Naturwissenschaftliche Wochenschrift BEGRÜNDET VON H. POTONI^ HERAUSGEGEBEN VON Prof Dr H. MIEHE NEUE FOLGE. 17. BAND (DER GANZEN REIHE 33. BAND) JANUAR — DEZEMBER 1918 MIT 268 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1918 Alle Rechte vorbehalten. Register. I. Größere Originalartikel und Sammelberichte. Arldt, Th., Primitive Formen und Ent- wickluDgsgebiete. 573. Auerbach, F., Zur physiologischen Opiik. 59g. Brehm, V., Das Nannoplankton. 49. Bretscher, K., Der Gesang der Vögel. 409. Bretschneider, Fr., Vergleichende Untersuchungen an Gehirnen als Beitrag zur Phylogenie der Arthropoden. 665, Br US soff, A., Über die sogenannte Fragmentation der Actinomyceten- Hy- phen. 249. Büttel- Reppen, H. v. , Beiträge zur Physiologie, Biologie und Psychologie der Honigbiene. 585. Dewitz, J., Über die Entstehung der braunen Farbe gewisser Schmetterlings- kokons. 685. Dietrich, W. O. , Ober eine neue Mastodon-Rekonstruktion. 369. Ebner, R., Asymmetrie bei Insekten. 233- Eckard t, W. R., Wie ist die Lösung des Klimaproblems der permokarbonen Eiszeit möglich? Ii;3. Eckard t, W. R., Über das Klima der diluvialen Eiszeit und der Interglazial- Zeiten. 553. Eichwald, E. , Neuere Forschungen über Fermente. 393. Eitel, W, Warum ist der regelmäöige (platonische) Zwölf- und Zwanzigfläch- ner in der Kristallwelt unmöglich? 304. Eitel, W., Die Erscheinungen der pleo- chroitischen Höfe und ihre Bedeutung für die Bestimmung des absoluten Alters der Gesteine. 633. Fischer, H, Zur Phylogenie des Blatt- grünfarbstoffes. 161. Fischer, K. , Der jährliche Gang der Beziehungen zwischen Niederschlag, Ab- fluß, Verdunstung und Versickerung im Landklima Mitteleuropas. 265. Franz, V., Die Funktion des "Daumens ain Vogelflügel. 200. Frickhinger, H. W., Bekämpfung der Mühlenschädlinge mittels Blausäure. 710. Frickhinger, H. W. , Die Bisamratte in Böhmen. 65, 83. Fuhrmann, Impfung und Unempfänglich- keit (Immunität). 17. Häußler, E. P., Über den Begriff der Reinheit bei Enzymen, ihre Benennung und die Wege, ihre chemische Struktur zu ermitteln. 145. Heller, H., Das Chlorophyll. 545. Hennig, E., Meine Stellungnahme zum Wünschelrutenproblem. 227. H o f f m e i s t e r , C, Über Meteorbeobach- tungen. 121. Ho ffme ister, C. , Falsche Himmels- erscheinungen. 342. Hoffmeister, C., Planet 191SDB, ein merkwürdiges neues Glied des Sonnen- systems. 326. Hoffmeister, C, Einige Bemerkungen über die neuen Sterne. 681. Karsten, G., Zur Frage der Eisheiligen. 569- Katscher, L. , Gedenkblatt zu August Foreis 70. Geburtstag. ';43. Killermann, S. , Zur Geschichte der Ananas und Agave. 497. Klinckowstroem, C. Graf von , Zur Wünschelrutenfrage. 137. Kranz, W., Zum Problem der Wünschel- rute. 22. Kranz, W., Nochmals zum Problem der Wünschelrute. 504, 513. Kräusel, R., Welche Ergebnisse liefert die Untersuchung tertiärer Pflanzen- reste ? 209. Krebs, W., Korrespondierende Kata- strophen auf der Sonne und in der Atmosphäre I917. 7. Kfizenecky, J., Über den Einfluß des intermittierenden Hungerns auf das Wachstum. 377. Kuhn, K., Die Ablenkung von Licht- strahlen im Gravitationsfeld. 164. Kuhn, K. , Das Spektrum der elektro- magnetischen Wellen. 649. Kühn, O. , Die Ruheperiode der Holz- gewächse. 6. Küster, E., Über die Aufgaben und Er- gebnisse der Entwicklungsmechanik der Pflanzen. 193. Lambrecht, K., Riesenvögel und Zwerg- elefanten. 225. Lambrecht, K., Die vorzeitlichen Vögel. Linke, P. F., Die Empfindung als rein psychologischer Begriff. 337. L u c k s , R., Fin weiterer Beitrag zur Frage der Schwarzwurzelfütterung bei der Seidenraupenzucht. 381. Lüttschwager, H., Der Gesang der Vögel vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt betrachtet. 430. March, A. , Erforschung des Atom- innern. 537. Müller, K., Sitzung der Vereinigung für angewandte Botanik in Hamburg am 24. September 19 iS. 724. Müll er- Freie nf eis, R. , Die physio- logischen Korrelate von Lust und Un- lust. 441- Neger, F. W., Resupination bei dorsi- ventralen und isolateralen Pflanzenorga- Nienburg, W. , Neue Wege der phy- logenetischen Pflanzenan.itomie. I05. Pander, H., Wandlungen der Tier- und Pflanzenwelt des Rheins. 481. Prochnow, O., Physiologische Selbst- beobachtungen beim Fliegen. 399. Rabes, Zoologisches aus der Jagdlite- ratur. 150. Ram ann, E. , Der Einfluß des Bodens aut Siedelung und Staatcnbildung und Kulturentwicklung. S. 705. Reh, L, Blausäure zur Bekämpfung von Ungeziefer. 628. Rei Singer, L. , Kurzer Rückblick auf die bisherigen Resultate der totalen und halbseitigen Großhirnexstirpation bei Säugetieren. 625. Sander, Hj., Mumifikation und Radio- aktivität. 593. Schaedel, A. , Bericht zur Frage der Weiterverbreitung der Malaria im Be- reiche der Festung Mainz. 572. Schmitt, €., Insekten als Blattminierer. 721. Seh ol ich, K., Warme und kalte Luft- massen in der Atmosphäre. 596. Schutt, K., Die Brown'sche Bewegung. 32'- Schutt, K., Über Röntgenspektroskopie. 611. Strauß V. Waldau, P., Einige Notizen über die Wirkung außerordentlicher Dürre im Waterberg-Distrikt von Trans- vaal, Südafrika. 33. Thellung, A., Neuere Wege und Ziele der botanischen Systematik , erläutert am Beispiele unserer Getreidearten. 449, 465. Thienemann, A., Lebensgemeinschaft und Lebensraum. 281. 295. Tschermak, A v. , Der gegenwärtige Stand des Mendclismus und die Lehre von der Schwächung der Erbanlagen durch Bastardierung. 609. Vierk Otter, P., Über Radioaktivität. 425. Viets, K., Über Wassermilben. 177. Weber, Fr., Die Permeabilität der Pflan- zenzellen. 8q. Will er, A., Das Reizleitungssystem im Herzen der Wirbeltiere. 697. Zaun ick, R., Die neueren und neuesten Arbeiten über die Frühgeschichte des Alkohols. I. Ziep recht, E., Der Kalkstickstoff. 112. II. Kleinere Original- mitteilungen. D a i b e r , T h.. Biologische Beobachtungen aus der Umgebung von Göppingen (Württemberg). 56. ;> s s 4 :i Register. D ennert, E., Zweckmäßigkeit oder Nutz- mäßigkeit? 415. Epstein, L. H. , Geologisches aus der näheren und weiteren Umgebung von Montreux. 315. Fischer, H., Weiteres vom gabeligen Leinkraut, Sileiie di chotoma. 140. F r a n z , V., Amphibienbeobachtungen. 580. Haenel, Zur physiologischen Mechanik der Wünschelrute. 313. Klinckowstroem, Graf, Nachbemer- kung. 314. Krebs, W., Übereinstimmende Gesetz- mäßigkeit bei den großen Erd- und Sonnen-Katastrophen 1917. 139. Krebs, W., Porlarlichter am Tage und in niederen Breiten. 186. Lützow, Frhr. v., Beobachtung über den Instinkt bei weißen Mäusi^n und Ver- suche darüber, ob derselbe durch Er- fahrung verstärkt werden kann. 579. Mentz, Zur Erklärung des Vogelflugs. 578. Neger, Keimungshemmende und kei- mungsfördernde Stoffwechselprodukte. 141. Neger, Traumanastie des Geranium roberiiamim. 314. Neger, Honigtau und Honigtauregen. 576. Weise, Einige Beobachtungen über die Wünschelrute. 372. Zimmermann, A., Ein Beitrag zur Be- gattungsfrage der Schnecken. 95. III. Einzelberichte. A. Zoologie, Anatomie, Allgemeine Biologie, Vererbjungslehre. Armbruster, L., Bienenzucht. 717. Armbruster, L., Experimentum crucis theoriae mendclianae. 42. Bolle, J. , Neue Futterpflanze für den Edelseidespinner. 662. Breßlau, E., und Glaser. Fr., Die Sommerbekämpfung der Stechmücken. 331- Buddenbrock, W. v. , Der Flug der Insekten zur Flamme. 29. V. Buttel-Reepen, Neue Fundstätte der Biene Andrena fulva Schrck. 447. Buttel-Reepen, H. v. , s. Verhöff 644. Buchner, O., Größenextreme bei unseren Land- und Süßwassermollusken. 245. Bücher, H., Neuzeitliche Heuschrecken- bekämpfung in Kleinasien. 190. Correns, C. , Ein Fall experimenteller Verschiebung der Geschlechtsverhält- nisse. 458. Demoll, Die Anziehung der Insekten durch das Licht. 1 15. Demoll, R., Vom Fliegen der Käfer. 376. Dewitz, Künstliche Aufhebung des Spinnens der Arthropoden. 550. Dewitz, J., Über die Braunfärbung ge- wisser Kokons. 100. Dietz, P. A., Meer und Süßwasser in der Phylogenese der Fische. 174. Doflein, F., Die Malariamücken Maze- doniens. 190, I Doflein, Teilung von Amoeba proteus. I 549- I Europäisches Steinwild. 329. Franz, V., Wiederkehrende Tertiärzeit? 58. [Franz, V., Altes und Neues über die Anpassung von Seetieren an Süßwasser und umgekehrt. 645. Gericke,H., Atmung der Libellenlarven. 533- Geweihe, Färbung. 40. Goetsch, W., Versuche an Hydra. 403. Göldi, Bedeutung der Stubenfliege für die menschliche Gesundheit. 403. Graswik, H., s. Israel. JGrimpe, G., Die Tüpfelhyäne. 256. Hase, A., Bekämpfung der Bettwanze i mit Blausäure. 438. Haempel, O., Hallstätter See. 730. Heikertinger, Die Bienenmimikry von Eristalis. 643. Heikertinger, Das Gift der „Spani- schen Fliege". I02. Heß, C, Farbensinn der Vögel und die Lehre von den Schmuckfarben. 116. Hobmai er, M., Biologie und Bekämp- fung der Gastrusfliege. 420. Hohltaube. 115. Israel, W., Ungewohntes im Vogelleben. lOl. Janicki und Rosen, Entwicklungs- zyklus des breiten Bandwurms(Dibothrio- cephalus latus L. 130. Jensen-Haarup, A. C., Brutpflege bei einer Wanze. 258. J o k 1 , A., Der Netzhaut anliegende, linsen- förmige Gebilde. 714. Kirch hoff, D. , Das Kamel und seine Zucht in Afrika. 215. Kor ff, K., Schädigungen durch Erd- raupen. 100. Krauße, A., Können die Fische hören? 389. Lilienthal, G., Einfluß der Flügelform auf die Flugart der Vögel. 390. L o o s , K. , Maikäferbekämpfung und Vogelwelt. 189. Lutz, H., Die Drüsenzellen der Schnecken- leber. 257. Mertens, Eine merkwürdige Fangheu- schrecke. 28. Müller, R. T., Zur Biologie und physi- kalischen Chemie eines Phyllopoden. 717. Nachtsheim, H., s. Armbruster. Naturschutz in der Schweiz. 474. Pascher, Das stammesgeschichtliche Ver- hältnis zwischen Flagellaten und Rhizo- podcn. 41. Pascher, Quallenähnliche Flagellaten. 130. Pascher, A., Die rhizopodiale Entwick- lung der Flagellaten. 387. Petersen, C. G. J. , Meeresboden der dänischen Meeresteile und seine Be- wohner. 691. P 1 a t e , Vererbungsstudien an Mäusen. 729. Plehn, M., Fettmengen in dem Körper unserer Süßwasserfische. 43. P 1 e h n , M., Die wirtschaftliche Bedeutung der Fischzucht. 715. Prell, H., Kennzeichen, Lebensweise und Bekämpfung unserer wichtigsten Stech- schnaken. 490. Reichenow, s. Rörig. Rhumbler, L. , Formeldarstellung für Insektenbiologien. 623. jRoemer, Th, s. Armbruster. Rörig und Reichenow, Die Säuge- tiere und Vögel des Urwaldes von 1 Bialowies. 492. Rosen, s. Janicki. Rosenbaum, W., Insekten in höheren Luftschichten. 437. Ruud, G., Zur Histologie der Haut von Chiraaera. 732. Schief ferdecker. Sauerstofforte und Reduktionsorte im Organismus. 677. Schmitt, C, und Stadler, H. , Neue Beobachtungen über den Kuckucksruf. I 403- Schmitz, H. , Biologische Beziehungen I zwischen Dipteren und Schnecken. 26. Schweppenburg, Frhr. v., Deutsches ; Vogelleben. 1S8. ; Speck, J. , Oberflächenspannungsdiffe- renzen als eine Ursache der Zellteilung. 530- Spemann, Entwicklungsmechanik des j Wirbeltierauges. 677. 'stadier, H., s. Schmitt, C. Stellwaag, F., Cyanwasserstoff gegen den Traubenwickler. 622. Stellwaag, Das Massenauftreten des Rebstechers in der Rheinpfalz im Früh- jahr 1917. 389. Szymanski, J. S. , Landinsekten in Wassersnot. 678. Szymanski, Der biologisch richtige Verlauf des Lernvorgangs bei weißen Mäusen. 276. Szymanski, Taktile Tiere. 58. Teich mann, E. R., Bekämpfung der Wachsmotte mit Blausäure. 438. Teichmann, Bekämpfung der Fliegen- plage. 645. Teichmuschel, Zirkulation. 43. Verhoeff, K. W. , Morphologie und I Biologie der Carabus-Larven. 214. Verhoeff, C, und Buttel-Reepen, H. V., Soziale Züge bei solitären Bienen. 644. Veröffentlichungen der Deutschen Gesell- schaft für angewandte Entomologie. 329. Vogel, R., Wie kommt die Spreizung und Schließung der Lamellen des Mai- käferfühlers zustande? 495. Wasmann, E. , Absolute Rotblindheit der kleinen Stubenfliege. 43S. Wilhelmi, Giftigkeit der Mießmuschel. 702. Wolterstorf f, Neueres zur Lebensweise und Psychologie der Frösche. 373. Zimm er mann , H., Die Kohlwanze. 99. B. Botanik, Bakteriologie, Landwirtschaft. Bach mann, E. , Kalklösende Algen, kalklösender Pilz. 24. Bai lau d, M., Ersatzmehle in Frankreich. 530. Berthold, E., Verhalten der Bakterien im Gewebe der Pflanzen. 256. Buder, J., Die phototaktischen Reak- tionen der Mikroorganismen. 217. Currie, J., s. Neger. Fisch mann, Wert des Laubheus. 624. Gassner, O., s. Molisch. Härder, s. Karsten. 334. Hauri, Anatomische Untersuchungen an Polsterpflanzen. 386. Heinricher, Die Erzeugung von Hexen- besen durch die Zwergmistel. 659. Register. Heinricher, E., s. Molisch. Jordi, E., Die Selbstentzündung der Heuslöcke. 332. Karsten, G., Härder, Licht, Zell- teilung und Keimung. 334. Karsten, G., Kompaßpflanzen. 659. Kavina, s. Leick. Lindner, Joh. , s. Neger. Leick, E. , Blütenbiologische Unter- suchungen. 47. Miehe, H,, Die Bakteriensymbiose der Ardisia. 215. Molisch, H., Panaschüre. il. Molz, E. und Naumann, A., Zwei ge- fährliche Kartoflelschädlinge. 296. Neger, F. W., Biologie und Systematik der Pilze. 9. N i e n b u r g , M., Die Flechtensymbiose. 82. Nißle, Unterscheidung und Nutzbar- machung einzelner Kolistämme für die Bekämpfung anderer pathogener Darm- bakterien. 61. Otto, H., s. Neger. Pousild, Erforschung der Pflanzenwelt Nordgrönlands. 548. Richter, O., Über das Erhaltenbleiben des Chlorophylls in herbstlich verfärbten und abgefallenen Blättern durch Tiere. 4S. Sandstede, H., Neues Exsikkatenwerk über Cladonia. 566. Schiffner, Phylogenie der Lebermoose. 421. Schotte, G., Die Lärche und ihre Be- deutung in der schwedischen Forst- wirtschaft. 255. Stälfelt, G., Bewegungen der Spalt- öffnungen. 458. Stark, P., Kontaktreizbarkeit im Pflanzen- reich. 24. Steinecke, Formationsbiologie der Al- gen. 400. Tom, Gh., s. Neger. Vöchting, H., Die umgekehrte Pflanze. 656. C. Physiologie, Medizin, Psychologie. Behandlung von Kriegswunden mit Sonnen- licht. 277. Berns torff, Über die Krätze in der Türkei während des Krieges. 207. d e 1 C a m p o , E., s. M ü 1 1 e r , H. Fürth, Fische als Überträger von Infek- tionskrankheiten. 61. Hammer, G. , Fremdkörper im Ver- dauungstraktus. 86. Herzog, G., Mikroskopischer Befund nach einem Fall von Pilzvergiftung. 44. Hess, C, Altersstar. 623. Hirsch, Chr., Arbeitsrhythmus der Ver- dauungsdrüsen. 421. Klostermann, s. Schmidt. Kollmann, J., Die Ungarn. 155. Kopec, St., Lokalisationsversuche am zentralen Nervensystem der Raupen und Falter. 462. Küttner, H., Transplantation aus dem Affen und ihre Dauererfolge. 44. Lapicque und Legendre, Mangel an Brotgetreide auch in Frankreich. 25. Laveran, A., Malariakrankheit im nord- westlichen Frankreich. 252. Lipschütz, Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertäts- drüse. 27. Lipschütz, A., Differenz in der Körper- temperatur zu Gunsten des Weibchens. Z05. Lipschütz, A., Zur allgemeinen Physio- logie des Wachstums. 404. Moede W., und Piorkowski, C, Psychologische Prüfung von Schul- kindern. 619. Müller H. und del Campo, E., Eine neue Funktion der Thymusdrüse. 461. Naumann, E. , Gang der Totenstarre. 254. Ollp, Wünschelrute. 57. Pfaundler, M. , Körpermaßstudien an Kindern. 510. Piorkowski, C., s. Moede. Pirquet, Die Beziehungen zwischen Körpergewicht und Umsatz. 202. ■Schmidt, Über den Wert der Pilze als Nahrungsmittel. 26. Scholta, s. Schmidt. [Schulz, H., Einfluß des Genusses einer i geringen Menge von Alkohol auf die j Reaktionsgeschwindigkeit. 206. ISchwarz C, und Wiechowski, W., Beiträge zur Kenntnis der Nierentätig- keit. 240. Steinitz, E., Wandernde Kugel. 623. Stepp, Bazillenträger. 590. Stern, W., Über eine psychologische Prüfung an Straßenbahnführerinnen. 230. Thoms, H., Über deutsches Opium. 60. Turcsson, Auftreten von Pilzen im Verdauungskanal des Menschen. 388. D. Geologie, Hydrographie, Paläontologie. Ammon, L. v., Tertiäre Vogelreste von Regensburg und die jungmiocäne Vogel- welt. 642. Andree, K., Über Sedimentbildung am Meeresboden. 220. Andree, K., Vorkommen und Herkunft des Schwerspates am heutigen Meeres- boden. 618. Antevs, E., Fehlen resp. Vorkommen der Jahresringe in paläo- und meso- zoischen Hölzern usw. 385. Bey schlag. Über die Veränderlichkeit der Form der Erzlagerstätten. 732. Blomquist, E. , Neue Bestimmungen über die Verdunstungsgröße freier Wasseroberflächen. 549. D a h m s , P., Gewinnung und Verwendung von Geschiebeblöcken im Ordensstaate Preußen vor 500 Jahren. 360. De ecke, W., Färbungsspuren an fossilen Molluskenschalen. 84. Enquist, Fr., Der Einfluß des Windes auf die Verteilung der Gletscher. 170. Erdmannsdörffer,0. H., Schieferung und Schichtung in kristallinen Schiefern. 660. Friedensberg, F., Kalivorkommen und Kaligewinnungsversuche in den Vereinig- ten Staaten von Nordamerika. 229. Geyer, D. , Die Mollusken des schwä- bischen Lößes in Vergangenheit und Gegenwart. 459. Grupe, O. , Über jüngeren und älteren Löß im Flußgebiet der Weser. 169. Halle, T. G., A fossil sporogoniura from the lower devonian. 459. Jablonsky, Zur fossilen Flora Ungarns. ' Keilhack, K., Die großen Dünengebiete Norddeutschlands. 167. ' Keller, Exakt nachweisbarer Eingriff des Menschen in den natürlichen Kreislauf des Wassers. 629. Königsberger, J. , Alpine Mineral- lagerstätten. 591. K o ß m a t , F r., Studienreise in den Kreisen Milrovica, Novipazar und Prijepolja, Altserbien. 45. Kraiß, A. , Ülgebiet der Wietze in der Lüneburger Heide. 290. Kranz, W., Bodenfiltration usw. 563. Kudielke, E. , Manganerze im Erz- gebirge. 292. Linstow, O. V., Gegenwärtige Boden- bewegungen bei Bückeburg, Göttingen usw. 688. Nopcsa, Baron F., Riesenwuchs und Aussterben der Dinosaurier. 290. Petraschek.W., Grundlagen der Mon- tanindustrie im Königreich Polen. 156. P f e i f f e r , W., Gipskeuper in Süddeutsch- land. 508. Pilz, R.i Erzlagerstätten in der Gegend von Arghana Maden. 531. Ramann, Bodenfragen. 675. Riedel, A. , Beiträge zur Paläontologie und Straligraphie des deutschen Oberen Muschelkalks. 23S. Salomon, W., Der Wasserhaushalt der Erde. 508. Sapper, K., Katalog der geschichtlichen Vulkanausbrüche. 166. Schreiber, K., Deutsche Platinlager- stätten. 5!3. Soergel, W., Der Steppeniltis Foetorius Eversmanni Less. aus dem oberen Tra- vertin des Travertingebieles von Weimar. 460. Stille, H., Injektivfaltung. 674. Stolley, E., Über einige Ceratiten des deutschen Muschelkalkes. 239. Stromer, E., Säge des Pristiden On- chopristis numidus und über die Sägen j der Sägehaie. 46. i W e t e k a m p , Die erratischen Blöcke der Mark Brandenburg als Naturdenkmäler. 367. Wolff, F. v. , Deutschlands Goldlager- stätten. 434. Zimmermann, Die geologischen Eigen- j Schäften des Bober-Katzbach-Gebirges j usw. 405. j E. Geographie. Archambault, M., Forschungsreisenach Neukaledonien. 391. Thurnwald, R. , Geographische und ethnographische Forschungen inDeutsch- Neu-Guinea. 477. i Die Größe Perus. 391. I I F. Völkerkunde, Anthropologie. ! Karsten, R. , Ursprung der Verzierung bei den Indianern Südamerikas. 293. K oll mann. Zur Anthropologie der Ju- den. 98. Furlong, Indianerterritorien in Süd- amerika. 462. P o e c h , Anthropologische Untersuchungen an russischen Kriegsgefangenen. 333. Schulz, H. , Einfluß alkoholischer Ge- I tränke auf die Reaktionszeit. 154. S t u h 1 m a n n , Bevölkerung Arabiens. 565. G. Astronomie. Berberich, Verringerung der Helligkeit der Kometen. 173. Campbell, Helligkeitsschwankungen bei Planeten. 592. Campbell, Rätselhaftes Verhalten der Nebel. 694- C h a r 1 i e r , Anschauungen vom Bau des Universums. 133. Curtis, Studium der Nebelflecken. 621. Einstein, Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativiiätstheorie. 328. Innes, « Centauri. 173. Jeffreys, Kosmogonie des Sonnen- systems. 646. Kohlschütter, A., Neuer veränder- licher Stern 6. Größe. 727. Mecking, L., Die elfjährige Periode der Sonnenflecken als klimatischer Faktor. 347. Nicholson, Die äußersten Monde des Jupiter. 622. Pease undShapley, Symmetrieachsen in Sternhaufen. 621. Shapley, s. Pease. Slipher, Grüne Nordlichtlinie. 621. We gener, A. , Der Meteoritenfall vom 3. April 1916 in Hessen 206. Winnecke, Meteorschwarm. 661. Wolf, Entdeckung eines kleinen Planeten. 328. Wolf er, A., Sonnenflecken -Maxiraum. 727. Der neue Stern im Adler. 660. Parallaxe eines Nebels. 647' Sternparallaxe. 661. H. Physik, Meteorologie. Benedict, E., s. Senftleben. Bückin g, Hörbarkeit des Kanonen- donners. 292. Defant, A., Neue Methode zur Ermitt- lung der Eigenschwingungen von abge- schlossenen Wassermassen. 365. Dessauer, F., Neuer Hochspannungs- transformator usw. 418. Eckard t, W. R., Luftdruck und Regen- fall im Mitlelmeergebiet. 728. Ehrenhaft, Zur Physik des millionstel Zentimeter. 15. G e r d i e n , H., Struktur des Windes. 243. Haeuser, J., Wolkenbruch von Nürn- berg am 3. Juli 1914- 82. Hellmann, G., Die Bewegung der Luft in den untersten Schichten der Atmo- sphäre. 417. Heß V., und Kofi er, M. , Durch- dringende Strahlung. 277. Heß, V., und Schmidt, W., Verteilung radioaktiver Gase in der Atmosphäre. 402. Hesselbe rg, Th., Stabilität in der Atmosphäre und im Meere. 478. Hof wimmer, F., und He ekel, F., Berechnung der Explosionstemperatur von Explosivstoffen usw. 244. Kasperowicz, W., Ein galvanischer Unterbrecher. 463. Kofier, M., s. Heß, W. Kölzer, J. , Die Witterung in Polen unter dem Einfluß der Zugstraße Vb. 463- Koppen, W., Nebelbildung über Land und Meer. 243. March, H. W., s. Sommerfeld. Meißner, O., Seismographen. 346. Meißner, O., Seegang in Norwegen und die mikroseismische Bewegung. 630. Nölke, Fr., Anomalien in der Ausbrei- tung des Schalles. 62. Richarz, F., Brockengespenst. 706. V. Ry bczin ski, W., s. Sommerfeld. Schaf fers, V., Abnormer Verlauf der Schallstrahlen. 242. Schmidt, H. , Lenardsche Theorie der Dampfkondensation auf Nebelkernen. 678. Senftleben, H., und Benedict, Eine Methode zur Bestimmung der Tempe- ratur leuchtender Flammen. 4Ö3. Senftleben, H., und Benedict, E., Optische Konstanten und Strahlungs- gesetze der Kohle. 365. Sommerfeld, A., Drahtlose Telegra- phie. 12. Stark, Joh. , Das- Nordlichtspektrum. 435- Suchtey, K., Brockengespenst. 706. Vegard, L., Atombau auf Grundlage der Röntgenspektren. £31. War bürg, E. , Rationelle Lichteinheit. 6qo. Wicchowsky, W., s. Schwarz, C. Wiese, B. , Kälteeinbruch vom 7. zum 8. Februar 1917. 728. Wintz, H., Röntgenröhren. 231. Drahtlose Verbindung zwischen den Ver- einigten Staaten und Japan. 218. I. Chemie, Mineralogie. Bergt, W., Die Stellung des Pyroxen- granulites im System der Eruptivgesteine. 528. Bornemann, K,s. Stutzer. Eggert, J., und Schimank, H., Ein regelwidriger Sprengstoff. 529. Groß, W, s. Stutzer. Groß mann, H. , Versuche zur Lösung der Stickstofftrage im feindlichen Aus- land. 172. Grün, A., Die Symmetrie des Rotkupfer- erzes. 528. N e u m a n n , B., Schwarzer Schwefel. 348. Scherrer, P., Die Kristallform des Alu- miniums. 219. Schimank, H., s. Eggert, J. Stettbacher, A., Chemische Spreng- stoffmöglichkeiten. 368. Stocklossa, G., Natur des Wassers in den Zeolithen. 564. Stutzer, F., Groß, W., Bornemann, K., Magnetische Eigenschaften der Zink- blende. 533. Thoms, H., Die Beschleunigung der Dialyse durch Gleilung. 219. IV. Bücherbesprechungen. Ähren s, W. , Alles und Neues aus der Unterhaltungsmathematik. 6S0. Andree, K., Über die absolute geolo- gische Zeitrechnung im allgemeinen und ihre Förderung durch die fortschreitende Kenntnis der Tiefscesedimente im be- sonderen. 513. Arldt, Th. , Germanische Völkerwellen und die Besiedelung Europas. 143. Auerbach, F., Ernst Abbe, sein Leben, sein Wirken, seine Persönlichkeit. 222. Auerbach, F., Die Grundbegriffe der modernen Naturlehre. 260. Bauer, H. , Physik der Röntgenologie. 335- Bär, J., Die Vegetation des Val Onser- none. 582. Berg, A. , Ätherströmungs- und Äther- slrahlungshypothese usw. 568. Berger, Fr., Biene, Honig und Wachs. 135- Besser, H., Natur- und Jagdstudien in Deutsch-Ost-Afrika. 64. Biedermann, R., Sprengstoffe. 318. B ö 1 s c h e , W., Schutz- und Trutzbündnisse in der Natur. 735. Bölsche, W., Neue Welten. 31. Bucky, G. , Die Röntgenstrahlen und ihre Anwendung. 5 II. Bugge, G. , Strahlungserscheinungen, Ionen, Elektronen und Radioaktivität. 446. Büsgen, M., Bau und Leben unserer Waldbäume. 260. B r e s t e r , A., Explication des phenomenes solaires les plus importants. 335. Brunies,S.,Der Schweizerische National- park. 279. Christen, Th., Die menschliche Fort- pflanzung. 175. C lassen, W. , Die deutsche Landwirt- schaft. 439. Conwentz, H., Merkbuch für Natur- denkmalpflege und Verwandte Bestre- bungen. 734. Dannenberg, P., Zimmer- und Balkon- pflanzen. 87. Davis, W. M., und O e s t e r r e i c h , K., Praktische Übungen in physikalischer Geographie. 440. Defant, A., Wetter und Wettervorher- sage. 552. DemoU, R., Die Sinnesorgane der Ar- thropoden usw. 30. Diels, L., Pflanzengeographie. 552. D o V e , K. , Wirtschaftsgeographie von Afrika. 117. Escherich, K., Die Ameise. 30. Fischer, E., L. Fischer's Tabellen zur Bestimmung einer Auswahl von Thallo- phyten und Bryophyten. 606. Foerster, H., Bäume in Berg und Mark usw. 704. Foerster, K., Vom Blütengarten der Zukunft. 446. Frech, P., Allgemeine Geologie 1, II, IV. 496. Fricke, Eine neue und einfache Deu- tung der Schwerkraft. 703. Frickhinger, H. W., Die Mehlmotte. 582. Froelich, H., Der Strablungsdruck als kosmisches Prinzip. 222. Froriep, A. v. , Schädel, Totenmaske und lebendes Antlitz des Hoffräuleins Luise von Göchhausen. 260. Gaupp, E. , August Weisraann, sein Leben und sein Werk. 16. G o e b e 1 , K., Organographie der Pflanzen. 663. Gulik, D. van, De Wichelroede. 136. Gutzeit, E., Die Bakterien im Haushalt der Natur und des Menschen. 703* Gürich, G., Das Erdöl in Nord West- deutschland. 407. Haeckel, E., Kristallseelen. 247. Hartmann M. , und Schilling, C, Die pathogenen Protozoen. 259. Registe Hauser, K., uod Segall, A., Zoologie in Fragen, Antworten und Merkversen. 1 735- Hanneke, P., Das Arbeiten mit kleiner Kamera. 445. Hanneke, P., und König, W., Photo- graphischer Notiz- Kalender für das Jahr 191S. 350. Hedin, Sv. , Bagdad, Babylon, Ninive. 704. Heim, A., Geologie der Schweiz. 495. H e 1 m h o 1 1 z , Drei Vorträge über Goethe. .36. : Hennig, H., Der Traum, ein assoziativer Kurzschluß. 695. j Heß, R., Der Forstschutz. 318. H i n s e 1 m a n n , E., Unveränderlichkeit oder Veränderlichkeit der Lage der Erdachse? 335. Höfer, H. Edler von Hcimhalt, Die geothermischen Verhältnisse der Kohlenbecken Österreichs. 135. Huberrisser, G., Anleitung zum Photographieren. 64. Jahrbuch der Urania uad astronomischer Kalender für 1918. 87. Karny, Tabellen zur Bestimmung ein- heimischer Insekten. 407. Klinckowstroem, Graf C. v.. Neues von der Wünschelrute. 606. Kohlschütter, Prof. Dr. V., Nebel, Rauch und Staub. 734. Kohlschütter, V., Die Erscheinungs- ! formen der Materie. 278. ' Köhler, \V., Intelligenzprüfungen an Anthropoiden. I. 733. König, W., s. Henneke, P. Koppe, M., Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1918. 335. Kreibig, J. K. , Die Sinne des Men- schen. 318. Kühn, A. , Anleitung zu tierphysiologi- schen Grundversuchen. 223. Kükenthal, W., Leitfaden für das Zoologische Praktikum. 534. Lange, W., Die funktionelle Anpassung usw. 261. Langen maier, Th., Lexikon zur alten Geographie des südöstlichen Äquatorial- afrika. 518. Lecher, E., Lehrbuch der Physik für Mediziner, Biologen und Psychologen. 223. Lindau, G., Die höheren Pilze (Basidio- myceten). 223. Lindow, M, Differentialrechnung. 680. Lipschütz, A. , Probleme der Volks- crnährung. 446. Lipschütz, A. , Über den Einfluß der Ernährung auf die Körpergröße. 479. Löscher, F., Leitfaden der Landschafts- Photographie. 424. Luckey, P. , Einführung in die Nomo- graphie. 680. Männchen, P., Geheimnisse der Rechen- künstler. 680. Meyer, R., Victor Meyer. 317. Meinhof, C, Afrikanische Märchen. 536. Miehe, H., Allgemeine Biologie. 248. Migula, Rost- und Brandpilze. 350. Molisch, H., Ptlanzenphysiologie. 258. Müller, A., Referenzflächen des Him- mels und der Gestirne. bSo. Müller, K., Rebschädlinge und ihre neuzeitliche Bekämpfung. 571. Nagler, C, Am Urquell des Lebens. 583- Nordenflycht, G. Frhr. v., Das Deut- sche Waid werk. 261. Fax, F., Wandlungen der schlesischen Tierwelt in geschichtlicher Zeit. 16. Pirquet, Chr. Frhr. v., System der Er- nährung. 31. Praesent, H., Polen, Bibliographischer Leitfaden. 279. Raehlmann, E., Goethe's Farbenlehre. 222. Ramann, E., Bodenbildung und Boden- einteilung. 447. Ramsay, W., und Rudorf, G., Edel- gase. 219. Reves, B., Geschichte des Seelenbegriffs und der Seelenlokalisation. 245. Richter, J., Böttger's Praktische Anlei- tung zur Kultur der wichtigsten Öl- gewächse. 663. Riß, Unsere wichtigsten wildwachsenden Heil-, Gewürz- und Teepflanzen. 583. Rotth, A., Grundlagen der Elektrotech- nik. 408. Rothe, K. C, Vorlesungen über allge- meine Methodik des Naturgeschichts- Unterrichts. 662. Rudorf, G., s. Ramsay. Sachs, A., Repetitorium der allgemeinen und speziellen Mineralogie. 446. Sarasin, Fr., Neu-Caledonien und die Loyalty-Inseln. 144. Schlick, M. , Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik. 258. Schmidt, M., Die Aruaken. 142. Schneider, R. , Tabellen zur statisti- schen Wettervorhersage für Nicderöster- rcich. 349. Schriften zur Psychologie der Berufseig- nung und des Wirtschaftslebens. 606. Schulze, F. A., Große Physiker. 320. Schweinfurth, G. , Im Herzen von Afrika. 43g. Siebert, Fr., Der völkische Gehalt der Rassenhygiene. 223. Siemens, H. W. , Die biologischen Grundlagen der Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. 261. Silbermann, Th., Der Weltanfang und die Bildung von Energien und Stoffen. 260. Simmel, E., Kriegsneurosen und „psy- chisches Trauma". 519. Solch, J., Beiträge zur eiszeitlichen Tal- geschichte des Sieirischen Randgebirges. 535- Spranger, Edm. , Begabung und Stu- dium. 221. Sprengel, Chr. K. , Die Nützlichkeit der Bienen und die Notwendigkeit der Bienenzucht, von einer neuen Seite dar- gestellt. 703. Stadimann, Der Wellkrieg und die Naturwissenschaften. 63. Stehli, G., Aus der Bibel der Natur. 606. Stern pell, W. , Licht und Leben im Tierreich. 662. Stentzel, A. , Jesus Christus und sein Stern. 519. Sterzel, J. T., Die organischen Reste des Kulms und Roiliegenden der Gegend von Chemnitz. 582. StoU, A., s. Willstätter. Thonner, F., Anleitung zum Bestimmen der Familien der Blütenpflanzen. 262 Trendelenburg, W., Stereoskopische Raummessung an Röntgenaufnahmen. 176. Tschudi, Fr. V., Biographien und Tier- zeichnungen aus dem Tierleben der Alpenwelt. 43S. Voss, A., Der Botanikerspiegel. 135. Wagner, P., Lehrbuch der Geologie und Mineralogie. 63. Walther, Joh., Vorschule der Geologie. 511. Warming, E., und Graebner, F., Lehrbuch der ökologischen Pflanzen- geographie. 479. Wieleitner, H., Der Begriff der Zahl. 695. Wiesent, J. , Repetitorium der Experi- mentalphysik. 479. Willstätter, R., und StoU, A., Unter- suchungen über die Assimilation der Kohlensäure. 603. Wunderlich, E., Polen, Geographischer Bilderatlas. 279. Wunderlich, E., Oberflächengestaltung des Norddeutschen Flachlandes. 278. Ylppö, A., PH-Tabellen. 317. Zacher, F., Geradflügler Deutschlands und ihre Verbreitung. 551. Zade, A., Der Hafer. 422. Zimmer, C, Anleitung zur Beobachtung der Vogelwelt. 445. Zuntz, N., Ernährung und Nahrungs- mittel. 176. V. Anregungen und Antworten. Astrologie im 20. Jahrhundert. 32, 158. Automobilrad, Die stillstehenden Speichen desselben. 408. Berichtigungen. 104, 280, 512, 624, 632, 720. Berichtigung zum Aufsatz „Brasilianische Säugetiere und Vögel". 88. Berichtigung zum Artikel „Das Nanno- plankton". 279. Beobachtung. 120. Bomben, Fallgeschwindigkeit. 648. Bombe , Kann sie im Luftr.aum schneller fallen als in der Luftleere? 447. Bolanikerspiegel. 303. Botanische Beobachtungen auf östlichen, westlichen und südlichen Kriegsschau- plätzen im Jahre 1917. 262. Botanisches vom östlichen Kriegsschau- platz. 159. Deutsche Gesellschaft für angewandte Entomologie. 536. Dohle, Anhänglichkeit. 280. Druckfehler. 448, 584. Druck- und Wärmemesser der Zukunft. 8S. Entgegnung Kritzinger und Bemerkung Riem. 376. Entladungspotential und Schlagweite. 448. Exstirpaliü lienis seu splenis. 512. Fasergewinnung, einheimische. 264. Flamingos, Zug. 607. Fliegen, Physiologische Selbstbeobachtung Jabci. 664. Fliegen, Vertilgung. 279. Forschungsanstalten. 352. Fronltiere und Eiappentiere. 160. Geschützfeuer und Wetterlage. 103. Insekten, fossile. 607. Jupiter, Schatten in seinem Licht. 464. Jupiter, Schattenwurf. 136. Kanonendunner. 191. Katastrophe auf der Sonne und in der Atmosphäre 1917. 191. Register. Katzen, Intelligenz bei. 191. Käfer, Flug. 448. Käferflug 5S3. Kampfgase, Empfindlichkeit der Tiere da- gegen. 160. Keramelberg, Naturbeobachtungen am. 60S. Kröten, Abnormer Mageninhalt. 664. Kurland, Flora. 15S. Libellenwanderungen. 32. Luftwellen als Schlieren sichtbar. 32. Mastodon - Rekonstruktion, Erwiderung. 704. Meisen, Elterninstinkt. 263. Menschenaffen, fossile. 464. Menschenaffen, ihre Rassen und Arten. 480. Mikroskopische Technik, Ersatzmittel. 608. Multiplikationsverfahren, russisches. 102, 512. Nepenthes, Insektenfang. 304. Nordseefischerei und Krieg. 264. Nosema apis. 1 19. Ornithologische Kriegsnotizen 1917. 263. Planeten , Sichtbarkeit bei Sonnenschein. 119. Polarlichter am Tage und Girren. 336. Reismelde, Anbauversuche. 448. Rheinspiegel, Oszillation. 104. Schallcrscheinungen , merkwürdige im Felde. 120. Scheinhermaphroditismus bei Fischen. 120. Schmarotzerwürmer, Literatur. 88. Schmetterlingsschuppen, Chemie ihrer Farbstoffe. 448. Schnecken, Begattung. 424. Seefelder bei Reinerz. 119. Singzikaden. 351. Skolopender, Giftwirkung. 719. Stenzel, Zur Beurteilung seines Buches. 696. Störche, Familienleben. 103. Sträucher und Bäume im laublosen Zu- stande, Bestimmung derselben. 191, 392, 583- Süßwasserfische, ausländische in deutschen Gewässern. 280. Tierwanderungen, Literatur. 736. Triel. 719. Trilobiten, Biologie. 607. Venusbeobachtungen. 352. Waldschnepfe, strengere Schonvorschriften. 136. Wespenbeobachtungen. 632. Wespen, Magenuntersuchung. I20. Wiederholungsgefühl. 648. Wildrosen. 424. Wölfe in Ostpreußen 1917. 103. Wörterbuch wissenschaftlicher Namen von Tieren und Pflanzen und wissen- schaftlicher Fachausdrücke. 88. Wünschelrute. I03, 512. Zoologische Gesamtwerke, illustrierte. 88. Zweckmäßigkeit oder Nutzmäßigkeit. 648. VI. Abbildungen. Acereus ornatus. Ibo. Aepyornis maximus. 363. Agave, alte Abbildung. 502. Alebra albostriella. 233. Ananas, alte Abbildungen. 499, 500. Apis mellifica. 235. Apus, Gehirn. 669. Archaeoptery.x, Rekonstruktion. 355. Arrhenurus caudatus. 179. .■\rrhenurus bruzelii. 180. Aurosphaera echinata. 55. Avena fatua, sativa, byzantinica, sterilis. 454. 455- Bettwanze. 330. Bisamratte. 66, 67, 70. Bisamratte , Karte der Verbreitung in Böhmen. 65. Bisamratte, Winterburgen. 68, Bisamrattenbau. 68. Bisamratlenfallen. 77, 78. 79. Bisamrattenröhren. 69, 70, 75, 76. Bucculatrix frangulella, Gangminen. 722. Calciosolenia Grani. 53. Calopteryx splendens. 235. Campodca, Gehirn. 670. Capritermes talpa. 236. Carabidion australe. 234. Carcharodon, Zahn. 522, 523. Chrysarachnion. 837. Chrysococcus dokidophorus. 54. Coccolithophora pelagica. 522. Coccoliihophoriden. 50. Corydia nuptialis. 237. Crucigena Tetrapedia. 54. Cyclolella bodanica. 54. Cyclops strenuus mit einem Procercoid von Dibothriocephalus latus. 132. Dialomeenschlamra. 524. Dibothriocephalus latus, Entwicklungs- stadien. 131, 132, 133. Dichroskopische Lupe. 634. Diornis maximum, Skelett. 362. Discosphaera. 522. Eidechse, Herz. 698. Eleklroskop. 425. Empusa fasciata, Larve. 29. Falken. 201. Flußmuschel, von Bisamratte angenagt. 74. Forficula auricularia. 234. Gastornis Edwardsi, Skelett. 358. Gcfäßbündel , an der Stelle des Über- ganges der Wurzel in den Sproß. 106, 107, 108, HO, III, 112. Glaukonitsand. 521. Glazialgeschiebe im Globerinenschlaram. 527- Globigerina balloides. 523. Globigerinenschlamm. 523. Gymnodinium tenuissimum. 50. Halopappus adriaticus. 52. Helicogena pomatia, Riesen- und Zwerg- form. 245. Hemithyrsocera histrio. 238. Heterodinium kofsidi. 49. Hesperornis, Rekonstruktion. 357. Ichthyornis victor, Skelett. 357. lulus, Gehirn. 669. Krebs, von Bisamratte angenagt. 74. Lauterborniclla elegantissima, 54. Lepidofaphcs ulmi. 238. ! Lepisma, Gehirn. 671. 1 Limnaea palustris, Zwerg- und Riesen- I form. 245. Limulus, Gehirn. 668. Liogryllis campestris. 235. Listroscelis ferruginea. 236. Lithocelletis, ßlasenminen. 723. Lyonetia clerkella, Gangmine u. Puppen- wiege. 721. Mastodon, Rekonstruktionen. 370. Manganknolle. 524. Meringosphaera mediterranea. 53. Myxochrysis, Entwicklungsfolge. 388. Nepticula centifoliella, Gangminen. 722. Nereis, Gehirn. 666. Nosema apis. 1 19. Oecanthus pellucens. 351. Oedipoda miniata. 235. Orchestes fagi, Minen. 723. Paranauphoeta shelfordi. 235. Peripatus, Gehirn. 666, 667. Periplaneta americana. 234. Phillipsitkristalle. 524. Phororhacos inflatus, Skelett. 360. Phytomiza nigra, Gangminen. 723. Piona nodata. 178, 179. Platycleis roeselii. 238. Pleochroitische Höfe. 634, 635, 636. Pteropodenschlamm. 523. Radiolarienschlamm. 524. Resupinierte Blätter. 183, 184, 1S5. Rhabdosphaera. 522. Riesenstrauße. 225, 226. Rohrweihe. 202. Ruckvogel. 227. Saperda carcharias. 235. Säugetierherz. 699. Schnecke, 12 Stadien der Kopulation. 96, 97, 9S. Seidenraupenkokon, Querschnitte. 383, 384. Selachier, Herz. 697, 698. Skorpion, Gehirn. 668. Stechfliege. 331. Stubenfliege. 331. Stylopyga orientalis. 233. Syracosphaera cornifera. 53. Szimnoyt. 227. Taphroderes distortus. 236. Termes speciosus. 236. Tetrastrum alpinum. 54. Tettigonia caudata. 238. Thylopsis Ihymifolia. 234. Tischeria, Minen. 722, 723. Tomocerus flavescens. 671. Tricondyla aptera. 236. Tropidoderus childreni. 237. Uferbruch, verursacht durch die Bisam- ratte. 76. Urvogel. 354. Vergaser für Blausäureräucherung. 7^^- Vogelherz. 698. Weidensteckling, umgekehrter. 657, 658. Welwilschia mirabilis. 37. Wietzer Ölgebiet, Tektonik. 291. Wünschelruten. 504, 505. 506. Xylocopa micans. 235. VII. Literaturlisten. 16, 48, 120, 160, 224, 234, 264, 296, 304, 320, 376, 392, 496, 512, 520, 536, 568, 584, 680, 720, 736. G. Pätzsche Buchdr. Lippcrl & Co. G. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 6. Januar 1918. Nummer 1. Die neueren und neuesten Arbeiten über die Frühgeschichte des Alkohols. [^fachdn.ck verboten.] Von Rudolph Zaunick in Dresden. Die „Alkoholfrage" bewegt heutzutage weite Kreise und läßt die Meinungen hart aufeinander- platzen. Doch den Historiker der Naturwissen- schaften beschäftigt eine andere Alkoholfrage: das Problem der Frühgeschichte dieses StoiTes. Zwei Theorien standen sich lange Zeit schroff gegenüber. Einmal die Ansicht, daß arabische Alchemisten die Destillation des Weines erfunden hätten. Zum anderen die Meinung, daß im mittel- alterlichen Südeuropa die Wiege der Alkoholdar- stellung zu suchen sei. Besonders in unserem Jahrzehnt hat man diesen historischen Unter- suchungen Raum gegeben, und die Chemiko- historik, die Arabistik und die klassische Philologie waren und sind eifrigst bestrebt, in das geschicht- liche Dunkel hineinzuleuchten. Jetzt, wo eine weiter unten näher zu besprechende Akademie- abhandlung Hermann Degerings vorliegt, die meines Erachtens einen peripetischen Punkt in den wechselnden Anschauungen über die Ent- deckung des Alkohols darstellt, ist es wohl be- rechtigt, kurz über den Inhalt der in den letzten fünf Jahren in rascher P"olge hinausgetretenen Arbeiten über die Frühgeschichte des Alkohols zu berichten. Völlig abgerückt ist man von der zuletzt durch Davidsohn') aufrechterhaltenen Annahme, daß die prähistorischen Kelten lange Zeit vor Christi Geburt den „Branntwein", also auch die Kunst der Destillation gekannt hätten. Insbesondere schrieb er den Basken die Erfindung des Whisky zu und hielt dessen Namen für eine Verballhornisierung des Provinznamens Viskaya. Davidsohns über- kühne Darlegungen unterzog sofort Edmund O. von Lippmann'-) einer sorgfältigen kritischen Nachprüfung, wobei er zu dem Ergebnis kam, daß des Schweden Deduktionen weiter nichts enthalten „als eine einzige Kette von Irrtümern und Miß- verständnissen". Von der Wissenschaft ist jedenfalls die keltophile Theorie endgültig zu den Akten gelegt, und hoffentlich richtet sie in der populären Literatur nicht noch lange Verwirrung an, wie es Arbeiten dieser Natur leider fast stets zu tun pflegen. Es kommen also bei der Problemstellung tat- ') J. A. Davidsohn, I Übersetzt aus dem Schwedischi Internationale Monatsschrift zu und Bekämpfung der Trinksitt kritisches Referat von S c h e n k , in : Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften XII (1913), S. I02f. -1 Edmund O. von Lippmann, Zur Geschichte der Destillation und des Alkohols. In: Chemiker-Zeitung XXXVll (1913). Nr. I, S. 1—2. — Auch trefflich referiert von H. Peters, in: Mitt. z. Gesch. d. Med. u. d. Naturw. XII (1913), S. 29S. ie Erfindung d( n von E ugenii Erforschung de ■n, 1912, Heft i Destillation. Hoffmann. Alkoholismus — Ein un- sächlich nur zwei Theorien für uns in Frage, näm- lich die, welche ich schon eingangs gestreift habe. Da der Ausdruck „Alkohol" arabischen Ursprunges ist, so lag nichts näher, als auch die Erfindung des Alkohols und damit der Destillation bei den arabischen Chemikern zu suchen. Johann Friedrich Gmelin, der 1797 seine dreibändige „Geschichte der Chemie" begann, mag da zunächst genannt sein. ^) In unseren Tagen ist es vor allem Hermann Schelenz, der mehrfach *) für die Araber eingetreten ist. Vorher hatte aber schon Marcellin Berthelot, ^) der sich die größten Verdienste um die erste Auf- hellung der ganzen Frage erworben hat, nach- gewiesen, daß der Name „Alkohol" bis zum 18. Jahrhundert bei den Arabern keineswegs den Weingeist, sondern Essenz oder Sublimat bedeutet, d. h. einen fein pulverisierten oder sublimierten Stoff, z. B. das zum Schminken gebrauchte Schwefelantimonpulver. Wieder war es v. Lippmann, der die For- schungen Berthelots selbständig fortgesetzt und ergänzt hat und der nun in zwei Aufsätzen *) diese und andere Angaben von Schelenz kritisch unter die Lupe nahm. Er stellte auf der Grund- lage eines sicheren historischen Fundamentes fest, „daß der arabischen Wls^5enschaft der Weingeist nicht bekannt war, und daß der Alkohol als ,arabische Erfindung' zu streichen ist." Wann und wo wurde aber dann der Alkohol zuerst dargestellt ^ L i p p m a n n beantwortete zu- nächst den zweiten Teil dieser Frage dahin, „daß die Entdeckung des Weingeistes aller Wahrschein- lichkeit nach in Italien geschah, das sich schon im frühen Mittelalter unter den übrigen Küsten- ländern durch reichlichen Weinbau und große ') Johann Friedrich Gmelin, Geschichte der Chemie seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften bis an das Ende des achtzehenden Jahrhunderts, I (Götiingen 1797), S. 30. *) Hermann Schelenz, Geschichte der Pharmacie (Berlin 1904), S. 117, 191, 274, 278. Derselbe, Zur Geschichte der pharmazeutisch-chemischen Destilliergeräte (Berlin 191 1), S. 25, 28 usw. 5) M. Berthelot, La Chimie au Moyen Äge, I (Paris 1S98), S. 136. — Man vgl. überhaupt dessen Chap. V: Sur la decouverte de Talcool (I, 136 — 146]. ') Edmund O. von Lippmann, Einige Bemerkungen zur Geschichte der Destillation und des Alkohols. In : Zeit- schrift für angewandte Chemie XXV (1912), Nr. 33, S. 16S0— 1682. — Nochmals abgedruckt in seinen: Abhandlungen und Vorträgen zur Geschichte der Naturwissenschalten, II (Leipzig 1913), S. 216—225. Derselbe, Zur Geschichte des Alkohols und seines Namens. In: Zeitschrift für angewandte Chemie XXV (1912), Nr. 40, S. 2061 — 2065. — Nochmals abgedruckt in seinen: Abhandlungen und Vorträgen, II, S. 203 — 215. [Ein kurzes Referat schon vorher in: Zeitschr. f. angew. Chemie XXV (1912), S. II79f. und Chem.-Ztg. XXXVI (1912), S. 655 f.] Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. Weinproduktion auszeichnete, und auch bereits seit dem II. Jahrhundert Wohnsitz zahlreicher, vielfach dem geistlichen Stande angehöriger Alchemisten war." Das erste Werk, das für die Geschichte des Alkohols mit Sicherheit in Betracht kommt, ist die Mappae clavicula \ = Schlüssel zur Mappe, d. h. der Malerei]. Die ältere Handschrift davon — aus dem 9. oder 10. Jahrh. stammend und seit 1877 als in Schlettstadt im Elsaß liegend bekannt — enthält freilich noch kein Rezept für die Alkohol- bereitung. Indessen kennen wir eine solche Vor- schrift aus dem früher im Besitz von SirThomas P h i 1 1 i p p s ') befindlichen (^7ß:7«») ed. La Porte du Theil. Paris 1804. — Vgl. ierthelot, a. a. O. I, S. 117, 141 ff. Herten Ansicht pflichtete sofort Julius Ruska,^^) der bekannte Heidelberger Arabist, bei. Zu der ersten Arbeit Lippmanns ergriff allerdings auch Sehe lenz'-) das Wort. Im Gegensatz zu dem hallensischen Chemikohistoriker war er nach wie vor der Meinung, daß die Destillation schon Aristoteles bekannt gewesen wäre, da er in altägyptischen Gefäßabbildungen Ähnlichkeiten mit Retorten zu erkennen glaubte. Aber den springenden Punkt : die Geschichte der Alkohol- entdeckung, überging er mit vielsagendem Schwei- gen. Eine darauf wieder erfolgte Antwort Lipp- manns*'') schloß den leidigen, ins Persönliche hinübergezogenen Streit für die Öffentlichkeit. '*) Es ist schließlich, um diese Etappe in der Wandlung der Ansichten über die Entdeckung des Alkohols völlig zu kennzeichnen, noch auf eine interessante Studie von Paul Richter'^) einzu- gehen, der unterZusammenfassung der wesentlichsten Vorarbeiten zu dem Resultat kam : daß man einer- seits weder im Altertum etwas von der Destillation des Weines und der Herstellung der aqua ardens wußte noch im Mittelalter, bis in nacharabischer Zeit die ersten Mitteilungen davon auftauchten, daß andererseits Paracelsus die Bezeichnung „Alkohol' als Bezeichnung für das Feinste eines jeglichen Dinges und dementsprechend die Be- zeichnung aleohol vini für das reinste Weindestillat, das trocken ohne jeden Rückstand zu hinterlassen ausbrennt — wenn auch auf mißverstandener Grundlage beruhend — eingeführt hat, und daß diese Bezeichnung trotz aller im mittelalterlichen Geiste gehaltenen Erklärungsversuche ihre Geltung behalten hat und behalten wird. Richter hat auch aus den Werken des Theophrast von Hohenheim (Paracelsus) die Belegstellen abgedruckt, wo es einmal heißt: „Aleohol est dz subtileste eines jeglichen Dinges, und zum anderen: Aleohol vini exsieeati ist/ wann superfluitates vini davon kommt/und ist vimim ardens der trucken aussbrennt ohne allen schmutz/ laßt kein faeees in dem geschirr." Wir sehen also, daß die Übertragung des Namens aleohol vini im Sinne eines feinsten edelsten Be- standteiles auf den Weingeist {aqua ardens) erst Paracelsus zuzuschreiben ist, von dem die ") Julius Ruska, Wem verdankt man die erste Dar- stellung des Weingeists? In: Der Islam IV (1913), S. 162— 163. '2) Hermann Schelenz, Einige Bemerkungen zur Ge- schichte der Destillation und des Alkohols. In: Zeitschrift für angewandte Chemie X.XV (1912), Nr. 49, S. 2526—2527. 13) Edmund O. vonLippmann, Einige Bemerkungen zur Geschichte der Destillation und des Alkohols. In: Zeit- schrift für angewandte Chemie XXVI (1913), Nr. 3, S. 46— 47. '*) Noch 1914 (in: Mitt. z. Gesell, d. Medizin u. d. Natur- wissenschaften XIII, S. 319) vertrat Schelenz die Meinung, daß der Alkohol „mindestens zu Zeiten von Plinius bekannt gewesen sein muß". "*) Paul Richter, Beiträge zur Geschichte der alkohol- artigen Getränke bei den orientalischen Völkern und des Alkohols. In: Archiv für die Geschichte der Natu Schäften und der Technik IV (1913), S. 429—452. N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. späteren Chemiker und Ärzte diese Bezeichnung übernahmen, nur noch das Wort vini wegließen. So war jedenfalls auf Grund aller dieser Arbeiten Anfang 191 3 die arabische Alkoholtheorie aus dem Felde geschlagen. Da wurden wir aber schon Ende April dieses Jahres durch eine Berliner Akademieabhandlung von Hermann Diels'") überrascht, die die ganze Streitfrage von neuem entbrennen ließ. Wie E. O. von Lippmann so ging auch Diels von den grundlegenden Untersuchungen Berthelots, in dessen „Chimie au Moj-en Age" aus. Es läßt sich aus klassischen Quellen zwar die Beobachtung belegen, daß starker Wein beim Eingießen in Feuer aufflammt, indessen von einer Erklärung dieser Erscheinung oder gar von einer Gewinnung des Weingeistes durch Destillation kann nirgends die Rede sein. Entgegen der An- nahma Lippmanns suchte aber Diels den Ver- fasser oderKompilator der Mj/'/'ßfc/rtcvV/^/rt nicht auf italienischem Boden, sondern im Frankreich der Karolingerzeit etwa zu Anfang des 9. Jahrhunderts. Dieser muß ein oder mehrere vulgärlateinische vorkarolingische Sammelwerke ausgezogen haben, die ihrerseits wieder auf grie- chische ürsammlungen vielleicht des /.Jahrhunderts zurückgehen, d. h. in die Zeit, wo nach Diels die alexandrinische Alchemie noch lebendig war. Seine für dies alles vorgebrachten sprachhistorischen Gründe sind jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Nun aber das Wesentliche in Diels' Abhand- lung: er überraschte uns mit der Entdeckung einer Stelle bei dem Kirchenvater Hip poly tos (f um 230), die er als schlagenden Beweis dafür be- trachtet, daß die Darstellung des Weingeistes schon den alexandrinischen Chemikern bekannt war. Der Text, der in einem Abschnitt der Refutationes omnium haeresunn über die Schwin- deleien der Zauberpriester steht, lautet in der Übersetzung: „Auch das Seesaizrezept ist recht brauchbar. Man kocht Schaum des Meeres in einem irdenen Gefäße mit Süßwein. Wenn dieses Gemisch siedet und mit einem brennenden Lichte in Berührung kommt, so erfaßt es rasch das Feuer und entzündet sich, und wenn man es auf das Haupt schüttet, so verbrennt es dieses nicht im geringsten. Streut man, während es siedet, noch Manna [Weihrauchpulver?] darauf, so entzündet es sich noch leichter. Besser ist aber die Wirkung, wenn man noch etwas Schwefel dazu nimmt." Damit war wieder das Problem aufgestochen, und Ruska und v. Lippmann griffen erneut zur Feder. Der erstere^') führte Diels' Argument, es handle sich im Hip poly tos- Rezept nicht um >8) Hermann Diels, Die Entdeckung des Alkohols. Abhandlungen der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, Jahrg. 1913, philos.-hist. Klasse, Nr. 3. — 35 Seiten, I Abb. — Gelesen in der Gesamtsitzung am 6. März 1913. ") Julius Ruska, Ein neuer Beitrag zur Geschichte des Alkohols. In: Der Islam IV (1913), S. 320 — 324. das Aufschütten siedenden Weines, „sondern um den erkalteten, irgendwie destillierten wäßrigen Weingeist" '**) ad absurdum und machte auf die Folgen aufmerksam, die für die Technikohistorik entstehen würden, „wenn wir alle in Rezepten überlieferten Geheimmittel durch Hineininter- pretieren von technischen Kenntnissen späterer Zeit zurechtrücken oder als richtig erweisen wollten". Wenn in Diels' Abhandlung weiterhin auf eine Bemerkung von Berthelot hingewiesen ward, wonach man mittels des Destillierhelms der Griechen und im sog. Balneum Mariae bei sehr mäßigem F'euer und sehr langsamem Operieren kleine Quantnäten Weingeist habe herstellen können, so stände davon nichts in der als Beleg angeführten Stelle Berthelots, die nur von „liquides distilles" im allgemeinen spricht. Ruska faßte sein Urteil in den Sätzen zu- sammen: „Wir verdanken der Abhandlung von H. Diels eine Reihe wichtiger Aufschlüsse, aber das Geheimnis der Entdeckung des Alkohols ist noch nicht gelüftet. Die Vermutung E. v. Lipp- manns behält ihre innere Wahrscheinlichkeit, auch wenn der Bearbeiter der Mappac clavicula, der das Rezept einfügte, nicht in Italien lebte. Ein unanfechtbarer Beweis für seine Id. h. Lipp- manns] These läßt sich aber bis jetzt auch nicht liefern. Es ist mit dem Alkohol ähnlich wie mit anderen chemischen Entdeckungen Wir müssen bei aller Hochachtung vor der alexandri- nischen und arabischen Wissenschaft doch immer deutlicher erkennen, daß das Zeitalter der Ent- deckungen im Westen früher einsetzt, als man gewöhnlich annimmt; wir haben kein Recht, dem ausgehenden Mittelalter, das in so vielen Stücken schon die Morgenröte eines neuen Tages ankündigt, die Entdeckungen zu bestreiten, die in jener Zeit zum erstenmal, wenn auch oft unter falscher Flagge, in der Literatur erwähnt werden." Noch an zwei anderen Stellen bestritt Ruska die Di eis sehe Hippolytos -These. Einmal' ") faßte er zugleich den Standpunkt des ganzen Alkoholproblems zusammen; zum andernmal''^'') zeigte er, daß die Umschau in den arabischen Bearbeitungen der Gcopoin'ca nach einem Ver- fahren, durch Destillation aus dem Wein ein noch stärkeres, feurigeres, brennbares Getränk, einen Spiritus vini zu gewinnen, ebenfalls vergeblich sei, daß jedenfalls Lippmanns These von der abendländischen Erfindung des Alkohols in- folge der negativen Ergebnisse arabischer Sach- forschung immer mehr an Boden gewinne. Mit dem gleichen im Prinzip ablehnenden Er- '») Diels, a. a. O. S. 22. 19) Julius Ruska, Alkohol und Al-kohl. Zur Geschichte der Entdeckung und des Namens. In : Aus der Natur X (1913), S. 97—1". '-") Julius Ruska, Weinbau und Wein in den arabischen Bearbeitungen der Geoponika. In: Archiv für die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik VI (Sudhoff-Fest- schrift, 1913). S. 305—320. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 1 gebnis setzte sich aber auch L i p p m a n n -^) selbst mit dem Berliner Philologen auseinander. Er faßte zugleich das gesamte Material über den Alkohol zu einer Arbeit zusammen, die Ruska in einem Referat"-) mit gutem Rechte eine „abschließende Studie" nennt, und auf deren Lektüre auch ich nachdrücklichst hinweisen möchte, da man deren Inhalt unmöglich in einem Sammelbericht wieder- geben kann. In Teil I dieser Abhandlung erläuterte Lippmann einevon Diels angezogene Aristo- teles-Stelle und machte — mit einwandfreien Gründen, wie mir dünkt — geltend, daß an jener Stelle nicht Wein, sondern süßer IVIost gemeint sei. Teil II behandelte das Hippoly tosrezept, während in Teil III Syrer und Araber besprochen wurden. Der IV. Teil ist der Mappae davicula und den Destillationsrezepten gewidmet. Seine dortigen Mitteilungen über den Weingeist in den Cö««//(7 des T a d d e o degli Aide rotti (1233 — 1303) nach einem vatikanischen Kodex hat übrigens Lippmann ein Jahr später mit Sudhoffs ge- lehrter Hilfe weiter ausgeführt und den Text der Stelle Haec sunt virtutes aquae vitae nach dem Vaticanus, einem Monacensis und einem Malates- tianus abgedruckt. '-*) Offen bleiben nach allem nur noch die Fragen : wo und durch wen geschah die erste Entdeckung, wo und durch wen vollzog sich schließlich die Weiterentwicklung? Hypothe- tische Fragen, denen Teil V gewidmet ist. Hier ward vor allem wieder die italienische Her- kunft verfochten. Dies wäre in den gröbsten Umrissen ein Be- richt über den Stand unserer Kenntnis von der Frühgeschichte des Alkohols im Jahre 1914."*) Seit dieser Zeit herrscht allseits Schweigen im literarischen Blätterwald. Selbst Diels hat sich bisher noch nicht wieder dazu geäußert.'") Da ist es nun Hermann Degering, der mit einer am 19. Juli 1917 der Berliner Akademie *') Edmund O. von Lippmann, Beiträge zur Ge- schichte des Alkohols. In: Chemiker-Zeitung XXXVII (1913), Nr. 129, S. 1313 — 1316, Nr. 132, S. 1346 — 1347, Nr. 133, S. 1358 — 1361, Nr. 138,3. 1419 — 1422 U.Nr. 139, S. 1428 — 1429. ''■') In : Mitt. z. Geschichte d. Medizin u. d. Naturwissen- schaften XIII (1914), S. 205. *') Edmund O. von Lippmann, Thaddäus Floren- tinus (Taddeo Alderotti) über den Weingeist. (Duichgesehen von Karl Sud hoff.) In: Archiv für Geschichte der Medizin VII (1914), S. 379—389- — Vorher: Edmund O. von Lippmann, Vorläufige Mitteilung zur Geschichte des Alkohols. In: Chemiker-Zeitung XXXVII (1913), Nr. loS, S. 1073. ") Das einleitende Kapitel „Überblick über die Geschichte des Alkohols-' in einer Leipziger medizinischen Dissertation von Erich Johannes Rau (Arztliche Gutachten und Polizei- Torschriften über den Branntwein im Mittelalter, Leipzig 1914, S. 3—7) ist leider lückenhaft und ganz oberflächlich und da- her zur Orientierung unbrauchbar. 20) Nur in einer Fußnote seiner sechs Vorträge über „Antike Technik" (Leipzig und Berlin 1914, S. 130 Anm. 2) schrieb inzwischen Diels ganz kurz: „Die gegen das Alter der Alkoholgewinnung von Prof. v. Lippmann in der Che- miker-Zeitung 1913 n. 129. 132. 133. 138. 139 vorgebrachten Instanzen sind sehr beachtenswert, erschüttern aber meine Grundansicht, die auf dem Qucllenverhältnis der Rezepte beruht, nicht." durch Diels vorgelegten Abhandlung über „Ein Alkoholrezept aus dem 8. Jahrhundert" die ganze Frage erneut in Fluß bringt.-") Sicher- lich wird der oder jener der bisher von mir aufgeführten Autoren sich zu Degerings Studie äußern. Und zum besseren Verständnis zukünftiger Arbeiten schreibe ich auch diesen Bericht über den augenblicklichen Stand der Frage nach der Früh- geschichte des Alkohols. Ich wende mich jetzt ausführlicher der Abhandlung Degerings zu. Francesco Puccinotti'-') hatte bereits 1855 ein Alkoholrezept mitgeteilt aus einer Hand- schrift des Hospitals zu San Gimignano, die er in das 12. Jahrhundert setzte. Richter"*) hat es dankenswerter Weise in seine oben von mir be- sprochenen „Beiträge zur Geschichte der alkohol- artigen Getränke bei den orientalischen Völkern und des Alkohols" als erster übernommen und damit die Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Lippmann's Bedenken gegen Puccinottis Datierung und Lesungen sieht De gering als durchaus nicht stichhaltig an. Zu diesem Rezept fand nun Degering neben anderen Eintragungen des 1 3. Jahrhunderts eine noch in derselben Zeit niedergeschriebene Fassung auf einem Schutzblatt in einer jüngst von der Berliner Kgl. Bibliothek erworbenen Pergament- handschrift aus dem württembergischen Prämon- stratenserkloster Weißenau (Berliner Signatur: Ah. lat. qii. j6i — 5). Er faksimiliert das neue Rezept und gibt davon die aufgelöste Lesung. Es ist seinem Inhalte nach dasselbe wie das von San Gimignano. Aus den Abweichungen beider Über- lieferungen — besondersaus deren Fehlern 1 — führt aber Degering den zunächst verblüffenden Nach- weis, daß beide letzten Endes auf eine gemeinsame Vorlage des 8. Jahrhunderts zurückgehen. Es liegt ihm fern zu behaupten, daß die zwei Texte direkt aus dieser Vorlage abgeschrieben worden seien ; vielmehr ist dies nach ihm sicher nicht der P"all. Man muß sogar voraussetzen, daß von jeder Fassung aus mehrere Zwischenglieder rückwärts zu dem von ihm rekonstruierten Archetypus führen, der aus verschiedentlichen Gründen in die Zeit vorder durch- dringenden Wirkung der karolingischen Renais- sance gesetzt wird, also mindestens in die Mitte des 8. Jahrhunderts. Ich drucke diesen von D e g e r i n g hergestellten Urtext hier nochmals ab : De aqua ardenfe. Ardcns aqua ad inoditni aqjiae roscac ßf hoc modo. Villi libra iiiia in Cucurbita et libra una salis africani rubei puhcrtsafi aut ctiaiii salis tosti in olla rtidi calida et quatuor drnchiiiac sulfuris ■^"j H. Degering, Ein Alkoholrezept aus dem 8. Jahr- hundert. In: Sitzungsberichte der Kgl. Preufi. Akademie der Wissenschaften, 1917, Stück X.XXVI, S. 503 — 515 (mit I ein- gedruckten Faksimile). — Sonderabdruck" Berlin 1917 (Kgl. Akad. der Wissenschaften, in Kommission bei Georg Reimer). Lex. 8". Preis Mark 0,50. 2') Francesco Puccinotti, Storia della medicina II I (Livorno 1855), Documenti p. LXIV. 2») Richter, a. a. 0. S. 444 f. N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 7nvi d quahior tartari apponantur cum pracdictis et vcntosa superpoiiatnr et colligetiir quam potcrit adstricte, et aquositas dcsccndens per Jiasiim ventosae colligeifur. Qua intuncfus pauuus liiii servibit flavimam sine perdütone substantiae. Uti autem talis aqua diu servari possit cum huius modi cffectu, in vase vitreo reponatur aut in testeo non p'oroso, quod habeat os strictum, et in eo sex vel Septem guttis olei et draehmis puator cerae cooperta bene conservatur. Hane autem si experire volueris, sulphur vivuni 'ignitum in ea cum extin- gues, talis qualitatis aqua confidenter experietur. Auf die paläographische Beweisführung kann ich freilich nicht eingehen. Wer aber je im Berliner Handschriftenlesesaal Degerings scharfen Blick und kritisches Urteil in solchen Fragen schätzen gelernt hat, wird sich wohl auch diesmal seiner Führung willig anvertrauen. Lippmanns Darlegungen — vor allem Über- setzungsfehler — werden an mehreren Stellen von Degering beanstandet, und zwar zu Recht, wie mir dünkt. Man darf jedoch dem Berliner Ge- lehrten nicht engen philologischen Horizont vor- werfen, denn zum Chemiker Beckmann nach Dahlem ist der Philologe De gering hinausge- wandert, um sich dort, im Kaiser-Wilhelm-Institut, nach den im Rezepte genannten Vorschriften einen Alkohol darstellen zu lassen und um die sog. Schwefelprobe aus dem Schluß des Rezeptes mit eigenen Augen zu sehen. Das Wesentlichste aber, was wir aus dieser angestellten Schwefelprobe lernen, ist, daß die mittelalterlichen Chemiker mit den in unserer Vorschrift genannten Destillations- einrichtungen einen Alkohol von mehr als 35 Volumenprozenten zu gewinnen imstande gewesen sein müssen. Und wenn v. Li pp mann, so meint jedenfalls Degering, bei seinen eigenen Ver- suchen nicht zu diesem Ergebnis gekommen ist, „so zeigt das eben nur, daß die hergestellten Versuchs- bedingungen nicht denen entsprachen, unter denen die Chemiker unseres Rezeptes diesen Alkohol zu gewinnen wußten". Selbstverständlich hält auch er die Anwendung der Kühlschlange, wie sie Taddeo degli Alderotti beschreibt, für eine neuere Erfindung, wie ja überhaupt des Italieners Auffassung und Beschreibung des Destillationsvorganges und seine Bewertung ihrer Ergebnisse gegenüber denen der älteren Vorgänger ganz wesentlich fortgeschritten ist. Aber den Gebrauch einer primitiveren Art der Kühlung möchte ich mit Degering unbe- denklich auch schon für frühere Zeiten voraussetzen, denn die technisch hochentwickelte Kühlschlange Alderottis muß unzweifelhaft primitivere Vor- stufen gehabt haben. Einer späteren Untersuchung behält es Dege- ring vor, dem Rezepte seinen Platz im Rahmen der Mappae-clavicula - Überlieferung zuzuweisen. Man darf wohl darauf nach der jetzigen Vorprobe hochgespannt sein. Ich möchte glauben, daß da- durch Diels' schon aus sprachhistorischen Gründen zwingende Theorie vom Entstehen der Mappae clavicida im karolingischen Frankreich an Blut gewinnt. In dem kurzen Auszug auf S. 501 der Berliner Sitzungsberichte finde ich übrigens den Schlußsatz: „Dadurch ist die Herkunft dieses Alkoholrezeptes aus der Tradition des Alter- tums erwiesen", eine wohl zu frühzeitige Folge- rung, die Degering in seiner Abhandlung selbst nicht gezogen und die sicherlich Diels zum Urheber hat. . Erwartungsvoll können wir aber auch auf Lippmanns sicher nicht allzuferne Äußerungen ausschauen. Ob sich dieser mit Degerings Hypothese einer vorkarolingischen Alkohol- darstellung so ohne weiteres befreunden wird? Jedenfalls wird er als Nichtfachmann auf paläo- graphischem Gebiete wenig einwenden können. Wie wird er aber als Naturwissenschaftshistoriker sich dazu äußern? Ich persönlich, der ich die ganze Frage nach der Frühgeschichte des Alkohols seit einigen Jahren lediglich als zuschauender Historiker im Auge halte, meine jedenfalls, daß Rekonstruktionen auf wissenschaftlicher sprachlich- paläographischer Grundlage immer viel für sich haben, daß da ein Fachmann auf diesem Gebiete zumeist recht glückliche Ergebnisse formulieren kann, die freilich den mit diesen Fragen nicht Ver- trauten auf den ersten Augenblick stutzig machen. Ob uns aber je der Fund einer Handschrift mit Degerings hypothetischem Archetyp oder einem der von ihm angenommenen Zwischen- glieder beschieden sein wird ? Ob wir überhaupt jemals der Geschichte des Alkohols an die subtilsten Wurzelfasern kommen können ? Diese zwei Fragen werden wohl dauernd über dem ganzen Problem pendeln. Die Korrektur dieses Aufsatzes war gerade in die Druckerei zurückgewandert, als mir Herr Sudhoff seine Nachprüfung: „Ein Alkoholrezept aus dem 8. Jahrhundert?" in Nr. 49 (vom 9. Dez. 1917) dieser „Wochenschrift" freundlichst zugehen ließ. Nicht Herr v. L i p p m a n n ist also der erste, der sich mit Herrn Degering's Akademieabhand- lung kritisch auseinandersetzt, wie ich nach allen bisherigen Arbeiten vermuten durfte, sondern der Leipziger Medizinhistoriker, dessen Urteil, wie immer, gewichtig in die Wagschale fällt. D e g e r i.n g ' s hypothetischen Archetypus eines Alkoholrezeptes aus dem 8. Jahrhundert lehnt Sudhoff vollständig ab. Damit infolge- dessen auch, ohne es freilich direkt auszusprechen, Diels' Ansicht vom Jahre 1913. Doch dadurch ist schließlich der letzte Teil meines Aufsatzes, der über Degering's Studie immerhin vorsichtig berichtet, nicht überflüssig geworden. Ich denke : im Gegenteil, da sich nun Sudhoff dazu ge- äußert und in den Leserkreisen dieser Zeitschrift sicherlich das weiteste Interesse für die Früh- geschichte des Alkohols geweckt hat. Mein ganzer Aufsatz dürfte also zur Einführung in die Verhältnis- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. I mäßig reiche Literatur über dieses Problem will- kommene Dienste leisten. Die von mir zum Schluß f^estellte Frage : „Ob uns je der Fund einer Handschrift mit Degering's hypothetischem Archetyp oder einem der von ihm angenommenen Zwischenglieder beschieden sein wird?" wäre nun durch Sud hoff's Ablehnung eben dieses Archetyps erledigt. Doch ein großes Non liquet thront weiterhin über dem historischen Dunlvel der Alkoholentdeckuner. Die Ruheperiode der Holzgewächse. [Nachdruck verboten.] Von Othmar Die Erscheinung des jährlichen Laubwechsels wurde früher naturgemäß dahin gedeutet, daß er mit der Änderung der Außenbedingungen in Zu- sammenhang stehe, daß also Abnahme des Lichtes, der Temperatur, ungenügende Wasser- und Nähr- salzversorgung den Laubfall, Steigerung derselben den Laubausbruch hervorrufen. Erst S c h i m p e r -) hatte beobachtet, daß auch in dem gleichmäßig feuchtwarmen Klima von Java viele Bäume den periodischen Laubwechsel zeigen, daß die Periode des Laubwechsels bei verschiedenen Baumarten, ja in manchen Fällen auch bei den einzelnen Zweigen eines und desselben Baumes eine ver- schiedene und daß kein Zusammenhang derselben mit der Außenwelt zu finden ist. Daraus folgerte Schimper, daß der periodische Laubwechsel eine in der Natur der Holzgewächse begründete Eigenschaft sei; diese Ansicht wird auch von Pfeffer, Simon, ») Weber,') Popoff») ver- treten und genauer begründet. ^) Dagegen ver- treten Klebs') und Lakon*) neuerdings die Ansicht, daß die Ruheperiode nicht in der Natur der Holzgewächse begründet (autonom) sei, son- dern nur durch die Änderung der bereits erwähnten äußeren Bedingungen (Temperatur, Licht, Wasser- und Nährsalzgehalt des Bodens usw.) hervorgerufen werden. Sie stützen diese Ansicht mit dem Er- folge verschiedener Frühtreibverfahren. Bekannt- lich gelingt es ja durch verschiedene Mittel die Pflanzen auch während der Ruheperiode zum Aus- treiben zu bringen, so durch Anwendung von Kälte und nachherigesAufstellen in warmen Räumen, ') Vortrag, gehalten am 15. Juni 1917 in der k. k. zool. botan. Gesellschaft in Wien. ') A. F. VV. Schimper, Pflanzengeographie auf physio- logischer Grundlage. Jena 1898. ') S. V. Simon, Studien über die Periodizität der Lebens- prozesse der in dauernd feuchten Tropengebieten heimischen Bäume. Jahrb. f. wiss. Botauik. Bd. 54. *) F. Weber, Studien über die Ruheperiode der Holz- gewächse. Sitzungsber. d. kais. Akademie d. Wissenschaften, Wien 191 6. ''•) M. Popoff, Experimentelle Zellstudien. Arch. f. Zellforschung 19 15. «) Vgl. den Aufsatz von F. Weber, Naturwissenschaftl. Wochenschrift 1916, S. 737 ff. ') G. Klebs, Über die Rhythmik in der Entwicklung der Pflanzen. Sitzungsber. Heidelb. Akad. d. Wissensch. 191 1. Weitere Arbeiten von Klebs zitiert in meiner Arbeit 19 16. *) G. Lakon, Die Beeioflussung der Winterruhe der Holzgewächse durch die Nährsalze. Zeitschr. f. Botanik, Bd. IV, 1912. — Über den rhythmischen Wechsel von Wachs- tum und Ruhe bei den Pflanzen. Biolog. Centralbl., Bd. XXXV, 1915- Kühn. ') Austrocknung (bisher nur von Howard und mir angewendet'; wirkt sehr stark treibend !), Ätherisie- rung, Anwendung galvanischer Ströme, Baden in warmem Wasser, in Alkohol, Äther und Säuren, Verletzung, Abziehen der Knospenschuppen, Be- handlung mit Rauch, Azetylen usw.') Weil also die Ruheperiode durch Erzeugung anderer äußerer Bedingungen aufgehoben werden kann, soll sie nur ein Produkt der im Winter ungünstigen äußeren Bedingungen sein. Nun können wir aber durch von den natürlichen Verhältnissen stark abweichende Verhältnisse jede Erscheinung des Pflanzenlebens, Wachstum, Vermehrung usw., nach Belieben unter- drücken und hervorrufen;'^) trotzdem müssen wir diese Eigenschaften als im Wesen der Pflanze be- gründet und vererbt, nicht aber nur von äußeren Faktoren hervorgerufen betrachten. Anders wäre es, wenn die Holzgewächse bei Herstellung natür- licher Verhältnisse, wie sie etwa im Frühling oder Sommer herrschen, weiterwachsen würden; das ist aber nicht der Fall. Lakon ä) fand allerdings, daß ruhende Zweige bei Einstellen in Nährlösung von natürlicher Konzentration austrieben. Ich habe aber gezeigt, *) daß sie stets nur um wenige Tage (i — 5) früher als die unbehandelten Kontroll- zweige austrieben, ein Unterschied, den wir im Freien auch an den Zweigen eines und desselben Baumes beobachten, während die oben genannten Frühtreibverfahren die Pflanzen um einige Wochen, ja IVIonate früher zum Austreiben bringen. *) Wir haben also zwei IVIeinungen über das Wesen der Ruheperiode: eine, welche sie als in der Natur der Pflanze begründet und vererbt betrachtet (autogen) und die zweite, welche annimmt, daß sie nur durch ungünstige äußere Verhältnisse je- weils hervorgerufen wird. Wir können nicht nur durch die bisher angewendete Methode der Ein- wirkung äußerer Faktoren, sondern auch durch Beobachtung von Veränderung und Erblichkeit der Periodizität entscheiden, welche von beiden Mei- nungen die richtige ist. Solche Beobachtungen sind aber bei Bäumen infolge ihrer hohen Lebens- 1) Literatur in meinen Arbeiten 1914 und 191O. -) G. Klebs, Willkürliche Entwicklungsänderungen bei Pflanzen. Jena 1903. '■') G. Lakon, 1. c. 1912. ■■) O. Kühn, Das Austreiben der Holzgewächse und seine Beeinflussung durch äußere Faktoren. Jahrbuch für wissen- schaftliche Botanik Bd. 57, 1916. f^) L. V. Port heim und O. Kühn, Studien über die Ruheperiode der Holzgewächse. Österr. botan. Zeitschr. 1914. N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. dauer und des späten Beginnes des Samentragens nicht einfach und Hegen auch wenige vor. So wurde berichtet, daß nach Madeira verpflanzte Obstbäume, ferner Eichen und Buchen auch dort, in dem gleichmäßigen Klima ihre Periodizität bei- behalten, ebenso ist dies von einer durch Teys- mann auf den Vulkan Pangeraugo auf Java ver- pflanzte Buche bekannt. In unseren Gegenden sehen wir, daß nicht nur die Periodizität über- haupt vererbt wird (denn sie könnte auch bloß jährlich aufs neue hervorgerufen sein), sondern auch die Zeit des Laubfalles und der Lauberneuerung. Fast alle bei uns kultivierten Bäume haben früh- und spättreibende Sorten. Ich habe diese bei der Blutbuche in zahlreichen Wiener Gärten, in der forstlichen Versuchsanstalt in Mariabrunn, in der Baumschule von Pirquet in Hirschstetten beobachtet und auch derBaumschulbesitzer Herr Dr. H. Späth hat mir dies bestätigt; den Gärtnern sind aber auch von Obstbäumen, Ahorn usw. solche Sorten bekannt. Natürlich wird nicht der genaue Eintritt und das Ende der Ruheperiode vererbt, diese werden sicherlich durch die äußeren Bedingungen bestimmt, wie das frühe Austreiben in einem Jahre, das spätere im anderen, sowie die geographische Verschiedenheit des Austreibens beweisen ; sondern das relative Verhältnis der Zeiten des Laubwechsels wird bei den verschiedenen Rassen durch Ver- erbung bestimmt. Wenn aber sogar die zeitlichen Grenzen der Periodizität erblich fixiet;t sind, dann muß es die Periodizität selbst um so mehr sein. Während die Art des Laubwechsels ein variables Anpassungsmerkmal darstellt, ist die Ruheperiode selbst ein Organisationsmerkmal der Holzgewächse, das höchstens zeitweise, wie jedes Merkmal, unter- drückt werden kann, jedoch, wenn die Pflanze dauernd lebensfähig bleibt, immer wieder zum Vorschein kommt. Korrespondierende Katastrophen auf der Sonne und in der Atmosphäre 1917. [Nachdruck verboten.] Von Wilhelm Krebs. Riesenflecken und gruppen der Sonne, si besonders Riesenflecken- groß, daß sie auch tele- skopisch unbewaffneten Augen sichtbar sind, können häufiger beobachtet werden, als wohl all- gemein angenommen wird. Besonders scheint es von diesem Sommer 1917 zu gelten, der drei Ereignisse dieser Art gebracht hat, von denen allerdings zwei dem gleichen p-elde gesteigerter Sonneniätigkeit angehörten. Diese Fleckengruppen kreuzten am 13. Juli und am 8. August 1917 den Mittelmeridian der scheinbaren Sonnenscheibe. Das geschah im Laufe der etwa 26^/2 tägigen Periode der synodischen Sonnenrotation, deren erste Entdeckung, durch Fabricius, ja auch ohne Fernrohr, lediglich durch Kameraprojektion des Sonnenbildes, erfolgt war. An der Hand dieser Periodizität darf jenes Feld gesteigerter Sonnen- tätigkeit bis in den Januar 1917 zurückverfolgt werden. Als es vor fast acht Monaten an der Erde vorüberzog, war seine Tätigkeit schon durch Zer- sprengung und Neubildung von Sonnenflecken als besonders heftig gekennzeichnet. Doch sollte diese heftige Betätigung noch in einem ganz anderen Zusammenhange zur Geltung kommen. Schon zur Zeit seines Vorüberzuges durfte aus Gewitterneigung, trotz des strengen Frostes, und ferneraus dem Auftreten feinstreifiger Federwolken, deren Streifung nach mitternächtiger Richtung und deshalb nach dem uns fast antipodalen west- pazifischen Herdgebiete der tropischen Sturm- bildung hinwies, auf die Betätigung dieses Herd- gebietes in der Erdatmosphäre, also auf Teifun- bildung, geschlossen werden. ^j ') Vgl. Wilh. Krebs: Vorausbestimmungen des Wetters lange Frist, auf Grund einer Kontrolle der Sonnentätigkeit der tropischen Sturmbildung. Wien 1916. Verlag des . Österreichischen Flugtechnischen Vereins. .\ls Probe Von dem Wüten eines solchen Sturmes auf den westpazifischen Meeresflächen ist bisher keine Kunde zu uns gedrungen. Um so mehr von amerikanischen Gestaden, wo dieser Sturm vor allem unter der Segelschifflotte aufräumte. Die schrecklichste Katastrophe richtete er aber in der norwegischen Walfangflotte an, die zwischen Grönland und Spitzbergen jagte. In der Osternacht (8.'9. April) 1917 erhob er sich und soll mindestens elf Dampfer dieser Flotte in Eis und Meerflut ver- nichtet haben. Eine von Norwegen ausgeschickte Hilfsexpedition konnte auch nicht einen Überleben- den der Hundert übersteigenden Besatzung auffinden. Als dasselbe F"eld gesteigerter Sonnentätigkeit in der ersten Septemberwoche 1917 wiederkehrte, freilich mit bescheideneren Fieckensignalen, erfolgte wieder eine Teifunbildung, von deren Folgen für menschliches Wohlergehen Kunde zu uns gelangte. Das geschah, weil der Teifun seinen Weg nahe an den verkehrsreichen Gestaden Chinas vorüber- nahm. In der zweiten Septemberwoche 191 7 ver- nichtete er bei Amoy an der chinesischen Küste zwei japanische Dampfer. Es ist nicht ausge- schlossen, daß der überaus heftige Sturm, der in der zweiten Oktoberwoche Mitteleuropa heim- suchte, ein weiterer Abkömmling dieser Teifun- bildung war. Ihr war inzwischen ein noch weit heftigerer Teifun gefolgt. Denn zu Anfang Oktober 1917 erhielt Europa Kabelnachrichten aus Japan von einer Sturm- und Flutkatastrophe, wie sie seit Menschengedenken auch in diesem, von den Ge- fahren des Meeres und des Bodens viel heimge- suchten Lande sich nicht ereignet hatte. Ganze Stadtteile Tokios, die gesamte Reisernte Mittel- folgt diesem Beitrage die seinerzeit um 3 bis 6 Wochen im voraus, für die Herbstmonate 1917 vorberechnete Übersicht der atmosphärischen Störungstermine. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. Japans und vor allem auch viele Hundert Menschen- leben sollen vernichtet sein. An Schiffsuntergängen vor Yokohama sind bereits die von zehn großen Dampfern gemeldet. Auch diese Teifunkatastrophe entsprach einem von mir vorberechneten Termine „Ostasien" von der Wende des September zum Oktober 1917. Er entsprach einer Epoche der westpazifischen Sturmbildung, auf die von mir wieder aus Sonnen- beobachtungen, Federwolken und gelegentlicher Gewitterneigung in der vierten Septemberwoche geschlossen war. Für nordamerikanische Gestade sind atmosphärische Störungsfolgen aus ihr in der dritten und vierten Oktoberwoche, für europäische I r T I » r c T T I r f. ff! il 3 +3 1^ T 1 4 +ir 1 1 J 1 4 +1I1 |ll 'S p 1 1 +1 ■3 + ' +1 ii 0 +1 > II CO =■ T ^ il -g 1 ° f H yi 5 + 3 +11I +1? - + 1 •g +iil +1 9 * +1 •a + III 1 !l? ff +1 ^m +1? Ame- rika Europa + 1 1 B II? i m + if 11 |il > s i T 1 nj 1 W^ 1 1 ifi^ 1 1 ? — 1 I fg. l?|? It 3 1 1^ m % — 6 i? 1 0 £-3 p P- N. F. XVn. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. zu Anfang November 1917ZU erwarten. Da west- pazifische Störungen vor allem auch Kältewellen nach sich ziehen, darf in Gefolge von Sturm und Niederschlägen in der ersten Novemberwoche 19 17 wohl eine erste ernstlichere Frostperiode des sonst manchmal noch recht warmen Vorwinters 1917 erwartet werden. Besonders darf aber hervorgehoben werden, daß jene Epoche der Sturmbildung, vom 20. — 28., September mit dem Vorüberzug einer neuen Riesen- gruppe der Sonnenflecke zusammenhing. Diese kreuzte vom 23. zum 24. September den Mittel- meridian. Dem über diesem erst am i. Oktober 191 7 fälligen Felde der im Juli und August durch Riesensignale angekündigten Sonnentätigkeit wan- derte sie also etwa um Wochenfrist voraus. Die ganze Rotationsperiode der Sonnenfleckenzone be- ansprucht, wie erwähnt, 26 bis 27 Tage. Der durch das neue Riesensignal angekündigte Herd der Sonnentätigkeit, die sich stets beiderseits des Äquators, nicht allzuweit von ihm entfernt, hält, liegt also fast genau um ^ j der Rotationszeit vor dieser Wiederkehr. Solche Viertelung des Um- fangs der Sonne, die, wie zumeist, so auch in dem vorliegenden Falle, zu einer doppelten Anti- podalität von je vier einander folgenden Sonnen- Ausbrüchen führt, ist schon wiederholt beobachtet. Im April 1910 bot sie Anlaß zu der regelrechten Voraussage eines Sonnenausbruchs in bestimmten Längen. Von mir selbst zu Anfang dieses Monats veröffentlicht, wurde jene Ansage zuerst durch eine spektographische Aufnahme Deslandres' vom 19. April 1910 bestätigt, später auch durch das Auftreten von Sonnenflecken. (Vgl. Verhandl. deutscher Naturforscher 1910 zu Königsberg II, I, S. 13, Vortrag Krebs in der Abteilung für Astronomie.) Doch ist diese Gesetzmäßigkeit nicht auf die Sonne beschränkt. Sie kehrt wieder bei vulka- nischen Erscheinungen der Erde, besonders in den an Finsternissen reichen Jahren, so in 19 17 selbst. Spuren von ihr sind auch an der Ähnlichkeit antipodaler Länderformen von vulkanischer Natur (Italien — Neuseeland!) und sogar an Formen des Mars- und des Jupiterbildes nachgewiesen. Jene Gesetzmäßigkeit ist deshalb von erheb- lichem Gewicht für die von vielen noch ange- zweifelte vulkanistische Ausdeutung der Sonnen- tätigkeit. Auch die Wiederkehr jenes neuen Feldes höchstgesteigerter Sonnentätigkeit, in der Epoche Oktober 17 bis 25, kündigte sich durch große Fleckenerscheinungen, in diesem Falle zwei be- sonders große Kernflecken, an. Nicht minder eindrucksvoll waren ihre irdischen Folgeerscheinungen. Ein Gewittersturm brachte am 19. Oktober über Ostsizilien schwere Über- schwemmungen. Später begleiteten schwere Ge- witter den Beginn der deutsch-österreichischen Angriffsbewegung. Dann brachten Schiffsmel- dungen von Japan und Hawaii Kunde von teifun- artigen Sturmkatastrophen gegen Anfang November. Mit immer größerer Bestimmtheit konnte ich so eine Sturmwarnung für die Wende des November zum Dezember 1917 wiederholen, zuletzt noch in einem Drahtbericht, den ich am 27. November an eine mit mir verbundene Marinestelle auf Helgoland erstattete: „Weitere westliche Störungen eintreffend, verheißen wiederholtes Auffrischen zu starkem Sturm aus südwestlichem bis westlichem, vielleicht nördlichem Quadranten, bis in die erste Dezemberwoche, unterbrochen von Ab- flauen und Rückdrehen. Krebs." Von den Bestätigungen erwähne ich nur die seltene Beobachtung voller Orkanstärke (12 der 12 teiligen Sturmskala) am Nachmittage des 2. Dezember 1917 auf Helgoland selbst und das furchtbare Schicksal eines britischen Geleitzuges in der Nordsee, von dessen 23 großen Seeschiffen nur 3 einen Hafen erreicht haben sollen. Einzelberichte. Botanik. Interessante Beiträge zur Biologie und Systematik der Pilze geben einige Arbeiten neueren Datums. Nachdem schon Bürge ff ge- zeigt hatte, daß der Schimmelpilz Pliycomyccs nUcns Kunze eine sehr variierende Form darstellt, deren Züchtung eine ganze Anzahl, zum Teil fast reine Linien darstellende Varietäten ergab, zeigten Tom und Currie, wenn auch auf anderem Wege, daß das Gleiche auch für den schwarzköpfigen Schimmel, Aspergillus nigcr Van Tieg. gilt. Diese Gruppe umfaßt mindestens 25 teils als Varietäten, teils als gute Arten beschriebener Formen, von denen aber nur wenige morphologisch so unter- schieden sind, daß sie sich danach systematisch trennen lassen. Die Entdeckung einer Oxalsäure abscheidenden Form von Peiiicillüiin führte die Verfasser zu der Vermutung, daß auch bei der in Frage stehenden Gruppe die Säureabscheidung einen Schluß auf die Verwandtschaft zulasse. Die Untersuchung von 20 zu Aspergillus tiiger im weitesten Sinne gehörenden Formen ergab, daß alle Rassen Säure abschieden und somit offenbar ein Zusammenhang zwischen dieser Fähigkeit und der Dunkelfärbung besteht, daß aber die Menge der erzeugten Säure sehr verschieden ist. Ihre relative Menge schwankt von 153 bis zu 0,39. Diese weite Variation läßt entweder auf eine Gruppe heterogener Abstammung schließen oder aber auf eine Reihe von Rassen, deren Fähigkeit, eine bestimmte Reaktion zu zeigen, sehr verschieden ausgebildet ist. Da die einzelnen Formen aber nur geringe morphologische Unter- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. schiede aufweisen, die besonders bei längerer Kultur auf demselben Nährhoden mehr und mehr verschwinden oder durch Übergänge miteinander verbunden sind, kommen die Verfasser in Über- einstimmung mit Schiemann zu dem Ergebnis, daß der Aspergillus j//'gcr-Kreis eine stark mutie- rende Gruppe darstellt. Äußerst beachtenswert sind ferner die Ver- suche, die J o h. L i n d n e r mit gefrorenen Schimmel- pilzen anstellte. Entgegen allen Erfahrungen über den absoluten Tod der nach dem Gefrieren turges- zenzlosen Zelle hatte Richter beliauptet, daß die Hyphen eines gefrorenen Aspcrgtll/is-Myct\s sich nach dem Gefrieren nur in einem Schwäche- zustand befänden, aus dem sie durch günstige Temperaturen wieder befreit werden könnten. Bei optimaler Temperatur lebt das Mycel nach Richter wieder auf und wächst weiter, so daß danach im gefrorenen Mycel die Grenze zwischen Leben und (physiologischem) Tod aufgehoben erscheint, wenn wir an dem Mangel der Plasmolyse und der Färb- barkeit des Zellinhaltes, wie es allgemein üblich ist, als Kriterien des eingetretenen Todes fest- halten. Wir hätten es dann also „mit der Wieder- belebung eines toten organischen Substrates zu tun". Der Widerspruch, in dem diese eigenartigen, unsere Vorstellungen von den Lebensvorgängen bedeutend erweiternden Folgerungen mit allen bisherigen Ergebnissen stehen, veranlaßte Lindner zu einer erneuten Untersuchung. Zu diesem Zwecke beobachtete er an einigen Schimmel- und anderen Pilzen, hauptsächlich an ^Ispcrgillus nigcr den Verlauf der Desorganisation in den Hyphen nach dem Gefrieren, den Einfluß der Temperatur auf die Desorganisationserscheinungen und den Verlauf der Atmung im Aspagillns-iliyctX vor und nach der Kälteperiode. Nach ihm zeigten die Versuche, daß die Rieht ersehe Deutung der Vorgänge nicht richtig ist. Es ergab sich, daß in submersen wie an der Luft wuchernden My- celien die Zellen bei Kältewirkung unzweifelhaft absterben. Allerdings ist ihre Widerstandsfähigkeit verschieden und an Lufthyphen und älteren My- celien größer. Zuerst sterben die Spitzenzellen ab, während die resistentesten Zellen sich in der basalen Zone befinden. Die Zellen, die sich nach dem Auftauen nicht mehr plasmolysieren lassen, sind entgegen Richters Annahme in jedem Falle tot. Aber auch von den unmittelbar nach der Kältewirkung noch lebenden , .Dauerzellen" sterben selbst bei günstigster Temperatur noch zahlreiche ab, nur wenige bleiben am Leben, bei denen die Schädigung noch nicht zu weit fortgeschritten war. Wird das Mycel als Pilzdecke gezüchtet, so bilden die überlebenden Dauerzellen und Luft- hyphen nach der Kälteperiode sehr schnell über der abgestorbenen Myceldecke eine neue, wodurch sich die schnelle Zunahme der Atmungsgröße nach dem Auftauen, die ja die Hauptstütze von Richters Annahme bildete, ganz zwang- los erklärt. So kommt Lindner zu dem Ergebnis, daß sich keinerlei Vorgänge ab- spielen, die eine Deutung im Sinne Richters verlangen. Otto untersuchte die Frage, ob die Pilze im- stande sind, Zellulose und Zellwände aufzulösen. Die Meinungen der Mykologen standen sich hier noch immer widersprechend gegenüber. Die Ver- suche Miyoshis, bei denen Pilzhyphen sowohl Membranen wie dünne Metallplättchen durch- bohrten, wenn sich darunter nur eine kräftige Nährlösung befand, ließen es als möglich erscheinen, daß auch das von Debary und anderen beobach- tete Eindringen von Pilzparasiten durch unverletzte Häute in ähnlicher Weise rein mechanisch erfolge. Andere Beobachtungen sprachen allerdings dagegen, so daß eine sichere Entscheidung bisher nicht mög- lich war, wenngleich wohl zugegeben werden muß, daß es sich bei vielen der angeblichen Zellulose- zersetzungen nur um eine Auflösung der Mittel- lamelle, also keineswegs echter Zellulose handelt. Otto untersuchte nun eine ganze Anzahl von Pilzen in ihrem Verhalten gegen die verschiedensten Zelluloseformen. Hierzu verwandte er neben natürlichen echten Zellulosen (Bast von Linde und Lein, Blattzellmembranen u. a.) technisch umge- wandelte in Form von Fließpapier, Pergament- papier, Watte und Leinwandfäden (Hydrat , Hydro- und Qxyzellulosen) und andere, auch einige Hemi- zellulosen (aus Dattelkernen und Kaffeebohnen) sowie verkorkte und verholzte Membranen. Die Substrate wurden mit mineralogischer Nährlösung geboten, wobei sie teilweise die einzige Kohlen- stoffquelle bildeten. In Parallelkulturen wurden andere, lösliche Kohlenstoffverbindungen hinzu- gefügt. Leider war es nicht möglich, bakterien- freie Kulturen der wichtigen Holzpilze [Alcndius) zu erhalten, so daß ihr Verhalten nicht untersucht werden konnte. Es wird aber allgemein ange- nommen, daß diese auf faulendem Holz lebenden F"ormen auch ohne Metabiose mit Bakterien Zellulose lösen können. Die eingehenden Versuche Ottos liefern nun den Beweis, daß die beobachteten Humuspilze (Arten von Älacrosporimn, Botrytis, Poiicilliiiin u. a.) entgegen früheren Angaben zweifellos echte Zellulose auflösen können. Sie wachsen auch bei Ausschluß jeder anderen Kohlen- stoffquelle üppig, wobei im Verhältnis der Mycel- zunahme die Zellulose allmählich verringert wird und schließlich unter typischen Korrosionserschei- nungen ganz schwindet. Offenbar scheiden die Pilze hydrolytisch spaltende Enzyme aus (Zellulase). Dagegen war keiner der untersuchten Phycomy- ceten (Mncor, Rliizopiis u. a.) fähig, echte Zellulose aufzulösen, und ebenso verhielten sich normaler- weise einige höhere Pilze (Pyro/tfina). Verkorkte oder kutinisierte Membranen waren in jedem Falle sehr widerstandsfähig; sie bilden also einen sehr wirksamen Schutz gegen das Eindringen von Pilz- hyphen. In schwächerem Maße gilt dies von ver- holzten Membranen. Ihnen wurde ein großer Teil der Inkrusten entzogen; immerhin schützte der überbleibende Teil die Zellulosegrundlage noch vor der Auflösung. So zeigen wie in vielen N. F. XVII. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. anderen Beziehungen auch hinsichthch der Fähig- keit, Zellulose aufzulösen, die Pilze kein einheit- liches Verhaken. Zum Schluß sei auf eine Arbeit Negers hin- gewiesen, die für die Systematik gewisser Filz- formen von einschneidender Bedeutung ist. Neger unterwirft die „Rußtau"pilze einer eingehenden Untersuchung. Es sind dies nach seiner Definition Pilze mit schwarzem Mycel, die auf lebenden Blättern und Zweigen als echte Epiphyten leben und weder mit Haustorien noch Hyphen in das Innere eindringen. Danach ist „Rußtau" lediglich ein ernährungsphysiologischer, nicht aber ein systematischer Begriff, als welcher er bisher meist aufgefaßt wurde. Wie alle dem Vertrocknen leicht ausgesetzten Epiphyten gedeihen die Rußtaupilze am besten in feuchter Nebelluft (Südchile), und auch der bei uns häufigste Weißtannenrußtau, ge- wöhnlich als Iloniiisciinii fiiiiop/iil/iiii Nees (= ./;/- tcnnaria pityuplula Nees) bezeichnet, wie der in Gewächshäusern häufige l'iiiiiagü, sind an feuchte Luft gebunden. Sehr viele Formen besitzen die F"ähigkeit, Schleimhüllen zu bilden. Da diese Fähigkeit bei den verschiedenen Pilzen in sehr ungleichem Maße vorhanden ist, kann man von vornherein annehmen, daß nur solche Arten als Rußtaubildner in Frage kommen, die sie in stär- kerem Grade besitzen. Wir haben hierin offen- bar ein auslesendes, die Zusammensetzung der Rußtaudecke bedingendes Moment vor uns, zu dem noch andere treten. Stets siedeln sich die Pilze auf „Honigtau" an, ohne den ihre epiphy- tische Lebensweise undenkbar wäre. Da dies aber ein Substrat von zeitweilig sehr hoher Konzen- tration darstellt, dürfte auch aus diesem Grunde nur eine gewisse Anzahl osmophiler Pilze in Be- tracht kommen. So ist es verständlich, daß sich auf einem solchen Blatte mehrere Pilze ansiedeln, die alle dicke, schwarze rosenkranzähnliche Mycel- fäden bilden, und so trotz sehr heterogener Zu- sammensetzung einen recht einheitlichen Eindruck machen. Die bisherige rein deskriptive Systematik sah aber meist ohne weiteres alle natürlich auf einem Blatte auftretenden Fruchtformen als zu- einander gehörend an und bezeichnete sie in der Regel einfach als Capiiodiiiiii oder Fitiiiago. Welche Verwirrung hierdurch in die Systematik geraten ist, zeigt Negers Nachweis, was alles als C. salicmniii, C. (jiterciiitini, ApiosporuDii usw. bezeichnet worden ist. Hier ist nach ihm trotz aller Einwände in Ergänzung der rein beschreiben- den Systematik die Benutzung von Reinkulturen unbedingt notwendig. Obwohl Neger seine mühevollen und äußerst schwierigen — viele der in Frage kommenden Pilze entwickeln in der Rein- kultur nur sterile Mycelien oder höchstens Koni- dien — Untersuchungen keineswegs bereits ab- geschlossen hat, konnte er doch bereits nach- weisen, daß an der Bildung des häufig auch Apiosporiuiii piiiopliiliiiii genannten Tannenrußtaus. acht bestimmbare und zahlreiche noch nicht sicher erkannte Pilzarten, daneben auch Hefepilze, Bakterien usw. beteiligt sind. Als Bestandteile der verschiedenen Rußtau formen ergaben sich einmal allverbreitete Schimmelpilze wie Dcmatium pullulaiis, CladüsporiiDii J/frbonnii, Bofrydis cinerea, auch Pcnicüliit)!!, daneben Hefen und Bakterien, dann gewisse, dem zuckerhaltigen Substrat offen- bar stark angepaßte Arten, die immer wieder- kehren, teilweise überhaupt kein Mycel mehr bilden {CoinotIiccmn,Aichiagloincnilosan.3i.) und zum Teil noch nicht genau bestimmt werden konnten, und schließlich zahlreiche andere Pilze, deren durch den Wind verwehte Sporen auf dem Honigtau zu einem in der Regel sterilen Mycel auskeimen. Zahlreiche höhere Pilze und eine sehr große Zahl der „Fungi imperfecti" kommen hier- für in Frage, ohne daß für diese Formen eine Bestimmung möglich erscheint. Daher schlug Neger den umgekehrten Weg ein und prüfte, ob weitverbreitete Pilze in dem Honigtau ent- sprechenden Zuckerlösungen an Rußtau erinnernde Wuchsformen aufweisen. Es ergab sich nun, daß dies für zahlreiche auf faulenden Pflanzenteilen saprophytisch lebende Pilze in der Tat zutrifft (Bulgaria polyiiiorplta, Xylaria liypoxylon u. a.). In dem zweiten, speziellen Teil der Arbeit gibt Neger eine genaue Beschreibung der von ihm rein gezüchteten Arten. Interessant ist, daß Fuiiiago z'agai/s Pers., ein Gewächshauspilz, mit keinem der zahlreichen auf Bäumen und Sträuchern gefundenen Rußtaupilze identisch ist, wie fälsch- licherweise immer wieder angenommen wird. Es ist eine domestizierte Form, ein Gegenstück zum echten Hausschwamm {Alcnilücs lacryinans), und wohl mit Pflanzen wärmerer Gegenden ein- geschleppt worden, wie ähnliche in den Tropen beobachtete Formen vermuten lassen. Alle typischen Rußtaupilze lassen sich nach Neger in drei Gruppen teilen. Er unterscheidet Pilze mit weithin wachsendem Mycel, solche mit stets kurz- gliederigen Hyphen und solche ohne jedes Mycel. Diese bilden Zellklumpen mit hefeartiger Sprossung und sind so dem Leben in zuckerreichen Flüssig- keiten am vollkommensten angepaßt. Vielleicht sind es Abkömmlinge der Saccharomycetaceen. Auch die mittlere Gruppe mit ihrem gedrungenen polsterartigen Wuchs stellt einen herangezüchteten Anpassungszustand dar. Hans Burgcff, Untersuchungen über Variabilität, Sexualität und Erblichkeit bei Phycomyces nitens Kunze. Klora N. F. 7 u. 8, 1915. Charles Tom und James Currie, An oxalid-acid producing Penicillium. Journ. Blol. Cbera. 22, 1915, 287 — 293. Dieselben, Aspergillus niger Group. Journ. agricult. research 7, i, 1916, I — 15. Johannes Lindner, Über den Einfluß günstiger Tem- [leraturen auf gefrorene Schimmelpilze. Jahrb. wissensch. Botanik 55, 1915, I 52. Hermann Otto, Untersuchungen über die Auflösung von Zellulosen und Zellwänden durch Pilze. Berlin 1916. F. W. Neger, Experimentelle Untersuchungen über Rußtaupilze. Flora N. F. lo, 1917, 67^139. Kr. Obwohl die Panaschüre eine im ganzen Pflanzen- reiche weit verbreitete (abnorme) Erscheinung ist, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. sind ihre Ursachen in den meisten Fällen noch unbe- kannt. Panaschierte Gewächse entstehen plötzlich als Varietäten und können durch Stecklinge, häufig auch durch Samen fortgepflanzt werden. Zahlreiche solcher Formen werden bei uns, namentlich aber in Japan und China gärtnerisch gezüchtet. Nach Molisch (Die Verwertung des Abnormen und Pathologischen in der Pflanzenkultur. Schrift. Ver. Verbr. naturwiss. Kennt. Wien, 56, 191 6, 319) können wir zwei Formen der Panaschüre unter- scheiden. Bei manchen Malvaceen wie Ahntihm Thoiiipsoitii\s\. sie nicht samenbeständig und kann durch Pfropfung auf rein grüne,'' gesunde Pflanzen übertragen werden. E. Bau r hat jüngst auch bei Cyiisus Labiiniiiiiu Sorbiis, Fra.xi/u/s, Ligiisfn/m u. a. diese infektionöse Panaschüre nachgewiesen. In weitaus den meisten Fällen ist sie aber nicht infektionös und dann häufig durch die Samen vererblich; so ist sie von vielen Gräsern, Selagmclla,Ptiar!^oiiiiii/i,Ti-irdcscaitfiau.a.htkann\.. Heinricher beobachtete nun eine panaschierte Abart von Tradcscantia Fliimiucnsis Vell. In ungünstige Lichtverhältnisse gebracht, verringern die Pflanzen ihr Wachstum bald, die Panaschierung schwindet mehr und mehr und fehlt den später gebildeten Blättern schließlich ganz. IVIan ist zu- nächst geneigt, dieseBeschränkungaufdie Erzeugung chlorophyllhaltigen Gewebes, das ja allein für die Ernährung von Bedeutung ist, als eine zweck- mäßige Selbstregulierung anzusehen; nähere Be- trachtung zeigt aber, daß sie, wenngleich für die Erhaltung der Art gewiß günstig, doch als zwangs- weise eintretende Folge der Verhältnisse zu deuten ist. Wurden panaschierte Stecklinge im Dunkeln kultiviert, so ging die Panaschüre zurück, um wieder stärker aufzutreten, wenn die Pflanzen nach einiger Zeit erneut in günstiges Licht kamen. Blieben sie aber so lange im Dunkeln, bis die jüngsten Blätter vollständig grün waren, so trat auch unter normalen Verhältnissen keine Pana- schierung mehr ein, die neuen Zuwüchse waren gewissermaßen nur Rückschläge zur gewöhnlichen T. Fliunincnsis. Bei dem Versuch, dies ver- schiedene Verhalten zu erklären, ist zu berück- sichtigen, daß die chlorotischen Zellen nicht assi- milieren können, sondern von den Assimilaten zehren, die durch das grüne Gewebe erzeugt werden. So erscheint die Ausbildung panaschierter Blätter als eine Kraftverschwendung, die nur unter günstigen Lichtverhältnissen möglich ist, bei einer Abnahme der Lichtintensität dagegen herabgesetzt wird. Schon die embryonale Blattanlage enthält einen Anteil farbloser Zellen. Unter günstigen Bedingungen können auch sie sich im gleichen Maße wie die grünen Zellen vermehren; anders, wenn die Beleuchtung schlechter wird und sich der Überschuß an Assimilaten des grünen Ge- webes verringert. Dann werden die weißen Streifen zunächst enger, und auch in den Blattan- lagen und Vegetationspunkten vermindert sich der Anteil an chlorophyllosem Gewebe, um schließlich ganz ausgemerzt zu werden. Ist dies noch nicht der Fall, so erhält man bei Wieder- herstellung günstiger Belichtung wiederum pana- schierte Blätter, im anderen Fall dagegen einen Rückschlag zur grünen Form. So erscheint das Ergrünen als ein sich mit Notwendigkeit abspielender Prozeß; es beruht aber nicht etwa, wie dies Figdor bei erhöhter Tem- peratur an Finikia uiidiilafa (v^x .i'iftata) beobachten konnte, in einer Umwandlung der in den weißen Zellen schon vorhandenen Leukoplasten. Im Gegenteil scheint die Temperatur auf Tradcscaiifia vielleicht gerade umgekehrt zu wirken, wenigstens zeigen in kühlen Räumen kultivierte Stücke einen Rück- gang der Panaschierung. Es bleibt abzuwarten, ob auch andere Pflanzen sich wie die beschriebene Tradcscaiifia verhalten; eine Untersuchung wäre besonders für die von B a u r als Periklinalchimäre angesehenen weiß geränderten Pelargonien wün- schenswert (E. Heinricher, Rückgang der Panaschierung und ihr völliges Erlöschen usw. Flora 109, 19 16, 40). Daß die Ursachen der Pana- schierung vielleicht sehr verschieden sein können, lehrt eine Beobachtung Gassners (O. Gassner, Über einen Fall von Weißblättrigkeit durch Kälte- wirkung. Ben deutsche bot. Ges. 33, 478—486). Im Dunkeln bei i bis 2 " zum Keimen gebrachte Samen des im La Platagebiet kultivierten Uru- guayhafers besaßen rein weiße Keimblätter und hatten die Fähigkeit zu ergrünen teilweise und vorübergehend oder ganz und dauernd ver- loren. Im ersten Fall entstehen lange Zeit hin- durch typisch weiß-grün gebänderte Blätter. Ähn- lich verhalten sich nach Zimmermann auch Roggen und Weizen. Für die Gräser scheint also die Regel zu gelten, daß niedere, dicht an der unteren Wachstumsgrenze gelegene Temperaturen die Fähigkeit des Ergrünens" vorübergehend oder dauernd vernichten. Kr. Physik. Die intensive Tätigkeit einer großen Zahl von Forschern der ganzen Welt hat es dahin gebracht, daß die Probleme der drahtlosen Tele- graphie in verhältnismäßig kurzer Zeit gelöst worden sind, so daß man heute berechtigt ist zu sagen, daß die drahtlosen Stationen mit derselben Sicherheit und Zuverlässigkeit arbeiten wie irgend welche anderen technischen Einrichtungen. Wenn auch noch zahlreiche Probleme zu lösen sind, so ist man im allgemeinen aller derjenigen F"ragen, welche die Erzeugung, das Aussenden und das Auf- fangen der elektrischen Wellen betreffen, theoretisch und praktisch Herr geworden. Anders steht es mit den Vorgängen im Medium zwischen Gebe- und Sendestation. Hier ist noch recht viel unaufgeklärt. Eine Frage von großer Wichtigkeit ist die, wie es möglich ist, daß die Wellen sich um die gekrümmte Erd- kugel herumbewegen. In den beiden letzten Heftendes Jahrbuches für drahtlose Tele- graphie (XII, 1917) findet sich eine Reihe von Arbeiten und Berichten, die sich mit diesem N. F. XVn. Nr. I Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 13 Problem beschäftigen; aus ihnen soll im folgen- den einiges mitgeteilt werden. Die elektromagnetischen Wellen, deren sich die drahtlose Telegraphie zur Übermittelung ihrer Zeichen bedient, sind nach den bekannten grund- legenden Versuchen von Heinrich Hertz in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem Licht qualitativ gleich ; sie unterscheiden sich von ihm durch die viel größere Wellenlänge — für das Licht rund 0,0005 inm, für die in der Praxis verwandten elektrischen Wellen 0,5 — 6 km — . Nun breitet sich das Licht ja geradlinig aus, die Lichtstrahlen sind gerade Linien, so daß hinter undurchsichtige Körper kein Licht gelangen kann. Anfangs war man der Meinung, daß auch die elektrischen Wellen nur solche Orte erreichen könnten, die von der Spitze der Antenne aus ge- sehen werden konnten. Man suchte demgemäß die Reichweite einer Station dadurch zu steigern, daß man die Antenne erhöhte. Man übertrug also die Erscheinungen der geometrischen Optik ohne weiteres auf die elektrischen Wellen. Nun ist ja bekannt, daß die geradlinige Ausbreitung des Lichtes nur für die grobe Beobachtung besteht; in Wirklichkeit dringt in jeden Schatten Licht ein, indem an der Begrenzung des Schatten werfenden Körpers Beugung stattfindet, die um so be- trächtlicher ist, je länger die Lichtwellen sind (Rot wird stärker gebeugt als Blau). Bei den langwelligen Schallwellen ist die Beugung so be- trächtlich, daß wir von einem „Schallschatten" nichts bemerken und daß wir daher kaum geneigt sind, von einer geradlinigen Ausbreitung des Schalles und von Schallstrahlen zu sprechen. Bei den elektrischen, deren Wellenlänge groß ist gegenüber derjenigen der Schallwellen, muß natür- lich die Beugung noch viel beträchtlicher sein. Die Frage, um die es sich handelt, ist nun die folgende: Ist die Beugung der elekt r ischen Wellen so beträchtlich, daß durch sie ein Herumbiegen der Wellen um ein Achtel bis ein Viertel des Erdumfangs stattfinden kann, ferner stimmt die durch Messung ermittelte Intensität der ankommenden Welle mit der unter Berücksichtigung der Beugung verrech- neten überein? Daß die Beugung bei der Ausbreitung der Wellen eine beträchtliche Rolle spielt, geht schon daraus hervor, daß die Reichweite einer mit langen Wellen arbeitenden Station größer ist als einer mit kurzen. Theoretisch ist die Frage u. a. von A. Sommerfeld,') vonH. W. March und von W. V. Rybczinski bearbeitet worden. Es wird das Feld der strahlenden Antenne unter der Vor- aussetzung, daß die Erde leitend, also mit See- wasser bedeckt ist, untersucht und zwar wird dabei die Beugung der Raumwellen, die Fort- i) Jahrb. d. drahtlos. Tel. XU (191 7) 2: A. Sommer- feld, Überwindung der Erdkrümmung durch die Wellen der drahtlosen Telegraphie. leitung der Oberflächenwellen (das sind solche, die sich nach Art der Lee her 'sehen Wellen längs der leitenden Erdoberfläche fortpflanzen), die Dämpfung durch Energieverluste in der Erde und durch Ausstrahlung in den Raum berücksich- tigt. Es ergibt sich, daß die Amplitude mit der ersten Potenz der Entfernung abnimmt; ferner kommt in der Formel für die Amplitude ein „Zerstreuungsfaktor" vor, der experimentell mit der Entfernung Sender-Empfänger wächst und für längere Wellen kleiner wird. Für eine Ent- fernung von 5000 km ('/s Erdumfang) würde dem- nach die Amplitude auf '/iso sinken bei einer Wellenlänge von 5000 m. Die Messungen, die zur experimentellen Prüfung der Formel dienen könnten, sind leider recht spärlich, und solange der Krieg dauert, ist wenig Aussicht vorhanden, weiteres ßeobachtungsmaterial zu gewinnen. Immer- hin hat vor einigen Jahren L.W, Austin (1911) Versuche ausgeführt, bei denen die Intensität der ankommenden Wellen für verschiedene Entfer- nungen und Wellenlängen in vergleichbarer Weise gemessen wurden. Das Ergebnis der bei Tage angestellten Versuche stimmt recht gut mit dem theoretischen Wert überein, während die Nacht- versuche zu große Werte ergeben (s. u.). Som- merfeld kommt in seinem Bericht zu dem Resultat, daß sich die Tagesreichweiten durch die reine elektromagnetische Theorie erklären lassen. Poincare und Nicholson, die dasselbe Problem untersucht haben, sind anderer Meinung: nach ihnen reicht die Beugung nicht aus, um das Herumbiegen der Wellen um die Erde zu erklären. Diese und andere Forscher ziehen daher andere, mehr meteorologische Erscheinungen zurErklärung heran ; sie machen die Konstitution unserer Atmosphäre für das Verhalten der elektrischen Wellen verantwortlich. Nach Dewar (1902) be- steht diese aus zwei wesentlich verschiedenen Teilen: der untere ist die Tr oposp häre; in ihr findet durch horizontale und vertikale Bewegung der Luft eine dauernde Mischung der Gase statt, so daß sie eine konstante Zusammensetzung zeigt. Sie reicht in unseren Breiten bis zu einer Höhe von etwa 11 km, in den Tropen bis 14, in den Polargegenden bis 8 km. In ihr spielen sich die Wettererscheinungen ab und findet die Wolken- bildung statt. Die Temperatur nimmt meistens ziemlich regelmäßig von unten nach oben ab. Darüber lagert die Stratosphäre, in der nur horizontale Luftbewegungen erfolgen. Ihre Zusammensetzung ist wesentlich anders, der Ge- halt an Sauerstoff und Stickstoff ist gering; sie besteht aller Wahrscheinlichkeit nach in ihren höheren Schichten vorwiegend aus Wasserstoff und etwas Helium und zwar sind die Gase nicht durcheinander gemischt, sondern nach ihrer Dichte gelagert, also der leichtere Wasserstoff findet sich in den allerhöchsten Schichten. Die Temperatur nimmt man als ziemlich gleich zu etwa 60" unter Null an. In der Stratosphäre findet sich nun 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. I nach Heaviside (1902) in etwa 80 km über dem Erdboden eine leitende Schicht, die Heaviside-Schicht. ^) Die elektrischen Wellen bewegen sich danach in einer schmalen Schale („Flüstergallerie") von etwa dem 20 fachen ihrer Wellenlänge zwischen zwei leitenden Flächen, der Erdoberfläche einerseits und der unteren Begren- zung der i^eaviside-Schicht andererseits. Da ja Leiter für elektromagnetische Wellen undurch- lässig sind, werden dieselben an den beiden be- grenzenden Schichten reflektiert und es ist klar, daß dadurch erstens die Erdkrümmung über- wunden wird und zweitens die Energie der Welle viel mehr zusammengehalten wird, da sie sich ja nicht in den Raum hinaus, sondern nur nach zwei Dimensionen ausbreitet. Fleming'-) erklärt die Entstehung der Heaviside-Schicht auf folgende Weise: Man hat Gründe zur Annahme, daß die Photosphäre der Sonne hauptsächlich aus Kohlenstoff besteht. Sie ist also vergleichbar einem riesigen Kohlen- block, der bei einer Temperatur von etwa 6000'' außer Licht und Wärme, negative Elektri- zität, Elektronen, aussendet. Auf ihrem Wege durch die Chromosphäre nehmen diese chemische Atome auf und bilden negative Ionen. Diese werden durch den Lichtdruck der Sonnenstrahlen von der Sonne fort in den Weltraum hinaus ge- trieben. Ein Teil von ihnen gelangt zur Erde und bildet in den oberen Schichten der Atmo- sphäre die leitende Schicht. Setzt man die Dichte der Ionen gleich i und nimmt sie als kugelförmig an, setzt man ferner voraus, daß sie mit einer Geschwindigkeit von 200 km pro Sek. die Sonne verlassen, dann berechnet sich die Zeit, die sie zur Zurücklegung des Weges Sonne — Erde gebrauchen, bei einem Durchmesser von 160, 500, looo fif-i (l W<=.Viooonoo mm)zu25h 17-- bzw. 55 b 33min, 112h 17mm. g,g kommen mit einer Geschwindigkeit von 1900 bzw. 1000, 555 km pro Sek. an. Die durch ein Kilogramm des Staubes transportierte Energiemenge ist wegen der hohen Geschwindig- keit ganz außerordentlich groß; sie beträgt für den feinsten Staub 700 000 Pferdekraftstunden, ein Energiequantum, das ausreichend ist, um einen großen Panzerkreuzer 24 Stunden lang in Fahrt zu halten. Daß diese Energie zur Ionisation der oberen Schichten der Atmosphäre verwendet wird, ist nicht unwahrscheinlich. Neben dem Sonnen- staub kommt als Ursache der Ionisation noch die lichtelektrische Wirkung des Sonnenlichtes in Be- tracht. Wenn das Spektrum des bis zur Erdober- fläche herunterdringenden Sonnenlichtes auch bei einer Wellenlänge von 295 ; gibt auch ,.Eiweißpräzipitine" und die habe ich im Sinne. Mit ihnen hat es folgende Bewandtnis. Spritzt man einem Kanmchen artfremdes Blut ein, z. B. Pferdeblut und bringt man dann Serum von diesem Kaninchenblut mit Pferdehint znsam- inen. so entsteht ein Niederschlag, ein Präzipitat. Kein Niederschlag entsteht, wenn Blut eines nicht vorbehandelten Kaninchens mit Pferdeblut vereinigt wird. Durch dieVnrbeh'indlung des Kaninchens (durch Einspriizen des Pferdeblutes) entsteht im Kaninchen- blut al>o ein neuer Körper, eben das Präzipitin, der die Eigenschaft, die F"ähigkeit hat, einen Niederschlag, ein Präzipitat zu bilden. Diese Erscheinung hat sich die gerichtsärztliche Untersuchung zunnize gemacht. Wenn es sich darum handelt, menschliches Eiweiß z. B. Blut zu erkennen, so wird das zu untersuchende Objekt in Kochsalz aufgelöst und mit Serum eines mit Menschenbiut vorbehandelten Kaninchens zusam- mengebracht; entsieht ein Niederschlag, so ist er- wiesen, daß das Objekt Menschenblut war. Bleibt der Niederschlag aus, so war das Blut Tierblut, vorausgesetzt, daß ein mit Menschenblut ausgeführter Kontrollversuch einen Niederschlag ergibt. Eine andere praktische Anwendung findet die Präzipiiinreaktion bei der Untersuchung der im Lebensmiltelhandel vorkommenden Fleischsorten. Will man etwa eine Wurst auf Beimengungen von Pferdefleisch untersuchen, so bringt man Serum von Pferdeblut-vorbehandelten (bespritzten) Kanin- chen mit jener Wurstfleischlösung zusammen; ein Niederschlag beweist Pferdefleisch in der Wurst. Dasselbe gilt natüllich ebenso für Hunde-, Katzen- usw. Fleisch. Gerade bei dem jetzigen Hochvertrieb Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 von Dauerfleisch ist diese immer zuverlässige Unter- suchungsart von hohem Wert. In diesem Zusammenhange darf die biologisch hochwichtige Entdeckung, die Uhlenhuth ge- macht hat, nicht unerwähnt bleiben : Kaninchen- serum eines mit Menschenblut gespritzten Kanin- chens gibt einen Niederschlag, wenn es mit Menschenblut zusammengebracht wird ; es gibt auch einen Niederschlag, wenn man es mit Blut von anthropoiden Affen (Orang, Gorilla, Schimpanse und Gibbon) vereinigt; nicht aber mit dem Blut anderer Affen oder anderer Säugetiere. Damit hat Uhlenhuth die nahe Verwandt- schaftsbeziehung der (stammesgeschichtlich) hoch- stehenden Säugetiere mit dem höchstent- wickelten nachgewiesen. (g7c.) [Nachdruck verboten.] Zum Problem der Wünschelrute. Von Major z. D. Dr. W. Kranz. Zu diesem Thema hatte bereits der Heidelberger Geologe Prof. W. S a 1 o m o n erklärt, daß es bei sonst einwandfreien Ausschlägen der Rute nicht diese selbst ist, die den Ausschlag gibt, sondern das Nervensystem des Rutengängers, das reagiert, und die von diesen Nerven regierte Muskulatur, die das Instrument zum .Ausschlag bringt. Er gibt aber die Möglichkeit zu, daß hierbei eine physikalische Einwirkung von unterirdiscli ver- borgenem Wasser oder festen Substanzen, durch Strahlungen, Emanationen, elektrische, magnetische oder noch unbekannte Vorgänge auf das Nerven- system des Rutengängers stattfindet. „Ob das möglich ist oder nicht, ist keine geologische, sondern eine physiologische Frage". Diesen Ge- danken vertiefte jetzt der Wiener Hygieniker Prof. R. Graßbergerin 2 Vorträgen über die Wünschel- rute ') mit dem Rüstzeug der physiologischen Psychologie und bahnte damit eine wissenschaft- liche Erklärung des Problems an. Er schilderte zunächst sein erstes Zusammentreffen mit einem Wünschelrutengänger, der merkwürdigerweise gleichzeitig Geologe war. Obwohl nach allen bis- her bekannten geologischen Tatsachen an der betreffenden Stelle ein breiterer Grundwasserstrom zu vermuten war, hatte dieser Rutengänger „auf Grund einiger orientierender Versuche mit der Wünschelrute" die Ansicht, daß mehrere selb- ständige Wasseradern vorlägen. Entsprechend dieser vorgefaßten Meinung zeigte seine Rute solche Adern und ihre Tiefen an, auf einem Punkt zufällig richtig, an den meisten andern falsch, wie nachher ausgeführte Bohrungen ergaben. Diese zeigten ferner, daß auch die vorgefaßte Ansicht des Rutengängers falsch war und ein zusammen- hängender Grundwasserstrom vorlag, daß der Geologe also ungerechtfertigterweise der Rute mehr Vertrauen geschenkt hatte, als seiner Wissenschaft. Graßberger war aber vor Aus- führung der Bohrungen durch den einen zufälligen Treffer, von dessen Richtigkeit sich die Anwesen- den in einem naheliegenden Brunnenrohr über- zeugen konnten, zunächst so stark beeinflußt ge- wesen, daß die Rute auch in seiner Hand an einer der genannten Stellen das gleiche anzeigte, selbst bei verbundenen Augen, letzteres nach seiner Er- klärung durch unbewußte Beeinflussung seines Führers. Weiter schilderte der Wiener Arzt ein Ausschlagen der Rute in seiner Hand auf einer Straßenseite, wo er dann einen Hydranten und Spuren frischer Aufgrabungen offenbar über einem Rohrgraben bemerkte. Daß sie schon vorher in sein Blickfeld gelangt waren, genügte zur Sug- gestion der Wasserader und dadurch zum Aus- schlagen der Rute. Bei Laboratoriumsversuchen des Wiener Psychologen verteilten sich die Treffer und Nieten wie bei Zufallsspielen nach der Wahr- scheinlichkeitsrechnung. Graßberger gelanges nun, die Rute nach seinem Willen auf bestimmte Gegenstände in vorher be- stimmter Weise reagieren zu lassen, obwohl er bei den Ausschlägen überzeugend das Gefühl hatte, daß seine Hand gewaltsam von der Rute verdreht wurde, auch wenn er die Bewegungs- richtung und den Sinn der Ausschläge plötzlich willkürlich änderte. Nach Ausschaltung von Be- wegungen seiner Schultern, Ellbogen und Hand- gelenke gelang Graßberger schließlich die Drehung der Wünschelrute mit nicht sichtbaren Bewegungen seiner Hände und der Nachweis, daß dabei ganz un- scheinbare Fingerbewegungen, Beuge- bewegungen entscheidend mitwirken, daß triebartige, ursprünglich unbe- wußte Greifbewegungen die Ausschläge hervorriefen. Das widerlegt die Ansicht E. Hennig's,^) der menschliche Körper erzeuge nicht bewuiSt oder unbewußt, willkürlich oder unwill- kürlich mittels der Muskeln eine Eigenwir- kung beimRutengehen, sondern leitenur. DerRuten- gänger kann vielmehr bei einiger Übung die sicht- baren Fingerbewegungen ausschalten; sein Instru- ment arbeitet dann, unter Umständen ohne daß er selbst sich dessen bewußt ist, durch kleine Be- wegungen der Fingerbeuger so, als ob die Rute selbst ihre Ausschläge hervorrufe, unter Umständen bis zum Durchbrechen des Holzes neben der Hand, ') I. Die Wünschelrute; II. Suggestion und Hypnose. Wien 1917, ') Untersuchungen n: Wochcnschr. 1917, S. 537. Wünschelrute. N. F. XVII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 23 wie es H e n n i g schildert. ') Dabei ist aber, was schon Paracelsus vor 400 Jahren sagte, der Glaube die bewegende Kraft der Rute. Nament- lich der falsche Glaube vieler Wünschelrutenleute, die schmale lebhafte Wasseradern annehmen, wo tatsächlich breite träge Grundwasserströme vor- liegen, entspricht nach Graßberger „einer Wunschvorstellung, da so die Treffer überaus ver- mehrt werden. Der gläubige Laie macht den Irrtum mit. Die Aufklärung bleibt natürlich dort, wo etwa nur an den Stellen, die der Rutengänger angibt, und nicht wie in unserem Versuch auch an ausschlagfreien Stellen gebohrt wird, aus". Durch solche Bohrungen an ausschlagfreien Stellen hat ja auch v. Linst ow^) die Unhaltbarkeit der Vorstellung von Wasseradern in einem typischen Fall nachgewiesen, wo die Wünschelrute solche Adern erkannt haben wollte; diesen Linien „irgend, eine physikalische Bedeutung" zuzusprechen ''j, geht gerade in diesem völlig mißglückten Falle ent- schieden zu weit, die „Linien" existierten überhaupt gar nicht, wie aus v. Linstow's Darstellung und auch nach meiner Kenntnis der geologischen Ver- hältnisse dort klar hervorgeht, jedenfalls waren es keine „Wasseradern", sondern zum mindesten als solche eine Einbildung des Wünschelmanns. Andererseits beruhen Rutenerfolge wohl vielfach auf reicher Ertahrung, scharfer Beobachtungsgabe und „guter Gefühlstonung" in Verbindung mit Suggestion (vgl. Graßberger). Es ist daher sicher nicht richtig, daß der menschliche Körper dabei lediglich das Medium darstellt, das die Über- tragung von Wirkungen auf die Rute vermittelt.*) Graßberger hält es zwar „für unwis.sen- schafilich und daher für ungerecht, wenn man bei der Erklärung der Wünschelrutenerscheinungen leichtsinnig mit dem Wort Schwindel herumwirft", gibt aber zu, „daß die vielen Empfindungstäuschungen, die hier eine Rolle spielen, auch einmal einem Geriebenen Gelegenheit geben, sein Piofitchen zu machen". Wenn es allerdings so leicht ist, durch Übung wie etwa beim Üben eines iVlusikinstru- ments sichtbare Muskelbewegungen auszuschal- ten und die Rute anscheinend von selbst aus- schlagen zu lassen, dann ist „dem Schwindel, der bewußten Täuschung Tür und Tor geöffnet", um so mehr, als das Wünschelrutengehen meist auch ein sehr einträgliches Gc'^chäft darstellt und vom großen Publikum derart bevorzugt wird, daß z. B. manche Brunnenmacher schon der Konkurrenz wegen mittun müssen. „Man vergesse auch nicht, daß zwischen vollbewußtem Schwindel und rein suggestiven Vorgängen Übergänge vorkommen" (Graßberger). Salomon machte bereits darauf aufmerksam, daß die Rute nicht allein auf Wasser, sondern auch auf Gesteinswechsel, auf Gold, Kohle, Petro- leum, Salz usw. reagieren soll. Graßberger erwähnt Versuche auf Erze, Kohle, Wasser, die gänzlich mißlangen. N^ch Hennig-) könnte man damit auch Blindgänger, Findlingsblöcke, Dichtigkeitsunterschiede, größeren oder geringeren Gr>ldgehalt von Schmuckstücken, am menschlichen Körper Stellen anormaler Beschaffenheit feststellen, überhaupt Dinge, die nach seinen eigenen Worten „ans Fabelhafte grenzen" und eine „wundersame Erscheinung" darstellen. Er hat aber doch das Empfinden, daß damit ,,ein Kurpfuschertum ent- wickelt und Nutzbringendes zum Verderben ge- staltet" werden kann. Graßberger schildert einen entsprechenden Fall, wo ein Wünschelmann beim Kopf und Unterleib einer Dame Emanationen von zwei Köpfen feststellte: Die Dame war näm- lich in den ersten Monaten der Schwangerschaft, und der Wiener Arzt vermutet, daß eine bereits vorhandene leichte Vorwölbung rutenausschlag- bestimmende Lokalzeichen über dem Kopf des Embryos lieferte. Da ferner die Rute mit den verschiedensten Stoffen und Formen hergestellt wird, ohne auch nur einigermaßen Gewähr für sicheres Anzeigen zu geben, da es Leute gibt, „die schließlich auch ganz ohne Rute arbeiten", und da man ja gar nicht weiß, was der Wünschel- mann eigentlich anzeigt, und ob er nicht, wie es Graßberger gelang, sein Nervensystem auf bestimmte Gegenstände reagieren lassen will, oder glaubt, daß dies der Fall sei, so scheint mir nach dem jetzigen Stand der For- schung die Verwendung der Wünschel- rute namentlich vom Standpunkte des Geologen doch im ganzen recht wert- los, selbst wenn der Geologe mitwirkt und nachprüft. ') Er eerät dabei vom Pfade der vor- aussetzungslosen Wissenschaft auf das Gebiet der vorgefaßten Meinung, des Glaubens und Dogmas, wie wir sahen, und verschwendet kostbare Zeit im Kampf gegen unhaltbare Vorstellungen, z. B. gegen den vielfach falschen Glauben an Wasser- adern, die irrige Anschauung von meist gar nicht vorhandenen Trübungen im Grundwasser, die einen Ausschlag der Rute verhindern sollen, oder die abenteuerlichen Ansichten übergroße Geschwindig- keit von tatsächlich trägen Grundwasserströ- mungen. Ich habe deshalb in dem von Hoehne und Wagner geschilderten Fall '-) meine persön- liche Beteiligung an Wünschelruten versuchen seiner- zeit ausdrücklich verweigert, ihre Nachprüfung aber ') Zum Problem der Wünschelrute. Naturw. Wochenschr 1917, S. 252. '-) Ergebnisse von Grundwasserfeststellungen mittels dei Wünschelrute bei der Försterei Trassenmoor. Naturw Wochenschr. 1916, S. 161 — 164. ') Hennig a. a. O. 1917, S. 537. *) Hennig, a. a. O. 1917, S. 537. ') A. a. O. 1917, S. 539. 2) Vgl. u. a. E. Hoehne und W. Wagner, Ein Bei- lrag zur Frage der Wünschelrute aus der Umgebung Strasburgs. Naturw. Wochenschr. 1916,8. 672—675. — L. van Werveke, Geologie und Wünschelrute. Das Wasser, Leipzig I9l7i Nr. 5—7. — Diese Ansicht bestätigen m. E. auch die von E. Hennig a. a. O. geschilderten Tatsachen, abgesehen von deren Deutung. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 veranlaßt; sie ergab einen vollen Mißerfolg des Rutengängers. Einen Nutzen hat jedoch die Be- geisterung eines kritiklosen Publikums und manches Irregeleiteten für die Wünschelrute gebracht: Sie „erweitert den Umfang kostspieliger experimen- teller Bohrungen, sie nützt durch die reichen Auf- schlüsse indirekt auch der exakten Wissenschaft, die nicht immer auf so schrankenlose Freigebigkeit stößt." (GTc) Einzelberichte. Botanik. Daß es neben den Fels bewohnenden Flechten auch Atgenarten gibt, die imstande sind, die kalkige Unterlage aufzulösen, ist bereits mehr- fach beobachtet worden. So beschreibt Nadso n solche Formen von der Küste von Helgoland und anderen Orten. Dabei handelt es sich um Arten, die dauernd unter Wasser leben oder wenigstens von Spritzwasser erreicht werden. Ganz anders verhalten sich die von E. Bachmann beschrie- benen kalklösenden Algen (Ber. deutsche bot. Ges. 33, 45 — 57,1. Auf den oberdevonischen Kalken von Plauen fand er kleine punktförmige Ansiedelungen einer in die Nähe der Sektion XatifJwcapsa Nägeli der Gattung Gloeucapsa Kützing gehörenden Chroococcacee. Einzellig, zu vier oder acht oder in unregelmäßig gestalteten Paketen bildet sie bei Feuchtigkeit kegelförmige Algenkörper, die sich in den Kalk einbohren und daher in kleinen Grübchen sitzen. Der über ihnen gebildete Raum ist zweimal größer als der Inhalt der .Algenmasse, wodurch sie sich von den mehr in die Breite wachsenden Kalkflechten unter- scheiden. Der Hohlkegel, besonders der obere freie Raum kann nur durch chemische Einwirkung infolge Abscheidung einer Säure oder eines sauren Salzes entstehen. Nadso ns Annahme, daß Kaliumoxalat ausgeschieden wird und sich mit dem Substrat zu Kalziumoxalat umsetzt, wird durch die Beobachtungen Bachmanns nicht bestätigt. Dieser nimmt vielmehr an, daß die Algen eine organische Säure abscheiden, die mit dem Kalzium ein lösliches Salz bildet. Hierdurch wird der Kalk aufgelöst und die dabei freiwerdende Kohlensäure wirkt in gleichem Sinne. Diese beiden Lösungsmittel erklären die Entstehung von Hohlräumen, die sich eng an die Form des Algenthallus anschließen, und ihre allmähliche Erweiterung vollständig. So versinken die Algen allmählich im Kalk. Die biologische Bedeutung dieses Vorganges sieht Bachmann darin, daß die kahle, sonnige Felswände bewohnenden Algen viel länger mit Wasser versorgt bleiben, als wenn sie nur oberflächlich anhaften würden. Noch klarer tritt diese Bedeutung bei einigen in der Aareklamm und der Am dn er Tobelschlucht in der Schweiz beobachteten Kalkalgen zutage. Neben Arten von Oiroucocciis, Glococapsa und (seltener) Aphanothece finden sich hier auch Faden- algen wie Scyfoiiema, Pciifalo/ienia und andere. Bis zu einer Tiefe von 1,5 mm zerlegen sie den Kalk durch zahlreiche Klüfte in wulstige Gebilde, so daß er fast schwammartig durchlöchert er- scheint. Auch hier ist der Raum der so ent- stehenden Poren bedeutend größer als der Ge- samtinhalt der darin lebenden Algen. Da alle diese Algen in von ihnen selbst gebildeten Höh- lungen leben, bezeichnet sie Bach mann im Gegensatz zu den an Felsspalten klebenden Fels- haftern treffend als kalklösende Felsin- wohner. Später berichtet derselbe Autor über einen kalklösenden Pilz (Ber. deutsche bot. Ges. 34, (581 — 591). Auf dem Solnhofer Schiefer fand er braune Lager von 3 — 4 mm Durchmesser, die aus Hyphen bestehen. Daß es sich nicht um Flechten handelt, lehrt das völlige Fehlen von Gonidien; es ist ein Pilz, der als Pharcidia liehe- niiiii (Arn.) bestimmt wurde. Er lebt als selb- ständiger Saprophyt auf dem Plattenkalk und ist imstande, in ihn bis zu geringer Tiefe einzudringen, wobei die Hyphen wallartige Ränder um sich stehen lassen. Im Gegensatz zu den Algen wird die kalklösende Säure offenbar nur in sehr ge- ringen IMengen abgesondert, so daß ein tieferes Einsinken unmöglich ist. Wir haben demnach einen Felshafter, einen kalklösenden Felsan- wohner, vor uns. Unklar ist es, wie sich der Pilz, der gewöhnlich als Schmarotzer auf verschie- denen Flechten lebt, auf dem Kalk ernährt. Als Hauptnahrungsquelle ist wohl das gelbliche Sedi- ment anzusehen, das sich fein verteilt zwischen den Kalkkristallen findet. Die zartesten Hyphen treten daher in innige Verbindung mit seinen Bestandteilen. Kr. P. Stark untersuchte die Frage, ob die Kontaktreizbarkeit im Pflanzenreich nur auf be- stimmte Fälle beschränkt ist, wo sie wie bei winden- den oder kletternden Pflanzenteilen eine nachweis- bare ökologische Bedeutung besitzt, oder aber all- gemein verbreitet ist (P. Stark, Untersuchungen über Kontaktreizbarkeit. Ber. deutsche bot. Ges. 33, 389—409). Exp. Unts. üb. d. Wesen u. d. Verbr. d. K. Jahrb. w. B. 57. 1917. 189—320. Danach kann die zweite Annahme als endgültig bewiesen gelten. Stark experi- mentierte zunächst mit im Dunkeln gezogenen und daher etiolierten Keimpflanzen von etwa vierzig Mono- und Dikotyledonen, die er mehr- mals mit einem glatten Korkstäbchen bestrich. Dabei ergaben alle positive Krümmungen, wenn auch dünnstenglige und schnell wachsende Formen in stärkerem Grade als andere. Am empfind- lichsten erwies sich Agrostemma Gifhago L., die N. F. XVII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Kornrade, wo die Reaktion schon nach ein bis zwei Minuten erfolgte. Auch eine Leitung des Reizes sowohl in akropetaler wie basaler Richtung war deutlich zu beobachten, die schneller erfolgt als in den im allgemeinen viel empfindlicheren Ranken kletternder Gewächse. Die Reizbarkeit in beiden ähnelt sich insofern, als sie dem Weber' sehen Gesetze folgt und mit zunehmendem Alter zunächst wächst, um von einem bestimmten Zeitpunkt an wieder abzunehmen. Der wichtigste Unterschied besteht darin , daß die Keimlinge auch für Reize durch feuchte (Stäbchen mit Gela- tineüberzug) und flüssige (Wasserstrahl) Erreger emp- findlich sind, gegen die sich Ranken gleichgültig ver- halten. Die Reizbarkeit der Keimpflanzen steht da- nach in der Mitte zwischen der bei Ranken und der bei den seismonastischen Pflanzen beobachteten. Am umfangreichsten waren die Versuche mit älteren Pflanzen, die aus möglichst verschiedenen Ver- wandtschaftskreisen gewählt wurden. Auch sie zeigten die Reizbarkeit ganz allgemein, wenn sie mit einem Holzstäbchen (etwa 50 mal) bestrichen wurden. Da hier die Teile bedeutend dicker waren, das schnelle Wachstum fehlte und die Versuche bei niederer Temperatur unternommen werden mußten, waren die Krümmungen allerdings schwächer. Aus den Ergebnissen sei folgendes erwähnt. Zahlreiche nich t kletter nde Pflanzen waren überall, besonders aber an behaarten Teilen reizbar. Das gleiche gilt in noch höherem Grade von windenden Pflanzen. Daher ist anzunehmen, daß die Kontaktreizbarkeit am Zustandekommen der Wnidungen beteiligt ist, doch darf ihre Be- deutung bei der germgen Intensität nicht über- schätzt werden. Auch die Blattsiielkletterer ergeben stets positive Resultate, nicht dagegen die Rankenpflanzen. Manche von diesen wie Passifhira. Cucurbita haben völlig unemp- findliche Hiatt'itiele und Laubsprosse. Auch bei den übrigen ließ sich eine Parallelität zwischen der Empfindlichkeit der Ranken und der übrigen Organe nicht nachweisen. So wird durch die Versuche Starks die schon von Darwin ausgesprochene Ansicht be- stätigt, daß die kletternden Gewächse nur eine weit verbreitete und offenbar in der Entwicklung befindliche Fähigkeit weiter ausgebildet haben. Zahlreiche Nichtkletterer (sicher etwa V3 der untersuchten) reagieren mit Blattstielen, Laub- sprossen und Blütenachsen; jedes dieser Organe konnte daher durch Steigerung der Reizbarkeit zu einem Kletter- und Greiforgan werden. Hier- bei erhöhte sich aber die Empfindlichkeit im ganzen Pflanzenkörper. Nur bei den rankenden Gewächsen ist es dann zu einer ausgesprochenen Lokalisierung gekommen, wobei die Reizbarkeit ihren Charakter änderte; sie reagieren auf Gelatine und Wasser nicht mehr, was vom Nützlichkeits- standpunkt durchaus begreiflich ist. Obwohl er nur Blütenpflanzen und Gefäßkryptogamen unter- suchte, zweifelt Stark nicht daran, daß auch die Thallophyten dieselben Erscheinungen aufweisen. Die erstgenannte Arbeit ist eine Zusammenfassung der in der zweiten ausführlich dargestellten Unter- suchungen. Kr. Physiologie. Daß sich der zunehmende Mangel an Brotgetreide auch in Frankreich, im Lande des We/ßbrots, mehr und mehr fühlbar macht, geht aus einem Bericht an die Pariser Akademie in ihrer Sitzung vom 27. August 191 7 hervor. (Ame- lioration du pain de guerre par neutralisation des ferments du son. Note de M. M. Lapicque et Legendre C. R. N. 9 191 7.) Das vorgeschriebene Brot enthalte gegenwärtig eine beträchtliche Menge von Kleie. Dadurch würde bedingt, daß es schlecht schmecke und, namentlich für schwache Mägen, schwer verdau- lich sei. Diese Mißstände hätten schon wiederholt Proteste veranlaßt, welche eine Ausmahlung auf So^/o statt 85 % verlangten. Mit Recht weise man darauf hin, daß die Übelstände durch den hohen Kleiegehalt bedingt würden, füge aber mit Unrecht hinzu, daß bei schwächerer Ausmahlung gerade- soviel Nährstoffe erspart würden ; denn, so hieße es, „aus Kleie kann man kein Brot machen". Der Nährwert des Getreides an Stärke und Kleber srhwanke; im Durchschnitt mache nach Aime Girard der Kern **/,qo aus; leider wären die Mühlen gegenwärtig nicht eingerichtet, um eine reinliche Scheidung zwischen Schale und Kern zu ermöglichen. Man verfahre in der Weise, daß der Kern fein zermahlen würde, während die Schale relativ große Schuppen darstelle. Je nach der Feinheit des Siebs gelangten größere oder kleinere Kleicstücke ins Mehl und die größten davon ent- hielten noch Nährstoff. Daraus ergäbe sich, daß man, will man ganz reines Mehl haben, mindestens ein Drittel der Masse beim Ausbeuteln zurück- halten müßte. Man habe also die Wahl, entweder auf einen beträchtlichen Bruchteil von Nahrungs- stoff des Getreides zu verzichten oder Brotmehl zu bekommen, welches noch Kleie enthält. Den Verfassern sei es nun gelungen, ein Verfahren ausfindig zu machen, welches die genannte Schwierigkeit umgeht. Wie Mege-Mouries nachgewiesen hat, be- steht die Getreideschale nicht bloß aus nutzloser Cellulose, sondern enthält auch Aleuronkörner, welche bei der Brotbereitung eine wichtige Rolle spielen. Ein bequemes Material, um diese Frage zu studieren, stellten die Mühlenprodukte dar, welche zwischen Kleie und Mehl stehen, das sog. Kleiemehl oder die Grütze. Diese Mühlenprodukte waren gegenwärtig noch leicht zu bekommen, weil sich die Mühlen auf die neuen Gesetzesvorschriften noch nicht einrichten konnten und dem reinen Mehl mehr oder weniger Kleie zusetzten. Das rötlich bis grau gefärbte Kleiemehl ist ausge- sprochen sauer; wenn es, selbst bei Zusatz eines Antiseptikums, angefeuchtet wird, entwickelt es rasch einen üblen Geruch, und während der Zer- setzung wird der Säuregehalt noch beträchtlicher 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 Unter Einwirkung von Ammoniakdämpfen oder irgendeines Alkalis würde nun die Farbe heller, gegen das Zitrongelbe hin. Daß dies auf Vor- gängen beruht, welche sich in den Aleuronzellen vollziehen, kann durch das Mikroskop festgestellt werden. Die Umfärbung ist die Folge einer Ver- änderung in den löslichen Substanzen, welche bei der Mazeration des Kleiemehls frei werden, und kann als ein Zeichen der vollzogenen Neutralisierung gelten. Wie die Erfahrung zeigt, ist mit der Umfär- bung einVerschwinden des Säuregehaltes verbunden. Dieses bei Laboratoriumsversuchen gefundene Ver- fahren sei nun für die Bäckerei praktisch nutzbar gemacht worden. Man verfuhr in folgender Weise : Man nahm 4470 g von Mehl aus La Plata- getreide zu 76 "j^ ausgemahlen und 30 g Kleie- mehl derselben Herkunft mit ungefähr ^/g Kleie; darauf mischte man i kg Mehl 90 g Hefe hinzu. Als diese gärte, behandelte man das Kleiemehl mit Kalkwasser, bis sich die Umfärbung zeigte, wozu ungefähr i 1 davon nötig ist; darauf gab man gewöhnliches Wasser zu, bis der Teig die nötige Konsistenz hatte. Das Brot schmeckte dann wie das gewöhnliche für die Lazarette ge- backene. Es sei freilich wahr, daß die Brot- bereitung mit Hefe an und für sich schon ein günstiges Moment bildet. Es wurden aber auch 190 Brote zu 1400 g nach dem gewöhnlichen Verfahren gebacken, nur daß das Kleiemehl in der angegebenen Weise behandelt worden war. Das Ergebnis war vollständig befriedigend: das Brot schmeckte gut, nicht säuerlich und hielt sich vortrefflich. Die Zivilbäckereien bekämen bekanntlich das Mehl schon gemischt mit einem beträchtlichen Zusatz von Mais. Das Brot wurde in der üblichen Weise gebacken, nur daß das gewöhnliche Wasser durch Kalkwasser ersetzt wurde. Fünfmal war das Ergebnis gut, und nur zweimal befriedigend, offen- bar infolge eines Fehlgriffes; aber auch hier war das Brot zweifellos besser. Man könne also ohne besondere Erhöhung der Arbeitslast und keinerlei Mehrkosten ein ganz annehmbares Brot mit nur zu 1 5 "/o ausgebeuteltem Meiil machen. Schon Lieb ig habe die Verwendung von Kalkwasser beim Backen vorgeschlagen, ging aber dabei von anderen Gesichtspunkten aus; er hatte nämlich die Einwirkung des Alkalis auf den Kleber im Auge. Kathariner. Über den Wert der Pilze als Nahrungsmittel.*) Zur Klärung der Frage nach dem Nährwert der Pilze sind von den Herren Prof. Dr. Schmidt, Dr. Klostermann und Scholta im Hygie- nischen Institut Halle a. S. 5- bis 7tägige Ver- suche angestellt worden. Zur Verwendung ge- langte feinstes Pulver von getrockneten Steinpilzen. Die Nahrung bestand beim ersten Versuch aus Mehl, Zucker (beides in Farm von Keks), Wurst und reinem Fett. Beim Hauptversuch wurde ein ') Deutsche med. Wochenschr. 1917, Nr. 39. Teil der Wurst durch Pilze ersetzt. Bei einem zweiten Versuch dienten Trockenkartoffeln, Käse und Fett zur Nahrung, wovon später die beiden ersten Stoffe teilweise durch I^ilzmehl ersetzt wurden. In beiden Fällen war der Pilzzusaiz so groß, daß der dadurch zugeführte Stickstoff 5o7o der Gesamtmenge betrug. Durch sorgfältige Be- stimmung der mit der Nahrung aufgenommenen und der in den Ausscheidungen wieder abgegebenen Stickstoffmenge wurde festgestellt, daß die Aus- nützung des Pilzstickstoffes etwa 86 — 90 % betrug. Danach enthalten 100 g der verwendeten Trocken- substanz 26,77 S verdaulichen Stickstoff, frische Pilze, den Wassergehalt mit 90 "/o angenommen, etwa 2,7 g. Wenn diese Versuche eine wesent- lich höhere Ausnützung ergaben als frühere, so erklären die Verfasser dies dadurch, daß von ihnen ein äußerst feines Mehl verwendet wurde, dessen Herstellung im großen allerdings schwierig und daher unrentabel wäre. Heycke. Zoologie. Über biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken handelt eine anziehende Arbeit von H. Schmitz S. J. im Biologischen Zentralblatt 191 7, Seite 24 bis 43. Man könnte die von Schnecken abhängigen Di- pteren einteilen in Endoparasiten, Epizoen und Nekrophagen; nur steht für manche Art noch nicht fest, ob sie den Endoparasiten oder den Nekrophagen zurechnet werden müßte. Eines wie das andere kommt übrigens in keinem Falle für das Volltier in Betracht, sondern nur für die Larve. Daß Onesia cognata Meigen, eine blaue Pliege, als Larve ein echter Schnecken-Endoparasit ist, konnte Schmitz erstmalig und einwandfrei fest- stellen. Er hatte sich viele Hunderte kleiner häufiger Gehäuseschnecken, Helix hispida, Patula rotundata, Hyalinia cellaria und andere, verschafft, und zwar, nach einer bei Molluskensammlern wohl noch kaum gebräuchlichen Methode, durch Kät- schern im nassen Grase eines unweit Maastricht gelegenen Waldes, was namentlich an Regentagen im Mai und Juni reiche Beute sicherte. Der eigentliche Zweck dieses Schneckensammelns be- stand in der Gewinnung von etwa 600 Larven eines Käfers, Drilus flavescens Fourcr., die sich ausschließlich von Schnecken ernähren, diese in ihrem Gehäuse belagern und sie bei lebendigem Leibe auffressen. Die Fliege Onesia trat ganz überraschend in den Zuchtbehältern auf. Darauf- hin war schon anzunehmen, daß die Larve der Fliege in lebenden Schnecken parasitierte ; doch bei der Möglichkeit, daß unter den gesammelten Schnecken einige tote waren, wurde mit der Ver- öffentlichung der Beobachtung gewartet, bis sie nach einigen Jahren bestimmter wiederholt werden konnte. Am 28. Mai 1916 waren ein Dutzend lebhaft umherkriechende Schnecken isoliert worden; am 4. Juni war eine von ihnen, eine Patula rotundata von 6 — 7 mm Schalendurchmesser, tot N. F. XVII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 und barg in ihrem Innern eine Fliegenlarve, die schnell wuchs, aus dem Schneckengehäuse aus- wanderte, sich verpuppte und in der Nacht vom 25. zum 26. Juni als Onesia cognata schlüpfte. — Wie die Larve in die Schnecke hineingerät, und ob Onesia cognata wie andere Onesien larvipar ist oder ovipar, ist noch nicht bekannt. Bei man- chen Dipteren, deren Larven ein Schnecken- Endoparasitismus nachgesagt wurde, ist diese An- gabe noch zweifelhaft. Sie ist allerdings wahr- scheinlich richtig bei Sarcophaga haemorrhoa Meig., denn diese Fliege wurde nach Mik's An- gabe aus einer jungen Helix hortensis gezüchtet, die an einem Blatte saß, also vermutlich gelebt hatte, denn junge tote Schnecken wird man kaum auf Blättern finden. Schmitz hat die Larve dieser Fliege nur in einer jungen toten, angefaulten Helix — ob hortensis oder nemoralis, war nicht zu unterscheiden — gefunden, wo sie das Hinter- leibsende mit den Stigmen aus der fauligen Jauche hervorstreckte, um später auszuwandern, sich in der Erde zu verpuppen und dann zu schlüpfen. Sie wird wahrscheinlich den Tod der Schnecke veranlaßt haben. Weitere Angaben Schmitz' handeln von Fliegenlarven, die sich aus lebenden Schnecken herausarbeiteten. Dagegen ist Helicobosca muscaria irrtümlich zum Parasiten von Helix arbustorum, pisana und pomatia gestempelt worden. Denn Schmitz stellte fest, daß sich das Weibchen dieses Kerb- tiers um lebende Schnecken nicht kümmert, son- dern wartet, bis man ihm eine tote Helix zur Brutablage anbietet. Letzteres tun auch die zu den Phoriden gehörigen Paraspiniphora-Arten, und daher nimmt Schmitz selbst für einen Fall, wo er in einem mit Kalkdeckel fest verschlossenen Gehäuse von Helix pomatia statt der lebenden Schnecke zahlreiche Puparien zweier Paraspino- phora-Arten fand, an, daß die Phoridenweibchen den Kadaver der im eingedeckelten Zustand ge- storbenen Schnecke gerochen und ihre Eier am Rand zwischen Deckel und Schale außen abgelegt haben, worauf die Larven sich durch Poren oder Spalten ins Innere des Gehäuses begeben hätten. Die Phoriden sind die eigentlichen Totengräber unserer Häuschenschnecken. Sammelt man leere Gehäuse, so findet man, besonders gegen Ende des Winters, in ihnen eine buntzusammen- gewürfelte Kerbtiergesellschaft, in der die Larven und Puppen der gesetzmäßigen Schneckenverzehrer an der Regelmäßigkeit ihres Auftretens leicht kenntlich werden. Ebenso finden sich die spezi- ellen Schnecken-Nekrophagen mit besonderer Regelmäßigkeit ein, wenn man im Sommer an einer schattigen Waldesstelle in kochendem Wasser getötete Häuschenschnecken für mehrere Wochen als Köder auslegt. Aphiochaeta ruficornis Meigen ist eine weitverbreitete, aber seltene und nur aus Schneckenkadavern einmal in Menge gezüchtete Phoride. Von anderen Phoridenarten weiß man, daß sie ihre Eier regelmäßig an Schneckenkadaver ablegen, oder daß sie aus toten Schnecken zu züchten sind. Schmitz konnte dies noch für mehrere Arten feststellen, die ausnahmslos der schon erwähnten Untergattung Paraspinophora Malloch der alten Gattung Phora angehören. Er vermutet, daß auch die übrigen europäischen und nordamerikanischen Paraspinophora-Arten aus faulenden Schnecken zu züchten sein werden. Als morphologische Anpassung an die Brutver- sorgung haben sie ein besonderes Geruchsorgan auf der Oberseite der Maxillartaster in verschieden starker Ausbildung, eine einfache oder zusammen- gesetzte Mulde, aus der oft Hunderte von farb- losen, von einem breiten Nervenstrang versorgten Stiftchen herausragen. Das Organ kehrt wieder bei der afrikanischen Gattung Hypocera, die gleichfalls ihr Larvenleben in faulenden Weich- tieren zubringt, und als Anpassung an termito- phile oder myrmekophile Lebensweise bei Thauma- toxena und Euryphora. Anpassungen anderer Art sind der afrikanischen Phoridengattung Wandolleckia eigen, der einzigen als Epizoen, und zwar auch im Volltierstadium, auf Schnecken lebenden Dipteren. Sie machen durch Abkürzung oder LInterdrückung des Larven- stadiums eine weitgehend ametabole oder imaginale Entwicklung durch, offenbar deshalb, weil eine normal organisierte Phoridenlarve beständig in Gefahr wäre, bei Zurückziehung des Schnecken- körpers von ihm abgestreift zu werden, während die lebhaft beweglichen Volltierstadien bei Störung schnell davonrennen und bald wiederkehren können. Sie ernähren sich vielleicht vom Schleim der Schnecken. Auch die Ametabolie kehrt bei Termitophilen wieder. Teile der Entwicklung von Wandolleckia, inbesondere deren Anfang, sind jedoch noch unbekannt, ebenso die Männchen dieser Gattung. Besonderer Beobachtung empfiehlt Schmitz schneckenreiche Gegenden, da seltene Schneckenfresser wahrscheinlich nur dort vor- kommen werden, wo günstige Nahrungsbedingungen ihre Ernährung hochgradig sichern. In Marokko sollen Schnecken geradezu das Landschaftsbild beeinflußen. Bei Grado kenne ich einen Pinien- wald, dessen Grasboden von fern wie mit weißen Blumen übersät erschien, die sich von nahe als Grasstengel mit zahlreichen weißen, wenn ich nicht irre, Helix pisana-Schnecken erwiesen. V. Franz. Über die Abhängigkeit der Körpertern- peratur von der Pubertätsdrüse (mit i Tabelle und I Figur). Die interessanten Untersuchungen von S t e i n a c h haben ergeben, daß die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale bei den Säuge- tieren von der Keimdrüse abhängig ist, und zwar konnte Steinach nachweisen, daß es speziell die interstitiellen Zellen sind — das von ihm als Pubertätsdrüse bezeichnete Zwischen- gewebe der Keimdrüsen — , die die Entfaltung der Geschlechtscharaktere beeinflussen. Die Wirkung der Pubertätsdrüse ist geschlechtsspezifisch, 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 d. h. jede Drüse ruft nur die Merkmale ihres Ge- schlechtes hervor, jedoch vermag sie, wie ebenfalls Steinach zeigen konnte, auch in dem Kastraten des anderen Geschlechtes ihre Funktion auszuüben. Das kastrierte Männchen, dem Ovarien im- plantiert werden, wird f e m i n i e r t : Skelett, Körper- formen und Behaarung nehmen weiblichen Cha- rakter an, die im männlichen Geschlecht rudimen- tären Brustwarzen und Brustdrüsen erreichen die volle Größe dieser Organe bei den Weibchen und beginnen mit der Milchsekretion. Außer diesen somatischen Geschlechtsmerkmalen ändert sich auch das psychosexuelle Verhalten der operierten Tiere. Die feminierten Männchen säugen die Jungen, die man ihnen gibt, es fehlt ihnen der Geschlechts- trieb, der Mut und die Rauflust der männlichen Tiere, sie lassen sich von diesen bespringen, kurz, das Nervensystem der feminierten Männchen ist vollkommen in weiblicher Richtung erotisiert. Werden kastrierten Weibchen Hoden eingepflanzt, so findet das Umgekehrte statt, die Weibchen werden maskuliert: Gewicht, Größe, Körper- proportionen werden denen der Männchen ähnlich, die Schwellkörper der Clitoris wachsen derart, daß ein penisartiges Gebilde zustande kommt. Das Nervensystem der maskulierten Weibchen wird in männlicher Richtung erotisiert: brünstige Weibchen werden verfolgt und besprungen, nor- male Männchen angegriffen. Neuerdings haben S t ei n a ch und Lipschütz*) den Einfluß der Pubertätsdrüse auf die Körper- temperatur untersucht und festgestellt, daß auch diese von der geschlechtsspezifischen Wirkung der genannten Drüse bestimmt wird. Es war be- reits aus früheren Untersuchungen bekannt, daß die Körpertemperatur bei den Wirbeltieren eben- falls ein Geschlechtsmerkmal ist. Beim weiblichen Geschlecht ist sie in der Regel höher als beim männlichen. Beim Meerschweinchen, das Steinach und L i p s c h ü t z zu ihren Experimenten benutzten, beträgt die Differenz im Durchschnitt 0,6 — 0,7". Allerdings schwankt die Körpertemperatur beim einzelnen Individuum in ziemlich hohem Maße, und es dürfen daher, wenn einwandfreie Resultate Zahl der Gesamt- Mittlere gemes- zahl der Körper- senen Mes- tempera- Tiere sungen tur I. Normales Weibchen . . 5 133 37.3 ) 2. Kastriertes Weibclien . . 51 36.9 \ 3. Maskuliertes Weibchen . 1 25 36,8|| 4. Normales Männchen . . 3 73 36,7)1 5. Kastriertes Männchen . . 3 59 36.7 1 6. Feminiertes Männchen. . 2 68 37,2 Mittle ') Lipschütz A., Über die Abhängigkeit der Körper- temperatur von der Pubertätsdrüse. .\rch. f. d. ges. Physiol., Ed. 168, 1917. erzielt werden sollen, bei den Messungen ver- schiedene Momente nicht außer acht gelassen werden. Zunächst einmal beeinflussen die Körper- bewegungen die Temperatur. Je unruhiger das Tier bei der Messung ist, desto höher ist die Tem- peratur. Andererseits zeigen manche Tiere die Neigung, bei öfters wiederholter Messung in einen Hypnosezustand zu ver- fallen, ein Zustand, wäh- rend dessen die Tem- peratursinkt. Auch die verschiedene Tiefe, in die das Thermometer bei der Messung in den Enddarm eingeführt wird, kann die Ur- sache beträchtlicher Schwankungen werden. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, daß die Außenbedingungen die Körpertemperatur be- einflussen. Die Ergeb- nisse, zu denen Stei- nach undLipschütz bei Vermeidung derge nannten F"ehlerquellen kamen, sind in der nebenstehendenTabelle znsammengestellt und ebenso aus der beifol- genden graphischen Darstellung ersichtlich. Während die Körper- temperatur der Männchen durch die Kastration nicht beeinflußt wird, sinkt sie bei den kastrierten Weibchen um durchschnittlich 04°. Die Femi- nieruug der Männchen hat zur Folge, daß die Temperatur nahezu bis zur Körpertemperatur des normalen Weibchens steigt. Die Körpertemperatur des kastrierten Weibchens scheint durch die Masku- lierung weniger beeinflußt zu werden, sie hatte sich ja aber durch die Kastrierung der des normalen Männchens bereits stark genähert. Wenn also auch eine Beeinflussung der Körpertemperatur durch die männliche Keimdrüse nicht mit Sicherheit nach- weisbar ist, so ist doch die höhere Körper- temperatur des Weibchens jedenfalls eine Wirkung der weiblichen Keimdrüse. Nachtsheim. Empusa fasciata Brülle ist eine merkwürdige Fangheuschrecke, die von Kriegsteilnehmern in letzter Zeit öfter lebend aus Südmazedonien nach Deutschland gesandt wurde und in Ter- rarien aufmerksam beobachtet wird. Höchst sonderbare Gestalt hat vor allem die Larve (Abb.), die, noch flügellos, vier lange Laufbeine, zwei Raubbeine, einen rückwärts gekrümmten Hinter- leib und einen kleinen beweglichen Kopf mit helmartiger Erhöhung besitzt und in dieser Ge- stalt der verwandten Gottesanbeterin, Mantis reli- kuliert Temperaturen des normalen Weibchens (l), des normalen Männchens (4), des kastrierten Weibchens (21, des kastriTten Männchens (;), des maskulierten Weibchens (3) und des feminierten Männ- chens (6). Weibchen . Männchen. (Nach Lipschütz.) N. F. XVn. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 29 giosa, noch sehr unähnHch ist. Eher hat sie in ihrer Erscheinung etwas stabheuschreckenähnliches, zumal wenn sie ruhig sitzt, doch kann sie auch behende laufen und springen. Nach schwachem Druck auf die halsartige Vorderbrust stellt sie sich häufig tot, aber nicht so lange wie die schon genauer physiologisch untersuchten Stabheu- schrecken. Ihre Färbung ist gelbgrau oder grau- braun, manchmal auch stellenweise grünlich, viel- leicht infolge Farbenwechsels. Durch Vorwerfen der Fangbeine erbeutet sie Kerbtiere, selbst größerer, wie den dickleibigen Schmetterling Agrotis pronuba, und verzehrt sie langsam. Nachdem sich eine solche Larve wiederholt gehäutet hatte, fand Dr. Mert e ns an ihrer Stelle eines Tages das im wesentlichen lichtgrün gefärbte Volltier vor. Es unterscheidet sich viel weniger von der Gottesanbeterin als die Larve. Der obere Rand der Vorderflügel trägt einen Streifen von weißer Farbe, was, zumal bei zusammengefal- teten Flügeln, den Artnamen „fas- ciata" begründet. An den Beinen und Hinterleibs- seiten befinden sich blattartige Lappen. Merk- würdigerweise ist die Rücken- seite des Tieres heller gefärbt als die der Umgebung viel besser angeglichene Bauch- seite, was offenbar damit zusammenhängt, daß Empusa sich im Gebüsch meist an der Unter- seite der Zweige festklammert. Auch die Larve kann diese Stellung einnehmen. Von der Larve sagt Professor Wern er, auch ein geübtes Auge werde sie zwischen dürrem Laub und Reisern nur schwer erkennen können. Und man wird wohl im allgemeinen die Gestalt der Larve und die grüne Farbe des Volltiers als Schutzanpassungen beurteilen, die ausgezeichnet, wenn auch natürlich nicht unbedingt wirken weiden. Professor Werner allerdings, der be- kanntlich in der Mimikry- und Schutzanpassungs- frage einen kritischen Standpunkt einnmimt, be- tont auch diesmal, die Pflanzenähnlichkeit biete gegenüber einem aufmerksamen Sammler, „ob er nun Entomologe oder em hungriger Vogel ist", auf die Dauer keinen Nutzen. Alles in allem ist fclmpusa fasciata ein Tier mit vielen wissenschaftlich beachtenswerten Eigen- schaften.') V. Franz. Der Flug der Insekten zur Flamme ist von den Forschern verschieden erklärt worden. Kirby ') Vgl. Blauer für Aquarienkunde, 1917, Jahrg. XXVIII, und Spenzer glaubten, daß er dem Streben nach einer Art sportlicher Belustigung entspringen würde ; eine ebenso anthropomorphistische Deutung gab Roman es, der den Insekten Neugierde unterschob. Nach der Ansicht Radl's dient die Lichtquelle als Orientierungspunkt. Tagsüber kann das Tier sich nach allen möglichen optischen Punkten richten, nachts aber muß es sich aus Er- mangelung anderer Lichtquellen beim Flug an die künstliche halten und wird so zu ihr hingezogen. Allgemein angenommen ist gegenwärtig die Er- klärung von J. Loeb, dem Begründer der Tro- pismenlehre. Ein Lichtstrahl, der den Insekten- körper einseitig trifft, versetzt die Muskeln, welche den Kopf des Insektes zum Lichte hinlenken, in Erregung und zieht dadurch das Tier in die Licht- quelle. Demnach ist der Flug zur Flamme als Phototropismus zu bezeichnen. Nach den Untersuchungen an verschiedenen Insekten und Insektenlarven ist der Phototropismus abhängig nicht nur von dem Vorhandensein eines deutlichen Lichtmaximums oder Minimums, son- dern auch von einem bestimmten physiologischen Reizzustande des Tieres. Das eine Tier wird bei- spielsweise phototropisch, wenn es hungrig ist, ein anderes bei Luftmangel oder in schlechtem Wasser, bei Verfolgung der Feinde usw. Befindet sich das Tier' nicht in diesem spezifischen Zustande, so reagiert es weder auf den hellsten noch auf den dunkelsten Lichtstrahl. Es ist klar, daß die negativen oder positiven phototropischen Be- wegungen dem Tier je nach seinem physiologischen Zustande von Nutzen sind, indem sie das Tier zum Aufsuchen von Nahrung, zur Flucht, zum Ver- stecken und ähnlichen Handlungen veranlassen. In einer Reihe von Versuchen hat W. von Buddenbrook (Sitzungsberichte der I leidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathem.naturw. Klasse, Abt. B. Jahrg. 1917) das Problem einer erneuten Prüfung unterzogen und ist zu völlig ab- weichenden Ergebnissen gekommen. Er arbeitete mit Schmetterlingsraupen, verschiedenen Käfern und anderen Tieren, um zunächst die Reaktion gegen den Lichtstrahl genau zu prüfen. Während die Tiere im Dunkeln auf einer berußten Platte verschlungene Wege beschrieben und deutliche Suchbewegungen ausführten, war der Weg bei hellem Sonnenschein gerade. Die Tiere strebten durchaus nicht dem Lichte zu, sondern suchten nur eine bestimmte Stellung zu den Sonnenstrahlen beizubehalten. Auch auf der Drehscheibe ließen sie sich nicht von der einmal eingeschlagenen Richtung abbringen. Der Winkel, unter dem die Lichtstrahlen geschnitten werden, ist zwar von F"all zu Fall verschieden und vom Tiere beliebig gewählt, aber er wird stets eine Zeitlang beibe- halten. Da die Sonnenstrahlen als parallel auf- zufassen sind, ist der zurückgelegte Weg eine gerade Linie. Darin liegt ein wesentlicher Unter- schied gegenüber den phototropischen Bewegungen. Nach dem Vorgange von Santschi sind daher die 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 2 eben erörterten Bewegungen als Lichtkompaß- bewegungen zu bezeichnen. Eine Lichtquelle, die im Dunkeln in die Nähe des Versuchstieres gebracht wird, sendet radiäre Strahlen aus. Es können nun vom Tier folgende Richtungen eingeschlagen werden: 1. Der Winkel zwischen der Körperlängsachse und dem Lichtstrahl, der das Auge trifft, ist Null. Das Tier bewegt sich also geradlinig auf das Licht zu, oder von ihm weg. 2. Der Winkel beträgt 90 Grad. Das Tier beschreibt folglich einen Kreis um die Lichtquelle. 3. Der Winkel ist spitz oder stumpf, das Tier bewegt sich daher in einer Spirale, sich derart immer mehr dem Licht nähernd oder von ihm entfernend. Der dritte Fall, den man sich leicht durch eine einfache Zeichnung klar machen kann, ist des- wegen beachtenswert, weil er den Flug zur Flamme besser erklärt als die bisherigen Theorien. Die Bewegungen, die man Insekten im Freien um eine Lichtquelle ausführen sieht, werden nun ver- ständlich. Er zeigt insbesondere, daß es den Tieren auch möglich ist, aus dem Bereich des Lichtes wieder herauszukommen, wenn sie nur einen Winkel eingeschlagen haben, der kleiner ist als 90 Grad. Im umgekehrten Fall müssen sie notwendig ins Licht gelangen. Diese besondere Art der Lichtkompaßbe- wegungen, die mit dem echten Phototropismus nicht verwechselt werden darf, wird zur Vermeidung störender Verwechslungen besser als Nachtphoto- tropismus angesprochen. Folgende negative Merk- male zeichnen ihn aus: Er ist nicht an einen be- stimmten Reizzustand gebunden, sondern er tritt, die betreffenden Beleuchtungsverhältnisse voraus- gesetzt, immer ein. Er ist von keinem Nutzen für das Tier begleitet, ja oft geradezu schädlich und führt bisweilen den Tod des Tieres herbei. Bei freilebenden Tieren haben die Lichtkompaß- bewegungen den biologischen Wert, ihnen einen geradlinigen Lauf zu ermöglichen. Dr. Stell waag. Bücherbesprechungen. Demoll, Reinhard, Prof. Dr., Die Sinnes- organe der Arthropoden, ihr Bau und ihre Funktion. 243 S. mit 1 18 Textfiguren. Braunschweig 191 7. Friedr. Vieweg u. Sohn. Geh. 10 M., geb. 12 M. Das Werk verdiente eine eingehendere Wür- digung als ihm zurzeit gegeben werden kann. Der sehr schwierigen Aufgabe, eine Übersicht über die Sinnesorgane der Arthropoden zu geben, wird Demoll in vorzüglicher Weise gerecht. Daß dem Verfasser die Behandlung des Stoffes z. T. als eine undankbare erschienen ist, ist begreiflich, da wir über so vieles noch im unklaren sind und wir einesteils eine gute Kenntnis mancher Sinnes- organe besitzen, andererseits aber ihre biologische Bedeutung noch nicht zum Vollen oder gar nicht haben ermessen können. Weiterhin gibt uns die Biologie zahlreiche Hinweise auf Sinnestätigkeiten, doch kennen wir wiederum die Organe nicht, an die sie mit Sicherheit gebunden sind. Mit größtem Nachdruck wies ich in dem Zusatzkapitel : „Physio- logie ohne Biologie" (Stammesgeschichtliche Ent- stehung des Bienenstaates, S. 75 — 83, Leipzig 1903) unter Angabe von Beispielen darauf hin, wie leicht Irrwege beschritten werden können, wenn dem Beobachter nicht eine gründliche Kenntnis der Biologie des betreffenden Tieres zur Seite steht. Aus diesem Gesichtspunkt ist es erklärlich, daß die Urteile des Physiologen hin und wieder nicht mit denen des Biologen harmonieren werden. Hier werden noch viele Beobachtungen und Feststel- lungen nötig sein, bevor beide auf diesem Felde im wesentlichen zu gleicher Beurteilung gelangen. Inzwischen wirkt es auf den Biologen nicht durch- aus überzeugend, wenn lediglich aus theoretischen Schlüssen ohne jegliche biologische Bestätigung beispielsweise die Funktion derOcelli in bestimmter Weise definiert wird, während die Biologie, z. B. für Bienen und Ameisen (s. Leben und Wesen der Bienen), es höchst wahrscheinlich macht, daß zum mindesten auch noch andere Funktionen in Frage kommen, die nicht in der Richtung jener theore- tischen Feststellungen liegen. Es würde hier viel zu weit führen, auf Einzel- heiten einzugehen. Einiges dürfte wohl reichlich summarisch behandelt sein, auch vermißt man Bezugnahme auf einige Arbeiten, die wohl hätten herangezogen werden können, z. B. die Schriften Mcindoos über den Geruchssinn bei den Hyme- nopteren. Doch es ist begreiflich, daß der Ver- fasser, um nicht ins Uferlose zu geraten, sich eine straffe Richtlinie zog. Die Ausführungen über die Funktionsweise der Organe sind z. T. sehr anregender und tiefgrün- diger Art und werden sicherlich zu weiteren Er- örterungen Veranlassung geben. Das grundlegende Werk wird insbesondere allen Dozenten sehr willkommen sein. V. Büttel-Reepen. Escherich, Prof. Dr. Karl, Die Ameise. Schil- derung ihrer Lebensweise. 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 98 Abbildungen. Braunschweig 1917. Fr. Vieweg u. Sohn. Preis geh. 10 M., geb. 12 M. Die Ameisen stellen eine nach so vielen Rich- tungen hin merkwürdige Tiergruppe dar, daß sie sich von jeher eines ganz besonderen Interesses bei Gelehrten wie Laien erfreuten. Den Psychologen hat die Sinnesphysiologie der Ameisen wichtige N. F. XVII. Nr. 2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. neue Erkenntnisse gebracht und manche neuen Fragen aufgegeben, den Botaniker fesselt die Be- ziehung der Ameisen zur Pflanzenwelt, die oft ganz eigenartige, viel diskutierte Formen annimmt, und schließlich übt auf jeden Naturfreund das Leben und Treiben des Ameisenvolkes, besonders wenn er das Glück hatte, es in den Tropen zu beobachten, einen ganz besonderen Reiz aus. Eine so hübsche und umfassende Darstellung, wie sie uns Escherich in dem vorliegenden Buche darbietet, kann deshalb von vornherein in naturwissenschaftlich inter- essierten Kreisen einer allgemeinen Beachtung sicher sein, zumal sie lebhaft und anschaulich ge- schrieben ist und den Leser zu fesseln versteht. Die zweite Auflage ist in einzelnen Teilen stark umgearbeitet worden, so sind die Abschnitte über soziale Symbiose und über die Beziehungen der Ameisen zu den Pflanzen auf den modernen Stand gebracht worden, das Kapitel über die Psychologie ist von R. B r u n ganz neu verfaßt worden ; des- gleichen hat Viehmeyer den systematischen Teil einer gründlichen Revision unterzogen. Über Art und Umfang des Buches möge eine kurze Inhaltsübersicht unterrichten. Nach einer Einleitung, die ganz kurz über einige allgemeine Dinge orientiert, wie die systematische Stellung, die geographische Verbreitung, die Untersuchungsmethoden usw., wird die Anatomie und Morphologie ausführlicher dargestellt, woran sich dann eine Behandlung des bei den Ameisen ja besonders wichtigen Polymor- phismus anschließt, die auch die Phylogenie dieser Erscheinung streift. Im Kapitel; Fortpflanzung wird außer der Befruchtung die Gründung der Kolonien sowie ihr weiteres Schicksal, sowie Metamorphose und Brutpflege geschildert. Ein besonderes Kapitel ist dann dem Bau der Nester gewidmet, deren verschiedene Typen im einzelnen durchgegangen werden, es folgt weiter die Ernährung mit ihren mannigfachen Besonderheiten, sowie ein Abschnitt über verschiedene Lebensgewohnheiten, als Reinigung, Schutz- und Verteidigungsmaßregeln, Kämpfe, Umzüge, Wanderungen, Krankenpflege, Spiele usw. Die folgenden Kapitel behandeln die ganz besonders interessanten Beziehungen der Ameisen zu ihresgleichen, sowie zu anderen Tieren und zu den Pflanzen. Wir erfahren von zusammengesetzten Nestern, d. h. solchen, in denen sich Gesellschaften von Diebs- oder Gast- ameisen angesiedelt haben, von gemischten Kolonien in ihren verschiedenen Graden der Verschmelzung vom zeitweiligen und gelegentlichen Sozialparasitis- mus bis zur Sklaverei, der Allianz und dem dauernden Sozialparasitismus; auch die Beziehungen zwischen Ameisen- und Termitenkolonien findet man hier erörtert. Handelte es sich in allen diesen Fällen um das enge Zusammenleben von ganzen Gesell- schafien innerhalb von oder mit Ameisenvölkern, so berichtet das folgende Kapitel von den Be- ziehungen der Ameisen zu nicht sozialen Tieren, also zu Blattläusen und insbesondere zu den eigent- lümlichen Mietern, die entweder feindlich verfolgt, oder geduldet oder aber als willkommene Gäste gehegt werden, und endlich zu den verschiedenen Schmarotzern, die am einzelnen Ameisenindividuum vorkommen. Der Brun'sche Abschnitt handelt von den Sinnen der Ameisen, ihrem Großhirn und erörtert folgende Fragen: Wie erkennen sich die Ameisen? Wie finden die Ameisen den Weg? Besitzen sie ein Mitteilungs- und ein formelles Schlußvermögen ? Den Schluß machen zwei ."Xnhänge, von denen der eine die lästigen Haus- und Gartenameisen und die Mittel ihrer Bekämpfung zum Gegenstand hat, der andere einen vielen zweifellos sehr will- kommenen Bestimmungsschlüssel für die in Deutsch- land einheimischen Ameisen enthält. Gute Ab- bildungen, Register und namentlich die ausführ- lichen Literaturangaben am Schlüsse der einzelnen Kapitel erhöhen den Wert des Buches. Miehe. C. Frh. V. Pirquet. System der Ernährung. I. T. Berlin, J. Springer 1917. Verf. hat ein System der Ernährung ausge- arbeitet, bei dem als physiologische Einheit nicht die Kalorie direkt dient, sondern das „Nem" d. i. der Kalorienwert von i g Frauenmilch. Es werden demnach alle Nahrungsmittel nach ihrem Brenn- werte und auf Grund einer zweiten Berechnung nach ihrem N-Gehalt mit der Milch verglichen. Zur Berechnung der für einen bestimmten Men- schen nötigen Nahrungsmenge geht v. P i r q u e t zu- nächst von der Sitzhöhe (vom Scheitel bis zur Sitzfläche gemessen) des Betreffenden aus. Das Quadrat der Sitzhöhe entspricht etwa der Fläche des Darmes (ohne Berücksichtigung der Zotten). Nach einem bestimmten Schlüssel, der die Körper- größe, das Alter und die Muskelleistungen be- rücksichtigt, wird nun die für die betreffende Person pro cm- Darmfläche nötige Zahl von Nem bzw. Dezinem angenommen, und aus der Größe der Darmfläche und der erwähnten Zahl das je- weilige Nahrungsbedürfnis berechnet, bzw. auf einer Tafel abgelesen. Weitere Tafeln ermöglichen die praktische Auswahl der Nahrungsmittel nach ihrem jeweiligen Marktpreise. Die statistischen und ernährungs-physiologischen Untersuchungen des Verfassers, auf deren zahl- reiche Einzel Ergebnisse hier nicht näher einge- gangen werden kann, sind sowohl für den Arzt, als auch für jeden, der die Ernährung einer größeren Anzahl Menschen zu organisieren hat, von großem Interesse. Vielleicht wäre die Frage zu diskutieren, ob nicht das ganze System leichter Eingang in die Praxis fände, wenn es auf der ge- rade heute auch schon in Laienkreisen bekannten Basis der Kalorie aufgebaut worden wäre. V. Brücke (Innsbruck). Bölsche, Wilhelm, Neue Welten. Die Er- oberung der Erde in Darstellungen großer Naturforscher. Herausgegeben und eingeleitet von Wilhelm Bölsche. XXIV 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 und 644 S. Mit 24 Kunstbeilagen. Berlin, Deutsche Bibliothek. Ohne Jahreszahl. Von dem Meister popularisierender Natur- wissenschaft, der in den letzten Jahrzehnten den stärksten Anteil mit daran hatte, daß die Ergeb- nisse stiller Gelehrtenarbeit in fruchtbringender Weise hinausgetragen wurden in weiteste Kreise, liegt ein neues Werk vor, das „geplant wurde in stiller Zeit und in unruhvoller hinausgeht. Viel- leicht findet aber gerade der Streiter von heute Gefallen daran. Liest er doch von tapferen Männern darin, die alle beste Tugend unseres Soldaten hatten : eine eiserne Pflichttreue und den Glauben an ein Ideales, das über dem einzelnen steht und doch erst diesem einzelnen einen rechten Wert gibt". Was Männer wie Forster, Lichten- stein, Hochstetter, Steinen, Wallace, Chamisso, Humboldt und Darwin als Bestes für eine Auslese Geeignetes in ihren Reise- schilderungen gegeben, das findet sich hier in einem starken Bande vereinigt. Dem Nachwuchs werden diese durch zahlreiche Anmerkungen Bölsche's und durch sehr gute Kunstbeilagen begleiteten Darstellungen viel geben und auch der Forscher, der selbst in fernen Landen weilte, wird gerne darin blättern. v. Buttel-Reepen. Anregungen und Antworten. Astrologie im 20. Jahrhundert I Die „Tägliche Rundschau" steht schon seit lange mit der Naturforschung auf gespanntem Fuße. Außer regelmäßigen Berichten über den gestirnten Himmel sind Aufsätze naturwissenschaftlichen Inhalts eine große Seltenheit. Und welcher Art sind sie dann? Vor etwa Jahres- frist machte sich da irgendein Böotier lang und breit über die lateinischen I'flanzennamen lustig, über deren Unentbehr- lichkeit unter den Kennern doch völlige Einigkeit besteht. Dafür prangte im letzten Frühjahr in einem philosophischen Feuilleton der Satz, es sei für die Menschheit ziemlich gleich- gültig, ob eine wissenschaftliche Entdeckung loo Jahre früher oder später gemacht werde 1 Und das in diesem Weltkriege, in welchem Deutschland seiner Naturwissenschaft Ungeheures verdankt — z. B. auch das Durchhalten in der Ernährung. Eine Gipfelleistung stellt aber ein Aufsatz „Hindenburg's Horoskop" dar, erschienen am I. Oktober 191 7 (nicht etwa I 6 I 7 I) ; eine halbe Spalte lang, bei der herrschenden Papier- knappheit. Nachdem dort von einer „Wissenschaft der Astro- logie" die Rede war, heißt es weiter; „Ohne zu der viel um- strittenen Frage, ob die Gestirne auf die Schicksale des Menschen einen Einfluß üben, Stellung zu nehmen . . ." Ob es wirkliche Hexen gibt, die in der Walpurgisnacht auf Besenstielen zum Blocksberg reiten? — Aber, Scherz bei Seite : Ist es nicht als ein nationales Unglück zu bezeichnen, wenn die nationale Presse in Sachen walirer Geisteskultur um mindestens drei Jahrhunderle rückständig ist? Dr. Hugo Fischer-Bromberg. Zur Frage der Libellenwanderungen (zu Naturw.Wochenschr. Bd. 32, S. 531). Ich entsinne mich, in der dritten Auflage von Brehms Tierleben gelesen zu haben, daß jemand dem Ur- sprung eines wandernden Libellenschwarmes nachging und ihn — -■--- - -- ligberg entdeckte. Auflage von Brehms Tierleben herübergenommen sein wird, scheinen Libellenwanderungen ebenso wie viele andere unregel- mäßige Tierwanderungen ihre Hauptursache in örtlicher Übervölkerung zu haben, die ihrerseits auf günstige Witterungsverhältnisse zurückgeht. Der genaueren Erklärung bedürfte demnach nur noch die Tatsache, daß die Libellen, und ebenso andere Tiere im gleichen Falle sich nicht sofort zerstreuen, sondern beisammen bleiben und auf bestimmter Straße wandern. Dies wird bei Nagetieren, ähnlich bei fünf Bären, die man einmal das Meer durchschwimmen sah, im wesentlichen auf den Trieben zur Geselligkeit und Nach- ahmung beruhen, die man jedoch von Libellen sonst nicht kennt. V. Franz. ein massenhaftes, unaufhörliches Aus: stattfand. Nach dieser Beobachtung, dii Libellen Zu „Luftwellen als Schlieren sichtbar" gestatte ich mir zu bemerken, daO ich bei der Erklärung meiner in Nr. 32 mit- geteilten Beobachtung vom 6. April 191 7 durchaus nicht auf Schallwellen geschlossen hatte, wie der Herr Verfasser des inhalireichen Beitrags auf Seite 582/583 (W. Krebs. Die Red.) aus meinen Worten herausgelesen zu haben meint, sondern nur auf Wellen, die etwa Schallgeschwindigkeit haben könnten, während sie für hörbare Schallwellen viel zu lang sind, und die wahrscheinlich durch Ladungsexplosionen feuern- der Geschütze veranlaßt wurden. Merkwürdige und nicht sicher erklärbare Erscheinungen aus der Physik beobachtet man im Felde noch oft. Eine solche möge hier noch kurz erwähnt sein: Mitunter bei fernen Geschützabschüssen hört man jeden Knall deutlich zweisilbig, etwa wie „Pu-Iup". Dazu wird oft die Ansicht geäußert, es handle sich um den in neuerer Zeil öfter besprochenen „Doppel- knall". Das kann aber nicht zutreffen, denn dieser letztere Doppelknall, bei dem der zweite Knall aus dem Zischen des Geschosses entsteht, sobald das Geschoß größere als Schall- geschwindigkeit hat, und der von Mach einwandfrei erklärt wurde, kann nur vernommen werden, wenn man nahe der Flugbahn steht. Franz. Inhalt: Fuhrmann, Impfung und Unempfänglichkeit (Immumlät). S. 17. W. Kranz, Zum Problem der Wünschelrute. S. 22. — Einzelberictite: E. Bachmann, kalklösende Algen und Kalklösender Pilz. S. 24. P. Stark, Konlakireiz- barkeit im Pflanzenreich. S. 24. Lapicque und Legendre, Mangel an Brotgetreide auch in Frankreich. S. 25. Schmidt, Klostermann und Scholta, Über den Wert der Pilze als Nahrungsmittel. S. 26. H. Schmitz S. J., Biologische Beziehungen zwischen Dipteren und Schnecken. S. 26. Lipschülz, Über die Abhängigkeit der Körper- temperatur von der Pubertätsdrüse (I Abb.) S. 27. Mertens, Eine merkwürdige Fangheuschrecke. (l Abb.) S. 2S. W. V. Buddenbrock, Der Flug der Insekten zur Flamme. S. 29. — Bücherbesprechungen: R. Dem oll. Die Sinnes- organe der Arthropoden, ihr Bau und ihre Funktion. S. 30. K. Escherich, Die Ameise. S. 30. C. Frhr. v. Pirquet, System der Ernährung. S 31. W. Bölsche, Neue Welten. Die Eroberung der Erde in Darstellungen großer Natur- forscher. S. 31. — Anregungen und Antworten : Astrologie im 20. Jahrhundert. S. 32. Zur Frage der Libellenwande- ruugen. S. 32. LuftwcUcn als Schlieren sichtbar. S. 32. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 4z, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 20. Januar 1918. Nummer 3. Einige Notizen über die Wirkung außerordentlicher Dürre im Waterberg-Distrikt von Transvaal, Südafrika. [Nachdruck verböte Von P. Strauß v. Mit 2 Abbildungen Unzweifelhaft ist die allmähliche, aber zusammen- hängende Abnahme des überflachenwassers der Erde eines der wichtigsten Momente in unserer Erdgeschichte, lange vor Ankunft des Menschen. Durch den Wechsel in der zufälligen Umgebung ist es eine der großen Bewegungsursachen der natürlichen Auslese und Entwicklung der Lebens- formen gewesen. Wenn wir den Verlust in den zwei Erdteilen studieren, in denen Wasser eine solche Stufe der Seltenheit erreicht hat, daß seine gegenwärtige Abnahme zu einem hervorragenden, natürlichen Zuge geworden ist, so ist der Fortschritt nicht nur augenfällig, sondern auch leicht meßbar. Das Verschwinden des Wassers ist in Asien und Afrika, den zwei „trockenen" Kontinenten, — Australien, wahrscheinlich der „trockenste" Kontinent, soll, weil diesbezügliche Beobachtungen und Aufzeich- nungen noch sehr junger Natur, nicht in Betracht kommen, — jährlich so groß, daß es die Prophe- zeiung des französischen Astronomen F 1 a m m a r i o n zu rechtfertigen scheint, daß innerhalb eines meß- baren Zeitraumes das Menschengeschlecht in dieser Ursache ihren schließlichen Untergang finden werde. In Europa und Amerika, den „feuchten" Kontinenten, ist es noch zu reichlich, um seine jährliche Abnahme zu einem Gegenstande von viel Wichtigkeit zu machen, aber sie sind gewiß- lich nicht ausgenommen. Ein Vergleich der Resultate russischer For- schungen in Asien vor fünfzig Jahren mit denen der Reisen Sven Hedin's oftenbart die Tat- sache, daß die Wüste sogar in diesem kurzen Zeiträume Tausende von Quadratmeilen von einst fruchtbarem Lande eingenommen hat. Flüsse und Seen sind verschwunden, sogar volkreiche Städte wurden durch den allerobernden Sand vertilgt. Gerade so schnell sind die großen Seen Afrikas eingeschrumpft. Vor weniger als fünfzig Jahren war der N'gami ein wirklicher See, nun ist er nichts mehr als ein mit schnellem Untergange drohenper Sumpf. Der von den Eingeborenen „Basso Narok, dunkeles Wasser" benannte Rudolf- See, jenes vollkommenste Diadem in dem Gürtel des Erdballes, ist von der Seite, gegenüber Rowenzori, nur über ungeheuere Tafeln trockenen Schlammes, welche ganz unlängst von den Gewässern des Sees bedeckt waren, zu- gänglich. Jährlich wird ein neuer Gürtel zu dieser morastigen Fläche hinzugefügt, ein Fortschritt, welcher beunruhigend wird, wenn man sich er- innert, daß von diesem großen, natürlichen Reser- voir des Schicksal des Nils und die Fruchtbarkeit Ägyptens stark abhängt. Nichts ist trügerischer als die alte Lehre, daß Verdunstung und Nieder- schlag der Feuchtigkeit einen vollkommenen Umlaufskreis, ohne die Möglichkeit des Verlustes, ausmachen. Es ist eine Tatsache, daß die Erde die Feuchtigkeit gleich einem Schwämme aufsaugt, daß eine ungeheure Menge Wasser jeden Tag in unterirdische Tiefen sickert, aus denen sie keine natürliche Ursache wieder befreit und wo sie augenscheinlich jenseits des Bereiches der höchsten Kunst des Menschen ist. Die neue geologische Geschichte von Water- berg ist in dieser Hinsicht außerordentlich inter- essant und überzeugend. Daß in ganz neuen geologischen Zeiten der größte Teil seiner Ober- fläche von einem großen See bedeckt war, ist außer Frage. Die Grenze der Gewässer war gegen Norden ein Plateau, von welchem ein Teil noch im Urzustände besteht. Einige der ursprünglichen Inseln, nun sonderbar geformte Hügel, mit den auf ihren Felsen noch sichtbaren Wellenzeichen, stehen in dem tiefen Lande, genau über dem Rande des Plateaus, gleich einer Reihe von Schildwachen (Abb. I ). Vom Süden legten große Plüsse ihre Sirand- steine an den Ufern und auf dem Grunde des Sees nieder. Irgendeine Emporhebung zerstörte alle östlichen Teile dieses Hindernisses und die ein- geschlossenen Wasser entwichen nord- und ost- wärts, um neue Flüsse zu bilden, als die ersten Fluten sich gesenkt hatten. Der Strandstein mit dem Seesande wurde unter den Produkten dieser Eruption begraben, der noch einem ungeheuren Drucke unterworfene steinige Stoff wurde durch einen anderen Ausbruch befreit und über den ganzen Distrikt ausgestreut, wo er nun als Waterberg-Konglomerat bekannt ist. Man findet die höchsten Hügel und die tiefsten Täler mit hoch polierten, durch den See geputzten Kieseln besetzt, die aussehen, als wenn sie gestern aus dem Wasser genommen wären. Nur auf den un- verletzten Bruchstücken des Plateaus, welches einst die höchste Erhebung des Seeufers bildete, findet man sie nicht, aber auf den Abhängen dieses Hochlandes, genau unter der Oberfläche, zuweilen zwei oder drei F"uß in der Tiefe, findet man Lager von schönen, durch den See geputzten Muscheln. Auf der Farm Rietfontein N. 1944 wurde em Lager dieser schönen Muscheln in allen P^ormen, sechsundzwanzig Fuß tief, gefunden. Die geologische Geschichte Waterbergs ist seit jener Umwälzung hauptsächlich die einer schnellen 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 Austrocknung gewesen. Hell liegt über seiner Oberfläche die Schrift für den, welcher sie lesen mag. In der Erinnerung des weißen Menschen gab es eine Zeit, in der jede Kluft, jedes abschüssige Ufer, das Bett eines ausdauernden Stromes von Kristallwasser und der Bezirk gewöhnlich so sumpfig und bachreich war, daß es oft ein ge- wagtes Unternehmen war, vermittels eines Ochsen- wagens eine Durchfahrt zu machen. In jenen Zeilen bekam der Bezirk seinen gegenwärtigen Namen, — ein Name, welchen heute die bittere Ironie einiger getäuschter Voortrekker 'j hervor- gerufen zu haben scheint. Sogar innerhalb des letzten halben Jahrhunderts war Waterberg Bewohnern auf dem hohen Felde sinnverwandt mit einer Art von Lotusland der Fruchtbarkeit, buchstäblich mit IVlilch und Honig Überflossen. So reichlich waren diese Sinn- bilder und Beweise von Fruchtbarkeit, daß die Hausfrauen jener Zeit ihre Schweine mit einer Mischung von ausgedrücktem Honig und „dicker" Milch fütterten. Obst, wildes und kultiviertes, war sprichwörtlich für Größe und Fülle. Jedes Farmhaus hatte eine Wassermühle, ein Schöpfrad, und ein Schnapsbrennkolben rauchte Nacht und Tag. Es war der letzte, große Zufluchtsort großen Wildes im nördlichen Transvaal. Hier mag er- innert werden, daß es zu „Schimmel-perd-se-pan" war, daß Makapan den Kommandanten Pot- g i e t e r zur Elephantenjagd einlud, als er den Mord geplant hatte. Es ist vielleicht wahr, daß sich der Mensch auch hier sein Brot im Schweiße seines Angesichtes zu beschaften hatte; er hatte zu arbeiten, um zu leben, aber seine Arbeit war so ungewöhnlich einem Spiele gleich, daß der Distrikt nicht ohne Grund „Lui-lekker-land" ge- nannt wurde. Ein „gesalzenes" Pferd und eine gute Büchse waren die Hauptnotwendigkeiten des Lebens und manch eine schöne F'arm wurde für eines von diesen getauscht. So sah das Bild damals aus. — Und nun? Tantaene animis celestibus irae? Die letzte Zeit war ein Höhepunkt von ver- schiedenen trockenen Jahren; es war die ärgste Dürre, welche je dieser Distrikt, seit der Besiede- lung durch Weiße, erfuhr. — Dieser Bericht be- ruht auf einem sichereren Zeugnis, als der ununtcr- stützten Erinnerung des „ältesten" Einwohners. Man kann gegenüber solchen Augenzeugen nicht kritisch genug sein. Bei einer auswählenden Annahme solcher Darstellungen kann man fast für jede Theorie Belege finden, sogar das eigene Gedächtnis muß mit ansehnlichem Vorbehalt um Rat gefragt werden. Es gibt niemanden, der in diesem Lande aufgewachsen ist, der sich nicht an breite, tiefe F'lüsse, an mächtigen Regen, an schöne Quellen, Bäche und Wasserfälle zu erinnern vermag. Aber auch eine Menge bekräftigender Tat- ') Voortrekker = Vorauszieher, Buren, welche als erste Ansiedler in neu zu besiedelndes (lebiet eindringen und sich seßhaft machen. Sachen setzen obige Darstellung außer Zweifel. Man nehme nur die reine Tatsache: In letzter Zeit kam eine große Zahl Orangengehölze, deren Bäume über fünfzig Jahre alt waren, vor Dürre um. Talsachen wie diese, eine kleine Studie der Dürrezustände, die Verminderung des vorhandenen Wassers, der Verfolg der alten Spur nicht fließen- der Ströme lassen den Zeitpunkt des gänzlichen Verschwindens des Wassers in absehbare Nähe rücken. An solchen gleichlaufenden Beweisen kann die menschliche Erinnerung um so richtiger ein- geschätzt werden. Daher kann die Behauptung schon stimmen: „Das letzte Jahr (191 3) war das schlechteste Dürrejahr, welches dieser Distrikt seit der Ankunft der Voortrekker erfuhr." — Die ersten Regen fielen über dem größeren Teil des Distrikts nicht vor Mitte November; ungefähr über das halbe nördliche Mittelfeld fiel Regen über- haupt nicht, das heißt, nicht genug Regen, um die F"eldsamen zum Keimen zu veranlassen und die Pflanzen zum Wachsen. Diese Jahreszeit ist in gewisser Beziehung unheilvoll gewesen. In dem ersten Teil derselben fielen hier gute, aber rein örtliche Schauer. Gras und Strauch ent- wickelten sich daher in diesen begünstigten Ört- lichkeiten angemessen gut, jedoch als Regen am meisten für P'eld und Ernte bedurft wurde, hörte er auf den Plateaus und Bergen gleich ganz auf. Im Norden ist, mit Ausnahme von ein oder zwei Örtlichkeiten, dieses Jahr kein Regen gefallen — es ist Ende November 1 Die Wirkung solch einer Dürre eröffnet ein unermeßliches Feld der Untersuchung, jede sicher ermittelte Tatsache würde von größter Wichtig- keit für die Einwohner Südafrikas sein. Nicht nur für den Naturforscher sind diese Tatsachen von Interesse und Wert, auch dem Farmer würde ihr Studium eine wesentliche Hilfe in seinem Ringen um das Dasein gewähren. In einem Auf- satze wie dem vorliegenden ist es nur möglich, einige dieser Tatsachen darzustellen. Viele Ver- suche und Messungen, welche von einigem Werte für eine genauere Untersuchung sein möchten, wurden gemacht, doch würde es sich erübrigen, auf Einzelheiten einzugehen. Ich will mich daher auf eine kurze Beschreibung der mehr unmittelbar wahrnehmbaren Wirkungen der Dürre auf Ober- flächenwasser, Pflanzen und Tiere beschränken; auf Tatsachen, welche einem aufmerksamen Be- obachter auffallen würden. Es ist unmöglich, die Szene gänzlicher Ver- ödung des einst berühmten Jagdgrundes zwischen dem Gaul und Magalakwen, wenn man ihn nicht sah, zu beschreiben. Von den Bergen, nordwärts bis zum Limpopo, macht er die seitlichen Wasser- scheiden zwischen den drei I*"lußsystemen aus. Die zwei Flüsse Magalakwen „die Macht, oder die Feste des Krokodils" und Palala „das Hinder- nis, die Unterbrechung, der Unmögliche" tragen in ihren heimischen Namen den Beweis ihrer früheren Größe, heute sind sie nur Bänder von Sand, welche sich durch öde Sanddünen zum N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3S Limpopo winden. Man kann sich noch auf einige Entfernung längs ihrem Laufe im Sande Wasser verschaffen. Mit vielleicht einer Ausnahme ist beim Schreiben dieser Zeilen in dem ganzen Distrikt Waterberg kein laufender Flnß oder Bach vorhanden und Waterberg ist bedeutend größer als der Oranjefreistaat. Im Norden des Distriktes ist eine Stelle von über viertausend englischen Quadratmeilen, in welcher es keinen Tropfen laufenden oder stehenden Wassers über der Ober- fläche des Bodens gibt. Schimmel-perd-sepan, der letzte große Mittel- punkt der Elephantenjagd in Transvaal, erhielt seinen Namen von der sagenhaften Tat eines un- erschrockenen Voortrekkers, welcher dem gefähr- lichen Subaqueous-Unkraut trotzend, ein Viertel eines erlegten Elen hinter sich auf dem Sattel, mit seinem Pferde die Pfanne schwimmend durch- querte. Nun ist nie mehr Wasser in der Pfanne, als man mit dem Taschentuch einer Dame be- decken kann. Der Wasservorrat bestand aus einem winzigen Sumpfe, tief unter einem schützenden Felsen und war zur Zeit dieses Schreibens einge- schrumpft, verschwunden, — nichts war übrig, als ein Flecken feuchten Sandes. Ähnlich sind alle die berühmten, alten Wasser der großen Jagd- tage dahingegangen ; — auch aus dem Gedächtnis der Menschen werden sie mit jenen letzten ent- schwinden, welche noch die günstige Gelegenheit hatten, ihr Geschick, aus vieljährigen fortlaufenden Beobachtungen vorauszusagen. Tambootie, ein ungeheuerer Sumpf, immer ge- fährlich zu durchqueren, Sandmannsfontein, eine starke Quelle in den Hügeln, nach dem alten Jäger genannt, welcher daselbst in alten Tagen sein Heim aufzuschlagen versuchte; Bobbe- jans Krans, wo das Wasser unter einem Abgrunde hervorsprudelte, woselbst das schönste Kafifernvieh im Mittelfelde noch vor drei Jahren gesehen wurde — alles ist verschwunden mit dem Schwunde des Wassers; die großen Rindviehherden sind in alle Winde geflohen. Alles, was einst strotzende Weide war, liegt tot und öde dar! Es ist nicht im Mittelfelde allein, daß dieser Zustand besteht, es gibt in der unmittelbaren Nachbarschaft Hunderte von Farmen, welche die nämliche Erzählung zu geben haben, man kann sie auf das Geratewohl herausgreifen. Zwartkloof zum Beispiel wurde durch den verstorbenen Herrn Piet du Toit, einem Voortrekker, auf Rechnung seines prächtigen Wasservorrates ausgewählt. Un- längst war sie noch als eine der besten Weizen- farmen des Bezirks berühmt, und ihre großen Herden halbwilden, roten Afrikanderrindviehs wurden zur Zeit der Rinderpest gleich großem Wilde gejagt und geschossen. Die gegenwärtigen gemeinschaftlichen Eigentümer, die Herren Franz und Noles du Toit, wurden auf der Farm ge- boren. Der erstere ist nun fünfundsechzig Jahre alt, er erklärte, daß er während seiner Lebenszeit nie eine wahrnehmbare Verringerung des Baches festgestellt habe. Ein Brunnen von vierzig Fuß Tiefe ist heute vollkommen versiegt und ist so trocken, wie ein Knochen; — es gibt auf der P'arm nicht einen Tropfen Trinkwasser. Vor dreißig Jahren gab es nicht weniger als elf ausdauernde Quellen in ihrem Felde. Die nämliche Geschichte kann fast von jeder bewohnten Farm in Water- berg erzählt werden. Selbst der große Limpopo ist überall, wo sein Lauf diesen Bezirk begrenzt, trocken, nur durch tiefes Graben in seinem sandigen Bette kann Trink- wasser gefunden werden. Die großen Seacow- sümpfe enthalten noch stehendes Wasser, aber die Mehrzahl derselben ist faul. Der Geruch von Fischen und Krokodilen vergiftet in ihrer Nach- barschaft die Luft, und es wäre Selbstmord, die flüssige Brühe, welche sie enthalten, ohne vorher- gehendes Filtern und Kochen zu trinken. Nach dem neuen starken Regen in Pretoria und Rusten- burg und den darauf folgenden Überflutungen der Sümpfe reichte das laufende Wasser im Limpopo dreißig englische Meilen über Silicas' Stadt hinaus, ging aber dann als seichtes Rinnsal in dem brennenden Sande des Flußbettes verloren. Von allen den ungeheuren Mengen Wassers, welche von den nördlichen Abhängen des hohen F"eldes abliefen und von den meisten Nebenflüssen des Limpopos fortgeführt wurden, erreichte nicht ein Tropfen die See in Gestalt fließenden Wassers. Die einzigen Wasser, welche im Bezirk durch die Dürre unberührt blieben, waren die zahlreichen Thermahiuellen. Die Farm, auf welcher Schreiber wohnte, ist vor allem von dem Wasser einer Thermalquelle abhängig, die sowohl zum Trinken, als auch zur Bewässerung dient. Sorgfältige Messungen während der vergangenen letzten fünf Jahre zeigten keine Verminderung an ihrem Ur- sprung, aber dieses Jahr beträgt der Wasserverlust zwischen Quelle und Dammeinfluß 60 "/y. Die Wirkung der Dürre auf die Pflanzen stand natürlich im genauen Verhältnis zu ihrem Einfluß auf das Oberflächenwasser. Früh im Jahre 191 3 gewann der Glaube Kraft, daß ein großer Teil der Grasklumpen des süßen Feldes ganz tot wäre. Die tiefsten Wurzeln zeigten einen Zustand der Austrocknung, welcher die Möglichkeit des Lebens ausschloß. Diese Ansicht wurde jedoch auf Grund der Erfahrung alter Ansiedler stark bekämpft. Sie schienen zu glauben, daß kein Grad der Aus- trocknung die Grasklumpen, solange sie im Boden verblieben, töten könne. Um diese Frage zu ent- scheiden, wurde es versucht, das Wachstum von zwei- hundert Klumpen süßen Grases, von verschiedenem Wüchse, auf dem Zoet-Dornfelde, durch Befeuch- tung und Beschattung wieder anzuregen. Das Resultat bewies, daß 92"/o ganz tot waren. Die Durchschnittszahl der Samen, welche in und neben diesen Klumpen keimten, war drei. Doch starben vor Ende der Jahreszeit die meisten Sämlinge ab. Gerade genug Regen fiel, um die Keimung zu bewirken, in der zartesten Wachstumperiode aber dörrte sie die Sonne zu Tode. Das Resultat war, daß eine ungeheure Ausdehnung des süßen Feldes 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 zerstört wurde. Auf dieser Farm gleicht das süße Feld mehr einer brach liegenden Heide, als einer üppigen Weide, die es einst war. Die gröberen, zu einer großen Ausdehnung gelangten „Sauergräser" — Aristiden ') — ent- gingen der vollständigen Zerstörung, da ihre Klumpen fähiger sind, der Dürre zu widerstehen. Die dicke faserige Bedeckung, gerade über dem Boden, gewährt mehr Wurzelschatteii und ist ein besseres Aufsaugungsmittel als die knappen Klum- pen des feinen Grases. Es scheint mir ganz augenscheinlich, daß diese sog. „sauren" Gräser vergleichsweise nur neue Eindringlinge aus dem wüsten Norden sind, wo sie sich durch natürliche Auslese seit langem an ähnliche Bedingungen an- gepaßt hatten. Die einheimischen, süßen Gräser, nicht fähig, sich dieser veränderten Umgebung selbst anzupassen, sind Verlierer im Kampfe um das Dasein. Daher kommt es, daß sich das ganze P"rüchte vollkommen dieGestalt eines Klaufrosches') erreicht. Man sieht, daß sowohl Körper, als auch Schwanz dick mit scharfen, steifen, rückwärts ge- wachsenen Borsten besetzt sind. Die Spitze des Torpedos ist ein starker, harter, horniger Stachel, scharf, wie die Spitze einer Nadel, mit einem Kranze von Harpunenspitzen an seinem Grunde. Die Frucht ist so fähig, sich fest an den Fellen der Tiere anzuhängen, außerdem durch den Wind leicht fortbewegt zu werden. Auch in anderer Richtung sind diese Eigenschaften von unmittel- barem Werte. Dieses Samenkorn ist eine alles durchdringende Maschine — wie wirksam, kann man an den Tatsachen beurteilen, daß es oft in den inneren Geweben von Tieren gefunden wurde, nachdem es durch Fell und Muskelfleisch gegangen. Oft dringt es in den menschlichen Körper und ist dann immer eine Ursache ernster Gefahr. Jeden Augenblick versucht die leicht eingebettete Frucht süße Feld an Ausdehnung jährlich vermindert und sich das sauere Feld ausdehnt. In der Tat ist es fast unmöglich, ein ganz reines, süßes Feld in Waterberg zu erhalten. Das beste süße Feld würde vor einigen Jahren ein „gemischtes Feld" genannt sein. In den alten Tagen war Waterberg ein „Süßfeldbezirk". An ihren Samen ist es, daß man am besten die große Widerstandskraft der sauren Gräser gegen Dürre beobachten kann. Die Art ihrer Verbreitung, ihr Keimungsverlauf wurden unter dem Einflüsse der Dürre in einem halb wüsten Lande erworben; ihre Lebensgeschichte ist eine von jenen Zauber- erzählungen der Botanik, welche sogar dem Ge- schäftsmanne, welcher keine Zeit hat, darauf zu achten, von Interesse sein möchte. Mit einem, gleich einem Torpedo gestalteten Körper und einem langen, spitz zulaufenden Schwänze, haben die ') Aristida L., Pflanzengattung aus der Familie der Gräser. Die zahlreichen Arien dieser Gattung sind meist Tropen- bewohner, nur A. coerulescens ist außer in Afrika auch im südlichen Spanien anzutreffen. tiefer einzudringen und häufig kann ihn nur eine wundärztliche Operation entfernen. Es ist etwas Gewöhnliches, in guten Regenjahren über eine durch den Wind zusammengetriebene Masse dieser Früchte zu kommen. Dann bietet sich die günstige Gelegenheit, ein Wunder des Pflanzenlebens zu sehen. Die Früchte, wie sie da liegen, sind gehäuft, ordnungslos, gleich zufällig hingeworfenen Markier- stäbchen. Sprengt man ein wenig Wasser auf die Masse, so wird man ein Zittern, wie erwachendes Leben, fast augenblicklich durch sie gehen sehen. Bewegungen in allen Richtungen folgen, krampf- artige Stöße, Drehungen, Wendungen, so tierartig, daß man im Zweifel ist, ob es wahrhaftig Samen und nicht Insekten sind. Dieser Zweifel steigt mit dem Fortgang des Prozesses, — der Erfolg wird dann augenscheinlich. Man sieht, daß sich ') Mit „Klaufrosch", tadpole, bezeichnen die Afrikander — in Afrika geborene Weiße — ein hakenförmiges Werkzeug, welches zugleich als Hebel benutzt werden kann, wie man auch bei uns den als Daumkrafl bekannten Hebel oder Hebe- daumen „Frosch" nennt. N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 37 durch diese Bewegung die Früchte selbst entwirren. Wenn dieses bewirkt ist, macht jede einzelne un- abhängige Bewegungen. Zuerst scheinen diese ganz wirr und zufällig; nur nach sorgfältiger Beobach- tung dämmert es einem auf, daß alle diese Be- wegungen ganz geordnet sind und einen bestimmten Zweck haben. Die ersten zuckenden Drehungen erheben den Kopf frei von dem Boden und befreien ihn von den hindernden Genossen. Eine Krümmung des Schwanzes, auf welchem er dann ruht, wendet die Torpedokopfspitze erdwärts. Sie wird allmäh- lich gesenkt, bis die Nadelspitze und ihre Harpunen- borsten durch den festen, fortlaufenden Druck des Schwanzes in den feuchten Boden gedrängt wird. Diese Bewegung wird fortgesetzt, bis die ganze Frucht eingebettet ist; diese Tätigkeit umfaßt einen Zeitraum von fünfzehn Minuten. Ihr Haupt- schutz gegen die Dürre und etwaige verhängnis- Art durch die jährlichen Feldfeuer in den Kampf eintritt, so das Werk der natürlichen Auslese unterstützend und vervollständigend. Nicht nur die Zwerge des Feldes werden so niedergeschlagen, auch die Riesen, sicher in ihrer Kraft und ihrem Alter, entrinnen doch nicht ihrem Schicksal. Die großen Bäume sind blatt- und saftlos, gleich einem nördlichen Waldlande in der Mitte des Winters. Auf den höheren Hügeln sind 50 "/g der Buchenhölzer und Quecken ganz tot, Nahrung für das nächste Feldteuer. Unter den toten Bäumen sind viele, deren Alter nach den Jahresringen auf wenigstens dreihundert Jahre geschätzt werden kann. Sogar die wirksamsten Wasserspeicherer konnten sich infolge dieser schrecklichen Ausdehnung der Dürre und Hitze nicht wieder beleben. Die kleine naevose Aloe, gemein auf den südlichen Hügeln im Mittelfelde, wächst reichlich, hauptsächlich im volle Nachtschauer liegt darin, daß der Boden nur leicht angefeuchtet ist. Der Same dringt durch, verbleibt aber ohne Keimung, und so die Sicher- heit des zukünftigen Sämlings verbürgend, jenseits der Linie der Feuchtigkeit, fertig gepflanzt, auf genügenden Regen wartend. Dieses Eindringen steht zu der Länge des Schwanzes im Verhältnis; man wird zu Ende der Jahreszeit der strengen Dürre finden, daß die Formen mit langgeschwänzten Früchte mehr Wildlinge entwickelt haben, als die mit kurzgeschwänzten; auch verlangen die harten Schalen dieser Früchte, um zu erweichen, einen be- stimmten und längeren Betrag der Feuchtigkeit. Dieser sämtlichen Vorzüge sind die Früchte der süßeren und weicheren Gräser beraubt. Die Klumpen sterben. Die Früchte keimen mit dem ersten schwachen Schauer, nur, um am nächsten Tage in der sengenden Sonne zu verdorren. So geschieht es, daß sich das berühmte süße Feld von Waterberg jährlich vermindert, mehr und mehr gemischt wird und sich sein Wert als ein Rind- viehbezirk entsprechend verschlechtert. Dazu kommt, daß auch der Mensch wider die sich verlierende Schatten dicker Büsche auf der Ebene. Wo dieser Schatten an irgendeinem Platze mangelhaft war, fingen ihre Blätter zu fallen an, vor Mitte der Jahreszeit waren sie ganz tot. — Stapeiien, ') diese Zaubertöchter der Wüste, sind sehr zahlreich. Unter gewöhnlichen Bedingungen schienen sie, beim Wachsen auf unfruchtbaren Felsenriffen einen kargen Boden vermittels ihrer eigenen Wurzeln sammelnd, jeden Anschein von Feuchtigkeit zu vermeiden; sogar diese Stapeiien hingen einge- schrumpft und schlapp auf ihren Felsen und die Hälfte der Pflanzen ist ohne Leben. Es war eine Überraschung, einen der besten Dürrewidersteher in einer großen Hypoxis zu finden. Nicht nur, daß sie ansehnliche Höhe er- ') Die Gattung Stapelia (Familie der Asclepiadeen) um- faßt blattlose oder nur mit schuppenartigen Blättchen ver- sehene Gewächse mit dicken, oft vierkantigen, fleischigen Stengeln, welche an manche Kakteen oder an afrikanische Wolfsmilcharten erinnern. Die Blumen sind meist sitzend, lederartig, nicht eigentlich schön, mehr bizarr, wenn auch bei vielen Arten durch den ihnen anhaftenden Geruch nicht an- genehm. An hundert Arten. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 reichte, sondern an schattigen Plätzen erschienen sogar einige krankhafte Blüten. Oberhalb des Bodens hat diese Pflanze eine Knolle mittleren Umfangs, nicht eben groß, verglichen mit der Größe der Pflanze. Diese Knolle ist von mehreren trockenen Schichten vollständig wasserdichter Schalen umhüllt und mit klebriger, orangegefärbter Flüssigkeit gefüllt. Von besonderem Interesse war die Tatsache, daß nach ihr begierig gesucht und sie von allen Tieren mit Vorliebe vor anderen beschaffbaren Pflanzen gefressen wurde; sogar die gut gefütterten Tiere unserer Gespanne waren be- gierig darauf. Wir könnendie Pflanzenwelt nicht verlassen, ohne auf die merkwürdige Welwitschia mirabilis, Familie der Gnetaceen, der ein hundertjähriges Alter nach- gesagt wird, einzugehen (Abb. 2). Auf sie allein schien die schreckliche Dürre keinen sichtlichen Eindruck zu machen. Diese baumartige, ausschließ- lich in den trockenen Gegenden vorkommende Pflanze, welche mit ihrem Stamme nur wenige Zoll über den Boden ragt, trotzte der Dürre. Der in der Jugend knollenartige, im Alter etwas über zwei Fuß hohe, verkehrtkegelförmige Stamm fand durch seine Wurzeln genügend Wasser und Nahrung, um sich zu erhalten. Die unter der Erde befindliche, kräftige Pfahlwurzel verbreitert sich nach oben und erlangt in den alten Exem- plaren einen Umfang bis fünfzehn Fuß. Man er- blickt eine flache, in der Mitte gespaltene, zusam- mengedrückte Masse, welche je nach dem Alter einem Teller, einer Schüssel oder einem Tisch ähnlich ist. Alte Exemplare haben eine dunkel- braune, harte, überall geborstene Oberfläche, welche an die dunkele, gesprungene Krume eines schweren Ackerbodens erinnert. Am äußersten Umfange der oberen Fläche entspringen zwei sich gegenüberstehende, wellenförmig über den Erd- boden hinlaufende, flache, lange Riesenblätter von lederartiger Beschaffenheit, welche durch äußere Einflüsse in eine Menge ungleiche .Streifen zerteilt sind. Bei einzelnen gut erhaltenen Exemplaren umschließen diese Blätter den ganzen Stamm. Aus der breiten P'läche, nach innen zu, am Ur- sprungsrande der Blätter, erheben sich fußhohe, gabelförmig verästelte Blütenstände mit aufrecht- stehenden Scharlach- bis karmoisinroten Zapfen, welche an unsere Tannen erinnern. Viele standen in Blüte. Der Einfluß der Dürre auf die Tierwelt war genau so weitreichend und auffällig. Jene Tiere, welchen zu entkommen möglich war, flohen früh von dem geschlagenen Platze, — der Mensch unter den ersten. Das ganze Mittelfeld ist ohne menschliche Bewohner. Weiße und Schwarze zogen mit ihrem Vieh längs den Flußwegen gegen Süd und Nord, als das Wasser zurückging; sehr viel Vieh wurde auf das Hochland geschickt. Für alle praktischen Zwecke ist der Norden eine Wüste, in vielen Beziehungen eine schlechtere als die Kalahari; in der Mitte des Tages bietet sie ein Bild des Todes und der Verödung. Nicht ein Vogel singt, nicht ein Insekt bewegt sich, über allem lagert tiefste Stille. Irgendwo ist gesagt, daß der Wind wehe, von wannen er mag. Hier — wenn ein Lufthauch kommt — hat er immer eine starke Vorliebe für eine Richtung, nämlich die von der Kalahari, er ist heiß und sengend, wie der Atem eines Backofens. Es scheint in der Tat, als wenn die Wüste einen Arm herübergereckt hat, um für alle Zeiten diese großen Flächen einst fruchtbaren Landes in Besitz zu nehmen. An dem kühlsten be- nutzbaren Platze sank die Temperatur, jeden Tag, vier und eine halbe Stunde lang, nie unter 32^' R. Diese schreckliche Hitze und die .Abwesenheit jeder P^euchtigkeit in der Atmospäre hatte eigen- artige Wirkungen auf den menschlichen Körper und seine unmittelbare Umgebung. Das Haar wurde so elektrisiert, daß es beim leichten Streichen mit der Hand einen knisternden Schauer Funken erweckte. Die Fingernägel wurden spröde, daß sie brüchig wurden und sowohl Haar und Nägel schienen alle Kraft des Wuchses verloren zu haben. Alle Zelluloidstoffe zerbrachen schnell in dünne Blätter und neuer Gummi wurde in einigen Tagen eine unnütze, schwammige Masse. Die Schwänze der Pferde und ihre Seiten knisterten unaufhörlich und standen in zerzausten Büscheln hinaus, jedes Haar augenscheinlich gedrahtet. Wenn man während der Nacht reiste, waren ihre Seiten von kleinen, von elektrischen Entladungen herrührenden Flämmchen umgeben. Das Streichen des Segeltuches mit dem Finger verursachte eine Entladung, welche in der Hand gefühlt werden konnte. Das große Wild war nahezu ganz ver- schwunden und die großen Herden der blauen wildebeeste, welche früher im Jahre oft die Flüsse besuchten, zogen den Limpopo hinab, zu den großen Teichen und quer hinüber nach Rhodesia. Der den Tieren durch den Wechsel in ihrer Umgebung aufgezwungene Wechsel der Gewohn- heit war sehr interessant und in vielen Dingen merkwürdig. Die ersten Geschöpfe, welche wir bemerkten, waren Ameisenfresser; ausgehungert und unbesorgt gingen sie am hellen Tage umher. Diese interessanten Säugetiere schienen sich, so- weit es die Nahrungsaufnahme betraf, in ver- zweifelter Enge zu befinden. Ich hatte hier, in der ersten Zeit, an einem Mittage die günstige Gelegenheit zur Beobachtung eines Erdferkel- Jungen mit seiner Mutter (Orycteropus). Die L'rsache, welche dieses meist nächtliche und scheue Tier nötigte, eine festgesetzte Gewohn- heit aufzugeben, war unmittelbar sichtbar. Die Termiten, von welchen sie sich ausschließlich nähren, leben nur in hartem Boden; in den Sanddünen gibt es keine. Der von l'ermiten bewohnte Boden war aber so hart wie ein Felsen. Obgleich das Erdferkel die vollkommenste Bergbaumaschine ist, waren die Stunden der Dunkelheit für dasselbe nicht genügend, die Ter- mitennester zu erreichen; hinfort wurde es auch im Tageslicht zu arbeiten genötigt. Allenthalben fanden wir im Flächenraume des roten Bodens N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 39 seine verlassenen Versuche zur Schachtbohrung. Bei einer anderen Gelegenheit begegneten wir, am Morgen, des Zahnlückers Nichte, ein Schuppen- tier (Manis) ein Weibchen mit seinem Jungen auf dem Riicken. Die Schwänze waren fest inein- ander verschlungen. Von Hunger getrieben, jagten die meisten nächtlichen Raubtiere während des Tages so gut als wie bei Nacht. Zwei Leoparden raubten in der Nachbarschaft einen kleinen Kaffern und trugen ein Schwein während des frühen Nachmittags fort. Die unglücklichen Paviane schliefen augenschein- lich überhaupt nicht, durch den Hunger waren sie furchtlos und unnatürliche, plumpe Knochen- gerüste. In regelrechten Zeiten fürchtet kein Tier das Dunkel mehr als der Pavian. Nichts wird ihn bewegen seinen Schlafplatz zu verlassen, bis die Morgendämmerung gut vorgeschritten ist, er ist immer besorgt, vor Anbruch der Nacht sicher auf seinem Ruheplatze zu sein. Hier hörten wir die ganze Nacht ihre menschenähnlichen Klagen, während sie an den Flußufern nach Nahrung suchten, alles und jedes verschlingend, was mit diesem Namen entfernt betitelt werden konnte. Wohin die Krokodile verschwunden waren, war zuerst ein unauflösliches Rätsel. Die wenigen stillstehenden Sümpfe im Limpopo wimmelten natürlicherweise von ihnen, jedoch stand ihre Zahl unmöglich im Verhältnis zu den Mengen, welche in Regenzeiten jeden Teich im !\Iagalakwen, Palala, Gaul und Crocodile gefährlich machen. Eine wahrscheinliche Lösung des Rätsels wurde durch eine Grabung nach Wasser im Sande des Magalakwenfiußbettes nahegelegt. In der Mitte hatte das Loch bei einem zweckentsprechenden Umfange, um den Wasserspiegel zu erreichen, wenigstens sechs Fuß tief zu sein. Viereinhalb Fuß unter der Oberfläche traf man auf ein kleines, drei Fuß langes, anscheinend totes Krokodil; — es war gerade unter dem Niveau des feuchten Sandes. Obgleich augenscheinlich leblos, war der Körper schlank und frisch 1 Wir fanden auch eine Zahl kleiner Fische, welche den Buren des Buschfeldes als „south-makriel" \l Südmakrele bekannt waren; dieselben schienen ganz leblos. Die Plsche wurden im unmittelbaren Sonnenlicht in einen Eimer Wasser gesetzt und in Zwischenräumen, aus einer beträchtlichen Höhe, mit einem Strahle Wasser aus einem Kessel Übergossen. In zehn Minuten fingen sie an Lebenszeichen zu geben und in einer viertel Stunde schwammen sie augenscheinlich ohne Nachteil durch ihr langes Schlafen im Eimer umher. Das Krokodil belebten wir innerhalb einer halben Stunde, es wurde in ein in den Schatten eines Baumes geschaufeltes Loch gesetzt und ge- legentlich mit einem Eimer Wasser übergössen. Irgendein seltsamer Naturtrieb schien es im ') South-makriel, Makrele Scomber. — Die Buren be- zeichnen diese Fische auch als barbel = Barbe. Die Barbe, Barbus fluviatilis, zur Familie der Karpfen gehörig, wühlt sich beim Schwinden des Wassers in den Boden ein, Augenblicke des Erwachens zum Leben zu zwingen, sich wieder in den Sand einzugraben. • — Nach den Spuren und der eigenen Beobachtung zu urteilen, schienen die meisten der noch in dieser öden Wüste lebenden Tiere gelernt zu haben, nach Wasser in dem Flußbette zu graben. Die erfolgreichsten Gräber waren die Paviane und Warzenschweine. Mein Begleiter — ein alter Jäger und geschickter Feldmann — wies mich auf die interessante Tatsache hin, daß jeder Laut dieser Schweine den ganzen Tag ein ordentliches Gefolge anderer Tiere herbeilockte, die augen- scheinlich von ihren Wasserlöchern profitieren wollten. Eine ganz unerklärliche, während der Höhe der Dürre in gewissen Teilen des Springbockflats beobachtete Sache war, daß die gewöhnlichen weißen Ameisen in der Mitte des Tages in un- geheurer Zahl aus ihren Löchern kamen, um in einem geschlossenen, gezackten Ballen den ganzen Tag in der Sonne zu liegen. Der Boden in der Um- gebung eines solchen Ballen war so heiß, daß man ihn nicht länger als zwei oder drei Sekunden mit der bloßen Hand berühren konnte. Ich war begierig, den Wärmegrad der direkten Sonnen- strahlung nächst dem Ballen zu ermitteln, und stellte ein Thermometer dicht daneben. Unglück- licherweise ging die Skala nur auf 6o Centigrade und das Quecksilber stieg in einigen Minuten zum Gipfel der Röhre. Dieses fürchterliche Sonnen- bad schien ihre verkümmerten Körper nicht im geringsten zu schädigen. In der Kühle des Abends zogen sie sich in ihre unterirdischen Nester zurück. Das einzige Tier, welches keine wahrnehm- bare Unbequemlichkeit litt, obgleich es auch zu einem Wechsel ihrer Gewohnheit getrieben wurde, war Canis pictus, der schreckliche Jagd- hund. Im Mittelfelde jagten sie während regel- mäßiger Zeiten nur während des Tages, meistens am frühen Morgen; wegen der schrecklichen Hitze jagten sie zur Nacht, wir wurden oft durch den Lärm ihres Treibens rauh aufgeweckt. Bei einer Gelegenheit trieb ein Trupp eine ausge- wachsene rietbuck- Schafmutter gerade durch unser Lager, während wir im Lichte eines großen Feuers saßen und rissen sie im Flußbette, innerhalb zwanzig Schritte von unseren Fuhrwerken, nieder. Bei einer anderen Gelegenheit trieb ein Trupp einen unserer Eselhengste zwei englische Meilen, ehe sie ihn erbeuteten und das unglückliche Tier auffraßen. Ich hatte nicht den mindesten Zweifel, wenn ich ihnen während des Tages begegnete, daß sie, nach ihrer drohenden und furchtlosen Körperhaltung zu urteilen, einen Menschen an- greifen würden, wenn sie das geringste Anzeichen von Furcht und Rückzug dazu ermutigte. Wir hatten einmal die Genugtuung, beim Zusammen- treffen mit einem Trupp dieser verwegenen Wüsten- räuber, welcher einen ausgewachsenen, männlichen Strauß nahe einem benachbarten Felde innerhalb weniger hundert Meter von unseren Zelten ge- 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 tötet hatte, durch Gewehrfeuer fast völlig zu vernichten. Dieses schien ein neuer Raub zu sein. Mehrere alte Waterbergiäger versicherten mir, daß sie früher niemals gehört, daß wilde Hunde einen Strauß jagten, und verschiedene bezweifelten die Möglichkeit der trbeutung eines aufgewachsenen gesunden Männchens. Der weißköpfige Seeadler, Haliaetos leucoce- phalus, welcher jedem Besucher der Küste Ost- afrikas wegen seines klaren , triumphierenden Jauchzens, hoch in den Wolken über irgendeiner Seebucht, auffallen wird, ist immer ein seltener Besucher von Waterberg während des frühen Sommers gewesen. Mannahm an, daß sie nur durch Stürme an der Küste landein getrieben würden. Dieses ist ein Irrtum. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der wirkliche Grund ihrer Reisen so weit landeinwärts die Austrocknung der Ströme ist, welche sie mit einer ergiebigen, leicht erhält- hchen Nahrung versorgen. Sie folgen dem Laufe eines austrocknenden Fhi.'^ses so lange, als die Aussicht vorhanden ist, sich Fische zu verschaffen. Wir fanden eine große Zahl dieser Vögel am Maga- lakwen, mehr als ich je zusammen gesehen habe. Hier waren sie nicht mehr die vornehmen Bürger der Wolken, wie in ihren heimischen Aufenthalts- orten, die sich aus schwindelnder Bläue herab- stürzten, um unterzutauchen in die frischen, klaren Wogen des Ozeans. Hier im Mittelfelde sind sie reine Fresser, einfache Geier, welche sich um Bruchstücke von Aas, welches die wilden Hunde übrig gelassen, stritten und die die faulen Krabben und Fische, den Flußufern entlang, auflasen. Wenn ich versuchen würde, nur in Umrissen zu beschreiben, wie die Dürre den Vögeln von Waterberg geschadet hat, so würde ich eine ganze Nummer der Wochenschrift nötig haben ; wie interessant auch immer dieser Gegenstand sein mag, so kann doch hierauf nicht näher eingegangen werden. — In Gegenwart dieser Zeichen von Tod und Verwüstung ist es schwierig, optimistisch zu sein. Es scheint nicht möglich, daß je wieder genug Wasser fallen kann, diese verdorrte und geborstene Erde zu befeuchten oder gar zu kühlen und diese Gräben von brennendem Sand wieder zu füllen. Optimismus möchte glauben, daß wir uns am tiefsten Punkte der Dürreperiode befinden und daß es von nun an beständig aufwärts gehen müsse, besseren Zeiten entgegen. Den kritischen Ver- stand jedoch stimmen die vielen Beobachtungen und Überlegungen pessimistisch, er erinnert sich des Beispiels vom Pendel, dessen Schwingungen stufenweise abnehmen bis zum toten Punkt. Einzelberichte. Zoologie. Worauf beruht die Färbung der Geweihe? Zur Beantwortung dieser jeden Tier- kundigen anziehenden Frage werden außer Unter- suchungen in wissenhaftlichen Arbeitsstätten auch die Beobachtungen aufmerksamer Jäger beitragen können. Der folgende Bericht fußt auf Angaben in der Deutschen Jägerzeitung, Band 68, Nr. 42, Band 69, Nr. 13, 30, 45 und 51 und Band 70, Nr. 13, 14, 16 und 18. Einwandfrei steht nach den zuerst in den Anatomischen Heften, Nr. 155, ver- öffentlichten mikroskopischen und chemischen Untersuchungen v. Korff's, sowie nach den che- mischen und spektroskopischen Prüfungen von Dr. Fr., einem Arzt, fest, daß der Farbstoff der gefegten Stangen Blut, „Schweiß", enthält. Und zwar überzieht ein Belag von Blutgerinnsel und Staub die Oberfläche der Geweihe und verdeckt die weiße Farbe der Knochensubstanz mehr oder weniger an den verschiedenen Stellen. Hieraus kann man schon schließen, daß die An- sichten der Jäger, die die Verschied en hei ten der Färbung ihrer Trophäen auf äußerlich wirkende Einflüsse zurückführen. Berechtigtes enthalten. Insbesondere kann, wenn ein Stück Wild genötigt ist, bei wochenlangem Regenwetter zu fegen, das Gehörn oder Geweih durch ständige Abspülung des Blutes bleichsüchtig, hell werden ; schmutzig graugelbe Stangen mit elfenbeinartigen Spitzen sollen entstehen, wenn der Bock viel im leichten Sande in einem an Büschen armen Gelände fegt, Auf der Art des in der Gegend herrschenden Staubes wird es ferner beruhen, daß in der ober- schlesischen Hüttengegend die Rehböcke sämtlich ein schmutziggraues bis schwarzgraues Gehörn haben. Der Staub braucht dabei weder unmittel- bar aus der Luft noch vom Erdboden aus auf das Gehörn zu kommen, sondern am häufigsten wird dies von den Pflanzenästen aus geschehen, an denen das Wild ja gewöhnlich fegt. Gewisse Beobachtungen scheinen die verbreitete Annahme zu bestätigen, daß Gerbsäure und andere Säfte der Baum- und Strauchäste, an denen das Wild fegt, die Geweih- oder Gehörnfärbung zu beein- flussen vermögen. Besonders soll das Fegen und Schlagen an Erlenarten die dunkelsten Färbungen hervorrufen, so in Revieren, in denen die Roterle neben verschiedenen Strauchweiden fast die allein herrschende Holzart bildet, und noch mehr dort, wo im Hochgebirge es dem Hirsch möglich ist, an der Alpen- oder Bergerle zu schlagen, was dem Geweih eine intensiv schwarze Farbe mit nur schneeweißen Spitzen verleiht. Daß übrigens auch ohne Beimengung von I-'remdsubstanzen zum Blut durch das Blut allein eine kräftige Verfärbung der Stangen eintreten kann, lehrt ein gelegentlicher „Pergamentbock", ein Bock, der nicht gefegt hatte und geschossen wurde, als der bereits vollständig vertrocknete Bast noch die Stangen fast bis auf die Rosen umscheid ete; die unteren Teile der Stangen, an N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. denen der Bast nach den genauen Beobachtungen des Revierinhabers erst unlängst und lange nach seinem Absterben abgebröckelt war, sind kräfiig verfärbt. Daß ferner ohne Anlagerung von Blut lediglich durch Fremdsubs tanzen das Gehörn gleichfalls die naiürliche Färbung bekom- men kann, scheint ein Gehörn zu lehren, das noch frischen Bast trug, als der Bock, für einen guten Bock gehalten, erlegt wurde, und das nach Ent- fernung des Basts, an welchem Schweiß nicht vorhanden war, wie alle Bastgehörne anfangs ganz hell war, aber nach künstlichem F"egen an Fichten, Büschen und am Erdboden und nach Sonnenein- wirkung am ersten Abend bereits wesentlich dunkler und am zweiten Abend von einem natür- lich gefegten Gehörn nicht zu unterscheiden war. Ähnliches lehren mit Gewißheit die Versuche des Zahnarzt H. Pältz, der an allen Bastgehörnen durchaus natürlich aussehende und zum Teil sehr kräftige Verfärbungen nicht nur durch Behandlung mit Blut und Gerbsäure, sondern auch ohne Blut- farb'^toff durch Behandlung mit bloßem Serum und Staub oder mit Gerbsäure und Staub erhielt, während die Behandlung Ifdighch mit Serum und Gerbsäure nur strohgelbe Färbungen ergab. Eine andere Frage ist, ob irgend etwas am Gefüge des Knochens die Färbung mitbe- stimmen kann. Dann würde die Färbung nicht unbedingt nur auf außen angelagerten Substanzen beruhen, sondern wenigstens manchmal auch auf tiefer eindringenden, mögen diese nun mit dem Knochengewebe eine chemische Verbindung ein- gehen oder nicht. Jedenfalls war der Versuch von Pältz, eine durch Blut und Gerbsäure erzielte künstliche Färbung abzuwaschen, erfolglos. Es sollen ferner Moorgehörne eine verhältnismäßig dunkle Färbung dadurch bekommen, daß sie wegen der Kalkarmut des IVIoors und der Moor- pflanzen poröser und merklich leichter an Gewicht als andere Gehöre sind, wodurch das Periost vor dem Fegen nicht in der normalen, von AI tum beschriebenen Weise ossifizieren und Blut und Moorerde leicht in die Stangen eindringen könne. Streift sich durch Zufall ein Stück Bast vorzeitig ab, so wird die von ihm befreite Stelle dunkler als das übrige Gehörn. Je kalkreicher ein Gehörn, um so länger sind seine Enden weiß poliert. In Tiergärten werden die Gehörne und Geweihe in der Farbe bekanntlich ausnahmslos schmutzigen Knochen gleich, trotzdem der Schvveißaustritt beim Fegen nicht geringer ist als in freier Wildbahn. Das spricht aber doch nicht gegen die hohe Bedeutung des Blutes für die Gehörn- färbung unter natürlichen Verhältnissen, sondern wird darauf beruhen, daß die Zerviden in der Gefangenschaft stets überfegte Gehörne haben. Sie fegen aus Langerweile mehr als im Freien und wenigstens zum Teil an härteren Gegenständen, wie Gattern und Bretterwänden, und sind somit keine geeigneten Prüfstücke für die Frage. V. Franz. Das stammesgeschichtliche Verhältnis zwischen Flagellaten und Rhizopoden. Hat man ehedem in den zu den Rhizopoden gehörigen Amöben die ursprünglichsten Protozoen, ja überhaupt wohl die ursprünglichsten Organismen erblicken wollen und demgemäß Formen wie Mastigamoeba, die be- geißelte Amöbe, als Übergänge von den Amöben zu den Geißeltierchen oder Flagellaten gedeutet, so ist doch schon vor mehr als zehn Jahren die Ansicht laut geworden, der stammesgeschichtliche Weg könnte auch in umgekehrter Richtung, vom Flagellat zur Amöbe, geführt haben, zumal bei Rhizopoden begeißelte Jugendstadien auftreten. Die immer zahlreicheren Funde von solchen Organismen, die zeitweilig Amöbe, zeitweilig Flagellat sind, und von solchen, die dauernd beide Organisationen in sich vereinigen, lassen natürlich jene P'rage nicht ohne weiteres entscheiden. Da- gegen beantwortet sie Pascher in einer soeben heraufgekommenen Broschüre ') auf Grund genauer, zehnjähriger Beobachtungen in dem Sinne, daß Flagellaten ursprünglicher sind als Rhizopoden. Aus dieser Arbeit kann man genau ersehen, wie sich ein kritischer Forscher mit vollem Verant- wortungsgefühl zu dieser Annahme stellt, die in gleichem oder ähnlichem .Sinne heutzutage aller- dings schon von vielen, doch mehr oder weniger unverbindlich, geleilt wird. Pascher führt eine große Anzahl von Lebens- formen, großenteils von ihm selbst erstmalig be- schriebenen, aus dem Süßwasser und aus dem Meere vor, die sich etwa in Reihen anordnen lassen, an deren einem Ende pflanzliche, gefärbte Flagellaten stehen, am anderen farblose, durchaus rhi/.ipodiale, tierische Organismen. Als Übergangs- formen erscheinen: gefärbte Flagellaten mit gleich- zeitig animalischer Ernährungsweise nach Amöben- art; gefärbte Flagellaten mit Pseudopodien und sogar mit Axopodien, von einem festen Stab ge- stützten Pseudopodien, wie sie den Sonnentierchen unter den Rhizopoden eigen sind; gefärbte Flagel- laten, die zeitweilig unter Verlust der Geißel völlig rhizopodial werden oder nur im jugendlichen Schwärmerstadium begeißelt sind oder auch das nicht einmal, so daß keine Geißel mehr, sondern nur noch anderweitige Merkmale ihre nahe Ver- wandtschaft mit den Flagellaten erkennen lassen. Die ungefärbten Flagellaten, die ihrerseits von den gefärbten abzuleiten sind, enthalten ebensolche Formenreihen und führen schließlich zu einer Mastigamoeba, die zeitweilig ihre Geißeln abwirft, und zu ähnlichen Formen, die man schon als Amoeba beschrieben hat. Dafür, daß diese Reihen stammesgeschichtlich in der Richtung vom Flagellat zur Amöbe zu lesen sind, spricht namentlich die allmähliche Reduktion des Chromatophorenapparates in manchen Vertretern von ihnen. Denn es gibt neben Formen mit großem Chromatophor solche ') A. Pascher, Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegenseitigen Beziehungen. Jena, G. Fischer, 1917. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 mit winzig kleinem, der sogar ganz fortbleiben kann, und solche ohne Chromatophor und doch mit dem Pyrenoid, einem Körper, der sonst stets nur in Verbindung mit Chromatophoren auftritt, endlich solche ohne Pyrenoid und doch mit pflanz- lichen Assimilaten, wie Stärke, Leukosin, Fetten und Ölen, die wiederum schrittweise fortbleiben. Daher wird man nun auch die Schwärmer- stadien von Rhizopoden im Sinne der biogenetischen Regel als vorfahrenähnliche Jugendstadien deuten dürfen. Pascher betont den hypothetischen Charakter dieser wie aller Anschauungen in Abstammungs- fragen und warnt vor allem vor ihrer vorzeitigen Verallgemeinerung. Er hat ja als Botaniker nicht die Rhizopoden, sondern nur die Flagellaten bis an ihre Grenze gegen die Rhizopoden untersucht, und wenn er hier auch innige Zusammenhänge feststellt, so läßt er es dahingestellt, ob das Gleiche für alle Rhizopoden, ja auch nur für alle Amöben gelte, die noch eine bunte Gesellschaft darstellen. Vielmehr meint er, auch von einer ganz anderen Seite her können rhizopodiale Organisationen aus- gebildet werden, worüber er sich ein anderes Mal aussprechen will. Doch schon heute meint er, daß an die Basis der heutigen Organismen nach unseren nunmehrigen Anschauungen nicht die Amöben, sondern die Flagellaten zu stellen sind und damit Organismen, die himmelweit über jeder theoretisch angeforderten Lebensurformstehen. V. Franz. In einer umfangreichen Arbeit „Die Hymenopteren als Studienobjekt azygoter Ver- erbungserscheinungen, „Experimentum crucis theoriae mendelianae" in der Zeitschrift für induk- tive Abstammungs- und Vererbungslehre, 191 7, Band XVII, Heft 4, behandeln L. Armbruster, H. Nachtsheim und Th. Roemer die Vorteile, welche die azygote Vererbung, die Vererbung bei parthenogenetischer Fortpflanzung, für die For- schung mit sich bringt, fernerhin weisen die Ver- fasser besondersauf die Hymenopteren als geeignete Studienobjekte hin und stellen außer methodolo- gischen Hinweisen die bisher durch Experiment und Beobachtung teils gesicherten, teils sehr wahr- scheinlich gewordenen Tatsachen zusammen. Von diesen sowie aus der Einleitung sei im folgenden das, was allgemein interessieren wird, hervorgehoben. Zur Parthenogenesis, apomiktischen Entwicke- lung oder Fortpflanzung ohne vorausgegangene Befruchtung sind fast nur weibliche Geschlechts- zellen befähigt. Apomiktische Entwickelung aus männlichen Geschlechtszellen ist nur im nicht ganz strengen Sinne möglich, nämlich dann, wenn die männliche Zelle mit einer kernlos gemachten Eizelle verschmilzt, was sich sowohl bei Pflanzen wie bei Tieren hat verwirklichen lassen und als Merogonie bezeichnet wird. Wahre Parthenoge- nesis oder Entwickelung aus weiblichen Gameten ist im Tierreich nicht selten, und auch im Pflanzenreich mehrt sich die geringe Zahl der sichergestellten Fälle. Für Fragen des M e n d e - lismus ist es stets wichtig, ob die parthenogene- tische Entwickelung vor der Reduktionsteilung, also unter Ausfall dieser, oder nach ihr einsetzt. Im ersteren Falle, den Strasburger als Apogamie bezeichnet, entstehen Individuen mit diploider Chromosomenzahl, im letzteren, der nach Stras- burger allein Parthenogenesis heißen dürfte, solche mit haploider. Jene wird auch soma- tische, diese generative Parthenogenesis ge- nannt. Bei Phanerogamen und Archegoniaten ist die Parthenogenesis, wo sie auftritt, somatisch; die generative tritt bei Thallophyten, und zwar vor- wiegend bei Desmidiazeen und Zygnemazeen und einmal bei Chara auf; bei den Metazoen ist sie verbreiteter, dann stets auf die Entstehung männ- licher Stücke beschränkt; so bei Rotatorien und Hymenopteren, während die Weibchen anscheinend fast immer, bei Phyllopoden und Rhynchoten auch die Männchen, soweit parthenogenetisch, generativ- parthenogenetisch entstehen. Für viele Fälle von Parthenegonesis ist diese Frage aber noch nicht gelöst. — Aus vielen Mitteilungen über die Honig- biene geht hervor, daß die erste Generation aus der Kreuzung von Apis mellifica mit Apis ligustica, also einer deutschen Drohne mit einer italienischen Königin oder umgekehrt, nicht einheitlich ist. Wenn nur die Männchen andere Eigenschaften erbten als die Weibchen, könnte sich das daraus erklären, daß nur jene parthenogenetisch, diese aber amphimiktisch entstehen, die Männchen also nur von der Mutter, die Weibchen und Arbeiterinnen von beiden Eltern erben. Aber auch die Weib- chen aus einer solchen Kreuzung sind unter sich viel förmig. Vielförmigkeit von Vollgeschwistern gilt sonst im allgemeinen als Verdacht auf Gemischtrassigkeit der Eltern. Es hat sich aber bei vielen solchen von v. Berlepsch beobachteten Völkern gezeigt, daß die Drohnen ausnahmslos der Mutter folgen, ein sicherer Beweis für die Reinrassigkeit der Mutterkönigin. Die X'aterdrohne muß, weil haploid oder generativ- parthenogenetischer Entstehung, gleichfalls rein- rassig sein. Wenn also deimoch in der ersten Generation teils dem Ansehen nach echt italienische, lebhaft „bunte", teils echt deutsche, „schwarze" Nachkommen, teils Mittelformen erzeugt werden, so kann die Ursache dafür diesmal nicht in der „Heterozygotie" der Elternindivi- duen gesucht werden. Eine andere merkwürdige Erscheinung in der Vererbung bei Bienen ist das Anwachsen rein mütterlich er Eigenschaften in der ersten Bastardgeneration mit fortschreiten- dem Alter derMutterkönigin. Dies ist be- reits an den eben ausschlüpfenden jungen Bienen zu erkennen. Auch in diesen Fällen war die Mutterkönigin reinrassig — die Vaterdrohne selbst- verständlich auch — und die Frage ist noch offen, warum die „isogenen" Individuen nicht „Isophän" sein mögen. — N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 43 Die ungemein wechselnden Farben im Haar- kleid der Hummeln, Gattung Bombus, wurden von einigen Beobachtern als Modifikationen, von anderen als Mutationen angesprochen. Daß sie jedoch Kombinationen infolge Mendel- scher Vererbung seien, scheint ausfolgenden Tatsachen hervorzugehen. Die Zahl der Hummel- farben ist begrenzt, es handelt sich nur um Schwarz, mehr oder weniger reines Weiß, mehr oder weniger leuchtendes Rot und Gelb in ver- schiedenen Schattierungen. Durch die Verteilung der verschieden gefärbten Haare auf dem Chitin- panzer, der an den Farbenabänderungen nicht teil- nimmt, sowie in manchen Fällen durch weiße Färbung der Haarspitzen entstehen die zahlreichen, auf jene vier Grundfarben zurückführbaren Ab- weichungen. Nicht zu jeder beliebigen Zeichnung treten die Farben zusammen, sondern meist zu segmentaler, indem die einzelnen Segmente meist eine und dieselbe Färbung, unter Umständen Mischfärbung aufweisen, gelegentlich zu metamerer Scheckung. Die Verbreitung der Einzelfarbe er- scheint örtlich beschränkt, und zwar Rot meist auf die hintere, Gelb mehr aaf die vordere Körperhälfte, Schwarz und mitunter Weiß auf die dorsale Medianlinie. Es handelt sich also im Grunde wahrscheinlich überall um quantitatives Variieren. Ausnahmen von diesen Regeln treten nur auf bei Arten mit diffuser Färbung, wie Bombus variabilis oder B. muscorum, ferner bei geographischen Formen isolierten Wohngebiets, wie B. lapponicus und den Steppenhummeln. Bei Bombus hortorum nimmt Schwarz im gleichen Maße, wie es im oralen Teile auftritt, auch vom After her zu. Nach alledem und nach weiteren Anzeichen scheint nur für den ersten Anblick ein Chaos vorzuliegen, während die genauere Analyse wahrscheinlich die Wirkung unabhängiger Mendelscher Erbfaktoren nachweisen würde. Als Männchenfärbungen treten bei Hum- meln durchweg extreme Farbenkombinationen auf, wie man es aller Wahrscheinlichkeit nach bei parthenogenetischen und haploiden, also stets rein- rassigen Tieren erwarten muß. F"ranz. In Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere (Bd. i66, S. 281) finden wir die Ergebnisse einer Untersuchung über die Zirkulation der Teichmuschel unter natürlichen und künstlichen Bedingungen. Die Teichmuschel bildet insofern ein bequemes C)bjekt, als nach Entfernung einer Schale das Herz dem Beschauer frei vorliegt. Die Süßwassermuscheln sind die trägsten uns bekannten Tiere. Die Ortsverände- rung durch Kriechen geschieht vermittels des P^ußes außerordentlich langsam. Das Vorstrecken desselben beruht auf keiner Drucksteigerung der Hemolymphe, da es auch bei Herzstillstand und abnehmender Geschwindigkeit der Herzfolge be- obachtet werden kann, vielmehr auf einem Er- schlaffen der Muskulatur. Außerdem ist nur noch das Schließen der geöffneten Schale makroskopisch sichtbar. Die Leitungsgeschwindigkeit im Nerven beträgt nur i cm pro Sekunde. Die sonstigen aktiven Bewegungen beschränken sich auf das P'limmerepithel der Kiemen und des Darmes, be- anspruchen also keine Muskelarbeit, die ihrerseits wieder die Zufuhr von Sauerstoff nötig macht. Die Arbeitsleistung des Herzens ist also minimal. Dementsprechend ist auch die Zahl der Herz- schläge außerordentlich gering, bei 15" C 2—4 in der Minute; bei O " braucht eine Herzsystole sogar 2 Min. 17 Sek. Der Herzschlag ist häufig arhythmisch und hört bei Blutleere des Herzens ganz auf Merkwürdigerweise wird er durch Sauer- stoffmangel gar nicht beeinflußt, während er in sauerstoffreichem Wasser viel rascher ist. Was die Temperatur anbelangt, so liegt das Maximum bei 30'^ C, das Minimum bei 42" C. In 0-freiem Wasser bleibt die Teichmuschel bis 8 Tage lebend. CaCr- wirkt in verdünnter Lösung beschleunigend auf den Plerzschlag; erst C^ mol. bewirkt systo- lischen Stillstand. MgCI' wirkt dem CaCl'- ähn- lich; der Herzstillstand geschieht in Diastole. Kathariner. Die zur Zeit in Deutschland und den ver- bündeten Staaten herrschende Knappheit an Fetten hat zu mannigfachen Versuchen angeregt, P'ett- quellen, die bisher aus dem einen oder anderen Grunde unberücksichtigt geblieben waren, zu er- schließen und der Allgemeinheit nutzbar zu machen. In dem Körper der Knochenfische sind zum Teil verhältnismäßig große Mengen von Fett- substanzen gespeichert, so vor allem in der Leber und in der Umgebung der übrigen Eingeweide der Bauchhöhle. Es ist bekannt, daß z. B. der Lebertran aus der Leber des Dorsches gewonnen wird und zur Entstehung einer eigenen Industrie in den nordischen Ländern geführt hat. Die Fettmengen in dem Körper unserer Süßwasser- fische sind nun im großen und ganzen zu gering, als daß im Frieden, wo gewaltige Mengen von Fettstoffen eingeführt werden, eine lohnende Aus- beute erwartet werden könnte. Während des Krieges ist jedoch von verschiedenen Seiten auf diese Fettquelle hingewiesen worden, und auch hat man sowohl von privater Seite, wie an wissen- schaftlichen Arbeitstellen Untersuchungen über die Menge des zu erhaltenden Fettes bei den einzelnen Süßwasserfischarten angestellt. Schon früher wurde in der Naturwissensch. Wochenschrift über die Untersuchungen berichtet, die Seligo in dieser Hinsicht unternommen hatte. Über die Ergebnisse, die in bezug auf diese PVage durch die Arbeiten in der Kgl. Bayer. Bio- logischen Versuchsanstalt für Fischerei erzielt worden sind, berichtet M. PI eh n (Gewinnung des Fettes aus Fischeingeweiden, Allgem. Fischerei- Ztg. XXXXII. Jahrg., Nr. 18). Die betrefi"enden Untersuchungen können noch nicht als abge- schlossen betrachtet werden, doch meint Plehn, daß durch die vorliegenden Ergebnisse die Auf- 44 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 merksamkeit der Praktiker auf diese Frage von neuem wachgerufen werden könnte. Die Fettbestimmungen Seliges waren mit Hilfe der Ätherextraktion vorgenommen worden. Plehn dagegen bezieht sich mehr auf die prak- tischen Verhältnisse in der Hauswirtschaft und zog daher das Ausschmelzen oder Auskoclien des Fettes aus den Fischeingeweiden vor. Größere Fettpolster der Fische wurden eingeschmolzen, die Eingeweide — bei größeren Fischen nach Reini- gung des Darmes von seinem Inhalt — gründlich zerkleinert und mit wenig Wasser ausgekocht. In einem Meßzylinder wurde dann nach dem Er- kalten die Menge des sich an der Oberfläche an- sammelndes Fettes gemessen. Es wurden auf den p-ettgehalt ihrer Eingeweide untersucht: Karpfen, Schleien, Lauben, Brachsen, Äschen, Renken und Goldkarpfen (Higoi). Im allgemeinen wurden die Geschlechtsorgane miteinbezogen, nur beim Karpfen wurden diese abgetrennt, da sie ja auch in der Hauswirtschaft mit verzehrt werden und auch an und für sich fettlos oder doch sehr fett- arm sind. Es ergab sich nun folgendes: Praktisch be- trachtet hatten kein Eingeweidefett die Schleien und Renken, ebenfalls eine Serie Karpfen, während eine zweite Serie „ziemlich fett" war, indem der Fettgehalt der Eingeweide 9"o derselben betrug. Offenbar ist dies abhängig von der Fütterung der Karpfen gewesen. Mehr Fett enthielten die Lauben. Am günstigten stellte sich das Resultat bei den Äschen und Brachsen. Allerdings enthielt der untersuchte Goldkarpfen noch bedeutendere Fett- mengen, doch handelte es sich hier um eine krankhafte Fettaufspeicherung. Die erhaltenen Zahlen in Pro- zenten der Eingeweide mögen folgen: Schleien o'Vo, Renken 0%, Karpfen i. Serie 0%, Karpfen 2. Serie 9% (beide Serien viersömmerig), Lauben "] ,"] */g. Äschen I4bzw. i6"/„, Brachsen 22"/^, Goldkarpfen 80 "/„. Weitere Körpergewichts- usw. Angaben sind in der der Arbeit beigegebenen Tabelle enthalten. Leider ist der Fettgehalt der Eingeweide unserer Süßwasserfische zu den verschiedenen Jahres- zeiten ein sehr wechselnder, abhängig von der Nahrung und Geschlechtsreife, so daß die Unter- suchungen zu einem abschließenden Urteil noch nicht genügen. Trotzdem glaubt Plehn sich zu dem Schlüsse berechtigt, „daß eine öffentliche Bewirtschaftung der Fischeingeweide, ihre Beschlag- nahme zwecks Fettgewinnung, nicht am Platze wäre. Unter einigem wertvollen würde dabei zu viel unbrauchbares Material mit anfallen." Es wird aber seitens der Verfasserin anempfohlen, das Eingeweidefett in der Wirtschaft selbst in der Weise zu verwenden, daß man die Fische in dem Fett braten läßt. Da das Mschfett schnell ver- dirbt, muß es zum Genuß frisch benutzt werden. Zu diesem Zweck nicht mehr geeignetes Fett soll sich aber auch zu technischen Zwecken verwenden lassen und vor allem mit Hammeltalg oder Paraffin gemischt ein gutes Stiefelfett geben. Dr. Willer. Medizin. In der Münchner Medizinischen Wochenschr. Nr. 42 Jahrg. 64, 1917 berichtet Ge o rg Herzog über den mikroskopischen Fund nach einem Fall von Pilzvergiftung, welcher sich im Osten ereignete und der sechs Zivilpersonen und ein Soldat am dritten bzw. vierten Tag zum Opfer fielen. Die Patienten hatten die durch ihre Helvellasäure giftige Lorchel (Gyromitra Fr.) mit der ungiftigen MDrchel (Morchella Dill.) verwechselt und die Schwämme teils gesotten, teils leicht gebacken gegessen. Alle erlagen der Vergiftung in drei bis vier Tagen. Charakteristisch war der Zerfall der Zellkert^e der Leberzellen, namentlich im peripheren Abschnitt der Leberlä[)pchen, sowie die Rrgenerationserscheinungen des Lebergewebes, welche von den Gallenkapillaren ausgingen. Außer- dem zeigte die Leber das gewöhnliche Symptom einer Vergiftung, die Verfettung. Hämorrhagien, namentlich unter den serösen Häuten fandtn sich sehr häufig, wie denn auch die Magenschleim- haut an zahlreichen Fällen nekrotisch war. Kathariner. Die Transplantation aus dem Affen und ihre Dauererfolge. Zu dem Vorschlage, in Sanitäts- formationen der vorderen Linie Transplantations- material zu sammeln, es aseptisch aufzubewahren und der Heimat zur Verwendung bei Operationen zuzuführen, konnte Prof. H. Küttner keine günstigen Erfahrungen mitteilen: die längere Kon- servierung in Serum scheiterte schon beim Tier- experiment. Dagegen berichtet Küttner^) bei dieser Gelegenheit über seine in zwei F"ällen er- zielten Erfolge der Transplantation von Affen- knochen in den Menschen. Einem neun Monate alten Kinde wurde an Stelle der infolge angeborenen Defekts völlig fehlenden Fibula die periostbedeckte Fibula eines jungen Makaken implantiert, nach- dem ihr oberes Gelenkende abgetragen war, da sie etwas zu lang war. Heute, nach fast 6 Jahren, zeigt sich im Röntgenbild, daß die Aftenfibula vollkommen, auch in ihrer inneren Struktur, er- halten ist; gewachsen ist sie allerdings nicht mit dem übrigen Körper. Ebenso wurde einem anderen, i "V^ Jahre alten Kinde die fehlende untere Radiushälfte durch eine solche eines Makaken er- setzt; die einander fremden Teile wurden durch einen Elfenbeinstift miteinander verbolzt. Auch hier kann heute, nach mehr als 4 Jahren, in gleicher Weise wie oben ein Dauererfolg festge- stellt werden. Diese Erfahrungen widerlegen die grundsätz- lichen, auf Tierversuche zurückgehenden Befürch- tungen gegen die Heterotransplantation. Aller- dings haben Tierversuche gelehrt, daß am weitaus besten die Autotransplantation zu gelingen pflegt, schon die Transplantation von einem Individuum auf das andere der gleichen Art versagt oft, und noch öfter die von Art zu Art; doch auch diese ') Münch. med. Wochenschr. 64. Jahrg. 19 17, Xr. 45. N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 45 kann nach Erfahrungen der Entwicklungsmechanik — Born — zum Beispiel bei Amphibienembry- onen gelingen. Brück stellte in Java folgende Verwandlschaftsabstufungen zwischen Menschen und Affen fest: i. Mensch, 2. Orang-Utan, 3. Gibbon, 4. Macacus rhesus und nemestrinus, 5. Macacus cynomolgus. Dabei sei der Mensch vom Orang biologisch etwa so weit entfernt wie dieser vom Macacus rhesus; nach Fried enth al aber stehen sich Mensch und Macacus rhesus noch erheblich näher als Kaninchen und Meerschweinchen. Küttner verspricht sich von der Transplation aus dem Affen auf den Menschen Erfolge außer bei Knochen auch bei Sehnen, Gefäßen und viel- leicht noch anderen Weichteilen. Ob auch die Transplantation aus dem Hund oder Kalb auf den Menschen erfolgreich sein werde, sei zwar fraglich, könne aber nur durch klinische Erfahrungen ent- schieden werden. In Friedenszeiten seien Macacus rhesus und die größeren afrikanischen Paviane ein jederzeit umgehend und billig zu beschaffendes Material. V. Franz. Geologie. Über seine geologische Studienreise in den Kreisen Mitrovica, Novipazar und Pnjepolje, Altserbien, berichtet Franz Koßmat in den Berichten über die Verhandlungen der Königlich Sachs. Gesellsch. d. Wissenschaften zu Leipzig. III. Bd. 1916. Es galt nachzuweisen, daß die Serpentinmassen der inneren Teile des dinarischen Gebirges nicht tertiäres, sondern mesozoisches Alter haben, zum Teil der Trias angehören, zum Teil jünger sind. Dazu bot der ehemalige türkische Sandschak Novipazar alsVerbindungsstück zwischen Ostbosnien und Nordalbanien einerseits, der Rhodopezone und den Kalkgebirgen Montenegros andererseits inter- essante geologische Aufschlüsse. Das Moravabecken ist mit limnischem Jung- tertiär und Quartär erfüllt. Im Süden liegt eine breite Gebirgsmasse, die der Ibarfluß durchbrochen hat. Die Grenze im schluchtartigen Teile sind Serpentinmassen ohne Humusüberkleidung. Im nördhchen Teile kommen flyschähnliche Schichten zu Tage, die auf der Karte von Serbien als Kreide dargestellt sind. Bei Polumia liegen unter dem hangenden Serpentin Granite und paläozoische Tonschichten zu einem Sattel gefaltet. Das ist die Kernregion des östlichen Kopaonikgebirges. Bei Usce ist im Serpentingebiet eine kohlenführende Sedimentscholle sichtbar. Es sind Konglomerate aus Porphyren, Tuffsandsteinen, Schiefer und Quarz im Wechsel mit gefrittet aussehenden Sand- steinen. Die hohen Schichten sind Schiefertone mit Sandsteinen, in denen ein 5 m mächiigrs Flöz anthracitischer Steinkohle eingelagert ist, das man abzubauen beginnt. An einem Stollenmundloch sah man in i V-j m Dicke verschlackte Toneisen- stein- und Schieferbrocken, ein ausgebranntes Fiöz. Es handelt sich hier um eine große Scholle, die von dem Serpentin umhüllt und aus ihrem Zu- sammenhang gerissen wurde, denn aus dem Meso- zoikum Serbiens sind solche Kohlenvorkommen sonst nicht bekannt. Ein paar km im Studenic- tale stehen unter Serpentin serizitische Quarzschiefer an, die zum Paläozoikum der Golija planiea ge- hören. Dazu gehören auch die schönen weißen Marmore des alten Klosters Studenica. Südlich Usce liegt auf den Serpentinen eine Decke von Trachyten, die durch bunte Farbe und schroffe Geländeformen sich auszeichnen. Lange vor Raska stellen sich die Serpentinmassen wieder ein. Das Kopaonikgebirge lernt man kennen, wenn man auf der Straße Raska-Mitrovica wandert. Zunächst kommt man in eine Trachytregion , teilweise säulenförmig abgesondert. Oben am Gebirgshang stehen unter Konglomeraten und Breccien Flysch- sandsteine an, die auf Serpentin lagern. Bis auf dem Kamm stehen Serpentine an, die von Trachyten durchbrochen werden. Süd- und Südwesthang des Gebirges gliedern sich nach Serpentin und Tra- chyt hin deutlich. Öde ist die Serpentinlandschaft, fruchtbar der trachytische Boden. Im Milanov vrh. steigt das Gebirge 2140 m hoch, zeigt unter Serpertin metamorphen Kalk, in den Gipfelregionen Magneteisenstein. Koßmat hält die eingelagerten Kalksilikate für mesozoische Kieselkalke. Nord- westlich vom Gipfel erscheinen syneitsche Gesteine und metamorphe Tonschiefer, gleich den paläozoi- schen Schichten des Golijagebirges. Zwischen den syneitischen Dinar und dem Serpentin zeigt sich an der Westgrenze ein metamorpher Kalk wie bei Milanov vrh. Hier das von Granitfels be- gleitete Magnetitlager von Suva Ruda, das später noch eine bergbauliche Bedeutung erreichen wird. Nicht Serpentin, sondern Syenit im Liegenden er- zeugte die Metamorphose. Vielleicht sind die Marmore von Studenica auch mesozoische Kalke. Die trachytischen Eruptionen erzeugten sulfidische Erze, z.B. Bleiglanzzinkblendegänge in den Eruptiv- gesteinen und im Flyschsandsteine. Auch südlich des Gebirgsstockes bildet das Ibartal ein reines Erosionstal. Wieder treten die Flyschsandsteine zwischen tertiären Eruptiven und Serpentin auf. Die jung-vulkanischen Bildungen bilden eine tek- tonische Mulde, im Westen bei Raska bis auf ihre Unterlage durchnagt. Die weithin sichtbare Kuppe des Vinoroy bildet Serpentin, von Gabbro be- gleitet. Zwischen Novipazar und Mitrovica haben wir die typische Oberkreide-Transpression vor uns, so schön wie in den Ostalpen. Flysch beginnt mit fossilführendem Turon, greift über die Serpentin- massen und paläozoischen Nachbargesteine im Süden über, welche die gewöhnliche Unterlage der montenegrinisch-nordalbanischen Kalkgebirge bilden. Zwischen Novipazar und Mitrovica ragen mehrere Berge trachytischer Eruptivgesteine aus dem Plysrh heraus (Mitrovica, Jevorska Streue, RoyoznaHan, Vidnik). Durchs Paläozoikum ragen sie südlic hder Golija. Der erzreiche Trachytstock von Svabrenica in Ostbosnien und Meylaj im Vosnatal sind streichende Fortsetzungen. Eruptiv waren die Trachyte im Miocän wie es die steiri- 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 sehen Vorkommen waren. Zahlreiche Thermen (Banjske 45" C, Klecka Banja 31** C, Banja 48,5° C, Banja bei Priboj 36" C) und Mineralquellen sind Nachwirkungen der Eruptionen von Kosovopojja bis zum Lim. Die Schollenmassen auf den Platt- formen der Flyschberge nördlich Novipazar sind Reste von pliocänen Flüssen. Südwestlich dieses transgredierenden Flysch- gebietes kommen paläozoische Schiefer zu Tage. Sie bilden das Innere des dinarischen Gebirges, auf die sich nach Montenegro hin Perm und T rias legt. Im oberen Ibartal zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen östlichem und westlichem Dinarischen Gebirge. Bei Mojstir Christian kann man die Äquivalente des Perm und Trias, die hier auf Paläozoikum lagern, studieren: Permsandsteine mit Porphyren, Werfener Schiefer mit undeutlichen Bivalvenresten, oolithische Kalke. Dem Muschel- kalk gehören an: dunkelgraue Kalke mit Horn- stein, flaserige Mergelkalke, weiße Kalkmassen der oberen Trias mit DoHnenlandschaft im Wiesen- gelände des Flusses. Sie bilden die Höhen der Mokra planina bis in die nordalbanischen Alpen. Nach Nordwest läßt sich die Kalkmasse weiter verfolgen. Sie macht den Eindruck einer flach- liegenden Platte mit starken Störungen und P^al- tungen. Eine Zone der Hornsteinschichten und basischen Eruptivgesteinen im Hangenden der Trias- gesteine SW. von Novipazar und Mitrovica zieht in 160 km Erstreckung zur nordbosnischen Ser- pentin- und Flyschzone hin. Nördlich von Sjenica am Eintritt in die Aver-Klamm stellte Koßmat fest: Die Radiolarien-Hornsteinschichten, begleitet von Tuffen, wurden von konglomeratischen fossil- führenden Kalken unterlagert. Sie führen Horn- steinlagen, Korallen , Hydrocorallinen (Millapori- dium) wie der Tischon von Stromberg in Mähren. Also gehören die Jaspis-Tuffit- und Serpentin- schichten von Mitrovica-Novipazar und Tutinje- Sjenica - Pripapolje - Uvac - Wisegrad - Rogatica zur Tischon-Neokomzeit. In der Kalkzone des südwestlichen Altserbiens sind von Seen jungtertiärer Zeit Spuren erhalten in der MetochijaEbene bei Ipek, im Tertiärbecken von Sjenica. Hier ist die alte Ufermarke durch Felsterrassen gekennzeichnet. Weiße fossilführende Süßwassermergel, bei Stavolj mit limnaeusreichen Brandschiefern und Lignitflözen bauen die alten Seeablagerungen auf. Chalcedon- und Achataus- scheidungen durchsetzen die Mergel, Nachwirkungen der Vulkanausbrüche des Golijahanges. Im See- becken selbst findet man eine Schollenschicht, aus Gesteinen der umliegenden Gebirge. Die Höhe beträgt 1200— 1300 m. Ein kleineres Becken fand Koßmat im oberen Bistricaltal bei Movavaros in 800—900 m Höhe. Hundt, im Felde. Paläontologie. Über Die Säge der Pristiden Onchopristis numidus Hang sp. und über die Sägen der Sägehaie schreibt Ernst Stromer in den Abhandlungen der Königl. bayr. Akad. d. Wissensch., Math.-physik. Klasse, XXVIII. Band. 8. Abhdl. Aus dem untersten Genomen der Baharije-Oase Ägyptens beschreibt Stromer Rostralreste, voll- ständige Zähne, Sockel und Kronenstücke von Onchopristis numidus Haug sp. Mit bezahnten Rostren (Sägen) unterscheidet er folgende Pla- giostomen: 1. Pristis Klein 1742. Mehrere zum Teil sehr große Arten, die in warmen, selten in tropischen Strömen leben, fossil bis ins Eozän zu verfolgen sind. 2. O-vypristis Hoffmann 1912. Lebt in einer großen Art im Indischen Ozean, läßt sich fossil bis ins Eozän nachweisen. 3. Propristis Dames 1883. Eine große Art aus dem fluviomarinen Obereozän Ägyptens be- kannt geworden. 4. Önchosaurus P. Gervais 1852. Bekannt zwei große Arten aus marinem Senon Frankreichs und Ägyptens. 5. Onchopristis n. g. Eine stattliche Art aus dem fluviomarinen untersten Genomen Nordafrikas. 6. Sclerorhynchus A. Smith Woodward 1889. Mehrere kleine Arten aus der marinen oberen Kreide (Turon und Senon) des Libanon. 7. Pristiophorus, Müller und Henle 1837. Mehreren kleine Arten aus den Meeren von Australien bis Japan, fossil im marinen Mittelmiocän Württem- bergs. 8. Pliotrema Regan 1906. Eine kleine Art aus dem Indischen Ozean bei Südafrika, vielleicht fossil im Mitteltertiär Neuseelands. Onchopristis gleicht teils Pristis, teils Propristis. Es stehen sich nahe Pristiophorus, Pliotrema, viel- leicht auch Sclerorhynchus einerseits, Onchopristis, Önchosaurus, Pristis, Oxypristis, Propristis ander- seits, so daß zwei F"amilien sich darbieten: Pristio- phoridae und Pristidae. Neues erfahren wir über den Zweck der Sägen, der Sägehaie, über den keinerlei Beobachtungen bis jetzt vorliegen. Auch über die Lebensweise der Sägehaie weiß man wenig. Pristiophorus frißt Fische, Pristis Fische und Krebse. Sie sind als bessere Schwimmer wie die Rochen, wie diese Grundbewohner. Die Sägezähne bei Propristis, Pristis und Oxypristis sind stark abgenutzt und zeigen Kritzer, die von innen vorn nach hinten außen verlaufen. Bei Pristiophorus, Onchopristis, Önchosaurus sind keine Spuren irgendwelcher Ab- nützung festgestellt, weil die Zahnkronen eine sehr widerstandsfähige Deckschicht besitzen. Nach Pappenheim dienten die Sägen als Bagger- apparat und Seihvorrichtung, um aus dem Boden Beutetiere zu gewinnen. Derselben Meinung ist Loh mann, während Engel annimmt, daß die Haie mit der Säge bald links, bald rechts den Boden aufreißen, um die Tiere zu jagen. Stromer glaubt, die Pristidae reißen, sich seitlich drehend, mit den Sägen den Fischen den Leib auf. Dabei entstehen durch Reiben der Zähne an Hartteilen die Kritzer. Günther gibt von den Pristidae an, daß die Pristidae mit der Säge Gephalopoden N. F. XVII. Nr. 3 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 47 Fleischstücke herausreißen und die \\'eichteile ver- schlingen. Mit den vielen Reihen winziger Zähne konnten sie die glatien Fische festhalten. Die Säge war ihnen sicher auch Waffe gegen Feinde und bei Eifersuchtskämpien. Die Widerhaken der Zähne bei den geologisch älteren Gattungen Onchopristis, Onchosaurus und die ontogeneiisch bei Oxypristis auftreten, kennt man auch bei anderen Fischen. Vielleicht dienten solche Kieferzähne dazu, glatte Beutetiere festzu- halten. Die Kopfhautzähne der Männchen der Vorfahren von Onchopristis (die denen von Astera- canthus gleichen) dienten bei der Begattung zum Reizen, Festhalten oder zu Kämpfen. Hundt, im Felde. Botanik. Blütenbiologische Untersuchungen. Seit langem ist die eigenartige Erscheinung der Selbsterwärmung des Blütenstandes bei /[nun niaciila/mii h., dem Aronstab, bekannt, die sich später auch an den meisten der übrigen Araceen nachweisen ließ. Besonders eingehend hat sich E. Leick mit dem Problem beschäftigt und über seine Untersuchungen in mehreren Arbeiten be- richtet, deren Ergebnisse er neuerdings zusammen- fassend veröffentlicht hat. (E. Leick, Die Er- wärmungstypen der Araceen und ihre blüten- biologische Deutung. Ber. deutsche bot. Ges. 33, 508 — 536.) Früher hielt man den Befruch- tungsvorgang für die Ursache der Wärmeproduk- tion. Das ist nach Leick aber schon aus dem Grunde unmöglich, weil es meist gerade die weib- lichen Organe sind, die die geringste Temperatur- steigerung aufweisen. Da sich bei .-In/iii u. a. gerade die sterilen Teile des Kolbens am meisten erwärmen, kann dies auch nicht mit dem Auf- springen der Theken zusammenhängen, das zudem zeitlich gar nicht mit dem Wärmemaximum zu- sammenfällt. Auch die Vermutung Links, der eine ursächliche Verbindung mit der Bildung der Geruchsstoffe annimmt, ist hinfällig, da gerade manche Arten trotz starker Temperatursteigerung nur schwach duften und umgekehrt. Im Gegen- satz hierzu gibt Leick eine den Tatsachen völlig entsprechende Erklärung, indem er die Erwärmung im Zusammenhang mit dem Blütenbau betrachtet und als eine im Dienste der Bestäubung stehende blütenbiologische Anpassung deutet. Danach sind alle bei Araceen beobachteten Temperatursteige- rungen als Anlockungsmittel für die Insekten zu be- trachten. Hierbei kann man vier Typen unter- scheiden. Äloiisfcra zeigt die primitivste Stufe der Thermatophorbildung, da hier die Erwärmung nicht auf eine bestimmte Zone beschränkt ist, sondern den ganzen Blütenstand betrifft. Das erklärt sich daraus, daß in ihm ganz gleichmäßig (J und 5 Blüten verteilt sind. Die Wärmemaxima entsprechen der Narbenreife und später dem Reifen der Antheren; die Insekten wurden zweimal an- gelockt, zunächst zur Bestäubung, später zur Ver- breitung des nunmehr freigewordenen Pollens. Bei Pliilodciidrun ist die Erwärmung dagegen auf den oberen Kolbenteil beschränkt, der nur ^ Blüten trägt. Gerade dieser Teil kommt für die gestei- gerte physiologische Oxydation, die als die Wärme- quelle anzusehen ist, auch in erster Linie in F"rage, da er nach der Pollenreifung kerne weiteren Bau- und Reservestoffe benötigt. Bei Coloccisia ist die Haupterwärmung auf den obersten Teil des Kol- bens beschränkt, der nur noch Staminodien trägt und keinerlei sexuelle Tätigkeit mehr aulweist. Noch stärker prägt sich diese Umbildung des Kolbengipfels zum reinen Thermatophor bei Anuii aus, wo er völlig steril geworden, nicht einmal Staminodien trägt. Hier ist im Gegensatz zu den ersten drei Typen der von der Spatha gebildete Kessel zu einer sehr vollkommenen Insektenfalle geworden. Dies ist auch der Grund, weshalb die Haupterwärmung hier gleich beim ersten Maximum eintritt. Eine zweimalige An- lockung der Bestäuber ist ja in diesem Falle auch nicht nötig, da sie, einmal gefangen, doch nicht entweichen können, ehe auch die Antheren zur Reife gelangt sind. Die schrittweise Entwicklung dieser blütenbiologischen Anpassung entspricht völlig dem genetischen Zusammenhang der Araceen- gruppen. Auf den einfachen AIüiistcra-'Yy^\x% folgt bei PJnlodoidroii die Beschränkung der Thermatophorbildung auf die Antheren. Diese wird weiter bei Colocasia auf den Staminodialteil beschränkt, um bei Ariini am vollkommensten ausgestaltet zu werden. Die Blütenbiologie von Pedicularis Trn., dem Läusekraut, wird von Kavina einer ver- gleichenden Untersuchung unterzogen. (Kavina, Ein Beitrag zur Blütenbiologie der Gattung Pcdi- citlan's. Sitzber. böhm. Ges. Wissensch. M.-N. Kl. 1915, I— 21.) Die mit etwa 250 Arten reich- haltigste Scrofulariaceengattung ist am weitesten in den kälteren Gebieten der nördlichen Halbkugel verbreitet und besitzt in Europa etwa 50 Arten, viele auf nasssen Wiesen und Sümpfen höherer Lagen. Nach ihrer Bestäubung lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Das Beispiel einer ento- mophilen Art ist P. sik'afira L. Sie wird von großen Hummeln bestäubt, die ihren langen Rüssel in den oberen weiten Teil des Blüteneingangs versenken. Dabei hat die schräge Stellung der Unterlippe, die den Vorderfüßen des Insekts als Stütze dient, zur Folge, daß der obere Teil des Kopfes gerade die Narbe berührt. Wenn die Hummel aber dann den am Grunde der Kronröhre ausgeschieden Honig erlangen will, muß sie den ganzen Kopf in den Eingang stecken, wobei die oberen Helmzipfel auseinanderweichen und die Antheren den Staub auf die gleiche Stelle fallen lassen. P. sihn/icd und zahlreiche andere Arten sind auf Insekten angewiesen, Autogamie kommt nur äußerst selten, Kleistogamie niemals vor. Die zweite Gruppe umfaßt die meisten Arten. Sie können sich bei dem Ausbleiben von Insekten selbst bestäuben. Der weit herausragende Griffel beginnt sich dann nach oben zurückzu- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 3 krümmen, bis die Xarbe unter die Staubbeutel gelangt und bestäubt wird. So ist es bei P. sii- ddica W., dem Glazialrelikt des Riesengebirges, und P. coroiu'iisis Schur, der siebenbürgischen Hochebene, wo Insekten fast nie beobachtet werden. Am auffallendsten ist die Knickung der Oberlippe bei P. uiiiviiata lacq. Sie beugt sich bei mangelndem Insektenbesuch soweit herab, daß sie senkrecht steht und der Staub in die Röhre so herabfällt, daß er gerade auf die vor der Mündung stehende Narbe trifft. Schon Kerner vermutete, daß hier auch durch den Wind Pollen übertragen werden kann, innerhalb der Gattung also auch beginnende Anemophilie vorhanden ist. Die Autogamie ist bei den arktischen Formen am häufigsten, die zur dritten, durch P. Sccpfnini- Caroliiinm L., dem Moorkönig, vertretenen Gruppe überleiten. Diese typisch kleistogame Art kommt bei uns nur als Relikt auf einigen Mooren vor und unterscheidet sich von allen an- deren dadurch, daß die Ober- und Unterlippe der großen Blüte eng aneinander gedrückt sind und sich niemals öft'nen. Dabei bleibt der ganze Griffel eingeschlossen. Entgegen der Ansicht W a r m i n gs , der die Blüte mit Liiian'a vergleicht, fehlt hier ein öffnender Klappmechanismus vollständig und eine Fremdbestäubung scheint ausgeschlossen. Damit steht im Einklang, daß die vier Antheren dem Griffel auch anliegen und die Narbe allseitig umgeben. Kr. Pflanzenpathologie. Über das Erhaltenbleiben des Chlorophylls in herbstlich verfärbten und abgefallenen Blättern durch Tiere berichtet Ö. Richter in der Zeitschrift tür Pflanzenkrank- heiten (Bd. 25. S. 3S5— 392). Beim Eintritt der Verfärbung und des Laubfalles beobachtete er an vielen Blättern von Acer Psfiidoplaf(7iuis L. grün gebliebene, von einer Reihe Löcher umsäumter Stellen. Auf der Unterseite ist die Epidermis ab- gehoben, und in der so entstandenen Höhlung sitzt eine kleine Raupe, die das üppig grüne Parenchym allmählich von außen nach innen auf- zehrt. Die mikrochemische Untersuchung ergab, daß das Parenchym lebte und so dem Parasit dauernd frisches Futter lieferte. Fraßringe grenzen schon im grünen Blatt die Stelle ab, die dann am Leben bleibt, wenn das Blatt abstirbt. Als Er- klärung kann man im Sinne Stahls annehmen, daß die Leitbahnen zerstört sind und daher das Abströmen der Abbauprodukte des Chlorophylls unmöglich ist, oder aber, daß die sich stauenden Assimilate das Chlorophyll und Gewebe ernähren und erhalten. Möglich wäre auch, daß der Kot der Raupe an sich konservierend wirkt. Welche dieser Erklärungen auch zutrifft, so liegt jedenfalls der Nutzen für den Parasiten, der sich als eine Lithocolhtis {sylvella Hr.?) erwies, auf der Hand, wird ihm doch nicht nur Wohnung und gute Verbreitung, sondern vor allem reichliche Nahrung geliefert. Die gleiche Erscheinung beobachtete Richter auch an A. campest rc L. und A. vion- spessulamim L., sie scheint danach häufiger zu sein. Auch Küster erwähnt analoge durch Gallmücken verursachte Fälle. An vergilbten Pappel- und Eichen blättern konnte Richter ähnliches nachweisen. Da aber hier von einem Umfressen der grünen Stelle durch die schmarotzen- den Nepticitlideii nichts zu merken ist, muß die Erhaltung des Chlorophylls in diesem Falle wohl auf die konservierende Wirkung der Exkremente zurückgeführt werden. Dies gilt auch für die von Carara beschriebene Infektion der Blätter von Qiierciis casianeaefolta C. A. May. durch eine Blattlaus. Damit steht im Einklang das Verhalten einiger schmarotzender Pilze wie Pliyllaetiiiia guttata auf Ahorn, Cladosporiiiin deiidriticitiii auf Rosen usw., wie es von Cornu beschrieben worden ist. Hierzu sei noch erwähnt, daß solche von Pilzen befallene Stellen nach Tubeuf (die von Parasiten bewohnten grünen Inseln vergilben- der Blätter. Naturw. Zisch. Forst u. Landwirtsch. 16. 1916. 42) Orte gesteigerten Stoffwechsels sind, wo durch gesteigerte Atmung und Stoftabgabe an den Parasiten Nährstoffe angezogen werden. Die Stellen sind gewissermaßen „P'remdkörper" im Blatt, da sie den Korrelationsgesetzen, denen das übrige Blatt unterliegt, durch den Einfluß des Pilzes entzogen sind. Kr. Literatur. Wunderlich, Dr. E., Die Oberflächengestaltung des Norddeutschen Flachlandes. I. Teil: Das Gebiet zwischen Elbe und Oder. Leipzig und Berlin '17. B. G. Teubner. — 5,20 M. Br ohmer, Dr. P., Die sexuelle Erziehung im Lehrer- seminar. Ebenda. — 80 Pf. Inhalt I P. Strauß V. Waldau, Einige Notizen über die Wirkung außerordentlicher Dürre im Waterberg-Distrikt von Transvaal, Südafrika. (2 Abb.) S. 33. — Einzeibericbte: Worauf beruht die Färbung der Geweihe? S. 40. Pascher, Das stammesgeschichtliche Verhältnis zwischen Flagellaten und Khizopoden. S. 41. L. Armbruster, H. Nachtsheim und Th. Roemer, Experimentum crucis theoriae mendelianae. S. 42. — Zirkulation der Teichmuschel unter natür- lichen und künstlichen Bedingungen. S. 43. M. Plehn, Fettmengen in dem Körper unserer Süßwasserfische. S. 43. G. Herzog, Mikroskopischer Fund nach einem Fall von Pilzvergiftung. S. 44. H. Küttner, Die Transplantation aus dem Atfen und ihre Dauererfolge. S. 44. Franz Koümat, Sludienreit.e in den Kreisen Mitrovica, Novipazar und Priiepcljc-, Allserbien. S. 45. Ernst StrOmer, Säge der Pnstiden Onchopriatis numidus Hang sp. und über die Sägen äer bägehaie. S. 46. E. Leick, Kavina, Blütenbiologische Untersuchungen. S. 47. O. Richter, über das Ethaltenbleibcn des Chlorophylls in herbstlich verfärbten und abgefallenen Blättern durch Tiere. S. 4S. — Literatur; Liste. S. 4S. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidensiraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippe« & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 27. Januar 1918. Nummer 4. Das Nannoplankton. [Nachdruck verboten.] Von Dr. V. Mit 15 Abbild) Es mutet uns heute höchst seltsam an, daß unsere Kenntnis von der Existenz eines Planktons in unseren Seen im Grunde genommen erst seit 1868 vorhanden ist, in welchem Jahre der dänische Zoologe P. E. Müller in den Schweizer Seen die Anwesenheit zahlreicher planktonischer Lebewesen feststellte. Daß man um die Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts glauben konnte, daß die weiten Wassermassen der Binnenseen unbelebt, leer sein könnten, erscheint uns heute kaum faßbar. Und doch nicht minder unfaßbar und seltsam muß uns schon heute der Vorstellungskreis an- muten, in dem sich selbst Planktologen vom Fach noch vor etwa zehn Jahren bewegten, wenn sie glaubten, unsere mit dem Apsteinnetz gewonnenen Listen von planktonischen Krebschen, Rädertieren, Blau- und Kieselalgen wären das ganze Um-und- Auf der planktonischen Region. Schon die Bak- teriologie hätte den Gedanken nahelegen müssen, daß die allgegenwärtigen Bakterien auch in der Planktonregion ihre Vertreter besitzen werden und daß bei deren Außerachtlassung die gewöhnlich als Musterbeispiel selbst für den Schulunterricht hingestellten Wechselbeziehungen zwischen den nach der Netzmethode gewonnenen Planktonten lückenhaft und fehlerhaft sein müßten. Litten doch diese am grünen Tisch ausgeklügelten Wechsel- beziehungen an einer Unwahrscheinlichkeit, da die Vertreter des Phytoplanktons, die dem Zoo- plankton als Nahrung dienen sollten, nur zu oft wegen ihrer Größe und I'orm als solche gar nicht in Betracht kommen konnten. Und noch ein Umstand hätte auf das noch unentdeckte Nannoplankton hinweisen müssen, der Umstand, daß es eine ganze Kategorie von Seen gibt, in denen ein reiches Zooplankton vorhanden ist, trotzdem das Netz fast gar kein Phytoplankton aus dem Wasser emporbringt. Wovon sollten dann die tierischen Vertreter des Planktons in solchen Fällen leben. Bereits 1901 habe ich in den „Untersuchungen über das Plankton des Erlaufsee" (Verh. zool.-bot. Ges. Wien) auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, indem ich in der zitierten Arbeit S. 402 zu dem Resultate kam: „Diese Ergebnisse können nicht bestätigen, daß das Zooplankton — wenigstens im Erlaufsee — auf das Phytoplankton als Nahrungsmittel ange- wiesen sei." Bei dieser negativen Feststellung ließ ich's auch dann noch bleiben, als mir ein günstiger Zufall geradezu die Lösung dieses Rätsels offen- barte. In einem Planktonfang aus dem Glubokoje- See in Rußland fand ich den Darm der Asplanchnen ganz ertüUt von Massen kleiner Cyclotellen, von denen im ganzen Material sonst nichts zu sehen Brehm-Eger. ingen im Text. war, ein deutlicher Beweis für die Unvollkommen- heit der Netzmethode und zugleich ein Fingerzeig für die Lösung des Ernährungsproblems in der Planktonbiocönose (vgl. Jahresbericht der Realschule Elbogen 1904, S. 30). Bereits 1897 hatte Loh mann gefunden, daß die im Meeresplankton häufigen Appendicularien sich ausschließlich von Organismen nähren, die die Netzmaschen ungehin- dert passieren. Die Appendicularien be- sitzen nämlich einen Filtrierapparat, der an Feinheit und Exaktheit seiner Ausführung alle von der Planktontech- nik geschaffenen Hilfs- mittel weit hinter sich läßt. Schon die Fein- heit bringt es mit sich, daß Organismen zu- rückgehalten werden, welche dieNetzmaschen unserer feinsten Plank- tonnetze wie ein mäch- tiges Tor passieren. Loh mann hat, um dies Verhalten recht drastisch vor Augen zu führen, die Hauptvertreter des marinen Nanno- planktons auf den 5 Tafeln, die seiner Arbeit: „Über das Nannoplankton und die Zentrifugierung kleinster Wasserproben" (Intern. Revue der ges. Hydrobiologie. Bd. IV, 191 1) beigegeben sind, in Netzmaschen eingezeichnet. Eine Kopie einer solchen Figur ist nebenstehend reproduziert. Aber auch die Zartheit dieser natürlichen Filter und die eigene Konstruktionsart bringen einen Vorteil mit sich, der unseren Netzen und Filtern abgeht. Die Appendicularienreusen erbeuten Wesen, die zwar groß genug wären, um von den Netz- maschen zurückgehalten zu werden, die aber in- folge ihres zarten Baues beim Netzfang bis zur Unkenntlichkeit deformiert oder gänzlich zer- stört werden. Im Meeresplankton versagt die Netzmethode aus diesem Grunde, wenn es sich um die Gewinnung der. nackten Flagellaten sowie der relativ großen Strombidien und Halterien handelt. Aber auch das Süßwasserplankton enthält derartig labile Geschöpfchen. Schon die Reihe der sonst recht resistenten Peridineen stellt bereits unter den ungepanzerten Gymnodinien eine Menge solcher empfindlicher Oiganismen, vor allem das von Lauterborn im Winterplankton oberrheinischer Gewässer entdeckte und treffend mit dem Spezies- Abb. I. Heterodinium kofsidi Schiller, aus der Adria. 2500 X ^ergr. Eine Peridinee des Nanno- plankton. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. namen tenuissimum bezeichnete Gymnodinium, das trotz seiner 6o fJ. Durchmesser anderweitig noch nicht beobachtet wurde, weil es nur lebend Abb. 2. Sechs Coccolithophoridenarten, die bequem neben- einander eine Masche des feinen Planktonnetzes passieren. I. Coccolithophora. 2. Pontosphaera. 3. Syracosphaera. 4.Pontosphaera. 5. Coccolithophora Wallichi. 6. Rhabdosphaera. und frischgefangen beobachtet werden kann. Kein Wunder, wenn noch zahlreiche winzige Gymnodinien der Entdeckung harren I Selbst wenn das frischge- fangene Material — wie das z. B. an der biologischen Station in Lunz der Fall ist, sozusagen unmittelbar der mikroskopischen Untersuchung unterzogen werden kann, pflegen nur zu oft die Gymnodinien oder andere nackte Flagellaten, ehe man an eine Untersuchung schreiten kann , zu zerplatzen oder in unkenntliche Plasma- klümpchen zu zerfließen. So hatte denn Lohmann's Studium der Appendicularien- fangapparate uns über die Unzu- länglichkeit der Planktonnetze aufgeklärt und mit einer IVIenge neuer Organismenformen be- kannt gemacht; es galt nun noch, diese Erkenntnis metho- disch auszuwerten, was Loh- mann durch Einführung der Zentrifuge als Vorrichtung zum Planktonfang gelang. Dadurch führte er erstens einmal den Nachweis, daß im Meere ungeahnte Mengen von Lebewesen existieren, von deren Vorhandensein man bisher nichts wußte und die unsere bisherigen Anschauungen über die Ernährungsbedingungen der Wasserwelt in ganz neuem Lichte erscheinen Abb. 3. Gymnodinium tenuissi- mum Lauterborn. Nach Lauterborn. ließen. Die eingangs angedeuteten Schwierigkeiten z. B. die mir die Ernährung des Zooplanktons im Erlaufsee machte, miißtt- n ganz in Wegfall kommen, wenn in dem auf Grund von Neizfängen als phytoplankionfrei erklärten See große Mengen jener Organismen nachweisbar wären, die die Nctz- maschen pa>sieren, die Prof Heider auf der Salz- burger Naturfor.scherversammhing treffend als ultraretikuläres Plankton bezeichnete und die wir heute mit Lohmann Nannoplankton nennen. Aber auch dem marinen Biologen waren ge- rade zur Zeit der L o h m a n n ' sehen Untersuchungen einige Ergebnisse der alten Planktonforschung recht unbequem geworden. Ging man nämlich zahlen- mäßig daran, den Futterwert des Phytoplanktons für das Zooplankton zu ermitteln, so war man ge- zwungen anzunehmen, daß Hungersnot ein chroni- scher Zustand der tierischen Komponenten des Planktons darstelle. Noch einmal schien man dieser Ernährungsschwierigkeiten Herr zu werden. Pütter entwickelte gestützt auf eine Reihe in Neapel aus- geführter Untersuchungen die Anschauung, daß im Wasser gelöste organische Verbindungen von den Tieren als Nahrungsquellen ausgenutzt werden könnten. Die Tiere schwimmen nach seiner An- sicht im Meerwasser als einer Nährlösung; und wie z. B. der Bandwurm durch die Haut die Nährstoffe absorbiert, so sollten auch die Meerestiere an dünnen Hautstellen dem umgebenden Wasser C- Ver- bindungen entnehmen; die Kiemen der Fische wären demnach nicht nur zur Resorption von O., sondern auch von verschiedenen C-Verbindungen be- fähigt. Die Entdeckung des Nannoplanktons ließ die Pütter'sche Theorie, die ohnedies sich in manche Widersprüche verwickelte, entbehrlich er- scheinen und L o h m a n n konnte bald den direkten Nachweis führen, daß das Nannoplankton die Ur- nahrung größerer Planktonorganismen darstelle und demnach tür den Lebenshaushalt des Meeres von fundamentaler Bedeutung sei. Eine richtige Vorstellung von dieser Bedeutung ist allerdings erst erreichbar, wenn man einen verläßlichen Einblick in die Mengenverhältnisse bekommt. Einen solchen erreicht zu haben ist das zweite bedeutsame Ergebnis der Lohmann- schen Zentrifugiermethode. Bei den nach Lohmann im Atlantik von Gran durchgeführten Untersuchungen ergab sich beispielsweise, daß ein Liter Meerwasser 3 — 10 Exemplare von Ceratium und Diatomeen enthielt, hingegen 3000 — 10000 Exemplare von Nanno- plankionten, deren Durchmesser zwischen lO und 24 /< schwankte. Ganz abgesehen davon, daß — wie eingangs angedeutet wurde — schon die Größe und Gestalt der Ceratien und sperrigen Bacillariaceen als Nahrung der das Plankton be- herrschenden Entomostraeen höchst ungeeignet erscheinen lassen und eine diesbezügliche Unter- suchung des Darmiiihaltes einen negativen Befund ergibt, muß schon die geringe Zahl stutzig machen, wenn man Ceratien u. dgl. als Urnahrung des Zooplankton betrachten wollte. Zahl, Form und Größe der Nannoplanktonten reden da eine N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51 ganz andere Sprache. Höchstens den einen Ein- wand könnte man noch machen, daß die große Zahl wegen der Kleinheit der Komponenten des Zentrifugenplankton diesem nicht die ihm zuge- dachte Rolle zuzuweisen gestatte. Diesen Einwand hat Lohmann durch mühsame Volumberechnun- gen als völlig unbegründet zurückgewiesen. Die Tragweite der L o h m a n n 'sehen Ent- deckungen führte naturgemäß zu einer Übertragung seinerMethoden auf die Süßwasserplanktonforschung. Ruttner und Woltereck haben zuerst an der biologischen Station in Lunz den Wert der Zentri- fuge für die Limnobiologie dargetan. Durch Be- obachtung und Experiment wurde zunächst die Bedeutung desNannoplanktons als Nahrung erwiesen und auch hier die Annahme widerlegt, daß etwa die Kleinheit der mittels der Zentrifuge gewonnenen Organismen gegen die Bedeutung derselben als Nahrung spräche. Ruttner, der das durch- schnittliche Verhältnis der Individuenzahlen der Netz- und Zentrifugenplanktonten im Lunzer See mit 160:3 ermittelte, zog auch die ungleichen Größen dieser Organismen in Betracht und fand: „Trotz des gewaltigen Größenunterschiedes zeigte sich doch ein deutliches Überwiegen der Gesamt- masse des Nannoplanktons. Ein Jahresmittel der Volumina ergab das Verhältnis Nannoplankton Netzphytoplankton = 3 : i." Diese Erfolge der Lohmann' sehen Methoden hatten weitere Einblicke in die Biologie der Plank- tonbiocönose im Gefolge und brachten auch die experimentelle Zoologie um einen wichtigen Schritt vorwärts. Es galt nämlich bis vor kurzem als unmöglich, Planktonorganismen im Aquarium zu züchten. Die mannigfachen Fragen, die das Form- problem in der Planktonbiologie an uns stellt, man denke nur an die Erscheinungen der Cyclo- morphose, der Lokalrassenbildung usw., verlangen aber gebieterisch nach experimenteller Behandlung. Solange man, durch die häufigen Mißerfolge ver- anlaßt, das Dogma von der Unzüchtbarkeit der Planktonten festhielt, schied eben das wichtigste Untersuchungsmittel, das Experiment, aus. Erst als Krätzschmar in Lunz Anuraea aculeata in Embryoschalen ihren ganzen Lebenszyklus durch- laufen ließ, indem er sie zuerst mit Kirchneriellen, später direkt mit Zentrifugenplankton fütterte, war der Bann gebrochen. Von nun ab können Plankton- organismen jederzeit im Laboratorium gezüchtet werden, wenn man ihnen das ihrem Wohngewässer entnommene Zentiifugenplankton zur Verfügung stellt. Abgesehen von der direkten Beobachtung und dem Experiment ließ sich aber die Bedeutung des Nannoplanktons als Nahrung der größeren Be- wohner der pelagischen Region durch quantitative Verarbeitung der Freiiandbeobachtungen erhärten. Ich versuchte dies zuerst, indem ich das in ein und demselben Gewässer aus derselben Wasser- probe gewonnene Netz- und Zentrifugenmaterial zur Konstruktion von Loh mann 'sehen Kugel- kurven auswertete, wobei sich eine überraschende Abhängigkeit der N-Kurve (Quantität des Netz- planktons) von der ZKurve (Quantität des Zentri- fugenplanktons) ergab. Dieses Abhängigkeitsver- hältnis wurde dann noch von Colditz durch Untersuchungen am Mansfelder See, durch D i e f f e n - bach und Sachse an sächsischen Gewässern, durch Lautzsch an der Hand von Proben aus dem Zugersee und am umfangreichsten durch Schädel in seiner Abhandlung: Produzenten und Konsumenten im Teichplankton (Archiv f. Hydro- biologie Bd. XI, 19 16) erhärtet. Jede reichere Entfaltung des Nannoplanktons hat ein Ansteigen der Individuenzahl der Netzplank- tonten zur Folge, deren Maximalentwicklung wiede- rum infolge gesteigerter Zehrung den Kurvengipfel Z-Kurve (l : l6). — - N-Kurve (1:4). Die Pfeile geben die korrespondierenden Z-Maxima und N-Minima an. Beispiel der Abhängigkeit der N-Kurve von der Z-Kurve. Nach Schädel. Abb. 4. des Nannoplanktons herunterdrückt. Gäbe es nicht noch andere Faktoren, so müßten eigentlich die Wellenberge und Wellentälerdieser Quantitätskurven alternieren ; in manchen günstigen Fällen, wie der einer war, der mir selber vorlag, zeigt die NKurve nahezu das Spiegelbild der Z-Kurve; aber auch dort, wo mancherlei störende Einflüsse sich geltend machen und mancher unerwartete Kurvenverlauf erst durch Heranziehung der O.,- oder CO.,-Kurve seine Erklärung findet, genügen die gewonnenen Bilder noch vollauf den von der Theorie an sie gestellten Anforderungen, wie eine der Seh äd ei- schen Arbeit entnommene Skizze zeigt (Abb. 4). Steht auch im Vordergrund all der genannten Abhandlungen das Bestreben, die Pütter'sche Lehre zu widerlegen, so ergaben sie doch auch Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 4 noch eine Reihe von Resultaten, die abseits von dem Ernährungsproblem als solchem liegen. Dieffenbach und Sachse haben dem Nanno- plankton eine wichtige Rolle für den Ablauf der Cyclomorphose und für die räumliche Verteilung der planktonischen Rotatorien zugeschrieben ; doch dürften diese Resultate beschränkte Geltung haben und nicht auf andere Organismengruppen über- tragbar sein; zeigen ja die limnetischen Copepoden, auch wenn sie ausgesprochene Nannoplankton- fresser sind, keine Cyclomorphose und kommen andererseits unter den Rädertieren Arten vor, die nicht als Nannoplanktonfresser bezeichnet werden können, wie Anapus und Hudsonella, die gepanzerte Peridineenzellen anbohren und ausschlürfen. Loh- mann's Arbeiten haben uns den Kreislauf des Calciumcarbonates im Meere erst im wahren Lichte gezeigt. Ob den kieselspeichernden Fiagellaten vor allem den Mallomonaden jene Vermittlerrolle zukommt im Kieselkreislauf der Seen, wie ich kürzlich vermutungsweise ausgesprochen habe, harrt noch der chemischen Prüfung. Die von Schädel entdeckte merkwürdige Tatsache, daß Stephanodiscus Hantzschii, der in der var. pusilla „die wichtigste Zentrifugenbacillariacee" seines Untersuchungsgebietes repräsentierte (fast perennierend und bis nahezu 30000 Individuen im cm^ während des Maximums aufweisend I), seine radialen Kieselstrahlen nur in der kalten Jahreszeit trägt, was allein schon die Deutung derselben im Sinne der Wesenbe rg'schen Schwebetheorie ausschließt, könnte eher mit dem Kieselhaushalt verknüpft sein. Auf gesicherterem Boden stehen wir, wenn wir die Beziehungen des Nannoplanktons zum Gasgehalt des Wohngewässers diskutieren wollen. Schädel hat auf Grund chemischer Analysen gefunden: „Dem Zentrifugen- plankton fällt die Aufgabe der Oj-Abgabe und der Beseitigung der durch Oxydation der gelösten .organischen Substanzen und den Lebensprozeß der Planktonten entstandenen COj zu." Natürlich ist nicht nur der Chemismus des Wassers vom Nannoplankton ausschlaggebend be- einflußt, vielmehr hängt auch Oualität, Quantität und Verteilung des Zentrifugenplanktons von den chemischen Bedingungen des Milieus ab, wie in besonders schöner Weise Ruttner am Lunzer Obersee nachgewiesen hat, in dem die sauerstoff- losen aber eisenreichen Wasserschichten unterhalb 10 m ein aus Trachelomonaden und Eisenbakterien zusammengesetztes charakteristisches Tiefen-Nanno- plankton beherbergen. Während wir gewohnt sind, die Planktonbio- cönose als eine in sich geschlossene, von den be- nachbarten Lebensbezirken unabhängige Lebens- gemeinschaft zu betrachten, zeigte mein erstes Untersuchungsobjekt auch in dieser Hinsicht eine Eigentümlichkeit, die zu weiteren PVagen auf- fordert. Im Frühsommer trat in dem betr. Ge- wässer in Unmenge ein kleiner Schwärmer auf, der sich nachträglich als Schwärmer von Botrydium entpuppte, welche Alge den Boden des Teiches dicht besiedelt hatte. So kann auch der Bodenflora — wenigstens bei einem seichten Gewässer — in den Stoffkreislauf des Nannoplanktons einbe- zogen werden und Ähnliches läßt sich auch für die Uferflora wahrscheinlich machen. Überhaupt scheint die Zentrifuge berufen zu sein, auch für Erschließung gewisser nichtplank- tonischer Lebensgemeinschaften wichtige Dienste zu leisten. Sowie wir oben gesehen haben, daß ein typisches Trachelomonas-Leptothrix-Plankton das chemisch vom Oberflächenwasser abweichende Tiefenwasser im Lunzer Obersee charakterisierte, so sind auch die H.,S-haltigen unmittelbar über organisch verunreinigtem Schlamm befindlichen Wasserschichten zumeist von einer hauptsächlich aus Rhodobakterien, aber auch Monas MüUeri u. a. Elementen zusammengesetzten Gemeinschaft von Lebewesen bevölkert, die in solchen Massen auf- treten, daß sie ganze Wolken bilden. Diese Gesellschaft kleinsterOrganismen, dient nun größeren Begleitorganismen, wie ich z. B. an einer Massen- entfaltung von Urocentrum turbo beobachten konnte, Abb. 5. Halopappus adriaticus Schiller. ebenso als Nahrung wie das Z-Plankton dem N-Plankton. Mit anderen Worten : Die Zentrifuge wird auch der von Lauterborn mit so über- raschendem Erfolg inaugurierten Sapropelforschung wertvolle Dienste leisten. Nach diesen mannigfachen Hinweisen auf die vielseitige Bedeutung des Nannoplanktons und der Loh mann 'sehen Methoden drängt sich dem mit diesem neuen Zweig der Planktonforschung noch nicht vertrauten Leser unwillkürlich wohl die Frage auf die Lippen: Wie sehen denn eigentlich diese neu entdeckten Bürger der pelagischen Zone aus und wie erbeutet und untersucht man dieselben? Bezüglich des letzten Punktes sei auf den vor 3 Jahren in dieser Zeitschrift von Bachmann veröffentlichten Artikel verwiesen. Über die mannigfachen Vertreter des Nannoplanktons seien aber doch einige Mitteilungen gemacht, die durch Abbildungen unterstützt es gestatten, mit dem Begriff Nannoplankton konkrete Vorstellungen zu N. F. XVIT. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 53 verknüpfen. Denn seit der noch so kurz hinter uns liegenden Zeit der PianktDnforschung, in der — wieEinar Naumann sich ausdrückte — das heute zum Laboratonum^miüeu gehörige dröhnende Summen der Zentrifuge noch nicht den Anbruch einer neuen Zeit der Planktonforschung ankündigte, hat die Zahl der neuen Arten, Gattungen und Familien derart zugenommen, daß aliein schon die qualitativen Ergebnisse der modernen Plankton- Abb. 6. Calciosolenia Grani Schiller. Adria. forschung uns noch auf Jahre hinaus fesseln werden. Dem Eindruck, unter dem wir bei der Betrach- tung dieser neuen Errungenschaft stehen, hat Ruttner gelegentlich seines der Wiener Natur- forscherversammlung erstatteten Berichtes über die Lunzer Nannoplanktonforschungen, sehr zu- treftend die Worte verliehen: „Und jetzt, wo man das Reich der Plankionbiocönose schon fast für erschöpft hielt, zaubert die Zentrifuge aus jedem Gewässer eine ganz neue, bisher größtenteils ver- borgene Welt von äußerst zarten und kleinen Organismen hervor, deren Unterbringung in den bekannten Gattungen oft große Schwierigkeiten bereitet." Diese Worte haben für das marine Plankton nicht minder Geltung wie für das Süßwasser. Welche Überraschungen haben uns nicht schon die Cocco- lithophoriden allein gebracht. Ehrenberg hatte bereits 1 836 ihre fossilen Skelette in der Kreide entdeckt, aber für an- organische Gebilde gehalten; die Erzeuger der von Ehren- berg gesehenen Skelette be- obachtete 1865 Wallich an der Meeresoberfläche, hielt sie aber für Entwicklungsstadien von Globigerinen. In der Folge- zeit begann man wohl die geolo- gische Bedeutung der winzigen Kalkskelette richtig einzu- schätzen, aber ihre wahre Natur blieb verborgen. Noch in der I. Auflage der Erdgeschichte von Neumayer wird bei der Erörterung der Tiefseesedimente über den integrierenden Be- standteil des Kreideschlickes gesagt: „Woher die kleinen Kalkkörper der Coccolithen und Rhabdosphären (Abb. 2) rühren, die zu Billionen und Trillionen den Meeresgrund bedecken, ist eine noch ungelöste Frage." Die Siboga- expedition enthüllte erst die Zugehörigkeit dieser Abb. 7. Syracosphaer.-! corni fera Schiller. Organismen zum Pflanzenreich, indem an der neu entdeckten „Corcophaera Sibogae' gelbe ChromatOjjhorcn beobachtet wurden. Um diese Zeit setzten auch Lo h m an n 's Arbeiten ein, die über die genauere Stellung der Cocculithophoridcn (Beziehungen zu den Chrysomonaden, die u. a. durch Öl und Leukosin als Assimilaiionsprodukten, und durch die Chromatophoren angedeutet werden), über deren Systematik und Biologie reichlich Aufschlüsse brachten. Die Coccolithophoriden sind Zellen, die meist 2 Pole unterscheiden lassen und deren Membran Kalkplättchen aufgelagert hat, die so glashell sein können, daß man z. B. bei Halopappus und Calcioconus durch sie hindurch das lebende Plasma beobachten kann. Während diese Scheibchen Abb. 8. Meringosphaera meoiterranea Lohm. Nach Schiller vermutlich die erste Grünalge mit Kieselmembran. 2000 X vergr. meist locker nebeneinander liegen, kommen sie bei Calciosolenia zur Berührung und Verschmelzung, so daß nur die polygonale Felderung der an- scheinend einheitlichen Schale deren wahre Natur verrät. Bei Calcioconus und Halopappus wird die Verschmelzung noch inniger, so daß nur die den Geißelpol umstellenden Stacheln den Cocco- lithenursprung der Schale andeuten. An einem der beiden oben erwähnten Pole hat nämlich die Zelle eine Öffnung, aus der I — 2 Geißeln heraus- treten und gerade im Umkreis dieser Öffnung sind die Plättchen oft zu Stacheln umgebildet: (Halopappus, Michaelsarsia, Najadea). In anderen Fällen, die allem Anschein nach der sog. Dämmerungsflora angehören, sind die abweichend geformten Panzerelemente längs des Äquators angeordnet: Syracosphaera, Deutschlandia. Zwar haben die in den letzten Jahren durchgeführten marinen Expeditionen immer neue Gattungen zutage gefördert, spiegelt ja die Nomenklatur 54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 4 dieser Gruppe die ganze Entdeckungsgeschichte wieder; doch immerhin ist die Artenzahl klein gegenüber anderen Gruppen(Diatomeen,Peridineen), die an Individuenzahl und an biologischer und geologischer Bedeutung den Coccoliihophoriden weit nachstehen. DieCoccolithophoriden lassen sich nach der Be- schaffenheit ihrer Skelettplättchen in zwei Gruppen sondern, die sich einerseits an Coccolithophora (die Art Wallichii (Abb. 2) ist dem eigentlichen Entdecker dieser Wesen zugeeignet) andererseits an Syracosphaera (der Name erinnert daran, daß Lohmann's bahnbrechende Arbeiten sich z. T. Abb. 9. Abb. 10. Cyclotella Rhodomonas lacustris aus dem Lunzer bodanica. See. Nach Ruttner. Leitformen des alpinen Nannoplankton. in Syracus abwickelten) anschließen. Dieser Zwei- teilung fügen sich nicht nur die von Loh mann aufgestellten Gattungen, sondern auch die jüngst entdeckten: die prachtvolle Michadsarsia, die 1910 die Michael-Sars-Expedition heimbrachte, der wir auch die Auffindung der merkwürdigen Calciosolenia verdanken sowie die Klarstellung der vorher den großen und sperrigen Formen, die das Netz heraufbringt, noch eine Fülle minder auffälliger Kleinformen aufweisen, so daß sie unter Um- ständen zu Leitformen einer Planktonprobe werden können. Navicula Weißflogii z. B. konnte Schiller in der Adria in einer Volksstärke von über 56 000 Exemplaren im Liter nachweisen. Wenn auch dieCoccolithophoriden und Silico- flagellaten dem Süßwasser fehlen und andererseits das Nannoplankton keine Organismengruppe auf- weist, die dem Süßwasser allein zukäme, so bietet doch das in unseren Seen und Teichen gewonnene Zentrifugenmaterial besonderes Interesse, teils weil Abb. 14. Chrysöcoccus dokidophorus Pascher. Nach Pascher. In Süßwasser und in kaum unter- scheidbarer Form in der Nordsee. es uns mit einer ganzen Reihe neuer Gattungen bekannt gemacht hat, teils wegen seiner biolo- gischen und ökologischen Bedeutung. Wenn wir, wie beim Überblick über die marinen Gruppen, wegen noch unzureichender Erforschung von einer Besprechung der Bakterien absehen, die gewiß an Zahl und Bedeutung zu den integrierenden Be- standteilen des Nannoplakton gezählt werden Abb. II. Lauterborniella elegantissima. Nach Schmi Abb. 12. Crucigenia Telrapedia Abb. 13. Tetrastrum alpinum Schmidle. Aus dem Davoser See, zwei Prolococcaceen des Nannoplankton. problematischen Gattung Meringosphaera, weiter die 191 1 von der „Deutschland" gefundenen Deutschlandia und Halopappus, sowie schließlich die beiden neuen Genera Lohmannosphaera und Najadea, mit denen uns die Najade gelegentlich ihrer Kreuzungen auf der Adria bekannt machte. Ganz im Gegensatz zu den Coccolithophoriden als kalkskelettbildenden Geißelpflanzen stehen die im übrigen systematisch ebenso isolierten und scharf umschriebenen, gleichfalls nur dem Meere angehörigen Silikoflagellaten als kieselskelett- bildende Geißelpflanzen. Bei ihrer geringen In- dividuenzahl sind sie zu biologischer und geolo- gischer Bedeutungslosigkeit verurteilt. Stärker vertreten erscheinen im Meere verschiedene Typen nackter Flagellaten und im allgemeinen auch die Diatomeen, die ähnlich wie die Peridineen außer müssen, so kommen in unseren Binnengewässern nackte Flagellaten und — in Teichen — einzellige Grünalgen und Blaualgen in erster Linie in Be- tracht. Die wenigen bisher durchgeführten Unter- suchungen lassen bereits erkennen, daß der Anteil der einen oder anderen dieser Gruppen an der Zusammensetzung des Nannoplankton eine öko- logische Sonderung mehrerer Kategorien von Gewässern ermöglicht; Seen mit kaltem Wasser zeigen ein Überwiegen von Chrysomonadinen (Chrysöcoccus punctiformis, Kephyrion, Kephyri- opsis, Chrysocapsa planctonica), Cryptomonadinen (Rhodomonas) und Cyclotellen, während Teiche, die wärmeres und an organischen Substanzen reicheres Wasser besitzen, speziell durch viele Protococcaccen ausgezeichnet sind, zumal durch jene Gruppe Stachel- und borstenbewehrter Zellen, N. F. XVn. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. deren Nomenklatur fast dem Register eines Bio- logenadreßbuches gleicht, so daß kaum eine zweite Organismengruppe so viel dazu beigetragen hat, die Namen unserer Hydrobiolugengeneration der Nachwelt zu überliefern. Bisher ist uns das Nannoplankton nur nach Stichproben bekannt; noch ist bisher keine Wasser- probe aus dem indischen, pazifischen, arktischen und antarktischen Ozean mittels der Zentrifuge untersucht worden und auch die meisten Binnen- gewässer Europas sowie alle außereuropäischen Süßwasser harren der Untersuchung nach Loh- mann's Methode. Manche überraschende Ent- deckung mag uns noch bevorstehen. Denn wenn Literatur. Brehm, V, Einige Beobachtungen über das Zentrifugen, planklon. Int. Rev. Hydrob, Bd. III, 1910. — , Probleme der modernen Planktonforschung III. Teil Eger I916. Colditz, F. V., Beiträge zur Biologie des Mansfeldei Sees. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 108. 1914. Cori, C. J., Über die Verwendbarkeit der Zentrifuge usw Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie Bd. 12. 1895. Dieffenbach, H. und Sachse, R., Biolog. Unter suchungen an Rädertieren in Teichgewässern. Int. Rev Hydrob. 1912. Suppl III. Hjort, J., Die Tiefsee-Expedition des „Michael Sars" ibidem Bd. IV. 191 1. Lantzsch, Studien über das Nannoplankton des Zuger sees. Zeitschr. f. wiss. Zoologie Bd. 108. 1914. Abb. 15. Aurosphaeraechinata Schiller, eine kieselschalige Protophylengattung aus derAdria, die nach Schiller auffällige Beziehungen zu Echinosphaeridium nordsted ti aus dem schwedischenSüßwasserpIankton zeigt. auch die hier in Betracht kommenden Organismen meist kosmopohtischen Charakter zu haben scheinen, und sogar oft gleichzeitig Bewohner des Süß- und Salzwassers zu sein vermögen [Phacomonas, Caly- comonas, Chrysococcus usw.] so gestatten sie doch zum mindesten biocönotische Unterschiede und die Anwendung der Zentrifuge bei Untersuchung von Wasserproben aus dem Kaspimeer, aus ver- schiedenenTropengewässern usw. kann noch Wesent- liches zur Erweiterung unserer Formenkenntnis kleinster Organismen beitragen. L o h m a n n , Neue L'ntersuchungen über den Reichtum des Meeres an Plankton. Wiss. Meeresuntersuchungen N. F. Bd. VII. 1902. — , Über das Nannoplankton und Zentrifugierung kleinster Wasserproben. Int. Rev. Hydrob. Bd. IV. 19U. — , Die Probleme der modernen Planktonforschung. Verh. Deutsch. Zool. Ges. XXII. 1912. Pascher, A., Über Nannoplanktonten des Sül3wassers. Ber. Deutsch. Bot. Ges. XXIX. — , Die Süßwasserflora Deutschlands. Jena 1913. — , Versuch zur Methode des Zentrifugierens. Int. Rev. V. Pütter, A., Die Ernährung der Wassertiere usw. Jenal9lo. Ruttner, F., Über die Anwendung von Filtration und Zentrifugierung bei den planktologischen Arbeiten an den Lunzer Seen. Int. Rev. Hydrob. Bd. II. 1909. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. Schädel, A., Produzenten und Konsumenten im Teich- plankton. Arch. f. Hydrob. IQiö. Bd. XI. Schiller. J., Bericht über Ergebnisse der Nannoplank- tonuntersuchungpn anl. der Kreuzungen S. M. S. Najade in der Adria. Int. Rev. Hydrob. 1914. — , Über neue Arten und Membranverkieselungen bei Meringosphaera. Archiv f. Protistenkunde. Bd. 36. 191Ö. — , Die neue Gattung Heterodinium. Eine neue kiesel- schalige Protophytengattung in der Adria. Archiv f. Protisten- kunde Bd. 36. 1916. Welt er eck, R., Die natürliche Nahrung pclagischer Cladoceren. Int. Rev. Hydrob. Bd. I. 1908. Rinloeische Beobachttineren von Göppingen (Württemberg;). 1. Üppige Epi- phytenflora auf Kopfweiden. Dicht neben der Straße von Göppingen nach Großeislingen läuft ein Seitenarm der Fils. Das Bachufer fällt unmittelbar vom Straßenrand aus einige Meter tief steil ab, unten läuft der Bach. Er ist auf der Straßenseite von Kopfweiden um- säumt. Diese wurzeln in der ersten Hälfte des Wegs etwa in der Mitte der steilen Uferböschung. Ihre Köpfe hängen etwas über das Wasser; sie stehen i V2 bis 2'/, m höher als der Straßen- boden. Diese Gruppe von Bäumen soll als Gruppe A bezeichnet werden. Auf der zweiten Hälfte der Straße gegen Eis- lingen zu wurzeln die Bäume auf der Straße selber, ihre Köpfe sind vom Bach weit entfernt, sie stehen 3—4 m über dem Straßenboden. Diese Bäume mögen die Gruppe B bilden. Jede der Gruppen enthält über 100 Bäume. Die Gruppe A zeigt eine ungewöhnlich große Zahl von Epiphyten (Überpflanzen); kein Baum ist hier frei, die meisten tragen mehrere Exem- plare, oft mehrere Arten. In Gruppe B sind die Epiphyten viel seltener, es kommt im Durchschnitt ein Exemplar auf 3 Bäume, auch ist ihr Wuchs kümmerlicher als in A. Der Grund für den auf- fallenden Unterschied liegt offenbar darin, daß die Pflanzen der Gruppe A viel reichlicher mit Straßen- staub gedüngt werden als die von B. Vielleicht macht auch die größere Nähe des Wassers etwas aus, wodurch die Pflanzen von A mehr F'euchtig- keit bekommen, aber das Wesentliche ist ohne Zweifel der Staub. Alle vorkommenden Über- pflanzen finden sich auch in unmittelbarer Nähe als Bodenpflanzen. Unter den Weiden finden sich auch einige Schwarzpappeln, die auch gestutzt worden sind und eine ganz ähnliche Kopfform zeigen, wie die Weiden. Sie sind auffalland arm an Überpflanzen. Auf 24 Pappelbäumen der Gruppe A fand ich im ganzen nur 4 Stück (i Lamium album, i Cheno- podium album, i Epilobium parviflorum, i Solanuin dulcamara, die 3 letzteren in kümmerlichen Stöcken). Der Unterschied gegenüber den Weiden liegt in folgendem: Die Weidenköpfe sind rissig, die Pappelköpfe nicht; letztere bilden vielmehr eine feste knorrige Masse. In den Rissen der Weiden- köpfe sammelt sich stets ein feiner Grus an, der teils aus verwittertem Holz und Laub, teils aus angeflogenem Staub besteht. Außerdem stehen bei den Weiden die Äste des Kopfes dicht und Kleinere Mitteilungen. in der Umgebung streben alle steil nach oben; so wird zwischen den Ästen am Grund leicht Staub festgehalten. Bei den Pappeln stehen die Äste weniger dicht und sie stehen mehr senkrecht von der Fläche des Kopfes ab; so sammelt sich zwischen ihnen kein Staub an. Im einzelnen fanden sich folgende Pflanzen: Solanum dulcamara sehr häufig, üppig ent- wickelt, reich fruchtend. Diese Pflanze fand sich auf dem Boden viel seltener und weniger gut entwickelt. Der Weidenkopf ist für sie offenbar der bessere Standort. Lonicera xylosieum, häufig; sie bildet recht an- sehnliche Busche, fruchtet aber auf den Weiden nicht; ich fand im ganzen nur ein Paar gut ent- wickelter Früchte. Sambucus nigra in 2 kümmerlichen Exemplaren; die geringe Zahl fällt auf, da der Strauch zwischen den Weiden häufig als Bodenpflanze wächst. Viburum lantana i Exemplar. Ribes nigrum i Exemplar gegenüber einem Bahnwärterhaus, das von Johannisbeerbüschen umgeben ist. Rubus I kümmerliches Exemplar. Die bis jetzt genannten beerentragenden Pflanzen werden bekanntlich von Vögeln verbreitet, die die Beeren fressen und die noch keimfähigen Samen mit dem Kot absetzen. Chelidonium majus häufig und gut fruchtend. Sie ist nächst Solanum dulcamara diejenige Pflanze, die auf diesem Standort am besten gedeiht. Die Verbreitung geschieht hier durch Ameisen. Die Samen besitzen einen ölhaltigen Zapfen, ein Elaio- som, der von den Ameisen gefressen wird; der Same bleibt dabei keimfähig. Er wird von Ameisen verschleppt. (Bei Palermo findet sich CheHdonium majus neben der anderen Ameisen- pflanze Viola odorata auf der Dattelpalme.) Geranium robertianum ziemlich häufig. Galeopsis tetrahit ziemlich häufig. Außerdem noch je i bis 3 Exemplare von Lamium album, Lamium purpureum, Urtica dioica, Capsella bursa pastoris, Artemisia vulgaris, Stella- ria media, Alliaria officinalis, Taraxacum officinale, Epilobium parviflorum. Die Windverbreitung spielt also ofTenbar eine viel geringere Rolle als die Verbreitung durch Tiere. 2. Hummeln, die den Zuckersaft der Blattläuse ausbeuten. Am Waldrand stehen einige Schlehenbüsche, die von Blattläusen besetzt sind. Die Läuse be- N. F. XVII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 57 wirken eine Verkrümmung und Kräuselung der Schlehenblätter. An einem einzigen Strauch kamen dadurch sehr merkwürdige Bildungen an den Enden vieler Sprosse zustan ie, die an gefüllte Röschen erinnern; im Innern dieser Blattiöschen sitzen die Läuse. Diese Blattröschen wurden sehr eifrig von langrüßligen Hummeln (Arbeiter der Gartenhummel) besucht; diese benahmen sich dabei genau wie beim Besuch von Blüten: sie krochen mit Kopf und Brust in die schmalen Öffnungen hinein, die am Grund der Röschen zwischen den Blattstielen blieben und leckten den süßen Saft der Blattläuse. Die benachbarten Sträucher, die auch Läuse besaßen, aber keine Röschen bildeten (die Sproßachse war hier nicht verkürzt), wurden von den Hummeln gar nicht beachtet; alle Sträucher wurden dagegen eifrig von Ameisen abgesucht. In einem Fall sah ich, wie eine Ameise aus dem Innern eines Röschens hervorstürzte und eine besuchende Hummel hefug angriff. Die Hummel flog auch davon, besuchte aber sofort ein anderes Röschen des Strauches. Der Rüssel der Hummel vermag offenbar gebor- genen Zuckersaft vi< 1 besser aufzunehmen, als frei- liegenden. Vielleicht ist auch ein bestimmter Berührungsreiz nötig, um die Hummel zum Be- such zu veranlassen. Th. Daiber. Einzelberichte. Physiologie. In den letzten Jahren wurde in den Tageszeitungen wiederholt gemeldet, daß es gelungen sei, mit Hilfe der Wün<;chelrute eine bis dahin unbekannt gebliebene unterirdische Wasser- quelle zu entdecken. Namentlich in wasserarmen Gegenden müßte eine solche Möglichkeit von gröiiter Bedeutung sein. Auch im gegenwärtigen Krieg wurde wiederholt berichtet, daß es gelungen wäre, mittels der Wünschelrute in der Nähe des Lagers gutes Trinkwasser ausfindig zu machen. Die Wünschelrute ist ein aus Holz oder Eisen bestehendes Stäbchen, meist eine am Ende ge- gabelte Haselnußrute. Sie wird horizontal getragen und soll durch Bewegungen ihres freien Endes das Vorhandensein von verborgenen Wasserläufen, von Metallschätzen u. dgl. angeben. Die Meinungen über den Wert oder Unwert des Verfahrens sind sehr geteilt. Während das Rutenproblem von den einen als Flunkerei, gewollter Schwindel oder ungewollte Selbsttäuschung mit Ablehnung be- handelt wird, sprechen sich die anderen rückhalt- los als Anhänger für dasselbe aus. Es gibt sogar einen Verband zur Klärung der Wünschelruten- frage. Die Geologen von Zürich, Heidelberg und Kiel äußerten sich sympathisch, während die Mehrzahl der Geologen, in ihrer Verbandssitzung 1910 eine Resolution zum Kampfe dagegen gefaßt hat. Die Physiker verhalten sich abwartend und ebenso die Mehrzahl der Mediziner. Energisch sprach sich aber der Wiener Psychiater Benedikt für das Rutenproblem aus. 1915 behandelte er es in der k. k. Gesellschaft für Ärzte, 191 7 veröffentlichte er in der „Zeitschrift für ärztliche Fortbildung" einen Aufsatz über „die Wünschelrute, das sidcrische Pendel und die Dunkelkammer in der Physiologie und Pathologie des Menschen". In Nr. 37 der „Münchener medizinischen Wochenschrift" macht Prof. Dr. 011p, Tübingen, Mitteilung von ganz staunenswerten Beobachtungen an einem Wünschel- rutengänger aus Ostafrika, welchen er im Tropen- genesungsheim in Tübingen beobachtete: Ein Wünschelrutengänger aus Ostafrika. 011p sagt : „Es scheint beim Rutenproblem zu gehen, wie es schon oft gegangen ist: die Wissenschaft sperrt sich gegen scheinbar unerklärliche Dinge, bis sie vom Gegenteil überzeugt ist. Ich erinnere nur an das Sonnenproblem, den Blitzableiter, den Phonographen , die Röntgenstrahlen und die Zeppeiinluftschifife, Dinge, die die Wissenschaft lange Zeit als Irrwahn, Schufterei und Unmöglich- keit hinstellte." Man wird den Ausführungen Ollp's nicht entgegentreten können, und seien deshalb einige seiner in obigem Aufsatz mitgeteilten Beobachtungen wiedergegeben. „Herr Müller gab in Gaupp's und meiner Anwesenheit, aber ohne unser Vorwissen, dem Rutengänger die Aufgabe, ausfindig zu machen, in welcher Tasche er Silbergeld bei sich trage. Prompt schlug die Rute vor der linken Hosentasche aus, in der sich das Silbergeld befand, während sich das Papier- geld der rechten Tasche in der gleichen Weise vorwölbte, wie die linke Hosentasche". Wie der Wünschelrutengänger mitteilt, mußten seine Kinder immer dort urinieren, wo das Ausschlagen seiner Rute das Vorhandensein eines unterirdischen Wasserlaufes anzeigte. Eines seiner Kinder litt an Bettnässen; die Rute schlug aus an dem Ort, wo das Bett stand, bis dasselbe um einen Meter verschoben wurde. Der von Ollp vorgeführte Rutengänger war aus dem Elsaß gebürtig, weder hereditär belastet noch somatisch abnorm; er kam als Missionar nach Ostafrika, hatte von der Rutengängerei bis dahin nichts gehört und wurde zum ersten Mal aufmerksam, als er bemerkte, wie ein Wetzstahl, welchen er zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand hielt, sich bewegte, als er über eine Bodenstelle kam, wo sich später beim Nach- graben eine Quelle vorfand. Seine Kinder mußten immer urinieren, wenn sie sich in der Nähe einer Quelle befanden, und sein Söhnchen litt an Bett- nässen, solange sein Bett an einer Stelle stand, wo ihm die Wünschelrute einen unterirdischen Wasserlauf anzeigte. In englische Gefangenschaft nach Indien gebracht, sah er, wie einer der beiden Tomms, die ihn bewachten, vom Blitze getroffen 58 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 4 wurde, und zwar gerade der, welcher über einer durch die Wünschelrute angegebenen Wasserader stand, während sein Kamerad verschont blieb, obschon er mit aufgepflanztem Bajonett neben ihm stand. Weiterhin entdeckte er, daß seine linke Körperseite anders reagiere als die rechte, und der Hinterkopf anders als der Scheitel. Das Rätsel, welches das Rutenproblem umschließt, wird auch dadurch kaum plausibler gemacht, daß man sagt, die Gammastrahlen fehlten über dem Wasser und führten für die Rutengänger bemerk- bare Änderungen der Atmosphäre herbei. Aus einer Anzahl weiterer Beobachtungen, welche an dem vorgenannten Rutengänger gemacht wurden, geht mit Sicherheit hervor, daß sein Körper ganz besondere elektrische Eigenschaften hat. So wurde z. B. von ihm mit den Händen bestrichenes Papier elektrisch geladen, die Rute schlug nach der be- druckten Seite des Papiers aus, nach derunbedruckten Seite nicht, indem das Papier selbst offenbar als Isolator diente usw. Wie nicht anders zu erwarten war, ist also nicht die Wünsciielrute als solche, sondern der Wünschelrutengänger selbst das aktive Subjekt und letztere nur das Instrument in seinen Händen, welches als Werkzeug die Ver- änderung anzeigt, welche die Umweh in ihm erzeugt. Kathariner. • Zoologie. In „Taktik Tiere" (Biol. Zentral- blatt, 37. Band, Nr. 8, 1917) reiht Szymanski den beiden biologischen Gruppen, der osmatischen und optischen Tiere, welche sich durch den Ge- ruchsund den Gesichtssinn über ihre Umgebung unterrichten können, eine dritte Gruppe, die taktilen Tiere an. Dieselben entbehren der höheren Sinnes- organe gänzlich, reagieren aber um so besser auf Verschiebungen fester Körper ihrer Umgebung, etwa Sandkörner, und Wellenbewegungen des Wassers, welche sie durch Druckschwankungen wahrzunehmen befähigt sind. Alle ihre Sinnes- wahrnehmungen beschränken sich also auf Tast- empfindungen und dienen ihnen zur Erreichung der Nahrung und zum Schutz vor feindlichen Nachstellungen. Um letzteren zu entgehen, ziehen sie sich blitzschnell in ihre Wohnröhren zurück. Alle sind nämlich sessil und leben in einem homogenen Medium, stecken also im schlammigen Grund eines Gewässers, wie die Röhrenwürmer (Tubifex), oder leben in sichzersetzenden orga- nischen Körpern, wie die Insektenmaden usw. S. beschreibt das Verhalten seiner Versuchstiere. Als solche verwandte er die im schlammigen Grund von Gräben, Bächen usw. häufigen Röhren- würmer (Tubifex). Die Tiere stecken mit dem vorderen Körperende im Grund, während das Hinterende frei im Wasser pendelt. Wurden nun die Würmer in einem Glasgefäß in der Dunkel- kammer von unten her vom Licht einer 32 kerzigen Lichtquelle betroffen, so zogen sie sich rasch in eine dünne Sandschicht zurück. Da ihnen dieselbe auch gegen das Licht keinen Schutz bieten konnte, sie ihr aber doch zustrebten, liege hier ein Ausnahmefall vor. Bei den taktilen Tieren wirke nämlich sonst das Licht abschreckend, es wäre also im vorliegenden Fall der positive Stereo- tropismus stärker als der negative Phototropismus. Zu den taktilen Tieren rechnet S. auf Grund ihrer Lebensweise seßhafte Wasserbewohner, Maden und seßhafte Larven (Larve des Sandlaufkäfers und andere). Die alleinige Betrachtung der Lebens- weise genüge nicht zur Entscheidung der Frage, ob man ein taktiles Tier vor sich habe; vielmehr müßten die einzelnen Sinnesreaktionen analytisch untersucht werden. Daran aber fehle es zurzeit fast gänzlich. Lediglich von der Larve des Ameisen- löwen wisse man, daß bei ihr die Thigmotaxis wirksamer sei als alle anderen Reize. Kathariner. Wiederkehrende Tertiärzeit ? Manche deutsche Faunisten vertreten die Ansicht, daß das Klima in Mitteleuropa allmählich wärmer werde, und daß auch faunistische Tatsachen dies anzeigen. Schrittmacher dieser namentlich bei Ornithologen verbreiteten Lehre ist W. Schuster. Von ihm liegen mir einige einschlägige Arbeiten vor,*) denen etwa folgendes zu entnehmen ist. Ornithologische Beweise liefern nach Schuster (l, 2) eine große Anzahl von Singvögeln und anderen Vogelarten, die, obwohl eigentlich Zug- vögel, mit den Jahren immer zahlreicher in Deutsch- land zu überwintern pflegen, ferner solche Vogel- arten, die ihr Brutgebiet immer weiter nach Norden verlegen. Zur ersten Gruppe werden gezählt: Star, Weiße und Graugelbe Bachstelze, Trauer- bachstelze, Heckenbraunelle, Mönchsgrasmücke, Girlitz, Rotkehlchen, Feldlerche, Wiesenpieper, Hausrotschwanz, Braunkehlchen, Grauammer, Heide- lerche, Rohrammer, Singdrossel, Amsel, Weibchen und Jungvögel des Buchfinken, der Kleine graue Würger, Turmfalke, Königsweihe, Korn-, Rohr-, Wiesenweihe, Ringel- und Hohltaube, Kiebitz, Bruchwasserläufer, Punktierter Wasserläufer, Dun- kelfarbiger Wasserläufer, Rotschenkel, Großer und Regenbrachvogel, Kranich, Wasserralle, Große und Kieme Sumpfschnepfe, Heerschnepfe, Bläßhuhn, Pfeifente, Wachtel. Zur zweiten Gruppe: Girlitz, Blaudrossel, Steinmerle, Schwarzkehlchen, Feld- ammer, Zaunammer, Zippammer,Grauammer,Haus- rotschwanz,Alpensegler,Trauerfliegenfänger, Zwerg- fliegenfänger, Haubenlerche, Zwergtrappe, Steppen- huhn, Pirol, Karmingimpel, Rosenstar, Haubenlerche, ') W. Schuster: I. Schwalbensterben 1909. Zool. An- zeiger Bd. XXXV, Nr. 3, 1909. — 2. Die Vogelwelt und die Tertiärzeit. Ornithologische Anzeichen einer wiederkehrenden „Tertiärzeit". Natur und Haus, Jahrg. XVI, Heft 10. — •?. Warum, wie und wann ist die stahlblauflügelige grofle i-lolzbiene (Xylocopa violacea) bei uns im Untermaintal ein- gewandert? Societas entomologica, Jahrg. XXIII, S. 85— 90. — 4. Biologische Umwälzungen, insbesondere bei Leporiden und Sciuriden. AUgem. Forst- und Jagdzeitung, Dezemberheft 19 16. Wie stellen sich die Naturforscher Nachweise, daß ornithologische Anzeichen verschiedener Art auf eine wiederkehrende „Tertiärzeit", d. h. eine zukunftige wärmere Zeitepoche, hindeuten? S. A. N. F. XVn. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 59 Berglaubvogel, Nachtigall, Rebhuhn, Wachtel, Storch, Kormoran, Rohrdommel, Knäckente. Schwalben und Segler endlich sollen bei uns immer öfter zu überwintern versuchen und dabei ein- gehen. Das wäre also eine sehr große Zahl von Vogelarten, eine erdrückende Menge von Beweisen wäre es, wenn alle Beispiele beweisend wären. Aus der Kerbtierwelt werden angeführt (i, 2, 3) : Totenkopf, Oleander-, Ligusterschwärmer, Italie- nischer Labkrautschwärmer, Großer Weinvogel, Zaunlilienfalter, Honiggrasfalter, Schwarzer Bär, Silbermönch, Hermelinfell, Traubenlecker, Bläuliche Heuschrecke, Klapper-, Wander-, Sattelträgerheu- schrecke, Rauhe Sandwespe, Französische Papier- wespe, Stahlblauflügelige Holzbiene, der Schmetter- lingshafi Ascalaphus meridionaüs, die Schildwanze Tetyra nigrolineata und andere mehr. Aus der Säugetierwelt werden folgende Tat- sachen angeführt (4): Die deutschen Hasen müssen ehedem durchweg Waldtiere gewesen sein. Heute sei zu unterscheiden zwischen Waldhasen. Busch- hasen und Feldhasen, und gegenwärtig verschwinde der Waldha-iC immer mehr, da der Hase den Schutz des Waldes vor Wind und Wetter immer mehr entbehren könne. Das Eichhörnchen ver- zichte immer mehr auf die Winterruhe. Das Kaninchen sei aus einem Höhlentier vielfach zum Freilandbewohner geworden. Auch noch aus anderen Tierklassen scheint Schuster Beispiele zur Hand zu haben. Wieder- holt weist er darauf hin, daß die Strenge der Winter im allgemeinen abgenommen habe. Zahlreich sind, nach S c h u s t e r (5), die Namen derer, die sich Schuster's Auffassung ange- schlossen haben. Der bekannteste unter ihnen ist Simroth. In seiner „Pendulationstheorie" ') ver- wendet Sim rot h die Sc hu st er 'sehen Angaben zur Stütze seiner eigenen Darlegungen. Schuster schließt sich der Pendulationstheorie an, mißt ihr eine annähernd ebenso große zukünftige Bedeu- tung bei wie manchem Werke Darwin's und betont dabei, daß er, Schuster, zu seiner Idee der Wiederkehrenden Tertiärzeit, obschon sie mit der Pendulationstheorie konvergiert, bereits vor der Konzeption der letzteren durch den ver- storbenen Ingenieur Reibisch und durch Sim- roth gekommen sei. Nun hat auch Simroth unlängst die Augen geschlossen, nachdem er die letzten zehn Jahre seines arbeitsreichen Lebens der Pendulations- theorie gewidmet hat und schließlich noch wenige Tage vor seinem Tode den Beitrag „Weichtiere" zur vierten Auflage von „Brehm's Tierleben" satzfertig ablieferte. Er lebt fort in der Wissen- schaft auch als der Verfasser eines gehaltvollen Buches über die Entstehung der Landtiere und zahlreicher Arbeiten über Anatomie und Systematik der Mollusken, besonders der Arioniden. Aus Anlaß der Darlegungen Schuster's sei hier kurz auf die Pendulationstheorie eingegangen. Der kritischeStandpunkt des Referenten ist der von sehr vielen Forschern, die dabei die hohen Verdienste des Forschers und des beliebten Lehrers Simroth keineswegs verkennen und auch der Pendulationstheorie denWert einer Arbeitshypothese beimessen müssen. Denn das hat Simroth er- reicht, daß seine Theorie viele Freunde gefunden und viele Anregungen verbreitet hat, und besonders in der Lehre von der „Wiederkehrenden Tertiärzeit", scheint es, wird die Pendulationstheorie zu einem gewissen Teile fortleben. Die Pendulationstheorie besagt bekanntlich, die Erde schwinge langsam um 30 bis 40 Grad um eine durch Ecuador und Sumatra gehende Achse. Die beiden Schwingpole, Ecuador und Sumatra, hätten daher immer das heutige Klima gehabt, in den dazwischen liegenden Erdteilen dagegen, und ganz besonders in denen, die in der Mitte zwischen beiden Polen liegen, wie der 10. Grad östlicher Länge von Greenwich, der die Alpen in Ost- und Westalpen scheidet und Deut>chland durchquert, sei das Klima abwechselnd wärmer und kälter geworden. So schwankte Europa im Paläozoikum nach Norden bis zur permischen Eis- zeit, von da an nach Süden bis zur subtropischen Kreidezeit, im Tertiär wieder nach Norden bis zur zweiten Eiszeit, dem Diluvium, und seitdem wieder, so auch gegenwärtig noch, nach Süden. Länder, die sich äquatorialer Lage nähern, müssen wegen der abgeplatteten Gestalt der Erdkugel teil- weise unter Wasser tauchen. Die so zustande- kommenden Iiiundationen und die Klimaverände- rungen bringen es mit sich, daß im Laufe der Zeit zahlreiche Organismenarten aussterben, andere west- oder ostwärts auswandern, um unter gleichen Lebensbedingungen zu verbleiben, wieder andere sich den neuen Bedingungen anpassen und sich dabei in ihrer Gestalt verändern. Die Pendulation ist also auch eine Ursache der Artveränderungen. Überaus zahlreiche Feststellungen aus der Zoologie werden als Beweise dieser Lehre angeführt, und gar manche könnten recht einleuchtend erscheinen, andere, darunter die nach dem Referenten ange- führten, weniger. Gegen die Pendulationstheorie kann angeführt werden, daß keine astronomischen Beweise für sie vorliegen, obwohl solche, und zwar eine in den Jahrtausenden der menschlichen Geschichte bemerkbar gewordene Verschiebung des Stern- himmels, vorliegen müßten; ferner, nach E c k ardt,^) daß, wenn auch Ecuador dauernd unter tropischem Klima gelegen haben mag, das für Sumatra nicht zugetroffen haben kann, da sich in seiner Nähe die großen paläozoischen Vereisungszentren finden. Europa hinwiederum hatte im Permokarbon keine typische Eiszeitlage, sondern Steppen- bis Wüsten- klima. Die Pendulationstheorie kann somit als ein Schema gelten, in das viele, aber nicht eben alle ') Leipzig 1917, Grethlein's Verlag. ') R. Eckardt, Paläoklimatologie. Leipzig 1910. 6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. faunistisch-tiergeographischen und tiergeschicht- lichen Tatsachen hineinpassen. Ähnlich wird über die Lehre von der Wieder- kehrenden Tertiärzeit zu urteilen sein. Zunächst, daß die Winter immer milder würden, ist zwar eine weitverbreitete populäre Rede, die ja auch nicht unbedingt durch den einen strengen Winter 1916/17 widerlegt würde, die aber nicht im Einklang steht mit den Erfahrungen der Schweizer Geologen von einem gesetzmäßigen Vordringen und Zurückgehen der Gletscher in einer Periode von etwa 50 Jahren. Unter den von Schuster angeführten tier- geographischen Tatsachen sind wohl das von ihm erwiesene Vordringen des Girlitz in westöst- licher Richtung und das von V. Haecker nach- gewiesene des schweizerischen Berglaubvogels, Phyllopneuste montana, nach Norden auf beiden Schwarzwaldseiten, in Württemberg und Bayern un- bedingt zuzugeben. Das Vordringen der Schnepfe als Bnitvogel wird gleichfalls von vielen anerkannt; nach häufigen Eindrücken möchte man es für den Star, vielleicht sogar für den Stieglitz als Über- winterer zugeben; dagegen werden derartige Er- scheinungen beim Storch, wie übrigens Schuster selbst angibt, auf Ursachen der menschlichen Kultur beruhen, ebenso bei der Amsel, und für die große Mehrzahl der übrigen erwähnten Vogel- arten ist der mögliche Einwand nicht widerlegt, den Schuster (2, Seite 149) selbst erwähnt, „daß es in den letzten Jahrzehnten eine bessere, ausgedehntere und intensivere Vogelbeobachtung gegeben hat als jemals in allen früheren; es können demnach leicht Vorgänge als neu bezeichnet werden, die zwar alt sind, aber früher nicht be- merkt wurden". Daß die Stahlblauflügelige Holz- biene ') erst im Zeitraum der letzten 50 Jahre bei uns eingewandert sei, mag nach Schuster (3) wahrscheinlich sein, aber für die Mehrzahl der übrigen erwähnten Kerbtiere erscheint eine derartige Angabe wiederum recht subjektiv und läßt Zweifel zu, ob sie nicht lediglich auf mit der Zeit besser gewordener Beobachtung beruht.") Auch die Angaben über die Haartierwelt, die fürs Kaninchen von Heck in Brehm's Tierleben anerkannt werden, scheinen, obschon man einen Waldhasen und einen matter gefärbten Feldhasen als Farbenabänderungen unter- scheiden kann, in vielem noch der Prüfung be- dürftig, zunächst an und für sich, sodann im Hin- blick auf ihre Beweiskraft für eine wiederkehrende Tertiärzeit. Soviel ist ja zweifellos, daß es seit der Eiszeit wärmer geworden ist. Sollte aber wirklich die Abkühlung noch andauern, so wäre höchst frag- lich, ob man das in der kurzen Beobachtungsdauer von zwei Menschenaltern merken könnte; denn ') Sie ist die auffälligste Erscheinung aus der Kerbtier- weit an der Aisne. ') Das von mir festgestellte Vordringen der Spitzschnecke Physa acuta nach Deutschland seit etwa 1^/2 Jahrzehnten beruht sicher auf Gärtnerkultur und ist für mich nicht ein Beweis zunehmender Wärme. die Eiszeit mag um 30 000 Jahre, also um das loootache eines Menschenalters, zurückliegen. Wohl aber ist ganz gut denkbar, daß manche Tier- art in ihrer Verbreitung nach Norden mit dem wärmer werdenden Klima nicht Schritt gehalten hat und dies jetzt mit Verspätung beschleunigt nachholt. Dann könnte ihr Vordringen innerhalb einer Be- obachtungsdauer von einigen Jahrzehnten sehr wohl bemerkbar werden. Somit könnten die wirk- lich feststehenden Tatsachen gedeutet werden als Nachwirkungen desWeichens der Eis- zeit. In diesem Sinne hat die genaue Feststellung weiterer derartiger Tatsachen hohen Wert; er- warten kann man wohl, daß es ihrer bei genauer kritischer Sichtung nicht zu viele werden! Denn gerade weil in verhältnismäßig kurzer Zeit nur ein beschleunigtes Nachrücken bemerkbar werden kann, ist diese Feststellung eher bei einer ge- ringen als bei einer großen Zahl von Tierarten zu erhoffen. V. Franz. Pharmakologie. Über deutsches Opium. Das für die heutige Medizin unentbehrliche morphin- haltige Opium, bekanntlich der erstarrte, aus den angeritzten Kapseln des Mohnes (Papaver somni- ferum) hervorgequollene Milchsaft, kommt aus Kleinasien, Persien usw. Schon lange aber — zuerst wohl 1829 durch den Erfurter Apotheker Friedrich Biltz — ist erwiesen, daß sowohl Nord- wie Süddeutschland für den Mohnbau und für die Gewinnung eines morphinreichen Opiums geeignet sind. Doch die zahlreichen Anbauver- suche im Laufe der letzten fünfzig Jahre, bald hier, bald dort unternommen, führten zu keinen besonders ermutigenden Ergebnissen. Die Kultur des Mohnes mißlang öfter infolge ungünstiger Witterungsverhältnisse, auch erwies sich das ge- erntete Opium und der darin festgestellte Morphin- gehalt — meist etwa 10 "/o — als zu gering, um den Anbau bei unseren hohen Arbeitslöhnen noch lohnend zu gestalten. Trotz dieser vielen Miß- erfolge hat es in den letzten Jahren doch nicht an Stimmen gefehlt, die sich zugunsten einer neuen Inangriffnahme einer Opiumkultur in Deutschland ausgesprochen haben. So hat Ge- heimrat H. T h o m s - Dahlem (Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 1917, S. 521 ff.) in den Jahren 1904 bis 1907 Anbauversuche mit ver- schiedenen Mohnsorten vorgenommen. Er stellte dabei fest, daß sowohl der weiß- wie der blau- samige deutsche Mohn ein alkaloidreiches Opium auch in unseren Breitengraden liefert (H. Thoms: Über Mohnbau und Opiumgewinnung. Berlin 1907). Doch war die Opiumgewinnung, wenn unsere Arbeitslöhne der Produktion zugrunde gelegt wurden, nicht rentabel; das Produkt vermochte im Preise nicht mit dem türkischen und bulga- rischen zu konkurrieren. Nichtsdestoweniger er- schien ein Vorschlag Lindes beachtenswert, durch Erforschung geeigneter Kulturbedingungen den Ertrag von Morphium wesentlich zusteigern, N. F. XVn. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6i „da der Preis des Opiums sich nach dessen Morphingehalt richte, so daß ein solches von 20 °/q Morphin etwa doppelt so viel kostet wie ein anderes mit 10 "/q." Der Weltkrieg mit seiner Erschwerung der Zufuhr ausländischer Drogen hat nun dazu geführt, daß man wieder auf das alte Problem zurückge- griffen hat. Der Gedanke, die Mohnkultur und die damit verbundene Gewinnung des Opiums könnte nicht voll arbeitskräftigen Invaliden manche Verdienstmöglichkeit schaffen, hat dabei eine Rolle gespielt. Im vergangenen Sommer ließ 'I'homs auf einem Gute in Schlesien, dessen Böden für eine Opiumkultur geeignet erschienen, eine größere Mohnanpflanzung anlegen, nachdem die Anwen- dung besonderer Düngemittel möglichst günstige Wachstumbedingungen geschaffen hatte. Das ge- wonnene Opium enthielt nicht weniger als 22 "Iq Morphin, berechnet auf trockenes Opium. Es ist dies ein besonders günstiges Ergebnis, denn dieser Gehalt übersteigt die Werte des türkischen und bulgarischen Opiums bei weitem. So ist aller Grund vorhanden, die Frage der Gewinnung eines deutschen Opiums wieder aufzunehmen, denn gelingt die dauernde Erzeugung eines so hohen Alkaloidgehaltes — sorgfältige Berücksichtigung der klimatischen Verhältnisse und der Kulturböden Deutschlands lassen hier viel erhoffen — , dann wäre die Opiumgewinnung in Deutschland selbst bei unseren hohen Arbeitslöhnen lohnend. (G.C.) Olufsen. Hygiene. Fische als Überträger von Infektions- krankheiten. Da die auf die eine oder dicandere Weise ins Wasser gelangenden Krankheitskeime nicht gleich zugrunde gehen, sind alle Oberflächenwässer in bewohnten Gegenden im allgemeinen als ver- dächtig anzusehen. So konnten Cholerakeime in Teich- und Flußwasser 24 Stunden bis zu mehreren Monaten lang, je nach den Bedingungen, lebend nachgewiesen werden. Ähnlich verhielt es sich mit Typhusbakterien. Nach diesen Befunden erhebt sich sofort die Frage, ob diese oder ähn- liche Krankheitserreger auch in die Fische gelangen können. Fürth (Zeitschrift f. Hygiene u. Infek- tionskrankh., 1907, Bd. 57) hat hierüber experi- mentelle Untersuchungen angestellt, indem er Goldfische mit pestbakterienhaltigem Material j fütterte. Das Ergebnis war, daß die Fische tat- I sächlich mit ihrem Lebenselement Pestbakterien in sich aufnehmen und, ohne Krankheitserschei- nungen zu zeigen, mehrere Tage nach Einfuhr von Pestmaterial, Pestbakterien beherbergen und sie mit ihrem Kote — bei Fürth 's Versuchen 5 Tage lang — ausscheiden können. Diese Ver- suchsergebnisse sind schon deshalb bemerkens- wert, weil manche Fische bekanntlich an Kadavern nagen. Besonders ist das vom Aale bekannt. Es ist also wohl kein Zweifel, daß dieser oder andere Allesfresser und Raubtiere unter den Fischen durch über Bord geworfene Pestratten und -mause infiziert werden können. Durch andere Versuche — des Hamburger Hygienischen Institutes — gelang der Nachweis, daß z. B. Aale, Stinte, Sturen und Butte Typhusbakterien aus dem Wasser in großer Zahl in sich aufnehmen können, wenn sie eine Zeitlang in Wasser gehalten werden, das mit Typhusbazillen infiziert ist. Auch ist bekannt, daß Schalentiere (Austern), roh gegessen, gelegent- lich Anlaß zu Typhuserkrankungen geben. Es ergibt sich nun weiter aus diesen Feststellungen die Frage von großem allgemeinen Interesse, ob diese in die Fische übergegangenen höchst gefähr- lichen Krankheitskeime durch den üblichen Koch- und Bratprozeß sicher abgetötet werden. Unter- suchungen, die diese Frage klären sollten, sind besonders von Prof. Dr. Kister und Dr. Gaeth- gens im Hygienischen Institut in Hamburg (Blätter f. Volksgesundheitspflege, 1917, S. 15 — 18) angestellt. Die, wie oben schon erwähnt, mit Typhuskeimen aus dem Wasser infizierten Fische wurden nach dem Abtöten gargekocht bzw. gar- gebraten und darauf Darm und Muskelfleisch auf Typhuskeime untersucht. In keinem F'alle ko nnten bei richtiger Zubereitung in den Fischen Keime nachgewiesen werden, während es an Kontrollfischen ein leichtes war, sie aus den rohen Tieren wieder herauszuzüchten. Hiernach erscheint bei richtiger Zubereitung der iMsche, selbst wenn sie reichlich mit menschlichen Infektionserregern behaftet sein sollten, was immer- hin nur selten vorkommen wird, eine Infektions- gefahr nicht vorzuliegen. Allerdings wäre, beson- ders bei großen Fischen, in welche die Hitze nur schwer und langsam eindringt, darauf zu achten, daß sie bei der Zubereitung gehörig durchgekocht bzw. durchgebraten sind. Im Innern vorhandenes rotes, noch flüssiges Blut ist ein Beweis dafür, daß die Koch- und Brathitze nicht in hinreichen- dem Maße eingedrungen ist. Olufsen. Bakteriologie. Daß die bakterielle Darmflora des gesunden Menschen für diesen nicht gleich- gültig sei, ja zum Teil von besonderem Nutzen, diese Erkenntnis ist auch weiteren Kreisen bereits bekannt gewesen. Im wesentlichen hat es sich aber auch in wissenschaftlichen, medizinischen Kreisen hier nur um Vermutungen gehandelt, einen direkten Nutzen gewisser Bakterienarten für den Träger hat man wohl mit Sicherheit bisher nicht nachzuweisen vermocht. Einer der häufig- sten und stets vorhandenen Darmbakterien ist der Kolibazillus, der in einer großen Zahl verschiedener Rassen bekannt geworden ist. Über die Unter- scheidung dieser Rassen und über die Nutzbar- machung einzelner Kolistämme für die Bekämpfung anderer, pathogener Datmbakterien hat Nißle bemerkenswerte Mitteilungen gemacht (Deutsche medizin. Wochenschrift 1916 Nr. 39). Von der Tatsache ausgehend, daß in vielen Fällen bei der Aussaat von 2 verschienen Bakterienarten auf dem Kulturnährboden die eine Art die andere im Wachstum behindert und so ein gewisser Ant- 62 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. agonismus zwischen beiden sich geltend macht, hat Nißle Bouillonröhrchen mit Typhusbazilllen be- impft, denen er später noch Kolibazillen hinzulügte. Eine spätere Aussaat dieser doppekbeimpfien Bouillonröhrchen auf Endoagarplatten gab dann die Möglichkeit, festzustellen, in welchem Verhält- nis die Typhusbazillen sich zu den Kolibazillen entwickelt hatten. Hierbei stellte sich nun das Ergebnis heraus, daß bei den einzelnen Impfungen das Verhältnis beider Bakterienarten zueinander ein sehr verschiedenes war, daß aber bei dem gleichen Kolistamm bei weiteren Versuchen das Verhältnis stets gleich blieb. Die einzelnen Koli- stämme ließen sich gewissermaßen in dieser Weise voneinander unterscheiden. Durch Auszählen von loo — 200 Kolonien wurde von Nißle das Ver- hältnis bestimmt und auf die Einheit von 100 Kolonien des Kolibazillus umgerechnet. Dieses berechnete Verhältnis bezeichnet Nißle als den antagonistischen Index. Es fanden sich nun Koli- stämme, die das Wachstum der Typhusbazillen fast ganz unterdrückt hatten, z. B. ein Stamm mit dem Index 100 : 3 (d. h. auf 100 Kolikolonien 3 Typhuskolonien), während andere Stämme gegen die Typhusbazillen nicht wesentlich aufkommen konnten, z. B. ein Stamm mit dem Index 100 : 4050. Ebenso wie gegen Typhusbazillen verhielten sich die Kolistämme auch gegen andere pathogene Darmbakterien. Es zeigte sich dann, daß in den Stühlen Darmkranker die schwachen Kolistämme überwiegen, während umgekehrt Menschen mit großer Widerstandsfähigkeit gegen Darminfektionen starke Kolistämme aufwiesen. Von diesen Ergebnissen ausgehend wurde ver- sucht, die starken Kolistämme durch Verabreichung derselben im Darm von Besitzern schwacher Stämme anzusiedeln. Dies gelang. Es lag nun auf der Hand, noch den weiteren Schritt zu tun und den Versuch zu machen, infektiöse Darm- erkrankungen auf die Weise zu bekämpfen, daß man stark antagonistische Kolistämme verabreichte, um durch diese die sich im Darm aufhaltenden pathogenen Bakterien zu bekämpfen. Es gelang auf diese Weise eine Anzahl von Darmerkrankungen zur Heilung zu bringen. Auch auf die sogenannten Bazillenträger, d. s. Leute, die ohne eigentliche Erkrankung noch pathogene Bakterien ausscheiden und so die Erkrankung verschleppen zu vermögen, wurden die Versuche ausgedehnt. Nißle konnte hier ebenfalls Erfolge erzielen. Von Langer wurden diese Ergebnisse nach- geprüft und zwar, indem mit den gleichen Stämmen gearbeitet wurde, mit denen auch Nißle gear- beitet hatte (Langer, H., Der antagonistische Index der Kolibazillen, Deutsche mediz. Wochen- schrift 1917 Nr. 42). Es konnte bestätigt werden, „daß die einzelnen Kolirassen in der Tat konstante Werte (des antagonistischen Index) geben". Weitere Untersuchungen zeigten, daß die schwächeren Stämme im allgemeinen weit häufiger vertreten sind als die stärkeren. Bemerkenswert ist dann wieder, was Langer bei seiner Behandlung von Bazillenausscheidern mit starken Kolistämmen er- reichte. Bekanntlich siedeln sich die Typhus- bazillen in den oberen Darmabschnitten, Dyscnieiie- bazlllen in den unteren Teilen an, woselbst auch die Kolibazillen ihren Hauptsitz haben. Theore- tisch lag es also schon nahe, anzunehmen, daß sollte sich überhaupt eine therapeutische Beein- flussung durch die Kolibazillen geltend machen, diese vor allem in Falten, in denen es sich um Dysenteriebazillen handelte, zu erwarten war. Und in der Tat gelang es auch Langer, in den be- handelten Fällen von Dysenteriebazillenträgern die Dysenteriebazillen durch Verabreichung von starken Kolistämmen zum Verschwinden zu bringen. Ent- sprechend den theoretischen Voraussetzungen blieb bei Behandlung von Typhusbazillenausscheidern der Erfolg aus. In diesen Untersuchungen haben wir ein Beispiel, wie auch die nichtpathogenen Bak- terien der Darmflora des Menschen im Kampfe gegen die pathogenen Arten von Bedeutung sein können und in welcher Weise wir uns diese Be- einflussung etwa vorzustellen haben. Dr. Willer. Physik. Für die während des Krieges häufig beobachteten Anomalien in der Ausbreitung des Schalles (Zone des Schweigens, Zone abnormer Hörbarkeit) hat man drei verschiedene Erklärungen aufgestellt. Die erste sucht die Erscheinungen durch die Windverhältnisse (Windrichtung und Änderung' der Geschwindigkeit mit zunehmender Höhe) zu erklären, die zweite, — sie stammt von V. d. Borne — nimmt an, daß die Schallstrahlen an der Grenze der in großer Höhe wahrscheinlich vorhandenen Wasserstoffatmosphäre reflektiert und gebrochen werden, so daß sie wieder nach unten gelangen. Diese Theorie hat — es wurde in der Naturw. Wochenschr. mehrfach darüber berichtet — wenig Wahrscheinlichkeit für sich ; die Dämp- fung der Schallwellen beim Fortschreiten durch verschieden temperierte Luftschichten und nament- lich in der stark verdünnten Luft in größerer Höhe ist so beträchtlich, daß nur eine Welle von äußerst geringer Intensität bis zu dieser großen Höhe vordringen wird; der wieder zu Erde ge- langende Teil wird äußerst wahrscheinlich über- haupt nicht wahrnehmbar sein. Die dritte Theorie stammt von Fr. Nölke: sie nimmt eine Reflexion der Schallstrahlen an der Grenze verschieden temperierter Luftschichten an (werden Licht- strahlen an solcher Grenzfläche reflektiert, dann gibt das Veranlassung zum Auftreten von Luft- spiegelungen). In der Physikal. Zeitschr. (XVIII (1917) 501) führt F r. N ö 1 k e einige Beobachtungen und Erscheinungen an, die zugunsten seiner Hypothese sprechen. Im Beginn des Krieges (Okt. 14 bis Jan. 15) hat van Everdingen in Holland Schallbeobachtungen an Geschützdonner angestellt und gleichzeitig die meteorologischen Daten von 6 Wetterstationen (3 holländischen und 3 deutschen) in Betracht gezogen. In den 8 Fällen waren die Windverhältnisse einer Schallausbreitung N. F. XVII. Nr. 4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 63 in Richtung Holland im allgemeinen nicht günstig. Dagegen zeigten sich in allen F'älleii Temperatur- invtrsionen d. h. Luttschichten, deren Temperatur um einige Grade höher war als die der darunter liegenden Luft. Ein weiterer Gesichtspunkt, der für die Reflexionstheorie spricht, ist folgender: Die abnorme Schallausbreitung wird namentlich im Winter beobachtet; der Sommer scheint für die Erscheinung nicht günstig zu sein. Nun sind Inversionen im Winter sehr viel häufiger als im Sommer. Weiter zeigen die Zonengrenzen (des Schweigens) eine gewisse unveränderliche Lage. Das ist schlecht mit einer Erklärung der Erschei- nung durch Windverhältnisse vereinbar; wie die Rechnung zeigt, ergibt eine etwas veränderte Steigerung der Windgeschwindigkeit mit der Höhe ganz andere Werte für diese Grenzen. Bei Inversionen bind die Verschiebungen weniger beträchtlich. Im Winter scheint eine in einer Höhe von 1 500 bis 3000 m häufig vorhandene Inversionsschicht für die abnorme Schallausbreitung in Betracht zu von kommen. Die beobachteten Eigentümlichkeiten von Lage, Form und Größe des Hörbarkeitsbereiches sind auf die wechselnde Beschaffenheit und Höhe dieser Inversionsschicht zurückzuführen. Für die Erklärung der Erscheinung scheinen demnach die Temperaturverhältnisse in den oberen Lufschichten die Hauptrolle zu spielen; daß gelegentlich auch die Windverhältnisse von Bedeutung sind, ist wahr- scheinlich. (gTc.) K. Seh. Bticherbesprechungen. Der Weltkrieg und die Naturwissenschaften. Von Prof Dr. Stadimann. Wien 191 7. Alfred Holder. 80 S. Wie das recht reichhaltige Literaturverzeichnis am Schluß dieses Heftes zeigt, hat der Krieg, wie auf allen Gebieten, so auch auf dem der Naturwissenschaften eine Fülle von Neuerschei- nungen gezeitigt, die sich im wesentlichen mit den Ersatzstoffen, der Verwendungsmöglichkeit wildwachsender Pflanzen usw. beschäftigen. Der Verf versucht, an der Hand dieser Literatur seinen Fachgenossen, den Pädagogen, ein Bild zu geben von der Art, wie man „Krieg und Naturwissen- schaften" für den Unterricht in den Schulen nutz- bar machen kann. Es werden zuerst zoologische und botanische Fragen erörtert. Daran schließen sich Ernährungsfragen, einige Tatsachen aus der Geologie und schließlich Fragen allgemein biolo- gischer Natur. Der Verf will nicht etwa die Er- gebnisse der Kriegsnaturwissenschaften zur Grund- lage des Unterrichts machen, sondern glaubt, daß sich oft genug Gelegenheit bieten wird, auf den Zusammenhang von Krieg und Biologie hinzu- weisen. Es wäre zu wünschen, wenn auch nach dem Kriege die Erkenntnis von der Bedeutung der Naturwissenschaften für das Leben etwas mehr in den Schulen berücksichtigt würde, als bisher. • — Auf Einzelheiten des Heftchens einzugehen, erübrigt sich an dieser Stelle; man kann in vielen Dingen anderer Ansicht als der Verfasser sein, hätte lieber anderes in den Vordergrund rücken mögen usw., aber das tut dem anregend geschrie- benen Büchlein keinen Abbruch in der Beurteilung. Auf eine dem Ref aufgefallene kleine Unrichtig- keit sei noch kurz hingewiesen : Das fette, aus blausäurehaltigen Samen gewonnene Oel, wie das der bitteren Mandel, ist ganz unschädlich, da es keine Blausäure oder Bittermandelöl enthält. — Daß der Verf auf das Prinzip der gegenseitigen Hilfe im Kampfe ums Dasein hinweist, ist sehr verdienstlich. Peter Kropotkin, der in seinem berühmten Buch : „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und IVlenschenwelt" zuerst auf dieses Prinzip ein- dringlich aufmerksam gemacht hat, ist im Literatur- verzeichnis nicht zitiert. Wächter. P. Wagner, Lehrbuch der Geologie und MineralogiefürhöhereSchulen. (Große Ausgabe für Schulgymnasien und Oberreal- schulen, sowie zum Selbstunterricht) 6. Auflage, Teubner, Leipzig-Berlin 1917. Preis geb. 3 M. Der Verfasser, dem wir auch „Leitsätze zur Reform des mineralogisch-geologischen Unter- richts", sowie „Grundfragen der allgemeinen Geo- logie" verdanken, hat sich mit dem vorliegenden Werke keine leichte Aufgabe gestellt. Die Lösung, die er gefunden hat, verdient wärmste Anerkennung und Förderung. Es will etwas heißen, die ge- samte allgemeine und historische Geologie, all- gemeine und einen ausgewählten Teil der spezi- ellen Mineralogie, ja selbst noch etwas Petro- graphie auf wenig mehr als 200 Seiten (bei 322 Abbildungen!) so darzustellen, daß Flüchtigkeit vermieden und das Gerüst der Wissenschaft klar herausgearbeitet wird. Verf. geht von dem viel zu selten vertretenen Grundsatze aus, daß die Schule nur Anregung und allgemeine Bildungs- grundlage zu geben, nicht aber die Aufgabe hat, möglichst viel Wissenschaft herbeizutragen oder gar Vollständigkeit anzustreben. Andrerseits ist mit Glück die Gefahr vermieden, dabei theoretisch- akademische Steine statt des Brotes der An- schaulichkeit und konkreten Beispiele zu geben. Vielmehr ist eine Fülle des für den Anhänger oder Liebhaber wichtigen Wissens zusammen- getragen und in leicht faßlicher Weise darge- boten. Überall ist ersichtlich, daß Verf über alle Strömungen und neuesten Anschauungen der Wissenschaft wohl unterrichtet ist und aus eigenem Reichtum mit um so größerer Leichtigkeit und Sicherheit zu schöpfen vermag. Die wiederholten Auflagen sind nicht unbenutzt geblieben: mit aller Sorgfalt ist das reichhaltige Bildermaterial ausge- sucht, für dessen gute Wiedergabe auch dem 64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 4 Verlage Dank gebührt. Einfach und klar ist der Quellennachweis für die Illustrationen gehalten, ausführlich das Sachregister. Es ist ganze Arbeit gemacht worden. Die Frage darf vielleicht aufgeworfen werden, ob in der Stoi^'gliederung nicht noch größere Klarheit erzielt werden könnte? Ein Teil der Mineralien erscheint bei den Sedimenten, ein an- derer als Edelsteine, beide weit getrennt von der Kristallographie. Vulkanismus und Sitz der vul- kanischen Kräfte sind auseinandergerissen, Gebirgs- biidung und Erdbeben sind zwischen die Bildungs- möghchkeiten der Gesteine eingestreut (auch sollten Erdbeben nicht als Unterteil der „Folgen der Schichistörungen" aufgeführt werden). Mehr pädagogischer Bedeutung ist die Reihenfolge der Kristallsysteme, die sich in der Einzelbesprechung nicht mit der zuvor gegebenen natürlichen Auf- stellung nach größerem oder geringerem Symmetrie- wert deckt. Für das Gedächtnis des Lernenden bedeutet das eine gewisse Erschwerung, auch wenn diese Umstellung ausdrücklich begründet ist. Doch sollen das nicht kleinliche Einwände sein, nur bescheidene Vorschläge zu etwa noch folgenden weiteren Auflagen des Buches. Darin, daß säch- sische Verhältnisse hier und da ein wenig in den Vordergrund treten, kann ich einen Nachteil nicht erblicken. Denn für den voll erreichten Zweck ist es durchaus ohne Belang, woher die Beispiele genommen werden. Es sei auch bemerkt, daß im engen Anschluß an die Wagner 'sehe Darstellung eine Sammlung geologisch-mineralogischer Belegstücke in der Sachs. Mineralien- und Lehrmittel-Handlung von Dr. Michaelis zu Dresden-Blasewitz zusammen- gestellt und käuflich ist. So ist für den Lehrenden ein nach jeder Hin- sicht leicht auszugestaltender Grundplan geschaffen, dem Selbstlernenden ein zuverlässiger Führer an die Hand gegeben. Nicht vergessen ist am Schluß eine Liste empfehlenswerter Werke zu weiter- gehenden Selbststudien. Edw. Hennig. Die Ausführungen sind in dem gleichen an- sprechenden Erzählterton gehalten, den der im Felde gefallene Verfasser in seinem ersten Bänd- chen, „Raubwild und Dickhäuter in Deutsch Ost- afrika" angewandt hatte. Er teilt Jagderlebnisse mit Huftieren, Affen, Reptilien und allerlei Flug- wild mit und geht auch hie und da näher auf die psychischen Fähigkeiten der Eingeborenen ein, mit denen er während seines langen Aufenthaltes in der Kolonie in engster Fühlung gestanden ist. Die Schilderungen sind sachlich und angenehm frei von Effekthascherei. Den Schluß bildet ein kurzes Kapitel über die vielerörterte Gefährdung des Wildstandes in Deutsch Ost-Afrika. Der Verf. nimmt für den eingeborenen Jäger Partei, der nicht die geeigneten Mittel besitzt, um den Wild- bestand ernstlich zu vermindern. Die Schuld an der Dezimierung trägt lediglich der mit modernen Waffen ausgerüstete Europäer. Dr. Stellwaag. Hans Besser, Natur- und Jagdstudien in Deutsch-Ost-Afrika. Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde, F"rank'sche Verlagshandlung, Stuttgart 19 17. Preis i M. Anleitung zum Photographieren. 16. und 17. erweiterte Auflage. In 12. Aufl. völlig neu bearbeuet und bedeutend vermehrt von Dr. Georg Hauberrisser. Mit 161 Abb., 8 Tafeln, 16 Bildvoriagen. Leipzig, Ed. Liesegang's Ver- lag M. Eger. Preis 1,65 M. Der Kriegsauflage dieses bekannten Leitfadens mögen einige empfehlende Worte auch an dieser Stelle mit auf den Weg gegeben werden, obwohl das Buch lediglich praktischen Zwecken dient und theoretische Auseinandersetzungen vermieden sind. Bei der Bedeutung der Photographie für naturwissenschaftliche Zwecke wird wohl jeder, der sich praktisch mit biologischen Arbeiten be- faßt, in die Lage versetzt werden, die photo- graphische Kamera benutzen zu müssen. Für ihn kommt es vor allem drauf an, möglichst schnell und sicher eine brauchbare Aufnahme zu erzielen, also zu lernen, richtig einzustellen, richtig zu be- lichten und zu entwickeln. Die vom Verf. geübte Methode hat sich gut bewährt und die lehrreichen Abbildungen dürften dem Anfänger eine nicht zu unterschätzende Hilfe sein. Es sei ganz besonders auf die Abbildungen hingewiesen, die den Unter- schied zwischen einem über- und unterexponierten Bild im Vergleich zu einer guten Aufnahme zeigen. Wächter. Inhalt: V. Brehm, Das Nannoplanklon. (15 Abb.) S. 49. — Kleinere Mitteilungen: Th. Daiber, Biologische Beobachlungen in der Umgebung von Göppingen (Württemberg). S. 56. — Einzelbenchte: Ollp, Wünschelrute. S. 57. Szymanski, „Taktile Tiere". S. 58. V.Franz, Wiederkehrende Tertiärzeit? S. 58. H. Th om s, Über deutsches Opium. S. 60. Fürth, Fische als Überträger von Infektionskrankheiten. S. 61. Nifile, Unterscheidung und Nutzbar- machung einzelner Kolistämme für die Bekämpfung anderer, pathogener Darmbakterien. S. 61. F r. N ö 1 k e , Anomalien in der Ausbreitung des Schalles. S. 62. — Bücherbesprechungen: Stadimann, Der Wellkrieg und die Naturwissen- schaften. S. 63. P. Wagner, Lehrbuch der Geologie und Mineralogie für höhere Schulen. S. 63. Hans Besser, Natur- und Jagdstudien in Deutsch-Ost-Afrika. S. 64. G. Hauberrisser, Anleitung zum Photographieren. S. 64. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenslrafie 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17 Band; der ganzen Reihe 33. Band Sonntag, den 3. Februar i [918. Nummer 5. [Nachdruck Die Bisamratte in Böhmen. Von Dr. Hans Walter Frickhinger (München), Assistent der zoologischen Abteilung der K. B. Forstlichen Versuchsanstalt. Mit 26 Abbildungen im Text. Im Jahre 1906 ließ Fürst Colloredo- Mannsfeld in seiner böhmischen Herrschaft Dobrisch (südwestlich von Prag) einige Pärchen der kanadischen Bisamratte aussetzen. Die Einführung dieses nordamerikanischen Nagers mag aus verschiedenen Gründen geschehen sein. Einmal hatte der F"ürst wohl auf einer amerikanischen Reise selbst die unleugbaren Reize kennen ge- lernt, welche die nächtliche Jagd auf diese hurtigen Tiere dem Weidmann bietet und dann haben sicherlich auch wirtschaftliche Gesichts- punkte bei dem Entschluß des Fürsten ent- scheidend mitgesprochen. Die Bisamratte ist in ihrer nordamerikanischen Heimat, vornehmlich ihres Pelzes wegen, ein höchst geschätztes Jagd- tier: liefert sie doch den „Bisam", jenes hübsche Fellchen, dem, wie Heck sagt, „neben dem grauen sibirischen „Feh" heutzutage hauptsächlich die große Aufgabe obliegt, den Massenbedarf an billigeren, aber doch im Naturzustand, ungefärbt und unverändert, verwendbaren Pelzwerken zu decken". Aber nicht nur im ungefärbten Zustand, also als Bisampelz selbst, wie wir ihn als Herren- pelzmantelfutter kennen, kommt der Bisam in den Handel, er wird hauptsächlich für Damcnpelzwerk, auch in großem Umfang „auf Nerz, Zobel, Skunk und Seal gefärbt, um dann, in entsprechenden braunen und schwarzen Farbenschattierungen, als Nerz-, Zobel-, Skunk- oder Seal-Bisam verkauft zu werden. Es ist bei diesem Massenverbrauch an Bisampelzen, den Heck auf jährlich 7 Millionen Stück berechnet, erklärlich, daß der Fang der Ratte in den nordamerikanischen Ländern ihrer Hauptverbreitung, also hauptsächlich in Minnesota, dann aber auch in den nordöstlichsten Staaten der Union, in New York, in New Yersey, Connecticut und Pensylvanien einer beträchtlichen Zahl von Jägern und Fallenstellern (Trappern) ein auskömmliches Dasein bietet. Den Fürsten Colloredo-Mannsfeld haben ') Bei der Beschaffung der Literatur und des Bilder- materials für die vorliegende Arbeit hat mich Herr Forstrat Alois Nechleba-Pürglitz in unermüdlicher Weise unter- stützt. Seiner gütigen Vermittlung verdanke ich eine große Zahl der mir freundlichst von d<-n Herren Forstrat Theodor M o k r y - Schlüsselburg , Forstmeister Karl Meinhard- Frauenberg, Forstmeister F. J. Buchal-Kric bei Kakonitz und Assessor Dr. G. K or ff- München überlassenen photo- graphischen Aufnahmen. Für die Anfertigung einiger Original- aufnahmen nach Sammlungsobjekten der Zoologischen Ab- teilung der k. b. Forstlichen Versuchsanstalt in München schulde ich Herrn cand. forest. S. K. PiUai aufrichtigen Dank. diese günstig gelagerten wirtschaftlichen Ver- hältnisse sicherlich nicht zum mindesten verleitet, das amerikanische Wild nach seinem Dobrischer Schloßteiche zu verpflanzen. Aber während in Nordamerika mit seinen weiten unbewohnten Landstrecken nirgends Stimmen laut geworden sind, welche trotz der dort überall eingeführten strengen Schonvorschriften über ein allzu häufiges Auftreten der Bisamratte Klage führten, geschah die Vermehrung in Böhmen in einer wohl auch von dem Fürsten und seinen Ratgebern unge- ahnten Schnellig- keit. Aus den im Jahre 1906 ausge- setzten 4 oder 10 Pärchen , wenn sie auch durch das ein oder andere aus einem Bisamgehege des Fürsten Karl von Schwarzen- berg ausgekom- mene Exemplar eine Ergänzung gefunden haben mögen, sind heute nach einer ungefähren Schät- zung Smolian's mindestensiooMil- lionen geworden, eine Zahl, die trotz aller seit Jahren gegen die Tiere er- Die Verbreitung der Bisamraüe von griffenen Vernich- Dobrisch aus über Böhmen m den " o i ■ Jahren 1906-1912. tungsmaßregeln im- Nach Ribbeck. Aus Kosmos, mer noch im Steigen begriffen scheint. Dieser Massenvermehrung entsprechend ging natür- lich auch die Verbreitung der Ratte durch Böhmen und über die weiß blauen und die weiß-grü- nen Grenzpfähle hinaus nach Bayern und Sachsen hinein in erstaunlich kurzer Zeit vonstatten. Smolian gibt darüber detaillierte Angaben, die zur Veranschaulichung des nebenstehenden der Arbeit Ribbeck's entnommenen Kärtchens (Abb. i), mit dem sie ungefähr übereinstimmen, hier wiedergegeben seien: „1907 trat die Bisam- ratte schon in Pribram und Beneschau auf; 1908 in Pisek und Rozmital; 1909 in Smichow, Blatna, Beraun und Horwitz; 1910— 1911 bei Prag; 1912 in Melnik, Raudnitz, Saatz, Witri ngau undFrauen- F/üsse "^ Lano'es-ynnze Verbreiiunffsyrenz'e ms im mi m'p Wi 'ivnmi Abb. 66 Naturwissenschaftliche -Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. S berg; 1913 im April schon 4 Gehstunden von der bayerischen Grenze (oberes Radbusagebiet) ; im Juni ^/^ km vom Königreich Sachsen; im November in Sachsen selbst ; 1914 in Niederösterreich, Mähren und von nun an passiert sie wiederholt die sächsischen und die bayerischen Grenzpfähle. Im Juni i 9 i 4 wurde sie erstmalig bei Metten im Donaugebiet (Niederbayern) gesehen, im September an der Isarmündung. Im August 1915 ist sie schon wiederholt in Nie- derbayern und der Oberpfalz er- legt worden und letzthin (Ende 1915) hat der Fischer Hannes aus Zwiesel 1 1 Stück im Gebiet des Regens mit Reusen gefan- gen". Aus diesen Daten geht her- vor, worauf neben S m o 1 i a n noch H. N.Mai er ver- weist, daß es anfänglich wohl den Anschein hatte, als sei das Ausdehnungsgebiet der Bisam- ratte, deshalb, weil die Tiere bei ihrem Vor- dringen mehr den Gewässern mit ruhigem Wasser und üppigem Pflanzenwuchs folgten, „zunächst ein mehr nordsüdliches, während die ostwestliche Verbreitung geringer war". „Man [Fiber zibdhU Abb. Cuv.). diesen Wanderungen hat die Bisamratte offenbar 5 Einfallspforten nach Bayern hinein benützt, welche nach M a i e r ' s Mutmaßung von Norden nach Süden folgende sein dürften: i. das Gebiet der Elbe im Bez.- Amt Tirschenreuth; 2. das Gebiet der Naab; 3. das Gebiet der Cham, 4. das Gebiet des schwarzen Regens und 5. das Gebiet der Hz. Diese rapide Ausbreitung der Bisamratte über ganz Böhmen — nach Nechleba ist heute das südwestlich e Böhmen, die an Teichen reiche Gegend zwischen denStädtenPilsen und Budweis am meisten von der Bisam- ratte besie- delt — in die österreichischen Kronländer, nach Sachsen und Bayern hinein, muß uns, auch wenn wir zu- nächst von der vielbeklagten Schädlichkeit der Tiere nicht sprechen wollen, zu denken geben. Die böhmischen und die in den benachbarten deutschen Grenzgebieten wirkenden und daher nächstbeteiligten Forst- und Fischereizoologen haben denn auch seit Jahren mit dem Problem der „Bisamratte in Böhmen" sich ein- gehend beschäftigt, sie haben ausführlich nach Phot. Dr. G. Korff- München Abb. 3. Schädel der Bisamratte. Von oben gesehen. Phot. S. K. Pillai- München. Abb. 4. Schädel der Bisamr,itte. Von der Seite gesehe Phot. S. K. Pillai -München. konnte daher", fährt Maier fort, „hoffen, daß sie sich vorwiegend längs den pflanzenreichen Ge- wässern Böhmens weiterverbreite und die ärmeren Gewässergebiete des Urgebirges des Böhmer- und des Bayerischen Waldes meide. Leider hat sich aber diese Hoffnung nicht erfüllt, denn noch im Sommer 1914 hat die Bisamratte die Wasser- scheide zwischen Elbe und Donau überschritten und ist in das Flußgebiet der Pfreimt-, bzw. der Naab und damit der Donau vorgedrungen." Bei amerikanischen Quellen über die Biologie der Bisamratte in ihrer Heimat berichtet, haben damit ihre eigenen Beobachtungen verglichen und an Hand dieser Befunde die Bekämpfungsmaßnahmen erörtert, welche im Kampf gegen die Eindring- linge die meiste Aussicht auf Erfolg versprechen. Die Bisam-, Biber-, Zibethratte oder Ondatra {Fiber zibefhicus Cuv.) (Abb. 2), von den Engländern Musk-rat, von den Indianern Musquah genannt, gehört zur Unter- N. F. XVII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 67 familie der Wühlmäuse (Microtinae) und besitzt am meisten Ähnlichkeit mit einer be- sonders großen Wasserratte. Sie kann eine Länge von ca. 6o cm erreichen, wovon aller- dings fast die Hälfte auf den Schwanz entfällt. Abb. 5. Schwanz uud Hinterfüße (links Oberseite, rechts Unterseite) einer" ausgewachsenen Bisamratte (ungefähr '/■> natürlicher Größe). Phot. Dr. G. Korff-Mü''nchen. jederseits aus i Nagezahn und 3 eng aneinander gereihten Backenzähnen (Abb. 4). Die Hinter- füße sind länger als die Vorderfüße, deren Zehen im Gegensatz zu den durch eine kurze Schwimm- haut miteinander verbundenen Zehen der Hinter- beine frei sind (Abb. 5). Alle Zehen zeigen seit- lich lange weiße Schwimmhaare, die Unterseite der Hinterfüße ist nackt. Das charakteristischste Organ der Bisamratte ist ihr langer, sehr musku- löser und seitlich stark zusammengedrückter, schwarzer, beschuppter und kurz behaarter Schwanz, der stets nach unten sichelförmig eingekrümmt getragen wird (Abb. 5). Er ist sehr kräftig und dient den Tieren, in schlängelnde Bewegung gesetzt, beim Schwimmen als Ruder, außerdem auch beim Sitzen als Stütze (Abb. 5 a). Bisamratte heißt das Tier nach 2 kleinen 2 — 3 cm langen Drüsen, welche sich in der Nähe der Ge- schlechtsöffnung finden und besonders während der Brunftzeit und da wieder hauptsächlich beim männlichen Tier einen weißen, öligen, unangenehm nach Zibeth (Moschus) riechenden Saft aus- scheiden, der durch seinen starken Geruch als sekundäres Geschlechtsmerkmal funktioniert, indem er die paarungslustigen Tiere zusammenführt. Der Pelz der Bisamratte ist dicht, glatt anliegend, oben braun, mitunter gelblich, unten grau mit rötlichem Anflug und etwa 30 — 35 cm lang. — Die Wollhaare desselben sind kurz, weich und .Sitzende Bisamratte. Der Scliwanz dient als Sti Ihre Körper formen sind plump, der Kopf (Abb. 3) ist dick und rundlich mit stumpfer Schnauze, die lange Schnurrhaare trägt; die Augen sind klein, die Ohren kurz und in den Pelz ver- steckt, die Backen sind taschenartig erweitert. Das Gebiß besteht im Ober- und Unterkiefer ;ze. I'hot. Oberförster Buchal-Neustupow. zart, die Grannenhaare etwa doppelt so lang, glänzend und starr. Die Lebensweise der Bisamratte ist die eines typischen Wassertieres und erinnert in manchen Punkten an den Biber. Die Tiere, von denen man in ihrer amerikanischen Heimat eine 68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 5 Reihe von Arten und Unterarten unterscheidet, Landstriche, wie Kanada oder Alaska, wo sie bewohnen dort alle zwischen dem 30. und dem nach Heck besonders nördlich von der gleich- 69. Grade nördlicher Breite gelegenen Länder, namigen Halbinsel, um die Bristolbai im Nuschagak- ^ n P-^^?"^j^Kw ■ mk>- ^^ UmH^ ^r^ -^ '*^li^P^^ II ^^'^''^^''''^lllllil 1 ^^U^^^^^^^i«^^^|^%'i € ' n^V^ ^ JHhKv . .' .;.' ■ZViRtNA^ bau in einem durch Binsen maskieilen Grabenauswurf. Fhot. Oberförster B uchal-A'eustupow. Winterburgen der Bisamratte im Ober-Thorowitzer Teiche bei Schlüsselburg in Südwestböhmen. Phot. Forstrat Theodor Mok ry -Schlüsselburg. Die Dichtigkeit, mit der sie in den einzelnen gebiete häufig anzutreffen sind. Hier bewohnt Gebieten hausen, schwankt natürlich sehr, be- die Ondatra familien- und Volksweise die grasigen Vorzügen sie doch vornehmlich wasserreiche Uferhänge der Seen und Sümpfe oder breiterer N. F. XVn. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 69 langsam fließender Ströme oder — und das mit besonderer Vorliebe — kleinerer, mit Schilf und Wasserpflanzen dicht bewachsener Teiche. In die Uferböschungen dieser Wasserläufe wühlen die Tiere im Laufe des Sommers ihre Wohnräume, meist einfache, unterirdische Kessel mit mehreren Ausgangsröhren, die, mit Ausnahme eines einzigen oberirdisch mündenden Kanals, der als Luftschacht gilt, sämt- lich unter Wasser auslaufen. „Vom eigentlichen Nest, sagt Smolian, welches etwa 2 m im Durchschnitt mißt, gehen eine große Zahl hori- zontal verlaufender Röhren strahlen- förmig aus. Diese Röhren haben einen Durchmesser von 20 — 30 cm und treten erst nach weiterem Ver- laufe (nach Neresheimer bis zu 15 m) an die Oberfläche, wo ihre Mündungen sorgfällig verblendet wer- den, so daß sie nur schwer aufzu- finden sind" (Abb. 6). Das Nest ist mit trockenen Pflanzen gut ausge- polstert und wird, wenn möglich, von den Ratten das ganze Jahr über be- wohnt. Da aber bei strenger Kälte die Ausgänge zufrieren, so muß die Bisamratte für den Winter, wenigstens für den strengen Winter, sich eigne Bauten schaffen, die'Schlamm- oder Winter- burgen genannt werden (Abb. 7). Es sind dies oberirdische Wohnbauten, die auf dem Wasserspiegel emporgebaut werden. Diese Winter- burgen haben neben der ober Wasser befindlichen Wohnkammer zweierlei Ausführungsgänge: die einen münden, ähnlich den bei den Sommer- Landseitige Ausläufe Abb. 8a. von Bisamrattenröhren im Teichda teiches. Bei hohem Wasserstande rinnen die Röhn Phot. Forstrat AI. Nech 1 eb a-Pürglitz. Grund des Wassers ruhen und aus abgenagten Pflanzenteilen, aus Wurzeln und Ästen mit Hilfe von Lehm und Schlamm bis i m hoch über den Zahlreiche landseitige Ausläufe von Bisamrattenröhren. Feldteich unterhalb des Leontinenschlosses in Pürglitz (Böhmen). Phot. Forstrat AI. Nechleba- Pürglitz. Wohnungen beobachteten, direkt ins Wasser, die anderen führen unter dem Grund des Gewässers hindurch ans Ufer (Abb. 8 u. 8 a). Diese letzteren dienen wohl weniger dazu, um eine Verbindung mit dem Ufer herzu- stellen, als vielmehr dazu, die Tiere auf der Nahrungssuche zu unter- stützen, indem sie in derartigen Gang- bauten die freiliegenden Pflanzen- wurzeln ohne Schwierigkeit abnagen können. Aus diesem Grunde werden diese Gänge auch oft weit ausgedehnt angelegt, um dann irgendwo blind zu endigen.