur ist das schmal auskeilende Ende einer solchen dem Ara- gonit schwebend eingelagerten Konglomeratbank mit linsenförmigem Anhang abgebildet. Eine der- artige Lagerungsform kann nur durch allmähliche Einpressung des Aragonites in flachen Konglo- meratklüften, keineswegs durch die nachträgliche P'üllung klaffender Hohlräume, entstanden sein. Die gesammten Verhältnisse in den Baugruben haben zugleich gelehrt, daß die Aragonit- Ab- sätze von Karlsbad , oder die sog. Karlsbader Sprudelschale kein oberflächlicher Absatz, kein „komplizierter Sinterkrater" aus der Diluvialzeit sei — wie von vielen angenommen wurde — sondern in der Tiefe, unweit der Oberfläche, ent- stand und heute noch fortgebildet wird. Durch die obersten, zerklüfteten und stark zersetzten Ge- steinslagen, kann bereits ein Teil der Kohlensäure aus dem Thermalwasser entweichen; sie speist die zahlreichen kleinen Ausströmungen, die sich im Teplbette bemerkbar machen. Dieser Gas- verlust verbunden mit der Abkühlung durch die nahen Grundwässer vom Tage her bewirkt Über- sättigung und beschleunigte Fällung des Calcium- karbonates in den Klüften. Wo das Gestein nach oben ausweichen kann , mag der Druck der wachsenden Kristalle zur Geltung kommen. Der Vorgang ist in diesem Falle eingeleitet durch die Nähe der Oberfläche; er kann in ge- wissem Sinne verglichen werden mit der Bildung eines eruptiven Lagerganges oder eines flachen Lakkolithen; das sind erstarrte Lagen eruptiven Magmas, die seitlich zwischen die Schichtfugen eingepreßt wurden; sie können erst in einer ge- wissen Nähe der Oberfläche entstehen, wenn die Last der auflagernden Schichten nicht mehr eine seitliche Einpressung des eruptiven Magmas ver- hindert. Äußerlich weniger auffallend, aber in ihrer Gesamtentwicklung vielleicht bedeutungsvoller mögen die Wirkungen eines Kristallisationsdruckes sein, wo mancherlei chemischer Austausch zwischen den im Gestein allenthalben enthaltenen Lö- sungen in Betracht kommt. Auf ihre Bedeutung bei der Diagenese der Sedimente hat Andree hingewiesen; d. i. nach dem heutigen Sinne des Wortes, bei jenen chemischen Austauschvorgängen, welche in den als Sedimente auf dem Festlande oder im Wasser angehäuften losen Massen im Laufe der Zeit, entweder noch unter dem Einflüsse des Mediums, in dem sie abgelagert wurden, oder nach deren Aufrichtung und Trockenlegung, durch zirkulierende Wässer eingeleitet werden. Hierher gehören hauptsächlich die Vorgänge, durch welche ein lockeres Sediment zum Sedimentgestein; Schlamm zu Tegel oder Ton, Sand zu Sandstein usw. umgewandelt wird. Umkristallisationen spielen dabei die größte Rolle, und die Kristalli- sationskraft mag sich dabei äußern im Ausein- anderdrängen von Sandkörnern zwischen kalkigem Bindemittel u. a. Früh bemerkt wurde ihre Be- deutung beim Wachstum von Konkretionen aller Art. Kristalle, Rosetten, Drusen, Knollen von Kalkspath, Quarz, Gips, Pyrit, Baryt, Fluorit, Phosphorit und andere Mineralien verdrängen in gleicher Weise die umgebende sandige oder tonige Gesteinsmasse. Hierher rechnet man ferner die Erscheinung der Selbstreinigung der Kristalle. Sie besteht darin, daß ein wachsendes Kristallkorn oder eine Gruppe von kleineren Kristallkörnern, die sich zu einem größeren vereinigt haben, imstande ist, kleinere fremde Bestandteile und Unreinigkeiten beiseite zu schieben und sich rein zu bewahren. Die Selbstreinigung zahlloser kleiner Körner führt bei der Umkristallisation von Sedimentgesteinen, ins- besondere bei der Umwandlung dichter Kalke in körnigen Marmor, häufig zur lagenweisen An- reicherung von tonigen oder kalkigen Substanzen, und somit zur Ausbildung einer neuen Parallel- struktur. Diese Vorgänge der Entmischung und Selbst- reinigung bei der Diagenese von Sedimenten sind bereits verwandt jenen Vorgängen, die bestimmend sind für die Struktur und den Mineralbestand einer großen Gruppe von Gesteinen; den sogenannten kristallinen Schiefern, als deren wichtigste Vertreter Gneise und Glimmerschiefer allgemein bekannt sind. Sie haben ihre höchst bezeichnende Struktur durch Umkristallisation bei Erneuerung des gesamten Mineralbestandes, durch allmählichen Lösungsaustausch Molekel für Molekel, im festen Zustande erhalten. Im Gegensatze zu den aus einer Schmelze kristallisierten Erstarrungsgesteinen eruptiver Herkunft wird in den kristallinen Schiefern keine Kristallisationsfolge der Bestand- teile wahrgenommen. Ihre Struktur verrät gleich- zeitige Kristallisation der Bestandteile. Während sie sich gegenseitig im Wachstum behindern, bezeugen verschiedene Minerale ungleiche Fähigkeit, ihre N. F. XV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 699 Kristallgestalt zur Geltung zu bringen. Die so- genannte kristalloblastische 'j Reihe gruppiert die Minerale der kristallinischen Schiefer in absteigen- der Reihe nach dieser Fähigkeit. Sie verläuft im großen ganzen parallel mit der Skala der spezi- fischen Gewichte. So bewahren z. B. Quarz und Plagioklas ihre Flächen gegenüber Orthoklas; Pyroxen und Hornblende gegenüber den vor- genannten; und stärker als alle übrigen behaupten ihre Form Titanminerale und verschiedene Erze. Den ungleich schweren Bestandteilen wird eine verschiedene Kristallisationskraft zuge- schrieben ; ihre Wechselwirkung bedingt die für die kristallinen Schiefer bezeichnende kristallo- blastische Struktur. Hierzu bemerkt F. Becke, dem wir die bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiete verdanken : „Was hier Kristalli- sationskraft genannt wird, dafür wird man wahr- scheinlich bei näherem und tieferem Studium noch einen exakteren Ausdruck finden." Molekeln bei wiederholter Auflösung und Fällung. Andauernde Stoffzufuhr, die durch den Wachstums- druck genährt wird, findet hier nicht statt. Reich- lichere Stoffmenge kann in kristallinen Schiefern sogar der Formausbildung entgegenwirken, und die kleineren Individuen behaupten im allgemeinen besser ihre Form als größere. Es ist auch der Fall möglich, daß eine Verbesserung der Gestalt mit Substanzverlust verbunden ist. Nach dem Prinzipe von Riecke setzt erhöhter Druck den Schmelzpunkt herab und steigert die Löslichkeit. In Gesteinen sind die Mineralbestandteile infolge der mit den Gebirgsbewegungen verbundenen Zerrungen (Streß) an verschiedenen Flächen un- gleichem Drucke ausgesetzt. Es können stärkerem Drucke entgegenstehende Flächenteile weggelöst werden, bis eine Fläche mit dichterer Scharung der Molekel, etwa eine Spaltfläche erreicht ist, welche weiterer Lösung stärkeren Widerstand entgegensetzt. Indem der Vorgang die Ausbildung " Konglomeralliank auskeilend im Sprudelstein aus der Baugrube im TeplbeUe, Karlsbad. '2 ^^'^ natürlichen Größe. Konglomerat, b und e zuckerkörniger, c strahliger Aragonit, d braune Bänderung, e freie Kristallenden mit braunem Überzug. Da bei partieller Entwicklung stets die Spalt- flächen der Minerale auftreten, ist es, wie Becke bemerkt, naheliegend anzunehmen, „daß das eigent- liche primum movens die dichte Scharung der Molekel ist" und daß sich die Formen jener Mine- rale und jene Kristallflächen am leichtesten durch- setzen, in denen die Molekel am dichtesten ge- schart sind. Es ist aber nicht gerechtfertigt, den Begriff derKr ist all isatio ns kraft in dem von Becke gemeinten Sinne ohne weiteres gleichbedeutend anzuwenden für jene Kraft, welche Gangwände auseinanderzudrücken imstande ist. In den kristal- linen Schiefern vollzieht sich offenbar ein Kampf zwischen den Molekeln, „in einem Zu- stande, der eine gewisse Beweglichkeit zuläßt". Es handelt sich hier nicht um den Wettbewerb der Stoffe um den Raum, sondern um Behaup- tung der ihnen zukommenden Form; um Wieder- herstellung der Flächen mit dichter gescharten ') Von ;V/'.«(;r;;«r = sprossen. der Bestandteile von Tafel- oder Stengelform, wie sie Glimmermineralien und Hornblenden eigen ist, in paralleler Lagerung, quer zur Hauptdruckrich- tnng begünstigt, hat er großen Anteil an dem für die kristallinen Schiefer so bezeichnenden Parallel- gefüge: der sogenannten Kristallisationsschieferung. Im Kampf um die Kristallgrenzen, die sich in Gesteinen auf kapillaren Spalten zwischen den Mineralkörnern vollzieht, wird die gegenseitige Lage der festen Bestandteile nicht geändert (in- sofern sie nicht durch Gebirgsbewegung ver- schoben werden), während durch den eigentlichen Wachstumsdruck größere Gesteinskörper von der Stelle bewegt werden.'^) Es wird Sache der Physiker sein die exakte F'ormel für die in der Natur beobachteten Vor- ^) Dieser Unterscheidung halber habe ich für die Bildung der Karlsbader Sprudelschale vom „Wachstumsdruck der Kristalle", und nicht von „Kristallisationskraft" gesprochen. K. Andrc-e hat den Ausdruck übernommen. Becker und Day gebrauchen im gleichen Sinne den Ausdruck; , .lineare Kraft wachsender Kristalle". 700 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 49 gänge aufzustellen. Doch beschränken sich ältere Angaben der Physiker über diesen Gegenstand nur auf gelegentliche Wahrnehmungen im Labo- ratorium, wie: Emporwachsen an der Unterfläche von in gesättigten Lösungen freiliegenden Kristallen, Auskristallisation reiner Salpeterkristalle aus Kleister, Lossprengen von Glasur an Tongefäßen durch Auskristallisation von Salzen und ähnliches. Den ersten planmäßigen Versuch nach dieser Richtung haben G. F. Becker und L. Day in Washington unternommen. Es zeigte sich, daß Kristalle von Alaun, Kupfervitriol und anderen Salzen aus ihrer gesättigten Lösung wachsend auch an der Auflagerungsfläche Substanz ansetzen und daß hierdurch nicht nur die Last des Kristalles selbst, sondern auch aufgelegte Gewichte bis zu I kg mit emporgehoben werden. Vermutlich wegen mangelhafter Zirkulation und verringerter Stofi'zufuhr wird die Unterfläche der Kristalle nach kurzer Zeit konkav, umrandet von einem sehr schmalen Wulst, welcher nun allein die Last zu tragen und zu heben hat. Es war schwierig, die genaue Größe der äußerst schmalen tragenden Fläche zu bestimmen; die Messung sollte einen Schluß gestatten auf die Größe der hebenden Kraft. Immerhin konnte festgestellt werden, daß die hebende Kraft in dieselbe Größenordnung ge- hört, wie der Widerstand des Kristalles gegen Zer- trümmerung. W. Bruhns und Werner Mecklenburg in Clausthal unterzogen die Angaben von Becker und Day einer neuerlichen Prüfung und meldeten ein negatives Ergebnis. Sie anerkannten keinen Nachweis einer besonderen Kristallisationskraft. Die Hebung von Fremdkörpern, welche man beim völligen Eintrocknen von Lösungen beobachten kann, wäre als Wirkung der Adsorption und Kapillarität zu erklären. Die Vorgänge in der Natur wären vieldeutig und in ihrem Verlaufe nur unvollständig zu verfolgen. Beim Wachstum von Konkretionen könnten Diffusionsvorgänge, vielleicht in Verbindung mit chemischen Reaktionen oder physikalischen Zustandsänderungen eine Rolle spielen; bei der Bildung von Ringelerzen könnten neben den genannten Vorgängen auch an- dauernde tektonische Bewegungen u. a. in Betracht kommen. Die beiden Amerikaner haben nun neuerdings das Wort ergriffen. Sie geben eingehenden Be- richt über die Wiederholung ihrer Versuche und suchen zu zeigen, daß der scheinbare Widerspruch zwischen ihren Ergebnissen und denen von Bruhns und Mecklenburg nur daher rührt, daß das eine Mal nur belastete, das andere Mal unbelastete Kristalle neben den belasteten in die Lösung gebracht worden waren. Die belastete P^läche kann nicht wachsen, be- vor die stabilere unbelastete Fläche ausgeglichen ist. Der unbelastete Kristall trägt an der Unter- fläche sein eigenes Gewicht; die Auflagerung eines fremden Gewichtes bringt keinen neuen Faktor in den Versuch; doch wird durch Steige- rung der Last das Wachstum an der Auf lagerungs- fläche erschwert. Das Hauptprinzip, das aus den Versuchen der Clausthaler Forscher ersichtlich wird, ist, daß po- tentielle i^ersättigung in der unter dem unbe- lasteten Kristall anhaftenden Schicht früher als in der unter dem belasteten Kristall anhaften- den Schicht erreicht wird. Die Auflagerungsfläche wird wegen Zirkula- tionsverminderung leicht unterernährt. Nur bei ge- nügender Sättigung ist hier Wachstum möglich ; bleibt aber auf den äußeren Rand beschränkt, der zum tragenden Wulst umgebildet wird. Die Abbildung eines Kristalls von Kalialaun, der in einer Lösung von Kali-Chromalaun weiter gewachsen war, ist lehrreich. Die jüngere, ge- färbte Anwachszone überzieht, allerdings sehr ver- schmälert, auch die Auflagerungsfläche, welche eine seichte Hohlform angenommen hat. Bruhns und Mecklenburg hatten beob- achtet, daß belastete Bechergläser auf Tonplatten nach völliger Eintrocknung einer umgebenden Lösung von Chromalaun durch eine kristalline Schicht von der Unterlage geschieden und um I oder mehrere Millimeter gehoben waren. Sie meinten, daß diese Hebung nichts mit Kristalli- sationskraft zu tun hätte und nur durch Adsorp- tion und Kapillarität zu erklären sei. Kapillarität hat bekanntlich den Effekt zwei Platten zusammen zu pressen; diese Kraft kann so groß werden, daß mehrere Lagen von Tafelglas gemeinsam brechen. Nach Dorsey, Pointing und Thom- son haben wässerige Lösungen von Salzen eine größere Oberflächentension als Wasser. Deshalb wäre hier Adsorption als mögliche hebende Kraft negativ. Keine der beiden Kräfte, Kapillarität oder Adsorption, könnte im vorliegenden Falle einen aufwärts gerichteten Druck ausüben und den nach abwärts gerichteten Druck der Ober- flächentension überwinden. Dennoch hat der kristallisierende Alaun die Bechergläser gehoben. Ein Vergleichsversuch: Eintrocknung einer kolloidalen Lösung (Gummi arabicum) ergab keine Hebung. Auf diese Darlegungen gestützt, halten Becker und Day die ursprüngliche Annahme aufrecht, daß das Wachstum der Kristalle in einer gesättigten Lösung eine lineare Kraft in der Richtung der Belastung zu entwickeln imstande sei. Die nachweisbare Druckwirkung wachsender Kristalle ist gewiß nicht einer neuen Naturkraft zuzuschreiben, die allen bisherigen bekannten Natur- vorgängen als vollkommenes Novum gegenüber- steht. Mit Recht wenden sich Bruhns und Mecklenburg gegen eine solche Auffassung. In welche Einzelvorgänge der Gesamteftekt be- grifflich zu zerlegen wäre, wird noch zu ergründen sein. Andauernde Stoffzufuhr aus einer Lösung ist Bedingung ; Kapillarität mag dabei eine wich- tige Rolle spielen. Vielleicht vollzieht sich der Zutritt der Molekel zur kristallisierenden Substanz unter ständigen Verschiebungen in kleinsten Ver- N. F. XV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 701 hältnissen; etwa unter Temperaturschwankungen oder Änderungen des Gasdruckes. Das Ent- scheidende ist aber wohl die Fixierung der zu- wandernden IVIolekel durch Kristallisation. In ihr dürftedielineareKraftwirkung zuletzt begründet sein. Es ist nicht anzunehmen, daß amorphe Ab- scheidungen aus einer Lösung von linearen Kraft- wirkungen begleitet sein können. (Von Quellungen u. dergl. ist dabei natürlich abzusehen.) Die theoretische Klarlegung des Vorganges muß aber den Physikern überlassen bleiben. Für den Geologen ist es vor allem wichtig, daß die Erschei- nung in ihrer Gesamtheit, und wie bei den Versuchen von Becker und Day unbeeinflußt durch von außen wirkende Bewegungen, das Bild einer aktiven Kraft darbietet, die Hebungen und Verschiebungen der Gesteinsmasse zu bewerkstelligen imstande ist. Literatur. C. G. A. V. Weißenbach, Abbildungen merlcwürdiger Gangverhältnisse aus dem sächsischen Erzgebirge. Leipzig 1836. R. Daly, Tbc Calcareous concretions of the Kettle Point, Lambton County, Ontario, Geological Journal. Chicago tqoo Bd. VIII, S. 135. W. Bornhardt, Über die Gangverhältnisse des Sieger- landes. Archiv für Lagerstättenforschung, herausgeg. von der preuß. geolog. Landesanstalt Berlin, Heft II, 1910. K. Andre e, Die Diagenese der Sedimente, ihre Be- ziehungen zur Sedimentbildung und Sedimentpetrographie. Geolog. Rundschau, Bd. II, 191 1, S. 123. — , Die geologische Bedeutung des Wachstumsdrucks kristallisierender Substanzen. Ebenda Bd. III, 1912, S. 7. F. E. Sueß, Die Bildung der Karlsbader Spr'udelschale unter Wachstumsdruck der Aragonilkristalle. Mitteil. d. geolog. Gesellschaft Wien, Bd. II, 1909, S. 392. F. B e c k e , Über Mineralbestand und Struktur der kristalli- sierenden Schiefer. Denkschr. d. math.-nat. Klasse d. kais. Akad. d. Wiss. Wien, Bd. LXXV, 1903, S. 42. W. Bruhns und Werner Mecklenburg, Über die sogenannte „Kristallisationskraft". 6. Jahresber. d. niedersächs. geolog. Vereinig. Hannover, 1913, S. 92. G. F. Becker and A. L. Day, The linear force of growing crystalls. Proceed. of the Washington Acad. of Science, Vol. VII, 1905, p. 2S3. , Bemerkungen über die lineare Krafl wachsender Kristalle. Zentralbl. für Mineralogie usw., Stuttgart 1916, S. 337- Einzelberichte. Physik. Zusammensetzung der Luft in größerer Höhe. Bekanntlich enthält die Luft neben ihren beiden Hauptbestandteilen noch Kohlensäure, die Edelgase und in größerer Höhe Wasserstoff. Fänden in der Gashülle der Erde keine Bewe- gungen statt, dann würden sich diese Gase in parallelen Schichten nach ihrer Dichte anordnen, das schwerste unten und das leichteste oben. An der Grenzfläche zweier benachbarten Gasarten würde allerdings durch die Diffusion eine Durch- mischung beider stattfinden. Nun ist es sehr wahrscheinlich, daß Luftströmungen nur in den der Erdoberfläche benachbarten Luftschichten statt- finden. Man hat Grund zu der Annahme, daß sich die Wettererscheinungen in einer etwa 1 1 km hohen Schicht, der Troposphäre, abspielen. Über diese Grenze gelangen von der Erdoberfläche emporsteigende Luftströme nicht hinaus. In den höher liegenden Luftmassen, der Stratosphäre, finden nur Bewegungen in horizontaler Richtung statt und es ist wahrscheinlich, daß in ihr eine konstante Temperatur von — 60" herrscht. In diesen höher liegenden Teilen des Luftmeeres ist also eine Anordnung der Gase nach ihrem spezi- fischem Gewicht zu erwarten. Die höchsten Teile der Atmosphäre würden danach aus (äußerst ver- dünntem) Wasserstoff bestehen, dem geringe Mengen Helium beigemischt sind. Sind diese Überlegungen richtig, dann muß schon in größeren Höhen der Troposphäre Wasserstoff' in mit der Höhe wachsender Menge vorhanden sein. A. Wi- gand berichtet in der Physikal. Zeitschr. XVII, S. 396 (1916) über die Zusammensetzung von 1 1 Proben, die bei Gelegenheit von 4 Freiballon- fahrten in Höhen zwischen 1500 und 9000 m der Atmosphäre entnommen wurden. Um jede Ver- unreinigung der Luft durch das P'üllgas des Ballons und die Atemluft der Luftfahrer auszuschließen, wurden besondere Vorsichtsmaßregeln angewendet. Ein 2 1 fassender Glasballon wurde bis auf '/lo ™^^ Druck evakuiert. An eine unten angeschmolzene, mittels Hahn verschließbare Kapillare wurde ein 30 m langes, aus einzelnen Stücken zusammen- gesetztes Aluminiumrohr befestigt, das von der Gondel herabhing. Vor Öffnung des Hahns wurde dieses zunächst durch eine einfache Saugvorrich- tung mit Luft der betreffenden Höhe gefüllt. Die Balloninsassen atmeten einige Minuten vor der Füllung durch Natronkalk aus. Die P'üllung ge- schah bei sinkendem Ballon, so daß auch eine Verunreinigung durch Wasserstoff ausgeschlossen war. Gleich nach der Landung wurde die untere Kapillare abgeschmolzen. Die L^ntersuchung der Luftproben erfolgte nach der Methode der fraktio- nierten Kondensation. Sie ergab, daß mit wach- senderHöhe der Kohlensäuregehalt ab, der Neon-, Helium- und Wasserstoff- gehalt dagegen zunimmt. K. Seh. Zoologie. Die Farben der Frische werden durch sogenannte F"arbzellen, die die Träger der eigentlichen Farbstoffe sind, hervorgerufen und verändert. Wir haben es hier mit schwarzen, roten und gelben Farben zu tun, die sonst noch auftretenden andersartigen Färbungen sind durch Kombination dieser drei Farben zu erklären. Außerdem kommt noch der Metallglanz in Frage, welcher durch Spiegelung in den sogenannten Guaninkristallen, das sind kleine Plättchen, zu- stande kommt. Diese Kristalle finden sich in Zellen, welche als Iridozyten bezeichnet werden. Je nach dem Farbstoffinhalt werden die Farbzellen 702 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 49 unterschieden als Schwarzzellen oder Melano- phoren, als Gelbzelien oder Xantophoren und als Rotzellen oder Erythrophoren. Im Archiv für Zellforschung (Bd. 24, Heft III) hat nun E. Ball o- witz über neuere Untersuchungen über Farb- zellen bei Fischen in zwei Arbeiten berichtet. Die eine beschäftigt sich mit den Xanthophoren in der Haut von Klennius ocellaris, einem Ver- treter der Schleimfische im Mittelmeer. Schon früher hatte Ballowitz bei den Gelbzellen der Knochenfische zwei verschiedene Arten von Farb- stoffkörnchen nachgewiesen, die sich in den Zellen gemeinsam vorfinden. Die einen sind „äußerst fein, staubartig und nur schwach gelblich gefärbt". Die andere Art der Farbstoffkörnchen tritt da- gegen als „größere, dunklere, bräunlich oder röt- lich gefärbte Kügelchen" auf Letztere sind in geringerer Anzahl in den Zellen vorhanden als die erste Art. Bei seinen neuen Untersuchungen fand Ballowitz nun die feinen Körnchen, welche die gelbe Farbe hervorrufen, in den lebensfrischen Zellen verteilt, während in der Mitte fast aller Xanthophoren sich eine dunkle, braunrote Pigment- scheibe vorfand, in deren Mitte sich eine zentrale helle Stelle markierte, die als „Sphärenfleck" ge- deutet wird. Die braunroten Pigmentkörnchen sind in der Scheibe radiär angeordnet. Oft über- ragen auch radiäre dunkle Körnchenreihen den Rand der Scheibe und dringen strahlenartig aus dieser hervor. Es sind dies wohl noch Reste aus dem Expansionsstadium. Aus diesen Beobach- tungen wird der Schluß gezogen, daß die beiden Körnchenarten, das gelbe und das braunrote Pig- ment, sich nicht gleichzeitig zusammenballen oder ausbreiten, sondern daß dies zu verschiedener Zeit geschieht. Zuerst ziehen sich die braunroten Pig- mentmassen zusammen, dann folgen langsam die gelben nach. Nach früheren Untersuchungen hat es an Wahr- scheinlichkeit gewonnen, daß in Melanophoren und Erythrophoren radiäre Kanäle im Plasma vor- handen sind, die dem Pigment bei der Zusammen- ballung oder der Ausbreitung als festbestimmte Bahnen dienen. Ballowitz glaubt nun, daß für die feineren gelben und die gröberen rotbraunen Körnchen gesonderte Kanalsysteme im Zellplasma vorhanden sind. Die Beobachtungen sind auch insofern interessant, als der Verf bei Gobicilen die Herkunft der Rotzellen aus der Umwandlung der Gelbzellen nachgewiesen hat. Die zweite Arbeit handelt „über die Vereini- gungen der Rotzellen mit Guaninzellen in der Haut von Mullus und Crenilabrus". Im Jahre 191 5 hatte Ballowitz Vereinigungen von Rotzellen mit Iridozyten , also Guaninzellen, in der Haut von Hemichromis bimaculatus beschrieben. Die Iridozyten hatten sich gruppenweise zusammen- geschlossen und durch Abgrenzung von der Um- gebung einen ,,kapselartigcn Körper" gebildet, in dessen Innerem ein Hohlraurrbsich befand. Dieser Hohlraum steht mit der Umgebung durch Kanäle in Verbindung, die zwischen den Iridozyten ver- laufen. Diese Körper wurden als „Iridosome" be- zeichnet. Im Innern des Hohlraumes dieser Irido- some befindet sich eine Rotzelle, von der aus Fortsätze durch die erwähnten Kanäle in das um- liegende Bindegewebe sich erstrecken. Es kommt so zur Bildung der „Erythroiridosome". Im Plas- ma dieser Fortsätze finden sich nun die schon oben erwähnten Kanäle für die Pigmenströmung. Durch das Ein- und Ausströmen der Farbstoff- körnchen findet ein Wechsel im Metallglanz der Iridozyten und ein Farbwechsel der Haut statt. Ahnlich diesen Verbindungen von Erythrophoren mit Iridozyten sind auch solche von Melanophoren mit Iridozyten beschrieben worden, welche die sogenannten „Melaniridosome" bilden. An Mullus barbatus, Mullus surmuletus und einer Crenilabrus- Art sind weitere Beobachtungen gemacht worden, insbesondere solche über die Entstehung dieser Zellsysteme. Die Guaninzellen bilden zuerst Stränge, die netzartig der Hautoberfläche parallel verlaufen. In diesen Netzen finden sich einge- streut Rotzellen und Schwarzzellen. Besonders häufig folgen hierbei die Rotzellen den Strängen der Iridozyten und sind diesen zum großen Teil angelagert. Zuerst ist diese Anlagerung nur eine sehr oberflächliche. Später ordnen sich dort, wo die Anlagerung stattgefunden hat, diejenigen Irido- zyten, die mit der betreffenden Rotzelle vereinigt sind, konzentrisch an, es kommt zu Iridozyten- vereinigungen, die zunächst noch strangartig unter- einander zusammenhängen. In einem weiteren Stadium lockert sich der Netzverband und die Stränge zerfallen in verschieden große Stücke. Zu dieser Zeit liegt die Rotzelle noch nicht ganz im Innern dieser Zellvereinigungen, sondern noch ziemlich oberflächlich, wodurch sich diese Ge- bilde von den echten Erythroiridosomen noch unterscheiden. Solche Stadien, in denen die Rot- zellen bereits weiter in das Innere dieser Zell- klumpen eingedrungen sind und die deutlich ihre Natur als Erythroiridosome kennzeichnen, werden dann auch noch abgebildet und beschrieben. Dr. Willer. Faunistisch-Biologisches aus den Okkupations- gebieten. Von den überaus zahlreichen Tier- beobachtungen, die aus dem Felde namentlich in naturwissenschaftlichen und Jagdblättern mitgeteilt werden, verdienen wohl die folgenden weitere Beachtung. Vom Nordischen Schneehasen, der wegen seines Vorkommens in Ostpreußen , z. B. in Rominten, auch zur deutschen Fauna gehört, aber vom gewöhnlichen Lepus europaeus Pall. durchaus verschieden ist und den Linne'schen Namen Lepus timidis zu führen hat, wurden öfter Stücke in den Waldungen der Rokitnosümpfe (Lehrer Curland, „Dtsch. Jägerztg." Bd. 67, Nr. 28; V. Bischoffshausen, „Wild und Hund" 1916, S. 517) beobachtet und erlegt, also wesentlich N. F. XV. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 703 südlicher, als man ihn je sonst fand. Es ist in- dessen möglich, daß diese Vorkommnisse auf der Aussetzung von mehreren hundert Stück beruhen, die vor einigen Jahren von einer Gutsverwaltung dorthin gebracht wurden und sich dann jedenfalls gut gehalten haben, eine Vermehrung des an sich schon überaus reichen Wildbestandes jener urwald- reichen Gegend. Auf dem westlichen Kriegsschauplatze wurde in der Grünen Kröte, Bufo viridis Laur. , ein für Frankreich fast völlig neuer, nämlich bisher nur bei Bourget in den Hochalpen gefundener Froschlurch durch W. Schreitmüller an ver- schiedenen Stellen festgesteüt; bei La Fere, bei Apremont nordwestlich Verdun, bei Laon, Noyons und in Fourmis an der belgischen Grenze (Bl. f. Aquarienkunde, 1916, S. 251—252). Wolters- tor ff bemerkt dazu, daß die Art auch im Rhein- gebiet häufiger ist, als man bisher glaubt. Sie findet an obigen Fundplätzen ihre VVestgrenze, wäh- rend Pelodytes punctatus Daud., der Schlamm- taucher, eine in Deutschland nicht vorkom- mende, neuerdings unweit Laon gefundene kleine Froschart, dort die Ostgrenze ihrer Verbreitung hat (Ebenda, S. 242). So rege das Amphibienleben im besetzten Frank- reich ist, so arm scheint das Land an Reptilien zu sein. In fast 2 Jahren habe ich nur einmal eine Ringelnatter gesehen, sonst weder Schlangen noch Eidechsen oder Blindschleichen, auch an den scheinbar bestgeeigneten Orten für diese Tiere nicht. Wer eigens darauf ausging, die Reptilien- fauna des Landes kennen zu lernen , fand wohl einige Stücke mehr, aber gleichfalls ganz erstaun- lich wenig. Diese Seltenheit der Kriechtiere ist wohl schwer zu erklären. In Kreidekellern in der Champagne fand Dr. P. K u 1 i g a die zu den P i 1 z m ü c k e n , Myceto- philiden, gehörige Mücke Polylepta leptogaster, die J. J. Kieffer bestimmte, und stellte fest, daß die Larven, die offenbar von den auf der Kreide wachsenden Mikroorganismen leben, die Kreide mit ihrem unter dem Mikroskop gut erkennbaren Freßwerkzeugen aufnehmen und sie in trocknen kleinen Klümpchen entleeren ; diese bleiben an der Schleimschicht hängen, die den Lebensweg der Larve an dem Felsen markiert (Bl. f. Aquarien- kunde, 1916, S. 259). V. P>anz. Meteorologie. Auf die Abhängigkeit der barometrischen Höhenmessung von klimatischen Einflüssen weist E. Kohlschütter (Meteorol. Zeitschr. 1916, S. 182) hin. Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß sich die „barometrische Temperatur" für die zwischen dem Ort der Messung und dem Meeres- bzw. Vergleichsniveau angenommene, aber nicht vorhandene Luftsäule nicht mit Sicherheit ermitteln läßt. Verf ver- gleicht seine in Deutsch-Ostafrika gemachten Er- fahrungen mit denen von J. Liznar (Meteorol. Zeitschr. 1915, S. 414) für den Sonnblick. Letzterer erhielt Übereinstimmung der trigono- metrisch ermittelten Höhenwerte mit den baro- metrischen, wenn von diesen das Jahresmittel ge- nommen wurde. Für die Tropen ergaben sich dabei stets zu hohe Werte. Dies kommt daher, daß in den Alpen die jährliche Periode der baro- metrischen Höhen symmetrisch zur trigonome- trischen Höhe liegt, in der heißen Zone aber wesentlich höhere Werte hat. Andererseits ist zu erwarten, daß in polaren Gegenden, etwa Spitzbergen, das Barometer zu geringe Höhen er- geben wird. Hierüber liegen jedoch bis jetzt keine Untersuchungen vor. Bis zu einem gewissen Grade, jedoch nicht vollständig, läßt sich dieser Fehler ausschalten durch ausgedehnte klimatische Beobachtungen in der Umgebung des Ortes, dessen Höhe zu bestimmen ist. Insbesondere wären auch Messungen aus trigonometrisch bekannten größeren Hochflächen wertvoll. Scholich. Ein merklicher Einfluß der atmosphärischen Flut, und damit des Mondes, auf die Luftbewegung wird im allgemeinen nicht zugegeben, da der so hervorgerufene Luftdruckunterschied nur etwa '/jß mm beträgt, während durch die Wärme- wirkung der Sonne Schwankungen von 40 — 50 mm hervorgerufen werden. Wie P". Gösch 1 in einer Untersuchung über die Leistungsfähigkeit der atmosphärischen Plut (Meteorol. Zeitschr. 1916, S. 184) nachweist, werden dabei jedoch Einflüsse zusammengebracht, die nicht ohne weiteres mit- einander vergleichbar sind. Insbesondere findet von dem Flutberg kein Abströmen der Luft statt, sondern der Mond schiebt ihn gewissermaßen vor sich her. Verf. berechnet nun die Masse und Energie der so bewegten Luft und andererseits die Sonnenstrahlungsenergie in der gleichen Zeit auf den Raum des P'luiberges. Letztere ist etwa 300 mal so groß wie die erstere. Jedoch gelangt von ihr nur ein gewisser Prozentsatz zur Wirkung, da nicht die Gesamterwärmung der Luft in Frage kommt, sondern die Temperaturunterschiede zwischen Meer und Land einerseits mit dem Haupt- einfluß in west-östlicher Richtung, und zwischen höheren und niederen Breiten andererseits mit nord- südlicher Wirkungsrichtung. Auf die erstgenannte Komponente hat die Flutbewegung nur einen sehr geringen, hauptsächlich Niederschläge aus- lösenden Einfluß, ohne merkliche Verlagerung der Hochdruckgebiete. Dagegen ist eine merkliche Einwirkung auf die jährliche meridionale Ver- schiebung des Maximumgürtels in den Roßbreiten und des nördlichen Minimumringes zu verzeichnen. Die meridionalen Komponenten der Bewegungs- energie, hervorgerufen durch die tägliche Dekli- nationsänderung von Sonne und Mond, sind nahe- zu von gleicher Größenordnung. Dies gibt die theoretische Begründung dafür, daß bei nördlichem Mondzug im allgemeinen Südwestvorstöße des Azorenhochdruckgebiets, bei südlichem Mondzug Vorrücken des russisch- kontinentalen Maximums von Nordost her beobachtet werden. Scholich. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 49 Forstwirtschaft. Verhinderung von Wild- schäden im Walde. Außer den bekannten Feg- verTetzungen von Hirsch und Rehbock sind unter den Wildbeschädigungen im Walde besonders die Verstümmelungen bemerkenswert, welche die Tiere durch das Abbeißen der Jungtriebe an den Kultur- pflanzungen im Walde verursachen. Daneben ist aber auch der Hochwald selbst mancherlei Ver- letzungen durch unser nützliches Jagdwild, Hoch- wie Rehwild, ausgesetzt: sind nämlich die Gipfel- triebe der Jungpflanzen dem Äser des Wildes entwachsen, datm beginnen die Tiere die Rinde an den Stämmen abzuschälen; ist die Rinde der Stämme zu stark geworden, dann berauben sie die ihnen zugänglichen Wurzeln ihrer Rinden. In- wieweit diese Forstbeschädigungen mit den Er- nährungsbedingungen des Wildes in Zusammenhang stehen, ist heute noch nicht klargestellt; interessant in dieser Beziehung erscheint immerhin die von mehreren Orten gemeldete Beobachtung, daß die Schälungsschäden in Wäldern, die auf sandigem Boden stocken, stärker zu sein pflegen als die Schälungsschäden in auf Kalkboden stockenden Waldungen. Die Sorge des praktischen Forstmannes hat von je der tunlichsten Verhinderung jeglichen Wildschadens gegolten und es dürfte auch lür den Nichtfachmann interessant sein, von Versuchen zu erfahren, die der k. k. Forstmeister Dr. Walther Sedlaczek in der k. k. forst- lichen Versuchsanstalt in Mariabrunn (Niederöslerreich) über dieses Problem angestellt ha: (Centralblatt f. d. ges. Forstwesen, 42. Jahrg., 1 9 16, Heft 3/4, S. 115 — 134). Als sicheres und billiges Schutzmittel gegen Schälschäden hat der Verf das Verfahren des k. k. Forst- und Domänenverwalters T h. T i 1 1 b a c h erprobt, welches darin besteht, daß der Beschälung aus- gesetzte Stämme durch Anbringung von spiralig um den Baum gewickelten Teerpappestreifen gesichert werden. Der scharfe Teergeruch, so hatte der Erfinder vermutet, würde die Tiere ab- halten, die geschützten Stämme anzugehen. Diese Annahme bestätigte sich nun zwar nicht, sondern es hat sich gezeigt, daß das Wild sich wohl nur deshalb vom Schälen abhalten ließ, weil es „mit dem Äser an den scharfen Rand der spiralig an- geordneten Pappe stieß". Die gute Wirkung der Titlbach 'sehen Teerpappestreifenmethode beruht demnach lediglich auf der rein mechanischen Be- hinderung des Wildes am Schälgeschäfte. Früher war zu demselben Zwecke ein Anstreichen der Bäume mit reinem Lehm oder mit einer IVI i s c h u n g von Kalkmilch, Lehm, Kuh- mist und Rindsblut empfohlen worden. Diese Verfahren erwiesen sich aber vor allem nicht als haltbar, da sie ja notwendig, wenn ihr Haupt- bestandteil Lehm war, schon in der nächsten größeren Niedersciilagsperiode unwirksam werden mußten. Sie stehen deshalb schon aus diesem Grunde der Titlbach 'sehen Methode bedeutend nach. Sehr gut bewährten sich natürlich Draht- körbe, in die man die zu schützenden Bäume stellt; hier wird nur der hohe Anschaffungspreis manchen Waldbesitzer schrecken. Auch ein Einbinden der Stämme mit R eisig wurde ausgeprobt: wenn auch gute Resultate damit ge- wonnen wurden, hat man das Verfahren doch wieder verlassen, da die Gefahr bei Waldbränden dadurch nicht unerheblich wächst. Gegen die Methode der „Hobelung", die neuerdings viel- fach zur Anwendung gelangt — man reißt dabei mittels eines eigenen Instrumentes die Rinde an verschiedenen Stellen etwas auf, um Harzfluß herbeizuführen — , äußert der Verf. schwere Be- denken, da offenbar die Bäume selbst dadurch auch zu Schaden kommen. Unter den Mitteln, die Forstmeister Sedlaczek zur Verhinderung des Wildverbisses an Kulturen erprobte, hat sich das Verwergen am besten bewährt, besonders dann, wenn das „Werg nicht umwickelt oder aufgelegt, sondern angeklebt wird". Billiger als das Verwergen, und immer noch von recht guter, wenn auch nicht so unbedingt sicherer Wirkung hat sich das Anstreichen der bedrohten Pflanzen mit dem oder jenem chemischen Präparat erwiesen, wie sie von verschiedenen Firmen in den Handel kommen. Schließlich be- spricht der Verf. noch eine originelle Methode des „rauchenden Fuchses" nach Kern (Krems): es ist dies ein kleiner Füllofen aus durchlochtem Blech, welcher mit imprägnierten Holzspänen ge- füllt wird. Die darin enthaltenen Knall- und Leuchtkapseln entwickeln einen unangenehm riechenden Rauch, der 150—300 Schritte weit in der Windrichtung zu bemerken ist. Wenn sich nun auch das Wild durch den Geruch allein nicht verscheuchen ließe, so wird es doch bestimmt durch die leuchtende und lärmende Nebenwirkung des Verbrennungsprozesses für eine beschränkte Zeit vom Betreten wertvoller Kulturflächen ab- gehalten werden können. Vielleicht ist dieser Kern'sche Apparat auch geeignet, Wildschaden in landwirtschaftlich bestelltem Kulturland zu verhindern. H. W. P'rickhinger (München). Inhalts Franz E. Süß, Kristallisationskraft und lineare Kraft wachsender Kristalle, i Abb. S. 697. — Einzelbeticbte: A. VVigand, Zusammensetzung der Luft in größerer Höhe. S. 701. Ballowitz, Farbzellen bei Fischen. S. 701. V. Franz, Faunistisch- Biologisches aus den Okkupationsgebieten. S. 702. E. Kohlschütter, Abhängigkeit der barometrischen Höhenmessung von klimatischen Einflüssen. S. 703. F. Göschl, Die Leistungsfähigkeit der atmo- sphärischen Flut. S. 703. Sedlaczek, Verhinderung von Wildschäden im Walde. S. 704. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafie Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. Dezember 1916. Nummer 50. Die Schimpansin Basso im zoologischen Garten zu Frankfurt a. M. [Nachdnick verbo Von Dr. Stefanie Oppenheim. Mit 5 Abbildungen. Die Gelegenheit, an lebenden Anthropomorphen Beobachtungen über Körperbau und Körperwachs- tum anstellen zu können, ist eine sehr seltene. Zumeist halten sich diese Tiere in der Gefangen- schaft nur kurze Zeit und sind ferner selten so zahm, daß sie metrische Erhebungen zulassen. Das trifft für die Schimpansin Basso im zoolo- gischen Garten in Frankfurt nicht zu; sie ist im Gegenteil sehr gutmütig und zeigt besonders Frauen und Kindern gegenüber eine große Zu- neigung. — Durch das Entgegenkommen des Herrn Dr. K. Priemel, Direktors des zoolo- gischen Gartens, dem ich auch die biographischen Notizen über Basso verdanke, und die stets bereit- willige Hilfe des Wärters R. Burkardt, ist es mir möglich geworden, meine Beobachtungen über ein Jahr fortzusetzen. Ich veröffentliche im folgenden einige wesentliche Resultate. Die in Libenge am Ubangi gefangene Schimpansin Basso ist am 24. August 191 1 im zoologischen Garten etwa 4 jährig als Ge- schenk des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg von der zweiten Inner- Afrika-Expe- dition in BelgischKongo eingetroffen. Der Her- zog, dem das Tier selbst im Herbst 1910 ge- schenkt wurde, behielt es noch den ganzen Winter in Afrika, so daß es günstigerweise erst während der warmen Jahreszeit nach Europa kam. Bassos damaliges Körpergewicht betrug 15 kg; die Körpergröße wurde zu jener Zeit leider nicht festgestellt. Auch waren keine sicheren Anhalts- punkte für des Tieres genaues Alter gegeben; es wurde nach dem Vorhandensein seines Milch- gebisses auf 4 Jahre geschätzt. Der Zahnwechsel setzte erst im April 19 12 ein und dauerte drei Jahre. Im August 191 3 brachen die oberen Eck- zähne durch und bis zum PVühjahr 1915 war der Zahn wechsel bis auf die vier dritten Molaren, von denen soeben die beiden unteren durchbrechen, beendet. Kurz darauf, im Juni, setzten die ersten Menses ein, auf deren Verlauf ich später zu sprechen kommen werde. Zunächst inter- essieren uns die Maßverhältnisse des Körpers und der Vergleich mit denjenigen anderer unter- suchten Schimpansen. Selbstverständlich kann es sich hier nur um einen bedingten Vergleich han- deln, weil meines Wissens noch keine Messungen am lebenden Schimpansen — also aufrecht — , sondern bisher nur an Leichen — im IJegen an- gestellt worden sind. Bassos Körpermaße sind folgende: (Siehe Tab. I.) Vergleichen wir mit diesen Angaben die- jenigen, die Seh lagin häufen*) macht, so er- gibt sich die Tatsache, daß wir es bei Basso als mit einem besonders großen und starken Tier zu tun haben. Hartmann gibt zwar schon im Jahre 1876 als maximale Körpergröße des weiblichen Schimpansen 125 cm an, was, soviel ich aus der Literatur ersehe, bis heute nicht widerlegt ist. Basso hat jetzt eine Körpergröße von 120,2 cm, gehört somit zu den größten Schimpanseweibchen. Alle von anderen Autoren angegebenen Körper- größenzahlen bleiben weit hinter derjenigen ßas- sos zurück (Tab. 2). Man mag einwenden, daß die in Gefangen- schaft gestorbenen Individuen nicht zur vollen Ent- faltung ihrer Körpergröße gekommen sind, oder an Größe und Kraft den in Freiheit lebenden nachstehen. Bis zu einem gewissen Grad ist das wohl richtig, bei Basso aber, die sich im Sommer täglich und auch im Winter bis zu 6" Wärme bei Sonnenschein im Freien bewegen darf und durch Radiahren, Seiltanzen, Springen und Klettern Gelegenheit zur vollen Ausbildung der Muskulatur hat, w-ie selten ein Tier in der Gefangenschaft, trifft das kaum zu. Stimmen nun die von anderen Autoren festgestellten Körpergrößen durchaus nicht mit derjenigen Bassos überein, so sind doch die allgemeinen Proportionsverhältnisse des Kör- pers bei allen Individuen die gleichen. Das läßt sich am besten an einer Proportionsfigur beweisen, die ich mit Schlaginhaufen's Schimpansin vergleiche, weil diese nach der gleichen Meß- methode wie Basso untersucht wurde. In diesen Proportionsfiguren der beiden Schimpansen (Abb. i) sind die absoluten Maße auf die auf 100 gebrachte Körpergröße bezogen; sie zeigen neben einigen Abweichungen eine fast gleiche relative Schulter- höhe (80,1 resp. 80,9) und ganze Armlänge (63,5 resp. 63,8). Nur die relative Beinlänge ist ver- schieden (37,2 resp. 42,2); sie ist bei Basso kürzer, wodurch das aufrecht stehende Tier ein gedrun- genes Aussehen erhält. Dies rührt aber nur da- her, daß Sc h 1 agi n h a u f e n sein Individuum als Leiche und im Liegen, also mit gestreckter unterer Extremität gemessen hat, während Basso im Stehen in der natürlichen Beugestellung gemessen wurde. Die Photographie (Abb. 2) bringt die Ober- ') O. Schlaginhaufen, 1907. Die Ivörpermaße ur der äußere Habitus eines jungen weiblichen Schimpanse Abhandl. u. Ber. Kgl. zool. anthrop.-ethuogr. Mus. Dresde Bd. XI. 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 50 Schimpansin Basso Im Stehen Liegen Sitzet 1. 1) Körpergröße 1202 — — 4. Sternalhöhe 988 — 567 5. Nabelhöhe — — 174 6. Symphysenhöhe 479 — 7. BrusUvarzenhöhe 860 — 445 8. Schulterhöhe 963 — 579 23. Stammlänge — — 752 27 a. Suprasternale bis Symphyse — 471 — Brustwarze bis Nabel — 286 — 32. Nabel bis Symphyse — 126 — 17. Spannweite 1680 — — 35. Schulterbreite — 274 — 38. Brustwarzenbreite — 177 — 40. Cristalbreite 264 — Beckenbreite 272 — — 61. Brustumfang 872 — — 62. Taillenumfang 870 — — 45. Ganze Armlänge 792 — — 47. Oberarmlänge 264 — — 48. Unterarmlänge 266 — — 49. Handlänge 235 — — 52. Handbreite 81 — — I. Fingerlänge 57 — — II. 116 — — III. 140 — IV. 121 . — — V. 85 — — Ganze Bcinlänge v. Trochanter 53^ — — 55(1). Oberschenkellänge 249 — — 56. Unterschenkellänge 244 — — 16. Ful3höhe 43 — — I. Zehenlänge 62 — — 11. 66 — — III. S3 — IV. — — V. 65 — — Proc. styl. rad. bis Daumenspitz e ilS — — 58. Kußlänge 239 — — 59. Fußbreite 94 — — 65. Oberarmumfang 310 — — 66. Gr. Unterarmumfang 290 — — 67. Kl. Unterarmumfang 195 — — 68. Oberschenkelumfang 460 — — 69. Unterschenkelumfang 290 — — 70. Knöchelumfang 235 — — l.'^) Größte Kopflänge M" Supraglabellare-Opisthokranion 131 Nasion-Opisthokranion 3. Größte Kopfbreite Breite auf d. Occipitalkämmen 9(1).*) Postorbitale Einschnürung 5(1). Mastoidealbreite 7. Jochbogenbreite 8. Unterkieferwinkelbreite 9. Innere Augenwinkelbreite 10. Äußere „ 14. jSlundspaltenbreite (gerade) (Bogen) 29. Physiogn. Ohrlänge ührbreite Morphol. Ohrlänge Ohrbreite Ganzgesichtshöhe Obergesichtshöhe Nasenhöhe Nasenbreite Ohrhöhe des Kopfes 55 und Unterschenkelkrümmung in der Frontalansicht zum Ausdruck; von der Seite gesehen ist sie aber noch weit stärker, was besonders beim Gehen auffällt. Ein Versuch, Bassos absolute Proportionsfiguren Schimpanse $ ') Neger (n. Martin) ') D Lehrbuch d -') Vgl. nähme von ') Vgl. iehensich auf die bei Martin, er Anthropologie angegebenen Körpermaße, S. , Martin, ebenda S. I57lif. Kopfmaße [mit Maß 9(1).] . Martin, ebenda S. 523 Schädelmaße. Maße, auf \',p reduziert, in einer Proportionsfigur wiederzugeben (Abb. 3), erscheint deshalb ijber- trieben, weil hier als auch die laterale Beuge- stellung der unteren Extremität von vorn gesehen wird. ') Au (1907). Maßen zusammengestellt n. Schi N. F. XV. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Tabelle 2. i) ScMmpa Gratiolet u. Alix Bam MoUy 9 mm Körpergröße Sternalrand bis Damm Sternalrand bis Symphyse Scheitel bis Damm Scheitel bis Sternalrand Symphysenhöhe Akromialbreite Brustwarzenbreitc Cristalbreite Spannweite Brustumfang TaiUenumfang Ganze Armlänge Handlänge Handbreite Oberarmumfang Unterarmumfang Beinlänge vom Trochanter Oberschenkellänge Unterschenkellänge Fußhöhe Fußlänge Oberschenkelumfang Unterschenkelumfang Größte Kopflänge Größte Kopfbreite Jochbogenbreite Äuß. Augenwinkelbreite Inn. Augenwinkelbreite Unterkieferwinkelbreite Mundspaltenlängc (gerade) Mundspaltenlänge (Bogen) Physiogn. Ohrlänge Physiogn. Ohrbreite Morphol. Ohrlänge IVIorphol. Ohrbreite 380 1090 500 090 380 45° 140 55 (81) (i°5) 620 290 410 130 56 (93) (82) 445 (710) (700) 190 70 (210) 460 355 {510) 760(860) 392 332 557 lös 363 185 99 155 1190 580 520 549 160 53 162 162 Die Frage nach der Verschiedenheit der Körpermaße des Schimpansen und des Menschen liegt nahe. Sie ist durch die Darstellung der Proportionsfigur eines Negers (vgl. Abb. i), dessen Körpergröße ebenfalls gleich 100 gesetzt ist, beantwortet. Mit einer einzigen Ausnahme, der Schulterhöhe (8i,S) weichen alle menschlichen Maße von denen des Anthropoiden ab. Schulter- und mehr noch die Beckenbreite sind bedeutend kleiner, die obere Extremität auffallend kürzer, die untere umgekehrt viel länger. Während Becken- und Schulterbreite beim Schimpansen an Größe einander nur wenig nachstehen, ist der Unterschied der beiden Maße beim Menschen sehr groß. Einige Zahlen nach Martin'-) mögen dies beweisen : Schulterbreite Beckenbreite 9 0" 9 Badener 23,4 22,0 17.4 18, Japaner 23,5 23,2 Ib,6 17- Abb. 3. Propo von Basso. Absol. Maße ') Zusammengestellt ans -) R Martin, 1914. S. 267 u. 269. ichlaginhaufen (1907), Lehrbuch der Anthropo 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. SO Noch größer sind die Unterschiede in bezug auf die Extremitäten: Obere Extremität: Relative Oberarralänge Unterarmlänge Handlänge Badener 19.8 19, t 15,5 14,4 11,2 u.o Japaner 16,9 16,7 14,5 15,1 ] 1,5 11,5 'Büsso — 21,9 — 22,1 — 19,5 Untere Extremität: Relative Oberschenkel- Unterschenkel- Fuß- länge länge länge c/-' 9 o- 9 er' 9 Badener 27,1 28,4 22,4 21,2 16,0 15,5 Japaner 22,5 23,2 21,9 22,5 13,8 14,9 Basso — 20,7 — 20,2 — 19,8 Während also Bassos obere Extremität die menschHche an Länge in allen Teilen übertrifft, steht die untere mit Ausnahme der Fußlänge an relativer Größe nach. Hierin offenbart sich der charakteristische Unterschied des Hangelers resp. Halbrechtgängers gegenüber dem Menschen als dem Vertreter des aufrechten Ganges. Der Satz, daß die Funktion das Organ macht, bestätigt sich auch hier. Mag die Dressur die Schimpansin noch so sehr zum aufrechten Gehen zwingen, in un- bewachten Momenten oder beim Spiel auf der Wiese mit dem Orang-Utan wird beim Jagen die obere Extremität in gleicher Weise als Stütze ge- braucht, wie die untere, oder noch lieber die Flucht durch behendes Klettern und Hangeln am Reck und im Baum gesucht. Bassos aufrechter Gang, stets mit eingebogenen Zehen, ist äußerst schwerfällig; bei jedem Schritt hilft sie mittels einer Drehbewegung des Rumpfes nach, wodurch die Mühe des aufrechten Gehens und die Steif- heit der Beine, resp. die wenig elastische Verbin- dung des Schienbeins mit dem Sprungbein stark auffallt. Wie sehr die Kopfmaße von den mensch- lichen verschieden sind, sagt uns schon ein erster Blick. Die Flachheit der Stirne, die niedere Ka- lotte sprechen für einen kleinen Hirnschädelraum, während das Gesicht demgegenüber als Träger der Sinnesorgane und der Kauwerkzeuge auffallend entwickelt erscheint. Berechnet man nach der größten Kopflänge und -breite und der ganzen Ohrhöhe die Schädelkapazität nach der Lee- Fear so n 'sehen Methode, die allerdings für den Menschen aufgestellt ist, aber immerhin einen Anhalt gibt, so wäre die Kapazität Bassos mit 420,8 com anzusetzen. In einer früheren Arbeit ') gab ich die mittlere Kapazität von 40 Schimpanse- schädeln beim Männchen mit 404 ccm, beim Weib- chen mit 388,8 ccm, die maximale mit 470 resp. 440 ccm an; Basso würde also demnach das weibliche Kapazitätsmaximum nahezu erreichen. ^) Bassos Längenbreitenindex ist infolge der großen Kopfbreite ein ziemlich hoher, er beträgt 88,4 init der gesamten Knochenauflagerung in Länge und Breite und 86,2 nach den Längen- und Breiten- maßen, die nur die Gehirnkapsel berücksichtigen, während im allgemeinen das Mittel für den Schimpansenschädel bei 83 liegt, aber bis zu 99 beim Männchen und 91 beim Weibchen ansteigen kann. Auch Schlaginhaufen's Schimpansin, sowie zwei von Hartmann gemessene sind lang- köpfiger als Basso (Index: 73,6, 75,9 und 82,6);"^) die Kopfmaße dieser drei Individuen sind außer- dem (vgl. Tab. 2) in allen Dimensionen absolut kleiner, in den meisten Fällen um ein ganz Be- deutendes. Um so mehr überrascht bei Basso die relative Kürze ihres Gesichts (Gnathion-Nasion- länge 103 mm); bei allen 40 Schimpanseschädeln ist dieses Maß größer als bei Basso (im Mittel 120 resp. 117 mm). Hierfür ist nur die außerordent- liche Kürze von Bassos Nase verantwortlich zu machen, die nur 44 mm, bei anderen Individuen dagegen bis zu 63 mm beträgt. Ob es sich hier um eine individuelle oder Art-Differenz handelt, dürfte ebenso interessant wie schwierig festzu- stellen sein. Andererseits hat Basso nicht nur einen breiten Kopf, sondern auch ein auffallend breites Gesicht, dessen Maße die anderer Schim- pansen übersteigt: Postorbit. Einschnü- rung Joch- bogen- breite Unterkiefe Winkel- breite 71,4 71,4 109,0 126,5 119,6 132,0 S5.7 84,1 09,0 ') Zur Typologie des l'rimatencraniums Zschr. f. Morph, u. .^nthrop., 191 1, S. 139. Selbstverständlich sind bei Bassos vorzüglichem Ernährungszustand mehrere Millimeter abzuziehen, um dem Vergleich mit den Schimpanseschädeln ge- recht zu werden; die drei oben angeführten Maße beziehen sich aber auf Stellen, an denen fast gar keine Fettschicht aufgelagert und der Knochen durch die Haut leicht abtastbar ist; es bleibt also immer noch eine ansehnliche Breite gegenüber den anderen Individuen. Ein Vergleich mit Schlaginhaufen's Srhim- pansin belehrt uns aber darüber, daß die Kopf- breiten im Verhältnis zur Körpergröße im Gegen- teil durchaus keine abnormen sind, sondern daß, wie bereits zu Anfang bemerkt, Basso lediglich ein großes Individuum darstellt: ') Ich bediente mich bei Berechnung der Kapazität der- jenigen „größten Kopflänge", die erst an der Fossa supra- glabellaris beginnt, also den weit ausladenden Augenschild, der nur eine Knochenvorlagerung ist und keine Hirnmasse deckt, unberücksichtigt läßt. -j Hierbei ist allerdings die größte Kopflänge (Martin Nr. 1) verwendet, wodurch der Index natürlich niedriger ge- worden ist. N. F. XV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 Körpergröße Schimpansin nach Schlagiahaufcn S,7 12,2 Basso 8,2 9,4(lo,f Mit Ausnahme der inneren Augenwinkelbreite ist also Schlaginhaufen's Schimpansin in allen Kopfdimensionen relativ größer, wenn auch absolut kleiner, wie wir (Tab. 2) gesehen haben. Bassos Kö r pergewicht beträgt heute etwa 56 kg, und es ist anzunehmen, daß, da sie wahrschein- lich noch nicht ganz ausgewachsen ist, auch an Gewicht noch zunimmt. Weder ein Wachstums- noch ein Körpergewichtsrhythmus ist bei ihr zu beobachten, wie er beim Menschen existiert. Bassos Körpergewichtszunahme: I9II 15.5 kg I9I2 21,6 „ 1913 29,5 ■■ 1914 37,25 „ 1915 48,75 „ I9I6 55,25 „') Bassos Haut ist auf der knöchernen Unter- lage leicht verschiebbar; sie fühlt sich ziemlich fein an, zeigt nur Runzelbildungen an Gesicht und Händen, ist aber sonst am Körper glatt. Ihre Färbung ist sehr verschieden. Ich habe sie nach Fr it seh 's Hautfarbentafel untersucht und dabei bemerkt, daß Bassos Haut in der Bauch- und Rückenregion weit heller ist, als irgendein ') Basso hatte gebracht. diesem Jahre schon bis auf 5S kg von Fritsch angegebener Farbton; sie konnte also häufig nur annähernd bestimmt werden (Tab. 3). Allerdings wird die Haut mit den Jahren immer dunkler; anfänglich helle Figmentflecke z. B. im Gesicht verschmelzen allmählich und werden ein- heitlich dunkelbraun. Auch die Nachdunkelung der Haut im Sommer ist auffallend. Tiefbraun, fast schwarz sind die stark abge- nützten Hornplatten der Fingernägel, ebenso die Stützschwielen an den Mittelphalangen der oberen Extremität; ebenso dunkel ist auch die Sklera des Auges, so daß die braune Irisfarbe daneben hell erscheint. Die Brustwarzen sind dunkel pig- mentiert, stehen stark vor, sind aber von keinem Warzenhof umgeben. Es war unmöglich, durch Bassos starke F"ettauflagerung festzustellen, in weicher Rippenhöhe die Brustwarzen gelegen sind. Soweit nach den unvollkommenen Hand- und Fußabdrücken über das Haut falten- und Leisten System (.Abb. 4) Bassos sich überhaupt etwas sagen läßt, scheinen sich die Verhältnisse im großen und ganzen mit denjenigen der jungen Schimpansin Schlaginhaufen's zu decken. An der Palma treten deutlich die Falten aa^ bbj, und d auf (vgl. Schlaginhaufen 1907, S. 9), und die Falten der Planta stimmen ganz besonders mit Schlaginhaufen's schematischer Zeichnung der plantaren Flexionsfalten der Mafoka (Abb. 6, S. 10) überein; die Linien aa^, bbj, dd, und kk^ haben dieselbe Verlaufsrichtung, nur im ganzen verstärkter und verlängert, wie es bei einem so verarbeiteten Greiforgan wie demjenigen Bassos selbstverständlich ist, da sie täglich 4 Vorstellungen gibt, die nicht nur an den ganzen Körper, sondern besonders an Hände und F"üße große Anforde- rungen stellen. Das Hautleistensystem ist fast völlig das gleiche wie das von Schlaginhaufen (Abb. 9 S. II) gezeichnete Schema; auch hier findet sich vollkommen dieselbe Lage des Triradius Tabelle 3. Unbehaarter Gesichtsteil: braun bis tiefbraun Halsgegend und Ohren: hell; Pigmentflecke Brustgegend : Piginentflecke ; sehr hell, fast weiß, Brustwarze; dunkelbraun Bauchgegend: Pigmentflecke; sehr hell Leistengegend: Pigmentflecke; sehr hell Rückengegend: Pigmentflecke; sehr hell, After: etwas dunkler Achselhöhle: sehr hell (wenig behaart) Oberarm: Streck- und Beugeseite: sehr hell. Unterarm: Streckseite: braun „ : Beugeseite : dunkelbraun Oberschenkel: Streck- und Beugeseite: ziemlich hell Unterschenkel: Streck- und Beugeseite: ziemlich hell Dorsalfläche der Hand: tief dunkelbraun Palmarfläche der Hand: dunkelbraun Dorsalfläche des Fußes: hellbraun Plantarfläche des Fußes: hellbraun nach Fritsch's Farbentafel Vj IVo iel heller als IV, aber diese Nuance IVä IVi IVi heller als IVi IV2 IVi heller als IVi IV, IV5 IVi. -2 IVi Vb IV5 IV3. -4 IV3 710 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 50 13 und des Triradius 9 wie bei Basso. Ob ihre Rechtshändig tceit natürlich ist, weiß ich nicht: bei der Erziehung betonte man sie. Handinnenfläche und Fußsohle sind haarlos, letztere sogar bis zum äußeren und inneren Knöchel; Hand und Fußrücken hingegen sind be- haart, auch die Grundphalangen, aber weniger dicht, ähnlich wie das Gesicht und das Ohr. An diesem zeigen sich nur einzelne ziemlich lange Haare in der Gegend des Anthelix; sonst ist die Haut des Ohres glatt, wie diejenige des mensch- iriradius . 13 Der Index (72,6) liegt ziemlich in der Mitte; im Bau ist Bassos Ohr also ein normales. Daß ferner sein Ohrläppchen angewachsen und der Antitragus stark entwickelt ist, ist wohl ebenfalls ein Schimpanse-Charakteristikum, denn beide Eigenschaften wurden schon im Jahre 1900 von Martin an einem weiblichen Schimpansen beob- achtet. Bassos ganze Körperbehaarung ist schwarz, mit Ausnahme von wenigen weißen Haaren um den Mund mit Einschluß der Mundwinkel und am Kinn, an den lateralen und medialen E"lächen der Sohlen, in der Sym|)hysenregion und um den After. Die Haare sind kräftig, stärker als menschliche; auf dem Augenschild und in der Mundregion finden sich einzelnstehende Borsten. Die Haarform ist straft'. Sehr verschieden ist die Haarrichtung, auch sind die Haare verschieden lang; so sind sie z. B. unterhalb des Nabels, wo sie sich von 2 Seiten in der Mittellinie treffen und zu einem Schopf vereinigen, besonders lang, desgleichen im Nacken, an den Schultern und am Oberarm. Die Haar- richtung hat bei den im PVeien lebenden Tieren einen charakteristischen Verlauf, wie auch Schwalbe') sagt: „Anordnung und Richtung der Haare sind durch äußere Verhältnisse, Bewegun- gen, Körpergestalt und Körperhaltung erworbene Eigenschaften." In Abb. 5 habe ich versucht, Triradius- 9 Abb. 4. ca. ■'/s nat. Gr. Rechte Planta der Schimpansin Basso. liehen, mit welchem es auch die meiste Ähnlich- keit hat. Seine Größe überragt allerdings im Ver- hältnis zur Körpergröße diejenige des menschlichen Ohres an Ausdehnung, ja sogar die seiner Stammes- genossen, soweit wenigstens Daten anderer Autoren vorliegen. Physiognomisclie Ohrlänge Ohrbreitc Ohrindex Schimpanse: Molly nach Hartmann 6b 54 81,2 Hamburg ) 68 55 80,8 Schimpanse n. Schlaginhaufen 58 48 82,7 n. Martin 62 43 69,3 73 53 72,0 Abb. 5. Haarrichtung. Die Pfeile geben die Haarrichtung an. schematisch die Haarrichtung Bassos wiederzu- geben; sie stimmt nicht ganz mit den von Duckworth und Schwalbe gemachten Unter- suchungen überein, was jedenfalls daran liegt, daß Basso von seinem Wärter täglich mit der Bürste behandelt wird. So ist z. B. der Hinterhaupts- wirbel, den Duckworth bei seinem Schema angibt, bei Basso nicht vorhanden; die Haare stehen unterhalb dieser Gegend etwas ab. Ganz ') G. Schwalbe, 1911. Über die Richtung der Haare bei den .Affenembryonen nebst allgem. Erörterungen über die Ursachen der Haarrichtungen, in ; Studien über Entwicklungs- geschichte der Tiere v. E. Selenka, Wiesbaden. N. F. XV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. allgemein ist die Bauchseite des erwachsenen Schimpansen dichter behaart als die Rückenseite, deren untere Hälfte bis zum Anus von Haaren fast entblößt ist. P2s wäre noch ein Wort über die Menstrua- tion der Schimpansin zu sagen. Am 13. Juni 191 5 traten zum ersten IVIale die Monatsregeln, in einem Alter von etwa 8 Jahren, auf, und dauer- ten bis zum 17, Juni, also volle 5 Tage. Perio- dische Anschwellungen der Genitalregion waren vorausgegangen. In einem Rhythmus von genau 5 Wochen kehren seitdem die Menses regelmäßig wieder. In dieser Zeit ist sie reizbarer und zer- streuter, denn der Wärter muß sie bei der Arbeit häufiger ermahnen. Auch gegen das Publikum ist sie in diesen Tagen empfindlicher. Damit begebe ich mich auf das Grenzgebiet der Physis und Psyche des Tieres. Die ausge- zeichnete Arbeit Marbe's') über Bassos Rechen- kunst enthebt mich jeder Kritik seiner geistigen Fähigkeiten auf diesem Gebiet. Es sei mir nur gestattet, einige Beobachtungen hinzuzufügen, die ich in dem langen und häufigen Verkehr mit Basso gesammelt habe. Marbe hebt mit Recht die große Sensibilität der Schimpansin hervor, der nichts entgeht, was sich auf der Straße, in der Umgebung, an Bewegung, Veränderung und Ge- räuschen usw. zuträgt. Diesem Umstand ist auch ihre große Geschicklichkeit beim Hindernisrad- fahren zuzuschreiben und ebenso beim schein- baren Rechnen. Basso rechnet nicht, wie Marbe bewiesen hat, sondern hebt diejenige Zahlentafel auf, welche die Medianebene des neben ihr sitzen- den Wärters senkrecht schneidet, weil dieser seinen Körper unwillkürlich so eingestellt hat. H. Pander hat vor kurzem in seinem Referat über die Marbe 'sehe Studie') hervorgehoben, daß dies vielleicht nicht die einzige unwillkürliche Bewe- gung des Wärters ist, auf die Basso während des Rechnens reagiert. Mit Recht, denn Basso wartet in nicht ganz sicheren Fällen auf ein leichtes un- bewußtes Herüberneigen des Wärters, das von ihr richtig als Zustimmung aufgefaßt wird. Dies ge- schieht, um ihr die Tafel so in die Hand zu geben, daß das Publikum die aufgehobene Zahlentafel sehen kann. Erfolgt der erste Ansatz dieser Be- wegung von Seiten des' Wärters, so hebt Ba.sso blitzschnell die schon betastete Tafel auf, die dann unfehlbar richtig ist. Auch ein ermuntern- der Zuspruch des Wärters, wie z. B. : „Schau auf die Tafel und nicht in der Welt herum", usw., läßt sie sofort die richtige Tafel ergreifen, die sie vorher unsicher befühlt hat. — Ein Denkvorgang ist also bei der Schimpansin Rechenkunst ausge- schlossen, wohl aber stellt diese Tätigkeit enorme Anforderungen an ihr Konzentrationsvermögen, so daß sie häufig, besonders im Unterricht außer- ordentlich ermüdet; es soll nach des Wärters Aussage vorgekommen sein, daß sich nach be- ') K. Marbe, 1916. Die Rechenkunst der Schimpansin Basso. Fortschritte der Psychologie. Leipzig, 23. Juni. ^) Vgl. Naturw. Wochenschr. Dieser Band, Nr. 39, S. 565. sonders großen Anstrengungen Verdickungen an Händen und Füßen (Blutstauungen,?) bei ihr ge- zeigt haben. Wie dem auch sei, eine Seelen- äußerung verrät sich darin nicht, ebensowenig wie in ihrem raschen Erfassen des Gesehenen, ihrem enormen Gedächtnis für Personen und für einmal Erlerntes, ihrem stets wachen Gehör (sie hört das Nahen eines Fliegers noch ehe ihn Menschen hören), — das alles spricht für das Vorhandensein von Instinkten aber nicht für Gedankenreihen. Am meisten offenbart sich wohl ihre „Seele" nach Bestrafung, wenn sie durch Bitten und Flehen alles versucht, um den Wärter zu versöhnen. Un- verkennbar ist auch ihre Wiedersehensfreude bei Menschen, die sie lange nicht sah. Sie streckt dann beide Arme aus, zieht Ober- und Unterlippe auseinander, daß beide Zahnreihen sichtbar werden und schreit in hohen kurzen Tönen. Überhaupt ist ihre Lautskala, vom kurzen bösen Bellen (gegen das Publikum), lauten Schreien (beim An- blick Bekannter), bis zu lockenden Bell Lauten (vor dem Käfig des männlichen Schimpansen) usw. äußerst mannigfaltig. Für Gefühlsäußerungen halte ich auch ihre neckende Kopfbewegung, wenn ich sie zum Nachlaufspiel auffordere, und ihr plötzliches .Anhalten im Lauf zwecks Umarmung. Interessant ist ferner, daß sie nur angreift, wenn sie Furcht beim Gegner spürt; hält der andere stand, so wagt sie es nicht. Das Gefühlsleben wie den Intellekt der Tiere können wir nur durch langes Zusammenleben mit ihnen belauschen ; sie zur Beschäftigung mit arithmetrischen Begriffen oder mit ethischen und sozialen Problemen zu veranlassen, scheint mir, wenn ich mich so ausdrücken darf, ein etwas zu anthroponeurer Standpunkt zu sein. Nur die not- wendige Voraussetzungslosigkeit, mit der wir in physischer Beziehung an das Objekt heranzutreten pflegen, kann zur exakt-wissenschaftlichen Kenntnis der Tierseele verhelfen. Nachwort. Während diese Arbeit im Druck war, ist Basso am 28. Oktober gestorben. Nach den mir von Direktor Dr. K. Priemel zur Verfügung ge- stellten Daten ergab die Obduktion eine fort- geschrittene Darm- und Lungentuberkulose. „Da schwindsüchtige Affen niemals auswerfen und zu- meist auch nicht husten, so konnte auch durch häufige ärztliche Untersuchungen nicht festgestellt werden, daß Basso den Keim der Krankheit in sich trug . . ." Der gute Ernährungszustand und die Munterkeit des Tieres haben den Gedanken an eine schwere Krankheit auch gar nicht auf- kommen lassen. Ein leichterer Anfall am 22. Oktober wurde durch die angewandten bewährten Mittel wieder behoben, einem zweiten schwereren Anfall aber ist die Schimpansin 6 Tage später erlegen. Der Kadaver wurde dem Senckenbergianischen Institut übergeben, wo er weiteren wissenschaftlichen Be- arbeitungen unterzogen wird. 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. so Kleinere Mitteilungen. Morphologische Beobachtungen aus dem Ge- biet der Rokitnosümpfe. Durch das Tal des unteren Bug und der mittleren Weichsel hängt das Pripjetbecken mit der norddeutschen Tieflands- mulde zusammen. Es wird im O vom mittel- russischen Plateau, im S vom südrussischen Land- rücken begrenzt, während es im N vom mittel- russischen Landrücken mit dem Mittelpunkte Minsk abgeschlossen wird ^). Leider habe ich das Gebiet nicht in allen Teilen kennen gelernt, sondern nur den südwestlichen Teil des Beckens, südlich Pinsk, und auch hier konnten es nur einzelne Fragen und Beobachtungen sein , die ich im Zusammenhange darstellen kann. Sehr erschwert wurde diese Zusammenstellung durch den Mangel an eingehender Literatur hier im Schützengraben, und es kann sich deshalb nur um die Wiedergabe der Beobachtungen handeln, die durch Karten- studien ^) ergänzt wurden. Das Land wird durchzogen von Dünen- zügen aus steinfreiem, weißen Flugsand, die in der Hauptrichtung WSW— ONO streichen. Ein Zug verläuft südlich des Pina von Obyschtsche über Dolsk, Omyt, Newel, Shidtscha nach Chojno, wo er den Strumen trifft. Durch das Tal des Pripjet, der nach dem Einfluß des Stochod den Namen Strumen annimmt und in dem die Ort- schaften Ljubas, Swalowitschi, Szjentschitzy, Dubt- schitzy, Stajki und Chojno liegen, wird dieser nörd- liche Zug von einem zweiten südlichen getrennt, der vonLjubaschewo, Sadolshje, Nobel, Morotschno nach Pogost verläuft und der sich hier bedeutend verbreitert. Von der Höhe der Dünen senkt sich das Land in zwei Stufen zur Sumpfniederung. Die erste Stufe wird gewöhnlich durch sandige Felder eingenommen, auf denen vornehmlich Flachs, Gerste und Kartoffeln gebaut werden, wenn der Wald, der das Landschaftsbild beherrscht, ver- drängt ist. Die zweite Stufe ist die Sumpfniederung. Diese beiden Stufen sind aber nicht als Terras.sen aufzufassen, sondern sie bedeuten nur zwei Ni- veaus, die ziemlich unregelmäßig verteilt sind und die nicht immer regelmäßig auftreten. In dieses einfache Bild kommt durch die im Lande verteilten Seen ein lebhafterer Ton hinein. Seen treten in den Niederungen in unregelmäßiger Gestalt auf; sie werden von Steilufern umgeben. So wird z. B. der Nobelsee im W, S und O von einem Höhenkranze umgeben, der steil zum See, dagegen in flachem Gefälle zum Sumpfgelände abfällt. Im Gegensatz zu den fast immer stein- freien Dünen bestehen diese Höhen nicht aus Flugsand, sondern aus lehmigem Sande, in dem sich außer vereinzelten nordischeirGeschieben vor allem scharfkantige Stücke sowie Knollen von F"euerstein befinden ; der Strand des Sees ist von ihnen förmlich bedeckt. Größere erratische Blöcke von rotem Granit, Ouarzit usw. konnte ich am Seeufer unterhalb des jüdischen Tempels in Nobel beobachten. Durch Schmelzwasserrinnen ist der Steilrand des Sees vielfach zerfurcht und deutlich zeigt sich am Ufer die Kante des Hochflutstrandes. Auch innerhalb des Sees scheinen die Tiefen sehr unregelmäßig verteilt zu sein. Einige Inseln stellen die Verbindung mit dem Lande dar, die z. T. kleinere weniger tiefe Becken von dem etwa 14 m tiefen See abschnüren. Auf der sich von N nach S erstreckenden Halbinsel erhebt sich hart an ihrer S- Spitze der Kirchberg zu größerer Höhe. Vermutlich stellen die den See umgebenden Höhen einen Endmoränenbogen dar, und somit wäre der See als Staubecken aufzufassen. Er steht mit dem Pripjet-Strumen-System in Verbindung, was noch später näher erläutert wird. Analoger Entstehung ist der PestschanojeSee bei Wlassowzy. Ob auch der Ljubas-See auf diese Weise erklärt werden kann, läßt sich aus dem Studium der Karte allein nicht entscheiden. ') Ph ilipps on, Das europäische Rußland (Sammlung Göschen). S. 23. ■') Bla tt Pinsk :, Dawidgi ödek, Kowe 1, Dombro wica, Luck, Osjrog. . : 300000 (bearb. v. d. Kartogr. Abt. d. Stell Iv. General- Stabes d. . ^rmee) iqi';. Die Dünen leuchten meist als helle Sand- berge in der Landschaft auf. Sie sind gewöhnlich kahl, aber doch häufig geschmückt durch einzelne hohe formschöne Kiefern, an denen oft die aus ausgehöhlten Baumstämmen angefertigten Bienen- stöcke angebracht sind. Leider sind schon viele dieser schönen Bäume umgehauen worden, da sie zu gute Artillerieziele darbieten. In einigen Fällen ist durch Anpflanzung von Weidengebüsch der Versuch gemacht worden, diese Dünen fest- zulegen, so mehrfach in der Nähe von Nobel, ebenso bei Novo Mlin. Kleine Fingerkräuter und hartes violett-grünes Gras bilden ein lichtes Polster auf den Dünen. Im Gegensatz zu den unfruchtbaren Dünen sind die Moränenzüge meist für den Ackerbau verwertet. Unter ungefähr i m mächtigem steinigen Sande tritt z. B. östlich des Nobelsees sandiger Lehm auf, der auch zu Ziegeleien Veranlassung gegeben hat. Die Ebenen werden von Wald oder Feldern eingenommen. Je weiter südlich man kommt, desto mehr scheint der Mischwald zurückzutreten und Nadelwald allein, fast nur aus Fichten be- stehend, setzt die Vegetation zusammen. Mittel- europäischer Laubwald — Eichen, Buchen, Birken und Pappelarten walten vor — begleitet vor allem die Bahnstrecke von Kobrin nach Pinsk. Der Wald ist dicht, wird aber von Sumpfzonen unterbrochen, in denen Erlen und Weiden vornehmlich heimisch sind. Beeren-, Andromeda- und Porst-(Ledum-) gesträuch bildet das Unterholz; dichte Moospolster umgeben die Stämme, dazwischen verbreitet sich zungenförmig der Sumpf, der aber im vergangenen N. F. XV. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 Herbst (Oktober 1915)') fast vollkommen trocken war; nur einige Gräben und tiefer liegende Wiesen führten Wasser. Diese führen zur Sumpfniederung über. Der Sumpf ist im Herbst vollkommen trocken und gangbar. Mächtige Heustadel er- heben sich auf den Wiesen, die sich allmählich zu den Tälern herabsenken. Je näher man an den Fluß kommt, desto mehr wird die zu- sammenhängende Sumpfwiese von tiefen Rinnen zerfurcht, in die sich die im Winter ansteigenden Fluten der Ströme eingeschnitten haben, so daß merkwürdige Polster entstehen, die aus dem Ge- lände hervorragen. Der Fluß ist zu beiden Seiten von einer dichten Zone hohen Schilfes umgeben, die sich auch auf die den Fluß zerteilenden Inseln fortsetzt. An manchen Stellen reicht das Schilf bis unmittelbar ans Ufer, an anderen dagegen schiebt sich ein sandiger Strand ein. Im Winter tritt der Fluß weit aus den Ufern in das Sumpfgelände über, so daß man weithin über eine Seefläche blickt, aus der nur die hohen Grasbüschel hervorragen, die aber auch mehr und mehr verschwinden, bis eine zusammenhängende Wasser- oder Eisfläche entstanden ist. Der Verkehr ist dann zeitenweise völlig unterbrochen, nur die mit hohem Damme aufgeschütteten Straßen und die Dünenzüge vermitteln ihn weiter. Stege und Brücken über weite Sumpfstrecken zu bauen, war deshalb eine Hauptaufgabe der Pioniere in den Stellungen der Rokitnosümpfe. Im Frühjahr, schon im März, oder gar unter der Eisdecke, sinkt der Wasserspiegel dann schnell, und auf dem Gras- und Schilfpolster bleiben dann die Gehäuse und Schalen der zahlreich vorhandenen Süßwasserschnecken und -muscheln zurück, die man dann überall auflesen kann. Nach Aussagen der Landeseinwohner ist der vorjährige Winter außer- ordentlich trocken und milde gewesen, so daß die Überschwemmungen nicht ihren Höchststand er- reicht haben und der Verkehr noch verhältnis- mäßig wenig behindert war. In anderen Jahren soll z. B. die Ortschaft Nobel etwa 14 Tage lang im Frühjahr von jeglichem Verkehr abgeschnitten sein. Die Überschwemmungen verändern das Bild der Landschaft vollkommen. Zwischen den ein- zelnen P'lußarmen vorhandene sonst trockene Verbindungsgräben füllen sich mit Wasser; Sand- bänke und Inseln verschwinden; an Stellen, wo nur schmale Flußarme vorhanden waren, ent- stehen seeartig verbreiterte Becken; Landzungen werden überflutet und die durch sie mit dem Lande verbundenen Halbinseln werden zu Inseln. Im Frühjahr sprießt aus dem Wasser eine üppige Vegetation hervor. Der Sumpf ist dann ganz gelb von den Blüten der Sumpfdotterblumen (Caltha palustris), die sich an schlanken Stielen auf der Wasseroberfläche wiegen. Sie bilden einen farbenprächtigen Gegensatz zu dem inten- siven Blau der Flüsse und Seen, das man sich nicht farbig genug vorstellen kann. Die geringen Höhenunterschiede bringen es mit sich, daß Bifurkationen sehr häufig sind. So teilt sich der von Westen her dem Nobelsee zu- fließende Pripjet nördlich des Sees in den in ONO- Richtung weiterfließenden Stochod und in den scharf nach S abbiegenden Strumen, der bei der Einmündung in den See ein Delta im Sumpfe bildet. Östlich des Sees vereinigen sich beide Stromabschnitte wieder und bilden südlich Pinsk ein weitverzweigtes System von Stromarmen und Inseln. Eine eigentümliche morphologische Kleinform ist an manchen Stellen des Randes im Sumpf- gebiet zu beobachten, dort wo der Sumpf mit dem höheren Niveau zusammenstößt. Der Sumpf frißt sich hier gewissermaßen in die Ebene ein; radiale Zungen, im Winter von Eis und Schnee erfüllt, zerfetzen das Grenzgebiet, bilden Inseln und Landzungen in kleinstem Maßstabe, die an einer Seite mit steiler Böschung abbrechen, wäh- rend die andere flach ist. Es entstehen auf diese Weise (s. Skizze) unregelmäßig gestaltete Inseln ') Und auch jetzt wieder (Oktober 1916). Kleinformen der Erosion im Gebiet der Rokitnosümpfe. (Nach der Natur.) und Halbinseln sowie die Zone der Graspolster im Grenzgebiet, die den erodierenden Kräften des Wassers ausgesetzt sind. Im Hintergrunde des Bildes dehnt sich bis an den bläulichen Waldrand am Horizont die unendliche Grasebene aus, nur durch die silbernen Bänder der Flußarme zer- schnitten — eine einzige braune Ebene. Wir befinden uns hier nach Philippson's Darstellung nahe der Südgrenze der weitesten Vereisung und haben Ablagerungen der vorletzten ausgedehntesten Eiszeit vor uns, während das ebene Schwemmland ganz junges Alter besitzt und der Postglazialzeit seine Entstehung verdankt. Ohne Literaturkenntnis und ohne nähere Erfor- schung ist eine Altersbestimmung der Ablagerungen und deren Verbindung mit den norddeutschen Glazialablagerungen unmöglich. Jedenfalls läßt sich aber sagen, daß die Landschaft in ihrer Physiognomie der Sandr-Landschaft der Lausitz ähnelt, (g.c.) Im Felde (März IQ16). Dr. Gottfried Hornig. 714 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 50 Einzelberichte. Paläontologie. Neues vom Eoanthropus Daw- sojn i^iruth^ood ward Die Untersuchung- undNachprüfiingdesalsCTrößtepaläontolog-ischeEnt- deckung der letzten Jahre gefeierten diluvialen „Mor- genrotmenschen" von Piltdown in Sussex wurde deutschen P'orschern durch den Ausbruch des Krieges unmöglich gemacht. Sie ist inzwischen — wohl auch eine Folge des Krieges — von neutralen Gelehrten ausgeführt worden. Von selten der Amerikaner hat sie mehrere bemerkenswerte Er- gebnisse gezeitigt, die den ganzen Fund seiner bisherigen Bedeutung als eines geistig hoch- stehenden aber noch völlig affengesichtigen Ur- menschen berauben, ihn dafür aber nach anderer Richtung hin wiederum problematisch erscheinen lassen. Mit dem Unterkieferast und seinem Verhältnis zu der Schädelkapsel hat sich auf Grund von Gipsabgüssen und eines großen Vergleichsmaterials an lebenden Großaffen der Washingtoner Zoologe G. S. M i 1 1 e r ^) befaßt. Er erklärt den Unterkiefer in allen seinen Teilen von der Symphyse bis zum eben noch erhaltenen Kondylusansatz, nach Form, Lage der Muskelansätze, Stellung und Ausbildung der Molaren bestimmt als den eines (vermutlich weiblichen) erwachsenen Schimpansen, den er als neue diluviale Art auffaßt und Simia vetus -) heißt. Kein einziges der Merkmale, welches die Hominiden im Unterkiefer von den Großaffen fSimiiden) unter- scheidet, findet sich an der Piltdowner Mandibel, dtren anthropomorphenartiger Charakter ja von Anfang an allgemein betont wurde. Es besteht aber nicht nur Affenähnlichkeit, sondern Affengleichheit und zwar kommt bei genauer Vergleichung mit Orang, Gorilla und Schimpanse nur der letzte in Betracht. Der (ebenso wie die Nasenbeine) nach Aufstellung der Gattung Eoanthropus gefundene einzelne Eckzahn bestätigt dieses Ergebnis insofern, als er ebenfalls am besten mit Schimpanse über- einstimmt; er gehört nach Gregory 's, Os- b o r n 's , M i 1 1 e r 's u. a. übereinstimmendem Urteil dem Oberkiefer an und nicht dem Unterkiefer, in den ihn Wo od ward schräg und über die Zahn- reihe emporragend eingepflanzt hat. Es ist an- zunehmen, daß er vom selben Tier herrührt wie der Unterkiefer. — Weiter hat Mil 1 er eingehend die Grenzgebiete zwischen Schädelkapsel und Unterkiefer studiert, um von diesem Angelpunkt aus nachzuweisen, daß die Zusammengehörigkeit beider Fundstücke anatomisch unmöglich sei. In der Vereinigung eines ausgesprochen menschlichen Schädels und Hirns mit einer ebenso ausge- sprochenen Großaffenschnauze, aber mit wiederum menschlicher Nase, lag ja das spezifisch Neue des f the Piltdown ov. 1915, S. I ') Gerrit S. Miller, j r. , The Jaw Man. Smithson. Miscell. Coli. 65, Nr. 12, bis 31. Mit 5 Taf. ') Miller gebraucht die Gattungsbezeichnug Pan Oken iSib statt Simia Linnaeus 1758; ebenso schreibt er statt des gebräuchlichen Gorilla Geoffry 1852 Pongo Lacepede 1799. Eoanthropus und diese „paläontologisch zu er- wartende" Kombination hat ihm bekanntlich in den Stammbäumen und stammesgeschichtlichen Erörterungen einen so hervorragenden Platz ver- schafft. Im Gegensatz zu dem Anatomen A. K e i t h, der sich am ausführlichsten mit dem Schädel be- faßt hat, sind nach Miller die in unmittelbarer gesetzmäßiger Wechselbeziehung (Korrelation) zum Unterkiefer stehenden Gebiete des Hinter- hauptes, wie Gelenkrinne, Ansatzflächen für den Schläfen- und den großen Kaumuskel, durchaus menschenartig; es konnte daher an der Schädel- kapsel kein Affenunterkiefer hängen. Weiter zeigt das ebenfalls gänzlich menschliche Schläfenbein und das Hinterhauptbein, soweit es erhalten ist, daß die Kapsel wohlgeeignet war, ein Mensrhen- hirn nach Menschenart, d. h. aufrecht, zu tragen. Damit mußte aber auch die Schwerpunktverteilung des Kopfes wie beim Menschen sein, was nur möglich ist, wenn der Oberkiefer ebenso stark verkürzt und der Zahnbogen hufeisenförmig war wie bei allen Hominiden. Das Letzte bestätigen die Nasenbeine, aber nicht der Unterkiefer, der im Gegenteil einen affenartig vorspringenden Ober- kiefer erfordert. Schließlich weist Miller auch noch darauf hin, daß für den dickwandigen Schädel der Unterkiefer eher zu leicht gebaut sei; wenn er so plump und schwer wie der Heidelberger Unterkiefer wäre, würde er zu dem Schädeldach viel bes'^er passen. Nach Miller ist also Eoanthropus ein Wesen, das scharf getrennte Merkmale zweier Familien, der Hominiden und Simiiden, in ausgeprägter Form in sich vereinigt; keineswegs in generali- sierter Form, so daß er als Vertreter einer neuen Familie gelten könnte, aus welcher die beiden genannten Familien sich herausgesondert hätten. Zoologisch betrachtet ist ein derartiger Sammel- typus unmöglich, denn unter den bisher bekannten Formen gibt es eben nichts derartiges. Vom paläontologischen Standpunkt läßt sich eine solche Form zwar verteidigen, wenn man zu Annahmen greift, wie z. B., daß bei dem Prozeß der Mensch- werdung das Gehirn in der Entwicklung bedeutend vorauseilte, während die Verkürzung der Affen- schnauze nur langsam nachfolgte — aber beweisen läßt sie sich nur mit einem vollständigen Fund. Die Piltdowner Reste werden der paläontologischen Deutung stets Spielraum lassen, nicht der zo- ologit;ch-systematischen. Für sie kann die Ent- scheidung, daß die Fundstücke einem Menschen (Schädel, Nasenbeine) und einem Schimpansen (Unterkiefer, Eckzahn) angehören, nicht zweifelhaft sein. — Es ist nun sehr bemerkenswert, daß der Paläontologe Osborn in seinem neuesten glän- zenden Werk über die paläolithische Menschheit der alten Welt') das Gewicht der Mille r'schen '■) H. F. Osbori Environment, Life and Men of the Old Stone Age. The irt. 2. Auflage. Neu York 1916. N. F. XV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 Beweisgründe so hoch anschlägt, daß er ihm bei- stimmt und an der Wood ward 'sehen Re- konstruktion und der von J. H. Mc Gregor nicht mehr unbedingt festhält. Er ist geneigt, den Piltdowner Menschen (nach Abzug des Unter- kiefers und des oberen Eckzahns) als erloschenen Seitenzweig anzusehen, der weder mit dem f^omo heidelbergeiisis noch dem H. neandertalensis ver- wandt ist. Nach Auflösung des Eoanthropus Dawsoni in I. Homo Dawsoni, 2. Simia vetus ist die Alters- frage nicht weniger wichtig geworden. Nach Osborn ist das geologische Aller der Piltdowner Lagerstätte viel junger als bisher angenommen wurde, nämlich jungUiluvial. In dem genannten Werk, das auf geologischer Grundlage eine Dar- stellung der Geschichie der diluvialen Menschen und ihrer Kultur bietet, stellt Osborn Piltdown in den Anfang der letzten Zwischeneiszeit un- mittelbar vor den Neandertaler. Für dieses ge- ringe Alter führt er mehrere Gründe an. Nach Osborn kennen wir im älteren Diluvium nur „vormenschliche" Stadien, die in der Schädelbildung ungefähr auf der Höhe des Pithecanthropus stehen; ferner sind die ältesten sicheren Paläoliihe, d. h. die mit erkennbarer Absicht geformten Peuerstein- geräte aus Schichten bekannt, die höchstens der ausgehenden RiÖeiszeit, zumeist der letzten Inter- glazialzeit, nicht aber dem durch Hundertlausende von Jahren getrennten vorletzten langen Inter- glazial angehören. Da der Piltdowner Mensch eine gutgebildete menschliche Hirnkapsel besaß, deren Inhalt allerdings zwischen 1070 und 1500 cm" schwankend angegeben wurde, und da er ferner mit einigen wenigen, von Osborn als „Prä- chellean" erklärten, angeblichen Artefakten zu- sammen vorkam, so kann er nicht viel älter sein als der Neandertaler Mensch. Eine Bestätigung seiner, vor Erscheinen der Mi Her 'sehen Unter- suchungen gewonnenen Ansicht, glaubt Osborn gerade in den Miller 'sehen Untersuchungen er- blicken zu dürfen. Um nämlich die Schwierigkeit, die darin liegt, daß der Schimpanse lür die euro- päische Diluvialtauna völlig neu ist und nach herrschender Lehrmeinung im noid- und mittel- europäischen Pleistozän auch nicht zu erwarten war, abzuschwächen, führt Miller an, daß ein Schimpansenfund bereits in dem Kalktuff von Weimar gemacht sei. Es ist dies der 1895 von Nehring^j abgebildete und als Menschenzahn gedeutete Molar, den er am befriedigendsten nur mit Mj vom Schimpansen vergleichen konnte. Miller bestimmt diesen Zahn als Simia vetus. Der Vergleich dieses in Jena -) behndüchen Zahns mit dem englischen Urstück bleibt Friedenszeiten vorbehalten. — Im Grunde genommen ist das ') A. Nehring, Über einen menschlichen Molar aus dem Diluvium von Taubach bei Weimar. Zeitschr. f. Ethno- logie 27, S. 573—577- iS95- -J Siehe H. Mötefindt, Diluviale menschliche Skelett- reste aus den thüringisch-sächsischen Ländern. Diese Zeit- schrift -29, S. 7S9, 1914. Vorkommen einer heute auf das tropische Afrika beschränkten GroßafTengattung im europäischen Diluvium nicht überraschender als das von Fluß- pferd und Zebra in unserem Altdiluvium. Eine zweite Schwierigkeit bildet das Zusammen- vorkommen zweier in diluvialen Ablagerungen so überaus seltenen Geschöpfe wie Urmensch und Großaffe in ein und derselben schottererlüllten Tasche. Da Miller als Zoologe sich dazu nicht näher äußert, seien einige Bemerkungen gestattet. Der Zufall, der beide t-unde zusammengebracht hat, ist nicht größer als der es wäre, welcher zur Erhaltung beider von ein- und demselben In- dividuum stammenden Teile auf engem Raum, un- gefähr I m'-', aber immerhin doch auseinander- gerissen, geführt hat. Denn in fluviaiilen Schotter- ablagerungen ist es die Regel, daß von einem Individuum entweder nur der Kiefer oder nur der Oberschädel gefunden wird. Wenn wirklich beide 1 eile angetroffen werden, was zu den großen Ausnahmen gehört, dann finden sie sich noch in natürlichem Zusammenhang, sei es daß die Kiefer infolge der besonderen Todesart fest aufeinander- gebissen sind, oder daß infolge sofortiger Ein- bettung der Unterkiefer am Sichloslösen und Davon- schwimmen gehindert wurde. Jeder Geologe, der Gelegenheit hatte, längere Zeit in knochenführenden Plußablagerungen Ausgrabungen zu machen oder die Funde zu überwachen, wird diese Erfahrung bestätigen. Das Zusammenliegen der Eoanthropus- reste beweist also schwerlich etwas gegen das ge- meinsame Vorkommen von Mensch und Affe. Auch der Umstand, daß bei der neuen Alters- bestimmung ein Teil der P"ossiltrümmer (z. B. die problematischen Proboscidierzahnbruchstücke) als aus pliozänen Schichten herstammend erklärt werden muß, ist nicht unvereinbar mit dem tat- sächlichen Befund. Aber alles in allem genommen, erscheint der ganze P"und in dem neuen geologi- schen Licht weniger fragwürdig und unklar als er bisher war. Dr. W. O. Dietrich, Berlin. Physik. Mit der P'ortpflanzung des Schalls in der freien Atmosphäre beschäftigt sich W. Schmidt (Wien) in der Physikal. Zeitschr. XVII, S. 333 (1916). Er weist zunächst darauf hin, daß der Ausdruck „Zone des Schweigens" geeignet ist, irrtümliche Vorstellungen zu er- wecken, insofern als man geneigt sein könnte zu glauben, daß es sich um eine nach den ver- schiedenen Richtungen gleich entwickelte Er- scheinung handelt. Das ist, wie aus sämtlichen Beobachtungen hervorgeht, keineswegs der Fall; man hat niemals ein auch nur annähernd ge- schlossenes Gebiet abnormer Hörbarkeit festgestellt, das die Zone normaler Hörbarkeit ringförmig umgibt. Die verschiedensten anderen Formen sind beobachtet, so eine kreisförmige, eine lang- gestreckte, eine Fläche mit gekrümmter Be- grenzung; häufig finden sich Einbuchtungen, ja Abschnürungen, so daß ein oder mehrere Außen- 716 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. SO gebiete vorhanden sind. Überall wo überhaupt von Symmetrie gesprochen werden kann, ist es keine allseitige zentrale, sondern ausgesprochen eine einfache, zu beiden Seiten einer Geraden. Die Entfernung des Innenrandes der Außenzone vom Zentrum ist ganz verschieden, man hat iio, 130, 160, ja 180 km gefunden. Als Ursache der Erscheinungen kommen nach Schmidt Luft- strömungen, vor allem vertikale, in Betracht, daneben Temperatureinflüsse. Ais Ursache die Reflexion an der 70 — 100 km über der Erdoberfläche liegenden Wasserstoffatmosphäre anzunehmen (Hypothese v. d. B o nie' s), ist physika- lisch unmöglich, wie folgende Überlegungen zeigen: Ein Schallstrahl, der nur 50 km in die Höhe sieigt, wird sehr stark geschwächt durch Reflexionen an den verschieden temperierten Luftschichten. Flugzeug- führer haben in 2O0O — 3000 m Höhe nach Ab- stellung des Motors den Donner der Geschütze gar nicht oder nur äußerst schwach wahrgenommen. Ein 50 km emporgestiegener Schallstrahl besitzt, wie sich berechnen läßi, nur ^ijon der Energie, die ein horizontal, in Luft gleichbleibender Dichte fortlaufender nach Durchmessung desselben Weges noch hätte; bei einer Entfernung von lOO km beträgt der Bruchteil nur Vs Das Mißver- hältnis wird noch beträchtlich größer, da beim Herabsteigen dieselbe Schwächung wie beim Auf- stieg stattfindet. Eine aus 50 bzw. 100 km herab- kommende Schallwelle besitzt weniger als Vi 000 000 bzw. 12 Billiontel der Anfangsenergie. Anders ausgedrückt lautet das Ergebnis der Rechnung folgendermaßen. Am Innenrand des Außen- gebietes hätte ein an der Wasserstoffatmosphäre (50 resp. 100 km hoch) abgebogener Schallstrahl dieselbe Energie wie ein direkter in 100 000 bzw. 160000000 km Entfernung. — Daraus erhellt die Unmöglichkeit der v. d. B o r n e ' sehen Erklärung, auch wenn die Rechnung, die zu diesen Zahlen führt (sie ist in der Arbeit nicht mitgeteilt) , auf nicht genau zu kontrollierenden Grundlagen be- ruht und daher mit beträchtlichen Fehlern be- haftet ist. Weit mehr Wahrscheinlichkeit hat die Er- klärung F r. N ö 1 k e ' s ') für sich , der die Zone abnormer Hörbarkeit auf eine Reflexion der Schall- strahlen an einer in mäßiger Höhe liegender Inversionsschicht zurückführt, d. i. eine Luftschicht, die höhere Temperatur besitzt als die darunter liegenden. Weitere Bemerkungen zu seiner ersten Veröffentlichung macht Fr. Nölke in der Physi- kal. Zeitschr. XVII S. 283 (1916). Die abnorme Hörbarkeit ist vor allem in der kühleren Jahreszeit beobachtet worden. Im Winter nämlich ist die Luft akustisch durchlässiger, da die vertikalen Temperaturunterschiede und damit die Schwächung des Schalles geringer ist als im Sommer. Ferner sind wegen der größeren Gleichmäßigkeit in der Temperatur die Schallstrahlen in den unteren Schichten sehr wenig gekrümmt. Die Reichweite ist daher in horizontaler Richtung größer. Die normale Hörbarkeit ist demnach im Winter größer als im Sommer. Die Belaubung der Bäume hat aber mit dieser Erscheinung nichts zu tun. Da sich in der kühleren Jahreszeit fast regelmäßig kräftige Inversionsschichten finden, die im Sommer fehlen oder nur schwach ausgebildet sind, zeigt sich die abnorme Hörbarkeit ()enseits der Zone des Schweigens) fast nur im Winter. Die Tatsache, daß der Schall sich auch längs der gekrümmten Erdoberfläche fortpflanzt, ist auf die Beugung der Schallstrahlen zurückzuführen. Die Zone des Schweigens beginnt (von der Schall- quelle aus gerechnet) dort, wo der Schall durch mehrfache Beugung so geschwächt ist, daß er nicht mehr hörbar ist. Sie ist zunächst eine dünne, der Erdoberfläche anliegende Schicht, die in größerer Entfernung sich w^eiter nach oben bis zu einer größten Höhe ausdehnt, um dann wieder an Höhe abzunehmen, nämlich hinter derjenigen Stelle, an der die Reflexionen an der Inversions- schicht die .Schallstrahlen nach unten biegen. Doch ist es nicht richtig von einer Reflexion zu sprechen, da ja am unteren Rande der Inversions- schicht kein plötzlicher Temperatursprung, sondern ein allmählicher Übergang erfolgt; es findet viel- mehr durch Brechung eine kontinuierliche Krüm- mung der Schallstrahlen statt. Strahlen, die die Inversionsschicht in kleinerer bzw. größerer Ent- fernung von der Schallquelle erreichen, treffen dieselbe unter einem größeren bzw. kleineren Winkel, werden durch allmähliche Brechung nach unten gebogen und verlassen die Inversionsschicht unter den gleichen Winkeln, unter denen sie ein- fielen. So wird aus einem divergenten einfallenden ein konvergentes ausfallendes Bündel, dessen Strahlen sich in einer Brennhnie schneiden. Diese liegt unmittelbar jenseits der Zone des Schweigens, was mit der Beobachtung übereinstimmt; hier wird der Schall in besonderer Stärke wahrge- nommen. — Die ganze Erscheinung zeigt danach eine gewisse Ähnlichkeit mit einer bestimmten Art von Luftspiegelung, bei der ja auch eine Herabbiegung der von entfernten Gegenständen ausgehenden Lichtstrahlen an einer in mäßiger Höhe über dem Erdboden liegenden Luftschicht von anderer Dichte stattfindet. — Eine experi- mentelle Entscheidung, ob die Schallstrahlen bis zu großer (v. d. Borne) oder nur zu mäßiger (Nölke) Höhe aufsteigen, wäre dadurch möglich, daß man die Zeit mißt, die der Schall braucht, um von der Schallquelle bis in die Zone abnormer Hörbarkeit zu gelangen. Doch sind Versuche dieser Art bisher nicht ausgeführt. K. Seh. Stefan Meyer bestimmt die mittlere Lebens- (1916). ') Vgl. Bericht i. d. Naturw. Wochenschr., XV, S. 324 dauer des loniums zu 1,45 •10" Jahren. Die Ge- schwindigkeit, mit der die «Strahlen (Helium- atome) von einem Radioelement fortgeschleudert werden, hängt von seiner Lebensdauer ab; bei N. F. XV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 einem kurzlebigen, also rasch zerfallenden Element ist die Geschwindigkeit groß; die ß-Strahlen legen demnach in Luft eine größere Strecke zurück, bis sie absorbiert werden, ihre , .Reichweite'' ist größer als die eines langlebigen Elementes. Man kann mithin aus der Lebensdauer die Reichweite der «-Strahlen berechnen und umgekehrt; beides sind Größen, die für das betreffende Element cha- rakteristisch sind und die zu seiner Identifizierung dienen können. Die Reichweite der «-Strahlen des loniums berechnet sich aus deren Lebens- dauer zu 2,91 cm in Luft von o" und 760 mm Druck. K. Seh. Geophysik. Für den Vulkanforscher ist es von großem Wert, möglichst genau über alle vulkanischen Erscheinungen auf der ganzen Erde fortlaufend unterrichtet zu sein. C. Fuchs hat Zusammenstellungen solcher Ereignisse für die Jahre 1865 bis 1885 gegeben, die später bis in die Mitte der neunziger Jahre von S. Knüttel und E. Rudolph fortgesetzt wurden. Neuer- dings hat K. Sapper die Nachrichten über die vulkanischen Ereignisse der Jahre 1895 bis 1913 gesammelt und einen Bericht darüber veröffent- licht (Gerland's Beitr. Geophys. 14, 85, 1915). Die Nachrichten stammen teils aus wissenschaft- lichen Berichten, teils aus Zeitungsnotizen, teils aus privaten Mitteilungen an den Verfasser. Diese Verschiedenheit der Quellen zeigt die unvermeid- liche Ungleichheit in der Zuverlässigkeit und Aus- führlichkeit des Materials. ') Jedoch auch das so erhaltene lückenhafte Bild ist recht wertvoll, würde doch selbst die Einrichtung besonderer Staatsinstitute nach dem Vorschlage Branca's diesen Mangel nicht vollkommen beseitigen können wegen der Abgelegenheit gewisser vulkanischer Gebiete. Sa p per gibt zunächst eine Aufzählung aller ihm bekannt gewordenen Nachrichten über vul- kanische Tätigkeit in großen Zügen geordnet nach geographischen Gesichtspunkten, insbesondere unter Trennung der atlantisch-indischen von der pazifischen Erdhälfte. Auf zeuliche Gesetzmäßig- keiten konnte bei der Kürze der Berichtszeit nicht geschlossen werden. — Bei der Untersuchung der räumlichen Verteilung lag eine Nachprüfung der zuerst von C. F. Naumann ausgesprochenen und dann von K. Schneider zahlenmäßig be- legten Anschauung nahe, daß in den niederen Breiten eine Anhäufung der vulkanischen Tätig- keit besteht. Es ergab sich eine Bestätigung dieser Regel. Von4i4Täligkeltseinheiten in der Berichts- zeit fielen 259 in die Zone zwischen 20" nördl. und 20" südl. Breite. Dabei ist allerdings der Anteil, der zwischen o" und 10" nördl. Breite liegt, verschwindend gering. Eine Ursache für diese ') Verf. bittet Interessenten aller Länder, ihm Nachrichten über vulkanische Ereignisse zuzusenden. Anschrift: Prof. Dr. K. Sapper, Straßburg i. E., Herderstr. 28. eigenartige Erscheinung läßt sich zunächst noch nicht erkennen. In den höheren südlichen Breiten ist eine auffällige Abnahme, zwischen 30" und 40" nördl. Breite eine Anhäufung der vulkanischen Tätigkeit zu konstatieren, die sich nicht allein aus der Verteilung der Landmassen erklären läßt. — Die pazifische Erdhälfte hat in bekannter Weise die bei weitem stärkere vulkanische Tätigkeit. In der Berichtszeit erreichte sie fast das sechs- fache derjenigen in der atlantisch-indischen Welt, und zwar lieferte der westliche Teil der Um- randung des Großen Ozeans den Hauptanteil. — Bemerkenswert sind die inbezug auf die Qualität der Eruptionen beobachteten Unterschiede. Die reinen Gasausbrüche wurden aus der Vergleichung ausgeschieden, da sich hierbei genauere Angaben bisher nicht machen lassen. Es wurden unter- schieden: reine Lava- oder efifusive, reine Locker- massen- oder explosive und gemischte Ausbrüche, je nachdem nur feuerflüssige Lava, oder nur zer- spraiztes magmatisches Material, oder beides ge- fördert wurde. Dabei zeigte sich ein starkes Übergewicht der explosiven Ausbrüche. Die wenigen rein effusiven Eruptionen beschränken sich im wesentlichen auf die tropische Zone, ins- besondere auf das Zentralgebiet der pazifischen Welt. — Für eine Schätzung der Kraftentfaltung der Vulkane fehlt bis jetzt jeder Maßstab. Ihre Kenntnis ist indes auch weniger wichtig als die der Quantität des bewegten Materials. Diese ist zum größeren Teil wenigstens der Größenordnung nach angebbar. Es sind hier nach der Qualität 4 Gruppen zu unterscheiden: 1. Feuerflüssige Lava; 2. Lockerauswürfe frisch magmatischen Mate- rials (Blöcke, Lapilli, Aschen); 3. Lockerauswürfe des in der Tiefe anstehen- den Gesteins; 4. Auswurf und Umlagerung der oberflächlich vorhandenen Materialien. Während die dritte Gruppe überhaupt nicht mit nennenswerten Mengen in Frage kommt, tritt die vierte nur bei dem Vesuvausbruch von 1906 in gleicher Größenordnung mit den beiden ersten auf. Zur Einteilung werden Tätigkeitseinheiten von 8 Größen unterschieden, die erste mit mehr als I cbkm, die achte mit weniger als 1000 cbm geförderter Masse. Für dauernd tätige explosive Vulkane beträgt die Förderung wegen der be- ständigen Rauchwolke meist mehr als looooo cbm. Die Gesamtförderungsmasse in der Berichtszeit wird indessen doch fast ausschließlich durch die iAusbrüche erster und zweiter Größe und die bei den Einzelexplosionen des Sangay in Ecuador ausgeworfenen Mengen geliefert. Für die Be- rechnung mußten Lava und Lockermasse von- einander getrennt werden, da sich letztere nicht allgemein auf die Dichte der ersteren reduzieren läßt, und Messungen im Einzelfalle nur ausnahms- weise vorgenommen worden sind. Während man annehmen kann, daß explosive Ausbrüche bis zur 7iS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 50 dritten Größe vollständig mitgeteilt werden, ist dies bei effusiven Ausbrüchen, besonders in un- bewohnten Gegenden, durchaus nicht der Fall. Lavaausbrüche erster Größe wurden nicht beob- achtet. Die jährliche Förderung beträgt für die Ausbrüche dritter und höherer Klasse weniger als Vio cbkm im ganzen. Im übrigen ist die durch- schnittliche jährliche Lockerförderung geringer als 1 cbkm, die von Lava geringer als 'jg cbkm. Diese Beträge sind über Erwarten niedrig. Nach einer von Penk 1894 vorgenommenen Schätzung sollten sie je etwa 5 cbkm betragen. Reduziert man die Lockermassen auf die Dichte der Lava, so ergibt sich, daß erstere wahrscheinlich nur un- erheblich die Menge der letzteren überwiegt. Die pazifische Welt weist nicht nur die häufigste, sondern auch die intensivste vulkanische 1 ätigkeit auf. Das Zentralgebiet des pazifischen Ozeans bildet den Hauptförderer von Lavamassen. Hier bleibt die Tätigkeit im allgemeinen längere Zeit an dieselben Vulkane gebunden. Das Randgebiet des Großen Ozeans fördert die Hauptmenge an Lockermassen. Die Eruptionsherde treten hier ungleichmäßig und sprungweise an verschiedenen Stellen auf. — Zum Schluß wird noch darauf hin- gewiesen, daß die klimatische Einwirkung der Vulkane durch die in die höheren Luftschichten geschleuderten Aschenmengen nur eine ziemlich untergeordnete Rolle spielt. Sie kommt über- haupt nur für die großen Ausbrüche in Frage, da im allgemeinen die Steigkraft der Rauchwolken nicht groß genug ist, um die Wirkung der Luft- strömungen in größeren Höhen zu überwinden. Scholich. Bücherbesprechimgen. Lipschütz , Alexander, Zur allgemeinen Physiologie des Hungers. Sammlung Vieweg, Heft 26, Braunschweig 191 5. Nach einer Einleitung, in der er auf die all- gemeine Bedeutung der Physiologie des Hungers hinweist, schildert Verf. an der Hand der vor- liegenden Literatur das Verhalten der Organismen im Hunger, so die Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des hungernden Organismus und den Stoffwechsel im Hunger; im Gegensatz zu den Kaltblütern läßt sich beim HungerstofT- wechsel für die Warmblüter noch kein einheit- liches Gesetz feststellen. Es folgt dann ein interessantes Kapitel über den Kampf der Teile im hungernden Organismus und insbesonders bei partiellem Hunger (mangelhafte Zuführung von Kalk, Phosphor usw.). Sowohl in Experimenten als auch in der freien Natur läßt sich feststellen, daß beim Hunger lebenswichtige Organe kaum abzunehmen brauchen, daß manche sogar wachsen können, während andere Organe stark reduziert werden können. Trotz der ofTensichtlichen Zweck- mäßigkeit, die dabei zutage tritt, zweifelt Verf. nicht, daß alle derartige Erscheinungen einer mechanistischen Erklärung zugänglich sind. Verf. macht bei dieser Gelegenheit einen kurzen Exkurs über den Begriff der Zweckmäßigkeit und weist dabei jede Teleologie ab. Daß alle Vorgänge beim Hunger zudem gar nicht „zweckmäßig" sind, geht daraus hervor, daß der Tod beim Verhungern infolge einer Autointoxikation zustande komme. In einem Schlußkapitel kommt dann Verf. auf die praktische Bedeutung der allgemeinen Phy- siologie des Hungers zurück. Bei allen Problemen der Volksernährung und bei vielen pathologischen Vorgängen spielen die erörterten Gesichtspunkte eine große Rolle. — Das Büchlein ist so klar geschrieben, daß es auch dem gebildeten Laien verständlich sein wird. Jedem der sich für das Thema aus irgendeinem Grunde interessiert, kann diese Arbeit empfohlen werden. Die beigegebenen Abbildungen und Kurven tragen wesentlich zur Anschaulichkeit des Vorgetragenen bei. Hübschmann. Paul Kammerer, Allgemeine Biologie. Stuttgart und Berlin 1915, Deutsche Verlags- anstalt. — Preis 7,50 M. Wenn ich als Nichtfachmann im engeren Sinne an die Besprechung dieses Buches heran- gehe, so nehme ich die Berechtigung dazu aus dem Umstände, daß es einen Band der von Lamprecht ins Leben gerufenen Sammlung „Das Weltbild der Gegenwart" darstellt, und diese Sammlung will ja nicht von den jeweiligen Fach- gelehrten gelesen sein, sondern zielt weiter hinaus und wendet sich an alle diejenigen, die willens sind, sich im Sinne Lamp recht 's ein univer- selles Bild von dem augenblicklichen Kulturzu- stand der Menschheit zu machen; sie will, wie Verf. des vorliegenden Buches sagt, Baumaterial geben, woraus dann eine Weltanschauung errichtet werden mag. P^s handelt sich also um kein Popularisieren für die breite Masse des Volkes, sondern doch wohl um Darstellungen für solche, die schon aus Beruf oder Neigung wissenschaftlich zu denken gelernt haben. P'ügt sich nun die Allgemeine Biologie Kammerer's diesem Rahmen ein ? Ich glaube diese Frage bejahen zu können, wenn ich auch als Mediziner schon zu sehr I<"ach- mann bin, um ganz unbefangen urteilen zu können. Das Buch ist ganz ausgezeichnet geschrieben, so daß es sich durchweg glatt lesen läßt und über- all anregend wirkt. Wenn hier und da an der Auswahl der übrigens sehr guten Abbildungen etwas auszusetzen wäre, wenn im Text manche Tatsache zu weit verallgemeinert wird und manche Auslegung zu sicher auftritt, so wird doch dem Ganzen damit in keiner Weise Eintrag getan. Im allgemeinen kann man sagen, daß der große N. F. XV. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 Stoff von dem Verf erstaunlich leicht beherrscht wird und daß er die Fiille der Tatsachen sicher und klar verwertet. Er geht gewöhnlich so vor, daß er die Probleme eines jeden Gebietes ent- wickelt und dann an einer Anzahl von Beispielen näher zur Anschauung bringt. Dabei wird Zoo- logie und Botanik in gleicher Weise herangezogen. Nach einer die allgemeinen Gesichtspunkte der biologischen Wissenschaft behandelnden Einleitung wird so das ganze Gebiet in 10 Kapiteln behan- delt: Urzeugung, Leben und Tod, Reizbarkeit, Bewegbarkeit, Stoffwechsel, Wachstum, Entwick- lung, Zeugung und Vermehrung, Vererbung und endlich Abstammung. Verf. bringt aber nicht nur die Tatsachen, sondern streift überall oder bespricht auch genauer die Hypothesen, Theorien und Gesetze, die sich an sie knüpfen. Besonders lehrreich und anregend sind in dieser Beziehung gerade die beiden letzten Kapitel über Vererbung und Abstammung, in denen Verf. auch am meisten als Kritiker auftritt. Er ist es natürlich auch an anderer Stelle; doch überall wirkt der unver- hohlene Wille zur Objektivität sehr angenehm. — Verf. entschuldigt sich, daß er nicht das ganze Literaturmaterial namentlich aufführt. Wir wollen es ihm aber danken, daß er das Buch nicht damit beschwerte, wir können es um so mehr tun, als er nach jedem Kapitel die grundlegenden Arbeiten des betreffenden Gebietes aufzählt und am Schluß noch ein Verzeichnis der allgemeinen Literatur bringt. Die kurzen kritischen Bemerkungen in diesen Literaturverzeichnissen mögen besonders Neulinge und Unvorsichtige beherzigen. Wir wollen hoffen, daß das Buch eine weite Verbreitung erfährt und daß auch des Verf. Wünsche, die er daran knüpft, in Erfüllung gehen mögen. Hübschmaim. E. Wasmann, Ernst Haeckel's Kultur- arbeit. Ergänzungshefte zu den Stimmen der Zeit, erste Reihe, Heft, i, 54 S., Freiburg i. Bg. 1916, Herdersche Verlagsbuchhandlung. — Preis 1,20 Mk. 1) Haeckel's unlängst hier besprochene Schrift „Ewigkeit" veranlaßte den auch als Tierforscher wohlbekannten Pater Erich Wasmann S. L zu einer Entgegnung und zugleich zu verhältnismäßig umfangreichen Auslassungen über das Sammel- werk „Was wir Ernst Haeckel verdanken", das der Deutsche IN-lonistenbund Haeckel zum achtzigsten Geburtstage 1914 widmete. Da Haeckel's Monismus große offenkundige Schwä- chen hat, wird man Wasmann in vielen Punkten beipflichten, auch darin, daß ein IMonismus das reli- giöse Bedürfnis der Menschheit nicht befriedigt. Doch kann man mehr Verständnis als Wasmann für die Erscheinung haben, daß viele junge oder ungelehrte Leute, die auf religiöse Zweifelsfragen sonst keine oder nur ungenügende Auskunft er- hielten, Haeckel' s Werke als befreiend begrüßten, ') Inzwischen in dritter Auflage erschienen. was auch heute noch vorkommen mag. Denn wie wenige Menschen bleiben in ihrem Leben frei von jenen inneren Zwiespälten, in denen leicht das Bedürfnis nach einer Aufklärung größer wird als das nach Religiosität. Wasmann, der mit überzeugtem Gottesglauben gegen den un- gläubigen Naturforscher eifert, widmet der Schrift „Ewigkeit" einige eingehende Kritik, während er sich bei dem zweiten Werke der Hauptsache nach mit dem Niedrigerhängen von Zitaten, die den größten Raum in seiner Arbeit einnehmen, be- gnügt , und seine Überzeugung entgegensetzt. Je weiter im Text, um so mehr haben also die in einen Appell an die christliche Gesinnung des deutschredenden Volkes ausklingenden Darlegungen nur äußere Beziehungen mit tlem Gebiet dieser Zeitschrift, in der es daher genügen darf, auf diese Neuerscheinung aus dem auch jetzt nicht ruhenden Kampf zwischen Religion und Wissenschaft hin- gewiesen zu haben. V. Franz. Fr. Zschokke, Der Schlaf der Tiere. 64 S. Basel 1916. Benno Schwabe & Co. — Preis 1,20 M. Über die tierischen Schlafzustände im engeren und weiteren Sinne sind wir durch viele wissen- schaftliche Untersuchungen namentlich aus den letzten zwei Jahrzehnteti in manchem Punkte ge- nauer unterrichtet worden. Alte und neue Tat- sachen aus diesem Gebiet faßt Zschokke in allgemein versländlicher P'orm zusammen. Die Darstellung zielt nicht unbedingt auf erschöpfende Berichterstattung, geschweige denn auf die Er- örterung von Streitfragen ab, bietet aber durch ihren reichen Inhalt, die Anmerkungen und das Literaturverzeichnis auch dem Forscher Wissens- wertes, namentlich dem, der sich über den Gegen- stand allgemein orientieren will. Sie geht aus vom Wechsel von Licht und Dunkelheit, dem auch Seeanemonen und Pflanzen unterliegen, und erwähnt viele Beispiele vom Schlaf der Tiere, dar- unter, um nur einiges hier hervorzuheben, die weit verbreitete Gewohnheit des Gesellschafts- schlafes, wozu auch der Mittagsschlaf einiger Bienenarten gehört, den Schlaf von Fischen, das Verhalten der Polartiere, die mit Farbenwechsel verbundenen Ruhezustände von Virbius varians; auch die Furage der Tierträume wird gestreift. Bald kommen dann die schlafähnlichen Dauer- zustände zur Sprache, wie der Eintrocknungsschlaf und Winterschlaf. Der Winterschlaf bei Kalt- und Warmblütern wird am ausführlichsten behandelt mit dem vielfältig belegten Ergebnis, daß Wechsel- warme und Gleichwarme hierin nicht durch eine scharfe Kluft getrennt, sondern durch Übergangs- erscheinungen verbunden sind. Durch die Reak- tionsgeschwindigkeits-Temperaturregel ist der Winterschlaf der Säugetiere teilweise physikalisch- chemisch erklärt, recht rätselhaft aber, betont der Verfasser mit Recht, bleiben die Erscheinungen des Einschlafens und des Aufwachens aus ihm, da sie bis jetzt kaum anders denn als ererbte Gewohn- 720 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 50 heiten zu erklären sind, denen bestimmte Eigen- heiten im feineren Bau des Zentralnervensystems entsprechen müssen. Wie den F'achgenossen be- kannt, ist Zschokke ein Meister des Stils. V. Franz. Müller, Friedrich, Über das Altern. Rede beim Stiftungsfest der Universität IMünchen am 26. VI. T5. Leipzig 191 5, Joh. Ambr. Barth. Das Problem des Alters und des Todes, das wie Verf. sagt, schon wiederholt den Gegenstand akademischer Reden gebildet hat, wählte er sich auch selbst als Thema zu einer Rektoratsrede aus, nachdem er der Männer gedacht, die im Laufe eines Universilätsjahres der akademischen Tätig- keit freiwillig oder unfreiwillig sich abwandten. Während Pflüger und Metschnikoff die Frage rein praktisch anfaßten und auf Methoden sannen, wie das Leben zu verlängern wäre, ging Weismann den Dingen tiefer auf den Grund und kam bekanntlich zu der Auffassung, daß der Tod der Organismen als eine Zweckmäßigkeits- erscheinung in der Natur aufzufassen sei, eine Anschauung, der sich auch andere Forscher an- schlössen. Verf geht auf die Lehre W e i s m a n n ' s genauer ein. Wir werden mit ihm überzeugt, daß viele Gründe und manche Tatsachen, die andere Forscher vorbrachten, gegen Weis mann sprechen, daß weder seine Lehre von der ewigen Jugend des Keimplasmas und der Einzelligen volle Gültig- keit hat, noch daß seine Auffassung, die Zellen des Soma seien unweigerlich dem Alter und Tod verfallen, ganz zu recht besieht; man denke dazu an die moderne experimentelle Geschwulsilehre und an die künstlichen Gevvebskulturen, bei denen es gelingt, eine ununterbrochene Reihe von Soma- zellen ohne Alterserscheinungen und Tod zu er- zeugen. In allen Anschauungen, die andere Au- toren (Bütschli, Loeb,Ribbert, Canstatt, Verworn) über die Vorgänge des Alterns ge- äußert haben, sieht Friedrich Müller nur Umschreibungen der Tatsachen, keine Erklärung, „denn sie helfen uns nicht über das Rätsel hinweg, warum nur gewisse Zellaiten altern und sterben müssen und andere unbeschränkt sich teilen und fortleben können". Diese Erklärung gibt uns auch, wie Verf. scharfsinnig nachweist, die Lehre Rubner's nicht, die in der fast vitalistischen An- schauung gipfelt, daß jede Zelle des erwachsenen Organismus nur einen gewissen Energiewert be- sitzt, nach dessen Erschöpfung sie zugrunde gehen muß. — Wir sehen, muß Verf. zugeben, „daß es bisher nicht gelungen ist, für eine so all- tägliche Erfahrungstatsache, wie sie das Altern und der Tod der Lebewesen darstellt, eine be- friedigende Erkenntnis zu gewinnen, und daß ihnen der Gelehrte immer noch ebenso verständnislos gegenüber steht als wie das Kind". Ist so die Theorie unbefriedigend und fruchtlos, so bleibt dem Forscher der sichere Boden der Beobachtung und Beschreibung der Altersveränderungen. Wenn zwar auch da schon von vornherein Schwierig- keiten bestehen, indem es nicht leicht ist, die Schwelle des Alters zu erkennen und zu definieren, so gibt es doch Erscheinungen genug, die man mit Recht als Altersveränderungen bezeichnen kann. Diese werden vom Verf kurz besprochen, so die Veränderungen gewisser psychischer Vor- gänge, ferner Greisenkrankheiten wie die Neigung zur Krebsbildung und die Gefäßveränderungen. Zum Schluß betont Verf das nicht nur einzelne Individuen altern, sondern unter Umständen auch ganze Tierklassen der Altersdegeneration ver- fallen können, ebenso Menschengeschlechter, Völker und Wellreiche. Er schließt mit dem Wunsch und mit der Hoffnung, daß die jetzige schwere Zeit unserem Volk das Gegenteil davon bescheren möge. Ich möchte auch bei dieser Gelegenheit auf das dasselbe Thema behandelnde Buch von Lipschütz (Allgemeine Physiologie des Todes) hinweisen, daß hier auch besprochen wird. Was dort als Grundlage zu weiteren Studien ausführ- licher zusammengestellt wird, das finden wir hier von einem das Feld beherrschenden Forscher in geistvoller und ungemein anregender Weise kurz zusammengefaßt. Hübschmann. Literatur. 1 , heraus- Röntgen-.\tlas der Kriegs verlet gegeben von den leitenden Ärzten der Lazarettabteilungcn des Allgemeinen Krankenhauses .St. Georg in Hamburg unter Re- daktion von Prof. Dr. H. A 1 b e rs - Schönberg. Hamburg 'i6, Lucas Gräle und SiUeni. Erhard, H., Tierphysiologisches Praktikum, eine An- weisung für praktische Kurse und Vorlesungsversuche an Uni- versitäten und höheren Schulen, sowie ein Leitfaden der Ex- perirnentalphysiologie für Zoologen, Mediziner und Lehrer an höheren Lehranstalten. Mit S3 Textabbildungen. Jena '16, G. Fischer. — 4,40 M. Inhalt: Stefanie Oppenheim, Die Schimpansin Basse im zoologischen Garten zu Fraukfurt a. M. 5 Abb. S. 705. — Kleinere Mitteilungen: Gottfried Hornig, Morphologische Beobachtungen aus dem Gebiet der Rokitnosümpfe. I Abb. S. 712. — Einzelberichte: G. S. Miller, Neues vom Eoanthropus Dawsoni Smith Woodward. S. 714. W. Schmidt, Fortpflanzung des Schalls in der freien Atmosphäre. S. 715. Stefan Meyer, Die mittlere Lebens- dauer des loniums. S. 716. K. Sapper, Nachrichten über die vulkanischen Ereignisse der Jahre 1895 bis 1913. S. 717. — Bücherbesprechungen: .\lexander Lipschütz, Zur allgemeinen Physiologie des Hungers. S. 718. Paul Kammerer, Allgemeine Biologie. S. 71S. E. Wasmann, Ernst Haeckel's Kulturarbeit. S. 710. Fr. Zschokke, Der Schlaf der Tiere. S. 719. Friedrich Müller, Über das Altern. S. 720. — Literatur: Liste. S. 720. Mai skripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. Dezember 1916. Nummer 51. Einflüsse, die den Form Charakter der Tiere abändern. Wie entstehen „rassige" Schleierschwanzfische? [Nachdruck verboten.] Von A. Milewski, Berlin-Wilmersdorf. Für diejenigen, die in dem Schleier schwanzfisch nicht einen verkrüppeUcn , de- generierten Abkömmling des Goldfisches, eine vielleicht gar unschöne Fischverbildung sehen, sondern ihn nach der Entwicklung des Flossen- werks und seiner I*"ärbung ästhetisch beurteilen, ist die Frage von Wichtigkeit: Welche Mittel führen dazu, wertvolle, „großhochflossige" Schleicr- schwanzfische, sog. „Hochflosser" zu züchten? Für die Bewertung dieser Fische sind nämlich Richtlinien maßgebend, die u. a. von einer im Jahre 1904 zu diesem Zwecke in Berlin zusammen- getretenen Kommission der Vereine der Aquarien- liebhaber aufgestellt worden sind. Danach gilt sprechende (nicht physiologische, sondern patho- logische) Formenbildung der Karausche, der Stammutter aller Goldfischformen, hervorzurufen vermögen, und zwar durch Erzeugung von „Plasma seh wache im Ei" mit ihren Begleit- erscheinungen, wie der Berliner Zoologe Professor Dr. Tornier experimentell nachgewiesen habe. Dem gebildeten Laien und Zierfischzüchter schien indes diese Auslegung mit den Grund- sätzen der Erblichkeit unvereinbar. Um zu einer gemeinverständlichen, überzeugenden Darstellung zu gelangen, wandte ich mich schon vor Jahren an Herrn Professor Tornier. Mit einer ganz seltenen Bereitwilligkeit und Liebenswürdigkeit bestimmte Entwicklung des Körpers führte mich dieser in die umfangreiche Literatur ein und besprach mit mir die schwierige Materie. Ich ließ es auch nicht an eigenen Experimenten fehlen, und so mag Folgendes, vorläufig, zur Ver- öffentlichung kommen. In der Biotechnik oder Entwicklungs- mechanik der Organismen sehen wir einen neuen Zweig der biologischen Wissenschaft. In dieses Gebiet schlug die Frage: „Welche Form Veränderungen im Aufbau des Versuchstieres entstehen bei der Ab- änderung der normalen äußeren Lebens- bedingungen?" — Eine Reihe von etwa 50 Forschern mit annähernd 200 Arbeiten be- schäftigte sich z. B. zu diesem Zweck mit Experi- menten künstlicher Befruchtung von Eiern, die zu ihrer normalen Embryonalentwicklung der Be- fruchtung durch artgleichen Samen bedürfen. Es ist hier nicht der Ort, die Anwendung der Mittel zur künstlichen Befruchtung, zum Hervorrufen der Zwangsparthenogenese, und ihre Resultate zu behandeln. Es genügt, hier die Entwicklungs- erregung des tierischen Eies auf dem Gebiet der physikalischen Chemie mit dem Hinweise zu er- wähnen, daß die Zwangsparthenogenese an Eiern aus den verschiedensten Tierklassen und Tierarten, von Seeigeln angefangen, bis zu Vögeln aufwärts, erfolgreich durchgeführt worden ist. Unser Thema dagegen hängt mit der Unter- frage zusammen, welche Außenfaktoren auf die Embryonalentwicklung des normal be- fruchteten Eies einwirken und wie sie einwirken. Bei den hier einspringenden Versuchen wurde der Zweck verfolgt, gewisse Fragen der normalen Embryonalmorphologie auf dem Wege des Ex- periments -zu klären. So arbeitete Gur- witsch mit Chemikalien an Frosch- und Fisch- eiern. Er kam zu dem Schluß, daß die von ihm eine ga und der Flossen für das Zuchtergebnis als ent- scheidend. Anleitungen zu einer erfolgreichen Zucht der Tiere findet man ferner in der ein- schlägigen Literatur. Sie gipfeln angesichts des Umstandes, daß bei den zurzeit angewendeten Zuchtbedingungen neun Zehntel einer Brut wert- loses Gemisch im Sinne der züchterischen Be- strebungen darstellen, in dem Grundsatz, daß nach den Züchter- und Vererbungsregeln nur dann eine Aussicht auf ein gutes Zuchtresultat vorhanden sei, wenn die Elterntiere wertvolle Eigenschaften besitzen. Diese vererben sich dann, so wird er- wartet, gesteigert auf die Brut, da ja auch, so heißt es in der Literatur, der Schleier- schwanzfisch ( Carassüis vnloans var. aiiraftis var.japonicus bicaiiJains Zern.) durch eine lange, beharrliche und kunstvolle Zuchtmethode der Chinesen entstanden sei.*) Angesichts dieser literarischen Überlieferung mußte es höchste Verwunderung erregen, als wissenschaftlich begründet wurde, daß der von der Karausche {Carassüis vulgaris Nils.) abstammende Goldfisch ( Carassi/is tiiI- garis var. aiirahis L.) bis hinauf zum Schleier- schwanzfisch gar nicht ein Produkt emsigen Züchter- fleißes sei, sondern seine Entstehung im wesent- lichen abnormen Lebensverhältnissen verdanke und daß solche Lebensbedingungen eine ihrem jeweiligen abnormen Einwirkungsgrade ent- ') Es findet sich allerorten die Angabe, daß die Chinesen mit ihrer Vorliebe für Erzeugung tierischer Abnormitäten aus der Karausche den Goldfisch und aus diesem den Schleier- schwanzfisch ,,herausgezü ch t e t" hätten, den sie „N i u - eubk-yü" nannten. Diese Abart soll Anfangs des 16. Jahr- hunderts nach Japan gelangt und dort nach jahrhunderte- langer Inzucht zum „japanischen Zuchtideal" zum „R y n k i n", der Stammform unseres bekannten Schleierschwanzfisches, ge- worden sein. 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 angewandten Stofte, und zwar chemisch wirkende Halogensalze, sich als Gifte für das Plasma des Eies herausstellen, daß sie in bestimmten stärkeren Konzentrationen die Lebensfähigkeit des ganzen Eies vom Beginn der Entwicklung an hemmen, in schwächeren Konzentrationen dagegen eine be- stimmte Entwicklungsstufe erreichen lassen, wo- bei jedoch die Entwicklung zuweilen ganz ab- norme Bahnen einschlägt. — Morgan und Stock ard experimentierten mit Eiern des See- fisches P'undulus heteroclitus. Aus den Eiern, die unmittelbar nach der Befruchtung in eine Magne- siumsalzlözung gelegt wurden, schlüpften Junge aus, von denen bis 98 "/o verbildete Augen hatten. Und zwar waren 50 "/^ Cyclopen, die teilweise nur rechte oder linke Augen besaßen. Eine Reihe anderer Forscher widmeten sich anderen, ähnlichen Experimenten. Zum Teil alte, zum Teil ganz neue Bahnen schlug Tornier ein. Zwar bewegte auch er sich auf den Grundlinien des Naturgesetzes, daß Verbildungen, die ein Individuum zu irgendeiner Zeit seines Embryonal- lebens erhält und fixiert, von da ab auf Lebenszeit von ihm erworben sind, weil es keine Kraft im Organismus gibt, die einmal von ihm festgelegte Veränderung später wied er rü ckgäng ig zu machen. Doch wandteer andere Methoden an. Als Versuchsmaterial dienten ihm zunächst soeben abgelegte Axolottl- und künstlich be- fruchtete Froscheier, später normal befruchtete Fischeier, sowie Embryonen dieser Tiere; vor allem aber solche, die noch ansehnlich Nährdotter besaßen. Verwandt wurden : Luftmangel im Auf- zuchtwasser der Eier oder Embryonen, zu kaltes oder zu warmes Wasser ^), Druck, dann Chemi- kalien, wie Salz und Glyzerin, Anstechen der Eier usw. Die Mittel aber, die vorv\ legend an- gewandt wurden, waren Luftmangel im Aquariums Wasser und süßwässerige Rohr- zuckerlösung von 5 — lo"/,,^), in denen entweder ') Die Ansicht T o r n i e r ' s , daß zu kaltes oder zu warmes Wasser einen Einfluß auf den werdenden Embryo ausübe, findet Stützen in der Literatur. So führt z.B. Reibisch in seiner Ostseefische betreffenden Arbeit „Über den Einfluß der Temperatur auf die Entwicklung von Fischeiern" in „Wissen- schaftliche Meeresuntersuchungen" N. F. VI. Bd. Abt. Kiel, 1902, S. 215 aus, daß bei Ermittlungen zur Feststellung der Inkubationszeit unter verschiedenen Temperaturen beobachtet wurde, daß bei niedrigen Temperaturen (o" bis — a'C) bei Schollen „sehr bald abnorme Bildungen auftraten, die dann schnell abstarben". — Und Giesecke, der Vorsitzende der Landwirtschaftskammer in Hannover, sagt, daß bei der Salmo- nidenbrut, bei der als normales Brutwasser eine Temperatur von 1—6" R in Frage kommt, Krüppolbildung die Regel ist, wenn die Fische bei höheren Temperaturen, z. B. 8 — lo" R ausgebrütet werden (op. cit. S. 229). ^) Tornier macht hierbei auf Folgendes aufmerksam: „Bringt man in eine tiefere Glasschale eine rechnerisch genau hergestellte 8"/oige Zuckerlösung, so bleibt diese nur so lange in sich homogen 8 "/„ig, als sie durch Umrühren in Bewegung gehalten wird. Kommt die Lösung dagegen zur Ruhe, so tritt in ihr alsbald Absetzung des Zuckers ein, da dieser — auch gelöst — schwerer wie Wasser ist; d. h. er sinkt dann zum Teil aus den oberen Wasserschichten der Schale in die das Versuchsmaterial bis zum Ausschlüpfen aus der Eischale verblieb, oder nur drei Tage lang liegen gelassen wurden, worauf es durch wieder- holten Wasserwechsel von den Resten der Ver- suchsflüssigkeit befreit und zum Schluß in reinem luftreichen Süßwasser aufgezogen wurde. Die richtige Anwendung dieser Mittel stützte sich auf folgenden To rnier'schen Satz: „Nicht nur alle derartigen Mittel sondern sogar ein und dasselbe in verschiedener Dosierung ergeben bei richtiger Anwendung gleichwertige Erfolge; denn man erreicht z. B. mit einem hochprozen- tigen Mittel, das nur ganz kurze Zeit aut das Ei einwirkt, unter Umständen ganz genau soviel, wie mit einem stofflich gleichen , aber weniger starken Mittel, wenn dieses wesentlich länger an ihm tätig ist; d. h. Einwirkungszeit und Konzen- tration des Verbildungsmittels sind alsdann im- stande, einander bis zu einem gewissen Grade zu vertreten."') Ein Ergebnis, das Tornier als experimentelles Grundgesetz bezeichnet. — Die Versuche Tornier 's begannen um das Jahr 1900. Seine erste Arbeit auf diesem Gebiet erschien 1904. -) Tornier stellte bei seinen Versuchen fest, daß bei richtiger Anwendung dieser Mittel (die übrigens in ihrer chemischen Stärke bei den Eiern der verschiedenen Tierarten verschieden sein müssen) die Embryonen gemeinsam als Neu- erwerbungen folgende Abweichungen von der Norm zeigten: 1. Starke Verlangsamung der Entwicklung 2. Starke Schwächung der Bewegungsfähigkeit 3. Starke Bauchverquellung (Bauchhydrops oder Dotterpreßbauch). Der Grund für diese Abweichungen ist der: Ein Embryo muß, um sich normal entwickeln zu können, eine gewisse Protoplasma-Energie besitzen, die sich am Organismus nach außen hin als Widerstandsfähigkeit gegen über- mäßige Wasseransammlung in den Ge- weben und als lebhafte Bewegungs- freudigkeit zu erkennen gibt. Durch die chemische Einwirkung aber wird in allen Zellen des werdenden Embryos, besonders aber in dessen Nährdotterbezirk, die Neigung erzeugt, über die Norm hinaus Wasser aufzunehmen. Und zwar deshalb, weil alsdann das energie- schwach gewordene Plasma der Zellen nicht mehr imstande ist, in der Zelle vorhandene, stark hygroskopische Zellprodukte und vor allem den unteren und mittleren herab und die Folge davon ist; eine solche zur Ruhe gekommene Schale enthält zum Schluß in der Bodenschicht ihres Inhalts etwa ll^l^ Zucker, in dessen MiUe nur noch etwa 8 7o. »och etwas höher 5 % und an der Oberfläche vielleicht gar nur 3"„ oder 2"/„ Zucker." So ent- stehen verschiedenartige Verbildungen. („Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschendrr Freunde in Berlin", 1908, S. 299.) '] Tornier; „Über die Art, wie äußere Einflüsse den Aufbau des Tieres abändern" in : ,, Verhandlungen der deutschen Zoologischen Gesellschaft", 191 1, S. 66. '■') In „Sitzungsberichte der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin", 1904, S. 167. N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 723 Nährdotter des Embryos an Wasseraufnahme zu verhindern. Dadurch entsteht eine Verquel- lung dieser Substanzen. Da nun verquel- lende Substanzen stets unter dem Zwange stehen, einen größeren Raum emzunehmen, als sie unver- quollen ausfüllen, werden alle Räume, in denen verquellender Nährdoiter eingeschlossen ist, durch dessen Ausdehnung über die Norm vergrößert und auf alle Gewebe des Körpers, die diesen Ausdehnungsbesirebungen Widerstand leisten, wird ein Druck ausgeübt. Durch diesen werden die Gewebe entsprechend zusammengedrückt oder verbogen und in der Entwicklung gehemmt. — Diese Vorgänge beruhen also in letzter Instanz auf einer Plasmaschwächung des Eies (Plasmamiosej. Die Plasmaschwäche selbst aber tritt dabei in bestimmten Regionen des Embryos auf und speziell bei jeder Goldfischrasse in einer besonderen Körperregion. Gemeinsam dagegen waren allen aus dem Ver- suchsmaterial gewonnenen Embryonen folgende Abweichungen von der Norm, wenn als Mittel eine 5 — io7oige Rohrzuckerlösung 'j zur Anwen- dung gelangte: 1. Es ver Zwergen alle Embryonen, weil ein Teil des Nährdoiters durch die Verquellung für den Aufbau des Embryos unbrauchbar wird. Die Verzwergung geschieht proportional dem dadurch erhaltenen Dotterverlust und im Extrem bis zu ^/^ der Normalgröße. 2. An die Stelle der Bewegungsfreudigkeit tritt eine erhebliche Bewegungsträgheit (Kine- margie). 3. Es entsteht vor allem eine Bauchver- q u e 1 1 u n g (Bauchhydrops oder Dotterpreßbauch), wenn der Nährdotterbezirk zum Verquellen ge- bracht wird. 4. Die entstehende Leibeshöhle wird da- durch über die Norm erweitert, während alle in ihr enthaltenen Organe in der Entwicklung entsprechend dem Nährdotterüberdruck gehemmt und verkleinert werden; so zuerst Leber, Lunge, Darm und die inneren Geschlechtsorgane, manch- mal auch das Herz. In extremen Fallen werden die Tiere deshalb zum Teil oder ganz unfrucht- bar. ') In einer so starken Lösung in Wasser mit mäßigem Luftraangel kann der entstehende Embryo bis zum Ver- lassen der Eischale bleiben. Während dieser Zeit er- wirbt er durch die dabei eintretende Plasmaschwäche die klassischen Verquellungs- und Verbildungscharaktere. Doch zeigen sich einzelne Tierarten auch hier schon verschieden empfindlich und es wird daher notwendig, gemäß dem von Tornier aufgestellten, oben zitierten Satz unter Umständen eher ein hochprozentiges Mittel zu wählen und es dafür nur kürzere Zeit wirken zu lassen. So wirkt z. B. bei Frosch - eiern eine 5 — 6 % ige Zuckerlösung noch nicht. Eine auf 7 — 10*^/0 erhöhte Lösung aber vertragen sie nicht mehr lange genug. Eine 25 — 50 »/^ ige Zuckerlösung, die auf ganz kurze Zeit von den Froscheiern veitragen wird, führt dagegen zum Ziel; es entstehen schwere Kopfverbildungen. Axolotl- eier wiederum halten eine 7 — lo^/dige Zuckerlösung lange genug aus ; auch sie führte regelmäßig zu schweren Kopf- verbildungen. 5. Die Wirbelsäule wird nach oben hin entsprechend stark konkav durch- gebogen. 6. Es werden Mops') und Rundköpfe ge- zeitigt, wenn sich der verquellende Nahrdotter vor die wachsende Schnauzenanlage legt und später auch noch in die entstehende Mundhöhle von vorn her eindringt. P'ormcn wie sie häufig bei Wild- fischen (Schellfische, Hechte usw.) zu finden sind. 7. Hasenscharte und Wolfsrachen ent- stehen durch starke Aul treibung der Mundhöhle. 8. Mit dieser Schädelverbildung findet auch noch gewöhnlich gleichzeitig eine Verbildung der Augen siaii und zwar nach zwei Rich- tungen hin. Entweder werden die Augen über die Norm klein, bis sie im Extrem überhaupt nicht mehr zur Entwicklung gelangen, oder aber sie nehmen im Gegenteil über alle Norm an Größe zu, bis sie zum Schluß Riesenwuchs auf- weisen (z. B. bei Goldfischen und deren Ab- kömmlingen). 9. Ein Abblassen des Haut farbkleides tritt auf über braun, rot oder gelb bis zum Albi- nismus '-) und ergibt sich aus der Nichtausfarbung des Hautkleides, weil das Hautkleid zuletzt an- gelegt und durch die Verquellung ein Teil des Nährdotters für den Aufbau des Embryo un- brauchbar wird. 10. Es entstehen eine pathologische Körper- symmetrie,- sowie häufig einseitig augenlose oder zweikiemige Embryonen. In allen Ver- suchsfällen waren etwa '/3 der verbildeten Tiere auch zugleich asymmetrisch. — Tornier schließt aus vergleichend ana- tomischen Gründen ferner, daß es auch in der freien Natur eine P'ormgruppe von Tieren gibt, die aus Plasmaschwäche hervorgegangen sind. So können z. B. bei Säugetieren und Vögeln Körperverkrümmungen, Mopskopf- formen, Druckschwunde an Gliedmaßen usw. und vor allem überzählige Bildungen aller Art in den Ghedmaßenbezirken aus embryonaler Be- wegungsträgheit entstehen. '■') Auch bei den Tiefseetieren weisen der ganze Bau und Habi- tus, sowie die Augen darauf hin. Sie leben ja ') Siehe Tornier: „Über experimentelles Hervorrufen und Naturentstehen von Mopsköpfen, Cyklopen und anderen vorgeburtlichen Kopfverbildungen bei Wirbeltieren" in: „Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 1908, S. 298. '') Albinismus ist vornehmlich bei Axolotl von Tornier experimentell erzielt worden. Siehe To rnier: „Vorläufiges über experimentell erzielten Hautalbinismus bei Axolotl-Larven" in: „Suzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 1908,8.66. Wieder- gegeben von Milewski in „Lacerta", 1912, S. 35 : ,, Experimentell erzielter Hautalbinismus bei -Axolotl-Larven." Kriechtierembryonen werden übrigens durch die durch Plasmaschwäche hervorgetretene Bewegungsträgheit verbildet, weil sie, um sich normal entwickeln zu können, durch aktive Körperbewegungen zuerst ihre Dotterhaut und später, wenn diese aktiv abgeworfen ist, auch ihre Eihaut fortschreitend und proportional ihrer nachfolgenden Entwicklungszunahme aus- weiten. (Tornier in: Sitzungsber. d. Ges. naturl. Freunde, 1906, S. 125.) ^) Tornier in: „Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 1906, Teil 10, S. 28q. 724 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 auch in Ucht- und wärme- und sicher auch sauer- stoffarmen uud sehr kohlensäurereichem Wasser und unter starkem Druck, 'j Ferner hält T o r - nier die „englische" Schweinerasse -j für ein Pro- dukt, das durch starke Plasmaschwäche infolge ausschließlicher Stallfüiterung hervorgegangen ist, wie auch die Hausschweine, wie die Haus- tiere überhaupt, durch Plasmaschwäche aus Luftmangel in schlecht ventilierten Ställen und Aufzuchtbehälterii hervorgegangen seien. Die Neigung zum Albinismus, die Anlage zur Fett- sucht und die Zahmheit, alle diese „Haustier"- oder „Kulturcharaktere" haben ihren Ursprung aus verhältnismäßig geringer embryonaler Plasma- schwäche. ^) Und zuletzt ist es der Mensch ■•), der mitunter aus Plasmaschwäche erhaltene Miß- bildungen aufweisen kann, wie die bei Tieren experimentell erzielten. So schafft die Plasmaschwäche bei den ein- zelnen Tierarten und Tierrassen verschiedene Verbildungen. Betrachten wir die Schleier- fische und die Abkömmlinge des Goldfisches, die Goldfischlinge", den „Karauschenabwuchs" überhaupt (Eierfisch, Teleskopfisch usw.) näher, so zeigen sich hier bald allgemeine, bald spezielle, die Rasse charakterisierende Neuerwerbungen, die natürlich ebenfalls als Mißbildungen aufzufassen sind. Auf Grund seiner Untersuchungen über die Ent- stehungsursache der Goldfischrassen kam Tornier zu der Überzeugung, „daß die in Europa so beliebte „Reinzucht" von Goldfischformen in China nicht stattfinde" und ersuchte Kreyenberg, die Zuchtmethoden für Goldfische in dortigen Züchtereien zu untersuchen.") Kreyenberg bestätigte'^) die Vermutung Tornier 's, denn er konstatierte, daß in China bei der Goldfisch- zucht „von einer Zuchtwahl keine Rede sein könne". „Der Chinese züchtet nicht rein, sondern überläßt dem Zufall die Entstehung der Formen." „Diese Leute halten den Sommer über die Tiere im Freien, in Tüm.peln von 3 — 5 m Durchmesser. In dem trüben, grünlichen Wasser wimmelte es geradezu von Tieren. Ich schätze nicht zu wenig, wenn ich auf jeden Tümpel 500 — lOOO schätze." Im Winter kommen die Tiere in „Kangs" (runde Tongefäße). Die aus elenden Hütten bestehen- den Züchtereien seien mit Töpfen verschiedenster Größen vollgestopft , die , etagenförmig überein- andergestellt , derartig voll mit Fischen besetzt seien, daß viele der Tiere tot waren und über die Hälfte der lebenden die Schuppensträube zeigte. „Ich ließ mir nun aus den verschiedensten Tümpeln herausfischen. Es war wirklich alles durchein- ander." „Als ich die Züchter, bessere Kulis, fragte, ob sie denn nicht die gleichen Formen zu- 1) ibid. S. 65. «} ibid. S. 64. ») ibid. S. 61. ♦} ibid. S. 65. ^) ibid. S. 62. •) in: „Blätter" sammentäten, sahen sie mich nur erstaunt an, ver- standen gar nicht, was ich meinte." Die Un- natur der Züchtung schaffe also die mon- strösen Formen. — Da Kreyenberg es unter- lassen hatte, die Anregung Tornier's zu dieser Untersuchung direkt zu erwähnen und die Expe- rimente Tornier's zu erläutern, stießen seine Angaben naturgemäß auf Zweifel, und auch ich unterwarf sie unter Hinweis auf die in Europa gepflegte Zuchtmethode einer Kritik, ') nachdem ich schon vorher die Ergebnisse unserer einhei- mischen Züchtergepflogenheiten bei den Abarten des Goldfisches im Zusammenhange mit ver- schiedenen Erblichkeitsregeln besprochen hatte.'-) Die Arbeiten von Tornier waren mir damals nicht bekannt. — Nachdem diese erschienen sind und die Situation klärten, liegt nicht der mindeste Grund vor, an der Richtigkeit der Kreyen- berg'schen Schilderung zu zweifeln. Eine ge- wisse Unterstützung findet sie durch die Angaben des Weltreisenden Lauterer, der folgenden per- sönlichen Bericht gibt ^), der bedeutend früher schon die japanischen Zuchtmethoden erörtert, von mir indes erst kürzlich gefunden wurde: „Der Goldfisch lebt überall in den Flüssen. Die monströsen P'ormen in Gärten und Aquarien sind durch Schütteln des Laichs und Verwachsung oder Verletzung der Eier entstanden und werfen so ein Licht auf die Bildung von Mißgeburten überhaupt." Da um die Zeit dieser Reiseschilde- rung (1902) Lauterer wohl kaum von den da- mals eben erst begonnenen Experimenten Tor- nier's etwas gewußt hat, können sich die An- gaben „Gärten" und „Aquarien" natürlich nur auf japanische Verhältnisse beziehen. Ob seine Aus- führungen auf tatsächlicher Wahrnehmung beruhen, ließe sich vielleicht bezweifeln, denn von einem „Schütteln" und „Verletzen" der Eier in Japan ist meines Wissens noch nichts bekannt geworden. Sicher sind ihm aber als Naturwissenschaftler die Experimente älterer F'orscher mit Fischeiern (z. B. Zentrifugieren und Anstechen) bekannt ge- wesen, und es griff daher bei ihm mehr eine Vermutung Platz. — Auf alle Fälle ist seit diesen Bekundungen die alte Begründung, die monströsen Goldfischtormen seien durch eine „sorgfältige Züchtungsmethode" der als große Tierlieb- haber und Liebhaber monströser P'ormen bekannten Chinesen und Japaner entstanden, zusammenge- brochen und sie muß als eine hinfällige, nach- gesprochene Überlieferung^) betrachtet werden. 