- Im Winter verstopfen die Tiere nach den Beobachtungen Nechleba's die landseitigen Aus- führungsgänge ihrer Wohnbauten mit Gras- oder Schilfpfropfen (Abb. 9) zum Schutz vor der Kälte. Von einigen Forschern wurde ange- geben, daß die Ratten diese Gras- pfropfen bei Nahrungsmangel auf- fressen. Nechleba bestreitet dies nach seinen Erfahrungen. Neben ihren sommerlichen größeren Wohn- bauten legt die Bisamratte noch eigene Bruträume oder Kinder- stuben an, welche meist nur ein- fache aus dem Wasser aufsteigende Röhren darstellen. Die Zibethratte gilt in Nordamerika der Haupt- sache nach als Pflanzenfresser: sie lebt vor- iim desselben Feld- 70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. nehmlich von all den Wasserpflanzen, die ihre Tummelplätze bedecken, also besonders von Schilf, Riedgräsern, Seerosen und anderen mehr; in dicht bewachsenen Gewässern frißt sie, und das wird zumeist als bestes Zeichen für ihr Vor- handensein angesehen, am Boden besondere Bahnen aus, die sie dann als ständige Weide- gänge benützt. Ähnliche bis 20 cm breite Gänge legt sie auch in ufernahen Wiesen an, wie sie überhaupt auch gerne Wurzeln und Stengel von allerlei in der Nähe der Ufer wachsenden Land- pflanzen abnagt. Ja sogar in Getreide- und Reisfelder, in Gemüsepflanzungen (Kohlgärten, Rübenfelder) und Obstkulturen dehnt sie ihre Raubzüge aus und richtet dadurch auch in ihrer Heimat manchen Schaden an. Amerikanische Forscher, wie A. W. Butler, J. Audubon, J. Bachmann und manche andere, haben schon vor 50 und mehr Jahren dieser Beutezüge der Ondatra in die an flachen Flußufern gelegenen (Abb. 10) gehen die Angaben in der Literatur stark auseinander. N eres heimer führt diese einschneidenden Unterschiede, die in ihren Ex- tremen von einem einmaligen Wurfe von 5 —6 Jungen (nach Harlan) bis zu einem 3 — 5 maligen Wurfe von 3 — 7 und noch mehr Jungen (nach Richardson, Farlane und La ntz) differieren, darauf zurück, daß die einzelnen Beobachtungen der amerikanischen Forscher bei der über zu- mindest 30 Breitegrade sich erstreckenden Ver- breitung der Ratte selbstverständlich in Ländern angestellt wurden, die in ihren klimatischen Ver- hältnissen grundverschieden voneinander sind. Abb. 9- Schemaüsche Darstellung eines Bisamrattenganges, a ; land- seitiger Bisanirattengang (Ferngang), c: Mündung des Bisam- rattenganges unter Wasser, d : landseitiger Bisamrattengang (Nahgang), zum Schutz vor der Kälte mit dem Graspfropfen b verstopft. W: Wasser, E: Eis, S: Schnee. Nach Frick- hioger aus Naturwiss. Zeitschrift f. Forst- und Landwirtschaft. liffi Getreidefelder Erwähnung getan. Besonders reifende Ähren werden bevorzugt, die Halme werden von den Tieren abgenagt und dann in ihren Bau verschleppt; sind die Getreidekörner für die Zähne der Ratten zu hart, so wissen die Tiere auch dafür Rat und lassen die Halme ein oder mehrere Tage im Wasser liegen, bis die Körner erweicht sind. Neben der Konstatierung dieser rein vegetabilischen Ernährung finden sich auch in amerikanischen Quellen Hinweise, aus denen hervorgeht, daß die Bisamratte kein aus- schließlicher Pflanzenfresser, sondern vielmehr ein Allesfresser genannt zu werden verdient. Überreste von Muscheln und Krebsen finden sich häufig in größerer Zahl vor ihren Wohn- bauten, ferner wurden Spuren von Kannibalismus an ihnen beobachtet, indem kranke oder ange- schossene Tiere von ihren Artgenossen ange- fallen, zerrissen und aufgefressen wurden; auch Fische und kleinere Säugetiere sah man sie ge- legentlich vertilgen. Über die Fortpflanzungsfähigkeit Abb. 10. Der Nachwuchs eines Bisamrattenpärchens während [eines Sommers; sämtliche Tiere wurden nach Öffnen eines Baues ans Tageslicht befördert. Oben: altes 2- Mittlere Reihe: I. Wurf (anfangs Mai; die Tiere werden in dem- selben Sommer noch fortpflanzungsfähig). Untere Reihe: 11. Wurf (etwa Mitte Juli bis anfangs August). Phot. Forstmeister Karl M einhar d-Frauenberg. Zudem ist die Beobachtung der Ondatra in der freien Natur eine sehr mühselige, das erhellt am besten daraus, daß selbst in Gefangenschaft ge- haltene Tiere, wie die im Berliner Zoologischen Garten befindlichen Exemplare, nur schwer ge- nauer zu studieren waren ; Heck hat über Trag- und Wurfzeit bis heute nichts Genaueres fest- zustellen vermocht, der i. Wurf wird etwa auf Anfang Mai, der 2. auf Ende August angenommen. „Im April und Mai, sagt Heck, nachdem die Tiere ihre Winterbaue verlassen haben, paaren sich die Geschlechter, das Weibchen wirft in seinem Bau oder in einer Erdhöhle 3 — 6 Junge, und zwar mehrmals im Jahre. Den ganzen N. F. XVII. Nr. 5 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sommer und Frühherbst leben die jungen Bisam- ratten friedlich mit ihren Eltern zusammen, ob- wohl nicht eigentlich unter ihrem Schutz, nur daß sie auf deren VVarnungszeichen hören; sie paddeln und waten in den austrocknenden Flüssen und Teichen herum oder schlafen zusammen- gerollt zu einem kleinen braunen Haarball, fest am Uferrand, versteckt im Wasserlilien- und Binsendickicht, indem sie gut ausgetretene Pfade von Ort zu Ort haben." Die Beobachtung der Bisamratten bei ihrem lebendigen nächtlichen Treiben, wenn sie behende das Wasser durchschwimmen , tauchen, auf Steinen, in Binsenbüschen, am Ufer kurze Rast halten, bietet für den Naturfreund einen einzigartigen Reiz. Vernimmt eines der sich tum- melnden Tiere ein verdächtiges Geräusch, so schlägt es als Warnungssignal für seine Genossen mit dem muskulösen Schwanz heftig auf das Wasser. Auf dieses Zeichen hin erlischt sofort das emsige Treiben des Rattenvolkes : während sich die einen mit einer erstaunlichen Schnelligkeit in die Gänge zurückflüchten, stürzen sich die anderen kopfüber ins Wasser und nur mehr silberne Streifen auf der Wasseroberfläche deuten an, welchen Weg die flüchtenden Tiere genommen. Meinhard ist es bei seinen biologischen Beobachtungen zwei- mal gelungen, die Nager im Frühjahr bei ihrer, wenn man so sagen will, ,.Brunft"zu belauschen: „Zwei Bisamratten, so berichtet der Forscher, schwammen längere Zeit mit senkrecht aus dem Wasser emporragenden Ruderschwänzen im Teiche auf und ab, stets einander auf wenige Schritte Abstand begegnend; dann wieder schwammen sie um ein drittes Exemplar (vermutlich das Weibchen) im Kreise herum, taucliten ab und zu und stießen nach dem Auftauchen wie ein Pfeil aufeinander los." Das böhmische Forstpersonal hat, wie Meinhard ausführt, bei der Bisamratte, als einer „neuen Wildgattung", zu erkunden ver- sucht, welche ihrer Sinne besonders ausgebildet sind, den Menschen zu erspähen, ob sie also besser äugt oder vernimmt oder windet. „Weil aber ihr Benehmen unter sonst gleichen Voraus- setzungen so verschieden ist, gehen auch hier die Meinungen noch ziemlich weit auseinander. Die meisten dürften zu der Ansicht hinneigen, daß sie relativ am besten äugt." Über das V^ erhalten der Ondatra dem Menschen gegenüber stimmen die Aussagen der Forscher nicht miteinander überein. Während früher zumeist der Bisamratte eine große Harm- losigkeit und Zutraulichkeit dem Menschen gegen- über nachgerühmt wurde, mehren sich in der letzten Zeit die Stimmen, welche von Versuchen der Tiere melden, aggressiv gegen den Menschen vorzugehen. So wurde aus der böhmischen Stadt Tabor gemeldet , daß ein Gendarmeriezugführer auf einem Dienstgang wiederholt von einer Bisamratte angegriffen worden sei, wobei das Tier mehrmals versucht habe, bis zu einer Höhe von 1 m gegen den Mann aufzuspringen. Auch aus der Nemelkauer Gegend (Böhmerwald) wurden ähnliche Vorkommnisse mitgeteilt. Nechleba macht, wohl mit Recht, darauf aufmerksam, daß derartige Angriffe von Bisamratten auf den Menschen nie in der Nähe vom Wasser, sondern nur dann stattgefunden haben, wenn die Tiere auf ihren Landwanderungen dem Menschen be- gegnet sind und dann keinen anderen Ausweg sahen, um der Gefahr zu entgehen, als ihren Widersacher anzugreifen, bzw. sich ihm zur Wehr zu setzen. Im großen und ganzen wird es sich bei solchen Fällen um seltene Ausnahmen handeln, wie sie bei allen Tieren, ja selbst bei dem Urbild der Furchtsamkeit, bei dem Hasen, zuweilen vor- kommen. Im allgemeinen wird sich die Bisam- ratte in Böhmen, ebenso wie ihre nordamerika- nische Schwester dem Menschen gegenüber sehr scheu verhalten, wird ihn fliehen, wo immer er ihre Bahn kreuzt. Die Ausflüsse des „Offensivgeistes" der böh- mischen Bisamratte haben uns bereits übergeleitet zu der Besprechung der Angaben , welche von europäischen Beobachtern über die Lebensgewohnheiten der Ondatra ge- macht worden sind. Da sie in wesentlichen Punkten von den Berichten der amerikanischen Untersucher abweichen, empfiehlt es sich, sie gesondert zu besprechen. Rein morphologisch wurde auf die frappanten Unterschiede hingewiesen , welche zwischen dem hochwertigen Pelz der nordameri- kanischen und dem bedeutend minderwertigen Fell der böhmischen Exemplare bestünden. Ribbeck sagt darüber: „Unter dem Einfluß unseres sehr viel milderen Klimas ist das Fell in überraschend kurzer Zeit völlig entartet, ist lichter geworden, die Behaarung dünner, und vor allem hat es den schönen Seidenglanz ganz verloren." Auch Smolian pflichtet dem bei, wenn er schreibt: „In den ersten Generationen blieb der Pelz auch hier dem amerikanischen an Schönheit gleich, später jedoch verlor er bedeutend an Wert : er wurde nach und nach lichter und grob, die schönen Grannenhaare blieben zurück und der eigenartige Glanz des Felles ging verloren." Dem- gegenüber weist Neresheimer darauf hin, daß der Wertunterschied der Bisamfelle aus den Monaten September /Oktober und selbst noch November und den Bisamfellen aus den Monaten Januar und Februar ein ganz beträchtlicher sei, indem ein Bisamrattenfell der i. Kategorie kaum halb so viel wert sei als ein solches der 2. Kate- gorie. In Amerika bestehen ja auch strenge Schonzeitbestimmungen für die Tiere, die aller- dings, wenn wir den Angaben desselben Forschers hierüber folgen, in den einzelnen Staaten stark schwanken, aber meist die ganze Fortpflanzungs- zeit der Tiere, also Frühjahr, Sommer und Herbst umfassen und die Nachstellung meist erst vom Dezember ab gestatten. „Das Fehlen von Schon- vorschriften und der Umstand, daß die Bisamratte jedenfalls in der warmen Jahreszeit leichter und 72 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. s unter weniger Strapazen zu fangen oder zu er- legen sein wird, als im strengen Winter, erklären also jedenfalls ausreichend genug die angebliche Minderwertigkeit der böhmischen Felle." Wenn es nun zwar auch wohl denkbar wäre, daß die Qualität des Felles durch die geänderten Lebens- bedingungen, welche die Bisamratte in ihrem neuen europäischen Siedlungsgebiet vorgefunden hat, sich verschlechterte, so entbehren die Ein- wände Neresheimer's gegen diese Theorie sicherlich nicht der Stichhaltigkeit und wir müssen dem Forscher zustimmen, wenn er „noch erheb- liche Zweifel in das früher ohne Debatte ange- nommene Axiom setzt und die Frage zum mindesten noch ungeklärt findet." Der Preis der Bisamrattenfelle ist übrigens, das betonen be- sonders Meinhard und Nechleba, in den letzten Jahren ständig gestiegen. Nach Meinhard wurden im letzten Frühjahr für Bisamrattenbälge folgende Preise gezahlt: I. Sorte 12 Kr., II. Sorte 6 Kr. und III. Sorte 2 Kr., während vor 3 Jahren noch I Balg bloß I Kr. einbrachte. Mag nun auch die Verteuerung der Kriegsverhältnisse bei dieser Preiserhöhung ihr gut Teil mitgewirkt haben, man wird sich dem Eindruck doch nicht verschließen können, daß mit der allmählich immer weiter fortschreitenden Akklimatisation der Bisamratte an das böhmische Klima auch die Qualität ihres Pelzes sich gebessert hat. Während früher, wie ich an anderer Stelle aus- geführt habe, der Pelz der Bisamratte aucii im Winter recht schäbig war und ins Gelbbraune und Lichtgraue spielte, waren die Bälge heuer, offenbar unter dem Einfluß des strengen Winters, vorwiegend viel dichter, die Behaarung war lang und auch die schwarzen Grannenhaare waren dichter gewachsen. Nechleba unterschied in seinem Pürglitzer Forstbezirke im heurigen Früh- jahr 2 Farbenvarietäten, deren eine sich der dunkelbraunen ursprünglichen Färbung der kana- dischen Exemplare näherte, während die andere ins Dunkelgraue stach. Infolge der erhöhten Nachfrage und besseren Bezahlung hat das I<"orst- personal heuer auch schon mit mehr Sorgfalt die Zurichtung und Präparation der Bisambälge be- trieben. Den Angaben Meinhard 's entnehmen wir darüber Folgendes: „Die Bisamfelle werden wie Hasenfelle abgestreift, also weder am Bauch noch auf den Seiten aufgeschlitzt und mit der Haarseite nach innen getrocknet. Noch vor dem Abstreifen werden die unbehaarten Teile der Füße sowie der Ruderschwanz abgetrennt und der Balg, so wie es bei Hasen der Fall ist, bloß an den Innenseiten der Hinterläufe aufgeschlitzt, damit durch die so entstandene Öffnung das Spannbrett eingeführt werden kann. Beim Ab- schärfen der Kopfpartie ist, wie bei allen anderen Rauhwaren, eine gewisse Sorgfalt notwendig, es muß das Fell auch hier bis zur Nasenspitze ab- gestreift werden." Die heurigen besseren Er- gebnisse lassen Nechleba hoffen, daß im Laufe der Jahre auch das böhmische Bisamrattenfell ein gesuchter Handelsartikel werden kann. Nun aber nach dieser Abschweifung zurück zu den Lebensgewohnheiten der Ondatras: daß die andersartigen klimatischen Verhältnisse Böhmens in ihnen starke Veränderungen hervor- zurufen vermögen, kann man am besten daraus ersehen, daß die in Kanada allgemein von den Ratten als Winterquartiere angelegten „Schlamm- burgen" von den böhmischen Exemplaren nicht mehr oder nur mehr in Ausnahmefällen gebaut werden. Die milden Winter dieses Landes, der die Flüsse nur selten und dann nur für kurze Zeit gänzlich eingefrieren läßt, hat die Tiere, nachdem sie in den ersten Jahren ihres böhmischen Aufenthaltes noch durchwegs zur Anlage der Winterburgen geschritten waren, bald veranlaßt, von dieser hier überflüssigen Vorsicht abzusehen. Heute trifft man in Böhmen derartige Kuppel- bauten nicht mehr sehr häufig an, nur Nechleba erwähnt dieselben als ständige Erscheinung, aller- dings mit der Einschränkung „nur in Teichen" aus seinem Pürglitzer Bezirk (Abb. 7).*) Auf eine weitere biologische Abweichung der böhmischen Bisamratte macht Nechleba auf- merksam : während die Ondatras in Kanada in der Hauptsache Volksweise hausen , leben die böhmischen Exemplare „vorwiegend paar-, höch- stens familienweise". Nechleba bringt dies damit in Zusammenhang, daß der Bisamratte in Böhmen ein unsteter Wandertrieb eignet, der sie nur eine kurze Zeitlang an ein und derselben Stelle verweilen läßt. „Stellen- und zeitweise zahlreich vorkommende Bisamratten, wahrschein- lich Familien, verschwinden mit einemmale gänz- lich, um sich paarweise auf anderer Stelle anzu- siedeln und nach Aufzucht der Jungen wieder zu versch winden." Die Ursachen für diese von Nechleba in seinem Pürglitzer Forst- bezirk beobachteten zahlenmäßigen Unterschiede des Schädlingsvorkommens hegen vermutlich auf dem Gebiet der Nahrungssuche; ob sie aber freilich für alle von den Ondatras besiedelten Gebiete verallgemeinert werden dürfen, darüber läßt sich heute noch kein endgültiges Urteil fällen. ') Im heurigen strengen Winter sind die Bisamratten natür- lich auch in Böhmen wieder mehr zu ihrer Gewohnheit, Winter- burgen zubauen, zurückgekehrt. So erwähnt jetzt auch Mein- hard aus der Frauenberger Gegend „eigene im Winter bewohnte Baue"; er nennt sie ,,parat)olisch geformte Haufen aus ichilf, die in der Nähe der Ufer angelegt in verschiedener Höhe aus dem Wasser emporragen". Kbenso konnten Korff und Maier anläfilich einer Besichtigungsreise in das böhmische Bisamrattengebiet in Blatna im Oktober 1916 zahlreiche Winterburgen feststellen. (Schluß folgt.) Inhalti :k hinger, Die Bii attc in Böhmen. (26 Abb.) S. 65. luskripte und Zuschriften validenstraße 42, erbe Berlin N 4, 1 Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. n Prof. Dr. H. Mich, ag von Gustav Fischer Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. Februar 1918. Nummer 6. [Nachdruck verboten.] Die Bisamratte in Böhmen. Von Dr. Hans Walter Frickhinger (München'), Assistent der zoologischen Abteilung der K. B. Forstlichen Versuchsanstalt. Mit z6 Abbildungen im Text. (Schluß.) Während nun der Umstand, daß die Bisam- ratte in Böhmen nicht mehr regelmäßig wie in ihrer Heimat zur Anlage von Winterburgen schreitet, lediglich vom naturästhetischen Standpunkt aus zu bedauern ist, da gerade die Schlammburgen eine sehr reizvolle Belebung eintöniger Teichland- schaften darstellen, ohne gerade nennenswerte Schädigungen nach sich zu ziehen, ist eine weitere biologische Abweichung der böhmischen Zibeth- ratten von einschneidend wirtschaftlicher Bedeutung geworden. Wir haben oben gehört, daß die kanadische Bisamratte zwar gelegentlich auch fleischliche Kost zu sich nimmt, im allgemeinen sich aber dort mit pflanzlicher Nahrung bescheidet. Nun ist ja sehr leicht einzusehen, worauf neben Neresheimer besonders Ribbeck verweist, daß die Bisamratte in den weiten unbesiedelten Landstrichen Kanadas und Nordamerikas über- haupt mit ihren nur vereinzelt bewirtschafteten Ländereien ungeheuer viel mehr pflanzliche Nah- rungsstoffe vorfindet, die ihr ohne weiteres und ohne irgendwelchen Schaden für den Menschen zur Verfügung stehen, als in dem dichtbesiedelten Böhmen mit seinen ausgedehnten landwirtschaft- lichen Betrieben nnd seinen weitverbreiteten teich- wirtschaftlichen Anlagen. In Böhmen trifft die Bisamratte bei jeder Nahrungsstreife, mag sie diese nun im Wasser oder auf dem Lande ausführen, auf die Interessensphäre des Menschen. „Die böh- mischen Teiche, führt Ribbeck aus, mit ihrer verhältnismäßig spärlichen Pflanzenwelt konnten einer größeren Zahl der gefräßigen Nager die sonst gewohnte Nahrung nicht in genügender Menge bieten und deshalb suchen sich die Tiere eben anderweitig zu entschädigen." Und waren von Amerika schon Fälle bekannt geworden, wo die Ondatras Muscheln und Krebse und kleinere Fische angenommen hatten, so ist es erklärlich, daß die böhmischen Exemplare sich immer mehr von der ihnen nur in durchaus unzureichenden Mengen zugänglichen pflanzlichen Kost ab der animalen Kost zuwandten und heute zu vornehmlichen Fleischfressern sich gewandelt haben. Nun, sagt -Neresheimer mit Recht, „hätte man wohl in ganz Europa kaum ein Land ausfindig machen können, in dem sich die Bisamratte von ihrem ersten Auftreten an dem Menschen so verhaßt machen mußte, wie gerade in Böhmen. Nirgends steht die Karpfen Wirtschaft in solcher Blüte, nirgends ist das Land so durchsetzt von Teichen, zum Teil Teichen von riesiger Ausdehnung und enormer Wasserfassung, wie gerade hier. Der Bisamratte mußte dieses wasser- und fischreiche Land als Paradies erscheinen, aber dem Menschen mußte gerade hier ein ganz besonders gefährlicher Feind in ihr erwachsen." Tatsächlich scheint der Schaden, den die Zibethratte der böhmischen Fisch- zucht und den Krebsbeständen der böhmi- schen VVasserläufe zufügt, nach den übereinstim- menden Klagen aller Autoren ein ganz beträcht- licher zu sein. So hält Smolian besonders den Krebsbestand in den von den Ratten bezogenen Abb. II. amratte angenagte! lot. S. K. Pillai Krebs. Nat. Größe. München. Gewässern für äußerst bedroht (Abb. 11), wenn nicht überhaupt für der Vernichtung geweiht. Ebenso großen Schaden dürfte dieP e rlfischerei') erleiden (Abb. 12 u. 13), wie auch für die Fisch- zucht die Massenvermehrung der Bisamratte schon heute eine schwere Kalamität bedeutet (Abb. 14). Die Bisamratte frißt den erbeuteten Fischen oft ') Korff und Maier berichten, daß auf dem Grunde einzelner böhmischer Teiche in den Schlüsselburger Be- sitzungen des Freiherrn von Lillgenau zentnerweise von den Bisamratten angenagte Muschelschalen lagern, die beim Ablassen der Teiche zutage treten. 74 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 nur die Eingeweide und die Augen aus, höchstens verzehrt sie noch ein wenig vom Schwänze und läßt das Übrige liegen — vernichtet also mehr als sie zu ihrem Lebensunterhalte braucht. In Überwinterungsteichen stört sie durch häufiges Befahren des Wassers die Ruhe der Fische, zumal sie ihre Tafel hier am reichsten gedeckt findet. In einem solchen Teich in Böhmen wurden z. B. von 24 000 Stück einsömmeriger Karpfen in einem Winter 15 000 Stück durch Bisamratten vernichtet. Ferner verzehrt sie auch das Gras mit den Karpfeneiern in den Laichweihern, verhindert das Ab- laichen der Fische, stört dieselben bei der Nahrungsaufnahme, ja frißt ihnen sogar das Futter weg. Daß es durch- aus nicht immer nur kleinere Fische sind, welche die Bisamratte anfällt, darauf macht H. X. M a i e r aufmerksam, indem er berichtet, daß es ein paar Bisam- ratten zu beobachten gelang, wie sie einen etwa 12 pfundigen Laichkarpfen attackierten. Daß es den Bisamratten verhältnismäßig leicht fällt, die trägen Karpfen zu erbeuten, wird uns nicht so sehr erstaunen, als die Tatsache, daß, auch die flinken Weißfische von ihnen verfolgt und überwältigt werden : X ec h - leba entdeckte am Ufer der Beraun, in der Nähe von Bisamrattenbauen, zahlreiche Überreste von Weißfischen, deren größere Exemplare entschuppt waren. Aus dieser Beobachtung geht hervor, daß die Bisamratte nicht nur in stehenden sondern auch in fließenden Gewässern dem Fisch- fang obliegt. gelichtet, daß sie die brütenden Vögel aufscheucht, um ihre Eier zu rauben. Bei ihren Streifzügen auf das Festland verschont die Bisamratte natürlich auch die bodenbrütenden Vögel nicht, Rebhühner, Fasanen, ja selbst das Hausgeflügel hat nach dem Abb. 13. 1 der Bisamratte angenagte Teichmuscheln ; AnoJonta cygiiea L. Nat. Größe Phot. S. K. Pillai-München. Auch dem Wassergeflügel stellt die Ratte nach, kleine Enten und Hühner werden von ihr leicht erbeutet, der Bestand an Wildenten, Wasser- hühnern, Möven usw. wird von ihr auch dadurch Abb. 12. der Bisamratte angenagte Flußmuscheln: Nat. Größe. Phot. S. K. P Übereinstimmenden Bericht mehrerer Forscher in manchen Gegenden stark unter ihrer Eierräuberei zu leiden. Wir sehen die Besprechung der Wandlung der Bisamratte zu einem aus- gesprochenen Fleischfresser hat uns schon mitten in die Erörterung der Frage nach ihrerSchädlichkeit eingeführt. Fischerei und Jagd leiden unter ihrem massenhaften Auftreten ganz erheblich, noch viel größeren Schaden aber hat die Ondatra in der böhmischen Teichwirtschaft angerichtet. Durch die Anlage ihrer Sommerbauten mit ihren ausgedehnten Jagdgängen zer- wühlt die Bisamratte weite Strecken der Uferböschungen und Teichdämme (Abb. 15 u. 16), so daß schon bei kleinen Teichanlagen Dammbrüche und dadurch verursachte Über- schwemmungen an der Tagesord- nung sind (Abb. 17). Es ist leicht einzusehen, um wieviel größere Kata- strophen zu befürchten sind, wenn es sich bei den durch die Bisamratte gefährdeten Objekten um große Stauwasseranlagen handelt. Mit beredten Worten schildert Wenzel Susta die Kalamität , welche die Zibethratte gerade N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 75 durch ihre Wühltätigkeit über Böhmen bis heute schon gebracht hat und in Zukunft noch bringen kann. „Die meisten Teiche wurden in Böhmen vor 300 — 400 Jahren erbaut. Das Werk unserer großen Teichbauer stand un- berührt durch Jahrhunderte da. Heute befinden sich in den durch Ondatra stark befallenen Ge- bieten nur mehr Ruinen der früher massiven Dämme oder, was noch gefährlicher ist, von außen zwar scheinbar intakte, in der Tat aber kreuz und quer angebohrte Dämme, welche beim ersten großen Wasseranprall zusammenbrechen müssen. Keine Tarraßmauer ist fest genug, um den Wühlern .\bb. 14. Durch Uferbruch bloflgelegter Gang der Bisamratte auf dem linken Ufer des Beraunflusses bei Purglitz. Im Vordergrunde : Reste angenagter Muscheln und angefressener Fische. Phot. Forstrat AI. N e c h leb a- Purglitz. standzuhalten; wenn auch die Steine so kunst- fertig zusammengefügt sind, daß die Ondatra keinen direkten Angriffspunkt findet, sucht sie den Weg vom Teichgrunde in den Dammkörper hinauf und verästet hinter der Tarraßmauer ihre Gänge. Nicht einmal die unter der Teichsohle liegende Teichröhre ist sicher; wir fanden mehrere Fälle, wo auch diese und das umliegende Zapfen- haus von der Bisamratte durchnagt und stark an- gegriffen wurden. Nun haben wir in Böhmen Kolosse, deren Dämme 8 — 10 m in der Krone messen und tatsächUch als gigantische Bauten an- gesprochen werden können. Doch selbst diese über mehrere lOO Hektarsich ausbreitenden Teich- riesen werden nicht standhalten können, falls sich die oberhalb derselben gelegenen, von der Ondatra angebohrten Teiche durch Dammbrüche plötzlich in sie entspannen sollten . . ." Um anschaulich darzustellen, wie die Ondatrakalamität wächst und welche Konsequenzen sie nach sich ziehen kann, greift Wenzel Susta ein Teichgebiet Süd- böhmens, das Wassergebiet des 500 Hektar großen und 12500000 Kubikmeter Wasser fassenden Teiches Bezdrev bei Frauenberg heraus und er- örtert die Gefahren, in denen sich dieses Teich- gebiet befindet: Oberhalb des Bezdrever Teiches liegen 1 1 5 Teiche miteinem Ausmaß von i6i6Hektar und einer Fassungsmenge von 21500000 Kubik- meter Wasser. Dem Terrain folgend, liegen die Teiche in 4 Hauptrichtungen übereinandergruppiert und es ergießt sich das Wasser infolgedessen vom höher gelegenen in das tiefer liegende Objekt. Sollte nun in diesem Wassergebiet die Bisamratte so stark überhand nehmen, daß nur der 4. Teil der Teiche, und zwar die kleineren, in den höheren Lagen situierten Objekte mit schwächeren Dämmen, durch die Bisamratte beschädigt, zur Zeit eines Hochwassers reißen würden, dann folgen unaus- weichlich auch die tieferliegenden mit stärkeren Dämmen ausgerüsteten Teiche der momentan ent- fesselten stürmischen Wasserwelle und der daraus resultierenden Wassermenge wäre auch der 14^/2 m hohe in der Krone 14 m breite Bezdrev-Teich- damm nicht gewachsen. Unter dem Teiche aber liegt die Eisenbahnstation Frauenberg. Unabseh- bar geradezu würden die Folgen sein, wenn es zu einer solchen Katastrophe z. B. bei den Wit- tingauer Teichkolossen kommen sollte." Daßdie Befürchtungen Wenzel Susta's kein leerer Wahn sind, sondern auf an verschiedenen Orten gemachten Beobachtungen beruhen, wird auch durch die Angaben H. N. Mai er 's bestätigt, wonach in einer 140 Teiche umfassenden Teich- wirtschaft alle Teiche von den Schädlingen befallen und ein Dammbruch von 4 m Länge und 2 m Tiefe verursacht worden war. Auch Eisenbahn- dämme werden, sofern sie nur in der Nähe von Wasseranlagen liegen, von den Ratten besiedelt. Wenzel Susta berichtet von ihrem Vorkommen in dem Damme der Linie Budweis-Eger. Die Einbrüche der Bisamratte in menschliche Kulturländereien, also vornehmlich in Getreide- felder, haben wir schon oben bei der Erörterung der Ernährung der Tiere erwähnt. IVIeinhard berichtet in diesem Zusammenliang von einem Gerstenfeld, in dem die Bisamratten runde, zimmer- große Flächen kahl abgenagt hatten. Von be- sonderem Belange sind auch die Beobachtungen Nechleba's, wonach die Bisamratte Feldfrüchte und süße Gräser unbedingt den harten und sauren Wald- und Teichgräsern vorzieht und unter den Feldfrüchten hauptsächlich die Leguminosen (Klee- Arten) liebt. Auch alle diese Schäden fallen ein- leuchtenderweise im dichtbesiedelten Böhmen viel schwerer ins Gewicht als in einem Lande mit so extensivem Kulturbetrieb wie Nordamerika. Des- halb ist der Schaden, den die Streifzüge der ■]6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 Ondatra in landwirtschaftlichen Anlagen verur- sachen, in Böhmen mit ganz anderem Maße zu messen und viel ernster zu beurteilen als in Kanada oder in Alaska. DerSchaden also, den dieBisamratte in Böhmen verursacht, muß als ein ganz enormer bezeichnet werden. Wie steht es nun mit dem Nutzen, den die Jagd auf die Tiere einbringt? Ist er vielleicht ein derartiger, daß man mit einem Schein von Recht von einem gewissen Äquivalent sprechen könnte? Über den Wert der böhmischen Bisamratten- felle, das haben wir bereits weiter oben eingehend erörtert, sind die Akten noch nicht geschlossen ; jedenfalls sind die Felle nicht so schlecht, daß sie nicht zu Kürschnerarbeiten Verwendung finden könnten. Weiterhin wäre eventuell noch das Fleisch zu verwerten. Früher hat man angenom- men, daß das Bisamrattenfleisch nur von Indianern verzehrt würde, späterhin hat sich dann aber heraus- gestellt, daß das Fleisch der Bisamratte ein auch von der weißen, und durchaus nicht nur von der ärmeren Bevölkerung sehr begehrter Artikel ist und die Nachfrage die Anlieferung bedeutend über- steigt. Lantz berichtet sogar, daß Bisamratten- fleisch auf einem alljährlichen Festessen desMonroe- March-Club, auf dessen Initiative ein Gesetz für die Einführung der Schonzeit für Bisamratten zurückzuführen ist, eine der Hauptdelikatessen bildet. Störend bei dem Bisamrattenfleisch kann nur der Zibethgeruch werden, aber dieses Hindernis ist leicht zu umgehen, wenn man nur, wie Xeres- heimer es vorschreibt, „bei dem Abbalgen die nötige Vorsicht nicht außer Acht läßt. Die Haar- seite des Pelzes soll mit dem Fleisch in gar keine ''/YJV//7l7////'l/ll// ■' Abb. l6. Abb. 15/16. Schematische Darstellung eines durch die Wühlarbeit der Bisamratte verschuldeten Uferbruchs. Abb. 15. Bisamratlenröhren im gefährdeten Teichdamm, a: landseitiger Auslaufgang (Ferngang), b: Steilgang. W: Wasser. Abb. 16. Der Teichdamm nach dem Uferbruch. A: abgestürzte Uferpartie. N: Neuer Uferrand, a: verschütteter Gang der Bisamratten. W: Wasser. Nach Frickhinger aus Naturwiss. Zeitschrift f. Forst- und Landwirtschaft. Abb. 17. Größere Uferabsitzung infolge der Durchwühlung durch die Bisamratte auf dem linken Ufer des Beraunflusscs in der Nähe von Pürglitz. Phot. Forstrat AI. Nechleba- Pürglitr. Berührung kommen und die Drüsen sollen mit dem Fell zugleich ent- fernt werden". — Besonders hervor- zuheben ist noch die Tatsache, daß das Fleisch im Winter — der eigent- lichen Bisamrattensaison in Amerika — überhaupt nur sehr wenig nach Zibeth riecht und der Geruch dann leicht durch Waschen entfernt werden kann. Auch in Böhmen und nach H. N. Mai er auch in Bayern, sind schon Versuche mit Bisamratten- fleisch gemacht worden und die Esser rühmen es als „zartes, schmack- haftes Wildbret". Ob freilich ein nennenswerter materieller Ertrag durch den gewerbsmäßigen Verkauf von Bisamrattenfleisch erzielt werden könnte, ist immer noch sehr die Frage, da der Preis für das ent- häutete Stück, der in Amerika nach Neres heimer zwischen 5 und 20 Cts. beträgt, natürlich auch in Europa ein niedriger sein müßte. Jedenfalls geht aus dem Gesagten deutlich, hervor, daß der wirt- N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 77 schaftliche Nutzen, den die Bisamratten- jagd bei uns eventuell abwerfen könnte, weit, unendlich weit zurückbleibt hinter dem Schaden, den die Tiere in P'ischerei und Teichwirtschaft, in Land- und Forstwirtschaft anzurichten ver- mögen. Aus dieser Sachlage resultiert die unabweisbare Pflicht, nichts unversucht zu lassen, um einerseits einer weiteren, in einem gleich raschen Tempo verlaufenden Massenvermehrung der Tiere Einhalt zu gebieten und andererseits auch die heute schon existierenden Bestände in Böhmen und in den mährischen, den nieder- und oberösterreichischen, den bayerischen und den sächsischen Grenzgebieten zu dezimieren, wenn irgend möglich überhaupt wieder auszurotten. Die Bekämpfungsmaßnahmen, die bis heute in Böhmen angewandt worden sind, be- stehen vornehmlich aus Methoden der ameri- kanischen Trapper, die ja in der Jagd auf die Bisamratte natürlichermaßen eine große Technik besitzen. Die gebräuchlichste Art der Ondatrajagd ist das Abschießen, das in späten Abendstunden oder in frühen Morgenstunden, wenn die Tiere ans Land kommen oder an sonnigen Wintertagen, wenn sich die Ratten auf ihren Winterburgen sonnen, recht ergiebige Erfolge zeitigen kann. So wurden auf einer böhmischen Herrschaft im Jahre 191 3 nur seitens des zuständigen herrschaftlichen Forstpersonals 813 Stück geschossen, davon er- legte ein besonders glücklicher Schütze an einem einzigen Abend allein 56 Stück. In Amerika sollen nach N eres heimer die Indianer die Ondatra oft in ihren Winterwohnungen Speeren. Die Methode ist in Amerika unter den weißen Jägern deshalb nicht sehr beliebt, weil der Pelz dabei meist zu Schaden oder häufig über- haupt zu Verlust kommt, wenn die gespeerten Tiere sich wieder loszureißen vermögen. Für das europäische Bisamrattengebiet gelten diese Gründe ja nicht in der gleichen Weise, so daß Neres- heimer auch zu dieser Methode rät. Die verbreitetste Art der Bisamrattenjagd in Nordamerika ist das Fangen in Fallen. Eiserne Fallen, sogenannte Schlageisen, scheinen sich dabei am besten zu bewähren: sie werden in seichtes Wasser gelegt, mit Gras oder Laub und Schilf gut maskiert und mit einer Kette so an einem fest eingerammten Pflock befestigt, daß das Tier, das nach dem Zuschlagen der Falle sofort ins tiefere Wasser abzieht, noch gut dorthin ge- langen kann und dann ertrinkt. Als Köder werden entweder süße Äpfel, Apfelsinenschalen, weiße oder gelbe Rüben in die Falle gegeben. Noch mehr empfiehlt es sich als Witterung, besonders in der Zeit der Paarung (April, Mai und August), den Inhalt der Zibethdrüsen zu benützen, der natürlich als vortrefi"liches Anlockungsmittel wirkt. Tellereisen ohne Köder werden auch häufig an Stellen angebracht, welche die Tiere passieren, so entweder vor einem Ausgang ihres Wohnbaus oder in die Weidegänge, welche sie sich durch den Schilf bahnen. Im Zusammenhange damit wurde auch schon geraten, den Tieren einen bequemen Weg, etwa durch ein passend angebrachtes Brett, zu bieten und darauf dann mehrere Fallen anzu- bringen, eventuell sogar zwischen die einzelnen Fallen noch Köderstückchen auszulegen. Auf diese Weise, berichten amerikanische Quellen, sei es schon gelungen, alle Inwohner eines Nestes zu fangen. Smolian rät, kleine Falleisen, wie sie für Hamster und Ratten (16 cm Spannweite) oder Tellereisen, wie sie für Iltisse (18 cm Spannweite) verwendet werden, in die Gänge zu legen, in denen das Wasser 8 — 12 cm hoch steht. „Wenn diese Gänge von außen unzugänglich sind, werden sie angebohrt, die Falle glatt eingepaßt und das Ganze zugedeckt." Eine Beköderung ist auch hier nicht nötig. Alle Eisen können das ganze Jahr hin- durch benützt werden, am erfolgreichsten dürften sie aber nach desselben Autors Ansicht in der Zeit der Eisschmelze, also von F'ebruar bis März sein. Menschliche Witterung ist natürlich bei allen derartigen Manipulationen peinlichst zu vermeiden, „man bereite seine Hände deshalb durch eine Abb. 18. Schematische Darstellung eines Wasserfasses als BisararaUen- falle. Erklärung im Text. Nach Buchal. Waschung mit Weizenkleie vor, der man ein wenig yöf«?/;«,^»-«^«^;« oder synthetischen Moschusbeigibt." Gute Dienste beim Bisamrattenfang haben auch schon schwimmende Fisch fässer (Abb. 18) geleistet. Dabei ist besonders das vom Rentmeister Zak in Blatna erdachte System zu empfehlen; darnach „wird das Fischfaß bis zur Hälfte mit Wasser gefüllt und zu beiden Seiten des Fasses werden Breiter angemacht. Die Bisamratten kriechen an den Brettern hinauf, springen in das im Fischfasse enthaltene Wasser und müssen er- trinken." Man muß bei dieser Methode nur darauf achten, daß das Wasser in den Fässern öfters er- neuert wird, da die Tiere sonst die Fallen meiden. Mittels solcher Fischrässer wurde im Teiche „Podskalsky" bei Blatna in einer Nacht ein ganzes Nest Bisamratten und in 4 Wochen in 2 Fässern 18 Stück gefangen. In einem anderen, in der Nähe Blatnas gelegenen Teiche „Draschky" wurden in 2 Fischfässern in 28 Tagen 9 Ratten und im Teiche „Silnicky" in 1 Faß in 4 Wochen 10 Stück gefangen (Abb. 19). Nach dem System des Wasser- fasses erdacht ist die Buchal' sehe Falle, mit der 78 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 es auch schon eine größere Zahl von Bisamratten zu erbeuten gelang (Abb. 20). Bei der Abfischung von Fischwässern fangen sich gelegentlich auch Bisamratten in den Netzen ; man hat deshalb den Versuch unternommen, eigens zum Fang von Ondatras Reusen aufzustellen und man hat damit sehr gute Resultate erzielt. H. N. Maier teilt mit, daß bisher „in mit Fischen be- köderten Reusen die meisten Bisamratten in Bayern gefangen wurden". Auch in Böhmen hat sich der Reusenfang bewährt, wurden doch im auf starkem Eisendrahtgerüste zugestellte, der Fisch- reuse ähnliche Fangvorrichtung, welche demnach aus einem zylindrischen, durch kegelförmige Teile abgeschlossenen Netz besteht" (Abb. 22). Das Netz wird in etwa i m breite Durchhaue im Ufer- schilf in die Einmündungsgräben von Nebenarmen einer Wasserfläche angebracht, wo es die Ratten, welche an der Wasserfläche dahinschwimmen, am Fortkommen verhindert und zum Tauchen veran- laßt (Abb. 22a) '). Dadurch müssen die Tiere in den Apparat schlüpfen und werden dabei gefangen. Abb. 19. BisamraUenfallen ; links ein Wasserfaß, reclits eine Buchal'sche Falle. Nach Buchal. Jahre 191 3 im Satzawagebiet allein 350 Ratten in Reusen erbeutet. Gewöhnliche Fischreusen werden immer längs des Ufers aufgestellt, man wählt dazu am besten möglichst ruhige ,Wasserstellen, wie Abb. 20. ^^^- 21- Schematische Darstellung einer Günsüger Platz zur Aufstellung .chaTschen Falle. NachjBuchal. vonReusen bzw. derLhotsky- schen Falle am Ausgange emer Seitenbucht. Nach Horälek aus „Allge- meine Fischereizeitung". Altwasser, oder Buchten und Tümpel (Abb. 21). Das Beködern mit einem lebenden Fisch erhöht die Fängigkeit solcher Reusen. Andere Reusen wieder kommen unbeködert zur Anwendung, wie die von Horalek beschriebene und von dem k. u. k. Forstverwalter J. L h o t s k y (Kornporitschen bei Klattau) erdachte Reuse, deren Erfolge ganz ausgezeichnete sein sollen. Der Lhotsky'sche Apparat ist „ein aus gut verzinktem Drahtgeflecht weil die eingefügten kegelförmigen Netze ihren Wiederaustritt verhindern. „Die Aufstellung ge- schieht derart, daß das zylindrische Mittelnetz ganz unter die Wasseroberfläche zu liegen kommt, ein Teil der trichterförmigen Einlaufe aber über den Wasserspiegel hervorragt. In dieser Stellung wird das Netz durch 2 — 4 Pflöcke fixiert, welche zum Aufhängen des Netzes mit Nägeln oder Häkchen versehen sind." Die besten Erfahrungen sind mit dieser Reuse während der Paarungszeit gemacht worden, wo sich täglich durchschnittlich 2—4 Tiere darin fingen. Neuerdings ist noch eine andere Art von mit einem lebenden Fisch beköderten Reusen erprobt worden, welche nach Streibel's Angaben sich besonders für den Lebend fang von Bisam- ratten eignen (Abb. 23). Es sind dies „gewöhn- liche Reusen, welche oben an der Reusendecke, ungefähr über der Mitte der Kehle, eine Öffnung haben, die zu dem Kasten führt. Die Öffnung „C" muß nun so angebracht werden, daß es der Ratte möglich ist, zwischen der Kehle und der oberen Reusendecke durch in den Kasten „B" zu gelangen. Der Kasten ist am Fuße mit Falzleisten versehen, die ihrerseits in die auf der Reuse befindlichen ') Die Abbildung ist einem Prospekt der Siebwaren- und Drahtgeflechtefabrik Joh. Bukowansky- Budweis entnommen, der die Herstellung der Lh otsky 'sehen Fallen übertragen ist. N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 79 Einführungsleisten A. A. eingreifen, so daß er schlittenförmig eingeschoben und in der Pfeilrich- tung wieder herausgenommen werden kann". . . . Der Kasten wird stets über Wasser angebracht und mit Gesträuch maskiert. Nach den Angaben des Forschers ist der Fang am aussichtsreichsten in mondfinsteren Nächten, mondhelle Nächte da- gegen sind dem Fang nicht günstig. Die Bisamrattenjagd durch Abschießen und der Fang in Eisen, Fischfässern oder Reusen haben den gemeinsamen Vorteil, daß die Beute in den allermeisten Fällen auch in die Hände des Jägers oder Fallenstellers gelangt, für ihn also auch ver- wertbar bleibt. Bei der Bekämpfung der Ondatra Abb. 22. Lhotsky'sche Falle. Erklärung im Text. Nach HorSlek aus Allgemeiner Fischereizeitung. mittels Giften, bei der Ausräucherung ihrer Wohnbauten und Bruträume durch Gase, ist das meistens nicht der F'all. Nichts- destoweniger hat man in den gefährdeten öster- reichisch-deutschen Provinzen auch diese Methode versucht und besonders mit der Vergiftung durch die Meerzwiebel {Scilla maritima), deren starke Giftwirkung allen Nagern gegenüber bekannt ist, gute Erfolge nachweisen können. Smolian gibt für die Bereitung von Meerzwiebelpräparaten folgendes Rezept: „'/a fein zerhacktes süßes Gras, Abb. 22a. Durchschnitt eines Grabens mit fängisch gestellter L ho tsk y' scher Reuse. Vg gestoßenen Kalmus und ^s f^i^i geschabte Meerzwiebeln werden durch Zusatz von Eiweiß und Mehl gebunden, eventuell unter Beifügung von Glyzerin und Borax." Leichter herzustellen ist folgende Mischung, die derselbe Autor angibt; geschabte Meerzwiebeln zu gleichen Teilen, mit Muschel- und Krebsfleisch zu vermengen. Ein bis zwei kleiner Pillen, aus dieser oder jener Masse bereitet, töten die stärkste Bisamratte und werden gerne angenommen. „Man streut sie in die offenen trockenen Gänge oder die Luftlöcher der Nester, auf die Wechsel oder sonstigen Stellen, die aus irgendeinem Grunde (Fährten, Speisereste) auf die häufige Anwesenheit der Bisamratte schließen lassen — an die Ufer von Gewässern, an einen kleinen von Pflanzen befreiten Platz, der mit klein gehacktem Seggengras, Schilfrohr oder dergleichen bestreut wird — und im Winter auf das Eis nahe den Schlupflöchern der Burgen." Bei der Aus- wahl von Giften, mit denen die Bisamratte ver- giftet werden soll, muß man natürlich mit großer Sorgfalt zu Werke gehen, damit nicht auch andere Tiere und vornehmlich nicht die Fischbestände gefährdet werden. Alle wasserlöslichen Gifte und alle Stoffe, die vielleicht auch von den Frischen angenommen werden könnten, sind deshalb, darauf weist Neresheimer ausdrücklich hin, streng zu vermeiden, also „vor allem die gegen Ratten und Mäuse gut bewährten, mit Strychnin vergifteten Cerealien". In der kgl. bayr. Agrikultur- botanisch enAnstalt in München gelangen zurzeit nach H. X. Mai er einige Mittel zur Erpro- bung; über die dabei gewonnenen Ergebnisse dürfte wohl in absehbarer Zeit berichtet werden. Die Ausräucherung der Wohnbauten und Abb. 23. Falle zum Lebendfang von Bisamratten. Nach Streibel aus Allgemeine Fischereizeitung. AA: Führungsleisten. B: Fangkasten mit Nute zum Heraus- schieben. C : Öffnung in der Reuse zum Ausstieg nach dem Fangkasten. Nester der Bisamratten durch Gase ist in Amerika kaum in Gebrauch und ist auch bei uns noch wenig angewandt worden. Dieser Vernichtungsart stehen eben eine Reihe schwerwiegender Bedenken entgegen, über die sich Neresheimer eingehender äußert. Die Gase müßten dabei wohl durch die Ausführgänge der Bauten der Ondatra in die Wohn- kammer, als den eigentlichen Aufenthaltsraum der Tiere eingeleitet werden. Da diese Ausführ- gänge nun aber in ihrer überwiegenden Mehrzahl unter Wasser münden, so ist darauf zu achten, daß die Gase erstens im Wasser nicht löslich und dann leichter als Luft sind, damit sie auch tat- sächlich bis zur Wohnkammer, die immer etwas höher liegt, vordringen. Wollte man schwere Gase bzw. Dämpfe, wie etwa das Claytongas, erproben, so müßte man die Wohnräume anbohren und würde dadurch natürlich den fluchtartigen Abzug der Insassen bewirken. Aus all diesen Gründen kommt Neresheiner zu dem Schluß, daß „das 8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 6 Verfahren vielleicht in bestimmten Fällen lokale Erfolge zeitigen mag, im allgemeinen aber kaum von besonderem Werte sein dürfte". Von der- artigen lokalen Erfolgen berichten Kor ff und Mai er: sie erprobten in Nakri-Netolitz bei Frauenberg ein Räucherverfahren mittels der Citocidpatronen (Firma Hinsberg-Nacken- heim a. Rh.); dabei wrurde eine brennende Patrone „in einen der unter Wasser befindlichen Auslauf- gänge eingeschoben und die übrigen Auslaufgänge mittels vorgehaltener Netze abgeschlossen". Schon kurze Zeit nach der Einführung der Patrone flüchteten die Tiere aus ihrem Bau und „fingen sich, da ein Entweichen in das Wasser nicht möglich war, in den Netzen, wo sie lebend ge- borgen oder totgeschlagen werden konnten". Wenn auch das Verfahren gut zu wirken schien, so werden doch die verhältnismäßig hohen Kosten einer Anwendung im großen hinderlich sein. Des- halb rieten die beiden Autoren zu einem Räucher- verfahren mit anderem Material, wie mit Papier, Schilf oder anderen stark qualmenden Stoffen, was sich ebenfalls bestens bewährte. Allen diesen hier besprochenen Jagd- und Fang- und Vergiftverfahren werden nun zwar wohl im einzelnen beachtenswerte Resultate be- schieden sein, einen nachhaltigen Einfluß auf die Bisamrattengefahr, insofern als sie dem Menschen bei der Ausrottung der Schädlinge bemerkens- werte Dienste leisten, wird man ihnen allen wohl kaum zugestehen können. Eine vollständige Ver- nichtung der Ondatra wird nur möglich sein, wenn der Kampf des Menschen unterstützt wird durch die eingreifende Tätigkeit der natürlichen Feinde der Ratte. Deren gibt es natürlich auch bei der Bisamratte eine ganze Reihe und es scheint durchaus nicht ausgeschlossen, daß der oder jener tierische F"eind bereits heute an der Ausbreitungsrichtung bzw. bei der Siedlungsgebiets- wahl des Schädlings einen großen Anteil nimmt. So führt N e c h 1 e b a die im Gegensatz zu anderen böhmischen Gebieten geradezu auffallend geringe Zahl der Bisamratten in seinem Pürglitzer Forst- bezirk darauf zurück, daß in den weiten Wald- komplexen dieses Gebietes noch allerlei Haar- und Feder- Raubwild, darunter selbst der sonst so seltene Uhu, heimisch ist. Als Feinde der Zibethratten kommen nach seiner Ansicht außer Fuchs, Iltis und beiden Wieselarten unter den Raubvögeln außer dem Uhu wohl ehestens der Bussard und die Eulen in Betracht. Durch- geführte Gewölluntersuchungen ergaben das Vor- handensein von Überresten der Schädlinge. Auch von starken Hechten nimmt Nechleba an, daß sie wenigstens junge Bisamratten angreifen und ihrer Herr werden können. Einen noch wirksameren Schutz als durch diese dem Wirbeltierreiche angehörenden natürlichen Feinde der Ondatra können wir uns von den Vertretern aus dem Kreise ihrer Wiedersacher versprechen, die den niedersten Klassen des Pflanzenreiches entstammen. Es ist allgemein bekannt, welch durchschlagende Erfolge der Mensch im Kampf gegen die wilden Kaninchen, gegen die Ratten- und Mäuse- plage errang, als es ihm gelang, die sogenannte biologische Bekämpfungsart gegen diese Schädlinge anzuwenden. Diese bestand darin, daß unter den Bakterien Parasiten erkundet wurden, welche imstande waren, unter den Schäd- lingen weitumsichgreifende Seuchen zu verbreiten. In der richtigen Erkenntnis der großen Bedeutung, welche der Entdeckung eines der Bisamratte gegen- über ähnlich wirksamen Virus bei der Vernichtung des Schädlings zukommen könnte, haben sich Fachmänner schon seit mehreren Jahren mit diesem Problem beschäftigt. Es war ja nicht zum erstenmal, daß man versuchte, mit dem Löffl er 'sehen Typhusbazillus auch anderer Tiere Herr zu werden. So berichtet Adolf Gasch von dem gelungenen Versuche, den er bei einer großen Wasserrattenplage in seiner Reis- feldfischzucht in Mezzolara bei Budrio (Italien) unternommen hatte und der ihn wie mit einem Schlage von den lästigen Fischräubern erlöste. Die ersten Versuche mit dem Typhusbazillus im Kampfe gegen die Bisamratte, die W. J. St epan im Jahre 191 3 beschrieb, gelangen nicht, aber, wie Neresheimer glaubt, handelt es sich dabei wohl um Versuche, welche mit wenig zahlreichem Material und ohne die vollständige Ausnützung der modernen bakteriologischen Technik unter- nommen worden waren; infolgedessen durfte man ihretwegen die Hofi"nung auf ein späteres Gelingen noch lange nicht aufgeben. Im Jahre 191 5 nun konnte O. Broz von Versuchen berichten, welche von der k. u. k. landwirtschaftlich-bak- teriologischenVersuchsstation im Verein mit der k. u. k. tierärztlichen Hochschule in Wien ausgeführt worden waren und ein viel günstigeres Ergebnis zeigten. Leider standen auch bei diesen Versuchen nur wenig lebende Bisamratten zur Verfügung, so daß auch diese Arbeiten noch an den bei Laboratoriumsversuchen erklärlichen Mängeln kranken; immerhin aber be- rechtigen sie uns zu der Hoffnung, daß besonders wenn immer mehr Stellen in Zukunft sich mit derartigen Versuchen beschäftigen werden — neuerdings haben auch die kgl. bayr. Biolo- gische Versuchsstation und die kgl. bayr. Agrikulturbotanische Anstalt^) in Mün- chen und die Kais. Biologische Anstalt für Land- und F"orstwirtschaft in Berlin- Dahlem dem Problem ihre ganze Aufmerksam- keit zugewendet — im Laufe der Zeit gelingen >) Assessor Dr. G. Korff, Leiter der Abteilung für Pflanzenschutz an dieser Anstalt, zeigte anfangs 1917 anläßlich eines im „Verein für Naturkunde" in München gehaltenen Vortrages ein Liclitbild einer schwerkranken Ratte, die mit einem Typhusbazillus geimpft worden war — ein Beweis, daß es auf diesem Wege sehr wohl möglich ist, den Schädlingen beizukomraen. Es handelt sich eben noch darum, einen Modus zu finden , durch den das Virus unter dem Ratten- volke verbreitet' werden kann. N. F. XVn. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. wird, auch gegen die Ondatra ein Virus zu finden, das die Bisamrattenplage in den böhmisch-deut- schen Grenzgebieten ebenso plötzlich zu beseitigen vermag, wie sie damals vor lo Jahren auftauchte. Das k. k. Ackerbauministerium in Wien hat in der richtigen Würdigung der Bedeutung einer solchen Entdeckung im Jahre 1914 schon einen Preis von 2000 Kronen für ein zur Massen- vertilgung der Bisamratte geeignetes Mittel aus- geschrieben. Die Plinführung der Bisamratte in den Dobrischer Schloßteich mag für alle Zeiten ein warnendes Beispiel sein, mit welcher bis ins Kleinste über- dachten Vorsicht man bei der Verpflanzung fremder Tiere in andersartige klimatische und biologische Verhältnisse zu Werke gehen sollte. Wird nur ein einziger Punkt in der Kette der für das Tier notwendigen natürlichen Lebensbedingungen übersehen, so können daraus, das ergibt der Fall der Bisamratte mit aller wünschenswerten Deut- lichkeit, die unheilvollsten Folgen entstehen. Die Verantwortung darum, welche jeder auf sich lädt, der eine fremde Tierart in einem Lande mit andersgeartetem Klima und andersgearteten Lebens- verhältnissen anzusiedeln versucht, ist riesengroß. Dafür ist die Frage der „Bisamratte in Böh- m e n" ein treffliches Beispiel 1 Literaturverzeichnis. 1) J. Audubon und J. Bachmann, The Quadrupeds of North-America. 3. 1854. New York. 2) O. Broz, Versuche über die Bekämpfung der Bisam- raUen mit Bakterien. Öslerr. Fischereizeitung 1915, Nr. 4. *3) F. J. Buchal (Neustopovsky), Bedeutung der Bisam- ratte in der südböhmischen Fisch- und Krebswirtschaft. Prag 1914. 4I A. W. Butler, Observations on the Muskrat. Amer. Naturalist 5. 19. 1885. 5) Dr. H. W. Vrickhinger, Neuere Beobachtungen über die Bisamratte. Naturwissenschaftl. Zeitschrift f. Forst- und Landwirtschaft. 15. Jahrg. 1917 S. 367—72. 6) Adolf Gasch (Bielitz, Österr. Schlesien), Zur Be- kämpfung der Bisamratte. Allgemeine Fischereizeitung Jahrg. 1914- S 387. 7) Prof Dr. LudwigHeck, Die Nagetiere. In Brehm's Tierleben 11. Bd. 4. Aufl. 1914, S. 276 fr. 8) D. Heyking, Die BisamraUe (Fiber zibclhictis) in Böhmen und in Deutschland. Wild und Hund 1913, Nr. 27. 9) J. Hor.'ilek (Opitz, Böhmen', Zur Bekämpfung der Bisamratte. Österr. Fischereizeitung 1914, Nr. 25. *lo) Dr. Ferd. Kohl, Zur Biologie der Bisamratte. Prag. Selbstverlag. 1913. 11) Derselbe, Die Bisamratte in Böhmen. Österr. Kischereizeitung 1913, Nr. 13, 14, 15. *I2) Derselbe, Über die Biologie und Variabilität der Bisamratte. Prag 1914. •13) Derselbe, Beiträge zur Naturgeschichte der Bisam- ratte. Prag 19 15. 14) Dr. G. korff und Dr. H. N. Maier, Bericht über eine Reise zum Studium der Bisamratte in Bayern und Böhmen. Allgem. Fischereizeitung Jahrg. 191 7, Nr. 3 u. 4. 15) R. Kowarzik, Zum Auftreten der Bisamratte in Böhmen. Zentralbl. f. d. gesamte Forstwesen. Jahrg. 36. 1911. 16) D. E. Lantz, The Muskrat. U. S. Departement of Agricult. Farmers Bulletin 1910, Nr. 396. Washington. 17) Dr. H. N. Mai er, k. Landesinspektor für Fischzucht *) In tschechischer Sprache. im k. Staatsministerium des Innern, München, Die Gefahr der Bisamratte für die !• ischerei, Land- und Wasserwirtschaft. Allgem. Fischereizeitung 1914, S. 353 — 57. iS) Derselbe, Die Gefahr der Bisamratte für die deut- sche Fischerei-, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft. Praktische Blätter für Pflanzenbau und Pflanzenschutz. 14. Jahrg. 1916 Heft 5, S. 52—60. 19) Forstmeister Karl Mein hard (Frauenberg, Böhmen), Über die Bisamratte. Vereinsschrifl f. Forst-, Jagd- u. Natur- kunde. Organ d. böhm. Forstvereins. 1917/18. Heft I u. 2. 20) Forstrat Theodor Mokry (Schlüsselburg), Fischerei- bericht. Neue Erfahrungen mit der Bisamratte. Vercinsschr. f. Forst-, Jagd- u. Naturkunde. Prag 1913/14. 21) Ders elbe, Bericht über die Herbstabfischungen 1914; Schlüsselburg. Österr. Fischereizeitung 1914, Nr. 23. 22) Derselbe, Über durch die Bisamratte verursachte Schäden. Österr. Fischereizeitung 191^, Nr. II. 23) Derselbe, Bisam. Vereinss'chr. f. Forst-, Jagd- u. Naturkunde des böhm. Forstvereins Jahrg. 1915/16, Heft II. 24) Forstrat Alois Nechleba, Pürglitz in Böhmen, Von der Bisamratte. Forstwissenschafll. Zentralblatt 1916, S. 333—341- 25) Derselbe, Weiteres von der Bisamratte. Naturwiss. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtschaft 15. Jahrg. Heft 4/6, S. 165—176. 2b) Derselbe, Zur Hebung der Teichwirtschaft. Österr. Forst- u. Jagdzeitung 35. Jahrg. 1917, Nr. 23. 27) Derselbe, Beziehungen der Bisamratte zur Technik, insbesondere zum Wasserbau. Vereinsschr. f. Forst-, Jagd- u. .Naturkunde. 1917/18. 281 Dr. E. Neresheimer (Wien), Die Bisamratte in Böhmen. Naturwiss. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtschaft 14. Jahrg. 19 16, Heft 2, S. 54 — 72. 29) Dr. Konrad Ribbeck, Eine geglückte unglück- liche Einbürgerung. Kosmos 1916, Heft 4, S. III — 116. 30) S., Die Bekämpfung der amerikanischen Bisamratte in Böhmen. Allgera. Fischereizeitung 1914, S. 398 — 99. 31) Seh., Bekämpfung der amerikanischen Bisamratte in Böhmen. Allgem. Fischereizeitung 1914, S. 204/5 "- 2S5 — 87. 32) Seh., Die Bisamratte in den Deutsch-böhmischen Landesteilen. Allgem. Fischereizeilung 1914, S. 487. 33) Seh., Kampf mit einer amerikanischen Bisamratte. .'\llgem. Fischereizeilung 1915, S. 121. 34) Seh., Über die Gefährlichkeit der Bisamratte. Allgem. Fischereizeilung 19 15, S. 347., 35) Schbt., Dammschutz vor der Bisamratte. Allgem, Fischereizeitung 19 16, S. 85. 36) Dr. Kurt Smolian (München), Die Bisamratte. Forstwissenschafll. Zentralbl. 38. Jahrg. 1916, S. 122 — 131. 37) Prof. W'. J. Stepan, Die Nahrung der Bisam- oder Zibethralte. Österr. Fiscl ereizeitung 1913, Nr. 18. 38) Derselbe, Resultate der bakteriologischen Infek- tionsversuche mit Bisamratten. Österr. Fischereizeitung 1913, Nr. 23. 391 Str., Dammschutz vor der Bisamratte. Allgem. Fischereizeilung 1916, Nr. 6, S. loi. 40) Streibel, K. , Kreisfischereisachverständiger für Niederbayern (Landshut), Das Auftreten der Bisamratte in Nieder- bayern. Allgem. Fischereizeilung 19 15, S. 345/46. 41) Derselbe, Die Bisamratte. Allgem. Fischerei- zeilung . 1916, S. 156/57. 42) Oberverwalter Wenzel Susta, Die Schädigung der Fischerei und Forstwirtschaft durch die BisamraUe und deren Bekämpfung. Österr. Fischereizeilung 1914, Nr. 16. 43) Dr. Wohlgemut, Assistent der kgl. bayr. Teich- wirtschaftlichen Versuchsstation Wielenbach (Oberbayern), Zur Bekämpfung der Bisamratte. Allgem. Fischereizeitung 1915, S. 7/8. Während der Drucklegung der vorliegenden Arbeit er- schien noch: Dr. G. Korff, Die BisamraUe und ihre Bekämpfung. Flugblätter zur Förderung des Pflanzenbaues und des Pflanzen- schutzes. Herausgegeben von Oberregierungsral Prof. Dr. L. Hiltner, Direktor der Kgl. Agrikulturbotanischen Anstalt München. Nr. II. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 Einzelberichte. Botanik. Die Fiechtensymbiose. Die Auf- fassung der Beziehungen zwischen Pilz und Alge im Flechtenthallus als einer mutualistischen Symbiose ist in neuerer Zeit wieder auf Zweifel gestoßen. Nicht nur wurde die Ansicht vertreten, es handle sich um eine antagonistische Symbiose, nämlich um ein Schmarotzen des Pilzes auf den Algen, sondern auch die für tot gehaltene An- schauung der alten Lichenologen, die in den Algen (Gonidien) keinen selbständige Organismen, sondern von den Pilzen erzeugte Gebilde sahen, ist von E I f V i n g wieder auferweckt worden. Zu den Zeug- nissen nun, die gegen diese Auffassung und für die dualistische Theorie sprechen, gehört das Auf- treten eigenartiger Pilzhyphen, die dazu bestimmt scheinen, die eigener Bewegung nicht fähigen Algen nach bestimmten Stellen des Thallus zu schieben. Wenn die Hyphen selbst imstande wären, die grünen Zellen da zu erzeugen, wo sie gebraucht werden, so würde es ja keiner besonderen Organe für den Algentransport bedürfen. Bereits Frank hatte angegeben, daß bei der Krustenflechte Per- tusaria eine Hyphe bisweilen mit ihrer Spitze von hintenher an die Alge heranwächst und sie ein Stück vorwärts schiebt. Die Angabe war aber nicht un- widersprochen geblieben. Wilhelm Nienburg hat sie nun einer Nachprüfung unterzogen und auch bei einer Laubflechte, Evernia furfuracea, an- schließende Beobachtungen angestellt mit dem Ergebnis einer neuen Bestätigung des Dualismus der Flechten. Pertusaria hat, wie viele andere Krustenflechten, einen weißlichen Thallusrand, der schon mit bloßem Auge erkennbar ist und fast allein aus Pilzhyphen besteht. Da dieser Rand beim Weiterwachsen der Flechte annähernd dieselbe Breite (etwa i mm) behält, so müssen sich die dahinter befindlichen Algen in demselben IVIaße wie die Hyphen radial ausbreiten. Bei der Untersuchung radialer Schnitte durch den Thallus erkennt man nun in dem Rande, dessen Hyphen alle mehr oder weniger parallel nach außen wachsen, einzelne verstreute große Algen, die in der Richtung des Hyphenverlaufs eiförmig gestreckt oder elliptisch gestaltet sind. Vor einer jeden Alge (d. h. nach der Thallus- grenze hin) befindet sich ein schmaler, dreieckiger Hohlraum; hinter ihr aber ist ein dichtes Bündel plasmareicher Hyphen auffällig, die mit ihren Spitzen alle gegen die Hinterseite der Alge gerichtet sind. Offenbar dienen diese Hyphen als „Schiebehyphen". Die von ihnen vorwärtsgeschobenen Algen drängen die sie umgebenden Hyphen wie ein Keil ausein- ander und werden dabei von diesen zusammen- gedrückt. Die Schiebehyphen befördern die Algen bis in die IMitte des algenfreien Randes, also über die recht ansehnliche Strecke von 0,5 mm. Mit der Zeit wird der von ihnen ausgeübte Druck ge- ringer, die Algen, die sich häufig schon vorher durch Tetradenteilung vermehrt haben, kommen zur Ruhe, runden sich ab, der Hohlraum vor ihnen wird von Hyphen ausgefüllt und auch zwischen die durch Teilung gebildeten Algen drängen sich Hyphen. Die Ruhealgen sind beträchtlich kleiner als die Wanderalgen, stehen auch nicht wie diese in so intimer Verbindung mit den umgebenden Hyphen, die anscheinend die Lebenstätigkeit der Wanderalgen anregen. In den Schiebehyphen hat sich der Flechtenpilz besondere Organe geschaffen, die nur für die Symbiose mit den Algen Be- deutung haben. Bei der Laubflechte Evernia furfuracea, wo der breite, algenfreie Rand fehlt, wird an den End- zipfeln des Thallus durch das radiale Wachstum der den Algen benachbarten Hyphen die Rinde von den Algen abgehoben, so daß über diesen Hohl- räume entstehen, in welche die Algen durch hinter ihnen befindliche, in Bündeln zusammenstehende, plasmareiche Hyphen hineingeschoben werden. Auch hier also finden wir die „Schiebehyphen", und ihr Vorkommen in diesem wie in dem vor- erwähnten Falle würde nicht verständlich sein, wenn die Elfving'sche Auffassung richtig wäre. Es bliebe somit bei der dualistischen Natur der Flechten. Anderseits beschreibt Nienburg das Auftreten intrazellulärer Haustorien bei Evernia prunastri und bestätigt damit die Behauptung, daß der Pilz die Algen zu seiner Ernährung ausnutzt. Indessen hebt Verf hervor, daß die Algen ge- wöhnlich doch nur wenig geschädigt werden, da man bei den meisten Flechten die größte Mühe hat, Anzeichen des Parasitismus zu finden, und außerdem beweise das Auftreten der Schiebehyphen, daß die Flechtenhyphen nicht nur zur Vernichtung, sondern auch zur Förderung und Pflege der Algen Einrichtungen getroff'en haben. Nienburg möchte daher das Verhältnis des Pilzes und der Algen in den Flechten als eine Zwischenstufe zwischen Mutualismus und Antagonismus betrachten und empfiehlt, es als Helotismus zu bezeichnen, ein Name, der zuerst von Seh wenden er und dann von W a r b u r g (im Hinblick auf die Unterdrückung der Sexualität bei den Algen) angewendet worden sei. (Zeitschr. für Botanik. Jahrg. 9, 191 7, S. 529 bis 545.) F. Moewes. Meteorologie. Über den Wolkenbruch von Nürnberg am 3. Juli 1914 erschien kürzlich eine ausführliche Untersuchung von Dr. JosefHaeuser (Abhandlungen des Kgl. Bayer. Hydrotechnischen Büros, München 1917). In den Abendstunden des 3. Juli 1914 wurde die Stadt Nürnberg und ihre südliche Umgebung zum Schauplatz eines Hagel- und Regenunwetters von seltener Stärke und Aus- dehnung. Nach den genauen Witterungsaufzeich- nungen, welche bis auf das Jahr 1879 zurückreichen, kann dieses Unwetter nur annäherungsweise noch mit dem Wolkenbruch vom 2. Juni 1903 ver- glichen werden, hat aber diesen sowohl als Ge- samterscheinung als in seinen einzelnen Phasen an Heftigkeit und Ungestüm übertroften. Ein glück- N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 83 licher Umstand gestattete, dieses elementare Er- eignis besonders eingehend zu untersuchen, darin bestehend, daß der Höhepunkt der Erscheinung zufällig über einem mit Beobachtungsstellen dicht besetzten Gebiet eintrat. Die Stadt Nürnberg unterhält nämlich nicht nur bereits seit dem Jahre 1878 eine eigene Wetterwarte, sondern hat auch eine Reihe weiterer Stationen im engeren und weiteren Stadtgebiet eingerichtet, die sich besonders mit Niederschlagsmessungen befassen und meist mit selbstschreibenden Apparaten ausgestattet sind. Die meteorologischen Verhältnisse, aus denen heraus das Gewitter sich entwickelte, waren folgende: Vom 26. Juni bis i. Juli herrschte unter dem Einfluß eines ausgedehnten kontinentalen Hochdruckgebiets warmes, größtenteils wolkenloses Sommerwetter in ganz Deutschland mit nur ört- lich eng begrenzten Wärmegewittern. Am Morgen des 2. Juli war umfangreicher Tiefdruck nach den Britischen Inseln vorgedrungen, dessen Rand- störungen im südlichen Bayern bereits heftige Ge- witter mit starken Niederschlägen veranlaßten. Am 3. endlich erstreckte sich eine breite Furche tiefen Barometerstandes von Island über die Nord- see bis zu den Alpen und veranlaßte einen all- gemeinen Witterungsumschlag. Die Temperatur stieg an diesem Tag bei noch vorwiegend sonni- gem Wetter- stellenweise auf über 30" C an, er- möglichte somit einen hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Auch die oberen Luftschichten waren durch südlichen Wind kräftig erwärmt, so daß die Vorbedingungen für die Gewitterbildung alle er- füllt und die Verhältnisse dafür sogar außerordent- lich günstig waren. Das bei Nürnberg zur Entladung gekommene Gewitter bildete sich gegen 6 Uhr abends im Hersbrucker Jura und zog nach Westen mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km in der Stunde. Es gehört also zur Gruppe der Ostgewitier, welche erfahrungsgemäß zu den gefährlichsten und nieder- schlagsreichsten zählen. Um 7 Uhr erreichte es die Linie Forchheim — Weißenburg i. B., um 8 Uhr Heilsbronn, um 8 Uhr 30 Min. Kitzingen — Rothen- burg o. T. — Gerolfingen. Der Regen setzte so- gleich im Hersbrucker Jura ein , erreichte aber zunächst nur stellenweise eine etwas größere Er- giebigkeit von 10 bis 25 mm in i bis i Vj Stunden. Erst mit dem Austritt aus den Juravorbergen und dem weiteren westlichen Vordringen gegen Nürn- berg wurde die Niederschlagstätigkeit über dem stetig an Ausdehnung zunehmenden Gebiete des Gewitters lebhafter. Bald wurden 30 mm in 1V2 Stunden, östlich von Nürnberg 40 mm in der gleichen Zeit erreicht. Die Hauptentladung er- folgte über der Stadt Nürnberg selbst und ihrer unmittelbaren südlichen Umgebung, wo die Nieder- schläge zu seltener, katastrophaler Stärke an- wuchsen. Noch die östlichen Vororte waren von der äußersten Gewalt des Unwetters verschont geblieben. Die Hauptfeuerwache in Nürnberg da- gegen hatte in 45 Minuten 62 mm Niederschlag. Im Gebiete des stärksten Regens fiel auf kurze Zeit auch starker Hagel, der sich von Nürnberg aus in südwestlicher Richtung bis gegen Eibach erstreckte und eine Fläche von etwa 25 qkm be- traf. Nach Überschreitung des Rednitztales nahm die Ergiebigkeit der Niederschläge rasch ab und erreichte nur noch örtlich eng begrenzt im Gebiet des südlichen Steigerwaldes höhere Beträge. Die größte Niederschlagsmenge überhaupt ver- zeichnete die Station Nürnberg Hauptfeuerwache, nämlich 78,3 mm in 24Stunden. Der daselbst während der beiden Gewitterstunden gefallene Regen allein entspricht etwa 12 v. H. der durchschnittlichen Jahresmenge und 86 v. H. des Mittelwerts für den Monat Juli. Die Intensität im zweistündigen Durch- schnitt betrug 0,54 mm in einer Minute, war aber zur Zeit der größten Heftigkeit des Unwetters viel größer: Hauptfeuerwache 2,48 mm, altes Gas- werk sogar 3,40 mm in der Minute während 10 Minuten. Es sind dies die weitaus größten, für Nürnberg bisher gemessenen Werte. Erst bei höheren Zeitstufen von mehr als i Stunde tritt der Gewitterregen vom 2. Juni 1903 an die erste Stelle. Der Verfasser untersucht sodann ausführlich den inneren Aufbau des Regens, insbesondere im Hinblick auf die den Wasserbautechniker an- gehenden Fragen: Welche Ausdehnung erreicht ein Starkregen von gewisser Dauer und Intensität im Höchstfall und im Durchschnitt?, ferner: Welche Gestalt nimmt die Niederschlagsverteilung bei solchen Starkregen an; zeigt sie eine Abhängigkeit vom Gelände und welcher Art ist diese? Diese Fragen spielen eine besondere Rolle für den Ab- wasseringenieur zur Berechnung der ungünstigsten Belastung eines geplanten Kanalnetzes, zur Fest- stellung des ungünstigsten Zusammentreffens der Flutwellenscheitel der einzelnen Kanäle im Haupt- sammler und ähnlichen Aufgaben, woraus sich dann die zu bewältigenden Größtabflußmengen und die nötigen Durchmesser von Straßenkanälen, Durchlässen usw. ergeben. Besondere Bedeutung für die Wasserbaupraxis hat der Wert der sog. Niederschlagsspende, das ist die in i Sekunde auf einen Quadratkilo- meter gefallene, in Kubikmeter ausgedrückte Niederschlagsmenge. Für den 2 Stunden 5 Min. währenden eigentlichen Gewitterregen ergab sich folgende Übersicht: Mittlere .Niederschlagsstufe Niederschlagshöhe Fläche 60 — 68 mm 63 mm 2,5 qkm 50—60 „ 55 „ 10,8 „ 40—50 „ 45 .. II 1.5 .. 30—40 „ 35 » 222,8 „ Gesamtanfall Niederschlagsspende 0,157s Mill. cbm 8,3 cbm/sec. qkm 0,5940 „ „ 7.5 5.0175 „ „ 6,2 7.7980 „ „ 5,0 Ferner wurde auf Grund der Aufzeichnungen der Regenschreiber die Verteilung des Nieder- 84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 Schlags im engeren Stadtgebiet untersucht. Das Ergebnis ist a. a. O. in mehreren Tafeln und 6 Kärtchen niedergelegt, welche die örtliche Ge- samtmenge für verschiedene Zeitstufen entnehmen lassen. Der größte Anfall wurde bei allen Stufen im Inneren der Stadt erreicht. Die Niederschlags- spenden nehmen proportional der Dauer des Regens ab. Ein Vergleich der Regenkurven vom 3. Juli 1914 und 2. Juni 1903 zeigt, daß an ersterem Tag die Gesamtmenge während viel kürzerer Zeit er- reicht wurde, wogegen sich der Regenfall vom 2. Juni 1903 durch größere Dauer bei nahezu gleichbleibender Stärke auszeichnete. Die Folgen des Unwetters, welches in Nürnberg und Um- gebung schweren Schaden anrichtete, zeigten sich auch in einem außerordentlich starken Steigen der Flüsse, besonders der Rednitz und Schwarz- ach. In anderen Gegenden Süddeutschlands traten ebenfalls starke Gewitter auf, begleitet von wolken- bruchartigem Regen und Hagelschlägen. C. H. Palaeontologie. Jedermann kennt die bunte Färbung der Schalen lebender Mollusken. Ent- sprechend der Mannigfaltigkeit dieser Erscheinung werden Unterschiede in der Färbungszeichnung von den Conchyologen in weitgehendem Maße zur Artunterscheidung verwertet. Bei fossilen Mollusken, einschließlich der Brachiopoden, sind Reste dieser ursprünglichen Färbung nur in sel- tenen Fällen erhalten; diesbezügliche Notizen sind in der paläontologischen Literatur weit verstreut. In größerem Zusammenhang behandelt W. Deecke diesen Gegenstand in einer Arbeit über Färbungs- spuren an fossilen Molluskenschalen (Sitzungsberichte d. Heidelberger Akad. d. Wissensch. Mathemat.-naturwissensch. Klasse. Abteilung B, Jahrgang 1917, 6. Abhandig.). Die Färbung der ganzen Schale der Mollusken sowie die Zeichnung an den einzelnen Stellen der Schale wird hervor- gerufen durch einen von den randlichen Teilen des Mantels abgeschiedenen organischen Farbstoff. Die eigentliche F"arbschicht wird nach außen von einer dünnen Lamelle von nicht kohlensaurem Kalk bedeckt, während sie andrerseits noch den obersten P^aserschichten der Schale eingelagert ist. Die Buntheit der Färbung wird durch den verschiedenen Stärkegrad der Chitinausscheidung bewirkt. Das Auftreten von Färbungsflecken im Innern, an den Muskeleindrücken der Lamelli- branchiaten und um die Spindel der Schnecken, wird als Reservestoff gedeutet. Außen können sie Schutzfärbung darstellen oder auch eine Folge der Sonnenstrahlung sein. Die Erhaltung der Färbung ist in bedeutendem Maße von dem Sedi- ment des Meeresbodens abhängig. Kreidiger Boden und tonige Schlammböden schließen Fär- bung so gut wie vollkommen aus. Am häufigsten und intensivsten tritt eine Zeichnung bei den- jenigen Formen auf, die auf Korallenriffen lebten. Die Hauptrolle für die Erhaltung der Färbung spielt jedoch die epigenetische Umsetzung in den Ablagerungen. Beim Umkristallisieren der Schale wird jede Färbung gestört. In eisenschüssigen Schichten wird eine gewisse Konzentration eisen- haltiger Lösungen die Färbung ebenso vernichten, wie ein Überschuß von Bitumen in tonigen Ab- lagerungen. Am trefflichsten erhalten ist die Zeichnung in den silurischen, devonischen und carbonischen Riffkalken und namentlich im tria- dischen Esinokalk. Der Verf. gibt sodann eine Liste derjenigen Formen, bei denen Farbspuren vorkommen und leitet daraus einige Schlüsse ab. Im allgemeinen betrachtet, tritt Buntheit in der Färbung am häu- figsten bei den jüngeren, tertiären Formen auf Bei älteren Formen ist eigentlich nur eine dunkle Pigmentierung der Schale vorhanden. Die rote F'ärbung, die man bei ihnen gelegentlich antrifft, ist z. T. pseudomorph erhalten, indem eisen- und manganhaltige Verbindungen an die Stelle des zerstörten Farbstoffes traten. Unter den fossilen Mollusken sind Farbspuren am verbreitesten bei den Schnecken; bereits die silurischen Vertreter zeigen Färbungsreste. Meist sind es dunkle Spiral- bänder oder Streifen oder Punktreihen, mitunter unregelmäßig verteilte Flecken. Man findet sie bei den paläozoischen Capuliden, bei den Nati- ciden vom Kohlenkalk an, namentlich aber in der alpinen Trias. Die Neritinen des Tertiärs sind fast sämtlich bunt gezeichnet. Weiterhin sind von tertiären Gastropoden zu nennen Coniden, Volutiden, Fusiden, buntfleckige Cypraeiden und auch Terebriden. Bemerkenswert ist dabei, daß die Mehrzahl der gefärbten Schnecken Fleisch- fresser sind. Deecke hält es daher für möglich, daß an der Zusammensetzung des Pigments bei diesen Gruppen harnsaure Salze beteiligt sind, „deren Zersetzung durch Ammoniakentwicklung leicht kolloides Eisen an Stelle der organischen Substanz zur Ausscheidung bringen und damit die Zeichnung besonders leicht erhaltungsfahig machen könnte". Bedeutend seltener sind Farbspuren bei fossilen Lamellibranchiaten erhalten. Es sind namentlich die braunen Radialstreifen von Exogyra coluniba aus der oberen Kreide und die Färbung durch helle und dunkle Anwachsstreifen bei Pecti- niden und Cythereen anzuführen. Bei den Brachi- opoden werden Reste der Färbung in Form breiter, radial verlaufender, brauner Streifen verschiedent- lich bei Tcrehrafula vulgaris aus dem Muschel- kalk erwähnt. Auch Tcrcbratnla cariica aus dem Senon und die oligocäne Tercbratula graiidis weisen Farbspuren auf Wichtig ist die Angabe, daß die Art der Zeichnung bei manchen Familien der Mollusken sehr konstant ist, und schon bei dem ersten Auf- treten der Gruppen in gleicher Weise ausgebildet ist, wie bei ihren noch lebenden \'ertretern. Dies trifft auch für die Brachiopoden, insbesondere für die Terebratulaceen und Rhynchonelliden zu. Ein anderes Resultat ist, daß die Färbungszeichnungen fast durchweg nur bei glatten Gehäusen auftreten. N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 8S Dies gilt ebenso für die Gattungen Conus, Cypraea, Natica, Ncritina, wie für die paläozoischen Capuliden und stimmt auch für Exogyra coliiniha und Tcrcbratula vulgaris. Immer ist bei der Frage der Erhaltung von Farbspuren an Molluskenschalen zu beachten, daß bei einer ganzen Reihe Familien eine Färbung von vornherein ausgeschlossen ist. So bei den in Süß- und Brackwasser lebenden Arten der Unio- niden, Cypriniden, Isocardien, Astarten, Paludinen, Limnaeen, Planorben, bei denen die dicke Chitin- haut die darunterliegende Schale vor Auflösung schützen soll. Farblos oder eintönig in der Fär- bung sind ferner i. alle im Boden eingegraben lebenden Formen, wie Myen, Teredinen, Dentalien, 2. alle planktonischen Familien (Pteropoden), 3. alle mit einem inneren Gehäuse versehenen Gattungen (Sepia, Spirula). Sehr eintönig gefärbt sind ferner die festgewachsenen Formen, wie Austern, Chamiden, Vermetiden, bei denen zudem der lamellöse Bau der Schale eine Farbenzeichnung nicht zuläßt. Auffällig ist es, daß von den zahllosen fossilen Ammoniten Farbspuren einwandfrei nicht bekannt sind und ebensowenig auch von der wichtigen Familie der Pleurotomarien unter den Gastropoden. Ref., der über den behandelten Gegenstand selbst eine Reihe Beobachtungen angestellt und Literaturnotizen gesammelt hat, möchte den in- teressanten Ausführungen VV. De ecke's einige Ergänzungen und Einschränkungen hinzufügen, namentlich in bezug auf Färbungen bei fossilen Brachiopodenschalen. Die Liste der Formen mit Farbspuren, die De ecke gibt, ist, wie er selber betont, nicht er- schöpfend. Ich möchte sie um eine weitere Zahl vermehren unter Benutzung einer ähnlichen Zu- sammenstellung, wie sie vor einigen Jahrzehnten E. Kayser mitgeteilt hat (Zeitschr. d. deutsch, geol. Gesellsch. 1871, S. 289 ff.) . Cephalopoda. Ortlwccras anguliferuni Arch. ScdeVern. Paffrath. Mitteldevon. Braune Zickzackstreifen. Gastropoda. Platyostoma elaboratum Barr. Unterdevon. Böhmen. Radialstreifen. Pkitrotomaria Orbignyi Arch. & de Vern. Mitteldevon. Pleurotomaria rotiuida Sow. PI. conica Phil., PI. carinafaSow., mit hellen Zick- zackstreifen. Kohlenkalk von Belgien und England. Turbo rnpesfris, Unt. Silur von Irland, Turbo cryptograuimus de Kon. Kohlenkalk. Spiral- streifen. PJiasianella Panoriiiifaiia Gemmelaro. Tithon von Sizilien. Abgebildet von Gemmelaro in Fauna del Calcare a Tcrcbratula janitor. 1868 — • 76. Einzelne große Tüpfel in Längsreihen, die durch feine Querstreifen miteinander verbunden sind. Trochus. Verschiedene Formen aus dem Miocän von Kischinew, Bessarabien. Tr. procerus d' O r b., Tr. cordcrianus d ' O r b. Große Tüpfel in Spiralreihen angeordnet. Tr. noveincinctus v. Buch. Wolhynien. Rote Tüpfel. Tr. pidus Eichw. mit breiten, queren Streifen, auch im Zittel abgebildet. Pscudophorus Iwibafus Arch. & de Vern. M. Devon. Naficopsis plicistriata Phil. Kohlenkalk ; mit breiten, buntscheckigen Bändern. Älarmolata Dienert B 1 a s c h k e. Alpine Trias. Pachycardientuffe. Unregelmäßig angeordnete, braune Flecken. Mannolafa applanaia Kittl. und com plana fa Stopp. Esinokaik. Unterbrochene Längsstreifen. Ojicochilus chroinaü'cus Zittel. Tithon. Stram- berg. Sehr variable Zeichnung (s. u.). Onchochilus Xcuniaycri Zittel. Ebendaher. Zickzackförmige Streifen. Natica dccorata. v. M ü n s t. mit Zickzackstreifen aus der alpinen Trias von St. Cassian wird von Graf Münster abgebildet. A^atica Arduini Gemmelaro (1. c). Tithon. Sizilien. Dreieckige Punkte in Spiralreihen angeordnet. Natica dila- tata Phil. Oligocän. Mecklenburg. Patclla, verschiedene Arten aus Kohlenkalk und Tertiär. Radiäre Streifen. Turbonitclla suhcostafa Arch. 6c de Vern. Mittel- Devon. Paffrath. Große braune Tüpfel in Längsreihen. Pseudomclaiiia Hcddingtoncnsis Sow. Oxford- Stufe, Frankreich. Ist u. a. auch im Zittel abge- bildet; mit queren Wellenlinien. Ps. procera E. Desl., Ps. turris, condcusata E. Desl. mit braunen Querstreifen, Ps. coarctata E. Desl. mit unregel- mäßig gestalteten, verästelten Tüpfeln, alle aus dem Jura der Normandie, sind von E. Des Ion g- champs abgebildet (Mem, de la soc. Linn. de Normandie Bd. VII. 1843). Macroclicilus maculatus de Kon. Kohlen- kalk. Vise. Wenige dunkle, große und rechteckige Tüpfel. Avellania cassis d' O r b. Cenoman. Olivgrün, gefleckt. Bulla utriculus B r. Oligocän. Sternberg. Quer- streifen. Lamellibranchiata. Avictdopecten clalhra- tus M'Coy. Radiärstreifen. Streblopferia laevi- gata M'Coy mit wenigen, breiten, radial verlau- fenden Streifen. Entoliuiii- coloratuiii de Kon. mit Zickzackstreifen auf der linken Klappe. Ainu- siuni planicostatnin M'Coy. Pscudamusiuin Redesdalcnse Hind, dicke, radiale Farbenbänder. Pscudaviusiuin sublobatuin Phil, und cllipticum Phil., radiale Streifen. Alle aus belgischem und 'englischem Kohlenkalk. Einen großen Avicu- topccten- mit Farbenflecken auf den Rippen, nach Art rezenter Pectiniden (z. B. Acquipcctcn paUiuiii L.) führt F o r b e s , ebenfalls aus englischem Kohlen- kalk, an (Annais & magazine of Nat. History. 1854, Bd. XIV). Auf eine Alyoconcha mit Farbresten in Form von Zickzackstreifen aus der Bajeux-Stufe der Normandie macht E. Deslonchamps auf- merksam. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 6 Brachiopoda. Martima glabcr Marl. Schizophoria resupinata Marl. Beide mit feinen Radialstreifen aus dem Kohlenkalk. Über das Auftreten von Farbspuren bei den Terebratulaceen und Rhynchonellaceen sei auf die untenstehenden Angaben verwiesen. Bei den Färbungen der Molluskenschalen sind auseinanderzuhalten die allgemeine Färbung der Schale und die nur an einzelnen Stellen auf- tretende Zeichnung in Form von Punkten, Tüpfeln und Streifen oder Linien. Die allgemeine Färbung ist, wenigstens bei den Brachiopoden, bei vielen fossilen Formen erhalten. Von den Productiden gibt Waagen eine dunkelviolette bis rotbraune Färbung bei Prodiictiis Abichi Waag. aus dem Produciuskalk der Saltrange an. Von fossilen Terebratulaceen und Rhynchonellaceen, namentlich des Jura, liegen über die allgemeine Färbung der Schale zahlreiche Angaben in den größeren Ar- beiten E. E. Deslongchamp's vor. Daß es sich in diesen Fällen um primäre Färbung handelt, geht aus dem Vorkommen verschiedengefärbter Formen nebeneinander an dem gleichen Fundort hervor. Färbungszeichnungen sind demgegenüber bedeutend seltener. Die allgemeine Färbung der lebenden Tere- brateln ist wechselnd, auch innerhalb der Gattungen; weiße, gebliche und rote Grundtöne herrschen vor. Radiale Streifungen treten vornehmlich bei den Terebratelliden auf Flecken, in rötlicher Farbe, sind am bekanntesten bei Mcgcrlea saii- guinca Ch. und Lagiiais picfiis Ch. Alle diese Färbungserscheinungen, sowie auch violette und schwarze Allgemeinfärbung, sind auch bei fossilen Terebrateln nachweisbar. Am meisten interessieren, mit Rücksicht auf die Resultate W. De ecke's die Färbungszeichnungen. Radiale F'arbenstreifen sind am bekanntesten von Terebratida i'iilgaris Schloth. Oben am Wirbel sind die braunen Streifen schmal und verbreitern sich nach den Schalenrändern hin rasch; dabei sind gelegentlich die breiten Streifen in feinere Linien zerschlitzt. Die Streifen selbst sind beiderseits der Medianen schwach nach außen gekrümmt. Am schönsten erhalten kenne ich diese Farbenstreifen von Tere- bratida vulgaris bei Exemplaren aus dem oberen Muschelkalk von Saareinsmingen (Lothringen). Genau so sind die Farbenbänder bei Diclasiiia hasta/a aus dem Kohlenkalk. Radiale Farben- streifen werden weiterhin angegeben von Dielasma elo7igala (Devon), von Terebratida sidwvvidcs (ab- wechselnd dünne und breite gelbe Streifen auf braunem Untergrund), Terebratida Eudesi aus dem Jura und bei Terebratida biplicafa var. Bei Terebratida »laxillata verursachen die zahl- reichen hellen Radialstreifen auf der dunkelrötlichen allgemeinen Färbung eine giiterförmige Zeichnung. Fleckenzeichnung kommt bei einer devonischen, nordamerikanischen, und bei einer tertiären, bipli- katen Terebratel vor (nach Sueß: Über die Wohnsitze der Brachiopoden 1855, S. 242), sowie bei Terebratida itmbonella aus dem oberen Jura. Die lebenden Rhynchonelliden sind in ihrer all- gemeinen Färbung recht eintönig; dunkle Färbung ist für die in kalten Meeresgebieten wohnenden Rhynchonella psittacea und nigricans bezeichnend ; die japanischen Rhynchonelliden sind lichtgelb ge- färbt. Die fossilen Formen sind lebhafter gefärbt, z. T. rötlich und violett, wie RhyiiclioticUa siibobso- leta und Rhy/iclionelta spiitosa des Doggers. Fär- bungszeichnungen in Form von F'lecken und Punkten sind bei RJiyiicIwneUa octoplicata aus der Kreide und namentlich bei Rliyiicliouella fugniis aus dem Eifler Mitteldevon verschiedentlich beob- achtet worden (Kayser 1. c). Unter den re- zenten Arten sind derartige Zeichnungen nicht bekannt. Dies ist erklärlich , wenn wir uns vergegenwärtigen, wie geringfügig die Zahlen der lebenden Rhynchonelliden gegenüber den unter günstigen Bedingungen mächtig aufblü- henden Formen des Mesozoikums und Palae- ozoikums ist. Soviel scheint mir eine Betrachtung der Färbungsspuren fossiler Brachiopoden zu er- geben, eine Konstanz in den Färbungstypen ist bei ihnen nicht zu erkennen. Hingegen glaube ich für die Gastropoden in diesem Punkte Deecke zustimmenzu müssen, wenn- gleich auch bei den fossilen Schnecken manches zur Vorsicht mahnt. So z. B. die Ausbildung der Zeichnung von OiicocJdlits cJiro»iaticiis Zittel, die derart variabel ist, „daß nicht zwei Exemplare darin völlige Übereinstimmung erkennen lassen" (vgl. dazu die Abbildungen bei Zittel: Gastro- poden der Stramberger Schichten). Oder soll man die in ihren übrigen Merkmalen überein- stimmenden Exemplare von OiicpckdiiscJtroniaticiis mit Punktzeichnung, mit Längsstreifung, Quer- streifung, Farbenbändern, jeweils als Vertreter einer selbständigen Art auffassen? Bei den Pectiniden des Kohlenkalks treten alle möglichen I'^arben- zeichnungen auf: radial verlaufende Streifen, dünne uud breite, sowohl auf den Rippen, als auch in den Zwischenrämen zwischen diesen, zickzack- förmige Linien, und unregelmäßig angeordnete Tüpfel. Auch die weitere Angabe des Verf., daß P'ärbungserscheinungen durchweg nur bei glatten Gehäusen auftreten, ist ein wenig einzuschränken. Bei Rliynchoiiella piigmis überzeugte ich mich an zwei Exemplaren, daß die feinen P'arbpunkte so- wohl auf den glatten Teilen der Schale als auch auf den nur an dem Schalenrande auftretenden Rippen vorhanden sind. Unter den Gastropoden nenne ich in dieser Beziehung als Beispiele: TiirboJii- teUa siibcostata A r c h. & d e V e r n., verschiedene Troc/iHS-hrlzn, ColiimbcUa Wiiiimeri H. u. a. Von den oben angegebenen Muscheln sei auf das Auftreten von Farbflecken auf den Rippen von Avicidopecteii sp. bei Forbes hingewiesen. Leidhold. Medizin. Fremdkörper im Verdauungstraktus. Wie früher (Band XIII, 19 14, S. 253) berichtet wurde, finden im menschlichen Darmtraktus oft N. F. XVII. Nr. 6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 87 erstaunlich große Fremdkörper Raum für längeren Aufenthalt. In einer neuen Mitteilung in der Münchner Medizinischen Wochenschrift Nr. 4I 1917 berichtet Oberarzt Gerhard Hammer aus dem Reservelazarett München über zahlreiche Fälle, in welchen alle möglichen Fremdkörper den Magen und zum Teil auch den Darm passiert haben. Die Gegenstände gelangten in die Speise- röhre, den Magen und zum Teil auch in das Duo- denum, um entweder auf natürliche Weise mit dem Stuhl den Körper zu verlassen, oder nach Durchbohrung der Darmwand durch ein Abszeß oder durch eine Decubituswunde ausgestoßen oder endlich durch Operation aus dem Darmtrakius und der Bauchhöhle entfernt zu werden. Die Fremdkörper: Nägel, Eßlöffelstiele, Schrauben, Bleistifthalter, Konservenbüchsenöffner, Draht- schlingen, Blechstücke, bis 10 cm lange Nadeln, Stahlfedern, Knöpfe (einmal 1 1 Uniformknöpfe), sogar ein Rosenkranz, usw. waren von den Patienten in selbstmörderischer Absicht ver- schluckt worden; die Lage der Fremdkörper wurde röntgenologisch vor der operativen Entfernung festgestellt. ') Nur in einem Falle trat eine all- ') Man muß die Langmut des Chirurgen bewunde gemeine Peritonitis ein, welcher der Patient erlag. Wiederholt passierten Nadeln usw. die Darmwand, ohne daß eine Infektion der Bauchhöhle folgte; offenbar hatte sich die kleine Wunde durch Ver- klebung der Ränder und Vernarbung sofort wieder geschlossen. Mitunter wurden größere Fremd- körper durch Bindegewebe abgekapselt. Die meisten Schwierigkeiten bereiteten der Passage offenbar die Krümmungen zwischen Pars hori- zontalis und descendens des Duodenums. Wieder- holt blieben Nadeln usw. am oberen Teil des Duo- denums liegen und drängten mit ihrer Spitze die Darmwand weit vor, ohne sie indessen zu per- forieren. Bei längerem Liegenbleiben würde natürlich eine Drucknekrose und Peritonitis einge- treten sein, wie das auch in einem Fall geschah. Längere Fremdkörper passierten, wie die Röntgen- aufnahmen zeigten, den Darmtraktus mit dem dickeren Ende voran, offenbar, weil es das schwerere war. (gTc) Kathariner. wenn er, namentlich bei rückfälligen Selbstmordkandidaten, sich der größten Mühe unterzieht, dieselben von den Gegen- ständen zu befreien, deren Ungenießbarkeit, Unverdaulichkeit usw. ihnen doch schon von früher her bekannt war. Ref. Jahrbuch der Urania und Kalender für 1918. Herausgegeben von der Urania in Berlin. 162 S. mit 36 Abbild, und 6 Tafeln. Braunschweig, Fr. Vieweg u. Sohn. 191 8. — Preis 2,40 M. Zum ersten Male gibt die Berliner Urania mit dem vorliegenden Heft ein Jahrbuch heraus, das die segensreiche Wirksamkeit des Instituts für Volksbelehrung auch in wißbegierige Kreise außer- halb der Reichshauptstadt zu tragen bestimmt und geeignet ist. An der Spitze des Jahrbuchs finden wir ein allerdings vorerst noch etwas dürftiges astro- nomisches Kalendarium, das jedem Monate zwei Seiten widmet und außer einer Darstellung des Sternenhimmels und einiger Angaben über die Stellung der Planeten die wichtigsten Angaben über Sonne und Mond bietet. In fortlaufenden Anmerkungen wird nebenher die astronomische Zeiteinteilung erläutert und anschließend die Ver- wandlung der Zeiten erklärt. Ein Verzeichnis heller Fixsterne, Doppelsterne und Nebel, sowie ein Literaturhinweis schließen diesen Teil des Jahr- buchs ab. Ihm schließt sich noch ein reich illustrierter Aufsatz von Prof Schwahn über Himmelsphotographien an. Den weiteren Inhalt des Jahrbuchs bilden recht interessante und aktuelle Aufsätze aus verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten. Wir müssen uns hier mit der Auf- zählung dieser durchweg von Autoritäten der betr. Gebiete verfaßten Beiträge beschränken. Prof. Donath behandelt das Kapitel „Lichterzeugung und Lichtausbeute", Prof. Lassar-Cohn „Die Bücherbesprechungen. astronomischer Auswertung von Deutschlands Steinkohle und Kali in der chemischen Industrie", Reg. -Baumeister Watt mann zeigt in dem illustrierten Aufsatz „Ein Problem der Straße", welche dem Laien nicht bekannten Schwierigkeiten die Anlage und Erhal- tung der Straßenbahngeleise darbieten, Dr. Berndt zeigt und erklärt uns die „Waffen der Natur", während endlich Prof Mielke eine anregende „Deutsche Siedlungskunde" skizziert. — Das Jahr- buch wird zweifellos bei den Freunden der Urania viel Anklang finden und in kommenden Jahren auch im kalendarischen Teil noch weitere Aus- gestaltung erfahren. F. Kbr. Zimmer- und Balkonpflanzen. Von P. Dannen- berg, Kgl. Gartenbau-Direktor, Städtischer Garteninspektor in Breslau. Mit i Tafelbilde und 38 Abb. 3. Aufl. 191 7. 58. Bd. aus „Wissenschaft und Bildung, Einzeldarstellungen aus allen Gebieten des Wissens". Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig. Daß während des Krieges eine, wenn auch unveränderte neue Auflage dieses praktischen Büchleins erscheinen konnte, ist ein Beweis für die erfreuliche Tatsache, daß es immer noch Leute gibt, die es nicht nötig haben ihre Blumen im Zimmer und auf dem Balkon zu pensionieren, um dafür Tomaten und Grünkohl heranzuziehen. Alles, was über die Anzucht von Blumen im Hause gesagt werden kann, hat der Verfasser in' übersichtlicher und verständlicher Weise seinen Lesern mitgeteilt. Das Kapitel über das „Schneiden" Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 6 mag hier als besonders gelungen hervorgehoben werden, ebenso die Zusammenstellung von Pflanzen- gruppen, die dauernd im Wohnzimmer stehen können und die einer anderen Behandlung be- dürfen. — Anerkennenswert ist, daß theoretische Erörterungen möglichst unterlassen und nur Er- fahrungen als solche mitgeteilt werden. Auf diese Weise vermeidet es der Verf. in den Fehler zu verfallen, Probleme als gelöst hinzustellen, die noch wissenschaftlicher Erforschung harren. Wächter. Anregungen und Antworten. Berichtigung zum Aufsatze „Brasilianische Säugetiere und Vögel im naturhistorischen Museum zu Bern" in Nr. 42 des vorigen Jahrganges. Bei Midas grhcovtrlex GmIiU (S. 597) ist die betr. Stelle folgendermaßen umzuändern : Gehört zur Gruppe der Krallen- affen, im wesentlichen durch die Gattung Hapale repräsentiert und von welch letzterer sich Midas durch die längeren Eck- zähne des Unterkiefers, welche die Schneidezähne um ein Be- trächtliches überragen, unterscheidet. I-. E. Herrn Dr. H. H. in L. I. Gibt es ein Wörterbuch, in dem die wissenschaftlichen Namen von Tieren und Pflanzen und die wissenschaftlichen Fachausdrücke der Entstehung nach verdeutscht und erklärt sind? Ziegler, H. E., Zoologisches Wörterbuch. Erklärung der zoologischen Fachausdrücke. 2. Aufl. Jena 1912. Schneider, C. K., Illustriertes Handwörterbuch der Botanik. 2. Aufl., herausg. v. K. Linsbauer. Leipzig 1917. Schmidt, H., Wörterbuch der Biologie. Leipzig 1912. Roux, W., Terminologie der Entwicklungsmechanik der Tiere und Pflanzen. Leipzig 1912. — Bildet eine gute Er- gänzung zu den oben genannten Wörterbüchern. Guttmann, W., Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften. 8. und 9. Aufl. Berlin und Wien 1917. — Dieses in medizinischen Kreisen viel gebrauchte Wörterbuch enthält auch die wichtigsten Fachaus- drücke der Zoologie und Botanik. Über die Etymologie der Tier- und Pflanzennamen geben am besten Auskunft: Leunis-Ludwig, H., Synopsis der Tierkunde. 2 Bde. 3. Aufl. Hannover 1883. Leunis-Frank, A. B., Synopsis der Pflanzenkunde. 3 Bde. 3. Aufl. Hannover 1883. 2. Welches sind die Titel der größten illustrierten zoolo- gischen Gesamtwerke, die das gesamte Tierreich behandeln und als Ergänzung zu Brehm's Tierleben dienen können? Bronn 's Klassen und Ordnungen des Tierreichs, wissen- schaftlich dargestellt in Wort und Bild. Leipzig und Heidel- berg. — Dieses seit 1859 erscheinende, umfangreiche Werk faßt unsere gesamten Kenntnisse vom Bau und der Entwick- lung der Tiere zusammen. Die ältesten Bände sind allerdings bereits veraltet. Von ausländischen Handbüchern der Zoologie seien genannt : Delage, Y. et Herouard, E., Traue de Zoologie concrete. Paris. — Erscheint seit 1896. Lankester, E. Ray, A Treatise on Zoology. London. — Erscheint seit :90o. 3. Welche Werke orientieren am besten über Schmarotzer- würmer f An erster Stelle sei empfohlen ; Braun und Seifert, Die tierischen Parasiten des Menschen, die von ihnen hervorgerufenen Erkrankungen und ihre Heilung. I. Teil: Braun, M., Naturgeschichte der tieri- schen Parasiten des Menschen. 5. Aufl. Würzburg 1915. Das klassische Werk der Parasitologie, das ebenfalls noch viel benutzt wird, ist: Leuckart, R. und Brandes, G., Die Parasiten des Menschen und die von ihnen herrührenden Krankheiten. 2 Bde. 2. Aufl. Leipzig 1879 — 1901. Außerdem sei noch hingewiesen auf: Fiebiger, F., Die tierischen Parasiten der Haus- und Nutztiere. Wien und Leipzig 1912. Neumann, R. O. und Mayer, M., Atlas und Lehrbuch wichtiger tierischer Parasiten und ihrer Überträger. (Lehmann's medizinische Atlanten, Bd. 11) München 1914. — Das Werk enthält 1300 farbige Abbildungen auf 45 Tafeln und über 200 Textfiguren. Wasielewski, Th. v., Wülker, G. und Schuck- mann, W. v., Pathogene tierische Parasiten. (3. Bd. 3. Abt. des Handbuches der Hygiene von Rubner, Gruber u. Ficker). Leipzig 1913. Nachtsheim. Druck 656 reizt zu folgenden Vorschlägen Wärmemesser in Zukunft. Die Anregung Unsere Enge in der Benützung kostbarer Rohstoffe wird auf längere Zeit hinaus zu Ersparnissen zwingen. Wäre es da nicht an der Zeit, vor- weg alle unpraktischen, unbrauchbaren oder in der Anlage verfehlten Quecksilberinstrumente von der künftigen Herstellung auszuschließen? Was nützt ein Thermometer von großer Unempfindlichkeit oder ein Barometer, bei dem die Kapillar- fehler 5 Millimeter betragen und das niemals auch nur im groben die so lehrreichen Druckänderungen unseres Luftkreises anzeigen kann? Man darf annehmen, daß von Tausenden ,, Dessins" der Thermometerlisten zwei Drittel überflüssig sind und ebenso alle Kölbchenbarometer, überhaupt alle diejenigen Quecksilberröhren, die unter etwa 8 — 10 mm Weite haben und nicht als Heberröhren mit gleicher Weite (zur Vermeidung der Kapillar-Depression) erzeugt sind. Ein richtiges Gefäßbarometer von 8 mm Weite gibt mir Ablesungen bis auf 0,05 mm zu- verlässig an ; es hat samt aufgcätzlrr Teilung in halbe mm und Brett rund 30 M. gekostet. Eine Heberröhre nach dem Vor- schlag S. 656 ließe bei gleicher Weite — und es möchte nicht empfehlenswert sein darunterzugehen — vielleicht höchstens 0,1 mm noch gewinnen. Bei Anwendung eines Gefäßes — wenigstens für ernstere Ablesungen . — wäre sein wissenschaft- licher Wert verdoppelt. Auch die belieble Angabe von Schön- Weiter bis Sturm ließe sich leichter und in weiteren Grenzen anbringen als bei der starren Heberröhre. Vielleicht schwingt sich aber unsere Industrie zu einer Anordnung auf, welche die etwa :o mm weile Heberröhre (oben und unten 10 mm weit, sonst enger) 'gleichweiter Schenkelöfl'nung mit einer Slangen- skala verbindet, die oben den Nonius und nnten über der Kuppe die Spilzcneinstcllung trägt. Das wäre eine Form, die Tausenden von Liebhabern einen sehnlichen Wunsch erfüllen, Resultate von hohem wissenschaftlichem Werte liefern und nur einen mäßigen Preis kosten würde: eine gerechtfertigte Anord- nung zur Massenherstellung also. Ph. Fauth. Hans Walter Frick hinger, Die Bisamratte in Böhmen. (26 Abb.) (Schluß.) S. 73. — Einzelberichte: W. Nienburg, Die Flechlensymbiose. S. 82. Josef Haeuser, Wolkenbruch von Nürnberg am 3, Juli 1914. S. 82. W. Deecke, Färbungsspuren an fossilen Molluskenschalen. S. 84. Gerhard Hammer, Fremdkörper im Verdauungstraktus. S. 86. — Bücherbesprechungen: Jahrbuch der Urania und astronomischer Kalender für 1918. S. 87. Zimmer- und Balkonpflanzen. Von P. Dannenberg. S. S7. — Anregungen und Antworten : Berichtigung zum Auf- satze „Brasilianische Säugetiere und Vögel". S. 88. Wörierliuch über wissenschaftliche Namen von Tieren und Pflanzen und wissenschaftliche Fachausdrücke. Titel der größten illustrierten zoologischen Gesamtwerke. Werke über Schmarotzer- würmer. S. 88. Druck- und Wärmemesser in Zukunft. S. 88. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. Februar 1918. Nummer 7. [Kachdruck verboten.] Die Permeabilität der Pflanzenzellen. Von Dr. Friedrich Weber (Graz). Der Bau einer typischen, erwachsenen Pflanzen- zelle ist bekannt. Die Zellwand (Membran) ist die äußerste Hülle; sie umschließt den Plasmaschlauch und dieser wiederum den zentral gelegenenVakuolen- raum, der von Zellsaft erfüllt ist und häufig den voluminösesten Teil der ganzen Zelle darstellt. Der Protoplasmaschlauch grenzt demnach gegen außen an die Zellmembran, gegen innen an den Zellsaft. An diesen beiden Grenzflächen scheint das Plasma, seiner kolloiden Natur entsprechend, relativ verfestigte Häutchen zu bilden, eine Er- scheinung, wie man sie ganz analog z. B. bei Eiweißlösungen beobachtet. Die äußere Plasma- grenzschicht nennen wir äußere Plasmahaut, die innere Vakuolenhaut. Sollen nun aus einer die Zelle umspülenden Flüssigkeit (etwa aus einer Nährsalzlösung) Stoffe (Salze) von der Zelle aufgenommen werden und bis in den Zellsaftraum vordringen, so müssen diese Stoffe eine Reihe von trennenden Wänden passieren, zunächst einmal die Zellmembran. Die Zellmembran — wenigstens insofern sie aus reiner Zellulose besteht — verhält sich in bezug auf ihre Durchlässigkeit ähnlich wie eine Pergamentmembran'): sie ist permeabel für alle Kristalloide, der Elektrolytaustausch geht durch sie ebenso schnell vonstatten wie bei freier Diffusion. In neuerer Zeit sind allerdings Tatsachen be- kannt geworden, die davor warnen, die Durch- lässigkeitsverhältnisse der Zellmembran gänzlich zu vernachlässigen. Die Zellulose ist ein Gel, be- findet sich also in kolloidem Zustande und ist überdies noch mit anderen kolloiden Substanzen gewissermaßen imprägniert; es müssen demnach die Zellwände in ihrem Verhalten anderen Stoffen gegenüber den Kolloidgesetzen Folge leisten und man hat es in dieser Beziehung mit den Erschei- nungen der Geladsorption zu tun. So findet die Färbbarkeit der Zellmembran mit verschiedenen Farbstoften ihre Erklärung in dem energischen Adsorptionsvermögen der Membrangele. Eine be- sondere Eigentümlichkeit der Geladsorption ist es, daß der zu adsorbierende Stoff (Adsorbendum) häufig nicht unverändert adsorbiert wird; speziell zeigt sich dies bei der Adsorption von Salzen; das Salz wird zerlegt in zwei Teile, davon bloß die Base adsorbiert, während das Säureradikal in F"reiheit gesetzt wird. Auch die Zellmembrangele vermögen auf diese Weise Sal/.e zu zerlegen. Es wurde das zuerst von Bau mann für das bekannte Torfmoos Sphagmim festgestellt. Die Zellwände der Sphagnen zerlegen die Salze des Torfbodens, adsorbieren deren Basen, dadurch werden die Säuren frei und auf diese Weise kommt der saure Charakter der Torfmoore zustande. Nach Wieler (1912) besitzen die Zellwände auch der höheren Pflanzen das gleiche Adsorptionsvermögen. Bei der Kolloid- adsorption, d. h. für den Fall, daß das Adsorbens ein Kolloid ist, werden häufig nur einige Substanzen adsorbiert oder nur einige Substanzen in bedeuten- derem Maße; derartige spezifische oder selektive Adsorption schreibt Hansteen Crannerin einer neueren Arbeit (19 14) auch der Zellenmembran zu und gelangt im allgemeinen zu der Überzeugung, daß die jugendliche Zellwand „nicht, so wie es noch allgemein angenommen wird, ein in physiologischer Hinsicht konstantes oder auf den Kristalloidaus- tausch indifterentes Medium sein könne". Eine Reihe von Autoren (Brown, Schroeder, Shull) experimentierten mit der toten Samen- hülle verschiedener Pflanzen (von Getreidekörnern, Xanthiuni- kxX.Qn). Diese Samenhüllen wurden iso- liert und über kleine Endosmometer gespannt. Es sollen sich dabei Permeabilitätsverhältnisse ergeben haben, wie man sie sonst nur dem lebenden Plasma und keineswegs der Zellmembran zuschreibt. ') So viel steht aber wohl auch heute noch fest, daß nicht die Zellmembran, sondern das lebende") Protoplasma für die Permeabilitätsverhältnisse der Zelle der Hauptsache nach maßgebend ist und zwar schreibt die herrschende Ansicht nicht dem ganzen Plasmaschlauch die Entscheidung über die diosmotischen Vorgänge zu, sondern einzig und allein oder zumindest vornehmlich den eingangs erwähnten Hautschichten, den Plasmahäuten. Welche Permeabilitätsverhältnisse weisen nun die Plasmahäute auf. Die beste Analogie ge- währen die zuerst von M. Traube dargestellten sog. semipermeablen Membranen. Solche halb- durchlässige Membranen entstehen bei der Be- rührung zweier Kolloide, z. B. von Gerbsäure und Leim ; auch die Ferrocyankupfermembran der be- kannten künstlichen Traube 'sehen Zelle ist eine derartige Niederschlagsmembran. Diese semiper- meablen Membranen lassen keineswegs nur das Lösungsmittel hindurch, alle gelösten Stoffe aber nicht, vielmehr sind sie nur für ganz bestimmte Kristalloide undurchlässig, sie wirken also selektiv, es wäre demnach auch die Bezeichnung „selektiv oder spezifisch" undurchlässige Membranen vor- ') Die verkot kte Membran verhält sich allerdings ganz anders; die Undurchlässigkeit des Korkes für Wasser und Gase findet ja praktische Verwertung. ') Vgl. auch Rippel, Biolog. Ztrbl. Bd. '■') Mit dem Tode verliert das Plasma seine charakteristischen diosmotischen Eigenschaften. 90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 7 zuziehen. Die Piasmahäute verhalten sich nun wie derartig semipermeable Membranen, sie sind für bestimmte Stoffe durchlässig, für andere dagegen nicht, es gibt alle Abstufungen in bezug auf den Permeabilitätsgrad für einzelne Stoffe. So dringen — um nur einige Beispiele zu geben — rasch ein: die einwertigen Alkohole, die anorganischen und orga- nischen Säuren, langsamer diosmieren : der drei- wertige Alkohol Glyzerin, der Harnstoff, sehr langsam, ja kaum nachweisbar: die Zucker, Amino- säuren, anorganischen Salze. Das Problem der Permeabilität ist nun das: Wieso kommt es, daß die einen Stoffe leicht, andere schwer, wieder andere so gut wie gar nicht permeieren können. Wieso vermag die Plasmahaut zwischen den einzelnen Stoffen auszu- wählen. Das Problem der selektiven Permeabilität besteht übrigens keineswegs für die lebende Plasma- haut allein, auch die Semipermeabilität der künst- lichen Membranen harrt noch immer einer be- friedigenden Erklärung. Eine für die Lösung des Problems jedenfalls unerläßliche Vorbedingung ist vor allem die Kenntnis, welche Stoffe zu perme- ieren und welche nicht zu permeieren vermögen. Eine Reihe von Methoden vermitteln uns diese Kenntnis. Am unmittelbarsten läßt sich die Durchlässig- keit der lebenden Plasmahäute für bestimmte Farbstoffe erweisen. Die grundlegenden Unter- suchungen Pfeffer's über die Aufnahme von Anilinfarben in lebende Zellen zeigten, daß ver- schiedene Farben ohne Schädigung in lebenstätige Zellen aufgenommen werden und Plasma und Zell- saft lebend zu färben vermögen. Derartige „Vital- farben" sind z. B. Methylenblau, Methylviolett, Fuchsin, Safranin u. a. m. Wegen der Giftigkeit der Farben können die Zellen nur in ganz ver- dünnte Farbstofflösungen eingelegt werden; doch wird der eindringende Farbstoff in der Zelle ge- speichert — indem er durch organische Säuren, namentlich Gerbsäure, in ein unlösliches Salz ver- wandelt wird, wodurch das Diffusionsgefälle auf- recht erhalten bleibt und immer wieder neuer Farbstoff einzudringen vermag — so daß mehr oder weniger rasch eine bisweilen sogar makro- skopisch sichtbare Färbung erzielt wird. Auf diese Weise wurde gefunden, daß die meisten basi- schen Farbstoffe vital färben, die Säure farbstoffe dagegen nicht. Da nun die basischen Anilinfarben leicht in fettähnlichen Substanzen sog. Lipo ide n löslich, die Säurefarbstoffe dagegen lipoidunlöslich sind, so war das Verhalten der Zellen hinsichtlich der Vitalfärbung eine wichtige Stütze für die von O verton begründete Li poidth eori e der Plas- mahaut. Nach dieser Theorie, die sich nicht nur auf das Verhalten der Farbstoffe, sondern ebenso auf das der verschiedensten anderen Stoffe, vor allem auch der Narkotika stützte, sollte die Plasma- haut aus einer fettähnlichen, einer lipoiden Sub- stanz bestehen und alle in dieser Lipoidsubstanz löslichen Stoffe sollten in die Zelle einzudringen vermögen, die lipoidunlöslichen Stoffe dagegen nicht. Demnach wäre die Permeabilität ein Löslich- keitsphänomen, die Stoffe, welche permeieren, würden ausgewählt durch die Löslichkeit in den Lipoiden der Plasmahaut, die Plasmahaut würde als Lösungsmittel fungieren und die Permeabilität nach dem Prinzipe der auswählenden Löslichkeit verständlich werden. Ein methodischer Fortschritt förderte neues Tatsachenmaterial über die Farbstoffaufnahme zu- tage, das mit der Lipoidtheorie keineswegs im Einklänge steht. Goppelsroeder und (in einer eingehenden Studie) Küster stellten intakte Pflanzen oder doch wenigstens größere Zweig- systeme, zumindest Blätter mit ihren Stielen in die Farblösungen ein und ließen sie so die Farbstoffe auf natürlichem Wege durch die Leitbündel aufnehmen. Zahlreiche Säurefarbstoffe, die bisher als nicht vital galten, erwiesen sich bei dieser Versuchsan- stellung nunmehr als leicht aufnehmbar. Durch diese Versuche Küster 's sowie dann besonders auch durch sorgfältige Untersuchungen Ruh- 1 a n d 's wurden schwerwiegende Widersprüche mit Overton's Lipoidtheorie aufgedeckt. Es gibt eine Reihe basischer Farbstoffe, welche nicht lipoid- löslich sind und doch leicht permeieren und um- gekehrt unter den zahlreichen lipoidlöslichen basi- schen Farbstoffen einige, die nicht permeieren. Auch das Verhallen der Säurefarbstoffe entspricht nicht immer der O vert on'schen Theorie. K ü s t e r 's Versuche haben ja ergeben, daß manche lipoidunlösliche Säurefarbstoffe Vitalfarben sind und andererseits gibt es wieder lipoidlösliche Säure- farbstoffe, die nicht permeieren. Die von O v e r t o n angenommene Parallelität zwischen Schnelligkeit der F"arbstoffaufnahme und Leichtigkeit der Lipoid- löslichkeit hat also keinenfalls Allgemeingültigkeit. Im Verlaufe seiner methodischen Untersuchungen gelang es Ruhland, das die Farbstoffaufnahme beherrschende Prinzip mit einer ungemein ein- fachen Methode ^) klarzulegen. 20 "/o Gelatine wird in dünner Schicht auf Glasplatten ausgegossen; auf die erstarrte Gelatine wird mit einer Platinöse ein Tropfen der o,i 7o Farbstofflösung gesetzt. Es wird kontrolliert, auf welche Entfernung hin und mit welcher Geschwindigkeit sich die Farb- lösung in die Gelatine hinein ausbreitet. Es zeigen sich bei dieser Geldiffusion der Farbstoffe weit- gehende Verschiedenheiten. Manche Farbstoffe breiten sich rasch in der Gelatine aus und bilden eine breite Diffusionszone, andere vermögen nur langsam, nur wenig oder gar nicht zu diffundieren. Es ergab sich nun die interessante Tatsache, daß das Diffusionsvermögen und die Diffusionsgeschwin- digkeit von Farbstofflösungen in Gelen besonders im Gelatinegel ausnahmslos der Fähigkeit der Farbstoffe in lebende Pflanzenzellen einzudringen parallel geht; Farbstoffe, die sich in der Gelatine ') Traube und Köhler änderten jüngst (igij) die Methode mit Erfolg dahin ab, daß sie Gelatine in Reagenz- gläser füllten und mit der zu prüfenden Farblösung über- schichteten. N. F. XVII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 91 leicht ausbreiten, vermögen auch leicht die Plasma- haut zu permeieren. Während die Diffusionsge- schwindigkeit von Stoffen durch wasserreiche, also nicht zu hochprozentige Gelatine nicht merklich beeinflußt wird, die Diffusion also in dieser ebenso vor sich geht wie in reinem Wasser, setzt kon- zentriertere Gelatine der Diffusion einen wesent- lichen Widerstand entgegen. Es gelingt — wie B e c h h o 1 d fand — durch Verwendung verschieden konzentrierter Gelatine sog. Ultra filter herzu- stellen, die vermöge der geringen Weite ihrer Poren bei Kolloiden eine Siebwirkung auszuüben imstande sind. Kolloide, deren Teilchen eine be- stimmte Größe übersteigt, vermögen den Ultrafilter nicht mehr zu passieren und es kann mit Hilfe der Ultrafilter eine Trennung der dispersen Phase vom Dispersionsmittel vorgenommen werden. Die Plasmahaut soll nun nach Ruhland den Farb- stoffen gegenüber, die ja ebenfalls den Kolloiden zuzurechnen sind, als Ultrafilter fungieren. Die- jenigen Farbstoffe, deren Teilchengröße so gering ist, daß diese noch durch die Poren einer 2o''/(, Gelatine hindurchgehen, diese vermögen auch den Ultrafilter Plasmahaut zu permeieren. Die Plasma- haut verhält sich demnach wie ein Gel von be- stimmter Porenweite, die Permeabilität ist ein Filtrationsprozeß. Die Ultrafiltertheorie vermag nur die Permeabilitätsverhältnisse der Kolloide zu erklären, seien dies nun zellfremde Kolloide wie die P'arbstofife oder zelleigene wie Inulin, Glykogen, Enzyme, Alkaloide u. a. Die Kristalloide, die sich von den Kolloiden ja gerade durch die geringe Größe ihrer Teilchen unterscheiden (molekular oder iondisperse Systeme), müßten ganz besonders leicht durch den Ultrafilter Plasmahaut hindurchgehen; da aber zahlreiche Kristalloide nur schwer oder gar nicht in die Zelle einzudringen vermögen, so muß eben die Aufnahmefähigkeit der Kristalloide durch ein anderes Prinzip beherrscht werden. Üb- rigens sprechen nach neuen Untersuchungen von Traube und Köhler (1915) auch bei der Permeabilität der Farbstoffe doch noch andere Einflüsse mit, als lediglich die Geldiffusion ; auch kann man, da im allgemeinen die Gelatinediffusions- geschwindigkeit und Dialysiergesch windigkeit ') parallel gehen, „die pflanzliche Zellpermeabilität einstweilen mit demselben Rechte als einen ein- fachen dialytischen Vorgang wie als einen Gelfiltrationsvorgang auffassen". Mit diesen Erörterungen über die Farbstoffauf- nahme sind wir etwas abgekommen von der Be- sprechung der Methoden, die uns Aufschluß geben können über das Permeierungsvermögen verschie- dener Stoffe. Über weitere direkte Methoden sei hier nur folgendes erwähnt: Die Aufnahme von Säuren läßt sich erkennen an dem Farbenum- schlag des im Zellsaft gelösten Anthokyans. Blaue Blütenblätter, in verdünnte Säuren gelegt, werden ') Es handelt sich dabei um Dialyse mit Hilfe von Dia- lysierbechern von Schleicher und Sc hüll oder von Perga- mentschläuchen. fast momentan rot, die Säuren müssen also sehr rasch eindringen. Alkaloide bilden mit der ebenfalls im Zellsaft gelösten Gerbsäure einen mikroskopisch sichtbaren Niederschlag und zwar noch bei äußerst weitgehender Verdünnung (z. B. I g Strychnin auf 20000 Liter Wasser). Auch auf mikrochemischem Wege ist das Eindringen mancher Stoffe in die Zelle nachweisbar. So geben Zellen, die einige Zeit in einer Kalisalpeterlösung verweilt haben, nach sorgfältigem Auswaschen mit Diphenylamin - Schwefelsäure ^) intensive Blaufär- bung. Die wichtigsten Aufschlüsse über die Permeabilitätsverhältnisse der Plasmahäute ver- danken wir jedenfalls der indirekten Methode der Plasmolyse. Die Plasmolyse, das Abheben und Ab- rücken des Plasmaschlauches von der Zellmem- bran, tritt bekanntlich ein, wenn Zellen übertragen werden in eine Lösung von derartiger Konzen- tration, daß der osmotische Druck dieser Lösung gleichgroß (oder eigentlich etwas größer) ist als derjenige des Zellsaftes. Der Ausdruck „Plas- molyse" erweckt die falsche Vorstellung des glatten Ablösens des Plasmas von der Membran. In einer eingehenden Studie hat Hecht gezeigt, daß dieses Loslösen nicht so glatt von statten geht. Ein Teil des Plasmas bleibt meist an der Membran haften und es ziehen sich zwischen diesem wand- ständigen Plasma und dem sich zurückziehenden Plasmaschlauch Plasmafäden in großer Zahl aus, die jedoch schließlich alle zerreißen. Diese weit- gehende Zerstörung der ursprünglichen Plasmahaut hat merkwürdigerweise — wie Fitting jüngst festgestellt hat — keinen Einfluß auf die Permea- bilitätsverhältnisse der Zelle. In welcher Weise kann nun überhaupt die plasmolytische Methode Aufschlüsse über die Permeabilität der Plasmahaut geben? Offenbar insofern, als ja Plasmolyse nur eintritt, wenn die Plasmahaut für den in der Außenflüssigkeit ge- lösten Stoff undurchlässig ist. „Die Unfähigkeit zu plasmolysieren kann also die Fähigkeit an- zeigen, durch die Plasmahaut hindurchzudringen" (Höber). Es kann aber auch bei einem Plasmo- lytikum (z. B. bei Glyzerin) die zunächst eingetretene Plasmolyse alsbald zurücl dyadischen System würde die Ziffer lOII = I ■2''-|- I.2'-j-0.2^-|- '•2'= " bedeuten. Da nun die gewöhnlichen elementaren Rechenregeln von N. F. XVII. Nr. 7 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 103 der willkürlichen Wahl der Grundzahl 10 unabhängig sind, gelten sie auch im dyadischen System. Das Beispiel 12. II würde dyadisch so gerechnet werden: IIOO-IOII 10000100 = 22 4- 2' = 4+ 128 = I32._ Schreibt man nun den Multiplikanden dekadisch, so hätte man: I2-I01I = I-I2-|-I.2'-I2-l-0-22.I2+I-2'.I2=I2-(-24+g6. Dies ist aber genau die beireffende russische Multiplikations- methode, da die dort vorgeschriebene fortgesetzte Division durch 2 nichts anderes bedeutet, als die Darstellung dieses Faktors in dya- discher Form, wie man sich leicht überzeugt (vgl. auch den Beweis des Herrn Prof. Heinzerling, S. 495 a. a. O.). Wieweit die dyadische Denkweise jenem russischen Ver- fahren zugrunde liegt, wäre eine interessante völkerpsycho- logische Frage. Man könnte daran erinnern, daß Leibniz bei den Chinesen ein dyadisches Ziffernsystem aufgefunden hat; der große Philosoph und Mathematiker hat darüber eine eigene Abhandlung geschrieben. Das dyadische Zahlensystem erscheint ihm wie ein Symbol der göttlichen Schöpfermacht, weil in ihm aus dem Nichts und der Einheil die ganze Mannig- faltigkeit der unendlichen Zahlenreihe erzeugt würde. Dr. Boerma. Die Wölfe in Ostpreußen 1917. Schon lange Jahre zählte der WÖiT tür OsTpreußen sowie die benachbarten jenseitigen Grenzwälder nur noch zum winterlichen Wechselwild und nicht mehr zum Standwild. Die Befürchtung jedoch, daß infolge des harten und langen Winters und Spätwinters 1917 die dies- mal zahlreicher eingetroffenen Wölfe zum Teil verbleiben und hecken werden, ist eingetroffen. Wenigstens eine Wölfin mit zwei Jungen ist wiederholt gesehen worden. Nachts vernimmt man in den Kreisen Lyck und Oletzko oft das Geheul mehrerer Wulfe. Die Wölfe kommen unmittelbar an Dörfer und Gehöfte heran und haben bereits viel Geflügel und Hunde weggeschleppt, auch Angriffe auf ein Kalb und ein Pferd unternommen. Für den Winter fürchtet man ernste Gefahren für Rinder sowie, einer größeren Mehrzahl von Wölfen gegenüber, für einzelne Erwachsene. Andererseits ist im Winter die Verfolgung der Wölfe leichter, sobald Schnee liegt. — Unter den zahlreichen Erlebnissen mit Wölfen im Felde, im östlichen besetzten Gebiet, ist jetzt auch eins mitzuteilen, das ungünstig ablief. Ein Unteroffizier wurde bei Wilna von zwei Wölfen überfallen, arg zerfleischt und nur durch Zufall gerettet. V. Franz. Geschützfeuer und Wetterlage. Zu der auf S. 614 be- handelten Frage^^b das Geschützfeuer Niederschläge veran- lassen könne, bemerke ich, daß diese Frage auch von A. Stentzel (Hamburg) in seiner Astronomischen Zeitschrift, namentlich im Jahrgang 1916, wiederholt besprochen und nach den bis dahin vorliegenden Erfahrungen aus dem jetzigen Kriege bejaht wurde. Stentzel denkt mehr an die Er- schütterung der Luft als ihre Beladung mit Kunzentrations- kernen. Sinnfällige Zusammenhänge zwischen Geschützfeuer und Wetterlage sind im Felde meines Wissens nicht beobachtet worden, was natürlich nicht besagen soll, das derartige Wir- kungen durch genaue Prüfung nicht nachgewiesen werden könnten. V. Franz. In meiner kleinen Arbeit über die Wünschelrute in Nr. 39, Bd. XVI dieser Zeitschrift habe ich zu meinem größten Bedauern vergessen, einerÄußerung des bekannten, zweifellos hochverdienten Johann Joachim Becher zu gedenken, die er in seiner „Physica subterranea", Leipzig 1703 auf S. 558 widergibt. Er sagt da: Si verum est, quod de Virgula cadente vulgo Wünschelruth perhibent, eam nempe ad metalla inclinari (quod quidem ego nunquam cum successu vidi) certe nuUa alia ratio assignari poterit, quam quod ejusmodi atomi metal- licae exhalent, vulgo Wittern, quae exhalatio virgulam illam ad se arripiat, d. h. frei übersetzt: Wenn das, was man von der fallenden, sog. Wünschelrute berichtet, richtig ist, daß sie durch Metalle abgelenkt, nach ihnen hingezogen werde (was ich nie beobachten konnte), so wird diese Erscheinung nicht anders erklärt werden können, als durch die Annahme, daß Atome von jenen Metallen ausdunsten, sich verbreiten (ver-)Wittern,') und daß die Exhalation der unendlich kleinen Teilchen die Rute an sich zieht. Und was jene kleinen, nicht mehr zu trennenden Teilchen, die Atome, die Grundlagen unserer, jetzt so viel besser ge- und erkannten und begrifflich immer mehr festgelegten Endergebnisse chemischer Trennung der Körper betrifft, so sagt er: Ex metallis, prae- sertira cupro, stauno nee non O r i c h a 1 c o , subtiles atomos prodire, quae naso percipiuntur, praesertim si metalla digito teruntur, ut calefiat paululum, communis sensus olfactus docet ; quomodo vero tam perpetuo transspirent sine amissione virtu- tum et degeneratione subjecti, non ita cuivis obviura est. Credibile tamen, ambientera aerem atorais metallicis quidem nonnihil impleri; ipsum vero aerem metallo novas et perpetuas atomos mutua aliqua communicatione et reaclione communicare: quum metalla, praesertim plumbum, potius ab aüre incremenlum quam decrementum sumere deprehcnditur, d. h. daß aus Metallen, und zwar vornehmlich aus Kupfer, Zinn und ebenso aus Messing sehr kleine Atome entstehen, die mittels der Nase festgestellt werden, und zwar daß das am besten geschieht, wenn man die Metalle mit dem Finger reibt, so daß es warm wird (und das Metall erwärmt), das lehrt der Geruchs- sinn. Wie sie aber immerwährend etwas von sich aushauchen (nach jenem Worte „verwittern") ohne Drangabe der Eigen- schaften der genannten Stoffe und ohne ihre Zersetzung, ') wird nicht ohne weiteres klar. Glaubhaft anzunehmen ist, daß die Luft im Umkreis etwas von den Metallatomen in sich aufnimmt, daß die Luft selbst in gegenseitiger Mit- teilung, oder im Austausch mit dem Metall immerwährend Atome abgibt, wie es ja bekannt ist, daß Metalle, besonders Blei durch die Luft eher eine Gewichtszunahme (durch Oxyda- tion) als Abnahme erfährt. Daß eine solche Abgabe kleinster Stoffteile tatsächlich stattfindet, und daß sie kraftvoll wirken, ist nachgerade experimentell festgestellt. Hätte Becher das Hantieren mit einer Wünschelrute und ihre Bewegung gesehen, dann hätte er sie sich am Ende doch nicht so erklärt, wie er es hier getan, er hätte wohl auch nicht von einer fallenden, einer Virgula cadens (vielUeicht in Erinnerung an den Caduceus des Götterboten) gesprochen. Was Becher aber sagt, ist so wenig es zur Klärung der immer noch umstrittenen Frage bei- trägt, so bezeichnend auch für den Denker Becher, daß es eine Wiedergabe verdient. Die Wünschelrute dürfte ewig unter den Fragen stecken bleiben, von denen Shakespeare sagen läßt: Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt. ') Hermann Schelenz. Zum Artikel in der Naturw. Wochenschr. 32. Bd. S. 581 „Über das Familienleben der Störche" erlaube ich mir einige Mitteilungen: Bei der von mir vorgenommenen Erforschung der säch- sischen Storchnester habe ich reichhaltiges Material auch über Besetzung, Besitzwechsel usw. der Nester gesammelt, das sich ') Das Wort, das mit Wetter zusammenhängt („es wittert gut, schlecht" usw. = es ist gutes oder schlechtes Wetter, da- -neben „ich wittere Morgenluft", durch spürendes Wahrnehmen, in erster Reihe wohl mit der Nase), wird wohl allein kaum noch gebraucht. Es ist von Becher jedenfalls für seine Er- klärung gut gewählt. Folgerecht konnte man damals auch vom Verwittern (des Kristallwassers u. dgl ) sprechen. -) Ob Becher von tatsächlichem Stoffverlust, wie wir ihn jetzt bei Radium usw. mit Recht annehmen, nicht spricht, weil er ihn für selbstverständlich ansieht, oder weil er nicht Möglichkeit denkt, kann ich nicht sagen. 3) Graf Carl von Klinckc spri :ht in Berichterstattung über meine Arbeit in den „Mitteil, der deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin" seine, früher schon in einem Buche über die Wünschelrute veröffent- lichten Ansichten über sie und über mich, in einem Tone aus, der ungewöhnlich klingt. Für alle Fälle möchte ich auf sie hinweisen. Daß ich das genannte Buch nicht erwähnte, kann meines Erachtens nicht übel gedeutet .werden. Auch andere hergehörige Arbeiten erwähnte ich nicht und hatte gar keine Ursache, das zu tun. 104 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 7 zuweilen auf mehrere Jahrzehnte erstreckt. •) Ein ähnlicher hochinteressanter Fall, wie ihn E. Zieprecht angibt, ist mir nicht bekannt geworden, wohl aber andere Fälle von „Wieder- verehelichungen" verwitweter Störche, n.ichdem sie längere Zeit vereinsamt gelebt haben. In der einst sehr storchreichen Lausitz spricht der Volksmund von sieben Trauerjahren. Nach meinen Beobachtungen ist die mit erschreckender Schnelligkeit zunehmende Entvölkerung der Storchnester zum größten Teil auf Unglücksfälle an den Hochspannungsdrähten der immer weiter ausgebauten elektrischen Überlandzentralen zurückzuführen. Die seit Erbauung der Gröbacr Überland- zentrale in der Großenhainer Gegend leerstehenden Storchnester, deren Zahl zurzeit auf 17 von 20 überhaupt vorhandenen Nestern angewachsen ist, legt davon beredtes Zeugnis ab. Am allge- meinen Rückgang der Störche mögen auch zahlreiche Todes- fälle in den Winterquartieren in Südafrika Schuld tragen. Zur Bekämpfung der Heuschreckenplage werden dort Spritzungen mit Arsenikflüssigkeit vorgenommen. Die Störche fressen die vergifteten Heuschrecken und gehen daran ein. In hiesiger Gegend ist beobachtet worden, daß Störche mit Phosphor ver- giftete Mäuse aufgenommen haben und daran zugrunde gegangen sind. Aus den genannten beiden Gründen bietet sich deshalb oft Gelegenheit, Beobachtungen an Nestern anzustellen, aus denen ein Insasse verloren gegangen ist. Kommt während der Brutzeit oder während der Flugun- fähigkeit der Jungen ein alter Storch abhanden, so gehen nach meinen Beobachtungen Eier oder nicht flügge Junge stets zu- grunde. Der allein übrig gebliebene Storch muß, vom Hunger getrieben, die Eier so lange verlassen, daß sie nicht erbrütet werden können. Schon vorhandenen Jungstörchen kann ein alter Storch allein in den seltensten Fällen das nötige Futter zutragen. Das Schicksal des übriggebliebenen Storches ist verschieden- In vielen Fallen wandert er ab, das Nest bleibt leer stehen. Das dürfte — mit Bestimmtheit möchte ich's nicht sagen! — dann der Fall sein, wenn der männliche Storch übrigge- blieben ist. Übriggebliebene Weibchen hallen fast immer jahrelang treu zum Neste, legen auch zuweilen unbefruchtete Eier. In einem mir bekannt gewordenen Falle gesellte sich nach 3 Jahren wieder ein Männchen zu einer Storchwitwe, in einem andern Falle nach 6 oder 7 Jahren. In einem, nicht völlig aufgeklärten Falle soll im Frühjahre vor dem Brüten eine neue Paarung stattgefunden haben, nachdem ein Gatte einige Tage vorher verunglückt war. Aus zwei Nestern gingen im Jahre 1912 die Männchen verloren; die Weibchen leben heute noch ungepaart, und kommen alljährlich zum Neste zurück, eins legte mehrmals. Wenn ein Storch nicht durch besondere Merkmale kennt- lich ist, kann die Behauptung, der Storch habe sich neu ge- paart, nicht ohne weiteres aufgestellt werden, wenn sich zwei Störche im Neste zeigen. Mehrfach wurde festgestellt, daß ein neues Paar den Einsiedler vertrieben hat, oder daß er nach mehrjährigem Aushalten abgewandert ist und das Nest einem neuen Paare freiwillig überlassen hat. A. Kien gel, Meißen. Die Oszillation des Rheinspiegels. Auf S. 677 — 679 des Jahrgangs 1907 der Nalurw. Wochenschr. hat Herr Albert Hofmann interessante Beobachtungen über eine schlangen- förmige Bewegung des Rheinwassers veröffentlicht, an welche er die Frage knüpft, ob die beobachtete Oszillaiion allen Flüssen gemeinsam sei. Diese Frage kann im Prinzip bejahend beantwortet werden, wenigstens so weit Tieflandsflüsse in Be- tracht kommen. Es handelt sich hier um eine der vielen Er- 'j Vgl. A. Kiengel, Störche und Storchnester im öst- lichen Sachsen. Sondeiabdruck aus Mitteilungen des Landes- vereins Sächsischer Heimatschutz. Scheinungsformen eines allgemeinen geographischen Gesetzes, das man am einfachsten und verständlichsten folgendermaßen ausdrücken kann: Wenn eine Wasser- oder Luft- masse sich in strömender Bewegung befindet, so besteht das Bestreben, den Grenzflächen dieser Masse eine Wogenform aufzuzwingen. Das be- kannteste Beispiel hierfür sind die Meereswellen, die, wie zu- erst H. v. Helmholtz im Jahre 1888 nachgewiesen hat,') dadurch entstehen, daß eine Luftmasse sich mit größerer Ge- schwindigkeit über eine Wassei fläche dahinbewegt. Später erkannte man, daß auch der bewegliche Dünensand dieser Tendenz unterliegt, wobei natürlich die Annäherung an die von der Theorie geforderten Formen nicht so weitgehend sein kann, wie bei dem leicht beweglichen Wasser, weil die Material- verscbiedenheit eine schnelle Anpassung an die Wellrnformen nicht zuläßt. =) Schließlich hat sich auch die Entstehung der Mäander eines Flusses auf dasselbe Prinzip zurückführen lassen.') Sobald das Gefälle eines Flusses so klein wird, daß die Schwer- kraft nicht mehr die Bewegung des Wassers beherrscht, können sich auch die Wirkungen geringerer Kräfte bemerkbar machen. Dann arbeitet die Tendenz zur Wogenform so lange an den Ufern des Flusses, bis es zur Ausbildung von Mäandern ge- kommen ist, deien Größe und Gestalt von der Wassermenge sowie der Strömungsgeschwindigkeit abhängen. Die Fluß- mäander sind demnach als dynamische Gleichgewichtsformen zu betrachten. Wird der Fluß jedoch durch Einfassung mit Steinmauern, durch Uferschutzbauten, oder in anderer Weise an der Erreichung jenes Gleichgewichtszustandes gehindert, so läßt sich das Bestreben zur Schaffung von Mäandern daran erkennen, daß der Stromstrich sich von einem Ufer zum anderen schlängelt. Er pendelt um die Mittellinie des Slromlaufes, und diese Pendelung läßt sich gelegentlich bei kleinen Flüssen von der Mitte einer Brücke gut beobachten. Bei breiten Flüssen, wie dem Rhein, ist eine solche direkte Beobachtung nicht möglich. Um so dankenssverter ist die sorgfältige Unter- suchung des Verfassers der oben erwähnten Mitteilung, die eine wesentliche Lücke unserer hydrographischen Kenntnisse ausfüllt und gleichzeitig die dargelegte Anschauung von dem Wesen der Flußmäander bestätigt. Otto Baschin. Berichtigung zu S. 594, Bd. XVL Mein Zitat aus dem Werke des Pigaf et ta ist der Ausgabe des Originaltextes in der Raccolta Colombiana F. V. Vol. 111 (Roma 1894) P- 99 ent- nommen, welche Stresemann unbekannt blieb. Hier steht (zweimal) tordo und bolon-dinata. Die römische Ausgabe des Briefes des Transsilvanus (erschienen Novbr. 1523) ist nur ein Nachdruck der Kölner editio princeps vom Januar 1523, von der C. H. Coote in seiner Schrift: „Johann Schoener, professor of mathematics at Nuremberg" ( London 1888) ein Faksimile veröffentlicht hat. Der Originalentwurf dieses Briefes hat sich vor wenigen Jahren im Archiv des Katharinenspitals zu Regensburg vorgefunden (vgl. den Auf- satz von B. Sepp in den Hislor. polit. Blättern 151. Bd. (1913) S. 321 f.). Ihm verdanke ich die angeführte Stelle, an der nichts zu ändern ist. Seb. Killermann. ') H. v. Helmholtz, Über atmosphärische Bewegungen. Sitzungsberichte der Königl. Preuß. Akademie der Wissen- schaften zu Berlin, 1888, S 647—663. '-) O. Baschin, Die Entstehung wellenähnlicher Ober- flächenformen. Ein Beitrag zur Kymatologie. Zeitschr. d. Gesellschaft f. Erdkunde zu Berlin, 1899, U, S. 408-424. ') O. Baschin, Das dynamische Gleichgewicht der Erd- oberfläche. Ebenda, 1915, S. 634—639. — Die Entstehung der Flußmäander. Petermanns Geographische Mitteilungen, Gotha, 1916, 6-.', S. I6. Inhalt I Friedrich Weber, Die Permeabiltät der Pflanzenzellen. S. Ein Beitrag zur B.-gattungsfrage der Schnecken. (12 Abb.) S. 95. der Juden. S. 98. H. Zimmermann, Die Kohlwanze. S. 99. J S. 100. K. Korff, Schädigungen durch Erdraupen. S. 100. W. S. 101. Heikertinger, Das Gift der „Spanischen Fliege''. S. I plikationsverfahren. S. 102. Die Wöltf rufe. S. 103. Über das Familienleben d( 9. Kleinere Mitteilungen: A. Zimmermann, - Einzelberichte: Kollmann, Zur Anthropologie Dewitz, Über die Braunfärbung gewisser Kokons, srael, H. Granvik, Ungewohntes im Vogelleben. — Anregungen und Antworten : Russisches Multi- .. Ostpreußen 1917. S. 103. Geschüizleuer und Wetterlage. S. 103. Wünschel- Störche. S. 103. Die Oszillaiion des Rheinspiegels. S. 104. Berichtigung. S. 104. Minuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Verlag von Gustav Fischer in Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. Berlin N Jena. m. b. H., Naumburg alidenstrafie 42, erbeten, d.s. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17. Band; der ganzen Reihe 33. Band. Sonntag, den 24. Februar 1918. Nummer 8. Neue Wege der phylogenetischen Pflanzenanatomie. [Nachdruck verboten.] Der phylogenetischen Pflanzenanatomie hat man in Deutschland niemals großes Interesse ent- gegengebracht. Der Grund dafür liegt zum Teil darin, daß der Begründer dieser P^orschungsrichtung, vanThiegem, in Paris wirkte und fast nur französische und englische Schüler fand, weil die Aufmerksamkeit der deutschen Pflanzenanatomen damals — es war in den siebziger Jahren — so- weit sie sich überhaupt für allgemeinere Fragen interessierten, durch Schwendener's „Mecha- nisches System" von der neuen physiologischen Pflanzenanatomie gefesselt wurde. Dieses zufällige Zusammentreffen würde aber kaum die dauernde Vernachlässigung der phylogenetischen Pflanzen- anatomie bei uns veranlaßt haben, wenn nicht folgender sachliche Grund im selben Sinne gewirkt hätte. Die von vanThiegem begründete Dis- ziplin macht es sich, wie ihr Name sagt, zur Auf- gabe, die Ergebnisse der Gewebelehre für die Stammesgeschichte des Pflanzenreiches zu ver- werten. Das kann sie aber nur, wenn sie in engster Verbindung mit der Paläobotanik bleibt und ihre Ergebnisse an den Zeugnissen der fossilen Pflanzenreste kontrolliert. Solche Zeugnisse finden sich nun bei uns sehr spärlich, während besonders in England die Verhältnisse viel günstiger liegen. Deshalb konnte sich trotz einzelner hervorragender Forscher auf diesem Gebiet, wie des Grafen So 1ms, eine eigentliche Phytopaläontologie in Deutschland nicht entwickeln. Damit fehlte die Vorbedingung fürdasGedeihen derphylogenetischen Pflanzenanatomie, und es ist daher kein Wunder, daß dieser Wissenszweig eine Domäne der franzö- sischen, englischen und später amerikanischen Botaniker blieb. Auch in Zukunft werden wir uns voraussichtlich an diesen F'orschungen nicht aktiv beteiligen können; das ist aber kein Grund, ihre Resultate fast vollständig zu ignorieren, wie das bisher bei uns geschehen ist. Mag selbst manches davon, wie eine Reihe von Arbeiten der amerikanischen Schule, einer strengen Kritik nicht standhalten '), so gibt es doch andere, die man später zweifellos zu den klassischen Werken der Botanik rechnen wird und die, obwohl schon zehn bis zwanzig Jahre alt, bei uns völlig unbekannt geblieben sind. Ich meine damit die Studien L. Chauveaud's über die Phylogenie des Gefäß- bündelsystems.") Von Wilhelm Nienburg. Mit 26 Abbildungen im Text. Die Versuche, die Stammesgeschichte der Ge- fäßbündel zu erklären, sind so alt, wie die phylo- genetische Anatomie überhaupt. Ja, man kann sogar sagen, daß sie das immer als ihre Haupt- aufgabe betrachtet hat. Ist doch die berühmte Stelärtheorie, die van Thieghem seinerzeit auf- stellte und die seitdem den meisten seiner Schüler und Nachfolger als Arbeitshypothese vorgeschwebt hat, nichts anderes als ein Versuch, die verschie- denen Typen der Gefäßbündelanordnung auf einen Urlypus, aus dem sie sich entwickelt haben sollten, zurückzuführen. Das Ziel, das Chauveaud ver- folgte, ist also nicht neu, wohl aber seine Methode. Während man sich vor ihm der statischen Methode bediente, hat er die dynamische eingeführt. Was das heißt, läßt sich am besten an einem bestimmten Fall erläutern. Wenn es sich z. B. darum handelte, die morphologischen und phylogenetischen Be- ziehungen zwischen der so verschiedenartigen Struktur des Stammes und der Wurzel zu unter- suchen, so pflegte man früher folgendermaßen zu verfahren. Man ging aus von dem ganz richtigen Gedanken, daß die Sämlingsanatomie für dieses Problem von besonderer Wichtigkeit sein muß. Denn im Sämling haben wir ein vollständiges und dabei einfaches Gefäßsystem, welches an einem Ende der primären Wurzel und am anderen dem primären Stamm der Pflanze angehört. Es muß deshalb eine Zwischenregion geben, in der die Stammstruktur in die Wurzelstruktur übergeht, und die Art und Weise dieses Übergangs müßte, wenn sie die Beziehungen zwischen ihnen beiden nicht vollständig aufklärt, diese doch wenigstens vermuten lassen. Deshalb untersuchten die Ana- tomen der statischen Schule die Keimlinge mög- lichst vieler Pflanzengruppen, indem sie sie auf verschiedenen Niveaus schnitten, die Beobachtungen beschrieben und miteinander verglichen. Aber es handelte sich dabei immer um einzelne Individuen unbestimmten Alters. Chauveaud dagegen untersuchte von jeder Art Keimlinge aller Alters- und Entwicklungsstufen, und deckte auf diese Weise die gesamte Ontogenie des Gefäßbündel- systems auf. Diese dynamische Methode hat ihren Wert durch die Fülle wichtiger Tatsachen, die sie zutage förderte, bewiesen. Sie werden immer ihre Bedeutung behalten, wie man sich auch später zu den theoretischen Folgerungen stellen mag, die ihr Entdecker daraus zieht. Wir wollen des- ») Vergleiche das Referat von Kräusel, R., Die Bedeu- tung der Anatomie lebender und fossiler Hölzer für die Phylogenie der Koniferen (Naturw. Wochenschr., 1917, 32, Chauveau* 305 — 311). laires et les *) Vergleiche besonders die zusammenfassende Darstellung ; nat. bot., 9. , G., L'appareil conducteur de; phases principales de son evolu ierie, 191 1, 13, 113—436). i06 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. « halb zunächst einmal diese Tatsachen an einem anschaulichen Beispiel klarlegen. Wir wählen dazu den Keimling von IVIercurialis annua. Dessen Wurzel zeigt im jugendlichen Stadium auf dem Querschnitt zwei Siebröhren- oderPhloem- bündel (Fig. 2 p) und zwei Gefäß- oder Xylem- bündel (Fig. 2 x), miteinander abwechselnd in einem Kreise angeordnet. Die Gefäße des Xylems diffe- renzieren sich in einer ziemlich regelmäßigen radialen Reihe, in der die ältesten mit dem kleinsten Durch- messer außen stehen und die jüngsten, weiteren, innen. Die Siebbündel werden aus Kiementen ge- bildet, deren Differenzierung wenig ausgesprochen ist, und deren Zahl lange Zeit gering bleibt. Wenn man von der Wurzel weiter nach oben geht, so sieht man, daß in der Übergangsregion zwischen Wurzel und Hypokotyl, dem sogenannten Wurzelhals (vgl. Fig. i) die beiden Siebröhren- bündel sich gabeln, und ihre Äste sich mehr von- einander trennen. Die Folge davon ist, daß man schon im unteren Teil des Hypokotyls statt zwei vier Phloembündel fin- det, die in den vier Ecken eines Quadrates angeordnet sind (Fig. 3p). DieXylem- bündel dagegen bleiben im ganzen Hypokotyl unverzweigt (Fig. 3x), so daß sie eine gerad- linige Fortsetzung der beiden Wurzelbündel bilden. Sie liegen in derselben Ebene, ihre Differenzierung erfolgt in derselben zentripe- talen Weise, von außen nach innen fortschrei- tend, und auch die mit denSiebröhren abwech- selnde Anordnung auf einer Kreislinie ist bei- behalten, nur daß jetzt zwischen den Gefäß- gruppen je zwei Siebgruppen stehen. In der oberen Hälfte des Hypokotyls wird das Bild da- durch etwas verändert, daß auf dieser ersten Ent- wicklungsstufe hier weniger Gefäße ausgebildet werden als im unteren Teil. Während dort fünf Gefäße vorhanden sind (Fig. 3 x), findet man gleich- zeitig an der Spitze des Hypokotyls nur etwa drei (Fig. 4x). Außerdem sind die Gefäßbündel hier dem Zentrum etwas mehr genähert, so daß sie nicht mehr auf genau derselben Kreislinie stehen wie die Siebbündel (Fig. 4). Die alternierende Anordnung aber wird im ganzen Verlauf bei- behalten, sogar bis in die Kotyledonen. In deren Basis liegen zwei Phloembündel, die diejenigen der einen Hypokotylhälfte fortsetzen. Zwischen ihnen findet sich ein medianes Xylem- bündel, welches die direkte F"ortsetzung des einen aus dem Hypokotyl und damit aus der Wurzel ist (Fig. 5). Die Gefäße differenzieren sich in der Richtung von außen nach innen wie die des Abb. I. Dikotylenkeimling. i — b Wurzel, b — c Wurzelhals, ; — d Hypokotyl, k Kotyledonen, s Stammknospe. Hypokotyls und der Wurzel und wie diese sind sie alternierend angeordnet. Die Kotyledonen behalten diesen Bau aber nicht in ihrer ganzen Länge. Es ist nur ein kurzes Stück, in dem er vorhanden isi. Oberhalb davon nähern sich die beiden Siebgruppen einander, und zwar umso mehr, je weiter sie sich von der Basis entfernen, so daß Abb. 2. Nach Chauveaud. sie von einer gewissen Höhe an in der Median- ebene des Keimblattes miteinander vereinigt sind. Die so entstandenen beiden Doppelbündel ent- sprechen aber nicht je einem Phloembündel der Wurzel, weil die sie zusammensetzenden Hälften von verschiedenen Phloembündeln der Wurzel herstammen. Man erkennt das leicht am Vergleich der Figuren 2, 3, 4 und 5, die alle gleichmäßig orientiert sind. Diese Änderung im Verlauf der Siebbündel im Kotyledon wird von einer entsprechenden Modi- fikation des Xylems begleitet. Die ersten Gefäße, die sich auf diesem Niveau differenzieren, wechseln nicht mehr mit den Siebbündeln ab, sondern sind ihnen gegenüber angeordnet. Das ist nicht über- raschend, weil das Xylembündel von vornherein N. F. XVII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 107 Abb. 5. Abb. 7, Abb. 4 — II nach Chauveaud. io8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. S median verlief, wie jetzt aucli das Siebbündel. Auffallend ist, daß die Ausbildung der Gefäße hier nicht mehr zentripetal, sondern zentrifugal, von innen nach außen fortschreitend, erfolgt. Um diese Veränderungen gut zu verstehen, müssen wir sie an anderen Stellen studieren, wo sie sich in verschiedenen Phasen vollziehen, die leicht zu verfolgen sind. neuen Gefäße nennt Chauveaud, weil sie Über- gangsgebilde darstellen, „intermediäre" Gefäße. In den oberen Teilen des Hypokotyls tritt dieses zweite Stadium der Entwicklung schon früher auf. Während an der Basis noch die Differenzierung der alternierenden Gefäße fortschreitet, entstehen oben schon die ersten intermediären (Fig. 7x1). Sie stehen ebenfalls rechts und links von den Abb. 12—16 nach Chauveaud. Zu diesem Zwecke wollen wir uns wieder dem Hypokotyl zuwenden und an Keimlingen ver- schiedenen Alters die Entwicklung des Leitungs- systems verfolgen. Wir haben gesagt, daß jedes der beiden Xylembündel an der Basis des Hypo- kotyls ursprünglich aus etwa fünf Gefäßen gebildet ist, die alternierend angeordnet sind und sich in zentripetaler Richtung entwickeln. Diese Gefäße finden sich auch im älteren Hypokotyl wieder (Fig. 6x), aber seitlich von den zuletzt entstan- denen sind andere ausgebildet (Fig. 6xi). Diese alternierenden, sind aber gewöhnlich durch ein oder zwei Parenchymzellen von ihnen getrennt. Auch sonst können sie eine gewisse Unregelmäßig- keit in bezug auf Zahl und Stellung aufweisen, wie die Fig. 8 zeigt, die ein etwas älteres Stadium als Fig. 7 darstellt. Verfolgt man den Verlauf der Gcfäßbündel auf dieser Entwicklungsstufe in die Kotyledonen hinein, so trifft man auch hier die intermediären Gefäße in ähnlicher Ausbildung wie im oberen Teile des Hypokotyls an (Fig. gxi). Wir sehen also, daß die alternierende Stellung N. F. XVII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 109 der Gefäßbündel, die ursprünglich nicht nur in der Wurzel, sondern bis auf die oberen Partien der Kotyledonen in allen Teilen des Keimlings herrscht, durch die neu auftretenden intermediären Gefäße undeutlich gemacht wird. Auf den weiteren Phasen tritt dieser Prozeß noch stärker hervor. Der nächste Schritt ist, daß die alternierenden Xylembündel zu verschwinden anfangen. Unter- suchen wir einen Keimling dieser dritten Ent- wicklungsstufe im unteren Teile des Hypokotyls, so sehen wir, daß an der Stelle der alternierenden Gefäße sich jetzt nur eine undeutliche, verschleimte Masse befindet, die an der dunklen Färbung leicht kenntlich ist: die Gefäße werden resorbiert (iMg. 10 x). Dies vollzieht sich in derselben Reihen- folge, in der die Gefäße entstanden sind, zuerst werden die ältesten, äußersten, deformiert und die jüngeren folgen. Gehen wir weiter nach oben in die Spitze des Hypokotyls, so zeigt sich hier das- selbe Bild (Fig. 1 1 x), und auch in den Kotyle- donen greift dieser Vorgang Platz (Fig. 12 x). Gleichzeitig wird aber für Ersatz gesorgt. An- schließend an die intermediären entstehen neue Gefäße, die in einem nach außen gehenden Bogen angeordnet sind (Fig. loxs). Infolgedessen kom- men sie in eine gerade über den Phloembündeln liegende Stellung, weshalb Chauveaud sie „superponierte Gefäße" nennt. Sie unterscheiden sich von den alternierenden und den intermediären außer durch ihre Stellung auch dadurch, daß sie sich nicht mehr in zentripetaler, sondern in zentrifugaler Richtung entwickeln. Deutlicher als in der Basis des Hypokotyls sind die superponierten Gefäße schon frühzeitig an seiner Spitze differenziert (Fig. iixs), und am weitesten ist die Entwicklung in der Basis der Keimblätter vorgeschritten. Hier finden wir bei demselben Keimling, bei dem unten die allerersten superponierten Gefäße entstehen, schon sehr viele ausgebildet (Fig. 12 xs). Das vierte Stadium äußert sich darin, daß nun auch die intermediären Gefäße verschwinden. Dies geht ebenfalls unten langsamer vor sich als oben. Während an der Basis des Hypokotyls noch nichts davon zu spüren ist, und die weitere Entwicklung sich nur dadurch dokumentiert, daß auch die letzten Spuren der alternierenden Gefäße resorbiert und mehr superponierte ausgebildet sind (Fig. 13), ist gleichzeitig an seiner Spitze von den inter- mediären Gefäßen nur noch ein schwarzer Strich (Fig. I4xi) übriggeblieben. Noch schneller verläuft die Entwicklung in der Basis der Kotyledonen. Hier sind schon in der Figur 12, die wir oben erwähnten, weil der dar- gestellte Zustand gleich alt ist mit dem dritten Stadium der Hypokotylentwicklung, alle inter- mediären Gefäße verschwunden (Fig. 12 xi). Als fünftes und letztes Stadium in der Gefäß- bündelentwicklung des Keimlings kann man das- jenige unterscheiden, in dem zwischen den super- ponierten Gefäßen und den Siebröhren das Kambium entsteht, das dann durch fortgesetzte Zellteilungen nach innen Gefäße und nach außen Siebröhren erzeugt. Es ist ein sogenanntes sekun- däres Teilungsgewebe, im Gegensatz zu dem pri- mären in den Vegetationspunkten der Pflanze, dem alle bisher geschilderten Leitungselemente ihre Entstehung verdanken. Man stellt sie daher als primäre Gefäße bzw. Siebröhren den vom Kambium erzeugten sekundären gegenüber. Mit diesem Auf- treten des sekundären Zuwachses ist der endgültige Zustand in der Anordnung der Leitungselemente erreicht. Fig. 14 zeigt seinen .-Anfang in dem oberen Teile des Hypokotyls, die sekundären Ge- fäße sind mit x2 bezeichnet. Sie bilden fortan radiale, zentrifugal nach außen gerichtete Reihen, die in der Basis der Kotyledonen schon viel früher deutlich zu erkennen sind (Fig. 12 xs). Wir sehen also, daß in allen Teilen des Keim- lings von der Wurzel bis in die Kotyledonen hinein zunächst die alternierende Anordnung herrscht, daß diese dann abgelöst wird durch die inter- mediäre und die wieder durch die superponierte, bis schließlich überall mit dem Auftreten des Kambiums der sekundäre Zuwachs Platz greift. Der einzige Unterschied ist, daß diese Entwick- lungsreihe von den verschiedenen Teilen des Keim- lings ungleich schnell durchlaufen wird. Am langsamsten geht es in der Wurzel und am schnell- sten in den Kotyledonen. Wenn in der Basis des Hypokotyls neben den alternierenden Gefäßen die intermediären entstehen (Fig. 6), werden in der Spitze des Hypokotyls die ersten superponierten angelegt, während die alternierenden resorbiert werden (Fig. 1 1), und in der Basis der Kotyledonen sind gar auch schon die intermediären verschwunden und es ist bereits zum sekundären Zuwachs ge- kommen (Fig. 12). Chauveaud nennt diese Erscheinung die „basifuge Beschleunigung" der Entwicklung. Er erklärt durch sie die von uns schon erwähnte Tatsache, daß in den oberen Teilen der Kotyledonen die beiden ersten Phasen gar nicht zu entdecken sind, sondern die Entwicklung gleich mit der superponierten Phase beginnt: die Dauer der ersten beiden Phasen wird oben so kurz, daß sie schließlich ganz unterdrückt werden. Daher kommt es, daß auch alle Organe oberhalb der Kotyledonen, der Stamm, die Blätter usw. nur superponierte Gefäßbündel aufweisen. Plinen ganz entsprechenden Entwicklungsgang, wie wir ihn hier für Mercurialis annua schilderten, hat nun Chauveaud für eine große Zahl anderer Pflanzen aus den verschiedensten Familien nach- gewiesen, und die vfenigen Anatomen, die ihm in der Benutzung der dynamischen Methode gefolgt sind, haben seine Ergebnisse voll bestätigt. Bei ihrer Wichtigkeit scheint es gut, sie sich mit Hilfe von ein paar schematischen Figuren noch einmal zu vergegenwärtigen, zumal wir da- bei noch einiges nachtragen können. Immer findet man als erste Phase die alternierende. In Fig. 15 ist wieder der einfachste Fall dargestellt, daß zwei Phloem- mit zwei Xylemgruppen abwechseln, und zwar ist der Platzersparnis halber nur die eine Xylemgruppe wiedergegeben. Die Reihenfolge Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 8 ihrer zentripetalen Entstehung ist durch die sich dort nicht gut erkennen lassen. Chauveaud Numerierung der Gefäße bezeichnet. Fig. i6 zeigt hat sie aber bei anderen Pflanzen deutlich verfolgt, die Entstehung der ersten intermediären Gefäße In Fig. 17 und 18 ist die Entwicklung der inter- m^ 8^S f.. \\0> Abb. 18. 17—19 nach Ch j und das Verschwinden des ältesten alternierenden, mediären Elemente weiter fortgeschritten. In Außerdem sieht man, daß beim Phloem ganz ent- Fig. 18 sind die alternierenden Gefäße sämtlich sprechende Vorgänge Platz greifen : die ältesten resorbiert, so daß das Xylembündel sich scheinbar Schematische Darstellung des Überganges d . Alternierendes ^ Phloem zentripetales X/Iem Wurzelstruktur in die Stammesstruktur. termediares [ Verschwindendes ^^ Superponiertes Xylem Xylem zentrifugales Xylem 1. Stadium. 2. Stadium. 3. Stadium. 4. Stadium. Auf Grund von Chauveaud's ontogenetischen Untersuchungen. Origina Abb. 20. alternierenden Siebröhren pa verschwinden und werden durch intermediäre ersetzt. Bei unserer Schilderung von Mercurialis haben wir diese Ver- änderungen des Phloems vernachlässigt, weil sie verdoppelt hat. In Fig. 19 sind die ersten super- ponierten Gefäße gebildet, die Striche f sollen die darauf folgenden sekundären Bildungen andeuten. Um zu verstehen, welch einen Fortschritt diese N. F. XVII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Chauveaud 'sehen Feststellungen bedeuten, muß man sich vergegenwärtigen, wie nach den Vor- stellungen der alten Schule der Übergang von der Wurzel- in die Stammstruktur vor sich gehen sollte. Bonnier hat davon ein Schema ent- worfen, das in alle Lehrbücher übergegangen ist. Danach (s. Fig. 20 links) führen die Xylemteile im Hypokotyl gleichzeitig eine Spaltung und Drehung aus, so daß oben doppelt so viel Xylem- teile vorhanden sind wie unten, und daß die oberen sich zentrifugal und die unteren sich zentripetal entwickeln. Diese Auffassung hat immer etwas Gezwungenes und Doktrinäres an sich gehabt und hätte sich wohl nie so stark eingebürgert, wenn sie nicht von der Autorität van Thieghem's gestützt worden wäre. Dieser erblickte in der Drehung und Spaltung der Wurzelbündel einen Beweis für ihre Identität mit denen des Sprosses, was wieder ein Hauptargument für die Stelär- theorie war. Mit den anatomischen Tatsachen war die alte Vorstellung nur so lange vereinbar, als man die statische IVIethode anwandte und sich damit begnügte, ein einziges älteres Keimlings- stadium zu untersuchen. Daß man dabei zu solchen Resultaten kommen kann, zeigt das vierte Stadium der ontogenetischen Keimlingsentwicklung in Fig. 20. Da hier die alternierenden Gefäße im oberen Hypokotyl bereits spurlos verschwunden sind und die intermediären auch schon resorbiert werden, muß es für einen Beobachter, der die vor- hergehenden Stadien nicht kennt, den Eindruck machen, als ob die aus der Wurzel kommenden beiden Xylembündel sich im Hypokotyl spalten und drehen. In Wirklichkeit trifft aber beides nicht zu. Wir wissen ja, daß zu Anfang die alter- nierenden, zentripetalen Bündel bis in die Kotyle- donen durchgehen (Fig. 20 rechts, erstes Stadium). Hier kann also von Drehung und Spaltung gar keine Rede sein. Aber auch später bilden sich die superponierten, zentrifugalen Bündel nicht durch Drehung und Spaltung der Wurzelbündel, sondern diese verschwinden völlig und die superponierten treten an ihre Stelle, wobei die ebenfalls ephemeren intermediären den Übergang vermitteln. Die alternierenden Bündel der Wurzel und die superpo- nierten des älteren Hypokotyls sind also gar nicht identisch, und es ist deshalb ganz absurd, davon zu sprechen, daß die Wurzel- bündel beim Übergang in den Stamm sich spalten und drehen sollen. Daß die richtige Erkenntnis dieser Verhältnisse so lange gedauert hat, hängt wohl hauptsächlich mit der basifugen Beschleunigung der Entwicklung zusammen, die wir schon berührt haben, auf die aber an der Hand des Schemas noch einmal hin- gewiesen sei. Wir sehen daran, daß im zweiten Stadium, wo in der Wurzel das zentripetale Wachs- tum noch weiter geht, im unteren Hypokotyl die ersten intermediären und im oberen schon die ersten superponierten Gefäße entstehen. Das alter- nierende Xylem ist in der Wurzel und im unteren Hypokotyl noch intakt, in seinem oberen Teil ist es im Begriff zu obliterieren und in der Basis der Kotyledonen ist es schon verschwunden. Verfolgen wir das dritte und vierte Stadium, so finden wir ganz entsprechende Verhältnisse. Am klarsten tritt die Erscheinung aber hervor, wenn wir die verschiedenen Stadien auf demselben Xiveau ver- gleichen, also die Figuren in horizontaler Reihe durchgehen. Dann sehen wir, daß die Wurzel im vierten Stadium erst bis zur Entwicklung von intermediären Gefäßen vorgeschritten ist, daß im unteren Hypokotyl im vierten Stadium bereits die ersten superponierten entstanden sind und daß man diese im oberen Hypokotyl schon im zweiten .Stadium findet. Diese starke Beschleunigung der Entwicklung in den oberen Teilen des Keimlings kompliziert die Dinge sehr. Außerdem muß man bedenken, daß das von uns gegebene Schema, das sich an den MercurialisFall anschließt, für andere Fälle starke Abwandlungen erfahren müßte. Es kann sich z. B. um einen Typus mit mehr als zwei □ CO u ^ • 0 "" a D 0 0-' 0 * 0 .■\bb. 21. .\bb. 22. Nach Chau veaud. Bündelpaaren in der Wurzel handeln, oder eine andere Kotyledonenzahl (Monokotylen, Gymno- spermen), auch gehen die alternierenden Bündel nicht immer bis in die Kotyledonen hinein. Aus all diesen verschiedenen Typen hat Chauveaud das sie sämtlich verbindende Prinzip herausgeschält, das ist sein großes und dauerndes Verdienst. Er hat sich aber damit nicht begnügt, sondern auch versucht, seine Entdeckungen für die Phylo- genie nutzbar zu machen. Er sieht, indem er sich auf das bekannte Gesetz von Fritz Müller stützt, das Haeckel das „biogenetische Grund- gesetz" nannte, in den verschiedenen Phasen der bntogenie ebensoviele Etappen der phylogene- tischen Entwicklung des Gefäßbündelsystems. Die drei uns bisher bekannt gewordenen Phasen er- gänzt er dabei nach unten und nach oben, so daß er dann eine geschlossene Reihe sämtlicher Haupt- typen der Gefäßbündelanordnung bekommt. Sie beginnt mit der „zentrischen Stellung", bei der die in der Mitte stehenden Gefäße von den Siebröhren kreisförmig umgeben sind (Fig. 21). Dieser Typus findet sich hauptsächlich bei den P'arnkräutern. Die „exzentrische Stellung" (Fig. 22), die auch innerhalb der Kryptogamen verwirklicht ist, bildet den Übergang zu der alternierten (Fig. 23). Wie sich aus dieser die intermediäre (Fig. 24) und später die superponierte bildet (Fig. 25), haben Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 8 wir ausführlich besprochen. Aus der superponierten kann man sich schließlich die „peripherische Stel- lung" (Fig. 26) entstanden denken. Sie tritt bei den Monokotylen auf, wo auch L^bergänge zu der superponierten Stellung zu finden sind. Es ist zweifellos, daß diese Theorie viel Be- stechendes an sich hat. Soweit sie sich auf die welter entwickelt haben soll als der Sproß, denn während dieser die zentrische Stellung bewahrt hat, zeigt jene auch hier die ahernierende. Ähn- liche Schwierigkeiten finden sich noch mehr. Im ganzen ist die Theorie noch zu wenig durch- gearbeitet, als daß man ein Urteil über sie fällen könnte. Wir haben deshalb in der Überschrift ä 0 0 0 0 0 0 .p p 0 & chaftsgebiete sind es sechs: die Aliasländer, Ägypten und Tripolis, das tropische Flachafrika, das tropische Hochafrika, das außertropische Südafrika, die afrikanische Inselwelt. Diese Einteilung zeigt jedenfalls ohne weiteres, daß bei der Abgrenzung der Hauptgebiete der Gütererzeugung und des Handels ganz andere Gesichtspunkte maßgebend waren, als sie einer bloßen Länderkunde des Erd- teils zugrunde zu legen wären. Unter strenger Berücksichtigung dieser für die Wirtschaftsgeographie maßgebenden Gesichts- punkte gewinnen wir ein klares Bild von den Aussichten, die uns die afrikanischen Wirtschalts- und Handelsgebiete für die Zukunft eröffnen. Zwar mögen nicht nur Lage und orographischer Aufbau der einzelnen afrikanischen Wirtschafts- gebiete Handel und Verkehr, sondern auch das Vorhandensein wichtiger, an bestimmte geologische Formationen gebundener Mineralien das wirtschaft- liche Leben der einzelnen Landschaften dauernd oder zeitweilig in höchstem Maße zu beeinflussen: immer sind es in erster und letzter Instanz die Wirkungen des Klimas, die einem Lande auch als Wirtschaftsgebiet ein charakteristisches Gepräge verleihen. Die großen Klimagebiete sind eben die Naiurgebieie auch des wirtschaftlichen Lebens ; die Klimatologie ist daher die Grundlage der ge- samten Wirtschaftsgeographie. An der Hand vor- wiegend klimatologischer Tatsachen lernen wir also, um nur ein Beispiel aus dem überaus inhalt- reichem Werke hervorzuheben, daß das außer- tropische südafrikanische Kolonialreich sich nie zu einer Auswanderungs- und Ackerbaukolonie ent- wickeln, sondern in der Hauptsache das Land einer extensiv betriebenen Viehzucht bleiben wird. So lernen wir ferner die Bedeutung der großen Stromniederungen des tropischen Flachafnka kennen, die sie als Überschwemmungslandschaften von ungeheurer Größe in Zukunft zu spielen be- rufen sein werden, indem sie als Lieferer des Reises das südliche Asien und als Baumwollländer das südliche Nordamerika bis zu einem sehr maß- gebenden Grade ersetzen können. Was die im allgemeinen verkehrsfeindliche Natur im Aufbau des afrikanischen Kontinents anlangt, so ist sie auch von großem Vorteil, stellt doch gerade sie der Technik unserer Zeit noch die dankbarsten und lohnendsten Aufgaben. In hohem Maße lehrreich sind aber vor allem auch die von Dove nach echt geographischer Methode gegebenen Auseinandersetzungen solcher F'ragen, die an die Nationalökonomie grenzen. Ich will hier nur an die für Südafrika immer brennen- der werdende Eingeborenenfrage und die unheil- volle zerstörende Gewalt des Goldes in diesem Ländergebiete erinnern. Auch in solchen Fragen wird auf die natürlichen Ursachen allen Geschehens in Kolonisation, Handel und Verkehr überall ge- nauestens eingegangen. Da außerdem das Buch die Ergebnisse des statistisch wichtigsten Jahres vor dem Kriege benutzt, so ist sein Inhalt auch in den nächsten 5 — 10 Jahren nicht dem Veralten ausgesetzt, wie das leider bei so vielen wirtschaft- lichen Darstellungen sonst der Fall zu sein pflegt. So ist das Studium des Dove 'sehen Buches unerläßlich für jeden, der sich berufsmäßig mit der bevorstehenden Entwicklung eines neuen Europa und seines Handels beschäftigt. Es ist deshalb nicht nur für den Gelehrten und den Studierenden, sondern ebenso sehr für den Kaufmann, den Fabrikanten und außerdem für den Beamten be- stimmt, der sich in Zukunft ebenfalls mehr als bisher mit überseeischen Dingen beschäftigen wird. Den Bestrebungen, auch in Deutschland die so notwendige Auslandskunde zu fördern, kommt es daher entgegen wie kaum eine zweite Neuerschei- nung dieser Tage. Dadurch, daß nur diejenigen Seiten der Landesnatur hervorgehoben sind, denen eine besondere Bedeutung lür die menschliche Wirtschaft, im besonderen für diejenige der Europäer, zukommt, gewinnt die Darstellung gegenüber rein geographi.sehen Schilderungen ungemein an Klar- heit und Übersichtlichkeit. Daß das Buch Dove 's in der Tat berufen ist, eine Lücke im Wissen vieler Gebildeten auszu- füllen, geht aber schließlich am deutlichsten dar- aus hervor, daß doch unser gesamtes höheres Schulwesen durchaus noch nicht die zeitgemäße Form gefunden hat, die den wahren und dringendsten F"orderungen unserer Zeit gerecht werden sollte. Unsere Jugend lernt nicht im mindesten über den ursächlichen Zusammenhang der Dinge nachdenken und erfährt kaum etwas von der Wissenschaft, die vor allen andern so recht geeignet wäre, zwischen den mathematisch-physikalischen und sprachlich- historischen Fächern eine verbindende Stellung einzunehmen, um den lediglich künstlich herauf- beschworenen und höchstens durch Sophistereien begründeten, für unser gesamtes Bildungswesen aber höchst verderblichen Dualismus von Natur- und Geisteswissenschaften vermittelnd zu überbrücken. Das Buch Dove 's kann an der Hand einer guten Karte Afrikas, wie wir sie in jedem besseren Schulatlas finden, ohne weiteres von jedem gebildeten Laien verstanden werden, und die Lektüre bietet wegen der unvergleichlichen Ge- dankenfülle, die oft in wenigen Worten zum Aus- druck gebracht wird, für jeden nachdenklichen Leser einen erhabenen Genuß. Dr. W. R. Eckardt, Essen. N. F. XVII. Nr. 8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 119 Anregungen und Antworten. Noch einmal die Seefelder bei Reinerz. In mehreren Tageszeitungen ist ein Bericht über den die Seefelder be- handelnden Auf^atz (Nr. 47, N. F. Bd. 16) erschienen, der zu einigen Unklarheilen Anlaß geben könnte, da der Verfasser die beobachteten Pflanzen lediglich mit deutschen Namen nennt, die aber nur neben den wissenschaftlichen Bezeichnungen ge- braucht werden sollten. Sonst müssen u. a. Zweifel entstehen, welche Pflanzen mit Rauschbeere und wildem Ros- marin gemeint sind, da die erste Bezeichnung sowohl auf VacfiniHm. uligiiwsiimL. •wie.scai Empclrurn iiigrumL., die zweite auf Androineda poUfolia L. und Ledum palustre L. angewandt wird. Es sei daher hier noch einmal darauf hingewiesen, daß Empetrum wie Ledum nach den bisherigen Untersuchungen auf den Seefeldern nicht auftreten. Die Angaben über die Tierwelt des Gebiets beruhen, wo nichts anderes bemerkt ist, auf Beobachtungen einiger Forst- leute. Es sei u. a. aber betont, daß das Auftreten der genannten Wasservögel wohl nur vorübergehend und zufällig ist. Statt F.velria rhenella lies E. rtsinella. Kräusel. Herrn Dr. L. in Knittelfeld . . . Nosema apis wurde von Zander als Erreger der ansteckenden Bienenruhr 1907 ent- deckt und zum erstenmal in der Münchener Bienenzeitung 1909 Heft 9 beschiieben (Tierische Parasiten als Krankheitserreger bei der Biene). Unterdessen hat sich die Kenntnis des Schmarotzers namentlich durch die Untersuchungen S t e m p e 11 's über den naheverwandten Erreger der Seidenraupenpest (Pebrine) Nosema bombycis vertieft. Eine genaue Darstellung der ana- tomischen und biologischen Verhältnisse, soweit sie bis jetzt bekannt sind, des Verhaltens der verseuchten Völker usw. gibt Zander in seinem Handbuch der Bienenkunde in Einzeldar- stellungen, Bd. 11 Krankheiten und Schädlinge der erwachsenen Biene ^Stultgart, Ulmer igu)- Weitere Angaben siehe ferner in der Süddeutschen Bienenzeitung Jahrg. 13 Nr. 2 u. 3. Nosema apis Zander gehört zu den Microsporidien und mitNosema bombycis zur .\bicilungderMonosporogenea (Perez), bei denen keine Pansporoblastenbiidung vorkommt. Der Schma- rotzer ist ausschließlich auf den Mitieldarm der erwachsenen Biene beschränkt. In das Epithel vom Vorder- und Mitteldarm kann er wegen deren Chitinbekleidung nicht einwandern. Die Sporen findet man am leichtesten in großen Massen in den Kotent- leerungeo verseuchter Bienen. Bei starker Infektion setzen sie sich last nur aus diesen hellglänzenden ovalen Gebilden von etwa 1/200 — 1/300 mm Größe zusammen. Jede solcher Sporen besteht aus einer dickwandigen Kapsel. Ihre innere Höhlung ist derart vom Parasitenkörper ausgekleidet, daß seine Haupt- masse, welche vier Kerne birgt, als ringförmiger Mantel in der vorderen Hälfte der Kapselhöhle liegt (siehe Abb. 1). Durch diesen Mantel wird die hporenhöhle scheinbar in zwei Kammern geschieden, eine größere hintere, die sog Sporenblase oder Vakuole, und eine kleinere vordere, die Polkapsel. In der Vakuole liegt ein langer enger Schlauch, der Polladen, spiralig aufgerollt, dessen vorderes Ende den einen Schalenpol durchsetzt. Gelaugt die Spore bei der Nahrungsaufnahme der Biene auf die Wand des Mitteldarmes, so stülpt sich der Polfaden aus und lallt ab. Aus der Öffnung schlüpft die Plasmamasse aus und beginnt sich in die Darmwand einzubohren. In der Darmzelle wächst dieses freischwimmende Stadium, derPlanont, zu länglichen Meronten aus, wurstförraigen Gebilden, die bei starker Verseuchung als dicke Bündel in der Zelle liegen (siehe Abb. 2). Nach kurzer Zeit schüren sie sich an bestimmten Stellen ein und zerfallen in die Sporen. Da ihre Zahl sehr bedeutend sein kann, wird die Darmzelle von ihnen olt prall gelullt. Mit der Ausscheidung der Verdauungssäfte gelangen sie in die Mitteldaimhöhle, sowie in den Endabschnitt des Darmes und in die Kolblase, so daß diese Räume bei schweren Krankheitsformen von ihnen dick vollgepfropft werden. Von hier aus werden sie mit dem Kot ausgeschieden. Die Infektion geht ziemlich rasch vor sich. Wird eine gesunde Biene mit Nosemasporen gelullert, so ist schon nach fünf Tagen der Mitteldarm völlig von Sporen durchsetzt. Es ist klar, daß ein derart geschädigtes Organ sein Aussehen ver- ändert. Der ursprünglich rötlich oder bräunlich schimmernde Mitteldarm bekommt eine trübe Färbung und wird schließlich ausgesprochen milchweiß. Die von der Nosemaseuche heimgesuchten Völker werden von einem ständigen, nicht zu befriedigenden Hungergefühl geplagt, zeigen lebhafte Unruhe und stürzen geradezu aus dem Stock, um sich zu reinigen und ihre gefüllte Kotblase zu ent- leeren. Dies wird namentlich im Frühjahr besonders auflällig, wenn die Bienen noch keinen Reinigungsausflug machen konnten. Daher wird die Beute innen und außen, ihre Nachbarschaft, namentlich aber jede Tränkstelle der Bienen in der schlimmsten Weise besudelt. Die ausgeflogenen Bienen gehen sehr rasch zugrunde. Die beschmutzten Leichen und die Milliarden durch die Kotent- Nosema apis Zander. Schematische Darstellung des Abb. I. Entwicklungsganges in der Darmwand der Honigbiene. Schema einer a bis e Darmzellen mit aufeinanderfolgenden Entwick- reifen Spore, lungstadien des Parasiten. K Kerne. Pe junger Keim Vergr. 5000. dringt in die Zelle, wird mehrkernig, zerfällt in weitere Nach Keime, die zu Schläuchen auswachsen, die wiederum Stempell in Sporen Sp zerfallen. Bei F Verflüssigung der Zell- 1009. Substanz. Nach Zander. leerung abgesetzten Sporen bilden dauernde Infektionsherde. Daher fallen der Seuche in kurzer Zeit zahllose Insassen eines Stockes, ja bald ein Stock nach dem anderen zum Opfer. Im Jahre 1909 gingen in Deutschland Tausende von Völkern auf diese Weise ein. Als Bekämpfungsmittel kommt zunächst die Verbrennung der verschmutzten Beuten und der zusammengeschmolzenen Völker, sowie der eingesammelten Leichen in Betracht. Die Tränkstellen sind zu beseitigen und durch neue zu ersetzen. Zur Entfernung des Ansteckungsstoffes tritt die Vermehrung der jungen, noch nicht erkrankten Nachkommenschalt durch eine vernünftige Königinnenzucht. Ist auch die Königin be- fallen, dann muß durch Umweiselung eine junge kräftige Nach- folgerin an ihre Stelle treten. Das beste Vorbeugungsmittel ist Reinlichkeit und hygienische Behandlung der Völker. Dr. Stellwaag. Sichtbarkeit von Planeten bei Sonnenschein. Den Planeten Venus am Tageshimmel bei Sonnenschein ohne besondere Hilfsmittfl zu erkennen, ist an sich nicht schwierig, wenn man dieses Gestirn, das weitaus hellste nach dem Monde, nach Sonnenaufgang im Auge behält. Zwar bei starker scheinbarer Sonnennähe wird die Sonne selbst zu schnell blendend wirken oder den ihr benachbarten Teil des Himmels — des Luft- mantels der Erde — zu stark erhellen ; sonst aber gehört nur Abpassen der geeigneten Zeit, freier Ausblick und hinreichend unbewölkter Himmel dazu, um „einen Stern", die Venus, auch bei Tage mit bloßem Auge zu sehen. Meinem Vater ist dies einmal in seinem Leben gelungen, ebenso mir nach mancherlei gelegentlichen Bemühungen bisher einmal vor mehr als Jahres- frist im Felde, als ich um Sonnenaufgang einen Weg zurück- zulegen hatte. Die Sichtbarkeit des Venus dauerte damals für mein Auge etwa bis eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang. Überraschenderweise gelang mir neulich eine ähnliche Beobachtung auch bei dem zweithellsten Planeten, dem Jupiter. Sie wurde dadurch ermöglicht, daß an jenem Tage, am 5. 10. 1917, der Jupiter morgens sehr nahe der Mondscheibe Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 8 stand, ein Anblick, der schon bei Nacht das Auge gefesselt hatte, und bei dem man sich sehr leicht den Ort des Planeten merken konnte. Aoch eine Stunde nach Sonnenaufgang, als die Dämmerungserscheinungen, die Morgenröte, vorüber waren und die Sonne hell strahlte, konnte ich hoch am blauen Himmel links unter der blassen Mondscheibe den Jupiter erkennen. Es folgt hieraus übrigens, daß auch der Jupiter noch sehr oft am Tageshimmel wenigstens eine Zeitlang nach Aufgang oder vor Untergang der Sunne erkennbar sein müßte, nur daß er ohne Anhaltspunkte nicht auffindbar ist. Dr. V. Franz. In seinem Aufsatze Über einige F.älle des Scheinherma- phroditismus bei Fischen (Nr. 49 dieser Zeitschr. vom 9. Dez. 1917) bespricht Rob. Mertens einige interessante Fälle, in welchen anscheinend normale weibliche Aquarienfische sich bei den sogenannten Liebesspielen als Mänuchen gebärdeten und auch im Aussehen den Eindruck von Männchen machten. Er bemerkt zum Schluß, daß ,,dics auffallende Benehmen von weiblichen Fischen sicher auch noch bei anderen Tiergruppen vorkommen dürfte". Ich möchte nun in diesem Zusammennang an eine merkwürdige Tatsache erinnern, welche bei Kindern, Schweinen und Hunden, vermutlich auch noch bei anderen Säugern, zu beobachten ist. Es kommt nämiich gar nicht selten vor, daß weibliche Tiere anderen Weibchen gegenüber die Begatlungsstellung der Männchen einnehmen. Bemerkens- wert ist dabei, daß dies eine Begleiterscheinung der Brunst zu sein pflegt, und daß man auf das Kindern der Kühe, das Rauschen der Schweine und die Läuhgkeit der Hündinnen oft erst durch diese Allüren aufmerksam wird. Die erhöhte normalgeschlechtliche Funktion oder Funktionsbereilschaft der Geschlechtsorgane scheint neben den physiologisch notwendigen Reflexhandlungen auch sinnlose andersgeschlechtige auslösen zu können. Es wäre wichtig, festzustellen, ob solche Erscheinungen wirklich in den Rahmen des Normalen gehören, oder ob sie Domestikationserscheinungen sind. Als solche könnten sie degeneratirer oder luxurierender Natur sein. Hans Krieg (im Felde). Die in Bd. .\V1, 1917, der Naturw. Wochenschr. Nr. 655,650 beschriebene merkwürdige Schallerscheinung im Felde wird in der Täglichen Rundschau vom 24. Nov. 1917 erklärt durch das Abfliegen des ganzen Führungsrings oder eines Stückes von ihm in unberechenbarer Richtung. Oft falle dieses Stück nahe der Feuerstellung und bei Steilfeuer selbst hinter ihr hernieder. (Gx:) Dr. V. Franz. Zu dem Bericht „Magenuntersuchungen an Wespen" in Naturw. Wochenschr. N. t. XVl, Nr. 49, gestalte ich mir eine kurze Bemerkung: Daß die Wespen (Faltenwespen) Obst aller Art zernagen und süße Säfte lecken, ist jedermann bekannt und in jedem Obstgarten und auf jedem Obstlagtrr leicht und zuverlässig zu beobachten. Jeder sorgfällige Beobachter kann sie eine Birne oder einen Apfel mit den gezähnten Oberkiefern ausschaben sehen. Aber er wird zugleich auch finden, wie sie dabei mit ihrer kurzen „Leckzunge" sofort den hervortretenden Saft lecken. Im Hochsommer, wenn die Wespen die zahlreiche Brut zu versorgen haben, sind sie ständig auf der Jagd nach Insekten. Man kann dies besonders häufig auf Doldeublütern beobachten, die ja von einem ganzen Insektenheer besucht werden. Fliegen und Käfer werden mit den Kiefern gepackt, meist zuerst der Flügel und Beine beraubt und dann zerstückelt. Ich habe oft gesehen, wie die Wespe dann am Opfer leckte, noch häufiger aber, wie sie mit ihm davonflog, um damit die Brut zu futtern. Meine Beobachtungen beziehen sich sowohl auf Vespa vulgaris, media u. a., ebenso auf Polistes gallica, die ich auf der einfachen hüllenlosen Wabe in früheren Jahren mehrere Monate lang in der Fensterbank gehalten und be- obachtet habe. Überall dieselben Tatsachen. Wenn in sonnig gelegenen Küchen Schwärme von Stubenfliegen durchs offene Fenster einziehen, um sich beim Einmachen von Früchten gütlich zu tun, stellen sich sehr oft die Wespen ein, um äußerst gewandt zahlreiche Opfer zu erbeuten, ihnen Flügel und Beine abzubeißen und dann damit zu Nest zu fliegen. Wenig Appetit erregend erschien mir mehrfach Zwetschen- kuchen, der auf Jahrmärkten feilgeboten wurde. Er war mit Fliegenbeinen und Fliegenflügeln förmlich übersät. Überall erhaschte V. vulgaris massenhaft die Opfer; zugleich krochen die Tiere umher und leckten eifrig den süßen Saft. Wespen, die ich im Zimmer hinter der Scheibe des Doppelfensters ein- gesperrt hielt, gewöhnten sich nachgerade an die Gefangen- schaft und lagen dann der Fliegenjagd in der angegebenen Weise ob. Es wundert mich danach nicht, daß Herr Lust n er - Geisenheim im Darme der Wespenlarvcn einerseits Glukose mit Fehling'scher Lösung nachweisen konnte, wie er anderer- seits alle möglichen Chitinreste verfütterter Opfer auffand. Ähnliches läßt sich in dem Larvenkot der Wespenzellen fest- stellen. Ich habe die einschläglichen Tatsachen auch in meinem Lehrbuch „Grundzüge der Tierkunde,', Ausgabe|A, Verlag von G. Freytag, Leipzig, 5. Aufl., S. 317 f. dargestellt. Im letzten Sommer beobachtete ich etwa achtmal die solitäre Lehm- wespe Odynerus parietum wie sie am Nesteingange ausschließ- lich die Goldrtiege Lucilia caesar fing, der Beine und Flügel beraubte und danach mit dem Opfer im Nesteingange ver- schwand. Smalian. Ich erlaube mir anzufragen, ob folgende Beobachtung, die ich zu machen Gelegenheit hatte, in Fachkreisen bekannt ist. In dem Kerngehäuse eines Apfels, der an seiner Ober- fläche an einer Stelle ,, wurmstichig" war, fand ich eine Assel. Bei näherer Besichtigung erwiesen sich einige Samenkerne ihres Inhaltes beraubt, nur die Schale war teilweise erhalten. Nach meiner Meinung mußte die Assel ihren Weg zum Kern- gehäuse durch den Gang, den die Larve (des Apfelwicklersf) zur Oberfläche des Apfels gezogen hat, gefunden haben, um sich sodann an den Inhalt der Samenkerne heranzumachen. Dr. Ludwig Reisinger. Literatur. Höfer von Heimhalt, Hofrat Dr. H., Die geother- mischen Verhältnisse der Kohlenbecken Österreichs. Wien '17. Verlag für Fachliteratur. — 4M. Wegener, A., Das detonierende Meteor vom 3. April I9'6) S'/a Uhr nachm. in Kurhessen. Marburg a. L. '17. N. G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung. Wilhelmi, Prof. Dr. J., Die gemeine Stechfliege. Unter- suchungen über die Biologie von Slomoxys calcitrans. Mit 28 Text- abbildungen. Berlin '17. P. Parey. — 6,50 M. Hase, Prof. Dr. A., Die Bettwanze, ihr Leben und ihre Bekämpfung. Mit 13 1 Textabbildungen und 6 Tafeln. Ebenda. — 6,50 M. Böhm, Dr. J., Kann das „Lebensrätsel" gelöst werden? Vorläufige Skizze. Nürnberg '17. J. L. Stich. Inhalt! Wilh e Im Ni e nburg. Neue Wegederphylogenetischen Pflanzenanatomie. (26 Abb.) S. 105. Erich Zieprecht, Der Kalkstickstoff. S. 112. — Einzelbericbte: Demoll, Die Anziehung der Insekten durch das Licht. S. II";. Von der Hohltaube. S. 115. C. Heß, Der Farbensinn der Vögel und die Lehre von den Schmuckfarben. "S. 116. — Bücherbesprechungen.' K. Dove, Wirtschaftsgeographie von Afrika. S. 117. — Anregungen und Ant- worten: Noch einmal die Seefelder bei Reinerz. S. 119. Nosema apis. S. Iig. Sichtbarkeit von Planeten bei Sonnen- schein. S. 119. Über einige Fälle des Scheinhermaphroditismus bei Fischen. S. 120. Merkwürdige Schallerscheinungen im Felde. S. 120. Magenuntersuchungen an Wespen. S. 120. Beobachtung. S. 120. — Literatur; Liste. S. 120. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17 Band; ■ ganzen Reihe 33. Band Sonntag, den 3. März 1918. Nummer 9. Über Meteorbeobachtungen. Von C. Hoffmeister, z. [Nachdruck verboten.] Mit 3 Abbildi Im Schlußabschnitt meines kürzHch erschienenen Aufsatzes „Über die kosmische Stelking der Meteore" {Naturwissenschaften 191 7, Heft 40) wurde bereits darauf hingewiesen, daß es für jeden Natur- freund — im weitesten Sinne des Wortes — eine überaus dankenswerte Aufgabe ist, gelegentliche Beobachtungen heller IVIeteore in zweckdienlicher Form einer der dafür in Betracht kommenden Stellen mitzuteilen und so deren wissenschaftliche Verwertung zu veranlassen. Diese Tätigkeit braucht sich nicht auf eigene Wahrnehmungen zu beschränken, sondern kann sich auch auf solche aus Bekanntenkreisen erstrecken, wobei oftmals recht brauchbare Angaben erlangt werden können, wenn die erforderlichen Ermittelungen und Nach- messungen mit einiger Sachkenntnis vorgenommen werden. Die Erforschung der großen Meteore nimmt insofern eine Sonderstellung unter den Einzelge- bieten der Naturwissenschaften ein, als die Beob- achtungen, welche die Grundlagen für alle weiteren Untersuchungen bilden müssen, dabei fast durch- weg aus Laienkreisen herrühren. Es ist dies in der Natur der Sache selbst begründet: die Selten- heit jener Erscheinungen, die Unmöglichkeit jeder Vorausberechnung des Zeitpunkts und des Sicht- barkeitsgebiets, ferner die Bewölkungsverhältnisse und andere unberechenbare Umstände lassen es stets als großen Zufall erscheinen, wenn ein helles Meteor auf einer Sternwarte aufgezeichnet wird, wobei noch hinzutritt, daß der Astronom in bezug auf die Beobachtung solcher Erscheinungen dem Laien gegenüber trotz seiner Instrumente gar nicht wesentlich im Vorteil ist, höchstens insofern, als seine bessere Kenninis des gestirnten Himmels und größere Übung im Auffassen himmlischer Lichleindrücke ihm eine zuverlässigere Festlegung der scheinbaren Bahnen gestatten. Jene Fähig- keiten wird sich jeder Laie auch aneignen, der sich längere Zeit mit den Vorgängen am Himmel beschäftigt, selbst wenn er auf jedes Eindringen in ihre Theorie verzichtet und sich lediglich auf die Anschauung beschränkt. Die gebräuch- lichen astronomischen Instrumente irgendwelcher Art sind bei Meteorbeobachtungen völlig nutzlos. Allenfalls kann ein kleiner Gradbogen, Pendel- quadrant oder der Theodolit in Betracht kommen, aber auch nur in gewissen Fällen und ohne daß ihre Verwendung unbedingt erforderlich wäre. Man hat zwar schon mehrfach sogenannte „Meteoroskope" gebaut, doch verfolgten auch diese nur den Zweck, die Festlegung der mit bloßen Augen beobachteten Meteorbahnen nach Rekt- Zt. Bamberg, Sternwarte, ngen im Text. ascension und Deklination zu erleichtern. Bewährt im wissenschaftlichen Gebrauch haben sie sich nicht. Ein wichtiger Behelf ist dagegen eine gute Sternkarte, worüber unten noch nähere Mitteilungen folgen. Vorstehendes dürfte berechtigt erscheinen lassen, wenn ich an diesem Orte die Richtlinien für die Beobachtung der Meteore zusammenstelle und an die Leserschaft die Bitte richte, gegebenenfalls etwaige Wahrnehmungen der Verwertung zuzu- führen. Viele brauchbare und wertvolle Beob- achtungen gehen dadurch verloren, daß die Be- obachter weder wissen, worauf dabei zu achten ist, noch überhaupt davon Kenntnis haben, daß solche Mitteilungen oftmals der wissenschaftlichen Forschung zu wertvollen Feststellungen verhelfen können. Auch die falsche Bescheidenheit sowie die Ansicht, daß man, um am Himmel irgend etwas Brauchbares beobachten zu können, unbe- dingt ein großes Fernrohr und eine entsprechende Vorbildung besitzen müsse, haben schon manche Bahrsberechnung vereitelt, die bei zweckdienlicher Behandlung der für wertlos erachteten zufälligen Beobachtungen möglich geworden wäre. Ich habe schon an verschiedenen Stellen Anleitungen zur Beobachtung großer Meteore veröffentlicht, u. a. auch anläßlich besonderer Fälle in Tageszeitungen, um möglichst viele Nachrichten über hervorragende Erscheinungen dieser Art zu erhalten und habe mit letzterem Verfahren auch gute Erfolge erzielt. Nur macht sich dabei der große Nachteil geltend, daß oft eine geraume Zeit zwischen der Beobach- tung selbst und deren Niederschrift verstreicht. Infolgedessen schleichen sich Fehler und Unge- nauigkeiien mancher Art ein, deren spätere Aus- schaltung oft sehr schwer ist. Man wird bei diesen Laienangaben immer mit dem Auftreten nicht unbeträchtlicher Fehler rechnen müssen, und zwar erscheinen neben jener Klasse von Unge- nauigkeiten, die man als „zufällige" bezeichnen kann und die gleich oft positiv wie negativ aus- fallen, sich im Mittel al>o aufheben, eine ganze Reihe einseitiger „systematischer" Fehler, die an sich geeignet sind, die Ergebnisse völlig zu ent- stellen, deren Beseitigung aber auf Grund von Erfahrungen fast restlos möglich ist, da sie in jeder Sammlung von Meteorbeobachtungen in gleicher Weise wiederkehren. Ich werde weiter unten auf solche Fälle hinweisen. Zweifellos liegt hier ein Gebiet vor uns, auf welchem Physiologie und Psychologie noch manches Ergebnis gewinnen können, und nur der Umstand, daß dies nicht ohne astronomische Kenntnisse und Erfahrungen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVil. Nr. 9 möglich ist, mag dessen Erschließung bisher ver- hindert haben. Vielleicht wirken meine Zeilen auch nach dieser Richtung hin anregend. Eine ausführliche „Anleitung zur Mitarbeit an der Erforschuug der Sternschnuppen und Feuer- kugeln" habe ich vor einiger Zeit für den „Sirius" verfaßt (49. Band, S. 194— 198 und 215—222), wo neben der Anweisung zur Ausführung der Beobachtungen auch alles Wissenswerte über äußere Umstände (_VVahl des Beobachtungsplatzes und dessen Einrichtung) zu finden ist. kh beschränke mich hier auf den ersten Teil, füge aber einige Angaben hinzu über die Wege, welche bei der Verwertung der Beobachtungen einzuschlagen sind, da dies das Verständnis außerordentlich er- leichtert. In meinem obengenannten ersten Aufsatz wurde darauf hingewiesen, daß die Stellung des Beobachters zu den Sternschnuppen einerseits und den Feuerkugeln andrerseits eine sehr verschiedene ist, da bei jenen die große IMenge der Erschei- nungen untersucht werden muß und die Beob- achtungen möglichst viele Meteore umfassen sollen, während bei letztgenannten der Einzel- fall einer viel eingehenderen Behandlung zugäng- lich ist, wobei fieiUch die letzten Ziele in beiden Fällen nahezu die gleichen sind. Wenn ich auch bei meinem Aufruf an die Laienwelt vornehmlich die größeren Erscheinungen, die Feuerkugeln im Auge habe, so sollen die Sternschnuppen hier doch nicht übergangen werden. Ihre Beobachtung bietet manches Lehrreiche auch für den Nicht- fachmann und hat mit jener der Feuerkugeln gemein, daß sie keine Instrumente erfordert, also an sich das geschaffene Arbeitsfeld des weniger bemittelten Freundes der Himmelskunde darstellt. Nur verlangt diese Tätigkeit von dem, der sich ihr widmet, so viele Ausdauer und Auf- opferung, daß wirklich brauchbare Beobachtungs- reihen äußerst selten sind. Die Beobachtungen können auf zwei Arten geschehen, die aber am besten miteinander ver- einigt werden. Erstens: Zählung derSternschnuppen. In einer klaren, mondlosen Nacht überwache man von einem geeigneten Orte aus einen gewissen Teil des Himmels und stelle sorgfältig die Zahl der auhreteiiden Sternschnuppen lest, was am besten durch Anlegung einer Liste derselben ge- schieht. Die Liste enthalte die Zeit und die Helligkeit, in zweiter Linie Farbe, Geschwindigkeit, Dauer und Besonderheiten. Das beobachtete Ge- biet liege wenn möglich gegen Osten und umfasse ein Viertel des ganzen Himmels. Größere Gebiete lassen sich nicht mehr sicher genug überwachen. Bei den Zeitangaben genügt die Minute vollauf Die Schätzung der Helligkeit geschieht nach Stern- größen, wobei als Normalsterne der ersten Größe Aldebaran und Prokyon, der zweiten Größe Polar- stern und die hellen Sterne des Großen Bären gelten können, während die Meteore fünfter Größe eben noch dem bloßen Auge sichtbar sind. An- fänger neigen stets dazu, die Helligkeiten viel zu groß anzusetzen, weshalb zunächst Vorsicht am Platze ist. Die Schätzung der Geschwindigkeiten kann nach folgender Stufenfolge geschehen: i = sehr langsam, 2 = langsam, 3 = mäßig rasch, 4 = rasch, 5 = sehr rasch. Man beobachte nur bei ganz klarem, mondlosem Himmel und von einem Platze aus, an welchem irdische Lichtquellen nicht stören. Wird die Beobachtung durch aufkommende Wolken oder den Mond beeinträchtigt, so ist dies sorgsam anzumerken. Der Anblick heller irdischer Lichter läßt sich übrigens leicht durch einen ge- eigneten Schirm vermeiden. Jede einzelne Sitzung soll wenigstens eine Stunde währen. Auch längere Sitzungen sollen, wenn möglich, nach vollen Stunden zählen, damit die stündlichen Häufigkeiten unmittelbar entnommen werden können. Dabei ist wichtig, daß die Beobachtungen sich gelegent- lich auf die frühen Morgenstunden ausdehnen. Gerade dann wird der Meteorbeobachter die reichste Ernte halten. Es ist bekannt, daß die Meteorhäufigkeit einen ausgesprochenen täglichen Gang aufweist. Die Ursache davon ist der Umstand, daß bei der Erde mit Rücksicht auf ihre Bewegung um die Sonne eine Vorder- und eine Rückseite unter- schieden werden kann. Erstere wird stets viel mehr Sternschnuppen auffangen als die Rückseite, obgleich auch diese nicht leer ausgehen wird, da ja die mittlere Geschwindigkeit der Meteore jene der Erde nicht unwesentlich übersteigt und eine bestimmte Bewegungsrichtung der Meteore im Weltraum allen bisherigen Erfahrungen zufolge nicht vorzuherrschen scheint. Der Zielpunkt der Erdbewegung, von Schiaparelli als Apex be- zeichnet, liegt stets nahezu 90 " westlich der Sonne in der Ekliptik. Im Mittel wird der Apex also 6 Stunden vor der Sonne aufgehen, doch unterliegt diese Zeit je nach der nördlicheren oder süd- licheren Stellung von Sonne und Apex starken Schwankungen. Die folgende Tafel gestattet, die mittlere Ortszeit des Apexaufgangs für Orte innerhalb Deutschlands genähert zu entnehmen: 40 0 n. Br. 50 » n. Br. 60 « n. Br. Januar I2''27"' 12'' 40" 13"» 3" Februar 13 o 13 29 14 19 März 13 23 13 55 14 45 April 13 30 14 4 IS 3 Mai 13 2 13 22 13 54 Juni 12 13 12 17 12 22 JuH II 23 II 10 10 51 August 10 41 10 13 9 26 September 10 34 9 47 8 34 Oktober 10 42 10 7 96 November 11 16 10 54 10 21 Dezember u 51 1 1 47 il 41 Die Tafel gilt für die Mitte der Monate. Die Zeit ist von o'' bis 24 ^ gezählt, mittags beginnend, wie dies bei astronomischen Zeitangaben allgemein üblich ist, um den Datumwechsel während der Nacht zu umgehen. N. F. :kvii. Nr. 9 ^Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 123 Als Folge der Umlaufsbewegung der Erde um die Sonne zeigen die Strahlungspunkte der Meteorströme eine auffallende Zusammendrängung auf der Halbkugel des Himmels, welche als Pol den Apex enthält. Figur i zeigt die wahre und relative Bewegung dreier Meteore, welche die Erde mit parabolischer Geschwindigkeit unter ver- schiedenen Winkeln gegen die Rewegung-richtung der Erde treffen und läßt erkennen , daß der scheinbare Strahlungspunkt R" (Radiant), welcher durch die Richtung der Resultante aus Erd- und Meteorbewegung bestimmt ist, dem Apex stets viel näher liegt als der wahre Radiant R, bestimmt Höchst- und Tiefstwert bei den Sternschnuppen um 3 Monate später eintreten als bei der Sonnen- strahlung, entsprechend der um 90" west- licheren Lage des Apex in der Ekliptik. Für die nördliche Halbkugel ergibt sich also folgendes Bild: Bei der Wintersonnenwende über- schreitet die „meteorische Sonne", von Norden kommend den Äquator. Es müssen demnach mittlere Verhältnisse herrschen, entsprechend dem Herbst in bezug auf die Sonnenstrahlung. Die südlichste Stellung, — 23.5" Deklination, erreicht der Apex im März, womit die kleinste Meteor- zahl zur Beobachtung gelangen wird. Je höher er dann steigt, desto ausgeprägter kann wieder allmählich die Stirnseitenlage der nördlichen Halb- kugel werden. Der „meteorische Sommer" mit der größten Sternschnuppenzahl ist im September zu erwarten. Auf der südlichen Hajbkugel sind die Verhältnisse umgekehrt; am Äquator ver- schwindet der jährliche Gang fast völhg, der täg- yh gh ,,h ,21. ,3h ,4h ,5h JdM Fcfc. i-Iärz April Mai Juni Juli hugSepl Okt. Nov. Dei. .\bb. I. W.ihre und scheinbare Bewegung der Meteore. durch die an die kosmische Bahn des Meteors gelegte Tangente. Die meisten Meteore werden demnach aus der Umgebung des Apex auszu- strahlen scheinen, und die Meteorhäufigkeit wird eine Steigerung erfahren, wenn im Laufe der Nacht ein immer größerer Teil der Apexhalbkugel über den Horizont des Beobachtungsortes empor- steigt. Man hat den Apex als „meteorische Sonne'' bezeichnet, was aber doch nur mit einiger Ein- schränkung zulässig ist, da ja die Radianten im Apex nicht in dem Maße vereinigt sind wie die Quellen des Tageslichts in der Sonne. Vergleich- bar sind beide Erscheinungen aber doch recht gut, besonders auch hinsichtlich der jährlichen Schwankungen, die nämlich bei Sonnenstrahlung und Sternschnuppenhäufigkeit genau den gleichen Gang zeigen, nur mit dem Unterschied, daß Täglicher und jährlicher Gang der Slernschnuppenhäuligkeit. liehe dagegen tritt am stärksten in Erscheinung; an den Polen erreichen die jährlichen Schwankungen ihren Höchstwert, da dort der Apex während 6 Monaten überhaupt unter dem Horizont bleibt. Der tägliche Gang dagegen ist ausgelöscht, ganz wie dies beim Sonnenlicht der Fall ist. Es sei dabei auf eine ausiührhche Darstellung dieser Ver- hältnisse von Reg.-Rat v. Niessl in Wien ver- wiesen, der auch einige Anleitungen für die Be- obachtungen gibt [ij. Figur 2 stellt den täglichen und jährlichen Gang der Meteorhäufigkeit dar, wie er sich nach den 35jährigen Beobachtungen von Schmidt in Athen ergab. Die großen Meteorströme, insbe- sondere die Lyriden im April, Perseiden im August und Geminiden im Dezember verfälschen den Gang der Jahreskurve ein wenig, in Bestätigung T24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 9 dessen, was oben über die beschränkte Berechtigung des Ausdrucks „meteorische Sonne" gesagt wurde. Nach Kenntnis des Vorstehenden wird man also m der Lage sein, den jährlichen und täglichen Verlauf der Meteorhäufigkeit für jeden Ort der Erdoberfläche theoretisch genau zu berechnen, wobei jedoch die Voraussetzung gemacht werden muß, daß die Meteore im Weltraum gleichmäßig verteilt sind und daß keine Bewegungsrichtung vorherrscht. Ersteres scheint wohl nahezu der Fall zu sein, wenn man von den Hauptströmen absieht. Weniger weit reicht unsere Kenntnis bezüglich der zweiten Voraussetzung, über deren Zulässigkeit Sicheres noch nicht bekannt ist. Die Klarstellung dieser Verhältnisse ist das Ziel der Beobachtungen. Zwar scheint es, wie bereits oben gesagt wurde, daß man mit diesen Annahmen tatsächlich der Wirklichkeit nahe kommt, doch ist zu beachten, daß der Schleier, der über diesen Dingen liegt, bis jetzt nur eben ein wenig gelüftet werden konnte. Die Wissenschaft von den Meteoren ist im Vergleich zu andern Gebieten der Himmelskunde noch so jung, daß immer mit un- vorhergesehenen Ergebnissen gerechnet werden muß. Es sei hier nur auf einen Punkt hinge- wiesen : es ist gar nicht ausgeschlossen, daß auch die fortschreitende Bewegung des ganzen Sonnen- systems einen gewissen Emfluß aut die scheinbare Verteilung der Meteore ausübt, wobei freilich nur solche Körper betrotfen werden könnten, die sich in hyperbolischen Bahnen bewegen, also dem Sonnensystem selbst nicht angehören. Es müßte sich dann auch eine Zusammendrängung der „kosmischen Ausgangspunkte (vgl. meine Aus- führungen a. a. O. [7J) um den bekanntlich im Herkules gelegenen Zielpunkt der Sonnenbewegung nachweibcn lassen. Die Grundlagen für diese Untersuchungen sind noch sehr dürftig, und nur die Beobachtungen der hier behandelten Art können zu weiteren Fortschritten führen ! Erwecken die oben gemachten Angaben den Anschein, daß die Sternschnuppenzählungen außer- ordentlich leicht und mühelos durchzuführen sind, so zeigen sich bei näherem Zusehen doch einige wesentliche Erschwerungen. Zunächst einmal ist an sich eine sehr große Zahl von Beobachtungen nötig, um überhaupt ein Ergebnis daraus ableiten zu können. Man könnte diese wohl durch ein planmäßigesZusammenwirken mehrerer Beobachter ohne allzu großen Mühe für den einzelnen er- halten, und Versuche dieser Art sind in der Tat mehrfach unternommen worden, zuletzt von C. Birkenstock in Antwerpen, der vor einigen Jahren mit Unterstützung der Societe d'Astrono- mie d'Anvers ein internationales „Bureau Central Meteorique" ins Leben gerufen hatte und tatsäch- sächlich sehr viele Beobachtungen aus den ver- schiedensten Ländern zusammenbringen konnte, wohl mehr als 20000 Sternschnuppen umfassend. Auch in Amerika besteht eine ähnliche Vereini- gung. Bei der vorläufigen Bearbeitung jener Be- obachtungen fand ich nun, daß hinsichtlich der Zahl der gesehenen Meteore zwischen den einzelnen Beobachtern so große persönliche Unterschiede bestehen, daß eine Vereinigung von Reihen ver- schiedener Herkunft nicht ratsam erscheint oder nur mit entsprechenden Vorsichtsmaßregeln vor- genommen werden darf Allenfalls müßte jede der einzelnen Bcobachtungsreihen so umfangreich sein , daß die gegenseitigen Beziehungen der- selben genau ermittelt werden könnten. Freilich hätte man dies ziemlich entmutigende Ergebnis eigentlich voraussehen können. Die Häufigkeit der Sternschnuppen ist ein ganz relativer Begriff, dadurch bestimmt, bis zu welcher Sterngröße abwärts man die Erscheinungen einbezieht. Jene Grenzgröße aber wird je nach der Beschaffenheit der Augen des Beobachters und nach den örtlichen Verhältnissen — Durchsichiigeit der Luft, Er- hellung des Himmels durch Siadtlicht u. dgl. — sehr starken Schwankungen unterworfen sein, die sich auf die Ergebnisse um so stärker übertragen, als die Zahl der Sternschnuppen mit abnehmender Helligkeit in raschem Wachsen begriffen ist. So ergaben meine eigenen Beobachtungen nicht selten dreimal so hohe Durchschnittszahlen als die Zäh- lungen einiger anderer Beobachter, ohne daß man diese indessen der mangelnden Sorgfalt bei ihren Aufzeichnungen zeihen konnte. Die schließlich abgeleiteten Kurven müssen dann trotzdem parallel verlaufen und den Gang der Ereignisse richtig darstellen. Dieser Umstand zwingt aber zu der Foiderung, daß die Zählungen durch viele Jahre mit eiserner Ausdauer vom gleichen Beob- achter ausgeübt werden müssen, der, wenn er wirklich Gutes leisten will, die Ausnützung jeder klaren Nacht sich zur Regel machen und wenigstens je I — 2 Stunden der Sache opfern muß, eine ent- sagungsvolle Tätigkeit für den, der nicht von Be- ruf Astronom ist, die ihm aber ein dauerndes Gedächtnis sichert, denn nur wenige Beobachter haben bisher ähnliches geleistet. Bcrufsaslronomen zumal sind meist durch die planmäßigen Arbeiten der Sternwarten und die Ausnützung der in.'-tru- menlellen Hilfsmittel so in Anspruch genommen, daß ihnen für eingehende Beschäftigung mit den Sternschnuppen keine Zeit verbleibt. Zweitens: Eintragung der scheinbaren Bahnen in die Sternkarte. Diese Art der Beobachtung ist nicht nur wertvoller als das bloße Zählen der Sternschnuppen, sondern führt auch schneller zu sichtbaren Ergebnissen, erfordert dafür aber etwas mehr Übung und eine gute Kenntnis des gestirnten Himmels. Es handelt sich darum, die leuchtenden Bahnstücke, in denen uns die Sternschnuppen sichtbar werden, nach Anfang und Ende, besonders aber unter Beachtung der Bahn- richtungen, sorgfällig in eine geeignete Sternkarte einzutragen. Der eigene Versuch führt hier schneller zum Ziel, als weitschweifige Belehrungen es tun könnten, weshalb ich mich darauf beschränke, auf meine oben erwähnte Arbeit im „Sirius" hin- zuweisen. Daselbst ist auch eine kurze Beob- achtungsreihe abgedruckt und ein verkleinerter N. F. XVII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. I2S Ausschnitt einer Sternkarte mit eingezeichneten Bahnen bildlich wiedergegeben. Nachdem ich die Erfahrung gemacht hatte, daß die vorhandenen Karten den zu stellenden Anforderungen nicht genügen, habe ich selbst Karten gezeichnet und diese auch anderen Beobachtern zugänglich gemacht [2]. Das Ziel der Beobachtungen ist hier die Bestimmung der Strahlungspunkte als Kennzeichen der Meteorströme. Letzthin habe ich an anderer Stelle [7] ausgeführt, wie wertvoll für weitere Forschungen auf diesem Ge- biet ein unter kritischen Gesichtspunkten be- arbeitetes neues Verzeichnis der Strahlungspunkte wäre, so daß über den Wert sorgfältiger Beob- achtungen dieser Art kaum noch etwas hinzuzu- fügen bleibt. Dabei bietet sich der Vorteil, daß der Beobachter größere Freiheit in der Wahl seiner Beobachtungszeiten genießt und auch schneller zum Ziel gelangt. Zudem sind hier die persönlichen Fehler von untergeordneter Bedeutung und betreffen, normalen Zustand der Augen des Beobachters vorausgesetzt, kaum die für das Er- gebnis wesentlichen Richtungen (Großkreise) der Bahnen, so daß auch kürzere Reihen und solche verschiedenen Ursprungs von Nutzen sind. Da indessen die Zeit der Tätigkeit der einzelnen Meteorströme immer beschränkt ist, da ferner die Strahlungspunkte infolge der Umlaufsbewegung der Erde in gewissen Lagen starke Verschiebungen erleiden, so ist nicht zu empfehlen, zeitlich zu weit auseinanderliegende Beobachtungen mitein- ander zu vereinigen. Die Beobachter tun deshalb gut daran, dafür Sorge zu tragen, daß immer innerhalb eines Zeitabschnitts von 5 Tagen so viele scheinbare Bahnen eingetragen werden, als zur selbständigen Ableitung von Strahlungspunkten nötig sind, wofür meist 50 bis 60 Bahnen aus reichen werden, wobei aber auch die Regel gilt : je mehr, desto besser. Zur Zeit der größten Meteorhäufigkeit in den Herbstmonaten, auch außerhalb der Tätigkeitsperioden der großen Meteorströme, kann man diese Zahl leicht in einigen Stunden erreichen. Die Beobachtung der Hauptströme, insbesondere der Perseiden, hat zu- nächst nur noch untergeordnete Bedeutung. Sorg- same Aufzeichnungen zu anderen Jahreszeiten sind, wenn auch weniger ansehnlich, doch viel wertvoller. Das rasche und sichere Einzeichnen der Meteorbahnen ist eine Kunst, die gleich anderen Künsten nicht ohne längere Übungszeit erlernt werden kann. Daß die ersten Aufzeichnungen nicht ohne weiteres verwendbar sind, zeigt das folgende Beispiel: Vor einigen Jahren beauftragte ich einen Primaner, der sich bei meinen Beob- achtungen gelegentlich als Schreiber betätigte, versuchsweise mit der Einzeichnung der Bahnen, um die Art der Fehler festzustellen, die bei Un- geübten vorkommen. Einige helle Sternschnuppen zeigten ziemlich gute Übereinstimmung mit meinen gleichzeitigen Eintragungen. Bei den schwächeren stimmte meist nur das Sternbild. Die Richtungen der Bahnen dagegen wichen bis zu 90 " ab ! Es muß hinzugefügt werden, daß der Beobachter leicht kurzsichtig war, so daß ihm seine Augen jene flüchtigen Lichteindrücke wohl nur unvoll- kommen vermittelten. Ein günstigeres Ergebnis hatten Versuche mit mehreren Studierenden auf der Universitäts Sternwarte zu Jena an den Lyriden 1914. Die gleichzeitig aufgezeichneten Bahn- richtungen stimmten meist gut überein, doch zeigten sich mehrfach seitliche Verschiebungen der Bahnen bis zum Betrag von mehreren Graden. Jedem Beobachter, der einige Übung erlangt hat, ist zu raten, Einzeichnungen und Zählungen zu vereinigen. Freilich muß dann das Eintragen der Bahnen rasch vonstatten gehen, damit nicht inzwischen ein Meteor übersehen wird. Schließ- lich läßt sich auch der Einfluß dieser Zeitverluste auf die Zählungen unschwer ermitteln. — Die Karten bleiben übrigens lange Zeit verwendbar, da die eingetragenen Bahnen wieder entfernt werden können, nachdem die Koordinaten des Anfangs und Endes nach Rektascension und De- klination mittels der zugehörigen Maßstreifen ab- gelesen sind. Nach einiger Übung gelingt auch die Ab- schätzung der Dauer der Sternschnuppen in Sekunden und Zehntelsekunden, wobei indessen wieder merkwürdige einseitige Beobachtungsfehler auftreten. Bei der Bearbeitung der von Birken - stock gesammelten Beobachtungen zeigte sich schon, daß besonders die Bahnlängen außerordent- lich verschieden aufgefaßt werden. In manchen Beobachtungsreihen herrschen kurze Bahnen von weniger als 5 " Länge bei weitem vor, in anderen Fällen wieder liegt das Mittel bei 15", ohne daß ein wirklicher Unterschied anzunehmen wäre. Ich glaube auch, daß die verschiedene Sehschärfe dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt. Vielmehr handelt es sich höchstwahrscheinlich um reine Auffassungsfehler, deren Ursache nicht im Auge, sondern im Gehirn zu suchen ist. Die weiteren Nachforschungen führten dann zu recht über- raschenden Feststellungen. Zunächst wurde ver- sucht , die Beziehungen zwischen den Begriffen „langsam, mittelmäßig, rasch" und der wahren Winkelgeschwindigkeit der Meteore zu ermitteln. Mit Hilfe der Dauerschätzungen und der Längen der scheinbaren Bahnen ergaben sich folgende mittlere Winkelbewegungen in I Sekunde : sehr langsam 5,2 " langsam 10,7 mittelmäßig 18,0 rasch 28,8 sehr rasch 50,6 Ein „sehr rasches" Meteor bewegt sich also scheinbar rund 10 mal so schnell als ein „sehr langsames". Das Verhältnis jeder Klasse zur darauffolgenden ist im Mittel 1 : 1,77. Daneben zeigte sich aber innerhalb der einzelnen Klassen eine ausgesprochene Abhängigkeit von der Bahn- länge: Je länger die Bahn eines Meteors ist, desto größer muß die scheinbare Winkelbewegung sein, um beim Beobachter einen bestimmten Eindruck 126 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr 9 der Geschwindigkeit hervorzurufen. In welchem Maße dies der Fall ist, zeigt das folgende Bei- spiel : Ein Meteor von 5 " Länge wird als „rasch" bezeichnet, wenn es sich mit einer Geschwindig- keit von 13" in der Sekunde forlbewegt. Ist jedoch die Bahn 30" lang, so ruft die gleiche Winkelgeschwindigkeit beim Beobachter den Ein- druck „langsam" hervor, und um die Stufe „rasch" zu erreichen, muß die Winkelbewegung 29 " be- tragen. — Im Jahre 19 14 beobachtete ich die Lyriden zwecks Bestimmung ihrer Geschwindig- keit nach einem besonderen Verfahren. Es fand sich dafür schließlich ein so übertrieben hoher Wert, daß ebenfalls einseitige Beobachturgsfehler angenommen werden mußten, was durch An- wendung des gleichen Verfahrens auf den kome- tarischen Perseidenstrom, dessen Geschwindigkeit bekannt ist, bestätigt wurde. Ob der F"ehler in einer Unterschätzung der Dauer oder zu großen Annahme der Bahnlängen besteht, konnte noch nicht ermittelt werden. Sicher ist nur, daß meine Beobachtungen um über 100 "„ fehlerhaft waren trotz äußerster Sorgfalt und trotz Übung an Tausenden von Fällen. Bei einem der Jenaer Beobachter zeigte sich ein ähnliches Verhalten. Die Ursache des Fehlers ist weder in der ange- wandten Beobachtungsmethode noch in irgend- welchen Versehen zu suchen, sondern kann nur in der UnvoUkommenheit der menschlichen Sinnes- werkzeuge liegen. Auch hier läßt sich der Ein fluß des Fehlers auf die Ergebnisse ausschalten, wenn man durch Beobachtung von Meteorströmen mit bekannter Geschwindigkeit den „Fehlerkoeffi- zienten" des Beobachters bestimmt. Es fragt sich nur noch, ob dieser nicht auch starken zeit- lichen Änderungen unterliegt. Große persön- liche Verschiedenheiten haben sich auch hier bereits gezeigt. Wenden wir uns nunmehr den Feuerkugeln zu. Die Bezeichnung „Feuerkugel" beginnt im allgemeinen mit der Sterngröße — 2, also etwa der Helligkeit des Jupiter, ist aber eigentlich ziemlich willkürlich. Wie schon mehrfach er- wähnt, ist das nächstliegende Problem hier ein anderes. Die große Helligkeit lenkt die Blicke zahlreicher Beobachter auf das Meteor, sodaß man hoffen kann, mit Hilfe von Beobachtungen aus verschiedenen Orten die Bahn der einzelnen Erscheinung mehr oder minder sicher zu berechnen. An sich ist dieses Verfahren auch auf die Stern- schnuppen anwendbar, bedarf aber dann vorheriger Vereinbarungen wegen der Beobachtungszeiten. Auch werden die Ergebnisse weniger sicher aus- fallen als bei Feuerkugeln, für die nicht selten 50 und mehr Beobachtungen vorliegen. Das Ver- fahren, welches bei der Berechnung der Bahnen Anwendung findet, ist insbesondere von Galle [3J und V. Nießl [4] sorgfältig ausgebildet worden, nachdem die große Bedeutung solcher Unter- suchungen etkannt worden war. Es hat sich als ratsam erwiesen, die Bearbeitung stets mit der Ermittelung von Lage und Höhe des Endpunkts der Erscheinung zu beginnen, da dieser von allen Bahnpunkten am sichersten aufgefaßt und zweifelsfrei bezeichnet wird, während besonders bei den An- fangspunkten außerordentlich große Unterschiede zutage treten, je nachdem, ob der Beobachter früher oder später auf die Erscheinung aufmerk- sam wurde. Die Grundlage für die Berechnung des Endpunkts bilden die Azimute und Höhen, in denen er an verschiedenen Orten beobachtet wurde. Zieht man auf einer Landkarte von den betreffenden Orten aus die den Azimuten ent- sprechenden Richtungsstrahlen, so weisen diese sämtlich nach derfi Punkt der Erdoberfläche hin, der das Meteor beim Erlöschen im Zenit hatte. .\bb. 3. Endpunktausgleichung der Feuerkugel vom 19. Juli 1914. werden sich aber wegen der unvermeidlichen Beobachtungsfehler nicht in diesem Punkt, sondern auf einer mehr oder weniger großen, den Projek- tionspunkt umgebenden Fläche schneiden. Bei genügender Zahl der Beobachtungen kann man alsdann für alle Orte Bedingungsgleichungen auf- stellen und aus diesen die wahrscheinlichsten Koordinaten des Endpunkts nach der Methode der kleinsten Quadrate ableiten, so daß dieses Verfahren genau der geodätischen Punktbe- stimmung durch Vorwärtseinschneiden entspricht. Kennt man dann die Lage der Projektion des B^ndpunkts auf der Erdoberfläche, so folgt dessen wahre Höhe unmittelbar aus den beobachteten scheinbaren Höhen als Mittel der Einzelwerte, die ebenfalls mit zufälligen Fehlern behaftet sind. Aus dem schließlichen Ergebnis kann weiterhin auch auf die Fehler der einzelnen Beobachtungen ge- schlossen werden. Figur 3 bezieht sich auf die Endpunktsbestimmung der großen Feuerkugel vom 19. Juli 1914 und läßt deutlich das Schnittfeld und die Abweichungen der einzelnen Azimut- strahlen erkennen. N. F. XVII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 127 Es folgt aus Vorstehendem, daß jeder Beob- achter eines größeren Meteors vor allem auf die sichere Festlegung des Endpunkts bedacht sein muß, was auf verschiedenen Wegen geschehen kann. Von großem Belang ist, ob bei der Beob- achtung Sterne sichtbar sind oder nicht. Ist ersteres der Fall, so ist immer die ganze Bahn auf Gestirne zu beziehen. Dies ist die sicherste Art der Beobachtung, und alles andere kann nur als Notbehelf gelten. Das Einzeichnen der Bahn geschieht auf die gleiche Weise wie bei den Stern- schnuppen. Es dürfen immer nur die Bahnteile gezeichnet werden, die der Beobachter sicher ge- sehen hat. Erfolgte das Aufleuchten schon früher, ohne daß der Beobachter das Meteor unmittelbar erblickte, so kann dies durch eine Anmerkung mit geteilt werden. Im ersten Teil ihrer Bahn erscheinen auch große Meteore nicht selten sternschnuppen- artig. Wurde zufällig das erste Aufblitzen der Er- scheinung aufgefaßt, was nur ausnahmsweise der Fall sein wird, so ist dies ausdrücklich zu bemerken, denn solche Beobachtungen bieten die Möglich- keit, verhältnismäßig sichere Werte für die An- fangshöhen zu berechnen und deren obere Grenze zu finden, was für unsere Kenntnis vom Aufbau der irdischen Lufthülle sehr wertvoll wäre, aber bis jetzt noch nicht einwandfrei gelungen ist. Meist erfolgt das Aufleuchten in Flöhen von etwa 200 km, doch gibt es auch Beispiele, bei welchen die Rechnung bis zu 700 km ergab, ohne daß ein Fehler in den Beobachtungen nachzuweisen wäre. Ob diese Ergebnisse indessen der Wirk- lichkeit entsprechen, muß trotzdem einigen Zweifeln begegnen, so lange nicht ein solcher Fall vorliegt, der durch eine große Anzahl guter Beobachtungen gesichert ist. — Der Endpunkt einer Feuerkugel wird schon deshalb am leichtesten von allen Bahn- punkten festzuhalten sein, weil er nicht selten durch plötzliche Steigerung des Lichtes, explosions- artige Erscheinungen und Funkensprühen aus- gezeichnet ist. Die große Bewegungsenergie des Meteors wird dann infolge der auf ein Höchstmaß gesteigerten Zusammenpressung der Luft fast augenblicklich in Wärme und Licht umgesetzt, die Geschwindigkeit vernichtet und die feste Masse der Feuerkugel fast stets restlos verdampft. Schwieriger gestaltet sich die Beobachtung, wenn Sterne nicht sichtbar sind, also am Tage oder in der hellen Dämmerung. Gelegentlich können Sonne und Mond Anhaltspunkte bieten. Sonst aber ist man auf irdische Merkmale ange- wiesen. Die Richtung — das Azimut — des Endpunkts kann nach solchen fast stets ziemlich sicher bestimmt werden. In Betracht kommen entfernte Berge, Ortschaften oder sonstige Gelände- punkte, und die Mitteilung der Beobachtung an den Rechner geschieht am vorteilhaftesten in Form einer Zeichnung oder Eintragung des Richtungs- strahls in die Landkarte oder den Stadtplan. — Weniger einfach ist die Ermittelung der schein- baren Höhe des Endpunkts, und zuverlässige An- gaben dieser Art sind nicht häufig. Die wenigsten Beobachter sind in der Lage, Schätzungen nach Gradmaß vorzunehmen, und wo dieser Weg be- schritten wird, da weisen die Beobachtungen eine starke einseitige Entstellung auf. Es ist bekannt, daß das scheinbare Himmelsgewölbe sich dem Auge nicht als Halbkugel, sondern stark abge- plattet darstellt. Dementsprechend fallen Höhen- schätzungen stets viel zu groß aus, ein Umstand, auf den schon Galle in seiner Untersuchung über den Meteoritenfall von Pultusk am 30. Januar 186S aufmerksam macht 1^5]. Allerdings scheint Galle anzunehmen, daß sich das Auftreten des Fehlers auf die horizontnahen Teile des Himmels be- schränkt. Eingehende Würdigung erfuhr dieser Gegenstand später durch Reimann in Hirsch- berg. V. Nießl machte bei seinen zahlreichen Untersuchungen über große Meteore die Erfahrung, daß man meist der Wirklichkeit sehr nahe kommt, wenn man geschätzte Höhen durchweg auf -'3 ver- mindert. Dasgeschätzte Zenit liegt in etwa 60" Höhe. Füralle P>scheinungen,diesich zwischen dem Höhen- kreis 60° und dem Scheitelpunkt abspielen, wird von Laien unterschiedslos das Zenit als Ort an- gegeben. Ist somit zwar möglich, die Schätzungen in den meisten Fällen trotzdem noch zu verwerten, so ergibt sich doch aus dem Gesagten für den Beobachter die Regel, daß er Höhenschätzungen so weit als möglich zu vermeiden suche. Jede Art der Messung mit den einfachsten Hilfsmitteln ist vorzuziehen, immer aber ist anzugeben, wie der betreffende Wert erhalten wurde. Gute Dienste leisten kleine Gradbogen mit Lot nach Art der Pendelquadranten, die aus Papier oder Pappe ge- fertigt und in der Brieftasche getragen werden können. Übrigens können Höhen und Horizontal- winkel, wenn sie etwa 30 " nicht übersteigen, auch recht gut mit dem Metermaß bestimmt werden. Hält man nämlich einen Maßstab vor sich bei ausgestrecktem Arme senkrecht zur Blickrichtung, so erscheint, wenn die Armlänge zu 60 cm an- gesetzt wird, I cm unter einem Winkel von 57' oder rund i ". Ist ein Maßstab nicht zur Hand, so kann wertvolle Dienste selbst ein Gras- oder Strohhalm leisten, dessen Länge man später be- stimmt. — Eine weitere Möglichkeit, sowohl Richtung als Höhe des scheinbaren Endpunkts zu ermitteln, bieten Sonne und Mond innerhalb ge- wisser Grenzen. Man beobachte an einem be- liebigen Tage, wann eines dieser Gestirne in der Richtung des Endpunkts und wann in gleicher Höhe steht. Aus den Zeiten können dann Azimut und Höhe gefunden werden. Die Anwendung des Kompasses ist gelegentlich ebenfalls von Vor- teil, im allgemeinen aber weniger zu empfehlen, weil die gebräuchlichen Instrumente meist zu klein sind, sodaß Fehler von 10" und mehr leicht vor- kommen können. Wurde der Kompaß trotzdem benutzt, so ist das ausdrücklich zu bemerken, damit an das Azimut die magnetische Mißweisung angebracht werden kann. Die Richtung, aus welcher das Meteor zum scheinbaren Endpunkt kam, mit anderen Worten Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 9 die Lage der Bahn am Himmel, dient als Grund- lage für die Ermittelung des scheinbaren Strahlungs- punktes. Die an den verschiedenen Orten beob- achteten Bahnbogen weisen sämtlich nach rück- wärtsanf jenen Punkt hin, und ihre Verlängerungen nach dieser Richtung bilden ein den Radianten umgebendes Schniltfeld, aus welcliem wieder nacli der IVIethode der kleinsten Quadrate der wahr- scheinlichste Ort des Radianten bestimmt werden kann. Damit ist dann auch die wahre Lage der Meteorbahn gegen die Erdoberfläche, ihre Rich- tung im Azimut und ihre Neigung gegeben. Wurde die ganze Bahn in die Sternkarte einge- tragen, so bedarf es keiner weiteren Znsätze. Am Tage jedoch muß die Richtung der scheinbaren Bahn getrennt ermittelt werden, und zwar hat sich als be- sonders vorteilhaft fürdiesen Zweck dieAufzeirhnung der scheinbaren Neigung erwiesen, die das Meteor im letzten Teil seiner Bahn gegen den Horizont oder den Vertikal des Endpunkts besaß. Dies besagt also, ob das Meteor senkrecht abzu- fallen schien, ob es eine Abweichung nach rechts oder links zeigte, ob die Bahn horizontal oder aufsteigend verlief. Eine einfache Strichzeichnung ist hier allen anderen Formen der Mitteilung vor- zuziehen und gibt den Neigungswinkel oft über- raschend gut wieder. Eine Schwierigkeit besteht nur darin, die Beobachter zu der richtigen Auf- fassung der Sachlage zu veranlassen. Die wenigsten Beobachter können sich nämlich von der Täuschung freimachen, daß sich die Erscheinung in ihrer un- mittelbaren Nähe abgespielt habe, zeichnen infolge- dessen ganz verfehlte Grundrisse und Aufrisse der Bahn; aber n'Vht das. worauf es ankommt: den einfachen Anblick des Meteors. Ich bin des- halb dazu übergegangen, bei der Einholung brief- licher Auskünfte das Wort „scheinbare Neigung" gar nicht mehr zu gebrauchen, da es fast stets Verwirrung anrichtet und die Beobachter einfach nicht zu überzeugen sind, daß die Erscheinung viellelicht loo und mehr Kilometer von ihnen entfernt war. — Bei sehr langen Bahnen oder auch dann, wenn der Anfangspunkt tief am Horizont lag, ist es manchmal vorteilhaft, wenn an Stelle der Neigung ein erster Bahnpnnkt nach einem der für den Endpunkt angegebenen Verfahren festgelegt wird, wobei für die Bestimmung des Radianten gleichgültig ist, ob der als Richtungs- marke gedachte Ort wirklich dem Punkt des ersten Aufleuchtens oder einem anderen sicher beobachteten Punkt des Bahnbogens entspricht. Die gleichzeitige Skizzierung der Neigung kann zur Erreichung größerer Sicherheit oder zur Prüfung dienen. Auch die Länge der Bahn kann mit Hilfe eines bei ausgestrecktem Arm gehaltenen Stockes oder einer Schnur auf die angegebene Weise in Bogenmaß bestimmt werden. Wie man sieht, gibt es verschiedene Wege, um zum Ziel zu gelangen. Die Beziehung auf Gestirne ist indessen allen anderen Arten der Festlegung scheinbarer Bahnen vorzuziehen. Leider nur sind Beobachtungen, die den zu stellenden Anforderungen genügen, ziemlich selten, denn die Kenntnis auch der wichtigsten und schönsten Sternbilder ist so wenig verbreitet, daß unter hundert Menschen wohl kaum einer die beobachtete Meteorbahn auf die Sternkarte zu übertragen vermöchte. Aus diesem Grund werden auch bei Nachtbeobachtungen sehr oft die anderen Methoden Anwendung finden müssen und sind außerdem zur Sicherung gegen grobe Verwechslungen allgemein am Platze. Die Abschätzung der Dauer des Meteors in Sekunden bietet kaum nennenswerte Schwierig- keiten wegen der meist ziemlich langen Sichtbar- keit der Feuerkugeln, hat aber nur dann Wert, wenn genau mitgeteilt wird, auf welches Bahn- stück zieh die Angabe bezieht. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen an den Sternschnuppen ist v. Nießl der Ansicht, daß die Dauer der Feuer- kugeln nicht selten überschätzt wird. Man kann aber im allgemeinen wohl annehmen, daß diese Beobachtungen im Mittel frei von einseitigen Ent- stellungen sind; wenigstens habe ich solche bis jetzt nicht auffinden können, abgesehen von den häufigen, ganz groben Verstößen, die den Stempel der Unrichtigkeit often an sich tragen. — Die Zeit der Erscheinung suche man ebenfalls genau zu be- stimmen, vernachlässige darüber jedoch nicht die P'estlegung der scheinbaren Bahn. Es erübrigt sich wohl, darauf hinzuweisen, daß auch Beob- achtungen über das Aussehen des Meteors, Farbe und Lichterscheinungen, von Wert sind. Erwünscht wären sichere Angaben über die Aufeinanderfolge der verschiedenen Farben während des Zuges der Feuerkugeln, da neuerdings A. Wegener eine Abhängigkeit der Farbe von der Art der durch- fahrenen Gasschichten vermutet hat [6]. In den mir vorliegenden Sammlungen von Beobachtungen herrscht bezüglich der Fat benangaben meist eine unglaubliche Verwirrung. Große Meteorerscheinungen sind nicht selten von Donner begleitet, der wegen der beträcht- lichen Entfernung oft erst nach mehreren Mmuten das Ohr des Beobachters trifft. Die Zeit, welche zwischen Licht und Schall verstreicht, ist genau nach der Uhr zu ermitteln, desgleichen bei den allerdings recht seltenen Meteoritenfällen die Zeit bis zum Herabkommen der Steine. Diese An- gaben können neben anderen Zwecken auch zur Prüfung der Bahnbestimmung dienen. — Rück- stände der Feuerkugel, die als Nebel- oder Rauch- streifen gelegentlich noch lange Zeit sichtbar bleiben, sind in ihrer Bewegung und Formver- änderung durch Messung und Zeichnung genau zu verfolgen, da uns diese Beobachtungen Auf- schluß über die in den oberen Schichten der irdi- schen Lufthülle auftretenden Strömungen geben. Es folgt hier eine nochmalige gedrängte Über- sicht der vorzunehmenden Ermittelungen: I. Scheinbare Bahn. a) Endpunkt: Eintragung in die Sternkarte oder Festlegung der Richtung nach irdischen Merkmalen, der Höhe durch Messung mit einfachen N. F. XVII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 129 Hilfsmitteln. Benutzung der Sonne und des Mondes für den gleichen Zweck. b) Bahnlage: Eintragung in die Sternkarte oder Skizzierung der scheinbaren Neigung gegen den Horizont oder den Vertikal eines Bahnpunkts. c) Anfangspunkt und Bahnlänge: Bestimmung wie beim Endpunkt; Messung der Bahnlänge mit einfachen Hilfsmitteln. 2. Zeit der Erscheinung und Ort der Beob- achtung. 3. Dauer in Sekunden unter genauer Bezeich- nung, auf welches Bahnstiick sich die Angabe bezieht. 4. Lichterscheinungen, Farbe, Schweif. 5. Donner: Zeit zwischen Licht und Schall ermitteln. In erster Linie ist stets die scheinbare Bahn zu bestimmen und anzugeben, wie die einzelnen Ermittelungen vorgenommen wurden. Einfache Zeichnungen sind besser als Beschreibungen. Ein- gesammelte Berichte sind dem Rechner wenn möglich in Urschrift oder wörtlicher Abschrift zuzuführen. Es bleiben noch einige Worte zu sagen über die Stellen, die sich in Deutschland mit der Samm- lung und Verwertung dieser Beobachtungen be- fassen, denn es wird die Anteilnahme weiter Kreise sicher beleben, wenn die sachgemäße Behandlung der eingesandten Mitteilungen gewährleistet wird. Als Sammelstelle kommt vor allem in Betracht die Schnftleitung des „Sirius" in Berlin NW 48, Hindersinstr. 7, die es auch übernommen hat, in besonderen Fällen mit Hilfe der Tagespresse Nach- forschungen anzustellen und damit schon gute Erfolge erzielen konnte. Eine Sammelstelle unter- hält ferner die „Vereinigung von PVeunden der Astronomie und kosmischen Physik" in Münster, Westfalen, Königliche Sternwarte. Letztere Stelle hat gebührenfreie Meldekarten eingeführt. Zur Zeit besteht ein Austausch der an den ver- schiedenen Orten einlaufenden Beobachtungen. Von einer endgültigen Regelung, die nötig ist, um der Gefahr der Zer.-plitterung vorzubeugen, muß jedoch unter den gegenwärtigen Umständen noch abgesehen werden. Über seine Erfahrungen bei der Berechnung zahlreicher Meteorhahnen macht v. Nießl folgende Angaben hinsichtlich der F'ehlergrenzen von Be- obachtungen und Ergebnissen: Der mittlere Fehler einer Richtung für den Endpunkt ergab sich im Durchschnitt aus 351 benutzten Beobachtungen zu ± 5,8". Nur in 12 v. H. der Fälle erfolgten die Feststellungen durch unmittelbare Beziehung auf Gestirne, in etwa 20 v. H. auf Grund späterer Messungen, in allen übrigen Fällen, also weitaus der Mehrzahl, durch Bezeichnung nach irdischen Gegenständen. Der mittlere Fehler einer schein- baren Höhe betrug nach 235 i'^ngaben ±41". wobei jedoch rohe Schätzungen nach Möglichkeit ausgeschlossen wurden. Bei der Berechnung der Endpunkte wurden folgende Fehlergrenzen erreicht : in der geographischen Lage des Endpunkts ± 8.3 l^Ti. in der Höhe ± 3,4 km. Die besten Bestimmungen der Lage blieben noch auf 3—4 km unsicher. Für die Anfangspunkte können wegen der un- gleichmäßigen Auffassung seitens verschiedener Beobachter solche Angaben nicht erfolgen. Der mittlere Fehler der beobachteten ersten Bahn- punkte betrug bei Beziehung auf Gestirne ±3.5°, im Mittel aus 217 verschiedenartigen Beobach- tungen ±4,2 ". Die scheinbaren Neigungen wiesen in 250 benutzten Fällen durchschnittlich einen mittleren Fehler von ±6.5" auf, die Orte der scheinbaren Strahlungspunkte einen solchen von ± 3,3 " im Mittel aus 43 verläßlichen Bestimmungen unter Benutzung von 537 scheinbaren Bahnen. Die Anzahl der letzteren betrug gelegentlich über 40 für das gleiche Meteor, andrerseits auch manch- mal wieder nur 3 oder 4. Endlich seien noch hinzugefügt die mittleren Endhöhen großer Meteore : 147 Feuerkugeln ohne Donner: 60 km 57 Feuerkugeln mit Donner: 31 „ 16 Meteoritenfälle: 22 „ Sternschnuppen pflegen meist schon zwischen 80 und 100 km Höhe zu verlöschen. Die Ausführungen, welche ich vorstehend den Feuerkugeln gewidmet habe, mögen vielleicht den Anschein erwecken, daß es sich dabei um ein Gebiet handelt, welches den sonst bei astrono- mischen Forschungen üblichen Grad der Genauig- keit vermissen läßt und auf welchem zum Schaden der Ergebnisse eine gewisse Freiheit der Methoden herrscht. Gewiß sind die hier empfohlenen rohen Messungen sonst nicht gebräuchlich, doch wäre es verfehlt, daraus einen zu weitgehenden Schluß auf die Verläßlichkeit der abgeleiteten Bahnen zu ziehen. Nur dadurch wurde eben die Verwertung solcher scheinbar ganz unzuverlässigen Beobach- tungen ermöglicht, daß man gelernt hat, die stets wiederkehrenden einseitigen Fehler auszuscheiden, und die aus zahlreichen Beobachtungen solcher Art unter Beachtung aller Gesichtspunkte und Er- fahrungen berechneten Bahnen sind tatsächlich oft so sicher, daß für Hypothesen und Spekulationen nur wenig Spielraum bleibt. Solange nicht eine selbsttätige Aufzeichnung solcher Erscheinungen, etwa auf photographischem Wege, möglich ist — und diese Möglichkeit muß vorerst überhaupt be- zweifelt werden — , so lange wird die Wissen- schaft bei diesem Gebiet auf zufällige Beobach- tungen aus Laienkreisen angewiesen bleiben. Mögen meine Ausführungen dazu beitragen, daß diesem Forschungsgebiet einige Anteilnahme ent- gegengebracht wird, die bisher leider fast voll- ständig gefehlt hat. Literaturnachweisungen, i. G. V. Niefil, Die geographischen Beziehungen des Meleorphänomens. Naturw. Wochenschr. 19. Bd. Nr. 18(1904). 2. C. Hoffmeister, Sternkarten für Mcteorbcobach- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 9 tungen und ähnliche Zwecke. 4 Teile 1,20 M. Verlag des Verfassers. Die einzelnen Teile werden auch getrennt abgegeben. 3. J. G. Galle, Über die Berechnung der Bahnen heller, an vielen Orten beobachteter Meteore usw. Astr. Nachrichten Bd. 83, S. 321 (1874). 4. G. V. Nießl, Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. Enzyklopädie der math. Wissenschaften VI 2, S. 427—462. 5. J. G. Galle, Über die Bahn des am 30. Januar 1868 beobachteten und bei Pultusk im Königreiche Polen als Stein- regen niedergefallenen Meteors durch die Atmosphäre. Ab- handlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische KuUur. Breslau 1868. 6. A. Wegener, Über den Farbenwechsel der Meteore. „Das Wetter", Sonderheft zum 13. April 1915, S. 62 — 66. 7. C. Hoffmeister, Über die kosmische Stellung der Meteore. Naturwissenschaften Heft 40, 1917, Einzelberichte. Zoologie. In Gestalt und Bewegungsweise quallt-nähnliche Flagellaten sind nicht nur Lcpto- discus medusoides R. Hertwig, das Meerleucht- tierchen des Mittelmeeres, und die ihm ähnliche, gleichfalls zu den Cystoflagellaten gehörige Cras- pedotella Kofoid, sondern noch zwei weitere Arten, von denen Pascher') die eine in alten Kulturen mit Meeresalgen, die andere in der Ostsee bei Warnemünde am Übergang zum Breit- ling in kleinen, mit faulenden Algen ausgefüllten Lachen fand. Jene, Clipeodinium medusa Pascher, ist kegelförmig, die Basis des Kegels ist hohl wie bei einer Weinflasche; den Kegelmantel umgürtet eine Ouergeißel, wodurch sich der Organismus als zu den Dinoflagellaten gehörig erweist; die Längs- geißel fehlt zwar, aber an einer Furche ist noch zu erkennen, wo sie ehedem lag. Die medusen- artigen Kontraktionen, die das Schwimmen durch Rückstoß hervorrufen, beschränken sich auf den „unterhalb" der Ouergeißel — wenn man die Spitze des Kegels als „oben" liegend betrachtet — gelegenen Teil des Körpers. Noch anmutiger sieht die grüne Medusochloris phiale Pascher aus. Sie ist etwa uhrglasförmig, aber leicht in vier Ecken ausgezogen, und an jeder Ecke entspringt eine lange, bei der Bewegung nachschleppende Geißel. Durch die rhythmischen Kontraktionen wird der uhrglasförmige Körper fast zur Kugelform zusammengezogen. Ein Stigma, der große Chromatophor ohne Pyrenoid, die Stärkekörnchen und die Vermehrung durch Längs- teilung lassen den Organismus den Polyblephari- niden zurechnen. Da bei diesen die Geißeln immer am Vorderende eingefügt sind, so bewegt sich Medusochloris „rückwärts" im morphologischen Sinne, umgekehrt wie die anderen Polyblephari- niden. Die Bewegung bei beiden Formen erfolgt in Schraubenlinien unter steter Umdrehung des Körpers um die eigene Achse. Geringere Be- wegungen können auch allein durch das Schwingen der Geißeln zustande kommen. Die Kontraktionen des Körpers beruhen nicht nachweisbar auf Myonemen wie bei Leptodiscus, Craspedotella und zahlreichen Infusorien, sondern gehören wohl zu der bei Flagellaten so verbreiteten Metabolie, die wohl immer auf der Kontrakiilität des Plasmas und einem in der Zellhaut liegenden entgegen- wirkenden elastischen Moment beruht. V. Franz. Der Entwicklungs^ykkis des breiten Rand wurms, Dibothriocephalus latus L. (Mit 8 Abbild.; Während die Art und Weise der Infektion des Menschen mit dem breiten Bandwurm seit langem brkannt ist, wußte man bisher nicht, wie die Fische, die als Zwischenwirte des Dibothriocephalus in Be- tracht kommen, sich mit dem Parasiten infizieren. In der Magen wand, in der Leber, der Milz, den Geschlechtsdrüsen und der Muskulatur des Hechtes, des Barsches, der Quappe und anderer Süßwasser- fische lebt das Finnenstadium des Bandwurms, das Plerocercoid. Wird ein solcher Parasitenträger vom Menschen in rohem oder nicht genügend gekochtem Zustande gegessen, so entwickelt sich im Magen und Darm des Menschen aus dem Plerocercoid der geschlechtsreife Bandwurm, der sich im Dünndarm ansiedelt. Mit dem Kot gelangen die in den Darm abgelegten Eier nach außen, und im Wasser entwickelt sich aus dem Ei eine an der ganzen Körperoberfläche bewimperte Larve, die einen mit sechs Haken versehenen Embryo, die Oncosphaera, enthält. Vermittels ihres Wimperkleides schwimmt die Larve nach Sprengung der Eihülle im Wasser umher. Was aber weiterhin init der Larve ge- schieht, wie aus der Oncosphaera das in den ge- nannten Süßwasserfischen schmarotzende Plero- cercoid entsteht, war, wie gesagt, bis jetzt un- bekannt. Versuche, Fische mit den P"limmerlarven zu infizieren, schlugen immer wieder fehl, und das legte den Gedanken nahe, daß der Fisch nicht der einzige Zwischenwirt des Bandwurms ist, son- dern daß die Oncosphaera zunächst in ein anderes im Wasser lebendes Tier gelangen muß, ehe in dem Fisch, als dem zweiten Zwischenwirt, das Plerocercoid entsteht. Diese Vermutung ist nun- mehr durch die Untersuchungen von Janicki und Rosen') bestätigt worden, denen es nach vielen Mühen gelungen ist, den ganzen Entwick- lungszyklus des Dibothriocephalus klarzulegen. Janicki und Rosen wiederholten zunächst beide die Versuche einer direkten Infektion von ') Biolog. Ze Band 37, 1917, \r ') Janicki, C, et Rosen, F., Le cycle evolutif du Dibothriocephalus latus L. Bulletin de la Societe neuchäteloisc des Sciences naturelles, Tome 42, 191 7. N. F. XVn. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 13« Fischen mit Flimmerlarven. Nachdem Janicki eine Methode ausgearbeitet hatte, um aus den Eiern Flimmerlarven in großer Menge zu züchten, brachte er junge Forellen, Hechte und Barsche in Aquarien mit Flimmerlarven zusammen. War eine Infektion überhaupt möglich, so hätte sie unter diesen für die Parasiten besonders günstigen Bedingungen erfolgen müssen. Alle Versuche mißlangen indessen.') Auch Rosen kam nur zu negativen Resultaten. Um die Infektionsmöglich- keit noch zu erhöhen, hielt er die Larven in kleinen Bechergläsern. Die Larven sammelten sich in diesen mit Vorliebe am Wasserspiegel. Wurden die jungen Fische in die Gläser gesetzt, so waren sie infolge Sauerstofifmangels bald ge- zwungen, an die Oberfläche zu steigen und kamen so mit den zahlreich vorhandenen Flimmerlarven in unmittelbare Berührung. Trotz genauester Untersuchung der lebenden und der fixierten Fische konnten jedoch niemals Oncosphaeren in dem Darmtraktus der Tiere gefunden werden. Somit konnte über die Existenz eines weiteren Zwischenwirtes wohl kaum noch ein Zweifel be- stehen. Um diesen Zwischenwirt herauszufinden, schlugen Janicki und Rosen verschiedene Wege ein, sie arbeiteten sich gewissermaßen ent- gegen. Janicki prüfte, um einen Anhaltspunkt über die Natur des fehlenden Zwischenwirtes zu gewinnen, den Mageninhalt einer großen Zahl von Quappen, Barschen und Hechten verschiedenen .A.lters und suchte alle Entwicklungsstadien des Plerocercoids festzustellen von dem Augenblick an, wo es den ersten Zwischenwirt verläßt und in den Fisch übergeht. Rosen andererseits nahm systematisch die von Janicki in dem Magen der Fische aufgefundenen Tiere vor und suchte sie mit F'limmerlarven zu infizieren. Die ausgewachsenen Fische, in denen die Plerocercoide des Dibothriocephalus leben, sind zumeist, wie Hecht und Barsch, ausgesprochene Raubfische, die sich von anderen Fischen, haupt- sächlich Weißfischen, nähren. Da man aber be- reits in ganz jungen Fischen, deren Hauptnahrung noch wirbellose Tiere bilden, Plerocercoide findet, war es von vornherein nicht wahrscheinlich, daß Weißfische die ersten Zwischenwirte sind. Ver- suche, Weißfische mit Flimmerlarven zu infizieren, verliefen denn auch ergebnislos. Die Tiere, die Janicki in dem Magen der untersuchten Fische — Quappen, Barsche und Hechte von 6 — 33 cm Länge — fand, lassen sich in vier Gruppen ein- teilen: I. planktonisch lebende Tiere, 2. ver- schiedene .Arten von Chironomiden , Corethren und anderen Insektenlarven, 3. Gammariden, 4. Oligochaeten. Das Plankton setzt sich aus Or- ganismen aus verschiedenen Gruppen zusammen, seine Untersuchung bot also die meisten Schwierig- ') Janicki, C, Experimentelle Untersuchungen zur Entwicklung von Dibothriocephalus latus L. I. Über negative Versuche, junge Forellen, Hechte und Barsche direkt mit Klimmerembryonen zu infizieren. Centralbl. f. Bakteriologie, Parasitenk. u. Infektionskrankh., Bd. 79, 1917. keiten, und so wurde sie bis zuletzt aufgeschoben. Rosen begann mit der Untersuchung der Gamma- riden oder Flohkrebse. Die Tiere wurden in kleinen Aquarien zu je 50 gezüchtet, und diesen wurden dann Flimmerlarven in Portionen von ungerähr 5000 Stück beigegeben. Vom zweiten Tage ab wurden die Gammariden lebend und in fixiertem Zustande auf Schnitten genau untersucht. Von den F'limmerlarven fand sich indessen keine Spur, .^uch alle Versuche, Flimmerlarven in Insekten- larven und Würmer zu übertragen, verliefen nega- tiv. So blieb denn nur noch die letzte Gruppe, das Plankton, übrig. Da die Lebensweise der Flimmerlarven ebenfalls planktonisch ist, war die Wahrscheinlichkeit, daß der erste Zwischenwirt des Dibothriocephalus dieser Gruppe angehöre, ^' l)en ausgeschlüpfte Hiramerlarve (Vergr. 280). Oncosphaera aus der Leibeshöhle von Cydops strenuus, 5 Tage nach Durchbrechung d. Darm- kanales. (Vergr. 280). 3 Dasselbe Tier. 12 Tage nach Durch- brechung des Darm- kanales. (Vergr. 280). schon aus diesem Grunde sehr groß. Rosen untersuchte von den Planktontieren zunächst Daphnien auf ihre Infektionsfähigkeit, dann Lep- todora und Bythothrephes, das Resultat war immer das gleiche: es fand keine Infektion statt. Weiter wandte sich dann Rosen den Copepoden zu, die ebenfalls im Plankton eine wichtige Rolle spielen. Versuche mit Cyclops viridis hatten abermals keinen Erfolg. Die Himmerlarven wurden von dieser Spezies zwar aufgenommen, aber — verdaut. Ähn- lich verhielten sich zahlreiche andere Cyclops- Arten. In Cyclops strenuus (Fig. 6) endlich, einem der gemeinsten und weit verbreitetsten Copepoden der Schweizer Seen — Rosen führte seine Unter- suchungen am Neuchäteler See, Janicki die seinigen am Genfer See aus — , fand sich der lange gesuchte Zwischenwirt, und außerdem erwies sich noch ein zweiter Copepode, Diaptomus gracilis, infektionsfähig; die Hauptrolle als erster 132 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 9 Zwischenwirt scheint indessen Cyclops strenuus zu spielen. Nachdem einmal der fehlende Zwischen- wirt gefunden war, war die weitere Untersuchung des Entwicklungszyklus des Dibothriocephalus nicht mehr mit Schwierigkeiten verbunden. Wie die Flimmerlarve gebaut ist, die im Sommer ungefähr 20 Tage nach der Ablage des '"Vi^:^ ? <., Hinterende eines Procercoids, das Verschwinden des kugeligen .Anhangs zeigend, 40 Tage nach der Infektion. (Vergr. 280). 0\\ r-55^^ \ ' Procercoid aus der Leibes- höhle von Cyclops strenuus, 20 Tage nach der Infektion. (Vergr. 280). Cyclops strenuus mit einem Procercoid in der Leibeshöhle. (Vergr. 60). Eies diesem entschlüpft, zeigrt Fig. i. Sie besteht aus zwei Teilen, aus der Oncosphaera und der diese umschließenden embryonalen Hülle. Die Oncosphaera, die sich aus einer ziemlich beträcht- lichen Anzahl von Zellen zusammensetzt, besitzt drei Paar beweglicher Haken. Die embryonale Hülle wei'^t eine einzige Lage von Zellen auf, die an ihrer Außenfläche die Wimpern tragen. Ver- mittels dieses Wimperkleides bewegt sich die Larve langsam rollend durch das Wasser fort. Die Größe der Larve ist sehr variabel; sie schwankt zwischen 42 und 48 und selbst 55 /(, wovon 22 — 27 — 30 ft auf die Oncosphaera ent- fallen. Ist die Larve in einen Cyclops eingedrungen, so verliert sie alsbald ihre embryonale Hülle. Mit ihren Haken hält sich die sehr kontraktile Oncosphaera an der Darmwand fest, die sie zu durchbrechen sucht, um in die Leibeshöhle zu gelangen. Sechs Stunden nach dem Eindringen in den Cyclops findet man sie bereits nicht mehr im Darm. In der Leibeshöhle angelangt, setzt sie sich mit den Haken an der Außenwand des Darmes fest, verliert ihre Kontraktilität, und aus dem anfangs kugelrunden Gebilde wird ein ovaler, schließlich ein langgestreckter Organismus. Die in Fig. 2 wiedergegebene Oncosphaera besitzt ein Alter von 5 Tagen, in Fig. 3 ist das gleiche Tier 12 Tage nach seinem Eintritt in die Leibeshöhle abgebildet. In diesem Alter beginnen sich Diffe- '■~y Querschnitt durch den Magen einer Forelle mit einem freien Procercoid, 6 Stunden nach der Infektion. (Vergr. So). renzierungen in der Körperstruktur bemerkbar zu machen. Ein parenchymatöses Gewebe aus kleinen Zellen mit großen Kernen bildet die Grundlage. Hier und da erscheinen zwischen den Zellen die ersten, für die Bandwürmer so charakteristischen Kalkkörperchen, Längs- und Ouermuskulatur be- ginnt sichtbar zu werden, eine derbe Cuticula überzieht die ganze Körperoberfläche. An dem Pol, an dem die Haken sitzen, ist das Gewebe heller und homogener. Hier beobachtet man im Verlaufe der weiteren Entwicklung die Entstehung einer Einschnürung. Hat die Larve ein Alter von ca. 15 Tagen erreicht — sie mißt in diesem Alter 0,35—0,40 mm — , so ist die Einschnürung so weit fortgeschritten, daß das abgeschnürte Ende, das Kugelform besitzt und die sechs Haken des Embryos enthält, nur noch durch einen schmalen Stiel mit dem übrigen Körper verbunden ist (Fig. 4). Der kugelige Anhang ähnelt der Aus- gangsform, der Oncosphaera, unterscheidet sich aber von dieser durch die dicke Cuticula und die be- trächtlichere Größe. Sodann hat man den Ein- druck, daß es sich urti ein degenerierendes Ge- bilde handelt. Die Degeneration geht allerdings N. F. XVII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 133 ziemlich langsam vor sich. Hat die Larve eine Länge von 0,5 — 0,6 mm erreicht, so sind die Zellen des Anhangs von den übrigen Körperzellen vollständig getrennt, der ganze Anhang wird von der Cuiicula überzogen. Mehr und mehr schrumpft jetzt der Anhang zusammen, die irlaken werden aufgelöst, und schließlich, ca. 40 Tage nach der Infektion, verschwinden auch die letzten Spuren des Gebildes (Fig. 5). Zur Zeit der Entstehung des kugeligen Anhangs beginnt sich auch der andere Pol zu differenzieren. Es entsteht hier eine Einstülpung, wie es die Fig. 4 zeigt. Rosen bezeichnet die Larve auf diesem Stadium als Procercoid. Das Procercoid muß, um sich weiter entwickeln zu können, mit seinem Wirt (Fig. 6) in den Magen des wP Querschnitt mit einem Procercoid in der Magenmuskulatur der Korelle, 5 Tage nach der Infektion. (Vergr. 80). Fisches, des zweiten Zwischenwirtes, gelangen. Noch ehe Rosen die Entwicklung der Larve bis zu diesem Stadium verfolgt hatte, fand denn auch Jan ick i das Plerocercoid frei im Magen eines Barsches. Kurze Zeit nach der Infektion dringt das Procercoid in die Magenwand ein (Fig. 7), gelangt in die Magenmuskulatur (Fig. 8), weiter in die Leibeshöhle und setzt sich dann in der Muskulatur oder einem anderen Organ fest, wo aus dem Procercoid das längst bekannte Plero- cercoid entsteht. Der Entwicklungszyklus des Dibothriocephalus ist somit nunmehr vollständig bekannt. Es ist das erste Mal, daß für einen Bandwurm zwei Zwischen- wirte nachgewiesen worden sind. Wahrscheinlich verhalten sich die nächsten Verwandten des Dibo- thriocephalus ähnlich. Wies schon bisher der Bau der Dibothriocephaliden auf eine Verwandt- schaft dieser Bandwürmer mit den Trematoden hin, so spricht auch die neue Entdeckung von Janicki und Rosen sehr zugunsten dieser .An- schauung. Nachtsheim. Astronomie. Unsere modernen Anschauungen vom Bau des Universums gehen seit etwa einem Jahrzehnt auf zwei ganz verschiedenen Wegen, und Charlier, einer der Hauptforscher auf diesem Gebiete spricht daher von einer monistischen und einer dualistischen Auffassung der Fixstern weit. Während die eine Auffassung diese unsere Weltinsel als eine Einheit auffaßt, die sich entweder im Gleichgewicht befindet, oder doch durch ihre inneren Bewegungen danach strebt, faßt die zweite Auffassung die Slernenwelt als die Vermischung oder Durchdringung von zwei ver- schiedenen Strömen von Sternen, deren Endziel ein Universum sein wird, das weit davon entfernt ist, in einem stabilen Gleichgewichtszustande zu sein. Diese Zweisiromhypothese hat Kapteyn 1904 aufgestellt, um dadurch mancherlei Anomalien in den higenbewegungen der Sterne zu erklären. Es kam noch bald darauf hinzu, daß sich diesen beiden Strömen in zwangloser Weise die verschie- denen Sterntypen einordnen ließen, was der Hypo- these neues Gewicht verlieh. Die Grundlagen der monistischen Hypothesen beruhen auf den Arbeiten vonClausius, Maxwell und Thomson über die kinetische Theorie der Gase. Man vergleicht die Sterne mit den Atomen eines Gases, so daß die Bewegungen der Sterne nach dem Newton- schen Gesetz vor sich gehen, indem jeder Stern der Gesamtanziehung aller andern unterliegt. Da die gegenseitigen Entfernungen der Sterne aber sehr bedeutend sind, so i.^t die Bahn eines jeden einzelnen Sternes für mehr oder weniger lange Zeiten gleich der eines Massenteiles in einem Kraftfeld, das überall das gleiche Potential besitzt, wie die gesamte Gruppe. Wenn aber die Ver- teilung der Sterne sich von Ort zu Ort nicht ändert und auch die Verteilung der Geschwindig- keiten für jeden Punkt der Gruppe dieselbe bleibt, dann bleibt das System im dynamischen Gleich- gewicht. Hiervon bilden nun die Sternhaufen eine Ausnahme, durch die inneren Bewegungen und Annäherungen der Sterne wird sich im Laufe der Zeiten vollständiges Gleichgewicht herausstellen, indem die Geschwindigkeiten nach dem Gesetz von Maxwell verteilt sind. Hier kommt nun ein sehr wichtiger Punkt in Betracht, daß nämlich in einem Sternhaufen die Energie so verteilt wird, daß überall das Produkt aus Masse des Sterns und dem Quadrat seiner Geschwindig- keit eine Konstante ist. Es müssen also die großen Sterne zu kleinen Geschwindigkeiten kommen, die kleinen zu sehr bedeutenden. Charlier stellt nun in anschaulicher Weise die Hauptunterschiede in folgender Weise zusammen : (Siehe Tabelle auf folgender Seite) Gegen diese allgemeinen Anschauungen sind nun sehr gewichtige Einwüife erhoben worden. So macht Eddington, der seine Untersuchungen auf diesem Gebiet besonders weit getrieben hat, aufmerksam auf gewisse Sternsysteme, die in parallelen Bahnen durch den Raum ziehen. Am bekanntesten ist die Bärenfamilie (siehe diese Zeit- schrift, 1916 Nr. 10), der eine ziemlich große Zahl weit verstreuter Sterne angehören, z. B. auch Sirius, diese haben gleiche und gleichgerichtete Eigenbewegungen und auch gemeinsame physika- m Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 9 Frage Monistische Dualistische Hypothese Hypothese I. Art der Bewegung Das Universum ist Weder dynamisches ungefähr im dyna- noch statisches mischen Gleichge- Gleichgewicht wicht und nähert sich immer mehr dem statischen Gleich- gewicht 2. Verteilung der Ge- Entsprechend der Zwei, vielleicht noch schwindigkeiten der kinetischen Theorie mehr Siernstrome Sterne der Gase 3. Form des Milch- Ei Straßensystems 4. Zusammenhang von Geschwindigkeit und Spektraltypus Rotationsellip- 5. Entwicklungsgang eines Sternes Die mittlere Ge- schwindigkeit hangt ab von den MaHen der Sterne MV ■■ = Konstanz Kosmischer Staub, roter, gelber, weißer, gelber, roter Stern Spirale oder unregel- mäßig geformt DieGeschwindigkeit nimmt zu mit dem Alter der Sierne Gasnebe gelber, r lische Eigenschaften. Diese irren nur durch eine Gegend des Raumes, wo Sterne verstreut sind, die nicht zu dem Strom gehören, und werden doch nicht in ihrer Bahn in nennenswerter Weise gestört. So kommt man zu den Schluß, daß die schein- bare Analogie mit der kinetischen Gasiheoiie hier nicht am Platze ist, und daß die Sierne ihren Weg verfolgen nur unter Einfluß der allgemeinen Anziehung des Systems ohne Rücksicht autein- ander. Dagegen läßt sich einwenden, daß die von uns jetzt als zusammen gehörig betrachteten Sterne vielleicht nur der traurige Rest eines einst reichen Sternhaulen sind, der im Lauie der Zeiten eben durch solcheSiernannäherungenseine kleineren Glieder verloren hat. • Denn autlailenderweise sind die übriggebl ebenen Sterne alles an Masse sehr bedeutende Korper. tVlan kann sogar den Spieß umdrehen, und diese Stetnfamilien aU Stütze der kinetischen Gastheorie hei beiziehen. Nehmen wir diese Gruppe als einen ursprünglich kugel- förmigen Sternhaulen an, und lassen ihn ab und zu bei fremden Sternen vorbeigehen, so werden diese jedesmal eine gewisse Stoi ung ausüben, eine Störung der Richtung und der Gtsehwindigkeiien. So wird sich der Haufen systematisch vciandern müssen, und nach den Untersuchungen von Jeans muß der Haufen sich immer mehr ausbreiten und sich schließlich über eine Scheibe verteilen, die sich immer mehr verbreitert. Diese mit den Sternen besetzte Scheibe wird dann im Räume weiler- wandern, und ihre Ebene wird senkrecht auf der Bewegungsrichlung stehen. Nun sind die Vor- aussetzungen von Jeans in der Natur nicht streng erfüllt, der Haufen wird sich nicht geradlinig be- wegen, sondern in einem Kegelschnitt um den Schwerpunkt des Universums. So wird auch das Ergebnis nicht ganz der Theorie entsprechen, aber es ist doch auffallend, daß das Resultat Turner 's über die Bärenfamilie der Theorie so nahe kommt. Er zeigt, daß die zugehörigen Sterne über ein stark abgeflachtes Sphäroid verteilt sind, dessen Durchmesser etwa = 8 mal 10" Erdbahnradien be- trägt, dessen Dicke den 8. Teil davon. Einen anderen nicht geringen Einwand hat Poincare in seinen kosmologischen Vorlesungen gemacht. Er erinnert an den vorhin gemachten Schluß aus der Energieverteilung, daß M V^ ^ Kon- stanz sein soll, und folgert daraus, daß, wenn dieser Schluß richtig ist, dann müßten, die kleinsten Körper, die wir kennen, Meteore und Kometen mit last unendlich großen Geschwindigkeiten be- haltet sein, was doch nach der Beobachtung nicht der Fall ist. Wie kommt dies? Man könnte nach Poincare sagen, daß unser System eben noch nicht in dem endgültigen Zustand des stabilen G leichgewichtes ist, so daß die Kometen ihre großen Geschwindigkeiten eben noch nicht erlangt haben, sondern diese erst in Zukunft erreichen werden. Aber abgesehen davon, daß es eine wenig be- friedigende Hypothese ist, die so massige Körper wie die Fixsterne hinsichtlich ihrer Geschwindig- keiten ebenso behandelt wie die fast masselosen Kometen, so kann man gerade aus der Gastheorie den Grund dafür entnehmen, warum unsere Kometen so kleine Geschwindigkeiten haben. Gerade wie bei den Planeten die leichtesten Gase wegen ihrer zu großen molekularen Geschwindigkeiten aus den Atmosphären verschwinden, so sind eben diejenigen Kometen und Meteore, die jene ungeheuren Ge- schwindigkeiten erlangt haben, aus unserm Systeme entwichen. Und diesem Geschick sind nur die- jenigen Kometen entronnen, die vorher durch Fix- sterne und Planeten eingefangen sind. Diese sind dadurch Glieder des Sonnensystems geworden und lauten in Ellipsen um die Sonne. Dasselbe gilt auch für die Meteore und die feinen Teilchen des kosmischen Staubes. Alle diese Materie ist ent- weder dauernd durch einen Stern eingefangen oder für immer aus dem Universum entwichen, über die Grenzen der Pixsterne hinaus. Vielleicht liegt darin der Grund für die außerordentliche Leere des Raumes, deren überraschendste Wirkung die Abwesenheit jeder Spur einesAuslöschens des Licht- strahles im Räume ist. So ist also der Endzustand des Siernsystems ein solcher, der dem Maxwell- schen Gesetz entspricht, ein Raum, in dem sich nur eine Ansammlung von Sternen befindet und leer von Kometen, Meteoren und kosmischem Staube, weil dieser von den Sternen und Planeten eingefangen ist. (Charlier, Medderl. Lunds asironom. Obs. 1917.) Riem. N. F. XVII. Nr. 9 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. m Bücherbesprechungen. Von Biene, Honig und Wachs und ihrer kulturhistorischen und medizinischen Bedeutung von Fr. Berger, Zürich, Orell Füssli. S.-A. aus Schweizer Apotheker Ztg. 1916. In der lustigen Manier des lachenden Philosophen Demokritos-Weber wird in dem Büchlein über die Geschichte der Bienenzucht, der Wechsel- beziehungen zwischen Bienen und Pflanzenwelt, über Bienenkrankheiten, über den Bienenstich und dessen Heilkraft, über die Biene in der Volksheii- kunde und im Volksglauben, über den Honig, den Met und das Wachs geplaudert. Wie bei Weber wird auch hier eine unglaubliche Menge Literatur in kurzweiliger Art verarbeitet und man darf der rührigen Verlagsanstalt dankbar sein, daß sie die Zeitungsartikel zu einem besonderen Heftchen vereinigt hat. Erfreulich ist, daß der Verfasser nicht nur durch seinen Stil die Bekanntschaft mit dem nicht allzuviel mehr gelesenen Weber beweist, sondern daß er ihn auch an einer Stelle zitiert. Alien, die sich für die Bienen interessieren, sei das Buch empfohlen; sie werden sich nicht nur an dem Tatsachenmaterial und an der Darstellung erfreuen, sondern auch Anregung zu weiterer Forschung finden auf einem Gebiet, auf dem noch manches zu klären ist. Wächter. Der Botanikerspiegel von 1905 und 1910 un- wisseiischalilich und zweckwidrig, weil weder denk- noch folgerichtig. Eine Erinnerungsschrift zur 10. Jährung des l'odestages (27. Jan. 1907) Dr. Otto Kuntze's, des kundigsten, sach- lichsten und uneigennützigsten Förderers einer einheitlichen Pflanzenbeneiinung. Mit seinem Bildnis und dem von ihm sinngemäß verbesserten Nomenklaturgesetz, dessen Grundlage vor SO Jahren geschaffen worden. Von Andreas Voss. Vossianthus- Verlag (Andreas Voss). Beriin W. 1917. Dem in dieser sonderbaren Schrift abgedruckten K u n t z e ' sehen Nomenklaturgeselze sind die Worte Geibel's vorangesetzl: „Das ist die klarste Kritik von der Welt, „Wenn neben das, was ihm mißfällt, „Einer was Eigenes, Besseres stellt." Dagegen wird niemand etwas einzuwenden haben und weder Otto Kuntze noch seinem Jünger Andreas Voss kann es verwehrt werden, etwas „Eigenes, Besseres'' dem Schlechteren an die Seite zu stellen. Wenn dieses Eigene von den anderen allerdings nicht in der gewünschten Weise anerkannt wird, so ist schlechterdings nichts weiter dabei zu machen, als seine Hoffnung auf die Nach- welt zu setzen und allenfalls auf die Zeitgenossen zu schimpfen. Das hat schon Otto Kuntze getan und in der vorliegenden Schrift schimpft auch Andreas Voss, manchmal in recht amü- santer Weise. Der den Nomenklaturfragen ferner Stehende hat bei der Lektüre der Voss' sehen Streitschrift das wohltuende Gefühl, daß auch die direkt Betroffenen mit vergnügtem Lächeln über die KraftdUsdrücke des Verfassers zur Tagesordnung übergehen werden. — Wer sich für die Nomenklatur- fragen interessiert, wird in der vorliegenden Schrift sicher manches Anregende finden, wird sich für oder gegen Kuntze und Voss entscheiden und erhall einen Überblick über die Ergebnisse der verschiedenen Nomenklaturkongresse. P"ür die- jenigen Botaniker, die der Ansicht Watson's sind: „In my opinion botany is the science of plants and not the science of names" gilt wohl ganz allgemein die Meinung des Grafen Solras, daß der Name einer Pflanze keinen Wert hat, als daß er zur Verständigung unter den Botanikern dient (vorhegende Schrift S. 22,23). Aber selbst, wenn wir die Bedeutung eines Pflanzennamens dahin erweitern, daß er der Ausdruck für die Verwandtschaftsverhältnisse der Pflanzen ist, ver- mag Ref. nicht einzusehen, warum man durch „Gesetze" einen P~orscher zwingen will, sich an bestimmte von Kongressen beschlossene Regeln zu halten. Man kann jemanden nicht totschweigen auf die Dauer, wenn er etwa deutsche Diagnosen statt lateinischer publiziert, obgleich es vielleicht „Gesetz" ist, nur lateinische Diagnosen zu schreiben. Es wird niemandem einfallen, einem Pflajizenphysiologen vorzuschreiben, Phototropismus statt Heliotropismus zu sagen oder den Begriff Epinastie im alten oder neuen Sinne anzuwenden. Ebensowenig kann man einem Systematiker über die Begrenzung von Gattungen oder Arten Vorschriften machen, wenn seine wissenschaftliche Überzeugung von der anderer Fachgenobsen abweicht. — Prioriiäts- fragen sind — bei Lichte besehen — vor allem Eitelkeitsfragen , dereiwegen man sich nicht zu erregen braucht. ¥Än Forscher, der auf seinem Gebiete Leistungen aufzuweisen hat, wird in seinem Nachruhm nicht geschmälert, wenn einmal seine Piioruäisansprüche auf einen Pflanzennamen nicht zur Geltung kommen, und wenn die vielen Dilet- tanten auf dem Gebiete der Floristik — eine an sich sehr erfreuliche Erscheinung ~ sich gekränkt fühlen, daß man ihre Gattungen und ihre Arten nicht immer respektiert, so mögen sie sich mit Größeren trösten, denen die Mitwelt ihre Aner- kennung versagte. Wächter. H. Höfer Edler von Heimhalt, Die geo- thermischenVerhältnissederKohlen- becken Österreichs. Verlag für Fach- literatur, Berlin Wien, 1917. — Preis geh. 4 IVI. Einer Anregung des Verfassers zufolge haben die betreffenden österreichischen Behörden eine einheitliche Messung der geothermischen Verhält- nisse in den Kohlenbecken des Landes veranlaßt und gefördert. Es hat sich so ein reiches und, wie sich nun zeigt, praktisch und theoretisch gleich bedeutsames Erfahrungsmaterial gewinnen lassen. Der Verfasser unterbreitet es in der zu- ■ 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 9 erst im „Berg- und Hüttenmännischen Jahrbuch" erschienenen Abhandlung der ÖfteniHchkeit. Es gelingt ihm damit zahlenmäßigdie Wärmeerzeugung des chemischen Inkohlung^prozesses zu erfassen und nachzuweisen. Sehr bemerkenswert ist, daß sie in jungen Flözen stärker ist als in alten und dementsprechend die Braunkohienlager erheblich wärmere Temperaturen aufweisen als die Stein- kohlen. Selbstverständlich arbeiten hier sehr viel verschiedenartige P'"aktoren durch- und gegenein- ander. Starke Unregelmäßigkeiten sind die Folga. Von Fall zu Fall litgt-n die Bedingungen anders. Weit entfernt die Beobachtungen damit abschheßen zu wollen, ist vielmehr eine kräuige Anregung zu weiteren umfassenderen Beobachtungen beab- sichtigt. Diese Anregung verdient wäimsie Unter- stützung, die Arbeit selbst vollste Beachtung in praktischen wie akademischen Kreisen. Edw. Hennig. zu umständlich ausgefallene Vorwort als einen kleinen Schönheitsfehler betrachten. Doch ge- bührt dem Herausgeber, Walter König, der Dank des Lesers für die Anregung zu dem Werke. V. Franz. Hermann v. Helmholtz: Drei Vorträge über Goethe. Herausgegeben von Walter König. Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 191 7. 64 S. — Preis 80 Pf. Der schönste wissenschaftliche Lesestoflf ist der, aus dem ein Genius spricht. Ein Genius, Helm- holtz sprichthierüberden GeniusGoethe. Dasemp- findet der Jungling, der, fast noch Knabe, zum ersten Male die „Vorträge" in sich aufnimmt, und zehn- mal tiefer empfindet es der Mann. Die Sonder- ausgabe der zwei Vorträge über Goethe befriedigt daher ungemein. Mit Recht wurde von ei läuternden Anmerkungen abgesehen. Man kann sogar das Dr. D. van Gulik, „De Wichelroede" (Mede- deelingen van de Rijks Hoogere Land-, Tuin- en Boschbouwschool", TeilXII, Wageiingen 1917). Untersuchungen, die von der Natuurweten- schappelijk Gc/^elschap zu Wageringe mit ver- schiedenen Wünschelrutengängern angestellt wurden, haben einen vollen Mißerfolg der Rute gezeitigt. 4 Rutengänger bzw. Rutengängerinnen hatten an einer bestimmten Wegstrecke unter gegenseitiger Kontrolle Angaben über Wasservor- kommen zu machen und über einer künstlichen Leitung je 12 mal festzustellen, ob sie leer sei oder ein krältiger Strom hindurchginge. Die 48 letzteren Befragungen haben 23 richtige Antworten und 25 Versager ergeben, also ziemlich genau das, was bei bloßem Raten zu erwarten gewesen wäre. Der Verfasser gelangt daher zu dem Schluß, daß „die Wünschelrute ein Märchen ist", wenn- gleich er nicht die Erwartung hegt, damit das Problem nun endgültig aus der Weit geschafft zu haben. Er schlielSt sich daher voll und ganz den Ergebnissen Professor Weber 's in Kiel an, wo- nach Selbsttäuschungen und Wahrscheinlichkeits- vorsieilungen der Rutengänger die ausschließliche Ursache der Rutenausschläge wären. Edw. Hennig. Anregungen und Antworten. Schattenwurf des Jupiter. Wie ich mitteilte, gelang es mir am 5 Ukioi.er 1917, Qen Planeten Jupiter noch eine Stunde lang nach Sonnenaufgang am blauen Hmimelsgcwölbe bei hellem Sonnenschein ohne optische Hilli-niiuel zu eikennen. Ungefähr zur selben Zeil gelang linem anderen Beobachter, H. Sallentien aus Berlin-Grunewald, eine andere einfache, aber eindrucksvolle Beobachtung an diesem Gestirn. Der Genannte sah in der dunklen Nacht des I3. Oktober um II Uhr den Schattenwurf des Planetrn, also etwas, was außer bei Sonne und Mond bisher gleichfalls nur bei der Venus beobachtet worden ist. Der Ort der Beobachtung lag in Tirol, der Himmel war auß rordentlith klar, nur bedeckten vorbeiziehende Wolken zeitweilig den hellen Planeten. Ein Bleistilt warf auf ein Papier einen ganz schwachen, ver- waschenen Schatten, der sich jedesmal augenfällig verdeutlichte, wenn der Planet aus einer Wolke hervortrat, und der sicher vom Jupiter herrühite, da er am kürzesten war, wenn die Bleistiftspitze auf den Planeten gerichtet war. ^Astronomische Zeitschnlt XI. Jahrg. Nr. 12, 1917, S. 156.) V. Franz. Strengere Schonvorschriften für die Waldschnepfe. Zu der sehr berechtigten Forderung H. W. Frickhingcr's nach strengeren Schonvorschriften für die bei uns neuerdings über- winternde und dadurch Irüher zur Brut schreitende Wald- schnepfe (S. 4S9 d. Naturw. Woctien^chr.) sei mitgeteilt, daß Hessen dieser Fordrrung bereits nacbgt kommt n ist. Ein hessii-ches Gesetz bestimmt, daß Waldschnepten jetzt vom I. Februar bis 15. Juli Hegezeit haben, früher I. März bis 30. Juni. Die Waldschneple, ein zwar endemischer, also seit der Terliärzeit ureinheimischer Vogel des paläai kiischcn Faunen- gebiels, der aber sehr deutlich die zurzeit im Vogelrcicti ganz allgemein vorhandene Tendenz der Noidwärtsvtrschiibung des Verbreitungsgebietes zeigt, ist einer der Kronzeugen für meine These einer „\S iedcrkchrtnden Tertiärzeif ^d. h. wiederkehren- den tertiärzeitähnliihen Tierlebeusverbältnisses), worüber ein zweibändiges Werk in Bearbeitung ist ; vgl. übrigens in meinem „Vogeljahr-' (20 Jahre Vogclbcubacljturgen, Kointuburg 191 1) S. 302 die Versuche des von meiner Ttiese angeregten Herzogs von Northumberland mit gezeichneten jungen Waldschneplenl — Die von F'rhr. von Berg gesammeilen sialisiischen An- gaben über Waldschnepfen darf man nicht (alsch weiten; genau genommen beweisen sie eine Zunahme der Waldschnepfen in den 1 etzten Jahren (vgl. die drei verschiedenen Zeit- räume I) bei früher stark vermindertem Bestand. Wilhelm Schuster. Inhalt: C. Hoffmeister, Über Meleorbeobachtungen. (3 Abb.) S. 121. — Einzelberichte: Pascher, Quallenähnliche Flagellaten. S 130. Janicki und Rosen, Der Entwicklunaszyklus des breiten Handwurms, Dibolhrioceplialns latus L. (8 Abb.) S. 130. Charlier, Anschauungen vom Bau des Universums. S. 133. — Bücherbesprechungen: Kr. Berger, Von Biene, Honig und Wachs. S. 135. Andreas Voss, Der Boianikerspiegel. S. 135. H. Höfer Edler von Heimhall, Die geothermischen Vcrhältnis-e der Kohlenbecken Ö>terreichs. S. 135. Hermann v. Helmholtz, Drei Vorträge über Goethe. S. 136. D. van Gulik, De Wichelroede. S. 136. — Anregungen und Antworten; Schattenwurf des Jupiter. S. 136. Strengere Schonvorschrifien für die Waldschnepfe. S. 136. Manuskripte und Zuschriften werdi Druck der G, Pätz's en an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. :n Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den lo. März igi8. Nummer 10. Zur Wünschelrutenfrage. [Nachdruck verboten.] Von Graf Carl von Das Interesse für die Wünschelrute ist in letzter Zeit außerordentlich gewachsen, und das Problem ist in wissenschafilichen Zeitschriften wie in der „Naturw. Wochenschr." (19 17 Nr. 19 u. 39, 191 8 Nr. 2), der „IVIünch. Mediz. Wochenschr." 19 17 Nr. 37 u. 44) u. a. m. zum Gegenstand leb- hatter Erörterungen geworden, die in ihren Ergeb- nissen miteinander oft in krassem Widerspruch stehen. Der Grund für diese Divergenz der Ansichten liegt wohl darin, daß das Wünschel- rutenphänomen eine weit kompliziertere Erschei- nung ist, als es zunächst den Anschein hat, da es auf der Grenzscheide verschiedener Disziplinen gelegen ist und von der schmalen Basis einer einzelnen Fachwissenschaft aus nicht hinreichend geklärt werden kann. Heute haben auch einsichtige Geologen, so Prof. Dr. W. Salomon und neuer- dings Major Dr. Kranz, erkannt, daß das Wünschel- rutenphäiiomen in erster Linie eine physiologische Erscheinung ist, und außer dem Geologen und Hydrologen haben hier auch der Psychologe, der Physiker und der Volkskundler ein Wort mitzu- sprechen. In einem Punkte herrscht wohl nur eine Meinung : Die Wünschelrute ist, wie der Schweizer Geologe A. Heim sich schon 1903 treffend ausgedrückt hat, ^j der „Fuhlhebel einer nervösen Erregung des Körpers". Über die Ursachen dieser nervösen Er- regung, sowie über die Art, wie sich diese in die Bewegung der Wünschelrute umsetzt, gehen die Ansichten bereits auseinander. In der 1 at können die Ursachen für die nervöse Erregung des Ruten- gängers sehr verschiedener Art sein. Die Ver- teidiger der Wünschelrute postulieren eine physi- kalische Einwirkung gewisser Substanzen, z. B. unterirdisch strömenden Wassers, auf das sensible Nervensystem des Rutengängers; die Gegner wollen nur psychische Faktoren als Erreger der VVünschel- rutenreaktion gelten lassen, be.-sienfalls unbewußte Wahrnehmung von Lokalanzeichen usw., die auf unterirdisches Wasser deuten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß beide Arten von Erregern der Reaktion, die hypothetische physikalische, von außen auf den Wünschelrutenmann wirkende, wie auch die intra- psychische in der Wirkung, dem Ausschlag der Rute, völlig übereinstimmen und weder vom Ruten- gänger, noch vom Beobachter ohne weiteres unter- schieden werden können. Über die Ursache, die sekundär den Ausschlag der Wünschelrute in den Händendes Rutengängers herbeiführt, stehen sich gleichfalls zwei Ansichten gegenüber: Ein Teil der Wünschelruten Verteidiger Klinckowstroem. sieht den Ausschlag als direkte Wirkung eines physikalischen Einflusses auf die Wünschelrute an, deren Drehung ohne Zutun des Rutengängers und ohne daß dieser es hindern könnte, erfolgen soll. Die Gegner — soweit sie nicht einfach an be- wußten Schwindel denken — und ein anderer Teil der Anhänger sehen im Ausschlag der Wünschelrute die Wirkung unwillkürlicher und unbewußter Bewegungen der Arm- und Hand- muskulatur, die ihrerseits eine Folge der nervösen Erregung des Rutengängers ist. Die letztere An- sicht vertritt auch der 19 12 gegründete Verband zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Nimmt man nun als primäre Ursache dieser nervösen Erregung des Rutengängers eine physikalische Einwirkung der unterirdischen Reizquelle an, oder stellt man sich den Reaktionsvorgang als durch unbewußt bleibende Sinnes wahrnehmungen des Rutengängers — seien diese optischer, akustischer oder sonstiger Art — hervorgerufen vor, so stellt sich die Er- scheinung als ein reflektorischer Vorgang dar: Die Erregung des Rutengängers überträgt sich durch unwillkürliche und unmerkliche Muskel- aktion auf die im labilen Gleichgewicht gehaltene Rute, die als Hebel wirkt und umschlägt, wobei der Rutengänger die lebhafte Empfindung hat, daß diese Bewegung ganz ohne sein Zutun erfolgt. Es ist für den Physiologen keine ungewöhnliche Er- scheinung, daß nach Analogie vieler Erscheinungen der Überempfindlichkeit auf pathologischem Gebiet von einem prädisponierten menschlichen Organis- mus relativ minimale Reize mit oft sehr heftigen Muskelredktionen beantwortet werden. Ähnlich ist der Ablauf der Reaktion, wenn man rein psy- chische Reize als Erreger der Reaktion annimmt: Hier handelt es sich um sogenannte ideomo- torische Bewegungen. Wunsch, Erwartung, Wille sind allein schon im stände, die typische Wünschelrutenreaktion hervorzurufen, und der Suggestion und Autosuggestion sind hierbei Tor und Tür geöffnet. Wie schon Major Dr. Kranz (Naturw. Wochen- schr. 191 8 Nr. 2) hervorgehoben hat, dürfte es als gesichert gelten, daß man als Vermittler für die Umwandlung der nervösen Reaktion des Ruten- gängers in die Bewegung der Wünschelrute eine unwillkürliche und unbewußte Tätigkeit der Arm- und Handmuskulatur anzunehmen hat. Professor Graßbergers lehrreiche Arbeit,') sowie eine eben dahingehende eindringende Untersuchung von Stabsarzt Dr. Haenel, die demnächst in Heft 8 ') In der „Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Ge- sellschaft zu Zürich", 1903 S. 287 ff. ') Graßberger, Die Wünschelrute und andere psycho- physische Probleme. Wien, 1917. — Vgl. mein Referat da- rüber in „Das Wasser", 1917, Nr. 27/28. 138 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 10 der Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage erscheinen soll, lassen darüber keinen Zweifel. Wenn Professor Dr. E. H e n n i g ^) und Professor Dr. H. Slursberg-) hier bei ihren Beobachtungen im Felde zu einer anderen Ansicht gelangt sind, so werden sie gewiß bei genauerer Prüfung dieses Teils des Reaktionsvorganges ihr Urteil revidieren. Trotz der von diesen beiden angeführten Gründe — zum Beispiel des anschei- nend selbsttätigen Abdrehens der Gabelenden in den scheinbar unbeweglichen Händen der Versuchs- person — muß angenommen werden, daß die Drehung durch die unmerkliche Tätigkeit der Supinatoren und Pronatoren in Verbindung mit der Elastizität und der Spannung der Rute zustande kommt. Daß sich diese unmerklichen Bewegungen der Hand- und Armmuskulatur unserer direkten Sinneswahrnehmung entziehen, ist kein Gegen- argument. Sie können durch besondere Versuchs- anordnung, wie sie Graßberger durchgeführt hat, nachgewiesen werden. Es sei hierbei bemerkt, daß bei den Rutengängern zuweilen auch noch mannigfache andere Reaktionserscheinungen auf- treten, wie Erhöhung der Pulsfrequenz, Schweiß- ausbruch, ferner besondere Sensationen, wie Prickel- gefühl in den Händen, Schüttelfrost oder der- gleichen, so daß manche dieser Leute der Rute ganz entraten können. Die Geologen sind nun meistenteils der An- sicht, daß die ganze Wünschelrutenreaktion auf psychische Ursachen, auf Suggestion und Auto- suggestion zurückzuführen sei, und sie suchen die Wertlosigkeit des Verfahrens, wie Major Kranz, einerseits durch Hinweis auf die oft geradezu phantastischen Hypothesen und Behauptungen mancherRutengänger und Wünschelrutenverteidiger, andererseits mit den häufigen Mißerfolgen der Rutengänger bzw. mit der kritischen Zerptiückung sogenannter Erfolge zu beweisen. Was zunächst das erste Argument anbetrifft, so muß man aller- dings das Mißtrauen der Geologen begreiflich finden. Was da, besonders seit Kriegsausbruch, an Behauptungen aufgestellt worden ist, spottet geradezu jeder Beschreibung. Das starke An- wachsen des allgemeinen Interessesfür die Wünschel- rute hat es mit sich gebracht, daß zahlreiche Phan- tasten und unklare Köpfe sich der Sache bemächtigt haben und Verwirrung stiften. Tatsächlich kann die Wünschelrute als Indikator rein psychischer Reize in der Hand eines geeigneten „Mediums" zu einem echt mittelalterlichen Rhabdomanten- Instrument werden, und sie wird, in dieser An- wendung — genau wie die Planchette der Spiri- tisten — auf keine Frage die Antwort schuldig bleiben. Sie wird bei schwangeren Frauen das Geschlecht des intrauterinen Kindes voraussagen, sie wird Krankheiten diagnostizieren, kurz sie wird ohne Zweifel als Orakel leichtgläubigen Menschen ein willfähriges Mittel zur Befriedigung des „meta- ') Naturw. Wochenschr. 1917, Nr. 19 u. 39. ") Münchener Mediz. Wochenschr. 1917, Nr. 44, S. physischenBedürfnisses"sein können. Offenbarungen werden wir aber weder hier, noch bei der spiri- tistischen Planchette erwarten können, sondern lediglich ein Echo aus dem Bewußtseinsinhalt, aus dem Gedankenkreise der Experimentatoren. So fand der Physiker Johann Wilhelm Ritter im Jahre 1807 bei seinen Pendelexperimenten in München die allgemeine Polarität in der Natur bestätigt, die von der naturphilosophischen Schule damals zum Weltprinzip erhoben wurde. So ist auch die „Rutenlehre" des Professor Benedikt in Wien zu erklären, der mittels seiner Wünschel- rutenversuche Reichenbachs Odhypothese zu einem fein differenzierten System, zu einer erstaun- lichen Zahlenmystik ausgearbeitet und erweitert hat. Aber diese Verirrungen dürfen uns nicht ab- halten zu versuchen, den echten Kern aus der Fülle überwuchernder rein ps\chischer Erschei- nungen herauszuschälen, wenn auch manchem dieser Versuch wenig aussichtsvoll erscheinen mag. Die üblichen Wünschelrutenbetätigungen, die ja keinen wissenschaftlichen, sondern wirtschaftlichen Zwecken dienen, werden hier allerdings niemals Klarheit schaffen können, ebensowenig wie eine darauf basierende einseitige Polemik, die sich die Geologen gern angelegen sein lassen. Ebenso wie der Geologe oft die Gültigkeit eines Erfolges mit guten Gründen wird bestreiten können, wobei schon der Begriff des Erfolges an sich von den verschiedenen Parteien verschieden definiert und gewertet zu werden pflegt, '■) so wird der Ruten- gänger bei sogenannten Mißerfolgen, die auch in den meisten Fällen durchaus nicht eindeutig klar liegen, mehr oder weniger berechtigte Erklärungen oder Entschuldigungen finden. Das beste und wohl einzige Mittel, um zu einer Klärung der Frage zu gelangen, wäre die systematische Durchführung einer dem physikalischen Experiment möglichst angenäherten tJntersuchungsmethode, deren Be- dingungen sich nach Belieben wiederholen lassen. Nun ist aber der Rutengänger keine Maschine, sondern ein allen Irrtümern und suggestiven Ein- flüssen zugänglicher Mensch, der im Laboratorium geviföhnlich ebenso versagt, wie hier ein Polizei- hund versagen würde. Es kämen also vornehm- lich Versuche im freien Gelände in Frage, wo sich wiederum die Versuchsbedingungen nur schwer so präzisieren lassen, daß das Ergebnis nachher ein eindeutiges ist. Versuche auf Kongressen, und mögen sie noch so gut vorbereitet sein, können wegen der Zusammendrängung auf wenige Tage, wegen der nur in geringem Umfange möglichen Rücksichtnahme auf die Witterung, auf die Er- müdung und Stimmung der einzelnen Rutengänger und wegen der unvermeidlichen Störungen und Flüchtigkeiten hier nicht zum Ziele führen, wie die Versuche des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage in den Jahren 1912 und 1913, sowie die englischen und französischen Kongreß- 1) Vgl. darüber Prof. Dr. R. Weyrauch in Heft 3 der Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Stuttgart 1912, S. 44 — 46. N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 139 versuche im Frühjahr 191 3 gezeigt haben. Hier kann nur methodische experimentelle Untersuchung mit mehreren zuverlässigen und nach Möglichkeit von keinerlei Theorie infizierten Rutengängern, die unabhängig von einander zu prüfen wären, durch eine geeignete Untersuchungskommission weiter helfen, die unter möglichster Rücksichtnahme auf die Wünsche, die Eigenart, die Stimmung, den Gesundheitszustand usw. der Versuchspersonen Monate hindurch fortgesetzt werden. Daß aber tatsächlich ein echter Kern im Wünschelrutenphänomen steckt, das dürfte schon das Studium der ungemein reichen Literatur über die Wünschelrute zeigen. ^) Es liegen außer zahl- losen Einzelbeobachtungen doch immerhin auch eine Anzahl von Versuchen mit befähigten Ruten- gängern vor, die dem idealen physikalischen Ex- ') Vgl. meine Bibliographie der Wünschelrute, München 191 1, sowie die beiden Nachträge dazu in Heft 3 und Heft 7 der Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelruten- frage, die bis Ende 1914 reichen. periment ziemlich nahekommen; so die Versuche des Münchener Städtischen Wasseramtes zum Auf- suchen von Wasserrohrbrüchen *), ferner die posi- tiven Ergebnisse bei den Talsperrenbauten von Tambach -) und Brüx "). Hier dürften Erklärungs- versuche, die mit Suggestion oder ideomotorischen Bewegungen arbeiten, versagen, und wenn hier der Zufall mitgespielt haben sollte, so spricht er jeder Wahrscheinlichkeitsberechnung Hohn. Doch ist schließlich die Erklärung des Phänomens zu- nächst von sekundärem Interesse. Wenn die Tat- sachen feststehen, so wird die Theorie schon folgen. ') Siehe Heft 5 der Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Stuttgart 1913. ■-) Siehe Heft 4 der Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Stuttgart 1913. ') Siehe R. Weyrauch, Die Talsperrenanlage der Kgl. Stadt Brüx in Böhmen. Stuttgart 1916. — Vgl. auch das Kapitel über die Wünschelrute inWeyrauch's Neubearbeitung von Otto Luegers Werk „Die Wasserversorgung der Städte", I. Bd. Leipzig 1914, S. 372 ff. Kleinere Mitteilungen. übereinstimmende Gesetzmäßigkeit bei den großen Erd- und Sonnen-Katastrophen 1917. Das Jahr 1917 war besonders reich an Sonnen- und Mondfinsternissen. Die Sonnenfinsternisse des Juni 18/19 ""d des Dezember 13 hatten außerdem die bemerkenswerte Eigentümlichkeit gerade gegen- über den geographischen Polargebieten der Erde, dem arktischen und dem antarktischen, sich ein- zustellen. Die schwersten der einigermaßen festgestellten vulkanisch-seismischen Katastrophen der Erde ließen, wie in den Jahren 1907 und 1909, so auch in 191 7 in ihrer geographischen Anordnung doppelte Antipodalität erkennen: 1917 Erd-Katastrophen vulkanischer Art: Bali Jan. 26 Italien April 26 San Salvador Anf Juni Meer bei Neuseeland Anfang Mai und Juni 26 Von der Sonnentätigkeit gilt das Gleiche, wenn ihre markanteste Erscheinung, die Bildung von Riesen-Sonnenflecken- Gruppen, in das Auge gefaßt wird. Riesen-Sonnenflecken-Gruppen 1917. Meridian- tt-__:-^,--.- . Numerus Kreuzung Hemisphäre j^,.^^^^ Juli 13 N 2421433 (Wiederkehr August 8.) II. Sept. 23 S 2421 505 III. Dez. 24 N 2421 597 IV. Dez. 31 S 2421604 Auf Dezember 1917/Januar 1918 reduziert, kehrten die Meridiankreuzungen an folgenden Tagen wieder; 1917 18 Dezember 11 Dezember 18 Gruppe II Gruppe I Unterschied, Tage: 7 6 Dezember 24 Dezember 31 Jan. 7 Gruppe III Gruppe IV Gruppe II Untersch. Tage: 7 7 An allen diesen Tagen fielen tatsächlich durch starke Fleckensignale angezeigte „tätige Meridiane" der Sonne nahezu mit dem für Erde und Sonne gemeinsamen Zentralmeridian der scheinbaren Sonnenscheibe zusammen. Wie die Unterschiede, je 6 bis 7 Tage, erkennen lassen, viertelten sie tatsächlich den 26,5 Tagfahrten betragenden Sonnen-Umfang. Von diesen Sonnenfleckengruppen waren also einander antipodal II und in, sowie I und IV. Da Gruppe IV sich bis zu ihrer Meridian- kreuzung noch erheblich entwickeln kann, erscheint von Bedeutung eine Beziehung der durch die Gruppen I und IV angezeigten Herde gesteigerter Sonnentätigkeit zu „den zwei, einander physisch antipodalen Hauptherden der Sonnentätigkeit", die in A. R i c c o ' s Memorie degli Spettroscopisti 191 2 — 1914 von mir zuerst für den Zeitraum 1625 — 1909, dann zurück bis zum Jahre 301 n. Chr. und weiter bis 1914 wahrscheinlich gemacht sind. ») Numerus T^•a• Sonnen- Julianus Differenz Rotationen dies I. I9i7julii3 2421433 2865 = 26,5X108,11 1909 Sept. 8 2418568 IV. i9i7Dez.3i 2421604 3021 = 26,5X114 i909Sept.23 2418583 ') Wilh. Krebs: i^wei einander physisch antipodale llauptherde der Sonnentiitigkeit. A. a. O. Catania, Anao 191«, 140 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. Gruppe I kreuzte demnach fast genau io8 Sonnenrotationen nach 1909 September 8, Gruppe IV genau II4 Sonnenrotationen nach 1909 Sep- tember 23 den Zentralmeridian. Wilhelm Krebs. Weiteres vom gabeligen Leinkraut^ Siletie dichotoma Ehrhärt. In Naturwiss. Wochenschr. 191 7, S. 314, habe ich einiges, Fremdes und Eigenes, über die genannte Pflanze berichtet. Heute möchte ich noch ein paar Bemerkungen anfügen über ihre Verbreitung, ihre Ein- und Zweijährig- keit und ihre gelegentliche Gynodioecie (weibliche Zweihäusigkeit). Die Pflanze findet sich in älteren deutschen Florenwerken nicht oder nur ganz bei- läufig erwähnt, letzteres z. B. in Fi eck, Flora von Schlesien, 1881. Die späteren gehen in der Frage, ob ein- oder zweijährig, stark auseinander, und das Geschlechterverhältnis wird überhaupt erst, während alle mir hier zu Gebote stehenden Florenwerke nichts davon schreiben, von Hegi, 111. Flora von Mitteleuropa, 3. Bd., S. 283 richtig angegeben: „Nicht allzuselten trifft man nur rein weibliche Blüten an." Dabei hat (zitiert nach Correns, Ben Deutsch. Bot. Ges. 1906, S. 469) Ascherson schon i. J. 1893 in den Verhand- lungen des Brandenburg. Botan. Vereins, 35. Jahrg., auf jene Tatsachen aufmerksam gemacht. Als einjährig wird die Pflanze angegeben bei Ascherson-Graebner, Flora des nordost- deutschen Flachlandes, 1898/99, und beiGarcke (N i e d e n z u), Flora v. Deutschland, 20. Aufl. 1908 ; die gleiche Angabe noch bei Hegi a. a. O.; als zweijährig von Herrn. Wagner, 111. Flora V. Deut schland, 1 905 und von P o t o n i e , 111. Flora V. Nord- und Mitteldeutschland. 5. Aufl. 191O; als ein- und zweijährig bei Thome, Flora v. Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2. Bd., und E. Hallier in der 5. Aufl. der Schlech- tendal-Langethal'schen Flora v. Deutschland, Österreich und der Schweiz, 12. Bd., 1883. Die letzte der drei Angaben ist richtig! Von dreien der von mir a. a. O. erwähnten Standorte (zwischen Liebau i. Schles. und dem Rabengebirge ; nw. Bromberg am neuen Kanal ; n. von Bromberg am Schützengraben) konnte ich reifen Samen ernten, den ich im Frühjahr 191 7 aussäte; ein Teil der Pflanzen hat schon im gleichen Jahr ge- blüht, andere nicht, sind also zweijährig. Dagegen haben alle, leider nicht sehr zahl- reichen Pflanzen, die ich bei beengten Raumver- hältnissen aufziehen und bisher zur Blüte bringen konnte, nur rein weibliche Blüten gebracht. Zweihäusigkeit ist bei den Verwandten unserer Pflanze ja in verschiedenen F"ormen vorhanden; Silene vulgaris (venosa, inflata) hat männliche, weibliche und Exemplare mit Zwitterblüten; bei S. otites sind letztere selten, rein männliche und rein weibliche herrschen vor; fast immer rein S. II — 14. Anno I9H, S. I — 2. Derselbe: Neue .Sonneu- fleckengruppen 1914. Anno 1914, S. 51 — 53. zweihäusig sind Melandryum album und rubrum. Bei Silene dichotoma sind dagegen rein männliche Stöcke (nach mündlicher Mitteilung von Correns) selten, es finden sich neben solchen mit zvvitte- rigen andere mit rein weiblichen Blüten. Über die Vererbungsverhältnisse hat Correns a. a. O. interessante Beobachtungen veröffentlicht; die zwitterigen Pflanzen geben in ihrer Nachkommen- schaft einen kleinen Teil rein weiblicher Stöcke, die rein weiblichen aber, mit Pollen der Zwitter bestäubt, nur ganz vereinzelt solche mit Zwitter- blüten. — Mir war an keinem der vier Standorte aufgefallen, daß Blüten nicht zwitterig gewesen wären, und den Samen hatte ich jedenfalls (ab- gesehen von Standort 4, wo nur ein Stock vor- handen war, der aber unmöglich rein weiblich gewesen sein kann, weil er sonst keinen Samen hätte ansetzen können) von mehreren Pflanzen gesammelt. Darum liegt der Gedanke nahe, hier die Gynodiöcie als eine induzierte, durch äußere Bedingungen hervorgerufene Eigenschaft anzusehen. Denn die Pflanze hat sich bisher, obwohl häufig mit Kleesaat eingeführt (vgl. u.), doch bisher in Deutschland kaum dauernd erhalten können. Herr Dr. Gentner, Assessor an der Kgl. Agrikukur- botanischen Anstalt in München, schreibt mir da- zu: „Die Pflanze tritt nur dann in Bayern auf, wenn sie mit aus dem südwestlichen Rußland stammendemKlee eingeführt wird, und verschwindet dann nach 2 Jahren wiederum vollständig. Eine Verbreitung durch Besamung aus den sich bei uns entwickelnden Pflanzen konnte ich bis jetzt noch niemals feststellen, obwohl ich der Frage seit mehreren Jahren mein besonderes Interesse zu- wandte." — Obwohl ich mir nun bewußt bin, das Verhalten nicht völlig damit aufklären zu können, möchte ich nach meinen Zuchterfahrungen ver- muten, daß in nördlicherem Kli ma geernteter Same dazu neigt, rein weibliche Pflanzen hervor- zubringen, i) die, wenn nicht Zwitter in der Nähe sind, steril bleiben müssen, wie das bei meinen Pfleglingen durchweg der Fall war; denn irgend- welche Parthenogenesis im engeren oder weiteren Sinne, Bildung von Adventiv-Embryonen oder dgl. kam bei diesen nicht vor. Darum wäre die Pflanze also durch das Ausbleiben der Antheren-Entwick- lung (als früh verkümmerte Anlagen habe ich diese in allen untersuchten Blüten gefunden) zum Aus- sterben verurteilt. Das kann aber allein nicht er- klären, warum die Pflanze, die doch keimfähige Samen in Menge hervorbringt, und deren Samen auch in unserem Klima keimen, sich nicht doch sollte ansiedeln können, denn ein einziger Zwitter würde für die nächsten 2 Jahre wieder die Nach- kommenschaft sicherstellen. Von meinen 4 Standorten habe ich die beiden ') Gegen diese Vermutung würde vielleicht sprechen, daß in den zu Leipzig ausgeführten Versuchen von Correns die Pflanzen sich nicht so verhielten; aber diese standen wohl unter besonders sorgfältiger Pflege, die wohl Ungunst des Klimas auszugleichen vermag. N. F. XVII. Nr. lo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 141 schlesischen i. J. 1917 nicht wiedergesehen,') bei Bromberg aber sowohl an der Schachtschleuse I des neuen Kanals, wie auch am Rande des Schützengrabens die Pflanze wiedergefunden, am ersteren Platze in Menge, am letzteren Ort wieder- um nur in einem einzigen Stock weit und breit. Der letztere trug schon eine Anzahl mehr weniger reifer Kapseln, die noch an den langen Zweig- enden stehenden Blüten waren aber z. T. rein weiblich, die Antheren w. o. vielfach verkümmert; an dem anderen Standort war die Zahl der zwitte- rigen und der rein weiblichen Pflanzen ungefähr gleichgroß (ich habe den Samen nun getrennt ein- gesammelt, ihn aber dann zur weiteren Bearbeitung der Frage an Correns abgegeben). Wie die älteren Floren, so tun auch C. O. Harz, Landwirtschaftliche Samenkunde 1885, und F. Nobbe, Handbuch der Samenkunde, 1876, unserer Pflanze nicht Erwähnung. Mit Zunahme der Einfuhr von Kleesamen aus den wärmeren Klimaten Ungarns und Südrußlands ist aber die Pflanze auch in den Büchern dieser Richtung be- kannter geworden; z. B. schreibt O. Burchard, Die Unkrautsamen der Klee- und Grassaaten m. bes. Ber. ihrer Herkunft, 1900, auf S. 7: „in ost- europäischen Saaten haben wir oft massenhaft Silene dichotoma". und S. 25 : „häufig in russischen und schlesischen Kleesaaten auftretend". Die letzte Notiz scheint fast auf eine Einbürgerung in Schlesien zu deuten.-) Nach L. H. Pammel in The Weed Flora of Iowa (1913) ist S. d. in neuerer Zeit auch in verschiedensten Teilen der Vereinigten Staaten in Kleeäckern aufgetreten; ob eine Einbürgerung stattgefunden hat, ist aus den Angaben nicht zu entnehmen. Auch in Amerika ist aber der Samen- ansatz der Pflanze unregelmäßig. Überrascht war ich von der Bemerkung bei H e g i a. a. O. : Die Blüten . . . strömen gegen Abend einen betäubenden, an Piatanthera bifolia erinnernden Duft aus." Mir ist bisher weder in Freiheit noch an meinen kultivierten Pflanzen ein solcher Wohlgeruch aufgefallen; sollte vielleicht auch diese Eigenschaft in kühlerem Klima ver- loren gehen? Die Landwirtschaft hat oft genug die Erfalirung gemaclit, daß Saatgut aus wärmerem Klima dem aus nördlicheren Breiten stammenden vorzuziehen ist, wenn auch lange nicht unter allen Umständen. Hugo Fischer. Keimungshemmende und keimungsfördernde Stoffwechselprodukte. Unter dem Titel „Über das Altern der Pflanzen" ist in Nr. I (Jahrg. 191 7) ') Auf diese möchte ich schlesische Botaniker aufmerksam machen ; der eine Punkt ist oben beschrieben, der andere liegt beiderseits der Chaussee von Ostritz nach Nibrisch, Stationen der Görlitz-Zittaucr Bahn ■-) Hegi schreibt a. a. O. : In einzelnen Gegenden scheint Silene dichotoma sich allmählich einzubürgern, so z. B. in Westpreusen (im Kreise Konitz), in Pommern (Dramburg), in Bayern (Eching und Ostbahnhof bei München, bei Fürth seit 1887, mehrfach um Nürnberg. Vgl. dazu die obigen Angaben von Centn er. dieser Zeitschrift die Mitteilung von Zlataroff besprochen worden, nach welcher Kichererbsenkeim- linge durch gewisse in den Stoffwechselprodukten dieser Pflanze vorkommende Verbindungen (Harn- stoff, Guanidinkarbonat usw.) in ihrer weiteren Ent- wicklung gehindert wurden. Im Anschluß hieran sei es mir vergönnt, über einige Beobachtungen, die ich gelegentlich meiner mykologischen Studien machte, und die verwandte Erscheinungen betreffen, kurz zu berichten. Seit 19 13 habe ich eine Pestalozzia in Kultur, welche ich regelmäßig erhielt, wenn ich aus Krebsbeulen der italienischen Zypresse ') (ge- sammelt in Florenz) kleine Splitter steril heraus- präparierte und (unter Anwendung weitestgehender Vorsichtsmaßregeln zur Vermeidung von Fremd- infektion) auf sterile Nährböden (Möhren) übertrug. Diese Pestalozzia, auf deren genaue Be- stimmung hier nicht eingegangen werden soll — sie steht wahrscheinlich der P. funerea Desm. nahe — zeigte nun ein merkwürdiges Verhalten hinsichtlich der Keimung der Konidien. Letzere werden auf dem künstlichen Nährboden in großer Menge gebildet; die Sporenhäufchen gleichen glänzenden schwarzen Perlen (von Stecknadelkopf- größe), indem gleichzeitig mit den Sporen eine Flüssigkeit ausgeschieden wird, welche die Sporen vollkommen umhüllt. Da im Kulturgefaß die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist, so trocknet diese Flüssigkeit zunächst nicht leicht ein. Eine Keimung der Sporen er- folgt nicht, solange diese von dem ausgeschiedenen Tropfen umgeben sind. Bringt man aber ein Klümpchen Sporen mit einer ausgeglühten Platinöse in steriles Wasser, so keimen die Sporen nach wenigen Stunden. Offenbar ist es der mit den Sporen ausge- schiedene Tropfen, welcher das Auskeimen im Sporenhäufchen verhindert, und erst dadurch, daß die Sporen durch Verteilung im Wasser von der ihnen anhaftenden F'iüssigkeit befreit werden, wird die Keimung ermöglicht. Was für Stoffe aber es sind, welche die keimunghemmende Wirkung ausüben, das dürfte schwer zu ermitteln sein, da es sich ja um äußerst minimale Mengen handelt. Nur so viel konnte ich feststellen, daß die Tropfen eine schleimige Flüssig- keit von schwach gelber Färbung ist, die sich in Wasser leicht löst. Solche keimungshinderndeStoffwechselprodukte kommen höchst wahrscheinlich bei vielen Pilzen vor; mit Sicherheit konnte ich ihre Anwesenheit bei einem anderen Pilz, den ich seit langer Zeit in Kultur habe, nachweisen, nämlich bei Sciero- pycnis abietina Syd. Auch dieser Pilz bildet in Reinkulturen auf seinem natürlichen Substrat (Fichtenzweige) große ') Bekanntlich ist die Ätiologie des Zypressenkrebses noch nicht endgültig geklärt. Es kommen in Betracht Bakterien, ferner Ceratostoma juniperium, und — nach meinem Be- fund — eine Pestalozzia. Infektionsversuche führten noch mit keinem dieser Organismen zum Ziel. 142 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 10 glänzende farblose Tropfen, in welchen die Konidien verteilt sind, ohne jemals zu keimen, sofern nicht die Flüssigkeit durch Waschen mit (sterilem) Wasser entfernt worden ist. Daß Pilze bei der Kultur in Nährlösungen Stoffwechselprodukte liefern, welche die Weiter- entwicklung hindern, ist namentlich von E. Küster ^) in anschaulicher Weise dargelegt worden. Küster zeigte gleichzeitig, daß die Stoffe größtenteils thermolabil sind, d. h. unwirksam gemacht werden können, wenn die Kulturflüssig- keit — in welcher die fraglichen Stoffe gelöst sind — aufgekocht wird. Die oben geschilderte Keimungshemmung der Konidien von Pestalozzia sp. und Sclero- pycnis abietina ist ökologisch gewiß nicht ganz bedeutungslos, wenn wir die in der freien Natur herrschenden Bedingungen zugrunde legen. Die kugeligen Sporenhäufchen werden hier nur dann nicht zerfließen, wenn länger andauerndes trockenes Wetter herrscht. Dann ist es aber nur zweckmäßig, wenn die Sporen von der gleichzeitig ausgeschiedenen Flüssigkeit an der Keimung ge- hindert werden, da das entstehende Myzel doch nur sehr ungünstige Wachstumsbedingungen vor- finden würde. Dazu kommt, daß Sporen, die gleichzeitig mit einer schleimigen F"lüssigkeit gebildet und von letzterer zusammengehalten werden, in der Regel nicht durch trockenen, sondern nur durch nassen Wind verbreitet werden. Bei feuchtem Wetter, das nicht nur die Ver- breitung, sondern auch die Keimung solcher Sporen •) Keimung und Entwicklung von Schimmelpilzen i gebrauchten Nährlösungen (Ber. D. Bot. Ges. Bd. .XXVI i 1908, S. 246). begünstigt, zerfließen die Sporenklümpchen leicht und die einzelnen Sporen werden von den keimunghemmenden Stoffen befreit. In einem gewissen Gegensatz hierzu steht nun eine andere Art von Keimung, die ich nament- lich bei Pilzen fand, deren Sporen durch trockene Luftströmungen verbreitet werden. Bei der Keimung der Teleutosporen von Puccinia graminis findet man häufig, daß nur die zu einem Klumpen zusammenhaftenden Sporen reichliche Promyzele (Basidien) bilden, während isolierte Sporen nur ganz vereinzelt zur Keimung gelangen. Sehr deutlich beobachtete ich ferner diese „Geselligkeitskeimung" bei Bulgaria poly- morph a. Auch viele Hymenomyzeten scheinen sich ähnlich zu verhalten, z. B. Agaricus cam- pestris. Was nun die Ursache für die schlechte Keimung vereinzelter, bzw. die reichliche Keimung geselliger Sporen sein könnte, darüber wage ich nur eine Vermutung auszuprechen. Man könnte sich vor- stellen, daß auch hier Stoffwechselprodukte und zwar keimungsfördernde Stoffe der keimenden Sporen selbst — im Spiel sind. In einem Klumpen von 10 — 20 Sporen werden immer einige enthalten sein, die durch große Keimungsenergie ausgezeichnet sind und von diesen dürfte ein Stoff ausgeschieden werden, der auf dem Weg der Diffusion zu den keimträgen Sporen gelangt und nun auch diese zur Keimung anreizt. Es würde sich wohl lohnen, diese zunächst hypothetische Ausscheidung keimungshemmender und keimungsfördernder Stoffe bei einer größeren Anzahl von Pilzen zu verfolgen. Neger. Bücherbesprechungen. Schmidt, Dr. Max, Die Aruaken. Ein Beitrag zum Problem der Kulturverbreitung. III und 119 Seiten mit i Karte. — 3,50 M. Die Aruaken sind sprachverwandte Stämme in Mittel- und Nordwestbrasilien und den angrenzen- den Staaten. Außer der Sprache haben sie noch manche kulturelle Eigenarten gemein, ja charak- teristische Elemente der Aruakkulturen sind teil- weise über die Grenzen des aruakischen Sprach- gebiets verbreitet. Das weite Gebiet, auf das die Aruakstämme verteilt sind, wird nicht von diesen allein bewohnt, sondern es leben neben ihnen fast überall auch Stämme anderer Sprach- und Kultur- zugehörigkeit. Mit diesen Stämmen leben die Aruaken teils auf friedlichem teils auf feindlichem F"uße. Die auffallendste Eigenart der aruakischen Kultur ist die Scheidung in eine Herren- und eine Arbeiterklasse, die auf dem Bestand zweier Ehe- formen beruht, der vaterrechtlichen und der mutter- rechtlichen Ehe. Die abhängige Bevölkerung heiratet nach mutterrechtlichen Prinzipien in den Haushalt der Herrenklasse hinein, diese aber holt sich die Frauen von auswärts und bleibt von deren Verwandtschaft unabhängig. Das Bestreben jedes zur Herrenklasse gehörigen Hausvorstandes ist, seiner Hausgemeinde möglichst viele männliche Arbeitskräfte durch Verheiratung seiner weiblichen Verwandten nach mutterrechtlichen Prinzipien ein- zuverleiben Die Männer, welche in eine Familie einheiraten, haben alle schweren Arbeiten zu ver- richten, während sie vom Besitz vollkommen aus- geschlossen bleiben. Die Herrenklasse ist strenge darauf bedacht, die untergeordnete Bevölkerung nicht in den Besitz von Gütern gelangen zu lassen, die nicht für den augenblicklichen Konsum bestimmt sind. Das gebrauchsfertige Kulturland gehört der Herrenklasse, ihr gehört das Haus, ihr gehören die Vorräte an Lebensmitteln, die für bestimmte Jahreszeiten angelegt werden müssen, und ihr ge- hören endlich die Vorräte an Gegenständen, die zum Austausch gegen andere Güter hergestellt werden. Den Bedarf fremder Arbeitskräfte bei N. F. XVII. Nr. 10 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 143 den Aruaken führt Schmidt auf die verhäUnis- mäßig hohe Entwicklung der Landwirtschaft bei diesen Stämmen zurück. Sicher ist, daß sich die Aruakkultur im Laufe der Zeit in Südamerika ausgebreitet hat, so daß sie nun auch Bevölkerungen umfaßt, die ehedem zu anderen Kultui kreisen gehörten. Darüber, wie die Ausbreitung der aruakischen Kultur vorsieh ging, ist Schmidt anderer Meinung als die meisten Ethno- logen, die hierüber schrieben. Er sagt: Nicht in ge- schlossenen JMassen haben sich die einzelnen Aruak- stämme von einem oder mehreren Zentren aus über das weite, gegenwärtig von Aruakkulturen beein- flußte Gebiet verbreitet, sondern die Herrenklasse als die eigentliche Ttägerin dieser Kulturen hat ihren Einfluß über immer weitere Bevölkerungs- einheiien des südamerikanischen Waidgebietes aus- gebreitet. Am besten ließe sich diese Art der Ausbreitung von Kulturen mit dem Ausdruck „Kolonisation" wiedergeben, da sie in allen ihren wesentlichen Momenten das umfaßt, was wir von unserem europäischen Standpunkt aus riiit diesem Wort besagen wollen. Die kulturellen Verschieden- heiten bei den einzelnen Aruakstämmen beruhen darauf, daß die Aruakkulturen bei der Schaffung ihrer Heirenstellung an den verschiedenen Orten mit verschiedenen Stämmen in Verbindung ge- treten sind, die nunmehr nach ihrer Durchsetzung mit der Aruakkultur die einzelnen Unterstämme der großen Kultureinheit bilden. Ebenso erklärt sich die Verschiedenheit der Aruakdialekte aus einer Verbindung der Aruaksprache mit jeweilig verschiedenen anderen -Sprachen. Inwieweit den Aruaken bei der Ausbreitung ihrer Kultur überlegene geistige Befähigung zugute kam, ist noch nicht vo ..g sicher. Sciimidt konnte jedoch in einem Fall beobachten, daß die mythologischen\'or.stelliipgen und die zeremoniellen Feste der als Herrenkl^s^^e eroDernd vordringenden .Aruak eine Hauptwaffe bei der ünlerwerlung der fremden Bevölkerung waren. Dureh die allgemein verbrei.ete Däfnonenfineht, die durch die Kii'i- handlungen namenliicli bei den Frauen in be- sonders hohem Grade wachgclialten wird, sowie durch den großen Einfluß des Zauberers, sind der mehr in die Geheimnisse dieses .-\ubflusses der Aruakkultur eingeweiliten Herrenklasse die Mittel an die Harid gegeben, eiien starken Diiick auf die WiUensiiandlungen der unterwonenen Bevöl- kerung auszuüben und dadurch ihre Abhängigkeit immer mehr zu verstärken. Wie aus dem Vorstehenden zu erkennen ist, gibt dieses kleine Buch Max Schmidt's viel Anregung und es gewährt der Völkerpsychologie manche neue Aussicht zur Lösung schwebender wichtiger Fragen. Deshalb ist zu wünschen, daß es recht viel Beachtung findet. H, Fehlinger. Arldt, Th., Prof Dr., Germanische Völker- wellen und die Besiedelung Europas. Dieterich- scher Verlag, Leipzig 1917, 226 S., 14X20,5 cm, geb. 6,— M. Ein neuer Arldtl Den „Völkern Mitteleuro- pas" folgen jetzt die „Germanischen Völker- wellen", eine historisch ethnographische Behand- lung der die Besiedelung Eluropas berührenden Fragen. Arldts Hauptarbeiisgebict ist eigentlich die dem naturwissenschaftlichen Forschungsgebiet angehörende Paläogeographie, die die Verbreitung von Wasser und Land der Vorzeiten und ihrer Lebewesen behandelt. Reichtum des gebotenen Materials kennzeichnet jene wie diese Arbeiten Arldts. — Auf ein Vorwort, in dem Arldt kurz seine Stellungnahme zu Rassefragen in Europa auseinandersetzt (S. I— Xllj, folgt eine Einlei- tung, die uns skizzenhaft die Bedeutung der germanischen Wanderungen im europäischen Kul- turkreise überhaupt zeichnet (S. 1 — 4). Inhaltlich gliedert sich das Buch in 12 Abschnitte, die nacheinander folgende Fragen behandeln : Die Ur- zeit, die arische Wanderung, semitische Beziehungen, Hethitischpalasgische, hellenische, iranische, kelti- sche, deutsche und slawische, normannische Wan- derung, deutsche Ausbreitung nach Osten, germa- nische Ausbreitung über See, Schlußwort; ein reicher Inhalt, der naturgemäß nicht immer eine gleichmäßig gute Behandlung erfahrt. Am schwäch- sten scheint m. E. der die rein deutschen Fragen behandelnde Abschnitt. Arldt betrachtet die Germanen nicht als Sprachgenossenschaft — diese ist zu wandelbar — , sondern rassenhaft, nach Körperbau und Habitus, also nach beständigeren Merkmalen. Von ihren Ileimatsitzen, für die Arldt mit neueren Forschern — Hirt wird aber nie genannt mit seinen grundlegenden Arbeiten — die Randländer der Ostsee annimmt, verlolgt er die einzelnen Wanderungen entweder von ihrem primären Ausgangsgebiete, eben der Ostsee, oder ihrem sekundären, den südrussischen Ländern der Umgebung des Kaspisees, bis ins Innerste von Asien, nach Indien und den malaiischen Archipel oder nach Afrika hinein. In Indien glaubt A. die höheren Kastenwesen noch germanischen Cha- rakter zu erkennen und auf Ceylon sollen die Weddas von der langen Lebensdauer des kraft- vollen germanischen Typus Zeuge sein, während in Afrika der kriegerische Geist der Hamiten germanischen Einfluß, durch semitische Beziehungen hierher verpflanzt, verraten soll. Nicht einmal, sondern zwei-, drei-, viermal verfolgen wir die sich wiederholenden um einem ins Rollen geratenen Steine gleichenden Wanderungen durch alle Länder Europas. Geschichtliche Zeugnisse belegen die Tatsachen der von den Völkern eingenommenen Wohnsitze und ihrer Kultur. Die Fragen der Ausbreitung und Wirkung germanischer Völker- wellen müssen nicht nur den Ethnographen, Geo- graphen und Kulturhistoriker interessieren, jeder Altphilologe sollte beim Interpretieren der alten Schriftsteller, eines Homer, Hesiod, Tacitus u. a. zu Arldts Buch greifen. Mag auch manches auf fantasievoller Hypothese und Vermutung beruhen, nicht ohne Gewinn legt man das Buch aus der Hand. 144 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. Ein „Aber" bleibt noch zu erwähnen. Das viel- leicht zu reichlich gebotene Material ist an keiner Stelle kontrollierbar. Dem Buch fehlt jeglicher Literaturnachweis, und das ist ein Hauptfehler, be- sonders bei einem Buche, das vorwiegend als eine Zusammenschweißung bereits bestehender Arbeiten zu einem besonders beleuchteten Ganzen sich er- gibt. Ein Schönheitsfehler Arldischer Bücher scheint die nur geringe Überarbeitung des Textes zu sein. In einem Zuge geschrieben, fehlt die schärfere Herausarbeiiung bestimmter sich über allgemeine Tatsachen erhebender leitender Linien und die Sichtung des TaiSdchenmaterials. Da ist es ein kleiner Vurteil des Buches, daö am Ende eines jeden Abschnitts kurze Zusammenfassungen über eine jede Wanderung geboten sind. Sie erleichtern die Durcharbeitung ganz wesentlich. Kärtchen zur Veranschauhchung der Wanderung vermißt man schwer. Trotz mancher kleinen Nachteile ist Arldts Buch eine verdienstvolle Leistung. In diesem Zu- sammenhange sind die jeden Deutschen jetzt mehr als sonst betreffenden Fragen noch nicht bearbeitet. So wird das Buch nicht nur der Lehrer bei der Behandlung der Ausbreitung deutschen Einflusses über die Welt mit Nutzen behandeln, sondern jedem Deutschen kann es manche Wahrheit sagen über Werden und Vergehen deutschen Geistes und deutscher Kultur. K. Krause. Fritz Sarasin, Neu-Caledonien und die Loyalty-Inseln. Reise-Erinnerungen eines Naturforschers. X+284S. Mit 184 Abbildungen im Text, 8 Tafeln in Hehogravüre und einer Karte. Basel, Verlag von Georg & Co., 1917. Sarasin erzählt uns in diesem Buche von seinem Aufenthalt auf Neu-Caledonien und den Loyalty-Inseln in den Jahren 191 1 und 1912. Sarasin gehört einem geistigen Geschlecht an, dessen Reihen heutzutage gelichtet sind. Die „alte gute Zeit" ist in diesem Forscher und Erzähler lebendig: er ist kein „Spezialist" im modernen Sinne des Wortes, er sieht auf seinen Reisen nicht nur Pflanzen oder Tiere oder Eingeborene, die einen so oder anders proportionierten Schädel haben oder auch diverse ethnographisch hoch be- deutsame Tänze aulzulühren wissen, sondern er sieht ein Ganzes. Die Menschen und ihre natür- liche Umgebung sind ihm ein Ganzes, sie sind lür ihn miteinander verwoben. Dieser Einstellung ist es zu danken, daß Sarasin 's Buch ein Muster lebendiger Darstellung ist. Das kommt äußerlich schon in der Einteilung des Buches zum Ausdruck. Das Thema Neu-Caledonien wird nicht nach den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ab- gehandelt, die die einzelnen Teile des geographisch- ethnographischen Ganzen mit Beschlag belegt haben. Sarasin erzählt uns vielmehr, dem Gang seiner einzelnen Studienreisen folgend, was er auf diesen Reisen gesehen. Es wird über das Leben der Menschen berichtet, die sich bestimmten natür- lichen Bedingungen angepaßt haben und die in- folge der Berührung mit der europäischen Koloni- sation einen Ausgleich zwischen der primitiven und der europäischen Kultur versucht haben. So lernen wir das Land, seine Vegetation und Fauna, den anthropologischen Typus seiner Bewohner kennen, ihre Art zu wohnen und zu arbeiten, ihren Landbau und ihre Ernährungssitten, ihr geistiges und soziales Leben, nicht minder aber die Ge- schichte der europäischen Kolonisation auf Neu- Caledonien und den Loyalty-Inseln. Trotz der langdauernden Berührung mit den Weißen hat sich auf diesen Inseln eine primitive Welt erhalten, die, wie uns gerade die Untersuchungen von Sarasin zeigen, in wissenschaftlicher Beziehung bisher noch nicht ganz ausgebeutet war. Auf Einzelheiten kann in der Besprechung nicht eingegangen werden. Es sei nur darauf hingewiesen, daß der Bericht von Sarasin auch wertvolle Beiträge enthält zur Geschichte des Werkzeugs, zur Frage der Nah- rungsgewinnung bei Primitiven (Irrigationsanlagen zur kunstlichen Bewässerung der terrassenförmigen Tarofelder) und zum Verständnis der Kämpfe zwischen den Eingeborenen. Mit Ausnahme von sechs Bildern sind alle Abbildungen Originalaufnahmen des Verfassers, die einen bleibenden wissenschaftlichen Wert be- sitzen. Bei der Lektüre des Buches fühlt man die überragende Güte, mit der Sarasin Welt und Menschen betrachtet, und der einfache, äußerlich bedeutungslose Satz, mit dem er seinen Bericht beschließt, wird zu einem Erlebnis: „Am 17. Mai traf der „Si. Pierre" wieder ein, der uns nachNoumea zurückbringen sollte. Am folgenden 5. Juni schon nahmen wir endgültig Abschied vom caledonischen Boden, dankbar uns erinnernd an all' das Schöne und Gute, das uns dort zu genießen vergönnt ge- wesen." — Das Buch von Sarasin bedarf wohl kaum einer Empfehlung. Doch möchte ich den Lehrer darauf aufmerksam machen, daß das Buch, meiner Meinung nach, eine ausgezeichnete Lektüre für die reifere Jugend darstellt. Man kann aus dem Buche lernen, wie man ,, Land und Leute" beobachten soll. Aber neben diesen wissenschaftlichen Werten sind in dem Buche von Sarasin auch hohe ethische Werte enthalten. A. Lipschütz, Bern. Inhalt I Graf Carl von Kl inckowstroem, Zur WüQScbelrut Übercinsiimmeude Gcsel^imatiigkeit bei den großen Erd- und Sor vom gabeiigen Leinkraut, Sdtne dtchoioma Ehrhart. S. 140. Stoffwechselprodukte. S. 141.— Bücherbesprechungen: M a nUche Völkerweilen und die Besiedelung Europas. S. 143. Fritz Jitteilungen : W. Krebs, . H. Kiseher, Weiteres anfrage. S. 137. - Kleinere nen-Kalastrophen 1917. S. l_ Neger, Keimungshemmende und keimlingsfordernde L Schmidt, Die Aruaken. S. 142. T h. Arldt, Germa- Sarasin, Neu-Caledonien und die Loyalty-Inseln. S. 144. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S alidenstrafie 42, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. März igi8. Nummer 11. Über den Begriff der Reinheit bei Enzymen, ihre Benennung und die Wege, ihre chemische Struktur zu ermitteln. [Nachdruck verboten.] Dr. E. P. Häußler. Vor einiger Zeit wurde ich durch das Reper- torium der Chemiker-Zeitung auf eine Abhandlung „Über die chemische Natur der Enzyme" aufmerk- sam gemacht. Auf meme Biiie iibersandte mir der Verfasser derselben, Herr Privatdozent Dr. G. Trier in Zürich, in liebenswürdiger Weise einen Sonderabdruck, *) den ich mit um so mehr Interesse durchgelesen habe, als ich selbst vor meiner Einberulung zum Heeresdienst (April 1915) eingehende Untersuchungen über einige Enzyme auszufuhren hatte. Das Ergebnis der klaren Aus- führungen Triers bezüglich unserer heutigen Kenntnisse über die chemische Natur der Enzyme ist aber noch ein ziemlich eindeutiges „ignoramus". In diesem Urteil wurde ich übrigens auch bestärkt durch die während meiner jeweiligen Urlaube vor- genommene Durchsicht der Literatur, soweit sie mir zur Verfügung stand. Der der Eermentchemie und physik Eernerstehende mag sich wohl mit- unter tragen, warum eigentlich in diesem Spezial- gebiete trotz so unendlich vieler experimenteller Untersuchungen bis jetzt noch so wenig Klarheit geschaffen worden ist; und ich möchte deshalb im Nachfolgenden versuchen, teils auch als Er- gänzung zur Abhandlung Triers, die Gründe dalür klar zulegen. Wenn ich aber hierbei eines- teils nicht mit den Ergebnissen meiner eigenen Untersuchungen meine Ansichten erhärten darf, andererseits sie nur mit wenigen Belegen aus der einschlägigen Literatur ergänzen kann, so ist öie Ursache dalür einmal die, daß meine Versuche im wissenschaftlichen Laboratorium einer chemischen Fabrik ausgeführt worden sind, weshalb ich hier- über keine weiteren Angaben zu machen berechtigt bin, sodann aber auch, daß ich zur Zeit hier nicht über meine Bibliothek, sondern nur über wenige Bücher und Sonderabdrucke verfüge. ^) Bis jetzt existiert, meines Wissens, noch keine Methode, mit Hille derer man mit genügender Sicherheit entscheiden kann, ob ein Enzym, '") nach den in der Chemie herrschenden Begriffen rein ist oder nicht. Das hat seinen Grund darin, daß man eben von keinem Enzym auch nur eine einzige Eigen- schalt kennt, die erstens an ihm selbst festzustellen, und zweitens derart ist, daß sie durch eine Reihe chemischer und physikalischer Eingriffe sich nach ') Schweizerische Apothekerzeitung (1916) Nr. 12/13. ») Weil zur Zeit im Felde. 'j ich werde hier durchgehend den Ausdruck „Enzym" gebrauchen, ohne ihn jedoch in einen Gegensatz zu dem Aus- druck „Ferment" zu stellen. Art und Intensität nicht ändert. Das einzig Charakteristische eines Enzyms ist seine Wirkung auf das Substrat, und lediglich aus der Verände- rung, die das Substrat durch die Anwesen- heit des Enzyms erleidet, können wir überhaupt auf das Vorhandensein und aus der Art des Sub- strates und der Art seiner Veränderung auf die Art des vorhandenen Enzyms schließen. Weiter- hin könnte man noch sagen, daß wir auch die relative Reinheit, bzw. Stärke eines Enzyms gegenüber einem andern gleichen, oder mindestens gleichwertigen feststellen können, wenn wir beide Enzyme aus dem gleichen oder gleichwertigen Material nach der gleichen Methode abscheiden und beide so erhaltenen Substanzen auf das gleiche Substrat unter den ganz gleichen Bedingungen dieselbe Zeit einwirken lassen. Wir könnten dann z. B. sagen, das Enzym A ist stärker als das Enzym B, oder genauer aus- gedrückt, die Substanz A ist stärker enzymhaltig als die Substanz B, wenn eine bestimmte Gewichts- menge der Substanz A in derselben Zeit eine größere Gewichtsmenge des Substrates verändert als die gleiche Gewichtsmenge der Substanz B. ') Mathematisch ausgedrückt, A ist stärker, bzw. reiner als B, wenn *' ; '^ wobei t = t / t die Zeit der Einwirkung der Enzyme auf das Substrat bedeutet, S = die angewandte Menge Substrat in jedem der beiden Versuche, Si = die beim Versuche mit Enzym A zurückbleibende un- veränderte Gevvichtsmenge von S, und Sj = die beim Versuche mit Enzym B zurückbleibende un- veränderte Gewichtsmenge von S. Bedingung ist aber, daß die zur Untersuchung gelangenden enzymhaltigen Substanzen nicht nur nach der ganz gleichen Methode, sondern auch aus gleich- wertigem Material gewonnen wurden. Beispiels- weise, wenn es sich um ein Pepsin, — also nicht um Pepsin schlechthin — handelt, daß die pepsinhaliigen Auszüge beide aus der Magenschleim- haut derselben Tiergattung und -Rasse gewonnen werden, zur selben Zeit, bei gleicher Fütterung, gleichem Gesundheitszustande, gleichem Aker und Geschlecht der Tiere. Denn nur so kann die Möglichkeit, daß zwei, ihrem Wesen oder ihrer Struktur nach verschiedene Enzyme miteinander ') Diese Definition ist insofern noch nicht scharf genug, als ja die Enzyme — als Katalysatoren, und zwar wohl meist posiüve — , den Verlauf der Reaktion nur beschleunigen. Da sie ihn aber so beschleunigen, daü er meßbar wird, so kann, im Inlercsse der Einfachheit, wohl von einer diesbezilgliihen Präzisierung abgesehen werden bei den weiteren Austührungen. 146 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. verglichen worden sind, mit großer Wahrschein- lichkeit ausgeschlossen werden. Wir könnten ferner unsere beiden enzymhal- tigen Substanzen A und B noch schärfer gegen- einander unterscheiden; und zwar folgendermaßen : A ist m mal stärker, bzw. reiner als B, wenn wir beim Versuche mit dem Substrat finden, daß (S-sJ _ ^ (S-s,) t t Wir haben hier m mal stärker wirksam gleich gesetzt m mal reiner. A priori könnte man das wohl annehmen , aber die zahlreichen Ver- suche haben ergeben, daß diese Annahme nicht immer zutrifft. Es gibt wohl Enzyme, bei denen, — aller Wahrscheinlichkeit nach ') — Reinheit und Stärke der enzymatischen Wirkung in einem linearen Verhältnis zueinander stehen; aber es existieren auch solche, wo die aus angewandten Mengen Enzymen und Mengen des durch dasselbe zersetzten Substrates als Abscissen bzw. Ordinaten erhaltene Kurve eine logariihmische Funktion darstellt. ^) So haben wir nun bereits, nach der Art der Beziehung zwischen Stärke und Reinheit, die Enzyme, ohne weitere Rücksicht auf die Natur der Substrate und die Art ihrer Spaltprodukte, in 2 Klassen einteilen können. Bei den Enzymen der ersten Klasse, also denen mit einem linearen Verhältnis von Stärke der enzymatischen Wirkung zu chemischer Reinheit, ließe sich nun weiterhin denken, daß durch Lösen — in Wasser, Kochsalzlösungen oder einem andern Vehiculum — und mehrmalige Wiederholung der zurEnzymisolierung angewandten Methode.siärkere, bzw. reinere Enzyme — durch den Grad ihrer Wirkung auf das Substrat bestimmt — sich er- haltenließen, und daß man nach n Wiederholungen bei einer enzymatisch wirkenden Substanz anlangt, die gegenüber der vorhergehenden der (n — ij"" Abscheidung keine Steigerung ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Substrate autweist. Wir hätten dann ein reines, bzw. das reine Enzym, in Händen. Diese Annahme ist jedoch nicht richtig, und zwar deshalb nicht, weil wir nicht wissen können, ob nicht die angewandte Abscheidungs- bzw. Reinigungsmethode als solche das Enzym, wenn auch nur schwach, schädigt; d. h. genauer ausgedrückt, folgendermaßen wiikt: sie macht das Enzym a mal stärker wirksam durch Abscheidung von Verunreinigungen (= nicht enzy- matisch wirkender Substanzen) und gleichzeitig ') Denn wir nehmen an, daß hier die Verunreinigungen keinen Einflufl auf die Katalyse ausüben. ^) Zu diesen Ergebnissen konnte man gelangen, auch ohne über ein wirklich reines Enzym zu verfügen, einfach indem man steigende Mengen an Enzym zu den Versuchen nahm. Angenommen, man hätte ein Enzym von So»/,, Reinheit; so b mal schwächer wirksam durch die chemische, bzw. physikalische Einwirkung auf seine Struktur. Nun können wir wohl I. gleiche Mengen der- selben ursprünglich erhaltenen enzymisch wirk- samen Substanz mit verschiedenen Methoden gegenüber verschiedenen Substraten prüfen. Hätten wir nun so ermittelt, welche Kombi- nation von Methode und Substrat die beste ist, d. h. welche Methode die größte analytische Ge- nauigkeit besitzt, ^) so könnten wir 2. mit dem so gefundenen Prüfungsverfahren untersuchen, bei welcher Art der Reinigung (stoffliche Beschaffen- heit des Fällungsmittcis, Temperatur, Grad der Alkalität bzw. Acidität der Dialysenflüssigkeit usw.) die Werte für die enzymatische Wirkung am raschesten in die Höhe gehen und wir würden nun bei Anwendung dieser so ausgesuchten Reini- gungsmethode den Weg einschlagen, bei dem das oben erörterte Verhalten von a:b am vorteilhaf- testen wird, nämlich a möglichst groß, b möglithst klein. Reinigungsverfahren aber, bei denen b = 0 ist, scheinen nicht zu existieren, jedes schädigt die Wirkung des Enzyms etwas, wenn auch nur wenig. Bezeichnen wir als Rcinigungs- bzw. Ver- stärkungsquotienten (a, aj, a^ . . . a^) das jeweilige Verhältnis der zersetzten Substratmengen, wie sie durch zwei in der Reinigung aufeinander folgende gleiche Quania Enzym erhalten werden, so ergibt sich, daß, da im Anfange am meisten Unreinig- keiten entfernt werden ''j a ^ a^ / a^ . . . ) a^ und somit nach n maligem Umfallen die Summe der Quotienten nicht n mal a sondern (aj +83 -f ag + ... + a„) ist. Umgekehrt wird aber das Enzym bei jeder Reinigung um einen gewissen Betrag b geschädigt. Bezeichnen wir analog b, b,, b^ . . . b^ als Schädi- gungs- bzw. Schwäcnungsquotienten, so beträgt die wirkliche Verstärkung des Enzyms nach den aufeinanderfolgenden Abscheidungen nur a — b, a, — bj, aj — bj . . . an — bn. Nach n Umfällungen beträgt die Schädigung dann mindestens n mal b. „Mindestens" deshalb, weil durch die fortschreitende Reinigung das Enzym empfind- licher wird (vielleicht durch Entfernung von Schulz- kolloiden), sehr wahrscheinlich beträgt aber die Schädigung (b+bj-f b2+ . . . b„) wobei b^bj b^... bn ist. Wir müssen also bei unserm Reinigungsver- fahren nach einer n'"" Umfällung oder Dialyse ein Maximum an enzymatischer Wirkung erhallen, das Produkt der n+ 1"" Umtällung zersetzt wieder sind E g Reinenzym enthalten, und 2 a g würden ^ 100 ^ ' ^ also a g Reinenzym entsprechen; sofern wir auch hier die Annahme zu machen berechtigt sind, dafl die Verunreinigungen auf den Verlauf der Katalyse ohne störenden Einflufl sind. ') Wir müßten also, wenn wir über q Methoden und p verschiedene Substrate verfügen q mal p Versuche ansetzen, von denen jeder einzelne wieder mehr oder weniger weitgehende Variationen zuließe in bczug auf Temperatur, H-lonenkonzen- tration, Gegenwart von Neutralsalzen usw. Wie oft wird aber in der Praxis nur eine Methode und ein Substrat angewandt und dann gleich darauf ein Reinigungsverfahren aufgebaut, das eine Substanz liefert, aus der dann weitgehende Schlüsse auf die Natur der Enzyme gezogen werden I *j Analog dem Ausschütteln — Extrahieren — mit einem guten Lösungsmittel. N. F. XVII. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 147 weniger vom Substrat in der Zeit t. Mathematisch ausgcdrüci(a„+,— bn+4 Das Enzym wird wieder schwächer. Können wir nun aber auch behaupten, daß 1. das Enzym, in Bezug auf seine Struktur oder seine Konzentration, wieder unreiner werde? und 2. daß wir in der n"° Abscheidung das Enzym mit seiner wirkhchen iVlaximalslärke, womöghch gar das reine Enzym als solches in Händen hatten? Letzteres auf keinen Fall, schon deswegen, weil wir weder die wirklichen Werte von a, aj, a2...ao, noch die von b, h^, b2...bn kennen, sondern nur ihre Differenzen a — b, ai — bj, a^ — b^. . . a„ - b^, und aus diesen die Quotienien nicht berechnen können, da, wie oben ausgeluhrt die Verstäikungsquotienten immer kleiner und die Schadigungsquouetiien sehr wahrscheinlich immer größer werden. Da wir aber bis jetzi über keine andereiVlöglichkeit verfugen — als eben nur durch die Starke der Wirkung auf das Substrat — die absolute Rein- heit eines Enzymes zu ermitteln, so folgt daraus, daß wir nur imstande sind, die relative Reinheit eines Enzyms gegenüber einem andern gleichen oder gleichwertigen festzustellen. Es fehlt uns gewissermaßen ein zweiter Be- obachtungsposten, ummich zeitgemäßauszudrücken. II. Nun wird man mir vielleicht einwenden, daß das eine alle Tatsache sei, daß Enzyme durch die Reinigung sowohl verstärkt als auch etwas ge- schwächt würden, und daß mit Hille einer solchen mathematischen Spekulation sich auch über die Abscheidungsprozcsse mancher anderer chemischer Körper der btab brechen lasse. Dem gegenüber sei Folgendes bemerkt. Diese kiuische Betrachtung der Abscheidungs- methoden eines „reinen" Enzyms scheint doch nicht häufig genug angestellt worden zu sein, denn sonst würde man nicht in Lehrbüchern wie auch in Veröffentlichungen in den Zeitschriften noch so viele Darstellungs verfahren „reiner" Enzyme — und Versuche mit solchen — angegeben finden, bei denen man sich schon nach kurzer Über- legung fragen muß „womit ist denn bewiesen, daß nun ein reines Enzym vorliegt?" Es wäre mir ein Leichtes, hätte ich die einschlagige Literatur hier, solche Fälle zu zitieren. Viellach wurde ein- fach solange umgefällt, bis die Biuretreaktion verschwunden war, wobei man es oft gar nicht mehr für nötig fand, den so erhaltenen abiureten Körper auf seinen enzymatischen Wert zu prüfen (Ij. Abgesehen davon, daß der Ausfall der Biuret- reaktion sehr von der Praxis ihrer Ausführung abhängt, ist es andererseits noch gar nicht be- wiesen, daß Eiweißlreiheit identisch ist mit Enzym- reinheit. Auch die Beobachtung, daß durch wiederholtes Dialysieren der Aschengehalt eines enzymischen Körpers auf ein Minimum gesunken ist, beweist letzten Endes noch nicht, daß nun ein reines Enzym vorliegt. Und oft sind auch die Abscheidungsmethoden ziemlich brutaler Art. Rosenthaler gibt zwar in seinem sehr guten Büchlein „Grundzüge der chemischen Pflanzen- untersuchung" ^) an, daß „trotz vieler darauf ge- richteter Bemühungen noch keine Methode gefunden worden" sei, „die es gestattet, Enzyme in chemisch reinem Zustande darzustellen", und erwähnt auch, daß einzelne bei langer Behandlung mit Weingeist ihre Wirksamkeit einbüßen, aber bereits eine Seite weiter erwähnt er das Verfahren von Wrob- lewski'-'j zur Darstellung von Diastase, nach welchem wiederholt mit verdünntem Alkohol aus- gezogen und mit starkem wiedergefällt wird, üb aber Wroblewski auch stets seine Diastase auf ihre zu- oder abnehmende Wirksamkeit geprüft hat, ist mir, da ich leider über die ÜnginalaOnand- lung nicht verfüge, nicht bekannt. Ich bezweifle es. Es ist allerdings eine rechnerische Überlegung, die ich im Obigen angestellt habe, aber ich wurde schon damals dazu veranlaßt, als ich die Wirk- samkeit, also nach der vulgären Annahme die Reinheit, einer sehr großen Anzahl von Präparaten gleicher und wesensähnlicher Enzyme zu prüfen hatte und selbst dargestellte Produkte durch die verschiedenartigsten Keinigungsmethodenauf einen möglichst hohen Stärkegrad bringen wollte. Ich gelangte zu sehr hohen Werten, die aber beim wcileien „Reinigen" der Präparate wieder zurück gingen. Nun muß ich allerdings hinzu- fügen, dalä icn dann leider — es war eben nicht der Zweck der damaligen Versuche — die „Reinigung" nicht weiter wiederholte, ^) um so auch Weiler durch die Erfahrung der Praxis die Annahme, daß der enzymaiische Wert immer sinkt, vollkommen erharten zu können. Aus dem gleichen Grunde, aus dem es nicht mit Sicherheit möglich ist, ein reines Enzym darzustellen und als solches zu diagnostizieren, ist es auch noch kaum möglich, bei enzymatisch wirkenden Substanzen, die wir doch vorläufig noch als Gennsche verschiedener Verbindungen, zum Teil sehr ähnlicher Art, ansehen müssen, festzustellen, welcher Bestandteil der Träger der enzymatischen Wiikung ist. Wir können wohl aucn hier die enzymatische Substanz in ihre Haupt- bestandteile zerlegen und diese auf ihre enzyma- tische Wirkung prüfen, sind dann aber noch lange nicht berechtigt, die enzymhaltige Gruppe oder Komponente derjenigen Fraktion zuzusprechen, die am stärksten enzymatisch wirkt; eben deshalb nicht, da wir wieder nicht wissen, wie stark das Irennungsverfahren die enzymaiische Eigenschaft geschädigt hat. Dazu kommt hier noch der Um- stand, daß gewöhnlich bei solchen Zerlegungen, ') Loc. cit. pag. 94 fi. "-) Zcitschr. 1. phybiolog. Chemie 24 S. 178 (1898) und Berichte d. deutsch, ehem. CieselUchafl 31 S. I130 (ibgS). ^j Immerhin noch 2 — 3 mal nach der Erreichung des Maximalwertes. 148 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. je nach der Natur der abzuscheidenden Verbin- dungen, verschiedene chemische Agenlien be- nutzt werden müssen, und man also deshalb schon gar nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, daß m der Abscheidung mit der stärksten enzymaiischen Wirkung das Enzym enthalten ist. Außerdem be- einträchtigt die große Neigung zahlreicher Nieder- schläge, Enzyme zu adsorbieren, das Urteil in hohem Maße. Beispielsweise man wolle ermitteln, ob in einer diastaiisch wirkenden Substanz der eiweißartige Anteil das Enzym enthalte, oder die Polysaccharide, vielleicht auch die Monosen. Zu diesem Zwecke wird man verschiedene sanfte Eiweililailungsmiiiel anwenden und die so erhaltenen Aiederschläge, womöglich nach der Dialyse, aut ihre enzymaiiscne Stärke prüfen, dann werden die Kohlenhydrate durch einige ihrer üblichen Fallungsmiiici von- einander zu trennen sein — wobei allerdings die Verwendung von Alkohol kaum zu umgehen sein wird — und die so erhaltenen Fraktionen eben- falls auf ihre diastatische Wirkung zu untersuchen. Sehr wahrscheinlich werden alle Abscheidungen enzymatisch wirken, weil sie alle Enzym absorbiert haben, und um so mehr, je mehr ihie Obertiache die Adsorption begünstigt. Die Folge wird also sein, daß wir zuerst versuchen mußten, durch Lösen unserer Abscheidungen und Dialyse oder Umfallung derselben, festzustellen, ob die enzyma- tische Wirkung der Abscheidung als solcher zu- kommt, oder lediglich als Verunreinigung anzu- sehen ist. Und so wird, wie man leicht einsieht, eine Schwierigkeit nach der andern sich einstellen, die wohl zum Teil experimentell zu beheben sind, die aber doch nachher einen zuverlässigen, sicheren Aufschluß darüber, welcher Bestandteil der unter- suchten Substanz nun der Träger der diastatischen Eigenschaft sei, nicht gestatten. Handelt es sich aber darum, den enzymhaltigen, bzw. den am stärksten enzymatisch wirkenden Bestandteil einer Substanz zu isolieren, zwecks Feststellung seiner chemischen Natur, so muß man hier wiederum in Erwägung ziehen, daß vielleicht der zu untersuchende enzymatische Körper schon in einer, zum Studium hinsichtlich seiner Zusam- mensetzung und womöglich auch noch der Struktur, genügenden Reinheit vorliegt, daß aber trotzdem seine enzymatische Stärke zurückgegangen ist und wir ihn eben deshalb wieder als unrein ansehen werden. Es ist uns also die Möglichkeit genommen, ihn nun — mit gutem Gewissen — zur Analyse zu verwenden. Das möge • an folgendem Vergleich illustriert werden — wiewohl immer zu bemerken ist, daß alle Vergleiche hinken, und umsomehr in bezug auf das allgemeine Thema, als sie auf den einzelnen Fall zugeschnitten werden. In einem Gemische der verschiedenartigsten Verbindungen, darunter namentlich unlösliche Salze organischer Säuren, befinde sich — als einzig optisch-aktiver Körper — die d- Weinsäure (natürlich auch als Salz), von der wir nur wissen würden, daß sie rechtsdrehend ist. Eine nicht zu umgehende Methode bestände darin, daß man das üemisch mit Laugen zu kochen, oder mit Sauren zu erhitzen hatte. Wie ott und in welcher Starke dies geschehen mußte, hinge von der Art der verunreinigenden Substanzen und der Geschicklichkeit des Umersuchers ab. Was wird nun die holge sein? Man wird die erhaltenen Fraktionen — o. h. die Niederschlage nach ihrer Wiedeilosung — im Fuiarisaiionsapparat prulcn, je reicher sie an d- Weinsäure gewurden sind, um so stärker ist die Drehung, je oiicr aber die Iso.ierungsmeihoden wiederholt werden und je siaiker ilue Euiwiikung ist, um so mehr wird Antiwcinsäure gcbiluet, wodurch wieder ein Ruck- gang der oplisclien Drehung bewirkt wird. Wann, d. h. bei welcher spezifischen Drehung [a] , ist nun der gesuchte Körper in reinem Zustande vor uns, zur Konsiiluiionscrmiitelung geeignet r Die dVVeinsauie ais solche wird uns nielir oucr weniger verluien gehen, und wir erhallen ein Uemisch von dieser mit Antiweinsäuie und 1 raubensäure. Letztere wird sich, als schwerer lösliches balz, ein- mal bei irgend einer Uperation abscheiden und, well inaktiv, ohne weiteres vernachlässigt werden, wahrend sie doch, nach entsprechender Reinigung zur Ermittelung der Konstitutionstoimel genügen wurde. Wir wurden hingegen mit dem am siäiksien aktiven leil weuerarbcilen, und so auch der Anti- weinsaure verlustig gehen. Der Vergleich ließe sich noch bedeutend weiter ausspinnen; selbst zu der Möglichkeit, aus dem Razcmat durch irak- tioniertcs Auskristallisieren oder Umlailcn (des- selbeiij aus einer Lösung einer andern optisch- aktiven Substanz wieder, wenn auch nur unreine, Antipoden zu erhallen, könnte man wohl hin und wieder Analogien bei der Aufarbeitung von enzym- haltigen Substanzen finden. In ähnlicher Weise ließe sich damit auch die Isolierung eines ätheri- schen Öles lediglich auf Grund einer optischen Aktivität aus einem Gemisch inaktiver lerpcne vergleichen. Es sei z. B. in einem Gemische das optisch aktive Terpineol vorhanden und zu isolieren. Durch Wasserabspaltung geht es, je nach dem angewandien Reagens in aas inaktive Terpinolen, bzw. das razemische Dipenten über — das seiner- seits weder aus den beiden aktiven Limoncnen besteht, während umgekehrt durch Wasseranlage- rung — und zwar reversibel — Tcrpinhyarat entsteht. III. Der Vergleich optisch-aktiver Körper mit enzymatisch wirksamen, in bezug auf den Gang der Isolierung, die Beurteilung der Reinheit der erhaltenen Abscheidung und den Zusammenhang zwischen Wirkungswert und Reinheit, ist insofern auch vorteilhaft und passend, als einmal bei beiden die charakierisiischen Eigenschaften nicht an den betreffenden Substanzen selbst gemessen werden, sondern am chemischen, bzw. physikalischen Ge- bilden (Zersetzung von Substrat — Drehung der N. F. XVn. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 149 Schwineungfsebene des polarisierten TJchtstrahls). Dann aber auch deshalb, weil sie, Enzyme und optisch-aktive Körner, sich noch in vielen F-ieen- tümlichkeiten ähnlich sind. So kann das eleiche Enzvm auf das ^'eirhe Substrat eanz verschieden stark einwirken, je nach dem Grade der H- oder OH Tonenkonzemratinn, während die optische Drehungf Herseiben Substanz verschieden sein kann, — bei gleicher Konzentration sogar — je nach der Art des Lösungsmittels. Hingeeen aber benennen wir die Enzyme nach der Art ihrer Wirkung auf die Art des Substrates, oder auch nach den eebildeten Spaltprodukten — weil das eben die einzige Eigenschaft ist, durch die sie uns von ihrem Dasein Kunde geben; während wir bei den optisch aktiven Körpern zu- meist nur das Vorzeichen des Drehungswinkels (o oder 1, + oder — ) als Ergänzungsmerkmal zu dem Namen setzen. Da wir aber mit Wissen noch kein reines Enzym erhalten haben, auch nicht mit positiver Sicherheit sag-en können, daß es wirklich solche Substanzen eibt — bis zu Vorstelluneen wie im- materiellen Energiezentren usw. braucht man noch gar nicht zu gelangen — ihr ganzes Dasein sich nur durch ihre Wirkungen offenbart, die dazu noch verschwinden können, ohne daß es uns mög- lich ist, eine besondere stoffliche Veränderung nachzuweisen, so darf die Frage aufgeworfen werden, ob wir denn berechtigt sind, zu sagen: dieser oder jener Körper ist ein Enzym, oder ent- hält ein Enzym, weil er neben so und so vielen andern, sehr genau feststellbaren chemischen und physikalischen Eigenschaften noch die Fähigkeit besitzt, Zersetzungen, Oxydationen oder Reduk- tionen von bestimmten Substanzen katalytisch zu beschleunigen. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht logischer bei der Benennung des betreffenden Körpers diese Fähigkeit als adiektivisches Merkmal beizufügen hätten, so wie wir — um bei unsern Beispielen zu bleiben — sprechen von einer d- Weinsäure; einem d-1-Amoniumtartrat, einem links-Limonen und einem Terpinolen. Es gäbe also dann für uns keine Diastase, keinPepsin, noch TrypsineundKatalasen.sondern bei- spielsweise eine diastatisch wirkende Alkoholfallung, einen Kochsalzauszug, der in saurer Lösung Pro- teine bis zu Peptonen hydrolysiert, zum Unterschied von einem solchen, der schwach alkalischer Reak- tion die Spaltung bis zu den Aminosäuren durch- führt, einen durch Eindunsten im Vakuum er- haltenen wässerigen Leberauszug, der Wasserstoff"- superoxyd zersetzt. Statt „Maltase" würden wir sagen, ein „Maltose vergärender Hefepreßsaft" feben je nach der Herstellung) usw. Man wird mir einwenden, daß damit auch keine präzisere Bezeichnungsweise geschaffen würde, wohl aber eine viel umständlichere. Die Bezeichnung kann aber doch nur soweit präzis sein, wie eben unsere, aus experimentellen Versuchen erworbene Kenntnis von diesen Körpern. Aber sie ist umständlich, diese Art der Be- zeichnung, und deshalb werden, auf Kosten der genaueren Definition, selbstverständlich die Maltasen und Katalasen, die Pro- und gewöhnlichen Pepsine, die Steapsine und PapaVne und das ganze Heer der andern „ine" und „äsen" nicht mehr aus der Literatur verschwinden. Aber die Begriffe werden dadurch nicht klarer und die Reinheit der Präparate bleibt so zweifelhaft wie zuvor. (Schüler): Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein. (Mephisto): Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten. An Worte läßt sich trefflich glauben. Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. (Faust l. Teil). Ebenso hypothetisch wie die reinen Enzyme sind bis jetzt für uns auch die in dem Blutserum und wahrscheinlich auch andern Körperflüssig- keiten „vorkommenden" Hämolysine, Agglutinine und anderen Antikörper; auch sie hat man sich allmählich angewöhnt, als wirklich existierende Körper vorzustellen und aus den mit ihnen, bzw. den betreffenden Sera angestellten Versuchen und Wertigkeitsbestimmungen die Schlüsse mit der- selben Bestimmtheit gezogen, wie aus dem Ergebnis einer Titration in der Maßanalyse. Und doch sind auch hier, gegenüber den Bazillen als wirkliche Körper, die Reaktionskörper im Blute nur „sprachlich materialisierteBegriffefür Eigenschaften, die die Körpersäfte unter der Einwirkung der Bakterien annehmen". „Die veränderte Eigen- schaft des betreffenden Körpersaftes, der wir das Zustandekommen des Phänomens ( — — der Agglutination, Präzipitation, Komplementablenkung usw.) zuschreiben, bezeichnen wir je nach der Wirkungsweise, in der dieselbe wahrgenommen werden kann, als Agglutinine, Präzipitine, Hämo- lysine usw. — Infolge der Verschiedenheit der Erscheinungsform , in der wir sinnlich die ver- änderte Eigenschaft der Körpersäfte eines infizierten Organismus wahrnehmen können, drücken wir also die veränderte Eigenschaft je nach der Er- scheinungsform aus, in der sie für uns wahrnehm- bar wird und schreiben die Eigenschaft, die die verschiedenen Erscheinungsformen bedingt, nur deshalb hypothetischen Körpern zu, um sprach- begrifflich die Veränderungen der Eigenschaft der Körpersäfte auseinander halten zu können. Die Gesamtheit der hypothetischen Körper, welche der veränderten Eigenschaft der Körper.säfte entspricht, bezeichnen wir mit einem Kollektivbegriff als Antikörper oder Reaktionskörper. Diese Reaktions- körper .sind also keine eigentlichen Körper, sondern Eigenschaften, die durch Änderung der bioche- mischen Funktion bestimmter Gruppen von ISO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 1 1 Körperzellen von diesen auf die Körpersäfte über- getreten sind". *) IV. Weiter vorn habe ich ausgeführt, inwiefern ein Vergleich der Enzyme mit optisch aktiven Körpern manche Analop^ien erp^ibt. Der Vergleich läßt sich auch dadurch ergänzen, daß nach Ansicht Vieler bei den Enzymen die Konfiguration des M'^leküls der betreffenden enzymatisch wirkenden Verbindungen wohl von größerer Bedeutung ist als die Struktur des Mole- küls. Veranlassung zu dieser Ansicht gaben nament- lich die Vergärungserscheinungen bei den Zuckern. Umgekehrt bietet aber auch ein Vergleich der Enzyme mit den Antikörpern, bzw. den Antigenen, viel Interessantes. Die Theorie, daß die Wirkung der Enzyme nicht auf ihrer Konfiguration, sondern besonders konstruierten Atomgruppen beruhe, hat ebenfalls ihre Anhänger gefunden und ließe sich in Parallele setzen zu der Wirkung der „Seiten- ketten" bei den Antikörpern. Beide Theorien übrigens, die der Konfiguration, und die der Seitenkettenwirkung, finden eine ge- wisse Bestätigung in der Art der Spezifität der Enzyme. ') Die Bewertung der Blutuntersuchung und der Mallein- reaktion bei der diagnostischen Rotztilgung vom Standpunkte der Beziehung der rotzigen Infektion zum Blute und zur Lymphe. Von M. Müller, Zeitschrift f. Veterinärkunde 28, 273(1916). In alkoholische Gärung geraten bekanntlich nur Triosen, Hexosen und Nenosen, aber unter den Hexosen gibt es solche, die rascher — gegen- über den andern — vergoren werden. Ebenso haben auch die serologischen Forschungen ergeben, daß viele Antikörper nicht nur mit ihrem spezi- ellen Antigen, sondern auch mit Abscheidungs- produkten verwandter Bazillenarten, eine, wenn auch schwächere positive Reaktion geben. In Übeinstimmung mit diesen beiden Tatsachen stehen die Beobachtungen, daß es unspezifisch und spezifisch wirkende Enzyme gibt. Sicher ist, daß weder die eine noch die andere Theorie, das Wesen der Enzyme zu erklären (Konfiguration des Moleküls — bzw. Wirkung der Seitenketten) gewonnen worden ist durch Isolierung eines Enzyms und chemische Untersuchung des- selben, sondern nur durch das Studieren seiner Wirkungen. Daß aber trotzdem immer noch so viele Unter- suchungen mit „reinen" Enzymen, und noch so viele Isolierungen vorgenommen werden, beruht eben, meiner Ansicht nach, auf der zu engen Definition der Enzyme. Man wird die Enzyme nicht erforschen an ihnen selbst, sondern nur durch das Studium ihrer Wirkungen. *) *) .\ls Bestätigung dieser Ansicht mögen die neueren Arbeiten von H erzfei d gelten. (Biochemische Zeitschrift 68, S. 402 und 70, S. 262 (1915).) Zoologisches ans der Jagdliteratur. Von Prof. Dr. Rabes, Halle a. S. Vor 4 Jahren habe ich schon einmal unter diesem Titel hier in der Jagdliteratur niedergelegte Beobachtungen, die mir auch für den nichtiagenden Naturwissenschaftler, insbesondere den Biologen, von Interesse zu sein schienen, mitgeteilt. Da kam der Krieg. Nicht als hemmendes Moment trat er zunächst auf — wenn er das späterhin in gewissen Grenzen auch sein mußte — sondern bereicherte nach kurzer Zeit die Jagdliteratur mit der Schilde- rung der Tierwelt in den besetzten Gebieten, be- sonders der russischen, und brachte zugleich eine Fülle von Beobachtungen über das Verhalten der Tiere innerhalb der Kampfzone. So abwechslungsreich und interessant im einzelnen diese Berichte auch sind, sie zeigen alle dasselbe : viele Tiere gewöhnen sich in relativ kurzer Zeit an den Kampflärm und bleiben, soweit es ihnen möglich ist und ihre Körpergröße oder angeborene Scheuheit sie nicht zum Auswandern zwingt, an ihrem Standorte. Fuchs- und Hasenspuren ziehen sich im Osten über die Schützengräben dahin und gehen durch die Drahtverhaue, zahlreiches Birk- wild befindet sich dicht hinter den Linien, Reb- hühner balzten zwischen den Schützengräben, eine Schnepfe brütete 60 m hinter einem Kampf- und Hauptgraben, der täglich starkes Artilleriefeuer bekam u. a. m. ; alle suchen ihrer Heimat treu zu bleiben. Noch mehr, die kleinen Sänger schweigen selbst bei starken Kanonaden oder inmitten heftigen Gewehrfeuers nicht völlig, sondern lassen von luftiger Höhe ihre Stimme erschallen, gerade als wüßten sie, ein wie winziges Objekt für die großen Geschosse der Menschen sie sind, und wie selten sie getroffen werden. . Interessant ist ein Bericht aus dem Osten über den Biber in den sog. Rokitnosümpfen, wo er wenig oder gar nicht an den breiteren Flußläufen, mit Vorliebe dagegen an kleineren Nebenflüssen, Bächen und Kanälen vorkommt. Der Grund da- für wird in dem Umstände gesucht, daß er dort das Wasser durch Dammbauten leichter und be- liebig anstauen kann, damit die Einfahrt zu seinem Baue unter Wasser bleibt. Gefällte Nadelhölzer wurden nicht beobachtet, von Laubhölzern fast ausschließlich Eichen, vereinzelt Birken. Sein Fort- bestehen soll auch dort infolge fortwährenden Nachstellens (Fang mit der Schlinge seitens der Eingeborenen) stark gefährdet sein. — Wölfe wurden des öfteren von Feldgrauen erlegt. Da ihnen aber sonst wenig nachgestellt ist, sollen sie sich in den letzten 3 Jahren beträchtlich vermehrt haben und einsamen Wanderern, auch einzelnen N. F. XVn. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 51 Soldaten, gefährlich geworden sein. Daß sie auch in die Provinz Ostpreußen übertraten und beträcht- lichen Schaden in den Wildbahnen anrichten, war zu erwarten. — Auch über die Wald seh n ep fe wird aus dem Westen und Osten oft berichtet. Die Beobachtung, daß im Juni und Juli, also nach der Brutzeit, ein äußerst lebhafter Schnepfenstrich in den Gegenden, in denen die Schnepfe brütet, stattfindet, hatte zu der Annahme geführt, daß die Schnepfe ein zweites IVIal brüte und jene Beob- achtung den Sommer Balzflug darstelle. Schon vor dem Kriege hatte sich ein langer Streit über diese Frage entwickelt. Jetzt scheint er dahin entschieden zu sein, daß der sommerliche iVlorgen- und Abendflug nur mit der Nahrunor'^suche zu- sammenhängt, bei dem die Schnepfen, ähnlich den Rebhühnern, die laut kirrend zum Äsnngsplatze fliegen und ihn morgens ebenso verlassen, ihre Stimme hören lassen. Zudem ist wohl noch nicht ein Sommergelege der Schnepfe, das ja den end- gültigen und ausschlagenden Beweis gäbe, ge- funden, ganz abgesehen davon , daß die Wald- schnepfe mit einer zweiten Brut eine Ausnahme in der Schnepfengattung machen würde. Ein anderes interessantes l-'lugwild, von dem aus Nord- frankreich öfter berichtet wurde, ist der Zwerg- trappe. Bekanntlich hat sich dieser in Thüringen, in der Nähe von Greußen, schon vor längerer Zeit angesiedelt. Ob er dort auch heute noch heimisch ist, entzieht sich meiner Kenntnis, ist auch aus der neuesten Auflage des Brehm nicht klar zu ersehen. Vor 10 Jahren und früher enthielten die Jagdzeitschriften in jedem Herbste mehrfache No- tizen über in Deutschland erlegte und beobachtete Zwergtrappen. Seit 6 — 8 Jahren ist das völlig verstummt. Demnach muß der schmucke Vogel das Bestreben, in Deutschland sich weiter anzu- siedeln, was doch aus dem häufigen Vorkommen unzweifelhaft hervorging, aufgegeben haben. Um so interessanter wäre es dann, zu erfahren, ob die Kolonie in Thüringen sich erhalten hat. Innerhalb der Mitteilungen, die nicht direkt unter dem Einflüsse des Krieges stehen, spielen stets Beobachtungen, die sich auf die Ernährung unserer heimischen Wildarten beziehen, eine ge- wisse Rolle. So wurde z. B. festgestellt, daß Wild^ichweine, die ja als Allesfresser bekannt sind, sich in dem seichten Abzugsgraben eines Sees an den darin massenhaft lebenden Teichmuscheln gütlich taten. Mit ihren starken Zähnen zer- malmten sie die festen Muschelschalen, so daß der saftige und nahrhafte Inhalt ihnen zugänglich wurde. — Eine Mitteilung über dieFrühiahrsnahrung der Wildtauben hatte zur Folge, daß noch eine Reihe anderer Jäger ihre Beobachtungen zu diesem Thema kundgaben. Folgende Speisetafel der Ringel- tauben kann danach aufgestellt werden: Im Früh- jahre nehmen sie frische Triebe von Raps, Vogel- miere, zarte Triebe von anderen Unkräutern, unter denen z. B. auch Sauerampfer nicht fehlt. Eine im April geschossene Ringeltaube hatte 64 Buch- eckern, sonst nichts weiter, im Kröpfe. Der Sommer bringt zu der Grünzeugnahrung bald Samen von Kreuzblütlern (Hirtentäschel u. a.), da- neben Insekten und kleine Nacktschnecken, sowie Getreide. Eine Taube hatte etwa 40 große Kir- schen, nicht zerhackt, sondern unversehrt, im Kröpfe. Der Herbst bietet ihnen neben Sämereien und Getreide wieder Bucheckern, von denen der Kropf oft „zum Platzen voll" ist; selbst Eicheln, von denen ein Exemplar sieben haselnußgroße Stücke im Kröpfe hatte, werden aufgenommen. Das Verschlucken solch großer Früchte stellt recht weitgehende Anforderungen an das Ausdehnungs- vermögen des Schlundes! Auch Mitteilungen über abweichende Fär- bungen unserer Tiere, die ja wohl am meisten mit ins Auge fallen, sind nicht selten. Über auf- tretende weiße Rehe oder über gescheckte (also teilweise albinotische) Stücke wird wiederholt be- richtet, wie andererseits bekannt sein dürfte, daß schwarze (bzw. ganz dunkelgefarbte) Rehe in Teilen der Provinz Hannover und einzelnen angrenzenden Gebieten zum normalen Bestände an Rehwild ge- hören und ihre schwarze Färbung kräftig vererben. Welche Gründe das Auftreten solcher albinotischen bzw. melanotischen Tiere hervorrufen, ist noch unbekannt. Viel seltener ist das Auftreten der weißen Farbe bei Füchsen, wie solche bei 4 Jung- füchsen in der Nähe Wetzlars beobachtet wurde. Zwei davon wurden geschossen, die anderen zur weiteren Beobachtung leben gelassen; doch sind sie verschwunden. Daß es sich bei diesen weißen Füchsen um Albinos handelte, bewiesen die hell- fleischfarbene Färbung der Nase, der Schnauzen- ränder und der Ballen unter den Zehen. Anderer- seits wurde in Westpreußen ein schwarzer Jung- fuchs erlegt, der einem Geheck sonst normal gefärbter Füchse entstammte. Bis auf die weiße Schwanzspitze war an dem Tiere alles schwarz, auch Kehle und Unterseite. Die alte Frage nach den Ursachen für die verschiedeneGeweihfärbung bei Reh und Hirsch ist immer noch nicht zur Ruhe gekommen. Doch scheint sich die Frage dahin zu klären, daß äußere Einwirkungen ausschlaggebend sind, wie z. B. Fegen des frischen Gebildes an verschiedenen mehr oder weniger gerbsäurereichen Hölzern, so- wie die Berührung mit humusarmer (Sandboden) oder humusreicher (Moor) Erde, welch letztere vermöge ihres reicheren Gehaltes an färbenden Substanzen allgemein auch eine dunklere Färbung der Geweihe hervorzurufen vermag. Dabei spielt die Beschaffenheit der Geweihsubstanz eine große Rolle insofern, als porösere Geweihe mehr färbende Substanz aufnehmen und dunkler werden. Zur Erforschung das Vogelzuges sind vielerorts (bekannt ist dadurch besonders die Vogelwarte in Rositten auf der kurischen Nehrung 1) Berin- gungsversuche angestellt. Prof. Thiene- mann hat ja bei uns darüber eingehend berichtet, von anderen Ländern beteiligen sich besonders Schweden, Österreich-Ungarn, England und die Schweiz daran. In Ostholstein wurde ein beringtes 152 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. Bläßhuhn gefaneen. Nachforschungen, die auf Grund der Aufschrift des Ringes in Bern angestellt wurden, ergaben, daß der Vogel 191 5 bei Luzern auf dem Vierwaldstättersee gefangen, im Mai 1916 in Freiburg (Schweiz) beringt und bei dieser Stadt untergebracht war. Da ihm in der Gefangenschaft die gestutzten Flügelfedern nachgewachsen waren, konnte er im Frühjahre 191 7 nach seiner alten Heimat zurückkehren. Zugleich liefert die Beob- achtung einen Beweis für das Festhalten der Vögel an ihrem Brutgebiete und für den Wert, den die z. T. geschmähten Beringungsversuche besitzen. Noch in einer anderen Richtung kann Kenn- zeichnung des Wildes von Wert sein, für seine Altersbestimmung: In der Gegend von Aurich wurde ein Hase erlegt, der am Halse eine kleine Blechtafel trug. Nachdem der Rost von dieser entfernt war, kam die Inschrift zum Vorschein : „Zwei Monate alt in Freiheit gesetzt 1910". Das hohe Alter von 7 Jahren dürfte bei uns ein Hase selten erreichen. Sein Fell war „sehr grau, und seine Seher waren trübe". Dieses dürfte m. W. die erste genaue Angabe sein über das Alter, das ein Hase in der Freiheit erreichen kann; denn wenn Brehm auch erzählt, daß sein Vater einen Hasen schoß, den er schon 8 Jahre kannte, so führt er doch keinen bindenden Beweis für die absolute Richtigkeit jener Beobachtung an. Die Mutterliebe der Tiere, die sie veran- laßt, ihre Nachkommenschaft mutvoll zu verteidigen, ist hinreichend bekannt. Interessant ist dafür folgender Beleg: Ein Trapphahn kam bei der Balz einem Neste des großen Brachvogels zu nahe. Sofort erhob sich der Vogel und griff den Trappen an. Auf seine Rufe kamen ihm schnell zwei andere Brachvögel zu Hilfe, und alle drei, die sich wie Zwerge gegen den Trapphahn ausnahmen, griffen diesen aus der Luft und von der Erde aus so herzhaft an, daß der Riese nach einigem Zögern das Feld räumte. Wie wenig noch manche unserer häufigeren, aber versteckt lebenden Tiere genauer bekannt sind, beweist die seit 1908 erörterte Frage über die Körperlänge des Mauswiesels und die damit zusammenhängende Frage, ob nicht ver- schieden große Lokalformen zu unterscheiden seien. Denn wenn bei einem so kleinen Tierchen, die Länge der Männchen (24,5 — ;^4 5 cm) um 10 cm (d. i. ein Drittel der Gesamtlänge !l die der Weib- chen (ig — 24 cm) um 5 cm schwankt, so ist letztere 'Annahme sehr naheliegend, vorausgesetzt, daß es sich in allen untersuchten 141 Fällen um völlig erwachsene Tiere handelt. Auch die Be- obachtung eines Überwiegens des männlichen Ge- schlechtes (von 141 Stück waren 103 Männchen) ist noch ungeklärt, da einerseits ein Wurf von 9"Jungen 7 Männchen, ein anderer von 7 Jungen aber nur 2 Männchen enthielt, wie endlich auch die Frage noch zu lösen wäre, ob das Wiesel in einem Jahre mehreremale wirft oder ob bei ihm (ähnlich wie beim Fischotter) die Wurfzeit an keinen bestimmten Zeitpunkt gebunden ist. Das Ganze aber gibt uns einen Begriff davon, wieviel in der Biologie selbst unserer heimischen Tiere noch zu klären, zu beobachten und zu erforschen ist. Und dabei sind die Wiesel nicht selten, wie aus einigen Fangergebnissen hervorgeht, die uns das am klarsten zeigen können: Auf einem öster- reichischen Revier von 600 ha Größe wurden in einem Jahre 153 Wiesel gefangen, auf einem märkischen Reviere in 8 Jahren je 99 — 186, auf einem lansitzer Reviere in 5 Jahren je 165 — 177 große Wiesel ! Nicht selten kann der Jäger eigenartige Schuß- wirkungen beim Flugwild beobachten, wenn z. B. einzelne Rehhühner nach dem Schubse an- fangen, in die Höhe zu steigen, zu „himmeln", wie der Jäger sagt. Meist ist die Ursache dazu eine Verwundung der Lunge durch ein Schrotkorn. Das Tier kommt durch das ausströmende Blut in Erstickungsgefahr, schlägt in seiner Todesangst noch sehr lebhaft mit den Flügeln, aber schon wird der Flug direkt'onslos und statt nach vorn zu fliegen, steigt das Tier nur immer in die Höhe. Ist es erstickt, so hört plötzh'ch das Flügelschlagen auf und „wie ein Stein" fällt es tot zur Erde. Seltener breitet das himmelnde Huhn oben die Flügel aus und geht langsam im Gleitfluge her- nieder: dann hat es eine Schußverletzung an dem einen oder an beiden Augen. Ein Trapphahn hatte ein Schrotkorn ins Hinterhirn erhalten: er kam auf den Schützen zu, nahm Balzstellung an und fiel nach etwa 2 Minuten tot auf die Seite. Der Beobachter meint, das Schrotkorn habe beim Ein- dringen ins Hirn das Zentrum der Nerven für die geschlechtliche Erregung gereizt und dadurch das sterbende Tier zur Annahme der Balzstellung ge- zwungen. Zum Schlüsse möchte ich noch über ein neu eingebürgertes Wild, das M u f f 1 o n , kurz berichten. Der erste Einbürgerungsversuch in freier Wildbahn erfolgte durch den Herzog von Anhalt in dem Revier von Harzgerode am Selketal (abgesehen von dem Einsetzen der Wildschafe in dem einge- gatterten Hofiagdreviere Göhrde S. M. des Kaisers). Im Harzgeroder Revier wurden 1906 6 Stück Muffelwild ausgesetzt, die sich an den Selkehängen bald eingewöhnten. Später wurden noch in ver- schiedenen Tahren neue Tiere — im ganzen 17 Stück — hinzugefügt und ietzt haben sie sich über ein beträchtlich weiteres Gebiet im Ostharze verbreitet. Im allgemeinen leben die anspruchslosen Tiere ziemlich verborgen, sind aber nicht gerade als sehr scheu zu bezeichnen, wenn sie auch vortrefflich von ihren Sinnen Gebranch zu machen wissen. Schaden richten sie im Walde nicht an, sondern sind sehr genügsam in ihrer Nahrung, wenn sie auch nicht ganz verschmähen , abends zuweilen auf die Felder auszutreten und sich an saftigem Klee, auch an Kartoffeln, gütlich zu tun. Die guten Erfahrungen, die im Harze gemacht wurden, ermutigten zu weiteren Versuchen, die' im Taunus und in verschiedenen Wildgattern gemacht sind. Überall jbürgert sich das' Mufflon leicht und gut N. F. XVn. Nr. 1 1 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 153 ein, so daß wir die berechtigte Hoffnung haben, mit ihm unsere Wildbestände zu bereichern, ohne dabei Unannehmlichkeiten mit in Kauf nehmen zu müssen. Vorstehende kleine Auswahl zeigt wohl zur Genüge, daß der Biologe die Beobachtungen, die in der jagdlichen Presse geboten werden, nicht unbeachtet lassen darf. Oft wirkt schon die Ur- wüchsigkeit und Frische, mit der die Beobachtungen dargestellt werden, direkt anregend, vielfach aber zeigen sie, daß in der Biologie un«erer heimischen Tiere noch gar mancherlei richtigzustellen oder neu hinzuzufügen ist. Wie ist die Lösung des Klimaproblems der permokarbonen Eiszeit möglich? [Nachdruck verboten.] Von Dr. W. R. Eckardt, Essen. Penck's,^) der indessen nicht zwingend für eine Hypothese von Polverschiebungen ist. Das kann vielmehr nur der eeologische Nachweis sein, daß für die Permokarhonzeit die bis heute so gut wie ausschließlich nur in niederen Breiten gemachten Gla/ialfiinde auf diese beschränkt blieben, während die permischen .^hlaeerungen der höheren Breiten nichts von einer ehedem stärkeren Abkühlung des irdischen Klimas erkennen ließen. Nur so hätten wir einen zwingenden Beweis f ü r eine Polverlagerung, bzw. für stattgefundene Krustenwandernneen größerer Erdgebiete. Denn jede stärkere Abkühlung des irdischen Klimas muß sich zuerst und am deutlichsten stets an den Polen oder doch in deren unmittelbarer Nähe zeigen. Fs ist daher auseeschlossen, daß iemals auf der Frde eine Abkühlung, die zur Bildung großer Binnenlandeismassen, deren Enden zum Teil ins Meer kalben, führen mußte, in den Tropen und in den Passatzonen ihren Anfang hätte nehmen oder auf diese hätte beschränkt bleiben können, während die höheren Breiten überhaupt nicht merklich von jener Abkühlung betroffen worden wären. Auch wäre es gar nicht einzusehen, warum sich gerarle die Tropen oder Subtropen abgekühlt haben sollten bis zu einem Klima mit schneeigen Niedersrhläeen und Frosterscheinungen selbst in manchen Teilen ihrer Niederungen, während doch die Polargegenden gar nicht kalt gewesen wären, also auch den Ozean und somit auf Umwegen die niederen Breiten gar nicht stärker hätten ab- kühlen können.'') Sehen wir uns das Klima der Permformation auf der Nordhalbkugel an, so finden wir keine sicheren Eisspuren als Äquivalent derausgedehnten der Südhalbkugel, und zwar namentlich nicht in höheren Breiten des Nordens. Wenn auch die Rotlieeenzeit nach v. Lozinski unter der Herrschaft eines subarktischen Klimas gestanden HInsichtlirh einer plausibelen Erklärung der abnormen Wärmeverhältni«se in den eeolog-iochen Klimaten bietet die permokarbone Eiszeit mit ihren gewa'tig-en Gletscheran<;dehnungen namentlich in d^n Pas=at7onen zu beiden Seiten des Äquators un- grleich größere Schwierigkeiten alsdie warmen Polar- klimate, die fast die Reg-el für die Vergangenheit der Erde genannt werden können. Fr. v. KernPr hat daher die permokarbone Eiszeit mit Recht als „das dunkelste der paläothermalen Probleme" genannt. ^) Es fragt sich nun in erster Linie, ob die per- mokarbone Eiszeit im eeoloei'schen Klimanroblem insofern etwa eine Ansnahmestelhmg einnimmt, als die Annahme von Polverschiehnneen oder von großen Krustenwanderungen zu ihrer Erklärung unbedingt notwendig er«rheint. Nach dem heutieen Stand der Forschung läßt sich die Möglirhkeit der Lö«ung des permokar- bonen Glazialphänomens kurz in folgende Sätze zu- sammenfassen : T. Sollte der Geologie der einwandfreie Nach- weis einer starken Abkühlung und vor allem von au<;£redehnteren Vereisungen der Polar/onen zur Permokarhonzeit gelingen, dann konnten auch weite Gebiete der Subtropen vergletschert sein und es erübrigt sich die Annahme von Polver- schiebuneen oder Krustenwanderungen, auch wenn solche bis zu einem gewissen Grade stattgefunden haben sollten. 2. Sollte dagegen der Geologie der Nachweis eelineen, daß die höheren Breiten der Erde in der Perm form ation. ähnlich wie im Karbon und im Mesozoikum ein warmes Klima besessen haben, so ist die Annahme von Polverschiebungen unver- meidlich. V Sollte sich ein bestimmter geologischer Nach- weis überhannt nicht erzielen lassen, wie die klima- tischen Verhältnisse der Polarzonen im Permokarbon beschaffen waren, so muß die Frage, ob Pol- verschiebuneen stattgefunden haben oder nicht, unentschieden bleiben. Was die Geologen und Klimatologen für die Hypothese einer Polverlagerung, bzw. von Wande- rungen der Erdkruste zur Permokarhonzeit ein- nehmen konnte bzw. mußte, war der Ideengang ') Das paläoklimatische Problem. Mitteilungen der Geol. Ges. Wien 11. 19U. ') Vgl. hierüber: W. R. Eckardt, Das Klima der per- mokarbonen Eiszeit. Naturw. Wochenschr. N. F. 15. Bd. Nr. 10. :9l6. -) Lediglich von diesem Standpunkte aus hatte ich das Problem der permokarbonen Eiszeit in Heft 29 der Zeitschr. „Die Naturwissenschaften" V. Jahrg. 1917 folgerichtig beleuchtet und war zu dem Ergebnis gekommen, daß von diesem Gesichts- punkte aus die Annahme von Polverlagerungen oder von Krustenwanderungen zur l.nsuni; dirses Klitinr-il«''!- unver- meidlich sei. 154 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr haben könnte, ') so ist doch ebensowenigf wie diese Fragte auch noch vieles andere in seinem Verhältnis zum Klima noch lange nicht geklärt. Die Frage : „War unter der Voraussetzung kalter Polarklimate eine Vereisung weiter Gebiete der Subtropen zur Permokarbonzeit möglich, ohne daß eine Fol- verschiebung stattgefunden hat?" hat bis zu einem gewissen Grade bereits Fr. v. Kern er in seiner neuesten hochwichtigen Studie: „Untersuchungen über die morphogene Klimakomponente der per- mischen Eiszeit Indiens" ^) beantwortet, wenn diese rechnerische Untersuchung auch keineswegs eine Lösung dieses Problems zum Ziele hat, sondern nur klimatolngische Feststellungen bezweckt, die zu den unerläßlichen Vorarbeiten für jeden ernst- haften Erklärungsversuch der permi«chen Eiszeit Indiens zählen. Fr. v. Kerner will eine Beant- wortung der Frage versuchen, was für thermische Verhältnisse sich bei der für die Paläodyas ver- muteten Land- und Meeresverieilung für Südasien ergeben würden. Der Versuch erfolgte unter rein klimatologischen Gesichtspunkten nach verschie- denen Methoden und auf verschiedenen Grundlagen, indem von den Ergebnissen der geologischen Forschung nur das paläogeographische Bild ent- lehnt wird, wohingegen die aus der Beschaffenheit und aus den Einschlüssen der marinen und terre- strischen Sedimente gezogenen paläoklimatolo- gischen Schlüsse gänzlich außer Betracht bleiben. AlsGrundlagefürdieKonstruktion der morphogenen Paläoisothermen') benutzte Fr. v. Kerner die von Frech entworfene Darstellung der Kontinente und Meere am Schluß der Steinkohlenzeit und stellte auf diese Weise rechnerisch fest, daß die morphogenen Isodiakrinen (Isothermen der Gegen- •) Vgl. hierüber: E. Dacque, Grundlagen und Methoden der Paläogeographie. Jena 191 5. S 413 ff. ») Sitzungsber. der Kaiierh Akad der Wiss. in Wien. Math.-Nat. Kl. Abt. 1. 126. B. 2. u. 3. Heft. ') Das sind die Linien gleicher Wärme der Vorzeit, so- weit sie sich aus der Verteilung des Festen und Flüssigen an der Erdoberfläche ergeben. wart minus Paläoisothermen) des Juli im nord- westlichen Vorderindien einen Unterschied von — 20" aufzuweisen hatten, so daß die Temperatur im Meeresspiegel in der dortigen Gegend zur Permokarbonzeit im Juli nur 15" betrug. Man sieht also, daß unter solchen Umständen die kritische mittlere Jahrestemperatur von 10" (das ist die höchste, bei der jetzt ein Gletscher zu leben vermag) wahrscheinlich in der Tat nicht überschritten wurde! Da v. Kern er des weiteren gezeigt hat, unter welchen naheliegenden natür- lichen Bedingungen ein Polarstrom nach Durch- querung der sonnigen Subtropenzone noch kalt in der Äquatorialzone anlangen könnte, und auch des weiteren erörtert hat, wie trotz des Vorhandenseins dieser kühlen Strömung die Feuchtigkeit für reich- lichere Niederschläge geliefert werden kann, so gewinnt die Annahme an Wahrscheinlichkeit, daß auch die permokarbone Eiszeit keine Sonder- stellung im geologischen Klimaproblem einnimmt, sondern ebenfalls ohne Polverschiebungen oder Krustenwanderungen sich erklären lassen dürfte. Nur die ausgedehnten Eisfelder der Südhalbkugel würden einem Erklärungsversuch, der seine Zu- flucht nicht zu hypothetischen Hilfsfaktoren nimmt, einige Schwierigkeiten bereiten. Doch wäre es immerhin möglich, daß die Erde eben vom Karbon her ein anscheinend außergewöhnlich aus- geglichenes maritimes Klima auch noch im Perm besaß, in dem die heutige starke Akzentuierung der Tropen imd Subtropen wegfiel , dafür aber der um die Wende des Paläozoikums einsetzende gewaltige Gebirgsbildungsprozeß die schneeigen Niederschläge in entsprechender Höhenlage in allen Zonen außergewöhnlich förderte. Wenn es somit nach alledem auch noch keines- wegs feststeht, ob die permokarbone Eiszeit ein regionales Phänomen oder eine Allgemeinerschei- nung war, so ist es doch sicher, daß die Lösung dieses Klimarätsels nur im Sinne eines der beiden näher gekennzeichneten Gesichtspunkte erfolgen kann. Einzelberichte. Physiologie. Einfluß alkoholischer Getränke auf die Reaktionszeit. Wie früher (19 16, S. 660 d. Bl.) mitgeteilt wurde, wird die Reaktionszeit, d. h. die Zeit, welche vom Moment des Empfangs eines Sinnesreizes bis zur Auslösunng einer zweck- bewußten Tätigkeit verstreicht, durch Alkohol ungünstig beeinflußt, d. h. verlängert. Wie Ver- suche im pharmakologischen Institut der Univer- sität Greifswald ergaben, wurde nach dem Genuß schon kleiner Mengen von Alkohol das Wahr- nehmungsvermögen für hellere und dunklere Töne von Rot und Grün verlangsamt. Schon in der ersten Mitteilung wurde von Prof. Hugo Schulz darauf hingewiesen, daß es zweckmäßig sein würde, festzustellen, ob diese Ergebnisse auch dann Gültigkeit haben würden, wenn nicht nur mit Wasser verdünnter Alkohol, sondern dieser in Gestalt eines alkoholischen Getränkes genommen würde. Entsprechende Versuche wurden im Sommersemester 1917 ausgeführt (Hugo Schulz, Pflüger's Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 166. Band, 5. Heft, 1917). „Es war von vornherein nicht abzusehen, ob nicht die in diesem Falle mit aufgenommene Neben- substanz, Hopfenbitter beim Bier, das sogenannte Bukett beim Wein und Kognak, irgendwelche besondere Wirkung mit sich bringen könnten." An den Versuchen beteiligten sich 9 Herren und 2 Damen. Zwei Herren mußten ausscheiden, weil die bei den Versuchen erhaltenen Zahlen bei N. F. XVn. Nr. II Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 155 ihnen ganz unregelmäßige und teils einander widersprechende Resultate ergaben. Die unter- suchten Getränke waren : Bier 2 5 ccm ; Wein looccm ; Kognak 20 rem; Sekt lOO ccm. Es ergab sich für alle Beteiligten eine deutliche Abnahme der Fähigkeit, Hell und Dunkel bei Rot und Grün unterscheiden zu können. Die Abnahme schwankte in weiten Grenzen. Die stärksten Abweichungen fanden sich bei den an den Genuß von Bier in den Vormittagsstunden gar nicht gewöhnten Damen. Bei den Herren lagen die Werte für die Abnahme des Unterscheidungsvermöeens er- heblich niedriger. Setzt man den Wert Nj = 100 und berechnet darauf die Werte für R und G, so erhält man für Rot als niedrigsten Wert iii, als höchsten 155, bei Grün als niedrigsten Wert 120, als höchsten 145. Ebenso wie beim Bier haben die am Versuch beteiligten Damen auch beim Wein die stärkste Herabsetzung der Unter- scheidung von Hell und Dunkel bei Rot und Grün aufzuweisen. Die individuellen Schwankungen aller Versuchsteiln^hmer lagen auch bei Wein und Kognak für Grün innerhalb engerer Werte als für Rot. In jedem Fall ergab sich eine deut- liche Herabsetzung des Farbenwahrnehmungsver- mögens, namentlich für Rot, durch den Genuß alkoholischer Getränke. Ebenso zeigten die Ver- suche die Wirkung einer Gewöhnung an den Alkoholgenuß. Die großen IVIittelwerle aus allen Beobachtungen und für die einzelnen Getränke stellten sich bei Bier für Rot auf 145, für Grün auf 140, bei Wein Rot 131, Grün 125, bei Kognak Rot 142, Grün 134, bei Sekt Rot 125, und Grün 105. Von allen Getränken wirkte am nachteiligsten das Bier, während im Gegenteil beim Sekt die Herabsetzung der Gesichtswahrnehmung weniger groß war, was vermutlich mit der erregenden Wirkung der mit aufgenommenen Kohlensäure zusammenhängt. Recht interessante Ergebnisse hatten die Ver- suche mit Koffein. Es fiel auf, daß die erregende Wirkung nach Kafifeegenuß hei Teegenuß fehlte, obwohl der Tee doch auch Koffein enthält. Die Aufnahme von reinem Koffein blieb wirkungslos. Es war offenbar nicht reines Koffein, sondern die beim Rösten des Kaffees entstehenden Neben- produkte, welche die günstige Verkürzung der Reaktionszeit zur Folge hatten. Ebenso hatte koffeinfreier Kaffee dieselbe Wirkung, wie koffein- haltiger.^) Die Versuche mit Kaffee erwiesen durchweg und ohne Ausnahme eine zum Teil ganz beträchtliche Zunahme des Unterscheidungs- vermögens für Hell und Dunkel bei Rot und Grün bei allen an den Versuchen Beteiligten. Der mittlere Wert aus sämtlichen Versuchen stellt sich für Rot auf 75, für Grün auf 79. Die Schluß- folgerung aus obigen Versuchen für die Verkehrs- beamten im Eisenbahn- und Schiffahrtsdienst so- wie für die Feldsoldaten ergibt sich von selbst, ') Es scheint aber, daß die Köstprodukte des b u h u c n - k ;i f fe es in Frage kommen ; Malzkaffee war nämlich unwirksam. wenn auch deren strikte Durchführung wenig an- genehm sein wird. Kathariner. Anthropologie. Die Ungarn. Um das Jahr 800 unserer Zeitrechnung kam das Reitervolk der Magvaren nach Mitteleuropa, wo es weite Gebiete mit Krieg überzog und verwüstete. In alten Be- richten werden diese Magyaren ähnlich wie die Avaren geschilfert; sie haben deutliche Zeichen mongolischer Abkunft an sich getragen, wie die kurze gedrungene Gestalt, das breite Gesicht, die flache Nase und die gelbe Hautfarbe. Nach langen Kämpfen wurde das kriegerische Ungestüm des Maeyarenvolkes bezwungen und es wurde zur Seßhaftigkeit veranlaßt. Man hat in moderner Zeit zu wiederholten Malen versucht, die Nach- kommen der alten Magyaren festzustellen, die durch mongolische Körpermerkmale ausgezeichnet sein müßten. Aber alle diese Bemühungen waren vergeblich. Die heutigen Magyaren unterscheiden sich nur mehr durch die Sprache von ihren Nach- barvölkern. Zu dem Ereebnis kommt auch Prof. J. K o 1 1 m a n n in einer Studie über „Die Ungarn", die er im Jahrg. 1917 der Zeitschrift für Ethno- logie S. I — 8 veröffentlichte. Die Schädel, die in ungarischen Gräbern aus der Zeit der Arpaden, der ersten Heerführer der Magyaren, gefunden wurden, zeigen zwei verschiedene Formen, eine kurze und eine lange, aber diese beiden Formen kommen erstens schon in der Steinzeit vor, und zweitens sind sie gegenwärtig noch in Ungarn nebeneinander vorhanden. Die langen Köpfe (die wohl nur eine kleine Minderheit sind) entsprechen dem sog. germanischen oder nordischen Typus, die Kurzköpfe mit breitem Gesicht gehören zu den Formen, die gewöhnlich als slawisch bezeichnet werden und die von Frankreich bis tief in den Osten hinein zu finden s'nd. Es ist anzunehmen, das etwa vier Fünftel der Ungarn breitköpfig, ein Achtel mittelköpfig, und der Rest langköpfig sind. Aber es finden sich unter ihnen keine „sarma- tischen" Köpfe, welche auf asiatische Verwandt- schaft hinweisen würden. Die Magyaren der Jetzt- zeit sind in somatischer Beziehung ebensowenig einheitlich wie ihre Nachbarvölker. Ko 11 mann schreibt unter anderem : Was früher überraschendes, fast peinliches Aufsehen erregte, daß mehrere Formen der Magyaren aufgestellt wurden, z. B. von Janko, indem er von kleinen Magyaren der Tiefebene, von den großen Szeklern, den braun- äugigen Kumanen und blauäugigen Jazygen er- zählte, erscheint jetzt als eine Auffassung tieferer Einsicht. Wie in allen Ländern Europas, so gibt es auch in Ungarn in der Jetztzeit wie der Ver- gangenheit mehrere Formen, und die erste Auf- gabe der Forschung besteht darin, zunächst die verschiedenen Gestalten festzustellen und dann ihre Verteilung zu erkunden. Aus der Art der Bestattung, aus Waffenschmuck, Zier und Geräte aller Art läßt sich dann wohl ein Schluß über die herrschende Bevölkerung innerhalb einer be- 156 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. stimmten Zeit gfewinnen, was jetzt beim Fehlen entsprechender Untersuchungen undurchführbar ist. Blaue und ^raue Augen wiegen bei den Ungarn vor; braunäugig ist etwa ein Drittel. Blondes Haar ist ebenfalls häufig. Kollmann meint, man könnte daran denken, d^ß die dunklen Typen vielleicht von Turkvölkern abstammen, die hellen von blonden Finnen. Al'ein diese Hypothesen würden auf unsicherem Boden ruhen, .«olange nicht weitgehende Untersuchungen ausgeführt sind. Blonde und Brünette sind ja auch überall in Österreich noch vertreten. Von den Sprach- und Geschichtsforschern werden die Finnen Nord- euronas allerdings fast allgemein als nahe Ver- wandte der Magyaren betrachtet, aber man ging dabei lediglich von lingui'itischen Tatsachen aus. Die Finnen der Gegenwart haben überdies eben- falls keine asiatischen Züge an sich, obzwar sie, wie die Magyaren, eine asiatische Sprache reden. Kollmann hä't es für unwahrscheinlich, daß sich keine Nachkommen des magyarischen Kriegervolkes erhalten hätten. Da aber asiatische Typen in Ungarn fehlen, so scheint die vollständige Ausrottung jenes Volkes doch nicht von der Hand zu weisen zu sein. H. F'ehlinger. Geologie. Über „die Grundlagen der Montan- industrie im Königreich Polen" schreibt Dr. W. Petraschek in der „Montanistischen Rund- schau" Nr. 15 — 19, Jahrg. 191 7: Die in den letzten Jahren in Polen aufblühende Montanindustrie verdankt ihren Aufschwung dem großen russischen Absatzgebiet, den guten Preisen. 