1909, Heft 17 : „Briefe Beim üoldfischzüchter in Peking." ') Milewski, ,,Das Geheimnis der Schleierfischzucht" in: ,, Wochenschrift", 1910, S. 3:59. -) Milewski, „Darwin 'sehe Theorie und Goldlisch" in: „Wochenschrift", 1912, S. 31. ') Dr. Joseph Lauterer, „Japan, das Land der auf- gehenden Sonne", 1902, Leipzig, Verlag OUo Spamer. *) So berichtet Du- Halde in seiner „Histoire de la Chine", I, 315, daß die Fürsten und Großen des Himmlischen Reichs dem Goldfisch in eigenen Teichen und prachtvollen Porzellanvasen, die öfter mit frischem Wasser gelullt werden, eine sorgsame Pflege angedeihen ließen. Und der Pekinger Zollinspektor Hart schreibt von sehr sorgsam behandelten N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 725 Überdies hat T o r n i e r durch seine Experimente nachgewiesen, wie die Goldfischformen in Eu- ropa entstehen, und schon diese Beweise lassen einen Rückschluß auf die „Zuchtmethode" der Chinesen zu. Wie schon ausgeführt wurde, erzeugt Plasma- schwäche im Ei für die den einzelnen Tierarten und Tierrassen verschiedenartige, spezifische, Verbildungen an den Embryonen. Tornier verbreitet sich hierüber in einer vorläufigen Ar- beit über die Goldfischformen ^), die ich zum Gegenstand einer Wiedergabe und Besprechung machte. '-) Diese Arbeit leitet ein Werk ein, das erst erscheinen wird und eine lückenlose Beweis- führung enthalten soll. Aber schon die bisherigen Resultate sind höchst beachtenswert. Tornier experimentierte vornehmlich mit Rohrzucker- lösungen, mit völliger Abdunkelung der Aufzuchtbehälter'') unmittelbar nach der Eierablage bis zum Ausschlüpfen der Embryonen und mit starkem Wasserdruck, den er da- durch erreichte, daß er schmale hochwandige Ge- fäße mit viel Wasser benutzte und hier den Laich dicht an- und übereinandergepackt anordnete, wodurch die unteren Eier plasmaschwach werden, stark quellen und viel geronnenes Eiweiß ver- lieren. — Die durch diese Mittel bewirkte Plas- maschwäche des Eies überträgt sich auf den Embryo. Bei diesem tritt noch eine starke B e - wegungst rägh eit hinzu, unddiese beiden Faktoren, Plasmaschwäche und Be- wegungsträgheit, vereint, sind form- gestaltend bei der Bildung der Gold- fisch linge. So entstehen folgende Formver- änderungen beim Individuum : I. Schon vom Goldfisch an erweitert sich die Leibeshöhle. Bei extremrassigen Tieren ist ihr Umfang sogar ungemein groß. Dadurch und durch andere Umstände (siehe unter Nr. 2) tritt eine Verlagerung der inneren Organe ein, die zugleich zum Teil in der Entwicklung gehemmt und daher verkleinert, zum Teil vergrößert werden. Drückt z. B. der verquellende Nährdotter direkt oder indirekt die entstehende Schwimmblase mit ihrer normalen Lage oder verbildet sie, so verliert der Fisch das Gleichgewicht und bildet sich zu dem bekannten „Rückensch wim- m e r" '') aus. irdenen Töpfen, deren Inneres mit Vü tzu, den Knollen der Caladium gerieben werden, um das Wachsen der Algen , in denen sich Infusorien, die Nahrung der Fischbrut bilden, zu beschleunigen. Bei warmem Wetter werde das Wasser min- destens einmal am Tag gewechselt. Ein auffallender Wider- spruch I ') Tornier, „Vorläufiges über das Entstehen der Gold- fischrassen", in: Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde, 190S, S. 40. -) Milewski, „Ober das Entstehen der Goldfischrassen, in: „Wochenschrift", 1912, S. 428. ^) Wodurch, da die dem Licht entzogenen Pflanzen keinen Sauerstoff erzeugen, sondern im Gegenteil Kohlensäure perma- nent ausscheiden, starker Luftmangel eintreten muß. *) Siehe auch Leonhardt, ,,Ontogenetischcs und Ana- tomisches vom Goldfisch", in: „Blätter", 1913, S. 528 und 2. Die Rücken Wirbelsäule wird unter solchen Umständen geradegestreckt und zusammengeschoben, also verkürzt oder nach oben konkav durchgebogen. Denn so- bald sich die Bauchhöhle unter dem Einfluß der Dotterverquellung in ihr stark nach vorn und hinten ausgedehnt hat, schiebt sie den Anfangs- und Endpunkt der bei der Karausche konvex-bogig über ihr liegenden Rückenwirbelsäule nach oben hin vor sich her und biegt dadurch die ganze Wirbelsäule entweder gerade oder konkav nach oben hin durch. Dadurch verkürzt sich aber die Rückenhöhe des Fisches, und der Kopf erlangt im Verhältnis zum Körper eine ungemeine Größe; auch werden dabei manche Wirbelkörper mitein- ander verwachsen. 3. Die Dotterverquellung im Bauche der Em- bryonen erzeugt Riesenwuchs der Flossen oder von Teilen von ihnen, oder einzelne Ab- schnitte einer Flosse verlängern sich zum Über- maß, während gleichzeitig die anderen Teile dieser Flosse verkümmern oder unversehrt bleiben. Oder es tritt der Gegensatz ein: die Flossen ver- kümmern im ganzen und oft bis zum Schwund. Das hat folgenden Grund. „Bei Dotterverquellung in der Bauchhöhle eines Embryos werden in seiner Oberhaut neuartige Spannungsverhältnisse erzeugt, die in der Form von neuen Zug- und Druck- linien dieselbe durchziehen. Gerät dabei ein Flossenabschnitt in eine solche neu auftretende Zuglinie hinein, so wächst er zu einem Riesen- wuchs aus. Kommt er dagegen in eine der neuen Drucklinien zu liegen, d. h. wird er daselbst zusammengeschoben, so verlieren seine Flossen- strahlen entsprechend der neuen Belastung an Länge, bis sie eventuell ganz verschwinden." So wächst z. B. : a) bei den „Hochflossern" die ganze Rücken - flösse dann zur Riesengröße aus, wenn sie in die Zuglinie einer Ob erh au tauswulstung zu liegen kommt, die bei der Geradestreckung der Wirbelsäule durch Bauchdotterverquellung auf- treten und durch Druck der Eihaut auf die Schnauzenspitze und den Schwanzstiel des Embryos noch vergrößert werden kann. b) Die Afterflosse dagegen nimmt an Größe ab, wenn sie in eine neue Drucklinie zu liegen kommt. Und sie verschwindet ganz, wenn der um den After herum gelegene Bauchbezirk ganz besonders stark verquült. Dieser wölbt sich dann nämlich auswuchsartig nach hinten vor und drückt dabei die ganze Afterflossenanlage stark in sich zusammen, wodurch diese entsprechend dieser Druckbelastung atrophiert. „Es verbiegt sich beim Entstehen der Kamelflosse auf dem Rücken gewisser Goldfische der Schwanzstiel des Embryos derartig nach oben, daß der Knick- scheitel der Druckkurve dieser Verbiegung in die Mitte der Rückenflosse des Fisches fällt, und in- Milewski, ,,Die Ursache des Rückenschwimmens der Schleierfische" in: „Wochenschrift" (noch im Druck begriffen). 726 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 folgedessen verkümmert diese Flossenmitte nun entsprechend dem Druck und unter Umständen bis zum Schwund." 4. Bei zahlreichem Goldfischabwuchs ist die Afterflosse zum Teil oder ganz verdoppelt. Ebenso die Schwanzflosse in dem Bezirk, der unter der Wirbelsäule liegt. In der Schwanzflosse sind dann nur die Flossenstrahlen und Flossen- träger, die unter der Wirbelsäule liegen und die unteren Dornfortsätze jener zwei letzten Schwanz- wirbelkörper, denen die Schwanzflosse angefügt ist, verdoppelt. Die Auslösung der Verdoppelung selbst geschieht in folgender Weise: „Die rechte und linke Hälfte der Afterflosse und die beiden Hälften desjenigen Teils der Schwanzflosse, der unter der Wirbelsäule und dem Urostyl liegt, treten bei normaler Entwicklung zuerst unab- hängig voneinander auf, legen sich aber bald an- einander und verwachsen. Wenn dagegen der Dotterbezirk, der unmittelbar unter und zwischen ihnen liegt, sehr stark durch Dotterverquellung ausgedehnt wird, werden sie dadurch so weit voneinander entfernt, daß sie alsdann nicht mehr miteinander verwachsen können." Das ergibt für den erwachsenen Fisch eben die Verdoppelung der Afterflosse und des unteren Schwanzflossen- abschnitts. 5. Bei starker Entwicklung der Schwanz- flosse wird diese hängend. Dieses hat neben der Dotterverquellung in der Bewegungsträgheit des Embryos seine Ursache. Der von ihr be- fallene Embryo vermag nicht mehr seine Bewe- gungsenergie aufzubieten, die zur fortschreitenden Ausweitung seiner Eihaut und zu seiner dadurch bedingten normalen Ausbildung notwendig ist. Deshalb wird die Hülle für den wachsenden Em- bryo zu eng und schnürt ihn als einen viel zu engen Sack allseitig ein. Dabei erleidet der Em- bryo aber nicht nur an jenen Körperteilen, die nun die Eihaut berühren, starke Druckhemmungs- bildungen, sondern wird auch im ganzen und je nach der Lage in der Eihaut verschiedenartig zu- sammengedrückt. Speziell bei den hochrassigen Goldfischlingen wird die Endkappe des Schwanz- stiels hakenartig nach unten verbogen und so die Schwanzflosse hängend. — Unter diesen Um- ständen verbiegen sich bei allen langflossig werdenden Goldfischlingen alle Flossenspitzen an der Eihaut. Dadurch werden diese in sich zu- sammengedrückt oder erhalten umgelegte Ränder. 6. Bei extremen Fischen findet eine äußerste Schwanzstiel Verkürzung mit Einstellung der Mundöfifnung nach oben statt. Hierfür sind dieselben Gründe, wie sie unter Nr. 5 aufgeführt sind, bestimmend. 7. Die Bauchausdehnung bewirkt auch eine Aufwulstung jenes Oberhautabschnitts, der über dem Hinterhauptsgelenk im Nacken des Fisches liegt, zu einer gekräuselten Hautfalte, der „H a u b e". Diese Haube oder „Kapuzze" ist als eine eigen- artige Hautwucherung aufzufassen, die von den Augen aus den Hinterkopf des Fisches überdeckt. In extremen Fällen geht sie auch vor und hinter dem Auge hinab und zum Schluß sogar um das ganze Auge herum. Bei äußerster Ausbildung wird diese Haubenbildung wulstartig und so stark, daß die Neigung bestand, sie als das eines be- sonderen Formcharakters des Individuums anzu- sprechen. So bezeichnete Laackmann^) der- artig ausgestattete Tiere als ,.Löwenkopffische". — Sie verkörpern indes keineswegs eine beson- dere Rasse. Vielmehr ist der Ansicht T h u m m ' s ^) beizutreten, daß es sich in solchen Phallen um den bekannten rückenflossenlosen „Eierfisch" handelt, bei dem die fettpolsterige Haube besonders stark ausgebildet ist. Tatsächlich berichtet auch Kreyenberg^) von einigen „mopsgesichtigen Eierfischen mit auffallend großen, blutroten Hauben", die er in China erworben und in Alko- hol konserviert nach Deutschland gesandt hatte. 8. Die Oberhautaus färbung der Gold- fische gestaltet sich in rot, gelb oder weiß oder einer Mischung dieser Farben. Hierbei tritt die Haut aus dem Grau der Karausche, das bei fast allen Goldfischlingen als Jugendfarbkleid vor- übergehend herrscht, in diese Farben entweder geradewegs über oder auf dem Umwege über schwarz. Auch hier kann ein völliger Alb in Is- mus zu Tage treten. Diese merkwürdige Ober- hautausfärbung geschieht durch folgende Veran- lassung. „Bei jeder Dotterverquellung wird ein Teil des Dotters durch Gerinnung für den Embryo unbrauchbar und deshalb von ihm auch durch die Afteranlage oder an der unteren Bauchkante ausgeschieden. Der Embryo aber wird dadurch von einem gewissen Alter an gezwungen, seine Entwicklung unter Dottermangel fortzusetzen, was nun geschieht, indem vor allem seine Haut minderwertig angelegt wird. Und zwar bei starkem Dotterverlust in der Art, daß auch das Farbkleid schon im Embryonalleben des Fisches zu rot, gelb oder weiß abblaßt; während bei ge- ringem Dotterverlust die Haut zu Anfang noch Karauschenfärbung erhält und dann erst post- embryonal zu rot, gelb oder weiß abblaßt." Demnach bedeutet auch das satte Rot mancher Schleierfische ein Abblasen des Farbkleides, einen beginnenden Albinismus. — Vor einigen Jahren tauchten spontane Berichte auf über „neu" ge- züchtete, dukatenfarbene Schleierfische *), die eben- falls als eine neue Zuchtrasse betrachtet wurden. Von diesen Neuheiten ist seitdem nichts mehr zu ') Laackmann, „Das neueste Zuchtprodukt japanischer Schlcierfischzucht , der Löwenkopffisch , im Aquarium des Zoologischen Gartens in Leipzig", in: , .Wochenschrift" 1911, S. 6S5. -) Thumm, „Der Löwenkopffisch alias Eierfisch", in: „Wochenschrift", 1911, S. 717. ') Kreyenberg, ,, Briefe aus China. Beim Goldtisch- züchter in Peking", in: , .Blätter", 1909, Heft 17. ^) Lieb ig. ..Der ..Dukatenfisch", eine prächtige neue Züchtung", in: ..Wochenschrift". 1913. S. 414 und Schreit- müller, ..Carassius auratus rar. macrophthalmus bicaudatus Zernecke", in: „Blätter", 1913. S. 497. N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 727 hören. Unzweifelhaft handelte es sich hier um zufällig entstandene, zwischen rot und gelb schwan- kende Farbennüancen, ') die keine besondere Aufmerksamkeit verdienten. 9. Bei einzelnen Tieren entstehen die Riesen - äugen der „Teleskopfische". Bei dieser Fischgruppe treten die Augen weit aus dem Kopfskelett heraus, und die Pupille wird ent- weder unveränderlich zu Boden oder rein seitlich oder nach vorn oder aber nach oben gerichtet. Diese Riesenaugen entstehen durch das Aus- strahlen der Dotierverquellung vom Bauche des Embryos in die Kopfanlage. „Die Augenanlagen werden nämlich sehr stark aus der Kopfanlage nach außen hinausgetrieben, gelangen dadurch erstens in die Zugseite einer neuen Verbiegungs- kurve und werden zweitens dabei von allen ihren normalen korrelativen Beziehungen zu anderen Körperteilen befreit. Infolgedessen wachsen sie zu Riesengröße aus. Ihre eventuelle Dauerein- stellung mit Pupille nach unten aber geschieht, wenn die Kopfdotterverquellung vom Mundboden aus bis zu den oberen Augenrändern aufsteigt. Rein nach außen dagegen wird die Pupille der Riesenaugen dann eingestellt, wenn die Kopf- dotterverquellung durch die ganze Kopfanlage reicht; während die Pupille sich ganz nach oben einstellt, wenn die Dotterverquellung vom Dach der Mundhöhle bis zu den unteren Augenrändern hinabreicht." ^) — „Derartige Augen zeigen dann außerdem einen riesig vergrößerten Glaskörper- raum, Ausbuchtungen von oft mächtiger Größe in der Gegend der Sehpapille, von denen eine zuweilen sogar an der Sehpapille vorbei direkt in den Sehnerv eindringen kann. Der Glaskörper ist ferner in solchen Riesenaugen verflüssigt, die Retina, Chorioidea und Sklera sind streckenweis und oft sehr weit fest miteinander verwachsen und dann noch so sehr verdünnt, daß durch sie an vielen pigmentleer gewordenen Stellen von außen Licht in den Glaskörperraum eindringt. Die Linse ist ferner für das Auge zu klein, oft winzig und häufig mit einer Einschnürung am Äquator versehen. Sie reicht schließlich auffällig wenig in den Glaskörperraum hinein und liegt viel mehr in der vorderen Augenkammer, als es der Norm entspricht, trotzdem diese dann gewöhnlich sogar noch kuglig nach außen ausgebuchtet ist." ^) Diese Teleskopaugen sind infolge ihrer von der Norm abweichenden Gestalt mehr oder weniger myopisch (kurzsichtig) und vielen Erkrankungs- gefahren ausgesetzt. Hirsch hat die Augen, das Rückenmark und das Gehirn des Goldfisches und seiner Varietäten Albii ') Lieb ig (op. cit.) nimmt mit Recht einen ,, beginnenden (Schleierschwanz und Teleskopfisch) untersucht und sagt:') „Ich glaube, daß die von mir ge- fundenen Unterschiede zwischen den Gehirnen, dem Rückenmark und den Augen des Goldfisches und seiner Varietäten dieser Anschauung (Tornier's), insbesondere, soweit sie Ver- quellungen als die entwicklungsmechanischen Ur- sachen der Hemmungsbildungen betrachtet, zur Stütze dienen können. Die Erweiterung der G'-hirn- und Rückenmarksventrikel, das Offen- bleiben des Ventriculus terminalis, die Neigung zur Paarigkeit des Lobus facialis und zum Aus- einanderklappen des Lobi vagi, die in Analogie zur Hasenscharte beim Menschen eine Entwick- lungshemmung darstellt, sowie die Vergrößerung des Glaskörperraumes weisen darauf hin, daß die Entwicklung der Varietäten den quellenden Ein- flüssen großer Flüssigkeitsmengen unterliegt." — Die Teleskopaugen sind also durch das reichliche Vorhandensein von Flüssigkeit in ihren Anlagen stark ver- größert worden. Hirsch sagt weiter, daß in der Linse das Goldfisch- und Teleskopauge völlig gleich seien. Die Linse des Teleskopauges sei also im Verhältnis zu dessen Glaskörper sehr klein. Die Vergrößerung des ganzen Auges beim Teleskopfisch werde bewirkt durch die Vergröße- rung des Corpus vitreum. Hiermit wären diejenigen anormalen Erschei- nungen festgehalten, die sich aus der Plasma- schwäche im Ei der Embryonen der Goldfisch- linge als typisch für diese ergeben. Es wird nun die Frage auftauchen, wie der Umstand zu er- klären ist, daß von einer ahnungslos unter un- günstigen Lebensverhältnissen aufgezogenen Brut nicht alle Individuen so krasse Mißbildungen erhalten, also nicht extremrassig werden. Diese P>age läßt sich zunächst allgemein wie folgt be- antworten. Jedes Individuum entwickelt sich in- dividuell. Auf jedes Individuum wirkt auch ein Eingrift' in dessen Lebensbedingungen verschieden. Das eine erträgt schädigende Lebensveränderungen leicht ; das andere geht an den F"olgen früher oder später zugrunde — es ist dem Kampfe um das Dasein nicht gewachsen. Diese Erfahrung be- stätigt sich auch bei der Zucht der Goldfisch- rassen unter ungünstigen Existenzbedindungen : Verschiedene Embryonen haben die Kraft, den ungünstigen Verhältnissen, denen sie ausgesetzt werden (Luft- und Lichtmangel usw.) zu trotzen. Infolge ihrer individuellen Veranlagung, ihrer größeren Widerstandskraft erweisen sie sich robuster, als andere. Die Wirkung der Pla^^ma- schwäche überwinden sie beim Eintritt besserer Bedingungen.-) Sie nehmen daher auch nicht 2) Tornier, „Vorläufiges über das Entstehen der Gold- fischrassen", in: ,,Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 190S, S. 43- ') Tornier, „Über die Art, wie äußere Einflüsse den Aufbau des Tieres abändern", in : „Verhandlungen der deutschen Zoologischen Gesellschaft", 191 1, S. 59. ') Hirsch, „Über das Gehirn, Rückenmark und Augen der Varietäten des Goldfisches, in: „Archiv für Entwicklungs- mechanik", 1913, Bd. 35, S. 62. ^) Das kann schon geschehen, wenn der aus dem dunkel gelegenen, womöglich noch in einer durch faulende Sub- stanzen usw. in einer sauerstoffarmen und kohlensäureange- häuften Umgebung verweilten Ei ausschlüpfende Embryo auf 728 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 die aus dieser resultierenden Mißbildungen als körperliche Neuerwerbungen auf; kurz gefaßt: sie heilen aus. Präziser antwortet T o r n i e r. Plasmaschwächende Mittel wirken aktiv nur so lange auf den Embr^-o ein, wie er unter ihrem direkten Einfluß steht. Wird z. B. der Embryo aus einer der erwähnten Zuckerlösungen entfernt und in gut durchlüftetes, reines Wasser überführt, so beginnt er, die erworbene Plasmaschwäche aus- zuheilen. Das geschieht dadurch , daß er vor allem das in seine Zellen und in seinem Nähr- dotterbezirk eingedrungene Verquellwasser und den Teil seiner Substanzen, sowie des Dotters, der dabei durch Zersetzung und Auflösung für ihn unbrauchbar geworden ist, durch das Ekto- derm, d. h. die entstehende Deckhaut, auszu- scheiden beginnt. Auf diese Weise verliert er die Plasmaschwäche bzw. die minderwertigen Ver- quellcharaktere, zumal, wenn sich die Eier in einer ganz wenig plasmaschwächenden Flüssigkeit be- funden haben, schon früh, oft schon in der Ver- suchsflüssigkeit selbst. Die völlige Ausheilung der Plasmaschwäche aber gelingt dabei nur solchen Individuen, deren vorher erworbene Plas- maschwäche gering war. Plasmaschwäche von wirklich großer Intensität vermag der Embryo nie ganz auszuheilen und er behält sie und natür- lich auch die durch sie hervorgerufenen anato- mischen Verbildungen dauernd bei. So bleibt er z. B. für Lebenszeit mehr oder weniger bewe- gungsträge, hydropisch in seinen Geweben oder in seinem Gesamtorganismus. Er behält ferner eine große Disposition für Erkrankungen (z. B. durch Parasiten, wie den Gyrodactylus) oder er stirbt frühzeitig ab. Die Erfahrung hat denn auch gelehrt, daß ganz besonders extremrassige, von Züchtern geschätzte Individuen häufig an Wachs- tum wenig zunehmen, kümmern und früh eingehen, weil sie eben wenig widerstandsfähig sind. — Kurz zusammengefaßt aber, kann ein und das- selbe plasmaschwächende und Embryonalver- quellung erzeugende Mittel in drei verschieden wirkenden Konzentrationsgraden verwandt werden, nämlich : 1. so stark, daß die am Embryo hervorgerufene Plasmaschwäche und Verquellung nie ganz aus- geheilt werden können, also vom Individuum für Lebenszeit erworben sind; 2. in einer mittelstarken Konzentration, so daß die Plasmaschwäche und Verquellung aus heil- bar ist. Dieses beginnt aber erst dann, wenn der Embryo aus dem Versuchsmittel in normale Lebensweise übergeführt worden ist; 3. in einer so geringen Stärke, daß dabei der Embryo schon im Versuchsmittel selbst mit der Ausheilung der erlangten Plasmaschwäche und Verquellcharaktere zu beginnen vermag. Das Ergebnis dieser Grundsätze wird nicht Grund seiner erlangten Bewegungsfreiheit imstande ist, licht- und luftreiche Orte im Aufzuchtbecken aufzusuchen, was häufig der Kall sein wird. nur dort erfolgen, wo es sich um Experimente mit chemischen Lösungen handelt, sondern auch da, wo als plasmaschwächende und Embryonal- verquellung erzeugende Mittel Sauerstoff- und Lichtmangel in Frage kommen. Erfolgt z. B. die Eiablage in einem Aquarium, das starken Pflanzenwuchs aufweist und das sofort verdunkelt wird, so tritt, weil die Pflanzen wegen Licht- mangel keinen Sauerstoff erzeugen können, im Gegenteil Kohlensäure ausscheiden, eine starke Anhäufung von Kohlensäure, also Luftmangel, ein. Wird dieser Zustand bis einige Tage nach Aus- schlüpfen der Embryonen aus der Eischale belassen, so wirkt die dadurch hervorgerufene Piasmasch wache und Verquellung während dieser Zeit auf die Embryonen derartig ein, daß sie sich als unheilbar erweist und die sich daraus ergebenen Ver- bildungscharaktere für Lebenszeit erworben werden. Wird dagegen die Verdunkelung des Beckens schon nach kurzer Zeit, also schon vor dem Ausschlüpfen der Embryonen, beseitigt, so daß der Pflanzenwuchs im Licht wiederSauerstoff erzeugt, so kann ein widerstandsfähiger Embryo alsbald beginnen, die Plasmaschwäche auszuheilen. Wird dieses Verfahren bewußt angewandt, so können also dieselben Erscheinungen experimentell eintreten, wie es ohne bewußte Züchtung bisher geschah, und wodurch die monströsen Goldfischrassen erzeugt sind und immer noch erzeugt werden , indem nämlich die Plasmaschwäche der Embryonen un- bewußt durch schlechte Beschaffenheit des Aufzuchtbeckens während der ersten Tage der Laichabgabe hervorgerufen wird. Die dabei eine ausschlaggebende Rolle spielenden Momente können so verschiedenartig und evident sein, daß sie nicht erst besonders erörtert zu wer- den brauchen. — Ich selbst habe es in dieser Beziehung an Versuchen nicht fehlen lassen. Als der einfachste Weg erschien mir die Ent- ziehung der Luft durch Abdunkelung des Aufzuchtbeckens sofort nach der Laichabgabe. Bei diesen Experimenten wählte ich Elterntiere , die in den Augen des Züchters absolut keinen Wert haben : Kurzschwänzige und niedrigflossige, schon stark an Goldfische er- innernde Schleierfische. Trotz der denkbar schlechtesten Qualität der Eltern in züchterischem Sinne erzielte ich dabei streng extremrassige Junge mit prächtigem Flossenwerk, die dem geübten Auge schon nach wenigen Tagen ihre Qualitäten verraten. Wenn auch somit die Entstehungsursache der Goldfischformen dargetan sind, wird dem doch ein Teil der Anhänger der gründlich durchge- führten „Zuchtmethode" entgegenhalten, daß bei den modernen Züchtereien eine derartige Unnatur der Züchtung nicht vorkomme. Der Erfolg sei lediglich auf das Prinzip zurückzuführen, daß rassige Elterntiere ihre Eigenschaften auf ihre Jungen vererben. — Dieser Grundsatz scheidet bei den Gold fi schlingen aus. Zunächst gilt hierfür als Beweis die bekannte N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenscliaftliche Wochenschrift. 729 Klage der Schleierfischzüchter, daß trotz bester Auswahl der Stammtiere, trotz aller Vorsichts- maßregeln regelmäßig etwa neun Zehntel der Brut wertloses Gemisch darstellen, das nichts von den Eigenschaften der Eltern ererbt hat. Es steht noch sehr dahin, ob auch der winzige Rest von einem Zehntel , der gleich den Alten extreme Körpereigenschaften besitzt, diese wirklich durch Vererbung erworben hat. Mit demselben Recht könnte nämlich behauptet werden, daß doch Plasmaschwäche auch hier mitgewirkt haben kann, denn der Laich wird bekanntlich von den Schleierfischen umhergestreut, und es kann daher ein Teil davon an ungünstigen Orten zu liegen kommen, die eine starke Plasmaschwäche bewirken. Ein anderer Teil der Embryonen kann sich auch als widerstandsfähiger wie einzelne andere erweisen und die erworbene Plasmaschwäche ausheilen. Angesichts der experimentell nach- gewiesenen Ergebnisse würden diese gegenseitigen Einwürfe als reine Vermutungen zu behandeln sein. Schlagkräftige Beweise führt aber auch hier T o r n i e r an. Die Goldfischformen sind zweifellos pathologische Bildungen. Schon früher ') aber hat Tornier den Nachweis geliefert, daß Tiere mit wenig großen überzähligen Bil- dungen — also mit pathologischen Bildungen — bei vielen tausend Nachkommen nie- mals Vererbung des Überzähligen zeigen. Denn im Jahre 1905 hat Tornier Zuchtversuche mit Axolottls vorgenommen , die experimentell hervorgerufene überzählige Bildungen (Doppelschwänze, gegabelte Beine) besaßen. „Alle Paarungen ergaben bei recht zahlreichen Nachkommen keine Vererbung des vorhandenen Überzähligen."! Außerdem hat Tornier, um die Vererbungsfrage auf sehr breiter Basis und von einer anderen Seite anzufassen, auf einem der größten Schlachthöfe Deutschlands zwei Jahre hindurch sämtliche mit Embryonen belegte Schweine-Uteri auf normale und verbildete Indi- viduen untersuchen lassen. „Unter den sehr vielen tausend von überhaupt befruchteten Uteri wurde eine größere Anzahl von solchen gefunden, in welchen verbildete Individuen vorhanden waren. Unter denen aber, welche Individuen mit über- zähligen Fingern aufwiesen, trugen weit über 80 "/o nur ein einziges verbildetes Individuum unter zahl- reichen nicht verbildeten."-) Auch hier lag keine direkte Vererbung von Verbildungen vor, denn sonst hätten die Individuen gleichartig ver- bildet sein müssen. Zu einer ähnlichen Schluß- folgerung kommt von neueren Forschern Schwalbe^), nachdem schon vorher andere Forscher ähnliche Verhältnisse an Säugetierjungen festgestellt hatten. Aber auch die nicht zum Überzähligen ge- ') „Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 1904, S. 167. 2) ,, Experimentelles und Kritisches über tierische Gene- ration", in: , .Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde", 1906, S. 282. ^) „Münchener medizinische Wochenschrift", 1906, S. 8. hörenden Charaktereigenschaften der Goldfisch- linge (Riesenwuchs der Flossen und Augen, Er- weiterung der Leibeshöhle usw.) vererben sich keineswegs auf die Generationen. „Vererbt wird vielmehr nur die Plasmaschwäche, und durch diese Vererbung werden gleichartige Verbildungen der Elterntiere von neuem her- vorgerufen. Individuen, die ihre embryonal erworbenen Mißbildungen mit Plasmaschwäche durch abnorme Entwicklungsbedingungen für Lebenszeit erhalten haben, können Nachkommen erzeugen, die ein Plasma besitzen, das ebenso energielos ist, wie das ihrer Eltern, und diese Nachkommen können bei ihrer Embryo- nalentwicklung Verbildungen erwerben, die denen der Eltern an Entstehungswert entsprechen, ihnen aber durchaus nicht formgleich sind, denn die vererbte Plasmaschwäche ruft wohl eine gleiche Bewegungsträgheit, nicht aber gleiche Körper- bewegungen hervor. Von den Eltern wird stets nur ein bestimmter Grad von Plasmaschwäche und Bewegungsträgheit auf die Nachkommen vererbt." Wie sich diese Nachkommen dann aber als Embryonen z. B. bewegen und welche von diesen Bewegungen ihre überzählige Verbildungen hervorrufen, hängt jedesmal von unberechenbaren Zufällen ab, und deshalb erhalten die Nachkommen auf diesem Wege auch nur eine gleichwertige und nicht eine gleichartige Verbildung. ^) Kurz zusammengefaßt, ergibt sich folgendes Bild. In- dem eine oder mehrere Generationen in schlechten Lebensbedingungen aufgezogen werden, erhalten alle Gewebe der von diesen Lebensbedingungen angegriffenen Individuen, also auch die Geschlechts- zellen , eine bestimmte Plasmaschwäche propor- tional der schädigenden Kraft. Diese Plasma- schwäche vererbt sich auf die Eier. Wenn nun diese in dieselben schlechten Lebens- bedingungen kommen, wie sie ihre Eltern durch- zumachen hatten, bringen sie Embryonen, die gleichwertige, nicht gleichartige Verbildungen ihrer Eltern entwickeln. Kommen die Eier aber in günstigere Lebensbedingungen, so tritt in ihnen die Neigung auf, die Plasmaschwäche aus- zuheilen, und die Embryonen zeigen Rück- schläge, d. h. das Bestreben, sich zu normalen Tieren auszubilden. Gelangen dagegen die Eier in noch schlechtere Lebensbedingungen, so steigert sich die Plasmaschwäche und mit ihr der Zwang, noch hochgradigere Verbildungen auszu- lösen." Daß eine direkte Vererbung der Charaktere der Goldfischlinge nicht stattfindet, läßt sich un- schwer nachweisen. Ich wählte als Zuchtpaar ein hochflossiges, schuppenloses buntes Schleierfisch- weibchen (sog. „Tigerfisch") und ein kurzflossiges, beschupptes Schleierfischmännchen. Die Lebens- bedingungen waren normal. Das Resultat war, ') Tornier, „Was wird von Pathogenem , besonders von Überzähligem vererbt?" in: „Sitzungsber. d. Ges, naturf. Freunde", 1906, S. 287. 730 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 daß die Hälfte der Jungen unbeschuppt, die andere Hälfte beschuppt war. Zwischenformen waren nicht vorhanden. Das Merkwürdige war aber dabei, daß die meisten beschuppten Tiere nicht die Eigenschaften des niedrigflossigen Vaters be- saßen, sondern gerade spezifische Hochflosser wurden, und andererseits umgekehrt: die schuppen- losen Individuen nahmen normale Formen an, ähnelten also nicht der schuppenlosen Mutter. Es trat also keine direkte Vererbung ein, sondern die unter den normalen Verhältnissen gebotene Möglichkeit zum Ausheilen der von den Alten ererbten Plasmaschwäche wurde wahrgenommen und die widerstandsfähigeren Individuen heilten aus. Ähnliche Versuche habe ich noch häufig angestellt. Sie brachten alle die Überzeugung, daß eine direkte Vererbung der Formcharaktere der Goldfischrassen nicht stattfindet. Eine letzte Frage ist die, ob die Plasma- schwäche sich nur auf einige wenige oder aber auf eine ganze Kette von Generationen vererbt. Hierüber liegen noch keine abge- schlossenen Beobachtungen vor. Es läßt sich an- nehmen, daß sich diese Vererbung auf eine ganze Reihe von Generationen erstrecken kann, denn sonst würde die Erhaltung der großhoch-flossigen Schleierschwanzfische unter den heutigen, über- wiegend günstigen hygienischen Zuchtverhältnissen sehr in Frage gestellt werden. Sonstige Literatur. Tornier, „Über Hyperdaktelie, Regeneration, Vererbung mit Experimenten." (Archiv für Entwicklungsmech., Bd. 3, 1S96.) — , ,, Neues über das natürliche Entstehen und experi- mentelle Erzeugen überzähliger und Zwillingsbildungen." („Zool. Anzeiger", Bd. 24. 1901.) — , „Überzählige Bildungen und die Bedeutung der Pathologie für die Biontotechnik." (Verh. d. V. Int. Zool. Kongr. zu Berlin, 1901.) — , ,, Experimentelle Ergebnisse über angeborene Bauch- wassersucht, Spina bifida, Wasserkopfbildung, 3 — 6 Hinter- gliedmaßen, Vererbung von Pathologischen, Pseudoschwimm- häuten usw." („Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde in Berlin", 1904, S. 164 — 168. — , „Nachweis über das Entstehen von Albinismus, Mela- nismus und Neotenie bei Fröschen." („Zool. Anzeiger", Bd. 32, S. 284, 190S.) — , ,, Experimentelles über Erythrose und Albinismus der Kriechtierhaut." („Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde in Berlin", 1907, S. Sl— 88.) — , „Über experimentell erzielte Kopf- und Hinterleibs- vermehrungen bei Axolotln und Fröschen". (Ibid. S. 71— 81.) — , ,,An Knoblauchskröten experimentell entstandene überzählige Hintergliedmaßen." („Arch. f. Entwicklungsmech.", Bd. 20, IQ09.) — , „Über Amphibiengabelschwänze und einige Grund- gesetze der Regeneration." (,,Zool. Anzeiger" Bd. 33.) — , ,,Über experimentell erzeugte dreischwänzige Eidechsen und Doppelgliedmafien bei Molchen." („Zool. Anzeiger", XX, s. 361-365- Einzelberichte. Physik. Im Wiener Radiologischen Institut haben O. Hönigschmid und S. Horovitz die Konstanten einiger Radio-Elemente von neuem bestimmt (Wiener Berichte Abt. IIa 125 S. 149 [1916]). Aus Thoroxyd wurde zunächst Thorium- bromid hergestellt und mit größter Sorgfalt nach zwei verschiedenen Methoden gereinigt, so daß es sich bei der spektroskopischen Prüfung als ab- solut rein und frei von jeglichen seltenen Erden erwies. Mit einem Silbersalz wurde das Brom als Silberbromid ausgefällt. Als Mittel aus 27 Ana- lysen ergab ich das Atomgewicht des Thoriums zu 232,12. Aus Joachimstaler Uranerzrückständen ge- wonnenes Thorium-Ioniumrohoxalat wurde sorg- fältig gereinigt, so daß es sich spektroskopisch als identisch mit den reinsten Fraktionen von ge- wöhnlichem Thorium erwies. (Thorium und lonium sind isotop, zeigen also gleiches che- misches Verhalten und gleiches Spektrum bei verschiedenem Atomgewicht.) Das so erhaltene Präparat leuchtete im Dunkeln mit intensivem blau-violettem Lieht und zeigte eine stärkere «Aktivität als gewöhnliches Thoriumbromid. Das wie oben durch Ausfällung mit Silber be- stimmte Atomgewicht des Thorium loniums er- gab 231 51, also um 0,61 kleiner als das des Tho- riums. Daraus berechnet sich der loniumgehalt des Präparates zu 3o"/u. — Das .Atomgewicht des reinen loniums ist natürlich kleiner als die angeführte Zahl; das Element ist ein Glied der Uranfamilie und zwar entsteht es aus dem Uran I (238,5), durch zwei ohne Masseverlust verlaufende (3-Strahlumwandlungen und durch zwei a-Strahl- umwandlungen, bei denen es also zwei Helium- atome, gleich 8 Gewichtseinheiten, verliert. Das errechnete Atomgewicht ist demnach 230,5 K. Seh. Die Frage, der Beeinflussung des licht- elektrischen Effekts durch Gase untersucht Helene Eichler in einer Arbeit, die in der Zeitschrift für wissenschaftliche Photo- graphie, Photophysik und Photochemie XVI, S. lO (1916) erschienen ist. Die bisherigen Unter- suchungen gingen in der Weise vor, daß die in einer Glasröhre eingeschlossene Metalloberfläche durch starkes Erwärmen oder mehrfache Destilla- tionen im hohen Vakuum (als bestrahltes Metall diente Kalium) sorgfältig von Gasen gereinigt wurden, um dann auf ihre Elektronenabgabe bei Bestrahlung mit ultraviolettem Licht untersucht zu werden. Die Resultate der verschiedenen Forscher stehen miteinander in Widerspruch; eine Gruppe (Hall wachs, Fredenhagen u. a.) schließt aus ihren Versuchen, daß reine gasfreie Metallober- flächen keinen nennenswerten lichtelektri>chen Efffkt zeigen, erst nach Beladung der Oberfläche mit Gasen tritt die Elektronenabgabe ein. Die zweite Gruppe (Pohl und Pringsheim) be- N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 731 haiiptet, daß auch gasfreie Oberflächen den Effekt zeigen. Die Verfasserin der at\geführten Arbeit schlägt zur Klärung der Frage einen etwas anderen Weg ein. Der Gasgehalt des Metalls wird unter gleichzeitiger Messung seiner Elektronenabgabe geändert, ohne daß dabei die Metallober- fläche von irgendeinem Gase bespült wird. Zu dem Zweck ist das Metall (Platin- oder Palladiumblech) in eine Öffnung der Wandung des Entladungsrohres eingekittet. An dieser Stelle ist an der Außenseite des Entladungsrohres eine Porzellanwanne angebracht, die Kalilauge enthält; die äußere Seite des Metallbleches wird von dieser bespült. Durch eine Stromquelle von etwa 6 Volt Spannung wird an dem Blech elek- trolytisch Wasserstoff oder Sauerstoff entwickelt. Dieses diffundiert in das Innere des Bleches hin- ein und ändert seinen Gasgehalt. Das Entladungs- rohr wird durch eine Gaede'sche Molekular- pumpe stark evakuiert. Das Metallblech wird mittels einer Quecksilberdampflampe durch ein Quarzfenster bestrahlt und sein Elektronenverlust durch ein Elektometer unter Benutzung einer im Innern angebrachten Sonde und einer beschleu- nigenden Spannung gemessen. So lange die Gasentwicklung im Gange ist, nimmt die Elektronen ab gäbe dauernd zu, ohne einen Höchstwert zu erreichen. Bei Unterbrechung der Elektrolyse rückt sie nach einigen Minuten auf den Stand des unbehandelten Bleches zurück. Daraus ist zu schließen, daß die starke Zunahme der Elektronenemission bei Beladung des Metalls mit Gas nicht auf die Bildung von Legierungen zurückzuführen ist. — Es bedarf sicher noch weiterer Versuche, um die Frage nach dem Ein- fluß der Gase auf den lichtelektrischen Effekt ganz klar zu legen. K. Seh. Zur Klärung der Frage, ob die Lichtelektrizität des Kaliums durch verschiedene Gase beeinflußt wird, wurden von G. W i e d m a n n in den Verh. d. Deutsch. Physik. Ges. XVIII, S. 333 (1916) neue Versuche mitgeteilt. Das Verfahren ist das schon bei früheren Versuchen verwendete. Die Kaliumoberfläche, der ein positiv aufgeladener Platindraht gegenübersteht, wird bestrahlt nach- einander mit Licht von der Wellenlänge 365, 405 und 436 /((( (für letztere Wellenlänge haben frühere Versuche eine maximale [selektive] Wirkung er- geben); ihr Verlust an negativer Elektrizität wird mit dem Elektrometer gemessen und dient als Maß für die lichtelektrische Wirkung. Zunächst ergibt sich in voller Übereinstimmung mit früheren Versuchen, daß nach mehrmaliger De- stillation des Kaliums unter dauerndem Betrieb der Luftpumpe sowohl die allgemeine Empfind- lichkeit abnimmt als auch jegliche selektive Wir- kung vollständig verschwindet. Läßt man jetzt trocknes Argon oder Stickstoff von einigen Milli- meter Druck in die Röhre, um sie nach etwa 2 Stunden wieder leer zu pumpen, dann zeigt sich keine Veränderung der lichtelektrischen Wir- kung. Feuchter Stickstoff dagegen bringt die Empfindlichkeit auf etwa den 50 fachen \^'ert, gleichzeitig tritt die selektive Wirkung wieder ein. Leuchtgas hingegen vermindert die Empfindlich- keit, während Sauerstoff sie erhöht, jedoch so, daß der Empfindlichkeitsunterschied für die drei Spektrallinien fast verschwindet, ohne daß für die eine oder die andere der drei Linien eine selektive Wirkung festzustellen wäre. Einen sehr großen Einfluß hat Wasserstoff, der mit größter Sorgfalt getrocknet wurde; nicht nur die große lichtelektrische Empfindlichkeit, sondern vor allem die selektive Wirkung bei der Wellenlänge 436 /<.