1910 wurden 45000 Arbeiter beschäftigt, die für 220 Millionen Kronen produzierten. Ihre Entwicklung beruht auf dem Steinkohlen- gebiet von Debrowa, der Fortsetzung des ober- schlesischen Gebietes. An Flächeninhalt betragen die einzelnen Gebiete: im polnischen Anteil 320 qkm ? „ oberschlesischen Anteil 2800 „ „ österreichischen „ 2517 „ Gewonnen wurden 1913 an Steinkohlen: im polnischen Anteil 6838 587 t = 1 1,0 */„ „ oberschlesischen Anteil 43 80 1 056 t = 70 6 "/(, „ österreichischen „ 1 1 367945 t = 18,3 "/g Man kann also von einer intensiven Ausnützung der Flöze reden , hervorgerufen durch gute Schachtanlagen. Polens Kohlenbecken ist auf seine Flöze noch nicht hinreichend untersucht. Die Fläche ist etwas größer als oben angegeben, wenn auch nur schwächere Flöze in guter Qualität auf der noch nicht berücksichtigten F"läche vorkommen. Viel- leicht mißt es etwas mehr als 450 qkm. Ver- mutete Kohlenbecken weiter im Osten Polens sind noch nicht nachgewiesen. Nach der Kohlenführung kann man im pol- nischen Kohlenbecken einen kohlenreichen Teil von einem kohlenarmen Teil unterscheiden. In letzterem kennt man 6 Fltämme wachsen mit Vorliebe Ledum palustre imd Empeiium nigrum. Auch Farne sind leich vertreten. Einen großen Raum nehmen sumpfige und moorige Wiesen ein (2). Im Mai standen sie noch völlig unter Wasser und wurden erst Ende Juni gangbar. Hier wachsen einige Oichi- dacecn, die sonst sehr wenig in der Libauer Flora vertreten sind; (Jrchis niaculaia, incarnata, Plalanlhera bilolia, Gymna- denia odoratissima. Charakteristisch sind Comarum palu>tre, das um so kräftiger wird, je feuchter der Standort ist; Primula farinosa, Pinguicula vulgaris. Daneben treten auf: Drosera rotundilolia, Polygala amara, Pedicularis palustiis, Eiiophorum polystacliiuni. Weniger leucht wachsen Parnassia palustris^ hpilobium palubtre, Lathyrus paluster, Alectorolophus major. In den zahlreichen Gräben und Teichen wachsen: Hoitonia palustris, Ceratophyllum demersum, Lemna trisulca, polyrhiza, Potamogeton natans, crispus, Aliüma plantago, Hydrocbaris N. F. XVn. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 159 morsus ranae, Elodea canadensis, eine Myriophyllum- und eine Calhtriche-Art. In tieferen Gewässern findet man Nuphar luteum. Als Verlandungspflanzen treten auf: Ranunculus lingua, Sium laiifolium, Lythrum hyssopifolia;?), Myosolis caespilo»um, Bidens cernuus, Polygonuni amphibium, SparganiumArten und Typha latifolia. Am ausgeprägtesten findet sich diese Flora in der Verlandungszone des Tosmar-Sees (3). Dort wächst auch verstreut Meiiyanthes trifoliata, das sonst reichlicher auf den sumpfigen Wiesen gedeiht. Westlich vom Tosmar-See erstrecken sich Moorgebiete, die in der Hauptsache zwischenmoorigen Charakter tragen. Nach dem See zu gehen sie in fast baumlose mit Sphagnum bewachsene Hächen über, die zuletzt in die Verlandungszone auslaufen. Nach VV zu wird das Zwischenmoorgebiet fast überall von Erlenbrüchen abgelöst, auf die an 2 Stellen eine Art natürlicher Parklandschaft folgt: Wiesenflächen mit ein- gesprengten Gehöhgruppen (4). Diese Gehölze werden zusammengesetzt von Frangula alnus, Sorbus aucuparia, Viburnum opulus, Corylus avcliana, Beiula alba, Salix-Arten, Populus tremula, Juniperus communis und Pinus silvestris. Am Rande und auf den Wiesenflächen wachsen folgende Arten : Lythrum salicaria, Epilobium angustifolium, Ulmaria pentepetala, Sanguisorba officinalis, Lathyrus pratensis, Lysimachia vulgaris, Galeopsis tetrahit, eine Euphrasia-Art, Knautia arvensis, Succisa pratensis, Solidago virga aurea. Die Brüche {5) zeigen teilweise den Charakter echter Erlenbrüche (A. glutinosa). Dann herrschen auf dim mit moderndem Laub bedecken Boden Pilze und Moose vor. Teilweise sind Übergänge zu der Paiklandschaft vorhanden. Hier wachsen einige Pflanzen des feuchten Kiefernwaldes: Pirola-Arten, Scutellaria, Trientalis, Majanthemum. Von baum- artigen Gewächsen treten an solchen Stellen Frangula alnus, Beiula alba und niedrige Pinus silvestris auf. Charakteristisch sind 2 Umbelliferen, Ton denen die eine als Laserpitium prutenicum v. glabrum bestimmt wurde. In den zwischenmoorigen Gebieten (6) erreicht die höchste Ausbildung die auch sonst allgemein verbreitete Calluna vul- garis ; ferner besonders Ledum palustre und Vaccinium uligi- nosum. Sonst wachsen hier noch Riedgräser, Moose (Sphagnum) und einige Cladoniaceen. Vereinzelt sieht man in kräftigen Exemplaren Drosera rotundifolia. Der Baumbestand wird von Betula alba, B. pubescens, Juniperus communis und Pinus silvrstris gebildet. Auf einer mit niederen Salix Arten und Birken bewachsenen Lichtung war der Boden weithin mit Marchantiaceen bedeckt. Es bleibt noch das sich östlich nach dem Tosmar zu an- schließende Gebiet (7). Baumwuchs fehlt hier gänzlich. Es dominieren Sphagnum-Arten. Als Charakterpflanzen sind Rubus chamaemorus, Vaccinium oxycoccus und Andromeda polifolia zu nennen. Weniger häufig fand ich Myrica gale. Zu erwähnen ist noch, daß namentlich auf trockenerem Boden Betteroa incana außerordentlich verbreitet ist. Noch Mitte November standen bei kaltem, regnerischen Wetter viele Exemplare in Blüte. (G^) W. Schwartz. Botanisches vom östlichen Kriegsschauplatz. In Nr. 24 des vorigen Jahrgangs wurde hier von auffallenden Pnanerogamen auf den Knegssthauplätzen in hrankrtich, Galizien und Wol- hynien berichtet. Es dürlte die Leser interessieren, zur Er- gänzung etwas über die Pflanzenwelt an einem nordrussischen Frontabschnitt zu hören. Es handelt sich um die Gegend südwestlich von dem viel- genannten Baranowitschi, ein teils flaches, teils hügeliges Ge- lände mit überwiegend sandigrm, trockenem Boden. Ausge- dehnte Kiefernwaldungen verleihen der Landschaft ein an Ostdeutschland erinnerndes Gepräge. Sie weisen gute alte Bestände auf, die der Heeresverwauung in mehrfacher Hinsicht sehrzu siaitcn kommen, sind wenig durchforstet, vielfach urwald- artig, in der Nähe der Schara und ihrer Nebenflüsse sumpfig. Fast überall finden sich zwischen den Kiefern Birken und Fichten in giöücrcr Zahl, außerdem vereinzelt Aspen (Populus tremula) eingesprengt. Die Fichten kommen nur stellenweise gut lort; nicht selten sind zaptrntragende Stämme erst 2 — 3 m hoch, was auf ein äußerst träges Wachstum schließen läßt. Als Unterholz sieht man viel stiauchförmigen Wacholder. Die Bodenflora besteht zur Hauptsache aus Heidekraut, Preifiel- und Blaubeeren, Moosen und Gräsern. Dazu gesellen sich aber in wechselnder Menge eiue ganze Reihe von Büten- pflanzen, deren lebhalte Farben Abwechselung in das eintönige Bild bringen. Der erste Frühlingsbote ist die Kuhschelle (PulsatiUa patens); ihre blauvioletten Blütenglocken werden schon sichtbar, bevor der Schnee ganz geschmolzen ist. Dann erscheinen Lungenkraut, Veilchen, Rosetten des Fingerkrauts (Poicntilla colliua), Polster von Antennaria dioica und andere, aus der heimischen Flora bekannte Frühlingspflanzen. Später sind besonders blutroter Storchschnabel (Geranium sangui- neum), Lupincnklee (Trifolium lupinaster), Wachtelweizen (Melampyrum praiense), Weidenröschen, Braunelle (Brunella grandifloia) häufig. An lichteren Stellen fallen Arnika, Berg- klee (Trilolium montanum), Sandnelke (Dianthus arenarius), Sandtragant (Astragalus arenarius), Graslilie (Anthericum ramosum), im Spätsommer Eberwurz (Carlina vulgaris), Schwalbenwurz (Vincetoxicum) und Eergsilge (Peucedanum oreoselinum) auf. Einen üppigeren Pflanzenwuchs zeigen schattige Stellen, an denen gleichzeitig der Boden bindiger und feuchter ist. Siebenstern, Schattenblümchen und der farbenprächtige Hain- wachtelweizen (Melampyrum nemorosum) bilden dort im Früh- sommer dichte Blumeuieppiche. Die Gattung Lathyrus ist mit 3 Arten (L. Silvester, montanus, niger), Pirola n,it 4 Alten (P. umbellata, secunda, rotundifolia, chlorantha) vertreten und aus der Familie der Orchideen kommen Gymnadenia canopea, Platanihera bifolia, Goodyera repens und Epipactis rubiginosa vor. Stellenweise bildet Lycopodium annotinum ausgedehnte Polster. Die Fichten sind hier kralliger entwickelt und oft vom Fichtenspaigel (Monotropa) begleitet. Die von Waase (S. 33Ö v. J.) hervorgehobene Lebens- zähigkeit angekohlter Birken konnte ich bei einer älteren, aus Kielern und Birken gemischten Schonung beobachten, die im Mai von einem starken Brande heimgesucht worden war: Die Buken waren Anfang Juni wieder vollständig grün, während die Kiefern nur verirocknete braune Nadeln tiugen. Dieses unterschiedliche Verhallen mag seinen Grund wohl darin haben, daß Holz und Rinde der Kiefer ihres hohen Harz- gehaltes wegen vom Feuer mehr mitgenommen werden als die saftreichen Stämme der Birken. Einen besonderen, durch die Bodenfeuchtigkeit bedingten Charakter gewinnt der Wald in der Nähe der Schara und ihrer Nebenflüsse. Unter die Kiefern und Fichten mischen sich Eichen, Ebereschen, Haselsträucher, Faulbaum (Frangula alnus), Spindelbaum (Evimymus verrucosa), besonders aber Erlen. Das Unterholz ist dicht, der Boden mit vermodernden Resten vom Sturme gebrochener Bäume, mit wirrem Wurzel- geflecht und moosüberwBchscnen Steinen bedeckt. Stellen- weise (so bei Gatj an der Lahoswa) enifaliet sich hier eine aus Ledum, Andromeda, Vaccinium uliginosum und Eriophorum bestehende Sumpfflora zu großer Üppigkeit. Im Schutze und am Rande der Gebüsche erscheinen im Frühjahr Anemone, Leberblümchen, Sauerklee, Chrytoplenium alternifolium, Gold- i6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. U nessel (Laraium Galeobdolon), Stellaria nemorum iu grofier Menge, wäbrend Gundermann, Seidelbast (Daphne mezereum), Springkraut [Impatiens noluangere), hinbeere ^^■arls quadrifolia), Engelwurz (Archangelica olricinalisj und Brustwurz (Angelica silvcstris) seltener sind. In einem Erlenbruche bei Tartak fielen mir Scblangen- wurz (Calla palustris) und Fieberklee (Menyanthes) durch reichliches Voi kommen auf. Über die mehr oder minder sumpfigen Wiesenstreifen, die sich zwischen Wald und EluB einschieben, breitet sico zu allen Jahreszeiten ein reicher Blütenfior. Zum gröBlen Teil sind es allgemein verbreiteie und bekannte Arien, wie Hahnen- tuB, Wiesenknoterich, Kuckuckslichlnelke , Glockenblume, Klappertopt usw. Hervorgehoben sei das Vorkommen von Kohlüisiel (Cirsium oleraceumj, vierkantigem Weidenröschen (Epilobium adnatum), borstiger Glockenblume (Campanula cervicaria), fleischfarbiger Ürchis (Urchis incarnata), Gänse- distel (aonchus paluster) und Holunderbaldrian (Valeriana sambucuolia). Der kriechende Günsel (Ajuga reptans) wird hier 40 cm hoch und trägt ebenso olt roie wie blaue Blüten. Die kleine Braunelle, die übrigens auch an trockeneren Orten wächst, blüht nicht seilen weiU. Unmittelbar am Ufer tritt besonders Eupatorium canna- binum massenhaft auf, daneben Zweizahn (Bidens tripaititusj Sumpfziest (Stachys palustris), Wolfstrapp ^Lycopus europacus), Spierstaude (Ulmaria filipenaula), Wasserschierling u. a. Der Wasserspiegel der ziemlich schnell strömenden Lahoswa ist hier und da dicht mit Blüten von Rauunculus fluitans besäet; an runigeren Stellen finden sich Kanunculus aqualilis und Froschlotfcl. Bei Slonim, wo sich die Schara in ein System von Teichen und Sümpfen auflöst, beleben weiße und gelbe Wasserrosen, Schwertlilie, Wasserliesch (Buiomus umbellalus), Schwarzwurz (Symphylum olficinalej mit rötlichen und weiBen Blüten und Engelwurz (Archangelica) das im übrigen von Schilf und Binsen beherrschte Landschatisbild. Mit den Kiefernwäldern wechseln ausgedehnte Heiden, auf denen merkwürdigerweise der Ginster vollständig fehlt, und Sandflächen mit dürftiger Vegetation. Zuzeiten sind aller- dings auch diese mit zahlreichen Blumen bedeckt. Im Erüh- jahr erscheinen sie von weitem wie mit Schnee bedeckt von den Bluten der Sandkresse (AraDis arenosa). Dazwischen finden sich Sandveilchen (Viola arenaria), Aciterstiefmütterchen, Fingerkraut (Potentiila collina, später argentea) und Katzen- pfötchen (Aniennaria dioica). Wenn Arabis abgeblüht hat, bedecken sich die Felder mit den zierlichen gelben Blüten- koptchen des kleinen Habichtskrautes (Hieracium pilosella), wozu sich Gipskraut (^Gypsophila fastigiala), Lupinenklce, Tragant (Astragalus danicus, später arcnariusj, Heidegünsel (Ajuga genevensis), Leimkraut (Silene nulans und vulgaris! u. a. gesellen. Im Hochsommer schränken Trockenheit und Wärme den Fflanzenwuchs erheblich ein, doch ermöglicht die ergiebige Taubildung immer noch einer Anzahl von Arten ein zersireutes Vorkommen. Es seien nur Johanniskraut, Strohblume (Heli- chrysum arenarium), Berufskraut (Erigeron acer; , Leinkraut (Linaria vulgaris), Sonnenröschen, Stein- und Pechnelke, Wund- und Hornklee und Königskerze genannt. Wenn die Zeit der Heideblüte vorüber ist, nimmt auch hier die Vegetationsperiode ihr Ende. Eiuzelne Nachzügler, besonders von llelichrysum, erscheinen noch im Oktober. Den spärlichsten Pflanzenwuchs weisen Dünen bei Kolbo- witschi an der Schara auf. Außer vereinzelten Grasbüscheln (die Art war wegen vorgerückter Jahreszeit nicht mehr zu be- stimmen) sind dort nur Wacholdergesträuch und verkrüppelte Kiefern zu sehen. Nur kleine Teile des Landes sind, der dünngesäcten Be. völkerung entsprechend, in Kultur genommen. Die Äcker liegen meistens brach, seitdem die bäuerlichen Besitzer vor den deutschen Truppen die Flucht ergriffen haben. So konnte sich hier allerlei, genugsam bekanntes „Unkraut" breil machen. Bemerkenswert ist die Häufigkeit von Galeopsis ladanum. Auf Schutthaufen bei dem jetzt verlassenen Dort Gaij fand ich u. a. Bilsenkraut, schwarzen Nachtschatten und Seifenkraut i^Saponaria olficinalis) und zwischen den Mauerresten der seinerzeit zu- sammengeschossenen Neustadt von Slonim Hundszunge (Cyno- glüssum), Herzgespann (Lconurus cardiaca) , Zackenschote (^Bunias orientahsj, Malve (M. neglecta und silvestris), Stein- klee u. a. (o.C; Dr. F. Esmarch. Zu dem letzten Absatz des Artikels „Fronttiere und Etappen- tiere" in Nr. 50 der Naiurw. Wochenschr. möchte ich mir lolgende Mitteilung erlauben: Seit dem Sommer vorigen Jahres werden von der Heeres- leitung auch tür Pierde Gasmasken geliefert. Daß solche bis- her nicht verausgabt worden sind, liegt nicht, wie Verfasser annimmt, daran, daß die Wirkung des Gases auf Pferde eine geringere ist als die aal Menschen, sondern ist lediglich darauf zurucKzufuhren, daß sich der Herstellung einer für Pferde wirklich brauchbaren Gasmaske erhebliche technische Schwierig- keiten entgegenstellten. Auch sind unsere Truppenpferde durchaus nicht so selten der Einwirkung von Kamplgasen aus- gesetzt, z. B. beim Vorbringen von Munition, bei Beschießungen rückwärtiger Orlschalten, Protienlagcr durch Gasgranaten. Um Verlusten unseres sciion durch Seuchen ständig bedrohten, wertvollen Plerdeniater als durch dieses Kampfmittel entgegen- treten zu köunen, werden seit Beginn 1917 ständig Veiennär- olfiziere zu Kursen an die Heercsgasscbule kommandiert, in denen die pathologische Anatomie und die Therapie der Gas- vergiltungen bei Pierden den Gegenstand einer eingehenden Belehrung bildet. Kelches Material über das Verhalten von Pferden bei Gasangriffen, sowie über die Wirkung des Gases, bietet die ,,Zeitschrm lür Veierinärkunde." (U.C.) Meyer. Zum Artikel über die Empfindlichkeit der Tiere gegen Kampfgase kann ich folgendes mitteilen. In einem Unterstand aus beton, der aber nicht bewohnt wurde, hatte sich ein Schwalbenpaar eingenistet und, obwohl häufig mit Gas ge- schossen wurde, Junge ausgebrütet. Die Pflanzen in der Umgebung waren abgestorben, die Schwalben blieben ruhig in dem Unterstände. Da dieser tiefer als der Graben war und einen sehr großen Eingang hatte, mußte Gas auch in ihm hineingedrungen sein. Heine. Literatur. Wagner, M., Biologische Untersuchungen an der Kar- toffelpfl.»iize. Ausgabe A lür allere Volksschüler; Ausgabe B für Schüler höherer Lehranstalten. Leipzig. Th. G. Fischer u. Co. — 20 bzw. 80 Pf. Ludowici, A., Spiel und Widerspiel. Ein W^erkzeug zum Ausgleich der Widersprüche. 2. verb. Aufl. vom Buche „Das geueiische Prinzip". Mit 2 farbigen Tafeln. München '17. F. B.uckniann A.-G. — 6 M. Kühn, Prof. Dr. G., Anleitung zu tierphysiologischen Grundversuchen. Mit 74 Textabbildungen. Leipzig '17. Quelle u. Meyer. 3,80 M. Inhalt: E. P. Häußler, Über den Begriff der Keinheit bei Enzymen, ihre Benennung und die Wege, ihre chemische Struktur zu ermitteln. S. 145. Kabes, Zoologisches aus der Jagdliieraiur. S. 150. W. R. Eckard t. Wie ist die Lösung des Klimaproblems der permokarboi.en Eiszeit möglich? S. 153. — Emzeibericbte: Hugo Schulz, Einfluß alkoholischer Getränke auf die keaktionszeit. S. 154. J. K ol 1 m an n , Die Ungarn. S. 155. W. P e t r a s c h e k , Über „die Grundlagen der Montanindustrie im Königreich Polen" S 156. — Anregungen und Antworten: Astrologie im 20. Jahrhundert. S. 158. Zur Flora von Kurland. (I Abb.) S. 1 5S. Botanisches vom östlichen Kriegsschauplatz. S. I59. Fronitiere und Eiappcntiere. S. 160. Empfindlichkeit der Tiere gegen Kampfgase. S. 160. — Literatur: Liste. S. 160. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G, Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H,, Naumburg a. d, S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 24. März igi8. Nummer lä. Zur Phylogenie des Blattgrünfarbstoflfes. [Nachdruck verboten.) Von Dr. HugC Im Jahrg. 1913, S. 343 der Naturw. Wochenschr. habe ich einen Aufsatz „Zur Phylogenie der At- mung" veröffentlicht. Die dort niedergelegten Betrachtungen hatte ich als Einleitung zu einem Vortrag in cierGesellschaftNaturforschender Freunde verwendet, der unter dem Titel „Beziehungen der Fortpflanzung zum Stoffwechsel im Pflanzenreich" die Förderung der Blühwiligkeit durch gesteigerte Kohlenstoff-Ernährung zum Hauptgegenstand hatte (vgl. Sitzungsber. d. Ges. N. Fr. 191 2, S. 517). Nach dem Vortrag trat unser f Potonie an mich heran mit dem Antrag, ihm für „seine" Wochenschrift jene Gedanken etwas ausführlicher niederzuschreiben; so entstand jener Aufsatz, dessen Grundgedanken ich in Kürze hier wiederholen muß: Wir kennen drei Gruppen von Bakterien, deren Atmung nach folgenden Gleichungen verläuft: NHg + 30 = HNO2 + H,0 .... HNOa + O = HNOs' H2S-|-0 = S-|-H20... S + 03 + H.20 = H2S04 Ha + O = H2O. Gemeinsam ist diesen Nitro-, Schwefel- und Wasser- stoffbaklerien, daß sie keinen Kohlenstoff, sondern andere Stoffe veratmen, und daß bei allen drei Vorgängen eine Verbrennung von Wasserstoff statt- findet. Den Übergang zu den Kohlenstoffatmern (alle übrigen Pflanzen, sämtliche Tiere) bilden die Methan- und die Kohlenoxydbakterien : CH, + 2 Oj = CO2 + 2 H^O. CO -f O = CO2. Alle diese Organismen sind auf niedersten Ent- wicklungsstufen, eben als „Spahpilze" stehen ge- blieben, zu höheren Graden haben es nur die Kohlenstoffatmer gebracht. Warum, ist schwierig zu sagen, wir müssen uns mit der F"eststellung der Tatsache begnügen. Die Kohlenstoffatmung, die nach der F~ormel: C«Hi2 Og + 6 0„ = 6 CO., + 6 H^O verläuft, unterscheidet sich nun in einem wesent- lichen Punkte von den anderen : Ammoniak, Schwefelwasserstoff, freier Wasserstoff und Methan kommen in weiter Verbreitung in der freien Natur vor, als Abfallstoffe bakterieller Zersetzung. Das zur Atmung verwendete Kohlenhydrat jedoch ist ein Aufbauprodukt, das irgendwie gewonnen sein will. Die Tiere, alle Pilze einschl. der Bakterien und die chlorophyllfreien höheren Pflanzen nehmen es von außen auf, nur in der grünen Pflanze wird Kohlenhydrat erzeugt, entsprechend der Formel: 6 COj + 6 HaO = CeHj^Oe + 6 Og, welche die genaue Umkehrung der vorigen ist Dieser „Assimilationsvorgang" ist bekanntlich ge- bunden I. an ein lebendes^) Substrat, 2. an den Besitz des Blattgrünfarbstoffes, 3. an die Mitwirkung des Lichtes, 4. an das Vorhandensein eines ge- wissen (nicht allzu hohen) Kohlensäuregehaltes der umgebenden Luft, 5. an eine mittlere Temperatur. Er ist ein energieverbrauchender, „endothermischer" Vorgang, im Gegensatz zu der „exothermischen", Energie liefernden Atmung, die ja in keinem Falle etwas anderes ist als Energiequelle. Weil dem so ist, weil Atmung und Assimilation entgegengesetzte Vorgänge sind, deren einer den anderen aufhebt, ist es ausgeschlossen, daß sie in einem und dem- selben Organismus (eben der grünen Pflanze) ver- einigt sein könnten, ohne daß Energie von außen zugeführt wird, wie es eben in der Natur durch das Sonnenlicht ge- schieht. Bei den ersterwähnten drei Bakterien- gruppen ist das anders : auch sie zerlegen Kohlen- säure und bauen Kohlenhydrate auf, aber ihre Energiequelle ist dabei nicht das Licht, sondern ihre besondere Atmung, die eben keine Kohlen- stoffatmung ist. Wie wir von diesen Nicht- Kohlenstoffatmern in den Methan- und Kohlenoxydbakterien einen Über- gang sehen zu der gewaltigen Mehrheit der Kohlen- stoffatmer, so stehen auch die höheren, Blattgrün führenden Pflanzen nicht vereinsamt und weit ab- getrennt, sondern durch Übergänge angeschlossen da: über die Purpurbakterien und die den Spalt- pilzen nahe verwandten Spaltalgen, Blaualgen oder Cyanophyceen. Mit diesem Befund steht es in Widerspruch, wenn von Gegnern der „Urzeugung" behauptet wird, es müsse, wenn man eine solche gelten lassen wolle, der gesamte verwickelte Chlorophyll- apparat als mit einem Male gegeben betrachtet werden, weil die ganze lebende Natur notwendig auf den Wechsel von Assimilation und Atmung angewiesen, und eine allmähliche Entwicklung der Chlorophylltätigkeit undenkbar sei. Die oben be- tonten Tatsachen lehren, daß eine solche Behaup- tung unwissenschaftlich ist. Aber freilich, nicht jedem kommt es in erster Linie darauf an, wissen- schaftlich sein zu wollen; bescheidene Leute be- gnügen sich mit dem Schein. Wir werden also nicht fehlgehen mit der Vor- stellung, daß das Chlorophyll und seine Funktion als etwas Entwickeltes, phylogenetisch Erworbenes anzusprechen sei. Was dieselbe für die Forschung ') Auf die sehr interessante künstliche Nachahmung aus unbelebter Materie gehe ich hier nicht ein, weil sie hier nicht zum Gegenstand gehört. l62 ' Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 12 besonders interessant macht, ist der Umstand, daß hier ein komplizierter Farbstoff von höchst merk- würdigen Eigenschaften tätig mitwirkt. Auf diese, durch die neueren Arbeiten namentlich von VVill- stätter und seinen Schülern z. T. aufgeklärten Eigenschaften will ich hier nicht näher eingehen; auch der Umstand, daß es eigentlich vier Farb- stoffe, zwei blaugrüne und zwei gelbe sind, welche das „Blattgrün" zusammensetzen, ist für das, wo- rauf ich hinaus will, nicht von Belang. Vielmehr genügt hier der Hinweis, daß diesem Farbstoff, der hier als einheitlich gesetzt sein möge, eine Aufgabe besonderer Art bei der Assimiiations- tätigkeit der grünen Pflanzenteile zukommt. Sehr bezeichnend für diese Aufgabe ist es nun, daß hier nicht die üblichen „chemischen", d. h. die blauen, violetten und ultravioletten Strahlen des Sonnenlichtes zur Ausnützung gelangen, son- dern daß die roten bis gelben, dann wieder die blauen, weniger die violetten, zur chemischen Arbeitsleistung herangezogen werden, während die grünen und die am wenigsten brechbaren der roten Strahlen selbst durch dicke Schichten des Farbstoffes nicht verschluckt werden. Nun ist es ja gewiß richtig, daß die Bezeich- nung „chemische Strahlen" im obigen Sinne nicht völlig zu Recht besteht; sie stammt aus jener Zeit, wo man von solchen chemischen Wirkungen kaum mehr als die Zersetzung der HalogenSilber- salze kannte; jetzt wissen wir, es gibt in allen Teilen des Spektrums Strahlen, welche diese oder jene chemische Wirkung auslösen. Andererseits ist doch eine solche Wirkung vorwiegend den kurzwelligen Strahlen eigen, und wir haben bei der Assimilationsarbeit der grünen Pflanze doch mit der unumstößlichen Tatsache zu rechnen, daß nicht einfach die assimilierenden Zeilen die strah- lende Energie auffangen, sondern daß die chemische Wirkung dadurch zustande kommt, daß in den Zellen jenes Farbstoffgemisch vorhanden ist, das, wie die Tcleologie sagen würde, „eigens zu diesem Zweck erzeugt wird". Wir haben hier einen leid- lich guten Vergleich in der photographischen Technik: die alte Chlor- oder Bromsilberplatte wurde fast nur von Blau oder Violett beeinflußt, Grün, Gelb, Rot wirkten wie Schwarz. Durch Bei- gabe von „Sensibilatoren", bestimmter Farbstoffe, wie Eosin u. a., wurde erreicht, daß die Empfind- lichkeit derselben Silbersalze mehr in die Mitte des Spektrums gerückt wurde. Ohne Zweifel muß also der Chlorophyllfarb- stoff eine sehr wichtige biologische Bedeutung haben. Auf die eine Seite dieser Beziehungen hat seinerzeit Stahl in seinem schönen Buch „Zur Biologie des Chlorophylls, Laub- farbe und Himmelslicht" (Jena, G. Fischer, 1909) hingewiesen, als Vorlauter erschien die Studie „Laubfarbe und Himmelslicht" in Jahrg. 1906 der Naturw. Wochenschr., S. 289 ff. Seine Ausführungen, soweit sie das allgemeine Assimilationsproblem angehen, gipfelten etwa in folgenden Gedanken : Die grüne Pflanzenzelle ver- schluckt nicht gleichmäßig alle Strahlen des Sonnenlichtes, in welchem Falle sie grau bis schwarz erscheinen müßte, sondern sie trifft eine Auswahl, indem sie die dunkelroten und die gelben bis grünen hindurchläßt, die roten, rotgelben, blauen und violetten absorbiert. Dadurch wird vor allem eine zu starke Erwärmung vermieden, die bei ungeschwächter Sonnenstrahlung eintreten müßte, denn die dunkelroten und auch noch die gelben bis grünen Strahlen sind von stark wär- mender Wirkung (warum nun aber doch die roten bis rotgelben Strahlen aufgehallen werden, erklart Stahl nur teilweise). Die grüne Zelle absorbiert nun aber die beiden Strahlengatiungen, die ihr in der Natur am günstigsten zur Veitugung stehen; das sind in dem durch unsere Atmosphäre ge- gangenen direkten Sonnenlicht die roten und rot- gelben, in dem von der Atmosphäre wiederge- spiegelien Himmelslicht die blauen und violetten Strahlen. Grünes Licht steht also den Blättern in geringerem Grade zur Verfügung, auf dieses wird Verzicht geleistet. Und die dunklen Wärme- strahlen bis ins Rot hinein würden bei hohem Sonnenstand zu starke Erhitzung bedingen, bei tiefem Stand sind sie von dem weiten Weg durch die Lultschichten zu staik abgeschwächt, um viel nützen zu können. — Soweit Stahl. Ich meine aber, wir können in der Deutung der Tatsachen, ohne uns von diesen ungebühilich weit zu entfernen, noch einen guten Schritt weiter gehen. Wir können fragen: wie kommt es, daß die stärkste, ausgiebigste Tätig- keit des Chlorophyllapparates gerade an die weniger brechbaren Strahlen des Rot und Rotgelb ge- bunden ist, seitens derer die Gefahr zu starker Erwärmung doch ohne Zweifel bestehen bleibt? — und daß sie an diese Strahlengattungen ge- knüpft wird durch einen „eigens zu diesem Zwecke erzeugten" Farbstoflr Ich glaube, daß die oben zum Vergleich heran- gezogene „larbenempfindliche" Platte uns auf den Weg der richtigen Deutung hinweist. Mit den Platten der alten Art konnte und kann man nur bei hohem Sonnenstand Aufnahmen, namentlich Momentaufnahmen machen, weil auf sie nur die kurzwelligen Strahlen einwirken, welche bei nie- drigem Sonnenstand in hohem Maße abgeschwächt zur Erde gelangen. Die farbeiiempfindhche, durch bestimmte Farbstoffe sensibilierte Platte erweitert diese Möglichkeit bedeutend, weil sie eben auch die weniger brechbare Hälfte des Spektrums aus- zunützen gestattet. So verhält es sich auch in der grünen Zelle. Sie besitzt, wie lange bekannt, zwei Absorp- tions- und Assimilations Maxima, eines in der rechten, eines in der linken Hälfte des Spektrums, das letztere aber ist das größerei Bestünde nur eine Assimilation in Blau und Violett, so wäre die grüne Pflanze (ganz wie der Photograph vor Er- findung der farbenempfindlichen Platt ej bei niederem Sonnenstand, bei welchem vorwiegend die roten bis gelben Strahlen noch die Erdoberfläche er- N. F. XVII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. «63 reichen, zur Untätigkeit verurteilt. Durch das Maximum im Rot und Rotgelb gewinnt sie aber an hellen Sommertagen, aut der Höhe der Vege- tation, zwei bis drei Stunden des Morgens und ebensoviel des Abends. Denken wir uns also zwei Pflanzenarten, oder etwa Rassen derselben Art, in Wettbewerb miteinander, die eine nur im Blau und Violett, die andere auch noch im Rot und Roigelb lebhaft assimilierend, so leuchtet ohne weiteres ein, daß die letztere ganz bedeutend im Vorteil sein muß, weil sie die besserernährte ist. Die Stunden des Sonnenscheins nach Möglich- keit (ür ihre Ernährung mit Kohlenstoff auszu- nutzen, muß aber für die Pflanze darum von be- sonderer Wichtigkeit sein, weil sie gerade im hellsten Sonnenschein nur einen geringen Bruchteil der strahlenden Energie auszuwerten imstande ist. Das liegt in erster Linie daran, daß der zweite Faktor des Assimilationsvorganges, die atmosphä- rische Kohlensäure, stets nur im Minimum vor- handen ist: etwa '/^ Liter in einem Kubikmeter Luft ! Die Pflanze kann nachweislich, wenn auch die übrigen Bedingungen günstig sind, vielmal höhere Konzentrationen von Kohlensäure mit Nutzen für ihre Entwicklung verarbeiten (was viele Jahre lang unter Berufung auf die un- richtige Arbeit von Brown und Escombe in Proceed. Roy. Soc. 70, 1902, S. 397 bestritten worden ist); solche stehen aber nur selten, z. ß. über einem von dichtem Pflanzenwuchs über- schatteten, humusreichen Boden, den assimilieren- den Zellen zur Verfügung. Angesichts der in der freien Luft stets nur geringen Kohlensäuremenge ist eine Verlängerung der Assimilationsdauer sicherlich der Pflanze von großem Nutzen. Es kommt aber noch eins dazu: es kann kein Zweifel mehr sein, daß ein Gedanke, den ich zuerst im Jahre 1898 öffentlich ausgesprochen, seine Rich- tigkeit hat : daß die Blüten- und Frucht- bildung ganz besonders durch ein Über- wiegen der Kohlenhydrate im Gesamt- stoffwechsel der Pflanze begünstigt, sowohl be- schleunigt als auch vervielfältigt wird. Es wird also eine auch die ersten Morgen- und die letzten Abendstunden ausnützende Pflanze gerade auch in Rücksicht auf ihre Fortpflanzung, aut Erhaltung der Art günstiger gestellt sein, als eine Pflanze, der diese Fähigkeit fehlt. Darum bin ich überzeugt, daß wir berechtigt sind, gerade in dieser Eigenschaft des Biattgrün- farbsioffes, minder brechbare Strahlen der Aus- nützung zuzuführen, eine besonders wichtige, phylo- genetisch und unter Mitwirkung der Auslese er- worbene Eigenschaft der Pflanzenzelle zu erblicken; „unter Mitwirkung der Auslese", nicht „durch die Auslese" — denn die Auslese allein tut's freilich nicht 1 Diese Betrachtungsweise gewinnt noch be- trächtlich an Boden, wenn wir uns eine unbe- strittene Tatsache aus der V^or- und Urgeschichte unserer Pflanzenwelt vor Augen fuhren. Ver- schiedene Umstände beweisen eine Abwanderung der Pflanzenwelt (wie auch der Tierwelt) von den Polen zum Äquator. Schon die einfache Erwägung, daß derjenige Grad von Abkühlung, der das Dasein lebender Wesen erst möglich machte, an den Polen zuerst eingetreten sein muß, weist uns darauf hin. In den Polarländern erhebt sich die Sonne aber niemals sonderlich hoch, und ob das zur Zeit der ersten Lebewesen wesentlich anders war (stärkere Neigung der Erdachse zur Ebene ihrer Bahn ?), mag dahingestellt bleiben. Für unsere phylogenetische Betrachtung brauchen wir aber nur einen Bruchteil derjenigen Zeit, die seit dem Auftreten der ersten Organismen verstrichen sein mag, in welcher Zeit eine wesentliche Ände- rung jener Neigung nicht anzunehmen ist. Die Vorfahren unserer heutigen Pflanzenwelt haben jedenfalls den Polen näher gelebt als heut, und standen ganz besonders unter dem Einfluß jener oben betonten Auslese, welche einer Verlegung des Assimilaiionsmaximums in die linke Hallte des Spektrums günstig war. Wenn wir somit in der Rot- bis Rotgelb- Emphndlichkeit der grünen Pflanzenteile eine An- passungserscheinung zu sehen haben, so ist wohl der Hinweis nicht ohne Interesse, daß wir an uns selbst etwas ganz Ähnliches verwirklicht finden: Auch unser Auge wird nicht am stärksten von den „chemischen" Strahlen betroffen, sondern vom hellen Gelb und Grüngelb. Wir sagen „hell", aus eben dem Grunde — die Pflanze würde Rot und Rotgelb heller finden als Gelb und Grün. Nun besitzt aber auch die Netzhaut unseres Auges einen Farbstoff, der in ganz ähnlichem Sinne wirkt wie das Chlorophyll, das ist der wegen seiner raschen Zersetzlichkeit so schwer zu fassende „Sehpurpur". Wie die Farbe des Chlorophylls kom- plementär ist zu den roten bis rotgelben Strahlen, so die des Sehpurpurs zu den gelben bis gelb- grunen. Auch hier dürfen wir uns die Piage stellen: was bedeutet eine solche Vorrichtung, die Empfindlichkeit des Auges in die weniger brech- bare Spektralhäfte zu verlegen ? Nun, der Mensch, der blau- und violeitempfindliche Augen hätte, für den wäre der Tag am Morgen wie am Abend um etliche Stunden verkürzt, an einem hellen Wintertag unserer Breiten wäre er nahezu zur Blindheit verurteilt. Wir müssen uns aber klar machen, was das für den Naturmenschen, der künstliches Licht noch nicht kannte, bedeutet 1 Die wissenschaftliche Menschenkunde vertritt wohl allgemein den Standpunkt, daß unser aufrechter Gang entstanden ist während des Lebens in der Steppe. Das Wald- und Baumleben hätte dazu nie geführt. Das Bedürfnis, über den hohen Gras- wuchs hinwegzusehen, machte die aufrechte Hal- tung zur Notwendigkeit (man denke an den „Männchen machenden" Hasen); noch heut be- wundern wir an Naturvölkern die ungemeine Schärfe des Sehvermögens, zumal in die Ferne. Der Urmensch war geradezu darauf angewiesen, sein Auge möglichst frühmorgens und möglichst spätabends noch gebrauchen zu können, sei es j64 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 12 zum i^lrspähen einer Beute, sei es zum Erkennen nahender Gefahr. So können wir uns also einfach und zwanglos die Gelbgrün-Empfindlichkeit unserer Netzhaut auch als etwas aus den Lebensbedingungen heraus Gewordenes vorstellen. Die Prianzenzelle ibt aber unserem Sehorgan in dieser Art des AngepatJiseins noch überlegen, ihr Maximum hegt nocn mehr dem kurzwelligen Ende des Spektrums genähert als das unseres Auges. Auen das ist nicht schwer zu begreiten. Erstens dürtte für die Anpassung des Auges eine weit kürzere Zeit anzusetzen sein als lur die Pflanzenwelt, die schon in sehr primitiven Ver- tretern, - einzelligen Algen, den komplizierten Chlorophyllapparat besitzt und ihn schon sehr frühzeitig besessen haben muü. Zweitens war iür den Urmenschen der Gesichtssinn nur ein Hilfs- mittel neben Gehör und Geruch, die Pflanze ver- fügt (da die Ernährung mit humusartigen oder aus dem Humus stammenden organischen Nährstoffen nur von ganz untergeordneter Bedeutung ist; die Mykorrhiza ist eine recht spät aufgetretene An- passungj nur über diese eine Art der Ernährung mit Kuhlenstoff. Und darum ist es eben tür die Pflanze der unumgängliche Weg zur Erwer- bung dieses ihres wichtigsten Baustoffes, dem- gegenüber das Auge für iVlensch und Tier doch erst im zweiten Grade in Betracht kommt. So ist es wohl zu verstehen, wenn die Anpassung des grünen Blattes an die Naturbedingungen, an die weniger brechbaren Strahlen, einen groläen Schritt weiter gegangen ist als die Anpassung unseres Auges. Die Ablenkung von Lichtstrahlen im Gravitationsfeld. [Nachdruck verboten.) Von Karl Kuhn. Von allen Naturkräften bietet die Schwerkraft der Forschung bisher die größten Schwierigkeiten. Man kann das Gravitationsleid der Erde weder künstlich verstärken noch kann man es zu Ver- suchszwecken abschirmen und schwächen, man kann die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Gravi- tation nicht messen und so kommt es, daß unser Wissen vom Wesen der Schwerkraft ein geringes geblieben ist. In den letzten Jahren aber hat A. Einstein das außerordenthch fruchtbare Prinzip der allgemeinen Relativität aufgestellt und gründete darauf eine geistreiche Theorie der Gra- vitation, die von vielen Physikern 'j als die Lösung des Rätsels der Schwerkralt betrachtet wird. Es handelt sich dabei zunächst um einen rein theo- retischen Angriff auf das Rätsel der Gravitation und eine solche spekulative P'orschungsmethode findet in der Regel nur dann besonderen Anklang, wenn sie zu Folgerungen luhrt, welche experimentell geprült werden können. Dies ist bei E i n s t e i n ' s Gravitationstheorie der Fall, wenn auch die voraus- gesagten Erscheinungen meistens an den Grenzen der heutigen Meßgenauigkeit liegen. Eine Folgerung aus Einstein's Gravitations- theorie ist die Erscheinung, daß Lichtstrahlen in starken Schwerkrafifeldern aus ihrer geradlinigen Bahn abgelenkt werden sollen. Um den Sinn der Ablenkung eines Lichtstrahls durch Gravita- tionsfelder zu erlassen, sei folgendes von Einstein stammendes Beispiel angeführt. Denken wir uns einen Physiker in einen Raum eingeschlossen, welcher keine Fenster hat, durch die der Beobachter hinaussehen kann. Öffnet der Physiker seine Hand, in welche er einen Stein genommen hat, so fällt der Stein mit zunehmender Geschwindigkeit zu Boden. Schleudert er den Stein wagrecht von sich, so fliegt der Stein nicht in wagrecnter Richtung weiter, sondern er nähert sich zugleich dem Boden und fällt nieder. Ein wagrecht ausgespritzter Wasserstrahl erreicht eben- ') Physika!. Zeitschr. XVIII (1917) S. 551. falls den Fußboden. Der Physiker wird daraus den Schluß ziehen, daß auf alle diese Körper die Schwerkraft der Erde oder irgendeines anderen Wellkörpers einwirkt. Wenn der Physiker statt eines Wasserstrahles einen Lichtstrahl wagrecht aussendet, so ist nach den bisherigen Anschauungen eine Ablenkung im Gravitationsfeld nicnt zu er- warten. Denken wir uns jetzt den Physiker soweit in den Weltraum hinausversetzt, daß die Anziehungs- kraft aller schweren Massen gleich Null geworden ist, so wird ein losgelassener Stein Irei im Raum schweben bleiben, ein wagrecht geworfener Stein, ein wagrechter Wasserstrahl oder ein Lichtstrahl werden ihre geradlinige Bahn unbeeinflußt bis zur Wand des Beobachtungsraumes iortsetzen, ohne eine Neigung zu zeigen sich dem Boden zu nähern. Wird der Beobachtungsraum durch irgend- welche äußere Vorrichtungen, ähnlich wie ein Auf- zug, in beschleunigte Bewegung nach oben ver- setzt, so wird ein aus der Hand losgelassener Stein die Bewegung beibehalten, welche er im Augen- blick des Loslasscns hatte, zugleich nähert sich ihm aber der Fußboden des Beobachtungsraumes mit zunehmender Geschwindigkeit und schließlich schlägt der Stein auf den Boden auf. Dem wag- recht geworfenen Stein oder einem wagrecht aus- gesandten Wasserstrahl nähert sich der P"ußboden ebenfalls und da der Physiker in dem abgeschlossenen Raum dessen beschleunigte Bewegung nach oben nicht beobachten kann, so lallt Iür ihn der Stein oder der Wasserstrahl genau so zu Boden wie vorher im Schwerkrattfeld. Auch ein Pendel würde in dem von Gravitationskrälten Ireien, nach oben beschleunigten Beobachtungsraum seine regel- mäßigen Schwingungen ausluhren, kurz es lassen sich dem Physiker alle Erscheinungen der Schwer- kraft durch die ihm verborgene Bewegung des Beobachtungsraumes vortäuschen. Aber ein Versuch kann Aufschluß geben, ob ein Gravitationsfeld wirklich vorhanden oder nur vorgetäuscht ist, nämlich das Experiment mit dem N. F. XVn. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 165 wagrechten Lichtstrahl. In einem Gravitationsfeld ist eine Ablenknng desselben wie bei einem Wasserstrahl nicht zu erwarten ; in dem nach oben beschleunigten Beobachtungsraum ist jedoch zu gewärtigen, daß der Lichtstrahl scheinbar in einer sehr schwach gekrümmten Linie sich dem Fuß- ■ boden etwas nähert. Denn während der sehr kurzen Zeit, welche der wagrecht ausgesandte Lichtstrahl zum Durcheilen des Beobachtungsraumes braucht, nähert sich ihm der bewegte Fußboden etwas und der Punkt, wo der Lichtstrahl die Wand trifft, muß also etwas näher dem Boden liegen wie der Ausgangspunkt des Lichtes, d. h. der Lichtstrahl wird sich wie ein Wasserstrahl von gleicher riesiger Geschwindigkeit etwas dem Boden nähern. Nach Einst ein 's Gravitationstheorie muß auch in einem wirklichen Gravitationsfeld ein Lichtstrahl eine Krümmung erleiden und bei totalen Sonnenfinsternissen muß sich diese wichtige Folge- rung durch astronomische Messungen prüfen lassen. Es müssen nämlich die Lichtstrahlen von Fixsternen, welche in der Nähe des Sonnenrandes das starke Schwerkraftfeld der Sonne durchsetzen, eine Krüm- mung erleiden, die im günstigsten Fall Ortsver- änderungen der Sterne von 1,75 Bogensekunden bewirkt. Solche geringe Ortsveränderungen der Sterne infolge Ablenkung der Lichtstrahlen durch die schwere Masse der Sonne sind mit den modernen Hilfsmitteln der Astronomie gerade noch meßbar. Es wurde daher im Jahre IQ14 durch die Astro- nomen E. Freundlich und W. Zurhellen') der Berliner Sternwarte eieens zu diesem Zweck eine Expedition nach Feodosia auf der Krim aus- gerüstet, um dort während der totalen Sonnen- finsternis am 21. August T914 mit 4 speziell ge- bauten photographischen Fernrohren den Sternen- himmeL in der Umgebung der verfinsterten Sonne aufzunCTimen. Der ausbrechende Krieg machte die deutsche Finsternisexpedition unmöglich ; die Astronomen Freundlich und Z u r h e 1 1 e n wur- den erst nach längerer Gefangenschaft von Ruß- land ausgeliefert; Zurh eilen erlitt im Sommer 1916 den Heldentod. Die wissenschaftlichen Aus- rüstungseegenstände der Expedition sind noch jetzt in den Händen der Russen. Freundlich und die Eneländer Dyson undTurner untersuchten nun die photographischen Platten mit den Aufnahmen älterer Sonnenfinster- nisse nach Sternen in der Nähe des Sonnenrandes, welche die von Einstein geforderte Ortsverände- rung durch Krümmung der Lichtstrahlen aufweisen könnten. Leider genügten die untersuchten Platten den hohen Anforderungen an Genauigkeit für den Nachweis des Einst ei neffekts nicht und Dyson macht daher den Vorschlag während der totalen Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 die entscheiden- den Messungen durchzuführen. ') Vgl. dea eingehenden Bericht von Ü. Birck (vom astrophysikalischen Observatorium in Potsdam") über die Ein st ein 'sehe Gravitalion'Jtheorie und die Sonnenfinsternis im Mai 1919 in ,, Die Naturwissenschaften" Bd. V S. 689 — 696. Eine Sonnenfinsternis kommt so zustande, daß der Mond zwischen Erde und Sonne tritt und da- durch das Sonnenlicht von der Erde während seines Vorüberganges vor der Sonne abschirmt. Bei der Finsternis gegen Ende des Mai 1919 berührt der Kernschatten des Mondes die äquatorialen Teile Südamerikas, des Atlantischen Ozeans und Afrikas. Der Atlantische Ozean kommt für Expeditionen, die festen Boden brauchen, nicht in Betracht. Auch Afrika dürfte für die Beobachtungen nicht sehr günstig sein. Die Wahrscheinlichkeit dort auf klaren Tageshimmel rechnen zu können ist nicht sehr groß und günstige Bewölkungsverhältnisse sind eine Vorbedingung für den Erfolg. Dazu kommt, daß die verfinsterte Zone in Afrika nach den Angaben des Londoner internationalen Schlaf- krankheitsbureaus vier größere Seuchenherde durch- setzt, wo die Tsetsefliege Glossina palpalis vor- kommt, durch deren Stich der Erreger der Schlaf- krankheit, das Trypanosoma gambiense, über- tragen wird. Günstiger liegen die Verhältnisse in dem ge- sunden Hr>chland des brasilianischen Küstenstaates Cearä und die englischen Expeditionen haben besonders die Stadt Sobral im Auge, da sie durch die Bahn mit dem Hafen von Camocin verbunden ist. Shackleton stellt Auskünfte über die meteo- rologischen Verhältnisse der brasilianischen Küsten- stadt Fortaleza (Cearä) in Aussicht. Die Dauer der vollständigen Sonnenverfinsterung, während welcher der Fixsternhimmel sichtbar wird, beträgt für die einzelnen Beobachtungsorte 5 — 6 Minuten. In der Nähe der verfinsterten Sonne sind nach Dyson 5 Sterne von der ersten bis siebenten (Tröße vorhanden, welche eine Ei n st ein' sehe Verschiebung von 0,5 — 1,2 Bogensekunden zeigen müßten. Schwächere Sterne wie die der siebenten Größe werden kaum beobachtbar sein. Eine Störungsquelle macht sich vielleicht bei allen tropischen Landstationen sehr unangenehm bemerkbar, nämlich die Luftunruhe. Durch sie kann tagsüber möglicherweise ein so starkes Zittern der Sterne im Fernrohr auftreten, daß auf der photographischen Platte nur verwaschene Bilder entstehen. Erfahrungen aus den Tropen sind darüber kaum vorhanden und für die Expeditionen sind Seestationen auf Inseln jedenfalls Landstationen vorzuziehen. I. Evershed macht auch den Vor- schlag auf einer der Inseln im Golf von Guinea Witterung und Luftunruhe im Mai 1918 zur Vor- bereitung für die Expedition 1919 zu beobachten. Sollte es im Jahre T919 den Astronomen ge- lingen, die Ablenkung der Lichtstrahlen im Schwer- kraftfeld der Sonne zu beobachten, so wäre damit für die scharf-iinnige Gravitationstheorie Einst ein 's ein überzeugender experimenteller Beweis geliefert und deshalb ist zu wünschen, daß an möglichst vielen verschiedenen Plätzen Aufnahmen vorbereitet werden, um durch einen glücklichen Zufall eine gute photographische Aufnahme auf eine Platte zu bekommen, welche uns das Rätsel der Schwer- kraft vielleicht lösen würde. i66 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 13 Einzelberichte. Geologie. Bei allen vulkanologischen Unter- suchunpfen wird man stets die Zahl, sowie die Art und Bedeutung der Vulkanausbrüche in histo- rischer Zeit zu berücksichticren haben. Ein ge- naues Verzeichnis aller bisher bekannter vulka- nischer Ereignisse, das bei der Unzuverläßlichkeit der Überlieferung und der verschiedenen Aus- deutungsmöglichkeit einzelner Quellen allerdings niemals lückenlos sein kann, gibt K. Sa p per in seinem Katalog der geschichtlichen Vulkanaus- brüche (Schriften der Wissenschaftl. Gesellschaft in Straßburg, 1917, 27. Heft). Die genaue Durcharbeitung des Stoffes hat, unter weitgehender Verwendung statistischer Zu- sammenstellungen, eine Anzahl Resultate ergeben, die zum Teil in diesem Werk mitgeteilt sind, namentlich aber in einer anderen, mit reichlichem Kartenmaterial ausgestatteten Abhandlung des- selben Verfassers niedergelegt sind, welche als Beiträge zur Geographie der tätigen Vulkane in der Zeitschrift für Vulkanologie erschienen ist (Jahrg. IQ17, Bd. III). Bei allen diesen zahlenmäßigen Untersuchungen ist eine scharfe Definition der einzelnen Begriffe nötig. Als „Vulkan" ist mit F. v. Wolff eine eine Erdstelle zu verstehen, wo Magma und seine Produkte ausgetreten sind oder noch austreten. Als tätige Vulkane sind diejenigen Feuerberge zu bezeichnen, die „in geschichtlicher Zeit Au>.brüche gehabt haben"; zu den geschichtlichen Ausbrüchen sind auch jene zu rechnen „deren Stattfinden unter den Augen des Menschen durch archäolo- gische oder geologische Funde oder unzweifelhaft mündliche Tradition sichergestellt sind". Unter „Ausbruch" ist jede Betätigung eines Vulkans ver- standen, die magmatische Stoffe (Lava, Locker- massen, Gase) in größerer Menge während eines meist kurzen Zeitraumes an die Erdoberfläche befördert." Als Grundlage für die statistischen Berech- nungen ist die möglichst genaue Zahl der tätigen Vulkane festzustellen. Das ist nicht leicht, zumal über die Äußerungen von submarinen und sub- glazialen Vulkanen verhältnismäßig wenig An- gaben vorliegen. Auf der atlantisch -indischen Erdhälfte beträgt die Zahl der tätigen Vulkane mindestens 94, darunter 33 submarine Ausbruchs- stellen es sind das die Vulkane im Mittelmeer- gebiet, im atlantischen Ozean, auf dem afrikanischen Festland, im indischen Ozean und auf dem asia- tischen Kontinent. Auf die pazifische Erdhälfte, wo die Vulkangebiete hauptsächlich in der Um- randung des pazifischen Ozeans liegen, kommen ^,1,6, einschließlich 47 submariner Ausbruchsorfe. Die überwiegende Mehrzahl der tätigen Vulkane ent- fällt also auf die pazifische Erdhälfte, und zwar auf die pazifische Umrandung (321). Dementsprechend ist auch die Zahl der Menschenverluste infolge vulkanischer Ausbrüche auf der pazifischen Erdhälfte ganz bedeutend höher als die auf der anderen Hälfte. Dabei tritt als ver- stärkendes Moment hinzu, daß die pazifische Um- randung das Gebiet explosiver Ausbrüche ist, während im atlamisch-indischen Gebiet die effusive Tätigkeit (Lavaförderung) überwiegt. Explosive. Ausbrüche erfordern aber schon an und für sich mehr Opfer als die effusiven Aufbrüche. Die Gesamtzahl der Menschenverluste durch Vulkan- ausbrüche seit dem Jahre 1 500 n. Ch. beträgt auf der pazifischen Erdhälfie mindestens 176 000, auf der atlantisch-indischen Erdhälfie hingegen im Minimum nur 13 600 Opfer. Besonderes Interesse beansprucht die Frage der Verbreitung der Vulkane nach Breitenzonen. Hier zeigt das Zahlenmaterial die Richtigkeit der Schneider'schen Behauptung, daß nämlich die Vulkane sich auf die niedrigen Breiten zusammen- drängen; zwischen 20" nördlicher und südlicher Breite kommen allein 202 tätige Vulkane. Immer- hin ist die Abnahme der Vulkanzahl nach den Polen hin keineswegs regelmäßig, es prägt sich vielmehr ein Wechsel vulkanarmer und vulkan- reicher Breitenzonen heraus, nicht nur auf der nördlichen Halbkugel, sondern auch auf der Süd- hemisphäre. Die Asymmetrie zwischen nördlicher und südlicher Halbkugel kommt auch in der un- gleichen Zahl der tätigen Vulkane zum Ausdruck. Die nördliche Halbkugel mit ihrem komplizierten geologischen Bau besitzt zwei Drittel der Gesamt- zahl, die tektonisch viel einfacher gebaute süd- liche Halbkugel nur ein Drittel davon. Die Zahl dertätigen Vulkane ist in den einzelnen Vulkangebieten sehr verschieden; um für zahlen- mäßige Vergleiche brauchbare Werte zu finden, die auch die Unterschiede in der Größe der Vulkangebiete berücksichtieen, wird der Begriff derVulkananordnungs oderReihendichte eingeführt, indem man von der Tatsache ausgeht, daß die Vulkane meist in relativ schmalen Zonen ent- wickelt sind. Die Längsersi reckung des Vulkan- gebietes in Kilometern in Verhältnis gesetzt zu der Zahl der tätigen Vulkane des gleichen Gebietes bezeichnet die Anordnungsdich'e. Die mittlere Annrdnungsdichte sämtlicher Vulkan- gebiete und Zonen beträgt dann 1:135. Vulkan- gebiete mit hoher Anordnungsdichte sind nur wenig vorhanden; es sind namentlich die beiden islän- dischen Zonen (1:25), die Molukkenzone (1:50), Gazellen - Halbinsel (1:25), Mittelamerika (1:50) usw. zu nennen. Viel häufiger sind die Vulkan- gebiete mit mittlererundgeringerAnordnungsdichte. Gehen wir von der Zahl und Anordnung der Vulkane zu ihrer Tätigkeit über, so ist zunächst die Individualität der einzelnen Vulkangebiete hin- sichtlich ihres Tätigkeitsverhaltens zu erwähnen. Diese äußert sich einerseits in dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Ausbrüche innerhalb einer Vulkanzone, wie z. B. im javanischem Gebiet die Ausbrüche vom August 1772 an drei selbständigen Ausbruchsstellen, und im Sangigebiet am 7. Juni N. F. XVn. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. t67 1892 beim Awoe und Siauw gleichzeitig erfolgten. Andererseits macht sich diese Einheitlichkeit ge- wisser Vulkanzonen durch die abwechselnde Aus- bruchsiätigkeit in den verschiedenen Teilen bemerk- bar, so vor allem bei den Canarischen Inseln zwischen Tenerife und Palma bzw. Lanzarote. Die Häufigkeit der Vulkanausbrüche in den einzelnen Gebieten ist sehr verschieden. Ein jeder Vulkan zeigt intermittierende Tätigkeit; bei manchen dauern die Ruhepausen Jahrhunderte, bei anderen nur Jahrzehnte, oder gar Monate, Stunden und Minuten. Erwacht ein Vulkan nach längerer Ruhepause zu erneuter Tätigkeit, so kann die neue „Tätigkeitsperiode" Wochen oder Monate (Kraka- tao 188^), sogar Jahrhunderte dauern, wie beim Stromboli. Bei länger anhaltender Tätigkeit machen sich Schwankungen in der Stärke bemerk- bar, die jedoch einen Höhepunkt erkennen lassen. Recht gleichmäßig ist die Tätigkeit bei den ständig tätigen Vulkanen, wobei hauptsächlich an die Explosivvulkane zu denken ist, da ständig tätige Lavavulkane sehr selten sind. Wir unterscheiden dabei, je nachdem die Zwischenräume zwischen den einzelnen Explosionen sehr kurz sind oder Stunden und Tage betragen, zwischen kurzrhyth- mischer Tätigkeit, wie beim Izalco, und lang- rhythmischer Tätigkeit. Bei zahlenmäßieen Unter- suchungen und Vergleichen über die Tätigkeits- frequenz der Vulkane in den verschiedenen Ge- bieten erscheint es am zweckmäßigsten als „Einheit jeweils die Kalenderjahre zu nehmen, in denen Tätigkeit festgestellt wurde". Die ständig tätigen Vulkane werden also die höchste Zahl der Tätig- keitseinheiten, nämlich lOO in einem Jahrhundert aufweisen. Recht hoch ist die Zahl bei Vulkanen mit häufigen und langen Tätigkeitsperioden; so sind auf den Vesuv für das ig. Jahrhundert 88 Einheiten anzurechnen. Sie bedingen in erster Linie die Höhe der Frequenz in den einzelnen Vulkangebieten, denn die meisten Vulkane haben in geschichtlicher Zeit nur i oder 2 Ausbrüche zu verzeichnen. Dementsprechend zeigt die Tätig- keitsfrequenz in den einzelnen Gebieten ganz außerordentlich große Unterschiede. Durch hohe Frequenz fällt das mittelmeerische, indonesische und malaisrhe Vulkangebiet auf, geringe Frequenz zeigen die Vulkangebiete des atlantischen Ozeans, des asiatischen Festlands, sowie der östlichen und nordwestlichen Umrandung des Stillen Ozeans. So beträgt die Frequenz der Neuhebriden Zone mit den wenigen tätigen Vulkanen allein 12 ^j^, der Ge=amtfrequenz der Erde. Stellt man die Häufigkeitszahlen für die einzelnen 10 Grad Breiten- gürtel zusammen, so kommt in dieser Statistik die Richtigkeit des Schneid er 'sehen Satzes von der Konzentration des Vulkanismus um den Äquator klar zum Aufdruck. Über die Förderungsleistung der Vulkane hat der Verf. für die letzten Jahrzehnte bereits früher nähere Untersuchungen angestellt, deren Resultate auch in der Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 1 5 S. 7 1 7 referiert sind. Die Ausdehnung des Stoffes auf die gesamten tätigen Vulkane zeigt, keine wesent- lichen Abweichungen der damaligen Ergebnisse, so daß auf dieses Referat verwiesen werden kann. Es mögen nur einige Angaben aligemeineren Inhaltes besonders hervorgehoben sein. Für die ganze Erde wird vom Jahr 15CO n. Chr. an eine Gesamtförderung an Lava von 50 cbkm, an Lockermassen von gegen 300 cbkm berechnet. Für die Höhe der Förderleistung sind in erster Linie die Riesenansbrüche maßgebend, dann erst die Eruptionen der häufig oder ständig tätigen Vulkane. Der Höhepunkt vulkanischer Förderung ist der Lockerausbruch des Tambora im Jahre 18 15, dessen Förderung auf 150 cbkm angegeben wird und demnach die Summe aller übrigen Riesen- ausbrüche noch übertrifft. Untersucht man, wie sirh die geförderten Lavamassen auf die einzelnen 10" Breitenzonen verteilen, so ergibt sich auch hinsichtlich dieses Putiktes für die Lockerförderung eine Abnahme vom Äquator nach den Polen hin. Überhaupt ist es das wichtigste Resultat der referierten Abhandlungen, die Richtigkeit des Schneider' sehen Satzes zahlenmäßig belegt und sichergestellt zu haben. Es ist nun verschiedentlich ein Zusammenhang der Vulkanausbrüche mit den Maxima und Minima der Sonnenfleckenbedeckung angenommen worden. Um diese Frage klarzustellen hat der Verf. eine Ausbruchsfrequenzkurve gezeichnet und diese unter die Sonnenfleckenbedeckungskurve gesetzt. Ihre Betrachtung ergibt, daß ein kausaler Zusammen- hang zwischen beiden nicht festgestellt werden kann. Für die Vulkane lassen sich vom Jahr 1749 bis 1914 siebzehn verschiedene Häufigkeitsperioden von wechselnder i^änge erkennen, denen nur 15 Sonnenfleckenperioden gegenüberstehen von durch- schnittlich II jähriger Dauer. Kurz zu streifen ist schließlich noch die Frage, inwieweit die vulkanische Tätigkeit das Klima beeinflussen kann. Es ist erklärlich, daß durch starke Lockerausbrüche eine mechanische Trübung der Atmosphäre eintritt, die die Sonnenstrahlen- wirkung beeinträchtigen kann. Hierfür können aber nur die großen Lockerausbrüche in Betracht kommen, und auch nur dann, wenn sie leicht schwebende und verfrachtbare Feinstaubmassen fördern. Solche Ausbrüche können gelegentlich leichte Abkühlungen hervorrufen, die sich über einzelne Zonen oder auch die ganze Erde erstrecken. Unsere heutige Kenntnis von den Klimawirkungen der modernen Lockerausbrüche genügt aber noch nicht, um zu entscheiden, ob die starke Vulkan- tätigkeit im Tertiär und Diluvium die Ursache der diluvialen Eiszeit gewesen ist. Leidhold. Die großen Dünengebiete Norddeutschlands behandelt K. Keil hack in einer überaus inter- essanten Abhandlung, welche mit einer Übersichts- karte im Maßstab i : 4000000 in der Zeitschrift der deutschen Geologischen Gesellschaft 69. Band, Monatsber. Nr. 1—4, 191 7 erschienen ist. Aus- schließlich mit den Dünen ,beschäftigen sich in i68 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 12 der Deutschen Literatur 3 Werke (Sokolow (1884), deutsch von Arzruni (1891), Gerhardt-Jensch 1900 und Solger u. a. 1910), deren überwiegender Teil den Küstendünen gewidmet ist, während die kontinen- talen Dünen kürzer besprochen werden. Dies ent- spricht durchaus nicht ihrer jeweiligen Bedeutung, da beispielsweise mit den Sandmassen des größten unserer deutschen Binnendünengebiete die Küsten- dünen der Nordsee von Flandern bis Jütland und mit denen des zweiterößten unserer Binnendünenge- biete sämtliche Dünen der Ostseeküste sich auf- schütten lassen. Die Dünen zerfallen in 2 Gruppen : 1. die Küstendünen, 2. die kontinentalen oder Binnenlandsdünen. Die Küstendünen der Nordsee verlaufen der Küste entlang von Calais bis Jütland. Der ge- waltige Dünengürtel verläßt an der Nordspitze von Nordholland das Festland, folgt den ost- friesischen Inseln bis Wangeroog, wendet sich dann nach N gegen die nordfriesischen Inseln bis Fanö und geht Esbjerg gegenüber bei Stelling auf das Festland, daß er bis Skagen innehält. Die Ostseeküste zeigt an der westlichen Föhrdenküste keine Dünen. Diese beginnen erst am Darß, verlaufen dann der Küste entlang — durch zahlreiche diluviale Kliffküsten unterbrochen — über Hiddensoe, Rügen, Usedom und Wollin, gehen von der Dievenow-Mündung an auf das pommerisch-westpreußische Festland über, bilden den Haken von Heia, die Kurische und Frische Nehrung, treten dann wieder auf das Festland über und folgen schließlich der Küste Kurlands bis zum Beginne des Rigaischen Meerbusens. Die Länge des Dünenzuges an der Nord- und Ostküste beträgt je 1000 km. Bei Betrachtung der Verbreitungskarte der Dünen fällt sofort dasgewaltigeÜberwiegen der Festlandsdünen über die Küsten- dünen auf. Ihre Verbreitung ist indessen sehr ungleichmäßig. Die großen Binnendünengebiete Norddeutschlands sind an flie breiten diluvialen Urstromtäler geknüpft, mit denen Staubecken und ausgedehnte Sanderflächen eng zusammenhängen. Wo Dünen auf den Hochflächen vorkommen, wie z. B. in der Umgebung von Berlin, sind sie nicht weit von solchen dünenreichen Tälern, Staubecken oder Sanderflächen entfernt. Frei von großen Dünengebieten sind alle großen Hochflächen nörd- lich und südlich des Netzes unserer Urstromtäler, sowie die großen Hochflächen innerhalb dieses Netzes. Die westlichsten großen Dünengebiete Deutsch- lands befinden sich am Niederrh ein, nordwest- lich und östlich von We«el, zusammen 30 — 40 km lang. Sonst fehlen größere Dünengebiete in der Gegend_des Unterrheins, dagegen ist am IVIittel- rhein zwischen Frankfurt-Darmstadt-Speyer- Schwetzingen ein gewaltiges Binnendünengebiet entwickelt, dessen Dünen den Terrassen, vornehm- lich der jüngsten von Rhein und Main aufgesetzt sind. Ein weiteres süddeutsches Binnendünen- gebiet ist dasjenige der Gegend von Nürnberg, das seinen Ursprung zerfallenem Keupersand: stein verdankt. Im Gebiete der Ems, deren breites Tal am Teutoburger Wald in der bis 300 m hohen Sand- fläche der Senne beginnt, sind den Sandern wie den Terrassenflächen eines Stausees Dünen auf- gesetzt, die in ost-westlichen Zügen angeordnet sind. Das Material dieser Dünen entstammt dem neokomen Teutoburger Wald-Sandstein. Wo die Ems in das ostlriesische Marschland eintritt, sind bis 30 km lange Dünenzüge den gewaltigen Tal- sandflächen der unteren Ems aufgesetzt. Zwischen unterer Ems und unterer Weser liegt ein ausgedehntes Dünengebiet, dessen Dünen auf Talsandflächen liegen oder aus Mooren hervor- ragen oder weite Hochflächen bedecken. Nach Norden wird die Dünenlandschaft flacher und taucht dann unter die weiten Marschengebiete zwischen Dollart und Jade unter. Im Flußgebiet der Weser kommen Dünen- gebiete oberhalb der Allermündung, sowie lang- gestreckte schmale Dünenzüge an der unteren Weser von Bremen an 50 km aufwärts vor. Zwischen unterer Weser und unterer Elbe be- findet sich in der sonst von großen Dünengebieten freien Lüneburger Heide ein größeres schmales Flugsandgebiet im Kr. Bremervörde. Das untere Elbetal ist bis Lauenburg frei von größeren Dünengebieten, dann aber beginnt eine bis in die Gegend der Havelmündung reichende Anhäufung gewaltiger Flugsandmassen, die ein Gebiet von 1800 qkm einnehmen. In der Gegend von Wittenberge drängen sich die 3 großen Urstromtäler des mittleren und öst- lichen Norddeutschlands zusammen und gleich- zeitig nehmen die großen Dünengebiete an Zahl und an Umfang zu. Beim Verfolgen dieser Ur- stromtäler ist beim südlichsten derselben ein größeres Dünengebiet gegenüber von Magdeburg am Westrand des Fläming zu erwähnen. Große Dünengebiete liegen von Wittenberg an auf der linken und von Torgau ab auf der rechten Eib- seite. In der Lausitz befindet sich eines der größten geschlossenen Dünengebiete Norddeutsch- lands mit prächtigen Bogendünen und einge- schalteten Hochmooren zwischen Neisse und Spree im Gebiete der Städte Spremberg, Weißwasser und Rothenburg. Weiterhin zu erwähnen sind die Dünengebiete im Flußgebiet des Bober und Queiß. Auf eine große, zwischen Breslau, Brieg und Oppeln liegende Lücke folgt im Gebiet der von der Malapane durchflossenen Ebene ein an Bogendünen reiches Einzeldünengebiet von 100 km Länge und 30 km Breite. Östlich der Oder liegen 4, westlich davon ein größeres Dünengebiet. Im Eibtal erstreckt sich bei Dresden im Gebiete der Dresdener Heide ein großes Dünengebiet. Im nächstfolgenden Glogau-Baruther Ur- stromtal befinden sich die ersten großen Dünen- gebiete zwischen Burg und Rathenow. In der Gegend N. F. XVn. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i69 südlich von Berlin lieeen zwischen Luckenwalde und Baruth mächtige Dünen. Der Nnrdrand des Fläming sowie die nördliche Hochfläche des Ur- stromtales sind von Dünen bedeckt. Im Tale ziehen sich meilenlange ost-westlich verlaufende Strichdünen und prachtvolle nach W greöffnete Bogendünen bis 7um Spreewald hin. Ostlich des- selben befindet sich ein großes Dünengebiet auf dem Talsand bei Kottbus, sowie große Strirhdünen zwischen Kristianstadt und Neusalz a. d. Oder. Zwischen dem Glogfau-Baruther und dem nörd- lich davon gelegenen Warschau-Berliner Urstrom- tal liegen mehrere größere Dünengebiete und zwar eines im Eibtal zwischen Havel und F.lbe, ein anderes nordöstlich von Rathenow, im War- schau-Berliner Urstromtal die zahlreichen Dünen der Umgebung von Berlin, deren größte das das Warschau-Berliner mit dem Thorn-Kberswalder verbindende Nord-Südtal Spandau-Oranienburg bildet. Westlich von ihm sind die gewaltigen Flugsandmassen des Landes BHlin südlich von Kremmen, östlich davon die Dünengebiete von Erkner, Fürstenwalde, Storkow und Müllrose, so- wie im südlichen Obra-Tal gelegen. Auch im Gebiete des nördlichsten der 4 Ur- stromtäler tritt uns ausgedehnte Dünenbildung entgegen. Ganz besonderer Erwähnung bedarf das große Dünengebiet imWarthetal, daß sich 1 50 km weit nach Osten verfolgen läßt und im Zwischenstromgebiet zwischen Warthe und Netze seine gewaltigste Entfaltung erlangt. Weiter nach Osten zieht sich vom Netze tal bei Nackel über das Weichseltal bei Thorn bis zur russischen Grenze das nordöstliche große Binnendünengebiet Norddeutschlands mit 80 km Länge und 1 5 km Breite. Alle diese Dünen sind zum überwiegenden Teile der höheren, zum verschwindenden Teile der niederen Stufe des Taldiluviums aufgelagert. Westlich von Thorn liegen auf einer tieferen Terrasse gewaltige Dünen von 30 km Länge und nur I — 2 km Breite. Arm an Dünen ist das pommersche Urstromtal. Westlich wie östlich der Oder kommen in .den Wäldern des Haff- stauseegebiets umfangreiche Dünen vor. Dünen frei sind im Ostseegebiet der west- liche Teil mit seiner reich gegliederten Föhrden- küste, weiterhin die baltische Seenplatte mit ihren weit ausgedehnten tonigen Geschiebemergelflächen, nahezu dünenfrei die Lüneburger Heide, der Fläming und der Lausitzer Grenzwall. Die Gesamtflächeder norddeutschen Binnen- dünengebiete schätzt Keil hack zu 12000— 1 5 000 qkm, was etwa 3 — 4 "/„ des gesamten nord- deutschen Bodens entspricht. Berücksichtigt man auch noch die zahlreichen kleineren Dünengebiete, so ergeben sich vermutlich 4 — 5 "|^^, vielleicht sogar ö"/,, Anteil an Dünen. Die Dünen kommen sowohl auf Ablagerungen der 2. Eiszeit wie auch solchen der letzten Ei'^zeit vor. Der Flugsand tritt sowohl auf der Hoch- fläche wie in den Tälern, auf den Sanderflächen wie auf den Ebenen der großen Stauseen auf. Die Dünensande sind überwiegend aus den Sanden des glazialen Diluviums hervor- gegangen. Ganz untergeordnet hat der Kreide- sandstein im Teutoburger Wald und der Keuper- sandsfein Frankens das Material zu den Dünen geliefert. Alle Beobachtungen sprechen für die Ent- stehung durch westliche Winde, allen voran die nach W geöffneten Bogendünen sowie die Lage vieler Dünengebiete zu den Flächen, die das Sandmaterial geliefert haben. Viele Dünen- gebiete sind auf ihrer Ostseite von Geschiebe- mergel begrenzt, der unmöglich das Ausgangs- material zu Dünenbildung geliefert haben kann. Alle großen kontinentalen Dünen sind nach Keilhack fossile Bildungen. Neue Dünen entstehen nur an unseren Küsten und da wo durch menschliche Eingriffe kahle Sandflächen geschaffen werden (Truppenübungsplätze). Voraussetzung für die Entstehung ist der Mangel an Vegetation sowie ein trockenes Klima, was am Ende der Eiszeit der Fall war. Der größte Teil der Binnen- dünengebiete dürfte in den älteren Abschnitt der Postglazialzeit zu verlegen sein, als noch keine geschlossene Walddecke Norddeutsch- land überkleidete und ein trockenes steppenartiges Klima herrschte. Die Ancylus- und Litoriazeit dürften die Hanptperioden der Dünenbildung ge- wesen sein. Für das hohe Alter der Dünen sprechen die tiefgreifende Verwitterung, das Auf- treten von Dünen innerhalb der Moorgebiete und anthropologische Funde. Umlagerungen und Neubildungen von Dünen können natürlich auch bis auf den heutigen Tag erfolgen. Hohenstein, Halle. Über Jüngeren und Älteren Löß im Fluß- gebiet der Weser berichtet O. Grupe im eben erschienenen Jahrbuch der Kgl. preuß. geolog. Landesanstalt für IQ16, Bd. XXXVII, Teil i, H. I. Der Jüngere Löß ist normal im un verwitterten Zustand ein hellgelber kalkhaltiger feiner Quarz- sand mit geringem Tongehalt. Vielfach ist er von dünnen bisweilen mit Kalk ausgekleideten Röhrchen in senkrechter Richtung durchzogen. Wipderholt sind ihm Lagen von feinen Sanden oder Schottern oder Gesteinsbröckchen einge- schaltet und zwar sowohl in den Tälern wie in höheren Lagen an den Hängen der Täler oder selbst im Bereiche weitausgedehnter ebener Flächen. Der Löß ist also durchaus kein homogenes Ge- stein, vielmehr kann er nicht selten zu einem Sandlöß oder Schotterlöß werden. Nach Ansicht von Grupe kann es sich nicht allgemein um nachträgliche Umlagerungen des Lößes handeln, wenngleich umgelagerter Löß wie in allen Löß- gebieten vorkommt. Durch die ungleichförmige Zusammensetzung und die gröberen Einschaltungen verliert der Löß eine seiner charakteristischen Eigenschaften, die Schichtungslosigkeit. 'Die Sand- und feinen Schotterlagen verleihen ihm [ein „geschichtetem" I70 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVIT. Nr. 12 Aussehen. Besonders deutlich erkennbar ist diese Erscheinung in der 2 — 5 m mächtigen Verwitte- runpfszone, in welcher sich infolge der Oxydation die Verunreinigungen schärfer markieren. Der Löß kann bis zu 20 m mächtig werden. Fossilien führt er selten. In der Gegend von Höxter findet man in ihm die charakteristischen Lößschnecken Helix hi«pida, Pupa muscorum, Succinea oblonga. An Wirbehierre^ten fand man bei Selxen südwestlich Hameln Cervus elaphus, bei Grifte südlich Cassel Equus caballus, westlich Einheck Rangifer taranHus. Was das Alter des Jüngeren Lößes anbelangt, so ist für diese Frage seine Beziehung zu den 3 Weserterrassen wichtig. O. Grupe hat in einer früheren Abhandlime die 3 Weserterra'^sen den Ablagerungen der 3 Eiszeiten zeitlich erleichgestellt. Löß in typischer Ausbildung bedeckt die Obere und Mitt'ere Terasse, fehlt aber der Unteren Terasse, die mit unreinen sandieen oder tonigen Flußlehmen bedeckt ist. Die Mittlere Terrasse wird nicht immer in ihrer ursprünglichen Form mit Löß bedeckt, vielmehr ist dieser häufig dis- kordant über die Glieder der ziemlich erodierten Mittleren Terrasse abgelagert, wobei er deren morpholng-ische Gestalt wieder herstellt. N^ch einer früheren Auffa'ssung von Grupe würde zwischen die Ablae^rung der Mittleren Terrasse und diejenjcre des Lößes eine bedeutende Erosion, nämlich diejenigre der letzten Interglazialzeit fallen und dam't auf Grund dieser Annahme sich als Alter des Lößes das Ende der letzten Inferelazial- zeit ereeben. Diese Auffassung würde mit den Verhältni«;«en im Rheintal übpreinstimmen, wo auch die Niederterrasse keinen Löß führt, dagegen mit der Auffassung eines iuneglazialen Alters des Lößes in d^n östlichen Gebieten in Widerspruch stehen. Diese verschiedenartigen Ansichten hin- sichtlich der Alter-sfragre des Lößes lassen sich nach Grupe in F.inklane miteinander bringen. Die unreinen sandie^n Fhißlehme der Unteren Terrasse und der Löß der Mittleren Terra'sse können gleichaltrig sein, wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß der im Rereiche der Unteren Terrasse unter Wasserbedeckung abgesetzte Löß ein anderes Aussehen erhielt als der an den Hängen äolisch entstandene Löß. Letzterer blieb rein, während der ins Wasser gefallene Lößstaub sich mit den Sauden und Tonen mengte, stärker ausgelaugt und verunreiniget wurde. Wo die Weser stärkere Strömunsf besaß, wurde er fortgeschwemmt, da- durch würde sich auch das Fehlen auf den Schotter- ablagerungen der unteren Terrasse erklären. Die Entstehung des Jüngeren Lößes fiele danach in die Periode der Unteren Terrasse und damit auch in die Periode d^r letzten Vere'sung. Der Weserlöß ist durch subaerisch wirkende Kräfte, vor allem durch den Wind, sodann durch Regengüsse und periodische Wasserfluten entstanden zu denken. Älterer Löß ist im Gegensatz zum Jüngeren Löß nicht so häufig. Im Flußgebiet der Weser ist er an einigen wenigen weit voneinander ent- fernt gelegenen Punkten unter Jüngerem Löß auf- geschlossen. Der Ältere Löß ist stets kalkfrei. Der Schnitt zwischen kalkha'tigem Jüngeren Löß und kalkfreiem Älteren Löß ist sehr scharf. Zwischen beiden Rildungszeiten müssen längere Zwischenäume liegen, in welchen die Verwitterung des Älteren Lößes erfolgte. Die starke Verun- reinigung und Verzahnung mit Schotter- und Ge- steinsschuttmassen, die oft den Löß überwiegen, sprechen mit großer Wahrsrheinlichkeit für die Annahme, daß der Ältere Löß mitsamt den ihn begleitenden Detritusmassen umgelagert ist und sich nicht mehr auf ursprünglicher Lagerstätte befindet. Dies ändert nichts an der Tatsache des einstigen Vorhandense ns von Älterem Löß. Ober- flächlich sind beide Bildungen infolge ihrer gleich- förmigen Beschaffenheit nicht zu unterscheiden. Hohenstein, Halle. Der Einfluß des Windes auf die Verteilung der Gletscher wurde von Fredrik Enquist in einer beachtenswerten Abhandlung im Bulletin of the Geological Institution of the University of Upsala XIV Bd., 191 7, S. i — 108 untersucht. Als Zusammenfassung seines allgemeinen Teiles stellt der Verfasser folgenden Satz auf: „Gletscher und perennierende Schneefelder sind hauptsächlich auf der Seite eines Berges ausge- bildet, die im Lee der vorherrschenden schnee- führenden Winde liegt." Im Hochgebirgsorebiet des nördlichen Skandi- navien liegen die Gletscher wie die perennierenden Schneefelder überwiegend auf der O-itseite der Berge. Die Verteilung des fallenden und in ge- wissen Fällen des schon gefallenen Schnees wird ganz besonders durch die herrschenden Winter- winde bestimmt, welche den Schnee von den windumwehten Teilen der Berge auf die Leeseite derselben treiben, wo er sich in geschützten Ge- bieten anhäuft. Hier bleiben während des Sommers Schneefelder oder es bilden sich unter gewissen Voraussetzungen Gletscher aus. Die Orientierung letzterer wird ausschließlich von der Richtung der vorherrschenden niederschlagführenden Winter- winde bedingt. Im Gegensatz dazu steht die Verteilung der Niederschläge — sowohl Regen wie Schnee — , die überwiegend auf der Luvseite der Berge fallen, weil die feuchtigkeittragenden horizontal gehenden Winde gezwungen sind, auf dieser Seite der Berge aufzusteigen und dabei infolge Abkühlung ihre Feuchtigkeit abzugeben. Die Ungleichheit in der geographischen Ver- teilung des Schnees bedingt der Wind, welcher den auf der Erde liegenden Schnee fortwährend treibt und umlagert, bis die Leeseite erreicht ist. Niederschlagsreichere Gebirge werden größere Gletscher und ausgebreitetere Schneebederkung tragen als solche von gleicher Höhe, über denen weniger Schnee niederlallt. Dadurch wird die gesetzmäßige Verteilung des Schnees nicht ver- N. F. XVn. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 171 ändert, dagegen die absolute Größe der Ver- gletscherung. Mit zunehmender Höhe wird die Beständigkeit der vorherrschenden Windrichtung noch verstärkt, wofür nach Hann das Westwind- gebiet der nördlichen Halbkugel ein gutes Beispiel ist. Windschnelligkeit und Wind-Stärke nehmen mit großer Höhe zu, so daß der Wind hier noch mehr zu treiben und umzulagern vermag, zumal die Vegetation hier keinen Schutz mehr gewährt wie im Tiefland. Gletscher und Schneefelder kommen — wenn auch in bedeutend geringerer Ausdehnung — auf der Luvseite der Berge vor, da Schneefälle bei anderer Windrichtung oder Windstille eintreten können oder durch Auftauen und Wiederzuge- frieren, durch die Sublimationskruste, Zusammen- kristallisation usw. der Schnee so fest werden kann, daß er nicht mehr bewegt werden kann. Zur Ausbildung eines Gletschers ist erforderlich daß mehr Schnee niederfällt als schmilzt. Der ständige Schneeüberschuß bildet das sonst unbe- wegliche Schneefeld zu einem Gletscher um. Die absolute Höhe, wo dieses eintritt, ist in den ein- zelnen Teilen der Erde verschieden. Die untere Grenze für die Ausbildungsmöglichkeit der Gletscher — die „Vergletscherungsgrenze" — liegt im allge- meinen einige Hundert Meter höher als die klima- tische Schneegrenze und ist in den Polargebieten niedriger, in den Äquatorgebieten höher. Die Höhenlage der Vergletscherungsgrenze wird durch Niederschlag und Temperatur bestimmt und läßt sich aus der Kenntnis von Höhe und Lage der gletschertragenden und nichtgletschertragenden Gebiete kartographisch mit großer Genauigkeit konstruieren. Sie liegt tief, wenn die Niederschlags- menge groß und die Temperatur hinreichend tief ist. Die Gletscher liegen im allgemeinen größten- teils unter der Vergletscherungsgrenze. Die Größe der Vergletscherung ist von der Höhe und Ausdehnung eines Berges über der Vergletscherungsgrenze abhängig. Sie ist groß, wenn der Berg weit über die Vergletscherungs- grenze reicht (mehrere große Gletscher), dagegen klein, wenn der Berg nur unbedeutend über ihr liegt (einzelner kleiner Gletscher). Aus der verschiedenen Verteilung der Glet- scher läßt sich die Richtung der vorherrschenden Winterwinde in gletschertragenden Gebieten heraus- finden. Das Studium der Spuren der eiszeitlichen Gletscher, vor allem die Orientierung der Moränen und Gletschernischen ermöglicht das direkte Ab- lesen der damals vorherrschenden Winde. Durch Vergleich mit den jetzigen Verhältnissen besitzen wir ein ausgezeichnetes Hilsmittel , um sichere Schlußfolgerungen hinsichtlich des Klimas der Eiszeit ziehen zu können. Während der Eiszeit lagen die Gletscher weit unter der jetzigen Ver- gletscherungsgrenze. Ein großer Teil von Europa hat durchschnitt- lich westliche Winde, die eine Neigung nach Nordosten haben. Deswegen sind die Gletscher 'und Schneefelder größtenteils nach Nordosten exponiert, wie z. B. beim südlichsten Gletscher Europas auf der Sierra Nevada, in den Pyrenäen, den Alpen. Der außerordentlich enge Zusammen- hang zwischen der vorherrschenden Windrichtung und der Lage der Schneeflecken, die nach dem Winter liegen bleiben, istim Schwarzwald recht deutlich. Die Winde überwiegen ans dem west- lichen Quadranten, die Schneefelder besitzen g-anz überwiegend nordöstliche Exposition. Auf Hoch- flächen und Kämmen wird der Schnee ühergeweht und bildet auf der Nordostseite typische „Wächten". Zur Eiszeit lagen die Verhältnisse ähnlich. Auf den von der württembergischen geologischen LandesJiufnahme herausgegebenen geologischen Kartenbltättern (1:25000) sind die glacialen Bildungen mit großer Genauigkeit eingetragen und dabei die ganz sicheren und die mutmaß- lichen verschieden bezeichnet. Die als sicher wie auch die als mutmaßlich bezeichneten Gletscher sind durchgehend von Winden orient'crt. die von Südwesten kamen. Ein Kärtchen mit Gletscher- nischen im Forbachtal südwestlich von Freuden- stadt illustriert dies schön. Die Gletscher waren sehr zahlreich, aber nur ganz klein und lagen in der Regel auf der Leeseite der Berge. Offen- sichtlich ist hier die Gleichheit der Orientierung der Eiszehgletscher mit den Schneeresten der Gegenwart während des Hochsommers. Daraus kann der Schluß gezogen werden, daß Winde aus Südwest sowohl zur Ei.szeit wie heute diese Orien- tierung verursacht haben. Dasselbe lassen auch vergletscherte Gebiete anderer Teile von Mittel- europa erkennen. In den Vogrsen sind zahlreiche Kare- und Zirkustäler am östl Steilabhang, während die Abdachung nach Westen sanft ist. Der ein- zige Gletscher des Thüringer Waldes lag im Schneetiegel am Nordostabhang des Schneekopfes, wo sich auch gegenwärtig noch der winterliche Schnee am längsten hält. Südwestliche Winde orientierten weiterhin die Eiszeitgletscher des Riesengebirges, der Tatra, der Alpen, der Ost- karpathen. der Balkanhalbinsel und ganz besonders des skandinavischen Hochgebirges. Die meteorologischen Verhältnisse während der Eiszeit waren andere als heute. Ausgeprägt hoher T,uftdruck lag über den großen Inlandeisen der nördl. H-ilbkugel infolge der Abkühlung der darüber liegenden Luftschicht. Das Islandmini- mum, welches heute über dem nördlichen At- lantischen Ozean ein niederes Luftdruckgebiet bildet, existierte damals nicht, dagegen war ein aus- geprägt niederes Luftdruckgebiet im Gebietedesheu- tigen Azorenmaximums vorhanden. Seine Nord- grenze lag an der Südgrenze des jetzigen Island- minimums, seine westliche Ausdehnung mag sich noch über Teile von Nordamerika erstreckt haben. Das jetzige Azorenmaximum war nach Süden über den Wendekreis hin gedrängt. Bedeutend kräftiger war das heute über dem nördlichsten Teile des Stillen Ozeans lagernde Minimum. Während des ganzen Jahres lag ausgeprägt hoher Luftdruck über den Inlandeisen, ebendeshalb müssen auch die 172 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. N. F. XVII. Nr. 12 beiden Minima das ganze Jahr über gut ausge- bildet gewesen sein. Hinsichtlich der übrigen Teile der Erde liegt kein Grund zu der Annahme einer nennenswerten Veränderung der jetzigen Luftdruckverteilung vor. Die .Antipassate wehten während der Eiszeit über demselben Gebiete und in denselben Richtungen wie heute. Eine Pol- verschiebung seit der Eiszeit hat also nicht statt- gefunden. Die wertvollen Untersuchungen von F. Enquist werden in vielerlei Hinsicht befruchtend auf das Klimaproblem der Eiszeit wirken. Hohenstein. Chemie. Die Versuche zur Lösung der Stick- stoffrage im feindlichen Ausland behandelt Prof Dr. H. Großmann in Berlin in einem Aufsatz in der „Technischen Rundschau", XXIV, Nr. i, 2. Januar 1918. Es ist heute allgemein bekannt, daß es Deutschland infolge der Abschneidung von der chilenischen Salpeteterzufuhr nur durch die von vollem Erfolg gekrönten, gewaltigen An- strengungen der chemischen Industrie gelungen ist, die großen Gefahren zu überwinden, die ein Mangel an Salpetersäure für die Schlagfertigkeit eines Millionenheeres bedeutet hätte. Man ist sich heute auch im Auslande in den Fachkreisen vollkommen darüber klar geworden, was durch diese außer- ordentliche Leistung der deutschen chemischen Industrie erreicht worden ist. Erst unlängst ist im englischen Parlament von Sir. W. Pearce un- umwunden zugegeben worden , daß ohne diese Leistung der deutschen chemischen Industrie auf dem Gebiete der Stickstoffrage, der sich noch eine ganze Anzahl ebenso wichtiger Erfolge an- geschlossen haben, Deutschland schon nach ver- hältnismäßig kurzer Zeit gezwungen gewesen wäre, den Krieg aufzugeben. Auch in Frankreich hat man diese Leistung voll erkannt. Das zeigt ein Vortrag des Pariser Professors CamilleMatignon über „die Anstrengungen der Deutschen auf dem Gebiete der Stickstoffrage", den dieser Gelehrte am 19. März 1916 am Pariser Conservatoire des Arts et Metiers gehalten hat und der neuerdings auch in deutscher Sprache durch die „Dokumente zu Eng- lands Handelskrieg" der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden ist. Darin wird hingewiesen, „daß die deutsche chemische Industrie der Mittel- mächte tatsächlich vor einem Zusammenbruch ohnegleichen gerettet habe. Wäre der Krieg ein paar Jahre früher unter den gleichen Bedingungen ausgebrochen, so hätte er Deutschlands sicheren Zusammenbruch herbeigeführt, denn vor den neuen Erfindungen hätte Deutschland, wenn es von einer Blokade bedroht gewesen wäre, keineswegs eine solche von etwas längerer Dauer aushalten können." Frankreich selbst ist im Verlaufe des Krieges immer abhängiger von der ausländischen Zufuhr an Stickstoffverbindungen für Industrie und Land- wirtschaft geworden, da die eigene Produktion Synthetischerverbindungen ihres geringenUmfanges wegen keinerlei Ersatz bieten konnte. (Daraus ersieht man, von welch großer Wichtiekeit die Versenkung eines jeden Seglers mit Chilisalpeter, und wäre er noch so klein, durch unsere Unter- seeboote ist. Ref) In Frankreich wurden vor dem Kriege rund 70000 Tonnen schwefelsaures Ammoniak in den Gasanstalten und Kokereien des Nordens gewonnen, während Englands Pro- duktion im letzten Jahre vor dem Kriege 430000 Tonnen und Deutschlands Sulfatgewinnung 550000 Tonnen betraeen hatte. Die Besetzung eines großen Teils der französischen Steinkohlenbezirke durch die deutschen Truppen mußte naturgemäß auch die französische Ammoniakgewinnung wesent- lich einschränken und das Interesse auf die synthe- tische Gewinnung des Ammoniak nach verschie- denen Verfahren hinlenken. Zu diesem Zwecke stand nur die kleine französische Kalkstickstoflf- fabrik in Notre Dame de Briangon zur Verfüeung. Deren Produktion war nur verhältnismäßig gering. Die großen Hoffnungen, die man ferner an das Verfahren von Serpek geknüpft hatte, scheinen sich bisher nicht verwirklicht zu haben. Die Versuche, in St. Jean de Maurienne aus Aluminium- nitrid Ammoniak zu gewinnen, dürften bisher an den technischen und wirtschaftlichen Schwierig- keiten des Verfahrens gescheitert sein. Wenn man von den kleinen Versuchsanlagen in den französischen Alpen und Pyrenäen absieht, wo Salpetersäure aus dem Stickstoff der Luft gewonnen werden soll, so ergibt sich, daß Frankreich für militärische und landwirtschaftliche Zwecke in erster Linie auf die Beschaffung von Chilesalpeter auf dem Seewege angewiesen erscheint. Je schwieriger nun diese Beschaffung im Verlaufe des Krieges geworden ist, um so größer sind auch die Mißstände insbesondere in der Landwirtschaft geworden, wie aus den Novemberverhandlungen der französischen Kammer und den Kbgen der französischen Landwirte mit aller Deu'lichkeit her- vorgeht. Der Mangel an notwendigem Stickstoff- dünger hat sich in dem ständigen Rückgang der Ernteergebnisse deutlich offenbart. Auch in England beginnt man unter dem Zwange der Not neuerdines den synthetischen Arbeiten zur Gewinnung von Stickstoffverbindungen ein größeres Interesse entgegenzubringen. Im „Statist" vom i 5. November 191 5 wird mit Bedauern vermerkt, daß England die einzige Großmacht sei, die keine inländische Luftslickstoffindustrie auf- weise. Zurzeit plant man anch in England die Herstellung von Kalkstickstoff im großen. Eine kleine Anlage für die Herstellung von Salpeter- säure nach dem Lichtbogenverfahren ist in Man- chester im Entstehen begriffen. Ferner soll eine weitere kleine Anlage zur Herstellung von Am- moniak nach dem Verfahren von Haber und der Badischen Anilin- und Sodafabrik schon fertig sein. In der letzten Hauptversammlung der „Society of Chemical Industry" hat Maxted über diese Versuche berichtet. Dabei hat er übrigens ohne weiteres seine Abhängigkeit von deutschen N. F. XVII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. i;3 Arbeiten rückhaltslos zugegeben. Aus dem Vor- trag ist ferner noch zu entnehmen, daß man sich aucft in England schon seit längerer Zeit eifrig mit der (jtewinnung von Salpetersäure aus Am- moniak beschäftigt. Die gleichen Bestrebungen zur Gewinnung von Ammoniak und Salpetersäure auf synthetischem Wege findet man auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika am Werke. Hier hat man auf Veranlassung der Regierung ein besonderes Ko- mitee gebildet, daß die Versorgung mit Salpeter- säure und anderen Stickstoffverbindungen regeln soll. Auch in den Vereinigten Staaten will man jetzt Ammoniak nach Haber im großen herstellen. Die (jeiieral Chemical Company hat neuerdings den An.spruch erhoben, diese Synthese des Am- moniaks aus Sticksiotf und Wasserstoff unter weit eintdCheren Bedingungen durchführen zu können als die Badische Anilin- und Sodafabrik. Ob diese Angaben tatsächlich zutreffen, läßt sich zur Zeit nicht entscheiden. Jedenfalls sind die Amerikaner im Begriffe, ihre eigene Ammoniakproduktion in ganz außerordentliciicrweise zu steigern. Außer- dem haben sie im Kriege bedeutend größere Mengen Salpeter aus Chile eingelührt. Nach den otnzieilen Angaben von Charles F. Parsons vom Bureau of Mines rechnet man für das Jahr 1917 mit einer Ammoriiakgewinnung aus den Kokereien und Gasanstalten in Hohe von minde- stens 150000 Tonnen, was rund 450000 Tonnen schwefelsaurem Ammoniak entsprechen würde. Ob die großzügigen Pläne der Vereinigten Staaten aul diesem Gebiete noch im Verlaufe des Krieges in lirscheinung treten werden, steht dahin, hs wäre aber unberechtigt, diese großen Anstrengungen, die auch im Prieden ihre Be- deutung zum Teil behalten dürften, gering zu achten. Immerhin dürlte Deutschland auch auf diesem Gebiete einen technischen und wirtschaft- lichen Vorsprung besitzen, der nicht zu unter- schätzen ist und der sich auch zur P'riedenszeit als ein sehr wertvoller Aktivposten in der welt- wirschaltlichen Bilanz erweisen wird. F. H. Astronomie. Einem eigentümlichen System scheint man auf die Spur gekommen zu sein. Am 12. Okt. 1915 fand Innes bei « Centauri einen schwachen Stern der 11. Größe, der eine gleich- große und gleichgerichtete Eigenbewegung halte, wie a Centauri. Er bestimmte diese zu — 3,66 und +0,83 Sek. in AR und D, während die Parallaxe zu 0,80 Sek. gefunden wurde mit dem mittleren F"ehler von 0,10 Sek. Nun hat jetzt Voute das System eingehend vermessen, und in der Tat eine noch viel größere Übereinstimmung zwischen Haupt- und Nebenstern gefunden. Wäh- rend a Centauri die Parallaxe 0,759 Sek. hat, und die jährliche Eigenbewegung 3,08 Sek. im Bogen größten Kreises beträgt, mit dem Positionswinkel 281,4 Grad, hat der Begleiter die Eigenbewegung 3,76 Sek. im Positionswinkel 282,7 (jtrad und die Parallaxe von 0,755 Sek., das sind also in An- betracht der Unsicherheit der Messung durchaus identische Werte, wodurch die Zusammengehörig keit des Paares bewiesen zu sein scheint. Auf- fallend ist nur der erhebliche Abstand beider Sterne, der 2 Grad 12 Min. beträgt, also über 4 Vollmondsbreiten. Das sind bezogen auf die an- gegebene Parallaxe etwa lOOOO Erdbahnradien. Sind nun die beiden ein physisch verbundenes System, so gäbe das eine Umlaufszeit von etwa 1000000 Jahren, also eine ganz ungewöhnlich große und wenig wahrscheinliche Zahl. Anderer- seits besteht noch die Möglichkeit, daß wir es mit den Gliedern einer Familie zu tun haben, wie es die Hyaden sind oder die Bärenfamilie, bei der eine größere Anzahl von räumlich weit ge- trennten Sternen doch gemeinsam gerichtete und gleichgroße Eigenbewegungen zeigen, vergleichbar einer Anzahl von Geschossen, die mit einem Schuß aus der Kanone geschossen sind und nun je nach ihrer Größe in verschiedenen Abständen mit gleicher Geschwindigkeit hintereinander her fliegen; eine Erscheinung, die die Glazialkosmo- gonie auf einen gemeinsamen Ursprung zurück- luhrt, der in der Explosion in einem Mutterkörper gelegen hat, bei der die gesamte Materie aller der zusammengehörigen Körper auf einmal aus- gestoßen wurde, und erst nach und nach die ein- zelnen Körper gebildet hat. Vielleicht gelingt es, noch mehr Glieder dieser Familie um a Centauri aufzufinden. Riem. Schon vor Jahren hat Berberich darauf hingewiesen, daß sich bei den Kometen, die in- folge ihrer kleinen Bahnen schon nach wenigen Jahren wiederkommen, in auffallender Weise zeigt, wie ihre Helligkeit zusehends geringer wird, und wie die Schwcileutwickluiig immer durltiger. Er gab als Grund an, daß offenbar bei der bchweif- entwicklung eine ganz beträchtliche Menge Materie verbraucht wird, cie dem Kometen dauernd ver- loren geht. Gelangt dann der Komet in eine größere Entfernung von der Sonne, so hört die Abstoßung auf, und der Körper reichert sich wieder an, indem er Materie, die ihm auf seinem Wege begegnet, an sich zieht. Bei kurzen Umlaufs- zeiten ist aber der Gewinn geringer als der Verlust, der Komet verarmt allmählich. Bei den Kometen aber, die hinreichend lange Umlaufszeiten haben, genügt die Zwischenzeit, um sich wieder so stark anzureichern, daß der Körper immer von neuem in erlreulichem Glänze erscheinen kann. Diesen Gedanken, der damals ohne eingehende Beweis- lührung gewissermaßen als ein Beobachtungs- ergebnis ausgesprochen wurde, hat nun Hole- ts check eingehend wissenschaftlich bearbeitet (Denkschr. Wiener Akad. 1917). Er hat 22 Ko- meten bearbeitet, die zwischen 3,3 Jahren — Encke'scher Kumet — und 76 Jahren — Halley- scher Komet — Umlaufszeit haben. Wir haben also bei mehreren Kometen ein recht reichhaltiges Material zur Verfügung. Holetschek faßt die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu folgenden 174 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. Erklärungen zusammen. Es gibt nur Kometen mit gleichbleibender Helligkeit und solche mit abnehmender. Die seit längerem bekannten Ko- meten seheinen auch die dauerhafteren zu sein, während die neuerdings gefundenen dieschwächeren sind. Hier gilt offenbar der Satz vom post hoc, ergo propter hoc, denn eist die Hilfsmiuel der Gegenwart, Trockenplatte und Spiegelteleskop, lassen uns die schwachen Dinger erkennen. Zu dem bisweilen auffallend starken Abnehmen der Kometen scheint auch die auflösende Kraft der großen Planeten beizutragen, die das lockere Ge- lüge des als Kometenkopf erscheinenden Meteor- schwarmes ganz auflösen können. Denn drei Kometen sind auf die Verlustliste zu setzen. Der Komet Biela mit einer Umlaufszeit von 6,6 Jahren teilte sieh unter den Augen der Astronomen, er- schien dann noch einmal 1852, um nicht wieder- zukommen. Seine Reste erscheinen als ein Meteor- schwarm. Im Jahre 1879 erschienen zum letzten Male die Kometen Brursen mit 5,5 Jahren und Tempel Nr. i mit 6,0 Jahren Umlaufszeit. Von diesen sind Spuren nicht aufgefunden worden trotz allen Suchens. Jedenfalls ist also eine Zunahme der Helligkeit und des Schweifes niemals beob- achtet worden, und auch die beständigen Kometen scheinen zur Abnahme zu neigen, wenigsiens macht der Halleysche ganz den Eindruck, und beim Encke'schen wird jedenfalls der Schweif immer kleiner. Der Aullösungsprozeß scheint all- gemein zu sein, nur das Tempo ist verschieden. Riem. Zoologie. Meer und Süßwasser in der Phy- logenese der Fische. Da üie mii wenigen Aus- nahmen das Meer bewohnenden Knorpelfische, Selachier oder Elasmobranchier, die Sehmelz- schupper oder Ganoiden und die Knochenfische oder Teleostier als stammesgeschichllich aufein- anderfolgende Abteilungen zu betrachten sind, so scheint allerdings damit auch der Ursprung der Teleostomi, wie man die Ganoiden und Teleustier zusammenfassend nennt, im Meere zu suchen zu sein, in welchem auch Amphioxus — nach neuerer Nomenklatur Branchiostoma — und die Tuiiikaten leben und überhaupt olt die Wiege des Lebens gesucht wird. Beachtenswerte Gründe jedoch lür die Annahme, daß die Teleostomi und insbesondere die Teleostier dem Süßwasser entstammen, faßt P. A. D i e t z im Zoologischen Anzeiger, Band XLIX, 19 17, Nr. 3/4, zusammen. Die Ganoiden zunächst sind heute sämtlich Süßwassertiere; und da ihre wenigen, stark spezia- lisierten und dabei alles andere eher denn einen verkümmerten Eindruck machenden Vertreter über alle Festländer der Erde und nicht auf Inseln ver- breitet sind, so erscheinen sie wie Relikte einer großen autochthonen Süßwasserfauna. Wenn auch die Störe das offene Meer nicht scheuen, zur Fortpflanzung steigen sie immer wieder ins Süß- wasser. Die meisten fossilen Ganoiden liegen in Ablagerungen deutlich fluviatiler Herkunft. Unter den Teleostiern sind die weniger spezialisierten, die 40 Familien der Physostomen Günther 's oder, was in Boulenger's System ungefähr dasselbe ist, die Malacopterygii, Ostario- physi, Symbranchii, Apodes und Haplomi, der Mehrzahl nach echte Süßwasserfische; so die zahl- reichen Karpfen-, Zahnkarpfenarten und andere, im ganzen 23 artenreiche Familien. Zwei Familien, die Salmonidae und Clupeidae enthalten Über- gangsfurmen zwischen Süßwasser- und Meerbe- wohnern und suchen, soweit meerbewohnend, zum Laichen das Süßwasser auf, wie der Lachs und die Finte, Clupea alosa, oder doch wenigstens die Küstennahe, wie der Stint, Osmerus eperlanus, der Hering und die meisten anderen Clupeidae. Fünf Familien reiner Seefische unter den Physostomi sind dagegen nur in spärlichen Arien, zum Teil nur in einer, vertreten. Sieben weitere Familien sind Tiefseefische mit abweichendem Köi perbau und geben über den ursprünglichen Lebensort keinen Aufschluß. Auch die Scopelidae sind Tief- seefische oder, soweit sie heute die Oberflächen- schichten beleben, wohl ehemalige Tiefseefische. Eine andere Beurteilung verlangen die Aalartigen, die Anguillidae und mit ihnen die Apodes, also auch die schon erwähnten Muraenidae. Sie sind zwar meist Meeres-, ja großenteils Tiefseebewohner. Ihnen wäre aber vielleicht nach Anzeichen des Körperbaues eine Stellung außerhalb der Physo- stomen anzuweisen; und doch konnte das lang- jährige, allerdings nicht der Fortpflanzung dienende Süßwasser leben des gemeinen Aals eine Erinnerung an die vorzeitlichen Gewohnheiten sein. — Über die Lophubranchier wird noch zu sprechen sein. Die Acanthopterygier, welchen Begriff Dietz so weit ausdehnt, bis er nahezu alle Physo- clisten umfaßt, stellen zwar meist Seetiere, und nur sekundär sind einige Gadiformes, wie die Quappe, mehrere Gobiidae, einige Bleuniidae und die Plunder unter den Pleuronectidae ganz oder zeitweilig zum Süßwasserleben übergegangen. Aber sieben durchaus das Süßwasser bewohnende Familien der Acanthopterygier gehören mit Aus- nahme einer, die wieder gesondert zu beurteilen ist, sämtlich zu den am wenigsten spezialisierten und noch physostomenähnlichsten Acanthoptery- giern, zu den Perciformes. Auffällig ist auch, daß unter den Cateosiomi, unter welchem Namen Boulenger die Lophobranchier, wie Seepferd- chen und Seenadel, und die Gasterosteidae zu- sammenfaßt, die letzteren, die Stichlinge, die viel weniger spezialisierte und zugleich die meist süß- wasserbewohnende Familie darstellen. Im Süßwa>^ser scheint also der Teleostomen- stamm auf der Ganoidenstufe, ebenso noch der Teleosiierstamm auf einer gewissen Physostomen- stufe, selbst der Acamhopterygierstamm auf einer Perciformenstufe und der wohl noch in unsicherer systematischer Stellung verharrende Cateostomen- stamm etwa auf einer Gasterosteidenstufe gelebt zu haben. Schließlich vergißt Dietz nicht, auf die Os- N. F. XVII. Nr. 12 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. »7S motik des Fischblutes nach den Untersuchungen Dekhuyzen's hinzuweisen, die bei den poikilos- moiischen i?elachiern einen hohen osmotischen Druck des Blutes wie bei allen marinen Kverte- braten, bei den mehr homoiosmotischenTeleosuern, und zwar auch bei mehrbewohnenden, einen viel geringeren nachwiesen; auch letzteres spricht für ihre Herkunft aus dem Süßwasser. Auf Grund dieser sehr einleuchtenden Dar- legungen nimmt Die tz an, daß die Teleostier aus seiacliierähnlichen Formen mit Übergang ins Siaß- wasser hervorgegangen seien. V. Franz. Bücherbesprechungen. Christen, Dr. med. et phil. Th., Die mensch- liche Fortpflanzung, ihre Gesundung und ihre Veredelung. l86S. Bern, Ver- lag Hallwag. (Erscheini künftig: München, Ver- lag E. Reinhardt). — Preis geb. 5 M. „Über das menschliche Geschlechtsleben und all die vielen, zum Teil recht verwickelten Fragen, die damit zusammenhängen, ist schon viel ge- schrieben worden, von wissenschaftlich bedeuten- den, hochernsten Büchern hinunter bis zur be- denklichsten Schundware", so bemerkt der Verf. einleitend in der vorliegenden Schrift. Trotz des Vorhandenseins einer reichen Liteiatur ist indessen das Erscheinen eines neuen Buches, in dem das Sexualproblem von wissenschaftlicher Seite allge- mein verständlich dargestellt wird, nur zu begrüßen, denn einmal bietet eine solche Schrift eine gute Waffe im Kampfe gegen die Schundliteratur auf diesem Gebiete, und dann sind die behandelten Fragen gerade in der gegenwärtigen Zeit von so außerordentlicher Wichtigkeit, daß nicht genug für Verbreitung dieser Kenntnisse in den weitesten Kreisen geschehen kann. Der Krieg ist für alle unmittelbar daran beteiligten Nationen ein furcht- barer Aderlaß. Gerade die Männer stehen im Felde, die sich im zeugungsfähigen Alter befinden, jahrelang sind sie an der Ausübung des normalen ehelichen Geschlechtslebens behindert. Der Krieg ist weiterhin ein schlechter Aublesefaktor. Die körperlich Tauglichsten, von denen die beste Nach- kommenschaft zu erwarten gewesen wäre, geben ihr Leben hin, ohne zur Fortpflanzung gekommen zu sein, oder kehren an ihrer Gesundheit schwer geschädigt in die Heimat zurück. Zwar ist für die Zeit nach einem Kriege in der Regel eine er- höhte Fortpflanzung charakteristisch, aber der gegenwärtige Krieg hat schon zu lange gedauert und ist zu blutig, als daß dadurch die Verluste wieder ausgeglichen werden könnten. Die rasse- hygienischen Bestrebungen, die bereits vor dem Kriege mehr und mehr Anhänger gefunden haben, müssen nach dem Kriege allgemein, auch seitens des Staates, nachdrücklichste Förderung er- fahren, es gilt, Mittel und Wege zu finden, die menschliche Fortpflanzung in gesunde Bahnen zu lenken. Wie das geschehen kann, möchte Christen in seiner Schrift darlegen. Es ist wahr, er stellt an den Optimismus seiner Leser keine geringen Anforderungen, aber wohin kämen wir, wenn wir diesen nicht besäßen und in stiller Resignation den Dingen ihren Lauf lassen wollten ? Man kann auch Christen beipflichten, wenn er dafür eintritt, die sexuelle Frage gleich von mög- lichst vielen Seiten aus anzufassen. Sie ist ein materielles und ein ideelles Problem, gesundheit- liche und wirtschaftliche P"ragen stehen auf der einen Seite, sittliche und religiöse auf der anderen. Dementsprechend setzt sich die Schrift Christen 's aus mehreren Teilen zusammen, aus einem natur- geschichtlichen , einem gesundheitlichen , einem sozialen und einem erzieherischen Abschnitt. Der naturgeschichtliche Teil, in dem einiges über die menschliche Entwicklung, über Vereibung, innere Sekretion und verwandte Fragen gesagt wird, ist recht kurz gehalten; man hätte eine etwas ausführlichere Darstellung gewünscht. Bei Be- sprechung einer kürzlich erschienenen Schrift von Doflein über die Fortpflanzung, die Schwanger- schaft, und das Gebären der Säugetiere ') wurde bereits darauf hingewiesen, wie erschreckend ge- ring in weiten Kreisen die Kenntnisse über die biologischen Grundlagen der P^ortpflanzung, über Befruchtung, Schwangerschaft, Geburtsakt usw. sind. Eine Besserung dieser Verhältnisse bedeutet aber zweifellos einen wichtigen Faktor bei den Bemühungen um eine Gesundung des mensch- lichen Geschlechtslebens. Der zweite Teil, in dem die Bedeutung von Krankheiten und Gebrechen (die Unfruchtbarkeit und ihre Ursachen, die Verirrungen des mensch- lichen Geschlechtstriebes, die Störungen der Fort- pflanzung, die Entartung des Menschengeschlechtes und ihre Ursachen, die Geschlechtskrankheiten) für die sexuelle P>age behandelt wird, ist wesent- lich ausführlicher. Besonders eindringlich werden die Gefahren des Alkoholismus, der schlimmsten Quelle der Entartung, und der Geschlechtskrank- heiten geschildert. Der Kampf gegen diese Geißeln der Kulturmenschheit muß mit den schärfsten Waffen gefuhrt werden. Auf den dritten Abschnitt, der den sozialen Teil der sexuellen Frage behandelt, legt Christen den größten Wert, da gerade die soziale Seite der Frage, und vornehmlich das rein wirtschafiliche Moment, in den bisherigen Schriften nur ganz oder überhaupt nicht zur Diskussion gestellt worden ist. Hier entwickelt der Verfasser einen besonders weitgehenden Optimismus, und er dürfte recht be- halten, wenn er der Meinung Ausdruck gibt, daß dieser Teil am meisten auf Widerstand stoßen ^) Siebe Seite 439 f. des vorigen Jahrganges dieser Zeitscbr. 176 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. wird. Es ist Sache der Nationalökonomen, sich mit den Vorschlägen Christen's auseinander- zusetzen, hier möge eine kurze Andeutung darüber genügen, auf welchem Wege er eine Lösung des Problems sucht. Nur auf ürund einer natürlichen Wirtschaftsordnung hält er eine Aufwärtsentwick- lung des Menschengeschlechtes für möglich, nur durch Überwindung des Kapitalismus können gesunde wirttchaitliche Zustände geschaffen werden. Die Prostitution hat ihre Hauplursache in der materiellen Notlage der arbeitenden Frauenwelt. Die Grundrente muß an die Mütter des Landes abgeführt werden nach Maßgabe ihrer Kinderzahl, eine zinsfreie Wirtschaft muß an die Stelle der Zins- und Rentenwirtschaft treten. Es sind in der Hauptsache die Lehren des amerikanischen Bodenreformers H. George, des französischen Sozialisten P. J. Proudhon und des deutschen Wirtschafisreformers S. Gesell, auf denen Christen fußt. Der vierte Teil, das sittlich-religiöse Moment der sexuellen Frage umfassend, ist wieder ziemlich kurz gehalten. Zu einer ausführlichen Darstellung dieser Seite des Problems, die gewiß nicht weniger wichtig ist als die materielle Seite, vielleicht diese an Wichtigkeit sogar in mancher Hinsicht noch überragt, lag allerdings insofern keine Veranlassung vor, als die ethischen Fragen bereits in einer Reihe vorzüglicher Schriften — es seien nur die von Förster, Lhotzky, Wegener genannt — behandelt worden sind. Nachtsheim. Trendelenburg gibt in dem außerordentlich klar und anschaulich geschriebenen Büchlein zunächst eine Übersicht über die stereoskopischen Methoden der Raummessung überhaupt, um dann eingehend einen von ihm konstruierten Apparat zu besprechen, mit dessen Hilfe es möglich ist, stereoskopische Röntgenaufnahmen herzustellen, die in allen drei Dimensionen völlig dem durchleuchteten Objekte gleichen. Ein solches „objektgleiches" Röntgen- raumbild liefert der Aufnahmeapparat dann, wenn die perspektivischen Zentren der Aufnahme (die Brennflecke der Antikathoden) zu den beiden photographischen Platten genau ebenso orientiert sind, wie später bei der stereoskopischen Betrach- tung der Platten die Drehpunkte der beiden Augen des Beobachters. Dieser wichtigsten Forderung entsprechen die nach den Angaben des Verf. von der Firma Leitz in Wetzlar gebauten Aufnahme- und Betrachtungsapparate. Die beiden Röntgen- plalten werden in einem nach dem Prinzipe des Wheatstone'schen Spiegelstereoskopes gebauten Apparate betrachtet, und da unbelegte Spiegel zur Verwendung kommen, kann der Beobachter (wenn er über eine normale binokulare Tiefen- wahrnehmung verfügt) an dem virtuellen Spiegel- raumbilde mit Hilfe eines Zirkels unmittelbar alle ihn interessierenden Distanzen bis auf Bruchteile eines Millimeters genau ausmessen. Gerade diese außerordentliche Einfachheit und Genauigkeit des Meßverfahrens macht den Trendelenburg'schen Apparat zu einem wertvollen Hilfsinstrumente des Chirurgen. v. Brücke, Innsbruck. W. Trendelenburg. Stereoskopische Raum- messung an Röntgenaufnahmen. J. Springer, Berhn 19 17. Für jeden Chirurgen, der die Aufgabe hat, einen tiefer eingedrungenen, im Röntgenbilde sichtbaren Fremdkörper operativ zu entfernen, ist es von größler Wichtigkeit, diesen Fremdkörper schon vor Beginn der Operation möglichst genau lokalisiren zu können, da er nur dann hoffen kann, ihn bei der Operation rasch aufzufinden und nicht beim Suchen unnötig große und oft gefährliche Neben-Verletzungen zu setzen. Als der weitaus verläßlichste Weg zur Fremd- körperlokalisation hat sich die Aufnahme stereo- skopischer Röntgenbilder erwiesen, die — ähnlich wie andere stereoskopische Photographien — durch Doppelaufnahmen von zwei verschiedenen Standpunkten aus gewonnen werden können. Zuntz, N., Ernährung und Nahrungs- mittel. 3. Aufl. Mit^ 6 Textabbildungen und einer Tafel. 19. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin. B. G. Teubner. 1918. — 1,50 M. Die neue Auflage des Frentzel'schen Büch- leins ist von N. Zuntz so weitgehend umge- arbeitet worden, daß das Bändchen nunmehr unter seinem Namen erscheint. Der bekannte Physiologe wird in der jetzigen Zeit ein besonders aufmerk- sames Lesepublikum auf einem Gebiete finden, auf dem er selber in mannigfacher Hinsicht zum Allgemeinwohl tätig ist. Die sorgfältige und sehr reichhaltige Darstellung gibt dem Leser eine aus- gezeichnete Darstellung der allgemeinen Ernäh- rungsphysiologie sowie der wichtigsten Nährstoffe. Miehe. Inhalt! Hugo Fischer, Zur Phylogenie des Blattgrünfarbstoffes. S. 161. Karl Kuhn, Die Ablenkung von Lichtstrahlen im Graviialionsfeld. S. 164. — Einzelberichte: K. Sapper, Katalog der geschichtlichen Vulkanausbrüche. Briiräge zur Geographie der tätigen Vulkane. S. 166. K. K eil hac k, Die großen üiinengebiete Norddeutschlands. S. 167. O. Grupe, Über Jüngeren und Alleren Löfl im Fluflgebiel der Weser. S. 169. Fredrik Enquist, Der Einfluß des Windes auf die Verteilung der Gletscher. S. 170. H. Groß mann. Die Versuche zur Lösung der Slickslofftrage im feindlichen Ausland. S. 172. Innes, « Centauri. S. 173. Berberich, Verringerung der Helligkeit der Kometen. S. 173. P. A. Dietz, Meer und Süßwasser in der Phylogenese der Fische. S. 174. — Bücherbesprechungen: Th. Christen, Die menschliche Forlpflanzung, ihre Gesundung und ihre Veredelung. S. 175. W. Tre ndelen bürg, Stereoskopische Raummessung an Röntgenaufnahmen. S. 176. N. Zuntz, Ernährung und Nahrungsmittel. S. 176. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumbtirg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. »Ige 17. Bani I Reihe 3^, ] Sonntag, den 31. März igi8. Nummer 13. [Nachdruck verboten.] über Wasserinüben. Von K. Viets, Bremen. Mit 7 Abbildungen im Text. Bereits mehrfach wurde in diesen Blättern zu- sammenfassend über niedere Tiere berichtet, auch über solche, die weniger aus Gründen ihres Nutzens oder Schadens für den Menschen von Interesse und seiner Beachtung wert sind. Es ist daher wohl am Platze, auch einmal ein grob umrissenes Bild unserer Kenntnis von den Wassermilben zu bringen. So ganz unbekannte resp. nie gesehene Tiere dürften diese Milben, die in grolier Zahl und Mannigfaltigkeit, in oft prächtig leuchtenden Farben in allen bewachsenen stehenden und fließenden Gewässern anzutreffen sind, nicht sein, daß nicht bereits der Wunsch bestanden haben sollte, einmal näheres darüber zu hören, ohne erst mühsam die zahlreiche, zerstreute Literatur in Anspruch nehmen zu müssen. Die Wassermilben sind durchaus nicht alle klein, so klein wie unter den bekannteren Milben beispielsweise die gefürchteten Wohnungs- und Krätzmilben, wie die Mehl- und Käsemilben. Alle Wassermilben sind als solche im erwachsenen Zustande auch mit unbewaffnetem Auge zu er- kennen, die kleinsten Formen von nur 0,3 mm Größe allerdings wohl nur für geübtere Augen. Die größten unter den Wassermilben, beispiels- weise die leicht an den nachschleppend getragenen Hinterbeinen erkennbaren roten Kylais-Arten und die fast kugelrunde, symmetrisch schwarz und rot gefleckte Hydrarachna geographica erreichen Größen von 7 — 8 mm. Unsere Kenntnis der Hydracarinen, der Hydrach- niden älterer Autoren, ist, wenn wir der relativ geringen Größe, ihrer Unbedeutenheit im Haus- halte der Natur, wenigstens was einen eventuellen Schaden oder Nutzen lür den Menschen anbelangt, Rechnung tragen, immerhin schon ziemlich alt. Den alten Mikroskopikern F'risch, Swammerdam, Roesel von Rosenhof u. a. entgingen diese lebhaften Wasserbewohner nicht. Erst der hervor- ragende dänische Forscher O. F. M ü 1 1 e r ^j lieferte in seinen „Hydrachnae" eine Darstellung dieser Tiergruppe,die noch heute,nach länger als 1 2 5 Jahren, als eine für den Systematiker brauchbare Bearbei- tung von mehr als nur historischem Werte erscheint. Von Müllers 49 beschriebenen und auf Tafeln abgebildeten Wassermilbenarten, die er alle in eine Gattung — Hydrachna — einordnete, sind bis jetzt etwa ^/^ wiedererkannt worden, ein Be- weis der Sorgfalt und Genauigkeit, mit welcher die Kennzeichnung dieser Tiere trotz der damaligen primitiven Mikroskope und der gleichfalls erst in ihren Anfängen stehenden bildlichen Reproduktions- technik erfolgt war. Den weiteren Ausbau der Hydracarinen-Syste- matik zu verfolgen, erübrigt sich hier. Als Mark- steine auf dem Wege unserer systematisch-morpho- logischen Erkenntnis der Hydracarinen mögen nur R. Piersigs großes Werk über „Deutschlands Hydrachniden" '^) und seine „Hydrachnidae" ^) im Tierreich genannt werden. Diese letztere, erst 1901 abgeschlossene Bearbeitung stellt insgesamt, als bis dahin von der ganzen Erde bekannt, 550 Arten fest. Wenige Jahre später, 1909, er- brachte F. Koenikes*) Zusammenstellung der rein deutschen Hydracarinen-Arten 267 Formen. Seitdem ist die Zahl der bekannten Arten, nament- lich die der außerdeutschen, erheblich gewachsen, sind doch bis jetzt insgesamt etwa 1300 Wasser- milbenformen beschrieben worden. Und auch die Zahl der in Deutschland gefundenen Arten hat sich seit Koenike's Bearbeitung wieder um fast 100 vermehrt.^) Neben dem rein systematischen Studium wurde schon früh mit entwicklungsgeschichtlichen und anatomischen Forschungen bei den Hydracarinen begonnen. Als besonders günstiges Objekt boten sich die in Muscheln in und zwischen deren Kiemen lebenden parasitischen Ünionicola(syn.: Ataxj- Arten dar. Alle Entwicklungsstadien vom Ei bis zur erwachsenen Form, der Imago der Milbe, finden sich hier nebeneinander. P. J. v. B e n e d e n ') und Claparede'j stellten als erste den Ent- wicklungsgang der Wassermilben fest. Nach ihnen und späteren Berichtigungen und Ergänzungen sind drei Penoden der Entwicklung zu unterscheiden. Jede dieser Perioden umfaßt drei Phasen und endet je mit einem meist freilebenden Stadium. Die erste Penode endet mit dem Stadium der Obeinigen Larve (Abb. 1), die zweite mit dem der Sbeinigen, ') O. F. Müller, Hydrachnae, quas in aquis Da palustribus detexit, descripsit etc. Lipsiae, 1781. *) R. Piersig, Deutschlands Hydrachniden. Zoologica, Heft 22. Stuttgart, Schweizerbart, iSgy — 1900. ä) R. Piersig, Hydrachnidae. Tiereich, 13. Lief. Berlin, Friedländer, 1901. ') f. Koenike, Acarina. In: A. Brauer, Die Süfl- wasserfauna Deutschlands. Heft 12, S. 13 — 184, Fig. 7 — 277. Jena, G. Fischer, 1909. *J K. Viets, Die Fortschritte in der Kenntnis der Hydra- carinen ^1901 — 1912). 1. Teil. Europa. II. Teil. Die außer- europäischen Erdteile. Arch. Hydrobiologie. Bd. Vlll. 1913, S. 589-629. Bd. IX. 1914, S. 550—578. °j T. J. van Beneden, Recherchessurl'histoire naturelle et le developpement de l'Atax ypsilophora. . . . Mem. Acad. R. Sei. Belgique. 1848. To. XXiV, p. 1 — 24. Taf. I. ';Ed. Claparfede, Studien an Acariden. Zeitschr. wiss.Zool. 1869. Bd.XVUI, H.4, S. 445— 556, Taf. XXX— XL. 178 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 13 geschlechtlich unentwickelten Nymphe (Abb. 2) und die dritte mit dem der adulten, geschlechts- reifen Form, der Imago (Abb. 3, 4). Erst bei ganz verschwindend wenigen Milbenformen ist die lückenlose Entwicklung bekannt und auch nur in den jeweils frei beweglichen Stadien. Bei den allermeisten Arten kennen wir die Jugendstadien gar nicht oder nur so ungenügend, daß eine Be- stimmung von Larven z. B. auf die größten Schwierigkeiten stößt, nur selten und nur bei den bekanntesten Gattungen bis auf das Genus und fast nie mit Sicherheit bis auf die Art möglich ist. Hand in Hand mit der Untersuchung entwick- lungsgeschichtlicher Fragen wurde auch die äußere und innere Morphologie *j gefördert. Vielfache Differenzen entstanden namentlich betreffs der Deutung der Verdauungsorgane der Hydracarinen. Abb. 2. Piona nodata (Müll.) Junge Nymphe. 400 fi lang. Orig. Abb. I. Piona nodata (Müll.) Larve. 435 fi lang (mit Mundorgan). Orig. Die Ansicht, daß bei den Wassermilben ein durch- gehender Verdauungskanal mit echter Analöffnung bestehe, hat sich als irrig erwiesen. Genaue Unter- suchungen lassen erkennen, daß der Darm nach hinten blind in der Leibeshöhle endet, daß ein Rektum und Anus fehlen. Exkretorische Tätigkeit übernimmt ein besonderes, längs der Rückenmitte gelegenes schlauchförmiges Organ, das bei den meisten Wassermilben als eine vorn gegabelte, Yförmige, meist leuchtend gefärbte Zeichnung durch die Haut hindurchscheint. Dieses Exkretions- organ endet meistens ventral nahe oder am Hinter- rande des Körpers mit einer feinen Öffnung. Eigenartig ist auch die Atmung der Wasser- milben. Schon früheren Forschern war aufgefallen, daß die meisten Hydracarinen wohl Stigmen *) und ein mit Luft gefülltes Tracheensystem besitzen, daß sie aber nie, auch Nichtschwimmer und Tiefeniiere nicht, an die Wasseroberfläche kommen, um zu atmen. Auch spätere Versuche, bei denen Hydra- carinen lange Zeit so unter Wasser abgesperrt wurden, daß ein Luftholen von der Wasserober- fläche ausgeschlossen war (Vleet^")), konnten kerne Auf klärung bringen. Nach Thor' s *') Unter- suchungen sind die beiden äußeren Tracheenenden mit den Tracheenöffnungen (Stigmen) frei beweg- lich. Sie werden bewegt durch die hebelartig an den zweiMandibeln befestigten sogen. Luftkammern. Thor vermutet, daß durch die zarte Verschluß- membran der Stigmen der Übertritt des Sauerstoffs aus dem Wasser in die Lufikammer erfolgt. Recht auffallend ist bei vielen Wassermilbenarten der das männliche Geschlecht betreffende sexuelle Dimorphismus. Die Männchen der artenreichen ?Abb. 3. Piona nodata (Müll.) (/. 735 // lang. Orig. Gattung Arrhenurus zeigen in ihrer Körpergestalt nicht selten geradezu bizarre Bildungen. Ecken, Fortsätze und Höcker des Rumpfes, ein eigenartiger hinterer Körperanhang, oft lang und spindelförmig (Abb. 5), oft eingekerbt oder lochartig durchbrochen, oft mit großen Seitenecken und mit hinten in der Mitte aufgesetztem Petiolus, einem anker-, stab- oder spateiförmigen Chitingebilde, ferner ge- krümmte Borsten und hyaline Anhängsel verleihen dem Tiere (Abb. 6) ein eigenartiges Aussehen. Ganz anspruchslos in der Form sind dagegen die meist eilörmigen, höchstens durch einige Höcker- bildungen au^gezelchneten Weibchen der Gattung. Einen Petiolus tragen auch die Männchen der Gattung Hydrochoreuies, dazu noch am dritten Beinpaare ein hakiges Greiforgan. Ähnliche Greif- en the moutb-parts and respira- holosericea Latr. etc. Inaug.-Diss. ") cf. die Literaturzusammenstellung in Viels, Fort- schritte . . . 1. c. II. Teil. S. 571—574. *) Die Stigmen liegen auf der Oberseite des Mundorgans nahe dessen Grunde. '») A. H. van Vlee tory-organs of Limnochar( Leipzig, 1897. ") Sig. Thor, Recherches sur l'anatomie compar^e des Acarieus prostigmatiques. Ann. Sei. Nat., Zool. 8. S6r. To. XIX. Paris 1903. N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 179 und Klammerorgaiie finden sich bei den Männchen mehrerer Gattungen. Die Vermutung, daß der- artige Organe zum Ergreifen und Festhalten des Weibchens während der Copula zu dienen haben werden, hat sich bei manchen dieser Gattungen bestätigt und dürfte bei den übrigen auch zutreffen. Diese Funktion der Greiforgane an den Beinen ist erst bei drei Gattungen, bei Piona^^), Kongs- bergia'^) und Acercus ^*) tatsächlich beobachtet worden. Die Piona-Männchen besitzen an den vierten Beinen ein eigenartig gekrümmtes, mit kurzen Dornen besetztes viertes Glied. '^) Zur Ergreifung Abb. 4. Piona nodata (Mall.) 9. 1020 /i lang. Orig. und Übertragung des während der Brunstzeit in einer oft umfangreichen und vertieften Samentasche ver- wahrten Spermapaketes sind außerdem die End- glieder der dritten Beine durch Modifikation der Krallen zu einem sog. Samenüberträger umgestaltet worden. Der eigentliche Begaltungsvorgang erfolgt bei Piona in ähnlicher Weise wie bei Acercus, einer verwandten Gattung, deren Männchen in den Hinterbeinen meist durch Verbreiterung des vierten Gliedes ausgezeichnet sind. Die Weibchen beider Gattungen sind geschlechtlich nicht besonders charakterisiert. Die Copula bei diesen beiden Gattungen geschieht in der Weise, daß das Männ- chen sich am Weibchen mit Hilfe namentlich der zweiten und vierten Beine festklammert. Bei Acercus hängt dabei das Männchen so unter dem Weibchen, daß, letzteres in normaler Stellung gedacht, das Kopfende des Männchens senkrecht nach unten hängt (Abb. 7) und sein hinteres Körperende dem weiblichen Vorderkörper genähert ist. Das von den Samenüberträgern der dritten Beine erfaßte Samenpaket '*) kommt bei dieser Lage in die Nähe der weiblichen Geschlechtsöffnung und wird unter zitternden, tupfenden Bewegungen der dritten Beine auf der Genitalöffnung hin und her bewegt. '^J K. Koenike, Seltsame Begattung unter den Hydrach- niden. Zool. Anz. 1891. Vol. XIV, p. 253 — 256, Fig. I. ") Sig. Thor, Zwei neue Hydrachniden-Gattungea etc., nebst Bemerkungen über die Begattung von Hjartdalia n. g. Zool. Anz. 191 1. Vol. XXIV, p. 673— 6S0. ■*) K. Viets, Über die Begatlungsvorgänge bei Acercus- Arten. Intern. Revue Hydrobiol. 1914. Biol. Suppl. zu Bd. VI. p. 1 — 10. ") In Abb. 3 ist das Glied in Aufsicht dargestellt und dieses daher nicht gut als Hakea erkennbar. Abb. 5. Arrhenurus caudatus (Degeerjo^. 1410 /< lang.^Orig. wobei wahrscheinlich die Spermatophoren geöffnet werden und das Sperma in die Öffnung gelangt. Dieser interessante Vorgang ist bei der in stehen- den Gewässern (Gräben und Tümpeln, Freiland- becken und anderen, selbst kleinen, wenn auch im Hochsommer austrocknenden Wasseransammlun- gen) häufigen Piona nodata (O. F. Müll.) leicht zu beobachten. Im Frühjahr sind Männchen und Weibchen meist in großer Anzahl erhältlich. Die Männchen tragen in der Zeit die dritten Beine fast regelmäßig bereits eingekrümmt, mit in der Samentasche ruhenden Gliedenden. In einer kleinen Schale Wasser mit den Weibchen zusammengebracht ") an einem Stachelpolster hängende Spermatophoren- schläuche. i8o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 13 findet man dann nach ganz kurzer Zeit bereits kopulierende Paare. Wie auf vielen anderen zoologischen Gebieten begann auch in der Hydracarinologie die Ökologie erst in jüngerer Zeit besondere Bedeutung zu ge- winnen. Damit ist jedoch nicht eine Vernach- lässigung der Systematik und Morphologie ge- meint. Es begann eine intensivere Erörterung der Fragen nach der Lebensweise dieser Tiere und im Zusammenhange damit die Erkennungs- und Erklärungsversuche der aus der Lebensweise resul- tierenden, den Bau der Hydracarinen betreffenden Faktoren. Die Anpassungserscheinungen bei den Wassermilben, ihre Verbreitungsweise und Wohn- gebiete, ihre Entwicklungsgeschichte sind Gebiete, die vorwiegend erst in diesem Jahrhundert er- örtert wurden. in ihnen stattfindenden Vermoderungsprozesse einen geringeren Sauerstoffgehalt als beispielsweise Ge- birgsbäche. Dem jeweiligen Milieu mußten sich die Hydracarinen in Lebensweise und Körperbau anpassen. Von Zschokke,^») Walter'^») und S t e i n m a n n "') wurden diese Änpassungserschei- nungen der Wassermilben schweizerischer Gewässer eingehend untersucht und von anderen Forschern ^'■^) sowohl bei Hydracarinen als auch für andere Tier- gruppen weitere Belege beigebracht. Das betreffs Lebensweise und Körperbau der Wassermilben einschneidendste Moment ist offen- bar das der Wasserbewegung. Hydracarinen stehenden Wassers sind fast ausnahmslos Schwim- mer, die zum Teil recht geschickt mit Hilfe ihrer mit langen und zahlreichen Schwimmhaaren versehenen, Abb. bruzelii Koe o'. II2S fi lang. Orig. C. L. Koch,'*) der etwa ein halbes Jahr- hundert nach O. F. Müller eine systematische Bearbeitung der Wassermilben brachte, teilte diese in Fluß- und Weihermilben ein. Damit traf er, ohne es freilich zu wissen und zu wollen, ohne damit die Hydracarina ihrer Ökologie entsprechend richtig gewertet zu haben, in dieser Hinsicht und rein dem Namen nach das Richtige. Die typischen Bewohner der fließenden Gewässer, am ausge- prägtesten die alpinen Bachhydracarinen, die tor- renticolen Arten, haben als F'olge ihrer Vorliebe für schnell fließendes, dauernd tief temperiertes, sauerstoffreiches Wasser den Bewohnern der stehenden Gewässer gegenüber ganz aparte An- passungserscheinungen aufzuweisen. Stehende Ge- wässer zeigen eine jahreszeitlich stark wechselnde Wassertemperatur, besitzen infolge der fehlenden dauernden Wasserbewegung, der relativ größeren darin lebenden Organismenmenge und wegen der Abb. 7. Acercus ornatus (Koch). ) V. Brehm, Die Bedeutung der japanischen Corallin- Age für den europäischen Süßwasserbiologen. IX» Congrfes int. Zool. ä Monaco. Rennes 1914. p. 556. '•ä«) z. B. Wasserkäfer und Wanzen, Libellen und Mücken. l82 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 13 und transportieren am Körper, an Beinen und Flügeln Jugendstadien von Wassermilben. Wasser- vögel werden auch nicht selten in Schlammteilen an ihren Füßen den Transport bewerkstelligen, widerstehen doch Hydracarinen sehr wohl selbst längerer Austrocknung. In derselben passiven Weise wandern sicher auch zumeist die Hydra- carinen der fließenden Gewässer des Tieflandes. Diesen Formen, die in ihren Anpassungserschei- nungen jedoch nicht die extrem torrentikolen Züge zeigen, die in dem wechselnd temperierten, nicht dauernd eisigen Wasser der relativ gemäßigt strömenden Flüsse und Bäche leben, die nicht ausgesprochen stenothermen, eustenothermen, son- dern nur hemistenothermen Charakters sind, die zum Teil noch schwimmen können, ihnen wird man die Möglichkeit auch aktiven Wanderns nicht absprechen dürfen. Wie geschah aber die postglaziale Verbreitung der Hydracarinen ins Hochgebirge,-') bis an die Eisregion ? Die Antworten sind hypothetisch hier wie dort. Manche Arten wandern aktiv, andere passiv. Nähere Aufschlüsse können hier erst weitere Untersuchungen vor allem der Entwick- lungsgeschichte der Wassermilben bringen. In den wenigsten Fällen wissen wir etwas über die Lebensweise der Hydracarinenlarven, über die Zeit und vor allem den Ort ihrer Entwicklung bis zur Nymphe. Manche dieser winzigen Larven laufen und springen aus dem Wasser. Wo bleiben sie? Sie besteigen (ob immer?) ein Insekt, auf dem sie die nächste Entwicklungszeit verbringen. Wir wissen nur in den wenigsten Fällen, welcher Art die Wassermilbenlarven auf einem Insekt angehören. Wir wissen im anderen Falle nicht, welches Wirts- tier wir einer eben ausgeschlüpften Hydracarinen- larve als ihr zusagend zuweisen sollen. Ein Expe- rimentieren stößi hier auf außerordentlicheSchwierig- keiten. Andere Larven (Lebertia, wie neuerdings von Walter-') bekannt gegeben), Bewohner kalter Bäche, lassen vermuten, daß ihre Entwicklung ohne Zuhilfenahme eines Wirtstieres vonstatten geht. Erstere mögen passive, diese aktive Wanderer sein. Wie die Einzelentwicklung der Hydracarinen noch zahllose Rätsel und Unklarheiten birgt, so sind noch ebenso sehr die Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse ^*) der großen Milben- gruppen untereinander verschwommen und in der Vorzeit vergraben, die in diesem Falle aller Wahr- scheinlichkeit nach keine fossilen Zeugen ans Licht bringen wird. Wir durchstreiften ein kleines und doch weites, unbegrenztes Gebiet. Scheinbar isoliert betrachtet und doch in innigem Zusammenhang stehend mit allgemein-zoologischen Fragen ist es ein Gebiet, dessen Bearbeitung wohl reiche Früchte der Er- kenntnis trug, das aber gleichzeitig neue Fragen stellt und zu den neuen immer neue hinzufügen wird. *') C. Walter, Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung bachbewohnender Milben. Verh. Naturf. Ges. Basel. 1917, Bd. XXVllI 2. Teil, p. 148—164. 2') E. Reuter, Zur Morphologie und Ontogenie der Acariden etc. Acta Soc. Sei. Fennicae. Tora. XXXVI, Nr. 4. Helsingfors 1909. Resnpination bei dorsiventralen nnd isolateralen Pflanzenorganen. (Nachdruck verhotcn.l Von F. W. Neger, Tharandt. Mit 7 Abbildungen im Text. Unter Resnpination versteht man bekanntlich die Erscheinung, daß ein dorsiventrales Organ, z. B. ein Blatt oder eine zygomorphe Blüte sich so umdreht (durch Drehung des Blatt- oder Blüten- stiels), daß die Oberseite nach unten zu liegen kommt und umgekehrt. Aber auch isolaterale Organe können eine ähnliche Umorientierung erfahren, nur daß man dann nicht mehr gut von Ober- und Unterseite und Umschaltung derselben sprechen kann. Einige der auffallendsten im Pflanzenreich vorkommenden Fälle von Resupination und ihre Bedeutung für das Leben der betreffenden Pflanzen — soweit wir darüber etwas wissen — sollen im folgenden kurz erörtert werden. Der bekannteste Fall von Resupination bei Blüten ist der von Orchideen, deren Blattstiel bzw. unterständiger Fruchtknoten so gedreht ist, daß die ganze Blüte sozusagen auf den Kopf zu stehen kommt. Das größte Blumenblatt, das sog. Labellum, ist das obere des inneren Kreises und müßte demgemäß — wenn die Blüte nicht resu- piniert wäre — die oberste Stelle der Blüte ein- nehmen. Die Blüten der Orchideen sind so hochentwickelte Anpassungen (Ökologismen) an die besonderen Verhältnisse der Pullenübertragung durch Insekten, daß es ein aussichtsloses Unter- nehmen wäre, den vermutlichen Ursachen dieser Resupination nachzugehen zu suchen. Etwas leichter verständlich sind die ursäch- lichen Verhähnisse bei einigen Blattresupinationen, wie wir sie namentlich bei langen grasähnlichen Blättern finden. Indessen lassen sich diese Er- scheinungen durchaus nicht auf eine Formel bringen, vielmehr bestehen sowohl hinsichtlich des Zustandekommens als auch der ökologischen Be- deutung große Unterschiede. Als Typen können gelten Liiziila albida, Poa nenioralis, sowie eine große Anzahl anderer Gräser, z. B. Aira caespitosa und Pflanzen mit grasähnlichen Blättern. Ist Luzula albida einseitig beleuchtet, wie dies an natürlichen Standorten — Waldränder -^ oft vorkommt, so nehmen die Halme eine schiefe, dem Licht zugewendete Stellung an ; infolgedessen schlagen die Blätter der lichtabgewendeten Seite N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ■83 nach der Lichtseite über, während die der Licht- seite ihre ursprüngUche Stellung beibehalten. Da sich bei dieser Pflanze die Spaltöffnungen nur an der Blattunterseite befinden, so sind diese nun an den übergeschlagenen Blättern nach oben gewendet. Diese zwangsweise Änderung der normalen Vege- tationsbedingungen scheint der Anlaß dafür zu sein, daß sich die nach der Lichtseite überge- schlagenen Blätter in der vorderen Hälfte um 1 80 " drehen und so wieder die normale dorsiven- Abb. I. Lujula albida 1 übergeschlagenen und nachträglich resu- pinierten Blatt ( Morph. Oberseite gestreift, Unterseite dunkel.) trale Anordnung hergestellt wird. Jedenfalls sind es nur die infolge ihres Gewichts übergeschlagenen Blätter, an welchen man die genannte Resupination beobachtet, nicht aber die in normaler Lage ver- harrenden Blätter (Abb. l). In diesem P'all von Resupination scheint also die Rücksicht auf die Wasserökonomie der maß- gebende Faktor zu sein; durch die Resupination gelangen die Spaltöffnungen wieder in normale Lage, d. h. es wird verhütet, daß die Transpiration zu groß wird. Anders liegen die Verhältnisse bei Poa nemoralis, einer Graminee, welche ähnliche Standorte bevorzugt wie Luzula albida — näm- lich Waldränder. Auch hier schlägt infolge schiefer Stellung der Halme ein Teil der Blätter, d. h. die der Schatten- seite, nach vorn, nämlich nach der Lichtseite über. Indessen kommt es hier in der Regel zu keiner nachträglichen Resupination (wie bei Luzula), sondern die übergeschlagenen Blätter verharren in der Zwangslage und stellen sich, ebenso wie die nicht übergeschlagenen Blätter der Lichtseite, auf das große diffuse Tageslicht ein. Das Ausbleiben der Resupination dürfte hier damit zusammen- hängen, daß diese Blätter nicht streng dorsiventral Abb. 2. Blatt von Poa nemoralis in Feuchtkullur, stark resupiniert. Abb. 3. a) sechsmal gedrehtes Blatt von Typha an- gustifolia. b) Im Stiel gedrehtes Blatt einer Alstroemeria. gebaut sind; sie tragen auf beiden Seiten Spalt- öffnungen — auf der Oberseite allerdings mehr als auf der Unterseite — und es ist daher wohl gleichgültig, welche Blattseite dem die Transpira- tion fördernden diffussen Tageslicht zugewendet wird. Nur zuweilen beobachtet man auch bei Poa nemoralis eine halbe Drehung der Blätter, meist derart, daß die vordere Hälfte der Blatt- fläche vertikal steht (Abb. 2). Dieser Fall leitet nun zu dem dritten Typus über, der durch zahlreiche andere Gräser und Pflanzen mit grasähnlichen Blättern vertreten wird. Die meisten hierher gehörigen Pflanzen besitzen nicht dorsiventral, sondern mehr oder weniger isolateral gebaute Blätter, d. h. ein Unterschied i84 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr 13 zwischen Ober- und Unterseite ist wenig ausge- prägt, oder fehlt ganz. Bei den meisten Getreidearten, bei Quecke und vielen anderen Gräsern sind die Blätter häufig um 180" um ihre eigene Achse gedreht. Es sind verschiedene Versuche gemacht worden, für die Drehung der Grasblätter eine einleuchtende Erklärung zu finden. Czapek hat die Frage bei Alstroemeria-hr\.tn auch experimentell verfolgt und gefunden, daß die Drehung der Blätter dieser südamerikanischen Amaryllidaceen auch im Fin- steren — wenngleich etwas langsamer — erfolgt (Abb. 3 b). Bezüglich der Entstehung dieses Vorganges kommt er zu einer Erklärung, die auch Goebel vertritt: „Die verkehrt orientierten Blätter der Alstroemeria sind im Lauf der phylogene- tischen Entwicklung aus solchen mit Profilstellung hervorgegangen; diese Stellung, die als Schutz gegen die intensive Besonnung und Transpiration angenommen wurde, änderte sich bei ver- änderten Verhältnissen wieder in Flächenstellung, aber nicht durch Rückgängigmachen der Drehung von 90°, sondern durch Weiterdrehen bis zu 180". Damit nahm das Blatt wieder dorsiven- tralen Charakter an." b. 4. Blatt von Lolium perenne aus Feuchtbultur (steriler Sproß) viermal resupiniert. In ähnlicher Weise denkt sich Goebel die Drehung der Blätter gewisser Gräser entstanden, z. B. bei Melica 7iutans. Er erinnert daran, daß nahe Verwandte derselben als Xerophyten Rollblätter besitzen, bei welchen die Unterseite den anatomischen Bau, der sonst der Oberseite zukommt, besitzen. Wenn nun solche Xerophyten sich wieder feuchteren Standorten anpassen, so wird das Blatt wieder flach und die mit Spalt- öffnungen besetzte Oberseite muß, um übermäßige Transpiration zu vermeiden, Unterseite werden, was eben nur durch Resupination möglich ist. Gegen diesen zweifellos einleuchtenden Er- klärungsversuch ist namentlich folgendes einzu- wenden: Bei vielen der hierher gehörigen Pflanzen geht die Drehung weiter (Abb. 4), bei manchen macht sie 360", oder sogar ein n-faches von 180" aus (z. B. 3— 4 X 180"). Dann kommt aber wieder die mit Spaltöffnungen versehene Blattseite nach oben zu liegen und der Nutzen der Resu- pination, soweit durch dieselbe Transpirationsschutz erzielt werden soll, wird hinfallig. Also müssen (wenigstens in diesen Fällen) für das Zustande- kommen der Resupination andere Faktoren maß- gebend sein. Der Vollkommenheit halber sei noch erwähnt, daß Stahl in der Drehung eine Erhöhung der mechanischen Festigkeit erblickt (besonders bei Alsfroenierta u. a.), und zwar zum Schutz gegen die mechanische Wirkung des Anpralls der Regentropfen. Gegen diese Deutung könnte manches eingewendet werden, z. B. daß viele zentralchilenische Alstroemeria- h.\\.tn gerade in der regenlosen Zeit vegetieren, also diesen Regen- schutz nicht nötig haben. Das gleiche gilt von einer nahe verwandten Liane Bomarea salsilla welche gewiß nicht viel von Regentropfen aus- zustehen hat, da sie durch das Blätterdach der Stützpflanze dagegen geschützt ist. Gegen'die'Annahme, daß, wie Goebel meint, die Wasserökonomie — Transpirationsbedingungen — 'maßgebend sei für die Drehung, spricht ins- besondere der Umstand, daß viele der hierher zu rechnenden Gräser (z. B. Triticuvi repens u. a.) (Abb. 5) Spaltöffnungen auf beiden Blattseiten besitzen, also nahezu oder vollkommen isolateral gebaut sind. Für solche wäre also eine Resu- pination vom Standpunkt des Transpirations- schutzes ganz bedeutungslos. Aber auch bei vielen anderen Pflanzen mit langen grasähnlichen Blättern — von mehr oder weniger isolateralem Bau — ist die ein- bis mehr- malige Resupination eine verbreitete Erscheinung, ich erinnere an Iris, Sparganiwn, Typha migusti- folia, sowie namentlich an südamerikanische Ery}7gium Arien (E. broniehaefülimn), und zwar ist die Anzahl der Drehungen bei einem Blatt um so größer, je länger es ist. Sehr instruktiv ist in dieser Hinsicht Typha angiisfi/olia (Abb. 3 a). Umgekehrt zeigen auffallend kurze Blätter bei Gräsern in der Regel keine oder nur eine schwache Resupination. Dies läßt vermuten, daß durch die Resupination die Biegungsfestigkeit erhöht werden soll, die N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 185 offenbar um so mehr gefährdet ist, je länger ein schmales bandartiges Blatt ist. Bis zu einem gewissen Grad ließ sich .dies durch ein einfaches Experiment nachweisen. Wird Poa nemoralis — bei Beleuchtung von oben, so daß ein Neigen des Halmes verhindert wird — teils im feuchten Raum, teils in trockener Luft kultiviert, so ist die Resupination bei Pflanzen der ersteren Gruppe viel deutlicher als bei denen der letzteren (Abb. 2, 4). Umgekehrt ist — wie wir wissen und wie der gleiche Versuch zeigt — das mechanische Gewebe bei den Trockenkultur- pflanzen viel kräftiger entwickelt. Es scheint also der Grad der Resupination, welche die Biegungs- festigkeit zweifellos erhöht, in umgekehrtem Ver- hältnis zu stehen zur Entwicklung des mecha- nischen Gewebes, oder erstere kann letzteres bis zu einem gewissen Grad ersetzen (Abb. 6). Sehr einleuchtend ist dies bei den riesig langen Blättern des Rohrkolbens, die obwohl schmale und ziemlich 'dünne Bänder, selbst bei Abb. 6. Blattquerschnite von Poa nemoralis ; oben Trockenblatt, unten Feuchlblatt (rechte Blatthälfte), beide bei gleicher Vergrößerung gezeichnet ; mechanische Elemente schwarz. Starker Windbewegung nicht geknickt werden oder überhängen, sondern sich immer wieder senkrecht aufrichten. Auch für die Einhaltung der fixen Lichtlage dürfte das I — n mal gedrehte Blatt besser befähigt sein als ein dünnes, biegsames, nicht ge- drehtes und daher leicht überhängendes. Welchen Wert die spiralige Drehung für band- artige Gebilde hat, um eine feste gerade Form anzunehmen, zeigt die nebenstehende Abbildung 7, bei welcher zwei gleich große und zwei gleich schwere Papierstreifen, der eine glatt, der andere aufgerollt miteinander verglichen werden. Einen der merkwürdigsten Fälle von Resu- pination finden wir bei den Arten der Gattung Picea, Sect. Omorica}) Bei diesen Bäumen sind die Nadeln nicht vierkantig wie bei der Sect. Eupicea, wohin unsere gewöhnliche Fichte gehört, sondern zweiflächig wie bei den meisten Abies- Arten, nur mit dem Unterschied, daß die beiden SpaltöfTnungsreihen nicht die Unter-, sondern die Oberseite der Nadeln einnehmen. Dadurch, daß die Nadeln im Nadelstiel eine mehr oder weniger starke Drehung erfahren, kommt die mit Spalt- öffnungen versehene Nadelseite nach unten zu liegen. Interessant ist nun das Verhalten solcher Nadeln, die sich, infolge ausbleibender Drehung des Nadelstiels, so orientieren, daß die Spalt- öffnungen tragende (morphologische) Oberseite nicht dem Boden zugewendet sind. Solche Nadeln gibt es aber immer eine größere ."Anzahl, nament- lich in der Nähe der Terminalknospen, wo etwa 10 — 15 Nadeln mehr oder weniger kegelförmig zusammenneigen und die Knospe gewissermaßen einhüllen. Diese Nadeln zeigen nun häufig auch auf der sonst spaltöfifnungsfreien Seite eine oder einige ') Dahin gehören außer der Picea omorica (Bosnien, Serbien) noch P. ajanensis und P. hondoensis (Japan), sowie P. sitchensis (pazif. Nordamerika). Abb. 7. (Erklärung im Text.) ; kurze Reihen von Spaltöffnungen, und zwar nicht nur an jenen Nadeln, deren morphologische Unter- seite (sonst spaltöffnungsfrei) nach unten gewendet ist (infolge geringer oder ganz fehlender Resu- pination), sondern auch an jenen Nadeln, deren spaltöffnungslose Seite dem Licht zugewendet ist. Hieraus geht hervor, daß nicht die unnatür- liche Lage — Spaltöifnungsseite nach oben — die Veranlassung zur Ausbildung von Spaltöffnungen an der sonst spaltöffnungsfreien Blattseite sein kann. Vielmehr scheint hierfür ein anderes Moment maßgebend zu sein. Alle diese die Knospe umhüllenden Nadeln nähern sich sehr dem Bau der Nadeln der Sect. Eupicea, d. h. sie sind mehr oder weniger vierkantig; und gerade bei den vierkantigen Fichtennadeln finden sich bekanntlich Stomata auf allen vier Seiten. Die Sachlage ist also die folgende: Die die Knospe umhüllenden Nadeln verzichten auf ihre Dorsiventralität (Zweiflächigkeit) und nähern sich dem vierkantigen Nadeltypus. Hand in Hand I86 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 13 damit ^eht eine Neigung zur Ausbildung von Spaltöffnungen auch an den sonst spaltöffnungs- freien Seiten. Allerdings fehlt diesen Nadeln die Resupina- tion nicht ganz; aber sie äußert sich in anderer Weise: nicht der Nadelstiel ist gedreht, sondern die ganze Nadel zeigt eine schwache schraubige Drehung. Dadurch legen sich die Nadeln der Knospe eng an und bilden einen kräftigen Panzer. Man hat hier durchaus den Eindruk, daß das ab- weichende Verhalten der Knospen nahen Nadeln dazu dient, die Knospen schützend zu umfassen. Übrigens auch die Primärnadeln verhalten sich ähnlich wie die knospenumfassenden Nadeln älterer Triebe: sie sind nicht resupiniert, nähern sich im Bau der vierflächigen (£t(p/cea-)Nade\n, und tragen auch an der morphologischen Unter- seite Spaltöffnungen, wenn auch weniger als an der Oberseite. Schließlich sei noch erwähnt, daß die an älteren Ästen oder am Stamme befindlichen sehr breiten Nadeln zwar deutlich dorsiventral gebaut, aber keineswegs resupiniert sind, dafür aber mit ihrer Spaltöffnungen tragenden Oberseite dem Stamm eng anliegen und sich auf diese Weise gegen ein Übermaß von Transpiration schützen. Dies darf wohl als indirekter Beweis dafür angesehen werden, daß die Resupination der Omoricanadeln im Dienst der Wasserökonomie steht. Diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Er- scheinung der Resupination im Pflanzenreich viel verbreiteter ist als man gewöhnlich anzunehmen geneigt ist, ferner daß sie sehr verschiedene öko- logische Bedeutung haben kann. Sie ist wert, noch weiter verfolgt zu werden, und die Anregung hierzu zu geben, war der Zweck meiner kurzen Ausführungen. Polarlichter am Tage und Kleinere Mitteilungen. in niederen Breiten. Die überaus schweren Schneefalle, die über Deutschland in der zweiten Januarwoche 1918 einsetzten und Beträge an Schmelzwasser lieferten, die dort sonst nur von den ergiebigeren Regenfällen des Sommers bekannt sind, waren am II. Januar 191 8 im unterelbischen Holstein von eigenartigen Lichterscheinungen begleitet. Es handelte sich um ein flimmerndes Aufzucken, das sich bei heftigstem Schneetreiben einstellte. Im Großstadtgebiete Hamburg- Altonas war man zuerst geneigt, es auf Entladungen der dem Tramverkehr und der Beleuchtung dienenden Starkstromleitungen zurückzuführen. Aber nach Einbruch der Dunkelheit verlegte sich das Flammen und Blitzen so deutlich an den Nordhimmel, daß an einer Erklärung aus Polar- licht kaum zu zweifeln war. Der elektrische Ladungsvorgang der Erdatmosphäre, auf den solche Erscheinungen zurückgeführt werden, zeigte sich überdies durch kurze Wintergewitter an, die mit Blitz und Donner bald nach 4 und mit einem gelben Blitzstrahl gegen 6^/^ Nachmittags über Hamburg beobachtet wurden. Diese abendliche Beobachtung geschah von dem etwa 10 km nördlicher gelegenen Schneisen aus, wo jenes flimmernde Zucken, von 7 Uhr in der Frühe an, fast bei jeder der heftigen Schneeböen gesehen war. Da die Holsteinische Wetter- und Sonnen-Warte mehr als kilometerweit von jeder elektrischen Starkstromleitung entfernt liegt, fällt diese letztere Beobachtung für eine kosmische Erklärung der Lichterscheinung aus Polarlicht ins Gewicht. Dann handelte es sich aber um nichts Ge- ringeres als um eine bisher noch nicht bekannte Beobachtung von Polarlicht am Tage uund über- dies in mittleren Breiten, Das erscheint nur auf den ersten Blick wunderbar. Elmsfeuer, die nach Lemström's bekannten Versuchen mit Polar- licht eng verwandt sind, werden auch bei Tage beobachtet. Als Büschelent ladungen stellen sie sich vor manchen Blitzschlägen ein. Die mir be- kannt gewordene Photographie eines solchen beim Kaiser Wilhelm- Kanal zeigte sogar vier oder fünf solcher Entladungen in der Form eines kleinen, senkrechten Strahls mit darüber schwebendem Feuerball, die ihre Tatsächlichkeit durch ihre ge- nauen Spiegelbilder auf der Wasserfläche _ aus- wiesen. Auch sind in anderer Form Polarlichterschei- nungen am Tage sehr häufig zu beobachten. Es sind Federwolken oder Girren, besonders wenn sie fächerförmig von nördlichen Gebieten des Tageshimmels ausstrahlen oder auf ihm zu band- artigen, geschwungenen und an einer Seile umge- schlagenen Streifen nebeneinander geschichtet sind. Am Abende des 25. September 1909 wurde ein solcher sehr ausgeprägter Wolkenfächer gegen 8 Uhr M. E. Z. am Südwesthimmel Großflottbeks bei Hamburg beobachtet, dort, wo nach W i e c h e r t ' s Göttinger Polarlichtbeobachtungen, eine solche Er- scheinung erwartet war. Eine Abbildung dieses Fächers ist von mir in der Münchener Halbmonat- schrift „Natur und Kultur" schon am i. November 1909. also wenige Wochen später, als Polarlicht- erscheinung veröffentlicht. Am I. August 191 5 beobachtete Mr. D. F. Manning zu Alexandria Bai im State New York einen nicht minder überzeugenden Zusammenhang von Polarlicht und Federwolken. Er beschrieb ihn bereits im Julihefte 191 5 des Monthly Weather Review, nach wortgetreuer Übersetzung, folgendermaßen : „An dem erwähnten Tage, gegen 1 1 Uhr vor- mittags, formte sich ein Bogen von Cirrostratus- N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 187 Wolken am Nordhimmel, etwa 30" über dem Horizonte. Darunter blieb der Himmel klar. Dieser Wolkenbogen wurde sehr ausgeprägt im Laufe des Nachmittags. Darüber erhoben sich lange Cirrusstreifen oder Roßschweife, die ihre Basis in dem Cirrostratus-Bogen besaßen. In der Tat gewannen die Cirruswolken sichtlich die volle Entwicklung eines Polarlichtes. Der klare Raum unterhalb des Bogens blieb besonders ausgeprägt. Dieser Zustand hielt sich mit geringer Änderung den Tag über. Als die Dunkelheit einbrach, stelle man sich meine Überraschung vor, als ich den Himmel von einem Polarlicht erhellt sah, das, be- sonders in bezug auf den Bogen, im ganzen identisch mit jenen Federwolken war." Auch das Zustandekommen von Polariicht- erscheinungen in niedrigeren Breiten ist durchaus nichts ungewöhnliches. Dahin gehörte schon der erwähnte Wolken- föcher, der, am Südwesthimmel Großflottbeks be- obachtet, einem nordwärts von Göttingen gesehenen Polarlicht entsprach. Die Lage dieses Polarlichtes war von Herrn Professor Wiechert in 50 km Höhe zwischen Hannover und Hamburg errechnet worden, also in der Tat südwestlich von Groß- flottcek. Das war ohne Kenntnis der dortigen Beobachtung geschehen. An dem Tage dieser Beobachtung, dem 25. September 1909, wurden Polarlichter eigentlich über dem ganzen Erdball, jedenfalls bis Singapore und Batavia in der Nähe des Äquators beobachtet. Es ist nicht anzunehmen, daß ihre Entstehung höher arktisch oder antarktisch war. Singapore liegt unter i ^2 " nördlicher, Batavia unter 6 " süd- licher Breite. Die gleiche Annahme ist schon geboten bei den Polarlichtern des 2. Februar 1872, die bei Bombay unter i8'/j* nördlicher und auf Mauri- tius unter 20* südlicher Breite gesehen sind. Am 15. Mai 1909 wurde über dem Blue Hill Observatory zu Boston von Mr. Andrew H. Palmer Polarlicht zunächst im Zenith beobachtet. Gegen 10 Uhr abends verlegte es sich nach dem Südhimmel. Zu dieser selben Zeit wurde, wie schon lange vor jener amerikanischen Beobachtung bekannt gegeben wurde, vom Kapitän Niss des Hamburg-Amerika-Dampfers „Pallanza", vor seiner Ankunft in New York, ein Polarlicht am Nord- himmel gesehen. Der Schiffsort lag damals etwa 48 Seemeilen östlich Nantucket, 220 km südöst- lich von Blue Hill. Der Sachlage nach mußte es sich um das gleiche Polarlicht handeln, dessen Entstehungsort am Himmel also auf weniger als 200 km Breite festgestellt war. Ausführlicheres veröffentlichte ich über alle diese Beobachtungen in der Wiener Wochenschrift „Urania" vom 18. September 1909, 22. Januar und 26. Februar 1910. Ihnen darf nunmehr die Beobachtung vom ii. Januar 19 18 angereiht werden. Von Begleiterscheinungen fällt an dieser Januar- zeit 1918 besonders der ungeheure Schneefall in Deutschland auf. Dazu tritt im englischen Heeres- berichte vom 15. Januar 1918, die Meldung von Schneefall sogar in Palästina, bei Bethlehem, am II. Januar. Sollte die Kondensation, die in Nord- westdeutschland die Temperatur am 10. Januar von — 14 auf +6* steigen ließ, vielleicht eben- falls durch kosmische, im besonderen solarische Einflüsse Steigerung erfahren haben? Diese Frage drängt sich um so mehr auf, als die Elektronen, die den Einfluß gesteigerter Sonnen- tätigkeit auf die Erde nach Birkeland und Störmer vermitteln, als besonders wirksame Kondensationskerne gelten. In jener Zeit der Schneestürme war die Sonnen- tätigkeit durch zwei Reihengruppen von Sonnen- flecken, die unter starken Formveränderungen an der Erde vorübergeführt wurden, als heftig ge- kennzeichnet. Die zweite kreuzte am 10. Januar 19 18 gerade den Zentralmeridian. Wie an die Internationale Zentralstelle für Astronomie zu Kiel bereits von mir berichtet und von ihr in den Astronomischen Nachrichten Nr. 4923 veröffent- licht, hatte sich im Vorjahre 1917 ein System doppelter antipodaler Korrespondenz auf der Sonne vollzogen, dem die bemerkenswert häufigen Riesen- signale der Sonnentätigkeit dieses Jahres restlos entsprachen.') Einem der durch sie als bevorzugt herausgehobenen Herde der Sonnentätigkeit ent- sprach tatsächlich auch das Feld dieser Tätigkeit, dem jene Gruppe des 10. Januar 1918 angehörte. Quadrantisch lag ein am 7. Januar 191 8 vor- ausgegangenes Fleckensignal dieses Feldes ge- steigerter Sonnentätigkeit zu zweien Herden dieser Tätigkeit, die geschichtliche Bedeutung bean- spruchen dürfen. Diese, einander physisch anti- podalen Herde der Sonnentätigkeit konnten an europäischen Beobachtungen bis 1625, an ost- asiatischen bis 301 von mir zurück verfolgt werden, als die stärksten und häufigsten Herde des Vulka- nismus der Sonne. Wilhelm Krebs. ') Diese doppelte Antipodalilät der gesteigerten Sonnen- lätigkeit, oder Vierteilung des Sonnenumfangs durch Flecken- signale, war von mir schon vor Dezember 191 7 angekündigt, als erst zwei der vier beteiligten Sonnenflecken besetzt waren. Das ist in meinem Beitrag „Korrespondierende Katastrophen auf der Sonne und in der Erdatmosphäre 191 7" geschehn, der auf S. 7 — 9 der Naturw. Wochenschr. Nr. I vom 6. Januar 1918 erschienen ist. Unter diesen Umständen darf behauptet werden, daß in 191 7 nunmehr sogar zwei Sonnenausbrüche örtlich angesagt waren, die danach im Dezember 1917 ein- getroffen sind. (Vgl. N. W. a. a. O., S. g). — Vgl. auch den Beitrag desselben Verfassers in dieser Zeitschrift: Über- einstimmende Gesetzmäßigkeit bei den großen F.rd- und Sonnen- katastropben 1917. 188 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 13 Einzelberichte. Zoologie. Deutsches Vogelleben 191 7. Wie schon erwähnt, hat die strenge^KäTte^inTjanuar bis März 1917 dem Haarwild nur wenig geschadet, stärker hat sie das Flugwild und das übrige Vogel- leben beeinträchtigt. Es liegt in der Sache, daß später bekannt ge- wordene Beobachtungen das damals entworfene Bild nur nach einer Seite verschieben können, indem nachtäglich weitere Kältewirkungen offen- bar werden. In dieser Hmsicht ist für das Wild zwar kaum etwas nachzutragen, dagegen hat man vieler- orts eine Verminderung der Singvögel bemerkt. So berichtet H. Freiherr G e y e r v o n Schweppenburgi) aus dem Rheinland eine Abnahme der Stare, was auch an anderen Orten, doch nicht überall bemerkt wurde, ferner der auf Ameisen angewiesenen Grünspechte, der Blau- und Kohlmeisen, der Stieglitze und der Eisvögel und Grünfüßigen Teichhühner. Diese Angaben be- ruhen auf dem Nachweis verwaister, sonst gern bezogener Niststätten und sind daher sicherer als die in der gleichen Richtung liegenden Eindrücke bei Amseln, Schwanzmeisen, Wintergoldhähnchen und anderen Arten; sicher hat auch' die Zahl der Rotkehlchen und der sonst so winterharten Zaun- könige abgenommen. Der Baumläufer, die Hecken- braunelle und alle Körnerfresser brüteten in un- verminderter Zahl. Gustav Thienemann in Magdeburg ^) fiel vor allem das Fehlen von Gras- mücken verschiedener Art, vom Fitis- und Weiden- laubsänger sowie wiederum von Staren und Amseln auf. Wenn er als Ursache eine Verschiebung des Vogelzugs infolge der Kriegswirren im Westen und Südwesten in Erwägung zieht, so dürfte er nach dem, was wir über Krieg, Winterkälte und Vogelleben wissen, weniger auf dem Wege der richtigen Erklärung sein als Freiherr von Schweppenburg, der verendete Vögel mehr- fach nachwies, jedoch in der Kälte nicht die un- mittelbare Todesursache sieht, sondern diese mehr im Mangel an Futter und vielleicht auch an Trinkwasser sucht und außerdem mit der Mög- lichkeit des Wegzugs vieler Vögel rechnet. Auch betont dieser Beobachter sowie Fritz Braun,') daß viele Singvögel den Krähen und Raubvögeln zum Opfer fielen, wie ich es schon früher nach anderweitigen Mitteilungen schilderte. Die Lücken, meint Freiherr von Schweppenburg, füllen sich wieder in einigen Jahren. Den Angaben B. Hoffmann's- Dresden, *) die sich zum Teil mit den vorigen decken — Ab- nahme von Amseln, Staren, Meisen, Haus- und Feldsperlingen, gutes Durchkommen von Specht- meisen und Goldammern — ist fernerhin eine verspätete Rückkehr der Wandervögel zu entnehmen. Dies betrifft die Singdrossel oder Zippe, Buchfinken, Hohl- und Ringeltauben und den verspäteten Abzug der Krähen. Eine Ver- spätung nm 8 bis 18 Tage gegenüber dem durch- schnittlichen Tag des Eintreffens bemerkte auch Schuster^) im Warthetal bei Bachstelze, Rauch- schwalbe und Hausrof schwänz, aber nicht beim Kiebitz, dessen frühes Eintreffen auch schon früher von verschiedenen Gegenden erwähnt wurde, noch bei Schwimmvögeln. Soweit ist das Bild einheitlich, indessen gibt es auch Ausnahmen: wenn, nach Ho ff mann, die Klappergrasmücke, beide Rotschwänze, der Girlitz und der Gartensänger in der Dresdener Gegend gerade auffallend zahlreich aufgetreten sind, so übersehen wir zwar die Zusammenhänge nicht, können uns aber wohl denken, daß auch dies mit den durch die Kälte bedingten Wande- rungen zusammenhängt. Zur Ergänzung des Bildes lenken wir nun mehr den Blick, wie seit 191 5 alljährlich, auf den Vogel- hort Hiddensoe -) bei Rügen. Seinein das Meer vorgeschobene Lage bringt Besonderheiten mit sich. Hier oder in Vorpommern erschienen die Vögel von der Bachstelze bis zur Graugans mit drei- bisdreißigtägieer Verspätung, der Storch mit fünftägiger, der Kiebitz mit siebzehntägiger. Die Lebensmittelknappheit zog vielen verbotenen Eier- raub an Möven nach sich, ferner sei im Verein mit der Kälte, die den Bodden zwischen Hiddensee und Rügen stark zufrieren ließ, infolge der Jagd eine fühlbare Abnahme der dort verweilenden Höckerschwäne eingetreten, die früher kaum für 3 bis 5 Mark an den Mann zu bringen waren, jetzt aber 20 bis 30 Mark das Stück bezahlt werden. Jedenfalls erhält dieser Ort ständig Zuzug an Schwänen von dem neuerdings unter Schutz gestellten Richtenberger See in Neuvorpommern. Abweichend von diesem auffälligsten Naturdenk- mal Hiddensees hat das wertvoll-te, die Säbel- schnäblerkolonie auf dem Gänsewerder, nicht ge- litten. — Daß die Vogelschutzvereinigungen unentwegt weiterarbeiten , ist jetzt, im vierten Kriegswinter, schon fast selbstverständlich. Den Wert der jetzt sehr erschwerten Winterfütterung bezweifelt Graf H. V. Berlepsch, was jedoch .schon widerlegt wird durch die Feststellungen des Freiherrn von Schweppenburg, der in seinem Gebiete ein Sumpfmeisenpaar brüten sah, daß den Winter hin- durch, als andere Stücke fortblieben, ständig an seine Futterkästen gekommen war. Der über den ideellen Gesichtspunkt hinausgehende Wert der ') Reichenow's Ornithologische Monatsberichte, 28. Jahrg., Nr. I, Januar 1918. ') Hennicke's Ornithologische Monatsschrift, 42. Jahrg., Nr. la, Dezember 191 7. ') O. Monatsberichte, 25. Jahrg., Nr. 7/8, 1017. ') O. Monatsschrift, 42. Jahrg., Nr. 17, 1917. ') Zeitschrift der Naturwissenschaftlichen Abteitung der Deutschen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft in Posen, \'r. 80, 1917. 2) Ernst UnbruM- in der i\ Monals-^chrift. 43. luhr^.,, Nr. I, 191S. N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 189 I'^ütterung für die Erhaltung der Vögel folgt zum Beispiel aus den Ermittelungen Kaysers,^) wonach die Meisen durch Vernichtung des Apfel- blütenstechers, Anthonomus pomorum, sehr nütz- lich werden. Wie ich schon früher erwähnte, wird eine an vielen Orten beobachtete Abnahme der Sperlinge sowie eine Vermehrung der Elstern, Wachteln und Nachtigallen wohl mit Recht als eine mittelbare Wirkung des Krieges hingestellt. Für die Wachtel hegen neue iVleldungen aus Ostpreußen und Naum- burg vor. Wie an der ganzen Westfront, höt man auch im Oberelsaß den Wachtelruf nicht selten. Auf Kriegsverhältnisse und zwar auf die Kriegs- wirren im Südosten wird schließlich auch das ge- legentliche Auftreten mehrerer Geier in der Nord- deutschen Tiefebene, zum Beispiel an den Flug- käfigen in Hagenbecks Tierpark zurückzuführen sein. V. Franz. Maikäferbekämpfung und Vogelwelt. Unter den zahlreichen natürlichen Femden des Mai- käfers kommt der Vogelwelt unstreitig die größte Bedeutung zu. Forstmeister K u r t LoosLiboch a. Elbe, der bekannte Verfechter der böhmischen Vogelschutzbestrebungen, hat seit Jahren den Kampf der Vogel welt gegen den schlimmen Kultur- schädüng verfolgt und berichtet über seine Erfah- rungen m der „Zeitschrift für angewandte Ento- mologie" (4. Jahrg. 19 17 Heft i S. i — 15). Die Beteiligung der Vogelwelt an der Maikäferver- tilgung ist in manchen Gegenden eine dermaßen hohe, daß ihr allein eigentlich das Verdienst ge- bührt, wenn in der Maikäferkalamität eine fühlbare Abnahme erreicht werden konnte. So weist Loos darauf hin, daß in der Nähe starker Lachmöwen- kolonien die Maikäferplage niemals eine er- schreckende Höhe erklimmen konnte. Loos führt ein Beispiel dafür an: auf dem mächtigen Teiche bei Hirnsen in Böhmen halten sich etwa lOOOO Lachmöwenbrutpaare mit 20000 Jungmöwen auf; die Bewohner der Ortschaften, die in einem Um- kreis von 4 — 6 km rings um den Teich gelegen sind, haben noch nie über Maikäferschäden zu klagen gehabt. Die gewaltige Lachmöwenschar gibt sich ja so eifrig der Jagd auf Engerlinge und Maikäfer hin, daß die Schädlinge nie hochzukom- men vermögen. In der Ortschaft Sattai bei Danuba dagegen, die, wenn auch nicht allzuweit vom Teiche entfernt, so doch nicht mehr im Wirkungsbereich der Vögel gelegen ist, mußte in einem Maikäferjahr an den Obstbäumen Kahl- fraß festgestellt werden. Auch die krähen - artigen Vögel gehen den Engerlingen und Mai- käfern stark nach. Allerdings empfiehlt sich eine Massennachzucht dieser Vögel nur zum Zwecke der Maikäfervertilgung aus mancherlei Gründen nicht. Ein für die Land- und Forstwirtschaft eben- falls ungemein nützlicher Vogel ist der Star, der ') 0. Monatsschrift, Nr. I, 1918. zudem allermeist in großen Gesellschaften auf tritt und eben dadurch besonders erfolgreich den Kampf gegen den Maikäfer aulnehmen kann. Durch das Aushängen von Nisthöhlen läßt sich der Star massenweise an eine Gegend fesseln; der Mensch hat damit ein Mittel in der Hand, mit dem er die Maikäferplage merkbar einzudämmen vermag. Frei- lich darf man von den Staren nichts Unmögliches verlangen; einer Kalamität, die, in ihren ersten Anfängen unbeachtet, bereits größere Dimensionen angenommen hat, wird auch eine Massenbesiede- lung durch Stare nicht abhelfen können. An Hand einer einfachen Berechnung sucht der Ver- fasser dies nachzuweisen: in einem stark ver- seuchten Gebiet wird sich in jedem qm doch zumindest i Engerling finden, der seine Entwick- lung bis zum Käfer erreicht. Auf eine Fläche von 5 qkm oder 2500 ha käme dann schon eine Käfer- masse von 25 000 000 Exemplaren. Im allgemeinen, führt Loos weiter aus, werden auf derselben Fläche sich doch im höchsten Fall 300 Staren- pärchen ansiedeln lassen." Sollten diese wenigen Stare den Kampf gegen den Maikäfer mit Eriolg führen, so müßte bei einer 30tägigen Schwarmzeit der Maikäfer durchschnittlich jeder Star 1 00 000 oder täglich 3300 Käfer verzehren 1" Dieser Auf- gabe können die paar Hundert Stare natürlich unmöglich gewachsen sein. Der Verfasser hat, um zu erfahren, wie viele Maikäfer die einzelnen Vögel vertilgen, zahlreiche Magenuntersuchungen durchgeführt. Bei Nebelkrähen z. B. ergaben sich in allen Mägen zur Käferflugzeit Maikäterreste, in zahlreichen Mägen konnten überhaupt nur oder doch fast ausschließlich nur Teile dieses Insekts fest- gestellt werden. Bei diesen Magenuntersuchungen muß der Beobachter überdies berücksichtigen, daß die Krähen die Chitinteile der Käfer, also die bei der Nachprüfung am leichtesten zu konstatierenden Teile, schon nach ganz kurzer Zeit wieder als Auswurf abgeben. Verfasser konnte bei gefangenen Exemplaren dies schon nach 2^^|^ Stunden beob- achten. Deshalb ist mit aller Sicherheit anzunehmen, daß die Vögel während des Tages mehreremale — Loos berechnet bei einer 16 stündigen Tageszeit 6 mal — ihren Magen mit Maikäfern füllen. Auch Engerlingsreste fanden sich zahl- reich in den Mägen von Nebelkrähen. Die Krähenvögel folgen ja eifrig dem Pfluge, um Engerlinge zu jagen, auch am Welkwerden der befallenen Pflanzen erkennen die Vögel, diese Er- fahrung machte Loos des öftern, das Vorhanden- sein der Larven und stellen ihnen dann mit Aus- dauer nach. Loos fand im Magen einer jungen Krähe allein 34 Kiefernzangen von Engerlingen. Auf Grund seiner Berechnungen kommt der Ver- fasser zu dem Schlüsse, daß die heimische Vogel- welt etwa 35°/, der gesamten Schädlingszahl zur Vernichtung bringt. An ihr liegt es also nicht, wenn die Maikäfergefahrbei uns noch immer nicht all ihre Schrecken lür den Forstmann sowohl wie für den Landwirt verloren hat. Erst wenn die syste- matische Bekämpfung durch den Menschen, den I90 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 13 Kampf der Vögel unterstützend, allüberall tat- kräftig aufgenommen wird, etwa nach der erprobten Methode, wie sie Prof. Dr. K. Escherich vom Maikäferkrieg im Bienwald in der bayerischen Rheinpfalz beschreibt,') erst dann wird es möglich sein, der Maikäferplage erfolgreich Einhalt zu gebieten. H. W. Frickhinger. Neuzeitliche Heuschreckenbekämpfung in Klein- asien. "j In Anatolien, Syrien und Palästina treten drei Heuschreckenarten als Landplage auf, die sogenannte „Ägyptische Wanderheuschrecke", Schistocerca peregiina, ferner der im Mitlelmeer- gebiet verbreitete Calyptamus italicus und Siauro- notus maroccanus. Uie Schistocerca kommt in Perioden von 12 bis 13 Jahren für je zwei bis drei Jahre, so 1915 und 1916, und geht dann wieder infolge ungeeigneter Lebensbedmgungen zugrunde; Calyptamus hat verhältnismäßig ge- ringe Bedeutung, Stauronotus ist der schlimmste Feind der Kultur Anatoliens und gewisser Teile von Syrien und dem Zweistromland. Seine Schwärme haben 300 bis 600 m Breite, und wenn sie aus den Eiablegeplätzen kommen, 2 bis 3 km Tiefe, später oft noch mehr: es wurden von Bücher selbst 15 und 25 km lange Streifen be- obachtet. Die Bevölkerung verhalt sich dieser endemischen Landplage gegenüber ziemlich fata- tistisch. Die Landbewohner umkreisen Teile des Wanderzuges und zertreten den nach außen zu entweichen suchenden Schwärm, oder sie treiben die Heuschrecken in Gruben, die sie dann mit Erde zuschütten, oder endlich sie treiben kleine Schwärme auf Tücher und sammeln die gefangenen Heuschrecken in Säcken ein. Vom türkischen Landwirtschaftsministerium im Dezember 19 15 zur Organisation der Heuschreckenbekämpfung be- rufen, teilte Dr. Bücher im Verein mit Dr. Bauer und Dr. Bredemann die verseuchten Gebiete in 14 Bezirke ein, in denen mit Hilfe des Militärs und unter strenger Heranziehung der gesamten Bevölkerung vor allem zum ausgiebigen Umpflügen des Bodens an den Eiablegesielien die Vernichtung der Eier sowie die strenge Durchtührung des pflicht- mäßigen Eiereinsammeins und außerdem der An- kauf der Eier begonnen wurde, die trotz ihres hohen Düiigewertes vernichtet werden mußten, um nicht unkontrollierbarem Betrüge Tür und Tor zu öffnen. Ferner wandte Bücher, sobald das Material dazu aus Deutsehland beschafft und ein hinreichend ge- übtes Personal herangezogen war, die „Zink- methode" an, die sich als sehr erfolgreich erwies und darin besteht, daß den Zügen noch unge- flügelier „Fußgänger" Barrieren aus Zinkplatten entgegengestellt werden, an denen die Tiere ent- lang wandern, bis sie in künstliche Gruben fallen. ') Vgl. dazu meinen Bericht „Maikäferbekämpfung" in dieser Zeiuchrift (N. F. 15. Bd. Jahrg. 1916 Heft 35 S. 509). ') Nach Dr. Bücher im „Tropenpflanzer", Zeilschr. f. ropiscbe Landwirtschaft, 20. Jahrg. Nr 9, S. 373 bis 387, Sept. 1917. Die Ausstreuung von Giften wie Arsenik und Schweinfurter Grün konnte teils wegen der damit verbundenen Gefahr für Menschen und Weidevieh, teils wegen Mangels der Chemikalien und der nötigen Apparate nur in beschränktem Umfange angewendet werden. Durch die angegebenen Methoden wurden Getreidefelder und große Kul- turen stark geschützt, so daß der Verlust 1916 nur 6 bis lo^/^ gegen 40 bis 507^ im Vorjahre betrug. Dagegen konnten die Felder der Berg- bauern weniger geschützt werden. Für 191 7, schrieb Bücher gegen Ende 19 16, sind weitere Maßnahmen geplant, und „wenn nicht besondere Ereignisse eintreten sollten, ist also die Gewähr gegeben, daß in diesem Jahre durch die Heuschrecken- bekämpfung die Ernte nicht nur der fruchtbaren Landstriche, sondern auch des ganzen Gebietes überhaupt gesichert werden kann". Ein rühmliches Zeugnis deutscher Organisation und Tatkraft. V. Franz. Die Malariamücken Mazedoniens. Trotz der kontinentalen Hitze und Trockenheit, die für viele Orte Mazedoniens den Sommer hindurch bezeich- nend ist, beherbergt das Land viele Malariamücken, die als Volltiere in Häusern und in der Nähe des Menschen anzutreffen sind, während die Larven der einen Art, des kleinen Anopheles super- pictus Gr., von F. Doflein') außer in Tümpeln und Regenfässern auch in einer bisher als malaria- unverdächtig gellenden Landschaftsform ge- funden wurden: in den Schlucht bächen des Wardartals und seiner Nachbarschaft. Diese Bäche in den tiefen Schluchten der waldarmen Gebirge enthalten zur Regenzeit gewaltige Wasserströme, die im Sommer immer kleiner werden und im unteren Teil oft ganz austrocknen. Kleine, durch Geröllmassen angestaute Tümpel bleiben dann zu- rück. Die Bäche enthalten eine reiche Fauna, und nicht nur in den Staubecken, sondern auch an lebhaft fließenden Stellen finden sich die Larven von Anopheles superpictus in großer Zahl, seitlich und hinter der Strömung an den Steinwänden sowie an Algenpolstern festhängend. Stößt man nur ein wenig an die Steine an, so werden die Tiere von der Strömung hinwegge- wirbelt. Bisher ist 'erst einmal das Vorkommen von Anopheleslarven, und zwar von A. maculatus, in schnellfließenden Bächen bekannt geworden, in den Malayenstaaten. Wenn im übrigen auch in der Literatur das Vorkommen von Anopheleslarven in Staubecken sich schon hier und da erwähnt findet, so war es doch bisher fast ein Dogma, daß Anopheles nicht im fließenden Wasser brüte. Lazarette an Bachschluchten galten daher als ge- fahrlos für Malariainfektion, während nunmehr das Auftreten von zahlreichen frischen Malariafällen in ihnen erklärt ist. ') Müncbener Medizinische Wochenschrift, cö. Jahrgane. Nr. I, 1918, S. 17 bis 18. N. F. XVn. Nr. 13 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 191 Noch verbreiterer als die im übrigen Europa kommen in Rumänien außer maculipennis auch seltenere Art superpictus ist der auch sonst häufige pseudopicius und bifurcatus und auf dem Balkan Anopheles maculipennis in Mazedonien. Weitere wohl alle aus Euiopa bekannten Arten vor. Arten fand Doflein bisher dort nicht; doch V. Franz. Anregungen und Antworten. Intelligenz bei Katzen. Es ist wohl keine umstrittene Frage, dafl Hunde auf einen bestimmten Rufnamen, wie „Karo", „Schlumps", „Strolch", „Cäsar" u. dgl., den sie von Jugend aut zu hören bekommen, schließlich sehr gut reagieren. V, eniger beobachtet aber ist die Wirkung, welche Kufnamen auf Katzen ausüben. Uie Ansicht, daß sich bei Hauskatzen die Assoziation zwischen einem Kulnamen und einem bestimmten psychischen Komplex samt der begleitenden Tätigkeit nicht oder doch nicht nennenswert auszubilden vermag, hat viele Anhänger. Der Grund ist wohl der, daß Rufnamen bei Katzen ziemlich selten sind und daher eine ausreichende Beobachtung fehlt; außerdem ist es aber auch schwierig, der Hauskatze die ge- wünschte Assoziation beizubringen und man steht daher wohl meist nach kürzeren Bemühungen von seinen Versuchen ab. Führt man sie jedoch monate- und jahrelang unentwegt durch, so findet man seine Mühe doch belohnt. Das beweisen meine in dieser Richtung angestellten Versuche. Es handelte sich dabei um eine dreifarbige Hauskatze. Ich bekam sie, als sie noch nicht ein halb Jahr alt war und sollte sie ,, Weiße" rufen. Ich fand aber bald, daß sie viel besser auf das be- kannte „Ps", „Ps" reagierte. Um sie jedoch an den Laut „Weiße" zu gewöhnen, ließ ich sie den Zischlaut nie mehr hören, gab ihr die Nahrung nur, wenn sie sich auf den Ruf- namen irgendwie bemerkbar gemacht halte, ebenso wenn sie einen besonders guten Bissen bekommen sollte. Nach Verlauf von etwa fünf Monaten war sie schon soweit, daß sie sich durch scharles Aussprechen des Rufnamens von dem Betreten für sie verbotener Zimmer und Plätze zurückhalten ließ, aber sie folgte noch nicht dem Rufe, wenn ich sie aus einem andern Zimmer anrief, höchstens hob sie den Kopf und nahm eine Horchstellung ein. Erst nach Verlauf von etwa einem Jahr wurde sie folgsam. Ich war mit diesem Ergebnis zu- frieden, wenn es auch im Verhältnis zu der aufgewandten Zeit und Mühe recht bescheiden aussieht. Meine Erwartungen wären auch ganz erfüllt worden, wenn das Tier nun stets so reagiert hätte, aber sobald es sich auf der Straße oder im Garten befand, war alles Rufen vergebens, die wilde, unge- zügelte Seite des Charakters brach wieder hervor, und der Eindruck der freien Aatur war stärker als jede noch so ge- pflegte Assoziation, das Ti. r reagierte übeihaupt nicht auf Aniule. Zu diesem Mißerlolg trägt unzweilelbait viel die nur schwach oder gar nicht veieible Anlage zur Assoziation bei. Noch ein Moment, auf das ich besonders hinweisen möchte, fiel mir auf. Ich konnte öfter beobachten, daß die Katze auch auf andere Lautverbindungen, wenn ich sie ähnlich laut und scharf aussprach wie den Kufnamen „Weiße" reagierte. Durch Laute wie „Moll", „Scharf", „Treff ' u. a. m. ließ sie sich öfter abschrecken oder zu Emporheben des Kopfes und Ein- nehmen einer Horchstellung bewegen. Aus dem Schlafe er- wachte sie durch solche laut ausgesprochenen Silben weit eher wie durch den Rufnamen. Bisweilen aber gelang der Versuch in dieser Richtung auch nicht, und das Tier handelte nach dem momentanen Triebe. Änderte ich in dem Rufnamen „Weiße" die Konsonanten, so war die Reaktion des Tieres von der ihren Rufnamen begleitenden kaum zu unterscheiden. ich vermochte sie auf diese Weise sogar aus einem Zimmer in das andere zu locken. Es erscheint mir aber doch ver- früht, danach zu behaupten, die Katze reagierte auf jeden Laut, sobald man ihn nur genügend scharf aussprach, und es häUe sich keine feste, bestimmte Assoziation mit dem Ruf- namen vcibunden. Eine solche Assoziation war zweifellos vorhanden, wenn der Ei folg bisweilen auch ausblieb oder verdunkelt wurde. Es bleibt jedoch auf diesem Gebiete der genauen wissenschaftlichen Beobachtung und Analyse noch sehr viel zu tun übrig. Dr. L. Reiche. Sonntag II. Nov. 19 17 hörte ich in Flums, Kt. St. Gallen, Schweiz, in der Nähe von Sangans, Kanonendonner, wie ich ihn von solcher Heftigkeit und Stärke hier noch~nie gehört habe. — In gerader nordwestlicher Entfernung von rund 170 km liegt Mülhausen i. E. Nimmt man den Ursprung des Schalles in gleicher Richtung an der Deutsch-Franz. Front an so erhält man eine Distanz von rund 200 km. Das Wetter war kühl, im Tal herrschte Windstille, während in großer Höhe leichtes Gewölk direkt aus Nord- westen zog. Aus dem Wetterbericht der Schweiz, meteorol. Zentialanstalt vom 10. und 12. November war zu ersehen, daß auch tatsächlich westlich bis nördliche Luftströmungen vorherrschten. Zu diesen meinen Beobachtungen liegt eine Parallel- beobachlung von Wengen an der Jungfrau für den n. Nov. vor. Von dort wird der „Neuen Züricher Zeitung" gemeldet: „Geschützdonner aus dem Elsaß: Schon wiederholt und ganz besonders zur Winterszeit, wenn Weg und Steg gefroren und der kalte Nordwind die Bise über Berg und Tal streicht, drang das Rollen und Donnein von heftigen ArtiUeiiekano- nadcn aus dem schwer heimgesuchten Elsaß herauf bis in unsere Bergsulle. Doch das am Sonntag Abend fast wie aus nächster Nahe hörbare gewaltige Geschützfeuer, zweifellos aus dem Sundgau herrührend, übertraf alles Bisherige und die Detonationen, die Lufterschütterungen und das Echo, das sich in unseren Bergen brach, waren ganz erschreckend". Vielleicht bringen uns obige Zusammenstellungen dem interessanten Probii m der Herweite und Foilpflanzung des Kanonendonners wieder einen kleinen Schritt näher. W. Knecht, Hums, Kt. St. Gallen, Schweiz. Auf Wunsch des Herrn Verfassers wird hier festgestellt, daß das Manuskript zu dem Aufsalz von W. Krebs, Korre- spondierende Katastrophe auf der Sonne und in der Atmos- ptiäre 1917 (dieser Jahrg. S. 7) der Redaktion am 12. 10. 1917 eingereicht wurde und daß der Autor die Korektur am 16. Dez. 1917 erledigte. Kennt einer der Leser ein Buch, das die Bestimmung von Sträuchern und Bäumen im laublosen Zustand ermöglicht? Inhalt: K. Viets, Über Wassermilben. (7 Abb.) S. 177. F. W. Neger, Resupination bei dorsiventralen und isolateralen Pflanzenorganen. (7 .'Vbb.) S. 182. - Kleinere Mitteilungen: W. Krebs, Porlatlichler am Tage und in niederen Bretten. S. 186. — Einzelberichte: Frhr. v. Seh w e ppen b urg , Deutsches Vogelleben 1917. S. 188. Kurt Loos, Maikäferbekäropfurg und Vogelwelt. S. 189. Bücher, Neuzeitliche Heuschreckenbekämpfung in Kleinasien. S. 190. F. Doflein, Die Malariamücken Mazedoniens. S. 190. — Anregungen und Antworten: Intelligenz bei Katzen. S. 191. Kanonendonner. S. 191. Korrespondierende Katastrophe auf der Sonne und in der Atmosphäre 1917. S. 19t. Bestim- mung von Sträuchern und Bäumen im laublosen Zustand. S. igt. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N 4, Invalidenstraße 43, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, ■■■■^■■■■■■■■■■■■iHHHBi^HHBI b^tra^t: - öiv defiaststfördvruttQ oUn* ubri^pn £andpr nur: 0 che Tätigkeit der chlorophylihaltigen Zellen anregt; wenn andererseits Licht durch Verabfolgung von anorganischen N-verbindungen ersetzt werden kann , so werden wir folgern dürfen , daß die Kohlenstoffassimilation in der hypotheti>chen Kausalkette keine Rolle oder nicht die eines unentbehrlichen Gliedes spielt; und ähn- liche Schlüsse werden nahe gelegt, wenn es gelingt nachzuweisen, daß chlorophyllhaltige und chloro- phyllfreie Organismen auf Belichtung bzw. Licht- nutzung mit gleichen oder ähnlichen Reaktionen antworten. ^) Scharfsinnig kombinierte Experi- mente werden uns ferner darüber belehren, ob die Plinwirkung eines bestimmten Faktors vielleicht zwei oder noch mehr für die Gestaltungstätigkeit des Organi.'^mus bedeutungsvoller Kausalketten zum Ablauf bringt, ob in solchen eine Spaltung und Verzweigung zu vermuten ist, ob die Kausal- ketten nach vorübergehender Spaltung wieder ein- heitlich werden -') u. a. m. Selbst dann, wenn wir über die Glieder komplizierter Kausalketten nichts oder so gut wie nichts wissen, kann die ver- gleichende Betrachtung der von der Natur spontan gelieferten oder von uns im Laboratorium er- zielten Gestaltungsprozesse zu schätzenswerten Aufschlüssen führen; wenn z. B. nach Infektion durch Parasiten irgend welcher Art ähnliche Blütendeformationen an der Wirtspflanze sichtbar werden wie nach Verwundung ihres Wurzel- systems, so wird wenigstens so viel zu folgern sein, daß die beiden — uns unbekannten — Kausalketten in ihren letzten Gliedern übereinstimmen, ^j — und wenn sich zeigen läßt, daß gewisse Gewebe- anomalien z. B. quergeteilte Schließzellen, die ge- wisse Gallenbildungen kennzeichnen,*) auch an schwach transpirierenden Pflanzenorganen ohne ') Vgl. z.B. Burgerste in > Fortfchr. ia der Technik des Treibens d. Pfl. (Progr. rei bot. Bd. 4, 1913, 1). 1) Crantz, Über den Einfluß des Lichtes auf die Ent- wicklung einiger Pilze. Dissert. Leipzig 1898. ^) Vgl. Klebs, G., Zur Enlwiclilungsphysiologie derFarn- prothallien. Zweiler Teil. (Sitzungsber. Heidelberger Akad. d. Wiss., Math.-nalurw. Kl. Abt. K. 1917. Abh. 3. 1917.) •''] Küster, Gallen der Pflanzen. 1911, 264^ *) Küster, a. a. O. p. 2lofif. N. F. XVII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 19; vorherige Infektion auftreten können, ^) so wird die Vermutung gestattet sein, daß in der schwer analy>ierbaren Kausalkette, die zur Zezidogenese führt, ähnliche Erhöhungen des Turgordrucks eine Rolle spielen wie an schwach transpirierenden Pflanzenteilen. Nach diesen Abschweifungen kehren wir zur Behandlung der determinierenden Faktoren zurück. Wenn bisher von Außenwelt und Außenwelts- bedingungen die Rede war, so galt dieses Wort der emen Pflanzenkörper allseits umgebenden toten Umwelt ^- dem Boden, c er der Pflanze Wasser und Salze reicht, dem sie umflutenden Luftmeer und den in ihm verwirklichten physikalischen und chemischen Faktoren. Der Begriff der Außenwelt wird aber noch einer anderen Deutung fähig, wenn wir statt des ganzen Organismus seine Teile ins Auge fassen. Für jeden Zweig eines Baums ist jeder andere und sind die Wurzeln „Außenwelt", für jede Zelle ist jede Nachbarzelle, für jeden Zellkern das ihn umgebende Zytoplasma Außenwelt. Daß auch diese belebte Außenwelt ihre Einflüsse geltend macht, ist von vornherein als sehr wahrscheinlich anzunehmen; daß insbesondere die Prozesse der Organgestaltung diesen Einflüssen, die ein Teil des Organismus auf die anderen ausübt, in hohem Maße unterworfen sind, ist eine Tatsache, die durch die hundertfältige Erfahrung der Gärtner und Züchter bestätigt wird. Die Wirkungen der Teile auf das Ganze und eines Teiles auf irgend welche anderen bezeichnet man als Korrelationen. Sie sind physikalischer und chemischer Natur. In jedem Algenfaden, in jedem Zellenverband drückt jede pralle lebendige Zelle auf ihre Nachbarinnen — ein Beispiel für einfachste physikalische Beeinflussung. Mechanisch ohne weiteres verständlich ist ferner der Einfluß, den der schwer lastende Seitenzweig einer Tanne, einer Eiche usw. durch sein Gewicht auf den Hauptstamm haben muß. Chemische Korrelationen liegen in der nahrungentziehenden Wirkung, den jeder Teil eines gliederreichen Ganzen auf die anderen Teile haben muß; je mehr Knospen von dem von der Wurzel zufließenden Nährstoffmengen zu zehren haben, um so weniger wird — caeteris paribus — auf die einzelnen entfallen. Der „Kampf der Teile im Organismus" (Roux) führt gar nicht selten zu Niederlagen, die auf das Gestaltungsleben des Organismus von größter Bedeutung sind. Da aber die Zellen und Gewebe und Organe nicht nur Stoffe aufnehmen, sondern auch Sioffe ab- geben, läßt sich erwarten, daß auch die von den einzelnen Teilen abgegebenen Stoffwcchselprodukte auf ihre Nachbarschaft wirken, vielleicht auch deren Wachstums- und Gestaltungstätigkeit beeinflussen. Für die Erforschung dessen, was die Korre- ') Gertz 1917 r- I37J- Anomallei lios Klyloppuingar [ho lationen für die Gestaltungstätigkeit der Pflanzen bedeuten, steht uns zur Zeit nur ein Weg offen: im Experiment planmäßig die bestehenden Korre- lationen zu stören und die Wirkung dieser Störung zu beobachten. Dem Praktiker ist das Mittel, durch Störung der Korrelationen die Entwicklung eines Pflanzen- körpers zu beeinflussen und in bestimmte beab- sichtigte Bahnen zu lenken, längst geläufig. Auch im Laboratorium spielt es längst eine hervor- ragend wichtige Rolle. Allbekannt sind die Erscheinungen, die sich nach Entgipfclung einer Tanne beobachten lassen; offenbar haben im unverletzten Individuum zwischen Hauptast und Seitenästen Korrelationen be- standen, über deren Natur zuverlässig zu berichten uns zwar noch nicht möglich ist, deren Störung aber zu einem deutlich erkennbaren, veränderten Benehmen der Seitenäste führt; einer von diesen, — in manchen Fällen auch deren zwei — richtet sich aus seiner geneigten Haltung vertikal auf und nimmt den Platz des verlorenen Hauptastes ein. Nachdem ein einfacher Eingriff in den Bau des Baumes die Abhängigkeit seiner Teile voneinander dargetan hat, kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daß die regelmäßige Gestalt, die wir am Koni- ferenbaumkörper bewundern, eine Wirkung jener Korrelationen ist, die das Wachstum jedes Teiles in bestimmtes Verhältnis zu dem der anderen bringt und in ihm erhält — und daß auch viele andere zwischen den Teilen eines Ganzen bestehende Beziehungen, die sich anders als in harmo- nischer, unserem Auge gefalliger Proportionierung äußern, nur dadurch zustande kommen und sich nur dadurch erhalten können, daß die Teile gegen- seitig ihr Wachstum und ihre Lebensäußerungen überhaupt regulatorisch beeinflussen. Nicht alle Knospen, die in den Achseln sämt- licher Blätter eines Baumes angelegt werden, kommen zum Treiben. Darüber, welche Knospen zu Zweigen heranwachsen, und darüber, ob die auswachsenden Knospen zu Lang- oder zu Kurz- trieben werden, entscheiden die Korrelationen. Durch Änderung und Störung der Korrelationen gelingt es — darauf .beruht die Kunst, einen Obst- oder einen Rosenbaum zu verschneiden — andere Knospen zum Wachstum anzuregen als diejenigen, die bei ungestörtem Gang der Entwicklung zum Treiben gekommen wären, und selbst schlafende Augen, die schon seit Jahren und Jahrzehnten ruhen, zum nachträglichen Ausschlagen zu veranlassen. Die S'örung der Korrelationen gelingt am ein- fachsten durch brutale Resektion, durch Zerstörung irgend welcher wachsender Sproßspitzen oder durch Fällung des ganzen Baumes. Die Gallen lehren uns, daß auch auf anderem Wege ähnlich wirkende Störungen erzielt werden können. An Zweigen, die von gallenbildenden Tieren oder Pilzen infiziert worden sind, sehen wir oft alle Achselknospen wahllos zum Treiben kommen und neue Seitenzweige produzieren. Bis vier 198 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 14 oder fünf Knospengenerationen können in dem nämlichen Jahre auswachsen und dichtgedrängte Zweigsysteme („Hexenbesen") liefern. ^) Nicht nur „schlafende Augen" sondern auch Organanlagen anderer Art können durch Störung der Korrelationen zur Entwicklung angeregt werden. Ein oft beschriebenes und vielbewundertes Beispiel liefert der auf Melandrium rubrum auftretende Brandpilz (Ustilago antherarum); er füllt in männ- lichen Blüten die Staubbeutel mit seinem Sporen- pulver — kommt er auf weiblichen Blüten zur Entwicklung, so regt er diese zur Produktion von Staubgefäßen an, die normaler Weise in ? Blüten nur als winzige Höcker am Grund der Frucht- knoten erkennbar sind. -) Selbstverständlich kann man keine Korrelationen aufheben, ohne daß nicht gleichzeitig neue anders geartete Korrelationen entständen. Trotzdem wird es gestattet sein, den bisher besprochenen Ver- suchen und Erfolgen, bei welchen eine Störung vorhandener Korrelationen im Vordergrunde stand, diejenigen gegenüberzustellen , bei welchen vor allem das positive Moment, die Neuschaffung korre- lativer Beziehungen, das Interesse auf sich lenkt. Viel Zeit und IVIühe sind auf die Prüfung der Frage verwendet worden, ob durch Pfropfverbin- dung von Sproßstücken verschiedener Arten (heteroplastische Transplantation) es möglich ist, neuartige Mischformen zu erzielen — dadurch daß das Pfropfreis die Unterlage und diese das Pfropf- reis korrelativ beeinflusse. Solche „Beeinflussungs- pfropfbastarde" •'•) sind bisher nicht zu erzielen ge- wesen. Daß bei erwähnter Pfropfverbindung ganz neuartige Korrelationen zustande kommen können, ist nicht zweifelhaft; auch sind Fälle bekannt, in welchen ein förderlicher oder hemmender Einfluß der Unterlage auf das Pfropfreis sich feststellen ließ; eine Mischung der Artmerkmale tritt aber niemals ein. In vieler Beziehung von weitreichendem Inter- esse sind die von Winkler erzeugten Chimären, die sektorenweise oder in periklinaler Schichtung aus Gewebemassen verschiedener Artzugehörigkeit bestehen und trotz dem heterogenen Aufbau als harmonisches Ganzes wachsen.*) Winkler 's Periklinalchimären, bei welchen nach Verbindung von Solanum nigrum und S. lycopersicum jeder Vegetationspunkt, jedes Organ aus einer oder mehreren Schichten Nachtschatten- und einem Kern Tomatengewebe — oder umgekehrt sich aufbaut, geben uns ein Mittel an die Hand, die zwischen den Geweben eines Organs bestehenden Korre- lationen und ihren Einfluß auf die Ausbildung des Ganzen zu studieren. *) Einen anderen Weg zur Herstellung neuartiger ') Küster, Gallen der Pflanzen. 1911, p. loS. -) Strasburger, Versuche mit diözischen Pflanzen usw. (Biolog. Zentralbl. 1900. 20, 657.) ") Vgl. Winkler, Pfropfbastarde. Bd. I, 1912. ') Winkler, in Ber. d. d. bot. Ges. 1907, lc)o8 und 1910 und Ztschr. f. Bot. Bd. 1, tgog, p. 315. '•) Vgl. .V. Meyer, Ber. d. d. bot. Ges. 32 1914, P- 447- Korrelationen weisen uns Vöchting's Unter- suchungen über „vikariierende Organe". ') Bei Pflanzen verschiedener Art gelingt es, die Stellung der Organe zueinander durch experimentelle Ein- griffe vom Normalbild wesentlich abweichen zu lassen. Vöchting züchtete z. B. Kartoffelpflanzen, bei welchen eine Knolle ungewöhnlicher Weise zwischen Wurzelsystem und grünendem Sproß eingeschaltet erschien. Es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Knolle seitens ihrer lebenden Um- gebung und durch deren Lebenstätigkeit anderen korrelativen Beeinflussungen ausgesetzt ist als ein an normaler Stelle sich befindendes Knollenindi- viduum. Vöchting hat auf die histologischen Unterschiede aufmerksam gemacht, die zwischen einer normalen Knolle und einer die Achse ver- tretenden bestehen. Man könnte die gestaltenden Wirkungen, die die Teile eines Organismus auf einander ausüben nach denselben Gesichtspunkten, die uns bei den Erörte- rungen des ersten Abschnitts meines Vortrags ge- leitet haben, ordnen und beurteilen. Dafür, daß der Grad der Ausbildung, die Größe eines Organs oder einer Zelle, oder daß der Grad der Differen- zierung korrelativ beeinflußt wird, haben wir be- reits zahlreiche Beispiele erbracht. Daß die Rich- tung des Wachstums durch Korrelationen be- stimmt werden kann, lehrt das Verhalten ent- haupteter Tannen usw. Daß der Ort eines Ge- staltungsgeschehens in gleicher Weise bestimmt werden kann, bestätigt die Erfahrung der Gärtner über die Wirkung des Beschneidens, durch welches eine bestimmte Knospe zum Treiben gebracht werden kann. Auch der viel umstrittenen Probleme der Blattstellungslehre wäre hier zu gedenken: Der Ort, an welchem ein Vegetationspunkt ein neues Blatt anlegt, wird höchst wahrscheinlich durch Korrelationen mitbestimmt, die von den bereits vorhandenen Blättern (bzw. Blattanlagen) ausgehen. -) Die Chimären haben uns bereits Gelegenheit gegeben von den zwischen Zellen und Gewebe- lagen eines Organs bestehenden Korrelationen andeutungsweise zu sprechen. Wenn die eine Zellenreihe zusammensetzenden Einheiten ver- schieden sich gestalten, je nachdem sie am Ende der Reihe oder in ihrer Mitte liegen, — wenn die Zellen am Blatt rand andere Qualitäten aufweisen und andere Differenzierungsprozesse durchmachen als die im Innern der Spreitenfläche liegenden, *) so ist die Lage der Zellen im Organismus das entscheidende. Der Einfluß der Lage auf das Ent- wicklungsschicksal kann außerordentlich weitgehen; es scheint, daß das differente Schicksal der im Embryosack der Angiospermen liegenden Kerne ') Vöchting, Zur Physiologie der Knollengewächse. (Jahrb. f. wiss. Bot. 1899. Bd. 34, 1.) 2) Vgl. Sehoute, J. C, Beiträge iur Blattstellungslehre I Die Theorie (Rec. trav. bot. neerland. 1913. Bd. 10. p. 153. ^) Vgl. z. B. Garjcaune, Die Randzellcn einiger Junger- manniaceen. l'lora 1913. Bd. 105, p. 370. N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 199 (bzw. Zellen) in manchen Fällen von ihrer Lage bestimmt wird. *) Wenn ferner durch Trauma bloßgelegte Zellen Wundreaktionen aufweisen, durch die sie den Anteilen der normalen Haut gewebe in der einen oder anderen Weise ähnlich werden — wenn die zwischen die Bruchstücke eines mechanischen Bastfaserringes wuchernden Rindenzellen bestimmte Dififerenzierungsprozesse durchmachen und zu Steinzellen werden — in diesen und vielen andern Fällen haben wir für die Gestaltungsprozesse die zwischen den Geweben bestehenden Korrelationen und Störungen mit verantwortlich zu machen. Schließlich wäre mit einigen Worten noch darauf hinzuweisen, daß auch zwischen den Teilen einer Zelle Korrelationen bestehen müssen, die auf die Wachstums- und Gestaltunesprozesse großen Einfluß haben, und daß schließlich auch nach den zwischen den Teilen eines Zellkernes oder irgend welcher andere Organe der Zelle bestehenden Beziehungen zu fragen wäre. Die Problemstellung bleibt den Anteilen aller Größen- ordnungen gegenüber dieselbe; sehr verschieden aber wird die Methodik ausfallen müssen, deren sich der Forscher großen und kleinen Anteilen eines Organismus gegenüber zu bedienen hat. Auch bei der Erforschung der Zelle und der in ihr wirksamen Korrelationen wird es sich darum handeln, vorhandene Korrelationen planmäßig zu stören. Klebs hat in der Plasmolyse langge- streckter Zellen ein Mittel gefunden, sich über den Einfluß des Kernes auf die Lebens- und Wachs- tumsleistungen der Zelle zu informieren. ^) Plas- molysiert man zylindrische Zellen, so zerfällt gar nicht selten der schrumpfende Plasmaleib in zwei selbständig sich rundende Kugeln, die eine Zeit- lang noch durch einen zähen Zytoplasmafaden mit einander verbunden sind, dann aber nach seinem Zerreißen völlig isoliert nebeneinander liegen. Handelt es sich um einkernige Zellen, so gibt uns die Fragmentierung der Protoplasten Gelegenheit, das Verhalten eines kernhaltigen und eines kern- losen Plasmastücks vergleidimd zu beobachten und festzustellen, welche Äußerungen der Zelle an Gegenwart und Einwirkung eines Zellkernes gebunden sind, und welche auch ohne solchen möglich sind. Vor allem wichtig ist die Erkenntnis, daß im allgemeinen ■') der Zellkern erst das Zyto- plasma zur Zellulosebildung befähigt. Weiterhin darf als feststehend gelten, daß durch das zwischen Zellkern und Zytoplasma bestehende Verhältnis die Zellenteilung reguliert wird. Durch die beim Wachstum der Zelle erfolgende Ver- mehrung des Zytoplasmas entwickelt sich nach Hertwig's Auffassung ein „Mißverhältnis" ') Persidsky, Einige Kälte anormaler Kildung des Kmbryosackes bei Delphinium elatum. Mem. soc. nat. Kiew 23. 1914. P- 97- *j Klebs, Beiträge zur Physiologie der Pflanzenzelle. Untersuch, bot. Inst. Tübingen 1888, Bd. 2, 489. ■') Vgl. Palla, Über Zellhautbildung kernlosrr l'Uisnia- leile. Ber. d. d. bot. Ges. 1906. 24, 408. zwischen Kern und Zytoplasma, das bis zu einem bestimmten Grade steigt — dann gewinnt durch dasselbe der Kern die Fähigkeit zu wachsen, dem Zytoplasma Stoffe zu entziehen und die Teilung einzuleiten. Gerade botanischerseits ist es ge- lungen, durch experimentelle Eingriffe das zwischen Kern und Zytoplasma bestehende Verhältnis stark zu beeinflussen. Gerassimo ff konnte dadurch, daß er — durch Behandlung mit anästhetischen Mitteln oder durch Abkühlung — die Kernfigur der in Teilung begriffenen Zellen von Spirogyra sich ein wenig verlagern ließ, Zellen zustande bringen, die die doppelte Kernsubstanz enthielten — neben solchen, welche gar keinen Kern auf- wiesen. ^) In doppelkernigen Zellen fließen die beiden Kerne zu einem zusammen, und die mit doppeltem Kernsubstanzvorrat ausgestatteten Zellen liefern nach wiederholten Teilungen Fäden, die aus abnorm großen Zellen bestehen. Nach Gerassimoff's Berechnung vermag jede kubische Einheit des Zellkerns ungefähr 31,2 — 31,8 quadra- tische Einheiten der Protoplasmaoberfläche zu ver- sorgen. Die Zahlen, welche die Beziehungen zwi- schen Kern und Zytoplasma zum Ausdruck bringen, werden allerdings bei verschiedenen Ernährungs- und anderen Außenweltsbedingungen verschiedene Höhe erreichen. -) Auch zwischen den Teilen des Zytoplasmas und zwischen den Teilen eines Zellkerns bestehen, wie schon gesagt, unzweifelhaft Korrelationen, die für das Zellenleben große Bedeutung haben. Wir wissen über diese Art der Korrelationen noch nichts. Ihre Erforschung setzt — wegen der Klein- heit des Objekts — besondere Verfahren und Hilfs- mittel voraus. Vielleicht ist Tschachotin's Strahlenstichmethode imstande, uns hier vorwärts zu helfen; mit ihr gelingt es, kleinste Anteile einer Zelle durch einen Strahl ultravioletten Lichtes zum Absterben zu bringen und physiolo- gisch auszuschalten.^) Von dem, was uns die entwicklungsmechanische F'orschung über die Plastizität des Pflanzenkörpers und seine und seiner Teile Abhängigkeit von allen möglichen aufjeneeinwirkendenFaktoren gelehrt hat, haben die vorangehenden Erörterungen nur durch willkürlich ausgewählte Beispiele berichten können. Viele wichtige Probleme — z. B. die der experi- mentellen Geschlechtsbestimmung — mußten wir absichtlich ohne einWort der Erwähnung übergehen. Nach mehr als einer Richtung bereichert die entwicklungsmechanische Forschung einer Spezies unsere Kenntnis von dieser: sie läßt uns die Onto- genese eines Individuums Schritt für Schritt in ') Gerassimoff, Die Abhängigkeit der Größe der Zelle von der Menge ihrer Kernmasse. Ztschr. f. allg. Phys. 1902. Bd. 1, p. 220. 2) Vgl. Hart mann. Über d. Verhalten v. Zellkern u. Zellplasma bei Ceratium usw. Arch. f. Zellforschung Bd. 14 1916 p. 373- ') Tschachotin, Die .Slrahlensticlinic-Ihode. Uiolog. Zentralblatt 1912 Bd. 32, 623. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 14 ihrer kausalen Abhängigkeit von äußeren und inneren F"aktoren der verschiedensten Art erkennen. Ferner belehrt uns das Experiment darüber, daß die Teilvorgänge, deren Summe den normalen Ent- wicklungsvorgang einer Spezies darstellt, keines- wegs und erschöpfend über die Entwicklungsmög- lichkeiten berichten, die in einer Spezies, in den Zellen und Geweben eines Individuums begründet liegen; je nach den Bedingungen, welche auf das Ganze und seine Teile wirken, werden bald diese bald jene Entwicklungs- und Gestaltungsmöglich- keiten ihre Verwirklichung finden, und erst wenn wir eine Spezies unter der Einwirkung der ver- schiedenstenFaktorenundBedingungskombinationen sich haben entwickeln sehen, werden wir über den Repertoirreichtum ihrer Gestahungsmöglich- keiten informiert sein. Auch einer über das Schienen - netz des Bahnhofs gleitenden Maschine stehen die verschiedensten Wege zur Verfügung; offen steht ihr freilich immer nur einer: — welchem sie folgt, darüber entscheidet die Summe der auf sie wirkenden Bedingungen — in unserem Falle die Weichen des Schienennetzes. So werden wir auch dem Organismus gegenüber mit Mach davon überzeugt sein müssen, „daß in der Natur nur das und so viel geschieht, als geschehen kann und daß dies nur auf eine Weise geschehen kann". Indem wir einen Organismus unter die Ein- wirkung der verschiedensten Faktoren bringen und seine Reaktionsweisen kennen lernen, ergründen wir die Eigenschaften der Spezies in ähnlicher Weise wie die Chemiker die einer neuen Verbin- dung durch Prüfung ihres Verhaltens Säuren und Alkalien und verschiedenen Lösungsmitteln gegen- über. Hier berühren sich die Interessenkreise der kausalen P'orschung mit den des Systematikers. Aufgabe des Entwicklungsmechanikers wird es weiterhin sein zu prüfen, ob die Reaktionsweisen der einer Spezies angehörigen Individuen (oder richtiger der von gleichen Eltern abstammenden Exemplare) unter allen Umständen dieselben sind und das ihnen eigene Reperioir von Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten dauernd unverändert bleibt, — oder ob dieses selber wandlungsfähig ist; mit anderen Worten — ob eine Art konstant ist oder nicht und inwieweit bestimmte Faktoren — die durch die Dauer vieler Generationen kon- stant sich wiederholenden Lebensbedingungen oder bestimmte Änderungen in diesen — imstande sind, die spezifischen Eigentümlichkeiten einer Organismenart zu verändern und neue Varietäten und neue Arten entstehen zu lassen. Die Beziehungen der Entwicklungsmechanik zur induktiven Ver- erbungslehre sind leicht zu erkennen. Die Fiiuktiou des Daumens am Vogelflngel. Von Dr. V. Franz. Mit 5 Abbildungen im Te.\t. Es mag im zeitigen Frühjahr 191 5 gewesen sein, als ich eines Tages den die Aisne begleitenden Kanal entlang ritt und plötzlich wenige Schritte von mir entfernt einen Falken mit halb an- gezogenen Flügeln schräg von oben in das Ge- hölz am Ufer tief einfallen sah. Dabei hatte er eine höchst merkwürdige und mich im Augenblick sehr überraschende Gestalt insofern, als an beiden Flügeln vorn am Bug etwas hervorragte. Ersah fast aus wie vierflüglig. Bald darauf — die Be- obachtung hat natürlich nur ganz kurze Zeit, vielleicht noch nicht eine Sekunde gedauert — sagte ich mir, der Vogel muß in diesem Augenblick seinen Afterflügel, die Alula, den kurzen, frei- beweglichen, mit einigen Federn besetzten, schein- bar rudimentären Daumen, vorgestreckt haben. Ich fertigte mir nach dem Gedächtnis eine Um- rißskizze des Gesehenen an, die ich, so unvoll- kommen sie auch ausiiei, in Abbildung 1 als ori- ginalste Wiedergabe des Eindrucks hierher setze. Etwa ein Jahr später sah ich einmal einen P'alken, offenbar das Männchen, um einen Fichten- wipfel kreisen, während das Weibchen im dichten Gezweig mit „kli kli kli" lockte. Und jedesmal, wenn der Vogel sich dem Gezweig stark näherte, erkannte ich an seinem Flugbild deutlich eine Ver- änderung, das Hervortreten eines Gebildes am Flügelbug, welches wiederum nur der vorge- spreizte Afterflügel sein konnte. Auch dieser An- blick beschränkte sich natürlich auf einige Momente. Abbildung 2 gibt die nach dem Gedächtnis ge- zeichnete Umrißskizze wieder. Um welche Falkenarten es sich in beiden Fällen handelte, kann ich nicht genau angeben, aber andere als der Baumfalke, Falco subbuteo L., und der Turmfalke, Cerchneis tinnunculus (L.), kommen kaum in Frage, denn andere als diese beiden Falkenarten habe ich neben Weihen und Bussarden unter den dortigen Raubvögeln in zwei Jahren nicht gesehen, und diese beiden sind sehr häufig. Wiederum reichlich ein Jahr später traf sich's, daß ich in Nordfrankreich einen Baumfalken und bald darauf einen Turmfalken in die Hand bekatii, die ein Offiziersbursche mit der Flinte seines Herrn geschossen hatte. Beide Stücke erwarb ich für ge- ringe Beträge, balgte sie eigenhändig ab und ließ unter Beifügung von Skizzen die Bälge in der Heimat in N. F. XVII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der Haltung ausstopfen, die meinen Beobachtungen entsprach. Die Dermoplastische Kunstanstalt von Bleil und Woegerer in Cassel, die dies ausführte, meinte zwar, diese Stellung des Daumens sei unnatürlich und würde sonst nie präpariert. Als ich aber nach einigen Monaten die Präparate in meiner Wohnung in Leipzig vor mir sah, war ich doch recht befriedigt, denn ich fand sie in hohem Grade und namentlich den Baumfalken besser als meine Skizze dem in der Natur gewonnenen Ein- druck entsprechend, nur daß ohne Grund die Köpfe Abb. 3. H;iumfalke mit vorgespreiztem Aflertlügel. unterm 25. August 1914 brachte, verdient wissen- schaftliche Würdigung. Es läßt an beiden Flügeln, besonders am rechten des soeben zum Halten herabkommenden Vogels, deutlich den vorge- spreizten Afterflügel erkennen. Es ist also eine Natururkunde nicht nur für den Ästheten, sondern auch für den Anatomen. Nun muß ich noch nachtragen, daß meine Be- obachtungen nicht völlig neu sind, sondern Klein- Schmidt hat bereits beim Wanderfalken ganz das- selbe gesehen. Er berichtet darüber in der Zeit- schrift „Falco", S.Jahrgang, Nr. i, vom i.März 1912 und in „Berajah", 1914, „Falco peregrinus" Seite 6, von einem Wanderfalken, den er auf einer hohen Pappel sich niedergelassen sah : „Beim Anflug wird der Afterflügel gespreizt." Auf diese Angaben wurde ich erst unlängst durch Herrn Klein- schmidt selber aufmerksam, als ich mich an ihn als einen hervorragenden und auch in der Anatomie bewanderten Falkenkenner brieflich wandte. Es lagen jedoch bisher keine Bestätigungen der verein- zelten und nur ganz kurz in der ornithologischen Spezialliteratur erwähnten Beobachtung Klein - Schmidts und keine Abbildungen dazu vor, und ich habe unbeeinflußt dasselbe beobachtet wie er. Die P'rage nun, worin die Leistung des vor- gespreitzten Afterflügels bestehen mag, wird wohl unschwer genügend zu beantworten sein. Daß er etwa als ein vorgestrecktes Tastorgan angesehen etwas seitwärts gewendet sind. Von den in meiner Abwesenheit von Freundeshand ausgeführten Photo- graphien der beiden Präparate, Abbildung 3 und 4, entspräche nur die eine, Abbildung 4, insofern nicht aufs Haar dem, was ich gewünscht hätte, als sie den Vogel von oben zeigt, als ob er über den Erdboden hinstriche, während ich ihn von der Unterseite gesehen habe. Sie verdeutlichen jedoch durchaus hinreichend die Verwendung des Daumens mit seinem Federbesatz. Inzwischen hatte ich zufällig auch die Wieder- gabe einer Photographie nach dem Leben auf- gefunden, welche dasselbe"" zeigt, eine mit Beute am Horst anfliegende Rohrweihe, die R. Moore im Momentbild auf die lichtempfindliche Platte gebannt hat. Dieses prachtvolle Bild '), welches der Abreißkalender „Voigtländers Tierkalender" ') Aus Raummangel wiiil liier nur ein Ausschnitt aus ilein Bilde gegeben. locli nicht ausgefärbtes Stück. werden dürfte, welches beim Eindringen in Geäst seine Dienste leistete, glaube ich nicht, da er ver- hältnismäßig ebenso stark befiedert ist wie der ganze Flügel, und da der Vogel bei seinem aus- gezeichneten Auge eines solchen Organs kaum bedürfte. Doch erwähne ich diese Vermutung, die ich jedenfalls neben anderen eine Zeitlang er- wogen habe, um so lieber, als auch Kleinschmidt sie bei seinen Angaben in „Berajah" streift: „Ob der Daumen Tastnerven enthält, weiß ich nicht." Eher schon würde ich glauben, daß das Organ als mechanischer Schutz gegen etwaiges Anstossen an Zweige wirkt; aber auch dies scheint mir schHeßlich unwahrscheinHch, denn einmal wäre gerade der Flügelbug dann so ungeschützt wie ohne dies, auch;^kann man hier wiederum sagen, der Vogel wird allen stärkeren Stössen auszu- weichen wissen dank seinem Sehvermögen, ob- schon ihn dieses vor unnatürlichen Hindernissen, wie einzelnen Telegraphendrähten, oft im Stiche Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. läßt. Nein, die Alula, auch Beiflügelchen genannt, ist wohl, wie ihr Name besagt, einfach ein Flügelchen am Flügel, welches im geeigneten Zeitpunkt die Flügelflächen vergrößert, damit den Flug bremst und zugleich vermöge seiner Lage ganz erheblich mitwirken mag zum Einnehmen der halb aufrechten Sitzstellung des vorher in fiorizontal- lage geflogenen Vogels. Der freibewegliche Daumen des Vogelflügels ist mithin wenigstens beim Raubvogel durchaus kein rudimentäres im Sinne von funktionsloses die ich erst neulich wiederholt beim Grünfüßigen Teichhuhn sah. Die Hornkralle hat bei dieser Vogelart die Gestalt einer Dentaliumröhre, ist also lang kegelförmig, schwach gebogen und innen hohl, und läßt sich von einem von ihr faßt ganz umscheideten, wie es scheint, Knochenstück, das bis zum rechten Winkel gegen die Flügelfläche bewegbar ist, leicht abziehen wie ein Bovidenhorn vom Stirnzapfen. Sie war bei einem offenbar jungen, noch der roten Blässe entbehrenden Stück etwa 3 Millimeter Abb. 5. Kohrweihc, Ciicus aeruginosus L., mit Beute am Horst antliegend. Phot. R. Moore. „Meerwarth-Soffel, Lebensbilder aus der Tierwelt", K. Voigtländers Verlag, Leipzig, Organ. Zwar ist er rudimentiert an Gliederzahl und klein geblieben gegenüber den beiden an- deren, teilweise miteinander verwachsenen Fingern, er hat mit ihrer Verlängerung nicht Schritt ge- halten. Daß er aber nicht funktionslos ist, sondern auch bei anderen Gelegenlieiten und auch bei anderen Vogelarten in eine noch nicht beobachtete Wirksamkeit treten muß, und zwar geradezu als Finger, darauf deutet mit Sicherheit die bekannt- lich bei manchen Vogelarten an seinem Endglied vorhandene Kralle hin, die, wie Kleinschmidt erwähnt, beim Wanderfalken sich nicht mit dem Eizahn des Schnabels verliert, sondern beim er- wachsenen Vogel bis etwa einen halben Zenti- meter lang wird und dunkle Farbe annimmt, und lang und grün wie die Hornbedeckungen des Beines bei anderen Stücken bräunlich und bei einem ver- hältnismäßig schweren 6,5 Millimeter lang und anscheinend aus mehreren ineinander steckendes Scheidenbestellend ;jedenfallsstreifteich mit meinem Fingernagel zuerst nur eine Schicht ab, dann eine zweite, die die Form der ersten genau wiederholte, und dann noch eine dritte. Auch bei der den Teichhühnern nahe verwandten Wasserralle sah ich die Kralle. Bei Corviden, Hühnervögeln und Schnepfen vermißte ich sie stets. Diesen Verhältnissen und den sich daran knüp- fenden Fragen auch nur ein wenig gründlicher nachzugehen, ist mir leider im Felde versagt Sicher wäre es eine lohnende Aufgabe. Einzelberichte. Physiologie. Die Beziehungen zwischen Körper- gewicht und Umsatz. In seinem eben erschienenen „System der Ernährung" fl. Teil, mit 3 Tafeln und 17 Abbildungen, \'crlag .Springer, Berlin 1917, 173 Seiten) diskutiert P i r (] u e t auch das Problem der Beziehungen zwischen dem Körpergewicht und dem Umsatz des Organis- mus, eine Frage, die von großer Bedeutung nicht nur für die Physiologie des Stoffwechsels und hlnergiewechsels, sondern auch für die Praxis N. F. XVII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 203 der Ernährung ist. Dieser letztere Gesichtspunkt war es sogar vor allem, durch den Pirquet ver- anlaßt wurde, diese Frage aufzunehmen. Die Er- gebnisse seiner Untersuchungen hat er zur Grund- lage eines neuen Systems der Ernährung gemacht, auf das wir unten noch kurz zurückkommen werden. Durch die Untersuchungen von H o e ß 1 i n , Rubner, Richet, Zuntz und Slowtzoff wissen wir, daß der Umsatz pro Quadratmeter Körperoberfläche für jede tierische Art eine kon stante Größe ist. Beim hungernden Menschen, und ebenso beim Hund, beträgt der Umsatz in 24 Stunden etwa lOOO Kalorien pro Quadratmeter Körperfläche. Die Körperoberfläche eines erwach- senen Menschen hat eine Ausdehnung von etwa 2,2 — 2,4 Quadratmetern. Der Umsatz des hungern- den Menschen, der keine Verdauungsarbeit zu leisten hat, beträgt etwa 2000 bis 2400 Kalorien in 24 Stunden. Rubner hat diese zahlenmäßige Beziehung zwischen Körperoberfläche und Umsatz durch die Gesetze des Wärmehau sh alt es der homoiothermen Organismen zu erklären versucht. Die Wärmeabgabe ist der Körperoberfläche pro- portional. Der Organismus muß also zur Auf- rechterhaltung seiner Temperatur eine der Körper- oberfläche proportionale Wärmemenge produzieren. Hoeßlin und Zuntz haben eine andere Er- klärung versucht. Die Beziehung zwischen Körper- oberfläche und Umsatz ist in Wahrheit nur eine Beziehung, die zwischen Körpergewicht und Umsatz besteht. Die Körperoberfläche ist pro- portional der '/g Potenz des Körpergewichts oder Körperoberfläche = k (Körpergewicht) '/.j. [k ist für die einzelnen Tierarten verschieden und schwankt zwischen 9 und 13; beim Menschen ist k=l2,3.] Die Proportionalität zwischen Umsatz und Körperoberfläche ist also nichts anderes als eine Proportionalität zwischen dem Umsatz und der 7:) Potenz des Körpergewichts. Hoeßlin hat nun darauf hingewiesen, daß diese Beziehung des Umsatzes zum Quadrat der 3. Wurzel auch aus mechanischen Momenten abgeleitet werden kann, die mit der Oberfläche nichts zu tun haben. Zuntz faßt den Stand dieser Frage in folgenden Worten zusammen: „Wenn Tiere gleicher Größe sich mit annähernd gleicher Geschwindigkeit be- wegen sollen, was nötig ist, damit sie im Kampfe ums Dasein nebeneinander bestehen können, dann ist der Verbrauch für die Einheit des Weges bei der Lokoniotion dem Quadrat der 3. Wurzel des Körpergewichts proportional. Diese theoretische Ableitung Hoeßlin 's hat Slowtzoff unter Leitung von Zuntz experimentell bestätigt. Er zeigte, daß Hunde verschiedener Größe für die Fortbewegung über gleiche Wegstrecken einen Energieaufwand haben, welcher dem Quadrate der 3. Wurzel ihres Körpergewichts proportional ist. Im Anschluß daran konnte Zuntz weiter zeigen, daß auch der Ruheverbauch der Tiere sich einigermaßen ihrer Arbehsleistung anpaßt. . . Es stellt demgemäß das Oberflächengesetz eine viel kompliziertere Beziehung zwischen Stoffverbrauch und Körpergröße dar, als man nach der Lehre Rubner 's annehmen würde. Man kann darum auch eine Giltigkeit dieses Gesetzes nur in grober Annäherung erwarten. Man bedenke nur, daß bei den Raubtieren, speziell beim Hund, die wichtigste Einrichtung zur Abgabe überschüssiger Wärme, die Wasserverdunstung, nichts mit der Haut zu tun hat, vielmehr durch dieAtmung und dieSekretion der Speicheldrüsen reguliert wird. (Zuntz, Be- trachtungen über die Beziehungen zwischen Nähr Stoffen und Leistungen des Körpers. Oppen- heim e r ' s Handbuch der Biochemie, IV. Band, I. Teil, S. S74.) Pirquet hat nun auf Grund einer großen Anzahl eingehender Berechnungen, die sich auf die Befunde der Anatomen stützen, gefunden, daß auch die resorbierende Darm fläche der ■'/g Potenz des Körpergewichts propor- tional ist. Diese Beziehung hat Pirquet auf dem Umweg über ein anderes Körpermaß, die Sitzhöhe, erhoben, die auf der einen Seite in bestimmten Beziehungen zum Körpergewicht, auf der anderen Seite zur Darmfläche steht. Pirquet hat mit Hilfe einer sehr einfachen Einrichtung (Abb. i) die Sitzhöhe bei einer großen Anzahl von Individuen gemessen, und seine Messungen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 14 haben ergeben, daß die Sitzhöhe der 3. Wurzel des Körpergewichts proportional ist. Sitz- höhe = k- )/(Tewicht. k muß umso kleiner sein, je feiter das Organismus ist. In den von Pirquet gemessenen Fällen schwankte k zwischen 2,1 und 2,4, so daß man mit Pirquet auch schreiben kann: Sitzhöhe=l/ 10 -Gewicht. Populär ausgedrückt: „Ein Würfel mit der Sitzhöhe als Seitenlänge, also ein Würfel, in dem der Mensch gerade aufrecht sitzen kann, würde mit Wasser gefüllt, das 10 fache Gewicht des Menschen haben. Oder es würden in diesem Würfel, wenn man die Körper darin eng aneinander pressen würde, 10 Menschen gerade Raum finden." Als resorbierende Darmfläche müssen wir nach Pirquet^jden Dünn- und Dickdarm betrachten, d.h. die Strecke des Verdauungskanals zwischen Pylorus und Anus. Mund, Speiseröhre und Magen können außer acht gelassen werden, da sie sich nur in sehr geringem Maße oder überhaupt nicht an der Resorption beteiligen. Die Angaben der Ana- tomen über die Länge des Darmes bei Männern und Frauen lauten auf 6,3 bis 10,7 m, im Durch- schnitt auf 8,7 m. Die Durchschnittszahl für die Sitzhöhe bei beiden Geschlechtern beträgt 84 6 cm. „Der Darm ist also durchschnittlich ungefähr zehnmal so lang als die Sitz- höhe." Es ist von großem Interesse, daß, wie Pirquet erwähnt, Henning schon im Jahre 1881 diese Beziehung aufgedeckt hat. Schwieriger ist die Frage nach der Breite des Darmes zu entscheiden. Nicht alle Teile des Darmrohres sind gleich breit. Auch ist die Darmhaut sehr dehn- bar. Die Angaben über die Darmfläche des er- wachsenen Menschen lauten auf 5000 qcm in ungedehntem Zustande, auf 10 000 qcm in ge- dehntem Zustande. Pirquet nimmt für den Darm bei einer mittleren Füllung, wie sie etwa während der normalen Verdauung vorhanden ist, eine Fläche von 7500 qcm an. Bei einer Länge von 870cm hätte dann der Darm eine Breite von 8,6 cm. Zweifellos liegt eine gewisse Will- kür in dieser Berechnung. Aber wir kommen über ein bestimmtes Maß von Willkür nicht hin- aus, wenn wir uns quantitativ über alle diese Be- ziehungen orientieren wollen. Die Breite von 8,6 cm entspricht dem hundertsten Teil der Darm- länge, dem zehnten Teil der Sitzhöhe. Die Darm- fläche steht dann in folgender Beziehung zur Sitzhöhe: Darmfläche = Darmlänge X Darmbreite Darmfläche = (10 X Sitzhöhe) X (Sitzhöhe : 10) Darmfläche = Sitzhöhe'^. Die Darmfläche ist also ungefähr gleich dem Quadrate der Sitzhöhe. 1) Diese Voraussetzung von Pirquet trifft nicht zu. Wie die Versuche von London gezeigt haben, ist beim Durchgang des Speisebreis durch den Darm der größte Teil der resorbier- baren Nährstoffe schon bis zum Blinddarm aufgesogen.' Im Dickdarm wird augenscheinlich nur noch das Wasser resorbiert, das in den kotbildenden Massen enthalten ist. A. L. Pirquet veranschaulicht diese Beziehung durch folgendes Beispiel: Denken wir uns den herausge- nommenen Darm in 10 gleiche Teile zerlegt, auf- geschnitten, die einzelnen Teile an den Längs- rändern aneinandergenäht und das Ganze in einem quadratischen Rahmen ausgespannt (Abb. 2). „Die Höhe des Quadrates entspricht der Sitzhöhe, weil \'jQ der Darmlänge gleich ist mit der Sitzhöhe, und die Grundlinie des Quadrates entspricht wieder der Sitzhöhe, weil die durchschnittliche Breite jedes Streifens ^/j^ der Sitzhöhe ist und wir alle 10 Zehntel nebeneinandergenäht haben." Wir haben nunmehr zwei Gleichungen: Sitzhöhe = V 10 -Gewicht (i) Sitzhöhe- = Darmfläche (2) Setzen wir nun die Gleichung (i) in (2) ein: (lO-Gewicht)''-"'- = Darmfläche. Mit anderen Worten: die Darm fläche ist gleich dem Quadrat der 3. Wurzel aus Darmfläche dem zehnfachen Gewicht. Oder; Darm- fläch e=k (Körpergewicht)''^ Nach Pirquet kann uns diese Beziehung ein Hinweis sein auf eine neue Erklärungs- möglichkeit für die Proportionalität des Umsatzes zur ^/g Potenz des Körper- gewichts. Wir können uns nach Pirquet das Darmfell im quadratischen Rahmen als ein hori- zontal liegendes Filter vorstellen, auf das die Tagesnahrung in F"orm von Milch oder in Form des im Munde zerkleinerten und vom Magen chemisch präparierten Speiserbeis ausgegossen wird. Der Gedanke liegt nun nahe, daß die Darm- fläche den Umsatz bestimmt, indem von ihrer Ausdehnung die Menge der orga- nisch enStoffe abhängt, diein 24 Stunden von dem Organismus resorbiert werden kann. Auf Grund eigener Versuche am Menschen und auf Grund der Versuche von anderen Autoren zeigt Pirquet, daß diese Auffassung nicht weniger gut begründet ist, als die Auffassung, die Haut sei der bestimmende F"aktor des Umsatzes. Es sei zunächst auf einige Berechnungen von Pirquet N. F. XVII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 205 hingewiesen, die uns die Abhängigkeit des Um- satzes von der -/s Potenz des Körpergewichts gut vor Augen führen. Diese Berechnungen sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt: 1 >• 2. 3- Tages- nahrung 4- ?. Kör- Tages- Darm- Tagesnahrung per- nahrung in Milch- pro kg fläche auf I qcm äqui- Milch- G"ew.°^/, Milch- valenten äqui- äquivalenten g valenten , Ratte 181 .8 320 148 0,392 11 Neuge- borenes Kind 2200 33Ö I:;2 784 0,429 III. öjähr.ges Kmd 1S400 IC170 10" ^230 0,610 IV. Erwachs. Mensch 61400 3063 50 7230 0,423 632100 15200 24 34200 0.445 I: V 1:3500! 1:261 1 13.3 : I 1 : 2.31 I . 1,14 In allen fünf Fällen handelte es sich um eine spontane Nahrungsaufnahme bei körperlicher Ruhe. Das Gewicht (i) des Ochsen ist 3500 mal größer als dasjenige der Ratte. Sein Verbrauch an Nahrung (2) ist jedoch nur 261 mal größer, weil er pro kg Körpergewicht (3) 13,3 mal so wenig Nahrung aufnimmt. Die Darmfläche (4) des Ochsen ist 231 mal größer als diejenige der Ratte. Die Tagesnahrung des Ochsen ist ungefähr um so viel größer als diejenige der Ratte als die Darmfläche des ersteren größer ist als die Darmfläche der letzteren. Dement-^prechend ist auch die Nahrung pro qcm Darmfläche bei Ratte und Ochse unge- fähr gleich, die Differenz beträgt nur etwa 14%. Man darf sich jedoch nicht täuschen: dieses Ergebnis beweist nicht, daß der Umsatz durch die Darm fläche bestimmt wird, sondern nur, daß der Umsatz der -/g Potenz des Körpergewichts propor- tional ist, und daß die Darm fläche ebensogut wie die Haut als der bestim- mende Faktor des Umsatzes aufgefaßt werden könnte.') Die Beziehung des Umsatzes auf die Darm- fläche hat aber für Pirquet auch noch eine andere, mehr praktische Bedeutung und zwar im Zusammenhang mit seinem neuen System der Er- nährung. Pirquet macht die menschliche Milch zum Ausgangspunkt seines Systems, i g Milch ist für ihn die Nahrungseinheit, die er als Nem be- zeichnet (Nutritionis Elementum oder Nahrungs- einheit Milch), i g Milch entspricht 0,667 Kalo- rien, und es läßt sich berechnen, welch einer An- zahl von g Milch je i g der einzelnen Nahrungs- mittel entsprechen. Es lassen sich also alle Nahrungsmittel auf Nem, gleichsam auf Milch- 5.0 12,0 5,0 2,0 5.0 3,3 1,25 0,4 ') Die Giltigkeit aber auch dieses Schlusses wird einge- schränkt durch den Einwand, daß nur der Dünndarm als die resorbierende Fläche für die organischen Nährstofife auf- gefaßt werden muß. A. L_ Äquivalente, reduzieren. Pirquet hat für die wichtigsten Nahrungsmittel diese Berechnung durch- geführt. Es sei das Ergebnis dieser Berechnung durch einige Beispiele illustriert. Es sind ent- halten in I g Magermilch — 0,5 Nem Käse Butter Fettes Fleisch Mageres „ Mehl Brot Kartoffeln Gemüse „,^ Auf Grund dieser Zahlen läßt sich "das ganze Kostmaß, das wir bisher in Kalorien auszudrücken pflegten, in populärer Form in Nem aus- drücken. Das sei wiederum durch ein Beispiel verdeutlicht. Der durchschnittliche Tagesverbrauch betrug in Deutschland vor dem Kriege nach den Berechnungen von Kuczynski und Zuntz 3300 Kalorien. Das sind 5000 Nem oder 5 Kilo- nem. Auf den Kopf der Bevölkerung wurde also pro Tag eine Nahrung verzehrt, deren Kalorien- wert beinahe 5 Litern Milch entsprach. Davon waren: 1,8 Kilonem Getreide, 600 Nem Kartoft"eIn, 840 Nem Fleisch, 200 Nem Butter und 57 Nem Käse. 450 Nem waren frische Milch. Das Maß- system von Pirquet ist vielleicht sehr geeignet, die Grundlagen der Ernährungsphysiologie in eine deutlichere und populärere Sprache zu kleiden, als es das kalorische Maßsystem vermag. Pirquet will jedoch sein Maßsystem nicht nur für die Popularisierung einiger Ergebnisse der Ernährungs- lehre, sondern auch zur Grundlage ihrer praktischen Anwendung machen. Da das Quadrat der Sitz- höhe der Darmfläche ungefähr gleich erachtet wird, so kann aus der Sitzhöhe eines Individuums seine Darmfläche berechnet werden, aus der sich die Neinzahl ergibt, die das betreffende Individuum braucht. Pirquet hat aus den verschiedenen Kosimaßen berechnet, daß das Minimum des Um- satzes etwa 0,3 Nem, das Maximum etwa i Nem pro qcm Darmfläche beträgt. Je nach dem Alter und dem Ernährungszustand eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen muß die Nemzahl pro qcm Darmfläche verschieden sein. Um die Anwendung seines Systems in der Praxis zu er- leichtern, hat Pirquet einige graphische Hilfs- mittel auf Tafeln ausgearbeitet, die seinem Buche beigegeben sind. Praktische Versuche müssen zeigen, wieweit die Hoffnungen, die Pirquet auf die Brauchbarkeit seines Systems setzt, be- rechtigt sind. 'Lipschütz, Bern. Physiologie. Zu den „sekundären" Geschlechts- merkmalen gehört offenbar auch die schon wieder- holt beobachtete Differenz in der Körpertemper- atur zu Gunsten des Weibchens. Nach Roger war die Körperwärme des Knaben 37,11" C. ge- genüber 37,2" C. des Mädchens. Martins fand beim Enterich 41,950 C. Bei der Ente 42,16» C. Nach 206 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 14 Simpson und Galbraith war die der Taube höher als die des Täuberichs. Uhlenhut, Kammerer und Przibram fanden die Körpertemperatur beim Weib- chen der Haus- und Wanderratte um 0,5° C. höher als beim Männchen. Wie Steinach gezeigt hatte, sind die sekundären Merkmale in Auftreten und Entwicklung von dem interstiztielen Gewebe nicht vom Keimepithel der Keimdrüse abhängig. Alex- ander Lipschütz fand, daß dies im besonderen auch für den obengenannten Unterschied in der Körpertemperatur gilt. (Über die Abhängigkeit der Körpertemperatur von der Pubertätsdrüse. Pflügers Archiv 1917). Bei normalen Meerschweinchen deren Körper- temperatur gemessen wurde, war dieselbe beim Weib- chen um 0,75" C. höher als beim Männchen. Die Gravidität zeigte keinen Einfluß, da sowohl ein junges als ein altes jungfräuliches Tier, die gleiche Temperatur aufwiesen. Durch die Kastration wurde die Körpertemperatur des Männchens nicht be- einflußt, während die des Weibchens bedeutent niedriger wurde. Die Körpertemperatur feminierter Männchen war zwar höher als die des normalen Bruders, aber niedriger als die des kastrierten Weibchens. Die Körpertemperatur maskulierter Weibchen war höher als die normaler Männchen, aber niedriger als die kastrierter Weibchen. Da die Maskulierung bezw. Feminierung bereits 1^2 — 3 Jahre zurücklag, erfahrungsgemäß aber das Keimepithel im transplaniierten Desdikel bezw. Ovarium degeneriert, so daß das Transplantat schließlich nur noch aus Bindegewebe und Inter- stitium besteht, hat man in der Änderung der Körpertemperatur eine Wirkung der Pubertäts- drüse zu sehen, Kathariner. Hugo Schulz berichtet (Münch. Mediz. Wochenschr. 23. Aug. 1917) über die Ergebnisse einer neuen Reihe von Versuchen über den Ein- fluß des Genusses einer geringen Menge von Alkohol (Vi 1. leichten Biers) auf die Reaktionsgeschwindig- keit beim Sehen farbigen Lichts. Untersucht wurde das Verhalten des Sehakts bei 100 Per- sonen jeden Geschlechts und Alters verschiedener Berufsklassen für Rot und Grün. Die Licht- quelle befand sich in einem Dunkelzimmer und war gewöhnlich in 2 m Abstand vor der Ver- suchsperson aufgestellt. Durch eine Iresblende von 0,5—4 Tirn Öffnungsweite ließ sich ermitteln, welche Größe das I^ichtsignal haben mußte, um sofort deutlich wahrgenommen zu werden. Es er- gab sich, daß 56% nach dem Genuß eben so gut oder noch besser reagierten als vorher; von den übrigen 44 wurden bei einer Nachprüfung, welche stattfand, um die Reaktionszeit im normalen Zustand bei Ausschluß jeder Ermüdung festzustellen, noch 13 gefunden, bei denen der Alkoholgenuß eine Verlangsamung in der Wahrnehmung des roten Lichts verursachte. Mit Recht hebt Seh. hervor, welch schwerwiegende Folgen ein durch Alkoholgenuß bedingtes Übersehen eines Licht- signals bei Verkehrsbeamten, z. B. einem Eisen- bahnzugführer, für Tausende von Mensen haben könnte. Kathariner. Meteorologie. Der Meteoritenfall vom 3. April 1916 in Hessen. Am 3. April 1916 um 3 Uhr 25 Mm. nachmittags wurde in Kurhessen und den angrenzenden Gebieten ein außerordentlich glän- zendes Meteor beobachtet. In den „Schriften der Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Natur- wissenschaften zu Marburg" — 14. Band, i. Heft — berichtet A. Wegener über seine Untersuchungen bezüglich der Bahn und der Begleitumstände dieser Feuerkugel. Die der Arbeit zugrunde gelegten Beobachtungen wurden teils durch Aufforderungen in Tageszeitungen, teils durch persönliche Er- kundigungen an Ort und Stelle beigebracht. Die vorliegenden 102 Mitteilungen erstrecken sich auf ein Gebiet, das etwa 270 km Durchmesser hat und im Westen vom Rhein, im Süden vom Main begrenzt wird. Die nähere Untersuchung ergab, daß die Gegend 4 km nördlich des Ortes Treysa, etwa 30 km ostnordöstlich von Marburg, dem End- punkt der Bahn am nächsten lag. Die Bahnbe- stimmung konnte nur mit mäßiger Sicherheit erfolgen entsprechend dem Umstände, daß das Meteor am hellen Tageshimmel auftrat, der Himmel also keine Anhaltspunkte für die Festlegung der scheinbaren Bahn bot, und daß die Mehrzahl der Beobachter sich auf die Beschreibung des Anblicks beschränkte. Im engeren Fallgebiet wurde auch vielfach die Feuerkugel selbst gar nicht gesehen, und erst der nachfolgende Donner machte die Bewohner auf das Ereignis aufmerksam. Das Er- löschen des Meteors erfolgte 16,4 km hoch über dem Punkte der Erdoberfläche 9" 10' östlich Green- wich und 50" 57' nördlicher Breite. Das Meteor gelangte zu diesem Punkt in einer Bahn, welche aus etwa 15" westlich von Nord gerichtet und um 55" gegen die Horizontale geneigt war. Als Ort des scheinbaren Strahlungspunktes wurde er- mittelt: 357'' Rektascension und 80" nördliche Deklination, im Sternbild Cepheus. Die Angaben für die Höhe der ersten Wahrnehmung weichen naturgemäß gegeneinander stark ab, je nachdem, ob die Beobachter früher oder später die Feuer- kugel bemerkten. Im Mittel aus 5 Beobachtungen ergab sich die Höhe 82,6 km, welche sich indessen sicher nicht auf den Punkt des Auf- leuchtens bezieht, da in den höher gelegenen Teilen der Bahn die noch lichtschwache Erscheinung infolge des Sonnenlichtes nicht hatte gesehen wer- den können. Das beobachtete Bahnstück ist 81 km lang und wurde in 4 Sekunden durchlaufen, ent- sprechend der Geschwindigkeit 20,3 km/Sek. Unter Berücksichtigung des Einflusses der Erdschwerkraft vermindert sich dieser Wert auf 16,3 km/Sek., doch muß beachtet werden, daß hierbei der Luft- widerstand nicht in Rechnung gezogen ist, wofür allgemeine Formeln bis zur Zeit noch nicht auf- gestellt werden konnten. Immerhin überschätzt N. F. XVII. Nr. 14 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 207 VVegener diesen Einfluß beträchtlich, wenn er annimmt, daß die wahre Geschwindigkeit, mit der das Meteor in die Atmosphäre eintrat, ein Mehr- faches des gefundenen Betrages gewesen sein könnte. Die von ihm angezogenen Zahlenreihen Schia- parelli's, welche eine nahezu gleichförmige Ab- nahme der Geschwindigkeit verlangen, stützen sich auf ballistische Erfahrungen, doch haben auch neuere Beobachtungen an Geschossen mit ver- schiedener Anfangsgeschwindigkeit wiederholt ge- zeigt, daß die Art der Wirkung des Luftwiderstands weitgehend von der Geschwindigkeit abhängig ist. Für die hohen Geschwindigkeiten der Meteore fehlen uns experimentelle Erfahrungen vollkommen, doch konnte mehrfach festgestellt werden, daß die Hemmung während eines großen Teiles des Laufes verhältnismäßig gering ist und erst kurz vor dem Erlöschen die Geschwindigkeit des Meteors fast schlagartig vernichtet wird. Die plötzliche Um- setzung der Bewegungsenergie äußert sich dabei durch glänzende Lichterscheinungen. — Da der Strahlungspunkt der Feuerkugel in lO/" Abstand vom Zielpunkt der Erdbewegung lag, ergibt sich aus dem gefundenen Wert von 16,3 km/Sek., daß sich das Meteor, auf die Sonne bezogen, mit 37,5 km/Sek. Geschwindigkeit durch den Raum bewegt haben müsse. Die kosmische Bahn wäre dem- nach eine Ellipse gewesen, doch kann nach dem vorstehend Gesagten mit großer Wahrscheinlich- keit angenommen werden, daß die Bahn tatsäch- lich hyperbolisch gewesen ist, wie es bei dieser Klasse von Himmelskörpern die Regel ist. Das Hauptgewicht legte der Verfasser auf die Untersuchung der Begleiterscheinungen. Die An- gaben über die Farbe widersprechen sich zum Teil stark, doch herrschen die Bezeichnungen gelb und rot vor, im Einklang mit Wegen er 's noch un- bestätigter Hypothese, daß das rote Licht eine Eigentümlichkeit solcher Meteore sei, welche in die zwischen 20 und 80 km Höhe angenommene Stickstoffsphäre eindringen. Als Durchmesser der Feuerkugel ergab sich fast 700 m. Dabei kann jedoch vorläufig der Einfluß der Irradiation nicht berücksichtigt werden ; auch werden ja im wesent- lichen nur die das Meteor umgebenden glühenden Gase und Dämpfe zur Wahrnehmung gelangen, welche sich leicht auf beträchtlichen Raum aus- dehnen können. Der Rauchschweif der P'euer- kugel blieb fast eine Viertelstunde lang sichtbar, war erst geradlinig, nahm dann Wellen- oder Spiral- form an und verschwand nach Auflösung in einzelne Wölkchen. Eine Windversetzung konnte nicht sicher nachgewiesen werden, doch zeigte sich eine leichte Krümmung gegen das Ende hin, die aber kaum in einer Richtungsänderung der Meteorbahn begründet sein wird. Kurze Zeit nach der Lichterscheinung wurde sehr starker Donner vernommen auf einem fast kreisförmigen Gebiet von etwa 50 km Halbmesser. Eine geringe Ausbuchtung des Detonationsfeldes gegen NNW hin bestätigt die mehrfach gemachte Erfahrung, daß der Donner der Feuerkugeln nicht erst bei der „Explosion" im Hemmungspunkt, sondern schon während des Zuges durch die Atmosphäre entsteht. Zwei vereinzelte Schall- wahrnehmungen aus 120 km Abstand in der Gegend von Meiningen sind wohl einer Zone abnormer Hörbarkeit beizuzählen. In der Nachbarschaft des Endpunkts wurden zunächst einige starke Schläge gehört, denen sich ein langdauerndes Rollen an- schloß. Die Fenster klirrten, und die Bewohner dachten anfangs vielfach an ein Erdbeben oder einen Luftangriff und begaben sich dementsprechend ins Freie oder in die Keller. Mehrere Personen wollen nach dem Erlöschen des Meteors gesehen haben, daß ein dunkler Körper gleich einem Vogel zur Erde schoß, und W e g e n e r ist geneigt, darin den Meteoriten selbst zu sehen, was aber doch stark bezweifelt werden muß. Keiner der Beobachter befand sich der wahrscheinlichen Fallstelle näher als etwa 3 km, und es dürfte doch schwer möglich sein, aus diesem Abstand einen aus 16 km Höhe herabstürzenden Körper von einigen Dezimetern Durchmesser zu sehen. .Vhn- liche Augentäuschungen findet man bei den meisten großen iVleteoren, und bei den von Wegen er zum Vergleich herangezogenen wirklichen Meteo- ritenfällen standen die Augenzeugen durchweg in unmittelbarer Nähe des Fallortes. Indessen scheint es, daß auch bei dem hessi- schen Meteor tatsächlich feste Massen die Erd- oberfläche erreicht haben, denn nach einer vor- läufigen Mitteilung konnte der Meteorit fast ein Jahr nach seinem Fall aufgefunden werden. Er wiegt 63 kg und besteht vorwiegend aus Eisen und Nickel. Nähere Angaben darüber stehen noch aus. Die Wegener'sche Arbeit gewinnt wesentlich dadurch an Wert, daß sie in knapper Form alle bisher bezüglich der Meteorerscheinungen ge- wonnenen Erfahrungen anführt und damit auch dem Nichtfachmann einen ziemlich vollständigen Einblick in dieses Forschungsgebiet gewährt. C. Hofifmeister. Medizin. Über die Krätze in der Türkei während des Krieges. In der unter Leitung eines deutschen Marineoberstabsarztes stehenden Poli- klinik Emirghian — es sind zwei solche Institute am Bosporus begründet worden — werden monat- lich etwa 160 Zugänge an Krätze aus der Zivil- bevölkerung behandelt, wovon allein 50 ein einziges Dorf, Saryar, liefert. Während in Deutschland die Krätze meist nur in ihr erstes Stadium mit Knötchen, Pusteln, Milbengängen und Kratzstriemen tritt und schon selten ältere infizierte Fälle mit ausgedehnter Eiterblasenbildung auf großen Körper- flächen Zustandekommen, findet man erst in der Türkei, und auch hier während des Krieges sicher öfter als in Friedenszeiten, das meist nach drei- bis viermonatiger Krankheitsdauer eintretende, von Bernstorff) so genannte dritte Stadium, in ') Münchener medizinische Wochenschrift 1917, Nr. 50, S. 1606 — 1607. 208 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. K. XVII. Nr. 14 welchem die Kranken an ausgedehnten Körper- teilen mit einem einzigen verschorften trockenen Ausschlag bedeckt sind. Durch Abkratzen des Schorfes entstehen blutende Wunden, die von neuem verschorfen oder vereitern. Nur am Rande der Schorfstellen ist etwas von Milbengängen und Pusteln zu sehen. Der Juckreiz raubt den Kranken den Schlaf, was, wie bei jeder starken Ungeziefer- infektion, den Menschen sehr herunterbringt. Auch in gebildeten p-amilien findet man jetzt sehr oft die Krätze. Ursache ihrer Zunahme ist vor allem die jetzige Armut des Volkes. Arzt und Apotheker, Peru- balsam und Salben, Seife und Kohlen sind un- erschwinghch teuer, der sonst so reinliche Türke — das gilt auch für den armen Mann — muß auf Säuberung des Körpers und der Wäsche ver- zichten. Die öffentlichen Badeanstalten sind etwa auf die Hälfte ihrer Zahl gesunken und sind jetzt eher ein Ort der Ansteckungsgefahr als der Säuberung Nach der Landessitte besuchen ferner die Frauen mit ihren Kindern einander und pflegen dann bei dem Gastfreund über Nacht zu bleiben. Zur Be- aufsichtigung kleiner Kmder nimmt man oft ver- wahrloste Waisen. Dies alles fördert die An- steckungsgefahr. Schließlich betätigt der Orientale gegenüber Ungeziefer wie Krätzmilben, Flöhen und Wanzen leicht denselben Fatalismus, wie bei uns die Landbevölkerung gegenüber der Fliegen- plage im Hochsommer, was mit Rücksicht auf das Klima, die Landessitten und die Bauart der Häuser nur verständlich ist. Die Bekämpfung des Einzelfalles ist unter diesen Umständen nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, notwendig wäre vielmehr die Auf- klärung des Volkes über die Ansteckungsgefahr und deren Verhütung, (g. c.) V. Franz. Inhalt 1 Er nst Küster, Üb er die Aufgaben und Ergebnisse der Entwick ungsmechanik der Pfla nzen. S. 193- V Franz, Die Funktion des Daumens am Vogelflügel (5 Abb.) S. 2 00. — Einzelbenchte : Pi rquet, Die Beziehungen zwischen Körpergewichtund Umsatz (2 Abb.) S. 202. A.L ipschüt z, Differenz i 1 der Körpertemperatur zu Gunsten des W eibchens. S. 205. Hugo Schulz Emfl jß des Genusses einer geringen Menge von Alkohol auf die Realctionsgeschw indigkeit. S. 200. A. Wegener, Der M eteoritenfall vom 3- April 1916 in Hessen. S. 206. Bernstorff, über die Krätze in der Tu rkei während des Kriege s. S. 207. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippen & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. 3tt 4 Jaf^rjf^fynirtt QUmtpht^nVSvwtkmm» for^^run^ nmda0<^fac()ir, umdas^^fad^e. um do« ^f od)», um übwjJJminionCTi ^^t «m^foldf arb^i^mttgwvfditerun^ Im^tft onlpib^ H^d^ttpt, ^^id^nei ^of^n* Naturwissenschaftliche Wochenschrift. , Reih« Sonntag, den 14. April 1918. Nummer 15. Welche Ergebnisse liefert die Untersuchung tertiärer Pflanzenreste? Von Dr. R. Krausei. [Nachdruck verboten.] > 01 i-'f- Der Gedanke einer allmählichen Entwicklung der Lebewelt von niederen zu immer höheren Stufen ist, seit ihm Darwin vor nunmehr bald 60 Jahren erneut Ausdruck gegeben hat, zu einem der wichtigsten Grundsätze der Wissenschaft ge- worden. Mögen auch die Anschauungen über den Verlauf und vor allem über die Ursachen der Veränderungen innerhalb der organischen Natur auseinandergehen ; daran aber, daß sie statt- gefunden haben, zweifelt heute kaum noch ein Forscher. Und selbst wenn in Zukunft einmal der heute kaum denkbare Fall eintreten sollte, daß sich die Entwicklungslehre als ein Irrtum des nxenschlichen Geistes erweist, so wäre es jedenfalls ein Irrtum gewesen, der auf den verschiedensten Gebieten der Forschung im höchsten Grade an- regend und befruchtend gewirkt hat. Dies gilt nicht zuletzt von der Paläontologie, der Lehre von den ausgestorbenen Lebewesen, die aus einem Prüfsteine der Entwicklungslehre zu einer ihrer wichtigsten Stützen geworden ist. Hand in Hand mit dem Bestreben der Systematiker, das System der lebenden Tiere und Pflanzen zum Ausdruck der natürlichen Verwandtschaft und Entwicklung zu machen, arbeitet die Paläontologie daran die noch vorhandenen Lücken in der Entwicklungs- reihe auszufüllen und so das Bild von dem Werde- gang der Lebewelt immer klarer zu gestalten. Dies gilt in gleichem Maße für Paläozoologie und -botanik. Uns soll hier nur die letztere be- schäftigen, und zwar auch nur soweit, als sie der Untersuchung jüngerer Reste, in erster Linie solcher aus dem Tertiär gewidmet ist. Es muß von vornherein betont werden, daß alle hier ausgesprochenen Anschauungen und Folge- rungen nur innerhalb dieser Schranken Geltung verlangen und nicht ohne weiteres auf die Pflanzen- welt älterer Schichten übertragen werden dürfen. Den Ausgangspunkt aller Betrachtungen über Pflanzenfossilien muß ihre sichere Bestimmung bilden, die nur durch Vergleich mit lebenden Pflanzen gewonnen werden kann. Dies gilt ganz besonders für das Tertiär, da ja die tertiäre Flora von der heute lebenden nicht wesentlich verschieden ist. In vielen Fällen treten uns hier wie dort zumindest die gleichen Gattungen, wenn auch in anderer Verteilung entgegen. Aus diesem Grunde wird man aus dem Studium der Tertiär- flora zwar kaum wichtige Aufschlüsse stammes- geschichtlicher Natur erwarten, wohl aber ver- muten dürfen, dafür auf anderen Gebieten ent- schädigt zu werden. Da taucht zunächst die Frage auf, wie weit sich diese Reste für geo- logisch-stratigraphische Altersbestimmungen eig- nen, in welchem Maße sie also als „Lcitfos- silien" angesprochen werden können. Es ist ferner zu prüfen, welche Folgerungen Pflanzen - geographie und Paläoklimatologie aus der Betrachtung der Fossilien ziehen können. Von vornherein sollte man meinen, daß diese gerade hier von ausschlaggebender Bedeutung sein müssen und infolge ihrer nahen Verwandtschaft mit noch lebenden Formen wichtige Schlüsse auf die Veränderungen zulassen, die sich während und seit der Tertiärzeit in der räumlichen Ver- breitung und Entwicklung der einzelnen Pflanzen- gruppen sowie auf klimatischem Gebiete vollzogen haben. Wie weit sind diese Erwartungen nun be- rechtigt? Die Paläobotanik ist noch keine sehr alte Wissenschaft. Zwar werden fossile Pflanzen- reste gelegentlich schon in älteren Werken er- wähnt, ihre systematische Bearbeitung erfolgte aber doch erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, nachdem durch den Aufschwung der Geologie die Wege hierzu geebnet worden waren. Als Beispiele seien die Arbeiten Brongniarts *) und Sternbergs -j genannt. Dann folgte ein über- raschend schneller Aufstieg, der durch die Namen eines Göppert,Unger,Heer u.a. gekennzeich- net wird. Diese Forscher erkannten bereits, daß^ die naturgetreue Abbildung der Fossilien von ausschlaggebender Bedeutung ist, und suchten sie mit allen Mitteln ihrer Zeit zu erreichen. Lichtdruck und ähnliche moderne Verfahren standen ihnen allerdings nicht zur Verfügung, aber es zeugt von einem Mangel an historischem Urteil, wenn man ihnen hieraus einen Vorwurf machen will. Zahlreiche ihrer Arbeiten stellen umfangreiche Tafel werke dar, die uns sowohl wegen ihrer technischen Ausführung wie durch das darin verarbeitete riesenhafte Material trotz vieler Unzulänglichkeiten noch heute mit Achtung erfüllen müssen. Von sehr vielen späteren Arbeiten gilt allerdings in allem das gerade Gegenteil. Von Jahr zu Jahr schwoll die Literatur an, und neben der (oft arg vernachlässigten) Beschreibung und Bestimmung der Fossilien nehmen in ihr tatsächlich pflanzengeographische und klimatische Betrachtungen den größten Raum ein. Als dann aber die Kritik einsetzte, da zeigten sich zahlreiche Mängel. Die gehegten Erwartungen erfüllten sich nicht, und ein großer Teil der „Bestimmungen" erwies sich als unhaltbar oder doch unsicher. Die inneren Gründe hierfür werden wir noch kennen lernen. Das Ergebnis dieser Kritik, für die Schenks Paläophytologie ") noch heute die wertvollste, wenn auch in einigen Naturwissenschaftliche Wochenschrit'L N. F. XVn. Nr. IS Punkten überholte Grundlage bietet, war nun aber keineswegs eine durchgreifende Besserung. Sie verhallte bei vielen, die sie in erster Linie anging, ungehört. Dies hatte zur Folge, daß die Wertschätzung, die man den fossilen Pflanzen in den Kreisen der Botaniker ursprünglich ent- gegengebracht hatte, bedeutend geringer wurde. Da es nicht möglich ist, die meisten paläobota- nischen Angaben ohne besondere, oft zeitraubende und dabei ergebnislose Nachprüfung als zweifel- frei anzunehmen, verzichten die meisten Botaniker mehr oder weniger darauf, sie überhaupt zu berück- sichtigen. Wo aber doch ein solcher Versuch ge- macht wird, zeigt sich eben immer wieder, daß die Paläobotanik auf dem bisher eingeschlagenen Wege nur wenig brauchbare Grundtagen geliefert hat. Ein lehrreiches Beispiel hierfür bieten die Studien Hagens*) über die floristischen Be- ziehungen des mediterranen und orientalischen Gebiets zu Afrika, Asien und Amerika. Gerade für das hier behandelte Gebiet liegen die Ver- hältnisse insofern günstig, als aus dem südfran- zösischen, alpinen, italienischen und griechischen Tertiär von zahlreichen Fundstellen eine Un- menge von Pflanzenresten beschrieben worden ist. Und das Ergebnis? Unter Zugrundelegung der Kritik Schenks sowie einiger neuerer Mono- graphien systematischer Botaniker findet Hagen, daß etwa 40 — 50 Gattungen als einwandfrei fest- gestellt angenommen werden können.*) Damit ist nach ihm das Fossilienmaterial erschöpft, das ohne Bedenken florengeschichilich verwertet werden darf, und da es sich zumeist um Formenkreise handelt, die noch heute im Gebiete heimisch sind, ist daraus nicht viel zu entnehmen. Noch geringer ist ihr Wert für die Paläoklimatologie, da sie bei weitem nicht genügen, um ein einiger- maßen klares Bild von den tertiären Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen zu geben. „Um ihm", sagt Hagen, „mehr Sicherheit und Klar- heit zu verleihen, müßte es von großem Interesse sein, das Fossilmaterial nicht zusammenfassend, sondern für jede einzelne Fundstätte gesondert zu registrieren und das, was die Fundorte ver- schiedenen geologischen Alters, verschiedener geographischer Breite und auch verschiedener Länge geliefert haben, im einzelnen miteinander zu vergleichen. Leider stößt eine derartige Untersuchung auf Schwierigkeiten, die nicht zu- überwinden sind, denn es erweist sich für den Pflanzengeographen als durchaus unmöglich, in den zahlreichen Fundberichten das richtig Be- stimmte von dem zu Unrecht mit Namen Belegten kritisch zu sondern. Die Wertlosigkeit der *) Es sind dies eine Cycadee (wohl Encepkalartos), Gingko, Larix, Taxoäium. Gtyploslrobus, Seguoia, Callilris, Widdring- tonia, Smilax, Chamaerops, Plerocarya, Engelhardlia, Carya, Juglans, Myricaceen, Popiilus, Salix, £itula, Alnus, Oslrya, Carpinus, Corylus, Castania secl. Eucastanea, Quercus, Fapts, Zelkova, Ccltis sect. Euceltis, Ulmus, A'elumbo, Nymphaea, Liriodendrony Magnolia, Laurus, Sassafras, Cinnamoinum, Liquidambar, Paliuris, Vitis, Tilia, Punica, Trapa, Hcdcra, Fraximis, Poraita. Viburnum. meisten phytopaläontologischen Bestimmungen macht einen Weg ungangbar, auf dem ohne diesen Mißstand möghcherweise ganz brauchbare Anhaltspunkte zur Beurteilung des neogenen Klimas gewonnen werden könnten." Man wird diesemUrteil im ganzen leider zustimmen müssen und nur wenige Arbeiten davon ausnehmen können. Nunmehr erhebt sich die Frage, welches die Ursachen für dieses zweifellose bisherige Versagen der Paläobotanik sind; sodann wird zu unter- suchen sein, ob und auf welchem Wege Besserung erzielt werden kann. Diese Verhältnisse sind schon oft, zuletzt eingehend von R e i m a n n ^) mit einem allerdings weit über das Ziel hinausgehenden Skeptizismus behandelt worden. Daher sollen nur die wichtigsten Punkte erwähnt werden, zumal auf einige in dieser Zeitschrift schon früher hingewiesen worden ist*). Mit Pax ') wird man der Ansicht Reimanns über den Unwert der Tertiärfossilien an sich entgegentreten, ihre Berechtigung aber anerkennen müssen, soweit sie sich gegen die in zahl- reichen Bearbeitungen von Tertiärfloren angewandte Arbeitsmethode richtet. Diese stellen meist Lokal- floren dar ; die richtige Bestimmung des Materials setzt also im Grunde eine das ganze Pflanzenreich umfassende Kenntnis der lebenden Formen voraus, wie sie ein Einzelner nur selten besitzen dürfte. Die Autoren verglichen die Reste mit lebenden Pflanzen und identifizierten beide, wo sie Übereinstimmung zu finden glaubten. Dabei waren häufige Irrtümer unvermeidlich, zumal es sich meist um einzelne Blätter, seltener Samen oder Früchte handelt. Ein lehrreiches Beispiel hierfür bieten die 2As Paradoxa- carpus Nehring und FollicuUtes Zenker bekannten Samen. Zenker beschrieb letztere vor etwa 100 Jahren als Balgfrüchte. Spätere Untersucher stellten sie zu Ranunculaceen, Koniferen, Santa- laceen, Passifloren, Nymphaeaceen, Anacardiaceen u. a., ehe es K e i 1 h a c k gelang, sie als Stratiotes- samen zu entlarven. In vielen späteren Arbeiten tritt diese Arbeitsmethode dann gegen den Vergleich mit schon beschriebenen fossilen „Arten" zurück, wobei die genaue Beschreibung der neuen Reste ebenso wie die Vergleichungmit den lebenden Pflanzen schHeß- lich arg vernachlässigt wird. Die Folge war einmal, daß auf Grund nebensächlicher Ähnlichkeiten mit anderen, vielleicht an und für sich ebenfalls schon recht zweifelhaften P"ossiiien die Reste einer be- stimmten Gattung zugeschrieben wurden, von deren lebenden Arten sie deutliche Unterschiede trennen. Andererseits wurden die Variations- grenzen, die man gerade an den Blättern zahl- reicher rezenter Arten beobachten kann, arg ver- nachlässigt. Das Ergebnis war eine sich rasch anhäufende Anzahl fossiler „Arten", zu deren Auf- stellung meist schon äußerst geringe Abweichungen genügten. Den Anfängen dieser Artzersplitterung begegnen wir schon bei Göppert, Heer u. a. Bedenkt man aber, daß die älteren Paläobotaniker vor der schwierigen Aufgabe standen,erst einmal Ord- nung in die Masse der Fossilien zu bringen, so erscheint ihr Verfahren gerechtfertigt, zumal sie, N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sit wie dies früher von Göppert dargelegt worden ist *), die tatsächlichen Verhältnisse nie verkannten. Von zahlreichen ihrer Nachfolger kann dies aber nicht in gleichem Maße gelten. Hier wird schein- bar die Aufstellung neuer „Arten" zum Selbstzweck und damit der Willkür des Einzelnen Tür und Tor geöffnet. Fügen wir noch hinzu, daß häufig völlig mangelhaftes Material „bestimmt" wurde, daß man willkürlich Blatt- und Fruchtreste mit- einander vereinte und Untersuchungen, wie weit die zur Unterscheidung benutzten Merkmale tat- sächlich als solche zu bewerten seien, völHg ver- nachlässigte, daß schließlich die Prioritätsregeln bei der Benennung oft unbeachtet blieben, so er- klärt dies alles den heutigen Zustand der Unsicherheit und Verwirrung wohl zur Genüge. Wenn hier Besserung erzielt werden soll, ist eine Revision der bisherigen Arbeiten dringend erforderlich, die nur in monographischer Auf- arbeitung des vorliegenden Materials erfolgen kann. Leider ist dieser Weg, der viel mehr Ertolge ver- spricht, als die Beschreibung immer neuer Reste, bisher nur wenig beschritten worden. Ein Muster bieten die paläobotanischen Arbeiten von Fax, unter denen die schöne Bearbeitung der fossilen Aceraceen*) an erster Stelle steht. Nur der Botaniker kann eine solche Arbeit leisten, deren Schwierigkeiten nicht gering einzuschätzen sind. Schon die Durchsicht der umfangreichen, weitver- streutenLiteraturist schwierig, und es ist zu begrüßen, daß sie durch den von Jongmans herausgegebenen FossiliumCatalogus") in Zukunft bedeutend erleichtert werden wird, der eine Zusammenstellung aller bisher beschriebenenPflanzenreste mit möglichst vollständigen Literaturangaben bieten soll. Leidet sind erst wenige Familien bearbeitet. Diese Kritik wird zu untersuchen haben, welche Reste richtig bestimmt sind, und alle andern, auch die zweifelhaften, ausscheiden müssen ; sie wird fragen, welche Fossilien zu Unrecht vereinigt oder getrennt worden sind, dies alles unter steter Berücksichtigung der an lebenden Pflanzen beobachteten Variations- grenzen. In manchen Fällen werden sich dabei aller- dings nicht einzelne festumschriebene „Arten" nach Analogiederlebendenergeben,sondernFormenkreise, die mehr als einer lebenden Art entsprechen. Nicht immer wird eine klare Entscheidung möglich sein, da oft die vorliegenden Beschreibungen und Abbildungen unzulänglich sind. Hier müßte man also auf die Originale zurückgreifen, was nur selten durchzu- führen sein wird. Deshalb erscheint es vorteilhaft, wenn zunächst die Reste beschränkter Gebiete monographisch durchgearbeitet werden, wie es, durch Pax veranlaßt, mit der Tertiärflora Schlesiens geschehen ist. Ihre Bearbeitung ist nunmehr beendet und lehrt, daß die so er- zielten Ergebnisse eine geeignete Grundlage für allgemeinere Folgerungen über KUma und Pflanzen- verbreitung bieten. Es ist erfreulich, daß diese Ansicht gerade von botanischer Sehe energisch verteidigt worden ist gegenüber Zweifeln an der Berechtigung, Beziehungen zwischen der fossilen Flora imd den lebenden Pflanzen aufzustellen. „Wenn man sieht", sagt Pax,*) „daß innerhalb der verschiedensten Verwandtschaftskreise, die gut durchgearbeitet sind, immer wieder dieselben Be- ziehungen zur Gegenwart hervortreten, wird man schwerlich von einem Zufall reden dürfen." Auf die Art der Durcharbeitung kommt allerdings alles an. ¥ür das schlesische Tertiär können wir hinzu- fügen, daß die Ergebnisse der Untersuchung der Blattabdrücke durch die gleichzeitige Bearbeitung der fossilen Hölzer, der Frucht- und Samenreste nicht nur ergänzt, sondern in vielen Fallen be- stätigt worden sind. In der folgenden Tabelle sind nur die wichtigsten nachgewiesenen Fos- silien, die ihnen entsprechende lebende Form und deren heutige Verbreitung zusammengestellt. Im allgemeinen stimmen die Floren aller Fundorte gut überein. Nur in den Schichten von Wo h lau finden wir Formen mit unzweifelhaft tropischen Anklängen {Amesoncuro7i, Bütineria ; hierher gehört auch der merkwürdige Acer gi- ganteuvi Göpperts). Demnach müssen wir diese Ablagerungen als älter ansehen und können sie ohne Bedenken dem oberen Oligocän zu- rechnen. Die übrigen Tertiärschichten Schlesiens werden im allgemeinen dem mittleren Miocän zu- gewiesen, womit die Flora in gutem Einklang steht. Nur bei Oppeln findet sich ein be- schränktes Braunkohlenlager, das nach W e g n e r *^) dem obersten Miocän angehört, jedoch bieten die hier gefundenen Pflanzenreste keine Handhabe für nähere Altersbestimmung. Die hier gefundenen Torreyahüchte sind nahe verwandt oder identisch mit den von Engelhardt und K i n k e 1 i n aus dem Pliocän von Frankfurt a. M. als Torreya nuci/era fossüis beschriebenen Formen. In allen Braun- kohlenlagern überwiegen Koniferen, doch finden sich auch Reste von Laubbäumen. Am häufigsten sind in allen Flözen Hölzer, die im Bau völlig der Sumpfzypresse {Taxodium disticJmm) und Sequoia sempervirens entsprechen. Entgegen der Ansicht P o t o n i e s scheint es wahrscheinlich, daß nicht den amerikanischen „swamps" ähnliche sumpfige Nieder- ungen, sondern ein Wald das Gebiet bedeckte, wenn- gleich feuchter Untergrund eine wichtige Rolle ge- spielt haben mag. In ihm gediehen neben den ge- nannten auch zahlreiche andere Nadelbäume. An allen übrigen Fundorten tertiärer Pflanzen über- wiegen dikotyle Reste. Im ganzen zeigt diese Flora nur geringe Übereinstimmung mit den heute in Schlesien lebenden Pflanzen, viel größer sind die Anklänge an die Vegetation ferner liegender Gebiete, wie die Übersicht deutlich erkennen läßt. Am stärksten sind diese Beziehungen zur e ura- siatischen sowie zur Flora des Mittelmeer- gebiets und des atlantischen Nordame- rikas; weniger zahlreich aber dennoch deutlich sind Anklänge an die Flora Vorderasiens, Ostasiens und des pazifischen Nord- amerikas, am schwächsten schließlich Bezieh- *) F. Pax, Schlesiens Pflanzenwelt. S. 48, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. I<. XVII. Nr. 15 Fossile Art Entsprechende lebende Form Heutige Verbreitung Fossile Art Entsprechende lebende Form Meutige Verbreitung Macrosjjorium sp. Macroaporimn _ Carpinvs Neilreichii C. Orientalis Pontisches Gebiet Selicoma sp. Helioma Cnrpiinphyllum C. carnUniana 1 Sahinia Mildeana S. natans candatum \ atl. N.-Am. Woodwardites Woodwardia .Ul. N.-Ain. Betida macrophylla B. papyrifcrn / Münntermins viryinica — prisca B. ntilis Zentral- u. Ostasien Taxus sp. T. baccata nördl. gem. Z. Befida subpubescens ■ B. piibescens Mittel- u.Nordeuropa, Torreya sp. T. califomica Nordasien Podocarpoxylon Alnus Kefersteimr A. glitt inosa Europa priscnm — rotufidafa Ä. incana Nördl. gem. Z. Piceoxylon larici- Lari3- nördl. gem. Z. FaguB attenuata F. ferruginea atl. N.-Am. mim Castanea atavia C. vesca Mittelmeergebiet Pinu» silesiaca P. sect. Pinaster Europa, Mittelmeer- Castanopsis sp. Castanopsis Qu. subs. Eobur trop. u. subtrop. Geb. geb. Queren» psciidocas- Europa, Mittelmeer- — Thomasiana P. rigida P. Taeda 1 atl. N.-Am. tanen TJlmm longifolia U. americana, gebiet atl. N.-Am. — geanthracii P.snhs.Eustrobus N.-Am., Pont.-Geb. alata Piceoxylon macro- Pseudotsuga .111. N.-Am. — carpinoides ü. campesfris, Eurasien earpvm tnaerocarpa effiisa, montana Sequoia Langsdorfii S. sempervirens paz. N.-Am. Celtis begonioides Zelkova^ Ungeri C. anstralis 1 Mittelmeergebiet Cnpressinoxylon Sequoia yigantea . Z. crenata weUingtonioides 1 atl. N.-Am. Brasenia Victoria Brasenia extraeurop. Taxodium disti- T. dUitichum purpures. M. grandiflora chum miocaenimm j Magnolia nttenvata > atl. N.-Am. Olyptostrobus G. heterophyllm Ostasien — cor. M. tripetala ewopaeus — sp. M. Kubus Ostasien Libocedrus L. chilemis Chile Lindera paucinervis L. praecox atl. N.-Am. aalicornioides Parrolia fagifoUa P. persica Nordpersien Juniperof:ylon sps. Juniperiis Palmae nördl. gem. Zone Liqiiidambar L. styj-aciflua 1 Amesoneuron trop. Geb. europaeum 1 atl. N.-Am. NoegyeratJiiae Platanus aceroides P. ocridentalis 1 Salix varians S fragilis, Europa Pnmussambueifolia — Triandra Crataegus oxyacan- C. oxyacantha Europa, Mittelmeer- — integra S. repens Europa, Sibirien thnidcs gebiet — angusta S. viminalis Nördl. Europa, Asien Poientilla sp. Pofeniilla — longa — palaeopurpwea S. longifolia atl. N.-A. Rubus sp. Rubus — S. purpurea Europa, Ostasien Acer trilobalum A. rubrum atl. N.-Am. — suhawrita S aurita Europa — crenatifolinm A. pseudopla- \ — sp. S.se:cUHitmbold- subtrop. u. trop. Geb. tanus 1 Eurasien Mittelmeer- tiana — aubcampestre A. campestre gebiet Populusbalsamoides P. candicans [ atl. N.-Am. — ribifoliim A. monspessu- — latior P. canadensis lanum 1 — crenata P. tremula Europa, Sibirien Wim quercifolia R. toxicodendron atl. N.-Am. Pterocarya casta- P. fraxinifolia Persien, Pontus Ziziphus ovata Z Jujuba Miltelmeergebiet neifolia Vitis teutonica Y. cordifolia atl. N.-Am. Juglans acuminata J. regia Südeuropa, Kl. Asien Cornus sp. Cornus — — tephrodes J. cinerea \ atl. N.-Am. Nyssa rugosa N. sylvatica atl. N.-Am. Carya sps. Carya \ Trapa silesiaca T. natans Mitteleuropa, Mittel- Garpinvit grandis C. Befnlut | Mittel- u. Sudeuropa, meergebiet Vorderasien Büttneria aequali- folia B. asper a Himalaya, China ungen zu tropischen Formen. Diese Zu- sammensetzung der Flora rechtfertigt, obwohl sie uns natürlich nur bruchstückweise überliefert ist, die Ansicht, daß das miocäne Klima gemäßigt, aber feuchter und milder als heute gewesen ist. Neben den Typen, die ein solches Klima verlangen, finden wir allerdings auch härtere Formen. Das bedeutet aber keinen wirklichen Widerspruch. In Übereinstimmung mit Frech können wir uns das miocäne Schlesien als ein Gebirgsland vor- stellen, dessen Höhenunterschiede nach kurz vorher erfolgter Hebung viel größer waren als heute. So konnten in den Talseen Pflanzen verschiedenster Höhenstufen zusammengeschwemmt werden. Ulmen, Hainbuchen, Erlen, Birken u. a. stammen aus den kühleren Gebirgsregionen und wurden in die wärmeren Niederungen herabgeschwemmt, in denen die Sumpfzypresse, Sequoien, Magnolien, Ka- stanien, Weinreben, /^(7rrö/'/(7,Z/j'?<'?i'/(7Wi^(?r gediehen. Das alles ist bedeutend mehr, als Hagen aus den doch viel zahlreicheren fossilen Resten des Mittelmeergebiets folgern konnte. Die Annahme, daß auch hier bei einer im gleichen Sinne arbei- tenden Neuuntersuchung wertvolle Ergebnisse zu gewinnen sein würden, ist wohl begründet und läßt eine solche Revision dringend erwünschen. Auf einem ganz anderen als dem hier gekenn- zeichneten Wege sucht Reid die Schwierigkeiten und Unsicherheiten der Fossilbestimmung zu über- winden. Er läßt die Blattreste ganz unbeachtet und beschränkt sich auf die in manchen tertiären Lagern überaus häufigen Samen und Früchte. Namentlich erstere sind oft in großen Massen, ganze Bänder bildend, zusammengeschwemmt. N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 213 Reid glaubt, daß sie sich für eine Bestimmung viel besser eignen als die mitunter stark variablen Blätter, eine Annahme, deren AUgemein- gültigkeit noch zu beweisen wäre. Auch die Samen können bei verschiedenen Individuen einer Art in Form und Größe stark variieren, anderer- seits bei mehreren nahe verwandten Arten so eng übereinstimmen, daß sie kaum zu trennen sind. Hierfür finden sich bei Reid selbst zahlreiche Beläge. Mit diesenEinschränkungen lassen sichSamen und Früchte aber sicher ebenso gut und oft vielleicht besser als einzelneBlätterzurBestimmung verwenden. Allerdings ist es recht schwierig, das notwendige Vergleichsmaterial zu erhalten, da die in den • Museen vorhandenen Samensammlungen keines- wegs vollständig sind. In jahrzehntelangen Mühen hat nun Reid eine solche in vielleicht unüber- troffener Reichhaltigkeit zusammengebracht; er verfügte daher auf diesem Gebiete wie kein anderer über umfassende Erfahrung. Dennoch muß man gegen manche seiner Bestimmungen den Einwand erheben, daß er auf Grund äußerst geringfügiger Abweichungen Arten unterscheiden zu können glaubt, wo dies tatsächlich nicht möglich ist. In vielen Fällen ist die Nachprüfung seiner Bestim- mungen dadurch erschwert, daß er nur kurze Be- schreibungen, namentlich vom inneren Baue gibt und die Abbildungen Einzelheiten nicht erkennen lassen, ein Beweis, daß auch das Lichtbild keineswegs ein vollständiger Ersatz genauer Beschreibung ist. Reids Arbeiten bieten durchweg Lokalfloren, die gegen solche erhobenen Bedenken gelten auch für sie. Obwohl er äußerst kritisch vorgeht und zahlreiche zweifelhafte Formen ausscheidet, ist sicher manches von ihm falsch bestimmt worden*). Im ganzen aber ruhen seine Arbeiten auf gesicherter Grundlage und verdienen mehr Vertrauen als manche andere, wie gerade die Untersuchung der schlesischen Tertiärreste mehrfach bewies. Die von ihm beschriebenen Reste'") stammen meist von südengli'^chen Fundorten (Bovey, Cromer) und aus den Schichten des rheinischen Mündungs- gebietes (Tegelen u. a.) und zeigen erneut die allgemeinere Bedeutung solcher Untersuchungen. Die Flora von Bovey Tracey zeigt mancherlei Anklänge an Formen des schlesischen Miocäns, auch solche aus den nach VVegner obermiocänen Schichten von Kgl. Neudorf bei Oppeln. Dies lehrt, wie vorsichtig man bei Altersbestimmungen ledig- lich auf Grund pflanzlicher Reste sein muß. Die Schichten von Bovey werden allgemein als ober- oligocän angesehen und auch von Reid mit den entsprechenden Horizonten der Rheinisch Wetter- auer Braunkohlenformation gleichgesetzt. Tropische Reste fehlen hier wie dort und die Zusammen- setzung der Flora würde auch mit einem miocänen Alter nicht in direktem Widerspruch stehen. Selbst im Pliocän zeigt die Flora noch verwandte Züge. So bestimmte Reid von Tegelen (an der Maas) etwa 60 Arten, unter denen viele Beziehungen zu nordeuropäischen Formen aufweisen. Das spricht ") Zum gleicGeu Krgebnis ko V. 1916, S. 12). : (Büliui. für ein bedeutend geringeres Alter der fossilfiihren- den Schichten, die auch von manchen Geologen als interglazial angesehen werden. Die Pflanzen- reste lehren indessen, daß dies ganz sicher nicht richtig ist, da sich unter ihnen auch manche exotische und ausgestorbene Typen finden. Ptero- carya, Juglans, Magnolia, Sequoia, Glyptostrobus gehören hierher. Dagegen fehlt jegliche Über- einstimmung mit andern Interglazialfloren. Die Pflanzenreste weisen die Schichten von Tegelen unzweifelhaft dem Pliocän zu. Anders steht es dagegen mit den Ablagerungen von Cromer. Hier fehlen alle typischen Tertiärpflanzen und die gefundenen Reste stimmen mit lebenden Arten völlig überein (Lorylus Avellana. Betula alba, Nymphaca alba u .a.). Jeglicher Hinweis auf Ost- asien und Amerika fehlt, es ist daher entgegen der Ansicht Reids sehr wahrscheinlich, daß, wie andere Geologen glauben, wenigstens die oberen Horizonte desCromerien glazial bzw. interglazial sind. Die angeführten Beispiele geben die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen. Typi«cheLeitfossilien für engbegrenzteHorizonte suchen wir unterdenTer- tiärpfianzen vergebens ; wohl aberläßt die allgemeine Zusammensetzung derFlora und ihreBeziehungen zur lebenden Pflanzenwelt einen Schluß auf Alter und Klima zu. Voraussetzung für derartige Folgerungen ist aber,daß dieReste mehr oder wenigermannigfaltig sind, ebenso natürlich, daß sie sich an primärer Lager- stätte befinden und richtig bestimmt sind. Bei Be- trachtungen über das Klima ist auch zu beachten, daß Reste verschiedener Höhenstufen oder auch Breiten zusammengeschwemmt worden sein können. 50 ist die Untersuchung der tertiären Pflanzen- reste keineswegs nutzlos, sie kann im Gegenteil zu wichtigen Aufschlüssen pflanzengengraphischer, pa- läoklimatischer u. allgemein geologischer Art führen, wenn sie den hier geschilderten Weg einschlägt. Literatur. I) Brongniart, A., Prodrome d'uDC bistoire des vegetaux fossiles. Paris 1828. 21 Sternberg, K. v.. Versnob einer geognostiscb-bota- nischen Darstellung der Flora der Vorwelt. Prag 1838. 3I Schenk, .\. , Paläophytologie, in Zittel, Paläon- tologie II. München 1890. 4I Hagen, H. B. , Geographische Studien über die floristischen Beziehungen des mediterranen und orientalischen Gebiets zu Afrika, Asien und Amerika Mitteil. Geogr. Ges. München I.X. 1914. 51 R e i m a n n , H., Die Betulaceen und Ulmaceen des schlesischen Tertiärs. Hreslau Igi2. 6) Krau sei, R., Zur Bestimmung fossiler Blattabdrücke. Naturw. Wochenschr. N. F. XVI, Nr. 16, 1917. 7) Pax, F., Schlesiens Pflanzenwell. Jena 1915. S) — , Monographie der Gattung Acer. Botan. Jahrb. VI. Leipzig 1886. 9) Jougmans, W., Fossilium Catalogus. I — VII. Berlin 1012 — 15. 10) Reid, C. u. E. M., The Liguite of Bovey Tracey. Phil. Transact. Roy. Soc. London B. CGI. 1911. — , On the Pre-Glacial Flora of Britain. Journ. l.inn. Soc. Bot. XXXVIII. 1908. — , The Fossil Flora of Tegelen-sur-Meuse. Verhaudl. Kou. Akad. Wetenscb. II. S. XIII. 1907. — , The Plioceue Floras of the Deutsch-Prussiau Border. MrtlrJc-l. Rijks-ops. V. Delfst. VI. Hang 1915. II) Wegner, R. N, Tertiär und umgelagerte Kreide bei Oppeln. Paläontogr. LX. Stuttgart 1913. 214 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. tS Einzelberichte. Zoologie. So reich an häufigen Arten die Käfergattung Carabus, Laufkäfer, ist, und so oft man auch ihren Larven begegnet, die genaueren Kenntnisse der Systematik, Entwicklung, Morpho- logie und Biologie der Carabus-Larven sind noch sehr gering. Eine reiche Ausbeute an neuen Be- obachtungen und Feststellungen kann daher K. W. Verhoeff verzeichnen, der von mehreren Arten, besonders dem großen, in Oberbayern häufigen Carabus ulrichii, die Entwicklung verfolgte.*) Die nicht sehr zahlreichen Eier erreichen 5 — 6 mm Größe. Durch die Eihäute hindurch schimmern die schon ziemlich früh pigmentierten 6-J-6 Oz eilen des älteren Embryos, und an ihnen kann man in der vorletzten Embryonalperiode Atembewegungen des Embryos feststellen, hauptsächlich ein unregelmäßiges Rollen des Kopfes, das von Wärme und Feuchtigkeit sehr abhängig ist. In der letzten Embryonalperiode, wo schon viel mehr vom Embryo hindurchschimmert, hören die Atembewegungen auf, weil das Tracheensystem sich entwickelt hat. Dagegen werden jetzt unregel- mäßigere Schlüpf wehen bemerkbar. Schließ- lich arbeitet sich der anfangs weiße Embryo inner- halb höchstens zwei Stunden dadurch heraus, daß abwechselnd Abdomen und Thorax — mit Aus- nahme des Kopfes — blasebalgartig aufgebläht werden und dadurch auf die Eihäute drücken, während zwei eizahnartige „F r o n t a 1 s t a c h e 1 n" die Eihäute vorn anritzen und zerreißen. In I2 bis 24 Stunden färbt sich die Larve aus. An den zurückgelassenen Eihäuten erkennt man eine das Chorion umspannende, fast wie Zellgewebe aus- sehende Gittermembran. Die Junglarve nimmt zunächst 3 bis 3^9 Tage keine Nahrung an. Erst dann, nach Aufzehrung des Dottervorrates, packen die gewaltigen, mit Innenzähnen bewehrten Mandibeln vorgesetzte Würmer sofort. Bewegt sich der Wurm stark, so läßt die Käferlarve sich von ihm mitschleifen und tierumwerfen, zerbeißt ihn dabei in Stücke, preßt diese und drückt sie zur Aussaugung gegen die Mundöffnung. Am 9. Abdominaltergit zahlreicher Käferlarven kennt man paarige, als „Cerci" beschriebene Ge- bilde, bald gelenkig eingefügte, mehrgliedrige An- hänge, bald unbewegliche Fortsätze. Letzterer Fall, in welchem Verhoeff von „Pseudocerci" spricht, trifft bei den Carabus-Larven zu; die Pseudocerci haben stets eine aufwärts gekrümmte Spitze, meist auch 1 bis 2 starke Vorspitzen, und leisten mit diesen Dienste als Ankerorgane, zum Beispiel wenn ein großer Regenwurm gepackt wurde, ferner dienen sie als Stützorgane bei der Häutung und als Halteorgane beim Kriechen in engen Gängen. Wie die Schwimmkäferlarven der Dytisciden, aber abweichend zum Beispiel von den Schild- ') Biologisches Zcnlralbhitt, tiand 37, 1917, Seile 14 bis 24. käferlarven, Cassida, die sich fünfmal häuten, häuten sich die Lauf käferlarven dreimal, so daß man drei Larvenstufen, das Primär-, Sekundär- und Tertiärstadium unterscheiden kann. Dem Sekundär- stadium fehlen die Eizähne oder Frontalstacheln des Primärstadiums sowie ein bei diesem am ersten Abdominalsegment vorhandenes rundliches Feld- chen, wohl ein Rest eines drüsigen Embryonal- organs unbekannter Bedeutung, das auch die junge Maikäferlarve besitzt. 12 — 15 Tage nach dem Schlüpfen aus dem Ei erfolgt die erste Häutung durch einen von der großen Y-förmigen Kopfnaht und einer Sagittalnaht im Pro-, Meso- und Meta- notum gebildeten Häutungsspalt. Vom Schlüpfen aus dem Ei bis zum Abwerfen der letzen Larven- haut vergehen bei Carabus ulrichii 70 Tage, bei dem kleineren und mehr Wärme genießenden C. granulatus 40 Tage. Ins Nymphenstadium werden als einzige pig- mentierte Gebilde die 6 -{-6 Larvenozellen übernommen, die hinter der Anlage der Komplex- augen des Käfers liegen. Quer über das erste bis fünfte Abdominaltergit erstrecken sich kräftige, gelbbraune Bürsten aus starken Borsten als Isola- toren gegen Nässe in der Nymphenkammer. Sonst sind die Nymphen weiß und strömen einen scharfen, stechend-aromatischen Abwehrduft aus, der offenbar denselben Drüsen entstammt, die dem fertigen Carabus zur Wehr dienen; diese „Nym- phensäure" färbt ein unter die Nymphe gelegtes blaues Lackmuspapier in wenigen Tagen deutlich rötlich bis zum Umkreise von einem Zentimeter. Fast rein weiß ist auch noch das frischgeschlüpfte Volltier, nur Augen, Schienen, Tarsen, Mandibeln, Taster und Antennengeißel sind bei Carabus granu- Jatus sogleich geschwärzt. Die Mundwerkzeuge der Volltiere lassen sich vergleichend-morphologisch mit denen der Larven durchaus in Einklang bringen. Die bisherige an- gebliche Unstimmigkeit der Maxillopoden oder ersten und der Labiopoden oder zweiten Maxillen, deren Taster beim Volltier ein Glied mehr ent- halten sollte, erklärt sich daraus, daß das unterste Glied des Tasters bisher bei der Larve nicht dem Taster zugerechnet wurde, sondern als Taster- träger, Palparium oder Squama palpigera bezeichnet wurde. Es gliedert sich jedoch die bei der Larve anfangs noch ganz einheitliche Hüfte in der späteren Entwicklung — besonders deutlich bei dem Leder- läufer, Carabus coreaceus — in Baso-, Endo-, Meso- und Exocoxit, letzterer ist der Tasterträger des Volltiers; das auf ihn folgende Glied, der soge- nannte Tasterträger der Larve, ist morphologisch deren erstes Tasterglied. Der „Tasterträger" im bisherigen Sinne ist also kein morphologischer Begriff, wie es Hüfte oder Coxa und Taster oder Telopodit sind. Ferner sind bei den Cara- biden — und auch bei vielen anderen Käfern — die Coxite beim Volltier oben innen breit mit dem Kopfe verwachsen, bei den Larven liaben sie N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 215 mit ihm nur Verbindunpf durch die kurzen, gürtel- oder ringähnlichen Cardines, eine sekundäre, ob- schon eine Vereinfachung darstellende, also pseudo- primäre Larveneigentümlichkeit, die mit der ver- änderten Ernährungsweise zusammenhängt. Sekun- där verändert sind bei der Larve auch die Coxite der zweiten Maxillen oder Labiopoden: sie sind nämlich zu einem unpaaren Syncoxit verwachsen, welches das fehlende Mentum oder Kinn ersetzt. Erst beim Volltier erscheinen sie in der phylo- genetisch älteren Gestalt, sie sind dann paarig, und ein starkes, eigenes Kinn ist vorhanden. Franz. Das Kamel und seine Zucht in Afrika.*) Das aus Asien nach Afrika eingeführte und hier in ganz Nordaftrika zur Vermittlung zwischen den weit auseinanderliegenden menschlichen Wohn- und Rastplätzen unentbehrliche Einbuckelige Kamel oder Dromedar, Camelus dromedarius, ist die einzige afrikanische Kamelart, da die zweite, das Zweihöckerige Kamel oder Trampeltier, Camelus bactrianus, viel mehr für rauhe, unwirtliche Ge- genden und starke Witterungsunterschiede geeignet ist. Wenn man bezüglich Afrikas von Kamel und Dromedar spricht, so ist also doch stets das Einbuckelige Kamel gemeint, und unter dem „Kamel" ist das gröber gebaute Lasttier, unter dem „Dromedar" eine andere „Rasse", doch nicht unbedingt im Sinne des Vererbbaren, die meist zum Reiten verwendet wird, zu verstehen. Jene werden auch Araberkamele oder „mehari", das heißt Rennkamele, diese Tebu- oder Sudankamele genannt. Der „Rassen"unterschied prägt sich aus in der größeren Schnelligkeit der Renner und im plumperen Körper, tiefer getraeenen, dickeren Kopf und Hals und im zottigeren Haar der Lastkamele. Das Lastenkamel kommt wiederum in verschie- denen gezüchteten Rassen vor, am besten in Ägypten, demnächst wohl in der westlichen Sahara, in Tunis, Algier, Marokko ; fast jedes Land- gebiet hat seine eigene, oft leicht erkennbare Rasse, und auch in gebirgigen Teilen werden solche gezüchtet. Das afrikanische Dromedar ist dagegen im allgemeinen ein Tier der Ebene. Auf die Zucht der Kamele wird stets die größte Sorgfalt verwendet. Begattung und Geburtsakt gehen — wie das übrigens schon Brehm aus eigener Anschauung beschrieb- — nu rmit Hilfe des Menschen vor sich. Mit richtigem Blicke erkennt der Orientale, ob ein Füllen, gleichviel ob von Lauf- oder Lastkameleltern geworfen, die nötigen Eigen- schaften zum späteren Reittier hat, und behandelt es in diesem Falle viel aufmerksamer als die zu La'^ttieren bestimmten, die nur dadurch bei man- chen Stämmen für den späteren Dienst vorbereitet werden, daß man sie bald nach der Geburt durch Zusammenbinden der vier Beine an der Brust an ') Nach D. Kirch ho ff, im „Tropenpflanzer", Zeitschrift für tropische Landwirtschaft, so. Jahrg., Nr. lo, Oktober 1917, S. 409 bis 422. das Sichlegen gewöhnt, welches die älteren Last- tiere willig zum Beladenwerden tun. Bei allen vorzüglichen Leistungen der Kamele — Lauftiere legen durchschnittlich 100 km am Tag zurück — und ihrer Anspruchslosigkeit gegen- über Hunger und Durst sind sie doch beständige Angstgeschöpfe ihrer Besitzer. Namentlich Klima- wechsel führt leicht zu Lungenerkrankungen, in Durfur sind die Kamele der Räude stark ausge- setzt, einer namentlich im Winter sehr ansteckenden Krankheit, die mit einer Art Teer aus dem Samen der Wassermelonen behandelt wird. Dem Tsetse- stich unterliegt das Kamel ebenso wie das Pferd, dagegen ist es dem Texasfieber nicht unterworfen. Die Vorstellungen von der Mäßigkeit der Kamele sind übrigens gewöhnlich übertrieben; die Tiere müssen jeden Tag fressen, wenn auch nur Gras- halme in der Wüste. Bei knapper Nahrung schwinden Fett und Fleisch der Tiere zusehends. Bei frischen Kräutern bedürfen sie der Tränkung nicht'); eine wasserlose Woche im Sommer ist und bleibt aber eine große Leistung, und ernst- liche Ermattung gilt als sicheres Vorzeichen des bevorstehenden Verlustes des Tieres. Vor dem Abmarsch werden die Tiere zunächst mit einem Abführmittel, dann einige Tage fast ausschließlich mit Grünfutter gefüttert und schließlich ausgiebig getränkt. Die in den neunziger Jahren ausgesprochene Vermutung, die Einführung des Kamels als Last- tier nach Deutsch-Ostafrika würde sich empfehlen, hat sich wegen einer gewissen Stechfliegenart nicht bestätigt; dageeen haben sich die neuerdings in Deutsch Süd westafrika eingeführten etwa 2000 Kamele unter, der Wartung von 350 arabischen Kamelreitern während der kriegerischen Opera- tionen bei Bildung kleinerer Kamelreitertrupps gut bewährt. V. Franz. Botanik. Die Bakteriensymbiose der Ardisien Schon vor mehreren Jahren hat Miehe nachge- wiesen, daß die knotenartigen Anschwellungen an den Blatträndern der Myrsinazee Ardisia crispa, die bis dahin als „Eiweißdrüsen" gedeutet worden waren, nichts anderes als Bakterienknoten sind. Die Bakterien finden sich bereits als schleimige Zooglöen im Samen der Ardisia zwischen dem Embryo und dem ihn umschließenden hornigen Endosperm. Bei der Keimung gehen sie auf den Vegetationspunkt über, vermehren sich leb- hafter, füllen bald den Raum zwischen den jungen Blattanlagen und dem Sproßscheitel aus und treten auch auf die Verzweigungen über. An den Rändern der ganz jungen Blätter finden sich große Spalt- öffnungen vom Typus der Wasserspalten (Hyda- thoden). In die«e dringen die Bakterien von der Blattoberfläche hinein, und kurze Zeit darauf wird die Spalte durch Zellwucherungen dicht verschlossen. Die so „eingefangenen" Bakterien vermehren sich ') Auch von unserem Reh ist bekannt, daß es sehr selten einmal schöpft. K. 2l6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr 15 in den Interzellularen des unter der Spalte ge- legenen Gewebes (Epithems) außerordentlich üppig, und da auch dieses selber stark auswäcbst, tritt das ganze Gebilde als kleiner Höcker zutage. Bei der Anlage der Blüten werden auf dem Vege- tationspunkt befindliche Bakterien in der Frucht- knotenhöhlung eingeschlossen, gelangen in den Em- bryosack und werden durch den Samen übertragen. Die Bakterien weisen ein verschiedenes Aussehen auf, je nachdem sie sich in den Knoten oder an anderenOrten befinden. Auf den Vegetationspunkten und im Samen stellen sie dünne, zuweilen leicht ge- bogene, schlangen- oder S-förmige Stäbchen dar, die in Schleimmassen eingebettet sind. In den Knoten sind sie gedrungener und dicker, bilden auch Verzweigungen und Auftreibungen, liegen nicht in Schleim eingebettet und vermehren sich rascher. In alten Knoten sind sie zum eroßen Teil abgestorben und zusamengeschrumpft. M i e h e gibt den Ardisia-Bakterien den Namen Bacillus foliicola, entsprechend dem Bacillus radicicola der Leguminosenknöllchen, dem sie in vieler Hin- sicht ähnlich sind. Er hat die Blattknoten außer bei A. crispa bei sämtlichen von Mez in Englers Pflanzenreich unter das Subgenus Crispardisia ge- stellten Ardisien sowie bei den kleineren Gattungen Amblyanthus und Amblyanthopsis gefunden. (Be- richte der Deutschen Bot. Ges. 191 1, Bd. 29, S. 156—157. Javanische Studien: Abhandl. d. K. Sachs Akad. d. Wiss. 1911, Bd. 32, S. 399—431.) Später ist es Miehe gelungen, Reinkulturen dieser Bakterien herzustellen, indem er unter asep- tischen Maßregeln aus einer Anzahl eben ausge- keimter Samen die Embryonen herausnahm und auf guten Nährboden übertrug. (Aus den Knospen und Knoten ließen sich die Bakterien nicht züchten.) Er stellte nun weitgehende morphologische Über- einstimmung zwischen den reingezüchteten Bak- terien und den Bakterienformen innerhalb der Ardisia fest, beobachtete aber bei jenen auch eine Reihe sehr bemerkenswerter Eigentümlichkeiten. Während die in der Pflanze befindlichen Bakterien stets unbeweglich sind, bestehen die ganz jungen Kulturen zumeist aus kurzstäbchenförmigen Schwär- mern mit 1—4 sehr langen, typisch gewellten Geißeln, die an verschiedenen Stellen, jedenfalls nicht polar, angeheftet sind; daneben treten aber unbewegliche.dickere und längere Stäbchen auf, die häufig paket- oder bündelartig vereinigt sind. Diese Anordnung kommt durch die im Ruhestadium ein- setzende Gallertbildung und ferner dadurch zustande, daß nach der üblichen Ouerteilung die Tochter- zellen sich seitlich aneinander vorbeischieben. Mit dem AlterderKulturen treten unterden unbeweg- lichen Stäbchen in größerer Häufigkeit dickere Formen auf, die Aufschwellungen und Astbildungen zeigen; auch findet man Individmen mit starker Vakuolenbildung und Aufblähung. Solche wunder- lich gestalteten Bakterien erscheinen besonders auf bestimmten Nährboden, und sie bilden die Haupt- masse bei Temperaturen über 30". Zu ihrem Gedeihen bedürfen die Bakterien eines neutralen oder schwach alkalischen Nähr- bodens. Am besten entwickeln sie sich auf na- türlichen Pflanzenextrakten, doch entspricht ihr mikroskopisches Aussehen z. B. auf dem schlechter nährenden Dextrose-Asparagin- Agar mehr dem Bilde, das sie in der Pflanze darbieten. Als Stickstoffquelle waren Ammonchlorid und Nitrat unbrauchbar. Asparagin gestattete deutliches Wachstum, am besten wirkte Pepton. Von KohlenstofTquellen waren vor allem die Hexosen günstig, unter den organischen Säuren eigneten sich Bernstein- und Apfelsäure. Als ein guter Nährboden erwies sich auch Fleischextrakt, obwohl er den Pflanzenextrakten nachstand. Bemerkenswert ist, daß bei Versuchen über Chemotaxis nur vor der mit Fleischextrakt gefüllten Kapillare eine dichte Ansammlung von Bakterien entstand. An die Isolierung der Mikrorganismen schloß Verf. den Versuch, die Pflanze von den Bakterien zu befreien und ihr Verhalten in diesem Zustande zu prüfen. Er hatte festgestellt, daß Bacillus foli- cola bei 25 — 30" sein Wachstumsoptimum hat und über 35" nicht mehr wächst; bei zweitägigem Ver- weilen bei einer Temperatur von 40" mußten die Bakterien sicher abgetötet werden. Demgemäß wurden teils Samen, teils Stecklinge, teils die Spitzen von Topfpflanzen der Erhitzung auf 40" ausgesetzt. Die so behandelten .Samen keimten fast alle, und die jungen Pflänzchen entwickelten sich anfangs gut, stellten aber, nachdem sie 2 — 4 Blättchen gebildet hatten, die normale Entwicklung ein, während die (sonst fast unsichtbaren) Achsel- knospen anschwollen und kleine grüne Polster bildeten. Ähnliche Erscheinungen zeigten die erhitzten Stecklinge, aus deren Achselknospen mit der Zeit sonderbare, korallenartige oder blumen- kohlartige Wucherungen entstanden, indem an ihnen neue Knöspchen auftraten und sich gleich- falls zu Kugeltrieben umwandelten. Bei einer Topf- pflanze, deren oberer Teil auf 40" erwärmt worden war, wurde die Entwicklung der Endknospe ge- hemmt, und unterhalb des Gipfels bildeten sich die Achselknospen zu großen Wülsten aus. Andere Pflanzenarten, die zum Vergleich derselben Be- handlung unterworfen waren, zeigten keine Spur einer solchen abnormen („kaktoiden") Entwicklung der Achselknospen; die Knospen wuchsen, sofern sie die Erhitzung überstanden, normal weiter. Andererseits ist es sehr bezeiclinend, daß auch in den normalen Aussaaten von Ardisia ganz regel- mäßig und in großer Zahl (48") Krüppelformen erscheinen, die sich genau so verhalten wie die Hitzekeimlinge; bei andern Pflanzen sind solche knolligen Kümmerlinge nicht bekannt. Die Unter- suchung der Achselknollen sowohl bei den na- türlichen Krüppeln wie bei den erhitzten Pflanzen ergab, daß sie stets bakterienfrei waren; da- gegen ließen sich Bakterien sofort da nachweisen, wo eine Knospe ausnahmsweise normal austrieb, und auch immer an den außerhalb der Erhitzungs- zone austreibenden Knospen. Die ersten normalen Blätter der Hitzekeimlinge und der spontanen N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 217 Krüppel wiesen an ihren Rändern zwar normal aussehende Knoten auf, aber diese enthielten nur ausnahmsweise Bakterien ; trotzdem war der oben erwähnte Verschluß der Wasserspalten auch bei diesen Knoten eingetreten. Die Blätter, die im entwickelten Zustande der Erhitzung ausgesetzt wurden, enthielten nach i — iV-, Jahren keine erkennbaren Bakterien mehr. Versuche, in den bakterien freien Ardisien durch Impfung mit dem reinkultivierten Bacillus radicicola die Mikroorganismen wieder zur Entwicklung zu bringen, blieben leider erfolglos. In einer sorgfältigen Kritik seiner durch die Kriegsereignisse stark beeinträchtigten Versuche entscheidet Verf. sich für die Annahme, daß das merkwürdige Verhalten der Ardisia nach der Er- hitzung nicht die unmittelbare Folge der Be- handlung sei, sondern auf der Tötung der Bakterien beruhe. Dementsprechend betrachtet er auch das spontane Auftreten von Krüppeln als Folge des Mangels der Samen an Bakterien, der bedingt ist durch Nichtinfizierung des Embryo- sacks der Samenanlage. Die Bakterien waren also zur normalen Entwicklung der Ardisia notwendig. Die Vermutung, daß sie der Wirts- pflanze durch Fixierung von freiem Stickstoff nützen (wie Bacillus radicico'a den Leguminosen), fand in den vom Verf. ausgeführten vergleichenden Kulturversuchen mit Ardisien auf stickstofiTreien und stickstoffhaltigen Böden keine sichere Be- stätigung; wenigstens kann nach dem Versuchs- ergebnis Stickstofffixierung höchstens in geringem Maßstabe stattfinden, während anderseits die Ardisien im Gegensatz zu den Leguminosen deutlich auf eine Zugabe von gebundenem Stick- stoff reagieren. Die völlige Lösung dieser Frage stößt zunächst auf unüberwindliche Schwierig- keiten. Auch sonst ist eine Erklärung des Ein- flusses der Bakterien auf die Wirtspflanze nicht zu geben; man muß sich vorläufig damit begnügen, die Erscheinung in das große Gebiet der „Reiz- wirknngen" zu verweisen. Mi ehe bezeichnet die Symbiose bei Ardisia als eine zyklische, insofern die Übertragung der Bakterien durch die Vermehrungsorgane (die Samen) erfolgt. Den ersten bekannten Fall einer solchen zyklischen Symbiose bei Pflanzen bildete Azolla, deren Symbionten (Anabaena) in die Makrospore übertreten. An Azolla schließen sich Ardisia crispa, wahrscheinlich auch ihre Ver- wandten, und ferner die zuerst von Zimmermann (1902) als bakterienführend nachgewiesenen, später von v. Faber näher untersuchten tropischen Rubiazeen, bei denen die Bakterien wie bei Ardisia Blattknötchen erzeugen. Der Mikro- organismus, den V. P'aber aus dieser Pflanze isoliert und als Mycobacterium rubiacearum be- zeichnet hat, zeigt viel Ähnlichkeit mit dem Bacillus foliicola, verhält sich jedoch ernährungs- physiologisch, namentlich dem Stickstoff gegen- über sehr abweichend, denn er vermag freien Stickstoff in erheblichem Maße zu fixieren und soll daher in der Pflanze dieselben Verrichtungen haben wie die Knöllchenbakterien der Leguminosen. Zu den zyklischen Symbiosen gehört auch die Symbiose von Lolium temulentum mit einem Fadenpilz; neben den pilzhaltigen Samen kommen hier pilzfreie vor. Die auffallende Abhängigkeit der Pflanze von dem Symbionten, die Ardisia zeigt, scheint sonst nirgends beobachtet zu sein. (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik. 1913, Bd. 53, S. 1—54. 1917, Bd. 58, S. 29-65). F. Moewes. Die Literatur über die phototaktischen Reak- tionen der Mikroorganismen ist in den letzten Jahren außerordentlich angeschwollen, ohne daß indes auch nur über die prinzipiellen Fragen eine Einigung erzielt worden wäre. Die neue Arbeit von Buder (Jahrb. f. wissensrh. Bot. 58, 1017) stellt einen sehr wertvollen Beitrag zu dem Pro- blem dar, weil sie nicht nur zum Teil durchaus neuartiges Versurhsmaterial liefert, sondern weil auch die umstrittenen Theorien und Deutungen von einheitlicher Warte aus in umfassender Weise besprochen werden. Als Versuchsobiekte dienten im wesentlichen Euglena, Chlamydomonas und Trachelomonas. ferner Pandorina. Eudorina, Volvox und Gonium, also Gattungen, die vielfach zu den beliebtesten Versuchsobjekten der Zoologen und Botaniker zählen. In einer ersten Serie von Ver- suchen wird das Verhalten der Organismen gegen- über einem einzigen Strahlenbündel geschildert. Es bestehen hier 3 Möglichkeiten: die Strahlen können parallel verlaufen, sie können ferner diver- gieren oder konvergieren. Den einfachsten Fall stellt paralleles Licht dar. Daß Mikroorganismen sich hier in die Strahlenrichtung einzustellen ver- mögen, ist eine längst bekannte Tatsache. Je nachdem es sich um positive oder negative Photo- taxis handelt, schwimmen die Organismen entweder direkt auf die Lichtquelle zu oder sie kehren sich von ihr ab. Allerdings erfolgt die Einstellung nicht bei allen Individuen gleich scharf, es ist eine gewisse „Streuung" vorhanden, die neben anderen Momenten auch von der Lichtintensität abhängig ist. Stellt man aber auf die mittlere Schwimm- richtung eines Schwarms ein, dann erhält man Zahlenwerte, die von der Lichtrichtung nur etwa um 10' abweichen. Die Einstellung erfolgt aber auch dann, wenn die Strahlen divergieren oder konvergieren. Die Schwimmbahnen bilden dann selbst wieder Büschel und in der Nähe des Brenn- punkts kommt es naturgemäß zu einem auffallen- den Gedränge. Bemerkenswert ist dabei folgende Tatsache: Entfernen sich negative Organismen von der Lichtquelle und nähern sich auf ihrem Wege dem Brennpunkt, dann gelangen sie in höhere Lichtintensitäten. Und erfolgt die Versuchsanord- nung derart, daß der Brennpunkt in der Nähe der Hinterwand der Versuchskavette liegt, dann erfolgt hier eine Ansammlung, obwohl die Bedin- gungen keineswegs optimal sind. Umgekehrt entfernen sich positive Organismen vom helleren 2l8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. IS Brennpunkt und streben der vorderen Wand des Gefäßes zu, trotz der hier herrschenden relativen Dunkelheit. Dies zeigt uns, daß das „Optimum" keine magische Anziehungskraft auf den Organis- mus ausübt, sondern daß dieser vielmehr an einen fest umschriebenen Bewegungsmechanimus ge- bunden ist, der ihn unter Umständen in ungünstige Situationen führt. Es kann also das Aufsuchen des Optimums nicht, wie vielfach geschieht, als das Wirksame der taktischen Reaktionen bezeichnet werden, wenngleich die phototaktischen Bewegun- gen im allgemeinen auf einen solchen Erfolg ein- gestellt sind. Man muß hier wie überall die kau- salen und finalen Momente sorgfältig auseinander- halten. — In einer weiteren Folge von Ver'^uchs- serien wurden die Organismen dem gleichzeitigen Einwirken von 2 Lichtbündeln ausgesetzt, die sich unter einem bestimmten Winkel kreuzen. Ist die Intensität der beiden Lichtquellen gleich groß, dann schwimmen die Organismen in der Richtung der Winkelhalbierenden. Die Bahn fällt also nicht mehr mit der Strahlenrichtung zusammen. Der Organismus bewegt sich vielmehr so vorwärts, daß beide Flanken gleich stark belichtet sind. Der- gleiche Grundsatz herrscht auch dann, wenn die beiden Lichtquellen gegeneinander abgestuft werden. Die Bahn nähert sich dann der stärkeren Licht- quelle, und die genaue Richtung ist durch das Parallelogramm der Kräfte bestimmt. Dieses Ver- halten, das Buder als Resultantengesetz bezeichnet, besagt, daß der Organismus die Richtung ein- schlägt, in deren Verfolg beiden Flanken die'selbe Lichtmenge pro Zeiteinheit zufließt. Die Resul- tante hat aber — mathematisch betrachtet — nicht bloß eine feste Richtung sondern auch eine bestimmte Länge. Kommt auch diese in den Reaktionen der Organismen zum Ausdruck? Buder beiaht diese Frage und zwar auf Grund folgenden Verhaltens : Je länger die Resultante ist — also bei spitzen Winkeln — desto schärfer ist die Einstellung; je kürzer die Resultante (stumpfe Winkel), desto erheblicher die Streuung. Je stärker der Reiz ist, desto lebhafter wird also durch den Bewegungsmechanismus die vorgeschriebene Bahn angestrebt. Dies kommt auch bei der Anwendung eines einzigen Strahlenbündels zum Ausdruck. Verändert man hier plötzlich die Strahlenrichtung, dann stellt sich der Organismus, indem er einen Bogen beschreibt, in die neue Bahn ein. Je stärker nun die Intensität ist, desto kürzer ist der Krüm- mungsradius, und bei hohen Belichtungen kommt ein richtiges „Rechtsum" und „Linksum" zustande. Zahlreiche Umstände deuten darauf hin, daß das Resultantengesetz auch für mehr als 2 Strahlen- bündel Gültigkeit besitzt. Es wäre nun noch zu berichten, wie sich die Organismen verhalten, wenn 2 Strahlenbündel einen Winkel von l8o" bilden. Ist die Intensität verschieden, dann folgen sie dem stärkeren Reiz. Bei gleicher Intensität ließ sich kein bestimmter Bewegungssinn ermitteln, viel- mehr bewegten sich die einzelnen Individuen in der unregelmäßigsten Weise durch das Gesichts- feld. Doch gibt es in der Literatur schon Hin- weise darauf, daß Organismen existieren, die nun- mehr eine Bahn senkrecht zu den beiden opponierten Strahlenrichtungen einschlagen. Die bisherigen Betrachtungen lassen sich nun in ungezwungener Weise auf den Phototropismus übertragen, wie wir ihn bei höheren Pflanzen antreffen. Unter- scheidet sich doch der Phototropismus von der Phototaxis nur dadurch, daß nicht die ganze Pflanze — weil sie festgewachsen ist — Ortsver- änderungen vollzieht, sondern daß bloß einzelne Organe (Blätter, Sprosse, Wurzeln) Bewegungen nach dem Lichte hin oder vom Lichte weg aus- führen. Das wenige, was bisher über die Einwirkung zweier Strahlenbündel bekannt geworden ist (Payer, Hagem), fügt sich dem Rahmen des bisher geschilderten auf das beste ein. Aber der Bereich des Resultantengesetzes geht noch weiter. Er erstreckt sich auch auf die Erscheinungen des Geotropismus. Es war zum ersten mal Knight, der pflanzliche Organe gleichzeitig der Einwirkung von Schwerkraft und Zentrifugalkräften aussetzte (i8o6). Auch hier ist in neuerer Zeit mit abgestuften Intensitäten gearbeitet worden und die Resultate deuten ebenfalls auf eine Gül- tigkeit des Resultantengesetzes hin. Es kann hier nicht in der Kürze auf die weiteren theoretischen Erörterungen des zweiten Teils hingewiesen werden, aber jeder, der sich für die angeschnittenen Fragen interessiert, wird dort eine Fülle von An- regungen finden. Dr. Stark. Physik. Im Jahrbuch für drahtlose Telegraphie und Telephonie (XII, 400, 1917) finden sich in- teressante Angaben über die Herstellung einer drahtlosen Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Japan, die von der Marconi-Gesellschaft angelegt und kürzlich fertig gestellt worden ist. Die Entfernung beträgt 1 1000 km, also mehr als ein Viertel des Erdumfänge". Die amerikanische Station liegt bei San Franzisko, es ist die Doppel- station MarshallBolinas. Von hier gehen die Telegramme nach der 4000 km entfernten Ver- mittlungsstelle auf den Hawai-Inseln, ebenfalls einer Doppelstation. Während die amerikanische Station mit 500 P S liefernden Motoren, die eine elektrische Energie von 500 Kilowatt erzeugen, und 8 je 100 m hohen Masten für die Antennen ausgerüstet ist, wird von der Station auf Hawai nur gesagt, daß sie noch größer, ja daß sie die größte der Welt ist. Ob das nach den kürzlich durch die Zeitungen bekannt gewordenen Angaben über unsere Großstation Nauen (Reichweite 10 000 km) richtig ist, erscheint zweifelhaft. Die An- tennen für den Amerikadienst liegen in südwest- licher Richtung, die für den Verkehr mit Japan in östlicher. Für die Antennen sind Masten von 100 bzw. 133 m Höhe errichtet; auch hat man einen erloschenen Vulkan von 370 m Höhe, auf dessen Gipfel ein Turm errichtet ist, zum Ausspannen der Luftdrähte benutzt, die eine Länge von etwa 600 m haben. Die japanische Station Funabaschi N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 ist von Hawai 7000 km entfernt. Das Senden geschieht automatisch mit Hilfe durchlochter Streifen, die in den Sender eingespannt werden. Die Telegraphiergeschwindigkeit ist beträchtlich, 300 Zeichen in der Minute. Die Empfangsvor- richtung ist dem Diktaphon nachgebildet. Nur die englische und französische Sprache ist zulässig. Wie wichtig eine die Welt umspannende draht- lose Nachrichtenvermittlung ist, haben wir wäh- rend des Krieges zur Genüge erfahren. Nach dem Friedensschluß wird es für Deutschland eine wichtige Aufgabe sein, an geeigneten Orten Radio- Großstationen zu bauen um so ein in deutschen Händen befindliches drahtloses Netz zu schaffen. (GTC) Seh. Seitdem wir in den Röntgenstrahlen ein feines Mittel haben, den Feinbau der Kristalle zu ermitteln und auszumessen, ist die Wissen- schaft eifrig bemüht, immer neue Kristalle zu untersuchen. Die von Debye-Scherrer an- gegebene Methode (vgl. Referat in d. Naturw. Wochenschr. XVI 9. 528 191 7) hat ja vor den anderen den Vorteil, daß sie keiner ausgebildeten Kristalle bedarf. Aus Kristallpulver wird ein kleines Stäbchen von etwa i mm Durchmesser geformt und mit monochromatischer Strahlung beleuchtet; die von dem Kristall komplex aus- gehenden Sekundärstrahlen werden auf einem zylindrisch gebogenen Film aufgefangen. Aus der Lage der Interferenzlinien und den daraus berechneten Winkeln (Meßgenauigkeit V* — Y2 */o). welche die reflektierten Strahlen mit dem pri- mären Bündel bilden, läßt sich die Art des Raum- gitters und die Gitterkonstante berechnen. Die Kristallform des Aluminiums über die bisher nicht viel bekannt war, wird von P. Scherrer be- stimmt (Phys. Zeitschr. XIX, 23, 1918). Die Untersuchung ergibt, daß Atome in einem kubischen einfachen flächenzentrierten Gitter an- geordnet sind (reguläres System) und ihr kürzester Abstand 407-10-* cm ist. Die Untersuchung ge- schah mit Kupferstrahlung, d. h. die Antikathode der Röntgenröhre bestand aus Kupfer. Von den in der folgenden Tabelle enthaltenen Metallen ist das Raumgitter erforscht und hat sich auch als kubisches einfaches flächenzentriertes Gitter erwiesen. In der zweiten Spalte ist die Gitter- konstante (Kante des Elementarkubus) angegeben: AI a = 4.07- lo-'^cm Cu 3,61 „ Ag 406 „ Au 4,07 „ „ Pb 4,81 „ Die Metalle sind also isomorph; innerhalb ge- wisser Grenzen des Mischungsverhältnisses ver- mögen sie Mischkristalle zu bilden. Lückenlose Mischkristallreihen geben z. B. Au und Ag, Au und Cu. Cu und Ag zeigen dagegen eine Mischungslücke von 4,5 bis 95 '/o- Ebenso zeigen Au nnd AI trotz naher Übereinstimmung der Gitterkonstanten keine Kickenlose Mischkristall- reihe. Das zeigt, daß nicht nur die Gitter- konstante maßgebend ist; vielmehr spielt die chemische Affinität eine große Rolle. Oft hängt das Auftreten von Lücken mit der Existenz von chemischen Verbindungen zusammen ; so bestehen wahrscheinlich zwischen Au und AI Verbindun- gen von folgender Zusammensetzung : AujAl, AU5AI,,, AujAl, AuAl und Au^Al... Seh. Chemie. Beschleunigung der Dialyse durch Gleitung. Die Dialyse, d. h. die Trennung von kolloidalen und kristalloiden Stoffen mittels Dif- fusion der letzteren durch semipermeable Mem- branen beansprucht für gewöhnlich eine ziemlich beträchtliche Zeit. Man kann zwar eine bedeutende Beschleunigung des Vorgangs durch Steigerung der Temperatur erzielen. Für manche Zwecke, z. B. bei Untersuchungen auf biologischem Gebiete ist eine nennenswerte Erwärmung der Lösungen jedoch unter Umständen von erheblich nach- teiligem Einfluß, obgleirh gerade hier die Er- zielungeinermöglichst großen Dialysiergeschwindig- keit nicht nur aus Gründen der Ökonomie oder der Bequemlichkeit erwünscht sondern oft sogar als notwendige Voraussetzung für die störungsfreie Ausführung mancher Arbeitsverfahren geboten erscheint. Eine Methode, die eine erhebliche Ver- kürzung der Diffusionszeit auf rein mechanischem Wege ohne schädliche Nebenwirkungen gestattet, ist nun neuerdings von H. Thoms, Berlin, er- funden worden.*) Er bezeichnet sie als Gleit- dialyse. Es werden nämlich von ihm Vorrich- tungen benutzt, die ein ständiges schnelles Glehen der zu dialysierenden Lösungen über die sie trennende Membran bewirken. In der älteren Ausführung bestand sein Apparat aus zwei mit den Schliffen unter Zwischenschaltung einer Pergamentmembran aufeinandergepaßten Exsic- catordeckeln, die mit verschließbaren Tuben ver- sehen waren, durch welche die Lösungen eingebracht werden konnten. Das so erhaltene Doppeigefaß war mittels Führungsring in eine durch einen kleinen Motor drehbare Axe derart eingebaut, daß die Richtung der Rotation auf der Fläche der Membran senkrecht stand. Während in diesem Apparat bei der jedesmaligen Umdrehung die Flüssigkeitenbeiderseitsnicht nur an den Membranen vorbeiglitten, sondern auch mit einer gewissen Wucht dagegengeschleudert wurden ("die Halb- kugeln waren je nur etwa bis zur Hälfte gefüllt), und deshalb bei starker Inanspruchnahme die Ge- fahr des Zerreißens bestand, wurde bei einem späteren Modell dieser Übelstand dadurch ver- mieden, daß man die Bewegung der Flüssigkeit nur parallel der Scheidewand vor sich gehen ließ und zwar entweder, indem das Dialysiergefäß so montiert wurde, daß die Pergamentmembran senk- recht zur Richtung der Welle und also die beiden Tuben den Lagern der Axe gegenüber gelegen ') Berichte der Deutsch. Chem. Gesellschaft 50, H. 13, S. I23S ff- ("917) und 51, H. i, S. 42 ff. (1918) Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F.XVn. Nr. 15 waren, oder indem dasselbe durch eine Schüttel- vorrichtung (Schaukel) in der Ebene der Scheide- wand hin und her bewegt wurde. Der Wirkungswert war bei diesen verschiedenen Anordnuneen nahe- zu derselbe, und zwar wurde bei gleichbleibender Temperatur eine 2 — 3 fache Vergrößerung der Dialysiergeschwindigkeit erzielt; dabei betrug die Umdrehungszahl des Dialysiergefaßes ca. 60 in der Minute. Die Apparate sind zum Patent an- gemeldet. Ihre Wirkung beruht nach Ansicht des Referenten auf der ständigen Erneuerung der in unmittelbarer Nachbarschaft der Membran ge- legenen Flüssigkeitsschichten. Statt durch lang- same Diffusion v^erden diese hier durch ständige Konvektion mit der übrigen Lösung andauernd ins Gleichgewicht gesetzt und dadurch der Kon- zentrationssprung an der Scheidewand ständig hoch- gehalten. Für diese Erklärung des Phänomens spricht auch die von Thoms gefundene Er- scheinung, daß die relative Beschleunigung in verdünnten Lösungen deutlich größer ist als in konzentrierten. Die neue Methode wurde bereits von ihrem Erfinder mit Erfolg zur Lösung eines praktisch wichtigen Problems benutzt, nämlich zur Herstellung haltbarer Fruchtextrakte, welche die Aromastoffe und die verdauungsanregenden Fermente der Fruchtsäfte in unzersetzer Form enthalten.!) R~y. Geologie. Über Sedimentbildung am Meeres- boden. In Fortsetzung seiner interessanten sediment- petrographischen Zusammenstellungen bespricht K. Andree die hemipelagischen Ablage- rungen (Geologische Rundschau Bd. VIII, H. 1/2, 1917. S. 36—79). Es sind dies feinste Sedimente, wie sie in verschiedenen Aharten im Bereiche der Schelfe, der muldenartigen Vertiefungen, der Tiefen der Nebenmeere und der zur Tiefsee hinabgehenden Rinnen von 200 — 4000 m Tiefe vorkommen. Sie bedecken 55V.2 Mill. qkm oder I5,4 7n des ge- samten Meeresbodens, wovon 16V3 Mill. qkm auf die Nebenmeere und 39 Mill. qkm auf die Ozean- ränder entfallen. Sie bestehen aus feinem terri- genem (vom Festland stammend !) anorganischem Material, dem planktogene Komponenten der Hoch- see sich beigesellen, wodurch die hemipelagischen Sedimente zu den Tiefseeablagerungen hinüber- leiten. Man teilt sie ein in B 1 a u s c h 1 i c k , Glau- konitische Sedimente und Kalkschlick. Am verbreitetsten unter den hemipelagischen Ablagerungen ist der Blau schlick, durch fein verteiltes Schwefeleisen meist dunkelblaugrau oder Schieferfarben, selten grün'ich-bräunlich gefärbt. Charakteristisch sind kleine Quarzsplitter, daneben kommen alle möglichen ge'steinsbildenden Mine- ralien von zertrümmerten Tiefengesteinen und kristallinen Schiefern vor. Der Kalkgehalt richtet sich nach der Tiefe. Kalkfrei sind die tiefsten Blauschlicke, sonst schwankt er zwischen Spuren ') Berichte der 240 (f. (1917) .•llscbaft 50, H. 13, und */g der Masse, so daß man dann im letzteren Falle von Mergelschlicken reden könnte. Größere Flächen mit Blauschlick liegen im Pazifischen Ozean zwischen den Galapagfosinseln und Acapulco, im Indischen Ozean im Gebiete des bengalischen und arabischen Golfes, der Mozambikstraße und einer breiten Strecke südlich von Madagaskar bis zur afrikanischen Küste. Eine örtliche Abart des Blauschlicks ist der rote Schlick, der weit verbreitet an tropischen und subtropischen Küsten vorkommt und aus Lateritgebieten eine reiche Zufuhr an rötlich ge- färbten ei«enoxydischen Sinkstoffen erhält. Der südamerikanische Schelf trägt auf seinem Abfall zum Ozean von den Guayanas bis nach Süd- brasilien rotbraunen bis ziegelroten Schlick, wie ihn Orinoco, Amazonas usw. in das Meer hinaus- tragen. Eine weitere Abart des Blauschlicks sind Vulkansande und Vulkanschlicke, die am charakteristischsten um vulkanische Inseln der Hochsee oder um submarine Au^bruchszentren entwickelt sind und mit weiterer Entfernnng wieder in typischen Blauschlick oder Kalkschlick über- gehen. Die Farbe ist meist dunkelgrau, die Be- schaffenheit mehr erdig als zähe. An Mineral- bestandteilen sind diejenigen junger vulkanischer Ergußgesteine (vulk. Gläser, Sanidin, Augit, rhomb. P3n-oxen usw.) charakteristisch. Die Tiefe der von der ,.Valdivia" geloteten Vulkansande schwankt zwischen 70 und 5532 m. Etwa 2 Mill. qkm des Meeresbodens sind von Vulkanschlick bedeckt. Die 2. Gruppe, die glaukonitischen Sedimente, Grünsand undGrünschlick, sind durch einen besonderen Reichtum an neu- gebildeten Glaukonitkörnern und glanknnitischen Steinkernen ausgezeichnet. Glaukonit bildet sich an vielen besonders aus Urgestein bestehenden Kontinentalküsten, wo gleichyeitig keine bedeu- tenden Flüsse einmünden. Die Glaukonitsande enthalten grüne Glaukonitsteinkerne von kalkab- scheidenden Organismen wie Globigerinengehäuse, Echinidenstacheln, Spongiennadeln oder unregel- mäßig geformte abgerundete Glaukonitkörner von schwärzlichgrüner Farbe. Meist sind die Körner traubig oder beerenförmig, von glänzend glatter Oberfläche und einer Größe unter T mm. Foraminiferenglaukonitsteinkerne sind meist heller grün gefärbt, z. T. sind sie gelb und braun. Der Glaukonit besteht aus Kieselsäure, Eisenoxyd, Kali und Wasser (Kaü-Eisenoxydsilikat). Häufige Begleiter des Glaukonits sind Pyrit, Magneteisen und Phosphoritknollen, die mit Vor- liebe an Stellen auftreten, wo kalte und warme Strömungen zusammentreffen. Seine Bildung wird durch Kalitonerdesilikatmineralien begünstigt. Glau- konit ist nur auf marine Bildungen beschränkt. Die Mehrzahl der rezenten Glaukonitkörner stellt keine Foraminiferensteinkerne dar, sondern besitzt un- regelmäßige Formen. Die günstigsten Bildungs- bedingungen liegen in der Nachbarschaft der Ilundertfadenlinie, doch komnil Glaukonit bis zu N. F. XVn. Nr. 15 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. an 20CX) Faden vor. Grünsand und -schlick kommen im nordatlantischen Ozean längs der Küsten von Portugal und Spanien, an der Oitküste der Ver- einigten Staaten, an der West- und Ostküste von Afrika und Australien, imaustralasiatischen Archipel, im Pazifischen Ozean, an der Ostküste von Japan, an der kalifornischen Küste usw. vor. Der Kalk- gehalt schwankt von Spuren bis zu 56 "/,. Küsten- ferne Grünschlicke enthalten pelagische P"oramini- feren und Coccolithophoriden, küstennahe Grün- sande mehr benthonische Foraminiferen. Glau- konitsedimenten sind allerlei Mineralien wie Feld- spat, Hornblende, Augit, Turmalin, Zirkon beige- mengt. Das grüne Schlämmprodukt betrug bei den Challengerproben 34 "/o der Masse und schwankte zwischen 9 "/o und 84 ''/p. Nach Murray und Renard bedecken 2,65 Mill. qkm den Meeres- boden. Auf Glaukonitboden werden regelmäßig auch Phosphoritkonkretionen festgestellt. Sie sind von unregelmäßiger Gestalt, glasigem Aussehen und dünnem Anflug von schmuizigbraunen Eisen- und Manganoxyden. Der Gehalt an phosphor- saurem Kalk schwankt zwischen 30 und 50 "/g. Die Entstehung der Phosphorite erfolgte bei An- wesenheit größerer Mengen von in Verwesung befindlichen Tierlcichen. Das dabei entstehende Ammoniak verbindet sich mit der in Knochen und Zähnen enthaltenen Phosphorsäure zu Am- moniumphosphat, welches wiederum durch kohlen- sauren Kalk in Kalkphosphat übergeführt wird. Mannigfaltiger Art sind die Kalkschlicke. Korallenschlamm kommt auf und in der Nachbarschaft tropischer Korallenrifie als feiner weißlicher oder gelblicher Schlick bis 3000 m Tiefe vor. Der Gehalt an kohlensaurem Kalk beträgt bis zu 90 "/„, und ist auf die Beteiligung planktonischer Foraminiferen (lo— Sö"/») zurück- zuführen. Große Verbeitung besitzen diese Sedi- mente in den tropischen Teilen des Pazifischen Ozeans (s'/a Mill. qkm), während 3 Mill. qkm auf den Atlantischen und i '/o Mill. qkm auf den Indischen Ozean entfallen. Gewöhnlich sind Kalkschlicke von heller weißer oder kreidig- grauer Farbe und enthalten 70— 8o*/o, z. T. sogar 90 "/^ kohlensauren Kalk, der haupt- sächlich auf Pteropoden und planktonische Fora- miniferen zurückzuführen ist. Charakterischer pteropodenreicher Kalkschlick bedeckt den Boden des Floridastromes. In der Umgebung der Kari- bischen Inseln wurden in 10 — 15 Meilen Entfernung von der Küste große Massen vegetabilischer vom Lande stammender Reste in Tiefen von über 1800 m festgestellt, die wahrscheinlich durch den Nordostpassat hinausverfrachtet wurden. Tief- wasserformen von Crustaceen, Anneliden, Fischen, Echinodermen, Spongien sind mit Mango- und Orangenlaub, Zweigen von Bambus, Muskatnüssen und Schalen von Landmollusken, also den ver- schiedensten Tier- und Pflanzenresten durchein- andergemengt, so daß ein Paläontologe bei einer ähnlichen fossilen Ablagerung zur Annahme eines flachen Ästuars kommen würde, während in Wirk- lichkeit die Ablagerung in einer Tiefe zwischen 2000 — 3000 m stattgefunden hat. Im Mittelmeer beträgt an der afrikanischen Seite in Tiefen von 1800 — 2800 m der Gehalt an Kiesel.-äure 33 — 40''/o, an kohlensaurem Kalk 18 — 24%. Zwischen Kreta und dem afrikanischen Festland dredschte die „Pola" in 805 — 3310 m Tiefe feste Kalkkrusten. Der Boden des Roten Meeres ist ein hellgelber bis grauer Kalkschlick mit bis zu 92 % Kalk. Hohensiein. Bücherbesprechungen. Spranger, Edmund, BegabungundStudium. Deutscher Ausschuß für Erziehung und Unter- richt. Leipzig-Berlin, B. G. Teubner, 191 7. Das Buch nennt sich selbst eine allgemeine Einführung in das akademische Studium, und be- ginnt mit der jetzigen Einrichtung der Universitäten, über deren grundlegende Merkmale — volle Frei- heit in Forschung und Studium — der Verfasser treffende Worte und Vergleiche findet. Zum Thema selbst vertritt er den Standpunkt, daß jede große und echte Begabung sich mit unwiderstehlicher Gewalt frei aus dem Innern entwickelt und „daß die höheren, spezifischen Begabungen am sichersten durch Selbsterkenntnis und den inneren Drang ent- deckt werden". Hervorragende wissenschaftliche Anlagen (diese allein machen für Universilätsstudien geeignet) lassen sich aber einzig durch die wissen- schalthche Leistung selber sicher erkennen. Es kommt also alles darauf an, zu solchen Leistungen anzuregen und die vorhandenen nicht unbemerkt zu lassen. Ungeeignete Elemente sollen durch die Reifeprüfungen von der Universität ferngehalten werden, zu ihr sollen nur die kommen, die zu wissenschaftlichem Denken erzogen sind. Letzteres kann durch alle drei höheren Lehranstalten gleich gut erreicht werden; denn „wissenschaftliches Denken ist im Grunde eine Funktion, wie ver- schieden auch der Stoff sei". Damit aber alle wirklich Begabten in die Universität kommen, müssen für die, die erst im reiferen Alter sich dazu entschließen, freiere, dem einzelnen Falle angepaßte Aufnahmebedingungen zu schaffen mög- lich sein. Auch was sonst der Verf. zu dem Kapitel „Aufstieg der Begabten", insbesondere des akademischen Nachwuchses sagt, ist so klar durch- dacht, mit den richtigen Worten und Empfindungen für das rein menschliche dieser Frage dargestellt, daß jeder, der Interesse lür die hier erörterten Dinge hat, die feinsinnigen Ausführungen mit Genuß lesen wird. O. Rabes-Halle a. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 15 H, Froelichf, Der Strahlungsdruck als kosmisches Prinzip, Kosmologie und Kosmogenie. Einheitliche mechanistische Begründung der sog. Naturgesetze durch Zurück- führung aller Vorgänge auf Strahlungswirkungen. Nach des Verf. Tode bearbeitet und mit An- merkungen herausgegeben von A. Mertens. 244 Seilen mit 38 Textfiguren. Bielefeld 191 7, Dr. W. Breitenbach. — 4M. Der Verf dieser Schrift will die Gravitation und darüber hinaus das gesamte Weltgeschehen, d. h. die Gesamtheit der physikalischen und che- mischen Vorgänge, auf Wirkungen des Strahlungs- drucks zurückführen, den er sich durch Newton'sche Strahlungskorpuskeln hervorgerufen denkt, die, von den strahlenden Himmelskörpern ausgehend, den Weltraum geradlinig mit Lichtgeschwindigkeit durchfliegen sollen. Nur durch den Ersatz der „hypothetischen Äthermoleküle" durch diese Strah- lungskorpuskeln unterscheidet sich seine Deutung der Gravitation von der bekannten L e Sage' sehen Theorie der Ätherstöße. Abgesehen von der verfehlten Grundlage ent- hält die Schrift auch in den Einzelheiten zahlreiche mathematische und physikalische Irrtümer, die der Herausgeber wohl erkannt und durch eine Reihe hinzugefügter Anmerkungen teilweise zu berichtigen versucht hat. A. Becker. E. Raehlmann, Goethes Farbenlehre. Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Goethe-Ge- sellschaft, Bd. 3. 40 Seiten mit 2 Tafeln. Leipzig 1916, Insel- Verlag. Nachdem die Beziehung der Goethe'schen Farbenlehre zur Lehre der physikalischen Optik jahrzehntelang, durch Goethe's Stellungnahme selbst veranlaßt und genährt, Gegenstand leiden- schaftlicher Kontroverse gewesen war, hat die durch die seitherige Entwicklung namentlich der physiologischen Optik ermöglichte schärfere Ab- grenzung der Begriffe der subjektiven und objek- tiven Farbe längst zu einem die alle Streitfrage abschließenden Urteil geführt. Die Grundlage der Farbenlehre Goethe's bildet das Problem der subjektiven Farbenempfindung. Mit seiner Erforschung, die zum erstenmal die große Bedeutung des subjektiven Moments für die gesamte Farbenwahrnehmung deutlich hervortreten ließ, hat er sich zweifellos bleibende Verdienste um die physiologische Optik erworben. Daß Goethe aber die auf diesem Gebiet ge- wonnene Erkenntnis ohne weiteres auf das phy- sikalische Gebiet übertrug in der ihm selbst- verständlich erscheinenden Voraussetzung, daß zwischen den äußeren Ursachen der Farben- empfindungen, nämlich den physischen Farben, die gleichen gesetzmäßigen Beziehungen bestehen müßten wie zwischen den Empfindungen selbst, war ein ebensolcher Fehler wie die irrige An- nahme mancher alleren Vertreter der Newton'schen Lehre, daß, wo immer eine bestimmte Farbe empfunden werde, dazu auch das Licht einer be- stimmten Wellenlänge gehöre. Hierin liegt die Ursache des Gegensatzes zwischen Goethe und Newton. Nach dessen Klärung würde nur gänz- liche Unkenntnis zu dem Versuch verleiden können, eine Farbenlehre von neuem einseitig ausschließlich zugunsten der auf das Studium der subjektiven oder der objektiven Farbe sich stützenden Auf- fassung aufzubauen. Gegen solche, wie es scheint, tatsächlich auf- tauchende Versuche wendet sich die vorliegende Schrift, indem sie kurz auf das Verhältnis der physikalischen und der physiologischen Farben zueinander und die gegenseitige Stellung der Goethe'schen und Newton'schen Lehre eingeht und daneben den Inhalt und die Bedeutung der Goethe'schen Farbenlehre im besonderen klar charakterisiert. Ihr Urteil findet sich in folgenden Sätzen: „Es ist etwas anderes, wie der äußere Reiz des Lichtes und der Farben optisch be- schaffen ist (Newton) und etwas anderes, wie das Auge auf diesen Reiz antwortet und wie es ihn verändert (Goethe)." „Beide Lehren, die von Newton und die von Goethe, gehören zusammen. Beide vereint, geben erst den richtigen Begriff der Farbe, welche das Auge in der Natur (unter den verschiedensten Einwirkungen der Beleuchtung usw.) empfindet." Der Inhalt der Schrift ist in der Literatur schon mehrfach mehr oder weniger eingehend bearbeitet worden und daher nicht neu. Ihrer prägnanten Kürze wegen ist sie aber jedenfalls vor- trefflich geeignet, auch weiteren Kreisen Einblick in Goethe's Gedankengänge zu gewähren. Zwei beigefügte Tafeln ermöglichen es dem Leser, sich von der Wirklichkeit der Goethe'schen Farbe im gleichzeitigen und nachfolgenden Kontrast unmittelbar zu überzeugen. A. Becker. Ernst Abbe, sein Leben, sein Wirken, seine Persönlichkeit, nach den Quellen und aus eigener Erfahrung geschildert von Felix Auerbach. Mit i Gravüre, 1 1 5 Text- abbildungen und der Wiedergabe zweier Originalschriftstücke. Bd. V der Sammlung „Große Männer" Leipzig 191 8. Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. — 18 M. Eine Persönlichkeit von merkwürdiger Eigen- art, ein Leben, arm an äusseren Geschehnissen, aber nicht alltäglich und nicht ohne dramatische Steigerung, ein Mann seltsamster Gegensätze: Professor ohne akademischen oder literarischen Ehrgeiz, unkirchlicher Freigeist und Urchrist in seinen Taten, Großfabrikherr und sozialistischer Neuerer, ohne erklärten Patriotismus und doch Mehrer des nationalen Ruhmes, scheinbarer Gegensätze, die ihre völlige Erklärung und Auf- lösung finden in den Grundzügen seines Wesens, der rücksichtslosen Aufrichtigkeit, der mutigen Überzeugungstreue, der Abneigung gegen den Schein, der strengen, sich selber gegenüber bis zur Selbstvernichtung getriebenen Objektivität, der höchsten Sachlichkeit und Rechtlichkeit. So war N. F. XVn. Nr. IS Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 22J der Mann, dessen Leben und Wirken Auerbach in dem vorliegendenBuche beschreibt. Im t hüringischen Volkstum wurzelnd ^), Sohn eines Fabrikarbeiters, in den Schul- und Studentenjahren mit Mangel und Dürftigkeit kämpfend, aber mit unerschütter- lichem Mute an seinen wissenschaftlichen Idealen festhaltend, findet er schließlich in der damals bescheidenen Zeiss'schen Werkstatt, wo er sich neben seinem inzwischen aufgenommenen aka- demischen Beruf betätigt, sein eigentliches Lebens- ziel, die wissenschaftliche Fundamentierung der optischen Technik, bringt die Fabrik zu höchster B.üte, wird schließlich ihr alleiniger Inhaber und — verwandelt auf der Höhe seines Erfolges sein weltberühmtes Werk in eine gemeinnützige Stiftung zum Besten der Angestellten und der optischen Technik, zum Segen der Universität und der Stadt Jena, eine Stiftung, der er in bewußter Absicht nicht einmal seinen Namen gibt. Dies außerordentliche Leben hat der Ver- fasser mit großer Hingabe und unleugbarem Erfolge dargestellt, sein Buch gehört zu den interessantesten Biographien, die ich kenne. In diesem Fall kann man auch vorbehaltlos zustimmen, daß es in der Ostwaldschen Sammlung „Große Männer" aufgenommen ist. Denn Abbe war kein bloßer gelehrter Virtuose, sondern besaß die große Leidenschaft und den großen Charakter, ohne die es keine wirkliche Größe gibt. Miehe. A. Kühn. Anleitung zu tierphysio- logischen Grundversuchen. Quelle und Meyer, Leipzig 191 7. Die relativ große Zahl physiologischer Prak- tika, die in der letzten Zeit von Zoologen her- ausgegeben wurden, zeigen, daß die physiologische Richtung in der Zoologie neben der rein morpho- logischen erfreulicherweise immer mehr Boden ge- winnt. Die in dem vorliegenden Buche gegebene Darstellung der wichtigsten physiologischen Schul- versuche ist klar und richtig, und der Verfasser hat auch einige Versuche aufgenommen, die in ähnlichen Anleitungen kaum zu finden sein dürften (Rheotaxis bei Planarien, Versuche zur Physiologie der P'ischschwimmblase u. a. m.). An die Stelle der „Zange", die Verf. zum Her- vorziehen des Froschdarmes, zum Fassen des Perikards usf. verwendet, wird in Friedenszeiten hoffentlich wieder die Pinzette treten. V. Brücke, Innsbruck. E. Lecher. Lehrbuch der Physik füi •) Die Untersuchung der Aszeadenz scheint nair gar zu peinlich zu sein, besonders, da sie für slavische oder fran- zösische Abstammung gar kein Material erbringt. Man wird Ernst Abbe doch wohl als Deutschen gelten lassen müssen. Sollte er wirklich väterlicherseits von den Cevenncnkämpfern abstammen, so würde dies weit zurückliegende Erbgut sich wohl nur durch häufigere Verwandtenehen aus der thüringischen Verdünnung wieder konzentriert haben können, worüber aber nichts bekannt ist. Mediziner, Biologen und Psychologen. Mit 515 Abbildungen im Text. 2. verbesserte Aufl. B. G. Teubner, 191;. Dieses in neuer Auflage vorliegende Lehrbuch muß jedem Mediziner und Biologen auf das Wärmste empfohlen werden. Die ganze Darstellung ist durchflochten mit den speziell dem Arzte und Biologen wichtigen Problemen und Versuchsan- ordnungen, so daß das Buch z. B. dem Mediziner eine ausgezeichnete Vorbildung lür den physio- logischen und in mancher Hinsicht auch für den künischen Unterricht gibt. Die Darstellung ist klar und kurz gefaßt, ver- fällt aber dabei nicht in den Fehler ähnlicher Lehr- bücher, deren Lektüre durch die aphoristische Diktion und das stete Verweisen auf andere Para- graphen oft sehr erschwert wird. Referent kennt kein zweites Lehrbuch der Physik, das auf dem gleichen Niveau stände wie das Lecher'sche Buch und dabei doch den Bedürfnissen jener Studenten, für welche die Physik nur ein Nebenfach bleiben muß, in so ausgezeichneter Weise entgegen käme, v. Brücke, Innsbruck. Siebert, Fr., Der völkische Gehalt der Rassenhygiene. Bücherei Deutscher Er- neuerung Bd. 3. München, J. F. Lehmann, 1917. — 3 M. Ein kurzer Hinweis soll dem Büchlein an dieser Stelle werden. Ob es weiteren Kreisen zu empfehlen ist, vermag der Referent nicht zu entscheiden. Es ist eine Werbeschrift. Es sucht zu erweisen, daß die Rassenhygiene oder die Stammespflege, wie Verf. sagt, eine logische Folge des völkischen Empfindens sein muß, daß sie die wichtigste völ- kische Aufgabe ist. Wie völkisches Empfinden auf Grund der Menschheitsentwicklung entstehen muß und wie es zu pflegen ist, das hat Verf. von unzähligen Gesichtspunkten aus beleuchtet. Mit seinen großen Vorgängern auf diesem Ge- biet, Fichte, Jahn, E. M. Arndt und andern kann Verf. kaum wetteifern. Oft zu sehr Streit- schrift, wird das Büchlein kaum überzeugen, wo die rechten Bedingungen und der gute Wille fehlt, es wird vielleicht hier und da des Tones und der politischen Richtung wegen abstoßen, wo es einigen will. Und so erscheint es mir fraglich, ob es die Aufgabe der Sammlung erfüllen wird, wie sie Verf. so umschreibt: „Die Schaffung der seelischen Tüchtigkeit, der Kulturstimmung, die in unserer Blutgemeinschaft, im deutschen Volkstum herr- schen muß, damit wir siegreich und deutsch bleiben". Was das Lesen außerdem erschwert, ist die Unausgeglichenheit des Stils und ein ge- wisses Überjagen und Durcheinandergehen der Gedanken. Hübschmann (Leipzig). Lindau, Prof. Dr. G., Die höheren Pilze (B a s i d i o m y c e t e s). 2. durchgesehene Auflage mit 607 Textfiguren. Berlin '17. J. Springer. — 8,60 M. Entsprechend dem Zwecke, den die Lindausche n4 Natui wisscnschaftllclic Wochenschrift. N. 1'. XVlI. Nr. I«; Kryptogamenflora verfolgt, soll in diesem nun- mehr bereits in der zweiten Auflage vorliegenden Pilzbandc dem Anfänger ein bequemes und zuver- lässiges Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, das ihm die Bestimmung der höheren Pilze er- möglicht. Berücksichtigt sind zunächst nur die Basidiomyzeten, diese aber in einer ziemlich weitgehenden Vollständigkeit. Die Beschäftigung mit dem vielgestaltigen Heere der Pilze ist eine sehr reizvolle Aufgabe, die noch viel zu sehr vernachlässigt wird, während ja das Sammeln von Blütenpflanzen eine sehr verbreitete Liebhaberei bildet. Allerdings ist die Untersuchung der Pilze schwieriger, da oft das Mikroskop zu Hilfe genommen werden muß, auch ist das Auf bevv'ahren immer ein wunder Punkt. In beiden Hinsichten gibt Lindau Anleitung. Die einfachen klaren Strichzeichnungen unterstützen den Text sehr gut. Miehe. Literatur. K reibig, J. Kl., Die Sinne des Menschcu. 3. veib. Aufl. Mit 30 Abbildungen. Ebenda. Roth, A., Grundlagen der Elektrotechnik. 2. Aufl. Mit 74 Abbildungen. Ebenda. Boerner, H., Lehrbuch der Physik für die obere Klassen der Realgymnasien und Oberrealschulen. 7. Aufl., bearbeitet unter Mitwirkung vou G. Mohrmann. Mit 382 Textabbil- dungen. Berlin '17. Wcidmann'sche Buchhandlung. 6,40 M. M o h r m a n n , Prof. Dr. G., Physikalische .Aufgabensamm- lung zu vorstehendem Buche. Ebenda. 80 Pf. Lecher, Prof. Dr. E., Lehrbuch der Physik für Mediziner, Biologen und Psychologen. Mit 515 Textabbildungen. 2. ver- besserte Aufl. Leipzig und Berlin"'! 7. B. G. Teubner. 8,80 M. Ylppö, Dr. A., PH-Tabellen. Berlin, 17. J. Springer. — 3,60 M. 50 fal^Ii da0^etti^ für |ede 4000 Tttarf Inhalt: K. Ki el, Welche Ergebnisse liefert die Untersuchung tertiärer Pflauzenreste ? S. 209. — Einzelberichte: K. W. Vcrhoeff, Morphologie und Biologie der Carabus-Larven. S. 214. D.Kirch hoff, Das Kamel und seine Zucht in Afrika. S. 215. Miehe, Die Bakteriensymbiose der .^^disicn. S. 215. Buder, Die phototaktiscben Reaktionen der Mikroorganismen. S. 217. Drahtlose Verbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Japan. S. 218. P. Scherrer, Die Kristallform des Aluminiums. S. 219. H.Thoms, Beschleunigung der Dialyse durch Gleitung. S. 219. K. Andree, Über Sedimentbildung am Meeresboden. S. 220. — Bücherbesprechungen: Edm. Spranger, Begabung und Studium. S. 221. H. Froelich f, Der Strablungsdruck als kosmisches Prinzip, Kosmologie und Kosmogenie. S. 222. E. Raehlmann, Goethes Farbenlehre. S. 222. Felix Auerbach, Ernst Abbe, sein Leben, sein Wirken, seine Per- sönlichkeit. S. 222. A. Kühn, Anleitung zu tierphysiologischen Grundversuchen. S. 223. E. Lech er, Lehrbuch der Physik für Mediziner, Biologen und Psychologen. S. 223. Fr. Siebert, Der völkische Gehalt der Rassenhygiene. S. 223. G. Lindau, Die höheren Pilze (Basidiomyceles). S. 223. — Literatur: Liste. S. 224. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlm N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 21. April 1918. Nummer 16. [Nachdruck veibotcn.] Riesenvögel und Zwergelefanten. Der Ruckvogel nicht Aepyornis. Von Dr. K. Lambrecht (Budapest). Mit 4 Abbildungen im Text. Die leuchtende Fackel der Paläontologie hat uns schon gar manche Rätsel der Vorzeit enthüllt; rufen wir sie nun zur Hilfe, um ein verwickeltes Märchen aufzuhellen. Weltbekannt sind die phantastischen orienta- lischen Märchen von „Tausend und einer Nacht". In der zweiten Reise Szindbad's berichtet uns der arabische Seemann von einer Insel über „etwas Weißes. Schon in einiger Entfernung be- merkte ich, daß es eine außerordentlich große, weiße Kugel war. Ich ging um sie herum, um nach einer Öffnung zu sehen, ohne daß ich jedoch eine entdecken konnte; ich hielt es auch für un- möglich, hinaufzusteigen, da sie sehr glatt war. Sie konnte fünfzig Schritte im Umfange haben." Plötzlich „verfinsterte sich die Luft, ... ich ent- deckte, daß dies von einem Vogel von außer- ordentlicher Größe herrührte. Es fiel mir bei, daß mir die Matrosen oft von einem Vogel, den sie Roch nannten, erzählt hatten und daß die große Kugel, die mich in ein solches Erstaunen versetzt hatte, ein Ei dieses Vogels sein müsse. In der Tat, erschlug sein Gefieder auseinander und ließ sich darauf nieder, gleichsam um es auszubrüten." Wie bekannt, band sich Szindbad an den Fuß des Vogels, der morgens samt ihm weiter- flog. Später lesen wir wieder: „Das Rhinozeros schlägt sich — wie mir ein Reisender erzählt hat — mit dem Elefanten; durchbohrt ihm den Leib mit seinem Hörn, und trägt ihn auf seinem Kopfe, ohne eine Last zu spüren, umher, bis er tot ist; bald jedoch fließt im Sommer bei der Hitze das Fett des Elefanten über seine Augen und macht sie blind. Darauf kommt der Vogel Roch, umfaßt sie beide mit seinen Krallen, um sie in sein Nest zu tragen und seine Jungen damit zu füttern." ») Auch in der fünften Reise (S. 370—71) be- gegnen wir dem Vogel Roch, dessen Eier die Matrosen aufschlugen, weshalb der Vogel „ein furchtbares Geheul ausstieß" und das Schiff mit Felsenstücken zertrümmerte. Soviel erfahren wir aus dem phantastischen orientalischen Märchen. Wenn wir nun aus den poetischen Übertreibungen und aus den unsicheren geographischen Daten den realen Kern ausschälen wollen, so müssen wir in erster Reihe betonen, daß es ■ sich um einen riesigen Vogel, um dessen riesiges Ei und um einen verhältnis- mäßig kleinen Elefanten (und Rhinozeros) handelt. Wie aus der Literaturgeschichte bekannt, bil- deten den Grund der „Tausend und eine Nacht" betitelten arabischen Märchensammlung indisclie EIrzählungen, die im Laufe der Zeit mit arabischen und persischen Elementen erweitert, in der zweiten Hälfte des X\^ Jahrhunderts in Ägypten eine voll- endete Konstruktion erhielten, obzwar gewisse Elemente auch seitdem noch beigefügt wurden. Beachten wir gut die geographische Lage des Gebietes, wo diese Märchensammlung entstanden ') Tausend und eine Nacht. Urtext von Gustav Weil. Bd. I, S. 355-356. Übersetzt aus dem arabischen Berlin, Neufeld & Heniiis. ist, denn aus dieser Lage kann die ganze Sage erklärt werden. Der bekannte venetianische Reisende, Marco Polo, der am Ende des XIÜ. Jahrhunderts das indische Meer durchreiste, schreibt in seinem Werke über die Inseln Madagaskar und Zanzibar: „Die Leute sagen, es komme zu einer gewissen Jahres- zeit von Süden eine wunderbare Vogelart, die sie Ruck nennen. Er gleicht einem Adler, ist aber ohne Vergleich viel größer und von solcher Stärke, daß er einen Elefanten mit den Klauen ergreift, aufhebt und fallen läßt, daß er stirbt, dann setzt er sich auf seinen Leib und frißt sich satt. Diejenigen, welche diese Vögel gesehen haben, erzählen, daß die Flügel, wenn sie die- selben öffnen, von einer Spitze bis zur andern 16 Schritt breit seien und die Federn 8; ihre Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. i6 1 )icl-Eier ver- weise ich auf Abb. 3, wo das . Irf^yoniis-Ei des Solothurner Museums neben einem Strauß- und Hühnerei abgebildet ist. Die Länge dieses .\rpyorj!i's-K\ts beträgt 34, die Breite 22,5, der ') Zitiert nach S. Killermnni Jahrg. 4 H. 7. Natur und Kultur Umfang 82 cm und sein Inhalt entspricht nach den Berechnungen Humboldts dem von 6 Straußen-, 148 Hühner- oder 50000 Kolibri-Eiern. Bei solchen Dimensionen ist es nicht einmal ein zügellose dichterische Phantasie, wenn unsere Quellen von Eiern berichten, deren Umfang 50 Schritt betrug. Das, was uns die „Tausend und eine Nacht" über die Rieseneier berichtet, bezieht sich ohneZweifel auf den mada- gassischen Strauß. Der in F"rage stehende Vogel war aber zugleich flugfähig, dies kann sich aber schon nicht auf den Arpyor/iis beziehen, dessen Flügel — wie auch aus der Abbildung er- sichtlich — vollständig zurückgebildet, reduziert ') Es wurden bedeutend mehr Arten beschrieben, doch unter- scheidet iMonnier in seiner neuerdings erschienenen schönen Monographie (Ann. de Paleont. 1913.) nur zwei Genera und 6 Arten (die übrigen wären nur auf Grund geschlechtlicher, und .Mtersunicrschiedc beschrieben). N. F. XVII. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 227 sind. Alle unsere Quellen, von Xoll') und Killermann-) bis zum neuen Brehm stimmen darin überein, daß sie den Ruckvogel für Acpyuniis halten, was aber ein Irrtum ist. Zu den Nachrichten über die Rieseneier von IVIadagaskar gesellten sich wahrscheinlich auch Nachrichten von einem anderen großen Vogel und kleinen Elefanten. Um dieses zu verstehen, müssen wir aber einen kleinen Abweg machen. Die englischen Paläontologen F o r s y t h Major und W. K. Parker entdeckten um 1865 in den Knochenhöhlen der Insel Malta zahlreiche Tierreste. Die interessantesten dieser waren die Reste eines Zwergelefanten und eines mächtigen Vogels. Die Schulterhöhe des Elefanten ragte über I m nicht hinaus, der Vogel aber war be- deutend größer als unser Mönchsgeier {Viiltiir jiiunadtus). Seitdem wurden Reste von Zwerg- elefanten auch von anderen Inseln des Mittelmeeres (Sizilien, Cypern, Kreta), sogar auch von Algier bekannt. Günther Schlesinger, der bekannte F"orscher der ausgestorbenen Rüsseltiere zählt alle diese Reste zwei Arten zu {ElepJjas Jiielifcnsis und E. Falcuiuri). •') Richard Lydekker, der 1915 verstorbene hervorragende englische Paläontologe , der die fossilen Vögel der Malteser Knochenhöhle be- schrieb, bezeichnete den erwähnten mächtigen Raubvogel mit dem Namen Gyps mditoisis und bemerkt in seiner Beschreibung: „The existence of such a large raptorial bird in Company with the ,Pigmy Elephant', of which the height is estimated at three feet, is certainly suggestive that the old fable of the Roc carrying off the Elephant may possibly have had a foundation in fact." (Proc. Zool. Soc. 1890. 403 — 411). Und nun gelangen wir zum Ende unserer Märchenerklärung und können unsere Schluß- folgerungen ziehen. Im Besitz der „Society of Asie" gibt es ein altes persisches Bild, auf welchem ein adler- förmiger Vogel abgebildet ist, der in seinen Klauen drei relativ sehr kleine Elefanten (Zwerg- elefanten) hält (Abb. 4). Die Unterschrift lautet: ') Noll, F. C, Die Veränderung der Vugelwelt im Laufe der Zeit. — Ber. Senckeub. Naturf. Ges. 1S89, 77—143. -) Killcrmann, S., .\usgeslorbene und aussterbende Vögel. — Natur und Kultur IV, 1906—1907, H. 7/8. ä) Seh Icsinger, G., Jahrb. k. k. geol. Reichsanst. LXII. 1912. Der Szimurgh, d. h. der Ruck vogel. Dieses Bild befindet sich in der englischen Übersetzung der „Tausend und eine Nacht" von Lane, sowie in der von Y u 1 e herausgegebenen englischen Reise- beschreibung Marco Polo's (1871). Folglich beziehen sich die in der „Tausend und eine Nacht" und von Fra Mauro erwähnten Eier zweifelsohne aui Acpyornis, die von Marco Polo, von Fra Mauro und in der „Tausend und eine Nacht" erwähnten Zwergelefanten und Riesenvögel aber auf die Zwergelefanten der Mittel- .\bb. 4. - d. h. Ruckvogcl na Darstellung (nach V Liltpersis meerinseln (und .Algier) und angeblich auf Gyps i/iclih'iisis, d. h. den ausgestorbenen Malteser Geier. In Betracht gezogen, daß fast jeder paläontologischc F'und nur dem Zufall zu verdanken ist, daß ferner die vorzeitlichen Tiere des Orients noch kaum bekannt sind, ist die Annahme keinesfalls grund- los, daß Lydekker's Malteser Geier auch von den übrigen Inseln und eventuell aus Algier noch zum Vorschein kommen wird. Dann wäre auch die Richtigkeit unserer Märchenerklärung bewiesen. Soviel ist aber schon jetzt sicher, daß der flugfähige Rock, Ruck, Chrocho- Vogel und seine Synonyma sich keines- falls auf die flugunfähigen Acpyoniis- Arten beziehen können, höchstens kann nur das von Fra Mauro und Marco Polo er- wähnte riesige Chrocho-Ei das Ei der madagas- sischen Strauße gewesen sein. Meine Stellungiiahine zum Wüuschelriiteuproblem. Von Prof. Dr. E. Hennig. Die Erwartung erheblichen Widers]3ruchs gegen die von mir mitgeteilten Beobachtungen mit Wünschelruten hatte 'ich am Schluß meiner Darlegungen') ausgesprochen und nur die Bitte ilaran geknüpft, es nicht bei liloßem Behaupten I) Diese Zeitschr. 1917, Nr. 39. und Diskutieren bewenden zu lassen, sondern ebenfalls tatsächliche F>gebnisse, gleichviel ob negative oder positive, zur Unterlage zu nehmen. Herr Major Kranz ') meint dennoch das Schreck- gespenst mit der leichten Waffe überlegener Ironie 228 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 16 und unter. Berufung auf die Ansichten Anderer abwehren zu können. Wenn ich in diesem Falle darauf erwidere, so geschieht es, um eine noch präzisere Erklärung meines an sich durchaus un- erheblichen Standpunktes zu geben ^). Mich ficht dabei weniger an, daß ich in Kranz' Ausführungen nicht rund heraus, aber doch wohlverständlich als „gläubiger Laie" und „kritikloses Publikum" an- gesprochen werde, als daß durch Polemik solcher Art die Diskussion von dem ernsthafteren Gleis herabzugleiten droht, das ich ihr zu ziehen ge- sucht hatte. Die Intensität meines Eintretens für wissen- schaftliche Untersuchung eines Problems, das in ungeübten Händen dem Aberglauben Tür und Tor öffnen muß, entspringt nicht schwärmerischer Begeisterung für eine unerwartete und mißdeutete Erfahrung. Keinen armseligeren Standpunkt aber kenne ich, als den, für welchen alle „Lebenswunder" und „Welträtsel" längst endgültig gelöst sind. Nicht Wunderglauben brauchen wir, wohl aber eine kindlich frische Empfänglichkeit für die Fülle des Wunderbaren, womit die Natur den Vorwärts- dringenden immer neu umgibt, die einzige echte Quelle kritischer klarer Forschung. Hier ist eine Erscheinung, deren Wesen wir noch nicht kennen und ich nehme mir die Freiheit, nicht blindlings daran vorüberzulaufen, weil sie etwa nicht zu meinem „Ressort" gehört. Es ist mir nie eingefallen, das Problem für ein geologisches zu halten. Es ist ein physikalisches, z. T. wahr- scheinlich auch psychologisches. Aber es kann ohne Mitwirkung unter anderem auch des Geologen nicht erschöpft werden, weil in den Behauptungen über Beziehung zum Grundwasser, zu Erzadern, Höhlen und dergleichen nur er das zweifellos Unrichtige von vornherein auszuscheiden und so den Weg freizumachen in der Lage ist. Kranz stützt seinen Widerspruch haupt- sächlich auf den zweifellos wichtigen und inter- essanten Beitrag zur Aufhellung der Frage durch Graßberger. Ich kenne sie, nahm auf sie bei der Korrektur (die im Abdruck nicht mehr be- rücksichtigt werden konnte) Bezug und fühle mich durchaus nicht restlos widerlegt. Es wäre schlimm um den Ernst meiner Untersuchungen bestellt, wenn ich nicht auf die psychologischen Fehlerquellen der Suggestion und Autosuggestion Bedacht genommen liättc. Ich kam zu dem Er- gebnis, daß der Mensch nicht in allen Phallen eine eigene unbewußte Bewegung ausführt und glaube den bündigen Beweis nicht schuldig ge- blieben zu sein. Das Vorkommen derartiger Täuschungen ist bei der Wünschelrute wie ander- wärts nach heutiger Kenntnis des Unterbewußtseins ') Uie Schriftleiluiig haUe bereits die Freundlichkeit, eiuer dahingehenden kurzen Bitte meinerseits Raum zu geben. Eine Reihe weiterer Erfahrungen und die Stellungnahme zu inzwischen bekannt gewordener Literatur halte in der Korrektur des betr. Aufsatzes nicht mehr zu Worte kommen können, wie auch Druckfehler und l'iisolilirfpn nicht mehr hatten aus- gemerzt werden können. so selbstverständlich, daß es keiner Beweisführung bedürfte. Die Frage gilt der Berechtigung einer Verallgemeinerung. Und da wiederhole ich : In meinen und zahlreichen anderen Händen bewegte sich die Rute nicht im mindesten. Lockerten wir Nicht-Medien aber eine Hand und der Rutengänger berührte den betr. Gabelast nur mit zwei Fingern, so war die andere Hand nicht imstande, den Ausschlag zu verhindern. Der ge- leistete Widerstand reichte zuweilen hin, das Holz zum Brechen zu bringen. Auch bezüglich der Metallruten bemerkte icli, daß der Rutengänger dauernd bestrebt war sie zur Ausgangsstellung zurückzuzwingen. Welcher Muskel nun, frage ich, bringt das Kunststück fertig, bewußt oder unbe- wußt der gesamten Anstrengung von Arm und Hand zuwider zu arbeiten und sie gar zu über- trumpfen? Oder wie in aller Welt können zwei Finger ohne sichtbare Bewegung mehr Kräfte auf- bringen als eine ganze Hand? Und schließlich: Wer die heftigsten Ausschläge, d. h- schnelle mehr- malige Kreisbewegung der Rute gesehen hat, wird für solche Fälle auf die Erklärung durch unsichtbare und dem beobachtenden Arzt unfühl- bare Einwirkung der Muskulatur wohl verzichten müssen. Machen wir uns doch nicht unnötig das Problem schwerer als es an sich schon ist. Lassen wir doch die Natur sprechen und schlagen wir die einfache Beobachtung nicht mit Keulen tot. Ich kenne Autosuggestionswirkungen und weiß, daß sie die Beobachtung fälschen können. Aber man darf sie nicht als Schutzgeist vorgefaßter Meinungen mißbrauchen. Und übrigens: für wen hätten die geheimnisvollen großen Kräfte des Unbewußten im homo sapiens nicht auch den Charakter von etwas „Wundersamem"? Nur ist hier bereits eine Abstemplung durch die Wissen- schaft erfolgt und damit scheinbar eine gangbare Münze für die AUgemeinlieit geprägt, die man als etwas Alltägliches und ganz Selbstverständliches passieren läßtl Die Wissenschaft hat daran nicht die Schuld. £;! Den irrtümlichen Vorstellungen vielem' Laien von „Wasseradern", also gewissermaßen einem unterirdischen Flußlauf, gebildet nach der An- schauung auf der Oberfläche, glaube ich nicht ohne Erfolg zu Leibe gegangen zu sein. Nur finde ich unter all dem Schutt und Unrat und Wust von Aberglauben, Selbsttäuschung und ver- kehrter Deutung ein Etwas, das mir der wissen- schaftlichen Beachtung dringend wert scheint. Und damit ergibt sich mir die unabweisliche Pflicht oder vielmehr der unwiderstehliche Drang für wissenschaftlich Gesinnte, das Brauchbare bloß- zulegen und zu untersuchen, vom Falschen zu säubern und freizuhalten, vor allem auch Kur- pfuschertum und Betrug zu entlarven oder un- möglich zu machen durch klare scharfe Grenz- ziehung. Aus eben diesem Grunde möchte ich nicht soweit gehen wie Kranz und' „die Ver- wendung der Wünschelrute im ganzen wertlos" N. F. XVII. Nr. i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. !29 erklären. Ich sehe aber auch einstweilen das Problem als noch gar zu unerklärt an, um vom Standpunkt der Wissenschaft aus seine praktische Verwertung schon empfehlen zu können. Ich selbst habe sie nie herangezogen, aber auch ihre Heranziehung durch Andere nicht verhindert. Wir tappen noch im Dunkeln; aber ich denke doch: „wir bekennen uns zu dem Geschlecht, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt." So trage ich denn auch hier noch eine Ein- schränkung nach, zu der mir durch Fortfall der Korrektur nicht mehr Gelegenheit geboten wurde. Die angebliche Einwirkung der N-S-Komponente bei Golduntersuchungen mittels der Rute habe ich selbst in starkem Verdacht aus Selbstbeein- flussung herzurühren. Wenigstens ist das Bestimmen der Himmelsrichtung auf diesem Wege nicht recht geglückt. Ebenso wurde verdecktes Gold zwischen anderen Metallen nicht mit Sicherheit herausge- funden. Selbstredend kommen auch bei den Körperuntersuchungen Versager vor. Doch war hier die Zahl der z. T. verblüffenden Treffer für meinen Hinweis auf diese inzwischen auch von anderer Seite ') unabhängig gemachte Entdeckung maßgebend. Ich habe mir ja nicht eingebildet, Abschließendes zu geben. Im Gegenteil ich wollte die Untersuchung auf breitere Basis gestellt, vor allem möglichst viele (ernsthafte) Rutengänger herangezogen sehen, um mit desto größerer Ge- wißheit Echtes und Unechtes scheiden zu können. Werde ich restlos widerlegt, so wird auch das ein mich befriedigendes Ergebnis sein. Herrn Kranz' Ausführungen aber haben mich dem Ziele weder in dieser noch jener Richtung näher ge- bracht. Diskussion allein bringt uns nicht „ins Helle". Übrigens ist — das vergesse man nicht, — eine psychologische Beeinflussung des Ruten- gängers bei Experimenten auch in dem Sinne möglich, daß ihre Empfänglichkeit und Konzen- tration gestört wird, genau wie etwa bei hyp- notischen Versuchen. An die Genauigkeit der Beobachtungen sind ganz außerordentlich hohe ')Joh. Schreiber ,, Altes und Neues von der Wünschelrute" Körner'sche Buchhdlg, Erfurt. Die Erfahrungen eines Ruten- gängers, die den von mir wiedergegebenen entsprechen. Die Darstellung leidet freilich an erheblichen Unklarheiten und die „Erklärungs"-Versuche sind von der .A.rt, daß sie den Kredit der ganzen Sache, also auch der Beobachtungen nur schädigen können. Anforderungen zu stellen, die Eignung des Mediums selbst muß zuvor geklärt sein. So ist für alle Parteien noch reiche Belehrung und Erfahrung möglich. Aber nur durch wirkliche Beobachtung nach wissenschaftlichen Grundsätzen. Alle anderen noch so glänzend erscheinenden Erfahrungen von Wünschelrutengängern haben auszuscheiden. Nachtrag: Während der Drucklegung er- schienene Literatur veranlaßt mich zu kurzen Zu- sätzen. Ein sehr bedeutungsvoller Beitrag sind die „Beobachtungen und Versuche zur Wünschel- rutenfrage" von H. Cloos im Zentralblatt für Mineralogie, Geologie und Paläontologie (Januar 191 8, S. 29 — 40). Hier finden wir, wie mir scheint, exakteste Nachweise gewaltiger Suggestionswir- kungen, also völlig negative Ergebnisse in der uns beschäftigenden Frage, auf völlig vorurteilsfreiem Wege gewonnen, aus wissenschaftlichem Geiste geboren. Meinen oben gegebenen Einwand sehe ich aber auch da nicht entkräftet, zur restlosen Verallgemeinerung dieser wichtigen Erfahrungen keinen Anlaß gegeben. Gelänge der endgültige Nachweis, daß stets die Muskulatur des Rutengängers beteiligt sei, wie der sorgsamste Verfechter des Rutenproblems, Graf C. von Klinckowstroem, voraussetzt (diese Zeitschr. 191 8, S. 137 — 139), so wäre freilich meines Erachtens der Schritt zu der Annahme nur noch klein, daß der Herd der Erscheinung überhaupt im Menschen selbst, nicht in noch un- bekannten Kräften oder Beziehungen außerhalb zu suchen wäre. Das aber ist die Schwelle, die zu überschreiten mir meine Beobachtungen durchaus verbieten. Das wenig glücklich geleitete Blatt „Die Wünschelrute" (in „Das Wasser" Leipzig) sucht in Nr. 4 des laufenden Jahrgangs aus den durch S c h w e y d e r in der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin bekannt gegebenen sehr wichtigen Versuchen mit der hochempfindlichen Drehwage von Eöt^Ös Kapital zu schlagen. Das muß zurückgewiesen werden. Mit dem Wünschelrutenproblem hat dieser die Schwerkraft ausnützende Apparat nicht das mindeste zu tun, auch wenn in ähnlicher Weise Massen- und Dichtedifferenzen aus beträchtlicher Entfernung damit ermittelt werden sollen. Wir bewegen uns dort auf völlig gesichertem physi- kalischem Boden. Einzelberichte. Geologie. Amerikanisches Kali. Über die Versuche der Nordamerikaner, in ihrem eigenen Land Kali zu finden, um sich auf diese Weise von der deutschen Einfuhr weniger abhängig zu machen, berichtet Dr. F. Friedensberg in einer Arbeit „Kalivorkommen und Kaligewinnungs- ■ versuche in den Vereinigten Staaten von Nord- amerika!' im „Glückauf", 53. Jahrg., 191 7, Heft 19—23- Gerade jetzt im Kriege haben diese Versuche große Bedeutung, zumal die deutsche Kalieinfuhr (1913: I 150000 t im Werte von 80 Mill. M.) fast vollständig unterbunden ist, und infolgedessen die Preise für Kalisalze in den Vereinigten Staaten um mehr als das Zehnfache gestiegen sind. Systematische Arbeiten zur Entdeckung und Er- schließung von Kalivorkommen und Anlagen zur Gewinnung der Salze sind seit 1909 in größerem Maße im Gange und haben stellenweise zu einigen 23D Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. i6 Ergebnissen geführt, die aber noch recht dürftig sind(i9i5:KaherzeugungimWertevon 1438000M.). Untersuchungen im Ansclihiß an bekannte Steinsalzlager und Solquellen sind erfolglos ge- blieben, ebenso die Versuche der Verarbeitung von Kalifeldspat, Leuzit, Muscovit und Glaukonit, wie auch von Flugstaub der Eisenhütten und Cementwerke auf lösliche Kalisalze. Einige Er- folge brachten die Untersuchungen der Salzab- lagerungen in den abflußlosen VVüstenbecken der westlichen Zentralstaaten, der Alunitvorkommen und endlich die Verarbeitung der in großen Mengen auftretenden Riesentange vor allem an der Küste des Stillen Ozeans. Zur Kaligewinnung geeignete Salzvorkommen des „Großen Beckens" liegen nur im Südwestteil, in der Mohave-Wüste und den Längstälern von Kalifornien. Die Kalisalzmengen im Mono-See werden auf 9,5 Mill. t geschätzt, im Owens-See sollen etwa 2 Mill. t vorhanden sein. Dort werden seit 1915 nach dem neuen von C. Elschner ausgearbeiteten Verfahren KCl und K.^SO, durch fraktionierte Kristallisation in geringen Mengen gewonnen. Aber im Hinblick darauf, daß auf jede Tonne Kalisalz die zehnfache Menge Soda dargestellt werden muß, die sich sehr schlecht verkauft, ist diese Kaliquelle wirtschaftlich wenig günstig. Viel großzügiger ist die Kaligewinnung aus dem SearlesSee, einem früheren Abflüsse des Owens-Sees, begonnen worden, wo die Verhält- nisse etwas besser sind. Die in dem eigentlichen, 29 qkm großen Salzkörper liegende Kalimenge wird bei einer Mächtigkeit von 14,5 m der kali- reichen Schichten auf 5,5 Mill. t geschätzt. Die „American Trona Corporation" wollte täglich 12000 t Sole verarbeiten, was einer jährlichen Chlorkalierzeugung von 130 000 t entspricht. Je- doch die 1914 erbaute Anlage hat erst i "'„ dieser Leistungen verwirklicht. Schuld an dem schlechten Ergebnis sind nicht nur die Schwierigkeiten der Verarbeitung, sondern auch die Arbeiter- und Be- triebsmaterialbeschaffung, sowie die hohen Fracht- kosten der Erzeugnisse. Erwähnenswert, wenn auch wegen ihrer ge- ringen Größe von untergeordneter Bedeutung, sind die Alkaliseen der .Sand-Hills in Nordwest-Nebraska. Dort werden aus dem Jesse-See täglich 7 t KCl gewonnen. Neben den wasserlöslichen Ablagerungen wurde auch der wasserunlösliche Alunit (K„.SO , • AI., (SOj ). • 2 A1.,0... -eHoO) zur Kaligewinnung herangezogen, der als pneumatolytisch oder hydrothermisch ent- standene Spaltenausfüllung oder auch als ver- drängendes Mineral im Nebengestein von Erz- gängen in jungen Eruptivgesteinen weit verbreitet ist. Von vielen Vorkommen hat nur das von Marysvale (270 km südl. des Großen Salz-Sees) wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Die dort er- schlossenen Gänge sollen bis in 100 m Teufe etwa I 400000 t Alunit enthalten und mit einem üehall von 140000 t K.,0. Die Kaligewinnung erfolgt nach einem Patent von Schaller; Glühen des Alunits bei 800— lOOO" und Vertreibung von SO3 und Wasser, während lösliches KoSOj und unlösliches AUO., zurückbleiben. Düngungsver- suche , die das Bureau of Solls mit Rohalunit, Röstgut, KCl und K.^SOj angesteht hat, sind sehr günstig ausgefallen. Die wirtschaftliche Bedeutung von Marysvale wird aber in normalen Zeiten kaum groß werden können, da auch hier zu hohe Ge- stehungskosten und eine ungünstige Frachtlage die Erzeugnisse übermäßig verteuern. Außerdem könnte dieses Vorkommen höchstens einen halben Jahresbedarf der Vereinigten Staaten an Kali decken. Als weiterer Ausgangsstoff für Kaligewinnung kommt schließlich noch der Meerestang in Be- tracht, dessen Riesenformen (Nereocystis luetkeana und Macrocystis pyrifera) hauptsächlich an der Südkalifornischen Küste in großen Massen vor- kommen. Gewinnungsanlagen sind dort seit 1906 in Betrieb. Die Kalisalze werden durch Ver- brennung des getrockneten Tanges als Hauptrück- stand erhalten, der von der Kohle durch Aus- laugen und Filtrieren befreit wird. Da die Trocken- masse des Tanges bis 30",, KCl enthält, ist die Ausbeute ziemlich groß. Trotzdem hat diese Kaligewinnung iriit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Tangerntekosten sind zu groß (30 M. pro Tonne KCl), Großbetriebe können nicht errichtet werden, da nicht genügend Tang dafür in erreichbarer Nähe vorhanden ist, die Nebenprodukte, vor allem Jod, können wegen zu geringer Nachfrage nicht abgesetzt werden. So kommt es, daß von der geplanten Jahresmenge von 300000 t KCl nur 50 t erzeugt wurden, ein verschwindender Bruchteil des nordamerikanischen Bedarfs. Im ganzen genommen sind die amerikani- schen Kaligewinnungsversuche trotz großer Auf- wendung an Geldmitteln ziemlich fehlgeschlagen; jedoch Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, da die Möglichkeit der Entdeckung und En Schließung neuer wertvoller Kaliquellen nie völlig verneint werden kann. Bis jetzt betragen bei günstiger Schätzung die gegenwärtig erzeugten Kalisalzmengen aller Art, deren Lager nur für wenige Jahre ausreichen, höchstens 45 000 — 60000 1, also etwa 5 ";„ der deutschen Einfuhr von 1913, ein geringer Bruchteil, der für einen ernsthaften Wettbewerb mit dem deutschen Kali nicht in Frage kommt. C. H. Psychologie. Über eine psychologische Prü- fung an Straßenbahnführerinnen berichtet Prof. Dr. Will. Stern im jüngsten Hefte der „Zeitschrift für angewandte Psychologie" (Verlag von Joh. A. Barth in Leipzig). Sechs Frauen, die sich um .Anstellung als Straßenbahnführerinnen in .Altona bewarben, wurden einer Prüfung nach Dr. K e h r s Versuchsanordnung unterzogen. Die Prüfung be- stand nicht in der Nachahmung von Verrichtungen im Straßenbahndienst, sondern in der Beobachtung N. I'. XVII. Nr. i6 Naturwissenscliaftliclie Wochensclirift. 231 der Aufmerksamkeil und der Reaktion auf Kei/e. Die zu prüfenden Frauen nahmen vor einer Spalte Platz, hinter welcher ein Papierband lief, auf dem in Abständen von n,S Sekunden je ein Buchstabe in schwarzer und roter Farbe erschien. Die Buch- staben waren nicht nach dem Alphabet angeordnet, sondern bunt durcheinandergeworfen. Bei drei bestimmten Buchstaben in schwarzer Farbe hatte die zu prüfende Person mit der rechten Hand und bei 3 roten Buchstaben hatte sie mit der linken Hand eine Taste zu drücken, wobei es auch vor- kommen konnte, daß beide Tasten gleichzeitig angeschlagen werden mußten. Pls liefen ins- gesamt 416 Buchstaben durch, darunter 68 schwarze und 12 rote „Reize" und 4 „Doppelreize" (beide Farben zugleich). Von den sechs geprüften Frauen verfehlte nur eine keine Reaktion ; einmal kam es vor, daß sie eine Taste drückte, wo es nicht nötig war, einmal reagierte sie falsch und viermal führte sie mit der Hand die sich bei Erscheinen des betreffenden Buchstabens nicht betätigen sollte, eine Mitbewegung aus. Sie bemerkte alle Fehler sofort selbst. Die Frau, welche die Prüfung am zweitbesten bestand, ließ einen der Reize in schwarzer Farbe außer acht und einmal reagierte sie auf einen falschen Buchstaben. Am schlech- testen hielt sich eine Frau, die bloß in 14 von 68 Fällen die vorgeschriebene Bewegung ausführte und zudem in 4 Phallen bei Erscheinen eines fal- schen Buchstabens die Taste drückte; sie führte die Bewegungen am langsamsten aus. Bemer- kenswert ist, daß gerade diese F'rau durch ihr vertrauenerweckendes Wesen und ihre Ruhe auf- fiel. Die Bewegungen mit der linken Hand waren bei allen Flauen langsamer als mit der rechten. Die vier besten Prüflinge wurden bei der Staßen- bahn eingestellt. Nach vier Monaten ergab eine Nachfrage, daß die Frau mit dem besten Prüfungs- resultat aus äußeren Gründen den Dienst bald wieder verlassen hatte. Die Dienstaufführung der zweitbesten wurde als sehr gut bezeichnet, die der dritten als genügend und die der vierten als gut. Die Leistungen entsprachen somit im ganzen dem Ergebnis der Prüfung. H. Fehlinger. Physik. Mannigfache erfolgreiche! Versuche sind in den letzten Jahren gemacht worden, die Leistungsfähigkeit der Röntgenröhren zu steigern. Diese Bemühungen haben einerseits das Ziel, In- tensität und Härte der Röntgenstrahlen unabhängig voneinander zu regulieren; in der Lihenfeld- und der Glühkathoden-Röhre, die beide in dieser Zeitschrift beschrieben sind, ist diese Forderung in weitgehendem Maße erfüllt. Wenn es sich für den Arzt darum handelt, die Wirkung der Strahlung nicht nur an der Oberfläche des menschlichen Körpers, sondern in der Tiefe wirken zu lassen (Tiefentherapiei, kommt es zweitens darauf an, Strahlen von größter Härte zu verwenden, da diese wenig absorbiert werden und daher tief eindringen. Physikalisch gesprochen bedeuten harte Strahlen solche von kleinster Wellenlänge, wie sie uns die Natur in den /-Strahlen dei radioaktiven Substanzen liefert. Die Härte der Strahlen hängt nun ab von der Geschwindigkeit, mit der die von der Kathode ausgehenden Elek- tronen auf das Metall der Antikathode schlagen. Diese aber ist bedingt durch die Kraft, welche die Kathodenstrahlen von der Kathode forttreibt, also die an der Röhre liegende Spannung, die nun ihrerseits — einen leistungsfähigen Induktor vorausgesetzt - von dem in der Röhre be- stehenden Gasdruck abhängt. Die Untersuchung zeigt, daß die Betriebsspannung dann den größten erreichbaren Wert besitzt, wenn der Gasdruck in der Röhre so klein ist, daß die vom Induktor gelieferte Spannung den Durchbruch gerade erzwingen kann. Es kommt also darauf an, die Röhre in diesem günstigsten Zustand zu erhalten, Nun ergibt sich aber, daß beim Stromdurchgang der Gasdruck in der Röhre dauernd sinkt, so daß dieselbe immer härter wird, bis sie schließlich die Entladung überhaupt nicht mehr hindurch- läßt. Durch Regenerieren d. h. dadurch, daß man ein minimales Quantum Gas in die Röhre bringt, macht man die Röhre wieder weicher. Als Regeneriervorrichtung kann außer geeigneten Ventilen Bauer- Ventil), die auf Betätigung von außen Luft eintreten lassen, oder im Innern der Röhre als Hilfselektroden angebrachten porösen und daher gashaltigen Stoffen 1 Kohle, Glimmer- blättcheni, die im geeigneten Augenblick Gas ab- geben, ein in die Röhrenwandung eingeschmolzener Platindraht dienen. Wird dieser mit einer Gas- oder Spiritusflamme erhitzt, dann diffundieren die kleinen und schnellen Wasserstoffatome der Flammgase durch das Metall ins Innere der Röhre hinein (Osmoregulicrung . PIs ist natürlich ausgeschlossen, durch Regulieren mit der Hand die eintretende Gasmenge so zu bemessen, daß der günstigste Gasdruck (bei dem die Spannung gerade das Vakuum durchbricht) in ihr dauernd erhalten bleibt. H. Wintz 'Münchner medizin. Wochenschr. 191 7 S. 944: Die selbsthärtende Siederöhre, das Tiefentherapierohr '-)) hat einen Regenerier-Automatcn angegeben, der für die Zufuhr der richtigen Gasmenge sorgt, die eben nötig ist, den Stromdurchgang aufrecht zu erhalten. Während man bisher gefordert hat , daß das Vakuum sich möglichst langsam ändert, hat die neue Röhre dieFähigeit, gerade im allerhärtesten Stadium sehr schnell unwegsam zu werden. Geht das Milliamparemeter, durch das der Röhrenstrom hindurchgeht, zurück, so wird dadurch ein Kontakt geschlossen. Ein so eingeschalteter Hilfsstromkreis betätigt dann die Regulierflamme der Osmoregulicrung und zwar gerade solange, bis die ursprüngliche Milliampere- zahl und damit der günstigste Gasdruck im Rohr wieder erreicht ist. Dann öffnet das Strom- meßinstrument den Kontakt und die Regulier- '1 Herg^ffstellt von de H. F. Müller, Hamburg. !32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 16 Hammc geht in die ZündstellunL^ ziniick. iVIan könnte vermuten, daß durch den dauernden Wechsel von Gaszufuhr und Gasverbrauch die Röhre in einem ständig wechselnden Zustande wäre. Doch sind die Schwankungen so gering, daß trotzdem eine außerordentliche Konstanz des Betriebes erreicht wird. Ist die Röhre nach einigen Stunden gut eingearbeitet, so macht das Milliamperemeter nur kaum merkbare Ausschläge. An Härte werden die Strahlen von keiner anderen Röntgenröhre übertrofifen. Die Gesamtlebensdauer der Röhre beträgt im Durchschnitt (aus Beobach- tungen an 22 Exemplaren) 125 — 140 Lichtstunden bei 3 Milliampere Belastung. Die größere Betriebsdauer macht eine gute Kühlung nötig. Audi die Kathode hat Wasser- kühlung; die Antikathode ist mit der Müller- schen Metallkugel ausgestattet, in der das Wasser siedet. Es liegt ja auf der Hand, daß bei dem hohen Wärmeinhalt des Wasserdampfes dieser ein vorzügliches Mittel bietet, die großen an der Antikathode erzeugten Wärmemengen von dieser fortzuführen. .Seh. Literatur. M o 1 i s c h , H., Pflanzenphysiologie. Mit 63 Texlabbil- dungen. „Aus Naturund Geisteswelt." Leipzig u. Berlin, '17. B. G. Teubner. — 1,25 M. Ciaaßen, M., Die deutsche Landwirtschaft. 2. Aufl. Ebenda. Eckstein, K., Die Schädlinge im Tier- und Pflanzen- reich und ihre Beliämpfung. 3. Aufl. Mit 36 Textfig. Ebenda. Schulze, F. A., Große Physiker. 2. Aufl. Mit 6 Bild- nissen. Ebenda, Zacher, Dr. Fr.. Die Gradtlügler Deutschlands und ihre Verbreitung. Mit einer Karte. Jena, '17. G.Fischer. — lo M. Hertwig, O., Zur Abwehr des ethischen, des sozialen und politischen Darwinismus. Jena, '18. G. Fischer. — 4M. Schoenichen, Prof. Dr. W., Praktikum der Insekten- liunile. Jena, 'iS. G. Fischer. — 7 M. Za de, Dr. ^., Der Hafer. Jena, '18. G. Fischer. — 9 M. Hinseimann, E., Unveränderlichkeit oder Veränderlich- keit der Lage der Erdachse? Mit 12 Abbild, u. 2 Tafeln. Hannover, '17. M. u. H. Schazer. .MS^^Weo0attl«ii6ri P^-i^^ ^^^#:lö^ö' iion neuem Heine freute Mää?ä; Inhalt I K. Lambrecht, Riesenvögel und Zwergelefan'en. (4 Abb.) S. 225. E. Hennig, Meine Stellungnahme zum Wünschelrutenproblem. S. 227. — Einzelberichte: F. Friedensberg, Kalivorkommen und Kaligewinnungsversuche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. S. 229. Will. Stern, Über eine psychologische Prüfung an Straßenbahn- führerinnen. S. 230. H. Wintz, Röntgenröhren. S. 231. — Literatur: Liste. S. 232. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17. Band; der ganzen Reihe 33. Band. Sonntag, den 28. April 1918. Nummer IT. Asj'inmetrie bei Insekten. Von R. Ebner. (Nachdruck verboten.] Mit 22 Abbildui Veranlaßt durch den schönen Aufsatz Werners über „Asymmetrie im Tierreich" in dieser Zeit- schrift (14. Bd., 1915, Nr. 51, p. 785) möchte ich einige weitere auffallende Beispiele von äußerer Asymmetrie bei Insekten, namentlich bei den mir gut bekannten Orthopteren vorbringen, ohne auch nur eine annähernde Vollständigkeit anzustreben. Für einige wertvolle Hinweise bin ich auch meinem Freunde Kar ny zu Dank ver- pflichtet. — Wie schon Reh (Über Asymmetrie und Symmetrie im Tierreiche, Riolog. Central- blatt, XiX, 1899, p. 6251 eingehend besprochen hat, sind die Insekten wegen ihrer festen Körper- bedeckung im allgemeinen äußerlich sehr sym- metrisch gebaut, während ihre inneren Organe (Darm, Malpighi'sche Gefäße, Fettkörper, Ge- schlechtsdrüsen nebst Ausführungsgängen und Anhangsorganen) oft beträchtlich asymmetrisch gelagert sind. Die äußerlichen Asymmetrien lassen sich meist unschwer in zufällige und gesetz- mäßige unterscheiden. Zu ersterer ge- hören zunächst kleine Ungleichheiten beider Hälften am Körper und seinen Anhängen. Nach Reh treten bei Schildläusen überaus häufig Asymmetrien in der charakteristischen Form des Hinterrandes des Weibchens auf, desgleichen schwankt die Zahl der Poren der um die Genital- öfifnung liegenden Drüsengruppen auf beiden Seiten oft beträchtlich. Schon Werner gibt an, daß verschiedene Ausbildung und Zahl der Flügel- adern oder von Dornen an den Beinen auf beiden Körperhälften nicht selten zu beobachten ist. Ungleiche Anzahl von Dornen ist z. B. an den Beinen vonSagiden nicht besonders selten (Ebner, Annal. Naturhist. Hofmus. Wien, XXVI, 191 2, p. 443), desgleichen bei Phasmiden (Eiifon'a) und Blattiden (Paiicsflna). Derartige Asymmetrien gehen oft so weit, daß die Artbestimmung da- durch sehr erschwert wird (K a r n y , Suppl. Entom., 4, 191 5, p- 90I. So berichtet auch Ikonnikov (Revue Russe d'Ent., XI, 191 1, p. 1051 von manchen Exemplaren von Clwiiliippiis, die man auf Grund des Aderverlaufes einer Flügeldecke dem Oi. albo- mar^iiiatm; zuzählen könnte, während jener der anderen Flügeldecke dem 67/. dorsiihis entspricht. Ähnliche Erscheinungen konnte ich auch an den Flügeln der Mantide FiscJieria feststellen (F. baclica und /". caiicasica). Die Asymmetrie des Ge- äders ist namentlich bei der Orthopterengruppe der Gryllacriden sehr auffallend, indem die Zahl und Form der Nebenäste an den Hauptadern sehr variiert (Brunner, Verh. zool.hot. Ges. Wien, Igen im 1 ext. XXXVIII, 188S, p. 314), so daß „sich schwer eine Gi-ylliicris finden wird, deren Geäder rechts und links volKständig gleich ist" (Karny, Jenaische Denkschr., XVI, 1910, p. 37). Kleinere Beispiele von zufälliger Asymmetrie sind häufig zu beobachten und treten nicht nur bei Orthopteren (Pylnov, Revue Rus.se d'Ent., XIII, 1913, p. 3021, sondern auch bei allen anderen Insektengruppen auf. So erwähnt Kröber (Zeitschr. f. wiss. Insektenbiol., VI, 1910) einige Fälle von ungleicher Ausbildung des Aderverlaufes auf beiden Flügeln von Dipteren, und Karny beschreibt ähnliche Erscheinungen bei Psop/iNs {SizXi. ent. Zeit., 1907, p. 201 ), ferner bei Zikaden, Psociden und Thysanopteren (Wiener Ent. Zeitg., XXVII, 1908). (Abb. 1). Manche Insekten Abb. I. Die beiden Vorderllügel einer Zikade {Alebra „.y.,.v/r.v7.7), vergrößert. (Nach Karny.) weisen gelegentlich Asymmetrie in Zeichnung und Flügelschnitt auf, zum Beispiel Erasfria argcntula (Schultz, Entom. Zeitschr., XXI, Stuttgart 1907, p. 78) und Adalia hipniicfafa (Meissner, Zeit- schr. f. wiss. Insektenbiol., III, 1907, p. 341). Verliert eine Heuschrecke oder eine Schabe im Larvenzustand durch Autotomie oder Ampu- tation ein Bein, so wird es bei der nächsten Abb. 2. Regeneration des linken Hinterbeines nach Amputation bei Slylopyga oritntalh, vergrößert. (Nach Megusar.) Häutung gewöhnlich angelegt, wächst bei den späteren Häutungen meist etwas heran, ohne aber immer die normale Länge zu erreichen. Je früher der Verlust des Beines erfolgt, umso größer kann es im allgemeinen im weiteren Verlauf der Entwick- lung des Tieres werden (Abb. 2). Die regenerierten Beine unterscheiden sich aber oft durch schwächere Bedornung und geringere Tarzenzahl von den normalen (Brunn er und Red t en bac h er , Die 234 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 17 Insektenfamilie der Phasmiden, Leipzig 1908, p. 9) In neuerer Zeit haben namentlich Brindley be Blattiden (Proc. Zool. Soc, 1898), Przibram bc Mantiden (Archiv f. Entwicklungsmech. d. Orga nismen, XXII u. XXIII, 1906 u. 1907) und Megusai bei verschiedenen Orthopteren (ibid., XXIX, 1910J eingehende Versuche über die Regeneration der Beine angestellt. Am leichtesten läßt sie sich bei der häufig in Gefangenschaft gehaltenen Stab heuschrecke Ca/-a//s/}/s nwrosus nachweisen während die Sprungbeine der springenden Gerad flügler, namentlich der Acridier, selten deutliche Abb. 3. Carabldion australc (Yule Insel bei Neu-Guineaj, 2 c/'cr', Regeneration des rechten Hinterbeines und des rechten Vorderbeines. Caraiisius morosiis, i 9, linkes Vorder- und Hinterbein regeneriert. Verkleinert. (Phot. Dr. K. Miestinger.) Regenerate liefern. Adelung erwähnt in einem Fall unsymmetrische Ausbildung der Beine und erklärt sie durch Neubildung oder durch spätere Regeneration (Hör. Soc. Ent. Ross., XXXVIII, 1907, p. 78). Griffini beschreibt verschiedene Naturfunde (Rivista mensile di Sc. Nat. „Natura", II, 191 1), die oft sehr auffallend sind und auf vorausgegangene Regenerationsvorgänge hindeuten, während andere Autoren in derartigen Bildungen Produkte des Wachstumsstillstandes vermuten. Ähnliche Fälle lassen sich gelegentlich bei ver- schiedenen Arten beobachten. Ich möchte auf ein Exemplar von Carabidion hinweisen, dessen linker Hinterschenkel normal ausgebildet ist. während der rechte viel schwächer ist und nur ganz kurze winzige Dörnchen an Stelle der mäch- tigen großen Dornen trägt; Karny nimmt auch in diesem Falle Regeneration an (Jahresber. Maximil.-Gymnas. Wien, 1914, p. 9) (Abb. 3). Ein anderes Beispiel bietet eine erwachsene Larve von Tylopsis ihynüfolia, bei der das rechte Mittelbein viel kleiner ist wie das normale Gegenbein der anderen Seite (Abb. 4). Auch manche Beispiele gelegentlicher Asymmetrie der Zangenarme bei Dermapteren gehören hieher (Abb. 6) und lassen sich vielleicht ebenfalls auf Regenerationserschei- nungen zurückführen (Ebner, Deutsche Ent. Zeitschr., 1915, p. 564), während die stets asym- Abb. 5. Abb. 6. Abb. 4. Larve von Tylopsis thymifoli« (Belgrader Wald , europäische Türkei), Asymmetrie der Mittelbeine, vergrößert. (Phot. Dr. K. Miestinger.) Abb. 5. Pa-iplaneta americana o'"' (Port Sudan). Hinterleibsende von unten, rechter Cercus vielleicht regeneriert. In der Mitte der asymmetrische Kopulationsapparat. Vergrößert. Abb. 6. Forfictda aurictilaria^ Hinterleibs- ende mit asymmetrischer Zange von oben. Vergrößert. CNach Thopard.) Abb. 4. metrischen Zangenarme von Anisolabis an anderer Stelle zu nennen sind. Bei anderen Insektengruppen ist ebenfalls Regeneration an verschiedenen Körper- anhängen nachgewiesen worden (Abb. 5). Auch die verschiedenen Monstrositäten, die durch Ausfall, Umwandlung und Neubildung eines Organes zustande kommen können, gehören in das Kapitel der zufälhgen Asymmetrie und schließen sich hier an, da sie manchmal auf Regenerations- erscheinungen zurückgeführt werden können. Solche Mißbildungen, die gelegentlich zu beobach- ten sind, beschreiben beispielsweise Ritzema B o s (Tijdschr. Entomol., XXII, 's Gravenhage 1879, p.206) (Abb. 7) und Dabbert (Internat. Ent. Zeit- schr., 10, Guben 19 16, p. 28) bei Käfern, Griffini (Boll. Mus. Zool. Anat. Univ. Torino, XI, 1 896, Nr. 2 56) bei Feldheuschrecken (Abb. 8j, ferner Ramme (Berl. Entom. Zeitschr., LVI, 191 1, p. 21, t. II; daselbst auch ein Käfer mit zweiteiligem linken N. F. XVII. Nr. \^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 235 Fühler), Galvagni (Verli. /ool.-bot. Ges. V\'ien. LXV, IQ15, p. [49] und namentlich Christcller (Entom. Mitteil., VI, 1917, mit zahlreichen Literatur- angaben) bei Schmetterlingen. Zwei andere Fälle habe ich in Abb. 9 und Abb. 10 dargestellt. Ganz besonders möchte ich aber auf Przibram hin- weisen, der in seiner „Experimental-Zoologic" (II. Bd., Regeneration, 1909) eine große Menge von Beispielen für derartige Fälle von Asymmetrie bringt (pp. 78— 126, tt. VIII— IX). Die guten Ab- bildungen stellen nicht nur viele Regenerations- .^^-^T"- Abb. 7. Abb. 8. Abb. 7. Saperda carcharias mit Mißbildung beim linken Fühler (etwas verkleinert) und Kopf desselben Exemplares (ver- größert). (Nach Ritze ma Bos.) Abb. 8. Oedipoda miniata ; oben: rechtes normales, unten : linkes abnormales Hinterbein. Etwas verkleinert. (Nach Griffini.1 beispiele nach künstlichen Eingriffen, sondern auch verschiedene Naturfunde dar. Dem Buche ist ein ausführliches Literaturverzeichnis beigegeben. Endlich wären auch die Fälle von gelegent- lichem Hermaphroditismus und von Gynandromor- phie zu besprechen, die zwar bei Orthopteren nur in geringer Zahl von Brunner, Klap;ilek, Abb. 9. Kopf von Liogry'lus campestris cr^ (Greifenstein, Niederösterreich) mit Mißbildung des rechten Fühlers, vergrößert. ^ t* Al)b. 10. Cnh/tliryx spUndtns (Ungarisches Marchfeld) mit Mißbildung des linken Hinterflügels, etwas verkleinert. (Phot. Dr. K. Mi es tinger). Ramme und Kheil (Internat. Ent. Zeitschr, 8, Guben 1914, pp. 146 und 152) bekannt ge- worden sind, aber von anderen Gruppen, namentlich Schmetterlingen (Schultz, Insekten-Börse, 16, 1899; Wenke, Zeitschr. f. wiss. Zool., 84, 1906; Christeller, Entom. Mitteil., VI, 191 7), Haut- flüglern (DallaTorre und Friese, Ben naturwiss.- mediz. Ver. Innsbruck, XXIV, 1899) und Käfern (Weber, Entomol. Blätter, 9, 191 3) in Anzahl beschrieben worden sind. Der Grad des Herm- aphtoditismus kann ein .sehr vcrschiedenei sein, indem bald männliche, bald weibliche Sexual- charaktere in höherem oder geringerem Grade über- wiegen. Oft sind die Zwitter auf der einen Körper- hälfte männlich, auf der anderen weiblich gebaut (B r e h m ' s Tierleben, II, 1915, p. 13), also laterale Hermaphroditen mit stark ausgeprägter Asymmetrie (Abb. 1 1 u. 12). Sie kommen besonders häufig bei Bastardierung von Schmetterlingen vor; es gibt sogar Exemplare, deren Hälften nicht nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach der Artzuge- hörigkeit verschieden sind (Hesse und D o f 1 e i n , Tierbau und Tierleben, I, 1910, p. 566). Weitere Angaben bei Meisenheimer (Experimentelle Studien zur Soma- und GeschlechtsDifferenzierung, I, Jena 1909), Deegener fin Schröder's Hand- Abb. na. Abb. IIb. Abb. II. Kopf und drittes Beinpaar einer gynandromorphen Biene {Apis tmlli/ua). Nach V. v. Engelhardt (Zeitschr.' f. Wissenschaft). Insektenbiologie, X, Berlin-Schöneberg 1914). .\bb. 12. Gesicht eines gynandromorphen Exemplares von Xylocopa mica>:s. (Nach Mai dl.) buch d. Entomologie, Bd. I, 191 3, pp. 470—471 und 518—523), Goldschmidt (Zeitschr. f. in- dukt. Abstammungs- und Vererbungslehre, VII, 1912) und Foppelbaum (ibid., XI, 1914). Wichtiger als die früheren Fälle erscheinen jene der gesetzmäßigen Asymmetrie, die an verschiedenen Körperteilen auftreten können. Bei vielen Insekten und deren Larven sind die Mundteile stets asymmetrisch, was sich in den einfachsten Fällen durch ungleiche Anzahl der Zähne an den beiden Mandibeln äußert (Lang, Handb. d. Morphol. d. wirbellosen Tiere, IV, Jena 1913, pp. 426—431; Pauly, Arch. f. Naturgesch., 81, A, 2. Heft, 191 5) (Abb. 13). Es können aber auch die Mandibeln selbst sehr voneinander abweichen. Die Krieger mancher Termiten besitzen stark unsym- metrische Oberkiefer, die sie oft gar nicht mehr zum 236 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVIi. r^r. 17 Beiticii vcrwetiden können (Abb. i.(). Solche Sol- daten stoßen aber mit ihnen schnell unter den (jegner und schleudern ihn unversehens mit einem gewaltigen Ruck weit hinweg. Auch die Wespe Syi/ai^ri's torjiii/cj \\a.\. im männlichen Geschlecht, recht ungleiche Mandibeln (Brehm's Tierleben, II, 191 5, p. 580). Bei dem Käfer Taplirodcres distorfiis (Henneguy, Les Insectes, Paris 1904, p. 193) (Abb. 15) und den Heuschreckengattungen Abb. 13. Die beiden Mandibeln eines Käfers {7ncoiiiivI,i aptna) von oben, vergrößert. (Nach Pauly.) Cerbcrodo7i,Lisfi'oscelis nndCarlüila (Karny, Gen. Ins., Fase. 131, pp. " — 13, t. 2, f. 11) (Abb. 16) ist die linke Mandibel des Männchens stark verlängert und gebogen, wodurch die Asymmetrie in diesen Fällen ebenfalls als sekundärer Sexualcharakter auftritt. Kopf und Mundteile der Thysanopteren sind durch das Auftreten eines unpaaren Mund: Stachels auf der linken Seite asymmetrisch ge- worden (Bohls, Die Mundwerkzeuge der Physo- poden, Göttingen 1891, p. 26; Uzel, Mono- graphie d. Ordn. Thysanoptera, Königgrätz 1895, t. IX, f 161 ; Borden, Journ. of Econ. Entom., S. 191 5, P- 354, pl. 16). Abb. 16. Abb. 14. Kopie von Termitensoldalen (C<7/W/«-»/^j- /f! dhtorlus (/, vergrößert. (Nach Darwin aus Henneguy.) Abb. 16. Kopl von Listi-osrelis ftrriiginta ^p, vergrößert. Bei vielen Insekten überdecken sich die Vorderflügel teilweise in der Ruhelage, was zu einer weitgehenden Asymmetrie führen kann. Schon Reh erwähnt einige Blattiden mit ungleichen Elytren, z. B. Blabcra, Epilampra verticalis, Hormcfica und andere. Corydia niipfiab's, eine bunte Schabenart aus Indien, läßt den auffallenden l'arbungsunterschicd beider Deckflügel erst im ge- spannten Zustand erkennen (Abb. 17). Häufig ist bei Blattiden der Hnkc Vordcrflügel bis zur Spitze derb, während der rechte in jenem Teil, der vom linken überdeckt wird, häutig bleibt. Das ist teilweise schon bei Pciiplaiiefa americana zu bemerken, besser ausgebildet aber bei Oxyhaloa, Hoiiialodiiiias (:;7/;7///j-(Kar ny , JenaischeDenkschr., XIII, 1908, p. 360, t. XXII, f 44) und namentlich bei Paraiiaitplwda (Brunner, Blattaires, 1865, p. 398). Von dieser Gattung bringe ich die Abbildung einer erst in den letzten Jahren be- schriebenen Art (Karny, Suppl. Entom., 4, 1915, p. 94), wobei allerdings zu bemerken ist, daß der häutige, durchsichtige Rand der rechten Flügel- decke leider stark herabgesunken ist (Abb. 17). Auch Phasmiden können ähnliche Erscheinungen auf- weisen, wie der australische Tropidodcrttschüdrcni zeigt (Brunner, Betracht, üb. d. Farbenpracht d. Insekten, Leipzig 1897, p. 13, t. IX, f. 103) (Abb. 18). Der rechte Vorderflügel ist in der äußeren Hälfte dick und hellgrün, während die innere Hälfte, die bei geschlossenen Flugorganen vom linken, fast gleichmäßig gefärbten Vorderflügel überdeckt wird, dünn und abgeblaßt ist. Im geschlossenen Zustand sieht man von den Hinter- flügeln nur einen Teil des Vprderrandes, der daher dieselbe Beschaffenheit wie die sichtbaren Partien der Elytren besitzt; die übrigen Teile der Flügel sind häutig und blaß. Die Asymmetrie tritt übrigens bei den Hinterflügeln noch deutUcher hervor und kommt auf dieselbe Weise wie bei den Elytren zustande. Es ist klar, daß derartige Ungleichheiten der F'lugorgane beider Seiten durch das Überdecktwerden der einen entstehen, da für diese eine stärkere Ausbildung unnötig ist. Die abweichenden Färbungen, namentlich aber die Durchsichtigkeit der bedeckten Teile, sind wohl durch die ausbleibende Belichtung zu erklären, da viele der in Betracht kommenden Arten höchst selten oder nur in der Nacht von ihren Flügeln Gebrauch machen. Asymmetrie als sekundärer Sexualcharakter erscheint wieder bei den Männchen der meisten geflügelten Laubheuschrecken. Auch hier über- deckt der linke Vorderflügel mehr oder weniger stark den rechten; das Vorhandensein eines Zirp- apparates an der Basis der Elytren bewirkt eine oft weitgehende Ungleichheit dieser Organe. Die obere P^lügeldecke ist derb und trägt die Schrillader, die untere erscheint dünn und durchsichtig und trägt die Schrillkante (Abb. 19 u. 20). Nebst einigen anderen Adern wird auch der sogenannte Spiegel zum Tonapparat gerechnet. Es ist dies ein von mehreren stark verdickten Adern begrenztes, durchsichtiges und manchmal stark glänzendes Feld an der Basis der Dorsalseite der rechten Flügeldecke, welches bei der Schallerzeugung in erster Linie die vibrierende Membran vorstellt. Das entsprechende F"eld der linken Flügeldecke ist verdickt. Bei den Männchen der meisten ge- flügelten Grillen sind aber beide Elytren gleich N. F. XVII. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 237 oder wenigstens fast gleich ausgebildet, nur Nemobiits hat Flügeldecken, die nach Farbe und Aderverlauf unsymmetrisch sind, daher an jene der Laubheuschrecken erinnern (Regen, Arb. Zool. Inst., XIV, Wien 1903). Wie bereits Werner angibt, sind die äußeren Genitalanhänge vieler Insektenmännchen asym- manchen Insekten stets unsymmetrisch gebaut, söbei Blattiden und Mantiden, ferner bei manchen Syr- phiden (Schiner) und Pipunculiden (Loewi, Carabiden, Wanzen (Hasej und bei verschiedenen Schmetterlingsgruppen (Scudder undBurgess, Chapmann, Poljanec). Der aus wachsartigen Drüsenaysschwitzungcn Abb. 17. Coivilia luifitialis und Paranaiipluhta ilulfordi, etwas verkleinert. (Phot. Dr. K. Miestinger.) Abb. iS. Tiopia.'deiHs ^chihh-cni, verkleinert. Nach Brui von Watten wyl. (Phot. Dr. K. Miestinger.) metrisch gestaltet i'l. c, Abb. 8 u. Abb. 9 auf p. 788). Unter den Blattiden haben namentlich viele Ectobiinae und Phyllodromiinae eine unsym- metrische Subgenitalplatte, iridem die ,beiden Styli ungleich groß sind oder indem einer davon fehlt (Shelford, Gen. Ins., Fase. 55, 1907 u. Fase. 73, 1908; Trans. Ent. Soc. Lond., 1906 u. 1912; Adelung, Bol. Soc. esp. Hist. nat., 1914, p. 137). Besonders auffallende Beispiele dafür bieten die Gattungen Tliegaiiupteryx, f/ciiiif/iyrsoctra und Escala {khh.' 21). Bei einigen Laubheusehrecken {Pnrdalota) ist die Supraanalplatte mit zwei un- gleichen Fortsätzen versehen (K n d e r I e i n , 1907). Auch der männliche Genitalapparat selbst ist bei gebildete Schild gewisser Schildlausweibcheii ist kommaförmig, das Tier selbst, welches nur das schmale Ende bewohnt, hat aber seine Symmetrie bewahrt (Bre hm 's Tierleben, II, 1915, pp. iSgbis 190) (Abb. 22). Es liegt also hier ein ähnlicher Fall vor, wie bei Insektenlarven in schneckenförmig aufgerollten Gehäusen (Werner, 1. c, p. 789). Nach Reh ist das krumme Wachstum der Schilde solcher Cocciden durch regelmäßige einseitige Bewegung des Tieres zu erklären. Die vorstehenden Betrachtungen haben ergeben, daß bei Insekten äußerliche Asymmetrie .sehr oft auftritt. Die zufällige Asymmetrie bewegt sich in sehr weiten (ircnzen, kann fast 238 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. \^ jeden Körperteil betreffen und ist teils auf indi- viduelle Variation, teils auf Monstrositäten und Regenerationsvorgänge, sowie endlich auf Herma- phroditismus zurückzuführen. Die gesetzmäßige Asymmetrie tritt, wie schon ihr Name andeutet, an bei einigen Orthopterenmännchen ist dann viel- leicht als Scheinwaffe aufzufassen (Werner, Naturwiss. Wochenschrift, 16, 19 17). Aber oft wissen wir über die Ursachen der Asymmetrie nichts Sicheres, so bei den Abdominalanhängen Abb. 19. Elytren von Tcttig, kleinert. (Nach Brunn Abb. 80. Elytren von Platycich rvescli von unten, vergrößert. {Nach Petrunkewitsch und v. Guaita). allen gleichen Individuen einer Art auf. In manchen P'äjlen ist ihre Entstehung auf verschiedene Lage und Funktion der Körperteile beider Seiten zurück- zuführen; das gilt für die Elytren der Orthopteren, sowie teilweise auch für die Mundteile mancher Insekten. Die stark verlängerte linke Mandibel Abb. 21. Iliülerleibsende von //«/«///yvjixY/rt histrio und von Escala longiitscnln, vergrößert. (Nach Shelford). Abb. 22. Weiblicher Schild von /.epiäo- saphes ulml, vergröflert. a. Larvenbaut, b. Schild des zweiten Stadiums, d. eigent- licher Schild. (Nach Fulmek). von Blattiden, Dermapteren [Aiäsolabis), Embien und anderen Insekten. Auch hier mag manchmal die Funktion (als Klammerorgan) die Gestalt be- einflußt haben, in anderen Fällen handelt es sich vermutlich um erblich festgehaltene Eigenschaften, deren Veränderung für die Tiere ohne Bedeutung Einzelberichte. Paläontologie. Beiträge zur Paläontologie und Stratigraphie des deutschen Oberen Muschel- kalks. Bereits Leopold von Buch hat in seiner Abhandlung „Über Ceratiten" (1849) auf die große Bedeutung der Ceratiten für die Stratigraphie des Muschelkalkes mit folgenden Worten hingewiesen: „Ceratiten werden immer und überall Hauptleiter zur Bestimmung der Formation des Muschelkalks bleiben." Eine ein- gehende Bearbeitung haben die deutschen Ceratiten durch Philip pi (1901) erfahren, dessen verdienst- volle Untersuchungen indessen sich leider zu wenig auf stratigraphisch gut gesammeltes Material stützen konnten. Dieser Aufgabe wird eine über- aus sorgfältige Studie von A. Riedel gerecht, die kürzlicli im Jahrb. d. Kgl. preuß. geol. Landes- anstalt für 1916, Bd. XXX VII, T. I, H. I, S. I — 116 erschienen ist. Riedel hat den Muschelkalk des nördlichen Harzvorlandes genau studiert und die dabei gewonnenen Ergebnisse auch auf entferntere Gebiete übertragen. Doch bedarf es nach An- sicht des Verfasseis nocli vieler Kleinarbeit in ganz Deutschland, zu der jeder in Muschelkalk- gebieten wohnende Sammler durch genaues horizontmäßiges Sammeln beitragen kann. Philippi hat die Zahl der in Sammlungen sich befindlichen deutschen Ceratiten auf 10 000 ge- schätzt, die leider nur zum geringsten Teile paläontologisch verwertbar sind. Die Braun- schweiger Sammlung besitzt allein 1600 meist gut gesammelte Stücke. Besonders zahlreich sind die Ceratiten im Oberen Muschelkalk vertreten. Bis- weilen können sie in gewissen Gesteinsbänken ein förmliches Pflaster bilden. Ihr Erhaltungszu- stand ist meist nicht besonders günstig, am besten noch in mergeligen Tonen. Vielfach wurden die Gehäuse vor der Einbettung durch das Meerwasser angeätzt, da Placunopsis ostracina unmittelbar den Steinkernen aufsitzt. Die Ceratiten unterscheiden sich wesentlich von anderen Ammoiiitengattungen und nehmen eine Sonderstellung ein. Aber auch • die deutschen Ceratiten sehen wesentlich anders aus als ihre alpinen, indischen, arktischen, japanischen und kali- fornischen Verwandten, so daß bereits Philippi und Diener vorgeschlagen haben, letztere in N. F. XVII. Nr. \^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 239 anderen Gattungen unterzubringen, zumal de Haan die Gattung Ceratites für germanische Formen aufgestellt hatte. Die Ceratiten haben in seichtem Meerwasser gelebt, was aus der begleitenden Fauna hervor- geht. P h i 1 i p p i und S o 1 g e r haben sie für trag kriechende Grundbewohner gehalten; diese Auf- fassung ist noch rein hypothetisch und unbewiesen. Die Anfangswindungen der Ceratiten sind glatt und evolut, nehmen aber dann mit weiterem Wachstum die Binodosus-Skulptur an. Riedel gliedert die Ceratiten in einen germanischen, mediterranen und alpinen Formenkreis. Die inner- halb des deutschen Muschelkalkverbreitungsge- bietes vorkommenden Ceratiten gehören für das ganze Gebiet dem germanischen- Formenkreis an. Außerhalb dieser Grenzen stoßen wir im medi- terranen und alpinen Muschelkalkvorkommen auf einen ganz anderen Formencharakter. Dem medi- terranen Formenkreise gehören die Vorkommen im Vicentin, in Sardinien, von Toulon und viel- leicht auch von Katalonien an. In der Dobrudscha kommt ein dem deutschen Formenkreise fast ent- sprechender Ceratit vor, der einen der wenigen stratigraphischenVergleichspunkte zwischenalpinem und germanischem Muschelkalk bildet. Während der germanische und mediterrane Formenkreis zusammengehören und die eigentlichen Ceratiten umfassen, stellt der 3. Formenkreis, der alpine, eine völlig selbständige Gruppe dar. Das von Riedel aufgestellte System der deut- schen Ceratiten, das in zweckmäßiger Weise von Stolley umgruppiert wurde, bringt einen großen Fortschritt in die von Philippi begonnenen stammesgeschichtlichen Untersuchungen der Cera- titen. Hinsichtlich ihrer Herkunft hält Riedel die Ceratiten im deutschen Muschelkalk für allochthon. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem alpin-pelagischen Triasmeere in das deutsche Muschelkalkmeer eingewandert. Die Ceratiten sind für den Muschelkalk leitend. Nur ein einziges Exemplar (Ceratites Schmidi) ist im Unteren Keuper (Lettenkohle) Thüringens ge- sammelt worden. Hier herrschten noch faziell ähnliche Verhältnisse wie im Muschelkalk. Die Ceratiten sind an der Wende vom Muschelkalk zum Keuper ausgestorben. Da man ihre Nach- kommen im außerdeutschen Verbreitungsgebiete nicht gefunden hat, können sie nicht ausgewandert sein. Als Schuld am Eingehen wird der Fazies- wechsel, von anderer Seite die in Riesenformen erschöpfte Lebenskraft angenommen. Stein - mann 's Hypothese von der Abstammung der „Kreide"-Ceratiten aus Triasformen verwirft auch Riedel völlig. Die meisten Ceratiten sind für gewisse engere Horizonte leitend und eignen sich sehr wohl für eine Gliederung der Ceratiten Schichten. Riedel schlägt für die über den Trochitenkalken liegenden Tonplatten oder Nodosusschichten die Bezeichnung (" erati tcn-Sch. vor, da C. nodusus, nach dem die Xodosus-Sch. benannt sind, nur für eine engere Zone innerhalb der Nodosus-Sch. leitend ist. Für eine durchgehende Zonengliederung der Ceratiten- Sch. empfiehlt Riedel folgende allgemeine Gliederung: III Obere Ceratiten -Seh., 40— 70 m über dem Trochitenkalk 3. Zone des C. dorsoplanusj 2. Zone des C. intermedius [ I. Zone des C. nodosus ) II Mittlere Ceratiten -Seh., 15 — 40m über dem Trochitenkalk 3. Zone d. C. spinosus 27 — 40 mlüber dem 2. Zone d. C. evolutus tenuis 22 — 27 m>Trochiten- 1. Zone d. C. compressus 15 — 22 m) kalk I Untere Ceratiten-Sch., 0—15 m über dem Trochitenkalk 3. Zone des C. robustus 12—15 mlüber dem 2. Zone des C. pulcher 6 — 12 m[Trochiten- I. Zone des C. atavus o — 6 mj kalk Die Grenzen des Meeres des deutschen Oberen Muschelkalks gibt Riedel im N durch den 55., im S durch den 47. Breitenkreis, im O durch den 6., im W durch den 19. Längenkreis an. Die Südgrenze erreicht nur im W den 47. Breiten- kreis, wird dagegen im O durch das Böhmische Massiv stark nordwärts beengt. Die Tiefe des Muschelkalkmeeres nimmt Riedel etwa derjenigen der heutigen Nordsee an. Gegen Ende des Oberen Muschelkalkes trat eine Verflachung des Meeres ein. In Schlesien und der Bayreuther Gegend er- folgte diese Verlandung zuerst (Fehlen der ganzen Ob. Cerat.-Sch.), etwas später bei Lüneburg und Berlin. Zur Zeit der Intermediuszone verlief die Nordgrenze ungefähr zwischen Harz und Weser- gebirge. Die jüngste Zone, die Semipartitus-Sch., fehlt im östlichen Thüringen und nördlich von Göttingen, dagegen ist sie im äußersten Westen bei Luneville gut entwickelt. Das Meer wich also immer mehr im N und O zurück, während es im südwestlichen Deutschland am längsten verweilte. In einer ebenda (S. 1 17— 143) erschienenen Mitteilung „Über einige Ceratiten des deutschen Muschelkalks" bringt E. Stolley wertvolle Er- gänzungen zu der Abhandlung von Riedel. Die Kontur des Mundrandes der Ceratiten entspricht ungefähr dem Verlaufe der Sichelstreifen von Ceratites flexuosus. Die Länge der Wohnkammer beträgt '7,-, bis \', des letzten Umganges. Ceratiten mit erhaltener Schale auf den inneren Windungen sind vorhanden. Die Formen der unteren Cera- titen-Sch. zeigen im Gegensatz zu Riedel's An- nahme noch keine Alters-(Nodosus-)Skulptur. E. Stolley hebt nochmals die von anderer Seite bestrittene, von Riedel mit Recht ver- fochtene Ansicht hervor, daß die Ceratiten für die engere Zonengliederung wichtige Leitformen bilden und ,,daß bestimmte .Arten und Artengruppen von Ceratiten enge Horizonte des deutschen 240 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XVII. Nr 17 Oberen Muschelkalks derart kennzeichnen, daß letztere auch an weit voneinander entfernten Ge- bieten und Lokalitäten bestimmt wiedererkannt werden können". Natürlicherweise ist eine Zonengliederung im mitteleuropäischen I^ias und Dogger mit seinem steten Wechsel der Fauna und Fazies viel leichter durchführbar als bei dem germanischen Muschel- kalk, dessen eintönige Gesteinsabsätze und Binnen- meerfauna eine genaue Gliederung sehr erschweren. Während dort eine reiche Fülle von Belemniten und Ammoniten eine weitgehende Gliederung er- möglicht, ist man hier einzig und allein auf die Gruppe der Ceratiten angewiesen. Deshalb muß man auf ihre genaue Unterscheidung besonderen Wert legen. Den gründlichen, überaus sorgfältigen Untersuchungen von Riedel und Stolley ist warme Anerkennung zu zollen. Durch exaktes Aufsammeln im Anstehenden und peinlich genaues Etikettieren kann jedermann zur weiteren Kennt- nis der Ceratiten beitragen. Dann ist für eine spätere Monographie gutes Material vorhanden. Hohenstein, Halle. Physiologie. Bedeutungsvolle Beiträge zur Erkenntnis der Xierentätigkeit haben C. Schwarz (VVien) und W. W i e c h o w s k i (Prag) geliefert.^) Als Indikator der Nierentätigkeit dient uns die Menge und die chemische Zusammensetzung des Harnes. Der Harn gelangt aus der Niere in die Harnleiter und von hier in die Blase, in der er festgehalten wird. Ist ein bestimmter Füllungsgrad der Blase erreicht, so läßt der Schließmuskel der Blase nach und der Harn wird durch die Aktion der muskulösen Schichten der Blasenwand nach außen gepreßt. Es ist nun klar, daß wir über die zeitlichenVer- h ä 1 tn i s s e der Nierentätigkeit keinen Aufschluß ge- winnen können, wenn wir uns damit begnügen wollen, den aus der Blase fließenden Harn nach Menge und Zusammensetzung zu beurteilen. Wir müssen viel- mehr eine Versuchsanordnung schaffen, bei welcher der aus der Niere kommende Harn ungehemmt nach außen abfließen kann. Man hat diesen Zweck zu erreichen versucht, indem man Katheter oder Kanülen in die ableitenden Harnwege ein- band. Das Versuchstier muß dabei operativen Eingriffen, manchmal sogar sehr schwerer Art, unter- worfen werden. Es muß gefesselt und narkotisiert werden. Das alles kann aber für die Nierentätig- keit nicht gleichgültig sein. Man gewinnt unter solchen Versuchsbedingungen — das muß von vornherein angenommen werden — ein ganz falsches Bild von der Tätigkeit der Niere. Es sind zahlreiche Versuche unternommen worden, um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen und eine permanente Blasen fistel bei Versuchstieren anzulegen, durch die der Harn nach außen abfließen kann, sobald er aus der ') C. Schwarz (Wien) und \V. Wie cho wski (Prag), Metliodc zur Anlegung einer permanenten Blasenfistel. Zentral- Mat( für l'hysiologie, Bd. XXVIU Nr. S., iqiy, Niere in die Blase gelangt ist. Keiner dieser Methoden war ein voller Erfolg beschieden. Schwarz und Wiechowski haben nun eine neue einfache Methode zur Anlegung einer perma- nenten Blasenfistel angegeben. Es handelt sich im wesentlichen darum, daß in die Blasenwand eine silberne Kanüle eingeführt wird. Die Kanüle geht durch Blasenwand und Bauchdecke hindurch und wird an der letzteren fixiert. Die Kanüle kann mit einem Hahn versehen werden, so daß man im Versuch den Harn in beliebiger Zeitfolge aus der Blase abfließen lassen kann. Die ganze Operation kann in 15 — 20 Minuten ausgeführt werden. Die Tiere erholen sich von derselben schnell und können schon nach 24 Stunden zu Versuchen verwendet werden. Sie können viele Monate nach der Operation am Leben erhalten werden. Allerdings kommt es früher oder später zu einer Entzündung der Blase, die ja auch beim u \ n ^-> _^ 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 je 10 Minuten. .■\bb. I. Xicrensekrction bei einem Iluudc 20 Stunden nacli der letzten Nahrungsaufnahme. Die Harn- menge, die in 10 Minuten aus der Blase abfließt, schwankt innerhalb sehr enger Grenzen. Von den ersten 20 Minuten abgesehen, beträgt die Schwankung nur 1-2 Zehntel Kubik- zentimeter. Gezeichnet nach den Zahlen von Schwarz und Wiechowski. Menschen gegen Bakterien sehr empfindlich ist. Es läßt sich nicht vermeiden, daß Bakterien durch die Kanüle in die Blase eintreten. Aber die Ent- zündung tritt niemals früher als am achten Tage nach der Operation ein, so daß man noch Zeit genug findet, um seine Beobachtungen an einem völlig gesunden Versuchstier zu machen. Die Autoren heben übrigens hervor, daß auch die an Blasenentzündung erkrankten Versuchstiere noch monatelang keine Störungen der Harnsekretion oder wahrnehmbare Störungen des Wohlbefindens aufweisen. Schwarz und Wiechowski haben an ihren Versuchstieren eine Reihe von Beobach- tungen angestellt, die außerordentlich interessante Ergebnisse gezeitigt haben. Schon ihre wenigen Versuche haben uns ein so klares Bild der zeit- lichen Verhältnisse der Nierentätigkeit vermittelt, wie es bisher keine andere Methode vermocht hat. Wir wollen die Befunde durch einige Kurven- bilder veranschaulichen, die wir nach den Zahlen von Schwarz und Wiechowski gezeichnet liaben. Abb. i stellt den Verlauf der Harnsekretion bei einem 8 kg schweren Hunde dar, der drei Tage vorher operiert wurde. Die letzte h'ütterung fand 20 Stunden vor dem Versuch statt. Der Harn wurde alle 10 Minuten au.s der Blase heraus- N. F. XVII. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2.41 gelassen. Von den ersten 20 Minuten abgesehen, erscheint die Harnsekretion von einer sehr großen Regelmäßigkeit. Im Laufe von über 3 Stunden schwankt die innerhalb 10 Minuten abfließende Menge nur um Bruchteile eines Kubikzentimeters. Der Versuch sagt uns gleichzeitig, daß die Tätig- keit der Niere ununterbrochen vor sich geht. Unter dem Einfluß der Nahrungsaufnahme ver- ändert sich jedoch das Bild. In Abb. 2, untere Kurve, wird der Versuch 20 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme begonnen. Im Laufe von etwa 1 ' „ Stunden schwankt die Harnsekretion nnerhalb sehr enger Grenzen wie in Abb. I. nähme ist die Harnsekretion ganz außerordentlich vermehrt, beginnt aber jetzt abzuflauen. In ganz anderer Weise reagiert die Niere auf die Aufnahme von Wasser. Das zeigt uns Abb. 3. Der Hund sezernierte 20 Stunden nach der letzten Fütterung etwa 4 ccm Harn in 10 Minuten. Nachdem seine Harnsekretion im Laufe von 50 Minuten lang nur geringe Schwankungen aufwies, bekam das Tier ICO ccm Wasser zu trinken. Beinahe augenblick- lich steigt die Harnsekretion außerordentlich an. Nach einer halben Stunde ist der Höhepunkt er- reicht. Innerhalb der ersten Stunde nach der Aufnahme des Wassers hat mehr als die Hälfte 5 Sluüdea nach q' der letzten Fütterung. ^' 9.0 8,0 7,5 7,0 6,5 6,0 5,5 5,0 \i 'r.t 3,5 3,0 2,s 2,0 20 Stunden nach ^ ^ er letzten Fütterung. ^ ,' 3 0,'5 s s ti'sys?^ \i X At A-. ^ ^zs z ^'^ 7 ^ ^"^ ^^ /^^^ L «L _^ ^ m 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 H 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Ih 25 je 10 Minuten. Abb. 2. Nierensekretion bei einem Hunde unter dem Ein- fluß der Nahrungsaufnahme. Zwischen 9 und 10 (untere Kurve) erhielt das Versuchstier 200 g Fleisch. Die Nierensekretion steigt allmählich an. Die obere Kurve stellt die Nierensekretion des Hundes 5 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme dar. Die Nierensekrelion ist außerordent- lich gesteigert, ist jedoch wieder im Abflauen begriffen. Ge- zeichnet nach den Zahlen von Schwarz und Wiechowski. Nun bekommt das Tier (zwischen 9 und 10) 200 g Fleisch zu fressen. Die Harnsekretion steigt all- mählich an. Nach 2'/., Stunden (25) wird mehr als dreimal so viel Harn sezerniert als vor der Nahrungsaufnahme. Dieses allmähliche An- steigen der Harnsekretion steht wohl mit den zeitlichen Verhältnissen der Verdauung und Resorp- tion im Zusammenhang. Die Tätigkeit der, Niere wird umsomehr in Anspruch genommen, je weiter die Verdauung fortgeschritten ist und je mehr von den Bestandteilen der Nahrung zur Resorption gelangt ist. Der Höhepunkt der Nieren- sekretion wird erst einige Stunden nach der Nahrungsaufnahme erreicht. Wie sehr die Harn- sekretion unter dem Einfluß der Nahrungsaufnahme ansteigen kann und wie lange dieser Anstieg an- hält, zeigt uns die obere Kurve der Abb. 2, die einem anderen Versuch an demselben Hunde ent- spricht. Noch s Stunden nach der Nahrungsauf- desselben schon die Nieren passiert.- — Abb. 4 zeigt uns den Einfluß der xAthernarkose auf die Nierensekretion. Es ist bekannt, daß eine Reihe von Stofi'en, so das Koffein und das Theobromin, die Nierensekretion anzuregen vermögen. Wie aus der Abb. 4 ersichtlich, ruft der Äther im Gegen- satz dazu eine sehr deutliche Verminderung der Harnsekretion hervor. Die Äthernarkose wurde 40 Minuten nach Beginn des Versuchs eingeleitet. Schon etwa 10 Minuten später macht sie sich in der Harnsekretion bemerkbar. .Nach 40 Minuten wird die Narkose wieder aufgehoben. Es dauert jedoch noch weitere 20—30 Minuten, bis die Harnsekretion wieder ihren früheren normalen Stand erreicht hat. Auch Morphium hemmt die Harnsekretion. In welcher Weise diese Stoffe zur Wirksamkeit gelangen, ist eine Frage für sich. P^s ist niclit ausgeschlossen , daß der .\thcr direkt auf die sezernierenden Nierenzcllcn wirkt, indem 242 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 17 er ihre Drüsentätigkeit lähmt. Von großem Inter- esse wäre es, auch den Einfluß des Alkohols auf die Nierensekretion mit der Methode von Schwarz und Wiechowski zu untersuchen. Die Tatsache, daß Nierenentzündungen zu den Erscheinungen des chronischen Alkoholismus gehören, macht es wahrscheinlich, daß der Alkohol direkterweise 2V - ^ 22 16 15 H 13 12 ]\ 10 1 / / / ■ \ ^ s / > \ / \ 1 / \ / / / , 1 / s y / 1 I 12 3 4 5 6 7 8 9 101112 13^151617 je 10 Minuten. Abb. 3. Niere nsekrction bei einem Hunde unter dem Ein- fluß von Wasser. Nach 5 bekommt der Hund 100 ccm Wasser zu trinken. Die Harnsekretion steigt sofort an und erreicht schon in einer '/» Stunde den Höhepunkt. In l Stunde ist die Hälfte des Wassers wieder ausgeschieden. Gezeichnet nach den Zahlen von Schwarz und Wiechowski. I 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1112 13 IV je 10 Minuten. Abb. 4. Nierensekretion bei einem Hunde unter dem Ein- fluß der Äthernarkose. Bei 4 beginnt die Narkose. Nach 10 Minuten tritt eine Verminderung der Harnsekretion ein. Bei 8 wird mit der Narkose aufgehört. Der lähmende Einfluß des Äthers hält noch etwa '/» Stunde an. Gezeichnet nach den Zahlen von Schwarz und Wiechowski. auf die Tätigkeit der sezernierenden Nierenzellen einwirkt. Die Versuche von Schwarz und Wiechowski sind eine wertvolle Bereicherung unserer Kennt- nisse von der sekretorischen Tätigkeit der Nieren. Sie zeigen uns, daß die Nierentätigkeit ununter- brochen vor sich geht und daß sie unter dem Einfluß der Nahrungszufulu in gesetzmäßiger Weise verändert wird. Ihre Methode gibt uns ein Mittel in die Hand, die Tätigkeit der Niere in vollkommenerer \yeise zu untersuchen, als es bisher der Fall war. Überblickt man die hier mit- geteilten Versuche von Schwarz und Wie- chowski mit genügendem Verständnis, so wird man einsehen, daß jeder dieser Versuche ein ganzes Arbeitsprogramm enthält. Es kommt jetzt darauf an, die sekretorische Tätigkeit der Nieren in ihrer Abhängigkeit von der Art und Menge der Nahrung zu untersuchen, den Einfluß, den verschiedene Gifte auf die Nierentätigkeit aus- üben, den Einfluß der anderen Organe, so der Organe des Blutkreislaufs und der tätigen Muskeln, auf die Nierentätigkeit und schließlich den Mechanismus der Nierentätigkeit unter normalen und pathologischen Bedingungen. A. Lipschütz, Bern. Meteorologie. In „Mistpoeffer-Erscheinungen an der holländischen Küste infolge einer nord- englischen Explosion" N. 51 1917 d. Bl. S. 721 wird die abnorme Hörweite der Explosion auf den besonderen Verlauf der Schallstrahlen zurück- geführt. Entsprechendes vertrat in der Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften am 24. Dezember 191 7 V. Schaffers. Sein Haus be- findet sich in Sussex (England) in 140 m Meeres- höhe, 5 km von der Küste und 165 km von der flandrischen Front. Er und seine Nachbarn hörten oft im Sommer 1915 mit aller Dautlichkeit das Geschützfeuer, dagegen nur selten im folgenden Winter. Wie man wisse, habe das Bombardement an der Somme durch seine Intensität im Sommer und Herbst 1916 die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im Juni und Juli habe indes beständig Westwind geherrscht und nur an 4 Tagen Ostwind. Im September und Oktober sei es nicht viel anders gewesen. Merkwürdiger- weise war im folgenden Winter und Frühjahr vom Kanonendonner fast gar nichts zu hören. Es war beide Mal anormal kalt. Sie hätten das Bom- bardement nicht gehört, welches mit der englischen Offensive bei Arras im April 191 7 verbunden war. Im Sommer hörte er das Geschützfeuer von neuem,, aber weniger häufig als 1916. Nicht ein einziges Mal wurde es mit Sicherheit gehört bei Ostwind. Die Luftströmung scheine kein unüberwindliches Hindernis zu sein. Mehr als einmal, besondersam 16., 18., 23. und 24. August 191 7 habe er das Geschützfeuer in windstillen Intervallen, selbst bei richtigem Sturm, gehört. Name man nun an, daß die Abnahme der höheren Lufttem- peratur über dem Erdboden und die Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe nicht allein, wie man sagt, bewirken, daß die ankommenden Schallwellen hinter die Front zum Ausgangspunkt zurückgeworfen werden, sondern daß auch die ankommenden Schallstrahlen, wenn sie unter einem bestimmten Neigungswinkel einfallen, so würden beide Ursachen gleichsinnig auf den Schall einwirken; sowohl dort, wo er entsteht. N. F. XVII. Nr. 17 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 243 als dort wo er ankommt. In den letzten 20 Jahren habe man sich vielfach mit den mysteriösen Schallerscheinungen befaßt, wnlche man bei ruhigem und warmem Wetter bisweilen an der flanderischen Küste hörte; man habe geglaubt, dieselben rührten von Schießübungen oder Stürmen in der Nachbarschaft her, bis sich diese Annahme als irrig herausstellte, da es sehr leicht war sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der gegenwärtige Krieg habe gezeigt, daß die Schallquelle viel weiter entfernt gesucht werden müßte, als man bisher geglaubt hätte. Hierher gehörten auch die „Mistpöfifers" an der flandrischen Küste; auch sie wären zu hören bei warmem Wetter und Ostwind; und rührten offenbar von Schüssen im Astuarium der Themsemündung oder im Ärmel- kanal her. Kathariner. In einer Untersuchung über die Nebelbildung über Land und Meer weist W. Koppen (Met. Zeitschr. 34, 209, 191 7) darauf hin, daß die Ur- sache der Entstehung von Nebel über kalten Flächen bisher noch völlig ungeklärt ist. Insbe- sondere ist noch nicht erforscht, welcher Gegen- satz besteht gegenüber den für die Taubildung günstigen Umständen. — Einen Beitrag zur Er- kenntnis dieser Verhältnisse kann möglicherweise die Beobachtung der eigenartigen Abgrenzung der Gebiete mit vorwiegend sommerlichen bzw. winter- lichen Nebeln bieten. Es zeigt sich nämlich, daß die Sommernebel an das Meer, die Winternebel aber an das Land gebunden sind. Die Grenzen zwischen beiden Gebieten schmiegen sich sehr genau den Festlandsgrenzen an. Besonders gut ist das Phänomen an der englischen und schot- tischen Küste zu beobachten. Hier zeigt sich an Orten, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind, der jahreszeitliche Unterschied mit außerordentlicher Schärfe. — Ein eingehendes Studium dieser Erscheinungen ist nicht nur von theoretischem, sondern auch von großem prak- tischen Interesse. Die bei ruhiger klarer Wetter- lage im Winter auftretenden Landnebel sind außer- ordentlich gefährlich für die Seeschiffahrt, da sie bei klarer Sicht auf See doch die nahe Küste verbergen. — Für die Prognose sind noch die durch plötzlich auftretenden Seewind an Land getriebenen nassen Seenebel wichtig. Sie ent- stehen, wenn die Luft feucht und viel wärmer als das Meer ist, d. h. bei Süd- und Südwestwinden. In ihrem Gefolge tritt daher gewölinlich schlechtes Wetter ein. Scholich. Die außerordentliche Ausdehnung des Flug- wesens hat zur Folge gehabt, daß man sich be- müht, die im Luftmeer herrschenden Verhältnisse eingehend zu erforschen. Unter anderem spielt die Untersuchung der Struktur des Windes eine wesentliche Rolle ; drei Bestimmungsstücke kommen hier in lietracht: 1. die Windrichtung, wie wir sie an der Windfahne ablesen, z. die Geschwindigkeit, deren seitlicher Mittelwert meistens mit Hife des Schalenkreuz-Anemometers gemessen wird, 3. die Neigung des Windes gegen die Horizontale, die man bisher selten berücksichtigt hat. Hierdurch ist der Wind vektor vollständig bestimmt. Nun zeigt aber schon die Beobachtung einer Windfahne oder die Abschätzung der Windgeschwindigkeit mit Hilfe des Druckes, den er auf unser Gesicht ausübt, daß diese Größen nicht konstant sind ; sie ändern sich vielmehr von Augenblick zu Augen- blick, der Wind ist stets böig. Zur Erforschung der Windstruktur bedarf man demnach eines Appa- rates, der möglicht schnell die Änderungen aller drei Komponenten des Windvektors anzeigt, und zwar wird es praktisch sein, den Apparat so aus- zubauen, daß eine Fernanzeige der Meßresultate auf erhebliche Entfernung möglich ist. H. Gerdien (Berlin) beschreibt in der Physikal. Zeitschr. XIV (1913) S. 1161 den Luftgeschwindigkeits- messer der Firma Siemens u. Halske. Während die meisten Böenschreiber auf der Messung eines Druckes beruhen, mißt der in Rede stehende Apparat die im Winde transportierte Luftmenge und zwar dadurch, daß er die ab- kühlende Wirkung des Windes auf einen elektrisch geheizten Draht und die da- mit verbundene Änderung seines Wider- standes benutzt. Nach mancherlei Schwierig- keiten kam man zu folgender Anordnung: In einem Hohlzylinder aus gut wärmeleitendem Material (massiven Kupferplatten) ist im Achsen- schnitt als Hitzdraht ein dünner Platindraht in mehreren hintereinander liegenden Zickzacklinien ausgespannt; hinter dem ersten liegt ein zweiter genau gleicher. Beide werden elektrisch erwärmt. Dringt der Luftstrom in die Kammer, so streicht er zunächst an dem ersten Draht vorbei, erwärmt sich dabei, so daß wenn er nun zum zweiten kommt, dieser weniger stark abgekühlt wird als der erste. Es entsteht so eine allein von der Luftgeschwindigkeit abhängige Widerstandsdiffe- renz zwischen den beiden Drähten. Bilden diese zwei Zweige einer Wheatstone'schen Brückenan- ordnung, so macht, wenn Luft durch den Apparat hindurchströmt, das Brückengalvanometer einen Ausschlag. Seine Skala kann direkt in Luftge- schwindigkeiten geeicht werden. Am besten schließt man den Apparat durch Rohrleitungen an einem dem Winddruck ausgesetzten Staukörper an und zwar wählt man als solchen praktisch eine flache Kreisscheibe mit verhältnismäßig hohem Rande, da bei dieser Gestalt eine mäßige Abweichung der Windrichtung gegen die Normale kaum ins Gewicht fällt. Der Staudruck an der Vorderseite der Scheibe und ebenso der an ihrer Rückseite auftretende Saugdruck sind dem Quadrate der Luftgeschwindigkeit proportional. Der Anemoklinograph, der zur Messung der drei Komponenten des Windvektors dient, ver- wendet zwei Hitzdrahtapparate, die durch eine Windfahne um eine vertikale Achse drehbar an- geordnet sind. Der erste mißt unter N'erwendung 244 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. der Stauscheibe, die durch die Windfahne immer normal zur Windrichtung gestellt wird, die Wind- geschwindigkeit. Der zweite Apparat dagegen reagiert nur auf Abweichungen der Windrichtung von der Horizontalen. Der drehbare Teil des Anemoklinographen ist mit einer einfachen elek- trischen Vorrichtung zur Fernanzeige der Wind- richtung ausgestattet. Wenn auch die Einstellung der Windfahne in die Windrichtung wegen Träg- heit und Reibung etwas verzögert wird, so liefert der Apparat doch hinreichend gute Momentanwerte. Für das Studium der Windstruktur genügt Augen- ablesung der Instrumente im allgemeinen nicht, da die - zeitliche Änderung des Windvektors von wesentlicher Bedeutung ist. Man muß daher selbst- registrierende Apparate benutzen. Man verwendet zu dem Zweck statt der Galvanometer mit Zeiger- ablesung drei Oszillographen-Meßschleifen, welche auf einem mit einigen Millimetern pro Sekunde fortbewegten Streifen photographischen Papiers registrieren. (OC) K. Seh. Physik. Einen Beitrag zur Berechnung der Explosionstemperatur von Explosivstoffen mit festen Rückständen geben Franz Hofwimmer und Dr. F"ritz Heckel in Heft 20, 12. Jahrg., 191 7, der „Zeitschrift f. d. gesamte Schieß- und Sprengstoff- wesen". Die Explosionstemperatur errechnet sich aus folgender F'ormel: c wobei y die entwickelte Wärmemenge und c die mittlere spezifische Wärme der Zersetzungspro- dukte bedeuten, c ist jedoch keine Konstante, sondern eine Funktion der Temperatur t, und zwar nicht unbeträchtlich wachsend mit zu- nehmender Temperatur. Man nimmt an, daß der Wert von c für jede Temperatur durch die Formel 2. c = a -f bt dargestellt wird, worin a und b empirisch er- mittelte Größen bedeuten. Die Werte für b werden nun allgemein bei der Berechnung der Explosions- tempcraturen von Sprengstoffen mit festen Rück- ständen ungerechtfertigterweise vernachlässigt. Die Verfasser zeigen in ihrer Abhandlung den gewaltigen Einfluß dieser Koeffizienten auf die Berechnung der Explosionstemperatur und suchten sich vor allem über die Explosionstemperatur von ver- schiedenen aluminiumhaltigen Ammonsalpeter- stoffen Klarheit zu verschaffen. Die nachstehende Tabelle I enthält die für die Berechnung benutzten Daten: Tab. I. ') Idungs Aluminium — Aluminiumoxyd 3S0,. Spc ciup.-Kuctl. 1. ■ spez. Wärme pro Mol = b Für beide Körper ist b = r^^Kji gesetzt, wie dies bei Wasser und Kohlensäure wirklich zutrifft. Diese Werte für b sind im Vergleich zu den sonst in der einschlägigen Literatur vorzufindenden sicher- lich eher zu niedrig als zu hoch gegriffen. Setzen wir den in Formel 2 ermittelten Wert für c in Formel i ein, so ergibt sich y _— a+l a-^+4bC) ^- a + bt^ 2 b Nach dieser F'ormel und unter Benutzung der in Tab. I enthaltenen Daten wurden einige Be- rechnungen durchgeführt. Als erstes Beispiel wurde ein Sprengstoff von der Zusammensetzung 3 NH^NOg + 2 AI gewählt und angenommen, daß er nach folgender Gleichung zerfällt 3NH2NO,-f2Al=Al,03+6H20+3N2+464,2Kal. (bei konstantem Druck). Bei konstantem Volumen berechnen sich 469,3 Kai.; dieser Wert wurde bei den Berechnungen berücksichtigt. Es ergeben sich dann für ein kg unseres Sprengstoffes folgende Daten: Tab. II. I. II. ykv 1596 1596 v„ 683 683 t •2855 :J340 f 782« 1)033 ') Nur ein Urigin.nls. Kcf. Okv = Wärmeentwicklung bei konstantem Vo- lumen in Kai. V„ = Gasvolumen bei O " und 760 mm einschließ- lich des Wasserdampfes in Litern, t = Explosionstemperatur in C. f = Gasvolumen in Litern bei der Explosions- temperatur. Die Werte unter I sind erhalten bei Berück- sichtigung von b für AI und Al.jOo. Die unter II ohne Berüchsichtigung von b für AI und Al.^O^. Diese Bezeichnungsweise ist in der Folge bei- behalten. Noch deutlicher ist der Unterschied bei dem Sprengstoff mit der Zersetzungsgleichung: NHjNOi, + 2 AI = Al.,03 -I- N, + 2 H,,. Tab. III. 1. II. yu 2188 2188 Vo 500 500 t 3521 6355 f 6949 12139 .Am augenfälligsten tritt dieser Unterschied bei der Verbrennung von Aluminium in flüssigem Sauerstoff zutage. Es errechnet sich nämlich eine Temperatur von ungefähr 4800 " mit Berück- sichtigung von b und 18700 " ohne Berücksich- tigung von b. Durch letztgenannte Temperatur würde sogar die unserer Sonne weit in den Schatten gestellt werden. Zum Schluß geben die Verfasser noch eine N. K. XVil. Nr. \^ Maturwissenschaftliche Wochenschrift. 245 Berechnung der Kxplosiunsteinperatur des T-Ain- monals, eines in Österreich vielfach verwandten Sprengstoffes. Zur Berechnung wurde die folgende Zersetzungsgleichung benutzt, deren Richtigkeit aber wohl angezweifelt werden kann. 575 NH,NO, -f 20 C,.H.O., + 407 AU + 132 C„H.,(N0,)3CH.. = 773 N; + 407 AIÖO3 + 312 CO., + 712 CO + i54nH.,. t f Tab. IV. I. 1502,6 744.8 3074 9131 1502,6 744.8 4077 11 S65 Ein anderer AmmonalSprengstoft' ergab die in Tab. V angeführten Werte Tab. V. I. II. Qk, 1551.8 1551.8 V„ 680,7 680,7 t 3017 3815 f S204 10193 Die Verf weisen am Schlüsse ihrer Ausfüh- rungen nochmals ausdrücklich darauf hin, daß die von ihnen verwandten Daten für die b- Werte von Aluminium und Aluminiumoxyd den wahren Wert sicherlich nicht erreichen. Außerdem wurde die Schmelzwärme des Aluminiumoxyds, die ja genau so wie die Verdampfungswärme des Wassers in Abzug zu bringen wäre, mangels Kenntnis derselben bei allen angeführten Beispielen vernachlässigt. Aus den Berechnungen ist aber jedenfalls ein- wandfrei zu ersehen, daß man keinesfalls berech- tigt ist, die wahre spezifische Wärme der festen Bestandteile der Explosionsprodukte zu vernach- lässigen , und wie wichtig die Berücksichtigung derselben für die Berechnung der Explosions- temperatur und des davon abhängigen Maximal- druckes ist. (gX.) f. H. Zoologie. Dem großen Reichtum an indivi- duellen und Standortsvarietäten unserer Binnen- mollusken wieder einmal einen allgemeinen Ge- sichtspunkt abzugewinnen, ist Otto Buchner gelungen, indem er dem einfachsten Gedanken nachging und sich nach den Größenextremen innerhalb der einzelnen Arten fragte. Aus vielen Beispielen und Abbildungen, die der Verfasser gibt, geht hervor, daß die Größenextreme bei unseren Land^ und Süßwassermolluskenarten oft weitgehend auseinanderfallen. Größere Arten ändern in dieser Hinsicht mehr ab als kleinere, und die Landniollusken mehr individuell als die Süß- wasscrmollusken, die Jiiehr nach Standorten ver- schieden sind. Das Verhältnis i : 3 der linearen Maße der kleinsten Gehäuse zu denen der größten wird von manchen Heliciden erreicht, von manchen fast I ; 4. Bei Arianta arbustorum L. und Helix pomatia L. kann man bequem die kleinsten Stücke in der Mündung der größten unterbringen. Beide hier abgebildeten Stücke von Helix (Helicogena Riss.) pomatia stammen aus der Schwäbischen Alb. ^^^■^ 1 i^sKr» Abb, 2. ^^K^^'äH^I a) Limnaea palu- stris var. eorvus ^^^^^«i*''3BE*y^ Gmel. von Zu- N,^k£^s^r ravno in Ga- lizien. ..\bb. I.- b) Limnaea palu- a) Helicogena pomatia L., riesig, stris var. sibi- von Tuttlingen in der Schwäbi- rica Clcss. von schen Alb. Uleaburg in b) Dieselbe Art, zwerghaft, von Finnland. Nach Oberwilzingcn in der Schwäbi- Büchner. schen Alb. Xach Buchner. Vcrltleinertauf^/j. Verkleinert auf ''/i. Eine Ausnahme unter den kleineren Arten ist insofern, als auch sie Riesen und Zwerge aus- bildet, die turmförmige Cionella lubrica Müll., wo allerdings bei den größten Stücken außer propor- tionaler Vergrößerung die Anfügung eines weiteren Umgangs ') hinzukommen mag. Sehr erheblich variieren auch Limnaea stagnalis und Limnaea palustris. Noch viele Beispiele werden erwähnt. Unter den Muscheln sind die größten Anodonta cygnea L. vier- bis fünfmal so groß als die kleinsten, die L i n n e Anodonta anatina nannte. Die kleineren Wasserschnecken und Wassermuscheln zeigen gleich den kleineren Landschnecken nur geringe Größen- variationen, so die Sphärien und Pisidien bis zum Verhältnis i : 2. I'ür die Vergleichung sind selbst- redend stets nur ausgewachsene Stücke verwendet worden.-) V. Franz. ') Dies ist bei manchen Arten, wie Clausiliutn, gelegent- lich als individuelle Abänderung oder „forma" auftretende Eigentümlichkeit. 2) Nachrichtsblatt der Deutschen Malakozoologischen Ge Seilschaft, 49. Jahrgang, Heft IV, 1917, Seite 167 bis 185. Bticherbesprechuiigen. B61a Reves: Geschichte des Seelenbe- griffs und der Seelenlokalisation. Stuttgart, Ferdinand Enke, 1907, 310 Seiten. Preis : geh. 8 M. In dem Buche von BelaRöv^sz, dem durch physiologisch-psychologische Untersuchungen be- kannt gewordenen Arzt, werden der Reihe nach die Ansichten über den Seelenbegriff und die Seelenlokalisation bei den wichtigsten Philosophen von Thaies (624—548 v. Chr.) bis zur Gegen- 246 Nalurwissensciiaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. wart angeführt. Der sehr belesene Verfasser er- öffnet den das Altertum behandelnden Teil mit einem Abschnitt über die im Mythos und in der alten Poesie der Griechen herrschenden Vorstellungen von der Seele und behandelt in verhältnismäßig gleichem Umfange Altertum — das heißt das griechische Altertum — Mittelalter und Neuzeit; auch die kirchliche sowie die arabische und jüdische Philosophie des Mittelalters wird besprochen. Nur geringen Raum nehmen Rückblicke und die Suche nach Gesetzmäßigkeiten in dem behandelten Teil der Wissenschaftsgeschichte ein. In letzterer Hin- sicht ergab sich etwa Folgendes. Gleichwie das Kind anfangs seine Umgebung kennen lernt und erst später sein Ich gewahr wird und sich nach dessen Einordnung in die übrige Welt fragt, so war für die Alten bis zu den Atomisten im wesentlichen nur die Umwelt Forschungsproblem, ihr psychologisches Denken ging daher darauf aus, Seele auch im Kosmos zu finden und sie materia- listisch zu erklären. Erst von Piaton (328 — 347) ab wird mehr das Seelische selbst zum Problem. Wie jede Wissenschaft, so schreitet fernerhin auch die Seelenlehre im allgemeinen vom Subjektiven zum Streben nach Objektivismus fort; unterdessen besitzen heute noch „ganze Gelehrtenkreise" — damit sind aber wohl nicht philosophisch geschulte gemeint — ja Völker und Nationen, also der größte Teil der Menschheit, den Seelenbegriff der homerischen Zeit. Materie und Psyche waren für das Altertum, ausgenommen vielleicht Anaxa- goras (etwa 500 — 427) und den Aristoteliker Dikaiarchos (im 4. Jahrh. v. Chr.), für den Seele nur ein Wort ohne Inhalt war, einander nicht wesensfremd. Aus kirchlichen Gründen — Unsterblichkeit — verfiel im Mittelalter Thomas von Aquino (1226-1274) auf seine Lehre von der Immaterialität derSeele. Descartes(i596 — 1650) war unleugbar Materialist, für Spinoza (1632 — 1677) war das Denken das Attribut aller Materie, für Hobbes (1588— 1679) sind alle seeli- schen Vorgänge Bewegung. Bis dahin also war die Seele für viele Philosophen etwa das energetische Prinzip der Welt, für viele auch das Prinzip des Lebens. Erst Locke (1632 — 1704) identifizierte Seele und Bewußtsein und begründete damit die Erkenntnistheorie. Ihm folgten Kant und die Idealisten. Die moderne Naturwissenschaft mußte Locke Recht geben. Die Geschichte des Seelenbegriffs geht jedoch nicht geradlinig ihren Weg, sondern sie ist, wie überhaupt die Geschichte der Philosophie nach Lange oder wie die Geschichte der biologischen Theorien nach Rädl, die Geschichte der einzelnen Denker, und diese sind teils Kinder ihrer Zeit, teils haften sie an irgendwelchen von ihren Vor- gängern. Die Atomistik eines Leukippos und Demokritos (um 400 v. Chr.) lebte fort in zahl- reichen Materialisten der Neuzeit. Haeckel würde ich hier anreihen, während Revesz dessen Lehre mit der des Empedokles (504 — 443) vergleichen will. Wenn man will, kann man eine ähnliche Auffassung von der .Seele wie die heute herrschende schon bei dem oben erwähtiten Dikaiarchos erkennen. Die Vermutung, daß die Seele ihren Sitz im Gehirn habe, tritt zwar bei Pythagoras und den Pythagoräern auf, aber ohne genügende Be- weisgründe und mit dem von dem heutigen noch verschiedenen Inhalt des Seelenbegrififs, weshalb sie keineswegs durchdrang: Aristoteles (384 — 322) suchte den Sitz der Seele im Herzen; das Gehirn sei kalt, drüsig und diene der Abkühlung des Blutes. Erst Aristoteles' rund 50 Jahre jüngeren Schüler Herophilos und Erisistratos gewannen richtigere Vorstellungen von der Be- deutung des Nervensystems und konnten demge- mäß den Sitz der Seele im Gehirn oder in den Gehirnventrikeln suchen. Erisistratos hatte unter anderem die Lehre aufgestellt, daß die Gehirnoberfläche desto mehr gewunden sei, je intelligenter ein Tier ist. Dies leugnete im zweiten Jahrhundert n. Chr. Galen (130—201) im Hin- blick auf die stark gewundene Hirnoberfläche des Esels, womit er die Lokalisation in der Hirnrinde verwarf; doch sein großer Einfluß bewirkte, daß man wie er fortan nur noch im Nervensystem den Sitz der seelischen Eigenschaften suchte. Die Seele wegen ihrer Einheitlichkeit im einzigen un- paaren Hirnteil, in der Zirbel, lokalisieren zu wollen, gehtwenigerauf Descartes zurück, wie gewöhn- lich gelehrt wird, als auf französische Zeitgenossen von ihm. Locke fragte nach dem Sitz der Seele überhaupt nicht. Da, wie gesagt, bis zu dieser Zeit und begreiflicherweise für viele Ärzte auch noch lange darüber hinaus großenteils Seele und Lebensprinzip eines und dasselbe waren, gehen auch noch die Lokalisationsversuche des 16. bis 18. Jahrhunderts auf eine andere Frage aus als die heutigen. Groß- hirn, Kleinhirn, das weiße Hirnmark, das ver- längerte Mark, das Rückenmark, der Gehirnbalken, die harte Hirnhaut, das ganze Gehirn oder eine Mehrzahl Teile des Nervensystems wurden dafür in Anspruch genommen, und der Geschichte dieser Bestrebungen gehören Namen berühmter Anatomen an, wie Willis (1622 — 1675), Vieussens (1641 — 1715), Bartolini (1585 — 1629), Mal- pighi (1628 — 1694) und andere. Durch sie ist die aristotelische Lehre, Sitz der Seele sei das Herz, endgültig überwunden, und nur das Gehirn oder höchstens das ganze Niervensystem kommt noch in Betracht. Albrecht von Haller (1708— 1777) unter- schied als erster unter den Ärzten Lebensprinzip und Seele, indem er Locy (1725 — 17S3) zugab, daß die Verletzung eines gewissen Teils des ver- längerten Marks den sofortigen Tod herbeiführt, und dennoch die Möglichkeit bestritt, die Seele anders als ganz allgemein im Nervensystem zu lokalisieren. Dieses Zugeständnis Haller's ge- schah auf Veranlassung von Zinn (1727 — 1759), der für alle übrigen oben erwähnten Teile des Ner- vensystems den experimentellen Beweis erbrachte, N. F. XVII. Nr. \^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 247 daß sie nicht unbedingt lebenswichtig sind, auch das Großhirn nicht nach einem Versuche an der entgroßhirnten Taube. Christian Buettner (1708 — 1776) erörterte, ob Seele und Lebenskraft dasselbe seien oder nicht. F. I. Gall (1758— 1828) sah als erster in der ganzen grauen Hirnrinde das materielle Substrat der seelischen Vorgänge. Zu bedauern ist be- kanntlich der Mißerfolg, den Gall mit dieser Lehre vor der Pariser Akademie dank der Autori- tät des großen Cu vier hatte. „Von ungemeiner Wichtigkeit war Gall 's Warnung, das Organ der Seele nicht mit dem Sitz der Seele zu verwech- seln." Nur im einzelnen warGall's Phrenologie bekanntlich in allen Stücken verfehlt. Den Reigen der kritischen wissenschaftlichen Lokalisationsbe- strebungen eröffnete erst Broca (1824 — 1880) durch Auffindung des Sprachzentrums, 1861. Auf die Behandlung der neueren um die Lokalisationslehre verdienten Gehirnforscher, wie F" ritsch, Hitzig, Munck, Meynert, Flech- sig, Goltz, und der Erkenntnistheoretiker, wie Compte, Mach, Avenarius, Ostwald, Stumpf, Wundt, Ziehen, Rehmke und Verworn, denen der Verfasser manche Kritik entgegensetzt, folgt in der Arbeit Revesz' noch ein kurzer Abschnitt „Der ganze Körper ist Sitz der Seele" nach Ennemoser (1787 — 1854), Haindorf (1782 — 1862) und Schleich er, und ein ebensolcher: „Die theologische Richtung". Darin liegt wohl eine Andeutung, daß Seelenbe- griff und Seelenlokalisation auch nach Ansicht des Verfassers weit auseinanderfallen und die großen Fortschritte in der Lokalisationslehre den Seelen- begriff nur wenig geklärt haben. Der Ausdruck Lokalisation, sagt Revesz am Schluß, sei nur zur Aushilfe oder der Kürze halber zu empfehlen; das Gehirn sei mit Pfänder besser als Vorbedin- gung, denn als der Ort des seelischen Geschehens zu betrachten. Dies Buch gehört nicht zu denen, die länger wären, wenn sie kürzer wären. Wird man sogar manches kürzer behandelt finden, als man es sich wünschte, so ist doch mit Recht die in solchen Fragen sonst übliche Breite vermieden worden und ein sehr übersichtlicher Leitfaden zustande gekommen. V. Franz. Ernst Haeckel, Kristallseelen. Studien über das anorganische Leben. VIII u. 152 S. Mit I Tafel in Farbendruck u. zahlr. Abb. im Text. Leipzig 19 17. Adolf Kröner Verlag. — 4M. Es ist ganz erstaunlich, wie der alte 83jährige Haeckel versucht, dem Fortschritt der Wissen- schaft weiter gerecht zu werden, und wie er es fertig bringt, die neuen Ergebnisse der Wissen- schaft, die teilweise so wenig mit den früheren Anschauungen in Einklang stehen, doch noch in sein „System" einzuordnen. Natürhch handelt es sich bei fast allen Fragen um Theorien und Hypothesen, was man schon aus dem Titel „Kristallseelen" schließen kann. Aber leider kommt es in dieser Schrift ebenso wie in früheren Büchern Ernst Haeckel's wenig zum Ausdruck, wo es sich um Hypothesen, wo um Tatsachen handelt. Denn auch die Theorien und Hypothesen werden meistens in Form von festbestimmten Behaup- tungen ausgesprochen. Veranlaßt zu seinen Betrachtungen ist Haeckel hauptsächlicli durch- die Arbeiten Otto Leh- mann's (Karlsruhe) über die „flüssigen, scheinbar lebenden Kristalle". Im ersten Kapitel des Buches wird die Kristall- kunde behandelt, die Kristallotik, wie Haeckel sie nennt (er hat für viele Gebiete neue termini technici geprägt). Der Morphologie stellt er die Physiologie und die Psychomatik der Kristalle als gleichberechtigt an die Seite, da er die Kristalle als „beseelte, lebende Naturkörper" ansieht. Es lassen sich 4 Kristallordnungen unterscheiden: I. Sterrokristalle (starre Kristalle), IL Kollokristalle (Gallertkristalle, Eiweiß usw.), III. Biokristalie (aus der gemeinsamen Arbeit von lebendem Plasma und mineralischer Substanz entstanden), IV. Rheo- kristalle (die flüssigen Kristalle Lehmann 's). Das Vermögen der starren Kristalle, verletzte Teile wiederzuersetzen, wird mit dem Regenerations- vermögen der Organismen verglichen. Die Rheokristalle sollen unmittelbar die letzte Scheidewand zwischen lebloser (anorganischer) und lebendiger (organischer) Natur aufheben. Lehmann' s Ergebnisse werden eingehend dar- gestellt. Eine .\iizahl von Eigenschaften fordern zum Vergleich mit den vitalen F"unktionen der Organismen heraus. Erscheinungen, die an die Nahrungsaufnalime und Kopulation der Protisten erinnern, wurden beobachtet. Zu den auffälligsten Lebenserscheinungen der Rheokristalle gehören die lebhaften Bewegungen, welche dieselben bei einer bestimmten Temperatur in der Nährflüssig- keit ausführen i^dicse Prozesse werden als „Fühlung, Reizbarkeit und Willen" gedeutet!). Der Probiontik oder Zytodenkunde ist das zweite Kapitel gewidmet. Unter Probionten ver- steht man die einfachsten Lebensformen, die kern- losen Zellen. Sie besitzen noch keine eigentliche Organisation und sind auf unserer Erde verbreitet in den drei Klassen der Moneren, Chromaceen und Bakterien. Das dritte Kapitel enthält die Radiotik (=Strahlingskunde), welche die Naturgeschichte der Radiolarien umfaßt. Die „Zellseele der Strah- linge" interessiert hier besonders. Neben der Reaktion auf verschiedene Reize findet sich noch ein „hydrostatisches Gleichgewichtsgefühl" und ein „plastisches Distanzgefühl", welches in der Pro- duktion der regulären Gittermaschen zum Aus- druck gelangt. Das letzte, IV. Kapitel, welches Psychomatik (= Fühlungskunde) betitelt ist, ist eigentlich das interessanteste, da es die theoretischen Deutungen der dargestellten Beobachtungen enthält und ihre Einordnung in Haeckel's „monistische" Natur- anschauung. Die „Wehseele" (Psychoma) ist als 248 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. i; p'sychophysisches Prinzip eines der drei „essentialen Attribute" aller Substanz, ebenso in der organischen wie der anorganischen Natur. Sie wird auch als .^Fühlung", „Empfindung"und„Innerung"bezeichnet. Das allgemeine „Erhaltungsgesetz" soll auch für die Fühlung gelten. H a e c k e 1 spricht von einer Konstanz des Psychomas. In den weiteren Abschnitten des Kapitels wird eine Stufenleiter des Seelenlebens dargelegt, das sich sowohl bei den organischen wie den anorga- nischen Naturkörpern findet. Auch mit den modernen Anschauungen der Elektronentheorie sucht sich Haeckel auseinanderzusetzen. Er nimmt eine elektrische „Fühlung" an, welche die Elementarteilchen im positiven Falle zur An- ziehung (Lust), im negativen Falk zur Abstoßung (Unlust) veranlaßt. Äußerungen der „Atomseele" findet man in den Erscheinungen der chemischen „Affinität" (Wahlverwandtschaft) und in dem perio- dischen System der Elemente. Die „Zellseele" stellt die Elementarerscheinuiig des organischen Seelenlebens dar. Allmählich tritt eine immer höhere psychomatische Differenzierung und Ver- vollkommnung ein. Auch die Pflanzen zeigen eine Sinnestätigkeit. Faßt man den Begriff des Lebens im weiteren (physikalischen) Sinne, so muß man „die lebendige Kraft" als aktuelle Energie allen Naturkörpern zu- schreiben. Beschränken wir aber den Begriff des organischen Lebens auf den Stoffwechsel des Plasmamoleküls, so müssen wir annehmen, daß dieses Leben einen Anfang gehabt hat, entstanden ist durch Archigonie aus dem Anorganischen. Die Vergleichung der Kristallseelen mit den Zell- seelen und die Ausdehnung der Psychomatik auf das ganze Universum sollen uns überzeugen, daß in der anorganischen Natur dieselben unbewußten Kräfte, Fühlungen und Bewegungen walten wie in der organischen Natur. Obwohl uns Haeckel viele Hypothesen dar- stellt, die jetzt noch recht gewagt und problema- tisch erscheinen, so dürfte doch das gut illustrierte Büchlein manche Anregung bieten zu weiteren Forschungen und zu einer weiteren gedanklichen Verarbeitung dieser interessanten Tatsachen, wenigstens für den, der weiß, wo es sich um Tatsachen, wo um Theorien und Hypothesen handelt. Pratje. Miehe, Prof. Dr. H. Allgemeine Biologie. Einführung in die Hauptprobleme der organischen Natur. 2. Aufl. der „Erscheinungen des Leben". Mit S2 Abb. im Te.xl. VI u. 144 S. „Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 130. Leipzig u. Berlin 1915. Verlag von B. G. Teubner. geb. 1,50 M. Ein so großes und umfangreiches Gebiet, wie es die allgemeine Biologie darstellt, im Rahmen eines kleinen Bändchens der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" darzustellen, erscheint bei- nahe etwas kühn. Es kann sich also nur um einen allgemeinen Umriß handeln, um eine Auswahl aus den mannigfachen Erscheinungen des Lebens. Aber diese Auswahl ist vom Verfasser in einer sehr guten und zweckentsprechenden Weise ge- troffen worden. Das Büchlein ist im guten Sinne des Wortes populär, d. h. es gibt eine klare Ein- führung in das Gebiet, ohne Fachkenntnisse voraus- zusetzen. Andererseits wird nicht durch eine „künstlerische" Darstellung die Tiefe der Probleme verwischt; Theorien bleiben als solche erkennbar. Nur Weniges will ich aus dem reichen Inhalt anführen: Das Protoplasma, die Zelle und die Gewebe werden als die Grundlagen des Lebens behandelt; Ernährung, Atmung, Sinnesleben, F"ortpflanzung und Entwicklungsgeschichte der Organismen finden ihre Darstellung; die Probleme der Abstammungs- und Vererbungslehre werden angeschnitten; ein Kapitel über Parasitismus und Symbiose beschließt die Ausführungen. Die „allgemeine Biologie" stellt die 2. Auflage der „Erscheinungen des Lebens" dar. In der Anlage ist das Büchlein das gleiche gebHeben; doch sind manche Kapitel durchgreifend umgearbeitet worden. Besonders gern weise ich in jetzigen Kriegs- zeiten auf das vorliegende Büchlein hin. Wie viele junge Akademiker stehen im F"elde, wo ihnen Anregung und Studium sehr fehlt. Für sie eignen sich viele Bändchen der Sammlung. „Aus Natur- und Geisteswelt" in hervorragendem Maße, da sie einerseits sehr handlich und auch in den meisten Feldbuchhandlungen zu haben sind, andererseits klare, abgeschlossene Ein- führungen in das betreffende Wissensgebiet darstellen. Den vielen Kriegsabiturienten, die später einmal Naturwissenschaften oder Medizin studieren wollen, möchte ich die „allgemeine Biologie" besonders empfehlen, da sie ihnen eine gute Anleitung zu biologischem Denken gibt. Aber auch ältere Akademiker und Naturfreunde werden Nutzen aus der Lektüre dieses Bändchens ziehen, in dem sie teils ihre alten Kenntnisse wieder auffrischen, teils aber auch allerlei An- regungen daraus schöpfen können. Pratje. Inhalt: K. Kbner, Asymmetrie bei Insekten. (22 Abb.) S. 233. — Einzelbericbte: A. Riedel, Beiträge zur Paläontologie und Stratigraphie des deutschen Oberen Muschelkalks. S. 23S. E. Stolley, Über einige Ceratiten des deutschen Muschelkalkes. S. 239. C. Schwarz und W. Wi e ch owski, Beiträge zur Kenntnis der Nierentätigkeit. (4 Abb.) S. 240. V. Schaffers, Abnormer Verlauf der Scballstrahlen. S. 242. W. Koppen, Nebelbildung über Land und Meer. S. 243. H. Ger dien, Struktur des Windes. S. 243. Franz Hofw immer und Fritz Heckel, Beitrag zur Berechnung der Explosionstemperatur von Explosivstoffen mit festen Rückständen. S. 244. Otto Buch n er, Die Größenextreme bei unseren Land- und Süßwassermolluskenarten. (2 Abb.) S. 245. — Bücherbesprechungen : Bela Reves, Geschichte des Seclenbegrifls und derSeelenlokalisation. S. 245. Ernst Haeckel, Kristallseelen. S. 247. H. Miehe, Allgemeine Biologie. S. 248. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. 11., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Noue Folg« 17. Baud; er ganzen Reihe 33. Band. Sonntag, den 5. Mai igx8. Nummer 18. Über die sogenannte Fragmentation der Actinomyceten-Hyphen. [Kachdruck verboten.] Von A. Brussoff, Die Actinomycetcn oder Strahlenpilze beher- bergen unter sich einige gefahrliche Arten, welche als Parasiten des Menschen und der Haustiere die gefürchtete Strahlenpilzkrankheit (Actinomycose) hervorrufen. Auf den künstlichen Nährböden wachsen sie in der Form eines außerordenlich dünnfädigen, verzweigten, einzelligen Mycels und vermehren sich mit Hilfe der Konidien, welche an den dickeren Lufthyphen entstehen. Ihren Namen haben sie, der strahligen Form ihrer Kolo- nien und den strahligen Drusen, welche sie im Eiter der Actinomycose-Kranken bilden, zu ver- danken. Über ihre Stellung im System der niederen Pflanzen wurde sehr viel gestritten. Die einen rechneten sie zu höheren Bakterien (Cladotricheen), die anderen zu typischen Pilzen (Hyphomyceten), die dritten sahen in ihnen ein Zwischending zwischen den echten Bakterien und Hyphomy- ceten. Erst in den letzten Jahren scheint man mehr oder weniger einig geworden zu sein, sie endgültig aus dem System der Bakterien auszu- schließen und zu den niederen Hyphenpilzen zu rechnen (Lehmann und Neu mann, Miehe, Omeljansky, Krainsky), wohin sie ihrem ganzen Entwicklungsgang und ihrem Bau nach auch gehören. Einer der Gründe, warum man lange Zeit in den Actinomyceten keine richtigen Pilze sehen wollte, war die sogenannte „Fragmentation" oder Zerfall ihrer Hyphen in „kokken"-, „bazillen"- und „spirillen"-ähnliche Teile, in denen viele Autoren eine Ähnlichkeit mit fadenförmigen Bakterien sahen, manche sie in unmittelbaie Nachbarschaft mit Tuberkel- und Diphtheriebazillen brachten. Sauvageau und Radais waren die ersten, welche in ihrer Abhandlung „Sur les genres Cla- dothrix, Streptothrix, Oospora, Actinomyces etc." die Erscheinung der „Fragmentation" genau be- schrieben haben: „Si Ton etudie un point quel- conque d'une culture d'Oospora Metchnikowi*) ou un point non sporif^re d'Oospora Guig- nardi, apres avoir colore par la methode de Gram, on voit toujours un nombre considerable de filaments ramifi^s, enchevetr^s dans tous les sens et tr^s fortement colores, d'environ Ofi 3 de large. . . „Ces filaments ne sont pas homogenes suivant leur parcours. En certains points, ils ne prösen- tent aucune interruption, et les rameaux sont en continuit^ directe avec l'axe; en d'autres, ils sont *) S. und K. rechnen irrtümlicherweise die von ihnen be- schriebenen Actinomyceten zu der Gattung Oospora. lus St. Petersburg. fragmentes, s^pares par des intervalles incolores, larges ou tres etroits, et donnent alors l'illusion d'une cloison. Ces fragments affectent toutes les dimensions; ou peut les designer comme des fila- ments courts, des batonnets, des granulations plus ou moins reguli^res; assez souvent, et particulie- rement dans les parties agees, ces granulation sont dispos^es en fils assez regulieres. Les parties fragment^es, souvent terminales, sont parfois inter- calees entre des portions filamenteuses, ä structure continue. Ce sont des formations semblables qui ont beaucoup intrigue les auteurs qui se sont occupes de l'actinomycose, et au sujet desquelles toutes les suppositions ont 6te faites. Or, on peut s'assurer tout d'abord que la fragmentation n'est pas due au mode de preparation, car si l'on colore les filaments au Gram, sous la lamelle, Sans avoir ni desseche ni fix6, on les observe egalement; eile n'est pas due ä Tage des filaments, car nous verrons plus loin, qu'elle existe dans des cultures vieilles de 48 heures" (p. 238). Die späteren Beschreibungen der Fragmentation haben zur Beschreibung von Sauvageau und Radais nichts wesentlich Neues hinzugefügt. Kruse, Berestne f f, Johan-Olsen, Weichsel- ba um, Rullmann, Gilbert, Peklo sprechen alle von „Kokken", „Bazillen", „Spirillen", in welche die Actinomyceten-Hyphen zerfallen sollen, und in welchen einige von diesen Autoren eine Fort- pflanzungserscheinung der Actinomyceten sahen, andere sie sogar als wichtige endogene Bakterien- sporen betrachteten, die dritten endlich sich damit begnügten, die Tatsache der Fragmentation zu konstatieren, ohne auf irgendwelche Erklärungen näher einzugehen. Somit gingen die Ansichten über die Bedeutung der Fragmentation ziemlich weit auseinander, alle Autoren aber waren fest davon überzeugt, daß sie wirklich den Zerfall der Hyphen in „Bazillen", „Spirillen", und „Kokken" gesehen hatten. Bei der Untersuchung einer Actinomyces-Art, welche ich aus dem Klärschlamm der Aachener biologischen Abwasserkläranlage isoliert hatte, fiel mir die Fragmentation der Hyphen auf gefärbten Präparaten sofort in die Augen, während ich auf ungefärbten nur zusammen- hängende Hyphen sah. Nur da, wo sich bei besonders günstigen Bedingungen kolben- und kugelförmige Erweiterungen des Mycels bildeten, konnte ich in diesen Erweiterungen schwach lichtbrechende Partien unterscheiden, auf eben- solche wurde ich später auch in dünnen Hyphen- teilen aufmerksam. Diese Partien lösten aber die Kontinuität der Hyphen nicht auf. Sie erinnerten 250 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. K'. F.«iXVII. Mr. i8 nur lebhaft (wie übrigens schon Sauvageau und Radais an ihren mit Gentiana-Violett ge- färbten Präparaten bemerkt haben, p. 259) an die schwach lichtbrechenden Einschließungen in den Hyphen der höheren Schimmelpilze. Jedenfalls ließ sich auf ungefärbten Präparaten kein Zerfall oder eine Fragmentation konstatieren. Wenn ich lebendes oder fixiertes Material mit schwacher Methylenblau-, Fuchsin- oder Karbolfuchsinlösung oder nach Gram färbte, so bemerkte ich im Innern der Hyphen schwächer und intensiver gefärbte Partien. Die letzteren nahmen meistens runde oder ovale Form an, dabei schwollen sie manchmal so stark auf, daß ihre Konturen außerhalb der Hyphen zu liegen schienen. Beim genauen Studium der Literatur merkte ich auch bald, daß fast alle Autoren, die sich mit der Frage der Fragmentation eingehend beschäftigt haben, von gefärbten Präparaten sprechen. So sagen schon Sauvageau und Radais in dem oben angeführten Zitat, daß sie ihre Beobachtungen an den nach der Gram'schen Methode gefärbten Präparaten gemacht hätten. Berestneff spricht auch bei Beschreibung der Fragmentation immer von ungleichmäßiger Färbung der Hyphen, wobei, nach den Er- klärungen zu seinen Photographien zu urteilen, auch er meistens die Gram'sche Methode benutzt hat. Johan-Olsen sagt sogar aus- drücklich, daß die von ihm untersuchten Actino- myces-Arten sich teilweise wie Kokken und Bazillen formen, „jedenfalls in dem Grade, daß sie in gefärbten Präparaten mit solchen verwechselt werden können." Gilbert gesteht, daß die Beobachtung der Fragmentation im allgemeinen erst im Präparat gelingt, „welches mit den üblichen Anilinfarben oder nach Gram gefärbt wurde". Auch Haass scheint seine Untersuchungen nach den gefärbten Präparaten gemacht zu haben. Miehe sagt über Actinomyces thermophilus; „Von dem Inhalt der Fäden ist schlechterdings nichts zu erkennen . . . Auch wenn wir färben (mit Karbol- fuchsin, Methylenblau oder nach Gram) sind weitere Einzelheiten, den Bau der Fäden betreffend, nicht zu sehen. Es sind homogene Linien. Auffallend ist nur an gefärbten Präparaten, daß sich einzelne Partien nur schwach oder gar nicht tingiren, ander wieder stärker." Peklo, welcher auf die Beschreibung der Fragmentation bei seinem Erlenorganismus sehr genau eingeht, meint, daß diese sich am besten „nach der Anwendung der Gram'schen Methode studieren läßt". Somit stimmen diese Literaturangaben mit meinen Beobachtungen vollkommen überein. So- wohl das Studium meiner eigenen gefärbten Präparate, als auch der von den verschiedenen Autoren veröffentlichen Figuren, insbesondere der- jenigen von Sauvageau und Radais (Phot. 3), von Berestneff fz.B.Phot.9 auf Taf. II) und von Peklo, brachten mir bald das Bild in Erinnerung, welches entsteht, wenn man volutin reiche Bakterien- arten mit den üblichen Anilinfarben behandelt. Es waren in den allermeisten Fällen dieselben runden oder ovalen Gebilde von sehr verschiedener Größe, wie sie z. B. so charakteristisch bei B. alvei auftreten. Nur verhältnismäßig selten konnte ich „Stäbchen-" und „spirillen"förmige Gebilde finden, und auch diese lösten sich bei starker Vergrößerung und guter Beleuchtung (Nernstlampe) in dicht nebeneinanderliegende „Kokken" auf, welche man leicht mit den „Stäbchen" und „Spirillen" verwechseln konnte. Das ließ mich sofort vermuten, daß es sich bei der sogenannten „P"ragmentation" nicht um Zerfall der Hyphen in Fragmente, sondern um Volutineinlagerungen handelt. Und wie ich im folgenden nachweise, haben die von mir an meiner Actinomyces- Art ausgeführten charakteristischen Volutinreaktionen diese Vermutung glänzend bestätigt. Bevor ich aber zur Beschreibung der Reaktion übergehe, muß ich auf einen Umstand aufmerk- sam machen, der vielleicht von Wichtigkeit ist. Bei vielen Autoren findet man nämhch die Angabe, daß die Actinomyceten-Hyphen beim Herstellen der Präparate sehr leicht in einzelne kürzere und längere Stücke zerfallen, was man auch für einen Beweis der P'ragmentation hielt. Ich habe diesen Zerfall nie in solchem Maße beobachtet, daß ich ihn für eine natürliche Er- scheinung halten könnte. Einzelstücke kamen auf meinen Präparaten nur ausnahmsweise vor. Ich erkläre es damit, daß ich mein Untersuchungs- material aus flüssigen Nährböden und nie mit einer Plantinnadel, sondern mit einer unter rechtem Winkel gebogenen Platinüse nahm. Ich wählte immer kleinere Kolonien, die ich vorsichtig von unten herauszog, so daß sie im Ösetröpfchen hängen blieben und dann leicht auf das Deckglas oder auf den Objektträger gelegt werden konnten, ohne daß die Kolonie dabei irgendwie stark berührt wurde. Die Kolonie wurde dann auf dem Glase nicht zerrieben, sondern man ließ sie direkt eintrocknen und fixierte sie durch leichtes Erwärmen. Auf diese Weise gelang es mir, die Kolonien in möglichst unbeschädigtem Zustande zu beobachten. Am Rande der Kolonien konnte man immer losere Partien sehen, an welchen die weiter unten beschriebenen Erscheinungen ganz genau festgestellt wurden. ') Arth. Meyer, dem wir die Kenntnis des Vo- lutins hauptsächlich verdanken, gibt eine ganze Reihe von Reaktionen an, welche mit volkommener Sicherheit auf das Vorhandensein des Volutins schließen lassen (Bot. Ztg. Bd. 62, 1904, p. 116 — 119). Sowohl die 8 Hauptreaktionen, als auch einige von mir nachgeprüfte „weniger wichtige" ') Auf dieselbe Weise gelang es mir auch die sporen- bildenden,, Lufthy phen" in unversehrtem Zustande zu präparieren. Über meine einschlägigen Untersuchungen werde ich später berichten. N. F. XVII. Nr. it Natiirwissenschaftiiche Wochenschrift. -Si Reaktionen, gaben bei meiner Actinoniyces-Arl positive Resultate. Ich gehe jetzt zur Beschreibung der einzelnen Reaktionen über und fange mit den 8 Hauptreaktionen an. Reaktion I: Methylenblau i + io, i^/oige .Schwefelsäure. Diese Reaktion läßt sich sowohl am fixierten als auch am lebenden Objekt ausführen. Bei der Einwirkung von Methylenblau färben sich die „Kokken" und „Stäbchen" blaurötlich und bedeutend intensiver, als das Zytoplasma und schwellen dabei stark an; die seitlich unter das Deckglas hinzu- gesetzte I "/oige Schwefelsäure entfärbt das Cyto- plasma vollkommen, die „Kokken" und „Stäbchen" treten als dunkelblau gefärbte Gebilde scharf hervor. Nur bei sehr genauem Zusehen bemerkt man, daß diese „Kokken" und „Stäbchen" nicht getrennt voneinander Jiegen, sondern durch farb- lose Hyphen miteinander verbunden sind. Reaktion 11: Methylenblau- Jodj odka- li um- Natriumkarbonat. Das auf dem Objektträger fixierte Präparat wurde mit Methylenblau gefärbt und, nach Ab- spülen, im Wassertropfen beobachtet. Man konnte deutlich die dunkler gefärbten „Kokken" und „Stäbchen" zwischen den heller gefärbten übrigen Partien der Hyphen unterscheiden. Beim seitlichen Hinzusetzen von Jodjodkalium färbten sich die „Kokken" und „Stäbchen" schwarzbraun, das Zyto- plasma hellgelb. Nach Absaugen des Jodjodka- liums wurde 5"nis^ Natriumkarbonat- Lösung hinzugefügt. Das Cytoplasma entfärbte sich sofort, während die „Kokken" und „Stäbchen" ihre Farbe nur sehr langsam (im Laufe von 3 — 4 Minuten) verloren, um schließlich in der Form von schwach lichtbrechenden Vakuolen zu ersclieinen, welche sich, nacii Auswaschen und neuem seitlichen Einsaugen von Methylenblau wieder intensiv blau- rötlich färbten und zwischen den heller gefärbten Cytoplasmapartien scharf hervortraten. Reaktion III: Karbolfuchsin, i%ige Schwefelsäure. Auf dem fixierten Präparat färbt sich das Cyto- plasma hellrosa, die „Kokken" und „Stäbchen" dunkelrot. i "/„ i ge Schwefelsäure entfärbt das Cytoplasma sofort, die „Kokken" und „Stäbchen" treten scharf hervor, und es entsteht dasselbe Bild, wie bei der Reaktion I. Seitlich hinzugesetzte S^/oige Schwefelsäure entfärbt sehr schnell auch die „Kokken" und „Stäbchen", an deren Stellen farblose Vakuolen erscheinen. Reaktion IV: Lösung in siedendem Wasser. Das Objekt wurde auf dem Deckgläschen fixiert und 5 Minuten lang im siedenden Wasser gehalten. Hierauf wurde es entweder mit Methylen- blau (Reaktion I) oder mit Karbolfuchsin (Reaktion IIIj gefärbt und in i % igerSchwefelsäure untersucht. Es konnten keine „Kokken" und „Stäbchen" be- obachtet werden. Der Stofif dieser Gebilde hat äch im siedenden Wasser aufgelöst. Reaktion V: Lösung in Eau dejavellc. Das fixierte Objekt wurde in frischer nach A. Meyer hergestellten Eau de Javelle 5 Minuten lang gehalten und, wie in Reaktion IV, mit Me- thylenblau bzw. Karbolfuchsin und I "/(, iger Schwefelsäure behandelt. Der Stoff der „Kokken" und „Stäbchen" löste sich vollkommen auf, und dafür traten zahlreiche schwach lichtbrechende, farblose Vakuolen hervor. Reaktion VI: Behandlung m i t C h 1 o r a 1 - h y d r a 1 1 ö s u n g. Nach 5 Minuten langer Behandlung mit Chloral- hydratlösung(8:5) löste sich der Stoff der „Kokken" und „Stäbchen" nicht auf: die darauf folgende Färbung mit Methylenblau und Behandlung mit I "/(, iger Schwefelsäure gab ein positives Re- sultat (s. Reaktion I). Reaktion VII : H ä r t u n g m i t P' o r m o 1 u n d Kochen mit Wasser. Die Härtung mit Formol vollzieht sich nicht so schnell, wie es A. M ey e r bei Spirillum volutans und Bacillus alvei festgestellt hat. Nach 4stündigem Aufenthalt in P"ormol löst sich das Volutin im kochenden Wasser noch vollkommen auf. Nach 22 stündigem Aufenthalt in Formol konnte man nach der Reaktion i an einzelnen Stellen, vor- wiegend in dünnen Hyphenteilen, kleine dunkel gefärbte Volutinkugcln scharf hervortreten sehen. Diese langsame Wirkung des p-ormols steht nicht im Widerspruch mit den Beobachtungen von Arth. Meyer, denn auch er hat diese relativ schwierige Härtung bei einigen von ihm unter- suchten Organismen festgestellt (Bot. Ztg., p. 119, 131, 146). Reaktion VIII: Methylenblau, 5 "/o iges Natriumkarbonat, Methylenblau. Die bedeutend dunkler, als das Cytoplasma gefärbten, stark angeschwollenen „Kokken und „Stäbchen" entfärben sich nach seitlichem Hin- zusetzen von 5 "/o igem Natriumkarbonat. Nach sofortigem Auswaschen mit etwas angesäuertem Wasser und neuem Färben mit Methylenblau bekommt man wieder das hellblau gefärbte Cyto- plasma und die dunkleren „Kokken" und „Stäbchen". Was die übrigen, von Arth. Meyer als „weniger wichtige" bezeichneten Reaktionen an- betrifft, so habe ich folgende von ihnen nachge- prüft und dabei auch positive Resultate erzielt. Millon'sReagens: Das angetrocknete, mit Methylenblau gefärbte Präparat wurde unter dem Deckglas seitlich mit Millon's Reagens be- handelt. Das Cytoplasma entfärbte sich sofort vollkommen, die „Kokken" und „Stäbchen" traten zuerst scharf hervor, verwandelten sich aber nach ein paar Sekunden in schwach lichtbrechende, farblose Vakuolen, welche nach Verlauf von ca. 4 — 5 Minuten von dem Zytoplasma nicht mehr unterschieden werden konnten und auch nach der erneuten Behandlung mit Methylenblau und I "/o igs'' Schwefelsäure nicht mehr hervortraten. Jodjodkalium färbt die „Kokken" und „Stäbchen" gelb. 252 bjaturwissenschaftliche' Wochenschrift. N. F. XVil. Nr. iS 5 "/o '8^- Schwefelsäure und 5 */o ige Salzsäure lösen den Stoff der „Kokken" und „Stäbchen" in wenigen Minuten auf. Ebenso ver- hält sich auch die 5 "/n '.?c Natrium kar- bonatlösung. Methylviolett färbt die „Kokken" und „Stäbchen" dunkelviolett, Safranin — etwas langsamer und heller, als das Cytoplasma; von Eosin und von Sudan III werden sie nicht gefärbt. Schon alle diese Reaktionen hätten genügt, um die „Kokken" und „Stäbchen" für Volutin zu erklären und somit die viel umstrittene Frage der „P>agmentation" der Actinomyceten-Hyphen end- gültig zu lösen. Nun stützen sich aber die früheren Autoren bei ihren Beschreibungen der „Fragmen- tation" hauptsächlich auf die Färbung nach Gram. Wie ich schon obenerwähnt habe, sind auch die Photographie 3 bei Sauvageau und Radais und die Photographie 9 auf der Tafel II bei Berestneff von den nach Gram gefärbten Präparaten gemacht. Die „Kokken" und „Stäb- chen" erscheinen darauf dunkel gefärbt, während man von den übrigen Hyphen kaum etwas sehen kann. Auch auf meinen ersten Präparaten, welche ich genau nach der Vorschrift von Arth. Meyer gemacht hatte, konnte ich keine Entfärbung der „Kokken" und „Stäbchen" konstatieren. Diese Gebilde erschienen im Präparat dunkelviolett und waren manchmal so stark geschwollen, daß ihre Umrisse zum Teil außerhalb der Hyphen zu liegen schienen. Die letzteren bekamen deswegen stellen- weise unregelmäßig rosenkranzförmige Gestalt. Das Cytoplasma selbst war sehr schwach violett gefärbt. Daß die „Kokken" und „Stäbchen" sich nicht entfärbten, stand für mich im Widerspruch zu dem, was Arth. Meyer über die Gram- Färbung der Volutinkörner sagt: „Bei der Gram - Färbung halten die Volutinkörner den Farbstoff nicht wesentlich fester, als das Cytoplasma leicht entfärbbarer Bakterienspezies" (Bot. Ztg. p. 119). Erst längerer Aufenthalt im Alkohol (13 — 15 Min.) brachte mich auf die richtige Erklärung des von mir und den erwähnten Autoren begangenen Irr- tums. Ich fand nämlich, daß an den Stellen, wo die Hyphen im Präparat etwas loser liegen, also an der Peripherie der Kolonie, die „Kokken" und „Stäbchen" sich vollkommen ent- färben und in der Form von farblosen Vakuolen zwischen ganz schwach violetten Teilen der Hyphen erscheinen. Dort aber, wo die Hyphen dicht neben- und übereinander liegen, und wo der Alkohol also nicht so leicht durchdringen kann, bleiben die „Kokken" und „Stäbchen" unentfärbl. Ich glaube, mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß die von Sauvageau und Radais und von Berestneff gemachten Photographien von den nicht genügend lange im Alkohol gehaltenen Gram- Präparaten gemacht sind. Jedenfalls nach meinen Untersuchungen entspricht das Verhalten der „Kokken" und „Stäbchen" auch bei der Gram- Färbung dem, was Arth. Meyer für die Volutin- körner für charakteristisch hält. Indem ich die angeführten Tatsachen zusammen- fasse, komme ich zu folgenden zwei Schlüssen: 1. Die Annahme, daß die Actinomy- ceten-Hyphen in Fragmente zerfallen können, beruht auf irrtümlichen Be- obachtungen an gefärbten Präparaten; in Wirklichkeit gibt es keine Fragmen- tation der Actinomyceten-Hyphen. 2. „Kokken", „Stäbchen" und „Spirillen" der Autoren sind nichts anderes, als Tröpfchen und Ansammlungen von Tröpfchen von Volutin. Aachen, im Februar 1918. i) Sauvageau cl Radais, Sur les genres Cladothrix, Streptothrix, Oospora, Actinomyces et description des deux Streptolhrix nouveaux. (Annales de l'Inslitut Pasteur, t. 6, 1892.) 2) K r US e , Systematik derStreptothricheen. (In Flügge 's Mikroorganismen, Bd. II, 189Ö.) 3) Berestneff, Actinomycosc und ihre Erreger (russisch). Moskau, 1897. 4) Johan-Olsen, Zur Pleomorphismusfrage. (Centralbl. f. Bakt. Abt. II, Bd. 3 1S97.) 5) Weichselbaum, Parasitologie. Jena, 1898. (Zitiert nach Rullmann in Lafar's Handbuch.) 6) Gilbert, Über Actinomyces thermophilus und andere Actinomyceten. (Ztschr. für Hygiene, Bd. 47, 1904.) 7) Rullmann, Die Eisenbakterien, Cladothricheen, Streptothrichcen und .Actinomyceten. (In Lafar's Handbuch, Bd. III, 1904.) 8) Haass, Beitrag zur Kenntnis der Actinomyceten. (Centralbl. f. Bakt. Abt. I, Bd. 40, 1906.) 9) Mi ehe, Die Selbstcrhitzung des Heus. Jena, 1907. 10) Peklo, Die pflanzlichen Actinomyceten. (Centralbl. f. Bakt, Abt. II, Bd. 27, 1910.) 11) Lehmann und Neumann, Atlas und Grundriß der Bakteriologie usw., Teil II; Text. München, 1912. 12) Omeljansky, Grundzüge der Mikrobiologie (russisch). St. Petersburg 1913. 13) Krainsky, Die Actinomyceten und ihre Bedeutung in der Natur. (Centralbl. f. Bakt., Abt. II, Bd. 41, 1914.) 14) Arthur Meyer, Praktikum der botan. Bakterien- kunde. Jena 1903. 15) Ders., Orientierende Untersuchungen über die Ver- breitung, Morphologie und Chemie der Volutins. (Botan. Zeitung, Bd. 62, 1904.) 16) Ders., Die Zelle der Bakterien. Jena 1912. Einzelberichte. Medizin. In Frankreich ist man, wie u. a. aus den Sitzungsberichten der Pariser Akademie der Wissenschaften hervorgeht, von lebhafter Be- sorgnis erfüllt, daß sich im Laufe des Krieges die Malariakrankheit im nordwestlichen Frankreich, speziell in der Umgebung von Paris eingenistet haben könnte, wie man weiß, wird dieselbe auf einen ge- sunden Menschen, durch eine Stechmücke, Ang- N. F. XVII. Nr. i{ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 253 pheles maculipennis übertragen, indem die Mücke beim Stich eines Kranken mit dessen Blut auch den Krankheitserreger, das Sporozoon Plasmodium Malariae aufnimmt und es dann bei einem neuen Stich in das Blut einem Gesunden überimpft. Aber nicht nur für die Weiterverbreitung einer bereits ausgebrochenen Seuche ist so die Stechmücke unentbehrlich als Überträger, vielmehr überdauert in ihr das Plasmodium auch den Winter und ver- mehrt sich in ihr durch Sporogonie zu je etwa loooo Sporozoiden, welche in den Speicheldrüsen an- gesammelt warten, bis sie wiederum durch einen Stich in die Blutbahn eines Menschen gebracht werden. Dort dringen sie in die Blutkörperchen ein, vermehren sich durch Schizogonie und die Schizonten rufen durch Zerstörung neuer Blut- körperchen je einen Fieberanfall hervor. Könnte man die Malariaerreger im Blute eines Kranken gänzlich vertilgen oder den Überträger des Sumpf- fiebers, die Anophelesmücke ausrotten, so würde man damit die Malaria beseitigt haben. Leider ist ersteres restlos nicht möglich, auch letzteres war bisher praktisch nicht durchführbar. Nur die Bekämpfung der Stechmücken wird mit wechselndem Erfolg angestrebt; schon wiederholt wurde berichtet, wie man in Frankreich und den betreffenden Kolonien (Algerien, Marokko, Madagaskar usw.) sich bemüht durch Flußkor- rektion, Einbürgerung von insektenfressenden Raubfischen usw. die Entwicklung der Stech- mücken und damit die Verbreitungsmöglich- keit des Sumpffiebers möglichst einzudämmen. Da aber, wie gesagt die Ausrottung des Über- trägers des Krankheitskeims unerreichbar ist, so wird auch das Ausbrechen einer Malariaepidemie überall dort im Bereich der Möglichkeit liegen, wo der ,circulus vitiosus" gebildet von: Fieber- kranker, Anophelesmücke und Plasmodium malariae geschlossen ist. Man befürchtet offenbar mit Recht in medi- zinischen Kreisen Frankreichs, daß dies jetzt für die Umgebung von Paris zutreffen könnte. In der fran- zösischen Orientarmee brach im Sommer 1916 eine Malariaepidemie aus, namentlich bei den Truppen im Vardartal vor Saloniki. Viele Soldaten, welche die Krankheit überstanden hatten, wurden als Rekonvaleszenten in die Heimat beurlaubt, bzw. in der Umgebung von Paris in Lazarette gebracht. Würden nun die Anophelesmücken in einer bis- her fieberfreien Gegend sich den Plasmodien gegenüber refraktär verhalten, indem in ihnen die Entwicklung durch Sporogonie nicht stattfinden könnte, bis sie auf einen neuen Wirt, Menschen übertragen würden, so bliebe Anopheles nur ein lästiges Ungeziefer, könnte aber nicht der Über- träger einer schweren Krankheit sein. In der Tat wurde schon wiederholt (Grassi, Schaudinn u. a.) die Meinung geäußert, nicht alle Stämme der Mücke wären imstande, die Infektion weiter zu verbreiten. Darauf fußend ließ man Anopheles- mücken aus der Pariser Gegend (Versaille, Meudon) und auch von weiterher sich an Malaria krank ge- wesenen Soldaten durch Blutsaugen infizieren und verfolgte dann das weitere Verhalten der aufge- nommenen Plasmodien. Bald mußte man einsehen, daß die Hoffnung eitel gewesen war und der Über- tragung durch den Mückensticli von Mensch auf Mensch nichts im Wege stände. Die Pariser Stech- mücken sind also durchaus nicht zu Zwischenwirten ungeeignet und können infolgedessen auch Verbreiter der Malaria werden. Dieses ergab sich aus dem Selbstversuch eines der Forscher; er fand nach entsprechender Zeitpause in seinem Blut Schizonten und hatte die zugehörigen Fieberanfälle. Diese Erfahrungen veranlaßten die Akademie der Wissen- schaften eine besondere Kommission zu bilden, welche unter dem Vorsitz von Dr. A. Laveran regelmäßige Sitzungen abhalten und speziell das Auftreten der Malaria im nordwestlichen Frank- reich im Auge behalten soll. Durch eine lang- dauernde energische Chininkur sollen die Plas- modien im Blute eines Malariarekonvaleszenten zum gänzlichen Verschwinden gebracht werden. Wo das nicht gelingt, sollen die Leute in mücken- freie Gegenden verbracht werden, jedenfalls aber soll durch Fliegennetze u. dgl. verhindert werden, daß sich die Anophelesmücken durch den Stich infizieren. Für den Neubau von Lazaretten sollen nur Gegenden in Betracht kommen, wo die Ano- phelesmücke fehlt, und bei Beurteilung dieser Frage endlich sollen erfahrene Entomologen der betreffenden Gegend zu Rate gezogen werden. Man war bisher gewöhnt, die Larven der Stech- mücken nur in stehendem Wasser anzutreffen. Gegenden mit nur fließenden Gewässern hielt man deshalb für malariafrei. Daß diese Annahme irrig ist, ersehen wir aus einer Mitteilung von Prof. Dr. F. Do f lein in Freiburg i. Br.; derselbe benützte einen längern Aufenthalt in Mazedonien im Sommer 1917 gelegentlich der Abhaltung von Hochschul- lehrkursen für die Akademiker des Heeres in Brileg (Bulgarien) zur Erforschung der Anopheles- fauna des Balkans. Nicht nur fand er alle euro- päischen Arten, einschließlich Anopheles maculi- pennis, in Mazedonien zahlreich vertreten, womit die Häufigkeit des Sumpffiebers daselbst in Ein- klang steht, sondern er traf die Larven von A. superpictus Grassi häufig in den Bächen, welche mit ziemlichem Gefälle von den Höhen der Berg- schluchten herabkommen. Nicht imstande, frei der Strömung zu widerstehen, hatten sie sich an der Uferwand der Bergbäche festgehängt. Man kann daraus ersehen, wie trügerisch die Hoffnung und wie eventuell verhängnisvoll die irrige Vor- aussetzung sein kann, die Malaria könne sich dort nicht einnisten, wo stehende Gewässer fehlen. Wenn aber auch alle „Stricke reißen", d. h. ver- einzelte Fälle von Malaria im Nordwesten Frank- reichs neu auftreten sollten, so ist doch zu hoffen, daß das im Süden (Italien) und Südosten (Balkan) Europas endemische Sumpffieber im Westen Mitteleuropas nicht festen Fuß faßt und als Reminiszenz an den Weltkrieg zurückbleibt; die winterliche Temperatur würde wohl im übrigen 2S4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. if die Fortexistenz bzw. die Sporogonie des Malaria- erregers in der Stechmücke verunmöglichen. Kathariner. Physiologie. Neue Untersuchungen über den Gang der Totenstarre veröffentlicht Dr. Ernst Naumann in Pflüger's Archiv für d. ges. Physio- logie (191 7, H. 10 — 12). Schon seit langem war es bekannt, daß die Totenstarre an den verschie- denen Körperteilen zu verschiedenen Zeiten auf- tritt. Sie zeigt sich zuerst am Unterkiefer und im Nacken, verbreitet sich von da nach oben und unten, auf Gesicht und Rumpf, und befällt endlich die Vorder- und dann die Hintergliedmaßen. Im großen und ganzen gilt diese Reihenfolge für die Tiere ebenso wie für den Menschen. Über das zeitliche Auftreten der Starre in den einzelnen Muskeln fehlen, abgesehen von einigen zufälligen Beobachtungen, noch genaue Angaben. Hierauf erstrecken sich einige Untersuchungen, die Nau- mann in der Tierärztl. Hochschule zu Wien an- stellte. Als Objekte dienten ihm in der Mehrzahl Hunde, die durch Blausäure getötet waren, außer- dem einige Pferde, Kaninchen und Katzen. Nach diesen Versuchen tritt die Starre des Herzens bei einer Außentemperatur von 8— 10" C nach lO bis 15 Minuten ein, zu einer Zeit, zu welcher sie noch an keinem andern Körperteile zu bemerken ist. Etwas später, aber ebenfalls lange bevor sie an den andern Muskeln beobachtet wurde, zeigte sie sich am Zwerchfell. .An beiden Muskeln wurde der Eintritt der Totenstarre durch den Ausschlag von eingesteckten Nadeln nachgewiesen. Durch die Spannung des Zwergfelles bei Eintritt der Starre wird der Brustkasten, und damit auch die Lunge, erweitert, so daß das Einströmen der Luft in die Lunge ebenfalls als Zeichen für den Beginn der Starre im Zwerchfall gelten kann. Nach dem Zwerchfell greift die Starre dann auf die Kau- und Nackenmuskeln über und schreitet dann in der vorher angegebenen Reihenfolge fort. Mit dem Wesen der Totenstarre beschäftigen sich hauptsächlich drei Theorien. Die älteste, die auch die meisten Anhänger hat, führt ihre Ent- stehung auf das Gerinnen des Myosins, des eiweiß- artigen Bestandteils des Muskelplasmas, zurück. Nach einer andern Ansicht beruht das VVesen der Totenstarre auf einer Zusammenziehung der Mus- keln, entweder einer letzten Lebensäußerung der- selben, oder, wie andere annehmen, durch bestimmte Stoffe hervorgerufen, die sich nach dem Tode im Muskel bilden und durch ihren Reiz seine Zu- sammenziehung bewirken. Die jüngste Theorie endlich besagt, daß die Starrung durch eine Quel- lung der Muskeln veranlaßt wird. Wie ein Leim- blatt oder ein Muskel in physiologischer Kochsalz- lösung bei einem geringen Zusatz einer Säure stärker quellen, so auch die Muskelfibrillen unter dem Einfluß der sich nach dem Tode in den Muskeln bildenden Milchsäure. Bei zunehmender Konzentration der Milchsäure tritt eine Eiweiß- gerinnung in den Muskeln ein, die (durch ver- mindertes Wasserbindungsvermögen des kolloidalen Systems) ein Entquellen der Muskeln und dadurch Lösung der Starre zur Folge hat. Diese Theorie erklärt auch, warum dem Tode vorangehende Muskelanstrengungen (Krämpfe usw.) — durch Steigerung des Milchsäuregehaltes — oder auch höhere Temperatur, welche die Quellung fördert, den Eintritt der Starre beschleunigt. Bestätigt wird diese letztere Theorie durch Arbeiten von Schwarz, über die er in der Biochemischen Zeitschrift 191 1 berichtet. Danach nimmt der ausgeruhte Froschmuskel nur langsam Wasser auf, während dies beim vorher tätig ge- wesenen viel schneller geschieht. Den Grund liierfür sieht auch Schwarz in dem größeren Säuregehalt des tätigen Muskels. Mit der Tempe- ratur steigt auch hier die Geschwindigkeit der Quellung. Ebenso verschieden wie die Ansichten über das Wesen der Totenstarre sind auch die über die Ursache des zeitlichen Unterschiedes ihres Auf- tretens in den verschiedenen Körperteilen. Da sie sich nach unten ausbreitet, nahm man anfangs an, sie folge dem Nervensystem, doch ist fest- gestellt, daß eine Zerstörung desselben keinen Einfluß auf die Ausbreitung ausübt. Bierfreund wies dann nach, daß die schneller arbeitenden (und daher mehr Milchsäure enthaltenden) weißen Muskeln schneller erstarren als die langsam arbei- tenden roten. Der Gang der Totenstarre legte die Vermutung nahe, daß die Muskeln zuerst betroffen werden, die am längsten arbeiten müssen (das Herz ist bis zuletzt tätig, fast ebenso lange das Zwerchfell, die Kaumuskeln müssen den Unterkiefer halten, die Nackenmuskeln den Kopf usw.). Um diesen Zu- sammenhang nachzuweisen, untersuchte Na u mann die Quellfähigkeit verschiedener Muskeln frisch- getöteter Tiere. Die ausgeschnittenen Stückchen wurden in 0,9 % Kochsalzlösung gelegt und in bestimmten Zwischenräumen gewogen, um ihre Wasseraufnahme festzustellen. Dabei zeigte sich in der Tat, daß die Flüssigkeitsaufnahme des Zwerchfelles eine im Anfange viel stärkere war als die der Vorder- bzw. Hintergliedmaßenmuskeln. Wider Erwarten zeigte aber das Herz bei diesen Versuchen die geringste Ouellung. Hiervon ab- gesehen bestätigt aber dies Ergebnis voll und ganz die oben ausgesprochene Ansicht, daß der Eintritt der Totenstarre mit der Dauer der Muskelläligkeit in innigen! Zusammenhange steht. Auch Änderungen in der oben angegebenen Reihenfolge des Befalls der verschiedenen Muskeln erklärt Naumann mit verschiedenem Säuregehalt derselben. So fand er an Hunden, die an nervösen Zuckungen gelitten hatten, ein ganz unregelmäßiges Auftreten der Starre in den verschiedenen Muskeln. Durch diese letzte Theorie erklärt sich auch die sogenannte kataleptische Starre, eine Toten- starre, die ganz plötzlich gleich nach dem Tode eintritt. Man beobachtet sie, wenn der Tod den Körper während gewaltiger Muskcianstrengtnigen N. F. XVII. Nr. i{ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2SS überrascht, wie bei Krämpfen, Kopf- und Herz- schiissen bei Sturmangriffen, beim gehetzten Wilde usw. Die Muskeln erzeugen hierbei eine große Menge Säure, deren sie sich wegen des plötzlich eintretenden Todes nicht mehr entledigen können, wodurch sie rasch quellen und die Totenstarre fast augenblicklich auftritt. Heycke. Botanik. Die Lärche und ihre Bedeutung in der schwedischen Forstwirtschaft hat Gunnar Schotte in einer Monographie erschöpfend be- handelt. In Schweden ist die Lärche nicht ein- heimisch. Zwar wird sie schon 1555 von 01a us Magnus erwähnt, der angibt, daß sie massenhaft in den schwedischen Wäldern wachse. Schotte legt indessen unter Wiedergabe einer .-Abbildung aus Olaus Magnus' „Historia de gentibus scp- tentrionalibus" dar, daß eine Namensverwechselung vorliegt und daß in Wahrheit die Eibe gemeint war, die damals in den Wäldern Schwedens häufig vorkam. Die ersten Lärchensamen wurden wahr- scheinlich zuerst um 1750 aus England, die ersten jungen Pflanzen 1 763 auch von dort nach Schwe- den gebracht. Die erste Anpflanzung in größerem Maßstabe entstand 1789 zu Koberg in Västergöt- land mit jungen Lärchen aus Großbritannien. Von diesen jetzt 130 Jahre alten Bäumen finden sich noch mächtige Stämme; vier vom Verf. abgebil- dete Lärchen haben in Brusthöhe 50,7, 57,4, 60,3 und 91,8 cm Durchmesser. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Einführung von Samen aus Deutschland, die sich aber für die Kultur der Lärche in Schweden als nicht günstig erwies. In Norwegen wurde der Baum einer alten Angabe nach um 1740 eingeführt; von den Lärchen indessen, die jetzt dort vorhanden sind, ist die älteste ein in Brusthöhe 95 cm dicker Baum in der Pfarrei Solum bei Skien, Bralsbergsamt, der 1772 gepflanzt wurde. Ein schöner alter Lärchenwald in Nor- wegen, nahe der schwedischen Grenze, stammt aus den Jahren 1802 oder 1803. In Finnland wurden die ersten Lärchen wahrscheinlich 1835 gepflanzt. In Deutschland kamen Lärchenpflan- zungen zuerst 1700 in Gebrauch, und 1731 begann die Kultur dieses Nadelholzes im Harz. Wie die Lärche nach Großbritannien kam, konnte nicht ermittelt werden. Ein englisches Buch von 1596 erwähnt sie zuerst; 1731 soll sie in England ge- mein gewesen sein. Zwei große Bäume zu Dunkeid in Perthshire, „die Mütter" genannt, gelten als die Ahnen der schottischen Lärchen. Die dort an- sässigen Herzöge von Athole haben sich seit 1740 die Anpflanzung von Lärchen angelegen sein lassen. 1829 bedeckten die Kulturen zu Dunkeid und auf anderen Besitzungen 6262 ha; hiervon waren etwa 4000 ha reine Lärchenpflanzungen. Sie lieferten den größten Teil des Samens, der im Lande gebraucht wurde, bis Lärchensamen vom Festlande ein Handelsartikel wurde. Aus dem im Lande ffewonnencn Samen wurden jährlich 30 Millionen Pflanzen erzogen. Von der Ausdeh- nung der Lärchenwälder auf den Besitzungen des Herzogs von Athole gibt die Angabe einen Be- griff, daß um 1880 durch einen Sturm dort 80000 Bäume umgeworfen wurden. Von äußerster Wichtigkeit für die Lärchen- kultur ist die Kenntnis der verschiedenen Rassen, in denen Larix europaea in getrennten Gebieten Europas auftritt. Diese Fragen sind für die Lärchen Deutschlands und Österreichs besonders von Cieslar behandelt worden, der nachgewiesen hat, daß die schlesische oder Sudetenlärche und die Alpenlärche (Tiroler Lärche) klimatische Varie- täten darstellen, wodurch die häufigen Mißerfolge mit der Kultur der Alpenlärche in anderen Gegen- den zum Teil erklärt werden. Diese Verschiedenheit der beiden Rassen macht sich auch in Schweden geltend, wo Pflanzen aus schlesischen Samen rascheres Wachstum und geradere Stämme zeigen als solche der Tiroler Lärche. Die schottische Lärche ist gleichfalls eine besondere Rasse, die nach ihren Eigenschaften der schlesischen nahe steht. Als besondere Kennzeichen dieser var. scotica im Vergleich mit der Tiroler Lärche wird angegeben, daß sie etwas kürzere und dunklere Nadeln und etwas Ideinere Zapfen habe. In Schottland entwickelt sie auch ihre Nadeln später im Frühling und wirft sie im Herbst etwas früher ab. Dadurch ist sie den Herbst- und Frühlings- frösten weniger ausgesetzt als die Tiroler Lärche. Schotte fand außerdem, daß die schottischen Lärchen Schwedens eine beträchtlich dünnere Rinde haben als die Tiroler Lärchen. Sie wachsen auch etwas rascher, bilden nicht so viel krumme Stämme und haben kleinere, weniger buschige Kronen. Entsprechend dem, was über die Einführung von Lärchensamen und -pflanzen aus Schottland und Deutschland und Österreich nach Schweden ge- sagt wurde, stammen die älteren Lärchenwälder dort alle aus Schottland. Sie sind durch viele gute Eigenschaften ausgezeichnet, während jüngere Lärchenwälder schlecht gebildete Stämme und Kronen haben. Schotte glaubt, daß dies nicht auf klimatischen Einflüssen, sondern auf Erblich- keit beruhe. Die starke Nachfrage nach Lärchen- samen habe dahin geführt, daß man zu deren Gewinnung immer höher auf die Berge gestiegen sei und die Samen von mehr und mehr krüppel- haften Bäumen gesammelt habe. Von der Ein- führung von Samen aus den Alpen müsse daher für Schweden in der Zukunft ganz abgesehen werden; nur schottische (Dunkeid-) und schlesische Lärchen dürften für die Samenlieferung in Betracht kommen. Am besten aber sei es, den Samen den alten, schönen, geradwüchsigen Wäldern Schwedens zu entnehmen. Die Lärche in Schweden hat unter den Insekten eine ganze Reihe von Feinden, doch ist die Kennt- nis davon noch unvollständig. Unter den schäd- lichen Pilzen ist der wichtigste der Lärchenkrebs- erreger Dasyscypha Willkommii, der überall auf- tritt, wo die Lärche kultiviert wird. Zu seiner Bekämpfung ist starkes Lichten, Erziehung ge- 256 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVTI. Nr. i8 mischter Bestände (vorzüglich mit Kiefer) und Vermeidung der Anpflanzung an feuchten, tief- gelegenen Stellen ratsam. Bisher ist nichts derart in Schweden geschehen, und man hat das Auf- treten des Pilzes immer zum Anlaß genommen, der Lärche das Urteil zu sprechen. Das Lärchenholz ist von vorzüglicher Bescliaften- heit und eignet sich zu Pfählen, zum Hausbau, zu Kraftübertraguiigs- und Telephonstangen, zu Eisenbahnschwellen usw. Die sibirische Lärche, Larix sibirica, die mit Larix europaea und der im westlichen Rußland, Polen und Galizien auftretenden L. polonica von neueren Systematikern nur als Varietät ein und derselben Gattung angesehen wird, ist zwar in Finnland schon 1738 angesät worden, aber Nor- wegen erhielt sie erst 1886 und Schweden nach 1890, wahrscheinlich unter dem Einfluß eines Er- lasses der finnischen Forstverwaltung, die die aus- gedehnte Anpflanzung der L. sibirica in den finnischen Kronwäldern anordnete. Es ist ein ausgesprochen nordischer Typus und verträgt eine zu weite Verpflanzung nach Süden nicht; die An- nahme, daß L. sibirica besonders guten Boden verlangt, ist aber nicht richtig. In Südschweden gedeiht L. europaea gewöhnlich besser als L. sibirica. Als Pflanze, die an ein trockenes Kontinentalklima gewöhnt ist, dürfte dieser auch das feuchte VVestschweden nicht zusagen. In Norwegen hat man angefangen, zur Gewinnung guter Eisenbahnschwellen sibirische Lärchen in großem Maßstabe längs der Bahnlinien anzu- pflanzen. Schotte empfiehlt solche Anpflanzungen auch aus Gründen des Brandschutzes, da L. sibirica eine merkwürdige Widerstandskraft gegen das Feuer besitzt. Der Baum eignet sich sehr zur Kultur im nördlichen und mittleren Schweden. P> liefert einen großen Prozentsatz gerader Stämme und ist in dieser Hinsicht der schottischen Lärche vergleichbar. Dem Lärchenkrebs ist er ebenso ausgesetzt wie die europäische Lärche. Das Holz ist ausgezeichnet und möglicherweise noch dauer- hafter als das von L. europaea. Die japanische Lärche, L. leptolepis, mit deren Anbau als Waldbaum in Schweden Ende des vorigen Jahrhunderts begonnen wurde, eignet sich zur Kultur im südlichen Schweden bis hinauf zu etwa 60 *' n. Br., ist aber sehr buschig und nur für reine Bestände auf bestem Boden zu empfehlen, wenn in kurzer Zeit großer Ertrag erlangt werden soll ; doch ist das Holz nicht so wertvoll wie das von Larix europaea und sibirica. Noch einige andere asiatische sowie amerikanische Lärchen kommen für den Anbau in Schweden in Betracht. (Meddelanden fran Statens Skogsförsöksanstalt. Stockholm 191 7. Schwedisch. S. 529—840 und [I]— [16]. Englischer Auszug S. LIX— LXXXIV). F. Moewes. Das Verhalten der Bakterien im Gewebe der Pflanzen ist von Erich Berthold behandelt worden (Jahrb. wissensch. Bot. LVII. 1917). Wenn auch das lebende Gewebe für die Ernährung der Bakterien nicht in Betracht kommt, kann man doch fragen, ob sie nicht in totem Gewebe günstige Lebensbedingungen finden. Berthold untersuchte daher zunächst, ob krautige Stengel sowie Kern- und Splintholz, dieses besonders in pilzkranken Bäumen, liakterien enthalten. S t ö r m e r (Jahresber. Ver. angew. Bot. VII. 1910) hatte solche im Kernholz kranker Kirschbäume stets gefunden, vereinzelt sogar in gesundem Holze. Die von B e r t h o 1 d untersuchten Bäume {Prunus, Quercus, Ulmus, Aesculus, Crataegus, Picea) verhielten sich stets entgegengesetzt und enthielten ebenso wie krautige Stengel niemals Bakterien. Aufschwem- mungen von Bactcriuiii prodi^iosuiu u. a. wurden vom Transpirationsstrom zwar aufgenommen, stiegen aber nie sehr hoch im Stamm empor. Die größte beobachtete Höhe betrug bei einigen Lianen 1 5 cm. Bei den Koniferen, deren Tracheiden nur kurz sind, war das Ergebnis negativ. Nur im älteren Splintholz lassen die Querwände beschränkt Bakterien hindurch, wirken also mehr oder weniger filtrierend. Das gleiche gilt auch für Pilzsporen. So muß es fraglich erscheinen, ob bei solchen Krankheiten, bei denen die sie verursachenden Bakterien in den Gefäßen sitzen, die Erreger wirklich durch den Saftstrom mitgenommen werden. Damit würde die gelegentliche Beobachtung über- einstimmen, daß die Infektion oft im entgegengesetz- ten Sinne fortschreitet. Wurden in krautige Stengel oder lebendes Holz Bakterien injiziert, so blieben sie zwar sehr lange am Leben, vermehrten sich aber niemals und gingen schließlich zugrunde. Ihr langes Leben erklärt sich aus ihrer großen Wider- standsfähigkeit gegen ungünstige Verhältnisse; auch finden sie wohl anfangs in den bei der Injektion verletzten Zellen ein beschränktes Nähr- substrat. Irgendeine Gegenwirkung der Pflanze ließ sich nicht beobachten. Ganz ähnlich verhielten sich die Bakterien auf isoliertem lebendem Gewebe. Sie vegetierten eine Zeitlang ohne sich zu ent- wickeln, dies trat erst ein, nachdem das Substrat abgestorben war. Kr. Zoologie. Die Tüpfelhyäne [Hyacna (Crocotta Kaup.) crocuta Erxl.] in der Gefangenschaft zur Vermehrung zu bringen gehört zu einem seltenen Zuchterfolg der Tierhaltung. Das Resultat der Züchtung wird nicht etwa durch eine schwierige Aufzucht der Jungtiere oder durch Störungen, die bei der Geburt eintreten, in Frage gestellt, sondern scheitert lediglich an der Schwierigkeit ein Zucht- pärchen zusammen zu stellen. Bei allen höheren Tieren, die sich durch Ge- schlechtsdimorphismus auszeichnen, lassen sich Männchen und Weibchen leicht schon durch deutlich wahrnehmbare sekundäre Geschlechts- merkmale unterscheiden. Sind solche nicht vor- handen oder nur schwach ausgebildet, so können wir sie aber mit Sicherheit an den äußeren Geni- talien unterscheiden. Diese beiden Mittel die Ge- N. F. XVII. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 257 schlechter zu trennen, lassen uns jedoch bei der Tüpfelhyäne vollkommen im Stich. Schon Watson (Proc. Zool. Soc. London 1877 p. 369/78 u. 1878 p. 416/28) und Chapman (Proc. Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1888 p. 189 '93) berichten über diese merkwürdigen Verhältnisse, die zu allerhand IVlärchen wie Hermaphroditismus und willkürlichen Geschlechtswechsel bei der Tüpfelhyäne Anlaß gegeben haben. Neuerdings hat Georg Grimpe, Leipzig, in seinen „Hyäno- logischen Studien" (Zool. Anz. Bd. XLVIII, 2) diese Merkwürdigkeiten zur Sprache gebracht. Die beiden Geschlechter der Tüpfelhyäne gleichen sich aufs verblüffendste, denn das Weibchen hat ein Scheinscrotum, ein Perineum von typisch männlicher Ausdehnung und sogar ein erektions- fähiges, penisartiges Gebilde, das Grimpe als einen „weiblichen Penis" bezeichnet. Das Schein- scrotum dient nicht, wie man meinen sollte, zur Aufnahme der Ovarien, sondern ist leer. Da der Canalis urogenitalis durch diesen „weiblichen Penis" führt, so muß man annehmen, daß Befruchtung sowie Geburt durch denselben erfolgt. Beide Vor- gänge konnten leider von Grimpe nicht be- obachtet werden, doch ist anzunehmen, daß bei denselben eine Erektion nicht stattfindet. Stark erigiert wird der weibliche Penis nur bei den Liebes- spielen, welche dem Coitus vorausgehen. Zweifelsohne handelt es sich hier um eine se- kundäre Angleichung der sekundären Geschlechts- merkmale, denn es ist nicht anzunehmen, daß es ein primitiver Typus ist, der auf einen ehemaligen Hermaphroditismus der Säugetiere hindeutet. Solche Angleichungen sind wohl im Tierreich bekannt, so z. B. unter den Säugern das Geweih des weiblichen Renntieres, doch sind sie in so auf- fallender Form selten. (Vergl. hierzu Meiscn- heimer in Verh. D. Zool. Ges. 1913 p. 18/56.) Auch haben diese merkwürdigen Geschlechts- verhältnisse eine systematische Bedeutung. Die Streifenhyäne (Hyaena hyaena L.) unterscheidet sich scharf von der Tüpfelhyäne [Hyaena (Crocotta Kaup.) crocuta Erxl.], da sie von den oben er- wähnten Merkmalen nichts erkennen läßt. Weitere unterscheidende Merkmale der beiden Hyänenarten sind : Die Anzahl der funktionierenden Brustdrüsen (4 u. 2), die neugeborenen Jungen, welche von der Streifenhyäne wenig entwickelt, blind sind und das Haarkleid der Eltern tragen; während die Jungtiere der Tüpfelhyäne weitentwickelt, sehend sind und ein dunkles schwarzbraunes Haarkleid aufweisen. Es erscheint daher ganz berechtigt, wenn Grimpe eine generische Ab- trennung der Crocotta von Hyaena vorschlägt. F. Reinhold, Wien. Die Drüsenzellen der Schneckenleber. Zieht man eine Schnecke aus ihrem Gehäuse, was be- kanntlich nach ihrem Abtöten in heißem Wasser oder in heißen Wasserdämpfen wahrscheinlich in- folge Lösung des Kollagens in der Selinc des Spindelmuskels leicht gelingt, so findet man die oberen Windungen stets fast gänzlich erfüllt von einem großen, meist bräunlichen Gebilde, der so- genannten Leber. Da dieses Organ sowohl resor- bierende wie sezernierende Funktion hat, wird es auch als Hepatopankreas bezeichnet(Hepar =^ Leber, Pankreas = Bauchspeicheldrüse). An den Zellen dieses Organs machte H. L u t z ^) auf histologischem Wege folgende Feststellungen: In der ruhenden Zelle findet man außer sich blaß färbenden Sekret- ballen I. die sogenannten Mitochondrien, kleine, besonders bei Anwendung der Bendamethode mit Kristallviolett färbbare Körnchen, und 2. stark basophile, also mit Kernfarbstoften färbbare Fäden und Wickel, die zum Teil schon ohne Färbung an der lebenden Zelle erkennbar sind. Wird die Funktion der Drüse durch Hunger gestört, so staut sich das Sekret in der Zelle an, und in gleichem Maße vermindern sich die beiden anderen Strukturen, und zwar derart, daß Mitochondrien- körnchen am ehesten in immer stärker sich win- denden fädigeti Körnchenreihen nachweisbar sind und auch die basichromatischen Fäden sich immer mehr zusammcnknäueln. Zugleich nehmen Größe und Färbbarkeit des Kerns ab. Beim Beginn neuer Tätigkeit entstehen zuerst an der Zellbasis neue Mitochondrien, dann ebenda neue basichro- matische Fäden, die Menge dieser Strukturen ist also denen der Sekret masse stets umgekehrt pro- portional. Hieraus kann man schließen, daß Mito- chondrien und basophile Elemente an der Bildung des Sekrets beteiligt sind und ihrerseits im Proto- plasma entstehen, doch nicht ohne Beteiligung des Kerns, wie dessen wechselndes färberisches Ver- halten zeigt, obschon ein sichtbarer Substanz- austritt aus ihnen nicht konstatiert werden kann. Da ebensolche Mitochondrien, wie hier in Drüscnzellen, noch in zahlreichen anderen Zell- arten auftreten, dürften sie wohl auch in ihnen an der Bildung von Protoplasmaprodukten, wie Nerven und Muskelfasern, Pigmenten und anderen, mitwirken. Die offenbare Beteiligung des Kerns indessen bestätigt auch hier in gewissem Umfange die Hertwig- Gold Schmidt' sehe Chromidienlehre, nach der zahlreiche Zellorgane als Abkömmlinge des Zellkerns aufzufassen wären. Ref. Die basophilen Fäden finden sich nur in Drüsenzellen. Das oben Gesagte bezieht sich auf die s e z e r - nierenden Zellen in der Leber der Teller- schneckc, Planorbis corneus. Neben ihnen gibt es in dem Organ, entsprechend dessen zweifacher Funktion, noch resorbierende Zellen. So ver- schieden diese beiden Zellarten aber auch aus- sehen — jene sind umfangreich, bauchig, mit großem Kern, diese haben einen ganz schmalen Fuß mit äußerst schmalem Kern und einen keulen- förmig verdickten, in das Lumen der Drüse weit vorragenden freien Endteil, der mit Tröpfchen der resorbierten Masse durchsetzt ist — es besteht ') Biologisches /,ciilialM;Ut , Bd. 37, lyiy, De beft, S. 563—573. 2S8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. i8 zwischen beiden kein grundsätzlicher Unterschied, vielmehr gehen bei starker Fütterung zahlreiche Sekretionszellen in Resorptionszellen allmählich über, und das Umgekehrte beobachtet man bei Hunger. Mitochondrien finden sich auch in den resorbierenden Zellen, basophile Fädenelemente nicht. V. Franz. Brutpflege bei einer Wanze. A. C. Jensen- H a a r u p (Silkeborg Dänemark) fand Anfang Juli auf einem Birkenblatt eine weibliche Wanze {Elasi/ioski/iiis grisciis L.), welche sich trotz aller Anstrengungen von ihrem Platze nicht vertreiben ließ. (Entomologische Mittei- lungen Bd. VI 191 7 Nr. 4/6 S. 187/88.) Die genauere Untersuchung ergab, daß das $ „mit ausgesperrten und halb aufrechten Beinen die ca. 50 ausgeschlüpften Jungen mit seinem Körper zu schirmen versuchte . . . Wenn die Mutter be- unruhigt wurde, bewegte sie blitzschnell, krampf- haft den Körper, ohne die Füße von ihrem Platze auf dem Blatte zu nehmen". Nachdem die Larven sich gehäutet hatten und die ersten F'lügelstummel sich zeigten, versuchten einige der Larven, beson- ders wenn reichlich Licht vorhanden war, sich dem Schutze der Mutter zu entziehen. Diese „gab aber fortwährend genau acht, den Schwärm zu^ sammenzuhalten, oft wie ein Huhn seine Hühn- chen hütet." Des Abends fanden sich stets alle Larven wieder wie gewöhnlich zusammen und die Mutter bedeckte sie mit ihrem Körper. Mit dem zunehmenden Alter der jungen Brut vernachlässigten die Larven den mütterlichen Schutz, ballten sich auch des Abends nicht mehr zu einem Klumpen zusammen, den die Mutter mit ihrem Leibe schützen konnte. Die Mutter hielt sich aber auch dann noch in ihrer Nähe, um ihnen ihren Schutz angedeihen zu lassen. Jensen-Haarup konnte dabei eine belangreiche Beobachtung darüber machen, wie die Wanze ihre Jungen zu be- schützen vermag: eines Tages summte eine kleine, dunkle Fliege im Zuchtglase, die zufällig hinein- geraten war; sobald sie in die Nähe der Wanzen- mutter kam, schwirrte diese „ruckweise mit den Deckflügeln, sodaß die kleine Fliege weggeweht wurde". „Möglicherweise", so schließt Jensen- Haarup, „deutet dieses Beispiel die einzige Weise an, in welcher ein Pentatomidenweibchen seine Brut z. B. gegen Angriffe von kleinen Ichneitmo- iiideii (Schlupfwespen) schützen kann." H. W. Frickhinger. Bücherbesprechungen. Molisch, Prof. Dr. Hans. Pflanzenphysio- logie. Mit 63 Abb. im Text. 102 S. „Aus Natur u. Geisteswelt" Bd. 569. Leipzig u. Berlin 1917. Verlag von B. G. Teubner. — geb. 1,50 M. Es ist sehr zu begrüßen, daß die Teubner'schc Sammlung „Aus Natur u. Geisteswelt" nunmehr auch ein Bändchen über das so wichtige Gebiet der Pflanzenphysiologie herausgebracht und als Verf. den als Fachgelehrten rühmlichst bekannten Direktor des Wiener pflanzenphysiologischen Institut, Hans Molisch gewonnen hat. Es ist ganz natürlich, daß bei dem beschränkten Räume manches Kapitel reichlich kurz behandelt wird; aber man kann wohl sagen, daß nichts Wesent- liches fortgeblieben ist, und daß das vorliegende Büchlein einen guten Überblick über die viel- seitigen Ergebnisse der Pflanzenphysiologie gewährt. Eine größere Anzahl von guten Abbildungen, meist Originalbildern nach Photographien oder Zeichnungen, geben dem Werk eine gute Aus- stattung. Pratje. M. Schlick, Raum und Zeit in der gegen- wärtigen Physik. Zur Einführung in das Verständnis der allgemeinen Relativitätstheorie. 63 Seiten. Berlin 1917, J. Springer. Die auf kritische Analyse des Raum- und Zeit- begriffs begründete Einstein'sche Relativitätstheorie ist für die Ausgestaltung des gesamten modernen Weltbildes von so ungeheurer prinzipieller Be- deutung, daß für jeden irgendwie naturwissen- schaftlich oder erkenntnistheoretisch Interessierten das unabweisliche Bedürfnis besteht, Einblick in die neue Gedankenwelt zu gewinnen. Das im Jahre 1905 auf der Grundlage des altenGaiileischen Relativitätspostulats der Mechanik durch Hinzunahme der Relativierung der Zeit für die gesamte Physik aufgestellte „spezielle Relativi- tätsprinzip" kann dem allgemeinen Verständnis bereits als gesicherter Besitz gelten. Es besagt, wie bekannt, daß niemals in der Welt eine gleich- förmige Absolutbewegung nachgewiesen werden kann, d. h. daß alle Naturvorgänge in genau gleicher Weise verlaufen, ob man ihre Be- schreibung auf ein ruhend gedachtes oder ein be- liebiges anderes, mit gleichförmiger Geschwindig- keit sich bewegendes Koordinatensystem bezieht. Größere Schwierigkeiten bietet demgegenüber die im Jahre 191 5 von Einstein in seiner „all- gemeinen Relativitätstheorie" durchgeführte Ver- allgemeinerung des Begriffs der Relativität, mit der die Gültigkeit des Prinzips nicht mehr ledig- lich für gleichförmige, sondern vielmehr für ganz beliebige, also auch beschleunigte Be- w e g u n g e n gefordert wird. Sie führt auf Grund des sog. Äquivalenzprinzipes, d. h. der physikalischen Erkenntnis von der Gleichheit der schv^eren und der trägen Masse, alle in beschleu- nigten Systemen sieh geltend machenden Träg- heitswirkungen nuf Gravitationswirkung seitens der umgebenden Körperwelt zurück. Da ein Unter- scheidungsmittel zwischen beiden möglichen Ur- N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2S9 Sachen, der Absolutbeschleunigungf und der Gravi- tation, prinzipiell fehlt, so kann die Newton'sche Auffassung von der dynamischen Unterscheidungs- mögHchkeit absoluter Beschleunigungen in der Mechanik tatsächlich nicht aufrecht erhalten werden. Das bisher größte spezielle Ergebnis dieser Ver- allgemeinerung ist die Einstein'sche Gravitations- theorie, deren Gleichungen in der Form von Differentialgesetzen in erster Näherung, wie es sein muß, zur Newton'schen Attraktionsformel führen, darüber hinaus aber, wenn bis zur zweiten An- näherung verfolgt, auch von bisher unerklärlichen Erscheinungen der Himmelsmechanik, insbesondere der Anomalie der Perihelbewegung des Merkur, ungezwungen Rechenschaft geben. Wenn demnach das Postulat der Relativität aller Bewegungen nicht nur erkenntnistheoretisch betrachtet sondern auch vom Standpunkt gewisser Erfahrung als allgemeinster Ausdruck des Natur- geschehens fundamentale Bedeutung gewinnt, so möchte Ref. doch auf die großen Schwierigkeiten hinweisen, die seiner Ausdehnung auf solche Fälle, in denen nichtmassenproportionale Kräfte ins Spiel treten, für das Verständnis entgegen- stehen und die besonders auffällig werden bei dem Versuch, die Konsequenzen seiner Anwendung auf spezielle Erscheinungen dieser Art mit der Erfah- rung zu vereinen. t)ie vorliegende Schrift stellt sich die Aufgabe, in das Verständnis der Grundlagen der allgemeinen Relativitätstheorie ohne Benutzung der kompli- zierteren mathematischen Hilfsmittel einzuführen. Sie wendet sich damit an weitere gebildete Kreise, denen die vortreffliche Darstellung durcliaus empfohlen werden kann. Verf. zeichnet besonders klar die Stellung des neuen Prinzipes zur Newton- schen Mechanik und entwickelt in durchsichtiger Weise die Einstein'sche Kritik und Neugestaltung der Begriffe von Raum und Zeit, die das Funda- ment der neuen Lehre bilden. Der Leser könnte wohl nur noch wünschen, die betreffenden allge- meinen Argumente an schwierigeren Stellen mehr durch ihre Anwendung auf spezielle, leichter vor- stellbare Fälle veranschaulicht zu sehen. A. Becker. Max Hartmann und Claus Schilling, Die pathogenen Protozoen und die durch sie verursachten Krankheiten. Zugleich eine Ein- führung in die allgemeine Protozoenkundc. Ein Lehrbuch für Mediziner und Zoologen. 462 S. mit 337 Textabbild. Berlin, Julius Springer, 19 17. An einer wirklich zuverlässigen lehrbuchmäßigen zusammenfassenden Darstellung unserer Kenntnisse von den pathogenen Protozoen hat es bisher ge- fehlt. Das vorliegende Werk von Hart mann und Schilling kann daher von vornherein auf ein größeres Interesse rechnen, um so mehr als es in gleicher Weise den verschiedenen Ansprächen des Mediziners wie des Zoologen gerecht wird. Der Mediziner findet hier nicht nur eine ein- ■ gehende und dabei doch knapp gehaltene Be- schreibung von Bau und Entwicklung aller beim Menschen (und der wichtigsten bei Nutztieren) vorkommenden pathogenen und parasitischen Protozoen, sondern im Anschluß daran auch immer eine sachverständige Darstellung der von ihnen hervorgerufenen Krankheitserscheinungen, ein- schließlich der pathologisch-anatomischen Ver- änderungen, der Therapie und Epidemiologie. Und auch der Zoologe wird über alle ihm bei diesen — seit den Arbeiten Schaudinn's ja für ihn nicht weniger wichtigen — Gruppen inter- essierenden Verhältnisse zuverlässige und aus- reichende Belehrung finden. Besonders ist dabei noch zu vermerken, daß neben den heute relativ leicht zu schildernden Gattungen wie Trypano- somen oder Malariaerreger auch Ordnungen wie die Myxo- und Mikrosporidien, über die bisher meist noch recht widerspruchsvolle Vorstellungen herrschen, eine — wohl die erste! — klare Dar- stellung erhalten haben. Für den Biologen noch wertvoller als der die einzelnen pathogenen Gattungen und Arten be- handelnde zweite Teil des Buches erscheint aber dem Referenten die ihm vorangestellte allgemeine Protozoenkunde. Auf etwas über 100 Seiten wird hier eine Einführung in die Morphologie, Physio- logie und Ökologie der Protozoen gegeben, die sowohl dem Anfanger die Ergebnisse und Probleme der modernen Protozoenforschung vermittelt, da- rüber hinaus aber auch gerade dem erfahreneren Biologen eine Fülle von Anregungen bieten kann. Handelt es sich dabei doch nicht um eine mehr oder weniger schematische Wiederholung schon oft geschilderter Verhältnisse, sondern um eine eigene geistige Verarbeitung und Durchdringung des vielseitigen Gebietes, eine Verarbeitung, die über den Einzeltatsachen die großen Zusammen- hänge und Fragen nicht aus dem Auge verliert. Besonders zeigt sich dies bei den Kapiteln über Fortpflanzung, Befruchtung undGenerationswechsel, die hier wohl zum ersten Male eine gründlich durchdachte, dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse und Erkenntnis entsprechende Bearbei- tung gefunden haben. Bei der Darstellung eines noch so vielfach umstrittenen P'orschungsgebietes ist eine persön- liche Stellungnahme zu manchen Fragen kaum vermeidbar, zumal wenn die Verfasser zum großen Teil auf eigenen Untersuchungen und Erfahrungen fußen. Diese persönliche Stellungnahme wird denn auch im Vorworte betont und wird andererseits sicherlich auch manchen Widerspruch hervorrufen; so z. B. wenn die Blutparasiten — trotz neuerer Einwände dagegen — im Sinne der Binucleaten- lehre Hartmann's zusammengefaßt werden, wenn für einen Teil der bisherigen „Spirochaeten" der neue Name „Spirosoma" geprägt wird (und der Mediziner, der sich kaum der Bezeichnung „Spirillosen" entwöhnen kann, jetzt von „Spiro- somosen" sprechen soll — um bei weiterer Klärung vielleiclit abermals einen neuen Namen einzutau- schen!) oder wenn die verschiedenartigen Kern- 26o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. iJ strukturen der Protozoen ganz im Sinne der von H a r t m a n n schon früher entwickelten Auffassungen zur Darstellung kommen. — Doch das sind Einzel- heiten und Anschauungssachen, die natürlich in keiner Weise den Wert eines Werkes beeinträch- tigen können, das zweifellos die Kenntnis der Protozoen verbreiten und vertiefen und weiterhin zu neuen Forschungen anregen wird. Mit einigen Worten sei noch auf die treffliclie Ausstattung des Buches hingewiesen. Durch sehr zahlreiche und meist recht instruktive neue Ab- bildungen ist dafür gesorgt worden, daß das Werk auch in dieser Hinsicht einen eigenen Charakter aufweist. V. Jollos. F. Auerbach, Die Grundbegriffe der mo- dernen Naturlehre. Einführung in die Physik. 40. Bändchen von „Aus Natur und Geistes weit". 4. Auflage. 146 Seiten mit 71 Fi- guren im Text. Leipzig und Berlin 1917, B. G. Teubner. — Geb. 1,50 M. Wir benutzen gerne die durch das Erscheinen der vorliegenden Neuauflage gegebene Gelegen- heit, diese vortreffliche allgemeinverständliche Be- handlung der allgemeinen Grundbegriffe der Physik, auf die in dieser Zeitschrift schon früher mehrfach hingewiesen worden ist, angelegentlich zu empfehlen. Wer einen klaren Einblick in die Zusammenhänge des Naturgeschehens zu gewinnen wünsclit, dürfte ihn kaum in geeigneterer Form geboten finden. Der neueren Kenntnis wird durch kurze Ergänzungen des älteren Textes Rechnung getragen. A. Becker. Th. Silbermann, Der Weltanfang und die Bildung von Energien und Stoffen. 142 S. Halle a. S. 19 17, Kommissionsverlag: Louis Neberts Verlag. — 3 M. Verf. glaubt, den ihm völlig unklaren inneren Zusammenhang einer Reihe physikalischer und chemischer Erfahrungstatsachen in eigener Weise neu formulieren und damit allgemein unsere ge- samte Auffassung vom Naturgeschehen umgestalten zu müssen. Zur Charakterisierung seiner Be- trachtungsweise möge einer der zusammenfassenden Schlußsätze der Schrift angeführt werden: „Aus dem Bestreben des Nichts, Raum zu bilden, sind pendelnde Spannungen entstanden, deren Wert Nichts ist. Aus diesen pendelnden Zuständen haben sich pendelnde Ausgleiche entwickelt, die die Zeit als vierte Raumdimension herausgebildet haben. Von der Zeit abhängig haben sich durch eine fortschreitende Degradation gleichzeitig die rotierend pendelnden Bewegungen der Himmels- körper und die Substanzen gebildet." Ein näheres Eingehen auf den Inhalt dürfte danach entbehrlich sein. A. Becker. Froriep. A. v., Schädel, Totenmaske und lebendes Antlitz des Hoffräuleins Luise von Goch hausen. IMit 20 Abb. Leipzig 191 7. J. A. Barth. 3,00 M. Das schmale, gut ausgestattete Heft bildet einen Nachtrag zu des Verfassers bekannten Untersuchungen über Schillers Schädel. Er wurde dadurch notwendig, daß R. N e u h a u ß behauptet hatte, der von Froriep identifizierte Schädel sei gar nicht der Schillers, sondern gehöre dem Frl. v. Göchhausen, der Hofdame von Anna-Amalia. Der Verfasser weist nun in durchaus überzeugender Weise nach, daß ein anderer der von ihm seiner- zeit im Kassengewölbe zu Weimar vorgefundenen Schädel derjenige des Fräuleins ist, indem er ihn mit der Lebens- und Totenmaske, mit der Klauerschen Porträtbüste sowie anderen erhaltenen Bildnissen, darunter mit einer sehr charakteristi- schen Zeichnung Goethes vergleicht. Die Ent- scheidung wird dadurch erleichtert, daß die Hof- dame bucklig war und die Wirbelsäulenskoliose sich auch bis in den Schädel fortpflanzt, an dem ganz charakteristische Asymmetrien auftreten. Diese fanden sich nun auch an dem Schädel in typischer Ausprägung, der gleichzeitig von deutlich weiblichem Habitus war. Damit darf dieser Ein- wand als erledigt gelten und damit auch mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die Frage nach dem echten Schädel Schillers, Am Schlüsse werden noch interessante Mitteilungen gemacht über die zukünftige Ruhestätte der Schädel, die Froriep im Kassengewölbe vorfand. Unter ihnen ist auf Anordnung des Groß- herzogs Wilhelm Ernst der von dem Verf. als der echte Schillerschädel nachgewiesene Schädel samt den Gebeinen bereits in der Fürstengruft beigesetzt worden, so daß jetzt dort beide Re- liquien, nämlich die 1826 als die Reste Schillers bezeichneten und die 191 1 von Froriep als solche nachgewiesenen bis zu einer späteren endgültigen Entscheidung nebeneinander ruhen. Die übrigen 62 Schädel sollen in würdiger P^orm wieder im Kassengewölbe beigesetzt werden, sobald dieses nach dem Kriege wieder aufgebaut sein wird. Vorläufig ruhen sie in einem Sarkophag in der „alten Friedhofskapelle". Miehc. Büsgen, Prof. Dr. M. Bau und Leben unserer Wa 1 d b ä u m e. Mit 1 29 Abbildungen im Text, 2. umgearbeitete Auflage. Jena '17 Ct. Fischer. — 9 M. „Der Verfasser, der an der P'orstakademie in Hann. -Münden wirkt, hat in diesem Buche in einer übersichtlichen Form alles das verarbeitet, was an wissenschaftlichen Daten über unsere Wald- bäume vorliegt. Habitus, Morphologie und Ana- tomie des Baumes und seiner einzelnen Teile, Wachs- tumsweise, Lebenstätigkeit, Lebenslauf werden aus- führlich auf Grund einer ausgedehnten Literatur geschildert, wobei überall auch forstwirtschaftliche und technische Beziehungen Berücksichtigung finden. Das in der vorliegenden Neubearbeitung wesentlich bereicherte Buch ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Forstleute, denen es solide wissenschaftliche Keimtnissc vermittelt, ein sehr erwünschtes Nachschlagebuch für den Botaniker N. F. XVII. Nr. i8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 261 und eine wann zu empfehlende Quelle der Be- lehrung und Anregung für jeden Freund unseres Waldes. Miehc. Gustav Freiherr v. Nordenflycht, Das Deut- sche Weidwerk. Aus Natur und Geistcs- welt, 436. Bändchen. Leipzig und Berlin. B. G. Teubner 1917. 118S. — Preis: geheftet 1,20 IVI., geb. 1,50 M. Das Büchlein des Freiherrn v. Nordenflycht ist eine kurze , aber vorzügliche , inhaltreiche, ebenso sachlich wie anregend geschriebene Ein- führung in die Geschichte des deutschen Jagd- wesens und Jagdrechts, die VVeidmannssprache, die Naturgeschichte aller wichtigeren Jagdtierc und der Jagdhunde und in die verschiedenen Jagd- arten. Es wird von ausübenden Jägern und allen Beobachtern unserer heimischen Warmblülerwelt mit Gewinn benutzt werden. Auch sittliche Werte sind ihm eigen. Eine einzige Kleinigkeit fand ich, die auszustellen wäre: es ist wohl nicht richtig, daß der Graue Fischreiher Nachstellungen außer wegen seines Schadens für die Fischerei auch wegen der Reiherfedern erleide, obwohl man dieser Meinung oft begegnet; sondern der begehrte Federschmuck stammt vom Silberreiher und Seiden- reiher, zwei bei uns äußerst seltenen Arten. V. h^ranz. Siemens, Hermann Werner, Die biologi- schen Grundlagen der Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. Für Gebildete aller Berufe. Lehmanns Verlag, München, 191 7. — 2 M. Die biologischen Grundlagen der Rassenhygiene werden durch nichts anderes dargestellt als durch die moderne Vererbungslehre, wie sie sich an den Namen Mendels knüpft. Und so wird der größere Teil des Büchleins eingenommen durch einen Überblick über die wichtigsten Errungen- schaften dieser neuen Wissenschaft. Die Ausarbei- tung dieses Überblickes ist dem Verf. gut gelungen ; bemerkenswert ist sein Bestreben, die technischen Ausdrücke zu verdeutschen. Man lernt von ihm, daß dabei mancherlei erreichbar ist. — Aus der Vererbungslehre geht nun hervor, daß die erb- bildlichen (idiotypischen) Anlagen das Wesentliche sind, daß äußere Einflüsse, die das Erbbild nicht ändern, auch für die Nachkommenschaft gleich- gültig sind, daß vielmehr nur erbändernde Ein- flüsse und die Auslese die einzigen treibenden Kräfte der Stammesentwicklung sind. So haben auch für die Bevölkerungspolitik äußere (neben- ändernde oder parakinetische) Einflüsse, wie sie durch die Erziehung und Hygiene usw. dargestellt werden, nur für die grade lebende Generation ihren Wert, und da die erbändernden Einflüsse wie schon in der freien Natur so natürlich auch im menschlichen Leben dem menschlichen Wissen noch gänzlich unzugänglich sind, so bleibt als einzige und wichtigste Aufgabe der Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik die Beeinflussung der Aus- lese. Es handelt sicli darum, den tüchtigsten Gliedern des Volksganzen die Möglichkeit zu einer ausgiebigen Fruchtbarkeitsauslcse zu schaffen. Wer diese Tüchtigsten sind, darüber wird ja wohl ge- stritten werden können. Sie werden nach Verf. dargestellt durch die „gesellschaftlich und wirt- schaftlich hochsteigenden Familien": an anderer Stelle spricht er von den führenden Kreisen, die doch im großen Ganzen auch die Besitzenden seien. — Welches sind aber die Mittel, die der gestellten Aufgabe die Wege ebnen sollen? In dem Büch- lein nehmen sie nur wenig Seiten ein, Verf be- tont die Sonderbelastung Kinderloser und Kinder- armer, eventuell eine Ausgestaltung des Erbrechtes nach geburtenpolitischen Gesichtspunkten und end- lich eine weitgehende Lehensiedlungspolitik. Dem Büchlein ist beigefügt eine Übersicht über die wichtigsten rassenhygienischen Schriften, ein Aufruf der deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene und ein Verzeichnis der Fachausdrücke mit ihrer Verdeutschung. Hübschmann (Leipzig). Lange, Willi G., Die funktionelle Anpas- sung, ihre Grenzen, ihre Gesetze in ihrer Beziehung für die Heilkunde. — Nach dem Tode des im Felde gefallenen Ver- fassers herausgegeben von Wilhelm Roux. Berlin, Julius Springer, 191 7. — 2,40 M. Verf. geht aus von dem verschiedenen Ver- halten einesi\Iuskels verschiedenen Beanspruchungen gegenüber. Leistet ein Muskel in der Zeiteinheit wie beim Athleten erhöhte Arbeit, so hypertro- phiert er, besteht seineMehrarbeit inDauerleistungen, ohne eine Mehrarbeit in der Zeiteinheit, wie beim Dauerläufer, so kommt eine Hypertrophie nicht zustande; die Anpassung zeigt sich in geringerer Ermüdbarkeit. „Der Muskel paßt sich vornehm- lich an diejenige Arbeit an, durch die er geübt wird". Es kommt dabei nur darauf an, ob die Beanspruchung als Reiz wirkt. Eine Hypertrophie kann nur eintreten, wenn eine gewisse Reizschwelle überschritten wird. Ähnlich beim Stützgewebe, wo eine größere Festigkeit als funktionelle An- passung nur dann erzielt wird, wenn von Zeit zu Zeit stärkere Reize angewandt werden, während geringfügige Dauerbelastung zur Dehnung führt. ■ — Beides sind wichtige Momente für die Orthopädie überhaupt und für die Kriegsorthopädie im be- sonderen. Das wird betont. So wird die R o u x • sehe Lehre von der funktionellen Anpassung in Berührung zu sehr aktuellen Problemen gebracht. — Die Erörterungen des Verf. (durchsetzt von Zusätzen Roux) beziehen sich aber außer auf Muskeln und Stützgewebe auch auf die Drüsen, und die Übung und Schonung der Organe über- haupt wird schließlich vom Standpunkt der An- passungslehre aus besprochen. Der Kundige wird sich manche Anregung holen können, er wird aber auch widersprechen müssen, er wird dem Laien Vorsicht beim Lesen empfehlen wegen der Gefahr einer einseitigen Ansichtsbildung, er wird dies vornehmlich bei den Kapiteln tun, die von der 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVll. Nr. 115 Anpassung an Bakteriengifte, von der an GenuS- und Arzneimittel und von der Anpassung an Substanzverluste und ihre Bedeutung für die Lehre von der Heilung überhaupt handeln. — Die Schrift dürfte im wesentlichen ärztliches Interesse verdienen, und darum mögen die kurzen Hinweise an dieser Stelle genügen. Hübschmann (Leipzig). Thonner, Franz, Anleitung zum Be- stimmen der F"amilien der Blüte n- pflanzen (Phanerogamen). 2. gänzlich neubearbeitete Auflage. Berlin '17. Friedländer & Sohn. Bestimmungsschlüssel, wie wir sie in den üblichen Bestimmungsbüchern kennen und die in sehr bequemer Weise das Auffinden des Namens einer Pflanze ermöglichen, sind immer nur für bestimmte Florengebiete ausgearbehet, namentlich für solche zivilisierter Länder, und gelten natur- gemäß nur für die hier vorkommenden Pflanzen. Will der Pflanzensammler Pflanzen aus anderen Ländern bestimmen, so bleibt ihm nichts weiter übrig, als etwa nach Engler-Prantls großem Werk die Familiendiagnosen zu vergleichen, wobei der Anlänger meist auf ein mehr oder weniger unsiclieres Tasten und Raten angewiesen ist, aber auch der geübte Systematiker oft Schwierigkeiten genug findet. Thonner hat nun den dankenswerten und mühsamen Versuch gemacht, einen allgemeinen Bestimmungsschlüssel für die Familien der Phane- rogamen aufzustellen. Dabei hat er auch die Abweichungen von den Familientypen mit hinein- gearbeitet, sodaß auch die Familienzugehörigkeit aberranter Arten richtig erkannt werden kann. Eine systematische Zusammenstellung sämtlicher Familiendiagnosen, die den zweiten Teil des Buches ausmacht, gestattet gleich das Resultat der Bestimmung auf seine Richtigkeit nachzuprüfen. Am Schluß wird eine alphabetisch angeordnete Erklärung der Kunstausdrücke gegeben. Das Buch ist ein literarisches Hilfsmittel, dessen .sich der Pflanzensystematiker mit Vorteil bedienen wird. Miehe. Anregungen und Antworten. Botanische Beobachlungen auf östlichen, westlichen und südlichen Kriegsschauplätzen im Jahre 1917. Galizien: Äußerst reichhaltig war die Frühlingsflora in den galizischen Waldungen bei Nuszcze im Tarnopol. Schon im zeitigen April, vom 4. — 12., blühten massenhaft: Daphnc Merzerum (Seidelbast oder Kellerhals), Corydalis Cava . und solida (Lerchensporn), Anemone nemorosa, Anemone ranun- culoides (weißes und gelbes Buschwindröschen), Asarum euro- paeus (Haselwurz), Pulmonaria officinalis (Lungenlcraut), Tussilago farfara (Huflattich), Cbrysosplenium alternifolium und das seltenere Cbrysosplenium oppositifoliura (Milzkraut). t)ber.ill an Waldrändern war Galanthus nivalis (Schnee- glöckchen) häufig anzutreffen. Bei Srednia Buda und Tros- cianiec Mali waren am 12. April 17 die Wiesen schneeweiß, die Pflanze blühte da so zahlreich, daß man sie mähen konnte; auch Pulsatilla pratensis und Pulsatilla patens (Kuhschelle), waren zerstreut zu finden. Bei Perepelniki blühten am 14. April Anemone silvestris. In den Wäldern bei Iwaczo, deren Unter- holz meist aus Corylus Avellana bestand, stand Paris quadri- folia (Vierblättrige Einbeere) sehr zahlreich. Die Blüten waren schon am ig. April nahe am -Aufbrechen. Flandern: Durch den harten Winter '1916/1 7 hatten Kirschlorbeer, Aucuba japonica, Hedera helix und Hex Aqui- folium, die sonst überall in flandrischen Gärten gut durch- kommen, stark gelitten. Die flandrischen, meist in sumpfigem Gelände stehen- den Gehölze vor Ypern hallen als Gehölzbäume meistens Populus, Salix, Tilia und Quercus, als Unterholz Prunus spinosa, Crataegus monogyna und Corylus Avellana. Lonicera Caprifolium, Clematis vitalba, Kubus suberectus, Rubus plicatus und Rubus montanus überrankteu den Waldboden und kletterten teilweise bis hoch in die Waldbäume hinauf. An Frühlingsblühcrn fanden wir am 2S. April : Primula veris, Kicatia ranunculoides, Viola odorata, Tussilago farfara, Bellis perennis, Vinca minor und eine blühende, meist 6—8 Blüten habende, nicht duftende Hyazinthenart. Häufig verwildert war in den Waldungen vor Ypern, Paschendaele, Langemarck und Menin Castanea sativa zu finden. In den zahlreichen Wassergräben blühten vom Mai bis August Ranunculus hederaceus, Ranunculus aquatilis, Ranun- culus fluitans, Callitriche stagnalis, Callitriche vernalis und Callitriche hamulata, letzterer vereinzelt. In Hooglede bewunderten wir am 5. Juni ein Pracht- exemplar von Gingko biloba in Trauereschenform. An den Parkraauern der Schlösser von Dadizcele und Kumbeke blühte häufig Linaria Cymbalaria. In einem zerschossenen Larixwald bei der Kirche von Zandvoorde wucherten im Juli in gew.altigen Exemplaren blühend; Origanum vulgare, Lythrum salicaria, Lysimachia thyrsiflora, Lj-simachia vulgaris und Centaurea Jacea. Bei der Ferme du Groß-Balot blühte im Juli Erythraea pulchella in 40 cm hohen Exemplaren. Auf nun schon mehrere Jahre nicht bestellten .Äckern Flanderns wucherten von Kulturpflanzen Beta, Brassica, Linum, Cichorium, Seeale, Avena, Hordeum, Trilicum und Raphanus sativus. Von Unkräutern machen sich auf den verlassenen Äckern am meisten breit: Onopordon Acanthium, Centaurea Jacea, Papavcr Rhocas, Chenopodium hybridum und rubrum und Ranunculus bulbosus , letztere strahlenförmig bis 2 m lauge Ausläufer treibend. Mit tclfrank reich: In der Nähe von Le Catelet waren auf unbestellten Äckern massenhaft verwildert eine gefüllt- blühende Saponaria (Seifenkraut) und Nigella. An einer Mauer in Inchy-Beaumont blühte im September eine ungefähr 25 cm hohe, mit zitronengelben Blüten versehene Erdrauch- (Lerchensporn-)art. In den Waldungen zwischen Ars und Gravelotte entdeckten wir Clematis vitalba von ca. 8 cm Stammstärke; recht zahl- reich war dort Ilelleborus foetidus vertreten. Auf einer auf einer Bergkuppe liegenden Wiese blühte am 6. November Gentiana Pneumonanthe in vielen Exemplaren. In dem verwilderten, schon mehrere Jahre ungepflegten Park des Chateau St. Martin bei Le Catelet standen Pracht- stücke von Aucuba japonica (bis 3 m Höhe), Laurus , Hex, Mahonia aquifolium in zwei Formen, eine mit platten, paarig- gefiederten, ilexartigen Blättern, Araucarie, Tsuga, Abies Douglasii, Prunus triloba, Acer Negundo, Platane, Rhododendron, zwischen hohem Parkgras war Petunia stark verwildert. Tirol und Italien: Keineswegs winterlich, sondern höchstens frühherbstlich sah die Flora des Etschtales in Tirol, des Suganatals und Cismonetals in Italien Ende November und .\nfang Dezember aus. Morus alba, Morus nigra, Vitis vinifera und Ficus waren noch voll belaubt. Am Bahnhofe von Caldonazza stand eine Glycine mit einem 15 cm starken Stammdurchmesser. An den Hängen des Cima Pale ore, Monte Coppolo und Monte Pavione Stauden im üppigsten Grün Cyclamen und Hepatica mit wunderbar gefleckten Blattern, Polentilla argentea, N. K. XVlI. Nr. i& Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 263 RboJodendrou, Thesium alpiuum, Uüd blübeud pflückte ich 3m 30. Nov. Polygala comosa und eine großblütige Erikaart. VVolhynien und Galizien: Besonders auffallende Graser in den Sumpfgcbictcn des Djnestr und der Bystrzyca, sowie im Gebiet von .Seretli und Strypa waren Typha latifolia. Typha angustifolia , Eriophorum anguslifolium , latifoliuni und gracilc. Gemein auf Äckern kommen vor: Panicum sanguinale, lineare, miüaceum und Selaria italica, die beiden ersten Arten wild, die beiden letzten angebaut und auch verwildert. Stipa pennata, Pfriemengras, stand auf den kalkhaltigen Hügeln von Wilki-Zazule bei Zloczoa sehr zer- streut. Festuca gigantea fanden wir bei Uzin in Südostgalizien. Lolium remotum kam zerstreut in Leinfeldem in Wolhynien vor. Pinus Laricio, die Schwarzkiefer, kam als Waldbaum vereinzelt bei Nusczce vor. Die Flora des Panjehauses. So — da wären wir wieder einmal heraus aus dem Schützengraben, und einige Wochen ist man hier bis zur Wiederheilung vom Gelenkrheuma festgebannt auf dem Hauptverbandplatz von Nuszcze in Mittel- galizien. Die Zeit muß hingebracht werden; denn Langeweile ist schlechte Medizin, und daher beginnen gleich in den ersten Tagen StreifzUge durch die Natur. Ein Kuriosum des ganzen Ortes ist das Panjehaus, in dem wir untergebracht worden sind. Es ist ein Veteran unter den ,,Slrohdachpalästen" des Ortes. Schon von weitem fallt es ins Auge ; denn die Nord- seite des Daches, aber nur diese , ist wahrhaft mit einem botanischen Garten bestanden, wie ihn ein Gärtner nicht an- zulegen imstande wäre. Dicke Moospolster (Mooskaupen) lagern auf dem Strohdache und dazwischen haben sich Phane- rogamen üppig entwickelt. Wir sehen uns dieselben genauer an und entdecken Gewächse, die entweder mit Flugfrücbten aus- gerüstet sind oder deren Samen durch Vögel auf dem jetzigen Standort angesamt wurden. Von Bäumen und Sträuchern waren folgende vorhanden: In je einem Exemplare Picea excelsa (Fichte, 5Jährig), Abies pectinata (Edeltanne, 3jährig); Crataegus monogyna (Weißdorn, mehrjährig) ; Acer platanoidcs (Spitz- ahorn, dgl.); Evonymus europaea (Pfatfcnhiitchen, dgl.); Prunus spinosa (Schlehe, dgl.) ; Corylus avcllana (Hasel). In sehr vielen Exemplaren (l — bjährig) fanden wir: Betula alba (Weißbirke) und Carpinus Betulus (Hainbuche). In reicher Zahl waren auch die Kqmpositen vertreten, die infolge ihrer Pappusfrucht hier gute Ansiedelungsmöglichkeit hatten. Wir beobachteten ; Taraxacum officinale (Löwenzahn), Aster Amellus (wilde Aster), Onorpordon Acanthium (Esels- distel), Senecio vulgaris (gemeines Kreuzkraut), Anthemis arvensis (Hundskamille), Matricaria inodora (falsche Kamille) und Hieracium Pilosella (Habichtskraut). — Die Gattung der Weidenröschen war in zwei Arten da, schmalblättriges und kleinblütiges (Epilobium anguslifolium und parviflorum). Gra- mineen zählten wir 8 Arten, nämlich: Seeale ccreale (Roggen), Avena sativa (Hafer), beide wohl durch Zufall von Menschen- hand hierher gebracht ; ferner Knäuelgras, Fuchsschwanz, Honig- gras und drei zwischen den dicken Haarmoospolstern wachsende, leider nicht bestimmbare -Arten, da leider hier an der Front keine Bestimmungsflora zur Hand ist. — Von den 26 aufge- führten Phanerogamen haben 2 (Avena und Seeale) ihre Ver- breitung durch Menschen gefunden, 4 sind durch Vögel an- gesiedelt worden (Crataegus, Evonymus, Prunus spinosa und Corylus), letztere wohl durch den hier häufig vorkommenden Garrulus glandarius (Eichelhäher); die übrigen iS Arten haben durch ihre Flugfrüchte hier Ansamung gefunden. Von Kryptogamen stellten wir fest: 3 Farnkräuter (Ge- bräuchliche Wurmfarn) Aspidium filix mas und (Engelsüß) Poly- podium vulgare ; 9 Moosarten, darunter am häufigsten auf- tretend Polytrichum commune (Goldenes Frauenhaar), ferner 6 Flechten, 4 Pilze und 2 Algen. Im ganzen 23 Kryptogamen. Wahrlich, eine überreiche Zahl von Gewächsen zeigt uns diese epiphytische Pflanzengemeinschaft. .Anfang Oktober 49 mit bloßem Auge zu beobachtende Arten auf einem verhältnismäßig kleinen (ca. 30 qm großen) Strohdachraum 1 Äußerst üppig waren die Moospolster entwickelt, halbkugelig, bis zu 1 m Durchmesser, sie erinnerten an die Kaupen mär- kischer Hochmoore. Die drei übrigen Seiten des Strohdaches hatten schwachen Moos- und Flechtenbezug, Phanerogamen waren nicht zu finden. Auch die Annahme, daß diese drei Seiten später neu mit Stroh gedeckt wären und infolgedessen eine Pflanzenbesiedelung noch nicht erfolgen konnte, erwies sich nicht als stichhaltig. Nur eben die feuchte Nordseitc war die zur Besiedlung geeignete. Bemerken möchten wir noch, daß Nusczce ringsum von Wäldern umgeben ist, daher in unserm botanischen Garten. auf dem Dache des Panjehauses die vielen Vertreter der Waldflora. Aus meinem ornithologischen Kriegsnotizbuche 1917. In Galizien: Scolopax rusticola vom l. — 10. April häufig in Südostgalizien und vielfach geschossen Ciconia nigra, ein Paar beim Nestbau am 31. März im Walde bei Nuszcze in Galizien. Ciconia alba am 27. März in Scharen von 20 und mehr Stück. Am 13. .April mit dem Nestbau fertig, beim Coitus beobachtet. Grus grus, am 31. März fliegen 14 Stück über Wilki- Zazule. — 4. April Anser anser in Scharen. Botaurus stellaris, am 8. April bei Mogilka geschossen und gekocht, schmeckt ganz gut. Garrulus glandarius und Pica rustica in Galizien massig. Cuculus cauores, erster Ruf am 14. April. — Archibuteo lagopus, 2 Exemplare bei La Kamienca am 17. April. In Flandern: 26. April. Drei Komorane fliegen nach Ypern zu. — 28. April. Turdus merula beim Nestbau. — Wildtauben im April bei Becelaere massenhaft. I. — 12. Mai. Im vollständig zerstörten und zerschossenen Park von Hooge tummeln sich mitten im Kampfgelände Parus major, Sturnus vulgaris, Hirundo rustica, Turdus merula, Phasianus colchicus, Erithacus luscinia und Sylvia curruca. Flugversuche der Jungen von Sturnus vulgaris und Hirundo rustica am 8. Juni bei Hooglede. — Im Wytschaalebogen im Juli fanden wir an den Beton- bunkern überall Nester von Hirundo rustica. Die schwerste Flandernschlacht vermochte das Brutgeschäft nicht zu stören. Durch Schlachtcnlärm und Kriegsgeschrei ließen sich in dem vom Kampf übel mitgenommenen Westfalenwalde durchaus nicht beeinflussen: Troglodytcs parvulus, Turdus merula, Passer montanus und Erithacus luscinia. Es sind alles echte Kv. Lebewesen. Passer montanus brütete in den zerschossenen Kronen von Larix europacus. In Mittelfrankreich: Coturnix communis und Perdix cinerea sind im Kampfgclände überall häufig. Am 28. Oktbr. wird ein alter männlicher Astur palumbarius geschossen, er fällt in unsern Drahtverhau, wird abends geholt und gekocht — nun ja — • er schmeckt. Am 29. Oktbr. überfliegen die Stellung ungefähr 100 Kraniche (Grus communis). Die Fran- zosen schießen dazwischen. Sie zerstreuen sich in Gruppen von 3, 4, 6 und 10 Stück, ängstlich schreiend, hinter den französischen Gräben vereinigen sich die Versprengten wieder. Oberjäger Karl Waase. Elterniustinkt bei Me Es ist bekannt, daß Staaren- pärchen, deren Junge man aus dem Nest in einem Gitterkäfig neben dem Nistkasten aufhängt, die Brut regelmäßig und un- verdrossen mit Nahrung versorgen, solange bis dieselbe flügge ist. Von andern Vogclgattungen war mir dies nicht bekannt, von vornherein wahrscheinlich aber schien es mir bei Meisen wegen der geringen Menschenscheu und großen Zutraulichkeit derselben. Um aber der Sache auf den Grund zu gehen, be- schloß ich einen Versuch zu machen. In meinem Garten hatte ein Pärchen Kohlmeisen (Parus major) in das Brunnenrohr gebaut unmittelbar unter dem Ausflußrohr, das sie meist als Ausgang benutzten. Der Brunnen war dadurch unbenutzbar geworden, was gerade in der Frühjahrszeit in meinem etwas trockenen Garten unangenehm fühlbar wurde. Wie ich das Nest entfernen wollte, fand ich darin acht kaum halbflügge Tiere, die noch lange Zeit sorgfältiger Pflege und Wartung bedurften. In der sicheren Hoffnung, daß das Meisenpärchen nicht so rasch auf sein Elternglück verzichten würde, tat ich das ganze Genist nebst einer Unterlage aus Holzwolle und Spreu in eine Blechdose von 30 cm Höhe und 15 cm im Durchmesser, schnitt in den Deckel eine Öffnung so groß, daß gerade eine Weise hindurchschlüpfen konnte und befestigte die Dose an einem Pfahl in der Nähe des Brunnens, etwas im Gesträuch versteckt. Den Fuß des Pfahles hatte ich zum Schutze gegen Katzen mit Wachholder umwunden. Ich war nun sehr begierig darauf, was die Meisen beginnen würden. Es dauerte gar nicht lange, so kam das Weibchen, das mich jedoch schon bei meiner Arbeit beobachtet hatte, mit Nahrung, 2Ö4 Naturwissenschaftliche Wochenschrilt. N. F. XVlLNr. i^ ging zuerst wieder in deh Brunnen und setzte sicli dann nach einigen Kreuz- und QuerflÜRen auf den Rand der Dose. Die Nahrung ließ es jedoch nicht sogleich durch die Öffnung hinabfallen, sondern erst, nachdem es mehrere Male hinunter- geblickt hatte. Nachdem so der Anfang glücklich von statten gegangen war, fütterten beide Tiere regelmäßig und fleißig und gingen schon am zweiten Tage durch die Öffnung zu den Jungen hinab, allerdings durften sie niemand in der Nähe ge- wahr werden. Als ich nach etwa acht Tagen den Deckel öfTnete, hatte die Brut schon sichtlich zugenommen und der anfangs ziemlich reichliche Raum war nun fast zu eng. Am meisten fiel mir dabei auf das fast taktmäßige Offnen und Schließen der ganz erstaunlich großen Schnäbel, eine Prozedur, die alle meist stets zugleich vollführten ; außerdem lagen die Tiere nicht unbeweglich ruhig im Neste, sondern bewegten sich in ziemlich sich gleichbleibenden Unterbrechungen ruck- und stoßweise. Auch veränderten sie den Platz. Ich fand nämlich eines von den Tieren, das ich mit Farbe bestrichen hatte und das oben lag, am nächsten Tage ganz unten. Die Reinlichkeit im Neste war vorbildlich und ich fand nie Schmutz. — Als sie das Nest verließen, war eines, das etwas zurück- geblieben war, beim Versuche die Dose zu verlassen, zur Erde gefallen. Ich tat es wieder in sein Gefängnis zurück, wo es auch noch einige Tage verpflegt wurde. Die übrigen suchten schon mit den Alten die Bäume des Gartens ab, ließen sich auch noch füttern und stalteten auch den Flugöfl'nungen der Bienenkörbe allerdings nur erst harmlose Besuche ab. Dr. L. Reiche. Zur einheimischen Fasergewinnung. Auch in Dänemark schenkt man der Brennessel aU Faserrohstoff Aufmerksam- keit. Ein Ausschuß, dem die Regierung loooo Kronen zur Verfügung stellte, hat namentlich Pfadfinder zum Sammeln angeregt und im Walde Rüde auf Seeland die erste Röste und in Gammel-Kögegaard ein heizbares Röstbassin angelegt. Man will die Fasern vornehmlich auf Bindegarn und feine Schnüre verarbeiten, während an die p:rrichtung einer Spinnerei der hohen Kosten wegen vorläufig noch nicht gedacht wird. In der Nesselverspinnung haben in Deutschland das Königliche Technikum in Reutlingen, die Zschopauer Baumwollspinnerei und andere Stellen große Fortsehritte erzielt, wodurch das Nesselmaterial mit ähnlichen oder denselben Produktionsziffern wie Baumwolle, das heißt ebenso rationell wie diese, ausgesponneu und die Gewinnung von Tuchen fast jeder Art, darunter sowohl grobe wie Trikot, Florgewebe, Batiste und Flugzeugstoffe, ermöglicht wird. Hierdurch wird es aussichtsreich, die Nessel anzupflanzen, und damit hängt die Erhöhung des Kapitals der Deutschen Nesselanbauverwer- tungsgesellschaft auf 5 Millionen zusammen. Die Deutsche Ty pha- Verwertungsgesellschaft m.b.H. in Charlottenburg fordert dazu auf, das Schilf ohne Zerstörung der Wurzeln unter Wasser etwa 20 cm über der Wurzel abzu- schneiden, gegebenenfalls vom Kahne aus, wozu sie geeignete Mähmaschinen zur Verfügung stellt. Etwas völlig Neues in der einheimischen Fasergewinnung, st endlich der Hinweis von Professor Wehmer, daß es mög- lich ist, aus den Blättern der Maiblume lange, brauchbare zähe F'asern zu gewinnen, was sich als Nebenarbeit für Gärt- nereien empfehle, die die Maiblumcnzuchtim großen betreiben.') (GTC.) V. Franz. Krieg und Nordseefischerei. Bekanntlich war in der Nordsee vor dem Kriege ein Zustand der Cberfischung ein- getreten, der sich in der starken Abnahme der weggefangenen größeren, älteren Fische zum Ausdruck brachte, so daß die Fänge, obwohl an Gewicht nicht vermindert, doch ganz über- wiegend nur kleine Stücke enthielten, was ihren Marktwert stark beeinträchtigte. Dies ist der Grund, weshalb deutsche wie andere Fischdampfer ihre Schleppnetze schon lange viel weniger in der Nordsee als weiter nördlich, zum Beispiel großenteils bei Island, auswarfen, wo auch die deutschen Trawler das meiste erbeuteten, und auf der Erkenntnis dieser Verhältnisse beruhte auch die Gründung der Internationalen Meeresforschung, in deren deutschen Kreisen man auf spätere Wiederkehr des gemeinsamen Zusammenarbeitens hofft. Jeder wird sich nun schon die Frage vorgelegt haben, wie denn der Krieg auf die Nordseefischerei und die Nordsee- fische einwirkte. Daß durch Explosionen von Geschossen und Torpedos ein wesentlicher Teil des Fischbestandes ver- nichtet werden könnte, ist eine zwar hier und da aufgetauchte, aber gewiß nicht ernstlich zu erörternde Vermutung. Da aber die Fischerei sehr erschwert ist infolge der Unzulänglichkeit des größten Teils der Hochsee sowie infolge Mangels an Menschen und Schiffsmaterial, das großenteils von der Marine in Anspruch genommen ist, so muß der Krieg vielmehr die Wirkung einer sehr erwünschten Schonzeit für die Nordsee- fische haben. Nach der Allgemeinen Fischereizeitung 42. Jahrg., Nr. 13, S. 195, hat ein holländischer ^"ischereisachverständiger berechnet, daß während des Krieges 300—400 Millionen Doppelzentner Fische weniger gefangen sind, die für die Zeit nach dem Kriege zur Verfügung stehen. Nach den vorliegen- den Fängen erklären ferner Professor Ehrenbaum-Hamburg und Duge- Cuxhafen, daß der Fischreichtum der Nordsee sich bedeutend gesteigert hat. Dies sei um so mehr erwünscht, als eine so starke Fisch- einfuhr, wie wir sie früher hatten, nämlich für 1 10 Millionen M. jährlich gegenüber dem Ertrag von 40 Millionen M. der deutschen Fischerei, unsere Währung ungünstig beeinflussen würde. Wünschenswert sei ferner eine spätere Erhöhung der Zahl der Hochscefischdampfer und -logger über den auf 600 gekommenen Bestand vor Kriegsbeginn. V. Franz. Jahrg. Nr. 9, S. 404, und 1) Nach „Tropenpfl: Nr. 10, S. 438—439. Literatur. Raraann, Prof. Dr. E., Bodenbildung und Bodenein- teilung. Berlin, '18. J. Springer. — 4,60 M. Wiesen t, Dr. J., Repetitorium der Experimentalphysik. .Mit 67 Textabbildungen. Stuttgart, '17. F. Enke. — 6 M. Inhaltl A. Brussoff, Über die sogenannte Fragmentation der Actinomyceten-Hyphen. S. 249. — Einzelberichte: A. Laveran, Malariakrankheit im nordwestlichen Frankreich. S. 252. Ernst Naumann, Neue Untersuchungen über den Gang der Totenstarre. S. 254. Gunnar Schotte, Die Lärche und ihre Bedeutung in der schwedischen Forst- wirtschaft. S. 255. Erich Berthold, Verhalten der Bakterien im Gewebe der Pflanzen. S. 256. Georg Grimpe, Die Tüpfelhyäne. S. 256. H. Lutz, Die Drüsenzellen der Schneckenleber. S. 257. A. C. J e nsen-Haarup, Brut- pflegebeieiner Wanze. S. 258. — Bücherbesprechungen: Hans Molisch, Pflanzenphysiologie. S. 258. M.Schlick, Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik. S. 258. Max Hart mann und Claus Schilling, Die pathogenen Protozoen. S. 259. F. Auerbach, Die Grundbegriffe der modernen Naturlehre. S. 260. Th. Silbermann, Der Weltanfang und die Bildung von Energien und Stoffen. S. 260. A. v. Froriep, Schädel, Totenmaske und lebendes Antlitz des Hoffräuleins Luise von Göchhausen. S. 260. M. Büsgen, Bau und Leben unsere Waldbäume. S. 260. Gustav Freihe rr V. Nor den fly cht. Das Deutsche Weidwerk. S. 261. Hermann Werner Siemens, Die biologischen Grundlagen der Rassenhygiene und Bevölkerungspolitik. S. 261. Willi G. Lange, Die funktionelle An- passung, ihre Grenzen, ihre Gesetze in ihrer Beziehung für die Heilkunde. S. 26l. Franz Thonner, Anleitung zum Bestimmen der Familien der Blütenpflanzen. S. 262. — Anregungen und Antworten: Botanische Beobachtungen auf östlichen, westlichen und südlichen Kriegsschauplätzen im Jahre 1917. Aus meinem ornithologischen Kriegsnotizbuche 191 7. S. 262. Elterninstinkt bei Meisen. S. 263. Zur einheimischen Fasergewinnung. S. 264. Krieg und Nordsee- fischerei. S. 264. — Literatur: Liste. S. 264. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Beriin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'sehen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 12. Mai 1918. Nummer 19. Der jährliche Gang der Beziehungen zwischen Niederschlag, Abfluss, Verdunstung und Versickerung hn Landklima Mitteleuropas. Von Prof. Dr. Karl Fische [Nachdruck verboten.] Mitarbeiter der LandcsansUlt filr Gcwässerliundc in Bcrlii Mit 5 Abbildungen im Tc.\t. Die Beziehungen zwisciien Niederschlag und Abfluß werden dadurch verwickelt, daß nur ein Teil des Abflusses, nämlich der an der Erdober- fläche vor sich gehende, von erst kürzlich ge- fallenen Niederschlägen oder kürzlich geschmolze- nem Schnee herrührt, während der andere, durch das Grundwasser und die Quellen vermittelte, aus weit, und zwar wohl bis über Jahresfrist zurückliegenden Niederschlägen stammen kann. Anhaltspunkte dafür, wie beide Arten des Abflusses zu trennen sind, gibt das Verhalten der Flüsse bei längerer Trockenheit. Ohne die Grundwasser- speisung v.'ürden bei einer solchen nicht nur, wie 1904 und 191 1, viele kleinere Rinnsale versiegen, sondern ähnlich wie in den Trockenländern auch große Ströme. So gelangt zum Beispiel im Oder- und Elbegebiet das oberflächlich abfließende Wasser auch von den entferntesten Stellen aus in wenigen Wochen bis zum Hauptstrom. Später wäre es also mit dem Abfluß vorbei, zumal die letzten Nachzügler auf ihrem langen Wege von der Verdunstung aufgezehrt werden würden. Aus den Abflußmengen bei Trockenwetter läßt sich also auf die Stärke der Grundwasser- und Quellen- zustellen '). Er hat diese Frage dabei nicht in ihrer ganzen Allgemeinheit ins Auge gefaßt, sondern sich darauf beschränkt, das Abflußjahr in Winter und Sommer zu zerlegen und zu unter- suchen, wieviel Abfluß jede dieser Jahreshälften von der vorhergehenden übernimmt oder durch Ansammlung zugunsten der nachfolgenden einbüßt. Sein Ausgangspunkt war dabei der, daß der Winter weit weniger Niederschlag, trotzdem aber mehr Abfluß hat als der Sommer. In manchen Fluß- gebieten kehrt sich das Verhältnis, in dem sich die Jahresmenge auf Winter und Sommer verteilt, geradezu um. So kommt im Saalegebiet (1882/1901) nach Ule*) der Niederschlag zu 37,5 ",0 auf den Winter und 62,5 % auf den Sommer, der Abfluß zu G2,6 "0 auf den Winter und 37,4 auf den Sommer, ähnlich im Warthegebiet (1896,1905) der Niederschlag zu 40 % auf den Winter und 60 ','„ auf den Sommer, der Abfluß zu 59 % auf den Winter und 41 "/„ auf den Sommer. In dieser Verschiebung, die, wie aus Tabelle i ersichtlich ist, das Abflußverhältnis des Sommers weit unter das des Jahres senkt, während sich das des Winters entsprechend hebt, sieht Halb faß ein Anzeichen Tab. I. Niederschlag und Abfluß im Saale- und Warthegebiet. Gebiet Niederschlag Abfluß Abflußverhältnis Winter mm Sommer Jahr Winter Sommer mm Jahr mm Winter Sommer i Jahr Saale 1882/1901 VVarthe 1896/1905 230 2t6 38s 1 326 615 542 106 71 63 49 169 120 46 16 27 33 15 22 Speisung schließen. Je nach dem Verhältnis, in dem sich der Abfluß aus jenen beiden Bestand- teilen zusammensetzt, schwankt auch das Abfluß- verhältnis, wenn wir hierunter, wie gewöhnlich, das Verhältnis zwischen Abfluß und gleich- zeitiger oder nur um die kurze Zeit des Ablaufs von der Oberfläche zurückgerechneter Niederschlag- menge verstehen. In niederschlaglosen Zeiten ausschließlicher Grundwasserspeisung wird dieses Abflußverhältnis unendlich groß, da sein Nenner dann gleich Null ist. Die Schwankungen des Abflußverhältnisses hat Prof. W. Halb faß zu benutzen gesucht, um für das Oder- und das Elbegebiet die Menge des sich zeitweise im Boden aufspeichernden Wassers fest- dafür, daß im Sommer ein großer Teil des Wassers im Boden zurückgehalten wird und erst im Winter abfließt. Sonst würde, so meint er, der Abfluß sich ungefähr zu denselben Bruchteilen auf die Halbjahre verteilen wie der Niederschlag und damit das Abflußverhältnis des Winters ebenso wie das des Sommers annähernd gleich dem des Jahres sein. Die Abweichungen zwischen diesen drei Abfluß- ') Der jährliche Wasserhaushalt des Elbe- und Oderstromes. „Das Wasser", 1916 Nr. 13/16. Über den Jahresbaushalt der Elbe und Oder. Naturwissenschaftliche Wochenschrift 1916 Nr. 43. *) Niederschlag und Abfluß in Mitteleuropa. Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Bd. 14 Heft 5. Stutt- gart 1903. 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 19 Verhältnissen benutzt er demgemäß als Maß- stab dafür, wieviel Wasser in dem einen Halb- jahr versickert und in dem anderen aufge- braucht wird. Bei dieser Betrachtungsweise ergibt sich also der Sommer als Halbjahr der Ansammlung, der Winter als solches des Aufbrauchs. Dem wider- spricht jedoch, daß das Grundwasser bei uns im allgemeinen vom Herbst bis zum Frühjahr steigt und dann bis zum Herbst wieder abnimmt. Der Widerspruch erklärt sich dadurch, daß es nicht die Wasseraufnahme des Bodens ist, die das Abfluß- verhältnis des Sommers so stark vermindert, sondern die große Verdunstung. Das Abflußverhältnis könnte doch in beiden Halbjahren nur dann das- selbe sein, wenn auch das Verhältnis zwischen Verdunstung und Niederschlag in beiden über- einstimmte. Da dies aber nicht zutrifft, so ge- stattet die Vergleichung zwischen Niederschlag und Abfluß erst dann einen Schluß auf die Größe der Versickerung in den einzelnen Jahreszeiten, wenn man dabei den jährlichen Gang der Ver- dunstung berücksichtigt. Freilich kennt man diese nicht annähernd so genau wie die monatlichen Niederschlag- und Abflußhöhen einer Reihe von Stromgebieten. Die Verdunstungsmessungen beschränken sich auf wenige Stellen und beziehen sich dabei meist auf andere Jahre als die Zahlen für Niederschlag und Abfluß. Außerdem läßt sich die Verdunstung eines ganzen Gebietes ja aber überhaupt nicht in ähnlicher Weise messen wie der Niederschlag, weil sie je nach der Feuchtigkeit, Bedeckung und gesamten Beschaffenheit des Bodens selbst auf nahe beieinander liegenden Flächenstücken ganz ver- schieden sein kann. Im Mittel aus einer längeren Reihe von Jahren muß jedoch die Gesamtverduns- tung aus einem abgeschlossenen Flußgebiet gleich dem Unterschied zwischen Niederschlag und Ab- fluß sein, weil sich im Wasserkreislauf dauernde Gewinne oder Verluste nicht bemerkbar machen. Aber selbst wenn infolge irgendwelcher Einwirkungen der Wasservorrat am Ende der ganzen Zeit ein etwas anderer sein solhe als am Anfang, so würde bei genügender Länge des Zeitraums auf das Durchschniitsjahr doch nur ein unerheblicher Teil dieser Änderung kommen. Und nur Durchschnittsjahre dieser Art sollen hier vorausgesetzt werden, wenn auch die untersuchten Jahresreihen meist nicht so lang sind, daß diese Voraussetzung ganz berechtigt wäre. Die Ver- dunstungsmessungen brauchen mithin nur dazu benutzt zu werden, die durch den Niederschlag und Abfluß gegebene Jahreshöhe der Verdunstung auf die Monate zu verteilen. Die einfachste An- nahme hierfür ist die, daß die Monatanteile den gemessenen Monathöhen verhältnisgleich sind. Auf diesem Wege ist der jährliche Gang der Beziehungen zwischen Niederschlag, Abfluß, Ver- dunstung und Versickerung für das böhmische Elbegebiet bereits von Penck in der unten- genannten Veröffentlichung ') untersucht worden, die mit Recht ein viel benutztes Vorbild geworden ist. Bei der großen Mannigfaltigkeit der Verdun- stungsvorgänge in der Natur werden die bloßen Messungen in Geräßen freilich auch den Gang der Verdunstung nicht genau wiedergeben. In dem Gefäße wird, wie Ule gegen Penck hervor- gehoben hat, beständig eine Wassermenge vorrätig gehalten, die in der Lage ist zu verdunsten, während der Boden in seinen oberen Schichten so austrocknen kann, daß die Verdunstung aus ihm aufhört. Dieses Zurückbleiben der wirklichen gegen die mögliche Verdunstung wird sich aber im Sommer mit seinen bisweilen recht langen Trockenzeiten stärker geltend machen als im Winter. Ferner haben die von der Landesanstalt für Gewässerkunde auf dem Grimnitzsce und an seinen Ufern veranstalteten Verdunstungsmessungen bewiesen, daß die viel benutzten Wild'schen Ver- dunstungsmesser, wenn man sie, wie es gewöhnlich geschieht, zum Schutz vor Strahlung und Regen in einer meteorologischen Hütte aufstellt, nicht nur eine viel kleinere Jahreshöhe, sondern auch einen wesentlich andern Jahresgang liefern als eine freiliegende Wasserfläche. Die Tragweite dieser Bedenken wird sich aber besser abschätzen lassen, wenn erst einmal ein Überblick darüber gewonnen ist, wie stark die Berücksichtigung der Verdunstung in die Schlüsse auf den jährlichen Gang der Versickerung eingreift. Das Odergebiet bis Hohensaaten hatte, wie Tabelle 2 ausweist, 1891/ 1905 im Jahresmittel Tab. 2. Wasserhaushalt des Odergebi ets 31/1905 Winter j Sommer Jahr + 15 600 453 147 147 .Niederschlag Verdunstung Rest Abfllufi Rücklage (-|-)oder Aufbrauch{- 600 mm Niederschlag, und zwar im Winter 228 mm = 38 7oi im Sommer 372 = 62 "/o. Der Jahresabfluß betrug 147 mm, die zugehörige Verdunstung also 453 mm. Nach den am Meteorologischen Observatorium in Potsdam ausgeführten Messungen kommen 28 "/o ^^^ Jahresverdunstung auf den Winter und 72 "/(, auf den Sommer. Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf 1896/1910. Jedoch auch die von der Landesanstalt für Gewässerkunde von 1909 bis 191 3 auf dem Grimnitzsee in der Uckermark ausgeführten Messun- gen haben dasselbe Verteilungsverhältnis ergeben, das man deshalb näherungsweise wohl auch auf 1891/1905 anwenden kann. Von der 453 mm betragenden Verdunstung im Odergebiet kommen ') Untersuchungen über Verdunstung und Abfluß von größeren Lanflächen. Gcogr. Abhandlungen, herausgeg. V. A. Penclt, Bd. 5 H. ■;. Wien lSg6. U. R XVn. Nr. Kj Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2Ö7 hierbei 127 mm auf den Winter und 326 mm auf den Sommer. Für den Abfluß würden im Winter also 228 — 127 = lOi mm, im Sommer 372 — 326 = 46 mm übrig bleiben. Der Rest ist im Sommer also noch nicht halb so groß wie im Winter. Käme jeder der beiden Reste im zuge- hörigen Halbjahr voll zum Abfluß, so würde das Abflußverhältnis im Winter lOi : 228 = 44''/ft> i'" Sommer 46: 372=12% betragen. Die Ver- dunstung allein erklärt also vollauf, daß- der Sommer ein weit kleineres Abflußverhältnis hat als der Winter. Die wirklichen Werte des Abflußverhältnisses weichen sogar nicht einmal ganz so stark von einander ab wie die aus der Verdunstung be- rechneten. Der wirkliche Abfluß beträgt nämlich im iüi Auffüllung der Grundwasservorräte in den letzten Wintermonaten beiträgt. In den höheren Gebirgslagen dauert sogar die unmittelbare ober- irdische Schneeaufspeicherung bis in den Sommer hinein. Eine Trennung der ober- und unterirdischen Ansammlung ist im folgenden nicht versucht ; in die Wasscraufnahme des Bodens ist also die etwaige Schnceaufspeicherung auf der Erdoberfläche immer mit eingerechnet zu denken. Ebenso ist nicht besonders in Rechnung gestellt, daß auch die offenen Gewässer an der zeitweiligen Aufspei- cherung beteiligt sind, besonders die in manchen Gebieten zahlreichen Seen. Bei der weiten Ver- breitung durchlässiger Bodenschichten in Nord- deutschland sind ja aber unsere Seen großenteils nur Blanken des Grundwassers, so daß auch in Tab. 3. W asserh aus halt im Kreis lauf d esj ahres (mm). Nov. Dez. Jan. März April Mai Juni 1 Juli -Aug. 1 ' i ^ !0 Winter ; Sommer 1 Jahr A. Elbe bis Tetschen t ! i !: 1 i i 1 i 1 Niederschlag 44 45 33 31; 44 47|i 63! 871 goj 84 7o| 54 244 448 692 Abfluß 12 16 14 '71 33 25 '7 13 «o! II 12 12 117 75 192 Verdunstung 16 12 13 15 28 46 691 79I 80 +i6:+i7 -1- 6 - I -17 -24 -23 - 5 0 71 4Si 26 130 370; 500 Rücklage [-\-) oder Aufbraucli (—) + 2+13+16 +39-42+31-28+70-70 U. Havel bis Rathenow 1 ! Niederschlag 43; 38' 37 36 35 40] 54 54! 86 67 52; 35 229 348: 577 Abfluß 7' 10 12 13I 16 15 xal 8| 7 7 7, 8 73, 5°! 123 VerdunsUiug 12 IG IS i6l 3I1 48:1 68i 75; 631 S6| 37; 23 132 322; 454 Rücklage {+) oder Auf brauch (—) -l-24| + i8|+lo|+ 7 -12 -23-27'-29!-fi6+ 4+ 8+ 4 +59—351+32—56+91—91 C. Oder bis Ilohcnsaatcii 1 1! i ; Niederschlag 38: 35 36| 33 42 44! 66 64! 83 62 4S 49 22S 372 600 Abfluß 9 II 15 21 19 17 10: 10 9 7 8 86i 61 147 Verdunstung 13 12 »3 IS 30 4S| 66 74| 64 6o| 38 23 128, 325 453 Rücklage (+J oder Auf brauch (~) + 16+12 + 12 + 3 - 9 —20"— 17— 20!+ 9 — 7 + 3;+i8 +43-29+30-44+73-73 D. Theiß bis Szegcdin i i ! Niederschlag 53 42 40 38 41 S0| 70 95! 95 75 55' 56 264' 446 710 Abfluß 11! 12 12 12 22! 32': 26[ 22! 18 12 8 9 101 9s; 196 Verdunstung 18' 14 12: 16 31 45 6c, 70! So 77l 56 35 136 378 S14 Rücklage (+) oder Aulbrauch (— ) +24!+i6 + 16 +10 — 12 — 27—16 + 3|-3 -14 -9+12 +66-39+15-42 +81-81 Erläuterungen und Quellennachweis zu Tab. 3. A. Elbe bis Tetschen. Die Reihen gellen für die Kalenderjahre 1876/90 und sind entnommen der Abh.indluug von Ruvarac und Penck in Gcogr. Abhandl. Bd. 5 H. 5, Wien 1896. B. Havel bis Rathenow. Die Reihen gelten für die Abflußjahre 1902/10. Niederschlag und Abfluß im wesent- lichen abgeleitet aus „Wasserwirtschaft und Wasserverteilung im Gebiete der Märkischen Wasserstraßen", bearbeitet von der Verwaltung der Mark. Wasserstr. Potsdam 1907 und II. Bd. Potsdam 1911. Verdunstung umgerechnet nach den gleichzeitigen Messungen am Meteorolog. Observatorium Potsdam. C. Oder bis Hohensaaten. Niederschlag und Abfluß der Abfluöjahre 1S91/1905 nach Karl Fischer, Nieder- schlag und Abfluß im Odergebiet. Jahrbuch f. d. Gewässerkunde Norddeutschlands, Besond. Mitlcil. Bd. 3 Nr. 2. Verdunstung umgerechnet nach den in den Abflußjahren 1S96/1910 am Meteorol. Observatorium in Potsdam ausgeführten Messungen. D. Theiß bis Szegedin. Niederschlag und Abfluß der Kalenderjahre 189 1/1900 nach Vujevic, Die Theiß. Geogr. Abh. Bd. 7 H. 4, Leipzig 1906. Verdunstung umgerechnet nach Messungen in Krakau von 1976/1895. (Memel-, Pregel- und Weichselstrom, herausgeg. von H. Keller, Berlin 1899. Bd. I S. 94). Winter 86, im Sommer 6i mm; das Abflußver- hältnis also im Winter 86 ; 228 = 38*'/o, im Sommer 6i : 372=16%. Der Abfluß ist im Winter also trotz seines großen Betrages kleiner, im Sommer trotz seines kleinen Betrages größer, als nach dem Unterschiede zwischen Niederschlag und Ver- dunstung zu erwarten wäre. Es ist also nicht, wie Halb faß meint, auf eine Aufspeicherung im Sommer zugunsten des Winters, sondern auf eine solche im Winter zugunsten des Sommers zu schließen. Ein wesentlicher Anteil hieran fällt dem Schnee zu, dessen Schmelzwa.sser erheblich dieser Hinsicht die ober- und unterirdische Auf- speicherungin unmittelbaremZusammenhangstehen. Wäre es ganz sicher, daß die Verdunstung im Odergebiet sich in dem angenommenen Ver- hältnis auf die Halbjahre verteilt, so würden in diesem Gebiet im Mittel der Jahresreihe 1891/1905 also lOi — 86= 15 mm Abfluß aus dem Winter in den Sommer übergegangen sein. In Tabelle 3 ist diese Rechnung auf einige andere Stromgebiete und auf die IVIonate ausgedehnt. Wenn in einem Monat also mehr Niederschlag fällt als abfließt oder verdunstet, so ist der Überschuß als aufge- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVll. Nr. ig speichert gebucht (+); im entgegengesetzten Falle schuß des überwiegenden Teiles über die Gegen- muß dagegen die Menge, um welche Abfluß und Wirkung. Ebenso sind in Abb. i nur diese Über- Verdunstung den Niederschlag übertreffen, aus schüsse dargestellt, wobei das Jahr zweimal ge- vorher angesammelten Vorräten stammen j ( — ). zeichnetist,damitjederbeliebigeAbschnittdes Jahres Abb. I. Rücklage und Aufbrauch im Kreislauf des Jahres. (Die Maße bedeuten mm und -entsprechen Tab. 3.) Tab. 4. Veränderung des Wasserhaushaltes, wenn der Gang der \'erdunsti dem am Grimnitzsce gleichgesetzt wird. (Niederschlag und Abfluß wie in Tab. 3.) 1 Q 1 i J ^^ 1 < s i\i Winter Sommer Jahr A, Elbe bis Tetschen Verdunstung Rücklage (-1-) oder Auf brauch (— ) 20 — 6 24 —13 -1 Jt 78 - 4 78 + 2 + 5 44 +14 27 +15 141 ; 359 -{-16—30+36—22 Soo +52—52 ii. Havel bis Rathenow Verdunstung Rücklage (+) oder Aufbrauch (— ) 20 20 20 19 +i6!+8'+ 5+4 22 - 3 4 — 2 58 -«7 71 -25 71 + 8 Jl ..1 25 + 3 128 326 +33-5 1+16-44 , 454 +49-49 C. Oder bis Hohensaaten Verdunstung Rücklage (+) oder Aufbrauch (— ) 20 20! 20 + 9I+ 41+ 5 19 22 - li- I 27 -2 -1 71 -17 71 + 2 621 39 - 9 + 2 24 +17 128 325 -1-18-4 +21-35 453 +39-39 D. Theiß bis Szegedin Verdunstung Rücklage (+) oder Auf brauch (— ) 41 +1 + 5 21 + .■! -1 30, -12 65 —21 J', 81 — 4 70 - 7 45 + 2 28 +19 '45 +36-18 369 +21-39 5M +57-57 In manchem Monat wird freilich sowohl Wasser für die Zukunft aufgespeichert, wie früher aufge- speichertes verzehrt werden. Diese Einzelbeträge innerhalb desselben Monats sind aus der Tabelle nicht ersichtlich, sondern inmier hur der Über- im Zusammenhang übersehen werden kann. Zur Probe ist die Rechnung noch mit der Abänderung durchgeführt worden, das die durch Niederschlag und Abfluß gegebene Jahresverdunstung derart auf die Monate verteilt wurde, wie sich der jähr- N. F. XVII. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 269 liehe Gang bei den von der Landesanstalt für Gewässerkunde am Grimnitzsee vorgenom- menen Messungen ergeben hat. Da diese Messungen in den Jahren 1909 bis 1913 statt- gefunden haben, während sich Niederschlag und Abfluß meist auf ganz andere Jahre beziehen, und da die Meßstelle weit außerhalb des böh- mischen Elbe- und des Theißgebietes liegt, so darf man von dieser Proberechnung, deren Er- gebnisse in Tab. 4 zusammengestellt sind, keine genauen Zahlenergebnisse erwarten. Dennoch ist sie von Wert, weil sie beweist, daß der Gang der Aufspeicherung und Aufzehrung trotz" der Ver- änderungen der Verdunstuneszahlen dasselbe Ge- präge behält. Die Monate Oktober bis Dezember sind nach Tab. 3 und 4 durchweg, die anstoßenden Monate September und Januar fast durchweg solche der Aufspeicherung, die, wie die Havel und die Theiß zeigen, in manchen Gebieten auch im Februar noch erheblich ist. März bis Mai sind dagegen durchweg Monate des Aufbrauchs. Von den seit September oder spätestens Oktober angesammelten Vorräten sind Ende Mai meist nur noch ziemlich geringe Reste übrig, und zwar: im Gebiet der böhm. Elbe Havel Oder Theiß nach Tab. 3: -|-3 +9 +'8 -4-23 mm „ 4: -3 +19 4-24 +18 :• In den Monaten Juni bis August schwanken die Ergebnisse unregelmäßig zwischen weiterem Aufbrauch und neuer Aufspeicherung. Zum Teil rührt dies daher, daß die Niederschlagverhältnisse gerade in diesen Sommermonaten besonders starken Unregelmäßigkeiten unterworfen sind. So weist im Havel- und Odergebiet der Juli in den unter- suchten Jahresreihen eine Niederschlaghöhe auf, welche die der Nachbarmonate erheblich stärker übertrifft als im langjährigen Mittel. Zum Teil erklärt sich also schon aus solchen Zufälligkeiten, daß sich bei diesen Gebieten für den Juli eine Aufspeicherung ergibt, die mit dem Verhalten der Nachbarmonate nicht in Einklang steht. Zum Teil kann diese Abweichung aber auch von der Ungenauigkeit der Verdunstungshöhen herrühren. Wie schon mehrfach erwähnt wurde, ist der Gang der Verdunstung ja nach Messungen an einem Wasser- spiegel berechnet, der beständig der Verdunstung ausgesetzt war; die Landfläche der Stromgebiete war dagegen im Juli reichlicher befeuchtet als in den Nachbarmonaten und kann in ihm deshalb auch mehr verdunstet haben. Die Überschüsse des Juli würden also, wenn die genauen Durch- schnittszahlen eingesetzt werden könnten, vielleicht kleiner werden oder ganz verschwinden. Ander- seits ist aber unzweifelhaft, daß der Boden auch im Sommer zuweilen beträchtliche Wassermengen aufnimmt. Im Odergebiet ist dies besonders bei den starken Regenfällen im Gebiet der vomAdriati- schen Meere bis zum Finnischen Meerbusen reichen- den Tiefdruckzugstraße (Vb) der Fall, die, wenn auch mit Pausen, manchmal tagelang anhalten und oft Hochwasser hervorrufen. Aber auch das Elbe- gebiet hat bei diesen und anderen Wetterlagen im Sommer oft langdauernde Landregen, die den Boden gründlich durchfeuchten. An diesen Land- regen nehmen im langjährigen Mittel alle Sommer- monate teil. Es empfiehlt sich deshalb, die Monate Juni bis August nicht einzeln zu betrachten, son- dern zusammenzufassen. Hierbei ergibt sich, daß in ihnen der Aufbrauch im allgemeinen überwiegt, indem nun auch nach und nach die Reste ver- schwinden, die Ende Mai noch übrig waren. Ein Mittelglied zwischen Aufspeicherung und Aufbrauch ist die Schneedecke. Es wäre aber verfehlt, in dem Liegenbleiben des Schnees die Hauptursache für den ermittelten jährlichen Gang zu sehen. Die Höhe der sich schon im September und Oktober bildenden Rücklagen beweist, daß der Übergang der Niederschläge in Schnee nur mäßige Bedeutung für die Verschiebungen des Abflusses aus einer Jahreszeit in die andere hat. Das Entscheidende ist, daß beim Beginn des Herbstes die vielen Gewitter- und Platzregen auf- hören, die, durch starke Verdunstung vom Lande hervorgerufen, auch wieder große Verdunstungs- mengen liefern, ohne tiefer in den Boden einzu- dringen und dadurch zu nachhaltiger Speisung der Gewässer beizutragen. Die Herbstregen sind in ihrer überwiegenden Zahl länger dauernde, nachhaltig wirkende Landregen und als solche imstande, den im Sommer dahingeschwundenen Wasservorrat des Bodens wieder zu ergänzen, zumal ihnen dies durch die Abnahme der Tem- peratur und der Verdunstung erleichtert wird. Wenn die betrachteten Stromgebiete auch nur Stichproben sind, so weichen sie doch nach Be- schaffenheit und Lage so weit voneinander ab, daß die Monate überwiegender Aufspeicherung oder überwiegender Aufzehrung wohl im ganzen mittleren Europa im wesentlichen dieselben sind wie in jenen Gebieten. Allerdings ist kein Fluß aus Nordwestdeutschland dabei, wo das Klima sich dem Seeklima nähert; vielmehr herrscht in den untersuchten Gebieten das Landklima vor. Aller Wahrscheinlichkeit nach bildet sich der ermittelte Jahresgang im Seeklima aber nur noch deutlicher und reiner aus. Eine wesentliche Eigentümlichkeit dieses Klimas besteht ja in starken Landregen der Herbst- und ersten Wintermonate. Die Auf- speicherung in diesen Monaten wird also noch lebhafter sein als im Landklima. Im Sommer wird dagegen der im Frühjahr einsetzende Auf- brauch nicht in dem Maße durch Aufspeicherungen unterbrochen werden wie im Landklima, weil dem Seeklima Nordwestdeutschlands gleich starke Landregen, wie sie das Oder-, Weichsel- und mittlere Donaugebiet, zuweilen auch das Elbe- gebiet in den V b - Regen haben, im Sommer fehlen. Voraussichtlich müßte die Verallgemeine- rung des ermittelten Jahresganges also erst vor dem Hochgebirge halt machen, dessen Schnee- und Gletscherwelt gänzlich abweichende Bedingungen darbietet. Bei der sonst nicht nur für Mitteleuropa so be- währten Teilung des Abflußjahres in eine Winter- 270 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. }^VU. Nr. 19 hälfte von November bis April und eine Sommer- hälfte von Mai bis Oktober werden Monate über- wiegender Aufspeicherung mit solchen über- wiegender Aufzehrung zusammengefaßt. Im böh- mischen Elbegebiet heben, wenn man den Gang der Verdunstung mit Penck nach den Beobach- tungen in Prag ansetzt (Tab. 3), Aufnahme und Abgabe hierbei in jedem Halbjahre einander nahezu auf. Jede der beiden Jahreshälften gewinnt dort also nur gleich viel, wie sie an die folgende auch wieder verliert. Faßt man dagegen die Monate überwiegender Aufspeicherung wie die überwiegender Aufzehrung für sich zusammen, so ergibt dieselbe Zahlenreihe für die Zeit von August bis Januar ein Überwiegen der Aufspeicherung nm 70 mm, ebenso von Februar bis Juli ein solches der Zuschüsse um 70 mm. Der ganze Jahres- abfluß beträgt 192 mm; 36% seines Betrages er- weisen sich also als vorher aufgespeichert, wobei diejenigen Rücklagen, die schon in demselben Monat wieder zugeschossen werden, nicht mit- gerechnet sind. Ersetzt man die Prager Ver- dunstungsreihe durch die Grimnitzer fTab. 4), so vermindert sich die Speicherung auf 27 "/o des Jahresabflusses. Ähnlich erhält man für das Oder- gebiet 73 oder 39 von 147 mm, also 50 oder 27%, je nachdem man die Verdunstungsbeobachtungen von Potsdam oder vom Grimnitzsee zugrunde legt, ferner für das Theißgebiet nach dem Gange der Verdunstung in Krakau 81 von 196 mm = 41 */o. nach dem auf dem Grimnitzsee 57 mm = 29%. Beim Havelgebiet erreicht die Aufspeicherung, wenn man die Potsdamer Verdunstungsreihe zu- grunde legt, den außerordentlich hohen Betrag von 91mm bei 123 mm Jahresabfluß, also 74 %> nach der Grimnitzer Reihe dagegen nur 49 mm oder 40*/ß. Je nach der angewendeten Ver- dunstungsreihe weichen die Ergebnisse für dasselbe Gebiet also erheblich voneinander ab. Außer jener einen großen Zahl bleibt aber die Gesamt- aufspeicherung immer zwischen ^4 ""d '/a ^^^ Jahresmenge. Daß sie im Havelgebiet besonders groß wird, ist zwar nicht unglaubhaft, da in ihm die Ansammlung bedeutender Rücklagen sowohl durch den Reichtum an Seen und seeartigen Fluß- erweiterungen, wie durch die hieraus und aus den Gefäll- und Stauverhältnissen entspringende Lang- samkeit des Abflußvorgangs, ganz besonders aber durch die große Durchlässigkeit des Gebietes be- günstigt wird. Aber es wäre verfrüht, dieser einen Zahl eine besondere Bedeutung beizumessen. Ebenso wollen wir keine Folgerung daraus ziehen, daß die Gesamtaufspeicherung in den betrachteten Gebieten bei Anwendung der Grimnitzer Beob- achtungen nur von 27 bis 40"/,, schwankt, nach den anderen Verdunstungsbeobachtungen dagegen von 36 bis 74"/,,. Es läge nahe, das Verhältnis zwischen Gesamt- rücklage und Gesamtabfluß als Maß für den Anteil der Grundwasserspeisung am Abfluß anzusehen. Aus den Rücklagen werden jedoch später nicht nur Zuschüsse zum Abfluß, sondern auch solche zur Verdunstung. Sonst könnte der Aufbrauch in manchen Monaten nicht größer sein als der Abfluß. Auf die Grundwasserspeisung könnte man also aus den Zahlen für Rücklage und Aufbrauch erst schließen, wenn sich die Zuschüsse zur Ver- dunstung von denen zum Abfluß sondern ließen. Die im vorstehenden gegebene Übersicht über den Wasserhaushalt beruht auf der Annahme, daß die monatlichen Verdunstungshöhen den an Meß- gefäßen beobachteten annähernd verhältnisgleich sind. Ule hält diese Annahme, wie S. 266 schon erwähnt wurde, in seiner Untersuchung über den Wasserhaushalt der Saale ^) für unzulässig. Daß der nicht abfließende Teil des Niederschlages im wesentlichen verdunstet, scheint ihm nur für den Winter glaubhaft, nicht aber für den Sommer. Er begründet dies damit, daß der Niederschlag im Winter lange als Schnee liegen bleibe und somit beständig der Verdunstung ausgesetzt sei, gegen die ihn im Winter auch keine Pflanzen- decke schütze. Die sommerlichen Niederschläge fielen dagegen meist als starke Güsse und kämen daher rasch zum Abfluß, wodurch sie der Ver- dunstung entzogen würden. Es komme hinzu, daß die Verdunstungsmesser nur die Verdunstung an- geben, welche bei dauernd vorhandenem Wasser stattfinde. „Im Sommer wird aber innerhalb eines Stromgebietes wie die Saale dieser Zustand nie erreicht. Es bleibt also dort der Betrag der Ver- dunstung hinter dem der möglichen sicher nicht unerheblich zurück. Um wieviel läßt sich leider nicht angeben. Berücksichtigen wir die relative Feuchtigkeit, die uns ja gewissermaßen das Ver- hältnis der wirklichen Verdunstung zur möglichen veranschaulicht, so dürfen wir für das Saalegebiet im Sommer nur etwa 8o"/o der möglichen Ver- dunstung annehmen." Ule veranschlagt deshalb die Sommerverdunstung nur auf 160 % der Winter- verdunstung. Von dem hierbei übrigbleibenden Teil des Niederschlages nimmt er an, daß er teils vom Boden aufgenommen, teils von den Pflanzen verbraucht wird. Der Jahresgang der Wasseraufnahme und Wasser- abgabe des Bodens, zu dem U 1 e von diesen Vor- aussetzungen aus für das Gebiet der Saale gelangt, ist in Tab. 5 unter A und in Abb. 2 Feld A an- gegeben. Um mit der bisher angewendeten Aus- drucksweise in Einklang zu bleiben, sind mit „Rück- lage oder Aufbrauch" dabei die Beträge bezeichnet, die man erhält, wenn man bei Ule, Seite 473, die Wasseraufnahme im Boden und die Aufspeicherung alsSchnee zusammenzählt und hiervon die Speisung durch Schnee schmelze und Grundwasser abzieht. Die Zeiten überwiegender Aufspeicherung oder Aufzeh- rung liegen ähnlich wie bei den vorher untersuchten Gebieten. Aber die Zeit überwiegender Auf- speicherung dehnt sich jetzt auf 8 Monate, von Juni bis Januar aus, während sich die Zeit über- wiegender Aufzehrung auf Februar bis Mai be- ') üle, Niede Stuttgart 1903. clilUK N. F. XVn. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 271 schränkt. Hierbei bleibt, worauf wir noch zurück- kommen, die Aufzehrung in ihrem Gesamtbetrage um 56 mm kleiner als die Aufspeicherung, während in den vorher untersuchten Fällen beide einander ausglichen. Von den Gründen, die Ule dafür angibt, daß die Sommerverdunstung im Vergleich zu der an Meßgefäßen beobachteten nicht so groß sei wie Boden eindringen wie Ule behauptet. Was ferner die Pflanzendecke betrifft, die im Sommer einen gewissen Schutz vor der Verdunstung gewähren soll, so weist Ule selbst darauf hin, daß in Ent- wickelung begriffene Pflanzen sehr viel Wasser verbrauchen, vorausgesetzt natürlich, daß es vor- handen ist. Der Wasserverbrauch mancher Pflanzenarten kann die Verdunstung offener Tab. 5 Wasserhaushalt der Saale (mm) 18S2/1901 0 2; Dez. Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Winter Sommer Jahr Niederschlag Abfluß Verdunstung(mitPflanzenverbrauch) Rücklage (+) oder .Xufbrauch (-) 39 12 18 + 9 41 36 31 15 15 18 16: 13, lü + 10J+ 8l- 3 ! A. Nach Ule. 43| 40|j 6i: 69, 87. 60. 5. 28i i8l| 14 lo' ii| 7 Q 23i 391 55 55; 53; 44 33 - 8i-i7|- 8!+ 4:+23l+ 9i+ 9 56 230 106 125 +27-28 384 62 265 +6S-8 390 B. Verdunstung im Jahre gleich Niederschlag — Abfluß genommen und verteilt nach den Beobachtungen in Chemnitz und Potsdam. Verdunstung ( i8j l6| 12; I7j 291 48! 6l| 671 591 52 421 2s| 140 306 , 446 Rücklage (+) oder Aufbraucb) (— ) \+ 9i+lo|+ 91— 4 — mI— 26'— 14I- 8I+17I+ 1 o:+2Ö|+28-44;+38-22;+66— 66 C. Verdunstung im Jahre gleich Niederschlag — Abflufi genommen und verteilt nach den Beobachtungen am Grimnitzsee. Verdunstung 1 20 20I 2o| iS 22' 2611 57! 691 70! 611 39J 24! 126 1 320 446 Rücklage (+) oder Aufbrauch (— ) |+ 7|+ 6|+ l]— 5— 7!— 4II— lol— lo|+ 6'— 8|+ 3I+21I+I4— 16I+30— 2S'+44— 44 Notf Dez- Jan ffibf.MarzAprilMai Juni JultAug.Sepl. Cht. Nov. De;. . H ,„. Ell IIJ I ! ! T ITT ^^ 1^ Abb. 2. Rücklage und Aufbrauch des Saalegebiets. (Die Maße bedeuten mm und entsprechen Tab, 5.) die Winterverdunstung, trifft jedoch der eine sicher nicht zu, daß die sommerlichen Nieder- schläge meist als starke Güsse fielen, die durch raschen Abfluß der Verdunstung entzogen würden. Das niedrige Abflußverhältnis des Sommers be- weißt ja, daß die meisten Sommerregen überhaupt kaum auf den Abfluß wirken. Wenn ihnen aber in der Tat ein so rascher Abfluß folgte, so könnten sie auch nicht in dem Maße in den Wasserflächen übertreffen. Ule kann deshalb von jenem Schutz wohl nur sprechen, weil er den Wasserverbrauch der Pflanzen selbständig in Rechnung steUt, während wir ihn bei den bis- herigen Betrachtungen stillschweigend in die allgemeine Verdunstung miteingerechnet haben. Auch der Hinweis auf die relative Feuchtigkeit hält nicht Stich. Mag diese sein wie sie wolle: aus ihr kann niemals gefolgert werden, daß die 272 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 19 Verdunstung von der Landfläche kleiner ist als die gleichzeitige Verdunstung von einer Wasser- fläche; und hierauf allein kommt es an. In Wahrheit weicht Ule's Auffassung von der Penck's, der wir uns angeschlossen haben, auch garnicht soweit ab, wie Ule selbst es darstellt. Scheinbar ist ein grundsätzlicher Unterschied allerdings darin vorhanden, daß Penck die Rechnung von vornherein so anlegt, daß die Wasseraufnahme des Bodens sich im Gesamtjahr gegen seine Wasserabgabe wieder ausgleicht, während bei Ule jene Mehraufnahme von 56 mm übrig bleibt. Was wird aber aus diesen 56 mm? Ule spricht von einem „Verbrauch im Wasserhaushalt der Natur", was man so deuten könnte, als meine er, die $6 mm schieden aus dem Wasserkreislauf ganz aus. Auf meine Anfrage hat Ule mir aber ausdrücklich bestätigt, daß auch seiner Auflassung nach im Wasserkreislauf keine wesentliche Wasser- menge verloren gehe. Er nehme vielmehr an, daß jene 56mm aus dem Boden wieder verdunsten. Die mittlere Jahresverdunstung mit Einschluß des Wasserverbrauchs der Pflanzen ist also doch auch nach Ule gleich dem Unterschiede zwischen Niederschlag und Abfluß. Strittig ist nur, auf welchem Wege sie sich vollzieht und wie sie sich auf die Monate verteilt. Nach dem Wege brauchen wir zunächst nicht weiter zu fragen; es kann also unentschieden bleiben, in welchem Maße die Verdunstung unmittelbar von der Erdoberfläche erfolgt oder das Wasser zunächst in den Boden eindringt, ebenso, wie stark sich die Pflanzen an diesen beiden Arten der Ver- dunstung beteihgen. Wesentlich ist dagegen die Verteilung der Verdunstung auf die Monate. Ule sagt in seiner Abhandlung nichts Bestimmtes darüber, wann jene 56 mm dem Boden wieder entzogen werden. Er bemerkt nur, dciß der Boden gerade in den ersten Sommermonaten besonders stark austrocknet. Denkt man sich aber diese Bodenverdunstung von der Wasser- aufnahme des Bodens abgezogen, so nimmt der jährliche Gang der Aufspeicherung und Aufzehrung bei Ule ein ganz, ähnliches Gepräge an, als wenn man ihn von vornherein nach dem Penck'schen Verfahren ableitet. In Tab." 5 ist auch diese Ableitung durchgeführt, und zwar ist unter B der Gang der Verdunstung nach Mittelwerten aus den von Ule benutzten Verdunstungsmessungen in Chemnitz 1885/89 und Potsdam 1894/98 an- gesetzt, unter C nach den Verdunstungsmessungen am Grimnitzsee. Dieser Berechnung entsprechen die Felder B und C der Abb. 2. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei den vorher betrachteten Gebieten. Zusammen betragen die Rücklagen, d. h. ihre Überschüsse über den gleichzeitigen Aufbrauch nach B: 66 mm = 39»/^ des Jahresabflusses, „ C: 44 .. =26»/„ „ Auch dies stimmt zu den Ergebnissen für die andern Gebiete. Wieder nur Zufall ist, daß sich der Juli, abweichend von den Nachbarmonaten, an der Bildung der Rücklagen beteiligt. Er hatte in der untersuchten Jahresreihe erheblich mehr, der Juni dagegen weniger Regen als im lang- jährigen Mittel. Fällt aber die Aufspeicherung im Juli fort, so schließt das Sommerhalbjahr in Tab. 5, Berechnung B und C, auch nicht mehr mit einem Gewinn ab. Ein zweites Verfahren, das Maß der Wasser- ansammlung im Boden zu untersuchen, besteht in der Trennung des Oberflächenabflusses von der Grundwasserspeisung. Hierzu sind die Abfluß- mengen zu ermitteln, die beim Aufhören des Oberflächenabflusses übrig bleiben. Der Übergang in reine Quellenspeisung pflegt sich dann darin zu äußern, daß sich die Abnahme der bis dahin aus Quellenspeisung und Oberflächenabfluß zu- sammengesetzten Abflußmenge stark verlangsamt. In Abb. 3 ist ein solcher I'all skizziert. Das Linien- stück DB entspricht der zunächst aus Grundwasser- speisung und Öberflächenabfluß zusammengesetzten Abflußmenge, die Linie ABC der reinen Grund- Abb. 3. Öberflächenabfluß uad Grundwasserspeisung. Wasserspeisung. Der Öberflächenabfluß ist also durch die schraffierte Fläche DBA gegeben, die nach Erreichung des Punktes B noch zur Ver- fügung stehende Grundwasserspeisung durch die P'läche zwisclien BC und der Nullinie MN, und zwar durch das Flächenstück, das links durch BE begrenzt ist, während die Grenze rechts fortgelassen ist, da unerörtert bleiben kann, wann und wie schließlich auch die Grundwasserspeisung, falls überhaupt nie mehr Niederschlag fiele, aufhören würde. Je nach dem zur Zeit vorhandenen Grund- wasservorrat liegen die Linien der Grundwasser- speisung höher oder niedriger, sind also die Flächen, die der Menge des abflußfähigen Grundwassers entsprechen, größer oder kleiner. Walter W u n d t hat dieses Verfahren weiter ausgebaut und es be- nutzt, um zu ermitteln, wie groß die abflußfähige Grundwassermenge im Neckargebiet von Anfang 1892 bis Ende 1893 in jedem Zeitpunkt war. i) ») Walter VVuudt, Niederschlag und Abfluß, speziell im obereu Neckargebiet. Jahresheftc dos Vereius für vaier- liindisclie Naturkunde in Wiirltcmberg, 66. Jahrg. 1910. N. F. XVII. Nr. 19 Naturwissenschaftliclie Wochenschrift. 273 Dabei hat sich ergeben, daß sie in beiden Jahren im Frühjahr ungefähr zu gleicher Zeit mit dem Abfluß und Abflußverhältnis ihren größten Betrag erreichte, hierauf bis zum Mai ziemlich rasch, dann bis zum Herbst langsam weiter abnahm und nun bis zum F"rühjahr wieder anwuchs. Auch hierbei erwies sich also der Sommer nicht, wie Halb faß meint, als Zeit überwiegender Ansammlung, son- dern als solche überwiegender Aufzehrung. Nun hat Wundt allerdings außer Betracht gelassen, daß sich die Grundwasserspeisung wohl kaum so scharf, wie es in der Skizze angedeutet ist, vom Ober- flächenabfluß trennen lassen wird. Sie wird viel- inehr oft von diesem abhängen. So kann z. B., wo gewöhnlich ein Grundwasserstrom zum Fluß vorhanden ist, bei Hochwasser das Oberflächen- wasser ins Grundwasser strömen. Außerdem läßt sich nach nur zwei Jahren nicht das langjährige Verhalten beurteilen. Wundt 's Ergebnis stimmt ja aber durchaus zum wohlbekannten langjährigen Gang der Wasserstände. Für die Stärke der Grundwasserspeisung ist besonders das Mittel- berücksichtigt, die ein wesentliches Glied des Wechsels zwischen Aufspeicherung und Aufbrauch bilden. Bliebe aus diesem Grunde noch ein Zweifel darüber, ob die Kleinheit des Sommerabflußver- hältnisses wirklich nur auf die Verdunstung zurück- zuführen ist, so würden ihn die Versuche über die Größe der Versickerung und den Wasserverbrauch der Pflanzen beseitigen, die früher namentlich in England, seit einer Reihe von Jahren aber auch in Deutschland in größerer Zahl stattgefunden haben. Nas Nachstehende ist den verdienstvollen Berichten im „Kulturtechniker" 1905, 1906, 1912 u. 19 14 entnommen, in denen Prof. Luedecke die Er- gebnisse der verschiedenen Versuchsreihen ein- heitlich bearbeitet hat. Besonders wertvoll für uns sind die von Prof. v. Seelhorst in Göttingen angestellten Versuche. Die jährliche Niederschlag- höhe beträgt dort gegen 60 cm, ungefähr eben- soviel, wie die mittlere Niederschlaghöhe der Stromgebiete von Elbe, Oder, Weichsel, Pregel und Memel. Sie entspricht also den durchschnitt- lichen Verhältnissen einer großen Fläche Mittel- „ «« ü« Jan. ^ U^ 4pri Mal Juni Juli Auo 1 1 bep. r Nw n j^ Man r Ms "r *ug Sep. Ukl / A 1 / ^ .0- 1 / \ \ / \ / \ w ^ r~ V r^ \ '' / / ^\ \ / / \ \ w^ \ \ J / \ \ J y \ \ / ^ \ \ / lA \ ^ ^ V ^ " / ^ ■^ - r Abb, 4. Langjähriges Mittel- und Mittelniedrigwasser der Saale (bei Kalbe) im Kreislauf des Jahres (l 846/1910'). niedrigwasser der Monate bezeichnend. Wir ver- stehen darunter die Werte, die man erhält, wenn man den niedrigsten Wasserstand jedes einzelnen iVIonats herausgreift und aus diesen Beträgen dann getrennt für November, Dezember usw. Mittel- werte bildet. Letztere werden allerdings nicht ganz der mittleren Stärke der Grundwasserspeisung entsprechen, da es in vielen Monaten nicht dazu kommt, daß der Oberflächenabfluß aufhört und nur noch Grundwasser abfließt. Das Mittelniedrig- wasser wird im allgemeinen also etwas über der bloßen Grundwasserspeisung liegen, aber sich dieser doch nähern. Der jährliche Gang des Mittel- niedrigwassers ist aber, wie Abb. 4 an einem lang- jährigen Beispiel von der Saale zeigt, dem des Mittelwassers sehr ähnlich und damit eine Be- stätigung des von Wundt erhaltenen Ergebnisses. Denn auch die Wasserstände sind im Frühjahr am höchsten, nehmen dann in den ersten Monaten rasch, in den folgenden Sommermonaten langsamer ab und steigen vom Herbst ab wieder. Die Schlüsse aus der Grundwasserspeisung lassen allerdings die Schwankungen der über dem (jrundwasser vorhandenen Bodenfeuchtigkeit un- europas. Die Versuchsgefäße empfingen außer dem Niederschlag keine Bewässerung. Ober- flächenabfluß war ausgeschlossen. Zum Abfluß gelangte also nur das Wasser, das den Boden durchsickerte und unten aus den Gefäßen heraus- floß. Die Versickerungsmengen stehen, wie sich fast von selbst versteht, in ganz ähnlichen Be- ziehungen zu den Niederschlägen wie die Abfluß- mengen der P^lußgebiete. Wie diese sind sie im Sommer weit kleiner und nehmen in diesem Halb- jahr weit weniger mit der Niederschlaghöhe zu als im Winter. Und zwar beweist Tab. 6, daß dies von Sand- wie von Lehmboden gilt und von Brachland ebenso wie von Äckern und Wiesen, und nicht nur im Landklima Mitteleuropas, sondern auch im Seeklima Englands, hline Ausnahm.e macht nur grober, unbebauter Sand, auf den sich die letzten Zahlen der Tabelle beziehen. Bei ihm ist wegen des schnellen Versinkens des Wassers die Versickerung bei gleicher Niederschlaghöhe im Sommer nicht wesentlich kleiner als im Winter. Ein derartiger Boden würde also in unserem Klima im Sommer infolge der größeren Niedcrschlag- höhc dieses Halbjahrs mehr Sickerwasser liefern 274 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 19 Tab. 6. Sickerwasser b Höhe des Niede ei verschiedener r s c h 1 a g e s. Ort (und Ver- anstalter) der Versuclie Göttiogcn (v. Seelhorst) dgl. Nashvillc bei Hemel — Hampstead in Herefordshire (Dickinsou u. Evans) Versuche mit Boden aus der Nähe von Croydon (Latbam) (Greaves) Lehm- boden, brach Roggen Heidesaud mit Gerste Heidesand lit Kar- toffeln Kalk- boden mit Gras Kiesige Wiese Grober Filtersand brach Sommer') Winter *) Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Sommer Winter Jahr Niederschlag (cm) ') 20 ,3040 50 60,7080 90 100 Sickerwasser (cm) ') I 4ill II J20j29 14 24134 Si 5 15 2025 41 S II I5J20 5' 9 2l!29 S'5 Jn :6|25 I 15 123131 1612636 13J21130 19 3847! 27i36j44jS2J 2lJ25|29!32i 2127 31 1925130 15 19 33J 1 18 24 29 39 49|59[69 25 1 30 ') Niederschlag und Sickerwasser sind die Gesamtmengen im Halbjahr oder Jahr. *) Sommer = April/September, Winter = Oktober/März, auch bei den folgenden Reihen. als im Winter. Aber das ist ein Boden für Wüsten, nicht für Äcker, Weiden und Wiesen. Bei den kulturfähigen Bodenarten ist das Versickerungs- Verhältnis des Sommers, ebenso wie das Abfluß- verhältnis der Flußgebiete, in unserem Klima so viel kleiner als im Winter, daß die Sickermengen im Sommer trotz dessen größerer Niederschläge weit kleiner bleiben als die des Winters. Und diese schwache Sommerversickerung ist nicht etwa darauf zurückzuführen, daß das >Vasser in den oberen Bodenschichten steckenbliebe. Dies ge- schieht erst in den späteren Sommermonaten, wenn die Kornfrüchte geerntet und die übrigen wichtigeren Fruchtarten so weit gereift sind, daß sie dem Boden nicht mehr viel Wasser entziehen. In der Zeit des stärksten Wachstums der Haupt- früchte wird dagegen das große Wasserbedürfnis mancher Ackerpflanzen durch die Niederschläge kaum befriedigt, so daß der Boden noch Wasser zuzuschießen hat. Beispiele hierfür geben die Tabellen 7a und 7b auf Grund der Göttinger Versuche im Jahre 1903 (Kulturtechniker 1905). Die Verdunstung der mit Hafer bebauten Fläche von April bis Juli war um 138 mm größer als der Niederschlag, obgleich dieser das langjährige Mittel um 39 mm überschritt. Im Juni betrug die Tagesverdunstung von dieser Fläche durch- schnittlich 6,3 mm. Im Juli ist mit der Blüte des Hafers sein Wachstum abgeschlossen, und nun nimmt sein Wasserverbrauch sogleich stark ab. Trotzdem war er durch die Regenhöhe des Juli noch immer nicht gedeckt, obgleich diese den normalen Betrag hatte, und die Fläche mit Hafer nebst Kleecinsaat verbrauchte bei den überdurch- schnittlichen Regenhöhen der nächsten Monate auch in diesen mehr als die normalen Regenhöhen. Die Rübenfläche, deren Höchstverbrauch erst in der zweiten Hälfte des Sommers eintrat, zehrte zwar den gefallenen Regen nicht ganz auf, wohl Tab. 7a. Göttinger Versuche im Sommer 1903. Monat April Mai Juni Juli 1 : August September April/Juli April/Sept. Regenhöhe im Versuchsjahr (mm) 82 74 29 76 ' 103 72 261 436 1866/1915 (ram) 36 47 63 76 61 46 222 329 Verdunstung (mm) von Fläche mit Hafer 34 81 190 94 61 26 399 i 486 „ „ u. Kleeeinsaat 34 81 190 94 79 78 399 556 „ Rüben 34 44 38 78 127 66 194 387 Tab. 7b. Göttin ger Versuche im Winter 1903/04. Monat Okt. Nov. Dez. 1 Januar Febr. März ! Okt./März 1 Jahr Regenhöhe im Versuohsjahr Cmm) 66 74 8 35 59 28 270 706 1866/19IS L^m) 48 44 48 37 38 42 257 5SÖ Verdunstung (mm) von Fläche mit Hafer 20 1 9 1 0 21 55 541 „ „ u, Kle«-ius;.;il 43 1 8 2 17 74 630 „ RUbci. -10 7 9 " t 24 yy 486 N. F. XVn. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 27 s aber mehr als den langjährigen Durchschnitt. Im Winter dagegen schrumpfte die Verdunstung, die von April bis September 39—56 cm betrug, auf 5 — 10 cm zusammen. Die übrigen Versuche haben zu ähnlichen Er- gebnissen geführt. Im Sommer 1905 betrug die Regenhöhe von April bis Juli sogar 33 cm, also II cm mehr als im langjährigen Mittel. Aber Weizen, wie Roggen und Kartoffeln begnügten sich auch damit nicht, sondern deckten ihren IVIehrbedarf aus dem Boden. Einen Teil des Wassers lassen die Pflanzen allerdings nicht ver- dunsten, sondern behalten sie in ihrem Körper Rechnet man die Verdunstung wieder auf den durch Niederschlag weniger Abfluß gegebenen Jahresbetrag um, so ergeben sich für die Schwan- kungen der Bodenfeuchtigkeit die Zahlen in Zeile 6 der Tabelle. Die wesentlichen Züge des Bildes kehren also immer wieder, sowohl in den deutschen wie in den englischen Beobachtungen. Die soeben be- tracliteten Zahlen lehren außerdem, daß sich, wie es ja auch nicht anders sein kann, vor dem Steigen des Grundwassers zunächst die Feuchtigkeit der oberen Bodenschichten wieder ergänzt. Auch dies gilt für Deutschland ebenso wie für England. In Tab. 8. Beobachtungen in Leeb ridge i86o/';3 (mm). • Herbst 1 Winter 1 Frühjahr Sommer Jahreszeit September 1 bis 1 Dezember März bis bis Juni bis Jahr November , l'cbruar Mai August I. Regen 180 176 137 160 653 2. Versickerung 36 118 32 7 193 3. Rest 144 58 105 153 460 4. Verduustuug v. Wasserfläche 84 50 i 150 238 522 5. „ umgerechnet auf Jahr = 460 mm 74 44 1 13z 2.0 460 ö. Rücklage (-I-) oder Aufbrauch (— ) = 3.-5, + 70 + 14 1 -27 -57 +84-84 zurück. Für den Gesamtverbrauch besagen diese Mengen aber nicht viel. Sie können wohl bis über 5 mal so groß sein wie die Trockenmasse der Pflanzen; die verdunstenden Mengen sind aber mehrhundert- bis über tausendmal so groß wie die Trockenmasse. In manchen der untersuchten Fälle ist der hohe Wasserverbrauch zum Teil allerdings darauf zurückzuführen, daß auch die Ernteerträge ungewöhnlich groß waren. Ander- seits ist aber auch zu berücksichtigen, daß der Oberflächenabfluß ausgeschlossen war, der unter den natürlichen Bedingungen die zur Verfügung stehende Wassermenge vermindert. Recht lehrreich sind auch die Zahlen in Tabelle 8. Sie beruhen auf Versuchen, die 1860/73 in Leebridge unweit Greenwich ausgeführt worden sind. Der nicht näher beschriebene Boden, mit dem das drei Fuß hohe Versickerungsgefäß gefüllt war, war mit einer Rasennarbe versehen. Die Wasserverdunstung wurde an einer freien Wasserfläche beobachtet. Im Sommervierteljahr flössen von 160 mm Niederschlag nur 7 mm Sickerwasser aus dem Gelaß heraus, im Winter- vierteljahr dagegen von 176 mm nicht weniger als 118 mm. Das nicht zum Vorschein gekom- mene Wasser ist im Sommer offenbar alles ver- dunstet, da die Verdunstung von der Wasserfläche rund 150°/,, des Niederschlages betrug. Dagegen kann nur auf eine starke Wasseraufnahme des Bodens zurückgeführt werden, daß auch im Herbst nur eine ziemlich kleine Menge aussickerte. Nachdem sich der Boden jedoch gesättigt hatte, floß im Frülijahr trotz wesentlich kleinerer Nieder- schläge fast ebenso viel aus wie im Herbst. Abb. 5 ist nach Ermittelungen, die v. Seelhorst auf wirklichem Ackerlande vorgenommen hat, der Wassergehalt von Lehmboden dargestellt, und zwar in Mittelwerten für 1901/04. Die Linien ent- sprechen dem Durchschnitt aus Versuchsflächen mit Roggen, Weizen, Klee, Rüben, Kartoffeln, Hafer und Erbsen, unter Trennung der Bodenkrume (0—25 cm tief) und des Untergrundes (25 — 75 cm). % — " rn — n r-^ ^ p — n E!^ F r — ^ " \t- / ■' \ s '0 \ ■ / , \, '\ /' / \ \ / ,.' \ 'n / . '' ir \ / ,-- \ f 1 \ / r V 1 1 Abb. 5. Wassergehalt von Lehmboden (in Gewichtsbundertteilen). Sie fallen bis zur Ernte; dann aber steigen sie. Während der Abnahme ist die Krume weniger feucht als der Untergrund; beim Steigen kehrt das Verhältnis sich um. Die Feuchtigkeitszunahme beginnt also mit dem Verschwinden der Pflanzen von den Feldern, was mit dem jährlichen Gang stimmt, der oben durch Vergleichung von Nieder- schlag, Abfluß und Verdunstung ermittelt wurde. 2;6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVU. Nr, 19 Die Anreicherung kommt zunächst aber den oberen Bodenschichten zugute; das Grundwasser folgt. Die Schlüsse, die wir im ersten Teil unserer Ausführungen aus dem Gang der Verdunstung von Wasserflächen gezogen haben, finden wir also nicht nur bei der Trennung der Grundwasser- speisung vom Oberflächenabfluß bestätigt, sondern auch durch die Verdunstung und Versickerung von Äckern, Wiesen, Weiden und Brachland und durch das Verhalten der Bodenfeuchtigkeit. Dazu kommt der ganz unmittelbare Beweis durch die Grundwasserbeobachtungen, auf die wir hier wegen des Aufsatzes von W. Koehne im Zentralblatt der Bauverwaltung 1918 Nr. 27 und 28 nicht näher einzugehen brauchen. Besonders ist klar, daß das Abflußverhältnis des Sommers ausschließlich infolge der großen Ver- dunstung, in die wir den Wasserverbrauch der Pflanzen miteingerechnet denken, so klein wird. Durch die im Boden entstehenden Rücklagen wird wohl das Abflußverhältnis der letzten Monate des Sommerhalbjahres merklich verkleinert, nicht aber das des ganzen Halbjahres, da der Zurückhaltung am Ende des Halbjahrs starke Zuschüsse am Anfang gegenüberstehen. Gewiß trifft wenigstens für die höher gelegenen Flächen der Einwand zu, daß dem Lande im Sommer das Wasser, das verdunsten könnte, oft lange Zeit fehlt und daher die Verdunstung von Landflächen nicht ohne weiteres der von Wasser- flächen verhältnisgleich gesetzt werden dart Aber man darf hierbei nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Weshalb trocknet das Land so oft aus f Weil in der Zeit bis zur Reife der Pflanzen alles Wasser verdunstet, das überhaupt nur verdunsten kann; erst nach der Erntezeit beginnen sich, um im Anklang an Penck zu sprechen, die GrHndwasscrräume und Ouellgäiige zu füllen, die dann etwa von P'"ebruar ab bis wieder in den Herbst hinein die Flüsse speisen. Es wäre aber einseitig, wenn man die Bedeutung der Verdunstung für die Beziehungen zwischen Niederschlag und Abfluß nur darin sehen wollte, daß sie den größten Teil des Niederschlages nicht zum Abfließen gelangen läßt. Die Unter- suchungen Brückner 's, Supan's und anderer über die Herkunft der Niederschläge haben be- wiesen, daß der nicht abfließende Teil des Nieder- schlages im großen und ganzen überhaupt erst durch die Verdunstung vom Lande hervorgerufen wird. Diese nimmt im wesentlichen also nur die Niederschlagmengen wieder zurück, die sie selbst erst erzeugt, indem sie den vom JVIeere zugeführten Wasserdampf mehrfach umsetzt. Das .^bflußver- hältnis besonders des Sommers ist im letzten Grunde also nicht deshalb so klein, weil die dem Stromgebiete zufallende Einnahme an Nieder- schlägen größtenteils durch die Verdunstung auf- gesogen wird ; sondern die aus der Landverduns- tung hervorgehenden Niederschläge, die im Sommer bei uns die Hauptmenge des Regens ausmachen, täuschen eine Einnahme vor, die in Wahrheit nur ein bloßer Umsatz ist. Einzelberichte. Zoologie. Untersuchungen über den biologisch richtigen Verlauf des Lernvorgangs bei weißen Mäusen ') hat Szymanski im physiol. Institut der Wiener Universität angestellt. Im Gegensatz zu früheren Versuchen ging der Verfasser von dem Gedanken aus, daß das Ergebnis der Versuche um so genauer sein müsse, je mehr das Tier seinen Trieben frei folgen könne. Seine Wahl fiel auf weiße Mäuse, weil diese während eines Tages 16 Ruhe- und Aktivitätsperioden haben, der Zeit- raum von 24 Stunden umfaßt also für die Maus 16 Tage und 16 Nächte. Als Antrieb für die Handlung, deren Erlernbarkeit untersucht werden sollte, wurde, wie meist bei derartigen Versuchen, der Hunger benutzt und dabei angenommen, daß die Freßperioden mit den Aktivitätsperioden zu- sammenfallen würden. Die Anordnung der Ver- suche war folgende : in einem Glaskäfig stand ein Tischchen mit zwei P'utternäpfchen, etwa 15 cm hoch. Zu beiden Seiten führte unter einem Winkel von 45" eine Leiter zum Tischchen, der aber von ihnen noch durch eine Brücke von 10 cm Länge getrennt war. Diese Brücken waren so an den ') Pflüge» 's Arcli. f. d.ges. Physiologie lyi; H. 10—12. Leitern befestigt, daß sie bei dem geringsten An- stoß hinunterklappten und dann sofort wieder in die alte Lage zurückkehrten. Das Tischchen selbst federte bei Berührung. Beim Hinunterklappen der Brücken und dem P'edern des Tischchens wurde durch Kontakte ein elektrischer Strom geschlossen, der diese Bewegungen auf einer sich drehenden Trommel außerhalb des Käfigs verzeichnete. Die eine Brücke wurde während des Versuches fest- gestellt, sonst waren beide Seiten der Anordnung völlig gleich. Die Futternäpfe konnten also nur von dieser feststehenden Brücke aus erreicht werden ; gegen etwaigen Sprung von der Leiter aus war das Tischchen durch Blechschilde geschützt. Fand sich also auf der drehbaren Trommel ein Aus- schlag des Tischchens, so war dies ein Zeichen, daß die Maus gefressen hatte. Ein Ausschlag der Brücke vor dem FVeßakte zeigte an, daß die Maus versucht hatte, auf dem falschen Wege zum Futter zu gelangen ; fand sich dieser Ausschlag nach dem Freßakte, so hatte sie versucht, das Tischchen auf der Fallbrücke zu verlassen. Es wurden gleichzeitig 5 Versuche in völlig gleicher Anordnung mit je einer Maus angestellt. Das Ergebnis war im allgemeinen bei allen das- N. F. XVII. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2;; selbe. Die Versuche erstreckten yich. tiieibl über eine längere Zeit (bis zu 5 Wochen). Maßgebend für das Ergebnis ist aber nicht die Anzahl der Tage, sondern das Verhältnis der Fehlerzahl zur Zahl der Freßperioden in dieser Zeit. Bei der Maus Nr. 2 fanden sich vom 15. bis zum 30. Ver- suchstage (vorher wurde die Anordnung, betreffend die Umkippbarkeit der Brücke, mehrfach gewechselt, so daß die einzelnen Versuche nur cmige Tage dauerten, also weniger Wert haben) bis 176 Freß- perioden 5 Fehler, am 18. Tage i (die Anzahl der Freßperioden fehlt hier), am 21. und 30. Tage je I Fehler unter je S Freßperioden. Der Versuch mit der 3. Maus umfaßt 32 Tage. Hier fanden sich in den ersten Tagen 3, 1,4, 1,0, i usw. Fehler während je 12—14 Freßperioden, während vom 14. — 32. Tage (mit Ausnahme des 18. und 24., an denen 2 bzw. i Fehler gemacht wurden) das Tischchen bei täglich 13 — 18 Mahlzeiten auf dem richtigen Wege gefunden wurde. Ähnlich war das Ergebnis bei den beiden letzten Mäusen. Diese Versuche zeigen, wie erstaunlich schnell — schon nach wenigen vergeblichen Versuchen — die Tiere gelernt haben, ihr Futter auf dem rich- tigen Wege zu erreichen. Biologisch ist diese Tatsache von besonders wichtiger Bedeutung, da es, falls die Tiere den Ort, an dem sie einmal Nahrung oder auch Schutz gefunden haben, nicht wiederfinden würden, ihnen leicht zum Verderben gereichen könnte. Heycke. Physik. Wenn man die Luft zu den Nicht- leitern der Elektrizität rechnet, dann ist das nicht ganz richtig. Sie ist allerdings ein so schlechter Leiter, daß es genauer Untersuchungen bedarf, um festzustellen, daß sie tatsächlich nicht vollkommen isoliert. Das geringe stets vorhandene Leitver- mögen ist zurückzuführen auf positive und negative Ionen, das sind Luftmoleküle, die mit positiver bzw. negativer Elektrizität beladen sind. Ein ge- ladener Konduktor zieht diejenigen Ionen an, die das seiner Ladung entgegengesetzte Vorzeichen haben ; seine Ladung verschwindet daher allmählich, in- dem sie durch die von den Ionen abgegebene ent- gegengesetzte kompensiert wird. Die Ionen werden sehr wahrscheinlich erzeugt durch die sogenannte durchdringende Strahlung, von der bekannt ist, daß sie sich aus drei Komponenten zusammen- setzt : nämlich erstens aus der y-Strahlung '-) der im Erdboden befindlichen radioaktiven Substanzen, zweitens aus den y-Strahlen der in der atmosphä- rischen Luft befindlichen Radiokörper (PImanation) und drittens aus einer rätselhaften von oben kom- menden sehr durchdringenden Strahlung. Um über das Wesen der durchdringenden Strahlung Aufschluß zu bekommen, sind vom September 1913 bis November 1914 von V. Heß und M. Kofi er auf dem 2044 m hohen Obir ') Die /-Strahlung ist eine sehr harte, aUo kuriwellige Röntgenstrahlung, die neben den a-Strahlen (positiv geladenen Heliuraatomen) und den .-^-Strahlen (Flcktroncn) vor. radio- aktiven Substanzen ausgesandt wird. in Sudkärnten etwa 2400 Beobachtungen angestellt ■worden, über deren Ergebnis in der Physikal. Zeitschr. XVIII (1917) 585 berichtet wird. Mittels zweier W u 1 f 'sehen Strahlungsapparate, die durch einen Holzkasten vor direkter Sonnen- strahlung geschützt waren, wurde täglich 5 mal die Anzahl der Ionen im Kubikzentimeter Luft bestimmt. Als Jahresmittel ergab sich etwa 10,5, also eine außerordentlich geringe Anzahl, wenn man bedenkt, daß die Zahl der Moleküle im Kubik- zentimenter von der Größenordnung 10 '" ist. Eine jährliche Periode wurde festgestellt, deren Minimum im März und April, während das Maximum im Juli und August liegt. Die Amplitude dieser Periode war für die Tagesbeobachtungen etwa doppelt so groß (0,77 Ionen pro ccm) als bei Nacht. Die mittlere Amplitude ist in 2000 m Höhe 3 mal kleiner als in Seehöhe. Dieses Er- gebnis macht es wahrscheinlich, daß die Schwan- kungen der durchdringenden Strahlung bedingt sind durch die beiden ersten Komponenten, während die von oben kommende Strahlung während des ganzen Jahres als praktisch konstant anzusehen ist. Auch eine tägliche Periode wurde gefunden, allerdings nur im Sommer, wo die lonenzahl nachmittags im Mittel um 0,5 ansteigt. Im Winter tritt dagegen eine regelmäßige Variation nicht auf. Die Unterschiede zwischen Tag und Nacht sind minimal. Die Sonne kann demnach nicht die Quelle der dritten Komponente sein. Eine Abhängigkeit von Temperatur und Luftdruck ist nicht erkennbar. Dagegen bringen Nieder- schläge, besonders Gewitterregen, eine deutliche Erhöhung hervor. ^) Seh. Medizin. Die seit altersher bekannte Er- fahrung, daß die Sonne der Urquell alles Lebens auf der Erde ist, wurde neuerdings durch die erfolgreiche Behandlung_von Kriegswunden aller .^rt mit Sonnenlicht bestätigt. Wiederholt wurde 191 7 in den Sitzungen der Pariser Akademie der Wissenschaften berichtet, daß man mit der Heliotherapie eine Besserung des Allgemeinbefindens mit Hebung des Appetits der Invaliden erreiche infolge besserer Blutzirku- lation und daß man damit auch lokale Heilerfolge erzielt habe. Tropide, d. h. aller Terapie bisher trotzende Wunden vernarbten rasch, nachdem sie sich rasch (z. T. von 5 — 10 cm auf i cm Durch- messer) verkleinert hatten. Gewebstrümmer, Knochensplitter und Fremdkörper aller Art wurden ausgestoßen, die Zahl der Bakterien wurde zu- sehends kleiner, die Eiterung hörte auf, die Wunde wurde steril, niißfarbige graue Wundflächen er- hielten eine lebhaft rote Farbe, frische Granu- lationen wurden gebildet, die Überhäutung erfolgte nach guter Regeneration zerstörter Sehnen ohne Verklebungen oder cheloide Verhärtungen, die Kallusbildungen geschlossener Brüche, nach •) Vgl. auch Referat in Naturw. Wochenschr. XUl, S. 649 (1914)- 278 Natui-wissenschaftiiche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 19 Knochenzcrtrümmerung, wurden durch eine An- regung der Lebenstätigkeit im umgebenden Ge- webe gefördert, schlecht verheilte Frakturen wurden konsolidiert, Ödeme verschwanden, Steifigkeiten bildeten sich zurück, kurz „neues Leben blüht aus den Ruinen". Die gleichzeitige Behandlung der Wunde mit ultravioletten Strahlen durch die Quecksilberlampe beschleunigte die gute Wirkung, die sich schon in den ersten Tagen in einer Anregung der Freß- zellentätigkeit und in einer Hebung der Blutzirku- lation aussprach. Die Bestrahlung wurde ganz planmäßig ausgeführt; dabei lag der Patient im Freien oder bei ungünstiger Witterung im Laza- lett bei weit oft'enem Fensler, gänzlich ungekleidet der Sonne ausgesetzt. Zuerst wurden die Füße bestrahlt, am 2. Tag reichte die Bestrahlung bis zum Knie, am 3. Tag bis zum Bauch, am 4. Tag wurde der Bauch in die Bestrahlung eingezogen und am 5. auch der Thorax. Lediglich der Kopf war durch einen weißen Hut und die Augen durch eine gelbe Brille geschützt. Die Dauer begann mit 2 — 3 und wurde allmählich länger bis 10 Minuten; Ruhepausen, während deren die Wunde durch einen antiseptischen, trockenen Verband geschützt war, unterbrachen von Zeit zu Zeit die Strahlenbehandlung. Kathariner. Bücherbesprechungen. Wunderlich, Dr. E., Die Ober fläch eng e- staltung des Norddeutschen Flach- landes. I. Teil: Das Gebiet zwischen Elbe und Oder. Leipzig und Berlin. 1917. B. G. Teubner. — 5,20 M. Das vorliegende Werk ist der erste Teil einer groß angelegten IVIorphologie des gesamten nord- deutschen Flachlandes, das aus eingehendster per- sönlicher Anschauung und intensivstem Studium von Karte und Literatur hervorgegangen ist. Hatte F. Wahnschaffe, unter starker Betonung der Geologie, den ersten Versuch unternommen, den Formenschatz des norddeutschen Flachlandes in seine Elemente aufzulösen und diese eingehend zu beschreiben, so gibt der Verf. vor allem eine sehr ins Einzelne gehende, genetisch erklärende, dabei aber äußerst plastische und lebendige geographische Schilderung der natürlichen Landschaften und wendet sich dem Studium einzelner Landschafts- formen nur insoweit zu, als diese ihm Anhalts- punkte für die Klassifikation und Datierung der einzelnen Landschaftstypen zu geben vermögen. Mit Recht hebt er so die Hohlformen — Täler, Seen, Solle und Kessel — heraus. Auf diese Weise ge- lingt es dem Verf., eine einheitliche, großzügige Erklärung der Oberflächenformen des norddeutschen Flachlandes zu gewinnen, das sich somit unge- zwungen in vier große, Ost-West streichende Hochflächenzonen gliedert, die durch wechselnd breite Talungen, die sog. Urstromtäler, geschieden werden. Entsprechend dem Rückzuge des Inland- eises weisen die Hochflächen gegen Norden hin, wie auch zahlenmäßig dargelegt wird, immer jüngere Elemente in wachsender Zahl auf. Das norddeutsche Flachland erscheint somit im wesent- lichen als das Werk der letzten Vereisung. Nur an seinem Südrande tauchen auch Ablagerungen älterer Vergletscherungen hervor. Die postglaziale Umgestaltung des Reliefs steckt noch ganz in den Anfängen. Ihr geringes Ausmaß ist nach dem Verf. eine Funktion der Zeit, dürfte vielleicht aber auch mit der Bodenbeschaffenheit in Beziehung stehen. Ein besonderes Kapitel ist den Urstrom- tälern gewidmet, die, wie der Verf. überzeugend nachweist, aus verschieden alten Teilstücken fluvio- glazialer Täler bestehen und durchaus der Ein- heitlichkeit entbehren. Auf eine Kleinigkeit möchte Ref. aus methodischen Gründen aufmerksam machen. Verf. bezeichnet auch die Hochflächen zwischen Dahme und Bober mit dem Namen Fläming. Für diese Gebiete ist aber der Name Lausitz gebräuchlich und die Bezeichnung Fläming unbekannt. Es ist bei einer Namengebung immer ratsam, sich an die ortsüblichen Namen anzu- schließen. Aber das sind nur Kleinigkeiten, die gegenüber den großen Vorzügen der Darstellung vöUig verschwinden. Wunderlich's Buch zeichnet sich nicht nur durch große Sorgfalt und Gründlichkeit in der Bearbeitung des Materiales sondern auch durch eine meisterhafte Beherrschung und Darstellung des Stofifes aus. G. Frey. Kohlschütter, Prof. Dr. V., D i e E rs c h e i n u n g s - formen der Materie. Vorlesungen über Kolloidchemie. Leipzig- Berlin '17. B. G. Teubner. — 7M. Der Verfasser behandelt in einer auch für den Nichtfachmann verständhchen, anregenden und an- genehm zu lesenden Darstellung die eigenartigen und interessanten Phänomene, die an der Maierie unabhängig von ihrer stofflichen Natur auftreten, also die Aggregatzustände und namenlich die mannigfaltigen Zerteilungsformen. „Die verschie- dene Zerteilung und Zusammenfassung des Stoffes ist für die Natur das Mittel, um über die Variation der stofflichen Qualität hinaus jene Fülle von Er- scheinungsformen hervorzubringen, die wir mit einer lediglich chemischen Betrachtungsweise uns nicht verständlich zu machen vermögen". So gibt das Buch einen Abriß der Koloidchemie, der wegen seiner anschaulichen Klarheit und der viel- fältigen Beziehungen, die die Kolloidchchemie mit anderen Zweigen der Naturwissenschaften, wie Physik, Biologie, Meteorologie verknüpft, der Be- achtung empfohlen sei. Miehe. N. F. XVn. Nr. 19 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2;9 Brunies, Dr. S., Der Schweizerische Na- tionalpark. Mit 32 Originalzeichnun- gen, 6 geologischen Profilen und einer Übersichtskarte. Neue Ausgabe. Basel '18. Bruno Schwabe & Co. In dem mit hübschen Feder«eichnungen ge- schmückten Buche gibt der Verfasser eine zu- sammenfassende Darstellung jenes großen Natur- schutzgebietes, das die erste vollständige, unbe- dingt geschützte Großreservation der Erde be- deutet und mit dessen Schaffung sich der ideale Sinn der Eidgenossenschaft ein unvergängliches Denkmal errichtet hat. Der Verfasser schildert zunächst, wie der Gedanke, ein solches Gebiet zu schaffen, entstand, und wie er in die Tat umge- setzt wurde. Am 29. November 191 3 schloß die Schweiz. Eidgenossenschaft mit der Gemeinde Zernez im Kanton Graubünden einen Vertrag, laut welches letztere auf jede wirtschaftliche Be- nutzung des hauptsächlich aus den rechts des Inn gelegenen Tälern Tantermozza und Cluoza beste- henden Reservationsgebietes verzichtet und in demselben sämtliche Tiere und Pflanzen vor mensch- lichem Einfluß absolut geschützt werden sollen. Der Verfasser zeichnet dann ein Bild dieses an Naturschönheiten reichen Stückes des Schweizer- landes, wie es sich dem am bequemsten von Schanf oder Scuol aus eindringenden Wanderer enthüllt. Er erzählt von der geologischen Be- schaffenheit, dem Klima, dem Tier- und Pfianzen- leben und flicht auch manche volkswirtschaftlichen, geschichtlichen und sprachlichen Notizen ein. Wir möchten jedem Naturfreund, der von echter Liebe zur Natur geleitet jenes große Naturschutzgebiet aufsuchen will, dieses .hübsche Büchlein als Be- gleiter empfehlen. Miehc. Polen, Geographischer Bilderatlas, herausgeg. von Dr. E. Wunderlich. Veröffentlichungen der Landeskundlichen Kommission beim Kaiserl. Deutschen Generalgouvernement Warschau, Nr. I. Gea- Verlag, Berlin 1917; 100 Original- aufnahmen, 6 Spezialkärtchen und 1 Übersichts- karte. 19x27 cm. I. Aufl. Preis 3 M., 2. Aufl. Preis 4,50 M. Die IVlitglieder der „Landeskundlichen Kom- mission" gestatten mit diesem wundei-vollen, preis- werten Bilderatlas einen Blick in ihr Arbeitsgebiet, das deutscher Forschergeist der gesamten Welt erschließt. Soll das Buch, das 140 Seiten Bilder mit nebenstehendem, erklärenden Text enthält, zwar in erster Linie allen denen gewidmet sein, die in Polen im Dienste des Vaterlandes während dieses Krieges tätig waren, so hat das Buch doch für jeden Interesse, der die Besonderheiten des Landes, die Charakterzüge desselben, seine Wirt- schaft und Kultur näher kennen lernen will. Es ist ein unerläßlicher Führer und Begleiter bei der Durcharbeitung des von denselben Alitgliedern der Landeskundl. Kommission bearbeiteten „Handbuchs von Polen" (Verlag D. Reimer, Berlin). Der rasche Absatz der schon vergriffenen i. Aufl. ist der beste Beweis für die Notwendigkeit und Güte des Buches. K. Krause. Polen, Bibliographischer Leitfaden, von Dr. Hans Praesent. Veröffentlichungen der Landes- kundlichen Kommission beim Kaiserl. deutschen Generalgouvernement Warschau, Nr. 2, Gea- Verlag, Berhn 1917. 19 x27 cm. Preis 3,50 I\l Der Bibliographische Leitfaden gliedert sich auf 115 Seiten in „Allgemeine Literatur, solche zur Landesnatur, zum Volk, zur Wirtschaft, Landeskundliche Gesamt- darstellungen, und bringt in einem Anhang Kriegsliteratur zur polnischen Frage. Soll der Leitfaden zunächst nur den praktischen Bedürfnissen der Gegenwart dienen, so gibt er doch gleichzeitig hinreichend Kenntnis der wich- tigsten geographischen Literatur Polens und zeigt die Lücken, die in der Erforschung Polens noch zahlreich vorhanden sind und zu weiterer Bearbei- tung locken. Polnische Arbeiten haben neben dem polnischen Zhat die deutsche Übersetzung des Titels, gelegentlich auch kurze Inhaltsangaben ; russische Arbeiten sind nur in deutscher Über- setzung aufgeführt. Beide Werke zur Landeskunde von Polen sind neben dem Handbuch hervorragende Zeugnisse der seit der Besetzung Polens geleisteten Arbeit des Geistes und können jedem Interessenten an Polens Zukunft nur empfohlen werden. (G.C.) K. Krause. Anregungen und Antworten. Berichtigung zum Artikel ,,Das Nannoplankton" von V. B r e h ni in Nr. 4 dieser Zeitschrift. Da infolge der Verzögerungen im jetzigen Postverkehr die letzte Korrektur nur teilweise Berücksichtigung bei der Druck- legung erfahren konnte, unterblieb leider bei den Abbildungen Nr. 9, II, 12, 13 der Hinweis, daß diese .\bbildungen der Süßwasserflora von Pascher entnommen sind und ebenso bei den Abbildungen 5, 6, 7, 8 die Angabe, daß diese Ab- bildungen aus den im Inhaltsverzeichnis zitierten Arbeiten von Schiller stammen. Weiter fehlt auf Seite 52 rechts unten die Mitteilung, daß die Lohmann'sche Methode durch Pascher einer kritischenPrilfung unterzogen wurde, durch welche diese Methode eine besonders für Suflwasseruntersuchungen wichtige Etweiterung erfahren hat, auf Grund deren man die bei dem gewöhnlichen Verfahren nicht erreichbaren spezifisch leichteren Formen gewinnen kann. V. Brehm. Ein vorzügliches Mittel zur Vertilgung der Fliegen haben wir, wie Ur. Wilbrand in der Münch. med. Wochenschr. (1917 Nr. 50) schreibt, im Fliegenpilz. Es hat den Vorzug der schnellen Wirksamkeit und der Billigkeit und kann, da der Fliegenpilz ja wohl überall vorkommt, auch überall ange- wendet werden. Wilbrand wurde auf dieses Mittel durch die eingeborene Bevölkerung des Gouvernement Minsk auf- 28o NaUirwisscnschaftiiche Wochenschrift. N. i'. XVIL Nr ig tnerksaui geuiachl. Um es hctiustellcu, legi mau dtu Hut r/MgTuppen ausschließlich minierend auf — sind also, im weiteren Sinne, stenotop — , die Plumosiis- gruppe lebt nur im Schlamm reiner Gewässer, ebenso die Gattung Eutanytarstis, die Gattung Pstctrodadius nur zwischen Pflanzen des Stillwassers, die Gattung Thkuemaunella nur zwischen Pflanzen raschfließender Bäche. Anderseits sind z. B. die Gattungen Criotopiis und Dacty- hclaiiius—Orthocladiiis „eurytop", wobei allerdings noch abzuwarten ist, ob diese „Gattungen" bei einer genaueren systematischen Durcharbeitung nicht auch in systematischer Hinsicht noch mehr zergliedert werden müssen. '-) Vgl. zum Folgenden auch meine Auseinandersetzungen im Archiv f. Hydrobiologie Suppl. Bd. II p. 484—491. jede Lebensgemeinschaft durch die Lebensbedin- gungen ihres Biotops individuell gestaltet sein. Dazu kommt aber noch das, was ich im Beginn unserer Auseinandersetzungen, als ich von der Entstehung einer neuen Lebensgemeinschaft handelte, als die „Zufälle bei der ersten Besiedelung einer Lebensstätte" bezeichnte, die über die Eigen- art (d. i. Individualität) der Biocönose entscheiden. Jene „Zufälle", die zu einem neu entstandenen Biotop die einen, zum anderen andere Organismen und Organismenkeime gelangen lassen, sind das — historische — Moment, auf dem im tiefsten Grunde die Individualität einer jeden Biocönose beruht. Zum Wesen des Organismus gehört ferner die innere Einheit, die Cu vi er 's sog. Korrelations- prinzip mit folgenden Worten faßt. >) „Jedes Tier bildet ein einheitliches, in sich geschlossenes System, in dem alle Teile (erstens) aufeinander strukturell angewiesen sind, und (zweitens) zu einer einheitlichen Gesamtleistung des Körpers nach gesetzmäßigem Verhältnis betragen. Kein Teil kann sich verändern, ohne daß andere mit ver- ändert würden, und so bestimmt jeder Teil alle übrigen." Ein solches Korrelationsprinzip gilt zweifellos auch für unsere „Organismen zweiter Ordnung", für die Lebensgemeinschaften; setzt man statt „Teil" „Organismus", so spricht dies Korrelationsprinzip die innere Gesetzmäßigkeit einer Lebensgemeinschaft in allgemeinster Fassung aus. Aber man kann noch einen bedeutsamen Schritt weitergehen. Wir haben bisher immer nur die Wirkungen betrachtet, die vom Biotop, vom Lebensraum, auf die Biocönose, die Lebensgemeinschaft ausgehen. Betrachten wir nunmehr das Umgekehrte die Einwirkung der Lebensgemeinschaften auf ihren Lebensraum. Auch dies gehört zum Wesen der Biocönose! Zwar finden wir in den Möbius' sehen Definitionen nichts davon erwähnt, aber schon Friedrich Junge scheint mir diese Tatsache erkannt zu haben, wenn er in seinem bekannten Buche „der Dorfteich als Lebensgemeinschaft" (Kiel 1885; p. 33) die Lebensgemeinschaft definiert als „eine Gesamtheit von Wesen, die sich nach dem inneren Gesetze der Erhaltungsmäßigkeit zusammen- gefunden haben, weil sie unter denselben chemisch- physikalischen Einflüssen existieren und außerdem vielfach voneinander, jedenfalls von dem Ganzen abhängig sind, resp. auf einander und dasGanzc wirke n." -) [Unter „Ganzem" glaube ich im Sinne Junge's hier den Biotop, allerdings mit seiner Lebenserfüllung, verstehen zu müssen.] Die Wirkung der Lebensgemeinschaft auf ') Vgl. Radi, Geschichte der biologischen Theorien der Neuzeit. 2. Aufl. 1913. I- Teil p. 312. =) p. 233 „auch Pflanzen, Tiere und Menschen tun das Ihrige zur Veränderung der unorganischen Natur". N. F. XVn. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 301 ihren Lebensraum besteht darin, daß sie ihn ver- ändert. Ein einfaches Beispiel für diese Tatsache bietet jede Phytobiocönose. Ich habe schon die in den Blättern von Pota- inogetoii iiatans oder Polygonnm aniphibium minierenden Chironomidenlarven erwähnt. Ihr Lebensraum ist einfach und einheitlich ; das Blatt, an dem die Mücke ihre Eier ablegt, in dem die Larve miniert, heranwächst und sich schließlich verpuppt. Die Larven zerfressen das Blattparenchym oft derartig, daß das ganze Blatt skelettiert wird und schließlich zerfällt. Die Veränderung des Lebens- raums besteht hier in seiner allmählichen Zer- störung. Als Gegenstück ein Beispiel ganz anderer Größenordnung, das uns allen bekannt und ge- läufig ist: die Einwirkung der Kultur auf die Erde. Die Menschheit mit all den ihr dienenden Pflanzen und Tieren verändert das Antlitz der Erde in größtem Stile. Sie stellt eine Lebensgemeinschaft dar, ihre Wirkungen — Kultur, wie wir sie nennen — gestalten Land und Wasser mit ilirer Bewohnerschar tiefgreifend um. Ich brauche hier wohl Einzelheiten kaum zu erwähnen, er- innere nur an den Gegensatz zwischen unbesiedelten oder nur dünn bevölkerten Landstrichen und den Kulturzentren der Welt. Wie anders sieht das rheinisch-westfälische Kohlenrevier z. B. aus als Steppe und Tundra, als Urwald und Mochgebirge ! Was hier die Lebensgemeinschaft des Menschen an erdumformenden Wirkungen schafft, das ist ein ins größte getriebenes Beispiel für die Um- gestaltung, die eine jede Lebensstätte durch die ihr eigene Lebensgemeinschaft erfahrt. Und nun noch ein drittes — oben schon er- wähntes — Beispiel aus der Welt des Wassers: wie aus dem See der Weiher, wie aus diesem das Moor und schließlich das feste Land wird. Alle Planktonorganismen des Sees oder Weihers sterben im Jahreswechsel ab und soweit sie harte Hüllgebilde besitzen, lagern sich diese als Schlamm auf dem Seeboden ab und füllen ihn allmählich auf. Eine Menge von Leichen höherer Pflanzen, die in der Uferzone aufgewachsen und wieder abgestorben sind, sinken gleichfalls zu Boden und vermindern ebenso die Tiefe des Wassers. Vom Ufer her wächst die Vegetation ins freie Wasser hinein, verdrängt es mehr und mehr: schließlieh ist der Wasserspiegel ganz verschwunden, aus dem See und Weiher ist ein Sumpf oder Moor geworden, und dieses wächst mehr und mehr in die Höhe; Busch und Wald siedelt sich auf ihm an, und wo vordem ein Gewässer war, da dehnt sich jetzt festes Land aus; nur der Geologe, der die Schichtung des Bodens untersucht, kann noch feststellen, welchen Wandel dieses Fleckchen Erde im Laufe der Zeiten durchgemacht hat. Auch hier sind es die Lebensgemeinschaften gewesen, die diesen Wandel verursacht haben. Diese 3 Beispiele aber zeigen uns weiterhin, daß die Veränderungen, die die Biocönosen in ihrem Lebensraum hervorrufen, von zweierlei, grund- sätzlich verschiedener, Art sind. Es sind einmal solche, die rückgängig ge- macht werden durch die inneren Gesetze der Biocönose selbst und durch die des Biotops. Jenes Zerfressen der Vegetation durch die Tiere gehört dahin. Das geht jahraus, jahrein vor sich, so daß im Herbste die Vernichtung ihren Höhepunkt er- reicht. Aber im nächsten Jahre erwachsen aus Samen und Wurzelstöcken neue Pflanzen, neue Triebe, neue Blätter und wiederum ist der Lebens- raum erneut für seine in ihm und von ihm lebende Organismenschar. „Zyklisch" ist die Veränderung, und „zyklisch" wird sie rückgängig gemacht durch die inneren Gesetze des Biotops und der Bio- cönose. Ein Gegenstück zu dieser Vernichtung der Vegetation: im Teiche wachsen im Frühjahr von den Ufern aus und vom Grunde auf die Wasserpflanzen, sie wuchern im Laufe des Sommers immer mehr und erfüllen im Herbst die ganze Wassermasse, überziehen den ganzen Spiegel des Teiches. Aber im Winter stirbt diese ganze Pflanzenwelt ab, und im Frühjahr bietet der Teich im großen und ganzen das gleiche Bild wieder wie zur selben Jahreszeit im Vorjahre. Aber doch nur im großen und ganzen! Denn ein Plus an erzeugter Pflanzensubstanz bleibt doch in jedem Jahre bestehen, das nicht wieder völlig vernichtet wird. Und damit kommen wir zur zweiten Art von Veränderungen — wir können sie, im Gegensatz zu den zyklischen, vielleicht wiederum als säku- lare bezeichnen — , jenen Veränderungen, die bleiben, oder besser, die nicht wieder rück- gängig gemacht werden. (Denn dauernd bleiben auch sie nicht, sondern sie erfahren wiederum neue Veränderungen, doch nicht in der Art, das durch sie das alte Bild wieder hergestellt würde, vielmehr so, daß sich der Biotop immer mehr von dem Ausgangspunkte entfernt). Ein Beispiel dafür bietet die soeben kurz geschilderte Ver- landung eines Sees, ein Beispiel auch der Einfluß der menschlichen Kultur auf die Erde. Beide Prozesse können nicht rückläufig gemacht werden, nie wandelt sich ein zu Moor oder festem Land gewordener See wieder in einen See um, und nie wird aus der „Kultursteppe" wieder ursprüng- liche Natur! Aus all dem bisher Gesagten geht hervor, daß die Beziehungen zwischen Biocönose und Biotop wechselseitige sind, daß eine Wechselwirkung zwischen Biocönose und Biotop besteht. Besonders interessant ist das Wechselspiel in solchen Fällen, wie wir sie soeben für die Ver- landung eines Sees geschildert haben. Die Bio- cönose — Plankton und Uferflora — verändert den Biotop — aus dem See wird der Weiher. Damit aber sind auch die Lebensbedingungen für die Seeorganismen vernichtet; es stellt sich Fauna und Flora eines Teichgewässers ein: derBiotop 302 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr hat die Biocönose verändert. Aus dem Weiher wird Sumpf und Moor durch die Wirkung der Organismen, und die Teichorganismen weichen wiederum den Bewohnern von Sümpfen und Mooren. Klarer noch als bei solcher zeitlichen Folge wird die Wechselwirkung zwischen Biotop und Biocönose, wenn sie sich zu gleicher Zeit aber in räumlicher Folge zeigt. Als Beispiel führe ich hier die sog. Abwasserfauna und -fiora etwa eines Baches an, und zwar mit den gleichen Worten, mit denen ich dies Beispiel kürzlich schon ein- mal in gleichem Zusammenhang gebracht habe. ') „Ein Wasser, das im Übermaß faulende or- ganische Stofife enthält, wird bewohnt von der Lebensgemeingeschaft der Polysaprobien, d. h. Organismen, die zum Teil von jenen Fäulnis- Stoffen direkt leben und ohne sie nicht vorkommen, zum Teil aber auch zwar jene Stofife nicht un- bedingt für ihr Leben brauchen, indessen sie doch auch nicht meiden. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Schizomyceten, Flagellaten, einige Ciliaten, den Wurm Tuhifcx und Fliegenlarven der Gattungen Erisialis und Chironoiims. All diese Formen treten in großen Massen in einem solch hochgradig verunreinigten Wasser auf, und sie wirken nun ihrerseits in äußerst charakteristischer Weise auf den Chemismus des von ihnen bewohnten Wassers zurück. Denn in einem solchen Wasser spielt sich ein im wesentlichen biologischer Prozeß ab, den wir als Selbstreinigung zu bezeichen pflegen. Die gelösten organischen Verbindungen werden durch die Schizomyceten direkt zersetzt, „abgebaut", mineralisiert. So werden aus den komplizierten, hochmolekularen organischen Verbindungen ein- fachere; durch diesen Prozeß aber verändern die Spaltpilze den Chemismus derart, daß sie selbst nunmehr in diesen Wasser keine günstigen Lebens- bedingungen finden. An ihre Stelle treten Algen und höhere Pflanzen, die imstande sind, jene Spaltungsprodukte der hochmolekularen Eiweiß- verbindungen und Kohlehydrate als Nahrung auf- zunehmen. Die Wechselwirkung zwischen Lebensgemein- schaft und Medium fällt hier ohne weiteres in die Augen. Die in feste Bakterienleiber umgewandelte, ursprünglich gelöste organische Substanz, sowie die von Anfang an in diesem Wasser suspendierte feste, tote, organische Substanz wird im allgemeinen dem freien Wasser entzogen, indem sie von Tieren gefressen wird. Viele Infusorien sind als Bakterienfresser bekannt; die am Boden des Ge- wässers abgelagerten organischen Stoffe bilden den Nährboden für Riesenkolonien von Borsten- würmern (Tubifex) und CIiirüUüiniis\axv&\\. Beide Tierformen vertilgen große Mengen fester or- ganischer Stofife, mineralisieren sie durch ihren Verdauungsprozeß immer mehr, und ein gut Teil dieser Stofife wird aus dem Wasser beseitigt, in- ') Archiv für Ilydrobi. H(l. II p. 486—487 dem die zur Puppe verwandelte Chironomits\zx\e. ausschlüpft und als geflügelte Mücke das nasse Element mit der Luft vertauscht. So wird auch der ursprünglich an faulenden Substanzen so reiche Schlamm unter der Wirkung der ihn bewohnenden Organismen verändert, mineralisiert; er verliert allmählig die Fäulnisstoffe und nimmt mehr und mehr die Eigenschaften eines normalen Fluß- oder Teichschlammes an, wie er sich in einem nicht verunreinigten Gewässer absetzt. Damit aber haben sich abermals auch die schlammbe- wohnendenPolysaprobien selbst die für sie günstigsten Lebensbedingungen vernichtet; sie verschwinden und machen Platz erst den sog. Mesosaprobien und bei noch weiter fortgeschrittener Selbst- reinigung den Organismen des Reinwassers, den Oligosaprobien. Wiederum ist die Wechselwir- kung zwischen Lebensgemeinschaft und Lebens- raum klar." — Nicht bei allen Biocönosen ist die Tatsache der genannten Wechselwirkung so deutlich zu erkennen, wie bei den eben geschilderten. Je intensiver die Besiedelung eines Biotops, um so stärker die Einwirkung des Lebens auf den Raum. Vor allem aber, je mehr ein Biotop „ge- schlossen" ist, je mehr er durch räumliche Grenzen aus dem ganzen Lebensbezirk herausgehoben, je m.ehr er „Individuum" ist. Bei der Untersuchung der großen Zusammenhänge ganzer Lebensbezirke liegen diese Verhältnisse meist klarer, als bei der niederer Biocönosen. Und bei diesen wiederum sind diese Wechselwirkungen am klarsten beim Wasser, dessen Biotope zum Teil wenigstens, be- deutend „geschlossener" sind, als die des Landes. Natürlich sind „offene" und „geschlossene" Biotope relative Begriffe, Endglieder einer ganzen Reihe von Übergängen; ganz geschlossene Biotope gibt es nicht, da ja alle Lebensstätten zusammenhängen, verkettet sind, enthalten sind in dem einen großen Lebensraum. Nur dieser selbst, d. h. die Erde, der ganze große Bezirk irdischer Lebensentfaltung, ist, soweit wir wissen, völlig geschlossen. Biocönose plus Lebensraum als Organismus. Und nun tun wir den letzten Schritt in unserer Betrachtung. Wenn die geschilderten Wechselwirkungen be- stehen, und wenn jeder Biotop und jede Biocönose ein Individuum ist, so ist auch die Verbindung beider, die lebenerfüllte Lebensstätte, eine Einheit, eine „physiologische Individualität höherer Ord- nung" (Birge und Juday), ein höherer Orga- nismus! Die Lebensgemeinschaft nannten wir den Organismus zweiterOrdnung.Biocönose plus Lebens- raum ist ein Organismus dritter Ordnung. ') Die Erde mit ihrem Leben ist etwas anderes, •) Die Auffassung von Biocönose plus Biotop als organischer Einheit führt zu mancherlei wissenschaftlich bedeutsamen Kin?e1folgeruncen. V^l. Archiv f. IlyHrobioloRi.- Siippl. IM. II |i. 489 — 490. N. R XVII. Nr. 21 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 303 ist „mehr" als mir eine Suiiiiiic von Ort^'aiiisincii und ein Nebeneinander von Räumen! Das gilt für alle lebenerfüllten Biotope, und ist um so klarer zu erkennen, je geschlossener sie sind. Dafür zum Schluß nur ein Beispiel! Man hat den See als eine „kleine Welt in sich", als einen Mikrokosmos bezeichnet; -) damit ist der gleiche Gedanke ausgesprochen, dem wir mit der Bezeichnung des Binnensees als eines „Organismus höherer Ordnung" Ausdruck geben wollten. In jeder Hinsicht ist der See ein scharf charak- terisiertes geographisches Individuum" (Forel). Entstehungsgeschichte, Lage, klimatische, physika- lisch-chemische Verhältnisse verleihen jedem See und damit aucli seiner Organismenwelt ihre be- sondere individuelle Ausprägung; selbst Seen, die unter anscheinend den gleichen Bedingungen stehen, dicht nebeneinander liegen oder gar miteinander verbunden sind, unterscheiden sich in biologischer Beziehung stets; und selbst weim die Organismen- listen für zwei Seen identisch wären, das Leben in jedem von ihnen läuft doch in anderer, beson- derer Weise ab, zeigt einen individuellen Rhythmus. Wie im Einzelorganismus, so spielt sich auch im See als Ganzem ein Stoffwechsel ab. Be- kaimt ist z. B. der Kreislauf der organischen Sub- stanz im Wasser (vgl. Forel, 1. c. p. 235 ff.). Die im Wasser gelösten organischen Stoüfe werden in Pflanzenleibern organisiert, die Pflanze dient dem Tier als Nahrung, und das abgestorbene Tier gibt, indem es verwest, diese Stoffe dem Wasser wieder zurück; das ist das große, allgemeine Schema dieses Kreislaufs: Aufbau, Wandlung, Abbau, wie im Einzelorganismus. Vielleicht bei keinem anderen physiologischen Prozeß zeigt es sich so deutlich, daß der See eine „physiologische Individualität", ein „Organismus" ist, wie bei dem Kreislaufe des Sauerstoffs im See. Das Tier atmet, es nimmt Sauerstoff auf, verbrennt ihn zu Kohlensäure; diese wird aus- gestoßen, neuer Sauerstoff wird dem Organismus zugeführt usw. Auch der See atmet. Er nimmt ständig an seiner Oberfläche aus der atmosphärischen Luft Sauerstoff auf, und die Orga- nismen des Sees veratmen, verbrennen ihm. Lagert das Wasser, wie es im Sommer der Fall ist, ruhig, findet kein Wasseraustausch von der Oberfläche zur Tiefe hin statt, dann erreichen die Verbren- nungsprozesse (d. h. die P'äulnis) in der Seetiefe ') Forbes, S. A., The Lake as a Microcosm. Bull. PeoriaSci. Association 1887. Vgl. zum Folgenden F o r e 1 , F. .\., Handbuch der Seenkunde. Stuttgart igol p. 238—241. oft einen solchen Grad, daß aller oder doch fast aller Sauerstoff im Tiefenwasser verschwindet. Aber im Herbst bringt das herabsinkende sich mehr und mehr abkühlende Wasser den Sauerstoff, mit dem es sich an der Oberfläche beladen hat, in immer größere Tiefen, bis schließlich die ganze Wassersäule wieder sauerstoffgesättigt ist. Im Früh- jahr dann beginnt der Prozeß des Sauerstoft'schwun- des in der Seetiefe von neuem. So atmet der See langsam in stetigem Rhythmus seine gewaltigen Atemzüge. Ich kann hier natürlich nur andeuten. Denn das Problem der Wechselwirkung zwischen Lebens- raum und Lebensgemeinschaft ist ein überaus kompliziertes, wenn auch gerade die Verhältnisse des Sees, eines so geschlossenen und charakteri- stischen Biotops, vielleicht eine besonders weitge- hendeEntwirrung der so mannigfach verschlungenen und verknüpften Fäden erhoffen lassen. Aber noch sind erst die Anfänge dazu gemacht, noch sind in der Erforschung der „Physiologie des Sees als einer Einheit" nicht mehr als die ersten Schritte getan. Es wird noch vieler Forscherarbeit bedürfen, bis wir klarer diese, bisher mehr geahnten als ge- schauten Zusammenhänge erkennen. Und nur gemeinsame Tätigkeit des Biologen und des Hydro- graphen wird hier wirklich Ersprießliches schaffen können. Ich habe daher auch, als mir die Leitung der von der Kaiser- Wilhelm - Gesellschaft über- nommenen Biologischen Station zu Plön übertragen wurde, als Aufgabe dieser Hydrobiologischen Anstalt „das Studium der Wechselwirkung zwischen dem Lebensraum und seiner Organismenwelt in den Binnengewässern und zwar speziell in unseren Binnenseen" bezeichnet; und ich hoffe, daß nach Friedensschluß sich die Anstalt nach allen Rich- tungen hin so wird ausbauen lassen, daß sie in fleißiger Arbeit neue Tatsachen und neue Gesichts- punkte zur Lösung dieses Problems schaffen kann. Daß derartigen Studien wirklich eine große allgemein-wissenschaftliche Bedeutung zukommt, haben, so hoffe ich, meine Ausführungen gezeigt. Das Problem der Beziehungen zwischen dem Lebensraum und seiner Organismenwelt ist eines der Zentralprobleme der Biologie. Je tiefer, je schärfer, je umfassender es durchgearbeitet wird, um so klarer wird uns die Erkenntnis von der Einheit des Lebens auf der Erde und seiner geo- graphischen Bedingtheit werden. Immer mehr wird es uns zum Bewußtsein kommen, Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt. Anregungen und Antworten. In dem Referat über den Voß' sehen „Botanikerspiegel" in Nr. 9 (S. 135) der Nat. Wochenschr. darf netienT manchen anderen Einwendungen eine irrtümliche Angabe des Referenten nicht unberichtigt bleiben, nämlich daß die Nomenklaturgesetze „einem Systrmatiker über die Begrenzung von Gattungen oder Arten Vorschriften machen, wenn seine wissenschaftliche Über- zeugung von der anderer Fachgenossen abweicht". Es liegt den Nomenklaturregeln (der Ausdruck „Gesetze" ist, weil zu wenig demokratisch, abgeschafft worden I) durchaus fem, sich in die materielle Seite systematischer Fragen einzumischen und 304 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. K. XVII Nr. 21 auf die Lberzeugung des Systematikers einen Gew auszuüben; der extremste Jordanist kann ebenso unbehelligt seine artenspaltende Tätigkeit ausüben, wie die Regeln auch den Anhänger des Bcntham-Hooker-O. Kuntze 'sehen, unnatürlich weit gefaßten Spezicsbegrift'es nach seiner Faron selig werden lassen. Aufgabe der Nomenklaturregeln ist es vielmehr, in dem ausdrücklich vorgesehenen Falle der ver- änderten Umgrenzung von Gattungen, Arten usw. eine — aller- dings verbindliche — Wegleitung für die Ermittlung des rich- tigen, d. h. den international festgelegten Prinzipien entsprechen- den, Namens für die neu umgrenzte Gruppe zu geben. — Daß man die Notwendigkeit der Aufstellung international bindender Nomenklaturregeln verkennen oder gar bestreiten kann, muß für jeden, der sich auch nur in bescheidenem Maße mit Systematik beschäftigt hat, ein Rätsel bleiben. Gewiß, die Botanik ist die Wissenschaft von den Pflanzen und nicht von ihren Namen (ich bezweifle übrigens, daß je jemand eine der- artig absurde Behauptung aufgestellt hati), und der Name einer Pflanze soll nur zur Verständigung unter den Botanikern dienen (ein Prinzip, das übrigens auch die Nomenklaturregeln — Art. l6 — anerkennen). Wie soll aber ein Name dieser Forderung gerecht werden, und wie ist überhaupt ein ersprieß- liches internationales Zusammenarbeiten der Botaniker möglich, wenn die gleiche Pflanze von Land zu Land ihren Namen wechselt (ein Umstand, der besonders von den Pflanzengeo- graphen als höchst störend und lästig empfunden wird), und in der Bevorzugung des einen oder anderen Namens schranken- lose Willkür herrscht? Da ist es eben die Aufgabe der inter- nationalen Regeln, Ordnung in dieses Chaos zu bringen und der Namengebung bestimmte Wege zu weisen. Leute von ge- ringer Erfahrung bemängeln die rückwirkende Kraft der Regeln, die in einzelnen Fällen bedauerliche Namensänderungen bei allbekannten Pflanzen bedingt, und glauben, die angestrebte Vereinheitlichung der Nomenklatur könne durch die Bei- behaltung der „allgemein gebräuchlichen" Namen erreicht werden. Daß dies eine Illusion ist, wurde früher (Viertel- jahrsschr. d. Naturf. Ges. Zürich LVIII (1913) 36) von Prof. Schinz und mir an einem konkreten Beispiel zahlen- mäßig nachgewiesen: der Vergleich des XIII. Bandes (1912) von Rouy's Flore de France mit den entsprechenden Abschnitten der „Synopsis" von Ascherson u. Graebner (welche Schriftsteller übereinstimmend für die Beibehaltung alteingebürgerter, wenngleich inkorrekter Namen im Interesse einer vermeintlichen „Stabilität" der Nomenklatur eintreten) ergibt 39 Differenzen von Speziesnamen, was, für die übrigen Bände von Rouy's Flora ein gleiches Verhältnis vorausgesetzt, der Kleinigkeit von 550 Abweichungen von Artennamen zwi- schen der französischen und der mitteleuropäischen Flora ent- sprechen würde. Die strikte Befolgung der Nomcnklaturregeln bringt sicherlich mancherlei Unzuträglichkeiten mit sich, aber sie ist auch das einzige wirksame Mittel zur Erziclung einer einheitlichen und beständigen Namengebung der Pflanzen. Ebenso verfolgt das Prioritätsprinzip in erster Linie keineswegs den ihm oft untergeschobenen Zweck, die Verdienste verstor- bener Forscher der Vergessenheit zu entreißen (das „Verdienst", einer Pflanze zum erstenmal einen binären Namen gegeben zu haben, ist oft erschreckend klein) oder gar der Eitelkeit der lebenden zu schmeicheln, sondern vielmehr, eine sichere und objektive, einleuchtende Grundlage für die Bevorzugung eines bestimmten Namens zu liefern. Was nun schließlich noch den „Botanikerspiegel" von A. Voß betrifft, so ist dem Andenken Otto Kuntze's diese wohlgemeinte, pietätvolle Denkschrift wohl zu gönnen. Denn wenn auch zugegeben werden muß, daß in der letzten Zeit, als Kuntze, durch den Widerstand und Widerspruch seiner Gegner verbittert, sich fast nur noch auf schärfste Polemik und Hintertreibung des Wiener Kongresses verlegte, der NuUcn seiner Tätigkeit für die Wissenschaft durch den Schaden so ziemlich aufgewogen wurde, so kann sich der objektive und neutrale Beurteiler doch nicht der Erkenntnis entziehen, daß sein Lebenswerk anfänglich vollkommen idealen Motiven ent- sprang und er dank seiner fast einzig dastehenden Belesenheit in der botanischen Literatur zur Abklärung der Nomenklatur- fragen sehr viel beigetragen und sich große Verdienste um die Wissenschaft erworben hat. Man kann wohl sagen, daß Otto Kuntze durch seine reiche Erfahrung in Nonjenklatur- problemen wie kein zweiter berufen war, konsequent durch- gearbeitete und in der Praxis erprobte Regeln aufzustellen. Leider aber schadete er seinem Werke durch sein allzu auto- kratisches Auftreten und durch seine Intrasigenz und die maßlos scharfen Angriffe auf seine Gegner, welch' letztere bedauer- licherweise, auch ihrerseits erbittert, mit dem Menschen auch die Sache bekämpften. — Beim Durchblättern des Voß 'sehen Botanikerspiegels kann man sich eines gewissen Bedauerns nicht erwehren, daß so viel Arbeit und Zeit für einen rein ideellen (um nicht zu sagen: illusorischen), jeder praktischen Bedeutung baren Zweck aufgewendet wurde. Denn nachdem der Wiener Kongreß sich gegen O. Kuntze entschieden, und die neuen Regeln auf dem Brüsseler Kongreß gegenüber versuchten .\nderungsvorschlägen ihre Feuerprobe bestanden haben, ist nicht mehr ernstlich daran zu denken, daß O. K u n t z e 's Vorschläge je zur Geltung durchdringen könnten. Gewiß sind die internationalen Regeln nichts weniger als vollkommen; sie sind eben durch Kompromisse zwischen verschiedenen extremen Richtungen zustandegekommen und dadurch mit gewissen Mängeln (Inkonsequenzen infolge von Zufallsmehrheiten bei den Abstimmungen usw., wie O. Kuntze in seiner Kritik nicht mit Unrecht hervorhebt) behaftet. Worauf es aber in erster Linie ankommt, das ist nicht die Qualität der Regeln, sondern die Tatsache, daß allen denjenigen, die gewillt sind, unter Verzicht auf ihre persönlichen Wünsche und Anschauungen in den Dienst der internationalen Einigung zu treten, jetzt in den internationalen Nomenklaturregeln eine von der Mehrheit der Botaniker gutgeheißene und befolgte Weg- leitung zu Gebote steht. Welcher Name schließlich für eine bestimmte Art gewählt werden muß, ist belanglos; wenn es nur den Regeln entspricht und folglich auf allgemeine Aner- kennung Anspruch machen kann. A narae is a name — in diesem Punkte nähern wir Systematiker uns glücklicherweise der Anschauung der Physiologen. Dr. A. Thellung (Zürich). Insektenfang der Nepenthes. Im Anschluß an die Be- sprechung der Arbeit Stern 's „Entwicklung der Nepenthaceen" in Nr. 46 des Jahrganges 1917 dieser Zeitschrift möchte ich hier folgende Beobachtung mitteilen, die ich Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im Botanischen Garten der Universität Marburg machte. In der damals noch kleinen Sammlung befand sich eine sehr gut entwickelte Pflanze der großkannigen N. mastersi. Eine der mittleren der bis dahin völlig gesunden Kannen bekam ziemlich plötzlich ein kränk- liches Aussehen und starb nach kurzer Zeit völlig ab. Die unter und über dieser stehenden Kannen desselben Triebes lebten in bester Gesundheit weiter; äußere Beschädigungen der kranken Kanne waren nicht ersichtlich. Als ich die Kanne für mein Herbarium abschnitt, fand ich in der Kannen- flüssigkeit 13 Hornissen, die in gleicher Zersetzung begriffen waren. Es liegt meines Erachtens nahe, das vorzeitige Ab- sterben der Kanne mit dieser reichlichen Mahlzeit in ursäch- lichen Zusammenhang zu bringen. Lange, städt. Garteninspektor, Metz. Literatur. Müller, Dr. K., Rebschädlinge und ihre neuzeitliche Bekämpfung. Vorträge, gehalten an der Großh. landwirtsch. Versuchsanstalt Augustenberg. Mit zwei farbigen Tafeln, einer Karte und 65 Textabbildungen. Karlsruhe '18. Braun'sche Hofbuchdruckerei. — 6 M. V, Frisch, Dr. K., Bakteriologie für Krankenschwestern. Wien und Leipzig '18. A. Holder. — 3,20 K. InhaltB August Thi „Botanikerspiegel" S.303 in, Lebensgcmeinschaftund Lebensraum. '(Schluß.) S. 295. — Anregungen und Antworten: Insektenfang der Nepenthes. S. 304. — Literatur: Liste. S. 304. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N 4, Invalidenstrafie 43, erbe Verlag von Gustav Fischer in Jena. UriiiV der G. Pätz'sehen Buchdr. Lipperl f!t Ca. G. m. b. II,, iy'iiwnhurg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der ganzen Reihe Sonntag, den 2. Juni igiS. Nummer 22. Warum ist der regelmäßige (platonische) Zwölf- und Zwanzigflächner in der Kristallwelt unmöglich? Von W. Eitel, Frankfurt a. M. ]Nachdrack verboten,] Mit l6 Abbildungen im Text. Es soll in den folgenden Zeilen versucht werden, auf möglichst einfache und anschauliche Weise die interessante Tatsache zu erklären, daß gerade unter den regelmäßigsten Gebilden, welche die mathematische Raumlehre (Stereometrie) kennt, einige als Kristallformen durchaus unmöglich sind, also deshalb im IVIineralreich nicht vorkommen können. Ein Vielflächner, in dem alle Kanten- und l'Mächenwinkel einander gleich sind, alle Begren- Al)l.. I, Tetraedr Abb. 2. Oktaeder. Zungsflächen kongruente Umrißfiguren zeigen, nennen wir einen regelmäßigen Körper. Nach einem grundlegenden Lehrsatze der Stereometrie muß die Summe der Seitenwinkel einer räumlichen Ecke stets kleiner als 360 * sein ; wenn wir regel- mäßige Vielecke zu körperlichen Ecken zusammen- setzen wollen, müssen wir diesen Satz berück- sichtigen. Ein regelmäßiges n-Eck hat bekannt- lich Seitenwinkel « von der Größe 180" — 4/n-90". Im Falle eines regelmäßigen Dreiecks mit dem Winkel « = 6o" können wir nach dem Gesagten nur drei-, vier- oder fünfseitige Ecken bilden es ist aber unmöglich, sechs- oder mehrseitige Ecken zu konstruieren. Die Seitenwinkel eines regelmäßigen Vierecks (Quadrates) sind «^go", es ist also nur eine dreiseitige Ecke mit quadra- tischen Seitenflächen möglich. Ebenso kann man aus regelmäßigen Fünfecken (« = 108 ") zwar noch eine dreiseitige Ecke, aber keine mehrseitige bilden. Regelmäßige Sechs-, Sieben- usw. Ecke lassen sich nicht einmal mehr zu einer dreiseitigen räumlichen zusammensetzen. Es kann also i. nur solche regelmäßige Vielflächner geben, welche von regel- Abb.l a. Abb. I b. a. Tetraeder, gesehen in Richtung einer 3 1 b. desgl. in Richtung einer 2 zähl. S.-A. mäßigen Dreiecken begrenzt sind und dreiseitige Ecken bilden (Tetraeder, s. Abb. i), bzw. vierseitige (Oktaeder, s. Abb. 2) oder endlich fünfseitige (Ikosaeder, s. Abb. 3). Oder es können 2. Quadrate in dreiseitigen Ecken zu regelmäßigen Vielflächnern zusammentreten (Hexaeder oder Würfel, s. Abb. 4) bzw. 3. Fünfecke (Dodekaeder, s. Abb. 5). Außer diesen fünf bereits dem Altertum bekannten regel- mäßigen Körpern, welche deshalb auch als pytha- goräische oder platonische Vielflächner bezeichnet 306 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F- XVn. Nr. 22 Abb. 3. Ikosaeder. Abb. 3 a. Ikosaeder, gesehen in Richtung einer 5 zähligen Symmetrieachse. 3// ;\ 2 ■' ^< '-2 4 L _ li-'.f l"- ;'-4 --4 2 ,:v^- 4 -.2:,.. ^ 2 5 Abb. 4. Würfel. Abb. 4 a— c. a. Würfel, gesehen in Richtung einer 4 zähl. S.- b. „ „ „ „ „ 2 „ „ 3 2 .\bb. 5. Dodekaeder. Abb. 5 a. Regelmäßiges Dodekaeder in Richtung fünfeckigen Symmetrieachse. N. F. XVn. Nr. i2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 307 werden, kann es keine regelmäßigen räumlichen Gebilde geben. Das Tetraeder begegnet uns in den Fahlerzen, das Oktaeder z. B. in den Spinellmineralien, der Würfel im Steinsalz oder im Flußspat in der Welt der Kristalle auch als natürliche Bildung. Es muß uns aber nicht wenig verwundern, daß in dieser das regelmäßige Zwanzigflach (Ikosaeder) sowie das Zwölfflach (IDodekaeder) niemals in der mathematisch strengen Form auftritt, sondern auffallenderweise höchstens in eigentümlich ver- zerrter Gestaltung. Was ist nun der Grund für diese Naturerscheinung ^ Ist es etwa ein „Naturgesetz", welches kategorisch die Möglichkeit der erwähnten mathematischen Idealgestalten in den Kristallen verbietet? Wir wollen nunmehr die regelmäßigen mathe- matischen Körper und die entsprechenden kristallographischen Formen daraufhin prüfen, ob grenzungsflächen darstellen, sondern an ihm nur 8 gleichseitige und 12 gleichschenklige vor- kommen. Nicht minder lehrreich ist der Vergleich eines mineralischen Pentagondodekaeders, wie es z. B. am Schwefelkies verbreitet ist (Abb. 7), mit dem platonischen Dodekaeder. Messen wir wiederum den Flächenwinkel an den dachfirst- artig verlaufenden Kanten, so erhalten wir bei dem ersteren denselben Wert 53" 8', während der Mathematiker uns zeigt, daß er am regel- mäßigen Körper 63" 26' sein müßte. Der Unter- schied zwischen den beiden Gestalten wird in diesem Falle dadurch besonders deutlich, daß die vertikalen bzw. horizontalen Kanten des mine- ralischen Dodekaeders länger sind als die übrigen ; die den Körper begrenzenden Fünfecke stellen also gar keine regelmäßig gleichseitigen Vielecke dar. Wir ahnen bereits, daß die mineralischen Jkosaeder und Dodekaeder von den platonischen Abb. 6. Zwanzigflächner des Kobaltglanzes. .\bb. 7. Pentagondodekaeder des Schwefelkieses. uns bestimmte Unterschiede in ihrem Äußeren in die Augen fallen. Tetraeder von Fahlerz z. B. zeigen uns freilich stets nur genau dieselben konstan- ten Kanten- und Flächenwinkel, wie diese der Mathe- matiker aus räumlich-geometrischen Beziehungen am idealen Tetraeder berechnet. Desgleichen finden wir zwischen Oktaedern von Magnetit und dem regel- mäßigen mathematischen Oktaeder nicht den ge- ringsten Unterschied, ebensowenig zwischen Würfeln aus Steinsalz oder Bleiglanz und dem platonischen Würfel. Betrachten' wir nun aber eine in der Natur vorkommende, dem Ikosaeder ähnliche Gestalt (Abb. 6), wie sie z. B. bei Kristallen von Kobaltglanz sich findet, so erhalten wir an dieser für den äußeren Winkel der paarweise auftretende dachförmigen Flächen des Kristalles, welche horizon- tale oder vertikale Kanten bilden, den Wert 53" 8', während bei einem entsprechend aufgestellten plato- nischen Ikosaeder 41" 49' gefunden werden müßten. Besonders fällt uns auf, daß das mineralische Ikosa- eder ganz merkwürdige Verzerrungen enthält, daß nämlich gar nicht 20 gleichseitige Drei- ecke wie beim platonischen Körper seine Be- durch einen geringeren Grad der Regelmäßigkeit, der Symmetrie, sich unterscheiden müssen. Sollte etwa die höhere Symmetrie der mathematischen Idealgestalten der Grund dafür sein, daß diese in der sonst so formenreichen Welt der Kristalle nicht zu finden sind? Was verstehen wir über- haupt unter Graden der Symmetrie? Alle symmetrischen Anordnungen, sowohl in der Ebene wie auch im Räume, haben das ge- meinsam, daß bestimmte Teile derselben peri- odisch, das heißt in bestimmter regelmäßiger Weise sich wiederholen. Die beliebig ange- ordneten Glasstückchen im Kästchen eines Kalei- doskopes wird niemand als symmetrisch geordnet bezeichnen können. Lassen wir aber durch Spiegelung an Spiegeln, die unter 45", 60", 72" oder 36" gegeneinander geneigt sind, in dem genannten Instrumente eine periodische Wieder- holung der ersten ungeordneten Systeme in die Erscheinung treten (8-, 6,- 5- oder lo-mal), so sind wir von der hohen Symmetrie des nun sich darbietenden Bildes überrascht. So wird man auch in Abb. 8 a zunächst keinerlei Regel- 3o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. 1-. XVII. Nr. 22 mäßigkeit der durch Kreuzchen markierten Punkte in ihrer Anordnung bemerken, und doch ist die- selbe in periodischer Wiederholung (Abb. 8 b) ein vollendet symmetrisches Gebilde. In dem vorliegen- den Falle haben wir allerdings keine Spiegelung als Ursache der Periodizität angewandt; es ist aber ohne weiteres klar, daß eine Drehung der un- symmetrischen Teilfigur um 360" um eine Achse senkrecht zur Zeichenebene das gegebene Ge- bilde noch fünfmal in solche Lagen bringt, daß jedesmal die sich ergebende Anordnung eine als charakteristisches Symmetrieelement zum Ausdruck gebracht wird. Eine einzäljlige Dreh- bewegung ist als Identität zu bezeichnen, inter- essiert uns also hier nicht weiter. Eine zwei- zählige Drehbewegungsachse (Symbol 4 in Abb. 9a) wiederholt bei einer Drehung um 36o''/2=i8o" die gegebene Anordnung; entsprechend eine drei- zählige (Ain Fig. 9 b) bei Drehung um 36o"/3 = 1 20", eine vierzählige (■ in Abb. 9 c) bei 90", eine fünf- zählige (#in Abb. 9d) bei 72", eine sechszählige bei 60" ( % in Abb. 9 e) usw., eine n-zählige bei 36o''/n Drehung. Eine Deckbewegungsachse mit der Periode 00, bei der eine Drehung um einen un- meßbar kleinen Winkel schon genügt, eine ge- gebene Anordnung zu wiederholen, nennen wir eine Achse der Isotropie (von iaog = gleich und zQÖTtog = Richtung) ; da eine solche aus physi- kalischen Gründen in Kristallgestalten unmöglich ist, wollen wir diesen Grenzfall außer acht lassen. Selbstredend ist mit Deckbewegungen der oben besprochenen Art allein, die man als solche erster Art zu bezeichnen pflegt, die Möglichkeit des Auf- baues symmetrischer Gebilde im Räume noch nicht erschöpft. Unter Deckoperationen zweiter Art versteht man diejenigen, welche nach einer Drehung auch noch eine Spiegelung der gegebenen Anord- nung in einer zur Achse senkrechten Ebene folgen lassen. Drehen wir eine gegebene Figur im Räume um eine Achse mit der Periode 360"/! und ' /•?oo n = 6 Symmetrieachsen. Wiederholung der primären darstellt. Das Ganze spiegeln sie alsdann in einer Ebene senkrecht hat eine zahlenmäßig ausdrückbare Symmetrie- zur Achse, so haben wir praktisch nur eine Spiege- wertigkeit bekommen; es ist z. B. ohne weiteres lung an der genannten Ebene vorgenommen einleuchtend, daß in der Abb. 8 b eine Sechs- (Abb. loa). Die resultierende Figur gelangt auf zähligkeit der Drehbewegung („Deckbewegung") diese Weise ebensoviel unter diese „Symmetrie- N. F. XVTI. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 309 ebene", wie der erstgegebene Komplex oberhalb derselben gelegen ist. Die Symmetrieoperation an einer Achse zweiter Art mit der Periode 360'/! oder der Zähligkeit i entspricht also lediglich dem Begriff einer Symmetrieebene. Ganz analog ver- stehen wir leicht, daß die Drehung eines figür- lichen Gebildes um 180", also um eine Achse von der Zähligkeit 2, und eine darauffolgende Spiegelung in einer zur Achse senkrecht stehenden Ebene eine neue Lage der Anordnung herbeiführen muß, die „zentrischsymmetrisch" zur ersten sich befindet, d. h. in der jede Linie, die entsprechende Punkte beider Figuren verbindet, im Raumzentrum halbiert wird (Abb. lOb). Auf mehrzählige Sym- metrieachsen zweiter Art wollen wir in Rücksicht auf unser spezielles Problem nicht eingehen. Ehe wir im einzelnen die Symmetrie unserer platonischen Körper untersuchen, wollen wir den allgemeinen Abb. 8 — 10 noch einen praktischen Sinn beilegen. Wir wollen in ihnen nämlich die Symmetrieverhältnisse im Räume zum Ausdruck bringen und deshalb Darstellungen der vorliegenden Art gleichzeitig als Projektionen körperlicher Ge- bilde verwerten. Bei allen kristallographischen Studien, ganz besonders auch in unserer Unter- suchung, empfiehlt es sich, eine Kugel mit dem Einheitsradius in oder um den zu beschreibenden Kristall zu schlagen und vom Mittelpunkt derselben aus auf alle Kristallflächen Lote zu fallen. Die Durchstoßpunkte dieser Geraden durch die Kugel- oberfläche, welche als Flächenpole bezeichnet werden, können direkt als darstellende Punkte für die zugehörigen Kristallflächen benutzt werden. Wir beziehen also die komplizierte Lage der Be- grenzungselemente des Kristalles auf die einfacher zu behandelnde Kugelform, und können dann leicht in Darstellungen derselben nach den Regeln der Kugelprojektionen auch in der Ebene übersicht- liche Darstellungen der Kristalle erhalten. In der Kristallographie hat sich besonders die Stereo - graphische Projektion eingebürgert, deren Prinzip in der schematischen Abb. 1 1 anschau- lich zum Ausdruck kommt. Die Fläche F eines Kristalls ist auf den Pol P zu beziehen; dessen Projektion auf die Äquatorialebene der Kugel als Zeichenebene und mit dem Südpol S der Kugel als „Augenpunkt" ist n. Wir brauchen uns nur noch darüber zu einigen, wie wir Flächen F' (Abb. 11), deren Pole P' unterhalb der Äquatorial- ebene der Kugel gelegen sind, zum Ausdruck bringen wollen; behielten wir den Südpol als Augenpunkt bei, so müßten naturgemäß deren Projektionen außerhalb des Äquator- oder Grundkreises fallen, was einige Unbequemlich- keiten mit sich bringt. Wir werden am besten für Pole unterhalb der Äquatorialebenene den Nordpol N als Augenpunkt der Projektion wählen und die so erhaltenen Projektionen (Vr' in Abb. 1 1 ) gegenüber den früher besproche- nen -jt durch besondere Bezeichnung, etwa durch kleine Kreischen o an Stelle der Kreuzchen *, kennzeichnen. Auf diese Weise wird uns aucli die räumliche Lage von Flächenkomplexen, die Achsen zweiter Art als charakteristische Symmetrie- elemente enthalten, wie in Abb. 10 ohne weiteres verständlich. Untersuchen wir nunmehr die Symmetrie des einfachsten platonischen Körpers, des Tetraeders (Abb. i), so kommen wir bald zu der Überzeugung, daß diese durch das Vorhandensein einer ganzen Anzahl von Symmetrieelementen erster Art be- herrscht wird. Stellen wir das Tetraeder als regelmäßige'^dreiseitige Pyramide mit einer Fläche auf die Zeichenebene, so erkennen wir unmittelbar Abb. I a), daß eine dreizähligc :Symmetrieachse) senkrecht auf dieser vorhanden ist; da alle vier ^-^Symmetrie- \ Ebene xoben , ©unten Symmetrie- Zentrum .\bb. lo. Prinzip der stereographischen Projektion. F'lächen des Tetraeders sich ebenmäßig verhalten, so werden die vier Lote vom Zentrum des Körpers auf diese die Eigenschaften dreizähliger Symmetrie- achsen haben. Gleichzeitig sei bemerkt, daß diese Lote „polar" ausgebildet, d. h. daß ihre Endigungen verschieden sind (einerseits in einer Ecke, anderer- seits auf einer Fläche). Ein Symmetriezentrum kann nicht vorhanden sein, da zu keiner Fläche eine parallele Gegenfläche vorkommt. Wenn wir des weiteren das Tetraeder so aufstellen, daß eine Kante in der Zeichenebene liegt (Abb. i b), eine andere aber die erste senkrecht über dieser Ebene kreuzt, so ist die Verbindungslinie der Kanten- 310 Naturv/issenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 22 mitten eine zweizählige Symmetrieachse. Da aber ein Tetraeder sechs Kanten hat, so kann man also dreimal derartige Verbindungslinien konstruieren, also drei zweizählige Achsen unterscheiden. Diese stehen senkrecht aufeinander, teilen den Raum in acht gleichmäßige Teile (Oktanten) und werden als die kristallographischen Achsen des Tetraeders bezeichnet. In mathematischem Sinne sind sie die Koordinatenachsen des Raumes; wir werden sie mit Vorteil auch bei den anderen platonischen und mineralischen Körpern verwerten. Charakte- ristisch für das Tetraeder sind also drei zweizählige und vier dreizählige Symmetrieachsen; indessen können wir auch noch sechs Symmetrieebenen am Tetraeder erkennen, welche durch je zwei drei- zählige Achsen sowie eine Achse des Koordinaten- systems hindurchgehen, ein Symmetriezentrum fehlt jedoch. Das Oktaeder (Abb. 2) fällt uns sofort da- durch auf, daß bei ihm offenbar dieselben Koordi- natenachsen oder kristallographischen Achsen wie beim Tetraeder vorkommen, diese aber nicht zwei- zählige, sondern nunmehr vierzählige Symmetrie- achsen darstellen. In Richtung der Koordinaten- achsen gesehen (Abb. 2 a) zeigt infolgedessen das Oktaeder einen quadratischen Umriß mit vier radial veriaufenden gleichwertigen Kanten. Legen wir das Oktaeder mit einer Fläche auf die Zeichen- ebene (Abb. 2 c), so erkennen wir sofort, daß das Lot auf diese eine dreizählige Symmetrieachse sein muß, ganz wie dies beim Tetraeder der Fall war. Die Übereinstimmung mit diesem Körper ist auch in der Anzahl dieser Achsen zu erkennen, denn die vier Flächenpaare des Oktaeders bedingen ebenfalls vier derartige Achsen. Bemerkenswert ist nur, daß sie nicht polar sein können, da beim Oktaeder zu jeder Fläche eine Gegenfläche vorhanden ist, d. h. zugleich ein Symmetriezentrum besteht. Eine neuartige Symmetrieeigenschaft er- kennen wir am Oktaeder, wenn wir es mit einer Kante auf die Zeichenebene legen und die Mitten gegenüberliegender Kanten verbinden (Abb. 2 b). Wie beim Tetraeder sind diese zweizählige Sym- metrieachsen ; da aber das Oktaeder zwölf Kanten besitzt, müssen wir sechs derartige Achsen unter- scheiden, die unter 45" gegen die Richtungen der Koordinatenachsen in deren Ebenen verlaufen. Drei vierzählige, vier dreizählige und sechs zwei- zählige Achsen bestimmen also den Symmetrie- charakter des Oktaeders in bezug auf Elemente der ersten Art; des Weiteren können wir unschwer einsehen, daß auch noch drei Symmetrieebenen durch die Achsenebenen des Koordinatensystems bestimmt werden, sowie sechs weitere Symmetrie- ebenen, welche durch je eine- zwei und vierzählige Achse sowie durch zwei dreizählige Achsen hin- durchgehen. Endlich ist noch ein Zentrum der Symmetrie vorhanden. Schreiten wir zur Betrachtung des Hexa- eders (Würfels) fort, so ergibt sich, daß bei ihm genau dieselben Symmetrieeigenschaften wie bei dem Oktaeder abzuleiten sind. Der Würfel unter- scheidet sich nur dadurch von dem Oktaeder, daß Flächen und Ecken beider Körper vertauscht sind, d. h. in der Richtung der vierzähligen Symmetrie- achse treffen wir beim Würfel eine Fläche, beim Oktaeder aber eine räumliche Ecke; in Richtung einer dreizähligen Achse ist beim Oktaeder eine Fläche vorhanden, beim Würfel aber eine Ecke (s. Abb. 4 a— c). Wir wollen nun zu der Symmetrie des regel- mäßigen Zwanzigflächners, des Ikosaeders übergehen. In Abb. 3 ist dieser Körper so ge- zeichnet, daß wir die Übereinstimmung des in ihm zugrundegelegten Koordinatensystemes mit demjenigen der vorbesprochenen Körper erkennen. Bemerkenswert erscheint uns, daß die kristallo- graphischen Achsen beim Ikosaeder nur zwei- zählige Symmetrieachsen sein können, die durch die Mitten zweier paralleler Kanten gehen. Nun sind aber an einen platonischen Körper alle Kanten durchaus gleichwertig, wir können also durch die Mitten sämtlicher 30 Kanten derartige Achsen legen, das Ikosaeder hat also nicht weniger als 1 5 zweizählige Symmetrieachsen. Legen wir das- selbe mit einer Fläche auf die Zeichenebene, so ist das Lot auf diese eine dreizählige Symmetrie- achse; alle 20 Grenzflächen des Körpers sind gleichwertig, also müssen 10 dreizählige Symmetrie- achsen die Mittelpunkte (Schwerpunkte) der be- grenzenden gleichseitigen Dreiecke verbinden. Stellen wir endlich das Ikosaeder wie in Abb. 3 a so auf, daß eine Ecke in der Zeichenebene liegt, die gegenüberliegende Ecke aber über dieser, so erkennen wir leicht, daß ihre Verbindungslinien durch die Besonderheit einer Fünfzähligkeit auszgezeichnet sind. Die zwölf Ecken des Ikosa- eders erfordern also sechs fünfzählige Symmetrie- achsen als Symmetrieelemente erster Art. Ist schon durch diese die Symmetrie des Körpers eine sehr hohe, so wird sie noch durch das Hin- zutreten von Elementen zweiter Art erhöht. Durch je zwei fünfzählige, dreizählige und zwei- zählige Symmetrieachsen kann man noch eine Symmetrieebene legen, im ganzen also 15 der- artige Ebenen unterscheiden; außerdem ist noch ein Zentrum der Symmetrie vorhanden. Im Ikosa- eder erkennen wir die höchste Symmetrie, die eine räumliche Anordnung in einem regelmäßigen Vielflächner überhaupt besitzen kann, wenn wir nicht etwa noch Achsen der Isotropie, also sphärische Symmetrie berücksichtigen wollen. Das regelmäßige Dodekaeder verhält sich zu dem Ikosaeder ähnlich wie der Würfel zum Oktaeder. Dreht man das letztere um 90" um eine zweizählige Achse, so enthält das Dodekaeder in der Richtung, in welcher bei dem Ikosaeder Flächen liegen, Ecken, wo dieses Ecken hat, be- sitzt jenes Flächen. Die Symmetrie des Dodeka- eders ist also genau dieselbe wie bei dem Ikosa- eder (s. Abb. 5 u. S a). In ganz entsprechender Weise können wir nun die Symmetrie der natürlich vorkommenden Form des Penta'gondodekaeders und des mine- N. F. XVn. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 311 ralischen Ikosaeders bestimmen (Abb. 6 u. 7). Wir brauchen z. B. nur nachzuprüfen, wie die kristallographischen Achsen, also die Koordinaten- achsen, derselben als Symmetrieelemente sich ver- halten. Es wird uns dann bald klar werden, daß diese zweizählige Symmetrieachsen sind, wie bei dem entsprechenden platonischen Körper, daß dreiseitiger Ecken; die Verbindungslinien je zweier gegenüberliegender Mittelpunkte bzw. Ecken sind allein dreizählige Symmetrieachsen, sie stimmen überein mit den dreizähligen Achsen des Oktaeders, Würfels und Tetraeders. Mit drei zweizähligen und vier dreizähligen Symmetrieachsen sind die Symmetrieelemente der ersten Art der vor- Abb. 12. Symmetrie des miueraliscben Pentagondekaeders und Ikosaeders. (3 zweizählige, 4 dreizählige Symmetrieachsen ; 3 Symmetrie- ebenen ; Symmetriezentrum). Abb. 13. Symmetrie des Würfels und des Oktaeders. (3 vierüählige, 4 dreizählige, 6 zweizählige Symmetrieachsen ; 9 Symmetricebenen ; Symmetriezentrum). aber nur die Verbindungslinien der Mitten der längeren (beim mineralischen Ikosaeder der kürzeren) vertikal oder horizontal verlaufenden Kanten diese Eigenschaft besitzen können, die anderen Kanten aber jeweils eine solche Symmetrie nicht erkennen lassen. Desgleichen können wir noch vier Paare gleichseitiger Dreiecke am Ikosaeder unterscheiden, am Pentagondodekaeder vier entsprechende Paare .\bb. 14. Symmetrie des Tetraeders. (3 zweizählige, 4 dreizählige Symmetrieachsen; 6 Symmetrieebenen). ^vY "-vi-'' M V ■^^■'■^//■' V" '■ "^•^' J/' '■■■ V • .■/-^,-_ NW;' . .,'■■■ \ \\VW^;frY7 Abb. 15. Symmetrie des regelmäßigen Pentagoudodekaeders. (15 zweizählige, 10 dreizählige, 6 fünfzählige Symmetrieachsen ; 10 Symmetricebenen; Symmetriezentrum). Dieselbe Symmetrie gilt für das Ikosaeder, wenn man das Diagram um 90" dreht. liegenden Gebilde bereits erschöpft; außerdem er- kennen wir noch ein Symmetriezentrum sowie drei Symmetrieebenen, welche durch die Achsen- ebenen des Koordinatensystems bestimmt sind. Wir kommen demnach zu der Überzeugung, daß zwar das natürliche Pentagondodekaeder eine selb- ständige P'orm mit der in Abb. 12 in Stereo- 312 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 22 graphischer Projektion verbildlichten Symmetrie darstellt, daß aber das mineralische Ikosaeder gar nicht selbständig auftritt, sondern nur eine „Kombi- nation" der Flächen des Pentagondodekaeders und des Oktaeders sein kann. Abb. 13 und 14 stellen analog die Symmetrie des Tetraeders, des Oktaeders und AA^ürfels dar, Abb. 15 endlich diejenige des regelmäßigen Dodekaeders und Ikosaeders. Der auffälligste Unterschied des kristallo- graphischen und des platonischen Dodekaeders sowie der entsprechenden Zwanzigflächner besteht vor allem darin, daß an den natürlich vorkommenden Formen keine fünfzähligen Symmetrie- achsen auftreten. Hier liegt also recht eigentlich der Kernpunkt unseres Problems; wir müssen uns zunächst fragen, worin beruht überhaupt der Unter- schied des Wesens kristallographischer Formen von beliebigen mathematischen Idealgestalten? Mit Rücksicht auf unser spezielles Problem dürfte es naheliegen, die angeregte F"rage nicht in all- gemeinster Weise zu beantworten, sondern sie nur auf regelmäßige Vielflächner anzuwenden. Die Achsenebenen des Koordinatensystems sind den Flächen des Würfels parallel ; die Oktaederflächen stehen senkrecht auf den räumlichen Diagonalen des Würfels, und ihre Lage im Räume ist be- kanntlich dadurch gekennzeichnet, daß die Ent- fernung des Oktaedermittelpunktes von dessen Ecken eine Konstante, sagen wir a ist. Das Ver- hältnis der Abschnitte auf den Koordinatenachsen ist also a : a : a. Auch das Tetraeder ist für die in Abb. i angedeutete Lage einer Fläche gegen das Koordinatensystem durch die gleichen Ab- schnitte a : a : a gekennzeichnet. Das Grundgesetz der Kristallographie von Hauy sagt nun aus, daß nur diejenigen Körperformen kristallographisch möglich sind, welche ganzzahlige rationale Ver- hältnisse der Achsenabschnitte bedingen. In diesem Sinne ist die Form a:2a:a, ebenso a : 3/2 a : a, auch a : oc a : 00 a (Würfelfläche) usw. kristallographisch möglich. Eine Fläche des natürlich vorkommenden Pentagondodekaeders ent- spricht dem Achsenverhältnis a : 2 a : 00 a, wie man leicht aus dem Ausgeführten und Abb. 7 ableiten kann, eine andere ebenfalls vorkommende penta- gondodekaedrische F"orm hätte vielleicht das charak- teristische Achsenverhältnis a : 3 a : 00 a usw. Das platonische Dodekaeder dagegen ist gekennzeichnet durch einen äußeren Flächenwinkel von 63* 26', dessen cos-Funktion = l'Vs ist. Wir erkennen daraus, daß seine Tangensfunktion einen irra- tionalen Wert besitzt, so daß ein irrationales Ver- hältnis der Achsenabschnitte resultieren muß. Dies läuft aber dem Hauy 'sehen Grundgesetze zuwider, das platonische Dodekaeder ist also kri- stallographisch unmöglich. Ganz analog ist der halbe innere Flächenwinkel a des platonischen Ikosaeders gegeben durch die Beziehung tg ß/2 = */•> •(3 + y5)= 5.2361 .../2, also wiederum durch eine irrationale Zahl, welche ein irrationales Verhältnis der Achsenabschnitte erfordert und deshalb das regelmäßige Ikosaeder als Kristallform unmöglich macht. Nicht nur durch rein geometrische Über- legungen kommen wir zu der Überzeugung, daß die regelmäßigen Zwölf- und Zwanzigflächner in der Welt der Kristalle nicht vorkommen können, sondern auch durch Betrachtung der Symmetrie- verhältnisse, die wir oben eingehend erläutert haben. Es wird uns gelingen nachzuweisen, daß fünf-,sieben-usw. zählige Achsen der Symmetrie kristallographisch unmöglich sind. Setzen wir wiederum die Gültigkeit des Hauy 'sehen Grundgesetzes voraus; in Abb. 16 erkennen wir eine n-zählige Symmetrieachse erster Art mit der charakteristischen Periode a = ^öo^jn. Auf dieser Achse stehe die Ebene P senkrecht, in der die Richtungen OR und OR' die grund- legenden Koordinatenachsen neben der Achse OA bestimmen. BS und BS' sind dann not- wendigerweise kristallographisch mögliche Kanten, ebenso SS'. Durch Drehung um OA gelangt die Fläche SS'B, in die Lage S'S"B', welche ebenfalls .■\bb. 16. kristallographisch möglich ist, wenn die Achsen- abschnitte auf OR' und OR" in rationalem Verhältnis stehen. Aus dem Grundgesetz folgt dann, wenn BS' und BS" mögliche Kanten sind, daß auch die Ebene SS"B eine kristallo- graphisch mögliche Fläche vorstellen muß, d. h. daß das Verhältnis der Achsenabschnitte OS: OS" : OB ein rationales sein wird. Nun ist aber das Dreieck OSX kongruent dem Dreieck OS"X, also der Winkel bei X in beiden ein rechter; daraus folgt, daß der cos des charakte- ritischen Drehungswinkels « gleich ist den) Ver- hältnis OX : OS und rationalen Wert besitzen müßte. Dies ist aber mit Rücksicht darauf, daß der Winkel a = einem ganzzahligen Wert n entsprechen soll, nur möglich, wenn cos a = -\- i (für a — o", n=i), — i (für a== 180", n = 2), + V» (für « = 60", n=:6), —','2 (für «= 120», n = 3); es sind also nur ein-, zwei-, drei-, vier- und sechszählige Symmetrieachsen kristallogra- I>hisch möglich, es gibt keine Kristall- N. F. XVn. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Woclienschrift. formen mit fünfzähl igen Symmetrieachsen (beiläufig gesagt nicht einmal solche mit acht- zähliger Symmetrie 0 = 45"). Deshalb ist auch das regelmäßige Dodekaeder und Ikosaeder als Kristallform völlig ausgeschlossen. Wir werden in dieser Gesetze irgendwie verletzte. Betrachtung belehrt, wie streng die Natur das Ha uy 'sehe Grundgesetz befolgt, daß sie auch in der sonst so reichhaltigen Formenwelt der Kristalle ihrem Streben nach möglichst hoher Symmetrie in der Gestaltung der unbelebten Materie lieber Grenzen zieht, als daß sie ihre Kleinere Mitteilungen Zur physioloeischen Mechanik der Wünschel- rute. In den immer zahlreicher werdenden Auf- sätzen und Arbeiten, die sich mit der Wünschel- rute beschäftigen, ist bisher die Frage nach dem Vorgange bei der Rutenbewegung selbst, nach der Mechanik des Rutenausschlags merkwürdiger Weise ungebührlich vernachlässigt worden. Ich machte deshalb diese Frage zum Gegenstand einer ein- gehenderen Studie, die sich zurzeit im Druck be- findet und als Heft 8 der Schriften des „Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage" kürzlich er- schienen ist. 1) In Nr. 2 dieser Wochenschrift wird in einem Aufsatze von Kranz über dieses Thema Graßberger angeführt, der durch seine 2 Vorträge in Wien „eine wissenschaftliche Er- klärung des Problems angebahnt" habe. Ohne Zweifel hat sich Graßberger darin verdient gemacht, daß er die Abhängigkeit der Ruten- bewegungen von Vorstellungs-, Willens- und Suggestiveinflüssen in augenfälliger Weise nach- weist. In seiner Darstellung der Rutenbewegung selbst und der dazugehörigen Handbeweguncren trifft er aber meines Erachtens nicht den Kern punkt der Sache. Es war mir schon immer das Mißverhältnis auf- gefallen, das darin besteht, daß auf der einen Seite von feinsten Fingerbewegungen, unschein- baren, ja „unsichtbaren" Handbewegungen, Einfluß minimaler radioaktiver Strahlungsenergie usw. die Rede ist, auf der anderen Seite übereinstimmend die außerordentliche, unwiderstehliche Kraft und Heftigkeit des Rutenanschlags geschildert wird, die bis zum Zerbrechen der Rute führen kann. Woher stammt diese Kraftauswirkung? Wir müssen dazu auf die Grund- oder Ausgangsstellung zurück- greifen, die die größte Mehrzahl der Rutengänger einnimmt und über die die Vorschrift lautet : An- fassen der Gabelenden mit Untergriff, d. h. die Handflächen nach oben gewendet (in Supination); Anlegen der Oberarme fest an den Rumpf Vor- strecken der im rechten Winkel gebeugten Unter- arme,,Spreizen der mit der Spitze hori- zontal nach vorn gehaltenen Rute, die dadurch in einen mehr oder weniger starken Spannungszustand versetzt wird. Es sind also in der Ausgangsstellung eine große Anzahl kräftiger Muskeln, nicht bloß die kleinen Fingerbeuger, Konrad Wittv btuUgar mnerviert; je widerstandsfähiger und zugleich elastischer das Material der Rute ist (Haselgerte, Stahldraht), um so energischer wird der Zug sein müssen, der die Gabelenden spreizt, um so größer aber auch der Widerstand, den die Rute selber dieser Spreizung entgegensetzt. Dieser drängt sich dem Gefühle des Rutengängers als eine seinem Instrumente innewohnende Kraft auf, die nach Lösung, nach einem „Ausschlage" drängt. Rein mechanisch ausgedrückt: die aus- einandergespreizten Gabelenden streben danach, sicli einander wieder zu nähern, und suchen dieses Ziel natürlich auf dem Wege des geringsten Wider- standes zu erreichen. Dieser findet sich, wie sich das in der eingangs erwähnten Studie genauer ausgeführt findet, an der Stelle der Supination: sowie die anfangs aufwärts gekehrten Handflächen nach einwärtsschlagen(in Pronation übergehen), kom- men die Gabelenden einander wieder näher, schlägt die Rutenspitze abwärts, das vorher in labilem Gleichgewicht ausgespannte Muskel-Rutensystem kommt zur Ruhelage. Es handelt sich also beim Ausschlage nicht um die Ausführung bestimmterRichtungsbewegungen, son- dern nur um das Nachgeben, das Loslassen eines Muskels, der angespannt war innerhalb einer Menge anderer, der die ihre Spannung, ihre Innervation beibehalten : leicht begreiflich, daß sich dieser Vorgang dem Auge des Beobachters, ja selbst dem Gefühle des ungeschulten Selbst- beobachters entzieht, daß von „unsichtbaren" Hand- bewegungen gesprochen wird. Daß nicht „trieb- artige, ursprünglich unbewußte Greifbewegungen" den Ausschlag hervorrufen, wie Graßberger meint, dürfte nach dem Gesagten deutlich sein. Jetzt verliert auch das oben aufgezeigte Miß- verhältnis zwischen der Geringfügigkeit des An- stoßes und der Gewalt der Erfolgsbewegung einen Teil des Rätselhaften : durch das Zusammenwirken der verschiedenen ziehenden und spannenden Arm- und Handmuskeln in der Ausgangsstellung ist eine Menge Elastizität beansprucht und Energie in der Rute aufgespeichert; gibt dieser spannendeApparat aus einem bestimmten Grunde, der in einem feinen Sinneseindruck oder einer inneren, rein psychischen Zustandsänderung bestehen kann, auch nur an einer Stelle nach, so setzt sich die latente in manifeste Energie um; die Rute schnellt mit Heftigkeit in die spannungs- 314 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 22 freie Ruhelage. Die rhabdomotorische , ruten- bewegende Substanz, unterirdisches Wasser, Erz, Kohle mag also durch Radioaktivität, elektrische — , Temperaturstrahlen, sichtbare Merkmale oder wie immer sonst wirken, — falls sie nur irgendwie sich dem Rutengänger bemerkbar macht, wird das genügen, um in den künstlich hergestellten und labil erhaltenen Mechanismus des Muskel-Rutensystems die kleine Störung zu bringen, die zum Ausschlag führt. Daher auch die große Schwierigkeit, im praktischen Einzelfalle echte, d. h. von außen ver- anlaßte Ausschläge von unechten, ideomotorischen, autosuggestiven zu unterscheiden. So, wie die vorstehende Formulierung aufge- stellt ist, gilt sie unmittelbar für die geschilderte, häufigste, sozusagen Normalausgangsstellung des Rutengängers. Daß sie ihre Gültigkeit behält auch bei den verschiedenen Abwandlungen der Ruten- haltung und des Ausschlags, die in der Praxis vorkommen, würde auszuführen hier zu weitläufig sein, es ist das in der anfangs genannten Studie des genaueren geschehen. Hier sollte nur darauf hingewiesen werden, daß man über den theoreti- schen, hypothetischen Seiten, die das Problem der Wünschelrute bietet, die rein mechanische nicht übersehen soll, und daß mit deren Klärung, die der direkten wissenschaftlichen Beobachtung und Analyse wohl zugänglich ist, auch auf manche der noch unklaren Seite der Frage Licht fallen kann. Stabsarzt Dr. Haenel, z. Z. im Felde. Nachbemerkung. Ich möchte meinerseits betonen, daß auch ich, obwohl als Wünschelrutenverfechter verrufen, die Frage nach der praktischen Verwendbarkeit der Wünschelrute keineswegs vorbehaltlos be- jahen möchte. Diese Frage ist jedoch für mich, wie überhaupt für den Verband zur Klärung der Wünschelrutenfrage, von sekundärer Bedeu- tung, da für mich das Wünschelrutenproblem ein wissenschaftliches und kein wirtschaftliches Problem ist. Mit den praktisch tätigen Ruten- gängern hat der Verband nichts zu tun, es sei denn als Versuchspersonen. Graf Klinckowstroem. Die Traumanastie des Germiimn roberhaniim. Vor längerer Zeit (1903) habe ich darauf aufmerk- sam gemacht, daß die Blätter von Geraniiim robcrbamtvi (sowie von einigen anderen Geranmm- arten, z. B. G. luciduni) die Eigentümlichkeit haben, sich — wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben — nach unten zu biegen und sich mit ihren Blattstielen dem Boden mehr oder weniger fest anzulegen. Sie leisten dann, wenn die Spitze längst abgestorben und verwelkt ist, der Pflanze noch wertvolle Dienste, indem sie eine Art Stelzengerüst bilden, auf welchem die Pflanze steht. Dies ist um so notwentiger, als das verhältnis- mäßig lange hypokotyle Glied dauernd ziemlich zart bleibt und ohne die Hilfe jener „Stelzenblätter" kaum imstande wäre, die zuweilen recht kräftig entwickelte und schwere Pflanze zu tragen. (Vgl. Xaturw. Wochenschr. 1904) Es ist mir damals nicht möglich gewesen zu ermitteln, welcher äußere Reiz den Anstoß zur Abwärtskrümmung der Blätter bzw. Blattstiele gibt. Nur so viel konnte ich') feststellen, daß die Reihe der nach untenschlagenden Blätter niemals unterbrochen wird, d. h. es kommt nicht vor, daß ein jüngeres vor einem älteren Blatt die genannte Bewegung ausführt. Neuerdings hat nun Molisch ^) die ganze Angelegenheit aufgenommen und nach- gewiesen, daß Verwundungsreiz die Bewegung auslösen kann. Es gelang ihm durch Amputation der Blattspreite die Blattstiele des Rupprechts- krautes zur Abwärtsbewegung zu veranlassen. In der Natur dürfte es nicht Verwundung, sondern eine allmähliche Ausschaltung der Blatt- spreite aus dem Lebensmechanismus (durch Altern und Inaktivierung in assimilatorischer Hinsicht) sein, die den Anlaß zur nastischen Bewegung gibt*). Ich habe die Versuche von Molisch auch aus- geführt und kann sie voll bestätigen. Nur bedarf die Feststellung von Molisch einer kleinen Ein- schränkung: es gilt nämlich auch für die Trauma- nastie der Geraniumblätter die oben gegebene Regel der Reihenfolge. — Nur das jeweilig älteste aufrecht stehende Blatt kann durch Amputation der Blattspreite zur Abwärtskrümmung veranlaßt werden. Dies geht aus folgenden Versuchen hervor: Am 3. II. 191 8. wurde das älteste (aufrecht stehende) Blatt intakt gelassen, das nächst jüngere amputiert. Am 8. II. keinerlei Bewegung; das amputierte steht wie das nicht amputierte älteste immer noch aufrecht. Nun wurde auch das älteste Blatt am- putiert. Am 10. II. haben sich beide Blätter zu senken angefangen; am 14. ist die Senkung beendigt. Der gleiche Versuch wurde noch mehrere Male mit genau gleichem Ergebnis wiederholt. Aus ihm geht hervor, daß eine gewisse korre- lative Beziehung besteht zwischen den einzelnen Blättern. Die Traumanastie tritt nur ein, wenn das betreffende Blatt an der Reihe ist: ein jüngeres senkt sich, selbst wenn es amputiert ist, nicht vor dem älteren; erst wenn auch das ältere seiner Spreite beraubt ist und anfängt sich zu senken, kommt das jüngere (früher amputierte) dran, wobei CS allerdings die Bewegung langsamer ausführt als das ältere. Übrigens kann auch diese be- schleunigt werden, wenn das nun nächstjüngere Blatt durch Amputation zur Senkung veranlaßt wird. ') Neger, Bionomie. 19 13 S. 301. ^) Über Blattstielkrümmungen infolge von Verwundung (Traumanastie). Sitzungsber. K. Akad. Wissensch. Wien igi6. 2) In einem gewissen Widerspruch dazu steht allerdings, daß der obere Teil des Stiels von nach unten geschlagenen Blättern eine derartige Krümmung ausführt, daß die Blattspreite eine zum diffusen Licht günstige Stellung (die sog. fixe T.icht- lage) einnehmen kann. N. F. XVn. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 315 Schließlich möchte ich noch bemerken, daß vielleicht doch auch andere Reize als traumatische die Abwärtsbewegung auszulösen vermögen (welche, kann ich z. Z. nicht sagen). Man findet nämlich, daß an Stengelblättern von Geranium robertianum das mittlere Segment sich gleichfalls nach unten krümmt (und, wenn es bodennahe ist, als Stelzenorgan Dienste zu leisten vermag), während die beiden seitlichen Segmente in genau horizontaler Lage verharren (s. Fig. 113 meiner „Bionomie"). Es wäre denkbar, daß nicht nur traumatischer Reiz, sondern jede gewaltsame mechanische Be- rührung, wie sie bei mangelhaft befestigten Pflanzen leicht vorkommen, die Abwärtsbewegung eines grundständigen Blattes oder des Endzipfels eines Stengelblattes veranlassen. Wie bei so vielen Ökologismen ist offenbar auch hier streng zu unterscheiden zwischen dem kausalen und dem finalen Moment. Durch das erstere (Verletzung) wird ein Zustand herbei- geführt die unter normaler Entwicklung auch durch einen anderen Faktor (Ausschaltung des Blattstiels infolge von Altern und herabgesetzter Assimilation) veranlaßt wird und — unter Funktionswechsel des betreffenden Organs — einem neuen Zweck dient. F. W. Neger. Geologisches aus der näheren und weiteren Umgebung von Montreux (Waadt). Während es mir im Juli des letzten Jahres vergönnt war, mich über die Mineral-Vorkommnisse des Wallis zu unterrichten '), konnte ich diesen Februar anläßlich eines mehrwöchentlichen Aufent- haltes in Montreux einzelne interessante Be- obachtungen über die geologischen Verhältnisse im Canton Waadt anstellen, dieselben seien hier in knapper Form wiedergegeben. Meine Exkursionen, welche typische Beleg- stücke zu meiner Sammlung lieferten, dehnten sich von Montreux bis Bevieux oberhalb Bex, woselbst sich die weltberühmten Salinen befinden, aus. 'äS Im vergangenen Jahre erschien zu Bex eine kleine Broschüre von Ed. Payot, betitelt „No- tice historique sur les mines et salines de Bex", in welcher namentlich der dortige Salinenbetrieb und die im Laufe der Zeit in letzterem vorge- nommenen technischen Verbesserungen aus- führlich behandelt werden. Da der Salinenbe- trieb zu Bex mit demjenigen an vielen Orten Deutschlands ausgeübten im wesentlichen über- einstimmt, so dürften hier nur einige geschicht- liche Bemerkungen am Platze sein, um so mehr als die Steinsalzlager von Bex, welche ungefähr seit 200 Jahren systematisch ausgebeutet werden, wie einstmals noch heutigen Tages nicht nur für den Canton Waadt allein, sondern auch für die an technisch verwertbaren Mineralstätten ja so verhältnismäßig arme übrige Schweiz (ich erinnere nur an die gänzlich ungenügenden Kohlenlager derselben) von nicht zu unterschätzender volks- wirtschaftlicher Bedeutung sind. Zu Bex bildet nach Payot eine mächtige Gipsschicht die Basis des Salzgebirges, welches von Südost bis Nordost den Bezirk von Aigle durchquert, die in demselben befindlichen Stein- salzlager lassen sich im wesentlichen also von Bex bis in die Richtung von Villars sur Ollon verfolgen. Schon der große Albrecht von Haller, welcher 1758 — 1764 Salzdirektor zu Aelen *) war, führt in seiner „Beschreibung der Salzwerke im Amte Aelen (Bern 1895)" den Gips an „welcher wie ein Harnisch das Salzgebirge überzieht und an vielen Stellen mit Schwefel angeflogen ist". Letzterer findet sich meist eingesprengt im körnigen Gipse, der offenbar aus dem wasserfreien Anhy- drite hervorgegangen ist, selbst oder in unmittel- barer Begleitung der blätterigen wasserhellen Va- rietät desselben, des Gipsspates vor. Die vor mir liegende Gesteinsprobe, welche aus der un- mittelbaren Nähe von Bex stammt, weist noch weißen, undurchsichtigen Calcit als ferneren Be- gleiter auf. Das Vorkommen des Schwefels zu Bex muß als das einzig wesentlichere in der Schweiz be- zeichnet werden, seines immerhin spärlichen Auf- tretens halber ist der letztere technisch höchstens als unbedeutendes Nebenprodukt zu verwerten, da ja die reichen Schwefellager Siciliens wohl im- stande sind ganz Europa mit dem kostbaren Materiale zu versorgen. Dagegen treten dort die wunderbarsten Gruppen kristallisierten durch- sichtigen Steinsalzes in Form der für dasselbe typischen Hexaeder auf, das Auge des Mineralogen stets auf das Neue entzückend und wohl in keinem sonstigen Salzbergwerke der Erde in herrlicherer Ausbildung anzutreffen. Das faserige rote, durch Eisenoxyd gefärbte Steinsalz ist wiederum bei Bex verhältnismäßig selten. Nach den mir zugänglichen Quellen von Payot u. a. haben die Salinen von Bex mancherlei Wand- lungen im Laufe der Zeiten erfahren. Anfangs wurden dieselben an verschiedenen Privatkonsortien verpachtet, so aus den Familien Zobel zu Augs- burg, Graffenried und Thormann zu Bern, Franconi zu Genf u. a. bestehend, welche zeitweilige Betriebskonzessionen vom Staate Bern erhielten. Im Jahre 1684 übernahm der letztere die Ausbeutung der Salzlager selbst. 1798 wurden die Salinen das Eigentum des Cantons Waadt. Im Jahre 1813 drohten die Salzlager zu Bex sich zu erschöpfen, doch gelang es dem damaligen Direktor, welcher kein anderer als der durch seine Gletscherthorie so berühmt gewordene Jean de Charpentier war, namentlich durch die Auffindung eines größeren Salzlagers bei •) vergl.: Mineralogische Beobachtungen während einer Ferienreise ins Wallis (in Nr. 3S des vorgängigen Jahrgangs der „Naturw. Wocbenscbrift"). ') Der alte Name für den heutigen Bezirk Aigle, damals noch zum bernischen Gebiet gehörig. 3i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 22 Coulat den Minenbetrieb weiter zu ermöglichen. 1866 endlich gingen die Salinen an die ietzige „Gesellschaft der Minen und Saline zu Bex" ^) über, welche namentlich durch die Errichtung von Pumpwerken (Motoren) die Entsalzung der Solquellen an deren Ursprungsstätten selbst vor- nahm und so das frühere kostspielige Verfahren das Salzwasser mittels besonderen hölzernen Leitungen, deren Gesamtlänge nach Payot einstmals mehr als dreißig Kilometer betrug, in die mannigfach zerstreuten älteren Salinen zu leiten, umgehen werden konnte. Nur durch die ebenerwähnte Vereinfachung der Betriebsmittel konnte der Konkurrenz des ausländischen Salzes entgegengesteuert werden und auf diese Weise wurd die Industrie der Salzgewinnung von Bex dem Canton Waadt erhalten, der dortigen Be- völkerung, welche schon seit Generationen direkten und indirekten Nutzen aus derselben gezogen hatte, Brod und Arbeit noch heutigen Tages ver- leihend I Von Montreux aus besuchte ich ferner die Marmorbrüche von Arvel, Roche und St. Triphon. Es gewährte mir einen besonderen Reiz längs dieses sich von Villeneuve bis über Aigle hinaus fast ununterbrochen hinziehenden „Marmor- gebirges", wie ich es taufen möchte, zu wandern. Nicht nur, daß mir solches ein Bild von einem der großartigsten Umgestaltungsprozesse der Natur gab, indem der einstmalige dichte Kalkstein mittelst darüber befindlichen, schon längst der Verwitterung anheimgefallenen Massen, durch Druckmetamorphose in kristallinischen, also Marmor umgewandelt wurde, sondern auch eine Vor- stellung von einem zweiten Mineralschatze weit- gehendster national-ökonomischer Bedeutung, welche der Canton Waadt in den anscheinend schier unerschöpflichen Marmorbrüchen jener Gegenden besitzt! Zum Marmorbruche von Arvel gelangt man in einer halben Stunde von Villeneuve aus. Der dortige Marmor, welcher im Handel unter der Bezeichnung „Marbre rose d'Arvel" läuft, ist ein grobkörniger, breccien-artiger Krinoideenkalk (breche echinodermique), welcher von blaßrosa- farben bis ins Violette spielt, eine ausgezeichnete Politur annimmt und vielfach zu Grabmonumenten verarbeitet wird. Dem geologischen Horizonte nach gehört er den bei Arvel aufgefundenen Petrefakten zufolge dem unteren und mitttleren Lias an. Dem Marmor von Arvel gleicht im wesentlichen derjenige von Collombey bei Monthey im Canton Wallis, nur daß derselbe eine feinkörnigere Beschaffenheit aufweist. Von Villeneuve wiederum kommt man zu Fuß etwa in einer Stunde nach Roche. Unweit dieses Dorfes, woselbst ein großzügig angelegtes Portland-Zementwerk betrieben wird, befindet sich ') Der alte Caine für den heutigen Bezirk Aigle, damals ch zum bernischen Gebiete gehörig. ') „Cümpagnic des Mincs et Saline de liex." an der nach Aigle führenden Landstraße abermals ein Bruch, in welchem ein mehr oder weniger feinkörniger, von grau bis rot die verschiedensten Variationen zeigender, von weißen Calcit- Adern und Schmitzen durchzogener Marmor ausgebeutet wird. Im Marmorbruche von Roche wurde mir die Freude zuteil einen Zahn von Sphaerodus gigas, welcher in einem grauen Marmorbruchstücke eingebettet ist, zu erhalten. Da die gleichen halbkugeligen Mahlzähne dieses ausgestorbenen Ganoid-Fisches meist ver- einzelt, in den selteneren Fällen reihenförmig zu einem ganzen Pflaster angeordnet sowohl im oberen Jura Württembergs als auch in den Kalkstein- brüchen bei Solothurn in der Schweiz *) gefunden werden, kann kein Zweifel bestehen, daß der Marmor von Roche dem Kimmeridge, resp. der unteren Portland-Formation angehört! Nach einer mir zugekommenen schriftlichen Mitteilung von Herrn Dr. A. Jeannet in Bentlikon bei Zürich, welcher u. a. sich die geologische Erforschung der Umgegend von Aigle zur Aufgabe machte -) und welchem doch zur Ausarbeitung seines gesammten Materials die reichhaltigen Sammlungen der Museen zu Genf, Bern u. a., namentlich aber diejenige von Lausanne zur Verfügung standen, war demselben bisher ein Sphaerodus-Zahn aus dem Marmor von Roche nicht bekannt, wohl aber von dort eine Pecten-Art (von welcher ich auch ein unvoll- kommenes Exemplar in Roche erhielt), Rhyncho- nellen und Korallen. Jeder Paläontologe weiß, welche Mühe es verursacht, invertebrate, noch wenig bekannte Versteinerungen wie die ebenerwähnten, zu be- stimmen, welche zahlreiche Übergänge zu ver- wandten Arten sie darbieten und wie schwer sie oft in die zugehörige Formation mit nur einiger Bestimmtheit einzureihen sind. Leichter ist dies im allgemeinen bei fossilen Wirbeltierresten und in dieser Hinsicht ist gewiß der von mir mit- gebrachte Sphaerodus-Zahn als vielleicht der einzige Repräsentant eines Wirbeltieres, welcher bis jetzt im Marmor von Roche gefunden wurde, nicht ohne Interesse. Von der „Societe des carrieres" in Villeneuve erhielt ich außer anderen Proben einen dichten roten, von schwärzlichen Adern und einem weißen Calcit- Gansr durchzogenen Marmor des Chäble rouge bei Yvorne unweit Aigle. Derselbe stammt von einem nicht weiter ausgebeuteten Steinbruche und ich habe ihn daher einstweilen nur als seltenes Schaustück in meine Sammlung auf- genommen, ohne mich bis jetzt über seine Zu- ') Wohl auch auderorts, so in oberjurassischeu Lokalität Knglands und Frankreichs usw. ') Monographie geologique des tours d'Ai et des regic avoisinantes I. Teil (Beitrag z. geolog. Karte der Scliwe Xeuc Serie: 34. I.iefg. Fern 1912/13.) N. 1'. XVII. Nr. NaUiiwLsseiischaftliche Wochenschrift. gehörigkeit in eine bestimmte Formation äußern zu können. Anders verhält es sich in letzterer Beziehung mit dem schwarzen dichten Marmor von St. Triphon unweit Aigle, welcher der Trias und in weiterem Sinne dem IVIuschelkalke angehörig ist. Auch diese hübsche Gesteinsart ist schon lange be- kannt, wenigstens Razoumowsky zufolge, welcher sie neben dem IMarmor von Roche in seinen „Voyages mineralogiques dans le gouver- nement d'Aigle et d'une partie du Valais, Lau- sanne 1894" erwähnt, aber bemerkt, daß „Trochiten darin selten sind". Die vorliegenden Zeilen bilden selbstverständlich nur einen kleinen Beitrag zu Geologie der Um- gebung von Montreux. Es sei nur noch zum Schlüsse erwähnt, daß ich im Museum des „College de Montreux" interessante, wenn auch meist schlecht erhaltene, von Prof. H. Schar dt ge- sammelte Versteinerungen aus den Rhät von Montreux und Villeneuve sah. Das Vorkommen dieser bisher dort unbekannten F'ormation wurde ungefähr im Jahre 1864 von Prof. Renevier in Lausanne entdeckt und erregte damals das be- rechtigte Interesse der Schweizer Geologen ! ") Leopold H. Epstein, Bern. ') Vgl: H. Schardt: Coup d'oeil sur la structure geologique de Montreux (Bull. Soc. Vand. Sc. Nat. XXIX, Nr. 12). Bticherbesprechungen. Richard Meyer, Victor Meyer, Leben und Wirken eines deutschen Chemikers und Naturforschers 1848— 1897. Mit I Titelbild, 79 Textabbildungen und der Wieder- gabe eines Originalbriefes. XVI u. 471 S. in Groß 8". Leipzig 191 8. Akademische Verlags- gesellschaft m. b. H. Einer der erfolgreichsten Chemiker des letzten Viertels des vergangenen Jahrhunderts war Victor Meyer, der auch dem jüngeren Chemiker als Vater der Victor Meyer 'sehen Methode zur Bestimmung von Dampfdichten und Entdecker des Thiophens bekannt ist. Ungewöhnlich reich begabt, der Romantiker xar' £^oxi']V, hat Victor Meyer als Forscher und Lehrer in außerordent- lich fruchtbarer Weise gewirkt, und der vorzeitige Tod des noch nicht Neunundvierzigjährigen riß eine tiefe Lücke in die deutsche Chemie. Nun, 20 Jahre nach dem Tode, wird eine aus- führliche Darstellung seines Lebens und Wir- kens veröffentlicht. Ihr Verfasser Richard Meyer ist der ältere Bruder Victors, der ebenso wie Victor Chemiker und Hochschullehrer, während des ganzen Lebens mit dem jüngeren Bruder in engster persönlicher und wissenschaftlicher P'ühlung gestanden hat. So haben den Biographen ganz ungewöhnlich günstige Bedingungen bei der Ab- fassung seines Werkes unterstützt, die genaueste Kenntnis der Person hat sich zu vollkommenstem Verständnis ihres Wirkens gesellt, ein Grund, die Victor Meyer-Biographie von Richard Meyer mit besonderen Erwartungen in die Hand zu nehmen. Die Erwartungen werden nicht getäuscht. Vor dem Leser entsteht ein ungemein plastisches Bild des Menschen, seines Fühlens und Denkens, seines Lernens, Lehrens und Forschens, und auch des Kreises, in dem und für den er gewirkt hat. Voll tiefsten Interesses folgt der Leser dem nach Leistungen und äußeren Erfolg ungewöhnlich raschen Aufstiege Victor Meyer's, begleitet den jugendlichen Forscher in Bunsen's Laboratorium in Heidelberg und Baeyer's Laboratorium in Berlin und von hier über Stuttgart nach Zürich, den gereiften Mann nach Göttingen und Heidel- berg, nimmt teil an seinem Streben, seinen Kämpfen, freut sich an seinen Erfolgen und emp- findet mit ihm die schweren Schmerzen und Sorgen, die schließlich den vorzeitigen Tod des scheinbar Glücklichen herbeigeführt haben. Selbstverständ- lich setzt die Lektüre bei dem Leser ein gewisses Verständnis für chemische Vorgänge voraus, denn auch der erste Teil des Buches, die eigentliche Biographie, ist in kaum minderem Maße als der zweite, der wissenschaftlichen Tätigkeit Victor Meyer's gewidmete Teil, von Berichten über chemische Fragen durchsetzt. Wer aber dieses Verständnis mitbringt, wird das Werk mit größtem Genuß lesen, mag er ein Chemiker von Fach oder Naturwissenschafter mit chemischem Einschlage sein. Die glänzende Persönlichkeit Victor Meyer's nötigt einem jeden, der neben der Wissenschaft auch die die Wissenschaft schaffenden Menschen zu erkennen strebt, Interesse und Liebe ab. Werner Mecklenburg. Dr. Arvo Ylppö, Pn-Tabellen, enthaltend aus- gerechnet die Wasserstoffexponentenwerte, die sich aus gemessenen Millivoltzahlen bei bestimm- ten Temperaturen ergeben. Gültig für die ge- sättigte Kalomel-Elektrode. IV u. 75 S. in Kl. 8«. Berlin 191 7. Verlag von Julius Springer. — Preis steif broschiert 3,60 M. Die Wasserstoffionenkonzentration einer Flüssig- keit ist eine außerordentlich wichtige Größe, die besonders auch in der Biologie eine hervorragende Rolle spielt. ^) Ihre Bestimmung geschieht in folgender Weise : In die zu untersuchende Flüssig- keit wird eine Wasserstoffelektrode gebracht, das Ganze mit einer Normalelektrode, z. ß. der wohl am häufigsten gebrauchten „gesättigten Kalomel- ') Vgl. Leonor Michaelis, Die Wasserstoffionenkon- zentration. Berlin 1914, Verlag von Julius Springer; vgl. auch die Besprechung in der Naturw. Wochenschr. Bd. 14 (1915), S. 350. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 22 elektrode", zu einem galvanischen Element zusam- mengestellt und dessen Spannung gemessen. Aus dieser Messung ergibt sich dann auf Grund der bekannten N e r n s t ' sehen Theorie der galvanischen Elemente die Wasserstoffionenkonzentration der betreffenden Flüssigkeit. In der Praxis wird nun aber in der Regel nicht die Wasserstofiionenkon- zentration selbst, sondern aus praktischen Gründen und in Befolgung einesVorschlages von Soerensen der negative Logarithmus Ph der Wasserstofif- ionen konzentration benutzt. Seine Berechnung aus der Spannung des galvanischen Elementes ist zwar theoretisch einfach, aber immerhin umständlich, und es werden daher die am Kopfe dieser Be- sprechung näher bezeichneten Tabellen, die Ylppö auf Grund der von L. Michaelis in seinem Buche über „Die Wasserstoffionenkonzen- tration" gemachten experimentellen Angaben für die Temperaturen von 15 — 27" und von 37—38" C berechnet hat, in der Praxis recht gute Dienste leisten. Werner Mecklenburg. R. Hess, Der Forstschutz. Vierte Auflage, vollständig neubearbeitet von R. Beck. Zweiter Band. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner. — Preis 14,— J(. Wenn ein waldfremder Großstädter durch die kriegerischen Ereignisse auf ein Sägewerk in den ausgedehnten Waldungen Polens, Kurlands oder Litauens geführt wird, ist er überrascht von den großen Holzmengen, die hier für militärische Zwecke nutzbar gemacht werden, und bekommt eine Ahnung von der volkswirtschaftlichen Be- deutung des Waldes in Friedenszeiten. Auch für die Notwendigkeit des Forstschutzes geht ihm ein tieferes Verständnis auf. Er braucht nur seine Augen aufzumachen, um die beträchtlichen Schäden zu bemerken, die Brände und Stürme, Frost und Schnee hervorrufen können. Vielleicht bietet sich ihm auch Gelegenheit, Schädigungen des Waldes durch Insekten oder Pilze zu beobachten. Ist er ein Naturfreund, so mag da der Wunsch nach einem verständlich geschriebenen und doch wissenschaftlich zuverlässigen Lehrbuch des Forst- schutzes in ihm erwachen. Man kann ihm kein , besseres empfehlen als das von Richard Hess, dessen vierte Auflage nunmehr vollständig vor- liegt. Es war dem Verfasser nicht vergönnt, die Vollendung der neuen Auflage zu erleben. Er ist vor der Fertigstellung des zweiten Teiles in Gießen, wo er lange Jahre segensreich gewirkt, am 18. Januar v. Js. gestorben. Die Neubearbeitung des Lehrbuches hat R. B e c k - Tharandt über- nommen. Unter möglichster Wahrung des ur- sprünglichen Charakters wurden die in der Zwischen- zeit erzielten Fortschritte der Wissenschaft hinein- gearbeitet und nur, wo es notwendig war, Ab- änderungen getroffen. Das Buch ist auf diese Weise wieder das geworden, was es war: für den Lernenden ein zuverlässiger Führer, für den Fachmann ein wertvolles Handbuch. Der erste Band wurde seinerzeit an dieser Stelle besprochen. Der zweite Band behandelt i) die direkt und indirekt schädlichen EingrifTe des Menschen, wie Forstfrevel, Waldbrände, Rauch- schäden, 2) die Schädigungen durch Forstunkräuter, Schmarotzergewächse und Pilze, 3) die atmo- sphärischen Einwirkungen, Frost, Hitze, Wind, Schnee usw. In den Unterabschnitten wird der Stoff nach dem aus dem ersten Band bekannten Schema abgehandelt: Die Schädigung zunächst nach ihren äußeren Merkmalen beschrieben und erklärt, die Größe des Schadens in seiner Ab- hängigkeit von einzelnen Bedingungen erörtert und endlich die Schutzmaßregeln vorbeugender und bekämpfender Art besprochen. Statistische An- gaben und gute Abbildungen, deren Zahl allerdings vermehrt werden könnte, bilden eine willkom- mene Ergänzung des Textes. Überall — Ref weist besonders auf die Abschnitte über Rauchschäden und über Frostwirkungen hin — sind die neuesten Forschungsergebnisse berücksichtigt. Die Dar- stellungsweise, zuweilen etwas trocken, ist durch- weg klar und anschaulich; nur ließen sich viel- leicht einige unschöne Wortbildungen und -Ver- bindungen wie „Beholzigung", „Maßregeln in bezug auf . . ." u. a., vermeiden. Alles in allem: ein Buch, das Lernenden und Lehrenden gute Dienste leisten und dazu bei- tragen wird, daß der Name des um den Forst- schutz hochverdienten Mannes auch in Zukunft einen guten Klang behält. Dr. F. Esmarch (im Felde). R. Biedermann, Die Sprengstoffe, ihre Chemie und Technologie. IL Auflage. IV u. 128 Seiten. Mit 12 Abbildungen im Text. Bd. 2S6 der Sammlung wissenschaftlich-gemein- verständlicher Darstellungen „Aus Natur und Geisteswelt". Leipzig und Berlin 19 17, Verlag von B. G. Teubner. — Preis geh. 1,20 M., geb. 1,50 M. Das gerade jetzt so interessante Gebiet der Sprengstoffe wird in dem vorliegenden Werkchen in ziemlich allgemein verständlicher Form be- handelt. Im ersten Kapitel wird eine kurze Über- sicht über die geschichtliche Entwicklung der Sprengstofftechnik gegeben, das zweite Kapitel behandelt die Theorie der Sprengstoffe, und im dritten Kapitel wird die Technologie der wichtigen Sprengstoffe besprochen. Ein Sachregister und ein Literaturverzeichnis bilden den Abschluß. Die Darstellung ist sachlich im allgemeinen einwand- frei, immerhin aber wäre bei einer etwaigen Neu- auflage eine sorgfältige Durchsicht des Büchleins erwünscht. Werner Mecklenburg. J. K. Kreibig. Die Sinne des Menschen. B. G. Teubner, Leipzig 191 7. (Aus Natur und Geisteswelt.) Daß das vorliegende Buch in der dritten Auflage erscheinen konnte, zeugt von dem glänzenden Rufe der Teubner 'sehen Sammlung, nicht aber von N. F. XVU. Nr. 22 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 319 seinem eigenen Werte. Es genügt in keiner Weise den Ansprüchen, die heute an ein derartiges po- puläres Buch gestellt werden müssen. Weder entsprechen die Angaben über den Bau und die Leistungen der Sinnesorgane den Tatsachen, noch ist die moderne sinnesphysiologische Literatur ge- nügend berücksichtigt worden. Auch der völlig veraltete erkenntnistheoretische Standpunkt des Autors kann keinem Biologen genügen. V. Brücke, Innsbruck. William Ramsay und George Rudorf, Die Edelgase. Handbuch der allgemeinen Chemie, unter Mitwirkung vieler Fachleute herausgegeben von Wilhelm Ostwald und Karl Drucker, Bd. II. VIII u. 416 Seiten in Gr. 8«, Leipzig 1918, Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. — Preis geh. 26 M., geb. 28 M. Das bekannte Ostwald'sche Lehrbuch der all- gemeinen Chemie, dessen erste Auf läge von wesent- licher Bedeutung für die Entwicklung derallgemeinen Chemie gewesen, dessen zweite Auflage aber nie vollständig geworden ist, soll jetzt, nachdem es aus dem ursprünglichen Verlage in den Besitz der Akademischen Verlagsgesellschaft übergegangen ist, unter der gemeinsamen Redaktion von Wilhelm Ostwald und Karl Drucker als „Handbuch der allgemeinen Chemie" in ganz be- deutend erweitertem Umfange und bearbeitet von einer großen Reihe von verschiedenen Fach- genossen von neuem erscheinen. Das vorliegende Werk über die Edelgase, verfaßt von William Ramsay und George Rudorf, ist obwohl als Bd. 2 zählend, der zuerst erschienene Band des Handbuches; der noch nicht veröffentlichte Band i soll einen Bericht von Wil heim Ost wald über „chemische Handbücher und die Organisation der Wissenschaft" bringen. William Ramsay ist als einer der erfolg- reichsten Chemiker der Gegenwart allen Natur- wissenschaftern wohl bekannt, insbesondere seine Entdeckung der neben Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxyd und Wasserdampf überall in der Luft enthaltene Edelgase Argon, Krypton, Xenon und Neon gilt mit Recht als eine der Glanz- leistungen der neueren Chemie. Trotzdem muß es in sachkundigen Kreisen einen höchst befremden- den Eindruck machen, daß der an erster Stelle erschienene Teil des großen „Handbuches der allgemeinen Chemie" gerade den Namen William Ramsay trägt. William Ramsay hatvon Be- ginn des Krieges an bis zu seinem vor einiger Zeit erfolgten Tode das deutsche Volk und auch die deutsche Wissenschaft, der er selbst so unendlich viel verdankt, in häßlichster Weise beschimpft; die Beschimpfung war so unerhört, daß sogar die von manchen Seiten als superobjektiv angesehene Deutsche Chemische Gesellschaft in Berlin, die Ramsay vor Jahren seiner großen wissen- schaftlichen Verdienste wegen zum Ehrenmitgliede gewählt hatte, ihn nicht mehr in ihrem Schöße dulden konnte und daher, wenn sie auch von dem sofortigen Ausschluß aus sehr verständlichen Gründen abzusehen für richtiger hielt, doch ein nach dem Kriege einzuleitendes Ausschlußverfahren gegen Ramsay beschlossen hat. Ramsay ist der einzige ausländische Gelehrte, gegen den die Deutsche Chemische Gesellschaft vorgegangen ist; ein Vorgehen gegen irgendeinen anderen aus- ländischen Fachgenossen ist meines Wissens über- haupt niemals in Frage gekommen. Daß das große „Handbuch der allgemeinen Chemie" durch ein Werk eröffnet wird, als dessen vornehmster Verfasser Sir William Ramsay zeichnet, muß unter diesen Umständen trotz aller wissenschaft- licher Objektivität auf jeden Deutschen, an dem die furchtbare Gegenwart nicht ganz spurlos vorübergegangen ist, einen äußerst peinlichen Eindruck machen. Wo die Ursache für diese Unbegreiflichkeit liegt, warum der — wahr- scheinlich lange vor Beginn des Krieges ge- schlossene — Verlagsvertrag nicht gelöst oder seine Erledigung wenigstens verschoben worden ist, ist dem Referenten unbekannt, er bezweifelt aber sehr, ob ein jetzt etwa in England er- schienenes literarisches Sammelwerk mit einer Schrift von Lissauer eröffnet werden könnte.^) Mit dem Werte des Buches haben die vor- stehenden Bemerkungen natürlich nichts zu tun, aber doch glaubte der Unterzeichnete sie nicht unterdrücken zu sollen, wenn die wissenschaftliche Kritik unter gewöhnlichen Verhältnissen auch von der Person des Autors absehen und nur die Güte des Werkes beurteilen soll. Der Zweck des Buches ist eine vollständige Zusammenstellung alles dessen, was über die Edel- gase bekannt ist. Das ist mehr, als man im ersten Augenblick anzunehmen geneigt ist. Aller- dings ist es bis heute nicht möglich gewesen, von irgendeinem Edelgase irgendeine chemische Verbindung herzustellen, nie hat sich ein Atom eines Edelgases mit einem Atom von der gleichen oder von anderer Art vereinigt, eine Chemie der Edelgase existiert überhaupt nicht, aber gerade diese einfachen, jede Komplikation ausschließenden chemischen Verhältnisse haben die Edelgase als geeignetes Material für eine große Anzahl von physikalischen und physikalisch-chemischen Unter- suchungen erscheinen lassen, und infolgedessen sind unsere Kenntnisse über die physikalischen Eigen- schaften der Edelgase verhältnismäßig umfang- reich. Das Buch selbst zerfällt in einen 90 Seiten umfassenden allgemeinen und einen speziellen Teil. In dem allgemeinen Teil werden die Eigenschaften der Edelgase im allgemeinen und die Beziehungen zwischen ihnen im Zusammenhange besprochen, in dem speziellen Teil werden zunächst die einzelnen Edelgase, das Helium (S. 92 — 170), das ') Selbstverständlich soll durch diese Nebeneinanderstellung von Ramsay und Lissauer nicht etwa Lissauers Hafi- gesang, über den man im übrigen denken kann, wie man mag, mit Ramsay s Äußerungen auf eine gleiche Stufe gestellt werden, denn der Dichter hat das Recht auf Subjektivität, der Wissenschafter die Pflicht zur Objektivität. 320 Naliirwlssctischaftliclic Wochenschrift. N. 1'. XVII. Nr. 22 Neon (S. 171— 186), das Argon (S. 186—256) das Krypton (S. 256—272) und das Xenon (S. 272 — 286) behandelt, dann folgt ein ausführ- liches Literaturverzeichnis (S. 286—299), und dann kommt eine eingehende Darstellung der radio- aktiven Emanationen (S. 300—358) nebst einem besonderen Literaturverzeichnis (S. 358 — 362). Ein annähernd 50 Seiten umfassender Anhang, in dem die nach Fertigstellung des Manuskripts er- schienenen Verötfentlichungen besprochen werden, und ein Autorenregister schließen das Werk. Die Literatur ist etwa bis zum Schluß des Jahres 191 3 und zwar, wie der Berichterstatter aus Stichproben urteilen zu dürfen glaubt, bis dahin ziemlich voll- ständig berücksichtigt. Die interessante Ver- wendung des Argons zur Füllung elektrischer Glühlampen ist neueren Datums; eine etwas ein- gehendere Darstellung des Historischen auf S. 4 des Buches wäre erwünscht, in einem so um- fassenden Buche wie dem vorliegenden genügt ein kurzer Hinweis, wo eingehendere Mitteilungen da- rüber zu finden sind, nicht. Doch das ist nur eine Kleinigkeit, die an dem Endurteil, daß es sich hier um eine recht schätzenswerte Bereiche- rung der wissenschaftlichen Literatur handelt, nichts zu ändern vermag. Werner Mecklenburg. F. A. Schulze, Große Physiker. IV und 1 1 5 Seiten. 6 Bildnisse. Teubner, Leipzig und Berlin. 2. Aufl. 191 7. — Preis geb. 1,50 M. Die auf ständigen Fortschritt bedachte Natur- wissenschaft bringt es selbst mit sich, daß wir ihre historische Entwicklung vernachlässigen. Der Hochschulunterricht hat sich zumeist diesem inneren Wesen der Wissenschaft angepaßt; er vermittelt dem Studenten ein Bild von dem Stand- punkt seiner Zeit, zeigt ihm aber selten den dornenvollen Weg, welcher zu diesem Standpunkt hingeführt hat. Und doch könnte dem angehenden Forscher nichts nützlicher sein, als an den Irr- tümern und Erfolgen vergangener Tage die eigenen Arbeitsmethoden heranzubilden. Daß in der Tat historische Bedürfnisse vorliegen, zeigt die in ver- hältnismäßig kurzer Zeit notwendig gewordene Neuauflage eines Bändchens der gut bekannten Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt". Ursprünglich hieß es „Die großen Physiker und ihre Leistungen" nun nur mehr noch kurz „Die großen Physiker". Mir wäre im Gegenteil eine Umänderung des Titels in „die Leistungen der großen Physiker" richtiger erschienen, denn die Leistungen werden in dankenswerter Aus- führlichkeit aufgezählt; über die hinter ihnen stehenden Persönlichkeiten erfahren wir aber ver- hältnismäßig wenig. Dadurch geht auch etwas von dem inneren Zusammenhang, welcher gerade den Reiz historischer Betrachtung bildet, verloren, so daß von der bewunderungswerten Einheitlich- keit des Faradayschen Lebenswerkes beispielsweise wenig zu spüren ist. — Immerhin wird der Leser, durch die vom Verfasser sehr glücklich getroflene Auswahl geleitet, etwas von den großen ent- wicklungsgeschichtlichen Zusammenhängen ent- decken. Galilei als Begründer der modernen Physik eröffnet den Reigen. Was er dem freien Fall und, Keppler den Gestirnen abgelauscht hat, ver- einigt der an zweiter Stelle besprochene Newton zu dem großartigen Gebäude seines Gravitations- gesetzes. Newton's optische Entdeckungen weisen einerseits auf den, der erst wahre Auf- klärung über die Lichtnatur brachte, auf Huy- ghens; während die durch sein Gravitations- gesetz veranlaßte Fernwirkungstheorie erst in Faraday seinen genialen Überwinder fand. Der mit Faraday's „Nachwirkung" innig verwandte Gedanke der Umwandelbarkeit aller Kräfte, wurde von unserem größten deutschen Physiker H e 1 m - holtz exakt formuliert. Derselbe Gedanke führte Faraday aber auch zu seiner Entdeckung des Zusammenhanges zwischen Magnetismus und Licht, eines Zusammenhanges, der vereint mit Huyghens Undulationstheorie auf dem Umweg über den hier nicht besprochenen Maxwell, Hertz bei seiner Auffindung der elektrischen Wellen leitete. Die Zusammenhänge sind wie gesagt etwas verborgen. Wer sich aber rasch über die Haupt- leistungen der hier besprochenen Männer orien- tieren will, dem sei das Büchlein auf das Beste empfohlen. Viktor Engelhardt. Literatur. Krebs, Prof. Dr. N., Das österreichisch-italienische Grenzgebiet. Leipzig u. Berlin '18. B. G. Teubner. — 1,10 M. „Aus großen Meislern d er Naturwissenschaften". Heft 8 : Haeckels Monismus und seine Freunde. Von Prof. Dr. Joh. Reinke. Heft 9 u. 10: Justus von Liebig's Reisen nach Paris 1822 und England 1837, 1S42, 1844. Von Prof. Dr. Jak. W o 1 h a r d. Heft 13: Arbeit und Ermüdung. Von Prof. Dr. H. Münsterberg. lieft 16: Warum wird die Wurst schief durchschniUen ? Von Prof. Dr. G. Th. Fechner. Leipzig, J. A. Barth. Jede Nummer 45 Pf. Inhalt: W. Eitel, Warum ist der regelmäßige (platonische) Zwölf- und Zwanzigflächner in der Kristallwelt unmöglich? (16 Abb.) S. 304. — Kleinere Mitteilungen : Haenel, Zur physiologischen Mechanik der Wünschelrute. S. 313. Graf Klinckowstroem, Nachbemerkung. S. 314. F.W.Neger, VieTraumSimisüe des Geraiiiiim ivier/iamiw. S. 314. L. H. Epstein , Geologischesaus der näheren und weiteren Umgebung von Montreux (Waadt). S. 315. — Bücherbesprechungen: Richard Meyer, Victor Meyer, Leben und Wirken eines deutschen Chemikers und Naturforschers 184S— 1897- S. 317. Dr. Arvo Vlppö, Pii-Tabellen. S. 317. R. Heß, Der Forstschutz. S. 318. R. Bied ermann , Die Sprengstoffe. S. 318. J. K. Kreibig, Die Sinne des Menschen. S. 31S. William Ramsay und George Rudorf, Die Edel- gase. S. 219. F. A. Schulze, Große Physiker. S. 320. — Litetatur: Liste. S. 320. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. PStz'schen Buclulr. Lippert & Co. G. m. h. H , Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. der ganzen Folge 17. Band; Reihe ^^. Band. Sonntag, den 9. Juni 1918. Nummer 3B. Die Brown'sche Bewegung. Von Dr. K. Schutt, Hamburg. Mit 4 Abbildungen im Text. Löst man Mastix in Alkohol auf und gießt einige Tropfen der Lösung in Wasser, dann bildet sich eine milchig trübe Flüssigkeit, die im durchfallenden Lichte rötlich, im auffallenden bläulich aussieht. Während das Lösungsmittel des Mastix, der Alkohol, sich in Wasser auflöst, ist der Mastix selber unlöslich; er scheidet sich daher in Form sehr feiner Kügelchen im Wasser aus und bildet eine Suspension oder Emulsion. Etwas ähnliches sehen wir in der Milch vor uns, nämlich kleinste Fetttröpfchen in feinster Verteilung in Wasser. Betrachtet man die Mastix-Suspension durch ein hinreichend ver- größerndes Mikroskop, am besten mit Dunkelfeld- beleuchtung, dann nimmt man die einzelnen Mastixkügelchen wahr und zwar bemerkt man zu seiner Überraschung, daß sie in äußerst leb- hafter Bewegung sind. Die Bewegung ist dabei ganz unregelmäßig; verfolgt man längere Zeit ein bestimmtes Teilchen, dann beschreibt es eine regellose Zickzackbahn. Diese Erscheinung ist vor etwa 90 Jahren (1827) von dem englischen Botaniker Brown zuerst beobachtet worden und nach ihm Brown'sche Bewegung genannt worden. Weitere Untersuchungen haben ergeben, daß man an jeder Suspension, die hinreichend fein ist (die Teilchen dürfen nicht größer als etwa 5/z = 0,005 mm sein) und in jedem Suspensions- mittel die Erscheinung beobachten kann; auch an kleinen in Gasen schwebenden Teilchen ist sie zu sehen. Die Bewegung ist um so lebhafter, je kleiner die suspendierten Teilchen und je geringer die Reibung der Flüssigkeit ist. Die Teilchen kommen nie zur Ruhe, die Bewegung ist ewig und selbsttätig. Die Erklärung der Bewegung liefert uns die mechanische Wärmetheorie. Nach ihr ist Wärme nichts anderes als lebhafte Bewegung der Moleküle. Wenn sich ein Wagen auf horizontaler Bahn fortbewegt, dann kommt die Bewegung wegen der Reibung zum Stillstand. Damit der Wagen in Bewegung bleibt, muß auf ihn eine Zugkraft wirken. Die Arbeit, welche diese leistet, setzt sich in Wärme um und zwar entsteht für je 427 Meter-Kilogramm eine große Kalorie (mechanisches Wärmeäquivalent). Nach der mechanischen Wärmetheorie ist die ent- standene Bewegung des Wagens als ganzen in eine Bewegung der Moleküle übergegangen durch den Vorgang der Reibung. Aus sichtbarer Bewegung der ganzen Masse ist unsichtbare Bewegung seiner kleinsten Teile geworden. Die von Maxwell und Clausius begründete kinetische Theorie der Gase sagt uns für den gasförmigen Zustand Näheres über die Art der Wärmebewegung: die Moleküle, die durch weite Zwischenräume von- einander getrennt sind, bewegen sich mit allen möglichen Geschwindigkeiten vollkommen regel- los geradlinig durcheinander. Stoßen zwei Mole- küle zusammen, dann prallen sie ähnlich wie zwei Billardkugeln voneinander ab. Der Druck des Gases kommt durch den Anprall der Moleküle gegen die Wandungen des Gefäßes zustande. Kühlt das Gas sich ab, dann nimmt die Ge- schwindigkeit und damit der Druck des Gases ab; bei — 273" Celsius, dem absoluten Nullpunkt der Temperatur, sind die Moleküle in Ruhe. Die mittlere Geschwindigkeit der Luftmoleküle beträgt bei Zimmertemperatur etwa 500 m/sek., für 'V\'asser- stoft' ist sie rund viermal so groß. Wenn auch die kinetische Theorie des flüssigen und festen Zustandes wegen der ungleich verwickeiteren Ver- hältnisse nicht in dem Maße ausgebildet ist wie für die Gase, so darf man doch auch hier an- nehmen, daß Wärme in einer Bewegung der Mole- küle besteht. Die Ruhe der uns umgebenden Körper ist also eine Täuschung; in ^^'irklichkeit ist sie ein Zustand heftiger ungeordneter Be- wegung, die wir nicht sehen können, weil die Moleküle zu klein sind und weil keine Bewegungs- richtung bevorzugt ist. In der Brown' sehen Bewegung wird uns die Wärmebewegung mittelbar sichtbar gemacht. Stellen wir uns einen Schwärm Ameisen vor, die alle regellos durcheinanderlaufen. Betrachten wir ihn aus so großer Höhe, daß wir die einzelne Ameise nicht mehr wahrnehmen können, dann erscheint uns der ganze Schwärm als ruhender dunkler Fleck auf dem hellen Sandboden. In dem Haufen liege ein Korken, der so groß sein möge, daß wir ihn deutlich sehen. Die Ameisen wollen ihn fortschaffen, eine ganze Reihe hat ihn gepackt und zerrt an ihm, so daß er sich bald nach dieser, bald nach jener Richtung bewegt. Seine Be- wegung spiegelt abgeschwächt die Be- wegung derAmeisen wieder. Der Korken entspricht dem im Mikroskop sichtbaren Mastix- kügelchen, die Ameisen den unsichtbaren, sich regellos durcheinander bewegenden Molekülen. Einige derselben prallen gegen das Kügelchen, die Folge ist eine Bewegung in einer bestimmten Richtung, die wegen der großen Masse des Teil- chens im Vergleich zu den sehr viel kleineren Molekülen wesentlich langsamer erfolgt. Im nächsten Augenblick erfolgt ein Stoß von einer anderen Seite usf. Es resultiert eine Bewegung, 322 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII Nr. 23 die ein Abbild der Molekularbewegung ist. Je kleiner das suspendierte Teilchen ist, desto leb- hafter wird seine Bewegung sein. Daß größere Teilchen (> 5/«) die Bewegung überhaupt nicht zeigen, erklärt sich auf folgende Weise: ein großes Kügelchen wird gleichzeitig von sehr vielen Mole- külen getroffen, und es ist um so wahrscheinlicher, daß die Stöße sich gegenseitig aufheben, je größer das Teilchen ist. Je kleiner dasselbe dagegen ist, um so eher wird sich ein Überschuß an Ge- schwindigkeit in irgendeiner Richtung ergeben. Weiter kommt hinzu, daß bei großer Teilchen- masse durch den Stoß eine nicht wahrnehmbare Verschiebung erzeugt wird. Die Brown'sche 2' ■ : A / ^ ^"^ " '^^-^4'^'^^ \ /4k^C{' d \ 1 rflf ^ Y M h\ \^ --. -A iy ^^ 7 j^'^i j - ±t ^ -\,V -^ t^ v^P A \ ' ^ \ -^ \^ \j - ^-"^^ -X ^ 35 ^P) '^z: ^s3^^ 7 iri ~^^ T^ -^^ ^f x^^^ L . V V- fet X ^^^# fr /% ^^__ --\^P-\l\-'/-^^^-:2^-- ^ X Bewegung kann also als experimenteller Nachweis für die kinetische Theorie der Wärme angesehen werden. Einen Begriff von der Brown' sehen Bewegung gibt Abb. I, die wie die folgenden aus einer Arbeit von J. Perrin stammt. Ein Mastix- kügelchen von 0,35 ß Durchmesser wird unter dem Mikroskop beobachtet und sein Ort alle 30 Sekunden in ein rechtwinkliges Koordinaten- system eingetragen, in dem 16 Teilstriche 50 ^m ent- sprechen. Die Abbildung zeigt die Verschiebungen von 3 verschiedenen Teilchen; die Punkte geben die jeweiligen Lagen an. Man darf nun nicht etwa glauben, daß die Geraden zwischen den Punkten die wirklichen Bahnen in den 30 Sekunden darstellen. Diese sind vielmehr wesentlich kom- plizierter; würde man in kürzeren Zeitabschnitten — etwa einer Sekunde — die Lagen des Teilchens einzeichnen, dann würde man zwischen zwei Punkten unserer Abbildung wieder einen 30 fach gebrochenen, ganz unregelmäßigen Linienzug er- halten. Die kleinen geradlinigen Stücke desselben wären wieder nicht die wirklichen Bahnen; eine weitere Verkleinerung der Zeitabschnitte würde vielmehr zu immer feineren Zickzacklinien führen. Daraus geht hervor, daß die Bewegung, sowohl was Richtung als auch Geschwindigkeit anbetrifift, absolut unregelmäßig ist. A. Einstein (1905), dem wir die Theorie der Bewegung verdanken, betrachtet die Ver- schiebung, die das Teilchen in einer bestimmten Zeit erfährt (Abb. i zeigt dieselbe für Zeitabschnitte von 30 Sekunden), und zwar nennt er ihre Pro- jektion auf die Horizontale die horizontale Ver- schiebung X. Es läßt sich nun zeigen, daß das Quadrat der mittleren Verschiebung X der Zeit proportional ist, also (I.) ~ = Konst. Dieser Quotient ist um so größer, je schneller das Teilchen sich bewegt, er charakterisiert also die Lebhaftigkeit der Bewegung. Da sich die suspendierten Teilchen in ähnlicher Weise bewegen wie Flüssigkeitsmoleküle, so diffun- dieren sie auch; wenn man also über eine Suspension reines Wasser schichtet, dann dringen die suspendierten Teilchen in das Wasser ein und zwar allem Anschein nach um so schneller, je größer ihre Lebhaftigkeit ist. Es ergibt sich, daß X" (2.) ^ = 2 D ist, wo D der Diffusions- koeffizient ist. Die weitere Untersuchung ergibt, daß für den Fall, daß die Teilchen Kugeln vom Radius r sind und in ihrer Bewegung durch die Flüssigkeit dem S t o k e s ' sehen Gesetz unterliegen, (?.) D= V, • ^ ist, wo R die Gas- konstante, T die absolute Temperatur, N die Avo- gadrosche Zahl, d. h. die Anzahl der Moleküle im Mol und z die Reibungskonstante der Flüssigkeit bedeutet. Als Endformel erhält Einstein für die Beweglichkeit die Gleichung *) X-_R-T j^ ^"^'^ t N ■ 37rr-z' Es liegt die Annahme zugrunde, daß die mittlere Energie eines suspendierten Teilchens ebenso groß ist (nämlich - ,,,-) wie die eines Gasmoleküls bei ^ 2 N / derselben Temperatur. Durch experimentelleUntersuchungen, die haupt- sächlich von französischen Physikern stammen, ist ihreRichtigkeit nachgewiesen. Besonders anschaulich ') Der kürzlich verstorbene Physiker Smoluchowski (Krakau) kommt 1S96 auf Grund ähnlicher Überlegung zu einer Formel, die sich lediglich durch einen Zahlenfaktor von der Eins te i n' sehen unterscheidet; und ihm kommt also ebenso wie Einstein das Verdienst zu, die richtige Formel aufgestellt zu haben. N. F. XVII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 323 wird die volll . i Abb, 3. Abb. 4. J. Perrin findet dasselbe Gesetz für das sta- tistische Gleichgewicht von Emulsionen und zwar auf Grund folgender Überlegungen: Nach van t'Hoff gelten die Gasgesetze auch für verdünnte Lösungen. Die Moleküle einer Zuckerlösung üben auf dieWandung einer halbdurch- lässigen Membran, welche sie wegen ihrer Größe nicht passieren können (die Wassermoleküle können dagegen hindurch), einenDruck aus, den sogenannten osmotischen Druck. Dieser hängt ebenso wie bei den Gasen nur von der Anzahl der Mole küle, nicht aber von ihrer chemischen Natur ab Er steigt ebenso wie der Gasdruck mit wachsen der Temperatur und mit zunehmender Konzen tration (die Konzentration eines Gases ist große: weim sein Volumen klein ist). Nach der kineti- schen Theorie der Wärme erklärt sich der osmo- tische Druck durch den einseitigen Stoß der be- wegten Lösungsmoleküle auf die für sie undurch- lässige Wandung, während die Wassermoleküle wegen ihrer Kleinheit die Membran passieren können. Da nun, wie schon gesagt, der osmotische Druck nur von der Zahl, nicht aber von der Größe der gelösten Molekeln abhängt, so liegt die A n - nähme nahe, daß die Gasgesetze auch für größere, sichtbare Teilchen, also für Emulsionen, gelten. Diese Annahme ist plausibel, da ja die Brown 'sehe Bewegung der suspendierten Teilchen mit der Molekularbewegung Ähnlichkeit hat. Was ihnen an Geschwindigkeit fehlt, das ersetzen sie durch ihre größere Masse gegenüber den Molekülen. Unter der V^oraus- setzung, daß die Teilchen alle gleichartig sind, findet man für die Emulsion das gleiche Ge- setz für die Verdünnung mit zunehmen- der Höhe, wie es auch für die Atmo- sphäre*) gilt. Hat die Emulsion den Gleich- gewichtszustand erreicht, in dem der Ausgleich zwischen der Schwere und der Brown'schen Be- wegung eingetreten ist, dann müssen gleichen Höhenunterschieden gleiche Verdünnungen ent- sprechen. Da aber das scheinbare Gewicht eines Teilchens der Emulsion etwa 100 000 000 mal i:;rößer ist als das eines Sauerstoffmoleküls, ist die 1 li)he h, um die man in der Emulsion nach oben steigen muß, damit die Verdünnung um die Hälfte sinkt, etwa loooooooo mal so klein als beim 0-1 5 km I Sauerstoff, also ^ = mm. 100 000 000 20 Zur experimentellen Prüfung wurde von J. Perrin die schon erwähnte Emulsion benutzt, die aus Mastikkugeln von gleicher Größe bestand. Ein Tröpfchen derselben wird zu dem Zweck in eine Z ei ß' sehe Zelle, wie sie zur Zählung der Blutkörperchen benutzt wird, gebracht und durch ein horizontal liegendes Mikroskop beobachtet. Durch Anbringen einer geeigneten Blende in der Brennpunktsebene des Okulars wird das Gesichts- feld so weit verkleinert, daß das Auge gleichzeitig alle vorhandenen Teilchen (bis zu 5 oder 6) über- sehen und zählen kann. Durch eine rotierende Blende, die mit einem Ausschnitt versehen ist, wird das Gesichtsfeld durch das die Emulsiori beleuchtende Strahlenbüschel in regelmäßigen Ab- ständen auf kurze Zeit beleuchtet; während dieser ') Für diese ergibt sich durch Integration V dp N-m-g-d ' p^ KT M-g-h Die nel für die Emulsion lautet die barometrische Höhenformel In — ^ In — : — p n RT N-m/ ä\ . n„ R^rV-^Jr- n ist das Verhältnis der Molekül- bzw. Teilchenzahlen in um die Höhe h verschiedenen Schichten, N die Avogadrosche Zahl, ra die Masse des Teilchen ; R ist die Gaskonslante, T die absolute Temperatur, g die Beschleunigung der Schwere, J die Dichte der Substanz, aus der die Teilchen bestehen, iV die Dichte der Substanz zwischen den Teilchen. In bedeutet den natürlichen Logarithmus. N. F. XVn. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 32s Zeit werden die Teilchen gezählt. Infolge der Unregelmäßigkeit der Brown 'sehen Bewegung ersetzen etwa 200. derartige Ablesungen eine Momentphotographie eines 200 mal größeren Gesichtsfeldes. Verschiebt man das Mikroskop um eine bestimmte kleine Strecke nach oben, dann kann man auf die gleiche Weise hier die Konzentration n der Teilchen messen. Bestimmt man kurz nach dem Hineinfüllen in die Zelle das entfernten Schichten, dann ist dieses zunächst nahezu i. Mit der Zeit nehmen die Teilchen ihre Gleichgewichtslage an; das Verhältnis "^" wird größer und strebt einem Grenzwerte zu, der nach etwa einer Stunde erreicht ist, und sich nun nicht mehr ändert ; noch nach Wochen war er derselbe. Die Teilchen sinken also nicht zu Boden, wie man vielleicht erwarten könnte. Jede Störung des Gleichgewichts etwa durch Abkühlung, welche eine Anreicherung der tieferen Schicht nach sich zieht, verschwindet nach einiger Zeit wieder, um dem ursprünglichen Gleichgewichtszustande Platz zu machen; von diesem gibt Abb. 4 eine Vor- stellung. In einem Troge von iio,n=0,li mm Tiefe werden an Teilchen von 0,3 u Durchmesser in fünf Schichten, die um je 25 /* übereinander liegen, folgende Teilchenzahlen bestimmt: 100 85 73 58 50. . . , . Die Zahlen stimmen nahezu mit folgenden eine geometrische Reihe bildenden Zahlen über- ein : 100 84 71 59 50- Aus Momentphotographien, die im Abstände von je 6 n an einer aus größeren Teilchen be- stehenden Emulsion gewonnen wurden, konnte man folgende Zahlen gewinnen: 1880 940 530 305, die der geometrischen Reihe 1880 995 52S 280 sehr nahe kommen. Hiernach kann wohl kein Zweifel bestehen, daß die Gasgesetze auch für große Teilchen einer Emulsion gelten, welche die Brown'sche Bewegung zeigen, daß ein wirklicher Unterschied in bezug aufdie Verteilung zwischen den unsichtbaren Molekülen des Gases und den sicht- baren durch dieTeilchen der Emulsion dargestellten Molekülen nicht besteht. Eine Emulsion stellt also eine aus sehr großen, bereits sichtbaren Molekülen bestehende Atmo- sphäre dar, bei der die Verdünnung sich sehr rasch ändert. Ein Grammolekül dieser großen Moleküle würde etwa 100 000 Tonnen wiegen, während ein Mol Wasserstoff oder Sauerstoff ein Gewicht von 2 bzw. 16 g hat. Mit Hilfe der in der Fußnote angeführten Formel läßt sich aus den an der Emulsion an- geführten Messungen ebenfalls die Avogadrosche Zahl N bestimmen. Man findet in guter Über- einstimmung mit den aus der Brown'schen Be- wegung und auf andere Weise ermittelten Werten 68 • IG--. Durch diese Versuche, welche uns die Bewegung der Moleküle vor Augen führen, wird erwiesen, daß die Moleküle tatsächlich vorhanden sind. Die Atom- und Molekulartheorie ist durch diese Erscheinungen und eine Reihe anderer, die aus anderen Gebieten der Physik stammen, als richtig erwiesen. Man könnte geneigt sein, die Analogie zwischen Lösungen und Suspension noch weiter zu führen. Bekanntlich wird der Gefrierpunkt des Wassers erniedrigt, wenn man eine Substanz im Wasser auflöst, und zwar ist diese Erniedrigung nach Raoult's Versuchen (1884) nur abhängig von der Zahl der gelösten Moleküle, nicht von ihrer chemischen Beschaffenheit; das Produkt aus dem Molekulargewicht M des gelösten Körpers und der Gefrierpunktserniedrigung t ist eine Konstante C des Lösungsmittels. Man könnte auf den Gedanken kommen, durch Bestimmung der Gefrierpunktser- niedrigung einer Emulsion das „Molekulargewicht" ihrer Teilchen zu bestimmen. Das ist indessen ganz aussichtslos, da das M sehr groß und daher wegen der Gleichung M-t = C die Erniedrigung des Gefrierpunkts unmeßbar klein ist. Schon bei großen organischen Molekülen, z. B. Eiweiß, macht es große Schwierigkeiten, aus der Gefrierpunkts- depression das Molekulargewicht zu bestimmen. Überhaupt darf man die Analogie zwischen Gas- molekülen und suspendierten Teilchen nicht zu weit treiben, da die .Art der Bewegung: beider doch verschieden ist. Benachbarte Gasmoleküle wirken nur aufeinander, wenn sie zusammen- stoßen; die sich bewegenden Emulsionsteilchen dagegen wirken infolge der Anwesenheit des flüssigen Zwischenmediums aufeinander, indem sie hydrodynamische Fernkräfte aufeinander ausüben. Literaturhinweis. 1) J. Perriu, Die Beweise für die wahre Existenz der Moleküle in Die Theorie der Strahlung und der Quanten (Solvay-Kongreß) S. 125— 207. Leipzig 1914. 2) J. Perrin, Die Atome. Dresden u. Leipzig 1914. 3) G. L. de Haas-Lorentz, Die Brown'sche Bewegung und einige verwandte Erscheinungen. 41 M. V. Smolucho wski, Experimentell nachweisbare, der üblichen Thermodynamik widersprechende Molekular- phänomen. In d. Physika!. Zeitschr. XIII (1912) 1069 (Vor- trag auf der 84. Naturforscherversammlung in Münster). " 5) Th. Svedberg, Die Existenz der Moleküle. Leipzig 1912. Die in dem Bericht enthaltenen Abbildungen sind der unter I angeführten Arbeit von J. Perrin entnommen. 326 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 23 Planet 1918DB, ein merkwürdiges neues Glied des Sonnensystems. Von C. Hoffmeister, Bamberg. [Nachdruck verboten.] Mit I Abbildung im Text. Die Mehrzahl der Leser wird im Februar dieses Jahres durch die Tageszeitungen von der Auffindung eines beachtenswerten kleinen Planeten durch Geheimrat Wolf in Heidelberg unterrichtet worden sein. Die Entdeckungsgeschichte des neuen Gestirns sei daher nur kurz wiederholt. Am 5. Februar verbreitete die Astronomische Zentralstelle in Kiel an die Sternwarte telegraphisch zwei am ^. und 4. Februar in Heidelberg be- obachtete Orter eines Himmelskörpers der Stern- größe 11,5, der als „Objekt Wolf" bezeichnet war. Der Sinn der Drahtnachricht ließ erkennen, daß es sich um photographische Beobachtungen handelte und daß über die Natur des neuen Gestirns offen- bar zunächst Unklarheit bestand, insbesondere, daß keine Entscheidung darüber möglich war, ob der Himmelskörper als Komet oder Planet angesehen werden müsse. Trotzdem er sich nämlich außer- halb der Erdbahn in einer Gegend befand, die von der sog. Oppositionsgegend, d. h. der Umgebung des Gegenpunktes der Sonne, nicht allzu weit entfernt war, zeichnete er sich durch die rasche rechtläufige Bewegung von fast i" täglich aus, während die kleinen Planeten in dieser Lage mit verschwindenden Ausnahmen rückläufig sind. Dieser Umstand sprach für eine stark exzentrische Bahn und damit für die Kometennatur. Die Unter- suchung des Gestirns an großen Fernrohren ergab dagegen vollkommen sternartigen Anblick, ohne daß auch nur die leichteste Spur eines Schweifes oder einer Nebelhülle zu erkennen gewesen wäre. Ein vom Verfasser berechneter Bahnentwurf, der sich auf drei nur genähert angegebene und nur um je I Tag auseinanderliegende Örter stützte, wurde zwar später als stark von der Wirklichkeit abweichend erkannt, bildete aber doch den Anlaß, daß das Gestirn in den nächsten Tagen auf . mehreren Sternwarten aufgesucht und beobachtet wurde. Dies ist bei einem lichtschwachen Planeten nicht ganz leicht zu bewerstelligen. Falls nicht starke photographische Instrumente zur Verfügung stehen, so ist die Aufsuchung der Beobachtung schwierigster Teil, da es bei dem Fehlen geeig- neter Karten nicht möglich ist, zu entscheiden, welches der zahlreichen, in der Nähe des be- rechneten Ortes stehenden Sternchen der gesuchte Himmelskörper ist. Erst bei wiederholter Ver- gleichung der gegenseitigen Lage verrät sich dieser durch seine Bewegung und kann dann an einem benachbarten, seinem Ort nach bekannten Fix- stern mikrometrisch angeschlossen werden. Es sei nebenbei erwähnt, daß ein großer Teil des Himmels bereits auf photographischen Sternkarten dargestellt ist, die in besonders zweckentsprechen- der Form für den Gebrauch am Fernrohr von Wolf in Heidelberg und Palisa in Wien heraus- gegeben werden. Liegt der Ort eines aufzusuchenden kleinen Planeten innerhalb einer solchen Karte, so ist die Arbeit sehr erleichtert. Dies war aber diesmal nicht der Fall. Mit Hilfe verbesserter Beobachtungen wurde dann auch eine neue Bahn des Wolf 'sehen Ge- stirns berechnet, gleichzeitig von Prof. Kobold in Kiel und vom Verfasser, die beide ein nahe über- einstimmendes Ergebnis erhielten, nach welchem das Gestirn Anfang Januar durch seine Sonnen- nähe gegangen war und der Erde lange Zeit recht nahe gestanden hatte. Beide Berechner sahen die Bahn als Parabel an, wie es bei Kometen in erster Näherung stets geschieht und erzielten damit auch eine befriedigende Darstellung des weiteren Laufes. Die erste Bahnberechnung ohne eine Voraus- setzung bezüglich der Exzentrizität wurde alsbald von Prof. Cohn am Königlichen Astronomischen Recheninstitut in Berlin-Dahlem vorgenommen und gab auch Aufschluß über die Natur des Gestirns. Es ergab sich nämlich eine Ellipse, weit ähn- licher einer Planeten- als einer Kometenbahn, so daß das neue Gestirn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als kleiner Planet anzusehen ist und auch entsprechend mit Jahreszahl und Buchstaben benannt wurde; 1918DB. Diese vor- läufige Bezeichnung wird erst dann durch die endgültige Nummer ersetzt, wenn das Gestirn rechnerisch so gesichert ist, daß die spätere Wieder- auffindung möglich erscheirt. Ob dies im vor- liegenden Falle möglich ist, muß bezweifelt werden. Jene Wolf'sche Entdeckungsbeobachtung vom 3. Februar war nicht die erste Beobachtung über- haupt. Auf einer Heidelberger Aufnahme vom 3. Jaiuiar fand sich nahe am Rande die Spur eines N. F. XVn. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 3^7 rasch bewegten Gestirns 11. Größe, das damals, trotzdem danach gesucht wurde, nicht wieder ge- funden werden konnte, weil man es in Heidelberg als rückläufig angesehen hatte und demgemäß in einer falschen Gegend danach suchte. Durch die angeführten Bahnbestimmungen ist es nunmehr sicher erwiesen, daß auch diese Beobachtung den späteren Planeten 1918 DB zugehört. Er ging damals gerade durch seine Sonnennähe und hatte auch nahezu seinen geringsten Abstand von der Erde mit etwa 0,2 Erdbahnhalbmessern. Die Entdeckung eines neuen kleinen Planeten ist an sich kein besonderes Ereignis. Man kennt deren bereits mehr als 900 — das letzte, vom kgl. Recheninstitut herausgegebene Verzeichnis enthält 876 mit Nummern versehene und 73 unter ihren vorläufigen Bezeichnungen — , und alljährlich kommen viele neue hinzu, die der Mehrzahl nach in Heidelberg auf photographischem Wege ge- funden werden. Die Bedeutung des neuen Fundes besteht indessen darin, daß der Planet 191 8 DB der Erde außerordentlich nahe kommen kann und daß ein großer Teil der sehr exzentrischen Bahn innerhalb der Marsbahn liegt. Nach seiner Stellung im Planetoidenring ist der Planet also der Er OS- Klasse zuzuzählen, deren erster Ver- treter, der Planet 433 Eros, im Jahre 1901 von Witt in Berlin entdeckt wurde. Ein weiteres Glied konnte im Herbst 191 1 Palisa in Wien hinzufügen. Auch dieser Planet bewegt sich in einer stark exzentrischen Bahn und kann der Erde fast so nahe kommen wie Eros. Leider konnte er nach seiner Auffindung nur kurze Zeit verfolgt werden, so daß auch die Bahn noch unsicher ist und eineVorausberechnung späterer Erscheinungen nicht möglich sein wird. Der Planet trägt deshalb auch heute noch seine vorläufige Bezeichnung 1911 MT. Nun begegnet uns mit 1918 DB das dritte Glied dieser Gruppe, und es eröffnet sich damit die Aussicht, daß noch weitere ähnliche Angehörige unseres Sonnensystems gefunden werden können. Auch die Bahn des neuen Planeten ist sehr stark exzentrisch und erinnert schon an die Bahnen mancher periodischer Kometen. Die nebenstehende Figur stellt die Bahnen der bisher bekannten Planeten der Eros-Klasse in ihrer Lage gegen die Bahnen der Erde und des Mars dar. Das folgende Täfelchen enthält einige nähere Angaben zur Kennzeichnung der Besonderheiten dieser Ellipsen : a e D d i Mars 1,524 0,093 1,67 1,38 i^Si' 433 Eros 1,458 0,223 1,78 1,13 1050 191 iMT 1,908 0,3^3 2,65 1,16 838 1918DB 2,314 0,494 3.46 1,17 834 a = halbe große Achse der Bahn in Teilen des Erdbahnhalbmessers e = Exzentrizität D = größter Abstand 1 von der Sonne ) Erdbahnhalbmessser d ^ kleinsterAbstand | als Einheit von der Sonne I i = Neigung der Bahn gegen die Ekliptik. Die kosmologische Bedeutung dieser Welt- körper, wie der kleinen Planeten überhaupt, ist noch zweifelhaft. Die starken Exzentrizitäten stehen nicht vereinzelt da und finden sich auch bei einigen anderen kleinen Planeten, deren Bahnen aber wegen ihrer größeren Halbachsen den Raum innerhalb der Marsbahn nicht berühren, sondern ganz in der eigentlichen Planetoidenzone zwischen Mars und Jupiter verlaufen. Vielleicht nicht mit Unrecht nimmt man einen gemeinsamen Ursprung der kleinen Planeten an, ob durch Zertrümmerung eines größeren Körpers oder auf andere Art, sei dahingestellt. Die Ausdehnung der Zone der Planetoiden nach innen bis zur Erdbahn wider- spricht dieser Ansicht nicht, denn man hat noch keinen Planeten gefunden, der sich völlig innerhalb der Marsbahn bewegt. Auch kann die starke Exzentrizität eine erst später durch Störungen hervorgebrachte Eigentümlichkeit jener Bahnen sein. Schwieriger ist es schon, die große Aus- dehnung des Planetoidenrings auf die angegebene Art zu erklären, denn es sind auch schon einige Planeten bekannt geworden, deren Bahnen noch ein wenig über die Bahn des Jupiter hinausreichen. Allenfalls kann man wohl sagen, daß die Auf- findung neuer Glieder der Eros-Klasse an unseren bisherigen Ansichten bezüglich der Gesamtheit der kleinen Planeten nicht viel zu ändern vermag. Eine besondere Bedeutung kam dem Eros insofern zu, als er uns ein Mittel in die Hand gab, die Sonnenparallaxe mit großer Sicherheit zu bestimmen, da er uns näherkommt, als irgend- ein anderer Planet. Auch die beiden anderen Angehörigen der Eros-Klasse würden sich für diesen Zweck an sich gut eignen, sind aber zu lichtschwacli, um allgemein mit der erforderlichen Schärfe beobachtet werden zu können. Es möchte auf den ersten Blick befremdend erscheinen, daß diese Körper sich solange unserer Kenntnis entziehen konnten. Auch dies ist in- dessen eine Folge der starken Exzentrizität ihrer Bahnen, die sie nur in großen Zwischenzeiten der Erde wirklich so nahe kommen läßt, daß sie in den Bereich unserer Instrumente eintreten. Beim Eros kommt noch in Betracht, daß während der günstigsten Stellung sein Lauf durch sehr nörd- liche Sternbilder führt, wo man in früheren Jahren nie einen solchen Planeten vermutete. Auch die Mehrzahl der anderen kleinen Planeten kann nur in der Nähe der Opposition beobachtet werden, d. h. wenn sie der Sonne am Himmel gegenüber- stehen und ihre geringste Entfernung von der Erde erreichen. Bei den stark exzentrischen Bahnen unterliegt diese Entfernung und damit die scheinbare Helligkeit des Planeten indessen ge- waltigen Schwankungen, und da jene Weltkörper, die wohl nur wenige Kilometer im Durchmesser haben, auch in größter Erdnähe an sich recht lichtschwach sind — abgesehen vom Eros — , so sind ausschließlich diePerihel-Oppositionen zu ihrer Auffindung und Beobachtung geeignet, jene Oppositionen also, während welcher der 328 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 23 Planet gleichzeitig seine Sonnennähe durchläuft. Je nach dem gegenseitigen Verhältnis der Um- laufszeiten von Erde und Planet kann dann bis zur nächsten Perihel-Opposition eine lange Zeit verstreichen, und da jene kleinen Körper inzwischen meist sehr starken Störungen durch die großen Planeten unterworfen sind, so ist es außerordentlich schwer, diesen großen zeitlichen Zwischenraum rechnerisch zu überbrücken und für spätere Er- scheinungen eine die Wiederauffindung ermög- lichende Ephemeride herzustellen; denn die aus den Beobachtungen einer einzigen Opposition ab- geleiteten Bahnen, die sich bei so lichtschwachen Gestirnen nur auf einen kurzen heliozentrischen Bogen stützen können, sind meist noch mit be- trächtlichen Unsicherheiten behaftet. Aus diesem Grunde ist es auch zweifelhaft, ob der neue Planet 191 8 DB bereits jetzt endgültig unserer Kenntnis erhalten bleibt, oder das Schicksal seines Vor- gängers 191 1 IVIT zu teilen bestimmt ist, trotzdem die Beobachter es an nichts fehlen ließen, um die Entdeckung zu sichern. Wahrscheinlich wird die spätere Wiederauffindung dem Zufall anheim- gestellt werden müssen. Einzelberichte. Astronomie. Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie nennt Einstein einen Aufsatz in den Sitzungsber. der Akad. d. Wiss. Berlin 191 7 S. 142. Es ist sehr merk- würdig, daß die wichtigsten praktischen Anwen- dungen des Relativitätsprinzipes gerade auf dem Gebiete der Astronomie erfolgt sind. Zuerst die Erklärung der bis dahin rätselhaften und nur un- befriedigend erklärten Störung des Merkurperihels, als eines notwendigen Ausflusses aus der Definition der Schwere, und nun eine Erörterung über die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit des Universums. Ganz allgemein betrachtet führt die Beantwortung der Frage nach der theoretisch möglichen Struktur des kosmischen Gravitations- feldes zu prinzipiellen Schwierigkeiten. Wenn man aber in die Feldgleichung der Gravitation eine hypothetische Erweiterung einführt, die aber mit den im Sonnensystem aus der Beobachtung gewonnenen Tatsachen im Einklang steht, dann gelingt es, eine befriedigende Lösung zu geben. Wir erkennen dann die Welt als ein nach seinen räumlichen Erstreckungen geschlossenes Konti- nuum, welches die Gesamtmasse der Welt in sich birgt, und diese Masse ist endlich. Aus der Tatsache der kleinen Geschwindigkeiten der Sterne folgt eine quasistatische Verteilung der Materie, und je nach Maßgabe der Verteilung der Materie ist der Krümmungscharakter des Raumes örtlich und zeitlich variabel, nähert sich aber im allge- meinen einem sphärischen Räume. Einstein hält diese Lösung für logisch widerspruchsfrei und vom Standpunkte der allgemeinen Relativitäts- theorie für die nächstliegende, will aber noch nicht gleichzeitig untersuchen, wieweit sie sich mit dem gegenwärtigen Stande unseres astronomischen Wissens verträgt. Man kann aber sagen, daß gegenwärtig nach den Arbeiten von Charlier, S e e 1 i g e r und anderen wohl ziemlich allgemein die Anschauung herrscht, daß unsere Weltinsel ein endliches, räumlich abgeschlossenes Ganze bildet, das in einen sphäroidischen Raum ein- geschlossen ist. Riem. Eine sehr wertvolle Bereicherung unserer Kenntnis des Sonnensystems ist die von Wolf in Heidelberg photographisch gemachte Entdeckung eines kleinen Planeten am 3. Januar, der einst- weilen die Bezeichnung 1918 DB erhalten hat. Schon auf der Entdeckungsplatte zog er einen auffallend langen St rieh, und zwar in entgegen- gesetzter Richtung, wie sonst die Planetoiden es tun. Daraus ging hervor, daß der Körper uns auffallend nahe sein müsse und sich sehr schnell bewege. Weitere Beobachtungen haben dann die Richtigkeit dieser Annahme bewiesen, denn nach den Rechnungen von Dr. Stracke am astro- nomischen Recheninstitut war die Entfernung des Körpers nur '/-, der Sonnenentfernung, weiter war die Exzentrizität der Bahn ungeheuer groß, = 0,53, also eine kometenartige Bahn. Er befand sich zurzeit in der Opposition und gleich- zeitig im Perihel, daher die riesige Bewegung. Der große Wert dieser Entdeckung liegt in zwei Dingen. Zunächst sehen wir, daß der Planet Eros nicht der einzige ist, der in einer so stark elliptischen Bahn läuft, daß er der Erde so sehr nahe kommen kann. Es gibt hier also offenbar eine Gruppe, von der wir noch einen dritten, den Albert kennen, falls dieser wegen ungenügender Beobachtungen nicht verloren geht. Mehrfach sind noch unvollständige Beobachtungen von Planeten gelungen, die zu keiner Bahn gereicht haben, aber auch auf die Existenz solcher Glieder dieser erdnahen Körper schließen lassen. Wir haben dann den eigentlichen Ring mit seinen nächstens wohl 1000 Gliedern, und dann noch weiter draußen die in der Jupiterbahn wandelnden Achilles, Patroklos Hektor^ die vor allem theo- retisches Interesse haben. Jedenfalls sehen wir, daß wir noch weit davon entfernt sind, sagen zu können, daß wir eine vollständige Kenntnis der Glieder unseres Systems haben. Die Auffindung des Planeten DB war nämlich dadurch sensationell, daß Wolf berichtete, dieser Körper habe einen Begleiter, der nach mehreren Aufnahmen ihn etwa in 24 Stunden umkreise, jedenfalls deutlich eine zum Hauptkörper konkave Bahn zeige. N. F. XVII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 329 Dieser Körper ist auch noch anderswo gesehen worden, freilich nur anfangs, und jetzt ver- schwunden, so daß es sich vielleicht um einen neuen Planeten gehandelt hat, der noch schneller in seiner Bewegung ist, als der neue DB. Zurzeit ist er freilich als verloren anzusehen. Die zweite wichtige Sache ist der große Wert des Planeten für die Bestimmung der Sonnenparallaxe, für die schon Eros unschätzbar ist. Wir sind nun in der angenehmen Lage, zwei solcher Planeten zu be- sitzen, aus deren Beobachtung sich die astro- nomische Maßeinheit, die Entfernung Erde — Sonne immer genauer wird ableiten lassen. Riem. Zoologie. Das europäische Steinwild (Ibex europaeus L.) ist schon seit langem aus der Schweiz verschwunden und kommt nur noch in den ita- lienischen Alpen zwischen Savoyen und Piemont in einem Schonrevier des Königs von Italien auf freier Wildbahn vor. Über die erfolgreichen Be- strebungen des schweizerischen Vereins für Natur- schutz im Gluotzatal in Graubünden, die einhei- mische Fauna zu schützen, so daß vom Aussterben bedrohte Tierarten erhalten bleiben, wurde schon früher berichtet; wurde doch der braune Bär schon wieder im freien Revier getroffen. .Aber auch das seltenste Wild, der Steinbock, scheint in den Schweizer Alpen wieder heimisch zu werden. Be- richtet doch der Berner „Bund" (10. Febr. 1918): „Die vor wenigen Jahren aus dem Wildpark Peter und Paul in St. Gallen im Banngebiet der grauen Hörner ausgesetzten Steinböcke halten sich aus- gezeichnet und vermehren sich „programmgemäß". Die Kolonie dürfte über 20 Köpfe zählen. Dieser Tage beobachtete hinten im Weißtannental auf einer Höhe von über 2000 Metern der Wildhüter Hanselmann 13 Stück Steinböcke beisammen und unweit davon zwei Rudel Gemsen von zusammen über 80 Stück. Einzelne der Steinböcke sollen sich bereits zu großen, stark gehörnten Prachts- kerlen entwickelt haben, wie sie nur die Freiheit der Tiere hervorzubringen imstande ist." Kathariner. Neue Veröffentlichungen der Deuschen Gesell- schaft für angewandte Entomologie. IVIit 2 Abb. Entsprechend ihrer Aufgabe, unter anderem die wissenschaftliche Erforschung und Bekämpfung der wirtschaftlich schädlichen und der krankheits- übertragenden Insekten durchzuführen, hat die „Deutsche Gesellschaft für angewandte Entomolo- gie" es sich angelegen sein lassen, den vordring- lichsten Fragen der gegenwärtigen Schädlings- bekämpfung ihr Augenmerk zuzuwenden. Von den Flugschriften, Merkblättern und Wandtafeln, die sie herausgegeben hat, dürften am bekanntesten die über die Kleiderlaus geworden sein. Neuer- dings erscheinen auch , .Monographien zur ange- wandten Entomologie" als Beihefte zur Zeitschrift für angewandte Entomologie, von denen bis jetzt 2 vorliegen : Die erste beliandelt d i e B e 1 1 w a n z e (C i m e X 1 e c t u a r i u s L.), ihrLebenund ihre Bekämpfung von Prof. Dr. A. Hase, die andere die gemeine Stechfliege (Waden - Stecher), Untersuchungen über dieBio- logie von Stomoxys calcitrans L. von Prof. Dr. J. Wilhelmi, Berlin-Dahlem, beide im Verlag P. Parey, Berlin. Die wifch- tigsten Ergebnisse der Abhandlung von Hase sind in einem Merkblatt: „Die Bettwanze (C imex lectuarius L.), herausgegeben im Auf- trage der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie von Prof. Dr. A. Hase u n d D r. F. W i n t e r" niedergelegt und in einer Wandtafel verwertet. Die Zahl der Wandtafeln wird demnächst auf 5 ansteigen : Nr. i gibt die Kleiderlaus wieder, Nr. 2 die gewöhnliche Stubenfliege und gemeine Stechfliege, Nr. 3 die gemeine Stechmücke, Culex pipiens, Nr. 4 die Bettwanze, Cimex lectuarius L , Nr. 5 die Mehlmotte. Mit Recht betont Hase in dem Vorwort seiner Schrift über die Bettwanze: „Wenn wir jetzt den Kampf gegen die Schädlinge und die krankheits- übertragenden Parasiten in größerem Umfang auf- nehmen wollen und müssen, so ist die Grund- bedingung für den Erfolg, daß wir uns eine genaue Kenntnis des biologischen Verhaltens der zu be- kämpfenden Formen aneignen." Damit hat Hase den Grundsatz der modernen Schädlingsbekämpfung ausgesprochen, der ihr den Platz unter den anderen Zweigen der Wissenschaften gesichert hat. Wie in der Untersuchung über die Kleiderlaus behandelt Hase in der vorliegenden Schrift zu- nächst die Formeigentümlichkeiten der Geschlechter und Larven, die Eier und Eiablage, die Ent- wicklung und Entwicklungsdauer, die Eiproduktion, das .Ausschlüpfen und die Häutungen der Jugend- stadien. Auch den Farben der Bettwanze ist ein Kapitel gewidmet. Dann schließen sich Unter- suchungen über die Bewegungen, die Wander- geschwindigkeit und das Wandern an. Verschiedene Absätze bringen die Beobachtungen über das Ver- halten der Schmarotzer gegenüber den äußeren Bedingungen. Die letzten Kapitel berichten über den Stech- und Saugakt, den Wanzenkot und über Beobachtungen in verwanzten Räumlichkeiten. Den Abschluß bildet die Bekämpfung der Bett- wanzen. Schon aus dieser kurzen Mitteilung des Inhaltes ist zu erkennen, daß Hase bei der Untersuchung alle richtigen Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Es braucht wohl nicht hinzugefügt werden, daß er eine Menge neuer Tatsachen aufdeckte. Wieder be- wahrheitet sich der alte Satz, daß auch über häufi- . gere Schädlinge noch recht wenig bekannt ist. Jeder, der sich über die Bettwanze unterrichten will, wird bei Hase alles Wissenswerte finden. 131 Ab- bildungen erläutern den 144 Seiten langen Text, auf 6 Tafeln sind 24 vorzüglich gelungene photo- graphische Aufnahmen wiedergegeben. Ein Teil der Bilder ist nebenstehend abgedruckt. (Abb. i.) Die Monographie von Wilhelmi über die gemeine Stechfliege stellt eine gleich gründliche Untersuchung dar. Wie die beiden Abbildungen 350 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 23 der Wandtafel : „Zur Bekämpfung der Fliegenplage", die hier als Erläuterung dienen sollen (Abb. 2), zeigen, können diese beiden Vertreter der Zwei- flügler leicht miteinander verwechselt werden. Ein Unterschied besteht vor allern darin, daß die auf diese Verhältnisse ist dem Verf. ein sinnstörender Druckfehler unterlaufen). Eine weitere Eigen- tümlichkeit des Wadenstechers besteht darin, daß er beim Ausruhen seinen Körper nicht parallel zur Unterlage stellt, sondern nur das Hinterleibs- DIE BETTWANZE Abb. I. abe der el : Die Bettwanze. Stechfliege die Flügel etwas gespreizt trägt und, wie schon der Name vermuten läßt, einen vor- stehenden Saugrüssel besitzt. Sehr häufig findet man außerdem die Stechfliege mit dem Kopf nach oben an der Wand ausruhen, während die Stuben- fliege gern nach abwärts schaut. (Bei dem Hinweis ende an sie drückt, die Kopfgegend aber einige mm davon entfernt hält. Während der Wadenstche er bei uns als Blut- sauger Menschen und Tiere plagt und als Krankheits- überträger wahrscheinlich nur für die spinale Kinderlähmung in Iktracht konmit, spielt er in N. F. XVII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 den Tropen eine viel gefährlichere Rolle. Er überträgt dort Pest, Lepra, Schlafkrankheit, Nagana und die Beschälseuche der Pferde. Die Untersuchungen von Wilhelmi wurden zu verschiedenen Zeiten innerhalb der Jahre 191 6 und 1917 besonders auf der Forschungsanstalt der Insel Riems bei Greifswald in den dort be- findlichen ausgedehnten Versuchsstallungen unter- nommen. Nach den Beobachtungen des Verf. ist die Fliege im Freien nicht häufig zu treffen. Dagegen bevorzugt sie Stallungen, namentlich Rinderställe. Ihr stärkstes Auftreten fällt in den Hochsommer und September; im November be- Naturtreue und höchste technische Vollendung zu erreichen. Hergestellt werden sie in dem rühm- lichst bekannten Verlag Werner und Winter in Frankfurt a. M., dessen wissenschaftlicher Leiter Dr. Winter allzufrüh auf dem Feld der Ehre ge- blieben ist. Seiner unermüdlichen Hingabe ver- danken sie ihre mustergültige Ausführung. Die meisten Tafeln bringen neben den verschiedenen Abbildungen kurze Erläuterungen über die Lebens- weise und Bekämpfung der Schädlinge. Die Tafel der Bettwanze kostet in der Größe 70 : lOOcm auf starkes Papier gedruckt und mit Metallstäben versehen 5,30 IVI., in einer Größe 32 : 48 cm Zur Bekämpfung der Fliegenplage Geitieine Stechfliege Verkleinerte Wiedergabe der Tafel : Zur Bekämpfung der Fliegenplage ginnen die Tiere zu verschwinden, da nur ihre Larven überwintern. Diese finden sich besonders häufig auf Kuhmist. Ihre Entwicklung dauert unter günstigsten Bedingungen 7—8 Tage, kann sich aber in der kalten Jahreszeit über Wochen und Monate hinziehen. Als kürzeste Dauer des Puppenzustandes werden 9 Tage angegeben. Der Stoff der Darstellung verteilt sich auf folgende Abschnitte: Allgemeines zur Systematik, Vorkommen und Verbreitung, Ruhe und Be- wegungszustand, Verhalten zu Licht und Wärme, Ernährung, Zahlenverhältnis der Geschlechter, Ent- wicklung, Feinde und Parasiten. Jedem Kapitel ist eine Zusammenfassung beigegeben. 28 Ab- bildungen erläutern den Text von lio Seiten. Die Abbildungen über die Bettwanze und die Fliegen sollen eine Anschauung von den Schädlings- tafeln der Gesellschaft geben. Es kann sich hier allerdings nur um die Art der Darstellung handeln ; die Klarheit und die Farbenwiedergabe geht durch die Verkleinerung und den Schwarzdruck verloren. Wer die Tafeln im Original gesehen hat, wird anerkennen, daß sie allen Anforderungen genügen. Sie sind nach dem Leitsatz hergestellt, nur einwandfreie erwiesene Tatsachen zur Grundlage der Darstellung zu machen und außerdem möglichst kartoniert 50 Pf. Die Tafel zur Bekämpfung der F'liegenplage kommt 1,75 M. Das Merkblatt über die Bettwanze ist ähnlich dem bekannten über die Kleiderlaus, 6 Seiten stark und kostet im Plinzelpreis 25 Pf., von 500 St. ab je 20 Pf. Es kann von dem Verlag Werner und Winter, P'rankfurt a. M., Fichardstraße 5 — 7 bezogen werden. Dr. Stellwaag. Die Sommerbekämpfung der Stechmücken. Der zahlreichen Fäden wegen, die sich heute vom nahen Oriente nach unserem Vaterlande spinnen, bildet die Einschleppung der Malaria nach Deutsch- land zurzeit eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Überall, wo die Yith^r schna.ke:n, Aitoplielcs iiiacitUpeiuiis und AnopJidcs biftircatus, in Deutsch- land heimisch sind, muß daher ihre Bekämpfung weit energischer betrieben werden, als man dies in früheren Jahren übte. Infolgedessen wurden in den letzten Monaten in mehreren deutschen Gebieten eingehende Studien über das Vorkomnien und die Lebensweise dieser Schädlinge angestellt. Prof. E. Breßlau und Dr. Fr. Glaser i) ') Zeitschrift füi 290—296. iiulogie Jahrg. 191 7 332 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 23 waren im Elsaß tätig, wo, vor allem in der Rheinebene bei Straßburg, die Stechmückenplage mancherorts groß ist. Es handelt sich dabei zumeist um die gemeine Stechmücke {Culex pipiois), aber an manchen Stellen sind auch die beiden Fieberschnaken überaus häufig und deshalb ist auch die Malariagefahr nicht aus- geschlossen. Bei den Arbeiten zur Vernichtung der Stech- mücken unterscheidet man zwischen einer Winter- und einer Sommerbekämpfung: erstere erstreckt sich auf die Vernichtung der fertigen Insekten, ausschließlich $$, die sich mit dem Eintritt der kühleren Jahreszeit zum Überwintern in geeignete Schlupfwinkel, vor allem in die Keller der menschlichen Wohnungen zurückziehen. Die Sommerbekämpfung dagegen gilt der Ver- nichtung der Schnakenbrut, die im Sommer überall, wo sich geeignete Wasseransammlungen finden, anzutreffen ist. Die beiden Verfasser unterscheiden dreierlei Arten der Bekämpfungs- arbeiten: vor allem soll die Beseitigung von nutzlosen Wasseransammlungen, die als Schnaken- brutstellen dienen können, betrieben werden. Die zahllosen kleinen Tümpel auf den Wiesen und " in den Wäldern der Rheinebene müssen durch systematische Entwässerungsanlagen be- seitigt werden. In den Ortschaften sollen die Straßenrinnen jede Woche zumindest einmal ausgefegt werden. Zweitens müssen derartige Wasseransammlungen, wenn sie nicht entfernt werden können, wenigstens schnakensicher ab- gedichtet werden, um zu verhindern, daß die Schnaken ihre Brut in ihnen ablegen. Breßlau und Glaser denken dabei vornehmlich an die zahlreichen Regenfässer, Jauchegefäße, Feuer- löschbottiche, die in vielen Häusern oder Gärten aufgestellt bleiben müssen; sie mit einem dichten Deckel fest abzuschließen, um den Schnaken den Zutritt zu verwehren, ist ein dringendes Gebot. Die dritte Bekämpfungsmaßnahme besteht in der Vertilgung der Schnakenbrut in den Wasseransammlungen, die nicht beseitigt und nicht abgedeckt^ werden können. Dabei empfiehlt sich ein verschiedenes Verfahren, je nachdem es sich um verunreinigte oder um nicht verunreinigte Gewässer handelt. Bei den letzteren Gewässern muß man mit großer Vorsicht zu Werke gehen, weil doch noch viele andere Organismen sie bevölkern und weil sie zahl- reichem anderem Getier als Tränke dienen. Infolgedessen sind alle Giftstoffe zu vermeiden ; dagegen kann man zur Vernichtung der Schnaken- brut ihre Gewohnheit benützen, daß sie als Luftatmer von Zeit zu Zeit zur Atmung an die Wasseroberfläche kommen müssen. Wird diese Oberfläche in ihrer Gänze daher mit einem dünnen Ölhäutchen abgeschlossen, so sind die Larven sowohl wie die Puppen dem Tode über- liefert. Die Verfasser haben zu diesem Zwecke mit bestem Erfolg das von der Chemischen l'^abrik Dr. Noerdlinger (l'iörslieim a. M.) hergestellte Floria-Larviol benützt, das bereits nach I — 2 Tagen nach der Überschichtung wieder verdunstet und außer der Schnakenbrut weder die übrigen Wassertiere noch die Vögel schädigt, die von dem Wasser trinken. Petroleum, das man früher zu diesem Zwecke häufig ver- wandte, enthält mehr toxische Stoffe als das Floria-Larviol und besitzt nicht dieselbe rasche Verdunstungskraft. Seine Anwendung kostet daher auch immer einer großen Zahl anderer Tiere das Leben. Bei verunreinigten Gewässern (Abwässer-, Jauchengruben) ist die Anwendung von Giftstoffen ratsam; Breßlau und Glaser ver- wandten hier das von der gleichen Fabrik empfohlene Schnakensaprol und waren von seiner Wirkung ebenfalls recht zufriedengestellt. „Auch hier reichen, wie beim Larviol, geringe Mengen der Flüßigkeit — V4 1 auf je 10 qm Oberfläche — vollkommen aus, um alle Stechmückenlarven mit Sicherheit abzutöten". Am besten wirken diese Mittel, wenn man sich zur Überschichtnng der Wasseroberfläche einer Spritze, nach Art der Obstbaum- oder Rebspritzen bedient, hat man keine solche zur Hand, so gießt man die Flüssigkeit auf das Wasser und verteilt sie mit Stangen oder Baumzweigen. Die Anwendung von Desinfektionsmitteln erübrigt sich, wenn sich die betreffenden Gewässer zur Fischzucht eignen. Die Fische verzehren die Schnakenbrut, ehe sich ihre Entwicklung vollendet hat. Eine vierte Bekämpfungsmaßnahme, welche die Verfasser vorschlagen, richtet sich vor allem gegen die Fieberschnaken. Sie bezweckt auch schon während des Sommers die Vernichtung des fertigen Insekts. Breßlau und Glaser machten die Erfahrung, daß die Insekten während des Sommers sich vornehmlich in den Viehstallungen sammeln und zwar die beiden Anopliclcs- c^xK^n ebenso wie Culex fipiens und die ihnen ver- wandten Cidieida • kx\.&n. Ein charakteristisches biologisches Merkmal läßt dabei die beiden besonders gefährlichen Aiioplteliideii von den weniger gefährlichen Ciilicidcii leicht unter- scheiden: während nämlich Culex pipieiis feuchte Stellen der Wände bevorzugt, lieben die beiden Aimpheliidei/ die Trockenheit. Was deshalb an Stechmücken — untertags sitzen die Tiere ganz ruhig da — vor allem auf den Spinneweben sitzt, gehört alles zur Gattung Auop/ieles, ihre Bekämpfung ist keine allzu schwere; die Verfasser raten, die Tiere hier ent- weder mit feuchten Tüchern zu zerdrücken oder was natürlich einfacher ist, sie mit einem gut wirkenden Insekticid zu bespritzen. Auch hierbei bewährten sich die beiden oben benannten Mittel trefflich. H. W. Frickhinger. Landwirtschaft. Über die Selbstentzündung der Heustöcke bringen die soeben erschienenen ,,Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahre 1917" einen Bericht von Dr. E. Jordi. N. F. XVII. Nr. 23 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 31^ Jordi weist in seinem Vortrag zunächst auf den großen materiellen Schaden hin, der infolge schlechter Gärungsvorgänge in den Heustöcken ent- steht. Der Heubedarf der Pferde und des Rind- viehes in der Schweiz beträgt etwa 53 Millionen Doppelzentner im Jahr, deren Wert etwa 420 Mill. Franken ausmacht. Schätzt man mit Jordi den Verlust infolge schlechter Gärungsvorgänge auf 10 — 15% des Anfangswertes, so ergibt sich für die gesamte schweizerische Landwirtschaft ein Schaden von 40— 60 Millionen Franken im Jahr. Die Zahl der Brände von Heustöcken betrug im Jahre 1 9 1 5 — 1 3 1 , die Zahl der Verkohlungen — 1 36. Diese Zahlen sind überraschend groß und sie sind im Zunehmen begriffen. Jordi erklärt diese Zu- nahme durch die veränderte Art, die Heuernte einzubringen. „GründHchste Handarbeit ohne Hast und Jagerei charakterisiert die Futterernten der früheren Zeiten. Gut gedörrtes F'utter wurde eingeheimst. Rasche und nicht immer den Boden- verhältnissen angepaßte Maschinenarbeit, in mög- lichst kurzer Zeit und unter möglichster Ausschal- tung menschlicher Arbeitskräfte, charakterisiert dagegen die Futterernten der Gegenwart. In weniger als der Hälfte der Zeit wird jetzt unter Umständen das doppelteFutterquantum , verglichen mit dem früherer Jahre, unter Dach gebracht. Große Mengen von Feuchtigkeit sind noch in dem eingelagerten F'utter enthalten". Im Einklang mit der Auffassung Miehe's') vertritt Jordi den Standpunkt, daß die Selbstentzündung des Heues auf bakteriellen und chemischen Prozessen beruhe. Die Erwärmung des Haufens beginnt wohl infolge des Atmungsprozesses der noch lebenden Pflanzen- zellen, wobei Wärme angehäuft wird, weil die äußeren Schichten des Futters den Wärmeaus- gleich verlangsamen. Je mehr die Temperatur ansteigt, desto stärker wird natürlich die Atmung, wobei immer mehr Kohlehydrate (Stärke, Zucker usw.) verbraucht werden. Das Futter muß dabei gehaltärmer werden. Schließlich, bei einer Tem- peratur von etwa 45", sterben die Pflanzenzellen ab. Gleichzeitig wirken erwärmend verschiedene Bakte- rien, bis die Temperatur weit über 40" hinausgeht, und der gefährliche Bacillus calfactor sich vermehren kann, der eine Temperatur von ca. 70" verträgt, bevor er Sporen bildet. Jetzt setzen chemische Pro- zesse ein, die zu Verkohlungsprozessen führen können. Jordi berichtet nun in seinem Vortrag über neue Untersuchungen, die Dr. Karl Schenk aus Interlaken in der landwirtschaftlichen Versuchs- anstalt auf dem Liebefeld bei Bern über die bei der Selbsterhitzung des Heus auftretenden Tem- peraturen ausgeführt hat. Nach S c h e n k ' s Unter- suchungen kann die Temperatur im Inneren von anormal gärenden Heustöcken auf 388° hinauf- gehen. Für die Praxis ist es nach Jordi übrigens gleichgiltig, ob man sich auf den Standpunkt stellt, daß die Temperatur eines anormal gärenden Heu- *) H. Mi ehe, Die Selbsterhitzung des Heues. Jena '07. G. Fischer, sowie Über die Selbsterhitzung des Heus. Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft Heft 196. 1911. Stockes nur auf 80" oder daß sie auf 300— 400". steigen kann. Denn wenn schon eine Temperatur von 70" erreicht ist, besteht die Gefahr eines Brandausbruches, und der Landwirt muß nach Jordi's Meinung alles tun, um die Temperatur des Heustockes 70° nicht übersteigen zu lassen. Schließlich zählt Jordi die Fragen auf, welche noch weiter auf experimentellem Wege untersucht werden sollten: „a) Verlauf der Temperaturen in normal gären- den und in zu stark sich erwärmenden Futterstöcken. „b) Die Entstehung der pyrophoren Kohle in F"utterstöcken. „c) Veränderungen, welche das Futter in normal gärenden und in zu stark sich erwärmenden Futter- stöcken erfährt (Qualitäts- und Quantitätsverluste). „d) Die in Betracht kommenden Wärmequellen. „e) Prüfung von Bekämpfungsmitteln und von Alarmeinrichtungen für die Verhütung von F'utter- stocksselbstentzündungen." „Das sind Fragen, die nur bei planmäßiger Arbeit vieler beantwortet werden können. Alle diese Fragen sind wissenschaftlich interessant. Da die Verluste durch Überhitzung der Futterstöcke auch aus volkswirtschaftlichen Erwägungen ver- mieden werden sollten, so sollte sich unbedingt irgendeine Vereinigung die planmäßige Bearbeitung dieser Furagen zur Aufgabe machen." Lipschütz. Anthropologie. Die anthropologischen Unter- suchungen an russischen Kriegsgefangenen in Oesterreich (III. Bericht in den Mitteilungen der Anthropol. Gesellschaft in Wien Band 47, 191 7, S. '~ — 100 mit 2 Tafeln. Vgl. die früheren Berichte in Naturw. Wochenschrift. N. F". XV. S. 221 und S. 644) konnten durch eine neuer- liche Unterstützung von selten der k. k. Akade- mie der Wissenschaften in Wien erfolgreich fort- gesetzt werden. Die Zahl der untersuchten Georgier (Grusiner) wurde von 143 auf 797 erhöht, und die Gesamtzahl der bisher Unter- suchten beträgt jetzt 4981 Mann. Was den vorliegenden 3. Bericht für den Fachmann besonders wertvoll macht, sind die darin niedergelegen Erfahrungen hinsichtlich der anthropologischen Untersuchungsmethoden, die am meisten durch solche Massenuntersuchungen gewinnen können. Bei der Auswahl der zu Messenden wurde nicht nur darauf geachtet, ein gleichmäßig über das ganze Gebiet verteiltes Material einer bestimmten Gruppe zu erhalten, sondern es wurden dabei auch die verschiedenen Rassetypen berücksichtigt, aus denen sich die Gruppe zusammensetzt. Der Beobachter sucht sich über diese Rassenkomponenten schon durch eine erste Besichtigung vor aller Messung zu orientieren und trifft danach seine Auswahl. Exakt können allerdings die eine Gruppe zu- sammensetzenden Elemente erst durch die Unter- suchung selbst erkannt werden, und man wird 334 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 23 sich vor jeder "Auslese nach aprioristisch gefaßten Vorstellungen hüten müssen. In der Ausgestaltung des Beobachtungsblattes hat hauptsächlich das Nasenschema eine will- kommene Erweiterung erfahren. Bei den photo- graphischen Aufnahmen wird die Wichtiglveit einer „Eindrittelseitenaufnahme" besonders betont und, wie die beigegebenen Tafeln zeigen, auch erwiesen. Von verschiedenen Seiten war gelegent- lich schon auf diese Seitenaufnahme aufmerksam gemacht worden, und jetzt ist die Frage durch die Einführung einer dreimal einschnappenden Kassette, die drei Aufnahmen auf eine Platte I3X'8 gestattet, auch praxtisch gelöst. Ebenso- wichtig sind die Ratschläge für das Abformen ganzer Köpfe in Gips, eine Technik, die Poech, soweit es sich um anthropologische Forderungen handelt, auf die einfachste Form gebracht hat, so daß sie in Zukunft bei allen anthropologischen Erhebungen angewandt werden kann. Die Be- schreibung einer Arbeilsbaracke für anthropo- logische und photographische Aufnahmen wird ähnliche Installationen an anderen Orten wesent- lich erleichtern. Die Erhebungen sind noch nicht abgeschlossen; es sollen vor allem noch Beobachtungen an Groß- und Kleinrussen, sowie an Vertretern' der finnisch-ugrischen Gruppe vorgenommen werden. R. Martin. Botanik. Licht, Zellteilung und Keimung. Für eine Reihe von Thallophyten war bereits festgestellt worden, daß ihre im embryonalen Zu- stand befindlichen Zellen sich vorzugsweise oder auch ausschließlich (Spirogyra) des Nachts teilen. Karsten hat dann vor drei Jahren nachgewiesen, daß eine ähnliche Teilungsperiodizität, hervor- gerufen durch den Einfluß des Wechsels von Licht und Dunkelheit, bei den embryonalen Zellen des Sproßvegetationspunktes höherer Pflanzen (Maiskeimpflanzen), besteht. Die Teilung ver- läuft auch hier unter gewöhnlichen Verhältnissen während der Nacht. Durch künstliche Veränderung der Lichtperiode (Verdunkelung bei Tage, Be- leuchtung bei Nacht) kann bewirkt werden, daß die Teilung in der Nacht ganz unterbleibt oder doch starke Verschiebungen ihres Maximums er- fährt. Zieht man andererseits Keimpflanzen in völliger Dunkelheit auf, so zeigt sich auch bei ihnen ein deutliches Maximum in der Nacht. Ob- gleich also hier kein direkter Einfluß des Wechsels von Licht und Dunkelheit wirksam ist, weisen die Pflanzen doch die tägliche Periode des Teilungs- vorganges auf. Hieraus geht hervor, „daß der von jeher auf die Voreltern wirkende Tag- und Nacht- wechsel auf das Keimplasma derart eingewirkt hat, daß die Periodizität der Kernteilungen zu einem vererbbaren P'aktor geworden ist", der aller- dings durch Veränderung der Belichtung beein- flußt werden kann. Neuerdings hat nun Karsten bei seinen Untersuchungen über diese interessanten Vorgänge wieder auf die Algen zurückgegriffen und zunächst die durch die Konstanz ihrer nächtlichen Kern- teilungen bemerkenswerte Spirogyra unter ver- schiedenen Belichtungs- und Verdunkelungsverhält- nissen beobachtet. Er fand, daß durch Belichtung bei Nacht und Verdunkelung bei Tage die Teilungen einige Tage hindurch unterdrückt werden, später aber im Tagesdunkel auftreten. Die Pflanze braucht 4—5 Tage, bis sie auf die neue Periode eingeht; der auf die Zellen ausgeübte Zwang bringt dann aber eine massenhafte Zellvermehrung zustande, die noch vielfach mehr an der gewohnten Zeit als an der Dunkelheit festhält, also auch trotz Belichtung des Nachts erfolgt. Bei Desmidiaceen, wo auch in einigen Fällen das Beschränktsein der Teilung auf die Nacht oder doch das Auftreten eines nächtlichen Maxirnums beobachtet worden ist, stellte Karsten für Cosmarium Botrytis fest, daß die Kernteilungen während des ganzen Tages möglich sind, daß aber ein nächtliches Teilungs- maximum vorhanden ist, derart daß etwa jedes zweite Individuum sich zwischen 1 1 und i Uhr in Teilung befindet. Dem nächtlichen Maximum entspricht ein auf die Zeit von etwa 12 — 3 mittags fallendes Minimum, wo die Teilung auf ungefähr den zehnten Betrag des Maximums zurückgeht. Bei Closterium moniliforme wurde ein nächtliches Maximum bei 12 Uhr und ein tägliches Minimum bei 2 Uhr beobachtet. Mesotaenium Endlicheri- anum beginnt mit den Kernteilungen bald nach Sonnenuntergang, erreicht schon 10 Uhr abends den Höhepunkt, fährt bis nachts 2 Uhr und bis zum Hellwerden mit starken Teilungen fort und verharrt am ganzen übrigen Tage auf einem Minimum der Teilungen. Das Licht wirkt hier also stärker hemmend ein als bei irgendeiner anderen der beobachteten Desmidiaceen. Durch Änderungen der Beleuchtung würde auch bei den Desmidiaceen jedenfalls eine Verschiebung der Vorgänge hervorgerufen werden können, doch sind solche Versuche nicht angestellt worden (Zeitschrift für Botanik Jahrg. 7, 191 5, S. 1—34; Jg. 10, 1818, S. 1—20). Während mithin in allen diesen Fällen die Neubildung der Zellen (im Gegensatz zu der Stofif- bildung durch Assimilation) unter normalen Um- ständen bei Nacht erfolgt, ist bekanntlich bei vielen Samen und Kryptogamensporen eine Ab- hängigkeit der Keimung vom Einflüsse des Lichtes festgestellt. Künstlich läßt sich in manchen dieser Fälle eine Keimung in der Dunkelheit durch Darreichung bestimmter Nährstoüfe durch erhöhte, Temperatur u. a. erzielen. R. Härder, über dessen Kulturversuche mit Blaualgen (Nostoc) im vorigen Jahre hier berichtet wurde (Bd. 16, S. 348), hat auch die Beziehungen des Lichtes zur Keimung von Nostocaceensporen (vorwiegend Nostoc puncti- forme) näher studiert. Es ergab sich, daß die Sporen dieser Algen typische Lichtkeimer sind. Unter Lichtabschluß keimen allmählich nur wenige der jüngeren Sporen, ältere meistens überhaupt nicht. Die Wirkung des Lichtes läßt sich aber N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 335 durch ernährend wirkende organische Verbindungen, ganz besonders Rohrzucker (i — 5"/o). ersetzen. Rotes sowohl wie blaues Licht lösen auch die Keimung aus. Eine einmalige Reizung durch das Licht genügt nicht, sondern es muß dauernd wirken. Von großer Bedeutung ist seine Intensität. Unter einer Lichtstärke von etwa 12 Kerzen findet bei rein unorganischer Ernährung kaum noch Keimung statt; fügt man aber dem Nährboden nur 0,1 % Rohrzucker bei, so erfolgt auch noch bei zwei Kerzen normale Keimung. Bei starkem Lichte tritt die Keimung rasch ein, bei schwachem langsam; die genauere Prüfung dieser Erscheinung ergab, daß hier ein neuer Fall für die Gültigkeit des „Produktgesetzes" vorliegt, indem das Produkt aus Lichtstärke und Belichtungszeit annähernd einem bestimmten Prozentsatz von Sporenkeimungen entspricht, die Keimung also der zugeführten Lichtmenge im großen und ganzen proportional ist. Da, wie erwähnt, zur Auslösung der Keimung das Licht durch Rohrzucker ersetzt werden kann, so scheint der Einfluß des Lichtes auf ernährenden Wirkungen zu beruhen, wobei es jedoch unsicher bleibt, ob die Kohlensäureassimilation eine Rolle dabei spielt oder ob es sich um einen Stoffumsatz innerhalb der Zelle handelt, der nur im Lichte stattfindet, aber mit der Photosynthese nichts zu tun hat (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik Bd. 58, 1917, S. 237—291). F. IVIoewes. E. Hinseimann, Un Veränderlichkeit oder Veränderlichkeit der Lage der Erd- achse? 62 S. 191 7. Hannover, M. u. H. Schaper. Der Verfasser, höherer Jurist in Hildesheim, bestrebt sich, die Lehre des Kopernikus von der dritten Bewegung der Erdachse, der Deklinations- bewegung, richtig zu stellen und zu rechtfertigen. Als ein mathematisch und physikalisch nicht aus- reichend durchgebildeter Mann lehnt der Verfasser die Anschauung der Erdbewegung als eine Kreisel- bewegung ab, er kennt überhaupt gar nicht die Wirkungen von Kräften, sondern begnügt sich damit, durch ein Modell seine Anschauung zu be- weisen, daß nämlich die Sonne zweimal im Jahre die Erdachse gegen den Radius Vektor aufrichtet, dann aber wieder die eine Hälfte in den Raum hinausschleudert, die andere in den Innenraum der Erdbahn zurücksinken läßt. Das ist aber die Beweismethode der Alten, die unbekümmert um die physikalische Möglichkeit dadurch bewiesen, daß sie auf geometrische Anschauung, auf Dar- stellung durch Zeichnungen zurückgriffen. Infolge- dessen beweist auch das neue Tellurium, das Hinsei mann zur Darstellung seiner Anschau- ungen erfunden und patentamtlich angemeldet hat, und das die Bewegungen von Sonne und Erde in eigenartiger Weise miteinander verbindet, wie die Abbildungen zeigen, weiter nichts, als daß ein Mechaniker seinen Auftraggeber richtig ver- standen hat; er beweist aber gar nichts für die Richtigkeit der zugrunde gelegten Idee, wie sich der Erfinder einbildet. Und diese Idee ist un- möglich, da sie die Sonne als Sitz von Kräften ansieht, die entgegengesetzte Wirkungen ausüben sollen. Es ist aber bemerkenswert, daß ein Jurist den Drang in sich fühlt, mit unzureichenden Mitteln die Anschauungen des Kopernikus der Gegenwart gegenüber zu vertreten, und den Astro- nomen den Vorwurf macht, daß sie sich über die Anschauungen des Kopernikus mit Stillschweigen hinwegsetzen. Daß dies aber' durch das moderne physikalische Denken gegenüber dem geometrischen Bücherbesprechungen. Denken des Kopernikus begründet ist, sieht der Verfasser nicht ein, so daß sein Werk ein inter- essanter Versuch geblieben ist, der aber wegen unzureichender Mittel verunglücken mußte. Riem. M. Koppe Prof., Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 191S. Berlin bei Springer. — 0,60 IVI. Wie alle Jahre, so ist auch jetzt diese astro- nomische Tafel mit genauen Erklärungen er- schienen, und gibt durch anschauliche graphische Darstellung die Sichtbarkeitszeiten der großen Planeten, ihre Stellungen in den Sternbildern und ebenso den Weg der Sonne, die Tageslängen und die Mondbahn, nebst den Finsternissen des Jahres. Neu ist ein Blatt, mit dessen Hilfe man aus der Stellung der Sonne und der Angabe der Uhr die Himmelsrichtung finden kann, und zwar richtiger, als nach den sonst bekannten, ebenso einfachen wie fehlerhaften Methoden. Riem. H. Bauer j, Physik der Röntgenologie. Band 9 der „Bibliothek der physikalisch - medi- zinischen Techniken". 53 S. Berlin 1917, H. Meusser. — Geb. 3 M. Der Inhalt des hier vorliegenden 9. Bandes einer vom Verf. begründeten, vornehmlich für Ärzte bestimmten Sammlung kurzer in sich ab- geschlossener Einzeldarstellungen aus dem Gebiet der Röntgenologie ist dem Nachlaß des Verfs. entnommen. Die erste Hälfte der Schrift enthält eine kurze Betrachtung der geschichtlichen Ent- wicklung der Elektrizitätstheorien und daran an- schließend interessante kritische Darlegungen über Theorien und Hypothesen im allgemeinen. Der zweite Teil bespricht in ganz elementarer Weise das elektrische Maßsystem. A. Becker. Jrester, A., Explication des phenomenes solaires les plus importants. La Haye, van Stockum et fils 1917. 34 S. Das Heft enthält nur Einleitung und Schluß 336 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 23 eines umfangreichen Werkes, das wegen Papier- mangels nicht ganz gedruckt werden kann. Nach Ansicht des Verfassers genügen das Kirchhoff'sche Gesetz und das Doppler'sche Prinzip nicht zur Erklärung der Sonnenvorgänge, da Gase noch aus anderen Gründen leuchten als durch starke Tem- peraturerhöhungen, und wegen der anomalen Dis- persion, sowie wegen des Auftretens der Doppler- schen Erscheinung bei den Kanalstrahlen. Vielmehr denkt sich der Verfasser den Sonnenkörper selbst als in großer Ruhe befindlich, zwar sehr heiß, doch so zäh, daß keine Konvektionsströme auf- treten können. Die Photosphäre ist der Sitz der großen Bewegungen, sie ist einem Glühstrumpf zu vergleichen, der durch die vom Sonnenkern ausgestrahlte Hitze in den Zustand des Leuchtens versetzt wird, während der Kern dunkel erscheint. Die Flecken sind Löcher bis auf den Kern, in denen die Gase auf- und niedersteigen. In den fleckenreichen Jahren gibt sich der heiße Kern aus, kühlt sich ab, die Fleckentätigkeit nimmt ab, die Photosphäre schließt sich, und der Kern erholt sich, bis er seine ausstrahlende Tätigkeit von neuem beginnt. Die Sonne sendet Kanalstrahlen aus, die uns als Fackeln, Protuberanzen und Korona erscheinen, und die nach den Untersuchungen von S t ö r m e r und B i r k e 1 a n d auch die magnetischen Vorgänge auf der Erde beeinflussen. In inter- essanter Weise verbindet B r e s t e r dann den Nach- weis, daß die Winkelgeschwindigkeit der Sonne nach die Tiefe hin zunehme, mit seiner Erklärung der Sonnenphysik; es erklärt sich damit das sprung- weise Vorgehen der Flecken, wenn sie sich neu bilden oder vergrößern, ebenso die Anhäufung der P'ackeln an der Rückseite der Flecken, und die größere Häufigkeit der Hecken auf der Ostseite der Sonnenscheibe. Hoffentlich bringt das ganze Buch den eingehenden Nachweis für diese Zu- sammenhänge. Riem. Anregungen und Antworten. Über Polarlichter am Tage und Girren hat W. Krebs S. 186/87 Mitteilungen gemacht, die nach zwei Richtungen einer Ergänzung bedürfen. Daß neun Jahre vergehen mußten, ehe man die innere Verwandtschaft eines Polarlichts mit den bekannten, auffallend gestalteten Girren verteidigen konnte, ist bemerkenswert. Noch mehr wird die Feststellung überraschen, daß derGedanke ungefähr noch 1 5 Jahre älter ist. Er bildet mit seinen Voraussetzungen (und Folgerungen) einen wesentlichen Teil derjenigen Lehre vom Walten kosmischer Kräfte und von den Beziehungen der Sonnentätigkeit zu oberirdischen Vorgängen und Erscheinungen, die im Januar 1913 in meinem Buche „Hörbigers Glacialkosmogonie" veröfienllicht wurde und seit- dem bis in den Schützengraben hinein Anhänger und Verteidiger gefunden hat. Seit 10 Jahren ist auch eine ansehnliche Reihe von Fachgelehrten in den Besitz des einschlägigen Materials gelangt, so daß eine Kenntnis der aus Sonnenflecktrichtern (und Fackelbezirken) geborenen Wirkungen aul unseren Luftkreis, dessen Erfüllung mit Eiskrislalien und dessen elektromagnetische Erregung bereits in gewissem Umfange gegeben war. Eine Vorgänglichkeit des Einblicks in die Wesens - glcichheit von Nordlichtstrahlen und ,, Polarbanden" ist um so deutlicher erwiesen, als ohne solche Vorstellung die Glacial- kosmogonie gar nicht denkbar ist. In meinem Buche erläutert Figur 103 (S. 223) z. B. „die glac.-kosm. Ableitung des jähr- lichen und täglichen Ganges der Luftdruckschwankungen für alle geographischen Breiten im Zusammenhange mit denselben Perioden des oberen dynamischen Passats, des Polarlichtes, der luftelektrischen Spannung und der erdmagnetischen Elemente aus der gemeinsamen Grundursache eines solifugal-elektrischen Feineiszuflusses zur Erde". Daran anschließende P'iguren 104 bis 110 vertiefen diese Beweisführung; die Figuren III u. 112 (S. 233 und 235) entwickeln im Detail das Wesen des Polar- lichts und der ,,1 e u c h t e n d e n N a c h t w o 1 k e n" über dem hochsommerlichen Mitternachtshorizonte. Es wird dann noch- mals im Anhange des Buches ,,Der eigentliche Vorgang der Sonnenbefleckung" (die Ursache all des hier einschlägigen Geschehens) S. 605 — 6S3 an der Hand von iS äußerst inhalts- reichen Figuren aufgeklärt und werden „Die terrestrischen Folgen der Sonnenbefleckung" besprochen. Hier wären die Figuren 206 — 212 maßgebend, von denen die hier wichtige erste allein den Inhalt einer Broschüre umfaßt. Dem Leser der genannten Abschnitte der Glacialkosmo- gonie war also vor gut fünf Jahren schon im Zusammentreffen von Polarlicht, aus gewaltsamer Bildung hervorgegangenem Cirrusbau und gleichzeitigen Wintergewittern mit Schneeböen kein Rätsel mehr geboten. Auch ,,Polar"lichter, die 1872 bei Bombay (I) und Mauritius (!) gesehen wurden, fallen in den- selben Rahmen. Für die bedeutsamen Ereignisse des II. Januar letzthin ist natürlich der erdanzielende Vorübergang einer Sonnenfleckgruppe fcrantwortlich, die nach meiner (leider zwischen dem 6. und 19. Januar einzig möglich gewesenen) Fleckenaufnahme am 9. Januar (zwischen Wolken) zwischen Januar 10 und 11 den mittleren Meridian der Sonne über- schritt. Da die sehr stofflichen Einflüsse auf die Erdenluft sich schon nach 15 Stunden bemerkbar machen konnten, so ist das Eintrefien der von W. Krebs aufgezählten Ereignisse völlig ungestört vor sich gegangen. Zweck dieser ergänzenden Mitteilung ist auch nur der Hinweis, daß der geschilderte Tat- bestand und der notwendige innere Zusammenhang zwischen den geisterhaften Polarlichtstrahlen, ihren am Tage darauf sichtbaren Trägern, den Cirrussträhnen, und einem viel- leicht unter Blitz und Donner niedergehenden Schneegestöber für die Glacialkosmogonie schon vor zwei Jahrzehnten feststand und seit fünf Jahren eigentlich auch den Fachgelehrten bekannt sein dürfte. ' Ph. Fauth. Inhaltl K. Schutt, Die Brown'sche Bewegung. (4 Abb.) S. 321. C. Hoffmeister, Planet 191SDB, ein merkwürdiges neues Glied des Sonnensystems, (l Abb.) S. 326. — Einzelberichte: Einstein, Kosmologiscbe Betrachtungen zur allgemeinen Relativilätstheorie. S. 328. Wolf, Entdeckung eines kleinen Planeten. S. 328. Das europäische Steinwild. S. 329. Neue Veröfl'entlichungen der Deutschen Gesellschaft für angewandte Entomologie. (2 Abb.) S. 329. E. Breßlau und Fr. Glaser. Die Sommerbekämpfung der Stechmücken. S. 331. E. Jordi, Über die Selbstentzündung der Heu- stöcke. S. 332. Poech, Die anthropologischen Untersuchungen an russischen Kriegsgefangenen. S. 333. Karsten, Härder, Licht, Zellteilung und Keimung. S. 334. — Bücherbesprechungen: E. Hinseimann, Unveränderlichkeit oder Veränderlichkeit der Lage der Erdachse? S. 335. M. Koppe, Die Bahnen der beweglichen Gestirne im Jahre 1918. S. 335. H. Bauer f, Physik der Röntgenologie. S. 335. A. Brester, Explication des phenomcnes solaires les plus importants. S. 335. — Anregungen und Antworten: Über Polarlichter am Tage und Girren. S. 336. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Go. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i5. Juni 1918. Nummer 24. Die Empfindung als rein psychologischer Begriff. ') ,o,cn I Von P. F. Linke, Jena. Die moderne Psychologie ist — wenigstens, was die in iiir am meisten maßgebenden P'orschungsgebiete anbelangt — bekanntlich aus der Physiologie hervorgewachsen. Ohne Zweifel ist diese historische Tatsache von entscheidender Bedeutung dafür geworden, daß heute die Psychologie von vielen mit einiger Selbstverständlichkeit den Naturwissenschaften zu- gerechnet wird. Aber eine historische Tatsache hat in Wahrheit in einer rein systematischen Frage, wie es die nach der Eingliederung der Psychologie in das System der Wissenschaften ohne Zweifel ist, nichts Wesentliches zu entscheiden. In der Tat darf die Psychologie nur in einem sehr beschränkten Sinne eine Naturwissenschaft genannt werden. Es läßt sich nämlich von Natur- wissenschaft in einer weiteren und einer engeren Bedeutung dieses Wortes sprechen. In einer weiteren, wenn man vorwiegend von allgemeinsten methodischen Gesichtspunkten ausgeht, und alle Wissenschaften, die ihre Ergebnisse durch Be- obachtung und Experiment, genauer durch ex- perimentelle oder nichtexperimentelle Beobachtung ihrer Forschungsergebnisse gewinnen, Naturwissen- schaften nennt. In diesem — nebenbei bemerkt nicht sehr scharf abgegrenzten — Sinne ist die moderne experimentelle Psychologie natürlich ohne allen Zweifel eine Naturwissenschaft. Indessen: alles Methodische ist sekundär und orientiert sich am Gegenstande. Jeder Gegenstand aber und jedes Gegenstandsgebiet ist durch ein bestimmtes „begriffliclies" Material charakterisiert, durch ein mehr oder minder verzweigtes System von „begrifflichen" Merkmalen oder Bestimmungen. Die Naturwissenschaften im engeren Sinne haben insgesamt ein solches genau abgegrenztes System gemeinsam: es ist dasjenige, das in der Physik seine exakteste Ausbildung erfahren hat und das sich vor allem auf Begriffe aufbaut wie Raum, Bewegung, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Masse, Materie, Energie usw. Alle Naturwissenschaften, auch die Biologie und Piiysiologie, setzen dieses Begriffssystem und die in ihm gründenden Ge- setzmäßigkeiten uneingeschränkt voraus — die Physik (insonderheit die theoretische) ist eben- ') Die folgenden Ausführungen sind eine (der Hauptsache nach) wörtliche Wiedergabe eines in der Jenaer medizinisch- naturwissenschaftlichen Gesellschaft gehaltenen Vortrags, der populär sein mußte, da ich bei der Mehrzahl der Zuhörer weder psychologische noch philosophische Fachkenntnisse voraussetzen konnte. Genauere Darlegungen finden sich in den einschlägigen Abschnitten meiner soeben erschienenen „Grundfragen der Wah rnehmungslehr e", auf die im folgenden noch im einzelnen verwiesen wird (München igiSi. deshalb und in diesem Sinne die Grundwissen- schaft aller Naturwissenschaften. Damit ist aber zugleich gesagt, daß die Psycho- logie keine Naturwissenschaft im engeren Sinne sein kann. In der Tat spreche ich eine Selbst- verständlichkeit aus, wenn ich sage, daß innerhalb des strengen Forschungsgebietes der psycho- logischen Disziplinen von Begriffen wie Energie, Masse, Materie, (räumlicher) Bewegung usw. anders als in einem übertragenen, d. h. bildlichen Sinne nicht die Rede sein kann. Daraus folgt aber weiter, daß genau das grund- verkehrt sein muß, was doch bis auf den heutigen Tag gerade in der sich spezifisch „exakt" vor- kommenden Psychologie geschieht, daß man nämlich trotz alledem die psychologischen Begriffe aus naturwissenschaftlichen und vor allem physio- logischen herzuleiten sucht. Die wahre Aufgabe der Psychologie ist es darum und wird es noch mehr sein müssen, sich ein eigenes, ihr selbst immanentes „begriffliches"' System zu schaffen, mit dessen Hilfe sie ihre Gegenstände genau so gut (beschreibend und er- klärend) bestimmen kann wie die Physik (und die Naturwissenschaft überhaupt) die ihrigen. ^) Wie notwendig dies ist und zu welchen ver- hängnisvollen Unklarheiten es führt, wenn man anders verfährt, das soll im folgenden an einem der grundlegendsten Begriffe jeglicher Psychologie erläutert werden, am Begriffe der Empfindung. Verdeutlichen wir uns zunächst an einigen Beispielen, was die moderne Psychologie unter Empfindungen versteht. Die Farbempfindungen, die bekanntlich stets zugleich Empfindungen von Helligkeiten sind, die Schallempfindungen, die Tast-, die Geruchs-, die Geschmacksempfindungen, die Empfindungen von Hunger, Durst, Müdigkeit, Frische usw. sind solche Beispiele. Was ist das ihnen Gemeinsame? Man wird sagen: sie sind samt und sonders Sinnes- empfindungen, sie sind durch gewisse periphere Organe, die wir „Sinne" nennen, vermittelt. In der Tat entspricht das durchaus der im großen und ganzen noch herrschenden Auffassung auch innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie. So faßte Jodl") die Empfindung als einen Bewußtseinszustand auf, der „auf Veranlassung eines ihm von den peripheren Organen zugeführten Nervenreizes entwickelt" wird, in welchem ein qualitativ und quantitativ bestimmtes Etwas zur ') Vgl. mein oben zitiertes Buch, S. Vff., S. 1—8. S. 181 ff. u. ö. -j Lehrbuch der Psychologie, 2. Aiill. 1903, Pd. I, S. 199 338 Natuiwissenschaftliclic VVochenschrifl. N. F. XVII. Nr. 24 innerlichen Erscheinung kommt. Auch Ebbing- haus') sucht die Empfindungen auf Grund der sie hervorrufenden äußeren Reize und die an- geborene Struktur der materiellen Organe zu be- stimmen, zu der er noch außerdem die ursprüng- liche Reaktionsweise der Seele auf die nervösen Erregungen hinzunimmt. Durch die Erregung „peripherischer und w^ahrscheinlich auch zentraler nervöser Organe" bestimmt endlich auch Külpe*) die Empfindung. In neuester Zeit hat man zu diesen und ähn- lichen Definitionen mehrfach kritisch Stellung ge- nommen. Aber man hat doch meist nicht recht den iVlut, mit ihnen radikal zu brechen: man er- kennt sie vielmehr als immerhin relativ be- rechtigt an: man gibt ihnen nur rein methodisch einen geringeren Wert. Man pflegt bei ihnen nämlich zu beanstanden, daß sie nicht rein be- schreibend sind, sondern genetisch verfahren und kausale Erklärungen bringen. ^) Darin kann in- dessen nur der einen Vorwurf erblicken, der der bloßen Beschreibung eine methodische Vorzugs- stellung einräumt, die sie auf Grund erkenntnis- theoretischer Voruneile bei vielen Forschern zwar genießt, aber schwerlich verdient. Ich kann einen Gegenstand durch genetische und kausale Er- klärungen genau so vollständig, ja oft vollständiger bestimmen wie durch bloße Deskriptionen. So ist etwa der Wechsel von Tag und Nacht dann zugleich am zulänglichsten beschrieben, wenn ich ihn durch Sonnenbeleuchtung und Erddrehung kausal erklärt habe und die genetische Be- stimmung des Kreises führt genau so gut zur Feststellung seiner wesentlichen Merkmale wie jede andere. Wir müssen jenen Empfindungsdefinitionen einen viel schwereren Vorwurf machen. Sie sind geradezu falsch und bedeuten eine fitTÜßaaig tig dÜM yerog. Was würde man zu einem Physiker sagen, der beispielsweise auf die Frage: was sind longitudinale Luttwellen? einzig und allein antworten wollte: es sind diejenigen Vorgänge, welche die Töne und Geräusche hervorrufen? Ich denke, man wird sich darüber einig sein, daß er die fraglichen Tatbestände durch ein unwesentliches Merkmal und also falsch bestimmt hat. Denn natürlich ist es den longiiudinalen Wellen allein wesentlich, die besondere longitudinale Form zu haben. Ob sie durch ein hörendes Subjekt in das Reich der Töne übersetzt werden oder nicht, ist für den physikalischen Tatbestand als solchen höchst gleichgültig. Und außerdem gibt es lon- gitudinale Schwingungsformen in Fülle, die gar nicht fähig sind. Schalleindrücke auszulösen. Nicht anders ist der Sachverhalt, wenn ich Empfindungen durch Sinnesorgane und Sinnesreize definiere. In der Empfindung als solcher, in diesem reinen Bewußtseinstatbestand ist auch nicht ') GrundzUge der Psychologie, 2. Aufl. 1905, S. 441. -) Grundriß der Psychologie. 1893. S. 21. '■') Vgl. A. Messer, Psychologie. 1914. S. 7off. das allermindeste von Sinnesorgan und Sinnesreiz oder einer Beziehung zu ihnen enthalten. Die Tonempfindung bleibt Tonempfindung, die Farb- empfindung bleibt Farbempfindung, ganz unab- hängig von Organ und Reiz. Sie ist genau so in sich selbst bestimmt, wie die longitudinale Wellen- form in sich selbst und von allen Tönen unab- hängig als das, was sie ist, bestimmt ist. *j Gesetzt, es würde eine Ton- oder Farbemp- findung aufgefunden, die ohne Sinnesreize zustande- gekommen wäre, sie würde damit nicht aufhören, Ton- und Farbempfindung zu sein. Und es gibt ja in der Tat echte Empfindungen, die nichts mit der Reizung peripherer Organe zu tun haben: es sind die Empfindungen, die wir in Träumen haben und in dem pathologischen Zustande der Hallu- zination. Denn das, was hier erlebt wird, sind nicht etwa bloße „Phantasien", bloß „eingebildete" oder vorgestellte Empfindungen, sondern es sind völlig echte Empfindungen — an und für sich betrachtet in keinem Punkte von den ge- wöhnlichen reizbedingten Empfindungen ver- schieden. Die ganze Eigenart des Traum&j be- ruht vielmehr gerade darin, daß ich innerhalb seiner „aktuelle" Erlebnisse habe, d. h. Er- lebnisse, die sich genau so anlassen, wie das Sehen, Hören, Tasten, Schmecken selbst, keineswegs aber wie bloße Vorstellungen von ihnen; das kann je- doch nur heißen: ich habe echte Empfindungen. Dadurch unterscheidet sich der Traum von einem Phaniasiegebilde. Natürlich wird der „physiologische" Psychologe trotzdem seine Definition aufrecht zu erhalten suchen. Da er keine peripheren Reize vorfinden kann, spricht er von „zentralen". Indessen damit begibt er sich vollends ins Gebiet der Hypothese. Denn natürlich sind derartige zentrale Reize nicht nachweisbar, sondern erst ai/ Iwc hypostasiert. -} Vor allem ist der Begriff des physiologischen Reizes selbst kein so einfacher und eindeutiger Begriff, daß man durch seine Einführung eine wesentliche Klärung des Sachverhaltes erwarten könnte. Das gilt vor allem deshalb, weil keineswegs jede physiologische Lebensbedingung, ja noch nicht einmal jede Veränderung in der Lebensbedingungen als Reiz angesehen werden darf. ^) Will man mit leidlicher Klarheit vom ReizbegrifT ausgehen, so kann nur der periphere Reiz in P^rage kommen: von ihm aber steht ohne Zweifel fest, daß er im Falle von Traum und Halluzination nicht vorhanden ist. Trotzdem begegnen wir auch hier dem Tatbestande der Empfindung. Folglich kann die Empfindung nicht durch Bezugnahme auf die Reize bestimmt werden. Wir brauchen jedoch das Gebiet der abnormen Bewußtseinstatsachen gar nicht in Frage zu ziehen. Bereits innerhalb der normalen zeigt sich mit ') Vgl. a. a. O. S. 181 ff. (Unke). ») Vgl. a. a. O. S. 202. ') Vgl. a. a. O. S. 202 u. die dort angeführte Stelle bei V er wem, Erregung und Lähmung. N. F. XVII. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 339 voller Evidenz, daß die Orientierung der Empfin- dungen am Reizbegriff zu Irrtümern und Unklar- heiten führt. Ja, noch mehr: sie führt zum Schlimm- sten, was es in der Wissenschaft überhaupt gibt, zur Fälschung des feststellbaren Tatbestandes. Man macht der Definition und der in ihr zum Ausdruck kommenden Theorie zuliebe allerlei willkürliche Erfindungen. IVIan ersetzt den schlicht beobachtbaren Tatbestand durch ein Märchen. Es handelt sich dabei um folgendes : Nach der vorausgesetzten Theorie ist erfordert, daß überall, wo eine Empfindung vorhanden ist, auch ein peripherer Reiz vorhanden sein muß. Nun zeigt aber die Beobachtung in vielen Fällen, daß ein solcher Reiz beim besten Willen nicht aufzu- finden ist. Die Folge ist: man leugnet einfach dem klaren Tatbestand zum Trotz, daß hier überhaupt eine Empfindung vorgelegen habe. Man verflüchtigt die Empfindung zu einer bloßen Vorstellung oder zu einem interpretierenden Urteil und spricht von „Deutungen", von „Urteils- täuschungen" und dergleichen. ') Das ist in der Tat das allgemein verbreitete Verfahren; es entspricht zugleich auch der popu- lären Meinung und der gewöhnlichen verschwom- menen Ausdrucksweise. Bekanntlich ist das physikalische Licht, das ein bei Tage weißes Blatt Papier bei Lampenbeleuchtung aussendet, von der Art, daß es für sich genommen den Eindruck des Gelben erzeugt. Trotzdem nennen wir es auch dann noch ein weißes Papier. Weshalb? Die gewöhnliche Antwort lautet: wir nehmen auf Grund früherer Erfahrungen in die gegen- wärtige Empfindung des Gelben gleichsam die Meinung hinein, daß es doch , .eigentlich" oder „in Wahrheit" weiß sei ; wir beschreiben das als gelb empfundene als weiß. Wir unterliegen auf Grund früherer Erfahrung einer „Urteilstäuschung", die so groß ist, daß schließlich die in Wirklich- keit vorhandene Empfindung für unser Bewußtsein gänzlich zurücktritt. Die Gelb-Empfindung selbst bleibt „unbemerkt" und an ihre Stelle schiebt sich das Urteil: „dies ist weiß". Aber mit dieser Auffassung ist der wahre Sachverhalt völlig auf den Kopf gestellt. Denn selbstverständlich ist das von Anbeginn Vorhandene das Weiß. Es ist mir etwas gegeben, dem die Eigenschaft „weiß" genau so unmittelbar zukommt wie dem bei Tageslicht gesehenen weißen Papier. Nenne ich den Bewußtseinszustand, den ich in diesem letzteren Falle erlebe, eine Empfindung, so muß ich auch den der Abendbeleuchtung ent- sprechenden eine Empfindung nennen. Zu einer anderen Auffassung komme ich immer nur dadurch, daß ich das Vorhandensein und die Art des Reizes für die Empfindung entscheidend sein lasse, daß ich die Annahme mache, es ent- spräche demselben Reiz allemal auch dieselbe Empfindung, die „Konstanzannahme" wie sie neuerdings genannt worden ist^. ) Das ist aber in der Tat nichts anderes als eine Fälschung des Tatbestandes: ein Hinweg- philosophieren und Hinweginterpretieren der Tat- sachen. Und man hat wirklich auf diese Weise die interessantesten Tatsachen übersehen, weil man sie für theoretisch unmöglich hielt. Dahin gehört z.B. das folgende: Wenn ich auf einem sogenannten Farbenkreisel schwarze und weiße Farbqualitäten in bekannter Weise zur Verschmelzung bringe, so ist es physiologisch genommen offenbar gleich- giltig, ob ich die Farben in schwarzen und weißen Sektoren auftrage und also etwa einen schwarzen Vollkreis rotieren lasse, in dem ich einen weißen Sektor von 1 5 " angebracht habe oder ob ich statt des weißen Sektors einen Ausschnitt in der schwarzen Scheibe oft'en lasse, diese dafür aber so aufstelle, daß sie vor einem weißen Hintergrund rotiert. In der Tat sind die Reizverhältnisse auf der Netzhaut des Auges, soweit sie durch das physi- kalische Licht bedingt sind, in beiden Fällen ganz dieselben. Betrachtet man nämlich beide Scheiben durch eine Blende, die nur die verschmelzende Farbe als solche sichtbar macht, dagegen die Gegenstände verdeckt, an denen sie haften, so be- merkt man keinen wesentlichen Unterschied. Völlig anders aber wird die Situation, wenn die Blende entfernt wird. Denn dann erblickt man den Hintergrund in einer gewissen Entfernung hinter dem Kreisel, der nun seinerseits wie eine Art Schleier erscheint, und die gewöhnlichen Mischungs- gesetze gelten nicht mehr; ich sehe nicht mehr ein Dunkelgrau, ein durch einen Sektorenanteil von is" Weiß aufgehelltes Schwarz, sondern ich sehe ein hinter einer Art Schleier befindliches und durch ihn etwas getrübtes Weiß. Das frühere („reduzierte") Dunkelgrau erfährt eine wesentliche, sehr deutlich merkbare Aufhellung. Und diese Aufhellung erlebe ich in der Weise einer un- mittelbaren Empfindung, nicht etwa ist sie eine bloße — beurteilende — Ausdeutung: ich beurteile keineswegs den Hintergrund als „in Wahrheit" hellgrau (so wie ich etwa eine ge- schminkte Dame als „in Wahrheit" blaß beurteile), sondern ich sehe ihn tatsächlich Hellgrau, emp- finde ganz offenbar ein echtes Hellgrau (wie ich das Blaß im anderen Falle eben gerade nicht sehe oder empfinde, sondern nur hinzudenke oder hinzuvorstelle. -) Dieses Experiment kann aber noch zu anderen Betrachtungen .Anlaß geben. Der klar gegebene Tatbestand zeigt, daß ich die beiden Farben in verschiedenen Ebenen sehe; die reduzierte (mit der Blende betrachtete) in einer unbestimmt loka- lisierten, die frei gegebene in einer bestimmt ab- ') Vgl. ;>. a. n. .S. gekennzeichaeten Verfal merksam gemacht. 1S3IT. Auf das Unstatthafte des oben ens hat zuerst Felix Kruepei aul- ') Vgl. Wolfgang Köhler, Über unbemerkte Empfin- dungen und Urteilsstimmungen. Zeitschr. f. Psychol. Bd. 66. •=) D. Katz, Die Erscheinungsweise der Farben. Zeitschr. f. Psychol. Ergzbd. 7, S. 146 ff. Vgl. dazu auch meine oben erwähnte Arbeit S. 198 IT. 340 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 24 schätzbaren Entfernung hinter der rotierenden Scheibe. Indessen : handelt es sich nicht auch hier schon um eine bloße Ausdeutung der gegebenen Empfindungen? In verschiedenen Entfernungen sind doch „in Wahrheit" nur die physikalischen Reize. Die Farben dagegen sind nach herrschender Meinung, die nach dem bisherigen auch die unsere zu sein schien, Empfindungen. Empfindungen aber sind in uns, sind Bewußtseinszustände, Er- lebnisse eines wahrnehmenden Subjektes. Wie kann ich behaupten, daß sie draußen in der Außen- welt vorhanden, daß sie in verschiedenen Ebenen lokalisiert sind? Wie kann ich auch nur behaupten, daß sie räumlich ausgedehnt sind? Man hat sich freilich vielfach nicht gescheut nach dem Vorgange Mach 's und anderer von Empfin- dungen zu reden, die einen Raum einnehmen. Damit kommen wir zu einer neuen Unklarheit des Empfindungsbegriffes. Es ist nämlich das gar nicht wahr, was vielen als selbstverständlich gilt: daß grau, weiß, schwarz, blau und gelb, daß Töne, Geräusche und ebenso empfundene Widerstände und Temperaturen überhaupt Empfindungen sind. 1) Damit bezeichne ich den Punkt, an dem die ausschließliche Orientierung an Physik und Physio- logie für die Psychologie der Empfindung am ver- hängnisvollsten geworden und an dem zugleich die herrschende Verwirrung noch am größten ist. Denn sie hat ihren Nährboden nicht nur in physio- logischen, sondern auch und noch mehr in philo- sophischen Vorurteilen. Ich meine das bekannte Vorurteil, daß sich in dem Worte „kein Objekt ohne Subjekt" ausdrückt und nach dem die Welt nur als Welt der Wahrnehmung existiert. Die Welt erscheint von vornherein als so etwas wie eine Summe von Empfindungen — „das Ding ist ein Komplex von Empfindungen" ist ein Satz, den wir selbst bei vergleichsweise „realistischen" Denkern vielfach finden können, und es scheint darum, als brauchten wir nur Analysen und Ab- straktionen an den unmittelbar gegebenen Objekten vorzunehmen, um schließlich auf letzte „Elemente" zu gelangen, die identisch mit den Empfindungen sein müssen. Das ist indessen ein fundamentaler F'ehler. So- lange mant wenigstens unter einer Empfindung etwas versteht, das in irgendeinem Sinne oder unter^tirgendeinem Gesichtspunkte als Bewußt- seinszustand aufgefaßt werden darf, ist es schlechterdings widersinnig, Rot, Blau usw. als Empfindungen zu fassen. Rot und Blau sehe ich, aber es ist lächerlich zu sagen, daß Bewußtseins- zustände von mir gesehe n werden können. Um das genau zu erkennen, ist freilich nötig, daß man sich um eine strenge Analyse dessen bemüht, was den Tatsachen gemeinsam ist, die sich sinn- voll als Bewußtseinszustand bezeichnen lassen. Bewußtseinszustände sind Zustände eines er- lebenden „Subjektes". Im wesentlichen dasselbe wie Bewußtseinszustand bezeichnet das Wort „Er- lebnis". Aber ein Erlebnis, das nicht erlebt wird, ist genau so unmöglich wie ein Zustand, der nicht Zustand von etwas ist. Es muß ein erlebendes Etwas da sein, das die Zustände hat oder erlebt. Beide gehören zueinander etwa wie die Größe zur Gestalt oder wie Berg und Tal: sie gehören unabtrennbar zusammen, es ist geradezu wider- sinnig, das eine ohne das andere zu denken. Stelle ich mir eine Gestalt vor, so hat sie stets und notwendigerweise eine bestimmte Größe: sobald ich mir die Gestalt vernichtet denke, muß ich auch die Größe mitvernichett denken. Analog ist das zugehörige Tal vernichtet, sobald ich den Berg vernichtet denke. Nicht anders verhält es sich mit dem erlebenden Subjekt und seinen Zuständen. Stelle ich mir ein fühlendes, wollendes, denkendes, vorstellendes, empfindendes Subjekt vor, so zeigt sich das Pfühlen, Wollen, Denken, Vorstellen, Empfinden, ebenfalls dem Subjekt unabtrennbar zugehörig. Auch hier zieht die Vorstellung der Vernichtung des Subjektes ohne weiteres diejenige der Ver- nichtung seiner Zustände nach sich. Stelle ich mir ein betrübtes, bekümmertes oder müdes Sub- jekt vor, so ist mit der Vorstellung der Subjekt- vernichtung auch diejenige der Betrübnis und der Müdigkeit verbunden. Das Subjekt ist „unselb- ständig" und bildet erst mit der Betrübnis und der Müdigkeit zusammen ein einziges untrennbares konkretes Ganze. ') Gani anders steht es aber mit Rot und Blau usw. Stelle ich mir ein Subjekt vor, das eine rote oder blaue Fläche wahrnimmt und somit ihre Farbe empfindet, so bedeutet hier die vorgestellte Subjektvernichtung nicht zugleich auch die Ver- nichtung der Farbe. Ich muß vielmehr mit innerer Notwendigkeit die empfundene Farbe als etwas von dem empfindenden Subjekt Getrenntes vor- stellen, als etwas, das ihm als ein von ihm Ver- schiedenes gegenübersteht. -) Oder von der anderen Seite her gesehen: wenn ich erstens eine blaue Farbe vorstelle und zweitens ein wahrnehmendes Subjekt, so habe ich an und für sich noch nicht das mindeste von einer Empfindung dieses Blau vorgestellt: diese ergibt sich erst als dritte neue Vorstellung auf Grund einer Relation zwischen dem Blau einerseits und dem empfindenden Subjekt andererseits. Dagegen kann ich niemals eine bloße Betrübnis oder Müdigkeit so an sich selbst und abgetrennt von jedem erlebenden Subjekt vorstellen wie das Blau. Sondern hier findet sich das Subjekt stets mit unentrinnbarer Notwendigkeit als zu- gehörig mit ein. Eine Betrübnis oder Müdigkeit, die nicht die Betrübnis oder Müdigkeit eines „Etwas" wäre, dem sie als „Zustand" zukommt, eine solche ') Vgl. hierzu und zum folge merkuDgen a. a. O. S. 40 IT. ■-■) VrI. O. S. lo3fT., 113 f. N. F. XVn. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 341 Betrübnis oder Müdigkeit wäre ein Nonsens wie eine Gestalt ohne Größe oder ein Berg ohne Tal. Also: wir haben zwei grundverschiedene Gruppen von Tatbeständen zu unterscheiden, erstens solche, die Bewußtseinszustände sind, und zweitens solche, die etwas anderes sind. Farben — und von den Tönen und vielem anderen gilt ganz dasselbe — sind keinesfalls Bewußtseinszustände: sie sind also auch keine Empfindungen. Wohl aber werden sie emp- funden. Es besteht eine Beziehung, die von ihnen aus zu dem, was wir mit Recht Empfindungen nennen dürfen, hinüberführt. Es folgt ja aus unseren Betrachtungen unmittelbar, daß es nicht nur die Farbe gibt, sondern auch ein Sehen der Farbe, nicht nur den Ton, sondern auch ein Hören des Tones, nicht nur die Temperatur, sondern auch ein Empfinden der Temperatur usw. Das Emp- finden ist eine Bewußtseinstatsache, die in eigen- tümlicher Weise auf etwas anderes gerichtet ist, das nicht selbst eine Bewußtseinstatsache ist. Es ist — um einen in der modernen Psychologie und Philosophie durch Franz Brentano in Auf- nahme gekommenen Ausdruck zu verwenden — eine intentionale Bewußtseinstatsache oder (da man eine Bewußtseinstatsache auch kurz als Akt bezeichnen kann) ein intentionaler Akt.*) Dem Akt stellen wir den von ihm erfaßten Gegenstand gegenüber. In unserem Falle sind also die Farben und Töne dergleichen Gegen- stände. Sie sind in der Tat so wenig Bewußt- seinstatsachen, daß wir sie vielmehr — ganz wie der sog. naive Mensch — als Eigenschaften der Dinge der Außenwelt auffassen müssen. Es scheint nun, als ob wir uns damit in fla- granten Widerspruch zu allen physiologischen und physikalischen Forschungsergebnissen gesetzt hätten. Hat nicht die Physik mit unbez weifelbarer Gewißheit festgestellt, daß Rot und Blau keine Eigenschaften der Dinge der Außenwelt sind? Wir können darauf nur antworten, daß das nicht wahr ist. Die Physik hat das nicht festgestellt, ja es ist ganz unmöglich, dies auch nur zu denken. Ein Blau und ein Rot, das dasjenige sein und bleiben soll, als das es jedermann bekannt ist, ist seinem Wesen nach stets die Eigen- schaft eines Gegenstandes derAußenwelt. Was die Physik in Wahrheit bewiesen hat, ist etwas ganz anderes, nämlich daß gewisse Außen- weltseigenschaften wie eben die Farben und Töne dem unmittelbaren Anscheine zum Trotz nicht real oder wirklich vorhanden, sind. -) Sie hat gezeigt, daß sie nicht in der Weise vorhanden sind, wie wir dies von der Erde, von den Menschen, von den Bäumen, Bergen und Häusern normaler Weise anzunehmen pflegen. Sie hat gezeigt, daß dies nicht mit den Stoffen auf gleicher Stufe steht, die der reale Chemiker im realen Labo- ratorium analysiert, sondern mit fingierten Stoffen, sagen wir z. B. mit den idealen Gasen. Aber auch die idealen Gase sind räumliche Gebilde, sind jedenfalls ganz sicher keine Bewußtseins- tatsachen, sondern (individuelle) Tatsachen, die etwas von Bewußtseinstatsachen Verschiedenes sind. Für solche Tatsachen aber ist es nur ein anderer Ausdruck, wenn wir sie als der Außen- welt angehörig bezeichnen. *) Doch kehren wir zu den Empfindungen zurück. Wir wissen bis jetzt nur, daß sie den in- tentionalen Akten zugehören. Aber nicht sind die intentionalen Akte ohne weiteres Empfindungen. Wenn ich eine Farbe erfasse, so ist das Erfaßte stets mehr als eine bloße Farbe. Ich erfasse (sofern es sich, wie wir hier immer voraussetzen wollen, um ein konkretes oder anschauliches Ge- bilde handelt) mit ihr zugleich immer auch einen räumlich ausgedehnten Gegenstand, der ihr wieder- um unabtrennbar zugehört, ein irgendwie räumlich gestaltetes Etwas oder (wie wir kurz sagen können) eine „Gestalt". Analog sind die Töne mit zeitlichen Eigenschaften ausgerüstet. Und diese zeitlichen Eigenschaften können mit den Tönen zusammen einen Reichtum konkreter gestaltartiger Gebilde hervorbringen wie die Farben mit ihren räum- lichen Eigenschaften; die bekanntesten von ihnen sind die Melodien. So sind überhaupt alle Gegenstände der Außenwelt durch zwei aneinander gebundene und unabtrennbare Momente charakterisiert: einerseits durch gestaltliche oder formale (sie lassen sich am einfachsten, wenn auch vielleicht noch nicht ganz zulänglich, dadurch charakterisieren, daß sie bei jeder konkreten Teilung verschwinden ^), andererseits durch materiale (die bei jeder kon- kreten Teilung erhalten bleiben); die materialen sind diejenigen, die uns hier allein interessieren: es sind eben die Farben, Töne, Gerüche, Tem- peraturen, Widerstandsqualitäten usw. Empfindungen sind nun nichts anderes als die- jenigen Akte oder Bewußtseinserlebnisse, in denen materiale Eigenschaften der Gegenstände der (sei es nun realen oder nicht realen) Außenwelt aktuell erfaßt werden. Diese Akte sind ihrem Wesen nach unselbständige Teile von Gesamtakten, in denen der volle konkrete Außengegenstand erfaßt wird und die die Wahrnehmungen dieses Gegenstandes heißen. Damit haben wir eine rein psychologische Definition der Empfindung gewonnen. Sie bedarf aber noch einiger Erläuterungen. ^) Zunächst scheint es mir eine Selbstverständlich- keit zu sein, daß die erfassenden Empfindungsakte von den erfaßten materialen Eigenschaften der ») Vgl. a. a. O. S. VI, VII). '^) Über den Sinn des Wortes S. 120 ff. (Abschn. VIII). 5 ff., 79 ff. und 96 ff. (Abschn. V, :h" Tgl. a. a. O. ') Vgl. a. a. O. S. 115. -) Näheres hierüber a. a. O. S. 250 f. Selbstverständlich dürfen nur rein gegenstandstheoretische Gesichtspunkte für die Teilung in Frage kommen. ä) Vgl. a. a. O. S. 16 fr. u. den ganzen Abschnitt X. 342 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVn. Nr. 24 Außengegenstände ihrer Art nach abhängig sind. Mir ist innerhch anders zumute, wenn ich Blau und wenn ich Rot, wenn ich einen Ton und wenn ich eine Farbe empfinde. Dieses „Zumutesein", sofern es nur eben ausschließlich als bedingt durch den Außengegenstand erlebt wird und formale Eigenschaften dabei außer Spiel bleiben, bedeutet die spezifische Eigenart der jeweiligen Empfindung. So gelangen wir zur Empfindung des Rot, Blau usw., die ihren besonderen Charakter dadurch ge- winnt, daß sie eben eine Empfindung dieser be- treffenden Qualitäten ist, eine meinem Bewußtsein eigentümliche, allein von diesen Qualitäten be- dingte besondere „Färbung". Ich bin nicht selbst rot oder blau, aber ich bin ein rot oder blau Empfindender. Auch wenn ich müde und hungrig bin, werden bestimmte Gegenstände der Außenwelt von mir empfunden (in diesem Falle der eigene Körper oder Teile von ihm) : auch bei ihnen sind mateiiale Qualitäten gegeben, wenn sie auch zugunsten des hier sich besonders auf- dringlich geltend machenden „Zumuteseins" für das Bewußtsein zurücktreten und nur als die Bezirke oder Stellen gegeben sind, die dieses Zumutesein unmittelbar auslösen. *) Dergleichen „ichfremde" Bezirke aber müssen immer für uns vorhanden sein, wenn von Empfindungen in irgend einer Weise die Rede sein soll: auch die sog. „Organ- empfindungen" (für die eben Hunger und Müdig- keit Beispiele bilden) setzen, so wenig „gegen- ständlich", richtiger „außengegenständlich", „ding- lich" sie sind, das Gegebensein von etwas voraus, das sich deutlich von jedem Bewußtseinssubjekt und Bewußtseinszustand unterscheidet. Das Hunger- erlebnis zwar, die Hungerempfindung ist ein solcher Zustand, genau so wie das Roterlebnis und in specic die Rotempfindung ein Bewußtseinszustand ist : genau so aber wie das Roterlebnis (in diesem Falle über das erlebte Rot hinweg) an etwas ge- knüpft ist, das in keinem Falle als Bewußtseins- zustand oder überhaupt als psychische Tatsache behauptet werden darf, nämlich an ein räumlich ausgedehntes Gebilde, das eben rot „ist", und ohne diese Verknüpfung gar nicht sinn- voll gedacht werden kann, genau so ist ') Vgl. a. a. O. S 161 ff. auch das Hungererlebnis nur dann als das, was es nun einmal ist, sinnvoll zu denken, wenn wir es uns vorstellen als ausgehend von einer körperlichen Stelle, einem Bezirk im Innern unseres Leibes: dieser Bezirk aber gehört seinem Wesen nach nicht zum „Ich" im psychologisch bedeut- samen Sinne, zum Bewußtseinsich oder jenem eigenartigen Etwas, dessen Zustände eben die „Bewußtseinszustände" sind. Ich kann mir die (rote) Fläche, die die Ausgangszone der Rot- empfindung eines beliebigen Menschen bildet, ohne Schwierigkeit und vor allem ohne Wider- sinn als weiterbestehend vorstellen, während der sie empfindende oder erlebende Mensch seinerseits nicht mehr besteht; ich kann dies sogar dann, wenn die fragliche Fläche an seinem eigenen Leibe lokalisiert ist: ein vorher vom lebenden Menschen als rot empfundener Blutfleck auf seiner Hand bleibt als räumlicher Bezirk auch noch am Toten bestehen. Ganz analog bleibt die Stelle, von der aus eine Hungerempfindung ihren Ausgang nahm, noch weiter bestehen oder kann als weiter be- stehend gedacht werden, auch wenn der Emp- findende selbst als tot gedacht wird. ') Auch Gefühle (wie vor allem Lust und Unlust) können nun zwar auf Gegenstände der Außen- welt bezogen werden, indessen geschieht dies zu- nächst immer nur indirekt: wir freuen uns und sind traurig über etwas uns schon durch Akte des Empfindens (oder sekundär des Vorstellens '^) Gegebenes, vor allem aber sind die letzten spe- zifischen Arten der Gefühle durchaus nicht speziell an Teile der Außenwelt gebunden; ich kann mich ebensogut etwa über ein früheres Er- lebnis freuen wie über eine schöne Farbe usw., das Gefühl der Freude als solches bleibt dabei ungeändert. ') So zeigt sich, daß wir unsere Aufgabe gelöst haben ; es ist uns geglückt den Begriff der Emp- findung sachgemäß, d. h. rein psychologisch, ohne Anleihen aus physiologischem Gebiete, zu bestimmen. ') Vgl. a. a. O. S. 161 ff-. '^) tjber die Abgrenzuog von Vorstellung und „aktueller" Wahrnehmung (nicht Empfindung) vgl. zur Ergänzung des Obigen noch a. a. O. S. 366 ff. [Nmchdruck verboten.] Wer sich mit der wissenschaftlichen Unter- suchung von Himmelserscheinungen befaßt, die den Augen des Beschauers allgemein zugänglich sind, ohne daß man dabei besonderer Instrumente bedarf — es handelt sich in der Hauptsache um Polarlichter, Feuerkugeln, Sternschnuppen und ähnliches — , der wird schon oft die Erfahrung gemacht haben, daß nicht selten aus Laienkreisen Beobachtungen mit unterlaufen, die nicht ohne Falsche Himinelserscheinungen. Von C. Hoffmeister, Bamberg. weiteres gedeutet werden können, oder die aus verschiedenen Gründen Anlaß zu Bedenken geben, trotzdem der Einsender durchaus vertrauenswürdig sein mag. Da man bei den genannten Erschei- nungen indessen meist nicht auf jene Mitteilungen aus weitesten Kreisen verzichten kann, so ent- stehen durch die Mitnahme solcher Beobachtungen leicht Irrtümer und Fehlschlüsse in den Ergebnissen, die nur dadurch vermieden werden können, daß N. F. XVII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift 343 der Bearbeiter mit viel Kritik und äußerster Vor- sicht zu Werke geht. Ich habe in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Beispielen derartiger Beobachtungsfehler gesammelt, teils aus der vor- liegenden Literatur, teils bei eigenen Arbeiten auf den obengenannten Gebieten, und eine gedrängte Übersicht dieser Fälle dürfte sowohl nützlich als unterhaltsam sein, ersteres insofern, als dadurch die Beobachter der angeführten und ähnlicher Er- scheinungen zur Selbstkritik erzogen und davor gewarnt werden, in die gleichen Fehler zu ver- fallen. Es soll hier nicht die Rede sein von den vielen Täuschungen physiologischer und psycho- logischer Art, denen die Beobachter überraschender und großartiger Naturerscheinungen unterworfen sind: Zischen und Pfeifen, Eindruck unmittelbarer Nähe und Wärmeempfindung bei Meteoren, Schwefelgeruch bei Gewittern usw. Vielmehr handelt es sich hier erstens um die falsche Deutung irdischer Vorgänge als Himmelserscheinungen, zweitens um Naturereignisse, die sich zwar am Himmel abspielen, vom Beobachter aber für etwas anderes angesehen werden, als sie in Wirklichkeit sind. Unter den irdischen Vorgängen sollen dabei nur solche verstanden werden, die ihren Ort in unmittelbarer Nähe der Erdoberfläche haben und meist durch Menschenhand verursacht sind, wo- gegen z. B. gewisse Wolkenbildungen der zweiten Klasse beizuzählen wären. Einige lehrreiche Beispiele eigener Beobachtung führt Prof. Plaßmann in den „Mitteilungen der Vereinigung von Freunden der Astronomie und kosmischen Physik", Jahrgang 1909, Seite 124, wie folgt an: „Von dem Vorgarten einer rheinischen Villa aus, wo ich beobachtete, sah ich neulich, daß sich durch den Großen Bären ein ziemlich geradliniger schimmernder Streifen zog, der an einen sehr langen Kometenschweif, etwa an die durch Abbildungen allgemein bekannte Erschei- nung von 1843, erinnerte. Indessen sprach, von anderen Erwägungen abgesehen, die Art der Licht- abstufung gegen diese Ansicht; eher konnte ein Nordlichtstrahl vorliegen. Weil indessen für einen solchen der Streif zu beständig leuchtete, wurde der Feldstecher darauf gerichtet, welcher ihn sofort in lauter feine Linien, die von einer Laterne be- leuchteten Telegraphendrähte der Landstraße, auf- löste. Der Streifen hatte an der breitesten Stelle etwa 2 Grad. — Zufällige Lichtblitze auf einzelnen Telegraphendrähten habe ich auf Wanderungen früher im ersten Augenblick so häufig für Meteore gehalten, daß ich ein öfteres Vorkommen dieses Irrtums auch bei anderen Personen vermuten möchte. Daß Telephonleitungen bei Tage den Eindruck von Schichtwellen machen können, ist allgemein bekannt." — Blitze auf Fernsprech- drähten, die für Sternschnuppen hätten angesehen werden können, — es kommen wohl nur neu ge- zogene, noch glänzende Drähte in Betracht, — habe ich selbst noch nicht beobachtet, wohl aber Spiegelungen in Glasscheiben, besonders solche ferner Lichter in den Scheiben nichtbrennender Straßenlaternen, und glaubte oft im ersten Augen- blick, einen Meteor vor mir zu haben. Einen fast gespenstischen Eindruck machen übrigens die matten Lichtflecken, die bei feuchtem Wetter durch Spiegelung der Straßenlichter an den Drähten der Fernsprechleitungen entstehen und losgelöst am dunklen Himmel zu schweben scheinen. An der obengenannten Stelle, Jahrgang 1909, Seite 109, findet sich ferner folgende Wahrnehmung mitgeteilt, deren Ursache die Einsenderin sich nicht erklären konnte: „Am 20. Juli 1909, abends 9 Uhr 5 Minuten, bei tiefer Dämmerung und ganz wolkenlosem Himmel sahen wir drei Personen genau im Osten einen „Stern", welcher sich von Zeit zu Zeit langsam fortbewegte, nach rechts, nach links, etwas in die Höhe, aber stets zu der Stelle zurückkehrte, an der wir ihn zuerst erblickt hatten. Von Zeit zu Zeit, und das war das Wunderbare, flammte er auf in hellem rotem Lichte, in der Zeit bis 9 Uhr 35 Minuten wohl 6 bis 8 mal. Dann wurde der Stern kleiner, ging in die Höhe und verschwand nach und nach." Die scheinbare Höhe wurde zu 30" angegeben. Der Herausgeber der genannten Zeitschrift, Prof. Plaßmann, schließt aus der Beschreibung, daß es sich wahrscheinlich um eine an einen Drachen gehängte Papierlaterne handelte und knüpft daran folgende Bemerkungen : . . . „Sobald nämlich eine Kerzenflamme erst sternartig aussieht, macht sie einen blutroten Eindruck, gleich Mars und den Fixsternen des vierten Spektraltypus. Was die Helligkeit angeht, so hat eine Meterkerze die Helligkeit eines Sterns der Größe — 13,6. Den Verlust durch die Absorption im Papier auf 2,5 Größenklassen schätzend, geben wir dem Spiel- zeug in I m Abstand die Sterngröße — li,i. Die Herabsetzung um 14,1 Größenklassen auf die von der Beobachterin angegebene Größe -\- 3 bedeutet eine Division der Lichtstärke mit io'-i''°''= ios.64, eine Multiplikation des Abstandes mit lo='8=^66o. Vermutlich ist die Winkelhöhe etwas überschätzt; sonst bekäme man die nicht gerade wahrscheinliche Erhebung von 330 m über dem Erdboden bei 577 m Horizontalabstand. Letzteren schätzt üb- rigens die Einsenderin selbst auf 600 m." Plaß- mann berichtet ferner, daß auch er einst wohl eine Minute lang ein solches Drachenlicht für Kapella gehalten habe, während der wirkliche Stern nur wenige Grade entfernt hinter Bäumen stand. — Aus meiner frühen Jugend erinnere ich mich einer Zeitungsnachricht, daß „ein Meteor 10 Minuten lang am Nordhimmel gesehen worden sei". Bald darauf wurde festgestellt, daß auch hierbei ein Drachenlicht den Anlaß gegeben habe. Aus den Zeitungen können ähnliche Meldungen auch in die zu wissenschaftlichen Zwecken an- gelegten Meteorverzeichnisse übernommen werden. Freilich wird dadurch nur wenig Schaden an- gerichtet, denn wenn keine Einzelheiten mitgeteilt sind, dann kann die betreffende Beobachtung auch nicht weiter verwertet werden. Andernfalls aber 344 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 24 erkennt der Berechner aus dem Wortlaut meist gleich, was er davon zu halten hat. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Be- obachter von Meteoren sehr häufig solchen Täuschungen unterworfen sind. Meist gehen ja diese schönen Himmelserscheinungen so rasch vorüber, daß der Beschauer erst in der nach- träglichen Erinnerung über das Gesehene zur eigentlichen Klarheit kommen kann. Daß Raketen und Leuchtkugeln für Meteore gehalten werden, ist ein sehr häufiger Irrtum. Wohl unter dem Einfluß des Krieges und der an vielen Orten fast alltäglichen militärischen Nachtübungen tritt dagegen sehr oft auch der umgekehrte Fall ein, daß der Beobachter eines wirklichen Meteors glaubt, einen Feuerwerkskörper gesehen zu haben und erst später aus der Zeitung den richtigen Sachverhalt erfahrt. Bei jedem großen Meteorfall macht man gegenwärtig diese Erfahrung. Die Sinnestäuschungen des Zischens und der Nähe wirken dabei mit. — Doch auch der erfahrene Beobachter ist nicht gegen Irrtümer gefeit. Ich sah eines Abends ein helles rötliches Licht am Himmel und glaubte, eine langsam ziehende Feuer- kugel zu beobachten. Erst als die Erscheinung schon 20 bis 30 Sekunden gedauert hatte und noch nicht enden wollte, kamen mir Zweifel, und schließlich erkannte ich das vermeintliche Meteor als einen Papier-Heißluftballon, dessen Spiritus- flamme und erleuchtete Hülle die erwähnte Täuschung hervorriefen. — Fledermäuse und größere Nachtinsekten können, wenn sie von der Erde her beleuchtet werden, sehr wohl als Stern- schnuppen in die Beobachtungsliste eingehen, ohne daß der Beobachter seinen Irrtum erkennen kann. Eines Tages bemerkte ich eine merkwürdige Sternschnuppe, etwa von der 3. Sterngröße, die sich dadurch auszeichnete, daß sie einen viel größeren Quer- als Längsdurchmesser besaß und sich in einer leicht gekrümmten Bahn bewegte. Die Breite des Körpers entsprach etwa dem scheinbaren Durchmesser des Mondes. Später fand ich ähnliche Wahrnehmungen auch bei anderen Beobachtern, und obwohl mir diese „Meteore" gleich verdächtig erschienen waren, er- folgte die Aufklärung doch erst nach längerer Zeit: es waren Nachtvögel, deren Unterseite, vom Straßenlicht beschienen, den Beobachtern eine merkwürdige Himmelserscheinung vortäuschte. Von unseren heimischen Vogelarten kommen vor allem das Käuzchen und der Ziegenmelker (Ca- primulgus europaeus), zu den Nachtschwalben ge- hörig, in Betracht. — In den Aufzeichnungen von Prof. Heis (gestorben 1875 zu Münster, West- falen), einem der fleißigsten Sternschnuppen- beobachter, kommen gelegentlich dunkle Meteore vor, die vor den hellen Teilen der Milchstraße vorbeigezogen sein sollen. Ihre Deutung als rasch ziehende Wölkchen oder vorüberfliegende Nacht- vögel ist wohl kaum zulässig, am ehesten noch das letztere. Wahrscheinlich handelt es sich um reine Augentäuschungen. Es ist ja eine ganz be- kannte Erscheinung, daß man beim Anblick einer hellen Fläche oft dunkle Flecken vorübergleiten sieht. Etwas ähnliches dürfte auch bei Heis vor- gelegen haben. Der Wetterbeobachter muß sich gleichfalls vor allerlei Verwechslungen hüten und kommt nicht selten in Verlegenheit, wenn er nicht weiß, ob ein eben vernommenes dumpfes Geräusch seinen Ursprung in einer ferner Gewitterwolke oder etwa auf dem Bahnhof, in einer Fabrik, vielleicht gar auf einer benachbarten Kegelbahn hatte. Wetter- leuchten kann durch die Blitze, die an den Ober- leitungen der Straßenbahn entstehen, vorgetäuscht werden, ferner besonders bei Tauwetter durch Kurzschlüsse, die der von den Dächern gleitende Schnee vielfach an elektrischen Leitungen hervor- ruft. Im Vorstehenden war durchweg von Be- obachtungen mit bloßen Augen die Rede. Die Anwendung von Instrumenten schließt einige Fehlerquellen aus, birgt dafür aber wieder neue in sich. Ist das astronomische Sehen an sich schon nicht leicht, so ist die Deutung des Ge- sehenen oft noch viel schwieriger. In den älteren unvollkommenen Fernrohren spielten besonders die Lichtreflexe eine Rolle. Herschel glaubte sieben Uranusmonde gesehen zu haben, während der Planet auch in den stärksten Instrumenten der Neuzeit deren nur vier aufweist. Verschiedene ältere Beobachter berichten über die Wahrnehmung eines vermeintlichen hellen Mondes der Venus, der, wie wir heute wissen, sicher nicht vorhanden ist. In beiden Fällen können allerdings auch zu- fallig im Gesichtsfeld stehende Fixsterne den Irrtum veranlaßt haben. Auch die Lichterscheinungen, die manche, meist unerfahrene Beobachter auf der Nachtseite des Mondes gesehen haben wollen und die sie als brennende Vulkane deuteten, dürften ähn- lichen Ursprungs gewesen sein. — Vor einiger Zeit glaubte man, einen neuen Ring des Saturn gefunden zu haben, der den bis dahin bekannten äußeren Ring als zarter Lichtsaum umgeben sollte. Bei der Nachprüfung an verschiedenen starken Instrumenten war indessen keine Spur davon zu sehen. Es handelte sich um eine Erscheinung, die durch die unvollständige Vereinigung der Lichtstrahlen in der Brennebene des betreffenden Fernrohrs hervorgerufen worden war. Es wird überraschen, zu erfahren, daß selbst die sonst so wahrheitsliebende photographische Platte allerlei Täuschungen ausgesetzt ist. In Er- innerung dürfte noch die Mitteilung von der ver- meintlichen Auffindung eines Kometen in der Nähe der Sonne sein, über die ein Freund der Himmelskunde in Westdeutschland berichtete. Auf einer Sonnenaufnahme zeigte sich außerhalb der Sonnenscheibe ein Lichtfleck, der beim ersten Anblick sehr an einen Kometen erinnerte. Für den Kenner der Sache konnte aber trotzdem kein Zweifel bestehen, daß es lediglich ein im Innern des benutzten Apparats entstandener Reflex sei, besonders, da der Beobachter nach seiner eigenen N. F. XVn. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 345 Angabe ein Vergrößerungssystem angewandt hatte. Die Hoffnung, daß dieser „Komet" bald am Abend- himmel sichtbar sein werde, hat sich als trügerisch erwiesen. Die Aufnahme ist seinerzeit auch an dieser Stelle wiedergegeben worden. — Ein ähn- liches Gebilde fand sich ganz kürzlich auf einer Platte, die auf einer Sternwarte aufgenommen worden war und wurde als Spiegelbild des inner- halb des aufgenommenen Gebietes stehenden Pla- neten Saturn erkannt. Die zur Sicherheit an- gestellten Nachforschungen nach dem etwaigen Kometen waren auch hier erfolglos. Vor einigen Jahren erhielt ich eine von einem dänischen Liebhaber hergestellte Aufnahme der Sonnenfinsternis vom 17. April 191 2 zugesandt, auf der sich eine große Feuerkugel abgebildet haben sollte. Die nähere Besichtigung zeigte, daß die vermeintliche Meteorspur aus lauter kleinen Sonnenbildchen bestand. Offenbar war der x^pparat stark erschüttert oder nicht völlig geschlossen worden, wobei das Bild der Sonne neben der eigentlichen Aufnahme noch einen verschlungenen Weg auf der Platte beschrieb, der dann später als Meteorspur angesehen wurde. Dies sind immerhin ziemlich grobe Beispiele, die jedem, der einige Erfahrung in der Himmels- photographie besitzt, sofort als Fälschungen er- kennbar sind. Handelt es sich indessen um die Aufsuchung feinster Einzelheiten am Sternen- himmel, dann spielen eine große Rolle die Platten- fehler, d. h. die kleinen Unregelmäßigkeiten und schadhaften Stellen der lichtempfindlichen Schicht, die, wenn sie die Form von Pünktchen oder Strichen besitzen, sehr leicht für Sterne, die vorher nicht vorhanden waren, — also für Veränderliche, — oder für kleine Planeten gehalten werden können, welch' letztere sich bekanntlich wegen ihrer Be- wegung auf Daucraufnahmen als Striche abbilden, während das Fernrohr den Sternen durch ein Uhr- werk nachgeführt wird und diese infolgedessen punktförmig darstellt. Will man sich gegen solche Fehler sichern, so bleibt nichts übrig, als stets mit gleichartigen Objektiven zwei Platten zu gleicher Zeit zu belichten. Nur so kann man entscheiden, was ein Plattenfehler ist und was nicht, und die Sternwarten, die die Himmels- photographie als Sondergebiet pflegen, wie z. B. die Großherzoglich badische Sternwarte auf dem Königstuhl bei Heidelberg, sind ganz zu dieser Arbeitsweise übergegangen. Jener im übrigen recht fleißige Liebhaber der Himmelskunde, der den Kometen in der Nähe der Sonne gefunden haben wollte, beglückte vor einigen Jahren die Welt mit der Entdeckung von „Mondmeteoren." Bei der Betrachtung des dunklen, nur vom Erdlicht erhellten Teils der Mondscheibe, kurz vor oder nach Neumond, bemerkte er im Fernrohr mehrfach helle Lichtpunkte, die rasch über die nächtliche Mondlandschaft dahinzogen. Ein Fachmann, dem er diese Entdeckung unter- breitete, sprach sich ohne weiteres dafür aus, daß die Erscheinung ihren Sitz im Auge des Be- obachters habe, ähnlich wie dies oben bei den Heis'schen dunklen Meteoren angenommen wurde, und zeigte, daß auch die beobachtete Helligkeit und Geschwindigkeit mit der Annahme wirklicher Meteore ganz unvereinbar sei, abgesehen davon, daß das Aufleuchten der Meteore eine Lufthülle voraussetzt, die der Mond nach anderen zuver- lässigen Beobachtungen sicher nicht besitzt. Weniger zahlreich sind die Fälle, daß Vor- gänge, die sich wirklich am Himmel abspielen, für etwas anderes angesehen werden als sie sind. Ein bewegtes Schicksal hatte in dieser Hinsicht der Hai ley 'sehe Komet. Wie oft mußte die damals am Morgenhimmel leuchtende Venus die Rolle des Kometen übernehmen! Selbst der hinter einer Wolkenschicht stehende und verwaschen aussehende Mond mußte dazu herhalten, und als gar eines Abends ein Cirrusstreifen sichtbar wurde, der im Mondlicht einem Kometen täuschend ähnlich sah, dabei aber sich über den ganzen Himmel er- streckte, da bildeten sich in meiner Heimat Gruppen von Bewunderern des großen Kometen auf der Straße, und die Nachbarn standen an den Fenstern, um sich keine Einzelheit des himmlischen Schau- spiels entgehen zu lassen, bis der Wolkenstreifen schließlich nach Nordosten hin abzog. — Von einem bald nach der Erdnähe des Kometen in Nordwestdeutschland am hellen westlichen Abend- himmel gesehenen Lichtstrahl ist es zweifelhaft geblieben, ob es wirklich der Schweif des Kometen war oder eine sogenannte Sonnensäule, die man um Sonnenuntergang nicht selten beobachten kann als Brechungserscheinung des Sonnenlichts an den atmosphärischen Eiskristallen, ähnlich wie bei den Sonnenringen. Mit Hilfe einer genauen Bestimmung der Richtung, in welcher der Lichtstreifen sicht- bar war, hätte man die Frage leicht entscheiden können. Dem Fachmann ist in frischer Erinnerung noch das Mißgeschick des amerikanischen Kometen- entdeckers Mellish. Ein von ihm im Herbst 191 5 im Sternbild Einhorn angezeigter Komet entpuppte sich bei näherem Zusehen als der Nebel um den veränderlichen Stern R Monocerotis. Offenbar hatte der Beobachter den Ort des am Fernrohr aufgefundenen Gebildes um einen Grad falsch abgelesen und, als das Verzeichnis der Nebel- flecken an jener Stelle nichts enthielt, einen Kometen angenommen. Vermutlich gestattete eintretende Bewölkung nicht mehr, das Gestirn auf Bewegung zu prüfen, was in solchen Fällen immer die Entscheidung gibt. So etwas kann auch dem ernsten Forscher einmal unterlaufen, und Mellish hatte allenfalls den Trost, einige Tage später einen wirklichen Kometen (191 5 d) im Löwen zu entdecken. Dafür, daß Meteore zu Irrtümern der Beobach- tung Anlaß geben oder hätten geben können, sind mir zwei Fälle bekannt. Der erste betrifft die große, über Thüringen hinweggezogene Feuer- kugel vom 18. Februar 19 12. Der starke, bis auf mehr als 100 Kilometer Entfernung wahr- 346 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 24 nehmbare Donner, der dem Meteor folgte, wurde auf mehreren meteorologischen Stationen einem gar nicht vorhandenen Gewitter zugeschrieben, und in einer späteren Veröffentlichung einer amt- lichen Wetterdienststelle fand ich den betreffenden Tag wiederholt als Gewittertag bezeichnet, was immerhin einigermaßen ins Gewicht fällt, da ja Gewitter zu jener Jahreszeit sehr selten sind. — Ich selbst beobachtete eines Abends, ebenfalls im Winter, bei bedecktem Himmel einen schwachen Lichtblitz in der Wolkendecke und war geneigt, ein Wetterleuchten anzunehmen obgleich dies unter den bestehenden Verhältnissen sehr unwahr- scheinlich war. Aus anderen Orten, die klaren Himmel hatten, wurde dann später über ein zu der- selben Zeit erschienenes helles Meteor berichtet. Die Mehrzahl der hier angeführten Irrtümer mag den meisten Lesern wohl als belanglos und unwichtig erscheinen, sofern es sich nicht um Kometenentdeckungen und ähnliches handelt. Der meteorologische Beobachter aber, der seiner vorgesetzten Behörde (Meteorologisches Institut, Landeswetterwarte) eine monatliche Übersicht aller Erscheinungen, meist auch für jedes Gewitter eine besondere Meldekarte, die u. a. die Zeit des ersten und letzten Donners enthalten soll, einreichen muß, kommt oft in nicht geringe Verlegenheit, wenn es zu entscheiden gilt, ob ein eben wahr- genommenes Geräusch als Donner aufzuschreiben ist, oder anderen Ursprungs war. Gewiß ist es auch an sich ziemlich gleichgültig, ob irgendeine Wetterwarte in einem Jahre einen Gewittertag mehr oder weniger verzeichnet, oder ob eine Stern- schnuppenliste einen Meteor mehr oder weniger enthält. Trotzdem muß der Beobachter bestrebt sein, Irrtümer der bezeichneten Art nach Möglich- keit zu vermeiden. Ist auch in hundert Fällen seine Beobachtung ohne Bedeutung für das tägliche Leben und nur ein kleiner Baustein wissenschaft- licher Forschung, so kann ihr im nächsten Falle doch ein erheblicher praktischer Wert innewohnen. Gewitter und ähnliche elementare Ereignisse können in Straf- und Zivilprozessen eine Rolle spielen, auch bei der Geltendmachung von Ersatz- ansprüchen, im Versicherungswesen und des- gleichen. Nicht selten müssen dann die Beobachter unserer Wetterwarten anHand ihrer Aufzeichnungen Auskunft geben über an sich ganz geringfügige Witterungserscheinungen. — Auch von einem Meteor ist mir ein ähnlicher Fall bekannt. Eine Zeugin wollte beobachtet haben, daß die Feuer- kugel hinter einer Scheune verschwand, die in der gleichen Nacht unter verdächtigen Umständen ab- brannte, und der Gendarmerie-Wachtmeister, der die Ermittlungen führte, nahm allen Ernstes an, daß das Meteor die Scheune in Brand gesetzt haben könnte. Die Beobachtung selbst ist wohl richtig gewesen, das Meteor jedoch war, wie die Berechnung seiner Bahn zeigte, über 100 Kilometer von jenem Ort entfernt und konnte für den Scheunenbrand um so weniger verant- wortlich gemacht werden, als es schon 32 Kilo- meter über der Erdoberfläche erlosch. Und schließlich: Wie kann die Zuverlässigkeit der Forschungsergebnisse verbürgt werden, wenn nicht im einzelnen peinliche Sorgfalt geübt wird? Einzelberichte. Physik. Um Bewegungen der Erdoberfläche, vor allem Erdbebenwellen, zu registrieren und zu untersuchen, benutzt man den Seismographen. Im Prinzip besteht dieser aus einem Pendel mit großem Pendelkörper an einem langen dünnen Faden. Hängt man ein solches an der Zimmer- decke auf, so macht es wegen seiner großen Trägheit kleine, plötzlich erfolgende Bewegungen der Zimmerdecke und des ganzen Gebäudes nicht mit; es behält vielmehr seine Lage im Räume ruhig bei, während das ganze Zimmer z. B. in- folge der Erschütterungen eines schweren Wagens kleine Schwingungen ausführt. Ein unten am Pendel befindlicher Schreibstift zeichnet auf dem Fußboden, da dieser sich unter dem Stift hin und her bewegt, die Schwingungen auf. Sorgt man für eine geeignete Vergrößerung durch Zeiger und bewegt man einen Papierstreifen unter dem Schreibstift fort, dann kann man aus dem auf- gezeichneten Seismogramm die Dauer und Form der Schwingungen bestimmen. Der Apparat wird um so empfindlicher, je länger das Pendel, je größer also seine Schwingungsdauer ist. Man verwendet daher im Seismographen besser ein geeignetes Horizontalpendel, d. h. ein Pendel, das sich um eine nahezu vertikale Achse dreht; es hat eine beträchtliche Schwingungsdauer, ersetzt daher ein sehr langes Pendel und hat mithin große Empfindlichkeit. Fürst Galitzin bringt an dem Pendelkörper eine Induktionsspule an, die in dem Felde eines starken Elektromagneten liegt. Bei Bewegungen der Erdoberfläche entstehen Induktionsströme in der Spule, die den L'chtzeiger eines empfindlichen Galvanometers ablenken; die Aufzeichnung erfolgt auf lichtempfindlichem Papier, das mit einer Geschwindigkeit von etwa 3 cm pro Minute bewegt wird. Außer den durch größere Amplitude und Schwingungsdauer kenntlichen Erdbebenwellen finden sich auf dem Seismogramm stets Auf- zeichnungen von wesentlich kleinerer Schwingungs- weite und kleinerer Frequenz, deren Ursache sicher nicht in fernen Erdbeben zu suchen ist; man nennt sie mikroseismische Bewegungen. Einen Teil der Bewegungen die sogenannte Tages- unruhe, führt man auf Erschütterungen durch N. F. XVII. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 34; den täglichen Verkehr, die Industrie u. a. zurück. Die eigentlichen mikroseismischen Bewegungen dagegen, deren Periode etwa zwischen 2 und 7 Se- kunden liegt, soll nach Wiechert (Göttingen) u. a. ihre Ursache haben in dem Seegang an der Steilküste dessüdlichen Norwegens. Für diese Ansicht spricht zunächst, daß beide den gleichen jährlichen Gang zeigen mit einem Winter- maximum und Sommerminimum; ferner haben beide Erscheinungen die gleiche Periode (zwischen 2 und 7 Sekunden) und drittens nimmt bei beiden die Periode mit der Amplitude zu. In den Ann. der Hydrographie und maritim. Meteorologie 46 (1918) S. 85 veröffentlicht O. Meißner (Potsdam) eine Arbeit: Der See- gang in Norwegen und die mikroseis- mische Bewegung, in der diese Beziehungen einer näheren Prüfung unterworfen werden. Er vergleicht zu dem Zwecke den Seegang in Sku- denes mit der zu gleicher Zeit in Potsdam be- obachteten mikroseismischen Bewegung. Hin- sichtlich der Phase stimmen beide — wie schon gesagt — ungefähr überein. Jedoch ist beim Seegang das Verhältnis der Amplitude des jähr- lichen Ganges zum Mittel 0,33, während dieses Verhältnis bei der mikroseismischen Bewegung über doppelt so groß (0,72) ist, so daß die Jahres- schwankung bei der letzteren sehr viel erheblicher als beim Seegang ist. Das ist aber unmöglich, wenn dieser die Ursache der Bodenunruhe sein soll. Der Parallelismus für beide Erscheinungen, der in den Monatsmittelwerten vorhanden ist, wird in den Tageswerten häufig nicht gefunden. So findet sich in Potsdam mehrfach eine mikro- seismische Bewegung von der AmpHtude 2,5 /t (=0,0025 nim), wenn in Skudenes völlig ruhige See ist. Es spricht somit fast alles da- gegen, daß der Seegang in Norwegen die Ursache der mikroseismischen Be- wegung ist. Auch in Rußland und Sibirien, wo seit 1912 an mehreren Orten mit guten Seismographen nach Fürst Galitzin Beobachtungen angestellt werden, findet sich die mikroseismische Bewegung und zwar zeigt dieselbe, wie Meißner aus den wöchentlichen Berichten der russischen Stationen entnommen hat, denselben Charakter der Jahres- periode und dieselbe Phase des jährlichen Ganges der Wellenperiode wie in Mitteleuropa. Doch nimmt die Intensität der Bewegung mit wachsender Kontinentalität der Beobachtungsstationen merklich ab. Niemand wird im Ernst daran denken, den Seegang in Norwegen für die mikroseismische Bewegung in Sibirien verantwortlich zu machen. Auch der Seegang im nördlichen Eismeer kann als Ursache nicht in Betracht kommen, denn erstens findet sich hier an der flachen Küste keine solche Brandung wie an der norwegischen Steil- küste und zweitens ist im Winter, wenn die mikro- seismische Bewegung am stärksten ist, das Eis- meer zugefroren. Als wahre Ursache der mikroseis- mischen Bewegung ist die Unruhe des Luftmeeres anzusprechen; diese Vermutung ist schon häufig ausgesprochen worden. De- pressionen über Nord-Europa (für Nord-Amerika gilt dasselbe) rufen mehr oder weniger starke Boden- unruhe hervor. Zur Erläuterung bringt Meißner in seiner Arbeit zwei Wetterkarten, die aus- gesprochene Tiefdruckgebiete zeigen; die mikro- seismische Bewegung war gleichzeitig beträchtlich. Barometrische Minima bedingen stets kräftige Luftbewegung und damit stärkeren Seegang, so daß die Unruhe des Luftmeeres als primäre Ur- sache sowohl für den Seegang als auch für die Bodenunruhe anzusehen ist. Indessen besteht über die Art, wie der Luftdruck die feinen Bewegungen der Erdoberfläche hervorruft, in den Ansichten der Forscher keine Übereinstimmung. — Eine weitere Erforschung des Zusammenhanges zwischen Wetterlage und mikroseismischer Be- wegung scheint dem Referenten namentlich während des Krieges von großer Bedeutung zu sein. In unseren Wetterkarten fehlen uns die Angaben aus Nordwest-Europa, die für die Vor- hersage des Wetters ja von besonderer Bedeutung sind. Vielleicht gibt uns die mikroseismische Bewegung irgendwelche Handhaben, auf die Wetterlage der nächsten Tage Schlüsse zu machen, ein Umstand, der sowohl für unsere Flugzeuge (Angriffe auf England) als auch für unsere U-Boote von hervorragender Bedeutung wäre. Seh. Meteorologie. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Witierungserscheinungen in unseren Breiten bietet sich zunächst in einer verwirrenden Mannig- faltigkeit dar. Seit langem ist es deshalb das Be- streben der Meteorologen, das scheinbar regellose Auf und Ab in den Beobachtungsreihen in über- einandergelagerte periodische Schwankungen zu zerlegen, die in periodisch verlaufenden tellurischen und kosmischen Ereignissen ihren Ursprung haben Durch mehrfache Untersuchungen seit den sieb ziger Jahren ^) ist dabei nachgewiesen worden, daß in dieser Hinsicht die elfjährige Periode de Sonnenflecken als klimatischer Faktor eine ge wisse Rolle spielt. Der gesetzmäßige Zusammen' hang ist nach W. Koppen derart, daß den Jahren mit einem Maximum an Sonnenflecken im Mittel eine Temperaturerniedrigung, dem Minimum eine Temperaturerhöhung entspricht, wenigstens soweit es sich um größere geschlossene Klimagebiete handelt. L. Mecking (Ann. f. Hydrogr. usw. 46, I, 191 8) zeigt nun, daß sich für engere Be- zirke die Erscheinung unter Umständen in ent- gegengesetztem Sinne bei Erhaltung der Perioden- dauer bemerkbar machen kann. 1) W. Koppen, Ztschr. öst. Ges. Meteor. 8,1873. — Über d. Beziebg. d. Sonnenfleckenperiode usw.; Diss. Leipr. 1877. — H. Fritz, die Bez. d. Sonnenfl. zu d. magnet. usw. Erscheinungen d. Erde; Haarlem 1878. — I. Milke, die Temperaturscliwankungen 1870— 1910 usw., Diss. Halle 1914 — Ders. Archiv d. Seewarte 1913. — W. Koppen, Met. Ztschr. 1914, 305. 348 Naturwissenschaftlich e Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 24 Es ist anzunehmen, daß bei starker Flecken- tätigkeit die Strahlungsintensität der Sonne ver- mindert wird. Die unmittelbare Wirkung der Änderung muß also vor allem unter solchen kli- matischen Bedingungen zu erkennen sein, die Strahlungseinflüssen am leichtesten zugänglich sind, d. h. in erster Linie auf den großen Kontinental- flächen. So liegt das Jahresmittel der Temperatur für die Station Winnipeg in Nordamerika beim Fleckenmaximum durchschnittlich um 2,6" nied- riger als beim Fleckenminimum. Im Sommer wird verstärkte Einstrahlung sich nur z. T. in Temperaturerhöhung, zum anderen Teil aber in Vermehrung der Niederschläge äußern. Im Winter wird sich dagegen die verstärkte Ausstrahlung lediglich in Temperaturerniedrigung umsetzen. Demgemäß zeigt sich auch die Periodizität im Wmter am stärksten. So wächst die Amplitude in Winnipeg für die mittlere Dezembertemperatur bis auf 10,4" an. Die Deutlichkeit der Erscheinung nimmt mit den höheren Breiten noch zu. In ähnlicher Weise ist die Wirkung der Flecken- periode auf den eurasischen Kontinent anzunehmen, jedoch liegt dafür noch nicht genügend Material vor. Ganz anders äußern sich jedoch die Schwan- kungen der Strahlen im Gebiet des nördlichen At- lantik. Da die Wasserfläche nur langsam auf die Strahl ungsänderung reagiert, wird sich die winterliche antlantische Depression dadurch absolut nur wenig ändern. Infolge der Verstärkung der kontinentalen Hochdruckgebiete zu ihren beiden Seiten, die in- folge der Temperaturerniedrigung in Jahren starker Fleckentätigkcit auftritt, wird ihre Wirkung jedoch wesentlich erhöht. Als Folge treten an der nord- europäischen Küste vermehrte Bewölkung, Ver- stärkung der südwestlichen Winde und des Golf- stromes auf, also eine allgemeine Erwärmung im Gegensatz zur Abkühlung im Innern der Kontinente. In der Tat zeigen auch die Temperaturkurven skandinavischer und englischer Stationen während einer Sonnenfleckenperiode den umgekehrten Ver- lauf wie die von Stationen des amerikanischen Kontinents. An der atlantischen Küste von Nord- amerika kann sich die Umkehr der europäischen Stationen natürlich nicht zeigen, da dort bei der Verstärkung des Tiefdruckgebietes vermehrte nördliche, also kalte Winde auftreten. Dagegen läßt sich auf der europäischen Seite die Tempe- raturperiode bis weit nach Norden auch an anderen Erscheinungen, z. B. den Schwankungen der Eis- grenze im Barentsmeer verfolgen. Die Amplitude der Temperaturveränderung ist auf der euro- päischen Seite, da es sich ja nur um eine sekundäre Erscheinung handelt, wesentlich kleiner als auf der amerikanischen in gleicher Breite. Daher erhielt auch W. K ö p p e n , als er die Mitteltemperaturen von Zonen untersuchte, die durch Breitenkreise begrenzt wurden, im Mittel den Temperaturverlauf, der durch sein Gesetzt gefordert wird. Scholich. Chemie. Über den sogenannten „schwarzen Schwefel" berichtet Prof. Dr. Bernhard Neu- mann in der Zeitschr. f. angew. Chemie 1917, S. 165 — 168. Seiner Abhandlung sind die folgen- den Mitteilungen entnommen: Der „schwarze Schwefel" wurde i. J. 1854 von Magnus entdeckt, welcher ihn durch wiederholte Erhitzung von gewöhnlichem gelben Schwefel auf Temperaturen über 300" und darauf folgende rasche Abkühlung der Schmelze erhielt. In der hierbei entstehenden roten und schwarzen Masse glaubte er eine besondere Modifikation des Schwefels an- nehmen zu müssen. Demgegenüber zeigte Mitscherlich schon zwei Jahre später, daß „schwarzer Schwefel" entstehe, wenn dem Schwefel verkohlbare organische Stoffe beigemengt seien; so mache z. B. schon ein Gehalt von 0,2 '/„ Fett den Schwefel bei der Behandlung nach Magnus in dünnen Schichten rot und in dickeren Schichten schwarz. Diese Tatsache gab Magnus in einer gemeinschaftlich mit Wagner in dem gleichen Jahre noch durchgeführten Arbeit zwar zu, meinte aber, die Kohlenmenge, welche genüge, den Schwefel schwarz zu machen, sei viel zu gering, als daß sie selbst zur Erklärung der schwarzen Farbe ausreiche: „Der schwarze Schwefel, der schon durch 0,00003 seines Gewichtes Paraffin erhalten werden kann, ist, obwohl durch fremde Beimengungen verändert, doch als besondere Modifikation anzusehen." Dieser Auffassung schloß sich im wesentlichen auch Knapp in seinen, um das Jahr 1850 veröffentlichten ausführlichen Unter- suchungen an, indem er gleichzeitig darauf hinwies, daß als Stoff, der — „katalytisch" würde man heute sagen — die Umwandlung des gewöhnlichen in den schwarzen Schwefel bewirke, auch Schwefel- metalle, insbesondere Schwefeleisen wirken können. Die Frage, ob schwarzer Schwefel auch entstehe, wenn die Mitwirkung von Fremdstofifen überhaupt ausgeschlossen werde, hat sich Knapp nicht gestellt. TatsächlichfandennunH. Biltz und W.Preuner, welche auf dem Wege der Destillation einen ab- solut reinen Schwefel herzustellen sich bemühten, daß bei der Destillation von reinem kristallisierten, Schwefel immer schwarze Rückstände blieben, sofern nicht jede Berührung des Schwefels mit auch nur Spuren von organischen Stoffen pein- lichst vermieden wird, und v. Haßlinger stellte fest, daß der schwarze Rückstand nicht ganz un- flüchtig sei, sondern sich mit den Schwefeldämpfen mehr oder weniger leicht verflüchtige. Alle diese Tatsachen weisen nun darauf hin, daß der „schwarze Schwefel" in Wirklichkeit nicht, wie heute noch in vielen Lehrbüchern zu finden ist, eine schwarze Modifikation des Schwefels, sondern ein durch Spuren von Kohle oder Metall- sulfiden verunreinigter Schwefel ist, eine Annahme, die um so zulässiger erscheint, als wir heute durch kolloidchemische und mineralogische Forschungen wissen, wie geringe Mengen eines färbenden Be- standteils zur Erzeugung intensiver Färbungen aus- reichen. Und die Richtigkeit dieser Annahme konnte Neu mann unmittelbar durch den Ver- such erweisen : Ein vollkommen reiner, rückstands- N. F. XVn. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 349 loser Schwefel gibt beim Erhitzen nach den Vor- schriften von Magnus und von Knapp „schwarzen Schwefel", sofern die Erhitzung in Metalltiegeln vorgenommen wird, denn hier bilden sich dunkele Metallsulfide, bei Benutzung von Porzel- lan- oder Quarztiegeln aber und peinlichstem Aus- schluß von Staub und dergleichen bleibt die Bildung des „schwarzen Schwefels" aus. Schließlich hat Neu mann noch eine Reihe von Proben natürlichen schwarzen Schwefels untersucht: sämtliche Proben des natürlichen schwarzen Schwefels enthielten erhebliche Mengen, 0,13 bis 0,77%, elementaren Kohlenstoffs, der sich, wie die optische Untersuchung von Dünn- schliffen ergab, in amorpher Form und unregel- mäßiger Verteilung in den Schwefelproben befand. Mg. Bücherbesprechungen. Tabellen zur statistischen Wettervorhersage für Niederösterreich und die angrenzenden Ge- biete. Nach dem \'erfahren von Stephan Kaltenbrunner zusammengestellt von Dr. Rudolf Schneider. Winter. 10 Tabellen nebst Erläuterung. Herausgegeben von der k. k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik Wien. 191 7. — Preis 2 Kronen. Ein neues Verfahren der Wetterprognose ! Das wird manchen stutzig machen; denn wie oft wurden uns nicht schon unfehlbare Methoden ver- kündet, welche nicht hielten, was sie versprachen. Aus den Sternen wollte man das Wetter lesen, und der Mond sollte einen unfehlbaren Propheten abgeben. Der selige Falb ist noch frisch im Ge- dächtnis. Aber auch heute erscheinen „Wetter- warten", „Wetterkalender", und langfristige Vor- aussagen von zweifelhaftem Wert in großer Menge. Dagegen sind manche der alten Bauernregeln noch Gold, denn sie stützen sich oftmals auf gute Be- obachtung. Nur einen Fehler haben auch sie. Sie wollen aus einer einzigen meteorologischen Erscheinung eine Vorhersage geben, d. h. aus einer einzigen meteorologischen Erscheinung zwingende Rückschlüsse auf die gesamte Wetterlage ziehen. Denn nur durch Kenntnis dieser gesamten Wetter- lage ist es möglich, eine sichere Prognose zu geben. Die Kenntnis der Wetterlage vermittelt der amt- liche Dienst. Dort aber, wohin seine Berichte zu spät oder gar nicht kommen, ist man noch heute gezwungen aus örtlichen Beobachtungen Schlüsse auf die Wetterlage und das kommende Wetter zu ziehen. Man steht also noch heute auf dem Stand- punkt des praktischen Bauern. Nur kann man seine Fehler vermeiden. Man wird die Beobachtung möglichst zahlreicher Witterungsdaten heranziehen, man wird die verschiedenartigsten Wetterregel« verwenden. Denn es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß einer bestimmten Verbindung von Witterungsdaten eine ganz bestimmte Wetter- lage entspricht, und deswegen auch ein ganz be- stimmtes Wetter folgt. Je zahlreicher die heran- gezogenen Beobachtungen, je mannigfaltiger die benutzten Regeln sind, desto sicherer wird demnach die Prognose. Nur eine Schwierigkeit tritt auf. Zahlreiche Regeln sind schwer zu überblicken und schwer zu behalten. Um den in ihnen niedergelegten Er- fahrungsschatz nutzbringend anwenden zu können, müßte man sie sehr übersichtlich anordnen. Etwa in einer Tabelle, die jeder bestimmten Kombination von Wetterelementen eine ganz bestimmte Stelle anweist. An dieser Stelle hätte man das Wetter zu beschreiben, das auf jede Kombination folgt. Den eben auseinandergesetzten einfachen Grund- gedanken hat Kaltenbrunner gefunden und gleichzeitig dazu benutzt, das umfangreiche Er- fahrungsmaterial, welches in den meteorologischen Jahrbüchern niedergelegt ist, zu verwenden. Nach seinem Verfahren wurden nun neuerdings von Dr. RudolfSchneiderdie oben erwähnten Tabellen bearbeitet. Sie sind auf folgende Weise entstanden: In den Jahrbüchern der Wiener Zentralanstalt sind für jeden Tag der letzten 30 Jahre die meteoro- logischen Elemente genau notiert. Man kann also einerseits das Wetter eines jeden Tages durch eine bestimmte Kombination charakterisieren und an- dererseits das Wetter feststellen, das auf diese Kombination folgte. Dieses Wetter des zweiten Tages wurde mit geeigneten Zeichen und Zahlen an die Stelle der Tabelle geschrieben, die den Wetterelementen des ersten Tages entsprach. Um diese Stellen zu bekommen, wurden zunächst Tabellen für Ostwind und solche für Westwind angelegt. Jede der beiden Windgruppen wurde wiederum in mehrere. Teile zerlegt, je nachdem das Wetter heiter, trübe, regnerisch usw. war. Eine derartige Tabelle enthielt nun von oben nach unten die einzelnen Barometerstände und von links nach rechts die Änderung des Barometers von 7 Uhr früh bis 2 Uhr nachmittags. Jede Barometerstandsreihe wurde dann noch einmal nach den drei Hauptwindrichtungen der betreffenden Gruppe zerlegt. Es ist klar, daß der Kombination von Wetterelementen des ersten Tages, soweit sie durch Windrichtung, Himmelszustand, Barometer- höhe und Barometeränderung charakterisiert ist, eine ganz bestimmte Stelle dieser Tabelle ent- spricht. An diese Stelle wurde das Wetter des folgenden Tages geschrieben. 350 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 24 Um die Prognose aufzustellen, hat man nur um zwei Uhr nachmittags die eben genannten Er- scheinungen zu beobachten und die Stelle zu suchen, die diesen Beobachtungen entspricht. Hier findet man das Wetter, das früher auf gleiche Beobachtung zahlreicher Elemente folgte und deswegen mit großer Wahrscheinlichkeit auch wieder folgen wird. Denn die gleiche Kombination von Wetterelementen muß doch der gleichen Wetterlage angehören. Man sieht der Grundgedanke ist ein durchaus gesunder und weit entfernt von den oft phan- tastischen Methoden anderer Autoren. Wie weit er sich in der Praxis bewährt, muß erst die Er- fahrung lehren. 'Die erste Prüfung des Verfahrens durch Dr. Schneider ergab eine größere Treff- sicherheit als der amtliche Wetterdienst. Wenn dieser durch die Kriegsverhältnisse zurzeit auch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, so ist das doch ein überraschendes Ergebnis. Selbst- verständlich gelten die Tabellen nur für diejenigen Gebiete, in denen die zugrunde gelegten Beobach- tungen angestellt wurden. Für andere Klima- bezirke, z. B. für die norddeutsche Tiefebene, müßten sie nach dortigen Beobachtungen neu berechnet werden. Erst die Anwendung des Verfahrens in verschiedenen Ländern und durch längere Zeit hindurch, wird die Bedeutung des- selben klarstellen. Ich hoffe über die Prüfung der Methode in Deutschland bald berichten zu können. Viktor Engelhardt. Henneke, Paul und König, W., Photo- graphi scher Notiz-Kalender für das Jahr 1918 (Begründet von Prof. Dr. A. Miethe und Prof. Dr. F. Stolze). XXIII. Jahrg. XII u. 348 S. Verlag von W. Knapp, Halle a/S, 191 8. — Preis: Mk. 2.40 geb. Den größten Raum des von Miethe und Stolze begründeten Photographischen Notiz- kalenders, im vorliegenden Jahrgang die S. 113— 348, nimmt ein ungewöhnlich vielseitiges und jedem Naturbeobachter, nicht bloß dem Photograplien, willkommenes Tabellen- und Rezeptwerk ein, um deswillen das treffliche Werkchen hier kurz be- sprochen werden soll. Die Tabellen zerfallen in Allgemeine (Maße und Gewichte aller Systeme, auch älterer, Münztabellen, dreistellige Loga- rithmen der Zahlen und der trigonometrischen Funktionen, Vergleich der Thermometerskalen), ferner solche Jür optisch-photographische Zwecke (E der 's Tabelle der Wellenlängen des Lichtes, J. B. Listin g's Tabelle der Verteilung der Farben im Sonnenspektrum, Tabellen zur Be- rechnung der chemischen Wirkung verschiedener natürlicher und künstlicher Lichtquellen, Tafeln der Sonnenhöhen, Zeittafeln, relative Belichtungs- zeiten für alle praktisch in PVage kommenden Breiten, die H e 1 m h o 1 z 'sehen und Stolze 'sehen Tafeln der Farbenmischungen, Wärmeabsorptions-, Reflextionsstärken-, Expositions-Tafeln der ver- schiedensten Art, l'^ajlzeiten (zum Zwecke der Expositionsmessung), Zahlenmaterialien zur Be- rechnung der Tiefenstufe usw., rein photographische Tabellen (Formate, Lichtempfindlichkeiten, Sensito- meter u. a.) und chemische und physikalische Tabellen (Aräometer-Tafeln, Dichten der wichtig- sten Lösungen, Alkohole, Äquivalente der wichtigeren Chemikalien, Kältemischungen, Lös- lichkeitstafeln, Benennung, Formeln, Atomgewichte, Dichtigkeiten, Schmelzpunkte, Siedepunkte und Löslichkeit der wichtigeren Körper, Symbole, Wertigkeiten und Atomgewichte der Elemente, Sensibilisatorentabellen, Tropfentabellen, kritische Temperaturen und Drucke verschiedener Gase u. dgl.). Die Abschnitte „Praktische Winke" und „Re- zepte" umfassen in erstaunlich erschöpfender Weise das Gesamtgebiet der praktischen und wissenschaftlichen Photographie (S. 195 — 223 u. 225 — 303). Den Schluß bilden das Gesetz be- treffend das Urheberrecht (10. XIL 06), die „Ge- werberechtlichen Bestimmungen" und ein „Rezept- anhang" (S. 304—348). Der Ref. möchte das höchst wertvolle Werk- chen nicht nur in den Händen jedes Photographen, sondern auch jedes Physiklehrers und reiferen Schülers wissen. Man kann mehr daraus lernen, als aus manchem dickleibigen Handbuch. Prof. Dr. Wolff (Eberswalde). Prof. Dr. Migula, Rost- und Brandpilze, Handbücher für die praktische naturwissenschaft- liche Arbeit, Bd. XIII. Mit 10 Tafeln. Geschäfts- stelle des „Mikrokosmos" PVanckh'schc Verlags- handlung, Stuttgart 191 7. — Preis 3 M. Ein interessantes Kapitel aus dem Gebiete der Mykologie sind die Brand- und Rostpilze, sowohl in biologischer Hinsicht, als in ihrer Bedeutung für die Praxis, insbesondere in Hinsicht auf den Schaden, den sie alljährlich unseren Kulturgewächscn, vor allem unseren Getreidearten zufügen. Es ist deshalb dankbar anzuerkennen, daß ein Verlag sich dazu entschließt, ein Werk aus der Feder eines Berufenen zu einem billigen Preise herauszugeben, [damit auch weitere Kreise sich mit dieser Materie vertraut machen können. Der Verfasser hat bereits in der Kryptogamen- flora von Deutschland, Deutsch-Österreich und der Schweiz in ausführlicher Weise dasselbe Thema behandelt. Das vorliegende Buch ist gewisser- maßen nur eine mit Erläuterungen ausgestattete populäre Ausgabe der Abschnitte des genannten Werkes. Einleitend wird auf die Schädlichkeit dieser Pilz- gruppen hingewiesen, und für denjenigen, welcher weiter in die Sache sich vertiefen will, werden einige Literaturangaben gegeben. Nach einigen Vorschriften über das Sammeln, Untersuchen und Präparieren folgt die Lebens- geschichte zuerst der Brandpilze und darauf die der Rostpilze. Die Rostpilze in ihren verschiedenen, im Laufe einer Vegetationsperiode auftretenden Sporen- N. F. XVII. Nr. 24 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 351 formen, in Autöcie und Heteröcie und in ihren biologischen Arten bedürfen und erfahren eine längere Besprechung. Nachdem dann die ver- schiedenen Getreideroste aufgeführt worden sind, schließt der allgemeine Teil mit den Infektions- versuchen. Im darauf folgenden systematischen Teil ist jeder Familie eine Einteilung vorausgegeben. Auch die Gattungen sind genauer spezialisiert, so daß auch der nicht Eingeweihte sich unschwer zurecht finden kann. Die einzelnen Pilze sind in ihren Unterschiedsmerkmalen gut charakterisiert und nach ihren Wirtspflanzen angeordnet. Die aufdenbeigegeb'enen loTafeln dargestellten Sporenformen und I labitusbilder ergänzen in guter Weise den beschreibenden Text. Alles in allem ein Buch, das der Empfehlung wert ist. Weshalb aber der Verfasser die bei der Einteilung der Rostpilze am Schluß angeführten Pucciniaceae bei der Besprechung an den Anfang gestellt hat, erscheint nicht gerechtfertigt. Wenn es ferner bei der Besprechung von Usiilago Tritici und Ustilago Hordei nuda und ' der bei diesen beiden Brandpilzen vorkommenden Blüteninfektion heißt (Seite 7) : „aber sie bringen Pflanzen hervor, in denen das Mycel durch die ganze Pflanze bis in die Blüten hinauf wächst und die Samenanlagen in die charakteristischen festen, nach fauler Herings- lake riechenden Sporenmassen des Stinkbrandes umwandelt", so muß hier unbedingt eine Korrektur stattfinden. Denn dieser Stinkbrand gehört nicht zu Ustilago Tritici, sondern wie der Verfasser selbst schon vorher bemerkt hat, zu Tillelia Tritici, und Tilletia pflanzt sich nicht durch Blüteninfektion, sondern durch Keimlingsinfektion fort. Duysen, Berlin. Anregungen und Antworten. Noch einmal „Singzikaden". (Mit I Abbildung im Text.) Otto Taschenberg verbreitet sich über die sog. „Zikaden" in der Darstellung nichtzünftiger Entomologen in Nr. 45 der Naturw. Wochenschr. 1916 und in einem Ansatz in der Leopoldina, Heft LllI Nr. 11, 1917: „Noch einige historische Betrachtungen über die Singzikaden". Er schließt sich in der Beantwortung der Krage, welche Tiere von den alten und zeitgenössischen nichtzünftigen Entomologen als ,, Zikaden" zu- sammengefaßt wurden, der Anschauung Zacher's an, welchen er wie folgt zitiert: „Zacher schrieb damals nach seiner Rückkehr aus Süditalien 1S84 einen interessanten Artikel in der Saale-Zeitung (Halle) unter der Überschrift: Lieblingstiere im klassischen Altertum. Darin kommt er nach Schilderung der höheren Tiere auf „2 andere geflügelte Tiere" zu sprechen, die sich im Altertum der allgemeinsten Gunst erfreuten und zwar gerade ihres Gesanges wegen ; das ist die Zikade und die Heuschrecke. Vor allem die erste war für die Griechen ein Gegenstand der Bewunderung, ja der religiösen Pietät; sie galt ihnen für eine gottbegnadete Sängerin, und wir haben zahlreiche Zeugnisse dafür, daß die von ihr hervorgebrachten Töne angenehm waren ..."„.... und hatten sie keinen Garten, so hielten sie sich die Tiere im Hause in kleinen Käfigen. Dasselbe tat man auch mit den in der Nacht (aber ebenso am Tage I) singenden Heuschrecken oder (richtiger: und) Grillen." „Den Andeutungen nach, welche wir aus verschiedenen Erwähnungen entnehmen können, war es namentlich Locusta viridissima L., d. h. die große grüne Laubheuschrecke, welche bei uns in Norddeutschland in warmen Sommernächten unauf- hörlich singt. (Im Verein mit dem meist an den gleichen Stellen lebenden Warzenbeißer Decticus verrucivorus L.)" Daß keine erschöpfende Klarheit besteht, um welche Tiere es sich handelt, geht aus diesem ,, namentlich" Zach^er's hervor. Und auch die Beifügungen Otto Tasc h en berg's wirken nicht klärend. Vor allem fehlt überall die Angabe eines Tieres, das neben den Zikaden in den südlichen Ländern in erster Linie in Frage kommt und das ich während eines Kriegsaufenthalts im Sommer 1917 in Serbien zu beobachten Gelegenheit hatte. Wenn ich seine Tonerzeugung als Gesang bezeichne, beabsichtige ich zwar nicht für eine Ehren- rettung der musikalischen Begabung der Alten einzutreten, möchte damit aber immerhin darauf hinweisen, daß gerade der von Oecanlhus pelluceus Scop. erzeugte Ton nach meinem Empfinden von all dem Gezirpe und Gefiedel von Zikaden, Grillen und Heuschrecken der angenehmste ist. Wenn wir versuchen das ,ZirJ)en' dieser Grille nachzuahmen, so kommen wir tatsächlich auf das Kik der Römer und das Tig der Griechen, wobei das K in ersterem recht palatal und das i langgedehnt und hoch auszusprechen sind. Von ersterer Silbe wird bekanntlich das Wort Cicada, Zikade abgeleitet, während das Tig in dem Gattungsnamen der Feldheuschrecke Tetti- gonia steckt. Wenn auf dem Balkan der schöne Frühling rasch stirbt, unbarmherzige Sonnenglut mit Temperaturen bis zu mehr als 60° C die Vegetation versengt, wenn das Schluchzen der Nachtigall verstummt ist, beginnt Oec. pellucens das Schweigen der Nacht mit seinem Gesang zu erfüllen. Gewiß leisten ihm andere Orthopteren Gesellschaft, im Süden die ,, echten Sing- zikaden", die aber in Nordserbien nach meiner Beobachtung nicht die Donau erreichen — und überall Feldgrillen, Haus- Oecanthus pelh in Zirpstellung. Vergr. ca. 3'/2. grillen und Heuschrecken, besonders die bekannte Locusta viridissima L. Ihr Gesang wird aber bei weitem übertönt von dem weithin schallenden Kik Kik Kik von Oec. pellucens. Der Sänger werden immer mehr mit dem Wachsen des Sommers. Sie lassen sich nur bei Nacht hören, erst im Herbst, wenn die Nächte im Oktober zu kühl werden, hört man die letzten überlebenden Männchen am Tage musizieren. Niemand, der am Tage auf das scheue Tierchen mit seinem florfliegenzarten Körper stößt, würde glauben, daß es imstande ist, den kräf- tigen, nächtlich überall vernehmbaren Gesang zu erzeugen, und dem nichtzUnftigen Entomologen ist es auch zu verzeihen, 352 Naturwissenschaftliche Wochensclirifl N. 1- XVII. JSIr. 24 wenn er das von der Systematik zu den Grillen gcStelUc Tier mit seinen langen Hinterbeinen, seinen langen Fühlern und der blaßgelblichen etwas ins Grünliche spielenden Färbung, als Heuschrecke ansieht. So erklärt sich wohl die vielfache Verwechslung von Zikaden, Grillen und Heuschrecken und der von ihnen erzeugten Töne. Oecanthus pellucens Scop. kommt in Mitteleuropa nur in klimatisch besonders begünstigten Gegenden vor, wie bei Würz- burg, Regensburg, im Klsaß bei Kufach, an der Bergslrai3c und bei Freiburg. Im Süden beobachtete ich ihn überall auf niederen Pflanzen und auf Sträuchern und Bäumen, besonders auf den häufigen Akazien (Robinia). An einem Zaun, wo die im Orient vielfach verwendeten Flaschenkürbisse angepflanzt waren, schlich ich mich nachts öfters an, um die scheuen. Hinken Tierchen zu überraschen und zu belauschen und war vor allem über ihre charakteristische Flügelhaltung beim Zirpen erstaunt. Die Flügel stehen nämlich dabei wie ein geblähtes Segel senkrecht zum Körper in die Höhe (siehe Abbildung). Dr. E. Lindner. Zwei neue wissenschaftliche Forschungsanstalten sollen in absehbarer Zeü in München errichtet werden, nämlich eine deutsche Forschungs anstal t für Nahrungsmittel- Chemie, sowie ein Institut zur Bekämpfung der tierischen Schädlinge. Die neuen Anstalten werden mit bestehenden Lehr- und Versuchsanstalten in enger Fühlung stehen. Den im praktischen Leben stehenden Chemikern und Zoologen soll die Möglichkeit der Forschung in den Anstalten selbst geboten werden, während wissenschaftliche Beiräte die erwünschten Ziele bezeichnen sollen. Im Finanzausschuß, der Kammer der Reichsräte Bayerns, sagte Berichterstalter v. Buhl über die Aufgaben der neu zu gründenden Anstalten unter anderem: Bei der Forschungsansialt lür Lebensmiitelchemie handelt es sich nicht nur um die Erforschung der chemischen nsetzung der Lebensmittel und der bei ihrer Her- stellung in Betracht kc i organ will auch di( Nährstoffverluste in der Küche vermeiden und für fachgemäße Konservierung und Stcrilisierung der Nahrungsmittel sorgen. Schon jetzt im Kriege hat sich die Wissenschaft bemüht, jene Millionenwerte von Abfallstoffen zur menschlichen und tierischen Ernährung nutzbar zu machen, die bisher in Abzugswässern ein anrüchiges Ende fanden. Daraus erhellt, daß unsere heimische Industrie und Landwirtschaft sich von diesen For- sch. ogen gl Dßen Nutzen sprechen und gerade durch Ve Wertung der Abfallstoffe noch konkurrenzfähiger gegen das Ausland gemacht werden können. Kommt die Prüfung- der Rohstoffe unserer Industrie zugute, so wird Futtermittelchemie und Ernährungsphysiologie die Viehzucht fördern, ja das Studium der Vorgänge bei der Ernährung erweckt noch viel weitere Perspektiven, für die Gesundheit unseres Volkes dürfen wir doch z. B. von ihm in Verbindung mit der weiteren Er- forschung der Milch wertvolle Aufschlüsse für die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit erwarten. Wie wichtig und notwendig ein Institut zur Be- kämpfung der tierischenSchädlinge ist, ergibt sich daraus, daß beispielsweise das Flecklieber erst erfolgreich bekämpft werden konnte, als man die Lebensvorgänge der Kleiderlaus erforscht hatte. Jetzt spielt die Malaria, die be- kanntlich durch Stechmücken verbreitet wird, bei unseren Truppen im Südosten eine große Rolle. Eine Einschleppung zu uns ist um so weniger ausgeschlossen, als die Anopheles- mücke auch in Bayern, so in den Rheinniederungen der Pfalz vorkommt und nur der eigentliche Krankhcitsträger bis- her noch fehlte. Die Verbreitung der Rulir durch die Stuben- fliege scheint erwiesen, ebenso ist diese verdächtig, die gefähr- lichste der Volksscuchen, die Tuberkulose, zu verschleppen, während die Stechfliege in den Viehslällen die Trägerin der Maul- und Klauenseuche zu sein scheint. Das Studium der Beziehungen zwischen Insekt und Seuchen hatte für die Be- handlung der tropischen Krankheiten schon vor dem Kriege große Erfolge gezeitigt, während in der Heimat dieses Gebiet noch nicht so ausgedehnt war wie andere Zweige der Medizin. Dazu kommt die Bekämpfung der tierischen Schädlinge der Volk s ernähr ung. Mehlmotten und verschiedene Kellerschädlinge sind bereits erfolgreich durch Blausäuregase bekämpft worden. Für die nächste Zeit sind Versuche geplant, um den Heu- und Sauerwurm durch Gase zu bekämpfen. Die ungeheuren Verluste, die unsere Land- und I'orstwirtschaft durch tierische Feinde erleidet, werden nach sachverständiger Schätzung auf Hunderte von Millionen beziffert. Eine wirk- same Bekämpfung der Schädlinge würde also die Leistungs- lähigkeit unserer Landwirtschaft ganz erheblich steigern. Die Kosten der Errichtung der beiden Institute, die sich auf Millionen belaufen, werden zum Teil durch freiwillige Zuwendungen, zum Teil aus Staats- und voraussichtlich auch aus Reichsmitteln aufgebracht werden. Fehlinger. Veranlaßt durch die Mitteilung des Herrn Dr. Franz in N. F. XVII, 8 der Naturw. Wochenschr. stelle ich einige Venusbeobachtungen zur Verfügung, die ich 191 1 im olden- burgischen Münsterland gemacht habe. Ich sah den hellen Planeten als Abendstern: am 3. April 6I1 40m nachm. (M.E.Z.), n II- „ 6 55 ,, I. Juni um i^U^ „ \ bei vollem Sonnenschein und ,, 2. „ kurz vor 4I1 „ ( ganz klarem Himmel. ,, 20. Juli 6I1 4ora „ Als Morgenstern sah ich Venus : am 17. Okt. ih lom mittags und „ I. Nov. um 9I1 vorm. Ich hatte damals den Eindruck, als wäre der Himmel bei hochstehender Sonne durchsichtiger als bei tiefstehender. Trifft das allgemein zu oder haben mich etwa zufällige Wetterver- hältnisse getäuscht? Wie Herr Dr. Franz bemerkt, kann man sich das Auf- suchen eines hellen Sternes bei Tage oft durch Vergleich mii der Stellung des Mondes erleichtern. Dabei ist jedoch zweierlet zu beachten; I. Die schon in wenigen Stunden erhebliche Ortsveränderung des Mondes (in der Stunde um eine Voll- mondsbreite). 2. Die scheinbare Drehung des Himmels, infolge deren die mehr oder weniger westösllich gerichtete Verbin- dungslinie zwischen dem betreffenden Stern und einer bestimmten Stellung des Mondes beim Aufgang nach rechts oben zeigt, dann durch die wagerechte Lage geht und beim Untergang nach rechts unten gerichtet ist. Dabei ist dann noch zu be- rücksichtigen, daß die Abweichung von der westöstlichen Richtung durch die Verschiedenheit in der Deklination beider Gestirne bestimmt ni d und, besonders wenn beide einander recht nahe stehen, sehr groß sein kann. Neuerdings konnte ich Venus am 7. und S. März d. J. morgens bis ungciähr 8 Uhr beobachten. Der Planet war noch recht deutlich zu sehen und hätte wohl noch stundenlang nachher ohne große Mühe aufgefunden werden können. Ich war jedoch leider verhindert, meine Beobachtung fortzusetzen. Übrigens war diesmal die Sonne durch Häuser abgeblendet. Jäger Wiepken. inhaltl P. F. Linke, Die Empfindung als r« crscheinungen. S. 342. — Einzelberichte: Periode der Sonnenflecken als klimatischei — Bücherbesprechungen: Rudolf Seh reich und die angrenzenden Gebiete. S. 349. das Jahr 1918. S. 350. Mig Zikaden". (l Abb.) S. 351. Z 1 psychologischer Begriflf. S. 337. C. Hoffmeister, Falsche Himmels- O. Meißner, Seismographen. S. 346. L. Mecking, Die elfjährige Faktor. S. 347. Bernh ar d N eu man n , Schwarzer Schwefel. S. 348. eider, Tabellen zur statistischen Wettervorhersage für Niederöster- Paul Henneke und W. König, Photographischer Notiz-Kalender für Rost- und Brandpilze. S. 350. — Anregungen und Antworten: Noch einmal ,,Sing- issenschaftliche Forschungsanstalten. S. 352. Venusbcobachlungen. S. 352. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 23. Juni 1918. Nummer S5. Die vorzeitlichen Vögel. [Nachdruck verböte Jede Kenntnis kann sich einer gewissen Zeit nur dann in entsprecliender Richtung entwickeln, wenn die bis daliin erzielten Resultate zusammengefaßt werden. Gelegentlich einer solchen Übersicht gewinnt man aus den zerstreuten Einzeldaten ein einheitliches Bild, zahlreiche Fehler kommen zum Vorschein und können ausgemerzt werden. Mit einem Wort: man gewinnt eine Übersicht über die Resultate der Arbeiten von 2 — 3 Generationen und das ist immer von Nutzen. Die Spezialarbeit schafft, die zusammenfassende fungiert als ein Sicherungs- ventil. Im Reiche der Paläontologie sind seit dem Erscheinen des bahnbrechenden „großen Zittels" mehrere neuere zusammenfassende Werke er- schienen; ich erinnere nur an Osborn's „The ageofmammals" und an die epochale „Palaeobiologie" Abels, sowie an sein „Die vorzeitlichen Säuge- tiere" umfassendes Werk. Diese glänzenden Beispiele schwebten mir vor Augen, als ich die zusammenfassende Bearbeitung der fossilen Vögel beschloß. Selbst in den neusten paläontologischen Lehrbüchern sind die Vögel derart flüchtig be- sprochen, daß ihre Kenntnis auf diesen Grund- lagen nie weiter ausgebaut werden kann. Mit durchdachtem Ziel publizierte ich vor allem das Literaturverzeichnis der Paläo- Ornithologie und dies enthält beinahe 2000 Titel '). Dann kata- logisierte ich das ganze bisher beschriebene fossile Vogelmaterial '') und auf Grund dieses Kataloges ist die nachfolgende kurze Skizze entstanden. Das umfassende Werk folgt natürlich erst später. In meinem Katalog der fossilen Vögel zähle ich ca. 700 fossile Vogelarten auf; die aus dem Pleistozän bekannten, aber auch heute noch lebenden Arten sind nicht inbegriffen. 700 fossile und ausgestorbene Arten genügen doch schon dazu, daß man eine Skizze über den Werdegang der Vogelwelt entwerfen kann. Nach D ö d e r 1 e i n ") sind zwar (abgesehen von den Fallschirmfischen), 62 ";„ der gesamten Tier- welt flugfähig, diese Zahl ist aber vorwiegend den Arthropoden zu verdanken. In der Reihe der Wirbeltiere kennen wir außer den (mit geringer Ausnahme) flugfähigen 13 000 lebenden Vogel- arten nur 600 Fledermaus-Arten und 60 Saurier, die die Luft beherrschen (Branca)^). Die passiv fliegenden Fallschirmtiere (Sciurus, Galeopithecus, Draco usw.) sind nicht einbezogen. Das Flugvermögen ist ein mehr-weniger aus- schließliches Pligentum der Vögel. Ihre pneu- matischen Knochen aber sind zerbrechlich und Von Dr. K. Lambrecht (Budapest). Mit S Abbildungen im Te.xt. ach Verlauf verwesen leicht gänzlich. Infolge ihres Flugver- mögens weichen sie jeder Gefahr (Lavaflut, Erdbeben, Überschwemmung, Kälte, Schneesturm und dgl.) leicht aus und werden nur ausnahms- weise zum Opfer eines Massensterbens oder eines ähnlichen „paläontologischen" Falles. Diesen zwei Umständen ist es hauptsächlich zuzu- schreiben, daß wir verhältnismäßig wenig fossile Vogelreste kennen, was für den Paläontologen einen großen Nachteil bedeutet. Wie bekannt, steht an der Spitze der Urvögel der jurassische Archaeopteryx ; wenn wir aber von den Vorfahren der Vögel sprechen, so müssen wir mit älteren, weniger spezialisierten Übergangs- formen beginnen. Die Vögel sind die Nachkömmlinge primi- tiverer, geologisch älterer Tiere, zweifelsohne der Reptilien. Die meisten Autoren suchen die Ahnen der Vögel in den Reihen der Dinosaurier, die von der Trias bis zur Oberkreide (oder bis zum Eozän?) lebten. Cope, Huxley, Gegenbauer, Baur, Marsh und J a e k e 1 leiten die Vögel von arborikolen, Nopcsa, Versluys und Steinmann von laufenden Osborn von vorläufig nur hypothetischen zweibeinigen Dinosauriern des Perm her, O. Abel und Hay leiten sie aber samt den Theropoden von arborikolen Avidinosauriern, Heil mann von triadischen Krokodilen (Pseudo- suchia) ab. Miorart und andere nehmen einen diphyletischen Ursprung an; nach ihrer Auf- fassung sollten die Vögel mit gekieltem Brust- bein (Carinatae) von den Pterosauriern, die mit flachem Brustbein (Ratitae) von den Dinosauriern stammen. Seitdem die künstliche Gruppe der Ratiten aufgelöst wurde, kann dieser diphyletische Ursprung nicht mehr ernst verfochten werden. Es handelt sich nun im wesentlichen darum, ob die Vögel von arborikolen, auf Bäumen lebenden und von den Bäumen herunterspringenden, bei denen sich derart ein Fallschirm entwickelte, also von passiv fliegenden Formen, oder von laufenden, hüpfenden, sich graduell in die Luft hebenden und folglich aktiv fliegenden Ahnen abgeleitet werden sollen. Othenio AbeP) und Hay sprechen für das passive Flugvermögen. Sie vergleichen die Ex- tremitäten der Vögel mit denen der Theropoden und leiten die Vögel von arborikolen Hüpfrep- tilien ab, bei denen sich im Laufe der Zeit eine als Fallschirm funktionierende Flughaut ent- wickelte. Im Gegensatz zu dieser passiven F'lugtheorie 354 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 25 Abel's leitet Baron Franz N opcsa") die Vögel von laufenden Dinosauriern ab, die sich während des Laufens mit der aktiven Bewegung der Vorderextremität unterstützten. Nopcsa rekon- struierte diesen hypothetischen Urvogel (running Pro- Avis); auf der vorderen Extremität und auf der Schvvanzgegend dieses Urvogels befinden sich schuppenartige Gebilde, aus welchen sich die heutige komplizierte Federbekleidung ent- wickelte. Im Sinne Nopcsa's nahmen auch Versluys und Gerhard Heilmann Stellung. G. Heil mann ') leitet aber die Vögel nicht von den Dinosauriern, sondern von triadischen Abb. I. Der liypotlielischc Urvogel i Proavis). Nach G. Heilmann. 1916. Krokodilen (Pseudosuchia) ab, deren gespreizte Extremitäten (als Beispiel dient Stegomus longipes) graduell derart umgeändert wurden, daß sie unter den Körper gelangten und die Körperhaltung auf diese Weise vertikal wurde. Dementsprechend erhob sich der vordere Teil des Körpers und zur Ortsbewegung dienten bald nur die hinteren Extremitäten. Der Fuß geriet in die Mittellinie, der mittlere Plnger verlängerte sich und infolge der arborikolen Lebensweise, von Baum zu Baum hüpfend, entwickelte sich zwischen der vorderen Extremität und dem Schwanz ein mit Schuppen bedeckter Schirm; mit der Zeit lösten sich die Schuppen zu Hornfäden auf, bis endlich das Gefieder entstand. (Abb. I.) Vor wenigen Jahren wurde diese interessante F"rage der Deszendenz vielfach umstritten. Branca und Jaekel, Nopcsa und Abel, Osborn, Hay, Heil mann und Versluys waren die Vertreter der verschiedenen Auffassungen, Ohne an dieser Stelle eine meritorische Diskussion zu führen, will ich nur meiner Meinung Ausdruck geben, wonach der Streit am Ende zu Gunsten des aktiven Pluges, d. h. der laufenden Ahnen führen wird. Es wäre doch schwer anzunehmen, daß der charakteristischste gemeinsame Zug der Vögel, der aktive F"lug, nur ein sekundärer, nach dem Fallschirmflug arborikoler Vorfahren ent- standener Erwerb wäre. Wie wir aus den Aus- führungen Gadow's, Burckhardt's und P'ürbringer's wissen, haben ja die sog. Ratitae, d. h. die flugunfähigen Strauße und ihre Ver- wandten das Flugvermögen nur auf sekundäre Weise — infolge ihrer Proportionen, Gewicht usw. — verloren. Kurzum wird der ganze Streit endgültig durch einen glücklichen paläontologischen Fund gelöst. Wir brauchen nur noch einige Funde, wie Ar- chaeopteryx, und selbst die am meisten um- strittenen Fragen werden gelöst. Wie bekannt, beschrieb Hermann von Meyer 1861 einen aus den lithographischen Kalken des Solenhofener Jura in Bayern stammenden Vogelfederabdruck unter dem Namen Archaeop- teryx lithographica. J. A. Wagner legte der Bayerischen .\kademie in den Herbstmonaten des- selben Jahres einen noch überraschenderen Fund vor: einen in der Nähe von Pappenheim ge- fundenen Skelettabdruck und beschrieb das ,,neue, angeblich mit Vogelfedern versehene Reptil" unter dem Namen Gryphosaurus problematicus. Das Britische Museum kaufte den P'und in aller Eile um 14000 Mark an, und der berühmte R. Owen studierte das Skelett selbst. Er beschrieb es auch (Archaeopteryx macrura) und — abgesehen von einigen leicht verständlichen Fehlern — erkannte er es als den Rest eines Vogels. Rund 16 Jahre mußten vergehen, bis aus den reichen litho- graphischen Kalken Bayerns ein zweiter Vogelrest zum Vorschein kam; dieser war bedeutend besser erhalten, befindet sich im Berliner Museum für Naturkunde und wurde von W. Dam es**) in ehrenvoller Anerkennung der Opferwilligkeit W. Siemens', der den Fund für Deutschland sicherte, unter dem Namen A. Siemensi be- schrieben. Seitdem wurden beide Reste von vielen Paläontologen und Zoologen eingehend untersucht. ") Beide Arcliaeopteryx-Abdrücke stammen von einem kleinen, ca. Rebhuhn-großen Vogel, dessen Augen mit einem Sklerotikalring geschützt waren. Die Praemaxilla trägt 26, das Dentale ca. eben- soviel konische, mit der Spitze nach hinten ge- richtete Zähne, die in separaten Alveolen sitzen; die Wirbel sind amphicoel, ihre Zahl beträgt 50. Die Metacarpalia der Vorderextremität sind — im Gegensatz zu den rezenten Vögeln — nicht zu einem einheitlichen Os metacarpi verschmolzen; N. F. XVII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 355 jeder Finger trägt Klauen, wie die Jungen des Hoatzin (Opisthocomus cristatus). Die hintere Extremität stimmt mit der der rezenten Vögel ganz überein. Das Brustbein ist schmal, die Caudalwirbel dienen als Stütze für paarige Kontur- federn.*) Archaeopteryx wurde schon vielfach re- konstruiert; die neueste Rekonstruktion stammt von G. Heil mann (Abb. 2). Der lange Schwanz war unbeweglich ; dennoch kann Archaeopteryx mit den gut entwickelten Flügeln ein guter Flieger gewesen sein.'") Es ist übrigens auffallend und interessant, daß gleich- zeitig mit den vorjurassischen Urvögeln (Proavis), auch die Pterosaurier um die Beherrschung der Luft stritten. Diese sind in der Kreide ausge- storben; die Dinosaurier, welche nach Nopcsa „die verschiedenen, voneinander unabhängigen mechanischen Probleme in einer vogelartigen Weise" lösen, dienten als Grund zur Entwicklung der Vögel; im Wettbewerb blieben die Vögel die Sieger. Aus dem Jura ist neben Archaeopteryx nur noch ein einziger Vogelrest bekannt**): das von Marsh aus Wyoming beschriebene Schädelfragment des Laopter\x ; es ist aber noch immer fraglich, ob die in der Nähe dieses reihergroßen pneumatischen Schädels gefundenen Zähne zum Schädel gehören. Obzwar beide erwähnten Reste entschieden dem Vogelorganismus näherstehen, als dem der Reptilien, war die Auffassung der Autoren lange Zeit hindurch strittig. Die Vogelreste der Kreide- zeitverursachten schon bedeutend geringeren Streit, da sie entschieden vogelartig sind. Aus der europäischen Kreide beschrieb S e e 1 e y die Reste zweier taucherartiger Vögel (Enaliornis, Cambridge Greensand), Dames die eines altertümlichen Flamingos (Scaniornis, dänischer Saltholmskalk), Andrews die eines scharbenartigen Vogels (Elopteryx Nopcsai, Danien, Siebenbürgen). O. C. Marsh brachte aus der nordameri- kanischen Kreide überraschend viele und wichtige Vogelreste zum Vorschein. Der erste stammt aus der oberen Kreide von Kansas und wird Hesperornis regalis (in der popularisierenden Literatur „Königlicher Westvogel") genannt. Das Skelett dieses Vogels stimmt im großen Ganzen mit dem unserer rezenten Taucher und Steißfüße (Gavia, Col^-mbus) überein; besonders die mit langem Kamm versehene Tibia und die lange Patella sind auffallend ähnlich mit denen der oben genannten. Die eingehende Untersuchung *) P. Petronievics und A. S. Woodward haben das Londoner E.\emplar von Archaeoptery.\ neuerding weiter heraus- präpariert (Geological Magazine 1917. S, 41). Das Coracoid erinnert an das der ,,Ratiten" und des Hesperornis ; ,,the pubic bones are twice as long as the ischia and meet distally in an extended Symphysis, gradually tapering to a point, which seems to have been tipped by a mass of imperfectly ossified carlilage". **) 1902 wurde noch ein Vogelrest aus dem Kimmeridge Spaniens entdeckt; dieser ist aber während der Ausgrabungen verloren gegangen. (I,. Vidal, Mem. Real. Acad. Barccllona Bd. 4. 1912. Nr. 18.) zeigt aber wesentliche Unterschiede. Das Brust- bein des Hesperornis ist flach, besitzt keine Crista sterni, von den Knochen der vorderen Extremität ist nur der Oberarm (Os humeri) erhalten, selbst dieser in einer verkümmerten I'"orm; Praemaxilla und Dentale tragen starke, mit ihrer Spitze nach hinten gerichtete Zähne, in ersterer sind 28, in letzterer sind 33, zusammen also 61, denen der Mosasaurier ähnliche konische Zähne in eine gemeinschaftliche Furche eingebettet. Marsh") und Shufeldt unterscheiden 4 Arten von Iksptroinis m der oberen Kreide von Kansas und Montana); Lucas unterscheidet in der Familie der Hesperornithidae noch eine separate Gattung (Hargeria). Hesperornis-Reste sind so zahlreich bekannt, — Marsh selbst sammelte über 50 Individuen - daß die Rekonstruktion des Skelettes unbedingt richtig ist. Ein glück- licher Fund Williston's erlaubte sogar die Restauration des äußeren Habitus. Erfand nämlich auch die die Füße bedeckenden Hornschuppen in unversehrtem Zustande; die langkieligen, aber weichen, dunenartigen Federn bedeckten den Tarsometatarsus beinahe bis zu den Fingern (Abb. 3). 356 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 2 5 Obzwar Marsh die Ähnlichkeit der Hesper- ornithiden mit den Tauchern schon erkannte, be- trachtete er Hesperornis doch als einen schwimmen- den Strauß und reihte ihn zu den flachbrüstigen Vögeln (Ratitae) als den Vertreter einer bezahnten Ordnung (Odontolcae). M. Fürbringer'-) sprach zuerst aus, daß das kiellose Brustbein und der bezahnte Kiefer des Hesperornis noch nicht dazu genügen , ihn von seiner natürlichen Stelle aus der Nähe der Taucher herauszuheben und in die Nachbarschaft der Strauße zu stellen. Es ist das große Verdienst Prof. Fürbringers, die systematische Stellung der Hesperornithidae gelöst zu haben. Infolgedessen wurde die, lange Zeit hindurch der Crista sterni zugewiesene große systematische Wichtigkeit geschwächt und dadurch mußte die künstliche Gruppe der flachbrüstigen Vögel (Ratitae) aufgelöst werden; seitdem können die Vögel nicht mehr in die zwei Hauptgruppen der Carinaten und Ratiten geteilt werden. Das Dollo'sche Gesetz führt aber noch zu weiteren Folgerungen. Diesem Gesetze der Irreversibilität nach erlangt ein im Laufe der Stammesgeschichte verkümmertes Organ niemals seine frühere Stärke wieder; ein gänzlich verschwundenes Organ kehrt niemals wieder. Gehen bei einer Anpassung an eine neue Lebensweise Organe verloren, die bei der früheren Lebensweise einen hohen Gebrauchs- wert besaßen, so entstehen bei der neuerlichen Rückkehr zur alten Lebensweise diese Organe niemals wieder; an ihrer Stelle wird ein Ersatz durch andere Organe geschaffen. Laut diesem Gesetz können wir die rezenten Colymbiformes nicht von den Hesperornithiden ableiten. Die Gattung Hesperornis ist — ohne Nachfolger — in der Kreide ausgestorben. Da Hesperornis, der zur tauchenden Lebensweise noch bedeutend höher angepaßt war, als die besten rezenten Schwimmvögel, die Crista, und mit Aus- nahme des Oberarmknochens, die Knochen der vorderen Extremität verloren hat, diese aber — laut dem Doli o 'sehen Gesetz — bei den späteren Nachfolgern nicht zurückkehren konnten, können mit regulärem Flügel und mit gekieltem Brustbein versehene Colymbiformes nicht aus den Hesper- ornithiformes, sondern samt den Hesperornithi- formes nur aus einer älteren gemeinsamen Urform abgeleitet werden. Wir können aber auch noch weiter gehen. Das Skelett der Hesperornithiden (besonders die hintere Extremität, Becken) ist in sehr hohem Grade spezialisiert, so daß sie unbedingt als End- glieder einer langen Entwicklungsreihe betrachtet werden müssen. Ein Ast der ursprünglich laufenden Urvögel kann sich dem Schwimmen erst im Verlauf einer sehr langen Zeitdauer derart angepaßt haben, und deshalb kann ich die am schärfsten von Arldt ausgesprochene Meinung, wonach die Vögel geologisch jünger wären als die Säugetiere, nicht teilen. Es wäre sehr begründet, die Terminologie der paläontologischen Chronologie zu ändern, Den chronologischen Tabellen nach treten die Vögel im Jura auf, und die bezahnten Vögel sterben in der Kreide aus. Ich möchte den Satz folgender- weise formulieren: im Jura starb ein ungenügend spezialisierter Ast (Archaeopteryx) der Vögel aus, in der Kreide starb die F"ormenreihe der schwimmen- den bezahnten Vögel aus. Dadurch ist zugleich das unbekannte Alter des Ursprunges und die ehemalige Existenz des vorläufig unbekannten hypothetischen Proavis ausgesprochen. Daß das kiellose Brustbein der Hesperornithiden nicht als ein primitiver Zug, sondern als eine in- folge hochgradiger Spezialisation entstandene Re- duktion zu deuten ist, beweisen die kontemporären Reste der Gattung Ichthyornis, deren gut ent- wickelter Brustbeinkiel für ein gutes Flugvermögen spricht. Diese etwa taubengroßen Vögel erinnern uns vielfach an die Seeschwalben und Scharben; ihre Wirbel sind amphicoel gebaut. Mit Hilfe des be- zahnten Schnabels verfolgten sie die Fische mit großem Erfolg; am Fundort der im Peabody- Museum zu Newhaven aufbewahrten Ichthyornis- Exemplare wurden unzählige Fischreste gesammelt. Die Zähne der Ichthyornithiden sind in separaten Alveolen eingebettet (Odontornae); im Unterkiefer zählte man deren 42 (Abb. 4). Die übrigen Vögel der amerikanischen Kreide gehören teils zu dem P'ormenkreis der Taucher (Baptornis Marsh), teils zu dem der Ichthyorni- thiden (Apatornis, Cimolopteryx, Gracularus, Marsh), zu dem der Stelzvögel und Strandläufer (Limosavis, Shufeldt, Palaeotringa Marsh), so- wie zu dem der Kraniche (Laornis Marsh) und Rallen (Telmatornis Marsh).") Auch dieser mannigfache Formenreichtum der spätmesozoischen Vögel spricht für die spätestens frühmesozoische Herkunft der Vögel. Neben hoch- spezialisierten Schwimmvögeln (Hesperornis) gab es zu dieser Zeit prächtige Flieger (Ichthyornis), Stelz- (Scaniornis, Laornis) und Laufvögel (Telma- tornis), mit einem Wort eine formenreiche Vogel- welt. Diese kann nur aus einer langen Ent- wicklungsperiode hervorgegangen sein, so daß H. F. Osborn den gemeinschaftlichen „dinosaur avian" Stamm nicht ganz grundlos in das Perm versetzt. Im Kaenozoikum entwickelte sich aus den 15 bisher bekannten mesozoischen Vogelgattungen graduell die mannigfache Vogelweltder geologischen Neuzeit. Aus dem älteren Tertiär, d. h. aus dem Palaeogen (Eozän-Oligozän) stammen die fossilen Vogelreste des Londonton, der Insel von Sheppey, der Gypse von Montmartre, von Langy, Puy en Velay, Allier, Ronzon und der südfranzösischen Phosphorite (Ouercy); die neogenen Vögel haupt- sächlich aus dem Steinheimer Becken, von Sansan, Pikermi usw. Aus dem Eozän der Insel Sheppey (unweit der Themsemündung) kamen außer zahlreichen Resten von p'ischen, Schildkröten und Krokodilen N. F. XVII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 357 und von Pahnen, Nadelhölzern, Eucalyptus, Nyssa, lauter tropischen Pflanzen, sechs hochwichtige Vogelreste zum Vorschein. '■'') Der Schädel von Dasornis londiniensis O wen ist mit den aus den französischen, englischen und belgischen Basaleozän bekannten Gattungen Gastornis und Remiornis verwandt. Die Gattung Gastornis wurde auf Grund französischer Funde von Hebert und Lemoine beschrieben (G. parisiensis, G. Ed- wardsi Abb. 5). Dollo fand die letztgenannte Art auch im belgischen Basaleozän; E. T. Newton beschrieb aus dem englischen Wolwich beds die dritte Art: G. Klaasseni. Sämtliche Arten waren von Straußgröße, sind mit den Anseriformcn ver- also auf eine andere Weise durch sägenartige Schnabel — ersetzt. — B. Spulski beschrieb 1910 einen angeblich aus dem Eozän von Brasilien stammenden fossilen Vogelschädel unter dem Namen Odonlopteryx longirostris Prophaeton Strubsolei Andrews repräsentiert die Urform der Phaetontiden und Argillornis longipennis Owen erinnert an die Scharben und an Diomeden. Etwas jünger sind die Vogelreste aus dem Hordwell beds des Grafentum Hordwell: ein auch aus den Gipsen des Montmartre bekannter Raub- vogel (Palaeocircus ('uvieri Milne-Edwards), Abb. 3. Rekonstruktion des Hesper< (Nach G. Heilmann 1916.) wandt, flugunfähig und besitzen ein reduziertes Flügelskelett). Lithornis vulturinus Owen und Halcyornis toliapicus Owen repräsentieren raub- resp. mövenartige Vögel. Die übrigen drei fossilen Vögel der Insel Sheppey gehören zu den Steganopoden. Der berühmteste ist Odon- topteryx toliapica Owen, dessen mächtiger Schädel einen sägeartig eingekerbten Schnabel trug. Die Sägespitzen sind — im Gegensatz zu Mesperornis und Ichthyornis — nach vorne gerichtet. Abel führte in seiner geistreichen Paläobiologie dieses eigentümliche Gebiß als einen schlagenden Beweis für die Richtigkeit des Dollo 'sehen Ge- setzes an. Das zur Kreidezeit verlorene Gebiß konnte nicht mehr erworben werden, es wurde Abb. 4. Skelett des Ichthyornis victor. (Nach O. C. Marsh.) zwei Phoenicopteriden (Agropterus Milne-Ed- wards, Elornis Aymard), die älteste bisher bekannte Scharbenart (Actiornis Lydekker), zwei Kranich-Arten (Grus hordwelliensis, Gera- nopsis Hastingsiae) und Steißfuß (Colymboides anglicus). Kontemporär sind die Vögel der Gipse des Montmartre. Dieser klassische Fundort wurde von Cuvier entdeckt; die Gipse wurden in dem am Ende der Eozänzeit vom Gebiet des Pariser Beckens verschwundenen See abgelagert. Neben interessanten Säugetieren (Palaeotherium, Anop- lotherium) lebten hier Flamingos (Agnopterus Laurillardi Milne-Edwards), der schon er- wähnte Palaeocircus, mehrere Stelzvögel (Totanus, Numeniusg>'psorum Gervais, Rallusintermedius, 358 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. Gypsornis Cuvieri Milne-Edwards), Zahn- wachtel (Palaeortyx), Specht (Cryptornis) und mehrere Singvögel (Laurillardia 3 sp., Palaeo- githalus). ^"j Den reichsten Fundort europäischer paläogener Vögel bieten uns die Phosphorite von Quercy in Frankreich (unweit Villefranche). Filhol, der diese in Phosphat umgewandelte Knochenfunde Abb. 5. Skelett des Gastornis Kdwardsi. (Nach Lemoine.'i als Erster studierte, sucht den Grund ihres massen- haften Vorkommens mit großem Scharfsinn darin, daß die Tiere durch die betäubenden Gase der Sumpfgegend umgekommen sind. A. Milne- Edwards und Gaillard'') beschrieben aus den Phosphoriten von Quercy 41 Vogelarten. Es wurden bestimmt: eine mit dem brasilianischen Karakara (Polyborus) verwandte Adlerart (Aquila hypogala), fünf Xachtraubvogelarten, darunter der an den javanischen Ketupa erinnernde Bubo in- certus, ein Hühnergeier (der einzige Cathartide der alten Welt, die übrigen leben in Südamerika), der mit dem afrikanischen Sekretärvogel ver- wandte Amphiserpentarius und Tapinopus, der mit der Blauracke verwandte Geranopterus. In den Spalten des Kalkplateaus nisteten drei Vorfahren des rezenten Mauerseglers (Aegialornis 2 sp., Cyp- selavus) ; ferner kommen noch die mit den mittel- und südamerikanischen Troponiden verwandten 3 Arten von Archaeotropon, Hühnervögel (Filho- lornis, Palaeoeryptonyx), Zahnwachteln (Palaeortyx, Paraortyx), Störche (Propelargus, Pelargopsis), Reiher (Ardea amissa), Steppenhuhn (Pterocles 2 sp.), Rallen (Rallus 2 sp.), der mit Chauna ver- wandte Orthocnemus (4 sp.) und Elaphrocnemus (3 sp.), Totanus Edwardsi und der an den tropischen Guckel (Endynamis) erinnernde Dynamopterus vor. Ein wichtiger deutscher Fundort untereozäner *) Tiere ist die Messeier Braunkohle (bei Darmstadt), aus welcher außer Aften- und zahlreichen Chirop- teren-Resten eine Rallenschnepfe (Rhynchaeites messelensis Witt ich) bekannt wurde; diese Gattung lebt heutzutage ausschließlich auf der südlichen Hemisphäre. Die eozäne Vogelwelt Europas weist demnach — abgesehen von einigen altertümlichen Typen (wie Gastornis, Dasornis, Argillornis, Odontopteryx usw.) — lauter hochspezialisierte Formen auf in welchen wir leicht viele rezente Vogelfamilien und Gattungen erkennen können. Besonders be- zieht sich das auf die spezialisierten Steißfüße (Colymboides), Flamingos (Agnopterus, Elornis), auf die konservativen Hühnerarten, deren Re- präsentanten außer denen vom Montmartre und von Quercy auch aus dem Eozän des französischen Departements Aude (Taoperdix Pessieti Milne- Edwards und T. celtica Eastman bekannt sind, aber auch auf die bedeutend schwerer ana- lysierbaren kleinen Singvögel. Außer Frankreich kennen wir noch eozäne Singvögel aus dem schweizerischen Kanton Glarus (Protornis H. v. Meyer). Die Fauna wird auch im jüngeren Abschnitt des Palaeogens: im Oligozän graduell moderni- siert. Im unteroligozänen Mergel und Kalk von Ronzon (bei Lyon) treffen wir zwei Flamingo- Arten (Elornis), einen Raubvogel (Teracus), außerdem eine Tölpelart (Sula ronzoni) und Schnepfe (Dolichopterus). Viel mannigfacher ist die Ornis der reichen oberoligozänen Fundorte des Departements AUier (Langy, St. Gerand le Puy). Es finden sich hier Anatiden (5 Arten, darunter: A. Blanchardi; Fuligula arvernensis), Steißfuß (Colymboides minutus), 6 Flamingo- Arten (Palaelodus, Phoenicopterus Croizeti usw.), Ibisse (Ibis pagana, Ibidopsis), der Marabustorch (Leptoptilus arvernensis nom. nud.). Störche (Pelargopsis, Propelargus), Reiher (Ardea formosa), ein Sekretärvogel (Serpentarius robustus), mehrere Adler, Milane, Eulen, von den Stepanopoden eine Scharbe (Phalacrocorax miocaenus), Pelikan, Töl- pel, Hinantopus brevipes, Tringa, Totanus, Möven (Larus Desnoyersi), Trappe, SteppcnhiJm, Kraniche, *) Bezüglich des Alters vgl. Re villi od, Abh. hess. Geol. Landesanst. 7. 1917. 161 ff. N. F. XVII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 359 Rallen. Wichtig sind die aus den Phosphoriten von Uuercy schon erwähnten Zahnwachteln (Palaeortyx 4 sp., Pterocles, Tauben, Spechte, Papagei, ALmcrseglcr, die mit der tropischen Salangana verwandte Collocalia, der ebenfalls tropische Tropon gallicus und ein altertümlicher Wiedehopf (Limnatornis M i 1 n e - E d w a r d s). In der mittelmiozänen Vogelfauna von Sansan finden sich Wasser- (Anas robusta, A. sansaniensis, A. vels)., Sumpf- (Rallus Beaumonti, R. dispar, R. major, Ardea perplexa, Numenius antiquus, Hühner- (Palaeoperdix 3 sp., Phasianus 2 sp.), Raubviigel (.Aquila 2 sp., Haliaetus piscator, Strix ignota), ferner Specht (Homalopus), Kukuk (Necrornis) und eine Rabenart (Corvus larteti). An den übrigen spärlichen europäischen enogenen Fundorten (Grive St. Alban , Stein- heim, Obermiozän) wurden in der Mehrzahl ebenfalls Wasser- und Sumpfvögel gefunden, so z. B. in Steinheim Anas 3 sp., Pelecanus 2 sp., Ibis, Ardea und Palaelodus 2 sp. '**!. Ungarn besitzt aus dieser Zeit auch Fuß- spuren der Vögel. Auf einer miozänen Sand- steinplatte — die von Th. v. Szontagh aus der Gemarkung von Ipolytarnoc, Komitat Nögrad gerettet wurde — sind die Fußspuren von Rhinoceros, Urhirsch, Vögeln usw. er- halten. Diese Tiergesellschaft flüchtete sich vor einem vulkanischen Ausbruch , dessen Asche die Fährten bedeckte. Aus Europa kennen wir derartige Vogelfährten verhältnismäßig nur wenig (bisher wurden meines Wissens nur die Vogelfährten des badischen Oberlandes von G. Boehm publiziert», umsomehr wurden aber aus Nord-Amerika beschrieben. Ch. Lyell, der Bahnbrecher der modernen Geologie, beob- achtete am Ufer des St. Lorenz- Flusses die Konservierung derartiger Vogelfährten. Die von E. und C. H. Hitchcock beschriebenen ameri- kanischen Vogelfährten wurden neuerdings von R. Lull revidiert. '") Der jüngere Abschnitt des Neogens, das Pliozän, enthält neben unzähligen Säugetier-Resten nur auffallend spärliche Vogelreste. Aus dem Red Crag von Suffolk ist ein Albatros (Diomedea anglica), von Montpellier und Roussillon sind Schwimm- (Anser anatoides) und Hühnervögel (Gallus Bravardi, Palaeocryptonyx Donnezani) und eine Rabenart (Corvus praecorax), von der Insel Samos und aus Pikermi Kraniche (Amphi- pelargus, Grus pentelici), von letzterem Fundort auch zwei Hühnervögel (Gallus aesculapi, Phasia- nus archiaci) bekannt (Lyddeker, Deperet, Gaudry). Das alle (Organismen mächtig umformende Tertiär brachte nicht nur in Europa resp. in Eurasien, sondern auch auf der Nearktis und in Südamerika aus den altertümlichen Ahnen moderne Formen zur Entwicklung. Im Meere der zur Kreidezeit mit einander verbundenen nearktischen, nordatlantischen und Angara-Kontinente lebten — wie schon erwähnt wurde — bezahnte Schwimmvögel mit redu- zierter Crista sterni (Hesperornis), auf den Kontinenten flugfähige Stelzvögel und Strand- läufer (Ichthyornis). Zu Beginn des Tertiärs, im Eozän begegnen wir in der Nearktis den riesigen Diatryma-Arten. Laut einer 1917 erschienenen Abhandlung von W. D. Matthew und W. Granger*! soll Diatryma mit Phororhacos und Cariama verwandt sein; C. W. Andrews findet auch gewisse Anklänge an die Papageie.**) Nach R. W. S h u f e 1 d t soll Diatryma ajax der größte Vogel der Welt gewesen sein; diese Vermutung erwies sich aber infolge der Entdeckung des seitdem beschriebenen vollständigen Skelettes von D. gigantea als falsch. Die Höhe dieses Vogels beträgt 2-iOm, wenn D. ajax selbst doppelt so hoch war, bleibt er doch weit hinter der von Shufeldt ver- muteten 6 m Höhe zurück. Außer den schon erwähnten zweifelhaften Brasilianischen Odontopteryx longirostris lebten in Amerika Reiher (Botauroides, Eoceornis), Raubvögel (Aquila, Bubo, Minerva), auf der Insel Vancouver ein Riesenpelikan (Cyphornis Cope), Strandläufer (Tringa bellus), Kranich (Palaeogrus), Ralle (Fulica venusta), Haselhuhn (Palaeobonasa, synonym: Gallinuloides wyomingensisi, P'asan (Palaeophasianus) sowie Singvögel (Palaeospora, Yalavisi. Die wichtigsten Vögel des nearktischen und südamerikanischen Paleogens und Neogens sind aber die Pinguine und die Phororhacos- Arten. Die Pinguine, diese von Anatole France in geistreicher Weise behandelten „anthro- pomorphen Vögel" sind vorzügliche Schwimm- vögel. Im Gegensatz zu allen übrigen Vögeln sind sie plantigrad, am Land berührt nämlich auch ihr Laufknochen (der Tarsometatarsus) die Erde und nur wenn sie laufen, erheben sie sich zu digitigraden Tieren. Ihre Heimat hegt im Südpolargebiet, sie suchen aber auch die südlichen Küsten Südamerikas, Afrikas und Australiens auf. O. Abel gelang es sogar 1906 einen Riesenpinguin aus dem Eozän von Alabama d. h. aus dem Gebiet von 30 n. B. nachzuweisen (Alabamornis gigantea 1, dessen Schultergürtel von Lucas als der Beckengürtel von Zeuglodon beschrieben wurde, ""l Die von O. Nordenskjöld 1901 — 1903 geleitete schwedische Südpolarexpedition brachte aus dem Untermiozän der Insel Seymour gut erhaltene Pinguinreste zum Vorschein. Die größte fossile Art der Insel Seymour (Anthropornis Norden- skjöldi Wim an) übertraf selbst den größten rezenten Kaiserpinguin (Aptenodytes Forsteri). -') Kontemporär mit den seymourischen Urpin- *) Matthew, W. D. und G rang er, W. The Skeleton of Diatryma, a gigantic bird from the Lower Eocene of Wyoming. — Bull. Amer. Mus. N. H. 37. 1917. **) Andrews, C. W., A gigantic eocene bird. — Geol. Mag. 1917. 469—471. 36o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 2 5 guinen sind die Pinguine aus dem patagonischen St. Georg-Golf; F. Ameghino unterscheidet hier i6 Genera mit 31 Arten.--') Bei den Pinguinen finden wir — ebenso wie bei Hesperornis — eine hochgradige Reduktion und Anpassung, so daß ihr Ursprung weit vor dem Eozän liegen muß. Der eozäne Pinguin von Alabama und dervonHuxley 1859 beschriebene oligozäne Pinguin (Palaeeudyptes antarcticus) von Neuseeland kann zur Lösung der Stammes- geschichte der l'inguine noch keinesfalls genügen. Wenn wir die besten Schwimmvögel der Kreidezeit, die Hesperornis-Arten und die des Tertiärs, die Pinguine neben einander betrachten, so sehen wir zwei verschiedene Wege und Resultate der Spezialisation. Beim Hesper- ornis ist die Crista sterni und — mit Ausnahme des Oberarmknochens — die vordere Extremität vollständig reduziert; beim Pinguin blieben beide erhalten und die Anpassung an das Schwimmen fand auf anderem Weg statt (Verkürzung einzelner Knochen, Entwicklung neuer Rotations- bewegungen, Abplattung der Knochen).*) Die Anpassung an die Lebensweise in gleichem Element, im Wasser, wurde auf verschiedenen Wegen in gleicher Vollständigkeit gelöst. Neben diesen wirklich altertümlichen, seit dem Eozän morphologisch unveränderten Pinguinen kommt im Miozän Südamerikas noch eine eigentümliche Vogelgruppe vor: die Phororhacos-Arten. Ihr auffallend großer über ^/j m langer Schädel umschloß wahrscheinlich ein relativ gut entwickeltes Gehirn. Der Schnabel war gekrümmt, der Hals auffallend dick, die Füße lang und kräftig, der Flügel war stark zurückgebildet. (Abb. 6.) F. Ameghino, der Entdecker ihrer ersten Reste, sowie M o r e n o und Mercerat betonten schon am Anfang der 90 er Jahre des vorigen Jahrhunderts ihre Ver- wandtschaft mit den Kranichen, dies wurde aber erst von C. W. And re ws '-^) (1899) erwiesen, der die Phororhaciden neben die brasilianische Cariama cristata und Chunga Burmeisteri stellte. Nach Andrews steht Phororhacos in derselben Beziehung zur Cariama-Gruppe wie Glyptodon und Panochtus zu den modernen Gürteltieren. Die 1914 von Rovereto '-^j mitgeteilten und ab- gebildeten Reste scheinen die F"rage der Ver- wandtschaft dieser Vögel bedeutend klargelegt zu haben. **) Südamerika und die Atlantis hängen als Südatlantis von der Trias an bis zum Alttertiär mehr oder weniger mit dem Gondwanakontinent *) Vgl. diesbezüglich O. Abel, Grundzüge der Palaeo- biologie der Wirbeltiere, StuUgart 1912 S. 166 — 170, H. Virchow, Über die Bewegungsmöglichkeiten an der Wirbelsäule von Spheniscus; Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde 1910 S. 4 — lo. **) Aus dem Miozän von Süd-Carolina beschrieb K. \V. Shufeldt vor kurzem den Oberschenkel einer altertümlichen Anserinen-Art: Palaeochenoides miocaenus. (New extinct bird from South Casolinina. — Geol. Mag. 1916. 243—247. Taf. XV.) zusammen, zu welchem Madagaskar, Afrika, das Gebiet des indischen Ozeans mit den Inseln (Australien, Neuseeland usw.) gehörte. Darwin, Hutton, Rütimeyer, Blanford, P'orbes, Plate, Moreno, S. Woodward und H. F. Osborn, die sog. „Antarktisten", nehmen gerade aus der Reihe der Vögel die wichtigsten Beweise für das Vorhandensein eines ehemaligen antarktischen Kontinentes. Und ob- zwar R. Owen, Wallace, R. Lydekker, M. Fürbringer, ( ". W. Andrews und R. Burkhardt schwere Beweise gegen die Auffassung der Antarktisten über die fossilen Vögel dieser Gegend führen, steht es fest, daß ^^^^iSf". Abb. 6. Skelett des Phororhacos inflalus Ameghino. (Nach C. W. Andrews.) die Paläontologie der Vögel in keinem P"alle zur Lösung einer paläogeographischen Frage derart berechtigt ist, wie in diesem Falle. Die Antarktisten berufen sich darauf, daß die flugunfähigen „Ratiten", d. h. flachbrüstigen Vögel, der Nandu (Rhea americana) und seine fossilen Vorfahren (R. fossilis, R. subpampeana, R. mana) in Südamerika, der Strauß (Struthio) in Afrika, der Emu (Emeus) und Kasuar (Casuarius) in Australien, und ihre Ahnen: Eremopezus und Psammornis in Afrika,*) Dromaius in Australien, *) Neuerdings wurde aus dem ? Eozän von Nigerien auch das Brustbeineines riesigen „Carinaten" beschrieben; es soll ein Vertreter der Tubinares seinfGigantornis Eaglesornei, Andrews Geol. Mag. 1916. 333). N. F. XVII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 361 Ilypsclornis im Pliozän der indischen SivaUk- Hügel, der Kivi lApteryxj und die Moas (Dinornithidae) von Neuseeland endlich die Aepyornithiden der Insel Madagaskar, auf dem ganzen geschilderten Gebiet überall vorkommen. Infolge ihrer Flug- unfähigkeit konnten sie sich auf einem derart großen Gebiet nur so verbreiten, wenn ihre jetzt isolierten Heimaten einst zusammenhingen. Diese lockende Auffassung verbreitete sich rasch, wurde aber von den Resultaten der jüngsten Forschungen widerlegt. -•') Es wurden von diesem ungeheuren Gebiet auch zahlreiche andere flug- unfähige Vögel bekannt: verschiedene Rassen (Aphanapteryx, Erythromachus), Tauben iDiclus, Pezophaps), Papagei (Lophopsittacus) usw., welche die Flugfähigkeit auf sekundäre Weise verloren haben. Wie diese, so haben auch die oben an- geführten flachbrüstigen Ratitae die Mugfähigkeit nur in sekundärer Weise eingebüßt: bei den Ab- kömmlingen verschiedener Vorfahren wurde der Brustbeinkiel und die vordere Extremität reduziert. Unter besonders günstigen Verhältnissen (reiche Nahrung, Abwesenheit gefährlicher Feinde) ent- standen auf den Inseln, kleineren Kontinenten Riesenfoimen (Moa auf Neuseeland, Aepyornis auf Madagaskar, Dodo auf Mauritius), und wenn diese nicht gezwungen waren, sich vor Feinden zu wehren, zu flüchten oder sie zu verfolgen, so hatte die Flugfähigkeit keinen Zweck mehr, sie konnte verschwinden, die betreffenden Elemente des Skelettes wurden reduziert. Die flugunfähigen Laufvögel der südlichen Hemisphäre beweisen nicht die ehemalige Ver- bindung der Kontinente, sondern dienen als Beispiele der Konvergenz; sie bestärken nicht die ge- meinsame Herkunft dieser Vögel, sondern führten zur Auflösung der künstlichen Gruppe der Ratiten. Die Balgornithologie scheint dies aber bisher nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Die Morphologie des Schädels, des Beckens und der übrigen Skelettelemente spricht für die Ver- wandtschaft der Apterypiden und Dinornithiden mit den Inambus, Rallen und Hühnervögeln ; zu den Ra- titen können nunmehr die Gattungen Struthio, Rhea, Casuarius, Emeus und Aepyornis gerechnet werden. Der ehemalige Verbreitungskreis der Strauße war bedeutend größer als der jetzige. Die afri- kanische Gattung Struthio ist fossil aus dem Neogen der Insel Samos (Struthio Karatheodoris Forsyth Major), aus Nordindien (S. indicus Bichwell), aus dem Pliozän der Siwalik-Hügel (S. asiaticus M i 1 n e - E d w a r d s) , aus dem Pliozän von Südrußland und China (S. chersonensis Brandt), sowie aus dem Pliozän von Odessa (Struthio sp., Przemiski) bekannt. Am Ende des Tertiärs, im jüngsten Neogen, finden wir auf der nördlichen Hemisphäre sozu- sagen lauter moderne, rezente Vogelgattungen. In den warmen Wüsten Rußlands lebten zu dieser Zeit Strauße, im Becken von Steinheim und von London Flamingos, Marabustorch, im pannonisch- pontischen Meer Ungarns Schlangenhalsvögel iPlotus pannonicus Lambrcch II, Gattungen, die heute nur unter den tropischen Klimaten vor- kommen. Die jüngste Katastrophe unserer Erde, das Eintreten der Eiszeit drängte diese tropische Fauna der nördlichen Hemisphäre nach Süden, an ihre Stelle kamen die Tiere des hohen Nordens. Aus den pleistozänen Sedimenten, besonders aus den postglazialen Ausfüllungen der mittel- europäischen Höhlen kommen Tausende von Resten des heute zirkumpolar verbreiteten Moorschnee- huhns (Lagopus albus L.) zum Vorschein. Aus der Felsnische Pslisspanta 1 unweit Budapest) zählte ich die Reste von 2960 Individuen. In derselben Höhle fand ich auch den ersten fossilen Rest des typischen Fausthuhnes (Syrrhaptes paradoxus PalL), das seitdem auch aus einer mährischen Höhle zum Vorschein kam.*) Das zirkumpolare Moorschneehuhn ist sogar aus dem Pleistozän der Höhlen Norditaliens bekannt; diese Vogelart war also zur postglazialen Zeit um 15 Breitegrade südlicher wohnhaft, als jetzt. Der Übergang aus dem Tertiär in das Quartär war selbstverständlich nicht so einfach. Die widerstandsfähigeren Arten der tropischen Fauna paßten sich an das graduell herabsinkende kalte Klima an; dabei wurde ihr Organismus bedeutend verändert. Ihre Körpergröße nahm ab, um den Wärmeverlusts des kalten Klima durch einen ge- ringeren körperlichen Wärmeverbrauch zu kom- pensieren. Die sog. präglazialen Faunen von Sardinien, Korsika, Malta, des englischen F"orest- und Freshwaterbed, von Mauer, Mosbach, Hunds- heim, Vill.uiy, Csarnota, Beremend, Brassn und Püspökfürdö können erst die Lösung dieser interessanten Frage der Umformung geben. In Nordamerika fand eine ähnliche Umformung der tropischen Fauna statt. Den besten Beweis hierfür lieferten uns die von L. H. Miller be- schriebenen reichen Funde aus dem pleistozänen Asphaltbeds von Rancho-la Brea. "") Auf der nördlichen Hemisphäre geht die Vogel- welt des Tertiärs graduell in die des Quartärs über. Im Gegensatz zu dem von Gaudry und D e p e r e t formulierten Gesetz der Größenzunahme innerhalb der Stammbäume finden wir im Paleogen lauter Riesenformen, im Neogen Formen von mittelgroßen tropischen Arten und im Quartär ebenfalls der Größe nach abnehmende Formen teils arktischer Herkunft, teils hier entstanden. Von der südlichen Hemisphäre kennen wir — mit wenig Ausnahmen — nur die Reste jüngerer Vögel; es sind lauter Riesenformen, die rasch auf- blühten, aber auch ebenso rasch untergingen. Aus den zukünftigen paläontologischen P'orschungen dieses Gebietes müssen unbedingt überraschende Funde zum Vorschein kommen; aus Neuseeland, Madagaskar und den Maskarenen kennen wir — abgesehen vom neuseeländischen oligozänen Riesen- pinguin — nur lauter pleistozäne Vogelreste. Auf *) Laut einer brieflichen Mitteilung des Herrn V. Capek in Oslawan. 362 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 25 den Maskarenen lebten die Riesentauben : Didus und Pezophaps, eine Riesenralle (Leguatia) usw. In Bezug auf diese verweise ich auf den wertvollen Aufsatz S. Killerman n's in dieser Wochen- rückzuführen sind. Abel fand diese Verletzungen ausschließlich bei männlichen Exemplaren und zwar schon bei ganz jungen Tieren, somit beweisen sie die Erblichkeit erworbener Merkmale. Abb. 7. Skelett des Liinornis maxlmus. (Nach C. W. Ai Schrift (Bd. 30. 1915. Nr. 23-24.), wo auch die wichtigste Literatur angegeben ist.-') Über die „Musquelkugcln ähnlichen Flügelbeine" desSolitärs (Pezophaps) will ich nur noch soviel bemerken, daß diese von Abel als Verletzungen gedeutet werden, die zweifelsohne auf Paarungskämpfe zu- Während die auf Inseln isolierten Säugetiere meistensZwergformensind, entwickeln sich dieVögel unter ähnlichen Verhältnissen zu Riesenformen. Die riesengroßen Dinornithiden bewohnten die Inseln von Neuseeland. F. Hochstetter, der FührerderösterreichischenNovara-Expedition(i859) N. F. XVII. Nr. 2i, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 363 bezeichnet sie treffend als die Pachydermen dieser Inseln, denn kein einziges großes Tier wohnte hier zur Zeit der Moa - Herrschaft. Die großen Säugetiere wurden erst neuerdings importiert. Die Ureinwohner der Inseln, die Maoren, nannten diese kolossalen Vögel Moa; sie waren den Straußen ähnlich und ebenfalls flugunfähig. Das Skelett der dem Inambus und den Hühnervögeln verwandt. Außer den Knochenresten sind zahlreiche Federn, ausgetrocknete Weichteile und Eischalenlragmente erhalten geblieben; in einem Ei waren selbst die Knochen des Moakückens erhalten. ''*) C. W. Andrews unterscheidet in der Familie der Dinornithidae 7 Gattungen mit 38 Arten. Die ier.) vorderen Extremität ist vollständig verschwunden, der Schädel auffallend klein, Füße kräftig entwickelt. Leider sind die Reste der Dinornithiden derart zerstreut (die meisten befinden sich in den Pro- vinzialmuseen Neuseelands, im Britischen Museum und im Hofmuseum zu Wien), daß ihre mono- graphische Bearbeitung sehr erschwert ist. Sie sind samt den Kivis (Apterygidae) am nächsten mit größte Art (Dinornis maximus (Abb. 7) sollsVairi hoch gewesen sein. Die Arten der Nordinsel waren im Allgemeinen kleiner. -*) Zahlreiche Märchen und Sagen der Ureinwohner Neuseelands berichten über gewaltige Kämpfe zwischen den Menschen und den Moas. Einer Sage nach warfen die Maoren glühende Steine den Moas vor, von denen die Vögel getötet wurden. Den 364 Naturwisscnschaftliclic Wochcnsclirift. XVII. Nr. 25 Kern dieser Sage bildet jene Tatsache, daß die samenfressenden Vögel — wie wir aus den Unter- suchungen Ja CO bis genau wissen — in der Tat viele Steine und Gerolle schlucken, um die Verdauung zu erleichtern. Im Magen der in natürlicher Lage gefundenen Moas fand man auch zahlreiche Quarz-, Chalzedon-, Glimmerschiefer- und Achatgerölle. Auch die Struktur ihrer Füße spricht dafür, daß die Moas von vegetabilischer Nahrung lebten. Mit Hilfe ihrer kräftigen Zehen scharrten sie die Wurzeln der Pflanzen, besonders Farne heraus. Die Struktur ihrer Eischale wurde eingehend von _Nathusi US untersucht.^"). Ähnliche, aber noch größere Eier besaßen die Aepyornithidenderlnsel Madagaskar. Geoffroy, A. undG. Grandidier, A. Milne-Edwards und R. Burckhardt haben 14 Arten der Gattung Aepyornis beschrieben. L. Monnier^\) unter- scheidet aber in seiner 191 3 erschienenen Mono- graphie nur 4 Arten dieser Gattung; dazu kom- men noch 3 Arten der Gattung Mullerornis. Das Beispiel M o n n i e r ' s ist sehr richtig ; gewiß werden sich auch viele Arten der Dinornithiden auf sexuelle und Altersunterschiede zurückführen lassen, wenn eine derartige Revision stattfinden wird. Aepyornis maximus war 2,68, Ae. Hildebrandti 1,58 m hoch; die reichste Kollektion befindet sich im Pariser Museum. (Abb. 8.) Seit dem Erlöschen der Moas und Aepyorni- thiden sind schon zahlreiche andere Arten unter- gegangen. ■'-) Die bekannteste, jüngst erloschene Art ist der Riesenalk (Alca impennis), dessen miozäner Ahne der kalifornische Mancalla cahfor- niensis Lucas war. Der Untergang des Riesen- alkes konnte Schritt für Schriit verfolgt werden; pleistozäne Reste wurden auch in Dänemark ge- funden, 1844 starb das letzte Exemplar. Das Aussterben der Individuen, Arten, Familien und Gruppen ist nicht nur das Fundament, son- dern zugleich eine der interessantesten Fragen der Paläontologie. Nach Broschi soll jede Art eine bestimmte Zeit lang leben; Darwin erklärt das Aussterben mit dem Kampf ums Dasein, andere Autoren mit der Erschöpfung der Variationsfähig- keit, mit der Überspezialisation usw. Heute stehen wir nur vor der Tatsache und das verpflichtet uns zum strengsten Schutz der Natur. Literatur. ') Lambrecht, K., Geschichte und Bibliographie der Paläo-ornithologie. Aquila. Bd. 23.1916. 196 — 307, 4S3 — 501. Nachstehend zitiere ich nur die wichtigste Literatur: ^)Lambrecht, K. , Fossilium Catalogus: Animalla. Aves. (Im Druck.) ^) I3öderlein, L., Über die Erwerbung des Hugver- mögens bei Wirbeltieren. — Zool. Jahrbücher. Abt. f. Syst. Geogr. u. Biol. Bd. \i. 1901. 49 — 61. *) Branca, W., Fossile Flugtiere und Erwerb des Flug- vermögens. — Abb. Kgl. Preuß. Akad. d. 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XVII. Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 36s Einzelberichte. Physik. Mit den optischen Konstanten und dem Strahlungsgesetz der Kohle beschäftigt sich eine Arbeit von H. Senft leben und E. Benedict in den Ann. d. Phys. 54, S. 65 (191 8). Da es nicht gelingt, durchsichtige Dünnschliffe herzu- stellen, werden die Messungen im reflektierten Lichte gemacht. Zu dem Zweck werden aus Bogenlichtkohle mit 0,07 "/„ Aschengehalt kleine Spiegel von etwa i cm Durchmesser hergestellt und mit eignem Pulver auf Hochglanz poliert. Läßt man auf ein absorbierendes Medium linear polarisiertes Licht fallen, dann ist das reflektierte Licht elliptisch polarisiert. Mit Hilfe eines Babi net • sehen Kompensators kann man Lage und Form der Schwingungsellipse feststellen und daraus mit Hilfe einer von Drude aufgestellten P'ormel Brechungsexponent und Absorptionsvermögen be- rechnen. Als Lichtquelle wird bei den Versuchen eine Quarzquecksilberdampf lampe verwendet; die Beobachtung geschieht im Wellenlängenintervall 0,436 — 0,623 /'• Die gefundenen Werte sind von der Wellenlänge A wenig abhängig. Für/. = 0,546,« ergibt sich der Brechungsexponent n= 1,96 und das Reflexionsvermögen 14,9 "/u (ein vollkommen schwarzer Körper absorbiert das ganze auf ihn fallende Licht, hat also das Reflexionsvermögen o und das Absorptionsvermögen loo). Aus den Versuchen geht hervor, daß reine und präparierte Kohle (Graphit) wie ein grauer Körper strahlt d. h. bei jeder Temperatur ist die Energieverteilung im Spektrum dieselbe wie beim schwarzen Körper von der gleichen Tem- peratur; nur ist die ausgestrahlte Energie für alle Wellenlängen um einen bestimmten Bruchteil kleiner als beim schwarzen Körper. Die Gesamt- strahlung ist bei beiden proportional der vierten Potenz der absoluten Temperatur. Als wirksames Absorptionsvermögen ergibt sich bei der absoluten Temperatur T für Kohle für Graphit 1000» 72% 49»/,, 2000" 79 57 3000 » 82 60 4500" 83 62 Seh. Im Jahre 1730 wurden von Duillier am Genfer See regelmäßige Schwankungen des Wasser- spiegels beobachtet und beschrieben; ähnliche Erscheinungen sind später an einer großen Reihe von Seen festgestellt worden ; man bezeichnet sie als Seiches. Wie eine Saite oder eine Stimm- gabel, so besitzt auch die Wassermasse eines Sees eine Eigenschwingung von ganz bestimmter Periode; wie bei den akustischen Schwingungen, so kommen auch hier Oberschwingungen von kürzerer Dauer (bei einer Saite erfolgen sie 2, 3, 4 . . . mal so schnell wie die Grundschwingung, man nennt sie harmonische Obertöne). Mit selbstregistrierenden Pegeln, sog. Limnimetern, stellt man die Schwingungskurven (Limnogramme) fest. Man hat z. B. für den Starnberger See die Dauer der Grundschwingung zu 25 Minuten, die der ersten Oberschwingung zu 15,8 Minuten gemessen; sie ist also nicht die Oktave der ersteren. Die Schwingungsdauer hängt von den äußeren Be- dingungen ab, unter denen die Wassermasse steht. Zur rohen Ermittlung der Eigenperiode dient die 2I M er i an 'sehe Formel T = , in der 1 die )'g ■ K Länge, h,, die mittlere Tiefe des Sees und g die Beschleunigung der Schwere bedeutet (die Schwin- gungsdauer eines mathematischen Pendels von der Länge 1 ist bekanntlich 2 tt 1/ A. Defant (Wien) berichtet in den Ann. d. Hydrographie u. maritimen Meteorologie 46, S. 78 (1918) über eine neue Methode zur Ermittlung der Eigenschwingungen (Seiches) von abgeschlos- senen Wassermassen. Die Formel, die er aus- gehend von den hydrodynamischen Differential- gleichungen gewinnt, wendet er auf zwei konkrete Beispiele an, auf das Schwarze Meer (T= 5,1 Stunden) und auf den Garda-See; über letzteren werde hier berichtet. Die Verbindungslinie Nordende des Sees (Mündung des Sarcaflusses) — Südende (Desencano) wird in 30 gleiche Teile geteilt und senkrecht zu dieser Linie werden Querschnitte ge- legt ; die Entfernung zweier benachbarter beträgt 1,72 km. Aus Limnographenaufzeichnungen ergibt sich als Periode der Grundschwingung 42,9 Min. Mit Hilfe der Formel läßt sich nun die Verteilung der Hubhöhen und die durch die Querschnitte hindurchgehenden Wassermassen berechnen. Sie sind in der Mitte, also bei Querschnitt 15, am größten. Man findet, daß durch die beiden letzten Querschnitte am Nord- und Südende eine kleine Wassermenge hindurchgeht. Daraus folgt, daß 42,9 Min. nicht weit von der theoretischen Eigen- periode entfernt liegt; bei dieser nämlich muß die Wassermasse, welche die beiden Endquerschnitte passiert, gleich Null sein. Das ist der P'all, wenn, wie man durch Probieren findet, T=39,8 Min. ist. Damit ist also die theoretische Periode der tiefsten Schwingung gefunden. Die Übereinstim- mung zwischen dem theoretischen und dem be- obachteten Wert ist befriedigend. Die Knotenlinie der Grundschwingung liegt nicht in der Mitte des Sees, sondern etwa 7 km südlich davon auf der Linie Toscolano-Torre del Benaco; das erklärt sich daraus, daß der südliche Teil des Sees wesentlich breiter als der schmale nördliche ist. Die Periode der ersten Oberschwingung (sie hat zwei Knoten- linien) beträgt 22,65 Min.; beobachtet 21,8 Min. Außerdem findet noch eine Teilschwingung des schmalen nördlichen Teils mit einer Dauer von 28 Min. statt, die der Limnograph in Riva anzeigt, von der dagegen in Desenzano kaum etwas wahr- zunehmen ist. Einige Kilometer vom Ufer be- 366 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 25 trägt am seichten Südende die horizontale Ver- schiebung des Wassers 14 m, die vertikale 20 cm. Man kann hier die Schwingungen auch ohne Limno- graphen an der periodischen Trübung und Klärung des Wassers wahrnehmen. Es sei noch erwähnt, daß als Ursache der vielfach beobachteten Schwankungen von Seen wahrscheinlich Änderungen des Luftdrucks anzu- sprechen sind. Seh. Geologie. Die Gewinnung und Verwendung von Geschiebeblöcken im Ördens'itaate Freußen vor 500 Jahren widmet Faul Dahms in den Schriften der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig N. F. XIV. Bd. 3. Heft S. 58— loi eine gründliche Unter- suchung. Dem steinarmen norddeutschen Flach- lande sind in den Endmoränen, hier und da auch in der Grundmoränenlandschaft in den erratischen Blöcken Material geschenkt, das bis zu gewissen Grenzen anstehenden Fels ersetzen muß. Man hat ganze vom Eis südwärts verfrachtete Gesteins- schollen festgestellt, in denen regelrechter Berg- bau umgehen kann. Bei Neufahrwasser ist eine Oligozänscholle festgestellt worden, die 36,25 m dick war. Weiter im Süden konnten allerdings nur die härtesten Gesteine erhalten bleiben. Des- halb finden sich hier an großen Blöken auch nur Granite, Gneise, Diabase, Diorite, Porphyre. Feste Kalkblöcke gesellen sich hinzu, wenn auch nicht in solchen Ausmessungen wie die anderen Blöcke. Kalksteine häufen sich manchmal an einigen Stellen, so daß die Annahme gerechtfertigt er- scheint, daß sie die Bruchstücke eines einzigen großen Blockes sind. An manchen Stellen häufen sich die Blöcke so, daß beim Urbarmachen des Bodens an diesen Stellender Wald stehengelassen wurde. „Abpflügen undAbspülen schaffen immer neue Bodenschichten in das Gebiet der Frostwirkungen, die bis zur Tiefe eines Meters hebend auf die Steine wirken; wo der arbeitende Pflug auf sie stößt, wurden Ruten als Merkzeichen eingesteckt, und bei der nächsten Gelegenheit diese Gesteine gehoben." Sehr bald schon war der Mensch als erster Besiedler dieser Gegend darauf angewiesen, die Gesteine seinen Zwecken dienstbar zu machen. Feuersteine lieferten kleinere, scharfe Geräte, axt- und meißeiförmige lieferten Granit, Porphyr, Diorit, Diabas. Mittelgroße Geschiebe werden Mahlsteine, dienen zum Bau von Steinkisten, Dolmen, Manhios, Steinkreisen. Flache Blöcke plattenartigen Sand- steins, mit Schrammen auf den Schlifflächen lieferten das Material zu den Steinkisten. Die Decksteine zu den Gräbern waren große Blöcke. Der zu Schotter geschlagene „Breite Stein" bei Virchow in Pommern besaß ein Gewicht von 5000 Zentnern. "]•] cbm Schotter lieferte er. Der Deutsche Ritter- orden fand an den Blöcken seines neuen Landes das einzige ihm zur Verfügung stehende Bau- material für Kirchen und Burgen, die er so reichlich anlegte. Beim Urbarmachen und Bestellen der Äcker fielen sie auf. Wenn man sie in den Brüchen nicht versenkte, sammelte man sie, wie es heute noch geschieht, bei den Ansiedelungen und ver- wendete sie im gegebenen Falle. Landstrecken bekamen im Ordensland ihre Festigkeit, Hafen- und Molenbau wurde gefördert. So verschwanden viele, aber Ackerbau und Meeresarbeit an der Küste bringen neue Riesenblöcke zu Tage. Die Sturmflut 191 3 14 legte in der Nähe von Zoppot und an der Küste Ostpreußens mehrere über 2,5 m lange Blöcke frei. Im alten Ordensland liegen an Riesensteinen noch : der Tartarenstein bei Neiden- burg mit einer Länge von 4,5 m. Breite 2,5 m, Höhe 1,7 m, Umfang 12 m; der Heidenstein im Kreise Putzig (Westpreußen) mit einer Länge von 7 m, Breite 4,5 m, Höhe 3,5 m, L^mfang 20 m; der Teufelstein bei Groddeck im Kreise Schwetz und ein Riese südöstlich der Stadt Kaiisch (Prov. Posen) mit 10 m Länge, 4 m Breite, 6 m Höhe. Im Ordenslande verwandte man die Blöcke bautechnisch zum Aufführen von Gemäuer. Beim Berechnen der Maße für Bruchsteine bediente man sich der „Steinrute", die 84,4 bzw. 112,5 Kubik- ellen ausmacht. Daß mächtige Blöcke verarbeitet worden sind, beweist die Angabe, daß ein Stein- hauer Peter zur Mauer von Sobbowitz (Kreis Dirschau) 11 Steine gehauen hat, die „17 elen lang und 9 elen dicke" sind. Bei dem Bau der Burg Ragnit sind ebenfalls mächtige Blöcke ver- arbeitet worden. P"einkörnigen t-iraiiit braucht man zur Her- stellung von Steinkugeln für Büchsen. Man stellle drei Arten von Steinkugeln her: die faustgroßen Kugeln mit 10,5 cm, die Boßkulen mit 14,0 cm und die hauptgroßen Kugeln mit 17,5 cm Durch- messer. Die Rohre der Geschütze brannten mehr und mehr aus. Man mußte, wenn man die Stein- kugeln nicht mit Holzspänen und gedrehten Tuch- streifen verstopfte, immer etwas stärkere Kugeln verwenden. Interessant sind die einzelnen Ge- wichte dieser Steinkugeln. Eine Faustkugel wog r-'.j kg, eine ßoßkaule 4 kg, eine Kopfkugel "j- .^ kg. Nun besaß der Orden auch schwere F'estungsgeschütze, deren Steinkugeln 5'/o bis 6 Zentner wogen. Solche Büchsensteine haute man im Fischhof bei Marienburg und zu Sobbewitz im Kreise Dirschau. Die Lubiauer Blöcke ver- wandte man ebenfalls gern zur Gewinnung von Büchsensteinen. Im Jahre 1409 wurden 16 große Büchsensteine hergestellt. Nur das Hinschaffen zum Verbrauchsort machte Schwierigkeiten. Für jedes Geschoß waren 4 Pferde nötig. Darum ging man mit den großen Büchsenkugeln äußerst spar- sam um. Wenn die großen Kugeln nicht mehr gebraucht wurden, dann formte man sie zu kleine- ren um. Die größeren Steine wurden als „Wacken" zur p;rrichtung von Fundamenten gebraucht oder es wurden feuchte Wege durch Steinbrücken gang- N. F. XVII Nr. 25. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 367 bar gemacht. Die Mühlsteine in den Ordens- mühlen stammen fast alle aus dem Rheinland, von wo sie erhandelt wurden. Nur einmal sind 9 „kleine" Mühlsteine in Christburg, Kreis Stuhm, gehauen worden. Von Bedeutung sind die Kalksteingeschiebe, die als „Lesekalk" gesammelt wurden. Meist sind es mit sehr wenigen Ausnahmen Gerolle von Ei- und Kopfgröße. Wo sie sich häufiger zeigten, gewann sie der deutsche Ritterorden. Solche Orte sind Dirschau, Sobbowitz, Kischau, Bütow, Memel, Schillingsdorf bei Graudenz, Stuhm, Neuen- burg, wo schon 1398 Kalkbrecher am Werke sind. Um die Geschiebe vorher im Boden fest- zustellen, bediente man sich eines 2 m langen Spießes, mit dem man die Erde abtastete. Wo sich Blöcke ausreichend fanden, vielleicht sogar Wiescnkalk festgestellt wurde, setzte man Kalk- öfen in Betrieb. Aber durch das Umwühlen des Bodens nach solchen Kalkgeschieben, durch Mangel an Heizmaterial für die Kalköfen, verschwand diese Art der Kalkgewinnung immer mehr. Man hatte zum Transport des Kalkes besondere „Kalk- schifife" in Gebrauch. Aber schon zur Ordenszeit begann der schwedische Kalk sich mehr und mehr, besonders in den Küstenorten einzuführen. Der preußische Kalk, wie man den im Ordenslande gewonnenen Kalk zum Unterschiede vom got- ländischen, dem eingeführten Kalk nannte, war gut, wenn man nicht „toten Kalk, Dolomite, mit Krusten versehene Feuersteine" mit brannte. Als dann das Verbrennen der nichtsortierten Kalke gelang, führte man das Versagen auf mangelnde Feuerung zurück, verschwendete Brennstoffe so, daß auf 1 Raumteil Kalk rund 170 Raumteile Brennholz kamen. So wußte der Deutsche Ritterorden die Ge- steinsschätze, die in den erratischen Blöcken liegen, nutzbringend zu verwenden. Rudolf Hundt. Die erratischen Blöcke der Mark Brandenburg als Naturdenkmäler bearbeitet von Prof. Wete- kamp nach den Beiträgen zur Naturdenkmals- pflege (Berlin 19 17). Von den in den Werk nachgewiesenn 1 79 Blöcken fallen '-/^ auf den Regierungsbezirk Potsdam und Va auf den Regierungsbezirk Frankfurt. West- prignitz, ZaucheBelzig, Uckermark, Armswalde sind die Gegenden, in denen sie am meisten anzutreffen sind. Schon Klöden machte 1832 die Beobach- tung, daß die meisten Blöcke in hochgelegenen Teilen Brandenburgs vorkommen. Die festgestellten Gesteinsarten verteilen sich auf die beiden Regierungsbezirke so: Potsdam hat unter den bis jetzt festgestellten Blöcken 70 Gneise und 20 Granite, F'rankfurt 26 Gneise und 20 Granite. Das Ursprungsgebiet der Blöcke erstreckt sich von Finnland bis zum Wettersee in Schweden. Vier Blöcke stammen aus Westfinnland, einer aus Smaland, einer aus Jömtland. Gletscherspuren zeigen sich an Blöcken bei Heinersdorf unweit Müncheberg, bei^Friedeberg in der Neumark, an einem Block, der beim Bau der Untergrundbahn gefunden wurde, einem auf dem Gute zu Monkin, Kreis Prenzlau, den man im Volke seiner Gletscher- schliffe wegen „Schlitterstein" nennt. Im Etzel- stein bei Mohrin, Kreis Königsberg, zeigen sich Löcher, die man für Strudellöcher erklären kann. Das auffällige Zurücktreten des Granit.s unter den Blöcken erklärt sich dadurch, daß im Ursprungs- gebiet wenig Granit vorhanden ist und das sich Granit leichter bearbeiten läßt. Seit vorgeschicht- licher Zeit verwendet man die Findlinge zum Bau von Gebäuden (Häusern, Ställen, Kirchen), pflastert man Straßen, beschottert Chausseen, befestigt durch Stadimauern Städte und Marktflecken. „Näpfchensteine" zeigen Spuren von Spren- gungsversuchen alter Zeit. Die Höhlungen erklärte man aus Unkenntnis der wahren Verhältnisse für Opferschalen. Wenn man früher einen solchen Findling sprengte, meißelte man zunächst Löcher in das Gestein, trieb in diese Löcher Holzpflöcke, die man befeuchtete, um durch ein Aufquellen des Holzes Sprengwirkung zu erzielen. Solche Spuren zeigen der „Teufelsstein" von Kemnitz (Bezirk Frankfurt), Blöcke bei Ruhnen und Forst- haus Eduardspring (Bezirk Frankfurt). Mit einem Opferstein haben wir es vielleicht am „Gehauen Stein" zu tun, der bei Zielenzig liegt und bei dem von einer Vertiefung auf der Oberfläche flache, gemeißelte Rinnen zum Grunde des Steines ver- laufen. Die „Runen" auf dem „Runenstein" bei Runental unweitZüllichau sind höchstwahrscheinlich Spielereien, allerdings aus unbekannter Zeit. Er- halten sind manche Blöcke, die in vorgeschichtlicher Zeit zum Bau von Hünengräbern verwendet worden sind wie bei Meilen. Der größte erratische Block der Mark Branden- burg ist der große Markgrafenstein in den Rauen- schen Bergen bei Fürstenwalde mit 17 m Umfang und einer Höhe von 6 m. Was von ihm noch daliegt ist nur ein Drittel. Die fehlenden, abge- sprengten zwei Drittel wurden zur Herstellung der großen Granitschale vor dem Alten Museum in Berlin verwendet. Der kleine Markgrafenstein zeigt einen Umfang von 22 m und eine Höhe von 3,70 m. Ein gleich großer Stein liegt als „Breiter Stein" bei Hanseberg im Kreise Königsberg in der Neumark. Erhalten ist durch den Kreis der Gneißfind- ling von Hohenkarzig mit 12 m Umfang und 4 m Höhe, ein Block bei Seegefeld. Der 20 cbm umfassende Block auf der Untergrundstrecke nach Dahlem ist mit 1273 M. Unkosten an der Halte- stelle Thielplatz aufgestellt worden. Joachimsthal, Friedeberg, Landsberg a. d. W. haben für die Steine gesorgt. Am besten ist es, wenn die Blöcke am Auf- findungsort, inmitten ihrer Umgebung erhalten werden. Rudolf Hundt. 368 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. 1'. XVII. Nr. 25 Chemie. Chemische Sprengstoffmöglichkeiten. In einem Vortrage, gehalten vor der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft anläßlich der Tagung der Schweizerischen Naturforscher- Gesellschaft am I I.September 1917 inZürich, behandelt A. Stett- bacher das oben angegebene Thema. Die Explosivkraft gründet sich auf chemische Um- setzungsenergie. Durch die plötzliche, exotherme Zersetzung wird infolge innerer Verbrennung Energie in Form von Oxydationswärme frei. Mit dem dazu nötigen Sauerstoff wird auf irgendeine Art und Weise der Kohlenstoff und der Wasser- stoff der Explosivstoffe beladen, wie z. B. bei den Gruppen der Nitrokörper und der Ester-Nitrate. Zu diesen beiden Gruppen gehören unsere heute stärksten Sprengstoffe, zur erstgenannten das Trinitrotoluol, zur zweiten das Nitroglyzerin. Diese Sprengstoffe stellen jedoch in bezug auf Energie- ausnützung noch lange kein Ideal dar, denn z. B. beim Nitroglyzerin liefert die bei der explosiven Zersetzung stattfindende Oxydation nur etwa 43"/,, der Verbrennungsenergie, die bei direkter Oxydation das zugrunde liegenden Kohlenstoffs und Wasser- stoffs frei würde. Das Trinitrotoluol verhält sich noch ungünstiger. 1000 g Toluol liefern mit 3130 g Sauerstoff 9994 Kalorien; 7175 Trinitro- toluol mit demselben molekularen Sauerstoffgehalt nur 5255 Kalorien, was 48"/,, Energieverlust aus- macht. Daraus ergibt sich, daß die Salpetersäure ein stark energievermindernder Sprengstoffbildner ist. Um die höchstmögliche Energieausnützung zu erreichen, müßte man den betreffenden Kohlen- wasserstoff direkt mit dem nötigen Sauerstoff be- laden können, und zwar ohne Bedingungsverlust. In Form einheitlicher chemischer Verbindungen war das bis heute nicht möglich, sondern nur in Form eines mechanischen Gemenges von einem Kohlenwasserstofifträger mit hochprozentischem, flüssigem Sauerstoff. Dies sind die sogenannten Oxyliquitsprengstoffe. i kg Nitroglyzerin liefert 1580 Kalorien, 1 kg Oxyliquitsprengsoff dagegen bis zu 2200 Kalorien. In der neuesten Zeit ist es jedoch gelungen, Sauerstoff in Form des Ozons direkt an Kohlen- wasserstoffe zu lagern und so die gewaltigsten Explosivstoffe zu schaffen, die die Chemie bis heute kennt. Es sind dies das Äthylenozonid : CH2 — CH., \ 1 O O \ 1 o md das Benzoltriozonid oder Ozobenzol : 0-0 O O Ö :0 Die Explosionswärme dieser Ozonide reicht zwar nicht ganz an die des Oxyliquids heran, dafür ist aber die Detonationsgeschwindigkeit, die Brisanz, dieser Körper viel größer, wahrscheinlich die größte überhaupt. Noch energiemächtigere Sprengstoffe ließen sich mit Hilfe der Chlorsäure verwirklichen. Ein Glyzeryltrichlorat müßte etwa 3000 Kalorien, also fast die doppelte Anzahl des Nitroglyzerins, liefern. Mit dieser Esterverbindung wäre unter den chemisch einheitlichen Sprengstoffen die letzte Grenze erreicht, denn es gibt keine Substanz, die gleich hohen Sauerstoffgehalt und endotherme Energie in sich vereinigt, wie die Chlorsäure. Unter den mechanisch gesprengten Sprengstoffen sind allerdings noch energiereichere denkbar. Einen solchen würde z. B. eine Mischung von flüssigem Sauerstoff mit flüssigem Ozon darstellen. Wenn dieseZusammensetzungjemalspraktisch mög- lich wäre, würde i kg davon gegen 4500 Kalorien abgeben. Damit befänden wir uns aber bereits an dem äußersten Rande unserer Kraftgrenzen. Nun besitzen wir noch in dem Radium ein Energiewunder, das jenen Wärmebetrag noch um mehr als das 200 000 fache übertrifft. Dieses Element erscheint als eine endotherme Verbindung von höchster und kompliziertester Potenz. Das Unerklärliche liegt vor allem in der Art und Weise, mit der die Kraft in den Atomen dieses Stoffes verankert ist. Wahrscheinlich stehen uns Energien und Spannungen gar nicht mehr zur Verfügung, die einst, es mag vielleicht auf der Sonne gewesen sein, bei der Bildung des Radiums am Werke waren. Die erforderliche Kraft müßte millionen- mal größer sein, als bei der elektrischen Stickstoff- oxydation- oder Ozonbildung. Vielleicht gelingt es der Chemie dereinst, solche radioide Kräfte an die Atome eines Elementes zu fesseln und im elektrischen Flammenbogen, unter Druck und bei Sonnentemperatur, die fabelhaftesten Sprengstoffe zu bilden. (gTc.) F. H. Inhaltl K. Lambrecht, Die vorzeitlichen Vögel. (SAbb.) S. 3S3. — Einzelberichte: H. Senftleben und E. Benedict, 0|itisclie Konstanten und Strahlungsgesetz der Kohle. S. 365. A. Defant, Neue Methode zur Ermittlung der Eigenschwingungen (Seiches) von abgeschlossenen Wassermassen. S. 365. Paul D a h m s , Die Gewinnung und Verwendung von Geschiebeblöcken im Ordensstaate Preußen vor 500 Jahren. S. 366. Wetekamp, Die erratischen Blöcke der Mark Brandenburg als Naturdenkmäler. 367. A. Stettbacher, Chemische SprengstotTmöglichkeiten. S. 367. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, InvalidenstraSe 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Uruck der C. l'ätz'schen Buchdr. Lippert & Co. ü. m.b.H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 30. Juni 1918. Nummer 36. Über eine neue Mastodon-Rekonstruktion (Mastodon angustidens Cuv.) Assistent am Kgl. geologisch-palä W. O. Dietrich, mtologischen Institi Universität Berlin. [Nachdruck verboten.] Mit 2 Abbildungen im Text. Rekonstruktionen fossiler Tiere nähern sich um so mehr der Wirklichkeit, je vollständiger die Grundlagen sind, worauf sie beruhen. Eine Leiche, ein ganzes Skelett, oder zeitgenössische Darstel- lungen sind gleichsam sicherere Dokumente als bloß einzelne Skeletteile. — Unter den fossilen Ele- fantiden ist deswegen das Mammut am besten von allen den zahlreichen Arten rekonstruiert, ebenso das jüngstdiluviale amerikanische Mastodon (M. americanus). Von den allermeisten anderen Proboszidiern der Vorwelt gibt es dagegen keine, oder falsche, oder phantastische Rekonstruktionen. Von dem so wichtigen und vielgenannten Alt- elefanten (Elephas antiquus) z. B., liegen erst in neuester Zeit von Osborn Versuche vor; etwas besser steht es mit dem Südelefanten (E. meridio- nalis). Von Dinotherium ist das König' sehe Modell des D. bavaricum als die zurzeit beste Lösung zu nennen. Stegodon ist meines Wissens nie zu rekonstruieren versucht worden, Mastodon (abgesehen von dem bereits genannten Vertreter) meist in der Art angustidens. Von den Vorfahren der Elefantiden, Paläomastodon und Moeritherium, gibt es schließlich bis auf den von F. König herrührenden Versuch eines Moeritherium- Modells nur hypothetische und unrichtige Darstellungen. (Es handelt sich hier natürlich nur um wissen- schaftliche Skelett- oder Fleischrckonstruktionen, nicht um künstlerischeSchöpfungen oder Erzeugnisse der Reklameindustrie.) — Unter den Mastodonten ist die weit verbreitete und für das jüngere Miozän leitende Art Mastodon angustidens un- zweifelhaft eine der wichtigsten. Da von ihr zahlreiche Skelettreste vorhanden sind, aber bis jetzt keine guten Wiederherstellungen im Skelett und im Fleisch, so ist jeder ernsthafte Versuch einer neuen Darstellung zu begrüßen, um so mehr als die falschen alten Rekonstruktionen mit Zähig- keit in unseren besten Lehr- und Handbüchern sich halten, so z. B. im neuesten „Brehm", in dem Werk „Die Kultur der Gegenwart", und in Webers „Säugetiere", und offenbar nur durch Bessermachen daraus zu vertreiben sind. Eine solche Verbesse- rung soll die von G. Schlesinger') gelegent- lich einer Bearbeitung der Mastodonreste der Wiener Museen zeichnerisch durchgeführte Skelett- rekonstruktion des M. angustidens sein (Abb. i); sie soll die verfehlte Gau dry' sehe und Zittel- ') G. Schlesinger, Die Mastodonten des K. K. natur- historischen Hofmuseums. Morphologisch- phylogenetische Untersuchungen. Denkschriften des K. K. naturhist. Hofmus. Bd. I Gcol.-pal. Reihe I. XIX u. 230 .';., 36Taf., Wien 191 7. sehe Rekonstruktion u. a. ersetzen. Sie zu über- prüfen, scheint wohl angezeigt, zumal da sie von kompetenter Seite und in einer bedeutenden Ver- öffentlichung geboten wird. Werfen wir zuerst einen Blick auf die Gesamterscheinung (Abb. i), so sehen wir einen Elefantiden mit großem, langem und vorgestrecktem Kopf, mit langem Hals und kurzem Rumpf, mit hohen, geknickten, säulenför- migen Beinen, die mit einem breiten Sockel auf dem Boden stehen. In der Fleischrekonstruktion (Abb. 2), die von mir mit geringen Abänderungen über dem Skelett gezeichnet ist, sehen wir das- selbe und ferner, daß die Rückenlinie nach hinten abschüssig verläuft, daß das Tier im Widerrist etwas überbaut erscheint, während am Skelett zu be- obachten ist, daß die Hinterbeine länger sind als die Vorderbeine und das Hüftgelenk höher liegt als das Schultergelenk. Wir kommen auf diese Unstimmigkeit zurück. — Die von Schlesinger vorgenommenen Verbesserungen betreffen vor allem den Schädel. Er ist in Hinblick auf geologisch jüngere, fortgeschrittenere Mastodon- Formen sehr mäßig hoch dargestellt, mit stark zurückfliehender Stirn und gerundetem Gipfel, der ohne Übergang in die Hinterhauptswand verläuft. Die Stoßzahnalveolen sind lang und ähnlich wie bei M. longirostris und Pentelici leicht nach unten gekrümmt. Die Stoßzähne sind dementsprechend ebenfalls nach unten gebogen, eine Verbesserung, die bereits in schweizerischen, französischen, eng- lischen und amerikanischen Schädelrekonstruktionen richtig vorgenommen ist. Am Unterkiefer, dessen hart nebeneinander liegende Stoßzähne eine Art Grabschaufel oder Spatel bilden, läßt Schlesinger den vertikalen Ast fast rechtwinklig zum horizon- talen aufsteigen. Durch Weglassung jeder Angular- ecke an der hinteren unteren Kontur wird der für alle Elefantiden bezeichnende verrundete Übergang beider Aste erzielt. Wenngleich teilweise noch hypothetisch, wird man dieser Darstellung eines vergleichsweise primitiven Schädels für M. angusti- dens durchaus zustimmen können. In der Heisch- rekonstruktion (Abb. 2) ist der Rüssel nach den überzeugenden Darlegungen J. F. Pompeckj's kurz, die Unterkieferschaufel nicht überragend, dar- gestellt. Das Ohr ist hypothetisch; in der Schädel- rekonstruktion ist, nebenbei bemerkt, die Ohr- öffnung vergessen. Den Schädel hat Schlesinger dem Rumpf in vorgestreckter Haltung, die der Ruhelage ent- spricht, angefügt. Auch hierin wird man nur beistimmen, denn es ist vollkommen unmöglich, 3?o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 26 diesem Mastodon den Kopf nach Art des indischen Elefanten anzusetzen, wie es Andrews getan hat, d. h. mit fast vertikaler Stirn in der normalen Haltung. Vielmehr müssen Schädel- und Rücken- profil ähnlich wie beim Tapir in einer wenig ge- brochenen Flucht liegen. Eine andere Frage ist, ob Kopf und Rumpf im richtigen Größenverhält- nis zueinander 'stehen. Da in der Rekonstruk- tion nur (der vorn beschädigte) Unterkiefer, Becken und Oberschenkel von ein- und demselben Tier herrühren und da die Länge des Unterkiefers mittels einesBreitenmaßes nach einem anderen vollständigen Unterkiefer (von M. longirostris) berechnet ist, da ferner der Oberschädel konstruiert und der Schädel des G a u d r y ' sehen Skeletts, welches Schle- singer als Grundlage benutzte, falsch ist, so sind alle Maßbeziehungen zwischen Schädel und Rumpf mögen sie noch so genau berechnet sein, hypo- thetisch. Es ist also einigermaßen zweifelhaft, ob Kopf, Rumpf und Beine der neuen Zeichnung im richtigen Maßstab zueinander getroffen sind. Die wo wir sie allein einigermaßen vollständig kennen. Diese verschiedene Ausbildung weist darauf hin, daß die Wirbelsäule bei den Elefantiden im Lauf der Stammesgeschichte nicht immer die Funktion des Stutzens und Tragens einer großen, schwer- beweglichen Körpermasse hatte, sondern auch andere Funktionen, deren Aufhellung gerade für die „ethologische Analyse" der „Paläozoologen" ein dankbares Gebiet wäre. Doch ist darüber noch fast gar nicht gearbeitet. ') Hier ist nicht der Ort, auf Einzelheiten einzugehen, es sei nur ein Merkmal, das Verhalten der Dornfortsätze, kurz erwähnt. Beim indischen Elefanten nehmen die Dornfortsätze der Rumpfwirbel bis zur Mitte an Länge und Rückneigung zu und von da ab nach hinten regelmäßig wieder ab ; der höchste Punkt des Rückens liegt daher in der Rumpfmitte. Beim Afrikaner ist die Rückenlinie in der Mitte ein- gesenkt ; die Dornfortsätze nehmen von der Rumpf- mitte aus nach vorn und hinten an Länge und Stärke zu und ihre Rückneigune ist in der Mitte .\bb. I. Schlesinger's Rekonslruküon des Skeletts von Mastodo anguslidens Cuv. ca. '/i2 nat. Gr. Das Skelett gehört einei fast erwachsenen, ca. 2,4 m hohen Tier an. Verf. gezeichnetes Umrißbild der Schlesingei Rekonstruktion. Im gleichen Maßstab. Basilarlänge des Schädels beträgt ziemlich genau Vij der Länge der Wirbelsäule (vom i. Halswirbel bis zur Schwanzspitze). Ob dieses Verhältnis das richtige ist, müssen vollständigere Funde lehren; nur sie werden ganz zuverlässigeKörperproportionen verbürgen. Wenden wir uns dem Körper zu, so hat Schlesinger am Rumpf keinerleiVerbesserungen angebracht, sondern ihn einfach nach Gaudry (Pariser Skelett von Simorre) übernommen, während er am Extremitätenskelett das Becken und seine Stellung, das Hüftgelenk und ferner die Stellung der F'üße abgeändert hat. In allen diesen Punkten scheint er weniger glücklich gewesen zu sein als am Schädel. Wir erfahren nichts über den wichtigsten Teil des Knochengerüstes, die Wirbelsäule, was deswegen bedauerlich ist, weil die Verhältnisse in der Wirbelsäule sich bei den Elefantidenarten keineswegs immer gleich bleiben, wie Schlesinger meint, sondern recht verschiedenartig sind, so bei Elephas indicus, africanus, primigenius und Mastodon americanus. am stärksten. E. africanus hat daher vor der Kruppe einen Buckel. Beim Mammut -) ist die Rückenlinie von der Schulter an abschüssig; die Rückneigung der Dornfortsätze ist außerordentlich stark, stärker als bei E. indicus. Mastodon ameri- canus verhält sich nach den Skeletten in New York und Washington ähnlich wie E. africanus, d. h. „die obere Kontur der Dornfortsätze bildet eine Wellenlinie",'') und wenn der afrikanische Elefant auch gewiß nicht von diesem Mastodotiten- letztling abstammt, so zeigt sich in dieser Über- einstimmung doch seine von mir bereits früher behauptete Mastodonnatur. — Die Kenntnis der ') In Abel's Paläobiologie der Wirbeltiere ist die Wirbelsäule überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sich aus ihrem Bau zweifellos sehr viel für die „Geschichte der An- passungen" ersehen ließe. '-) Die Rekonstruktionen von E. anticquus scheitern alle an der Unkenntnis der Wirbelsäule. Paläolithische Darstellungen des Altelefanten scheint es nicht zu geben. ä) Siehe H. Gottlieb, Die Antiklinie der Wirbelsäule der Säugetiere. Gegenbauer's Morphol. Jahrb. 40. I914;i5. N. F. XVII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 371 Wirbelsäule von M. ängustidens wäre also in mehr als einer Hinsicht wichtig. Daß die Dornfortsätze der Rumpfwirbel in ihrer Neigung, Stärke und (in der vorderen Region) in ihrer Länge sich so gleich- artig verhalten, wie Abb. i zeigt, ist wenig wahr- scheinlich : Der abschüssige Rücken ist hypothetisch. Wenn Schlesinger den horizontalen, ebenen Rücken, welchen F. Koenig seinem Angustidens- Modell gegeben hat, als „sicher falsch" verurteilt, so hätte man erwarten dürfen, daß er selbst über die Rückenlinie etwas Neues beibringt. Auch hätte seine bedeutsame P'eststellung, daß M. ängusti- dens stark verlängerte Hinterbeine ') besitzt, (welche dem Tiere in ihrer Strecklage ermög- lichten, den Körper etwas nach vorn abfallend zu tragen und es leicht den Boden mit seinem Wühl- apparat erreichen ließen), wohl verdient, in ihrem Einfluß auf die Lenden- und Kreuzregion der Wirbelsäule geschildert zu werden. Vermutlich waren diese Gegenden kräftiger entwickelt als es nach der Zeichnung der Fall ist. Die Lenden- gegend ist jedenfalls zu kurz geraten. Das rührt von der verbesserten Stellung des Beckens am Skelett her, welche Schlesinger mit Hilfe der österreichischen Reste vorgenommen hat; das Becken ist wie beim indischen Elefanten angefügt. Vielleicht hätte es aber noch steiler gestellt werden sollen (wie beim afrikanischen Elefanten), denn der Darmbeinoberrand überschneidet in der Zeich- nung unschön die Rückenlinie. Doch ist die ge- ringe Aufrichtung des Beckens theoretisch zu rechtfertigen, zumal da es (nach den Resten von Dornbach bei Wien) niedrig ist. Nach dem Platz, der ihm an der Wirbelsäule angewiesen ist, hat das Tier entschieden auch zu wenig Hinterhand; der Schwanz steckt zu tief im Skelett; er sollte vom Ansatz hinter dem letzten Sakralwirbel stärker nach hinten hinaus geführt werden. Er hängt in seinem proximalen Teil zu sehr herunter; in der Fleischrekonstruktion ist dies ein wenig verbessert. — Das Schulterblatt hat Schle- singer ebenfalls von Gaudry übernommen und nicht diskutiert. Ich halte es in der Form nicht für richtig; die größeren Knochen sind eben in Simorre fast immer beschädigt und stark verdrückt. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, möchte ich auf Grund meiner Beobachtungen sagen, daß das Schulterblatt von M. ängustidens verhältnismäßig lang und schmal, also „primitiv" ist; der Glenoid- rand ist kürzer und der postskapulare Teil bei weitem nicht so stark kaudalwärts ausgezogen wie bei Elephas und den schweren Mastodonten (z. B. americanus). Der präskapulare Teil ist dorsal- wärts breiter als in der Zeichnung. Alle leichten Mastodonten und — bezeichnenderweise! • — auch der afrikanische Elefant zeigen dieses ursprünglichere Verhalten des Schulterblattes. — Die Rippen zeichnet Schlesinger breit und flach und in der 1) Femurlänge in "/„ der Humeruslänge bei M. ängustidens 134; E. africanus 112 — II9; E. indicus 121; E. primigenius 112; E. antiquus 122. Stärke nur wenig voneinander verschieden. Auch hierüber sind Untersuchungen nötig. Erwähnt sei, daß beim Mammut die Rippen je nach der Körper- gegend sehr deutliche Ouerschnittsänderungen zeigen. Am wenigsten geglückt scheint mir die F u ß - Stellung. Es sei vorausgeschickt, daß das linke Vorderbein und das rechte Hinterbein in Ruhe- lage, die beiden anderen Beine kurz vor dem Vorschreiten dargestellt sind (s. Abb. 2). Auf Grund seiner Untersuchungen kommt der Wiener Forscher zu dem Ergebnis, daß M. ängustidens semiplantigrade Klumpfüße hat, d. h. die Zehen- glieder liegen horizontal, die Mittelfußknochen sind in geringem Grade aufgerichtet. Die Hand- und Fußwurzelknochen zeichnet Schlesinger ebenfalls halb liegend; die distale Reihe kommt dadurch vor die Achse der Unterextremität, und die Hand steht stumpfwinklig, der Fuß fast recht- winklig zum Unterarm oder Unterschenkel. An der Hand liegen ferner der interkarpale und der metakarpale Gelenkspalt fast vertikal; am Fuß ist es ähnlich, das F"ersenbein ist niedergedrückt. Alles dies ist neu und ungewöhnlich, und man hätte wohl eine andere Begründung erwarten dürfen als den Hinweis auf eine 1912 erschienene Arbeit des Verfassers, welche sich an der zitierten Stelle im wesentlichen nur mit den Lagebeziehungen der Karpalknochen beschäftigt. Über die Haltung von Hand und Fuß erfahren wir dort nur, daß ,,aus der Gelenkung der kräftigen, breitgedrückten und kurzen Metakarpalien von M. ängustidens vollkommen klar ersichtlich ist, daß die Finger weit mehr auseinander gespreizt waren, als bei den heutigen Elefanten. Anderseits ist das Vorhanden- sein eines starken Fett- und Sehnenpolsters aus den gut aus- geprägten Gelenkflächen für die Sesambeine am Distalende der Metakarpalien mit Sicherheit zu erschließen. Der Klumpfuß unserer Art war also niedriger und breiter als der von E. indicus." Zugegeben, daß M. ängustidens brachypod ist, so rechtfertigt dies noch keineswegs eine derartig von allen übrigen Proboscidiern abweichende Fuß- stellung, wie sie die Rekonstruktion zeigt. Von großer Bedeutung ist daher, daß Schlesinger 1917 angibt, daß die Karpal- und Tarsalteile von M. ängustidens eine größere Beweglichkeit besitzen als bei den lebenden Elefanten. Aber für diese Behauptung ist er den Beweis schuldig geblieben. Wenn die Karpal- und Tarsalknochen und die Mittelfußknochen beweglicher zueinander wären, dann würde die liegende Haltung verständlich sein; aber dann müßten die einzelnen Finger frei sein, ') statt in einem Klumpfuß zu stecken, und die Lage und namentlich die Gestaltung der An- schlifflächen an den einzelnen Knochen würden andere sein als sie eben tatsächlich auch bei M. ängustidens sind. In Wirklichkeit stimmen Lage und Ausbildung der Gelenkflächen an allen Fuß- knochen, besonders auch an den für die Frage der Aufrichtung wichtigen proximalen Enden der Mittelfußknochen, so annähernd mit den Verhält- nissen bei Elephas und den anderen Mastodon- ') So etwa Lvdekker sie beiMoerith( 372 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 26 Arten überein, daß auch für M. angustidens eine nicht wesentlich verschiedene Fußhaltung anzu- nehmen ist, d. h. ein unguligrader Lauffuß mit Gangschwiele. Allerdings ist dieser Fuß von niederer Ordnung als z. B. bei dem dolichopoden Dinotherium, insofern er infolge der kurzen und stärker abgespreizten Mittelfußknochen und der niedrigen proximalen Karpalreihe sehr niedrig und breit erscheint. Aber vorn liegt der Karpus unter dem Unterarm und die Mittelhand richtet sich ungefähr unter 60" auf; hinten liegt wie bei Elephas der Fuß am Unterschenkel fast unbeweg- lich und wird ziemlich steil aufsteigend mit er- hobenem Fersenbeinhöcker getragen. — Eine so bedeutende Aufrichtung des Fußes, wie sie Schle- singer im Laufe der Stammesgeschichte der Mastodonten und Elefanten annehmen muß, hat nicht stattgefunden;') sie hält sich in viel engeren Grenzen und ist im wesentlichen bedingt durch geringfügige Verlängerung der Miltelfußknochen. Auf die stammesgeschichtlichen Umänderungen des Mastodontenfußes im einzelnen einzugehen, erübrigt sich hier, um so mehr als die Lage- beziehungen der Karpal- und Tarsalknochen für die Rekonstruktion nicht von maßgebender Be- deutung sind. In der Fleischrekonstruktion ist mit Absicht die unrichtige, zu stark liegende Fuß- *) Von den geologisch jüngeren Mastodonten, M. longirostris und M. arvernensis kann Schlesinger selbst nichts anderes angeben als daß sie sich ähnlich verhalten wie angustidens, nur daß ,,vielleicht Karpus und Tarsus etwas mehr erhoben Stellung beibehalten : das Tier geht gleichsam wie in Pantoffeln. Natürlich ist es für Schle- singer, der ein Jünger der ethologischen Palä- ontologie ist, ein Leichtes, die biologische Bedeu- tung dieser morphologisch nicht erweisbaren Füße zu erklären. M. angustidens kommt nach ihm in 2 Formen vor, wovon die eine (dargestellte) den schweren Sumpfwald, die andere die trockene Waldgrasflur bevorzugte. Beide waren langsame, ziemlich träge Herumstreicher auf weichem Boden, wo sie durch Graben und Wühlen mit dem zu einer Art Pflug umgestalteten Unterkiefer ihre Nahrung suchten. Diese Ergebnisse liefert die Morphologie des Schädels, der Zähne und der Beine, sowie die Betrachtung des Vorkommens und der Begleitfauna. Gleichsam programmmäßig ergibt sich dann für den breitgesockelten Fuß: „er schützte das Tier vor dem allzu raschen und tiefen Einsinken im sumpfigen Gelände, was bei dem schweren Körper doppelt bedeutend war". Wir haben damit alle wesentlichen Punkte be- sprochen, zu denen die neue Rekonstruktion Anlaß gibt. Im ganzen bedeutet der Schi e sin ger' sehe Versuch einen großen Fortschritt gegen die älteren bildlichen Rekonstruktionen; aber er leidet an dem Übelstand, daß er Reste verschiedener artlicher und örtlicher Herkunft zu einem Gesamtbild zu vereinigen sucht, das deswegen zu viel Hypothe- tisches und Theoretisches enthält. Möchte es bald gelingen ein einwandfreies Bild dieses über ganz Europa verbreiteten Mastodonten auf Grund eines zusammengehörenden Skelettfundes zu entwerfen 1 Kleinere Mitteilungen. Einige Beobachtungen über die Wünschelrute. Mit großem Interesse habe ich die Artikel über die VVünschelrute in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift verfolgt, da mich die Frage schon seit langen beschäftigt. Ich gestatte mir, einige Fälle aus meiner Erfahrung mitzuteilen, von denen zwei zu einem entschiedenen negativen Ergebnis geführt haben, der dritte aber noch nicht erledigt ist, da Abteufung noch aussteht. Sobald diese erfolgt, werde ich über das Ergebnis berichten. I. Der erste Fall wurde mir aus dem Dorfe Jocketa bei Plauen bekannt. Der Schmied, in dem östlichsten auf einer nach N zu nur wenig überhöhten, nach SW zu steil 60 m zu dem etwa 200 m entfernten Triebtale abfallenden Teile des Dorfes wohnend, hatte von dem Rutengänger einen Punkt in seinem Gehöft angewiesen be- kommen, wo er in 21 m Tiefe genügend Wasser für seinen Haushalt bekommen sollte. Als bei 20 m die Abteufung noch vollkommen trocken war, wurde ich um ein geologisches Gutachten gebeten. Ich konnte nur erklären, daß an dieser Stelle kein Wasser gefunden werden könne. Das Gut lag auf oberdevonischer Diabasbreccie. Das Gestein ist im Vogtlande im höchsten Grade wasserarm, da es entweder kein Wasser eindringen, oder es auf seinen zahlreichen Spalten schnell zur Tiefe bis zur liegenden Schiefergrenze versinken läßt, namentlich wenn ein tiefes Tal in der Nähe vorhanden ist. Um die Bedingungen des Ruten- gängers voll zu erfüllen, grub der Besitzer des Ge- höftes bis zu 23 m. Der Brunnen blieb trocken. Von dem Rutengänger wurde hierauf ein zweiter Punkt angegeben, bei dem schon in 16 m Tiefesich Wasser finden sollte. Die Grabung war ebenso erfolglos, wie die erste. Was hat hier den Ruten- gänger zu seinen Angaben veranlaßt r Die Hoffnung auf einen glücklichen Zufall? Gewiß nicht die Wirkung des Wassers auf die Rute, die bei ihm durch einen Messingring ersetzt war. 2. Ein zweiler Fall ereignete sich auf dem Rittergute Reuth nahe der sächsischen Westbahn, wiederum im Gebiet der oberdevonischen Breccie. Der Rutengänger operierte mit einem Pendel, be- stehend aus Faden und schwerem Messinggewicht. Bei Vorhandensein von Wasser im Untergrund sollte das Pendel kreisförmige Bewegungen aus- führen und es tat dies auch auf einer kleinen Anhöhe, die sich über die Hochfläche erhob. Schon in 9 m Tiefe sollte ein derartiger Wasser- N. F. XVII. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 373 Strom hervorbrechen, daß die Arbeiter würden flüchten müssen. Die Abteufung wurde ausgeführt, jedoch vollständig ergebnislos, wie zu erwarten war, da hier ein Zustromgebiet fehlte und etwa einsinkende atmosphärische Gewässer sofort zur Tiefe abfließen mußten. Da hier der Rutengänger bei negativem Ergebnis alle Kosten selbst tragen mußte, so lag hier wohl entweder Selbsttäuschung oder ebenfalls die Hoffnung auf glücklichen Zufall vor. 3. Ein dritter Fall wurde mir aus der Umgebung von Plauen bekannt, wiederum aus dem Breccien- gebiet, das eben durch seine ausgesprochene Wasserarmut immer und immer wieder zum Wassersuchen drängt. In diesem Falle war es ein namhafter Rutengänger, welcher, wie mir berichtet wurde, mit einer wirklichen Rute operierte und einen Punkt in der Nähe eines Gartens bei Ober- neundorf bezeichnete, an dem Wasser in ge- nügender Menge gefunden werden sollte. Leider habe ich seinen Versuchen nicht beiwohnen können, da ich erst nachträglich von diesen erfuhr, habe mir aber später den Punkt näher angesehen und es war mir dieser Fall besonders dadurch interessant, daß er mich erkennen ließ, was den Rutengänger mit größter Wahrscheinlichkeit zu seiner Bestimmung, zur Selbstsuggestion, wie mir scheint, veranlaßt hat. Von dem be- treffenden Garten zieht sich eine schwache Ein- senkung nordwärts zu einem größeren wasser- reichen Tale hin. Nahe der Einmündung der Senke in letzteres fließt aus ihr etwas Wasser aus, das zwischen dem Fels und der wenig mächtigen Lehmauskleidung zusammensickert. Eine derartige Einsenkung in einem hügeligen Gebiet drängt selbst dem Laien den Gedanken an Wasserführung auf, wieviel mehr dem auf's Wassersuchen aus- gehenden Rutengänger. In dieser Einsenkung liegt der vom Rutengänger angegebene wasserführende Punkt. Am Westrande derselben hat der Besitzer früher schon einen wenig tiefen Brunnen angelegt, in dem sich aber nur Oberflächenwasser ge- sammelt hat. Der Brunnen, von dem der Ruten- gänger angeblich nichts gewußt hat, liegt in der Verlängerung der Linie, in welcher die wasser- führenden Punkte liegen sollen. Für den Laien war diese Tatsache die überzeugendste, und doch liegt der Gedanke unmittelbar nahe, daß das, was den Rutengänger zur Selbstsuggestion geführt hat, auch den Gartenbesitzer bei der ersten Brunnen- anlage leitete, auch eine gewisse durch die Nähe der Geländesenkung bewirkte Autosuggestion. Was die Bewegung der Rute anbelangt, die bei einem Teilnehmer an den Versuchen nur dann ausschlug, wenn der Rutengänger das eine Ende, jener das andre Ende hielt, so wurde ich an die Vorführungen eines sog. magnetischen IVIediums, einer jungen Dame, erinnert, die einen Stab zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände hielt und dann von einem am Stabe angreifenden starken Manne nicht zurückgedrängt werden konnte. Das i\Iedium befand sich in jedem F"alle im Be- sitz des langen Hebelarmes am Stabe, und ein ganz geringer Muskeldruck seinerseits genügte, die kräftigste Gegenwirkung aufzuheben. Ich habe die Versuche vor meinen Schülern mit Erfolg ohne Magnetismus, nur die Hebelwirkung be- nutzend, nachgemacht. Den Versuch mit dem Pendel stelle jeder selbst an. Er wird ein solches nur kurze Zeit frei ruhighalten können; dann macht es kleine kreisförmige Bewegungen, die bald größer und größer werden. Namentlich Umhergehen ist der Ingangsetzung äußerst günstig. Als Ergebnis meiner bisherigen Erfahrung kann ich, für die Fälle, bei denen nicht bewußter Be- trug vorlag, nur Autosuggestion als Grundlage des Wünschelrutenrätsels annehmen. Im Anschluß an obige Mitteilungen noch 2 kurze Bemerkungen : Als es sich darum handelte, für das Bismarck- haus auf dem Kemmler bei Plauen Wasser zu beschaffen, bot ein Rutengänger aus A. seine Dienste dem Bismarckverein an. Er lehnte aber sein Erscheinen ab, als ihm mitgeteilt wurde, daß auch ein Vertreter der Geologie bei seinen Ver- suchen anwesend sein werde und zwar mit der Begründung, daß dem Verein der Glaube an die Wünschelrute zu fehlen scheine und unter solchen Umständen ein Erfolg nicht garantiert werden könne. In einem anderen Fall, in dem nach den An- weisungen des Rutengängers bis zu der von diesem angegebenen Tiefe ergebnislos abgeteuft worden war, sollte eine Sprengung am frühen Morgen die Wasseradern öffnen. Der Schuß erfolgte, der Brunnen blieb trocken wie zuvor. Der Ruten- gänger erklärte: In der Nacht habe ein Ungläubiger durch irgendeine geheimnisvolle Einwirkung den „Wasserweg" zu großer Tiefe verworfen. Das naheliegende Urteil über diese beiden letzten Fälle kann füglich dem Leser überlassen bleiben. Da meistens die erfolgreichen Arbeiten der Kenntnis weitester Kreise namentlich durch die Tageszeitungen mitgeteilt werden, erscheint es mir nicht ohne Wert, auch auf Fälle mit negativem Erfolg hinzuweisen. Prof. Weise. Einzelberichte. Neueres zur Lebensweise und Psychologie der Frösche. Teils aus dem Felde, teils aus der deutschen Heimat werden in letzter Zeit eine Anzahl recht wissenswerte und auch für die Tierpsychologie beachtenswerte Beobachtungen aus dem Leben der Frösche bekannt. ') So wird es wohl viele überraschen, von Dr. Wolters- ') Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde, Jahrg. XXIV, 1913, Nr. 36, Jahrg. XXVIIl, 1917, S. 227 bis 22S und Nr. 22 und 23, Jahrg. XXIX, 1918, Nr. 3 und Nr. 5. 374 Naturwissenschaftliche Wochensclirift. N. F. XVII. Nr. 26 torff zu erfahren, daß die Frösche nicht nur Krebstiere und sonstiges Kleingetier, sondern, wenigstens der VVasserfrosch, auch junge Fnische und kleine Reptilien verzehren, ja daß einmal ein Wasserfrosch beim Verschlingen einer ausge- wachsenen Bergeidechse ertappt wurde; nur die Schwanzspitze schaute noch zum Maul heraus. \) Keineswegs war etwa besonderer Hunger des Frosches die Ursache dieser Freßbegier. Der nordamerikanische Ochsenfrosch, Rana catesbyana, und die südamerikanische Hornkröte, Ceratophrys, fressen in Menge Wirbeltiere aller Klassen, soweit sie sie bewältigen können, und im Magdeburger Aquarium büßte ein halbwüchsiger Ochsenfrosch beim Versuch, einen erwachsenen P'euersalamander zu verschlingen, sein Leben ein. Unter Umständen fallen unsere Wasserfrösche, Rana esculenta, auch Tiere an, die sie nicht bewältigen können. So fiel einmal eine Schwalbe bei ihren Flugkünsten glatt auf das Wasser und rettete sich, durchnäßt und nunmehr flugunfähig, auf ein in der Nähe des Ufers schwimmendes Reisigbündel; da tauchte ein Frosch auf, packte sie am Bein und zog sie ins Wasser. Sie wäre wahrscheinlich ertränkt worden, hätte nicht der Beobachter sie gerettet. Auf dem östlichen Kriegsschauplatz wurde in gleicher Weise beobachtet, wie eine ins Wasser gefallene Ratte von zahlreichen Fröschen angefallen und unter Wasser gezogen wurde. Zur Erklärung dieses seltsamen Verhaltens der Frösche — denn es ist ausgeschlossen, daß Frösche ein ertränktes Tier verzehren — mag wohl hinzukommen, daß unter Umständen von dem obenauf schwimmenden Tier nur ein Teil von den Fröschen gesehen werden kann, so daß das vermeintliche Nahrungsstück weniger groß erscheinen kann, als es ist. Auch das wird noch wenig bekannt geworden sein, daß unser Wasserfrosch stellenweise zu einem Feind der Vogelwelt wird. So wurde im Micheln- schen Schutzgebiet im Anhaltischen am Nest eines kleinen Tauchers, jenes nicht viel über wachtel- großen Schwimmvogels, beobachtet, daß jedesmal wenn ein Ei des Geleges barst. und der Jungvogel sich hervorarbeitete, er sofort von einem plötzlich auf den Nestrand springenden und die Beute im Maule wieder davonsausenden großen Wasserfrosch erschnappt wurde. Der Vorgang wurde photo- graphiert. Daß er sich noch anderwärts wieder- holen wird, dürfte daraus zu schließen sein, daß auf einem Teich in Böhmen die Schwimmvögel, wenn sie Junge führen, stets unruhig werden und ihre Kinderschar an sich heranlocken, wenn ein Wasserfrosch sich zeigt, und auch 'mal einen An- griff auf den Frosch unternehmen. Die Nahrungssuche der PVösche gilt bisher als typisches Beispiel rein reflektorischer Tätig- keit, sie besteht aus wenigen stereotypen Reflexen, wie Hinwenden der Augen, des Kopfes, Vor- schreiten und schließlich Sprung und Zungenschlag, ') Ähnliche Beobachtungen teilt Floericke in ,,Kriech- und Lurche Deutschlands", Stuttgart, Kosmosverlag, mit. und jeder dieser Reflexe muß durch einen Reiz, eine neue Bewegung des Beutetiers oder des vorgehaltenem Scheinfutters ausgelöst werden; hiiren dagegen die Bewegungen des Beutestücks auf, so wird es nicht weiter verfolgt; keine Spur von assoziativem Gedächtnis wird beim Frosch bei seiner Nahrungssuche bemerkt, und dem scheint die Kleinheit seines Gehirns zu entsprechen. Nun macht aber das erwähnte Verhalten des Teich- frosches am Tauchernest doch vielleicht den Ein- druck, als ob er auf das Bersten des Eies gelauert hätte, und noch mehr spricht für assoziatives Ge- dächtnis, für einen vorhandenen Schatz an Er- fahrungen, sein eiliges Davonspringen nach der „Tat". Man kann also, obwohl ein strenger Beweis soweit nicht vorliegt, sich zunächst kaum der Möglichkeit verschheßen, daß das psychische Leben der Frösche im Freiland doch komplizierter ist, als es in der Gefangenschaft aussieht, wo die Frösche leicht als bloße Reflextiere erscheinen. Es wird ferner von einem „in Freiheit dressier- ten" Frosch berichtet. Sonntag für Sonntag wurde er — einer und derselbe Wasserfrosch, wie eine Fußverstümmelung erkennen ließ — von einem Fischangler ans Ufer und auf das Knie des Menschen gelockt, wo er sich füttern ließ und sich nur gezwungen zur Rückreise anschickte. Auch hier kann der Kritiker mit Recht sagen, daß dies von jedem PVosch zu erreichen durch Ausübimg der Bewegungen, die als optische Reize die Reihe der Reflexe auslösen. Und doch ist es die Frage, ob ohne Lernvermögen des Frosches die Sache jedes- mal so prompt und glatt vonstatten ginge. Denn dieser Fall von oftmaliger Anlockung eines Frosches erinnert doch ganz an die Art, wie die heimlichen Vogelsteller sich Singvögel vertraut machen, wo- bei sie off'enbar deren Gedächtnis ausnutzen. Aber die Gewißheit, daß die Frösche nicht bloß Reflextiere sind, entnehmen wir aus folgenden Beobachtungen: „Ein Wasserfrosch, von jung auf im Aiiuarium als Alleinbewohner herangezogen, mit dem sich sein Besitzer, ein Knabe, liebevoll beschäftigte, wurde nach zwei Jahren als krank- heitsverdächtig in einen Teich gesetzt. Nach zwei Tagen sah der Besitzer wieder nach ihm, da zeigte sich der Grünrock auf den Ruf seines Namens „Joggi" sofort und sprang auf die vorgehaltene Hand des Knaben." Einen ganz ähnlichen Fall weiß Wolter stör ff von einem Magdeburger Herrn. Mir erzählte seinerzeit der vor einigen Monaten ver- storbene Professor Edinger von einem gezähmten, im Zimmer an seinen Besitzer herankommenden Frosch in Frankfurt am Main. Ähnlich zahme l'rösche, junge Rana arvalis und temporaria, hat Wolterstorf f als Knabe öfter gehabt. Auch in Freiheit verhalten sich die Frösche verschieden, je nach den Erfahrungen, die sie gemacht haben. Wo sie der Verfolgung gänzlich ungewohnt sind, betätigen sie, wie es Wolterstor ff an ge- wissen Punkten der Tucheier Heide sah, keine Scheu vor dem herankommenden Menschen. Wo sie von Menschen und vielleicht Hausgeflügel viel N. F. XVn. Nr. 26 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 375 verfolgt werden, sind sie ungewöhnlich scheu und schwer zu fangen. Ich erinnere mich hierzu eines kleinen Teiches, der in einem Garten hart an der ständig begangenen Straße lag, aber von ihr durch einen Stacheldrahtzaun abgeschlossen war und offenbar unter den Augen seines Besitzers lag, so daß niemand das Grundstück betrat. Hier übten die Teichfrösche ihr Konzert auch Sonntags vor den zahlreichen Kirchgängern und Ausflüglern, unter denen namentlich die letzteren staunend stehen blieben wegen des seltenen, sonst fast nur aus bester Deckung einmal zu beobachtenden Schauspiels des Hervortretens der mächtigen Schall- blasen. Verfolgungen nicht kennend, hatten die Frösche alle Scheu „vor dem IVIenschen" oder vor Eindrücken, wie sie von ihm ausgehen, abgelegt. „Kurz, die Anfänge geistiger Tätigkeit sind auch hier vorhanden", sagt Wolterstor ff treffend. „Meine Beobachtungen in der Tucheier Heide decken sich also durchaus mit den Angaben im guten alten Brehm (vgl. letzte Aufl., Bd. 4 191 2, Seite 293) und bringen im Grunde nichts Neues. Da aber Brehm's Mitteilungen über das psychische Verhalten der Tiere jetzt von den Forschern mit Recht kritisch betrachtet und nachgeprüft werden, erscheint mir ein Hinweis auf meine eigenen Er- fahrungen wohl angebracht." Ortsgedächtnis allerdings, das stete Zurück- kehren an einen und denselben Ort mit Hilfe von Assoziationsvorgängen, wird in der Gattung Rana weniger beobachtet oder gar nicht, wenn man nicht Anzeichen davon in dem oben Mitgeteilten finden will. ^) Für ausgesprochenes Ortsgedächtnis von Bufo calamita habe ich entscheidende Beobach- tungen: einmal das Zurückkehren zweier Kreuz- kröten von einer Freßexkursion nach dem ge- wohnten Stammplatz in gerader Richtung, soweit der Weg frei war, und unter Ablenkungen nur insoweit, als Hindernisse es erforderten, die auch ein kurzes Umkehren der Kröten und dann noch- malige, jetzt erfolgreiche Bemühung zur Über- windung des Hindernisses bewirken konnten; so- dann den merkwürdigen Fall, daß eine Kreuzkröte, die in einem herumliegenden Glas wohnte, auf vorgestreute Mehlwürmer nicht geradeswegs los- ging, sondern, weil die Glaswand dazwischen lag, kein Auge von dem sich bewegenden Futter wendend sich zunächst rückwärts nach des Glases Öfthung bewegte und dann auf die Mehlwürmer zueilte. Am bekanntesten ist der Ortssinn beim Laubfrosch, Hyla arborea, insofern man diese Froschart in Gefangenschaft wie im Freiland oft viele Tage lang an einem und demselben Ruhe- platz wiederfindet. Konnte man nun bisher nicht genau wissen, ob der Laubfrosch vielleicht bloß durch Reflexe immer wieder auf den anlocken- den Ort zurückgeführt wird, so ist die neue Beobachtung zu beachten, daß erwachsene ge- fangene Laubfrösche sich beim Fliegenfangen an- ') Außerdem kommt es zum Ausdruck in den LabyrinUi- versuchen amerikanischer Physiologen. fangs Stets die Schnauzen an den Scheiben wund- stießen, aus Kaulquappen gezogene aber nicht, sondern mit geringerer Kraft und mit vorgehaltenen F'üßen sprangen. Man erinnert sich wieder an ähnliche Gewöhnungen von Stubenvögeln an die Fensterscheibe. Ob nun im ganzen Rana psychologisch ein- facher beschatten ist als Bufo und Hyla, wie es lange Zeit scheinen konnte, das möchte Wolters- torff dahingestellt sein lassen, da die sprung- gewandten ungestümen Frösche oft in der Ge- fangenschaft zu sehr beengt sind, um ihre wahre Natur zu zeigen. — Nun etwas anderes. Soviel man auch bisher Frösche beobachtet hat, man hat außer zur Paarungs- zeit keine Anzeichen gefunden, daß sie einander beachteten. Eine große Überraschung ist daher die von Schneitmüller aus dem westlichen Kriegsschauplatze mitgeteilte Beobachtung einer geschlossenen Massenwanderung von Fröschen. Die Ausfüllung einer Sumpfstrecke mit Kreidekalk war der Anlaß, daß alle Frösche aus ihr, meist Rana temporaria nebst einigen esculenta, Bufo vulgaris und calamita, nachts in geschlossenem Zuge von 2 bis 2',., Metern Breite und 6 bis 8 Minuten Länge auswanderten über einen Hügel mit Stoppelfeld, durch einen staubigen Straßen- graben und über die Straße nach einer Sumpf- wiese hin. Diese Massenwanderung erinnert an diejenigen von 1 .ibellen und — vgl. Naturw. Wochen- schrift 191 7, Nr. 50, S. 712 • — Kohlweißlingen. Betrachtet man nämlich einen ganzen Schwärm solcher Tiere als Einheit, so wäre zwar zu ver- stehen, daß er aus ungeeigneter Ähnlichkeit fort- strebt und schließlich von einer geeigneten an- gezogen wird. Zur Einheit wird er aber erst da- durch, daß die Tiere geschlossen beisammen bleiben, und diese Fähigkeit, aufeinander zu rea- gieren, die man auch zum Nachahmungstrieb rechnen kann, wird bei Rana ebenso wie bei Weißlingen und Libellen uns erst in dem seltenen Falle derartiger Massenwanderungen offenbar. — Eine bisher ungeklärte h'rage aus der Frosch- psychologie ist schließlich die, was den Frosch veranlasse, im Falle seiner Verfolgung durch eine Ringelnatter oft eiligst davonzuspringen, oft aber auch in eine Art Schreckstarre zu verfallen, so daß er höchstens noch humpeln kann oder un- beweglich bleibt und dabei gellend laute, kreischende Schreie ausstößt, bevor er von der Schlange er- faßt wird. Bekanntlich verhält sich so der Gras- frosch, während der Wasserfrosch, der ja von Ringelnattern kaum je verzehrt, selbst in der Ge- fangenschaft von ihnen meist verschmäht wird, jene Reaktionen nicht betätigt. Ich habe das merkwürdige Verhalten der Grasfrösche vor der Schlange im allgemeinen am besten durch die Annahme erklären zu müssen geglaubt, daß diese Tiere ihre Todfeindin aus früheren Erfahrungen bereits kennen gelernt haben. Nun wurde aber neuerdings die stürmische Flucht vor Schlangen in der Gefangenschaft auch bei Rana arvalis, jener 376 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. 26 der Rana temporaria recht ähnlichen Art, beob- achtet, die Tiere suchten sich durch ein halbes Dutzend oder mehr wilde Sätze den Schlangen zu entziehen, um sich dann niederzuducken. Dabei stammten sie aus der Umgebung von Magdeburg aus einer Gegend, wo keine Ringelnattern vorkommen. Zum ersten Male tritt diese wichtige Bemerkung in der Literatur auf. Nach ihr muß man dieses Verhalten der Frösche doch als einen angeborenen zweckmäßigen Reflex betrachten, der freilich sehr spezieller Art ist, so daß man sich zu dieser Deutung erst nach dem Experimentum crucis entschließt. — Im engen Behälter legten die Frösche mit der Zeit die „Schlangenfurcht" ab und wurden gegen ihre Feindin gleichgültig. V. Franz. Vom Fliegen der Käfer. Die Bedeutung der Elytren der Käfer ist von der zoologischen Wissen- schaft bisher dahin aufgefaßt worden, daß sie als Schutz der weichen Hinterflügel gelten müssen, welche ihrerseits allein die Flugbewegung aus- führten. Prof. Dr. R. Demo 11 (München) weist nun im Zoologischen Anzeiger (Bd XLIX Nr. 10) nach, daß diese Annahme eine Irrlehre darstellt und daß sich die Elytren in derselben Weise am Fluge beteiligen, wie die häutigen Flügel. „Ihre Schlagzahl scheint dieselbe zu sein, ihre Amplitude ist geringer; denn die Elytren schlagen nicht von oben bis unten, sondern nur von oben bis etwa zur Horizontalen." Prof. Demoll führt zum Beweise dieser Tatsache die Flugbewegungen an, welche ein Maikäfer ausführt, wenn man ihn gegen das Fenster fliegen läßt. Die durchscheinenden Elytren der Versuchstiere lassen dann einigermaßen genau den Umfang des Flügelschlages erkennen. „Bringt man die Käfer dazu, in der Ecke zwischen Fensterscheibe und Rahmen sich zum Fluge anzuschicken, so kann man, da es den Tieren nicht gelingt, abzufliegen, die Bewegung der Elytren beim Fluge auf der Stelle beob- achten". — Ob bei diesen Bewegungen der Elytren beim Auf und Niederschlagen eine Drehung oder Verwindung eintritt oder ob die Flügel- decken in gleicher Stelle auf- und abgeführt werden, weiterhin ob die Zeitdauer für die Auf- und Abwärtsbewegungen die gleiche ist oder ob sich dabei Unterschiede erkennen lassen, darüber müßen erst genauere Forschungen Aufschluß geben. H. W. Frickhinger. Anregungen und Antworten. Entgegnung. Es hat Herrn Riem gefallen, durch ein paar aus dem Zusammenhang herausgerissene Sätze aus meiner „Astronomie" bei dem Lesen der Naturw. Wochenschr. den Eindruck zu erwecken, als ob ich den Unsinn, der in astrolo- gischen Vereinen gelegentlich vorgetragen wird, mit meinem Namen deckte. Was meine tatsächliche Auffassung von der Sache ist, wird ein ruhiger Beurteiler aus meinem Buche un- zweideutig erkennen müssen. Ich habe .auf die Jathromathe- matik und Untersuchungen von \VilheIm Fließ hingewiesen, der verschiedene eigenartige Perioden (entsprechend dem Mond- lauf [Konjunktionen mit den Planeten] und dem Sonnenlauf [„Transite" über bestimmte Längenj) im menschlichen Leben aufzeigt. Die Kenntnis dieser „Perioden" war den Priestern des Altertums und den ernsten „Astrologen" der späteren Zeit wohl geläufig. Eine im naturwissenschaftlichen Sinne Kirch - hoff 's einfache Beschreibung derselben war die Verknüpfung mit kosmischen Gesetzmäl3igkeiten. Herr Riem hat sich augen- scheinlich nicht die Mühe gemacht, auch nur ein paar Blicke in dies noch kaum exakt erforschte Grenzgebiet der .Astronomie (richtiger Mathematik) und Medizin zu werfen, denn sonst hätte er sich nicht so sonderbar und den Leser irreführend geäußert. Dr. H. H. Kritzinger, Herausg. d. Rundschau der gesamten Sternforschung „Sirius". Bemerkung dazu. Wer das betreffende Kapitel aus dem Buche des Herrn Kritzinger aufmerksam liest, gelangt zu der Überzeugung, daß der Verfasser der Astrologie offenbar sehr freundlich gegenübersteht. Es geht das sowohl aus der Zusammenstellung des angeführten Quellenmaterials hervor, wie aus dem nicht aus dem Zusammenhang gerissenen Schluß- wort, das ich angeführt habe. Die hier von Dr. K. ange- führten Arbeiten von Fließ sol zur Astrologie noch verstärken, lur diese günstige Stellung sie dem modernen Leser jhmbarer machen. Hier wie anderswo kommt aber immer die Neigung des Verfassers allzudeutlich zum Vorschein, durch sensationelle Mitteilungen seine Persönlichkeit hervortreten zu lassen. Hat es doch in Astronomenkreisen peinliches Auf- sehen gemacht, daß Herr Kritzinger in Heft 3, 1917 des von ihm herausgegebenen Sirius mehrere Spalten mit den An- erkennungen füllt, die die Tagespresse, ihm, dem Dr. Kritzinger hat zuteil werden lassen, ein in der wissen- schaftlichen Literatur ungewöhnlicher Vorgang. Prof. Dr. Riem. Literatur. Thonner, Fr., Anleitung zum Bestimmen der Familien der Blütenpflanzen (Phanerogamen). 2. gänzlich neubearbeitete Auflage. Berlin '17. R. Friedländer u. Sohn. Di eis, Prof. Dr. L., Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich. Mit 412 Texlabbildungen. Stuttgart '18. E. Schweizerbart- sche Verlagsbuchhandlung. — 10 M. Pascher, A., Flagellaten und Rhizopoden in ihren gegen- seitigen Beziehungen. Versuch einer Ableitung der Rhizopoden. Mit 65 Abbildungen. Jena '17. G. Fischer. — 4M. Haecker, Prof. Dr. W., Entwicklungsgeschichtliche Eigenschaftsanalyse (Phänogenetik). Mit 181 Textabbildungen. Jena 'l8. G. Fischer. — 12 M. Walt her, Prof. Dr. Joh., Vorschule der Geologie. Eine gemeinverständliche Einführung und Anleitung zu Be- obachtungen in der Heimat. 6. umgearbeitete Aufl. Mit 123 Originalzeichuungen. Jena 'l8. G. Fischer. — 3 M. Inhaltl W. O. Dietrich, Über eine neue Mastodon-Rckonstruktion (Mastodon angustidens Cuv.) (2 Abb.) S. 369. — Kleinere Mitteilungen: Weise, Einige Beobachtungen über die Wünschelrute. S. 372. — Einzelbericbte: Wolters- torff, Neueres zur Lebensweise und Psychologie der Frösche. S. 373. R. Demoll, Vom Fliegen der Käfer. S. 376. Antworten : Entgegnung. S 376 Literatur: Liste. S. 376. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbete Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17. Band; er ganzen Reihe ^^. Band. Sonntag, den 7. Juli 1918. Nummer %7. Über den Einfluß des intermittierenden Hungerns auf das Wachstum. Von Jaroslav Kfizenecky, Prag, Kgl. Weinberge. Der tierische Organismus ist zwar nicht immer einer vollkommenen Restauration fähig. Andere Versuche von Aren*) an Ratten haben gezeigt, daß, wenn man wachsende Tiere zu lang hat hungern lassen, dieselben schon nicht mehr vollkommen, d. h. zur artnormalen Größe nach- wachsen . sondern trotz den besten Er- nährungsverhältnissen dauernd gegenüber den normal ernährten Kontrolltieren zurückbleiben. Es gibt also eine gewisse Grenze, welche das Hungern der wachsenden Tiere nicht überschreiten darf, soll ihr Organismus nicht eine dauernde Verletzung erfahren. Diese Ver- letzung besteht wahrscheinlich in Störung der Assimilationsfähigkeiten, so daß der Organismus nicht mehr imstande ist, sich aus seiner Aus- hungerung vollkommen zu restaurieren. Dort aber, wo diese Grenze nicht überschritten wird, ist der Organismus immer fähig, sich von den Inanitionsfolgen zu erholen und sich zu restaurieren. Bei dieser Restauration aus der Aushungerung ist besonders merkwürdig, daß dabei der Zuwachs des Organismus an IVIasse sehr intensiv vor sich geht, und zwar viel schneller, als bei einem gewöhn- lichen Wachstum. In Aron's Versuchen an Ratten erreichte z. B. ein Männchen, das durch Unterernährung zur Einstellung des Wachstums gezwungen wurde, nach Erneuerung normaler Er- nährungsverhältnisse das Gewicht eines anderen Männchens, das normalerweise ernährt wurde, in 165 Tagen, wogegen das letztere dazu 217 Tage brauchte ; das von der Aushungerung sich restau- rierende Männchen ist also um 5 2 Tage schneller gewachsen. Von den Weibchen wieder, die eben- falls durch Unterernährung im Wachstum gehemmt wurden, erreichte (nachträglich) eins das Gewicht des KcntroUtieres um 32 Tage, ein anderes sogar um 140 Tage schneller als die normal ernährten. Zu denselben Resultaten gelangte auch Sergius Morgulis bei seinen Versuchen an Tritonen. ^) Wenn er junge wachsende Tritonen absolut hatte hungern lassen, stellten diese nicht nur ihr Wachs- tum ein, sondern nahmen auch an Gewicht ab; in 7 Wochen rund um 25%. Nach Erneuerung der normalen Ernährungsverhältnisse (ad libitum), fangen diese ausgehungerten Tiere wieder an zu [Nachdruck verboten.] Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß ein Tierorganismus, der durch längeres Hungern an seiner Materie, d. h. an seinem Gewicht abge- nommen hat, wenn seine Ernährung von neuem beginnt, die ganze Abnahme ersetzt, d. h. er restauriert sich von der Aushungerung. Ähn- lich bestehen die Verhältnisse auch dort, wo ein junger, wachsender Organismus infolge einer Unter- ernährung nicht seine artnormale Größe erreichen konnte; wie die Versuche von H. Aron an Ratten') gezeigt haben, erreicht auch ein solcher zurück- gebliebener Organismus nach Erneuerung der normalen Ernährungsverhähnisse nachträglich seine artnormale Größe, er „wächst diese Größe nach", trotzdem er schon in einem Alter (zeitlich genom- men) sich befindet, in welchem unter normalen Entwicklungsverhältnissen sein Wachstum schon überhaupt aufgehört hätte. Die artnormale Größe in der Entwicklungsreife erscheint uns dabei wie ein horror vacui — wenn man Gebrauch von diesem bildlichen Vergleich Przibram's''^) machen will — , welchem der Organismus durch sein Wachstum Genüge leistet und solcherweise das Gleichgewicht zwischen Außen- und Innenwelt herstellt. Wird der Orga- nismus durch das Hungern aus diesem Gleich- gewicht gebracht, so kehrt er bei der ersten Mög- lichkeit, also nach Rückkehr normaler Ernährungs- verhältnisse, wieder in dasselbe zurück; wenn der Organismus dieses Gleichgewicht nicht zu normaler Zeit erreichen kann, so erreicht er dasselbe nach- träglich. ") ') Aron, H, Weitere Untersuchungen über die Beein- flussung des Wachstums. Verhandl. Ges. Kindcrheilfach. 1912. *) Przibram, H. , ExperimentalZoologie. Bd. 4. Wien-Leipzig 1913. Vgl. S. 128 — 129. ") Rubner (Kraft und Stoff im Haushalte der Natur. Leipzig 1909. S. 162 u. f.) meint, daß die Rekonstruktion nach dem Hungern darin besteht, daß eine jede Zelle des Körpers dabei ihren „optimalen Ernährungszustand" erneuert. Denn es nimmt, wie er ausdrücklich sagt, bei der Inanilion nicht die Zahl, sondern die Größe der Zellen ab; im „Anwachsen" einer jeden Zelle soll dann eben die Rekonstruktion aus Hunger- zustand bestehen. Dadurch erfaßt Rubner die Sache aber nur halbwegs richtig. Es ist nämlich bekannt, daß es außer der Größenabnahme der einzelnen Zellen auch zu einer Abnahme ihrer Zahl beim Hungern kommt, so daß es bei der Restauration nicht nur zu ihrer Größenerneuerung, sondern auch zu neuer Vermehrung ihrer Zahl kommen muß — selbstverständlich herrschen dabei in einem jeden Organ andere Verhältnisse. Übrigens; in jenen Fällen, wo die Rekonstruktion in „Nach- wachsen" besteht, wird sie zweifellos überwiegend auf Ver- mehrung der Zellen basieren. Ich glaube deshalb, daß man Rubner 's Vorstellung des optimalen „Ernährungs-" d. h. „Massenzustandes" der Zellen bei den Mctazoen direkt auch auf den ganzen Organismus des Individuums übertragen kann — ohne dabei selbstverständlich die Gültigkeit dieses Prinzipes auch für eine jede einzelne Zelle als selbständiges Ganzes bezweifeln zu wollen. Denn der ganze Organismus ist doch auch eine Einheit, wie eine jede einzelne Zelle, worüber kein Zweifel bestehen wird. ') Aron, H., Untersuchungen über die Beeinflussung des Wachstums durch die Ernährung. Berl. Klin. Wochenschr. Jahrg. 51. 1914- ") Morgulis, Serg., Studien über Inanition in ihrer Bedeutung für das Wachstumsproblera. II. Arch. f. Ent.- Mech. Bd. 34. 1912. 378 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 27 wachsen, und zwar sehr intensiv: in einer Woche haben sie ihr früheres Gewicht vollkommen restau- riert und in den nächsten 25 — 50 Tagen sind sie auch den Kontrolltieren, die ungestört unter normalen Ernährungsverhältnissen gewachsen sind, im Ge- wicht nachgekommen. Da zur Erreichung dieser Größe resp. dieses Gewichtes die Kontrolltiere im ganzen durchschnittlich rund 3 Monate gebraucht haben, ist ersichtlich, um wieviel schneller die sich restaurierenden Tritonen dabei Masse ange- setzt haben, um wieviel schneller sind sie gewachsen : rechnet man es in bezug auf die Zeit, welche die ausgehungerten Tritonen zur Restauration gebraucht haben, so bekommt man, daß die Wachstumsintensität der sich restaurierenden Tiere durchschnittlich 3 — 4 mal größer als die der Kon- trolltiere zu derselben Zeit war. Von Aushungerung sich restaurierende, also „nachwachsende" Tiere, wachsen also, was die Masse anbelangt (d. h. im Gewicht), wie ersicht- lich, viel schneller, als die Norm ihrer Art ist: zu derselben Zeit binden sie nämlich in ihrem Körper viel mehr Materie als bei ihrer Art bei normalem Wachstum Regel ist. *) Morgulis' Versuche haben aber nicht nur von neuem gezeigt, daß im Wachstum durch Unter- ernährung gehemmte Tiere nach Erneuerung nor- maler Ernährungsverhältnisse das Versäumte ein- holen können, sondern haben auch eine neue, sehr interessante Tatsache zur Kenntnis gebracht. Es hat sich nämlich ergeben, daß die ausgehungerten Tritonen nach Erneuerung der normalen Ernäh- rungsverhältnisse sich nicht nur aus allen Inani- tionsfolgen restauriert haben, d. h. nachträglich ') Worin diese grölSore Intensität in der Bindung und in dem Ansetzen der neuen Masse bei dem nach Inanition sich restaurierendenOrganismusbestcht, ist schwer zu sagen. Sofern diese Restauration des ganzen Organismus nur in Restauration des Materiezustandes einzelner Zellen begründet sein sollte, so wie es sich Rubner vorstellt (siehe oben), konnte man sich die Sache vielleicht dadurch begreiflich machen, dafl das bloSe Massenwachstum in schon vorhandenen Zellen schneller vor sich geht, als wenn dasselbe von Bildung neuer Zellen begleitet sein mül3te ; dai3 also das Massenwachs- tum bei dem normalen Wachstum deswegen langsameres Tempo bat, weil es mit Zellvermchrung verbunden ist, was die Massenvermehrung im ganzen Organismus hemmt. Dem- gegenüber muß man wieder in Betracht ziehen, dafi es bei der Restauration aus Aushungerung auch ebenfalls zur Vermehrung der Zellenzahl kommt, wie darauf oben hingewiesen wurde, was besonders beim ,, Nachwachsen" der im Wachstum durch Unterernährung gehemmten Organismen vorauszusehen ist. Es muß wohl bei Restauration zu keiner so großen Zellen Vermehrung kommen, wie beim gewöhnlichenWachstum, denn die Restauration des ganzen Organismus besteht zu gewissem Teil auch in Restau- ration einzelner Zellen, die sich bei der Inanition verkleinert haben. Bei den Tieren, die durch Unterernährung im Wachs- tum gehemmt wurden und bei der Restauration , .nachwachsen", ist es wieder möglich, sich vorzustellen, daß hier trotz keiner Massenzunahme doch die Zahl der Zellen zugenommen hat (welche selbstverständlich kleiner als die normalen sein müßten), so daß auch hier in dieser Hinsicht die Restauration in ähn- liche Verhältnisse kommt, wie bei Tieren, die als schon aus- gewachsene durch Hungern an Masse abgenommen haben. Ob diese Vorstellungen den tatsächlichen Verhältnissen ent- sprechen, kann selbstverständlich nur Experiment und Unter- suchung entscheiden. die Größe und das Gewicht der Kontrollliere er- reichten, sondern daß sie gegenüber diesen zu einem noch größeren Gewichte herausgewachsen sind. In einer Serie haben die sich restaurierenden Tiere die KontroUtiere um ii,56"/o „über- wachsen", in der anderen Serie sogar um 19,47 7o (nach Morgulis' Angaben umgerechnet). Die von Aushungerung sich restaurierenden Tiere sind also in der Masse über die Größe der normal- ernährten Tiere gewachsen. Das geschah dadurch, daß diese sich restaurierenden Tiere in ihrem mächtigen Ansetzen und in der Bindung neuer Materie in ihrem Körper, was in hoher Assimila- tionsintensität die Ursache hatte, nach Erreichung des Gewichtes sich normal entwickelnder Kontroll- tiere, also nach Ersetzen des Versäumten, nicht stehen geblieben sind, sondern daß die Massen- vermehrung in ihren Körpern über diese Grenze hinaus fortgesetzt haben, so daß sie im Gewicht eine höhere Gewichtsgröße erreicht haben, als bei der Art die Norm ist. Die Kontrolltiere waren zu dieser Zeit schon ausgewachsen und haben ihren Reifezustand erreicht, waren also im Zustand, in welchem jedes weitere Wachstum aufhört, so daß sie nie mehr den „überwachsenen" sich restaurierenden Tieren nachwachsen konnten. Dieser interessante Befund von Morgulis ist sehr wichtig, da er uns zeigt, daß das Hungern das Massenwachstum nicht nur dadurch katalysiert, • daß der Massenansatz bei der Restauration gegen- über der Norm schneller vor sich geht, so daß eine bestimmte Massengröße in einer kürzeren Zeit erreicht wird, sondern auch dadurch, daß die von Aushungerung sich restaurierenden Tiere sogar über die artnormale Grenze an Masse ansetzen, so daß sie die artnormale Größe überwachsen. Wie diese Versuche von Morgulis zeigen, kann das Hungern auch die Wachstumspotenz der Art direkt über die Korm steigern. Das Wachs- tum wird also in dieser Hinsicht durch das Hungern gefördert, wenn nämlich dieses wieder durch aus- reichende (ad libitum) Fütterung gefolgt wird. Die intensive Restauration nach der Inanition führt also zum Wachstum über die Norm hinaus. Diese Erkenntnis führt uns zu dem Gedanken, ob es nicht möglich wäre, das Hungern als einen Reiz zur Steigerung des Wachstums überhaupt zu benutzen, und zwar auf die Weise, daß man das Hungern einigemal mit Perioden der Restauration wechselte, so daß man den Organismus einem intermittierenden Hungern aussetzte. In dieser Hinsicht hat schon vor Jahren (1887) von Seeland*) große Versuche an Hühnern an- gestellt; ebensolche Versuche hat auch Morgulis selbst an Tritonen ausgeführt. Beide For- scher sind aber zu verschiedenen Resultaten ge- kommen. 1) von Seeland, Über die Nachwirkung der Nahrungs- mittelentziehung auf die Ernährung. Biolog. Zentralblatt. Bd. 7. 1887. N. F. XVII Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 379 von Seeland hat Tatsachen festgestellt, die unzweideutig dafür sprechen, daß es schließlich möglich wäre, das Hungern als ein Treibmittel für Wachstum zu benutzen; einem intermittieren- den Hungern ausgesetzte Hühner (das Hungern dauerte i — 2 Tage, danach Fütterung ad libitum) haben ein größeres Gewicht erreicht als Hühner, die normalerweise, regelmäßig gefüttert wurden; und zwar beträgt dieses Plus an Gewicht 9,19 bis iO,i2''/o- Nach von Seeland ist diese Gewichts- zunahme nicht einer Ablagerung von Fett, son- dern einer Anhäufung von Muskelsubstanz, die dichter geworden ist, beizumessen. Morgulis ist demgegenüber zu vollkommen umgekehrten Resultaten gekommen. Junge Tri- tonen, die wechselweise 2 — 3 Wochen gehungert haben und wieder ad libitum gefüttert wurden, sind keineswegs mächtiger als die immer regel- mäßig gefütterten Kontrolltiere ausgewachsen, sondern haben im ganzen viel schwächer und langsamer zugenommen, so daß sie endlich im Gewicht zurückgeblieben sind. So haben z. B. in einer Serie die regelmäßig gefütterten Kontroll- tiere in 20 Wochen um 339,5 "/ii zugenommen; Tiere aber, die wechselweise eine Woche gehungert haben, und eine Woche wieder gefüttert wurden, haben nur um 1^,2,2 "jf, an Gewicht zugenommen — also um mehr als die Hälfte weniger. In einer anderen Serie wieder haben Kontrolltiere in 10 Wochen um 62,8 "/(, zugenommen, Tiere aber, die wechselweise zwei Wochen hungerten und wieder gefüttert wurden, haben nur um 37,8 %, zugenommen — also um ebensoviel weniger. In der dritten Serie endlich haben in 9 Wochen die Kontrolltiere um 261,6"/,, zugenommen, Tiere aber, die immer drei Wochen hungerten und drei Wochen wieder gefüttert wurden, nahmen nur um 1 50, i "/^ zu. In diesen Versuchen von Morgulis hatte also das intermittierende Hungern (so wie es aus- geführt wurde) eine Hemmung der normalen Gewichtszunahme zur Folge. Morgulis selbst und nach ihm eine Reihe von Anderen — ich möchte besonders Lip- schütz^) nennen — ziehen aus diesen Experi- menten den Schluß, daß das wiederholte, inter- mittierende Hungern gegenüber dem langen Hungern (wenn ihm eine reiche Fütterung folgt), zu keiner Förderung der Wachstumsintensität, führt, sondern daß im Gegensatz das intermittie- rende Hungern dem Organismus zu keinem Profit, sondern zum Schaden ist. Zu einer Steigerung der Assimilationsintensität kommt es bei ihm nicht, sondern das intermittierende Hungern soll im Gegenteil den Organismus in seinen assimilatorischen Funktionen beschädigen, wodurch es zur Hem- mung des Wachstums kommt. Das intermittie- rende Hungern soll also ganz anders als das ein- fache, lange Hungern wirken, und soll für den Organismus schädlich sein. Dieser Schluß ist aber nicht richtig, sondern falsch, wie leicht zu erkennen ist, wenn man die dies- bezüglichen Experimente näher und kritisch be- trachtet. Der Fehler besteht darin, daß man dabei der Ansicht ist, daß die Wachstumshemmung in Morgulis' Versuchen aus Hemmung der Assimilation folgte. Es soll hier auf diese Sache näher eingegangen werden. Es ist ersichtlich, daß die mächtige Zunahme an Gewicht bei den nach einem langandauernden Hungern sich restaurierenden Tieren, welche bis zum Überschreiten der Artnorm führen kann, in nichts anderem besteht, als nur in einer mächtigen Assimilationsfähigkeit, welche bei der Restauration von Aushungerung stattfindet, und welche dazu führt, daß es in dem Organismus schnell zur Bildung und Anhäufung von neuer organischer Materie kommt; infolgedessen nimmt der Organismus rasch an Gewicht zu. Wenn wir nun diese Assimilationsintensität, welche man mittels der Gewichtszunahme in der Zeiteinheit (eine Woche) ausdrücken kann, auf Grund der Zahlenangaben von Morgulis*) ver- gleichen, so sehen wir folgendes: während bei den normal und regelmäßig gefütterten Kontrolltieren diese Wachstumsintensität während ihres ganzen Wachstums durchschnittlich 10,3 betrug (= Pro- zentzunahme in einer Woche), hatte dieselbe bei den nach langdauerndem Hunger sich restaurie- renden Tieren während ihrer Restaurationsperioden den Wert 17,8. Die Wachstumsintensität war hier also viel größer, beinahe um 80 "/o — und daher auch die rasche und mächtige Gewichts- zunahme der sich restaurierenden Tritonen. Be- rechnen wir nun auf diese Weise die Assimila- tionsgeschwindigkeit bei Tritonen, die einem intermittierenden Hungern unterzogen waren, in Perioden ihrer Fütterung, d. h. in ihren Restaura- tionsperioden, so finden wir eine sehr wichtige Tat- sache: daß nämlich hier diese Assimilations- geschwindigkeit nun verhältnismäßig noch größer ist als selbst bei der Restauration nach langdauerndem Hungern. Hier beträgt nämlich die Assimilationsgeschwindigkeit sogar 22,3 (ge- rechnet als Durchschnitt der von Morgulis an- gegebenen Zahlen). Daraus folgt aber unzweideutig, daß von einer Beschädigung der assimilatorischen Fähig- keit in diesen Morgulis'schen Versuchen an Tritonen überhaupt keine Rede sein kann. Es ist klar, daß die intermittierend hungern- den Tritonen im Gewicht nicht des- wegen gegenüber den Kontroll tieren zurückgeblieben sind, weil sie viel- leicht eine gehemmte Assimilations- geschwindigkeit besaßen, d. h. weil ihre assimilatorischen Potenzen verletzt waren; denn in denPerioden derFütte- ') Lipschütü, Zur allgemeinen Physiologie des Hungers. Vieweg, Brauuschweig 1915. Str. 70. ') Als Material sollen hier die Tabellen der Morgulis- schea Arbeit dienen, welche ich hier wegen Raummangel nicht einmal im Auszug reproduzieren kann. 380 Natui-wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 27 rung (ad libitum) nahmen sie an Masse viel stärker d. h. schneller zu als die Kontrolltiere, ja sogar auch als Tiere, die sich nach einem langdauernden Hungern restaurierten. Aus einer Hemmung der Assimilations- resp. Restaurationspotenzen, die Folge einer Verletzung des Plasmas sein konnte, kann man also das Zu- rückbleiben der Morgulis'schen intermittierend hungernden Tritonen hinter den normal gefütterten Kontrolltieren nicht ableiten, da bei ihnen die Assimilations- resp. Restaurationsintensität im Gegenteil sehr hoch war. Die Ursache mußte hier also anderswo sein. Es gibt hier keine andere mögliche Erklärung als die, daß diese Tritonen deswegen im Gewicht zurückgeblieben sind, weil ihnen nicht die Möglichkeit geboten wurde, ihre hohe Restaurationsinten- sität vollkommen zur Gültigkeit zu brin- gen und auszunützen. Sie wurden nämlich immer einer neuen Hungerung früher ausgesetzt, als sie überhaupt alles durch früheres Hungern Versäumte nachholen und sich so restaurieren konnten; daß sie also infolge zu kurzerZeit, welche ihnen zur Restauration geboten war, trotz ihrer hohen Assimilationsintensität nicht einmal imstande waren, die direkten Verluste an Gewicht zu ersetzen. Ihre Restaurationsperioden haben trotz der hohen Assimilations- intensität nicht einmal dazu genügt, daß die Tritonen sich so vieler Masse bemächtigten, als sie zum Ersetzen der Inanitionsverluste brauchten, destoweniger also dazu, daß sie vi ei- leicht die Masse ihres Organismus noch über dieNorm hinaus vermehrten — trotzdem sie dazu bei ihrer hohen Assimilations- intensität vollkommen imstande waren. Die Resultate der Versuche von Morgulis muß man also anders betrachten, als er selbst dies tut (und nach ihm Andere). Es wäre ganz verfehlt, diese Versuche als einen Beweis davon zu nehmen, daß es infolge des intermittieren- den Hungerns zu einer Beschädigung des Plasmas und so zur Hemmung seiner assimilatorischen Potenzen gekommen ist — die hohe Assimilations- intensität in den Restaurationsperioden zeugt direkt vom Gegenteil. Das Plasma wurde hier nicht beschädigt, sondern steigert noch im Gegenteil seine Assimilationsintensität; daß diese dabei zu keinem Erfolg führen konnte, wurde durch unge- nügende Zeit verursacht. Kurzsresagt: Morgulis' intermittierend hungernden Tritonen sind zwar schnell resp. schneller gewachsen, aber ihre Restaurationsperioden haben zeitlich nicht dazu genügt, damit die Tiere auch auswachsen konnten. Die von Morgulis ausgesprochene Ansicht, daß durch das intermittierende Hungern der Organismus in seinen Lebeiispotenzen beschädigt wird, muß also korrigiert werden. Das inter- mittierende Hungern hat in Morgulis' Versuchen im Grunde ebenso wie das langdauernde Hungern gewirkt: in bei- den Fällen war die Folge eine Steige- rung der Assimitations fähigkeit und -Intensität, ja beim intermittierenden Hungern war diese Steigerung sogar noch größer als bei dem langdauernden einfachen Hungern. Der von Morgulis gemachte Schluß, der von anderen kritiklos wiederholt wurde (siehe z. B. Lipschütz), ist also zu streichen. Deswegen stehen Morgulis' Resultate im Grunde auch in keinem Widerspruch mit den Resultaten, zu welchen von Seeland an Hühnern gekommen ist. Morgulis will das Nichtüber- einstimmen der Befunde dadurch erklären, daß von Seeland die Hühner nicht so lange hat hun- gern lassen, bis ihre Wachstums- und Restaurations- fahigkeiten beschädigt wurden, sondern hatte ihr Hungern mit Fütterungsperiode immer früher unterbrochen. De facto liegt hier aber die Ursache nicht in der Länge der Hungerperioden, sondern in der Länge der Fütterungs- bzw. Restaurations- perioden: Seeland's Hühner konnten ihre ge- steigerte Assimilationsintensität vollkommen aus- nutzen, Morgulis' Tritonen haben dazu aber keine genügende Zeit ; sie sind immer früher wieder einem neuen Hungern ausgesetzt, als sie die früheren Inanitionsfolgen restaurieren konnten. Morgulis' Tritonen waren deswegen darauf ebenso, wie Tiere, die sich im Zustande einer Unterernährung befinden; sie haben also eigent- lich infolge des Zeitmangels in Fütterungsperioden chronisch gehungert; und hiervon ist auch ihr Zurückbleiben im Wachstum abzuleiten. Im ganzen genommen kann man sagen, daß Morgulis's Versuche keinesfalls be- weisen, daß das intermittierende Hun- gern für den Organismus dadurch schädlich wäre, daß es diesen in seinen Lebens funktionen schädigte. Im Gegen- teil: in vollkommener Übereinstimmung mit den alten Versuchen von v. Seeland beweisen auch die neuen Versuche von Morgulis, daß man durch das intermittierende Hungern das Wachstum positiv katalytisch alterieren kann, und zwar sogar über die Artnorm hinaus. Die wirkliche Erkenntnis, die man nun von diesen Versuchen nehmen kann, ist also eben das Gegenteil der- jenigen, welche hiervon Morgulis gezogen hat. Von dem intermittierenden Hungern beweisen uns also die experimentellen Erfahrungen, daß dasselbe auf das Wachstum günstig wirkt; da- durch nämlich, daß es die assimilatorischen Potenzen des Organismus steigert. Das Problem des intermittierenden Hungerns wird dadurch wohl noch nicht erledigt, sondern eigentlich erst aufgestellt. Man soll dieses Problem aber nicht in der PVage sehen, warum das inter- mittierende Hungern den Organismus beeinträchtigt N. F. XVII. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Woch enschrift. 381 und schädigt, wie es z.B. L i p s c h ü t z *) auffaßt ; denn so einen Einfluß hat das intermittierende Hungern eben nicht (insofern sich diese Frage auf die Resultate von M o r g u 1 i s Experimenten be- zieht, geben die obigen Ausführungen genügende Aufklärung). Das Problem des intermittierenden Hungerns liegt darin, wann und wie organi- siertes intermittierendes Hungern zu einem optimalen Effekt seines Ein- flusses auf das Wachstum führen kann. Selbstverständlich handelt es sich hier zugleich auch um die theoretische Grundfrage, warum das Hun- gern überhaupt zu einer Steigerung der Assi- mitationsfähigkeit führt, warum diese Steigerung durch wiederholtes Hungern noch erhöht wird und wie und warum es möglich ist, daß dabei die Wachstumsnorm der Art überschritten wird. Eine nähere Untersuchung des intermittieren- den Hungerns in diesem Sinne bietet zweifellos hoffnungsvolle Aussichten; besonders, wenn man die Möglichkeit seiner praktischen Applikation besonders in der landwirtschaftlichen Produktion ins Auge fast. Meiner Ansicht nach könnte hier eine jede Arbeit zu fruchtbaren Erfolgen führen. Eine besondere Aufmerksamkeit verdiente dabei ein sehr interessanter Umstand, auf welchen über- einstimmend wie die Versuche von v. Seeland, so auch die von Morgulis hinzuweisen scheinen. V. Seeland macht nämlich darauf aufmerk- sam, daß seine intermittierend hungernden Hühner im ganzen weniger Futter verbrauchen, als die normal, d. h. regelmäßig gefütterten Hühner (den Tagen nach berechnet bekamen durchschnittlich: die intermittierend hungernden täglich rund 2800 g Weizenkorn, die regelmäßig gefütterten aber rund 3400 g) ; trotzdem haben aber die intermittierend hungernden Hühner ihre Masse {= Gewicht) mäch- tiger vermehrt, als die regelmäßig gefütterten. Das weist darauf hin, daß die aufgenommene Nah- rung bei den intermittierend hungernden Tieren viel intensiver ausgenutzt wurde, so daß von den aufgenommenen Nahrungsstoffen viel mehr assimiliert und im Körper gebunden bleibt. Das- selbe gibt auch Morgulis an; bei den von Aushungerung (gleich ob aus einer langdauernden oder in den Fütterungsperioden des intermittie- renden Hungerns) sich restaurierenden Tritonen war die aufgenommene Nahrung (Morgulis hat alles nach der Zahl der F"ütterungen und nach der Größe der Gewichtszunahme berechnet) mehr als doppelt so intensiv in die Körpermaterie ver- wandelt, als bei den unter regelmäßiger Ernährung wachsenden Kontrolltieren. Wo nun diese erhöhte und intensivere Aus- nutzung der Nahrungsstoffe ihren Grund und ihre Ursache haben könnte, ist heute nicht möglich zu sagen. Wahrscheinlich wird es sich hier um eine erhöhte Ausnutzung der Nahrung im Verdauungs- trakt handeln, um eine intensivere Verdau- ung, so daß dem Organismus so mehr von Nahrungsstoffen zugeführt wird; auf eine solche Erklärung deutet Morgulis und spricht von einer „zeitweisen Erleichterung, welche die Verdauungs- organe dabei erhalten", welche dann „zur Ver- besserung ihrer Leistungsfähigkeit beitragen" kann. Oder aber es tritt hier eine Erniedrigung des Stoffumsatzes, nämlich der Vorgänge des Dissi- milationskomplexes unter die Norm der Art ins Spiel, so daß es zu einem Dominieren der Assimi- lation kommt und dadurch auch, infolgedessen nämlich, zur gesteigerten Vermehrung der Materie in dem Organismus. Eine Auf klärungüber dies alles werden hier selbst- verständlich erst bezügliche biochemische Unter- suchungen bieten können. Einerlei wie sie aus- fallen wird, so handelt es sich hier zweifellos um einen sehr bedeutungsvollen Zustand, der besonders bei praktischer Anwendung des intermittierenden Hungers zur Bedeutung kommen könnte. >) 1. c. S. 70. .Ein weiterer Beitnag zur Frage der Schwarzwurzelfütterung bei der Seidenraupenzuclit. [Nachdruck Lucks, Botanischer Assistent a. d. Landw. Versuchsstation in Danzig. Mit 3 Abbildungen im Text. Bestrebungen zur Einführung der Seidenraupen- zucht in Deutschland sind, wie bekannt, schon mehrfach unternommen worden, haben aber bis- her noch zu keinem wirklich praktisch bedeutenden Ergebnis geführt. Für die Mißerfolge werden ver- schiedene Gründe angegeben : Mangelndes Interesse, klimatische Verhältnisse, lange Wartezeit, Ver- heerungen durch Krankheiten, schlechte Rentabi- lität und dergleichen. Der zuletzt aufgeführte Grund scheint mi_r der entscheidende zu sein, denn selbst die furchtbaren Verheerungen durch die ansteckenden Seidenraupenseuchen, die in allen anderenSeidenbau treibendenLändern kaum weniger gewütet haben wie in Deutschland, und die im allgemeinen in erster Linie für den Rückgang des Seidenbaues in Deutschland verantwortlich gemacht werden, haben nicht vermocht, ihm in den anderen, hierfür geeigneten Ländern ein Ziel zu setzen. Wohl aber ist die Frage der Rentabilität von ein- schneidender Bedeutung; es steht und fällt meines Erachtens der Seidenbau mit der Höhe derselben, und wird sich bei uns eventuell nur behaupten können, wenn, wie dies z. B. in Österreich geschieht, staatlicherseits größere Opfer zu seiner Unter- stützung gebracht werden. Denn wenn schon bei den bescheidenen Ansprüchen der österreichischen Seidenbau treibenden Bevölkerung der Seidenbau in Österreich nicht ohne staatliche Hilfe auf seine 382 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 27 heutige Höhe zu bringen und zu erhalten war, wie viel schwieriger wird sich bei uns in Deutsch- land die Einführung desselben bei unserer anspruchs- vollen Bevölkerung gestalten 1 Immerhin war der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, den Seidenbau bei uns einzuführen, um dadurch einer Anzahl hierfür geeigneter Kriegsinvaliden mit Hilfe einer wenig mühevollen Beschäftigung eine nicht zu unterschätzende jährliche Einnahme zu ver- schaffen, zumal wenn es gelingen sollte, denselben durch besondere Methoden und Hilfsmittel rentabeler zu gestalten. Man glaubt nun zwei Mittel gefunden zu haben, um dieses erstrebenswerte Ziel zu er- reichen, nämlich die S taffei zucht und die Schwarzwurzellaub fütterung. Durch die Staffelzucht, bei welcher nicht, wie das früher der Fall war, das gesamte Eierquantum auf einmal, sondern in größeren oder kleineren Intervallen angesetzt wird, soll die Raupenzucht auf einen längeren Zeitraum ausgedehnt und gleich- zeitig die Arbeitsleistung ausgeglichen werden, durch die Schwarzwurzelfütterung (kurz als S-Fütte- rung bezeichnet im Gegensatz zur M-Fülterung d. h. Maulbeerfütterung) soll einmal die Wartezeit abgekürzt werden, da das S-Laub bereits im zweiten Jahre nach der Saat zur Verfügung steht, zum anderen soll auch hierdurch die Futterzeit verlängert werden, da das S-Laub fast das ganze Jahr zu er- halten ist. Staffelzucht in Verbindung mit S-Fütte- rung wäre hiernach als das Ideal der Seidenraupen- zucht anzusehen — wenn's stimmte! Über die Möglichkeit und die Vorzüge der Staffelzucht liegen meines Wissens noch keine Er- fahrungen vor, die zu irgendwelchen weitgehenden Schlüssen berechtigen würden. Die Frage ver- dient aber jedenfalls volle Beachtung und gründ- liche Prüfung. Die Frage der S-Fütterung ist zur Zeit im vollen Fluß, und die Zahl ihrer Gegner erscheint verhältnismäßig viel größer als die der Anhänger. Abgesehen aber von allen denen, die weniger aus eigener Erfahrung heraus als vielmehr aus irgend- einem anderen Grunde ihre Gegnerschaft be- kunden, verdient die Tatsache volle Beachtung, daß auch die größte Zahl derjenigen, die sich mit dem Problem praktisch beschäftigt haben, zur Gegnerschaft gerechnet werden muß, mindestens aber doch schwerwiegende Bedenken gegen ihre allgemeine Einführung hat. Ich verweise dieser- halb auf die bisher in dieser Zeitschrift erschienenen Beiträge von Dr. Frickhinger und Dr. Wachs. Um die Frage zu entscheiden, ob der S-Fütterung irgendwelche Bedeutung zuzumessen sei , sind daher weitere Versuche und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse dringend erforderlich. Es soll daher im nachfolgenden über einen Versuch, der überdies noch ziemlich erfolgreich war, berichtet werden. Die im vorigen Jahre auf Anregung derDeutschen Seidenbau-Gesellschaft zu Berlin in Danzig be- gründete Westpreußische Seidenbau-Studiengesell- schaft, deren Geschäftsführer Referent ist, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Frage zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen die Seidenraupen- zucht in Westpreußen als Erwerbszweig für Kriegs- invalide dienen kann. Zur Beantwortung dieser Frage sind nun bereits im Jahre 191 7 an der Ab- teilimg für Seidenraupenzucht der Danziger Landw. Versuchsstation Raupenfütterungsversuche durch- geführt worden und unter anderen auch ein ver- gleichender Fütterungsversuch, dessen Ergebnisse für die vorliegende Frage der S-Fütterung Inter- esse hat und über welchen daher hier berichtet werden soll. Am 6. August 1917 wurden aus einer Anzahl von 1500 ausgeschlüpften Raupen 1200 für einen vergleichenden P^ütterungsversuch ausgelesen. Die Raupen stammten aus selbstgewonnenen Eiern einer kleinen mit M-Laub durchgefütterten Zucht, die Mitte Juni begonnen wurde. Es handelt sich an- scheinend um Mailänder Gelbspinner. Die Eier waren ursprünglich durch den Dresdener Seiden- bauverband bezogen worden, der aber nähere Auskunft über die Rasse nicht erteilen konnte. Die ausgelesenen Raupen wurden in vier Serien von je 3X100 Raupen eingeteilt, welche wie folgt gefüttert werden sollten: Serie I erhält durchweg nur M-Laub, II „ „ „ S-Laub, „ III „ „ ein Gemisch von etwa gleichen Teilen M- und S-Laub, „ IV „ bis zur vierten Häutung M-Laub, während der fünften Perlode nur S Laub. Durch den Fütterungsversuch Serie III sollte eine Gewöhnung an das fremde Futter versucht werden, durch den Versuch Serie IV sollte geprüft werden, ob es möglich sei, die Hauptfraßzeit der durch naturgemäßes Futter möglichst gut ent- wickelten Raupen mit dem weniger zusagenden Surrogatfutter auszufüllen. Es mag hierbei gleich erwähnt werden, daß diese letzte Versuchsanord- nung völlig fehlschlug, indem die aus der vierten Häutung hervorgegangenen Raupen, entgegen einer früher gemachten Erfahrung, das S-Futter völlig verschmähten, so daß diese Reihe mit M-Futter zu Ende geführt werden mußte und somit der Serie I entspricht. Das zur Fütterung benützte M-Laub stammte aus einer etwa 7 — 8 jährigen Maulbeerhecke. Es wurde zum Schlüsse des F"ütterungsversuches infolge anhaltender Dürre schon stark gelb, war zum Teil ziemlich klein- blätterig und daher nicht ganz vollwertig, während das Laub älterer Maulbeerbäume um diese Zeit noch recht gut war. Es wurde anfänglich alle 2 — 3 Tage, zum Schlüsse alle Tage frisch gepflückt. Das S-Laub war in genügender Menge und guter Qualität vorhanden und wurde in Zwischenräumen von 3—4 Tagen hereingeschafft. Es war in der Regel stark sandig resp. staubig und wurde daher regelmäßig bei Ankunft unter der Wasserleitung stark abgewaschen, dann ausgebreitet und an der Luft abgetrocknet. Nach dem Trocknen wurde es in großen zugedeckten Glasgefäßen aufbewahrt. N. F. XVII. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 383 Die Versuche nahmen folgenden Verlauf: Serie I. Das erforderliche Quantum M-Laub, möglichst junge, weiche Blätter, wurde während der beiden ersten Lebensperioden recht fein zer- kleinert, später grob geschnitten und schließlich ganz verfüttert. Die Fütterung geschah 5 — 6 mal des Tages. Das Futter wurde gern genommen und die Raupen gediehen gut. Die erste Häutung begann am 10. Aug., die zweite am 16. Aug., die dritte am 21. Aug., die vierte am 26. Aug. und das Einspinnen am 8. Septbr. Kranke Raupen wurden nicht beobachtet. Am 1 3. Septbr. (38. Tag) hatten 90"/„, am 17. Septbr. (42. Tag) hatten sämtliche Raupen ihren Kokon vollendet. Serie II. Die Fütterung der Raupen mit SLaub geschah in gleicher Weise wie bei Serie I. Die Raupen gingen zum Teil nur zögernd an das Futter, teilweise wurde es aber scheinbar ohne Bedenken angenommen. Viele Raupen haben es wohl entschieden verschmäht, denn beim Durch- einzelne Raupen vorhanden, die anscheinend erst die zweite Häutung hinter sich hatten. Serie III. Die Raupen dieser Serie erhielten ein aus etwa gleichen Teilen M- und S-Laub ge- mischtes Futter. Die Blätter wurden recht fein geschnitten und gut durcheinander gemischt. Das feingeschnittene Laub wurde etwas zusammen- gedrückt, damit der Saft der beiden Blattarten sich mischte, um möglichst zu verhindern, daß die Raupen eine Auslese unjter den Blatteilen vor- nahmen. Die Zahl der Mahlzeiten war die gleiche wie bei Serie I und II. Das Futter wurde an- scheinend willig angenommen. Am 1 5. und 23. Aug. vorgenommene Kotuntersuchungen ergaben, daß die Raupen sowohl M- wie S Laub verzehrt hatten, ob im Verhältnis des dargereichten Futters, ließ sich allerdings nicht entscheiden. Die Entwicklung der Raupen ging nicht ganz so gleichmäßig von statten wie in der Serie I. Die Häutungstermine wurden jedoch innegehalten. Nach der dritten Querschnitt durch die \V.ind eines Kokons von iVI-Fütterung. Querschnitt durch die Wand eines Koko -Fütterung. zählen nach einigen Tagen stellte sich heraus, daß eine Anzahl Raupen, im ganzen 21,3 "/q, ver- schwunden war. Die Raupen sind anscheinend abgestorben. Die Häutungen setzten teilweise zu den gleichen Zeitpunkten ein wie bei Serie I, sie nahmen hier aber nicht den glatten Verlauf, son- dern erstreckten sich über längere Zeiträume hin- weg, so daß schließlich verschiedene Raupen- stadien nebeneinander bestanden. Die Kokon- spinnung nahm folgenden Verlauf: Am 13. Septbr. (38. Tag) 6,3%, am 17. Septbr. (42. Tag) 21,30/0, am 20. Septbr. (45. Tag) 32,3 %, am 27. Septbr. (52. Tag) 48,0 7ö. am 29. Septbr. (54- Tag) 56,0 "/q, am 4. Oktbr. (59. Tag) 60,30/0 Kokons fertig. Bis zu diesem Tage waren 15,40/0 tote Raupen vorgefunden worden, 3,0 "/o Raupen waren noch am Leben, wurden aber nicht weiter gefüttert, da hierfür kein Interesse mehr vorhanden war. Die letzten Raupen hatten alle bereits die vierte Häu- tung durchgemacht. Am 6. Septbr. — also vier Wochen nach Beginn des Versuches, waren noch Häutung wurde das Laub nicht mehr zerschnitten, sondern ganz dargereicht und zwar abwechselnd einmal M-Laub, einmal S Laub. Das Futter wurde ziemlich gleichmäßig genommen. Nach der vierten Häutung wurde merkwürdigerweise das S-Laub völlig verschmäht und nur noch das M-Laub verzehrt. Die Beimischung des SLaubes ist nicht ohne Ein- fluß auf die Entwicklung der Raupen geblieben. Zunächst fand eine bemerkenswerte Verzögerung in der Herstellung der Kokons statt. Am 13. Sept. (38. Tag) waren erst 41,00/0 Kokons fertig gestellt, am 17. Sept. (42. Tag) war das Maximum mit 90,0 "/o erreicht. Der Rest von 10,0 o/^ Raupen war teilweise eingegangen, teilweise offensichtlich erkrankt, so daß ein Einspinnen nicht zu er- warten war. Serie IV. Es wurde schon erwähnt, daß diese Versuchsreihe insofern fehlschlug, als die Raupen das für die fünfte Lebensperiode bestimmte S-Futter trotz längeren Hungerns rundweg verweigerten und mit MFutter weiter gefüttert werden mußten. 384 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 27 Infolgedessen verzögerte sich die Fertigstellung der Kokons etwas und zwar so, daß am 13. Sept. (38. Tag) erst 76,7% Kokons fertig waren. Am 17. Sept. (42. Tag) hatten auch die übrigen Raupen sich versponnen. Ein Verlust von Raupen war nicht zu beklagen. Von den geernteten Kokons wurden je 100 jeder Serie gewogen und ergaben folgendes Gewicht : Serie I 149 g n 118 g „ m 157 g „ IV ergab annähernd dasselbe Gewicht wie Serie I. Die KoKons der Serie II sind durchschnittlich größer, viel satter gefärbt (auffallend dunkelgelb), fast durchweg aber dünner; daher das geringere Gewicht. Die Kokons der Serie III nehmen in bezug auf Größe eine IVIittelstellung ein, sind aber wesentlich fester, daher auch das hohe Gewicht. Ich habe von den Kokons der verschiedenen Abb. 3. Querschnitt durch die Wand eines Kokons von MS-Fütterung. Fütterung Querschnitte durch die Wand angefertigt; dieselben sind in Abbildung I — 3 wiedergegeben. Auch die ausschlüpfenden Schmetterlinge der Serie II zeigten fast durchweg eine merklich dunk- lere Färbung in beiden Geschlechtern. Die Kopu- lation ging nicht so gut von statten wie bei den übrigen Serien; sie erfolgte oft nur zögernd, die Erregung ging häufig vorüber, ohne daß es zum Verhäng kam. Letzterer war in vielen Fällen nur lose, so daß leicht eine Trennung eintrat. Auch die Eiablage erfolgte oft nur zögernd. Die durch die verschiedenen Kreuzungen er- zielten Eier ergaben nachstehendes Resultat: I. S $ X S (J = 24 Gelege ä 395 Eier pro g = 1513 Eier. IL M $ X S (J — 26 Gelege 3517 Eier pro g = 1452 Eier. III. S $ X M (J = 8 Gelege k 427 Eier pro g = 1454 Eier. IV. SM ? X SM ^ = 23 Gelege k 685 Eier pro g= 1456 Eier. V. M ? X M (J= 186 Gelege k 651 Eier pro g = 1382 Eier. Eine vergleichende Prüfung eines vierfachen Kokonfadens von 25 cm Länge ergab in bezug auf Dehnbarkeit und Festigkeit folgendes: M-Faden S-Faden MS-Faden Höchste Belastung: 40 g 26 g 38 g Größte Ausdehnung: 24 "/p iS'Vo 20% Vergleichen wir die Ergebnisse der einzelnen Serien miteinander, so ergibt sich für die S Fütte- rung folgendes: Zweifellos hat die reine S-Fütterung die Ent- wicklung der Seidenraupe in jeder Beziehung un- günstig beeinflußt. Nicht nur, daß 40% der Raupen infolge des Futters eingegangen sind, sondern auch die Dauer der Entwicklung hat eine Steigerung erfahren, an welcher niclit ohne Be- denken vorübergegangen werden kann. Während bei derM-Fütterung die letzten Kokons am 42. Tage fertig sind, ist dies bei der S-Fütterung erst am 59. Tage der Fall, so daß eine rund drei Wochen umfassende Verzögerung eingetreten ist, d. h. die Raupenzeit ist um 50 "j^ verlängert worden. Das Gewicht von 118 g für 100 S-Kokons steht wesent- lich hinter dem von 149 g für loo M-Kokons zu- rück und auch, die Güte des S-Fadens ist wesent- lich geringer, wie die Elastizitäts- und Bruch- festigkeitsprüfung ergeben hat. Auch die Ver- schlechterung der biologischen Fähigkeiten, die bei der Kopulation und der Eiablage zutage tritt, ist ebenfalls bemerkenswert und von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Vergleichen wir aber das vorstehende Ergebnis mit den Resultaten anderer Versuchsansteller, so läßt sich wiederum eine gewisse Überlegenheit des ersteren nicht verkennen. Fast alle früheren Versuche haben nur geringe, zum Teil sogar nur klägliche Erfolge gehabt oder sind sogar ganz fehlgeschlagen. Es -muß dabei noch besonders hervorgehoben werden, daß die Fütterung bei meinen Versuchen durchaus nicht unter Einhaltung der von Prof. Dr. Damm er vorgeschriebenen Be- dingungen (genaue Einhaltung bestimmter Tempera- turen, Bedecken der Futterpflanzen bei Regen usw.) vorgenommen worden ist, einmal aus dem Grunde nicht, weil eine solche subtile Zucht nicht dem vor- gesehenen Zwecke entsprechen würde, und zum anderen, weil die Innehaltung der verlangten Tem- peraturen meines Erachtens ganz unmöglich ist. Entweder läßt sich die S-Fütterung annähernd ebenso einfach gestalten wie die bisherige M-Fütte- rung oder aber sie ist für den gedachten Zweck als unbrauchbar ad acta zu legen. Die mehr oder weniger große Bereitwilligkeit, mit welcher das S-Futter angenommen wurde, hat offenbar seinen Grund in einer entsprechenden individuellen Veranlagung, und diese Talsaclie läßt die Möglichkeit der vollkommenen Gewöhnung an das betreffende Futter bei zweckmäßiger Zucht, doch wohl nicht ganz aussichtslos erscheinen. N. F. XVII. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 385 Auch die Verbesserung der (Juantität und Qua- lität der Seide mag daher vorläufig als eine Frage der Zeit erscheinen. Die bisher durch die Zucht erreichten Erfolge, wie sie von verschiedenen Forschern bekannt gegeben worden sind, wider- sprechen sich allerdings zum Teil. Während nämlich nach Harz die Zahl der das Futter an- nehmenden Raupen von Generation zu Generation wachsen soll, kam Prof IVIaaß zu dem ResuUat, daß fortgesetzte S-Fütterung die biologischen Fähig- keiten der Raupen beziehungsweise der Schmetter- linge dauernd nachteilig beeinflußt. Aus diesen Versuchen geht aber mit großer Deutlichkeit hervor, daß die Nachkommen von Kreuzungen der S- und M-Fütterung zweifellos eine auffällige Gewöhnung an das neue Futter bekunden und es ist daher zu hoffen, daß hier ein Weg gefunden worden ist, um zu einer passenden Raupenrasse zu gelangen. Notwendig ist nach meinem Dafür- halten eine stete Rückkreuzung mit M-Raupen sowie jedenfalls ein möglichst langsames Fort- schreiten in der Gewöhnung. Auch von mir sind bereits entsprechende Kreuzungen vorgenommen worden, mit welchem Erfolg dies geschehen ist, wird aber erst das laufende Jahr erweisen. Worin die Ursache zu den vollständigen Miß- erfolgen begründet ist, die verschiedenen Versuchs- anstellern beschieden waren, läßt sich schwer beurteilen, zumal ich meine eigenen Versuche mit fast völliger Unkenntnis der Seidenraupenzucht begonnen habe. Nun, das Problem der S- Raupe ist noch nicht gelöst. Es wird voraussichtlich noch jahrelanger Arbeit bedürfen, bis man zu einem abschließenden Urteil gelangen wird. Eins möchte ich aber be- sonders unterstreichen: Weder heute noch in nächster Zeit darf die S-Fütterung in die Praxis des Seidenraupenbetriebes eingeführt werden, wenn man schwere Mißerfolge vermeiden will. Sie wird noch für lange Zeit eine Arbeit der wissenschaftlichen Forschung bleiben. Für die Praxis ist vorläufig einzig und allein die M Fütterung am Platze, und erst, wenn es gelingen sollte, eine Rasse zu züchten, die ohne besondere Schwierigkeit mit S-Laub ge- füttert werden kann, die in der gleichen Zeit wie die IVI-Raupe qualitativ und quantitativ gleiche Erfolge liefert, wird der Zeitpunkt für die Kon- kurrenzfähigkeit der S-Raupe mit der M Raupe ge- kommen sein. Einzelberichte. Paläobotanik. In seiner Literaturzusammen- stellung über die Jahresringe der Holzgewächse wie an anderer Stelle behandelt E. Antevs u. a. auch das Fehlen resp. Vorkommen der Jahresringe in paläo- und mesozoischen Hölzern und das khmatische Zeugnis fieser Erschei- nungen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bemerkte man, daß paläozoische Hölzer aus unseren und nördlicheren Gegenden im Gegensatz zu solchen jüngerer Schichten (vom Jura ab) keine Jahresringe besaßen. Schon Unger schloß hieraus auf ein gleichmäßiges (tropisches) Klima in jenen älteren Perioden, das erst vom Ende der Trias ab eine allmählich schärfer werdende Periodisierung erkennen ließ. Lange unbeachtet, sind seine Anschauungen in neuster Zeit von Gothan weiter ausgebaut worden, dessen Ansichten von der hohen Bedeutung der Jahresringbildung für pfiläoklimatische I'ragen den Lesern dieser Zeitschrift wohl bekannt sind (vgl. Gothan in Naturw. Wochenschr. N. F. III; 913, N. F. VII; 218, N. F. X; Nr. 28). Sie beruht nach Antevs im wesentlichen auf folgenden An- nahmen: I. Lebende Holzgewächse haben keine (oder nur schwach entwickelte) Jahresringe in den Tropen, deutliche dagegen in Gebieten mit peri- odischem Klima; 2. die fossilen Holzpflanzen mit normalem sekundären Dickenwachstum bildeten Jahresringe in einem periodischen, aber nicht in einem vollkommen gleichmäßigen Klima; 3. die Schärfe der Jahresringe steigt mit derjenigen der Periodizität; verschiedene Arten setzen unter gleichen klimatischen Verhältnissen ungefähr gleich deutliche Ringe ab. Die Durchsicht der neueren Literatur bestimmt indessen Antevs, alle diese Voraussetzungen als nicht den Tatsachen ent- sprechend hinzustellen. So hat sich besonders herausgestellt, daß zahlreiche Tropenbäume deut- liche Jahresringe aufweisen, während diese auch in unseren Breiten mitunter sehr schwach aus- geprägt sind. Auch die Befunde an manchen Fossilen passen nicht zu Gothans Annahmen. Antevs leugnet zwar nicht, daß den paläozoischen Hölz;rn in der Regel Jahresringe fehlen und solche in scharfer Bildung erst im Jura auftreten, will dies aber durch „spezifische Verschiedenheiten" der Pflanzen erklären. So kommt er im Gegensatz zu Gothan zu dem Ergebnis, daß die Bedeutung der Jahresringe für die Beurteilung des Klimas vergangener geologischer Zeiten von sehr unter- geordneter Art ist. R. K. Ernst Antevs, Das Fehlen resp. Vorkommen der Jahresringe in paläo- und mesozoischen Hölzern. Geol. Foren. Stockholm Förhandl. Stockholm 1916. Ders., Die Jahresringe der Holzgewächse und die Be- deutung derselben als klimatischer Indikator. Progr. rei bot. V. 285-386. Jena 1917. Zur fossilen Flora Ungarns. Zu den wenigen Gebieten^ deren fossile Flora in einwand- freier Weise beschrieben worden ist, gehört Ungarn. Nachdem schon Fax die Flora des Zsiltales einer Kritik unterzogen hatte, bei der 386 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 27 die 92 Arten Sturs auf 31 zusammenschmolzen, war es besonders Tuzson, der hier genannt wer- den muß. Als besonders interessant sei auf Juranya hcmißabcUafa hingewiesen (Beiträge zur fossilen Flora Ungarns. Mitt. Jahrb. Kgl. Ung. Geol. Anst. 21). Es ist dies eine aus Kreide- schichten stammende Palme, deren gut erhaltene Blattreste bis 1,5 m lang sind und im Verein mit den zahlreich vorhandenen Fruchtständen und Beeren eine genaue Bestimmung ermöglichen. Die Pflanze steht dem Tribus der Sabalcae in der Unterfamilie der Coryplioidcac am nächsten, stimmt aber mit keiner rezenten Gattung völlig überein, was bei dem Alter nicht verwunderlich ist. Auch noch im Tertiär waren Palmen in Ungarn häufig. So beschrieb neuerdings Lingelsheim neben einigen anderen Resten mehrere miocäne Palmen- hölzer (Ein Beitrag zur fossilen Flora Ungarns. Jahresber. Kgl. Ung. Geol. Reichsanst. f 191 5- Ofenpest 1917), der(;n wohlerhaltene und eingehend untersuchte Struktur keinen Zweifel an der Stellung der Fossile zuläßt. Leider war es dem Verfasser infolge der Kriegsverhähnisse nicht möglich, den Druck selbst zu korrigieren, so daß einige störende Druckfehler (Stenzel und Sterzel!) die Folge sind. Auch unter den Pflanzen, die Jablonsky von Tarnocz beschrieben hat, steht eine Palme, Calaiiiiis Noszkyi, an erster Stelle (Die mediterrane Flora von Tarnocz. Mitt. Jahrb. Kgl. Ung. Geol. Reichs- anst. 22). Blätter und Fruchtreste weisen auf die Gruppe der Lcpidocaryiiicac, an derem Auftreten in Europa Drude') 1889 noch zweifelte, und stellen das Fossil in die Xähe einiger ostindischer Calaiiiiis- ^ritn, die sich hier in den tropischen Regenwäldern mit Hilfe der dünnen Stengel und Blättchen in die Höhe winden. Das Auftreten einer Calainiis-h.r\. noch im unteren Miocän Europas ist gewiß ein unerwartetes Ergebnis, verdient aber um so größere Beachtung, als der Verfasser einer der wenigen Paläobotaniker ist, die bei ihren Be- stimmungen in dem Sinne kritisch vorgehen, wie es an anderer Stelle verlangt worden ist. '^) Die dort entwickelten Grundsätze decken sich völlig mit der von Jablonsky angewandten IVIethode. Die dem Grenzgebiet der unteren und oberen Mediterranstufe des Tertiärs angehörende, nach allgemeiner Annahme also untermiocäne Flora von Tarnocz zeigt ferner Beziehungen zu den Floren des atlantischen Nordamerikas, Ostasiens und des Mittelmeergebiets; eine Art weist auch auf das pazi- fische Nordamerika. Am häufigsten sind hygrophile Formen, von denen Ciiiiiaiiioviinn u. a. ein nieder- schlagsreiches Küstenklima mit subtropischem Charakter vermuten lassen; nur wenige paläotro- pische Elemente treten auf [Calaiiiiis, Ficiis und Magiiolia-Yormcn). Boreale Formen, wie sie etwa in Schosnitz und Senftenberg so überaus häufig ■) Engler-Prantl, Nat. Pflanzenfam. H 3. 92. (1889). =) Krau sei, R., Welche Ergebnisse liefert die Unter- suchung tertiärer Pflanzenreste? Naturw. Wochcnschr. N. F. 17. Nr. 15 (1918). sind, fehlen gänzlich und werden durch thermophile Sippen der Myricaccae, Ju^laiidaccac, Ficiis, MagiioUa, Laiiraccar, Sapotaccae ersetzt. Das weist auf einen bedeutenden Unterschied des Klimas, der nur durch die Annahme eines beträchtlichen Altersunterschiedes der Schichten erklärt werden kann, da die geographische Breite dazu keineswegs ausreicht. Jablonsky kommt zu dem Ergebnis, daß hier an der versumpften Küste des Mediterran- meeres unter einem typischen subtropischen, nieder- schlagsreichen Küstenklima auf dem feuchten Boden swampartige Wälder grünten, die Ausyti^laiidacecii, vermischt mit Piinis und Acer bestanden, zu denen als Unterholz Laurus, Ciunainonntin, Rliatmms u. a. traten. In ihnen schlang sich Calamus in die Höhe, gediehen auch Farne. Ist dieses Bild auch, wie Jablonsky selbst betont, noch recht dürftig, so lehrt es jedenfalls, daß die Vegetation der heutigen ostasiatischen Küstenvegetation oder jener der Swamps am Golfe von Mexiko ähnlich gewesen sein muß. R. K. Botanik. Polsterförmiger Wuchs ist eine in den verschiedensten Pflanzenfamilien anzutreffende Vegetationsform, deren äußere Übereinstimmung eine durch Anpassung an die gleichen Lebens- bedingungen bedingte Konvergenzerscheinung dar- stellt. H a u r i hat bereits früher nachgewiesen, daß es sich hier um eine Konvergenz zu xero- phytischem Bau handelt. In seinen anatomischen Untersuchungen an Polsterpflanzen (Beih. bot. Centralbl. XXXIII. i 1917) wird diese Ansicht be- stätigt. Wir können danach Pflanzen mit Polster- wuchs als Xerophyten im weiteren Sinne ansehen, die zwar zum Teil an physikalisch nassen Stand- orten wachsen, dann aber aus anderen Gründen an Trockenheit und Wassersparsamkeit angepaßt sind. Dies zeigt sich namentlich im Bau der Blätter, die fast ausnahmslos (Hauri untersuchte 98 Arten der verschiedensten Familien) verdickte Epidermen besitzen, deren Zellen in vielen Fällen gegenseitig verzahnt, mehrschichtig angeordnet oder stark verholzt sind. Auch starke Korkbildung und Wasserspeicherung tritt bei einigen auf. Es ist nun interessant, daß sich neben dieser auf xerophytischen Bau gerichteten Konvergenz auch eine zweite deutlich erkennen läßt, die auf die Ausbildung eines besonderen mechanischen ßau- typus hinzielt. P'ast allgemein ist das mechanische System im Stengel äußerst schwach entwickelt, der dann aber von dichtgedrängten mit starken peripheren Verstärkungen versehenen Blättern um- geben wird. Dazu treten in diesen beiden meisten beobachteten Arten noch zentrale Baststränge, die im Stengel mit ganz wenigen Ausnahmen fehlen. Die den Polstern eigene F"estigkeit wird also vor- wiegend durch die Blätter bedingt. Dagegen bilden in allen Fällen die Stengel sehr früh eine Kork- schicht aus, häufig von auffallender Mächtigkeit. Sie dient in zahlreichen Fällen wohl als Schutz- einrichtung gegen Wasserverlust, eine Erklärung, N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschriit. 387 die indessen für Arten feuchter Standorte nicht zutreften kann. Da hier die Polster häufig schwammartig sind, meint Hauri, daß der Kork vielleicht die Stengelteile vor übermäßiger Nässe und Fäulnis isolieren soll. Auch der Schutz der schwachen Stengel gegen Schädigung durch das oft frierende Wasser, oder durch eindringenden Flugsand, Schutt, Eisnadeln können in Frage kommen. Es steht somit fest, daß der Ausbildung der gleichen Wuchsform eine weitgehende Kon- vergenz im inneren Bau entspricht. Kr. A. Pascher gibt im Archiv für Protistenkunde 37, 191 7 weitere Mitteilungen über die rhizopodiale Entwicklung der Flagellaten. Unter dem Namen Chrysarachnion msidians beschreibt er eine Chry- poden völlig gleichen. Dabei handelte es sich um Einzelindividuen; Myxoclirysis paradoxaab&r, die er hier zum ersten Male beschreibt, stellt ein typisches Fusionsplasma dar. Völlig entwickelt bildet dieser Organismus ein vielkerniges Plas- modium mit derber brauner Hülle, das unter gewissen Umständen in Plasmodiokarpien, hart- schalige Ruhezustände, übergeht. Ihr Plasma zer- fällt schließlieh in dickwandige Dauerzellen, die durch Zerbrechen der Hülle frei werden und sich in eingeißliche Schwärmer bald mit, bald ohne Chromatophor umwandeln. Sie verlieren die Geißel bald und werden zu kleinen animalisch lebenden Amöben. Mitunter unterbleibt die Schwärmerbildung: dann tritt der Inhalt der Dauerzellen direkt in Form kleiner Amöben heraus. Abb. 1. Maschenwerk von Chrysarachnion (Nach A. Pascher). somonade, die ein typisches Filarplasmodium bildet. Die kleinen sehr veränderlichen Amöben, die in der Äquatorialebene Rhizopodien aussenden und fast immer einen blaß gelbbraunen Chromatophor besitzen, treten bis 200 an der Zahl zu einem weitmaschigen Netz zusammen (Abb. i). Sie scheinen lebhaft zu assimilieren, vorherrschend ist aber animalische Ernährung mit Hilfe der Rhizo- podien. Darüber hinaus wirkt aber das Maschen- werk als Fangapparat für größere Organismen, die sich durch aktive oder passive Bewegung darin verfangen. Es ist ein Spinnennetz, das aber auch die Verdauung bewerkstelligt. Schon früher hatte Pascher erwiesen, daß manche gefärbten h'lagellaten Beziehungen zu rhizo- podialen Organisationen haben, die echten Rhizo- Auch andere Abkürzungen des vollständigen Ent- wicklungszyklus können eintreten (siehe Abb. 2). Dieser merkwürdige, unzweifelhaft zu den Chryso- monaden gehörende und gerade den höheren Typen dieser Flagellatenreihen nahestehende Protist ist von großer Bedeutung für die Auf- fassung der Rhizopoden als abgeleiteter Organismen. Die Ausbildung von Schwärmern, ferner von Plas- modien und Dauerzellen und schließlich das Auf- treten bzw. F"ehlen typischer Chromatophoren sind phylogenetisch höchst wichtige Züge. Es ist damit bewiesen, daß es rhizopodiale Formen gibt, die mit bestimmten gefärbten Flagellaten noch in direktem Zusammenhang stehen. Die Plasmodien von J\/y.voi//rysis erinnern stark an die Vegetationsformen der' sehr hoch entwickelten 388 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 27 Myxogasteres. Dies beweist erneut die Richtigkeit der Annahme, daß die rhizopodiale Ausbildung auch in ihrer höheren Form von den gefärbten Flagellaten erreicht wird und wir daher berechtigt sind, die Rhizopoden von der einfachsten Amöbe bis zum höchst differenzierten Typus nicht als primitive, sondern als abgeleitete Formen auf- zufassen. Namentlich für bestimmte Protisten- Menschen sowohl wie höhere Tiere zwar eine An- zahl Aspergillus-^ Rhtzopus- und Pe?2icüliumsLr\.en (Schimmelpilze); stets waren es aber andere For- men als sie fast imrfier auf pflanzlichen Resten auftraten. Auch in den Verdauungsorganen selbst sind sie häufiger als gewöhnlich angenommen wird. Stets sind es Formen, deren optimale Tempe- ratur der Körperwärme entspricht. Alle andern S->^^j,o Abb. 2. Entwicklungsfolge von Myxochrysis. I. Entwicklungsfolge über Sporen und Schwärmer. II. Enlwicklungsfdlge ohne Sporen. III. Entwicklungsfolge ohne Sporen und ohne Schwärmer. IV. Vermehrung der Plasmodien durch Fragmentation. (Nach K. Pascher.) gruppen wie Myxophyten und Sporozoen drängen sich aus dem Entwicklungsgang von 2Jyxoch)ysts ganz spezielle Folgerungen auf. Kr. Über das Auftreten gewisser Pilze im Verdauungskanal des Menschen berichtet Turesson- (G ö t e Turesson, The presence and significance of moulds in the alimentary canal of Man and higher animals. Svensk. Bot. Tidskr. X. i — 27). Die Untersuchung coprophiler Pilze ergab für den werden durch die kombinierte Tätigkeit der höheren Temperatur und der verschiedenen Verdauungs- fermente getötet. Da es bekannt ist, daß manche Schimmelpilze gelegentlich zur parasitären Lebens- weise übergehen können und dann das Gewebe des Wirtes unter schweren Schädigungen durch- wuchern, untersuchte Turesson das Verhalten der auf dem Kot gefundenen Pilze auch in dieser Hinsicht. Intravenöse Impfung von Kaninchen (beonders mit Aspergillus ferreiis, A. uinbriuiis, Pemcilliim divaricatum) rief keineriei Krankheits- N. F. XVn. Nr. 27 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 389 erscheinungen hervor. Wurden die Pilze dagegen wie auch andere vom Kot erhaltene Arten in größerer Menge verfüttert, so wirkten sie tödlich ; die Versuchstiere starben unter typischen Ver- giftungserscheinungen. Turesson glaubt damit den Beweis erbracht zu haben, daß die im Darm und auf Kot lebenden Schimmelpilze (Mycel und Sporen), wenn auch in verschiedenem Grade, giftig wirken, und man daher annehmen kann, daß auch der Mensch Schaden erleiden muß, wenn aus irgend- einem Grunde die in den Verdauungsorganen wohl stets vorhandenen Pilze in größerer Anhäufung auftreten. Kr. Zoologie. Das Massenauftreten des Reb- stechers in der Rheinpfalz im Frühjahr 191 7. Das Jahr IQ16 war der Übervermehrung des Reb- stechers {Byiiscus betulae L.) in verschiedenen Gegenden des pfälzischen Weinbaugebietes sehr günstig gewesen. Da aber der im Herbst er- scheinende Käfer nicht beachtet wurde, konnte eine große Zahl der Käfer zur Überwinterung ge- langen und als im Jahr 191 7 nach langen Winter- monaten mit einem Schlage der Frühling einsetzte, da war auch innerhalb einiger Tage in einem weiten Gebiet der bayerischen Rheinpfalz eine Rebstecherkalamität vorhanden. Über dieses Massenauftreten des Schädlings berichtet Dr. F. Stell waag in der „Zeitschr. f. angew. Entomo- logie" (Bd. IV Heft 2 S. 274—277). Das Haupt- verbreitungsgebiet umfaßte die Gegend südlich von Neustadt, Hambach bis über Klingenmünster hinaus, während das Unterland ziemlich verschont blieb. Die Dichte des Befalls ist einigermaßen verschieden, sie richtete sich nicht unwesentlich nach der Rebsorte : „Riesling wird bevorzugt, auch der Österreicher wird gern angenommen, weniger der Traminer, am wenigsten der Gutedel." Mög- licherweise wählen die Käfer auch Böden mit bestimmter physikalischer Beschaffenheit oder be- stimmten Temperaturverhältnissen aus. In den befallenen Weinbergen machte man sich gleich daran, die Käfer abzusammeln und im Bezirk Klingenmünster wurden von Schulkindern inner- halb weniger Tage über 57000 Eebstecher ge- sammelt. Diese Methode der I3ekämpfung bewährte sich besonders bei Beginn des Massenauftretens der Schädlinge, solange die Käfer etwa bis Mitte Mai noch frei auf den Rebblättern saßen. Aber auch später, wenn die Käfer bereits ihre charak- teristischen Wickel gebildet hatten, die durch ihre braunrote Färbung gut von dem Grün der Blätter abstachen, konnte man sie noch durch das Ab- sammeln dieser Wickel in großen Mengen vertilgen. Die Zahl der Blattrollen war nach den Beobach- tungen St eil waag 's eine sehr große, ein kleiner Rieslingstock, von etwa i m Höhe hatte 7 Wickel und 17 freie Blätter. Daraus geht hervor, wie hoch der Schaden der Käfers sich beläuft. Durch die Ausschaltungen zahlreicher grüner Sproßteile durch die Wickelbildung wird die ganze physio- logische Tätigkeit des befallenen Rebstockes stark gehemmt. Außer dem Weinstock wurden auch noch andere Pflanzen, wie Weide, Pappel, Birke, Apfel-, Kirsch- und vor allem Birnbaum befallen. Die Bekämpfung des Rebstechers durch Absammeln der Käfer und Blattrollen bewährte sich sehr. Der Erfolg war zwar kein durchschlagender, aber die abgesammelte Käfermenge fiel doch schon ins Gewicht. Radikale Erfolge wird diese Bekämpfungs- methode, schließt Dr. St eil waag, nur dann auf- weisen können, wenn sie obligatorisch durchgeführt und überdies in den heimgesuchten Orten von der Winzerbevölkerung gemeinsam unternommen wird. H. W. Frickhinger. Können die Fische hören ? ') Das innere Ohr des Menschen erfüllt einen doppelten Zweck: es dient zum Hören (die Schnecke) und als statisches Organ (die drei Bogengänge). Da nun den Fischen die Schnecke fehlt, nahm man, auf die Funktion des menschlichen Ohres zurückschließend, an, daß den Fischen die Fähigkeit zu hören abginge. Gegen diese Auffassung wandte sich schon Joh. Müller in seinem „Handb. der Physiol. des Menschen". Nach ihm ist das Wesentlichste beim Hören nicht der Aufnahmeapparat, sondern der Hörnerv. Dieser kann sich dicht unter der Körper- oberfläche ausbreiten, wo ihm durch die feste Hülle des Körpers, wie z. B. den Chitinpanzer der Insekten oder die Knochenplatten am Kopfe der Fische, die Schallwellen unmittelbar zuge- führt werden können. Der gleichen Ansicht ist Pütt er(„Vergl. Physiologie", Jena 191 1). Drei Or- gane kommen nach ihm für das Hören der Fische in Betracht: das innere Ohr, die sensiblen Nervenendigungen auf der Haut und die Sinnes- organe der Seitenlinie. Andere Forscher hatten das innere Ohr entfernt, ohne eine Wirkung auf das Hören feststellen zu können; doch ist später nachgewiesen worden, daß bei diesen Versuchen ein Teil des Ohres erhalten geblieben ist. Pütt er durchschnitt deshalb den zum inneren Ohre ge- hörenden Nervus octavus. Die Fische reagierten darauf nicht mehr auf Schallwellen. Eine be- sondere Schwierigkeit der Untersuchungen besteht darin, daß wir auf das Hören nur durch die Be- wegung schließen können, die durch den Schall- reiz ausgelöst wird. Unterbleibt diese Reaktion, so dürfen wir daraus nun nicht gleich folgern, daß der Schall nicht vernommen worden ist. Für das Hören der Fische sprechen auch die Lautäußerungen, die bisher bei 33 Gattungen fest- gestellt sind. Neuere Versuche, das Hören der Fische fest- zustellen, haben zu ganz entgegengesetzten Er- gebnissen geführt. Mai er (Allgem. Fisch.-Ztg. 1909) gebrauchte zu Beobachtungen Guramis, unter denen sich auch ein sehr scheuer Zwergwels be- ') Dr. Anton Krausse, Eberswalde „Kritische Be- merkungen und neue Versuche über das Hörvermögen der Kischc" (Zeitschr. f. allg. Physiol. Bd. 17, Heft 3/4.) 39° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 27 fand. Als er einst zuföllig vor sich hin pfiff, be- merkte er ein blitzschnelles Verschwinden des letz- teren. Dadurch aufmerksam gemacht, wiederholte er das Pfeifen mit demselben Erfolge. Diese Re- aktion des Welses beobachtete er innerhalb zweier Stunden 15 mal, während an den Guramis keine Wirkung zu bemerken war. Hämpel rief unter Wasser Schallwellen hervor durch Glocken, die in Metallröhren aufgehängt waren und durch einen elektrischen Kontakt zum Tönen gebracht wurden. Es zeigte sich eine deutliche Reaktion. Wurde dagegen der Klöppel mit Leder umwickelt, so daß dem Wasser wohl Erschütterungen, aber keine Schallwellen mitgeteilt wurden, so blieb die Re- aktion aus. Auch diese Versuche wurden am Zwergwels angestellt. Wurde ihm das innere Ohr zerstört, so war keine Wirkung zu bemerken. Prof. Körner- Rostock hat die Versuche Maier's nachgeprüft. Er beobachtete fünf junge, etwa 5 cm lange Zwergwelse, konnte aber keine Wirkung des Schalles feststellen, selbst nicht beim Pfeifen mit einer schrillen Radfahrerpfeife. Denselben negativen Erfolg hatten Versuche mit 5 später bezogenen Tieren derselben Art. Umstellen des Aquariums in ein Warmhaus hatte keinen Erfolg, ebensowenig die Vornahme der Versuche bei be- decktem Himmel (da die Welse Nachttiere sind). Angeregt durch die Versuche von Hämpel und Mai er stellte auch Dr. Benjamins- Utrecht (Zeitschr. f. Ohrenheilk. und f. d. Krankh. d. Luft- wege Bd. 74, H. 3) Beobachtungen an. Beim Stampfen auf den Fußboden oder Klopfen an die Wand des Aquariums flüchteten die Fische in ihr Versteck. Pfeifen, Schreien, Singen und dgl. blieben ohne Wirkung. Eine elektrische Glocke wurde in einer Blechbüchse unter Wasser zum Tönen gebracht; bei keinem Fisch zeigte sich eine Re- aktion darauf, selbst nicht in nächster Nähe der Büchse. Durch diese Widersprüche, die schwer zu erklären sind, wurde Dr. Krausse- Eberswalde zu eigenen Versuchen angeregt. Sie wurden an einem etwa 7 cm langen Zwergwelse angestellt. Auf nicht zu lautes Sprechen reagierte er nicht, wenn das Gespräch in einer Entfernung von 2 --3 m geführt wurde, ebensowenig auf etwaige Be- wegungen der sprechenden Personen oder auf ge- ringe Erschütterungen des Fußbodens. Bei starkem Auftreten dagegen verschwand er sofort. Das Aquarium, 30 cm lang, stand auf einer Filzunter- lage, war also gegen geringe Erschütterungen ge- schützt. Die Töne, die bei diesen Versuchen benutzt wurden, wurden durch eine Trillerpfeife hervorgerufen, waren also schrill und laut. In den meisten Fällen kehrte der Fisch sofort um. Auf mittelstarkes Klopfen auf den Schreibtisch in etwa 2 m Entfernung sowie auf leises Pfeifen reagierte er nicht. Im allgemeinen fielen die Resultate recht verschieden aus. Am zweiten Tage z. B. (die Versuche erstreckten sich über 17 Tage) kehrte er bei starkem Pfeifen 9 mal um, 4 mal nicht. Ebenso verschwand er einmal bei starkem Klopfen auf den Schreibtisch, das zweite Mal nicht. Am 13. Tage reagierte er auf lautes Pfeifen 3 mal, 5 mal dagegen nicht. Krausse schließt daraus, „daß der Zwergwels Geräusche, Töne wahrnehmen kann, und daß er sich schließlich auch daran ge- wöhnt". Zum Schlüsse führt Krausse dann noch einen Ausspruch Skowronnek's an, wonach der Zander im See nicht mit dem Spinner gefangen werden kann, da er vor dem geringsten Geräusch, auch dem des nahenden Kahnes flieht, während er im Fluß ebenso leicht wie andere Fische an den Köder geht, da hier die Strömung jedes andere Geräusch verschlingt. Heycke. Über den Einfluß der Flügelform auf die Flug- art der Vögel berichtet G. Lilienthal in den „Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin" (191 7, Nr. 4). Die Schwung- federn stellen die Propeller des Vogels dar. Werden jedem Flügel auch nur drei Hauptschwung- federn genommen, so ist der Vogel nicht mehr imstande, sich vom Erdboden zu erheben. Be- kanntlich besteht die Fahne der Schwungfeder aus zwei Teilen, einem schmalen und einem breiteren. Der schmale Teil der einen Feder deckt den breiten der nächsten. Beim Bewegen der Flügel dreht sich die Feder um ihren Kiel. Bisher nahm man allgemein an, daß beim Heben der Flügel der breite Teil der Fahne sich senkt, wodurch zwischen den Schwungfedern Zwischen- räume entstehen, die die Luft durchlassen. Beim Niederschlagen des Flügels dagegen hebt sich die breite Seite und wird gegen die schmale der nächsten Feder gedrückt, wodurch der ganze Flügel eine geschlossene Fläche bildet. Diese Ansicht ist nun nach den Untersuchungen Lilien- thals irrig. Danach sind die Schwungfedern so- wohl beim Aufschlag als auch beim Niederschlag gespreizt, wodurch dem Körper außer dem Auf- trieb noch ein kräftiger Vortrieb erteilt: wird. Diese Spreizung der Schwungfedern fehlt manchen Vögeln, z. B. den Kolibris, den Schwalben und den Seevögeln. Sehr stark ausgebildet dagegen ist sie bei den Hühnervögeln. Die Vögel ohne Schwungfederspreizung haben lange schmale Flügel, die sich beim Fliegen um ihre Längsachse drehen, also wie eine Schwungfeder wirken. Beim Fregattvogel zeigt sich, wenn er im Segelfluge eine Kurve beschreibt, am äußeren Flügel eine Lücke zwischen den Schwungfedern und den ersten Handfedern. Hierdurch wird die Tragfläche vergrößert. Gleichzeitig wird der innere Flügel etwas eingezogen. Der Vogel ist darin unseren Flugzeugen überlegen, bei denen das Kurvenfliegen mit einer Abnahme der Geschwindig- keit und damit auch des Auftriebes verbunden ist. Eine häufig beobachtete Erscheinung bei den langflügeligen Vögeln ist der Segelflug, der Flug mit unbewegten Flügeln. Meist sieht man die Vögel dabei kreisen, doch folgen z. B. die Möven N. F. XVn. Nr. 2^ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 391 den Schiffen oft stundenlang im Segelflugc in ge- rader Bahn. Die Windgeschwindigkeit kann keine Erklärung für diese Erscheinung liefern, da die Vögel sowohl mit dem Winde, als auch gegen ihn oder quer zu ihm segeln. Gegen die An- nahme, der Segelflug entstände durch geringe Zitterbewegung der Flügel, erhob schon Darwin den Einwand, daß sich dann die P'lügel des Kondors nicht unverwischt vom Himmel abheben könnten. Aufsteigende Luftströme können nicht die Ursache sein, da segelnde Vögel bei jedem Wetter und zu jeder Tageszeit zu beobachten sind. Lilien thal findet die Erklärung des Segel- fluges in der Flügelform in Verbindung mit günstigem Winde, der die treibende Kraft liefert. Um die Richtigkeit dieser Annahme nachzuweisen, stellte er Versuche an mit schwebenden Flächen. Frei in der Luft wagerecht schwebende ebene Flächen erhalten im Winde einen Auftrieb von etwa 3—4". Es ist dies dieselbe Erscheinung wie die, daß in der Nähe des Ufers in das fließende Wasser geworfene schvv'immende Gegenständenach der Mitte getrieben werden. Da am Ufer die Geschwindigkeit der Reibung wegen geringer ist, werden die nachfolgenden Wasserteilchen nach der Mitte zu abgedrängt. Ebenso ist auch beim Winde in der Nähe der Erdoberfläche die Ge- schwindigkeit eine geringere, wodurch schwebende Gegenstände nach der Richtung der größeren Geschwindigkeit, also nach oben, getrieben werden. Wie gesagt, beträgt der Auftrieb bei ebenen Flächen 3 — 4". Wird dagegen eine gewölbte Fläche dem Winde ausgesetzt, so beträgt der Auftrieb etwa 6'/2*'- Versuche haben nun gezeigt, daß bei gewölbten Flächen mit verdicktem Vorder- rande der Auftrieb ganz bedeutend stärker ist. Von drei Flächen, die je an einem um seine wage- rechte Achse drehbaren Hebel befestigt waren und bei Windstille völlig wagerecht schwebten, erhielt die erste ebene, dem Winde ausgesetzt, einen Auftrieb von s'/a", die zweite gewölbte von 6'/.2", die dritte, gewölbt und mit verdicktem Vorder- rande, einen solchen von 16". Die Beobachtung nun zeigt, daß die Flügel der segelnden Vögel tatsächlich gewölbte Flächen mit verdicktem Vorderrande darstellen. Durch Versuche an Flügelmodellen stellte Lilien thal fest, daß bei einer Geschwindigkeit von 6 — 8 m in der Sekunde, wenn Vorder- und Hinterrand des Flügels in gleicher Höhe lagen, die Luft an der Oberfläche des Flügels der Krümmung folgte. An der Unterseite dagegen bildeten sich Wirbel und zwar so, daß die Luft am Flügel entlang von der Hinterkante nach vorn strömte, an der Vorderkante wieder nach hinten umkehrend, dabei nach seitwärts abweichend. Durch diesen Luftwirbel wird dem Hügel sowohl Auftrieb, als auch Vortrieb erteilt. Dadurch, daß der segelnde Vogel die Flügelspitzen etwas senkt, wird auch der seitwärts ausweichende Luftstrom voll ausgenutzt. Je stärker der Wind ist, desto größer muß daher auch die Kraft sein, die dem Vogel erteilt v^rird. So sieht man bei schwachem Winde den Segelflug häufig durch Flügelschläge unterbrochen, während bei Sturm der Albatros mit rasender Geschwindigkeit dahinschießt. Vögel mit großem Rumpfquerschnitt haben oft, wie z. B. der Schwan, auf der Unterseite des Flügels gekräuselte Deckfedern, um der Luftströmung Widerstand zu leisten. Die Richtigkeit dieser Lilien thal' sehen Er- klärung des Segelfluges zeigt sich in Versuchen, die in Süddeutschland mit einem nach dieser Theorie erbauten Flugzeuge angestellt sind. Es ist gelungen, hiermit Flüge bis zu 500 m Länge und 40 m Höhe auszuführen ohne eine andere treibende Kraft als die des Windes, wobei aber diese noch picht einmal voll ausgenutzt wurde, da die Tragflächen nur von vorn nach hinten, nicht in der Längsrichtung gewölbt waren. (gTc) Heycke. Erdkunde. Die Größe Perus hat seit vier Jahrzehnten bedeutend abgenommen, wie ein Bericht des Boletino der Geographischen Ge- sellschaft in Lima (XXXI, 1915, 45/46) zeigt. Auf Grund der von Raimondi stammen- den Karten des Jahres 1876 hatte die peru- anische Regierung ihr Gebiet auf i 769 804 Geviertkilometer veranschlagt. 1879 wurde an Chili Tarapaka abgegeben, in den folgenden Jahren trat Peru Landesteile an Bolivien und Brasilien ab (namentlich Stücke der Provinz Loreto), und nach den Karten, auf denen die neuen Grenzen eingetragen sind, beträgt das peruanische Hoheits- gebiet jetzt nur noch 1 383 000 Geviertkilometer. Das bedeutet, daß Peru rund ein Fünftel seiner Fläche eingebüßt hat. Hans Fanden Marius Archambault ist unlängst von der Forschungsreise nach Neukaledonien zurück- gekehrt, die er 1909 im Auftrage des franzö- sischen Unterrichtsministeriums unternommen hat. Volle sieben Jahre hat er sein Forschungs- gebiet bereist, hauptsächlich unter archäolo- gischen Gesichtspunkten. Nach dem Berichte des „Bulletin de la Societe de Geographie" (XXXI, 1916/17 Nr. 6/8) ist die Reise sehr erfolg- reich gewesen. Archambault hat eine sehr umfangreiche Ausbeute photographischer Auf- nahmen heimgebracht, die einen Überblick über den Reichtum Neukaledoniens an Steindenkmälern ermöglichen. Die eingeborenen Kanaken haben keine Überlieferung über die merkwürdigen Stein- denkmäler ihrer Inselwelt. Die Steindenkmäler haben zum Teil wohlvertraute Gestalten, zum Bei- spiel die der Dolmen, teils sind sie fremdartig, wie etwa die, die umgekehrten Schiffen gleichen. Fast alle tragen mit dem Meißel hergestellten Reliefschmuck. Die Muster dieser Schmuckreliefs sind zum Teil geometrischer Art; Kreuze und Ableitungen der Kreuzesform treten auf, Ringe, 392 Nalur wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 37 gezähnte Spiralen, konzentrische ( )vale usw. Dic Menschendarstellungen sind meistens scheinatisch ; manchmal sind nur menschliche Körperteile, etwa Hände oder Füße, dargestellt. Stirn und Auge sind überall, wo sie vorkommen, besonders sorg- faltig ausgefühlt. Die einzigen Tierbilder der Steiiidenkmälcr sind Schlangen, Eidechsen und Schildkröten. Aus der Pflanzenwelt sind Palmen und Blumen als Vorwürfe gewählt. Manche Zeichen entziehen sich einstweilen der Deutung; Ar chamb au It spricht aber die Vermutung aus, es seien alphabetartige Zeichen. H. P. Anregungen und Antworten. Auf die Frage nach Literatur über die Bestimmung von Sträuchern und Bäumen in laublosem Zustande sind folgende Antworten eingelaufen; Die Literatur über den in Frage kommenden Gegenstand ist nicht allzu reichlich. Die meisten Schriften sind älteren Datums. Die wichtigsten wären etwa folgende; 1. Zuccarini, Charakteristik der deutschen Holzge- wächse im blattlosen Zustande. München 1829 — 31; 2 Hefte mit 32 S. und 18 schönen, naturgetreuen, handkolorierten Tafeln. Der Text ist nicht viel wert. Das Werk ist im Buch- handel vergriffen und wird auch antiquarisch schwer zu be- schaffen sein. 2. Henry, A., Knospenbilder, ein Beitrag zur Kenntnis der Laubknospen und der Verzweigungsart der Pflanzen. L Dicotyledoncn m. 17 Tafeln; in Nova Acta Caesareae Leo- poldino Carolinae Germanicae naturae curiosorura. Bd. XIV. I. 1847. (Eine ausgezeichnete Arbeit; eingehende Beschreibung des inneren Knospenaufbaues einer großen Anzahl von Gehölzen mit exakten Abbildungen. Als Separatdruck wohl recht selten und schwer im antiquarischen Handel aufzutreiben.) 3. Rossmäßler, E. A., Flora im Winterkleide. Leipzig 1854; 4. Aufl. 1908; 130 S., 3 Tafeln und 62 Flg. 4. Ders., Die 4 Jahreszeiten. Gotha 1855. 5. Aufl. 1877. Mit ca. 100 Fig. Populär gehalten, aber von scharfer Natur- beobachtung zeugende Darstellungen, die u. a. auch die charak- teristischen Merkmale unserer Holzgewächse hervorheben. 5. Wilsdorf, Über die Bestimmung der deutschen Bäume und Slräucher im Winter. Herford 1874. 25 S. 6. Willkomm, M., Deutschlands Laubbölzer im Winter- kleide. 3. Aufl. 1880. Dresden. 04 S. mit 106 Fig. 7. Ders., Forstliche Flora Deutschlands und Österreichs. 2. Aufl. Leipzig 1887; 980 b. m. 82 Fig. Beides sind aus- gezeichnete Werke , die für die späteren Schriften gleichen Inhalts vorbildlich wurden. Eingehende Angaben über Er- kennungszeichen der Holzpflanzen Mitteleuropas im Winter. 8. Bösemann, Deutschlands Gehölze im Winterkleid. Hildburghausen 1884; 91 S. mit 10 Tafeln. 9. Sargen t, Chr. S., The Silva of north America; Bd. 1 — 14 mit 835 Tafeln. Boston 1890— 1902. ca. 1500 M. Wintermerkmale eingehend beschrieben ; die Abbildungen zeigen aber nur einzelne Zweigstücke in natürlicher Größe. 10. Schwarz, Frank, Forstliche Botanik. Berlin 1892; 513 S. mit 2 Tafeln, Im Buchhandel vergriffen. Dieses Werk enthält eine Tabelle für die Bestimmung der Laubhölzer im Winterzustande, welche aber nicht mehr als ein Auszug aus den beiden WiUko m ra'schen Werken (6 u. 7) ist. 11. Mouillefert, Traite des arbres et arbrisseaus. Paris 1892 — 98. 2 Bde. Unter den zahlreichen, aber technisch nicht besonders guten Abbildungen befinden sich viel Gehölz- h.ibitusbilder im Winterzustande. 12. Trealsease, Will., The sugar maples with a maples im Winter; Synopsis of all north america maples; 1894 im Min Bot. Gard. Rep. V. Recht gut brauchbar. 13. G. Herapel und K. Wilhelm, Die Bäume und Sträucher des Waldes in botanischer und forstwissenschaftlicher Beziehung. 3 Bde. Wien 1891 — 1900. Mit zahlreichen Ab- bildungen und 60 kolor. Tafeln. 69 M. Kür die Winter- beobachtungen wichtige Hinweise ; ganz vorzüglich bearbeitetes Werk. 14. Sbirasawa Homi, Die japanischen Laubhölzer im Winterzustande. 13 Teile. Tokio 1895. Ders., Bestimraungstabellen der Japan. Laubhölzer im Winterzustande. 1895. Mit 13 Tafeln. Die Angaben und Abbildungen sind zu knapp und nicht ausreichend. 15. Ders., Iconographie des Essences forestieres du Japan. Tafel I — 87. Paris 1S99. Ausgezeichnete farbige Darstellungen der forstlich wichtigsten japanischen Gehölze. 16. Schneider, CK., Dendrologische Winterstudien; Untersuchungsmerkmale der Gehölze im blattlosen Zustande. Jena 1903. 297 S. mit 224 Fig. ca. 9 M. Neuestes und bestes, mit vielem Fleiß und Geschick zusammengetragenes W'erk. Sowohl wegen seiner prägnanten und präzisen Dia- gnosen als auch charakteristischen Abbildungen recht brauch- b.ires und warm zu empfehlendes Buch, das sich in einen allgemeinen und einen speziellen (systematischen) Teil gliedert. 17. Ders., Illustriertes Handbuch der Laubholzkunde. 2 Bde. Jena 1912. 2023 S. und 1089 Fig. Wintermerkmale der Holzgewächse eingehend berücksichtigt, ca. 65 M. Ernst Droge. Außerdem wurden von verschiedenen Seiten noch folgende Werke genannt; Dr. A. B. Frank, Pflanzentabellen. Neu herausgegeben von G. Worgitzky. Leipzig, H. Schmidt und C. Günther. Dr. B. Plüß, Unsere Bäume und Sträucher. Freiburg i. Br. Herder. Neger, Die Laubhölzer. Sammlung Göschen Nr. 718. Literatur. Bugge, Dr. G., Strahlungserscheinungen, Ionen, Elek- tronen und Radioaktivität. Mit 4 Tafeln und 20 Textabbil- dungen. 4. Aufl. Leipzig, Ph. Reklam. — 50 Pf. Sammlung Göschen. Jeder Band 1,25 M. Meisenheiraer, Prof. Dr. J o h., Entwicklungsgeschichte der Tiere I u. II. Diels, Prof. Dr. L., Pflanzengeographie. Bauer, Dr. H., Chemie der Kohlenstoffverbindungen IV. Inhalt: Jaroslav Kfizenecky, Über den Einfluß des intermittierenden Hungerns auf das Wachstum. S. 377. R. Lucks, Ein weiterer Beitrag zur Frage der Schwarzwurzelfütterung bei der Seidenraupenzucht. (3 Abb.) S. 381. — Einzelberichte: E. .Vntevs, Fehlen resp. Vorkommen der Jahresringe in paläo- und mesozoischen Hölzern und das klimatische Zeugnis dieser Erscheinungen. S. 385. Jablonsky, Zur fossilen Flora Ungarns. S. 385. Hauri, Anatomische Untersuchungen an Polsterpflanzen. S. 386. A. Pascher, Die rhizopodiale Entwicklung der Flagcllaten. (2 Abb.) S. 387. Turesson, Auftreten gewisser Pilze im Verdauungskanal des Menschen. S. 388. Stellwaag, Das Massenauftreten des Reb- stechers in der Rheinpfalz im Frühjahr 1917. S. 389. A. Krauße, Können die Fische hören? S. 38g. G. Lilien- thal, Einfluß der Flügelform auf die Flugart der Vögel. S. 390. Die Größe Perus. S. 391. MariusArchambault, Forschungsreise nach Neukaledonien. S. 391. — Anregungen und Antworten: Literatur über die Bestimmung von Sträuchern und Bäumen in laublosem Zustand. S. 392. — Literatur: Liste. S. 392. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehc, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schcn Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. neue roigc zy. £>ana; der ganzen Reihe 3-). Band. Sonntag, den 14. Juli 1918. Nummer 38. [Nachdruck verboten. Neuere Forschungen über Fermente. Von Dr. Egon Eichwald, Halle. Das Hauptziel der biochemischen Forschung besteht in der Erkenntnis der innerhalb der Orga- nismen sich abspielenden Reaktionen. Nun ist aber bekannt, daß diese Reaktionen in wesentlich anderer Weise verlaufen, als wir es aus der syn- thetischen Arbeitsweise des organischen Chemikers gewohnt sind. Weder so stark wirkende Stoffe noch auch so hohe Temperaturgrade können im Organismus Verwendung finden, wie wir sie im Laboratorium benutzen. Auch vollziehen sich die Reaktionen im Organismus insofern anders, als nicht große JVlassen von Stoffen aufeinander ein- wirken, sondern häufig sehr geringe Mengen. Da- durch, daß dann die dialysablen Stoffe aus dem Reaktionsgemisch wieder entfernt werden, ist dabei .die Möglichkeit vorhanden, daß die einmal einge- leiteten Reaktionen fortschreiten, sich neue, dialy- sable Stoffe, wenn auch in minimalen Mengen bilden, und so schließlich Umsetzungen von einer Größe entstehen, wie sie unter ähnlichen Bedin- gungen beim Experiment vorläufig nicht zu reproduzieren sind. Wie aufschlußreich aber auch die Erkenntnis dieser und ähnlicher Bedingungen für das Ver- ständnis der biochemischen Reaktionen sein mag, so liegt doch der Schwerpunkt aller biochemischen Forschung zurzeit in der Lehre von den Fermenten. Und zwar kann man die hier zu behandelnden Fragen in zwei große Gruppen einordnen. Zu der ersten gehört eine möglichst umfassende Kennt- nis der in den Organismen sich vorfindenden Fermente, der Reaktionen, die sie vermitteln, und der Bedingungen, unter denen sie auftreten und wirken. Hierzu rechnen wir auch die Probleme der Spezifität der Fermente, ihre Beziehung zur Immunitätslehre, wie sie in der Lehre von den Abwehrfermenten ihren Ausdruck findet, und anderes mehr. Ebenso wichtig, und in gewissem Sinne tiefer eindringend, sind die Probleme der zweiten Gruppe. Bei diesen nämlich handelt es sich um die physikalisch-chemische Erforschung der Natur der Fermente. Richtunggebend sind hier die Arbeiten Bredig's über anorganische Fermente geworden, in denen weitgehende Analo- gien zwischen anorganischen Katalysatoren und organischen Fermenten aufgezeigt wurden. Hierzu kommen Fragen der Reaktionskinetik und vor allem die große Anzahl von Problemen, wie sie die mehr und mehr sich entwickelnde Kolloidchemie in ihrer Anwendung auf die Fermentlehre gestellt hat. Naturgemäß ist es nicht möghch, eine auch nur annähernde Übersicht der wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre auf diesem weitverzweigten Ge- biete zu geben, indessen wollen wir versuchen, wenigstens einige der zurzeit im Mittelpunkt der Diskussion stehende Fragen näher zu erörtern. Die pigmentbildenden Fermente. Was zunächst die Wirkungsweise der Fermente angeht, so ist die der hydrolysierenden Fermente hinreichend klar gestellt. Gleichgültig ob es sich um Eiweiß-, Fett- oder Kohlehydrat spaltende Fermente handelt, stets besteht die durch die Fermenttätigkeit hervorgerufene Reaktion in der Einlagerung der Elemente des Wassers. Vom energetischen Standpunkt aus sind diese hydro- lysierenden Fermentreaktionen dadurch ausge- zeichnet, daß nur ein geringer Abbau von Energie mit ihnen verknüpft ist, so daß sie also leicht wieder durch eine Synthese rückgängig gemacht werden können. Diese Tatsache macht es ver- ständlich, weshalb gerade die hydrolysierenden P'ermente eine so große Rolle im Stoffwechsel spielen. Sie erklärt, wie durch die Tätigkeit dieser F'ermente die Stoffe ohne Energieverluste von einem Ort zum anderen transportiert werden können, bald als Depotstoffe abgesetzt, bald wieder in den Zirkulationsprozeß hineingezogen und so ohne Mühe stets an den Ort, wo sie augenblicklich von nöten sind, hingebracht werden. Erheblich tiefer in die Struktur des Substrates greifen eine Reihe von anderen Fermenten ein, z. B. die Fermente der Gärung und der Atmung. Bei einer früheren Gelegenheit ') haben wir uns eingehend mit den Fermenten der alkoholischen Gärung und ihrem Zusammenhang mit den Fer- menten der Atmung befaßt, und dabei gesehen, wie man sich die Wirkungsweise der oxydierenden Fermente, der Oxydasen vorstellt. Aber nicht nur für den Atmungsvorgang sind die oxydierenden F'ermente von Interesse, sondern auch für andere, physiologisch ebenso wichtige Erscheinungen, und so kann es nicht verwundern, wenn man in unserer Zeit sich gerade mit den oxydierenden Fermenten mehr und mehr beschäftigt hat. Schon seit langem hat man sich Gedanken gemacht über den Verlauf derjenigen Reaktionen, durch welche die Dunkelfarbung, die Pigmen- tierung der Haut, der Haare, der Chorioidea des Auges hervorgerufen wird. Ihre physiologische Zweckmäßigkeit, der Schutz, den sie vor der schädigenden Wirkung der Sonnenstrahlen gewährt, hat immer von neuem dazu gereizt, in ihren >) Diese Zeilschrift 7. Januar 1917. 394 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr.' 28 Mechanismus einen Einblick zu gewinnen. Hinzu kam noch, daß zahlreiche Fälle von pathologischer Pigmentbildung bekannt sind und schon aus diesem Grunde die Frage nach der Kntstehung der Pig- mente immer von neuem wieder gestellt werden mußte, da nur auf Grund einer genauen Kenntnis der Ursachen dieser Erkrankungen an eine wirk- same Behandlung gedacht werden kann. Als solche Erkrankungen kommen vor allem die Addison- sche Krankheit in Betracht, die mit einer inten- siven Bronzefärbung der Haut verbunden ist, ferner die Bildung großer, schwarz gefärbter Geschwüre, die besonders häufig in der Leber auftreten und die vielfach mit der Ausscheidung schwarz gefärbter oder an der Luft sich schwarz färbender Harne verbunden sind, schließlich noch, als Gegensatz zu den erwähnten Erkrankungen, das mangelnde Vermögen des Organismus, schützende P'arbstoffe zu bilden, wie wir es bei albinotischen Individuen vorfinden. In allen diesen Fällen liegen Anomalien des Stoffwechsels vor, deren Erlorschung von hoher theoretischer und praktischer Bedeutung ist. Erst in neuester Zeit ist man jedoch etwas tiefer in die Erkenntnis der in P"rage stehenden Vorgänge eingedrungen. Man glaubte anfangs, daß die Figmentstoffe infolge von Umwandlungen des Blutfarbstoffes entstehen, aber die chemische Untersuchung der Pigmente, besonders solcher, die aus Geschwulsten stammen, hat dargetan, daß dieser Ursprung wenig wahrscheinlich ist. Viel eher ist es möglich, daß die Pigmente der Haare, der Haut und der krankhaften Geschwulste, so verschieden sie untereinander sein mögen, aus bestimmten Bestandteilen des Eiweiß stammen. Und zwar hat man vornehmlich an zwei Bausteine des Eiweiß gedacht: an das Tyrosin sowie an das Tryptophan und im Anschluß daran an das mit dem Tyrosin in engem Zusammenhang stehende Adrenalin. Für das Tyrosin liegen direkte Beweise nicht vor, indessen gibt es eine Stoffwechselanomalie, die Alkaptonurie, die immerhin auf die Möglich- keit, daß sich aus dem Tyrosin Pigmentstoffe bilden, hinweist. Es wird nämlich bei dieser Er- krankung im Harn Homogentisinsäure ausgeschie- den, eine Säure, die aus dem Tyrosin entsteht. (P'ormel i und 2.) OH OH l J-CH,.CO-OH — CHj— CH . NHa • COOH ^-^ Tyrosin. Homogentisinsäure. Der homogentisinsäurehaltige Harn aber färbt sich an der Luft durch Oxydation tiefschwarz, und da nun durch Stoffwechselversuche an Alkaptonuri- kern festgestellt ist, daß durch Eingabe von Tyrosin die Menge der ausgeschiedenen Homogentisinsäure entsprechend vermehrt wird, so ist dadurch un- mittelbar die Bildung eines schwarzen Farbstoffes im Harn aus dem Tyrosin nachgewiesen. Hinzu kommt, daß in zahlreichen tierischen und pflanzlichen Geweben sich ein Ferment fest- stellen läßt, das imstande ist, Tyrosin unter Bil- dung von Farbstoffen zu oxydieren. Man hat es Tyrosinase genannt. Trotz vielfachen Suchens ist es aber bisher nicht möglich gewesen, in tierischer Haut oder in den Haaren eine Tyrosinase aufzufinden, obwohl gerade hier, wo sich die Pig- mente bilden, ein derartiges F"erment vorhanden sein müßte. Auch haben die chemischen Unter- suchungen der Haut- und Haarpigmente keine Anhaltspunkte für eine Verwandtschaft mit dem Tyrosin gegeben. Dagegen liegen solche Anhalts- punkte in der Tat vor beim Tryptophan. Dieser Eiweißbaustoff ist eine heterozyklische Aminosäure von folgender Formel. Indol .— CHj— CH-COOH I NH, Tryptophan NH Sie enthält also eine Indolgruppe. Solche Indol- gruppen sind aber in den Pigmentstoffen nach- weisbar, da sie beim Schmelzen mit Atzkali Indol und Skatol entwickeln. Ferner hat Eppinger'j gezeigt, daß im Harn von Kranken, die an Melano- sarkomatose leiden, die also an verschiedenen Stellen des Körpers schwarze Geschwülste haben, eine bei der Oxydation sich schwärzende Substanz vorkommt, die den Pyrrolring des Tryptophans enthält. Wird diesen Kranken Tryptophan ver- abreicht, so nimmt die Menge dieser Substanz zu, während andere Aminosäuren wie Tyrosin und Phenylalanin keinen Einfluß haben. Es dürfte also sicher sein, daß in diesen Fällen die Farb- stoffbildung auf das Tryptophan zurückzuführen ist und zwar ist der Organismus nicht imstande, den Indolring abzubauen. Man kann sich vorstellen, daß ihm ein F"erment fehlt, das bei normalem Stoffwechselverlauf das Tryptophan oxydiert. Bei den Erkrankten jedoch bleibt der Abbau des Tryptophans infolge des Fehlens dieses Fermentes auf einer bestimmten Stufe stehen, und die da- durch im Körper verbleibenden anormalen Stoffe erzeugen in dazu disponierten Zellen die melano- tischen Wucherungen. Wenngleich nun auch durch die Arbeit Eppinger's bei bestimmten Fällen die Herkunft der schwarzen Farbstoffe aus dem Tryptophan hinreichend sichergestellt ist, so ist damit noch nicht gesagt, daß auch die normalen Pigmente aus dem Tryptophan abstammen. Versuche, die Bloch^) ausgeführt hat, sprechen vielmehr da- gegen und lassen vermuten, daß eine andere, bisher wenig beachtete Aminosäure als die Stammsubstanz ') Biochem. Zeitschr. 28. l8l. -J Vgl. Bloch, Zeitschr. f. physiol. Chem. UN. 226. N. F. XVn. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 395 der normalen Pigmente anzusehen ist : das Dioxy- phenylalanin. OH ^0H CHä-CH-NHa-CO-OH. Diese Aminosäure wurde von Guggenheim aus Vicia faba dargestellt und ist auf synthetischem Wege zugänglich. Bloch hat nun gefunden, daß diese Säure, er nennt sie der Kürze wegen „D o p a", durch ein in der Haut enthaltenes Ferment, die Dopaoxydase, zu einem Farbstoff oxydiert wird. Er verfährt dabei so, daß er überlebende Gefrier- schnitte der Haut in eine verdünnte l— 2*'/(,9 wässerige Dopalösung bringt, wobei an bestimmten Stellen Bildung eines schwarzen Farbstoffes eintritt. Die Stärke der Reaktion variiert sehr von Individuum zu Individuum; insbesondere bei albinotischen Tieren und in den weißen Partieen gefleckter Tiere tritt keine Reaktion auf. Auch wird sie, in voll- kommener Analogie zu allem, was uns über die Bildung der natürlichen Haut- und Haarpigmente bekannt ist, bedeutend erhöht durch strahlende Energie, durch Entzündungsprozesse und andere pathologische Reize. In der Dopaoxydase ist also ein Ferment der Haut gefunden, das aus einer Aminosäure Pigment- stoffe zu bilden vermag. Wir wissen nun aber, daß die meisten der in den Organismen vorkom- menden Fermente ausgesprochen spezifischer Natur sind, d. h. auf ein ganz bestimmtes Substrat ein- gestellt und nur dieses anzugreifen vermögen. Wenn also die Dopaoxydase wirklich das bei der Pigmentierung in Frage kommende Ferment sein sollte, so ist anzunehmen, daß auch sie spezifisch auf das Dioxyphenylalanin oder wenigstens auf einen eng umgrenzten Kreis ähnlich konstituierter Substanzen eingestellt ist. Besonders wird es im Anschluß an unsere obigen Betrachtungen von Interesse sein, festzustellen, wie sich Tyrosin, Tryptophan und auch Adrenalin gegenüber der Dopaoxydase verhalten. Bloch hat diese Versuche ausgeführt. Weder Tyrosin noch Tryptophan werden durch das Fer- ment in einen Farbstoff umgewandelt. Ebenso- wenig das Adrenalin, das von Neuberg und anderen als die Muttersubstanz der IVIelanine be- trachtet wurde. Selbst dem Dioxyphenylalanin ganz ähnliche Verbindungen, bei denen z. B. eine der Phenolgruppen methyliert ist oder bei denen die Seitenkette aus zwei statt aus drei Kohlenstoff- atomen besteht, werden nicht oxydiert. Von allen bisher untersuchten Stoffen wurde nur das Dioxy- phenylalanin angegriffen, so daß, selbst wenn einige andere Substanzen ebenfalls die Fähigkeit der Pigmentbildung in der Haut besitzen sollten, trotz- dem von einer deutlichen Spezifität gesprochen werden kann. Bloch ist der Ansicht, daß diese Spezifität abhängig ist von der Anwesenheit einer Seitenkette des Benzolrings von mindestens drei Kohlenstoffatomen, von denen eines eine Amino- gruppe enthält, und vor allem von der benach- barten Stellung zweier Phenolgruppen d. h. also, von der Natur des Stoffes als Brenzkatechinderivat. QTi Hiermit stehen Beobachtungen /N von Bloch und Löffler bei / ^OH Addisonkranken in Überein- ! J Stimmung. Diese Krankheit (wir \/ sahen schon, daß eins ihrer wesent- Brenzkatechin lichsten Symptome in einer Bronze- färbung der Haut besteht) zeigt nämlich enge Zusammenhänge mit Funktions- störungen der Nebenniere. Im normalen Zu- stand scheidet die Nebenniere das Adrenalin aus, welches ebenfalls ein Brenzkatechinderivat ist. OH OH CHj-OH-CHNH-CHg. Adrenalin. Infolge der Funktionsstörung aber wird dieses Produkt nicht mehr in der normalen Weise von den Nebennieren gebildet und statt dessen gelangt eine Vorstufe des Adrenalins, die chemisch noch nicht genauer definiert ist, in den Blutkreislauf. Diese Vorstufe wird dann nach Bloch 's An- schauungen durch die Dopaoxydase zu dem für die Addison'sche Krankheit charakteristischen Pigmente oxydiert. Ob es sich aber bei dieser Vorstufe wirklich um Dioxyphenylalanin handelt, bedarf noch der weiteren Untersuchung, indessen ist bereits jetzt zuzugeben, daß die chemischen Beziehungen zwischen Dioxyphenylalanin und Adrenalin sehr enge sind und daß die Umwand- lung des ersteren Stoffes in das Adrenalin inner- halb des Organismus sich zweifellos ohne Mühe vollziehen kann. Sowohl die Kohlensäureabspal- tung, wie auch die Entstehung der Alkoholgruppe OH OH OH CH2— CHNHj COOH CH-OH-CHj-NH-CHj,. Dioxyphenylalanin Adrenalin. und schließlich die Methylierung des Stickstoffs bieten dem Organismus, wie uns aus zahlreichen Fällen bekannt ist, keine Schwierigkeiten. Eine eigentümliche Stellung unter den Farben der Haut und des Haares nehmen die weißen Farben ein, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Einmal nämlich sind es bekanntlich die Alters- farben, deren Entstehung nach Metschnikoff durch eine Art von Phagocytose zu erklären ist, d. h. dadurch, daß durch Leukocyten die Pigment- stoffe aufgenommen und von ihren Ablagerungs- stellen forttransportiert werden. Weiter aber 39Ö Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 28 finden wir auch bei zahlreichen jugendlichen Individuen weiße Färbung, wobei wir zu unter- scheiden haben zwischen dem pathologischen Weiß der Albinos und dem normalen Weiß, wie es z. B. weiße Pferde besitzen. In chemischer Hinsicht haben sich bisher zwischen diesen beiden Formen von Weiß keine Differenzen feststellen lassen, da- gegen sind ausgesprochene Unterschiede in ihrem Verhalten bei der Vererbung vorhanden, indem sich nämlich das albinotische Weiß bei der Kreuzung mit farbigen Individuen als rezessives Merkmal in Mendel 'sehen Sinne verhält, das normale Weiß dagegen als dominantes, d. h. bei der Kreuzung von albinotischen Individuen mit farbigen sind alle Abkömmlinge der ersten Kreuzung gefärbt, während bei dominantem Weiß weiße Abkömmlinge entstehen. Es ist interessant, wie sich R. A. G o r t n e r *) diese Unterschiede erklärt. Er ist nämlich der Ansicht, daß bei rezessivem Weiß irgend ein Stoff, entweder ein Farbstoffbildner oder ein Ferment, das zur nor- malen Pigmentbildung erforderlich ist, fehlt. Bei der Kreuzung mit einem farbigen Individuum würde dann dieser fehlende Stoff wieder zugeführt, und es müssen ausschließlich farbige Nachkommen entstehen. Bei dominantem Weiß hingegen soll irgendeine die Pigmentbildung hemmende Substanz vorhanden sein, die dann auch bei der Nachkommenschaft imstande ist, ihre hemmende Wirkung zu entfalten. G o r t n e r hat gezeigt, daß derartige Hemmungen bei Tyrosinase ziemHch leicht zu erzielen sind. Es genügt, dem Tyrosin geringe Mengen einer Resorcinverbindung zuzu- setzen, um die Pigmentbildung durch Tyrosinase zu unterdrücken. Auch hier finden wir eine weit- gehende Spezifität der Fermentreaktion, da Zusatz von Brenzkatechinverbindungen, die sich nur durch die verschiedene Stellung der beiden Phenolgruppen von den Resorcinverbindungen unterscheiden, keine Hemmung der Tyrosinase- wirkung zur Folge hat. Die Abwehr fermente. Am ausgesprochensten tritt wohl die Spezifität der Fermente bei den Abde rhal den 'sehen Abwehrfermenten zutage. Auf diesem Gebiete, das praktisch von so großer Bedeutung geworden ist, geht das Ziel der neueren Arbeiten haupt- sächlich darauf aus, die häufig sehr geringfügigen fermentativen Umsetzungen mit größerer Exaktheit als bisher festzustellen und dadurch die Reaktion für die klinische Diagnose auf einem weiteren Ge- biete zu verwenden. Auch ist es aus praktischen Gründen von Wichtigkeit, die Abderhalden- Reaktion als Mikromethode auszubauen, da den Kranken häufig nur geringe Blutmengen entnom- men werden können. Nach beiden Richtungen hin ist die Methode in den letzten Jahren ausgebaut worden. Um einem weiteren Kreise verständlich zu sein, wollen wir ') Journal of Chcmistry. 10. 113. aber zuvor das Wesen dieser Reaktion mit einigen Worten beleuchten. Wir wissen, daß Eiweiß- körper, die durch die Ernährung dem Organismus zugeführt werden, im Magendarmkanal eine fer- mentative Aufspaltung erfahren, und zwar werden sie bis zu den Aminosäuren zersetzt. Dadurch sind sie einesteils resorbierbar geworden, da die Aminosäuren nicht mehr die kolloide Natur der Eiweißstoffe besitzen und die Darmwand durch- dringen können; andernteils wird das spezifische Gepräge des aufgenommenen Eiweißkörpers zer- stört und dem Organismus ein Verdauungsgemisch überliefert, aus dem er nach Bedarf die ver- schiedensten art- und zelleigenen Eiweißstoffe auf- bauen kann. Abderhalden hat nun diese Er- klärung der Verdauung übertragen auf jene Vor- gänge, die sich bei der direkten Aufnahme von Eiweißstoffen in die Blutbahn abspielen, also mit Umgehung des Magendarmkanals. Man spricht in diesen P'ällen von parenteraler Zufuhr. Aus der Immunitätslehre weiß man, daß der Organismus auf eine solche parenterale Zufuhr von Eiweiß- stoffen mit Gegenreaktionen antwortet, die geeignet sind, die fremden, dem Organismus schädlichen Stoffe aus dem Blutkreislauf wieder auszuschalten. Die Eiweißstoffe werden durch Antistoffe ausge- fällt. Aber auch fermentative Vorgänge können, wie Abderhalden und seine Schüler zeigten, im Blute zwecks Beseitigung der fremden Eiweißstoffe vor sich gehen, ganz in der gleichen Weise, wie bei der Verdauung des Eiweiß im Magendarmkanal. Es bilden sich im Blute bei parenteraler Zufuhr eines Eiweißstoffes Abwehr- fermente, die den Eiweißkörper aufspalten und in ein unschädliches Gemisch von Aminosäuren zerlegen. Diese Erkenntnis hat nun Abderhalden nutz- bar gemacht für die Diagnose bestimmter Er- krankungen oder sonstiger außergewöhnlicher Zustände des Organismus. Der erste Fall, an welchem die entscheidenden Forschungen gemacht wurden, betraf die Frühdiagnose der Schwanger- schaft. Im Blute der Schwangeren kreisen nämlich Eiweißstoffe, die aus der Plazenta stammen, jenem gefaßreichen Organ, durch das der kindliche Organismus mit dem mütterlichen in Verbindung steht. Obwohl das plazentare Eiweiß arteigen ist, so ist es trotzdem dem Blute als solchem fremd, und das Blut hat das Bestreben, es aus dem Kreis- lauf wieder auszuschalten. Es bildet daher Abwehr- fermente gegen Plazentaeiweiß. Um also den Zu- stand der Schwangerschaft nachzuweisen, genügt es, das Blut auf solche Abwehrfermente zu unter- suchen, eine Aufgabe, die durch dieAbderhalden- Reaktion gelöst wird. Praktisch geschieht dies so, daß man plazentares Eiweiß, das sorgfältig von Blut befreit ist, mit dem zu untersuchenden Blut- serum zusammenbringt und dann zusieht, ob sich Abbaustoffe des Eiweiß, d. h. Peptone und Amino- säuren bilden. In der Art, wie man diese Abbaustoffe nach- weist, gibt es aber verschiedene Modifikationen, N. F. XVn. Nr. Natur wissenschaftliche Wochenschrift. 397 und hier setzen die neueren Arbeiten ein. Im allgemeinen läßt man die Fermentreaktion sich in einem Dialysierschlauch vollziehen, der für das Eiweiß undurchlässig, für die durch Abbau ent- stehenden Peptone und Aminosäuren dagegen durchlässig ist. Es gehen also bei positiver Reaktion derartige Stoffe durch die Membran hindurch, so daß sie mit einem geeigneten Reagenz (man nimmt dazu Ninhydrin, das sich beim Kochen mit Peptonen und Aminosäuren blau färbt) in der Außenflüssigkeit nachweisbar sind. Das ist das Verfahren, das man in der Praxis meistens an- wendet, da es die geringste Apparatur und gleich- zeitig die geringste experimentelle Erfahrung fordert. Ein anderes Verfahren beruht darauf, daß man sich aus Plazentaeiweiß ein lösliches Pepton darstellt und auf eine solche Peptonlösung das Blutserum der Schwangeren wirken läßt. Das Gemisch ist imstande, die Ebene des polarisierten Lichtes zu drehen, und zwar bleibt der Betrag dieser Drehung konstant, falls keine Abwehrfermente vorhanden sind. Anders iedoch, wenn derartige Fermente im Blute kreisen. Dann wird das Plazentapepton zersetzt und die dadurch hervorgerufenen Ände- rungen in der Zusammensetzung des Reaktions- gemisches lassen sich auf das empfindlichste fest- stellen durch eine allmählich fortschreitende Ände- rung der optischen Drehung. Diese Methode, die für wissenschaftliche Untersuchungen der ersteren vorzuziehen ist, nennt man die optische Methode. Im Prinzip ist natürlich zum Nachweis der Ab- baufermente jede Messung einer physikalischen Konstanten des Reaktionsgemisches Blutserum + Plazentaeiweiß zu gebrauchen, vorausgesetzt daß sie hinreichend empfindlich ist, um den meistens sehr geringfügigen Abbau sicher zu erkennen. Es ist klar, daß es vor allem die optischen Eigen- schaften des Serums sind, die die verlangte Empfindlichkeit aufweisen. Außer der bereits er- wähnten optischen Drehung hat man neuerdings die Lichtbrechung dazu herangezogen. P. Hirsch hat insbesondere ein Lö we-Zeiß'sches Flüssig- ' keitsinterferometer zu diesem Zweck benutzt, in welchem Interferenzstreifen erzeugt werden, die als Nulleinstellung des Apparates funktionieren. So- bald nun aber in den Weg der interferierenden Strahlen zwei Flüssigkeiten eingeschaltet werden, die auch nur um ein Geringes in ihrem Brechungs- vermögen voneinander abweichen, werden die Interferenzstreifen gegenüber ihrer Nullage ver- schoben. Man leitet also den einen Lichtstrahl durch das unveränderte Serum, den anderen da- gegen durch ein Serum, das 24 Stunden auf Plazentaeiweiß eingewirkt hat. Ist ein Abbau ein- getreten, so ist dadurch die Konzentration des Serums an Peptonen und Aminosäuren eine andere geworden und es wird, falls man das veränderte Serum in die Bahn des zweiten Lichtstrahles ein- schaltet, eine Verschiebung der Interferenzstreifen eintreten. Da das Interferomcter, das auch zur Untersuchung von Gasen, z. B. der Luft in Berg- werken auf schlagende Wetter, benutzt wird, eines der empfindlichsten Apparate sein dürfte, so ist nach der Hirsch 'sehen Methode auch der ge- ringste Abbau des Organsubstrates durch die Abwehrfermente zu konstatieren. Pregl benutzt die Lichtbrechung als Krite- rium des Abbaus in der Weise, daß er vor und nach der Einwirkung des Serums auf das Plazenta- eiweiß den Brechungsindex mit Hilfe des Refrakto- meters von Pulfrich bestimmt. Der Vorzug dieses Verfahrens ist vor allem der, daß der Bre- chungsindex einer Flüssigkeit im Pulfrich 'sehen Apparat mit sehr geringen Mengen, selbst mit einem Tropfen schon gemessen werden kann. Es genügen infolgedessen wenige Kubikzentimeter Blut, um eine ganze Reihe von Abbauversuchen nach der Pregl' sehen Methode durchzuführen. Gerade dies ist aber bei der klinischen Verwendung der Abderhalden -Reaktion von entscheidender Bedeutung. Bei der Diagnose auf Schwangerschaft ist es freilich ausreichend, festzustellen, ob Plazenta- eiweiß abgebaut wird oder nicht. Die hierfür nötige Menge Blut läßt sich in allen Fällen dem Patienten mühelos entziehen. Dagegen müssen bei anderen Anwendungen der Reaktion größere Mengen Blutes entnommen werden und zwar aus folgendem Grunde: Bei einer großen Zahl von Krankheiten ist ähnlich wie bei der Schwanger- schaft ein fremder Eiweißkörper im Blute vor- handen, zu dessen Zersetzung das Blut Abwehr- fermente bildet. Namentlich ist dieses bei der Anwesenheit krebsartiger Geschwülste der Fall, gleichgültig, wo diese Geschwülste ihren Sitz haben. Es befinden sich in dem Blutserum derartig Er- krankter Abbaufermente gegen Eiweiß von Krebs- geschwulsten. Bei gewissen Gehirnerkrankungen sind im Blute Abwehrfermente gegen Gehirneiweiß vorhanden, offenbar deshalb, weil in anormaler Weise solches Eiweiß in die Blutbahn gerät und dadurch die Abwehrfermente hervorlockt. Ferner finden sich, ohne daß in allen Fällen bisher eine hinreichende Klärung der Zusammenhänge erfolgt wäre, Abwehrfermente gegen zahlreiche andere Organe, wie Leber und Niere. Eine besonders wichtige Rolle spielen hierbei jene Organe, dip an der sogenannten inneren Sekretion beteiligt sind, also die Nebennieren, die Hoden, die Ovarien, die Schilddrüse, Thymusdrüse und Zirbeldrüse. Diese Organe sondern bei normaler Funktion Stoffe aus, die irgendwelche, bislang noch so gut wie unbe- kannte, aber zweifellos sehr wichtige Funktionen im Stoffwechselgetriebe des Organismus ausüben. Bekannt ist besonders, daß mangelhafte Tätigkeit der Schilddrüse bestimmte typische Formen der Ver- blödung hervorruft, so daß man annehmen muß, daß diese Drüse Stoffe aussondert, die für die Arbeit des Gehirns vonnöten sind. Die Nebennieren scheiden Adrenalin aus, das einen hohen Einfluß auf die Regulation des Blutdruckes besitzt, und von den Hoden und Ovarien ist bekannt, einen wie hohen Einfluß sie auf die Ausbildung der sekundären Geschlechtscharaktere besitzen. Alle diese Drüsen aber müssen beijgewissen Erkrankungen in den 398 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 28 Kreis der Untersuchung hineinbezogen, und es muß festgestellt werden, welche von ihnen durch das Serum des Kranken abgebaut wird. Auf diese Weise lassen sich dann wichtige, häufig sogar ent- scheidende Anhaltspunkte für die Diagnose der betreffenden Krankheit auffinden, da nur die anor- mal funktionierenden Organe Eiweiß an das Blut abgeben und die ihnen entsprechenden Abwehr- fermente erzeugen. In solchen Fällen ist es also nicht damit getan, irgendein bestimmtes Substrat mit dem Serum zu prüfen, sondern es müssen häufig fünf bis sechs verschiedene Substrate mit dem zu untersuchenden Serum angesetzt werden, um feststellen zu können, welches von ihnen ab- gebaut wird. Gerade dann aber wird man gerne eine Methode benutzen, die wie die P r e g 1 ' sehe Mikro- methode es gestattet, mit einem Minimum an Blut auszukommen. Aus diesem Grunde stellt sie einen beachtenswerten Fortschritt in der Methodik der Abderhalden- Reaktion dar. Die Neuentstehung von Fermenten. Bisher haben wir nur solche Forschungen über Fermente betrachtet, die auf eine Erweiterung unserer Kenntnisse über die verschiedenen Arten der vorkommenden Fermente ausgehen. Wir sahen aber schon in der Einleitung, daß außerdem noch jene anderen Fragestellungen zu berücksichtigen sind, die auf das Wesen der Fermente gerichtet sind, auf ihre Wirkungsweise und auf die Vor- stellungen, die wir uns Hinsichtlich ihrer stofflichen Natur machen müssen. Diese Art von Forschungen arbeitet mit allen Hilfsmitteln der physikalischen Chemie. Vor allem werden die Ergebnisse der Reak- tionskinetik dienstbar gemacht, indem man die Zeit- gesetze der Fermentwirkung mathematisch zu formulieren sucht, d. h. die Geschwindigkeiten des Umsatzes in ihrer Abhängigkeit von der Menge des Substrates, sowie der Menge des Fermentes. Ar- beiten von Abderhalden und Fodor haben gezeigt, daß diese Reaktionsgesetze einen weit- gehenden Parallelismus mit den Gesetzen zeigen, nach welchen die Substrate von fein verteilten Stoffen adsorbiert werden. Es würde zu weit führen, hierauf im einzelnen einzugehen. Erwähnt mag aber noch werden, daß für das Studium der Fer- mentgesetze mehr und mehr auch die Methoden der Kolloidchemie herangezogen werden. Dies lag ja nahe, seitdem Bredig seine „künstlichen" Fermente dargestellt hatte, feinverteilte Metall- suspensionen, die genau die gleichen Wirkungen wie echte Fermente aufweisen, insbesondere auch deren interessanteste Eigenschaft, die Spezifität. In dieser kolloidchemischen Erforschung der Fer- mente liegt offenbar noch ein großes und weites Ge- biet vor uns, das die verschiedenartigsten Probleme darbietet. Sehr eigentümliche, und vielleicht ebenfalls auf kolloidchemische Erklärungen hindeutende Be- funde hat nun vor einiger Zeit Biedermann') •) Zeitschrift f. Kermcutforschung 1. 385, 474; II. l. über diastatische und peptische Fermente gemacht. Die ersten Beobachtungen hat Biedermann an dem Stärke spaltenden Ferment des Speichels, dem Ptyalin, angestellt. Wird dieses der Einwirkung erhöhter Temperaturen ausgesetzt, so wird nach den bisherigen Vorstellungen seine diastatische Kraft, d. h. seine Fähigkeit, Stärke zu Dextrinen und zu Zucker abzubauen, vernichtet. Nach Biedermann ist dies jedoch keineswegs richtig. Allerdings erleidet das Ferment durch das Erhitzen eine recht beträcht- liche Verminderung seiner Wirkung, aber von einer gänzlichen Zerstörung kann keine Rede sein. Selbst nach stundenlangem Kochen ist die diasta- tische Kraft nicht gänzlich verloren gegangen. Dabei wird die diastatische Kraft in der Weise gemessen, daß man die Fermentlösung auf Stärke in bestimmter Konzentration einwirken läßt und den sogenannten achromischen Punkt feststellt, jenen Punkt also, bei dem auf Zusatz von Jod die Blaufärbung der Stärke verschwunden ist und eine reine Gelbfärbung eintritt. Je mehr Zeit bis zum Eintreten des achromischen Punktes verläuft, um so schwächer ist die diastatische Kraft. Wie ist nun die Tatsache zu erklären, daß das Ptyalin trotz andauernden Erhitzens immer noch einen Rest von Wirksamkeit zurückbehält? Am nächsten läge ohne Zweifel die Annahme, daß das Ferment als solches kochbeständig ist, so sehr auch die bisherigen Ansichten dagegen sprechen. Indessen tritt bereits nach einminuten- langem Kochen eine Verzögerung der Spaltung unter gleichen Bedingungen von 20 Minuten auf 58 Stunden ein. Nach 4 Minuten langem Kochen ist bereits das Minimum der Wirksamkeit von 20 '/o iger Speichellösung gegenüber i "/„ iger Amy- lose erreicht. Man muß deshalb annehmen, daß das Ferment als solches gegen Hitze nicht be- ständig ist und daß die geringe Wirkung, die selbst nach stundenlangem Erhitzen übrig bleibt, nicht auf einem Rückstand von unverändertem Ferment beruht, sondern ihre Ursache entweder in einer Regeneration oder aber in einer Neubildung des Fermentes hat. Eine direkte Regeneration ist nun deshalb ausgeschlossen, weil gekochte Speichellösungen, welche stundenlang stehen, trotzdem keine erhöhte Fermentwirkung zeigen. Wird aber derartigen Lösungen Stärke zugesetzt, so ergibt sich, daß sehr bald die diastatische Kraft des gekochten Speichels beträchtlich zugenommen hat. Es hat sich Fer- ment neugebildet. Durch mehrmaligen Zusatz von Stärkelösung kann schließlich eine recht er- hebliche Fermentwirkung erzielt werden. Eine Speichelmischung, die nach dem Kochen 2 ccm einer i % 'g^" Amyloselösung in I Stunde 20 Mi- nuten bis zum achromischen Punkte umwandelten, ergab schließlich die gleiche Umwandlung in 1 5 Mi- nuten. Alle diese Versuche wurden mit sogenannter Amyloselösung angestellt, einer Lösung, die er- halten wird, indem man Stärke mit Wasser kocht, in einem Glas sich das Ungelöste absetzen läßt und die darüber stehende opalisierende Flüssigkeit zum N. F. XVn Nr. 25 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 399 Gebrauch abgießt. Diese Präparation der Stärke- lösung ist deshalb von Wichtigkeit, weil sie an- zeigt, in welchen Teilen der natürlichen Stärke die fermentbildenden Stoffe enthalten sind. Tiefer in die hier besprochenen Erscheinungen führen Versuche hinein, die Biedermann über die Rolle der Salze des Speichels bei dem Regene- rationsvorgang des Ptyalins gemacht hat. Wird nämlich Speichel verascht und die Asche zu einer Stärkelösung hinzugesetzt, so tritt allemal eine Aufspaltung bis zu Zucker ein. Um die hierbei sich abspielenden Vorgänge zu verstehen, müssen wir noch mit einigen Worten auf die Spaltung von Amylose vermittels des Speichels selbst ein- gehen. Je nachdem, ob das Ferment in kon- zentrierter oder in verdünnter Form einwirkt, er- geben sich nämlich Unterschiede in der Art der Aufspaltung. Bei konzentrierter Einwirkung wird nahezu gleichzeitig mit dem Eintreten des achro- mischen Punktes die ganze Stärkemenge bis zu Zucker umgewandelt. Je verdünnter dagegen der verwendete Speichel ist, um so geringer ist beim Eintreten des achromischen Punktes die gebildete Zuckermenge, ja, bei sehr stark verdünntem Speichel ist überhaupt noch kein Zucker gebildet. Man muß deshalb annehmen, daß die Aufspaltung der Amylose nicht mit einem Male stattfindet, sondern daß es zwei Enzyme sind, die die Aufspaltung bewirken. Das eine verwandelt die Stärke in die mit Jod sich nicht mehr blau färbenden Dextrine und das zweite verwandelt diese Dextrine in Zucker. Bei den Versuchen mit Speichelasche nun findet man, obwohl sich die Mischung im übrigen wie eine hoch verdünnte Speichelmischung verhält, stets beim Eintreten des achromischen Punktes Zucker vor. Dies ist offenbar so zu er- klären, daß auch hier aus der Stärke unter der Einwirkung der Speichelasche Ferment neugebildet wird und daß die zuerst gebildeten Mengen Ferment hinreichend lange Zeit einwirken, um bis zu Zucker aufzuspalten. Durch Kochen werden die neu ge- bildeten Fermente ebenso in ihrer Wirkung be- einträchtigt, wie die Fermente des natürlichen Speichels. Auch kann durch erneuten Zusatz von Amyloselösung die diastatische Kraft erheblich vermehrt werden, kurz, die unter der Einwirkung der Speichelasche entstandenen künstlichen Fer- mente zeigen in allen Einzelheiten' die Eigen- schaften des natürlichen Ptyalins. Wenn wirklich Amyloselösungen imstande sind, Fermente aus sich heraus neu zu bilden, so muß auch ohne die Einwirkung von Salzen der Speichelasche eine wenn auch geringfügige Auf- spaltung der Stärke stattfinden. Biedermann zeigt nun, daß derartige autolytische Vorgänge in der Tat sich bei Stärkelösungen, die längere Zeit auf 40 " erwärmt werden, einstellen, selbst dann, wenn mit aller nötigen Vorsicht die Mitwirkung von Bakterien ausgeschaltet ist. Auch hier wird aber die Autolyse durch Zusatz von Salzen ganz erheblich vergrößert. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß Diastase nur bei Anwesenheit wenn auch noch so geringer Salzmengen zu wirken vermae. Absolut aschefrei gemachte Stärke wird nach Versuchen von Lisbonne nicht mehr durch Diastasen aufgespalten, aber selbst so geringe Mengen von Salzen, wie in normalen Stärke- präparaten vorhanden sind, vermögen, wie wir soeben gesehen haben, die Diastasen zu aktivieren. Besonders Chloride, wie Kochsalz und Calcium- chlorid erhöhen die diastatische Kraft außerordent- lich. Die Entstehung der Diastasen aus Amyloselösungen läßt sich bisher jedoch nicht durch Zusatz von Chloriden oder anderen Salzen beschleunigen. Vorläufig bedarf es hierzu des Zusatzes der Asche des natürlichen Speichels und es sind weitere Forschungen notwendig, um zu ergründen, welche Bestandteile dieser Asche die aktivierende Wirkung besitzen. Zunächst ist die spezifische Wirkung der Speichelasche noch unerklärt, um so mehr, als durch die Veraschung ja ohne Zweifel die Bindungsweise der einzelnen Salzbestandteile eine andere geworden ist als in dem natürlichen Speichel. Auch für das Pepsin hat Biedermann fest- stellen können, daß bei wiederholtem Zusatz von Eiweiß zu einer schwach wirkenden Pepsinlösung eine allmähliche Erhöhung der verdauenden Kraft eintritt, so daß also auch peptische Fermente aus dem Substrat gebildet werden. Über die Natur der Stoffe, aus denen sich das Pepsin dabei bildet, läßt sich indessen noch wenig sagen. Nur soviel scheint sicher zu sein, daß es keine Abbauprodukte des Eiweiß sind. Dies ist deshalb notwendig zu betonen, weil Herz fei d die Auffassung vertreten hat, daß die eiweißspaltenden Fermente nichts anderes sind als Peptone oder Aminosäuren, d. h. Spaltprodukte des Eiweiß. Nach Biedermann 's Forschungen ist dies gänzlich ausgeschlossen. Welches aber die Stoffe sind, die für die Entstehung der Fermente in Frage kommen, hat auch er bisher nicht erkennen können. Soviel aber ist gewiß, daß die Biedermann 'sehen Arbeiten, falls sie sich generell für alle Fermente bewahrheiten sollten, einen bedeutsamen Fortschritt für die Erkenntnis des Wesens und der Wirkungsweise der Fermente darstellen. Physiologische Selbstbeobachtungen beim Fliegen. [Nachdruck verboten.l Von Oskar Prochnow in Berlin-Lichterfelde. Das Fliegen ist ein Genuß wie von herbem die Luft rasen, sonst stürzen wir herab; wir sind Tokaier-Wein. gefesselt an das 20 Zentner schwere Flugzeug, Vom Flug der Lerche sind wir noch sehr weit vermummt durch wärmende Kopfschützer und entfernt: wir müssen mit Donnergepolter durch Pelze, die Augen geschützt durch die große Flieger- 400 Naturwissenschaftliche Wochenschriit. N. F. XVII. Nr. 28 brille — da fehlt noch viel von der Freiheit des Vogels, und wenn es einem manchmal ob der Herrlichkeiten glänzender Landschaften mit Sonnen- schein und Wolkenbergen zum Jubeln und Singen zu Mute ist, so verschlingt das ewig gleiche Rattern des Motors das stürmende Lied und belehrt den Schönheitstrunkenen, daß noch weit die Wege sind, bis wir uns rühmen könnten, es den segelnden Vögeln und jubelnden Sängern der Lüfte gleich getan zu haben. Wenn man ein Flugzeug in stolzer Höhe dahinziehen sieht, so denkt man oft nicht daran, daß das Fliegen eine manchmal harte Arbeit ist, hart für Führer und Beobachter. Freilich halten der Motor und die Schutzschilde einen Teil des Luftdrucks vom Flieger ab. Aber wenn man als Beobachter alle seine Geräte be- dienen und, oft weit sich hinauslehnend, photo- graphieren und beobachten soll, dann merkt man recht, daß die Luft ein Körper ist. Will man seinem Führer mit Aufbietung aller Stimmittel etwas ins Ohr schreien, so greift man zunächst nach einer Strebe oder einem anderen Halt, um sich zu ihm hinzuziehen und sich für die Dauer der Unterredung daran zu verankern. Von der Größe des Luftwiderstandes bildet man sich erst dann eine richtige Vorstellung, wenn man erfahren hat, daß es nicht möglich ist, den Arm ausgestreckt hoch zu halten: er wird sogleich mit Riesenkraft zurückgedrückt. Ist doch der Winddruck beim Fliegen, da unsere neuen Maschinen etwa 35 Se- kundenmet er Geschwindigkeit haben, rund 5 mal so groß wie bei stürmischem Wind, bei dem — nach den Angaben der Beaufort- Skala der Wind- stärke — ein gegen den Wind schreitender Mensch merklich aufgehalten wird. Wohl jeder, der mit Flugzeugen zu tun gehabt hat, hat in der ersten Zeit einmal den Versuch gemacht, an einer stehen- den Maschine bei voll laufendem Motor vom Schwanzende zu den Tragflächen heran zu kommen, und hat damit den Anwesenden ein tragikomisches Schauspiel gegeben. Wehe der Karte oder dem Balgen einer Klappkamera, die ungeschützt dem Winddruck ausgesetzt werden 1 Das Geräusch der unaufhörlich sich folgenden Explosionen im Motor ist besonders bei den Großflugzeugen, wo links und rechts ein Motor hämmert, unangenehm und bohrt sich bei längeren Flügen so in das Gehirn ein, daß die Ruhe nach der Landung sehr wohltuend wirkt. Bald nachdem der Gleitflug angesetzt ist, macht sich, im allgemeinen freilich wegen des vorauf- gehenden Lärms des Motors wenig bemerkt, ein Sausen im Ohr bemerkbar, das von der Wirkung des zunehmenden Luftdrucks herrührt. Da die Druckzunahme ziemlich schnell erfolgt, so bleibt der Luftdruck im Mittelohr trotz der weiten Kom- munikation durch die Tuba Eustachii hinter dem äußeren Luftdruck zurück, so daß das Trommelfell von außen her gegen die Gehörknöchelchen gedrückt und daran durch das abgesonderte Ohrenschmalz festgeklebt wird. Als Maßnahme zur Abhilfe wird dafür empfohlen, daß man — ähnlich wie ein Frosch — Luft schlucken solle. Doch habe ich viel wirksamer gefunden, daß man, wenn es angängig ist, die Nasenflügel mit den Fingern zusammendrückt und dann bei geschlosse- nem Munde die Bewegung des Brustkorbes wie bei der Ausatmung einleitet: Dann verschwindet das Sausen mit einem Male, das Ohr ist wieder frei und alle Geräusche sind plötzlich wieder viel deutlicher. An eine andere Erscheinung, die zunächst sehr unangenehm ist, gewöhnen sich wohl die meisten bald soweit, daß sie sie nicht mehr als störend bemerken, ja vielleicht überhaupt nicht mehr empfinden : ich meine das Gefühl des Fallens beim Durchsacken des Flugzeugs, sei es, daß es in Vertikalströmungen gekommen ist oder daß beim Ansetzen des Gleitflugs zunächst der Gas- zufluß abgestellt und dann erst das Höhensteuer betätigt wurde, so daß das Flugzeug wegen der starken Fahrtverminderung zunächst ein Stück beschleunigt fiel. Das Gefühl ist das gleiche, wie es bei der Abwärtsbewegung eines Fahrstuhls ein- tritt, solange seine Bewegung beschleunigt erfolgt; nur kommt es im Flugzeug viel stärker zum Ausdruck. Man hat besonders im Unterleib die Empfindung, daß sich die Eingeweide heben; außerdem nimmt der Druck auf die Unterstützungs- fläche ab — auf das Gesäß oder auf die Fußsohlen. In der Tat ist die Erklärung dieser mit mehr oder minder großer Gefühlsbetonung auftretenden Fahrstuhlempfindung darin zu sehen, daß die ver- hältnismäßig lose in der Körperhöhlung aufge- hängten Eingeweide wirklich infolge ihres Be- harrungsvermögens zunächst nach oben streben. Beim Kurvenflug muß man sich in der ersten Zeit gegen eine sich unwiderstehlich aufdrängende falsche Vorstellung wehren. Da nämlich der Körper durch die Schleuderkraft an den Sitz angepreßt wird, so erscheint dem noch so kritisch veran- lagten Beobachter das Flugzeug als der ruhende Pol und die Erde als Kreisel. Man muß mit aller Kraft der Vernunft ankämpfen, um von dem Ein- druck loszukommen, daß jetzt die Flugzeughallen senkrecht über uns stehen, jetzt seitlich, dann wieder unter uns usw., und sich die Gegen- vorstellung förmlich einreden, daß wenn sich der Horizont links aufbäumt, das Wirbelnde unser Flugzeug ist, das sich in diesem Falle nach links geneigt hat. Oft bin ich befragt worden, ob man im Flug- zeug schwindelfrei sein müsse. Nach eigener Be- obachtung kann ich bestätigen, was schon viele festgestellt haben, daß ein Schwindelgefühl im Flugzeug weit weniger leicht auftritt, als wenn man etwa auf freistehender Leiter einen hohen Aussichts- turm ersteigt oder auf dem Dache oder im Ge- birge an den Rand einer Wand herantritt. Während ich hier bisweilen den Eindruck habe, als ziehe die Tiefe und wolle einen Gegenstand haben, den ich über den Rand hinaus halte, kenne ich dieses Gefühl im Flugzeug durchaus nicht, selbst nicht N. F. XVn. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 401 in Lagen, in denen es anscheinend viel berechtigter wäre, z. B. wenn man auf den Sitz klettert und sich weit hinauslehnt, oder wenn man in der Kurve photographiert oder, wenn das Flugzeug in der Kurve liegt, an den Tragflächen hinaufsieht und die Erde zu wirbeln scheint. Man sagt, es fehlten die Abstufungen, wenn der Blick hinuntergleitet. Daher fühle man sich wie in einer Welt für sich über der andern Welt dort unten. So verliere die Tiefe ihr wesentliches Merkmal und damit ihre Schrecken. Dazu kommt oftenbar, daß der Boden des Flug- zeugs subjektiv mehr Sicherheit bietet als die Sprosse der Leiter, so daß man — wenigstens als Beobachter — im allgemeinen selbst schlafend den sicheren Boden wieder gewinnen könnte. Dagegen kann man im Flugzeug die Seekrank- heit mit allen ihren Begleiterscheinungen bekommen. Es gibt Beobachter, die selbst an verhältnismäßig ruhigen Tagen im Flugzeug seekrank werden, ebenso wie es Leute gibt, die durch geringfügiges Schaukeln eines Kahns oder gar eines Wagens beeinflußt werden. Ich selbst habe nur einmal an mir eine Be- obachtung gemacht, die in dieses Gebiet hinein- spielt: Es war ein ungewöhnlich böiger Tag mit etwa 15 m/sek. durchschnittlicher Windgeschwindig- keit am Boden. Während eines etwa einstündigen Fluges lag unser Flugzeug fast keinen Augenblick ruhig, sondern wurde einmal gehoben, dann sackten wir wieder durch ; nun wurden wir von links, jetzt von rechts her aufgerissen, so daß der Führer an dem kühlen Novembertage in Schweiß gebadet war und man uns zu der Landung beglückwünschte. Als ich dann nach etwa 5 Stunden abends im Bette lag, da war es mir, als machte das Bett langsame Schwingungen, einmal von links nach rechts, dann wieder, indem sich die Enden zu heben und zu senken schienen. Ich habe ähnliche oftenbar auf Überanstrengung des Gleichgewichtsinnesorgans zurückgehende Er- scheinungen früher an mir beobachtet, als ich einmal auf sehr bewegtem Wasser den ganzen Tag über im Sportboot gerudert hatte, ferner als ich als Anfänger im Radfahren eine viele Stunden dauernde Fahrt hinter mir hatte. Da schien sich das Bett auch auf langen Wellen zu wiegen. Schließlich bleiben die Wirkungen der Luft- druckabnahme in großen Höhen zu erwähnen. Es ist bekannt, daß an Lunge und Herz bei Höhenflügen bedeutende Anforderungen gestellt werden, damit der Körper hinreichend mit Sauer- stoff versorgt wird. Ich selbst habe an mir bei Flügen bis zu 4500 m Höhe keine nennenswerte Beschleuni- gung der Herz- oderLungentätigkeit bemerkt. Dabei war ich als Beobachter tätig. Allgemein darf man die Beanspruchung dieser Organe nicht über- schätzen, da auch der Flugzeugführer in großen Höhen durch Störungen in der Luftbewegung nicht mehr stark beschäftigt wird. Von der Dicke der Schleimhäute ist eine andere Folgeerscheinung der Luftdichteabnahme abhängig, nämlich das Auftreten von Blutungen aus Mund und Nase. Infolge der im Vergleich zu Berg- fahrten schnellen Luftdichteänderung sind solche Blutungen schon bei verhältnismäßig geringen Höhen vorgekommen, nämlich nach den mir ge- machten Mitteilungen bei 3000 m Höhe. Weniger bekannt sind Beobachtungen folgender Art: Es tritt besonders nach Höhenflügen eine allgemeine und teilweise eine lokale Ermüdung ein. Ein Hauptmann stellte fast nach jedem Fluge, auch wenn es kein Höhenflug gewesen war, fest: Wie mich doch das Fliegen müde macht I Wenn wir in Rußland manchmal drei Bombenflüge ge- macht hatten, wurde unser Mittagsschläfchen nicht selten auf zwei Stunden und mehr ausgedehnt. Nach Höhenflügen trat bei dem Verfasser mit Regelmäßigkeit eine stärkere oder schwächere Ermüdung in den Oberschenkelmuskeln wie nach einem langen Marsche ein. Diese Ermüdungserscheinungen erkläre ich mir als Folge der durch die starke Luftdruckabnahme herbeigeführten Anhäufung von Giften im Blute, die den Ermüdungsgiften ähnlich sein dürften. Es ist anzunehmen, daß die inzwischen einge- leiteten Blutuntersuchungen an Fliegern hierüber Aufklärung geben werden. Einzelberichte. Botanik. Eine Formationsbiologie der Algen. Wohl zum ersten Male ist von Steinecke der Versuch gemacht worden, die Algen eines Hoch- moores formationsbiologisch zu untersuchen (For- mationsbiologie der Algen des Zehlaubruches in Ostpreußen. Arch. Hydrobiol. u. Planktonk. XI. 1917). Die Zchlau ist ein als Naturschutzgebiet bekanntes 2 500 ha großes Hochmoorgebiet bei Königsberg. In ihm konnte Stein ecke 320 Algenformen nachweisen, deren Systematik an anderer Stelle behandelt wird. ') Das biologisch einheitliche Gebiet des Hochmoors, eine Biosynöcie, gliedert sich in einzelne Biozönosen, da in den Polstern der Torfmoore, den Schlanken und ver- wachsenen oder offenen Blanken je nach dem Wassergehalt ganz verschiedene Lebensbedin- gungen herrschen. Steinecke gibt folgende ') Fr. Steinecke, Die Algen des Zehlaubruches in systematischer und biologischer Hinsicht. Schrift, phys.- ökon. Ges. Königsberg LVI. 1915. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 28 Gliederung des ganzen Gebietes. A. Flachmoor- gebiet. 13. Zwischenmoorgebiet. C. Hochmoor- gebiet. I. Junges Hochmoor. 2. Hochmoorbulte. 3. Hochmoorschlanken. 4. Verwachsene Blanken. 5. Verlandende Blanken. 6. Blanken. D. Abfluß- gräben. Weitaus am interessantesten ist das Plankton der Blanken, in denen einige Flagellaten massenhaft auftreten. Nacheinander lösen sich die einzelnen Arten ab, im Herbst in umgekehrter Reihenfolge wie im F"rühjahre. Im Sommer schwinden sie völlig und werden durch eine üppige Desmidiaceenflora verdrängt. Als allgemeines Vege- tationsmaximum kann die Zeit von Mai bis Sep- tember angesehen werden. Steinecke betont, daß im Gegensatz zu anderen Hochmooren die Arten- und Individuen- zahl der Zehlau sehr gering ist und findet die Ursache in den ungünstigen Lebensbedingungen des ganz ursprünglichen Seeklimahochmoores mit seiner Armut an Nährsalzen. Diese macht zahl- reichen Arten das Leben ganz unmöglich und führt bei den 'übrigen zur Ausbildung kleiner Kümmerformen. Hinzu kommen die abnormen Temperaturverhältnisse. Oft ist im Juli noch Eis unter den Moosen zu finden; einer starken Be- strahlung am Tage steht starke nächtliche Ab- kühlung gegenüber, so daß tägliche Schwankungen von 32" nicht selten sind. Eine Folge hiervon ist die Violettfärbung, die nach Steineckes Beobachtungen bei manchen Algen vorübergehend, bei anderen dauernd eintritt. Der Chromatophor soll sich dabei gleichzeitig gelb färben. Beides deutet Steinecke, ob mit Recht oder Unrecht, sei dahingestellt, als Anpassung zur Erreichung eines Assimilationsminimums, wie es der Mangel an Nährstoffen erfordert. Zahlreiche Arten sind echt nordische Formen, die als Eiszeitrelikte anzusehen sind. Die Flora der einzelnen Biozönosen ist nun ganz verschieden zusammengesetzt, manche Arten kommen sogar nur in einer einzigen vor. Stein- ecke glaubt, daß man Leit formen aufstellen kann, deren Vorkommen den Standort ohne weiteres als eine bestimmte Biozönose kenn- zeichnet. Besonders geeignet sind nach ihm hier- für Formen mit Gehäuse, da die Schalen sich jeder- zeit finden, sodann solche, die möglichst zahlreich und zu jeder Jahreszeit auftreten. Er gibt eine ganze Reihe solcher Leitformen an, die sich auch in anderen ostpreußischen Mooren als solche er- wiesen haben. Ist auch nicht immer eine einzige Alge Leitform einer Biocönose, so herrschen doch stets einige Arten derart vor, daß sie in ihrer Ge- samtheit sehr wohl als solche angesehen werden können. Sollten sich diese Beobachtungen auf anderen Mooren bestätigen, so würden diese Leit- formen in der Tat eine allgemeinere Bedeutung gewinnen. Kr. Physik. Nachdem die Wissenschaft anfangs mit großer Mühe die radioaktiven Erscheinungen aufgeklärt und die Mittel zu ihrer Erforschung an- gegeben hatte, stellte es sich heraus, daß auch diese Vorgänge gar nicht so selten sind, daß sich viel- mehr fast überall auf der Erde Stoffe finden, die in geringem Maße radioaktiv sind, also Spuren von Radioelementen enthalten. So hat man be- rechnet, daß im Weltmeer etwa 20 000 000 kg Radium enthalten sind, daß im Schwarzwald un- gefähr 20000 kg liegen — Rechnungen, die ihrer ganzen Natur nach natürlich nur ungefähr die Größenordnung wiedergeben. Eine Folee des Radiumgehaltes ist die, daß zahlreiche Quellen radioaktiv sind (im Schwarzwald ist es namentlich die Büttquelle in Baden-Baden; die Quellen in Bad Gastein haben einen besonders hohen Radiuni- gehalt). Man ist geneigt, ihre heilende Wirkung zum großen Teile diesem Umstände zuzuschreiben. Die Radioelemente zeichnen sich bekanntlieh vor den übrigen dadurch aus, daß ihre Atome unter Aussendung von Strahlen (a-, ß- und y-Strahlen) zerfallen und dann neue Elemente bilden, die nun wieder ihrerseits sich umwandeln, bis nach einer Reihe von Zerfallstufen ein stabiles Endprodukt entsteht, das mit dem Blei identisch zu sein scheint. So unterscheidet man drei radioaktive Familien, deren Vaterelement das Radium, das Thorium und das Aktinium ist. Die Tochterelemente der ge- nannten, also die zweitenGlieder jeder Familie, sind die Emanationen, Gase, die rund sechs mal so schwer wie Luft sind. Beim Zerfall der im Innern der Erde liegenden Radiokörper bildet sich dauernd die Emanation; sie dringt durch die Poren in die Atmosphäre, so daß diese stets einen bestimmten, kleinen Gehalt an Emanation besitzt. Dieser ist durch Versuch nachgewiesen worden. Es ist an- zunehmen, daß der Emanationsgehalt mit wach- sender Höhe über dem Erdboden abnimmt. In der Physik. Zeitschr. XIX (1918) S. 109 veröffent- lichen V. Heß und W. Schmidt eine Arbeit über die Verteilung radioaktiver Gase in der freien Atmosphäre. Auf Grund einfacher Annahmen finden sie eine Formel, nach welcher der Emana- tionsgehalt nach einer Exponentialformel mit der Höhe abnimmt unter der Voraussetzung, daß von der Erdoberfläche aus dauernd Emanation nach- geliefert wird. Die Ergebnisse sind in Überein- stimmung mit den Messungen (es sind nur wenige gemacht). Der Emanationsgehalt hängt außer von der Höhe von den Zerfallkonstanten ab; je größer dieser, desto schneller nimmt der Gehalt mit der Höhe ab. Die Halbwertzeit (das ist die Zeit, in der die Hälfte der jeweils vorhandenen Menee zerfallt) beträgt für Radium Emanation 3.9 Tage, für Thorium Em. 54 Sekunden und für Äktinium-Em. 3,9 Sekunden; letztere zerfällt also bei weitem am schnellsten. Die beiden zuletzt genannten finden sich wegen ihrer geringen Lebens- dauer nur in den alleruntersten Schichten der Atmosphäre. Folgende kleine Tabelle gibt die Halbwerthöhe an, d. h. diejenige Höhe, in welcher nur die Hälfte der am Erdboden vorhandenen Menge in einem Kubikmeter Luft enthalten ist: N. F. XVn. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 403 Ra Em ca. 1200 m Ra D (Halbwertszeit 16 Jahre) u. Zerfallprodukte praktisch gleichförmig bis zu 10 km Th Em u. Th A 2—3 m Ac Em u. AcA 0,5 — 1 m. Ac B u. Zerfallprodukte 10—20 m. Radium D (RaD), Thorium A(Th A), Aktinium A, B (Ac A, Ac B) sind die weiteren Zerfalldrodukte der zugehörigen Emanation. K. Seh. Zoologie. Neue Beobachtungen über den Kuckucksruf teilen Cornel Schmitt und Hans S TadTer im „Journal für Ornithologie" (April 1918 S. 226) mit. Von dem gewöhnlichen Intervall f— d weichen die Kuckucke nicht selten ab. Anstelle der kleinenTerzhahendiesebeidenBeobachtermanchmal den Sekundenschritt e— d gehört ; andere Kuckucke, die sie hörten, überschrien die kleine Terz und riefen tagelang fis— d; auch die Quarte f— c haben sie gehört. Verschiebungen der Rufintervalle während des Gesanges hatten sie gleichfalls zu beobachten Gelegenheit; manchmal hörten sie einen Kuckuck beim Beginne im großen Sekunden- schritt e — d, seltener es — d rufen, dann trieb der Kuckuck mit den nächsten beiden Rufen den höheren Ton in deutlich wahrnehmbaren Schritten bis zur kleinen oder großen Terz (f oder fis), und bei diesem Intervall verharrte er dann. Einen Kuckuck hörten sie zunächst den Sekundenschritt d — c, dann es — c, weiter e— c und schließlich f— c rufen ; der Tiefton wurde dabei also festgehalten. Daß die kleine Terz wieder gegen Schluß des Gesanges verlassen wurde, haben sie nur einmal beobachtet. Bei Ochsenfurth hörten sie im Anfange des Mais 1917 den Kuckucksruf fis — d, f — d, fis — d, und Ende des Monats begann ein Kuckuck der dortigen Gegend mit g, ein anderer zuerst mit a. Dann verbesserte er sich aber zur Durterz, um im weiteren Verlaufe seiner Rufreihe immer wieder zur Quinte a zurückzukehren. Bei einer längeren Rufreihe kann sich auch nach den Beobachtungen von Schmitt und Stadler der Grundton etwas nach oben verschieben, doch nicht in dem Grade wie der Hochton. Die Quinte als Intervall haben die beiden Beobachter im Laufe der letzten drei Jahre nur zwei Mal vernommen. Hinsichtlich der absoluten Höhe des Rufes haben sie festgestellt, daß sie zuweilen wechselt. Das zweigestrichene f — d, wie es das bekannte Kinderlied „Kuckuck, Kuckuck, rufts aus dem Wald" vorschreibt, kommt anscheinend am häufigsten vor; doch haben sie auch das zweigestrichene es und das zweigestrichene c gehört, sodaß der Kuckucksruf die Quinte vom zweigestrichenen c bis zum zweigestrichenen g umfassen kann. Neben dem eigentlichen Kuckucks- rufe haben Schmitt und Stadler häufig leise, formlose „Vorstrofen" gehört, wie sie von manchen anderen Vögeln bekannt sind und wie sie beispiels- weise Heinrich Seidel dem Pirol zuschreibt. H. Fanden Versuche an Hydra. An dem Süßwasser- polypen Hydra fusca, den Brauer in zwei Arten, die getrenntgeschlechtliche Hydra oligactis und die hermaphroditische H. polypus, aufteilte, hat W. Goetsch einige Regenerationsversuche an- gestellt, über die hier folgendes mitgeteilt sei. Durchschneidet man eine Hydra, die reichlich Hoden angesetzt hat, in der Nähe der letzteren, so erfolgt die Regeneration des oberen wie des unteren Teiles zum ganzen Tier auf Kosten des sich wieder einschmelzenden Hodengewebes. Sind nicht Hoden, sondern Ovarien ausgebildet, so wird nach der Durchschneidung des Tieres das Ovar gleichfalls eingeschmolzen, falls die Eibildung noch nicht weit vorgeschritten ist. Andernfalls ist die Eibildung nicht mehr rück- gängig zu machen. Durchschneidet man aber eine Hydra mit Knospenanlagen, so wird immer die Knospe des Muttertiers bevorzugt, sie ent- wickelt sich unbedingt weiter zum fertigen Polypen, der sich ablöst, auch wenn sie ganz klein war. Ja, nach erfolgter Abtrennung des Knospentieres tritt sogar statt der vielleicht nun- mehr zu erwartenden Regeneration des Mutter- tieres eine neue Knospe an der gleichen Stelle, die somit als eine Art Vegetationspunkt erscheitit, auf; und in einem derartigen Falle teilte sich ein herausgeschnittenes Stück Knospungszone voll- ständig unter zwei sich weiter entwickelnde und sich schließlich trennende Knospen auf *). V. Franz. Bedeutung der Stubenfliege für die mensch- liche Gesundheit. Die Stubenfliege kommt oft als Verbreiterin von Krankheitskeimen in Betracht, so daß man sie nach Möglichkeit fern zu halten und zu vertilgen suchen soll. Bekanntlich setzen sich die Stubenfliegen wahllos überall hin, auf die unappetitlichsten Sachen, und unmittelbar darauf wieder auf Speisen. Dabei bringen sie mit ihrem Körper, namentlich an den Fußsohlen wie in ihrem Darmkanal eine Unmenge sowohl indiffe- renter als pathogener Mikroben mit. Nicht allein, daß sie dieselben mit ihrem Kot überall hin ver- breiten, geschieht dasselbe auch beim oft wieder- holten Heraufwürgen des Inhalts des Kropfes ihrer Speiseröhre. Sie hatten dieselben beim Aufsaugen der flüssigen und halbflüssigen Nahrung mit auf- genommen. Da sie keineswegs wählerisch, gerade mit Vorliebe auch schmutzige Stoffe, den Aus- wurf von Kranken und dergleichen ausbeuten, ist die Zahl der mit aufgenommenen Mikroben er- staunlich groß. So gibt Graham-Smith nach seinen Beobachtungen den Maximalwert bei Abtritts- und Kehrichtfliegen zu 155 Millionen pro Fliege und als Minimalwert für Tiere aus dem bakteriologischen Institut die immerhin respektable Zahl von 650 Bakterien an. Als Mittel aus 414 untersuchten Fliegen ergab sich für die ') Dr. W. Goetsch : Beobachtungen und Versuche Hydra. Biolog. Centralbl., Bd. 37, 1917. Nr- lO- 404 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 28 Einzelfliege als Durchschnittswert der ihrer äußeren Körperoberfläche anhaftenden Bakterienkeime die erstaunliche Zahl von i 222 570, also rund i V4 Mill. Besonders widerstandsfähig beim Aufenthalt auf und in der Fliege sind natürlich die sporen- bildenden Bakterien. So fand er IVIilzbrandbazillen in Fliegen, welche an der Verpilzung durch Empusa muscae eingegangen und in einer verschlossenen Flasche aufbewahrt waren, noch nach drei Jahren lebend und infektionsfähig. Der Verfasser von: „Darmkanal und Rüssel der Stubenfliege vom sanitärischen Standpunkte aus" (Mitteilungen der Schweizerischen Entomolo- gischen Gesellschaft XII. Heft 191 7) Prof. Dr. Göldi^) meint: „Dies Resultat lehrt für sich allein wahrhaftig schon mehr, als lange theoretische Aus- einandersetzungen und vermag uns einen hand- greiflichen Beweis zu liefern für die unbestreitbare Wichtigkeit des Problems der Fliegenbekämpfung." Reinkulturen aus infizierten Fliegen wurden experimentell erhalten von folgenden pathogenen Bakterien: Bacillus pyocyaneus, Staphylococcus, beides typische Bewohner von virulenter Eiter- substanz, und Bacillus typhi abdominalis, dem Be- gleiter des Unterleibstyphus, dessen Verschleppung durch Fliegen von Curschmann einwandfrei festgestellt wurde. Die Annahme normaler Ver- schleppung durch die Fliegen drängt sich mehr und mehr auf für folgende Krankheiten: Typhus abdominalis, Cholera, Dysenteria, Epidemische oder Sommerdiarrhöe, Tuberkulosis, Anthrax (Milzbrand), Framboesia tropica, Ophthal- mia, Diphtheritis, Pocken, Pest, Bouton de Biskra und diverse Hautausschläge. Selbst an der Verschleppung parasitischer Wür- mer sollen die Stubenfliegen nicht unschuldig sein. In Betracht kommt hier z. B. der Rinderbandwurm (Taenia saginata L.) ; seine Eier messen nur 0,045 mm, werden beim Zerfall des abgegangenen Bandwurm- glieds frei und können ohne Schwierigkeit durch den Rüssel aufgenommen werden, wie sie denn auch schon in Mengen in der Fliege gefunden wurden. Noch gerährlicher kann die Stubenfliege durch den Transport der nur 0,031 mm großen Eier des Schweinebandwurms (Taenia solium L.) werden; die Entwicklung dieser Art kann näm- lich auch im Menschen vor sich gehen, wo sich aus dem Embryo die Finne entwickelt; diese be- vorzugt nun gerade wichtige Organe, wie Herz, Gehirn, Auge usw., so daß sie die Zerstörung des Organs und den Tod durch innere Verblutung verursachen kann. Kathariner. Physiologie. Beiträge zur allgemeinenPhysiologie des Wachstums veröffentlicht Dr. Alexander Lipschütz in der Zeitschr. f. allgem. Physiologie (Bd. 17 H. 3/4). Das Wachstum wird am besten gemessen durch die Zunahme des Gewichtes. Diese Gewichtszunahme kann in doppeltem Sinne ausgedrückt werden : absolut und relativ. Die ') Weiland Direktor des Para-Museums -Ayres, absolute Gewichtszunahme gibt an, wieviel kg der Körper im Laufe einer bestimmten Zeit zu- genommen hat. Sie hört dann plötzlich auf, wenn der Organismus ausgewachsen ist. Die zweite Art der Berechnung, die durch Minot in die Wissen- schaft eingeführt wurde, gibt uns die Gewichts- zunahme nicht in absoluten Zahlen an, sondern in ihrem Verhältnis zum vorherigen Gewichte. In diesem Sinne betrachtet, ist das Wachstum kurz nach der Geburt am größten, um von da ab lang- sam aber stetig abzunehmen. So ist z. B. das Kind nach Ablauf des ersten Jahres dreimal so schwer als bei der Geburt, die Gewichtszunahme beträgt also 200 %. Im zweiten Jahre beträgt die Zunahme, absolut ausgedrückt, etwa 5 kg, relativ ausgedrückt etwa 25 — 30",',,, im dritten Jahre etwa 20 "/o, im vierten nur 15 "/,,, im fünften weniger als io7o "sw. So ausgedrückt, hört also das Wachstum nicht plötzlich auf, wie man nach den absoluten Zahlen annehmen konnte, sondern es nimmt, wie schon erwähnt, von der Geburt an allmählich ab, um endlich beim Menschen etwa im 22. bis 24. Jahre, ganz zu erlöschen. Den- selben Verlauf wie beim Menschen nimmt es, wie Messungen festgestellt haben, auch bei den Tieren. Über die Ursache dieser allmählichen Wachs- tumsverzögerung geben uns Versuche Aufschluß, die Woodruff an Einzelligen angestellt hat. Alles Wachstum beruht auf Zellteilung (eine Aus- nahme machen nur die Nervenzellen, die sich nach der Geburt nicht mehr teilen, sondern nur noch an Größe zunehmen sollen). Eine Wachs- tumsverzögerung wird also hervorgerufen durch Hemmung der Teilungsgeschwindigkeit. Diese ist nun, wie Woodruff nachgewiesen hat, eine Folge von Selbstvergiftung durch Stoffwechsel- produkte. Paramäcium, das Woodruff zu seinen Versuchen benutzte, teilt sich täglich etwa zwei- mal, also nach je 12 Stunden. Wird die Nähr- lösung, in der sich die Kolonie befindet, täglich erneuert, so bleibt dieser Zeitraum ziemlich kon- stant, und man kann eine unbegrenzte Menge von Generationen züchten. Bleibt die Nährlösung un- verändert, so nimmt die Teilungsgeschwindigkeit ständig ab, um schließlich, nach einigen Tagen, ganz zu erlöschen: die Kolonie stirbt aus. Diese Abnahme tritt auch ein, wenn die Zelle in eine Nährlösung gebracht wird, in der schon Tiere derselben Art gehalten werden ; sie bleibt dagegen die alte in einer Nährlösung mit Tieren einer anderen Art, wie Woodruff festgestellt hat, z. B. Oxytricha, deren Ausscheidungen den Para- mäcien nicht schaden. Denselben Einfluß wie bei den Einzelligen üben die Stoffwechselprodukte auch auf den mehrzelligen Organismus aus. Bei gleicher Nahrungsmenge werden die Fische um so größer, je mehr Wasser ihnen zur Verfügung steht. Nach Langhans ist in einer bestimmten Wassermenge auch nur eine bestimmte Anzahl von Daphnien lebensfähig. Was darüber ist, stirbt unbedingt ab, eine Vermehrung erfolgt nicht mehr. Wird eine Anzahl entfernt, so tritt die Vermehrung N. F. XVn. Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 405 wieder ein, bis die Höchstzahl wieder erreicht ist. Die Stoffwechselprodukte der einen Art von Daphnien wirken aber nicht schädlich auf Daphnien einer anderen Art. Aber nicht nur die nach außen ausgeschiedenen Stoffwechselprodukte wirken hemmend auf das Wachstum, sondern auch die im Innern des Orga- nismus abgelagerten. So findet man in den Nerven- zellen des Menschen im Alter beträchtliche Mengen von Pigment eingelagert, namentlich auch in den Zellen der Großhirnrinde. Das Plasma mancher Zellen ist fast ganz davon erfüllt. Früher hielt man Ablagerungen für eine Folge der geringeren Widerstandsfähigkeit der Zellen im Alter. Da- gegen hat M ü h 1 m a n n festgestellt, daß sie schon beim Kinde beginnt. Ebenso hat Schreyer in jüngster Zeit nachgewiesen, daß die Ablagerung von Pigmentkörnchen in den Zellen der Nerven- kanäle schon im frühesten Kindesalter anfängt. Diese Ablagerungen sind also keine Folge der Greisenhaftigkeit, sondern umgekehrt ist diese eine Folge der Ablagerungen. Unter dem Einfluß dieser Stoffwechselprodukte wird die Assimilation der Zellen gehemmt und damit die Teilbarkeit verlangsamt, weshalb mit Zunahme der Ablage- rungen die Wachstumsgeschwindigkeit abnimmt. Die Einzelligen haben in der schnellen Teilbarkeit ein Mittel, sich dieser Stoffwechselprodukte zu ent- ledigen, weshalb es bei ihnen, wenn man sie der schnellen Teilbarkeit wegen ständig in neue Nähr- lösung bringt, möglich ist, eine unbegrenzte Zahl von Generationen zu züchten. Ist dagegen ein vielzelliger Osganismus ausgewachsen, die Zellen also nicht mehr teilungsfähig, so sind sie auch nicht mehr imstande, sich von den Stoffwechsel- produkten zu befreien. In diesem Zustand befinden sich die Nervenzellen von der Geburt an. In der Jugend nimmt die Zelle mehr Nahrung auf, als sie für ihren Fortbestand nötig hat. Sie gebraucht diesen Überschuß zu ihrer Vergrößerung und Teilung. Infolge der Ablagerungen nimmt die Nahrungsaufnahme langsam ab, bis schließlich ein Überschuß nicht mehr vorhanden ist, die Tei- lung also unterbleiben muß: das Wachstum hört auf. Würde jetzt die Ablagerung aufhören, so würde die Zelle in diesem Zustande des Stoff- wechselgleichgewichtesverbleiben, ihr Leben würde also ewig währen. Aber die Ausscheidungen dauern fort, die Assimilation wird immer schwächer, bis endlich die von der Zelle aufgenommene Nah- rung für ihren Fortbestand nicht mehr ausreicht und daher der Tod eintritt. Heycke. Geologie. Die geologischen Eigenarten des Bober-Katzbach- Gebirges in seinem altpaläozoi- schen Anteil werden in einer Arbeit des Geheimen Bergrats Zimmermann im Jahrbuch der Königl. Preuß. Geol. Landesanstalt (Bd. XXXVII, Teil II, Heft i) behandelt. Es kommen die Gegenden in Frage, die auf den geologischen Blättern Lahn, Gröditzberg, Goldberg, Schönau, Bolkenhain, Ruhbank kartiert sind. Jedes schlesische Gebirge hat anderen deutschen Mittelgebirgen gegenüber Eigenarten. Besonders aber ist das Bober- Katzbach-Gebirge durch solche Eigenarten ausgezeichnet. Schon die gesamte Landschaftsgestaltung ist auffallend. In dem bunten Durcheinander der ver- schiedenen Landschaftstypen fallen Inselberge auf, die steil und plötzlich ins Gelände abfallen und Kilometerlänge aufweisen. Sie werden aufgebaut von Basalt, Grünschiefer, Porphyr, Melaphyr, kristallinem Kalk, Tonschiefer, Quadersandstein, Kulmkonglomerat (bei letzten beiden Gesteinen weniger typisch). 50 bis 200 m überragen sie ihre Umgebung als Hogolje, Märtenstein, Litzel- berg, Willenberg, Einsiedel- und Rahmberg, Sattel- und Hochwald, Kyn- und Grünauer Spitzberg, Kregler- und Bautenberg, Gröditz- und Probst- heiner Spitzberg, Wolfsberg. Zu den Inselbergen gesellen sich Bergmassive mit flachen Gipfeln, deren buckelige Oberfläche flachwellig oder plateau- artig sich gestaltet. Hierher gehören der 490 m hohe Schiefergebirgsanteil auf Blatt Schönau, der Hohendorfer Bergstock (454 m), die Alt-, Neu- und Ober-Röhrsdorfer Bergmasse (500^600 m), das Diabas- Bergland von Groß Neudorf und Gräbel (360 — 412 m), das Diabas Bergland von Würgs- dorf-Baumgarten (420—433 m), das Phyllit- und Grünschieferbergland bei Freiburg (370 — 430 m), das Kuttenberg-Johnsdorfer Schiefer-Massiv bei Lahn (422 — 490 m). Im Oberrotliegend- Zechstein- und Quadersandsteingebiet von Schönau, Goldberg, Gröditzberg, im Culmgebiet von Ruhbank, im kulmähnlich-konglomeratisch entwickelten Ober- devon zwischen Freiburg und Schweidnitz treten Stufenlandschaften, Schichtenkammlandschaften auf. Zu diesem Landschaftstyp treten Verebnungen und hügelfreie Senken, die 100 bis 200 m, bis 5 km breit sich von den Tiefen bis zur Mitteltiefe hin- ziehen. Gut ausgebildet sind die Verebnungen in der Blumenau-Leipe-Schönau-Probsthein-Pilg- ramsdorfer Senke, dasWürgsdorfer-, das Giesmanns- dorfer-, Salzbrunner-, Quolsdorfer-Becken. Meist sind auch die Pässe zwischen den Bergmassiven langgezogene Verebnungen. In den heutigen Taleinschnitten, die Verebnungen und Senkungen, Stufenhohlkanten, Massive und Gebirgsrücken schräg oder quer durchsägen, finden sich häufig Tal Wasserscheiden. Diese morphologische Mannigfaltigkeit läßt auf einen wechselvollen, stratigraphisch-tektonisch interessanten Aufbau schließen. Auf engen Räumen treten im Durcheinander paläo- und mesozoische Formationen auf. Das Mesozoikum besteht aus Oberer Kreide, Bunt- sandstein, Muschelkalk, Zechstein, sehr mächtigen Rotliegenden, das wie mit fünf Riesenfingern ins altpaläozoische Schiefergebirge hineinragt. Die Handfläche liegt im NW und richtet die Finger nach SO. Eingezogen müssen wir uns bei diesem Bilde den 5., 4., 3. Finger denken, den Zeigefinger 4o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 28 lang ausgestreckt und den Daumen abgespreizt. So würden dem Daumen „die Lähncr Mulde, dem Zeigefinger der Schönauer Graben, dem Mittel- finger die Goldberger, den beiden letzten Fingern die Hartmannsdorfer und die Nieschwitzer Mulde, der Handfläche die Löwenberg-Bunzlauer Gesamt- mulde" gleichen. Zwischen den Fingern greift das altpaläozoische Schiefergebirge ein, nach SO eine breite Fläche bildend, die von dem Bolken- hainer westlichen und östlichen Rotliegendbecken unterbrochen wird. Die Handfläche sowie die beiden äußeren Finger gehören dem Hügel- und Flachlande an, während die übrigen drei Finger und die Füllmasse dazwischen das Bober-Katzbach- Gebirge ausmachen, das durch die sudetische Ost- randverwerfung gegen das norddeutsche Flach- land abgeschnitten ist. Im SW wird es durch die „innersudetische Hauptverwerfung" Feiburg — Hirschberg — Görlitz begrenzt. Vom Süden reichen an die Westgrenze die Granite und Gneise des Iser- und Riesengebirges, im Osten bildet die kulmische Randzone der LandeshutGlatzer Mulde die Grenze. Zu der Buntfarbigkeit liefern auch zahlreiche Eruptivgesteine ihren Beitrag. Es herrschen die Diabase vor, zum Teil in Grün- schiefer umgewandelt. Porphyre und Keratophyre treten zurück. Dagegen gibt es im Westen viel mesovulkanische Melaphyre, im Osten Porphyre als Lager, als große Lakkolithe, weniger als Gänge. Basalte treten als Schlotfüllungen und Quellkuppen auf. Das Diluvium greift vielialtig ins Gebirge ein. Südlich der Gebirgsrandspalte findet es sich noch als Löß, Lößlehm, Gehängelehm und Gehänge- schutt bis zu den Verebnungen, Einsattelungen, Talwasserscheiden in 5Cxd — 600 m Höhe. Nordisch- glaziale Bildungen finden sich an Stellen, die hin- sichtlich der Höhenlage bis jetzt in keinem deutschen Mittelgebirge bekannt waren. Bei Altenberg lagern nordische Findlinge noch in 587 m Höhe. Prä- glaziale Täler zergliedern das Gebirge, deren Sohlen nicht über, sondern unter den heutigen Talsohlen lagern. Bei Merzdorf im Bobertal ragt glazialer Bänderton 30 m unter die heutige Talsohle hinab. Das Diluvium, das im Bober-Katzbach-Gebirge so reich und mannigfaltig auftritt, hat mit dem ebenso häufig und reichlich auftretenden Eluvium gemein, daß sie beide einen großen Teil älterer Schichten- glieder verdecken, besonders Glieder des Schiefer- gebirgsanteiles. Es breitet sich vor allem auf breiten, flachen Berggipfeln und Abhängen mit flacher Böschung aus, eine alte Fastebene ver- ratend. Das eigentliche Schiefergebirge entbehrt jeg- lichen paläontologischen, petrographischen, strati- graphischen und tektonischen Reizes. Es fehlen die Fossilien fast ganz. Nicht ein- mal die „problematischen Versteinerungen", die man in Thüringen oft findet, sind vorhanden. Oberdevon und Kulm lieferten Versteinerungen zahlreich und schön erhalten. Nur die Kiesel- schiefer und Braunschiefer von Schönau wiesen Radiolarien und Graptolithen auf Bei der großen Verbreitung der Kieselschiefer müßten mehr Grapto- lithen gefunden worden sein, so daß man im Zweifel ist, ob alle Kieselschiefer silurisch sind. Die Gesteinsbeschaffenheit ist in den wenigsten Fällen noch die ursprünglichste. Kalksteine fehlen in manchen Gebieten vollständig, bei Kauffung dagegen sind sie mächtig entwickelt, feinkristallin, massig, ungeschichtet, bei Leipa in dünner Lage als Schiefer mit faust- bis doppelkopfgroßen Kon- kretionen ausgebildet. Fast überall sind die Gesteine gequetscht, zerknittert, gefältelt, reich an Ruschelzonen, Quarzadern auf Querspalten. Quelschungsschieferung im Verein mit 'Iransversal schieferung schuf nur stellenweise dachschiefer artige Beschaffenheit. Parallelrunzelung und Holz faserstruktur, sericitische oder phyllitische Be schaffenheit der Schiefer herrscht vor. Aus Dia- basen entstanden Grünschiefer. Stratigraphisch verwertbare Leitgesteine sind selten. Die Stratigraphie des Schiefergebirges ist voller Rätsel. Generalstreichen und Fallen ist unsicher. Selbst Bestimmung der Fallrichtung bereitet Schwierigkeit. Nur die Kieselschiefer weisen größere Faltenaufschlüsse auf. Aus allen diesen ergaben sich die großen Schwierigkeiten bei der Gewinnung eines Bildes der Tektonik des Gebietes. Zimmermann äußert sich darüber: „Das Blatt Bolkenhain zeigt in seinem gegenwärtigen Aufnahmezustande eher das Bild einer Pflasterstruktur mit gerad- oder krummlinigem Grenzverlauf der einzelnen Riesen- pflastersteine, aber weder das Bild eines einfachen Faltensystems oder einer Gilterfaltung wie in Thüringen, noch das einer einigermaßen regel- mäßigen Schuppenstruktur mit einem System regelmäßiger Quersprünge, wie im Harz und im Rheinischen Gebirge, sondern vorläufig noch ein Chaos." Man weiß bis jetzt nur, daß das Schiefergebirge Niederschlesiens präkulmisch aber unbestimmt altpaläozoischen Alters ist. Von hohem Interesse ist der Kulm, der ander Westseite des Gebirges liegt (Kupferberg, Schmiedeberg). Er ist reich an Fos- silien, reich an Konglomeraten mit Gerollen von zum Teil riesiger Größe. An den Gerollen kann man Fältelung, Schieferung, Phyllitisierung, Seri- citisierung, Vergneisung, Quarzdurchlrümmerung beobachten, während die Kulmablagerungen voll- ständig ungestört lagern. Der Kulm Schlesiens ist wie das Rotliegende Thüringens Ablagerungs- schutt und die gewaltigen dynamischen, tek- tonischen Störungen des Schiefergebirges sind präkulmisch. Rudolf Hundt. N. F. XVIL Nr. 28 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 407 Bücherbesprechungen. G. Gürich, DasErdöl in Nordwestdeutsch- land. Abh. aus d. Gebiete d. Naturw. Bd. 20, Heft 3, Naturw. Ver. Hamburg 191 7. Nahezu gleichzeitig mit einer kürzlich veröffent- lichten Offermann' sehen Arbeit über fast das gleiche Thema erscheint diese Übersicht über das dort zu kurz gekommene Geologische des Stoffes. Es ist von mancherlei Art: Die chemischen und physikalischen Eigenschaften und Bedingungen der hierher gehörigen Naturkörper im Erdganzen, die Zeit und Dauer der Entstehung, etwaige nach- trägliche Verlagerung und Veränderung, die engen und sehr auffälligen Beziehungen zwischen Ölen und Salzen, die Verbreitung der Vorkommnisse auf der Erde und ihr Zusammenhang mit der Struktur der Erdrinde, ihr ganz absonderliches Verhalten im Schichtengefüge selbst, die Eigen- arten einzelner Fundgebiete und deren Bedeutung. Soll auch nur ein engumgrenztes Gebiet unserer Heimat behandelt werden, so müssen doch die meisten dieser Probleme auch unter allgemeinem Gesichtswinkel wenigstens kurz gestreift werden. Insbesondere wird auch das südwestdeutsche 01- gebiet zum Vergleich herangezogen und im Zu- sammenhange neben denen Nordwestdeutschlands kurz geschildert. Eine kritischeßerücksichtigung der einschlägigen Literatur ergibt, daß uns die Mutterschicht der Öle noch durchaus unbekannt ist. Neben Karbon, Kupferschiefer, Lias, Wealden und Tertiärhorizonten, die man bisher nacheinander und nebeneinander im Verdacht gehabt hat, lenkt Verf. den Blick auf die Salzlager selbst im oberen Zechstein als die mögliche, ja wahrscheinliche Herkunftsstätte der wichtigen Bodenschätze der verschiedenen Kohlenwasserstoffe. Eine Schichttabelle für Nord- westdeutschland mit Angabe des jeweils vorherr- schenden Gesteinscharakters soll dabei Ferner- stehenden als Leitfaden dienen. Praktische Hinweise bezüglich des Aufsuchens neuer Fundstellen machen den Schluß. Ein Literaturverzeichnis, sowie eine Reihe kartogra- phischer Übersichten dienen zur Ergänzung. Edw. Hennig. Karny. Tabellen zur Bestimmung ein- heimischer Insekten, Bd. 3: Schmetter- linge. Wien 1916, Verlag von A. Pichlers Witwe und Sohn. Preis geb. 3,50 M. Dieser dritte, die Schmetterlinge umfassende Teil des Bestimmungsbuches behandelt 1500 ein- heimische Arten und damit nahezu die Hälfte aller bei uns vorkommenden Schmetterlinge. Alle 46 Gattungen sind angeführt, bei 31 davon, deren Artenzahl nicht allzu umfangreich ist, ist die Be- stimmung aller Arten ermöglicht. Entsprechend dem heutigen Stand unserer Kenntnisse wurde eine scharfe Scheidung zwischen Groß- und Klein- schmetterlingen nicht durchgeführt. Es wird mit den ursprünglichen Formen der Archilepidopteren begonnen; daran reihen sich die Tineimorpha, Tortricimorpha, Pyralimorpha, von denen aus die Cossimorpha zu den Macrolepidopteren überleiten, deren Behandlung mit den hochentwickelten Tag- faltern endet. Wie in früheren Bändchen erfolgt die Bestimmung nach der bewährten dichotomischen iVlethode. Mit dem vorliegenden Teil wird das ganze Bestimmungsbuch abgeschlossen, dessen 2. Band die Käfer und dessen l. die übrigen Insekten umfaßt. (Siehe die früheren Besprechungen.) Die Zeit von mehreren Jahren, die seit der Heraus- gabe des ersten Bandes verflossen ist, gestattet heute schon ein gewisses Urteil über die Ver- wendbarkeit der Tabellen in der Praxis. Nach den Worten des Verfassers wendet sich das Be- stimmungsbuch an den Anfänger und dient ins- besondere für den Gebrauch beim Unterrichte und bei Schülerübungen. Im ganzen werden auf etwa 500 Seiten gegen 5000 einheimische Arten benannt, so daß der Sammler weit mehr als einen guten Überblick über unsere Insekten welt bekommt, bis er in Spezial werken seine Kenntnisse vertieft. Kein anderes modernes Bestimmungsbuch ermög- licht in ähnlicher Weise die Bestimmung der häufigeren Insekten. Wir besitzen zwar in der von Br ohmer herausgegebenen P'auna von Deutschland ein ähnliches Buch, doch werden im Abschnitt Insekten bei weitem nicht alle Gattungen, und folglich auch nicht alle häufigeren Arten er- wähnt. Trotzdem besitzt dieses Buch einen großen Vorteil, den vor allem die Sammler emp- finden müssen, die noch nicht genügend mit dem Stoff vertraut sind, also gerade die Anfänger, für die der Karny bestimmt ist. Im Insektenabschnht der Brohmerschen Fauna wird mit einer über- sichtlichen Bestimmung der Ordnungen in einer eigenen Tabelle begonnen. Darnach werden sie gesondert in ihre Familien aufgelöst. Von be- sonderem Wert ist dabei jedesmal eine klare und kurze allgemeine Diagnose. Auch bei den Familien findet sich sehr häufig ein Hinweis auf ihre Eigen- art. Daran schließt sich erst die Bestimmung der Arten. Gerade diese Gliederung des Stoffes gestattet es dem beginnenden Sammler, sich in der verwirrenden Fülle der Arten rasch und sicher zurechtzufinden. Im Bestimmungsbuch von Karny liegt das Hauptgewicht auf den Arten, die auch durch fetten Druck hervorgehoben sind, während die Begriffe Ordnung, Familie und Gattung, die ganz verschiedenen Inhalt und Umfang haben, ohne Unterbrechung mit gleicher Schrift durch- einander stehen. Der Anfänger, der hauptsächlich die höheren Begriffe sucht und Übersicht erstrebt, findet in dem Werk immer nur wie in der Natur die Arten. Ich habe diese Klage immer wieder von Studenten gehört, die im Praktikum oder auf Ausflügen sich der Tabellen bedienten. Zweifel- los würde das Buch durch eine pädagogische Einteilung und Gruppierung der Begrifife nach 4o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 28 ihrem jeweiligen Wert außerordentlich gewinnen. Wenn der Verfasser diese Gesichtspunkte in einer Neuauflage berücksichtigt, dann würden wir ihm ein Bestimmungsbuch verdanken, das in best- möglicher Weise eine Lücke ausfüllt und sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen wird. Dr. Stellwaag. A. Rotth, Grundlagen der Elektrotech- nik. 2. Aufl. Aus Natur und Geisteswelt Nr. 391. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1917. Die Aufgabe, welche sich der Verlag in der schönen Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" gestellt hat, nämlich „die Errungenschaften von Wissenschaft, Kunst und Technik einem jeden zugänglich zu machen", wird gelöst einerseits durch „Einführungen" in die Hauptwissensgebicte , die zum Selbstunterricht oder Unterricht für den Laien dienen, andererseits durch zuverlässige „Über- sichten", die den Fachmann und Forscher auf dem laufenden halten. Das vorliegende Bändchen dient, wie schon sein Titel sagt, mehr dem ersten Zweck. Nach einer Einleitung über die Entdeckung der galvanischen Elektrizität wird im ersten Teile die historische Entwicklung derjenigen Wirkungen des elektrischen Stromes dargestellt, die für das Ver- ständnis des Folgenden erforderlich sind. Der zweite, reichlich 60 Seiten umfassende Abschnitt behandelt die Lehre vom Gleichstrom: das Ohm'sche Gesetz, die elektrischen Einheiten, die magnetische Energie und ihre IVIessung, die Selbstinduktion. Die gewonnenen Anschauungen und Regeln werden angewandt zum Entwurf eines Bremselektromagneten für einen elektri- schen Fahrstuhl und auf die Gleichstrommaschine. Eine kurze Darstellung des Bleisammlers schließt diesen Teil. Im dritten und letzten werden der Wechselstrom, seine Messung und zeichnerische Darstellung, die Apparate zu seiner Untersuchung, der Transformator, die Mehrphasenströme darge- stellt. Eine kurze Betrachtung über Kapazität und Ladungserscheinungen, die ja für den Wechsel- strom von großer Bedeutung sind, bildet den Schluß. Das Büchlein, welches in anschaulicher und fesselnder Darstellung alles das bringt, was jeden Gebildeten an der Elektrotechnik interessiert und was er eigentlich von ihr wissen müßte, kann warm empfohlen werden. Dr. K. Schutt. Anregungen und Antworten. Die stillstehenden Speichen des fahrenden Automobilrades. In irüheren Bänden dieser Wochenschrift ist mehr als einmal die interessante Beobachtung beschrieben worden, bei welcher die schnelldrehenden Radspeichen eines vorüberfahrenden Fahr- zeuges dem Beobachter einen Moment still zu stehen schienen. Soweit ich sehe, ist bei der Erklärung damals jedesmal vorausgesetzt, daß die Beobachtung des Rades durch ein Gilter hindurch geschehen sein müßte. In diesem Falle ist die Er- klärung leicht: jede Spalte des Gitters gestattet eine „Moment- aufnahme" des Rades, und die Reihenfolge dieser Bilder kann so sein, daß die Räder stillstehend oder gar rückwärtsdrehend erscheinen. Man kann jedoch, wenn man genau darauf achtet, diese eigentümliche Erscheinung des plötzlichen Stillstehens der Radspeichen am schnell vorüberfahrenden Automobil auch beobachten, ohne daß ein Gitter dazu notwendig ist. Der Eindruck ist am stärksten, oft geradezu täuschend, in einer schmutzigen Straße, wo es manchmal aussieht, als ob das Automobilrad durch die Schlüpfrigkeit einen Augenblick wirklich nicht drehe, sondern geschoben würde. Seitdem die hiesigen (Amsterdamer) Taximeterautomobile hellgelbangestrichene Speichen haben und ich öfters absichtlich auf die Erscheinung achte, fällt es mir oft auf. Am besten gelingt die Beobachtung beim vorüberfahrenden Auto, wenn seine Fahrtrichtung mit der Blickrichtung einen rechten Winkel bildet und man sodann den Kopf schnell nach der der Fahrtrichtung entgegengesetzten Seite dreht. Daraus ergab sich mir folgender Erklärungsversuch: Die Erscheinung wäre dieselbe, wie beim Versuch mit dem Dreh- spiegel, wie er z. B. zur Beurteilung der tanzenden Manometer- flammen an Orgelpfeifen gebraucht wird. In dem drehenden Spiegel, von dem ein französischer Forscher gesagt hat, daß er „separe dans l'espace, cequi est separe dans le temps", sieht man bekanntlich die aufein- anderfolgenden Stände der auf- und abflackernden Flamme nebeneinander, in der Form eines gezackten Bandes an- einandergereiht. Beim schnellen Vorüberfahren des nicht gerade fixierten Automobilrades, wäre es doch nun auch denkbar, daß, zumal beim schnellen Kopfdrehen in entgegengesetztem Sinne, die Nctzhautbilder der aufeinanderfolgenden Stände des Rades nebeneinander entstünden. Wirklich gelang es mir nach einigen vergeblichen Ver- suchen beim obengenannten Manometerflammenexperiment mit der Orgelpfeife, ohne jeglichen Spiegel, bloß durch schnelles Drehen des Kopfes, die Erscheinung der bandförmigen Neben- einanderlegung der Flammenfolge, ganz genau so wie im Drehspiegel, zu beobachten. Nur war das Band kürzer und erschienen einige der Flammenzungen deutlicher als die übrigen, vielleicht diejenigen, die zufällig auf die Netzhautgrube gelangten. Bei genau derselben Kopfbewegung gelang auch die Be- obachtung des augenscheinlich stillstehenden Rades am besten, weshalb es mir plausibel erscheint, die Erklärung in diesem Vergleich zu suchen. Daß gewöhnlich nur das Bild eines Rades — zwar bis- weilen auch mehrerer nebeneinander — sich uns aufdrängt, könnte die Folge sein von der ungleichmäßigen Geschwindig- keit der einzelnen Speichen in der zykloidischen Bahn, eher aber von der größeren Deutlichkeit des zufällig auf die Netz- hautgrube gelangenden Teilbildes. J. Heimans, Amsterdam. Inhalt! Egon Eichwald, Neuere Forschungen über Fermente. S. 393. Oskar Prochnow, Physiologische Selbst- beobachtungen beim Fliegen. S. 399. — Einzelberichte: Steineck c, Eine Formationsbiologie der Algen. S. 400. V.Heß und \V. Schmid t, Über die Verteilung radioaktiver Gase in der freien Atmosphäre. S. 402. Cornel Schmitt und Hans Stadler, Neue Beobachtungen über den Kuckucksruf. S. 403. W. Goetsch, Versuche an Hydra. S. 403. Göldi, Bedeutung der Stubenfliege für die menschliche Gesundheit. S. 403. AI. Lipschütz, Zur allgemeinen Physiologie des Wachstums. S. 404. Zimmermann, Die geologischen Eigenschaften des Bober-Katzbach-Gebirges in seinem altpaläozoischen Anteil. S. 405. — Bücherbesprechungen; G. Gürich, Das Erdöl in Nordwestdeutschland. S. 407. Karny, Tabellen zur Bestimmung einheimischer Insekten. S. 407. A. Rotth, Grundlagen der Elektrotechnik. S. 408. — Anregungen und Antworten : Die stillstehenden Speichen des fahrenden Automobilrades. S. 408. N InvalidenstraSe 42, erbeten. Mainaskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlii Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G, Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumbur); a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 21. Juli 1918. Nummer 39. Der Gesang der Vögel. [Nachdruck verboten.] K. Bretscher, Zürich. Warum singt der Vogel? Lassen wir hierüber Bastian Schmid das Wort. „Der erste Laut, den ein junges Hühnchen hervorbringt, ist das bekannte Piepen. Er kann schon zu einer Zeit ausgestoßen werden, wo das Tierchen noch nicht einmal von der Eischale be- freit ist. Obgleich noch undifferenziert, erinnert er doch an den sanften Laut, der Lustgefühl, eine gewisse Zufriedenheit zum Ausdruck bringt und der namentlich beim Picken nach allerlei Gegen- ständen hervorgebracht wird. Bei dieser Gelegen- heit nimmt man auch einen anderen, eine Art Zweiklang wahr. Einen dritten, wenn man sagen will, einen vierten Laut, etwas vibrierend, bringen die Hühnchen hervor, wenn sie sich unter den Flügeln der Henne befinden, oder wenn sie an einen warmen Ort kommen; Laute, die ganz un- zweifelhaft auf Behaglichkeit und Wohlbefinden hindeuten. Hunger oder das Verlangen nach dem Stall bringen die Küken durch rasch aufeinander folgendes Piepen, eine Art Singen zum Ausdruck. Sehen sie sich von den Alten abgeschnitten, so ertönt ein lautes Schreien, Hilferufen vergleichbar, das eingestellt wird, sobald die Henne glucksend antwortet. Sehen sie ihre Mutter oder Geschwister wieder, so antworten sie mit einem kurzen Laut, der gewissermaßen ein Gefühl der Befreiung aus beklemmenden Nöten ausdrückt. Der Gefahrruf wird schon am zweiten oder dritten Tage von Hühnchen ausgestoßen, wenn man einen auffallen- den Gegenstand vor die Tierchen hinwirft, eine Hummel an ihrem Kopfe vorbeifliegt, ein schriller Pfiff ertönt. Er ertönt, wenn eine Katze durch den Hof läuft, ein Raubvogel über das Gehöfte fliegt. Er wird das ganze Leben hindurch bei- behalten. Ebenso der der Überraschung beim plötzlichen Anfassen, nur mit dem Unterschied, daß bei beiden die Stimmqualität sich mit dem Alter ändert. Der Schnabelhieb einer Henne ruft einen kurzen Schmerzlaut l«rvor. Um die Puber- tätszeit ändert sich die Stimme, wie auch bei Enten, Gänsen. Manche Laute verändern ihre Qualität, drücken aber dem Sinne nach dieselben Gefühle aus, andere werden entbehrlich und ver- schwinden. Alles was von den Alten durch „klagen oder bitten" zu erreichen war, hat nun keinen Sinn mehr. Dafür stellen sich andere Laute ein, aber verschiedene nach dem Geschlecht. Die Hähnchen üben sich im Krähen, die Hühn- chen bekommen Töne, die an die Aufgabe der eierlegenden Henne, wenn auch nicht an die brütende, erinnern. Wir finden Laute des Behagens vor bei beiden Geschlechtern, verschieden von denen, die flach der Sättigung hervorgebracht werden, z. B. beim Ausruhen im Schatten. Das Gackern ist verschieden vor und nach dem Eier- legen. Außerdem wird unmittelbar nach der Eiablage ein Laut hörbar, der gewissermaßen ein Gefühl der Befreiung ausdrückt. Beim Aufscheuchen und Verfolgen eines Huhnes werden Angst- und Schrecklaute hervorgebracht, was den ganzen Hühnerhof in Aufregung versetzt. — Bei der Gluck- henne kommen die eigenartigen besorgten Lock- töne zur Geltung, die rasch in Zorn und Wut übergehen können. Das Glucken nimmt in diesen Fällen verschiedene Intensitäten und Qualitäten an. Es finden sich darin nicht nur Rufe zum Sammeln der Kleinen, damit sie sich schützend in ihre Nähe begeben, sondern auch Drohrufe gegen den Feind. Die Henne hat aber auch zärtliche Rufe in ihrer Kehle, wenn es sich um ein gefundenes Körn- chen usw. handelt, wobei zwei verschiedene Laute unterschieden werden können. An Warnrufen besitzt sie ebenfalls zwei, vielleicht drei. Somit verfügt das Huhn über eine große Zahl von Lauten: sie drücken F"reude und Schmerz, Wohlbefinden, Angst, Schreck, Zorn und Wut aus, aber auch die Gefühle der Mütterlichkeit und solche sozialer Art. Verschiedene sind mit ganz bestimmten Ausdrucks- formen verbunden, so daß sie uns über ihre Be- deutung keinem Zweifel aussetzen." Was hier vom Huhn gesagt wird, das der Beobachtung leicht zugänglich ist, gilt offenbar ebenso, wenn auch mit gewissen Änderungen, für die übrigen Vögel. Demnach sind die Laut- äußerungen der Vögel der reflexartige Ausdruck von Gefühlen, Stimmungen und Affekten, die sie bewegen. Die verschiedensten Erregungen, die in seinem Innern sich abspielen, bringen den Vogel dazu. Laute und Rufe auszustoßen, so wenn er sich behaglich fühlt, erschreckt, verfolgt wird, seinesgleichen sieht oder sucht, zur Zeit der Paarung, beim Kampf und Sieg. Aus dieser Grundlage heraus, in der es sich zunächst nur um einzelne Rufe handelt, hat sich offenbar der Gesang ent- wickelt, der selber wieder der Ausdruck einer inneren Stimmung ist. Von ganz besonderer Bedeutung im Leben der Vögel sind die Lockrufe. Das Flugvermögen be- wirkt, daß die Artgenossen in kürzester Zeit weit auseinander geraten können, und da sind diese Rufe das Mittel, sie beisammen zu halten und zu- sammenzuführen. Viele von ihnen leben gesellig; die Vereinigung ist ihnen Lebensbedürfnis. Sie wandern gemeinsam, gehen gemeinsam auf die Nahrungssuche, wie Krähen, Möven, Stare; sie brüten oft gemeinsam, wie die Schwalben und Dohlen. Der P>len- wie der Birkenzeisig lockt 410 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 29 beständig, wenn er von seinen Genossen abge- kommen ist, bis er wieder Gesellschaft gefunden hat. In solchen Fällen allerdings ist vielleicht die Lautäußerung ein Ausdruck von Angst und würde es sich dann nicht ausschließlich um Lock- rufe handeln. Jedenfalls ist das, was wir als solche bezeichnen, allgemein verbreitet. Die Handbücher geben sie denn auch für jede Art an. Die Angst- rufe unterscheiden sich von ihnen meist dadurch, daß sie entsprechend der größeren inneren Er- regung rascher und kräftiger hervorgestoßen werden. So verhält es sich z. B. beim Buchfinken und Hausrötel, während beim Grünfinken, der Amsel und bei Grasmücken und anderen beide vonein- ander verschieden sind. Nach bisher allgemein verbreiteter Ansicht spielen die Lockrufe beim Zug, der meistens nachts ausgeführt wird, eine besonders wichtige Rolle, um die wandernden Gesellschaften beisammenzu- halten. Viele Vögel haben hierbei andere Lock- rufe als gewöhnlich, und der Kenner vermag auch im Dunkeln an den hohen oder tiefen, leisen oder lauten, hellen oder dumpfen, pfeifenden, schnarren- den, quäkenden, knurrenden, kurz ausgestoßenen oder langgezogenen, einfachen oder rasch wieder- wiederholten, feinen oder rauhen Rufen die Art, um die es sich jeweilen handelt, mit Sicherheit festzustellen. Dieser letzteren Auffassung, daß die Reise- genossen durch den Ruf vereinigt bleiben, tritt neuerdings Hagen entgegen. Wie er beobachtete, wandern die einzelnen oder im Verein ziehenden Vögel im Dunkeln still und stumm; dagegen rufen sie bei Tage und beunruhigt durch nächtliche Lichter, in kleinen Schwärmen sogar mehr als in großen. Der Ruf dient also zur Warnung, ist ein Ausdruck von Angst und eine gegenseitige Mahnung zur Vorsicht. Auch in Mondnächten findet Zug statt; dann sind die Rufe leiser, weil die Vögel wahrscheinlich höher oben ziehen, da die Erdoberfläche leicht erkennbar ist. Weil sie in hellen Nächten von Leuchttürmen und dem Licht- kreis der Städte weniger erregt werden als in dunkeln, verhalten sie sich auch ruhiger. In Ge- witternächten rufen sie besonders stark. Allgemein bekannt ist das Zigig der Amsel, wenn sie aus ihrer Ruhe aufgeschreckt, sich davon macht; es scheint, als ob die Nähe einer Katze ihr einen ganz besonders modifizierten Laut ent- locke. Die Nachtigall läßt bei Beunruhigung ein hölzernes Knarren vernehmen. Wenn der Zaun- könig, sagt Voigt, eine Katze oder ein anderes Raubzeug in der Nähe seines Nestes sieht, so setzt der Kleine ihm mit unablässigem Schnurren so lange zu, bis die Gefahr verzogen ist. Diese Warn- und Schrecklaute sind allen Vögeln, ja auch der übrigen Tierwelt, verständlich, und es ist zu auffällig, wie rasch alles im Dickicht und Gras Schütz sucht, wie völlig das Vogelkonzert verstummt, wenn von irgendeiner Seite ein Ruf ertönt, der das Nahen eines Sperbers ankündet. Die geschlechtliche Erregung zur Zeit der Paarung entlockt dem Vogel neue, sonst nicht gewohnte und vielfältige Laute, die Paarungsrufe. Da wird dann oft bloß der Lockruf, aber mit be- sonderem Ausdruck, wiederholt. Diese Wieder- holung steigern der Regenpfeifer und Strandläufer zum Triller. Andere tragen sie in längerer Folge, mit allerlei weiteren Lauten untermischt, als Ge- schwätz vor. Wir kommen so zum Gesang unserer Singvögel, den man als Schlag bezeichnet, wenn er aus regelmäßig wiederholten, kürzeren oder längeren Strophen besteht, die in einem bestimmten Rhythmus vorgetragen werden. Als gute Schläger verdienen der Buchfink und die Amsel Erwähnung; jener bringt es nur zu einer, diese wie die Sing- drossel zu mehreren Strophen. Vielstrophig fast bis zur Unerschöpflichkeit ist dagegen das Lied der Nachtigall, der unser Gartenspötter weder an Klangfülle noch an Reichtum der Melodien nahe kommt. Da dieser Gesang nur oder fast nur dem Männchen und eben hauptsächlich zur Paarungszeit eigen, ist sein Zweck offenbar die Anlockung und Bezauberung der Weibchen. Darüber sind alle Beobachter einig. So sagt Naumann von der Nachtigall: Sie singt des Nachts, um die später kommenden, bei Nacht reisenden Weibchen an- zulocken. Hier sei eingeschaltet, was A. und K. Müller über ihren Gesang sagen: „Eine während der Nacht angelangte Nachtigall schmettert einen Triller, dessen Klang uns zauberhaft berührt und und nun folgt Strophe auf Strophe des Liedes in innigem Zusammenhang. Ringsum verstummen auf einige Augenblicke die Kehlen, nur die Meisterin des Gesanges, die Königin Nachtigall schlägt. Ja, sie schlägt. Ein edler Metallklang tönt aus ihrer Stimme in der Tiefe wie in der Höhe. Keiner davon ist unbedeutend, alle sind raumbeherrschend auch in ihrer sanften, zarten, klagenden Flöten- weise. Selbst der Lockton „uit" und das darauf- folgende Knarren ist von edlem Gepräge. Seele spricht aus ihrem Schlag. Seufzen und Klagen, Kraft, Würde und Erhebung, Entzücken und Jubel drücken sich darin aus. Dieses Tierchen ist keine Maschine, es ist ein seelenbegabtes Wesen. In diesem kleinen Herzen wohnen Empfindungen, die in rascher F^olge wechseln und in der Wundergabe des Gesanges ihren Ausdruck finden. Glühendes Abendrot oder goldener Frührotschein oder weiche mondbeglänzte Mainacht gehört zu diesem Ge- sang." Und Voigt äußert sich: „Die Nachtigall bringt Töne hervor, jetzt lauter, dann fast leise, einmal schneller, dann wieder feierlich getragen, so daß man sich kaum des Eindrucks entziehen kann, der Sänger bringe einen Wechsel von Empfindungen und Stimmungen hervor, der an Menschliches heranreicht." Was hier der Nachtigall zugetraut wird, gilt sicher, wenn auch vielleicht mit einiger Einschrän- kung, auch von den übrigen Sängern. Warum sollen wir ihnen nicht zumuten dürfen, sie singen aus Lust und Liebe, vor Wonne und Schmerz, jeder nach seinen p-ähigkeiten des Stimmorgans, N. F. XVn. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4ti iiamentHch aber auch nach seinen geistigen Eigen- schaften? Wir bleiben damit ebensogut auf dem Boden ernster Wissenschaft, wie wenn wir uns den Vogel als einen gefühllosen Automaten vorstellen. Die Wirkung des Gesanges haben wir uns, da hauptsächlich die Männchen stimmbegabt sind, einmal anlockend auf die Weibchen vorzustellen; dann erhöht er die eigene geschlechtliche Erregung vor der Paarung, wie er andererseits die sexuellen Triebe des Weibchens weckt und steigert. Diese Erregung wird hervorgerufen nur durch die Stärke bei den schlechten Sängern wie Raubvögeln, oder mehr durch Klangfülle, wofür der Pirol als Beispiel angeführt werden könnte. Bei anderen, so beim Weidenlaubsänger, spielt offenbar der Rhythmus die größere Rolle, während bei den besten Sängern die Tonfolge das ausschlaggebende Moment sein dürfte. Der Satz, daß bloß den Männchen das bekannte gute Stimmvermögen eigen sei, ist nur mit Ein- schränkung richtig. Auch die Weibchen verfügen über weitere Laute als nur die Lock- und Warn- rufe. Das des Kuckucks soll mit Gekicher auf die Lockrufe des Männchens antworten. Rotkehlchen- und Starweibchen singen ebenfalls, wenn sie auch an Begabung das andere Geschlecht nicht erreichen, was dann beim Weibchen des Dompfaffen zutrifft, indem es so gut singen lernt wie das Männchen. Auch wurde beim Weibchen des großen Würgers und der Bachstelze Gesang beobachtet. Die Er- scheinung ist also weiter verbreitet, als man etwa anzunehmen geneigt ist. Darwin erklärt sie durch die Annahme, daß das sekundäre Geschlechts- merkmal des Gesanges durch Vererbung von den Männchen auf die Weibchen übertragen worden sei, ohne jedoch hier die Entfaltung wie bei jenem zu erreichen. Hacker findet den Unterschied im Bau des Stimmorgans beider Geschlechter nicht so groß, daß er die verschiedene Singfähigkeit erklären könnte; mithin wäre der Grund in der Vogel- psyche zu suchen. Nicht bloß das Instrument, sagt er, sondern auch der Spieler kommen also in Be- tracht. Altum meint, die geringe Sangeskunst der Weibchen sei in den biologischen Verhältnissen begründet; er sagt nämlich, die beiden Angehörigen eines Paares würden sich weniger leicht finden, wenn beide gleichmäßig sich durch den Gesang locken würden, was nicht sehr einleuchtend er- scheint. Vielmehr dürfte, wie Darwin ausführt, die Erklärung nach einer anderen Richtung zu suchen sein. Namentlich dem brütenden, später auch dem für seine Nachkommenschaft besorgten Weibchen könnte die Gabe des Gesanges leicht verhängnisvoll werden, da es mit Lautäußerungen die Feinde zu sich und der Brut locken würde. Es liegt also im Interesse der Arterhaltung, daß es stumm bleibt, wie ihm auch die auffallenden Farben des männlichen Geschlechts versagt sind. Im Vogelgesang erblickt Altum einen be- deutsamen Beleg für seinen Satz von der Einheit des ganzen Naturbildes. Buntheit, Zartheit, Schön- heit ist der Charakter des Laubwaldes; nur in ihm wohnen die bunt, mannigfaltig, lieblich singenden Nachtigallen, Rotkehlchen, Grasmücken, Sing- drosseln. Dem Nadelwald sind Anmut, Zierde, bunte Abwechslung fern. Da vernehmen wir Zirpen, schnarrende Töne, kurze Strophen von Misteldrosseln, Meisen und anderen. Auch das Rohr beherbergt seine Sänger, die sich in ihrem Äußeren wie im Gesang gleichen wie ein Rohr- stengel dem anderen; das Abgesetzte ihres Gesanges entspricht ganz dem Rohr. Alle diese Ausführungen entspringen dem teleologischen Standpunkt ihres Urhebers und sind mehr Schwärmerei als Wissen- schaft; jedenfalls keine Erklärung, dagegen ein- seitige Zusammenstellung. Hierfür sei nur an den Eichelhäher, den Kuckuck, die Elster im Laubholz erinnert. Über die Sangeszeit im Laufe des Tages sagt B 1 a s i u s : „Viele Vögel singen des Abends noch, aber alle am schönsten und anhaltendsten am Morgen mit Anbruch des Tages. Alle Kehlen wetteifern miteinander und suchen einander zu übertreffen. Schon bald nach 1 2 Uhr mitternachts eröffnet der Kuckuck das Konzert. Nicht lange nach ihm fängt der Pirol an, ihn mit seinen Orgel- tönen zu begleiten. Kaum zeigt sich eine Spur der Morgendämmerung am Horizonte, so stimmen der schwarzrückige Fliegenfänger und das Garten- rotschwänzchen ihre melancholischen Melodien an; dann folgt das Rotkehlchen mit seinem melo- dienreichen Allegro, dann die Königin der Sänger, die Nachtigall mit ihren schmelzenden Harmonien und die Amsel. Ist Feld in der Nähe, so hört man jetzt auch die P^ldlerchen ihr Liedchen wirbeln. Endlich ist die völlige Morgendämmerung einge- treten, dann mischen alle übrigen Sänger, Filis, Grasmücken, Finken usw. ihre Lieder so durch- einander, daß man kaum noch eins von dem anderen unterscheiden kann. So wie sich die Sonne am Rande des Horizontes zeigt, verstummen schon die, die das Konzert anfingen und schicken sich an, ihr PVühstück aufzusuchen, während die, welche später zu singen begannen, so lange eifrig damit fortfahren, bis die Sonne völlig aufgegangen ist Später hört man die Gesänge bis gegen Mittag nur einzeln. In den Mittagsstunden lassen sich nur die fleißigten Sänger, z. B. der gemeine Fink, der Fitis und wenige andere, und auch diese nicht anhaltend, hören; mehr noch gegen den Abend, wo dann die Nachtigall, Amsel, Singdrossel aus- schließlich bis fast zu Ende der Dämmerung, doch nicht so kräftig wie des Morgens ihre Lieder er- tönen lassen." — Immerhin scheint die Reihenfolge dieser Frühsänger nach den Gegenden verschieden zu sein. Voigt hörte am 4. Juni um 2^" Uhr die Feldlerche, gleich darauf den Sumpfrohrsänger. 2 '"^Uhrhub das Kuckuckrufen an, 2 "'' Goldammer- gesang, 3 "" Amsel und so fort. Auch zeigt nach diesem Beobachter die Vogeluhr von Woche zu Woche andere Zeiten an. Mit der früher auf- steigenden Sonne erwachen nämlich die Sänger auch zeitiger. So sang im Jahr 1917 bei uns die 412 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 29 Amsel Ende März um halb 6, gegen Ende April um 4'j^, Ende Mai um 3-''/^, Mitte Juni um 3V2, anfangs Juli wieder um 3",. Die Reihenfolge, in der unsere Stadtvögel morgens ihre Lieder zum Besten geben, ist meist Amsel, Spiegelmeise, F'ink und Spatz. Den Hausrötel hörte ich mehrmals noch vor der Amsel, die Schwarzkopfgrasmücke aber zuletzt singen. Später erwacht auch der plumpe Grünfink. Weder heftiger Regenguß, noch Blitz und Donnerschlag oder Autolärm weckt sie früher auf; dagegen singen sie bei bedecktem Himmel regelmäßig später als bei klarem Wetter; also sind sie hierin ausschließlich vom Licht ab- hängig. Unser städtisches Morgenkonzert dauert bei keiner Art lange, meist weniger als eine halbe Stunde. Abends singt die Amsel dem sinkenden Tag ihr Abschiedslied. Auch im Laufe des Jahres läßt sich ein regel- mäßiges Verhalten feststellen. Der Gesang wird schon im Februar wieder aufgenommen, 1917 z. B. hier trotz der großen Kälte schon in den ersten Tagen dieses Monats vom Buchfinken, der Spiegelmeise, dem Kleiber, dem Grünfinken. Die Amseln fingen erst am 10. März zu flöten an, während von anderwärts auch früherer Beginn ihres Gesanges angegeben wird. Die Spiegelmeise hört man während des ganzen Winters gelegentlich schlagen. Die ersten Gesangproben der eigent- lichen Sänger, wie Amsel und Fink, fallen noch etwas stümperhaft aus, und es braucht ein paar Tage, bis das Organ eingeübt ist. Mai und Anfang Juni zeitigen die Hauptleistungen in der Sangeskunst, was die rege Teilnahme betrifft. Schon im Anfang Juli geht es damit zurück und gegen Ende des Monats wird der Wald stumm; die Zeit der Mauser ist gekommen. In Berglagen allerdings zeigen diese Erscheinungen einige Verspätung. Noch Ende Juli z. B. flötete auf der Hohfluh (looo m) in diesem Sommer die Amsel und schwatzte die Gartengrasmücke, als diese bei Zürich bereits 8 — 14 Tage früher den Gesang eingestellt hatten. Ausnahmsweise allerdings kommt es auch vor, daß die Amsel, der beste Sänger unserer Stand- vögel, mitten im Winter zu konzertieren beginnt. Wieder andere Vögel, wie der Zaunkönig und die Wasseramsel, halten sich in ihren musikalischen Äußerungen an gar keine Jahreszeit; sie singen trotz Schnee und Kälte auch den Winter hindurch, immerhin nicht so häufig wie im Sommer. Von verschiedenen Beobachtern wird auch angegeben, daß der Vogelsang bei trockenem Wetter verstumme, um bei eintretendem Regen sofort wieder aufzuleben. Nicht immer zeigt der Gesang Ähnlichkeit bei den verwandten Arten einer Familie; das trifft einigermaßen zu für die Lerchen, Ammern, Stelzen, Drosseln, Haus- und Feldsperling, Häher, nicht aber für die Grasmücken, Pieper, Laubsänger. Mehr Übereinstimmung zeigen jedoch die Lock- und Warnrufe. Die Örtlichkeit übt auf die Sangeskunst einen großen Einfluß aus, und gerade die zarten Künstler singen oft nach den Gegenden verschieden. A. und K. Müller geben dies an für die Singdrossel, die Garten- und Schwarzkopfgrasmücke, Naumann auch für die Nachtigall, den Gartenammer und den Buchfinken an, während Voigt es bezüglich des letzteren bestreitet, für den Sprosser aber aus- drücklich bestätigt. Neben den artlichen bestehen aber auch indi- viduelle Verschiedenheiten in der Wiedergabe der Melodien. Das trifft nicht nur zu für die besten Sänger wie unsere Amsel, Schwarzkopf-, Garten- grasmücken, Gartenspötter, sondern auch für solche, deren Kunst weniger hoch gewertet wird, wie die Meisen und den Buchfinken z. B. So wenig reich an Abwechslung der Schlag dieses letzteren erscheinen mag, bei aufmerksamem Zu- hören nimmt man doch leicht Variationen wahr in der Tonhöhe, der Klangfarbe, der Klangfülle, der Zahl der Schläge, der Zusammensetzung der ganzen Strophe. Daher hat die Ansicht der Be- obachter, daß der Gesang auch dazu diene, die Individuen gegenseitig leichter erkennen zumachen, gewiß viel Berechtigung. Auch Morgan betont dies und führt aus, daß gerade die leisen Nuancen, die die meisten Singvögel durch Aufnahme fremder Elemente in ihren Gesang hervorbringen, ein leichtes Mittel zur gegenseitigen Erkennung der Individuen abgeben. Damit sind wir beim Spotten der Singvögel angelangt, womit gemeint ist, daß sie bei ihren musikalischen Leistungen nicht nur mit den ihnen eigenen Lauten und Melodien sich begnügen, son- dern allerlei Fremdes, Gehörtes wiedergeben. Die Tatsache wird von den Beobachtern immer und immer wieder erwähnt, und Stadler und Schmitt kommen in einer neueren Arbeit darüber zu dem Schlüsse, daß alle Sperlingsvögel diese Fähigkeit in mehr oder weniger ausgesprochenem Grade be- sitzen. Die einen sind nach ihnen mehr zufallige Nachahmer; solche sind die Kohlmeise, der Buch- fink, der Spatz. Andere, wie die Rohrsänger, ent- lehnen bei guten Musikanten bessere Motive als ihnen selber eigen sind, während der Fitis mit den Rufen des Weidenlaubsängers den eigenen Gesang verschlechtert. Der Star wie der Eichel- häher ahmen alles mögliche nach, außer Vogel- stimmen auch Hundegebell, das Geräusch von Sägen u. ä. Beim Würger überwiegt das Ange- eignete den eigenen Besitz. Außer der Umgebung mit ihren zufällig häufigen Stimmen und Geräuschen ist bei dieser Nachahmung auch die individuelle Begabung des Spötters ausschlaggebend. Die beiden Autoren sprechen auch die Ansicht aus, daß manche Laute, die unseren Ohren fremd klingen, aus ihren Winterstationen zu uns gebracht worden seien, was gewiß nicht von der Hand zu weisen ist. Sie unterscheiden die regelmäßigen Spötter von den fakultativen. Während bei jenen der eigene Gesang mehr oder weniger, sogar ganz durch die fremden Laute verdrängt ist — Star, Gartenspötter — , lassen diese nur gelegentlich solche gewissermaßen als Fremdwörter hören, oder es wird auch ganz auf die Aufnahme solcher N. F. XVII. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 413 Anleihen verzichtet, wofür die Schwalben und Baumläufer als Vertreter angeführt seien. Wie Schiffe rli (Sempach) aus reicher Erfahrung be- richtet, läßt der Star vom Schrei des Bussardes bis zum Locken der Blaumeise alles hören. Da- zwischen Hundegebell, Hühnergackern, Schmiede- gehämmer, Pfeifsignale der Eisenbahn, und wenn einer in einer Scheune die ungeschmierte Welle quietschen hörte, wird er nicht unterlassen, auch damit sein Konzert zu bereichern. Aus eigener Beobachtung kann ich anführen, daß eine Amsel in der Umgebung des Weinbergschul- hauses den oft gehörten Grundakkord c e g c durch mehrere Sommer tadellos flötete. Bei einer anderen in Witikon bildete c e g c g den Haupt- bestandteil ihrer Melodien. Zwischenhinein sei auch bemerkt, daß die oben genannten Autoren auch den Tonumfang unserer Sänger zu bestimmen sich bemüht haben. Sie finden, daß die tiefsten Töne in der großen Oktave liegen, während die höchsten in die siebengestrichene hineingehen. Der Vogelgesang bewegt sich dem- nach innerhalb 8 — 9 Oktaven ; das Klavier umfaßt deren 7. Aber mit der Stimme der Vögel ist ihre Laut- äußerung noch nicht erschöpft. Manche von ihnen, sie gehören nicht zu den besten Sängern, ver- steigen sich auch zur Instrumentalmusik. Ein solcher Musiker ist der Storch, der mit dem Schnabel klappert. Die Spechte üben das be- kannte Trommeln aus, indem sie den Schnabel auf Aststümpfe und Zacken schlagen und dabei solche vorziehen, die weithin schallende Töne geben. L. Brehm erzählt vom Schwarzspecht: „Erwählt an einem dürren Baum die Stelle, an der das Pochen recht schallt, setzt sich daran, stemmt den Schwanz auf und klopft so schnell mit dem Schnabel an den Baum, daß es in einem fort wie ,,Errr" klingt und die schnelle Bewegung seines Kopfes — mit der roten Kappe — aussieht, als wenn man mit einem Span, an dem vorn eine glühende Kohle ist, schnell hin- und herfährt." Die männliche Heerschnepfe erzeugt im Flug einen meckernden Laut, indem sie sich hoch in die Luft erhebt, dann schräg absteigt und dabei die fächerig ausgebreiteten Schwanzfedern dadurch ins Vibrieren bringt, daß sie stoßweise durch Flügelzuckungen angeblasen werden. Der Vogel heißt darum auch Himmelsziege. Wie die einem Ochsengebrüll ähnlichen Laute der Rohrdommel erzeugt werden, hatWodzicki beobachtet. Das Männchen halte den Schnabel im Wasser, das aufgespritzt werde. Dann erhebe es den Kopf, schleudere ihn nach hinten und stecke ihn wieder schnell ins Wasser. Das letzte dumpfe „Buh" entstehe durch das Aus- stoßen des noch im Schnabel befindlichen Wassers. Noch ein Wort, wie die Sänger ihre Lieder vortragen. Regelmäßig suchen sie hierfür einen vorragenden Sitz aus. Die Amsel den höchsten Gipfel eines Baumes, der Hausrötel den Dachfirst, die Schwalbe einen Telegraphendraht, der Wiesen- schmätzer den obersten Zweig eines Busches oder ein überragendes Kraut in der Wiese, die Wasser- amsel einen hohen Stein im Bach. Dabei ist die ganze Persönlichkeit des Vogels beteiligt, der Schnabel hoch aufgerichtet, die Flügel oft schlaff herunterhängend. „Eine Mönchsgrasmücke", sagt W e i n 1 a n d , „zwitscherte gewöhnlich ganz ge- mütlich, die Füßchen zwischen den Federn ver- steckt und auf ihren Bauch niedergeduckt, den Anfang ihres Liedes. Aber schon in dessen Mitte, wo die Melodie lauter wird, erhob sie sich all- mählich; dann aber richtete sie sich mehr und mehr hoch auf, reckte Hals und Kopf empor, sträubte die Kopffedern und stieß nun in stolzer Haltung mit dem größten Pathos jene herrlichen Flötentöne hervor, mit denen ihr Gesang schließt. Hatte sie geendigt, so hüpfte sie stolz mit auf- gerichtetem Häubchen einige Male hin und her und setzte sich dann nieder." Manche Sänger steigen beim Vortrag in die Luft empor und kehren wie der Baumpieper im Gleitflug singend wieder zu ihrem Baum zurück. Hierbei über- purzelt sich der Steinschmätzer mehrmals. Die Lerche aber läßt nur im Flug ihre herrlichen Weisen erschallen, laut schmetternd im Aufstieg, leiser werdend und verhallend bei der Rückkehr. Dieses Verhalten führt zum eigentlichen Balzspiele hinüber, das da einsetzt, wo eigenartige Körper- bewegungen als Mittel auftreten, das Weibchen zu bezaubern. Sie können in förmlichen Tänzen bestehen und von Tonäußerungen begleitet sein oder nicht. Nach Brehm hält z. B. der balzende Birkhahn vor dem Kollern den Schwanz senkrecht und fächerförmig ausgebreitet, richtet Hals und Kopf, an dem alle Federn gesträubt sind, in die Höhe und trägt die Flügel vom Leibe ab und gesenkt; dann tut er einige Sprünge hin und her, zuweilen im Kreise herum und drückt den Unterschnabel endlich so tief auf die Erde, daß er sich die Kinnfedern abreibt. Weiter sei noch auf die schon erwähnte Heerschnepfe verwiesen. Auffallend ist auch, wie die Vögel beim Ge- sang allgemein ihre höchste Kraft entfalten. Nicht selten setzen sie uns geradezu in Verwunderung, woher sie die Tonfülle nehmen, über die sie verfügen. Wie kommt der Vogel zu seinen Lautäuße- rungen? Sind sie angeboren oder erlernt? Darüber wurde bereits gesprochen, als es sich darum handelte, die Verschiedenheit der Laute bei noch jungen Vögeln, insbesondere beim Haushuhn nach- zuweisen. Ganz ähnlich wie Schmid von diesem, berichtet Morgan vom Teichhuhn, daß die jungen Tierchen schon 48, Enten 24 Stunden vor dem Ausschlüpfen piepen, dieser Laut also wirklich instinktiv ist. Wenn erstere das Licht der Welt erblicken, lassen sie schon zwei Töne vernehmen : einen rauhen Rufton und einen Ausdruck des Be- hagens, der ein wenig an das Zwitschern eines zufriedenen Kanarienvogels erinnert. Am Ende einer Woche sind 5 verschiedene Laute oder Ton- typen zu vernehmen: ein rauher Ruf beim Fordern des P'utters, bei Aufregung oder Ärger irgend- 414 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVn. Nr. 29 welcher Art; er wurde immer in zusammen- gekauerter Haltung, weit zurückgeworfenem Kopf und vorwärts gespreizten Flügeln ausgestoßen; zweitens ein klagender Laut als Ausdruck von Unlust; drittens ein schriller, jäher Schmerzensruf, wenn etwa ein Flügel vom Nachbar gezwickt wurde; viertens ein sanftes, anhaltendes Zirpen der Zufriedenheit und endlich der erwähnte Aus- druck des Behagens. Die rauhen Töne veran- laßten immer die anderen Vögelchen, die eigen- tümliche Aufregungsstellung anzunehmen. Da die Vögelchen in Abwesenheit der Alten gehalten wurden, handelt es sich hierbei um rein instinktive Laute, denen ein großer suggestiver Einfluß auf die anderen Jungen zukommt. Doch scheint dieser zum Teil wenigstens schon das Ergebnis von Assoziationen und Erfahrungen zu sein. Ererbt ist wohl auch der Charakter der Stimme, ob er flötend, pfeifend, kreischend, zwitschernd usw. sei. Ob sich dasselbe vom Gesang sagen läßt, ist wieder eine andere Frage. Bechstein nahm Eier aus einem Finkennest, legte sie Kanarienvögeln unter und ließ die ausgebrüteten Jungen auch von diesen aufziehen. Trotzdem so diese ihresgleichen weder gesehen noch gehört hatten, sangen sie im nächsten Frühling doch den Finkenschlag. - Andererseits wird wieder angegeben, daß Jungfinken, die nicht Gelegenheit hatten, ihre Artgenossen zu hören, keine rechte Melodie er- lernten. Drei junge, zu verschiedenen Pflegeeltern gebrachte Hänflinge eigneten sich je den Gesang dieser letzteren an und gaben ihn später auch bei ihren Artgeiiossen nicht auf Ebenso nahmen junge Dompfaffen bei Kanarienvögeln deren Weisen an. Auch Dr. Fischer-Sigwart in Zofingen erzählt von einer Amsel, die ohne den Gesang ihrer Genossen je gehört zu haben, dennoch musizierte, aber mit langgezogenen, schönen und melancholisch stimmenden Tönen. In der Vogel- welt gilt also in weitem Maße, daß Hans nicht mehr lernt, was er als Hänschen nicht gelernt hat. Und in diesem Vermögen der Aneignung der Melodien kommen nicht nur artliche, sondern auch individuelle Unterschiede in Betracht. Wir können mit Roman es einig gehen, wenn er'sagt, daß der Gesang der Vögel in seiner Grund- lage instinktiv ist, sich aber ohne das Vorbild der Eltern und ohne Nachahmung nicht so rasch und vollkommen entwickelt wie mit ihnen. Durch Übung und fleißige Wiederholung erhält er den Charakter einer festumrissenen Gewohnheit. — Bis zu einem gewissen Grad ist dem Vogel auch die Melodie angeboren ; sie gehört zu seiner natür- lichen Mitgift, die zugleich die Beschränkung seines Sinnes für die Harmonie der Töne bedeutet. Die in der Tat starken individuellen Schwankungen unterworfene Fähigkeit des Spottens, des Erlernens von Liedern und des Sprechens sagt uns, daß bei den einen Jungvögeln mehr ererbte Anlage, bei den anderen mehr der Antrieb von außen, die Nachahmung sich geltend machen. Die Wirkung der Lock- und Warnrufe auf die Artgenossen und die anderen Vögel beweist, daß sie wie der Gesang eine große suggestive Bedeu- tung haben, indem sie als Ausdruck von Stim- mungen und Affekten die entsprechenden seelischen Regungen auslösen. Dies läßt uns die Möglichkeit der Nachahmung verstehen, deren Bedeutung darin liegt, die jungen Vögel auf die Stufe der Erwachsenen zu heben und die weniger intelligenten auf den Stand der intelligenteren, initiativeren zu bringen, wie Morgan betont. „Jeder Vogelgesang ist Paarungsruf", äußert sich AI tum, und darin gehen alle Beobachter mit ihm einig. Er ist nach ihm integrierender Bestandteil des Fortpflanzungsgeschäftes, zu dem Braun als dritten den Zug rechnet. Diese Be- hauptungen sollten doch einmal durch Kastration von Sängern unter den Zugvögeln nachgeprüft werden. Wirklich tritt das Singen gleichzeitig mit dem Erwachen des Geschlechtstriebes auf und flaut mit ihm ab. Doch darf die Gleichzeitig- keit noch nicht als entscheidender Beweis für den ursächlichen Zusammenhang beider Erscheinungen angesehen werden. Haben wir im Gesang auch ein Mittel zur Er- kennung und Unterscheidung der hidividuen von- einander zu erblicken, so findet Alt um eine weitere Bedeutung in der Feststellung der Grenzen der Brut- oder Nährreviere. Tatsächlich nehmen viele unserer Vögel bestimmte Gebiete für sich in Anspruch, die sie gegen Eindringlinge nach- drücklich behaupten. Die jungen Meisen werden von den alten aus ihrem Bereich verjagt, wenn sie erwachsen sind. Die Größe dieser Reviere richtet sich offenbar nach der Menge der vor- handenen Nahrung ist und daher je nach den Örtlich- keiten verschieden, d. h. ihre Besetzung mit einer Art bald dichter, bald lockerer. In den höheren Lagen unserer Bergtäler ist mir immer die große Vereinzelung der Artgenossen gegenüber dem Mittellande aufgefallen. Nun soll der Gesang dem allfällig neuen Zuzug von vornherein angeben, daß das Gebiet besetzt ist und der Versuch einer Ansiedelung nicht ohne Widerstand abgehen wird. Wie futterneidisch die Vögel im allgemeinen gegen ihresgleichen sind, sehen wir oft genug am Futter- tisch; also ist die Ansicht von Altum sicher nicht ganz ohne Berechtigung. Sie stimmt auch gut mit den Tatsachen überein, wenn er darauf aufmerksam macht, daß gerade die besten Sänger eine verborgene Lebensweise führen, hauptsächlich durch ihre Stimme ihren Aufenthalt verraten und beim Gesang einen Platz wählen, von dem aus sie sichtbar sind. Nun ist aber die Lautgebung der Vögel auch Wettgesang. Wenn im Frühling ein Buchfink seinen Schlag ertönen läßt, wird sicher sein Nach- bar auch den seinigen anstimmen, sobald jener geendigt hat. Der zweite reizt den ersten wieder und so setzt sich das Spiel oft lange Zeit fort. Voigt teilt eine ähnliche Beobachtung von der Nachtigall mit. „In bedrohlicher Nähe sangen 2 Männchen einander an; ohne Pause schloß sich N. F. XVII. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 415 Strophe an Strophe; wenn auch deren Aufbau aus einer oder zwei Hauptteilen noch gewahrt blieb, so doch alles hitzig und in eiligem Tempo, nicht übermäßig laut. Crescendo-Bildungen, Über- tragen von Motiven in verschiedene Tonlagen, Auskosten süßer Laute, stimmungsvolle Pausen gabs hier nicht." Man darf füglich in dem Um- stand, daß die Sänger für den Vortrag ihrer Lieder hervorragende Plätze auswählen, auch eine gewisse Herausforderung erblicken, die wenn vielleicht nicht beabsichtigt ist, doch aber ausgeübt und bewirkt wird vermöge des suggestiven Einflusses, den der Gesang auszuüben vermag. Insofern beim Weibchen eine solche Beeinflussung möglich ist und ähnliche Gefühle weckt, die ihn veranlassen, wird auch der Sänger auf dem Heiratsmarkt die größte Aussicht auf Erfolg haben, der durch Klang- fülle und Wechsel der Melodie den stärksten Ein- druck hervorzurufen imstande ist. Nebenbei gesagt, dienen offenbar das oft so glänzende Farbenkleid der Männchen und ihre Balz- und Liebesspiele demselben Zweck, die Weibchen zu bezaubern. Indem nun Darwin annahm, daß die Männchen am ehesten zur Fortpflanzung gelangten, die ver- möge dieser Eigenschaften von den Weibchen vorgezogen wurden, kam er zu seiner Theorie von der geschlechtlichen Auslese oder Zuchtwahl, die Wallace verwirft und durch die natürliche Auslese ersetzt wissen möchte. Nach seiner Auf- fassung sind nämlich die Farbenfreudigkeit und die Gabe des Gesanges eine Folge und ein Aus- druck der Gesundheit und Kraft ihres Trägers, der durch diese Eigenschaften seinen Gegner aus dem Felde zu schlagen in der Lage ist. Groos neigt mehr der Darwin 'sehen An- sicht zu, da die Männchen vom Weibchen vor- gezogen werden, die es bei der Bewerbung am meisten sexuell zu erregen vermögen. Daß dabei die größere Kraft und Schönheit ebenfalls eine Rolle spielen, ist selbstverständlich; ebenso aber auch, daß bei der Auswahl der Männchen seitens der Weibchen nicht bewußte ästhetische Rück- sichten in Frage kommen. Sicher aber besteht bei den Männchen in der Ausübung ihrer Kunst ein gewisser Grad von Rivalität, von Eifersucht. Hierfür möge als Bei- spiel ein Buchfink im Friedhof Nordheim in Zürich 6 angeführt sein, der auf dem Ästchen einer Traueresche, das über die schwarzpolierte Marmor- platte eines Grabsteines hinabhing, seiner Kunst oblag. Dabei sah er nun sein Spiegelbild, einen vermeintlichen Gegner oder Mitbewerber, auf den der Fink aus Leibeskräften einhackte und so die Steinplatte mit hundertenvon Hieben bedeckte; sie hat nun stellenweise ihren Glanz völlig ein- gebüßt. Dieser Anteil des Innenlebens, des Psy- chischen beim Gesang macht es uns verständlich, daß der Vogel mit Leib und Seele dabei ist. Sind doch schon Fälle beobachtet worden, daß sie beim Gesang um die Wette tot hingefallen sind. Aber die Sangeskunst des Vogels steht sicher nicht immer im Dienste der Fortpflanzung, sondern ist auch oft uur der Ausdruck eines gewissen Be- hagens und einer gesteigerten Lebenstätigkeit, denn es üben sie auch junge Vögel, die noch lange nicht vor der Paarung stehen, und alte, wenn die Brüten erledigt sind. So können wir den bereits erwähnten Herbstgesang der Amsel und des Rotkehlchens, wie den Wintergesang des Zaunkönigs als Spiel auffassen. Ebenso auch das sogenannte Dichten, das viele Vögel vor und nach der Mauser hören lassen. Bei der Amsel besteht es in zarten, in feinem Piano vorgetragenen Melodien, die von ihrem Frühlingsgesang ganz ver- schieden sind. Wie die übrigen tierischen Spiele ist der spielend ausgeübte Gesang eine Einübung in die spätere wichtige Lebensfunktion. Als eine weitere Anregung zur Stimmentfaltung dürfen wir wohl auch das Beispiel und die Nach- ahmung in Erwägung %iehen. Wie der Hund in das Glockengeläute einstimmt, wie wir zu einem Stimmengewirr durch Pfeifen oder Summen un- willkürlich einen Beitrag leisten, wie der Vogel im Käfig durch Lärm zum Singen gereizt wird, so dürfte der Freivogel durch das Vorbild in seiner Umgebung zum Singen verlockt werden. Ob der Vogelgesang eine Sprache ist? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie wir den Begriff „Sprache" umschreiben. Wenn wir darunter Lautäußerungen mit suggestiver Wirkung verstehen, so ist der Gesang eine Sprache; aber dann fällt auch das Rollen des Donners, das Rauschen des Waldes, das Knarren eines Rades unter diesen Begriff. So ist er offenbar zu weit gefaßt. Wenn wir dagegen Sprache als Mitteilung von Bewußtseinsinhalten verstehen, so wäre zu entscheiden, ob der Vogel sich der Ausübung seiner Kunst bewußt ist. Bis diese Frage ein- wandfrei erledigt sein wird, bleiben wir am rich- tigsten beim alten Wort Gesang. Kleinere Mitteilungen. Zweckmäßi^eit oder Nutzmäßigkeit? Die Frage nach der Zweckmäßigkeit in der Natur ist allem Anschein nach nicht aus der Welt zu bringen. In dem Streit zwischen Mechanismus und Vitalismus spielt sie eine entscheidende Rolle und nach wie vor stehen sich überzeugte An- hänger der Zweckmäßigkeit in der Natur gegen- über und können sich nicht gegenseitig über- zeugen. Das zeigt sich auch gerade in der Gegenwart wieder angesichts der Kontroversen über das Buch von Prof. Becher- München über die „fremddienliche" Zweckmäßigkeit der Gallen. Und doch ist eine Einigung höchst wünschens- wert, und es ist auch gar nicht einzusehen, wes- halb eine solclie nicht möglich sein sollte. Sie anzubahnen ist der Zweck der nachfolgenden 4i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 29 Zeilen. Sie wird, das kann man von vornherein annehmen, auf einer mittleren Linie liegen. Daß der sog. Zweckmäßigkeit in der Natur tatsächlich etwas Besonderes zugrunde liegt, wird auch ihr leidenschaftlichster Gegner im Ernst nicht leugnen können. Es handelt sich dabei nur um Lebewesen und um Vorrichtungen, welche zur Erhaltung des Lebens, bzw. zur Erhaltung der Art dienen. Niemand wird leugnen können, daß die verschiedenen Formen des Säugetiergebisses für die Erwerbung einer bestimmten Nahrung dienen oder daß die harten Schalen der Schließfrüchte zum Schutz der in ihnen ruhenden Pflanzenkeim- linge dienen. So ausgedrückt, wird auch der Gegner der Zweckmäßigkeit dagegen nichts ein- zuwenden haben. Das geschieht erst, wenn man sagt, das Gebiß der Säugetiere ist „zweckmäßig" gebaut, nämlich zu dem Zweck, eine ihm ent- sprechende Nahrung zu zerkleinern, oder: die harte Schale der Schließfrüchte ist zweckmäßig gebaut, weil sie die in ihr liegenden Keimlinge schützt. Ein gewöhnlicher Sterblicher wird es nun nicht verstehen, wenn ein Forscher jene ersten Sätze anerkennt, dagegen die zweite Fassung ab- lehnt; denn er nennt ja eben gerade das zweck- mäßig, was dem Erwerb der Nahrung oder dem Schutz und damit der Erhaltung des Lebens dient. Er wird es für eine Wortklauberei halten, wenn jemand in diesem Fall die „Zweckmäßigkeit" leugnet, während er doch die ihr zugrunde liegende Tatsache anerkennt. Und in der Tat, so ganz unrecht hat er nicht : es ist wirklich nur ein Streit um Wörter; aber hinter den Wörtern stehen Begriffe, und wir wollen nun einmal fest- stellen, daß es eine gewisse Unklarheit in dieser Richtung ist, welche den in Rede stehenden Streit nicht zu Ende kommen läßt. In dem Begriff „Zweck" liegt in der Tat etwas mehr als das, was die ihm in der Natur zugrunde liegenden Tatsachen zunächst besagen. Dieses iVIehr ist es, was manche Forscher mit Recht zur Opposition treibt. Zu bedauern ist nur, wenn, dank der Unklarheit der ganzen Lage, dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und auch das Berechtigte im Zweckbegriff abgelehnt wird. Nämlich es liegt in dem Begriff „Zweck", der aus menschlichen Verhältnissen entnommen ist, der Nebenbegriff der „Absicht", mit diesem aber ver- lassen wir in der Tat das Gebiet der Natur- wissenschaft. Man hat gegen die Zweckmäßig- keit geltend gemacht, daß sie der Kausalität, als dem eigentlichen Prinzip der Naturwissenschaft widerspräche, dies trifft aber durchaus nicht zu; denn das, was zur Erhaltung des Lebens dient, kann und wird ja doch durch Kausalität ent- standen sein, wie denn ja auch der Mensch bei Erreichung seiner Zwecke sich gerade des ursäch- lichen Geschehens bedient. Es ist aber auch ferner gar nicht einzusehen, weshalb die Kausalität das einzige Prinzip sein sollte, das in der Natur- wissenschaft Geltung hat. Die Naturwissenschaft hat es mit der Natur, und nur mit der Natur zu tun, d. h. mit dem der Beobachtung durch unsere Sinne unmittelbar oder mittelbar zugänglichen Seinsgebiet. Diese Beobachtung zeigt uns nun aber noch mehr in der Natur als das bloße Kausalitätsverhältnis und führt uns dadurch auf weitere Prinzipien der Natur. Wenn wir dabei im Gebiet der Lebewesen auf ein besonderes Prinzip treffen, so haben wir nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht dieses Prinzip neben der Kausa- lität zum Ausdruck zu bringen. Derartiges liegt nun in der Tat vor, wenn wir sehen, daß die ge- samte Lebewelt in ihrem Bau und in ihren Ver- richtungen auf die Erhaltung des Lebens hinzielt. Bei der Bezeichnung dieses Prinzips dürfen wir nun aber nicht über das hinaus gehen, was uns die Beobachtung der Natur sagt. Damit würden wir unweigerlich das Gebiet der Naturwissenschaft verlassen. In dem uns hier beschäftigenden F"all, sagt uns die Beobachtung der Natur nicht mehr und nicht weniger, als daß das Gebiß der Säugetiere zum Zerkleinern der Nahrung und dadurch mittel- bar zur Erhaltung des Lebens dient, daß also das Gebiß für das Tier unzweifelhaft von Nutzen ist: das Tier benutzt sein Gebiß zum Zerkleinern der Nahrung, und der Nahrung entsprechend ist es eingerichtet. Mit diesen Sätzen stehen wir ohne allen Zweifel auf dem Boden der Naturbeobachtung und damit der Naturwissenschaft. Wenn wir nun aber in diesen Zusammen- hängen die Wörter „Zweck" und „Zweckmäßig- keit" benutzen, so liegt darin, wie wir gesehen haben, noch mehr als das durch die Beobachtung Gewonnene, nämlich der Nebenbegriff der ,, Ab- sicht." Wer hat denn nun mit der Bildung des Gebisses eine Absicht verfolgt? Da ist nur ein Zweifaches möglich : entweder liegt die Absicht in dem Tier selbst, oder sie stammt von außen. Für den ersten Fall sagt uns die Naturbeobachtung gar nichts, im Gegenteil die Beobachtung an uns selbst zeigt uns, daß die Entstehung unseres Ge- bisses, und ebenso jedes anderen „zweckmäßigen" Organs unseres Körpers und seine Verrichtung ohne Absicht unsererseits erfolgt. Die zweite Möglichkeit ist, daß die Absicht von außen her in das zweckmäßige Organ des Lebewesens hin- ein gelegt ist, so wie in der Maschine die Absicht ihres Erbauers steckt. Nach dieser Analogie würde also die Zweckmäßigkeit auf die absichtsvolle Tätigkeit eines Schöpfers hinweisen. Es ist nun ganz klar, daß uns die Naturbeobachtung durch unsere Sinne von einer solchen Absicht eines Schöpfens niemals etwas Bestimmtes sagen kann. Wir gehen damit vielmehr über die Natur hinaus, verlassen also das Gebiet der Naturwissen- schaft und betreten das Gebiet der Natur- philosophie. Selbstverständlich dürfen wir diese Furage nach der Absicht in der Natur auch stellen, aber eben nicht als Naturforscher, sondern als Naturphilosoph. Mit vollem Recht wird der Philosoph fordern, N. F. XVn. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 417 daß man seine Antwort auf jene Frage beachtet ; aber mit ganz demselben Recht muß sich der Naturforscher dagegen sperren, daß man die Ant- wort des Philosophen, wie sie auch ausfalle, in die Zoologie oder Botanik hinein trage. Dieser Widerspruch darf ihn nun aber doch nicht so weit führen, daß er, wie es leider vielfach ge- schieht, auch die Tatsachen leugnet oder verkennt; denn dadurch wird die gesamte Biologie um ihre Eigenart gebracht und verarmt. Fragen wir also: gibt es eine „Zweckmäßig- keit" in der Natur und stellen dabei den Begriff der „Absicht" zurück, so muß die Antwort des Naturforschers „Ja!" lauten. Wenn wir dagegen den Begriff der Absicht mit aufnehmen, so muß die Antwort des Naturforschers ebenso bestimmt „Nein!" lauten (genauer gesagt: „Non liquet!"). Während der Philosoph sehr wohl mit „Ja" ant- worten kann. Bei dieser Sachlage kann eine Einigung in unserer Frage nur erzielt werden, wenn wir uns über die anzuwendenden Wörter und Begriffe klar und einig sind, aus diesem Grunde möchte ich vorschlagen, den Begriff „Zweckmäßigkeit" nur im naturphilo- sophischen Sinne zu benutzen. In der Biologie dagegen stattdessen etwa das Wort „Nutzmä^igkeit". Der Begriff „Nutzen" ist rein objektiv, er drückt lediglich eine Tatsache aus, welche wir in der Natur unmittelbar beob- achten: das Gebiß ist dem Tier bei der Zer- kleinerung der Nahrung von Nutzen. Dagegen wird niemand irgend etwas einzuwenden haben. Wir bleiben damit durchaus auf dem Gebiet des sinnlich Beobachteten, also der Naturwissenschaft. Bei der Benutzung des Wortes „Zweckmäßig- keit" hat die Biologie aus dem angeführten Grunde in der Tat einen metaphysischen Einschlag. Mit der Ausmerzung dieses Begriffs und der Ein- führung des Begriffs „nutzmäßig", „Nutzmäßigkeit" in die Biologie verliert sie jenen metaphysischen Einschlag und erscheint als reine Naturwissen- schaft, was nur zu begrüßen ist. Wer dagegen bei der Betrachtung der Lebewesen, ihres Baues und ihrer Verrichtungen über die Naturwissen- schaft hinaus das philosophische Gebiet betreten will, was natürlich sein gutes Recht ist, der mag getrost den Begriff „Zweckmäßigkeit" anwenden und damit die Frage nach der Absicht in der Natur stellen. So sind die Gebiete reinlich ge- schieden, so wird aber auch das Problem klarer heraus gearbeitet und seine Lösung ermöglicht. So kann vor allem auch der bisher so unfrucht- bare Streit um die Zweckmäßigkeit beigelegt und zur beiderseitigen Befriedigung entschieden werden ; denn es ist dann sowohl der Naturwissenschaft als auch der Naturphilosophie zu ihrem Recht ver- holfen. Zum Schluß sei noch der Vorschlag gemacht, die drei durch die schöne Arbeit von Becher ins rechte Licht gerückten Arten von Zweck- mäßigkeit statt umständlicherweise durch Eigen- schaftswörter wie „fremddienlich" kurz zu unter- scheiden als „Eigennutzmäßigkeit", „Art- nutzmäßigkeit" und „Fremdnutzmäßig- keit". IVIit diesen Wörtern sind die Begriffe kurz und klar ausgedrückt. Man könnte sich vielleicht wundern, daß ich mit „nutzmäßig" und „Nutzmäßigkeit" neue Wörter präge und empfehle, statt schon ge- brauchte, wie „nützlich", „nutzbar" usw^ heran- zuziehen. Allein ich tue das aus gutem Grunde. Zunächst wird man ein schon vorhandenes und gebrauchtes Wort nicht leieht in Fällen wie dem vorliegenden einführen können, zumal diese Wörter durch ihren sonstigen Gebrauch schon einen be- stimmten und für den neuen Fall nicht immer ganz zutreffenden Charakter erhalten haben. Ferner sind die neuen Wörter „nutzmäßig" und „Nutzmäßigkeit" den alten „zweckmäßig" und „Zweckmäßigkeit" analog gebaut, und dies ist für ein Ersatzwort von vornherein ein Vorteil. Hin- zu kommt noch ein drittes, und dieses ist das Wichtigste: in dem „-mäßig", und „-Mäßigkeit" liegt doch wohl auch u. a. der Gedanke des Maßes, der Ordnung und des Gesetzes, dadurch aber sind die Wörter „nutzmäßig" und „Nutz- mäßigkeit" für das Gebiet der Naturwissenschaft ganz besonders geeignet. Prof. Dr. E. Dennert, Godesberg. Einzelberichte. Meteorologie : Bei der Beurteilung der Wetter- lage spielt neben der Verteilung des Luftdruckes diejenige des Bodenwindes die Hauptrolle. Da nun hierzu der Wind nicht unmittelbar am Boden sondern in der größeren oder geringeren Höhe, in der das Anemometer über demselben angebracht ist, gemessen wird, so ist es naturgemäß wichtig zu wissen, in welcher Weise sich der Wind im Mittel mit der Erhebung über den Erdboden ändert. G. Hell mann (Met. Ztschr. 34, 273, 1917) hat deshalb, um über die Bewegung der Luft in den untersten Schichten der Atmosphäre Aufschluß zu erhalten, in Nauen an den Masten der Funkenstation in verschiedenen Höhen von 2 bis 258 m 5 Anemographen angebracht und die Mittelwerte von deren Registrierungen in den letzten 5 bis 10 Jahren verglichen. Es ergab sich zunächst das auch schon ander- weitig beobachtete Resultat, daß die tägliche Periode der Windgeschwindigkeit in den boden- nahen Schichten um Mittag ein Maximum hat, in den höheren Schichten aber bei Nacht. Die 4i8 Naturvv'issenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 29 Übergangszone zwischen beiden Gebieten, in der überhaupt keine wesentliche Änderung der Wind- geschwindigkeit stattfindet, *) liegt im Winter schon unterhalb 70 m. Die Registrierungen am Potsdamer Observatorium zeigen schon den ausgesprochenen Höhentypus. Im Sommer scheint dagegen eine solche Umkehrzone überhaupt nicht zu existieren, da sich noch in der größten zugänglichen Höhe (Eiffelturm 305 m) das Tagesmaximum des unteren Typus als Nebenmaximum geltend macht. In den bodennahen Schichten bis ca. 30 m Höhe findet die periodische Änderung der Windgeschwin- digkeit nur in den Tagesstunden statt, nachts läßt sich die Geschwindigkeitsverteilung nahezu durch eine gerade Linie darstellen. Dies findet seine Erklärung in der Änderung der vertikalen Tem- peraturverteilung. Aus den Potsdamer Temperatur- registrierungen geht nämlich hervor, daß bei Tage Bodeninversionen, d. h. Luftschichten, in denen vom Erdboden an die Temperatur mit der Höhe zunimmt, sehr selten sind. Am ehesten treten sie noch im Winter auf. Zur Nachtzeit ist dagegen die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten sehr groß, zuzeiten bis zu 90 "/ß. Nun sind solche Schichten sehr stabil in Bezug auf vertikale Verschiebungen ; es kann also in ihnen keine Konvektion, mithin auch keine gegenseitige Beeinflussung übereinander- liegender Luftmassen mit verschiedener Ge- schwindigkeit stattfinden. Daher verläuft hier die Anemometerkurve geradlinig. Dafür treten in den Inversionen sehr starke Geschwindigkeitszunahmen mit der Höhe auf. Diese Beobachtung wurde auch unter sonst ganz anders gearteten klimatischen Verhältnissen von E. Barkow im Wedellmeer gemacht. Dadurch erklärt sich auch die Beobachtung, daß windreiche Wintermonate (in bezug auf den Bodenwind) warm und feucht sind; sie weisen eben wenig Inversionen auf und werden von baro- metrischen Depressionen beherrscht. Bei wind- armen Monaten ist es umgekehrt. Allgemein ist daher auch die Amplitude der täglichen Ge- schwindigkeitsänderung im Sommer größer als im Winter. Mit der Höhe nimmt sie bis zu der vor- erwähnten Umkehrschicht ab, um dann wieder zuzunehmen, so daß im Mittel die Amplitude in 32 m Höhe gleich der in 123 m ist. He 11 mann bezeichnet die Höhe von 16 m als die geeignetste zur Anbringung des Anemometers. Da sich dies jedoch nicht überall erreichen lassen wird, so ermittelte er für andere Höhen die em- pirische Reduktionsformel Vo^l/i?„ (ho = i6m) für mittlere Windgeschwindigkeiten. Diese Formel stimmt auch noch für 500 m Höhe mit den Be- obachtungsresultaten gut überein. Dies gilt jedoch 1) In dieser Übergan},'sschi(;ht kann daher eine ganz anders geartete, wahrscheinlich mit der täglichen Periode der Luft- druckschwankung zusammenhängende Periode im täglichen Gang der Windgeschwindigkeit beobachtet werden, die zwei iVIaxima aufweist und eine wesentlich kleinere .\mplilude hat. Hann, Hergcscll uud S])i taler haben darüber berichtet. nur für mittlere Geschwindigkeiten, denn wegen der verschiedenen Phase der oberen und unteren Periode ist die Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe um Mitternacht im VVinter doppelt, im Sommer bis dreimal so groß wie zu Mittag. P'ür den Erdboden ergab die Extrapolation der Kurve nicht den Wert o, sondern 2,9 m/sec als mittlere Geschwindigkeit. Dieser Zahlenwert bedarf noch der Bestätigung durch das Experiment. Daß er jedoch nicht Null ist, wie in den dyna- mischen Untersuchungen gewöhnlich angenommen wird, ist sicher und wird z. B. schon durch das Aufwirbeln des Staubes am Boden bewiesen. Scholich. Physik. Die Medizin verwendet in steigen- dem Maße für Heilzwecke Röntgenstrahlen. Für die Tiefentherapie ist eine durchdringende (harte) Strahlung erforderlich oder physikalisch gesprochen eine solche von kurzer Wellenlänge. Die Härte nimmt mit der Geschwindigkeit der von der Kathode ausgehenden und auf das Metall der Anti- kathode aufschlagenden Elektronen zu und diese hängt wieder von der treibenden Kraft, der an die Röhre gelegten Spannung ab. Der Röntgeno- loge braucht also einen Apparat, um hinreichend hohe Spannungen zu erzeugen (Induktor, Wechsel- stromtransformator) und ferner eine Röhre, die im- stande ist, ohne durchschlagen zu werden, die hohen Spannungen auszuhalten und zwar nicht nur fiJr kurze Zeit, sondern für den Dauerbetrieb, den die Bestrahlungen erfordern. Von den mannigfachen erfolgreichen Bemühungen, brauchbare Röhren zu diesem Zweck zu bauen, hat der Referent mehrfach berichtet; es sei an die Lilienfeld, die Glühkathoden (Coolidge) — und die selbsthärtende Siederöhre erinnert. Im folgenden soll die Wir- kungsweise eines neuen Hochspannungstransfor- mators und seine Anwendung zur Erzeugung durch- dringungsfähiger Röntgenstrahlen geschildert wer- den, wie er in einer Arbeit von F. Des sau er in den Verhandl. d. deutsch, physikal. Ges. XIX (1917) S. 155 — 230 beschrieben wird. Die Schwierigkeiten, einen betriebssicheren Spannungswandler für hohe Spannungen zu bauen, liegen hauptsächlich in der Isolation. Infolge- dessen nimmt der Preis des Induktors mit steigen- der Spannung rasch zu. Die Hochspannungs- wicklung (sekundäre Spule) wird in scheibenartige Spulen, die „Sektoren" zerlegt; diese werden durch dünne luftfreie Scheiben getrennt, eine hinter der andern auf ein Hartgummirohr geschoben, in dessen Innern die Primärspule liegt. Bei einem Trans- formator von 100 000 Volt effektiv, wie er für Tiefentherapie gebräuchlich ist (er wiegt etwa 125 kg und nimmt einen Raum von etwa V>cbm ein), hat man, wenn man den einen Pol der Sekundär- spule erdet, zwischen dem anderen Ende der Sekundär- und der Primärspule eine Spannung von 100 000 Volt, was für die Isolation eine beträcht- liche Beanspruchung bedeutet und leicht zu N. F. XVII. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 419 Schädigungen führt. Das umfangreiche statistische Material der Veifa-Werke (Frankfurt a. M.) über Induktor- undTransformatordefekte gibt interessante Aufschlüsse über die Ursachen derselben. Als solche sind zu nennen Wanderwellen, Gleitfunken, Glimmentladungen. Trotz sorgfähigen Vergießens und mühsamen Behandeins der Vergußmasse der Sekundärspulen findet sich doch irgendwo in den zehntausenden feinen Drahtwindungen eine kleine gaserfüllte Lücke. In dieser glimmt bei derEntladung die Luft. Die dabei entstehende Wärme führt unter Umständen zum Schmelzen der Verguß- masse. Die Glimmzone wächst, die Entladungen bohren sich immer weiter, bis es schließlich zur Katastrophe kommt. Trotz aller erdenklicher Maßnahmen ist es nicht gelungen, solche Fehler zu vermeiden. War eine Störungsquelle beseitigt, so trat an einer andern Stelle eine neue auf. Dieser Umstand war die Veranlassung, den Trans- formator auf anderer Grundlage auf- zubauen. Ein beträchtlicher Fortschritt läßt sich dadurch erzielen, daß man bei dem oben erwähnten Transformator lOOOOO Volt = 100 Kilovolt (kV), statt das eine Ende Sekundärwicklung zu erden, die Mitte der- selben an Erde legt; dann beträgt die Bean- spruchung zwischen Pri- märleitung und den bei- den Sekundärpolen nur noch 50 kV statt lOokV früher. Wesentlich gün- stiger werden die Ver- ^^ ^ ^ hältnisse, wenn man eine f\d T Wi Anordnung trifft, wie sie ^oj "\c " ']w.w. in der nebenstehenden | \ V Abbildung schematisch ^* \"k 1h dargestellt ist: Der *°l- V" ■ f?- Transformator ist in zwei voneinander getrennte Hälften Tj _undT„ zerlegt, von denen jede das vorgeschriebene Übersetzungs- verhältnis etwa lOOriOOOCO hat (d. h. die Span- nung der Primärleitung ist 100 Volt, die an den Enden der sekundären loooco Volt). Den beiden Haupttransformatoren ist je ein Hilfstransformator Hj und Hj vorgeschaltet, deren Übersetzungsver- hältnis I ist, die also die Spannung nicht ändern (ihre Primär- und Sekundärspule haben gleiche Windungszahl). Der zwischen den Sekundärspulen der Haupttransformatoren liegende Punkt c wird geerdet, hat also das Potential O; dann besteht bei a und b eine Spannung von -\- bzw. — 50 kV gegenüber der Erde (vgl. die Spannungsdiagramme der Abbildung). Die Mitten d und e der Sekundär- leitungen haben mithin eine Potentialdifferenz von 25 kV zur Erde. Jeder dieser Punkte wird nun für sich mit der zugehörigen Primärspule ver- bunden. Die Folge ist, daß die maximale Bean- spruchung auf 25 kV beschränkt wird; diese Spannung besteht zwischen Sekundär- und Primär- t/VVVVVWvV___/VVWVVW\__^' leitung an den vier Enden der beiden Transfor- matoren T^ und Tj. Die Spannung zwischen Wj und Wj beträgt 50 kV, doch kann man diese Teile räumlich genügend weit voneinander trennen. Zwischen den beiden Spulen der Hilfstransforma- toren Hj und H„ beträgt die Potentialdifferenz je 25 kV. Der Weg, auf dem man zu diesem günstigen Resultat gelangt besteht also darin, daß man das für die Sekundärspannung er- forderliche Trans formationsverhältnis und die dielektrische Beanspruchung, die bisher miteinander verschmolzen waren, von einander trennt. Ein Nachteil der Anordnung ist scheinbar die zweimalige Transformation, die mit Energieverlusten verbunden ist. Doch spielt in der Röntgentechnik eine geringe Erhöhung des Verbrauchs keine Rolle. Dafür bedeutet die Herabsetzung der Isolations- beanspruchung auf die Hälfte eine ganz bedeutende Erniedrigung der Kosten für die Herstellung des Hochspannungstransformators. Das geschilderte System läßt sich nun vielgestaltig weiterent- wickeln, und zwar lassen sich dabei, wie hier nicht näher auseinandergesetzt werden soll, schon vor- handene Transformatoren benutzen und durch geeignete Veränderungen für höhere Spannungen umbauen. Fast bei jedem Transformator ist die Primär- spule durch einen Luftmantel von dem Isolierrohre der Sekundärspule getrennt. In diesem Räume läßt sich das Auftreten des verderblichen Glimm- stromes gut beobachten, auch kann man das sausende Geräusch des Glimmens hören. Bei einem gewöhnlichen Induktor zeigte sich das erste Glimmgeräusch bei etwa 55 kV, bei 66 kV war es deutlich zu hören und man konnte den ersten bläulichen Schein sehen. Für den neuenHochspan- nungstransformator dagegen wurde durch quantitative Versuche nachgewiesen, daß bis zu der Sekundärspannung von 127 kV effektiv (etwa 175 kV maximal) keine Verluste durch übermäßige dielektri- sche Beanspruchung auftraten. Bei der neuen Anordnung ist also der Glimmverlust sehr gering. Das ist außerordentlich wertvoll, nicht so sehr weil dadurch der Stromverbrauch ver- mindert wird — der spielt in der Röntgentechnik überhaupt keine wesentliche Rolle — sondern well durch den Glimmstrom, der sich in Wärme um- setzt, das Isolationsmaterial im Dauerbetriebe er- hitzt und dadurch die Lebensdauer des Transfor- mators erniedrigt wird. Im 2. Teile der umfangreichen Arbeit werden die durchdringenden Röntgenstrahlen untersucht, die man mit Hilfe des Transformators erhält; die höchste erreichte Maximal- spannung beträgt 3.10000 Volt. Die von einer Röntgenröhre ausgehende Strahlung ist stets ein Gemisch von Strahlen der verschiedensten Härte, alle Wellenlängen sind in ihr enthalten; sie entspricht dem weißen Licht. Läßt man die Strahlen durch Bleiplatten deren Dicke in regel- 420 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 29 mäßigen Stufen zunimmt, dringen und mißt ihre Schwächung in dem Metall, dann findet man, daß die Absorption in den folgenden Platten immer geringer wird; der Absorptionskoeffizient wird immer kleiner und nähert sich schließlich einer Konstanten, d. h. die Strahlung wird nach Durch- gang durch ein genügend dickes Filter mehr und mehr homogen. Je kleiner ihr Absorptionskoef- fizient ist, desto härter ist sie. Bei einer Spannung von 145 bis 175000 Volt wurde eine Strahlung mit einem Absorptionskoeffizienteii 0,39 für Aluminium als bisher härteste beobachtet (1915). Ihre Wellenlänge berechnet sich zu 1,72-10 9 cm. In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse von Dessauer im Auszuge zusammengestellt. 7 8 268 kV 308 „ i6,5li2,5 ii,5l9,7=;i9,33i — ! — i3|9,75 8,7;7,8 ,6,9 6,556,55! 6.5 Sie zeigt, welchen Wert der Absorptionskoeffi- zient für Blei hat, nachdem die Strahlung von 268 bzw. 308 kV Spannung eine Bleischicht von I, 2, 3 . . . mm Dicke passiert hat. Hinter 6 mm Blei ist die Strahlung praktisch homogen und außerordentlich hart. Die nächste Tabelle zeigt, wie Absorptionskoeffizient (für Aluminium) und Wellenlänge sich mit der Spannung ändern. Spannung in kV „ AI ;. 10" cm 103 0,51 1,92 179 0,40 1,72 267 0,27 1.5 283 0,26 1.46 308 0,24 1.42 Der Absorptionskoeffizient wird auf folgende Weise mittels zweier genau gleicher Elektroskope gemessen. Diese sind allseitig von einer 12 mm dicken Bleiwand umgeben, nur an der Vorderseite befindet sich zum Eintritt für die Strahlen ein Fenster aus 2 mm dickem Aluminiumblech. Beide werden bis zu gleichem Ausschlage aufgeladen, dann fällt auf beide gleichzeitig die Strahlung auf; vor dem einen Fenster liegt die zu untersuchende Platte. Nach Ausschaltung der Röhre werden die Endausschläge beider gemessen ; aus ihrem Unter- schied bestimmt sich der Absorptionskoeffizient der Metallplatte. Durch Verwendung zweier Elektroskope werden die unvermeidlichen Schwan- kungen in der Strahlung der verwendeten Coolidge- Röhre kompensiert. Die Wellenlänge wurde mittels der von Bragg gefundenen Beziehung (gültig für Aluminium) /* = k-^^ berechnet, wo k eine Kon- stante ist. Die Wellenlängen sind zum Teil kleiner als die bisher bekannte kleinste, die i,7-iO~9cm betrug. Sie sind aber noch größer als die Wellenlänge der Haupt-K-Linie von Radium C, welche i • lO-o cm, und auch noch etwas größer als die der härtesten K-Linie von RaB, welche 1,37- 10-9 cm beträgt. Damit ist nachgewiesen, daß die von Rutherford u. a. ausgesprochene Vermutung, die Strahlung einer Wolframanti- kathode ginge nicht unter A=; 1,73- io~9 cm her- unter, nicht zutreffend ist. Die Erweiterung des Röntgenstrahlenspektrum bis auf 1,42- lO"" cm bedeutet eine ganz erhebliche Steigerung in der Durchdringungsfähigkeit. Diese kurzwellige Strahlung geht durch Wände aus Blei von 3 cm Dicke merkbar hindurch; einen wirk- samen Schutz gegen dieselbe gibt es nicht mehr. Für die Anwendung in der Medizin hat diese große Dnrchdringungsfähigkeit außer- ordentliche Bedeutung, (öc) K. Seh. Zoologie.. Über die Biologie und Bekämpfung der Gastrusfliege (Gastrophilus equi, Pferdebiesfliege und verwandte Arten) berichtet M. Hobmaier in den Monatsheften f. prakt. Tierheilkunde Bd. 29, 191 8. Wenn auch die alte Anschauung, daß die Tiere dem Pferde nützen und Krankheiten verhüten können, längst verlassen ist, so wurde doch die Schädlichkeit der im Darm schmarotzenden Gastrophiluslarven noch häufig unterschätzt. Die von einigen Autoren angegebene Durchlöcherung des Magens und Darmrohrs durch die sich ein- bohreriden Larven scheint allerdings ein seltener extremer Fall zu sein. Hobmaier fand unter 100 Sektionen infizierter Pferde keine völlige Per- foration. Wurmknoten, d. h. durch Spiropteren erzeugte Abszesse der Magenwand dürften wohl manchmal irrtümlich für Einwirkungen der Gastrus- larven gehalten worden sein. Die schädlichen Folgen für das Pferd bestehen mehr in Überreizung und Erschlaffung des Darms, Entziehung von wert- vollen Gewebssäften. Auch von den Larven aus- geschiedene Toxine kommen in Betracht. Kumu- lation mit Strapazen und Futtermangel haben besonders auf dem östlichen Kriegsschauplatz schwere Schädigungen ergeben. Truppenver- schiebungen dienen zur Ausbreitung der Tiere. Ausgedehnte Weiden sind ihre eigentliche Heimat ; darum bleibt in Litauen fast kein Pferd von ihnen verschont. Der als Abtreibungsmittel allgemein angewandte Schwefelkohlenstoff ist als Blutgift für die Pferde nicht ungefährlich und sollte möglichst durch prophylaktische Mittel ersetzt werden. Zu einer erfolgreichen Prophylaxe ist genaue Kenntnis der Lebensweise der Schmarotzer notwendig. Hobmaier hat eine Reihe von Beobachtungen und Zucht versuche gemacht. Die reifen Larven gehen mit Eintritt der wärmeren Jahreszeit (gelegentlich aber auch sonst während des ganzen Jahres) mit dem Kot ab, meist am Morgen. Sie sind selten schon ver- puppt, stehen aber stets nahe vor der Verpuppung. Meist dringen sie vorher in die oberste Erdschicht ein, manchmal bis 20 cm, ausnahmsweise noch N. F. XVU. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 421 liefer. Die Entwickhmgsdaiier, die Piippeiiruhe dauert im Sommer 4 — 5, im Herbst 6 — 8 Wochen. Kulturversuche gehngen mit reifen Larven leicht. In einem Fall kamen von 37 bereits 8 Wochen im ungeheizten Zimmer liegenden Larven (15. 9. bis 8. II.) nach Einbringen ins geheizte Zimmer schon nach 7 Stunden 9 Imagines hervor. Dies erinnert an die Friihtrciberei bei Pflanzen. Vielleicht ist sogar Überwinterung in tieferen Erdschichten möglich. Die Imago stirbt in Gefangenschaft nach 3 — 4 Tagen. Fütterung gelingt nicht; bei der kurzen Lebenszeit (i — 3 Wochen) nimmt sie wohl über- haupt keine Nahrung auf, sondern zehrt von ihrem großen Fettkörper. Im Freien findet schon wenige Stunden nach dem Ausschlüpfen die Begattung statt und zwar beim Schwärmen um Weidetiere. Das Weibchen legt dann sofort Eier ab. Wieder- holte Begattung durch das gleiche Männchen, oft 3 — 5 mal in ^4 Stunde ist möglich. Eizahl: 180 bis 220. Bevorzugte Plätze für die Eiablage sind: Brust und Schulterblatt, Mähne, Karpal- und Sprung- gelenke u. a. Die Eier werden sehr fest an die Haare angeklebt, können daher nicht abgeleckt werden. Der Deckel sieht stets nach abwärts entgegen den üblichen Zeichnungen in den Lehrbüchern. Die ausschlüpfenden Larven fallen daher oft zu Boden. Für die Flireife genügt Licht und Wärme. Die kurzen Zeitangaben früherer Autoren(wenige Minuten bis 5 Tage) sind unzutreffend. Beobachtung der Eireife unter dem Mikroskop ergab 5 Wochen, an den Haaren unter Nachahmung natürlicher Verhältnisse 7—8 Wochen. Zur Sprengung des Deckels bedarf es eines mechanischen Reizes (nicht Wasser, Speichel oder Magensaft). Ablecken kommt nach Hobmai er nur für den kleineren Teil der Larven in Betracht. Die Mehrzahl fällt zu Boden, wo sie noch 2 Tage lebt ohne weitere Ortsveränderung aber unter ständiger reflektorischer Bewegung des Saugrüssels und der Kopfhaken. Ein großer Teil wird dann vom Pferd mit der Nahrung aufgenommen. Auf der Mundschleimhaut bohrt sich die Larve sofort in die Epithelschicht ein und wandert nach der Rachenhöhle. Über die folgenden Larvenhäutungen herrscht noch nicht völlige Klarheit. Für die bei dem gegenwärtigen Wert der Pferde sehr wichtige Bekämpfung empfiehlt Hob- maier: Vernichten der reifen Larven am After, Vernichten der Eier, am besten durch Abschneiden und Verbrennen der Haare, auch Auskämmen mit einer Messerklinge, Abfangen der Imagines. F. Bretschneider, Stuttgart. In einer umfangreichen, zum Teil auf eigener Beobachtung, zum größeren Teil aber auf Literatur- studien beruhenden Arbeit über den Arbeits- rhythmus der Verdauungsdrüsen 1) führt C. Chr. Hirsch, von einfacheren Verhältnissen bei Wirbel- losen zu kompliziertem bei Wirbeltieren fort- ') Biol. Zentralblalt 1918, schreitend, folgendes aus ; Beim Plußkrebs ( Astacus) sind die überall wiederkehrenden vier Phasen einer Sekretionsperiode einzeln zu erkennen: die erste Phase, die Rohstoffaufnahme von selten der Drüsenzellen, ist nachweisbar durch Injektion von Eisenlösung in die Leibeshöhle; denn das Eisen wird aus dem Blut, vermutlich gleichzeitig mit anderen Stoffen, von den Zellen aufgenommen. Die zweite Phase wird nachweisbar, indem in der Zelle fibrilläre Strukturen, die Vorstufen des Drüsenferments, auftreten und die Zellen sich mit Kernfarbstoffen stark färben. In der dritten Phase schwindet die starkfärbare Substanz und Sekretgranula treten zahlreich auf In der vierten Phase treten die Granula zu einer großen Blase zusammen, und diese wird entweder ausgestoßen, oder die ganze Zelle wird ausgestoßen. Bei Insekten hat man in manchen Fällen einen Wechsel der Mitteldarmzellen zwischen sekretorischer und resorptorischer Tätigkeit beobachtet (also dasselbe, was neulich an dieser Stelle nach H. Lutz für Planorbis unter den Mollusken beschrieben wurde), worauf nach mehrmaligem Durchmachen dieses Rhythmus die Zellen wie bei Astacus selbst abgeschnürt werden. Beim Mehlwurm (Tenebrio molitor) aber besteht jeder Sekretionsvorgang in einer Loslösung des ge- samten Darmepitels. Bei dem Wasserkäfer Hydro- phylus piceus sind in derartigen, hier wieder- kehrenden Vorgängen die oben erwähnten vier Phasen des Sekretionsvorganges einzeln zu erkennen. Bei Pleurobranchaca unter den Mollusken er- kennt man wenigstens die drei letzten Pha.sen des Sekretionsvorganges an ähnlichen Merkmalen wie bei Astacus. Zur Abschnürung ganzer Zellen kommt es nicht, sondern es wird nur das Sekret selbst abgeschieden. Wird keine Nahrung aufge- nommen, so geht der Vorgang der Sekretbildung nur bis zur dritten Phase, dann tritt ein Ruhe- stadium ein. Nach Nahrungsaufnahme erfolgt die Sekretabscheidung in einer zehnstündigen Ver- dauungszeit schubweise in zwei Sekretionsperioden. Ebenso sind eine Hungerperiode und mehrere Sekrelionsperioden bei den verschiedenen Drüsen- zellen im Darmtraktus von Säugetieren wahr- scheinlich. Diese letzteren Sekretionsperioden, die als rhyth- mische Vorgänge auf gleichem Reiz hin eintreten, werden also unterbrochen durch ein Stadium der Unempfindlichkeit der Zelle gegenüber dem Reiz, ein „Refraktärstadium", wie es unter entsprechen- den Bedingungen auch Ganglienzellen eigen ist. Es beruht wahrscheinlich auf der Anhäufung von Stoffwechselschlacken und dem Vorwiegen der- jenigen Arbeitsphasen der Zelle, welche dem Sekretionsvorgang selbst vorausgehen. V. Franz. Botanik. Die Phylogenie der Lebermoose. Schiffner hat sich der mühevollen Aufgabe unterzogen, die seit dem Erscheinen der Synopsis Hepaticarum (1844 — 47) in der phylogenetischen 422 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 29 Systematik der Lebermoose gemachten Fortschritte übersichtlich und kritisch zusammenzustellen. Auf der richtigen Beurteilung dieser Fragen beruht die Lösung eines der wichtigsten stammesgeschicht- lichen Probleme, die Frage nämlich nach Abstam- mung und Ableitung der Bryales und der Pteri- dophyten und damit der gesamten höheren Pflanzen- welt. Nacheinander behandelt Schiffner die drei Faktoren, die die Entwicklung der Systematik eines Verwandschaftskreises bedingen, d. h. i. die Systematik der sog. „kleinen Einheiten", Arten und Gattungen, 2. den Ausbau des Gesamtsystems der Gruppen und 3. die Stellung der Gruppe im Gesamtsystem, wobei er besonders die erstgenannte Arbeitsrichtung als die Grundlage der übrigen energisch verteidigt. Zusammenfassend kommt er zu folgenden Ergebnissen. Allgemein stimmen die Autoren darin überein, daß die Hepaticae drei große parallele oder divergierende Entwicklungs- reihen darstellen (Marchantiales, Jungermanniales, Anthocerotales), die nicht voneinander abgeleitet werden können. Während die Beziehungen der Arten und Gattungen zueinander bis zu einem gewissen Grade als klargestellt angesehen werden können, haben die oben unter 2 und 3 genannten Fragen noch keine allgemein befriedigende Lösung gefunden. Eine ganze Anzahl zum Teil äußerst will- kürlicher (Schiff ner nennt einige „groteskphan- tastisch") Hypothesen stehen sich hier gegenüber. Sicher ist nach Schiffer zwar, daß Bryophyten, Pteridophyten, Gymnospermen und Angiospermen eine stammesgeschichtlich zusammengehörende auf- steigende Entwicklungsreihe darstellen, dagegen ist noch unentschieden, ob Bryophyten und Pteri- dophyten zwei nebeneinander hergehende Reihen bilden, oder diese von jenen abzuleiten sind. Die Ansicht über die Ableitung der Bryophyten hängt eng zusammen mit der mono- oder polyphyletischen Auffassung des Pflanzenreichs. Die letztere wird jeden Versuch, die gemeinsame Stammform unter den Thal- lophyten zu suchen, abweisen und Bryophyten und Pteridophyten nebeneinander aus einer mehr oder weniger hypothetischen „Vorvegetation" (A. M ey e r. Die Vorvegetation der Pteridophyten usw. Ber. Deut. Bot. Ges. 1910) herleiten. Bei den Anhängern der monophyletischen Richtung begegnen wir den verschiedensten Hypothesen. Bald wird der An- schluß bei Colcochaetc, bald bei einer ausge- storbenen Grünalgen form, bei den Phaeophy- ceen oder noch anderen gesucht. Schließlich gibt es auch Moosforscher, die jeden Zusammen- hang zwischen Thallophyten und Bryophyten leugnen. Dabei betrachten fast alle die Laub- moose als die höheren. Ihre direkte Ableitung von den Lebermoosen wird allerdings nirgends versucht, böte wohl auch zu große Schwierigkeiten. Unzweifelhaft besitzen die Hepaticae (ausgenommen die Anthocerotales) von allen lebenden Pterido- phyten die primitivsten Sporophyten, während ihr Gametophyt weit reduzierter ist als bei den Laub- moosen. Diese Tatsache würde die Annahme stützen, daß entgegen der allgemein verbreiteten Ansicht die Lebermoose nicht als primitivste Gruppe der Archegoniaten anzusehen sind. Victor Schiff ner, Die systematisch phylogenetische Foischung in der Ilepaticologie seit dem Erscheinen der Synopsis Hepaticarum und über die Abstammung der Bryo- phyten und Pteridophyten. Progr. rei bot. V. 3/4. 387—520. Jena 1917. Kr. Bücherbesprechungen. Dr. Adolf Zade, Privatdozent an der Universität Jena, Der Hafer. Eine Monographie auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1913. 8" 353 S. mit Abbildungen. Bei der großen Bedeutung, welche jetzt der Hafer auch als menschliches Nahrungsmittel er- langt hat, wird dieses Buch den weitesten Kreisen willkommen sein. Der Verfasser, der sich schon durch seine Arbeiten über den Flughafer, Avena fatua, bekannt gemacht hat, gibt zunächst in kurzen Zügen eine Geschichte des Saathafers. Er stützt sich dabei außer auf ältere Arbeiten be- sonders auf zwei neuere : I. A. Thellung, „Über die Abstammung, den systematischen Wert und die Kulturgeschichte der Saathaferarten." Viertel- jahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Jahrg. 56, 191 1 Heft 3, Zürich 1912 und 2. August Schulz, „Die Geschichte der kulti- vierten Getreide. I." Halle a. S., Louis Neberts Verlag (Albert Neubert) 1 9 1 3. Wenn M a x K o e r - nicke in seiner lobenden Besprechung des Zade 'sehen Werkes in der Zcitschr. f Botanik 10. Jahrg. Heft 2, 1918, S. 130 bemerkt, daß auch Schulz's wertvolle Arbeit „Die Geschichte des Saathafers" im 41. Jahresber. d. Westfäl. Provinzial- Vereins für Wissenschaft und Kunst, Botanische Sekt. 191 3 hätte Erwähnung finden können, so ist dazu zu sagen, daß der letztere Aufsatz nur ein wörtlicher Abdruck aus dem oben genannten Buche von Schulz ist. Es sind nur noch Literatur- angaben in Form von Fußnoten hinzugefügt, wie mir Herr Prof. Schulz schreibt. — Aber August Schulz hat in einer der deutschen botanischen Gesellscheft am 26. April d. J. vor- gelegten Arbeit darauf hingewiesen, daß Zade mehrere andere wichtige Aufsätze von Schulz übersehen habe. Diese behandeln im wesentlichen alle dasselbe Thema, nämlich die Auffindung des Flug hafers, Avena fatua, in Wohngruben aus der Hallstattzeit in Braunsdorf bei Merseburg. (Siehe u. a. diese Wochenschrift Bd. 30, 1915, S. 266, Berichte d. dtsch. bot. Ges. Bd. 33, 1915, S. 11.) Bisher war der Flughafer, den man bekanntlich als die Stammpflanze des Hafers ansieht, aus vor- geschichtlicher Zeit nie gefunden, Schulz ver- N. F. XVII. Nr. 29 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. rn.utet aber, daß manche prähistorische Haferl<örner, die man als A. sativa bestimmte, auch A. fatua sein könnten. Wegen des Näheren sei auf den Sitzungsbericht der dtsch. bot. Ges. vom 26. April d. J. verwiesen, der aber erst im JuH oder August erscheinen wird. Im 2. Abschnitt (die Abschnitte sind nicht nummeriert) werden Name, Verbreitung und Statistili behandeh, wobei Dr. h. c. Theodor Engeibrecht's wichtiges Werk „Die Landbau- zonen der außereuropäischen Länder", 3 Bände. Berhn 1898/99, be.-^onders berücksichtigt ist. — Ausfühdich wird im 3. Abschnitt die Gestalts- beschreibung gegeben, die Entwicklung von der Keimung bis zur Frucht. Hier finden sich u. a. auch gute Abbildungen vom Embryo. Der Verf. hätte dabei darauf aufmerksam machen können, daß sich der Haferkeim durch eine lange Zunge am Schüdchen (scutellum), die sich nach oben erstreckt, von unseren anderen Getreidearten sehr unterscheidet, ein Umstand, der noch gar nicht be- achtet scheint. Sie erklärt vielleicht den größeren Fettgehalt des Hafers, der 4— 5 "/^ beträgt, während Roggen, Weizen und Gerste nur i V5— 2 "/o haben (Mais hat auch 5 %, infolge seines großen Embryos). Den Blütenbau setzt Zade als bekannt voraus, es würde aber wohl nichts geschadet haben, wenn er Aufriß und Grundriß des Ährchens gegeben hätte. — Ausführlich wird die Blütenbiologie be- handelt, teils nach anderen Autoren, besonders aber nach 5 jährigen eigenen Beobachtungen. Ebenso ausführlich wird der Bau der Rispe und der reifen Frucht besprochen und durch Abbildungen der verschiedenen Typen erläutert. Im 4. Abschnht „Formabweichungen"beschreibt Zade eine häufige Deformation des obersten Blattes: Die Spitze biegt sich um und bricht dann ab. — Hinweisen möchte ich ihn auf eine feder- buschartige Mißbildung (Phyllomannie) beim Rauh- hafer, Avena strigosa, die ich in der Dtsch. landw. Presse, Berlin 1899 Nr. 37, S. 425, Fig. 250 be- schrieben habe und die sich noch im Museum der Landw. Hochschule Berlin befindet. Für den Landwirt wichtig sind die Abschnitte 5—7 : Wachstumsbedingungen, Wachstumsstörun- gen, Ernte und Aufbewahrung, während der 8. Ab- schnitt: Systematisches, auch den Botaniker sehr interessiert. Hier werden namentlich die Abstam- mung und die nahestehenden Formenkreise be- sprochen. Zade folgt dabei im wesentlichen Thellung und gibt folgende Übersicht: (siehe 2. Spalte oben!) Bei den Wildhaferarten gliedert sich entweder nur das unterste Korn von selbst ab, weil es allein eine große schiefe Endfläche (Basalfläche) mit ringförmigem oder hufeisenförmigem Knorpelrand besitzt, während das zweite Korn an ihm sitzen bleibt (Biformes), oder es haben alle Körner eine schiefe Endfläche mit Knorpelrand und fallen alle einzeln ab (Conformes). Zu diesen letzteren ge- hört als bekannteste A. fatua. — Die Körner der KuUurformen haben alle eine viel kleinere. 423 I. Biformes ^ - Cosson. 11. Conformes Cosson Schiefe End- Schiefe Endfläche an allen fläche nur am Körnern unterstenKorn Wildformen -\grestes A. sterilis A. fatua L. A. barbata A Wiestii Cosson. L. Pott Daraus abge- leitete Kultur- formen SativaeCosson A. byzan- A. sativa A. strigosa A. abyssi- lina incl. A. Sehreb nica C. Koch Orientalis. A. nuda A brevis Rott Höchst horizontale Endfläche ohne knorpeligen Ring- wulst und lösen sich erst beim Dreschen vom Blütenstielchen ab. Unser Saalhafer wird, wie schon oben gesagt, allgemein von A. fatua abgeleitet, viele Sorten des Mittelmeergebietes dürften aber, wie Trabut in Algier und Thellung annehmen, A. byzan- t in a sein und von A. sterilis abstammen. Die Sorteneinteilung ist, den Bedürfnissen der Praxis entsprechend, sehr ausführlich dargestellt und gibt der Verf schließlich auf S. 257 eine eigene Einteilung und S. 265 einen Stammbaum der Sorten. Eine Einordnung der vielen Sorten in die mit lateinischen Namen versehenen Varie- täten, wie sie Körnicke u. Werner, Handbuch des Getreidebaues gegeben, ist nicht versucht. Sie würde, da jetzt mehr die Rispenform als Charak- teristikum angesehen wird, auch sehr schwierig sein. Für den Landwirt wichtig ist der alphabetische „Sortenhinweis", in welchem für alle bekannteren Sorten angegeben ist, wo sie beschrieben oder besprochen sind. — Endlich wird 9. noch die Züchtung und 10. der Hafer als Futter- und Nah- rungsmittel behandelt. Aus allem Gesagten geht hervor, wie reich- haltig und vielseitig das Zade 'sehe Werk ist. Es ist gerade zur rechten Zeit erschienen, da der Krieg uns gelehrt hat, den Hafer mehr zu schätzen, und es sei hiermit auf das beste empfohlen. Hinweisen möchte ich schließlich den Verfasser noch auf einen kurzen, aber wichtigen Autsatz vonA. Thellung in Zürich: „Neue Avenaformen aus der Sektion Euavena" in Fedde, Repertorium Plantanum novarum XIII, Berlin (191 3), S. 52— 55, und ferner auf Engelbrecht's Artikel „Über die Entstehung einiger feldmäßig angebauter Kulturpflanzen" in Hettner's Geogr. Zeitschrift 22. Jahrg., Berlin 1916, S. 328 — 334. Engel- brecht sagt hier S. 333 vom Hafer: Wahrschein- lich ist er in West- und Mitteleuropa als Unkraut unter der spät reifenden Pferdebohne aufgetreten ; ein Standort, wo noch jetzt der Wildhafer be- sonders üppig gedeiht und sich stark vermehrt. Für diese Verbindung spricht die Vorliebe sowohl der Pferdebohne wie des Hafers für ein ausge- glichenes ozeanisches Klima. L. Wittmack. 424 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. 29 Löscher, F., Leitfaden d er ],a ndsch afts- Photographie. 150 S. mit 10 Fig. im Text und 87 Abbildungen auf Tafeln. V. Auflage, umgearbeitet und ergänzt von K. W e i ß. Verlag „Union Deutsche Verlagsgesellschaft," Berlin 1917. — Preis: 6.— iVI. geh., 7.— M. geb. Auch für den wissenschaftlichen Photographen, soweit es sich um die Wiedergabe von Beobach- tungen in der freien Natur handelt, ist die Landschaftsphotographie mit ihrem Erfahrungs- schatze notwendiges Rüstzeug, ■ — ihre Regeln muß er beherrschen, wenn seine Arbeiten auch in technischer Hinsicht voll befriedigen sollen. Der Lösch er'schc Leitfaden stellt in seiner Neu- bearbeitung durch K. Weiß das Beste dar, was unsere neuere Literatur hervorgebracht hat. Der zur Verfügung stehende Raum verbietet leider ein näheres Eingehen auf den reichen Inhalt des Buches. Der Referent beschränkt sich daher auf wärmste Empfehlung des vom Verlage geradezu verschwenderisch mit instruktiven Tafelfiguren ausgestatteten, gleichwohl äußerst wohlfeilen Werkes. Prof. Dr. Wolff (Eberswalde). Anregungen und Antworten. Herrn Dr. A. Str., Roßlau. Eine umfassende Darstellung aller beschriebenen Hauptformen der heute bekannt gewordenen V^'ildrosen existiert nicht. Die systematische Rosenliteratur ist ganz aulierordentlich zerstreut und die Beschreibungen einer Anzahl zwar erst in neuerer Zeit bekannt gewordener, aber doch schon in Kultur befindlicher außereuropäischer Rosen- arten finden sich nur in den betreffenden Autorenveröffent- lichungen — abgesehen von Fedde's Repertorium, in wel- ches die meisten aufgenommen sind. Als umfassendere Darstellung der meisten Arten (Haupt- arten), auch der meisten älteren kultivierten, ist immer noch R. Keller's Bearbeitung des G. Rosa in der Ascherson- G rae b en er ' sehen Synopsis zu nennen. Die Exoten sind meist mit kürzeren Diagnosen eingefügt. Am besten dienen dem Herrn Fragesteller aber vielleicht die, wenn auch etwas älteren Zusammenfassungen in dendrologischen Werken, wie in Koehne's ,, Deutscher Dendrologie" (Enke, Stuttgart) oder Dippel's „Handbuch der Laubholzkunde" (Parey, Berlin), III. Band. Natürlich fehlen in beiden Büchern die neuesten Einführungen. Die Crepin'sche Einteilung der Rosen hat auch heute noch Geltung, wenn auch manche Autoren infolge ver- schiedener Wertung gewisser Merkmale in ihren Auffassungen etwas abweichen. D. Zu Dr. A. Zimmermann's „Beitrag zur Begattungsfrage der Schnecken" in Nr. 7 d. Ztschr. seien mi folgenden einige Zusätze gegeben. Der reizvolle Vorgang dürfte in solcher Lückenlosigkeit und Schönheit nur selten im Freien zu be- obachtensein. Einsender dieses, der sich bereits ein Menschen- alter mit dem Leben der Mollusken beschäftigt hat, sah ihn so nur einmal und zwar in den Abendstunden des 26. Sept. 1914 an einer Gartenmauer der Gothaer Bahnhofstrafle. Es handelte sich um Limax (Heynemannia) maximus L. var. cinereus List., die in Thüringen in Gärten, Gewächshäusern, Gemüsekellern usw. nicht selten ist. Das Pärchen wurde am Ende samt dem anhängenden zähen Schlcimfaden und dem dicken, festen Knöpfchen an dessen freiem Ende abgelöst und wegen der Eiablage mitgenommen. Auch die von Zim- mermann beobachteten Schnecken gehörten jedenfalls einer Form von Limax maximus an; Arion pflegt sich nach meinen Erfahrungen an der Erde zu begatten und zwar am Tage ; der Vorgang ist hier viel einfacher und bei weitem nicht so anziehend wie bei Limax. Aber beim Studium des fraglichen Aktes ist man durchaus nicht nur auf Glück und Zufall ange- wiesen, man kann ihm sehr wohl planmäßig am Terrarium obliegen, wozu ich die obengenannte Form von Limax (in größerer Menge) am meisten empfehle. Zur Fütterung eignen sich neben Salalblättern ganz besonders frische Salatgurken. Über den Gegenstand hat jüngst Dr. Kurt Fischer aus Gotha, Schüler von Prof. Joh. Meisenheimer, geschrieben in der , .Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaften, heraus- gegeben von der Medizinischen und Naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena 55. Bd., N. F. 48. Bd. Jena, Gustav Fischer, 1917. Die Arbeit ist mit Tafel und 14 Figuren im Text versehen und hat folgende Einteilung: A. Zur Geschichte der Beobachtung des Begattungsvorganges bei Limax maximus; B.Methodik; C. Biologie der Begattung: I.Vorspiel, 2. Liebes- spiel, 3. Begattungsakt, 4. Ende des Begattungsaktes, 5. Schluß- bemerkungen zur Biologie der Begattung; D. Morphologie und Physiologie des Begattungsvorganges; I. Begatlungsorgan in Ruhe, 2. Begattungsorgan in den Stadien der Ausstülpung, 3. Begattungsorgan völlig ausgestülpt, 4. Übertragung des Spermapakets, 5. Retraktion der Penes, 6. Vergleichende Be- merkungen über die Begattung bei einigen Vertretern der Pul- monaten, 7. Einige Bemerkungen über die Eiablage. — Lite- raturnachweis. Die beigegebenen prachtvollen Abbildungen (Photos) regen ebenfalls den Wunsch an und zeigen zugleich die Möglichkeit, die ungemein fesselnden Vorgänge für den Kinematographen zu filmen. Recht interessant ist endlich auch die Begattung bei den größeren Helicecn, namentlich bei der Weinbergschnecke, bei der das zierliche Liebespfeilchen (zur Erregung von Schmerzgeilheit) eine besondere Rolle spielt. Letztgenannte Schnecke sieht man im Frühjahr und Sommer sehr häufig in Copula und dann bei der Eiablage, und wenn auch das Herausschnellen des Kalkpfeiles nur einmal von einem Glückskinde gesehen wird, so kann man es nach dem F'rei- werden in dem Gemengsei von Schleim, Erde usw. um die betreflenden Schnecken fast stets, wenn auch häufig zerbrochen, entdecken. Erschöpfendes über die Begattung bei Helix pomatia L. (reich und vorzüglich illustriert) hat Prof. Joh. Meisenheimer in den „Monographien (4) einheimischer Tiere", herausgegeben von Prof. Dr. H. E. Ziegler, Stutt- gart, und Prof. Dr. R. Woltereck, Leipzig (Leipzig, Verlag von Dr. Werner Klinkhardt) veröffentlicht. L. Schmidt, Gotha. InhaG«: K. Bretscher, Der Gesang der Vögel. S. 409. — Kleinere Mitteilungen: E. Dennert, Zweckmäßigkeit oder Nutzmäßigkeit? S. 415. — Einzelberichte: G. Hellmann, Die Bewegung der Luft in den untersten Schichten der Atmosphäre. S. 417. F. Dessauer, Neuer Hochspannungstransformator und seine Anwendung zur Erzeugung durch- dringungsfähiger Röntgenstrahlen. S. 41S. M. Hobmai er, Biologie und Bekämpfung der Gastrusfliegc. S. 420. C. Chr. Hirsch, Arbeitsrhythmus der Verdauungsdrüsen. S. 421. Schiffner, Die Phylogenie der Lebermoose. S. 421. — Bücherbesprechungen: Adolf Zade, Der Hafer. S. 422. F. Löscher, Leitfaden der Landschafts-Photographie. — Anregungen und Antworten: Wildrosen. S. 424. Beitrag zur Begattungsfrage der Schnecken. S. 424. Ma iiskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berl Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H N 4, Invalidenstrafie 42, erbe Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 28. Juli 1918. Nummer 30. [Nachdruck verböte Über Radioaktivität. Paul Vierkötter, Assistent am physikalischen Institut der Universität Je Mit I Abbildung im Text. Die Entdeckung der Eigenschaft der Selbst- strahlung oder Radioaktivität hat sich als eine Wissenschaft erwiesen, an deren Entwicklung die Physik und die Chemie in Harmonie zusammen- gearbeitet und große Erfolge erzielt haben. Die Radioaktivität spielt eine große Rolle in der Medizin und ist für gewisse Fragen der Geologie und Meteorologie, sowie der kosmischen Physik, von Bedeutung geworden. Bald nachdem Röntgen seine Entdeckung ge- macht hatte, fand H. Becquerel, daß Wirkungen ähnlicher Art, wie sie die Röntgenstrahlen ausüben, von allen uranhaltigen Substanzen ausgehen. G. C. Schmidt wies das gleiche von Thorium Verbindun- gen nach. Herr und Frau Curie gewannen aus dem Uranpecherz auf chemischem Wege einen Stoff, der jene strahlenden Eigenschaften in viel höherem Grade hatte, als alle übrigen Substanzen. Nach dem Vorschlage der Curies werden die Körper, die Strahlen ohne Zufuhr äußerer Energie aus- senden, als radioaktiv, und die ganze damit zusam- menhängende Erscheinungsform als „Radioaktivität" bezeichnet. Nach Rutherford nennen wir die von radioaktiven Stoffen ausgehenden Strahlen a-, ß- und y-Strahlen. Sie sind in ihren Eigen- schaften den Kanal-, Kathoden- und Röntgenstrahlen analog. Diea-Strahlen sind stark absorbierbar, führen positive Ladung mit sich und werden vom Magneten wenig, dem Sinne nach wie bewegte, positiv- geladene materielle Körper abgelenkt. Sie ver- halten sich wie die Kanalstrahlen. Die ^-Strahlen sind weniger absorbierbar, führen negative Ladung und werden von dem Magneten und elektrischen Feldern wie Kathodenstrahlen abgelenkt. Kathoden- strahlenteilchen sind Elektronen. Die ^Strahlen sind kaum absorbierbar, werden vom Magneten gar nicht beeinflußt — sind elektrisch neutral — und haben den Charakter der Röntgenstrahlen. Alle Strahlen wirken auf die photographische Platte; sie erregen das Leuchten eines Barium- platincyanürschirms ; und sie machen die Luft leitend. Die Blättchen des geladenen Elektroskops fallen zusammen sowie ein radioaktiver Stoff in die Nähe des Elektroskops gebracht wird. Die photographische- und Fluoreszenzmethode zur Untersuchung der von radioaktiven Substanzen ausgehenden Strahlen werden oft benutzt, wenn eine genaue Messung der Gesamtintensität der Strahlen nicht erforderlich ist. ,Zur bequemen und genauen Bestimmung eignet sich nur die elektrische Methode. Am einfachsten läßt sich die elektrische Messung der Radioaktivität vermittels des Goldblättchen- elektroskops ausführen. Eine geeignete Form des Goldblättchenelektroskops, wie sie zuerst von H. Becquerel benutzt wurde, ist in der neben- stehenden Figur abgebildet. Es besteht aus einem Blechgefäß mit abnehmbarem Boden E, auf dem die zu prüfende Substanz ausgebreitet wird. H ist ein mit Paraffin überzogener Gummistopfen und G ein durch die Mitte gebohrter Metalldraht, der an seinem unteren Ende einen Stab A von geschmolzenem Quarz trägt. Am unteren Ende des Quarzstabes ist ein dünner Messingstreifen B befestigt, an dem ein einziges Goldblättchen C angeheftet ist. Die Ladung wird durch den Stab D mitgeteilt, der vermittels des Ebonitgriffes F gedreht werden kann, so daß er am unteren Ende mit B in Berührung kommt. Wenn das Elektro- skop geladen ist, so wird diese Berührung unter- brochen und die Stäbe D und G, ebenso die Außenseite des Metallge- fäßes, werden mit der Erde leitend verbunden. Das Elektroskop bildet dann ein vollkommen elektrisch-geladenes Sy- stem, welches ganz von Metall umgeben, luftleer gemacht werden kann und gegen alle äußeren Einflüsse geschützt ist. Wenn das Elektroskop nicht luftdicht zu sein braucht, so ist es zweck- mäßig, in den Stopfen ein kurzes paraffiniertes Glas- rohr einzusetzen, welches alsFührungfürdenLadestab dient. Wenn dieser direkt durch den Gummistopfen gesteckt wird, bleibt er oft am Gummi haften. Die Geschwindigkeit, mit der das Goldblättchen zurück- geht, wird durch Fenster in dem Gehäuse beobachtet, und zwar vermittels eines Ablesemikroskops, welches mit einer Skala im Okular versehen ist. Die F"enster ermöglichen auch eine Projektion zur objektiven Beobachtung der Wanderungsgeschwin- digkeit des Goldblättchens. Die radioaktiven Sub- stanzen, welche verglichen oder gemessen werden sollen, werden zerkleinert und ein paar Gramm auf Metallscheiben von geeigneter Größe ausge- breitet und mit diesen in die Ionisationskammer I gestellt. Um eine zweckmäßige Ablenkung des Goldblättchens zu bewirken, ist ein Potential von 200 bis 400 Volt erforderlich. Vor der Messung mit eingebrachter Radiosubstanz muß die Wande- rungsgeschwindigkeit des Goldblättchens geprüft G r 1 B ) 426 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 30 werden, da ein Zusammenfallen des Blättclicns durch in der Luft \orhandenc Ionen oder Elektrizitätsleitung durch Feuchtigkeit eintreten kann. Es ist daher stets ratsam, die Luflfeuchtig- in dem Elektroskop wegzunehmen. Eine Fehler- quelle, die sorgfältig beobachtet Vv?erden muß, liegt in der Möglichkeit, daß während einer Reihe von Messungen die Isolierung des Blättchens mangel- haft wird und dieses infolgedessen zurückgeht. Man muß daher den Elektrizitätsverlust, den das Instrument in Abwesenheit radioaktiver Substanzen erleidet, häufig von neuem ermitteln. Die «-Strahlen, die die größte Ionisation be- wirken, werden so leicht absorbiert, daß über eine gewisse Dicke der Schicht aktiver Substanz hinaus die Strahlung nicht mehr zunimmt. Es muß ein möglichst geringes Gewicht Substanz über eine möglichst große Fläche ausgebreitet werden, eine praktisch nicht immer durchzuführende Forderung 1 Aber auch dann können wirksame Moleküle in der Mitte der Schicht liegen und kann deren Wirkung absorbiert werden. Es war des- halb von großer Wichtigkeit, daß es gelang, eine mathematische Beziehung zu finden zwischen Strahlung und Dicke der Schicht, die eine Reduktion auf die Schichtdicke „null" gestattet. Für einen rohen Überschlag über die radioaktive Wirkung einer Substanz leistet diese elektrische Elektroskop- methode sehr gute Dienste, wenn die Anwendung auch etwas beschränkt ist. Dagegen kann die Änderung, welche die Aktivität eines Präparates mit der Zeit erleidet, sehr genau studiert werden, indem man es während des Zeitraums, in welchem die Messungen vorgenommen werden, auf der ursprünglichen Platte ungestört liegen läßt. Er- staunlich ist die Empfindlichkeit der auf demselben Prinzip beruhenden Elektrometermethode für die geringsten Spuren radioaktiver Stoffe. Es genügt zu sagen, daß wir imstande sind, mit einem guten Instrumente dieser Art noch den fünfzigmillionsten Teil eines Milligramms Radium sicher nachzu- weisen. Würden wir eine Messerspitze eines Radium- salzes unter alle Menschen der Erde verteilen, so würde doch ein jeder genug Salz bekommen, um sich von der Gegenwart des Radiums mit Hilfe eines empfindlichen Elektrometers überzeugen zu können. Eine genaue Untersuchungsart der Intenshät radioaktiver Substanzen, z. B. von Mineralien, Acker- erde, Schnee usw. haben wir in der Rutherford- schen Emanationsmethode. Rutherford zeigte, daß alle radioaktiven Stofte Teilchen in die Luft aussenden, welche selbst vorübergehend Radio- aktivität besitzen. Er nannte die radioaktive Sub- stanz, welche auf diese Weise der Luft mitgeteilt wurde, Emanation. Die Emanationsmethode be- ruht auf der Tatsache, daß z. B. Radium eine charakteristische Emanation von verhältnismäßig langer Transformationsdauer erzeugt, die vollständig aus den Radiumlösungen abgeschieden werden kann. Wenn eine Radiumlösung in einem geschlossenen Gefäß enthalten ist, so erreicht die vorhandene Emanation ihre Gleichgcwichtsmcnge in etwa einem Monat, und die vorhandene Menge ist dann propor- tional mit dem Gehalte an Radium. Die Menge der PJmanation in der Untersuchungsprobe kann direkt mit der Menge der Emanation einer be- kannten „Standardlösung" verglichen werden. Um auf Radium zu prüfen, muß die Substanz gelöst und die Lösung einige Tage in geschlossenen Flaschen aufbewahrt werden. Das über und in der Lösung befindliche Gas muß dann aus der Flasche durch Kochen im Vakuum ausgetrieben und zur Untersuchung von Radiumemanation 10 Minuten lang aufbewahrt werden; in dieser Zeit ist etwa vorhandene Thoremanation und Aktinium- emanation vollständig verschwunden. Die ent- weichenden Gase werden zuerst von Knallgas durch Explosion, dann von Wasserdampf, COj usw. durch geeignete Absorptionsmittel befreit. Dann wird die Emanation in einem mittels flüssiger Luft abgekühlten U-Rohr großenteils kondensiert; die noch übrigen Gase werden fortgepumpt und die nach Erwärmung wieder frei gewordene Emana- tion in das möglichst klein gehaltene Elektroskop gedrückt. Drei Stunden nach der Einführung der Emanation in die Ionisationskammer des Elektroskops wird die Messung am genauesten. Wird das Elektroskop entladen, so kann auf die Anwesenheit der Radiumemanation geschlossen werden. Die Rutherford'sche Emanationsmethode verbindet mit dem Vorteil der großen Sicherheit und Genauigkeit in der praktischen Ausführung der Messung den Nachteil großer Umständlichkeit. Es ist unter Umständen langwierig, das richtige Lösungsmittel des Minerals zu finden. Einfacher gestaltet sich die Untersuchung von Quellwässern, da hier die Emanation schon in gelöster Form vorliegt. Die in den Ouellwässern beobachtete Emanation ist gewöhnlich diejenige des Radiums. Man bestimmt 1. die in einem Liter Wasser enthaltene Em.anation unmittelbar nach der Ent- nahme desselben. 2. Die in einem Liter des aus der Quelle aufsteigenden Gases enthaltende Emana- tion. 3. Die Menge Radium im Liter Quellwasser. Manche Quellen enthalten Radium, andere da- gegen nur dessen Emanation. Im ersten Fall bildet sich die Emanation im Wasser aufs neue, nachdem sie ausgetrieben worden ist. Im letzten Fall bleibt das nach der Austreibung der Emana- tion in einem verschlossenen Gefäß aufbewahrte Wasser inaktiv. Die Emanation, die in den zur Untersuchung entnommenen und aufbewahrten Wasser und Gasproben enthalten ist, vermindert sich mit der Zeit. Wird die Untersuchung nicht sofort ausgeführt, so muß darauf Rücksicht genommen werden. Die gefundene Menge Emanation kann auch in gewissem Maße von der Art, wie die Proben genommen worden sind, abhängig sein. Endlich ist die Radioaktivität der Quellen nicht konstant, sondern zeigt bedeutende spontane Schwan- kungen. Die aus einer gegebenen Wassermenge abgeschiedene oder in einem gegebenen, der Quelle N. F. XVn. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 427 ciUstanimendcn Gasvoluincii enthaltene f^iiianation kann in einer für Gase eingerichteten Ionisations- kammer auf die angegebene Weise gemessen werden. Die Resultate der verschiedenen Messungen werden am besten dadurch miteinander vergleichbar ge- macht, daß man sie mit der Ionisation vergleicht, die man in demselben Apparat mit der Emanation erhält, welche in einer bekannten Zeit von einer titrierten Lösung eines reinen Radiumsalzes ent- bunden wird. In dem ersten Teile dieser Arbeit wurde schon erwähnt, daß radioaktive Präparate andauernd ein Gas, die Emanation, aussenden. Eine kleine Menge Radium in ein luftleeres Glasrohr gebracht, leitete den elektrischen Strom nicht; nach 8 Tagen ging der Strom hindurch, und das entstandene Gas lieferte im Spektrum die Linien des Heliums. Radium und Helium mit einem bestimmten Atom- gewicht und spezifischen Spektrum sind als chemisclie Elemente einwandfrei nachgewiesen. Rutherford hielt es für wahrscheinlich, daß das Element Radium in das Element Helium über- gegangen sei. Heute ist die Möglichkeit des Zer- fallens eines Elementes in ein anderes Element bestimmt anzunehmen. — War es der Strahlungs- physik gelungen, das Elektron aufzufinden, dessen Geschwindigkeit zu bestimmen und das Elektron aus einem verschlossenen Raum heraustreten zu lassen, die Frage nach der materiellen Beschaffen- heit oder materielosen Natur des Elektrons zu entscheiden, so hat die Radiophysik den Zerfall der Elemente nachgewiesen. Das Radium ist ein solches dauernd zerfallendes Element und die Emanation, das Element Helium das Zerfallsprodukt des Radiums. Auf der Tatsache dieser Umwand- lungserscheinung ist die Theorie des Atomzerfalls radioaktiver Körper aufgebaut. Die Radioaktivität explosionsartig, unterscheidet sich aber von einer gewöhnlichen Explosion dadurch, daß die Explosion eines Atoms keinen Einfluß auf die Geschwindig- keit der Explosion der benachbarten Atome aus- übt. Radioaktivität ist in einem gegebenen Augen- blick die Wirkung weniger Atome der gesamten Masse. Was die Ursache des Zerfalls der Atome ist, ist vorläufig unbekannt. Bis heute kann der Zerfall noch nicht irgend beeinflußt werden. Das Atom fliegt plötzlich infolge einer inneren Um- wälzung auseinander. Die innere Energie des chemischen Atoms wird erst erkennbar, wenn dieses zerfällt. Die Radioaktivität bezieht ihre Energie aus einer bisher unberührten Quelle der in der Struktur des Atoms angehäuften latenten Energie. Es würde schwer gewesen sein, den Beweis zu erbringen, daß die Ursache der Radioaktivität in dem Zerfall der Atome zu suchen sei, wenn das zerfallende Atom aus seinem Anfangszustand durch eine einzige Umwandlung in den Endzustand über- ginge, wie es bei einer Explosion der Fall ist. Dies ist aber bei radioaktiven Körpern nicht so. Die Substanzen durchlaufen eine Menge getrennt auf- einander folgender Zersetzungen — das Thoratom deren 5 — , die jede ihre besondere begrenzte Lebensdauer und a- oder ß- und y Strahlenart hat. Im Augenblicke des Zerfalls zeigt das Atom die Eigenschaft der Radioaktivität. Es soll hier noch das historische Schema des Zerfalls von Radium angegeben werden, woraus hervorgeht, in welche StofTe das Radium zerfällt, welche Strahlenarten es aussendet und wie groß seine Halbwertszeit T der Lebensdauer ist. Dabei ist die Halbwertszeit diejenige, welche angibt, nach welcher Zeit die Wirkung auf die Hälfte reduziert wird. Die Zahlen in den Kreisen der StofTe geben das Atomgewicht an. Strahlung: ^ -^A^-^K -^ 9f/ ^ "// / Stoffe: Uran Ra Emanjtion Ra A RaB Rae RaD Ra E Ra F Pb T: 2000Jahre 4 Tage 4.3 Min 38 Min. 28 Min. 20 Jahre 8.9 Tage 206 Tage 7 ist nach Soddy zu definieren als der gleichzeitige Verlauf zweier Prozesse: i. der Aussendung ge- ladener Teilchen mit ungeheuerer Geschwindigkeit und 2. der Erzeugung neuer Typen von Materie in geringer Menge. Strahlung und Zerfall sind zwei eng miteinander verknüpfte Vorgänge. Die Zerfallstheorie nimmt an, daß die Radio- aktivität nur durch einen bestimmten Bruchteil der Atome, welche zerfallen, verursacht wird. Während sie zerfallen, schleudern sie die ent- stehenden Teilchen in Form strahlender Energie in den Raum. Bei weitem die Mehrzahl aller Atome besteht aus gewöhnlichen inaktiven Atomen, die die uns bekannten Eigenschaften der Atome — ohne besonderes Merkmal — haben. Das Zer- fallen des einzelnen Atoms erfolgt plötzlich und Die Zerfallstheorie kann man in zwei Haupt- sätze zusammenfassen (Müller-Pouillet, S. 1233, Bd. 4). A. Radioaktive Körper besitzen unbeständige Atome, von denen in jeder Zeiteinheit ein be- stimmter Bruchteil explosionsartig zerfällt, wobei gleichzeitig ß- oder ß- und y-Teilchen emittiert werden. B. Der Rest des Atoms bildet ein neues „Radioelement", das seinerseits unter Strahlen- emission weiter zerfällt und so fort bis zur Bil- dung des stabilen oder der Langsamkeit des Zerfalls wegen nicht mehr als radioaktiv erkenn- baren Endproduktes. Durch die Erscheinung der Radioaktivität haben wir eine Reihe von neuen unbeständigen Elementen 428 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 30 kennen gelernt, die sich gegenwärtig nicht in das periodische System einreihen lassen. Es ist aber sehr wohl möglich, daß die Elemente des perio- dischen Systems aus Atomen bestehen, die den ganzen Entwicldungsprozeß schon durchgemacht haben oder noch darin begriffen sind; deren Um- bildung aber so außerordentlich langsam erfolgt, daß sie für uns nicht wahrnehmbar ist. Dies mag der Grund sein, warum uns die Elemente des periodischen Systems stabil erscheinen. Das Atom des radioaktiven Körpers ist in Übergangs- formen begriffen, ist nicht stabil, hat aber das Bestreben in eine stabile Form überzugehen. Da- mit werden wir vor die Frage nach der Natur des chemischen Atoms gestellt. Diese ist ver- schiedentlich und in ebenfalls verschiedener Weise beantwortet worden. Eine große Schwierigkeit bereitet die Erscheinung, daß nicht alle Atome einer radioaktiven Substanz auf einmal zerfallen. Annahmen über die Anordnung der Ladung und wirkenden Kräfte führten zu den Atommodellen von Lord Kelvin, Rutherford, LI. Thomp- son. Soddy kommt zu dem Schluß, daß die inneren Bewegungen des Atoms höchst unregel- mäßig sein müssen, und daß die Struktur des Atoms sich in außerordentlich schneller und un- regelmäßiger Bewegung befindet. Das Kelvin- Thompson'sche und das Rut herford'sche Modell unterscheiden sich voneinander hauptsäch- lich durch die zur Stabilisierung des Systems er- dachten Hilfsmaßnahmen. LI. Thompson läßt sein ganzes Modell rotieren, daß sich eine ganze Anzahl konzentrischer Ringe bildet. Nach dem Studium der radioaktiven Materie scheint die An- nahme gerechtfertigt, daß die schwereren Atome einen komplizierten Aufbau haben und zum Teil aus Helium bestehen. Es ist bezeichnend, daß die Atomgewichte einer Anzahl von Elementen nahezu um 4, dem Atomgewichte des Heliums, differieren oder um ein ganzes Vielfache von 4 (siehe Tabelle). Das Atomgewicht des Bleies ist 206. Es schließt sich also ganz gut an obige Kette als Zerfallsprodukt an das RaF an. Auch weitere Gründe sprechen dafür, daß Blei das End- produkt des Radiumzerfalls ist. Ohne Zweifel sind Wasserstoff sowohl aus Helium eine der funda- mentalsten Einheiten, aus denen die schwereren Atome zusammengesetzt sind. Ein kompliziert aufgebautes System ist, wie wir aus der Mechanik wissen, nicht stabil, zumal wenn es sich mit großer Geschwindigkeit bewegt. Die Möglichkeit des Zusammenstoßes der Atome oder deren Teile ist sehr wahrscheinlich. Welches der eigentliche An- stoß der Katastrophe ist, wissen wir nicht genau. Es ist möglich, daß sich eine Reibung (bei der Thompson'schen Vorstellung innerhalb der Ringe) bemerkbar macht, wodurch die kritische Geschwindigkeit der Atomteile verloren geht und der Zerfall eintritt. Es werden sich neue Systeme bilden, neue Katastrophen eintreten und wieder neue Gebilde entstehen. Die neuen Körper machen sich uns durch die Strahlung bemerkbar. Die bei den radioaktiven Substanzen freiwerdende Wärme ist Energie, die als Rotationsgeschwindig- keit vorhanden war. — Wie wir im großen Weltall ein ewiges Entstehen und Vergehen haben, so wohl auch in der Welt des unendlich Kleinen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier die herrlichste und erhabenste Bestätigung der universellen mechanischen Grundgesetze zu sehen, die im unendlich Kleinen und im unendlich Großen die gleiche Gültigkeit besitzen. Jedoch erst aus astronomischen Daten wird es möglich sein, ge- nauere Schlüsse zu ziehen. Nachdem bis jetzt einige praktische Winke angeführt und zwei Untersuchungsmethoden radioaktiver Stoffe angegeben, dann von der Theorie des Atomzerfalls gesprochen worden ist, soll nun von der Bedeutung der Radioaktivität gesprochen werden. Zunächst einiges in chemischer und medizinischer Hinsicht. Die wichtigsten chemischen Wirkungen, welche man beobachtet hat, sind die von Demargay beobachtete Umwandlung von Sauerstoff in Ozon und der von Becquerel gefundenen Umwand- lung von gelbem Phosphor in die rote Modifikation. G i e s e 1 fand die Zerlegung des Wassers in Wasser- stoff und Sauerstoff durch radioaktive Substanzen. Curie stellt die Violett- oder Braunfärbung des Glases fest. Alle Gläser färben sich in kürzerer oder längerer Zeit nach der Bestrahlung. Die Farbe bleibt nach Entfernung des Radiums bestehen. Sie verschwindet langsam im Lichte und schnell in der Wärme. Beobachtungen über den färben- den Einfluß des Radiums brachten einige Experi- mentatoren auf den Gedanken, die Radiumfärbung zur Erzielung der gewünschten Farben der Edel- steine auszunutzen. Solche Versuche sind u. a. von Bor das ausgeführt worden, und zwar an Korunden. Er kaufte bei einem Juwelier Korunde von der billigsten Sorte zum Preise von 2 Frank für das Karat und verschloß sie auf einen Monat in einem Kästchen, in welchem sich gleichzeitig ein Radiumpräparat befand. Nach Verlauf von einem Monat öffnete er das Kästchen und fand, daß sämtliche Steine ihre Farbe verändert hatten : die farblosen Korunde waren gelb, wie der Topas; die blauen wufden smaragdgrün und die violetten nahmen die Farbe des Saphirs an. Die Färbung war so ähnlich, daß derselbe Juwelier, welcher die Steine ursprünglich für 2 PVank pro Karat ver- kauft hatte, jetzt für das Karat 45 Frank bot. Auch Papier wird unter der Wirkung von Radium verändert und gefärbt. Es wird brüchig und zer- bröckelt. Auf Blätter von Pflanzen übt das Radium eine ähnliche Wirkung aus. Mit Hilfe des Radiums kann man chemische Reaktionen verschiedener Art hervorrufen. Namentlich kann man Radium- emanation zu diesem Zwecke verwenden. Kohlen- dioxyd wird zersetzt in Kohlenstoff, Sauerstoff und Kohlenoxyd. Kohlenoxyd wird zerlegt in Kohlenstoff und Sauerstoff unter gleichzeitiger Entstehung von Kohlendioxyd. Ammoniak wird N. F. XVII. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 429 zerlegt in Stickstoff und Wasserstoff; Chlorwasser- stoff in Chlor und Wasserstoff. Auch die Wirkung der Strahlen auf die photographische Platte und die Fluoreszenzerzeugung gehören natürlich zu den chemischen Wirkungen. Zusammen mit der Tatsache des Zerfalls radio- aktiver Stoffe haben diese Erscheinungen die Physik und Chemie angeregt und durch umfassende Arbeiten praktisch gefördert ; aber auch theoretisch, wie schon aus der Atomzerfallstheorie hervorgeht. Interessant sind die physiologischen Wirkungen der Radiumstrahlen. Die Strahlen üben einen Reiz auf die Netzhaut des Auges aus. Wenn man . das Auge einige IVlinuten in absoluter Dunkelheit ruhen läßt und dann plötzlich eine Radiumverbin- dung annähert, so hat man den Eindruck einer diffusen Helligkeit, selbst bei geschlossenen Augen- lidern. Auch blinde Personen empfinden die Wirkung, wenn die Netzhaut gesund ist. Soddy meint, die Erscheinung könnte vielleicht dazu dienen. Näheres über die Ursache der Blindheit festzustellen. Die Strahlen des Radiums können auf der menschlichen Haut schwere Verletzungen hervor- rufen. Es zeigen sich verbrennungsartige Erschei- nungen von ähnlicher Art wie sie nach längerer Einwirkung von Röntgen strahlen auftreten. Es macht sich zunächst eine schmerzhafte Reizung der Haut der bestrahlten Stelle bemerkbar, dann ent- steht eine Entzündung, die etwa 10 bis 20 Tage lang anhält und sehr schwer heilt. Für diese zerstörende Wirkung der radioaktiven Strahlen sind wahrscheinlich in erster Linie die a- und /^-Strahlen verantwortlich zu machen. In gewissen Fällen hat man bei der Behandlung von Krebs- kranken mit Radiumstrahlen günstige Erfolge er- zielt. Die Radiumbehandlung besitzt den großen Vorzug, daß sie die Möglichkeit bietet, die Strah- lungsquelle selbst an den Ort der Erkrankung zu verlegen, indem man das Präparat in ein Röhrchen einschließt und in den Organismus einführt, wobei man je nach dem Fall Strahlen von verschiedenen Durchdringungsfähigkeiten benutzt. Wie Gift in kleinen Mengen wirken die Strahlen anregend; in größeren lähmend und in großen Dosen tötend auf die Gewebe. Während bei medikamentösen Giften eineGewöhnung des Körpers stattfinden kann, dergestalt, daß bei längerem Gebrauche des Giftes schließlich Mengen genommen werden können, die für gewöhnlich tödlich wirken, ist das bei den Radiumstrahlen nicht der Fall. Hier summieren sich die Wirkungen und können wie wir vorher sahen, zu schwerenSchädigungen führen. Außerdem ist die Gefahr freilich sehr groß, daß bei Radium- bestrahlung auch andere benachbarte Zellen gleich- zeitig affiziert werden, so daß jede Anwendnng nur mit der größten Vorsicht zu erfolgen hat. Mit der Radiumstrahlung hat man einerseits sehr gute Erfolge gehabt; in anderen Fällen ist der Erfolg der Behandlung sehr zweifelhaft. Die Schwierigkeit liegt heute noch in der richtigen Dosierung der Strahlung, da es nicht gelun^n ist, eine bestimmte Dosierung Strahlen dem Orga- nismus einzugeben. Wie bei den Medikamenten die Maximaldosis ein bestimmtes Gewicht nach Gramm als größte unschädliche Menge angibt, wird eine Maximaldosis auch für die Radiumstrahlen als objektives Maß angestrebt. Die physiologische Wirkung mehrerer Mineral- quellen ist in Zusammenhang mit ihrer Radioaktivi- tät zu bringen. Man kennt Quellen von ganz bedeutender Wirkung, die keine irgendwie auf- fallenden chemischen Bestandteile enthalten ; z. B. die Quellen von Bad Gastein, Baden-Baden, Plombieres. Da die radioaktiven Eigenschaften der Mineralwässer nicht beständig sind, sondern mit der Zeit abnehmen, so läßt sich daraus die empirisch schon lange festgestellte Tatsache erklären, warum alle derartigen Heilmittel viel energischer an Ort und Stelle wirken als nach dem Versand nach anderen Orten. Bei dem Zerfall des Radiums wird eine große Menge Wärme frei, i g Radium gibt nach Soddy in der Stunde lOO Kalorien Wärme ab, nach neueren Angaben sogar 118 Kalorien; das ist mehr als notwendig, um ig Eis zu schmelzen. Ruther- ford und Soddy haben zuerst die Ansicht aus- gesprochen, daß die Wärmeentwicklung bei der großen Menge vorhandenen Radiums an derSonnen- und Erdwärme einen Anteil haben muß. Unter Zuhilfenahme anderer physikalischer Daten ver- suchten sie, etwas über das Alter der Erde aus- zusagen. Lord Kelvin kam bei seiner Schätzung des Alters der Erde als einer bewohnten Welt zu dem Werte von 10 000 000 Jahren durch drei un- abhängige Betrachtungen. Die erste stützte sich nur auf die innere Wärme der Erde und die Zu- nahme der Temperatur unterhalb der Oberfläche. Der zweite Beweis stützte sich auf die Flutver- zögerung und der dritte auf die Länge der Zeit, welche die Strahlung der Sonne gedauert haben kann. Lyell und andere, besonders Darwin, nehmen für einen verhältnismäßig kurzen Teil der neueren geologischen Geschichte 300000000 Jahre nicht als hinreichend an. Unter Zuhilfenahme der beschränkten Kenntnis, der der mit Materie verbun- denen Energie durch Radioaktivität schließen sich Rutherford und Soddy den Geologen an oder gehen noch darüber hinaus. F. Soddy kommt in seiner Schätzung des Maximalalters der Erde auf Grund radioaktiver Betrachtungen zu einer äußersten Grenze des Alters der Erde von 10'" Jahren. Er sagt S. 196 in seinem Buche über Radioaktivität: „Wenn also auch ursprünglich die ganze Erde aus Uran bestanden hätte und keine Reproduktion stattgefunden hätte, so könnte sie nicht länger als 10* bis loi" Jahre existiert haben." Setzen die beiden Forscher dem Alter der Erde eine Maximalgrenze von 10*" Jahren, so ist es be- rechtigt, an der Richtigkeit der Zahl zu zweifeln. Auf jeden Fall ist nicht zu bezweifeln, daß die Radioaktivität ein wichtiger Faktor in den Wärme- verhältnissen der Erde ist. Man hat gefunden, daß die an radioaktiver Materie besonders reichen Gebiete sich auch durch einen atiormal hohen 430 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVni. Nr. 3< Wert des Temperaturgradienten auszeichnen. Es beruht dies auf Beobachtungen im Simplontunnel. Mit Hilfe der Radioaktivität hat man die Wärme des Erdinnern und das Alter von Mineralien aus dem Gehalte an Helium bestimmt. Die Werte stimmen mit den in der Geologie angenommenen ganz gut überein. Birke 1 and hat versucht, die Erscheinung des Nordlichtes als die Folge elektrischer Strahlen — und zwar von Kathodenstrahlen — zu erklären. Das Nordlicht tritt zusammen mit Sonnenflecken auf, die im Gefolge magnetische und elektrische Abweichungen haben. Das Phänomen ist erklärt, sobald man Elektronenemission durch glühende Körper oder Sonnenflecke annimmt. Die Sonne soll /5-Strahlen aussenden, die auf kurze Ent- fernung in unsere Atmosphäre eindringen könnten und ein Aufleuchten verursachten , welches als Nordlicht beobachtet würde. Eine letzte erwähnenswerte Beobachtung ist die, daß sich die meteorologischen Zustände mit der atmosphärischen Radioaktivität ändern. Die gegenseitige Abhängigkeit ist noch wenig erforscht. Neben Staubteilchen können auch Ionen als Kerne für die Bildung von Nebel und Regen dienen. Bringt man in die Nähe eines Wasserdampf ent- haltenden Gefäßes ein Radiumpräparat, so dienen die Ionen als Kondensationskerne und es tritt in dem Gefäß, wie Wilson gezeigt hat, entgegen den thermodynamischen Gesetzen eine starke Nebelbildung ein. Der Nebel verdichtet sich, um sich in Form kleiner Wassertröpfchen nieder- zuschlagen. Augenblicklich ist man eifrig dabei, diese Nebelbildung zur künstlichen Berieselung von Feldern nutzbar zu machen. Jena, Physikalisches Institut 1918. Literatur. 1. Mme P. Curie, Radioaktivität II. 2. Müller-Pouillet's Lehrbuch der Physik uud Meteorologie. 3. Mar.x, Handbuch der Radiologie. (Kutherford, Radioaktive Substanzen und ihre Strahlungen.) 4. Ruthcrford-Aschkinass, Radioaktivität. 5. F. Soddy, Die Radioaktivität. 6. Pauli, Vorlesungen über E.'iperinicntalphysik. 7. M. Centnersz-iver, Das Radium und die Radio aktiv ität. Der Gesang der Vögel vom entwickluiigsgeschichtlicheii Staudimiikt betrachtet. *) [Nachdruck verboten.] ;Von Dr. Hans Lüttschwager. Die moderne Systematik sucht ein natürliches System zu schaffen, d. h.sie gliedert die einzelnen Tier- arten nicht nur von einem Gesichtspunkte aus ab, son- dern sucht Morphologie, Embryologie, Anatomie, Paläontologie und geographisches Vorkommen zu berücksichtigen. Bei systematischer Untersuchung kann man ferner die Biologie der einzelnen Arten berücksichtigen. Diese Methode ist bisher wenig benutzt worden. Es sind wohl eine große Anzahl von Tatsachen bekannt, die man heranziehen kann, aber es fehlt die zusammenfassende Arbeit über diese Tatsachen, wenn man nicht die Lehrbücher der Biologie hinzurechnet. Aber auch bei ihnen finden sich diese Gedanken nur angedeutet. Fürbringer hat in seinem Werke: „Unter- suchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel" II. Teil Amsterdam 1S88 bereits diese physiologische Systematik angedeutet, legt ihr aber nur bedingten Wert bei, da das nötige Tatsachen- material fehle. Die folgenden Äußerungen sollen der Untersuchung dienen, ob sich Lebensäußerungen der Vogelwelt, zunächst die gesanglichen Leistungen, für systematische Untersuchungen verwenden lassen, bzw. wie sich die Rufe der Vögel vom Standpunkt eines natürlichen Systems und der Entwicklungs- lehre verwerten lassen. Da der Gesang, einschließ- lich der Lock-, Warn-, Paarungsrufe usw., bei den Vögeln allgemein verbreitet ist, kann man ähnlich wie beim Menschen eine vergleichende Sprach- ') Gekürzte Wiedergabe eines Vortrages, gehalten am 12. Dezember 191 7 im westpreußischen botanisch-zoologischen Verein in Danzig. forschung treiben. Die erste Bedingung dafür ist die, daß — abgesehen von individuellen Leistungen — die Lautäußeruiigen arteigen sind. Dies ist der Fall, ausgenommen die Gruppe der sogenannten spottenden Vögel. Derartige vergleichende Stimm- und Gesangsforschungen lassen im allgemeinen folgende Sätze aufstellen : L Bei verwandten Arten sind die Gesänge verwandt. 2. Die Gesänge haben sich aus einfachen Lockrufen entwickelt, die bei den jugendlichen Tieren einander sehr ähnlich sind. Aus ihnen ent- wickelt sich, dem biologischen Gesetze folgend, der individuelle Gesang. 3. Die Lockrufe sind aus den Lebensgewohn- heiten entstanden (Dauerwanderleben). 4. Man kann von einer Abhängigkeit des Ge- sanges von der Umgebung reden. 5. Die Gesänge werden bedingt durch den Kraftüberschuß, der sich geltend macht durch den beim Brüten notwendigen kürzeren oder längeren Ruheaufenthalt. Diese Sätze sind zum Teil bereits von anderen Erforschern des Vogelgesanges ausgesprochen oder angedeutet worden. So hat es Hacker in „Der Gesang der Vögel" Jena 1900 S. 53 ausgesprochen, daß sich „bei verwandten Arten auch ähnlich klingende Laute mit homologer Bedeutung wieder- finden". Hacker betont dann aber auch gleich, daß ausnahmsweise bei nahe verwandten Arten sehr weitgehende Divergenzen vorkommen können und erinnert an die Laubsänger (Phylloscopus). Ich komme auf dieses Beispiel weiter unten zurück. N. F. XVIi. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 431 Welche Arten oder Gattungen man auch be- trachtet, stets wird man, bei eingehenderem Studium, Verwandtschaft auch in den Tönen fest- stellen können. Freilich braucht der Gesang der einen Art nicht unmittelbar mit dem Gesang der anderen übereinzustimmen. Es kann, um ein Beispiel anzuführen, eine Vogelart einen anderen Ruf zum Gesang umgebildet haben. Der sogenannte Regen- ruf des Buchfinken (E<'ringilla coelebs l..) ist leicht als Ausgangspunkt des klirrenden „Rulschlautes" des Grünlings (Chloris chloris L.) festzustellen. Ein anderes Beispiel zeigt uns der Pirol, der seine Verwandtschaft mit den Krähen durch das laute kreischende „Quäck" angibt, nicht durch sein schönes Pfeifen. Weiterhin soll die Gattung Emberiza (Ammer) angeführt werden, deren Hauptvertreter unter der einheimischen Vogelwelt, Goldammer, Grauammer, Gartenammer oderOrtoIan und Rohrammer, ihrer gesanglichen Leistung nach allgemein bekannt sind und verglichen werden können. Die Strophe der Grauammer „zick zick zick zick schnirrrps" (wie Voigt, Exkursionsbuch zum Studium der Vogelstimmen, Leipzig 6. Aufl. S. 125 schreibt) läßt sich sehr schön vergleichen mit den Lauten der Goldammer, der Reihenfolge gleich hoher Töne mit dem zum Schluß gedehnten höheren Laut. Auch des Ortolan Gesang ist ähnlich, nur weicher, voller und länger klingen die einzelnen Rufe. Die Rohrammer, die mit ihren Lauten sehr wechselt, läßt häufig Töne hören, die sehr an das Goldammerlied erinnern. Oft stehen Arten derselben Gattung einander im Gesang so nahe, daß sie sehr schwer unterschieden werden können, z. B. Haus- und Feldsperling, Saat- und Nebelkrähe. Auch weiter entfernt woh- nende Arten, z. B. die dünnschnäbelige sibirische Form des Tannenhähers (Nucifraga caryocatactes L.) ruft „garrgarr" außerordentlich ähnlich wie der Eichelhäher(GarrulusglandariusL.). Ferner sei an die große Ähnlichkeit der Meisenrufe, die Ähnlichkeit des Gesanges des Girlitzes (Serinus serinus L.) mit mit Gesänge des Zeisigs erinnert, der nur noch den gepreßten Laut dem Schlüsse der Strophe anfügt. Weitere Beispiele des ähnlichen Gesanges sollen hier nicht angegeben werden. Sie sollen in ausführlicherer Arbeit später behandelt werden. Nur auf einen Gesichtspunkt sei noch verwiesen. Nach den Berichten von Reisenden im weiteren Ausland, stimmen dort lebende Arten sehr im im Gesänge mit heimischen Arten überein. Oft wird also die physiologische Systematik zu den- selben Ergebnissen führen wie Morphologie und Anatomie. Als Beispiel, daß vergleichende Stimmforschung auch zu anderem Ergebnis führen kann, sei der Kleiber (Sitta caesia L.) genannt. Durch seine lebhafte „tüick-tüick"-Rufe erinnert er sehr an die Spechte, während er nach der neueren Syste- matik in die Ordnung der Singvögel gestellt ist Es soll bei diesem Fall nicht erörtert werden, ob nicht äußere Unterscheidungsmerkmale, durch Kon- vergenzerscheinungen hervorgerufen, in falsche Bahnen leiten ; dieTiere passen sichderUmgebung an, so daß eine äußere Ähnlichkeit entsteht, z. B. bei Mauerseglern und Schwalben. Hört man ihren Gesang, so findet man bei diesen Arten keine Ähnlichkeit; die Umwandlung, Anpassung an die Umgebung, ist im Gesänge nicht eingetreten. Als klassisches Beispiel, daß nahe verwandte Vogelarten vollkommen arteigenen Gesang haben, der sich nicht dem der anderen Art nähert, wurden bisher stets die heimischen Arten der Gattung Phylloscopus (Laubsänger) angeführt. Die 3 Arten, Phylloscopus trochilus (Pltislaub- sänger), sibilator (Waldlaubsänger), rufus (Weiden- laubsänger), sind im Habitus einander so ähnlich, daß sie der Kenner erst unterscheiden kann, wenn er sie in der Hand hat. Die 3 Arten singen nun so verschieden voneinander, daß man sie sofort am Rufe unterscheiden kann. Das eintönige „Zilp- zalp" des Weidenlaubsängers ist allgemein bekannt. Der Schlag des Fitislaubsängers wird oft mit einem schlechten Finkenschlage verglichen, und der Wald- laubsänger wird der schwirrenden Töne wegen, die seinen Gesang abschließen, auch Schwirrvogel genannt. Hört man aber genau hin, so findet man doch die Ähnlichkeit im Gesänge dieser 3 Arten heraus. Die Töne des Fitislaubsängers sind leicht zu verstehen als eine rasche Folge von Tönen, ähnlich wie „zilp-zilp-zilp", mit sinkendem „zilp- zilp, zilp", in Zeichenlauten "==_ "==_, die auch „fit-fit-fit-" genannt werden. Hiermit im P2inklangc steht auch der Bericht über Fitislaubsänger, die konstant ihre Strophe mit dem „Zilp-zalp" des Weidenlaubsängers endigen, wie es verschiedent- lich in der Literatur zu finden ist, und wie man es selbst hören kann. Im Zoologischen Anzeiger 19 17 findet sich ein Bericht über einen Fitislaub- sänger, der seinem Gesänge ein eigenartiges Vor- spiel vorangehen ließ, das an den Waldlaubsänger erinnerte. Aus all diesen Beobachtungen kann man folgern, daß die 3 Arten, in ihren Lautäuße- rungen so gar nicht ähnlich, doch auch darin ihre Verwandtschaft zeigen, daß sie ihren Gesang, auf gemeinsamem Grunde stehend, nur arteigen aus- gebaut haben, ganz abgesehen von den Lockrufen, die ja sehr ähnlich klingen. Als weitere, leicht zu kontrollierende Beispiele will ich Hauben- und Feldlerche anführen. Wie oft wird im Frühling, wenn die Haubenlerche ihr einfaches Lied etwas zusammenhängender vorträgt, von eingetroffenen Feldlerchen berichtet. Es liegt einfach eine Verwechslung beider Gattungen vor. Derartige Beispiele aus der Ordnung der Sing- vögel könnte man sehr zahlreich anführen. Man kann sogar ganze Reihen in der Entwicklung des Vogelgesanges aufstellen. Geht man z. B. von dem Hausrotschwanz aus, so kann man sich wohl denken, daß man von ihm über den länger aus- gesponnenen Gesang des Gartenrotschwanzes zur perlenden Strophe des Rotkehlchens und von ihr zum Nachtigallgesang kommen kann. Die Ähn- lichkeit zwischen ihnen ist groß. P>eilich Vi^erden die Töne immer reiner, voller, aber doch kommen 432 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. 30 auch wieder gepreßte, uns weniger schön klingende Laute zum Vorschein. Da liier nicht der Raum zu weiteren derartigen Vergleichen ist, sollen nur noch einige Beispiele aus anderen Ordnungen angeführt werden. Bei den Arten der Gattung Ikarus L., Fischmöwe, kann man ebenfalls große Ähnlichkeit feststellen. Die Rufe dieser Gattung entfernen sich nicht allzu weit von einer nahestehenden anderen Gattung, von den Rufen der Seeschwalben, denen sie ja auch bei anderem Vergleiche nahe gestellt werden. Als weitere Beispiele, die jeder nachprüfen kann, seien die Spechte, ferner die Tag- und Nachtraub- vögel genannt. Wie ist nun diese Ähnlichkeit des Gesanges zu erklären? Der Ton ist abhängig vom ton- erzeugenden Werkzeug, in diesem Falle vom Syrinx und seiner Muskulatur. Auf den Bau des Syrinx soll hier nicht weiter eingegangen werden. Vom Standpunkt der Entwicklungsgeschichte betrachtet, muß ja der Bau des Syrinx mit seiner Muskulatur bei einer Art derselbe sein und bei sonst für nahe verwandt gehaltenen Arten auch einen ver- wandten Bau zeigen. Daher ist es erklärlich, daß bei Individuen derselben Art der Gesang gleich ist, daß bei verwandten Arten der Gesang ähnlich klingen wird, in Abhängigkeit von der Muskulatur. Mit der wachsenden Ausbildung der Muskeln, mit der Anzahl der Muskelpaare, muß auch die Fähigkeit des wechselnden Ausdruckes wachsen. Man soll sich allerdings nicht von dem Gedanken leiten lassen, daß mit der wachsenden Zahl der Muskel- paare auch der Wohllaut der Stimme wächst, daß also, vom menschlichen Standpunkte, der Gesang „schöner" wird. Es kommt wohl mehr darauf an, ob ein Vogel die Fähigkeit hat, seine Stimme wechseln, alle möglichen Töne hervorbringen zu lassen. Dies finden wir besonders bei den Raben- vögeln und Papageien, die ja auch die größte Anzahl von Muskeln haben. Die Fähigkeit der Stimmänderung, des Schwatzens, führt uns zu einem anderen Problem, dem des sogenannten „Spottens". Hierunter ver- steht man die Fähigkeit einiger Vögel, aridere Vogellaute nachzuahmen. Diese Fähigkeit besitzen einzelne Vögel in besonderem Maße, z. B. Garten- spötter, Star usw. Man kann diese Spötter wohl als besonders befähigt in ihrem Kreise halten. Es wird ja auch von Grasmücken berichtet, daß sie nachahmen. Die P'ähigkeit besitzt die ganze Gat- tung, nur bei einer ist sie besonders ausgebildet, der des Gartenspötters (Hippolais), der der Gattung Sylvia nahe verwandt ist. Der 2. Satz, daß sich der Gesang aus einfachen Lockrufen entwickelt hat, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Er ist bereits öfter Gegenstand der Untersuchung gewesen. Haecker bringt (1. c.) einige Beispiele dafür. Betont soll hier nur noch werden, daß die Jungvögel in ihren Stimmen allgemein so ähnlich sind, daß diese kaum in der ersten Zeit unterschieden werden können. Erst im Laufe der individuellen Entwicklung bildet sich der Artgesang aus. Er beruht wohl auf Vererbung, ähnlich wie andere Instinkte, Nestbau usw. Nur kann man erläuternd hinzufügen, daß auch Ge- wohnheit den arteigenen Gesang festigt und fördert, daß also alte Vögel schneller und sicherer ihre Leistung im Frühling ertönen lassen als junge Vögel, die erst gleichsam mühsam tastend und versuchend den im Gedächtnis ruhenden Spuren nachgehen. Die ursprüngliche Bedeutung des Einzelrufes wird meist als Ruf angenommen, der die Aufgabe hat, die Einzelwesen zusammenzuhalten. Die Vögel sind wohl in ihrer Gesamtheit als Herden- tiere aufzufassen, die ständig auf Reisen sind. Hier ist das gegenseitige Anrufen von größter Bedeu- tung, meist das Anlocken der Artgenossen, daher der arteigene Ruf. Die Bedeutung dieser Lock- rufe kann jeder auf einem Hühnerhof studieren. Ständig piepen die jungen Hühnchen und halten zusammen, angefeuert durch das Locken der Henne. Aus diesen piependen Rufen entwickelt sich im Laufe des individuellen Lebens dann der arteigene Ruf. Bei den sogenannten Nesthockern kann man auch das ständige leise Piepen vernehmen. Er- klären kann man es wohl ebenfalls durch den Gedanken des Zusammenhaltens, des Herden- wesens im Vogelrciche. Die Bedeutung dieses Gedankens macht auch das Problem des Vogel- zuges verständlich. Zu der Zugzeit taucht bei fast allen Vogelarten der Gedanke mit erneuter Schärfe hervor. Kann man nun auch von einer Abhängigkeit des Gesanges von der Umgebung reden? Gern verknüpft der Mensch die Rufe der Vögel mit der ihn umgebenden Natur. Zum Walde gehört der schmetternde Gesang, gemeint ist wohl meist der Gesang des Buchfinken, zur brausenden See gehört der schrille Schrei der Möwen und See- schwalben, zum rauschenden Rohr das Schwatzen der Rohrsänger. Abgesehen von diesem Stand- punkte des Menschen ist bei einzelnen Vögeln der Ruf wohl in Abhängigkeit von der Natur zu bringen; z. B. leben die Möwen weitaus überwiegend an der Küste des Meeres, größeren Hafif- und Landseen. Ist nun der ursprüngliche Ton ein Lockton, und dient er zum Zusammenhalten der Individuen, so sind in derartiger Umgebung leichte Zwitscherlaute wohl kaum von Wert. Es will vielmehr einleuchten, daß nur der schrille Schrei den Lärm der Wogen übertönt. Vielleicht spielt auch hier bereits die Umwandlung des Locktones zum Warnton eine Rolle. Derartige Warnungs- signale sind ja gerade für Herdentiere von größter Bedeutung, und die Möwen sind doch aus- gesprochene Herdentiere, die auch gemeinsam leben zu einer Zeit, in der sich die meisten Vögel trennen, zur Brutzeit. Bei einer anderen Ordnung, den Spechten, scheint auch eine Abhängigkeit von der Umgebung zu bestehen. Die einzeln im Walde umherstreifenden Individuen locken mit laut schal- lender Stimme, unterstützt durch Trommeln ver- mittels des Schnabels; denn auch die einzeln N. F. XVil. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 433 streifenden Individuen brauchen zur Frühlingszeit einen weiblichen Gefährten, und da ist im ausge- dehnten Forste der weithinschallende Ruf wohl zu erklären. Derartige Abhängigkeit der Rufe von der Umgebung kann man noch zahlreich an- führen. Wohlgemerkt, der Name Anpassung be- deutet in diesem Falle eigentlich Anpassung in negativem Sinne. Der Ruf fügt sich nicht har- monisch ein, sondern hebt sich gerade unharmonisch heraus. Insofern kann man also von einer gewissen Abhängigkeit der Vogelrufe von ihrer Umgebung sprechen. Die Einzelrufe sind verhältnismäßig einfach zu erklären. Bei dem Herdenleben und dem Ent- wickeln der Intelligenz sind auch wohl die Warn- rufe usw. verständlich. Die Einzelrufe der Individuen bleiben auch nach der Trennung erhalten und werden benutzt, sei es auch nur anderen Individuen zur Warnung. Der Masseninstinkt liegt so tief begründet, daß jedes andere geflügelte Wesen als gleichberechtigt anerkannt wird; so ist vielleicht der Warnruf zu erklären, mit dem der einzelne .Vogel sofort vor Feinden warnt, er warnt andere Arten, wie der Mensch sagt. Eine solche Intelligenz braucht man also den Vögeln aus diesem Grunde nicht zuzusprechen. Bei Vögeln, die in Herden zusammenleben, ist der Einzelruf nicht weiter son- derlich ausgestaltet, nicht zum Gesänge geworden. Anders ist es bei den einzeln nistenden und lebenden Arten. Auch sie machen ja meist gemeinsam ihren Frühlingszug. Bald aber trennen sie sich. Man denke hier an das große Heer der Singvögel, von denen sich jeder einen bestimmten Nestbezirk aus- sucht. Aus diesem plötzlichen Seßhaftwerden ist vielleicht am ehesten der kunstvoll ausgeprägte Gesang zu erklären. Er steht auch in Beziehung zum Geschlechtsleben, aber wohl nicht so, wie es Darwin und viele Nachfolger schildern, daß das Männchen auf die Weibchen durch seinen schmetternden Gesang Eindruck machen wolle. Die Lehre Spencer's (The origin of music) vom Kraftüberschuß will eigentlich mehr einleuchten, denn viele Dinge sprechen für sie, viele Dinge aber gegen die Lehre Darwin 's. Der schwerwie- gendste Einwand gegen D a r w i n ' s Lehre ist der, daß die Weibchen sich meist gar nicht um die Männchen kümmern, obgleich diese so schön singen. Ferner, warum singen die Männchen noch, wenn die Weibchen schon brüten? Weiterhin, warum singen sie häufig nach der Brut noch ein- mal? Diese Gedanken finden vom Standpunkte der sexuellen Auswahl wenig Erklärung. Erklär- licher sind sie von folgenden Gedanken aus. Die Vögel müssen während der Brutzeit ihr Dauer- wanderleben eine Zeitlang einstellen. Ihre Unruhe auch in dieser Zeit, z. B. die Unruhe des Kuckucks, läßt sich schwerlich mit den Muskelanforderungen vergleichen, die das Wandern beansprucht. Gerade unsere besten Sänger, vom menschlichen Stand- punkte aus, bewohnen ein verhältnismäßig kleines Gebiet. Man kann oft feststellen, daß ein be- stimmter Baum alle Jahre wieder von derselben Vogelart bewohnt wird, ja, wie man an einzelnen Sonderlauten beobachten kann, von demselben Individuum. Die Vögel sind also plötzlich seßhaft geworden und müssen hier eine Zeitlang aushalten. Es ist also überschüssige Kraft vorhanden, und diese kommt nun, abgesehen von Balztänzen, in gesanglichen Leistungen zutage. Vielleicht tritt nun beim Entstehen der arteigenen Gesänge die Umgebung in Wirkung. Auch das gegenseitige Anspornen wird mitwirken und ferner noch die individuelle Veranlagung. Bei letzterer wird man besonders an den persönlichen Mut und die Ab- schreckungstheorie Guenther's denken (G u e n - ther, „Zur geschlechtlichen Zuchtwahl", im xArchiv f. Rassen- und Gesellschaftskunde, Berlin 1905). Man kann den Gesang wohl als ab- schreckendes Mittel ansehen insofern, als sich im kräftigen, schönen Singen auch Kraftüberschuß offenbart, der in das Nestrevier eindringende Rivalen abzuschrecken versucht. Zum Anlocken der Weibchen könnte man höchstens die Einzel- rufe auffassen, die die Art anlockt. Der Gesang ist nur Kraftüberschuß. Bei mehreren Ordnungen äußert sich der Kraftüberschuß gar nicht im Gesänge, sondern in kräftigen Flugspielen; z. B. Raubvögel. Bei den Wasservögeln liegen die Verhältnisse ähn- lich. Es scheint überhaupt, als wenn im wesent- lichen die im Gebüsche weilenden Vögel mehr Kraft übrig haben als die fliegenden. Man denke an die guten Sänger. Es wird dies wohl mit dem Beschaffen der Nahrung zusammenhängen. Ein Gedanke könnte noch kommen ; wie kommt es, daß wir auch unter unseren sogenannten Stand- vögeln gute Sänger haben, z. B. der Zaunkönig? Hier kann man einwenden, daß sich gar keine feste Grenze zwischen Stand- und Zugvögel ziehen läßt; denn vom Zaunkönig berichtet z. B. Braun, J. f. O. 1913, 61. Jahrg., daß er im west- preußischen Heidegebiet ausgesprochener Zugvogel ist ; ferner, daß er ihn in größeren Mengen ziehend am Bosporus gesehen habe. Wann singt denn der Zaunkönig im Winter ? Sobald einmal die Sonne scheint oder sich sonst der Frühling einmal be- merkbar macht. Es ist wohl auch hier der sich regende Kraftüberschuß, beeinflußt von der Sonne. Man kann ferner die Seßhaftigkeit eines Vogels als etwas Sekundäres auffassen, das auch die ge- samten Lebensäußerungen etwas verschiebt. Wie ja überhaupt das ehemalige Dauerwanderleben der Vögel sich jetzt schon sehr deutlich in Zeiten gliedert, in die Zugzeit mit ihrem Übergange, dem rastlosen Umherstreifen und der verhältnismäßigen Ruhe. Vielleicht erläutert diese Ruhezeit auch die v/achsende Ausbildung des Gesanges. Ein Problem soll noch im folgenden erörtert werden. Wie kommt es, daß die Männchen singen, die Weibchen nicht oder wenig? Die Weibchen sind bei den Locktönen geblieben. Der Syrinx ist bei beiden Geschlechtern vorhanden. Studien über den Bau des weiblichen Syrinx lehren, daß dieser im wesentlichen so gebaut ist wie beim Männchen, nur ist die Gesamtanlage als unent- 434 NatLu wissenschaftliche VVocheiischrift. N. F. XVII. Nr. 30 wickelt anzusehen. Darum ist, vom anatomischen Bau betrachtet, der mangelhafte Gesang der Weib- chen zu verstehen, ebenso aber auch die Beobach- tung, daß sich weibliche Vögel auch zum Gesänge aufschwingen können und gute Sänger werden, wie es von einzelnen Vogelarten bekannt ist. Nicht so leicht zu verstehen ist vom biologischen Standpunkt die mangelhafte Singtätigkeit der Weibchen. Sie genießen doch größere Ruhe als die Männchen, könnten also noch größere Kraft zur Verfügung haben. Jedoch darf man nicht vergessen, daß [dem männlichen Individuum von vornherein größere Kraft zur Verfügung steht, die es im Kampf um die Weibchen gebraucht. Viel- leicht muß man auch an die Wärmemenge denken, die das Weibchen den Eiern abzugeben hat. Der Energieüberschuß setzt sich dann in Wärme um. Viel wird man für und wider die oben angeführten Sätze angeben können. Sie sollen nur als Vor- arbeit für eine breiter anzulegende Arbeit aufgefaßt werden, die auf manche Einzelheit weiter eingehen kaim, als es hier möglich ist. Einzelberichte. Mineralogie. Deutschlands Goldlagerstätten unterzieht F. v. \Volff in einem interessanten Aufsatze (Glückauf Nr. 10, 191 8) einer kritischen Betrachtung. Die deutsche Goldgewinnung be- trug 1901 — 1909 nur 0,016 "/ß der Welterzeugung, so daß nur ein verschwindend kleiner Bruchteil des deutschen Verbrauches, der im Jahre 1910 220 Millionen M. betrug (^V32 i" Barren, Y^.j in ausländischen Erzen eingeführt), durch einheimische Erze gedeckt werden konnte. Die wichtigsten Goldlagerstätten der Welt sind in Australien, Südafrika und Amerika. Früher lagen die Verhältnisse bei uns auch anders, wie auf den Goldbergbau bezugnehmende Ortsnamen, alte Halden und Pingen bezeugen. Die Römer haben viel Gold aus Deutschland herausgezogen und im Mittelalter deckte die heimische Gold- erzeugung den eigenen Bedarf, wodurch die er- giebigsten Teile der deutschen Lagerstätten ziem- lich ausgeräumt worden sind. Die Ausbeutung der goldarmen Lagerstätten ist eine PVage der Wirtschaftlichkeit. Als Grenze der Abbauwürdig- keit galten vor dem Kriege für deutsche Ver- hältnisse 5 g Gold pro t auf primärer Lagerstätte und 0,5 g in Seifen. Auf primärer Lagerstätte kommt Gold in sauren und mittelsauren Eruptivgesteinen (z. B. Granit und Diorit) zusammen mit Schwefel- und Arsenverbindungen vor (magmatische Lagerstätte) oder das Gold sublimiert mit Cl- und F-Ver- bindungen in der Kontaktzone von Eruptiv- gesteinen aus. In diesem Zustande ist es in heißem Wasser löslich und schlägt sich dann mit anderen Mineralien wie Schwefelkies, Quarz u. dgl. als gediegenes Gold in Spalten nieder. Ein häufiger Begleiter des Goldes ist Silber. Bei primären Lagerstätten ist die Zementations- oder Anreicherungszone besonders goldreich, da- gegen hat die daruntcrlagernde „primäre Zone" einen normalen Goldgehalt, während die darüber lagernde Oxydationszone goldärmer ist. Durch mechanische Aufbereitung goldführender Gesteine kommt das Gold in die Flußläufe, wo es auf sekundärer Lagerstätte eine Goldseife bildet. Schließlich gelangt es aucli ins Meer, welches 4,2 — 4,6 mg Gold pro t enthält, so daß in allen Meeren der Welt im ganzen 6000 Millionen t Gold aufgespeichert sein dürften, die bei einer mittleren Jahreserzeugung von 600 t einen Vor- rat für 10 Millionen Jalire abgeben würden. Bis jetzt gibt es noch kein Verfahren, um Gold in derartiger Verdünnung mit Vorteil zu gewinnen. Auch in den Meeren der Vorzeit dürften große Mengen Gold angereichert gewesen sein. Die einzelnen deutschen Goldlagerstätten ver- folgt F. V. W 0 1 ff von der Seife bis zur primären Lagerstätte. Rhein. Flinstige Goldvväschereien in den Rheinalluvionen von Basel bis Mainz, in der Hauptsache jedoch zwischen Kehl und Daxlanden bei Karlsruhe, besonders bei Helmlingen, die durch die Rheinregulierung verschwunden sind. Das Gold kommt in feinen hellgoldgelben Blätt- chen vor, durchschnittlich 0,13—0,15 g in der t, nie mehr als O,'] g. Das Rheingold stammt aus den Alpen, dem Schwarzwald und den Vogesen. Ei fei. Größere Hoffnungen versprechen die Seifen des Ardennengebietes an der Grenze zwi- schen Rheinprovinz und Belgien, südlich vom Hohen Venn. Es sind alte Seifen — Arkosen und Konglomerate wohl silurischen Alters — , welche das Gold in Form von Flitterchen und Körnchen bis Erbsengröße enthalten. Der Ab- bau dieser Lagerstätte ist in größerem Betriebe aufgenommen und wird die Zukunft lehren, ob er sich dauernd lohnen wird. Goldseifen am Nordrand der Alpen Zahlreiche südbayerische Alpenflüsse führen Gold aus den Zentralalpen. Da es erst im Unterlauf (Inn von Neu-Ötting, Salzach von Laufen, Isar von Mosbach ab) reicher auftritt, so dürfte es aus dem quartären Moränenschutt des Alpenrandes ausgewaschen sein. Bayerischer Wald — Böhmerwald — Fichtelgebirge sind an verschiedenen Stellen goldführend. Am bedeutendsten waren die Gold- und Antimonbergwerke bei Goldkronach im Fichtelgebirge, wo Goldquarzitgänge in einem öl- grünen kambrischen Phyllit aufsetzen. Zuerst hatte man das Gold im Weißen Main voii Ber- neck aufwärts gefunden und durch den Zoppaten- bach bis zur primären Lagerstätte verfolgt. In N. F. XVII. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 435 die Jahre 1395 — 1430 fällt die Blütezeit der Gold- zeche oder Tannenzeche mit 12213 Goldgulden Jahresausbeute. Vom 16. Jahrhundert ab war der Bergbau nicht mehr lohnend, was auch Versuche bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht ändern konnten. Thüringer Wald. In einigen Nebenflüssen der Saale, die aus dem Thüringer Wald kommen so besonders in der Schwarza findet sich Gold in feinen Blättchen und Flitterchen, die den Quarzen der altpaläozoischen Tonschiefer, Grau- wacken und Phyllite im Quellgebiet der Schwarza und Werra entstammen. Goldwäschereien waren im Oberlauf der Schwarza bei Goldistal bis 1591 lohnend. Die Goldseifen der Eder in Waldeck und Hessen sind von geringer Bedeutung. In der Preußischen Lausitz und in Niederschlesien am Nordabhang des Riesen- gebirges waren seit alter Zeit Goldwäschereien und Goldbergwerke im Stromgebiet von Neiße, Queiß, Bober und Katzbach. Spuren alter Gold- wäschereien zwischen GörUtz und Niesky. ■ Bei Löwenberg, Liebenthal, Schmott- seifen, Hußdorf und Wünschendorf im Gebiete des Bobers waren alte Goldwäschereien, die im Mittelalter geblüht haben. Zwischen Löwenberg und Bunzlau sind weite Strecken durchwühlt. Neuere Funde wurden auf der linken Boberseite beim Bau der Eisenbahn Löwenberg- Greifenberg bei Schmottseifen und Liebenthal ge- macht. Klüfte von bläulichschwarzen Letten mit Schwefelkies und Quarz in Tonschiefern führen Gold. Günstiger steht es mit den Vorkommen bei Hußdorf und Wünschendorf zwischen Greifen- berg und Lahr, wo 40 g Gold in i t in der Zementationszone vorkommen. Bei Goldberg setzte deutscher Bergbau um u8o ein, indessen kam er schon im nächsten Jahrhundert zum Erliegen. Eine söhlig gelagerte Sandschicht von i — 2 m Mächtigkeit in 20 — 30 m unter Tag führt das Gold in Schüppchen, Blätt- chen und erbsengroßen Körnchen. Die Lager- stätte ist eine alttertiäre Seife. Goldbringer sind die Granitmassive von Hirschberg, Schmiedeberg und Kupferberg. Bei Nikolstadt östlich von Gold- berg ist eine verwandte Lagerstätte, die wegen des starken Grundwassers schwierig auszubeuten ist. Die Aussichten sind hier allerorts nicht sehr groß. Im Harz kommt Gold in Spuren vor, ebenso in Sachsen, indessen sind diese Vorkommen ohne Bedeutung. Als Nebenprodukt wird Gold in den Verhüttungsrückständen gewonnen. Dasselbe gilt auch für zwei schlesische Lager- stätten, wo Gold als Nebenerzeugnis von größerer Bedeutung ist. In Altenberg bei Seitendorf an der Katzbach sind propylitartige Eruptivgänge erneut aufgerissen und mit goldführenden sul- fidischen Erzen erfüllt worden. Die Goldlagerstätte von Reichen stein in Schlesien ist eine goldführende Kontakterzlager- stätte, wo der Glimmerschiefer durch den Jauers- berggranit kontaktmetamorph verändert ist. Gold kommt mit Arsenkies vor. Seit 1883 liefert i t gerösteter Erze entsprechend 7,5 t Roherz 20 bis 30 g Gold. Nach alledem ist es ausgeschlossen, daß Deutschland seinen Goldbedarf aus einheimischen Erzen decken kann. Eine Neubelebung der Gold- wäschereien ist aussichtslos. Einigen Erfolg ver- sprechen vielleicht die alten klastischen Gesteine des Rheinischen Schiefergebirges zwischen Kam- brium und Devon, Grauwacken und Arkosen des Kulms und Konglomerate des Rotliegenden, so- wie überhaupt Ablagerungen mit Zerstörungs- produkten des alten paläozoischen Gebirges. Neue reiche Goldlagerstätten sind wohl nicht mehr zu finden, da der deutsche Boden auf Gold schon gründlich untersucht ist. V. Höllenstein, Halle. Physik. Das Nordlichtspektrum. Das Polar- licht ist eine elektrische Leuchterscheinung der höchsten Atmosphärenschichten, welche durch ihre Pracht und Großartigkeit von jeher das Interesse der Forscher auf sich gelenkt hat. Als im Jahre 1860 KirchhoffundBunsen die Spektralanalyse ent- deckten und damit die Analyse des Stoffes im ganzen Weltall ermöglichten, da wurde es auch wahrschein- lich aus der genauen Untersuchung des Nordlichts die Natur dieser geheimnisvollen Lichtquelle zu ergründen. I. A. Ängström richtete als erster im Jahre 1868 das Spektroskop auf das Nordlicht und sah eine starke Linie im Grün, die sogenannte Nordlichtlinie, und daneben noch 3 sehr schwache Linien nach Blau hin; der Ursprung aller Linien war ihm unbekannt. Immerhin verrieten die Linien oder Banden im Spektrum, daß das Nordlicht durch leuchtende Gase verursacht wird. Seit dieser Zeit sind sehr viele spektroskopische Untersuchungen über das Nordlicht angestellt worden. Da das Nordlicht aber eine sehr licht- schwache Erscheinung ist, leiden fast alle Messungen an so großen Ungenauigkeiten, daß ein Vergleich mit dem Spektrum eines irdischen Elementes kaum möglich ist. Volle Übereinstimmung herrscht da- gegen bei allen Beobachtern über die stärkste Linie im Spektrum, die gelbgrüne Nordlichtlinie, deren Wellenlänge etwa 557 uix ^) beträgt. Während die schwächeren Linien des Nordlichts mit denen des Stickstoffs und Wasserstoffs übereinzustimmen schienen, war der Ursprung der grünen Nordlicht- linie bis jetzt ganz unbekannt. Als Ramsay und Travers 1898 das Edel- gas Krypton entdeckten, beobachteten sie in dessen Spektrum eine helle grüne Linie von der Wellen- länge 556,88 /(ft. Sogleich wiesen Huggins, Schuster und Runge darauf hin, daß diese Linie vielleicht mit der grünen Nordlichtlinie zusammenfalle. Das Suchen von weiteren Krypton- linien im Nordlichtspektrum war vergeblich. Es ') I,«," (Millimikron) = 0,000001 436 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 30 wurden daher von Page') Versuche angestellt, ob es vielleicht durch besondere Entladungsver- hältnisse bei der Erregung des Kryptonleuchtens gelänge, die grüne Kryptonlinie ohne die sonst stets vorhandene Linie im Gelb zu erhalten. Aber unter allen Versuchsbedingungen traten die beiden Linien im Kryptonspektrum zugleich auf. Dies läßt ein Vorkommen von Krypton in Nordlicht- höhen unsicher erscheinen. Zudem ist die Wellen- länge der grünen und aller übrigen Nordlichtlinien so ungenau bestimmt, daß ein Vergleich mit den Spektrallinien irdischer Elemente eigentlich un- möglich ist. Der Bonner Spektroskopiker H. Kay s e r ^), der 19 10 eine ausgezeichnete Zusammen- stellung von über 100 Arbeiten über das Nord- lichtspektrum lieferte, kommt zu dem Schluß, daß man bei der Ungenauigkeit der Messungen „jedes beliebige Spektrum, wenn es nur linienreich genug ist, heranziehen, und Übereinstimmung beweisen" kann. „Also über den chemischen Ursprung der Nordlichtlinien wissen wir noch garnichts." Daß die grüne Nordlichtlinie nicht vom Krypton- gas herrühren kann, hat auch A. Wegener^) sehr wahrscheinlich gemacht. Krypton ist nämlich ein sehr schweres Gas; es hat das Atomgewicht 83. Da in den höheren Atmosphärenschichten die Gase wahrscheinlich nach ihrer Schv/ere über einander gelagert sind, so ist es ziemlich sicher, daß das Krypton in den Höhen, wo sich das Nordlicht abspielt (über 100 km"), garnicht mehr vorkommt. Es wurde daher schon vor fast 30 Jahren von Scheiner*) folgende interessante Hypothese aufgestellt: „Es erscheint viel plausibler, die Existenz der grünen Nordlichtlinie einem un- bekannten Gase zuzuschreiben, das, vielleicht von sehr geringem spezifischen Gewicht, merklich nur in den hohen Regionen unserer Atmosphäre vor- zufinden ist." Diese Hypothese wurde neuerdings von A. Wegener wieder aufgenommen und von ihm durch viele aerophysikalische Erscheinungen scheinbar gestützt. Wegener nannte das un- bekannte sehr leichte Gas, das möglicherweise mit dem Koronium der Sonne identisch sein könnte, Geokoronium. ^) Aber alle interessanten Theorien über den Ursprung des Nordlichtspektrums waren bei der großen Ungenauigkeit der Linienmessungen recht unsicher. Da unternahm im Winter 1 9 1 2/ 1 3 L. V e g a r d ") eine Expedition nach Finmarken zur spektro- photographischen Erforschung des Nordlichts mit modernenHilfsnütteln. Durch einen Spektrographen von großer Lichtstärke und Dispersion und durch •) Ramsay-Rudorf: Die Edelgase. S. 268-270 das Nordlichtspektrum. Leipzig, G. Fock 1918 ">) H. Kayscr: Handbuch der Spektroskopie Bd. V S. 47-58. Leipzig, S. Hirzel 1910. ') Phys. Zeitschr, 12, 170, 214. Leipzig, S. Hirzel. 1911. *) Scheiner, Die Spektralanalyse der Gestirne. S. 34X. (1890). 0) Vgl. Naturw. Wochenschr. XVI, S. 3S1— 383 (1917). ") Phys. Zeitschr. 14, 677—681. Leipzig 1913. Ausdehnung der Expositionszeit bis über ein Monat konnte er auf der photographischen Platte mit einer erheblich größeren Genauigkeit wie alle früheren Forscher die Nordlichtlinien messen. Die grüne Nordlichtlinie bestimmte Vegard zu 557//«; daneben fand er noch 6 Linien, welche in der Wellenlänge und auch in der Intensitäts- verteilung mit den Linien des Stickstoffspektrums sehr gut übereinstimmen. Damit ist zum ersten- mal das Vorkommen von Stickstofiflinien im Nord- lichtspektrum unzweifelhaft festgestellt. Die grüne Nordlichtlinie kommt, worauf Vegard hinweist, einer stärkeren Argonlinie (Wellenlänge 557,2 fiu) sehr nahe. Später (1917) erklärt jedoch Vegard, ') daß der Ursprung der grünen Linie noch ganz rätselhaft sei. „Möglicherweise mag auch diese Linie eine Stickstofflinie sein, die unter den vor- handenen besonderen Umständen beim Anstoß der kosmischen Strahlen an das Stickstoffgas ent- steht." Vegard suchte auch aus seinen Messungen die physikalische Natur der Strahlen zu ergründen, welche das Leuchten der höchsten Atmosphären- schichten verursachen. Wir wissen heute durch die Arbeiten von Kr. Birkeland und C. S t ö r m e r , daß das Polarlicht durch elektrische Strahlen hervorgerufen wird, die von der Sonne ausgestoßen und durch das magnetische Feld der Erde in Zonen um den magnetischen Nord- und Südpol zusammengedrängt werden. Schon D a 1 1 o n hatte 1793 durch seine langjährigen Beobachtungen gefunden, daß die Nordlichtstrahlen der Richtung des erdmagnetischen Feldes folgen. Aus diesem Umstand folgerte er, daß das Nordlicht aus einer magnetisch beeinflußbaren Substanz, aus Eisenstaub, bestehe, i S44 glaubte E. H. von Baumhauer, das Nordlicht rühre von eisenhaltigem Meteorstaub her, welcher beim Eindringen aus dem Weltraum in die Atmosphäre ähnlich wie die Sternschnuppen durch Reibung erglühe. Norton und N e w 1 a n d s hielten daher die Nordlichtlinie für eine grüne Eisenlinie (1871). Seit dem Jahre 1S96 wiesen aber Birkeland und Störmer^) durch viele theoretische Arbeiten und durch Versuche über- zeugend nach, daß das Nordlicht von elektrischen Strahlen der Sonne herrührt, welche durch das magnetische Erdfeld inbesondere Bahnen gezwungen werden, deren berechnete Lage mit der Häufigkeits- zone und dem Auftreten des Nordlichts an der Nachtseite der Erde sehr gut übereinstimmt. Es erhob sich jetzt die wichtige Frage nach der näheren physikalischen Natur der Nordlicht- strahlen. Birkeland und Störmer hatten ihre Berechnungen für die negativ elektrischen Kathoden- strahlen durchgeführt; Vegard zeigte aber 191 1, ') Vgl. L. Vegard, Bericht über die neueren Unter- suchungen am Nordlicht. Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik XIV. S. 383-465. Leipzig, S. Hirzel. I9I7- (Beste aller Zusammenstellungen I) ') Vgl. Vegard 1. c. und Angenheisler, Handwörter- buch der Naturwissenschaften Bd. VII. S. 995-1011. Jena, G. Fischer. 19 12. N. F. XVII. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 437 daß die Form, die Struktur und das Auftreten des Nordlichts mit Bestimmtheit darauf hindeutet, daß die kosmischen Strahlen nur positiv geladene Atomstrahlen («-Strahlen) sein können. Bei seiner erwähnten spektroskopischen Unter- suchung des Nordlichts ging Vegard von dem Gedanken aus, daß das Spektrum nicht nur für die anwesenden Gase der höheren Atmosphären- schichten, sondern auch für die Art des Erregungs- prozesses charakteristisch sein muß. Vegard bemerkte zunächst, daß alle gefundenen Linien außer der grünen Nordlichtlinie mit den Banden- köpfen des Stickstoffspektrums zusammenfallen. Er verglich dann das Nordlichtspektram mit dem durch negative Kathodenstrahlen und durch posi- tive Kanalstrahlen im Stickstoff erregten Leuchten, und fand, daß die Stickstofflinien ungefähr in der- selben Weise im Spektrum der Kanalstrahlen und der Kathodenstrahlen auftreten. Eine Untersuchung der schwächeren Linien läßt nach Vegard viel- leicht eine Entscheidung zwischen negativen Elektronenstrahlen und positiven Strahlen ermög- lichen. Es konnte also Vegard nur feststellen, daß im Nordlicht gerade die Linien auftreten, die für die Anregung des Stickstoffs durch elektrische Strahlen charakteristisch sind, was unseren An- schauungen von der Natur und dem Wesen der Nordlichtstrahlen völlig entspricht. In einer neuen Arbeit hat jüngst Johannes Stark*) das Spektrum der Stickstoffkanalstrahlen untersucht und dem erfolgreichen Forscher ist es gelungen, ein neues Linienspektrum des Stickstoffs zu beobachten, welches nur unter dem Einfluß von positiven Kanalstrahlen zur Emission kommt. Die stärkste Linie des neuen Stickstoffspektrums ist die gelbgrüne Nordlichtlinie. Damit hat Stark das Rätsel der intensivsten Nordlichtlinie im Grün, welche gerade vor 50 Jahren Angström zum erstenmal im Spektroskop aufleuchten sah, wohl endgültig gelöst. Außerdem wies Stark noch eine neue violette, blaue, blaugrüne und 3 neue grüne Linien nach, die mit den allerdings ungenau gemessenen Linien früherer Nordlichtspektrosko- piker übereinstimmen. Das Vorkommen der neu entdeckten Stick- stofflinien im Nordlicht gestattet nun Stark einen sicheren Schluß auf die Natur der Nordlichtstrahlen, da diese Linien nur von positiven Strahlen (Kanal- strahlen), nicht aber von negativen Kathoden- strahlen in erheblicher Stärke im Stickstoff erregt werden. Nach Stark's Untersuchungen sind also die elektrischen Strahlen der Sonne, welche das Nordlicht hervorbringen, positive Atom- oder Molekülstrahlen. Die Geschwindigkeit der Nord- lichtstrahlen schätzt Stark auf 5000—50000 Volt, d. h. sie ist so groß wie die Geschwindigkeit eines einwertigen positiven Atomions bei der Beschleu- nigung durch eine solche Spannungsdifferenz. Die positiven «-Strahlen (= Heliumatome) der radio- aktiven Stoffe kommen kaum in Betracht, da ihre ') Annaleii der Physik Bd. 54 S. 598—614 (1918 große Geschwindigkeit einer Spannungsdifferenz von über einer halben IVIillion Volt entspricht. Die Frage, welchem chemischen Element die Nordlichtstrahlen angehör-en, ob radioaktive Stoffe oder elektrische Entladungen auf der Sonne Helium- oder Wasserstoffstrahlen erzeugen , ist nach Stark noch nicht völlig sicher zu beant- worten. Die öfters gefundene blaue Linie in der Gegend der Wellenlänge 486 nfJ. deutet auf Wasserstoffstrahlen, weimsich durch spätere genaue Untersuchungen zeigen sollte, daß diese Nordlicht- linie gegenüber der irdischen Wasserstofflinie eine kleine Verschiebung aufweist. Diese müßte vom Dopplereffekt der leuchtenden Wasserstoffteilchen herrühren, da wir es in ihnen mit einer Licht- quelle von einigen tausend Kilometern Geschwin- digkeit in der Sekunde zu tun haben. Durch diese Überlegung Starks ist ein Weg zur Er- forschung der chemischen Natur der positiven Strahlen angegeben, welche von der Sonne aus- gehend in den höchsten Schichten unserer Atmo- sphäre jenes eigenartige prachtvolle Leuchten der Polarnächte erregen. Der Wechsel in der Farbe des Nordlichts ist wohl in der verschiedenen Ge- schwindigkeit und in dem Wechsel der chemischen Natur der Nordlichtstrahlen begründet. Was für Elemente bei den Nordlichtstrahlen außer Wasser- stoff eine Rolle spielen, läßt sich nach Stark aus den bisherigen Untersuchungen des Nordlicht- spektrums nicht ermitteln. Mit Befriedigung können wir auf die Ergebnisse der letzten Jahre sehen, welche die meisten Rätsel der geheimnisvoll großartigen Naturerscheinung gelöst haben. Karl Kuhn. Zoologie. Insekten in höheren Luftschichten. Walter Rosenbaum, Halle a. S., der als Luft- schiffer in Litauen sowohl, wie in den Argonnen Dienste tat, berichtet über seine entomologischen Erfahrungen bei seinen Aufstiegen mit dem Fessel- ballon in dem „Entomologischen Jahrbuch I 9 I 8" (Frankenstein und Wagner. Leipzig): Die oberste Grenze des Insektenflugs ist keine allzu hohe, sie liegt etwa 30 — 50 m über dem Erdboden. Diese Höhe Vifird auch bei Wanderzügen nicht über- schritten. „Es hängt dies, so erklärt der Verfasser seine Beobachtungen, mit der großen Empfindlich- keit der Insekten gegen Luftdruckschwankungen zusammen; außerdem verlieren sie infolge ihrer geringen Sehschärfe bald jede Orientierungsmöglich- keit." Luftströmungen jedoch, die sich über den stärker erwärmten Stellen der Erdoberfläche bilden und oft erhebliche Geschwindigkeit (bei Gewitter- bildungen bis zu 15 — 30 sec. m) erreichen, reißen zahlreiche Insekten mit nach oben, so daß die Ballonfahrer nicht selten in der Nähe des Ballons im Luftmeere lnsekten„treiben"sehen in einer Höhe, die sie nie freiwillig aufgesucht hätten. Am meisten Insekten in großen Höhen sieht der Ballonbeobachter an Sonnentagen um die Mittagszeit von 11 — 2 und bei Gewitterneigungen; denn dann setzen auch vornehmlich aufsteigende Böen ein. So konnte 438 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 30 Rosen bäum an Schmetterlineng, einen Kohl- weißling (Picris brassicac L.) in etwa 550 ni, einen Trauermantel { Vanessa Anliopa L.) in 300 m, einen Fleckenfalter (AJclitaca spcc.) in 465 mHöhe be- obachten, von Käfern erwähnt der Verfasser Elatc- rideii in 515 und 550 m Höhe. DiptcrOi waren sehr häufig anzutreffen, auch eine Libelle (Syvi- peirum spcc.) konnte Rosenbaum einmal in 250 m Höhe beobachten, wie sie vom Winde getragen nach oben schwebte. Auf Grund zahl- reicher derartiger Beobachtungen schließt Rosen - bäum: „Trotz ihres ausgezeichneten Flugver- mögens sind die Insekten an die untersten Luft- schichten gebunden, sie gehören zur Bodenfauna des Luftmeeres". H. W. Frickhinger. Absolute Rotblindheit der Kleinen Stubenfliege, Homalomyia cunicularis L., folgt aus der von E. Wasmann*) gemachten Beobachtung, daß in dem von einer spektroskopisch geprüften, sehr dunklen Rubinglasbirne erhellten Dunkelzimmer die in der Nähe der Birne an der Wand sitzenden Fliegen den sich nähernden Unger des Beobachters oder den Schatten des Fingers nie bemerkten, sondern sich zerdrücken ließen, außer manchmal, wenn der Finger naß war. Dagegen flog die Fliege vor dem Finger jedesmal fort, wenn in fast sechs Metern Entfernung eine elektrische Birne schwaches weißes Licht ausstrahlte, welches, zumal diese Birne verhängt war, nur als schwacher Dämmerschein zu den Fliegen gelangen konnte. Außer der totalen Rotblindheit ist damit auch eine auffallend hohe Empfindlichkeit für weißes Licht bei der Kleinen Stubenfliege beobachtet, und die Vorliebe der Tiere für den Platz bei der roten Lampe muß auf der Wirkung der Wärme - strahlen beruhen. Wir scheinen uns immer mehr der Einsicht zu nähern, daß Rotblindheit bei Kerbtieren sehr verbreitet oder gar allgemein vorhanden ist, denn hierin stimmen auch Heß und v. Frisch nach ihren Versuchen bei Bienen überein, während be- kanntlich die Frage noch umstritten ist, ob die Honigbiene überhaupt farbenblind, wie Heß meint, oder farbensehend ist, wie v. Frisch darlegt. ') Biolog. Zentralbutt Bd. 38, 1918, S. 130. Ein unumstritten farbenblindes Kerbtier dürfte die Mehlkäferlarve nach den Versuchen Gustav Freytag's sein. V. Franz. Bekämpfung der Bettwanze und der Wachs- motte mit Blausäure. Ähnliche Erfolge wie im Kampfe gegen die Mehlmotte hat die Anwendung der Blausäure gegen die Bettwanze erzielt. Vielver- sprechende Versuche hierüber teilt Prof. A. Hase (Jena) in der „Zeitschr. f. angewandte Entomologie" (Dez. 191 7, S. 297) mit. Die Bettwanzen in einzelnen Zimmern, Wohnungen, ja selbst größeren Miets- kasernen konnten mit Blausäure anscheinend rest- los vernichtet werden; wenigsten blieben die be- handelten Räume volle vier Monate hindurch voll- kommen wanzenfrei. Das Verfahren hat große Ähnlichkeit mit dem gegen die Mehlmotte an- gewandten. Entscheidend ist, ob die zu ver- gasenden Räume genügend abgedichtet werden können. Wenn die Blausäure 18 bis 24 Stunden einwirken kann, tötet sie nicht nur ausgewachsene Wanzen, sondern auch die Eier. Besondere Vor- sichtsmaßregeln scheinen nicht nötig zu sein. Prof. Hase hat aus den bewohnten Räumen nur Eß- waren, Tabak und lebende Blumen entfernt; daß die Fenster von außen geöffnet werden müssen und Menschen erst nach einer gewissen Schutz- frist die behandelten Räume betreten dürfen, ver- steht sich bei der Giftigkeit des Gases von selbst. Als Beispiel für den guten Erfolg sei angeführt, daß Hase durch fünf Räucherungen ein Haus von 1 200 Raummetern vollkommen von den Wanzen befreien konnte. Bedeutend günstiger von vornherein sind die Aussichten des Verfahrens - für die Bekämpfung der Wachsmotte, weil man die Waben aus dem Stock herausnehmen und in einen zur Vergasung geeigneten, dichtschließenden Kasten bringen kann. Auf Anregung eines Bienen- züchters hat Dr. E. R. Teich mann (Frankfurt) Blausäure gegen diesen Bienenschädling angewandt. Nach seinem Berichte in der gleichen Zeitschrift (Dez. 19 17, S. 287) tötet die Blausäure die Eier ebenso sicher wie die Schmetterlinge und Raupen, denn in den auf die Blausäurebehandlung folgen- den Monaten traten in den Versuchswaben weder Raupen noch Motten auf. H. P. Bücherbesprechungen. Friedrich von Tschudi , Biographien und Tierzeichnungen aus dem Tierleben der Alpen weit. Mit Anmerkungen ver- sehen von Prof Dr. F. Zschokke in Basel. L Teil: Die freilebende Tierwelt. L Kreis: Die Bergregion. Mit 1 1 Federzeichnungen von Chr. Conradin, Zürich. 124 S. Verlag von Rascher u. Co., Zürich 191 7. Es ist wohl die beste Empfehlung für ein Buch, wenn es mehr als sechs Jahrzehnte nach seinem ersten Erscheinen noch so viel Aktualität besitzt, um eine Neuauflage erfahren zu können. Mit gutem Recht sagt Zschokke in dem Vorwort, das er der neuen Auflage des Buches voraus- geschickt hat, daß die „durch den Gang der Jahre ungeminderte Wirkung" dem Buche beschieden war, „weil es die Spuren «treuer Liebe und eigner Beobachtung» trägt", „die Spuren treuer Liebe und eigener Beobachtung", auf die Tschudi im Vorwort der ersten Autlage seines Tierlebens der N. F. XVn. Nr. 30 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 439 Alpenwelt hinwies und die er vom Leser nicht verkannt wissen wollte. Ob Tschudi von der Honigbiene, der Bachforelle, den Nattern im Ge- birge, den Schlafmäusen oder den Eichhörnchen erzählt, es ist immer nur eigene Beobachtung, von der er mit treuer Liebe zur Natur zu berichten weiß. Und seine Berichte sind so anspruchslos, so frei von aller gelehrten Großtuerei, daß sich schon nach wenigen Seiten ein freundschaftliches Ver- hältnis zwischen Verfasser und Leser herstellt. Dieses gute Verhältnis zwischen Verfasser und Leser ist aber kein gleichgiltiges Ding: das Buch soll ein Führer sein in der Natur, diese Führung ist aber nur möglich, wenn zwischen dem Verfasser als dem Führer und dem Leser als dem zu Führen- den ein Verhältnis von gegenseitigem Vertrauen vorhanden ist. Wegen dieser Eigenschaft kommt den Tierbildern von Tschudi eine besondere Bedeutung zu. Sie gehören in die Hand eines jeden Naturlreundes, den der Weg in die Alpen tührt, aber noch mehr in die Hand eines jeden Schülers, der erst zum Freunde der Natur erzogen werden und das Beobachten lernen soll. Erzählt ja Tschudi eigentlich nicht von den Tieren, sondern von dem Beobachten der Tiere, von dem, wie er und andere dem Leben und Treiben der Tierwelt in den Alpen nachgespürt. Schlicht und einfach ist auch die Sprache, in der Tschudi zu erzählen weiß. Keine gespreizten Redensarten, keine langatmigen Sätze, kurz und bündig und ganz — natürlich. Da das Buch schon seit Jahren im Buchhandel nicht mehr zu haben war, ist es dem Verlag und dem Bearbeiter der neuen Auflage sehr zu danken, daß sie die Neuauflage des Buches besorgt haben. Das Buch wird in 4 bis 5 Lieferungen erscheinen und wird eine vollständige Wiedergabe des Originals darstellen. Die Ausstattung des Buches ist trotz aller Ein- fachheit ausgezeichnet. Lipschütz. Georg Schweinfurth, ImHerzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im zentralen Äqua- torial-Afrika während der Jahre 1868— 187 1. Ein Beitrag zur Entdeckungsgeschichte von Afrika. 3., vom Verfasser verbesserte Auflage Mit Abbildungen und Karte. Leipzig 1918. F. A. Brockhaus. — 30 M. Das Buch gehört zu denen, die lange jung bleiben, gleich seinem Autor, der am 26. Dezember 1916 in voller Frische seinen 80. Geburtstag feiern konnte und dem seine Freunde bei dieser Gelegen- heit die Freude uud Genugtuung einer Neuheraus- gabe dieses seines berühmten Reisewerkes bereiteten. Sie ist vom Verfasser selber besorgt worden, der im wesentlichen in der Form von wertvollen An- merkungen die Fortschritte der Afrikaforscliung berücksichtigte. Man könnte fragen, ob neben dem Motiv der festlichen Gelegenheit auch sach- liche zur Rechtfertigung einer Neuausgabe bestehen. Liegt doch das erste Erscheinen des Buches bereits 46 Jahre zurück, und wieviel hat die Afrikaforschung geleistet seit der Zeit, da Schweinfurth zum ersten Male Kunde vom LIelle nach Europa brachte I Aber abgesehen von dem unvergänglichen doku- mentarischen Wert, den Schwein furth's Schilderungen haben ; namentlich wo sie von ihm zuerst genauer erforschte Völker betreffen, ist auch der literarische Wert dieses Buches noch der gleiche wie damals, als es überall gelesen und in 7 Sprachen übersetzt wurde. Davon überzeugt man sich, wenn man in dem Buche zu blättern beginnt. Aus dem Blättern wird ein Lesen, und in manchen Kapiteln, wie z. B. dort, wo von den Mangbuttu und ihrem merkwürdigen König Munsa, von den Niam-niam und ihrer Menschenfresserei die Rede ist, und an vielen anderen Stellen steht man bald ganz im Banne des Autors. Der Stil, etwas umständlicher und wortreicher als wir ihn jetzt gewohnt sind, ist dafür von jener abgerundeten Vollendung und Schönheit, die heute selten zu werden beginnen; manche Partien würden sich sehr gut als Übungs- stücke für deutsche Lesebücher eignen. Wir müssen dem Autor und seinen Gönnern sowie dem Ver- lage dankbar sein, daß dies vorzügliche Buch in so schöner neuer Gestalt dem Publikum vorgelegt wird. Miehe. W. Ciaassen, Die deutsche Landwirtschaft. 2. Aufl. (Mit I Karte.) Aus Natur und Geistes- welt. Nr. 215. B. G. Teubner, Berlin-Leipzig. — Preis 1,50 M. Je mehr man sich mit einer bis dahin wenig vertrauten Sache beschäftigt, je tiefer man in das Wesen derselben eindringt, um so öfters wird man gezwungen, seine bisherigen»Ansichten zu ändern, wenn nicht sogar ganz aufzugeben. In den letzten Jahren sind mancherlei Unstimmig- keiten zwischen Land- und Stadtbevölkerung ent- standen. Auf der einen Seite behaupten die Land- wirte, den trotz vermehrter Arbeit erzielten ge- ringeren Ernteertrag bei den erhöhten Betriebs- kosten nur durch erhöhte Preise für ihre Produkte einbringen zu können, auf der anderen Seite werden von der Stadtbevölkerung den Landleuten diese erhöhten Preise nicht als angemessen, ja oft genug als wucherische Ausbeutung vorgeworfen. Um diese Unstimmigkeiten auszugleichen, und um der Stadtbevölkerung einen Einblick in die deutsche Landwirtschaft zu gewähren und zu er- möglichen, hat der Verfasser vorliegendes Buch geschrieben. Das Buch soll kein Lehrbuch der praktischen Landwirtschaft sein. Die deutsche Landwirtschaft, als den wichtigsten Faktor des ge- samten deutschen Wirtschaftslebens, in ihren Wirkungen auf den Einzelnen, wie für die Ge- samtheit zu schildern, war der Zweck, den der Verfasser vor Augen hatte. Wenn die deutsche Landwirtschaft während der Kriegszeit auch nicht alles erfüllt hat, was einzelne Landwirte behaupten, daß sie es vermögen, das deutsche Volk dauernd und allein zu ernähren, so hat sich doch ergeben, daß sie zu einer Produktionshöhe gelangt ist, die es ermöglichte, 440 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 30 wenn auch unter großen Hntbehrungen, die Aus- hungerung des deutschen Volkes zu verhindern. Die Fülle der in dem Werke ausgeführten Gesichts- punkte verbietet es, auf alles einzugehen Das Buch ist nicht geschrieben vom Standpunkte eines in der Praxis stehenden Landwirtes, sondern von der höheren Warte des nationalökonomischen Standpunktes aus. Der Verfasser stellt sich über die Parteien und läßt vielfach die Statistik reden. Ein Vorzug des Buches ist es, daß in diesen Sta- tistiken keine nackten Zahlenreihen gegeben sind, durch welche der mit der Materie unbekannte Leser sich erst schwer durchzuringen hat. Wenn vergleichende Zahlen, als zum Verständnis nötig, gegeben sind, sind sie dem Text organisch ein- gefügt, so daß die Lektüre durch ihre flüssige Sprache leicht und angenehm bleibt. Der Ver- fasser ist kein Praktiker, wie er selbst zugibt, und kein Pflanzenphysiologe, denn, wenn er die Gräser zu den Stickstoffsammlern rechnet, so irrt er sich ; die Gräser sind StickstoftVerzehrer. Doch das sind nur Kleinigkeiten gegenüber dem sonstigen Wert des Buches. Wer sich über das Wesen der deutschen Landwirtschaft einen Über- blick verschafien will, wird das Buch mit Nutzen und Interesse lesen und sich vielerlei Belehrungen aus der Lektüre verschaffen können. F. Duysen, Berlin. Davis, W. M. u. Oesterreich, K., Praktische Übungen in physikalischer Geo- graphie. Textheft 116 S., I5V„X23, 2,80 M; Atlas, 38 Tafeln, 27X22, 3,80" M. — B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 191 8. Die „Praktischen Übungen" sind in der Haupt- sache eine Übersetzung des in englischer Sprache erschienenen Originalwerkes von William Morris Davis, Practical Exercises in Physical Geo- graphy, Boston 1909. Ebenso wie diese sollen sie dazu dienen, den Anfänger im geographischen Studium einzuführen in die naturwissenschaftliche Seite der Geographie, die Geomorphologie oder Landschaftskunde. Beobachtung ist die Grundlage des erdkundlichen Studiums; da diese aber meistens nur auf einige wenige Landschaftsformen sich er- strecken kann, soll nach der Methode von Davis das vereinfachte Blockdiagramm, das nur gedachte, der Wirklichkeit aber entsprechende Formen dar- stellt, die an Deutlichkeit die Natur zumeist über- treffen, in die Naturbeobachtung einführen. Er- setzen kann sie diese nicht. Zusammen mit dem Studium eines Lehrbuchs der physikal. Geographie soll die Durcharbeitung der Übungen auf die gcograph. Exkursionen vorbereiten. Überall kommt der Entwicklungsgedanke zum Ausdruck, durch Deduktion sollen die sich bildenden Formen der Landoberfläche gefunden werden. Den ameri- kanischen Geographen, allen voran W. M. Davis, ist die Einführung der geologischen Methoden in das Studium der Landformen zu danken. Das allgemeine systematische Schema von innerer Struktur, äußeren Vorgängen und Ent- wicklungsstadium der hervorgebrachten Formen ist Grundsatz; er kommt auch in den Übungen überall zur Geltung. Das Textheft hat ebenso wie das Original nur Fragen, die der junge Student beantworten soll an der Hand der im Atlas verzeichneten Tafeln. Diese sind von Nr. i — 30 von Davis selbst schon seinem Originalatlas beigegeben, nur Beschriftung und Maßstab ist den deutschen Ver- hältnissen angepaßt. Die Tafeln 35 — 38 sind durch europäische und mitteleuropäische Beispiele ersetzt; sie behandeln die Oberflächenformen der Caüons, Stufenländer, vulkanischer Gebiete und Küsten. Mußte schon dem englischen Original der Vorwurf der Breite und Pedanterie in der PVagenstellung gemacht werden, so kann er auch der deutschen Bearbeitung nicht erspart bleiben, zumal die „Übungen" für deutsche Studenten, nicht wie das Orginal auch für Schüler höherer Lehr- anstalten berechnet sind. Fragen über Maßstab, Schraffen und Isohypsendarstellung der Gelände- formen scheinen hier überflüssig. In den neuen Übungen werden behandelt: die Täler des Festlandes, der Küstenebene, die Täler in der Küstenebene, Tafelländer und Canons, die Skulptur der Gebirge, Vulkane und Lava- ströme , der Zyklus der Täler. I : Wasserfälle, Stromschnellen und ausgeglichene Flußläufe, II: Rücken, Täler und Ablenkungen, endlich: die Entwicklung der Uferländer. Zu bedauern bleibt nur, daß die gleiche Behandlung des glazialen und ariden Zyklus fehlt; nur der normale Erosions- zyklus wird behandelt. Eine Durcharbeitung führt in trefflicher Weise ein in die Arbeitsweise der praktischen Geographie, sie läßt die Landschaft im Erosionszyklus vollständig vor unserem geistigen Auge entstehen und vergehen, erklärt in klarster Weise die Fachausdrücke und bereichert schon vor- handene Kenntnisse um neue, verdeutschte. Ein Stu- dium der „Übungen" ist vor allem nicht nur den Geo- graphen zu empfehlen, sondern allen denen, die mit den Gaben des Geistes das Walten der Naturkräfte, das Werden und Vergehen der Landschaftsformen ergründen und erfahren lernen wollen. Kr. Ischalta Paul Vierkötter, Über Radioaktivität. (l Abb.) S. 425. Hans Lüttschwager, Der Gesang der Vögel vom entwicklungsgeschichtUchcD Standpunkt betrachtet. S. 430. — Einzelberichte: F. v. Wolff, Deutschlands Goldlagerstätten. S. 434. Joh. Stark, Das Nordlichtspektrum. S. 435. Wal ter Rosenbaum, Insekten in höheren Luftschichten. S.437. E. Wasmann, Absolute Rotblindheit der Kleinen Stubenfliege. S. 438. A. Hase und E. R. Tele hm an n, Bekämpfung der Bettwanze und der Wachsmotte mit Blausäure. S. 438. — Bücherbesprechungen: L. Di eis, Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich. S. 438. Georg Seh w ei nfurth , Im Herzen von Afrika. S. 439. W. Classen, Die deutsche Land- wirtschaft. S. 439. W. M. Davis und K. Oesterreich, Praktische Übungen in physikalischer Geographie. S. 440. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e 1 Verlag von Gustav Fisch( Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co Berlin N 4, Invalidenstrafie 42, erbeten. 1 Jena. . m. b. H.| Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 4. August 1918. Nummer 31. Die physiologischen Korrelate von Lust und Unlust. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Richard Müller- Das Problem der physiologischen Basierung der Lust-Unkistgefühle gehört zu den meistum- strittenen Fragen der gegenwärtigen Psychologie und ihrer NachbardiszipHnen. Es ist vor allem darum so verworren, weil man sich über die exakte Abgrenzung derjenigen psychologischen Erschei- nungen, zu denen die physiologischen Begleit- phänomene gesucht werden, nicht im klaren ist. Besonders das Verhältnis von Lust-Unlust zu den Affekten ist oft äußerst verschwommen. Manche Forscher lassen Lust-Unlust nur geringere Grade der Affekte sein, andere wollen die Affekte als Verbindungen von Vorstellungen und Lust-Unlust erklären. Durch alle diese Unklarheiten wird das hier in Frage stehende Problem aufs äußerste ver- wirrt. Wir hoffen dadurch, daß wir die Lust- Unlustgefühle in ihren Verhältnissen zu den andern seelischen Phänomenen schärfer fassen und die so gewonnenen Begriffe physiologisch verankern, einige Klarheit in den verschlungenen Problem- kreis zu bringen. Über das Wesen von Lust-Unlust stehen sich in der gegenwärtigen Psychologie vor allem drei Anschauungen gegenüber. ') Die erste, die in Deutschland z. B. in Karl Stumpf einen Für- sprecher gefunden hat, sieht in Lust-Unlust eine besondere Art von Empfindungen (Gefühls- empfindungen). Eine zweite Anschauung sieht in Lust-Unlust unselbständige Begleiterscheinungen, „Eigenschaften" der Empfindungen und Vorstellungen. Die meisten neueren Anhänger der Assoziationspsychologie verfechten diese Lehre. Die dritte Anschauung sieht in Lust-Unlust see- lische Erscheinungen eigener Art, die zwar meist in Verbindung mit anderen seelischen Phänomen auftreten, aber doch mehr sind als un- selbständige „Eigenschaften". Diese dritte Anschau- ung hat sehr verschiedene F"ärbungen angenommen. Wir führen im folgenden eine Modifikation dieser Lehre durch, die immerhin eine Brücke auch zur zweiten der hier gekennzeichneten Stellungnahmen schlägt, während wir die erste ganz ablehnen. Unserm Thema gemäß beachten wir dabei in erster Linie die physiologische Seite der Streitfrage. Wären Lust nnd Unlust nur eine Art von Empfindungen neben anderen Siimesempfindungen wie denen des Gesichts, des Gehörs usw., so wäre die physiologische Voraussetzung für die Richtig- Freienfels (z. Z. Konstanz), keit dieser Annahme das Vorhandensein von be- sonderen Lust- Unlustnerven. Nun ist zwar beson- ders von einigen amerikanischen Psychologen die Existenz von besonderen Schmerzner\'en behauptet worden. Indessen haben sie wenig Anhänger für diese Theorie gefunden. Sie ist eine rein theore- tische Forderung, deren Notwendigkeit nicht ein- gesehen werden kann. Denn da jeder Nerv bei überstarker Reizung Schmerzen auslöst, so ist schwer zu erkennen, wozu besondere Schmerz- nerven erforderlich sein sollten. Falls besonders schmerzempfindliche Nerven sich empirisch auf- zeigen ließen, was bisher noch nicht in ausreichen- dem Maße geschehen ist, so bleibt noch immer die naheliegende Annahme, daß es sich um Nerven handelt, deren spezifische Reizbarkeit so groß ist, daß sie leichter als die anderer Nerven in Schmerz- bewußtsein übergeht. Jene Theorie ist daher nicht nur unbegründet, sie ist auch überflüssig. Vor allem aber bleibt sie die Erklärung der Lust- gefühle ganz schuldig, denn das Vorhandensein von besonderen Lustnerven ist von niemand ernst- haft behauptet, geschweige denn bewiesen worden. Wenn anders man also den Begriff der Empfindung — wie es fast durchgehends geschieht — nach ihrer physiologischen Seite hin durch das Vor- handensein spezifischer zentripetaler Nerven be- stimmt sein läßt, so wird die Deutung von Lust- Unlust als Arten des Empfindens hinfällig. Die zweite Anschauung, die in Lust- Unlust Eigenschaften der Empfindungen, bzw. deren Reproduktionen sieht,hat bedeutend mehrAnhänger und dürfte dem wahren Sachverhalt immerhin näherkommen. Betrachten wir auch diese Theorie nur unter dem Gesichtspunkt, wie sie sich die physiologische Basierung ihrer unselbständigen Lust-Unlustgefühle denkt. Sie knüpft an eine Lehre an, die von zahl- reichen älteren Philosophen bereits vertreten wurde und die in Lust ein Bewußtseinsanzeichen für adäquaten Verlauf der Reizvorgänge sah, während sie Unlust als Anzeichen eines inadäquaten Ver- laufs, einer Störung, Überreizung oder einer sonstigen Beeinträchtigung des Ablaufs des spezifischen Nervenreizes sah. Diese früher theoretisch aufgestellte Lehre ist neuerdings durch mancherlei Experimente und spezielle I-^orschungen zu stützen versucht worden. Besonders Alfred Lehmann hat in seinen aus- führlichen Werken viel Material dazu beigetragen.*) ') Näheres darüber in meinem Buche: „Da die Phantasie" (1916. Joh. Ambr. Barth) Kap. >) Alfred Lehmann, „Dil psychischer Zustände". 1901. körperlichen Äußerungen 442 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 31 Er sucht das physiologische Korrelat von Lust-Unlust in den zentralen Nervenzellen und zwar läßt er den Umsatz potentieller Energie in aktuelle ent- scheidend sein. Er schreibt: „Wenn ein psycho- physiologischer Prozeß keinen größeren Verbrauch der Energie jedes einzeln arbeitenden Neurons erfordert, als daß der Stoffwechsel fortwährend den Verbrauch zu ersetzen vermag, so wird die phy- sische Wirkung hiervon ein Lustgefühl sein, während die physiologische Wirkung die Bahnung von Be- wegungen in anderen Zentren wird. Das Maximum des Lustgefühls wird erreicht, wenn der StofTwechsel den stattfindenden Verbrauch gerade zu decken vermag. Bei Überschreitung dieser Grenze nimmt sowohl das Lustgefühl als die Bahnung schnell ab, indem der Verbrauch im Arbeitszentrum nun einen Energiestrum aus den Umgebungen bewirkt, wo- durch gleichzeitige Prozesse in letzteren gehemmt werden. Der psychische Zustand ist unter diesen Verhältnissen zunächst neutral, je nach den Um- ständen bald zur Lust, bald zur Unlust tendierend. Wird endlich der Verbrauch in den arbeitenden Neuronen so groß, daß er nicht durch den Stoff- wechsel im Verein mit dem interzellulären Energie- strom gedeckt werden kann, so wird die psychi- sche Wirkung ein Unlustgefühl werden. Eine Hemmung anderer, gleichzeitiger Prozesse wird deshalb stets das Unlustgefühl begleiten, ausge- nommen, wenn dies nur von instantaner Dauer ist, so daß kein Energiestrom zustandekommt; alsdann wirkt die Bewegung im Arbeitszentrum bahnend (Das Erschrecken.)" — Diese Anschauung Lehmann 's ist von Berger') noch weiter ausgeführt worden, der in eingehenderer Weise den Stoffwechsel in der Hirnrinde heranzog, was später auch von Lehmann übernommen wurde. So gelangt man unter Heranziehung der bekannten Verworn'schen Begriffe von Assimilation und Dissimilation zu der P'ormulierung, daß Lust dann auftritt, wenn in den arbeitenden Nervenzentren die Assimilation die Dissimilation zu balanzieren vermag, daß jedoch, falls das nicht der F"all ist, Unlust entsteht. Berger hat ferner bei mehreren P'ällen von Schädeldefekt festgestellt, daß bei Lust Gefäßerweiterung am Gehirn, bei Unlust Gefäß- verengerung eintritt. Dabei steht die letztere Be- obachtung in gewissem Widerspruch mit der sonst geltenden physiologischen Lehre, daß bei stärkerer Arbeitsleistung ein vasomotorischer Reiz zu stär- kerer Blutzufuhr eintritt. Berger erklärt seine Beobachtung folgendermaßen: Nach Verworn wird durch Sauerstofifzufuhr die Labilität der Biogenmoleküle gesteigert. Die Unlustreize sind sehr intensiv, rufen Gefäßverengung hervor, so daß die Sauerstoffzufuhr vermindert und die Labilität der arbeitenden Nervenzentren herabgesetzt wird, wodurch ein Schutz dieser Zentren gegen das Auf- treten weiterer Reize sehr starker Intensität ge- geben ist. ') Berger, Über die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände, 1904. Gegen diese Leh mann -Berger'schen An- schauungen erhebt Weber 'j folgende Bedenken. Ihm scheint es besser, die Kontraktion schon an- zunehmen, bevor die Dissimilationsprozesse in der Hirnrinde stärker geworden sind als die Assimi- lationsprozesse. Hätte nämlich jene Anschauung recht, so bestünde ein eigentümliches Dilemma: bewirkt der Ernährungsmechanismus eine Erweite- rung der Ilirngefäße und dadurch vermehrten Blutzufluß, so erhalten die zentralen Biogene mit den anderen Ernährungsstoffen zugleich auch mehr Sauerstoff und damit eine erhöhte Zersetzungs- fähigkeit. Bewirkt dagegen der Ernährungsmecha- nismus eine Verengerung der Rindengefäße, so wird zwar die Sauerstoffzufuhr vermindert, gleich- zeitig aber auch wird die der anderen Stoffe, und die Möglichkeit, den normalen Zustand wieder- herzustellen, verschoben, das letztere nur dann, wenn die Dissimilation sich noch weiter fortsetzt; in diesem Fall würden also die Biogene längere Zeit nicht ins Gleichgewicht kommen. Hört jedoch die weitere Dissimilation auf, so ist auch die Ein- schränkung der Zufuhr von Sauerstoff und anderen Nahrungsstoffen überflüssig. In dieser Streitfrage macht Störring,-) der der Gefühlspsychologie ein wertvolles Buch ge- widmet hat, die Zweckmäßigkeit der Aus- lösung der Gefäßverengerung erst durch Dissimila- tionsprozesse bestimmter Intensität geltend. Da die Ünlustreize als Warnungssignale dienen und für kräftige Willenshandlungen zur Abwehr ihrer Ursachen ein großes Quantum von Energie dis- ponibel gemacht werden muß, so liegt es im Interesse des Organismus, daß länger dauernde Unlustreize, wie sie etwa bei Körperverletzungen gegeben sind, den Energievorrat nicht zu stark in Anspruch nehmen. Die kortikale Gefäßverengung ist nun als Schutz des Organismus gegen die schädigende Wirkung länger dauernder Unlustreize anzusehen. Störring erblickt daher in der erst durch solche Dissimilationsprozesse (nicht, wie Weber will, schon vorher) erzeugten Gefäßver- engerung eine doppelte Zweckmäßigkeit: daß näm- lich dabei die Unlust uneingeschränkt zur Ent- faltung kommt und ferner, daß danach eine Herab- setzung der Erregbarkeit der arbeitenden Zentren eintritt. Tritt in diesem Punkt also Störring Leh- mann und Berger bei, so hat er doch auch gegen ihre Lehre gewichtige Bedenken. Er ver- weist vor allem auf die vom allgemein-physiolo- gischen Standpunkt sehr bedenkliche Annahme, daß sich im Biogenmolekül Dissimilations- und Assimilationsprozesse gleichzeitig vollzögen, was gar nicht in Verworn's grundlegender Anschau- ung liegt. Des weiteren scheint es ihm bedenk- lich, die Lust allein an den Biotonus gebunden zu denken. Störring meint, daß, wenn im ') Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper. Berlin 1910. 382 ff. ^) Störring, Psychologie des meusclilichen Gefühls- lebens. 1916. 66 ff. N. F. XVII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Moment der Reizung > I ist, es dennoch nicht im Interesse des Organismus läge, daß bei jedem durch den Reiz gesetzten Überschuß von D über A Unlust entstünde. Auch scheint ihm Lehmann's Annahme, daß bei Unlustrcizen ein Energiestrom nach den dabei primär arbeitenden Zentren statt- finde und dadurch in anderen Zentren eine Hem- mung entstünde, sich nicht gut mit den Tatsachen zu vertragen, daß bei Unlust Verengung der Ge- fäße auftritt. S t ö r r i n g entwickelt daher eine eigene Theorie, die er zunächst dahin formuliert, daß er Lust ge- bunden sein läßt an einen Umsatz von poten- tieller Energie in aktuelle Energie innerhalb einer bestimmten Grenze in zentralen Nervenzellen. Zur näheren Bestimmung dieser Grenze greift Stör ring auf seine Versuche zurück, die er am Muskel des kurarisierten Frosches gemacht hat. Er fand dabei, daß die Kurve, die bei übermaxi- maler Reizung gewonnen wurde, sich in deutlicher Weise von allen übrigen Kurven abhob, einen früheren und jäheren Abfall, sowie kürzere Dauer der Spannungsentwicklung zeigte. Bei übermaxi- maler Reizung konstatiert Stör ring daher eine eigentümliche Modifikation der Zersetzungsprozesse, die er auch als „Störung" bezeichnet. Die Modi- fikation soll ein Ausdruck dafür sein, daß die in der Nervenzelle vorhandenen und durch den intra- zellulären Stoffwechsel zur Disposition stehenden Energien nicht mehr ausreichen, auf den durch die Dissimilationsprozesse gesetzte Reiz zur Assimi- lation hin Assimilationsprozesse in normaler Weise auszulösen. Wir können Störring's Anschauungen in der Hauptsache zustimmen; allerdings zunächst nur in dem Geltungsbereich der Empfindungs- gefühle. Für alle an Nichtempfindungen geknüpften Gefühle ist diese Anschauung nur unter wesent- licher Umbildung geltend. Für die Reizungen des Geschmacks, des Geruchs, des Gehörs usw. mag der Satz gehen, daß alle Reize, die die in Betracht kommenden Nerven zur Funktion anregen, ohne die Ernährung irgendwie zu gefährden, Lust er- wecken. Natürlich kommt diese nicht immer gesondert zum Bewußtsein, sondern geht in nicht sehr markanten Fällen ein in das allgemeine Lebens- gefühl. Viel ausgeprägter ist das Bild der Unlust. Diese tritt bei inadäquater Reizung ein, d. h. bei solchen Reizungen, die den Bestand der Zelle gefährden. Es brauchen dazu nicht bloß über- maximale Reizungen zu gehören: es kann auch die Ungleichmäßigkeit der Reizung unlustvoll empfunden werden (etwa eine ungleichmäßige rhythmische Reihe, deren einzelne Glieder an sich keineswegs übermaximale Reize zu sein brauchen). Auch künstliche Farbenkombinationen dürften die Erklärung für ihre Unlustwirkung nicht so sehr in übermaximalen Reizungen haben als vielmehr darin, daß der Ablauf der nebeneinander eintreten- den Prozesse sich gegenseitig stört, was ich früher bereits mit der Hering' sehen Theorie des Farben- sehens in Beziehung gebracht habe. ^) Der Haupteinwand jedoch gegen alle „zentralen" Gefühlstheorien liegt darin, daß in der überwiegen- den Mehrzahl der Fälle die Lust- resp. die Unlust gar nicht an eine Empfindung allein geknüpft ist, daß vielmehr Lust-Unlust sich erst an Prozesse knüpfen, die „sekundär" sind, d. h. Prozesse, die erst von der Empfin- dung ausgelöst werden, ohne jedoch selbst den gleichen Charakter zu haben wie die primäre Empfindung. Die ältere Psychologie, die alles auf „Assoziationen" zurück- führte, wollte in assoziierten Vorstellungen und deren aufgespeicherten Gefühlsqualitäten die Er- klärung finden. Indessen fällt damit recht wenig Licht auf das Wesen, vor allem die Physiologie dieser „aufgespeicherten" Gefühle, und zweitens steht diese Lehre in grellem Widerspruch mit der Tatsache, daß in den meisten derartigen Fällen überhaupt keine Vorstellungsassoziationen im Be- wußtsein nachweisbar sind. Es sei jedoch erst an einigen Beispielen der psychologische Tatbestand klargelegt, ehe wir die psychologische Erklärung behandeln können. Nehmen wir zunächst den Fall, daß ein Kind beim Hören eines plötzlichen Knalls Unlust empfindet. Ist diese Unlust allein an die „Empfindung" ge- knüpft ? Wohl kaum : denn bei mehrfacher Wieder- holung des Knalls tritt Gewöhnung ein; die Un- lust bleibt aus. Es kann also nicht die Empfindung, auch nicht der Umsatz in den betreffenden Nerven- zellen sein, womit die Unlust zu erklären ist. Es können jedoch auch nicht assoziierte Vorstellungen von möglichen Gefahren sein, wie die Assoziations- psychologie will; denn bereits das kleine Kind, das gar keine Vorstellungen derart haben kann, erlebt die Unlust. Die richtige Erklärung liegt vielmehr darin, daß jene Empfindung allerdings sekundäre Prozesse auslöste, daß diese jedoch nicht intellektueller Natur, sondern motorischer Natur sind. Daß heißt, die plötzliche Empfindung setzte jenen angeborenen Bewegungsmechanismus in Aktion, den wir zum Teil äußerlich feststellen können und dessen seelische Begleiterscheinung jene Unlust ist. Es wäre also die Unlust in diesem Fall nicht an den primären Reiz, sondern an eine sekundäre Auslösung geknüpft, die jedoch nicht in Vorstellungen besteht (obgleich diese ge- legentlich mitwirken können), sondern in Be- wegungen, einer motorischen Reaktion des Organismus, deren psychische Begleitung ein Affekt (in diesem Fall die Angst, das Erschrecken) ist, der seinerseits unlustbetont ist. Wir werden also nicht fehlgehen, wenn wir die physiologische Basis der Unlust nicht in den primären Vorgängen sehen, sondern in den sekundären, also den moto- rischen Reaktionen. i) Vgl. hierzu meine „Psychologie der Kunst' bes. Bd. 11., wo ich ausführlich die psychologischen Begleit- erscheiaungeu der ästhetischen Lustgefühle erörtert habe. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 31 Einige andere Beispiele mögen das noch weiter klären. Wenn einem gesunden Manne ein schönes Frauenbildnis Lustgefülile erregt, so sind diese in der Regel keineswegs an die Farben- und Form- empfindungen allein geknüpft; es sprechen dabei vielmehr sehr energisch jene sekundären Vorgänge mit, die sich ihrem ganzen Wesen nach als Er- regungen des Sexualmechanismus kennzeichnen. „Vorstellungen" brauchen dabei weiter gar nicht im Spiel zu sein, was vor allem daraus hervorgeht, daß der betreffende Beschauer sich oft genug gar nicht der sexuellen Natur seiner Lust bewußt ist, eben darum, \veil er keine sexuellen Vorstell ungen hat. — Ähnlich ist es, wenn eine lockende Speise unsere Lust erregt. Es ist in diesem Fall nicht die Lust, die die Empfindung als solche begleitet; denn, wenn wir übersättigt sind, bleibt diese Lust aus, was nicht zu erklären wäre, wenn die Lust an die Gefühls- oder Geruchsempfindung allein geknüpft wäre. Der Grund liegt vielmehr darin, daß diese Speise durch die Gefühls- und Geruchs- empfindung den „Appetit" erregt (man beachte den motorischen Grundsinn des Wortes „appetitus"), d. h. also den komplizierten motorischen Mecha- nismus, der die Hungererregung kennzeichnet. Wir müssen also sagen : die Lust ist die Begleitung des Appetits, nicht der Appetit die Folge der Lust. Die Lust ist in diesem Falle also geknüpft an die „sekundäre" körperliche Reaktion der primären Empfindungen. Formulieren wir also das, was sich aus allen diesen Fällen Gemeinsames ergibt, so ist es folgen- des. In allen jenen Fällen, wo die Lust nicht deutlich Begleiterin einer primären Empfindung ist, ist sie Begleiterin einer sekundären motorischen Reaktion, die man gewöhnlich nach ihrer psychi- schen Erscheinung Affekt nennt, die wir jedoch hier als willenshaft fassen. Lust-Unlust sind in all diesen Fällen also Begleiterscheinung von Willenserregungen, die ihrerseits Betätigungen meist sehr komplizierter angeborener Bewegungs- mechanismen sind. Wir behaupten also nicht, daß alle Lust- Unlustgefühle sekundär seien: wir geben primäre Gefühle zu; wir behaupten aber, daß die meisten Lust-Unlustgefühle erst durch Erregung der sekun- dären, d. h. der motorischen Phänomene Zustande- kommen. Damit treten wir auf den Boden jener bekannten Lehre, die man die peripherische Gefühlstheorie oder auch nach den ersten Anregern die James- Lange'sche Theorie nennt. Diese behauptet nämlich, daß das Wesen der Affekte in den Organ- empfindungen beruhe, die von den motorischen Prozessen herrühren, die man früher als „Aus- drucksbewegungen" nur als Folgeerscheinungen hätte gelten lassen. Durch die neue Lehre werden diese „Ausdrucksbewegungen" als die Ursache der Affekte gewürdigt. Je nachdem hat man mehr Wert auf die vasomotorischen oder die viszeralen Vorgänge gelegt. Für die Einzel- heiten hat die Forschung noch viel Feld zur ein- gehender Betätigung. Die Ergebnisse speziell für die Visceralempfindungen sind noch sehr wenig geklärt. Immerhin wird nur noch von sehr wenigen neueren Forschern die prinzipielle Bedeutung der Organempfindungen für die Affekte bestritten, i) Was wir hier hervorheben, ist die Rolle von Lust-Unlust in den Affektphänomenen. Wenn man zugeben kann, daß jeder Affekt ein Verschmelzungsprodukt von Organempfindungen und Lust-Unlustgefühlen ist, so darf man doch nicht übersehen, das sich begrifflich immerhin eine Tren- nung vornehmen läßt, die auch in der Selbst- beobachtung nachzuweisen ist. Affektempfindungen (d. h. vasomotorische oder viszerale Empfindungen) nämlich derselben Art können zuweilen lust-, zu- weilen auch unlustbetont sein. Sehr maßgebend ist hierbei der Grad der Erregung. Man nimmt vielfach an, daß Angstgefühle immer unlustvoll, Wollusterregungen immer lustvoll seien. Das ist ganz verkehrt. Eine leichte Furchterregung kann sehr lustvoll sein (so ist z. B. das Gruseln über- wiegend lustvoll). Andererseits kann jeder Affekt, auch die Freude, oder die Wollust, sowie im Übermaß auftretend, unlustbetont sein. Ich leite daraus den Schluß ab, daß es wie bei den Sinnes- empfindungen auch für die Affektempfindungen eine Grenze gibt, innerhalb deren sie lustbetont, jenseits deren sie unlustbetont sind. Allerdings ist zuzugeben, daß jene Empfindungen, die den Affekt der Furcht z. B. konstituieren, zum großen Teil wenigstens unlustbetont zu sein pflegen, wie umgekehrt bei der Wollustempfindung die Lust- gefühle überwiegen. Es kommen so die sogenannten „Mischgefühle" zustande, wenn ein Teil der Organ- empfindungen, die das Gesamtphänomen gemein- sam aufbauen, lustvoll, ein anderer Teil unlustvoll wirkt. Alles in allem sehen wir nicht ein, warum die „zentrale" und die „periphere" Theorie unvereinbar sein sollen. Im Gegenteil, es scheint uns die Sachlage der physiologischen Korrelate genau so zu liegen, ob es sich nun um die äußeren Sinnesempfindungen oder die inneren Organ- empfindungen (Affektempfindungen) handelt. In beiden F'ällen gibt es eine Grenze, die allerdings je nach dem Ernährungsniveau wechselt. Adäquate Inanspruchnahme der Nervenzellen ist von Lust, inadäquate, vor allem übermaximale, aber auch un- regelmäßig intermittierende ist von Unlust begleitet. Unsere Lehre von der Willensnatur der meisten Lust-Unlustgefühle gibt auch eine Erklärung für die Gefühlsfarbung der Vorstellungen. Nach der assoziationistischen Theorie haftete den im Gehirn „deponierten" Reproduktionen das Gefühl wie eine Eigenschaft an, was natürlich physiolo- gisch gar nicht zu erklären wäre. Nach unserer ') Ich setze hier die wichtigsten Formen der „peripheren" Gefühlstheorie als bekannt voraus, verweise jedoch auf den ausgezeichneten Literaturbericht von M. Kelchner, Archiv für die ges. Psychologie XVII. N. F. XVII. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 445 Anschauung beruht der Lust- resp. Unlustcharakter der Reproduktionen in ihrer Wirkung, die sie auf den motorischen Affektapparat ausüben. Wenn also Hans an seine Grete denkt und bei dieser Vorstellung ein Lustgefühl hat, so kommt das nicht daher, daß diese Vorstellung an sich gleich- sam eingehüllt wäre in ein hypothetisches Gefühl, es liegt auch nicht an dem „Biotonus" der in Aktion versetzten Hirnzelle, es liegt vor allem daran, daß mit dem Erregtwerden dieser Repro- duktion das Sexualnervensystem miterregt wird und daß diese Erregung von einem funktionalen Lustgefühl begleitet ist. Um nun nochmals auf die im Eingang neben- einandergestellten prinzipiellen Anschauungen über die Natur der Lust-Unlustgefühle und ihre physio- logischen Korrelate zurückzukommen, so stellen wir nunmehr fest, daß es unmöglich ist, Lust-Un- lust als eine Art von Empfindungen gelten zu lassen, da besondereNerven dafür nirgends nachweisbar sind. Eher können wir unsere Auffassung als eine Vereinigung der zweiten und dritten be- zeichnen. Wir lassen Lust -Unlust als Begleit- erscheinungen gelten, aber nicht als solche der Sinnesempfindungen allein, sondern und vor allem als Begleiterscheinungen jenes Organbewußtseins, das sich an die sekundären motorischen Aus- lösungen knüpft. Zusammen mit diesem Organ- bewußtsein, das in der Regel sehr verschwommen bleibt, sind die Gefühle mehr als bloße unselb- ständige Epiphänomena, obwohl sie physiologisch in jedem Fall an den adäquaten oder unadäquaten Ablauf anderer Prozesse geknüpft bleiben. Bücherbesprechimgen. Paul Hanneke. Das Arbeiten mit kleiner Kamera nebst praktischer Anleitung zu der Entwicklung der kleinen Negative sowie der Herstellung von Kopien und Bildvergrößerungen (Encyklopädie der Photographie, Heft 85). 96 S. Mit 60 Fig. im Text. IL Aufl. Verlag W. Knapp, Halle a. Saale, 1917. — Preis: 2,10 M. geh., 2,8$ M. geb. Die erste Auflage (Berlin 1915) des vorliegenden Bändchens verdankte ihre Entstehung dem un- geahnten Aufschwung, den der Bau kompendiöser Taschenkameras (vgl. die sog. „Feldkameras" oder „Waffenrockkameras") zu Beginn des Weltkrieges nahm. Schon lange vorher hatten sich aus dem inzwischen längst veralteten Typ der sog. „Geheim- kameras" Instrumente entwickelt, die als präzisions- mechanisches Meisterwerk ersten Ranges, — meist französischer oder englischer Herkunft, aber mit bester deutscher Optik ausgestattet — , zum un- entbehrlicher Begleiter des Forschungsreisenden wurden, eben weil sie auf Schritt und Tritt auch unter den schwierigsten Verhältnissen bequem mitgeführt und mühelos und unauffällig aufnahme- bereit gemacht werden konnten. Daß dieser wichtige, zweckmäßig (wenigstens für wissen- schaftliche Arbeiten) für das Format 6X9 ^'f^' gerichtete Kameratyp noch nicht so ausgenutzt wurde, wie es seine Brauchbarkeit z. B. für ethno- graphische, biologische und geologische Aufgaben nahelegte, war durch den unverhältnismäßigen hohen Preis dieser Instrumente bedingt. Hier hat der Krieg im günstigen Sinne Wandel ge- schaffen. In sehr geschickter Weise hat der Verf. durch die Neubearbeitung seines Buches den ver- änderten Verhältnissen Rechnung getragen. Wer seinen Anweisungen folgt, wird mit den jetzt sehr preiswert und doch in vorzüglicher Ausführung von unseren deutschen Firmen gebauten Kleinkameras ^uch für wissenschaftliche Zwecke befriedigende Resultate erzielen können. Gerade den Leser- kreis dieser Zeitschrift, der zu einem großen Teil gelegentliche Naturbeobachtungen der ver- schiedensten Art im Lichtbilde festhalten zu können wünschen wird, glaubte der Ref. deshalb auf das treffliche, vom Verlage mit gewohnter Sorgfalt ausgestattete Büchlein aufmerksam machen zu sollen. Prof, Dr. Max Wolff (Eberswalde). C. Zimmer, Anleitung zur Beobachtung der Vogelwelt. Zweite Auflage, 1917. Quelle u. Meyer, Leipzig. Die Aufgabe des Büchleins ist, den Anfänger zur praktischen Beobachtung der Vogelwelt im Freien anzuleiten, ihn mit den wichtigsten Hilfs- mitteln bekannt werden zu lassen, seine Exkur- sionen, Präparate und Sammlungen von Anfang an wissenschaftlich und wertvoll zu gestalten. Die in kurzer Zeit erfolgte zweite Auflage be- weist, daß das Büchlein einem fühlbaren Mangel in unsrer Literatur abgeholfen und sich schnell die Gunst der Vogelliebhaber erworben hat. Was ihm vielleicht an Ausführlichkeit fehlt, ersetzt Verf. reichlich durch seine frische, lebendige Schilderung, der man auf jeder Seite anmerkt, daß hier ein in Beobachtung und Erforschung des Vogellebens sehr erfahrener und geübter Ornitho- loge zu uns spricht. Nachdem in der Einleitung auf die Lücke in unserer ornithologischen Bildung hingewiesen ist, eine Lücke, durch die weite Kreise in ganz unglaublicher Unwissenheit be- treffs der Kenntnis der Vögel, ihrer Lebensweise, ihrer Gewohnheiten, Sprache usw., gehalten werden, erörtert Zimmer die Hilfsmittel, literarische und optische. Aufmerksamkeit widmet er hier dem Studium der Vogelstimmen. Wie eine Erlösung wird es auf alle musikalisch wenig veranlagten Vogelliebhaber wirken, wenn sie lesen, daß Verf. selbst ganz unmusikalisch ist, Musik ist ihm ein unangenehmes Geräusch, so daß er noch niemals ein Konzert besucht hat. Ein weiteres einleitendes 446 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 31 Kapitel behandelt die Exkursionen und gibt prak- tische Winke, dieselben nutzbar und ergiebig zu gestalten. Danach wendet sich Verf. zu dem eigentlichen Hauptteil, dem Vogelleben im Kreis- lauf des Jahres. Mauser, Verfärbung, Balzen, Vogelsprache, Vogelehe, Nestbau im Frühjahr, das Brutgeschäft, die Pflege und Wartung der Jungen, Zuginstinkt, Zug- und Schwarmbildung im Sommer, Herbst und Winter findet eine über- sichtliche und anregende Darstellung. In einem weiteren Kapitel erwähnt Verf. das wichtigste über die Krähenhütte, das Anlocken der Vögel, künstliche Nisthöhlen, Vogelschutzgehölze, Futter- häuser, -Glocken und -Hölzer. Ein vielen hoch- willkommnes Kapitel wird das über „Sammlungen" sein. Wir finden hier u. a. das Etikettieren, Des- infizieren, Präparieren der Eier, besonders er- wähnenswert ist die ausführliche Anleitung zum Abbalgen. Eine gute Einführung des Anfängers in seinen neuen Beruf bietet das Kapitel: Was kann man am Vogel beobachten ? Erwähnt werden hier u. a. Flugbilder, Bewegungseigentümlichkeiten, Instinktänderungen, Vogelzug, Nahrung usw., und hinzugefügt wird ein kurzes orientierendes Wort über die besten ornithologischen Zeitschriften und Jahrbücher. Mit einem ziemlich ausführlichen Sach- register schließt das empfehlenswerte Büchlein. L. Reiche. A. Sachs, Repetitorium der allgemeinen und speziellen Mineralogie. Deuticke, Leipzig- Wien 191 7. 61 S. — ■ Preis 2 M. Wie aus dem Titel hervorgehen dürfte, handelt es sich nicht um eine einführende Darstellung, sondern eine ganz knapp gefaßte Übersicht des Gesamtgebiets der Mineralogie für mit der Sache bereits Vertraute, etwa ein Nachschlagewerk. Ist auch Kürze dabei Hauptaufgabe, so sind doch Sätze wie „Umgekehrt umgekehrt" (S. 18) allzu stenographisch gefaßt. Im ganzen darf aber das Ziel als erreicht gelten und manchem mag mit solcher konzentrierten Übersicht gedient sein. Edw. Hennig. Vom Blütengarten der Zukunft. Erfahrungen und Bilder aus der neuzeitlichen Gartenentwick- lung von Karl Foerster. Mit 36 ganzfertigen Schwarz weiß-Bildbeilagen und 10 nach Auto- chroms hergestelltenVierfarbdrucktafeln. Furche- Verlag, Berlin NW. 7, 191 7. Das sehr schön ausgestattete Buch ist als 6. Kunstgabe in der Reihe der vom Ausschuß zur Versendung von Liebesgaben an Dozenten und Studenten im Felde herausgegebenen „Liebesgaben deutscher Hochschüler" erschienen. Wie das um- fangreiche Werk des gleichen Verfassers „Winter- harte Stauden und Sträucher der Neuzeit" (Leipzig, J. J. Weber) (s. N. W. 191 1, Nr. 42, S. 670) ist auch die vorliegende Arbeit in hohem Maße geeignet, die Liebe zur Blumenwelt zu erwecken, und sie wird in manchem, der jetzt mit Grauen die verwüstete Natur auf den Schlachtfeldern empfindet, den Wunsch nach einem blütenfreudigen Staudengarten in der Heimat wach werden lassen. Wächter. Probleme der Volksernährung. Eine Unter- suchung über die Entwicklungstendenzen der Ernährungspraxis und der Ernährungswissen- schaft von Dr. med. Alexander Lipschütz, Privatdozent der Physiologie an der Universität Bern. Akadem. Buchhandlung von Max Drechsel, Bern 191 7. 74 S. — Preis 2,80 M. „Der Krieg aber hat gezeigt, daß eine zentrale Leitung des ganzen Volksernährungswesens, be- ruhend auf einer bewußten Einstellung des Volkes als eines Ganzen, als ob das Volk ein Einzel- individuum wäre, möglich ist." Wenn auch die große Mehrzahl der einzelnen Kriegsmaßnahmen im Frieden verschwinden wird, so glaubt Verf. doch, daß in Zukunft das Prinzip der zentralen Leitung bleiben müßte, wenn das Volksernährungs- wesen eines Landes rationell durchgeführt werden soll. Ein zentrales Ernährungsamt „wie esRubener schon vor Jahren gefordert hat und wie es in den meisten Ländern im Laufe des Krieges ins Leben gerufen wurde", sei der erste Schritt hierzu. Mag bei dieser Meinung auch der Wunsch der Vater des Gedankens sein, so sind die Gedanken des Verf über eine zukünftige Ernährungslehre auch dann interessant, wenn nichts aus der Sozialisierung des Ernährungswesens werden sollte. Mit Recht hebt Lipschütz hervor, daß die gegenwärtige Ernährungslehre, die auf dem Laboratoriumsver- such am Einzelindividuum beruht, nicht ausreicht, um den Bedarf eines ganzen Volkes an Nahrungs- mitteln einwandfrei festzustellen, was unter Berück- sichtigung der einschlägigen Literatur eingehend begründet wird. Die soziologische Betrachtung des Ernährungsproblems ist der einzig mögliche Weg zu seiner Lösung und die Ernährungslehre kann nur dann den Tatsachen gerecht werden, wenn sie nicht allein auf der Physiologie des Stoffwechsels und des Energiewechsels aufgebaut, sondern wenn sie zu einer „vergleichenden Er- nährungslehre" ausgebaut wird unter Berücksich- tigung der landwirtschaftlichen Produktion, der Handelsbeziehungen der Völker, der sozialen Ver- hältnisse der einzelnen ökonomischen Klassen usw. Vor allem müßte die Geschichte, oder besser die Soziologie der Nahrung studiert werden, wie es kürzlich in vorbildlicher Weise von Maurizio für die Getreidenahrung geschehen ist (s. N. W. 1916 S. 734) ; die Beziehungen des Volksernährungswesens zur Ethnographie, Technik, zum Pflanzenbau usw. müssen aufgedeckt werden und die vergleichende Ernährungslehre sollte Gegenstand des Hochschul- unterrichts werden. Nur auf solcher Grundlage kann die Ernährungslehre der Ernährnngspraxis dienstbar gemacht werden. Wächter. G. Bugge, Strahlungserscheinungen, Ionen, Elektronen und Radioaktivität. Bücher der Naturwissenschaften Bd. 4. Leipzig, Phil. Reclam jun. 4. Aufl. — Preis 50 Pf., geb. 90 Pf. N. F. XVn. Nr. 31 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 447 Das lesenswerte Büchlein enthält auf 136 S. eine Darstellung vorwiegend der korpuskularen Strahlungserscheinungen. Ausgehend von den Ionen in wäßrigen Lösungen schildert der Verf. zunächst die Bildung von positiven und negativen Ionen in Gasen, auf deren Vorhandensein die Leit- fähigkeit des Gases beruht. Daran schließt sich eine Darstellung der Lorentz'schen Elektronen- theorie und ihrer Bestätigung durch den Z e e m a n n - Effekt. (Die neuerdings von Stark beobachtete elektrische Aufspaltung der Spektrallinien hätte an dieser Stelle vielleicht erwähnt werden können.) Im 2. und 3. Kapitel werden die negativen und positiven Strahlen in ihren verschiedenen Erschei- nungsformen besprochen. Darauf folgt, mehr als die Hälfte des Buches einnehmend, eine Darstellung der Radioaktivität, die neben kurzgefaßten histo- rischen Hinweisen eine Schilderung der verschie- denen Strahlen und ihrer Wirkungen, die Ruther - ford-Soddy' sehe Theorie des Atomzerfalls, eine Darstellung der drei radioaktiven Familien, die wichtigen Folgerungen für den chemischen Begriff Element (Isotopie), kurz alles das enthält, was auf diesem neuen und interessanten Gebiet physika- lischer Forschung von Wichtigkeit ist. Die Art der Darstellung ist in glücklicher Weise so gewählt, daß auch der Leser von weniger gründlicher natur- wissenschaftlicher Vorbildung ihr mühelos folgen kann, während andererseits derjenige, der das dar- gestellte Gebiet kennt, Freude an der hübschen, alles Wesentliche bietenden Zusammenstellung hat. Das Büchlein ist daher warm zu emp- fehlen; es eignet sich wegen seines niedrigen Preises auch für die Schüler höherer Schulen, von denen viele für dies Gebiet großes Interesse zeigen, dessen Befriedigung im Unterricht nicht immer möglich ist. — Auf Seite 10 unten befindet sich ein kleiner Irrtum. Es heißt dort für dissoziierte Lösungen: „Mit zunehmender Verdünnung wächst die Zahl der dissoziierten Moleküle", statt dessen muß es heißen „der Prozentsatz der dissoziierten Moleküle". K. Schutt, Hamburg. E. Ramann, Bodenbildung und Boden- einteilung (System der Böden). Berlin, 1 9 1 8. J. Springer. Die Bodenkunde ist wegen ihrer vielfältigen Beziehungen zu anderen Naturwissenschaften ein außerordentlich reizvolles Gebiet, das aber gleich- wohl dem Naturkundigen, wenn er nicht gerade Geologe oder. Landwirt ist, meist ziemlich fern liegt. Um so mehr ist es zu begrüßen, wenn ein so hervorragender Vertreter der Bodenkunde wie Ramann in diesem schmalen Büchlein einen allgemeinen, die durchlaufenden Ideen klar heraus- arbeitenden Überblick gibt und seiner Wissen- schaft Freunde zu werben sucht. Bei einem solchen Unterfangen wird er naturgemäß vor die schwierige Aufgabe gestellt, die Böden nach ihrer Eigenart einzuteilen. Er wählt als Grundlage der Systematisierung die klimatischen Bedingungen und sondert als große Begriffe zu allererst die Boden^onen und -regionen aus, die gemeinsame klimatisch bedingte Eigenheiten zeigen. Inner- halb dieser hebt er durch besondere Faktoren be- stimmte Abweichungen als sogenannte Ortsböden heraus, die als solche nicht an ein bestimmtes Klima gebunden zu sein brauchen, sowie die bio- logisch bedingten Böden. Ein genaueres Ein- gehen auf den Inhalt kann hier füglich unter- bleiben, wir möchten aber nachdrücklich auf den kurzen und doch inhaltsreichea und vor allem sehr anregenden Abriß hinweisen, der neben seinem allgemeinen Interesse namentlich den Bio- logen, Pflanzengeographen, Geologen und Land- wirt interessieren wird. Miehe. Anregungen und Antworten. Kann eine Bombe im Luftraum schneller fallen als in der Luftlere ? Diese Frage stammt aus der Praxis. Beobachtungen der Fallzeit von Bomben hatten ergeben, daß die Werte sich bisweilen bedenklich denen näherten, die man aus der Theorie des Falls für die in Frage kommende Höhe errechnen kann, wenn man die Hemmung des Luftwiderstands vernachlässigt. Es schien daher wert zu überlegen, ob nicht in gewissen Fällen eine Annäherung an die Fallzeiten in der Luftleere, vielleicht gar ein Unterschreiten dieser Werte möglich ist. Es ist selbstverständlich, daß für den reinen Fall eines Körpers, der ohne jede Anfangsgeschwindigkeit in einer ge- wissen Höhe der Unterstützung beraubt wird, die Fallzeit im lufterfüUteu Räume größer sein muß als im luftleeren Räume; denn Luftwiderstand und Luftreibung verzögern notwendiger- weise die Fallbewegung Doch beim Bombenabwurf aus Flugzeugen liegen die Ver- hältnisse anders. Hierbei verläßt der abfallende Körper das Flugzeug mit einer bestimmten Geschwindigkeit in wagerechter Richtung, nämlich im Verhältnis zur Erde mit der Geschwindig- keit des Flugzeugs über Grund, im Verhältnis zur Luft mit der Flugzeugeigengeschwindigkeit oder -Konstruktionsgeschwin- digkeit. Hat der abfallende Körper Kugelform, so können in senkrechter Richtung nur insofern Abweichungen von den Ver- hältnissen im luftfreien Räume auftreten, als durch die Luft eine Fallhemmung erfolgt; denn es ist keine Veranlassung dazu vorhanden, daß die horizontale Wurfkraft nach unten hin abgelenkt werden könnte. Bei den jetzt hüben wie drüben angewandten Bomben mit langgestreckter Form kann jedoch in günstigen Fällen eine solche Ablenkung eintreten. Die Bombe möge das Flugzeug mit 40 m/sek. Geschwindigkeit über Grund wie im Verhältnis zur Erde verlassen; es soll also der Einfachheit wegen vorausgesetzt werden, daß die Bombe bei Windstille geworfen wird. Liegt nun, wie es jetzt aus Stabilitätsgründen üblich geworden ist, die Längsachse der Bombe wagerecht, so wird die Bombengeschwindigkeit über Grund in den ersten Sekunden 40 m/sec oder doch nur un- bedeutend weniger betragen, da ja bei großer Querschnitts- belastung nur wenig von der großen Wucht der Bombe durch den Luftwiderstand aufgezehrt wird. In senkrechter Richtung beträgt die Geschwindigkeit infolge der Beschleunigung durch die Schwere bereits nach etwa 4 Sekunden 40 m/sec. Da nun alle Bomben durch Schwanzflächen stabilisiert werden und sich infolgedessen angenähert in die Richtung der Bahntangente iu jedem einzelnen Punkte der Bahn einstellen, so wird in unserem Fall die Richtung des Bombenkörpers schon nach 4 Sekunden unter etwa 45" gegen die Erdoberfläche geneigt sein. Dann wirkt von der anfänglich genau horizontal gerichteten Ge- schwindigkeit bereits ein merklicher Bruchteil in senkrechter 448 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 31 kiclilung und dieses Verhältnis steigert sich noch, ]e weiter sich die Bombenlängsachse 7,ur Erdoberfläche aufrichtet. Die Luft wirkt also in diesem Falle wie eine Maschine auf die Wurf kraft der Bombe ein, indem sie die Kraftrichtung allmählich immer mehr aus der Wagerechten ablenkt. Man kann sich diese Wirkung dadurch verständlich machen, dafi man sich vorstellt, dafl ein Ball horizontal gegen eine einfach gekrümmte Fläche geschleudert wird, die in der Abwurfliöhe des Balls asymptotisch gegen die Horizontale ver- läuft und sich mit wachsender Fallhöhe stärker, als es der Wurf- parabel entspricht, zur Senkrechten neigt. Der dagegen ge- schleuderte Ball würde an dieser Fläche abgleiten und einen Teil seiner Horizontalgeschwindigkeit in die senkrechte Rich- tung umsetzen, also schneller ,, fallen" können, als in der Luftleere. Wie hier die ablenkende Fläche wirkt, so wirkt im Fall der Bombe die Luft, indem sie auf den Kopf der Bombe beständig ablenkende Stöße ausübt. Streng genommen darf man in diesen Fällen freilich nicht vom „Fall" reden, sondern mu8 diese Erscheinungen den Wurfgesetzen einreihen. (G^C.) Oskar Prochnow, Berlin-Lichterfelde. Schon viele Vorschläge wurden seit Kriegsbeginn gemacht, den Ertrag des deutschen Ackerbaues zu steigern: man solle Sumpfkartoffel und Topinambur auf Ödländern anbauen, wieder die fast vergessene Schwadengrütze und die nahrhaften Knollen von Butomus und Sagittaria verwerten , womöglich diese Sumpfpflanzen im Verein mit Fischzuchtbetrieb kultivieren, Luzerne als Gemüse verzehren, Opium anbauen, Fetthefe ge- winnen, Seide auf Schwarzwurzel oder wieder auf Morus züchten und dergleichen mehr. Nur wenige von diesen und ähnlichen Plänen sind bisher zu nennenswerten Erfolgen gereift, wie die Fasergewinnung aus Nesseln und Typha. Das hat sicher viele Ursachen, vor allem ist es selbstverständlich, daß man vieles prüfen und das Beste behalten muß. Dr. Ströse's neueste Mitteilungen über Anbauversuche mit der Reismelde '), einen Gegenstand, den ich in der Naturw. Wochenschr. 19 18 bereits besprach, klingen nicht ganz so zuversichtlich wie die früheren, es läßt sich ein abschließendes Urteil über den Wert dieser chilenischen Meldenart oder -rasse noch nicht fällen, obwohl aus dem. Jahre 1917 bereits zahlreiche Anbauversuche vorliegen. Die in Deutschland erzielten Früchte erreichen im Gehalt an Stickstoffsubstanz nicht ganz die Hülsenfrüchte, kommen aber mit 11 — 13 »,'0 Wasser, 15 — l'j"lo Sticksloffsub- stanz und 4,85 — 5,6l''/o Fett mindestens geschälten Haferkörnern nahe. Tiere fressen die Körner gern, ein Hemmnis für ihre Verwertung für den Menschen ist aber nach Ströse's Fest- stellungen das unter allen Umständen erforderliche Entbittern der Körner. Als Schädiger der Pflanzen treten bei uns einmal Sperlinge auf, ferner bei anhaltender Dürre starke Winde, die die Stauden umbrechen. Aus solchen Gründen sind die bisherigen Anbauversuche in Deutschland sehr verschieden ausgefallen, doch dürfte bekannt sein, daß sie vielerorts weiter gepflegt werden. V. Franz. Herrn W. F. in Dresden-A. — Der Zusammenhang zwischen Enlladungspotential und Schlagweite wird durch eine Reihe verschiedener Umstände, wie insbesondere durch Druck, Temperatur und Natur des Gases, Größe und Gestalt der Elektroden, Art der Zuleitungen und der Isolierung, merklich beeinflußt. Wichtig ist vornehmlich, daß jede Influenzierung am Ort der Elektroden durch benachbarte Leiter oder Isola- toren ausgeschaltet ist. Besonders regelmäßige Verhältnisse werden durch ultraviolette Belichtung der Elektroden (Kathode) zur Vermeidung von Verzögerungseffekten gewonnen. Die unter allen Vorsichtsmaßregeln für Luft von Atmo- sphärendruck, gewöhnlicher Temperatur und mittlerer Feuchtig- keit gewonnenen Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen sind die folgenden: Bei sehr kleinen Schlagweiten von 0,001 bis 0,05 mm ist das Entladungspotential 350 Volt, unabhängig von der Länge der Luftstrecke, dem Druck, der Formund Größe der Elektroden. Für größere Schlagweitcn wird der Zusammenhang zwischen dem Funkenpotential und der Länge der Funkenstrecke für je zwei gleichgroße Kugelelektroden von 4 verschiedenen Radien durcli die folgende Tabelle angegeben. Funken- strecke Kugelradius R mm 2.5 5 10 25 mm 0,1 I oSo I 010 9S0 Volt 0,2 I 580 I 510 1500 0,'; 2930 2S50 2800 o,S 4030 3980 3920 I 4800 4 Sog 4700 2 8400 8 400 8 100 3 1 1 300 II 400 II 400 4 13800 14400 14500 i; i=;7oo 17300 17500 1S400 6 17200 19900 20400 21 600 7 18 300 22000 23200 24600 S 19 000 24100 26000 27400 9 19(300 2S 600 28600 30 100 10 20200 26700 30800 32700 15 22300 31 600 39300 46000 20 23 200 36000 47000 58 000 30 24000 42000 57000 77000 40 25 000 45000 64000 92000 50 25 000 47000 69900 105 000 DieG •nauigkeit de r Angaben geht bis au einige Prozente. Für den praktischen Gebrauch ist die graphische Darstellung zu empfeh en. Über heoretische Untersuchungen zu der Frage siehe bei- spiclsweise A. Heydw eiller, Wied. Annalen 40, 1890 und 48, 1893. A. Becker. Im Anschluß an die in der Naturw. Wochenschr. Nr. 26 S. 376 referierten Beobachtungen von Demo 11 ließe sich vielleicht die Frage zur Diskussion stellen, ob nicht beim Fluge der Käfer die Elytrcn eine ähnliche Rolle spielen, wie die Tragflächen des Flugzeuges. Die häutigen Flügel hätten wir dann dem Propeller an die Seite zu setzen. Das fliegende Flugzeug läßt sich viel eher mit einem Riesenkäfer vergleichen als mit einem Riesenvogel, wie es im bildlichen Sprachgebrauch meist geschieht. M. Kann einer der Leser Auskunft g Welche neueren Arbeiten existieren übe Stoffe der Schmetterlingsschuppen f ben über die Frage: die Chemie der Farb- ') Deutsche Jägerzeitung, 1918, Bd. 70, S. 518. Druckfehler. In dem Artikel „Riesenvögel und Zwcrg- elefanten" (Naturw. Wochenschr. Nr. 16) soll auf S. 227 die Unterschrift der Abbildung 4 anstatt Der Szimnoyt folgen- derweise lauten; Der Szimurgh. JlshaiSa Richard Müller- Freienfei s, Die physiologischen Korrelate von Lust und Unlust. S. 441. — Bücher- besprechungen: Paul Hanneke, Das Arbeiten mit kleiner Kamera. S. 445. C. Zimmer, Anleitung zur Beobach- tung der Vogelwclt. S. 445. A. Sachs, Repetitorium der allgemeinen und speziellen Mineralogie. S. 446. Karl Foerster, Vom Blütengarteu der Zukunft. S. 446. Alexander Lipschütz, Probleme der Volksernährung. S. 446. G. Buggc, Strahlungserscheinungen, loneu, Elektronen und Radioaktivität. S. 446. E. Ramann, Bodenbildung und Bodeneinteilung. 8,447. — Anregungen und Antworten ; Kann eine Bombe im Luftraum schneller fallen als in der Luftleere? S. 447. Anbauversuche mit der Reismelde. S. 44S. Zusammenhang zwischen Entladungspotential und Schlag- weite. S. 448. Flug der Käfer. S. 448. Chemie der Farbstoffe der Schmetterlingsschuppen. S. 448. Druckfehler. S. 448. Mjinuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'scben Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. IL, Naumburg a. d. S Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den ii. August 1918. Nummer 33. Neuere Wege und Ziele der botanischen Systematik, erläutert am Beispiele unserer Getreidearten. [Nachdruck verboten.] Von A. Thellung (Zürich). Mit 3 Abbildungen im Text. Nach einem am 2. November 1916 vor der Zürcherischen Botanischen Gesellschaft und am 26. Januar 1917 vor der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Winterthur gehaltenen Vortrage. Man hört gelegentlich die Meinung vertreten, die Systematik sei ein alter Zweig der Botanik, der, einem lebenden Fossil gleich, keiner weiteren Entwicklung fähig sei; die heutige Aufgabe der Systematik bestehe, so meinen jene Kritiker, lediglich darin, neu entdeckte Pflanzen nach dem herkömmlichen Schema zu beschreiben und auf Grund ihrer morphologischen Merkmale im System an passender Stelle einzureihen, um so die „Be- stimmung", d. h. die Ermittlung des Namens aller Pflanzen der Erde zu ermöglichen — mithin eine mehr oder weniger mechanische, geistlose Arbeit, die kaum mehr in den Bereich der modernen biologischen Wissenschaften falle. Aber diese Charak- teristik könnte höchstens für die Systematik zu- treffen, wie sie seit L i n n e bis etwa in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich war. Das viel- geschmähte Linne'sche System war — und sollte auch nach der Absicht und Meinung seines Autors nichts anderes sein — lediglich ein Hilfs- mittel, um jeder Pflanze einen bestimmten Platz anzuweisen, wo sie jederzeit leicht gefunden werden kann ; L i n n e 's Pflanzensystem mit seinen 24 Klassen ist etwa einem Sammlungsschrank mit 24 P'ächern zu vergleichen, deren jedes nur Pflanzen mit be- stimmten, leicht wahrnehmbaren, der Blüte ent- nommenen Merkmalen enthält. Daß dieses System kein „natürliches" ist, daß vielmehr nahe verwandte Gattungen oft wegen einer geringfügigen Ab- weichung in der Zahl der Staubblätter in ver- schiedene F'ächer eingereiht werden müssen, das wußte und empfand Linne natürlich so gut wie seine Kritiker. In brieflicher Diskussion mit seinem berühmten Zeitgenossen (und — teilweise — wissen- schaftlichen Gegner).-\lbr echt v.Haller hatLinne denn auch die Berechtigung der Einwände H a 1 1 e r ' s gegen sein Pflanzensystem zugegeben, aber sich auf den Standpunkt gestellt, daß die Systematik in erster Linie der praktischen Übersicht über das Pflanzenreich zu dienen habe, und daß bei dem damaligen Stande der Kenntnisse der Versuch des Ausbaues eines natürlichen Systems verfrüht ge- wesen wäre. — Seither haben sich freilich der botanischen Systematik neue Wege und Ziele er- öffnet. Das Endziel ist: das (einzig natürliche) phylogenetische System, also den Stamm- baum des Pflanzenreiches, nach der natürlichen Blutsverwandtschaft, nach den vermutlichen genetischen Beziehungen der einzelnen Gruppen, aufzustellen. Wir betrachten die Pflanze nicht mehr nur als etwas Seiendes, sondern als etwas durch phylogenetische Entwicklung Ge- wordenes. — Wohl sind schon bald nach Linne Anläufe in der Richtung nach dem Ausbau eines natürlichen Pflanzensystems genommen worden; aber die Idee der Deszendenz, der Entwicklung des Höhern aus dem Niedrigen, lag jenen Forschern noch durchaus fern. Wenn z. B. der Genfer Bota- niker A. Pyr. deCandoIlein seinem berühmten, im letztenjahrhundert fast allgemein angenommenen Pflanzensystem die Ranunculaceen an den Anfang gestellt hat, so geschah dies in der Meinung, daß diese Gewächse die höchst entwickelte Gruppe des Pflanzenreichs darstellten, gerade wie in den älteren zoologischen Systemen (z. B. in demjenigen von Linne) der Homo sapiens an der Spitze marschiert. Der Evolutionsgedanke ist erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts populär und Gemeingut der Gebildeten geworden. Nun ist also das „phylogenetische System" zum Endzweck der modernen Syste- matik geworden, einem Endziel, von dessen end- gültiger Erreichung wir freilich noch weit entfernt sind. Auf dem Wege des Strebens nach diesem Ziele ist dem modernen Systematiker jedes Mittel recht. Neben dem äußerlich - morphologischen, durch die Anwendung des Mikroskops weiter aus- gebauten und vertieften Vergleich, der noch immer die Grundlage seiner Forschungsmethoden bildet, macht er sich die Errungenschaften aller möglichen Schwesterwissenschaften zunutze: Anatomie, Ent- wicklungsgeschichte, Physiologie, Biologie (im engern Sinne), Bastardierung, Pflanzengeographie (im weitesten Sinne) und andere mehr zieht er in den Dienst seiner Zwecke. Um nur einige Bei- spiele zu nennen : in den sehr natürlichen Familien der Cruciferen, Umbelliferen und Compositen, deren jede zwar für sich eine scharf nach außen abge- grenzte, einheitliche Gruppe bildet, deren innere Gliederung in natürliche Unterabteilungen aber gerade wegen des sehr einförmigen Blütenbaues auf große Schwierigkeiten stößt, wird zu diesem Zwecke in neuerer Zeit mit gutem Erfolge die Anatomie der Fruchtwand als Hilfsmittel heran- gezogen ; bei den einfach gebauten Kryptogamen, deren Vegetationskörper zu wenig differenziert ist, um als Grundlage der Systematik dienen zu können, beruht diese in der Hauptsache auf den entwick- lungsgeschichtlichen Verhältnissen (speziell den Fortpflanzungserscheinungen und dem Generations- wechsel), unter Umständen auch (z. B. bei den Bakterien) auf Stoffwechselvorgängen; und dem 450 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVil Nr. 3: Problem der Mutationen der Nachtkerze ( O^v/o/Z/f/'v/ Laiiiarckiana) hat man neuerdings auf cytologisch- karyologischem Wege (durch das Studium des Zellkerns und der Chromosomen) *) beizukommen gesucht. Zur kompletten Diagnose einer pflanz- lichen Spezies gehören längst nicht m.ehr nur die morphologischen Merkmale, sondern auch biolo- gische (speziell phänologische) Angaben. Übrigens finden wir schon bei Linne Anfänge solcher Forschungen. Wer sich die Mühe nimmt, die unter seiner Ägide entstandenen Dissertationen, als deren geistiger Urheber durchaus der „Praeses" und nicht der „Respondens" anzusehen ist, zu durchgehen, anstatt, wie dies meistens geschieht, das absprechende Urteil anderer über den großen Forscher kritiklos nachzuschreiben, der wird von der Mannigfaltigkeit der bearbeiteten Themata überrascht sein -) und sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß Linne ein offenes Auge für die Lebenserscheinungen der Pflanzen besaß und keineswegs der verknöcherte Systematiker war, als der er gewöhnlich dargestellt wird; frei- lich war bei seiner speziellen hohen Begabung die Systematik sein eigentliches, prädestiniertes Arbeits- feld, dem es seine ganze Zeit und Kraft widmete („Deus creavit, Linnaeus disposuit 1"), während er die Betätigung auf dem biologischen Gebiete seinen Schülern überließ. — Von Bedeutung für die mo- derne Systematik ist ferner auch das geographische Areal der systematischen Einheiten verschiedenen Grades (Familien, Gattungen und Arten und ihrer Unterabteilungen). Bezüglich der Verbreitung der Arten haben sich die Floristen bis vor kurzem einer schweren Unterlassungssünde schuldig ge- macht dadurch, daß sie nur die Verbreitung in ihrem lokal begrenzten Gebiete, nicht aber die Gesamtverbreitung der Arten angaben, was in Laienkreisen oft zu vollständig irrtümlichen Vor- stellungen über die absolute „Seltenheit" oder „Häufigkeit" führen mußte. Viele Arten, die die Schweizerfloren als „sehr selten" bezeichnen, be- sitzen ein sehr weit ausgedehntes, über mehrere Kontinente sich erstreckendes Areal und sind gleichsam nur „zufällig" bei uns so spärlich ver- treten; umgekehrt sind einzelne in unserem Lande allgemein verbreitete Spezies Endemismen von Mitteleuropa, die oft schon wenig außerhalb unserer Landesgrenze am Ende ihrer Verbreitung angelangt sind. Neuern Datums ist auch die Erkenntnis, daß die geographische Sonderung in Pflanzen- (wie im Tier-)reich neue Formen erzeugt. Es ist das Verdienst der von Richard v. Wettstein be- gründeten WienerSchule, das geographische Moment in der Systematik in seiner Bedeutung richtig er- kannt und gewürdigt und die „geographisch-mor- phologische Methode" in mehreren sorgfältig aus- ') Vgl. z. B. neuestens: Lotsy, J. P., L'Oenothtre de Lamarck (Oenothera Lamarckiana de Vries) consideree comme Chimäre nucleaire. Arch. neerland. Sc. ex. et nat. 3 B. III (1917), 324—350- *) Vgl. z. B.: Almquist, E., Linnii's Vererbungs- forschungen. Engler's Bot. Jalirb. LV (1917), I— 18. gearbeiteten Monographien praktisch durchgeführt zu haben. Allerdings gehen die Botaniker der j Wettstein 'sehen Schule nach dem Gefühl der 1 Anhänger des Linne-De Candolle-Briquet- schen Speziesbegriffes in der Wertschätzung des geographischen Momentes zu weit, wenn sie den geographischen Rassen (= Varietäten iin Linne- Briq u et' sehen Sinne) den Rang von Arten zu- erkennen und gar in Fällen von Inkongruenz zwischen den morphologischen und den geogra- phischen Merkmalen einer Pflanze den letztern die entscheidende Bedeutung zumessen. — Endlich besteht noch ein neuestes und sehr wichtiges, für die Zukunft vielversprechendes Hilfsmittel der Systematik in der „biologischen Eiweißdifferenzie- rung", der Ermittlung der Blutsverwandtschaft von Tieren und Pflanzen mit Hilfe biologisch-chemischer Methoden (der sogenannten Serologie), auf die wir später an Hand von konkreten Beispielen zu sprechen kommen werden. Diese paar einleitend vorgebrachten Andeu- tungen mögen vorläufig genügen, um darzutun, daß der moderne Systematiker auch bei den Blütenpflanzen sich nicht mechanisch an das her- kömmliche Schema halten kann, sondern daß er bestrebt sein muß, von Fall zu Fall spezialisierend und individualisierend , alle möglichen sich er- öffnenden Hilfsquellen seinen Zwecken dienstbar zu machen, h'erner erwächst ihm die Pflicht, mehr und mehr die Resultate der phylogenetischen Forschung und Erkenntnis auch in der An- und Unterordnung der Formen zum Ausdruck zu bringen. Die Botaniker der österreichischen Schule führen alle morphologisch unterscheidbaren und auch geographisch mehr oder weniger ge- sonderten l'ormen als binär benannte, koordinierte Spezies auf (dazu konstruieren sie noch besondere schematische Stammbäume, die die genetischen Beziehungen der einzelnen Sippen zum Ausdruck bringen, und die an Kühnheit und Kompliziertheit nichts zu wünschen übrig lassen). Auf der anderen Seite stehen die Vertreter der synthetisierend- subsumierenden Methode (Ascherson und Graebner, Priori und Paoletti, Rouy, B r i q u e t), nach v.'elcher die Spezies (in erster Linie auf Grund des morphologischen Vergleichs und nach Maßgabe des Vorkommens und F"ehlens nicht hybrider Übergangsformen zu verwandten Sippen) sehr weit gefaßt und dann in komplizierter Weise in Unterarten, Rassen, Abarten usw. ge- gliedert werden. Zugegeben, daß auf diese Weise die Nomenklatur sehr schwerfällig') wird, so kommt doch sicherlich die phylogenetischen Be- ziehungen durch diese Methode am besten (schon im Namen) zum Ausdruck. Es ist gewiß bedauer- lich, daß unser Alpen-Vergißmeinnicht nicht mehr ') Ein Monograph der österreichischen Schule meinte, „Vater Linne würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, was man heute „binäre Nomenklatur" nennt". Mög- lich, aber ich glaube, er wUrde in nicht minder lebhafte Rot.ition um seine Längsachse geraten, wenn er sehen könnte, was man heutzutage „Spezies" nennt I Die „geographischen Arten" würden seineu Beifall sicherlich nicht finden. N. F. XVII. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 451 schlechtweg Myosotis alpestris, sondern M.pyrenaica var. alpestris heißt; damit wird eben zum Aus- druclc gebracht, daß unsere Alpenpflanze von einer nahe verwandten Sippe der Pyrenäen nicht spezi- fisch getrennt werden kann. Oder wenn der rot- blütige, rispige Garten-Fuchsschwanz Aniaraiitiis hybridu.s subsp. cniciifus var. paiiicidafus (statt A. paniciilatiis schlechtweg) heißt, so bedeutet dies, daß unsere Gartenpflanze, offenbar eine in der Kultur entstandene Form, vom systematischen Standpunkt lediglich eine Abart oder Rasse einer Unterart einer wildwachsenden Sippe darstellt. Weitere Beispiele für die Rückwirkung der phylo- genetischen Erkenntnis auf die Nomenklatur wird uns gerade die Systematik unserer Getreidearten liefern. Damit mögen diese einleitenden Bemerkungen abgeschlossen sein. Ich habe es mir nicht zur Aufgabe gemacht, kursorisch alle modernen Hilfs- mittel und Forschungsmethoden der Systematik in der Theorie zu durchgehen — einige Andeu- tungen mögen genügen — , sondern vielmehr, an ein paar konkreten Beispielen ihre Anwendung in Detailfragen zu erläutern. Wenn ich zu diesem Zwecke unsere Getreidearten gewählt habe, so geschah dies einmal, weil ich eine gewisse Kennt- nis dieser Pflanzen und Verständnis und Interesse für sie wohl auch in einem weiteren Leserkreis voraussetzen darf, und sodann, weil die Getreide- arten als Kulturpflanzen von erstklassiger Wichtig- keit sowohl von Botanikern als auch besonders von landwirtschaftlicher Seite (in Versuchsstationen) in jeder Hinsicht (in ihrem morphologischen, öko- logischen, biologischen und physiologischen Ver- halten, in ihren Kreuzungen usw.) gründlich studiert worden sind, so daß sie zu den bestbekannten Pflanzen gezählt werden dürfen und sich infolge- dessen ganz besonders gut zur Demonstration der Hilfsmittel der Systematik eignen. I. Avena (sect. Euavena), Hafer. Die uns hier interessierenden Saat- und Wild- haferarten, deren phylogenetisch - systematische Beziehungen untersucht werden sollen, sind: a) Saathafer: A. safiva L. (Rispenhafer), A. Orientalis Schreb. (Fahnenhafer), A. strigusa Schreb. (Sand- oder Rauchhafer), A. brevis Roth (Kurzhafer) '), A. niida L. (Nackthafer) und A. byzantina C. Koch (= A. algerieiisis Trabut; Mittelmeerhafer). b)Wild- oder Flughafer: A. fatna \.. (der eigentliche, auch in IVlitteleuropa als Unkraut weit verbreitete Flughafer), A. barbata Pott (= A. hirsuta Mönch) und A. stcrilis L. (die beiden letzteren Arten im urwüchsigen Zustand auf das 1) Die verwandte ./. abyssinka Höchst, (abessinisclier Hafer) und ihre Wildform A. Wiistii Steud. mögen hier der Einfachheit halber übergangen werden; desgleichen diejenigen Wildhaferarten , aus denen bis jetzt keine Kulturrassen ge- züchtet worden sind. Vgl. hierüber meine Arbeit von 19U. Mittelmeergebiet und Südwesteuropa beschränkt, aber für uns als Wildformen von Saathaferarten wichtig). Zur Klarstellung der uns beschäftigenden Pro- bleme sei zunächst eine kurze historische Über- sicht über die Systematik der Haferarten der Sektion Euavena gegeben. — Linne und seine Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolger führten in ihren systematischen Werken die Saat- und Wildhaferarten koordiniert hintereinander, oft in bunter Reihe auf, off"enbar ohne sich über eventuelle phylogenetische Beziehungen zwischen einzelnen dieser Formen Rechenschaft zu geben; für sie bedeutete der Begriff" der Gattung ^[vciia off'enbar innerhalb des Linne' sehen Hauptschrankfaches der Triandria (Pflanzen mit 3-männigen Zwitter- blüten) einen kleinen Spezialbehälter, in den die einzelnen Arten regellos hineingeworfen wurden. So finden wir z. B. bei Willdenow (1798) fol- gende Anordnung: . . . A. brevis, A. alba Vahl, A. sfrigosa, A. orientalis, A. sativa, A. Forskaelei Vahl, A. niida, A. fatua, A. elephantina Thunb., A. sesqnitertia L., A. lutea L. f., A. temiis Mönch, A. piibeseens Huds., A. stcrilis . . . ., wobei also z. B. A. fatua und A. sterilis, zwei einander sehr nahestehende Arten, durch Angehörige anderer Sektionen [A. pubescois, unseren ausdauernden Wiesenhafer) oder selbst anderer Gattungen (A. tenuis, heute Ventenata dubia genannt) getrennt werden. — 1854 unternahmen die französischen Botaniker Cosson und Durieu den ersten Ver- such einer natürlichen Gruppierung der genannten Arten, indem sie sie auf zwei Subsektionen ver- teilten; als Einteilungsprinzip figurierte dabei die Gliederung der Blüten auf der Ährchenachse und die damit zusammenhängende schiefe bzw. wag- rechte Insertion des Blütengrundes: Subsekt. L Sativae (= Saathaferarten): Blüten auf der Ährchenspindel nicht oder nur ganz un- deutlich gegliedert, bei der Reife nur durch ge- waltsamen Bruch der Achse sich ablösend, die Bruchfläche klein, fast wagrecht, ziemlich flach, mit unregelmäßig gezackten Rändern ; Blüten kahl ; Grannen oft verkümmert bis fehlend. Subsekt. II. Agrestes (= Wildhaferarten): Blüten (mindestens deren unterste) auf der Achse deutlich gegliedert, bei der Reife sich leicht frei- willig ablösend, mit größerer, schief gestellter, schalenförmig vertiefter, glatt und wulstig um- randeter Abgliederungsfläche; Blüten meist rauh- haarig; Grannen kräftig, gekniet und unterwärts gedreht. — Diese Subsektion wird von Cosson und Durieu in zwei weitere Gruppen zerlegt: § I. Biformes: Blüten von zweierlei Art; nur die unterste Blüte eines jeden Ährchens ist von der Achse abgegliedert und löst sich bei der Reife freiwillig ab; die folgenden Blüten sind mit ihr durch ungeghederte Achsenstücke verbunden und trennen sich von ihr bei der Reife entweder gar nicht oder nur durch gewaltsamen Bruch. — § 2. Conformes: alle Blüten eines Ährchens be- züglich der Abgliederungsfläche sich gleich ver- 452 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 32 haltend, mittels einer gut ausgebildeten Abgliede- rungsfläche am Grunde sich freiwillig ablösend und mit dem über ihnen stehenden Stück der Ährchenachse einzeln ausfallend. Nach dieser älteren Gruppierung und Auffassung wären also die Saiivae unter sich und ebenso die Agrestes unter sich näher verwandt als mit irgend- einem Vertreter der anderen Subsektion, was in folgendem Schema zum Ausdruck gebracht werden kann ^) : nämlich auch bei dem Studium eines reichen Materials als in ihren trennenden Merkmalen merk- würdig konstant und trotz der gleichmäßigen Kulturbedingungen scharf geschieden (zweifelhafte Übergangsformen finden sich äußerst selten — zwischen A. strigosa und sativa sind mir über- haupt keine solchen zu Gesicht gekommen — und sind wohl auf Bastardierung zurückzuführen), während umgekehrt immer mehr Zwischenformen von den einzelnen Saathaferarten gegen ganz be- I. Sativae A. strigosa (inkl. brevis) A. sativa (inkl. orientalis), nuda A. byzantina 2. Agrestes A. barbata A. fatua A. sterilis Conforraes Biformes Diese Auffassung ist bis in die jüngste Zeit die herrschende geblieben. Sie wird in extrem konsequentester Weise durch die italienischen Floristen Fiori und Paoletti vertreten, die (1896) innerhalb der Sektion Euaveiia nur 2 Arten unterscheiden : I . A. sativa, welcher mit dem Range von Varietäten die sämtlichen Arten der Sativae '■') untergeordnet werden, 2. A. fatua (in erweitertem Sinne), die sämtlichen Wildhafer umfassend. Dieses Vorgehen ist nach unserer heutigen Auffassung — man entschuldige den unhöflichen Ausdruck zugunsten eines Wortspieles — Unsinn, aber im Unsinn ist doch wenigstens Methode, während die von Ascherson und Graebner (1899) vorgenommene Gruppierung, nach welcher die sämtlichen Saathaferarten ''') als Unterarten der A. sativa subordinieit werden, indes die Wild- hafer als getrennte Spezies figurieren, als — sit venia verbo — Unsinn bezeichnet werden muß, der zudem der Methode (d. h. der Konsequenz) ermangelt. Mit der Cosson-Durieu' sehen Gruppierung in die Sativae und Agrestes {Bifor- mes und Confon/ies) war wohl eine praktische, auf relativ leicht wahrnehmbare, morphologisch- biologische Merkmale begründete Einteilung der Sektion Eiiavena gegeben, nach der sich die be- kannten und die eventuell noch zu entdeckenden Vertreter leicht in 2 (bzw. 3) Abteilungen bringen ließen, und die mithin den Ansprüchen der älteren Systematik vollständig genügte. Nun mußten sich aber schon vom Standpunkte des morpholo- gischen Vergleichs Bedenken gegen diese Grup- pierung erheben. Die 3 Hauptarten der Sativae \A. strigosa, sativa und byzautitia) erweisen sich ') A. orienlalls ist nach der übereinstimmenden Auffassung der neueren Systematiker eine Abart (Rasse) von A. sativa und kann für die Zwecke der phylogenetischen Forschung (hin- sichtlich des Problems der Abstammung der A. saiiva) direkt in sie einbezogen werden. Im gleichen Verhältnis steht A. brevis zu A. strigosa. '■') A. byzantina, der MiUelmecrhafei, fehlt in diesen Be- arbeitungen, da er erst um 1910 in seiner systematisch-phylo- genetischen Bedeutung richtig erkannt wurde. stimmte Wildhaferformen bekannt wurden. So kennen wir heute eine ganze Stufenleiter von Formen, die die beiden auf den ersten Blick so verschieden erscheinenden extremen Sippen A. fatua und A. sativa lückenlos verbinden, und auch Rückschläge von A. sativa gegen A. fatua kom- men vor, ^) so daß eine spezifische Trennung un- möglich wird. Zugegeben, daß diese Übergangs- glieder teilweise Bastarde bzw. Rassenmischlinge sein mögen, so spricht doch ihre vollständige Fruchtbarkeit dafür, daß die Stammformen nicht spezifisch verschieden sind, und es bleibt min- destens höchst merkwürdig, daß Aveua sativa sich in den Haferäckern immer nur mit der nach der alten Auffassung von ihr spezifisch verschie- denen, ja selbst einer anderen Subsektion ange- hörigen .1 fatua kreuzen soll, nie aber mit der ihr bei oberflächlicher, rein morphologischer Be- trachtung sehr ähnlichen und nach der alten Theorie nächst verwandten yl. strigosa, die von älteren Forschern geradezu als die wilde Stamm- form des Saathafers betrachtet wurde. Es ist das Verdienst von C. Haußknecht, von 1885 an in einer Reihe von Mitteilungen auf die nahen ver- wandtschaftlichen Beziehungen zwischen A. sativa und A. fatua, deren letztere wir heute unbedenklich als die wilde Stammform der ersteren betrachten, nachdrücklich hingewiesen und damit auch die Unhaltbarkeit der Gruppen Sativae und Agrestes vom Standpunkte einer natürlichen Systematik dargetan haben. Haußknecht war es auch, der als erster bei anderen Wildhaferarten Übergangs- formen zum Sativa-Ty\i\iS feststellte. Da auch die übrigen, sogleich zu besprechenden Forschungs- ') Ja es ist nach Tschermak (bei Zade 1912 S. 75 und Tschermak 1914) selbst der eigenartige Fall beobachtet worden, daß an sonst normalen Pflanzen von Avena sativa einzelne „Körner" (d. h. bespclzte Scheinfrüchte), offenbar in- folge einer Kuospenmutation, zum Wildhafermerkmal zurück- schlugen und diese Eigenschaft in der Nachkommenschaft beibehielten, was jedenfalls auch sehr deutlich für die nahe — intraspezilische — Verwandtschaft von A, sativa und fatua spricht. N. F. XVII. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 455 methoden die Resultate der sorgfältigen morpho- logischen Untersuchung bestätigen, kommen wir zu folgender Schlußfolgerung: Die Gruppe Saiivac (C o s s o n und D u r i e u) ;= Sammelart A. sativa im Sinne von Körnicke, Fiori undPaoletti.Ascherson und Graebner ist keine systematisch- phylogenetische Einheit, sondern sie stellt ein Gemenge aus heterogenen Formen dar, die nur durch Konvergenz gemeinsame äußerliche (biologische) Anpassungsmerkmale von geringem phylogenetischem Alter in der Kultur angenommen haben. Agrcstes{y^\\di\\2.'itx) und Sativac (Saathafer) sind bloße Ent- wicklungsstufen, die von verschiedenen Einzelstämmen der Hafergattung in völlig analoger Weise, unter dem Ein- fluß gleichwirkender äu ßerer P^aktoren, aber ohne Beziehung zueinander, durch- laufen werden. Die ^S)?//i'rf-Merkmale werden in den vor- stehenden Leitsätzen als in der Kultur entstandene, biologische Anpassungsmerkmale bezeichnet. Betrachtet man nämlich diese Merkmale von einem moderneren als vom alten, rein morpho- logisch-klassifikatorischen Standpunkt, so erkennt man bald, daß die Unterschiede z. B. von A. sativa gegenüber A. fafna auf den Verlust der natürlichen Verbreitungsmittel der Früchte hinauslaufen. Der Zerfall des Ährchens bei der Reife in die einzelnen Blüten (durch spontanes Abgliedern derselben) und die Verbreitung der bespelzten Scheinfrüchte mittels der Grannen und der rauhen Haare, wie dies bei der Wildform A. fatiia stattfindet, waren für die Bedürfnisse des Menschen ungünstig, da sie einen bedeutenden Körnerverlust bei der Reife zur Folge hatten. Nichts liegt daher näher als die Annahme, daß der Mensch durch Sele ktion in der Kultur — ursprünglich ist wohl der Flug- hafer als solcher angebaut worden — Sorten mit zäher (sich nicht mehr zergliedernder) Ährchenspindel herangezüchtet hat. Und zwar braucht diese Auslese durchaus nicht etwa geflissentlich geschehen zu sein — es hieße doch von den botanischen Kenntnissen der Pfahlbauer und anderer Urvölker eine gar zu hohe Meinung haben, wollte man ihnen derartiges zutrauen 1 — , sondern es ist auch eine unbewußte Auslese sehr wohl vorstellbar, etwa auf folgende Weise: wenn in einem Wildhaferbestand einzelne Indi- viduen mit zäher Ährchenspindel auftraten, so war bei diesen naturgemäß der Körnerverlust bei der Reife geringer; ihre Scheinfrüchte wurden dementsprechend vom Menschen bei der Ernte unabsichtlich in relativ großer Zahl eingesammelt und zur Nachzucht verwendet, und diese jedes Jahr sich wiederholende, unwillkürliche numerische Bevorzugung der Sativa-Yoxm. konnte im Laufe der Generationen zur Heranzüchtung einer konstanten Rasse mit fixierten .i(7//rv7-Merkmalen führen, während die für den Menschen ungeeignete Arrestes Form mehr und mehr aus den Kulturen verschwand. Ganz analoge Verhältnisse treffen wir ja auch bei fast allen anderen als Körner- früchte kultivierten Getreidearten : Weizen {Trilicum), Roggen {Secalc), Gerste [Ilürdcinii), Kolbenhirse {Sefaria ifalica), Reis {Oryza sativa. Sorgho {Andropogon SorgJiuiii), Mais (Zca Mays)\ stets zeichnen sich die Kulturrassen (wenigstens die hochgezüchteten unter ihnen) vor den ent- sprechenden Wildformen durch zähe Blütenstands- achsen und die damit zusammenhängenden korrelativen Veränderungen aus, und in über- einstimmender Weise treffen wir bei den älteren Schriftstellern stets eine Überschätzung dieses für die Praxis ja allerdings höchst wichtigen Merkmales für die Systematik an, indem die Kulturrassen als eigene Arten aufgefaßt und be- schrieben wurden, während wir ihnen vom Stand- punkt der phylogenetischen Systematik nur den Rang von Unterarten zuerkennen können. Wir haben es also bei diesen Kulturformen mit Bildungen zu tun, die vom Standpunkte des Menschen nützlich und zweckmäßig, vom Stand- punkte der Pflanze jedoch höchst unzweckmäßig, ja geradezu verhängnisvoll organisiert sind, da sie der natürlichen Verbreitungsmittel det Früchte verlustig gegangen sind. Und so ist es auch keineswegs verwunderlich, daß kein einziger Saathafer im wildwachsenden Zustand bekannt ist oder sich auch nur im verwilderten Zustand (als Kulturflüchtling) irgendwo dauernd zu halten vermag ; in der freien Natur dem Konkurrenzkampf überlassen, müssen die Kulturformen in kurzer Zeit aussterben, einzig im Bereiche der Pflege durch den Menschen, der die Aussaat ihrer Samen übernimmt, sind sie auch ohne eigene Ausstreu- vorrichtungen existenzfähig. Noch weiter als die gewöhnlichen Saathaferarten {A. sativa, strigusa und hyza)itiiia) ist A. iiiida (der Nackthafer) im Sinne der Bedürfnisse und Wünsche des Menschen spezialisiert: sie hat nicht nur die Verbreitungs-, sondern auch die natürlichen Schutzmittel der Früchte (Körner) verloren, da bei ihr die Blüten- spelzen bei der Reife nicht von derblederiger Beschaffenheit sind und die Früchte nicht fest einschließen (die Körner der gewöhnlichen Saat- haferarten müssen, um z. B. für menschliche Ernährung verwendet werden zu können, erst geschält werden), sondern eine dünnhäutige Konsistenz besitzen, bei der Reife klaffen und die Körner nackt (unbeschalt) ausfallen lassen. Die Deckspelzen sind gleichsam vergrünt, in ihrer Textur den Hüllspelzen sehr ähnlich; wir haben es daher vielleicht mit einer Mutation im Sinne eines Atavismus zu tun (Rückschlag zu einem primitivem, nicht im Sinne einer Schutzfunktion für die Früchte spezialisierten Blatt-Typus?). In A. iiiida, die gleichsam eine monströse Weiter-, bildung der A. sativa darstellt, hat die Hafer- gattung die den Nacktweizen und -gersten analoge- Organisationsstufe erreicht. Es liegt auf der 4S4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 32 Hand, daß hier erst recht eine für den Kampf ums Dasein völlig untaugliche Form vorliegt, die sich nur unter dem Schutze und der Pflege des Menschen zu erhalten vermag. Nachdem wir die Unhaltbarkeit der alten systematischen Einteilung der Sektion Eiiavciia, speziell der Zweiteilung in die Gruppen Safivac und Agresfcs, erkannt und dargetan haben, gilt es, an ihre Stelle etwas Besseres zu setzen und in erster Linie für jeden Staathafer die zugehörige Wildform zu ermitteln. Befinden wir uns doch bei der Gattung Avoia in der glücklichen Lage, eine größere Zahl von heute noch lebenden Wildformen zu kennen, die zudem meistens weit verbreitet und leicht zu beschaffen sind, während z. B. bei Weizen und Gerste nur spärliche Wildformen heute noch lebend vor- kommen und die Stammformen des Spelzes und der mehrzelligen Gersten, wie wir später sehen werden, anscheinend bereits ausgestorben sind. Avena fatiia ist in Mitteleuropa als Unkraut weit iniiiB \vy llil Abb. I. Übergangsreihe (von links nach rechts, die zweite Zeile an die erste anschließend) von Arena fatua (Flughafer) zu A. sativa (Saathafer) durch jVerschwinden der Behaarung (und Begran- nung) der Blüten und Rudiraentärwerden der Artikulation (die 3 Hauptstadien der letztern an dem zwischen den Hüllspelzen stehenbleibenden Stück der Ährchenachse sind in den Detail- bildern 1-3 dargestellt). Nach Zade (1—3 nach Haußknecht). verbreitet; A. barbata und sfcrilis, die Wildformen der beiden anderen Saathafer-Hauptarten, konnte man in normalen Zeiten auf jeder Mittelmeerreise in Menge sammeln. Wer sich noch während der Dauer des gegenwärtigen Weltkrieges, der leider derartigen Forschungreisen einen Riegel steckt, ein reichhaltiges Hafermaterial verschaffen will, der riskiere eine Exkursion in die gesegneten Gefilde des — Zürcher Güterbahnhofes, in dem alljährlich fast die sämtlichen uns hier inter- essierenden Hafersippen (ausgenommen etwa A. Jiitr/a) in reicher Zahl und großer Formen- mannigfaltigkeit bunt durcheinander wachsen. Zur Ermittlung des phylogenetischen Anschlusses eines jeden Saathafers an eine bestimmte Wildform werden wir nun die einleitend erwähnten Hilfsmittel der modernen Systematik der Reihe nach anwenden. I. Die Morphologie. Eine von Alphonse de Candolle, dem großen Pflanzengeographen, der sich auch um die Erforschung des Ursprungs der Kulturpflanzen hohe Verdienste erworben hat, aufgestellte Regel besagt, daß man bei der Er- mittlung der Stammform einer Kulturpflanze von denjenigen Merkmalen, die für den Menschen ganz besonders günstig sind, absehen und eine Form suchen muß, die nach Abzug dieser offenbar erst in jüngster Zeit (unter dem Einfluß der Kultur) erworbenen Anpassungsmerkmale in ihrer Organi- sation in möglichst weitgehendem Maße mit der Kulturpflanze übereinstimmt. Dies trifft z. B. durchaus zu für das Verhältnis zwischen A. safwa und fatua, deren erstere sich von der letzteren in der Hauptsache nur durch das Gruppen- merkmal der Safivac (festsitzende, kahle Blüten) unterscheidet und mit ihr außerdem, wie bereits angedeutet, durch eine lückenlose, gleitende Reihe von Zwischenformen verbunden ist, wie dies Abbildung I zeigt: in der obern und (an- schließend) in der unteren Reihe von links nach rechts fortschreitend, sehen wir, wie die Arti- kulationsfläche am Grunde der Blüte immer kleiner, unregelmäßiger umrandet und horizontaler wird (die beigegebenen Detailbilder i, 2 und 3 illustrieren speziell die 3 Hauptphasen dieser retrogressiven Entwicklung, die zum Rudimentärwerden der Arti- kulation führt), während gleichzeitig auch die rauhe Behaarung und die Begrannung der Deckspelzen mehr und mehr — zuletzt vollständig — ver- schwinden. — Avoia barbata unterscheidet sich von A. fatua leicht durch die — außer der Rücken- granne — an der Spitze in 2 deutliche, schlanke und verlängerte Grannenspitzen auslaufende Deck- spelze und eine noch steiler gestellte, sehr schmale Artikulationsfläche am Grunde der Blüten, A. ste- rilis dagegen fast lediglich durch das Merkmal der „Biforuics": nur die unterste Blüte eines jeden Ährchens ist auf der Achse gegliedert (mit steiler, schmaler ') Abgliederungsfiäche), die übrigen Blüten sind mit der ersten und untereinander durch un- gegliederte Achsenstücke fest verbunden und fallen bei der Reife mit ihr zusammen in einem Stück aus den Hüllspelzen heraus. Bezeichnender- und entscheidenderweise kehren diese nämlichen Merk- male auch bei der Unterscheidung der 3 Saathafer- Hauptarten in völlig analoger Weise wieder: A. strigosa unterscheidet sich von A. sativa durch ') Der Typus der A. sterUis L. (die Unterart macrocarpa [Mönch] Briq.) unterscheidet sich von A. fatua, abgesehen von dem verschiedenen Artikulationsmodus, durch bedeutend größere Ährchen und durch eine steiler gestellte und schmälere Artikulationsfläche der untersten Blüte, während die Unterart I.udoviciatta (Dur.) A. et G., von der vielleicht gleichfalls eine Saathaferform [A. bytanthm f. pseudo-sativa Thell. f) abstammt, in der Größe der Ährchen und in der Form der Artikulations- fläche fast völlig mit A. fatua übereinstimmt. N. F. XVn. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 455 die nämlichen Grannenspitzen der Deckspelzen, die A. barbata vor A.fatiia auszeichnen, und außer- dem durch eine kurz stielförmige Verlängerung des Internodiums der Ährchenachse zwischen den Hüll- spelzen und der untersten Blüte, deren Ausbildung vielleicht mit der besonders schmalen und steil- gestellten Artikulation der A. barbata in ursäch- lichem Zusammenhang steht ; A. byzaiifina weist den Bi/üniifs-C\\Axakt.Qr der A. stcrilis, wenn auch in abgeschwächtem Maße, so doch in noch immer deutlich erkennbarer Form auf und unterscheidet sich dadurch sowohl von A. sativa wie von A. sfri- gosa in gleicher Weise wie A. sterüis von A.fatna und von A. barbata. Es sei mir gestattet, auf diese letzteren Verhältnisse, deren Erkenntnis und richtige Deutung und Wertschätzung, die wir Prof. Trabut (1910)') verdanken, nach meiner Meinung einen Triumph der exakten vergleichend- morphologischen Forschung darstellen, an Hand der nebenstehenden Textfiguren näher einzutreten. '^€\Avtiia sativa (Fig. 2, 1 — 4) weisen alle Blüten in gleicherweise am Grunde eine rudimentäre Artiku- richteten, an seiner Spitze die rudimentäre Bruch- fläche der Artikulation der zweiten Blüte tragenden Stäbchens auf (Fig. i, die i., 2. und 5. Scheinfrucht der unteren Reihe; Fig. 2, 2). Anders verhält sich A. byzaiitina: die Artikulationsfläche am Grunde der untersten Blüte ist zwar kleiner und weniger steil gestellt als bei der Wildform A. sterüis (letztere siehe Fig. 3, I— 2), aber etwas weniger rudimentär als bei A. sativa (die bespelzten Körner fallen im Zustande der Überreife zuweilen spontan aus und müssen daher zur Vermeidung von Verlusten frühzeitig geerntet werden) •) und, ■ entsprechend der sehr steil ge- stellten Artikulation von A. sierilis (Fig. 3, i), etwas stärker (ca. 45") geneigt (Fig. 3, 6). Das Unterschied im Artikul; und A. hiiMuüaa (5- Abb. 2. lionsmodus von Avenu stit'wa (i- -8); vgl. den Text. Nach Trabi lation auf, die zwar nicht mehr spontan funktioniert, aber doch eine schwache Stelle bildet, so daß bei der gewaltsamen Trennung der Blüten beim Dreschen der Ernte der Bruch der Ährenachse stets an einer genau präformierten Stelle, nämlich an der Spitze eines jeden Internodiums (also am Grunde jeder Blüte) erfolgt. Die unterste Blüte weist daher nach ihrer Abtrennung am Grunde eine unter ca. 30" geneigte Abgliederungsfläche (Fig. I, 3; Fig. 2, i) und auf der Ventralseite das ganze folgende (zwischen der ersten und der zweiten Blüte gelegene) Internodialstück in der Form eines fest mit ihr zusammenhängenden, aufwärts ge- ') Trabut, Dr. L., Contribution ä l'etude de l'origine des Avoines cultivees. Bull, agric. Alger. Tunis, lö» annee (1910), 353 — 363, 5 Fig. — Jd., Observations sur l'origine des Avoines cultivees. IVe Confer. Internat, de Genetique, Paris 191 1 (1913). 336—346, 10 Fig. -Artikulation der untersten Blüte bei Avemi sleriUs (l — 2) und A. bijzantina (3—6). Nach Trabut. Internodialstück der Ährchenachse zwischen der ersten und der zweiten Blüte weist (wie bei .1. stcrilis) keine Spur einer Artikulation auf, sondern verdickt sich gleichmäßig vom ') An einer erst 1917 beobachteten Form (jnAW/w/waThell.) ist die Artikulation völlig rudimentär, die unterste Blüte daher gänzlich festsitzend geworden, und das gegenüber der typischen A. bytantina etwas verlängert und schlanker erscheinende (in dieser Hinsicht sich der A. strigosa nähernde) Internodium zwischen den Hüllspelzen und der untersten Blüte bricht bei gewaltsamer Trennung der Blüten in seinem untern (dünnen) Teil an einer nicht präformierten Stelle unregelmäßig quer durch. Die Stelle der ehemaligen (jetzt durch feste Verwach- sung der Glieder völlig funktionslos gewordenen) Artikulation gibt sich jedoch noch immer in der Form einer unter 45° ge- neigten Demarkationslinie zwischen dem unteren, grünlich gefärbten und dem oberen, mehr gelblich oder bräunlichen Teil des Internodiums zu erkennen und unterscheidet so diese Form von A. saliTti, deren (rudimentäre) Artikulationsfläche nur etwa unter 30" geneigt ist. 456 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 32 Grunde nach der Spitze und bricht beim Dreschenim unteren(dünnen)Teilan einer beliebigen Stelle c^uer durch und bleibt folglich mit der darüber- stehenden Blüte in der Form eines kürzeren oder längeren, nach abwärts gerichteten Fortsatzes (Fig. 2, 7 — 8) verbunden. Die Unterscheidung von ^L safiva und , /. byzinifiiia, deren trennende Merk- male bis in die jüngste Zeit von den Systematikern übersehen und verkannt wurden, ist mithin selbst an gedroschenem Saatgut durchführbar. — Wir konnten also feststellen, daß jede Saathafer- art, trotz des nivell ierenden Einflusses der Kultur, neben den bei allen drei Arten in analoger Weise neu erworbenen Anpassungsmerkmalen der Gruppe Saiivae die charakteristischen Organ isations - merkmale ihrer wilden Stammform in deutlich erkennbarem Maße beibehalten hat, so daß schon auf dem Wege des sorgfältigen morphologischen Vergleichs der phylogenetische Zusammenhang der einzelnen Wild- und Kultur- formen mit ziemlicher Sicherheit erkannt werden kann. 2. Bastardierung. Während diesem Zweige der experimentellen Forschung für die Ermittlung des Stammbaumes der Weizengattung, wie später zu zeigen sein wird, eine große Bedeutung zu- kommt, sind der Gattung Avciia die Resultate höchst dürftig. Bisher ist aus der Literatur nur zu erfahren, daß nach den Beobachtungen von Tschermak ^ivciia fafiia (und ebenso ^L stc- rilis) sich leicht mit allen Kulturhafern kreuzen läßt und fruchtbare Nachkommenschaft liefert. Leider läßt das mir bisher einzig zu Gesicht ge- kommene kurze Referat (Zeitschr. f. Bot. IX, Heft 10/12 [1917], 604—606) über Tschermak's Arbeit nicht erkennen, ob unter den verschiedenen „Kulturhafern" nur Formen von ^i. sa/iva (inkl. ürieiitalis) oder auch A. sfrigusa und . /. hyzaiitiiia verstanden sind. Daß die Bastarde zwischen ^L sfen'lis und ^l. sa/iva gut fertil sind, ist nicht all- zusehr verwunderlich, wenn man bedenkt, wie nahe verwandt A.faliin und A. sfcrilis sind, und daß zwischen diesen beiden Arten auch spontane Bastarde (. i. ciiliybrida Haußkn.) angegeben worden sind; ebenso läßt die vermutungsweise als spontan entstandener Bastard von ^\. byzaiiiina und sativa angesprochene A. Tnibiifinna Thell. ') keine ge- schwächte Fruchtbarkeit erkennen. Dagegen würde ich a priori eine solche bei Bastarden zwischen A. barba/a oder sfrigosa einerseits und den übrigen 4 Arten andererseits erwarten. 3. Pflanzengeographie. Wennschon die Pflanzen im Zustande der Domestikation ihre Lebensgewohnheiten oft bedeutend ändern, so gibt es doch auch wieder Fälle, wo die Kultur- rassen die Ansprüche ihrer Stammpflanzen an Klima, Boden usw. mehr oder weniger deutlich beibehalten. So bei Avciia. A. fatua ist eine ost- europäisch-westasiatisch-nordafrikanische Steppen- ') in Fedde Repert. spec. nov. XIII (1913), 53. pflanze, die (entgegen einer landläufigen, aber durchaus irrigen Meinung!) im eigentlichen Mittel- meergebiet (außer Ägypten) durchaus fehlt; offen- bar benötigt sie, wie die einjährigen Steppen- pflanzen im allgemeinen, einer Samenruhe bzw. einer Frostwirkung auf die Samen im Winter (der günstige Einfluß der letzteren auf die Keimung der Samen ist für A. fatua sogar direkt experi- mentell nachgewiesen !) ^) und vermag daher den allzu milden Winter des Mittelmeergebietes nicht zu ertragen. Ihre Kulturrasse A. sativa (ein- schließlich des monströsen Abkömmlings A. iiiida) ist denn auch der im extramediterranen Europa (besonders in seinem kontinentalen Teil), wie auch in Asien, dominierende Saathafer und findet sich bezeichnenderweise außerdem im nordafrikanischen Steppengebiete (also im Areal der A. fatua). Avoia stcnli's ist eine ausgesprochene Mediterran- pflanze, und auch ihr Abkömmling A. byzaiitiiia., mit Recht der „Mittelmeerhafer" genannt, findet sich in der Kultur fast ausschließlich im Medi- terrangebiete. Avoia barbata endlich ist gleich- falls im Mittelmeergebiete weit verbreitet, gedeiht aber auch an der Atlantischen Küste von West- europa; A. strigosa, ihre Kulturrasse, bevorzugt in ihrer Verbreitung offenkundig den atlantischen Teil von Europa (offenbar dank seinem milden, schneereichen Winter). Man wird sich fragen müssen, warum A. strigosa nicht auch, so gut wie ihre Stammform A. barbata, im Mittelmeer- gebiet gedeiht. Eine plausible Erklärung kann man vielleicht darin finden, daß im Mediterran- gebiet, wo A. stcrilis und A. barbata in Menge nebeneinander wachsen, der Mensch stets der großfrüchtigen und daher ertragreichern A. stcrilis den Vorzug gegeben und aus ihr die ebenfalls großkörnige A. byzaiitina herangezüchtet hat, während er die schmächtige und kleinkörnige .i. barbata verschmähte; an der atlantischen Küste von Südwesteuropa dagegen, wo ._/. barbata der sozusagen einzige im urwüchsigen Zustand ge- deihende Wildhafer ist, gelangte sie als Hahn im Korbe zu Ansehen und Bedeutung und konnte sich in der Kultur in . /. strigosa umwandeln. Wir konstatieren also : wenn die pflanzengeographischen Verhältnisse auch die angenommenen genetischen Beziehungen zwischen den einzelnen Wild- und Saathaferarten vielleicht nicht in so eklatanter und eindeutiger Weise bestätigen, wie wir dies etwa wünschen möchten, so stehen sie doch aller- mindestens nicht im Widerspruch zu der Theorie. 4. Die Serologie. Die Serumdiagno- stik oder die biologische Eiweißdiffe- renzierung ist eines der modernsten I lilfsmittel der Systematik, das, nach den bisherigen, vielver- sprechenden Resultaten zu urteilen, eine große Zukunft vor sich hat. Von den verschiedenen Arbeitsmethoden sei hier nur die sogenannte Präzipitinmethode^) als die einfachste und Vgl. A. /.ade, Der Flughafer (1912), 21. Über andere Methoden, sowie über die Begriffe Agglu N. F. XVn. Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 457 laichtest verständliche kurz skizziert, wobei — es sei dies ausdrücklich bemerkt — in der Dar- stellung mehr Gewicht und Wert auf Anschau- lichkeit und Einfachheit als auf absolute wissen- schaftliche Richtigkeit gelegt werden soll. Wird einem Tier eine Lösung von artfremdem Eiweiß — entstamme es einem anderen Tier oder einer Pflanze — in die Blutbahnen injiziert, so wirkt es daselbst als Gift, das zur Bildung eines Gegengiftes (Anti- toxins) führt, das seinerseits bestrebt ist, das Eiweiß aus der Lösung auszufällen („Präzipitin") und dadurch unschädlich zu machen. Um nun ein so kompli- ziertes Gebilde wie ein Eiweißmolekül an seiner schwachen Stelle zu fassen und — ohne tiefgehende chemische Veränderung — aus der Lösung aus- zufällen, dazu bedarf es eines ganz spezifisch organisierten Präzipitins, das gleichsam das„Negativ" des Eiweißmoleküls darstellt oder reziproke Eigen- schaften (gleich einer Gußform oder Matrize) be- sitzt, gerade wie ein kompliziert gebautes Schloß nur durch einen einzigen, eigens konstruierten Schlüssel geöffnet werden kann. Der Tierkörper kann nicht ein einziges Universal-Antitoxin gegen sämtliche Eiweißarten produzieren — dieses würde ja auch sein eigenes Eiweiß niederschlagen — , sondern er muß in jedem Fall, je nach der Natur der künztlich eingeführten Eiweißsubstanz, ein be- sonderes Antitoxin produzieren, das im Blutserum enthalten ist und durch Entzug desselben aus dem Tierkörper im Reagenzglas der experimentellen Beobachtung zugänglich gemacht werden kann. Diese Fähigkeit des Tierkörpers nun, unendlich viel feiner als der Chemiker dies mit seinen ver- hältnismäßig rohen Arbeitsmethoden tun kann, nahe verwandte Eiweißarten, die dem Chemiker als identisch erscheinen, zu unterscheiden und in spezifischer Weise darauf zu reagieren, macht sich der moderne Systematiker in raffinierter Weise zunutze zur Ermittlung der nähern oder entferntem Blutsverwandtschaft der Organismen. Nehmen wir an, einem Kaninchen sei beispielsweise Erbsen- eiweiß in die Blutbahn injiziert worden, so wird das Blutserum, das wir nach einiger Zeit dem Tier entnehmen, das spezifische Erbsenpräzipitin ent- halten. Wir prüfen nunmehr das Verhalten des letzteren im Reagenzglas gegenüber verschiedenen pflanzlichen Eiweißarten. Mit einer Lösung des (homologen) Erbseneiweißes wird ein starker Nieder- schlag aus gefälltem Eiweiß entstehen, mit Wicken- oder Linseneiweiß vielleicht nur noch eine schwache Fällung, mit Bohneneiweiß nur noch eine Trübung, mit dem Eiweiß fernerstehender Pflanzen (etwa einer Getreideart oder gar des Hefepilzes) wird gar keine sichtbare Reaktion mehr eintreten. Wir werden daraus die Bestätigung der landläufigen tinine, Bakteriolysine, Antitoxine, Präzipitine usw. vgl. : Dr. Fuhrmann, Impfung und Unempfänglichlieit (Immunität). Naturw. Wochenschr. N. F. XVII Nr. 2 (Jan. 1918), 17—22. — Erwin Janchen, Die Methoden der biologischen Eiweiß- differenzierung in ihrer Anwendung auf die Pflanzensystematik. Mitteil. Naturw. Ver. Univ. Wien .\I (1913), I — 21. — H. Miehe in Naturw. Wochenschr. N. F. XV (1916), Nr. 44, 631—633- Auffassung der Systematiker entnehmen können, daß Erbse, Wicke und Linse nahe verwandt sind, daß die Bohne, die zwar der gleichen Familie, aber einer anderen Unterfamilie angehört, den ge- nannten Gattungen ferner steht, und daß Gräser und Pilze zu den Hülsengewächsen keine nahen blutsverwandtschaftlichen Beziehungen aufweisen. Es ist nun in neuerer Zeit diese biologische Eiweißdifferenzierungsmethode in dem Maße ver- vollkommnet und verfeinert worden, daß sie nicht mehr nur über den Verwandtschaftsgrad größerer Gruppen (Klassen, Reihen, Familien und Unter- familien) Auskunft geben, sondern mit Vorteil selbst für die Ermittlung der phylogenetischen Beziehung zwischen den Einheiten niedrigster Ord- nung, den Arten und ihren Unterabteilungen, verwendet werden kann. Speziell für die Hafer- (und die Weizen-) gattung sind die entsprechenden Untersuchungen von Zade in Jena ausgeführt worden. Es ergaben sich folgende Resultate : Arena sntiva und fatua zeigen eine sehr weit- gehende Eiweißverwandtschaft und damit deutlich einen nahen phylogenetischen Zusammenhang. Ein erheblich größerer Abstand zeigt sich zwischen diesen beiden Arten einerseits und A. strigosa oder . i. hyzaiitiiia andererseits, und zwar reagieren die Sera von A. fn/i/a oder . /. safiva genau gleich stark mit den beiden anderen Arten, er- weisen sich folglich als völlig gleichwertig; - /. h\'zaiifi)ia reagiert etwas stärker mit dem Stamme .7. faliKi-safiva als A. strigosa. Es ergibt sich also, daß A. byzaiifii/a und .i. sfrigosa einem anderen Stamme angehören als ^ i. fatua und . /. sativa, und daß . /. strigosa trotz ihrer bei ober- flächlicher Betrachtung großen Ähnlichkeit mit ,J. satir'a, entgegen einer gelegentlich geäußerten Theorie, als Stammpflanze der letzteren nicht mehr in Betracht kommen kann. Gleichzeitig wird damit auch die Unhaltbarkeit der beiden Cosson-Durieu' sehen Gruppen Coiifonncs und Bifunncs vom Standpunkte einer natürlichen Systematik dargetan, da der eine der beiden Ver- treter der Coii/oniii's (der Stamm A. fatua-sativa) dem Vertreter der Biformes {A. stcrilis-byzantinä) morphologisch und auch serologisch näher steht als dem anderen Angehörigen der eigenen Gruppe [A. barbata-strigosä). Dieses Resultat ist um so beachtenswerter, als es sich bei Zade durchaus nicht etwa um die Bestätigung einer vorgefaßten Meinung handelt. Vielmehr hatte sich dieser Forscher vorher über die neuere Theorie der Abstammung der Saathaferarten sehr skeptisch geäußert und die Ansicht bekundet, daß als Stammform von A. sativa mindestens ebensosehr die ihr nach seiner Anschauung morphologisch am nächsten stehende A. strigosa wie die auf den ersten Blick stärkei verschieden erscheinende A. fatua in Betracht komme. Wenn daher Zade durch seine serologischen Experimente etwas beweisen w^oUte, so war dies sicherlich gerade das Gegenteil von dem tatsächlichen Resultat, so daß an seiner Objektivität nicht zu zweifeln ist. 45» Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 32 Der genannte Autor will freilich die Verdienste der neuern morphologisch-systematisch-phylogene- tischen Forschung nicht anerkennen und meint, es sei mehr nur ein Zufall, daß die Serologie die Resultate der Botaniker, die vielfach von falschen Voraussetzungen ausgegangen seien, bestätige. Man erlaube mir, als Systematiker hierüber anderer Meinung zu sein. Ich stehe sogar nicht an, zu erklären, daß ich, wenn sich wesentliche Differenzen ergeben hätten, weit entfernt, die hier vorgetragene Theorie, deren Richtigkeit sich mir durch synthe- tische Forschung überzeugend aufgedrängt hat, fallen zu lassen, vielmehr den Spieß umgedreht und die Verwendbarkeit der Serologie für derartige systematische Detailfragen angefochten hätte. Nun, glücklicherweise war es gar nicht nötig, diesen Streit zum Austrag zu bringen I (Schluß folgt.) Einzelberichte. Botanik. Ein Fall experimenteller Verschiebung der Geschlechtsverhältnisse. Zoologische und bota- nische Untersuchungen haben übereinstimmend dargetan, daß bei getrenntgeschlechtigen Formen die Geschlechtsbestimmung in der Weise erfolgt, daß das eine Geschlecht — in der Regel das Weibchen — nur eine Sorte von Keimzellen bildet, das andere dagegen zweierlei Arten, und zwar „Männchenbestimmer" und ,,Weibchenbestimmer" in gleicher Anzahl. Bei manchen tierischen Ob- jekten kann man den Unterschied zwischen beiden zytologisch nachweisen ; der eine Satz von Keim- zellen enthält das überschüssige „Geschlechts- chromosom". In der Praxis zeigt es sich allerdings häufig, daß das Verhältnis der Geschlechter nicht immer 1:1 ist. So fand Heger für das Bingel- kraut (Mercurialis annua) 100 $ zu 105,9 €\ seinen Untersuchungen über die Ermüdung zum Muster genommen. Verwandt wurden in beiden Versuchsreihen selbstbereitete Auszüge aus frischen Thymusdrüsen vom Kalb sowie ein Thymuspräparat des Handels, Thymoglandol Hoffmann-La Roche-Basel. In allen Fällen schrieb der zu prüfende Muskel in bekannter Weise die Ermüdungskurve auf eine Trommel auf; als Maß der Ermüdung dienten die Zuckungshöhen, die bei Anwendung gleicher (nur Öffnungs- oder nur Schließungsinduktionsschläge) , gleichstarker, in gleichen Zeitabständen von vier Sekunden ein- wirkender Reize erzielt wurden. Der Nervus ischiadicus war, wie sich von selbst versteht, ober- halb unterbrochen. Zeigte die Kurve den typischen Zustand der Ermüdung, so wurde die Versuchs- flüssigkeit, also der Thymusextrakt oder bei Kon- trollversuchen eine andere Flüssigkeit, eingespritzt, und das Ergebnis war ausnahmslos, daß nach kurzem weiteren Sinken der Zuckungsausschläge eine sichtliche Erholung des ermüdeten Muskels eintrat. H. Müller kommt durch ihre Frosch- versuche zu dem Schlüsse, daß Einspritzung frischen Thymusextraktes oder Thymoglandols die Muskelermüdung im günstigen Sinne beeinflußt. Die Wirkung tritt nur dann ein, wenn die Ermüdung nicht zu hochgradig ist; hieraus folgt der Schluß, daß der Angriffspunkt der Wirkung die Übergangsstelle zwischen Nerv und Muskel ist. DieWirkung kann sich entweder in einem Wiederaufstiege der Zuckungs- höhen oder einer langandauernden Verzögerung des P'ortschreitens der Ermüdung äußern. Durch Kontrollversuche ergab sich, daß die Wirkung eine spezifische ist, denn Pituglandol (Hypophysen- extrakt), Ringer'sche Lösung usw. wirken nicht 462 NatUiwissenschafUiche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 32 auf die Ermüdung ein. Diesen durch H. Müller gewonnenen Ausblick hat d e 1 C a m p o etwas er- weitert. Seine Versuche am Säugetier zeigten, daß in besonders günstigen Fällen das innere Sekret der Thymusdrüse die Ermüdung vollkom- men aufheben konnte ; die M ü 1 1 e r ' sehe Vermutung über den Ort der Einwirkun.g konnte er bestätigen ; der Angriffsort ist das motorische Nervenendorgan ; die Ermüdung der kontraktilen Substanz selbst läßt sich durch Thymusextrakt nicht beeinflussen. Del Campo hält es für möglich, die Wirkung des inneren Sekretes der Thymusdrüse in der Heil- kunde auzuwenden. Am stärksten ist die Wirkung frischbereiteten Thymusextraktes. Einige ältere Beobachtungen lassen sich jetzt aus dem Fehlen des inneren Sekretes der Thymusdrüse erklären: die meisten Forscher haben bei thymuslosen Ver- suchstieren IVIvasthenie beobachtet, Matti sogar Atrophie mit Übergängen zu degenerativer Muskel- atrophie. H. P. Über Lokalisationsversuche am zentralen Nerven- system der Raupen und Falter berichtet Stefan Kope(-~Zool. JahrbT Abt.^Phys. Bd. 36, 191 8. Kopec beobachtet die Ausfallserscheinungen nach operativer Entfernung des Gehirns (ganz oder nur einseitig), des Unterschlundganglions oder eines Ganglions der Bauchkette. Die Wunden verheilten sehr gut, so daß die operierten Raupen sich oft zu normalen Puppen und Faltern verwandelten. Irgendwelche Regeneration am Zentralnerven- system konnte K. nie beobachten, nicht einmal wenn nur die Längskonnektive der Bauchkette irgendwo durchschnitten waren. Daher brauchte er die Falter selbst nicht zu operieren, sondern beobachtete deren Ausfallserscheinungen an im Larvenzustand operierten Tieren. K. hat nun die Koordination der Bewegungs- weise bei Raupen und Faltern eingehend analysiert, indem er die Tiere über berußtes Papier kriechen bzw. schreiten ließ und die Spuren untersuchte. So konnte er verschiedene Typen der normalen Bewegungsweise aufstellen. Enthirnte Raupen und Falter können noch normal kriechen bzw. schreiten und fliegen. Erst die Entfernung des Unter- schlundganglions hat bei der Raupe Ausfall jeder koordinierten Beinbewegung zur Folge; hier muß also ein Zentrum für diese Bewegung liegen. Dasselbe gilt aber nicht für Falter, wo ein be- sonderes Zentrum für Koordination der Bewegung nicht gefunden wurde. Die Larve zeigt sich also in dieser Beziehung höher differenziert als dielmago, wie das Deegener an verschiedenen anderen Organen der Insekten auch schon nachgewiesen hat. Der Einfluß des Oberschlundganglions geht also nicht auf die Bewegungsfähigkeit, dagegen sehr wohl auf ihre Lebhaftigkeit. Enthirnte Tiere sind träge, bewegen sich selten spontan und dann sehr langsam. Es ist also der Tonus der Gesamt- muskulatur vom Gehirn abhängig. Danach führt K. auch die altbekannte Erscheinung zurück, daß einseitig enthirnte Tiere sich stets in Kreisen nach der intakten Seite zu bewegen. Durch die ein- seitige Erschlaffung der Muskeln entstehe eine Assymmetrie der (sonst noch ganz normal ko- ordinierten) Bewegung. Auch schon in Ruhe krümmt sich das Tier ein. Enthirnte Raupen fressen n i e mehr, dagegen gleich stark verletzte Kontrolltiere mit Gehirn schon nach wenigen Stunden. Das Gehirn enthält ein Zentrum für die Koordination aller Bewegungen zur Nahrungs- aufnahme. Den enthirnten Faltern fehlt der Kopu- lationsinstinkt ganz, sowohl ^ wie $; bei $ wird auch die Eiablage unkoordiniert: der enthirnte Schwammspinner (Lymantria dispar, das Haupt- objekt Kopec 's) legt seine Eier lose, vereinzelt und ohne Wolle frei am Boden ab. Es bestätigt sich also, daß die komplizierten Instinkte ihren Sitz im Gehirn haben, wahrscheinlich in den pilz- förmigen Körpern, wie ich früher hier ausgeführt habe (Nat. Woch. 191 5, S. 19). Leider erwähnt K. nichts über den etwaigen Einfluß einseitiger Enthirnung auf die Instinkte; dies wäre wichtig zur Beurteilung der Frage, ob der „Gedächtnis- schatz" der beiderseitigen, ziemlich scharf ge- trennten, pilzförmigen Körper derselbe oder irgend- wie verschieden ist (Dem oll, Die Sinnesorgane der Arthropoden, 1917, Schlußkapitel). Das Gehirn hat aber keinen Einfluß auf die einfachen Reflexe (Umhertasten, Umdrehen, Tot- stellen usw.). Diese haben ihren Sitz teils im LTnterschlundganglion (Umhertasten), teils in den Thorakalganglien (z. B. Totstellreflex, teils in den Abdominalganglien z. B. Defäkation). Das Unter- schlundganglion übte aber einen hemmenden Ein- fluß auf alle Reflexe aus, nach seiner Entfernung sind sie alle (außer Totstellen) wesentlich gesteigert, „krampfartig". Wird ein Bauchganglion entfernt oder die Längskommissur durchschnitten, so ist der hinter der Operationsstelle gelegene Teil bewegungslos und wird nachgeschlepi)t, denn die Verbindung mit dem Unterschlundganglion ist ja unterbrochen. Bei Durchtrennung nur einer Längskommissur bleibt die Koordination der Bewegung erhalten, was auf Faserkreuzung in jedem Ganglion hinweist. Dagegen hat der ungleiche Muskeltonus dann Asymmetrie (Einkrümmen) zur Folge. F. Bretschneider. Völkerkunde. Indianerterritorien in Süd- amerika. Maßregeln zum Schutze der Indianer werden von Chili und Argentinien geplant und sind zum Teil bereits ausgeführt worden. Es handelt sich dabei umdie Einrichtung von Indianerterritorien, wie man sie in den Vereinigten Staaten von Nord- amerika für die dortigen Indianer längst eingerichtet hat. Als besonders gefährdet sind nach den Er- hebungen der Regierung die Tehuelchen von Santa Cruz, die Onas, die Yahgans in Feuerland, die Tobas und andere Stämme des Gran Chaco anzu- sehen. F"ür einige Stämme dürften die staatlichen Schutzmaßregeln freilich reichlich spät, wenn nicht N. F. XVII Nr. 32 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 463 gar zu spät kommen. Durch die Schafzüchter, die das Land nördlich vom Beaglekanal mit Be- schlag belegten, sind einige Indianervölker verdrängt worden unddadurch dem Aussterben nahegekommen. Von den Alacoufs, die 18S0 noch 3000 Köpfe zählten, waren 1916 noch etwa 200 übrig; die Yahgans, ein F"ischervolk, sind seit den sechziger Jahren von 3000 auf weniger als lO zurückgegangen, und vom Stamme der Haush kennt man gegen- wärtig nur noch zv>?ei Vertreter! Die Kopfzahl der Onas, die von der Guanakojagd in der Pampa Feuerlands lebten, haben in einem halben Jahrhundert von drei bis viertausend Köpfen auf höchstens 800 abgenommen; das argentinische Ministerium bezeichnet diese Zahl sogar als zu hoch und nennt 300 als die richtige. Die Tehuelchen schätzt man noch auf eine Kopfzahl von 600 bis 700. F u r 1 o n g ') hat bereits vor zehn Jahren bei der argen- tinischen wie bei der chilenischen Regierung die Schaffung von Indianerterritorien angeregt ; er schlug als Grenze des Indianerschutzgebietes 53 Grad 30 Minuten vor, verlangte außerhalb des Schutz- gebietes einen „neutralen" Streifen und hielt dazu noch ein Gesetz für nötig, das die Guanakos in Patagonien schützen sollte. Für einige Stämme sind in den letzten Jahren tatsächlich Schutzgebiete eingerichtet; so hat — während des Krieges erst — die Regierung am Rio Bermejo 53000 Hektar den Tobaindianern, zwischen dem Bermejo und dem Pilcomayo 85000 Hektar den Pilagas zugewiesen. Ob die Indianer aber auch schon dort angesiedelt sind, läßt sich nicht angeben. H. Pander. Meteorologie. Die Witterung in Polen unter dem Einfluß der Zugstraße Vb. Im allgemeinen ist der Witterungsverlauf in Mitteleuropa bedingt durch die von Island und PIngland ostwärts über Skandinavien und Deutschland nach Rußland wandernden Tiefdruckgebiete. Für das östliche Deutschland und Polen gewinnen daneben noch eine besondere Bedeutung die barometrischen Depressionen, die auf der Zugstraße Vb — nach der van Bebber'schen Bezeichnung — ziehen. Sie nehmen ihren Lauf von Italien, bzw. der Adria, wohin sie in der Regel aus dem Golf von Biskaya eingewandert sind, durch Ungarn und über die Karpathen nach Polen, wo sie sich ent- weder auflösen oder nach Nordosten abziehen. Bei der Lagerung über der Adria nehmen diese Tief- druckgebiete große Mengen von Wasserdampf auf, die sie auch bei der Wanderung über die ungarische Tiefebene nicht verlieren. Mit dem Überschreiten der Karpathen beginnt jedoch eine starke Ab- kühlung und infolgedessen Ausscheidung der Wassermassen in Form von Niederschlägen, mit denen dann auf der Rückseite der Depression ein beträchtlicher Temperatursturz verbunden ist. J. Kölzer (Met. Ztschr. 