« ist von seinem Vorhandensein im Kalium ab- hängig. K. Seh. Geologie. Gerölltonschiefer aus dem Thü- ringer Untersilur beschreibt E. Zimmermann im Bd. 66 der Zeitschrift der Deutschen Geologischen Landesanstalt. Bei Gefeil und Saalburg, auch zwischen Saalfeld, Ludwigstadt und Gräfental führt der Tonschiefer (Lederschiefer Gümbels) vereinzelte Gerolle. In guten Aufschlüssen findet man auf 10 bis 50 m Entfernung einmal ein Geröll. Die GeröUe sind i— 12 cm groß. Sie sind poljedrisch, zum großen Teil mit stark gerundeten Kanten. Selten findet man ellipsoidische Abrollungen oder plattenförmige Gestaltungen. Zum großen Teil stellen sie eine „Auslese des Zähesten" dar. Die meisten der Gerolle sind feinstkörnige Quarzite ohne jegliche Schichtung, die Versteine- rungen führen. Oft ist die ganze Knolle eine einzige Versteinerung (Cystidee). Von verkieselten Kalkkonkretionen kann insofern nicht die Rede sein, da sich auch schräg geschichtete feinkörnige, aber auch gröberkörnige, feldspatkörnerführende oder selbst konglomeratisch grobe Quarzite fanden. Auch glimmerreiche Sandsteine, Quarzite voll hirsekorngroßer dunkler Oolithkörner, Gesteine wahrscheinlich phosphoritischer Substanz, Diabas- mandelsteine mit verkieselten Mandeln , weiße aplitische Granite zeigten sich unter den Gerollen. Steinkern oder Abdruck, meist mangelhaft er- halten, sind die Form.en der Überlieferung dieser Versteinerungen. Am häufigsten finden sich Cystideen (3 — 8 cm groß) als Echinophaerites, Caryocystites. Daneben wurden Stielglieder von Crinoiden oder Cystideen, Bryo- und Anthozoen, Orihis, Trilobiten, Beyrichien, stachelartige Körper (vielleicht von Ceratiocaris) nachgewiesen. Über die Heimat der Geröllgesteine ist sicheres noch nicht festzustellen. Vielleicht sind tiefere untersilurische Schichten dieHeimat der oolithischen und phosphoritischen Gesteine. Für einige grob- körnige Quarzite vermutet Zimmermann den Langenbergquarzit im westthüringischen Kambrium als Heimat. Auffällig ist die Tatsache, daß die untersilurischen Gesteine wieder derart verhärteten, wie man sie in den Knollen findet. Die bis i kg schweren Gerolle haben nach 732 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 den einleuchtenden Vermutungen von Zimmer- mann Tange verschwemmt, die in der Küsten- region auf den Gerollen Fuß faßten, von dort losgerissen wurden und an ihren Wurzeln diese Gerolle hinaus ins Meer trugen. Von den Tangen ist wie von dem mittel- und obersilurischen Graptolithenplanlcton nichts erhalten geblieben. Rudolf Hundt. Botanik. Über die Kreuzung einzelliger haploider Organismen macht Pascher') in- teressante Mitteilungen. Es gelang Pascher, zwei Arten der Flagellatengattung ^) Chlamydo- monas zu bastardieren , und es ist dies wohl der erste gelungene Versuch einer Kreuzung zweier haploider Organismen, d. h. zweier Lebe- wesen, deren Soma — im Gegensatz zu der Mehrzahl der Metazoen und höheren Pflanzen ■ — ■ nur ein Chromosomensortiment, also die haploide Chromosomenzahl, aufweist. Chlamydomonas be- sitzt 10 Chromosomen. Diese Zahl kommt den vegetativen Individuen wie auch den Gameten zu. Durch Verschmelzung zweier Gameten entsteht die diploide Zygote mit 20 Chromosomen. Nur diese aber ist diploid. Die r-ächste Kernteilung a Vegetatives Individuum von Chi. 1 b Vegetatives Individuum von Chi. II ist eine Redtiktionsteilung, und die aus der Cysto- zygote ausschlüpfenden Schwärmer sind wieder haploid, haben je lO Chromosomen. Eine genaue Bestimmung der zur Kreuzung benutzten Chlamydomonas - Arten erfolgte nicht, sie wurden deshalb kurzerhand als Chlamydomonas I und II bezeichnet. Abb. i gibt zwei vegetative In- dividuen der beiden Arten wieder. Von den ein- zelnen Organen bzw. Organellen sind nur die Umrißlinien gezeichnet, um die Lagerungsverhält- nisse deutlicher hervortreten zu lassen. Die beiden Arten unterscheiden sich durch eine Reihe mor- phologischer sowie phj'siologischer Merkmale. Während Chi. I eiförmig und schlank ist, vorn verschmälert, ist Ciil. II nahezu kugelig. Chi. II hat eine deutliche Membran mit Membranpapille, bei Chi. I fehlt letztere, die Membran ist zart, ') Pascher, A., Über die Kreuzung einzelliger, haploider Organismen: Chlamydomonas. Ber. d. Deutschen Botan. Ges., Bd. 34, Jahrg. 1916. *J Pascher als Botaniker stellt Chlamydomonas zu den Volvpcales. manchmal abstehend. Die in der Figur nicht eingezeichneten Geißeln sind bei Chi. I mehr als doppelt so lang wie der Körper, bei Chi. II sind sie relativ kurz. Beide Formen besitzen einen Augenfleck, Chromatophor mit Pyrenoid , dann vorn zwei pulsierende Vakuolen und in der Mitte den Kern. Chi. II ist viel lichtempfindlicher als Chi. I und zeigt größere Teilungsgeschwindigkeit. Auch die Gameten der beiden Arten (Abb. 2) unter- Abb. 2. a Gamet von Chi. 1, b Gamet von Chi c Kopulation zweier Chi. II-Gamelen. Abb. 3. a Homozygote c, d Heterozygote Chi. I wische b Homozygote von Chi. I, Chi. I und Chi. 11. scheiden sich in ähnlicher Weise, und weiter hat jede Art ganz charakteristische Zygoten (Abb. 3 a und b). Die Zygoten von Chi. II sind glatt und haben mehrere abstehende Hüllen, bei den Zygoten von Chi. I fehlen diese Hüllen, doch sind sie derb skulpturiert mit sternförmigem Querschnitt. Chi. II hat behäutete Gameten, und regelmäßig bleiben die abgestoßenen Membranen wie zwei „Öhrchen" an den Zystenhüllen hängen (s. Abb. 3 a). Die Gameten von Chi. I sind nackt, es sind infolge- N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 733 dessen an den Zygoten auch keine „Ührchen" zu finden. Die Bastardzygoten wurden in der Weise er- halten, daß zu einer Zeit, wo beide Arten in Gametenbildung begriffen waren, Material beider Spezies gehörig durcheinandergemischt wurde. Die Zahl der Fusionen zwischen je zwei artfremden Gameten war verhältnismäßig groß : bis 3 °/o der Kopulationspaare. Dies ist um so auffälliger, als die Chi. FGameten nackt sind, die Chi. IIGameten behäutet. Die Bastard- oder Heterozygoten (Abb. 3 c u. d), die der Fj-Generation bei Kreuzung von Metazoen entsprechen, nehmen eine ausge- sprochene Zwischenstellung zwischen den Homo- zygoten der beiden Arten ein. Sie sind niemals glatt wie die Zygoten von Chi. II, sind aber andererseits auch nicht so sternförmig skulpturiert wie die Zygoten von Chi. I. Hüllen fehlen nicht vollständig wie bei Chi. I, doch sind sie nicht so zahlreich wie bei den Homozygoten von Chi. II. Immer ist ein „Öhrchen" vorhanden, die abge- worfene Membran des Gameten von Chi. II. Die Untersuchung der Kernverhältnisse ergab, daß in den Fusionen die beiden Kerne schon nach kurzer Zeit eng aneinandergelagert sind, nach mehreren Stunden bis zu drei Tagen sind sie miteinander verschmolzen. Wie sehen nun aber die Nachkommen der Heterozygoten, die aus ihnen hervorgehenden Zoosporen, aus? Vom Standpunkte des Ver- erbungstheoretikers interessiert uns diese Frage ganz besonders, denn es ist inzwischen die Re- duktionsieilung erfolgt, die Chromosomenpaare haben sich wieder getreimt, und es enthält also der Kern der jungen Schwärmspore — die Richtig- keit des Gesetzes von der „Reinheit der Gameten" (hier müßte man eigentlich sagen „der Schwärmer") vorausgesetzt — nur eine Anlage für eine be- stimmte Eigenschaft, entweder die Anlage von Chi. I oder die von Chi. II. Die Isolierung der Heterozygoten — und diese ist ja zwecks Aufzucht und Beobachtung der Nach- kommen unbedingt erforderlich — war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Überdies erwies sich die Keimfähigkeit der Heterozygoten als nicht so leicht wie bei den Eltern. In fünf Fällen wurde die Keimung der Heterozygoten direkt beobachtet, aus acht weiteren Heterozygoten wurden Kulturen gewonnen. Die acht Kulturen lassen sich in zwei Gruppen teilen. In fünf Kulturen gingen aus den Heterozygoten wieder beide Chlamydomonas- Arten hervor, beide in morphologischer wie phy- siologischer Hinsicht in völliger Reinheit. Von den vier Keimlingen, die eine Zygote liefert, waren zwei Chi. I Schwärmer, die beiden anderen Chi. Il-Schwärmer. Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß in diesen Fällen bei der Reduktion die beiden Chromosomensortimente reinlich wieder so getrennt wurden, wie sie zu- sammengekommen waren. Die beiden Sortimente waren zwar morphologisch in einem einheitlichen Kern vereinigt, eine Durchmischung der Chromo- somen, geschweige denn eine Paarung der äqui- valenten Chromosomen hatte aber offenbar nicht stattgefunden, und so war eine reinliche Aus- spaltung möglich. Anders verhielten sich aber die Nachkommen der drei Kulturen der zweiten Gruppe. Diese waren typische Mischformen, sie stellten Neu- kombinationen der elterlichen Eigenschaften dar. In Abb. 4 sind die vier Typen der einen Kultur wiedergegeben. Ein Vergleich mit Abb. i läßt erkennen, wieweit sich die einzelnen Typen von den Stammarten unterscheiden. Daß gerade vier T)'pen von Zwischenformen vorhanden waren, gibt Pascher Anlaß zu der Vermutung, daß die vier Typen auf die vier aus der Heterozygote hervor- gehenden Zoosporen zurückzuführen sind. Man muß dann freilich annehmen, daß die beiden ersten Teilungen Reduktionsteilungen (genauer gesagt: gemischte Äquations- und Reduktionsteilungen) Abb. 4. Vier Typen von Individuen aus einer Heterozygoten-Kultur. (Alle Abbildungen aus P a s c h e r.) sind, eine Annahme, der theoretische Schwierig- keiten nicht im Wege stehen. Durch die Re- duktion werden in dieser zweiten Gruppe die Chromosomenpaare geschieden, aber hier ist eine innigere Verschmelzung der Gametenkerne erfolgt, und es werden jetzt nicht mehr die Paare in Chi. I- und Chi. Il-Chromosomen getrennt, sondern das Sortiment der Zoospore wird dem Zufall nach aus Chromosomen beider Arten zusammengesetzt, ja es findet vielleicht auch bei der Konjugation der Chromosomen eine Neukombination der An- lagenträger im einzelnen Chromosom statt. Es wurde oben bereits angedeutet, daß das Studium der Vererbungserscheinungen haploider Organismen eine Prüfung des Gesetzes von der Reinheit der Gameten erlaubt. Nehmen wir z. B. an, Chi. II besitze einen Erbfaktor (A), der das Entstehen der Membranpapille veranlaßt. Chi. I fehlt dieser Faktor (das Fehlen bezeichnen wir mit a), es fehlt 734 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 infolgedessen auch die Membranpapille. Die diploide Heterozygote enthält beide Faktoren, A und a. Bei der folgenden Reduktionsteilung aber werden sie, wenn eben das Gesetz von der Rein- heit der Gameten richtig ist, wieder getrennt, die eine Tochterzelle erhält A, die andere a, und so müßte die eine eine Membranpapille zur Ent- faltung bringen , der anderen müßte sie fehlen. Die bisherigen Angaben Pascher's erlauben noch keine sicheren Schlüsse in dieser Hinsicht; man müßte zunächst auch wissen, ob eine bestimmte Eigenschaft nur durch einen Faktor vererbt wird. Vielleicht bringt die in Aussicht gestellte aus- führliche Arbeit neue Tatsachen, die für die Be- urteilung der vorliegenden Frage von Bedeutung sind. Nachtsheim. Bücherbesprechuugen. Die Getreidenahrung im Wandel der Zeiten. Von Dr. A. Maurizio, o. Prof der Botanik und Warenkunde an der k. k. Technischen Hoch- schule zu Lemberg. Mit zahlreichen Abbild. Zürich 1916. Orell Füßli. In seinen „Phasen der Kultur" (München 1908) macht Müller-Lyer darauf aufmerksam, daß in der soziologischen Entwicklung vielfach nicht eine Kulturform die andere ablöat, sondern daß es sich meistens um einen Angliederungsprozeß handelt: „auf dem Gebiet der Ernährung z. B. kannte der Mensch ursprünglich nur die Jagd und das Pflanzensammeln, dann kam er zum Fisch- fang, zur Viehzucht, zum .Ackerbau; aber auf der höchsten Kulturstufe hat nicht etwa die voll- kommenste Art der Nahrungsproduktion alle an- deren verdrängt und vernichtet, sondern alle Formen, die ältesten mit den jüngsten leben zu- sammen friedlich weiter und bringen gerade da- durch jenen Formenreichtum zustande, der für die hohen Kulturstufen kennzeichnend ist" , „nur pflegen bei diesem Prozeß der „Angliedernng" die älteren Formen gegenüber den neueren in den Hintergrund zu treten". — In der vorliegenden, soziologisch, kulturhistorisch und botanisch inter- essanten Schrift M a u r i z i o ' s wird zum ersten Male versucht, die PIntwicklungsgeschichte der Getreide- nahrung darzustellen. Der Verf. ist offenbar von Müller-Lyer insofern beeinflußt, als er dessen „phaseologische Methode" für sein Spezialgebiet anwendet und auf diese Weise zu „Richtungs- linien des Fortschritts" auf dem Gebiete der Ge- treidenahrung gelangt, wie sie bei rein historischer Betrachtung nicht gefunden werden können. Wir können nach Maurizio folgende Phasen unter- scheiden: I. den Aufguß, gewonnen durch Kochen roher und gerösteter Körner; 2. den Brei d. i. eingedickter Aufguß; 3. den Fladen d. i. Gebäck ohne Gärmittel; 4. das Brot aus Mengekorn; 5. das Schwarzbrot und 6. das Weißbrot. Den Aufguß finden wir auf der untersten Kulturstufe aller Völker, bei den Pflanzensammlern als fast einzige Getreidenahrung. Außer wilden Grassamen (Arundo villosa, Elymus giganteus bei den Mongolen) Zizania aquatica z. B. bei Indianern, Glyceria fluitans in Europa) werden zu Aufgüssen benutzt: Eicheln, Nüsse, Beeren aller Art, Wurzeln und Knollen, junge Sprosse usw. K j e 1 1 m a n gibt 23 Nahrungspflanzen der Tschuktschen an, darunter Petasites frigidus, Pedicularis lanata, Polygonum frigidum. Die einzige Graspflanze, die bis m die Neuzeit, bis Mitte des 15. Jahrhunderts von Kulturvolkern gesammelt, also nicht angebaut wurde, ist Glyceria fluitans, das Schwadengras. — Die Breibereitung finden wir bei den Völkern des Hackbaues, der primi- tiven Ackerwirtschaft, voll entwickelt, die An- fänge schon bei den Sammlern. Charakteristisch für die „Breisiufe" ist, daß viele Früchte und Samen nebeneinander benutzt werden. Als wichtigste Breipflanzen werden die Hirse, der Buchweizen, der Reis und der Mais bezeichnet, und für Europa in erster Linie der Hafer. — Auf dem Stand der Breiesser sind seit dem Zeitalter des Hackbaues auch heute noch die meisten Völker stehen ge- blieben. „Der größte Teil der Menschheit ist brotlos, er begnügt sich noch heute mii brei- liefernden Pflanzen allein oder mit breiliefernden Getreidearten", und man kann von „Breivölkern" reden im Gegensatz zu den „Brotvölkern". Die nächste Entwicklungsstufe ist die Pladenbereitung. Der Fladen ist die erste gebäckartige Speise und stellt flachgeformten, gebackenen oder gerösteten Brei dar, der ohne Gärmittel bereitet wird ; er wird wie der Brei meistens warm genossen, stellt aber andererseits -das erste verdichtete Nahrungs- mittel dar, das „zur Not geraume Zeit sich auf- bewahren läßt". Fladenpfldnzen sind in erster Linie Hirse, dann Mais, Gemische aus Hirse und Weizen; Weizen, Hafer und Gerste, Gerste und Hafer. Echter Fladen wird heute noch von den Karpathenbewohnern , Serbokroaten und Lapp- ländern bereitet. Auch das schwedische Paltbröd (Blutbrot) ist ein Fladen, wie die Osterbrote der Juden, die Mazzen. Die Japaner und Chinesen sind ausgesprochene Brei- und Fladenesser; das Brot tritt dort völlig in den Hintergrund. Im Mittelalter überwog auch in Deutschland das ungegorene Brot lange Zeit das gegorene. — Je mehr das Bestreben auftrat, den Pladen zu lockern, um so enger wurde die Getreidewahl, denn die meisten Brei und Pladen liefernden Getreidesorten lassen sich nicht zu eigentlichem Brot verbacken. Es hat sehr lange Zeit gedauert bis die Erkenntnis sich Bahn brach, daß „nur im feuchten Backraum" der Teig steigen kann, und daß im wesentlichen nur Roggen und Weizen richtiges Brot liefern. Daher finden wir in den Anfängen der Brotbereitung das „Meng- korn" oder die „Halbfrucht" vorherrschend. Roggen, N. F. XV. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 735 Gerste und Hafer, Gerste und Hafer, Gerste und Roggen, Roggen und Weizen, Roggen und Spelz wurden entweder zusammen gesät oder das Korn gemischt. Die Ge,-.chichte der Halbfrucht ist nach dem Verf. noch ein unbeschriebenes Blatt. — Allmählich verschwindet das Mengekorn und die Bevölkerung ging zum einheitlichen Brote über, buk Roggen- oder Weizenbrot. Wie man brot- lose Breivölker von Brotvölkern unterscheiden kann, so auch Roggen- und Weizenvölker. Seit- dem die Brotkost das iaberwiegende Nahrungs- mittel darstellt, beginnt auch schon der Kampf um die Vorherrschaft des Roggen- oder Weizen- brotes. Beharrlich dringt in Mitteleuropa der Weizen vor von Westen nach Osten, und von Süden nach Norden. Der Verf. hält demnach die Weizenbrotkost für die höchste Stufe der Entwicklung in der Brotbereitung. Das Weizen- brot ist lockerer, besser verdaulich, der Weizen- kleber hält fest während der Gärung und noch im Backofen, während das Roggenbrot die Gärungs- gase durchläßt. „Worin der Grund des hohen Nährwertes des Weizenbrot^ liegt, ist noch nicht sicher ermittelt, dagegen durch Versuche genau festgestellt, daß das Weizenbrot zweimal so gut vom Menschen ausgenutzt wird wie Roggenbrot, immer im Vergleiche von Mehlen gleicher Aus- beute." Manche Physiologen werden vielleicht nicht damit einverstanden sein, wenn der Verf. erklärt: „Die Weizenbrot Genießenden gehören einer höheren Stufe an, die Freude hat an reinem, unverdorbenen Brotgeschniack." Indessen Tat- sache ist, daß die Weizenbrotesser die Roggen- brötler allmählich verdrängen und daß nur die Schwarzbrötler ihr Brot würzen mit Kümmel, Koriander, Anis, Fenchel, Mohn, Rosinen, Salbei, Kapern, Zwiebeln, Nigella sativa, Trigonellafoenum graecum u. a. Übrigens wird in manchen Gegen- den auch das Weizenbrot mit Mohn oder Rosinen gewürzt, was nach dem Verf. also ein Zeichen von noch etwas unentwickeltem Geschmack sein müßte. — Blicken wir in die Zukunft, ob wir über das Weißbrot hinaus eine noch höhere Stufe erwarten können, so darf man auch in dieser Hinsicht am Fortschritt nicht verzweifeln. „Wir stehen augenscheinlich vor einem neuen Ab- schnitt der Brotgeschichte, denn die h'inkl er- sehe nasse Vermahlung der Kleie liefert ein Voll- kornbrot, das als Nahrungsmittel dem weißen Brot ebenbürtig ist." Die Farbe dieses Brotes ist allerdings nicht weiß; es hat aber den Vorzug, daß die Kleberschicht ausgenutzt wird, die sonst in der Kleie bleibt. Da übrigens das Finkler- sche Verfahren teurer als das unserer gewöhn- lichen Vermahlung ist, so bleibt es unentschieden „ob dieses, theoretisch neue Bahnen betretende Brot Anhänger findet" und Volksnahrung wird. — Der Übergang vom Fladen zum Brot konnte natürlich erst mit Erfindung der Teiggärung ein- treten. Der Sauerteig, der hierfür zunächst in Frage kommt, ist seit alten Zeiten bekannt und die Anfänge der Sauerteiggärung „sind in Dunkel gehüllt". Jedoch sprechen alle Angaben dafür, daß „das Ansetzen des Sauerieiges seit den Zeiten, als er aufkam, sich unverändert bis auf unsere Tage erhielt". „Die weiieren Fortschrhte in der Teiggärung waren mit der aufkommenden Bier- brauerei verbunden." Zum Helebrot diente aus- schließlich Bierhefe. Man ist erstaunt zu hören, daß sich dieser Art Brotbereiiung die französischen Gelehrten widersetzten. Die französische medi- zinische Fakultät entschied im Jahre 1668 nach zweimonatlicher Prüfung der Bierbrauereien und Bäckereien mit 45 von 75 Stimmen, daß die Bierhefe gesundheitsschädlich ist „wegen der Herb- heit, entstanden bei der Fäulnis der Gerste und des Wassers". Dieses medizinische Gutachten konnte jedoch die Entwicklung des Hefenbrotes nicht aufhalten, und seit dem Aufkommen der Preßhefe im Jahre 1867 hat auch beim Schwarz- brot die Hefe den Sauerteig so ziemlich ver- drängt. Daß sich auch die Bierbrauerei in- zwischen vervollkommnet hat, scheint dem Verf. nicht ganz recht zu sein, denn er bedauert an anderer Stelle, daß den Bäckern nicht der wissen- schaftliche Apparat zur Seite steht wie den Brennern und Brauern, und er ergeht sich in einigen freundlichen Ausdrücken gegen die Deut- schen, die das Biertrinken zu einer Art Kult er- hoben. Schon bei der Darstellung des Aufgusses lernte man den Alkohol kennen; es trennten sich da zwei Wege: „der eine führte zu süßem Brei und schließlich zu Brot, der andere zu der ver- hängnisvollsten Entdeckung des Menschen, zum Weingeist." Der gegensätzliche, doch gemeinsame Ursprung trennt zwei Welten voneinander: „die Armut verbunden mit Schnaps und die höhere Gesittung." Auch diejenigen Leser, die mit beiden Welten recht gut fertig werden, werden dem Verf. dankbar sein für die Bearbeitung eines völlig neuen Wissenszweiges. — Es ist hier nicht der Ort, näher auf die vielen kulturgeschichtlich wert- vollen Ausführungen des Verf einzugehen. Es sei nur hervorgehoben, daß ein großer Abschnitt des Buches der Entwicklungsgeschichte des Mahl- verfahrens und der Mahlgeratschaften gewidmet ist, der durch viele z. T. zum ersten Male ver- öffentlichte Abbildungen illustriert wird. All- gemeines Interesse dürften auch die Abschnitte über Hungernahrung, Hunger- und Kriegsbrote erregen. Das soziologisch interessante ist der Umstand, daß bei dieser Nahrung immer wieder auf frühere Kulturstufen zurückgegriffen wird. Weizenbrot wird mit Roggen, Gerste, Hafer usw. gestreckt, Brotesser kehren zur Breinahrung zurück usw. Am Schlüsse des Buches finden wir „.\n- merkungen" zu den einzelnen Kapiteln, die Belege, chemische Analysen usw. enthalten, ein Literatur- verzeichnis und schließlich ein Namen- und Sach- register. Das Buch ist allgemeinverständlich geschrieben und sei allen denen aufs wärmste empfohlen, die nicht interesselos an den Dingen des täglichen Lebens vorbeilaufen. Wächter. 736 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 51 Anregungen und Antworten, Die elektrischen Erscheinungen bei Erdbeben und die Möglichkeit der Gebirgsbildung durch elektrische Kräfte. Alle Vorgänge an der Erdoberfläche spielen sich ab im irdischen Schwerkraflfelde , so auch die Abwanderungen von Erdkrustenteilen aus ihrer Ursprungslage. Diese Abwanderungen erfolgen, wie Beobachtung lehrt, in beide Richtungen des Feldes, d. h. mit sowohl wie entgegen dem Gefälle der Kraft. Nachdem der menschliche Intellekt unter dem Druck einer unabsehbaren Fülle von Erfahrungen sich einmal so eingestellt hatte, daß er nur Ortsveränderungen entgegen dem Gefälle der Schwerkraft, Senkungen, als „selbstverständlich" be- trachtete, mußte er reziprok den Anreiz empfinden, Fortbe- wegungen in gleiche Richtung wie die abnehmende Schwer- kraft, Hebungen, besonders „erklären" zu wollen. Über T. J. J. See 's Versuch einer solchen Erklärung, eben be- treffend die Gestaltung der Erdkruste , wurde hier kürzlich von Riem berichtet (N. W. 31, 540, 1916). See setzt als Kontragravitation das Ausdehnungsbestreben verdampfenden Wassers ein und gelangt, unter Hinweis auf die Verbreitung des Wassers und die Möglichkeiten seiner Verdampfung durch Verbrauch von in der Erdkruste selbst gegebener Wärme, zu einer Befriedigung des menschlichen Erklärbedürfnisses, die wohl größer ist als ältere Versuche gleicher Art sie bei neuerer Betrachtung vielfach zu bieten vermögen. Dieses Ergebnis scheint möglich offenbar erst seit die massenbewegende Kraft des Wasserdampfes nach Größe und vielen weiteren Einzelheiten menschlicherseits erkannt worden ist. Vorher, auf Grund von bloß gelegentlichen Beobachtungen, geologischen (wie Mont Pelee, Krakatau bzw. früheren) und anderen (Dampfkesselsprengungen u. dgl.) hätten diesbezügliche Äußerungen mehr spekulativen Charakter, immerhin aber als Anregungen, die auf wirklichen Erscheinungen fußen, Wert gehabt. In diesem Sinne will ein Hinweis verstanden sein, den ich nun hier machen möchte : Von der Kraft der Wärmeausdehnung anscheinend ver- schieden gibt es eine mit gelegentlich ebenfalls sehr merk- lichen ponderimotorischen Effekten: die Kraft des Ausgleichs elektrischer Spannungen. Wir kennen aber weniger ihre innere Wirkungsweise oder können uns ein Bild davon machen (wie im Falle der Dampfkraft) , als einstweilen nur die Tat- sache ihres Vorkommens: Sogenannte Blitzschläge gehen nicht selten einher mit Ortsveränderungen sehr bedeutender Massen und namentlich die als Kugelblitz beschriebene Erscheinung kann mit der Auslösung überraschender Kräfte verbunden sein. Andererseits wissen wir, daß geoseismische Vorgänge, wie Erdbeben, wenn ihr Herd nicht sehr tief liegt, häufig ver- bunden sind mit auffallenden elektrischen Erscheinungen, die aus dem Boden wachsen, wie wenn innerhalb der Erdkruste selbst ein äußerst heftiges Gewitter tobte, dessen Ausstrahlungen durch die uns tragende Erdhülle dringen (direkt oder in- duktiv), dessen im Erdschoß rollenden Donner wir hören. Demjenigen, der schon, in Wolkenschichten tiefer als sein Standpunkt, ein Gewitter unter den Füßen gehabt hat, mag auch der Gedanke an unterirdische Gewitter nicht fernliegen. Daß diese an geeigneten Stellen vorkommen sollten, könnte nicht befremden , ebensowenig wie daß ihre Heftigkeit unter entsprechenden Bedingungen unvergleichlich größer wäre, als die der damit nicht entfernt vergleichbaren Gewitter — selbst der tropischen — der äußeren Erdatmosphäre. Die Möglichkeit der Entstehung elektrischer Potentiale, beispielsweise durch Rei- bung von Staubmassen, ist sehr reichlich gegeben. ') Daß dann aber die Blitze dieser Gewitter auch mechanische Wirkungen hätten, ließe sich kaum bezweifeln. So entsteht die Frage, ob außer der Dampfkraft auch die Kraft des Ausgleichs elektrischer Spannungen als „Kontragravitation" am Aulbau von Gebirgen teilgehabt haben und gelegentlich noch teil- haben könnte. Ohne Vorstellung von den inneren Einzel- heiten dieser Art Vorgänge, können wir nur ahnen, daß sie sehr tiefgreifender Natur sein müßten, vielleicht bis zur un- mittelbaren Beeinflussung der Elektronen, der Größe und des Vorzeichens von Cohäsion und Gravitation. Beobachten jedoch tun wir die Erscheinungen, die vorübergehenden elektrischen bei manchem Erbeben und die bleibenden magnetischen an vielen Gesteinen, auch wo sie nicht durch äußere Blitzschläge entstanden sein können, und zugleich drängt sich hier neben- bei die Frage auf — wenn das Bild des (in zwei Systemen) bewährten elektrischen Ofens vor unser geistiges Auge tritt — inwiefern wohl vulkanische Schmelzflüsse gelegentliches Er- zeugnis elektrischer Kräfte sein möchten. J. J. Taudin Chabot. ') Auf die von dieser Seite drohende Gefahr der Aus- lösung von Explosionen in Kohlengruben habe ich schon früher hingewiesen: Zur Meteorologie der Kohlengrube, Met. Zs. 26, 38, 1909.) Literatur. Finzenhagen, M„ Selenfieber. Bekenntnisse des Er- finders der Blindenlesemaschine für das Lesen von Buch und Zeitung. Spandau '16. Zu beziehen durch den Buchhandel, den Verfasser und die Firma Hopf'sche Verlagsbuchdruckerei Gebr. Jenne, G. m. b. H , Spandau. — Einzelpreis 1,25 M. Oh mann, Prof. O., Leitfaden der Chemie und Mine- ralogie für höhere Lehranstalten. 6., die neueren Anschau- ungen berücksichtigende Auflage. Mit 157 Texlfiguren und einer Spektraltafel. Berlin'16, Wincke!mann& Söhne. — 2,20 M. Schug, R., Zu Besuch bei Tieren. Ein lustiges Bilder- buch. Mit Versen von Magdalene Volkmann. Leipzig '16, Breitkopf und Härtel. — 3 M. Das Pflanzenreich, herausgegeben von A. Engler. 66. Heft. (IV. 117. I.) Saxifragaceae-Sa.sifraga I. Mit 2023 Einzelbildern von A. Engler und E. Irmscher. — 22,80 M. und Heft 67. (IV. 275. 1.) Cucurbitaceae-Fevilleae et Melothriae mit 528 Einzelbildern von A. Cogniaux. Leipzig '16, W. Engelmann. -- 14 M. Hassenpflug, E., Der Weg zum Herzen der Natur. Leipzig '16, Schulwissenschaftlicher Verlag A. Haase. — S M. K r u s c h , Prof. Dr. P., Die nutzbaren Lagerstätten Belgiens, ihre geologische Position und wirtschaftliche Bedeutung. Mit 20 Abbildungen und 3 Tafeln. Essen '16, Verlag der Berg- und Hüttenmännischen Zeitschrift „Glückauf". — 6 M. Stadler, H, Albertus Magnus, de animalibus libri XXVI. Nach der Cölner Urschrift. I. Band, Buch 1— XII enthallend. Münster i. W. , Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung. — 28,75 M. Inhalt I A. Mile fische? S. 721 Helene Eic des Kaliums, Über die Kr Die Getreiden , Einflüsse, die den Formcharakter der Tiere abändern. Wie entstehen „rassige" Schleierschwanz- Einzelberichte: O. Hönigschmid und S Horovitz, Konstanten einiger Radio-Elemente. S. 730. r, Beeinflussung des lichtelektrischen Effekts durch Gase. S. 730. G. Wiedmann, Lichtelektrizität 1 verschiedene Gase beeinflußt. S. 731. E. Zimmermann, Gerölltonschiefer. S. 731. Pascher, g einzelliger haploider Organismen. 4 Abb. S. 732. — Bücherbesprechungen: A. Maurizio, jng im Wandel der Zeiten. S. 734. — Anregungen und Antworten: Gebirgsbildung durch elektrische Kräfte. S. 736. — Literatur: Liste. S. 736. Manuskripte und Zuschriften we Druck der G. Pätz'i den an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N Verlag von Gustav Fischer in Jena, chcn Buchdr. Lippert & Co. G.m.b.H., Naumburg lidenstraße 42, d.s. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 24. Dezember igi6. Nummer 53. Die Ruheperiode und das Frühtreiben der Holzgewächse. INachdruck verboten.] Die wichtigste, experimentell leicht festzu- stellende Tatsache, die am besten über das Problem der Winterruhe der einheimischen Holzgewächse orientiert, ist folgende: Stellt man im Herbst Zweige oder bewurzelte Stöcke unserer im Freien überwinternden Holz- gewächse, z. B. der Linde, Esche, Buche, in ein geheiztes Zimmer oder in ein Warmhaus ein, so treiben die ruhenden Winterknospen derselben keineswegs baldigst aus; wir bezeichnen die Ruhe zu dieser Zeit mit Molisch (190g) als „freiwillig". Später im Winter ins Treibhaus eingebracht, treiben dieselben Pflanzen jedoch mehr oder weniger rasch und willig aus; wir nehmen mit Rechi an, daß die Ruhe im F"reien dann eine durch ungünstige Vegetationsbedingungen er- zwungene „unfreiwillige" ist, eine „gezvvungene Unwirksamkeil" (Johannsen, 1906; darstellt. Was läßt sich nun aus dieser Grundtatsache entnehmen? Jedenfalls dies: An der Ruhe der Winterknospen in den Herbstmonaien ist nicht schuld, die um diese Zeit meist relativ tiefe Temperatur im Freien und ebensowenig auch die damit verbundene physiologische Trockenheit. Man ist ohne Berechtigung insbesondere seit Schimper (1908) mit der Schlußfolgerung aus obiger Tatsache meist weiter gegangen und hat gesagt : die Ruhe ist von äußeren , klimatischen Faktoren unabhängig. Dabei hat man aber außer acht gelassen — wie Klebs (1914 und sonst) betont — daß zu den äußeren Faktoren, die das Wachstum der Pflanzen in weitgehendem Maße beeinflussen, neben Temperatur- und Feuchtigkeits- verhältnissen ja auch das Licht und die Be- schaffenheit des Bodens, insbesondere dessen Nähr- salzgehalt gehören und daß davon zumindest das Licht während der Jahresperiode wesentliche Schwankungen durchmacht. Die tägliche Lichisumme oder Lichtmenge, die wir seit den grundlegenden Untersuchungen Wiesner's') genau messend feststellen können, ist in den Herbstmonaten recht gering. Es ist daher an die Möglichkeit zu denken, daß das „ungenügende" Herbst- und Winterlicht die Ruhe erzwingt. Von Jost und Molisch^) lagen be- reits interessante Angaben über den Einfluß des natürlichen Lichtes auf die Ruheperiode vor, als Klebs (1914) in einer austührlichen Abhandlung über das Treiben der Buche in künstlichem Lichte berichtete. Die Buche, Fagus silvatica, gehört ') J. Wiesner, 1907, Der Lichtgenuß der Pflanzen, Leipzig, Engelmann. ''] Vgl. darüber H. Molisch, ig 16, Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. S. 170. Jena. Von Ur. Friedl Weber. zu den Bäumen mit sog. fester oder tiefer Ruhe- periode; sie widersteht den meisten Frühtreib- verfahren wie etwa Warmbadmethode oder Äther- verfahren und läßt sich kaum vor Ende Februar oder März treiben. Um so überraschender sind die Ergebnisse der Klebs'schen Lichtmethode. Klebs brachte Buchen- Bäumchen oder Zweige in einen elektrischen Lichiraum, der durch Osram- lampen in der Stärke von 300 resp. 1000 Kerzen durchleuchtet wurde. Nach einem Aufenthalte von 10 bis 30 Tagen in diesem Lichtkasten be- lauben sich die Buchen und zwar zu jeder Jahres- zeit, also auch mitten im Herbst und Winter. Klebs hat ferner nachgewiesen, daß das Maß- gebende bei diesem neuen Frühtreibverfahren die Lichtmenge ist, also das Produkt aus Inten- sität und Dauer des Lichtes. Diese Tatsache im Verein mit der bekannten Beobachtung, daß die Buchenknospen im naturlichen, schwachen Tageslicht der Wintermonate im Gewächshause auch bei im übrigen günstigen Vegetations- bedingungen keineswegs zur Entfaltung kommen, tührte Klebs zu der Folgerung; „Üas Tageslicht im Winter von Oktober bis Februar ist unge- nügend für das Austreiben der Buchenknospen." Dieser Schluß ist jedenfalls insofern wohl be- rechtigt, als damit gesagt ist: das natürliche Licht genügt im Winter nicht, unter sonst gün- stigen Vegeiationsbedingungen gezogene Buchen ohne weiteres zum Austreiben zu veranlassen. Nicht darf aber weiter geschlossen werden, das winterliche Licht unterschreite jene Minimum- grenze, unter der überiiaupt die Buche nicht aus- treibt, die Ruhe würde durch den geringen Licht- genuß im Winter ebenso erzwungen wie etwa durch die winterliche Kälte. Wäie dem so, so könnte die Buche im Winter bei natürlichem Lichte überhaupt nicht zur Belaubung gebracht werden, geradesowenig wie z. B. P^lieder durch ein sonst wirksames Frühtreibmittel, (Äther, Warmbad) bei o" zum Austreiben zu bewegen wäre. Durch die später kurz zu erwähnende Acetylenmethode läßt sich aber Fagus silvatica mitten im Winter bei natürlichem Lichte treiben. Bedenkt man ferner, daß nur bei der Buche (vielleicht auch noch bei Carpinus Betulus, der Hainbuche) das Licht eine so ausschlaggebende Rolle für das Austreiben spielt, alle anderen Holzgewächse im natürlichen Winterlichte, viele sogar noch besser bei völliger Dunkelheit, sich frühtreiben las-en, so muß auch die oben ange- deutete Erklärungsmöglichkeit, die Ruhe sei ein Zwangszustand infolge relativen Lichtmangels, abgelehnt werden. 738 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 52 Wenn die Ruhe im Herbst also weder durch Kälte noch durch Trockenheit, noch auch durch Lichimangel hervorgerufen und erzwungen wird, so käme von den entscheidenden Außenfaktoren nur noch der Nährsalzgehalt des Bodens in Be- tracht.'j Man sollte denken, die Frage, ob die Winterruhe einen Zwangszustand aus Nährsalz- mangel darstellt, wäre leicht zu entscheiden; man brauchte ja nur bewurzelte Pflanzen in gute Erde zu pflanzen oder Zweige in Nährsalzlösungen einzustellen und einen eventuellen Treiberfolg zu registrieren. Dieser experimentelle Weg ist tatsächlich be- schritten worden. Lakon (1912) hat ein neues Frühtreibverfahren ausfindig gemacht, nämlich „Die Beeinflussung der Winterruhe der I4olz- gewächse durch die Nährsalze". Es besteht darin, daß Zweige einfach in Knop'sche Nährlösung eingestellt werden; sie kommen nach Lakon tatsächlich darin früher zur Blattentfaltung.-) Klebs (1915) hat eine große Anzahl von Tropen- bäumen durch Kultur in nährsalzreichem Boden zu dauerndem Wachstum bringen können. Auf Grund zahlreicher Versuche, wobei einerseits die im Boden dargebotenen Nährsalzmengen in der verschiedensten Weise quantitativ variiert wurden, andererseits auch die Aufnahmsfähigkeit der Pflanzen z. B. durch Beschneiden des Wurzel- systems, erkannte Klebs einen „entscheidenden Einfluß des Bodens auf die Periodizität". Durch Minderung oder Steigerung des Nahrsalzgehaltes konnte er bei verschiedenen Pflanzen nach Be- lieben einen periodischen Wechsel von Ruhe und Wachstum hervorrufen. Klebs und mit ihm Lakon (191 5) sind daher der Ansicht, die Ruheperiode stelle einen Zwangszusland dar, der durch Nährsalzmangel bedingt ist, genauer ge- sagt, der dann eintritt, wenn das Vethältnis der Assimilate zu den Nährsalzen gestört wird. Diese Disharmonie in dem für dauerndes Wachstum optimalen Verhältnis dieser beiden lebenswichtigen Nährstoffe kann auf verschiedene Weise zustande kommen und zwar hauptsächlich einerseits durch besonders intensive C- Assimilation also bei für diese Funktion günstiger Beleuchtungsintensität, andererseits bei ungenügender Zufuhr von Nähr- salzen von seilen der Wurzeln. Da der Gehalt an löslichen Nährstoffen — sagt Klebs (191 3j — im Boden ein begrenzter ist „so kann bei starkem Verbrauch dieser Gehalt unter ein gewisses Mi- nimum sinken, der Baum gerät allmählich in Ruhe. Langsam diffundieren die Salze aus tieferen Lagen nach dem erschöpften Boden . . . Der ') Stoppel ^Zeitsch^. f. Bot. 1916) hat darauf hinge- wiesen, daß noch ein weiterer, bisher völlig unbeachtet ge- bliebener, periodischen Schwankungen unterworfener Aufien- faktor auf die periodischen Vorgänge der Pflanzen einen Ein- fluß nimmt, nämlich das elektrische Leitvermögen der Atmo- sphäre. '') Nach Kühn (1914) sollen die Nährsalze allerdings nur ,, treibend" nicht „frühtreibend" wirken, d. h. nicht die autogene Ruheperiode aufheben, sondern nur eine Beschleu- nigung des bereits beginnenden Austreibens bewirken. Nährsalzgehalt steigt über das Minimum, der Baum kann . von neuem wachsen". Klebs folgert aus seinen und den Treibversuchen Lakon 's, daß die Ruheperiode mit der spezi- fischen Struktur der Pflanze nichts zu tun hat. An der Richtigkeit und Beweiskraft dieser Schluß- folgerung ist von verschiedener Seite Kritik ge- übt worden, auf deren Einzelheiten hier nur ver- wiesen werden kann. ') So viel steht jedenfalls fest, daß der alljähr- liche Wechsel von Wachstum und Ruhe für die Pflanzen nicht unerläßlich ist und daß man durch Modifikation der äußeren Bedingungen die Ruhe zu jeder Zeit aufheben kann. Nicht erwiesen scheint es dagegen zu sein, ob nicht doch unter normalen, natürlichen Verhältnissen beim Zu- standekommen der Ruheperiode die innere Or- ganisation der Pflanze eine ausschlaggebende Rolle spielt. So besteht die Möglichkeit, daß die Pflanze (oder einzelne Teile derselben) aus der ihr in der Außenwelt zu Gebote stehenden Nähr- salzmenge nur deshalb nicht das zu dauerndem WachsLum nötige Quantum aufnimmt, weil in- folge innerer Pakioren ihre Aufnahmefähigkeit periodischen Intensitätsschwankungen unterworfen ist. F'ür diese Annahme sprechen die Ergebnisse der Untersuchungen von Ramann und Bauer (191 2), welche zeigen, daß verschiedene Baum- arten die einzelnen Nährsalze dem Boden zu ver- schiedenen Zeiten in wechselnder Menge ent- nehmen. Daß bei außergewöhnlichem Angebot von Nährsalzen, wie dies in den Versuchen von Lakon und Klebs realisiert erscheint, diese hypothetische Depression der Autnahmefähigkeit überwunden wird, ist kein absoluter Gegenbeweis. „V\'elche Vorgänge es sind, die im Innern des Organismus sich abspielen und durch rhyth- mische Wiederkehr eine autonome Periodiziiät im Verhalten der Pflanze veranlassen, bleibt freilich unklar" (Küster, 1916). Doch haben sich neuesiens verschiedene Autoren über diese periodischen, autonomen Vorgänge Auffassungen gebildet, die einander sehr nahe stehen. Simon (1914) hat die Meinung geäußert, es könnten sich in den wachsenden Organen all- mählich gewisse Stoffwechselprodukte häufen, die eine immer intensiver werdende Hemmung auf das Wachstum ausüben und dieses schließlich aisiieren. Während der Ruhe würden dann aiese Hemmungs- stoffe unwirksam gemacht und so wieder Wachs- tumsfähigkeit erlangt. Es liegt nahe, diese Ht;mmungsstüffe mit den in der Tierphysiologie eine so große Rolle spielenden Ermüdungsstoffen zu vergleichen. Weber (191 6) hat sich über das Wesen der Ruheperiode eine ganz ähnliche Vorstellung ge- bildet und dieselbe als „ein lang hingezogenes, relatives Refraktärstadium im Sinne Verworn's" (1916), K (I9I5J- Jost (1912), Simon (1914), Kniep (1915), Weber K üster (1916); vgl. auch die Erwiderung von Klebs N. F. XV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 739 bezeichnet. ^) Als auf ein bekanntes Beispiel eines der Deutung Verworn's nach relativ lang^ hin- gezogenen Refraktärstadiums sei auf den tierischen und menschlichen Schlaf hingewiesen. Auffallend ist die iÄhnlichkeit der Kurve der „Tiefe des Schlafes" mit einer z. B. aus den Versuchen von Klebs über das Lichttreiben der Buche in den Grundzügen konstruierbaren, analogen Kurve der „Tiefe der Rnheperiode". In beiden Fällen ge- nügen zu Anfang der Rhythmen (kurz nach dem Einschlafen resp. in der sog. Vorruhe) und am Ende derselben (vor dem natürlichen Erwachen bzw. in der Nachruhe) relativ geringe Reizmengen zur Erweckung aus den Ruhezuständen, während in der Mitte des Rhythmus der Schlaf am „tiefsten" die Ruhe am „festesten" ist. Popoff (1916), der in seinen früheren Arbeiten bereits die Ansicht vertreten hat, die von den Lebensvorgängen der Einzelligen her bekannten „Depressionszustände" -) seien auch in der Phy- siologie der Metazoenzellen aufzufinden, hat vom Standpunkt des allgemeinen Vorkommmens dieser Rhythmen auch die Ruheperiode der Pflanzen zu verstehen gesucht. 191 5 äußert sich der genannte Forscher ganz allgemein dahin, daß sich in jeder Zelle mit der Zeit infolge von inneren Ver- änderungen der lebenden Substanz „Zustände ein- stellen, welche die Herabsetzung der Lebens- funktionen zur Folge haben. Jeder physiologische Prozeß birgt in sich den Keim seiner eigenen Hemmung. Dieser periodische Wechsel von Zeiten starker Funktion und Perioden einer herab- gesetzten Lebenstätigkeit ... ist als eine allgemeine Zellerscheinung anzusehen." In diesem Zusammenhange muß schließlich auch auf ein Werk von Fließ (1906) hingewiesen werden, der seine merkwürdigen Behauptungen über den periodischen ,, Ablauf des Lebens" auch durch Daten, die dem Entwicklungszyklus von Pflanzen entnommen sind, zu stützen sucht. Nicht geleugnet kann es werden, daß mit dem Hinweis auf die allgemeine Verbreitung periodisch auftretender physiologischer Depressionszustände und mit der Einreihung der Ruheperiode in dieses Erscheinungsgebiet ein näheres Verständnis der- selben keineswegs erreicht worden i.st. Um ein solches anzubahnen steht derzeit wohl vor allem der Weg zu geböte, durch Analyse der Wirkung derjenieen Methoden, die die Ruhe abkürzen, also der Frühtreihmethoden, einen Einblick in das Wesen der Ruheperiode zu gewinnen. Deshalb verdienen auch alle Frühtreibverfahren lebhaftes theoretisches Interesse und weil außer- dem manche von ihnen auch für die Praxis von ') In foleenden Arbeiten Verworn's findet sich der Begriff des Refraktärstadiums besonders klar entwickelt: Er- regung und Lähmung, Jena, 1914; Der Schlaf, Artikel aus dem Handwörterbuch d. Naturwiss., VIII. Bd., 191^. 2) Vgl. darüber den 1915 in der Naturw. Wochenschr. erschienenen Aufsatz A. LipschUtz: Der Ursprung des Ge- schlechtes, sowie die Monographie dieses Autors: Allgemeine Physiologie des Todes, 1915. nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, so ist es begreiflich, daß in letzter Zeit viel auf diesem Gebiete gearbeitet wurde. Von diesen Treibmethoden sind eingangs be- reits erörtert worden das Nährsalzverfahren von Lakon und die Lichtmethode von Klebs. In früheren Jahrgängen dieser Zeitschrift wurden ferner besprochen: das Äther verfahren von Jo- hann sen, die Warmbadmethode von Mo lisch und das Radiumtreibverfahren desselben Forschers. Es sei ferner daran erinnert, daß Weber (1911) und in ähnlicher Weise Jesenko (191 1) durch Verletzung der Knospen — Verletzungs- resp. Injektionsmethode — Frühtreiben erzielen konnten. An dieser Stelle sei nur noch kurz auf zwei neue Treibverfahren eingegangen, denen Ver- breitung in der Praxis vorausgesagt werden kann. Das eine ist die Rauchmethode von Moli seh (1916). „Wenn man Zweige verschiedener Ge- hölze zur Zeit ihrer Nachruhe in einen abge- schlossenen Raum bringt, der mit Rauch erfüllt wurde, darin 24 bis 4ie — ist äußerst sinnreich zu- sammengesetzt. Sie besteht aus vier Bestand- teilen: Der Schaft aus Eichenholz, etwa i V-: — 2 m lang, ist am oberen Ende mit einer Walroßzahn- platte eingelegt, an welcher ein konisches Stück Walroßzahn mit Lederriemen befestigt ist; erst das Walroß jedenfalls schon lange vor der histo- rischen Zeit unter den Polarvölkern ein Gegen- stand des Fanges gewesen, Gerätschafien aus Walroßknochen kommen unter den nordischen Grabfunden vor. Demnach wurde der Mensch schon seit langen Zeiten mit diesem Polarsäuger bekannt, es ver- gingen aber viele Jahrhunderte, bis sich die wahre Erkenntnis der Eigenart dieses Tieres durch den Wust von Phantasie und Sage hindurchgearbeitet hatte. Verfolgt man die Literatur über das Wal- roß rückwärts, so ergibt sich bald, daß das posi- tive Wissen über dessen Lebensgewohnheiten auf- hört und Vermutungen Platz macht. Die erste glaubwürdige Nachricht über das Tier verdanken wir dem kühnen normannischen Seefahrer O c t h e r, der im Jahre 871 in der Nähe des Nordkaps mit großen Walroßherden zusammentraf. Auch um das Jahr 980 müssen Walrosse an der Küste Finmarkens viel gejagt worden sein; auch sind höchstwahrscheinlich die Normannen gegen Ende des zehnten Jahrhunderts, als sie Grön- land besuchten, mit ihnen zusammengetroffen. Eine zuverlässige Beschreibung des Tieres gab als erster Albertus Magnus in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Die erste Abbildung des großen Meersäugers scheint im Jahre 1555 Ma -^''#y\ —-''M f^-'^'^^Y^ ^S\^m ^f^^iii ^i^^^ ^^^^^^j'\^iii^^^=,,M Wft Abb. 4. Phantastische Darstellung eines Walrosses flach Olaus Magnus (1555). auf diesen Konus wird die Harpunenspitze aufge- setzt. Von der Harpunenspitze aus geht ein etwa 10 m langer Walroßriemen herab, dessen anderes Ende an ein mit Luft gefülltes Seehundsfell ange- bunden ist, welches hinter dem Kajaker auf dem Kajak liegt. Geschleudert wird die Harpune mit- tels einer Art Wurfbrett. Heute haben die Alaska-Eskimos, sowie auch manche andere ihrer Stammesbrüder bereits aus Europa einge- führte Gewehre. Sie wissen sehr gut mit diesen Schußwaffen umzugehen undsind auf naheDistanzen gute gewandte Schützen. Alle WafTen des auf Jagd mit dem Kajak fahrenden Eskimos haben auf dem Decke des letzteren ihren angewiesenen Platz; rechts und links vor dem Kajaker in Ge- stellen die beiden Harpunen, in der Mitte auf einem runden Rad die Leine aufgeschossen, rück- wärts in einem Überzüge aus Seehundsleder das Gewehr und das aufgeblasene Seehundsfcll. Nach Adolf Erik von Nordenskiöld ist Olaus Magnus in seinem Werke Tabula Terrarum Septentrionalium gegeben zu haben. Dort bildet er einige phantastisch aus- sehende Tiergesialten ab, die sich auf das Walroß zu beziehen scheinen. Sie wurden einige Jahre später, 1558, von Gesner getreulich in seine Historia Animalium mit hinübergenommen. Die Abbildungen des Olaus Magnus, sowie Gesner 's sind Bilder der Einbildungskraft, die mißverstandene und oberflächliche Berichte vom Walroß entstehen ließen. Die erste naturgetreue Zeichnung eines Walrosses verdankt die Wissen- schaft Hessel Gerard, die er im Jahre i6i2 nach einem lebenden jungen Exemplar anfertigte, das mit der konservierten Haut seiner Mutter nach Holland gebracht wurde. Spätere Schrift- steller, die das VValroß ebenfalls abbilden, lassen in ihren Zeichnungen weit gcr ngeres Verständnis von der Eigenart des Tieres erkennen. Es hat demnach lange Zeit gedauert, bis sich N. F. XV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 743 eine naturgetreue Wiedergabe des Walrosses in Schrift und Bild in der gelehrten Welt durchge- rungen hatte. Die phantastischen Abbildungen des Mittelalters stechen augenfällig gegen die naturgetreuen, wenn auch sonst noch so primi- tiven Zeichnungen der hskimos ab, die diese aus- gezeichneten Naturbeobachter als Erinnerung an erlebte Jagdepisoden in Rentierknochen und Waln >Q- zahn geritzt haben. Es geht hieraus hervor, wie sehr das Naturvolk, das täglich mit den Walrossen auf der Jagd in Berührung kam, in der Erkenntnis über die wahre Natur ihrer Beutetiere den mittel- alterlichen Künstlern, die ihre Abbildungen nach den Angaben weniger Gewährsmänner anfertigten, überlegen war. Vom Walroß werden zwei Arten unterschieden, die den atlantischen und pazifischen Teil des Polarmeeres bewohnen. Sie unterscheiden sich u. a. durch den Bau des Schädels, der Länge und Dicke der Hauer, sowie der Länge und Dicke der Mundborsten. Auch soll das Maul des pazi- Geschosse mit halbem oder dreiviertel Mantel, ebenso wie Dum -Dum -Geschosse, sollen nicht durchschlagen. Es sind vielmehr Geschos-c mit vollem Stahl- oder Nickelmantel nötig. Gelingt es, eine Herde auf dem Eise zu überraschen und das erste Tier zu töten, ehe die Herde an das Was-ier kommt, so ist man ziemlich sicher, auch die übrigen zu erlegen. Sonst ist es nach Ditt- mer zweifelhaft, ob man von einer Herde von 50 Stück 7 bis 8 erbeutet. Wenn die Fangmänner eine Walroßherde sehen, sei es auf einem Stücke Treibeis oder im Wasser, so suchen sie, nach Nordenskiöld, still und gegen den Wind einem der Tiere nahe genug zu kommen, um es zu harpunieren. Glückt dieses, so taucht das Walroß zunächst und sucht dann davonzuschwimmen so schnell es vermag. Die Kameraden, neugierig die Ursache des Lärmes zu Abb. c;. \Va bildunc; muUer mit H es sei G Jungen. Nach aus dem Jahre " de^ ll.igcnbcck'schen Tierparks nit seinem Wärter. fischen Walrosses einen größeren Vertikal- durchmesser haben und ein Viertel größer als das des atlantischen sein. Das Walroß wird heutigentags im Wasser har- puniert, sowie auf dem Lande mit Buchse und Lanze erlegt. Der Harpunier kniet vorne auf der Back, d. h. Plattform des Bootes, Harpune und Büchse neben sich. Von den Leuten an den Remen rudert der am Schlagremen stehend und nach vorne sehend, um das Boot nach den Winken des Harpuniers zu steuern. An jeder Handharpune befindet sich eine etwa 25 m lange, für die F"ang- zwecke besonders geschlagene Leine, deren anderes Ende im Boot befestigt ist. Jedes Boot führt 5 bis 10 solcher Leinen mit. Man läßt durch das harpunierte Tier das Boot so lange schleppen, bis es matt oder bis es durch Lanzenstiche , Messer- stiche und Schüsse getötet ist. Nach Dittmer ist der Schuß hinter dem Ohr der beste. Um die Schädeldecke zu durchschießen, ist eine mo- derne Büchse mit großer Durchschlagskraft nötig. erfahren, schwimmen dann herbei, und ein neues Walroß wird in gleicher Weise mit der Harpune vor das Boot gespannt, was fortgesetzt wird, bis alle Harpunen angewandt sind. Wenn die Walrosse von Anstrengung und Blutverlust er- mattet sind, fängt man an, die Leinen einzuholen. Ein Tier nach dem anderen wird an den Vorder- steven des Bootes gezogen und bekommt dort gewöhnlich erst mit der flachen Lanze einen Schlag auf den Kopf, und dann, wenn es sich umwendet, um sich dagegen zu verteidigen, einen Lanzenstich in das Herz. Heutzutage werden die harpunierten Walrosse durch Schießen mit dem Gewehr getötet. Jedes Schießen im Wasser be- findlicher Walrosse, die vorher nicht harpuniert wurden, sollte verboten sein, da die Tiere dann nutzlos getötet oder krank geschossen werden und häufig verloren gehen. Nicht selten fangen die Fangmänner, wenn sie das weibliche Walroß ge- tötet haben, das treu bei der toten Mutter ver- bleibende Junge. Auf diese Weise erhielt z. B. 744 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 5: Hagenbeck seine 8 jungen VValrosse, von denen vor kurzem als letztes noch am Leben gebliebenes Exemplar, ein prächtiges Weibchen, auf den Ruf „Pallas" hörend, gestorben ist. Es gab mir seiner- zeit Gelegenheit, Untersuchungen über Haarwechsel, Art der Nahrung und der Nahrungsaufnahme, so- wie der geistigen Eigenschaften der Walrosse an- zustellen. Der wirtschaftliche Wert der erbeuteten Wal- rosse ist ein beträchtlich hoher. Der Ertrag dieser Kdosse an Speck beträgt 160 bis 460 kg. 100 kg Speck liefern im Durchschnitt 75 kg oder 0,85 hl Tran. Das Walroßfett soll übrigens weniger fein als das der anderen Robben sein. Außer dem Speck werden vom Walroß noch die dem Elfen- bein ähnlichen Hauer, sowie das Fell verwandt. Letzteres gibt ein zolldickes Leder und wird gern zu Maschinenriemen, Ruderriemen, Sattelzeug und starken Schuhsohlen verarbeitet. Die Felle werden fast nie im ganzen abgestreift, sondern meistens in Hälften oder breiten Streifen. Leider sind durch die zahllosen Nachstellungen der Fangmänner die Herden dieser Polarsäuger sehr dezimiert worden, so daß die Beute heutzutage eine weit geringere als früher ist. Doch kann von einer Ausrottung der Walrosse heute glücklicherweise noch nicht gesprochen werden. Künstliche Genichsspureu bei Ameiseu. Von Hans Henning. Sofern die Ameise nicht als Reflexmaschine angesprochen wurde, erklärte man ihr Verhalten, indem man ihren Reaktionen psychische Elemente zuordnete. Das psychologisch wichtigste Problem, nämlich die Frage nach der psychischen Struk- tur, blieb dabei ungelöst, denn ohne entschei- dende psychologische Versuche läßt sich einer bestimmten tierischen Handlung sowohl eine Kette zahlreicher aufeinanderfolgender psychischer Elemente, als auch ein einziger oder mehrere ps)'chische Komplexe zugrunde legen. Dazu kommt, daß die Semon'sche Mnemelehre unsere p.sychologischen Fachausdrücke ins Grie- chische übersetzte , aber offen ließ , was das Grundelement, die Mneme, eigentlich sei. Bei dieser Unbestimmtheit blieb dem Fehler Tür und Tor geöffnet, die Tiere nach Analogie der Men- schen zu erklären, wie denn Forel der Ameise Sinneswahrnehmung, Gestaltauffassung, Assozia- tion, Gedächtnis, soziale Gefühle, Affekte, ein dem menschlichen Schlußvermögen entsprechendes Denken und ein individuelles Seelenleben zuschreibt, was ebenso der Neurologie des Ameisenhirns zuwiderläuft, als es den Faden der Entwicklung zerreißt. Von ganz unhaltbaren Hypothesen abgesehen legte man der räumlichen Orientierung der Ameisen verschiedenartige Geruchsspuren zugrunde: solche des Fultergeruchs, des Nest- geruchs, des Nestbaustoftgeruchs und des Larven- geruchs. Dem Beispiele Forel's folgend schied man dabei (auf eine falsche optische Analogie hin) einen „Nahgeruch" von einem „Ferngeruch". Wohl mag man die Geruchsquelle in der Ferne sehen oder wissen, allein eine Fernakkommoda- tion des Geruchssinnes unterschieden von einer Nahakkommodation bleibt Metaphysik. Jedes Geruchserlebnis fußt darin, daß Riechpartikel den Geruchsendapparat erreichen; die Entfernung der Riechquelle spielt dabei keine primäre Rolle. Meine Versuche beziehen sich auf die rote Waldameise (Formier rqfa L.), also auf die best- sehende Art; jeder begegnete ihren großen Kolo- nien aus Tannennadeln und ihren wimmelnden Heerstraßen schon im deutschen Wald. Die Er- gebnisse dürfen nicht ohne weiteres auf andere Arten oder Rassen übertragen werden, die nach meinen eigenen Erfahrungen kleinere oder größere Unterschiede im Verhalten zeigen. Daß die Ameise ein Geruchstier ist, lehrt die Amputierung ihrer Antennen, die die Geruchsendapparate ent- halten: sie ist dann dem Untergange verfallen, während geblendete Exemplare immer noch, wenn auch zögernd, die Heerstraße begehen und Nahrung finden. Die Ameise birgt in ihrem Körper Ameisen- säure; sie tupft ihren Hinterleib mit Analdrüse (wie Versuche mit leicht angerußtem l'apier dar- taten) pro Millimeter Wegstrecke dreimal auf die L^nterlage. Überquerte die Ameise das Papier 7 bis 20 mal, so konnten rneine besten mensch- lichen Versuchspersonen im unwissentlichen Ver- fahren Ameisensäure riechen. Deshalb wählte ich zu Versuchen Ameisensäure, ameisensaure Ver- bindungen und Formaldehyd; da Ameisensäure selbst bei -|- 8.3" verdampft, lassen sich Kälte- flaschen nicht umgehen, oder man muß sich mit Lösungen behelfen. Mit dem Pinsel zog ich nun, den natürlichen Heerstraßen analog, künstliche Geruchsspuren, die denn auch sofort hin und her begangen wurden. Wo meine Geruchs- spur endete, da gingen auch die Ameisen nicht weiter, sondern sie kehrten nach einigem Suchen um. Pinselte ich an das blinde Ende der Spur ein neues Stück etappenweise an , so begingen die Ameisen es ebenso etappenweise. Ob man die gezogene Spur erst trocknen läßt, oder ob die Fährte (durch sofortiges Anbringen eines Anschlußstückes an die Kolonie) noch naß be- treten wird, das macht keinen Unterschied, ob- gleich die Ameise sonst jede Nässe scheut. Be- steht irgendwo bereits eine natüi liehe Heerstraße, so kann der Verkehr durch eine abgegabelte künstliche Geruchsspur zum gröjBeren Tejle hier- N. F. XV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 745 auf gezogen werden, und zwar um so mehr, je spitzwinkliger die Abgabelung ausfiel. Immerhin spielen andere l<"aktoren, namentlich optische, bei dieser bestsehenden Art mit: pinselte ich die Kunstspur in Mäanderlinien oder Ornament- schnörkeln, so liefen die Tiere meine Spur nicht mathematisch genau aus, sondern sie blieben in der riechenden Zone, gingen aber baumaufwärts und baumabwärts gerader als die Schnörkel. An wagrechten Spuren (auf dem Sandboden , auf Brettern usf.) zeigte sich indessen eine etwas größere Wirksamkeit der Schnörkel, vermutlich weil die Faktoren der Schwerkraft und der freien Sicht verändert waren. Es genügt jedoch nicht, einfach die genannten Chemikalien zu verwenden, denn die Ameise zeigt ein deutliches Analogon zu dem menschlichen Verhalten, daß bestimmte Geruchskonzentratioiien nicht ansprechen , daß andere bekannt und wieder andere fremd er- scheinen. Schon in früheren Versuchen hatte sich ge- zeigt : ließ man die Ameisen ihre Spur über ein Stück Riech, Pappe oder Stein hinweg in natür- licher Weise bilden, nahm man nun dieses Stück, etwa einen Stein heraus, spülte man ihn mit Wasser ab, um ihn dann wieder an die ursprüng- liche Stelle zu legen, so roch die menschliche Nase trotz des Abspülens sehr wohl noch die Ameisensäure, während die Ameisen ihrerseits an dieser Stelle eine Verkehrsstockung erlitten. Ich zählte aus, wieviel Ameisenüberquerungen nötig sind, damit eine beliebige, nicht riechende Strecke zur Heerstraße wird : im Durchschnitt sind 66 Ameisenüberschreitungen erforderlich. Danach besitzt die Ameise für Ameisensäure eine höhere Reizschwelle als der Mensch. Wie ist das zu er- klären ? Könnte eine einzige Ameise oder wenige Exemplare eine so starke Geruchsspur hinter- lassen, daß jedes nachfolgende Individuum sie röche, daß also eine Heerstraße entstände, dann würde jeder Ameisenweg, auch der Irrweg eines einzelnen Exemplars zur Heerstraße, dann ge- langte der große Haufen der Tiere nie geschlossen an den I^'utterplatz und die Kolonie stürbe aus. Hingegen ist es biologisch überaus wichtig, daß die Ameise eine hohe Reizschwelle für Ameisen- säure hat: dadurch wird nur derjenige Weg zur natürlichen Heerstraße, den die Mehrzahf der übrigen Exemplare schon beging. Die geruch- liche Massenreaktion ist also nicht nur eine Frage des Geruchssinnes überhaupt, sondern eine weitere Folge der relativ hohen Reizschwelle für Ameisensäure. Da die Ameise selbst Ameisen- säure produziert und auch danach riecht, erklärt sich die hohe Reizschwelle für Ameisensäure schon durch die Abstumpfung. Der der Literatur bekannte Fall, daß ein einzelnes Tier auf Einzel- wanderung abseits der Heerstraße sich heimwärts nicht geruchlich an der eigenen Spur zu orien- tieren vermag, bietet danach keine Rätsel mehr. Über weitere Versuche berichtete ich an anderm Orte (Der Geruch, S. 455—496. Leipzig 19 16.). Ebenso fußt das gegenseitige Erkennen durchaus im Geruch. Betupft man eine Ameise mit einem Riechstoft', der nicht im Koloniebe- reiche vorkommt, etwa mit Patsch uli oder Jasmon, so wird dieses anders riechende Exem- plar sofort von den herzukommenden Tieren tot- gebissen. Diejenigen Individuen, die sich bei diesem Morden selbst an dem von mir betupften Exemplar mit etwas Jasmon beschmierten, werden ihrerseits nun von den übrigen getötet. Dabei lassen sich die sämtlichen Riechstoffe nach ihrer Wirksamkeit in drei Gruppen scheiden: i. dem bepin'^elten Tier geschieht gar nichts, falls das Aromatikum mit Ameisensäure eine größere oder geringere Ähnlichkeit zeigt. 2. Das bepinselte Exemplar wird nur dann getötet, wenn der Riechstoff in starker Konzentration angewendet wurde, bei starker Verdünnung geschieht nichts; das betrifft Aromatika, die im Kontinuum der Gerüche, dem Geruchsprisma (vgl. die genannte Monographie über den Geruch S. Soff.), außer- halb vom ameisensäurehaften Bezirke stehen. 