35, i, 191 8) zeigt dies an zwei Fällen aus dem April und Juni 1916. In ') Charles Wellington Furlong in Geogr. ReT. (New York) 1917, S. I, 169, 342. beiden F'ällen dauert der Vorüberzug der Erschei- nung nur 2 Tage und doch wird dadurch ein deutlicher Einfluß auf die Monatsmittel von Tem- peratur und Niederschlagsmenge ausgeübt. So sind in dem ersten P'alle in der Umgegend von Krakau, dem am stärksten heimgesuchten Gebiet, mehr als 60 mm Niederschlag gefallen. Außer- ordentlich groß, bis zu 16", sind die Temperatur- differenzen zwischen der Ostseite Polens mit den warmen südlichen und der Westseite mit den nördlichen Winden. Wenn auch in unseren öst- lichen Provinzen, Posen und Preußen, die Erschei- nungen nicht mehr so ausgeprägt sind, spielen diese niederschlagreichen Depressionen doch auch dort noch eine bedeutende Rolle für die Land- wirtschaft. Scholich. Physik. Betreibt man einen Hochspannungs- transformator (Induktor), wie er z. B. in der Röntgentechnik verwendet wird, mit Gleichstrom, dann ist man genötigt, den Strom zu unterbrechen. Der Vorrichtung, welche diese Aufgabe erfüllt, dem Unterbrecher, haften mancherlei Mängel an. Eine ganze Reihe Typen werden verwendet von den mechanischen an, deren bekanntester der nur für schwächere Ströme brauchbare Wagner'sche Hammer ist, bis zum Wehnelt- Unterbrecher, bei dem die Elektrolyse verdünnter Schwefelsäure an einer Platinspitze eine wesentliche Rolle spielt. In der Physikal. Zeitschr. XIX (191 8) S. 187 wird von W. Kasperowicz ein galvanischer Unter- brecher beschrieben, dessen weiterer Ausbau viel- leicht geeignet sein wird, auch in der Praxis gute Dienste zu leisten. Ein Glas- oder Quarzrohr wird U-förmig gebogen und an der Biegestelle stark verjüngt ; dasselbe wird mit Quecksilber gefüllt. Schickt man einen Strom von steigender Stärke hindurch, dann verdampft bei einer bestimmten Belastung an der verjüngten Stelle, die mit Strom überlastet wird, das Quecksilber, es bildet sich ein Lichtbogen und der Strom wird unterbrochen, da der Quecksilberdampf, der nicht leitet, die bei- den Quecksilberhälften auseinanderdrängt. Wenn für genügende Ableitung der Wärme gesorgt ist, tritt schnell Kondensation, Zusammenfließen des Quecksilbers und damit Stromschluß ein. Das Spiel wiederholt sich dann. Bei einem Faden von I mm Durchmesser und einigen Millimetern Länge wird ein Strom von 200 Amp. gut unterbrochen. Durch Änderung, von Dicke und Länge des Fadens, Änderung der Spannung und des Druckes, unter dem die Unterbrechungssteile steht, kann man den Unterbrecher regulieren. K. Seh. Eine Methode zur Bestimmung der Temperatur leuchtender Flammen beschreiben H. Senft- leben und E. Benedict (Breslau) in der Physikal. Zeitschr. XIX S. 180(1918). Alle Brennmaterialien bestehen aus Kohlenwasserstoffen; bei der Verbren- nung verbrennt zunächst der Wasserstoff, während der Kohlenstoff durch die erzeugte Wärme zum 464 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 32 GUlhen und Lcucliten irebracht wird. Hält man in die leuchtende Flamme einen kalten Gegenstand, etwa einen Platindraht, dann setzt sich an ihm der Kohlenstoff in Gestalt von Ruß ab. Wird nach Nernst der Draht geheizt, indem man einen elek- trischen Strom hindurchschickt, dessen Stärke durch einen Vorschaltwiderstand reguliert werden kann, dann bemerkt man, daß bei einer ganz bestimmten Temperatur der Ruß verschwindet; bei geringer Abkühlung scheidet er sich wieder ab. Die kritische Temperatur ist dadurch charakterisiert, daß sie gleich der der Flamme ist. Man braucht also nur die Temperatur des Drahtes zu messen; das ge- schieht auf optischem Wege mit Hilfe des Holborn- Kurlbaum'schen Pyrometers und zwar mißt man seine schwarze Temperatur. Auf Grund der Strah- lungsgesetze und des bekannten Reflexionsvermögens des Platins läßt sich aus ihr die wahre Temperatur berechnen. Nach dieser Methode wurde die Tem- peratur der Hefnerlampe zu 1 705 ''abs.( 1705 — 273= 1432" Celsius) auf i "/o genau (=20") gemessen. An diesem Wert sind noch einige Korrektionen anzubringen : Es strahlt nämlich der vor dem Draht befindliche Teil der Flamme, so daß dadurch der Draht beller erscheint; andererseits absorbiert die riamme einen Teil der vom Draht ausgehenden Strahlen, was diesen dunkler erscheinen läßt. Beide Vorgänge wirken also in entgegengesetzter Rich- tung; sie bedingen eine Korrektion von — i "/,. Es wäre ferner möglich, daß die Anwesenheit des Drahtes die Beschaffenheit der Flammen störte. Doch zeigen Versuche mit Drähten verschiedener Dicke (0,2 — I mm), daß Störungen nur bei ziem- lich dicken Drähten auftreten. Weiter könnten Fehler dadurch eintreten, daß sich der abgeschiedene Kohlenstoff mit dem Platin verbindet. Doch er- geben Untersuchungen, die sowohl mit Platin- als auch mit Golddrähten an wesentlich kälteren Plammen (die Temperatur stark rußender Petroleum- flammen läßt sich bis auf 1150° abs. erniedrigen) das gleiche Ergebnis, ein Beweis, daß auch von diesem Umstand keine merkliche Beeinflussung des Messungsergebnisses zu befürchten ist. Die Tem- peratur der Hefner-Lampe beträgt demnach 1690" abs., während andere Beobachter in guter Über- einstimmung hiermit nach anderen Methoden Werte zwischen 1680" und 17 15" abs. gefunden haben. K. Seh. Anregimgen und Antworten. Herrn A. R. Fossile Menschenaffen (Simüdae) kennt man aus folgenden Schichten und Fundorten („Anthropoidea" sind natürlich weit häufiger) : Propliopithec u sFraasi Unterkiefer : Unteroligocaen — Fayum, Ägypten. Pliopithecus (antiquus) Kiefer und Zähne; Miocaen — Mitteleuropa (weit verbreitet). [? Gryphopithecus Suessi Zahn: Miocaen — Wiener Becken]. [Dryopithecus ? Darwini Zahn: Miocaen — Wiener Becken]. Dryopithecus giganteus Unt. pont. St. Indien. „ punjabicus Sarmat. St. Indien. ,, chinjiensis Sarmat. St. Indien. Sivapithecus indicus Sarmat. St. Indien. Palaeosimia rugosidens Sarmat. St. Indien. Dryopithecus Fontani Humerus und Unterkiefer: Unterpliocaen — Frankreich (Pyrenäen). Dryopithecus rhenanus Zähne (Femur) : Unterpliocaen — Bohnerz der Schwab. Alb (Mainzer Becken). [=Pliohylobates Eppelshcimensis.] Palaeopithecus sivalensis Oberkiefer: Pliocaen — Siwalik, Indien. Anthropodus (-Neopithecus) Brancoi Zähne: Unter- pliocaen — Bohnerz der Schwab. Alb. Pan vetus Unterkieferast, Oberkiefereckzahn: Altdilu- vium (Pliocaen?) — Piltdov/n, Sussex. Troglodytes sp. ? (Homo?)^ Zahn; Jungdiluvium, Weimar. Je nach Auffassung zu den Simiiden oder bereits zu den Ilomiuiden zu stellen ist Pithecanthropus erectus Schädeldach, Femur, Zahn: (Pliocaen?) Altdiluvium — Trinil, Java. S. d. Abhandlung von Martin, diese Wochenschr. 1916, S. 398. Hennig. Schalten im Licht des Jupiter. In Nr. 9 dieser Zeitschrift wurde von einer Beobachtung berichtet, daß Gegenstände im Licht des Jupiter Schatten warfen, und zugleich bemerkt, daß solches bei Jupiter bisher noch nicht beobachtet worden sei. Der Unterzeichnete erwachte vor vielen Jahren einmal mitten in der Nacht und gewahrte mit den gut ausgeruhten, klaren Augen an der Wand gleich neben dem Bett ein zwar schwaches, aber doch ganz unzweifelhaftes, deutliches Abbild des Fensters mit gut sichtbaren Konturen des Rahmens und Maiäwerkes. Da weder Mond noch Venus die Veranlassung sein konnten, blitzte zuerst der Gedanke auf, es ziehe vielleicht langsam ein Meteor vorüber. Doch zeigte sich nichts Besonderes. Zur Wand zurückgekehrt, sah er wieder das Fenstcrabbild deutlich und bestimmt. Auch andere Gegenstände warfen Schatten, was besonders leicht bei der Hand beobachtet werden konnte, wenn die Finger sich bewegten. Er brachte dann das Auge an die verschiedensten Stellen der Bildumrisse und muflte sich mit Verwunderung überzeugen, daß ganz allein der Jupiter die Erscheinung veranlassen konnte. A. Brüggemann. Igihaii: A. T hellung, Neuere Wege und Ziele der botanischen Systematik, erläutert am Beispiele unserer Getreidearten. (3 Abb.) S. 449. — Einzelberichte: C. Correns, Ein Fall experimenteller Verschiebung der Geschlechtsverhältnisse. S. 458. G. Stälfelt, Bewegungen der Spaltöffnungen der höheren Pflanzen. S. 45S. T. G. Halle, A fossil Sporogo- nium from the Lower Devouian. S. 459. David Geyer, Die Mollusken des schwäbischen Lößes in Vergangenheit und Gegenwart. S. 459. W. Soergel, Der Steppeniltis Foetorius Eversmanni Less. aus dem oberen Travertin des Travertingebieles von Weimar. S. 460. H. Müller und F.. del Campo, Eine neue Funktion der Thymusdrüse. S. 461. Stefan Kopec, LokalisatTonsversuche am zentralen Nervensystem der Raupen und Falter. S. 462. Furlong, Indianerterritorien in Südamerika. S. 462. J. Kölzer, Die Witterung in Polen unter dem Einfluß der Zugstraße Vb. S. 463. W. K»sperowicz, Ein galvanischer Unterbrecher. S. 463. H. Senftleben und E.Benedict, Eine Methode zur Bestimmung der Temperatur leuchtender Flammen. S. 463. — Anregungen und Antworten: Fossile Menschenaffen. S. 464. Schatten im Licht des Jupiter. S. 464. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. ra. b. H , N jvalidenstrafle 42, erbeten, mburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i8. August 1918. Nummer Neuere Wege und Ziele der botanischen Systematik, erläutert am Beispiele unserer Getreidearten. CNachdruck verboten.] Nach einem am 2. Von A. Thellung (Zürich). Mit 3 Abbildungen im Text. Zürcherischen Botanischen Gesellschaft und am 26. Ja gehaltenen Vortrage. (Schluß.) Gesellschaft in Winterlhu 1917 Die gewonnenen Resultate über die Abstam- mung der Saathaferarten können nicht ohne tief- greifende Rückwirkung auf das System der Sektion Euavena bleiben. Die Aufgabe einer wirk- lich natürlichen Systematik, die sich auch die mutmaßliche Phylogenie als oberstes Grup- pierungsprinzip gründet, muß es sein, dieGruppe Sativae bzw. die Sammelart Ai. '7 2) Vgl. D. Larionow in Bull. f. angew. Bot. Petersb. 7. Jahrg. (1914) Nr. 6 (70), 366, 375. 470 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 33 tieren wir eine recht befriedigende Überein- Das Schema der verwandtschaftlichen Be- stimmung, wenn auch die Verhältnisse etwas Ziehungen der verschiedenen Weizensippen wird weniger klar und eindeutig liegen als bei der sich also folgendermaßen darstellen (wobei wir, Hafergattung. Wir haben offenbar innerhalb der ähnlich wie der Chemiker im periodischen System Untergattung Eutriticiim 3 natürliche spezifische der Elemente, für die zurzeit unbekannten Glieder Gruppen oder Stämme anzunehmen : die Einkorn-, Lücken lassen): Monstrositäten Nacktweizen Spekweizen Wildformen - T. polonicum — t - T. monococcum t _ T. aegilopoides 1 1 1 T. durum T. turgidum i »^ ^ \ / T. dicoccum t 1 T. diccocoides T. aestivum T. compactum (vulgare) \ . / T. Spelta Einkornreihe Emmerreihe Spelzreihe die Emmer- und die Spelz- oder Dinkel-Reihe. Die erste dieser Reihen ist von den übrigen auch schon morphologisch scharf geschieden und nur durch Bastarde mit ihnen verbunden. Dagegen sind die Nacktweizen-Typen der Emmer- und der Spelzreihe einander morpho- logisch sehr ähnlich und oft schwer voneinander zu trennen (zwischen T. aestivum [vulgare] und T. durum treten, wie schon bemerkt, JDeim Verwildern gelegentlich morphologische Über- gangsformen auf; auch T. turgidum schwankt in seinen Merkmalen zwischen der Emmer- und der Spelzreihe), so daß man an ihrer genetisch- spezifischen Verschiedenheit zu zweifeln geneigt sein könnte; das serologische Experiment teilt jedoch jede Nacktweizen-Hauptart (abgesehen natürlich von allfälligen Bastarden) mit aller wünschbaren Sicherheit und Deutlichkeit der einen oder anderen Reihe zu, und auch T. polo7iicum erweist sich auf serologischem Wege als ein direkter Abkömmling von T. durum. Wir haben also innerhalb der Kulturweizen und ihrer Wildformen 4 Entwicklungsstufen (die sich, beiläufig bemerkt, mit den analogen Verhältnissen bei Avena nicht direkt paralleli- sieren lassen) kennen gelernt: Wildformen, Spelzweizen, Nacktweizen und Monstrositäten. Freilich wird diese Stufenleiter nicht von allen drei Stämmen von der tiefsten bis zur höchsten Sprosse durchlaufen; nur die EmmerReihe ist vollständig, der Einkorn-Reihe fehlen der Nackt- weizen und die dem 7". polouicum analoge Monstrosität, der Spelzreihe fehlen die Wildform (die vielleicht eines Tages noch irgendwo in Vorder- asien lebend aufgefunden werden könnte) ') und die Monstrosität. ') Daß r. cyliiidrUiim (Host) Cos., I'.iss. et Gib. {=Afsi- lops cylindrica Host), trotz einer gewissen Ähnlichkeit (nament- lich in der Form und der Nervatur der Hüllspelzen), entgegen Schließlich kommen wir für die Systematik und die Nomenklatur der Untergattung Eutriticum zu dem Resultat, daß wir 3 (in eine Anzahl von Unterarten zerfallende) Spezies zu unterscheiden haben, die unter Berücksichtigung der modernen Nomenklaturregeln folgendeNamen erhalten müssen: 1. T. monococcum L., zerfallend in die Unter- arten subsp. I. aegilopoides (Link) (diese sich gliedernd in die Rassen boeoticuvt [Boiss.] und Thaoudar [Reuter]) und subsp. IL cereale (Ascher- son et Graebner pro var.). 2. T. turgidum L. *) sens. ampl. (= T. eudicoc- coides Flaksberger 1915)"'): subsp. I. dicoccoides (Körnicke pro var. T. vulgaris^ \= T. hermonis Cook •')] ; susbp. II. dicoccum (Schrank) ; subsp. III. se- mentivum (Flaksb. sub T. eudicoccoide) (mit den Rassen durum [Desf. pro spec] und turgidum [L. sens strict. pro spec.]); subsp. IV. polonicum (L. pro spec). 3. T. aestivum L. *) sens. ampl. (= T. spelto- einer Annahme von Stapf (1910), nicht die wilde Stammform von T. Spelta sein kann, weist Aug. Schulz (Zeitschr. f. Naturwisscnsch. [Natw. Ver. Sachs, u. Thür., Halle] «4 [1913], 415) mit trefienden Gründen überzeugend nach. ') Aus Prioritätsgründen (Art. 46 der Nomenklalurregeln) kommt als Name für die der Emmerreihe entsprechende Ge- samtart nur T. turgidum L. (1753) in Frage. 2) C. Flaksberger, Determination of wheats. Bull, of Appl. Bot. (Petrograd) Sth year (1915) Nr. 1 — 2(77), 9 — 210, russisch mit englischem Kesume; speziell S. 183. 3) Cook, O. F., Wild Wheat in Palestine. U. S. Dep. of Agric. Bull. n. 274 (1913); Referat in Rep. Bot. Exch, Club Brit. Isl. for 1916, vol. IV part V (1917), 450. *) Hier stehen zur Bezeichnung der Gesamtart die beiden gleichalterigen, 1753 publizierten Namen T. atslivum L. und y. Sptlta L. zur Auswahl zur Verfügung. So sehr es wünschens- wert gewesen wäre, den letzten Namen, entsprechend der deutschen Bezeichnung „Spelzreihe", zu verwenden, so muß nach dem zweiten Satz von Art. 46 doch dem Namen aestivum der Vorzug gegeben werden, da sowohl O. Kuntze als Fiori u. Paoletti, die (1896) zuerst T. aestivum ua.ä Spelta (allerdings mit anderen Weizenformen zusammen) in rechtgül- tiger Weise vereinigt haben, die Gesamtart '/', aestivum nannten. N. F. XVII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 471 ides Flaksb. non Gren.): subsp. I. Spdta (L.); subsp. IL aestkmn (L.) (mit den Rassen vulgare [Vill. pro spec] und compactum [Host pro specl). III. Seeale cereale L., Roggen. Diese Getreideart gibt uns vom Standpunkte der phylogenetischen Systematik keine schwierigen Probleme auf. Alle Forscher sind übereinstimmend der Ansicht, daß als Wildform die mediterrane Unterart oder Rasse nwntanum (Guss.) Thell. zu betrachten ist, die sich vom kultivierten Roggen, der Unterart oder Rasse eu-cereale (Ascherson u. Graebner unter Triticum) durch ausdauernden Wurzelstock') und eine brüchige (bei der Reife sich zergliedernde) Ährenachse unterscheidet und ihrerseits in eine Anzahl von Lokalrassen oder Abarten {eu-montanum [=5. montanum Guss. im engeren Sinne] auf den drei südeuropäischen Halb- inseln, auf Sizilien und in Nordafrika; dabnaticuvi [Vis. als Art] in Dalmatien und in der Herze- gowina; anatolicum Boiss. in Südwest- Asien) zer- fallt. ^) Unter diesen zeichnet sich die Form ana- tolicum durch oberwärls dichtbehaarten Stengel und im Durchschnitt etwas längere Grannen aus; da diese Merkmale auch für die meisten Formen des kultivierten Roggens zutreffen, nimmt A. S c h u 1 z'') an, daß dieser letztere (wahrscheinlich in Turkestan) aus der Form 5. anatolicum ge- züchtet worden ist. Indessen gibt es auch eine kahlstengelige Form (f. typicum Regel) des Saat- roggens, die speziell in Asien gebaut wird, so daß man vor die Alternative gestellt wird, ent- weder auf die (sicherlich etwas schwankenden) Behaarungsverhältnisse als entscheidendes Merkmal für die Phylogenie der Roggenformen zu ver- zichten oder aber neben S. anatolicum noch eine zweite, kahlhalmige wilde Stammform für einen Teil der Kulturroggenformen anzunehmen. Viel- leicht gelingt es dereinst dem aufs äußerste ver- feinerten serologischen Experiment, diese Frage der mono- oder polyphyletischen Abstammung ') Der Roggen ist die einzige unter unseren Getreidearten, die von einer ausdauernden Wildform abstammt. Dieser Unter- schied in der Lebensdauer der Pflanze ist übrigens nur gra- dueller Natur. Wohl wird der Saatroggen allermeistens (so auch in Mitteleuropa) einjährig kultiviert und erschöpft sich durch die Fruchtbildung so sehr, daß die Pflanze nach ein- maligem Fruchttragen abstirbt; indessen schlagen doch zuweilen in besonders günstigen Jahren auch in unserm Klima die Stoppeln einzelner Individuen wieder aus, und in Südrufiland kann der Saatroggen selbst perennierend gezogen werden in der Weise, daß nach einmaliger Aussaat während mehrerer Jahre eine regelmäßige Ernte von den gleichen Individuen möglich ist. Das „Einjährigwerden" infolge des Anbaues ist übrigens eine allgemeine Erscheinung bei den krautartigen Kulturpflanzen. -) Daß alle heute als 5. (-^«u/f zusammengefaßten Sippen untereinander sehr nahe verwandt sind, geht auch aus der Beobachtung von Tschermak {191 4) hervor, daß der Saat- roggen sich leicht mit .S'. montanum^ dalmaticum und anatolicum kreuzen läßt und mit diesen eine fast völlig fruchtbare Nach- kommenschaft ergibt. ') Vgl. auch seine neueste Abhandlung : Abstammung und Heimat des Roggens, Ber. d. Deutsch. Bot. Ges. XXXV, H. I (IV. 1918), 39-47- des Saatroggens zu beantworten. An der Syste- matik und Nomenklatur wird jedoch das Resultat solcher Forschungen keineswegs etwas ändern können, da die Unterschiede der einzelnen Wild- formen untereinander, ähnlich wie beim Einkorn, viel zu gering sind, als daß es möglich wäre, wie bei Avena, spezifisch getrennte Stämme oder Ent- wicklungsreihen auszugliedern ; nur die graphische Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen der einzelnen Formen im Detail (nach der Art eines Stammbaumes) würde dadurch beeinflußt werden. IV. Hordeum (sect. Crithe), Gerste. Das Problem der genetisch-systematischen An- ordnung der einzelnen Sippen der Sektion Crithe, welch letztere die Gesamtheit der kultivierten Gerstenarten und ihrer Wildformen umfaßt, zeigt in vielen Punkten eine Übereinstimmung mit den entsprechenden Verhältnissen bei Triticum, nur mit dem Unterschiede, daß wir heute bei Hordeum von einer endgültigen Klarstellung noch sehr weit entfernt sind. Die Hauptfragen lassen sich kurz folgendermaßen skizzieren. Nach der Beschaffenheit der Seitenährchen eines jeden Ährchendrillings lassen sich innerhalb der Saatgersten vom morphologisch-klassifika- torischen Standpunkt 2 Gruppen unterscheiden: I. Zweizeilige Gersten : nur das Mittel- ährchen eines jeden Drillings ist fruchtbar und begrannt, die Seitenährchen sind unfruchtbar und mehr oder weniger verkümmert. Hierher: H. di- stichum L. (zweizeilige Gerste ; inkl. H. Zeocrithon L. [Pfauen gerste]) und H. mtdum (L.) Ard. ([zweizeilige] Nacktgerste). II. Mehrzellige Gersten: alle 3 Ährchen sind in gleicher Weise fruchtbar und begrannt. Hierher die Sammelart H. polysticfnim Haller, die sich aus folgenden Teilarten zusammensetzt: a) mittlere Ährchen der einzelnen Drillinge fast aufrecht, Seitenährchen stärker abstehend; Ähre daher fast 4 seitig zusammengedrückt : H. vulgare L. [= H. tetrastichum Körnicke] (gemeine oder vicr- zeilige Gerste), H. coeleste (L). Viborg (Himmels- gerste); b) alle Ährchen gleichförmig abstehend; Ähre daher 6-kantig-zylindrisch : H. hexastichum L. (sechszeilige Gerste), H. revelatum (Körnicke) Aug. Schulz ^) (sechszeilige Nacktgerste, bisher nur aus Abessinien bekannt). Andererseits können wir auch bei den Gersten wieder vom biologisch-genetischen Standpunkt 3 Entwicklungsstufen feststellen, die sich mit den analogen Verhältnissen bei der Hafergattung in Parallele setzen lassen: I. Wildformen mit brüchiger, bei der Reife sich zergliedernder Ährenachse (den Wildhafer- und Wildweizen-Arten entsprechend). Hierher das nordostafrikanisch-südwestasiatische H. spontaneum C. Koch, eine zweizeilige Sippe, die allgemein als die wilde Stammform des H. distichum betrachtet i)In d. deutsch, bot. Ges. XXXIV (1916), 610, 472 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 33 wird. Nur wenig davon verschieden ist das in Assyrien, IVIesopotamien, Kurdistan und in der C)renaica beheimatete H. ischnatherunt (Cosson) Körnicke '), das sich durch dünnere Grannen und spitzere seitHche Ährchen auszeichnet und daher von Körnicke, der (nach seinen Beobachtungen an Bastarden zwischen zwei- und mehrzeihgen Gersten) in diesem letzteren Merkmal den ersten Schritt zum Fruchtbarwerden der Seitenährchen erblickte, als die Stammform der mehrzelligen Gersten erklärt worden ist. 2. Saatgersten mit zäher (nicht brüchiger) Ährenachse und von den Spelzen fest einge- schlossenen Körnern (analog den Saathafer- Arten) : H. distichuni, vulgare imd hexastichuni. 3. Nacktgersten mit zäherÄhrenachse, zarten Deckspelzen und frei (unbespelzt) ausfallenden Körnern (analog den Nackthafer- und Nacktweizen- Arten): //. nnduin, coelcstc wwA rcvclatusii. Diese Nacktgersten werden von den neueren Systemati- kern als Varietäten an die entsprechenden, mit ihnen sonst in der Organisation übereinstimmenden Saatgersten angeschlossen. Wir erhalten also folgende schematische Über- sicht : Saatgerslcn ' H. dislichum :^"^H. vulgare : H. hexastichuni I 1 ] ^^(H.polystiohum)^ I I \ / Wildformen I H.spontaneum ^^ ^ H. ischnathcrum (?) Über den phylogenetischen Zusammenhang der einzelnen Gersten-Sippen haben zu verschiedenen Zeiten verschiedene Auffassungen geherrscht. Osw. Heer (Die Pflanzen der Pfahlbauten. Neu- jahrsbl. d. Naturf. Ges. [Zürich] LXVIII [1866], 49) betrachtete die kleine sechszeilige Pfahlbaugerste als die älteste I'orm, aus der zunächst H. vulgare, endlich durch Verkümmerung der Seitenährchen // distichuni hervorgegangen sei. Als dann das 1848 beschriebene H. spontaneum in seiner Be- deutung als Wildform des //. disticliutn erkannt wurde und lange Zeit die einzige bekannte Wild- gerste der Sect. Crilhe blieb, da dachte man sich umgekehrt die mehrzelligen Gersten aus den zwei- zeiligen hervorgegangen (so Kör nicke früher; vgl. z. B. Ascherson und Graebner, Synopsis II, I, 728 [1902] und Aug. Schulz, Geschichte [191 3], 89), umso mehr, als eine vollkommen frucht- bare Mittelform zwischen //. distichuni und H. vul- gare mit zwar fruchtbaren, aber unbegrannten Seitenährchen (// intennedium Körnicke) bekannt ') BciSchweinfurth, in Ber.d. deutsch, bot. Ges. XXVI, 4 (1908), 312 (nomen). Die Pflanze w.ir zuerst (1858) in dem berühmten Port-Juvenal bei Montpellier verschleppt gefunden und von Cosson (1864) als J/.il!iaiiiigense\s.x.isch»athenim beschrieben worden; erst viel später (1895) wurde sie als ur- wüchsige Pflanze in ihrer eigentlichen Heimat entdeckt und von Körnicke (1908) richtig identifiziert, wurde, die in Aussaaten von //. distichuni ent- standen war und — wenigstens nach dem damaligen Stande der Kenntnisse — nicht wohl als spontaner Bastard gedeutet werden konnte, da die Kultur- gersten Selbstbestäubung vollziehen. Endlich zeitigte die Entdeckung des H. ischnatherunt und besonders seine Würdigung durch Kör nicke abermals eine neue Auffassung, nämlich daß sie mehrzelligen Gersten von einer anderen Wildform abstammen als die zweizeiligen. Bei (künstlich erzeugten) Bastarden zwischen //. distichuni und //. vulgare zeigt sich (von // distichuni beginnend) als erster Anfang des Fruchtbarwerdens der Seiten- ährchen, daß ihre Spelzen erst spitz, dann zu- gespitzt, weiterhin kurz-, dann langbegrannt werden ; auf Grund derartiger Beobachtungen glaubte K ö r n i c k e das //. ischnathcrum, das sich von H. spontaneum durch dünnere Grannen ') und spitze oder zugespitzte Seitenährchen unterscheidet, direkt als die wilde Urform der mehrzeiligen Gersten auffassen zu müssen, aus der zunächst // vulgare und weiterhin H. hexastichuni hervor- gangen sei. Aug. Schulz hält IL ischnatherunt für eine polyphyletisch (und polytop) durch pro- gressive Entwicklung aus //. spontaneum entstandene Sippe („Spezies"), die auch er für die Stammform der vielzelligen Kulturgersten zu halten geneigt ist. Gegenüber dieser Annahme eines scharf ge- trennten Ursprunges des zwei- und des mehrzeiligen Stammes der Kulturgersten müssen jedoch gewich- tige Bedenken geäußert werden. Es erscheint gewagt, die Form ischnathcrum, die sich nur geringfügig von //. spontaneum unterscheidet, als die Stammform einer von //. spontaneum und distichuni spezifisch verschiedenen Entwicklungs- reihe anzunehmen; allermindestens sind die beiden Wildformen morphologisch unter einander weniger stark verschieden als die mehrzeiligen Kulturgerstcn von den zweizeiligen, ^) was höchst auffallend ist, da doch im allgemeinen die Kulturabkömmlinge verschiedener Stämme durch Konvergenz einander viel ähnlicher werden als die Wildformen es unter einander sind (vgl. z. B. die Saathafer und die Nacktweizen 1). Der Fruchtbarkeitsgrad und die Ausbildung der Seitenährchen sind auch bei anderen wilden Hordcum-Axitn (aus anderen Sektionen) zuweilen starken Schwankungen unterworfen (so bei H. nodosum L. = // secalinum Schreber, bei dem auf Grund dieses Merkmales bis zur Stunde meines Wissens noch nicht einmal Varietäten auf- gestellt worden sind). Ferner muß — mehr bei- läufig — ein anderer Punkt richtiggestellt werden. Körnickc und Aug. Schulz erblicken in H. ') Bei den mehrzeiligen Gersten, deren sämtliche Ährchen in gleicher Weise fruchtbar und begrannt sind, fallen die Grannen naturgemäfl dünner und die Körner kleiner aus als bei den zweizeiligen Gersten, bei denen je 2 von 3 Ährchen verkümmern und den gut ausgebildeten Ährchen entsprechend mehr Nähr- und Baustoffe zur Verfügung stehen. '') Die Wildformen würde man nach dem landläufigen Gebrauche der Systematiker als mit dem Range von „Varie- täten", die Kulturabkömmlinge dagegen als mit der Wertig- kcilsstufe von „Unterarten" untereinander verschieden bezeichnen. N. F. XVII. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 473 ischiiathcntin eine Progrcssivbildung von H. spontaueuiii aus. Diese Forscher übersehen dabei, daß die Entwicklung ebensogut eine umgelcehrte Richtung genommen haben kann. Daß das zwei- zeilige Stadium, das uns in H. spO)itaiicuin ent- gegentritt, kein absolut primitives Verhalten darstellt, wird nach unserer gegenwärtigen allge- meinen Anschauungen über Progressionen in der Entwicklung des Pflanzenreichs nicht bezweifelt werden können. Die Urform der Sektion Ciithe besaß zweifellos fruchtbare Seitenährchen (sie war also 6- oder allenfalls 4 zeilig), und das Unfruchtbar- und Rudimentärwerden der Seitenährchen bei //. spontaneuin stellt eine Progression (im Sinne einer Reduktion) dar. Es kann nun keineswegs als sicher gelten, daß, wie Aug. Schulz an- nimmt, //. ischnatheruin, das gleichsam auf der Grenze zwischen dem 2- und dem mehrzeiligen Stamm steht und nach beiden Seiten hin oszilliert, eine Progressiv- (bzw. richtiger : Regressiv-)Bildung von //. spontancuvi gegen den hypothetischen Urtypus hin darstellt, sondern es kann sich nach meiner Meinung allermindestens ebensogut um eine phylogenetisch ältere Form handeln, die, auf dem Wege der Entwicklung zurückgeblieben, dem Urtypus noch näher steht als das stark pro- gressive//, spontaneiuit, dessen Seitenährchen noch stärker verkümmert und dessen IVIittelährchen ent- sprechend kräftiger entwickelt sind. Ich meine also: aus dem Umstände, daß // spuiäaneinn zuerst aufgefunden worden und anscheinend häu- figer ist als // ischnathcnim, darf nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß letzteres eine jüngere, abgeleitete Form sei. Es ist auch nicht recht einzusehen, warum in der freien Natur eine regressive Bildung einsetzen sollte; viel eher ist unter den veränderten Bedingungen der Kultur das Wiederfruchtbarwerden der Seitenährchen (durch günstige Ernährungsverhältnisse) und somit ein Übergang z. B. von //. distichion zu //. polysti- chuvi plausibel vorstellbar.') Vorsichtig ausgedrückt, kann man also sagen : // spontaneuin variiert mit stumpfen, sterilen (= var. inacrathcrum Thell.) und mit spitzen, zur Fruchtbarkeit neigenden (= var. iscJinatlicnim) Seitenährchen ; welche dieser beiden P"ormen die ursprünglichere ist, möge vorläufig dahingestellt bleiben, allermindestens aber ist die landläufige Auffassung, daß H. ischnathcrnni eine abgeleitete Sippe darstelle, nicht bewiesen. Auch ist nicht zu verstehen, warum dieses Variieren bzw. Oszillieren zwischen Verkümmerung und Fruchtbarkeit der Seitenährchen nur bei den Wild- gersten, nicht aber auch auf der Stufe der Saat- gersten stattfinden soll. Tatsächlich sind auch die zwei- und die mehrzeiligen Kulturgersten nicht ') Daß daneben die zweizeilige Gerste als solche auch in der Kultur erhalten bleibt (gerade wie die Spelzweizen neben den von ihnen abgeleiteten Nacktweizen), braucht uns nicht zu verwundern, da //. distichum gegenüber H. polystkhiim zwar weniger zahlreiche, aber dafür um so größere Körner produziert und deshalb dem Menschen für gewisse Zwecke nicht weniger nützlich ist als //. polyitichum. scharf voneinander geschieden; es finden sich vielmehr hie und da Übergangsformen, die unter der Ikzeichnung // üitcnncdiuin zusammengefaßt werden können. Wohl mögen diese Formen (wie Kör nicke später zugegeben hat, und wie auch A. Schulz als sicher annimmt) teilweise Bastarde sein; aber ihre Fruchtbarkeit und ihre leichte Bildung sprechen jedenfalls für eine sehr nahe (vielleicht intraspezifische) Verwandtschaft der Stammformen. Die mehrzeiligen Kulturgersten sind also möglicherweise heterogenen Ursprungs: ein Teil ist wohl sicher aus zweizeiligen Formen in der Kultur durch Regeneration der Seiten- ährchen entstanden, wobei sich erst noch die Frage erhebt, ob sie ausschließlich aus //. isclinatlierum (also einer zweizeiligen Wildform mit spitzen Seiten- ährchen) oder auch aus // spontaneuin auf dem Umwege über das kultivierte H. distieJntm hervor- gegangen sind; andererseits könnte man auch an eine hypothetische, heute nicht mehr lebend be- kannte, mehrzeilige Wildform denken. Der morphologische Vergleich und die — allzu spärlichen — pflanzengeographischen Daten ver- mögen uns also kein klares Bild von der Phylogenic der Saatgersten zu geben. Auch auf historisch- archäologischem Wege läßt sich die Frage nicht entscheiden, da schon in den neolithischen Pfahl- bauten der Schweiz bereits die 3 Haupttypen distichum, vulgare und hexastichiiin nachgewiesen sind. Vor allem wäre die serologische Unter- suchung der Gerstenarten, die leider zurzeit noch aussteht, berufen, Klarheit in den gegenwärtigen Zustand trost- und ratloser Verwirrung zu bringen. Die ?■ r a g e s t e 1 1 u n g lautet also zurzeit folgen- dermaßen: Stammen die mehrzeiligen Gersten- sippen wirklich, wie dies Körnicke und in neuester Zeit besonders Aug. Schulz annehmen, von einer anderen Wildform ab als die zweizeiligen, und darf // iseJiuathcniin als diese gesuchte Wild- form angenommen werden ? Oder muß nicht vielmehr, angesichts der geringfügigen Verschieden- heit des //. ise/ina/Iier/iin gegenüber //. sponta- neuin und der Tatsache, daß in der Kultur häufig — völlig fruchtbare — Übergangsstadien z. B. zwischen //. distichum und //. vulgare auftreten, angenommen werden, daß die Alternative: Un- fruchtbarkeit oder Fruchtbarkeit der Seitenährchen (bzw. Zwei- oder Mehrzeiligkeit der Ähre) ein — nicht zuletzt auch in der Kultur — variables, labiles Merkmal darstellt, das zu phylogenetischen Schlußfolgerungen nicht verwendet werden darf, und daß Zwei- und Mehrzeiligkeit, weit entfernt, genetisch getrennte Stämme zu charakterisieren, vielmehr — wie die horizontalen Pfeile in obigem Schema andeuten — jederzeit und in jeder der 3 Entwicklungsstufen ineinander übergehen bzw. auseinander hervorgehen können? Diese Frage an Hand aller zu Gebote stehenden Hilfsmittel (vor allem auf dem Wege des serologischen Ex- perimentes) zu prüfen, wird eine der nächsten Aufgaben der phylogenetischen Systematik unserer Getreidearten sein. 474 Naiurwisseiischaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 33 Die Systematik und Nomenklatur der Gersten- formen wird sich nach unserer Auffassung von dem systematischen Werte und der Bedeutung des H. ischnathcrnm richten müssen: A. Betrachten wir mit Kör nicke und Aug. Schulz //. ischnatlicntm als eigene Art und als die Stammform der mehrzelligen Gersten, so er- halten wir 2 getrennte Stämme bzw. Spezies mit folgenden Unterabteilungen : 1. H. disticJnoii L. : subsp. I. spoiüaneum (C. Koch pro spec), subsp. II. distichtmi (L. pro spec.) (mit der subvar. iiudiim L.); 2. *) H. vulgare L. : subsp. I. ischnatheruvi (Cosson pro var. H. ifliabnrgcnsis), subsp. II poh- stühnm (Haller) Schinz et Keller, ') zerfallend in die Rassen: prol. i. tetrasfidiinn (Körnicke pro spec.) (mit der subvar. coeleste [L. sub H. vidgari]), prol. 2. licxasticliuin (L.) Doli (mit der subvar, re- velafiini Körnicke). B. Wird die Sippe iscJniathcnim nur als eine oszillierende Zwischenform zwischen // spo)itancu})i und dem mehrzelligen Typus der Gersten, nicht aber direkt (oder jedenfalls nicht ausschließlich) als die wilde Urform der mehrzelligen Kulturgersten aufgefaßt, so ergibt sich eine einzige Art mit folgender Gliederung: //. vulgare L. (sens. ampl.) : subsp. I. spontaneuni (C. Koch) Thell. 3) [zerfallend in die Abarten var. macrathenim Thell. nom. nov. [= H. sponfa>ieuin C. Koch sens. strict.] und var ischiiatlicrum *) [Cosson] Thell. 1. c. i6i), subsp. II. disticlmm (L.) Thell. 1. c. i6i (mit subvar. midiim L.), subsp. III. polystichum (Haller) Schinz et Keller (zerfallend wie oben in prol. I. tdrasficliKni [mit subvar. ') H. vulgare würde vielleicht richtiger als der primitivere Stamm betrachtet und dementsprechend an erster Stelle auf- geführt. *) Flore de la Suisse, „1909" (1908), 80; erweitert. ') La flore adventice de Montpellier (1912), 160. *) Betrachtet man, wie im Text als möglich angedeutet, die var. ischnaiheritm als die ursprünglichere Form, so muI3 sie in der Aufzählung vor die var. macratherum zu stehen kommen. coeleste] und prol. 2. liexastichiim [mit subvar. re- velafuvi]). Dadurch daß wir H. polystichum als Unterart mit H. disticlmm und H. spotttaneum koordinieren, wird die Frage seiner Abstammung offen gelassen. Die genetischen Beziehungen der Gerstenformen durch die systematische Anordnung (in linearer Reihe) klar zum Ausdruck zu bringen, ist, wie Aug. Schulz (Geschichte [191 3], 93) mit Recht betont, materiell unmöglich. Damit bin ich am Schlüsse meiner Aus- führungen angelangt. Ich hoffe den Nachweis er- bracht zu haben, daß die botanische Systematik, die gelegentlich selbst von großen Botanikern sehr geringschätzig beurteilt und als unwissenschaftlich in Verruf gebracht worden ist, doch auch Probleme von allgemeinem Interesse zu lösen hat, und daß sie in der geschilderten modernisierten Form den Rang eines vollwertigen Zweiges der biologischen Wissenschaften behaupten darf. Verzeichnis der neueren Hauptwerke über die Systematik unserer Getreidearten (abgesehen von der im Text zitierten Spezialliteratur). Ascherson und Graebner, Synopsis der mitteleuro- päischen Flora Bd. II, I. Abt. (1898— 1902). Körnicke und Werner, Handbuch des Getreide- baues I (1885). Schulz, Aug., Die Geschichte der kultivierten Getreide I (Halle 1913). Thellung, A., Überdie Abstammung, den systematischen Wert und die Kulturgeschichte der Saathaferarten [Avcnae sativat Cosson). Vicrteljahrsschr. d. Naturf. Ges. Zürich LVI (191 1), 293—350. Tschermak, E. v.. Die Verwertung der Bastardierung für phylogenetische Fragen in der Getreidegruppe. Zeitschr. f. Pflanzenzüchlung II (1914), 291—313; referiert von G. v. Ubisch im Bot. Centralbl. Bd. 128 Nr. 13 (1915), 339—341 und von E. Schiemann in Zeitschr. f. Bot. IX, Heft 10/12 (191 7), 604 — 606. [Eine Mitteilung des gleichen Verfassers über Weizenbastarde findet sich nach Zade 1914 S. 40 Fußn. bereits in den „Beiträgen zur Pfianzenzucht" 1913 S. 49.] Zade, A., Der Flughafer (Avena fatua). Inaug.-Diss. Jena (1909). — Ders., Der Flughafer (Avena fatua). Arb. d. Deutsch. Landw.-Ges. H. 229 [Die Bekämpfung des Unkrautes, 8. Stück] (1912). — Ders., Serologische Studien an Legumi- nosen und Gramineen. Abh. Venia legendi, Jena (1914). Einzelberichte. Biologie. Über den Naturschutz in der Schweiz bringen die soeben im Druck erschienenen „Verhandlungen der Schweizerischen Natur- forschenden Gesellschaft, 99. Jahresversammlung 191 7 in Zürich" (Kommissionsverlag H. R. Sauer- länder u. Co., Aarau 191 8) einige IVIitteilungen, die von großem Interesse für jeden sind, der sich mit der Frage des Naturschutzes beschäftigt. Die Beziehungen der Schweizerischen Natur- forschenden Gesellschaftzum Schweizerischen Natur- schutzbund werden unterhalten durch die Natur- schutz-Kommission der Naturforschenden Gesellschaft unter dem Vorsitz von Dr. Paul Sarasin, der zugleich Vorstand des Schweizer. Naturschutzbundes und derEidgenössischenNational- parkkommission ist. Aus dem Bericht der Natur- schutz-Kommission Tür das Jahr 1916/17 (Seite ^^ der „Verhandlungen") sei hervorgehoben: Die Mitgliederzahl betrug 23808, die Einnahmen ca. 4SO(X) Fr., aus denen die Unkosten der Über- wachung und Instandhaltung des schweizerischen Nationalparkes, der Pachtzins für die privaten, von der Eidgenossenschaft noch nicht übernommenen Teile des Nationalparkes (siehe weiter unten) und der Beitrag an die wissenschaftliche Park- kommission bestritten wurden. Eine wesentliche Förderung der Bestrebungen des Naturschutz- bundes in der Schweiz bedeutet das neue Re- glement „Vorschriften für den schweizerischen Nationalpark", das der Sekretär der Parkkommission, Nationalrat Oberst Dr. F. Bühl mann aus- gearbeitet hat, und das vom schweizerischen N. F. XVn. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 475 Bundesrat gutgeheißen wurde. Durch dieses Re- glement ist eine administrative Neuordnung des ganzen Unternehmens durchgeführt, und Paul Sarasin bezeichnet das neue Reglement als „ein Meisterwerk in seiner Art, das ähnlichen Unter- nehmungen in anderen Ländern zum Muster dienen kann und wird". Die „Verhandlungen" bringen auch einen be- sonderen Bericht der „Kommission für die w i SS e ns c h a f 1 1 i c h e E r f o r s c h u ng des Nationalparkes", erstattet vom Vorsitzenden der Kommission, Professor Dr. C. Schröter in Zürich. Nach dem „Bundesbeschluß betreffend die Errichtung eines schweizerischen Nationalparkes im Unterengadin" wird der Nationalpark der wissen- schaftlichen Beobachtung unterstellt, und laut einem Vertrag zwischen dem Naturschutzbund und der Naturforschenden Gesellschaft sorgt die letztere für die wissenschaftliche Beobachtung des Reser- vationsgebietes und für deren wissenschaftliche Verwertung. Die „wissenschaftliche Beobachtung und Erforschung" wird im Reglement für den schweizerischen Nationalpark in folgenden Worten näher präzisiert : „Durch die Schweizerische Xatur- forschende Gesellschaft ist eine umfassende mono- graphische Bearbeitung der gesamten Natur des Parkes durchzuführen,dieden dermaligenBestand des Nationalparkes darstellt. Die daherigen Aufnahmen haben mindestens für eine Reihe typischer Stand- orte zu geschehen und unterliegen einer um- fassenden Nachführung, durch welche die Ver- änderungen und Verschiebungen der Pflanzen- und Tierwelt in ihrer qualitativen und quanti- tativen Zusammensetzung und in deren Lebens- weise festzustellen und die Wege aufzudecken sind, auf denen sie ihr Gleichgewicht sucht und findet. . ." In der Kommission sind die biologischen Institute der schweizerischen Hochschulen möglichst gleichmäßig vertreten, und die Zusammensetzung der Kommission soll zum Ausdruck bringen, „daß der Nationalpark, wie es im Bericht der Kommission vom Jahre 1916 heißt, ein wahrhaft nationales, allgemeines Arbeitsgebiet sein soll, welches kraft seiner zukünftigen Un- berührtheit durch menschliche Einflüsse ein un- vergleichliches wissenschaftliches Laboratorium sein wird". Die Mittel der Kommission sind einstweilen noch gering. Was bisher geleistet wurde, sind eigentlich erst mehr Vorarbeiten, aber doch schon recht viel. Im Berichtsjahr wurden das Reglement der Kommission, die Arbeitsprogramme der vier Subkommissionen und das Reglement für die Ent- schädigungen für die wissenschaftlichen Arbeiten von der Eidgenössischen Parkkommission und vom Bundesrat genehmigt. Die vier Subkommissionen sind: die Meteorologische Subkommission (Vorsitzender: Direktor Dr. Maurer), die Geo- graphisch-geologische Subkommission (Vor- sitzender: Prof. Chaix, Genf), die Botanische Subkommission (Vorsitzender: Prof. Hans Seh in z, Zürich) und die Zoologische Sub- kommission (Vorsitzender: Prof. Zschokke, Basel). Die von den einzelnen Subkommissionen unter- nommenen wissenschaftlichen Arbeiten bestanden in folgendem: i. Einrichtung zweier meteoro- logischer Stationen in 1800 und 2000 m Höhe (tiefste Wintertemperatur — si'CI), Aufstellung verschiedener meteorologischer Apparate bis zu 2400 m Meereshöhe. 2. Vorbereitende geographisch- geologische Exkursionen. 3. Es wurden vorberei- tende Schritte zu Studien über die Gefäßpflanzen gemacht; es wurden die typischen Standorte fest- gelegt, die genau auf ihre Veränderung zu unter- suchen sind; die Schneedauer bestimmter Stand- orte wurde beobachtet; die beabsichtigten Studien über die Moose des Parkgebietes konnten leider wegen Mangel an Mitteln noch nicht begonnen werden ; in einigen Exkursionen wurden zahlreiche Bestandsaufnahmen gemacht. 4. Die Bearbeitung der Molluskenfauna des Parkes wurde begonnen und soll in diesem Jahre (1917) zu Ende geführt werden ; auch die Bearbeitung der Vogelfauna und der Fische hat begonnen; ebenso werden die Tausendfüßer bearbeitet werden. Es seien hier noch einige Angaben über den Schweizerischen Bund für Naturschutz und über den Natio na! park angeschlossen, die den vorjährigen „Verhandlungen der Schweize- rischen Naturforschenden Gesellschaft", namentlich den Reden von Schröter und Paul Sarasin, entnommen sind. Die vorjährige Jahresver- sammlung, die im Unterengadin, in Schuls, Tarasp und Vulpera stattfand, stand im Zeichen des Naturschutzes und des Nationalparkes. Denn im Umkreis dieser Gemeinden befindet sich ein Teil des Schweizerischen Nationalparks und die Jahres- versammlung war mit einem größeren Ausflug in den Nationalpark verbunden. Der Nationalpark umfaßt drei verschiedene Partien: i. das zentrale Gebiet der Gemeinde Zernez, das auf 99 Jahre abgetreten ist; es umfaßt 97 Quadratkilometer und wird vom Bunde mit jährlich 1 8 000 Fr. sub- ventioniert; 2. westlich davon, 10 Quadratkilometer, vom Naturschutzbund auf 25 Jahre von der Ge- meinde Scanfs gepachtet und 3. östlich vom zentralen Gebiet, 32 Quadratkilometer, vom Natur- schutzbund auf 25 Jahre von der Gemeinde Schuls gepachtet. Über die Bedeutung des Schweize- rischen Nationalparkes sagt Schröter wie folgt: „Der Nationalpark ist eine Stätte, wo jegliche Einwirkung des Menschen auf die Natur für alle Zeiten ausgeschaltet ist, wo alpine Urnatur sich ungestört wiederherstellen und weiterentwickeln kann. Ein Refugium für Pflanzen- und Tierwelt, ein Sanctuarium, ein Naturheiligtum. An des Nationalparks Grenzen brechen sich die über alle Lande verheerend strömenden Wogen mensch- licher Kultur, die das ursprüngliche Antlitz der Mutter Erde zerstören; er bildet eine Insel alten ursprünglichen Lebens. Und damit wird er eine Erbauungsstätte für jeden Naturfreund. Weit offen sollen seine Tore stehen für jeden; aber still, von ahnungsvollen 476 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 33 Schauern erfüllt, soll er seine Schritte durch das Sanctuarium lenken, um seine Tierwelt nicht zu stören. Kein lautes Hotelgetriebe soll ihn er- füllen ; kein Auto soll ihn durchfauchen ; der alpinen Urnatur soll sich der Mensch als bescheidener P'uß- gänger einfügen. Nicht nur dem Naturfreund, auch der Wissen- schaft wird der Nationalpark unerschöpfliche Dienste leisten. Unsere Gesellschaft hat die Aufgabe übernommen, diesen Born auszuschöpfen ; ihre wissenschaftliche Parkkommission ist an der Arbeit. Es soll ein absolut vollständiges Inventar der gesamten Pflanzen- und Tierwelt, eingeschlossen das mikroskopische Kleinleben, aufgenommen werden : eine Aufgabe, die nebenher gesagt, noch nirgends auf der ganzen Erde gelöst ist. P^Is soll namentlich durch wiederholte Aufnahmen des- selben Standortes die allmähliche Wiederherstellung der ursprünglichen Flora und Fauna gegenüber der durch Menschen beeinflußten studiert werden ; dann aber auch die natürliche Wechselwirtschaft der Biöcönosen, die natürliche Aufeinanderfolge, die Sukzessionen der Pflanzen- und Tiergemein- schaften im Zusammenhang mit geologiscli oder organisch bedingten Veränderungen des Substrates. Es soll darnach gestrebt werden, die natürlichen Bedingungen der geologischen Unterlage, des Bodens und des Klimas im kleinsten Räume fest- zulegen. Und es soll die Unberührtheit, die Sicherheit vor Störungen durch Mensch und Vieh benutzt werden, langsame säkulare Veränderungen des Terrains an Pegeln zu studieren. So werden in diesem einzigartigen Laboratorium die Natur- forscher unseres Landes sich zu gemeinsamer er- sprießlicher Arbeit zusammenfinden, auf dem internationalen Boden der Wissenschaft eine nationale Aufgabe zu lösen." Auch PaulSarasin hat in einer französisch gehaltenen Rede, die in demselben Bande zum Abdruck gelegt ist, die Ziele entwickelt, die den Begründern des schweizerischen Nationalparkes, zu denen er ja vor allem gehörte, vorgeschwebt haben: „Die Schaffung eines freien Gebietes von möglichst großer Ausdehnung, in welchem Fauna und F'lora ohne jede äußere Störung erhalten werden könnten, sich im Laufe der Jahre weiter entwickelnd, einer neuen Schöpfung gleich, damit ein Stück bodenständiger Natur der Nachkommen- schaft überliefert werden könne. In diesem Ge- biete wird sich der Wald im Laufe der Jahre in einen Urwald verwandeln; Veränderungen durch den Menschen werden hier nicht gestattet sein, auch nicht Eingriffe zu forstlichen Zwecken. Alles, was die Natur selber gepflanzt hat, alles was die Natur von selbst wachsen läßt, soll sich frei und ungehindert entwickeln. Die zukünftigen Ge- schlechter sollen hier einen Urwald finden und ihn bewundern. Auch der bunte Teppich der Alpenpflanzen soll unberührt bleiben. . . Dasselbe gilt für die Fauna . . . Wir werden auf diese Weise ein grandioses Experiment ausführen, das nicht nur ein allgemein-menschliches, sondern auch ein speziell wissenschaftliches Interese haben wird; handelt es sich ja um die Schaffung einer florisUsch faunistischen Biocönose, wie sie die Alpen vor der Ankunft des Menschen beseelt und geschmückt hat ... Es ist falsch, zu glauben, daß man eine Art für die Wissenschaft gerettet habe, wenn man sie in Form eines Skeletts oder eines Balges im Museum aufgestellt oder wenn man sie getrocknet im Herbarium aufbewahrt hat. Nein, die lebendige Natur soll von nun an unser Museum sein . . ." S;.rasin weist darauf hin, daß nur wissen- schaftliche Gesichtspunkte den Naturschutzbund veranlaßt haben, den ersten Nationalpark gerade im Unterengadin zu begründen, das als eine Ge- birgsgegend für die Schaffung eines größeren Naturschutzgebietes besonders geeignet sein mußte. Es besteht jedoch die Absicht, ein zweites großes Reservat in der französischen Schweiz zu begründen, aber die gegenwärtigen Verhältnisse gestatten es natürlich nicht, die Bearbeitung dieses Prospektes jetzt in die Hand zu nehmen. Wie aus dem Be- richt von Prof. Tarnuzzerinden „Verhandlungen" (S. 232) hervorgeht, ist auch eine Erweiterung des Nationalparkes im Unterengadin geplant. Überblickt man die Leistungen, die die Schweizer Freunde des Naturschutzes innerhalb weniger Jahre vollbracht haben, so kann man mit seiner Bewunderung für den Idealismus und die Tatkraft dieser zielbewußten Männer nicht zurück- halten. Was die schweizerische Naturschutz- bewegung kennzeichnet, das ist die feste wissen- schaftliche Grundlage, auf der das ganze Unternehmen aufgerichtet ist. Und mit berechtig- tem Stolz sagt Paul Sarasin: „Mit der Zeit müssen große Reservatgebiete, in der Art wie es der schweizerische Nationalpark ist, der ihnen als Beispiel wird dienen können, in allen Staaten ge- gründet werden; es muß der Tag kommen, wo ein Netz von solchen Reservatgebieten über die ganze Erde verbreitet sein wird; sie müssen sich wie eine Kette schützender Inseln erheben über den Ozean der allgemeinen Vernichtung von Tieren und Pflanzen. So wird die Schweiz, indem sie auf nationalem Boden ein vorbildliches Werk für den Schutz der Natur verrichtet, in würdiger Weise an der noch größeren Aufgabe des Welt- schutzes der Natur Anteil nehmen . . ." In aller Tätigkeit für den Naturschutz und für den Nationalpark in der Schweiz fühlt man die warme Liebe des Schweizers zu seinem Heimat- land, eine Liebe, wie sie nicht häufig ihresgleichen hat. Und es ist wie das Ahnen einer besseren Zukunft für die gesamte Menschheit, wenn diese Männer, die so treu zur Heimat halten, niemals der Menschheit als eines großen Ganzen ver- gessen : „ . . . Wir wollen kämpfen und ringen, bis es uns gelingt, unsere Sonderwünsche und Sonder- interessen der Allgemeinheit, dem Wohle des ge- meinsamen Vaterlandes, aber auch, mit weiterem Blick, dem Wohle der gesamten Menschheit unter- zuordnen" . . . Worte, mit denen Prof. Schröter N. F. XVIl. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 477 seine Rede im schweizerischen Nationalparl< be- schloß. Lipschütz. Zoologie. Eine neue Fundstätte der schönen und seltenen Biene Andrena fulva Schrck. Dem Forscher bieten die solitären Bienen eine Fülle von Anregungen und Beziehungen weitgehender Art, wie sie sich aus den stammesgeschichtlichen Zusammenhängen kundgeben, die uns schließlich zu der wundervollen Staatenbildung der Honig- biene hinleiten, wie ich das in verschiedenen Schriften auszuführen versucht habe. ') Aber auch in tiergeographischer Hinsicht ergeben sich für den Biologen aus der Sammeltätigkeit oft wert- volle P'ingerzeige. Ich brauche hier nur auf die Reliktenfauna hinzuweisen. Daneben entzücken einzelne Arten durch Formenschönheit und bean- spruchen auch hierdurch ein besonderes Interesse. Eine der schönsten Arten aus der sehr formen- reichen Gattung Andrena F. ist die Andrena fulva Schrck., die an Größe ungefähr unserer Honigbiene gleichend, Thorax und Abdomen oben lang und dicht fuchsrot bis gelbrot und die Unterseite schwarz behaart zeigt. Die Männchen sind kleiner von unscheinbarer Färbung. Hier oben in der Nord- westecke Deutschlands wurde sie nach Alfken'') bisher nur bei Hamburg, Hannover und bei Biele- feld gefunden. Dieser gute Beobachter konnte sie dagegen in Bremen und Umgegend trotz jahrzehnte- langer Bemühungen nicht feststellen, obgleich Ph. Heineken (1837) sie als vorhanden angibt. Ebenso erging es mir im benachbarten Oldenburg. Da diese auffällige und langsam fliegende Art da- gegen nach Friese^) auch „sehr häufig bei Amsterdam (Oudemans)" angetroffen wurde, erschien die Vermutung, daß Heineken, wie auch sonst wohl, einer Irrung unterlegen sei, kaum berechtigt und die Hoffnung, sie wieder zu ent- decken, blieb bestehen. Als Wirtspflanze wird aus- schließlich oder doch imVorzug unsere Stachelbeere (Ribes grossularia) angegeben. Ich erbeutete sie in Freiburg i. Br. im April an Salix, in Jena an Ribes, Friese in Oppenau (Baden) im März an Salix, in Weißenfels, Schwarza, Münster, Jena und Bern „im ersten Frühling an Ribes grossularia". Als weitere Fundorte finde ich Fiume, Innsbruck, Bozen, Fürth, Berlin (Friese) und Halle (Taschen- berg), sowie Erlangen (Zander) verzeichnet, doch dürften sich noch weitere Fundorte angliedern. Sehr groß war nun meine Überraschung, als ich diese hier im Nordwesten offenbar recht seltene Biene, deren Flugzeit meist mit Ende April zu Ende geht, in Oldenburg i. Gr. am 19. Mail an den Blüten der Berberitze in verhältnismäßig großer Anzahl auffand. An die Stadt Oldenburg stößt ein sehr flacher Geestrücken (leichter, sandiger ') Vgl. Leben und Wesen der Bienen. Braunschweig 1915. ") J. D. Alfken, Die Bienenfauna von Bremen. 220 S. Abh. Nat. Ver. Bremen. Bd. XXII. H. i. 191 3. ^) H. Friese, Bienenfauna Deutschlands und Ungarns. So S. Berlin 1S93. Boden) und hier auf dem Terrain einer großen Baumschule entdeckte ich sie, wie gesagt, in zahl- reichen Exemplaren an Berbcris (eine Varietät mit rötlichen Blättern), während ich sie nie in Gärten der Stadt an Berberis vulgaris oder der nahe ver- wandten Mahonia aquifolium angetroffen. Als echte Sandbiene scheint sie sich auf die Sandgegend zu beschränken. Merkwürdig ist nun, daß diese an anderen Fundstätten so sehr früh im Jahre erscheinende Biene hier im diesjährigen so günstigen, warmen Frühjahr erst im Mai, längst nach Erledi- gung der Stachelbeerblüte auftaucht. Die Ribes- büsche trugen zur Zeit des Fanges schon fast durchweg mehr als erbsengroße Beeren. Die ge- fangenen Weibchen erwiesen sich meist als abge- flogene Exemplare, so daß ich annehmen muß, daß sie wohl sicherlich schon 8 — 10 Tage geflogen sein werden. Leider vermochte ich bis jetzt keinen Nistplatz aufzuspüren. Im Netz geschüttelte Exemplare nahmen ihren Flug sofort in die Höhe und strichen in der Höhe ab, ein ziemlich sicheres Kennzeichen, daß der Nistplatz sich nicht in der unmittelbaren Nähe befinden konnte. Trotzdem die kleinen Berberisbüsche sehr spärlich mit Blüten behängt waren und daher für die verhältnismäßig große Anzahl der Besucher anscheinend kaum ge- nügenden Nektar und Blütenstaub zu gewähren vermochten, fand ich die Andrena fulva, soweit ich zu ermitteln vermochte, ausschließlich auf diese Wirtspflanze beschränkt. Es ist eine bekannte Sache, daß gewisse Bienenarten eine einzige Wirts- pflanze befliegen; ist diese durch besondere klima- tische Bedingungen bereits verblüht, bevor die Bienen erscheinen, so wählen sie notgedrungen eine andere. Sehr seltsam ist es nun, daß die Instinkte so fein abgestimmt sind, daß sich oft sämtliche Bienen einer gewissen Art die gleiche Ersatzpflanze wählen, obgleich nach menschlichem Ermessen viele Blüten anderer Pflanzen dasselbe gewähren würden, so fand Friese (i. 1.) die Andrena fulva bei Schwerin Anfang Mai und zwar stets nur auf den Blüten des weißen Wintercalvill. Viele Bienenarten scheinen sich aber keine Ersatz- pflanzen wählen zu können, wie z. B. Andrena florca, die nur auf Bryonia (Zaunrübe) fliegt und nur gefunden wird, wo Bryonia wächst. Viel- leicht geben diese Zeilen Anregung, aufs neue Ausschau nach der Andrena fulva zu halten, zu- mal interessante Schmarotzer (Nomada) bei den Nistplätzen anzutreften sind. v. Buttel-Reepen. Geographie. Geographische und ethno- graphische Forschungen in Deutsch-Neu-Guinea. Die Küstengebiete Neu-Guineas sind zwar schon ziemlich wohlbekannt, aber in das Innere der Insel konnten der ungünstigen Wegverhältnisse und des ungesunden Klimas wegen erst wenige europäische Forscher vordringen. Zu den Männern, die mit Erfolg die wissenschaftliche Erschließung Deutsch- Neu-Guineas betrieben, gehört Dr. Richard T h u r n w a 1 d , welcher die Kolonie mehrere Jahre lang bereiste und sie erst nach Kriegsausbruch, 47» Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 33 191 5, verHeß. Über eine P'ahrt den Kaiserin- Augustafluß aufwärts berichtet Thurnwald in der Umschau (1918, Nr. 14). Die Wanderung in das Quellgebiet des Plusses war voller Über- raschungen. Thurnwald schreibt u. a. : In der Höhe von 1000 — 2000 m ist die Waldflora ganz anders als unten. Im Sand der Gebirgsbäche stehen riesige Kasuarinen. Auf den Höhen trifft man viele Nadelhölzer an, die an die bekannten australischen Arten erinnern. Kommt man in die Nebelzone, so bietet sich ein ganz neues Phänomen dar : der Mooswald. Man schreitet wie auf Pfühlen, der Fuß sinkt mit jedem Tritt ein auf dem elastischen, oft mit abgefallenen Nadeln oder Laub bestreuten Boden. Prüft man die Tiefe, so findet man, daß diese Schicht i — 2 m hinunterreicht. Verhängnisvoll für den Fuß kann sie werden, wo sie die Spalten zwischen Felsblöcken und schwerem Geröll überwuchert. Zauberisch wirkt der Blick durch den Mooswald. Da hängen die grünen Lappen Moos bis oben in den Wipfeln der dünnen Bäume. Man blickt durch den Wald wie zwischen grünen Theaterkulissen. Das sieht so aus, wie man das Reich der Elfen träumt. Wenn sich die Nebel senken und mit ihren Schleiern zwischen den flatternden grünen Fähnchen brauen, dann erwartet man, daß der Erlkönig Gestalt gewinnt und mit langem grauen Bart und bleichem Gesicht auf weißem Roß vorbeischwebt. Anders als dieser an nordische Landschaften gemahnende Mooswald wirken dagegen die steilen, kahlen, nur stellen- weise von Farnwiesen bedeckten Häupter der „Riesen". Wenn die Sonne sie mit Rotglut über- zog, erinnerte sich Thurnwald des Alpenglühens in den Dolomiten. Die ,, Riesen" stehen als Pforte an den großen Ouellbecken. Hier traf Thurn- wald auf Spuren menschlicher Besiedelung und bald traf er auch die ersten ungemein scheuen Eingeborenen, die noch nie einen Europäer gesehen hatten. Doch gelang es, die Leute zutraulicher zu machen und bald führten sie Thurnwald von Dorf zu Dorf, wo er viele schöne Pflanzungen kennen lernte. Die Eingeborenen im Quellgebiet des Augustaflusses sind zumeist pygmäenhaft klein, doch machen sie sonst einen gesunden und intelli- genten Eindruck. Alle sind mit Pfeil, Bogen und Dolch bewaffnet. Solche pygmäenhafte Leute traf Thurnwald auch in anderen Teilen der Kolonie an, wie in dem Steppengebiet, dem östlichen Strich Landes zwischen Kaiserin-Augusta-Strom und Küstengebirge. In dem westlichen Gebiet desselben Strichs begegneten ihm indessen oft größere Gruppen von Albinos. Diese Albinos waren aber nicht von extremen, sondern von einem ,, gemäßigten" Typ, nämlich allerdings mit wesentlich hellerer Hautfarbe (hellbraun) als der Durchschnitt aus- gestattet und häufig auch mit braunem Haar und Barthaar und hellbraunen Augen. H. Fehlinger. Geophysik. Soll in der Atmosphäre oder im Meere Gleichgewicht vorhanden sein, so muß die Dichte mit zunehmender Höhe abnehmen. Diese Bedingung ist jedoch nicht hinreichend, um die Art des Gleichgewichts zu bestimmen. Th. Hesseiberg (Ann. Hydr. etc. 40, 118, 1918) gelangt nun auf folgendem Weg zu einem Aus- druck für die Stabilität in der Atmosphäre und im Meere : Die Atmosphäre möge in der Höhe z die Dichte q, in z + /\ z die Dichte q' besitzen. Wird ein Teilchen von z nach z + /\z gebracht, so wird es (trocken- oder feucht-) adiabatisch aus- gedehnt und hat nun die Dichte q". Ist diese größer als q', so erleidet das Teilchen einen Ab- trieb, ist sie kleiner als q', einen Auftrieb. Je nachdem die Differenz q" — q' größer, gleich oder kleiner als Null ist, war das Gleichgewicht in der Atmosphäre stabil, indifferent oder labil. Indiffe- rentes Gleichgewicht ist bekanntlich vorhanden, wenn der Temperaturgradient adiabatisch ist. Als Folge der vorstehenden Betrachtung ergibt sich dann für die Stabilität der Ausdruck ■^-■■? Q dz Dabei ist 6q der Unterschied in der Dichte, den ein um dz verschobenes Teilchen gegen seine Umgebung aufweist. E gibt an, mit welcher Be- schleunigung ein um die Strecke eines aus seiner Lage entferntes Teilchen nach seiner ursprüng- lichen Lage zurückgetrieben wird. Das Gleich- gewicht ist also labil, wenn E negativ, stabil wenn E positiv ist. Diese Betrachtungen gelten in gleicher Weise für das Meereswasser. Der Wert von dg wird in der Atmosphäre nur bedingt durch den Temperaturunterschied zwischen dem verlagerten Teilchen und seiner neuen Umgebung. Es ergibt sich demnach für die Stabilität die Formel Hierbei ist y' der adiabatische Temperaturgradient — bei ungesättigter Luft=0,Oi'* pro m, bei an Wasserdampf gesättigter Luft ein entsprechend niedriger, von Druck und Temperatur abhängiger Wert — , y ist der tatsächlich herrschende Tem- peraturgradient und ^ die Temperatur. Es geht daraus hervor, daß bei gleichen Temperaturver- hältnissen das Gleichgewicht in einer an Wasser- dampf gesättigten Luftschicht — also im allgemeinen in einer Wolke — das Gleichgewicht weniger stabil ist als in einer ungesättigten Schicht. In der Tat findet man in Wolken häufig negative Werte von E, also in der Umwälzung begriffene Luftmassen. Im übrigen ist die Verteilung der Stabilität in der Atmosphäre in der Regel so, daß nahe am Erdboden abwechselnd labile und sehr stabile Schichten auftreten. In größerer Höhe der Troposphäre hat die Stabilität ungefähr den Wert I ; in der Stratosphäre nimmt dann die Stabilität rasch sehr große Werte an. Beim Meereswasser hängt die Dichte außer von der Temperatur noch vom Salzgehalt ab. Demgemäß ergibt sich für die Stabilität die Formel N. F. XVn. Nr. 33 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 479 dS ■ dz '^ ÖT ' \dz Hierin ist S der Salzgehalt und z die Temperatur» -;— und -^r- wieder der wahre und adiabatische dz dz Temperaturgradient. Die Untersuchung zeigt nun, daß im Atlantischen Ozean bis etwa 50 m Tiefe labiles Gleichgewicht herrscht. In tieferen Schichten ist das Gleichgewicht stabil, jedoch ist die Stabi- lität gering und nähert sich in der Tiefe dem Wert O. Sehr große Stabilität zeigte sich in der Straße von Gibraltar, wo an der Oberfläche das leichte Ozeanwasser in das Mittelmeer eindringt, während in ca. 200 m Tiefe das schwere salzhaltige Wasser in den Ozean fließt. In größerer Tiefe nimmt auch im Mittelmeer die Stabilität wieder beträchtlich ab. Im Mittel ist die Stabilität in der Atmosphäre größer als im Meere. SchoUch. Bücherbesprechungen. Eug. Warming's Lehrbuch der ökologischen Holland für die Jahre 1850 Pflanzengeographie. 3. umgearbeitete Auflage von Eugen Warming und Paul Graebner. 5. u. 6. Lieferung. Berlin 1918. Gebr. Born- träger. Das in der Naturw. Wochenschr. früher bereits mehrfach besprochene Buch liegt nunmehr fertig vor. Die 5. Lieferung enthält die Formationen der Torf-, Stein- und Sandböden, der Wüsten, Einöden und Steppen uud die Hartlaubformationen. Daran schließt sich ein allgemeines Schlußkapitel, in welchem der Kampf zwischen den Pflanzen- vereinen behandelt und auch im Zusammenhang damit die Entstehung der Arten gestreift wird. Insbesondere wird die Wirkung der Umwelt auf Struktur und Form der Pflanzen erörtert an einer Reihe von Beispielen (unter denen aber die ehe- mals viel beachtete Angabe Hegeler's über die direkte Anpassung an Zug zu streichen ist). Warming bekennt sich zu der Auffassung, daß die Pflanzen durch Selbstanpassung auch ihre kon- stanten Eigentümlichkeiten erhalten haben können. Er verweist u. a. auf eine Anzahl Indizienbeweise pflanzengeographischer Natur, so auf die Konver- genzerscheinungen, durch welche die polaren und alpinen Pflanzen, die Pflanzen der Wüsten uqd Steppen, des Strandes usw. ein so gleichartiges Aussehen erhalten. Auch in der neuen Gestalt, die, wie Warming in der Vorrede angibt, im wesentlichen auf War- ming selbst zurückgeht, vonGraebner aber durch mannigfache Ergänzungen ausgestattet wurde, zeigt das Lehrbuch die großen Vorzüge, die es wieder- um der allgemeinen Beachtung empfehlen. Ins- besondere bedeuten die zahlreichen Abbildungen eine sehr schätzenswerte Bereicherung. Miehe. A. Lipschütz, Über den Einfluß der Er- nährung auf die Körpergröße. Vortrag. Bern 191 8. Verfasser referiert eigene und fremde Tierver- suche, aus denen die Hemmung des Wachstums durch qualitativ oder quantitativ ungenügende Nahrung hervorgeht. Von großem Interesse ist das statistische Material (von Bolk, Rietz u.a.), das die Zunahme der mittleren Körpergröße von Stellungspflichtigen Rekruten während der letzten Dezennien beweist. Diese Zunahme beträgt in 907 nicht weniger als 1 2 cm I Inwieweit die Ernährung oder soziale Faktoren diese Zunahme sowie auch das stärkere Wachstum der Kinder aus wohlhabenden Kreisen bedingen, muß vorläufig noch dahingestellt bleiben. V. Brücke, Innsbruck. J. Wiesent, Repetitorium der Experi- mentalphysik. Ferdinand Enke 1917. XII u. 15s S., 67 Abb. - Geb. 6 Mk. Repetitorien, Bücher zum Einpauken für Medi- ziner, gibt es auf dem Gebiet der Chemie und Physik nachgerade genug. Der Verfasser recht- fertigt vorliegendes ^A'erkchen deswegen auch mit dem augenblicklich großen Bedarf an solchen Wiederholungsbüchern. Der Bedarf liegt ja leider vor, denn viel ist draußen in den Schützengräben vergessen worden. Es steht aber zu hoffen, daß dies Büchlein nur zum Auffrischen der Kenntnisse, nur zur „kurzen Orientierung im ehedem ver- trauten Fahrwasser" benutzt werde, aber ja nicht um vor dem Examen zu lernen, was man niemals wußte. — Dem Bedürfnis nach kurzer Orientie- rung entspricht das Buch namentlich durch ver- schiedenartigen Druck. Mit ganz dicken Lettern springt uns das Notwendigste entgegen, mittel- dick und gesperrt erscheinen die wichtigsten Sätze und Tatsachen, in normalen Lettern das, was man eigentlich alles noch wissen sollte, während kleine Buchstaben auf unwichtigere Dinge verweisen. — Ein weiterer Vorzug des Büchleins liegt darin, daß nicht nur die reine Physik Beachtung fand, sondern vielfach auch auf die praktische Anwen- dung physikalischer Gesetze Rücksicht genommen wurde. Die Auswahl des Stoffes unterliegt bei einem Repetitorium natürlich sehr dem persönlichen Geschmack des Verfassers. Auf keinen Fall aber dürfen Dinge gebracht werden, die für den Medi- ziner oder künftigen Oberlehrer nicht allzu wichtig sind, solange unbedingt Notwendiges dabei zu kurz kommt. Der Verfasser bespricht zwar Pola- risationserscheinungen und kinetische Gastheorie mit dankenswerter Ausführlichkeit, widmet Pyro- und Piezoelektrischen Erscheinungen eine halbe Seite, läßt aber zum Beispiel über das Barometer und über die Anwendung von Spiegeln manches vermissen. — Als Repetitorium wendet sich das 48o Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. i\ XVll. Nr. i'i Buch allerdings an solche, die mit dem Gegen- stand schon einigermaßen vertraut sein müssen, aber auch ihnen wird die Wiederholung leichter fallen, wenn sie systematisch geschieht. Die zu diesem Zweck notwendige Ordnung des Stoffes ist hier nicht immer ganz glücklich getroffen. Das elektromagnetische IVIaßsystem wird z. B. vor den magnetischen Wirkungen des Stromes be- sprochen, und das IVIac-Leod, das Instrument zum IVIessen kleinster Drucke wird in der Wärmelehre näher beschrieben. Dr. Victor Engelhardt. Anregungen und Antworten. A. R. Welche Arten und Rass Menschenaffen (ausschließlich der Uylobatidae) nach M a t s c h i e und Elliotf D. G. Elliot hat in seinem dreibändigen Werke: A.Review of the Primates. New York 1913, die Menschenaüfen in 4 Gat- tungen eingeteilt, Poitgo, die Orang-Utans, Gorilla, die Gorillas, Psiudogorilla, eine Gattung, die zwischen den Gorillas und Schimpansen vermitteln soll, und Fan, die Schimpansen. Fr nimmt 2 Arten des Orang-Utans, pygviaeus von Bornco und abclii von Sumatra an, 2 Arten des Gorilla, gorilla und beringt!, deren erstere er in 7 Rassen verteilt, den echten Gorilla vom Gabun, matschiei von Yaunde in Kamerun, äiehli von Oboni und Mokbe in Kamerun, jacobi von der Lobo-Mündung in Kamerun, riistaneiceps von Kamma im Congo fran(;ais und noch zwei Rassen, die er nicht benannt hat, weil ich sie be- nennen wollte, die eine aus dem Gebiete zwischen dem Dume und Bumba in Kamerun, die andere von Mbiawe am Lokundje in Kamerun. Der FseudogoriUa maycma soll am oberen Kongo leben. Elliot nimmt 13 Arten des Schimpansen an, calvHS von Kamma im Congo frangais, angeblich bis Kamerun verbreitet, fuliginosus vom Congo fran(;ais, satyrus vom Gabun. koolookamba vom Ovenga im Congo frangais, leucoprymnus von Oberguinea, chimpanse vom Gambia, schweinfurthi von Niara-Niam im Becken des Uelle, der zum Kongo fließt, auhryi vom Gabun, angeblich bis Kamerun verbreitet, vellerosun vom Kamerun-Berge, fuscus, vielleicht von der Goldküste, und 3 Arten, die er aus dem oben erwähnten Grunde nicht benannt hat, eine von Bascho, eine von Dume und eine von Lomie in Kamerun. Außerdem hat er als eine besondere Rasse des schweinfurthi den martingcnsis von Marungu am Tanganjika- See betrachtet. Ich habe bisher eine zusammenfassende Arbeit über die Menschenaffen noch nicht veröffentlichen können. In den Sitzungsberichten der Gesellschaft Naturforschender Freunde, 1914, 323 — 335 sind von mir die Arten, welche Elliot nicht benannt hat, weil er meine Beschreibungen nicht rechtzeitig erhalten konnte, ausführlich beschrieben worden; nämlich 2 Arten des Gorilla; hansmeyeri aus der Gegend südlich des Dume-FIusses in Kamerun und zenheri von Mbiawe, dazu noch eine dritte, graueri vom Tanganjika, und 4 Arten des Schimpansen, ocrtzeni und ellioii von B,ischo, reuteri vom Duriie und ochroleucus von Sangmclima in der Nähe von Lomie. Ich habe in dieser Arbeil darauf hingewiesen, daß für die Schimpansen der Kaws Aiilhiiij,iij,iiJ^eii:fi von 7 auf dem Ge- biete der Säugetierkunde bekaniilin Zoologen angewendet wird anstatt des ungewohnten Fa!>. Der richtige Name würde Simia sein. Diesen wollte man aber durch Übereinkunft für den Orang-Utan anwenden für den Namen Pongo. Die Gattung Pseudoyorilla kann ich nicht anerkennen; der Psendogorilln mayema ist ein echter Gorilla; die von Elliot hervorge- hobenen Merkmale sind teils solche des jungen Tieres, teils für die besondere Art bezeichnend. Meiner Ansicht nach gibt es nur einen einzigen Gorilla, der je nach der Gegend seine besonderen Merkmale hat. Ob man nun eine Gattung Gorilla mit einzelnen Arten oder eine Art und Unterarten oder Rassen aufstellt, ist schließlich nicht wesentlich ; man muß nur alle Gebietsfermen als gleichwertig auffassen und darf nicht die eine, weil sie anscheinend leichter erkennbare Unterschiede als die andere zeigt, als Art, die andere als Rasse hinstellen, weil man sie weniger leicht unterscheiden kann. ."Mle haben innerhalb der Tierwelt den gleichen Wert, jede bewohnt einen Teil des von der Gattung eingenommenen Gesamtgebietes, hat seine bestimmten Kennzeichen, gewissermaßen seine Uniform und ist durch keinerlei Übergänge mit den benachbarten ver- bunden. Diese Kleingebiete entsprechen den ursprünglichen Erdformen, den Mulden, in denen die Gewässer nach einer tiefsten Stelle zusammenflössen. Jetzt sind diese Mulden oft zu einem größeren Flußgebiete verbunden, ihre Ränder lassen sich aber immer noch als Wasserscheiden erkennen. Bisher sind nur 1 1 Arten des Gorilla beschrieben worden, außer den genannten noch mikenensis vom Mikeno-Vulkan in der Nähe des Fundortes für beringei, des Sabinyo-Vulkanes. .•\us dem ganzen belgischen Kongogebiete ist noch kein Gorilla benannt worden, er kommt dort aber wahrscheinlich überall im Urwalde vor. Über den Orang-Utan fehlen neuere Untersuchungen. Wahrscheinlich muß man auch eine größere Anzahl von Formen, die sich gebietsweise ersetzen, annehmen. Es ist sogar nicht unmöglich, daß in vielen oder allen Gegenden zwei Arten nebeneinander leben, eine mit Wangenwülsten und gorilla- ähnlichen Gliedmaßen und eine ohne Wangenwülste und mit schimpanseähnlichen Gliedmaßen. Über die Schimpansen sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Die früher gehegten Vermutungen, es gäbe mehrere Untergattungen, deren Vertreter nebeneinander leben, Tschego-Schimpansen, Kooloo-kambas und echte Schimpansen, ist bis jetzt nicht bestätigt worden. Vielmehr scheint es, daß der Schimpanse in jeder Gegend nur durch je eine Art ver- treten ist, die aber mehr oder weniger auffallende besondere Merkmale aufweist Vielleicht stellt der Kooloo-kamba eine durch riesige Ohren, hervortretende Wangenknochen und er- heblichere Größe ausgezeichnete Sonderform dar. leh möchte CS aber vorläufig noch bezweifeln und halte auch diesen Schimpansen nur für eine Gebietsform ebenso wie den Tschego, der die im Süden der Gabunmündung vorhandene Art darstellt. Was Elliot cakiifi nennt, ist wohl ein junger kooloo- kiimba. Außer den oben genannten 18 Arten des Schimpansen sind noch einige mehr beschrieben worden, raripilosus und pygmaeus südlich des Gabun, pnrschei vom Tschingogo- Vialde östlich vom Kiwusee , pfeifferi von der Akanjaru- quclle in Urundi, yraueri vom Westufer des Tanganjika, calrcsieiis vom Luama im belgischen Kongostaate, castano- muh' aus der Nähe von Udjidji in Deutsch-Oslafrika und sehiihotzi vom oberen Ituri, nahani von Banalia, ituricus von Mawambi am mittleren Ituri, steindachneri von Beni und cotloni vom Sassa-Flusse südöstlich des Albert-Edward-Sees, sämtlich aus dem Kongostaate. 7. Juni 1918. Matschie. Inhalt I A. Thellung, Neuere Wege und Ziele der botanischen Systematik, erläutert am Beispiele unserer Getreidearten. (3 Abb.) (Schluß.) S. 465. — Einzelberichte: Über den Naturschutz in der Schweiz. S. 474. v. Buttel-Reepen, Eine neue Fundstätte der schönen und seltenen Biene Andrena fulva Schrck. S. 477- Richard Thurnwald, Geo- graphische und ethnographische Forschungen in Deulsch-Neu-Guinea. S. 477. Th. Hesseiberg, Stabilität in der Atmosphäre und im Meere. S. 478. — Bücherbesprechungen: Eugen Warming und Paul Graebner, Eugen Warming's Lehrbuch der ökologischen Pflanzengeographie. S. 479. A. Lipschütz, Über den Einfluß der Ernährung auf die Kürpergröße. S. 479. J. Wiesent, Repetitorium der Experimentalphysik. S. 479. — Anregungen und Ant- worten: Welche Rassen und Arten bilden die MenschenalTen ? S. 480. Manuskripte und Zuschriften ien an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G, Pätz'schen Buchdr. Lippcrt & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17. Band; der ganzen Reihe 3^. Band. Sonntag, den 25. August 1918. Nummer 34. Wandlungen der Tier- und Pflanzenwelt des Rheins. chungen -hürn dargesU-lU Hans Pander. Im Jahre 1891 hat sich Robert Lauterborn dem Studium des Rheines zugewandt, und bis in die jüngste Zeit hat er diese Arbeit fortgesetzt. In zahlreichen, vornehmlich biologischen Ver- öft'entlichungen hat er jeweils Teilergebnisse seiner Forschungen mitgeteilt; jetzt hat er, auf seinen eigenen Untersuchungen und denen anderer Forscher fußend, eine große zusammenfassende Arbeit „Die geographische und biologische Glie- derung des Rheinstroms" abgefaßt, die er in drei umfangreichen Abhandlungen ') der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vorgelegt hat, und damit die erste Biologie eines großen Stromes ge- schaffen, die das ganze Gebiet, das strömende Wasser wie seine Ufer von der Quelle bis zur Mündung umfaßt. Daß ein solches Unterfangen gerade beim Rhein viele anziehende Aufgaben bot, ist klar; hat der Rhein doch geologisch eine vielgestaltige Geschichte : noch im Pliozän strümte der jetzige Hochrhein durch die Burgundische Pforte der Rhone und damit dem IVlittelmeer zu; der jetzige Alpenrhein ergoß sich vor der Eiszeit allem Anscheine nach in die Donau ; auch noch heute spiegeln sich diese alten Verbindungen in den pontischen und mediterranen Elementen der Tier- und Pflanzenwelt wieder. Erhöhte Bedeutung haben Lauterborns Darstellungen aber als Festlegung gegenwärtiger Verhältnisse für die Zu- kunft, denn der Rhein ist, wie so mancher andere Strom, durch die Kultur gewaltig umgestaltet worden: überall ist der Mensch seit langem am Werke, die schweifenden Wasser zu bändigen und in vorgeschriebene Bahnen zu zwängen; überall werden die Ufer befestigt, Buchten und Altwasser von dem belebenden Strome getrennt und zur Verlandung gebracht, die Sümpfe und Moore entwässert und in einförmiges Kulturland umgewandelt; dazu kommt die Bedrohung der Wasserfalle und Stromschnellen durch Anlage von Kraftwerken sowie die fortschreitende Verunreini- gung durch Abwässer von Städten und Industrien, die vielerorts bereits ganze Flußstrecken ihrer natürlichen Tier- und Pflanzenwelt beraubt und weithin verödet haben. Die Wandlungen, die Tier- und Pflanzenwelt des Rheins in früheren Abschnitten der Erdgeschichte wie unter dem Einflüsse der Kultur erfahren haben, bilden somit ') Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissen- schaften, Math.-naturw. Klasse, Abt. B. Biologische Wissen- schaften. Jahrg. 1916, 6. Abhdig., Jahrg. 1917, 5. Abhdlg., Jahrg. 1918, I. Abhdlg. Heidelberg, Carl Winter's Universitäts- buchhandlung. einen besonders fesselnden Ausschnitt aus den Darlegungen Lauterborns. Die Einflüsse der Kultur können es dabei der Größe der Wirkung nach mit denen der Naturkräfte, etwa der Eiszeit, zuweilen aufnehmen, wofür die vollkommene Ver- nichtung der gewaltigen Urwälder des Rhein- mündungsgebietes oder die ebenso vollkommene Besiedelung der Ufer des Mittelrheins durch die Rebe naheliegende Beispiele sind. Es ist Lauterborn gelungen, eine neue Ein- teilung des Stromes nach geographischen, hydro- graphischen und biologischen Gesichtspunkten zu gewinnen, der dieser Bericht durchweg folgt. Lauterborn unterscheidet: i. den Alpenrhein von der Quelle bis zum Bodensee, 2. Bodensee und Seerhein, 3. den Hochrhein bis Basel, 4. den Oberrhein bis Bingen, 5. den Mittelrhein bis Bonn und 6. den Niederrhein bis zur Mündung. L Der Alpenrhein. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Tierwelt der Hoch- täler des Quellgebietes um einige auffallende Ver- treter ärmer geworden; der Lämmergeier, der mindestens noch um das Jahr 1884 in den ein- samen Seitentälern des Valser Rheins horstete, ist ausgestorben; in den düsteren Nadelwäldern unter 2COO Metern Höhe hielt sich neben dem Luchs auch der Bär bis über die Mitte des 19. Jahr- hunderts. Noch 1865 war der Bär Standwild in den wilden felsigen Schluchten des Valser Rheins bei Zevreila. 1881 fiel der letzte im Gebiet des Vorderrheins im Val Zafragia, während am Hinter- rhein ein Bär noch 1896 nach den Alpen ober- halb des. Splügen streifte. In den verbreiterten, dichter besiedelten Talbecken der unteren Re- gionen sind die sonnigen Täler bereits Kultur- boden. Ein geradezu xerothermes Gebiet ent- wickelt sich im Domleschg, zwischen Thusis und Reichenau. Die Felsen, bebuschten Halden, Kiefer- wälder, die mit dichtem Gebüsch von Hippophae überwucherten alten Kiesbänke bergen auch unter den Tieren eine ganze Anzahl von Arten, deren eigentliche Heimat nach Süden weist. Dahin ge- hören von Vögeln Scops scops, Riparia rupestris, Phylloscopus Bonelli, früher auch Monticola saxa- tilis. Von Insekten sind Orthopteren wie Pachy- tylus cinerascens, Epacromia tergestina, Caloptenus italicus, Oedipoda coerulescens, Oe. miniata, Sphingonotus coerulans Formen südlicherer und südöstlicher Herkunft. Unter den Fischen des Quellflußgebietes ist die Seeforelle, Trutta lacustris, zu erwähnen, die in verschiedene Seen, so den Tomasee, verpflanzt ist. 4§2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 Das Schweizer -Vorarlberger Rheintal wurde erst nach Rückzug des großen diluvialen Rhein- gletschers dauernd besiedelt. Neben weiter ver- breiteten mitteleuropäischen Pflanzen und Tieren hat eine ganze Anzahl borealer, mediterran-atlan- tischer und pontischer Formen das Gebiet be- setzt. In der Niederung mit ihren Stromauen, Sümpfen, Rieden und Gießen faßten zahlreiche Vertreter feuchterer und kühlerer Klimate festen Fuß. Von Vögeln gehören dahin der Charakter- vogel der Riede, der große Brachvogel, sowie der Gänsesäger, deren Hauptbrutgebiete sonst weiter im Norden liegen. Auffallend groß ist bei der geringen Meereshöhe von 400 bis 500 Metern der Bestand an Glazialrelikten sowie alpinen Floren- elementen, die, von den Höhen herabgeschwemmt, sich hier zu halten vermögen. Am Rande der Ebene, auf den warmen Halden und Hängen der Bergflanken gedeiht weithin die Rebe, auch Ka- stanie und Walnuß reifen hier ihre Früchte; Maisfelder ziehen sich gegen den Fluß hinab; Getreidebau fehlt fast völlig. In den Obstbaum- hainen dieses heiteren Gartenlandes nisten Scops scops, Muscicapa collaris und Emberiza cirlus, alles Vögel ursprünglich mediterraner Herkunft. In den hochstämmigen Laubwäldern mit wärme- liebenden Pflanzen, besonders Sträuchern und Halb- sträuchern, brütet der südliche Phylloscopus Bo- nelli ; mit den Wäldern wechseln bebuschte Steil- hänge, Geröllhalden, sonnendurchglühte Felsen und Felsheiden, alle mit reicher xerothermer Flora und mediterranen Insekten, beispielsweise Asca- laphus macaronius. Bis in die Mitte des 19. Jahr- hunderts floß der Rhein hier als völlig verwilderter Dammfluß in breitem Geschiebebette dahin. Nach mehrfachen fehlgeschlagenen Versuchen wurde eine durchgreifende Stromberichtigung ausgeführt, die igoo bei Fussach eine neue Mündung in den Bodensee eröffnete. Gleichzeitig wurden einige Nebenbäche und Gießen in Kanäle gesammelt. Der korrigierte Rhein der Schwemmlandebene besitzt keine anstehenden Felsblöcke mehr; den lithophilen Organismen der Quellrheine fehlt also hier seitdem der sichere Standort. In den früheren Altrheinen, den Lochseen, teichartigen Becken mit reichem Pflanzenwuchse, ist seit der starken Durchspülung durch das Hochwasser des Rheins im Jahre 1890 eine früher nicht seltene Drose- racee, Aldrovandia vesiculosa, völlig verschwunden. Die Fische sind um den ursprünglich nicht ein- heimischen Cyprinus carpio bereichert worden ; auf den Kies- und Schotterbänken hat eine be- trächtliche Anzahl in die Niederung herabge- schwemmter Alpenpflanzen festen Fuß gefaßt: Selaginella helvetica, Agrostis alpina usw. Die ebenen braungrünen Flächen der Riede, große Flach- oder Wiesenmoore, die noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts etwa sieben Achtel der ganzen Talfläche einnahmen, dehnen sich trotz zahlreicher Eingriffe noch stundenweit. Früher anscheinend weiter verbreitete Stellen mit Hochmoorcharakter — Sphagnumpolster mit Drosera anglica, Vacci- nium uliginosum, V. oxycoccus, Andromeda poli- folia — gehen rasch ihrem Verschwinden ent- gegen ; dagegen haben einige alte Torfstiche gegen den See mit ihren Sphagnumbüschen und zahl- reichen sphagnophilen Algen durchaus den Hoch- moorcharakter bewahrt. II. Der Bodensee und der Seerhein. Die Tierwelt des Bodensees erhält ein besonderes biologisches Gepräge durch das Vorkommen einer größeren Anzahl von Arten ursprünglich nordi- scher Herkunft. Salmo salvelinus ist arktisch- alpin. Die Coregonen, unter den Crustaceen die Gattungen Heterocope, Bythotrephes, Latona, weiter Bosmina coregoni, gehören einer boreal- alpinen Gruppe an; wie sie sind einige Pflanzen, so Potamogeton vaginatus, deren Heimat wohl der Norden ist, im Alpenvorlande auf das Gebiet der eiszeitlichen Gletscher beschränkt. Bemer- kenswert sind Donauformen im Bodensee, wie der Wels und die Muschel Unio batavus. Süd- liche Elemente finden sich nur in der Pflanzen- welt, nämlich Moose wie Fissidens grandifrons und Trichostomum Baurianum. In den Sümpfen zwischen Friedrichshafen und Lindau ist das Vor- kommen des mediterranen Cyperus longus, der südlicher und östlicher weiter verbreiteten Aldro- vandia vesiculosa sowie der Caldesia parnassifolia hervorzuheben. Unter den mediterranen Insekten der Bodenseeriede seien Conocephalus mandibu- laris, Nemobius Heydeni var. rhenanus und Sym- petrum Fonscolombei genannt. Glazialrelikte bergen stellenweise feuchte Geröllstrecken der Ufer, so Saxifraga oppositifolia und Armeria pur- purea var. rhenana; im Bodenschlick der Tiefe des Sees bilden längs der Dampferstrecken die zahlreichen Schlackenstücke neue Schlupfwinkel für Tiefseetiere. III. Der Hochrhein. Die ältesten Bestand- teile der Lebewelt des Hochrheins dürfte die charakteristische Genossenschaft von Moosen bil- den , deren Leitform Fissidens grandifrons ist ; wahrscheinlich sind es Reste einer alten ter- tiären Flora. Die auffallende Beschränkung dieser Moose auf den Lauf des Seerheins, des Hoch- rheins, der Aare sowie der Gießen des Ober- rheins bis in die Gegend von Straßburg drängt zu der Auffassung, daß die jetzigen Standorte das Einzugsgebiet des pliozänen Rhone-Rheins wiederspiegeln, der in unmittelbarer Verbindung mit dem Mittelmeergebiete stand. F'ür die Pflanzen und Tiere des Landes bildete das Tal des Hochrheins seit dem Ende der Eiszeit eine wichtige Wanderstraße, die pontischen Elementen den Weg nach Westen zum Oberrhein , medi- terran-atlantischen den Weg nach dem Boden- see und weiter öffnete. Zuzug aus dem Osten bekunden Arten, deren Westgrenze das Hoch- rheintal bildet und die dem südlichen Oberrhein- gebiete fehlen. Von Pflanzen gehören dahin be- sonders Rhamnus saxatilis, Genista tinctoria var. ovata, Cytisus nigricans, Thesium rostratum, Tra- gopogon pratensis var. minor, von Tieren Pachi- N. F. XVII Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 4«3 tylus migretorius, Clausiha orthostoma; Pupa cupa hat vereinzelt die Gegend von Basel erreicht. Mediterran-atlantische, von Südwesten her durch die Burgundische Pforte eingewanderte Elemente sind Hex aquifolium und Tamus communis; sie sind bis zum Schweizer- Vorarlberger Rhein vor- gedrungen, indem sie dem Hochrhein folgten; Aceras anthropophora und Himantoglossum hir- cinum erreichen noch den Bodensee, während Galium parisiense, Herniaria hirsuta, Euphorbia Seguieriana, Orobanche hederae, Viola pumila, weiter Teucrium Scorodonia, Sedum reflexum var. rupestre (nach K e i 1 h o f e r) kaum über das Gebiet des Hochrheins nach Osten hinübergreifen. Scilla itahca bleibt bei Laufenburg, Buxus sempervirens bereits oberlialb Basel zurück. Von Insekten des Hochrheins und seiner Umgebung sind Ascalaphus coccaius, A. macaronius, Onychogomphus uncatus, Gomphus simillimus, Oligoneuria rhenana, Rhya- cophila Pascoei südlicher Herkunft, von Schnecken Pupa frumentum, Buliminus detritus; Pomatias septemspirale, nach ßollinger mediterran-alpin, ist dem Zuge des Jura folgend bei der Aaremün- dung über den Hochrhein in das Wutachtal, weiter abwärts bei Basel bis zum Isteiner Klotz vorge- drungen. Die mediterrane Lacerta viridis ist häufig an den Halden des Grenzacher Horns. Von Vögeln sind Phylloscopus Bonelli und Scops scops aus dem Mittelmeergebiete eingewandert. Als Elemente alpiner Herkunft können am Hochrhein Tachea silvatica, Fruticicola villosa sowie Clau- silia corynodes gelten. Der Hochrhein hat von allen Stromstrecken des Rheins neben dem Quellrhein bis jetzt noch am meisten seinen ursprünglichen Charakter be- wahrt. Neuerdings hat die Aare aus ihren zahl- reichen Seen, namentlich dem Züricher See, das Hochrheinplankton um mehrere Arten bereichert, die fortan die Leitformen des Rheinplanktons sind: Tabellaria fenestrata var. asterionelloides er- schien im Züricher See in Massenentfaltung zuerst 1896, Oscillatoria rubescens 1898, Melosira islan- dica um 1905, in den gleichen Jahren auch im Oberrhein. Der bedeutendste Eingriff in das Flußbild dieses Abschnittes, die Ausnutzung der steilwandigen Engschlucht hei Laufenburg zu Kraftzwecken, bedeutete einen tiefen Eingriff in die Lebensbedingungen der Fische. Dem Lachs, der bis vor kurzem in die Kiesgründe des Flusses seine Laichgruben schlug, ist der Aufstieg durch die Stauwehre fast ganz unmöglich gemacht; da- mit ist sein Hauptlaichgebiet aus dem Stromlaufe ausgeschaltet. Der Maifisch, der kaum über die Stromschnellen von Laufenburg vorzudringen pflegte, dürfte bald verschwunden sein, und der Stör gehört im Hochrhein zu den Seltenheiten. Das letzte Exemplar von 2 m Länge wurde 1854 bei Rheinfelden erbeutet. Die Jungbrut des Aales vermag die Wehre zu überklettern. IV. Der Oberrhein. Der jetzige Oberrhein entstand erst im Diluvium dadurch, daß der alpine Rhein , der bis dahin durch die Burgundische Pforte zur Rhone abfloß, bei Basel abgelenkt wurde und mit jenem Urrhein in Verbindung trat, der schon im Pliozän in der Richtung des heutigen Mittel- und Niederrheins der Nordsee zuströmte. An biologischen Zeugen für diesen ehemaligen Zusammenhang mit einem Mittelmeerflusse fehlt es keineswegs. Dahin gehört zum Beispiel Pseu- dunio sinuatus, eine große, dickschalige Muschel, die anscheinend noch zu Römerzeiten den strö- menden Rhein bewohnte, hier jetzt freilich ver- schwunden ist, während sie sich in Saone und Doubs noch findet, durch deren Täler der Strom einst seinen Weg nach Süden nahm. In jüngeren alluvialen Rheinkieseln bei Ludwigshafen hat Lauterborn ihre Schalen gefunden. L a m a r c k nennt unter den P'undorten seines Unio sinuatus noch 1819 den Rhein. Mediterran atlantische Be- standteile sind in der Lebewelt des Wassers nicht zahlreich. Typisch atlantisch sind von Pflanzen Oenanthe fluviatilis, Ranunculus hederaceus, medi- terran-atlantisch ist Chara fragifera (Umgebung von Mainz), südwestlich Typha gracilis, Inula Vaillantii, südlich Iris spuria, deren einzigen Fund- ort in Deutschland die Sumpfwiesen zwischen Rhein- und Mainmündung bilden. Pline Charakter- form der Oberrheinufer, Equisetum trachydon, ist atlantisch ; östlicher Herkunft sind Lycopus exaltus und Hernaria incana. Südliche Elemente der Tier- welt sind Rana agilis unter den Amphibien, Oli- goneura rhenana, Rhyacophila Pascoei, Gomphus pulchellus und Agrion Lindeni unter den Insekten. Ein westlicher Zuwanderer ist die Schnecke Physa acuta, pontische Elemente sind die Libelle Ery- thromma viridulum des Altrheins von Neuhofen sowie der Copepode Diaptomus transsylvanicus der Sümpfe von Neudorf bei Basel. Von Norden her, durch den Anschluß an den Nordseerhein, hat der Strom eine beträchtliche Bereicherung erfahren. Einige Wanderfische, wie Lachs, Lam- prete, Flußneunauge und Maifisch zählen dazu, unter den Amphibien Rana arvalis, unter den Mollusken Vivipara fasciata , Lithoglyphus nati- coides, Dreissensia polymorpha (zuerst 1836 im Oberrhein bei Mannheim beobachtet); diese beiden Muscheln sind ursprünglich Brackwasserformen; sie haben sich dem Süßwasser angepaßt und sind durch den Schiffsverkehr stromauf verschleppt worden. Insekten nördlicher Herkunft sind Ne- hallenia speciosa (bei Ludwigshafen) und gewisse Sumpfschmetterlinge wie Acentropus niveus und die Mehrzahl der Nonagriaarten. Pflanzen, die in und an den Gewässern des Oberrheins ihre abso- lute Südgrenze erreichen, sind nur wenige bekannt; der sumpfbewohnende nordöstliche Juncus afratus besitzt seinen südlichsten Standort bei Schiffer- stadt in der Rheinpfalz, Senecio paluster wird für ganz Süddeutschland nur bei I5enfeld und 111- häusern im Elsaß angegeben, S. fluviatilis geht am Rheine selbst kaum südlicher als bis zur Main- mündung. Dagegen erscheinen in den Altwassern und Sümpfen des Oberrheins eine Reihe von Pflanzen wieder, die in Deutschland ihre Haupt- 4^4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII Nr. 34 Verbreitung in der Tiefebene des Nordens und Nordostens haben, in den Fhißtälcrn Mitteldeutsch- lands dagegen meist nur ganz selten oder gar- nicht vorkommen. Hierher gehören beispiels- weise: Chara ceratophylla, (h. stelligera, Potamo- geton trichoides, P. mucronatus, P. Zizii, Naias marina, Wolffia arrhiza; selbst die eigentlich mehr südöstliche Salvinia natans, die am Oberrhein erst von Karlsruhe abwärts erscheint, weist auf eine Verbreitung von Norden her hin. Die Tier- und Pflanzenwelt des Landes zeigt dagegen am Ober- rhein eine starke und auffällige Durchdringung mit mediterranen und pontischen Elementen, während nordische in der Ebene ganz zurück- treten. Während der Eiszeit blieb die Rheinebene eisfrei ; so konnten, besonders dank der durch die geographische Lage bedingten klimatischen Sonder- stellung, präglaziale Elemente der Tier- und Pflanzenwelt sich hier an Ort und Stelle bis in die Gegenwart halten. Allem Anschein nach trug die Fauna und Flora des Gebietes vor der Eiszeit einen vorherrschend atlantisch mediterranen Cha- rakter; wahrscheinlich sind daher präglaziale Re- likte vor allem unter den westlichen und süd- westlichen Elementen des Wassers und des feuchten Geländes zu suchen. Beispiele bieten Oenanthe fluviatilis, Wahlenbergia hederacea, Anagallis tenella, Hypericum helodes und die atlantischen Bestandteile der Riede; auch Trapa natans und Vitis vinifera silvestris dürften schon seit dem Pliozän im Oberrheingebiete heimisch sein. Die tiefgreifende Wandlung, die während der Eiszeit die Zusammensetzung der Tier- und Pflanzenwelt erfuhr, klingt auch heute noch nach. Während der Eiszeit barg das kalte, trübe, ge- schiebeerfüllte Gletscherwasser des offenen Stromes jedenfalls nur eine recht ärmliche Tier- und Pflanzenwelt, ähnlich der des Schweizer -Vorarl- berger Rheins vor der Korrektion, nur noch stärker ins nordisch-alpine gesteigert. Die gegenwärtig häufigste und charakteristischste Schnecke der Auwälder, Fruticola villosa, ein echter Eiszeitrest, muß in den eiszeitlichen Vorläufern der Auwälder bereits recht verbreitet gewesen sein. Die Orga- nismen des fließenden Wassers fanden in den Gießen weit günstigere Bedingungen; das Beispiel von Fissidens grandifrons und F. crassipes zeigt, daß auch präglaziale Elemente die ganze Eiszeit überdauern konnten ; auch Quellen und Grund- wasseradern der von Gletscherbedeckung ver- schonten Gebiete haben vieles herübergerettet. Die Lößgebiete der Ebene und des Hügellandes trugen Steppen, deren Trockengräser und Stauden eine typische Steppenfauna, wie Wildpferde, Ziesel, Bobak (Marmota bobac) sowie zahlreiche Wühl mause, darunter die jetzt noch dort lebenden Mi- crotus arvalis und M. agrestis ernährten; von Raubtieren sind bei Mauer (östlich von Heidel- berg) der Fuchs und der Steppeniltis nachgewiesen. Daneben birgt der Löß noch die Reste von Groß- säugern wie Mammut, wollhaariges Rhinozeros, Höhlenbär, Höhlcnlöwc, llöhlcnhyänc, Ur, Wisent. Auf Tundren wanderten Rentiere und Moschus- ochsen; Lemmingc, Wühlratten, Vielfraß und Eis- fuchs belebten sie, dazu kamen noch einige Tiere, die jetzt in die Alpen zurückgedrängt sind, wie Murmeltier, Schneehase — dieser hielt sich viel- leicht bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts im Schwarzwalde — , weiter Gemse und Steinbock, deren Aufenthalt die Felsenhänge der Berge bil- deten. Die Schneehühner, die noch um 1800 auf dem Hohloh im nördlichen Schwarzwalde erlegt wurden, waren dagegen nicht Glazialrelikte, son- dern nachweislich wieder eingesetzt. Als mit dem Ende der Diluvialzeit sich das Klima besserte, zogen sich die kälteliebenden Tiere und Pflanzen teils nach Norden, teils in die Alpen zurück; nicht wenige aber hielten sich im Mittelgebirge. In der Ebene und im Hügellande begünstigte die immer stärker werdende Erwär- mung die Erhaltung und Ausbreitung aller Trocken- formationen, namentlich der Steppe; sie nahm be- sonders die von Südosten her einwandernden wärmeliebenden pontischen Pflanzen und Tiere auf. Eine weitere charakteristische Bereicherung erfuhr das Gebiet um jene Zeit durch einen be- trächtlichen Zustrom mediterraner Elemente, die durch die Burgundische Pforte zum Oberrhein vordrangen. Auf die trockene Steppenperiode folgte wieder ein feuchteres Klima. Der Wald gewann an Boden, engte den Bereich der zu- sammenhängenden Steppe ein und ließ Waldtiere, wie Wisent, Ur, Elch, Edelhirsch, Reh, Bär, Luchs, Wolf, Wildschwein, Eichhorn, an den Gewässern auch Biber, aufkommen. Als vorherrschendes Waldland, von Sümpfen durchzogen, fanden die Römer, als Cäsars Legionen 58 v. Chr. vom Sund- gau her zum ersten Male den Oberrhein er- schauten, das Oberrheingebiet vor. Mit ihnen beginnt die Herrschaft der Kultur, die der Land- schaft sowie deren Tier- und Pflanzenwelt fortan das Gepräge verlieh. Wälder wurden gelichtet oder gerodet, Sümpfe entwässert, Getreidefelder und Obstbaumpflanzungen mit den F"rüchten des Südens angelegt. Der Strombereich des unge- bändigten Rheins mit seinen Kiesgründen, Alt- wässern, Sümpfen und Auwäldern, die Flugsand- dünen, teilweise auch die großen Wälder des Hagenauer F"orstes, des Bienwaldes, der Lußhart, die zu Bannforsten erklärt wurden und so vorerst wenigstens das Großwild noch schützten, trotzten noch jahrhundertelang den menschlichen Ein- griffen. Sie konnten aber auf die Dauer die Aus- rottung der kulturfeindlichen höheren Tierwelt nicht verhindern. Bereits um das Jahr looo er- lischt jede Kunde von Ur, Wisent und Elch am Oberrhein; einer der letzten Bären wurde 1492 bei Schwetzingen durch den Kurfürsten Philipp den Großmütigen von der Pfalz erlegt, im Schwarz- walde hielt sich der Bär bis gegen 1740, in den Hochvogesen bis 1760. Der Luchs verschwand im Elsaß gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts, im Pfälzerwalde zwischen 1706 und 1710, im N. F. XVII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 48 s Schwarzwalde erst um 1770 bis 1780: der Biber war noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahr- hunderts in den durch die Auwälder ziehenden Altwassern recht häufig; er starb gegen 1800 aus. Den Edelhirsch verdrängte im Elsaß die franzö- sische Revolution aus der freien Wildbahn, ander- wärts das Jahr 1849. Erhalten hat sich von dem wehrhaften Jagdwilde unserer Vorfahren in der Rheinebene nur noch das Wildschwein. Die letzten Wölfe wurden 1840 im Viernheimer Walde nordöstlich von Mannheim und 1865 bei Eber- bach am Neckar erlegt. Von Vögeln erwähnt Albertus Magnus um 1200 noch das Vorkommen von Geiern zwischen Worms und Trier; der Stein- adler horstete bis gegen 18 16 im nördlichen Schwarzwalde; recht selten geworden ist der Fisch- adler, ebenso der Schlangenadler; die mediterrane Caccabis rufa, die im 16. Jahrhundert noch am Mittelrhein vorkam , wird um dieselbe Zeit als Rothuhn aus dem Elsaß aufgeführt, wo Leon- hard Baldner (um 1666) auch noch den Gänse- säger und den Nachtreiher als Brutvögel der Auwälder um Straßburg kennt. Der Purpurreiher hielt sich bis gegen 1860 in der Rheinebene am Altrhein Stockstadt-Erfelden. Im Gefolge der Kultur haben auch zahlreiche landfremde Tiere und Pflanzen hier ihren Einzug gehalten. Dahin gehören von Sumpf- und Wasser- pflanzen Acorus calamus (schon im 16. Jahr- hundert hier bekannt) und Elodea canadensis, die 1874 zuerst am nördlichen Oberrhein erschien. Das Neuland an den Ufern des Rheins und seiner Seitengewässer ist reich an nordamerikanischen Formen. Oenothera bicnnis, Oe. muricata und Erigeron canadensis sind seit dem 18. Jahrhundert heimisch, Rudbeckia hirta, Mimulus luteus und Collomia grandiflora haben erst in neuerer Zeit einige Standorte gewonnen. In den Weiden- gebüschen haben sich massenhaft Solidago cana- densis, S. serotina, weiter verschiedene Asterarten, Erigeron annuus, stellenweise auch Veronica pere- grina völlig eingebürgert. Hunderte von Adventiv- pflanzen, die Jahr für Jahr in den an den Welt- verkehr angeschlossenen Häfen von Mannheim- Ludwigshafen sowie Straßburg auftreten, bleiben meistens auf den Bereich ihrer zufälligen Aussaat beschränkt und gehen wieder ein, ohne die ein- heimische P'lora zu verseuchen. Fremde Elemente der Tierwelt sind im Rheine selbst der Zander (1880 im Oberrheine ausgesetzt), der ausgezeichnet gedeiht, die nordamerikanische Regenbogenforelle und der Sonnenfisch, an den Ufern die Wanderratte, Fasan, Kaninchen und Damwild. In den Kulturformationen ist die Be- einflussung durch fremde Elemente am stärksten. Die Ackerfluren, Wegränder usw. nehmen zu den vielen, meistens dem Mittelmeergebiete entstam- menden uralten Unkräutern immer wieder neue Zuwanderer auf, so aus Amerika Galinsogea parvi- flora, Matricaria discoidea, aus dem Süden Hel- minthia echoides, Centaurea calcitrapa, C. solsti- tialis, aus dem Osten Xanthium, Lepidum. Draba, Senecio vernalis, die sich ständig weiter nach Westen verbreiten. Auch in der Tierwelt des ofifenen Geländes macht sich der Zug aus den Natursteppen des Ostens nach den Kultursteppen des Westens bemerkbar. Der Hamster hat längst den Rhein überschritten, die Brandmaus anschei- nend am Strome Halt gemacht. Von Vögeln wird der Grauammer immer häufiger, ebenso die Haubenlerche, die gerade vor einem Jahrhundert angekommen ist. Der aus dem Süden stammende Girlitz, dieser typische Vogel der Gartenkultur, ist am Oberrhein schon seit Jahrhunderten hei- misch; er war Konrad Geßner bereits um 1555 aus Frankfurt bekannt. Vor einem Jahrhundert noch war der Ober- rhein ein Wildstrom, der in viele Arme zerlegt war, Inseln und Kiesbänke in großer Anzahl ent- hielt, große Krümmungen beschrieb und von zahl- losen Altwassern und verlassenen Stromrinnen be- gleitet wurde. Die große Stromberichligung, die nach den Plänen TuUas von 1817 bis 1874 auf der Strecke von Basel bis Mannheim ausgeführt wurde, viele Krümmungen abschnitt, den ganzen Stromabschnitt von 353,6 auf 272,79 km, den zwischen den in Luftlinie 75 km voneinander ent- fernten Punkten : Lauterburg — Hessische Grenze unterhalb der Neckarmündung um 50 km Strom- lauf verkürzte, änderte das natürliche Strombild durch Schaffung eines künstlichen Bettes von Grund auf und war daher von einschneidender Bedeutung für die Tier- und Pflanzenwelt des Wassers wie auch der Ufer. Der Auwald hatte vormals eine außerordent- lich reiche Entwicklung am Oberrhein; auf eine Strecke von mehr als 200 km begleiteten seine grünen Säume die Ufer. Im oberen Abschnitt, wo die Korrektion eine beträchtliche Absenkung des Grundwasserspiegels zur Folge hatte, ist der Auwald heute nur noch kümmerlich entwickelt. Erst von oberhalb Breisach an gelangt er jetzt immer mehr zur typischen Ausbildung. Fast im ganzen korrigierten Oberrheine ist jetzt der FuQ der gepflasterten Uferböschung mit großen Steinblöcken beworfen, die den vorherr- schenden Charakter der litoralen Tier- und Pflanzen- welt bestimmen. Vor der Korrektion waren die lithophilen Organismen im wesentlichen auf die groben Geschiebe beschränkt, die namentlich im oberen Teile das Strombett erfüllten. Nun hat die künstliche Uferbefestigung den Steinbewohnern feste gesichterte Standorte auch auf jenen Strecken erschlossen, wo im natürlichen Zustande die Ufer beinahe ausschließlich aus beweglichen Ablage- rungen von Kies, Sand und Schlick bestanden. Während im ungebändigten Rheine die Kiesbänke des breit zerfaserten Strombettes der oberen Strecke sich meist bald mit einer Vegetation von Calamagrostis, Myrica, Hippophae, Weiden und Pappeln bedeckten, die ungestört zu einem Auwalde erwuchsen, ist dies im korrigierten Oberrheine nicht mehr der Fall; die in enger Rinne zu- sammengedrängten Fluten überschütten die Kies- 486 NaturwisseiischafUiclie Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 bänke zu oft mit immer neuen Geschieben, als daß der kümmerliche Anflug von Pflanzenwuchs, der sich auch jetzt noch bei längeren Trocken- zeiten einstellt, dauernd festen Fuß zu fassen ver- möchte. Im Schutze der Kiesbänke sowie zwi- schen den Buhnen lagern sich größere Schlick- massen ab, die stromabwärts immer mehr an Aus- dehnung gewinnen. Auf ihrem Grunde bildet Naias minor niedere, sparrige Rasen, über die sich flutende Büsche von Potamogeton pectinatus und P. perfoliatus erheben, die stellenweise, so bei Ginsheim, oberhalb von Mainz, ausgedehntere Be- stände bilden; das sind die einzigen Stellen, wo die Wellen des Rheins größere Bestände sub- merser Wasserpflanzen bespülen. Gegen das Ufer hin treten auch Sumpfpflanzen wie Butomus um- bellatus und Alisma plantago sowie Phragmites hinzu. Von Mollusken kriecht hier der erst in den letzten Jahrzehnten nach dem Oberrheine ein- gewanderte Lithoglyphus naticoides, eine ausge- sprochene Schlickschnecke. 1908 war sie bis an die Grenze des Elsaß gelangt. Unter den wasserbewohnenden Tieren haben die Fische durch die Stromkorrektion besonders empfindlichen Abbruch erfahren. Nicht so sehr hinsichtlich der Artzahl, die mit etwa 40 noch recht beträchtlich ist, als vielmehr der Menge nach. Am deutlichsten zeigt sich dies beim Lachs, ehemals dem Brotfische der Rheinfischer. Im Oberrhein ist er so stark zurückgegangen, daß nur alljährliche Aussetzung künstlich erbrüteter Junglachse den Bestand vor völligem Erlöschen bewahrt. Zwischen Neuenburg und Breisach hat Lauterborn noch Laichgruben des Lachses fest- stellen können; im oiTenen Strome laicht der Fisch überhaupt nur noch auf dessen oberer Strecke. Der Maifisch, der früher massenhaft in der Gegend von Basel sowie im Neckar laichte, ist fast völlig verschwunden, während die P'lunder, die im Mittel- alter anscheinend häufiger nach dem Oberrheine zog, nur noch als seltener Irrgast erscheint. Von den neugebildeten Altwassern sind mittler- weile manche schon recht weit verlandet; sie durchlaufen die gleichen Stufen wie frühere jetzt völlig verlandete Altrheine: das Altwasser läßt eine Strombucht entstehen, diese wird im Laufe der Zeit zum Rohrsumpfe, dann zum Wiesen- oder Flachmoor, und zuletzt erinnert nur noch der Flurname „Im Altrhein" daran, daß hier einst der Strom floß. Bei den Altwassern ist das obere Ende überall am stärksten verlandet; das Gebiet der Mündung übergrünt bereits der Auwald, und feuchte Wiesen- gründe mit verschilften Tümpeln bezeichnen darin noch die einstige Stromrinne; die seichten Ufer umsäumt eine üppige Vegetation. Die Strom- buchten mit Ouellwasser nehmen unter den offenen Altwassern eine Sonderstellung ein, wie sie in typischer Ausbildung die Altrheine von Ottenheim und Diershcim (oberhalb und unter- halb von Straßburg) zeigen. Völlig klar und rein, auch bei hohem Rhein, bilden sie Naturaquarien mit einer überraschenden Fülle der Vegetation, während die Tierwelt in ihnen nur verhältnis- mäßig schwach vertreten ist. Seeartig sind die Altrheine von Neuhofen und Roxheim; der von Eich trägt bereits fast völlig das Gepräge eines Rohrsumpfes. In Tiefen von i bis 2,5 m schließen sich im Altrheine von Neuhofen Characeen, vor allem Chara ceratophylla, untermischt mit Ch. stelligera zu ausgedehnten Rasen zusammen. Nach einem Versuche, den Spiegel des Altrheins zu senken, ist diese interessante Vegetation von Arm- leuchtergewächsen im Jahre 191 2 stark zurückge- gangen und war 191 3 fast völlig verschwunden. Der Roxheimer Altrhein erhält beträchtliche Mengen stickstoffhaltiger organischer Abwässer, die vor allem seinem Phytoplankton ein besonderes Ge- präge verleihen. Cyanophyceen , Chloropbyceen und grüne Flagellaten erlangen hier eine unge- heure Massenentfaltung; sie färben im Sommer, zur Zeit der Wasserblüte, das Wasser dicht span- grün. Der Altrheiii von Eich schließlich, dessen freier Wasserspiegel auf einige größere teichartige Flächen von i bis 1,5 m Tiefe beschränkt ist, enthält ein typisches Teichplankton, in dem die Rotatorien überwiegen. In den Betten ehemaliger Altrheine liegen vielfach Sümpfe. Unter diesen spielen die zeitlichen Druckwassertümpel eine be- sondere Rolle, denn zu den Zeiten, wo sie mit Wasser gefüllt sind, bilden sie die Brutstätten von Anopheles, dem Überträger der Malaria. Bis 1870 waren die sumpfigen Gebiete des Oberrheins als Malariagebiete berüchtigt. Die Rheinkorrektion hat das Sumpffieber nicht durch Ausrottung der Anopheles zum Erlöschen gebracht; die Brut- stätten der Insekten finden sich vielmehr noch sehr zahlreich. Aber die immer allgemeiner ge- wordene Chininbehandlung der Krankheit hat durch Abtötung der Plasmodien Neuinfektionen unmöglich gemacht und dadurch die Malaria zum Verschwinden gebracht. Durch Fortschreiten der Kultur sind einige oberrheinische Lebensgemeinschaften neuerdings besonders in ihrem Bestände bedroht. Diese sind die der Riede, der Wiesen und der Flugsand- dünen. Die größten zusammenhängenden Ried- flächen mit reicher P'lora, klaren, in der Ebene entspringenden Bächen und Ouelltümpeln besitzt noch das obere Elsaß entlang der 111, besonders in der Gegend von Illhäusern, Ohnenheim, Hei- dolsheim und Benfeld; rechts des Rheins gehört die Gegend der „Faulen Waag", ein altes Rhein- bett zwischen Breisach und Kaiserstuhl, hierher, weiter abwärts trägt das Moor von Waghäusel, zwischen Karlsruhe und Schwetzingen, teilweise noch Riedcharakter. Die Rheinwiesen mit ihrem sandig-schlickigen Boden werden durch Düngung immer mehr in hochhalmige Kulturwiesen umge- wandelt. Die ursprüngliche Vegetation als ge- schlossener Bestand geht so allmählich ihrem Ver- schwinden entgegen. Die meisten Reste von ihr bewahren die alten Rheindämme sowie die be- grasten Uferböschungen des Stromes, wo nament- N. F. XVII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrüt. 487 lieh Peucedanum, Asparagus, Isatis, Inula und Ononis recht häufig sind, während Diplotaxis tenuifoHa mehr die Steinböschungen besetzt. Einen besonders charakteristischen Zug in die Landschaft sowie die Tier- und Pflanzenweh der Rheinebene brachten früher die ausgedehnten Flächen von Flugsand mit ihren Dünen; ihr Haupt- gebiet beginnt bei Karlsruhe und zieht von hier über Schwetzingen, Mannheim, Lorsch entlang der Bergstraße nach dem Maine hin. Links des Rheins lagert Flugsand zwischen Speyer und Schififerstadt und zwischen Mainz und Ingelheim. Bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts war es noch wirklicher Flugsand, den die lockere Vegetation nur ganz unvollkommen vor dem Ver- wehen schützte. An die Stelle der eigenartigen und artenreichen Vegetation dieser Flugsandflächen, in der viele pontische Elemente vorhanden sind, von denen manche hier ihren einzigen Standort in Deutschland haben, sind auf weite Strecken Kiefernwälder getreten; da und dort sind die einstigen Dünen auch in Kulturland, hauptsäch- lich Spargelfelder, umgewandelt worden. Der gelbe, rieselnde Sand tritt heute nur noch an wenigen Stellen in etwas größerer Ausdehnung offen zutage. V. Der Mittelrhein. In dem Durchbruchs- tale zwischen Bingen und Bonn trägt der Rhein- strom viele Merkmale eines Gebirgsstromes. Für seine Tier- und Pflanzenwelt gilt dies aber nicht. Pflanzen und Tiere der Alpenflüsse finden wegen der starken Temperaturschwankungen, nament- lich der starken Erwärmung im Sommer, nicht die ihnen zusagenden Lebensbedingungen, und der gleiche Grund, sowie die Trübung und Ver- unreinigung dieses städtereichen Stromabschnittes stehen der Einwanderung aus den klaren Seiten- bächen als LIindernisse entgegen. Neben weiter verbreiteten Tieren und Pflanzen, vorherrschend eurithermen, unter denen wieder die lithophilen überwiegen, ist außer der Würfelnatter nicht viel an eigentümlichen Formen des Wassers bekannt. Wie sie ist Vivipara fasciata, die eine örtliche P'orm — var. rhenana — ausgebildet hat, von Südwesten und Westen eingedrungen. Aus dem Süden stammen von Insekten Prosopistoma punc- tifrons, von der Tierwelt stehender Gewässer Alytes obstetricans und Molge palmata. Von Norden her haben Dreissensia polymorpha und Lithoglyphus naticoides — ursprünglich sarma- tische F"ormen — den Mittelrhein erreicht, weiter die in Teichen und Gräben bei Bonn vorkommen- den Amphipeplea glutinosa und Limnaeus glaber sowie Planorbis spirorbis. Bemerkenswert ist der beträchtliche Rückgang der Lachse des Mittel- rheins; ergiebigere Lachsfänge bestehen noch in der Gegend von Oberwesel und der Lorelei. Stark vermindert hat sich der früher sehr häufige Maifisch ; Lamprete und Stör treten nur noch ganz vereinzelt auf. Die Flunder wurde noch um 1870 bei Bonn mit der Grundangel gefangen. Die Tier- und Pflanzenwelt des Mittelrheins ist stark mit mediterranen Elementen durchsetzt. Während der ganzen Diluvialzeit blieb das Mittel- rheingebiet, ausgenommen das Hohe Venn, gletscherfrei. Fossilienfunde beweisen, daß da- mals eine typisch glaziale Fauna die Höhen be- völkerte: Moschusochs, Ren, Eisfuchs, Schneehase, Halsbandlemming, Schneemaus, Schneehühner; aus einem jüngeren Abschnitte des Diluviums dürften die Schädel des Alpensteinbocks im Schwemmlöß bei Bad Ems stammen. Die Reste des Alpenmurmeltieres von St. Goar gehören wohl auch dieser Zeit an. Der ganze, heute so reiche Bestand südlicher Elemente dürfte kein Überrest der präglazialen Flora und Fauna sein, sondern erst nach dem Höhepunkte der eigent- lichen Eiszeit, in der trocken-warmen Steppen- periode, eingewandert sein ; auch die Kultur dürfte noch manchen Zuzug gebracht haben. Die Haupt- wege der Zuwanderer führten vom Oberrhein den Vorhügeln der Randgebirge entlang und durch das Tal der Mosel. Eine Einwanderung allein von der Mosel her darf man wohl für die Würfel- natter, für Carthusiana carthusiana, Asida sabu- losa, unter den Pflanzen für Iberis intermedia — einziger Standort in Deutschland bei Boppard — annehmen. Die doppelte Verbindung des Mittel- rheins mit dem mediterranen Gebiete nach Süden und Westen hat das Vordringen wärmeliebender Arten begünstigt. Besonders charakteristisch für die Rheinlande sind dabei die vorherrschend west- mediterranen Elemente, die hier die Nordostgrenze ihres Verbreitungsgebietes erreichen, so die Pflanzen Acer monspessulanum, Iberis intermedia, Sinapis cheiranthus, Orobanche hederae, Aceras anthro- phora, Limodorum abortivum (beide Orchideen nur bei Linz) sowie die Moose Tortula canescens, T. inermis, T. atrovirens, T. cuneifolia, Bryum murale und Phascum rectum, ferner einige Mol- lusken und Insekten. Zahlreiche weiter verbreitete Arten sind auf dem gleichen Wege auch an den Mittelrhein gelangt. Auch südpontische Elemente sind am Mittelrhein vertreten, so die Schmetter- linge Lithosa unita var. palleola, Endrosa roscida, Caradrina superstes, Cucullia xeranthemi, Gnophos dumetata, Scythris tabidella, Conchytis Woliniana, Ateliotum hungaricellum, von Pflanzen Stipa pen- nata und St. capillata. Eine besondere Gruppe unter den von Süden her gekommenen Elementen stellen einige ausgeprägte Bergformen dar, die Beziehungen zu den Alpen andeuten. Das jetzt auf die Alpen sowie auf die Gebirge von Süd- und Westeuropa beschränkte Rothuhn hielt sich bis in das 16. Jahrhundert auf den Bergen von St. Goar sowie bei der Landskron unweit der Ahrmündung. Auch jetzt noch leben auf den sonnendurchglühten Felsen und Steinhalden Pflanzen und Tiere, die sonst hauptsächlich im Bereiche der Alpen weiter verbreitet sind. Hierher ge- hören von Pflanzen Thlaspi alpestre, Biscutella laevigata, Sempervivum tectorum, Rumex scutatus, Amelanchier vulgaris, Thesium pratense, von Käfern Otiorrhynchus armadillo (rhaeticus), von 488 Naturwisseiischaftüche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 Schmetterlingen Ino geryon, Argynnis amathusia, Agrotis cuprea, A. candelisequa, Cidaria salicata, Gnophos glaucinaria var. plumbearia, Scoparia cembrae, Acidalia contiguaria. Beeinflussung von Westen und Norden her tritt gegenüber dem Niederrhein erst verhältnismäßig wenig in die Er- scheinung. Atlantisch sind von Pflanzen Erica tetralix, E. cinerea (Bonn), Elisma natans, Peuce- danum Chabraei, Oenanthe peucedanifolia, von Mollusken Vitrina maior, Xerophila ericetorum, Fruticola rufescens, Pupa cyündrica, Azeca IVIen- keana. Nordischer Herkunft sind Planorbis vor- ticuus (subfossil am Laacher See), Vertigo alpe- stris, die Perlmuschel Margaritana margaritifera ; unter den Crustaceen ist das Vorkommen der sonst nordischen, in den Seen der norddeutschen Tiefebene weiter verbreiteten Eurytemora velox in dem Flußtümpel der Insel Nonnenwerth wohl auf Verschleppung durch Zugvögel zurückzuführen. Seit der Einführung durch die Römer hat die Rebe von allen Hängen Besitz ergriffen; jeden Fleck Erde nützt der Winzer für sie aus. In- mitten dieser aufs höchste gesteigerten Boden- kultur bewahren lose Geröllhalden, verwitterte Kuppen, schroffe Klippen, zerklüftete Steinwände überall noch Reste der ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt. Der lichte Buschwald mit den heide- artigen Trockenwiesen, deren Vegetation durch- aus an die der südlichen Gariden oder Felsheiden erinnert, ist aber, namentlich auf den Höhen, vielerorts bereits durch Anlage von Eichenschäl- waldungen stark bedroht. Ähnlich verhält es sich mit manchen Resten der alten Tierwelt. So ist die Steindrossel, die früher am Mittelrhein weiter verbreitet war, seit 25 Jahren als Brutvogel ver- schwunden; nur an der Mosel halten sich noch vereinzelte Paare. Die Wälder der Schattenhänge dagegen schützen einige Tiere noch: der Edel- hirsch findet sich noch in freier Wildbahn, die Wildkatze hat sich gehalten, das Auerwild ist zwar fast völlig ausgerottet, aber das Birkhuhn breitet sich, durch künstliche Einbürgerung unter- stützt, immer mehr aus. Vereinzelt horstet in den Wäldern noch der Schlangenadler. VI. Der Niederrhein. Keine andere Strom- strecke des Rheins hat solche Wandlungen er- fahren, wie der Niederrhein. Gegen Ende des Pliozäns schob sich eine seiner Mündungen bis nach England vor; im mittleren Diluvium be- deckte das fennoskandische Inlandeis beträchtliche Teile von Holland und unterband alle nordwärts ziehenden Arme des Deltas; der Rückzug der Gletscher öffnete wieder den Abfluß nach Norden, am Beginn des Alluviums bildete das Mündungs- gebiet mit seinen küstennahen Abschnitten ein riesiges Haff, und zu der Zeit, wo das Mündungs- gebiet in das Dämmerlicht der Frühgeschichte tritt, lag der Beginn des Deltas — damals sind schon drei Arme nachweisbar — noch in der Gegend von Wesel - Xanten. Mit der Zeit der Römer beginnen die Sicherungsarbeiten gegen das Meer, allmählich wurden die Wälder und die Rohrsümpfe ausgerottet, die vielen Stromadern in Kanäle gezwungen und so das heutige Kulturland geschaffen. Alle diese Veränderungen bedeuteten auch einschneidende Veränderungen der Lebewelt des Gebietes. Als Rhein und Maas im Pliozän ihre Kiesel- schotter ablagerten, trug die Fauna und Flora im Gebiete des Niederrheins noch einen mehr oder weniger subtropischen Charakter. Einer jüngeren Zeit, deren Klima kühler, aber wohl noch etwas wärmer als das jetzige war, gehören die überaus Pflanzenreichen Tone von Tegelen an der Maas an. Ihre Pflanzen- und Tierwelt ist vorwiegend die einer von zahlreichen träge fließenden und stehenden Gewässern durchzogenen, von Sümpfen, Wiesenmooren und Wäldern erfüllten Niederung, der aber auch trockene Strecken nicht fehlen. In der Wasser- und Sumpfflora finden sich viele Arten, die noch heute im Gebiete des Nieder- rheins heimisch sind. Die Wälder boten große Verschiedenheiten von dem heutigen Zustande; neben Bäumen und Sträuchern, die heute noch am Niederrhein gedeihen, enthielten sie eine nicht unbeträchtliche Anzahl tertiärer Typen, die jetzt teils auf südlichere Strecken des Rheins, teils auf ferne Zonen, wie Kaukasus und besonders Ost- asien, beschränkt sind, so Magnolia kobus, Prunus Maximowiczi , Crataegus cuneata (jetzt in Ost- asien), Pterocarya caucasica, Juglans tephrodes (Nordamerika). Von Wassersäugetieren lebten im Niederrheingebiete damals Hippopotamus amphi- bius, der Riesenbiber Trogontherium Cuvieri, in gleichaltrigen Ablagerungen des Rheines in Eng- land findet sich auch die Bisamspitzmaus, die jetzt in den Pyrenäen und dem südlichen Rußland vorkommt. An Fischen enthalten die Tone von Tegelen viele Arten, die auch jetzt noch im Niederrheine häufig sind. Der Kältehauch der herannahenden Haupteis- zeit brachte die wärmebedürftigen Pflanzen und Tiere teils zum Aussterben, teils drängte er sie nach dem milderen Westen und Südwesten Frank- reichs. Dann begrub das nordische Inlandeis einen großen Teil des Gebietes bis südlich zur Ruhrmündung unter Gletschern; die höheren Ge- lände der älteren Terrassen bedeckten sich mit Moos- und Flechtentundren, die eine typisch ark- tische und subarktische Fauna wie Ren, Moschus- ochse, \'ielfraß, Eisfuchs, Lemming, Wühlratten, Schneehühner usw. belebte. Als besonders be- merkenswerte Reste dieser glazialen Tierwelt können in der Gegenwart die Wühlmaus Microtus ratticeps, die Libelle Somatochlora arctica und der Daphnide Eurycercus glacialis gelten. Nach dem Rückzuge der Gletscher hat das torfmoor- reiche Moränengebiet am längsten seinen ausge- sprochen nordischen Charakter bewahrt. Ein so typischer Tundrenbewohner wie der Goldregen- pfeifer hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Die postglaziale Steppenzeit hat das unter der Herrschaft des ozeanischen Klimas stehende Mün- dungsgebiet im wesentlichen wohl nur dadurch N. F. XVII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 489 beeinflußt, daß sie die Einwanderung östlicher und südöstlicher flugbegabter Sumpftiere, wie Löffelreiher und Bartmeise, daneben aber auch zahlreicher Libellen, begünstigte. Nach dem Ver- schwinden des Eises breitete sich wohl allmäh- lich der Wald wieder aus, präglaziale Tiere und Pflanzen, die die Kältezeit im Westen und Süden Frankreichs überdauert hatten, rückten wieder vor, mit ihnen auch jene atlantischen Elemente, die jetzt namentlich für die Torfmoore des Nieder- rheins so charakteristisch sind. Beim Beginne unserer Zeitrechnung waren am Niederrhein weite Strecken mit hochstämmigem, meist aus Laub- hölzern, vorherrschend Eichen, bestehenden Ur- walde bedeckt. Von höheren Tieren sind durch Knochenfunde in den bis etwa zum 11. Jahr- hundert benutzten alten Wohn- und Fluchlhügeln der Wurten Bär, Fuchs, Wildschwein, Ur, Elch, Edelhirsch, Reh usw. nachgewiesen; auch der Wolf fehlte nicht. Auf keiner Strecke des Stromes sind die Wälder so gründlich vernichtet worden wie am Niederrhein. Der im Mittelalter immer kräftiger aufblühende Schiffsbau, die Pfahlroste, auf denen im sumpfigen Mündungslande die Städte gegründet wurden, die Deiche verschlangen un- geheure Holzmassen. Etwas größere geschlossene Laubwälder haben sich nur noch an ganz wenigen Orten erhalten, so bei Cleve, Arnheim, Haag, Haarlem. Mit der Lichtung der Wälder schwanden ihre Charaktertiere dahin. Der Elch ist noch im Jahre 1025 als Jagdwild für die Gegend zwischen Dollart und Zuydersee urkundlich bezeugt, Ure werden als „wilde Ossen" selbst noch 1344 aus den Wäldern bei Haarlem erwähnt, der Bär ver- schwand im Mittelalter, der Wolf hielt sich bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts. Hirsch und Reh finden sich noch vereinzelt in den Heide- strecken. Die heutige Tier- und Pflanzenwelt besteht zum großen Teile aus Arten, die über die nord- deutsche Tiefebene weiter verbreitet sind. Rein nordisch sind darunter außer den bereits erwähnten Glazialrelikten einige Sumpfschmetterlinge, einige Trichopteren , von Vögeln Charadrius apricarius und Limosa limosa, während rein nordische Pflanzen dem Niederrhein fehlen. Spärlich nur finden sich östliche Elemente; dahin gehören ein- zelne Libellenarten. Der Hamster scheint auch im östlichen Holland in beständigem Vorrücken begriffen zu sein. Bedeutend ist der Anteil atlan- tischer Elemente in der Pflanzenwelt, gering im Vergleich damit die Anzahl der Tiere, die auf dem atlantischen Wege von Südwesten her an den Niederrhein gedrungen sind. Von besonderem Interesse ist das Vorkommen des Krebses Cari- dina Desmarestii in der unteren Maas sowie im Abcouder Meer südöstlich von Amsterdam, der einer sonst nur in den Tropen Asiens und Afrikas sowie in Südeuropa lebenden Gattung angehört. Eine Sonderstellung nehmen drei charakteristische Rohrvögel des Niederrheins ein, Löfifelreiher, Bart- nieisc und Nachtigallrohrsänger, ausgesprochene Vögel des Südens, deren Brutplätzc an der Rhein- mündung ganz isoliert liegen. Einige Veränderungen der Tier- und Pflanzen- welt des Niederrheins, die in die Neuzeit fallen, verdienen besonders hervorgehoben zu werden. Dahin gehört die Ausbreitung des im deutschen Rheine ausgesetzten Zanders nach Holland, die neuerdings beobachtet worden ist. Die Wciden- gebüschc des Niederrheins weisen seit einiger Zeit — auf deutschem Gebiete — an mehreren Stellen eine aus Amerika eingeschleppte Teufelszwirnart auf, Cuscuta Gronovii, die auf Weiden und Astern schmarotzt. Dieser geringfügigen, zum Teil dazu wenig wünschenswerten Bereicherung der Tier- und Pflanzenwelt des Niederrheins stehen erhebliche Verluste gegenüber, als die nicht nur das Ver- schwinden einzelner Arten, sondern das Seltener- werdcn oder die vollkommene Verdrängung ganzer Lebensgemeinschaften durch die Kultur zu buchen ist. Vormals war der Biber am Rheine selbst wie an Ijssel und Maas verbreitet. Im Delta ver- schwand er um 1800 völlig; in den Nebenflüssen aber hielt er sich, besonders an Lippe und Ruhr. Erst 1877 wurde am deutschen Niederrhein der letzte Biber erlegt. Den stärksten Abbruch hat die vordringende Kultur wohl der niederrheinischen Vogelwelt getan. Das riesige Sumpfgebiet der Rheinmündung ist in jahrhundertelangem Kampfe trockengelegt, die Wasserwildnis ist zu Polderwiesen geworden, und nur noch wenige Gewässer bieten inmitten des hochkultivierten Gebietes ein Abbild der ur- ursprünglichen Natur. Seen und Rohrsümpfe sind in gleicher Weise von der Kultur bedroht, und mit ihnen ihre Tier- und Pflanzenwelt. Die ein- zelnen Seen, dort „Meere" genannt, und die Rohr- sümpfe der Provinzen Nord- und Südholland sind die letzten Zufluchtsstätten früher weit verbreiteter Arten. 1840 bis 1853 wurde das Haarlemer Meer (181 Geviertkilometer) trockengelegt. Zu den größeren Meeren gehören jetzt, im Randgebiete des früheren Haarlemer Meeres, das Brassemer Meer, das Kaager Meer, das Aalsmeer. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts bargen diese Wasserwildnisse einen geradezu erstaunlichen Reichtum von Vögeln, besonders an Reihern; brüteten doch allein in dem großen Horster Meere zwischen Hilversum und Amsterdam im Jahre 185 I schätzungsweise nicht weniger als lOOO Paare Löffelreiher, 700 Paare graue Reiher und über 1000 Paare Kormorane! Die fortschreitende Trockenlegung der Meere sowie der schonungs- lose Eierraub — den Kolonien des Horster Meeres wurden 185 1 in einer Woche 1600 Eier des Löffelreihers, 700 des grauen Reihers und iioo des Kormorans entnommen — haben diese Be- stände erschreckend gelichtet. Nur wenige Ge- wässer, vor allem die zu Schutzgebieten für die bedrohte Tierwelt erklärten Rohrsümpfe des Naarder Meeres sowie des Zwanenwaters bei Callandsoog in Nordholland bewahren noch einen 490 Nstur wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 Abglanz der früheren Herrlichkeit. Hier brüten von Raubvögeln Circus aeruginosus überall häufig, da und dort auch Asio accipitrinus, fünf Rohr- sängerarten der Gattung Acrocephalus sind ver- treten , dazu der Nachtigallrohrsänger — der übrigens zwischen Rhein und Maas auch auf deutschem Boden nachgewiesen ist — , die Bart- meise, Rallen und Sumpfhühner, Fischreiher und Purpurreiher. Der Nachtreiher ist mit dem Er- löschen der letzten Kolonien bei Lekkerkerk an der Lek 1876 als Brutvogel anscheinend ver- schwunden. Die große Rohrdommel hat sich neben der häufigen Ardetta minuta erhalten; der Löffelreiher ist in seinem Bestände sehr zurück- gegangen; der Kormoran besitzt im Delta noch zahlreiche Brutkolonien und streift fischend weit umher. Die Moore des rechten Niederrheinufers, haupt- sächlich Übergangsmoore, sind jetzt trocken ge- legt. Die letzten Reste der ursprünglichen Vege- tation mit Charakterpflanzen wie Cladium maris- cus, Rhynchospora alba, Rh. fusca, Scirpus fluitans, Sc. coloratus, Sc. multicaulis, Potamogeton poly- gonifolius, P. alpinus, P. coloratus, Elisma natans, Narthecium ossifragum, Liparis Loeselii, Malaxis paludosa, Myrica gale, Erica tetralix, haben sich noch bei Siegburg an der Siegmündung, weiter abwärts bei Wahn südöstlich von Köln, bei Untersbach usw. erhalten. In den Mooren zwi- schen Rhein und Maas sind Pflanzen, die noch vor einem Menschenalter in den Torfbrüchen weit verbreitet waren, wie Calla palustris, Carex limosa, Elisma natans, Litorella juncea, Myriophyllum alternifolium, Hypericum helodes, jetzt dem Aus- sterben nahe. Die Heiden und Hochmoore weichen ebenfalls immer mehr der Kultur. Am deutschen Niederrhein besitzt die Gegend von Wesel, weiter das Gebiet zwischen Rhein und Maas namentlich in seinem nördlichen Teile noch einige ausgedehnte Heiden und Hochmoore, die aber überall wie selbst in der Veluwe, immer mehr dem Pfluge oder der Forstkultur weichen müssen. In einsamen Heidewäldern hat sich noch vereinzelt der Kolkrabe gehalten ; der Triel scheint ebenfalls noch vorhanden zu sein; auf den Mooren balzt das Birkhuhn — Auerwild dagegen fehlt völlig — , der Goldregenpfeifer, ehedem der Cha- raktervogel der niederrheinischen Heidemoore, der noch vor 40 Jahren bis nach Westfalen hinauf verbreitet war, ist jetzt auf die entlegensten Gegenden der Veluwe und des Ijsselgebietes zu- rückgedrängt. Auch für die Hochmoore des Hohen Venn ist er wie der große Brachvogel als Brut- vogel nachgewiesen. Einzelberichte. Zoologie. Über Kennzeichen, Lebensweise und Bekämpfung unserer wichtigsten Stechschnaken. Die bei uns heimischen Stechschnaken zer- fallen in zwei, auch durch ihr Äußeres gut von- einander unterscheidbare Gruppen : der Gruppe der F'ieberschnaken [Aiioplielüiac), die ob ihrer Fähigkeit, das Wechselfieber von Fieberkranken auf Gesunde zu übertragen, besonders gefährlich sind, steht die Gruppe der gewöhnlichen Stech- schnaken (Cidiciiiac) gegenüber, die nur durch ihre Stichbelästigungen die Verfolgung durch den Menschen auf sich gezogen haben. Mit dem Studium der Biologie dieser beiden Stechschnaken- gruppen hat sich Dr. H e i n r i c h P r e 1 1 - Tübingen seit einiger Zeit befaßt und er berichtet darüber in einer sehr lehrreichen Gegenüberstellung im „Württembergischen Medizinischen Korrespondenz- blatt" (Stuttgart 1917). Alle Stechmücken sind an ihrem Stechrüssel leicht kenntlich, der den nicht stechenden Schnaken fehlt. Alle Stechschnaken besitzen außerdem noch 2 Kopfanhänge : ein Paar Fühler und ein Paar Taster. Nur die weibliche Schnake vermag zu stechen, indem sie die in ihrem Stechrüssel enthaltenen Stechborsten in die Haut einbohrt und Blut saugt, während die männ- lichen Tiere sich von Pflanzensäften(Blütenhonig u. a.) ernähren und den Menschen nicht belästigen. „Das Blut dient den Schnakenweibchen vorwiegend als Kraftnahrung für die Eibildung, doch ist es ihnen weder dazu unentbehrlidi, noch sind überhaupt alle Arten stets stechlustig." Die beiden Ge- schlechter sind kenntlich an den Fühlern : während die Männchen lang pinselartig behaarte Fühler besitzen, sind diejenigen der Weibchen kurz und spärlich behaart. Der Bau der Kopfanhänge er- möglicht ferner auch die Unterscheidung der ge- wöhnlichen Schnaken von den F'ieberschnaken. „Bei den $^ der Fieberschnaken sind die Taster von der Länge des Rüssels, stark keulenförmig verdickt, und werden am Rüssel meist eng an- liegend getragen; bei den ^$ der gewöhnlichen Schnaken sind die Taster entweder lang, mehr oder weniger schlank und am Ende aufgebogen, oder ganz kurz. Die 9? ^^^r lueberschnaken be- sitzen Taster, die, etwa ebenso lang wie der Rüssel, diesem meist eng angelegt sind und daher im Leben nicht stets gesondert erkennbar sind; die 9? der gewöhnlichen Schnaken haben kurze Taster, die stets als kurze Stummel neben dem Ansatz des Rüssels deutlich sichtbar sind." Von den zahlreichen Schnakenarten halten sich die einen vorzugsweise im Freien auf („Wald- schnaken"), während die anderen in mensch- lichen Wohnungen und in Stallungen vorkommen. Zu den letzteren gehören besonders die fleck- flügelige und die bunt flügelige Fieber- schnake {Aiiophclcs iiiaculipoinis und Anopheles hifurcaiiis), sowie die geringelte Stech- schnake ( Gdcx aiiiiidahis), die gefleckte Flügel hat, und die gemeine Stechschnake {Culex N. F. XVn. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 491 pipicHs), deren Flügel einfarbig bräunlich sind. Fieberschnaken und gewöhnliche Schnaken sind meist schon an ihrer Kopfhaltung zu unter- scheiden. Die Fieberschnaken halten stets den Kopf in der Richtung des Leibes, die gewöhn- lichen Schnaken neigen ihn stark bauchwärts. Außerdem pflegen die Fieberschnaken beim Sitzen an der Wand ihren Hinterleib schräg von der Wand wegzustrecken und beim Sitzen an der Decke, das sie weit vorziehen, oft senkrecht hinab- zugeben. Die gewöhnlichen Schnaken dagegen pflegen ihren Leib etwas parallel zur Unterlage zu halten oder ihn gegen dieselbe zu neigen, und zwar sowohl beim Sitzen an der Wand wie an der Decke; nur selten lassen sie ihren Hinterleib ein wenig herabhängen. Auch der Aufenthaltsort bietet eine gewisse Gewähr bei der Unterscheidung: während die Culicinac nuv in den Wohnräumen anzutreffen sind, sammeln sich die Fieberschnaken mit Vorliebe in Viehställen. Die Fieberschnaken stechen nur während der Dämmerung, die Wald- schnaken dagegen zu jeder Tageszeit. Die Schnakenlarven, führt Dr. Prell weiter aus, leben am Wasser, in Schnakengegenden haben sie wohl alle stehenden Gewässer, Tümpel usw. besiedelt, nach neuen Untersuchungen von Prof. Dof lein- Freiburg i. B. in Mazedonien, kommen sie sogar in fließenden Gewässern vor. ') „Die Pleberschnaken legen ihre Eier, die mit einer Art von Schwimmgürtel versehen sind, in unregel- mäßigen Gruppen einzeln auf der Wasserober- fläche ab, während die gewöhnlichen Schnaken sie zu 200 — 400 zu einem braunen, auf der Wasser- oberfläche treibenden „Eikahn" vereinigt absetzen; nur die Waldschnaken legen ihre nicht schwimm- fähigen Eier einzeln in oder an Tümpeln oder an Stellen, wo zu anderer Jahreszeit sich Tümpel bilden, ab". Aus den Eiern der Schnaken ent- wickeln sich, nur bei einzelnen Waldschnaken trifft dies nicht zu, in 2 — 8 Tagen die Larven. Ihre Unterscheidung ist leicht: „die Larven der gewöhnlichen Schnaken sind ausgesprochen keulen- förmig mit stark verdicktem Brustteil; ihre Färbung ist meist einfarbig bräunlich. An ihrem Hinterende besitzen sie eine röhrenförmige Fortsetzung, das Atemrohr. Mit diesem halten sie sich an der VVasser- oberfläche fest und hängen dann schräg in das Wasser herunter. Die Larven der Fieberschnaken sind schlanker und nach vorn zu weniger verdickt ; ihre Farbe ist mehr grünlich, oft lebhaft weiß oder schwarz gezeichnet. Sie haben kein besonderes Atemrohr, sondern direkt auf dem Rücken befind- liche Atemlöcher und heften sich mit ihrer ganzen Länge der Wasseroberfläche an." Nach etwa 2 Wochen, bei der Fieberschnake dauert es etwas länger, verpuppen sich die Larven. Die Schnaken- puppe ist beweglich, sie vermag lebhaft im ') Vgl. dazu den Bericht Kathariner's „Malariakrank- heit im nordwestlichen Frankreich" in Naturw. Wochenschr 1918 Nr. 18. Wasser sich zu tummeln. „Sie besteht aus einem massigen Vorderteil, dem verschmolzenen Kopf- und Bruststück und einem schwanzähnlichen schlanken Hinterleib, durch dessen schwebende Bewegung sie, ähnlich wie ein Flußkrebs, schwimmt. Am Kopfbruststück trägt die Schnakenpuppe eigenartige obren- oder hörnerartige Gebilde, welche dte Atemöffnungen enthalten. Mit diesen Atemtrichtern und den ersten Hinterleibsgliedern haftet die Puppe in Ruhe an der Wasserober- fläche, um bei Erschütterungen, wie die Larven, sofort unterzutauchen. Außer an anderen Merk- malen sind die Puppen der Fieberschnaken an ihrer mehr grünlichen, diejenigen der gewöhnlichen Schnaken an ihrer bräunlichen Färbung erkennt- lich." Aus den Puppen entschlüpfen nach etwa 3 Tagen die Schnaken. Sie bringen ihr Leben, wenn sie nicht durch äußere Einflüsse (durch Wind oder durch technische Beförderungsmittel) ver- schleppt werden, so ziemlich an der Stelle ihrer Geburt zu. Die ungünstige Jahreszeit überdauern die Schnaken entweder als Eier (manche Wald- schnaken) oder als Larven in nicht ausfrierenden Gewässern oder endlich als Vollkerfen. Im letzteren Falle suchen sie dann geschützte Orte auf, die Waldschnaken also Gestrüpp, Erdlöcher, Baum- höhlen usw., die gemeinen Stechschnaken be- sonders Keller, wo sie oft in kolossalen Massen sich zusammenfinden. Bei der Bekämpfung der Schnakenplage, unterscheidet man eine „Sommerbekämpfung" welche vor allem der Vertilgung der Brut dient, und eine „Win t er bekämpf ung", welche der Vernichtung der Volltiere gewidmet ist. Über die „Sommerbekämpfung" ist an dieser Stelle erst vor kurzem des längeren berichtet worden. 1) Dr. Prell schließt sich im wesent- lichen den damals mitgeteilten Vorschlägen Prof. Bresslau's und Dr. Glaser's an. Einen Ge- sichtspunkt, den die beiden letzteren Verfasser in ihren Mitteilungen nur streiften, führt Prell des näheren aus, indem er auf den Ausbau der bio- logischen Bekämpfung nachdrücklich hin- weist. Sie beruht darauf, daß man die Schnaken durch ihre natürlichen Feinde zu vernichten sucht. „Im Kampfe gegen die fertigen Schnaken spielt hier die Ansiedlung von Schwalben in Ställen eine gewisse Rolle. Wichtiger ist die Bekämpfung der Larven durch Wassertiere." Räube- rische Insekten, wie die Wasserwanzen, leisten viel Gutes, nur lassen sie sich schwer ansiedeln. Die ebenfalls sehr freßlustigen Larven vonWasser- molchen und Feuersalamandern kommen leider nur im Frühling und Frühsommer in Be- tracht. Auch Wassergeflügel, von dem zwar der Verfasser nicht spricht, wie Enten, be- sonders Wildenten, sind nicht zu verachtende Faktoren im Kampfe gegen die Stechmücken. Ebenso wurden mit Fledermäusen in den Ver- ') „Die Sommerbekämpfung der Stechmücken". Natur Wochenschr. 1918 Nr. 23. 492 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 einigten Staaten von Nordamerika sehr gute Er- folge erzielt, so daß man dort zur Errichtung einer eigenen Fledermauszuchtstation in einem Stech- mückengebiet schritt. ') Von viel einschneidender Bedeutung sind die Fische als Vertilger der Schnakenbrut. „Kleinere widerstandsfähigere Arten leisten dabei am meisten und so empfiehlt es sich, vor allem Stichlinge, in zweiter Linie auch junge Goldfische, Karpfen oder Weiß- fische in schnakenverseuchte Gewässer einzu- setzen." Dabei ist allerdings zu beachten, daß Stichlinge in nutzbare Fischweiher nicht gebracht werden dürfen. „Erforderlich ist stets, fährt Dr. Prell fort, die Beseitigung von Wasserpflanzen, die bis an die Wasseroberfläche reichen und von Uferpflanzen, da diese die Fische zurückhalten und so die Schnakenlarven schützen." Auch über die „Winterbekämpfung" der Stechmücken ist im vorigen Bericht das Wichtigste gesagt : sie er- folgt zumeist mit chemischen Mitteln, indem die überwinternden Schnaken in Kellern mit giftigen Flüssigkeiten, wie mit Floria-Insektizid, bespritzt werden. Auch Ausräucherungen durch Verbrennen von Räucherpulver oder Schwefel stehen im Ge- brauch. In letzter Zeit wurde auch die Anwendung von Cyanwasserstoffdurchgasungen empfohlen. Jede Bekämpfung wird nur dann von Erfolg sein können, wenn sie gleichmäßig in einem großen Umkreise ausgeführt wird. Nur so ist die sichere Gewähr gegeben, daß auch sämtliche Schnaken- brutstätten und Winterquartiere gleichermaßen von den Schädlingen gesäubert werden können. H. W. Frickhinger. Die Säugetiere und Vögel des Urwaldes von Bialowies. Der Eroberung des Urwaldes von Bialowies folgte zunächst die militärische und wirtschaftliche Erschließung des Gebietes; bereits am 25. September 1915 trat die Jagdordnung für den Bialowieser Forst in Kraft, die die grundsätzliche Schonung des Wisents vorschrieb, und im Juni 1916 nahm die Militärforstverwaltung auch die wissenschaftliche Erforschung in die Hand. Hierfür wurde folgender Plan aufgestellt: i. Untersuchung der geologischen und meteorologischen Verhält- nisse, 2. Lösung von Fragen der Tier- und Pflanzenverbreitung, 3. Untersuchung biologisch- ökologischer Fragen, besonders solcher, die im Urwaldcharakter des Waldes begründet sind. — Inzwischen ist diese Arbeit schon erheblich ge- fördert worden, und die Veröfifentlichung ihrer Ergebnisse erfolgt seit kurzem in zwanglos im Verlage Paul !Parey (Berlin) erscheinenden, „Bialo- wies in deutscher Verwaltung" betitelten Heften, die die Militärforstvcrwaltuug Bialowies heraus- giebt. Bisher sind drei solcher Hefte erschienen. Das jüngste enthält bereits die systematische Be- arbeitung zweier ganzer Gruppen der Wirbeltiere nach dem bisher erreichten Stande der Erforschung des Waldes. P-^s sind dies die Säugetiere, die ') Vgl. Nalurw. Wocheusclir. 1916 Nr. 22. Prof. Dr. Rörig beschrieben, und die Vögel, über die Prof. Dr. R e i c h e n o w berichtet hat. I. DieSäugetiere. Der systematischen Be- handlung der Säuger schickt Rörig die des jagd- baren Großwildes voraus. Das interessanteste Großwild von Bialowies ist der Wisent. ') Unter dem jagdbaren Großwilde ist der Dam- hirsch durch den Mer.schen eingeführt. Von den übrigen Säugetieren verdankt das Gebiet wahr- scheinlich nur zwei Arten, die Wanderratte und die Hausmaus, seiner Anwesenheit. Mit Sicher- heit sind bisher 36 Arten festgestellt; zwei sind zweifelhaft geblieben; gründlichere Durchforschung könnte noch ein paar Arten, etwa Luchs, Nörz, Ackermaus und Zwergmaus, die eine oder andere Fledermaus und Spitzmaus, hinzufügen, und mög- licherweise sind bei der Waldmaus mehrere Arten zu unterscheiden. Der Luchs ist nicht unmittelbar beobachtet, doch sollen seine Spuren einwandfrei festgestellt sein. Auch das Vorkommen der Wildkatze ist fraglich. Von Raubtieren ist sonst der Fischotter mehrfach einwandfrei beobachtet, der Dachs ist •) Vor dem Kriege waren etwa 727 Stück dieses mäch- tigen Wildes in Bialowies vorhanden ; durch den Krieg wurde die Mehrzahl davon vernichtet, im März 1917 waren etwa 120 Stück gezählt worden, die Zählung vom I. Februar 1918 ergab 152, und schätzungsweise dürften gegenwärtig 170 — 180 im Walde von Bialowies leben. Die Tage des Elchs in Bialowies sind gezählt, seitdem das Waldgebiet Tausende voq Stücken Rot- und Damwild beherbergt. Der Krieg hat dem Elch endgültig den Rest gegeben. Die wenigen Stücke, die noch vorhanden sind, werden kaum genügen, die Art zu erhalten. Wird das Gebiet jedoch zum Naturschutzgebiete erklärt — und 3000 ha sind jetzt schon Waldschutzgebiet — so kann durch Neueinführung dem Elch dort eine Freistatt geschaffen werden. Rotwild ist in Bialowies ungemein zahlreich ; im -anfange des Jahres 1914 waren 6778 Stück vorhanden, gegen 2000 Stück fielen in zwei Jahren dem Kriege zum Opfer, nach der Besitzergreifung von Bialowies sank der Rotwild- bestand weiter bis auf rund 1500 im März 19 17, und die Zählung vom I. Januar 19 iS ergab 1769. Geweih- und Körper- gewicht waren durch Überhegung unter russischer Verwaltung gesunken; zudem ist das einheimische Rotwild durch fremdes Blut, wahrscheinlich aus den Kaukasusrevieren, vermischt und nicht zu seinem Vorteile verändert. Für die Mischung spricht nicht nur die Geweihbildung, sondern auch die Erlegung von mehrere Jahren alten Hirschen, die noch die Jugenddeckc trugen. Von allen Edelhirschen aber trägt nur der Hangul (Cervus cashmirianus) aus Turkestan und der Maral sein Jugend- kleid mehrere Jahre. Das Damwild ist durch den Krieg sehr vermindert worden und soll, da es in das Revier nicht hinein- paßt, nur in einem geringen Bestände erhalten werden. Bei der Zählung im März 191 7 waren 209 Stück vorhanden. Große Teile des Waldes sind für das Rehwild vorzüglich geeignet. Zu Anfang 1914 sollen 4966 Stück vorhanden gewesen sein, im Winter 1915/16 wurde der Bestand auf 2000 bis 3000 ge- schätzt, im März 1917 ergab die Zählung nur noch 1063. Der starke Rückgang erklärt sich hauptsächlich aus der Nach- stellung durch Unberufene. Der Bestand an Schwarzwild sank von 2225 zu Beginn des Jahres 1914 auf 446 im März 1917; die Zählung vom i. Januar 1918 ergab 560. Die Bialowieser Wildschweine gehören einem ziemlich hochläufigen Schlage an und sind vielleicht in ihrer Körperform etwas von dem in Polen heimischen hochläufigen zahmen Landschwein beein- flußt, das vielfach in den Wald getrieben wird und so Ge- legenheit zur Vermischung gibt. Dafür spricht auch der Um- stand, daß nicht nur hcUgrauweißc Stücke mit vielen Platten, sondern auch schwarze mit weißen Läufen und anderer Doppel- färbung gelegentlich zur Strecke kommen. N. F. XVII. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 493 nicht häufig, der Fuchs von dem sehr starke Stücke vorkommen, ist, das häufigste Raubwild, vom Wolf sind wiederholt Spuren gefunden worden, der Edelmarder ist im ganzen Wald vor- handen, aber nirgends besonders häufig, der Stein- marder ist bisher nicht aufgefunden, der Iltis ist auf der Flur von Rialowies nicht selten, das Hermelin ist einmal auf der Flur einwandfrei beobachtet, Mauswiesel sind mehrfach gesehen worden. Unter den Nagern ist der Hase im Walde selten, auf den Feldmarken etwas häufiger. Im Winter kommen auffallend helle bis weißgraue Stücke vor. Die Wanderratte ist in Dörfern und im Schloßbezirk gemein, die Hausmaus häufig; im Frühjahr wurden häufig hellisabellfarbige Stücke gefangen. Die Waldmaus ist nicht selten; es kommen riesige gelblichgraue Stücke mit Kopf- rumpf- und Schwanzlänge von je I20 mm vor. Im Walde ist die Waldwühlmaus häufig, auf der Feldmark gemein die Feldmaus. Die nordische Wühlmaus (Arvicola ratticeps Keys u. Bl.) ist durch Unterkieferfunde in Gewöllen des Wald- kauzes nachgewiesen, die Mollmaus (Arvicola am- phibius L.), der Baumschläfer (Eliomys dryas Schreb.) wurden gefangen, der Siebenschläfer (Myoxus glis L.) von Holzfällern eingebracht. Das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris L.) ist im ganzen Walde verbreitet; graue im Winter ein- gebrachte Stücke gehören vielleicht dem sibirischen Eichhörnchen an. Der Ziesel ist 40 km südöstlich von Bialowies nicht selten, im Urwaldgebiete aber nicht vorhanden. Die Insektenfresser sind durch fünf Arten vertreten, den Igel, den Maulwurf, die Wasserspitz- maus, die Waldspitzmaus und die Zwergspitzmaus; unter den Handflatterern schließlich ist die Mops- fledermaus (Synotus barbastellus Schreb.) mehrfach beobachtet, Langohrige (Plecotus auritus L.) und Spätfliegende Fledermaus (Eptesicus serotinus Schreb.) sind sehr häufig, die Frühfliegende Fleder- maus (Vesperugo noctula Schreb.) und die Gefran- sete Fledermaus (Myotis natteri Kühl) wurden je ein- mal, die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus Schreb.) wurde in zwei Stücken gefunden. II. Die Vögel. Die genaue Erforschung der Vogelwelt von Bialowies ist von besonderer Wichtigkeit wegen des im westlichen Rußland ver- mutlich zusammenstoßenden Verbreitungsgebietes mittel-, ost- und nordeuropäischen F'ormen. Es hat sich bestätigt, daß der Urwald von Bialowies ornitho- logisch ein Übergangsgebiet zwischen der skandinavi- schen und derostdeutschenFaunabildet.daßauch süd- europäische Formen eindringen, daß eigentümlicher- weise bald die Vertreter der deutschen, bald die der nordischen oder auch der südlichen Tierwelt als Standvögel das Gebiet innehaben, in einem Falle aber, bei den Kleibern, die deutsche und die nordische Abart einer Art nebeneinander vor- kommen und sich miteinander mischen. Was das Gelände des Waldgebietes angeht, so steht der Wald zum bedeutenden Teile auf sumpfigen Boden. Sumpfland und trockener, sandiger Boden wechseln aber vielfach und oft unmittelbar mit- einander. Alle Baumarten — Laub- und Nadel- hölzer — zeigen überraschend hohe Stämme; die Fichten haben schlanke Stämme, geringe Ast- bildung und seltener als in Deutschland Astlöcher. Weiter ist das beschränkte Vorhandensein von Unterholz, niedrigem Gestrüpp und Schlinggewäch- sen zu erwähnen, was wegen der Nistgelegenheit von Wichtigkeit ist. Schwimmvögel fallen wegen des Fehlens größerer offener Gewässer ganz aus, auch die Stelzvogelarten sind beschränkt, und eine auffällige Erscheinung ist das spärliche Auf- treten von Raubvögeln. Bisher sind im ganzen 148 Arten von Vögeln nachgewiesen worden, doch dürfte die Zukunft noch weitere als vor- handen zeigen. Unter den Steißfüßen sind Polartaucher (Uri- nator arcticus) auf dem Zuge erlegt; der Hauben- steißfuß ist im Anfange des Aprils auf dem Schloßteiche erbeutet, später aber nicht mehr beobachtet worden. Drei Entenarten sind nach- gewiesen worden: die Stockente (Anas boschas), vermutlich Brutvogel, die Knäkente (Anas quer- quedula) und die Krickente (Anas crecca). Züge von Wildgänsen — Saatgans oder Graugans — kamen mehrfach zur Beobachtung, ein Schwanen- paar wird auf dem .Schloßteiche in halbwildem Zustande gehalten. Von Regenpfeifern ist bisher nur der Kiebitz nachgewiesen ; auf den F'lußregen- pfeifer wird — zur Zugzeit — gerechnet. Von Schnepfenvögeln werden auf den nassen Wiesen Wasserläufer, Pfuhlschnepfen, Brachvögel und Schnepfen beobachtet. Der Waldwasserläufer (To- tanus ochropus) scheint Brutvogel zu sein; vom Bruchwasserläufer (T. glareola) wurden im August 16 und im Mai 17 je ein Stück geschossen. Der Flußuferläufer (Tringoides hypoleucos) ist im Sommer 17 beobachtet worden und gilt als Brutvogel; Uferschnepfe (Limosa limosa), Pfuhl- schnepfe (L. lapponica) und großer Brachvogel (Numenius arquatus) sind gesehen worden. Der Kampfläufer (Pavoncella pugnax), der in der Nähe, bei Pinsk, brütet, und der auf den Scharawiesen . brütende Rotschenkel (Totanus totanus) sind für Bialowies noch nicht nachgewiesen. Die Bekassine (Gallinago gallinago) gilt als Brutvogel und ist vielfach beobachtet worden ; das Vorkommen der großen Sumpfschnepfe (Gallinago media), die in der Gegend von Pinsk erbeutet worden ist, darf angenommen werden. Die kleine Sumpfschnepfe (G. gallinula) gelangte zur Beobachtung, die Wald- schnepfe (Scolopax ructicola) ist Brutvogel. Unter den Rallen ist die Wasserralle (Rallus aquaticus), der Wachtelkönig (Crex crex), das Tüpfelsumpf- huhn (Ortygometra porzana), das Grünfüßige Teichhuhn (Gallinula chloropus) und das Bläßhuhn (Fulica atra) nachgewiesen, dagegen das kleine Sumpfhuhn (Ortygometra parva) noch nicht. Der Kranich (Grus grus) ist häufig; der weiße wie der schwarze Storch sind vorhanden, die große Rohrdommel (Botaurus stellaris) ist gehört, aber 494 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 nicht gesehen worden, die Zwergrohrdommel (Ardetta minuta) ist noch nicht zur Beobachtung gelangt. Fischreiher sind vereinzelt gesehen worden. Unter den Fasanvögeln sinddie Wachtel und das Rebhuhn zu nennen; im Schloßbezirke halten sich einige Jagdfasanen dauernd auf Alle drei Wald- hühner sind im Urwalde als Brutvögel vertreten, anscheinend am häufigsten das Auerhuhn, wesent- lich seltener das Birkhuhn. Beim Haselhuhn hat die versuchte Sonderung in südeuropäische Haselhühner und nordische bisher nicht bestätigt werden können. Die drei Taubenarten, Ringel- taube, Hohltaube und Turteltanbe brüten im Walde, die letzte Art jedoch nur vereinzelt. Von P'alken wurden bislang beobachtet: der Habicht, nicht selten, seltener der Sperber; der häufigste Raubvogel ist der Bussard. Der Schrei- adler (Aquila pomarina), die westliche Form, nicht die größere östliche, der Schclladler (A. clanga), ist mehrfach erlegt worden ; ferner ist der Wespen- bussard (Pernis apivorus), der Gabelweih (Milvus milvus), der schwarze Milan (IVl. migrans) festge- stellt; von Edelfalken ist der Wanderfalk am häufigsten; auch Baumfalk und Turmfalk kommen vor. Der im Walde vermutete Schlangenadler ist bisher noch nicht nachgewiesen. Eine beob- achtete Weihe wurde als Kornweihe (Circus cyaneus) angesprochen; erlegt wurde eine Rohrweihe (C. aeruginosus), häufig beobachtet der Rauhfuß- bussard (Archibuteo lagopus), erlegt ein Falken- bussard (Buteo buteo intermedius). Der Kaiser- adler (Aquila hehaca) ist noch nicht sicher fest- gestellt. Unter den Eulen von Bialowies ist die häu- figste die Waldohreule (Asio otus), wesentlich seltener ist die Sumpfohreule (A. accipitrinus); vom Uhu sind Stücke in Fuchseisen gefangen worden, vom Waldkauz sind einige Exemplare, von der seltenen Sperbereule (Surnia ulula) und von der Schleiereule je ein Stück erbeutet; der kleine Sperlingskauz (Glaucidium passerinum) ist mehrmals gesehen und erlegt worden, die Habichtseule (Syrnium uralense), die vermutlich im Walde vorkommt, ist bisher nicht beobachtet worden. Der Kuckuck ist eine gewöhnliche Erschei- nung im Walde von Bialowies. Spechte sind der Art wie der Zahl nach reich vertreten. Neun Spechtarten sind Brutvögel des Waidegebietes. Wendehals und Schwarzspecht kommen vor; der häufigste Specht ist der Große Buntspecht, und zwar die typisch skandinavische P'orm Dendrocopos maior. Nur ein Pärchen hatte die kurzen Flügel der deutschen Form D. m. pinetorum. Elsterspecht (D. leucotos) und Mittelspecht (D. medius) zeigen sich ebenfalls zahlreich ; der Kleinspecht (D. minor) dagegen gehört zu den selteneren Erscheinungen. Nach einem Balg der Sammlung handelt es sich nicht um die typisch nordische Stammform oder die mitteleuropäische Abart D. m. hortorum, sondern um den baltischen Kleinspecht D. m. transitivus. Als seltenere Spechtart ist auch der Dreizehenspecht anzusprechen, der in der den Alpen und den Karpathen angehörigen Form Picoides tridactylus alpinus auftritt. Vereinzelt brütet der Grauspecht, noch seltener der Grün- specht. Der Grauspecht gehört nicht der nor- dischen, sondern der mitteleuropäischen Form Picus canus viridicanus an. Der Eisvogel ist mehrfach beobachtet "worden, die Blaurake ist ein nicht seltener Brutvogel, vereinzelt ist der Wiedehopf als Brutvogel nach- gewiesen; auch der Ziegenmelker darf als Brut- vogel angesprochen werden. Der Mauersegler brütet im Walde in Baumlöchern; Rauchschwalbe und Mehlschwalbe sind in Dörfern gewöhnliche Brutvögel. Unter den F'liegenschnäppern er- scheint der Seidenschwanz scharenweise auf dem Durchzuge. Die vier in Deutschland heimischen Fliegenschnäpper kommen auch in Bialowies vor, darunter als häufiger Brutvogcl der graue Fliegen- schnäpper (Muscicapa grisola); nicht selten ist der Trauerfliegenschnäpper (M. atricapilla), der Hals- bandfhegenschnäpper (M. collaris) erschien 1917 am 20. April und wurde bis zur Maimitte häufig, später aber nicht mehr gesehen, der Zwergfliegen- schnäpper (M. parva) ist 191 6 einmal erlegt, im April gesehen worden. Von Würgern sind bisher der rotrückige Würger — als häufiger Brutvogel — und der Raubwürger (Lanius excubitor) nach- gewiesen. Unter den Raben ist der Kolkrabe ein recht häufiger Brutvogel. Im Herbst und Winter tritt er bisweilen in Scharen bis zu 20 Stück auf. Die Nebelkrähe ist Brutvogel und erscheint im Winter und Frühjahr mit Saatkrähen zusammen in Schwärmen. Die Saatkrähe ist noch nicht als Brutvogel festgestellt; auch die Dohle ist nur auf dem Zuge beobachtet. Der Eichelhäher ist häufiger Brutvogel, auch der Tannenhäher be- wohnt den Wald. Die Elster kommt nur ver- einzelt vor. Der Pirol ist gewöhnlicher Sommer- und Brut- vogel. Der Star ist gewöhnlicher Brutvogel an den Waldrändern; im Frühjahr 1917 bezogen Stare die von Mannschaften ausgehängten Kästen. Von Finken sind Haussperling, Feldsperling, Kernbeißer, Grünling, Bluthänfling zu nennen, ferner Stieglitz, Erlenzeisig (Oktober bis April), Birkenzeisig (im November und Februar beobachtet). Der große Dompfaff ist während der Brutzeit vereinzelt, zahlreich als Wintergast nachgewiesen, und zwar die nördlich-östliche Form. Häufig ist der Fichten- kreuzschnabel; nur einmal ist eine Schar von Kiefernkreuzschnäbeln beobachtet, während über den Karmingimpel noch keine sichere Beobachtung vorliegt. Der Buchfink ist häufiger Brutvogel und zieht im Winter anscheinend vollständig weg. Vereinzelt ist der Bergfink beobachtet, von Ammern wurden die Grauammer und die Goldammer auf- gefunden. Häufig ist der Ortolan als Brutvogel, selten bei Bialowies selbst die Rohrammer, die am Nordwestrande des Waldes an der Narewka zahl- N. F. XVn. Nr. 34 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 495 reich vorkommt. Auch die Schnceammer kommt in Bialowies vor. Unter den Stelzen sind vertreten : Baumpieper und Wiesenpieper als häufige Brutvögel, selten der Brachpieper (Anthus campestris), weiße Bach- stelze und Kuhstelze (Budytes flavus) als häufige Brutvögel. Die Lerchen sind vertreten durch Feldlerche und Haubenlerche als Brutvögel; von der Heidelerche wurden im April Züge beobachtet. Von den Baumläufern ist bisher nur der langkrallige Baumläufer (Certhia familiaris) als Brutvogel wie im Winter umherstreichend beobachtet. Sehr häufige Standvögel sind die Kleiber. Es kommen der fahlbäuchige Kleiber (Sitta sordida) wie der weißbäuchige Kleiber (S. europaea) als Brutvögel vor; beide mischen sich miteinander. Außerdem findet man Übergänge zwischen beiden, die als besondere Form S. homeyeri aufgefaßt sind und vielfach noch aufgefaßt werden. Die Meinungs- verschiedenheiten der Ornithologen, ob diese Form (und ebenso die nach Kleinschmidt als S. reichenowii bezeichnete Form) als selbständige geographische Abarten oder als Mischlinge anzu- sprechen sind, könnte in Bialowies vielleicht der Entscheidung nähergebracht werden. An Meisen sind zu nennen: Kohlmeise, Blau- meise und die erst durch die I'orschungen in Bialowies entdeckte Abart der Sumpfmeise, die Reichenow als Baltische Sumpfmeise (Parus palustris balticus) bezeichnet hat, als häufige Brutvögel. Weniger häufig ist die nordische Form der Hauben- meise (Parus cristatus), seltener Brutvogel ist die Tannenmeise, nur während des Winters beobachtet, aber wohl auch Brutvogel, ist die Schwanzmeise. Unter den Sängern ist der Zaunkönig der häufigste; häufiger Brutvogel ist das gelbköpfige Goldhähnchen, während das feuerköpfige Gold- hähnchen bisher nur zweimal zu sehen war. Mehrmals im Frühjahr wie im Herbst beobachtet wurde die Heckenbraunelle; Sperbergrasmücke und Dorngrasmücke sind vereinzelt festgestellt, die Mönchsgrasmücke ist in mehreren Paaren brütend gefunden worden, Sumpfrohrsänger ( Acrocephalus palustris) und Schilfrohrsänger (A. schoenobaenus) sind Brutvögel, der Schwirl ließ sich im Mai und im Juni hören, der Gartenlaubsänger, der Waldlaubsänger, der Fitislaubsänger und der Weidenlaubsänger sind vorhanden, die Singdrossel ist häufig, ebenso die Misteldrossel, und zwar die Form, die erst auf Grund der Sammlungen des Grafen Zedlitz im Scharagebiete als Turdus viscivorus jubilaeus von F. v. Lucanus und Graf Zedlitz gesondert und beschrieben wurde. Im Herbst und Winter erscheint auf der Wanderung auch die typisch nördliche Form Turdus viscivorus. Spärlich tritt die Amsel auf, auf dem Zuge zeigen sich Weindrossel und Wacholderdrossel. Der Steinschmätzer brütet häufig auf den Feldfiuren, der braunkehlige Wiesenschmätzer ist mehrmals gesehen worden, zu den Brutvögeln des Waldes gehören noch Gartenrotschwanz und Rotkehlchen. Blaukehlchen, deren Art nicht festgestellt werden konnten, sind ziehend beobachtet worden. Im Schloßpark brütet in vielen Paaren der Sprosser. Hans Pander. In einem kurzen Aufsatz hat R. Vogel die Frage untersucht; Wie kommt die Spreizung und Schließung der Lamellen des Maikäferfühlers zu- stande? (BiologrZe7it?alblatt, Bd738, 191 8)." Jeder kennt die Eigentümlichkeit der Lamellicornier, ihre P'ühlerglieder auszubreiten und während des Fluges in dieser Lage zu halten. Es gibt zwei Möglichkeiten, durch welche diese Bewegung herbeigeführt wird. Entweder handelt es sich um direkten Muskelzug oder um die Folgeerschei- nungen eines einseitigen Luft- und Blutdruckes innerhalb des Tracheensystems. Vogel unter- suchte am Maikäfer auf Paraffinschnitten die An- tennenmuskulatur, fand aber, daß keine Fasern in die Blätterkeule ziehen. Er konnte auch keine besonderen Bildungen des Tracheensystems auf- finden. So war anzunehmen, daß der Blutdruck als die bewegende Kraft zu betrachten ist. Dafür erbrachte der Verfasser zunächst den experimen- tellen Beweis, indem er dem Käfer V2 ccm physio- logischer Kochsalzlösung in die Leibeshöhle ein- spritzte oder indem er einen Druck auf seinen Thorax ausübte. In beiden Fällen erfolgte die Fächerspreizung zwangsläufig. Diese Wirkung wird ermöglicht dadurch, daß die Gelenkhäute der Fühlerglieder an der medialen Seite schmal, an der anderen dagegen verhältnismäßig breit sind. Die Glieder haben daher an der Seite der Lamellen eine größere Beweglichkeit als an der entgegengesetzten, und es drückt die Blutflüssig- keit die quer zur Richtung des Druckes stehen- den Blätter nach vorn. Dabei wird die vorderste von ihnen, der die größte Beweglichkeit zukommt, am stärksten gedreht. Die Rückkehr des Fächers in die Ruhelage erfolgt durch die Spannkraft der zusammengedrückten medialen Gelenkhäute. Im besonderen nimmt die Blutflüssigkeit ihren Weg durch ein zu den Lamellen führendes Gefäß, das sich an der Basis der Fühlerkeule erheblich er- weitert und in jedes Blatt einen kräftigen Fort- satz schickt, dessen Wandung mit der Epidermis der Lamelle vielfach verwächst. Stellwaag. Bücherbesprechungen. A. Heim, Geologie der Schweiz. Leipzig Erscheinen der ersten Lieferung ausführlich ge- 1918. Chr. Herrn. Tauchnitz. Lieferung 2—5. würdigt wurde, hat mit der kürzlich erschienenen Jede Lieferung 6 M. 5. Lieferung insofern einen gewissen Abschluß Das ausgezeichnete Werk des hervorragenden erreicht, als damit der erste Hauptteil fertig vorliegt. Schweizer Geologen, das bereits früher bei dem Dieser behandelt die Molasse und das Diluvium, 496 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 34 d.h. in der Hauptsache den geologischen Aufbau- des Schweizer IVlittellandes. Unter Molasse ver- steht man die im wesentlichen aus zerreiblicheii Sandsteinen bestehenden tertiären Bildungen der Schweiz, wie sie aus den Gesteinsmassen der Ge- birge durch Verwitterung, Schlämmung und Wiederabsatz hervorgegangen sind. Nach einer Darstellung der Gesteinsarten, die die Molasse zusammensetzen, wird ihre stratigraphische Gliede- rung ausführlich behandelt, woran sich dann ein Abriß des Fossiliengehaltes und des tertiären Klimas schließt. Zuletzt werden die tektonischen Verhältnisse geschildert. An die Molasse wird in einem weiteren Abschnitte das Diluvium ange- schlossen, das zwar über die ganze Schweiz aus- gedehnt ist, im Mittellande aber doch seine größte Bedeutung hat. Der Verfasser geht die einzelnen Gebilde und Erscheinungen durch, wie sie während der Eisperioden durch die Gletscher hervorgerufen wurden, also die Gletscherschliffe, die Riesentöpfe, die erratischen Blöcke, die Moränen, Schotterab- lagerungen usw., dann die interglazialen Elemente der Schieferkohlen, Lehme, Tuffe, Lösse, beschreibt wieder die organischen Reste und schließt mit einer allgemeinen Erörterung der Ursachen der Eiszeiten. Der dritte Abschnitt ist der Oberflächengliederung des Molasselandes gewidmet, wie sie sich allmählich durch die Wirkung verschiedener geologischer Kräfte zum jetzigen Antlitz des Mittellandes aus- gestaltete. Ausgezeichnete, sorgfältig ausgewählte Abbildungen, zahlreiche Karten, Profile usw. unter- stützen den Text, wie überhaupt die allgemeine Ausstattung vortrefflich ist. Die Darstellung for- dert in ihrer übersichtlichen Gliederung, ihrer klaren Knappheit, ihrer erschöpfenden Eindringlichkeit immer wieder die Bewunderung heraus. Wir können nur wünschen, daß es dem Verlage trotz der Schwierigkeiten gelingen möge, auch die zweite Hälfte in absehbarer Zeit herauszubringen. Miehe. F. Frech, Allgemeine Geologie I, II, IV. „Aus Natur und Geisteswelt" Nr. 207, 208, 210. Dritte Auflage. Teubner-Leipzig 1918. (Jeder Bd. geh. 1,20 M., geb. 1,50 M.) In sechs Bändchen hatte der nunmehr auf fernem Kriegsschauplatze uns Entrissene es unter- nommen die Hauptthemata der allgemeinen Geo- logie einem größeren Leserkreise verständlich dar- zustellen. Mit welchem Erfolge, das zeigt die Notwendigkeit trotz hoher Anfangsauflage bald eine zweite und noch während des Krieges Teile einer dritten Auflage erscheinen zu lassen. Das Bändchen III über die Arbeit des fließenden Wassers hatte schon unmittelbar vorher den Anfang damit gemacht; nun folgen diejenigen über Vul- kane, über Gebirgsbau und Erdbeben, sowie über Bodenbildung, Mittelgebirgsformen und die Arbeit des Ozeans. Langjährige Redaktionsarbeit am Neuen Jahr- buch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie verhalf dem Verfasser zu besonders intensiver Verfolgung der neueren Literatur, eigene Arbeiten auf den verschiedensten Gebieten ließen ihn stets persönliche Stellungnahme zu den Problemen ge- winnen. So ließ er es denn nicht bei einfacher Neu-Herausgabe bewenden: Neue Ereignisse an Erdbeben und Vulkanausbrüchen sind in die Be- trachtung einbezogen, neuere Anschauungen und Hypothesen mit Auswahl aufgenommen worden. Ein Abschnitt über Bodenbildung ist einem be- sonderen Fachmann , Dr. B 1 a n c k - Rostock zur Überarbeitung anvertraut worden, alte Abbildungen wurden gegen neue ausgetauscht. So ist das Be- streben des Verfassers nach Abrundung und Voll- ständigkeit überall ersichtlich. Auf der Höhe seines Schaffens hat er hier einen gesättigten Niederschlag seines reichen Wissens in allgemein ansprechender Form hinterlassen, der keiner besonderen Empfeh- lung mehr bedarf. Er wird für sich selber werben. Edw. Hennig. Literatur. ,,Aus Natur und G eis t es w el t". B. G. Teubner, Leipzig und Berlin. Jeder Band 1,50 M. Gutzeit, Prof. Dr. E., Die BalUerien im Haushalt der Natur und des Nenschen. 2. Aufl. Mohr, Prof. Dr. M. v., Die optischen Instrumente. 3. Aufl, Frech, Prof. Dr. Fr., Allgemeine Geologie. 3. Aufl. 1.: Vulkane; IL: Gebirgsbau und Erdbeben; IV.: Bodenbil- dung, Mittelgebirgsformen und die Arbeit des Ozeans. Bucky, Dr. med., Die Röntgenstrahlen und ihre An- wendung. Freundlich, Prof. Dr. E., Die Grundlagen der Einstein- schen Gravitalionstheorie. 2., erweiterte und verbesserte Aufl. Berlin '18. J. Springer. Karl Kräpelin's Leitfaden für den zoologischen Unterricht in den unteren und mittleren Klassen der höheren Schulen. 2. Teil. 7. verbesserte Aufl., bearbeitet von Prof. Dr. C. Schäffer. Leipzig und Berlin '18. B. G. Teubner. Kohlschütter, Prof. Dr. V., Nebel, Rauch und Staub. Bern '18. M. Drechsel. — 1,80 M. Floericke, Dr. K., Forscherfahrt in Feindesland. Stutt- gart '18. Franckh'sche Verlagsh.indlung. — 1,25 M. Bals, H., Krieg und Frieden im Tierreiche. 2. verb. Aufl. Mit 14 Illustrationen. Regensburg '18. G. J. Manz. — 1,20 M. Groß, Dr. R., Zur Theorie des Wachstums- und Lösungs- vorganges kristalliner Materie. Leipzig '18. B. G. Teubner. - 3 M. Wilhelmi, Prof. Ur. J., Die hygienische Bedeutung der angewandten Entomologie. Mit 13 Textabbildungen. Berlin '18. P. Parey. — 1,50 M. Inhalt: Hans Pander, Wandlungen der Tier- und Pflanzenwelt des Rheins. S. 481. — Einzelberichte: Heinr. Prell, Ober Kennzeichen, Lebensweise und Bekämpfung unserer wichtigsten Stechschnaken. S. 490. Rörig und Reichenow, Die Säugetiere und Vögel des Urwaldes von Bialowies. S. 492. R. Vogel, Wie kommt die Spreizung und Schließung der Lamellen des Maikäferfühlers zustande? 8.495. — Bücherbesprechungen: A. Heim, Geologie der Schweiz. S. 495. F. Frech, Allgemeine Geologie I, II, IV. S. 496. — Literatur: Liste. S. 496. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S, Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i. September 1918. Nummer 35. Zur Geschichte der Ananas und Agave. Mit 3 Abbildungen im 'l'ext. [Nachdruck verboten Amerika verdanken wir bekanntlich einige unserer wertvollsten Kulturpflanzen, ') die Kar- toffel, den Tabak und Mais, die für unsere Wirt- schaft von großer Bedeutung geworden sind und zum Teil uns geradezu die Durchhaltung in dem jetzigen Weltkriege ermöglichen. Neben diesen wichtigen Kulturgewächsen sind uns noch ver- schiedene andere Pflanzen aus dem neuen Konti- nente zugekommen, die wirtschaftlich zwar keine so große Rolle spielen, aber als Obst und Zier- pflanzen beliebt sind und in Gärten vielfach kul- tiviert werden. Ich möchte hier die Geschichte zweier amerikanischer Monokotylen behandeln. I. Ananas (Ananassa sativa Lindl.) — „Wenn einige Früchte vorhanden, deren man wegen ihres herrlichen Geschmacks und leckerhaften Annehm- lichkeit einen besonderen Lob-Ruhm beilegen mag", heißt es bei dem alten J. C. V o 1 c k a m e r , '■') so ist es wahrhaftig die denen Augen des geneigten Lesers fürstellig gemachte Ananas, ein Ausbund aller Gewächse, deren in den vier Weltteilen fast keines an Niedlichkeit vergleichlich, daher sie auch bildlich eine Königin der Früchte zu nennen, in welche alle Lust-Reitzung des Geschmackes ver- senkt und von der Allmutter der Natur, mit einer Krone von Blättern, um das Haubt geschmückt, um dadurch ihren Vorrang vor allen anderen aus- zudrücken. In dieser Krone liegen schon die ersten Beginnsein des künftigen Stamm- und Kron- Erbens verborgen, woraus beim Absterben der bisherigen Zeug- Mutter durch den Fruchtbringen- den Trieb der Natur 'eine neue Frucht herfür stammen muß". Die Ananas wurde bereits 1493 von Columbus Dr. S. Killermann, Kegensburg. treffend ; es ist nämlich kein Baum, sondern ein Kraut, einer Distel (Artischoke) oder dem Akanthus sehr ähnlich. Dieser Frucht erteilte der König selbst die Palme. Auch ich (Petrus M. ?) habe von diesem Obst ein klein wenig verkostet; denn nur ein Stück von den wenigen, die herübergebracht worden, fand sich unversehrt, während die übrigen infolge der langen Seefahrt verdorben waren. Alle, die solche Früchte im Mutterland gegessen, heben voller Verwunderung ihre Süßigkeit hervor." ') Die ganze (2.) Dekade ist dem Papste Leo X. gewidmet; die Erzählung spielt, wie man aus dem Schlußsatz (1. c. pag. 204) entnehmen kann, am spanischen Königshofe: „e» Catliolici regis curia, pridie nonas Decembri. Anno ä Christi natali 1 5 14." Noch einmal, in der 3. Dekade (Lib. IV) scheint von unserer Pflanze die Rede zu sein; es wird da eine Gegend von Mittelamerika (Xaguaguara) ge- schildert: „In den Gärten pflegen die Leute eine der Pinienuß ähnliche P'rucht, von der wir ander- wärts sagten, daß sie auf einer artischokenartigen Staude wachse, die aber eine weiche und des Königs würdige Nahrung darstelle." '^) Wo die hier angezogene Stelle sich in dem Werke befindet, habe ich einstweilen nicht gefunden, da das Register sehr mangelhaft ist. Es ist nicht ausgeschlossen, daß P. Martyr an den päpstlichen Hof auch eine wirkliche Ananas aus Spanien schickte. Wie ich an anderer Stelle ') einmal gelegentlich bemerkte, glaubte ich in den Fruchtguirlanden der Raffael'schen Loggien im Vatikan, die um 1520 entstanden sind, auch das verschwommene Bild einer Ananasfrucht zu er- auf üuadelupe und dann im folgenden Jahre auf kennen ; die Gemälde sind im Laufe der Jahr- Veragua beobachtet. ■') Sie wurde auch bald nach Spanien gebracht. So lesen wir in dem inter- essanten Werke „De rebus oceanicis" von Petrus Martyr ab Angleria (Decade II Liber nonus), daß „der unbesiegbare König Ferdinand (der Katholische, von Spanien) eine F'rucht gegessen habe, die von jenen Landen (Amerika) gebracht worden sei, schuppig, einer Piniennuß ähnlich, was Form und Farbe betrifft, aber weich wie eine Melone, an Geschmack alle Gartenfrüchte über- hunderte schon etwas schadhaft geworden. Die köstliche, aber schwer haltbare F'rucht tauchte hin und wieder an königlichen Tafeln auf. Man liest. ') Vgl. meinen Artikel ,.Zur ersten Einführung Pflanzen im i6. Jahrh." (Naturw. Wochenschr. Nr. 13. 2J J. C. Volk am er, Nürnberger Hespei pag. 210. Nürnberg 1714. ■') K. Sprengel, Geschichte der Botanik 1. Bd. S. 350; ferner Ch. Pickering, Chronological History of Plants (Hoston 1879) pag. 674. amerikanischer Bd. VII (1909) Anhang ') „.-Mium fructum se invictissimus rex Ferdinandus come- dissc fatetur ab iisdem terris advectum, squamosura, piniis nucamentum adspectu, forma, colore aemulatur, sed molitie par melopeponi, sapore omnem superat hortensem fructum: non cnim arbor est, sed herba, carduo persimilis aut acantho. Huic et rex ipse palmam tribuit. Ex iis ego pomis minime comedi ; .juia unum tantum e paucis allatis reperere incorrup- tum, caeteris ex longa navigatione putrefactis. <^ui in nativo solo recentia ederunt, illorum cum admiratione suavitatem extoUunt." De rebus oceanicis et novo orbe, decades tre.s, Petri Martyris ab Angleria Mediolanensis. Coloniae, apud Gervinum Calenium 1574. pag. igi. '') ,,In hortis hi pineae nuci fructum similem nutriunl, quem diximu5 alias e frutice nasci, veluti carduo, sed möllern et regia dignum esca" (1. c. p. 246). ') Vgl. meinen Artikel; „Die Zitronen und Orangen in Geschichte und Kunst" in dieser Zeitschrift Bd. XV S. 207; erste Spalte, Anm. 2. 49S Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. 35 daß Kaiser Karl V., dem man eine Ananas brachte, der Sache mißtraute und die Frucht nicht kosten wollte. 1) Der erste ausführliche Bericht über unsere Pflanze findet sich in dem Werke des G o n g a 1 o Hernandez de Oviedo: „Allgemeine Ge- schichte von Indien. Sevilla I53S". ") Im 7. Buche Kap. 13 (fol. 76 — 78) spricht er über 3 Seiten lang von den „Pinnas" (Pinienzapfen), so von den „Christen" wegen ihrer Ähnlichkeit mit solchen, bei den Indianern yayama, boniama, auch ayagua geheißen. „Sie ist", bemerkt er,") „eine der schönsten Früchte, die ich gesehen auf der ganzen Welt, soweit ich gekommen bin, wenigstens in Spanien ; weder in Frankreich, noch in England, Deutschland, noch in ganz Italien und in den Staaten seiner Kais. Majestät, Burgund, Flandern, Tirol, Artois, Holland und Irland, auch nicht in Sizilien mit seinen wunderbaren Gewächsen, noch in Neapel in dem Gartenparadies des Königs Ferdinand I., noch auf derwilden, auf einer Poinsel gelegenen Anpflanzung(?) des Herzog Ercoles von Ferrara; auch nicht im hängenden Garten (zu Larretona) des Herrn Lud- wig Herzogs von Mailand, in dem er Bäume ziehen läßt überreich an Früchten für seinen Tisch und sein Haus . . Nirgends habe ich solche F"rüchte gesehen." Oviedo bemüht sich sodann darzu- legen, wie diese Frucht alle 5 Sinne des Menschen einnehme, Geruch, Geschmack, Auge und Tast- sinn ; freilich beim Ohr will die Sache nicht recht klappen. Er bespricht die Verschiedenheit der oben genannten Ananasformen in bezug auf Form, Farbe, Geschmack und den Einfluß der Kultur auf diese Pflanze. Er betont wiederholt die Köst- lichkeit der beschriebenen Früchte, von denen eine einzige wie viele Pfirsiche und Quitten und ')Bei De CandoUe-Goeze, „Der Ursprung der Kulturpflanzen" S. 391. Dieser Autor kennt unsere erstzitierte Quelle Petrus Martyr, wie auch die folgenden Durante, Besler nicht. ^) Ich habe vor mir das Exemplar der Münchener k. Hof- ■ und Staatsbibliothek mit dem Titel: „I.a historia general de las Indias, Sevilla 1535." Am Schlüsse des Buches kommt in dem Brief des Autors an den Cardinal Garcia Jofre de Loaysa die eigenhändige Lnterschrift des Autors ,,Goncalo Her- nandez de Oviedo" vor. ') La quäl es una de las mas hermosas frutas, que yo he visto en todo lo que dcl mundo he andado alomenos en espana ni en francia ni inglattera ni alemafia ni e toda la Ytalia ni en los estados de la cesarea magestad de borgofia flandes tirol Artues ni olanda ni gelanda: ni tampoco en secilia aunque entrcn los millervelos ni peras moscarelas ni todas aquellas e.\celendes frutas que el rey Fernando I de tal nombre en Napoles acomulo cn suo jardines de pujo real y el parayso y el parque ; ni enla esquiva noya del duque Ercoles de Ferrara metida en quella ysla del Po. Ni la huerta portatil en Larretones des sefior Ludovico duque de Milan, en que se hazia llevar los arboles cargados de fructa hasta la mese y a su caniara. . . y son hermosura de vista, sua- vidad de olor, gusto de e.\celente sabor. Assitiue de cinco scntidos los Ires que se pueden aplicar alas frutas. . . . Una sola de estas pinnas huele a muchos duraznos y membrillos y melocotones, que estuvicssen juntos et muy mejor que a todos tres olores ymita. . . . Para plantar otros cardos e pinas estos cogoUos son la simiente o sucession desta fruta ; porque toman aquel cogollo que la pifia tiene encima, o los quo estan pegados con ella enel peron. (Oviedo 1. c. fol. 76.) Melonen (.') rieche und sie alle zusammen über- treffe. Endlich bemerkt er, daß man zur Ver- mehrung der Pflanze den Blätterschopf, den die Frucht oben trägt, oder jene, welche unten am Stiel angeheftet sind, benütze. Den Ausführungen Oviedo's ist auch ein einfacher Holzschnitt, der die Pflanze im fruchten- den Zustand veranschaulicht, beigegeben (Hb. VII fol. 76'); ich bringe ihn hier nicht, da er so ziem- lich dem folgenden Bilde Besler 's ähnelt, wenn beide auch keineswegs identisch sind. Im „Herbario Nuovo" des römischen Arztes Castore Durante (1585)^) erscheint unsere Amerikanerin bereits unter ihrem jetzigen Namen Ananas und Ananasa, der auf den kanarischen Inseln gebräuchlich sei.') Auch ein Bild (einfacher Holzschnitt) ist der Beschreibung beigegeben (p. 25). Nach Durante ist die Ananas nur eßbar, und nicht für medizinische Zwecke zu verwerten. Als ihre Heimat gibt er Brasilien an; sie sei aber jetzt nicht bloß im westlichen Indien, sondern auch im Orient und an vielen Orten anzutreffen. Er führt dann auch eine wilde Ananas (A. bravo) vor, die mir eine Distelart zu sein scheint. Die Verbreitung der Ananas vollzog sich in den Tropen, wie aus Durante zu ersehen ist, ziemlich schnell. Nach De Candolle-Goeze, der sich hier auf Royle u. a. stützt, wurde sie um 1594 in Bengalen eingeführt, sowie an der Guineaküste ; denn C. C 1 u s i u s ^) sah 1 599 Ananas- blätter, die aus dem letzteren Lande stammten. Nach Kircher*") bauten die Chinesen diese Frucht im 17. Jahrhundert unter dem Namen Fan-po-lomie an; sie hielten diese Pflanze für nicht einheimisch und betrachteten Peru als ihr Vater- land. Es fehlt auch ein eigener Sanskritname, so daß über den amerikanischen Ursprung kein Zweifel besteht. In Deutschland tritt die Ananas erst mit Be- ginn des 17. Jahrhunderts auf. Der erste Autor, der sie uns hier vorführt, ist der Nürnberger Botaniker Basilius Besler, der Verfasser des Hortus Eystettensis; er gab 1616 ein kleines Kupferstichwerk ^) heraus mit dem Titel : „Fasci- culus rariorum et aspectu dignorum varii generis, quae collegit et suis impensis aeri ad vivum incidi curavit atque evulgavit Basilius Besler Noriberg Pharmaceuticae chymicae et botanicae cultor et admirator. Anno Christi Domini servatoris veri '1 Herbario Nuovo di Castore Durante. Medico et Cittadino Romano. In Roma. Appreso B. Bonfadino et T. Diani 1585. ■^) ,,J Canaresi lo chiamano Ananas et .\nanasa . . . Nasce in Brasil, dondo fu prima portato, et hora non solo nell' Jndie occidentali, ma nell' orientali ancora ritrovavascene in molti luoghi" (pag. 26). ') Exoticorum libri cap. 44. *) China illustrata, in der fianzös. Übersetzung von 1670 S. 253 (nach de Candolle-Goeze); s. auch Volkamer 1. c. Ich habe das Buch gerade nicht zur Verfügung; in den anderen Werken dieses Autors findet sich kein Hinweis auf die Ananas. "■) Ich wurde auf diese etwas verborgene (juelle durch llerrn K. We i n - Nordhausen freundlichst aufmerksam gemacht. N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 499 1616". liier stein uiilcr anderen Früchten (Koni- ferenzaijfen u. dgl.) auf Taf. 23 auch unsere Ananas (s. Abb. i) mit dem Titel „Ananas Indicum", über die wir sonst nichts weiteres erfahren. Besler hat offensichtlich eine frische Ananas vor Augen gehabt; vielleicht wurde sie sogar in dem damals hochberühmten Garten der Fürst- bischöfe von Eichstätt gezogen. Das Hauptwerk Besler's, der berühmte und riesige Kodex „Hortus Eystettensis" (entstanden etwas früher, um 161 3), führt indes die in Rede stehende Frucht- pflanze noch nicht auf. In Nürnberg scheint das Interesse für die Ananasfrucht sehr groß gewesen zu sein, wie wir aus der oben angeführten Stelle aus Volk amer's Nürnberger Hesperides entnehmen können. Dieser Autor beschreibt ausführlich die Aufzucht, Pflege, die bei der Kultur derselben notwendig sind, und AhbilduDg der Ananas. Kupferstich. Bei Basil. Besler, Kascic. rariorum etr. Taf. 22. Nürnberg Iül6. bemerkt auch, daß die Pflanzen in ihrer Heimat von Kolibris beflogen werden, die dann wieder von Vogelspinnen belauert würden. Öm die Kultur der Pflanze in europäischen Gärten bemühten sich im 17. Jahrhundert Com- melyn in Amsterdam, Herman Hotton in Leyden, T o u r n e f o r t in Paris, B a u h i n in Basel, der sie als „Cardui Brasiliani foliis Aloes" anspricht (1623?). Dem holländischen Kaufmann Lecour in Leyden soll es 1650 zuerst geglückt sein, F"rüchte in seinem Glashause zu erziehen. Seinem Beispiele folgte 1712 Sir Mathew Decker in England;') dort sind heute noch die Gärten in Windsor berühmt wegen ihrer Ananashäuser. Unterdessen hatte schon in der Heimat der berühmten Pflanze ein Maler sich für sie interessiert. Wir sehen in der Münchener k. Alten Pinakothek ') Nach ( artenztg. XXI (Interimistische Sammlung 191 7, früher in Schleiß- heini), wie auch in Amsterdam Rijksmuseum Nr. 1902 zwei Landschaftsbilder aus Westindien und Brasilien, in denen die lebende Ananaspflanze im Mittelpunkte steht. Palmen, verschiedene Schlinggewächse, auch Kürbis und andere wachsen in üppiger Fülle und mitten darin erhebt eine Ananasstaude ihren sonderbaren, gelben, mit grünen Blättern durchwachsenen Kopf hervor. Amerikanische Tiere: Ameisenbär, Faul- und Gürteltier, Rhinozeroskäfer, verschiedene brasilia- nische Vögel beleben die Szenerie. Die naturkundlich bemerkenswerten und prächtig ausgeführten Bilder stammen von Fr. lansz Post (1612? — 1680), der in Leyden ge- bürtig war und den Prinzen J. Moritz von Nassau auf seiner brasilianischen Reise 1637 begleitete. ') Das Münchener Bild wurde 1649 gemalt. Wunderschöne und naturgetreue Gemälde von der .Ananasfrucht lieferte die Nürnbergerin Maria Sibylle Merlan in ihrem köstlichen Kupfer- werk über amerikanische Pflanzen und Insekten.''') Es wird auch von ihr diese Frucht, die sie an erster Stelle in zwei Tafeln vorführt, als Ausbund aller F"einheit gepriesen. ■') Das erste Bild zeigt die Pflanze etwas unreif, schön rot gefärbt, das zweite gelb im ausgereiften Zustande, beidemal von verschiedenen Insekten, Zikaden, Schmetterlingen und Raupen umgeben. Der Geschmack der Frucht ist nach Merlan eine Mischung von Trauben, Granatäpfeln, Johannis- beeren, Äpfeln und Birnen; der Geruch stark und angenehm. Die Krone und die Knospen an der Seite bringen in der Erde neue Pflanzen hervor, die in 6 Monaten vollständig reif werden. Ausführlich verbreitet sich über die hier be- sprochene Pflanze der Regensburger Botaniker J. G. Weinmann in seiner dortselbst 1 737 erschienenen Phytanthoza (Vol. I p. 46 — 48). Er beschreibt sie genau und führt in farbigen Darstellungen die wilde Form und die verschiedenen Kulturvarietäten uns vor (Taf. iio — 116). „Neben dem Haupt- stengel", sagt er, „wachsen andere kleinere, die auch ihre Frucht tragen, und wenn solche abgenommen ist, abgebrochen und in die Erde gesteckt werden 'j Michael Hemmersam aus Nürnberg, der in den Jahren 1639 — 1645 die Morilz'sche Gründung, Moritzburg und Freyburg in Brasilien besuchte, schildert zwar den herrlichen Lustgarten mit Palmen, Zitronen und Orangen dortselbst, sagt aber nichts von der Ananas. Michael Hemmersams Guineische und West-Indianische Reißbeschreibung . . . durch Chr. L. Dietherrn aufgelegt. Nürnberg 1663. '^) Metamorphosis Insectorum Surinamensium , in qua Erucae etc. Omnia in America ad vivum natural! magniludine picta atque descripta per Mari am SibyUam Merian. Amstelodami ano MDCCV (folio\ ') .Ananas inter omnes fructus terrarum edules facile prin- ceps, merito etiam in hujus Operis Observationumque mearum ordine ducit agmen. . . . Gustu fructus hie uvas, mala punica, ribesia, poma atque pyra inter se mista refert. . . . Odor eius fortis est ac gratus . . . Corona qua tegitur, item gerniina ad latus excrescentia, terrae mandata, novas producunt plantas . . . germine spatium 6 mensium ad perfectam maturitatem nans- ciscendum rcnuirente . . ." 500 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 35 woraus neue Stöcke erwachsen, die in Jahresfrist ihre Frucht bringen, welches auch mit der vor- gedachten Krone also angeht. Das Fleisch der Frucht ist weißgelb . . . und schmeckt so edel, daß es zugleich nach Erdbeeren, Äpfeln, Pfirsichen, Quitten, Mouskatellen, Bergamolten, Kirschen, Aprikosen, Zuckerhonig und Rheinwein schmeckt und doch dabei einen sonderlichen und eigenen Geschmack hat, den man nicht leicht aussprechen kann. Dahero sie auch wegen ihres vortrefflichen Geschmacks die Königin unter den Früchten ge- nannt und allen anderen vorgezogen wird." W e i n m a n n erzählt dann weiter ; „In Ostindien kostete ein Stuck lo und mehr spez. Dukaten. Nach der Zeit hat man sie auch in Europa auf- zubringen gesucht, so auch seinen guten Fortgang gehabt. Wie dann Anno 171 1 zu Leipzig in dem Bosig'schen Garten eine Frucht mit einer doppelten Krone zum Vorschein gekommen. Anno 171 5 ist eine im hochfürstlichen Garten zu Cassel zur Voll- kommenheit gediehen. Anno 17 18 hat der curieuse Medicus zu Breslau Kaltschmidt eine zur völligen Reife gebracht und an den kaiserlichen Hof über- sendet. Zu Leyden wurden 150 Pflanzen zum Verkauf angeboten. Anno 1722 ist zu Leipzig im Winkler'schen Garten eine rote ostindischc Ananasfrucht mit 12 Kronen zu sehen gewesen etc." Nach Wein mann wurde die Ananasfrucht nicht bloß als Tafelobst sondern auch als Medizin gebraucht; er empfiehlt sie als Mittel gegen Stein- leiden, Geburtsbeschwerden, die rote Ruhr usw. Von den verschiedenen (ca. 8) Sorten , welche dieser Autor anführt und bildlich darstellt, ist be- sonders die des sog. „Zuckerhutes" interessant, bei der der Blätterschopf seitlich herauswächst (Ananas brava, Ananas noble), eine Form, die im Baker- schen System pyramidalis genannt wird. Eine wohl unbekannte, in sehr feiner Malerei ausgeführte Abbildung der Ananas fand ich in dem herrlichen Miniaturwerk Codex Rari IX (fol. 797) auf der Nationalbibliothek in P'lorenz (s. Abb. 2). Die Pflanze fruchtend mit ihrem Blätterschopf wird von verschiedenen Insekten umschwärmt. Das Bild, das aus der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts ') stammt, ist wohl nach der Natur entworfen. Man kennt jetzt gegen 60 Ananassorten, *) auch solche mit bunten Blättern, welche natürlich mehr als Zierpflanzen gehalten werden. NachWittmack'') gibt es im tropischen Amerika 5 — 6 Arten, von denen die behandelte Ananas sativus die wichtigste ist. Die Art, die wie erwähnt in allen Tropen- ländern durch die Europäer verbreitet wurde, soll besonders gut in Ostasien (Philippinen) gedeihen. Für die Kultur in unserem Klima wird besonders ') Die in meinem Artikel über „Ausgestorbene Maskarenen- vögel" (vgl. diese Zeitschrift Bd. XIV S. 360) gemachte An- gabe „14. Jahrh." beruht auf einem bedauerlicherweise unter- laufenen Druckfehler. '') Vgl. den Artikel in der 111. Wiener Gartenzeitung 1. c. S. 129 u. I30- ') Bei Englcr-Prantl, .Matürl. Pllanzenfamilien II 4 (18SS) .S. 4S. warmer Boden und Treibhauswärme erfordert; der erstere läßt sich nach einer Notiz in der Illustr. WienerGartenzeitung am besten durch eineMischung von Moos, Heideerde u. dgl. erreichen. Eine hübsche Schilderung von dem Gebrauch der Pflanze in ihrer Heimat ist bei Oken^) zu finden. Hier wird auch schon aufmerksam gemacht auf den Wert der Ananas als Textilpflanze. 2. Baum-Aloe oder Agave (Agave ameri- cana im weiteren Sinne). — Die Geschichte dieser Pflanze, welche in ihrer amerikanischen Heimat hauptsächlich wegen ihres vergärbaren Saftes kul- tiviert wird, ist zum Teil schon von Martins'-') behandelt worden. Man findet sie ebenfalls schon Abb. 2. Farbige Abbildung der Ananas in einem Miniaturenwerk; Codex Rari IX (Florenz Nationalbibl.) Fol. 797. (Zum erstenmal veröffentl. u. phot. vom Verfasser.) bei Petrus Martyr erwähnt, so in der III. Decade am Anfang des 9. Buches, wo er sagt, daß die ersten Einwohner in ihrer Bedürfnislosigkeit lange Zeit von einer Art Palmenwurzeln namens Maguey sich genährt haben; das Kraut sei dem Sedum oder Aizoon, beim Volk Semperviva genannt, ähnlich. ^) An einer anderen Stelle (pag. 280) bemerkt er, daß der Name Maguey auch für die Pauken der Wilden gebräuchlich sei; sie waren eben aus dem ausgehöhlten Schafte der Baum- Aloe gemacht. Die erste wissenschaftliche Beschreibung illu- ') Oken's Naturgeschichte. Botanik II. Bd. S. 633—635 (Stuttgart 1841). 2) Vgl. C. Fr. V. Martius, Beitrag zur Natur- und Literärgeschichte der Agaveen. Münchener Gelehrte Anzeigen 1855 Nr. 44 — 51. München 1855. ') „Primos aiunt habitatores contentos vixisse diu radi- ribus his, palmarum puta, Magueiorum, quae est herba Sedo sive Aizoo, quam vulgus Sempervivam appellat, similis" (1. c. pag. .^01). N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 501 striert mit dem Holzschnitt einer nicht blühenden Agave findet sich unter dem Titel „Aloe Ameri- cana" bei C. Clusius 1576.') Der berühmte Pflanzenvater bemerkt, nachdem er die Pflanze mit ihrer Tracht kurz geschildert , daß er zum erstenmal in dem eine Meile von Valencia ent- fernten der hl. Jungfrau geweihten Kloster von einem Arzt und Professor Namens D. Joannes Plaga auf sie aufmerksam gemacht wurde. Auch anderwärts habe er sie dann beobachtet: so eine mit sehr großer Wurzel von fast zwei Ellen Länge auf dem Landgut seines Gastfreundes Petrus Alemanus. An der Seite dieser Wurzel waren gegen 30 kleine Pflanzen herausgewachsen, von denen er zwei auszog und mit sich nach Belgien nahm. Die eine davon gab er dem nunmehr ver- storbenenBotanikerCarolus a Divo Audomaro, die andere dem gelehrten Apotheker Petrus Coldenberg, der sie wohl noch in Verwahrung hat. Von dieser Pflanze ließ Clusius den er- wähnten Holzschnitt fertigen, um zu zeigen, daß es sich nicht um die gewöhnliche Aloe handle. Die Pflanze ist langlebend, dauert viele Jahre aus, vermehrt sich vielfach mit der Wurzel, dank dessen sie und wegen ihrer schrecklichen Dornen von den Indern und Amerikanern als lebender Zaun um die Felder angepflanzt wird, um sie zu schützen (wie man es bei uns mit Dornen gewöhnlich macht) und um Diebe abzuwehren. -) Clusius gibt dann selbst eine Geschichte von dieser Pflanze, die man in Valencia Fadendorn („Fil y agulla"), im übrigen Spanien auch Distel (cardon), in Amerika Maguey oder Metl, nannte. Darnach erwähnt sie Gomara am Ende seiner Geschichte Mexikos als dortselbst in Menge verbreitet und wegen verschiedener Eigenschaften geschätzt. Man macht damit F"euer und bereitet aus der Asche eine Lauge; der Stamm vertritt die Stelle des Holzes und die Blätter dienen als Dachschindeln und Hohlziegel. Der Saft der unreifen Pflanze wird gesammelt und schnell eingekocht: etwas gekocht wird er zu Honig, gereinigt zu Zucker, verdünnt zu ') Caroli Clusii, Atrebat. Rariorum aliquot stirpium per Hispanias observatorum historia, libris duobus expressa Antverpia ex offic. Christ. Plantini 1576. ') „Primutn mihi hanc planlani dcmonstravil clariss. vir D. Joannes Pla<,-a medicus et professor Valentinus, primo ab urbe Valentia lapide in monasterio Divae Virgini sacro; postea aliis etiam locis observavi : erutam autem vidi omnium niaxima radice, in suburbano ornalissimi visi Petri Alemanni, cuius hospitio exceptus eram, duorum fere cubitorum longitu- dine, ad cuius latera triginta fere pumilae plantae enatae erant, ex quibus duas detractas atque mccum in Belgium dclatas, unam generoso Dn. Carolo a Divo Audomaro piae meraoriae, viro rei herbariae, et omnium naturae miraculoruni studiosissimo et peritissimo, quae secunda hyeme periif, alteram Petro Coldebergo pharmacopolae doctissimo dedi, quam etiam nunc apud cum asservari puto. Ex eius autem planta hanc iconem delineari iussi, ne quis putet vulgaris AIocs esse. Vivax est, multosque anos durat, radice multipliciter se propagans, cuius rei gratia, et propter horrentium spinarum rigiditatcm, Indos seu Americos circa agros eam serere con- suevisse intelligo, ad eos (veluli apud nos spinis fieri solet) communiendos et fures ab eis arcendos". Clusius 1. c. (lib. 11) pag. 444. Essig und mit Ocpatli (einer Wurzel, welche ob ihrer Vortrefiflichkeit Weinmedizin heißt) zu Wein, der bei ihnen viel im Gebrauch, aber wenig gesund ist; denn er nimmt den Kopf sehr ein und be- rauscht. Kein Aas oder irgend ein Unrat stinkt so sehr wie die Ausdünstung derer, die von diesem Wein berauscht sind. Aus den Sprossen und zarten Blättern macht man eine Konserve. Der Saft der auf glühenden Kohlen gebratenen Blätter, eingeträufelt in frische Wunden oder Geschwüre, heilt sie in kurzer Zeit. Der Saft der Sprosse und Wurzeln mit Absinth vermischt ist wirksam gegen Schlangenbisse. Aus den Blättern macht man Papier für den gewöhnlichen Gebrauch der Opfer- priester und Maler, ferner (wie aus Lein und Hanf) alpergates (d. i. der bei den Spaniern gebräuchliche Bundschuh), Matten, Mäntel, Gürtel, Halfter und Seile. Sie haben nämlich einen hanfartigen Faden. Die Blattspitzen oder Dornen sind so fest und scharf, daß sie an Stelle von Nadeln oder Pfriemen verwendet werden, indem man sie mit den Fasern herauszieht. Mit diesen Dornen stechen sich die einheimischen Priester bei ihren Opfern : die Spitze bricht nämlich nicht ab und dringt bei kleiner Öfl'nung genügend weit ein. Soweit Gomara. Nach C. Clusius (S. 446) diente die Pflanze bei den Amerikanern als Heilmittel gegen die Syphilis in folgender Weise: Ein Stück in kleine Teile zerschnitten, dann in einen Topf, der eine Kanne Wasser faßt, gelegt, wird drei Stunden lang gekocht, der Topf wurde vorher mit Lehm verstopft, dann vor dem Kranken geöffnet. Die dabei sich entwickelnde gewaltige Menge von Dunst erzeugt viel Schweiß. Oder man brät ein Blatt der Pflanze auf glühenden Kohlen, dessen Rauch der Kranke einatmet. So heftig wirkt dieses schweißtreibende Mittel und so stark werden die Kräfte hergenommen, daß es der Kranke kaum aus- halten kann, auch wenn er es nur drei Tage be- nutzt. ') Endlich bemerkt C. Clusius (S. 446), daß er bei der Schwester seines Gastfreundes in Valentia ein aus den Blattfasern der Pflanze hergestelltes feines Gewebe sah. Er beobachtete auch, daß aus solchen gefertigte Schleier zu Sevilla käuflich waren. Von einem anderen Pflanzenvater, Joachim Camerarius, -) erfahren wir für die Einführung der Agave in Südeuropa ein noch früheres Datum. ') „Addunt quidam Americanos veneream luem haec planta curare solitos, hoc modo : Kius fragmentum, inminutas partes scctum, deinde ollae canthari aquae capaci impositum trium horarum spatio deco- quebant olla prios luto obstructa: ollam deinde apud aegrum posilam aperiebant, magna fumi copia inde exhalans, multum sudorem excitabat. Aut, folium huius plantae prunis impositum assabaut, cuius fumum aeger excipiebat ; sed adeo vehementer sudores huius remedii usu excitabantur, adeoque vires coUa- bentur, ut vix aegcr ferre posset, tanietsi triduo duntaxat uteretur" (1. c. pag. 446). -) Hortus medicus et philosophicus; inquo plurimarum stirpium breves descriptiones, novae icones etc. continentur. Autore Joachimo Camerario Reipubl. Norimberg. Medico D. Francofurli 1586. Die Stelle findet sich pag. 10, die Ab- bildung bei den Jcones taf. V. 502 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 35 Nach seinem Zeugnis hat sie zuerst J. Ant. Cortusus in Padua 1561 im Besitz gehabt. Ein Exemplar blühte 1586 im Garten des Großherzogs von Etrurien und davon brachte unser Autor den ersten Holzschnitt einer blühenden Agave, sowie einer einzelnen vergrößerten Blüte mit der Unter- schrift : „Aloe Americana. Huius sltitudo ex appicti floris quantitate mediocriter conijci potest. Accurata descriptio extat apud Caesalpinum. Nos iconem dedimus, cum a nemine hactenus depicta fuerit." (Vgl. Abb. 3.) Die von Caesalpini beschriebene Agave blühte 1583 im botanischen Garten von Pisa. Das ebenfalls 1586 von Camerarius herausgegebene Kräuterbuch des Ma 1 1 hiol us M führt uns ein älteres Bild der „Aloe America" vor (p. 450). Abb. 3. Erste Darstellung einer blühenden Agave. Holzschnitt von J. Camerarius, Hortus medicus. Anhang pag. V. Krankfurt 1588. Die Agave hat sich in Südeuropa wie es scheint, sehr rasch eingebürgert. Durante (1585) bemerkt schon, daß diese in Mexiko massenhaft wachsende Pflanze jetzt auch in vielen Gärten Italiens sich finde. -) Heutzutage ist sie bekannt- lich im Süden, an der Riviera, ■') in Dalmatien, *) in Südspanien (Gibraltar, Malaga),'') aufden Bale- aren, ■■') eine so gewöhnliche Erscheinung, daß man ihr kaum eine Beachtung schenkt. Sehr selten er- scheint sie dagegen im Osten des Mittelmeeres, in ') De plantis Epitome utilissiraa P A. M auf. Camerario. Francofur i l=,86. -) „Nasce in gran cop a in Me..ico et se molt giardini d'Italia". 1.. c. pag. 18. ') Vgl. .Strasburger Streifzüge a 1 de R (Jena 1904) S. 266 u. f. ') Nach meinen eigene 1 Beobachtungen. '>) Vgl. Willkomm, -Spanien und die 1879) S. ;:8S. Syrien und Palästina; sie wächst auf den Mauern von Tiberias. ' ) Auf Bildern von südeuropäischen Landschaften begegnet man der Agave ziemlich selten. Jan Avelyn (1610-52) läßt auf einer seiner Land- schaften, darstellend eine italienische Ruine mit Zypressen (Herzogl. Museum in Braunschweig Nr. 348) aus dem Mauerwerk eine junge .Agave sprießen. Ein anderes italienisches Gemälde, aller- dings noch späterer Zeit, als dessen Autor P. P^alca gen. Longhi (1702—85) bezeichnet wird, führt uns vor dem Hause eines „Zahnarztes" (Venedig Akademie) -) einen Topf mit der Blatt- rosette einer Agave vor; sie hat hier wohl die Bedeutung einer Heilpflanze. Auch die fiühzeitige Verbreitung unserer Pflanze in den Tropen ist durch ein Bild verewigt; auf dem Gemälde des Holländers A. Cuyp (1620—79) mit dem Titel „Retourvloot op de Reede van Batavia" (Amster- dam Rijksmuseum Nr. ?) sieht man am Meeres- strand reihenweise offenbar eingepflanzte Agaven. In den Gärten Europas erlangte die Pflanze im Laufe des 17. und iS. Jahrhunderts bald das Bürgerrecht. Ihr langsames Wachstum und die plötzliche Entfaltung des kolossalen Blütenschaftes wurden stets mit Staunen beobachtet. Martius bemerkt (1. c. Sp. 17 Anm. 27), daß man in Madrid 1633 an der Stelle, wo eine Agave während einer xNacht (f) einen zehn Fuß hohen Schaft getrieben hatte, sogar eine Kapelle stiftete (Munting Ocffc- ning 249). Von den vielen späteren Beschreibungen der Agave interessiert uns besonders der Bericht des genannten Regensburger Botanikers J. G. Wein- mann (1737), ') zumal er eine ganz neue Beobach- tung veröffentlicht. Er heißt die Pflanze Al'oc americana und bemerkt (S. 31): „Einige von den- jenigen, welche von natürlichen Dingen geschrieben, haben gemeldet: daß dieses Gewächs nur alle hundert Jahr einmahl, und wann sich die Blüthe öffnet, einen Knall, wie einen Pistolenschuß von sich gebe, da sich daim der Stengel auf einmahl erhöhe, wie dann in Spanien und andern warmen Ländern einige gefunden würden, so die höchsten Bäume an Grösse überstiegen. (Vid. Joh. Sig- mund Elsholtz, Gartenbau.! Daß aber oben- berührter Knall mit einem Erdbeben vergesell- schaftet seyn soll, ist einer Fabel ähnlich. So gehet es mit allen denjenigen Dingen, so selten gesehen werden, wodurch der Irrtum gleichsam fortgepflanzt wird. Herr Bernhard Kempe, ') Nach meinen Beobachtungen; vgl. meine Arbeit „Die Blumen des hl. Landes, botanische .'\uslese einer Frühlingsfahrt durch Syrien und Palästina" (Leipzig, Hinrichs 1917) S. 22. Bovi bemerkt, daß er in Palästina und ganz Syrien keine Agaven gesehen; s. bei v. Klinggräff, Palästina und seine Vegetation (Ost. bot. Zeitschr. Bd. XX.X 1 18S0) S. 197). In den Floren Palästinas von Post und Dismore fehlt ebenfalls diese Pflanze. ") Das Bild ist farbig reproduzi ;rien Europas Nr. 545. ') Phytanthoza. Vol. 1. Rcgensbu t merkwürdiger Weise diese Quelle N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 503 Hochfürstl. Gottörfischer Lust-Gärtner, hat die Wahrheit dieses Vorgebens also angemerket: Daß, wann der Stamm zu treiben anfienge, einiges gehndes Krachen dabey observiret werde, welches daher rühret, daß der starcke hervorschiessende Stamm die gar dicken Blätter noch mehr aus- einander treibe und umbeuge, von denen etliche aufbärsten, und dieses Gethön oder Krachen ver- ursachen. Und weilen der Saft't, so sehr starck in den Stengel dringet, daßbey etwas rauhen Wetter seinFortgang ein wenig gehindert wird, derStamm zittert und bebet; was Wunder dann, wann hieraus ein Erdbeben gemacht worden." Weinmann behandelt also diese Sache in kritischer Weise; in neueren Schriften scheint von dieser interessanten Beobachtung keine Rede mehr zu sein. ') Auch über die Schnelligkeit des Stengel- wachstums bei der Agave weiß unser Autor Neues zu berichten. Die Angabe des Borellus, daß der Stengel bei der genannten Pflanze nur 4—5 Tage brauche, um 10 Fuß hoch und schenkeldick zu werden, bezweifelt er. Schon F o n t a n i habe für die Avenionische Aloe in einem Briefe anClusius 45 Tage angegeben (nicht 4 oder 5); ein Exemplar im Garten Farnesi in Rom brauchte 3 Monate und die Pflanze zu Schieben in Thüringen 1 8 Wochen. Wir hören dann (S. 33), daß im Fürstl. Schwarz- burgischen Garten zu Sondershausen in 34 Jahren 10 Aloen (Agaven) und im Gothaischen Lustgarten im Jahre 1710 ein Exemplar „loStangen getrieben" mit 200 Armen, lOOO Zweigen und mehr denn 30000 Blumen. Man kann sich denken, mit welcher Freude W e i n m a n n das Blühen einer Agave in Regens- burg selbst'-) erwartete. „Endlich", schreibt er (S. 33), „hat man bey Gelegenheit der zu Regens- purg An. 1735 blühenden Aloe Americana nur dieses wenige beyfügen wollen : „Daß selbige vor ohngefehr 50 Jahren in einer Chur- Bayrischen Stadt, Deckendorfi" (wohl Deggendorf a. D.) anfänglich erzielt und nach Verlauff vieler Jahre von daher, in den Baron Neuhausischen Garten hierher über- bracht, darinnen wohl verpfleget, und vor einigen Jahren in eines allhiesigen vornehmen Banquiers so künstlich angelegten, als mit vielen exotischen kostbaren Gewächsen wohl versehenen Garten, durch zwey berühmte Gärtner Detloff und Müller, aufs sorgfältigste cultiviret worden. Als man ') Schallerscheinungen in der Pflanzenwelt bieten sonst noch z. B. die Früchte von Hura crepitans, die Blütenknospen von Asclepias syriaca, wie ich beobachtet habe. ') In dem Verzeichnis, das der Arzt und Botaniker Je. Oberndorffer über die in seinem Garten in Regensburg ge- zogenen ausländischen Pflanzen 162 1 aufgestellt hat, kommt unsere Agave noch nicht vor. (J o. Ob er nd or f f er i . . . Horti medici, qui Ratisbonae est, descriptio. Ratisbonae 1621.) nachgehends die deutliche Merckmahle seiner be- vorstehenden Blüthen wahrgenommen, ist man mit allem F"leise bemühet gewesen, dieselbe an einen bequemen Ort des obengelobten Gartens zu ver- setzen, und mit einem erhöheten Glaßhaus zu bewahren, wodurch dann geschehen : daß den 4. Maji An. 1735 der Stengel auszutreiben ange- fangen, und bis zum Ende Augusti über 34 Werk- Schuh in die Höhe gewachsen und 34 Äste be- kommen. Diese Äste fangen von Mitte des Stammes an bis oben hinaus. Die untersten sind 2 bis dritthalb Schuhe lang, und gegen die Höhe zu immer etwas kleiner. Ein jeder Ast ist nach Proportion seiner Dicke 2 Zoll und zuweilen weniger, und hat ein jeder 300, 320 bis 330 und in allem 7872 Blüten, der Stamm des Stengels hat unten- her 8 Zoll, und gegen die Höhe ist er immerfort schmähler. Die Blätter dieser Aloe sind S — 6 Schuh lang und haben ihre grüne Farbe, mit Verwunde- rung, bishero behalten." W e i n m a n n wollte von diesem Exemplar eine Kupfertafel bringen; da aber das Werk schon im Drucke stand, ist der Plan nicht zur Ausführung gekommen. Die Kupfertafeln (Nr. 63 und 75) führen nur Blattrosetten in Kübeln vor. Über die neueren Darstellungen der Agave- Kultur vgl. die zit. Arbeit von Martius, A. v. Huboldt's Werk, „Über den politischen Zu- stand von Neuspanien III", A. de Candolle u.a. Nach Martius und de Candolle ist die Agave bei ihrer großen Schmiegsamkeit an verschiedene Temperaturen geradezu als ein organischer Ther- mometer anzusprechen. „Kommt sie einmal zur Blüte, so ist diese zu betrachten als erzeugt unter der direkten P^inwirkung derjenigen Wärmesumme, welche die Pflanze in demselben Jahre, oder, so- fern die Blüten-Anlage um ein Jahr älter wäre, in dem vorausgegangenen empfangen hat. Je länger das Gewächs braucht, ehe es mit der Blüte sein individuelles Leben abschließt, um so mehr Blätter bildet es. Gartenexemplare denen der Volksglaube mit Unrecht ein hundertjähriges Alter zuschreibt, haben bei uns 1 50 und mehr Blätter hervorgebracht, ehe sie blühten. In wärmeren Gegenden, wo kein Winterschlaf eintritt, lebt sie kürzere Zeit, verkürzt die Vegetationsperioden, bildet weniger Blätter (durchschnittlich 5—6 im Jahre) und rückt die Fruktifikation näher. Eine genaue Untersuchung der Blattnarben läßt selbst noch an der abgestor- benen Pflanze die Zahl der Blätter, welche sie während ihres ganzen Lebenslaufes hervorgebracht hat, erkennen. Alle diese Verhältnisse empfehlen daher unsere Agave americana als Leitpflanze zu pflanzengeographischen Untersuchungen. (Mar- tius 1. c. Sp. 45 und 46.) Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 35 Nochniiils zum Problem der Wünschelrute. Von Major z. D. [Nachdruck verboten.] Mit 3 Abbildu Meinen Darlegungen zum Problem der Wünsche) rute ^) ist der Tübinger Geologe, Herr Prof. Dr. E. Hennig entgegengetreten.") Das persönliche Moment in seiner Erwiderung vermag die Sach- lage nicht zu klären und soll daher unerörlert bleiben. Nur eins muß ich beanspruchen: Das Recht der Diskussion. Bekanntlich ist die Wissenschaft frei, niemand hat das Vorrecht, der sachlichen Polemik Grenzen zu ziehen. Ich werde daher auch weiterhin das vorliegende Problem hauptsächlich referierend zu klären suchen. Der springende Punkt in Hennig's Ausfüh- rungen ist folgender: Er schreibt: „In meinen und andern Händen bewegte sich die Rute nicht im mindesten. Lockerten wir Nicht-Medien aber eine Hand und der Rutengänger berührte den betr. Gabelast nur mit 2 Fingern, so war die andere Hand nicht imstande, den Ausschlag zu verhindern. Der geleistete Widerstand reichte zuweilen hin, das Holz zum Brechen zu bringen. .Auch bezüglich der Metallruten bemerkte ich, daß der Rutengänger dauernd bestrebt war, sie zur Ausgangsstellung zurückzuzwingen. Welcher Muskel nun, frage ich, bringt das Kunststück fertig, bewußt oder unbewußt der gesamten Anstrengung von Arm und Hand zuwider zu arbeiten und sie gar zu übertrumpfen ? Oder wie in aller Welt können 2 Finger ohne sichtbare Bewegung mehr Kräfte aufbringen als eine ganze Hand ? Und schließ- lich: Wer die heftigsten Ausschläge, d. h. schnelle mehrmalige Kreisbewegung der Rute gesehen hat, wird für solche Fälle auf die Erklärung durch unsichtbare und dem beobachtenden Arzt unfühl- bare Einwirkung der Muskulatur wohl verzichten müssen. . . . Gelänge der endgültige Nachweis, daß stets die Muskulatur des Rutengängers be- teiligt sei, wie der sorgsamste Verfechter des Ruten- problems, Graf e.V. Klinckowstroem voraus- setzt (diese Zeitschr. 1918, S. 137 — 139), so wäre freilich meines Erachtens der Schritt zu der An- nahme noch klein, daß der Herd der Erschei- nung überhaupt im Menschen selbst, nicht in noch unbekannten Kräften oder Beziehungen außerhalb zu suchen wäre." Zum Teil findet sich die Antwort auf diese Fragen bereits in den von mir referierten Vor- trägen^) und berühren physiologisch- psychologi- sche, z. T. mechanisch-technische Forschungs- gebiete. Inzwischen hat auch Herr Stabsarzt Dr. Haenel in dieser Zeitschr. ') gezeigt, daß bei der elastischen Wünschelrute durch das Zusammen- Ur. W. Kranz. Igen im Text. wirken der verschiedenen ziehenden und spannen- den Arm- und Handmuskeln in der Aus- gangsstellung eine Menge latente Energie aufge- speichert wird, die sich schon bei rein psychischer Zustandsänderung des Wünschelmannes in „mani- feste Energie" umsetzen kann; dadurch „verliert das Mißverhältnis zwischen der Geringfügigkeit des Anstoßes und der Gewalt der Erfolgsbewegung einen Teil des Rätselhaften". Ich legte ferner die Fragen Hennig's dem Wiener Hygieniker Herrn Prof. Dr. R. Graß- b erger vor und erhielt die gewünschten Auf- klärungen namentlich durch Hinweis auf einen Reitrag von Ingenieur Max Singer,') der ent- sprechende Zweifel des Ingenieurs Friedrich B r a i k o w i c h -') aufklärte : Wenn das eine Ende der Rute vom gläubigen. ') Diese Zeitschr. 1918, S. 22—24. ') „ .. 1918, S. 227—229. ') Graßbergcr, I. Die Wünschelrute; II. Suggestior und Hypnose. Wien 1917. ■*) Haenel, Zur physiologi.schen Mechanik der Wünschel rute. Diese Wochenschr. 191S, S. 313. Abb. I. Nach M. Singer. 1917. die Rute bewegenden Wünschelmann, das andere vom Ausschlag hemmenden Skeptiker gehalten wird und die Hände beider unter genau den- selben Verhältnissen in gleichbleibender Dreh- achse auf die Rute wirken, „so könnte das Moment der Rutenkraft auch nur an dem Durch- messer 2 a des Griffes ausgeübt werden" (vgl. Abb. I nach Singer), es wären dann nur die Pressungs- und Reibungskräfte der beiden Hände maßgebend. „Wenn die , erregte' Hand aber ihre Raumlage nicht beibehält, sondern eine rudernde oder werkelnde Drehbewegung macht, so wie sie jedermann — auch ohne Überlegung — ausführt, um einem anderen einen am Ende fest- gehaltenen Stock zu entwinden, so arbeitet sie mit einem Hebelarm W (Abb. 2) •') der ein Viel- faches des Griffdurchmessers 2 a sein kann, ohne daß dies auffallen müßte. Es entstehen große Randpressungen in der Hand und der Hemmende ') M. Singer, Wünschelrute und Wissenschaft. Ein Beitrag zur Klärung der Wünschelrutenfrage. Zeitschr. des öslerr. Ingenieur- u. Architektenvereines. Wien 1917. S.231 — 236. 2) F. Braiko wich, Wünschelrute und siderischcs Pendel. Zeitschr. des österr. Ingenieur- und Architektenvereines I917. s. 73-78. ■') Gleich Abbildung 4 bei Singer. N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 505 gibt nach. Man braucht deswegen nicht zu sagen, ,die geheimnisvolle große Rutenkraft habe ihm die Rute aus der Hand gedreht', sondern einfacher und richtiger, sie wurde ihm mit Hilfe des Hebel- verhältnisses — aus der Hand gewunden". Daß dem tatsächlich so ist, wurde bei einem Versuche mit Herrn O. v. Graeve nachgewiesen. Singer verspürte dabei „ein mäßiges ,Entwinde- Restreben' des Rutengängers und wirkte diesem entgegen, indem' er mit der linken Hand L das linke Griffende, mit der rechten R den linken Rutenschenkel neben dem Griff der Rute umfaßte (Abb. I, „L" u. „R"), während v. Graeve das rechte Griffende mit 2 Fingern der rechten Hand hielt (Abb. i, „A"). Singer 's „Einspannmoment" oder das „hemmende Moment" B-d (Abb. i) hatte durch diese vergrößerte Hebelwirkung am Ruten- schenkel soviel gewonnen, daß es dem „Werkeln" oder dem „angreifenden Moment" A-1 v.Graeves (Abb. 1) das Gleichgewicht halten konnte. Die Rute drehte sich daher nicht, v. Graeve ver- langte sofort eine Wiederliolung des Versuches, Überraschenderweise leistete die sehr weiche Rute nur geringen Widerstand und ich (Singer) er- kannte, daß die Zuckungen eine große Ähnlichkeit mit den Bewegungen haben, durch die man einen starken Draht ohne Werkzeug , abwerkeln' kann. Ich (Singer) getraue mich, mit Hilfe dieses alten Schlosser witzes jede Drahtrute von gleicher Stärke, wie sie in den Händen eines Rutengängers bei der Arbeit unabsichtlich ge- brochen ist, willkürlich abzuwinden". Damit erklärt Singer auch die Handverletzungen der Wünschel- männer, und es ist klar, daß die scheinbaren Kraftäußerungen derHändeeines geschickten Schwindlers genau so aussehen müssen, wie die eines überzeugten Rutengängers. Vollkommen Entsprechendes beobachtete der Geologe Herr Geh. Bergrat Dr. L. van Werveke am 20. und 21. Juli 1917 an Herrn v. Graeve persönlich bei Begehungen in Lothringen bei Bens- dorf und Busendorf: „E. v. Graeve wendet den Untergriff an, greift die beiden Aste aber nicht gleichmäßig, wie dies wohl zumeist geschieht. Die linke Hand greift vielmehr etwas oberhalb Nach M. Singi wobei Singer aber nur den glatten Griff mit der linken Hand halten durfte (Abb. 2, links) und die Rute bereits ^j., m vor der Linie aus- schlug, auf der Singer den „Annäherungsstrahl" erwarten konnte. Außer diesem Moment der Überraschung hatte v. Graeve also die Hebelkraft der rechten Hand Sing er 's ausge- schaltet, so daß nunmehr seine 2 „werkelnden" rechten Finger mechanisch im Vorteil waren. Eine nochmalige Wiederholung lehnte v. Graeve wegen Übermüdung ab, konnte aber schon nach ganz kurzer Pause wieder seine ungewöhnlichen Rutenkräfte beweisen, die eine 4 mm starke Rute unter krampfhaften Zuckungen seiner Hände „ganz verbogen und verrissen, und das Brechen blieb wohl nur aus, weil die Rute aus bestem Schöllerstahl verfertigt war. Am untersten Glied des kleinen Fingers erlitt v. Graeve eine Hautverletzung durch Ablösung einer ungefähr Fingernagel großen Schale von sogenannter dicker Haut". Mit der- selben, wieder zurecht gebogenen Rute ahmte nun Singer „die unwillkürlichen Zuckungen des Herrn v. Graeve willkürlich und möglichst getreu nach. der Verdickung (des Griffendes) an, die rechte wesentlich höher. Dadurch kann kräftige Hebel- wirkung erzielt werden". ') Wenn also Herr V. Graev« nunmehr seinen Partner mit der linken Hand den linken Griff der Rute fassen läßt, selbst aber auch nur mit 2 Fingern der rechten Hand höher am rechten Rutenschenkel angreift, so kann er unauffällig, sogar ohne „Werkeln", durch die Hebelwirkung den Partner überwinden. Ich habe dies beliebig oft nachgemacht mit der 8 mm dicken starren Rute v. Graeve's, die ich genau nach Photographie und nach Messungen van Werveke's') aus Eisen nachbilden ließ, vgl. Abb. 3. Man denke sich im Spiegelbild von Abb. I (nach Singer) 2 Finger der rechten Hand des Wünschelmannes am rechten Rutenschenkel bei „R" anfassend, die liijke Hand des Partners am ') Mitteilung von Herrn Geheimrat van Werveke. -) F. Behme, Die Wünschelrute, I. 3. Aufl. Hannover 1916, S. 69 Fig. 14 und S. 70 Fig. 15. — van Werveke hat bei der genannten Begehung geraessen, daß diese eiserne Rute an der dicksten Stelle der Griffe 21 — 22 mra, im übrigen 8 mm stark ist. 5o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 35 Hnken Griff in der „Drehachse". Erslerer hat dann einen Hebelarm von der Größe „e" zur Verfügung, der Partner nur die Reibung am Hebelarm a, dem halben Durchmesser des Griffes (.-Xbb. i, Spiegel- bild), und es leuchtet ein, daß der Partner dabei mit leichter Mühe überwunden werden kann. Das- selbe gelang mir willkürlich mit je einer halb so dicken (4 mm) Eisen- undStahlrule nach v. Graeve's Muster (Abb. 3) ebenso wie das Verbiegen dieser dünnen Ruten, wenn der Partner mit beiden Händen gegenhielt, und ihr Zerbrechen an den wenigst widerstandsfähigen (Löt-) Stellen, wenn ich sie ab- werkelte. Man kann es darin sicherlich mit einiger Übung zu taschenspielcrartiger Fertigkeit bringen , wozu wohl auch die „schnelle mehr- malige Kreisbewegung der Rnte" gehört. Nach alledem dürften nunmehr die letzten Bedenken Hennig's dagegen zerstreut werden, „daß stets die Muskulatur des Rutengängers be- teiligt sei", und „daß der Herd der Erscheinung überhaupt im Menschen selbst, nicht in noch un- bekannten Kräften oder Beziehungen außerhalb zu suchen wäre", und ich schließe mich der Hoff- nung des Herrn Grafen v. Klinkowstroem an,') Hennig und Stursberg möchten „bei Abb. 3. Starre Wünschelrute von < <. Edler v. Graeve. genauerer Prüfung dieses Teils des Reaktionsvor- ganges ihr Urteil revidieren". Dieses Urteil steht, abgesehen von den fast allgemein als solche er- kannten Verirrungen des Prof. Benedikt,-) in der Wissenschaft so ziemlich vereinzelt da. Selbst die überzeugtesten Anhänger der Wünschelrute sind darin einig. Amtsgerichtsrat Dr. F. Behme'*) schreibt z. B. : „Die ,Kraft' steckt selbstverständlich, wie schon hervorgehoben, nicht in der Rute, son- dern es ist so, wie Prof. Weber S. 14 seiner letzten Schrift ■*) unbewußt vollkommen richtig sagt : ,Das Rätsel steckt allein in den Köpfen der Rutengänger'. Noch treffender könnte man sagen : ,im Nervensystem der Rutengänger' . . . Was aber besonders viele Rutengänger behauptet haben, daß beim ,Wünscheln' in der Rute eine Strömung elektrischer oder magnetischer Art entstände oder ') Graf Carl v. K 1 i ak o w s tr o e m , Zur Wünschel- trutenfrage. Diese Zeitschr. 191S, S. 137— 139. ^) Vgl. z. B die Urteile über Benedikt 's „Leitfaden der Rutenlehre" von Prof. d. Geol. Dr. F. Drevermann in der Frankfurter Zeitung Nr. i vom 3. Sept. 1916, von Graf C. V. Klinkowstroem in dieser Zeitschr. 1918, S. 13S, und von Prof. d. Hygiene Dr. R. Graßberger in seinen Vor- trägen über die Wünschelrute. ') 1. c. S. 54 f. *) Prof. d. Physik Dr. L. Weber, Aus dem Irrgarten des Wünschelrulcnglaubcns, Hannover 1912. daß sie von Wasser usw. .angezogen' würde, kann nur als völlig unbewiesene, irrtümliche Behauptung von naturwissenschaftlich nicht beobachtenden Laien bezeichnet werden", als „Trugschluß". Ebenso erklärte ein Vorkämpfer der Wünschel- rutenbewegung, Dr. med. E. Aigner^) 191 3 und 14: „Die Untersuchungen über den Vorgang des Rutenausschlages lassen annehmen, daß ohne P^inwirkung der Handmuskulatur eine Bewegung der Rute nicht erfolgt. . . . Die Rutengänger bezeichneten diesen , Ausschlag' als eine selbsttätige Bewegung der Rute, doch fällt bei näherer Be- obachtung die Mitwirkung der Handmuskulatur auf, so daß eine unbewußte Bewegung der Hand heute als Grund der Rutenbewegung glaubhaft erscheint. Der im labilen Gleichgewicht befind- liche Stab drängt nach der stabilen Gleichgewichts- lage, was durch die geringste Bewegung eines Fingers erfolgen muß. Alle Versuche, die Rute ohne die menschliche Hand in Bewegung zu setzen, mißlangen bisher vollständig." Bei einem Vortrag im Straßburger Geologen- Colloquium Frühjahr 1918 vertrat Herr Dr. Aigner die gleiche An- sicht. Daß auch der Wiener Hygieniker Prof Dr. R. Graßberger 1917 auf Grund von Ver- suchen zum selben Ergebnis gelangte, wurde in Heft 2 dieser Zeitschrift 19 18 berichtet. Neuer- dingshat Graßberger in 2 weiteren Vorträgen-) erklärt: Daß die Bewegungen unter dem Einfluß der Muskelbewegungen erfolgen , das könne heute wohl kein einwandfreier Beobachter be- zweifeln. „Die Vernunft kommt dabei leicht zu kurz. Für den nüchtern Denkenden, wissenschaft- lich Geschulten, der dem Treiben der tieferen (Nerven-) Zentren und dem Muskelspiel auf die Spur kommt, ist keine Gefahr vorhanden. Er wird durch unterlegte Spiegel usw. sich von dem Sachverhalt leicht überzeugen können. Der nicht naturwissenschaftlich Geschulte wird aber vom Ausgang überrascht" usw. Im Gegensatz zu Aigner,-') nach dessen Ansicht bei vielen Wünschelrutenversuchen Suggestion oder ner vöse, d. h. neurasthenische Veranlagungen nicht in Betracht kommen, ist der Wiener Arzt Graß- berger überzeugt, daß bei der „Influenzierung" von Nichtmedien zweifellos die Suggestion die entscheidende Rolle spielt. „Richtig ist allerdings, daß der heilsame Skeptizismus, den eine gründ- liche naturwissenschaftliche Bildung verleiht, dazu befähigt, sich der Suggestion wieder zu entziehen."^) Wie richtig das ist, hat ja kürzlich der Geologe Dr. H. Cloos erprobt und geschildert.-'') Im ) In den Schriften des Verbandes zur Klärung der Wünschelrutenfrage, H. 4 S. loi ; H. 6 S. S f . -) R. Graßberger, Die Wünschelrute, Österr. Chemiker- Zeitung 191 7, Nr. 13—15. — Die Wünschelrute, Aberglaube oder Wissenschaft? Urania- Vortrag, Wien XVII/2, Januar 191S, im Selbstverlag des Verfassers, Braungasse 47. ■'J 1. c. 1913, S. loi ; 1914 S. 9. *) Briefliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Graß- berger 30 April 1918. ^) Centralblatt f. Mineralogie, Geologie und Paläontologie 191 S, S. 38 f. N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 507 übrigen kommt Graßberger nach eingehender Darstellung der betreffenden physiologisch- psycho- logischen Vorgänge und Organe im menschlichen Körper M zu dem Ergebnis, daß viele Men- schen durch die kritiklose Beschäf- tigung mit der Wünschelrute psychisch geschädigt werden; er warnt deshalb geradezu vorWünschelrutenversuchen. „Sehr leicht wird das, was anfangs Spielerei war, zum Ernst und schließlich zur unheilbaren Seelen- krankheit. Auch der Besitz von physiologischen und pathologischen Kenntnissen und eine gewisse Orientierung auf dem Gebiete der Chemie und Physik geben keinen sicher wirksamen Schutz gegen Entgleisungen. Beweis dessen sind die vereinzelten Ärzte und Geologen, '-) die in den Wünschelrutenirrglauben verstrickt sind." Sicher- lich kommt das auch in der Literatur darüber zum Ausdruck: „Die Sprache, der Ton der Polemik, die Leidenschaft, der Fanatismus, bei manchen edleren Naturen aber auch eine mühsam errungene Zurückhaltung, ein verzweifelter Kampf, ihre Phan- tasie mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen". Ich kann deshalb auch den Hinweis auf die ungemein reiche Literatur als Zeichen eines echten Kernes im Wünschelrutenphänomen^) nicht als voll berechtigt anerkennen. Nicht die Reichhaltigkeit, sondern der wissenschaftliche Wert der Literatur entscheidet, und der ist vielfach recht gering, ^) ganz abgesehen von dem Wust unbe- wiesener Behauptungen, deren Nachprüfung im einzelnen wegen oft völligen Mangels an tatsäch- lichen Unterlagen unmöglich ist. Aber auch selbst bei Fachleuten kommen „Beeinflussungen der Psyche und hiermit der Zuverlässigkeit ihres Ur- teils vor, die zur Vorsicht mahnen." '") Es ist des- halb andererseits nicht ganz unberechtigt, wenn Behme Geologen im allgemeinen als parteiisch bezeichnet; sie als Beobachter oder Gutachter abzulehnen ^) geht aber entschieden zu weit. Wer sollte dann die notwendigen geologische n Unterlagen liefern bei einem Problem, das doch ganz wesentlich nach den Bodenverhält- nissen zu beurteilen ist? Auch die Deutung der einzelnen Versuche läßt in der Wünschelruten- literatur viel zu wünschen übrig, je nach dem Standpunkt der einzelnen Verfasser für oder gegen das Problem, und je nach ihrer psychischen Be- einflussung. Aus klaren Mißerfolgen der Rute werden z. B. nicht selten unwesentliche Einzel- heiten herausgesucht und als Erfolge gestempelt. ') '] Vgl. besonders deo in der Österreich. Cliemiker-ZeiUmg abgedruckten Vor'rag vom 14. April 1917. 2) Vgl. z. B. den Vortrag von Dr. L. Waagen über „Wünschelrute und Geologie" vom I. Dez. 1917 und die an- schließende Diskussion, Zeitschrift d. Östeir. Ing.- u. .Architekt. - Vereins 191 7, S. 684- 6S6. ^) Diese Zeitschr. 1918, S. 139. ■>) Vgl. darüber z. B. Grafiberger 1. c, Österr. Che- miker-Zeitung 1917. Sonderabdruck S. I — 7, Jo. •"■) Graßberger 1918, S. 1 1 . ") Behme 1. c, S. 39 ff. ') Vgl. z. B. Behme 1. c. S. 47 über die Feststellungen V, Linstow's (diese Zeitschr. 1916, S. 161 — 164) und S. 45 Man wird sich auch stets vergegenwärtigen müssen, daß niemand in diesem Falle so stark parteiisch ist, wie die Wünschelleute selbst, und daß sie sich in gutem Glauben Erfolge einbilden können, die in Wirklichkeit nicht vorhanden oder zum min- desten sehr fraglich wären. Wer als Beisitzer bei Gerichten tätig war, kennt den Unwert solcher Autosuggestion. Wenn z. B. Herr Prof. Dr. 011p') (vgl. das Referat von Kathariner in dieser Zeitschr. 191 8, S. 57 f.) von einem Wünschel- mann berichtet, dessen Söhnchen an Bettnässen litt, solange sein Bett an einer Stelle stand, wo ihm die Wünschelrute einen unterirdischen Wasser- lauf anzeigte, so bleibt nachzuweisen, ob dort wirklich „eine Wasserader quer unter dem Boden des Hauses verlief", und inwieweit verfehlte Er- ziehung an dem Bettnässen Schuld trug. Noch weniger beweist das Urinieren seiner Kinder, „wenn sie in die Nähe der fließenden Quelle kamen": Der \"ater hätte ihnen das schon aus ästhetischen Gründen abgewöhnen sollen, statt sie mit eigenem Irrglauben darin zu bestärken. Ebenso fehlt der Nachweis bei der durch OIlp referierten Ge- schichte von dem Tommy, den der Blitz ausge- rechnet über einer durch die Wünschelrute ange- gebenen „Wasserader" getroffen haben soll. Auch dort kann es sich um ein breites Grund Wasser- becken handeln, was die Angabe der Rute wert- los machen würde. Bezüglich des Aufgrabens einer Quelle beim ersten Wünschein dieses Mediums wäre gleichfalls noch festzustellen, ob es sich dabei um ein ausgedehnteres Grundwasserbecken liandelte, was auch diesen „Erfolg" zunichte machen würde, zumal der Wünschelmann von der betreffen- den Stelle wußte, „daß sie in der Regenzeit Wasser gab". Er fand die Stelle also ziemlich sicher durch Autosuggestion. In dem genannten Wün- schelmann wäre dann nicht durch die „Umwelt", sondern durch seine Einbildung eine „Veränderung" erzeugt worden. Darauf läßt auch sein nahezu krankhaftes, von 011p demonstriertes, an die Ver- irrungen von Benedikt und Reichenbach heranreichendes „Verladungs"- und „Strahlungs"- System schließen. Seine geistige xAbspannung und starke Müdigkeit sowie sein schnellerer Puls bei längerem Arbeiten mit der Rute beweisen, daß da etwas nicht normal ist. Entsprechende „Zustände" sollen ja bei den meisten überzeugten Wünschel- leuten vorkommen, und das zeigt wieder, wie Recht Graßberger hat, wenn er aus gesundheitlichen Gründen vor Versuchen mit der Rute warnt. Ein reiches Tatsachenmaterial ist sicherlich in der Wünschelrutenliteratur schon jetzt enthalten. Es kann jedoch nicht bezweifelt werden, daß seine wissenschaftliche Verwertung ohne S k e p t i k und Kritik und vor allem ohne die notwendigen geologischen Vorkenntnisse unmöglichist. über die van Wer veke 's (Mitteil. Geol. Landesanst. EIs.- Lothr. X. 1916, I, S. 13 — 16). ') Ollp, Ein Wünschelrutcnfähiger aus Ostafrika. Mün- chencr Medizinische W'ochenschrift 1917, S. 1 198— 1200. 5o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII Nr. 35 Einzelberichte. Geologie. Der Wasserhaushalt der Erde fand eine eingehende Besprechung durch W. Salomon in der Internat. Zeitschr. für Wasserversorgung 191 7. Hinsichtlich der Entstehung des Grund- wassers gibt es drei Theorien: 1. es bildet sich aus den atmosphärischen Nieder- schlägen; vadoscs Wasser = Infiltrations- wasser ; 2. es kondensiert sich aus dampferfüllter Luft der Atmosphäre in den durchlüfteten Teilen der Erdrinde; 3. es entstammt als juveniles Wasser dem feurig-flüssigen Erdkern, aus dem es sich ab- spaltet. Im 19. Jahrhundert erkannte man, daß von dem Wasservorrat der Erde alljährlich eine er- hebliche Menge bei der chemischen Verwitterung der gesteinsbildenden Mineralien der Erstarrungs- gesteine zu Hydraten (1 lydrosilikaten) verbraucht wird. Steht nun diesem Verbrauche an Wasser ein Aufdringen von primärem oder nach Sueß juvenilem Wasser gegenüber? Damit drängt sich auch die Frage nach der Natur des Wasserhaus- haltes der Erde auf. Ist er positiv, d. h. wird mehr Wasser zugeführt als verbraucht wird, oder ist er negativ oder halten sich Zufuhr und Ab- fuhr in der. Gegenwart das Gleichgewicht? Es ist sehr schwer von einer Quelle zu sagen, ob sie vados oder juvenil ist, da in den meisten Fällen die juvenilen Quellen auf ihrem Wege zur Erdoberfläche vadoses Wasser aufnehmen. Bei einer juvenilen Quelle werden die Schwankungen ihrer Schüttung nur relativ geringe Beträge er- reichen, während für vadose Quellen größere Schwankungen charakteristisch sind und Nieder- schlagsperioden und Schüttung einander parallel verlaufen. Auch die chemische Zusammensetzung des Wassers wird bei den juvenilen Quellen eine größere Konstanz als bei den vadosen Quellen zeigen, bei welchen die Konzentration oft in weiten Grenzen schwankt. Es ist oft sehr schwer, von einer Quelle zu sagen, ob sie juvenil oder vados ist, da es ebensowohl warme vadose wie kalte juvenile Quellen gibt. Es ist unrichtig, wenn man ohne weiteres Thermalquellen als juvenil bezeichnet. Das Wasser warmer oder mit seltenen chemischen Substanzen beladener Quellen kann ebensogut juvenil wie vados sein. In vielen Quellen scheint nach Salomon vadoses und juveniles Wasser in unbekanntem Verhältnis mit- einander vermischt zu sein. Auch an der Bildung des Grundwassers kann juveniles Wasser in er- heblichem Maße beteiligt sein, wie es Salomon für die oberrheinische Tiefebene annimmt. Viel Arbeit ist noch auf diesem Gebiete zu tun. Salomon schließt seine Ausführungen mit den Worten : „Die Frage nach der Natur des Wasser- haushalts der Erde ist also ungelöst und wird vermutlich noch sehr lange ungelöst bleiben." V. Hohenstein- Halle, Über den Gipskeuper in Süddeutschland han- delt eine beachtenswerte Arbeit von W. Pfeiffer, welche in den Jahresberichten und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N. F., Bd. VII H. 1 191 8 erschienen ist. Unter Gipskeuper werden die Schichten zwi- schen dem Grenzdolomit der Leltenkohle im Liegenden und dem Schilfsandstein im Hangenden verstanden. Der süddeutsche Keuper erstreckt sich vom Oberrhein zwischen Schwarzwald und Jura zum Main. In NW.-Württemberg und dem angrenzenden Baden liegen die Keupergebiete des Strombergs, Heuchelbergs und des Kraichgaus. Jenseits des Rheines kommt Keuper am Abhang der Vogesen zwischen Breusch und Lauter vor, ebenso trennen Vogesen und Hardt den lothrin- gischen Keuper, der sich noch weiter nach Frank- reich hinein fortsetzt. Für die Einteilung des Keupers wird diejenige von W e i g e 1 i n gewählt, welche mancherlei Vor- züge für die Auffindung im Gelände hat: 3. Stufe der Estherienschichten ^= Oberer Gipskeuper: c) obere bunte Estherienschichten b) graue Estherienschichten Anatinenbank a) bunte „ Engelhofer Platte ; 2. Stufe der Bleiglanzbank = Mittlerer Gipskeuper: b) mittlerer Gipshorizont a) Bleiglanzbank; I. Stufe des Grenzdolomits = Unterer Gipskeuper: c) dunkelrote Mergel ßochingerbank b) Grundgips a) Grenzdolomit Mauchachbank. Südbaden: Bei Basel wie am ganzen Ober- rhein geringe Mächtigkeit (25 — 40 m), bei Donau- eschingen 90 m; Mergel und Gips; fossilführende Bänke. Über dem Grenzdolomit eine Bank mit Myophoria vulgaris, Myoconcha gastrochaena, Corbula keuperina, Gervillia substriata; dann 20 m über dem Grenzdolomit eine Steinmergelbank mit Corbula keuperina, Lingula und Nothosaurus, weiterhin 40 m über dem Grenzdolomit eine Bank mit Corbula keuperina und Lingula und im oberen Gipskeuper eine Bank mit Gervillia und Fisch- resten. Südl. und westl. Württemberg: Ein- teilung nach W ei gel in wie oben. Der untere Gipskeuper ist 30 m mächtig und zerfällt in 15 m Grundgips mit der Mauchachhank und 15 m dunkelrote Mergel mit der Bochingerbank (Myo- phoria Goldfussi, M. intermedia, Pseudocorbula keuperina). Darauf folgt der mittlere Gipskeuper (25 m) mit der charakteristischen Bleiglanzbank (u. a. Myophoria Raibliana) und dem mittleren Gipshorizont, darüber der obere Gipskeuper mit den Estherienschichten (34 m), die in ihrem mitt- leren Teil die Anatinenbank enthalten. Nordöstl. Württemberg: Gliederung nach N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 509 Pteiffer wie im westl. Württemberg mit ähn- lichen Mächtigkeiten. Zu unterst im Grundgips die Mauchachkank mit Myophoria Goldfussi, M. intermedia. In der Heilbronner Gegend liegt unter der Hauptbleiglanzbank ein fossilführender Tonmergel. Die Hauptbleiglanzbank ist überall vorhanden. Der obere Gipskeuper — die Esthe- rienschichten beginnen mit der Engelhofer Platte. Die Anatinenbank ist überall nachgewiesen. Bayern: Ein wesentliches Verdienst um die Gliederung des Keupers hat Thürach, welcher das Keupergebiet geographisch in drei Zonen gliedert : 1. randliche Zone: östlich der Linie Kulm- bach-Fürth, 2. mittlere Zone: rechtsrheinische Ablage- rungen westlich dieser Linie, 3. äußere Zone: linksrheinische Ablagerungen, Elsaß-Lothringen. Die mittlere Zone teilt er in die nordfränkische, westfränkische und schwäbische Provinz ein. Die Grenze zwischen den beiden letztgenannten Pro- vinzen zieht Thürach durch Schwäbisch- Hall, Pfeiffer durch die Gegend von Crailsheim. Die Keuperablagerungen nehmen im Vergleich zu den schwäbischen Vorkommen nach NO. — Steigerwald und Haßberge — bedeutend an Mäch- tigkeit zu. Thürach führt dies auf das Vor- handensein einer tektonischen Rinne in der Linie HeilbronnKitzingen entlang dem Vindelizischen Gebirge zurück, die allmählich durch Gipskeuper- ablagerungen ausgefüllt wurde. Darüber folgt in großer Gleichmäßigkeit der Schilfsandstein, der nach den Untersuchungen von Lang in sehr flachem Wasser abgelagert wurde. Der untere Gipskeuper zeigt ähnliche Zu- sammensetzung wie bisher, nur schwillt die Mäch- tigkeit der dunkelroten Mergel gegen den Steiger- wald und die Haßberge allmählich auf 35 m an. Die Hauptbleiglanzbank ist wie in Schwaben ver- treten, fehlt aber in der randlichen Keuperprovinz, wo sie in Sandsteinbänke übergeht. Über der Hauptbleiglanzbank folgen bunte Mergel mit Gips- und Sandsteinbänkchen, deren Mächtigkeit zwi- schen 25 m (Rothenburg, Schillingfürst) und 95 m (Grabfeld) schwankt. Weiter nordwärts geht die Mächtigkeit wieder zurück. In der randlichen Keuperprovinz verschwinden die Gipsschichten wie der Grundgips. Die P'ossilführung ist in Franken bedeutend reichlicher wie in Schwaben. Die Estherienschichten schwanken in Franken zwischen 25 m und 60 m gegenüber 30 — 35 m in Württemberg. Nicht selten sind auch hier ver- steinerungsführende Horizonte. Rechtsrheinischer Gipskeuper: Grund- gipsschichten und dunkelrote Mergel sind in Süd- baden, Süd- und Nordwürttemberg, sowie in Franken auf eine Entfernung von 300 km gleich- mäßig zusammen etwa 40 m mächtig. Durch- gehende Horizonte sind die Mauchachbank (wenige m über dem Grenzdolomit) durch das ganze Ge- biet und die Bochingerbank von Südbaden bis ins mittlere Württemberg (Asperg). Die nun folgende Stufe der Bleiglanzbank ist von der V/utach bis zur bayerischen Frankenhöhe 25 m mächtig, schwillt aber in der Sammelmulde des Steigerwaldes rasch auf 95 m an, um weiter nord- wärts gegen das Grabfeld wieder abzunehmen. Die Bleiglanzbank läßt sich von Neuenburg in Südbayern in nördlicher Richtung bis in Thü- rach's mittlere Keuperprovinz verfolgen. Die obere Stufe des Gipskeupers, die Estherienschichten, nehmen von S. nach N. an Mächtigkeit zu und zwar Südbaden 17 m, Württemberg 30 m, Steiger- wald 60 m. Sie beginnen mit der Engelhofer Platte, die sich von Südbaden durch Württemberg bis weit nach Franken hinein (Oberfranken, Ober- pfalz) verfolgen läßt. In den grauen Estherien- schichten liegt die Anatinenbank, die von Stutt- gart durch Nordwürtlemberg bis nach Franken hinein sich fortsetzt, um auch in der randlichen Keuperprovinz wieder zu verschwinden. Das Han- gende bildet der Schilfsandstein, welcher in Rinnen in den Gipskeuper eingeschnitten ist. Elsaß - Loth ringen: Benecke hat die Gleichartigkeit der Entwicklung des Keupers in den räumlich getrennten Gebieten von Elsaß und Lothringen nachgewiesen. Obere Grenze ist hier der Schilfsandstein, der einzige Sandsteinhorizont des Keupers in Elsaß-Lothringen, untere Grenze ist der Grenzdolomit. Be n ecke nennt den Gips- keuper untere bunte Mergel im Gegensatz zu den über dem Schilfsandstein liegenden. Auch Salz- keuper hat man ihn genannt, weil man in Duß (Dieuze) Salz erbohrt hat. Die Bohrungen von Wich (Vic) und Duß (Dieuze) in Lothringen haben eine Mächtigkeit von 250 m ergeben, die doppelt so groß wie im Kraichgau und größer als im Steigerwald ist. Zu beachten ist, daß die Mäch- tigkeiten im linksrheinischen Gebiete sich auf das unverwitterte Gebirge unter Tag, im rechts- rheinischen Gebiete dagegen über Tag beziehen. Gips tritt sowohl im Elsaß wie in Lothringen durch die ganze Abteilung mit Mergeln gemischt auf, Steinsalz dagegen ist nur auf Lothringen be- schränkt. Die Steinsalzlager zerfallen in zwei Ab- teilungen, die durch 35 m Mergel getrennt sind. Im ganzen kommen 19 Flöze mit zusammen 70 m Steinsalz vor. Entsprechend dem Fehlen des Steinsalzes im Elsaß beträgt die Mächtigkeit des Gipskeupers in den Tiefbohrlöchern von Pechel- bronn am Rheintalrand 114 m, bei Berupt 123 m. Die Gliederung des linksrheinischen Keupers ist eine petrographische. Der Grenzdolomit ist wie in Schwaben und Franken 30 m mächtig. Über dem Grenzdolomit folgen Mergel, darüber der Salzkeuper im engeren Sinne. Der obere Gipskeuper besteht wieder aus den Estherien- schichten. Außer den erheblichen Mächtigkeiten unter- scheidet sich der linksrheinische vom rechtsrheini- schen Keuper durch das Fehlen durchgehender Fossilhorizonte. Die Mauchachbank und andere fossilführende Horizonte des Grundgipses scheinen 510 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 35 hnks des Rheines zu fehlen, ebenso die Haupt- bleiglanzbank. Vorhanden ist die Kngelhofer Platte, ebenso scheinen die Estherienschichten die meiste Ähnlichkeit mit denen rechts des Rheines zu haben. Die Verschiedenheit des links- und rechtrsheinischen Gipskeupers führt van Wer- vecke auf eine wenn auch niedrige Barre zurück, welche beide Gebiete zur Zeit der Ablagerungen trennte. V. Hohenstein-Halle. Physiologie. Körpermaßstudien an Kindern hat Prof Dr. M. Pfaundler auf Grund eigenen und fremden Materials durchgeführt, wobeier zu beach- tenswerten Ergebnissen kam, die in mancher Hinsicht von denResultaten frühererUntersuchungen abweichen. ') Das Gesetz der Variation beherrscht die Körpermaße von Kindern ebenso wie jedes andere naturwissenschaftliche Maßgebiet. Beider- seits von den Mittelwerten liegen zahlreiche Über- und Unterwerte, sogenannte Plus- und Minus- varianten, die man nicht ohne weiteres als patho- logische Abweichungen ansehen darf Die in München bei einer großen Anzahl von gesunden Schulkindern angetroffene Variation der Körper- länge ist als eine Zufallsvariation zu betrachten, denn sie folgt dem Zufall- oder Fehlergesetze. Es zeigt sich beim Vergleich der direkten Ergebniss der Be- obachtung der Körperlänge und der Verteilung der Zahlen,die sich nach dem G a u ß ' sehen Fehlergesetz erwarten ließen, eine recht gute Übereinstimmung beider Zahlenreihen; Die empirisch gefundene Form der Variation ähnelt sehr der nach Gauß theoretisch postulierten. (Riedel, Die Körper- länge von Münchener Schulkindern. München 191 3.) Hinsichtlich des Körpergewichts derselben Schul- kinder führte eine Prüfung grundsätzlich zu dem gleichen Ergebnis. Hier fand sich zwar eine ge- ringe aber konstante Unstimmigkeit zwischen dem empirischen Variationspolygon und der Gau fi- schen Kurve in den einzelnen Geschlechts- und Altersklassen, es konnte aber gezeigt werden, dafi es sich nicht etwa um eine Variation nach anderem Gesetz, sondern um eine Variationsstörung han- delte, die durch Einbeziehung von extremen und ausgesprochen patholo::;ischen Fällen bedingt war. Bei der Körperlänge machen sich diese patholo- gischen Fälle weit weniger bemerkbar, und sie wurden übrigens zum Teil von vornherein aus- geschieden. Ihre Ausscheidung oder eine Anord- nung, die ihren Einfluß auf das Rechnungsergebnis einschränkt, bewirkte auch hinsichtlich des Körper- gewiclits völlig ausreichende Übereinstimmung. (S k i b i n s k y , Das Körpergewicht von Münchener Schulkindern. München 1914.) Bei der gesonderten Betrachtung verschiedener Alters- und Bcr u fsklassen stellte sich heraus, daß die Variation der Werte für Körperlänge und Körpergewicht bis zur Pubertät absolut mit dem Alter der Kinder zunimmt. Ein Nachweis für ') Pfaundler, „Krtrpermaß.studien an Kindern." \'I u. 148 .S. mit ■; 'l'extfig. und 9 Tafeln. Berlin, Julius Springer. die Wirksamkeit äußerer Einflüsse auf das mensch- liche Wachstum ist damit jedoch nicht erbracht, weil der relative Wert des Variationsmaßes nicht gleichen Schritt hält und weil der Entwicklungszustand gleich- altriger Kinder in verschiedener Entwicklungs- periode in wechselndem Maße interferiert. Unter- suchungen über den Einfluß der sozialen Lage auf die Körpermaße von Schulkindern ergaben, daß die Variation bei gleichaltrigen Kindern eine um so breitere wird, je höher der soziale Stand ihrer Eltern ist. (Diskanski, Über den Einfluß der sozialen Lage auf die Körpermaße von Schul- kindern. München 1914.) Dazubemerkt Pfaund- ler: Wer vorwiegend an äußere Einflüsse als Urheber der Variation denkt, hätte wohl das Gegenteil erwarten müssen, in der Erwägung, daß die Kinder der armen Bevölkerung solchen äußeren Einflüssen, namentlich jenen benachteiligender Art, stärker ausgesetzt sind als die vielfach strenge behüteten und mehr gleichmäßig gepflegten Kinder der Wohlhabenden. Maßgebend für die größere Variationsbreite der Kinder der oberen Gesell- schaftsschichten ist vielleicht ihre größere Domesti- kation, ihre in höherem Grade willkürlich beein- flußte Lebensführung, oder auch die buntere Rassenmischung in diesen Schichten, die ebenfalls die Variation anregt. Die Unterschiede, die in der Körper länge bei den Kindern der einzelnen Wohlstandsschichten bestehen, wurden bisher stets als artwidriges Kleinbleiben („Untermaßigkeit") der Kinder armer Leute betrachtet, deren Wachs- tum durch ungünstige Lebensbedingungen gehemmt werde. Stichhaltige Gründe für diese Ansicht kann Pfaundler nicht finden. Er ist vielmehr der Meinung, man könne eher von einem abnor- malen Überwachstum der Kinder der Reichen sprechen, in dem Sinne, daß in diesem das Artwidrige zu erkennen wäre. Dafür lassen sich in der Tat Anhaltspunkte gewinnen: Die länger gewachsenen Kinder der Reichen sind rieht allein in gewissen Körperfunktionen den kleineren Alters- genossen aus der Armenbevölkerung vielfach unterlegen, sondern auch in ihrer relativen Breitenentwicklung. Wenn bisher das Gegenteil angenommen wurde, so liegt dies, wie Pfaundler zeigt, an der Verwendung fehlerhafter Proportions- indizes. Pfaundler ist der Ansicht, daß in ge- wissen Kreisen der wohlhabenden Bevölkerung die Kinder einem präzipitierten, einseitig beschleunigten Längenwachstum anheimfallen, mit Wassertrieben von Treibhauspflanzen vergleichbar sind. Dieses Wachstum ist selbstverständlich keine günstig zu wertende Erscheinung, denn das Ergebnis der Entwicklung ist ein umso vollkommneres, je länger sie gedauert hat. Die Ursachen der Proteroplasie, des artwidrigen Vorschiebens und künstlich-vor- zeitigen Reifens der Kinder vermögender Städter, werden von Pfaundler erörtert. Die Wachstumskurve wurde vielfach als Parabelform bezeichnet und es wurde auch ange- nommen, daß für die Ähnlichkeit ein dem Wachs- tum des Menschen einerseits und den Bewegungs- N. F. XVII. Nr. 35 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. gesetzen im Universum andererseits gemeinsames übergeordnetes Moment maßgebend sei. Auf Veranlassung Pfaundler 's vorgenommene Prü- fungen führten jedoch zu dem Resultat, daß die Annahme von dem parabolischen Verlauf der Kurve des Längenwachstums verworfen werden muß. Hingegen stellte sich eine befriedigende Übereinstimmung heraus zwischen der mensch- lichen Wachstuniskurve nach der Geburt bis zur Vollendung des Wachstums mit einem anderen einfachen Kurventypus, der im Gegensatz zum Parabeltyp einer biologischenDeutung zugänglich ist. In weiteren Abschnitten behandelt Pfaundler die Probleme von Körpervolumen und Körper- dichte, die Methoden der Körperoberflächenbestim- niung und das enoigetiichc ÜbeiHächengesetz. Bezüglich des letzteren kommt er zu folgendem Schluß: Auch wenn man das zur Stütze des Oberflächengesetzes bisher vorgebrachte Zahlen- materiBl akzeptiert, bleibt es zweifelhaft, ob sich die Proportionalität des Energieumsatzes tatsäch- lich auf die Körperoberfläche als solche bezieht oder aber auf die Größe P '•. In letzterem Falle Würden sich Deutungsmöglichkeiten jener Propor- tionalität ergeben, die zum Oberflächengesetz keinen Bezug mehr haben. Die Prüfung einiger besonders gelagerter Fälle spricht zum mindesten nicht für die Oberflächenbeziehung. Es eröffnen sich Möglichkeiten, die Ftage experimentell zu entscheiden. H. Fehlineer. Bücherbesprechungen. Joh. Walther, Vorschule der Geologie, eine gemeinverständliche Einführung und An- leitung zu Beobachtungen in der Heimat. Sechste Auflage. G. Fischer- Jena 191 8. (brosch. 3 M., geb. 4,50 M.) Auch die Geologie gehört zu den Wissenschaften, deren hohe Bedeutung für die allerweiteste All- gemeinheit neben ihrer rein wissenschaftlichen An- ziehungskraft der Krieg dem öffentlichen Bewußt- sein in verschiedenster Weise nahegebracht hat. Sie muß, das zeigt sich auch bei dieser Gelegen- heit immer wieder, ganz anders als bisher das ganze Bildungswesen durchdringen. So muß sie also auch seinem Wurzelboden, der Schule, in geeigneter Form zugeführt werden. Das Hoch- schulstudium bedarf dringend, soll es sich nicht bei wachsendem Wissensstoff verzetteln, einer Vorarbeit, einer Vorschule. Zum sechsten Male, immer mehr und mehr diesem hochbedeutsamen Zwecke angepaßt, aus dem verstärkten Bedürfnis der Kriegszeit geboren, geht der längst bewährte Walther'sche Leitfaden in die deutsche Welt hinaus. Eine „Geologia pauperum" will er sein, d. h. ohne alle Ansprüche an Unterrichtsmittel und komplizierte Untersuchungsmethoden die Möglich- keit bieten, die in tausendfacher Beziehung zum täglichen Leben stehenden Erscheinungen der Natur in ihrem Wesen und Zusammenhang zu erfassen und ihre hohe Eignung zur Schulung des Sehens und Sinnens voll auszuwerten. Der Gang der Darstellung lehnt sich in natürlicher Weise an die Reihenfolge an, in der zunächst das Beobachten in freier Natur die Tat ist, die am Anfange zu stehen hat, und die Verknüpfung des Gesehenen bis zur geologischen Karte und schriftlichen Schil- derung sich ganz alimählich ergibt. Jedem Ab- schnitt folgt eine ausgesuchte Reihe von Übungs- aufgaben, dem gesamten Werk eine Übersicht über geologische Führer durch deutsche Land- schaften, ein Wörterbuch der hauptsächlichsten Fachausdrücke und ein Sachregister. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Bändchen in seiner neuen Gestalt seinen segensreichen Zweck nicht minder erfüllen wird als bisher. Edw. Hennig. G. Bucky, Die Röntgenstrahlen und ihre Anwendung. Aus Natur und Geisteswelt Nr. 556. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1918. 104 S. — Preis geb. 1,50 M. Der Verfasser, welcher Vorstand der Röntgen- abteilungen der Unterrichtsanstalt fürStaatsarzenei- kunde der Universität Berlin ist, weist im Vor- worte darauf hin, daß es ihm als Arzt eigentlich nicht anstände, auch die physikalischen und technischen Grundlagen seines Themas zu behan- deln. Daß dieser Hinweis nicht ganz unberechtigt ist, tritt in den ersten beiden Kapiteln, welche sich mit der physikalischen Seite der Röntgen- strahlen beschäftigen, hier und da zu Tage. Un- sicherheiten im Ausdruck und auch sachliche Irrtümer sind nicht immer vermieden. Einige Beispiele mögen das belegen : Auf Seite 12 handelt es sich um die Erklärung der .■\nziehung, die ein geriebener Hartgummistab auf Papierschnitzel aus- übt. Es heißt dort : „Die anziehende Wirkung muß logischerweise darauf beruhen, daß es andersartige Gebilde gibt, die eine entgegengesetzte elektrische (positive) Ladung haben." Ferner „die Elektronen besitzen eine elektrisch negative Ladung d. h. mit anderen Worten sie stoßen sich gegenseitig ab". Die Dissoziation in Lösungen tritt nicht erst beim Durchgang des Stromes, sondern schon bei der Auflösung ein. Daß mehrere aufeinander gelegte Glasplatten das Licht nicht gut durchlassen, liegt weniger an der Zunahme der Schichtdicke, sondern hauptsächlich an den Luftschichten, die zwischen ihnen liegen und an deren beiden Oberflächen eine Reflexion der Licht- strahlen stattfindet. Recht hübsch ist dagegen die Darstellung der Vorgänge bei der Induktion und der Selbstinduktion. Vielleicht sind die Vor- aussetzungen über das, was der Verfasser beim Leser als bekannt annehmen darf, gar zu gering; 512 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 35 das führt leicht dazu, daß Dinge behandelt werden, die mit dem zu behandelnden Thema nur in sehr loser Beziehung stehen. So werden auf Seite 68 und 69 ausführlich die Vorgänge bei Belichtung und Entwicklung der photographischen Platte be- sprochen. Die letzten Kapitel, die sich mit der technischen und medizinischen Seite der Röntgen- strahlen befassen, enthalten eine ausführliche, lesenswerte Schilderung alles dessen, was für den gebildeten Laien von Interesse ist. Zahlreiche gute Abbildungen und 17 Röntgenaufnahmen er- läutern das Gesagte. Alles in allem kann das Büchlein denen, die sich für dieses wichtige Gebiet interessieren, empfohlen werden. K. Schutt. Anregungen und Antworten. Das russische Multiplikationsverfahren, das in der Naturw. Wochenschr. N. F, XV Nr. 52, XVI Nr. 35 und XVII Nr. 7 besprochen wird, läßt sich elementar sehr leiclit beweisen. Es beruht auf dem Satz, daß ein Produkt seinen Wert nicht ändert, wenn man den einen Faktor mit einer Zahl multipliziert und gleichzeitig den anderen Faktor durch dieselbe Zahl divi- diert. Daher haben die Produkte der übereinanderstehenden Zahlenpaare 8, 4, 2, I 20, 40, 80, 160 den konstanten Wert 160. Kommt min bei der Division durch 2 auf eine uagera e Zahl, so wird der Rest I bekanntlich vern-ichlässigt, und dasdrodukt der anfänglichen Zahlen 21X^0 = 420 ergibt sich durch die Addition der unteren Zahlen, über denen eine ungerade Zahl steht. Beispiel; Vo] To\ lo, .60, 3;., - + 80-^330 = 420. Beweis; 21 X 20 = (2X io-|- i)X2o= ioX40-|- 20. Eswird also bei dem Übergang 21, 10 20, 40 der Wert 20 vernachlässigt, der zum Resultat wieder zu addieren ist. Ebenso wird bei dem Übergang 5, 2 80, 160 der Wert 80 vernachlässigt, während bei den Übergängen 10, 5 , 2, I ■ ,r u ^ & ' ? und ,,' eine Vernach- 40, 80 160, 320 lässigung nicht stattfindet, also die 40 und 160 nicht addiert werden dürfen. Oberlehrer Dr. Fritzsche. Halle a. S. Die Wünschelrute. Mit einigen Fällen, in denen die Wünschelrute versagt zu haben schien, beschäftigt sich Herr Prof. Weise in Nr. 26 dieser Wochenschrift. — Als Ruten- gänger vielfach im Staatsdienst tätig, möchte ich mir zu seinen Mitteilungen zunächst zu bemerken gestatten, daß da, wo keine Rute gebraucht wurde, auch keine Rutengänger-Schürfung vor- lag. Zurzeit ist nicht erwiesen, daß die Bewegung von Pendel- ringen oder Pendelgewichten auf dieselben Ursachen zurück- zuführen ist, wie die Rutenausschläge. Die Pendelbewegungen haben ihren Grund meines Erachtens hauptsächlich in ver- mehrter Pulsschlagzahl. Wieweit die Eigenbewegung des Pendelgängers in Frage kommt, entzieht sich meiner Kenntnis. In jedem Falle aber bezweifle ich, daß der Pendelgänger — im Gegensatz zum Rutengänger — imstande ist, zeich- nerisch und rechnerisch die Tiefenlage einer fließendes Wasser führenden Sand- oder Kiesschicht oder sonst einer Grund- wasserströmung anzugeben. Herr Prof Weise hat also meines Erachtens mit seinen beiden Fällen — der dritte sei, wie er schreibt, noch nicht entschieden — nichts gegen die Wünschelrute vorgebracht; dies wird nun hoffentlich auch beim 3. Falle nicht geschehen ; ich sehe dem zu erwartenden Bericht indessen mit einigem Miß- trauen entgegen nach folgenden Erfahrungen : Herr Prof. Weise erhält seine Nachrichten erst aus dritter Hand und wird sie selbstverständlich so weitergeben, wie er sie erhalten hat. Es kommt aber beim Brunnenbohren viel Unerwünschtes vor, wenn nicht eine ständige schärfste Kontrolle von Anfang bis Ende der Bohrung stattfindet. Da wird öfter nicht in der vom Rutengänger angegebenen Bohrstelle gebohrt, sondern aus irgendwelchen Gründen daneben, so daß eine wenig breite Wasserader, welche die Rute angab, nicht getroffen wird; es werden wasserführende Schichten überbohrt und ihr Vorhanden- sein erst nach tieferer Bohrung dem Auftraggeber gemeldet. Es ist mir sogar von dem Brunnenmacher in einem p-alle direkt die Erbohrung des Wassers in fast genau der angesagten Tiefe in Abrede gestellt worden, obwohl ich in Gegenwart eines Zeugen ca. 11,0 m Wasserstandshöhe im Bohrrohr feststellen konnte. Die Rute hatte hier wie stets diejenige Grundwasser- linie angegeben, in welcher sich das Wasser am lebhaftesten unter Druck bewegte. Der Versuch des Herrn Prof. Weise mit dem Stabe ist nicht so beschrieben, daß er nachgeprüft werden kann, weil nicht recht ersichtlich, wie der Stab zwischen den beiden Händen des Mediums lag und wo der starke Mann angegriffen hat, um mit dem Druck gegen den Stab das Medium zurückzudrängen. — Weder Ring- noch Stabversuche sind Rutengängerversuche. Es war nicht recht, daß ein Rutengänger es ablehnte, in Gegen- wart eines Geologen mit der Rute zu schürfen ; ebenso aber durfte ein Landesgeologe, der nach seiner eigenen Versicherung noch nie mit der Rute arbeiten sah, nicht sein Versprechen, sich dies von mir einmal zeigen zu lassen und mich zu dem Zwecke zu besuchen, nicht halt( lassen, gleichwohl aber ein eifriger Gs licht gne Wü bleibe Mentz, Kgl. Baurat. Exstirpatio lienis seu splenis. — Man behauptet, daß früher bei den S"chnelläufern die Milz entfernt wurde. Ich hörte aber von einem Arzt, daß diese Behauptung unwahr sei; es sei niemals geschehen; die Exstirpation der Milz sei lethal, wenigstens höchst lebensgefährlich. — Frage; Was ist nun wahr? Geschah sie historisch, oder sind keine absolut historische Fälle bekannt? Dr. Oudemans-Arnhem. Berichtigung. Der Verf. des Aufsatzes, „Impfung und Unempfänglichkeit" in Nr. 2 des laufenden Jahrganges der Naturw. Wochenschr. ist Oberstabsarzt Dr. Fuhrmann (nicht ()berarzt Dr. F.) Literatur. r Kenntnis der Meeresfauna Westafrikas. Bd. II, igener, Polychaela. Mit 6 Tafeln und 110 ngen. Hamburg '18. L. Friederichsen u. Co. — Beiträge Lief. 2. H. Textabbildu 40 M. Miehe, Prof. Dr. H., Die Bakterien und ihre Bedeutung im praktischen Leben. 2., verbesserte Aufl. Mit 32 Textabb. Leipzig '17. Quelle u. Meyer. — 1,50 M. Inhaltl S. Killermann, Zur Geschichte der Ananas und Agave. (3 Abb.) S. 497. W. Kranz, Nochmals zum Problem der Wünschelrute. (3 Abb.) S. 504. — Einzelberichte: W. Salomon, Der Wasserhaushalt der Erde. S. ,oS. W. Pfeiffer, Über den Gipskeuper in Süddeutschland. S. 50S. M. Pfaundler, Körpermaßstudien an Kindern. S. 510. — Bücherbesprechungen; Joh. Walther, Vorschule der Geologie. S. 511. G. Bucky, Die Röntgenstrahlen und ihre Anwendung. S. 511. — Anregungen und Antworten ; Russisches Multiplikationsverfahren. S. 512. Die Wünschel- rute. S. 512. Exstirpatio lienis seu splenis. S. 512. Berichtigung. S. 512. — Literatur: Liste. S. 512. uskripti und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 8. September 1918. Nummer 36. Über die absolute geologische Zeitrechnung im allgemeinen und ihre Förderung durch die fortschreitende Kenntnis der Tiefseesedimente im besonderen. [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. K. Andree, Königsberg in Pr. Mit 17 Abbildungen im Text. Die Wissenschaften werden seil langer Zeit in der Regel zerlegt in die Natur- und Geisteswissen- schaften. Über die Berechtigung dieser Trennung läßt sich bekanntlich streiten, wobei ich nur an die Stellung der Geographie zu erinnern brauche, welche aus beiden Lagern her in Anspruch ge- nommen wird. Schon Wundt hat ein anderes System der Wissenschaften vorgeschlagen, indem er einerseits die Wissenschaften der Erscheinungen oder phänomenologischen, zweitens die beschreiben- den oder systematischen Wissenschaften, drittens aber die Wissenschaften der Entwicklung unter- schied. Zu den Wissenschaften der Erscheinungen in diesem Sinne würden Physik, Chemie und Phy- siologie zu stellen sein, denen sich als wichtige Hilfswissenschaft auch die Mathematik anschließen würde. Als beschreibende oder systematische Wissenschaften betrachtete Wundt die Minera- logie, Botanik und Zoologie; auch die Geographie wäre hierher zu stellen. Zu den Wissenschaften der Entwicklung aber würden Kosmologie (Astro- nomie), Geologie, Entwicklungsgeschichte der Organismen, Vorgeschichte, Völker-, Staaten- und Kulturgeschichte gehören. Wie steht es aber mit der Berechtigung dieser Dreiteilung, insbesondere mit der mittleren Gruppe, den sogenannten be- schreibenden oder systematischen Wissenschaften ? Sie vermitteln ja in der Tat zwischen den Wissen- schaften der Erscheinungen und denen der Entwick- lung; aber rechtfertigt das diese besondere Zusam- menfassung ? Diese Anschauung läßt sich doch kaum mehr aufrecht erhalten. Mineralogie, als auf be- stimmte Naturkörper angewandte Physik und Chemie, gehört doch zweifellos zu den Wissen- schaften der Erscheinungen ; Botanik und Zoologie aber sind längst aus dem Stadium der Beschrei- bung herausgetreten und zu recht eigentlichen Entwicklungswissenschaften geworden. So bliebe also nur die Geographie. Aber auch diese ist ja längst aus dem beschreibenden Stadium in das der Erklärung übergegangen, und man wäre zweifel- los berechtigt, die Geographie als „Geologie der Gegenwart" zu bezeichnen. Schon hieraus aber ergiebt sich ein großer Unterschied der bezüglichen Fragestellungen. Die Erklärung der gegenwärtigen Erscheinungen der Erdoberfläche, die dem Geo- graphen obliegt, geschieht nicht aus der Zeit, wie das ja der Geologie eigentümlich ist, sondern aus dem Raum; Geographie ist eigentliche Raum- wissenschaft. Allerdings ist dadurch eine absolut- scharfe Abgrenzung dieser beiden großen Erd- wissenschaften gegeneinander nicht gegeben. In jedem Augenblick verfließt Zeit, und um der Geographie nicht jeglichen Spielraum zu nehmen, wird man ihr seitens der Geologie unbedenklich auch jenen Zeitraum der jüngsten Vergangenheit überlassen können, über welchen geschichtliche Überlieferungen Aufschluß geben. Aber darüber hinaus kann es Konzessionen irgend welcher Art nicht geben. Schon die sogenannte Vorgeschichte (Prähistorie) ist nach Arbeitsmethoden und Frage- stellungen zweifellos eher eine geologische, als eine geographische Teilwissenschalt. Aber das Zurück- greifen in weiter zurückliegende Zeiten der Erd- geschichte, das selbst von berufenen Geographen hier und da geübt wird, kann nur als geologische Arbeit angesehen und muß als solche bewertet werden. Anderseits darf auch nicht verkannt werden, daß Erdgeschichte, soweit sie nicht tote Stratigraphie bleiben will, als erstrebens- wertes Ideal eine möglichst eingehende Paläo- graphie anzustreben hat und sich nicht nur auf Zeitfragen beschränken kann, sondern auch Raumfragen zu beantworten hat, soweit es sich um vergangene Zeiten handelt. Mieraus dürfte zur Genüge hervorgehen, in welch' engen gegen- seitigen Beziehungen Geologie und Geographie zu- einander stehen und wie beide ohne einander nicht zu leben vermögen. So sehr wir nun dem Inhalt der von Paul Barth herausgegebenen „Naturphilosophischen Betrachtungen" von Fr. Ratzel über „Raum und Zeit in Geographie und Geologie" zustimmen können, so wünschenswert wäre im Interesse einer klaren Grenzziehung eine etwas andere Titelgebung gewesen, nämlich „Raum in Geographie, Zeit und Raum in Geologie". Gerade im Hinblick auf diese Beziehungen hat aber schon Ratzel an Stelle der Sonderung der Wissenschaften in beschreibende und Entwicklungs- wissenschaften eine Einteilung in zeitlose, unhisto- rische Wissenschaften und in historische, Zeit- oder Entwicklungswissenschaften vorgenommen, bei denen die großen Fragen die Zeitfragen sind : „Wann und wie lang?" Wir aber würden nach alledem eine Dreiteilung der Wissenschaften vor- nehmen, — zwar in anderer Weise, als Wundt vorgeschlagen hatte, — nämlich in Wissenschaften der Erscheinungen, in Raumwissenschaften und in Zeitwissenschaften. Heute ist alles ins Große gerichtet. Erst kürz- SU Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 36 hch haben wir erlebt, wie die opferfreudige Be- völkerung unseres Vaterlandes nicht nur mit vielen großen, sondern mit noch viel zahlreicheren kleinen und kleinsten Summen Geldes eine IVIilliardensumme aufgebracht hat, die wir uns nur vorstellen können, wenn wir uns besonderer Vergleiche und Bilder bedienen. Das bekannte Sprichwort: „Steter Tropfen höhlt den Stein" ist nur ein anderes Bild für die gleiche Erscheinung, wenn auch ins Negativ verkehrt. Gerade die Geologie, der dieses Bild entnommen ist, gibt die großartigsten Beispiele dafür, wie sich die kleinsten und unscheinbarsten Vorgänge durch Summierung ins Ungeheure steigern können, wenn sie sich tagaus tagein, Jahr für Jahr, ja Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch wieder- holen, wenn also der Faktor Zeit sich genügend betätigen kann. Wenn im ersten Drittel des ver- gangenen Jahrhunderts der Gothaische Privat- gelehrte Carl Ernst Adolf von Hoff und unabhängig von demselben, aber nach ihm der große Geologe Charles Lyell behaupteten, daß die kleinen Veränderungen, welche wir heute auf der Erdoberfläche vor sich gehen sehen oder welche die geschichtlichen Überlieferungen zeigen, qualitativ durchaus nicht verschieden seien von den Veränderungen früherer Erdperioden, so bekommt dieses seitdem in der Geologie mehr und mehr herrschende Aktualitätsprinzip erst durch die Annahme der gewaltigen Zeiträume, welche die kleinsten Vorgänge sich summieren lassen, seine notwendige Begründung und Stütze. Und auch die Entwicklungslehre, die wir Lamarck und anderen verdanken, ist nicht denkbar ohne die Annahme immenser Zeiträume, die nach Mei- nung mancher Forscher noch größer sein sollen, als die Geologen sie im allgemeinen für wahr- scheinlich halten. Lange schon unterscheidet der Geologe eine relative und eine absolute Zeitrechnung. Erstere, das ist reine Chronologie, ist die logische Vorstufe der letzteren. Eine besondere Teil- wissenschaft der Geologie, die Stratigraphie, Schichten- oder Formationskunde, auch histo- rische Geologie schlechthin genannt, be- treibt bekanntlich diese relative Zeitrechnung mit Hilfe der Gesteinszusammensetzung, des Fossil- inhaltes und der Lagerung, und auf die überragende Bedeutung, die diesem Teilgebiete unserer Wissen- schaft in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eingeräumt wurde, bezieht es sich, wenn Fr. Ratzel gesagt hat, Geologie sei „die ausgesprochenste Zeit fo 1 g e Wissenschaft". Ergeb- nis dieser relativen Zeitforschungen in der Geologie ist die Formationstabelle, das ABC des Geologen. Auch andere Zeitwissenschaften mußten oder müssen diese Entwicklung durchmachen. Die Menschheits- und Kulturgeschichte ist ja aus diesem Anfangsstadium längst in das der Zeit- messung eingetreten und zur Zeitdauerwissen- schaft geworden. Aber es ist noch gewissermaßen ein Relikt aus der chronologischen Zeit derselben, wenn wir die Ereignisse danach datieren, ob sie vor oder nach Christi Geburt stattfanden. Im Gegensatz dazu arbeitete z. B. die Vorgeschichte auch heute noch mehr oder minder chronologisch. Zahlreich sind die Methoden der absoluten geologischen Zeitrechnung, aber wenig einwand- frei ihre Resultate. Die Gründe hierfür werden offenbar, wenn wir zu einer näheren Besprechung übergehen. Wir unterscheiden 4 Gruppen von Methoden, i. physikalische, 2. geodynamische, 3. bio- logische, 4. kosmologische Methoden. Anwendung einer physikalischen Methode war es, als Bischof, ausgehend von der Annahme der einst glutflüssigen Erde, die sich allmählich abkühlt, die Abkühlung geschmolzener Basaltkugeln verfolgte, um durch dieses Experiment zu ergründen, vor wie langer Zeit die Erde zu erstarren begann. Aber einmal lassen sich die kleinen Verhältnisse des Experimentes durchaus nicht ohne weiteres mit den großen Verhältnissen der Erde vergleichen, ferner besteht die Erde auch keineswegs ganz aus Basalt oder ähnlichen Stoffen . . ., und so lassen sich noch mancherlei Einwände gegen diese Art der Berechnung erheben. Auch die allmähliche Wärmezunahme von ca. 3" C auf 100 m Tiefe, die wir in Schächten, Tunnels und Bohrlöchern beobachten, ist verwertet worden. Aber was bedeuten die äußersten 2000 m oder 2 km der Erdrinde, deren Wärmeverhältnisse wir übersehen, in einer Erdkugel von über 6000 km Radius ? Ganz ofl'enbar so gut wie nichts 1 Ja, die Frage, ob denn die Erde sich überhaupt allmählich abgekühlt habe und abkühle und ob sie eine Ent- wicklung im Sinne von Kant oder Laplace durchgemacht habe, ist durchaus ungelöstundstrittig. Das aber vor allem, seitdem wir im zerfallenden Radium und verwandten Elementen eine Kraft- quelle für chemische Wärme kennen gelernt haben, die unter Umständen ausreichen könnte, eine eventuelle Abkühlung der Erde zu verlangsamen oder gar ins Gegenteil zu verkehren. Mit dieser Erweiterung unserer chemischen Kenntnisse hängt auch eine weitere, neuerdings sehr beliebte physikalische Methode der Zeitrech- nung zusammen, die auf der Messung des Helium- gehaltes der Mineralien beruht. Radium und ver- wandte Stoff'e bilden mit gewisser Zerfallsgeschwin- digkeit Helium, welches zum Teil in den Ursprungs- mineralien enthalten bleibt, zum Teil aber wahr- scheinlich entweicht. Da jene Zerfallsgeschwindig- keit meßbar ist, soll sich mit gewisser Annäherung die Zeit berechnen lassen, während welcher jene Heliumproduktion erfolgt wäre. Das ergäbe ein Minimalalter für die betreffenden Mineralien. Aber wer bürgt für die Verhältnisse der vergangenen Zeiten und deren Einfluß auf die Heliumabgabe, wer sagt uns, daß dieselbe immer im gleichen Tempo vor sich gegangen ist? Immerhin ist durch diese Methode eine Zahlenreihe für Mineralien aus den verschiedenstenF"ormationen gewonnen worden, welche eine ständige Zunahme zeigt, je weiter wir in unserem relativen Altersprofil hinabsteigen : für Alttertiär 31, Carbon 150, Devon 200, Archai- N. F. XVn. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 515 kum 200 — 600 (700) Millionen Jahre. Aber ein zweifelsfreier Beweis für die absolute oder auch nur angenäherte Richtigkeit dieser Zahlen steht aus, und jene Zahlenreihe sagt uns vorläufig nicht mehr, als die relative geologische Zeitrechnung uns lange lehrte. Zahlreich sind die geodynamischen Me- thoden, mit deren Hilfe man kleinere Zeitab- schnitte und längere Zeiträume der Erdgeschichte hat messen wollen. Die Erosion durch Flüsse, der Rückschritt von Wasserfällen, wie der Niagara- fälle, die Küstenzerstörung durch Brandung sind verwertet, das Wachsen von Deltaanschwemmungen, Seeablagerungen und Torfmooren, ja von Torf- steinen, das Wandern der Wanderdünen und manche andere allgemeingeologischen Erscheinungen sind herangezogen worden, und es ist nicht zu leugnen, daß auf diesem Wege recht brauchbare Resultate erlangt worden sind, soweit ein Anschluß an die Jetztzeit ermöglicht war, und zumal in solchen Fällen, wo eine periodische Schichtung als echte erkannt werden konnte. Aber von da aus ist es noch ein langer Weg zur Schätzung und Messung längerer Abschnitte der Erdgeschichte. Wenn u. a. auch Fenck z. B. die Abtragung der Festländer und die Dicke der gesamten sedimentären Ab- lagerungen für Zwecke der absoluten geologischen Zeitrechnung verwertet hat, so ist es gerade hier mit einem einfachen Rechenexempel nicht getan. Um nur zwei Einwürfe zu machen; in den im Durchschnitt angenommenen etwa 30 km der sich wie Zwiebelschalen um die Erde legenden Schicht- gesteine stecken nicht nur die allerverschiedensten Gesteine, deren eines sich wohl im Laufe eines Jahres meterdick aufzubauen vermag, während vielleicht papierdünne Lagen eines anderen Jahr- zehnte bis Jahrhunderte zur Bildung nötig haben, sondern es schalten sich hier und schalten sich dort auch Lücken ein, in denen jede Ablagerung fehlt; und so häuft sich Fehlerquelle auf Fehler- quelle, so daß es schier aussichtslos wird, auf diesem VJcgc weiterzukommen. Auch der Salzgehalt des Weltmeeres hat zu Berechnungen Anlaß gegeben: Es läßt sich un- gefähr berechnen, welche Menge von Salz durch die Flüsse jährlich dem Meere zugeführt wird. Aber deshalb gibt eine einfache Division des ge- samten ozeanischen Salzvorrates durch diese jähr- lich zugeführte Menge noch lange nicht das Alter des Ozeanes. Denn wieviel Salz ist dem Meere durch Bildung von Salzlagern und durch Winde entzogen worden, wieviel anderseits im Laufe der Erdgeschichte durch vulkanische Ausbrüche als „juveniles" Salz neu zugeführt? Das sind Mengen, die sich nicht einmal schätzen lassen 1 Und vor allem : es ist ja durchaus fraglich, ob das ozeanische Salz denn wirklich alles nach und nach zugeführt wurde, ob der Ozean nicht vielmehr auch ursprüng- liches Salz enthält. Diese ganze Berechnung schwebt also ebenfalls vollkommen in der Luft. Auch mit biologischen Methoden hat man arbeiten wollen. Wenn ein Autor (G. Wagner) unter Annahme eines Durchschnittslebensalters der Individuen durch Auszählen der Schalen, welche eine Austernbank im Muschelkalk zusammensetzen, die Bildungsdauer dieser Bank und der synchroni- schen Sedimente festzustellen suchte, so ist hier- gegen gewiß nicht viel einzuwenden. Aber zu völligem Versagen ist diese Methode für die größeren Zeiträume verurteilt. Weder die Mutationen noch eine angebliche Periodizität in der phyletischen Entwicklung der Organismen werden uns auf diesem Wege irgendwie weiterbringen, wenn auch Ratzel, Dacqueu. a. diese Hoffnung ausge- sprochen haben. Erst kürzlich hat C. Diener in einer lehrreichen Studie über die Bedeutung der paläontologischen Zonengliederung für die Frage der Zeitmessung in der Erdgeschichte überzeugend gezeigt, daß die ganze seit Jahrzehnten in dieser Richtung geleistete Arbeit umsonst gewesen ist, da das tertium comperationis fehlt, die Massen- einheit, an der wir die Veränderungen der orga- nischen Welt in der Vorzeit selbst messen könnten. Nicht nur sind die einzelnen Ammonitenzonen, die zu feinster stratigraphischer Einteilung der Jura- formation, oder die Graptolithenzonen, die zu eben- solcher Gliederung der Silurform.ation dienen, un- gleich lang; es läßt sich auch wahrscheinlich machen, daß das Tempo der Entwicklung der leitenden Fossilformengruppen und -formen ein ganz verschiedenes gewesen ist. Und nunmehr kommen wir zu den kosmo- logischen oder astronomischen Metho- den. — Es gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Erdgeschichte auf stratigraphischem Gebiete, daß ihr Gang seit dem Algonkium ein periodischer gewesen ist. Das zeigen die immer wiederkehren- den Gebirgsbildungen und Hochzeiten des Vul- kanismus ebenso wie die Mehrzahl der Eiszeiten, und als graphischen Ausdruck dieser Feststellung magmandie Gebirgsbildungs- und Klima- kurve (Abb. I u. 2) betrachten, weiche Edgar Dacque entworfen hat. Periodizität erscheint sicher, nur bleibt fraglich, ob es echte Kreisläufe waren, welche die Erde durchgemacht hat, oder ob wir den Gang der Entwicklung etwa mit dem Verlauf einer Spirallinie vergleichen dürfen. Letz- teres scheint aus gewissen Eigenheiten der Ge- birgsbildung und des Vulkanismus hervorzugehen, welch erstere aus einem von vielen Autoren an- genommenen ursprünglichen Zustand derUbiquität in einen solchen der Beschränkung auf gewisse streifenförmige Erdzonen übergegangen sein mag, während letzterer außer solch räumlicher Ein- schränkung wohl auch eine Abschwächung in der Intensität erfuhr. Aber, wie dem auch sei: Die periodische Wiederkehr gewisser Erscheinungen in der Physiologie des Erdkörpers ist nicht mehr zu leugnen. Nun hat sich mehr und mehr her- ausgestellt, daß es doch nicht angängig ist, die Verhältnisse des bei den Schrumpfungstheoretikern so beliebten eintrocknenden Apfels ohne weiteres mit den Vorgängen zu vergleichen, welche die innere Dynamik des Erdkörpers erkennen läßt. 5i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 36 Auch in der Geologie gibt es „vernachlässigte Dimensionen"; nur sind es hier nicht so sehr die ganz kleinen, sondern die ganz großen, denen mehr Beachtung zu schenken wäre. Mit einem Worte : es ist höchste Zeit, daß die Geologie sich darauf besinnt, daß die Erde ein Glied des Kosmos ist und von kosmologischen Gesetzen beherrscht wird. Die Abkehr von den Molekularkräften und das Heranziehen der Massenkräfte ist nötig, um die innere Dynamik und Physiologie des Erd- körpers voll verstehen zu lernen. \A^as liegt aber von diesem Standpunkt aus näher, als die Heran- ziehung der astronomischen Perioden .? Die Periode der Präzision der Rotationsachse (26000 Jahre) Methoden sagen, daß wir bisher immer scheiterten entweder an der Unrichtigkeit oder Unbeweisbar- keit gewisser Voraussetzungen oder aber an der Nichtfaßbarkeit aller Faktoren und Fehlerquellen, welch letztere sich um so mehr häufen und sum- mieren, je größere Zeiträume erfaßt werden sollen und je geringer der Anschluß an die heutige Wirk- lichkeit ist. Um zum Schluß dieser allgemeinen Erörterungen einen Begriff von den Größenordnungen zu geben, die wir den einzelnen Zeitspannen unserer relativen Zeitrechnung etwa zuteilen würden, mag man folgende Zahlen als nicht ganz unbegründet ansehen : Die durch Leitfossilien bestimmte paläontolo- '£' "'.:'"■ " „, ...... .„... ..,„ ...... ,„., .,.!.. ,.f;., .'.:z 'S- r r "\ r ^ I\ l^ asrs:: 1 1 • [1 i \J\ j ..:.. L / ' Js:. Gebirgsbildungskuivc. Nacb Hdg. Dacque. :i:::- ';:"■ «.„ D.,.„ ...... p.,. i„„ J„o «••"• Si. , s!,- ^,r ««"..»...'-- / r A { fl •HEr' """' ,.*.. r / I-- V y".=,A-r, / i / J.. ^! — ■ .„ :m~ri Abb. 2. Klimakurve. Nach Edg. Da und die der Ekliptikschiefe (40000 Jahre) sind für die größeren Zeiträume ganz offenbar zu klein. Aber anders wäre es schon mit den periodischen Veränderungen in der Ekzentrizität der Erdbahn, die sich im Laufe von hunderttausenden von Jahren vollziehen. Groll hat die diluviale Eiszeit auf diesem Wege erklären wollen, was aber nicht zu leugnende Schwierigkeiten bietet. Immerhin ist zu erwarten, daß auf diesem Wege in Zukunft Erfolge errungen werden können. — Nur in den astronomisch zu erfassenden kosmischen Perioden besitzen wir Vergleichsmaße für das irdische Ge- schehen der Vorzeit, und auf diesem Wege wird es hoffentlich gelingen, die absolute geologische Zeitrechnung einmal auf eine exakte Basis zu stellen. Im allgemeinen läßt sich aber bezüglich aller gischen Zonen : Tausende oder Zehntausende von Jahren. Formationsabteilungen : Hunderttausende oder Millionen von Jahren. Formationen: Millionen oder Zehnermillionen von Jahren. Erdgeschichte seit Cambrium: Zehner- bis hunderte von Millionen von Jahren. Noch weiter zurück würden wir aber schließ- lich zu Zahlen kommen, die wir staunend nennen können, aber wiederum nur, um keine rechten Begriffe damit zu verbinden. Viele besonnene Forscher haben sich von den geschilderten, vorläufig aussichtslosen Versuchen größere Zeiträume der Erdgeschichte messend zu erfassen, begreiflicherweise zurückgehalten ; sie be- N. F. XVII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S17 schränkten sich vielmehr auf kürzere Zeitspannen und versuchten in der Regel mit geodynamischen Methoden zu arbeiten. Hierbei bildete meistens die Schichtung derSedimentärgesteine die Grundlage, jener fossilführenden Gesteine, aus deren Untersuchung wir insbesondere die Erd- geschichte und Paläogeographie zu rekonstruieren haben. Gewisse Schichtungen sind von P o m p e c k j als die Folge etwa der B r ü c k n e r ' sehen 3 5jährigen KJimaperiode aufgefaßt worden; andere, welche Alb. Heim und deGeer benutzten, gelten ohne Widerspruch als Jahresschichtungen. Gerade an die de Ge er 'sehe Messung der Postglazialzeit hat C. Braun angeknüpft, als er den Versuch machte, die rezenten Meeressedimente in die Diskussion der absoluten geologischen Zeitrechnung hinein- zuziehen, und damit gehen wir zur näheren Er- örterung dieses besonderen Beispieles einer geody- namischen Zeitmessungsmethode über. geschichte bilden; die rezenten Meeressedimente kennen lernen, heißt also: im Buche der Erd- geschichte lesen lernen. Geographische Bedingtheit räumlicher Art be- herrscht die Stoffkreisläufe an der Oberfläche der Erde. Das gilt nicht nur für den bekanntesten, den Wasserkreislauf. Teilweise von diesem ange- trieben, teilweise aber auch durch andere Impulse in Bewegung erhalten, geht der Kreislauf derjenigen Gesteine vor sich, welche wir als Sedimente und Sedimentgesteine oder Schichtgesteine den Eruptiv- oder Massengesteinen gegenüberstellen. Zerstörung von Vorhandenem, Transport der Zerstörungs- produkte und Wiederaufbau sind die drei Etappen, welche aus diesem Kreislauf heute für uns in Frage kommen. Sie sind in räumlichem Neben- einander auf der Erdoberfläche vorhanden, und die Geographen sind bemüht, die einzelnen Teile der Erdoberfläche daraufhin zu untersuchen, ob — 1 Nach der Art der Komponenten, ob 1 Minerogen Biogen aus Lösung 1 Klastisch Benthogen ! Nektogen Planktogen 2 Teo- Auto- chthon 1 Gesteinbruchstucke ides Meeresuntergrun- ! des, die in neue Oolitho und Strand- |S^<''"^°"='='°'^'="=° Z. B. Kalkalgen ' (z. T.), Korallen, Bry- Fisch- und Wal-, ozoen, Serpuliden, auch manche Cepha- Seeigel, Crinoiden, lopodenreste Schwämme Pflanzliches und tierisches Plankton (auch ölhaltige Algen) a. B rigen AIlo- chthoD salze der ! Chersogeue Kompo- nente transportiert Flachsec („halmy- , durch: Schwerkraft rogene Komponente") „. Z. B. durch Treib- 'z. B. manche Sepia-j Cocco- u. Rhab- holz oder schwim- ; schulpe, Nautilus- dolithen. mende Tangmassen , und Spirulaschaleu Globigetinen u. a. verschleppte Bohr- i usw. | plankton. Foramini- muscheln, Cirripedier feren, Ptero- und usw. 1 1 Heteropodenschalen, 1 1 Diatomeen, . Radiolarien ■^ X •S 1 Krümmeis). 1 Wasser \ Wind Vulkanische Explo- J= 1 Organismen 2 Kos- mögen — Meteoritenkügelchen Mit den rezenten, d. h. heute sich bildenden Meeresablagerungen beschäftigen wir uns aus dreierlei Gründen. Der erste ist rein prak- tischer Natur; die Legung der transozeanischen Kabel erfordert eine Kenntnis der Böden, auf welche die Kabel zu liegen kommen. Dieser Grund hat bekanntlich der Meeresforschung den entschei- denden Anlaß zum Fortschreiten in die Tiefsee gegeben. Der Name des Telegraphenplateaus im Nordatlantischen Ozean ist eine Reminiszenz an diese ersten Entdeckungen. Der zweite Grund ist rein deskriptiv-geographisch; wir [haben ein Bedürfnis nach Erkennung des Zustandes des Meeresbodens, der etwa 7i„ der Lithosphären- oberfläche ausmacht. Der dritte Grund endlich ist der für den Geologen wichtigste: Die Meeres- sedimente sind die aktuellen Vergleichsobjekte für die Hauptmasse der fossilführenden Schichtsteine, die die einzelnen Blätter des Buches der Erd- sie Denudations-, Transport- oder Akkumulations- gebiete darstellen. Aber wichtiger für uns ist das Nacheinander der drei Erscheinungen, und maß- gebend für unsere Verknüpfung ist die Richtung des Transportes. In welcher Komplikation im Ozean, der größten Sammelmulde für festländischen Abtragungsschutt, das Material unter Hinzutreten eigentlich mariner Bestandteile sich aufbaut, er- kennt man am besten aus einer tabellarischen Zusammenstellung aller möglichen Komponenten der marinen Sedimente. Wir unterscheiden diese Komponenten nach zwei Prinzipien, die sich das eine Mal aus der Quer-, das andere Mal aus der Längsgliederung der Tabelle ergeben. In den durch Mischung dieser Komponenten in den verschiedensten Kombinationen und Ver- hältnissen gebildeten Ablagerungen entstehen aber weiterhin durch Um- und Neubildungen diagene- 5ii Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 36 tischer Art eine Reihe von accessorischen Be- standmassen, welche, wie z. B. die Glaukonitkörner der Grünsande und -schlicke so bezeichnend sein können, daß sie ganz bestimmte Sedimentarten charakterisieren, und welche zum Teil in der Form von größeren Konkretionen auftreten, wie die Phosphorit- und Manganknollen. Gerade diese Um- und Neubildungen der Diagenese der Sedi- mente zeigen, indem sie lediglich nach chemischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten erfolgen, daß es für die weitere Ausgestaltung der Ablage- rungen gleichgültig ist, ob z. B. ein kalkiger Be- standteil ursprünglich minerogen oder biegen war, und es würde uns daher nicht weit führen, wenn wir unsere Sedimente danach gliedern wollten, ob sie vorwiegend minerogen oder biogen zusammen- gesetzt sind. Von bedeutenderer Wichtigkeit dagegen ist es, ob und auf welche Weise etwa die einzelnen Komponenten transportiert wurden. Unter den Transportkräften ist nun in obiger Tabelle die Schwerkraft als erste genannt worden. Sie regt bekanntlich ihrerseits wieder den Trans- port durch das fließende Eis des Festlandes und das Wasser der Flüsse an, während ja die Meeres- strömungen anderen Gesetzen unterliegen. Immer- hin ist es nur natürlich, daß wir in unserem System der Meeressedimente (wie über- haupt in dem System der Sedimente) von den Höhen nach den Tiefen, also geographisch von der Küste durch die Flachsee gegen die Tiefsee vorschreiten. Hierbei beobachten wir eine allmäh- liche Abnahme der vom Festlande stammenden, „chersogenen" Komponente, sowohl nach Quantität, wie nach Korngröße, und eine quantitative Zu- nahme der eigentlichen marinen Komponenten. Das eine Mal früher, wie bei den Korallenriffen des flachen Tropenwassers, dem kein Detritus zu- strömt, das andere Mal später, bei den pelagischen Sedimenten der Hochsee, wo die Reste der Plank- tonwesen von hervorragender Bedeutung werden. Aber noch einmal tritt hier eine wichtige Änderung ein, die negativer Art ist, indem nämlich in den größten Tiefen nach und nach alle diejenigen Komponenten, die aus kohlensaurem Kalk bestehen, durch Auflösung im Meerwasser ausfallen. Zuerst werden Pteropoden- und Heteropodenschalen aus- gemerzt; sie bestehen, wie früher schon vermutet wurde, wie sich neuerdings unschwer durch die M eigen 'sehe Reaktion mit Kobaltnitratlösung nachweisen läßt, aus Aragonit, also aus jener labi- leren Modifikation des kohlensauren Kalkes, die sich leichter löst, als der chemisch leicht zusam- mengesetzte Kalkspat. Unter 3000 m sucht man in der Regel die Schalen der Pteropoden und Heteropoden vergeblich im Sediment. Diese Isobathe bildet daher auch die untere Grenze des Pteropodenschlammes. Haltbarer sind die aus Kalkspat bestehenden Globigerinenschälchen; aber auch sie werden schließlich aufgelöst, und es bleibt nur ein geringes kalkarmes bis -freies Restsediment über, in dem sich nun die kieseligen Organismen- reste angereichert haben. Aus diesen Gesichtspunkten heraus gelangen wir zu einem System der Meeressedimente, wie es in Anlehnung an O. Krümmel folgendermaßen lauten würde: I. Litorale oder landnahe Ablagerungen a) Strandablagerungen. b) Schelfablagerungen. II. Hemipe lagische Ablagerungen. a) Dunkler oder blauer Schlick. Besondere Fazies: Glazialmarine Sedimente, sowie Vulkansande und -schlicke. b) Roter Schlick. c) Glaukonitische Sedimente. d) Kalkschlicke. III. Eupelagische Ablagerungen. I. Kalkreich: a) Pteropodenschlamm. b) Globigerinenschlamm. 2. Kalkarm, bzw. -frei: a) Roter Tiefseeton. Besondere Fazies: Radiolarienschlamm. b) Diatomeenschlamm. In diesem System der jungen Meeressedimente ist gegenüber der von Krümmel gewählten Gliederung eine wesentliche Änderung nur bei den eupelagischen Ablagerungen nötig gewesen. Krümmel entschied hier nämlich: Epilophische Bildungen der Schwellen und Rücken: Kalkhaltig: Globigerinenschlamm; Pteropodenschlamm. Abyssische Bildungen: Roter Tiefseeton; Radiolarienschlamm. Nun ist zwar der Pteropodenschlamm auf Schwellen, Rücken und Kuppen beschränkt; Globi- gerinenschlamm geht aber stellenweise, wie wir sehen werden, in bedeutendere Tiefen als roter Tiefseeton, und auch Diatomeenschlamm in 5000 bis 6000 m Tiefe wird man nicht mehr als epilo- phisch bezeichnen dürfen. Die oben gewählte Gliederung dürfte den tatsächlichen Verhältnissen daher besser gerecht werden. (SchluS folgt.) Bücherbesprechungen. Theodor Langenmaier, Lexikon zur alten Geographie des südöstlichen Äqua- tor i a 1 a fr i k a. Abh. des Hamburgischen Kolo- nialinstitutes Bd. XXXIX, Hamburg 19 18. Das bereits seit des Verf. „Alte Kenntnis und Kartographie der zentralafrikanischen Seenregion" angekündigte „Lexikon zur alten Geographie des südöstlichen Afrika" ist nunmehr erschienen. Verf. unternimmt es, die geographischen Namen der zentralafrikanischen Seenregion, wie sie die alten N. F. XVII. Nr. 36 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 519 Karten dieses Gebietes verzeichnen, in lexil-^alischer Form aufzuzählen, ihre kartographische Entwicklung zu verfolgen und sie mit heutigen Ortsnamen zu identifizieren. Im großen Ganzen kann die Auf- gabe, die der Verf. sich gestellt hat, als gelöst betrachtet werden, wenn auch nicht alle Einzel- heiten sich werden aufrecht erhalten lassen. Die Grundlage des Lexikons bilden die Karten vom Gastaldischen Typus von der zweiten Hälfte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Die Anord- nung der Namen geschieht übersichtlich, und die Beigabe zahlreicher, kleiner Kartenausschnitte aus den alten Karten ist äußerst dankenswert. IVIit der Herausgabe des Lexikons kommt der Verf jedenfalls einem lebhaft empfundenen Be- dürfnis entgegen. Es wäre nur zu wünschen, daß ähnliche Arbeiten auch für andere Teile Afrikas in Angriff genommen würden. Dann würde es, wie es schon hier für die Seenregion des süd- östlichen Afrika hervortritt, deutlich zum Ausdruck kommen, wie umfassend bereits die alte Kenntnis Afrikas gewesen ist, und wie die großen Ent- deckungen der letzten 100 Jahre im Grunde nichts anderes als Neuentdeckungen gewesen sind. G. Frey. Arthur Stentzel, Jesus Christus und sein Stern. 240 S., 16 Tafeln und i Geschichts- tabelle. Hamburg 1913, Verlag der Astrono- mischen Korrespondenz. Der Astronom Arthur Stentzel vermag den Berechnungen über Gestirne zu folgen, liest aber auch im Urtext die Schriften des Alten und Neuen Testaments sowie zahlreiche apokryphe Evange- lien, deren Mehrzahl der Uneingeweihte nicht ein- mal dem Namen nach kennt. Er dürfte also über die Kenntnisse verfügen, die nötig sind, um die auf Tagesdaten festgelegte Geschichte Jesu schreiben zu können. Von Stentzel — nicht etwa von Archenhold, dem es ohne sein Zutun nach- gesagt wurde — stammt auch der Hinweis, daß ein Erscheinen des Halley'schen Kometen in das Geburtsjahr Christi und des Christentums, das Jahr 12 vor unserer Zeitrechnung, falle, und daß diese Auffassung vom Stern Jesu viel natürlicher sei als die für lange Zeit durch K e p 1 e r ' s Auto- rität zur Geltung gekommene Annahme einer Planetenkonstellation. Eine solche hätte als eine häufige Erscheinung nicht die Weisesten unter den babylonischen Weisen zu der weiten Reise nach Bethlehem veranlassen können, wohl aber ein großer Komet, zumal auch die alten Weis- sagungen, richtig übersetzt, nicht einfach auf einen „Stern", sondern auf einen Schwert- oder Schweif- stern hindeuteten, was Luther mit „Szepter" über- setzte. Das Erlebnis der Hirten auf dem F"elde, eine glänzende Himmelserscheinung, ergibt sich ungezwungen als identisch mit der Beobachtung der drei Weisen. Noch viel Wissenswertes finden wir in dem Buche. Sein Äußeres ist aufs beste dem Inhalt angemessen. Zu seinem Schmuck ge- hören 16 Abbildungen, meist nach Photographien aus dem heiligen Lande, eine aber, die den denk- würdigen Kometenhimmel naturgetreu wiederzu- geben sucht, nach einem wohlgelungenen Gemälde des Verfassers. V. Franz. Simmel, Dr. med. Ernst, Kriegsneu rose n und „psychisches Trauma". Mit einem Geleitwort von Dr. med. Adolf Schnee. 84 Seiten. München 1918, Otto Nemnich. — 2,50 M. Simmel faßt Hysterie, Neurohysterie, Neurose, Neuropsychose, ja sogar Neurasthenie als Er- scheinungen einer Krankheit in ihren ver- schiedenen Abstufungen auf. Sie beruhen sämt- lich auf einer Veränderung der Persönlichkeit, die ihren Grund in einer seelischen Spaltung der- selben hat. Die krankhafte Spaltung der Per- sönlichkeit ist der Ausdruck eines unausgeglichenen seelischen Konflikts, in dem sich zwei Emp- findungsgruppen gegenüberstehen : der Per- sönlichkeitskomplex und andere, gefühlsbetonte Komplexe, die selbständig als sogenannte „über- wertige" Gefühlskomplexe wirken. Gefühlskom- plexe werden dann überwertig, wenn unter irgend- welchen äußeren Einflüssen die Abreaktion ihrer starken Gefühlsbetontheit in dem adäquaten Affekt nach außen behindert ist, während der Ichkomplex nicht imstande ist, diesen im Abfluß gehemmten Komplex ins Bewußtsein zu ziehen und mit Hilfe des Intellekts umzuarbeiten, der Tendenz der Ge- samtpersönlichkeit unterzuordnen und so seiner Selbständigkeit zu entkleiden. Die Überwertigkeit von Gefülskomplexen entsteht ferner infolge eines angeborenen schwachen Intellekts oder wenn Ge- fühlskomplexe zum Kampf gegen den Ichkomplex zu einer Zeit auftreten, da ihm die Hilfsmitte! des Intellekts, die er zur verstandesgemäßen Ver- arbeitung der ihm zuströmenden Empfindungen braucht, versagt sind. Im Kriege kann das Persönlichkeitsempfinden besonders dann unter- liegen, wenn sich dem Menschen bei katastro- phalen Ereignissen überstürzende Erregungswellen aus Empfindungen aufdrängen, die ihre Entstehung diesen Ereignissen verdanken. Der Intellekt ist solchen nicht gewachsen, weil er infolge des Mangels jeder Vergleichsmöglichkeit aus der eigenen Erfahrungswelt auf sie nicht eingestellt und vorbereitet war. Die Neurose, in welcher die Dissoziation der Persönlichkeit zum Ausdruck kommt, betrachtet Simmel als eine S elbstsich eru ng, die darin besteht, daß das Ich den ganzen unlustbringenden unverdaulichen Gefühlskomplex von seinem Be- wußtsein ablehnt und in die Zone des Unbewußten in ein Gebiet verdrängt, das wir das Unterbewußtsein nennen. Aus diesem steigt der Affekt besonders dann wieder auf, wenn von außen eine Anregung dazu kommt ; denn mit dem Verdrängen in das Unterbewußtsein ist der Gefühlskomplex nicht ausgelöscht, sondern er bleibt wirksam, ohne daß das Ich des Menschen selbst davon etwas weiß. Der Empfindungskomplex ist verdrängt, aber es 520 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 36 kommt zur „Einklemmung" des nicht erledigten Affekts. Seine Wirksamkeit kann irgendein Organ oder den ganzen Menschen betreffen. Die Behandlung der Neurose besteht darin, daß ge- trachtet wird, zur Erkenntnis des eingeklemmten Affekts zu gelangen, um diese Erkenntnis dem Kranken selbst zu vermitteln. Wenn es gelingt, den herrschenden Aftekt des überwertigen Gefühls- komplexes in dem Moment der Erkenntnis seines Wertes oder Unwertes intellektuell zu erledigen oder heraufzureißen und auf den Gefühlsbahnen abreagieren zu lassen, die einen solchen Affekt von Rechts wegen im Haushalt der Persönlichkeit zukommen, so schnellt die gebeugt gewesene Per- sönlichkeit wieder empor, alle eingeschalteten Hemmungen verschwinden, das lustbetonte Gefühl innerer Harmonie tritt wieder auf — der Kranke ist gesund. Die verdrängten Gefühlskomplexe sind nicht erzählbar, trotzdem aber für den kundigen Psychoanalytiker nicht ganz unsichtbar. Er merkt ihre Spuren im Gesichtsausdruck, im Mienenspiel usw., besonders aber im Traum des Kranken. Deshalb hat Simmel neben der psychoanalytischen Methode den hypnotischen Traum vielfach mit Erfolg zur P"eststellung der Veranlassung von Kriegsneurosen benutzt. Die im hypnotischen Traum eintretende außerordent- liche Gedächtnissteigerung (Hypermnesie) konnte er als das einfachste und wirksamste Mittel zur Beseitigung derjenigen Kriegsneurosen anwenden, die wirklich nur auf ein engbegrenztes bestimmtes Kriegserlebnis zurückzuführen sind. Die aktive Rückerinnerung genügt zur Befreiung von dem betreffenden Komplex und zur Heilung. Dagegen ist die rein körperliche Behandlung des seelischen Leidens, die sich auf das Symptom durch Massage, Elektrisieren usw. genau so konzentriert wie der beherrschende Aftekt selbst, als zweck- widrig zu bezeichnen, denn Arzt und Affekt wirken dabei gemeinsam als Bundesgenossen im Sinne einer Krankheitsverstärkung. Schwer zu erklären ist, warum Kriegserlebnisse, denen eine Mehrheit von Soldaten gleichmäßig ausgesetzt sind, bei manchen zu Neurose führen, bei anderen aber nicht. Die erbliche Veranlagung spielt dabei gewiß eine große Rolle. Je schwächer ein Intellekt ist, desto weniger wird er imstande sein, die ungewohnten Eindrücke zu verarbeiten. Simmel hält es auch für möglich, daß ein weiteres psychoanalytisches Erforschen der einzelnen Kranken (über die Beseitigung der Kriegsneurose hinaus) noch eine weiter zurückliegende Spaltung der Persönlichkeit aufhellen kann, bei der sich vielleicht das sexuelle Trauma in der Kindheit als bedeutsam erweisen könnte. Auf Einzelheiten, welche die beachtenswerte Schrift Simmel's bringt, kann hier nicht ein- gegangen werden. Man muß diese Darlegungen im Original lesen. H. Fehlinger. Literatur. K ü k e n t h a 1 , Prof. Dr. W., Leitfaden für das zoologische Praktikum. 7. umgearbeitete Auflage. Mit 174 Textabbildungen. Jena '18. G. Fischer. — 9 M. Goebel, Prof. Dr. K., Organographie der Pflanzen. 2. umgearbeitete Aufl. 2. Teil. Spezielle Organographie. 2. Heft: Pteridophyten. Mit 293 Textabbildungen. Jena '18. G. Fischer. — 12 M. Roland, Dr. J., Unsere Lebensmittel, ihr Wesen, ihre Veränderungen und Konservierung, vom ernährungsphysiolo- gischen und volkswirtschaftlichen Standpunkt gemeinfafllich dargestellt. 2. Aufl. Dresden und Leipzig 'iS. Th. Steinkopf. — 9 M. Demoll, Prof. Dr. R., Der Flug der Insekten und der Vögel. Eine Gegenüberstellung. Mit 5 Tafeln und 18 Text- abbildungen. Jena '18. G. Fischer. — 4,50 M. Lipschütz, Dr. AI., Über den Einfluß der Ernährung auf die Körpergröße. Mit 8 Abbild. Bern '18. M. Drechsel. — i,So M. Defant, Priv.-Doz. Dr. A., Wetter und Wettervorher- sage. Mit 142 Textfiguren und einer Karte. Leipzig und Wien 'iS. Fr. Deuticke. — 15 M. Sterzel, J. T., Die organischen Reste des Kulms und Rotliegenden der Gegend von Chemnitz. Leipzig '18. B. G. Teubner. — 12 M. Cohen-Kypser, A., Rückläufige Differenzierung und Entwicklung. Leipzig 'iS. J. A. Barth. — 2 M. Davis, W. M. und O estreich, K., Praktische Übungen in physischer Geographie. Textheft und Atlas. Leipzig und Berlin. B. G. Teubner. — 6,60 M. Willstätter, R. und Stoll, A., Untersuchungen über die Assimilation der Kohlensäure. Mit 16 Textfiguren und einer Tafel. Berlin '18. J. Springer. — 28 M. Kammerer,?., Geschlechtsbestimmung und Geschlechts- verwandlung. Zwei gemeinverständliche Vorträge. Mit 16 Ab- bildungen. Wien '18. M. Perles. — 4 K. Grubic, Dusan, Universal - Kausalprozeß als unser oberstes Naturgesetz. Mit 12 Textabbildungen und zwei Bei- lagen. In Kommission bei L. Hartman, Zagreb. — 6 M. Ihne, E., Phänologische Mitteilungen. Jahrgang 1915 und 1916. Darmstadt '16. Tabellen zur statistischen Wettervorhersage für Nieder- österreich und angrenzende Landstriche. Sommer (Juni bis August). Nach dem Verfahren von Stephan Kalten- brunner zusammengestellt von Dr. R. Sclineider. Wien '18. K. K. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. — 2 Kr. Ähren s, Dr. W., Altes und Neues aus der Unterhaltungs- malhematik. Mit 51 Textfiguren. Berlin 'iS. J. Springer. — 5,60 M. Brunswig, Dr. H., Die Explosivstoffe. Einführung in die Chemie der explosiven Vorgänge. Berlin und Leipzig '18. J. Göschen'sche Verlagshandlung. — 1,25 M. Linke, P. F., Grundlagen der Wahrnehmungslehre. Untersuchungen über die Bedeutung der Gegenstandstheorie und Phänomenologie für die experimentelle Psychologie. München '18. E. Reinhardt. — 15,60 M. Lebedinsky, Dr. N. G.," Darwin's geschlechtliche Zuchtwahl und ihre arterhaltende Bedeutung. Basel '18. Helbing und Lichtenhahn — 1,80 M. Isshalit: K. Andree, Über die absolute geologische Zeitrechnung im allgemeinen und ihre Förderung durch die fort- schreitende Kenntnis der Tiefscesedimente im besonderen. (17 Abb.) S. 513. — Bücheibesprechungen: Theodor Langenmaier, Lexikon zur alten Geographie des südöstlichen Äquatorialafrika. S. 518. Arthur Stentzel, Jesus Christus und sein Stern. S. 519. Ernst Simmel, Kriegsneurosen und „psychisches Trauma". S. 519. — Literatur: Liste. S. 520. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ,lgc „. Ba, Rehe 33. Sonntag, den 15. September 1918. Nummer S7. Über die absolute geologische Zeitrechnung im allgemeinen und ihre Förderung durch die fortschreitende Kenntnis der Tiefseesedimente im besonderen. nach einem [Nachdruck verboten.] Von Prof. Dr. K. Andree, Königsberg in Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft im Jla Mit 17 Abbildungen im Text. ortrage (Schluß.) Aus der großen Zahl der so mannigfaltigen Sedimentbildungen müssen wir an dieser Stelle diejenigen des Flachwassers ganz übergehen, ob- wohl diese ja, wie die Oolithsande, die Korallen- riffbildungen, die Kalkalgenbänke und anderen Banksedimente von eminenter Bedeutung für den Geologen sind. Unter den hemipelagischen Bildungen interessiert uns vor allem der dunkle oder blaue Schlick. Seine Farbe ist dunkelblau- grau oder Schieferfarben, seltener bräunlich bis grünlich. Sie wird hervorgerufen durch organische Substanzen und fein verteiltes Schwefeleisen, wel- ches organischen Zersetzungsprozessen seine Ent- stehung verdankt. Unter den klastischen Gemeng- teilen wiegen kleine Quarzsplitterchen vor, daneben zahlreiche andere Mineralien vom Festlande. Der Kalkgehalt schwankt zwischen geringen Spuren bis zu V:i des Ganzen und besteht außer aus benthonischen Organismenresten auch schon aus Planktonschalen. In gewissen Mittelmeeren (Euro- päisches und Rotes Meerj entsprechen dem Blau- schlick die kalkreichen, hellgefärbten Kalkschlicke, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen. Dort spielt die Tiefe für den Kalkgehalt keine Rolle. Anders im offenen Ozean. Hier ist der Kalkgehalt eine Funktion der Tiefe, wenn auch manche störende Momente eingreifen, die wir noch kennen lernen werden. Während bei den Blau- schlicken mittlerer Tiefe Kalkgehalt wohl nirgends vermißt wird, sind die bis in Tiefen von über 5000 m gefundenen Blauschlicke völlig kalkfrei. Ja, es ist von Bedeutung, daß ein Teil der tiefsten Einsen- kungen, die unsere Ozeane aufzuweisen haben, wie z. B. der RiukiuGraben im westlichen Pazifischen Ozean, mit solchen kalkfreien Blauschlicken be- deckt ist. Wir übergehen die um subaerische oder sub- marine Vulkane sich anhäufenden vulkanischen Abarten. Von Rot- oder Gelbschlicken sprechen wir, wo dem hemipelagischen Sediment soviel eisenoxydische, vom Festlande stammende Bei- mengungen eigen sind, daß die organische Substanz zur Reduktion derselben und zur Bildung von Schwefeleisen nicht hinreichte. Das ist z. B. vor den großen südamerikanischen Strömen der Fall, die aus Lateritgebieten kommen; aber auch im Chinesischen Meer, wo der gelbe Fluß, der Hoangho, seine mit Löß erfüllten Fluten dem „Gelben Meer" zuführt. Interessanter sind die durch Neubildung von Glaukonit charakterisierten Grünsand: und Grün- schlicke, vor allem, weil solche Sedimente im größten Maßstabe fossil vorkommen. Glaukonit ist ein ausgesprochen marines Mineral und, wenn auf primärer Lagerstätte liegend, stets ein Beweis für marine Bildung des umschließenden Sedimentes. Die dunkelgrüne Farbe dieses Eisenminerales ist auffallend, denn die Analysen ergeben, daß ein Eisenoxydmineral vorliegt. Im übrigen ist das Eisen mehr oder weniger durch Aluminium ersetzt. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Kolloid Abb. 3. Grün- oder Glaukonitsand, entkalkt. Aus 31S m Tiefe von der Agulhas-Bank vor Südafrika. „Valdivia"-Station 113. Stark vergröl3ert. Nach Murray & Philippi. (Besteht hauptsächlich aus hellgefärbten Quarzkörnern und dunklen, gut rundlichen Glaukonitkörnern.) von schwankender Zusammensetzung und ist die Doppelbrechung Spannungsdoppelbrechung. C a s - pari berechnete die Formel KFeSlaO^ • H.^O. Vor- kommen und chemische Zusammensetzung des Glaukonits lassen die Art der Bildung deutlich erkennen. Urgesteinsküste, welche im Kalifeldspat und Kaliglimmer K und AI liefert, starke Oxydation durch reißende Meeresströmungen, welche immer frisches, 0-haltiges Wasser zuführen. Das erste Stadium ist anscheinend ein Tonerdesilikat, in das sukzessive Eisen unter Verdrängung von Aluminium eintritt, während Kalium und Wasser adsorbiert 522 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 37 werden. Die reinsten Glaukonitsedimente lieferte bisher die Kalifornische Küste, andere die Agulhas- Bank vor Südafrika (Abb. 3). Wichtig ist die Paragenese mit Phosphoritknollen, welche auf Be- teiligung der Verwesung organischer Substanzen hindeuten. Aber Glaukonitkörner bilden sich nicht nur in Foraminiferenschalen (Abb. 4), wie man eine Glaukonitisclier Steinkern einer benlhonischen Fora- minifere, Truncatulinarcful- gens. Stark vergrößert. Nach Murray & Renard. Abb. 4. Zeitlang angenommen hat, sondern auch ganz un- abhängig von solchen, z. B. in Spältcheii von Quarz- körnchen. Die Bildung beider, des Glaukonites, wie der Phosphorite bedarf übrigens langer, geo- logischer Zeit, und ihr Vorkommen ist auf solche Gebiete des Meeresbodens beschränkt, an denen Carcharodon megalodou-Zalin, nur im Sclimelz erhallen, aus Rotem Tiefseeton. „Challenger"-Stalion 2S1. 4362 m. Pazi- fischer Ozean. Nach Murray & Renard. Abb. 6. Eine Coccolithenbildende Coccolithophoride (Coccolithophora pelagica (Wallich) (Loh- mann) des Planktons. Sehr stark vergrößert. Nach Murray X Renard. Abb. 7. i Rhabdolithen-bildende Coccolithophoriden (der Gattung Uiscosphacra (links) und Rhabdosphaera (rechts)) des Planktons. Sehr stark vergrößert. Nach Murray .^ Renard. Starke Meeresströmungen den Absatz von Sediment sehr verlangsamen und ein häufiger Wechsel der Wassertemperatur ein Massensterben von Organis- men hervorruft. Feinstes Gesteinsmehl, ins Meer verfrachtete Gletschertrübe, bildet neben größeren Gesteins- brocken, welcheTreibeis und Eisberge mitgeschleppt haben, die Hauptbestandteile der glazialmarinen Sedimente. Bemerkenswert ist Armut an Kalk- und Kieselorganismen, und das, obwohl die leben- den Pflanzen und Tiere im Plankton reichlich vor- handen sind. Das gilt insbesondere für die Ant- arktis, wo diese Sedimente infolge der gewaltigen Vereisung des antarktischen Kontinents eine große Rolle spielen. Hier werden alle Kalkschalen so- wohl des Benthos wie des Planktons durch das Oreiche Wasser des kalten antarktischen Ozeans aufgelöst. Die Diatomeenschalen aber werden durch Strömungen nach Norden verfrachtet, um sich dort anzureichern, wo wir ein Band von Diatomeen- schlamm den subantarktischen Ozean durchziehen sehen. In die küstenferne Tiefsee gelangen vom Fest- lande in der Hauptsache nur feinste Trübungen, wohl in kolloidaler Verteilung. Dafür nehmen hier aber die eigentlichen ozeanischen Komponenten zu. Von minerogenen besonders feinste vulka- nische Ascheteilchen und Fragmente von Bims- steinen subaerischer oder submariner Vulkane. Alles aber ist stark zersetzt ; denn das Wasser der N. F. XVII. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 523 Tiefsee steht unter hohem Druck; vor allem ver- mag es aber auch sehr lange zu wirken, da ihm die Böden bei der langsamen Akkumulation geo- ' mww-' Abb. 8. Globigerina bulloides d'Orb., eine planklonische Foruminifere mit Schwebestacheln. Stark vergrößert. Nach Murray & Renard. ,-«£»-2»- ^^ Abb. 9. Tropisch-indischer Globigerinenschlamra. 2524 m. „Valdivia"- Station 222. Stark vergrößert. Nach Murray & Philip pi. logische Zeiten hindurch ausgesetzt bleiben, so daß jungtertiäre Haifischzähne, z. B. der Gattung Carcharodon, — nur im Schmelz erhalten, während Wurzel und Vasodentin aufgelöst sind, — (Abb. 5) nahe an der Oberfläche liegen. Zu dieser mine- Globigerinenschlamui um Rande des Antarktischen Packeises. 3548 m. ,,Valdivia"-Slation 154. Stark vergrößert. Nach Murray & Philippi. Abb. II. Pteropodenschlamm aus dem nördlichen Indischen Oiean, der Nachbarschaft von Groß-Nicobar. 296 m. ,,Valdi' Station 208. Stark vergrößert. Nach Mu r ray & P h i 1 i Carcharodonzahn in Mangan knoUe aus Rotem Tiefsee ton. , Pazifischer Ozean „Challenger" - Station 281 4362 m. Stark vergrößert, Nach M u r r a y ^: Rena -524 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 37 rogenen Komponente gesellen sich die plankto- nischen Reste der Kalk- und Kieselschaler: Cocco- lithophoriden (Abb. 6 u. 7), Globigerinen (Abb. 8), sowie verwandte planktonische Foraminiferen, Pteropoden und Heteropoden, Diatomeen und Radiolarien. Wie ein unaufhörlicher Regen sinken nach dem Absterben die Schälchen dieser Plank- tonten zu Boden, zum Teil außerordentlich lang- ManganknoUe Abb. 14. Phillipsitkristalle mit Manganüberzügen au Südpazifischer Ozean. „Challenger"-Stal Stark vergrößert. Nach M u r r a y f Rotem Tiefseeton. m 276. 4298 in. ; Renard. sam, wegen der Kleinheit der Objekte, wegen der Schwebeeinrichtungen und auch wegen der Ver- wesungsgase, die sich in den zum Teil geschlossenen Schalen anhäufen werden. Schon während dieses Absinkens werden eine ganze Reihe zartschaliger Formen ausgemerzt, selbst Kieselschaler, so die Rhizosolenien, Chaetoceras, Skeletonemen'unter den Diatomeen, so die strontiumschaligen Acantharien und die zartschaligen Phaeodarien unter den Radio- larien. Diese Auslese geht aber auch am Meeres- boden weiter. Besonders betroffen werden natür- Radiolarienschlamm. (Mit .Xadulmon Kiesclschw.inim^ pazifischer Ozean. „Challenger"-Stalion 225. 81S4 vergrößert. Nach M'irray &: Renard. ..) West- . Stark 4 # Abb. 16. Diatomeenschlamra. Antarktische Eisgrenze. ,,Valdivia"- Station 140. 4036 m. Stark vergrößert. .Xach Murray & Philippi. lieh die kalkschaligen Reste, so daß, wie wir sahen, Pteropoden- und Heteropodenschalen schon unter- halb 3000 m im allgemeinen nicht mehr gefunden werden. N. F. XVII. Nr. 37 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S2S Nach dem Vorgange von Murray u. Renard hat man sich gewöhnt, mit 30^/0 KallMg< . N/ "NN Durch weiteren Abbau der Phylline gelangt man schließlich zu einer ihnen gemeinsamen Stamm- substanz, dem sogenannten Aetiophyllin von der empirischen Formel Cg^Hg^N^Mg, in der also der Komplex MgN^ wieder zu Tage tritt. Es erscheint nicht mehr überflüssig, diese scheinbar etwas fernliegenden Namen und Zahlen zu nennen, wenn daran erinnert wird, daß in der populären Literatur häufig ganz falsche und irreführende „Formeln des Chlorophylls" genannt werden, die in Wahrheit nur solche seiner Bruchstücke darstellen. ') Betrachten wir nun die Spaltprodukte des Chlorophylls, die unter dem Einfluß von Säure entstehen. Hier erhielten Willstätter und Hocheder bei vorsichtiger Behandlung des Chlorophylls mit Oxalsäure leicht ein Abbau- produkt, das frei von Magnesium ist, schwach basisch reagiert und wachsartigen Charakter trägt.*) Sie nannten es Phäophytin. Seine Lösungen sind olivbraun, also gar nicht dem Blattgrün ähnlich. Führt man jedoch nach bekannten chemischen Methoden in das Molekül des Phäophytins Metalle ein, z. B. Zink, Kupfer u. a., so wird es sofort wieder chlorophyllähnlich, seine Lösungen nehmen alsbald intensive Färbung an, so daß auf diese Weise sogar ein Verfahren zum Nachweis geringster Spuren gewisser Metalle gegründet worden ist. *) Man erkennt hieraus, eine wie ungemein wichtige Rolle der verhältnismäßig geringe Anteil an Mag- nesium im Chlorophyllmolekül spielt. Er ist der Träger der wunderbar schönen Farbe, in die die gesamte höhere Pflanzenwelt gekleidet ist. Hören wir jedoch weiter von den Eigenschaften des Phäophytins. Wie jedes Wachs ergibt es bei der Spaltung mit starken Basen einen Alkohol, Phyto! N. F. XVn. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 547 genannt. Und dieser Stoff Phytol hat höchst- wahrscheinlich verwandtschaftliche Beziehungen zum Isopren, der Muttersubstanz des — Kaut- schuks! Phytol tritt stets und bei allen grünen Pflanzen als eine Komponente des Chlorophylls auf, seiner Menge nach immer 7s des Moleküls ausmachend. Das Phäophytin, selbst also ein Bruchstück des Chlorophyllmoleküls, erwies sich als ein für die Untersuchung höchst aufschlußreicher Stoff. Bei der Spaltung mit Alkalien liefert es nämlich neben dem eben genannten Phytol noch andere höchst bemerkenswerte Stoffe. Anfangs war deren Zahl unabsehbar groß und wechselnd, so daß von irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten, die exakte Rück- schlüsse auf den inneren Bau des Chlorophylls gestattet hätten, nicht die Rede sein konnte. Willstätter's analytischem Geschick, das hier mit bewundernswerter Feinheit arbeitete, gelang es jedoch, nachzuweisen, daß das Gewirr von Spaltprodukten nur eine Folge der großen Empfind- lichkeit des Phäophytins gegen die meisten Rea- gentien bzw. Lösungsmittel ist. Durch immer verbesserte Scheidungsmethoden erhielt er schließ- lich zwei charakteristische und obendrein gut kristallisierende Spaltprodukte : Phytochlorin, Ca^Hg^O^N^, grün bis braun und Phytorhodin, C3^H340,N^, rot. Die Namen sind der Farbe ihrer Lösungen entnommen, beide Stoffe sind Carbonsäuren; und nun erhob sich die wichtige Frage: sind beide Stoffe Bruchstücke eines größeren Moleküls oder bildet das Phäophytin nur ein Gemisch von ihnen? Die Antwort bejaht die zweite Frage. Phäophytin hat etwa das gleiche Molekulargewicht wie jeder von beiden Stoffen, kann also, wie auch aus deren Bildung hervorgeht, nur ein Gemisch von ihnen sein. Daraus folgt aber, daß auch das Chlorophyll, das ja nur eine kompliziertere, aber prinzipiell gleiche Atomgruppierung wie das Phäophytin hat, ein Gemisch aus zwei Teilen sein muß, die beide schließlich Phytochlorin und Phytorhodin als Ab- bauprodukte liefern. Damit war eine schon 1864 von Stokes spektroskopisch erkannte und neuer- dings von M. Swett (Warschau),') einem hervor- ragenden Forscher, bestätigte Tatsache bestätigt, dal3 nämlich das Chlorophyll aus 2 Kom- ponenten besteht. Damit war der Weg zur endgültigen Erkennt- nis der inneren Struktur des Chlorophylls gewiesen. Die alkalischen Spaltprodukte, die Phylline, hatten das Magnesium als wesentlichen metallischen Be- standteil erwiesen, die bei Säurebehandlung ge- wonnenen Spaltstoffe hatten Phytol und Phyto- chlorin sowie Phytorhodin geliefert. W i 1 1 s t ä 1 1 e r ging nun daran, die beiden Komponenten des Farbstoffes zu trennen und vor allem darauf zu untersuchen, ob sie immer und allein das dar- stellen was wir eben als Chlorophyll bezeichnen. Zunächst arbeitete er ein einfaches Verfahren zur Isolierung des (noch unzerlegten) Chlorophylls aus frischen wie trocknen Blättern aus, das hier wieder- gegeben sei, da es sich gut als Vorlesungsversuch eignet: 2g getrocknete Brennesselblätter werden fein gepulvert und auf einem Nutschentrichter trocken angesaugt. Hierüber gießt man 10 — 20 ccm 85 volumprozentiges Azeton (am besten; statt- (/essen auch 90 "/„igen Alkohol) langsam in kleinen Mengen unter zeitweisem schwachen Saugen. In einer Minute hat man im schön grünen, intensiv rot fluoreszierenden Auszug fast allen Farbstoff. Natürlich kann man auch von größeren Mengen ausgehen. „In einer Vorlesungsstunde kann man aus einem Viertelkilogramm frischer Brennesseln ein Viertelgramm reines Chlorophyll isolieren" und zwar „so leicht wie ein Alkaloid oder einen Zucker". Das so gewonnene reine Chlorophyll vermochte Willstätter zu analysieren. Woher immer auch das untersuchte Chlorophyll stammte (Willstätter hat über 200 Pflanzen der ver- schiedensten Art untersucht) und zu welcher Jahres- oder Tageszeit der Farbstoff isoliert worden war, stets ergab die Analyse die gleiche Zusam- mensetzung von 4,5 */ß leinen Magnesiumoxyds und bei der Verseifung das normale Gemisch von Phytochlorin und Phytorhodin, daneben V3 Phytol, ein farbloses Öl. ' ) Die beiden Komponenten des Chlorophylls sind auf physikalischem und chemi- schem Wege leicht zu trennen, z. B. durch die verschiedene Löslichkeit in nichtmischbaren Flüssigkeiten : wasserhaltigen Holzgeist und Petrol- äther. Nach Willstätter besteht das Chloro- phyll aus einer blaugrünen Komponente a und einer gelblichgrünen Komponente b: Chlorophyll a ist C,,,H,,0,N,Mg Chlorophyll b ist Q^H.oOöNjMg; beide unterscheiden sich also um ein Molekül H.^O^ Wasser. „Diese Annahme ist allerdings nicht bewiesen", aber sehr gut begründet durch die oben skizzierte Analyse der Abbauproduk-te. Über die genauere Konstitution der beiden Komponenten lassen sich natürlich nur Vermutungen anstellen. Fest steht nur der grobe Umriß, daß beide Carbon- säuren sind, die mit dem Alkohol Phytol zu so- genannten „Estern" zusammengetreten sind, eine in der organischen Chemie ganz gewöhnliche Verbindungsgattung (unsere Fette z. B. sind Ester aus Fettsäuren und dem Alkohol Glyzerin). Man kann den Phytolrest in ihren leicht durch andere Alkoholreste, z. B. Methyl oder Äthyl ersetzen. Dann erhält man sogenannte Chlorophyllide. Ein Gemisch von ihnen stellt das in der Literatur viel genannte „kristallisierte Chlorophyll" dar, wunderbar schimmernde grün- bis blauschwarze Kristalle. — Neben dem grünen Chlorophyll kommen regel- mäßig vor die eingangs erwähnten gelben Begleit- stoffe, die ebenfalls Interesse haben. Man nennt sie zusammenfassend Carotinoide, da eines dieser Pigmente identisch ist mit dem Carotin, dem orangeroten Farbstoff der Möhre. Dies hat 1886 schon Arnaud vermutet, bestätigt haben es erst Willstätter und M i e g. *) Carotin ist 548 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. QoHsei neben ihmkommt vor sein Oxyd C^oHggOj, das sogenannte Xanthophyll. Beide Stoffe haben große Bindekraft für Sauerstoff. Da sie stets anwesend sind in den Blättern, so hat man ihnen eine Rolle im Assimilationsmechanismus der Pflanzen zugesprochen. Man denkt sich diesen etwa so: die Kohlensäure der Luft wird durch die Affinität der Magnesiumverbindungen angezogen, durch Chlorophyllkomponente a reduziert, wobei sich a zum Chlorophyll b oxydiert, worauf dieses durch Sauerstoffabspaltung wieder in a zurück- verwandelt wird, und sich ein Gleichgewichts- zustand zwischen a und b einstellt. Um die unmittelbare Sauerstoffabgabe von Chlorophyll b zu umgehen, wird nun weiterhin die Annahme gemacht, das sauerstoffliebende Carotin entziehe b den Sauerstoff und oxydiere sich dadurch zu Xanthophyll, welch letzteres endlich durch ein Enzym desoxydiert werde. Hingegen nimmt VV. Engel mann*) an, Chlorophyll und gelbe Pig- mente seien jedes für sich gesondert an der Assimilation beteiligt. Eingehende Studien über die Assimilationsmechanik veröffentlichen soeben R. Willstätter und A. St oll in ihrem Buche „Untersuchungen über die Assimilation der Kohlensäure" (Berlin, J. Springer). Schließlich sei noch erwähnt, daß durch Willstätter's Arbeiten zum ersten Male auch die Hypothese von Verdeil (s. oben) von der Verwandtschaft zwischen Blut- und Pflanzenfarb- stoff eine experimentelle Stütze gefunden hat. Wir nannten oben die Phylline, also Stoffe, deren Molekül dem des Chlorophylls noch weitgehend ähnlich ist. Sie sind strukturell identisch mit den Porphyrinen, den Abbauprodukten des Här- nins, des Blutfarbstoffes 1 Aetiophy Hin fs. oben) ist = Aetioporphyrin (CgjHggN^), in dem 2H durch Mg (Magnesium) ersetzt sind. Willstätter selbst zieht freilich nicht den Schluß einer nahen konstitutionellen Verwandtschaft zwischen Chloro- phyll und Härnin. Der Unterschied in der Natur von Magnesium und Eisen, dem Blutmetall, ist ihm zu groß, wie auch die Verschiedenheit im eigentlichenFarbstoffkern, die erst bei tiefgreifendem Abbau verschwindet. „Künftige Arbeiten über die Konstitution des Chlorophylls finden daher noch große Aufgaben." Noch sind wichtige Einzel- heiten aufzuklären, das schmälert aber nicht das sehr große Verdienst Willstätter's, die Chloro- phyllforschung überhaupt erst auf eine brauchbare wissenschaftliche Grundlage gestellt zu haben. Die Schwirigkeiiten bei seinen Untersuchungen waren groß. Umwandlungen des Chlorophylls bei der Extraktion werden schon durch Glas, selbst durch Bergkristallgefäße katalytisch begünstigt. Man mußte Platin- und Silbergeräte zu Hilfe nehmen Dem Geschick des Forschers war das auf die Dauer kein Hindernis. Die schönen Arbeiten liegen gesammelt vor in einem Buche: R. Will- stätter und Arthur Stoll, Untersuchungen über Chlorophyll (Berlin 1913, Springer), dem die angeführten Zitate entnommen sind. Die Lektüre bietet natürlich nur dem Fachmann den ganzen Genuß. Ihm jedoch soll das klassische Werk empfohlen sein. ') Annalen der Chemie 354. 205. 1907. ^) Annalen der Chemie 350. 48. 1906. '} Die Formel des Aetiophyllins z. B. gibt Prof. Kossei im „Kosmos" 1909 S. 146 als die des Chlorophylls an. *) Annalen der Chemie 354. 205. 1907. ^) .annalen der Chemie 396. iSo. 1913. *) Berichte d. deutschen botan. Gesellsch. 24. 316, 385. 1906. ') Annalen der Chemie 3S0. 177. 191 1. ") Annalen der Chemie 355. i. 1907. Carotin findet sich auch im Corpus luteum der Kuh (Escher, Zeitschr. f. phys. Chemie 83. 198. ]9I3), ein Isomeres, das Lycopin in der Tomatenfrucht (Willstätter und Escher, Zeitschr. f. physik. Chemie 64. 47. 1910). Ein Isomeres vom Xanthophyll ist das Lutein, der Farbstoff des Eigelbs (Willstätter und Escher, Zeitschr. f. physikal. Chemie 76. 214. 1912). Einzelberichte. Botanik. Die Erforschung der Pflanzenwelt Nordgrönlands ist durch die Forschungsreise Knud Rasmussens — die jüngst abge- schlossene zweite Thuleexpedition — erheblich gefördert worden. An der Hand der Tagebücher Dr. Thorild Wulffs, des im Grönlandeise um- gekommen Naturwissenschaftlers der Rasmussen- Expedition, hat Magister Pousild, der Leiter der dänischen wissenschaftlichen Grönland-Station, einen vorläufigen Bericht abgefaßt, der aus Diskö (Grönland) vom 24. März 191 8 datiert und im „Svenska Dagbladet" (28. Mai 191 8) veröffentlicht worden ist. Wulffs Aufzeichnungen umfassen die Zeit vom 5. April 1917 bis 29. August. Nach dem Aufbruche von der Thulestation ging der Marsch durch Inglefield-Land und Washington- Land, wo die Pflanzen noch alle im Winterzustande waren; am 30. Mai stieg die Temperatur zum ersten Male über den Nullpunkt, aber erst in der Mitte des Julis war die Pflanzenwelt voll entwickelt. Am 4. August wurde der Rückmarsch über das Inlandeis angetreten. Wulffs eigentliche bo- tanische Untersuchungen beziehen sich daher auf Halls Land an der Nordküste und die nördlicher gelegenen Teile. Da er viele Pflanzen im Winter- zustande sammeln mußte, konnte er die Be- stimmungen nicht durchführen; die Bearbeitung seiner Sammlungen wird daher wohl noch vieles Neue zu Tage fördern. Anscheinend hat er aber in der kurzen Zeit, die ihm zum Sammeln zur Verfügung stand, alle höheren Pflanzen aufgefunden, die dort zu erwarten waren, darunter seltene hocharktische Gewächse, deren Bestimmung be- reits als sicher gelten darf, so Pleuropoyon-, N. F. XVn. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 549 Hesperis- und andere Arten. Wulff selbst er- wähnt in seinen Aufzeichnungen 66 verschiedene Arten. Bisher waren an der ganzen Nordgrön- landküste nördlich vom Humboldtgletscher nur 29 Arten bekannt. Weiter hat Wulff zahlreiche IVIoose, Flechten, Süßwasseralgen und andere niedere Pflanzen aufgefunden; in dieser Beziehung war dieser Teil Grönlands so gut wie unerforscht. Der Reichtum an physiologischen und biologischen Beobachtungen Wulffs kann erst durch die Be- arbeitung seiner Tagebücher an der Hand der Sammlungen erschlossen werden; sie beziehen sich u. a., auf das Verhalten verschiedener Ge- wächse gegen tiefe Temperaturen, auf Ernährung und Fortpflanzung; beispielsweise hat Wulff zahlreiche Temperaturmessungen über und in der Nähe von vegetierenden Pflanzen angestellt. Auf dem eisfreien, 780 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Hochlande vor der Kante des Inlandeises fand Wulff überhaupt keine höheren Pflanzen; den einzigen Pflanzenwuchs bilden hier Moose und Flechten, und diese wachsen nicht auf den Kalkbergen, sondern auf losen Blöcken von Gneis und Diabas. Auch niederes Tierleben fehlt völlig; es ist also hier ein äußerst lebensarmes eisfreies Gebiet auf der nördlichen Halbkugel festgestellt worden, das als Gegenstück zu dem eisfreien Festlande am Südpol betrachtet werden kann. Nach dem Niederstiege vom Inlandeise untersuchte Wulff die Pflanzenwelt der Ostkante von Inglefield- Land, die gleichfalls bisher fast unbekannt im Gegensatze zu der weit besser erforschten West- seite war. Obwohl Wulff hier — es war in den letzten Augusttagen — todkrank, völlig er- schöpft und beinahe verhungert war, setzte er in den fünf Tagen, die er noch lebte, seine botanischen Untersuchungen mit erstaunlichem Eifer fort. Sammeln konnte er nicht mehr; so beschränkte er sich aufs Diktieren oder eigenhändige Auf- schreiben seiner Beobachtungen. Im ganzen hat er hier 40 höhere Pflanzen beobachtet. Die Westseite von InglefieldLand weist 82 Pflanzen- arten auf, wie vergleichsweise hinzugefügt sein mag. Der vorletzte Satz der Aufzeichnungen Wulffs enthält noch etwas Botanisches: „An- strengender Marsch bis 29. August 12 Uhr 30. Kein Wild gefunden. Ich halbtot. P'and aber Woodsia ilv." H. P. Hydrographie. Neue Bestimmungen über die Verdunstungsgröße freier Wasseroberflächen. Wir berichteten über die Ergebnisse der Forschungen auf diesem Gebiet zuletzt in dieser Zeitschrift Nr. 32 Bd. 31 (6. August 1916). Vor kurzem ist ein ausführlicher Bericht über Verdunstungs- messungen an dem Pyhäjärvi in Finnland er- schienen, *) dem wir folgende wichtige Ergebnisse entnehmen. ') E. Blomquist, Mesure de l'evaporation dans le Pyhäjärvi pres de Tammerfors en 1912 et 1913. Medd. frän Hydrografiska Byrän i. Finland IIT. Helsingfors 191 7. Der Pyhäjärvi liegt unweit Tammerfors, ist 35 qkm groß, sein Umfang beträgt 68 km, seine größte Tiefe, soweit bekannt 40 m , sein Volumen wird auf rund 270 Mill. cbm geschätzt, sein Einzugsgebiet auf 16900 qkm, die mitt- lere Meereshöhe ist 76,07 m über dem Spiegel der Ostsee bei Swinemünde. Mittels des be- kannten Wild 'sehen Evaporimeter wurden vom 1. Juni bis 30. August 191 2 sowie für die Zeit vom 1. Juni bis 23. November 191 3 die Verdunstungs- mengen des Seewassers an zwei nahe dem Ufer gelegenen Punkten bei Toppari und Sottka und zugleich an mehreren am Ufer selbst gelegenen Orten festgestellt. Die größte tägliche Ver- dunstungsmenge betrug 1912 in Toppari 9 und in Sottka 9,2 mm, 191 3 9,75 bzw. 8,8 mm für die auf dem See selbst aufgestellten Meßinstru- mente, während die auf dem Lande befindlichen kleinere Werte ergeben, besonders für das am Boden selbst eingelassene Instrument. Die ge- samte Verdunstungsmenge in Toppari betrug 19 12 für den Juli 147,6, für den August 94 mm, ent- sprechend einer täglichen mittleren Verdunstung von 4,76 bzw. 3,24 mm, für Sottka waren diese Zahlen 4,69 bzw. 3,01 mm. Im Jahr 191 3 waren die mittleren Mengen für Toppari im Juli 4,09, im August 2,74, im September 2,80, im Oktober I,I2 und im November 1,12, während für Sottka die entsprechenden Werte 3,24; 2,61; 2,83; 1,26; und 0,12 waren, also nur unerheblich abweichend. Die Sonnenscheindauer betrug in den Sommermonaten 1912 täglich im Durchschnitt 8,36 Stunden; 1913 dagegen nur 5,95 und auf diesen Umstand ist sehr wahrscheinlich die geringere Verdunstungsmenge des Jahres 1913 zurückzuführen. Es werden auch funktionelle Beziehungen zwischen der Luft- temperatur, der Insolation und der Nebelhäufigkeit einerseits, der Verdunstungsgröße aufgestellt, deren Sicherheit indes in der relativ nur kurzen Be- obachtungsdauer m. A. nach nicht gewährleistet wird. Größere Bedeutung muß man den Be- mühungen zuschreiben, die Ergebnisse der Be- obachtungen an den Instrumenten im See und auf dem Lande miteinander in Einklang zu bringen, doch scheint es noch immer nicht gelungen zu sein, sie auf eine wirklich brauchbare Formel zu bringen, die uns instand setzen könnte, die müh- samen und kostspieligen Versuche, auf dem See selbst zu messen, durch solche auf dem Lande zu ersetzen. W. Halbfaß. Zoologie. Die Teilung von Amoeba proteus. HofTentlich wird nun allmählich jenes allzu schema- tische Bild, welchesdie Teilung einer Amöbe nach vorausgegangener Streckung ihres Körpers und einfacher amitotischer Durchschnürung des Kerns zeigt, aus den Lehrbüchern schwinden, nachdem Doflein^) uns genauere Mitteilungen über den Teilungsvorgang der so häufig genannten Amoeba ') F. D o f 1 e i n , Die vegetative Fortpflanzung von Amoeba proteus Fall. Zoologischer Anzeiger Bd. 49, Heft 10, 1918. 550 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 38 proteus Pallas macht. Im einzelnen hat Doflein folgendes gefunden. Der Kern, welcher außer dem Kernsaft und einem achromatischen Netz- werk einen Binnenkörper und zahlreiche kleine, großenteils am Rande gelegene, stark färbbare, wahrscheinlich aus Chromatin bestehende Körner enthält, teilt sich unter Bildung einer richtigen Spindel, deren anscheinend ziem- lich starre Fasern zwar nicht gerade Chromosomen, aber doch chromosomenähnliche Körner nach zwei Seiten auseinanderziehen. Die Spindel ist ziemlich breit und kann in einzelne Bündel ge- teilt erscheinen, so daß sie fast einen multiplen Eindruck machen kann. An den erwähnten chromosomenähnlichen Körnern ist deutlich zu erkennen, daß sie, wie auch echte Chromosomen es tun würden, sich zweiteilen und somit ihre Hälften an den Spindelfasern auseinanderrücken. Sie stammen aus dem peripheren Teil des ruhenden Kerns. Der Teilungsvorgang erinnert hiernach an den der zeitweilig begeißelten kleinen Amöbenformen der Gattung Vahlkampfia. In den kugeligen Ruhezuständen, in welchen Amoeba proteus zur Teilung schreitet, teilt sich nun der Kern in der Regel nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal, auch fanden sich Teilungskugeln mit drei, vier, sechs und acht Kernen. Aus solchen Teilungskugeln gehen meist mehrere Amöben hervor. Die Spindelbildung und Teilung der Kerne verläuft offenbar viel rascher als die Körperteilung. In den Teilungs- kugeln zeigen die Kerne oft seltsame Formver- änderungen, die allerdings an Stadien amitotischer Teilungen gemahnen könnten. Doch sind solche nicht bewiesen. Ist demnach die typische Vermehrungsweise von Amoeba proteus die multiple Ver- mehrung im Ruhezustand unter mito- tischer Kernteilung, so handelt es sich bei diesem Ruhezustande doch keineswegs um eine Cystenbildung. Auch die Vermehrung in Teilungs- cysten ist für diese Amöbenart ehedem einmal beschrieben, aber nicht wieder bestätigt worden. Auf Irrtümer, wahrscheinlich verursacht durch Parasitismus, sind wohl ferner die meisten An- gaben über Sekundärkerne, Gametenkerne und ähnliche Bildungen im Plasma der Amöbe neben dem alten Kern zurückzuführen. Doflein stellt übrigens Erwägungen darüber an, ob der Kern unserer großen Amöbenart ein Polykarion im Sinne Hartmann's sein mag, ein polyenergiderKern, der etwa einer Vielheit kleinerer Kerne bei kleinen Amöbenarten entsprechen würde. Schon die Erscheinung der Spindel könnte dafür sprechen. V. Franz. Über künstliche Aufhebung des Spinnens der Arthropoden. Bei manchen Ameisenarten kommt es vor, daß die Larven keinen Cocon spinnen, so daß die Puppe nackt ist. In hohen Breitengraden und im Gebirge findet man oft bei F"ormica rufa sogar in ein und demselben Nest einen Teil der Puppen eingesponnen, während die übrigen frei liegen. Wheeler suchte dies damit zu er- klären, daß in solcher Umgebung die Entwicklung schnell vor sich gehen müßte und keinen über- flüssigen Aufwand von Energie gestatte. Ein Cocon würde außerdem gegen Wärme isolieren, was die Geschwindigkeit der Verwandlung herab- setzen würde. Im Zoologischen Anzeiger Bd. 50 191 8 Nr. I weist Dewitz darauf hin, daß die Spinntätigkeit auch bei Spinnen teilweise oder ganz fehlen kann, namentlich bei solchen, die an feuchten und sumpfigen Orten oder im Hoch- gebirge leben. Einen bestimmenden Einfluß scheint hier der Feuchtigkeitsgehalt der Luft aus- zuüben. Diese Annahme wird bestätigt durch ein ähnliches Verhalten bei Schmetterlingen. Gewisse Schwärmer und Eulen, die sich an feuchten Orten (am Boden oder in der Erde) verwandeln, stellen entweder nur ein leichtes oder gar kein Puppen- gespinst her. Durch Versuche hat Bataillon ge- funden, daß Seidenraupen in feuchter Luft kein Cocon spinnen. Diese Versuche hat Dewitz noch weiter ausgebaut. Er brachte erwachsene Raupen des Kohlweißlings, die von den Larven der Schlupf- wespe Apanteles glomeratus L. befallen waren, auf durchnässte Leinwand, in einen kleinen Be- hälter und deckte ein Stückchen ebensolcher Leinwand darüber. Unter natürlichen Verhält- nissen schlüpfen die Schmarotzer aus der Wirts- raupe aus und spinnen sofort schwefelgelbe Cocons, die allgemein als „Raupemeier" bezeichnet werden. Die Versuchstiere unterüeßen es nun, nachdem sie die Kohlweißlingsraupe verlassen hatten, diese Cocons zu spinnen, trotzdem sie mehrere Tage am Leben blieben. Es waren höchstens Anfänge zu bemerken, aber die Fäden waren blaß oder ganz weiß. Das Gleiche fand Dewitz bei der Gespinst- motte Hyponomeuta padellus (von Dewitz als H. variabilis bezeichnet) und Hyponomeuta evo- nymellus und weiter bei den erwachsenen Raupen des Goldafters sowie des Sauerwurmes unter den genannten Bedingungen. Die Raupen verpuppten sich ohne Cocon. Auch ganz junge Raupen des Goldafters, die aus ihren Winternestern genommen worden waren und in feuchtigkeitsgesättigte Luft gebracht wurden, fertigten kein neues Winternest an, sondern schlössen sich nur zu kleinen Häufchen zusammen, während die unter natür- lichen Bedingungen gehaltenen Kontrolltiere sich naturgerecht verhielten. Eine weibliche Kreuz- spinne spann wohl größere Fäden, doch ließ sie die abgelegten Eier unbedeckt. Im Gegensatz dazu spannen Raupen von Pieris brassicae und Pieris napi im feuchten Versuchsbehälter wie sie es im Freien gewohnt sind. Nach diesen Versuchen scheinen die meisten spinnenden Arhropoden in einer wassergesättigten Luft das Spinnen zu unterlassen. Doch gibt es andrerseits Arten, die auch unter solchen Ver- hältnissen spinnen. Dr. Stellwaag. N. F. XVII. Nr. 38 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Bücherbesprechungen. F. Zacher, Die Geradflügler Deutschlands undihreVerbreitung. Systematisches und synonymisches Verzeichnis der im Gebiet des Deutschen Reiches bisher aufgefundenen Or- thopteren-Arten (Dermaptera, Oothecaria, Sal- tatoria). Mit einer Verbreitungskarte. 287 S. Verlag G. Fischer in Jena. — Preis brosch. M. 10. Im Gegensatz zu den Schmetterlingen und Käfern, die mit ihrer bunten Farbenpracht und Formenfülle von jeher das Interesse der Liebhaber und Fachgelehrten in Anspruch genommen haben, ist den Geradflüglern verhältnismäßig immer nur wenig Beachtung geschenkt worden. Zwar fehlt es nicht an grundlegenden systematischen Werken, aber die Ökologie und die Verbreitung der Gerad- flügler innerhalb der Grenzen Deutschlands wurde bisher noch niemals von einem zuverlässigen Be- arbeiter in zusammenfassender Weise behandelt. Diese Lücke auszufüllen ist das Zacher'sche Werk bestimmt. Als Geradflügler gelten ihm nach dem Vorgange Brunner von Watten- wyls die Ohrwürmer (Dermaptera), Schaben (Blattodea), Fangheuschrecken (Mantodea), F"eld- heuschrecken (Acridiodea). Laubheuschrecken (Locustodea) und Grillen (Gryllodea). Bevor der Verfasser dazu übergeht, die Anzahl der in Deutschland heimischen und eingeschleppten Orthopteren-Arten zu besprechen und ihre Ver- breitung sowie Herkunft zu erörtern, nimmt er Stellung zu dem Artbegriff. Wenn Lotsy in neuerer Zeit den Standpunkt vertreten hat, daß alle auch nur durch eine einzige Erbanlage, ein „Gen", unterschiedenen Formen als verschiedene Arten (Genotypen) anzusehen seien, so daß z. B. auch die zahlreichen, namentlich bei Heuschrecken so oft zu beobachtenden Färbungsabweichungen, falls sie sich experimentell als auf genotypischen Verschiedenheiten beruhend herausstellen sollten, zur Aufstellung ebenso vieler Arten Veranlassung geben müßten, so ist demgegenüber Zacher zweifellos mit Recht der Meinung, daß eine der- artige Artdefinition für die Praxis systematischer und faunistischer OrthopterenP'orschung nicht verwendbar ist. Andererseits hält er es aber auch für zu weit gegangen, wenn die Färbungsab- weichungen von anderer Seite nur als „Zustands- formen" angesehen und ihnen damit jede Be- deutung für die Systematik abgesprochen wurden. Für praktische Zwecke dürfte daher die von Plate vorgeschlagene Artdefinition, die zugleich den wissenschaftlichen Anforderungen gerecht wird, die brauchbarste sein. Sie lautet: „Zu einer Art gehören alle Individuen, welche die in der Diagnose festgestellten Merkmale besitzen, wobei voraus- gesetzt wird, daß sich die äußeren Verhältnisse nicht ändern ; ferner alle davon abweichenden In- dividuen, die mit ihnen durch häufig auftretende Zwischenformen verbunden sind, ferner alle, die mit den vorgenannten Formen nachweislich in genetischen Zusammenhang stehen oder sich durch Generationen fruchtbar mit ihnen paaren." Die Entscheidung, ob Art oder Varietät, ist gerade bei Orthopteren oft schwer zu treffen, zumal es hier Arten gibt, die in gewissen Gebieten scharf getrennt, in anderen aber durch eine vollkommen lückenlose Serie von Übergängen miteinander verbunden werden. Im Gegensatz zu der fluk- tuierenden oder transgressiven Variabilität dieser Arten steht eine diskontinuierliche Variabilität anderer Arten, die sich vorzugsweise hinsichtlich der Flügellänge geltend macht, so daß man bei ihnen mikroptere und makroptere Formen unter- scheiden kann. Der amerikanische Forscher Morse meinte, die Kurzflügeligkeit als Anpassung an den Aufenthalt in Wäldern deuten zu können, ein Er- klärungsversuch, der nach Zacher aber bei den europäischen Orthopteren vollkommen versagt, weil bei ihnen gerade die Mehrzahl der kurz- flügeligen Formen nicht im Walde, sondern auf offenem Gelände ihre Standorte hat. Dem Autor zufolge ist es daher nicht ausgeschlossen, daß klimatische Einflüsse es gewesen sind, welche die Entstehung von kurzflügeligen Mutationen bei den Orthopteren bedingt haben. Auch die Färbungs- unterschiede werden eingehend besprochen. Hier zeigt es sich im allgemeinen, daß die Auswahl der auftretenden Färbungen keineswegs, wie es bei gewissen Arten scheinen könnte, regellos ist, sondern in ganz bestimmten Bahnen verläuft. Ferner ist bemerkenswert, daß die Färbung systematisch ganz entfernt stehender Arten, die in gleicher Umgebung sich aufhalten, oft eine geradezu auffällige Übereinstimmung aufweist. Im Gegensatz zu der mit der Umgebung meist voll- kommen harmonierenden Färbung aller im Ruhe- zustand sichtbaren Körperstellen stehen die bunten weithin leuchtenden P'arben anderer Teile, die das Tier erst beim Auffliegen zeigt. Ob letztere Fär- bungen im Sinne von Vo sseler als Erscheinungen der „Kontrast-Mimikry" gelten können, oder ob sie, wie Morse meint, sexuelle Bedeutung haben, steht noch dahin. Sicher ist, daß sie der Be- einflussung durch physikalische P^aktoren zugänglich sind, und so dürften wohl derartige Färbungen „physiologisch bedingt sein und aus inneren, uns unbekannten Ursachen sich unter dem Einfluß klimatischer Faktoren ändern." Nach p-eststellung der Zahl der in Deutschland vorkommenden Gerad- flüglerarten — sie ist auf 134 zu veranschlagen — geht Verfasser dazu über, die Areale der deutschen Orthopteren- Arten und die Einteilung Deutschlands in faunistische Gebiete zu erörtern. Vier ver- schiedene Regionen, das Alpengebiet, das süd- deutsche Gebiet, das nordostdeutsche Gebiet und das formenarme nordwestdeutsche Gebiet, die je von ganz bestimmten charakteristischen Arten be- wohnt werden, lassen sich unterscheiden. Nur sehr wenige Arten dürften auch während der Eis- zeit sich innerhalb Deutschlands auf Tundren und 552 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 38 Wiesen zwischen den Rändern der Vereisungs- gebiete gehalten haben, die überwiegende Mehr- zahl hat erst durch Zuwanderung in Mitteleuropa Eingang gefunden. Gemäß ihrer Herkunft lassen sich drei verschiedene Artengruppen bei den Orthopteren unterscheiden: i. die südwestliche, mediterrane oder besser „lusitanische" Gruppe; 2. die südöstliche oder pontische Gruppe; 3. die nordöstliche oder sibirische Gruppe. Rein arktische Arten, die nur im hohen Norden, nicht aber gleichzeitig auch in den Alpen vorkommen, sind nur spärlich vertreten. Die in Lappland vor- kommenden Orthopteren bevölkern bei uns die Bergwiesen und Hochmoore in fast gleicher Zu- sammensetzung, ein schöner Beleg für die Ansicht, daß die Moore Zufluchtsorte für die Zeugen der Eiszeit sind. Der Verfasser weist ferner auf die starke Abhängigkeit unserer Fauna von der russisch-sibirischen hin. Er hält die vielfach ver- wendete Bezeichnung „baltische Formen" für un- zutreffend, weil es sich um Formen handelt, die der sibirischen nordöstlichen Wandergenossenschaft angehören und keineswegs aus den nördlichen Küstenländern stammen. Erörterungen über die mutmaßliche Zeit, in welcher die Einwanderungen erfolgt sind, sowie Betrachtungen über eine mehr insulare Verbreitung gewisser Arten, bilden den Schluß dieser sehr anregenden faunistischen Dar- legungen. Die folgenden Abschnitte der allgemeinen Einleitung behandeln Verbreitungshemmnisse, Ab- hängigkeit von Klima, Boden und Pflanzenwuchs, Lebensgemeinschaften, die Beziehungen der Gerad- flügler zum Menschen, Verschleppung durch den Handel, schädliche Arten, Hausbewohner sowie das Auftreten der Geradflügler im Kreislauf des Jahres. Den Hauptteil des Buches bildet ein sehr sorgfältiges Verzeichnis der Arten, ihrer Synonyma und ihrer Fundorte, dem auch noch eine tabellarische Übersicht über die Verbreitung der deutschen Geradflügler-Arten innerhalb des palä- arktischen F"aunengebiets angefügt ist. Schon ein flüchtiger Einblick in dieses Verzeichnis lehrt, wie erstaunlich lückenhaft noch unsere derzeitigen Kenntnisse von der Verbreitung der einheimischen Geradflügler sind. Hierfür nur ein Beispiel. Nach Zacher ist die Waldgrille (Nemobius sylvestris Bosc.) in Brandenburg erst einmal in Gestalt einer halberwachsenen Larve in der Dubrov aufgefunden worden. Es handelt sich hier um eine wenig be- achtete Grille, deren häufiges Vorkommen in der Nähe Berlins (Schlachtensee und Umgebung von Potsdam) Referent schon seit Jahren beobachtet hat. Ähnlich liegt es in vielen anderen Fällen. Somit kann jeder an der Hand des Zacher - sehen Werkes sich ein Bild von dem Stand unseres Wissens über die Verbreitung der Geradflügler machen und dazu beitragen, daß die hier be- stehenden Lücken allmählich ergänzt werden. R. Heymons. A. Defant, Wetter und Wettervorher- sage. 290 S. mit 142 Fig. im Text und einer Karte. Leipzig und Wien 191 8. Franz Deuticke. — 15— M. Seit dem letzten Erscheinen des klassischen Werks van B ebb er 's sind bereits 20 Jahre ver- gangen. Seitdem sind auf dem Gebiet der Wetter- kunde große Umwälzungen eingetreten, ins- besondere da durch die rasche Entwicklung des Luftfahrwesens eine eingehende Erforschung der freien Atmosphäre notwendig wurde. Das vor- liegende Werk bietet eine Zusammenfassung alles dessen, was seit der Jahrhundertwende neu erreicht wurde, und was von dem alten Bestand der Meteorologie sich als brauchbar erwiesen hat. Es handelt sich um ein rein für die Praxis bestimmtes Buch. Der erste, umfangreichste Teil handelt von dem Wetter, d. h. den Zusammenhängen der ein- zelnen meteorologischen Elemente untereinander. Eine Reihe von typischen Isobarenlagen, ihre Änderungen und die durch sie bedingten Witterungserscheinungen werden ausführlich be- sprochen. Darauf wird im zweiten Teil die Wettervorhersage aufgebaut, die verschiedenen im Gebrauch befindlichen Regeln dargestellt und ihr Wert statistisch und theoretisch begründet; schließlich wird an zwei Beispielen ihre Anwendung gezeigt. Der letzte Teil handelt von den Witterungs- erscheinungen längerer Zeiträume. Überall hat sich der Verf. auf kurze klare Darstellung der Tatsachen an Hand von charakteristischen Bei- spielen beschränkt. Bezüglich der theoretischen Ableitungen wird stets mit reichen Literaturan- gaben auf die Originale verwiesen. Das Buch bietet so eine dankenswerte Zusammenstellung unseres gegenwärtigen Wissens vom Wetter. Es sollte in der Bibliothek keines praktischen Meteoro- logen fehlen. Scholich. Diels, Prof. Dr. L., Pflanzengeographie. 2., um- gearbeite Auflage 191 8, Sammlung Göschen — I Jl Dieses ganz vortreffliche Bändchen gibt in wohlgeordneter,^ klarer und anschaulicher Dar- stellung einen Überblick über die leitenden Ideen und Tatsachen des Gesamtgebietes der Pflanzen- geographie, der Laien wie Fachgelehrten in gleicher Weise warm empfohlen werden kann. Miehe. Inhalt I A. March, Die Erforschung des Atominnern. (6 Abb.) S. 537. Leopold Katscher, Gedenkblatt zu August Foreis 70. Geburlstage. S. 543. Hans Heller, Das Chlorophyll. S. 545. — Einzelberichte: Pousild, Die Er- forschung der Pflanzenwelt Nordgrönlands. S. 54S. E. Bloraquist, Neue Bestimmungen über die Verdunstungsgröße freier Wasseroberflächen. S. 549. Doflein, Die Teilung von Amoeba proteus. S. 549. Dewitz, Über künstliche Auf- hebung des Spinnens der Arthropoden. S. 550. — Bücherbesprechungen: F. Zacher, Die Geradflügler Deutschlands und ihre Verbreitung. S. 551. A. Defant, WeUer und Wettervorhersage. S. 552. L. Diels, Pflanzengeographie. S.553. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Neue Folge 17. der ganzen Reihe I Sonntag, den 29. September 1918. Nummer 39. Über das Klima der diluvialen Eiszeit und der Interglazialzeiten. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Wilh. R. Eckardt, Wetterdienstleiter und I. Assistent am Meteorologischen Observatorium Essen. Eduard Brückner ist einer der ersten ge- wesen, der in seinem epochemachenden Werke: „Klimaschwankungen seit 1700 nebst Bemerkungen über die Klimaschwankungen der Diluvialzeit" (Wien und Leipzig 1S90) das Wesen der Eiszeit richtig erkannte. Nach ihm ist einer der hervor- stechendsten Züge, welche die Gletschererschei- nungen der diluvialen Eiszeit auszeichnen, die Allgemeinheit der Erscheinung, wie sie vor allem auf der von Berghaus entworfenen Karte der Eisverbreitung von einst und jetzt uns entgegen- tritt. Die wesentlichen Züge der Gletscherver- breitung zeigen nach dieser Karte, daß die Eiszeit im allgemeinen sich in einer Steigerung der heutigen Vergletscherungen äußerte. J. Walther hat in seinem Buche „Das Gesetz derWüstenbildung"(2. Aufl. Leipzig 191 2, S. 300 ff.) gezeigt, daß sich bei einer Zu- oder Abnahme der Sonnenwärme der Kreislauf des Wassers auf unserer Erde in der humiden und pluvialen Zone nur wenig ändert, dagegen um so mehr in der nivalen und ariden Region. Es braucht an dieser Stelle wohl kaum näher darauf hingewiesen zu werden, daß die wenigen Vertreter der Ansicht, die Eiszeit sei durch eine erhöhte Sonnenwärme hervorgerufen worden, nicht Recht behielten. Viel- mehr ist es heute außer allem Zweifel, daß die Eiszeit durch eine Temperaturerniedrigung hervor- gerufen wurde. Und zwar setzt eine Verminderung der Sonnenwärme — oder wie wir vielleicht besser sagen, der Lufttemperatur — die Verdunstung herab. Der absolute Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre wird geringer, so daß die Nieder- schläge an Ergiebigkeit abnehmen müssen. Gleich- zeitig müssen infolge der niedrigeren Temperatur die Gletscher und Binneneisdecken wachsen und trotz geringerer Nachschübe infolge verminderten Niederschlagsreichtums sich fortgesetzt vergrößern. Eine ähnliche Wirkung zeigt sich gleichzeitig an dem Wasserreichtum der Wüstenflüsse und der abflußlosen Seen. Ihr Spiegel steigt und ihre Wassermenge nimmt zu, ohne daß vermehrte Niederschläge fallen, und zwar nur deshalb, weil Regenwasser und Schnee weniger stark verdunsten. So ist für die Herabdrückung der Schneegrenze zur Eiszeit in erster Linie oder gar ausschließlich die damals an der Erdoberfläche stattgeiundene Tem- peraturdepression verantwortlich zu machen. Wäre dagegen die Feuchtigkeit für die Senkung der Schneegrenze der maßgebende Faktor gewesen, so hätte z. B. die wärmere und feuchtere Ostseite der Cordilliere im südlichsten Südamerika zur Eiszeit stärker verschneit und vergletschert ge- wesen sein müssen als die kühleren Westabhänge, was aber nicht der Fall war. ^) Ein sehr wertvolles spezielleres Ergebnis für unsere Frage haben neuerding auch die Untersuchun- gen von V. Paschinger-) gezeitigt, nach denen im extremen Klima die Temperatur für die Lage der Schneegrenze maßgebender ist als im ozeanisch gemäßigten, indem nur in Gebieten mit sehr reichem Schneefall die Wirkung der Temperatur zurücktritt, während doch auf der Erde sowohl in der Breiten- wie Längenrichtung der Einfluß der Wärme auf die Hohe der Schneegrenze im allgemeinen größer ist als der der Niederschlagsmenge. Nur dort also, wo heute die Schneegrenze schon tief liegt, und wo zur Eiszeit durch ihre Herabdrückung große Flächen Landes in das nivale Klima rückten, kam es zu ausgedehnten Vergletscherungen, während dort, wo sie hoch liegt, also in den warmen oder trocknen Gebieten, durch ihre Herabdrückung nur kleine isolierte Erhebungen in ihr Bereich einbe- zogen und so nur kleine Gletscher gebildet wurden. Daher ist heute, und so war es auch zur diluvialen Eis- zeit, die zwischen 70" und 80" N. Br. in der Um- gebung des Atlantischen Ozeans das für die Gletscher- entwicklung praedisponierte Gebiet der Erde. Für die Entstehung der Eiszeit hat man bereits frühzeitig Schwankungen in der Sonnen- wärm e verantwortlich machen zu müssen geglaubt. Allein wenn sich auch solche Schwankungen von kleinem Ausmaß in etwa 35 jährigen Perioden in mehr oder weniger deutlicher Folge wiederholen, so fehlt doch in der Geschichte der Erde eben ein für allemal jeder Zusammenhang mit der Ge- schichte ihrer Sonne. Denn wir wissen in keiner Weise etwas von einer größeren Wärmesumme, welche die Sonne, als sie noch jünger war, hätte geben können ; auch in den ältesten Versteinerungen ist nichts von den Wirkungen einer ehedem heißeren Sonne zu erkennen. Erst in vielen Zehn- tausenden von Jahren wird es einmal möglich sein, mit einiger Sicherheit anzugeben, ob es auch perio- discheSchwankungender Sonnenwärme von großem Ausmaß gibt. Bis dahin liegt die Hypothese großer geologischerSchwankungenderSonnenwärmeaußer- halb aller Verwertbarkeit für die Geologie selbst. Jeder Paläoklimatologe, der zu dieser allerdings sehr bequemen Hypothese seine Zuflucht nimmt, begibt sich in das Reich der Phantasie. Mit Recht be- ') W. Sievers, Die heutige und die frühere Verglet- scherung Südamerikas. Vortrag, geh. auf der 83. Vers, deut- scher Naturf. und Ärzte zu Karlsruhe 191 1. S. 18. -) Die Schneegrenze in verschiedenen Klimaten. Peter- raanns MiUeilungen. Erg.-Hft. Nr. 173. Gotha 1912. S54 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 39 merkt daher J. Walther, ^) daß uns die geolo- gische Gegenwart zwar manche Fingerzeige in dieser Hinsicht gebe, um den Charakter der eis- zeitlichen Zwischenphasen zu verstehen, aber auf keinen Fall ein wirkliches Äquivalent. „Denn wenn wir an der Stirn der Alpengictscher be- obachten, daß sich das Eis hier verschiebt, dort zurückzieht, so lassen sich doch diese Oszillationen nicht ohne weiteres in Parallele setzen mit den interglazialen Regressionen des Eises." In zweiter Linie sollten es Polverschie- bungen gewesen sein, die das diluviale Eiszeit- phänomen hervorgerufen hätten. Allein, unter allen Erscheinungen, aus deren Verbreitung man auf Polverschiebungen zu schließen pflegt, ist das Gletscherphänomen selbst das für diesen Zweck am allerwenigsten geeignete, worauf Fr. v. Kerner''') ausführlich hingewiesen hat. Denn wenn wir in den verschiedenen Erdperioden Umschau halten, z. B. im Mesozoikum, so finden wir keine Stelle der Erdoberfläche, die zu jener Zeit vereist gewesen wäre, wo immer wir auch die Pole hinverlegen mögen, oder wenn wir in der Erdgeschichte noch weiter rückwärts gehen, finden wir gar die merk- würdige Tatsache, daß die permokarbonen und zum Teil auch die unterkambrischen Vereisungen überhaupt nicht bipolar lagen, sondern dem Äquator sehr genähert waren und größtenteils in die Passat- zonen zu liegen kamen. Die maximale Entfaltung der Gletscher in der Gegenwart ist aber, wenigstens was die Nordhalb- kugel anlangt, ebensowenig wie die Entwicklung der niedrigsten Wintertemperaturen an die Gegen- den des geographischen Poles geknüpft. Der Mittelpunkt des arktischen Gletscherkranzes liegt zwischen 70" iind 75" N.Br. nahe der Ostküste von Grönland, also weit ab vom geographischen Pol. Das Zentrum der nordhemisphärischen diluvialen Eiskalotte befand sich in ungefähr gleicher Breite nahe der Westküste von Grönland. „Es hat demnach seit der Eiszeit keine Breitenver- schiebung desarktischen Vergletscherungspoles statt- gefunden", meint Fr. v. Kerner, „und die zum heutigen Nordpol sehr exzentrische Lage des Mittel- punktes der diluvialen Eiszeitkalotte kann somit nicht als Argument zugunsten einer seit der Eiszeit statt- gefundenen Polverschiebung gelten. Sie ist im Gegenteil als Beweis für eine der heutigen sehr ähnliche eiszeitliche Lage des Nordpols in Anspruch zu nehmen." Schon aus demselben Grunde ist aber auch die W e g e n e r 'sehe Verschiebungshypothese, *) auf die diluviale Eiszeit angewandt, ein Unding, ganz abgesehen davon, daß der von Wegener ange- nommene Zusammenhang von Nordamerika — Grön- land— Nordeuropa— Asien wohl kaum eine so ge- waltige Vergletscherung hätte bedingen können. ') a. a. O. S. 318. ') Sind Eiszeiten durch Polverschiebungen zu erklären? Bemerkungen zu W. Eckard t's Klimaproblem. Verh. der k. k. geolog. Reichsanstalt, Wien 1909, Nr. 12. ') Vgl. A. Wegener, Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Sammlung Vieweg. Braunschweig 1915. wie es die diluviale war. Sind doch wohl auch die permokarbonen Vereisungsherde Südafrikas, Südaustraliens und Indiens aus demselben Grunde wohl kaum als letzte randliche Ausläufer einer riesigen, weit über den Wendekreis hinausreichen- den Eiskappe aufzufassen. Wenn die heutige Antarktis stark vergletschert ist, so hängt das aufs engste damit zusammen, daß sie hochgebirgig und ringsum von einer ganz meerbedeckten Subpolarzone umgeben ist. In Nordosteuropa dagegen, wo Flachland und Kontinentalklima auf- zutreten beginnen, erlöschen auch die diluvialen Gletscher. Es darf daher auch die Ansicht Walther 's nicht unwidersprochen bleiben, die er in seinem Buche „Gesetz der Wüstenbildung" *) ausge- sprochen hat: „Wenn wir die Ausbreitung der diluvialen Eis- decken im Norden von Europa und Amerika auf einer Karte eintragen, dann bilden sie eine vom Atlantik durchschnittene, nahezu kreisförmige Fläche. Aber die Peripherie dieses Kreises schneidet den Polarkreis und ihr Mittelpunkt liegt etwa 12" südlich des Nordpols in der Nähe von Spitzbergen. Ich glaube, daß man diese Tatsache so deuten muß, daß die große diluviale Schneezeit nicht durch eine Veränderung der Sonnenwärme bedingt war, sondern gleichzeitig durch eine Polverschiebung in dem oben angeführten Sinne. Und ich möchte hier wieder an die roten lateritischen Verwitterungs- decken erinnern, die bis zum 18. Breitengrad in die nubische Wüste hineinreichen. Die roten Zwischenschichten in den Absätzen des Nilsees von Theben machen wahrscheinlich, daß diese Verschiebungen der tropischen Klimazonen im Diluvium erfolgt sind." Abgesehen von den Einwänden v. Kerner's widerspricht sich J. Walt her bei dieser Hypo- these übrigens selbst insofern, als ja bei der von ihm angenommenen Polverschiebung die betreffende Gegend der nubischen Wüste dem Äquator ferner gelegen hätte als heute und somit ihre Lage in der ariden Passatzone eine noch weit ausgespro- chenere als heute gewesen wäre. Und weiter fährt Walther fort: „Im Zusam- menhang mit der „Terra Rossa" der Apenninen- halbinsel und dem „Feretto" am Südhang der Alpen, mit der Flora der Höttinger Breccie und manchen anderen Anzeichen scheint es mir, daß auch ein Teil der merkwürdigen klimatischen und biologischen Veränderungen, die uns aus der Diluvialzeit über- liefert sind, auf Polverschiebungen zurückgeführt werden darf." Ich möchte dem entgegenhalten, daß in einfacherer Weise der infolge des zur Diluvialzeit geänderten Zyklonenzugstraßensystems im Alpengebiet häufiger aufgetretene Nordföhn das Zustandekommen des „F"erretto" und die Nieder- schlags- und Bewölkungsverhältnisse namentlich desWinters auch dasVorkommen \on Rhododendron poniicum in der Höttinger Breccie erklären können. ') S. 321/22. N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 555 Schließlich ist aber auch noch das sehr unwahr- scheinlich, daß die Terra Rossa sich in einem polnäheren Gebiete gebildet haben sollte. Wir werden viel eher annehmen müssen, daß lediglich der veränderlichere Witterungscharakter von da- mals gegen heute, d. h. das häufigere Wechseln zwischen kurzen Regengüssen und starkem, schnell trocknendem Sonnenschein, wie es in der Gegen- wart nur in der kälteren Jahreszeit im Mittelmeer- gebiet zu herrschen pflegt, die Entstehung der Terra Rossa begünstigte. Denn wenn auch das humide Gebiet an sich allein befähigt ist, Rot- erdebildungen zu erzeugen, nicht aber die aride Zone, so spielen dennoch die Bedingungen des ariden Klimas für das Zustandekommen der Rot- erde eine besondere und entscheidende Rolle, ') vor allem eben auch die Wärme, wie Walt her selbst der Ansicht ist bezüglich der Entstehungen der lateritischen Bildungen, zu denen eben auch Terra Rossa und Ferretto gehören. Was die Kohlensäurehypothcse von Arrhe- nius anlangt, die von keinem energischer ver- treten und auf die geologischen Klimate anzu- wenden versucht wurde als von Frech, so müssen wir mit Philippi, Chamberlain, Salis- bury u. a. zu dem Schlüsse gelangen, daß sich im Gegensatz zu Frech 's Ansicht ein völliges Versagen der vulkanischen Tätigkeit im Diluvium nicht wahrscheinlich machen oder gar beweisen läßt. Zwar waren die vulkanischen Ausbrüche im Diluvium schwächer und weniger zahlreich als im Tertiär, aber stärker und weiter verbreitet als in der Fostglazialzeit. „Auf keinen Fall aber gibt", wie Philippi^) treffend bemerkt, „der Vulkanis- mus einen sicheren Baugrund für eine Erklärung der jüngsten Eiszeit ab." Fällt doch auch das Maximum des Vulkanismus nicht in den Anfang des Tertiärs, wo es am wärmsten war, sondern schon in die kühlere Mitte dieser Erdperiode; die starke vulkanische Tätigkeit hält im Miozän noch an, als die Kohlenbildung bereits abgeschlossen war. Daher darf die Ursache der Abkühlung nicht im Verbrauch der Kohlensäure zur Bildung von Kohlenlagern gesucht werden. Der ursächliche Zusammenhang wäre vielmehr umgekehrt. Das Primäre müßte die Klimaschwankung, das Sekun- däre die Kohlenentwicklung sein. Es kommt hinzu, daß auch für die Steinkohlenbildung der Einwand zu erheben ist, daß der Höhepunkt der Eruptionstätigkeit erst in die Zeit des Rotliegenden fällt, ") also lange nach Abschluß des produktiven Karbons. Ebensowenig wie die Kohlensäure- hypothese zur Erklärung der warmen Erdperioden geeignet ist, kann sie demnach zur Lösung des Eiszeitproblems beitragen. Der Zusammenhang ') Vgl. hierüber: E. Blanck, Ein Beitrag zur Entstehung der Mediterranroterde usw. Geol. Rundschau Bd. VII, H. 1/2. 