3. Das bepinselte Tier wird bei jeder Konzen- tration totgebissen, und zwar, wenn die gewählten Riechstoffe im Geruchsprisma ganz entfernt vom ameisensäurehaficn Bezirk stehen. Je unbekannter ein Geruch und je unähnlicher er dem Ameisen- säuregeruch ist, desto energischer und wütender verläuft auch der Totbiß. Solche Verhaltungsweisen der Ameisen dürfen somit nicht als Massenwirkung sozialer Instinkte oder mnemischer Gedächtniskomplexe gedeutet werden, sondern es handelt sich um Geruchs- reaktionen. Viel bequemer läßt sich bei größeren Tieren, etwa Säugern, entscheiden, welche Aromatika sich zur Bildung künstlicher Spuren eignen, und welche nicht: der Riechstoff wird dem Tiere (etwa Mo- schus einem Hunde) in die Blutbahn gespritzt. Ausatmend riecht er nun diesen Geruch, und in der Tat schnüffelt der Hund jetzt überall am Boden nach Moschus, was er bei Blütendüften nicht tut. Auch der Mensch erlebt bei Injek- tionen in die Vene, wie wir aus der Salvarsan- therapie wissen, in solchen Fällen (jerüche. Kleinere Mitteilungen. Eine Lesemaschine für Blinde^ Alle Versuche, hat man in ausgezeichneter Weise durch die dem Blinden ein Hilfsmittel zu schaffen, das ihm Braille'sche Blindenschrift den Tastsinn als Sichtbares durch das Ohr zugänglich macht, haben Ersatz des Auges heranziehen können. So vieles keinen nennenswerten Erfolg erzielt. Dagegen diese Blindenschrift nun aber leistet, ein großer 746 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 52 Mangel haftet ihr an: was der Blinde mit ihrer Hilfe lesen soll, muß eigens für ihn geprägt werden, und zudem schwillt ein Text bei der Übertragung in Braille -Schrift auf ein Vielfaches seiner Länge an, so daß etwa ein Text von der Länge eines Durchschnittromans zu einem ausgewachsenen Lexikon in Blindenschrift werden würde. Diese beiden Mängel haben nun der Münchener Dr. Chr. Ries und der Berliner MaxFinzenhagen durch die Erfindung einer Maschine zu überwinden gewußt, die sie als „Blindenlesemaschine" be- zeichnen. Wie diese Erfindung gebaut ist und wie sie arbeitet, beschreibt Dr. Ries ausführlich in seinem Buche „Die Blindenlesemaschine" (Verlag von Jos. C. Huber, Diessen vor München, 1916). Die Zeichen gewöhnlicher Druckschrift werden bei der Blindenlesemaschine von Ries und Finzenhagen durch Vermittlung einer Pro- jektionsanlage und einer Projektionsfläche aus mehreren Selenzellen in einzelne Stromstöße zer- legt, die dem Lesenden in Form von Tastein- drücken, in die sie umgesetzt werden, zugänglich gemacht werden. Der Blinde liest also durch Tasten mit den Fingerspitzen ; nur gleitet er nicht mit den lesenden Händen über eine vorhandene Schrift hinweg, wie bei den erhabenen Punkten der Braille- Zeichen, sondern unter seinen ruhenden Fingern erscheinen nacheinander einzelne Tasteindrücke, die einzelnen Buchstaben ent- sprechen. Das Wesen der Blindenlesemaschine besteht darin, daß man jede Druckzeile durch eine zur Zeilenrichtung senkrechte Reihe von acht Selen- zellen abtastet, so daß die Druckzeile in acht parallele Punktreihen aufgelöst wird. Zu diesem Zwecke entwirft man mit einem Linsensystem von jedem Buch'^taben ein vergrößertes Schatten- bild und läßt dieses über die Selenzellen wandern. Dadurch werden die von dem Buchstabenbilde verdunkelten Zellen beeinflußt. Die längst be- kannte Eigenschaft des Selens, seine elektrische Leitfähigkeit unter dem Einflüsse von Licht und Dunkel zu verändern, ist nun in geschickter Weise ausgenützt, um weiter den Licht- und Schattenwechsel in Stromstöße umzusetzen, die ihrerseits in mechanische Arbeit umgewandelt werden. Eine ganze Reihe von Schwierigkeiten war dabei zu überwinden , besonders gelang es erst nach mehrjähriger Arbeit, die Störungen, die einige Eigenschaften des Selens hervorrufen würden, zu beseitigen. Außer der Beleuchtungs- und Projektions- einrichtung und der Anlage, die die Stromstöße in Tasteindrücke umsetzt, besteht die Ries- h' i n z e n h a g e n ' sehe Erfindung aus zwei wesent- lichen Einzelheiten. Die eine davon ist die für den besonderen Zweck erforderliche empfindliche Selenzelle. Die graukristallinische Modifikation des Selens — übrigens ein Konglomerat aus mehreren Selenformen — ist es, die die merk- würdige Eigenschaft hat, je nach der Belichtung verschiedene elektrische Widerstände zu haben. Allein diese Eigenschaft erweist sich als sehr launisch, wenn man sie ausnutzen will. Gerade die Selenpräparate sind am empfindlichsten, die recht hohen Widerstand zeigen; und um eine möglichst starke Verringerung des Widerstandes zu erzielen, macht man den Leitungsquerschnitt möglichst groß und den Leitungsweg möglichst klein; es müssen also die Elektroden möglichst große Oberfläche und möglichst geringen Abstand aufweisen. Die vollkommenste Art ist die „gra- vierte Zelle"; auf ein verhältnismäßig weiches Isoliermaterial, etwa ungebrannten Naturspeckstein, wird eine feine Platinschicht aufgetragen, die da- durch in zwei Teile zerlegt wird, das man mittels eines spitzen Werkzeuges eine möglichst lange, hin- und herlaufende Linie zieht. Die Verbindung der beiden Platinschichten wird durch eine Selen- schicht wiederhergestellt. Durch Tränken in einer neutralen, isolierenden Flüssigkeit wird die Zelle dann gegen den schädlichen Einfluß atmosphä- rischer Feuchtigkeit geschützt. So gelingt es, Zellen herzustellen, deren Dunkelwiderstand von etwa 30000 Ohm auf 2000 Ohm und weniger bei kräftiger Belichtung sinkt. Auch die besten Zellen sind nicht konstant, vielmehr wechselt der Strom einer konstanten Stromquelle von Zeit zu Zeit seine Stärke, wenn er eine Selenzelle durch- fließt. Hierzu kommt eine zweite störende Eigen- schaft, die Trägheit: bei der Verdunkelung einer Selenzelle geht ihre Leitfähigkeit nicht plötzlich auf ihren ursprünglichen Wert bei Dunkelheit zurück, sondern nähert sich ihm erst rasch, dann langsamer und erreicht ihn in 5 Minuten noch nicht vollständig. Doch erfolgt eine Reaktion auf die Lichtintensitätsveränderung schon in weniger als ^!jf,„g Sek. Bei einer Einrichtung, die wie die Blinden- lesemaschine mit kleinsten Lichteffekten arbeitet, lassen sich diese störenden Einflüsse nicht durch Schaltungen überwinden. Auf keinen Fall sind die beim Wechsel von Licht und Dunkel auf- tretenden Selenströme imstande, die für den Zweck nötigen Apparate selbst zu betätigen. Dazu ist ein Vorspann , ein Relais , erforderlich. Ein solches Relais muß zugleich sehr empfindlich gegen den elektrischen Strom und möglichst un- empfindlich gegen Stoß sein; es muß in der Sekunde auf möglichst viele Stromstöße an- sprechen und eine möglichst große Zahl von Unterbrechungen des zweiten Stromkreises er- möglichen, dazu soll es schließlich einfach gebaut und billig sein. Keins von den bekannten Relais genügte diesen Forderungen, vielmehr wären alle bekannten Konstruktionen durch die Inkonstanz und die Trägheit des Selens unwirksam gemacht worden. Es ist Ries und Finzenhagen nun gelungen, ein Relais zu erfinden, das unabhängig von der Inkonstanz und der Trägheit der Selen- zellen arbeitet; es arbeitet nur mit dem Dift'erenz- strom von Licht und Dunkel und ermöglicht die Ausnützung der kleinsten Lichteindrücke. Die Einrichtung dieses als „Differentialrelais" be- N. F. XV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 747 zeiclineten Apparates geben seine Erfinder nicht an. Ks reagiert, wie sie versichern, auf Strome von der Größenordnung 10 " Ampere, zeigt also Millionstel Ampere an. Dies ist der zweite wesentliche Bestandteil der Blindenlesemaschine. Wie die Blindenlesemaschine arbeitet, ist hier- nach unschwer \orstellbar: von den möglichst hell (elektrisch oder durch Acethj'leiilicht) be- leuchteten Buchstaben werden durch ein Linsen- system reelle vergrößerte Bilder entworfen, die bei Bewegung der Buchstaben über eine zur Zeilenrichtung senkrechte Reihe von 8 (vielleicht auch weniger) Selenzellen hinweggleiten. Solange die weiße Papierfläche den Zellen gegenüberliegt, ist das Selenzellensystem beleuchtet; gleitet ein Buch>tabe vorüber, so werden einzelne Zellen durch die Schattenbilder der Bildpunkie verdunkelt, und jeder räumlichen und zeitlichen Kombination der Verdunkelung entspricht jedesmal ein und derselbe Buchstabe. Der Leselisch des Blinden, an dem sich die hier hervorgerufenen Strom- schwankungen äußern, enthält iür jede Hand vier Vertiefungen, in die je vier Finger hineingelegt werden. Wie hier die Tastvorrichtungen arbeiten, wie ferner die Verschiebung des Textes bewirkt wird, das sind rein technische Fragen von unter- geordneter Bedeutung, deren Lösung übergangen werden kann. Bemerkenswert ist nur noch, daß eine einzige Stromquelle alle acht Selenzellen versorgt und daß ebenso alle acht Tasteinrichtungen an eine zweite Stromquelle angeschlossen werden können. Hans Pander. Wie unsere Feinde rechnen. Unter dem gleichen oder einem ähnlichen Titel fand sich dieser Tage ein Artikel in der ,, Täglichen Rund- schau", in welchem interessanie Beobachtungen an unseren serbischen und russischen Gefangenen mitgeteilt wurden inbezug auf ihre Rechnungs- meihoden. In der Kultur rückständige Völker scheinen es nicht bis zur völligen Bewältigung des Einmaleins, das unserer Jugend im 0. Lebensjahre eingeprägt zu werden pflegt, zu bringen. Die Serben z. B. bringen es nur bis zum 5 >^ 5, und für die Vervielfältigung der höheren Ziffern helfen sie sich auf folgende Weise, die ganz überraschend zu dem unfehlbar richtigen Resultate fuhrt. Sie benennen die Finger jeder ihrer Hände vom Daumen an bis zum kleinen Finger mit den Ziffern 6 bis 10 und wenn es zwei Zahlen, die zwischen ihnen liegen miteinander zu vervielfältigen sind, legen sie die zwei entsprechenden Finger der beiden Hände aneinander. Z. B. es sei die Aufgabe 7 " '^ gegeben, so berührt der Zeigefinger der rechten Hand den Mittelfinger der linken oder umgekehrt, und dann werden die Finger beider Hände gezählt, die vor den sich berührenden liegen, diese miteingeschlossen. Das sind im gegebenen Falle 5, nämlich die beiden Daumen, die beiden Zeigefinger und ein Mittel- finger. Diese Summe wird mit 10 vervielfältigt, wozu die Rechenkunst der Naturkinder ausreicht, und man erhält also von den vorderen Fingern die Zahl 50, zu der dann noch das Produkt der hinteren Finger 2 an der einen, 3 an der anderen Hand gerechnet wird, also die Zahl 6. So erhält man das Produkt 7 x 8 ^ 56. — Die Methode liefert immer das richtige Resultat, wie leicht praktisch erprobt werden kann. Auch ist der algebraische Beweis für diese Richtigkeit leicht zu führen. Denn nennen wir die beiden Faktoren (in unserem Falle ö und 7) x und y, so ist die Formel des serbischen Vervielfältigungsverfahrens offenbar (x— 5 + y— 5) 10 + (10-x) (lo-y) oder 10 X -(- 10 y — 100 -J- 100 — 10 X — 10 y + xy Aus welcher Formel alles wegfällt mit Aus- nahme von xy, was eben das gewollte Produkt ist. Etwas schwieliger als diese Eselsbrücke des algebraischen Beweises ist die direkte Einsicht in die Richtigkeit des Verfahrens. Doch auch hier- zu gelangt man, wenn man sich klar macht, daß jedes größere Produkt geteilt werden kann in zwei kleinere, von denen das eine den Faktor 10 ent- hält und das andere Paktoren, die die wirklichen Frakturen zu 10 ergänzen. Sodann probiere man noch einige äußeiste Fälle, und man wird bald auch zu einer tieferen Einsicht in das Verfahren gelangen, in bezug auf das man sich nur wundern kann, wie es praktisch gefunden werden konnte von einem Volke, dem die Gedächtnisarbeit des Auswendiglernen des Einmaleins zu schwierig ist. Bei den Russen wurde ein noch merkwürdigeres Verlahren für die schriftliche Ausführung größerer Multiplikationen vorgefunden. Es handle sich um die Vervielfältigung von 12X11» so wird die eine Zahl fortdauernd halbiert und (unter der Vernachlässigung der Bruchteile einer ganzen) die Quotienten nebeneinander geschrieben. Die andere Zahl aber wird immer verdoppelt und die Produkte, zu deren Erzeugung der arithme- tische Verstand jener Völkerschalten ausreicht, darunter geschrieben. Also im vorliegenden Falle : 12 6 3 1 11 22 44 8S Dann werden ausschließlich aus der unteren Reihe die Zahlen, die unter einer ungeraden der oberen Reihe stehen, zusammen gezählt 44 -|- 88 = 132 ist das gesuchte Produkt. — Auch dies Resultat ist überraschend, aber man wird sich bei der Er- klärung des Verfahrens daran zu erinnern haben, daß jede Vervielfältigung ja eigentlich nur ein fortgesetztes Zusammenzählen ist, für das wir Vereinfachungen gefunden haben oder besser Verkürzungen, die aber nur denjenigen zugäng- lich sind, die über einiges Zahlengedächtnis ver- fügen. Ist dies nicht vorhanden, so muß man zu primitiven Methoden zurückkehren , bei denen 748 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr 52 gleichwohl in Erstaunen setzt, ihnen bei rück- ständigen Völkern zu begegnen, da sie eigentlich nur primitiv sind in der Ausfüiirung aber durch- aus nicht in ihrem Entwurf, so daß man beinahe zu der Meinung kommen könnte, es handele sich um Biückcn, die von Hochentwickelten für Zurück- gebliebene erfunden seien. Für die asiatischen Russen käme hier die Berührung mit China in Betracht; das ja über alte, freilich schlecht ver- waltete, mathematische Schätze zu verfügen scheint. Einsicht in das Wesen der zuletzt besprochenen Methode kann man erlangen, wenn man be- denkt, daß alle Zahlen aus i und 2 zusammen- gesetzt sind. Man kann also, was durch die obere Reihe geschieht, den einen der Faktoren so zerlegen, daß immer die folgende die 2 , ■ kleinere ist und die letzte eine i ist. Je mehr 2 darin enthalten, je länger die Reihe, und je höher schwillt das Entglied der unteren an, und je mehr Ungerade darin vorkommen, je größer ist die Zahl der Glieder, die zur Verwendung kommen. So kann man mit der bloßen Verdoppelung, zu der die Zahlengeschicklichkeit der schlechten Rechner ausreichend ist, und mit der Addition dasselbe erreicht werden wie mit der Verviel- fältigung mit 3 bis 9, deren Handhabung die Kenntnis des ganzen Einmaleins voraussetzt. Interessant ist auch der Kaufabschluß bei den Serben mittels eines Stabes, der so viel Kerben bekommt als Gütereinheiten geliefert werden sollen. Der Stab wird gespalten und Käufer so- wie Verkäufer nehmen die Hälfte mit, die nicht gefälscht werden kann, da die Stücke wieder zusammenpassen müssen. Ad. Mayer. Bücherbesprechungen. Rohrberg, A., Theorie und Praxis des Rechenschiebers. Mathematische Bibliothek Nr. 23, 50 S. 1916. Leipzig, Teubner. — Preis kart. 0,80 M. Wie die Einleitung sagt, ist diese Anleitung nicht da zum Lesen , sondern um an der Hand eines Schiebers durchgearbeitet zu werden. Das geht aus jeder Seite hervor, da nach einigen Seiten der Beschreibung damit begonnen wird, zu zeigen, was sich mit dem Apparate machen läßt, und wie überraschend vielseitig seine Anwendung, auch für logarithmische und trigonometrische Rechnungen. So benutzt der Verfasser den Schieber in der Schule bei den Schülerarbeiten. Bei der großen Verbreitung des Rechnens mit dem Schieber haben wir in dem Werkchen eine sehr dankenswerte Leistung. Riem. Stammbaum der Insekten. Von Wilhelm Bö Ische. Mit Abbildungen nach Zeichnungen von Prof. Heinrich Härder und Rud. Oeffinger. Stuttgart, Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, Geschäftsstelle Franckh'sche V^erlagshandlung. ^ — Preis geh. i M., geb. 1,80 M. B öl sc he führt etwa folgende Gedanken aus: Soweit ich feststellen läßt, sind die Insekten von jeher Luft- und Süßwassertiere gewesen. Da außerdem ein großer Teil der geflügelten h'ormen seine ontogenetische Entwicklung im Süßwasser durchmacht, ist zu erwarten, daß sie zum ersten- mal auf der Erde auftraten, als die Bedingungen zur Bildung von Süßwasserbecken gegeben waren. Tatsächlich stimmt die paläontologische Über- lieferung mit dieser Annahme überein. Was von angeblichen Resten aus der Silurperiode beschrie- ben worden ist, hat der wissenschaftlichen Kritik nicht standgehalten. Sichere Funde aber sind aus dem Devon und besonders aus dem Karbon bekannt, aus einer Zeit also, in der andere Her- stamme schon einen relativ langen Entwicklungs- weg hinter sich hatten. So kann man nicht nur die Entwicklung der Insekten aus dem Karbon bis heute, sondern auch ihre Entstellung aus anderen Formen früherer Erdperioden verfolgen. | Noch ehe das „Urinsekt" bekannt war, ließen sich seine körperlichen Eigenschaften aus den wesentlichen Merkmalen der rezenten Formen ableiten, wie dies schon vor 40 Jahren Paul Meyer getan hat. Dieses logisch postulierte „Protentomon" stimmt Zug für Zug mit den In- sekten der Steinkohlenzeit, mit den Paläodiktyo- pteren überein. Es waren P'ormen mit gleich- mäßiger Segmentierung des Körpers. Der erste Brustring trug seitliche Platten wie kleine Flügel, die aber allem Anschein nach nicht beweg- lich waren. Der zweite und dritte Ring war mit je einem Paar echter Flügel ausgerüstet, deren primitive Aderung auf die mangelhafte Flug- fertigkeit schließen läßt. Eine Bewegung war nur in vertikaler Richtung möglich. Dazu kamen kauende Mundteile. Den Hinterleib bildeten zehn Ringel mit einem Re>t des elften, der stets die Schwanzborsten trug, während an den anderen oft Anhängsel saßen, die zum Teil noch die Bein- stummel ohne Gebrauch erkennen ließen. Die Larven entwickelten sich noch nach den Regeln der einfachen Verwandlung, und es steht nichts im Wege, auch sie durchweg im Wasser zu denken, während das fertige Tier allerdings schon nach Libellenart frei flog. Als nächstverwandte Gruppe, aus denen die Paläodiktyopteren hervorgegangen sein mögen, kommen Spinnen, Tausendfüßler und Krebse in Betracht. Nach neueren Untersuchungen sind die Spinnen selbst von Krebsen und zwar von den Molukkenkrebsen abzuleiten. Krebs und Tausend- fuß schließen sich aber noch tiefer an die Anne- liden an. Mit den Würmern ist eine grundlegende Unterschicht des tierischen Stammbaumes erreicht, N. F. XV. Nr. 52 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 749 da aus ihnen alle höheren Tierstämme überhaupt aufsteigen: die Mollusken (also Schnecken, Mu- scheln und Tintenfische) wie die Stachelhäuter (Seesterne und Seeigel) und sogar die Wirbeltiere. Folgerichtig wurzelte auch hier das systematische Ganze zuletzt, das in Tausendfuß, Krebs, Spinne und Insekt gemeinsam steckt. Über die Ent- stehung der Insekten aus den Würmern suchen zwei Theorien Aufschluß; die eine vermutet im Peripatus, die andere in den Trilobiten das Über- gangsglied. Nach diesen theoretischen Auseinandersetzungen spricht Bö Ische die einzelnen Insektengruppen nach ihren Vorfahren durch, um sie in ihren alten Gliedern miteinander zu verknüpfen. Er schließt sich dabei eng an die klassischen Untersuchungen von Handlirsch an, der in seinem grundlegenden Werk über die fossilen Insekten und die Phylo- genie der rezenten Formen alles bisher bekannte paläontologische Material gesammelt , untersucht und nach verschiedenen Seiten hin wissenschaft- lich verwertet hat , so daß sein Werk für die systematische Bewertung der einzelnen Ordnungen bahnbrechend wirkte. Es ist zweifellos ein großes Verdienst Röl- sche's, daß er diesem umfangreichen Werk, das nicht jedem zugänglich ist, weiteste Verbreitung gesichert hat. Der an und für sich spröde palä- ontologische Stoff ist vom Verfasser in bekannt ansprechender Form verarbeitet und mitgeteilt. Eine Reihe von Abbildungen erklärt den Text. Das Rüchlein sei allen, die an Insekten oder all- gemeinen zoologischen Fragen Interesse haben, angelegentlich empfohlen. Dr. St. Die Chemie der Cerealien in Beziehung zur Physiologie und Pathologie von Prof. Dr. V. Röhmann, Breslau, mit 7 Textabbildungen. Sonderausgabe aus der Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge. Heraus- gegeben von Prof Dr. W. Herz, Breslau, Bd. XXII. Stuttgart 19 16. Besonders aus den Forschungen Eijkmans wissen wir, daß die Beriberikrankheit infolge Ge- nusses geschälten Reises auftritt, nicht aber nach dem Genuß halbgeschälten Reises und daß die Krankheit sich bessert, wenn Rei>kleie dem Körper zugeführt wird. Desgleichen tritt nach dem Genuß kleiefreien Maismehls eine Krankheit — der „Zeis- mus" — auf, und die Erscheinungen des ,,Glia- dismus" treten bei Tieren auf, die ausschließlich mit kleiefreiem Mehl, besonders feinem Weizenmehl ernährt werden. Es sind also auch in unserer Cerealienkleie Stoffe vorhanden, die für das Leben unentbehrlich sind. Die genannten Krankheits- erscheinungen schwinden, wenn dem Körper die entsprechende Kleie oder etwas Fleisch, Legu- minosen, oder Hefe geboten wird. Nach der herrschenden Auffasung auf Grund der Unter- suchungen besonders von G. Hopkins nimmt man an, daß „in allen natürlichen Nahrungsmitteln irgendwelche fremdartig wirkende Stoffe, bisher unbekannte „,,Kata'ysatoren"" enthalten sein müßten, ohne die ein Tier auf die Dauer nicht bestehen könne. Diese unbekannten Stoffe nannte dann C. Fu nk Vitamine." Der Verf. wendet sich gegen diese Vitaminhypothese und versucht eine andere Erklärung. Er unterscheidet „vollständige" Eiweißstoffe und „unvollständige". Mit vollständigen Eiweißstoffen läßt sich ein Tier dauernd ernähren, mit unvollständigen nur dann, wenn die ent- sprechenden „Ergänzungsstoffe" der Nahrung hin- zugefügt werden. So kann man einen Hund dauernd mit Fleisch und einen Säugling dauernd mit Milch ernähren. Die Eiweißstoffe, die darin enthalten sind, das Myosin und Kasein, ferner das Ovalbumin und Vitellin im Hühnerei sind „voll- ständige" Eiweißstoffe, die nach Annahme des Verf bei der Hydrolyse alle für den Stoffwechsel notwendigen Spaltungsprodukte liefern, „und diese sind in dem Eiweißstoft'e so miteinander verkoppelt, daß bei partiellem Abbau alle für den Stoft'wechsel erforderlichen Atomkomplexe entstehen können." — Bei den Cerealien verhält es sich anders; der Kleber enthält ein Gemisch von Gliadinen und Glutaminen. Den Gliadinen fehlt die Lysingruppe mehr oder weniger vollständig, manchen fehlt auch die Tryp- tophangruppe, aus welchem Grunde sie „unvoll- ständige" Eiweißkörper darstellen. Man kann mit ihnen nur dann ein Tier ernähren, wenn ihnen Lysin oder ein anderer Eiweißkörper, der Ly.sin ent- hält, hinzugefügt wird. Nun vermutet der Verf., daß der Mehlkörper der Cerealien „unvollständige" Eiweißkörper enthält und daß die „Ergänzungs- stoffe" in der Aleuron^chicht vorhanden seien. Da das Plasma natürlich ein vollständiger Eiweißkörper ist, so müßte auch der Embryo der Getreidepflanzen, bevor er assimilieren kann, nicht ohne die Aleuron- schicht für seine Entwicklung auskommen können, was der Verfasser für sehr wahrscheinlich hält. Ein experimenteller Beweis für diese Annahme liegt nicht vor, ebensowenig wie nachzuweisen ist, daß die Eiweißstoffe des Reisendosperms unvoll- ständig sind oder daß die Reiskleie die Ergänzungs- stoffe enthält. — Auch wenn es nicht gelänge, einen Cerealienkeimling ohne die Aleuronschicht zur normalen Entwicklung zu bringen, was übri- gens nicht sehr wahrscheinlich ist, so wäre das kein Beweis für die Hypothese des Verfassers; man könnte dann natürlich immer noch die „Ergän- zungsstoffe" der Aleuronschicht Vitamine nennen. Die Auffassung Haberland t's der Aleuronschicht als Sekretionsorgan würde nicht ausschließen, daß in der Kleberschicht kleine Mengen von „Er- gänzungsstoffen" vorhanden sind, die genügen, um die „unvollständigen" Eiweißstoffe zu ergänzen. — Irgend ein exakter Beweis für die Richtigkeit der neuen Hypothese ist also nicht erbracht, aber immerhin muß man dem Verf beistimmen, daß seine Hypothese der Vitaminhypothese gegenüber gewiße Vorzüge hat. Die Vitaminhypothese nimmt an, daß Vitamine unter allen Umständen in unserer Nahrung vorhanden sein müssen, während die neue 750 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 52 Hypothese annimmt, daß nur dann Ergätizungs- stoffe notwendig sind, wenn „unvollständige" Eiweißkörper zur Nahrung dienen. Gegen die Enzymnatur der Vitamine spricht übrigens der Umstand, daß im Sinne der Vitamine wirkende Stoffe durch Kochen mit Säuren gewonnen werden können. — Einige Einwände gegen seine Hypo- these nimmt der Verf. vorweg. Wie wir sahen, müßte das Kasein eigentlich ein vollständiger Eiweißkörper sein. Nun haben aber Versuche ergeben, daß Kasein der Kuhmilch nicht den Wert eines vollständigen Eiweißkörpers hat und der Verf. hält es demnach für diskutabel, ob das Kasein wirklich ein vollständiger Eiweißkörper ist, zumal es sich von dem Kasein der Mutter- milch dadurch unterscheidet, daß es nicht die Mohlisch'sche Probe — Blaurotfärbung mit ß- Naphtol und konz. Schwefelsäure gibt. Ein anderer Einwand könne erhoben werden, nämlich daß die Menge der Vitamine zu klein sei, um chemisch nachgewiesen werden zu können. Wenn der Verf aber meint, daß jemand, der „eine Annahme von so weittragender Bedeutung macht", auch „zwingende Beweise für deren Richtigkeit zu liefern" habe, so muß er doch wohl zugestehen, daß „zwingende Beweise" für die Richtigkeit seiner Hypothese auch noch nicht erbracht sind. Aus diesem Grunde sieht Ref mit dem Verf. das Fruchtbare seiner Hypothese denn auch „be- sonders darin, daß sie der Forschung eine ganz be- stimmte Richtung anweist, nämlich festzustellen, ob die stickstoffhaltigen Stoffe, die sich in der Kleie finden, die Atomgruppen zu liefern ver- mögen, die den „unvollständigen" Eiweißstoffen des Mehlkörpers fehlen". Wächter. Kriegs-Chemie, Vortrag gehalten an der Haupt- versammlung des Bernischen Hochschulvereins am 28. Nov. 191 5 in Bern von Prof. Dr. A. Tschirch. 2. Aufl. Akad. Buchhandl. von Max Drechsel. Bern 1916. Schriften des Bernischen Hochschulvereins. Heft I. — Preis i M. Nach einer kurzen Einleitung, in der auf das Paradoxon hingewiesen wird , daß der Erfinder des Dynamits Nobel den Friedenspreis stiftete und daß die Errungenschaften der angewandten Naturwissenschaften jetzt fast ausschließlich dazu benutzt werden „nicht um unsere Kulturgüter zu vermehren, sondern um möglichst viel Menschen- leben und Kulturwerte zu zerstören", behandelt der Vortragende die ,. guten Seiten des Krieges". Er schildert, wie die Chemie durch den Krieg zu erhöhter Produktion und erfinderischer Tätigkeit angeregt worden ist, indem sie es verstanden hat, bisher unbenutzte Materialien zu verwerten und Ersatzstofte für alle diejenigen Dinge anzufertigen, die durch den unvollkommenen Welthandel in verschiedene Länder nicht mehr importiert werden können. An dieser Stelle braucht auf die Einzel- heiten nicht eingegangen zu werden , da den Lesern der Naturw. Wochenschr. im allgemeinen bekannt sein wird, was die „Kriegschemie" bisher zustande gebracht hat. Der Verf. bemängelt, daß sein Vorschlag, unsere einheimischen Nadelhölzer zu harzen, um Terpentin zu gewinnen, wenig Anklang gefunden hat. M. W. wird die Harz- gewinnung in Deutschland jetzt an verschiedenen Orten eifrig betrieben, ebenso werden Bucheckern und Eicheln im großen in neuerer Zeit verwertet. Wenn der Vortragende meint, daß das durch Kartoffeln gestreckte Kriegsbrot nicht nur schmack- haft, sondern auch bekömmlich sei und daß der Zusatz des Frieden thal' sehen Strohmehls zum Brot ein „rationeller Vorschlag" sei, so wird man ihm nur bedingt zustimmen können. Besonders der Zusatz gekochter Kartoffeln zum Brot be- kommt manchen nicht gut und daß wir bisher noch von dem Strohmehl verschont geblieben sind, werden wohl die meisten Leser mit Freuden begrüßen. Der Vorschlag, Kaffee- und Tee- ersatzmittel durch Zusatz synthetisch hergestellter Purinbasen in der Wirkung dem Kaffee und Tee ähnlicher zu machen, wird manchem, für den die Schweiz das Land der Abstinenten ist, ein ver- gnügtes Lächeln abnötigen. — Der Vortrag liest sich leicht und erregt, auch durch die vielfachen historischen Hinweise, den Wunsch, den Stoff etwas ausführlicher behandelt zu sehen, als es in einem kurzen Vortrag möglich ist. Wächter. N. Krebs u. Fr. Braun. Die Kriegsschauplätze auf der Balkanhalbinsel. Heft 4 der Sammlung: Die Kriegsschauplätze, heraus- gegeben von Prof. Dr A. Hettner. Leipzig u. Berlin IQ16, B. G. Teubner. — Preis geh. M. 2. — Dies Heft der bekannten Sammlung gibt uns zunächst ein anschauliches durch kulturgeograpische Schilderungen belebtes Bild des serbisch-maze- donischen Kriegsschauplatzes aus der Feder des bekannten Wiener Geographen Norbert Krebs. Die Abhängigkeit der Kriegsereignisse, die zur Eroberung dieser Gebiete im Winter 1915/16 ge- führt haben, von den überaus mannigfachen Boden- formen, dem Wechsel von Gebirgslandschaften und Beckenländern, tritt überaus klar zu Tage. Das lebendige Bild wird ergänzt durch die Schilderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Länder, die wohl nun nicht mehr lange zu den unbekanntesten Gebieten Europas gehören werden. Wesentlich gewinnen würde die lichtvolle Dar- stellung der besprochenen Gebiete — außer Serbien und Mazedonien sind auch Montenegro und Al- banien in den Kreis der Beobachtung gezogen — durch die Beigabe einer geologischen und mor- phologischen Übersichtskarte. Im zweiten Teile des Heftes schildert Fr. Braun den Kriegsschauplatz an den Dardanellen, die Lage Konstantinopels und die militärische Bedeutung der Meerengen. Er geht dann aus- führlicher auf die Halbinsel Gallipoli in ihrer morphologischen Gestaltung im Blick auf die kriegerischen Ereignisse ein. G. Hornig. N. F. XV. Nr. 5: Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Anregungen und Antworten. Dr. W. W. Die Hydrolyse der Zellulose zwecks Ge- winnung von Zucker bzw. Alkuliol ist schon seit längerer Zeit (hauptsachlich in Schweden) aus dem Stadium der Labora- toriurasversuche in das industrieller Verwertung getreten. Durch Behandeln von Holz mit etwa der siebenfachen JVlenge yo^/uiger Schwefelsäure und nachfolgendes Verdünnen mit Wasser und Erhitzen der Lösung erzielt man z. B. eine quantitative Ver- zuckerung des Holzes. Die großen Mengen Schwelelsäure und die schwierige apparative Bewältigung der durch das Verdünnen erhaltenen groUen Flüssigkeitsmengen machen dies Verlahren allerdings unrentabel. Die Hydrolyse mit verdünnten Sauren gibt unter günstigen Verhältnissen eine Zuckerausbeute von etwa 20% und durch Vergären etwa S'/a Liter reinen Alkohol auf 100 kg trockenes Holz. Die Rentabilität der Holzver- zuckerung mit verdünnten Säuren ist in erster Linie abhängig von dem Preise des Ausgangamaterials. Wo dies i. B. in Form von Sägespänen billig zu haben ist, läßt sich Alkohol mit wirtschaltlichem Vorteil aus Holz technisch gewinnen. Das billigste Verlahren, Sprit aus Holz herzustellen, dürfte zurzeit die Verzuckerung der Sulfitzelluloseablaugen üarstellen. Die Verzuckerung des Holzes mit gasformigen Stoffen (z. B. Chlorwasserstoff] ist technisch noch nicht beiriedigend durch- geführt. Vielversprechend erscheint der neueste Vorschlag, den in den Sulhtablaugen enthaltenen Zucker zur Ernährung von Hele auszunutzen und so die Hydrolyse des Holzes mit der Fabrikation der Mineralhele nach dem Verfahren des Berliner Instituts für Gärungsgewerbe zu kombinieren. Neuere Literatur mit genaueren Angaben: Hägglund, Die Sulfitablauge und ihre Verarbeitung auf Alkohol. Samml. Vieweg. Braunschweig 1915. Hägglund, Die Hydrolyse der Zellulose und des Holzes. Samml. chemischer u. chem.-techn. Vorträge v. Ahrens-Herz. Stuttgart 1915. Ferd. Enke. Krull, Versuche über Verzuckerung von Zellulose. Dissertation 1916. Techn. Hochschule Danzig. Dr. G. B. Nachschrift zu der Mitteilung Übe O. Taschenberg über die Zikaden in Nr. 45 dieser Zeilschrift. Wegen einiger sinnentstellender Druckfehler in dem auf S. 643 (Fußnote) zitierten griechischen Epigramme seien die zwei Zeilen hier noch einmal wiederholt und gleichzeitig durch eine lateinische "Versetzung ergänzt: olbi TU xar' aQov^av dt]S6pip xai öovoy.oiTft xcyi ^Vföi> löfiftof cTEi'le Mv(iü>, . . . sta cicada comis, locustaque ruris aedon, nc vobis tumulum ponit utrinque Myro, . . . '') derselben Seite lies Melichar statt In Nr. 45 berichtet Herr O. Taschenberg über die Verwechslung der Zikade mit dem Heupferd seitens der Dichter. Vielleicht interessiert es, daß der bekannte L a f o n t a i n e seine erste Fabel betitelt: „La Cigale et la fourmi", und doch nur die Locusta gemeint haben kann, da Zikaden in seiner Umgebung nicht vorhanden und auch nicht wie die Heldin der Fabel, im Winter Not leiden, denn sie verfallen in Winter- schlaf. Illustrierte Ausgaben der Lafon tain e' sehen Fabeln bilden ebenfalls den grünen Grashüpfer, nicht die Zikade ab. Edm. J. Klein-Lu.\emburg. Barszcz. Unter diesem Namen findet man in unsern Kochbüchern, z. B. d^m umfassenden Web er 'sehen Koch- le.tikon, eine kräftige Fleischbrühe, die neben verhältnismäßig starken Würzen, für unsere Geschmacksrichtung als auffälligste Beigabe rote Bete (nach dem lateinischen Namen Beta), und in dem sog. russischen Barszcz noch Sauerkohl enthält. Tatsächlich hat diese Speise bis auf die ziemlich nebensächliche Beta, auch nicht das geringste mehr mit dem Ur- Barszcz oder, wie wir sagen dürfen, Bartsch zu tun. Der Name bedeutet, vermutlich zuerst slawisch, die bekannte, bis 2 ni hoch wachsende Doldenpflanze, die wir jetzt Bärenklau, die Botaniker Hera- cleum spondylium nennen und früher Branca ursin a nannten. „Polen und Lithauer brauchten es", wie Sennert, ein Arzt, von der Wende des XVI. Jahrh., berichtet, „viel zu den Speisen sonderlich in den Suppen. Sie sollen auch aus den Blättern und Samen, in Wasser gekocht mit Zusatz etwas Sauerteigs, einen Trank machen, den sie Bartsch nennen, welchen die Armen statt Biers trinken." Wie die glücklichen Südländer in Urzeiten schon aus ihrem Wein, die Germanen in ihrem unwirtlichen Land aus Gerste ebensolange durch einen Gärprozefi einen Rauschtrank bereiteten, und wie beide durch Zusatz von Milch, Eiern, Käse, Mehl usw. dieses Genuß- mittel zugleich zu einem kräftigenden Nahrungsmittel machten, so stellten die Bewohner des Nord-Ostens aus dem genannten Pflanzenstoff — dem nördlichsten, den man in solcher Ver- wendung kennt — gelegentlich mit roter Bete eine ähn- liche Speise dar, von der jetzt nur noch das Nahrungsmittel die Bartsch-Suppe zurückblieb. Wein- und Bier- Suppen sind jetzt bei uns aus der Mode gekommen. Der Name Bartsch für die Pflanze ist so gut wie unbekannt, und daß der Personenname, ähnlich wie Kümmel oder Fennel und Fenchel, sicli auf sie bezieht, daran denkt kaum jemand noch. Hermann Schelenz, Cassel. Wetter-Mouatsübersicht. Während des diesjährigen November herrschte in Deutsch- land recht veränderliches, überwiegend trübes Wetter. In der ersten Hälfte des Monats war es für die Jahreszeit sehr mild. wiflTere Jem^erafureti einiger ©rfe im ^ooembcr 1916. Berliner Wefferburtj» In den Mittagsstunden wurden noch an vielen Orten 15" C überschritten, am 2. stieg das Thermometer in Stuttgart bis auf 20, in Karlsruhe, Mühlhausen i. E. und Erfurt bis 18, 752 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XV. Nr. 52 am 4. in Hügel bei Essen und in Trier bis auf 18 " C. Auch die Nachttemperaturen blieben im allgemeinen über 5 " C. allein zwischen dem 10. und 12. kamen in Nordwest- und Süddeutschland leichte Nachtfröste vor. Zwischen dem 14. und 15. November trat überall eine bedeutende Abkühlung ein, die in den nächsten Tagen mehr und mehr zunahm. Seit dem 16. herrschte während der Nacht-, Morgen- und Abendstunden im größten Teile Deuschlands Frost, am 17. oderiS. brachten es z. B. München, Bamberg, Coburg und Dresden auf 7" Kälte und blieb an vielen Urien das Thermometer sogar mittags unter dem Gefrierpunkt. Im Südwesten stellte sich jedoch zwischen dem 18. und 19. November neuerdings Tauwetter ein, das sich bis zum 21. wieder auf ganz Deutschland ausdehnte, dann wechselten in jRietfer^c^Taö^^öfeen im ^ovmhr 1916. E => 1^ %^ .c^J eng Deutschland. :slsumme des ganzen November belief sich für den Durchschnitt aller berichtenden Stationen auf 50,6 mm, während die gleichen Stationen im Mittel der letzten 25 Novembermonate 50,2 mm Niederschläge geliefert haben. Die allgemeine Anordnung des Luftdruckes in Europa war bis gegen Mitte des Monats immer sehr gleichartig. Mehr oder weniger tiefe atlantische Baromcterminima zogen über Großbritannien nach dem europäischen Nordmeer und von da zum Teil nach Nordskandinavien, Finnland und Lappland weiter, während West- und Mittelrußland meist von einem Hochdruckgebiet eingenommen wurde. Auf dem westeuropä- ischen hestlande, bis zu den Alpen hin, wehten daher be- standig milde südhche oder südwestliche Wiude, die im Innern im allgemeinen nur mäßig, an der Küste aber oft sehr stark Zwischen dem 10. und 11. November rückte ein zweites barometrisches Maximum nach Frankreich und nach mehreren Tagen weiter nordwärts vor. Vom 15. bis 19. verweilte es mit allmählich abnehmender Höhe auf der skandinavischen Halbinsel, von wo es nach Mitteleuropa kalte, ziemlich trockene Nordostwinde entsandte. Durch eine neue, sehr tiete und umfangreiche, aus nie- drigen Breiten des atlantischen Ozeans nach den britischen Inseln vordringende Depression wurde das Hoch langsam ins Innere Rußlands verschoben. Von Italien zog darauf am 24. November ein nur wenig flacheres Minimum über die Alpen hinweg und in Begleitung starker Niederschläge am folgenden Tage mitien durch Deutschland nach Dänemark und öüd- schweden weiter. Dann traten bei Schottland und dem euro- päischen Nordmeer weitere atlantische Minima, südlich von ihnen Maxima auf, die alle mit mäßiger Geschwindigkeit in nordöstlicher Richtung vordrangen. Inhalt: Friedl Weber, Die Ruheperiode und das Fruhtreiben der Holzgewächse. S. 737. Alexander Sokolowsky, Das Walroß als Jagd- und Wirtschaftstier. 6 Abb. S. 740. Hans Henning, Künstliche Geruchsspuren bei Ameisen. S. 744. — Kleinere Mitteilungen: Chr. Kies und Max Finzenhagen, Eine Lesemaschine lür Blinde. S. 745. Ad. Mayer, Wie unsere Feinde rechnen. S. 747. — Bücherbesprechungen: A. Rohrberg, Theorie und Praxis des Rechenschiebers. S. 748. Wilhelm Bölsche, Stammbaum der Insekten. S. 74S. F. Röhmann, Die Chemie der Cerealien. S. 749. A. Tschirch, Kriegs-Chemie. S. 750. N. Krebs und Fr. Braun, Die Kriegs- schauplätze auf der Balkanhalbinsel. S. 750. — Anregungen und Antworten: Die Hydrolyse der Zellulose. S. 71; I. Nachschrift zu der Miteilung von O. Taschenberg über die Zikaden. S 751. Die Verwechslung der Zikade mit dem Heuplerd. S. 751. Barszcz. S. 751. — Wetter-Monatsübersicht. 2 Abb. S. 751. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippen & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. MBL WHOI I IRR ADV ■iilli