1916. '') Über einige paläoklimatische Probleme. Neues Jahrb. f. Min., Geol. u. Paläontol. Beil. Bd. 29. Stuttgart 1 910. S. 123. ') Vgl. hierüber; A. Danneaberg, Geologie der Stein- kohlenlager. I. Tl. Berlin 1908. zwischen Erdenklima und Gebirgsbildung ist viel- mehr ein ganz anderer: Wie die permokarbone Glazialzeit dem Gebirgs- bildungsprozeß in der Steinkohlenzeit folgte, so folgt auch die diluviale Eiszeit den mächtigen Faltungen der Erdrinde zur Tertiärzeit. Das ist eine unumstößliche Tatsache. Zur Eiszeit erhoben sich vor allem auch die europäischen und nord- amerikanischen Festlandssockel zum Teil höher über den Meeresspiegel. Die Gebirge und höher gelegenen Kontinentalmassen mußten sich also da, wo die Niederschläge überwiegend in Form von Schnee fielen, mit Eis bedecken. Das waren vor allem das skandinavische Gebirge, die Alpen und das nördliche Nordamerika. Zwischen diesen beiden kalten Kontinentalmassen lag aber ein wenigstens in seinem südlichen Teile warmes Meer: der nördliche Atlantik. Das diesem tributäre Gebiet der europäisch-nordamerikanischen Konti- nentalmassen ist demnach der dominierende Sitz der Eiszeit gewesen. ') So war auch im Diluvium die größte Entwicklung der Gletscher da zu finden, wo die warmen Strömungen in relativ kalte Räume vordringen, die eine bedeutende positive Temperaturanomalie haben. Der von mir im folgenden auf Grund solcher geographisch- geologischen Zustände gegebene Erklärungs- versuch des Hauptphänomens der diluvialen Eiszeit ist also durchaus kein rein meteorologischer, da er doch unmittelbar die Frage nach der Ursache dieser Verschlechterung des Klimas in sich schließt. Er ist demnach auch methodisch einwandfrei. Was die Luftdruckverteilung über weiteren Erdgebieten zur Diluvialzeit anlangt, so muß über dem nordeuropäischen sowie über dem nord- amerikanischen Eise, analog den heutigen Verhält- nissen über Grönland und der Antarktis, ein Gebiet hohen Luftdrucks gelegen haben, dem an der Eidoberfläche kontinentale östliche Winde ent- strömten. ") Gleichzeitig muß das heute bei Island gelegene Tiefdruckgebiet zur Eiszeit südlicher ge- legen haben, da ja der Golfstrom damals infolge des isländischen ßarrenverschlusses nicht in das Eismeer gelangen konnte, sondern weiter südlich umzuschwenken genötigt war, während der nörd- lichste Teil des Atlantischen Ozeans durch Treibeis und Schmelzwasserströme stark abgekühlt werden mußte. Infolge der über den nordischen Binneneis- massen lagernden Antizyklonen mußten nun sowohl die nordamerikanischen wie auch die europäischen Zyklonen südlichere Bahnen einschlagen als in der Gegenwart. Diese führten in der Alten Welt in der Hauptsache über das Mittelmeergebiet hinweg bis hinauf nach Westsibirien, ersterem ein Klima ') über die ausführlichere meteorologische Begründung dieser Erscheinung vgl. J. v. Hann, Handbuch der Klima- tologie. 3. Aufl. I. Bd. 1908, S. 379. '') Vgl. hierüber und folgendes: E. Geinitz, Wesen der Eiszeit. S. 8ff. Güstrow 1915 (Sonderabdruck a. d. ArchiT der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg, 59. jahrgg. 1905). 556 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 39 gebend, ähnlich, wie wir es heute in Patagonien finden, ^) letzterem im Winter Erwärmung, aber stärkere Niederschläge bringend. Die auf dem warmen südlicheren Teil des nordatlantischen Ozeans entstandenen Zyklonen dürften bei den großen thermischen Gegensätzen, die zwischen diesem Meeresteil und den umgebenden stark ab- gekühlten Festlandsmassen bestanden, demnach wohl kräftig genug entwickelt gewesen sein, um sich den Durchgang zwischen der subtropischen Pleiobare, dem Azorenmaximum, einerseits und der nordischen Antizyklone andererseits zu erzwingen. So konnten die nördlichen Tiefdruckwirbel tiefer in den Bereich des Passatwindsystems eingreifen und mußten somit wenigstens dessen räumliche Ausbildung mindestens über einem größeren Teil der Erdoberfläche bis zu einem gewissen Grade abschwächen bzw. den subtropischen Hochdruck- gürtel selbst eben äquatorwärts zurückdrängen. In der Tat ist denn auch nach A. Penck'-) im Sudan eine Polwärtswanderung der äquatorialen Trockengrenze seit dem Ausklingen der Eis- oder Pluvialzeit festzustellen, ebenso in Süd- wie in Nordamerika und wohl auch in Südafrika, und zwar hat es den Anschein, als ob die äquatoriale Trockengrenze einst etwa ebensoweit äquator- wärts gelegen habe, wie die polare Trockengrenze im Norden zur Eiszeit. So war demnach zur Eiszeit das humide Tropengebiet auf der Erde eingeengt, indem die beiderseitigen ariden Zonen der Passate äquatorwärts gerückt waren. Dieser geringere Abstand der beiden Passatzonen von- einander kann aber nur auf eine verminderte Wärmeentwicklung an der Erdoberfläche zurück- geführt werden. Es erhebt sich nun die Frage, ob die eiszeit- lichen Erscheinungen auf der Erde vollkommen oder doch in der Hauptsache gleichzeitig waren, oder nicht. Denn es ist, wie E. Dacque in seinem Buch: „Grundlagen und Methoden der Paläogeographie" (Jena 1915) sagt, von größtem Interesse, sich klar darüber zu werden, ob hinter dem äußeren Schein unbedingter Gleichzeitigkeit der Glazialbedeckung auf der Nord- und Südhemi- sphäre auch wirklich eine bipolar wirkende Ur- sache steckte, oder ob' das Glazialphänomen auf der einen Hemisphäre die Folge des auf der anderen war; mit anderen Worten: ob die „Eis- zeit" auf beiden Hemisphären primär entstand und in diesem Sinne gleichzeitig war?" Bereits in meinem Buche „Das Klimaproblem der geologischen Vergangenheit und historischen Gegenwart" "J habe ich gesagt, daß der Satz des alten V a r e n i u s : „Wenn ein Teil des Ozeans sich bewegt, so bewegt sich der ganze Ozean", auch 1) A. Penck, Das Klima Europas zur Eiszeit. Naturw. Wochenschr. 1905. ') Die Formen der Landoberfläche und Verschiebungen der Klimagürtel. Sitzungsbericht der Kgl. Preufi. Akad. der Wissenschaften, 1913, IV. ^) Sammlung „Die Wissenschaft" Bd. 31. Braunschweig 1909. für das Luftmeer gilt. Es läßt sich daher voraus- setzen, daß bestimmte klimatisch- meteorologische Eigentümlichkeiten der eisfreien und der vereisten Länder nicht gleichmäßig Folgen einer Ursache sind, sondern sich zueinander wie Ursache und Wirkung verhalten. Von besonderer Bedeutung für die Frage der Gleichzeitigkeit der hauptsächlichsten diluvialen Erscheinungen ist die Tatsache, daß zur Eiszeit die Umrisse der Festländer und Meere im großen und ganzen bereits festgelegt waren. Dieser Um- stand ist aber deswegen sehr hoch anzuschlagen, weil die mittlereTemperatur derganzenErdeimLaufe des Jahres nicht konstant bleibt, wie das theoretisch nach den Bestrahlungsverhältnissen doch der Fall sein sollte, sondern vom Januar zum Juli steigt; daß also die Wärmeverhältnisse der Nordhalb- kugel, deren Sommer den Sommer der Erde be- deutet, für die mittlere Temperatur den Ausschlag geben. Die hohe Julitemperatur der Nordhalb- kugel, die mit der milderen Wintertemperatur der Südhalbkugel zusammentällt, hat einen solchen Einfluß, daß die Temperatur der ganzen Erde vom Januar zum Juli um 4" steigt, während die niedere Sommertemperatur der Südhalbkugel mit der tiefen Januartemperatur der Nordhalbkugel zusammen- fällt. Bedenken wir also, daß zur Eiszeit infolge der Eis- und Schneebedeckung sich weite Gebiete der Nordhalbkugel im Sommer nicht so intensiv erwärmen konnten wie heutzutage, so ist für den Klimatologen die Annahme ohne weiteres berechtigt, daß das Klima der Südhalbkugel noch etwas aus- geprägteren ozeanischen Charakter gegenüber dem heutigen gehabt haben dürfte, selbst wenn der thermische Äquator zur Eiszeit aus leicht einzu- sehenden Gründen wahrscheinUch etwas südlicher als heute lag. ') Vor allem mußte nun das Abschmelzen der gewaltigen nordhemisphären Eismassen zur Eiszeit selbst, wie auch noch nach ihrem Höhepunkt, seine Wirkung auch auf die übrigen Zonen des Erdballs durch Abkühlung der Wasser- und Luftmassen erstrecken. Somit hätte sich aber aus leicht ein- zusehenden Gründen die Pluvialzeit der niederen Breiten, trotz ihrer ursprünglichen Gleichzeitigkeit mit dem Hauptphänomen der Eiszeit selbst, sehr wohl auch bis in eine der Gegenwart näher liegende Zeit erstrecken können. Einen in den Tropen und Subtropen gleichzeitig und all- gemein auftretenden feuchteren diluvialen Zeit- raum hat es indessen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gegeben. Wie nun die Dinge in dieser Hinsicht auch liegen mögen, so wäre nach unserer Auffassung die Abkühlung des irdischen Klimas zur Eiszeit jedenfalls nicht nur die Ursache der Gletscherentwicklung , sondern natürlich z. T. auch deren Folge gewesen. Wir hatten schon oben betont, daß eine Ver- engerung des humiden Tropengebietes nur auf eine ') Vgl. hierüber auch Fr. v. Kerner, Sind Eiszeiten durch Polverschiebungen zu erklären i a. a. O. N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 557 verminderte Wärmeentwicklung an der Erdober- fläche zurückgeführt werden kann. Eine weitere Folge aber braucht nicht unbedingt die zu sein, daß mit dieser Milderung des thermischen Gra- dienten auch eine Abschwächung des barischen im Passatwindsystem, bzw. im humiden Tropen- gürtel selbst, zur Eiszeit Hand in Hand ging. Denn ein Hauptergebnis der Brückner 'sehen Unter- suchung über die Klimaschwankungen, daß jede Periode, in der sich die Luftdruckgegensätze zwi- schen Ozean und Festland verringern, ein feuchter Zeitraum sei, gilt nur für die Länder höherer Breiten, insofern hier die auf den Ozeanen ent- springenden dynamischen Zyklonen über die Fest- länder ziehen, diesen Feuchtigkeit zuführen und die Luftdruckgegensätze über dem Wasser und Lande mehr oder weniger ausgleichen. Für die Länder niederer Breiten mit ihren Monsunklimaten gilt dieser Satz dagegen nicht. Im Gegenteil! Was die Regenperiode dieser Länder anlangt, so finden wir hier gerade das Umgekehrte, wenn wir z. B. das seine F"euchtigkeit im wesentlichen vom Indischen Ozean empfangende Monsungebiet Asien-Afrika ins Auge fassen. Denn je stärker der passatische Hochdruckgürtel über dem Indi- schen Ozean entwickelt ist, und je mehr Energie der Passat an den Monsun abgibt, um so ergiebiger treten die Monsunregen in Indien und im tropi- schen Nordostafrika auf, und was den Sommer der Südhalbkugel anlangt, so empfängt Südafrika ebenfalls um so ergiebigere Regenfälle, je stärker der passatische Hochdruckgürtel über dem süd- lichen Indischen Ozean entwickelt ist, bzw. eine je weiter nördliche, also dem Kalmengürtel ge- näherte Lage er über diesem warmen Meere ein- nimmt.*) Wenn wir nun bedenken, daß zur Eiszeit in- folge der starken Abkühlung der subpolaren Meeresteile die Zyklonentätigkeit auf beiden Halb- kugeln sich bis in niedrigere Breiten erstreckte als in der Gegenwart, und die passatischen Hoch- druckgürtel dadurch weiter äquatorwärts gedrängt wurden, so kann dieser Umstand keine Minderung des barischen Gradienten für die Tropenzone und der an ihrem Rand gelegenen Monsunländer be- deuten. Im Gegenteil I Wenn nach unserer Auf- fassung die Sonne zur Eiszeit mit unverminderter Energie die Tropenzone erwärmte, so konnte hier lediglich dadurch eine Steigerung der Niederschläge eintreten, daß der Tiefdruck der Tropenzone in- folge der äquatorwärts gerichteten Verlagerung der passatischen Hochdruckzone verhältnis- mäßig mehr verstärkt wurde. Unter solchen Umständen mußte der humide Tropengürtel zur Eiszeit feuchter werden und die von der Sonne in gleicher Weise empfangene Erwärmung konnte und mußte eben lediglich dadurch eine gewisse geringe Erniedrigung erfahren, daß die atmo- sphärische Feuchtigkeit, die ihren sichtbarsten Aus- druck in der größeren Bewölkung findet, eine be- deutendere war. Im übrigen machte sich nach A. Penck die Klimaänderung der Eiszeit auf der Erde jeweils in der Nähe der Klimagrenzen geltend: an der polaren Trockengrenze durch pluviales Klima, an der äquatorialen Trockengrenze durch arides. Wüstenhafte Länder wie heute, mit keinen oder sehr unregelmäßigen Niederschlägen, hat es auch zur Diluvialzeit auf der Erde gegeben, wie die Verhältnisse in der Lybischen Wüste und dem größten Teil der Sahara zeigen. ') Nur dort, wo heute die Schneegrenze schon tief liegt, und wo durch ihre Herabdrückung große Flächen Landes in das nivale Klima rückten, kam es zu ausge- dehnten Vergletscherungen, während dort, wo sie hoch liegt, also in den warmen oder trockenen Gebieten, durch ihre Herabdrückung nur kleine isolierte Erhebungen in ihren Bereich einbezogen wurden. Wie gering die eiszeitlichen Temperatur- und Niederschlagsunterschiede gegen heute in den nied- rigen Breiten der Erde nur gewesen sein können, zeigt sich u. a. darin, daß z. B. in Südafrika die Anzeichen von diluvialen Eisdecken so gut wie gänzlich fehlen, während auf den Vulkanriesen des östlichen Äquatorialafrika (Ruwensori, Kenia, Kilimandjaro), wie in den Anden von Columbia, BIcuador, Nordperu und Bolivia sowie in den Australalpen die als diluvial angesprochenen Gletscher höchstens lOOO m tiefer als jetzt herab- reichten. „Aber was bedeutet diese Zahl eines Abschmelzens um Vs der Gletscherlänge", bemerkt J. W a 1 1 h e r -) mit Recht, „wenn der lo km lange Rhonegletscher, ohne daß eine Klimaänderung nachweisbar wäre, seit 30 Jahren um i km zurück- gegangen ist? Die am Kilimandjaro aufgehäuften Moränen sind doch nur ein kleiner Teil der seit Jahrtausenden von seinem Gipfel abgehobelten vulkanischen Gesteine, und wenn dieser früher höher war, dann mußten notwendig auch etwas größere Eisströme an seinen Flanken herabziehen". Daß auch in den Wüsten- und Tropengegenden zur Dilavialzeit eine im Mittel nicht weniger als 3 — 4" betragende Abkühlung allgemein stattge- funden habe, ist unter solchen Umständen mehr als unwahrscheinlich. Wenn wirklich tropische Gegenden im Diluvium eine bedeutend nied- rigere Temperatur hatten als in der Gegenwart, so handelt es sich um Lokalerscheinungen, die lediglich darauf zurückzuführen sind, daß jene Ge- biete sich damals höher und breiter über den Meeresspiegel erhoben. Ich erinnere hier nur an die Forschungen im Süden Asiens, besonders an die Trinilexpedition auf Java. ^) Soviel ist meteo- ') Vgl. hierüber : K. D o v e , Der Zusammenhang abnor- mer Witterung in Südwestafrika und in Mitteleuropa. Deutsche Kolonialzeitung, Berlin 1912, Nr. 23. ') Kobelt hat das auch vom tiergeographischen Stand- punkt gezeigt. Vgl. seine „Studien zur Zoogeographie", Wiesbaden 1897/98. '') Geschichte der Erde und des Leben. Leipzig 1908. S. 500. ^) Vgl. hierüber W. Volz, Jungpliozänes Trockenklima 558 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII Nr. 39 rologisch sicher, daß zur Eiszeit der Betrag der Temperaturherebsetzung auf der Erde in den einzelnen Ländern und Zonen ein ganz verschie- dener gewesen sein muß. Auch darf man, was selbst die unmittelbar vereisten Gebiete anlangt, nicht ohne weiteres annehmen, daß in allen diesen Ländern eine Herabsetzung der Temperatur von mindestens 3 — 4" die Eiszeit hervorgerufen habe. „Wenn die Alpen zur Eiszeit höher auf dem europäischen Kontinent lagen als jetzt", bemerkt Lepsin s') treffend, „so befanden sich sehr viel größere Flächen des Gebirges über der damaligen Schneegrenze, und es waren die Temperaturen über denselben großen Gebirgsflächen sehr viel niedriger als heutzutage. Solche Ursachen haben die große Ausdehnung der alpinen Gletscher zur Haupteiszeit bewirkt". Daß die Alpen zur Eiszeit höher lagen, ist sehr wahrscheinlich. Allein unum- gänglich nötig für die ehedem größere Verglet- scherung dieses Gebirges ist diese Annahme eben- sowenig wie die, daß im Diluvium mehr Nieder- schlag im Alpengebiet fiel als heutzutage. Es genügt vielmehr vollkommen, für die eiszeitliche Ver- gletscherung lediglich eine Temperaturdepression anzunehmen, die ja eben in der Tat bestanden hat. Haben doch A. Penck und E. Brückner*) gezeigt, daß die von Rückzugsperioden unter- brochene Verlängerung der Alpengletscher nicht durch eine Erhöhung der Schneefälle erklärt werden kann, denn die Firnfelder der Alpen waren nicht voller wie heute. Die größere Länge der alpinen Gletscher kann daher nicht durch erhöhte Nieder- schläge bedingt gewesen sein. Was speziell Europa anlangt, so verringerte zwar die größere Ausdehnung des Festlandes nach Westen die Menge der Niederschläge, dagegen riefen nicht nur eine etwaige bedeutendere Höhenlage der Alpen, sondern vor allem die mächtigere Entwicklung der Schnee- und Gletscher- massen des Nordens eine stärkere Abkühlung der Luftschichten auch über dem Alpengebirge und dadurch verhältnismäßig mehr Niederschläge in fester Form hervor. Das Wichtigste dabei ist eben, daß trotz der absolut geringeren Nieder- schlagsmenge infolge der bedeutenderen Erhebung des Festlandes und der Abkühlung der Luft und des umgebenden Meeres zur Eiszeit weniger Glet- schereis schmelzen konnte als heute. Nicht durchweg zeigte sich indessen zur Eiszeit in allen Ländern der Erde eine Abkühlung. West- sibirien z. B. war vielmehr, wie schon kurz erwähnt, im Diluvium im Winter milder und schneereicher, da es auf der Vorderseite der vielfach dorthin aus- laufenden mittelmeerischen Zyklonen lag. Ja, selbst auf Sumatra und die Landverbindung mit dem asiatischen Kontinent. Gaea 1909. Heft 7/8, sowie A. Jakobi, Lage und Form biogeographischer Gebiete. Zeitschr. der Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin 1900. ') Die Einheit und die Ursachen der diluvialen Eiszeit in den Alpen. Abh. der Großh. Hessischen Geol. Landesanstalt zu Darmstadt, 5. Bd. Heft I, 1910. ■') Die Alpen im Eiszeitalter. Leipzig 1909. Ostsibirien dürfte etwas schneereicher und milder infolge etwas geringerer Ausprägung des winter- lichen asiatischen Kältehochdruckgebietes ge- wesen sein. Freilich war das Klima der Diluvialzeit nament- lich in den von den Wirkungen der Vereisungen unmittelbar betroffenen Gegenden nichts weniger als etwa ozeanisch ausgeglichen. Im Gegenteil, es besaß eine bedeutende Kontinentalität, welche durch die allgemeinen Verstärkungen der Frost- wirkungen bewiesen wird, die in den diluvialen Blockbildungen namentlich der periglazialen Fazies der Mittelgebirge zum Ausdruck kommen. ^) Diese konnten nur durch eine bedeutend vermehrte Häufigkeit der Temperaturschwankungen um den Nullpunkt hervorgerufen werden, und zwar kommt es bei der Entstehung von Blockbildungen durch die gesteigerten Frostwirkungen in erster Linie nicht auf die absolute Temperaturerniedrigung an, sondern auf einen häufigen Wechsel von Auf- tauen und Wiedergefrieren des Wassers. Ein solches war aber nach W. v. L o z i n s k i nur unter der Bedingung möglich, daß in der Diluvialzeit die Ausstrahlung der Wärme von der Erdoberfläche erhöht wurde. Wir müssen daher, was ja auch aus naheliegenden Gründen der Luftdruckverteilung gefolgert werden muß, annehmen, daß die Diather- mansie der Atmosphäre zur Eiszeit größer war als heute, oder besser gesagt, wie sie heute in ähn- licher Weise nur noch zeitweise bei „diluvialen" Wetterlagen besonders im Winter und Frühling vorkommt. Müssen wir doch nach Walther') auch aus der großen Verbreitimg der Deflations- produkte (Dünensand und Löß), die in den Inter- glazialzeiten entstanden, schließen, daß nur ein Teil von Schnee und Eis in Schmelzwasser sich ver- wandelte, wähiend ein anderer Teil direkt in die Atmosphäre verdampfte, da Dünen^^and und Löß auf einem überall von Schmelzwasser bedeckten Gelände nicht gebildet werden konnte. Jedenfalls muß man sich auch vergegenwärtigen, daß das Regime der Niederschläge in manchen Ländern, die Glazialspuren aufweisen, zum Teil ein etwas anderes gewesen ist als heutzutage, während es z. B. in Australien dasselbe war wie in der Gegenwart, nur daß eben damals auch dort die Schneegrenze tiefer lag. Auch in Nordamerika scheinen sich die jetzigen Verhältnisse des Nieder- schlags in den Grenzen der großen kontinentalen Eisschicht zur Höhe der Eiszeit ziemlich deutlich widerzuspiegeln. So fällt im Staate Wisconsin die Grenze der Eisschicht fast zusammen mit der Grenze des jährlichen Niederschlags von 800 mm. Wo jetzt weniger fällt, war auch damals kein Eis.*) Die auch im Winter niederschlagsreicheren Gebiete Nordamerikas, und zwar selbst diejenigen außer- ') Vgl. hierüber W. v. Lozinski, Die periglaziale Fazies der mechanischen Verwitterung. Naturw. Wochenschr. 191:, Nr. 14. ») a. a. O. S. 319. >) Vgl. hierüber und folgendes A. Woeikow, Geolo- gische Klimate. Peterm. MiUeilungen 1895 Heft 11. N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. SS9 halb des Gebirges waren daher zur Eiszeit stark vergletschert, wie ja überhaupt als Hauptgrund der im Vergleich zu Europa weit stärkeren dilu- vialen Vereisung Nordamerikas in dem viel größeren Niederschlagsreichtum der Osthälfte dieses Kon- tinents anzusehen ist. Zugleich aber macht die in so nahen Beziehungen zur heutigen jährlichen Niederschlagsmenge stehende Intensität der dilu- vialen Vergletscherung, wie v. Kern er wohl nicht mit Unrecht meint, es ziemlich unwahrschein- lich, daß in einem um viele Breitengrade dem Nordpole näher gerückten Nordamerika bei gänz- lich veränderten Isobarenbilde der Verlauf der Isohyeten derselbe gewesen wäre wie heute. Denn man wird doch wohl kaum ohne weiteres annehmen können, daß der Verlauf der genannten Isohyete im Vergleich zu den Vereisungen ein zufälliger sei, wie etwa die heutige polare Grenze des Weinbaues in Mitteleuropa sicherlich ebenso- wenig in klimatischer Beziehung steht zur ehe- maligen maximalen Gletscherausdehnung wie der Weinbau in Italien auf diluvialen IVIoränenland- schaften ? In Europa dürften dagegen die Verhältnisse zweifellos etwas anders gelegen haben. Hier war der Süden entschieden feuchter als heute, wenn auch im Sommer vielleicht doch nicht ganz so feuchtkühl wie Patagonien, was P e n c k ^) annimmt ; Nord- und Mitteleuropa empfingen dagegen weniger Niederschlag. Wenn im Gegensatz zu den nörd- lichen Mittelgebirgen der Schwarzwald und die Vogesen verhältnismäßig etwas ausgedehntere Gletschermassen trugen, und wenn auch die West- alpen, gleichwie heutzutage, im Diluvium mehr Niederschläge empfingen als der östliche Teil dieses Hochgebirges, so ist dieser Umstand zweifel- los in der Hauptsache darauf zurückzuführen, daß die Ausläufer der südlich der Alpen vorbeiziehenden Minima an jenen Gebirgen einen Widerstand fanden, der zur Abgabe atmosphärischer Feuchtigkeit in erhöhtem Maße Veranlassung geben mußte. Genau wie also heute bei einer über das Mittelmeer sich bewegenden Depression, die Randgebilde über das Alpengebiet nach Norden hinaussendet, während über Nordeuropa hoher Druck lagert, das nörd- liche Deutschland keine oder geringe Niederschläge empfängt, während in Südfrankreich, Süddeutsch- land und dem westlichen Alpengebiete oft sehr ergiebige Niederschläge fallen, so war das auch in der Eiszeit der Fall, und zwar vor allem im westlichsten Gebiet der Alpen, das bei den ehedem fast ständig aus Westen und Nordwesten auf „Zug- straße Vb" heranziehenden Zyklonen damals der eigentliche „Wetterwinkel" Mitteleuropas sein mußte. Diese für die Diluvialzeit Pluropas zweifellos häu- figste Wetterlage macht aber auch ohne weiteres die Annahme zunichte, daß die Ausdehnung der Alpengletscher etwa erst begonnen habe, als das Abschmelzen der nordischen Eismassen einsetzte. ') Vgl. hierüber A. Pcnck, Das Klima Mitteleuropas zur Diluvialzeit. Naturw. Wochenschr. 1905 Nr. 38. Dagegen erklärt die Annahme jener Wetterlage ohne weiteres die Tatsache, daß der Nordabhang der Alpen ungleich intensiver vergletschert war als die Südhänge dieses Hochgebirges. Im übrigen freilich sind, wie Walt her meint, die nur ^30 der von dem nordischen Binneneis bedeckten Fläche ausmachenden diluvialen Alpengletscher als nichts anderes denn als eine sekundäre klimatische Influenzerscheinung zu betrachten, die das nordische Phänomen im Kampfe mit dem Klima des Mittelmeeres auslöste. Da zur Eiszeit infolge der über dem Eise lagernden nordischen Antizyklone die Minima nicht über Nordeuropa ziehen konnten, konnten die nordischen Gletschergebiete ihre Verstärkung (bzw. ihren ständigen Zuwachs] nur dadurch erhalten, daß die höchsten Teile der vereisten Gebirge schon in das Gebiet des zyklonalen Wind- systems vorherrschend westlicher Richtung hinein- reichten. Das geht auch aus den neuesten Beob- achtungen in der Südpolargegend hervor, wo die antarktische Antizyklone bereits in einer Höhe von 2000 m nicht mehr vorhanden ist, sondern nach Meinardus'^) meisterhaften Berechnungen einer zyklonalen Luftbewegung Platz macht. Der Um- stand, daß die Eisscheide in Skandinavien, obwohl östlich der heutigen dortigen Wasserscheide, doch nahe dem Westrande des Eisgebietes lag, deutet wohl ohne weiteres darauf hin, daß die Nieder- schläge in der Hauptsache von Westen kamen, indem der im Westen des Kammes gefallene Schnee massenhaft auf die Ostseite hinübergeweht wurde, ähnlich wie es heute im kleinen in den Vogesen allwinterlich regelmäßig der Fall ist. Ein Vergleich mit der heutigen grönländischen Eisscheide zeigt ebenfalls, daß diese nach Osten verschoben ist, d. h. die die Niederschläge heran- führenden Winde kommen über dem Zentrum der Vereisung selbst vom Westen, also aus dem Gebiet des durchschnittlich niederen Luftdrucks. ") Da das Ausgangsgebiet des nordeuropäischen Diluvialeises in ungefähr derselben Breite lag wie das heutige Grönland, so könnten wir, wie S e m p e r mit Recht bemerkt, auch die klimatischen Ver- hältnisse des letzteren für die quartären Skandi- naviens einsetzen. Leider ist Grönland nun zwar meteorologisch noch zumeist eine terra incognita.'^) ') Aufgaben und Probleme der meteorologischen Forschung in der Antarktis. Geogr. Zeitschr. 1914, Bd. 20, H. I, S. 18 ff. Vgl. auch die Arbeit von W. Meinardus über die meteoro- logischen Ergebnisse der deutschen Südpolar- Expedition 1901/03, III. Bd. Meteorologie. ^) Vgl. den Artikel „Eiszeiten" von M. Sem per im Handwörterbuch der Naturwissenschatten, sowie E. H. L. Krause, Die Vegetalionsverhältnisse Mitteleuropas während der paläolithischen Zeiten. Naturw. Wochenschr. 191 1 Nr. 50. '} Gerade deshalb kann uns eine planmäßige Erforschung des grönländischen Klimas sehr wahrscheinlich noch sehr wich- tige spezielle Auskünfte über einzelne und lokale Besonder- heilen auch des diluvialen in Zukunft einmal erteilen, was aus folgendem hervorgeht: In den Randgebieten der polaren Inlandeismassen sind nach Nordenskjöld bis jetzt drei grundsätzlich verschiedene Klimatypen festgestellt worden, und zwar ein maritimer, ein kontinentaler und ein glazialer. Der maritime Typus mit ver- S6o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 39 Immerhin ist das eine sicher, daß die Nieder- schlagsmengen im allgemeinen recht gering sind. Andererseits sind aber auch Abtauen und Ver- dunstung gering, so daß die Eismassen keiner be- deutenden Zufuhr bedürfen. Die oben angedeutete große Wahrscheinlichkeit der Ernährung hochliegender Eismassen hindert aber nicht, auch an die Möglichkeit zu denken, die Lamansky in seiner beachtenswerten Abhand- lung „Das Absterben der Gletscher und die Eis- zeit" ^) näher erörtert hat, daß eine außerordent- liche Entwicklung der Gletscher und der Inland- eisdecken von selbst eine Luftdruckverteilung schafft, die den Rückgang und Vernichtung herbei- führen. Dieser letztere Prozeß ist das Ergebnis der Abnahme der Niederschläge und eines allge- meinen Trocknerwerdens des Klimas, und zwar dergestalt, daß bei der Abnahme und dem Ver- schwinden der Inlandeismassen nicht die Wärme die Hauptrolle gespielt hat, sondern die Vermin- derung des schneeigen Niederschlags unter dem Einfluß der Entwicklung eines Wettertypus, ent- gegengecetzt dem, bei welchem die Anhäufungen des Schnees und die Bildung der Gletscher vor sich gegangen waren. Für manche Gegenden wird dies sicher restlos zutreffen, nämlich für solche, die mit ihren Schnee- und Eismassen nicht bis in die Region der vorherrschenden Westwinde hältnismäßig geringen Schwankungen (Sommer 3» bis 60; Winter — 15» bis — 25") tritt am deutlichsten am Außenrande der Atlantischen Polarinseln, wo das umgebende Meer ver- hältnismäfiig warm ist, hervor. Der kontinentale Typus zeichnet sich durch bedeutend höhere Sommertemperaturen bis zu 15", aber durch tiefere Wintertemperaturen aus als der vorher- gehende. Ihm gehören Ostsibirien, das nördlichste Amerika und der amerikanisch-arktische Archipel an sowie der ziemlich schmale Streifen zwischen Eis und Meer in Westgrönland. Da sich der Sommer durch große Trockenheit auszeichnet, finden wir hier die echte Polarsteppe vertreten. Der verbrei- tetste Klimatypus am Rande des jetzigen Inlandeises ist der glaziale, wie wir ihn am Rande der größten Eismasse der Gegenwart: der antarktischen, finden. Etwas abgeschwächt tritt der Typus auch in Nordgrönland auf. Die niedrigste Monatstemperatur kann im Winter unter — 40° sinken, die Temperatur des wärmsten Monats liegt meist unter 0». Aus den Verhältnissen in der Nähe der jetzigen Landeis- massen lassen sich direkt keine Schlüsse über das eiszeitliche Klima am Südrande der großen nordeuropäischen Eismasse ziehen. Denn erstere erstrecken sich alle bis zum Meere oder doch in dessen Nähe, während die diluvialen mitten im Kon- tinent endeten. Nordenskjöld hält nun mit Recht die Erforschung des kontinentalen Klimatypus, wie wir ihn in Westgrönland antreffen, für sehr wichtig, weil zeitweise während der Periode der letzten Abschmelzung des diluvialen Inland- eises am Eisrande und auch noch in einiger Entfernung von ihm ein kontinentales Trockenklima mit verhältnismäßig warmen Sommern geherrscht hat. Auch aus Schweden liegen dieselben Beobachtungen vor, wo, ganz wie jetzt in Grönland, die Seen häufig abflußlos waren. Jedenfalls ließe sich so durch Nach- weis dieses Klimatypus in den Eisrandgebieten das Auftreten eines recht eigentümlichen spätglazialen Landschaftstypus be- leuchten, ebenso wie ein Studium von dem hier als glazial bezeichneten Klima die Möglichkeit der riesenhaften Ausdehnung der Eiszeitgletscher bei einer verhältnismäßig geringen Tem- peraturerniedrigung verständlicher macht. Vgl. hierüber : Nordenskjöld, Das Klima am Rande jetziger und ehe- maliger Inlandeisgebiete. Bull, of the Geol. Inst, of the Univ. of Upsala 1916 S. 35 ff. ') Zeitschrift für Gletscherkunde 1914, Bd. VIII, Heft 3. hinaufragen. Für große Gletscher tragende Er- hebungen bedarf daher die Ansicht Lamansky 's einer Modifizierung. Auf solchen müssen indessen die Gletschermassen ihre Unterlage allmählich durch Abtragung erniedrigen und so unter die Zone der regelmäßigen Niederschläge bringen, wie es in den anorogenetischen Phasen der Erdgeschichte zweifellos der Fall ist. Mit dem diluvialen Eiszeitproblem ist das der Interglazialzeiten untrennbar verbunden, aber es würde zu weit führen, in vieler Beziehung auch wohl noch verfrüht sein, wenn wir uns auch auf dieses hochinteressante und wahrlich nicht ohne besondere Schwierigkeiten lösbare Problem näher einlassen wollten. Auch bei diesen könnte es sich auf den ersten Blick um Vorgänge handeln, die in dem noch um die Wende des Tertiärs fast allgemein auf der Erde stattfindenden Gebirgs- bildungsprozesses, d. h. in der mit diesem ver- bundenen Hebung, bzw. in der durch verschiedene Umstände bedingten zeitweise stattfindenden Er- niedrififung der Gebirge begründet sind. Die von den Hauptvereisungszentren mehr oder weniger stark ausgehenden Wirkungen, die längere Zeit- räume andauerten, hätten sich dann auch in den übrigen Ländern der Erde mehr oder weniger geltend machen müssen. Auch wenn sich die verschiedenen Interglazialzeiten mancher Länder- gebietc nicht miteinander parallelisieren lassen, da vielfach die Zahl der Vereisungen in den ver- schiedenen Ländern wechselt, so spricht dieser Umstand deswegen an sich noch nicht gegen die Ansicht bezüglich der eben erwähnten geologischen Vorgänge, weil eben der Klimatypus, vor allem das Niederschlagsregime, der verschiedenen Inter- glazialspuren führenden Länder doch wenigstens z. T. ein gegen heute verschiedenes war. Denn wenn in einer Gegend sich das Klima änderte oder die Vereisungen stille standen, brauchte das- selbe nicht auch in einem weltenfernen Gebiet der Fall zu sein. Ja, dort hätte unter Umständen auch das Gegenteil eintreten können, indem geo- logisch-tektonische Vorgänge an Ort und Stelle selbst einfach die von fetn her stattfindende Klimawirkung hätten paralysieren können. So wahrscheinlich, ja so gewiß nun auch inner- halb des Diluviums Hebungen und Senkungen stattgefunden haben, so kann doch der im großen und ganzen unverkennbar sich geltend machende Parallelismus der glazialen und interglazialen Er- scheinungen auf der Erde durch sie allein wohl nicht genügend erklärt werden. Da aber die Ansichten über die Veränderungen in der Wärme- durchlässigkeit der Luft infolge von Vermehrung des Kohlensäuregehaltes, Veränderungen in der Strahlung der Sonne usw. einer kritischen Prüfung nicht standhalten, so wird man, wie N. Herz*) wohl mit Recht bemerkt, unmittelbar auf die ') Die astronomischen Theorien zur Erklärung der Eiszeit. „Die Umschau" 1909. Nr. 39 Vgl. auch das selbständige Werk von N. H e r z : Die Eiszeit und ihre Ursachen. Wien 1909. N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S6i Untersuchungen über den Einfluß der der Erd- bewegung zugrunde liegenden Elemente geführt, und zwar kommen in dieser Beziehung- allein die Änderunsren in der Schiefe der Ekliptik in Frage, wie das N. Herz geomechanisch näher begründet hat. In den Zeiträumen nämlich, in denen die Rotation der Erde, die ja durch fortgesetzte Kon- traktion immer rascher wird, noch nicht die jetzige Größe hatte, und Rotations- und Symmetrieachse noch nicht so nahe wie jetzt zusammenfielen, fanden jene Veränderungen in derSchiefeder Ekliptik statt, welche sich in dem Wechsel der Klimate, in den Eis- oder Glazialzeiten und den warmen Interglazialzeiten offenbaren. Ja, sogar ein exakter Beweis läßt sich bezüglich der Schiefe der Ekliptik wenigstens für einen der Diluvialzeit unmittelbar folgenden Zeitraum beibringen : Das Minimum des jetzt zwischen 68" i' und 65' 24' schwankenden Winkels, den die Erdachse mit der Ebene der Ekliptik bildet, wurde nach den astronomischen Berechnungen zum letzten Mal im Jahre 10926 V. Chr. erreicht. Damals lagen die Polarkreise '1^^ näher dem Äquator und die Wendekreise um eben- soviel näher den Polen, die polaren und die tro- pischen Zonen waren also auf Kosten der ge- mäßigten ausgedehnter als jetzt. Die Wärmezufuhr hängt von dem Einfallswinkel der Sonnenstrahlen und der Tageslänge ab; sie war damals am Äquator geringer, weil, »bwohl die Tageslänge wie jetzt 12 Stunden betrug, der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen in den Solstitien um ^|^ kleiner war. In der gemäßigten Zone waren die Winter zwar kälter, die Sommer aber wärmer, weil in dieser Jahreszeit der Einfallswinkel bis zu ^|^ größer war und der Tag länger war. In der Polar- zone fiel die sommerliche Begünstigung wegen der längeren ununterbrochenen Bestrahlung noch mehr ins Gewicht. Für das Jahr 10926 hat man folgende Abweichungen von den gegenwärtigen Temperaturen berechnet : Gr. B. o» 30» 50» 60» 70« 80" ()o» hal",Tr' -°--° +°'5» -f'.i" -^.4" +2,4« +3,0» +3,2« Jahr — 0,2» — 0,35" -fo.os» -[-OjlsO +1,2» -f-1,5» -f 1,6" Man sieht also, daß der sommerliche Wert für 70" N.-Br. genau mit dem übereinstimmt, den man aus der Verbreitung der Haselnuß in Skan- dinavien ermittelt hat. Das Gleiche ergeben un- gefähr auch die frühere Wald- und "Baumgrenze, vor allem die Verbreitung der Eiche. Man kann ferner nach den prähistorischen Funden ziemlich gut abschätzen, daß seit dieser letzten warmen Zeit 7000 bis ICOOO Jahre verflossen sind, daß diese Pe- riode also in die letzte Maximumperiode der Schiefe der Ekliptik hineinfiel, für welche Ekholm^)die Temperaturabweichungen berechnet hat. Es ist ') Variations on thc climate. Quart. Joum. R. Met. Soc. 27. igoi. S. 36/46. Vgl. auch Gunnar Andcrsson, Das nach- eiszeitliche Klima von Schweden. Zürich 1903, sowie in J. V. Hann, Handbuch der Klimatologie. I. Bd. 3. Aufl. Stuttgart 1908 die über den Gegenstand zitierte Literatur. demnach mehr als wahrscheinlich, daß die Ursache für diese Erscheinung tatsächlich in erster Linie in den Schwankungen der Schiefe der Ekliptik zu suchen ist. Trotz aller Schwankungen bezüglich der Wärme und Feuchtigkeit muß doch das Klima der ge- samten Glazialzeit einen einheitlichen Charakter besessen haben. Je weiter sich zur borealen Zeit die nordeuropäischen Eismassen ausdehnten, um so kontinentaler mußte gerade das mitteleuropäische Klima ausgeprägt sein, insofern als durch die ge- waltige Ausdehnung der Eismassen die nordische Antizyklone und mit ihr die ihrem Kern entströ- menden östlichen und nordöstlichen Winde am kräftigsten entwickelt sein mußten. Aber auch zu den Interglazialzeiten, wo die Hauptbildung des Löß stattfand, mußte der kontinentale Typus des Klimas vorherrschen und das ist ein Beweis dafür, daß die nordischen Eismassen sich in ihrem Kern, und somit auch der antizyklonale Witterungs- charakter über ihnen und ihrer Umgebung, auch in den wärmeren Zwischenperioden erhielten. Nur so war es möglich, daß der im kontinentalen Asien in seiner größten Mächtigkeit ohne alle Gletscherspuren auftretende Löß in dem von Haus aus ozeanischen Mitteleuropa so eng mit Moränen verbunden ist. Das Hauptcharakteristikum des eiszeitlichen Klimas im mittleren Europa konnte nur sein: Niederschlagsarmut und kräftige Inso- lation im Sommer; starke Sonnenstrahlung, ab- wechselnd mit stärkerer Himmelsbedeckuog und zeitweiligen Schneefällen im Winter. Die Nieder- schlagsmenge der diluvialen Lößsteppen Mittel- europas schätzte Lepsius wohl sehr richtig analog den Verhältnissen der südrussischen Steppen auf 30 — 40 cm. Daß das Klima während der ganzen Eiszeit nie ein gemäßigt ozeanisches ge- wesen sein kann, sondern ein streng kontinentales gewesen muß, geht vor allem aber auch aus der Tatsache hervor, daß sich die Buche, „das ausgezeichnetste Kennzeichen des ozeanischen Klimas", erst in der postglazialen, jungdiluvialen, prähistorischen Zeit in Westeuropa ausgebreitet hat, während vorher ein Steppen- und Tundren- klima von kontinentalem Typus vorhanden war. Die Interglazialzeiten bestehen in der Haupt- sache darin, daß der Rückgang wie das Vorrücken der Eismassen von Ruhepausen und gelegentlichen oszillatorischen Vorstößen unterbrochen waren. Es handelt sich in der Hauptsache um Stadien des Vorstoßes und des Rückzuges des Eises, nicht aber um die zeitweilige Wiederkehr eines Klimas innerhalb der Diluvialperiode, welches das heutige an Wärme durchweg übertroffen habe. Das war höchstens in den kurzen Sommern z. T. der Fall. Die Interglazialzeiten waren indessen trotz ihrer vor allem infolge Rückganges der Eismassen naturgemäß höheren Sommerwärme keine atmo- sphärisch wesentlich trockneren Klimaphasen in- mitten des diluvialen Klimas; sie stellen vielmehr im wesentlichen ebenfalls das eigentliche Dauer- Charakteristikum des eiszeitlichen Klimas dar zu 562 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 39 Zeiten, wo die Vereisungen stillstanden, bzw. sich zurückgezogen hatten. Die Annahme, daß die Interglazialzeiten vollkommen selbständige Klima- phasen gewesen seien, die vom eiszeitlichen Klimacharakter vollkommen verschieden waren, ist meteorologisch durchaus unvorstellbar. Es müßten dann Klimaänderungen von gewaltigem Ausmaß sich über unseren ganzen Planeten während geologisch gesprochen sehr kurzer Zeiträume geltend gemacht haben. Aber das konnte nicht der Fall gewesen sein. Am unwahrscheinlichsten aber ist es, wie Fr. V. Kerner ^) näher erörtert hat, daß auch die Interglazialzeiten durch Polverschiebungen be- dingt gewesen seien. „Dann müßten nicht weniger als 7 große posttertiäre Faltungsperioden nach- weisbar seinl Die Vorstellung aber, daß nur die erste Eiszeit durch eine infolge großartiger Massen- umlagerungen eingetretene Polverschiebung ver- ursacht worden sei und daß dann der Erdball wie ein aus seiner Mittellage gebrachter Körper unter wiederholten Oszillationen in seine ursprüngliche Lage zurückgekehrt sei, wobei dann allerdings jenen Polverschiebungen, welche die drei folgenden Eiszeiten und die Interglazialzeiten bedingt hätten, nicht jedesmal große Krustenverschiebungen ent- sprechen müssen — wäre geomechanisch wohl unzulässig und zugleich eine Verquickung mit der Pendulationstheorie." Die Eiszeit war zwar in ihrer Haupterscheinung einheitlich und gleichzeitig und hatte auch in dieser Beziehung gleiche Ursachen. Aber zu den Ursachen kamen Wirkungen und so entstand für das Phänomen, als Ganzes betrachtet, ein Kausal- nexus, der noch dadurch verwickelter wurde, daß mehr oder weniger örtliche Einflüsse sich vielfach geltend machen mußten. Was die Ursachen des eiszeitlichen Klimas anlangt, so bemerkt E. Dacque sehr treffend: „Wer die Eiszeiten rein meteorologisch erklärt, derart, daß etwa infolge gewisser geographischer Zustände die Luftdruckmaxima und -minima so verteilt waren, daß dadurch Niederschlags- und Wärmeverhältnisse herbeigeführt werden, die ohne Hinzutreten eines sonstigen Faktors Vereisungen bewirkten, der muß implizite zugeben, daß diese primär und lokal entstehen können, und daß alle übrigen Eisherde sekundärer Natur, die scheinbar einheitlichen Vereisungen also genetisch ungleich- zeitig sind." Ist doch auch andererseits, wie Dacque hierzu weiter bemerkt, die Gleichartig- keit des Klimas zu anderen Zeiten über die ganze Erde hin, oder wenigstens die milde Temperatur auch in den Polargegenden, durch entsprechende Luft- und Meeresströmungen und dadurch be- einflußte Temperaturausgleiche und Feuchtigkeits- verteilung am plausibelsten zu erklären. A. P e n c k s Standpunkt in der Frage der Gleich- zeitigkeit ist folgender: „Den absoluten Beweis für den Synchronismus von Erscheinungen der ») a. a. O. Erdgeschichte kann die Geologie nicht erbringen, und für diejenigen, die einen solchen Beweis ver- langen, wird selbst die Frage offen bleiben müssen, ob die eiszeitliche Vergletscherung benachbarter Gebirge gleichzeitiger war oder nicht. Wer aber mit den gewiß unzulänglichen Hilfsmitteln der geologischen Chronologie zu arbeiten versteht, wird den Eindruck teilen, daß die letzte Eiszeit die verschiedenen Teile der Erde gleichzeitig be- troffen hat; denn in gleicher Frische stehen die von der letzten Vergletscherung gebildeten Formen vor uns, ob wir uns nun in Europa oder Nord- amerika, in Südamerika oder Australien befinden. Überall ist die Diskrepanz zwischen Klima und Formen gleich auffällig." Die speziell von mir vorgebrachten meteo- rologisch-klimatologischen Gründe für die Ein- heitlichkeit der großen diluvialen Vereisungen sind keine Hypothese, sondern eine auf meteo- rologisch-wetterkundlichen Tatsachen fußende Theorie, die sich überdies notwendigerweise aus der von Penck und Brückner für die Eiszeit geforderten Temperaturerniedrigung der Erde er- geben muß. Handelt es sich doch um Wetter- lagen, die unter gewissen Umständen eben auch in der Gegenwart gar nicht so sehr selten sind, und bisweilen sogar gleichzeitig auf der ganzen Erde, wenn auch in den einzelnen Erdgebieten mehr oder weniger deutlich, sich zeigen, obwohl sie durch andere Ursachen als die diluvialen Klimaschwankungen hervorgerufen werden. ') Was eben für die Eiszeit die Regel war, ist heute unter den geänderten Bedingungen, d. h. weil in- folge einer günstiger gestalteten Erdoberfläche die Wärme an dieser gestiegen und daher die Vergletscherungen zurückgegangen sind, nur noch ausnahmsweise der Fall. Die Gründe der Eiszeit wären nach der von uns vorgebrachten Ansicht tektonische und klimatische, also rein terrestrische, und was die Interglazialzeiten anlangt, z. T. auch astro- nomisch-tellurische; alle stehen sie jedoch mit- einander in Wechselwirkung; sie müssen eben- sowohl lokaler wie universeller Natur sein. Sicher aber sind sie in der Hauptsache auf der Erde selbst zu suchen, deren jeweiliges Antlitz sich sein Wetter und Klima selbst bereitet. Nicht etwa die hypothetische Minderung der Strahlungs- intensität der Sonne ist die Ursache der Eiszeit gewesen, sondern die Eiszeit selbst war Ursache der geringeren Sonnenwärme. Diese echt geo- graphischen Gründe erscheinen als die natürlichsten. ') Man ist indessen ebensowenig berechtigt aus 35 jährigen Klimaschwankungen auf solche lange Dauer zu rechnen, wie man aus dem Umstände, daß die Schneegrenze auf der Nord- halbkugel zu Beginn der 70 er Jahre einen Tiefstand, seit iSoo einen Hochstand aufweist, während in einem großen Teil der Südhalbkugel, in Amerika und auf der Südinsel Neuseelands von 38» südwärts, gerade entgegengesetzt ein Hochstand zwischen 1860 und 1870 und ein Tiefstand seit 1885 eintrat, die Schlußfolgerung ziehen darf, daß im Diluvium die Vereisungen auf beiden Hemisphären abgewechselt hätten. N. F. XVn. Nr. 39 NaturwissenschaMiche Wochenschrift. S63 Einer der größten Fehler aber, den 4»e Eiszeit- forschung begehen würde, wäre es, wollte sie über die Einheitlichkeit die Vielgestaitung des Phäno- mens vergessen — und umgekehrt. Ganz richtig bemerkt demnach E. D a c q u e am Schluß seines Buches über Grundlagen und Methoden der Paläogeographie, „daß in der Natur die Er- scheinungen nicht aus einer einfachen, sondern aus ineinander verwobenen Ursachenreihen be- stehen, und daß darum voraussichtlich nicht die einfache, sondern die komplizierte Erklärung in Zukunft die richtige sein wird". Einzelberichte. Hydrologie. „Über Boden-Filtration, Lage und Schutz von Wasserfassungen, mit besonderer Berücksichtigung militärischer Erfordernisse" gibt Major z. D. W. Kranz interessante Mitteilungen (Inaug.-Dissertation München 191 7). Bei Wasserversorgungen durch Quellen und Grundwasser ist es allererste Bedingung, daß das Wasser frei von jedwelchen gesundheitsschäd- lichen Stoffen oder Infektionsgelegenheiten ist. Durch krankheitserregende Kleinlebewesen im Trink- und Hausgebrauchswasser sind mit Sicher- heit übertragbar: Cholera, Typhus, tropische oder endemische Ruhr (Amöben), Weilsche Krankheit, Milzbrand (bei Tieren), wahrscheinlich übertragbar Paratyphus B und bazilläre oder epidemische Ruhr, fraglich übertragbar Magen- und Darmkatarrhe. Eingeweidewürmer sind ebenfalls durch Wasser übertragbar, ebenso können Vergiftungen durch blei- und arsenhaltiges Wasser erfolgen. Deshalb ist jede Infektionsmöglichkeit von Wasserfassungen durch menschlichen Kot, Jauche oder Mist zu verhindern. Trink- und Gebrauchswasser soll keimfrei sein, indessen genügt es praktisch auf Grund 20 jähriger Erfahrungen, wenn in i ccm des Filtrates dauernd nicht mehr als 100 Bakterien enthalten sind, die auf einer nach den Vorschriften des Kaiserl. Gesundheitsamtes bereiteten Nähr- gelatine bei einer Temperatur von 20" C inner- halb 48 Stunden gewachsen sind. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Bodenfiltration sind die Boden- und Grundwasserverhältnisse. Ganz be- sonders wertvoll sind in dieser Hinsicht die ver- dienstvollen Untersuchungen von G. Kabrhel über den Filtrationseffekt des Grundwassers. Beim Durchfließen des Wassers durch poröse Bodenarten bleiben — je länger der Weg und je feinkörniger die Bodenarten sind — im allgemeinen mehr und mehr Kleinlebewesen hängen. Die obersten Bodenschichten enthalten in der Regel die meisten Keime. Keimfreie Schichten sind z. T. bereits in i^/j m unter der Oberfläche (mit Gras bewachsener Boden), z. T. erst in 4 — 5 m Tiefe (bei Berlin) beobachtet worden. In einem großen Waldgelände mit diluvialen Sanden sank die Keimzahl schnell bis I — 2 m Tiefe, stieg aber beim Vordringen in größere Tiefe wieder an und enthielt bis 5 m Tiefe noch reichlich Bakterien. Waldgebiete zeigen infolge der vielen tief- gehenden Wurzeln im allgemeinen eine sehr hohe Keimzahl (bis zu 281680), Feld- und Wiesengelände weit weniger. Als Regel gilt, daß der Boden in der Umgebung der Wurzeln reich an Bakterien ist. Pflanzen- freies Gelände enthält bei 50 cm Tiefe weit weniger Mikroben als Wiesen- und Ackergelände. Sandboden besitzt im allgemeinen einen guten Filtrationseffekt, so daß er bereits in I — 2 m Tiefe vor oberflächlich eindringenden pathogenen Mikroben selbst unter gedüngten, ge- ackerten, geegten und besäten Feldern geschützt ist. Fetter plastischer Ton von einigen Zenti- metern Dicke bietet einen kräftigen Widerstand gegen das Eindringen von Mikroben, so daß Keime eines jauchigen Düngerhaufens bereits in i — 1,5 m Tiefe nur noch in geringer Zahl vorhanden sind. Im Stellungskriege mit seinem durch Granaten, Minen, Gräben, Abort- und Abwässergruben, Gräber usw. durchwühlten Boden werden die natürlichen Geschwindigkeitsverhältnisse der Fil- tration vielfach in unberechenbarer Weise abge- ändert. Beim Fassen von Trink- und Gebrauchs- wasser darf man sich dann nicht mehr mit Tiefen von l^ — 2 m für feinkörnigen Sand und Ton begnügen, wenn die Möelichkeit vorliegt, daß das Einzugs- gebiet einer Quelle oder das deckende Gebirge des Grundwassers beschädigt und der Filtrations- effekt verschlechtert wurde. Dies gilt in Trocken- zeiten auch für viele Lehme, besonders Auelehme, welche bis 2 m tiefgehende Risse und Spalten bekommen können. Genügend gereinigtes keimfreies Grundwasser kann man erst in größerer Tiefe erwarten. In durchlässigen Flußäblage- rungen sind 5 m Tiefe als die geringste zulässige Filtertiefe bei hohem Grund- wasserstand und schwacher oder fehlender Deck- schicht anzusehen. Bei bestehender Möglichkeit einer Verunreinigung durch Abortwässer wird man 7 — 8 m und noch größere Filtertiefen anwenden müssen, namentlich bei größeren Menschenan- sammlungen wie im Stellungskriege oder in Truppenlagern. Wo es die Verhältnisse nicht zu- lassen, bis zu solcher Tiefe hinunterzugehen, müssen Schutzbezirke um die Wasserfassungen geschaffen werden (sorgfältige Abwässerung, Beseitigung von Pflanzen- und Baumwuchs). Eine Reihe von Brunnen, die im Sinne des Grundwasserstands oberhalb, neben und unterhalb von Dörfern angelegt wurden, ließen erkennen, 564 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 39 daß die oberhalb" und seitlich angfelegtcn Brunnen in der Mehrzahl gutes Wasser lieferten, die unter- halb gelegenen meist schlechtes. Die dem Dorfe zunächst gelegenen Brunnen sind um so mehr ge- fährdet, in je größerer Nähe Jauchegruben liegen. Zu besonderer Vorsicht ist man bei Anlage von Brunnen in stark zerklüfteten Bodenarten (geschichtete Kalksteine) genötigt, da sie oft viele Kilometer weit das Grund- und Quellwasser ■ ohne jede" Filtration zu leiten ver- mögen und sie andererseits auch durch regellos verschluneene Spalten und Klüfte verunreinigt werden können. In solchen Gebieten sollten Jauche-, Dung- und Abortanlagen sowie Gräber möglichst in stark lehmigen oder tonigen Deck- schichten angelesft werden, ja nicht in Steinbrüchen, Erdfällen oder Spalten. Sandsteinklüftc ge- währleisten infolge Bildung von Sandlagen eine gute Filtration. InwagrechterRichtung darf als äußerste Grenze des Filtrationseffektes nicht weniger als 50m Entfenung zwischen einer oberhalb von der Wasserentnahmestelle (im Sinne des Grundwasserstroms) gelegenen Abwasser-, Abort-, Jauchegrube u. del. angenommen werden. All- gemein gültige Festsetzungen über die Entfer- nungen zwischen Wasserfassungen und Schmutz- wasserversickerungen lassen sich vom geologischen Standpunkte nicht geben. Sie müssen in jedem Einzelfall nach Untersuchung des Bodens durch einen Geologen bestimmt werden. Dasselbe gilt auch für die Anlage eines Schutzbezirkes um Wasserfassungen. BeiTrinkwasserfassungeninderNähe von Bach-, Fluß- oder S eeufernmitschmutz- stoffbeladenem Wasser ist auf geologisch-hygie- nischer Grundlage die Entfernung zu beurteilen, in welcher keimfreies Wasser aus einem durch- lässigen Grundwasserträger in natürlich filtriertem Zustande gewonnen werden kann. Mit zunehmender Entfernung vom Ufer nimmt die Güte des Filtrates zu, indessen die Ergiebigkeit vielfach ab. Die zwischen offener Wasserfläche und der Grund- wasserentnahmestelle gelegene „neutrale Zone" wird man nach den Bodenverhältnissen und den Grundwasserständen breiter oder schmäler an- ordnen. Es ist um so größere Vorsicht not- wendig, je gröber das Bodenkorn ist. Läßt sich die Entfernung der Brunnen vom Ufer nicht hin- reichend vergrößern, so kann man sie bei ge- nügender Mächtigkeit des Grundwasserträgers durch vertikale Filtration ersetzen, indem man dann den Filter des Brunnens tiefer einbaut. Im allgemeinen ist bei derartigen Fassungen natürlich filtrierter Fluß-, See- oder Bachwässer große Vorsicht ge- boten. Ein offener Zutritt aus dem Flusse in die Brunnen darf keineswegs gestattet werden. Von ganz besonderer Bedeutung ist die Boden- filtration für die Anreicherung von Grund- wasser. Der deutsche Hydrologe A. Thiem hat als erster vorgeschlagen, Oberflächenwasser aus offenen, möglichst reinen Süßwasserflächen in sandigen Boden zu filtrieren und in einiger Entfernung wieder als Trinkwasser zu fördern. („PIrzeugung künstlichen Grundwassers".) Man läßt aus mit Sand bedeckten Anreicherungsgräben Wasser auf durchlässigem Boden oberhalb der Grundwasserentnahmestellen versickern. Dadurch wird nach einiger Zeit — bei langsamer und guter Filtration erst nach mehreren Jahren — der durch Pumpen abgesenkte Grundwasserspiegel künstlich gehoben. Je gleichmäßiger das Bodenkorn ist und die Infiltration erfolgt, um so besser wirkt das Verfahren. Nach Scheelhaase ist das schmutzige Mainwasser bei Frankfurt in 130 m Entfernung bei 3 m Infiltrationstiefc frei von Keimen, Geruch, Geschmack, Färbung und organischen Bestand- teilen. Anreicherung von Grundwasser ist im Stellungskrieg selten nötig, da die vorhandenen Wasservorräte meist ausreichen, indessen kann das Verfahren bei großen Truppenansammlungen, Garnisonen u. dgl. bisweilen in Betracht kommen. Alle Fraeen über Boden-Filtration, Lage und Schutz von Wasserfassungen können nur auf geo- logischer Grundlage einwandfrei durch- geführt werden, da die Beschaffenheit des natür- lichen Bodenfilters und der Grundwasserverhält- nisse von ausschlaggebender Bedeutung sind. V. Hohenstein. Halle. Mineralogie. „Die Natur des Wassers in den Zeolithen" behandelt Georg Stocklossa in Breslau im „Neuen Jahrb. für Min., Geol. und Paläontol. XLII. Beilageband 191 8, S. i. Die Veranlassung zu dieser Arbeit gab die von der philosophischen Fakultät der Universität zu Bres- lau gestellte Preisaufgabe, ob das Wasser in den Zeolithen chemisch gebunden ist oder nicht. Zur Klärung dieser Frage untersuchte der Verfasser sieben Vertreter der Zeolithe, nämlich : Heulandit, Skolezit, Natrolith, Harmotom, Chabasit, Analzim und Apophyllit. Da aus Entwässerungskurven, die kontinuier- lich verlaufen, keine sicheren Schlüsse über die Wasserbindung gezogen werden können, unter- suchte der Verf. die Satt igu ngskurven, die im Gegensatz zu den Entwässerungskurven ruckweise verlaufen und deren Verlauf erst entscheiden läßt, ob das Wasser chemisch gebunden ist oder nicht. Nachdem die einzelnen Zeolithe quantitativ analysiert worden waren, wurden die Pulver der- selben der Sättigung in einem Kellerraum, der eine fast konstante Temperatur von 17° besaß, ausgesetzt. Ferner wurden nach vorhergegangener teilweiser Entwässerung Sättigungsversuche bei den verschiedensten Temperaturen angestellt. Eine optische Untersuchung konnte nur am Heulandit vorgenommen werden, da die übrigen Stoffe wegen mangelnder Spaltbarkeit ungeeignet dazu erscheinen. I. Heulandit vom Teigarhorn auf Island. Kristalle, farblos, halbdurchsichtig, starker Perl» N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 56s mutterglanz auf der vollkommenen Spaltungsfläche b(oio). Bei Zimmertemperatur (17") nimmt frischer, mit Feuchtigkeit gesättigter Heulandit 5,S M0I.H2O auf, was eine Verdoppelung der Formel wahr- scheinlich macht. Die Untersuchung bei höheren Temperaturen ergab einen ziemlich gleichmäßigen Verlauf der Entwässerungskurve, während die Wässerungskurve sich aus einer Reihe flach und steil ansteigender Abschnitte zusammensetzt. Diese Tatsache aber beweist eindeutig, daß das Wasser im Heulandit chemisch gebunden ist. Da die Rechnung auch auf halbe Wassermoleküle führte, muß die Heulanditformel verdoppelt wer- den. Sie lautet demgemäß: Ca^Al^SijjOgj ■ I1H.3O. Es können nach den Untersuchungen 1 1 Hydrate mit I — II Molekülen H.^O entstehen. Aus der optischen Untersuchung der Spaltblättchen des Heulandits ging hervor, daß bei der Entwässe- rung keine Zertrümmerung der Mole- küle stattfindet. Der wieder gewässerte Heulan- dit ist chemisch und optisch mit dem Ausgangs- material identisch. Die zwischen den beiden Hydraten mit 9 und 10 Molekülen H2O von Rinne beobachtete Einachsigkeit ist als Kom- pensationserscheinung zu deuten. Sie wird da- durch hervorgerufen, daß in dem Hydrat mit 9H2O die Schwingungsrichtung a und b die um- gekehrte Lage haben wie in dem mit loH^O. II. Skolezit von Island, frisch, halbdurch- sichtig, farblos bis weiß. Das Material war radial- stenglig und zeigte starken Glasglanz auf (lio). Der Wassergehalt in feuchter Atmosphäre geht nicht über 3 Mol. hinaus. Die Wässerungskurve wies wiederum die charakteristischen Knicke auf, wodurch auch in diesem Falle nachgewiesen ist, daß das Wasser im Skolezit chemisch gebun- den ist. Die Sättigung mit Wasserdampf führte auf sechs Hydrate. Dem Skolezit kommt also bei gewöhnlicher Temperatur wenigstens die Formel Ca2Al,Si602o-6H.,0 zu. III. Natrolith aus Böhmen, kristallinisch, stenglig, farblos und weiß. Das Material nimmt nur sehr wenig HjO auf und zeigt somit, daß es bei Zimmertemperatur gesättigt ist. Die dem Natrolith zugeschriebene Formel Na2AljSi„Oj(,-2H20 kann daher als richtig betrachtet werden. Die Wässerungskurve zeigt auch beim Natrolith an, daß das Wasser che- misch gebunden ist, und zwar können sich vier Hydrate mit I— 4 Mol. H5O bilden, von denen jedoch das letzte mit i Mol. H2O am un- beständigsten ist. Da die Rechnung auf halbe Wassermoleküle führt, muß die Formel mindestens verdoppelt werden, Na^Al^SigO^o ■4H2O. IV. Harmotom von Strontian. Die Kristalle waren glasglänzende Zwillinge, farblos, durchsich- tig bis durchscheinend. Die Versuche ergaben, daß es möglich ist, in mit Feuchtigkeit gesättigter Luft den Harmotom bis auf 5 Mol. HjO zu bringen. Die Wässerungsver- suche bei höheren Temperaturen zeigten das gleiche Ergebnis wie bei den bisher untersuchten Mineralien. Das Wasser des Harmotoms ist eben- falls chemisch gebunden. Es können 10 Hydrate mit i — 10 Mol. HjO auftreten. Da die Rechnung auch halbe Wassermoleküle ergibt, ist die Formel mindestens Baj,Al4Sijo028- 10H2O zu schreiben. V. Chabasit von Nova Scotia. Die ver- wendeten Kristallstufen bestanden aus lauter kleinen, gut ausgebildeten, schwach dunkelgelb gefärbten und durchsichtigen Rhomboedern. Der Wassergehalt konnte auch an feuchter Luft nicht über 5 Mol. gebracht werden. Der Verlauf der Wässerungskurve bei höheren Tempe- raturen zeigt auch hier wiederum deutlich, daß das Wasser im Chabasit ebenfalls chemisch ge- bunden ist. Er kann 10 Hydrate mit i — 10 Mol. H2O bilden. Die Rechnung ergibt auch hier halbe Wassermoleküle. Folglich kommt dem Chabasit mindestens die folgende Formel zu: CajAl.SisOj.-ioHjO. VI. Analzim von der Seiseralp. Das Mate- rial war von weißer bis schwach rötlicher Farbe, durchscheinend bis durchsichtig. Die Versuche ergaben, daß der Analzim ge- sättigt ist. Die Aufnahme des Wassers geht bis 100" sehr langsam vor sich, steigt dann bis 140' rasch an, um von da ab wieder mäßig vorwärts zu schreiten. Die Sättigung mit Wasserdampf führte oberhalb von 270" auf i Hydrat mit iHjO. Ob auch Hydrate mit 2, 3 und 4 Mol. HgO ent- stehen können, ist nicht zu entscheiden. Die sprungweise Änderung kommt jedoch auch hier klar zum Ausdruck. Es ist also auch das Wasser des Analzims chemisch gebunden. Da die Rechnung wiederum auf halbe Wassermoleküle führt, ist die Formel des Analzims wie folgt zu schreiben: Na^Al4Si8024 •4H2O. VII. Apophyllit von der Seiseralp. Es standen besonders schöne Kristalle von reinem, farblosem und völlig durchsichtigem Material zur Verfügung. Das Material stellte sich als bei Zimmertempe- tur gesättigt heraus. Es kann daher die Formel, die gewöhnlich mit 2H2O angegeben wird, als richtig angesehen werden. Die Vornahme der Wässerungsversuche zeigte, daß der Apophyllit nicht die Fähigkeit besitzt, sein ab- gegebenesWasser wiederaufzunehmen. Da dadurch festgestellt ist, daß die Entwässerung beim Apophyllit kein reversibler Prozeß ist wie bei den übrigen Zeolithen, erhebt sich die Frage, ob er überhaupt zu diesen zu rechnen ist. Dana, sowie auch Tschermak haben ihn bereits von den eigentlichen Zeolithen abgesondert. Aus den bisher veröffentlichten analytischen Daten und aus den beiden eigenen Analysen zieht der Verf. auch hier den Schluß, daß das Wasser des Apophyllits ebenfalls chemisch gebunden ist. F. H. Völkerkunde. Die Bevölkerung Arabiens. Zu den noch am wenigsten erforschten Gebieten 566 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 39 der Erde gehört Arabien, trotzdem es dem euro- päischen Kulturzentrum recht nahe liegt. Verant- wortlich dafür ist vor allem die unwirtliche Natur des über drei Millionen Quadratkilometer um- fassenden Landes und in zweiter Linie der kriege- rische Charakter der dort wohnenden Völker. Die Halbinsel Arabien schiebt sich zwischen Asien und Afrika ein. Sie ist im Westen durch das über 2000 km lange Rote Meer und im Osten durch den etwa 1500 km langen Persischen Golf von den Nachbarländern getrennt. Diese Meere haben jedoch nicht völkertrennend, sondern eher völker- verbindend gewirkt. Klima und Bodenbeschaffen- heit Arabiens haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach während der langen Zeit, über die wir ge- schichtliche Nachrichten über das Land haben, nicht geändert. Aber die Kultur ist zurückgegaugen. Wenn heute weite Strecken verödet sind, wo früher reiches Leben blühte, wenn ferner die Reste von Schlössern und Burgen, ja von Städten in Tälern gefunden werden, die heute nur von Nomaden belebt sind, so ist dies kein Zeichen von neueren Klimascjhwankungen, sondern vielmehr von dem Sinken des Kulturstandes infolge politischer oder wirtschaftlicher Änderungen seit dem Verfall des Abbasidenreiches, durch welche eine mangelhafte Wasserökonomie bedingt wurde, denn auch in den reichsten Gegenden ist ohne sorgsamste Wasser- haltung, ohne Aufspeicherung des Ergebnisses der wenigen Regen, ein erträglicher Landbau nicht möglich. Ferner bekam durch den Einfluß des Islams das Beduinenelement das Übergewicht über die seßhafte Bevölkerung, und auch dadurch wird ein Kulturrückgang stattgefunden haben, so daß allmählich die Wüste Gegenden einnahm, die früher blühende Kulturländer waren. (Stuhlmann, Der Kampf um Arabien. Hamburgische Forsch- ungen, Bd. i). Im Altertum war Arabien zwar dichter bevölkert als es jetzt ist, doch war wegen der zu allen Zeiten relativ geringen Bodenfruchtbarkeit die Bevölkerungszahl immer ziemlich gering. Sie wird für die Gegenwart von verschiedenen Autoren auf 3 ^/, bis 1 1 Millionen Menschen geschätzt. Die Schätzungen gehen so sehr auseinander, weil sie der sicheren Grundlagen entbehren. Die Semiten sind die ältesten geschichtlich nach- weisbaren Bewohner Arabiens, die von hier aus die umliegenden Kulturländer beeinflußten. Die baby- lonischen Semiten, die Hebräer, Aramäer usw. gingen von Arabien aus. Es ist anzunehmen, daß die Halbinsel vor dem Eindringen der Semiten von hami tischen Völkerschaften bewohnt war. Hierauf weisen sowohl gewisse Kulturelemente hin, ^) wie nicht minder die körperliche Eigenart der heutigen Stämme Südarabiens. (Vgl. Feh- linger, „Das Protektorat Aden"; Asien, Bd. XV. Heft 3.) Stuhlmann sagt (a. a. O.): Es ist möglich daß die so tiefgehende Zweiteilung der Kultur in Arabien auch eine ethnographische Ursache ')Vgl. A. Musil, Arabia petrarca, 3. Teil, Ethnol. Reise- bericht. hat, daß die jetzt herrschende semitische Nomaden- klasse sich über eine seßhafte mehr hamitische Schicht schob, ja daß Südarabien ein Durchgangs- land für langdauernde transerythräische Völker- wanderungen war, die von Asien aus nach Europa gerichtet waren. Mangels genauer Untersuchungen sind aber die Ansichten hierüber noch durchaus ungeklärt. Jedenfalls wissen wir, daß auch im kulturell hochstehenden Südarabien eine herrschende Adelsklasse und weniger angesehene kastenartig gegliederte Städter vorhanden sind. Wohl in be- deutendem Maße durch die unwirtliche Natur des Landes mitbedingt ist die stramme Stammesor- ganisation der meisten Araber, die sich keiner fremden Autorität auf die Dauer fügen. Das ganze öfifentliche Leben spielt sich im Rahmen des Stammes und der Stammesgruppen ab. Auch dort, wo es zu Staatenbildung kam, — in Süd- arabien — weicht die Staatsorganisation von dem Staat in unserem Sinne weit ab. Bei diesen Staaten- bildungen haben wohl auch fremdkulturelle Ein- flüsse mitgewirkt; wissen wir doch von einer großen jüdischen und christlichen Kolonisation in Arabien, sowie davon, daß Teile der Halbinsel ziemlich lange Zeit unter persischer und unter abessinischer Herrschaft standen. Von Arabien und besonders Südarabien aus gingen andererseits wieder Wanderungen nach den benachbarten Ländern, besonders nach Ostafrika. Wahrschein- lich werden jahrhundertelang Menschen von Süd- arabien nach der gegenüberliegenden Küste ge- wandert sein und so den Grund zu der hamitischen Bevölkerung der Galla, Somali usw. gelegt haben. Die arabischen Sabäer haben um das Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung Abessinien besiedelt. Später, im letzten Jahrhundert vor unserer Zeit- rechnung, sind dann die Habaschi aus Südarabien nach Abessinien ausgewandert; nach ihnen wurde dieses Land benannt. Die Sabäer fuhren auch nach der Ostküstc von Afrika und nach Indien. Im 7. und 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung sind ebenfalls arabische Wanderungen nach Ost- afrika nachgewiesen, nachdem sie eine Zeitlang unterbrochen gewesen zu sein scheinen. Im Osten zogen mindestens arabische Händler schon im frühen Altertum nach Zentralasien, Indien und China. Doch ist es dort, soviel bisher festgestellt werden konnte, zu eigentlichen Kolonisationen nicht gekommen. H. p-ehlinger. Botanik. Ein neues Exsikkatenwerk über die Flechtengattung Cladonia. In diesen Tagen ist der erste Teil eines großangelegten Exsikkaten- werkes zur Versendung gekommen, das von dem bekannte n Lichenologen Heinrich Sandstede (Zwischenahn) zusammengestellt wird und in hohem Maße die Aufmerksamkeit der Fachgelehrten ver- dient. Es handelt sich um eine Sammlung, in der die Arten und Formen der Flechtengattung Cladonia niedergelegt sind und zwar in einer Vollständigkeit, wie sie bisher noch nicht geboten worden ist. N. F. XVn. Nr. 39 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 567 Jeder, der sich mit der Gattung Ciadonia ein- gehender beschäftigt hat, weiß, mit welchen Schwierigkeiten es oft verknüpft ist, eine Form richtig unterzubringen ; nicht mit Unrecht hat man daher die hierher gehörigen Flechten mit den Hieracien verglichen. Indessen ist jener Umstand der Anlaß dazu gewesen, daß von jeher die besten Lichenologen auf das Studium der Cladonien be- sondere Mühe verwendet haben, und so liegt denn über diese Gattung eine ziemlich umfangreiche Spezialliteratur vor. Einer der ersten, der es unternahm, die Kennt- nisse seiner Zeit über die „Säulchenflechten" zu- sammenzufassen, war Wallroth, ') der zweifellos einen außergewöhnlichen Scharfblick für gering- fügige morphologische Unterschiede besaß, aber in der Umgrenzung der Arten so sehr von den Anschauungen anderer Forscher abwich, daß sein Buch nicht viel Anklang fand; es ist noch dazu in einer höchst seltsamen, von neugebildeten Fach- ausdrücken wimmelnden Sprache geschrieben und deshalb schwer lesbar. Ungefähr zur selben Zeit wie Wallroth veröffentlichte dessen Lehrer H. G. Floerke nach mancherlei Vorarbeiten ein Werk über die Cladonien, ') das als vortrefflicher Führer dienen konnte und lange von maßgeblichem Einfluß blieb, bis in den Jahren 1887 — 1898 Edv. Wainio seine dreibändige Monographie*) er- scheinen ließ, die vielleicht das Wertvollste dar- stellt, was je über eine Pflanzengattung geschrieben worden ist. Auf Grund einer zwanzigjährigen Beschäftigung mit den Cladonien und eines über- aus sorgfältigen Studiums der gesamten Literatur und der Exsikkaten in den verschiedensten Her- barien der Welt wird in diesem Meisterwerke alles zusammengetragen, was sich über die Gattung sagen läßt, werden Arten und Formen genau beschrieben und mit solchem Scharfblick gegen- einander abgegrenzt, daß die Wainio 'sehe Auf- fassung wohl auf Jahrzehnte hinaus Geltung be- halten wird. Nach dem Wainio' sehen Werke wurden dann die Cladonien einzelner Gebiete- bearbeitet u. a. von Kernstock (Europa),*) Parrique (Frank- reich)^) und Aigret (Belgien).«) Über die Cla- donien des nordwestdeutschen Flachlandes schrieb Sandstede zwei wertvolle Abhandlungen,') in ') Friedr. Wilh. Wallroth, Naturgeschichte der Säulchenflechlen oder monographischer Abschluß über die Flechtengattung Cenomyce Ach. Naumburg, 1828. «J H. G. Floerke, De Cladoniis difficiUimo Lichcnum genAe comnientatio nova. Rostockii, 1829. ') Edv. Wainio, Monographia Cladoniarum universalis. Helsingfors 1887 — 1S98. (Acta Societatis pro fauna et flora Fennica, vol. IV, vol. X, vol. XIV). ■•) E. Kernstock, Die europäischen Cladonien. XLIII. Jahresbericht der Staats-Oberrealschule zu Klagenfurt. 1900. ») F. G. Parrique, Cladonies de la Flore de France (Actes de la Societe Linneenne de Bordeaux, 6ieme serie, vol. 9). ") Clem. Aigret, Monographie des Ciadonia de Belgique. (Bulletin de la Socieie Royale de Botanique de Belgique. Tome quarantieme. Bruxelles, 1903.) ') Heinr. Sandstede, Die Cladonien des nordwest- deutschen Tieflandes und der deutschen Nordseeinseln. (Ab- handlungen des naturwiss. Vereins zu Bremen, 1906 u. 1912.) denen er zugleich die nach Wainio gemachten Fortschritte berücksichtigte. Obgleich nun in allen diesen Arbeiten gute, zum Teil vortreffliche Beschreibungen oder Be- stimmungstafeln sich finden, lassen sich dennoch nicht immer Arten und Formen danach mühelos ermitteln, einmal wegen der großen Neigung der Cladonien zu variieren, dann aber auch, weil manche Unterscheidungsmerkmale recht geringfügigerNatur sind oder sich mit Worten nicht gut wiedergeben lassen. Auch mit photographischen Abbildungen ist hier wenig geholfen, weil in ihren Farben- unterschiede, die bei der Beurteilung oft eine ent- scheidende Rolle spielen, nicht zum Ausdruck kommen können. ^) Das beste Mittel, Cladonien zu bestimmen, bleibt immer der Vergleich mit guten Exsikkaten. In klarer Erkenntnis dieser Sachlage haben deshalb schon früher u. a. Raben- horst') und Rehm') den Versuch gemacht, besondere Sammlungen von getrockneten Cladonien zusammenzustellen, aber alle diese sind lange vor dem Erscheinen der Wainio 'sehen Monographie herausgegeben worden und daher in der Bezeich- nung und Umgrenzung der Arten zum Teil ver- altet, außerdem geben sie oft nur spärliche Proben. Hier greift nun das neue Werk von Sandstede^) ein. Es übertrifft an Reichhaltigkeit des Materials alle früheren Sammlungen und steht auf dem neuesten Standpunkte der Flechtensystematik. Wainio hat die Gattung Ciadonia in die drei Untergattungen Cladina, Pycnothelia und Cenomyce zerlegt. In dem soeben erschienenen ersten Fas- zikel der Sandstede'schen Sammlung werden in 123 Nummern die Arten der ersten beiden Untergattungen nebst vielen Varietäten ausgegeben. Zur Untergattung Cladina gehören alle Pflanzen, die Linne unter dem Namen Liehen rangiferinus zusammengefaßt hatte. Von Wainio wurde die schon von älteren Lichenologen angebahnte Spal- tung dieser Sammelspezies in vier Arten rangi- ferina, sylvatica, pycnoclada und alpestris durch- geführt; von der Ciadonia sylvatica unterscheidet er eine Reihe recht unähnlicher Formen, so daß es gerechtfertigt erschien, diese Art noch weiter zu zerlegen. Nach dem Vorgange Harmand's*) spaltet Sandstede von ihr zunächst Ciadonia tenuis und Ciadonia impexa ab, sodann gibt er unter Nr. 55 noch eine ganz neue Art aus, die er Ciadonia mitis nennt. ') Gute Bilder von Cladonien finden sich in den erwähnten Arbeiten von Sandstede, sowie bei Zopf, Beiträge zu einer chemischen Monographie der Cladoniaceen (Her. d. Dtsch. Botan. Ges. Festschrift, 1907). Ferner sei hingewiesen auf Arnold, Icones Cladoniarum ex herbariis F 1 o e r k e, Wallroth, ....erschienen in Arnold, Lichenes exsiccati Nr. 1263— 1356, 1412— 1431, 1450— 1463, 1484 — 1496, 1636 bis 1643, 1674— 1684. '') R a b e n h o r s t , Cladoniae europaeae exsiccatae, Dresden 1860; Suppl. I. Dresden 1863. ») Kehm, Cladoniae exsiccatae, Diedenhofen 1869. *) Sandstede, Cladoniae exsiccatae. Fase. I ; Nr. I bis 123. Zwischenahn 1918. ») Harmand, Lichens de France, l9osff, S. 228—235. 568 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 39 Zu dieser Cladonia mitis gehören mod. prostrata undmod. soralifera. Die letztgenannte Form bietet insofern etwas völlig Neues, als in ihr zum ersten Male eine Soredienform aus der Cladinagruppe bekannt wird ; bisher galt das Fehlen von Soralen als wesentliches Merkmal der Untergattung. Zum erstenMale ausgegeben wird ferner die schon früher ') beschriebene, zu Cladonia sylvatica gehörige f. pygmaea Sandst. Von der Reichhaltigkeit der Sandstede- schen Exsikkaten bekommt man eine Vorstellung, wenn man hört, daß in ihnen Cladonia rangi- ferina (nebst den Formen vulgaris, stygia, incrassata, major, tenuior und humilis) mit 23 Nummern und Cladonia sylvatica (mit den Formen pygmaea, arbuscula und decumbens) mit 20 Nummern ver- treten sind. Von Cladonia tenuis werden neben der Stammform die Abarten flavicans, viridescens, decumbens und fuscescens in 12 Nummern aus- gegeben. Nicht weniger als 42 Nummern sollen ein Bild von der Veränderlichkeit der Cladonia impexa geben ; sie enthalten die Formen conden- sata, purnila, spumosa, portentosa, erinacea. Die neue Cladonia mitis hat Sandstede an ver- schiedenen Stellen gefunden ; 20 Nummern zeugen von der weiten Verbreitung dieser Flechte. Ferner weist der erste Faszikel noch auf Cladonia alpestris (1 Nummer) und Cladonia (Pycnothelia) papillaria (4 Nummern). Nummer 1 1 1 bietet ein Gläschen Cladonienmehl, von Prof. Jakobj-Tübingen eingesandt. ') Jede einzelne Nummer gibt reichliches, gut präpariertes Material; dadurch daß die meisten Formen von mehreren Standorten ausgegeben werden, wird zugleich unsere Kenntnis von ihrer geographischen Verbreitung vermehrt; kurzum die „Cladoniae exsiccatae" stellen eine sehr er- freuliche Bereicherung unseres Exsikkatenschatzes dar. Dem Herausgeber gebührt Dank für die selbstlose, gewissenhafte Arbeit, die er im Interesse der Wissenschaft auf sich genommen hat. Der Fortsetzung des Werkes darf man mit Spannung entgegensehen. Johannes Hillmann-Berlin- Pankow. S. 342 ) Sandstede, Clad. d. noidwestd. Tiefl. 11, 1912, *) Vgl. dessen Arbeiten: Die Flechten als Nähr- und Futtermittel. Die in Deutschland vorhandenen Lager von Renntierflechte und ihre Verwertung als Futter. Weitere Bei- träge zur Verwertung der Flechten. Sämtlich Tübingen 1915/16. Bücherbesprechungen. Anton Berg, Ätherströmungs- und Äther- strahlungshypothese zur Erklärung der kosmischen Strahlungserschei- nungen mit besonderer Berücksich- tigung der Erde, des Jupiter und vor allem der Sonne. VIII u. 253 S., 63 Abb. Verlag Natur und Kultur, München 1916. Verfasser sucht die ihm bekannte Welt, deren Kenntnis er wohl weniger aus Originalarbeiten, als aus populärwissenschaftlichen Büchern, Zeit- schriften und vor allem aus den Referaten der Jahrbücher der Naturw. schöpft, durch eine neue Hypothese zu erklären. Der Äther wird grob mechanisch, als ein dünnes Gas aufgefaßt, in dem durch Bewegung der Himmelskörper Strömungen entstehen, die ihrerseits Ätherwellen erregen. Das geschieht entweder durch Vermittlung der wäg- baren Körper, so wie Luftströme in einem Har- monium Schallwellen hervorbringen, oder im Äther selbst, ein Vorgang, welcher an den Helm- holtzschen Luftwogen erläutert wird. So zieht an dem Leser eine mechanistische Kosmologie vorbei, die sich mit einer bildhaften Deutung der qualitativen Seite physikalischer und astrophysi- kaiischer Erscheinungen begnügt und dadurch manche Ähnlichkeit mit der Hypothesenphysik vergangener Jahrhunderte gewinnt. — Jeder Forscher, der nicht reiner Analytiker ist, wird sich Bilder machen von dem, was er erschaut. Berechtigung gewinnen solche Arbeitshypothesen aber erst dann, wenn sie über die qualitative Seite der Dinge, aus der sie gewonnen sind, hinausweisen und zu Führern bei der Ent- deckung von Gesetzmäßigkeiten werden. Dr. Victor Engelhardt. Literatur. Lindow, Studienrat, Dr. M., Differentialrechnung unter Berücksichtigung der praktischen Anwendung in der Technik mit zahlreichen Beispielen und Aufgaben versehen. 2. Aufl. Mit 45 Textfiguren und 161 Aufgaben. Mathematisch-physikalische Bibliothek. Leipzig u. Berlin '18. B. G. Teubner. — I M. Wieleiter, Rektor Dr. H., Der Begriff der Zahl. 2. durchgesehene Aufl. Mit 10 Textfiguren. Maennchen, Prof. Dr. Ph., Geheimnisse der Rechen- künstler. 2. Aufl. 0nha3t: Wilh. R. Eckardt, Über das Klima der diluvialen Eiszeit und der Interglazialzeiten. S. 553.— Einzelberichte: W. Kranz, Über Boden-Filtration, Lage und Schutz von Wasserfassungen mit besonderer Berücksichtigung militärischer Erfordernisse. S. 563. G. Stocklossa, Die Natur des Wassers in den Zcolithen. S. 564. Stuhlmann, Die Be- völkerung Arabiens. S. 565. Heinr. Sandstede, Ein neues Exsikkatenwerk über die Flechtengattung Cladonia. S. 566. — Bücherbesprechungen: Anton Berg, Ätherströmungs- und Ätherstrahlungshypothese zur Erklärung der kos- mischen Strahlungserscheinungen mit besonderer Berücksichtigung der Erde, des Jupiter und vor allem der Sonne. S. 568. — Literatur: Liste. S. 568. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 'Ib« IT- Reihe Sonntag, den 6. Oktober 1918. Nummer 40< (Nachdruck verboten. Zur Frage der Eisheiligen. Von G. Karsten, Halle. Die alljährlich wiederkehrende, mehr oder minder regelmäßig und in verschiedener Stärke einsetzende Erscheinung, daß in der Zeit zwischen 10. bis 15. Mai die bis dahin dem höheren An- steigen der Sonne und der zunehmenden Tages- länge folgende Temperatursteigerung einen jähen Kälterückfall erfährt, der vielfach die Minimal- temperatur unter den Gefrierpunkt sinken läßt, wird allgemein als die Periode der „Gestrengen Herren" oder der „Eisheiligen" bezeichnet. Kein Gärtner oder Gartenliebhaber wagt es irgend empfindlichere Gewächse vor Mitte Mai des Nachts ungeschützt sich selbst zu überlassen — so allgemein verbreitet ist der Glaube, daß, wie ein Natur- gesetz, diese bösen Maitage die Vegetation tief schädigen werden. Die Erklärung für den plötzlichen Wärme- rückgang hat man wohl in den nach Süden treibenden Eismassen des Atlantischen Ozeans und der Nordsee gesucht, deren Abschmelzen zu einer so starken Abkühlung des Kontinentes führe. Doch ist bei diesem Erklärungsversuch nicht ein- zusehen, warum dieser Zeitpunkt jedes Jahr so genau eintreffen sollte, und es müßte außerdem eine längere Dauer der Kälteperiode beobachtet werden können, die jedoch ebenso plötzlich, wie sie gekommen, auch schon nach drei bis vier Tagen verschwunden ist. Es werden wohl auch Polarströmungen für die Eisheiligen verantwortlich gemacht, und diese Ansicht scheint auch in der Arbeit von Hettner*) vertreten zu werden: „Wenn der Hochdruck über den Britischen Inseln oder dem Ozean liegt, stellt sich eine nord- westliche vom Ozean gegen das Land gerichtete Luftbewegung ein, welche Kälte hereinbringt und Kälterückfälle und Spätfröste bewirkt, usw." Daß aber die Erscheinung sowohl bei Westwinden mit niedrigerem, wie bei Ostwinden mit verhältnis- mäßig hohem Barometerstande eintritt, spricht nicht gerade für einen solchen Zusammenhang mit der Luftzirkulation. In einer mir aus W o e i - kof's*) Klimatologie bekannt gewordenen Arbeit von C. E. Ney') wird dagegen eine andersartige Erklärung dafür gegeben. Es soll danach die durch die gerade zum Leben erwachte Vegetation mit ihrer Transpirations- tätigkeit bedingte Verdunstungskälte die Ursache ') A. H e 1 1 n e r. Das Klima Europas. Geogr. Zeitschr. X. S. 378. 1904. 2) A. Woeikof. Die Klimate der Erde. I. S. 272. Jena 1887. ') C. E. N e y. Der vegetative Wärmeverbrauch und sein Einfluß auf die Temperaturverhältnisse der Luft. Meteorolog. Zeitschr. II. 445. Berlin 1SS5. der Eisheiligen sein. So befremdend der Gedanke zunächst ist, so lohnt es sich doch der Sache ein wenig näher zu treten. Ich folge zunächst dem von Ney entwickelten Gedankengange. Auf Grund der Durchschnittsresultate, welche die forstlichen Versuchsstationen im Königreich Bayern für ihre Beobachtungen des Wasser- verbrauchs erhalten haben, nimmt Ney an, daß ein ha deutsch. Wiesen tägl. 52 100 1 verdunstet » n Roggenfeld „ 22600 1 „ „ „ Tannenwald „ 8000 1 „ Die durchschnittliche tägliche Verdunstungs- menge dieser so verschiedenartigen aber typisch mitteleuropäischen Kulturpflanzen beträgt 27 600 Itr. Wenn wir nun die Verdampfungsgröße eines hg^ Wasser zu 536 Kalorien annehmen, so wird zur Verdunstung der täglich abgegebenen 27 600 kg Wasser eine Wärmemenge von 14 Millionen 720000 Kalorien verbraucht. Nun wird angenommen, daß in den 20 Tagen vom 24. April bis 13. Mai, wo die Vegetation zu erwachen beginnt, alles hervorsprießende Laub noch zart ist und stärkeren Transpirationsschutzes entbehrt, der Wasserverbrauch doppelt so groß sei, also täglich pro Hektar 55200 1 verdunstet und dafür 29 500000 Kalorien verbraucht werden. Diese 20 Tage des energischsten Wärmeverbrauches folgen aber auf eine Zeit, wo die blattlose oder noch im Winterschlafe verharrende Vegetation keinerlei derartige Ansprüche auf Wärmeabgabe erheben konnte. Die Verdunstung des unbe- wachsenen Bodens ist in dieser noch nicht heißen Periode höchstens zu 15 000 1 pro Tag und Hektar anzunehmen, das würde einem Wärme- aufwand von 8 040 000 Kalorien entsprechen. Gleich nach Belaubung würden dem rund 29 500 000 Kalorien gegenüberstehen, also rund 21 500000 Kalorien mehr pro Tag und Hektar. Damit sei der alljährlich wiederkehrende Wärmerückgang in der Zeit der Eisheiligen, also am Ende jener 20 Tage 11. — 13. Mai zur Genüge erklärt, denn in dieser Periode würden im ganzen 430 Millionen Kalorien mehr verbraucht als vor der Belaubung, d. h. 43 000 Kalorien für den Quadratmeter. Dieser Mehrverbrauch wird also der Luft und dem Boden entzogen. Auf speziellere Berechnungen verzichte ich und möchte zur Kritik nur hinzufügen, daß die Zahlenangaben insoweit richtig sein dürften, als Transpirationswerte gegeben werden, da ähnliche Werte dafür bekannt sind. Die Verdampfungszahl von 536 Kalorien für i kg Wasser ist ein wenig zu niedrig, da 538,9 der wirkliche Wert sein würde, doch v/ürde durch Einsatz dieser Zahl die 570 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 40 Kalorienmenge noch erhöht werden. Das einzig bedenkliche scheint mir die Annahme, daß das gerade jung hervorbrechende Laub die doppelte Verdunstungsgröße gegenüber dem Sommer- durchschnitt besitzen soll. Ich habe versucht diese Annahme nachzuprüfen, indem ich jung hervorbrechende Johannistriebe, mit ausge- wachsenen Blättern desselben Zweiges verglich. Die Blattfläche der Johannistriebe zu den aus- gewachsenen Blättern verhielt sich wie 1 : 100. Die Verdunstungsgröße dagegen wie 1:4, also nur 7äR der nach dem Flächenverhältnis zu er- wartenden Menge. Demnach war eine zum Ver- 50jähriger Beobachtung i) festgestellt sind, nicht unerheblich abweichen. Schon das Februar-Mittel 191 8 betrug 2,7", während der normale Mittel- wert 0,8° sein würde; also ein Temperaturüber- schuß von 1,9". Im März waren zu beobachten 4,9", gegenüber dem normalen Mittelwert 3,4", also ein Plus von 1,5". Im April 1918 ergaben sich 10,9" gegenüber dem Normalwert von 8,3", also ein Überschuß von 2,6". Auch der Mai 1918 mit dem Mittelv/ert 15,18° übertraf die früheren Jahre, deren Mittelwert 13,1" war, um mehr als 2». Nach diesen so erheblich wärmeren Monats- mittelwerten ist es nicht zu verwundern, daß die Temperaturen im Jahre 191 8 nach Herrn Prof. P. Holdefl eiß. «) März April Mai Gewitter MiUel Max. Min. Mittel Max. j Min. Mittel Max. Min. I I.I 3,0 0,2 11,3 15,9 5,6 6,6 9,0 3,4 2; 2 —0,4 0,3 — 1,2 9.1 17,4 1 6,9 7,2 8,8 5.7 3. IV. CD 3 7,4 12,7 0,2 9.3 14,0 4.2 10,2 14,3 7.1 0 4 6,6 II, I 3,6 12,7 19,4 S,i 12,5 19,4 5,8 i; 6,8 '^•1 3,3 13,0 19.9 7.9 15.2 20,6 7,1 0 6 3,2 7,8 o,S 12,7 20,2 7,4 ■5,o 20,9 9,4 6. IV. 7 2,9 —2,0 12,7 17,6 8,7 15,0 22,1 7.3 8 —0,4 4,5 -5.6 9,2 12,6 7,9 11,5 16,0 9,9 B ST 9 3,8 6,3 0,4 10,6 15,0 8,4 13,2 19,7 3,4 s| 10 6,4 10,5 2,1 14,2 22,0 6,1 14,5 22,1 8.4 11 2,6 7.2 0,2 13,8 20,0 8,2 II, I 14,5 10,0 n. V. 5' ^ 12 3,9 10,2 0,9 12,5 16,4 9,0 12,1 16,8 5,5 12. IV. 13 6,3 10,8 o,S 11,4 15,4 8,7 12.5 16,2 9.0 0 ° 14 1,0 7-0 14,4 19,8 7,9 16,3 22,5 8.9 14. V. OB 15 2,8 9,4 — M 15,4 21,8 10,6 18,3 23.5 11,4 s-s 16 5,9 13,3 —0,1 13.9 19.3 8.3 19,6 25.5 12,7 3 '^ 17 4,8 12,6 — °,7 14.5 20,5 9,2 19,6 25,8 11,2 ^f iS 5,2 14,6 — 1,2 5,9 14,5 2,5 20,9 28,8 '1,4 iS. V. 19 10,0 17,3 1,0 2,5 4,5 1,0 21,3 27.8 16,8 In 20 9,5 13,9 6,4 0,9 *,4 0,6 20,2 27,0 !4,5 -1 21 7,0 12,6 6,1 4'0 5,4 21,0 28,0 14,1 |-| 22 8,7 11,3 5,4 7,3 9,1 4'3 23.1 29,0 14,0 23 13,0 18,5 6,9 11,2 15,2 6,2 22,3 30,9 14,6 23. V. 3 TO, 24 16,0 6,6 12,4 17.3 9,3 13,7 22,7 9,1 's S-- 35 4!» i:,o 2.4 9.9 16,3 8,6 10,7 15.1 8,9 25. IV. 26 -1,6 2,6 —3,4 13.7 20,6 5,6 12,8 18,1 4.4 b' 27 0,9 S>9 —3.2 15,0 19.8 7,0 12,7 16,8 5.8 27. IV. > 28 4,2 9,5 14,5 18,3 :o,2 14,4 19.4 6,9 28. IV. U 29 5,8 11,1 0,3 14,0 19,3 10,6 14,5 18,8 8,7 " 30 7,5 9,7 3,5 5.4 12,8 10,0 17,0 23,0 9,9 a. 31 7,6 12,3 2,7 15,5 19,9 II.4 " gleich der Blattfläche sehr erhebliche Transpiration des jungen Laubes zu beobachten. Dabei ist freilich zuzugeben, daß der Vergleich nicht völlig zutreffend sein wird, denn das wesentliche Moment für Ney's Hypothese besteht eben darin, daß gegenüber völlig fehlender Verdunstungsfläche der Pflanzen diese plötzlich in Tätigkeit tritt. Da wäre nun zur weiteren Prüfung der Hypo- these ein experimenteller Nachweis besonders erwünscht, und der Verlauf des Jahres 1918 er- schien mir geeignet als Experiment von der Natur selbst im großen angestellt zu gelten. Die ersten Monate dieses Jahres zeigten außer- gewöhnlich hohe Temperaturen, die von den bis- her beobachteten Mittelwerten, wie sie aus Vegetation des Frühjahres 191 8 weit frühzeitiger aus dem Winterschlafe erweckt wurde als in normalen Jahren. Der März hatte wundervoll sonnige Tage und nur geringfügige Minimalwerte unter o", z. T. sogar erheblich über dem Nullpunkt. So sah ich hier sowohl, wie im Harz die Knospen- schuppen der Birnbäume sich lockern und die Ränder auseinanderschieben, frühzeitige Sträucher wie Lonicera steckten bereits die grünen Blatt- 1) Fünftägige Temperaturmittel für Halle 1851 — 1900 nach Ule. Heimatskunde 1909. Waisenhausbuchhandlung Halle. *) Für die freundlichen Hinweise und Überlassung der Temperaturtabellen wie der Gewiitertage im April und Mai bin ich Herrn Prof. Dr. Holdefleifi zu großem Danke verbunden. N. F. XVII. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 571 knospen aus der Schuppenhülle ins Freie und Forsythia wie Cornus mas blühten von Ende März ab. Besonders milde war dann die erste April- hälfte. Die Mitteltemperatur bis 17. April betrug gar 12,35". Dementsprechend ging die Entwicklung von keinem Frost unterbrochen mit Riesenschritten vorwärts. Schon Mitte April konnte hier in Halle das allgemeine Vegetationsbild grün genannt werden. Die Roßkastanien, alle Obstbäume, das ganze Gesträuch waren mit jungem Laube ver- sehen, die Wiesen boten frische grüne Farbe, die Kornfelder wuchsen rasch zu dichten grünen Teppichen heran. Die Buchen und Eichen hatten bereits Blätter hervorgestreckt, Pfirsiche und Aprikosen waren verblüht, Kirschen, Birnen und Äpfel blühten oder hatten große, dicht vor dem Aufbrechen stehende Knospen. Aus Bonn konnte ich feststellen, daß die Buchen voll grünen Laubes waren, auch sogar im Norden, in Rostock, war der Wald ergrünt. So war die gesamte Vegetation Mitteldeutschlands westlich der Oder in voller Lebenstätigkeit einen vollen Monat früher als in sonstigen Jahren mit den normalen niedrigen Monatsmitteln zu Beginn des Jahres. Sollte nun die oben entwickelte Hypothese von Ney Geltung besitzen, so mußte notwendig jetzt die Zeit der „Gestrengen Herrn" gekommen sein. Und tatsächlich zeigen die Minimal- temperaturen vom 17. April ab das folgende Bild: 17- = 9,2". 18. = 2,5". Nach einer mondhellen Nacht, wo abends bereits das Thermometer bedenklich sank. 19. = 1,0». An diesem Tage beginnt leichter Schnee zu fallen. 20. = 0,6". Dichter Schneefall, der Laub und Baumblüte bedeckt. 2l.= i,i». Der Schnee liegt noch bis zum Mittag auf den Bäumen. Erst in den folgenden Tagen steigen die Minimaltemperaturen aus der Gefahrzone wieder aufwärts auf 4,3" am 22. und 6,2" am 23., um erst am 24. auf den früheren Stand von 9,3" zurückzutreten. Der Temperaturrückfall wird eben durch die stetig weiter steigende Kraft der Sonne ausgeglichen und alsdann kann die Vegetation ohne — in der Regel wenigstens — nochmals durch Kälterückfall gestört zu werden, ihre Ent- wicklung weiter fortsetzen. Zweierlei Einwürfe sind hier möglich, die die Bedeutung dieses Temperaturrückfalles im April als „Eisheihgen des Jahres 1918" in Frage stellen könnten. Einmal wäre es denkbar, daß nur Gewitterbildungan derStörung beteiligt sei, zweitens wie verhalten sich die kritischen Maitage selber? Nach der mir liebenswürdigerweise vom Kgl. Preuß. Meteorologischen Institut zugesandten Gewitterübersichtskarte für den Monat April und die hier angestellten Beobachtungen von Herrn Prof. Dr. Holdefleiß, fand ein Gewitter von großer Ausdehnung am 12. April statt. Zwischen Weser und Oder, entlang der nördlichen Grenze Bremen-Hamburg-Pasewalk etwa, zeigen alle Felder die Eintragung 12. IV. als Gewittertag. Die Zone geht dann zunächst weiter westlich der Elbe und Saale entlang, tritt dieser folgend aber wieder nach Westen ins Maintal über und reicht hier bis an den Rhein. Trotz dieser erheblichen Ausdehnung war keine wesentliche Temperaturdepression als Folgeerscheinung zu beobachten. Das nächste ein- gezeichnete Gewitter fällt auf den 17. April in der Gegend zwischen Weser etwa von Hameln ab bis an die Saale vielleicht Merseburg ent- sprechend. Da aber für Halle an der hiesigen Beobachtungsstelle keine Gewitterbildung fest- gestellt werden konnte, darf dieser Gewittertag als sehr unerheblich angesehen werden ; er würde wohl keinesfalls eine Temperaturminderung zur Folge gehabt haben können. Somit ist die tat- sächlich am 19.— 21. erfolgte, bis nahe an den Gefrierpunkt gehende Temperatur - Depression auf andere Ursachen zurückzuführen und es ist hier wohl tatsächlich ein Zusammenhang der frühzeitig im April erwachten Vegetation mit dem plötzlichen Temperatursturz, der unmittelbar darauf folgt, nicht von der Hand zu weisen. Doch war auch noch die Temperatur an den sonst kritischen Tagen 10. — 14. Mai zu vergleichen, um den gezogenen Schluß zu befestigen. Die Tabelle gibt für lO.- — 15. Mai sehr schwankende Temperaturen an, doch sinkt das Minimum niemals unter 5,5° und diese kleine Depression am 12. Mai dürfte durch ein Gewitter am il. bedingt sein, hält sich im übrigen auch im Rahmen der sonstigen Matminima, die vom i. — 9. Mai zwischen 3,4" und 9,9° hin und her schwanken, mit einem Mittelwert von 6,56". So dürften auch die Mai- temperaturen dafür sprechen, daß tatsächlich die im April festgestellte dem Vegetationsbeginn auf dem Fuße folgende Erniedrigung der Temperatur bis nahe an den Gefrierpunkt heran die Erscheinung der Eisheiligen darstellte, welche durch abnorm hohe Temperaturen der Vormonate mit dem Vegetationsbeginn um einen Monat vorgerückt war. Mit diesem von der Natur selbst angestellten Versuch in großem Maßstabe dürfte die Hypothese von Ney, daß der Vegetationsbeginn selbst mit seinem großen, durch die plötzlich neu einsetzende Transpiration bedingten Wärmeverbrauch eine wesentliche Ursache der Gestrengen Herrn bilde, tatsächlich erwiesen sein. Halle, Juni 1918. 572 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. 40 Bericht zur Frage der Weiterverbreituug der Malaria im Bereiche der Festung Mainz. [Nachdruck verboten.] Von Dr. A. Schaedel. Aus der bakt.-hygien. Abteilung des Festungslazaretts Mainz (Leiter: Privatdozent Stabsarzt Dr. G. B. Gruber). Das Vordringen unserer Kampffronten in Malaria durchseuchte Länder brachte es mit sich, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer dort kämpfenden Truppen von dieser in Deutschland beinahe ausgemerzten Krankheit befallen wurde. Betrug nach verschiedenen Veröffentlichungen der letzten Zeit ^) die Zahl der an Malaria erkrankten Soldaten im ersten Kriegsjahre 0,17 "/oo' ii^ zweiten Kriegsjahre schon 0,8 "/g^, so dürfte sich im dritten und vierten Kriegsjahre beim Weitergreifen der Kampfgebiete naturgemäß die Menge der Malaria- kranken in unserem Heere noch bedeutend ver- mehrt haben. Die wiederholten Verschiebungen unserer Truppen nach den verschiedensten Fronten bewirkten außerdem eine Vermehrung der Malaria- fälle im Westen. Durch diese ständige Zunahme in Verbindung mit der Beteiligung der schwersten Malari^form, der Malaria tropica (in Mazedonien allein 40 "/q aller Fälle), ^) gewinnt diese für das deutsche Heer seither in ähnlichem Maße unge- ahnte und ungekannte Überhandnähme einen bei- nahe seuchenartigen Charakter. Wenn nun auch durch die bis ins einzelnste genau vorgeschriebene Chininprophylaxe in engster Fühlung mit den in den großzügig eingerichteten Feld- und Kriegslazaretten sorgfältigsten thera- peutischen Maßnahmen die Malaria auf das ener- gischste niedergekämpft wurde, und so die Ver- lustziffer an Toten im Vergleich zu der hohen Infektionszahl eine verschwindend geringe ist, ja es fast gelungen ist, bei genauester Einhaltung der vorgeschriebenen Chinindosen in gelegentlicher Verbindung mit anderen Heilmitteln (Arsen- präparaten) die Erkrankungen in relativ kurzer Zeit zu heilen und den Befallenen baldmöglichst ihre Wehrfähigkeit wieder zu verschaffen, so ist namentlich in der Zeit des galizischen Feldzuges und bei Beginn der Operation in Serbien zum größten Teil infolge der sich überhastenden militärischen Fortschritte der verbündeten Heere die Einhaltung der notwendigen Vorbeugungs- mittel und therapeutischen Vorschriften beim Abtransport der Malariakranken aus dem Operations- gebieten nicht immer durchführbar gewesen. Ferner ist immer wieder beobachtet worden, daß einzelne Soldaten trotz fortgesetzter Belehrung die Einnahme der verabfolgten Chinindosen zu umgehen wußten. Die Folge davon war naturgemäß bei den noch nicht Erkrankten erhöhte Infektionsmöglichkeit, ja baldige schwerste Ansteckung, bei den bereits ') cf. 0 1 p p , Über die Moskiten im Tübinger Bezirk, Ref. M. m. W. 1917 S. 1179, Mosse, in der Ausspraclie der Vorträge der Herren Ben da, Munk und Plelin in der Sitzung der vereinigten ärztl. Gesellschaften zu Berlin vom 7. 3. 1917. Ref. M. m. W. 191 7 S. 390 und Kays er- Petersen, Zur Klinik der chronischen Malaria. M. m. W. 1918 S. 207. ^) cf. Olpp, 1. c. Infizierten rasches Chronisch werden der Krank- heit. Dieser Dauerzustand der Krankheit, der nach scheinbarem Erfolg der durchgemachten Chininkur in den meisten Fällen erst nach längerer Zeit besten Wohlbefindens durch Ausbruch von Rezi- diven wieder zum Ausdruck kommt, bietet nun die schlimmste Gefahr einer Verbreitung der Malaria in unserem Vaterlande. Daneben mögen auch infolge der erworbenen Chininfestigkeit der Erreger bewirkte latente Malariafälle nicht unbe- achtet bleiben. Es ist also die sorgfältigste Beachtung der durch die von dem Chef des Feldsanitätswesens und dem Sanitätsdepartement des Kriegsministe- riums unter Mitwirkung des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten zu Hamburg zusammen- gestellten „Richtlinien zur Malariabehandlung und Malariavorbeugung" bei neuen Malariainfekten die erste und notwendigste Bedingung zur Vermeidung einer Verbreitung der Malaria. Noch mehr ist ihre strengste Beobachtung aber bei den im Heimatsgebiet zum Ausbruch kom- menden zahlreichen Rezidiven und den relativ seltenen Latenzzuständen der Malaria geboten. Von diesen Erwägungen ausgehend, sind denn auch in der Heimat besonders gelagerte und ein- gerichtete Lazarette als sogenannte „Malaria- stationen" eingerichtet worden. Hierbei ist das erste und wichtigste Erfordernis, die kontrollierbare Möglichkeit der Verhinderung einer Verbreitung durch die Überträger der Malaria, die Anophelinen. Wie allgemein bekannt und durch die im Auftrage der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft zu Frankfurt a. M. durch Herrn Prof. Dr. F. S a c k - Frankfurt a. M. i) im Jahre 1910 angestellten Untersuchungen über die Verbreitung der Anophelesmücken in Deutschland im beson- deren festgestellt werden konnte, sind diese Malariaüberträger in unserem Vaterlande fast all- gemein verbreitet. Da auch die klimatischen Faktoren (Temperatur, Bewölkung, Feuchtigkeits- gehalt der Luft) nach A. Schaedel-) speziell in Mitteldeutschland günstig sind, so ist die Wahl eines geeigneten Unterkunftsortes für die Malaria- kranken doppelt sorgfältig zu treffen. Alle biolo- gischen Faktoren, die eine Entwicklung der Fieber- mücken ermöglichen (vor allem auch Ansammeln von Regenpfützen als Brutablagerungsstätten im Frühjahr), sind von vornherein auszuschalten und auf ihre Vernichtung die größte Sorgfalt zu legen. ') Herrn Prof. Dr. Sack spreche ich auch an dieser Stelle herzlichen Dank für die freundlichen Mitteilungen, für Überlassung von Material und einer Verbreitungskarte der Anophelinen in Deutschland aus. *) cf. A. Schaedel, Biologische Betrachtungen über Malariarezidive und Malariaverbreitung. Biolog. Centralbl. 1917/18 S. 313 ff. N. F. XVII Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S73 Außerdem ist den in dem Lazarett untergebrachten Kranken in der Dämmerungs- und Nachtzeit jeg- liches Verweilen im Freien zu verbieten und das Eindringen der Stechmücken in die Krankensäle durch Verschluß der Fenster mittels geeigneter mückensichercr Gardinen zu unterbinden. Nach diesen allgemein biologischen und hygie- nischen Gesichtspunkten ist man bei der Errich- tung einer besonderen Malariastation in die als Seuchenlazarett dienende Lazarettabteilung des Festungslazaretts IVIainz vorgegangen. Das aus 22 Kranken- und 1 1 Personal- bzw. Wirtschaftsbaracken bestehende Seuchenlazarett liegt etwa 2 V,, km von dem Zentrum der Stadt IVIainz entfernt. Eine lange Holzwand schließt den etwa 16 Morgen umfassenden Lazarettgarten nach außen ab. Innerhalb des Lazarettgartens und in weitem Umkreis befinden sich weder natürliche Wasseransammlungsstätten noch offene Wasser- behälter. Eine großzügig angelegte Kanalisation bewirkt die Entwässerung der durch starke Regen- fälle gelegentlich auftretenden Tümpeln. Das Hauptaugenmerk ist naturgemäß auf die Erforschung der in hiesiger Gegend vorkommen- den Stechmücken gerichtet worden. Es ist ja bekannt, daß im Mainzer Becken Anophelinen vorkommen. ') Das Senckenbergische Museum in Frankfurt a. M. besitzt Belegstücke aus Frei-Wein- hcim, Mittelheim, Erbach, Geisenheim, Nieder- ingelheim und Heidesheim (Prof Sack- Frank- furt a. M.). Ferner sind als Fundstellen bekannt das Ried (Prof. List -Darmstadt) und Oppenheim, Schierstein (Prof. Seh m idt gen - Mainz). Inder Stadt Mainz selbst ist eine Anophelesart im Jahre 18S5 gefunden worden (Dr. v. Reichenau). Es ist in diesem Jahre bei der damaligen Ausführung der Kanalarbeiten durch italienische Arbeiter in Mainz zu einigen Malaria- Neuerkrankungen ge- kommen. Seit dieser Zeit sind acquirierte Malariafälle in Mainz nicht mehr vorgekommen. Auch wurden Anophelinen hier nie wieder beobachtet. Das Mainzer Naturhistorische Museum verfügt über keinen einzigen Mainzer Vertreter der Gattung Anopheles. In Oppenheim wurden die letzten Malariafälle im Jahre 1S97 beobachtet.') Seit Einlieferung des ersten Malariarückfalls) (eines chronischen Tropicafiebers) am 26. P"ebr. 1916 richtete ich mein Augenmerk auf das Studium der in hiesiger Gegend auftretenden Dipteren. Die Untersuchung erstreckte sich über fast andert- halb Jahre. Es wurden die Spinnweben, die sich von jeher als eine F"undgrube von Chitinskeletten aller Mücken- und sonstigen Insektenarten erweisen, abgesucht, die in den Krankensälen beobachteten Mücken gesammelt und bestimmt und gelegent- lich Exkursionen nach den in nächster Nähe, allerdings durch einen tiefen Abhang von dem Lazarett getrennten Dörfern Zahlbach und Bretzen- heim mit ihren zahlreichen Viehställen gemacht. Gefunden wurden die Culexarten C. pipiens L., C. annulatus Sehr, und C. cantans Meig., verschiedene Chironomidenarten, ferner Bibioniden (Dilophus spec), Arten der Gattung Psychoda, ungeheure Mengen Museiden, niemals dagegen Anophelinen. Durch diese fortgesetzten sorgfältigen Unter- suchungen war der Nachweis des P^hlens von Malariaüberträgern erbracht, was ja auch durch den Umstand bestätigt wird, das trotz der 652 bis zum I. Juni 1918 im Seuchenlazarett unter- gebrachten Malariakranken (mit größtenteils posi- tivem Plasmodienbefund), Neuinfektionen niemals beobachtet wurden. So erweist sich die Unter- bringung von Malariaverdächtigen und Malaria- kranken in dem Seuchenlazarett als ungefährlich für eine Weiterverbreitung in hiesiger Gegend. Da auch Entlassungen nur nach mehrfachen Fehlen von Gameten im Blutbilde bei längerem anfallsfreiem Wohlbefinden erfolgen, die Krankheit mithin mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeheilt scheint, so daß es den Kranken unmöglich ist, in den Anopheles-bevölkerten Gebieten ihrer Ersatz- truppenteile oder Heimat in gefahrbringender Zeit zu gelangen, die Rekonvaleszenten auch während ihrer Behandlung das Lazarett nicht verlassen dürfen oder gar beurlaubt werden, so dürften alle Vorsichtsmaßregeln für £ine weitere Infektion ge- troffen worden sein. (GXj ') cf. Ziemann, Du der Tropenkrankheiten. 2 Malar Aufl. Handbuches 13- ') cf. Korrespondenzblau d. ärztl. K 1897. [Nachdri Für das Verständnis der oft merkwürdigen Ver- breitung und der Eigenart der verschiedenen Lebens- formen ist es von großer Bedeutung, ihr Heimats- gebiet festzustellen. Dieser Aufgabe haben sich schon viele unterzogen und dabei die verschiedensten Wege eingeschlagen. Zumeist glauben sie den von ihnen eingeschlagenen als allein und in allen Fällen sicher zum Ziele führend ansehen zu dürfen, eine bei der Mannigfaltigkeit der irdischen Verhältnisse Primitive Formen uud Eutwicklungsgebiete. Von Prof. Dr. Th. Arldt, Radeberg. kaum zu rechtfertigende Voraussetzung. Auch in der neuen Auflage von Breh ms Tierleben treten solche Versuche weiteren Kreisen entgegen. Im ersten Säugetierbande werden die Untersuchungen von Cohn über den Beuteldachs (Per ameles) *) erwähnt, nach denen sich dieser von Süden her ') L. Cohn: Die papu 574 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 40 über Australien ausgebreitet haben soll, weil noch heute die primitivsten Formen Tasmanien und Südaustralien bewohnen, die spezialisiertesten Arten aber auf Neuguinea heimisch sind. Während so Cohn und mit ihm Heck die Heimat einer Gruppe offenbar da suchen, wo die primitivsten Formen zu Hause sind, vertritt Simroth gerade die entgegengesetzte An- sicht '). Ihm liegt die Heimat einer Gruppe im Wohngebiete der fortgeschrittensten Formen, aus deren Vorhandensein er auf eine be sonders lange Dauer der im Lande erfolgten Ent- wicklung schließt, während die primitiven Formen erst spät in ihre heutigen Gebiete zurückgedrängt worden sein sollen. Freilich führt Simroth seinen Gedanken nicht ganz folgerichtig durch. Vi^enn nämlich die ältesten Formen in Europa oder sonst unter demSchwingungskreise vorkommen, werden diese trotzdem als Stammgebiete angesehen. Die primitiven h'ormen werden dann für Relikten erklärt, wie die Zwergspitzmaus Crocidura etrusca, das kleinste aller lebenden Säugetiere. Hier hat Simroth seiner Haupttheorie zu Liebe die ihm weniger wichtige Annahme selbst durchlöchert und stellt sich auf einen dem Cohns nahe kommenden Standpunkt. Doch ist das nur eine Ausnahme von seiner weit häufiger vertretenen gegenteiligen Auffassung. Welche vonbeiden Ansichten ist nun als richtiger zu bezeichnen? Ist die Heimat einer Gruppe im Wohngebiete der primitivsten oder der am höch- sten entwickelten Formen zu suchen? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, halten wir uns aus praktischen Gründen am besten an die pri- mitiven Formen, müssen diese doch nach den die Entwicklung der Lebewesen beherrschenden Gesetzen derSpezialisationundDifferentiation leichter und eindeutiger zu bestimmen sein als die Ent- wicklungsgipfel, deren es zumeist mehrere geben wird, unter denen nur willkürlich einer den anderen vorgesetzt werden kann. So stehen unter den Wirbeltieren entschieden die Fische am tiefsten und unter ihnen wieder die Rundmäuler, an der Spitze des Tierkreises aber machen den Säugetieren die Vögel den Vorrang streitig, die z. B. nach ihrer Blutwärme, dem Bau ihrer Lungen, ihres Kehlkopfes, ihres Auges, ihres Federkleides und überhaupt als Flieger höher spezialisiert sind als die Säugetiere, denen nur dieVerwandtschaftmitdem Menschen zum unbestritten ersten Platze in der Systematik der Tiere verholfen hat. Unter den Säugetieren wieder sind die Kloakentiere unbestritten die tiefststehenden aller lebenden Formen. Als Entwicklungsgipfel kommen aber neben den Primaten auch die Raub- tiere, Huftiere, Nagetiere in Präge, die in mancher Beziehung, wie in der Bezahnung oder in der äußeren Bewaffnung weiter differenziert sind als die Menschen Bei den Insekten stehen den niedrigst organisierten flügellosen Urinsekten die Hautflügler, Schmetter- ') H. Simroth; Diel stheorie. Leipzig 1907. llnge, Zweiflügler und Käfer als gleichwertige Höchst- zweige gegenüber. Auch für das Tierreich im ganzen gilt das Gleiche. Unten stehen die Urtiere allein, oben sind Wirbeltiere, Gliederfüßler, Weich- tiere und Stachelhäuter, jeder Kreis in seiner Art, Höchstformen. Da sich die Höchstformen der verschiedenen Gruppen meist nicht eindeutig bestimmen lassen, können sie auch kaum zur geographischen P'est- legung von Heimatgebieten benützt werden. Schon damit wird Simroths Methode für in den meisten Phallen unbrauchbar erklärt, denn sie käme allge- mein nur in Frage, wenn die höchststehenden P'ormen alle in den gleichen Ländern heimisch wären. Das ist aber durchaus nicht der P'all. Aber auch die Cohnsche Annahme läßt sich allgemein nicht halten, besonders wenn man bei ihr nur die lebenden P'ormen ins Auge faßt. Einige Beispiele mögen das zeigen. Niemandem wird es beikommen, die Klasse der Säugetiere von Australien herleiten zu wollen, weil dort allein die oben schon erwähnten Kloaken- tiere leben, .-^ber bei der Menschheit hat man an Australien als Urheimat gedacht, weil hier eine der primitivsten Rassen wohnt. Von den lebenden Primaten steht am tiefsten der Gespenstmaki (Tarsius) der malaiischen Inseln, der den alt- eozänen Halbaffen Europas und besonders Nord- amerikas nahe steht. Auch hier kann man nicht der lebenden Form zu Liebe Ostindien als Heimat der Ordnung ansehen. Eher kommt schon den fossilen Pormen Bedeutung zu, nach denen der Schluß nahe liegt, daß die Tarsier erst von Nord- amerika her nach Südostasien gekommen sind. Über die anderen Zweige der Primaten, über die Lemuren, die Breitnasen- und die Schmalnasenaffen aber gestatten auch die fossilen P'ormen noch keine sicheren Schlüsse. Wie die primitivsten Primaten in insularem Ge- biete leben, das schon wegen seiner räumlichen Beschränkung nie die Heimat einer großen und ausdehnungsfähigen Gruppe sein konnte, so gilt gleiches auch von der tiefststehenden Katzen form, als welche man meist die madagassiche I<"ossa (Cryptoprocta) anzusehen pflegt, wenn man sie auch zuweilen den altertümlicheren Schleich- katzen anreiht. Madagaskar ist als Heimat der höchtspezialisierten Raubtierfamilie ganz undenk- bar, da hier alle Formen fehlen, an die sich auch nur die ursprünglichsten Raubtiere anschließen ließen, während wir solche P'ormen aus den Nord- erdteilen in großer Zahl in den Creodontiern kennen, an die sich im europäischen Miozän auch ein naher Verwandter von Cryptoprocta, Pro- aelurus, anschließt. Unter den lebenden Huftieren sind die afri- kanischen Klippschliefer die am einfachsten ge- bauten. Da sollte man also die Heimat der Ord- nung in Afrika erwarten. Tatsächlich müssen außer den Schliefern auch die Elefanten von Afrika ausgegangen sein. Auch in der Geschichte der Paarhufer scheint Afrika eine nicht unwichtige N. F. XVn. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 575 Rolle gespielt zu haben, aber doch nur für deren spezialisiertere Formen, wie für die P'iußpferde und für die Horntiere, besonders die Antilopen. Da aber die letzteren vorangehenden Hirsche in Afrika völlig fehlen, können sich auch die Anti- lopen nicht in diesem Erdteile entwickelt haben. Dazu kommt, daß die tieferstehenden Paarhufer- familien im Norden im Alttertiär zahlreich ver- treten sind, so daß wir eher hier ihre Heimat suchen müssen. Noch weniger kommt eine afri- kanische Heimat für die Unpaarhufer in Frage, die noch irüher als die Paarhufer im Norden formenreich und hochentwickelt auftraten. Recht bezeichnend sind auch die Hirsche. Unter ihnen ist das Moschustier (Moschus) be- sonders altertümlich. So fehlt ihm Geweih und Tränengrube, während Eckzähne vorhanden sind, wie bei den älteren fossilen Vorläufern der Hirsche. Wie dieser primitivste Hirsch ist auch der Wasser- hirsch (Hydropotes) in Ostasien heimisch, ge- weihlos und mit Eckzähnen versehen wie jener, aber schon eine Tränengrube besitzend. Hiernach käme Asien als Heimat der Hirschfamilie in Be- tracht und diese Annahme ist auch nicht ganz zu- rückzuweisen, nur kommen die anderen Norderd- teile nicht weniger in Frage, in denen fossile Reste von alten Cerviden und ursprünglicheren Wiederkäuern in großer Zahl gefunden worden sind. Unter den stets ein Geweih tragenden Hirschen im engeren Sinne (Cervinen) begegnen uns die einfachsten I'^ormen in Südamerika. In dessen Tropen ist der kleine Spießhirsch (M a z a m a ) heimisch, bei dem die Geweihentwicklung auf der ersten Stufe des Spießers stehen geblieben ist. Ihm nahe steht der noch kleinere Pudua der chilenischen Anden. Es kann aber keine Rede davon sein, daß die Hirsche sich wirklich in Südamerika zu Geweihtieren entwickelt hätten, denn einmal hätten sie von hier aus kaum ihre heutige Verbreitung erlangen können und dann fehlen uns auch in Südamerika trotz Am e gh i n o alle Stammformen. Diese zeigen uns vielmehr, daß auch die Hirche von Norden ausgegangen sein müssen und in Südamerika erst spät ein- gewandert sein können. Für die Fledermäuse hat Winge gezeigt daß unter ihnen die Flughunde (Pteropodiden) besonders primitiv sind. Diese sind nun ganz auf die Regionen um den Indischen Ozean herum beschränkt. Deshalb lassen sich aber noch nicht die anderen P'ledermäuse alle von dieser Gegend herleiten, die in dem für die Entwicklung der Säugetierordnungen besonders wichtigen Alttertiär noch nicht mit den Norderdteilen verbunden war, in denen die Formen lebten, aus denen sich die Fledermäuse entwickelt haben müssen. Bei den Säugetieren gestatten zahlreiche fossile Reste, den Gang der Entwicklung vielfach auch geographisch ziemlich genau zu verfolgen. Wir konnten dabei sehen, daß die primitivsten Formen durchaus nicht immer im Heimatgebiete überleben, sondern teilweise sehr fern von ihm. In diesem Sinne hat S i m r o t h wieder das Richtige getroffen. Bei anderen Tierklassen sind wir nicht in gleich günstiger Lage, sondern müssen aus der Verbrei- tung der lebenden Formen und aus ihren verwandt- schaftlichen Beziehungen allein Schlüsse auf die Vorgeschichte der Gruppe ziehen. Dies gilt z. B. von den Vögeln, die infolge ihrer Lebensweise und ihres zarten Knochenbaues nur sehr wenige fossile Reste hinterlassen haben. In ihrer formenreichsten und am höchsten stehenden Ordnung, in den Sperlingsvögeln, nehmen gegenüber den Singvögeln (Oscinen) die Schreivögel (Clamatoren) eine entschieden tiefere Stellung ein. Von deren 12 Familien nun sind 8 in Südamerika heimisch, je eine auf Neuseeland, auf Madagaskar und von Hinterindien bis zu den Philippinen, während die letzte von Neuguinea bis Westafrika reicht, ihren Schwerpunkt aber entschieden im indischen Gebiete besitzt. Die Schreivögel sind also heute besonders um den südpazifischen Ozean herum heimisch. Gadow sah darum in einem versunkenen ozea- nischen Festlande die Heimat aller Sperlingsvögel, von denen sich die Schreivögel in Südamerika, dieSingvögel in Australien entwickelt haben sollten. Simroth wieder sah in dieser Verbreitung einen Hinweis auf eine Entwicklung im entferntesten Teile der Erde, in Europa, eine Annahme, die sich freilich noch weniger beweisen läßt als Gadow's Vermutung. Die im Norden auch fossil fehlenden Schreivögel mögen nach dem Verbreitungsbefunde aus dem Süden, von einem südpazifischen Fest- lande stammen, auf die Singvögel diese Annahme auszudehnen sind wir sicher nicht berechtigt. Da- für genügt auch noch nicht der Umstand, daß die niedrigsten Familien der Singvögel, die Leier- schwänze (Menuriden) und die Strauchvögel (Atrichiiden) in Australien heimisch sind. Schon die Verbreitung der Singvögel über alle Regionen der Erde würde von einer australischen Heimat aus kaum zu erklären sein, können wir doch das Alter dieser höchststehenden Vogelordnung nicht wesentlich über das Tertiär zurückdatieren. Werfen wir einen Blick auf die Flugvögel (Carinaten) im ganzen, so treten uns auch unter diesen besonders altertümliche Formen in Süd- amerika entgegen. Dies sind einmal die Steiß- hühner (Crypturen), die nach Gadow von allen lebenden Vögeln der Wurzel am nächsten stehen und deshalb nicht bloß zu den verschiedensten Flugvögeln, sondern auch zu den Straußen Be- ziehungen aufweisen. Neben ihnen haben sich auch die Schopfhühner (Opisthocomiden) in ihren Krallen ursprüngliche Eigenschaften bewahrt. Weder die F"lugvögel im ganzen, noch auch nur die Hühnervögel werden wir aber deshalb von Südamerika herleiten, da sich ihre Verbreitung von einer nordischen Heimat aus viel einfacher erklären läßt, zumal sie auch im Norden ihre Hauptverbreitung besitzen. Unter den lebenden Reptilien ist die Brücken- echse (Sphenodon) von Neuseeland am alter- tümlichsten gebaut. Daß trotzdem an eine austra- 576 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 40 lische Heimat der Reptilien nicht gedacht werden kann, ergibt sich einmal daraus, daß nahe Ver- wandte der Tuatara in Trias- und Juraschichten von Europa, Nordamerika und Südafrika gefunden worden sind, die zeigen, daß diese Tiere eher vom Norden nach dem Süden gewandert sind als um- gekehrt. Dann hat man aber auch in den Perm- schichten der genannten drei Erdteile in den Cotylosauriern noch ursprünglichere Reptilien ge- funden, als sie die Brückenechsen darstellen. Beiden Fröschen muß man die zungenlosen als die ursprünglicheren ansehen. Sie sind nur in Südamerika und Afrika, den Resten der alten Südatlantis, zu finden. Deshalb können aber noch nicht die Frösche überhaupt aus dieser Gegend hergeleitet werden. Gerade die altertümlichsten der Zungenfrösche, die Scheibenzüngler(Discoglossiden) und die Krötenfrösche (Pelobatiden) fehlen der Süd- atlantis völlig und weisen eher auf einen asiatischen Ursprung hin. Ebenso vertragen sich die in Afrika so gut wie ganz fehlenden Laubfrösche (Hyliden) nicht mit der Annahme einer südatlantischen Hei- mat der Froschlurche. Eher entspricht die Verbreitung der primitivsten Formen dem mutmaßlichen Entwicklungsgebiete bei den Molchen. Freilich sind diese F"ischmolche nicht ursprünglich primitiv, sondern durch den Übergang in das Wasser erst wieder primitiv ge- worden, so daß das Zusammentreffen wenig besagen will. Wenn aber die am weitesten zurückgebildeten Armmolche (Sireniden) heute nur im südöstlichen Nordamerika leben, wozu eine Miozänart aus Europa kommt, so kann die Nordatlantis tatsächlich in der Geschichte der Molche eine wichtige Rolle gespielt haben. Die angeführten Beispiele, deren Zahl sich noch weiter vermehren ließe, zeigen deutlich, daß wir in dem Vorkommen lebender, primitiver Formen noch kein untrügliches Kennzeichen für das Heimats- gebiet einer Gruppe besitzen. In solchen Fällen, kann die Heimat uns tatsächlich vorliegen, aber sie muß es nicht. Das Vorkommen lebender primitiver Formen ist nur eines unter acht ver- schiedenen Kennzeichen, ') die bei der Feststellung von Heimatgebieten beachtet werden müssen. Von weit größerer Bedeutung ist das Vorkommen pri- mitiver fossiler P'ormen. Die Fragen sind also erheblich schwerer zu lösen, als wenn sich die von Cohn oder die von Simroth vertretene Meinung halten ließe. Aber sie ist doch bei Berücksich- tigung aller Tatsachen nicht unlösbar. Nur darf man die Frage nicht einseitig biologisch auffassen, sondern muß auch die Biogeographie, Paläontologie, Paläogeographie und andere Hilfswissenschaften mit heranziehen. 1) Tb. Arldt, Die Feststellung von Entwicklungsgebieten und Verbreitungszentren. Archiv für Naturgeschichte igil I. S. 211— 231, besonders S. 224. Kleinere Mitteilungen. Honigtau und Honigtauregen (mit i Abb. im Text.) Der Sommer 1918 bot in besonders aus- gibiger Weise Gelegenheit Beobachtungen anzu- stellen über das Wesen und die Ursachen der Honigtaubildung. Unter Honigtau versteht man bekanntlich die Erscheinung, daß auf den Blättern vieler Laubbäume — bes. Ulme, Ahorn, Linde, auch Epheu sowie anderes immergrünes Gehölze — seltener auch der Nadelbäume (Weißtanne, weniger Fichte) sich ein glänzender Überztig zeigt, der bald die ganze Blattfläche gleichmäßig bedeckt — namentlich wenn er vom Regen breitgewaschen ist — , bald in Form zahlreicher kleiner Spritzer auftritt (trockenes Wetter) und wie man sich leicht überzeugen kann, aus einer mehr oder weniger eingetrockneten zuckerreichen Flüssigkeit besteht. Dieser Honigtau kann unter Umständen so mächtig entwickelt sein, daß er in Form von wasserhellen Tropfen von den Blättern herabfließt. Über die Ursache der Honigtaubildung war man sich lange Zeit nicht im klaren und auch heute noch be- stehen in einzelnen Punkten zwei Zweifel. In weitaus den meisten Fällen sind Blatt- oder Schildläuse die Urheber der Honigtaubildung. Sehr auffallend zeigt sich dies bei gewissen immergrünen Zimmer- und Gewächshauspflanzen, z. B. bei der beliebten Zierpflanze Ardisia crispa, die oft über und über bedeckt ist von Schildläusen und demgemäß von Honigtau geradezu trieft. Auch die an unseren Freilandgehölzen lebenden Blattläuse erweisen sich in der Regel ohne weiteres als die Urheber des Honigtaus: Meist befindet sich über einem mit Honigtau bedeckten Blatt ein oder mehrere andere, an deren Unterseite die Blattläuse sitzen und von wo aus sie ihren Honigsaft als Ausscheidung aus dem After (nicht aus den beiden Rückenröhren) ausspritzen. Indessen findet man Fälle, in welchen trotz reichlicher Honigtaubildung keine Spur von Blatt- läusen zu entdecken ist, und es scheint in der Tat, daß, was schon vielfach behauptet wurde, Honigtaubildung auch ohne Zutun von Blattläusen möglich ist. Wie schon erwähnt gab der Sommer 191 6 Gelegenheit dies zu beobachten. Über Honigtauausscheidung durch die Pflanze selbst — ohne Vermittlung von Blatt- oder Schild- läusen — berichtet schon T h. Hart ig 1835. Er sagt: „Ein Rosenstock, der nicht aus dem Zimmer gekommen war, sonderte auf der unteren Epidermis der Blätter kleine Tröpfchen ab, aus denen der Zucker in rautenförmigen oder kubischen Kristallen sich ausschied." Beachtenswert sind auch die Beobachtungen N. F. XVII. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 577 von Bonnier (Comptes rendus 1896): „Blätter, die größeren Temperaturdifferenzen ausgesesetzt waren (Nadelhölzer, Eichen, Ahorn usw.), ließen bei auffallendem Licht unter dem Mikroskop das Hervortreten von nektarähnlichen Tropfen aus den Spaltöffnungen erkennen." Künstlich kann ferner dieser Austritt von Zell- saft aus kleinen Ritz- und Schnittwunden von Blättern hervorgerufen werden, wenn die be- treffenden Sprosse (z. B. Ahorn) zuvor einer schwachen Einwirkung eines sauren Giftes (z.B. SO'') ausgesetzt waren. (Abb. i ) Sorauer (Pflanzenkrankheiten 3. Aufl. 1909. Bd. i) führt endlich folgendes aus: „Meine eigenen Beobachtungen bestätigen das Auftreten von Honigtau ohne Mitwirkung von Blattläusen. Ich Abb. I. austritt von Zellsaft an kleinen Rißwi bhül (nach Einwirkung von verdünn einem Ahorn lliger Säure). glaube, daß dann Honigtau zustandekommt, wenn bei kräftig vegetierenden nicht zu alten Blättern eine plötzliche übermäßige Transpirationssteigerung bei starkem Lichtreiz sich einstellt, und eine zu hohe Konzentration des Zellsaftes herbeiführt. ... Es handelt sich bei der Entstehung von Honigtau nicht immer um absolut hohe Wärme- und Licht- reize, sondern mehr um eine plötzliche große Differenz die sich einstellt, wenn nach sehr kühlen Frühlingsnächten das in seiner Tätigkeit herab- gedrückte Organ plötzlich den Reiz der intensiven Morgensonne bekommt." Dieser Wechsel heißer Tage mit sehr kühlen, fast kalten Nächten war es auch, der im Frühsommer 1918 die Honigtaubildung (ohne Blattläuse) beförderte. Nur stellte ich mir die Sache etwas anders vor als Sorauer angibt: Während der heißen Tage (bei großer Trockenheit) war die Wurzeltätigkeit aufs höchste angespannt, und wurde tagsüber durch Transpiration im Gleich- gewicht gehalten; in den kühlen Nächten sank dann die Transpiration fast auf o, während von den weiterhin tätigen Wurzeln eine derartige Steigerung desTurgors bewirkt wurde, das ein Teil des zuckerreichen Zellsaftes durch Risse und Spalten ausgepreßt wurde. (Bekanntlich wird die Assi- milationsstärke im Lauf der Nacht in Zucker umgewandelt.) So ist wohl auch die zweifellos vorkommende Honigtaubildung ohne Schild- und Blattläuse an Gewächshauspflanzen zu erklären. Durch die feuchte Gewächshausluft ist die Transpiration ge- hindert, während die Wurzeln dauernd tätig sind. Ein Teil des Zellsaftes muß also in flüssigem Zu- stand ausgepreßt werden und dies ist eben der Honigtau. Immerhin werden wir Büsgen beipflichten müssen, wenn er (Der Honigtau 1891) sagt, daß die Hauptmasse des Honigtaus von Blattläusen erzeugt wird. Ich möchte hier schließlich eine kleine Beobach- tung mitteilen, welche wohl wert ist von den Zoologen weiter verfolgt zu werden, sofern sie nicht etwa schon früher gemacht worden ist. Am 18. Juli 1918 — ich weilte gerade auf einer Dienstreise in Hildburghausen — Abends 9'' (Sommerzeit) ging ich in dem Stadtpark daselbst spazieren. Da fiel mir unter einem Spitzahorn — dessen Blätter reich mit Honigtau bedeckt waren — auf, daß — bei vollkommen klarem Himmel — ein Geräusch zu hören war als ob kräftige Regen- tropfen auf das Blätterdach fielen. Das Geräusch hielt etwa 2 Minuten an und verstummte dann vollkommen. Jetzt war nur noch das Summen der den Baum umschwärmenden und offenbar Honigtau naschenden Bienen zu hören. Ich wartete längere Zeit, da begann nach etwa 10 Minuten das trommelnde Geräusch der auf die Blätter fallenden Tropfen aufs neue, hielt aber nur wenige Sekunden an, um wieder zu verstummen. Trotz längeren Wartens konnte ich die Erscheinung nicht nochmals beohachten. Bemerkt sei, daß es ein außerordentlich schwüler, warmer Abend war; die Luft schien mit Elektrizität erfüllt, die sich auch wenige Stunden später in einem schweren Gewitter entlud. Daß der Honigtau von den Blattläusen in einem feinen Sprühregen ausgestoßen wird, ist an warmen Tagen wohl schon wiederholt beobachtet worden. Dagegen scheint, soweit ich durch Erkundigungen bei erfahrenen Entomologen ermitteln konnte, nicht bekannt zu sein, daß dieser Honigtauregen intermittierend fällt. ') 1) Herr Prof. Dr. Brandes, Dresden teilte mir auf Be- fragen gütigst mit, daß er das „Trommeln des ausgespritzten Honigtaus auf die tiefer stehenden Blätter" auch wiederholt gehört habe, allerdings nicht wie im vorliegenden Fall inter- mittierend. Vgl. auch die Ausführungen von Prof. B rand es in seiner Abhandlung: Die Blattläuse und der Honigtau (Zeitschr. f. Naturwissenschaften Bd. 60). 578 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 40 Zweifellos ist der Geselligkeitstrieb der Blatt- läuse sehr hoch entwickelt und man könnte sich vorstellen, daß sich derselbe auch darin äußert, daß zahlreiche Blattläuse gleichzeitig wie „auf Kommando" ihren Honigtau ausstoßen, wenn eines der Tiere damit begonnen hat. Ich machte dann noch eine Beobachtung, die mich in der Wahrscheinlichkeit meiner Auffassung bestärkte. Ich sammelte eine Anzahl von Ahornblätter an deren Unterseite „volkreiche" Haufen von Blatt- läusen längs den Blattnerven saßen, offenbar eifrig beschäftigt damit den zuckerreichen Zellsaft zu trinken. In meinem Hotelzimmer legte ich die Blätter auf einen Bogen weißes Papier (mit der Unterseite nach unten) und kontrollierte von Zeit zu Zeit ob Honigtau ausgespritzt worden sei. Es dauerte einige Zeit ehe dies das erstemal nachzuweisen war. Dann aber waren es fast ebensoviel kleine Tröpfchen als Läuse an einer Stelle beisammen saßen. Dieser Vorgang wieder- holte sich, und es scheint demnach kein Zweifel darüber zu bestehen, daß stets mehrere Tiere gleichzeitig den Überschuß des aufgenommenen Zellsaftes ausstoßen. Ich teile dies mit einem gewissen Zagen mit, wohl wissend, daß ich als Nichtzoologe kein ab- schließendes Urteil über die Erscheinung fällen darf. Ich möchte Erfahreneren überlassen sich darüber zu äußern, namentlich auch inwieweit ähnliche Vorgänge bei Blattläusen oder anderen Insekten beobachtet worden sind. Prof Neger, Tharandt. Zur Erklärung des Vogelflugs. (Mit 4 Abb.) Betrachtet man eine Schwungfeder z. B. eines Taubenflügels, so bemerkt man an ihr verschiedene besondere Krümmungen: Ihre Rippe (Kiel) R ist in der Längsrichtung abwärts und etwa von der Mitte ihrer Länge ab dem linken oder rechten Flügel entsprechend nach rechts oder links seit- wärts gebogen; sie liegt in einer Schraubenfläche. Der innere Streifen abc des breiteren Federfahnen- teils liegt in derselben Schraubenfläche, während der hintere Teil aeb von a — b aus einen allmäh- lich aufwärts gekrümmten weichen Rand bildet — s. Schnitt f— e : Der äußere Federfahnenteil d — c — f zeigt sich als eine schmale, straffere, schwach ab- wärts gekrümmte Fläche. a — c — b — e sowohl wie d— f— c sind gerieft, wie die Abb. i zeigt, und bestehen aus lauter schmalen, kleinen Einzelfedern, deren Rippen oder Kiele (R/) über die feinen Fahnen hervorragen, wodurch die Riefung ent- steht. Läßt man eine solche Schwungfeder fallen, so fällt sie bei ungefähr horizontaler Lage der Längsachse, wobei ständig „höchst stabil" die obere F'ederfläche nach oben gerichtet bleibt, wenn sie zum rechten Flügel gehört, links drehend, wenn sie zum linken gehört, rechts drehend schraubend zur Erde, wo sie stets, bei ebener Erdoberfläche, mit ihrer oberen Fläche nach oben gerichtet liegen bleibt. Dieser Vorgang wird sich mit gleichem Erfolge stets wiederholen; man mag die Feder fallen lassen, in welcher Lage man will. Wie beim Phallen, so muß beim Abwärtsschlagen des Vogelflügels der Luftwiderstand die sämtlichen Schwungfedern des Flügels in der Flugrichtung, also vorwärts schrauben, gleichzeitig aber auch schraubend heben, um so stärker, je stärker der Abschlag und je schneller die Abschläge aufeinander folgen. Der schraubende Luftstoß auf sämtliche Schwungfedern wird durch die Riefen in den starren, mehr oder weniger flach geroul- deten Flügelteil geleitet, der unmittelbar an der .Scfinitt Ti ■ m in 3 Vogelschulter befestigt, den Oberarm des Flügels bildet. Die Pfeile zeigen die Drehbewegungsrichtungen der Luft gegen den Flügel ; dieser ist also ein vorzüglicher Schraubenpropeller, der gleichzeitig treibt und hebt; was keine unserer zurzeit vor- handenen Flugschrauben vermag, die bei horizon- taler oder senkrechter Achsenstellung nur treiben oder nur heben können und bei Schrägstellung der Achse erheblich größere Antriebskräfte brauchen würden, als für eine der Wirkungen benötigt wird. Die voraufgeführten Eigenschaften bis auf die der Riefung der Flügelschwungfedern haben die schlechteren Flieger nicht, insbesondere z. B. nicht die Haus-, Reb- und Birkhühner; ihre Flügel sind sehr tief gemuldet, infolgedessen die Schwung- federn davon in der Längsrichtung sehr stark ge- krümmt. Diese Hühnervögel haben ein Verhältnis- N. F. XVII. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 579 mäßig großes Körpergewicht; sie müssen deshalb sehr schnell mit den Flügeln schlagen beim Fliegen. Ist der untere Kielteil (ohne Fahne) der aus dem Flügel gezogenen Schwungfeder im Verhältnis zu ihr schwer, so nimmt die Feder beim Fallen statt der horizontalen eine mehr geneigte Lage an; aber die Feder legt sich stets mit der Ober- seite nach oben gerichtet auf die Erde oder den Fußboden. Das obige Prinzip der Stabilisierung bleibt auf dem ganzen Fallwege gewahrt. Ich möchte noch 4 Hauptpunkte betreffs der Flügelschwungfedern und die ganze Wirksamkeit des Vogelflügels, wie ich sie herausgefunden habe, erwähnen (s. Abb. 4, S. 578): 1. Der aufgebogene Sprungfederrand a— e — b der vorderen Feder bildet im Verein mit dem über ihn greifenden, schmalen, wenig abwärts ge- krümmten Federfahnenteile d — f— c der folgenden hinteren F"eder mit deren zugehöriger Rippe eine nach der Länge etwas gekrümmte Röhre. Diese öffnet sich beim Heben des Flügels der Länge nach und läßt die am Flügelrücken schräg ab- gleitende Luft auf kürzestem Wege unter den Schematische Flügeluntersicht Abb. 3. Flügel nach außerhalb oben entweichen; hierdurch wird die sonst entstehende, den Vogel abwärts drückende Luftverdünnung auf der Mügelunter- fläche aul ein geringstes beschränkt, so daß der Vogel möglichst wenig sinkt. Beim Abwärts- schlagen des Flügels dagegen werden die F"eder- fahnenteile a — e — b der vorderen I'eder undd — f — c der ihr folgenden hinteren schnell und kräftig gegeneinander bewegt und gepreßt, und es wird die Luft aus dem Rohr den Fahnenfederriefen entsprechend schraubend und dabei mit Rückstoß die Rohrwandungen in der Flugrichtung vorwärts- stoßend, also mit Turbinenwirkung herausgepreßt, wobei auch ein vortreibender Rückstoß der Luft in den steifen am Schultergelenk sitzenden Flügel- muldenteil und gegen den Körper des Vogels erfolgt. 2. Durch die krummen Federfahnenteile wird die Luftwiderstandsfläche gegenüber einer ganz ebenen Fläche der Flügeluntersicht erheblich ver- größert und das Anschließen der krummen Flächen aneinander beim Abwärtsschlag verhindert ferner den Durchtritt der Luft durch den Flügel nach oben, so daß nunmehr auch oberhalb des Flügels aufwärtssaugende Luftverdünnung eintritt, welcher ein entsprechender Teil des Atmosphärendruckes (neben dem elastischen Luftwiderstandsdruck) auf der Flügelunterseite entsprechen muß. 3. Es ist festzustellen, welcher Atmosphären- druckteil bei jeder beliebigen Hügelschlagsgesch win- digkeit erreicht wird ? Der Höchstwert dieses Druckes wäre bekanntlich = rd. 1,00 kg'qcm etwa. Er wird aber nie erreicht und auch von den schwersten Vögeln (z. B. den Trappen) nicht be- nötigt, weil a) das Gewicht der Vögel im allge- meinen verhältnismäßig zu ihrer Flugfläche zu gering ist, um neben dem elastischen Luftwider- standsdruck mehr als einen eben noch festzu- stellenden geringeren Bruchteil des Atmosphären- drucks zu bedürfen und weil b) bei dem schwer- sten Flugarbeitsakt, dem Auffliegen vom Erdboden, die schweren Vögel durch sprungweises Anlaufen (mit stärkstem Flügelschlag) bereits einen großen Teil der für sie nötigen Schwebegeschwindigkeit erhalten. 4. Ein jeder Vogel kann mehr oder weniger seinen Flügeln willkürlich im ganzen Schrauben- flächenform geben, so daß nicht nur die einzelnen Schwungfedern, sondern die ganzen Flügelflächen als hebende und vortreibende Propeller der voll- endetsten Art wirken. Richard Mentz, Kgl. Baurat. Eine Beobachtung über den Instinkt bei weißen Mäusen, und Versuche darüber, ob der- selbe durch Erfahrungen verstärkt werden kann. Mit der Ausführung des Verworn 'sehen Ver- suches über das Wärmemaximum, welches Tiere vertragen können im Unterricht beschäftigt machte ich folgende Beobachtung, welche dann weiter verfolgt wurde. Die Verworn'sche Versuchsanordnung (nach Stempel und Koch S. 237 J. 22)') änderte ich dahin um, daß ich statt einer weißen Ratte, welche mir nicht zur Hand war, eine weiße Maus nahm, statt die Beschwerungssteine oben auf den Deckel zu legen füllte ich unten in das Gefäß Schrotkörner und legte locker eine Scheibe starken Zeichenkartons darauf Bis zu 42" war das Verhalten der Maus normal, wie erwartet wurde bei 43" zeigte sich eine eigentümliche Er- scheinung. Die Maus fing sehr lebhaft an das Zeichenpapier mit dem Maule zu erfassen, es schließlich über sich zu decken, dann versuchte sie in den Schrotkörnern zu graben. Es wurden also folgende instinktive Hand- lungen ausgelöst, aufsuchen von Schattenspendern; hier war es zwecklos, da die Wärme von der Seite einstrahlte, ein Beweis, daß wir es hier mit einem Instinkt und nicht mit einer Handlung des Verstandes zu tun haben und schließlich der Versuch sich in die kühle, hier aber ebenso warme Erde einzugraben. Bemerken möchte ich noch, daß der Käfig, in ') Stempel und Koch, Elemente der Tierspychologie, Jena IQIÖ, Oustav Fischer. 58o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 40 dem die Mäuse bislang gehalten wurden, keine Gelegenheit zum Graben bietet, also es ein seit langer Generationsfolge unbenutzter Instinkt war, der sich geltend machte. Weitere Mäuse verhielten sich ähnlich, so daß von einem allgemeinen Instinkt gesprochen werden darf. Ich änderte den Versuch dahin ab, daß ich statt der Schrotkörner Erde gab, das Resultat war Jetzt machte ich folgende Abänderung, in die Erde baute ich ein aus Glasschlingen hergestelltes Kühlrohr ein, welches so eine Höhle in der Erde bildete. Das ganze war so angeordnet, daß die Maus bei ihren Grabversuchen diese Höhle treffen mußte. Die Versuche wurden nur bei einem Pärchen fast alle 4 Tage angestellt. Immer früher fingen sie an zu graben und die kühle Höhle zu finden, schließlich erreichte ich eine Konstante, bei 33,5" fing das Männchen, bei 34,5 " das Weibchen an zu graben. Die ersten 4 Generationen zeigten keine Veränderung, sie fingen wie alle anderen Mäuse erst bei 42 — 45" mit graben an. Von der 5. Generation aber fanden sich einige, die schon bei 40" gruben. Diese konsequent weiter ge- züchtet, dieselben hatten stets Gelegenheit auch in ihrem persönlichen Leben die Erfahrungen der Vorfahren zu machen, ergeben mit der 12. Gene- ration Tiere, welche schon bei 35" Wärme zu graben anfingen. Wenn eine Generation jetzt die Erfahrungen nicht macht, ist bei den Nachkommen eine Minderung nicht zu beobachten. Lasse ich aber 4 — 5 Generationen der Tiere die Erfahrung nicht machen, so ist ein Unterschied zwischen ihnen und anderen weißen Mäusen nicht festzu- stellen. Aus den Versuchen geht wohl mit Sicherheit hervor. 1. Die jetzigen weißen Mäuse haben noch instinktive Handlungen aus der Zeit ihrer Vorfahren. 2. Häufige Erfahrung in der Richtung des In- stinktes steigert diesen. 3. Diese durch persönliche Erfahrung er- worbene Steigerung ist erblich, wenn es auch einer Reihe von Generationen dazu bedarf 4. Individuelle Unterschiede kommen vor. 5. Die durch Erfahrung erzielte Steigerung des Instinktes geht wieder verloren, je leichter, je kürzer sie erst erworben ist. Dr. Frhr. v. Lützow. Zweierlei Amphibienbeobachtungen vom west- lichen Kriegsschauplatz, i. Zwischen Quesnoy und Frelinghien bei Lille kommt neben typischen grünen Rana esculenta eine blaugrüne bis fast himmelblaue Farbenvarietät vor. Solche Stücke sind sonst sehr selten beobachtet, wenn sie auch von Dürigen 1897 bereits nach Leydig und Douglass erwähnt werden und Dr. Wol t e rs t o r ff , dem ich ein Stück zusandte und der dieses als prachtvoll blau bezeichnete. mir mitteilte, er habe vor vielen Jahren blau- grüne von esculenta typica und ridibunda gefunden. Genauere Angaben über die etwas wechselnde Färbung und Zeichnung der von mir beobachteten Tiere werde ich in den Blättern der Aquarien- kunde machen. Auf meinen Wunsch ging das nach Magdeburg gesandte Stück von dort nach Bonn zur histologischen Untersuchung der Haut durch Prof. Dr. W. J. Schmidt, mit dessen Erlaubnis ich hier mitteile, daß nach Gefrier- schnitten das gelbe Pigment, das sog. Lipochrom, in den sie sonst enthaltenden Zellen, den Xantho- phoren, die auch hier vorhanden sind, spärlich oder gar nicht ausgebildet ist. „Dadurch kommt das Strukiurblau der guaninhaltigen Zellen, der Guanophoren, die unter den Xanthophoren liegen, allein zur Geltung, während es normalerweise durch das übergelagerte Gelb in den genannten Zellen in Grün verändert wird." Es handelt sich also, wie bei mancher prächtigen Farben- abänderung, zum Beispiel den hier und da auf- tretenden orangegelben Paludinen (Vivipara), um partiellen Albinismus oder partiellen Farbstoff- mangel. Als irgendeine Anpassung kann die Farbenabänderung nicht gedeutet werden. 2. Massen Wanderungen von Kaul- quappen beobachtete ich in derselben Gegend um dieselbe Zeit, Ende Mai 191 8. In einem Falle sah in den Zug an einer überreich bevölkerten Stelle beginnen. Da die Tiere sich stets in einiger Entfernung vom dunklen Pflaiizenwuchs vom Boden und von den Ufern hielten, betätigten sie positive Phototaxis, und es dürfte somit die Erscheinung vorliegen, die ich vor einigen Jahren beim Phototaxisversuch eintreten sah, daß näm- hch Kaulquappen positiv phototaktisch werden, wenn man viele Tiere in sehr engen Raum zu- sammensperrt. Hinzukommen dürfte allerdings etwas, wovon der Versuch nichts lehrte, nämlich wie bei den gelegentlichen Massenwanderungen erwachsener Frösche — vergleiche meinen Be- richt in der Naturw. Wochenschr. 191 8, Heft 26, S. 375 — und sonstiger Tiere eine Art Gesellig- keitstrieb, ein Zusammenbleiben der Tiere durch ein irgendwie geartetes, sonst kaum je in die Erscheinung tretendes Reagieren aufeinander. Die Erscheinung an sich ist bei Kaulquappen gleichfalls nicht ganz neu, sie giebt aber, außer dem Erwähnten, noch Folgendes zu bedenken : Meiner Beobachtung bei den Phototaxisversuchen ist von anderer Seite entgegengehalten worden, sie sei an Kaulquappen nicht zu bestätigen ge- wesen. Das kann aber sehr leicht auf dem un- gleichen Verhalten verschiedener Tierarten be- ruhen, und wir haben allen Grund, diese bei biologischen Experimenten stets so genau wie möglich zu bestimmen; denn als ich Herrn Dr. Wolterstorff meine Beobachtungen aus dem F'reiland mitteilte, antwortete er mir sofort, die Kaulquappen gehörten zu Bufo; denn nur Krötenlarven leben herdenweise, „wie Schafe"! V. Franz. N. F. XVn. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Bücherbesprechungen. K. Müller, Rebschädlinge und ihre neu- zeitlicheBekämpfung. Mit zweifarbigen Tafeln, einer Karte und 65 Textabbildungen. Karlsruhe 1918. Verlag der G. Braun'schen Hofbuchdruckerei. — Preis 6, — M. Der deutsche Weinbau hat seit 19 10 fast all- jährlich F~ehlernten gehabt. In vielen Gemeinden, die vordem vom Weinstock reiche Erträge gewannen, sind heute die Winzer verarmt und bedürfen finanzieller Unterstützung von selten der Regierung. Viele haben den Weinbau ganz aufgegeben, so daß die Anbaufläche beispielsweise in Baden von 1907 — 1916 um ein Drittel zurückging. Die Ur- sache der Mißernten wird von manchen in einer Degeneration der Reben gesucht, die mit ihrer dauernden vegetativen Vermehrung zusammen- hängen soll; in Wahrheit ist aber die gewaltige Zunahme der Rebenkrankheiten daran schuld. Obwohl es genug wirksame Bekämpfungsmittel gibt, ist es nicht gelungen, die Krankheiten wesent- lich einzuschränken, weil die Mittel nicht genügend bekannt v/aren und darum nicht allgemein oder nicht sachgemäß angewendet wurden. Um den Weinbau wieder zu heben, ist es in erster Linie notwendig, die Kenntnis der Rebkrankheiten und ihrer Bekämpfung zu einem Gemeingut aller daran interessierten Kreise zu machen. Zu diesem Zwecke eignet sich das vorliegende Buch seines Inhalts und seines wohlfeilen Preises wegen in hervorragendem Maße. Es enthält eine Reihe von Vorträgen, die der Verf wiederholt an der Versuchsanstalt in Augustenberg in Baden und bei verschiedenen Kursen in Weinbaugebieten gehalten hat. Sämtliche Krankheiten von wirt- schaftlicher Bedeutung kommen zur Besprechung, allen voran die Pilzkrankheiten, wie die Blattfall- oder Peronosporakrankheit, der Mehltau, der Wurzelschimmel, der Grauschimmel usw., sodann die durch Tiere verursachten Schädigungen, wie Reblaus, Heu- und Sauerwurm, Milben, Rebstecher, Springwurm u. a., endlich die durch Witterungs- einflüsse und Bodenverhältnisse hervorgerufenen Krankheiten. In knappen, klaren Worten wird jedesmal das Krankheitsbild gezeichnet und die Entwicklung des Schädlings geschildert. Auch wirft der Verf. gelegentlich geschichtliche Rückblicke auf die Ausbreitung der Krankheiten, die ja zum größten Teil erst im vorigen Jahrhundert aus Amerika eingeschleppt wurden. Das Hauptgewicht aber legt er auf die Besprechung der Bekämpfungsmaß- nahmen, wobei erdieneuestenPorschungsergebnisse verwertet. Da der Verf. schon eine Reihe von Jahren seine Aufmerksamkeit dem badischen Wein- bau gewidmet hat, stehen ihm hier eine Fülle eigener praktischer Erfahrungen zur Verfügung. Es sei z. B. auf die Einführung des „Inkubations- kalenders" hingewiesen, der es dem Winzer er- möglicht, das Auftreten der Peronospora fast auf den Tag genau vorauszuberechnen und dem- gemäß den für das Spritzen der Weinstöcke ge- eignetsten Zeitpunkt zu wählen. In dem Abschnitt über die Reblaus wird das deutsche Reblausgesetz einer eingehenden Kritik unterzogen. Die darin vorgesehene behördliche Vertilgung der Reblaus, der allerdings auch die Reben zum Opfer fallen, empfiehlt sich nach Ansicht des Verf. nur für kleinere Verseuchungsherde. Wenn sich die Krankheit über größere Bezirke ausgebreitet hat, ist der Anbau gepfropfter Reben mit reblaus- widerstandsfähiger amerikanischer Unterlage das beste vorbeugende Bekämpfungsmittel. Im An- schluß daran wird die Züchtung neuer Reben- sorten besprochen. Ihr Ziel besteht darin, die wertvollen Eigenschaften der verschiedenen ein- heimischen Sorten miteinander und mit der Widerstandsfähigkeit amerikanischer Sorten gegen Krankheit zu verbinden. Sie ist aber von diesem Ziel noch weit entfernt, da die Züchtungsversuche einen längeren Zeitraum beanspruchen. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Befruchtungs- und Vererbungsverhältnisse kurz gestreift. Ein letzter Abschnitt bringt zusammenfassend die Nutz- anwendung des Gesagten für die praktische Ge- staltung des neuzeitlichen Weinbaus. Zum Schluß sei noch auf die vorzüglichen Textabbildungen und die beiden farbigen Tafeln (Peronospora viticola und Botrytis cinerea) hin- gewiesen. Die beigegebene Karte verzeichnet die wichtig.sten Reblausherde rings um Baden, das selbst bis vor kurzem dank der rechtzeitigen gesetzlichen Bekämpfung von diesem gefährlichen Schädling verschont geblieben war. Das Buch ist nicht nur den am Weinbau un- mittelbar interessierten, sondern auch dem Phyto- pathologen und dem Botaniker überhaupt warm zu empfehlen. Dr. Esmarch. K. Eckstein, Die Schädlinge im Tier- und Pflanzenreich und ihre Bekämpfung. 3. Aufl. Aus Natur und Geisteswelt, 18. Bändchen. Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1 91 7. — Preis 1,50 M. Der Zoologe und Botaniker von Fach, der sich nicht gerade mit der angewandten Zoologie oder Botanik beschäftigt, hat in vielen Fällen nur ganz oberflächliche Kenntnisse von dem Wirken und der Bekämpfung der einheimischen Schädlinge aus dem Tier- und Pflanzenreich. Die großen ein- schlägigen Werke zu studieren, um einen Über- blick auch über dieses Spezialgebiet der Biologie zu gewinnen, fehlt es im allgerneinen an Zeit. So ist dem Biologen eine kurze Übersicht, die sich mit Schädlingsfragen beschäftigt, sehr willkommen. Aber nicht allein dieser hat Interesse daran, etwas über dieses Thema zu erfahren. Der Landwirt, der Gartenbesitzer, der Forstmann, kurz jeder, der praktisch draußen in der Natur tätig ist, wird ein Buch mit Freude begrüßen, das ihn kurz und sachlich in diese Materie einführt. Als sehr ge- 582 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. eignet für solche Aufgabe erscheint das 1 8. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt", das von dem bekannten Forst- und Fischereizoologen Eckstein als dritte Auflage des Bändchens „Der Kampf zwischen IVIensch und Tier" neu bearbeitet worden ist. Im Gegensatz zu den beiden unter dem angeführten Titel erschienenen Auflagen wird auf die Praxis Rücksicht genommen und auf die Bekämpfung der Schädlinge in vielen Fällen genauer eingegangen. Wir lernen im allgemeinen die Biologie des betreffenden Schädlings kennen, seine Entwicklung, seine Verbreitung, Kennzeichen desselben, dann folgt eine Besprechung seiner Ein- wirkung auf unsere Kulturen, vereinzelt Angaben über die Größe des angerichteten Schadens, schließlich werden die Maßnahmen zu der Be- kämpfung des betreffenden Tieres bzw. Pflanze besprochen. Dadurch, daß der Verfasser einzelne, besonders prägnante Beispiele aus seiner eigenen reichen Erfahrung anführt, wird das Interesse des Lesers wachgehalten und der Stoff demselben näher gerückt. Verfasser bespricht die Schädlinge im Hause, im Garten, im Feld und auf der Wiese, im Wald und im Fischgewässer. In jedem dieser Kapitel werden die in Betracht kommenden Schädlinge aus allem Tier- bzw. Pflanzenordnungen gestreift, die wichtigeren eingehender behandelt. Zahlreiche, zum Teil recht instruktive Abbildungen machen den Laien mit den wichtigeren Formen bekannt. Die sehr lesenswerte Einleitung geht auf die Frage nach der Nützlichkeit resp. Schädlichkeit des einzelnen Organismus für den Menschen ein. Es wird auf die häufig sehr große Schwierigkeit hingewiesen, ein Tier oder eine Pflanze als nützlich oder schädlich für uns zu bezeichnen. Im Schlußwort erwähnt der Verfasser auch den stillen, aber häufig recht erbitterten Kampf, der zwischen Männern der Praxis und den Vertretern der Naturdenkmalpflege in manchen Fällen geführt wird, so z. B. in der Frage der Bekämpfung des Fischreihers, des Eisvogels u. a. Eine bestimmte Stellungnahme zu einer der beiden Parteien ver- meidet er in glücklicher Weise, indem die Berech- tigung beider Bestrebungen in entsprechenden Grenzen anerkannt wird. Das Buch kann allen, die sich für die be- sprochenen Fragen interessieren, empfohlen werden. Für eine spätere Auflage kann man vielleicht den Wunsch nach Anführung der hauptsächlichsten Literatur aussprechen, die Interessenten die Möglich- keit nach weiterer Orientierung zu geben vermag. Dr. Willer. J. T. Sterzel fi Die organischen Reste des Kulms und Rotliegenden der Gegend von Chemnitz. Abh. math. phys. Kl. k. Sachs. Ges. d. Wissensch. Bd. XXXV, Nr. V. Teubner-Leipzig 191 8. — Geh. 12 M. Auf Blatt Chemnitz der sächsischen geologischen Spezialkarte finden sich Pflanzenreste im „terrestri- schen Kulm" (Hainichen) in größerer Mannigfaltig- keit als im eigentlichen produktiven Karbon. Daneben hat das Kulm einige z. T. noch proble- matische Tierreste geliefert, darunter Arthropoden, wie Arthropleura, die man bisher nur aus dem Oberkarbon kannte. Von großem Interesse sind auch die als Haifisch-Eihüllen erkannten Abdrücke der Fayolia Sterzeliana in den Süßwasser-Bildungen. Bryozoen, Crinoiden-Stielglieder und Foraminiferen haben sich außerdem in marinen Kalken im Zellaer Walde feststellen lassen. Unter den Pflanzen sind 12 Arten der vorliegenden Beschreibung neu. Nicht minder reichhaltig und wertvoll ist die Flora des Chemnitzer Rotliegenden, berühmt durch die Rekonstruktion des hier durch vulkanische Ergüsse vernichteten und zugleich überlieferten „Versteinerten Waldes" im Garten des König- Albert-Museums (30 Araucariten-Stämme von bis 20 m Länge), in allen Sammlungen auch seit langem vertreten durch die schönen instruktiven Schliffe der dortigen Kieselhölzer. Aus der Lagerung und der Art der Versteinerung läßt sich entnehmen, daß die Verkieselung sich bereits in den lebenden Pflanzen vollzog und häufig zum Absterben der Bäume beitrug, bis dann ein von O. nach W. sich ergießender Schlammstrom (Porphyrtuff) einen großen Teil von ihnen umlegte und einbettete. Das Alter der Flora ist mittel rotliegend, also Lebacher Stufe. Die paläontologische Beschreibung der einzelnen Arten bringt eine große Zahl wichtiger Beobach- tungen. Auf die Wiedergabe der Abbildungen ist seitens der Redaktion nach dem Tode des verdienten Verfassers noch besonderer Wert gelegt worden. Hennig. Frickhinger, Dr. H. W,, Die Mehlmotte. Schilderung ihrer Lebensweise und ihrer Be- kämpfung mit besonderer Berücksichtigung der Cyanwasserstoffdurchgasung. Mit 16 Textabbil- dungen. München '18. „Natur und Kultur". ■ — 2 M. Das schon seit langem in Amerika vielfältig angewandte und auch bei uns, wenn auch in kleinerem Kreise, längst bekannteMittel derBekämpfung schäd- licher Insekten durchBlausäure hat während des Krie- ges rasch an Verbreitung gewonnen. Besonders er- folgreich war die Bekämpfung eines der wichtig- sten Mühlenschädlinge, nämlich der etwa seit 1877 in Deutschland auftauchenden, ursprünglich aus Indien stammenden Mehlmotte. Der Verf. gibt hier eine gedrängte Schilderung dieses Schmetter- lings und der Art, wie die angewandte Entomo- logie jetzt mit steigendem Erfolg gegen ihn zu Felde zieht. Miehe. Bär, Dr. Joh., DieVegetation desValOn- sernone. Zürich '18. Rascher u. Co. — 3 Fr. Der Autor liefert mit diesem Hefte, das den 5. Teil der von der pflanzengeographischen Kom- mission der Schweiz. Naturf Gesellsch. heraus- gegebenen Beiträge zur Geobotanischen Landes- aufnahme darstellt, einen wertvollen Beitrag zur Pflanzengeographie desKanton Tessin, indem er N. F. XVn. Nr. 40 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S83 einen kurzen Überblick über die Pflanzengesell- schaften des zwischen hohen Bergketten einge- schlossenen, durch reichliche Niederschläge ausge- zeichneten, waldreichen Val Onsernone gibt. Er schildert die Laub und Nadelwälder, die Gebüsch- formationen, die verschiedenen Typen der Wiesen, die Flora des Süßwassers und der Gesteinsfluren in ihren charakteristischen Assoziationen, sowie anhangsweise die Flora der Mauern und die Ruderal- und Adventivflora. Eine wertvolle Bereicherung des Heftes bildet eine im Maßstabe i : 50000 aus- geführte pflanzengeographische Karte des Gebietes, auf welcher durch Symbole und Farben die Areale der Gehölze inkl. der Zwergstrauchheiden ein- getragen sind. Miehe. Nägler, Kurt, Am Urquell des Lebens. Die Entdeckung der einzelligen Lebewesen von Leeuwenhoek bis Ehrenberg. I16S. mit 38 Abb. Leipzig, Voigtländer. — 1,20 M. Die Kenntnis der einzelligen Lebewesen war für den Fortschritt der biologischen Wissenschaft von ungemein großer Bedeutung, doch war eine solche Kenntnis erst mit der Anwendung des Mikroskops möglich. Zwar nahm man schon im Altertum die blutrote oder grüne Färbung von Teichen und Flüssen als Folge der Anwesenheit winziger Tierchen an, aber das war erst das Ahnen einer mikroskopischen Welt der Lebewesen. Die Wissenschaft der Protistenkunde geht auf Anton von Leeuwenhoek zurück. Er wurde 1632 in Delft geboren und sollte Kaufmann werden, gab sich aber bald seiner Lieblingsneigung hin, starke Vergrößerungsgläser herzustellen und mikrosko- pische Studien zu betreiben. Er entdeckte die Rädertierchen, Blutkörperchen, Spermatozoen, die Querstreifung des Muskels, die Knospung bei den Süßwasserpolypen und endlich die ersten Protisten, die Infusionstierchen. Er gab zahlreiche Ver- öffentlichungen heraus, bis er 1723 sein Leben beschloß. Nach Leeuwenhoek wurde die Er- forschung der Einzelligen mit großer Regsamkeit weiter betrieben. Der erste Abschnitt der Ge- schichte der Protistenkunde findet seinen Abschluß mit dem Dänen O. F. Müller, der zum ersten Male versuchte, das Wissensgebiet kompendien- artig zusammenzufassen und festbegrenzte Arten mit Aufstellung der Synonyme zu charakterisieren. In dem Büchlein Dr. Nägler 's werden Auszüge und Übersetzungen aus den ältesten Schriften zur Kenntnis der einzelligen Lebewesen geboten, welche die Arbeitsweisen und die Ergebnisse der P'orscher von Leeuwenhoek bis Müller aufzeigen. Von Müller bis Ehren berg stockte die Erforschung der Einzelligen; was von einzelnen Autoren ge- leistet wurde, war wenig ersprießlich. — Erwähnens- wert ist, daß sich Linne um das Studium der Protisten nicht viel kümmerte. Nur in der 13. Ausgabe seines „Systema naturae" (1788 bis 1793) errichtete er eine besondere Gruppe der „Vermes infusoria". Er war auch ein Gegner der Urzeugung und wollte die Infektionskrankheiten der Menschen auf Tiere des Chaos zurückführen, indem sie durch ein äußeres Kontagium übertragen würden. H. P^ehlin^er. RoSi, Dr. H., Unsere wichtigsten wildwachsenden Heil-, Gewürz- und Teepflanzen. Beschrei- bung, Biologie, Sammeln und Anwendung. Mit 10 Tafeln und 41 Textabbildungen von Prof. Dunzinger. München' 18. „Natur und Kultur". — 3.50 M. Das kleine Büchlein verdient eine nachdrück- liche Empfehlung; es wird sich seiner Handlich- keit und seines billigen Preises wegen bald einen festen Platz innerhalb der gegenwärtig stark an- geschwollenen Literatur über Pflanzenstoffe er- obern. Es gibt eine knappe, aber erschöpfende Beschreibung der im Titel genannten, praktisch in Betracht kommenden Pflanzen, die durch aller- hand botanische und andere Belehrungen belebt ist, so daß der Kräutersammler auch in dieser Richtung gefördert wird. Besonders zu rühmen sind die Abbildungen, die in ihrer Klarheit, Über- sichtlichkeit, Größe ganz vorzüglich sind. Miehe. Änregimgen und Antworten. Zum Käferflug. — Die Notiz in Nr. 26 der Naturw. Wochenschr. „Vom Fliegen der Käfer" veranlaflt mich zu folgendem : Der Flugapparat der Käfer hat meines Erachtcns Ähnlich- keit mit dem Doppeldecker unserer Flugfahrzeuge, aber seine Flügelflächen sind beweglich und zwar dienen die weichen Unterflügcl zum Vorwärtstreiben, während die harten Ober- flügel im Ruhezusland die weichen Unterflügel schützen, aufge- klappt aber beim Fliegen hauptsächlich das Schweben der verhältnismäßig schweren Käferkörper ermöglichen sollen. Anfangs, beim Beginn des Fluges, werden alle 4 Flügel be- wegt, ist aber die für den Käfer nötige Schwebegeschwindig- keit erreicht, so läflt der Käfer die Oberflügel ausgespannt etwas nach oben gerichtet ruhen, wie Aüroplanflügel, und arbeitet nach Bedarf zur Erhaltung der Schwebegeschwindigkeit mit den Unterflügeln allein, die er auch zum Lenken benutzt ; will er steigen, arbeitet er wieder mit den Obcrflügcln eben- falls. Die Flügelausschläge begrenzen sich gegenseitig. Die Unterflügel wirken also als Propeller, ähnlich wie die mir für einen Schwingenflieger patentierten federnden Randstreifen wirken, die ich an den Schwebeflächen, mit diesen zugleich beweglich, zu großer Wirksamkeit (an einem Modell) ange- gebracht habe. Die Drehbarkeit der Oberflügel der Käfer ist sicher vor- handen, da sie zum Auf- und Niederfliegen des Käfers ver- schieden von diesem gestellt werden müssen. Die Käfer bilden also eine Fliegergruppe von Schlag- flügeldoppeldeckern. Die Schlaggeschwindigkeit, für das Auffliegen ins- besondere , hängt vom Käfergewicht und der Größe der Flügelflächen ab. (G.G.) Mentz, Kgl. Baurat, Stettin. Zu Literatur über die Bestimmung von Sträuchern und men in blattlosem Zustande sei noch die in Nr. 27 dieser 584 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 40 Zeitschrift 191S nicht genannte Volksflora von Borner (Voigtländers Verlag in Leipzig 1912, Preis M. 6,80) erwähnt die an der Hand kleiner Skizzen ausgezeichnete Bestimmungs- tabellen für über 150 Holzgewächsgattungen der deutschen Wälder und Gärten in laublosem Zustande bringt (S. 248 bis 272). In den kurzgefaßten tabellarischen Gegensätzen sind viele erstmalig systematisch verwertete Eigenschaften der un- belaubten Holzpflanzen beschrieben, die von ausgedehnter Originalarbeit des Verfassers zeugen. Der Gebrauch der Tabellen ist durch sie im Vergleich zu dem zwar umfassen- deren, aber im allgemeinen weniger leicht verständlichen Werke Schneider's, insbesondere für den Liebhaber und für Schulzwecke, wesentlich erleichtert worden und kann daher wärmstens anempfohlen werden. Auch in der tabellarischen Behandlung der belaubten Holzgewächse (S. 206—245) bietet Börner's Volksflora eine reichhaltige Ausarbeitung der vegetativen Merkmale, die es ermöglicht, über 200 Gattungen ohne Heranziehung der Blütenmerkmale zu bestimmen. Auf diese Weise auch die Gattungen der Nadelhölzer (S. 206 — 211) zu trennen, ist meines Wissens in diesem Umfange (21 Gat- tungen) dort zum ersten Mal gelungen. Lange, städt. Garteninspektor, Metz. Druckfehlerberichtigungen zu dem Artikel „Die vor- zeitlichen Vögel" von Dr. K. Lamb recht in Nr. 25 der Naturw. Wochenschr. S. 353 rechte Spalte Zeile 24 von unten anstatt Miorart lies Mivart. S. 356 linke Spalte Zeile 19 von unten anstatt mit regu- lärem lies die mit regulärem. S. 356 rechte Spalte Zeile 31 von oben anstatt Gracularus lies Graculavus. S. 357 rechte Spalte Zeile i von oben anstatt sägenartige lies sägenartigen. • S. 357 rechte Spalte Zeile 5 von oben anstatt longirostris lies longirostris. (Punkt) S. 357 rechte Spalte Zeile 6 von oben anstatt Strubsolei lies Shrubsolei. S. 357 rechte Spalte Zeile 9 von oben anstatt Diomeden lies Diomedea. S. 357 rechte Spalte Zeile 16 von unten anstatt Agropterus lies Agnopterus. S. 35S linke Spalte Zeile 3 — 4 von oben anstatt Palaeo- githalus lies Palaegithalus. S. 358 linke Spalte Zeile 6 von unten anstatt hypogala lies hypogaea. S. 35S rechte Spalte Zeile 5 von oben anstatt Troponiden lies Trogoniden. S. 358 rechte Spalte Zeile 6 von oben anstatt Archaeo- tropon lies Archaeotrogon. S. 35S rechte Spalte Zeile 7 von oben anstatt Palaeo- eryptonyx lies Palaeocryptonyx. S. 358 rechte Spalte Zeile 13 von oben anstatt Endynamis lies Eudynamis. S. 358 rechte Spalte Zeile 6 unten anstatt Stepanopoden lies Steganopoden. S. 358 rechte Spalte Zeile 4 von unten anstatt Hinantopus lies Himantopus. S. 359 linke Spalte Zeile 6 von oben anstatt Tropon lies Trogon. S. 35g linke Spalte Zeile 10 von oben anstatt A. vels lies A. velox. S. 359 linke Spalte Zeile 18 von oben anstatt enogenen lies neogenen. S. 359 linke Spalte Zeile 9 von unten anstatt Lyddeker lies Lydekker. S. 359 rechte Spalte Zeile 29 von unten anstatt Palaeo- spora lies Palaeospiza. S. 360 linke Spalte Zeile 2 von unten anstatt Casolinina lies Carolina. S. 360 rechte Spalte Zeile 9 von unten anstatt R. mana lies R. nana. S. 360 rechte Spalte Zeile 2 von unten anstatt Eaglesornei lies Eaglesomei. S. 361 linke Spalte Zeile 14 von oben anstatt Diclus lies Did.us. S. 361 linke Spalte Zeile 21 von unten anstatt Aptery- piden lies Apterygiden. S. 361 linke Spalte Zeile 12 von unten anstatt Bichwell lies Bidweil. S. 361 rechte Spalte Zeile 12 von oben anstatt Pslisspäntä lies Pilisszäntö. S. 361 rechte Spalte Zeile 34 von unten anstatt Wärme- verlusts lies Wärmeverlust. S. 363 linke Spalte Zeile 2 von oben anstatt einziges großes lies einziges ähnlich großes. S. 363 Abb. 8 anstatt Aepyornis raacimus lies Aepyornis maximus. S. 364 linke Spalte Zeile 22 von unten anstatt Broschi lies Brocchi. S. 364 rechte Spalte Zeile 4 von oben anstatt Bd. 7—80 lies Bd. 7 — 10. S. 3Ö4 rechte Spalte Zeile 12 von oben anstatt March lies Marsh. S. 364 rechte Spalte Zeile 14 von unten anstatt Wesensch. lies Wetensch. S. 364 rechte Spalte Zeile 12 von unten anstatt Winglers lies Wingless. Druckfehlerberichtigung. In dem Bericht „Neueres zur Lebensweise und Psychologie der Frösche" in Nr. 26 der Naturw. Wochenschr. muß es auf Seite 374, Zeile 2 heißen „Kerbtiere" statt „Krebstiere" und auf Seite 375, Zeile 18 „Schreitmüller" statt „SchneitmüUer". — In dem Bericht „Arbeitsrhythmus der Verdauungsdrüsen" in Nr. 29 lies auf Seite 421, Zeile 29: „Hydrophilus" statt „Hydrophylus". V. Kranz. Literatur. Luckey, Oberlehrer P., Einführung in die Nomographie. I. Teil; Die Funktionsleiter. Mit 24 Texltiguren und i Tafel. Cohn, E., Physikalisches über Raum und Zeil. 3. Aufl. Leipzig und Berlin 'iS. B. G. Teubner. — 1,20 M. Kaiserling, Dr. med. C., Die mikrophotographischen Apparate und ihre Handhabung. Mit 60 Abbild. Stuttgart '18. Franckh'sche Verlagshandlung. ItshaEtg G. Karsten, Zur Frage der Eisheiligen. S. 569. A. Seh aedel, Bericht zur Frage der Weiterverbreitung der Malaria im Bereiche der Festung Mainz. S. 572. T h. Arldt, Primitive Formen und Enlwicklungsgebiete. S. 573. -- Kleinere Mitteilungen: Neger, Honigtau und Honigtauregen, (i .\bb.) S. 576. Mentz, Zur Erklärung des Vogel- flugs. (4 Abb.) S. 57S. Frhr. v. Lützow, Eine Beobachtung über den Instinkt bei weißen Mäusen, und Versuche darüber, ob derselbe durch Erfahrungen verstärkt werden kann. S. 579. V. Franz, Amphibienbeobachtungen, b. 580. — Bücheibesprechungen: K.Müller, Rebschädlinge und ihre neuzeitliche Bekämpfung. S. 581. K.Eckstein, Die Schädlinge im Tier- und Pflanzenreich und ihre Bekämpfung. S. 581. J. T. Sterzel f, D'e organischen Reste des Kulms und Rotliegenden derGegend von Chemnitz. S. 582. H. W. Frickhinger, Die Mehlmotte. S. 582. Joh. Bar, Die Vegetation des Val Onscrnone. S. 582. Kurt Nägler, Am Urquell des Lebens. S. 5S3. H. Roß, Unsere wich- tigsten wildwachsenden Heil-, Gewürz- und Teepflanzen. S. 583. — Anregungen und Antworten: Zum Käferflug. S. 583. Literatur über die Bestimmung von Sträuchern und Bäumen in blattlosem Zustande. S. 583. Druckfehlerberichtigungen. S. 584. — Literatur: Liste. S. 584. Manuskripte Zuschriften werden an Prof. Dr. H. M i e h e , Berlin N 4, Invalidenstrafie 42, erbeten Verlag von Gustav Fischer in Jena. k der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co, G. m b. !!., Nnumbuiü a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 13. Oktober 1918. Nummer 41. Beiträge zur Physiologie, Biologie und Psychologie der Honigbiene (Apis mellifica L.) Von Prof. Dr. H. v. Buttel-Reepen, Oldenburg i. Gr. [NachJruck verboten.] Ein kürzlich erschienenes Werk von Walther Schoenichen^) gibt mir Gelegenheit, einige Vorgänge aus der Biologie der Apis mellifica näher zu beleuchten, die in meiner letzten Schrift ^} nur flüchtig oder gar nicht berührt wurden. Schoenichen widmet, wie er betont, gerade der Honigbiene „ein eingehenderes Studium' so möge es gestattet sein, hieran anzuknüpfen. Zuvor seien über die neue Arbeit Schoeni- chen's einige Darlegungen gegeben. Der ver- diente, namentlich auch nach der didaktischen Seite besonders begabte Autor will mit dem vorliegen- den Praktikum keine Einführung in die vergleichende Anatomie oder in die Histologie des Insekten- körpers bieten und so ist auf die Schnittmethode ganz verzichtet. Als Ausrüstung zu den Unter- suchungen genügen ein kleines Mikroskop, eine Präparierlupe, deren Selbstanfertigung Schoe- nichen unter Beigabe klarer Zeichnungen empfiehlt, einige Laugen, Färbungsmittel usw. Als Leser sind gedacht: Studenten der Biologie, Lehrer, Entomologen usw. Nach der pädagogischen Seite dürfte das Werk sicherlich nichts vermissen lassen, da es aus der Praxis hervorgegangen ist, wie sie der Verfasser an der Akademie in Posen und an der Kgl. Preußischen Hauptstelle für den natur- wissenschaftlichen Unterricht in Berlin ausgeübt hat. Zur Untersuchung werden herangezogen die Gliedmaßen, ferner Atemwerkzeuge und sonstige innere Organe, sowie ein Teil der Sinnesorgane soweit sie mit den angegebenen Untersuchungs- mitteln zugänglich sind und Beobachtungen in tote (Jugendstadien usw.). Aus der Insektenwelt sind die Schmetterlinge, Käfer, Hautflügler, Zwei- flügler, Netz- und Pelzflügler, Schnabelkerfe, Geradflügler und die Libellen näher behandelt. Ein Literaturverzeichnis und ein Sachregister schließen das Werk, das auf das angelegentlichste empfohlen werden kann. Die zahlreichen Text- abbildungen sind ganz vortrefflich. Im Literatur- verzeichnis sind Hinweise auf die Biologie kaum vorhanden, schließlich dienen aber alle morpho- logischen Untersuchungen — abgesehen von der rein systematischen Richtung — doch im wesent- lichen auch zum besseren Verständnis der Biologie bzw. der Ökologie. Derartige Hinweise dürften daher wertvoll und vielen willkommen sein. ') Schoenichen, Prof. Dr. Walther, Praktikum der Insektenkunde. Nach biologisch-ökologischen Gesichtspunkten. Mit 201 Abbild, im Text. 193 S. Gustav Fischer, Jena 1918. - 7 M. ') „Leben und Wesen der Bienen". 300 S. Braunschweig 1915- Der Honigbiene ist, wie erwähnt, ein besonders breiter Raum gewidmet (S. 78 — in). Bei Be- sprechung der Sinneswerkzeuge auf den Fühlern werden die sog. Porenplatten (Sensilla placodea), richtiger Membranplatten, anscheinend im Vorzug als Druckpunktssinnesorgane angesprochen, wenn- gleich auch meine Ansicht, daß wir es mit Gehörs- werkzeugen zu tun haben könnten, erwähnt wird. Läßt man eine Biene im Zimmer fliegen, so stößt sie nicht an die Fensterscheiben an, da die Mem- branplatten (?) dieses verhindern. „Man kann sich vorsteilen", meint Schoenichen, „daß die von der heranfliegenden Biene gegen die Scheibe ge- worfenen Luftwellen dort zurückgeworfen werden, so daß das Tier Kenntnis von dem Hindernis erhält." Nun sind aber die Sinnesorgane der Biene nicht im Kampf mit Fensterscheiben herausgebildet worden, also nicht mit durchsichtigen Gegenständen, die es nahelegen, daß hierbei die Augen einer Täuschung unterliegen könnten. In der Natur gibt es derartiges nicht und wenn das analoge Verhalten der Fledermäuse herangezogen wird, so darf wohl daran erinnert werden, daß diese im Dunkeln fliegen, während die Biene schon das Fliegen im Dämmern scheut. Es ist aber wohl zweifellos, daß die Bienen im dunkeln Stockinnern bei der Arbeit, dem Füttern der Jungen, beim Wabenbau usw. der Druckpunktssinnesorgane be- dürfen, aber ich glaube, wir dürfen hierfür die Membranplatten aus folgenden Gründen nicht heranziehen. Die Arbeiterin besitzt nach Schenk etwa 4000 Membranplatten auf beiden Fühlern, die Drohne dagegen 31 000. Die Drohnen arbeiten aber nicht, fliegen nur während der hellsten Tages- stunden bei warmem Wetter aus und können sich dann durch ihre besonders großen Augen vorzüglich orientieren. Ihre Ortsorientierung („Orientierungs- vorspiel") ^), ist auch eine wesentlich schnellere als bei der Arbeiterin. Der einzige biologische Beruf der Drohne besteht darin, bei ihren Ausflügen nach Königinnen Ausschau zu halten, die der Be- gattung bedürfen. Zum Auffinden der Königin werden sie einerseits durch ihre, wie erwähnt, besonders großen Augen befähigt, die aber schwer- lich hierzu ausreichen und andererseits durch Ge- hörs- und Geruchsorgane. Da der Flugton der Königin ein abweichender ist, muß man schon annehmen, daß die Membranplatten hier ihre Dienste verrichten, die ihrem „Bau" nach als Ge- hörsorgane durchaus geeignet erscheinen, zumal wir für die Geruchstätigkeit zahlreiche andere Organe, deren Bau auf ein Geruchsvermögen hin- weist, in Anspruch nehmen können. Ich muß be- 586 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 41 zügUch des Weiteren auf meine Arbeit^) ver- weisen. Von den Mundteilen der Bienenlarve gibt Schoenichen eine allerdings nur zum Teil klarere Darstellung und Abbildung als Zander,') abgesehen von den Bezeichnungen, bei denen die durchaus notwendigen lateinischen Benennungen fehlen, ohne die für den Lernenden ein sicherer Leitfaden fehlt, da die deutschen Namen von anderen Autoren recht verschieden gebraucht werden. Schoenichen stellt auf der Unterlippe (Labium) 6 Stiftchen fest, die er wohl mit Recht als für die Spinntätigkeit bedeutsam erachtet, da sie sich dicht an der Mündung der Spinndrüsenöffnung befinden. Auch konstatiert er, so viel ich sehe, erstmalig Sinnesorgane auf der Oberlippe (Labrum), die er als Geschmacksorgane deutet. Zander (1911) erklärte die beiden Höcker seitlich des Clypeus der Larve, obv.-ohl sie völlig durchsichtig sind und keine Pigmenteinlagerungen zeigen, wohl mit Recht für rudimentär gewordene Augenanlagen, da wir ähnlichen Gebilden bei Wespenlarven begegnen, die einerseits (Blattwespen) noch Augen darstellen, andererseits (Polistes) noch Farbstoffeinlagerungen aufweisen. Man darf im Zusammenhang mit so manchen anderen entwick- lungsgeschichtlichen Hinweisen, wie ich sie in meiner letzten Schrift (1. c.) auszuführen versuchte, auch hieraus wohl den Schluß ziehen, daß die Apis mellifica früher unter andersartigen Lebens- bedingungen gedieh, also während langer Entwick- lungszeiten keine Höhlenbewohnerin gewesen sein dürfte. Wenn ich (1. c) geschrieben habe: „Da der Futterbrei ohne Rückstände zu hinterlassen, von der Larve aufgenommen wird, bleibt der Enddarm bis gegen das Ende des Larvenlebens blind ge- schlossen", so hat diese kurze Fassung in einem Falle, bei dem übersehen wurde, daß ich weiter- hin ausdrücklich angebe, daß die Arbeiter- und Drohnenlarven außer dem Futterbrei auch noch mit Pollen usw. gefüttert werden, den Irrtum hervorgerufen, als ob überhaupt keine Rückstände vorhanden seien, während doch feststeht, daß die Pollenschalen nicht verdaut werden können, auch von der erwachsenen Biene nicht, und die ober- flächlichste Untersuchung der Larve, diese Rück- stände auch dem unbewaffneten Auge zur Erschei- nung bringt. Da aber diese Pollenzugabe ers-t gegen das Ende des Larvenlebens erfolgt, erfordert die Hauptnahrung — der Futterbrei — , die so gut wie restlos aufgenommen wird, keine Aus- scheidungsvorkehrungen. Wie erledigt sich nun aber die Larve der Rück- stände. Ganin (1876) sagt hierüber: „Es unter- liegt die Tatsache keinem Zweifel, daß vor der Verpuppung eine Verbindung des Mittel- und des Enddarmes besteht, und daß der Darminhalt hinausgeworfen wird". Aber wohin werden die ') Zander, Enoch, „Der Kopf der Bienenlarvc". Zool. Anz. 1909, S. 763 — 765 und „Der Bau der Bienen". 182 S. Stuttgart 191 1. Rückstände entleert? Frenzel*) macht hierzu die folgenden Angaben: „Wenn die Bienenlarve ihre Freßperiode beendet hat, so entleert sie den Darm von allen Speiseresten. Dies geschieht, indem sie zunächst ihre Lage verändert und das Afterende nach der Öffnung der Wabenzelle hin verlegt. Es treten dann an dieser Körperstelle, wie ich deutlich beobachtet habe, kleine, ziem.lich harte Kotballen von dunkelgelber bis bräunlicher Färbung heraus. Dieselben bestehen gewöhnlich aus einer derart gefärbten schmierigen Materie, welche zahlreiche mehr oder minder durch die Verdauung zerstörte Pollenkörner enthält. Man sieht diese stecknadelknopfgroßen Kotballen zu mehreren längere Zeit am Körperende haften, von wo sie wahrscheinlich wohl durch die Arbeits- bienen entfernt werden. Bei einer ausge- wachsenen Larve, die ich 8 Tage lang hungern ließ, ohne daß eine Eindeckelung erfolgte, sah ich etwa 30 — 4oKolklümpchen ausscheiden, welche zum Teil an der äußeren Wand der Zelle abge- setzt wurden. Da dieselben nur aus dem After entleert werden, so muß jetzt ein vollständiger Enddarm vorhanden sein, welcher die Verbindung der Afteröffnung mit demMitteldarm bewerkstelligt". Auf Grund dieser so positiv gegebenen Be- obachtung hat RengeP) in seiner vortrefflichen Arbeit über die Darmanlage bei der Larve wohl keine eigenen Untersuchungen über den Verbleib dieser Rückstände angestellt, obgleich er bei den Larven von Vespa germanica konstatiert, daß die De- fäkation in der Zelle vor sich geht: „Larven, die sich innerhalb der Zelle ihres Darminhaltes entledigen, drücken die zähe knetbare Masse durch die Bewegungen ihres Abdomens zu einem schüsseiförmigem Gebilde breit, das am Grunde der Zelle ruht. Im Herbst findet man in den einzelnen Zellen des Wespennestes so viele solcher Schüsseln ineinanderstehend, wie Larven in der betreffenden Zelle großgezogen worden sind, nur von einander getrennt durch die bei den ver- schiedenen Häutungen der Bewohner abgelegten Hüllen". Der erste Satz läßt offenbar die Möglich- keit offen, daß die Vespa-Larven nicht immer den Darminhalt am Grunde der Zelle ausstoßen. Hier wirkt anscheinend die Angabe von Frenzel bei Apis-Larven nach. Diese Möglichkeit erscheint aber sehr zweifelhaft und dürfte in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sein, da auch bei Apis die Verhältnisse ganz anders liegen, als Frenzel sie schildert. Schneidet man nämlich eine frisch gebaute noch weiße Wabe durch, (da sich an einer solchen die Verhältnisse am leichtesten er- geben), aus deren Zellen erst einmal Brut aus- gelaufen war, so sieht man die braunen Kotreste plattgedrückt am Grunde der Zellen und zwar im wesentlichen in den Ecken und dort bis fast *) Frenzel, Job., Einiges über den Mitteldarm der Insekten. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 26. 1S85. Zit. n. Rengel. ») Rengel, C, Über den Zusammenhang Ton Mitteldarm und Enddarm bei den Larven der akuleaten Hymenopteren. Zeitschr. wiss. Zool. Bd. 75, S. 221— 232. N. F. XVn. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 587 ^3 der Zellenhöhe. Diese dem Bienenforscher wohlbekannte Erscheinung zeigt also, daß die Larven den sehr weichen, breiartigen Darminhalt am Zellgrunde abscheiden. Durch die Bewegungen des Abdomens wird er dann in alle Vertiefungen (Zellenecken) glatt gestrichen, so daß das Zellumen nur unwesentlich verringert wird. Daß die Ent- leerung vor dem sog. Einspinnen vor sich geht, ergibt sich daraus, daß sich der sog. Kokon, über den gleich ein Weiteres zu sagen ist, über diese Abscheidungen und die Zellwände als feines Häutchen gleiclimäßig hinerstreckt. Diese Fest- stellung bedarf scharfer und genauester Unter- suchung, da ein Irrtum leicht möglich erscheint, weil alle Darmentlerungen stets von einer sehr zarten Chitin-Membran umhüllt sind. Diese Membranen werden andauernd von den Epithel- zellen des Darmes ausgeschieden (Ren gel 1. c). Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß diese überaus dütme Darmmembran sofort bei der durch die Bewegungen des Abdomens be- wirkten Verteilung des Kotes vollkommen zerstört wird, eine Verwechslung mit dem sog. Kokon erscheint dadurch ausgeschlossen. Dieser Kokon ist nämlich nur oben am Rande der Zelle und unter dem Deckel der Zelle ein eigentliches Ge- spinnst und überall sonst nur eine den Wandungen eng anliegende glatte fast strukturlose Haut, *') die man durch Schmelzen der Zelle in heißem Wasser usw. als sechseckige Hautzelle er- halten kann. Erst bei starker Vergrößerung nach Auslaugen mit Äther treten sehr feine sich zum teil kreuzende strich- oder fadenförmige Konturen auf, die immerhin nahelegen, daß diese Membran ein Produkt der Spinndrüse sein dürfte. Wie diese Zellhaut wirklich entsteht, ist aber noch nicht sichergestellt. Es scheint fast, als ob die Enge der Zelle kein eigentliches Spinnen ermöglicht und daher nur ein gleichmäßiges Verstreichen des Spinndrüsensekretes zuläßt. Jedenfalls findet man zu einem gewissen Zeitpunkt kurz nach der Ver- deckelung Folgendes. Öffnet man den Deckel der Zelle vorsichtig, so findet man die Larve auf dem Kopf stehen, wenn man das so ausdrücken darf. Die Larve hat sich völlig umgedreht und sie ist in diesem Moment offenbar beschäftigt den sog. Kokon, die erwähnte Zellhaut (Puppen- hülle) am Grunde der Zelle auszuführen. Es scheint also, als ob diese Zellhaut ein Produkt der Spinndrüse ist, obgleich, wie nochmals betont sein möge, von einem eigentlichenGespinnst keine Rede ist. Ich möchte hier zu meinen früheren etwas summarischen Hinweisen -) zur besseren Klarlegung noch Folgendes erwähnen. Daß die Enge der Arbeiterinnenzellen mit der Verhinderung eines weiter herunterreichenden regelrechten Gespinnstes in anscheinend ursäch- lichen Zusammenhang steht, dürfte daraus hervor- •j Buttel-Reepen, Bienenw. Centralbl. 1908, S. 196; ferner: Leben und Wesen der Bienen. 1915. S. I18 und Bienenw. Centralbl. 1918, Nr. 9/10. gehen, daß in den runden, eicheiförmigen sehr viel weiteren Weiselzellen ein Gespinnst bis dort- hin verfolgt werden kann, wo der in diese Zellen überreichlich gegebene Futterbrei ein Hindernis bildet. Die Königinlarve verzehrt stets nur einen Teil der Nahrung. Am Grunde der Zelle bleibt immer ein mehr oder minder dicker oft schüssei- förmiger Ballen des dicken, konsistenten Futter- breies zurück. Dieser Rückstand füllt die Zelle bis zu einem Drittel und oft noch etwas mehr. Fällt die Zelle recht lang aus, so nimmt er ein Viertel der Wandhöhe ein. Das, kurz gesagt, königliche Gespinnst ist nun sehr eigenartig. In der Zelle selbst liegt es einer Grundmembran von amorphem Gefüge nud bei weitem nicht so gleich- mäßiger Dicke, wie wir sie in den Arbeiterzellen sehen fest eingeschmolzen auf. Der Spinn- faden erhärtet also nicht sofort an der Luft, wie Vv'ir es bei so vielen anderen Insektengespinnsten beobachten können, sondern er verschmilzt mit der Unterlage untrennbar. Das Netz der Fäden ist unten ein sehr weitmaschiges und die Fäden sind oft breit aufgestrichen, als handele es sich nicht um einen eigentlichen Faden. Es macht den Eindruck, als ob der Spinndrüsenmund direkt aufgesetzt und das herausquellende Sekret breit verstrichen sei. Dazwischen und darüber liegen dann vielfach dünnere Fäden aber, wie nochmals betont werden möge, zu einer Masse verschmolzen. Erst ganz oben am Rande und in dem Zellendeckel sehen wir ein typisches lockeres Gespinnst auftreten, aber auch hier beobachten wir an den Kreuzungs- stellen der Fäden vielfach ein Verschmelzen der Fäden und kleinere Maschen sind mit dem Sekret ausgefüllt. Hieraus scheint hervorzugehen, daß die Königin zuerst die Zelle ziemlich gleichmäßig mit der amorphen Grundmembran (Zellhaut) ver- sieht und dann noch das Kokonnetz darüber legt. Das ist sehr merkwürdig und weiterer Untersuchung bedürftig. In den Arbeiterzellen ist diese Grund- membran, wie gesagt, allein vorhanden und nur oben am Rande und im Deckel haben wir, wie erwähnt, ein Gespinnst. Daß die Defakation in dem Moment, wenn man die Larve in dem um- gedrehten Zustande findet, bereits beendet ist, er- kennt man daran, daß die sehr feine Afteröffnung gelblich gefärbt ist. Zander erwähnt in seiner ausgezeichneten Schrift ") über diese ganzen Ver- hältnisse Folgendes: „Auch sie" (die Arbeiterin- larve) „wächst in 5 — 6 Tagen heran. Danach spinnt sie sich, während ihre Pflegerinnen die Zelle mit einem porösen Deckel aus Wachs und Blütenstaub schließen, unter vielfachen Wendungen allseitig in einen zarten Kokon ein. Nachdem sie ihren Kot am Zellboden abgesetzt hat, streckt sie sich, den Kopf der Zellmündung zukehrend gerade und verwandelt sich unter Abstreifen der Larven- haut in die Puppe" .... Hieraus geht hervor, daß Zander der Ansicht ist, die Larve entleere ') Zander, Enoch, ,,Das Leben de Stuttgart 1913. 588 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 41 ihren Kot erst nach der „Einspinnung"; doch dürfte wohl nur ein Irrtum bei der Niederschrift vorliegen, denn es läßt sich, abgesehen von den oben angeführten Vornahmen durch folgendes Verfahren feststellen, da ßder Kot unter der Zell- haut liegt. Kocht man Bienenzellen, so kann man die sechseckige Hautzelle herausheben. Mit einem feinen Pinsel vermag man nun die anhaftenden Kotreste von der Außenseite der Zellhaut abzu- streifen bis auf die Teile, die fest mit der Zellhaut ver- bunden sind. Dieses Festhaften ist offenbar so zu erklären, daß das Spinndrüsensekret ein wenig in den Kot eindringt und die obere Schicht da- durch zum Teil festkittet. Wie aber erklären sich die so völlig abweichenden Angaben Frenzeis? Man steht da vor einem Rätsel. Jedenfalls handelt es sich nicht um normale Vorkommnisse. Ich habe in jahrzehntelanger Beobachtung des Bienenlebens niemals derartiges bemerkt, weder daß die Larven „ziemlich harte Kotballen" von der Größe eines Stecknadelknopfes ausscheiden, noch daß sie diese außerhalb der Zellen absetzen. Würde tatsächlich jede Larve „30 — 40 Kotballen" in den Stock entleeren, so würde das Bodenbrett stets mit einer dicken Schicht der Exkremente bedeckt sein. Nach der Berechnung, daß in einem mittelstarken Volke stets zurzeit ungefähr 30000 Zellün mit Brut besetzt sind (vgl. -) S. 130), würden jeweils innerhalb von 21 Tagen (Entwicklungsdauer der Biene) mehr als eine Million Kotbällchen herabfallen, die keineswegs der Beobachtung hätten entgehen können. Die Annahme, daß die Bienen diese Exkremente alsbald zum Stocke hinaustrügen, ist irrig. Die Stockinsassen kümmern sich nicht um derartig feinkörniges Bodengemüll. Einschaltend möchte ich noch erwähnen, daß R e n g e 1 (1. c.) festgestellt hat und seine Be- obachtungen wurden bisher nicht widerlegt, daß der Mitteldarm in organischem Zusammenhang mit dem Enddarm steht. „Muscularis, Membrana propria und Epithel gehen von dem einen Darm- abschnitt ohne Unterbrechung auf den anderen über. Die Ausstoßung von aufgespeicherten Inhaltsmassen des Mitteldarmes wird nicht erst durch eine Neubildung ermöglicht, sondern erfolgt lediglich durch Dehnung des verengten Darm- abschnittes." Eine „Trennungshaut" (Zander) besteht also hiernach nicht in diesem Moment und Zeichnungen, wie sie von Zander und Schoenichen gegeben werden, die sogar einen Zwischenraum zwischen Mittel- und Enddarm lassen, erscheinen namentlich bei Nichterwähnung des Rengel'schen Befundes als irreführend. Auf die Kotabscheidung in den Zellen führte mich eine sehr merkwürdige Beobachtung zurück, die ich auf meiner Forschungsreise in Indien im Jahre 1911/12 machte und die hier vorläufig mit- geteilt sein möge. Ich befand mich im Juni 1912 in Sumatra und konnte auf der Plantage Bindjei- Estate ein Volk der indischen Biene (Apis indica F.) unter Beobachtung nehmen. Dabei stellte ich fest, daß die Drohnenzellen in seltsamer Weise gedeckelt waren, wie das Edward Jacobson schon berichtet hatte. *) Die Deckel zeigen in der Mitte eine zeltartige rundlich zugespitzte Er- hebung und die Spitze bleibt stets (?) un- bedeckelt! Dieses anscheinende Luftloch brachte mich auf die Vermutung, daß es möglicher- weise gar nicht von den Bienen herrühre, sondern eine andere Ursache haben möge, da das Belassen einer Öffnung anscheinend dem Bedeckelungs- verfahren völlig widerspricht. Bei näherer Unter- suchung stellte sich nun zu meinem größten Er- staunen heraus, daß alle Drohnenzellen von einer Milbenart mitbewohnt waren, auf die ich schon eifrig fahndete, da Jacobson sie auf den Hals- schilden (Scutellum) der Apis indica entdeckt hatte, ') wo ich aber nie eine einzige gefunden. Diese Milbe, die sich als eine ganz neue Gattung erwies, und die zu Ehren des Entdeckers Varroa jacobsoni benannt wurde, ") ist ungefähr wie ein Taschenkrebs geformt und erreicht eine Breite von I ^j„ mm bei i mm Länge, dabei ist sie sehr flach und vermag in größerer Anzahl — eng an die Zellenwandung gedrückt — neben der Larve zu existieren. Was tut nun aber die Milbe in der Zelle? Wovon nährt sie sich? Leider war es mir nicht vergönnt, ein Volk länger daraufhin zu beobachten. Die nächstliegende Vermutung, daß sich die Milben von dem Futterbrei miternähren, erscheint nicht begründet, da ich sie bisher nur in den bereits bedeckelten Zellen auffand, also in Zellen, die keinen Futterbrei mehr aufweisen. Möglich ist auch, daß sie die Larve durch irgend- welche Reizbetastungen zur Abgabe von Nahrungs- tröpfchen veranlassen, obgleich diese Möglichkeit nur eine sehr begrenzte sein kann, da sie beim Eintritt der Puppenruhe erlischt. Bei weiteren Untersuchungen fand ich dann, daß die Milben besonders unten und rückwärts dort in den Zellen saßen, wo der Kot deponiert war. Es tauchte dadurch die Vermutung auf, daß sie sich von diesen sicherlich noch Nahrung enthaltenden Ex- krementen ernähren, wobei man natürlich voraus- setzen muß, daß sie die vorhin erwähnte zarte „Zellhaut" zu beseitigen wissen. Weitere Unter- suchungen müssen da Klarheit schaffen, wenn es überhaupt gelingt, diese sehr versteckten Vorgänge ans Licht zu ziehen und einwandfrei klarzulegen. Von der Bienenlaus (Braula coeca) ist ja be- kannt, daß sie ihre Nahrung dadurch gewinnt, daß sie, bis zum Rüssel der Königin (Apis melli- fica) vorturnend, (man findet sie fast stets nur auf der Königin), an der dieser gereichten Nahrung teilnimmt. Nicht unwahrscheinlich ist es daher, daß die von Jacobson auf den Halsschilden *) B u 1 1 e 1 - R e e p e n , Psychol. u. biol. Beob. an Ameisen, Bienen u. Wespen. Naturw. Wochenscbr. VI. Bd. Nr. 30. 1907. In dieser Arbeit wurde eine Angabe Jacobson's veröffent- licht, daß die Zellen der Apis indica ca. 2 mm im Durchschnitt aufweisen. Hier ist jedesmal selbstverständlich 4 mm zu lesen. ") Oudemans, A. C, On a new genus and species of parasitic Acarin. Notes from the Leyden Museum. Vol. XXIV p. 216 — 222. 10 fig. Leyden 1904. N. F. XVII. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 589 beobachteten Milben sich alsdann auch in dieser Weise ernähren. Ob die Milben nur zu der Zeit auf den Halsschilden der Arbeiterinnen gefunden werden, wenn keine bedeckelten Drohnenzellen zur Verfügung stehen, die dann wohl nur als die Kinderstuben der Milben aufzufassen wären, (ich fand die verschiedensten Alterstadien in den Zellen), muß auch weiteren Untersuchungen überlassen bleiben. Es wäre auch denkbar, daß die Varroa zur Nahrungsaufnahme die Drohnenzellen verläßt, um sich in den benachbarten mit Futterbrei ver- sehenen Zellen gütlich zu tun oder die Arbeiterinnen zur Nahrungsabgabe veranlaßt. Jedenfalls dürfte dieser bisher einzige Fall von Mitbewohnern von Apis-Zellen nicht ohne Interesse sein. Recht fraglich ist es natürlich auch, ob die Löcher in den Deckeln der Drohnenzellen wirklich von den Milben herrühren, denn die eigentümliche Bauart der Deckel weist auf einen ganz ab- weichenden Bauinstinkt hin, mit dem, aus uns bis jetzt völlig unbekannten biologischen Gründen, auch die Bildung einer solchen Öffnung verbunden sein mag. Ich bemerke noch, daß ich bei den beiden anderen indischen Apis-Arten, der Riesen- biene (Apis dorsata F.) und der Zwergbiene (Apis florea F.) nur dieselbe Art der Verdeckelung der Drohnenzellen gefunden habe, wie sie auch unsere Honigbiene aufweist. Wenn ich in meinem erwähnten Buch über das Leben und Wesen der Bienen") von einer ganzen Reihe von Instinktsirrungen berichten konnte, so nimmt die folgende Beobachtung, so unbedeutend sie zu sein scheint, doch vom psycho- logischen Standpunkt aus betrachtet, eine so selt- same Stellung ein, daß sie hier erwähnt werden möge. Am 15. Mai d. J. besichtigte ich auf meinem Versuchsbienenstande ein sehr starkes Volk, das sich in einem Lüneburger Korbe befand. Ich drehte den Korb herum, räucherte das Volk in die Wabengassen zurück und bemerkte zwischen den Waben, die fast ganz bis zum Rande des Korbes herabgebaut waren, ungefähr handbreithoch von den Wabenenden entfernt, mehrere bereits mit Larven versehene Königinnenzellen. Ohne das Geringste sonst mit dem Volke vorzunehmen, setzte ich den Korb vorsichtig wieder an seinen Platz. Ich vermied dabei selbstverständlich jede Erschütterung. Als ich nun den Korb vier Tage darauf wieder herumnahm, entdeckte ich unter den auf dem Bodenbrette herumlaufenden bzw. sitzenden Bienen eine dichtere Gruppe, die eine dort liegende Königinzelle (Weiselzelle) umgab. Sofort stellte ich den Korb beiseite, um diesen seltsamen Vorgang näher zu betrachten. Fünf bis sechs Bienen waren eifrig an der Weise'zelle be- schäftigt, die sich dabei leise hin und her bewegte. Einige srbeiteten außen an der Zelle und eine steckte gerade ihren Kopf hinein, um das Innere zu bearbeiten. Mit größter Vorsicht nahm ich die, wie spätere Messungen ergaben, fast anderthalb Zentimeter lange Zelle in die Hand. Sie war zum größten Teil fast glatt und nur außen am Grunde mit den bekannten kleinen Ver- dickungen und Vertiefungen versehen, wie die Bienen sie regelmäßig an normalen Weiselzellen auszuführen pflegen. Keinerlei Zeichen verriet, daß diese Zelle jemals an einer Wabe gesessen, also heruntergefallen sein könnte. Sie war unten vollkommen rund. Nach meiner festen Überzeugung ist diese Zelle infolge einer Instink ts irr ung dort frei für sich gebaut worden. Hierfür spricht außer dem bereits Angeführten das Folgende. Niemals habe ich auch bei schweren Erschütte- rungen von besetzten Kasten oder Körben erlebt, daß sich gerade die besonders festgebauten Weisel- näpfchen oder Weiselzellen, selbst wenn letztere schwer belastet — also bestiftet und mit Futterbrei angefüllt — waren, von den Waben gelöst hätten. Eher gehen die ganzen Waben entzwei, als daß sich eine solche Zelle abtrennt, wie das auch ganz natürlich erscheint, wenn man die Entstehungs- weise bzw. den Aufbau der Näpfchen oder Königin- wiegen in Betracht zieht. ich bemerke noch, daß die Zelle nicht bestiftet, also nicht mit einem Ei versehen war. Die Wände sind sehr dünn und das ganze Gebildeist federleicht. Die Öffnung zeigt sich verengert, wie man das an den Näpf- chen usw. in gleicher Weise sieht. Bei der Betrachtung dieses Vorganges erscheint es besonders auffällig, daß so viele Bienen derselben Instinktsirrung verfallen sind und daß trotz der ganz abweichenden, beweglichen, flachen Lage- rung der Zelle eine tadellos runde, vom Normalen nicht abweichende Form zustande gebracht v/urde. Wiederein Beweis für die verhältnismäßighohen(pla- stischen) Fähigkeiten der Biene, die vom psycho- logischen Standpunkt aus bemerkenswerterscheinen. Dabei fällt diese Irrung so außerordentlich weit — auch vom entwickelungsgeschichtlichen Gesichts- punkt betrachtet — aus dem Rahmen der bisher beobachteten Instinktsversehen heraus, daß man sich vergeblich nach einem Analogon umsieht. Es müßte denn sein, daß man die erste von den Hummeln hin und wieder gebaute, in der Form gleiche Zelle heranzieht, die, abgetrennt von den eigentlichen Brutzellen, isoliert errichtet wird, um zur Honigaufspeicherung zu dienen, aber auch diese wird in primitiver Weise auf dem Boden- material befestigt. Auch die Annahme, daß die Bienen eine Weiselzelle — oder ein Weiselnäpfchen (Anfang einer Weiselzelle) abgenagt hätten, so daß sie un- versehrt auf das Bodenbrett gefallen wäre, wider- streitet so sehr der Möglichkeit und den Instinkten eines seh warmreifen Volkes, daß sie gar nicht in Betracht gezogen werden kann. Bruchstücke einer Wabe, die durch irgend welche Vorgänge sich losgelöst haben sollten, werden überdies so- fort an die Umgebung durch Wachsbrücken fest angebaut. IVian kann auf Grund aller Erwä- gungen nur den Schluß ziehen, daß es sich hier tatsächlich um den Bau einer isoliert entstandenen freien — also nirgendwo angekitteten Weiselzelle 59° Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. ¥. XVll. Nr. 41 handelt. Vielleicht ist diese ganz einzigartige Handlung einem Spieltriebe zuzuweisen. Ich be- zweifle nicht, daß diese Zelle, hätte ich sie an Ort und Stelle gelassen, von der Königin auch bestiftet worden wäre, da die Königin auf der Suche nach leeren Zellen alle Winkel der Be- hausung durchstöbert und erfahrungsgemäß z. B- oberhalb der Rähmchen gebaute Drohnenzellen, mit Eiern belegt (bestiftet). Möglicherweise wäre aber der reine, einwandfreie Befund durch ein Abwarten gestört worden, da es nicht ausge- schlossen war, daß die Bienen später die Zelle am Boden festgekittet hätten. Das jetzt vorhandene Beweisobjekt der freien Entstehung der Zelle wäre dadurch vernichtet worden. Zur Ergänzung der Ausführungen über die solitäre Biene Andrena fulva Schrck. ^"j sei hier bemerkt, daß mir eine Notiz «an abgelegener Stelle entgangen ist, ^i) aus der sich ergibt, daß diese '") Naturw. Wochenschr. Nr. 33 v. iS. Aug. 191S. S. 477. ") Alfken, J. D., Beitrag zur Bienenfauna von Ost- friesland. Festschr. z. loojKhr. Bestehen d. naturf. Gesellsch. zu Emden. S. 197—241. 1915. Biene seit der Herausgabe der Alfken 'sehen „Bienenfauna von Bremen" in Lcsum bei Bremen gefunden wurde (13.4. — 12. 5. auf Ribes rubrum, Buxus sempervirens, Crataegus oxyacantha, Hex aquifolia, Myosotis, Prunus cerasus, P. padus, Ribes sanguineum. J. D. Schröder). Da Alfken sie auch aus Burgdamm und Vilsen (16. 5. auf Ranun- culus repens. O.Braun) erhielt und sie ihm aus Ostfriesland in zahlreichen Exemplaren eingesandt wurde (16. 4. — I. 6. auf Ribes grossularia, Berberis vulgaris, Elaeagnus edulis psd., Deutzia crenata. Leege), sagt er mit Recht: „Es ist auffällig, daß ich die Art früher nie erhielt, obgleich ich beim Sammeln immer sehnsüchtig danach Ausschau hielt, und daß auch andere Sammler sie in den letzten dreißig Jahren nicht bei uns entdeckten. Sollte die Art bei uns, wie manche Schmetter- linge, z. B. Aporia crataegi und Vanessa cardui, periodisch und dann in großer Anzahl auftreten ?" Aus Coburg meldete Brückner dieselbe Art. Einen Nistplatz entdeckte Leege zwischen Pflastersteinen. Eine nähere Untersuchung wurde anscheinend nicht gemacht. Einzelberichte. Medizin. Unter einem Bazillenträger versteht man einen Menschen, welcher pathogene Bazillen beherbergt, ohne selbst zu erkranken, somit eine stetige Ansteckungsquelle bildet. Daß es keine Erleichterung bildet, daß die Infektionsquelle ein lebendiger rechtlich geschützter Mensch ist, liegt auf der Hand. Doch wie es zu erreichen ist, daß seine Infektiosität nur theoretisch bleibt, ist eine cura posterior. Ehe man die Quelle der Infektion verstopfen und so unschädlich machen kann, muß man sie gefunden haben. Die Geschichte der Medizin berichtet von Fällen, wo eine Typhus- epidemie unter den Tischgenossen eines Gasthofs, den Insassen, eines Gefängnisses, usw., kurz in einer größeren Gemeinschaft ohne ersichtliche Ursache ausbrach. Zunächst hatte man natürlich die Speisen, bzw. das Material zu ihrer Bereitung als Ursache der Seuche angesehen, bis man er- kannte, daß der Verdacht nicht berechtigt war, und mehr oder weniger zufällig ein Mitglied des Küchen- oder Bedienungspersonals als Bazillen- träger erkannte. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Mitteilung über den Nachweis von Typhusbazillen in der Galle von Typhusträgern von be- besonderem Interesse. (Über eine Verbesserung in der Verwendung der Duodenalsonde zum Nachweis von Bazillen in derGalle von ') Besonders in der Gegenwart, wo so häufig viele Menschen in einer Gemeinschaft zusammenleben müssen, ist es von größtem Wert, wenn es gelingt die Bazillenträger für den Typhus, eine der häufigsten Epidemien, ausfindig zu machen, ehe größeres Unheil durch sie angerichtet wird. Typhusträgern, Stepp (Münchener Medi- zinische Wochenschrift Nr. 22 191 8.). Die Typhusbazillen finden sich besonders reichlich in der Galle von Typhuskranken, so daß ein Bazillenträger entlarvt werden kann, wenn auch eine Stuhluntersuchung negativ ausfiel. Die ständig frischgebildete Lebergalle und die auf- gespeicherte Blasengalle zeigen bezüglich des Ba- zillenreichtums einen erheblichen Unterschied; bei letzterer ist er 6 — 10 mal größer. Es ist deshalb besonders vorteilhaft, daß man durch Injektion einer 5 "/„ igen Peptonlösung die Abscheidung von Blasengalle veranlassen kann. Kathariner. Geologie. Die Niederschlesische Kupferfor- mation bespricht F. Beyschlag in einem inter- essanten Aufsatze in derZeitschr. fürprakt. Geologie H. 5 191 8. Südlich von Goldberg im Bober- Katzbach- Gebiet legt sich in das niederschlesische paläozo- ische Schiefergebirge einehercynisch gefaltete Mulde permischer Schichten ein. An ihrem Nordrand fehlen die Permschichten infolge einer großen streichenden Störung. Das Muldeninnere bilden die Zechsteinbildungen, die in einem mehrfach unter- brochenen schmalen Bande vom Qucis über Löwenberg, Neukirch, Konradswaldau und Haasel verlaufen. Darüber lagert Buntsandstein und Kreide. Über den niederschlesischen Zechstein wurde in der Naturw. Wochenschrift N. F. 16. Bd. 1917 No. 28 (H. S cupin) und ebenda No. 29 (H.Riedel) berichtet. Der Untere Zechstein der N. F. XVn. Nr. 41 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 591 Gegend von Neukirch a. d. Katzbach, von Haasel usw. gliedert sich in folgende Stufen: 1. Die Konglomeratstufe (unten) 6 m 2. Die Kalkstufe 4,5 n^ 3. Die Mergelschieferstufe 8,5 m Die Grenze des Zechsteins gegen das Rot- liegende bildet das Grenz konglomerat (kalkiges Bindemittel, allmähliches Zurücktreten der roten Farbe I), das auf Bl. Schönau Pseudomonotis speluncaria und Schizodus Schlotheimi führt. Das sonst in Mitteldeutschland darüber vorkommende Kupferschiefer flöz fehlt. Es folgen sehr reine Kalke mit nach oben sich einschiebenden Mergel- und Schiefertonlagen (4,5 m), welche die Neu- kirchener Zementfabrik zu Zement verarbeitet. Die darüber folgende 3. Stufe des Unt. Zech- steins, die Mergelschieferstufe, führt die Kupfererze, entspricht aber nicht dem Kupfer- schiefer des Mansfeldischen oder von Thüringen, sondern liegt höher. Diese aus einem endlosen Wechsel von dünnen rauchgrauen Mergelschiefer- lagen und hellen Kalkmergelbänken bestehende Mergelschieferstufe läßt sich in 3 Stufen gliedern und zwar in die Zweischalerschichten (1,3 — 2 m), die Kupfermergelschiefer (3 — 3,7 m) und die Ger- villienschichten (3 — 3,5 m). Der Kupfergchalt im Kupfermergelschiefer ver- teilt sich nicht gleichmäßig, indem er beim Mergel- schiefer größer ist als bei den zwischengelagerten Kalkbänken. In den liegendsten Mergelschiefern ist der Kupfergehalt bei Neukirch am größten und beträgt durchschnittlich i "/o- ^^^ Kupfer liegt nicht mehr als Sulfid vor, sondern in der gesäuerten Form als Malachit, seltener als Kupferlasur, die spröde Krusten auf Schichtflächen und Querbrüchen bilden. Die wirtschaftliche Gewinnung dieser armen Kupfererze (durchschnittlich '/j "/o Cu) gestaltet sich bei Neukirch günstig, indem diese kupferführenden Schichten als Abraum der Zementkalke ohnedies entfernt werden müssen, wobei die Gewinnungs- kosten nur 26 Pf pro t. Mergelschiefcr (mit 5 kg Cu) betragen. Die Sprödigkeit der dünnen Erzkrusten ermöglicht eine Zertrümmerung und Abspringen derselben vom Gestein, so daß durch Zerkleinerung mittels eines Stachelwalzwerkes, Sieben und Ab- schlämmen des feinen Tonmaterials die schweren Erzkörner zu Boden sinken und ein 5 — lO^/oCu enthaltender Sand verbleibt, der an die Hütten verkauft werden kann. Ähnliche geologische VerhäUnisse liegen bei Haasel, Konradswaldau und Polnisch-Hundorf vor. Der Bergbau kann infolge der Überlagerung mit Mitlerem und Oberem Zechstein nicht mehr als Tagebau, sondern nur noch als Stollen- oder Tiefbau betrieben werden, was teurer ist und auch nicht durch den etwas höheren Kupferge- halt wettgemacht werden kann. Bei Haasel kommen 7 kupferhaltige Mergelschieferlagen vor ; die ge- samte kupferführende Schichtfolge beträgt 2,7 m. Bei Haasel liegen die Erze z. T. als Sulfide vor, am Ausgehenden herrschen Malachit- und Kupfer- lasuranflüge vor. Die Erzkörner sind sehr fein ver- teilt und nicht mit der Lupe erkennbar. Schwärzliche Schiefer enthalten bis 2 "/o Cu, mittelgraue 1,6%, hellgraue nur 0,9% Cu. Durchschnittlich haben die oberen Lagen 1,4 %Cu, die tieferen Lagen 1,7 "/jCu geliefert. Von 1879 bis 1881 betrug die Produktion 5525,5 Ztr. Kupfer. Bei Konradswaldau und Polnisch- Hundorf fand ebenfalls Bergbau statt. Die Kupfererzführung wird auf die zahlreichen Ergüsse permischer Porphyre und Melaphyre des Katzbachgebietes südlich von Neukirch zurück- geführt. Auf großen und kleinen Verwerfungs- spalten sind die kupferhaltigen Lösungen aufge- stiegen und haben sich im Mergelschiefer und im Schieferton mehr angereichert als in den Kalken, well der Ton eine größere adsorbierende Wirkung ausübt. Für die verschiedenen gangförmigen Kupfererzvorkommen Niederschlesiens und der be- nachbarten Lausitz spricht dieselbe Herkunft der Kupfererze, da auch in der Lausitz der porphyrische Magmaherd in der Tiefe vorhanden ist. Damit verbinden sich die verschiedenen gang- förmigen Kupfererzvorkommen Niederschlesiens und der Lausitz trotz verschiedener Form mit den kupferhaltigen Mergelschiefern des Zechsteins zu einer einheitlichen Kupferformation. Hohenstein, Halle. Über alpine Minerallagerstätten hat J. Königs- berger in den Abhandlungen der Königl. Bayr. Akad. der Wissenschaften, XXVIIL Bd., 10. Ab- handlung, gearbeitet. Von den alpinen Kluftmineralien heben sich manche in schönen Kristallen von kleinkörnigem, gebleichtem Muttergestein ab, manche, wie die Peg- matitmineralien, scheinen aus ihrer grobkörnigen Unterlage herauszuwachsen, manche, die Erzgang- mineralien, bilden die kristallographisch begrenzte Form derber Massen. Es hat sich herausgestellt, daß die Paragenese der Mineralien vom Gestein abhängig ist. Granite, Glimmerschiefer, Diorite, Amphibolite, Kalkglimmerschiefer schließen z. B. in den West- und Ostalpen bestimmte Kluft- mineralienkomplexe ein. Untrüglich sind die Schlüsse noch nicht, denn eine Kluft hat reichlich Zeolithe, die andere nicht. Auch verschiedene paragenetische Typen er- scheinen in einem mineralogisch-chemisch gleich- mäßig erscheinenden Gestein, z. B. im Aaregranit : I. Quarz-Flußspat-Chlorit, 2. Quarz-Eisenglanz. Vielleicht tragen diese Verschiedenheiten zur Klärung über den Wechsel der Konzentration pneumatolytischer Bestandteile, über das Undicht- werden der Gesteinskluft mit sinkender Temperatur, über die verschiedene Zusammensetzung des Bio- tits, über die maximale Höhe der Temperatur, über das Hinzutreten noch unbekannter pneu- matolytischer Komponenten bei. Aus der Analyse der Flüssigkeitseinschlüsse in den Kristallen stellte man die aus der Tiefe ge- drungenen flüchtigen Bestandteile fest: HjO,COj; Cl; SO^. Fluor und Phosphorsäure wurde aus 592 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 41 dem Gestein entnommen, Borsäure und Schwefel- säure wohl nicht. Aus seinen Beobachtungen schließt er auf folgende geologische Vorgänge: Nach Abschluß der tertiären Alpenfaltung sind die großen un- verletzten Kristalle entstanden. Seitdem hörten heftigere Bewegungen der alpinen Massen auf. Das Mineralvorkommen von Vals Platz hat dem Verf. gezeigt, daß die „letzte und schwächste, aber chemisch noch wirksame Dynamometamorphose, durch die sich die Kluftmineralien bildeten, auf die Zeit der Überschiebungen folgte". Die Schweizerschen Zemralalpen zeigen mindestens zwei, in vielen Gesteinen sogar drei oder gar vier zeitlich ganz verschiedene Metamorphosen der Gesteine. Entsprechend der Gleichartigkeit der Ent- stehungsbedingungen ist der kristallographische Habitus der einzelnen Mineralien alpiner Mineral- lagerstätten auf eine kleine Anzahl bestimmter Mineralien beschränkt. Weil in einem Gestein die Konzentration meistens konstant ist, charakte- risieren sich die Kluftmineralien in zwei oder einem Habitus. Die Mineralfundorte von Vals zeichnen sich durch Schönheit, Größe der Kristalle und Mannig- faltigkeit der Paragenese aus. Alle über die Alpen verstreuten Fundorttypen drängen sich auf diesem kleinen Raum zusammen, da hier Gesteine ver- schiedener Massen aufeinander gepreßt worden sind und im Osten die zusammengeflossenen Gotthard- und Tessingranite dem Aarmassiv sich näherten. Beim Abklingen der Gebirgsbildung wurden größere Mineralklüfte aufgerissen. Durch das Vor- handensein von 80 cm langen Quarzkristallen in ihnen wird bewiesen, daß die Mineralbildung dem Abschluß der Gebirgsbildung und Gesteinsmeta- morphose gleichkommt. Pneumatolytische Bestandteile sind HoO; CO^ ; SO4 ; Cl. Andere Bestandteile sind aus dem um- gebenden Gestein entnommen, weil eine strenge Abhängigkeit der Mineralien vom Gestein nach- gewiesen werden konnte. Nach Süden hin werden die Klüfte kleiner und seltener, wie im Tessiner- massiv. Im Norden fehlen sie in den Sediment- gesteinen. Die Mineralbildung im Adulamassiv stimmt im ganzen Massiv überein, weil die wachsenden regional metamorphen chemischen Umwandlungen der Gesteine der Hauptphase des Zusammenschubs voraufgingen. In den Gesteinen des Adulamassives gingen folgende Metamorphosen vor sich: I. Eine oder mehrere Gneiskontakt-Intrusions- metamorphosen, bis zum Permokarbon und Trias reichend, werden langsam zur ausgedehnten Regionalmetamorphose. Irn Tessinermassiv reicht die Bildung bis über das Ende der Jurazeit. 2. Die Bewegungen werden stärker. In Ver- bindung mit Dynamo- oder Teleintrusionsmeta- morphose entsteht eine Dislokationsmetamorphose. Die Intrusion kann fernabliegen. Es ist die Zeit des Deckenschubs, die bis zum mittleren Oligozän reicht. 3. Die Dynamometamorphose dauert bei der Gebirgsbewegung an, reißt Klüfte auf, die often bleiben. Es entstehen die alpinen Mineralien. Das endet im Miozän. Rudolf Hundt. Astronomie. Helligkeitsschwankungen bei Planeten sind neuerdmgs in wenigen Fällen be- obachtet worden. So findet Campbell bei Uranus eine Veränderlichkeit der Größe um 0,1 5 Gr. mit einer Periode von 0,45 1 Tagen, das heißt, von einem Betrage, der in auffallender Weise über- einstimmt mit der Umdrehungszeit des Planeten, die Low eil und Slipher aus spektroskopischen Be- obachtungen erhalten hatten. Es dürfte demnach unzweifelhaft sein, daß dies die wahre Umdrehungs- zeit des Planeten ist, und daß dessen Oberfläche verschiedenes Lichtrückstrahlungsvermögen hat, so daß dadurch der Lichtwechsel erklärt wird. Gerade wie unsere Erde auch ein veränderlicher Planet ist, der heller ist, wenn er die Landseite als wenn er die Wasserseite dem Beobachter ent- gegenwendet. Beim Planeten Eros wurde schon bei seiner Entdeckung ein geringer Lichtwechsel festgestellt. Neuerdings hat ebenfalls Campbell diese Feststellung wiederholt, er findet einen Unter- schied von 0,4 Größenklassen, also ein sehr er- heblicher Betrag. Möglicherweise ist der kleine Körper überhaupt nicht kugelig, sodern mehr wie ein Stück F'els gestaltet, da auch diese Ver- änderlichkeit nicht immer dieselbe Periode hat. Noch wichtiger ist die Feststellung Pickering's bei der Eunomia. Hier hat er eine Beobachtungs- reihe vom 15. März 1905 — 9. Mai 1905 verbunden mit einer zweiten vom 27. August 1916 — 6. März 1917. Aus deren Verbindung folgt eine Veränder- lichkeit mit der Periode von 0,1267 Tagen, also etwa 3 Stunden, und der P'ehler dieser Bestimmung ist nur 0,003 Tage, etwa = 4 Minuten. Jener Zeit- raum umfaßt 34518 Perioden, oder Umläufe des Planeten, und zwar ließ sich zeigen, daß die Um- drehungsrichtung dieselbe ist, wie bei der Erde, eine P'eststellung, die noch niemals bei einem kleinen Planeten gelungen ist. Riem. SmhaS«! H. v. Buttel-Reppen, Beiträge zur Physiologie, Biologie und Psychologie der Honigbiene (Apis mellifica L.) S. 585. — Einzelbericbte: Stepp, Bazillenträger. . S. 590. F. Beyschlag, Die Niederschlesische Kupier- formation. S. 590. J. Königsberger, Über alpine Mic lerallagerstätten. S. 591. Cam p bell, Helligkeitsschwankungen bei Planelen. S. 59z. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, InvalidenstraSe 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buohdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Kaumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 20. Oktober igi8. Nummer 43. Mumifikation und Radioaktivität. Eine Anregung; [Nachdruct verboten.] Von Hjalmar Sander. Das typische Schicksal aller sich selbst über- Abwesenheit von fäulnis ;nen abeestorbenen Organismen ist bekanntlich der allmähliche Zerfall ihrer organischen Bestand- teile. Die „freiwilligen" Zersetzungsvorgänge sind das Werk niederer Pilzarten, sie fallen unter den Begriff der Gärung im weiteren Sinne. Auch die menschliche Leiche macht an der Luft oder im Erdboden einen langwierigen und höchst kom- plizierten Gärungsprozeß durch, dessen Chemis- mus im einzelnen nicht völlig bekannt ist. All- gemein gesprochen ist die Leichengärung aus Fäulnis- und Verwesungsvorgängen zusammen- gesetzt. Beide Vorgänge unterscheiden sich nur dadurch, daß die Verwesung als der durch- greifendere Prozeß durch sauerstoffbedürftige Spalt- pilze verursacht wird, während die Fäulnis der Tätigkeit anaerober Spaltpilze zuzuschreiben ist. Bei Luftmangel werden also die unvollkommenen Reduktionsvorgänge der Fäulnis, bei ausreichender Luftzufuhr die Oxydationsvorgänge der Verwesung überwiegen. Es bleiben daher bei der Fäulnis in ähnlicher Weise wie bei der trockenen Destillation kohlen- und stickstoffhaltige Massen zurück, während bei der Verwesung, die einer langsamen aber vollständigen Verbrennung gleicht, fast die gesamten organischen Bestandteile in den gas- förmigen Zustand übergeführt werden, so daß an sichtbaren Substanzen lediglich das bei ge- wöhnlicher Temperatur nicht oxydierbare wasser- unlösliche Gerüst der Knochen übrigbleibt; unter weiteren mechanischen und chemischen Einflüssen zerfällt nach vielen Jahrzehnten auch das Skelett (Verdrängung der Phosphorsäure der Knochen durch die Kohlensäure und Salpetersäure des Bodens). Bei der erdbestatteten menschlichen Leiche macht die anfängliche stinkende Fäulnis etwa nach 3 — 4 Monaten der Verwesung Platz, die erst nach 7 — 9 Jahren vollendet ist. Das auch Schimmelpilze, die nur in saurem Nährboden bei Gegenwart von Luft gedeihen, sich an dem Zer- störungswerk beteiligen können, sei nebenbei be- merkt. Ebenso ist die Mitwirkung skelettierender Würmer und sog. Aasinsekten (Käfer, Hiegenmaden und dgl.) mitunter nicht unbeträchtlich, aber für die folgenden Ausführungen belanglos. Der Eintritt und Verlauf dieser typischen Leichengärung ist indessen nicht allein von der zur Verfügung stehenden Sauerstofifmenge, sondern, wie nicht anders zu erwarten, noch von einer Reihe anderer physikalischen und chemischen Faktoren abhängig. Wie jede Gärung vollzieht sie sich nur innerhalb einer bestimmten Temperatur- zone bei Gegenwart von Wasser und gleichzeitiger oder gärungswidrigen Chemikalien. Die Wirkung dieser antiseptischen (antizymotischen) Stoffe beruht teils auf ihrer Reaktion (Spaltpilze verlangen im allgemeinen einen schwachalkalischen oder doch säurefreien Nährboden) oder Konzentration (vgl. Basen, Säure, Salze), teils auf Wasserenlziehung (z. B. Alkohol) oder auf spezifischer Giftigkeit gegenüber dem Spaltpilzprotoplasma. Ist eine der genannten biologischen Vorbedingungen nicht eriüilt, so muß die Gärung, also auch Fäulnis und Ver- wesung ausbleiben und ein anderer chemisch- physikalischer Prozeß an ihre Stelle treten. Drei Vorgänge — mögen sie nun auf natürlichem oder künstlichem Wege zustande kommen — lassen sich hier vornehmlich unterscheiden: die eigent- liche Konservierung als die vollkommenste Art der postmortalen Erhaltung, die Mumifika- tion, bei der die Leiche den größten Teil ihres Wassergehalts verliert, *) zur Mumie wird, sowie die Saponifikation, eine Art Verseifung, bei der Fett, Muskel und Knochen in einen „fett- wachsartigen" Zustand übergehen, zu „ Adipocire" '■') werden. Die künstlichen Methoden der Un- verwesbarmachung seien hier nur kurz gestreift. Der Konservierung und Mumifizierung durch Kälte ^) (vgl. das Gefrierfleisch) oder Hitze *) (vgl. das Pasteurisieren) stehen zahlreiche chemisch-anti- septische Verfahren zur Seite: die Injektionsanti- sepsis der Analomen, das Aufbewahren in Spiritus, Formaldehyd, Salizylsäure und dgl., das Einsalzen oder Räuchern, das Einbalsamieren usf. Den komplizierten Verfahren, nach denen die alten Ägypter, Assyrer, Perser, Inkas, Mexikaner und verschiedene Südseeinsulaner künstliche Mumien herstellten, ist die Verwendung von festen und flüssigen antiseptischen Stoffen gemeinsam. Die erste Anregung zu diesem Mumienkult, der auf verschiedene religiöse Mythen von der Seelen- wanderung und den Verkehr mit Verstorbenen zurückzuführen ist, haben ohne Frage jene un- verwesten Leichen gegeben, die die Natur selbst entstehen ließ, und die von jeher den Aberglauben und die Wissenschaft beschäftigt haben. Die klassischen Beispiele natürlicher Eis- konservierung sind jene mit Haut und Haar wohlerhaltenen Mammut- und Nashornkadaver, die im sibirischen Landeise verschiedentlich ge- funden wurden. Saponifizierte Leichen sind der Wissenschaft erst seit 1786 bekannt.*) Man hat sie seitdem wiederholt neben mumifizierten Leichen und einer für Wasser und Luft mehr oder v/eniger undurchlässigen Lehmschicht gefunden. Da die 594 Natui-wissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 42 Verseifung durch 3 — 4 wöchige Fäulnis eingeleitet wird, kann man sie als einen unterbrochenen Fäulnisprozeß, das Leichenwachs selbst als ein intermediäres Fäulnisprodukt (des Fettes und Eiweißes) auffassen. Die Unterbrechung der Fäulnis kommt allem Anschein nach bei Luft- abschluß und Abwesenheit von Wasser unter offenbarer Mitwirkung noch näher zu bestimmender antisepti^cher (Lehm-) Bodenbestandteile zustande. Konservierung durch Mumifikation ist in der Natur keine Seltenheit. So ist die mumi- fizierende Wirkung der ehemaligen Leichenhalle des St. Bernhard-Hospizes eine Folge der natür- lichen Ventilation, der ständigen Zufuhr von sehr kalter, trockener Luft. Das Gegenteil hierzu sind die Mumien arabischer und afrikanischer Wüsten; hier ist die trockene Dauerhitze des Wüstensandes das sterilisierende Moment. Auch eine weniger heiße fortwährende trockene Luft^trömung kann durch Sauerstoffüberschuß und rasche Verdunstung die primäre Fäulnis unterdrücken und Eintrocknung bewirken, bevor die aeroben Verwesungsmikroben entwicklungsfähig sind. So erzählt schon Pau- sanias von der vertrockneten Leiche eines Kriegers im Dachraum des Heretempels in Elis. Im Jahre 1831 machte ein französischer Autor eine ähnliche Beobachtung: in dem luftigen, regen- dichten Dachstuhle einer Familienbcgräbnis^tätte fand er die mumifizierte Leiche eines Mannes, der sich dort zehn Jahre zuvor in sitzender Stellung erhängt hatte. Natürliche Antisepsis führt sehr häufig zur Mumienbildung. So hat man in stark Salpeter- oder eisenhaltigem Boden sowie in Salz- schächten unverweste verschrumpfte Leichen ge- funden. Hierhin gehört auch der Fund von ge- trockneten und gesalzenen (fossilen) Fischleichen am Kaspisee. Ferner sind hier die Moorleichen zu erwähnen, das sind konservierte, mit Flüssig- keit durchtränkte Leichen im Moorsumpf ver- unglückter Menschen; lufttrocken geworden, ver- ändern sie sich nicht mehr und unterscheiden sich in diesem Zustande kaum von anderen natürlichen Mumien.*) Bekanntlich sind Haidehumus, Torf-, Moor- und Sumpfboden reich an Humussäure, die ein starkes Antiseptikum ist ; gewöhnlicher Torf- boden ist schon in geringer Tiefe frei von Bak- terien. Ahnlich verhält es sich mit jenen (teil- weise fossilen) Tierleichen, die, in ein dauerhaftes antiseptisches (Harz, Bernstein, Erdwachs) Material hermetisch eigeschlossen, der Zersetzung entgingen. Daß endlich die Leichen Phosphor-, Alkohol-, Sublimat- oder Arsenvergifteter unter begünstigen- den Umständen (Luftabschluß, Trockenheit) der Mumifizierung anheimfallen können, ist wiederholt beobachtet und ohne weiteres verständlich. Eine besondere Stellung nehmen indessen eine Reihe von Mumien ein, für deren Entstehung es bisher eine ausreichende Erklärung nicht gibt. Im sog. Bleikeller des Domes in Bremen werden mumifizierte Leichen gezeigt, die ohne Verwesungs- und F'äulniserscheinungen in den Zustand leder- artiger Vertrocknung übergegangen sind. Die zu- fallig entdeckten, zum Teil mehrere hundert Jahre alten Mumien sind nachweislich an Ort und Stelle ohne vorherige Manipulationen in ihren Särjen beigesetzt, ') ohne also mit dem Erdreich in Be- rührung zu kommen. Es handelt sich nicht etwa um Leichen Vergifteter. Die Temperatur in dem nur etwas vertieften kellerartigen Räume ist nicht tief (und selbstrebcnd nicht hoch) genug, um kon- servierend wirken zu können. Ebensowenig können die ventilatorischen Verhältnisse oder die Trockenheit der Lult zur Erklärung dienen, denn der Feuchtigkeitsgehalt der Luft ist normal, *) es herrscht weder wahrnehmbarer Luftzug noch Luft- mangel. Mit anderen Worten: der hier in Frage kommende Mumifizierungsvorgang muß offenbar anders gedeutet werden als alle bisher genannten Fälle. Nun stehen die Mumien des Bremer Blei- kellers nicht vereinzelt da. In der Literatur finden wir noch sechs weitere unterirdische Grab- oder Gruftgewölbe (Katakomben) erwähnt, in denen Leichen unter ähnlichen Verhältnissen in ihren Särgen mumifizierten: auf dem Kreuzberg in Bonn (Unter- Kirche) in Quedlinburg (Schloßkapelle), auf dem Kahlenberg bei Wien (ehemal. Kalmadu- lenserkloster), in Marientrost bei Graz (Franzis- kanerkloster), in Bordeaux (Westkrypta des St. Michelturm), in Toulouse (Gruftgewölbe der Corde- liers und Jacobins). *) Die Särge sind also nicht mit der Erde, sondern ausschließlich mit der Kellerluft bzw. dem Boden der Gruft in Berührung gekommen. Man wird daher notwendigerweise zu der Annahme gedrängt, daß die Luft gewisser unterirdischer Grabgewölbe unter nicht näher be- kannten Verhältnissen die Fähigkeit besitzt, der Leichenzersetzung entgegenzuwirken. Da aber die atmosphärische Luft der gemäßigten Zone hierzu, wie bekannt, nicht befähigt ist, wäre der Frage näherzutreten, ob sich die gewöhnliche Kellerluft chemisch oder physikalisch von der Außenluft unterscheidet, dabei ist natürlich von den zufälligen Beimengungen und Verschiedenheiten der Tem- peratur, des Feuchtigkeitsgehalts i'nd der Zirku- lationsverhältnisse abzusehen. Elster und G e i t e 1 konnten inderTat nachweisen, daß dieabgeschlossene Luft in Kellern und natürlichen Höhlen eine größere Leitfähigkeit besitzt als die atmosphärische Luft. Der Unterschied schwankt, ist aber zum Teil sehr bedeutend. So ist in der Baumannshöhle im Harz die Ionisation der Luft zwanzigmal größer, in einem Schacht des Schneeberger Kobaltfeldes im Erz- gebirge sogar vierhundertunddreißigmal größer als in der freien Atmosphäre. Wie weitere Unter- suchungen zeigten, ist diese erhöhte Ionisation der Höhlen- und Kellerluft in der Hauptsache eine Folge ihres relativ hohen Gehaltes an gasförmiger Radium- und Thorium Emanation, aber auch eine F'olge der mit der /-Strahlung radioaktiver Stoffe identischen sog. durchdringenden Strahlung der Höhlenwände. Es wurde dann weiterhin fest- gestellt, daß beide Erscheinungen letzten Endes von den radioaktiven Stoffen herrühren, die überall im Boden in wechselnder Menge vorhanden sind. N. F. XVII. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 595 Demnach liegt es sehr nahe, die mumifizierenden Eigenschaften des Bremer Bleikellers und der üb- rigen genannten Grabgewölbe in ursächliche Be- ziehung zu bringen zu dem erhöhten Emanations- gehalt der eingeschlossenen Luft bzw. der durch- dringenden Wandstrahlung. Daß viele natürliche Höhlen, namentlich der Höhlenlehm der Konser- vierung und Fossilation besonders günstig sind, ist dem Paläontologen seit langem bekannt. '") So gehört der Fund mumifizierter fossiler Tiere zu den größten Seltenheiten, und es ist wohl kein Zufall, daß gerade in einer (südpatagonischen) Höhle die stark geschrumpften, aber noch wohl- erhaltenen Felle eines vorzeitlichen Riesenfaultiers (Grypoiherium domesticum), gefunden wurden. Offenbar ist hier das mumifizierende Prinzip das- selbe gewesen wie in den genannten Katakomben: nach unserer Vermutung eben die besonders starke Radioaktivität der Hohlenluft. Auch wenn man von den bekannten Eigen- schaften radioaktiver Stoffe ausgeht, hat diese An- nahme manche Wahrscheinlichkeit für sich. Be- kanntlich hat sich die Wirksamkeit radioaktiver Stoffe bzw. des von ihnen ausgesandten Becquerel-) Strahlengemisches in chemischer und physikalischer Beziehung als überraschend vielseitig erwiesen. Die Becquerelstrahlen zersetzen Walser, verwandeln weißen Phosphor in roten, Sauerstoff in Ozon, färben Papier braun, farbloses Glas gelb bis violett, sie regen viele Stoffe zur Phosphoreszenz an, Luft wird durch sie lür Elektrizität leitend gemacht, die photographische Platte vermögen sie zu schwärzen Ubf. Dazu kommt die wichtige Reihe der physiologischen Wirkungen, die wohl namen- lich auf Rechnung der lietdringenden y-Strahlen zu setzen sind; denn die «-Strahlen besitzen für Substanzen von der Dichtigkeit der Organismen nur minimales Durchdringungsvermögen, während die äußerst durchdringenden /:/-Strahlen wohl hauptsäch- hch dadurch wirken, daß sie sekundäre y-Strahlung erzeugen. Wenn wir wissen, daß unter der Ein- wirkung dieser Strahlen ^'; Samen die Keimkraft verlieren, daß embryonale Keimzellen stark ge- schädigt werden, Pilze in ihrem Wachstum gehemmt Cholera- und Typhusba^illen sogar getötet werden, so ist es an sich sehr wohl denkbar, daß bei ge- eigneter Versuchsanordnung intensive Becquerel- strahlung Gärungsprozesse wie P'äuinis und Ver- wesung durch direkte Beeinflussung der betroffenen Spaltpilze zu verzögern oder ganz zu unterdrücken vermag. Dabei würde natürlich die Frage offen- bleiben, ob die natürliche Intensität der aktiven Strahlung in den fraglichen Kellern und Höhlen groß genug ist, um eine derartige Wirkung zu entfalten. Denn fast alle Bodenarten enthalten mehr oder weniger radioaktive Stoffe, durch deren Zerfall ja die gasförmige, sich der Bodenluft mit- teilende Emanation entsteht, aber die natürliche Aktivität der in P'rage kommenden Bodenschichten ist offenbar im allgemeinen zu gering, um Leichen- gärung verhindern zu können, zumal wenn im üb- rigen alle Bedingungen für das Zustandekommen derselben erfüllt sind. Andererseits ist nicht aus- geschlossen, daß die verschieden lange Dauer der Verwesung in den verschiedenen Bodenarten nicht allein von den oben erwähnten physikalischen (Temperatur, Feuchtigkeit, Porosität des Bodens) und chemischen (Gehalt von antiseptischen Stoffen) bzw. biochemischen (Anwesenheit von Mikroben), sondern überdies von radiochemischen P'aktoren bestimmt wird. So wirken der inaktive Quarzsand und der wenig aktive Kalkboden beschleunigend, der stark aktive (allerdings auch sehr undurch- lässige) Lehmboden verzögernd auf den Ab- lauf des Verwesungsprozesses. Auch sei auf die Möglichkeit hingewiesen, daß bei der Fettwachs- bildung die Aktivität eine Rolle spielt. In diesem Zusammenhange dürfte eine Beobachtung von In- teresse sein, die sich in der „Krünitz'schen En- zyclopedie" '") findet: „Läßt man ein luftdichtes glockenartiges Gefäß, in dessen Innern ein Stück Irisches Fleisch auf einem Rost liegt, mit der Öff- nung nach unten in einen fließenden Bach tauchen so daß das allseitig luftdicht abgeschlossene Fleisch vom Wasser nicht benetzt wird, so geht es nach mehreren Wochen ohne vorherige Fäulniser- scheinungen in einen festen Zustand über." Offen- bar ist das fließende Wasser der entscheidende Faktor, denn sobald an seine Stelle eine andere luftdicht abschließende Schicht träte, würde un- weigerlich P'äulnis eintreten. Da aber nach den grundlegenden Versuchen von Elster und G e i t e 1 Quellen und Quellbäche infolge des Gehaltes an Radium und dessen Emanation durchschnittlich hohe Aktivitätswerte ergeben, so spielt vermutlich auch bei obigem Phänomen die Radioaktivität die entscheidende Rolle, "j Bedeutungsvoll ist in dieser Hinsicht die Angabe Sucquets, '*) daß die Leichen des Kapuzinerklosters in Palermo zurBeschleunigung der Mumifizierung auf ein rostähnhches Gestell gelegt wurden, das einen unterirdischen Bach über- brückte; später wurden sie der Ireien Luft aus- gesetzt und nach Beendigung des Austrocknungs- prozesses als natürliche Mumien zur Schau gestellt. ^*) Daß dieser unterirdische Bach einen hohen Ema- nationsgehalt besitzt, ist zum mindesten wahr- scheinlich. Auch folgende Beobachtung stimmt mit der ausgesprochenen Hypothese gut überein: es ist stets auffallig und unerklärlich gewesen, daß die mumifizierende Wirkung räumlich so eng um- schrieben, an eine bestimmte Gruft gebunden ist, während die unmittelbare, meteorologisch und geo- logisch anscheinend völlig gleichgeartete Um- gebung dies Phänomen nicht aufweist. '") In der Tat ist der Emanationsgehalt der Budenluft nicht nur in sonst gleichartigem Boden sehr verschieden, sondern sogar an demselben Orte starken Schwan- kungen unterworfen (Tages- und Jahreszeit, Luft- druck, Wind- und Niederschlagsverhältnisse beein- flussen das Austreten der Emanation). Da ferner der Radiumgehalt des Bodens einen sicheren Schluß auf den Emanationsgehalt der Bodenluft nicht zu- läßt, ist der Einwand hinfällig, es sei eine besonders hohe Aktivität der Bodenluft des Bremer Bleikellers 596 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII Nr. 42 deshalb kaum zu erwarten, da dem unter ihm liegenden Sand- bzw Lehmboden eine nennens- werte Aktivität vermutlich nicht zukomme. Es steht sogar fest, daß die an und für sich schon stark aktiven Tone die Emanation im allgemeinen am besten abgeben. Es möchte sich um der The- orie und der etwaigen Nutzanwendung willen der Mühe verlohen, im Sinne dieser Arbeit Versuche anzustellen, zu denen der Verfasser zurzeit keine Gelegenheit hat. ^") Zusammenfassung. 1. Es sind unterirdische Grabgewölbe und Höhlen mit mumifizierenden Eigenschaften bekannt, deren Erklärung noch aussteht. 2. Ein unmittelbarer Einfluß der nachweislich hohen Radioaktivität der Boden- und Kellerluft auf die Verwesungs- und F"äulnisorganismen und den Chemismus der Gärung ist aus mehreren Gründen wahrscheinlich. 3. Die Luft solcher Grabgewölbe ist auf ihren radioaktiven Zustand, d. h. zunächst auf den Grad ihrer Ionisation unter Berücksichtigung der meteo- rologischen Faktoren zu prüfen. 4. Sodann wäre festzustellen, ob die erhöhte Ionisation dem hohen Emanationsgehalt oder etwa der durchdringenden Strahlung der Wände zuzu- schreiben ist. 5. Die Beziehungen zwischen Radioaktivität und Fossilation verdienen ebenfalls eingehend ge- prüft zu werden. Literaturnachweis (daselbst ausführliche weitere Angaben). Artikel „Leicfaenwesen" in den Handbüchern der Hygiene (J. Kratter im Wcyl'schen Handbuch II, 2 L. 1912; R.Abel in Rubners Handbuch IV, L. 1912; Pfeiffer's Enzyklopädie der Hygiene (Schäfer's Artikel „MumiEkation") Bd. II. L. 1905. Gockel, A., Die Radioaktivität von Boden und Quellen. Braunschweig 1914 = Sammlung Vieweg H. 15. Handwörterbuch der Naturwissenschaft IV. Jena 1913. (Brandes', Artikel „Fossilation"). Anmerkungen. ') Daß übrigens die Mumifizierung nicht gleichbedeutend mit Vertrocknung ist, sondern daß dabei auch chemische Um- setzungen in Betracht kommen, lehrt folgende Rechnung: Der Gehalt einer 70 kg schweren Leiche an Trockensubstanz = 24 kg, an Asche = 2,5 kg. Ein völlig lufttrockenes Skelett wiegt 5 kg. Die von Toussaiut gewogenen natürlichen Mumien hatten ein Durchschnittsgewicht von 5 — 6 kg. Eine Mumie wiegt also weniger als die Hälfte der gesamten Trockensubstanzen des Körpers und durchschnittlich (mitsamt den eingetrockneten Weichteilen) nur ebensoviel wie das von allen Weichteilen befreite Skelett. '} Adipocire ist ein Gemenge von höheren (festen) Fett- säuren (Palmitin-, Stearin- und Ölsäure) und deren Ammoniak-, Kali- oder Kalksalzen (Seifen). ') Die Gärungsmikroben werden durch Kälte nur gehemmt, nicht getötet; gefrorenes Fleisch verdirbt daher, wenn es nachträglich der Wärme ausgesetzt wird. *) Albini verdampfte den gesamten Wassergehalt (67% des Körpergewichtes) von frischen Kaninchenleichen in einem Luftstrom von 65 — 70%; die künstlichen Mumien widerstanden der Fäulnis. ^) Damals wurden auf dem Pariser Friedhof der „Un- schuldigen Kinder" 20000 Leichen ausgegraben, von denen eine größere Anzahl verseift waren. *) Vgl. die Moorleichen im Vaterländischen Museum in Kiel. ■) Ursprünglich in der benachbarten Ostkrypta. ') In der Westkrypta des St. Michelturms in Bordeaux (vgl. weiter unten) ist der durchschnittliche Stand des Thermo- meters^ 18", des Hygrometcrs^42°. ") Über das Kapuzinerkloster in Palermo und das sog. Kiewer Höhlenkloster, die wegen ihrer Mumien ebenfalls be- rühmt sind, vgl. weiter unten. '") Es seien nur die Krapiuahöhle in Kroatien, die Zoolithenhöhle in Burggailenreuth, die Wildkirchlihöhle im Säntisgebirge genannt. Der Höhlenlehm ist ein hochaktives Verwitterungsprodukt und durch Auslaugung des mehr oder weniger löslichen Höhlengesteins (Kalk, Dolomit, Gips) ent- standen. Caprischer Höhlenlehm ist 4,2 mal aktiver als die dortige an sich schon stark aktive Ackererde. Dem wegen seines Fossilreichtums bekannten kalkreichen Hochwasser- schlamm, dem Löß, kommt ebenfalls eine hohe Radioaktivität zu. Auch der angeschwemmte rote Ton der berühmten fossilen Fundgrube Pikcrmi in Attika ist zweifellos stark aktiv. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die radioaktive Strahlung einen hemmenden Einfluß ausübt auf den vorwiegend chemischen Prozeß der Knochenverwitterung; denn es ist nicht angängig, die Erhaltung der Knochen ausschließlich dem Fehlen mecha- nischer Momente in den Höhlen (Druck, Reibung usw.) oder der „verkittenden" Funktion des Höhlenlehms zuzuschreiben. ") Ähnliches gilt auch von den ultravioletten und Röntgen- strahlen. '^) Teil 96, S. 670. Berlin 1804. '') Es sei denn, daß der Versuch auch über inaktivem fließendem Wasser gelingt. ") De l'embaumement. Paris 1873. "•) Ob die „Heiligen" des Höhlrnklosters in Kiew, eines der berühmtesten Wallfahrtsorte Rußlands, als natürliche Mumien zu gelten haben, oder ob man in ähnlicher Weise künstlich nachgeholfen hat, entzieht sich unserer Kenntnis. '*) So hat in Toulouse nur die für die Ordensmitglieder bestimmte Gruft, nicht aber die benachbarten Grabgewölbe mumienbildende Eigenschaften. ") Anmerkung der Redaktion. Ein vorläufiger Anhalt zur Beurteilung der Ansicht des Herrn Verfassers ließe sich verhältnismäßig einfach dadurch gewinnen, daß mit den üblichen bakteriologischen Methoden angesetzte Kulturen von Mikroorganismen einmal in den fraglichen Örtlichkeiten und gleichzeitig im Laboratorium gehalten werden, und zwar unter völliger Gleichheit des Lichtes, der Luftfeuchtigkeit und der Tem- peratur, oder noch besser vielleicht mit und ohne Strahlen- schutz am selben Ort, natürlich wiederum unter im übrigen genau gleichen Bedingungen. Die Beobachtung solcher Parallelkulturen (z. B. von Bakterien, Schimmelpilzen, Hefen) würde schon manche Aufschlüsse erwarten lassen. Warme und kalte Luftniassen in der Atmosphäre. Von Dr. K. Scholich. Mit I Karte. nebeneinander können verschieden temperierte Luftmassen unter keinen Umständen bestehen. Wohl aber ist bei bestimmten Geschwindigkeits- verhältnissen eine schräge Grenzfläche möglich. [Nachdruck verboten.] Liegt in der Atmosphäre eine warme Luft- masse so über einer kalten, daß die Trennungs- fläche zwischen beiden horizontal ist, so besteht Gleichgewicht. Mit vertikaler Trennungsfläche N. F. XVII. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 597 H. V. Hei m holt z^) und Margul es') haben die physikalischen Bedingungen hierfür berechnet. Das Ergebnis läßt sich in folgender Regel aus- drücken: Aneinandergrenzende Luftmassen ver- schiedener Temperatur bewegen sich im stationären Zustand so, daß die kältere Luft dabei keilförmig unter der wärmeren liegt; blickt man von der kälteren zur wärmeren, so bewegt sich auf der nördlichen Halbkugel die erste relativ zur zweiten nach rechts, auf der südlichen nach links; diese relative Geschwindigkeit nimmt in einer Vertikalen nach aufwärts ab.'') Betrachtet man nun die mittlere Temperatur- verteilung in den unteren Schichten der Atmosphäre, so findet man, daß die kälteren Luftschichten sich keilförmig vom Pol her äquatorwärts unter die wärmeren lagern. Soll der stationäre Zustand erhalten bleiben, so muß also auf der Nord- hemisphäre — nur von dieser wird im folgenden gesprochen — die wärmere Luft gegenüber der kälteren eine ostwärts gerichtete Zusatzgeschwindig- keit haben. Aus dieser Regel lassen sich gewisse Anhaltspunkte gewinnen für die Beweglichkeit der Luftdruckgebilde, die in unseren Breiten eine so große Rolle spielen. Erfahrungsgemäß bleibt das Zirkulationssystem an den Grenzen der großen „Aktionszentren der Atmosphäre", *) d. h. am Nordrand des Azoren- maximums, dem Südrand des isländischen Minimums und dem Westrand des über dem russisch-asiatischen Festland liegenden sommerlichen Tief- und winter- lichen Hochdruckgebiets, nie lange stationär. Dies ist vermutlich in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die Änderungen nicht gleichen Schritt halten mit Änderungen der Temperatur infolge von wechselnden Strahlungseinflüssen. Die Folge ist, daß warme oder kalte Luftmassen aus ihrem bisherigen stationären Bewegungsfeld hervor- brechen und in weiterem Umkreis die Zirkulation stören. Von diesen Wärme- und Kälteeinbrüchen, die oft längere Zeit hindurch wellenartig periodisch aufeinanderfolgen, verdienen besonders die letzteren Beachtung wegen ihres großen Einflusses auf unsere Witterung. Wer während der Kaltwetterperiode gegen Ende Juni dieses Jahres den Temperaturverlauf auf den Karten des öffentlichen Wetterdienstes verfolgt hat, konnte an einem typischen Bei- spiel einen solchen Kälteeinbruch beobachten. In nebenstehender Figur sind die 10"- Isothermen vom 22., 23. und 24. Juni morgens 8 Uhr gezeichnet. Während am 21. Juni überall in Mitteleuropa Temperaturen von 12— 14° herrschten, umschlang am 22. eine 10"- Isotherme den Nordrand von Dänemark. Am nächsten Tag hüllte sie bereits ganz Norddeutschland und einen Teil von Bayern ») H. V. Helrahollz, Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. 1888 u. Met. Ztschr. 1888. ^) Margules, Met. Ztschr., Hannband 1906. ») F. M. Exner, Dynamische Meteorologie, Leipzig und Berlin 1917, S. 159. *) Bigelow, Bull. Mount Weather Obs., 111. Vol. ein. An den folgendeu Tagen erreichte die kalte Luftmasse die Gebirge im Süden Deutschlands, insbesondere die Alpen, die ihrem Vordringen in dieser Richtung ein Ziel setzten und ein Abfließen in der Hauptsache nach Südwesten, nach Frankreich, bedingten. An der Einbruchsteile, da wo der ursprüngliche, warme Südweststrom und der kalte aus Nordwest zunächst mit einander in den Kampf traten, bildete sich in Südskandinavien die Zyklone aus, wie sich ja auch an der Berührungs- fläche ineinanderfließender ungleich temperierter Flüssigkeiten wirbelartige Erscheinungen zeigen. Die drei Kreise in der Figur geben die unge- fähre Lage des Kernes des Tiefdruckgebietes an den drei Tagen an. Beachtet man die Linien gleicher Windgeschwindigkeit, so findet man, daß sie insbesondere auf der Ostseite der Kältewelle sich den Isothermen der Richtung nach ziemlich anschließen, und zwar derart, daß im Osten schwache, vorwiegend südwestliche Winde herrschen, ent- sprechend den Zirkulationsverhältnissen vor dem Einbruch, im Westen dagegen haben wir starke westliche bis nordwestliche Winde. Damit sind aber entsprechend den eingangs erwähnten dynamischen Betrachtungen die Bedingungen gegeben für das Vordringen der kalten Welle. Da die Geschwindigkeitsunterschiede in den nördlicheren Teilen nach Osten zu nicht sehr groß sind, findet nur ein langsames Vordringen der Zyklone statt, im mittleren Deutschland dagegen vermag sich, wie die Figur zeigt, die kalte Luft ziemlich rasch nach Osten auszudehnen. Die warmen Winde zeigen hier das Bestreben, sich senkrecht zu den kalten einzustellen, um so einen möglichst starken Einfluß im Sinne des stationären Gleichgewichts zu erlangen, und den Vorstoß der kalten Luft zum Stehen zu bringen. 598 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVH. Nr. 42 Auf dem internationalen Prognosentournier in Lüttich im Jahre 1905 gab der französische Meteorologe Guilbert ') zum ersten Mal seine Aufsehen erregenden Regeln über das Verhältnis der Bewegung der Tiefdruckgebiete zu den sie begleitenden Winden bekannt. Insbesondere hieß es dort, daß eine vom Ozean heranziehende Zyklone aufgehalten wird, wenn sich zu starke Winde auf ihrer Vorderseite finden, daß sie aber fortschreitet und sich vertieft, wenn der Wind auf der Vorderseite zu schwach ist. Der Wind ist als normal zu bezeichnen, wenn das Verhältnis zwischen Windstärke und Gradient (d. h. Druck- unterschied in mm auf in km) den Wert 2 hat. Wir erkennen in diesen empirischen Regeln sofort die Übereinstimmung mit der dynamischen Untersuchung. Die atlantischen Depressionen in unseren Gebieten entstehen fast ausschließlich an der Grenzfläche zwischen kalten und warmen Luftströmen. (In den Tropen z. B. herrschen in dieser Hinsicht wesentlich andere Verhältnisse.) Bei übernormalen Winden auf der Vorderseite gewinnt die warme Luftströmung die Oberhand, da sie eine für den stationären Zustand zu große Geschwindigkeit hat, die Zyklone wird also zurück- gedrängt und ausgefüllt. Bei unternormalen Winden wird dagegen das Gleichgewicht durch die kalte Luft gestört, so daß sie und mit ihr die Zyklone fortschreiten kann. Woher kommt nun die Bedeutung dieser Kälteeinbrüche für unsere Witterung.' Wir sahen, daß sich die kalte Luft keilförmig unter die warme schiebt. Diese muß also in die Höhe steigen und, da sie dadurch unter verminderten Druck kommt, sich adiabatisch abkühlen. Die Folge ist, daß durch ihren hohen Feuchtigkeits- gehalt sich Bewölkung und Niederschläge bilden. Die Untersuchungen von W. Peppler") haben gezeigt, daß der aufsteigende Luftstrom im Süd- quadranten der Zyklone (wie es sich auch aus unserer Figur ergiebt) am stärksten ist, so daß dort bis ca looo m Höhe eine starke Zunahme der relativen Feuchtigkeit sich findet. Darüber macht sich wieder eine Abnahme bemerkbar, besonders stark in ca 2000 m, wo wohl die obere Grenze der niederen Schichtwolken zu suchen ist, der Begleiterscheinung von in großer Ausdehnung gehobenen Luftmassen. Schon Cl. Ley hat in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei seinen Untersuchungen über die Depressionen in England gezeigt, daß gerade im südlichen Teil der Zyklonen die stärksten Kondensations- erscheinungen, Wolken und Niederschläge, sich finden. Auf der Vorderseite der Zyklonen konnte Peppler keine aufsteigende Bewegung nachweisen. Hier weicht die warme Luft der kalten seitwärts aus. Die eben beschriebene Art von Kälteeinbrüchen ') G. Guilbert, Nouvelle Methode du Prevision du Temps. Paris 190g. '') W. Peppler, Arb. d. Kgl. Aeronaut. Observ., 6, 207. 1910. aus dem Nordwesten tritt überwiegend im Früh- jahr und Sommer auf. Nicht immer ist ihre Energie groß genug, um wirklich bis nach Mittel- europa vorstoßen zu können. Häufig bildet sich ein gewisser quasistationärer Zustand aus mit einem Tiefdruckgebiet über dem Nordatlantik oder Skandinavien. Von dort aus finden dann periodisch Vorstöße von kalter Luft nach Südosten statt, die wieder von einer südlichen warmen Luftwelle abgelöst werden. Dadurch entstehen abwechselnd Hoch- und Tiefdruckausläufer. Großmann ^) hat festgestellt, daß solche sich mit Vorliebe in 24-stündigem, seltener in 12- oder 48-stündigem Turnus ablösen. Diese Kälte- und Wärmewellen sind in der Regel die Ursache des sog. April- wetters, das allerdings durchaus nicht so charakte- ristisch für den April ist, wie der Name vermuten läßt, sondern nach statistischen Untersuchungen die größte Häufigkeit im Juli hat. Die Wärme- wellen bringen Aufheiterung und führen Feuchtig- keit heran, die von der nachfolgenden Kältewelle emporgehoben und zur Kondensation gebracht wird. Während die Nordwest-Kälteeinbrüche für den Sommer charakteristisch sind, treten im Winter vorwiegend solche aus Nordost auf; ^) sie werden durch die Verteilung der kalten Luftmassen über dem russisch-asiatischen Kontinent bedingt. Zu- nächst bringen auch sie Bev,7Ölkung und Schneefalle, werden dann aber meist bald von Aufheiterung gefolgt. Dabei tritt nun infolge starker Aus- strahlung in den langen Nächten weitere kräftige Temperaturerniedrigung und Steigerung des Luft- drucks ein. Diese letztere Abkühlung ist aber wohl zu unterscheiden von der Kältewelle. Während diese nämlich von kräftigen nordöstlichen Winden herangeführt wird, tritt jene bei Windstille oder ganz schwachen Winden wechselnder Richtung auf. Ein Beispiel für diesen Fall bildete die lang andauernde Kälteperiode in der zweiten Hälfte des Januar 191 7, wo bei wochenlang klarem wind- stillen Wetter und verbreiteter Schneedecke die Ausstrahlung eine außerordentlich starke Tem- peraturerniedrigung brachte. Früher nahm man daher an, daß diese winterlichen Hochdruckgebiete aus außergewöhnlich kalten Luftsäulen beständen. Die aerologische Forschung der letzten 20 Jahre hat aber gezeigt, daß dies eine irrtümliche Auf- fassung ist. Es mögen deshalb hier noch einige Worte über die Wirkung der Ein- und Ausstrahlung des Bodens auf die Atmosphäre folgen. Wie am Eingang gesagt wurde, herrscht in der Atmosphäre Gleichgewicht, wenn eine wärmere Luftmasse horizontal über einer kälteren liegt. Im Sommer wird nun bei klarem Wetter durch die Einstrahlung der Boden stark erwärmt und diese Erwärmung durch Leitung auf die untersten Luftschichten übertragen. Diese werden deshalb ') Großmann, Ann. d. Hydrogr. usw., 40, I, 19 12. ■^) Siehe A. Defant, Wetter und Wettervorhersage, Leipzig und Wien 1918, S. 154 und A. FeOler, Met. Ztschr. 1910, S. I. . F. XVII. Ni. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. S99 bald zu leicht, müssen also aufsteigen und anderen, kühleren Platz machen. So wird die Wärme des Bodens dauernd in die Höhe geführt. Dieser Ausgleich wird zu Mittag am stärksten und macht sich in den an heißen Sommertagen auftretenden Mittagsböen bemerkbar. Das Emporsteigen wird dann meist so kräftig, daß an den Köpfen der aufsteigenden Ströme Kondensation einsetzt, und so die Bildung der sommerlichen Schönwetter- Cumuluswolken hervorgerufen wird. Bei sehr gleichmäßiger Luftdruckverteilung kann durch den Mangel einer auslösenden Luftbewegung dieser Austausch einige Zeit hintangehalten werden, so daß eine Überhitzung der untersten Schichten und labiles Gleichgewicht eintritt. Wird nun das Gleichgewicht gestört, — was früher oder später immer geschieht — so findet ein Umsturz der Luft statt. Die überhitzten Massen schießen mit großer Kraft in sehr hohe Schichten (nach A. W e g e n e r ^) bis über ^000 m) und verursachen die sog. Wärmegewitter. Ganz anders liegen die Verhältnisse im Winter. Findet bei klarem Himmel eine starke .'Ausstrahlung und damit Abkühlung des Bodens statt, so wird diese ebenfalls durch Leitung auf die untersten Luftschichten übertragen. Dadurch werden die letzteren aber immer schwerer. Es liegt also kein Grund zur Konvektion vor, die Lage wird viel- mehr immer stabiler. Die kalten Massen stagnieren am Boden und die Auskühlung dringt nur außer- ordentlich langsam durch Leitung in die Höhe. Deshalb findet man in der Regel in den winter- lichen Antizyklonen für die untersten einigen Hundert Meter eine rasche Zunahme der Tem- peratur mit der Höhe. Auf diese Weise wird zugleich in gewissen ') A. Wegener, Thermodynamik der Atmosphäre. Grenzen der Wärmehaushalt der Erde reguliert. Die durch Einstrahlung von der Sonne zugeführte Wäime wird wieder nach außen befördert; die Abführung der Eigenwärme der Erde wird jedoch gehemmt. Zum Schluß kann man nun noch die Frage aufwerfen, welches die Ursache der Bewegung der kalten und warmen Luftmassen ist. Hierüber wissen wir noch sehr wenig. Einen bedeutenden Einfluß besitzen zunächst wohl die durch den Wechsel der Bewölkung bedingten Änderungen in der Ein- und Ausstrahlung des Landes und Meeres. Ferner dürften auch die Schwankungen des Golfstromes eine nicht unwesentliche Bedeutung haben. Die aerologischen Untersuchungen der letzten Jahre, insbesondere von A. S c h m a u ß , W. H. Dines u. a. haben gezeigt, daß die Massen- versetzungen in den untersten Schichten der Atmosphäre, und nur von solchen haben wir ja bisher gesprochen, auch wesentlich mitbedingt werden durch dieTemperatur- und Druckänderungen in der Substratosphäre, dem Niveau der Zirren, das in etvi^a 10 km Höhe liegt. Dort an der Grenze zwischen der Troposphäre, in der sich unsere Witterungsvorgänge abspielen, und der Stratosphäre, in der durch das Strahlungsgleich- gewicht die Temperaturabnahme mit der Entfernung vom Erdboden aufhört, finden sich trotz des ver- minderten Druckes Druckunterschiede und Massen- versetzungen von derselben Größenordnung wie am Erdboden. Diese Beziehungen, die wohl auf das engste mit der Gesamtzirkulation zwischen Äquator und Pol zusammenhängen, sind jedoch noch sehr wenig geklärt, so daß sich heute noch nichts genaueres darüber sagen läßt. Leipzig 191 1. Zur physiologischen Optik. I Nachdruck ' Auf allen Gebieten des Wissens dürfen die- jenigen Kapitel besonderes Interesse in Anspruch nehmen, welche sich an der Grenze zweier oder mehrerer Einzelwissenschaften bewegen. Denn indem sich hier zwei oder mehr Strömungen treffen, entstehen naturgemäß ganz besonders interessante Phänomene, Probleme und Gesetz- mäßigkeiten, die unsern Einblick in das Wesen der Dinge bereichern und vertiefen. Ein Beispiel aus den Geisteswissenschaften bietet die Wirtschafts- geschichte, die mit dem einen Fuße auf national- ökonomischem, mit dem andern auf historischem Boden steht; ein solches aus den Narurwissen- schaften bietet die physikalische Chemie, die Physik und Chemie zugleich ist und damit das zwischen den Stoffen und Energien vor sich ge- hende Spiel und Gegenspiel von zwei Seiten aus erfaßt, aber zu einer Einheit zusammenschweißt. Es leuchtet ein, daß die Forschung auf solchen Auerbach. Grenzgebieten besonders schwierig ist, weil sie ungewöhnlich reich an Voraussetzungen ist, an Voraussetzungen sachlicher und persönlicher Art; insonderheit muß, wer mit Erfolg hier tätig sein will, die beiden (oder die sämtlichen) Gebiete, die sich hier treffen, in gleicher Weise beherrschen, was nur selten der Fall sein wird. Kein Wunder, daß diese Diszijilinen sich meist erst sehr spät entwickelt oder doch erst sehr spät zu wissen- schaftlicher Höhe erhoben haben. Ein derartiges Grenzgebiet soll uns auch hier beschäftigen: die physiologische Optik. Sie ist einerseits Optik, also ein Zweig der Physik, aber sie bildet andererseits auch ein Kapitel der allge- meinen und insbesondere der menschlichen Physio- logie; und man darf sogar, auch wenn man selbst Physiker ist, getrost eingestehen, daß diese Wissen- schaft, sei sie auch dem Geiste ihrer Forschung nach noch so sehr physikalisch, doch, was die 6oo Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 42 Grundlag^e betrifft, der Physiologie am nächsten steht. Denn Alles, was hier an Erscheinungen festgestellt, wird mit dem Auge, also physiologisch wahrgenommen. Und wenn der Physiker auf die Frage: Was sind optische Erscheinungen? — ant- worten soll, so kommt er in einige Verlegenheit und muß schließlich bei der Physiologie eine An- leihe machen, indem er erklärt: Optisch sind alle Erscheinungen, die wir mit dem Auge wahrnehmen. Rein physikalisch genommen sind eben die Licht- erscheinungen nichts anderes als eine besondere Art elektromagnetischer Schwingungs-, Wellen- und Strahlungsvorgänge; aber ihre objektiv- energetische Charakterisierung steckt noch ganz in den Anfängen. Eine objektive Optik gibt es noch kaum, und es ist zweifelhaft, ob es je eine geben wird. Die Optik arbeitet, soweit sie experimentell vorgeht, durchaus subjektiv, d. h. physiologisch. Nun gibt es ja eine Brücke zwischen beiden Ge- bieten: die Psychophysik, die eben die Aufgabe hat, die Beziehungen zwischen objektiven Licht- vorgängen und ihren Wirkungen auf das Auge (das physische und das psychische) festzustellen. Aber diese Brücke hat sich als recht gefährlich erwiesen, ihr Betreten ist nicht Jedem gut bekom- men, und die Erfolge liegen noch wesentlich in den Einzelheiten, das letzte Wort in grundsätz- licher Hinsicht ist noch nicht gesprochen. Der Erste, der uns einen umfassenden Über- blick über die physiologische Optik verschafft hat, war der große Helmholtz — er ganz be- sonders befähigt zu dieser Aufgabe, da er, von Haus aus Mediziner, dann den merkwürdigen Weg über die Physiologie zur Physik, Geometrie und Philosophie gewandelt ist. Aber sein großes Werk über unseren Gegenstand, das in der ersten Auf- lage berechtigtes Aufsehen erregte, ist in der zweiten, stark erweiterten nicht mehr so einheit- lich und trotzdem auch zur Zeit schon in vielen Hinsichten und Abschnitten veraltet; auch wirkt es für den, der die Grundzüge der Lehre kennen lernen will, durch die Fülle des Stoffes bedrückend. Im übrigen beschränkt sich die Literatur auf die in den großen Darstellungen der Physiologie einer- seits und der Physik andererseits enthaltenen be- züglichen Abschnitte; sie sind naturgemäß mehr oder weniger einseitig gehalten und im übrigen zu sehr dem großen Ganzen zugehörig, als daß sie die erwünschte Selbständigkeit und Abrundung in der Behandlung des Themas aufwiesen. Unter diesen Umständen ist es mit Freude zu begrüßen, daß die Herren W. E. und R. Pauli (der eine Physiker, der andere Psychologe) sich zusammen- getan haben zur Abfassung eines knappen, aber unter dem Gesichtspunkte des allgemein natur- wissenschaftlichen Interesses gehaltenen Buches. >) Man wird demgemäß hier nicht verlangen dürfen, eine Fülle von Einzelheiten zu finden (obgleich ') Physiologische Optik, dargestellt für Naturwissenschaftler vonDr.W. E. Pauli und Dr. R. Pauli (Jena bzw. München); mit 3 Tafeln und 70 Abbildungen. Jena, Gustav Fischer 1918. überall Beispiele und Versuche gut gewählt sind); und es mag offen eingestanden werden, daß auch manches fehlt, was man vielleicht darin suchen wird und gern von allgemeinen Gesichtspunkten aus entwickelt sehen möchte. Aber Ergänzungen sind ja in Zukunft leicht vorzunehmen; und das für jetzt gebotene gibt schon genügenden Anlaß, um einmal einige der Hauptprobleme der Wissen- schaft in ihrer modernen Gestaltung an uns vor- überziehen zu lassen. Über den ersten Teil, der die Dioptrik, also Bau und Wirkungsweise des menschlichen Auges enthält, können wir an dieser Stelle hinweggehen; aber zwei Punkte sind doch herauszuheben. Erstens die Frage der Leistungsfähigkeit des Auges. Denn hier besteht ein Widerspruch, der von jeher das allgemeine Interesse auf sich gelenkt hat. Auf der einen Seite ist das Auge, rein physikalisch betrachtet, zweifellos eine sehr unvollkommene Einrichtung zur Abbildung äußerer Objekte, und Helmholtz hat sich sogar zu dem Ausspruch verstiegen, ein derartiges Instrument würde man, wenn man es von einem Instrumentenmacher er- halten hätte, mit Protest zurückschicken. In der Tat weist das Auge alle jene aus der Theorie der Abbildung abzuleitenden optischen Fehler auf, die unter dem Namen der sphärischen und chromati- schen Aberration, des Astigmatsimus, der Unscharfe, Zonenbildung und Verzeichniing bekannt sind. Andererseits aber machen wir trotz alledem die Erfahrung, daß wir mit unserm Auge die Außen- welt in ausgezeichneter und oft geradezu voll- kommenen Weise zu sehen imstande sind. Dieser Widerspruch erklärt sich nun durch eine Reihe anatomischer und physiologischer Einrichtungen. „Einmal hat das Auge in der Iris die Möglichkeit, bei sehr starker Lichtfülle die Irradiation herunter- zusetzen. Zweitens treten durch subjektive Er- höhung des Helligkeits- und Farbenunterschiedes aneinanderstoßender Flächen die Grenzlinien schärfer hervor und wirken so der Irradiation entgegen. Weiterhin findet das Sehen hauptsäch- lich mit demjenigen Strahlenbüschel statt, das physikalisch das beste Bild liefert (Zentralbüschel). Dieses Zentralbüschel fällt überdies noch in die Gegend der Retina, die durch die Feinheit ihrer Struktur vor allen anderen Stellen ausgezeichnet ist (.■Anhäufung der Zapfen). Die Auslese, welche in diesen beiden Momenten liegt, wird noch weiter ausgenützt durch die besonderen Verhältnisse der Augenbewegungen, die darin liegen, daß durch die Fixations- und Konvergenzbewegungen beider Augen das Bildchen stets auf die Stelle des deut- lichsten Sehens, auf den gelben Fleck gebracht wird. Dank der großen Winkelgeschwindigkeit der Augen (i — 2 Umdrehungen in einer Sekunde) ist die Möglichkeit gegeben, auch große Flächen in kurzer Frist deutlich zu erfassen; dadurch wird der Nachteil der geringen Ausdehnung des gelben Flecks ausgeglichen. Schließlich ist noch als Grund dafür, daß die Genauigkeit des Sehens größer ist als die Güte der Abbildung, anzuführen. N. F. XVn. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 601 daß das Licht des Streuunp^skreises auf der Retina (anstelle eines scharfen Punktes) nicht gleichmäßig verteilt ist; die Mitte des Kreises ist von. viel größerer Intensität als die Randpartien, w^elche so lichtschwach sind, daß die von ihnen betroffenen Netzhautelemente nicht erregt werden. Daher ist der wahrgenommene Teil des Bildkreises viel kleiner als der wirkliche vorhandene Bildkreis." Zweitens die Frage der Hilfsmittel für die Kor- rektion des Auges; denn trotz all der erwähnten Einrichtungen bleibt meist noch genug für die künstliche Korrektur zu tun übrig. Da ist es nun auf den ersten Blick höchst auffällig, daß ein so wichtiger und weit verbreiteter Apparat wie die Brille jahrhundertelang auf einem recht nied- rigen Niveau stehen geblieben und erst ganz neuer- dings zu der erwünschten Höhe emporgehoben worden ist. Bei näherem Zusehen wird das aber ganz verständlich. Denn es handelt sich eben hier, entsprechend dem verwickelten Bau des Auges, und mit Rücksicht auf die Notwendigkeit einer zugleich mathematischen, physikalischen und physio- logischen Durcharbeitung, um ein sehr schwieriges Problem, für das man erst ganz neuerdings das Rüstzeug in Strenge und Vollständigkeit bereit gestellt hat. Mit der gewöhnlichen Brille sieht man wohl in zentraler Richtung leidlich gut, um so schlechter aber nach den Seiten; und dieser Übelstand ist so groß, daß jeder Träger einer solchen Brille instinktiv den Kopf immer so dreht, daß er den gewünschten Gegenstand axial erblickt; also Kopfdrehungen anstatt der sehr viel beque- meren und natürlicheren Augendrehungen. Nun hatte man allerdings schon vor einem Jahrhundert angefangen, diesem Grundfehler abzuhelfen; aber es geschah das in rein tastender Weise, indem man eben empirisch aufs geradewohl Brillengläser mit bestimmten Durchbiegungen (Krümmungen der beiden Flächen) herstellte; solche Gläser sind im Handel als periskopische Gläser, Menisken- gläser und Muschelgläser bekannt, und sie leisten nicht weniger, aber auch nicht mehr, als man von einem derartig rohen und allen Zufälligkeiten unterworfenen Verfahren erwarten darf. Auf eine wissenschaftliche Basis wurde das Problem erst durch die Zusammen wirkung zweier ausgezeichneter Männer gestellt: des schwedischen Ophtalmologen Gullstrand und des Mitarbeiters am Zeißwerk in Jena, Moritz von Rohr. In^^besondere hat Gullstrand auf die entscheidende Bedeutung des Augendrehpunkts für das Problem hingewiesen und danach seine Berechnungen eingerichtet. Das Ergebnis sind die jetzt rasch in Aufnahme ge- kommenen Punktalgläser, die auch bei schiefer Blickrichtung (bis zu 30 Grad und z. T. noch darüber hinaus) gute, d. h. punktförmige Abbildung liefern und daher die erwähnten Kopfdrehungen (die man sich aber erst allmählich abgewöhnen muß) überflüssig machen. Der zweite Teil unseres^ Buches handelt von den Gesichtsempfindungen. Sieht man von der Zeitdauer und den räumlichen Verhältnissen eines Lichtreizes ab, so hat man hier drei Charakte- ristiken zu unterscheiden: Helligkeit, Sättigungs- grad und Farbe; die Helligkeit kann man auch als Intensität, die Farbe als Qualität bezeichnen, der Sättigungsgrad steht gewissermaßen zwischen beiden. Von besonderem Interesse ist nun hier u. a. das Kapitel über die Lichtmischungen, indem es zeigt, wie verwickelt die Verhältnisse hier liegen, viel verwickelter, als man naiverweise anzunehmen geneigt sein möchte. Die Darstellung der Mischungs- gesetze geht zweckmäßig aus von dem einfachsten unter den möglichen Fällen, nämlich von der paarweisen Kombination homogener Lichter, von denen die eine rot sei: 1. Die Verbindung mit violett ergiebt eine im Spektrum nicht enthaltene Farbe, das Purpur; sein Eindruck nähert sich mehr dem Rot oder dem Violett, je nachdem die eine oder andere Komponente überwiegt. Nimmt man blau statt violett, so bleibt das Ergebnis das gleiche, nur daß außer Purpur auch Violett hergestellt werden kann. 2. Mischt man Rot mit Grün, so ergibt sich etwas sehr auffallendes, nämlich nicht etwa eine Mischfarbe (rötliches Grün oder grünliches Rot), sondern die eine oder andere Farbe in un- gesättigtem Zustande. Nur bei bestimmten Mengen von Rot und Blaugrün erfolgt eine völlige gegen- seitige Aufhebung zu Weiß bzw. Grau. Farben- paare solcher Art nennt man Komplementärfarben. 3. Bei dem Rest der Rotmischungen, mit Grün von 540 (.ijj. ab. Gelb, Orange usw. ergibt sich jedesmal eine spektrale Zwischenfarbe. Man kann also genau dieselbe Empfindung einmal durch homogenes Licht, das andre Mal durch Mischung erhalten und somit Gleichungen von der Form 3-567 pn-\-h-6-jO ftii = 620 jui.1 aufstellen, wo a und b die betreffenden Mengen- verhältnisse sind, und entsprechende dann auch für die Vergleichung zweier verschiedener Mischun- gen von gleichem Ergebnis. — Nach der Analogie darf gefolgert werden, daß das, was für Rot ge- zeigt wurde, auch für die andern Spektralfsrben gilt, zumal bei diesen ersten Versuchen die Quali- täten bereits vollständig aufgetreten sind : die spektralen, dazu Purpur und Weiß. Das bestätigt sich denn auch vollkommen. — Schließlich handelt es sich noch um die Mischung von Purpur bzw. Weiß mit einem homogenen Lichte, also um drei- gliedrige Kombinationen. Von Purpur gilt das gleiche wie für die übrigen monochromatischen Lichter. Die Weißmischungen ergeben alle mög- lichen Sättigungsstufen der einzelnen Qualitäten. Bedenkt man, daß es sich dabei um verschiedene Intensitätsstufen handeln kann, so ist klar, daß sich auf diese Weise sämtliche Qualitäten mit den möglichen Sättigungs- und Intensitätsstufen ver- binden und somit die Gesamtheit der Gesichts- empfindungen hergestellt werden kann. Man ge- langt dann schließlich zu dem allgemeinen Gesetze von Graßmann: Der subjektive Erfolg einer beliebigen Mischung muß gleich dem sein, den ein homogenes Licht (einschließlich Purpur), in bestimmtem Verhältnis mit farblosem Licht ge- 6o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 42 mischt, ergibt. Und dieser Satz findet in dem folgenden zweiten seine Ergänzung: Das Aussehen beliebiger LicKtgemische im einzelnen läßt sich aus der Farbentafel entnehmen, gegebenenfalls durch sukzessive Vereinigung je zweier Kompo- nenten; die Farbentafel selbst bezieht sich auf das Aussehen der Komponenten, nicht auf ihre physi- kalische Beschaffenheit. Leider ist hier, offenbar aus Raumrücksichten, auf die modernen Untersuchungen zur Farbenlehre nicht eingegangen; insbesondere wird man eine, wenn auch kurze Darstellung der Ostwald'schen Untersuchungen, die sich ja an das soeben Gesagte zwanglos anschließen und es auf einen festen und breiteren Boden stellen, mit Bedauern vermissen.*) Denn, wie man sich auch im einzelnen zu diesem System stellen mag, darüber kann kein Zweifel bestehen, daß es durch seine theore- tische Begründung, die kritische und exakte Her- stellung der Begriffe, die Ausgestaltung durch sinnreiche Versuche und die Veranschaulichung durch den (freilich noch im Entstehen begriffenen) Farbenatlas mit 3000 systematisch ausgewählten und exakt durch ihre Stellung im Farbendreieck definierten Farben, daß es mit alledem den größten Fortschritt bezeichnet, der auf diesem Gebiete seit langer Zeit gemacht worden ist. Ein anderes Kapitel dieses Teils behandelt die zeitlichen Verhältnisse der Lichiempfindung, also ihren Anstieg im Laufe einer oder einiger zehntel Sekunden, das Abklingen in Form von Nachbildern usw. Hinsichtlich dieser Nach wirkungs- erscheinungcn möge hier eine persönliche Be- merkung einzuschalten erlaubt sein. Man muß sich darüber klar werden, welche Bedeutung diese Nachwirkung auf das in jedem A.ugenblicke empfundene Bild ausübt. Nur wenn man absolut ruhig blickt (beim „Starren" auf einen Punkt), ist das Bild scharf und rein. Bei jeder raschen Folge von Augendrehungen (und solche treten unbewußt fast immer auf) sieht man in jedem Augenblicke nicht das diesem entsprechende Bild, sondern so- zusagen das Integral über alle in den letzten Sekundenbruchteilen gesehene, nur natürlich mit desto schwächerem Anteil, je weiter es zurück- liegt; und unter gewissen Umständen, z. B. in gesteigert nervösem Zustande, kann sich dieses Integral sogar über eine ganze Anzahl von Sekunden erstrecken. Die hierdurch entstehende Unscharfe und F"älschung des Bildes kann die aus dioptrischen Quellen stammende manchmal sogar übertreffen. Beispielsweise finden diese Bemerkungen Anwen- dung auf das Betrachten eines Gemäldes: beim zwanglosen Anschauen, bei dem das Auge fort- während von einem Punkte zum andern wandert, macht es oft einen ganz andern Eindruck als beim starren Blick; physikalisch immer einen minder- wertigen, künstlerisch aber oft geradezu einen ge- ') Wilhelm O st wald , Beiträge zur Farbenlehre, I. bis 5. Stück (aus den Abhandlungen der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaflcn, Bd. 34). Leipzig 1917. — Von dem großen Farbenatlas sind bis jetzt zwei Lieferungen erschienen. hobenen, eben weil der Zustand der Beweglichkeit des Auges und damit der Integration der Gesicht- eindrücke über kleine Zeitstrecken das natürlichere und damit auch das künstlerischere ist. Sehr eigentümlich sind auch dieVerschmelzungs- vorgänge, auf die deshalb kurz eingegangen werden möge. Ltißt man intermittierende Reize mit steigen- der Geschwindigkeit auf die Netzhaut wirken, so lassen sich die Eindrücke alsbald nicht mehr richtig unterscheiden, sie fangen an, ineinander überzugehen; dabei ist ein eigentümliches Schwan- ken der Intensität zu beobachten, das sog. Flimmern. Von einer gewissen Unterbrechungszahl an ent- steht ein gleichförmiger Eindruck, wie er sonst nur durch eine Dauerreizung entsteht. Diese Ver- schmelzungsfrequenz nimmt mit der Lichtstärke zu, und zwar anfangs langsam, dann schneller, ent- sprechend dem Umstände, daß zunächst nur die Stäbchen, dann aber auch die Zapfen in Funktion treten. Die Intensität des Dauereindrucks aber wird durch das Talbot 'sehe Gesetz bestimmt: sie ist unabhängig von der Geschwindigkeit der Einzelreize und einfach so groß, als ob das ge- samte, zur Empfindung gelangende Licht gleich- mäßig über die ganze Zeit verteilt würde. Damit geraten wir schon in den dritten und letzten Teil unseres Buches hinein, der von den räumlichen Gesichtswahrnehmungen handelt, und zwar speziell zur Frage nach der Natur des strobo- skopischen oder, in seiner neueren Ausgestaltung, des kinematographischen Sehens. Es handelt sich darum, welche Rolle Dauer und Ausdehnung der sich folgenden Lichteindrücke spielen, und insbeson- dere darum, was eintritt, wenn die Pausen immer länger oder, anders ausgedrückt, die Bewegungs- phasen immer kürzerund zuletzt rrfomentan werden, Aus einer Reihe geeignet angeordneter Versuche kann man hierüber Aufschluß gewinnen und daraus dann die Gesetze der Kinematographie ableiten. Hier sei nur erwähnt, daß sich die Annahme, es handle sich auch hier, wie bei ruhenden Bildfolgen um Verschmelzungsvorgänge itri Sinne des Tal- bot'sehen Gesetzes, irrig ist. Überhaupt darf die Ursache des Phänomens nicht in besonderen Ver- hältnissen des Sinnesorgans gesucht werden, man muß vielmehr auf zentrale Prozesse zurückgreifen und eine psychologische Erklärung anzubahnen versuchen. Es sei allerdings bemerkt, daß gerade die Psychologen sich in dieser Hinsicht mit ihren Ansichten noch ziemlich schroff gegenüberstehen; aber darauf gehen unsere Autoren mit Recht nicht ein, da das die Grenzen der phyi-iologischen Optik und besonders die einer gedrängten Darstellung wie der vorliegenden überschreiten würde. Das letzte Kapitel, das wir herausgreifen wollen, ist das des binokularen Sehens. Von den Teil- problemen, die es enthält, seien die beiden ersten: der Wettstreit der Sehfelder und das binokulare Einfachsehen, nur eben erwähnt; dagegen wollen wir auf das dritte, das binokulare Tiefenselien oder stereoskopische Sehen, noch mit ein paar Worten eingehen. Hier geben die Verfasser eine gedräng- N. F. XVn Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 603 te, aber sehr instruktive Übersicht über die tlieo- retische und instrumentelle Entwicklunf^, von den Stereoskop-Typen zu Scherenfernrohr, Stereokom- parator.stereophototjraphischen Methoden und Rönt- g;en-Stereoskopie. Hier taucht nun ein grundsätz- liches Problem auf, das von der allergrößten Wich- tigkeit und zugleich von sehr allgemeinem, bis in die Erkenntnistheorie hinein sich erstreckendem Interesse ist. Es handelt sich um den Charakter des zu erzielenden stereoskopischen Bildes und um die Frage, in wieweit dieser Charakter mit dem übereinstimmt, den das Bild bei der Betrachtung mit dem unbewaffneten Auge besitzt. Es hängt nämlich durchaus von dem Strahlengange ab, ob die Tiefenplastik richtig oder verkehrt wird — im letzteren Falle also derartig, daß die in Wahr- heit vorderen Teile des Gegenstandes im Bilde nach hinten verlegt werden und umgekehrt, daß eine in Wahrheit konvexe Fläche konkav erscheint usw. Man nennt jene Abbildung orthoskopisch, diese aber pseudoskopisch ; ein Gegensatz, der schon lange bekannt war, für den aber erst Abbe das ebenso einfache wie anschauliche Kriterium gefunden hat. Orthoskopisches Sehen wird immer dann erreicht, wenn die rechte Hälfte der rechten Pupille und die linke Hälfte der linken Pupille beim Sehen verwendet werden (oder die ent- sprechende Hälfte der einen und die ganze andere); im umgekehrten Falle dagegen tritt Pt>eudoskopie ein.' Wie wichtig das ist, geht z. B. aus dem Bei- spiele hervor, daß man durch zwei dicht neben einander gestellte Mikroskope nicht orthoskopisch, sondern pseudoskopisch sehen würde. Moritz von Ror hat zur Beobachtung dieser Effekte einen besonderen Apparat, das Pseudoskop, konstruiert und ihm noch einige andere Apparate an die Seite gestellt (z. B. einen, wo links und rechts vertauscht wird), mit deren Hilfe man sozusagen experimentelle Studien über unsere Raumanschauung anstellen kann. Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Prinzipienfragen in einer neuen Auflage unseres Buches, etwa im Anschlüsse, oder, noch besser zur Einleitung des stereoskopischen Kapitels, Be- rücksichtigung fänden. Noch mancherlei Bedeutsames könnte aus dem reichen Material des kleinen Buches herausgegriffen werden, wenn der Raum es gestattete. Insbeson- dere ist es dem Referenten schwer gefallen, das Kapitel über „Objektive Photometrie" ganz bei Seite zulassen; denn es behandelt eine Frage, die ganz neuerdings insofern in ein aktuelles Stadium getreten ist, als die früher fast allgemein bezweifelte Möglichkeit einer objektiven, d. h. vom subjektiven Ermessen des Beobachters unabhängigen Photo- metrie nunmehr grundsätzlich erwiesen worden ist. Indessen müßten wir hier dem Leser recht mathematisch kommen; und dazu kommt, daß die Perspektive, soweit es sich um etwas praktisch brauchbares handelt, noch ganz verschwommen ist. Mag es daher an d'esem Hinweise genügen. Schließlich sei bemerkt, daß sich am Schlüsse des Buches eine kleine, aber gut ausgewählte Zu- sammenstellung allgemeiner und spezieller phy- siologisch-optischer Literatur findet. Bücherbesprechimgen. Richard Willstätter und Arthur Stell, Unter- suchungen über die Assimilation der Kohlensäure. Sieben Abhandlungen. Mit 16 Texlabbildungen und einer Tafel. Berlin '18. Julius Springer. — 28 M. Die Assimilation der Kohlensäure ist von jeher ein Problem gewesen, an dessen Lösung sich neben den Pflanzenphysiologen auch Chemiker versucht haben. Meist beschränkte sich jedoch die Mitwirkung der letzteren auf theoretische Deutungsversuche, die, so anregend sie auch oft waren, doch den in der lebenden Pflanze gegebenen physiologischen Verhältnissen nicht gerecht wurden. Willstätter nun und sein Mitarbeiter St oll haben sich nach ihren erfolgreichen Studien über die Chemie der Blattfarbstoffe auch dem Assimilationsproblem selber zugewandt, indem sie auf das glücklichste ihre chemische Kunst mit pflanzenphysiologischer Kritik und Arbeitsweise vereinigten. Die Versuche, deren Ergebnisse sie in einer Reihe von Einzelabhandlungen vorlegen, zeichnen sich durch scharfe Fragestellung und vorzügliche Methodik aus, die theoretische Deutung wird überall durch eine besonnene Kritik geleitet. Wenn auch die Arbeit der beiden Chemiker bisher entscheidende neue Resultate nicht gefördert hat, so bietet sie doch eine höchst erwünschte zuverlässige Fundamentierung des gesamten schwierigen Fragenkomplexes und weist überdies an manchen Stellen aussichtsreiche Ansätze zu erfolgreicher weiterer Forschung auf. Bei der großen Bedeutung, die die Unter- suchungen der Verfasser besitzen, rechtfertigt es sich, wenigstens über die wesentlichsten Resultate kurz zu berichten. Dabei müssen wir auf Einzelheiten der Methodik, so sehr sie gerade den Fachmann fesseln, verzichten. I. Die von den Autoren zum ersten Male in reinem Zustande dargestellten grünen Farbstoffe der Pflanzen, das blaugrüne Chlorophyll a und das gelbgrüne Chlorophyll b haben sich nach Untersuchung von mehr als 200 Pflanzen aus den verschiedensten Verwandtschaftsgruppen als iden- tisch erwiesen, eine wichtige und sehr befriedigende Feststellung. Sowohl die Gesamtmenge der grünen Farbstoffe als auch das Verhältnis von Chlorophyll a zu Chlorophyll b ist gleichfalls ziem- lich konstant, wenigstens für Blätter von normal grüner Farbe. Man findet in der Trockensubstanz solcher Blätter gewöhnlich 0,8 7o Chlorophyll; die beiden Komponenten a und b sind überall etwa im Verhältnis von 3 : i vertreten. Die Autoren 6o4 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 42 werfen nun die Frage auf, ob sich die Menge des Chlorophylls und das Verhältnis seiner beiden Bestandteile während des Assimilationsvorganges ändere. Sie stellen fest, daß dies selbst bei höchst gesteigerter Assimilationsarbeit nicht der Fall ist, und schließen daraus, daß eine intermediäre Oxydation von a zu b (unter Reduktion der Kohlensäure) und eine Rückverwandlung von b in a (unter Abspaltung von Sauerstoff) nicht statthaben könne. Ebensowenig könne die oft geäußerte Ansicht zutreffen, daß das Chlorophyll im Assimilationsprozeß vorübergehend zerstört würde. Da also beide Farbstoffe auch im arbeitenden Blatte für sich bestehen bleiben, könnte man fragen, was denn diese Zweiheit überhaupt für eine Bedeutung habe. Die Verff. weisen darauf hin, daß die hauptsächlichen Absorptionsbänder von b zwischen denen von a liegen, daß also beide Farbstoffe zusammen das Licht in besonders starkem Maße ausnutzen, was vor allem im diffusen Tageslichte wichtig ist. 2. Recht interessante Ergebnisse lieferte die Prüfung der Frage, ob die Intensität der assimila- torischen Leistung parallel dem Gehalt an Chloro- phyll gehe. Bekanntlich gibt es bei vielen Pflanzen außer den normal grünen Sippen auch solche mit sehr hellgrünen Blättern von geringem Chlorophyllgehalt, ferner haben junge Blätter weniger Chlorophyll, desgleichen alte schon ver- gilbende. Die Blätter arbeiteten unter maximalen Bedingungen, d. h. bei günstiger Temparatur und unter überschüssiger Licht- und Kohlensäure- versorgung. Als Vergleichsgröße diente die stündliche Leistung (verbrauchte Kohlensäure in g) bezogen auf i g Chlorophyll. Normal grüne Blätter verhielten sich ziemlich ähnlich (6—9 g CO.,). Mit dem Alter der Blätter geht die Leistung bis auf die Hälfte zurück ; im Frühling und im Herbst kommen spezifische Schwankungen vor, das Chlorophyll in vergilbenden Blättern kann z. B. langsamer abnehmen als die Assimilations- energie oder aber das Umgekehrte ist der Fall. Besonders merkwürdig ist das Verhalten der gelben Varietäten. Bezogen auf die verhältnis- mäßig sehr geringe Menge ihres Chlorophylls, ist ihre Assimilationsenergie ganz außerordentlich hoch, 10 — 15 mal so hoch als bei den rein grünen Verwandten. Ähnlich verhalten sich auch ergrünende, zuvor etiolierte Blätter. Doch gilt dies immer nur, wie oben, für maximale Beleuchtung, mit anderen Worten, die maximale Assimilations- leistung wird von rein grünen Blättern schon bei geringerer Lichtintensität erreicht als von gelb- grünen. Aus solchen Befunden muß, wie das schon von Pfeffer, Ewart, Pantanelli ge- schehen ist, der Schluß gezogen werden, daß der Chlorophyllgehalt allein nicht die Assimilations- energie bestimmt, sondern noch ein mitwirkender Faktor hinzutritt, der im farblosen Plasma der assimilierenden Zelle zu suchen ist. Neben dem lichtabsorbierenden Faktor des Chlorophylls ist noch ein zweites plasmatisches Agens bei der Kohlensäurezerlegung anzunehmen. Ob dies im Plasma der Zelle oder im plasmatischen Teile der Chloroplasten enthalten ist, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden, Willstätte.r vermutet, es handle sich um einen enzymatischen Körper, der ein Bestandteil des farblosen Stromas der Chloro- plasten sei. Bei grünen Blättern sei das Chloro- phyll dem Enzym gegenüber im Überschuß, bei gelben Blättern sei es umgekehrt. 3. Wie Brown und Escombe gezeigt haben, nimmt ein Blatt die Kohlensäure durch seine Spaltöffnungen mit einer 50 mal größeren Geschwindigkeit auf, als eixie gleich große (d. h. der Summe der Flächen der Spaltöffnungen ent- sprechende) Fläche von Kalilauge. Wenn aber die Kohlensäure, einfach in Wasser gelöst, den assimilienden Zellen zugeführt würde, so würde trotz des leichten Eindringens diese Menge immer noch so gering sein, daß die bei Lichtzutritt sofort einsetzende rasche Zerlegung und der fortgesetzte starke Verbrauch unverständlich wären. Würde doch die Menge an Kohlensäure, die in den Säften gelöst ist, unter der Voraussetzung, daß diese letzteren aus reinem Wasser bestehen, die Assi- milationstätigkeit nur ^2 sec. lang unterhalten können. Da weisen nun die Autoren nach, daß das Blatt auch ohne Belichtung, also unter natürlichen Verhältnissen während der Nacht, Kohlendioxyd aufspeichern kann, indem irgend- welche Bestandteile der Blattsubstanz eine starke Affinität zur Kohlensäure besitzen, diese mithin konzentriert und möglicherweise auch in ihrer I'orm verändert wird. Um welche Stoffe im Blatt es sich handelt, ist noch nicht entschieden, es ist aber bekannt, daß viele organische Körper die Fähigkeit besitzen, Kohlensäure zu addieren, u. a. auch nach Siegfried schon die einfachen Aminosäuren. Im Plasma würde also die Kohlen- säure an solche organische Körper gebunden werden, die nun entweder direkt dem Chlorophyll- korn dargeboten werden, oder aber die Kohlen- säure wieder abspalten. Von Interesse ist im Lichte dieser Entdeckung das Verhältnis der Assimilationsarbeit zur Temperatur. Da bei niedrigerer Temperatur erheblich mehr Kohlen- säure absorbiert wird als bei höherer, tritt ein gewisser Ausgleich ein gegenüber der Depression, die die Assimilation bei niederer Temperatur erleidet. Ferner würde auch in diesem Sinne die nächtliche und morgendliche Kühle assimila- torisch, wenigstens indirekt genutzt werden. — Schließlich wird in diesem Abschnitt noch die Frage geprüft, ob reines Chlorophyll Kohlen- säure zu reduzieren vermag. Die Versuche wurden möglichst den natürlichen Bedingungen angepaßt, indem das Chlorophyll in eine den Verhältnissen im Chlorophyll entsprechende kolloi- dale Verteilung gebracht und außerdem noch mit den gelben Pigmenten und anderen Begleitstoffen vereinigt wurde. Das Ergebnis war vollständig negativ. Desgleichen bewirkte eine Schädigung des Blattes durch Quetschen, Erfrieren, Trocknen N. F. XVn. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 605 eine augenblickliclie Beeinträchtigung bzw. Sistierung der Assimilation, je nach dem Um- fange der bewirkten Schädigung. Die Assimi- lationsarbeit ist also an das lebende Blatt gebunden. 4. In dieser Abhandlung wird systematisch untersucht, inwieweit der Farbstoff Chlorophyll mit Kohlensäure reagiert. Ätherische und alkoholische Lösungen des Farbstoffes reagieren mit Kohlensäure gar nicht. Anders verhält sich die wässerige Lösung, das Hydrosol, das, wie spektroskopisch nachgewiesen wird, in seinem Dispersitätsgrade am meisten der natürlichen Verteilung des Chlorophylls im Chloroplasten entspricht. Wird hier Kohlensäure eingeleitet, so tritt bald, und zwar rascher bei a als bei b, eine Spaltung des Farbstoffes in Magnesiumkarbonat und das braune Phäophytin ein. Doch schließen die Autoren aus zahlreichen Versuchen, daß dieser Zersetzung eine vorübergehende Addition vorausgehe, daß also kolloidales Chlorophyll mit der Kohlensäure eine leicht dissozierbare Ver- bindung von der Art der Bikarbonate zu bilden vermöge und daß auch im Blatte der Farbstoff chemisch mit der Kohlensäure reagiere. Nun tritt aber im Blatt jener leichte Zerfall nicht ein, das Chlorophyllkorn assimiliert in 20 — 25 Volumprozent ausgezeichnet, während bei dieser Konzentration das reine Hydrosol in vitro sehr rasch zerfällt. Das Chlorophyll muß also im lebenden Gefüge des Chloroplasten irgendwie geschützt sein. Durch Erdalkalikarbonate, namentlich Magnesium- karbonat sowie durch Gelatine läßt sich der Zerfall vermindern, doch beruht dies nur in einer Verminderung der Addition der Kohlensäure, während im lebenden Blatte wahrscheinlich eine Vorrichtung wirksam ist, die ausschließlich die Spaltung verzögert, die Addition dagegen gerade beschleunigt. 5. Eine schon oft diskutierte Frage ist die, ob der Chloroplast die Kohlensäure durch eine einzige Reaktion von ihrem Sauerstoff befreit, oder ob dieser Prozeß gestaffelt ist. Eine Ent- scheidung läßt sich durch möglichst genaue Be- stimmung des assimilatorischen Koeffizienten, d. h. des Quotienten aus aufgenommener Kohlen- säure und ausgeschiedenem Sauerstoff, herbei- führen. Die Autoren wählten wiederum möglichst günstige Assimilationsbedingungen, indem sie von dem Gedanken ausgingen, daß wenn überhaupt Zwischenstadien auftreten, diese sich unter den gewählten Bedingungen anhäufen und ihre An- wesenheit in einer Veränderung des oben er- wähnten Quotienten verraten müßten. Besondere Sorgfalt würde wiederum auf eine möglichst exakte Versuchsanordnung gelegt, die namentlich den Einfluß des respiratorischen Gaswechsels aus- schaltete. Gemessen wurde, wie auch sonst in den Versuchen der Autoren, die Zusammensetzung eines die Versuchsobjekte überstreichenden kon- stanten Gasstromes. Es ergab sich nun, daß auch bei gesteigerter und langdauernder Assimi- lation und zwischen den Temperaturen 10 und 35 Grad der assimilatorische Quotient-— genau l betrug. Daraus würde folgen, daß die Kohlen- säure ohne Zwischenprodukt in einem Zuge zu Kohlenstoff reduziert wird, denn nur in diesem Falle ist das Volum des abgespaltenen Sauerstoffes gleich dem der Kohlensäure. Der Kohlenstoff tritt natürlich nur hydriert auf, und da das einzige Hydrat mit nur einem Atom Kohlenstoff im Molekül der Formaldehyd ist, kommen die Autoren zu dem Schlüsse, daß in der Tat Formaldehyd als erstes und alleiniges Reduktionsprodukt ent- stehen muß. 6. Hier wird der Nachweis geführt, daß auch für die Assimilation ein gewisses Quantum Sauerstoff notwendig ist, in sauerstoffreier Luft hört die Assimilation auf. 7. Die Kohlensäure kann durch verschiedene Mittel reduziert werden, doch haben die bisher angewandten nur ein chemisches Interesse, zur Autheilung des physiologischen Vorganges tragen sie nicht bei. Also weder die dunkle elektrische Entladung, mit Hilfe welcher W. Lob aus Kohlendioxyd Formaldehyd und ein Kondensations- produkt desselben, den Glykolaldehyd darstellen konnte, noch das ultraviolette Licht der Queck- silberdampflampe, mit dem D. Berthelot und H. Gaudechon arbeiteten, noch die Radium- emanation die F. L. Us her und J. H. Priestley anwandten, kann uns auf die Spur helfen, wie nun eigentlich der Vorgang in der Pflanze verläuft. Beson- ders eifrig im Hinblick auf die Bayer'sche Hypothese, nach welcher bekanntlich Formaldehyd das erste Assimilationsprodukt sein soll, ist nach dieser Substanz in Blättern gefahndet worden. Eine kritische Besprechung der Literatur über diesen Gegenstand führt die Autoren zu der Ansicht, daß selbst wenn Formaldehydspuren gefunden würden, dieser Nachweis aliein ohne Bedeutung für die Theorie des Assimilationsvorganges sein würde, da der Formaldehyd intra und extra viiam „durch irgendwelche Umwandlungen entstehen könne, die mit der Desoxydation der Kohlen- säure und mit den Hauptvorgängen der Kohle- hydratsynthese keinen Zusammenhang haben". Sie sehen aber auch andererseits in der bisherigen Erfolglosigkeit, den F"ormaldehyd nachzuweisen, keine Widerlegung der Bayer'schen Hypothese, die sie auf Grund der oben erwähnten Be- stimmungen des assimilatorischen Quotienten sogar für bewiesen halten. Zerlegung der Kohlen- säure und Kondensation des Reduktionsproduktes greifen im Chemismus der assimilierenden Zelle so genau ineinander, daß der Formaldehyd sich nicht anhäufen kann. Im einzelnen wird in diesem Abschnitt noch folgendes festgestellt: Chlorophyll gibt auch dann, wenn es durch Einleiten von Kohlensäure zersetzt wird, keine Formaldehyd- reaktion ; auch reagiert es nicht mit Formaldehyd. Versuche, mit ganz reinen Chlorophyllpräparaten 6o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 42 eine Zerlegung der Kohlensäure im Licht herbei- zuführen, waren gänzlich erfolglos, usw. Die vorstehend mitgeteilten Beobachtungen und Erörterungen geben nur einen Ausschnitt aus dem reichen Inhalt des Buches. Es ist unent- behrlich für den Pflanzenphysiologen und den physiologischen Chemiker, eine gewinnreiche Lektüre für jeden, der sich in eins der wichtigsten Probleme der organischen Natur vertiefen will. Miehe. Graf C. V. Klinckowstroem, Neues von der Wünschelrute (Theoretisches und Kritisches). Zillessen- Berlin 1918. In dem wilden Vv'ogenschwsll, dem Auf und Ab der Wünschelruten-Literatur droht uns fast der Normalpegel zu entgehen, auf den jede Be- obachtung und Hypothese für oder gegen das Streitobjekt bezogen werden muß. Da kann es nur auf allen Seiten dankbar empfunden werden, daß in den zahlreichen Äußerungen des Verfassers zum Thema alles sich wie in einem ßrennspiegel sammelt, auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, gleichsam in einem ruhigen Klärbecken geläutert wird. Aller Überschwang, alles Vorurteil, alle vorschnelle Meinungsäußerung fällt in diesen kri- tischen Referaten und Besprechungen ab, es bleiben die wertvollen Beobachtungen und die Kernfragen, in wohltuender wissenschaftlicher Objektivität auf die Formel gebracht, die unserem jeweiligen Er- kenntnisstadium entspricht. Dem besten Kenner der Wünschelrutenliteraiur gliedert sich jede Neu- erscheinung zwanglos ins Ganze ein und strahlt als Einzelglied wieder zurück, verständlicher im Wesen, zurückgeführt auf die bescheideneBedeutung, die ihr zukommt. Die vorliegenden Aufsätze sind größtenteils bereits in Zeitschriften aller Art veröffentlicht ge- wesen und halten in diesem Gewände General- schau ab über die zahlreichen Veröffentlichungen während der Kriegsjahre. Gegner und Anhänger werden in gleich ruhiger Objektivi>ät zitiert und hier wie dort das Brauchbare anerkannt, der Irrtum aufgewiesen, soweit uns das heut eben schon möglich ist. Auf exakte, gut vorbereitete Experi- mente kommt nach wie vor alles an. Der eigene Standpunkt des Verfassers zum Problem kommt weniger zu Wort, kann aber dahin verstanden werden, daß das Phänomen ihm als vorwiegend physiologisches erscheint, daß unwillkürliche und unbewußte Betätigung der Arm- und Handmuskeln die Rute bewegt, daß aber diese Tätigkeit eine Reaktion auf nervöse Beeinflussung darstellt, in welch letzterer eben das Rutenproblem wurzelt. „Daß tat- sächhch ein echter Kern im Wünschelrutenproblem steckt, das dürfte allein schon das Studium der ungemein reichen Literatur über die Wünschel- rute zeigen", so lautet die Überzeugung des auf Grund literarischer Studien bestunterrichteten Kenners der gesamten Fragen. Hennig. L. Fischers' Tabellen zur Bestimmung einer Auswahl von Thallophyten und Bryophyten. Teilweise neu bearbeitet von Prof. Dr. Ed. Fischer in Bern. 2. Aufl. Bern 18.' K. I. Wyß Erben. Wie das Vorwart angibt, soll das Heft die Aufgabe erfüllen, dem Studenten bei kryptogami- schen Übungen die Bestimmung seiner Unter- suchungsobjekte zu ermöglichen, bzw. zu erleichtern Dementsprechend ist nur eine Auswahl der wich- tigsten und verbreitetsten Vertreter der Moose, Flechten und Algen berücksichtigt. Das praktische Heft scheint^ mir dazu gut geeignet, weshalb Do- zenten und Studenten, die sich lehrend oder lernend rriit der Untersuchung von Kryptogamen befassen, hiermit auf dasselbe aufmerksam gemacht seien. Miehe. Aus der Bibel der Natur. Merkwürdige Bilder aus der Werkstatt eines aken Zoologen, Jan Swammerdam. Ausgezogen, neu bearbeitet und herausgegeben von Dr. G. S t e h 1 i. Mit 53 Nachbildungen von Kupfertafeln. 127 S. Leipzig R. Voigtländer. Dr. Stehli gibt hier Auszüge aus der „Bibel der Natur" wieder, einem zuerst 1735 von Boerhaave herausgegebenen Werk, das die wichtigsten hinterlassenen Arbeiten des Amster- damer Zoologen Jan Swammerdam enthält. Die Untersuchungen Swammerdams haben zu einem großen Teile heute noch ihren Wert und sie zeichnen sich aus durch eine gewissenhafte scharfsinnige Arbeitsmethode. Schon deshalb ist die voriiegende gekürzte Neuausgabe recht zu begrüßen, deren Wert durch die beigegebenen Nachbildungen der Original Kupfertafeln erhöht wird. Swammer- dam unterscheidet schon richtig die verschiedenen Verwandlungsarten derlnsekten, die unvollkommene und vollkommene Metamarphose, und er stellt da- nach vier Ordnungen auf. Jede Ordnung wird an verschiedenen Beispielen beschrieben und bildlich dargestellt. H. Fehhnger. Schriften zur Psychologie der Berufseignung und des Wirtschaftslebens. Heft 1—5. Leipzig 1918. J. A. Barth. Infolge des Mangels an Arbeitskräften, der durch den Krieg veranlaßt wurde, hat sich häufig die Notwendigkeit herausgestellt, Personen zu Ver- richtungen heranzuziehen, für die sie keine Schulung haben; es ist keine Zeit, sie erst eine Berufslehre durchmachen zu lassen oder sonst praktisch an- zulernen. Über die körperliche Eignung zu einem gewissen Beruf kann die ärztliche Untersuchung entscheiden. Vielfach ist aber nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Eignung von Belang und um diese festzustellen, wurde in letzter Zeit die psychologische Eignungsprüfung angelegentlich empfohlen und in einer Anzahl von Fällen auch praktisch durchgeführt. Damit soll vermieden werden, daß gänzlich ungeeignete Leute zu gewissen Leistungen herangezogen werden, N. F. XVn. Nr. 42 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 607 woraus ihnen selbst, wie dem Unternehmer und der Volkswirtschaft nur Scha !en erwachsen kann. Die Vornahme der psychologischen Eignungs- prüfung erfordert die Kenntnis der für die ein- zelnen Berufe in Betracht kommenden psychischen Erfordernisse seitens des Prüfenden und weiters handelt es sich darum, zu ermitteln, ob und in welchem Grade der Prüfling diese Eigenschaften besitzt. Für eine Reihe von Berufen wurden be- reits Methoden der psychologischen Eignungs- prüfung aufgestellt, die freilich zumeist noch mehr oder weniger zu wünschen übrig lassen. Diese Methoden und die mit ihrer Anwendung erzielten Ergebnisse sind teils in selbständigen Schriften, teils in Zeitsrhriftenaufsätzen veröffentlicht worden. Um mehr Übersichtlichkeit zu gewinnen, haben die Leiter des Instituts für psychologische Sam- melforschung sich entschlossen, eine besondere Schrifienreilie herauszugeben, in der möglichst alle wissenschaftlichen Arbeiten über Psychologie der Berufseignung und des Wirtschaftslebens ge- sammelt und den Interessenten zugänglich gemacht werden sollen. Die ersten fünf Hefte der neuen Schriftenreihe liegen nun vor. In dem ersten Heft behandeh Dr. 0 1 1 o L i p m a n n die Grundsät- ze der psychologischen Berufseignungsprüfung und er gibt auch einen kurzen Überblick über die bis jetzt erziehen Erfolge. Prof. Dr. W. S t e r n berichtet im 2. Heft über die psychologische Eignungs- prüfung von Straßenbahnfahrerinen (vgl. Naturw. Wochenschr., 19 18, Nr. 16), Dr. O. Li p mann und Dora Krais schreiben im 3. Heft über die Berufseignung der Schriftsetzer. Wilh. Heinitz berichtet im 4. Heft über Vorstudien über die psychologischen Arbeitsbedingungen des Maschin- schreibens und im 5. Heft schreibt Dr. med. Martha Ulrich über die psychologische Analyse der höheren Berufe als Grundlage einer künftigen Berufsberatung. Alle fünf Hefte enthalten sehr bemerkenswerte Ergebnisse der berufspsycholo- gi!^chen Forschung, die nicht nur für den Theo- retiker, sondern auch für den praktischen Volks- wirt von großer Wichtigkeit sind. H. Fehlinger. Anregungen und Antworten. Herrn R. W., Suhl. 1. Im Buchhandel finden sich SpezialWerke über die Biologie der Trilobiten und sonstigen fossilen Krustazeen nicht. Den einen oder anderen Hinweis kann man wohl Werken allgemeinen Inhalts entnehmen, wie Koken, Die Vorweit, Walther, Geschichte der Erde und des Lebens, Frech, Die Tiere der Vorzeit, DoUo, I,a Paleontologle ethologique (Brüssel 1910). Einzelfragen finden sich in Fachzeitschriiten behandelt, z. B. bei Pomp eck). Über das Einrolluugsvermögen der Tri- lobiten (Jahrcsh. Ver. vaterl. Naturk. Württb. 1S92). Ja ekel, Über die Organisation der Irilobiten (Zeitschr. deutsch, geol. ües. 1901). V. Staff u. Reck, Über die Lebensweise der Trilo- biten (Sitz.-Her. d. Ges. naturforsch. Freunde zu Berlin igil). 2. Haudlirsch, „Die fossilen Insekten" (Leipzig 1906/08) dürfte den geäußerten Wünschen am ehesten entgegenkommen. Weitere Auswahl besteht hier kaum. Hennig. Der Zug des Flamingos. In Nr. 19 der Naturw. Wochen- schrift Jahrg. 1917 schreibT H. W. Frickhinger in einem Reierat über eine Abhandlung von Schwaab „Die Bedeutung Italiens für den Vogelflug'' (Naturwiss. Zeitschr. für Forst- und Landwirtschaft. 15. Jahrg. 1917, Heft 2) über den Zug des Flamingos; „Eine Sonderstellnug untei allen Italien aulsuchenden Vogelarten nimmt der Flamingo ein : während sonst die tropischen Vögel alle ohne Ausnahme Frühjahr und Sommer in Italien verbringen und dann wieder in die Äquatorial- gegenden zurückkehren, erscheinen die Flamingos gleichzeitig mit unseren deutschen Sängern im Herbst aus der entgegen- gesetzten Richtung aus Zentralafrika und tummeln sich den Winter über in den brackigen Strandseen Sardiniens. ... Im Frühjahr pilgern die Fhimingos dann wieder in ihre tropische Heimat zurück. Als Ursache dieses sonderbaren biologischen Verhaltens, dem augenscheinlich die stärksten klimatischen Gegensätze behagen, konnte bisher nichts Beweiskräftiges an- geführt werden. Die Ungunst der klimatischen und Nahrungs- verhältnisse, wie sie bei allen anderen Vögeln die Wanderungen bestimmend beeinflufit, ist sicher bei den Flamingos nicht der Anlai3, der sie verleitet, gerade zu der klimatisch günstigsten Zeit ihre tropischen Quartiere zu verlassen." Hierzu sei folgendes bemerkt: Der südlich der Sahara in Afrika und Madagaskar sowie im nordwestlichen Indien brü- tende Flamingo i-t als kleinere Art [Phoeniconaias minor Geoffr.) vollkommen verschieden von PIuHiikopteTus roseiis Fall., dem gemeinen Flamingo, der als ein Vogel der freien Meeresküsten und flachen Lagunen im allgemeinen die süßen Gewässer meidet und dessen Heimat die Länder um das Mittelländische Meer sind. Von hier aus verbreitet er sich südlich über den Norden des Roten Meeres und andererseits bis gegen die Inseln des grünen Vorgebirges hin. Ebenso tritt er ziemlich regel- mäßig in Mittelasien bis zum westlichen Turkestan an den großen Seen auf. Von einem Zug der tropischen Art Photni- conams in großen Massen in polarer Richtung zum Mittelmeer- gebiet während der kühlen Jahreszeit kann überhaupt nicht die Rede sein. Es bleibt somit nur der Gemeine Hamingo {Phoenicopterus roseus) als Zugvogel — oder sagen wir viel- leicht besser als Strichvogel — übrig. Bereits nach König (Avifauna von Tunis in Cabanis Journal f. Ornithologie 1888 S. 132) ist der Flamingo ständiger Zugvogel im Mittelmeer- gebiet, der, statt von Süden nach Norden (oder umgekehrt) in vorherrschend westöstlicher Richtung wandert. So erschfint er alljährlich massenhaft an den größeren Seen Sardiniens und Siziliens, ebenso in der Albufera bei Valencia und anderen spanischen Seen. Nach M. Braeß (H. Meerwerth und K. Soffel, Lebensbilder der Tierwelt. Vögel Bd. I.) haben die Flamingos, die im Winter das westliche Mittelmeer be- suchen, an den Strandseen des südlichen Mittelmccres ihre Brutplätze, wohin sie im Frühling wieder zurückkehren. Wäh- rend so der Flamingo in allen Strandseen von Ägypten, Tripolis, Tunis, Algerien und Marokko häufig, bei Smyrna und an der Wolga ebenfalls nicht selten ist, kommt er in Griechenland und am Schwarzen Meere selten vor. Häufig findet er sich dagegen wieder an den Küsten des Kaspischen Meeres, wo er im geschützten Südwestwinkel bei Lenkoran alljährlich in ziemlicher Menge überwintert; nach Rad de haben diese Vögel irgendwo am Nordostufer des Kaspischen Meeres ihre Bruiplätze. Wenn demnach auch beträchtliche Scharen dieses Vogels im kontinentalen Klima Eurasiens an einem geschützten Punkte überwintern können, so vermag diese Stelle doch offenbar nicht auch noch die übrigen west- und innerasiatischen Vögel während des Winters als Gäste aufzunehmen, welche vielmehr als ausgesprochene Zugvögel westwärts wandern. Diese Vögel dürften es aber in der Hauptsache sein, welche im 6o8 Natuiwissenschaitliche Wocheoschrift N. F. XVII. Nr. 42 Wiutcrdas milde Klima des westlichen MiUelmeeres aufsuchen. Ein wirklicher Zug nach Norden dürfte beim Flamingo nur bezüglich der nordwestafrikanischen Vögel staltfinden. Denn in der Bahira bei Tunis, einem bevorzugten Standorte, findet sich der Flamingo nur von Dezember bis Mai, während er an den ägyptischen Strandseen ständig angetroffen wird. Im westlichen Mittelmeere erscheinen die flugfähigen, aber noch nicht ausgefärbten Jungen Mitte August und bleiben bis März oder April (Vgl. hierüber: W. Kobelt, Die Verbreitung der Tierwelt. Leipzig 1902, S. 224). Aber auch im Sommer finden wir den Flamingo im westlichen Mitlelmeer als Brutvogel, und zwar im Rhonedelta und in Südspanien, wo er regelmäßig in der Marisma südlich von Sevilla nistet. (Vgl. \V. Kobelt, Studien zur Zoogeographie 11. Bd. Wiesbaden 1898, S. 176.) Wir kommen also bezüglich des Flamingozuges im Mittel- meergebiet zu folgenden Ergebnissen: I. Ein zum Mittelmeere gerichteter Zug tropischer Flamingos findet überhaupt nicht statt. 2. Östlich vom Mittelmeere ist der Flamingo im allge- meinen Zugvogel, der im Winter das mildere westliche Mutel- mecr sich als Wohngebiet wählt. 3. Im Mittelmeere selbst, besonders in seinem westlichen Teile dürfle der Flamingo in der Hauptsache Strichvogel sein, und zwar scheinen die an der Nordküste der Atlasländer brütenden Vögel ihre Heimat im Winter derwegen zu verlassen und nordwärts zu ziehen nach Sardinien und Sizilien, weil dann diese meerunigebenen Inseln milder sind als die kontinentaler gearteten Atlasländer und ihre nächste Umgebung. 4. Sehr wohl wäre demnach auch beim Flamingo der Anlaß zum Zuge die Ungust der klimatischen und Nahrungsverhältnisse. Dr. Wilh. R. Eckardt, Essen. Naturbeobachtungea am Kemmelberg. Zwar habe ich schon 1916 eine Stelle gekannt, an der der ganze Erdboden von Granaten umgepflügt war, nämlich den Nordabhang der Höhe loS bei Berry au Bac, und 1917 war der Zipfel von S., in welchem unsere Batterie stand, nach und nach in ein derartiges Gelände verwandelt worden, in welchem ein Granat- trichter den anderen verdrängte. In viel größerer Ausdehnung und mit viel größerer Schnelligkeit ist jedoch eine derartige „For- mation", für die das jetzt so häufig gebriuchte und vielerorts in Flandern und Frankreich ja auch recht gut passende Wort ,, Trichtergelände" längst nicht mehr zureicht, am Kemmelberg entstanden. Zum ersten Male kam ich auf den Kemmelberg am 27. April dem Tage nach seiner Eroberung durch unsere taptere Infanterie. Ihn bedeckten teils Wiesen, teils schöner grüner Fichtenwald und Laubholz, das eben auszuschlagen begann. Im Walde gab CS Moosboden und lauschige Pfade. Durch „einen geknickten Baum" bezeichnete man mir die Stelle, an die ich hinzugehen hatte. Statt daß es nun mit vorschreitendem Frühling immer grüner würde, ist es immer schwärzer geworden. Denn nach drei Wochen war auf der feindwärtigen Seite des Berges kein .Stückchen grünen Erdbodens mehr, und auf der Rückseite waren durch Trichterbildung und verspritzte Erde wenigsten neun Zehntel des Wiesen- und Moosbodens gleichfalls in schwarzen oder doch brauneu Erdboden ver- wiindelt worden. Und die Wälder sind nicht mehr. Die aller- meisten Baumstämme sind in Stümpfe verwandelt, in geringer Höhe über dem P>dboden abgeknickt, nur die wenigsten ragen noch hoch und tragen vereinzelt Äste, an denen jedoch die Zweigspitzen fast alle fehlen. Wo aber an Baum oder Strauch eine Blattknospe verschont geblieben war, da entwickelte sie nur ein kümmerliches Grün, nur winzige Blältchen. Offenbar stockt die Saftzufuhr infolge der vielen Wunden in Rinde und Holz und vielleicht noch mehr infolge der Lockerung des Wurzclwerks im Erdreich. Auch mögen schädigende Gaswirkungen hinzukommen. Zu meinem Staunen wurde ich indessen gewahr, daß täglich um Sonnenaufgang, morgens um 6 nach „Sommer- zeit", und noch wenige Stunden später, ein lautes, wenn auch nicht sehr vielstimmiges Vogelkonzert in dem verödeten Wald ertönt. Durch kein Laub gedämpft, erschallten laut die Stim- men verhältnismäßig zahlreicher Amseln, die gleichwie nackt auf kahlen Ästen saßen. Nächst der Amsel bemerkte ich Buchfinken, Stare, den Fitislaubsänger , einen Pirol, einen Kuckuck, einen Turmfalken, mehrere Ringeltauben, ferner Hausspatzen, die wahrscheinlich von den wenigen jetzt zerstörten Gebäuden auf dem Berge in den Wald verschlagen waren; in Gebüschen auch Nachtigallen. Im ganzen also nach flüchtigen Eindrücken- — denn zu anderer als flüchtiger Beobachtung konnte es nicht kommen — noch ungefähr die Vogelwelt, die man auch im unversehrten Walde vermuten würde. Sobald aber die Sonne ein wenig heißer schien, verstummte frühzeitig der Vogel- gesang, und erst am kühlen Abend setzten die Amseln wieder ein. Es fehlte ihnen offenbar das schattenspendende Laub. Ihre Nahrung bilden wohl hauptsächlich die Kleintiere im aufgelockerten Erdreich, denn so viele Fliegen sich auch an Kadavern und Kot sammeln, man bemerkte nicht, daß an diese sich die Vögel hielten. Man kann als sicher annehmen, daß die weitaus meisten dieser Vögel am Nestbau oder in der Brut gestört worden sind, aber am Platze blieben und aufs neue zu werben, vielleicht schon zu bauen begannen mit der schönen Geschäftigkeit im Tierleben, die kein Leid über Verluste kennt, sondern sofort zu neuer Arbeit schreitet und uns hier- durch noch größere Bewunderung abringt, als sie eine ver- menschlichende, nach Seelentiefen suchende Tierpsychologie dem Tierleben zollen will. Eine Stimme aber vermißte man in dem Vogelkonzert, e i n Vogel fehlt auf viele Quadratkilometer, die L e r c h e. Das ist erklärlich. Sie ist auf dem feindwärtigen Abhang und im Vorgelände allenthalben, auf dem rückwärtigen Abhang und dem benachbarten Hintergelände fast überall nicht nur ihrer Nester, sondern auch jeglichen geeigneten Bruigeländes beraubt worden und daher offenbar ausgewandert; es ist das eine neue Erscheinung im Tierleben des Kampfgebietes. Begiebt man sich zurück ins Trichtergelände, wo man da und dort im Kies eine Seemuschelschale findet aus der um wenige Jahrtausende zurückliegenden Zeit, wo der Kcmmel und die übiigen ihm ähnlichen Berge tertiärzeitlichen Aufbaues aus dem Meere hervorragten, so findet man Schritt lür Schritt die Bäume stärker begrünt, aber noch weithin leiden auch sie an ihren Wunden. Als ich auf einen Tag nach Lille ritt, um auch „'mal 'was andres zu sehen", war ich höchst überrascht über den erst dort zu voller, herrlicher Entwicklung gekommenen Frühling. V. Franz. Herr E. R. in Weimar fragt: Inwieweit sind vielleicht schon Ersatzmittel in der mikoskopischen Technik für die heute nur noch schwer oder gar nicht mehr erhältlichen Stoffe aus- probiert worden? Kann z. B. Äthylalkohol durch Methyl- alkohol ersetzt werden? Welcher Ersatz könnte für Kanada- balsam in Frage kommen? Wodurch ließe sich wohl Nelkenöl ersetzen? Ist denaturierter Spiritus gut verwendbar? Vielleicht hat der eine oder andere der Leser auf diesem Gebiete bereits eigene Erfahrungen gesammelt, deren Mitteilung der Gesamtheit zu gute kommen könnte. M. ImitaBSa H der Atmosphäre. Richard Will C. v. Klincko mung einer Sander, Mumifikation (i Karte.) S. 596. Fei id Radioakti ät. S. 593. K. S c h o 1 i c h , War uerbach. Zur physiologischen Opiik. S. 599. id Arthur StoU, Untersuchungen über die Assimilation der Kohlensäure. S. 60 Neues von der Wünschelrute. S. 606. Ed. Fischer, L. Fischer's Tabellen zur Bestim- Thallophyten und Bryophyten. S. 606. G. Stehli, Aus der Bibel der Natur. S. 606, Schriften zur Psychologie der Berufseignung und des Wirtschaftslebens. S. 606. — Anregungen und Amworten: Biologie derTrilobiten. S. 607. Die fossilen Insekten. S. 607. Der Zug d. " bcrg. S. 608. Ersatzmittel in der mikroskopischen Technik. S. ( Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Päti'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Fla und kalte Luftmassen in Bücherbesprechungen : Graf lingos. S. 607. Naturbeobachtungen am Kemmel- Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 27. Oktober 1918. Nummer 43. Der gegenwärtige Stand des Mendelismus und die Lehre von der Schwächung der Erbanlagen durch Bastardierung. [Nachdruck verboten.] A. von Tschermak, Prag. Als G. M e n d e 1 ' s Vererbungsregeln, der Satz von der Dominanz oder gesetzmäßigen Ungleich- wertigkeit der zunächst als Konkurrenten aufge- faßten elterlichen Merkmale und der Satz von der Spaltung oder selbständigen Wertigkeit und freien Kombinierbarkeit der Einzelmerkmale, durch C. Correns, E. von Tschermak und H. de Vries (1900) gleichzeitig und unabhängig wieder- entdeckt und durch neue Beobachtungen erhärtet worden waren, da mochte mancher das Vererbungs- problem schon als nahe bis zur vollen Lösung gebracht ansehen und das Weitere sozusagen als Sache angewandter Kombinationsrechnung be- trachten. Allerdings hatte bereits G. M e n d e 1 selbst an Habichtskräutern, die jedoch zum Teil wenigstens zu ungeschlechtlicher bzw. apogamer Fortpflanzung neigen, gewisse Eigenschaften gefunden, die nicht zu spalten schienen. Auch brachten Macfarlane, de Vries, E. von Tschermak, IWillardet u. a. manche analoge Beobachtungen bei. Doch halte die häufige Unfruchtbarkeit gerade solcher Bastarde die Frage nach dem Vorkommen von Nicht-Spalten oder besser gesagt von nicht-spalten- den Eigenschaften hinter der sich stets mehrenden Fülle von Spaltungsfällen zurücktreten lassen. Ja, so mancher Forscher war geneigt, das Vorkommen einer solchen dem Mendeln anscheinend entgegen- gesetzten Vererbungsweise überhaupt zu bezweifeln. So meinte W. Johannsen, daß überhaupt kein sichergestelltes Beispiel von NichtSpaltung eines Bastards mit normaler sexueller Fortpflanzung vorliege. Schon auf dem Gebiete des Mendelns hatte sich bald eine weit größere Komplikation als tat- sächlich bestehend herausgestellt, als es zunächst theoretisch zu erwarten war. So erwiesen sich manche zunächst selbständig erscheinende Eigen- schaften bzw. Anlagen als absolut oder wenigstens relativ verkoppelt, andere als einander abstoßend (Bateson). Ferner wurde vielfach als Grundlage eines scheinbar einfachen Unterschiedes zweier Formen eine Mehrzahl von selbständigen, frei kombinierbaren oder isolierbaren Teilursachen oder Elementarfaktoren erkannt (G. M e n d e 1 , C u e n o t , Correns, Bateson, Bau r, E. v. Tschermak u.a.). Besonders wurden in zahlreichen Fällen quan- titativ abgestufte Unterschiede auf eine Mehrzahl von Anlagen oder F'aktoren von kumulativer, speziell gleichsinniger Wirkungsweise zurückgeführt — ein als sehr fruchtbar bewährtes Prinzip (Nilsson- Ehle, East, Shull). Auf Grund der eben kurz bezeichneten Er- kenntnisse wurde die zunächst geübte äußerliche Merkmalanalyse der Elterntypen — die allerdings für den praktischen Züchter stets die erste Aufgabe bleiben wird — zur innerlichen Analyse nach Elementaranlagen oder F'aktoren fortgeführt. Man vertiefte damit die Beschreibung der äußerlichen oder scheinbaren Vererbungsweise zur Feststellung der inneren oder wesentlichen Vererbungsweise. Der Unterschied der beiden Eltcrntypen wird nicht mehr in je zwei positiven Eigenschaften erblickt, die paarweise einander gewissermaßen als Kon- kurrenten gegenüberständen, sondern auf Besitz und Mangel einzelner Elementaranlagen, Faktoren oder Gene zurückgeführt (Cuenot, Correns, Bateson, Punnet). Man lernte konsequent unterscheiden zwischen der äußeren persönlichen Erscheinung, dem sog. Phänotypus, und der inneren Veranlagungsweise, dem sog. Genotypus. Ja, man faßt gegenwärtig die äußere Erscheinung des EinzeUndividuums überhaupt auf als eine Funktion von erblicher Veranlagung und von Wirkungen der Umwelt; man setzt „Merkmal" und „Gen" nicht einfach parallel. Dementsprechend wird streng unterschieden zwischen äußerlicher, züchterischer Konstanz oder Reinheit einer P'orm und innerer, faktorieller Reinheit d. h. voller Gleichförmigkeit im Anlagenbestande oder wahrer Homozygotie, wie sie einen sog. Biotypus nach Johannsen charakterisiert. Innerhalb einer solchen Elementar- gruppe vermag, wie nebenbei bemerkt sei, künst- liche Zuchtwahl keinerlei Fortschritt mehr zu be- wirken ; der durch Selektion an einem Gemisch erzielbare Fortschritt erweist sich als ein bloß scheinbarer und beruht auf fortschreitender Reini- gung und Isolierung bestimmter Elementargruppen aus dem bisherigen Gemenge (Johannsen). Es wurden ferner Formen erkannt, die reak- tionsfähige, doch äußerlich nicht wirksame Faktoren in sich tragen — Formen, die einerseits trotz er- heblicher Anlagenverschiedenheit gleich aussehen können, die anderseits jedoch bei Kreuzuug unter- einander oft sog. neue Mermale in gesetzmäßiger Weise hervortreten lassen (E. v. Tschermak, Bateson). Es gilt dies beispielsweise von ge- wissen glattblättrigen wie behaarten weißblühenden Levkoienrassen. Die sog. Kryptomerie solcher Formen ließ sich zunächst auf Verteilung an sich unwirksamer Teilanlagen oder auf Hemmung oder Verdrängung einer Anlage durch eine andere be- ziehen (Correns, Shull, E. v. Tschermak). Bald fügten weitere Untersuchungen die Erkenntnis hinzu, daß nicht bloß Wegfall eines Faktors aus einem wirksamen Verband, sondern auch schon das bloße Aufhören einer bisher bestandenen 6io Naturwissenschaftliche Wociienschrift. IM. F. XVII. Nr. 43 Wechselwirkung oder Assoziation von Anlagen — also eine sog. Dissoziation von Faktoren — zu Fehlen ihrer bisherigen Wirksamkeit bzw. zu Andersartigwerden der äußeren Erscheinung wie Farbloswerden oder Andersfarbigkeit führen kann. In anderen Fällen scheint ein assoziati vesUnwirksam- werden bisher dissoziiert wirksamer Faktoren vor- zukomrnen. Das Ergebnis ist einer Kryptomerie durch Änderung des wechselseitigen Verhaltens von Faktoren, durch Dissoziation oder Assoziation (E. V. Tschermak). Eine recht interessante Komplikation der mendelnden Vererbungsweise scheint in gewissen Fällen ferner dadurch gegeben zu sein, daß die eine oder die andere Art von Zeugungszellen durchwegs oder zur Hälfte einer typischen Rassen- anlage völlig entbehrt. Speziell wird zur Erklärung des verschiedenen Ergebnisses reziproker Kreuzung (? A X c? B gegenüber ? B X (? A) in vielen Fällen eine Erzeugung von zweierlei Eizellarten ange- nommen, die je nach weiblicher oder männlicher Bestimmung faktoriell verschieden seien (Theorie der geschlechtsbeschränkten Vererbung nach Doncaster und Raynor, Davenport, Morgan, Wilson u. a.). II. Einen neuen Schritt vorwärts führt nun die kürzlich von A. v. Tschermak^) durch Kreu- zungsversuche an Hühnerrassen begründete Vor- stellung, daß im Anschlüsse an Bastardierung auch der Zustand der einzelnen Anlagen nachhaltig ge- ändert, ihre Entfaltungsstärke geschwächt werden kann. Infolgedessen ergeben sich Formen, die — insofern ihnen gewisse Eigenschaften mangeln — äußerlich gleich, geradezu züchterisch rein er- scheinen , innerlich jedoch dadurch verschieden sind, daß der einen gewisse Anlagen oder Gene völlig fehlen, während diese der anderen F"orm in geschwächtem Zustande zukommen. Dieses Verhalten sei als genasthenische Kryptomerie bezeichnet. Bezüglich gewisser Anlagen geht die Schwächung so weit, daß die für typische Voll- wertigkeit geltenden Zahlenverhältnisse — bei der von der zweiten Bastardgeneration an eintretenden Mehrgestaltigkeit oder Spaltung — eine bis zur Umkehrung führende Abänderung erfahren, so daß statt der Relation 15:! die Verhältnisse 12:4, n:5. 9:7. 7:9, S'-ii. 4:12, endlich 1:15 zur Beobachtung gelangen. Dieser auf Umkehrung abzielende Wechsel des Spaltungsverhältnisses läßt sich darauf zurückführen, daß auch in diesen Fällen zwar alle überhaupt möglichen Kombinationen der Anlagen in den Zeugungs-, bzw. Befruchtungs- zellen gebildet werden — genau so wie beim typi- schen, auch äußerlich kenntlichen Mendeln. Infolge der Schwächung der Anlagen ist jedoch die Äuße- ') Vgl. die ausführliche Veröffcnllichung von A. v. T s c h e r • mak, Über das Terschiedene Ergebnis reziproker Kreuzung von Hühnerrassen und über dessen Bedeutung für die Vererbungs- lehre (^Theoric der Anlagenschwächung oder Genasthenie). Biologisches Zentralblatt, Bd. 37, Nr. 5, S. 217 — 277, 1917. rung der sonst durch die betreffenden Gene be- dingten Eigenschaften auf bestimmte Kombinationen eingeschränkt, speziell auf solche, in denen die Anlage (A oder B) von beiden Zeugungszellen („dichogametisch") beigebracht wird ; beispielsweise ist A und B dichogametisch gegeben in der Kom- bination ABAß, A dicho-, B haplogametisch in ABAb, A und B haplogametisch in ABab usw. — In Grenzfällen geht die Schwächung so weit, daß überhaupt in keiner Kombination — auch nicht in ABAB — die Eigenschaft merklich wird, viel- mehr an allen Nachkommen äußerlich fehlt. Dabei sieht es — äußerlich betrachtet — so aus, als ob keine Spaltung erfolgte, obzwar auch hier eine Mendel'sche Aufteilung anzunehmen ist; es folgt daraus äußerliche Konstanz bei innerlichemMendeln. Den Beweis für diese Auffassung liefern Fälle von vereinzeltem Wiederauftreten der sonst fehlenden stammelterlichen Eigenschaften, Fälle von sog. spontanem Atavismus — eine Folge von sprung- haftem Wiedererstarken der zunächst geschwächten Anlagen. Damit ergibt sich ein Übergang vom äußer- lichen Nichtspalten gewisser Bastarde oder Bastard- eigenschaften zum äußerlichen Mendeln. Bezüglich der inneren oder faktoriellen Veranlagung, also des Genotypus, gilt in beiden Fällen das Mendel- sche Prinzip, d. h. die faktorielle Spaltung durch Bildung aller überhaupt möglichen Kombinationen von Genen. Bezüglich der äußeren Erscheinungs- weise oder Ausprägung von Anlagen zu Merk- malen, also des Phänotypus, besteht beim äußer- lichen Mendeln Verschiedengestaltigkeit oder sicht- liche Spaltung, beim Nicht-Mendeln äußerliche Gleichförmigkeit, welche faktorielle Verschieden- heit verdeckt. Das eben allgemein Abgeleitete stützt sich auf umfangreiche Beobachtungen A. v. Tschermak's, die — bis Winter 1916/17*) — 161 Bastarde der Hühnerrassen Kochinchina gelb, Mmorka weiß, Plymouth Rock, Italiener Rebhuhnfarben, Langshan und die Vererbungsweise von 32 Merkmalen (im Detail von 5) betrafen und durch 3 — 4 Generationen systematisch verfolgten. Es ergab sich dabei einer- seits ein Hervorgehen verschieden aussehender und auch verschieden vererbender Produkte aus rezi- proker Kreuzung, ferner Umkehrung der Spaltungs- verhältnisse, in denen von der zweiten Generation ab (F"2 ^ J^'''' secundi ordinis) die verschiedenen Typen unter der Nachkommenschaft auftreten, wobei es selbst zum völligen nachdauernden Ver- schwinden des einen Elterntypus kommen kann. — Der Beweis für obige Ableitungen aus diesem Verhalten ist dadurch besonders zwingend, daß es dieselben Rassen sind, deren Bastarde in der einen Verbindungsweise typisch mendeln, in der anderen Verbindungsweise hingegen mehr oder weniger ausgesprochene Umkehrung des Spaltungsverhält- ') Die seitherige Fortführung der Versuche, vpenn auch in bescheidenem Umfange, hat durchaus entsprechende Ergeb- nisse geliefert, über welche bei anderer Gelegenheit berichtet werden wird. N. F. XVII. Nr. 43 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 6il nisses, ja zum Teil Ausbleiben von Spaltung, d. h. dauernden Wegfall bestimmter Merkmale erkennen lassen. Beispiele dieses Verhaltens gibt folgende Gegenüberstellung, in der die beobachteten und die theoretisch erwarteten Verhältnisse recht gut übereinstimmen. einschichtige oder haplogametische Zustand be- deutet eben eine Gefahr für die Entfaltungsstärke oder Valenz einer Anlage, während bei der nor- malen reinzüchtigen oder homozygotischen Be- fruchtung die Erbanlagen in voller rassetypischer Stärke erhalten bleiben. In letzterem Falle werden I. Generation (Fj): Kochinchina $ X Minorka (J Minorka $ X Kochinchina (J breiter Kamm (' = a.(Z— b) Die Quadratwurzel aus allen zusammen- gehörigen Frequenzen v der Röntgenspektrallinien der Elemente stehen in linearer Abhängigkeit zu ihrer Ordnungszahl Z im periodischen System. Wie es in der Speklromctrie gebräuchlich ist, versteht man unter der Frequenz v den rezi- proken Wert der Wellenlänge l (und nicht Lichtgeschwindigkeit c ~ -)■ a und b sind Kon- stanten. In Abb. 6 ist auf der Horizontalen jedes fünfte Element von Natrium (Z=ii) bis Uran (Z = 92) in gleichem Abstand abgetragen, senkrecht dazu die Quadratwurzel aus der Frequenz der hellsten Linien der K-, L- und M-Reihe. Man sieht, daß die so erhaltenen Punkte auf Kurven liegen, die einer Geraden außerordentlich nahe kommen. Mit Hilfe der Kurven kann man das umspektrograph), um sie auf die Platte zu be- kommen; die Wellenlängen der 6 am Gold (Z = 79) beobachteten Linien der M- Reihe liegen zwischen 5,1 und 5,8- io~^ cm. Die an den beiden anderen festgestellten Gezetzmäßigkeiten finden sich auch bei dieser langwelligen Reihe. Die Röntgenlinien- spektren der Elemente umfassen damit insgesamt sechs Oktaven. Nimmt man das Spektrum einer Antikathode auf, die aus einer Legierung, etwa Messing, besteht, so findet man die Spektren der Komponenten also von Kupfer und Zink. Das Röntgenspektrum ist demnach eine additive Eigenschaft der Atome. Im Gegensatz zur großen Mannigfaltigkeit und Kompliziertheit, die man in den optischen Spektren findet, sind die Röntgenspektren äußer- Fehlen und die falsche Stellung eines Elementes im periodischen System der Elemente leicht fest- stellen (s. oben). Die Röntgenspektral- messungen ermöglichen also unabhän- gig von jeder Theorie die sichere Er- mittelung des Platzes Z eines Elemen- tes; und zwar ergibt sich dieser Platz in bester Übereinstimmung mit den chemisch-physikalischen Eigenschaften, wie das oben erwähnte Beispiel von Kobalt und Nickel zeigt. Für mehr als 92 Elemente ist kein Platz vorhanden; alle überhaupt möglichen Atombauten kommen auf der Erde vor und sind uns — mit Ausnahme von 5 — bekannt. Die Röntgenspektralanalyse leistet demnach be- trächtlich mehr als die optische von Kirch hoff und Bunsen. Allerdings kann sie über die Gase und die leichten Elemente nichts aussagen. 6i6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII Nr. 43 Bel ono der vorgenannten winzigen Menge in Betracht kämen I Daß derartig ganz unvorstellbar kleine Mengen doch noch so intensive chemische und physikalische Wirkungen in den Höfen äußern können, kann uns eher ver- ständlich erscheinen, wenn wir berücksichtigen, daß die Zeiträume, während der die a-Strahiung wirkte, jedenfalls sehr beträchtliche gewesen sind. Auffallen muß uns schon, daß in geologisch jungen Gesteinen, etwa des Tertiärs, die pleochroilischen Höfe niemals beobachtet wurden, während sie in ig*: Zwei pleochroitische Höfe mit innerer Zone (dem Radium A entsprechend) und einer äul3eren Korona (von der «-Strahlung des Radiums C verursacht). Vergr. i3oX- produkt gehabt hat, das den inneren Hof entstehen ließ; man findet in unserem Beispiel eine solche von 4,8 cm, was genau derjenigen Reichweite ent- spricht, die das Radium A kennzeichnet (s. Tab. i). Nun findet man aber auch manchmal Höfe („Koronen") von ca. 40 /< Durchmesser, also einer besondersweitreichenden «Strahlung entstammend. Ein Blick auf die obige Tabelle belehrt uns, daß die größte Reichweite unter den angeführten radioaktiven Elementen dem Thorium C zukommt; diese ist in Luft 8,6 cm, in Glimmer berechnen wir nach der obigen Regel 39 //, was ganz vor- trefflich zu den beobachteten Werten stimmt. Man kann also durch eine einfache Messung der Durchmesser von pleochroitischen Höfen direkt die Art des radioaktiven Stoffes bestimmen, der in ihrem Innern anwesend warl (Abb. 8 zeigt die relativen Durchmesser der Sphären der a-Strahlung in Luft, sowie die Durchmesser pleochroitischer Höfe in Glimmer für die wichtigsten «Strahlungen.) Fragen wir nun, wie groß die Menge der radioaktiven Substanz gewesen sein muß, welche die beschriebene Erscheinung der pleochroitischen Höfe hervorgerufen hat, so können wir direkt durch Messung der Radioaktivität niclit mehr zum Reichweite der «-Strahlen in Luft und Glimmer. den älteren Eruptivgesteinen oft geradezu massen- haft entwickelt sind und dann auch die typischen Überexpositionserscheinungcn zeigen, welche wir oben erwähnt haben. Die radioaktive Bildung der pleochroitischen Höfe regt uns aber dazu an, zu versuchen, ob man nicht etwa eine einigermaßen anschauliche Vorstellung vom absoluten, d. h. in Jahren ausgedrückten Alter der einzelnen Gesteine erhalten kann. J. Joly und Ru t her ford haben in der Tat das reizvolle Problem in Angriff ge- nommen und einige ganz eigenartige Resultate erhalten. Berücksichtigt man, daß die Zahl der po- sitiv geladenen Teilchen, welche bei der « Strahlung von den radioaktiven Stoffen ausgesandt werden, ein Maß geben muß fürdie Intensität der durch sie aus- geübten physikalischen und chemischen Wirkung, so kann man z. B. durch Erzeugung künstlicher pleochroitischer Höfe auf Glimmer oder anderen Mineralien an Präparaten von bekannter Radioak- tivität Vergleichsobjekte herstellen, aus denen man auf die Intensität der Strahlung in den radio- aktiven Kryställchen im Inneren eines natürlichen Hofes Rückschlüsse machen kann. Die Anzahl N. F. XVn. Nr. 4S Naturwissenschaftiiche Wochenschrift. 637 der a-Teilchen, welche von dem Normalpräparat in einer bestimmten Zeit ausgeschleudert werden und auf eine bestimmte Fläche wirken, ist leicht zu berechnen. Wird dieselbe Verfärbung, welche dieses Präparat in einem bekannten Zeitraum bewirkt, auch in einem natürlichen pleochroiti- schen Hofe beobachtet, so müssen offenbar eben- soviele a Strahlen pro Flächeneinheit in den natür- lichen Objekten gewirkt haben, und die Zeit, während der sie auf den Wirt einwirkten, ergibt sich alsdann aus einer einmaligen Bestimmung des Gehaltes an radioaktiven Elementen, d. h. aus chemischen Analysen des Zeniralkörpers. In den zahlreichen Vorkommnissen, in denen das Mineral Zirkon als Zentralkörper in pleochroitischen Höfen des Biotits z. B. eingeschlossen sind, pflegt der Uranium-Gehalt 10 "/(, niemal» zu überschreiten. Im Mittel findet man sogar nur [4. lO^'' g U3 O« in 1 g Zirkon, was nach radioaktiven Messungen an dem- selben Mineral ungefähr einem Gehalt von 0,34 Millionstel "/o Radium im Zirkon entspricht. Die Masse der zentralen Zirkonkrystalle läßt sich aus mikroskopischen Messungen direkt bestimmen, also auch der Uraniumgehalt; aus obigem erfahren wir aber die Menge von a Teilchen, die im Laufe der Zeit auf den Wirt eingewirkt haben, d. h. die Menge des zerfallenen Uraniums, und wenn man die Intensität der Verfärbung bei einer bestimmten Radioaktivität kennt, so ermittelt man demzufolge das Alter des Einschlusses, d.h. die Dauer der Wirk- samkeit der «Strahlungen ohne besondere Schwierig- keit. Bei solchen Höfen, bei denen der charakteri- stische Durchmesser der Korona des Radium C auf- tritt, wissen wir, daß jedes Uranatom in den zent- bezeichnet; e ist die bekannte Basis der natür- lichen Logarhhmen (2,7183..). Den Gang der ganzen Rechnung erläutere ein Beispiel. An einem bestimmten pleochroitischen Hofe in einem devo- nischen Gestein hatte man beobachtet, daß die Intensiiät seiner Fäibung genau derjenigen ent- spricht, welche ein künstliches Präparat zeigte, das einem starken radioaktiven Piäparat ausgesetzt war. Die Wirk?amkeit des letzteren ist dadurch bestimmt, das man in der Zeit, während es wirkte, insgesamt 3,7.10'^ (37 Billionen) aTeilchen auf i cm'^ von ihm geliefert bekommen muß. Der natürliche Hof hatte einen Durchmesser von 32 ;W; auf seine Oberfläche, die sich daraus leicht berechnen läßt, müssen entsprechend viele, nämlich 5,9.10* a Teichen, eingewirkt haben, d.h. es müssen 5,9/8.10**= 74 Millionen Uianatome zerfallen sein, um sie zu liefern. Die Masse des Uranatoms ist bekannt, sie beträgt 3,81.10^'''^ g; die genannte Zahl von a-Strahlen ist also aus 2,82.10- " g Uran entstanden. In dem Zirkonkrystall, der als Kern in dem Hof gelegen war, fand man allerhöchstens lo^/o Uran; seine Masse bestimmte man aus einfachen Messungen unter dem Mikroskop zu 4,18 Billion- stel g, demnach sind tatsächlich im Maximum 0,418 Billionstel g Uran noch vorhanden (=w). Ehedem müssen (0,418 -{-0,0282) Billionstel g vor- handen gewesen scin(=m), mithinist 0,4 18 (0,41 8-j- 0,282) = e~^'7''''°°, woraus man erhält T = 470 Millionen Jahre. Als weiteres interessantes Beispiel für derartige Rechnungen mögen die Zahlenangaben in der nachstehenden Tabelle 2 gellen: Durchmesser Masse Durchmesser Intensität Zahl der Zerfallene Alter de s Zirkons des Hofes der Färbung «-Teilchen Uranmenge I f 0,243. 10-8 mg 36." Wie Präparat I 3.0-I0» 0,14- 10-10 mg 400 Millionen 12 n 0,418 „ 32 „ H 5.9 „ 0,28 „ 470 12 „ 0,418 „ 32 „ 1" 2,6 „ 0,12 „ 200 ,, 13 ,. o>506 32 „ I 5.9 „ 0,28 „ , „ 390 31 « 2,420 „ 36 „ I 7,4 „ 0,35 ., 100 „ Präparat I entsandle 1,5.10" a-Teilchen pro 1 „ II „ 3.7 „ III „ 1,6 „ ralen Zirkon insgesamt acht positiv geladene Teil- chen ausgesandt haben muß. Ist nun w die wirk- lich analytisch (in unserem Zeitraum) beobachtete Menge Uran, m die anfangs bei der Bildung des Zirkons in diesen hineingeratene Uranmenge, so lehrt eine F"ormel der Lehre von der Radioaktivität, daß das Verhältnis w:m eine Funktion der „Lebens- dauer" des Uranatoms L (diese ist zu 7,2 Milliarden Jahren bestimmt worden) und der ZeitT ist, während der die radioaktiven Strahlungen vor sich gingen. Der Ansatz lautet W/m = n/no = e-^/L worin n die Anzahl der noch jetzt vorhandenen Uran- Atome, n^ aber die zu Anfang vorhandenen Die Zahlen für das absolute Alter der Gesteine (oder vielmehr der pleochroitischen Höfe) setzen uns durch ihre ganz enorme Größe in Erstaunen; in Wirklichkeit sind diese auch nur als untere Grenzen zu betrachten, denn bei Annahme einer schwächeren Radioaktivität als der oben bespro- chenen müßte ja das Alter noch bedeutend größer werden 1 Wir kommen jedenfalls auf Grund unserer Überlegungen zu dem Ergebnis, daß z. B. Gesteine des unteren Devons vor mehr als 200— 300 Milli- onen Jahren gebildet worden seien 1 Die Unend- lichkeit des Weltgeschehens wird uns also an solch unscheinbaren Erscheinungen wie den pleo- chroitischen Höfen fast nicht minder eindringlich 638 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 45 gezeigt, als an den makrokosmischen Ereignissen des gestirnten Himmels. Vergleichbar einer Welt- katastrophe, dem Aufflammen eines neuen Sternes erscheinen uns die elementaren Vorgänge des radioaktiven Zeifalles in diesen zarten Gebilden wie in einer geheimnisvollen Runenschrift erhalten. Wie dort so auch hier sind die Zentren der Kata- strophen Ausgangspunkte geheimisvoUer Strahlen, die wir in ihren Wirkungen dort als Nebelwolke um den Schauplatz eines Weltenunterganges, hier als winzige und friedlich erscheinende pleochroi- tische Hötchen vor Augen treten sehen. Beides offenbart uns als staunenden Zeugen die Uner- meßlichkeit der Zeiträume, mit denen die bewe- genden Gesetze der Schöpfung als den Sekunden der Weltenuhr rechnen 1 — Blausäure zur Bekämpfung von Ungeziefer. Von L. Reh, Hamburg. Seit einiger Zeit werden deutsche Zeitschriiten und Zeitungen mit Aufsätzen und Artikeln über- schwemmt über die Anwendung von Blausäuregas gegen verschiedenes Ungeziefer, insbesondere Mehlmotten, Wanzen usw. Da sie fast stets den Anschein erwecken, als ob es sich dabei um neueste eigene Forschungen und Ergebnisse handele, er- scheint es angebracht, die ganze Frage einmal objektiv und historisch darzustellen. Die Anwendung von Blausäuregas zum Abtöten von Insekten ist schon sehr alt. Schon seit weit mehr als einem Menschenalter gehören die „Tötungsgläser", in denen ein Stückchen Cyankaliums in Gips eingebettet liegt, zum unent- behrlichen Rüstzeug jedes Insektensammlers. Die Feuchtigkeit des Gipses, bzw. die von den Insekten ausgeatmete Kohlensäure genügen, um aus dem Cyankalium so viel Blausäure frei zu machen, wie zur Ablötung der gefangenen Insekten nötig ist. Der Gedanke, Blausäure zur Bekämpfung von Ungeziefer im großen zu verwenden, lag also eigentlich nahe. Und bereits im Jahre i8bi, also vor nunmehr 37 Jahren, ließ die italienische Regie- rung durchaus zufriedenstellende Versuche zwecks Desinfektion von Pflanzen gegen Insekten an- stellen. 4 Jahre später begann ein amerikanischer Entomologe, Coquillett, seine berühmt ge- wordenen Versuche, die Schildläuse an Orange- bäumen durch Blausäure zu bekämpfen. Die Technik beider Methoden entwickelte sich immer weiter; im Jahre 1898, also vor nunmehr 20 Jahren, ging man dazu über, auch geschlossene Räume, Mühlen, Getreidelager, selbst Vv'ohnungen mit Blausäuregas „auszuiäuchern" oder „auszugasen". Alle diese Methoden sind, mit Ausnahme der ersten, in Amerika zuerst erprobt und dann in einer Weise ausgebildet worden, die sich ihre Entdecker in ihren kühnsten Träumen nicht aus- gemalt haben. Große Maschinen, Automobile usw. sind eigens dazu erbaut; nicht nur Obst-, sondern auch die größten Allee- und Parkbäume werden mit ungeheueren Zelten überdeckt, unter die dann das außerhalb erzeugte Blausäuregas eingeleitet wird. Auch in anderen Ländern fanden die glänzenden Erfolge der Amerikaner bald Nachahmung, zuerst in den englischen Kolonien, dann in England selbst, in Frankreich (1903), Spanien (1907), Holland (1909), neuerdings auch in den skandinavischen Ländern. Eine sehr umfangreiche Litteratur ist inzwischen über das Blausäure-Räucherungsverfahren erschie- nen. Das amerikanische Ackerbauministerium ver- öffentlicht seit 1902 eine Anzahl Flugblätter, die jedermann instand setzen sollen, das Verfahren nach Bedarf auszuüben, desgleichen das englische Ackerbauministerium 1905. 1903 bereits erschien in Amerika ein ausführliches Handbuch der ge- samten Methoden. Wie gesagt, ist namentlich die Technik des Verfahrens inzwischen, besonders in Amerika, aufs höchste entwickelt worden. Aber auch alle ein- schlägigen Fragen sine durch gründliche wissen- schaftliche Forschungen und Versuche vielmals erörtert und geklärt worden: die zweckmäßigsten Cyansalze, die Dosierung, Einfluß der Mengen von Schwefelsäure und Wasser, Verunreinigungen der Salze, Abhängigkeit der Wirkung von Wärme, Feuchtigkeit, Licht; Wirkung, bzw. Gefährlichkeit auf bzw. für den Menschen usw. usw. — Gegen- über allen diesen Veröffentlichungen sind die bei uns jetzt überall breitgetretenen Versuche mit weniger Ausnahme nur zwecklose Vergeudungen von Kraft, Zeit und Geld, bzw. nur Wiederholen des anderswo Erprobten. In Deutschland habe wohl zuerst ich Ver- suche über die Anwendbarkeit der Blausäure gegen Schildläuse angestellt, die ich im Jahre 1900 ver- öiTentlicht habe. 2 Jahre danach, 1902, berichtete Geh. Rat Dr. Moritz vom Kais. Gesundheitsamt über ebensolche, nur genauer ausgeführte Versuche. Im Jahre 1907 beschrieb Dr. Scherpe von der „Kais, biologischen .Anstalt für Land- und Forst- wirtschaft" eine „Linfache Vorrichtung zur Ver- tilgung tierischer Schädlinge an Feld- und Garten- eewärhsen mittels gasförmiger Stoffe (insbesondere Blausäure)". Irgend welche Folgen für die Praxis scheinen aber alle diese Veröffentlichungen nicht gehabt zu haben. Wie die übrigen, in Amerika erprobten Be- kämpfungsmethoden von Ungeziefer, suchte ich auch die Blausäureräucherung bei uns einzuführen und machte seit Anfang dieses Jahrhunderts schriftlich und mündlich bei jeder passenden Ge- N. F. XVII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 639 legenheit Propaganda dafür. Auch zunächst ohne Erfolg. Im Jahre 1911 hielt ich in dem damals be- stehenden Vereine der Hamburgischen Kammer- jäger eine Anzahl Vorträge über Hausungeziefer, in denen ich ebenfalls immer und immer wieder das Blausäureverfahren empfahl. Soweit mir be- kannt, machte nur e i n Kammerjäger einen Versuch damit. Durch einen Fehler verursachte er großen Materialschaden, der ihm die Sache verleidete, trotzdem er sonst guten Erfolg hatte. Erst 19 13 holte sich ein weiterer Kammerjäger bei mir Rat, um einen großen, freistehenden Lagerraum mit Mehl und Getreide von allerlei Ungeziefer zu reinigen. Er berichtete mir später mit großer Freude vom glänzenden Verlaufe des Versuches; von jetzt an wolle er das Blausäureverfahren überall da anwenden, wo es angebracht sei. Im Jahre 1916 unternahm die „Deutsche Gold- und Silberscheide - A nst alt" in Frankfurt a. M., die seither die Cyansalze nach Amerika geliefert hatte, Versuche, die Blausäure- räucherung in Deutschland einzuführen. Sie setzte sich mit den Proff. H eym ons- Berlin und Escherich- München in Verbindung zum Zwecke der Bekämpfung der Mehlmotte und stellte in A. Andres einen eigenen Entomologen für ihre Zwecke an. In demselben Jahre machte Feldarzt Prof. Dr. Hase -Jena Versuche zur Bekämpfung der Bett- wanze, die so vorzüglich verliefen, daß er eine größere Anzahl (97) Räucherungen im nächsten Jahre vornahm. Er dürfte demnach wohl die größte Erfahrung in Deutschland auf diesem Ge- biete haben und hat auch unserer Kenntnis des Verfahrens mehrfach bereichert. Das Jahr 1917 verschaffte der Blaiisäuremethode nun einen vollen Sieg, leider nur vorläufig. Dr. E. Teich mann- Frankfurt a. M. wandte sie gegen die Kleiderläuse an, Dr. St ellwaag-Neustadta.d.H. gegen Traubenwickler und Korkschädlinge, und ferner wurde eine Anzahl Mühlen gegen die Mehlmotte ausgeräuchert. Auch in Österreich fand die Methode Eingang. In demselben Jahre gelang es mir, einen weiteren, mir schon länger und als sehr zuverlässig und sorgfältig bekannten Hamburger Kammerjäger für das Verfahren zu gewiinnen ; eine größere Anzahl von Räucherungen gegen verschiedenes Ungeziefer verlief mit solchem Erfolge, daß auch andere hiesige Kammerjäger sich dafür zu interessieren begannen; wie ich höre, soll übrigens auch in anderen Städten Deutschlands von Kammerjägern schon seit Jahren mit Erfolg mit Blausäure ge- arbeitet werden. So schien alles in bestem Gange, und das Blausäureverfahren, für das ich schon mehr als 17 Jahre Propaganda gemacht und das die Kais.' Biologische Anstalt für Land- und Forstwirtschaft, also das offizielle Reichsinstitut, schon vor 10 Jahren öffentlich empfohlen hatte, schien, namentlich dank dem Eingreifen der Deutschen Gold- und Silber- scheide-Anstalt, nicht nur in Deutschland endgültig eingeführt zu sein, sondern auch, zum allgemeinen Nutzen, die verdiente Verbreitung und Würdigung zu finden. Da trat ein ganz unerwartetes Ereignis ein. In Berlin hatte sich, unter dem Vorsitze von Chemikern, ein „Technischer Ausschuß für Schäd- lingsbekämpfung" („Tasch") gebildet, der es, unter Ausnutzung der eigenartigen Rechts- oder vielmehr Machtverhältnisse des Krieges, verstand, das Blau- säureverfahren für sich zu monopolisieren und, durch Denunzieren bei der Hamburger Polizei, uns seine Anwendung zu verbieten I ^) Das war also der Erfolg und Lohn einer 17jährigen Werbe- arbeit ! Und welcher Schade durch dieses Monopol der Allgemeinheit zugefügt wird, ist in Zahlen kaum auszudrücken. Denn der Krieg hat den Kammerjägern fast alle ihre anderen, wirksamen Bekämplungsmittel: Schwefel, Insektenpulver, Ge- ■ treide und Zucker als Köder, usw. genommen. Doch nun wieder zur Methode selbst. Über ihre Anwendung in Mühlen gegen die Mehlmotte ist nun bald übergenug veröffentlicht worden, Richtiges und Unrichtiges. Es ist daher wohl nicht unangebracht, wenn ich nun die hier in Hamburg gegen anderes Ungeziefer erreichten Erfolge und angewandten Methoden schildere. Wir haben mit Blausäure geräuchert gegen Wanzen, Kleidermotten und Verwandte, Schaben, Fliegen, Ameisen, Holzkäfer (Anobien), in Schiffen, Baracken, Lagerräumen, Wohnungen, ferner gegen Gewächs- und Treibhausinsekten (diese s. später). Gegen alle ersteren haben wir mehr oder weniger volle Erfolge erzielt. Am leichtesten erliegen Fliegen; sie sind so empfindlich, daß z. B. solche, die sich außen an gegaste Holzbaracken setzten, nach wenigen Augenblicken abfielen, oder solche, die durch einen Gang flogen, durch den entlüftet wurde, herabfielen. Auch Wanzen sterben sehr rasch; doch sind sie häufig derart in Ritzen oder sonstwie versteckt, daß sie nicht genügend vom Gase erreicht werden; ihre Eier sind schon wieder- standsfähiger. Alle Sorten Motten sind sehr leicht zu vergiften; auch ihre Raupen erliegen leicht der Blausäure, leben jedoch auch öfters so versteckt, z. B. in der Polsterung von Ledermöbeln, daß sie dem Gase entgehen. Schon bedeutend widerstandsfähiger sind ihre Puppen, die ja an sich wenig atmen, dann noch von verschiedenen Hüllen umgeben sind. Auch die Eier der Motten ent- gehen der Behandlung leicht. Schaben sind wieder sehr leicht abzulöten, weniger Käfer, von denen besonders die Rüsselkäfer so wider- standsfähig sind, daß eine Räucherung gegen sie mit solcher Dosierung geschehen müßte, daß sie sich, wenigstens bei den jetzigen Kriegspreisen, nicht lohnen würde. Selbstverständlich werden auch andere Tiere, ') Ob es allerdings angängig ist, ein seit einem Menschen- aller im Auslande weit verbreitetes und auch im Inlande schon längst angewandtes Verfahren zu monopolisieren und zu ver- bieten, ist eine andere Frage. 640 Natu rwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 45 die sich in den behandelten Räumen befinden, mit abgetötet, besonders Mäuse, die dabei aus ihren Löchern herauskommen. Und so hätte die Blausäureräucherungf gerade gegen die Mäuse und wohl auch Ratten, die jetzt unseren Lebensmittel- vorräten so ungeheueren Schaden zufügen, vor- zügliche Dienste leisten können, wenn nicht eben das Verbot durch den „Tasch" dazwischen ge- kommen wäre. Nun zur Technik der Räucherung. Sie ist anzuwenden überall, aber auch nur da. wo es sich um die Beseitigung von Ungeziefer in ge- schlossenen,abdichtbaren Räumen handelt. Auf letzteres muß besonders da Gewicht gelegt werden, wo es sich um Räume handelt, die nicht für sich allein, sondern mit anderen Wohn- oder Arbeitsräumen unter einem Dache liegen. Hier darf, falls diese Räume nicht für die Dauer der Ausgasung geräumt werden können, nur dann geräuchert werden, wenn der betr. Raum gut ab- dichtbar ist. Dann kann es aber auch ruhig ge- schehen ; wir haben mehrfach einzelne Räume in bewohnten Häusern bzw. Wohnungen ausgegast. Die Räucherung zerfallt in 4 Abteilungen: die Vorbereitung, die eigentliche Ausgasung, dieLüftung unddie Beseitigu n g derRück- stände. Bei ersterer ist zunächst der Raum bis auf einen Zugang zu verschließen und gut ab- zudichten, durch Verkleben aller Ritzen, Fugen usw. mit Papier. Nach Berechnung seines Rauminhaltes und seinen sonstigen Eigenschaften wird die Dosierung bestimmt und werden die Gefäße, aus Holz, Steingut, Porzellan oder guter Emaille, im Räume verteilt und mit Flüssigkeit be- schickt. Man nimmt lieber mehrere kleine als ein großes Gefäß, auf jeden Fall nie mehr als 18 1 Flüssig- keit bzw. I ^'2 kg Cyannatrium auf ein Gefäß. Das Cyansalz wird entsprechend abgewogen für jedes Gefäß, und die betr. Menge, in Zeitungspapier eingeschlagen, neben jedes Gefäß gelegt. Nach- dem nun alle überflüssigen Personen den Raum verlassen haben, werden von i oder höchstens 2 Personen schnell die Cyansalzpäckchen in die Gefäße gelegt, von hinten bzw. oben angefangen, der Raum verlassen und auch dieser letzte Zugang von außen gut verschlossen und abgedichtet. Nachdem noch überall Schilder mit der Aufschrift: Betreten verboten! Lebensgefahr! befestigt sind, wird er sich selbst überlassen, wenn nötig unter Bewachung durch Posten. Nachbarräume, auch darüber und darunter liegende, .sind dabei unter Aufsicht zu halten. In Amerika hat man besondere Apparate konstruiert, in denen das Gas außerhalb der zu vergasenden Räume erzeugt und dann durch Schläuche in diese eingeleitet wird. Sie finden im allgemeinen nur Anwendung bei der Räuche- rung von Bäumen unter Zelten (s. u.), haben auch solche Nachteile, daß man sie nur da gebrauchen sollte, wo es gar nicht anders geht. Nach der bestimmten Zeit erfolgt die Lüf- tung, bei der zunächst Zugänge von außen zu öffnen sind, womöglich so, daß Gegenzug ent- steht. Später können dann auch von innen alle übrigen Öffnungen aufgemacht werden, und je nach der Möglichkeit der Lüftung kann der Raum nach ^4 — i Stunde wieder betreten werden, wenn auch eigentliche Benutzung noch hinaus- zuschieben ist. Schon während der Lüftung kann mit der Beseitigung der Rückstände begonnen werden. Die Gefäße werden zugedeckt fortgeschafft, der Inhalt wenn irgend möglich tief vergraben (nicht in der Nähe von Pflanzen), oder, unter ausgiebiger Spülung, in den Abort gegossen. Zur Erzeugung der Blausäure benutzte man ursprünglich Cyankalium, das in verdünnter Schwefelsäure gelöst wurde. Aber schon seit vielen Jahren (im Kaplande seit 1905, in Amerika seit 1908) nimmt man fast nur noch Cyan- natrium (NaCN), das eine viel stärkere Aus- nützung ermöglicht. Durch zahlreiche Versuche hat man bei uns zu ermitteln sich bemüht, welche Dosierung man gegen die einzelnen Insekten anzuwenden habe, um schließlich doch nur zu finden, was man im Auslande bereits seit vielen Jahren weiß, daß man als Durchschnittsdosierung i Vol. -Prozent be- trachten darf, also eine Stärke, bei der auf lOO cbm Raum I kg Blau';äure kommt. Hierzu benötigt man für 100 cbm Raum 2,7 k NaCN, 4 1 Schwefel- säure (60 Be), und 8 1 Wasser. Selbstverständlich muß man die Dosierung jedem einzelnen Falle anpassen. Fliegen brauchen weniger als Kleidermotten, Holzkäfer mehr. In einem dichten Räume genügt eine geringere Do- sierung als in einem nicht völlig abdichtbaren. Bei höherem Räume muß man stärkere nehmen, als bei niederem, ebenso im Winter mehr als im Sommer, bei kurzer Ausgasung mehr als bei langer usw. Als D a u e r genügt in vielen Fällen l — 2 Stunden. Je mehr man aber nehmen kann, umso besser. Wir haben in manchen Fällen bis zu 24, selbst 48 Stunden geräuchert, besonders bei großen, hohen, nicht einheitlichen und nicht völlig ab- dichtbaren Räumen. Als einzige Vorsichtsmaßregeln, abge- sehen von denen für Menschen, kommen bei der Blausäurevergasung nur in Betracht: lebende Pflanzen sind vorher aus dem Räume zu entfernen, ebenso alle Flüssigkeiten und wä'^srigen Stofi'e. Alles andere, alle Metalle und Stoffe, Bilder usw., selbst trockene Lebensmittel (Getreide, Hülsen- früchte, Mehl, sogar trockenes Brot) können ruhig in dem Räume bleiben und nach gehöriger Lüftung genossen werden. Eigentümlich ist, daß in manchen Fällen die Flüssigkeit nach Zusetzen des Cyansalzes sehr stark auf — , oft sogar überbraust. Dadurch können unter den Gefäßen liegende Teppiche (wie in jener erster Anwendung in Hamburg) oder der Fußboden beschädigt werden. Dem kann man aber vor- beugen, indem man möglichst große Gefäße nimmt, N. F. XVn. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 641 sie natürlich nie auf einen Teppich oder ähnliches stellt, ferner noch dicke Lagen Zeitungs- oder Packpapier unterlegt. Außerdem handelt es sich hier nur um Ausnahmefälle. Nun zur Gefähr lichk eit für den Menschen. Sie ist natürlich vorhanden, wird aber allgemein ungeheuer übertrieben, und diese fa'^t abergläubige Furcht hat ja auch zum Verbote der Räucherungen in Hamburg geführt. Zweifellos ist Blausäure ein starkes Gift. Aber zunächst kommt es doch nur in sehr verdünnter Form zur Anwendung; dann ist jede Schä igung durch gute Abschließung völlig fernzuhalten; und schließlich sind leichtere Ver- giftungen damit ohne dauernde Gefahr. Selbst bei schwereren ist nach einigen Stunden Aufent- haltes in frischer Luft, spätestens am anderen Morgen, jede Nachwirkung verflogen. Ich habe mich bei den Räucherungen, denen ich beiwohnte, immer wieder überzeugen können, wie äußerst ge- ring die Gefährlichkeit in Wirklichkeit ist. Und so hat denn auch der Leiter der entomologischen Abteilungdesamerikanischen Ackerbau-Ministeriums noch vor kurzem feststellen können, daß bei den vielen tausenden von Blausäure-Ausgasungen erst 2 Unglücksfälle vorgekommen sind, und zwar nur durch außerordentliche Unvorsichtigkeit der Be- troffenen. Nun zu den Vorzügen der Blausäuremethode. Es sind dies: 1. Die große Durchdringungsfähigkeit des Gases, wodurch es bis in die letzten und ver- stecktesten Schlupfwinkel dringt und alles abtötet. So fallen alle die bei anderen Gasen nötigen Vor- bereitungen, wie Ablösen der Lamperieen, Tapeten, Möbelüberzüge usw. für gewöhnlich weg. Diese Durchdringung findet übrigens nicht nur nach oben statt, sondern auch nach unten, daher, wie erwähnt, die Mäuse aus ihren Löchern getrieben und getötet werden. Ebenso wurden z. B. im Boden eines Zimmers befindliche Ameisen nach Ablösen des Fußbodens vollständig beseitigt. 2. Die schnelle und kräftige Wirkung, die, wenn nötig, nur i — 2 Stunden zu währen braucht. Dadurch kann Blausäure noch angewendet werden in vielen Fällen, in denen andere Gase, wie Schwe- fel oder Kohlendioxyd, ihrer langen Anwendungs- dauer wegen ausgeschlossen sind. Auch vermindert die kurze Dauer die Gefährlichkeit, weil natürlich ein Raum nur i — 2 Stunden leichter überwacht werden kann, als I — 2 Tage. 3. Die große Flüchtigkeit, die das baldige Betreten und Benützen des betreffenden Raumes ermöglicht und natürlich wiederum auch die Ge- fährlichkeit herabmindert. 4. Es werden, wie erwähnt, keinerlei trockene Stoffe vom Blausäuregase angegri ffen , im Ge- gensatze zu den sonst meist verwandten Schwefel- dämpfen, die Baumwolle und Leinen ganz zerstören, Wolle und Seide angreifen, mindestens aber in ihren Farben verändern, blanke Metalle oxydieren. Zwar kann man diese Nebenwirkungen der Schwe- feldämpfe z. T. beseitigen, aber kaum ganz und nur durch sehr zeitraubende Vorbereitungen. 5. Ist das Blausäuregas in schwachen Dosierun- gen nicht entzündlich, also nicht feuergefährlich, wie der sogar hochgradig explosible Schwefel- kohlenstoff. 6. Die verhältnismäßig geringe, weil leicht ver- meidbare Gefährlichkeit für den Menschen und die äußerst geringen Nach wir ku n gen, im Ge gensatze zu den äußerst gefährlichen und lang an- dauernde Krankheiten erzeugenden Schwefel- dämpfen. Wie aus allem zu ersehen, sind die Schwierig- keiten des Verfahrens eigentlich nur technischer Art. Die berufenen Kräfte zu seiner Ausübung sind daher die Kammerjäger und Desinfektoren, die berufsmäßig mit den stärksten Giften (Schwefel und Schwefelkohlenstoff, Phosphor, Strychnin, Schweinfurter Grün, Cyansalze in fester Form) ar- beiten, vor allem aber auch ständig, z. T. alltäg- lich. Räucherungen vornehmen, meist sogar mit dem viel gefährlicheren Schwefelkohlenstoff. Sie wissen mit Giften umzugehen, kennen besonders die Technik der Räucherung, des Abdichtens, Lüftens usw. ganz genau. Was das sagen will, habe ich beobachten können, als ich 2 Räucherun- gen durch akademische „Sachverständige" bei- wohnte, bei denen Unglücksfälle nur durch die geringe Gefährlichkeit des Gases, bzw. durch mein Eingreifen verhütet wurden. Nun kurz zu meinen Räucherungen von Ge- wächshäusern. Ich wandte zuerst die in Ame- rika vorgeschriebene Dosierung, 0,66 g NaCN auf I cbm Raum, an. Dadurch wurde nur ein Teil der Blattläuse und der Mottenschildläuse getötet; rote Spinne, Asseln, Ameisen blieben am Leben. Bei doppelter Dosierung und 12 Stunden Dauer konnte ich gegen die Tiere nicht viel mehr erreichen, dagegen litten die Pflanzen, mit Ausnahme der mit harten lederartigen Blättern, ganz beträchtlich. Bei Räucherung mit ^2 Vol.- Proz. gingen zwar fast alle Tiere ein, aber auch fast alle Pflanzen. Selbst- verständlich wären weitere Versuche nötig. Wie erwähnt, hat das Blausäureverfahren seine höchste Ausbildung in Amerika bei der Räucherung von Freilandbäumen, besonders Obst-, aber selbst den höchsten Park- und Alleebäumen erreicht. Die Bäume werden von großen Zelten aus luft- dicht gemachter Leinwand bedeckt, unter die die außerhalb in besonderem Apparate erzeugte Blau- säure eingeleitet wird. In Deutschland wird dieses Verfahren nie solche Bedeutung bekommen, weil bei uns eine ganz andere Baumkultnr herrscht. Da- gegen dürfte die Verwendung in Weinbergen wohl eine Zukunft haben. Der frühere Plan der „Taschs" aber, ganze Getreidefelder oder gar Dorffluren gegen die Schädlinge zu vergasen, entsprechend den Gasangriffen im Kriege, konnte nur im Kopfe völliger Laien in Biologie und Schädlingsbe- kämpfung entstehen. 642 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 45 In Amerika und Frankreich hat man ferner Blausäure auch gegen unterirdisch lebende In- sekten verwandt, indem man wäßrige Lösungen von Cyansalzen in die Erde brachte. Die Erfolge sollen sehr gut gewesen sein. Kürzlich'las ich einen Bericht, nach dem ein deutscher Gärtner von der Kohlfliege befallene Kohlpflanzen dadurch gerettet habe, daß er je ein Stückchen Cyankaliums in die Erde neben die befallenen Wurzeln steckte. In den Jahren 1914 und 1915 veröfi'entlichte Sanford Versuche, festsitzende Baumparasiten dadurch zu beseitigen, daß er Blausäure in den Baum einführte. Er bohrte in den Stamm ver- schiedener von Schildläusen befallener Bäume je ein Loch, in das er i g NaCN einfügte. Die Läuse seien abgefallen, die Bäume hätten nicht gelitten. Diese Versuche habe ich wiederholt, indem ich je 2 von Stammwolläusen befallene Buchen bzw. Weymouthskiefern ebenso behandelte. Letztere beide stießen das Gift sehr bald wieder aus, unter starkem Harzflusse. Die eine Buche hat die Läuse zwar so gut wie verloren, zeigt aber um die Ein- bohrstelle eine etwa i o — 1 5 cm hohe und breite Stelle, in der Rinde und Bast abgestorben sind; die andere Buche wurde bald nach der Anbohrung gefällt Weitere Versuche sind dringend erwünscht. Wie eingangs bemerkt, kann diese Übersicht wenig Neues bieten. Sie wollte nur falsche oder irreführende Darstellungen und Ansichten richtig stellen und auf die große Bedeutung des Verfah- rens hinweisen, das eine große Zukunft hat, wenn man es aus den Zwangsbeschränkungen unange- brachter behördlicher Maßnahmen befreit und seine Anwendung den erfahrenen Sachverständigen überläßt. Nachtrag: Inzwischen hat der „Tasch", z.T. auf meine Veranlassung hin, wenigstens einigen Kammerjägern die Ausübung des Blausäurever- fahrens ermöglicht, auch sonst sich freieren An- schauungen geneigt gezeigt, wenn er auch anderer- seits das Verfahren noch weiter „militarisiert" hat. Doch steht zu hoffen, daß mit dem Kriege dieser Mißgriff, den zu tun Deutschland vorbehalten blieb, auch sein Ende finden wird. Einzelberichte. Paläontologie. Tertiäre Vogelreste von Regens- burg und die jungmiocäne Vogelwelt bespricht L. von Ammon in einer interessanten Studie in den Abhandlungen des naturwissenschaftlichen Vereins zu Regensburg, 12. H. 19 18. Fossile Vogelreste gehören zu den selteneren Funden und sind stets sehr wertvolle Gegenstände. Die Regensburger Funde entstammen einer obermio- cänen Tongrube in der Nähe von Regensburg zwischen Dechbetten und Prüfening, welche bereits schöne Schildkröten (Trionyx und Clemmys), ein Krokodilskelett und viele Säugetierknochen und Zähne aus der Fauna der Dinotheriensande ge- liefert hat. Infolge der höchstspärlichen ornithopaläontolog. Literatur Deutschlands gestalteten sich die Unter- suchungen sehr schwierig und mußte vielfach vergleichshalber auf die Skelette heutiger Vögel zurückgegriffen werden. Eine sehr gute Grundlage gab das Tafelwerk von Milne-Edwards über die fossilen Vögel Frankreichs. Die obermiocäne Vogelfauna von Regensburg ist vertreten durch: 1 . Phalacrocorax praecarho von Ammon. Kormorane sind in verschiedenen Tertiärab- lagerungen nachgewiesen, so vonMombach bei Mainz, Ries, Allier, Odessa; am letzteren Orte ist der lebende Kormoran (Phalacrocorax carbo) nicht selten. 2. Ardea BrunJmberi von Ammon. Auch Reiherknochen sind im europäischen Miocän mehrmals angetroffen worden, so in Steinheim, Ries, Weisenau bei Mainz, Sansan, Orleanais, Allier. 3. Botaurifes avitiis von Ammon. Unser Stück paßt auf einen Ardeiden aus der Familie der Rohrdommeln. Bisher sind keine Reihervögel aus dieser Familie im europ. Tertiär nachgewiesen worden. 4. Anas cf robicsta Milne-Edwards. Kommt auch in Sansan vor, vielleicht auch im Ries. Ganz typische fossile Enten sind in Europa schon aus dem Oligocän bekannt, Gänse und Schwäne seit dem Miocän; Deutschland, Belgien, Frankreich. ' Am häufigsten ist Anas Bianchardi, eine verhältnismäßig kleine Art von der Größe der rezenten Brautente; Weisenau, Preschen bei Bilin, Skiritz bei Brüx. Andere Arten sind von Oeningen, Steinheim und dem Ries bekannt. 5. Ga litis lojigaevus von Ammon. Reste von Hühnervögeln kommen schon im älteren Tertiär vor. Der Truthahn (Meleagris) im Oligocän von Nordamerika. Aus ganz jungen diluvialen Ablagerungen Mitteleuropas werden Birkhahn, Auerhahn, Rebhuhn, Wachtel, Schnee- huhn genannt. 6. Phasi'anus angus/us von Ammon. Tertiäre Fasanen sind in Europa seit dem Miocän bekannt. Phasianus altus von Sansan (Obermiocän) hat die beträchtliche Größe eines Pfaus und kommt in weiter Verbrehung vor. Die Regensburger Funde sind nur durch N. F. XVII. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 643 einzelne Knochenreste vertreten, welche infolge des Vorkommens im Ton gut erhalten sind. Obermiocäne Vögel, also vom Alter der Regensburger Vögel kommen noch an folgenden wichtigen Fundorten vor: O e n i n g e n bei Konstanz mit seinem 30 — 50 m mächtigen Kalkmergelhorizont der oberen Molasse Südbadens hat mehrmals Vogelreste geliefert; Anas, Anser, Phasianus, Totanus. St ein heim bei Heidenheim a. d. Brenz (Württbg.) und das Ries sind als wichtige Fund- plätze zu nennen. Hier sind Wasser- und Sumpf- vögel nachgewiesen worden, die an den Fund- plätzen geblutet und genistet haben, da sowohl Eier als auch Nester im Tertiärkalk gefunden worden sind. Bisweilen ist Knochen an Knochen zu einer fußmächtigen Vogelknochenbreccie ver- backen. Vertreten sind Enten, Strandläufer, Peli- kane, Kraniche, Ibis, Flamingos, Möven, Kor- morane usw. In Sansan (Frankr.) kommen Tagraubvögel, Sperlingsvögel, Hühner, Reiher, Sumpfhühner, Totaniden und Lamellirostres vor. Die europäische Vogelfauna bestand zur jüngeren Miocänzeit aus 60 Arten, indessen ist es sicher, daß diese Zahl nur ein kleines Bruch- stuck der damaligen Vogehvelt bildet. Die haupt- sächlichsten Vertreter stammen von Wasserplätzen, worauf die Enten bzw. Gänsevögel, Hühner oder hühnerartige Vögel, Reiher, Ruderfüßer aus der Gruppe der Kormorane, Pelikane, Sumpfhühner, dann Ibis- und Flamingovögel hinweisen. Auch die Sperlingsvögel waren reichlich vertreten. Die Arten lassen sich dem jetzigen Systemschema (Gadow im Bronn'schen Werk) zwanglos einreihen. Fremdartige Formen treten in der Ornis des oberen Miocäns erheblich zurück. Gewisse Typen wie Ibis und Pelikan deuten auf ein den jetzigen Verhältnissen gegenüber wärmeres Klima. Zur älteren Miocänzeit dürften die fremdartigen P'ormen stärker vertreten gewesen sein. Die oberoligocäne Vogelwelt Frankreichs (AUier) zeigt ein Gepräge, wie wir sie heute an mittelafrikanischen Seen an- treffen und die Reste der noch älteren eocänen Quercyfauna weisen fremde F"ormen auf, die selbst dem Systematiker große Schwierigkeiten bereiten. Der bekannte Spruch „Den Vogel erkennt man an seinen Federn", hat für den Paläontologen nur geringe Bedeutung, da die Federn als zarte Gebilde zumeist schlecht erhalten sind. Der jurassische Urvogel Archaeopteryx aus dem litho- graphischen Schiefer von Solnhofen und Eichstätt ist bereits in seiner Befiederung bekannt; sein Flugvermögen scheint ähnlich oder etwas weniger kräftig wie das eines Rebhuhns oder F'asans gewesen zu sein. Sehr schöne Federabdrücke kommen im Ries an mehreren Stellen sowie bei Oeningen vor, außerdem sind sie auch in den Braunkohlenablagerungen von Senftenberg (Nieder- lausitz) gefunden worden. Fossile Eier von Enten und Pelikanen sind im Nördlinger Ries, sowie im Zellertal bei Kirch- heimbolanden nachgewiesen worden. Der Verfasser dieser schwierigen und zeit- raubenden, aber auch umso interessanten Arbeit spricht zum Schlüsse die Bitte aus, es möchten alle Vogelversteinerungen sorgfältig gesammelt werden und bei Gelegenheit einem Kundigen zur wissenschaftlichen Bestimmung übergeben werden. Hohenstein, Halle. Zoologie. Unter Mimikry versteht man die Nachahmung eines durch Waffen, widerlichen Geschmack, Ekel erregenden Duft oder dergl. geschützten Tieres durch ein anderes ungeschütztes. Diese Nachahmung kann sich auf P'orm oder Farbe (oder beides) erstrecken. Durch Zuchtwahl soll jede Generation des nachahmenden Tieres dem Vorbilde immer ähnlicher und dadurch immer mehr des Schutzes teilhaftig geworden sein, den dieses infolge seiner Schutzvorrichtungen genießt. Gegen diese Mimikry -Hypothese wendet sich Heikertinger- Wien in seiner Arbeit „Die Bienenmimikry von Eristalis" (Zeitschr. f. wissen- schaftl. Insektenbiologie. XIV. H. 1—4). Die Schlammfliege Eristalis (deren im Schlamm lebende Larven als Rattenschwanzlarven bekannt sind) ist eins der bekanntesten Beispiele für die Mimikry, da sie der Honigbiene täuschend ähnelt. Still- schweigende Voraussetzung für die Mimikry ist natürlich, daß das nachgeahmte Tier durch seine Waffen auch wirklich geschützt ist. Dies ist aber nicht der Fall. Die Biene wird ihres Stachels wegen von anderen Tieren durchaus nicht ver- schmäht. Als Vögel, die sich von Bienen und Wespen nähren, sind nachgewiesen: Wespen- bussard, Turmfalk, Tannenhäher, Eichelhäher, der graue Würger, Dorndreher, Fliegenfänger, Amsel, Kohlmeise, Grasmücke, Kuckuck. Da das be- wehrte Insekt mit dem hornigen Schnabel gefaßt und zerdrückt wird, hat es zum Stechen ja über- haupt keine Gelegengeit. Da nun die Biene selbst durch ihren Stachel bei den Vögeln keinen Schutz genießt, kann also auch die Schlammfliege durch ihre Ähnlichkeit mit der Biene nicht geschützt sein. Nach den Beobachtungen Heikertinger's werden die Bienen auch von Amphibien genom- men. Zwar suchen sich diese des Insektes, wahr- scheinlich durch den Stich veranlaßt, wieder zu entledigen; da dies aber wegen der Klebrigkeit der Zunge nicht so schnell möglich ist, wird es dann doch hinuntergeschluckt. Dabei wurde niemals beobachtet, daß ein Frosch oder eine Kröte durch den Stich Beschwerden gehabt hätten. Ein Laub- frosch, der eine Zeitlang mit Wespen gefüttert wurde, nahm ohne weiteres auch die Schlammfliege. Unter den Raubinsekten sollen die Raubfliegen die Honigbiene geradezu bevorzugen. Nach Da hl sollen die Blüten besuchenden Bienen oft eine Beute der in den Blüten lauernden Krabbenspinnen werden, die sie immer so zu halten wissen, daß der Stachel sie nicht trifft. 644 bjaturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 4S Von verschiedenen Seiten ist nun behauptet worden, nur die stachellosen Drohnen, nicht aber die bewehrten Arbeitsbienen würden von den Vögeln gefressen. Der Vogel müßte also eine fliegende Drohne von einer Arbeitsbiene unter- scheiden können. Sollte er dann aber nicht auch imstande sein, eine Fliege von einer Biene zu unterscheiden ? Außerdem kommt hinzu, daß die Schlammfliege nicht die bewehrte Arbeitsbiene, sondern die ungeschützte Drohne nachahmt. Zunj Wesen der Mimikry gehört nach W a 1 1 a c e als eins der Hauptmerkmale, daß das nachäffende Tier sich augentallig von der Mehrzahl seiner Verwandten unterscheidet. Dies ist bei Eristalis jedoch nicht der Fall. Aber die ganze Mimikryhypothese enthält schon einen Widerspruch in sich selbst. Wenn die Ähnlichkeit durch natürliche Zuchtwahl ent- standen ist, wenn also die am meisten geschützten Individuen erhalten blieben und ihre günstigen Eigenschaften auf ihre iNachkomrnen vererben, so muß doch von vornherein schon ein gewisser Schutz, hervorgerufen durch eine gewisse Ähnhch- keit, vorhanden gewesen sein, kann also durch Zuchtwahl wohl weiter ausgebildet, nicht aber erworben sein. Bei vielen Tieren sehen wir eine wunderbare Anpassung an ihre Umgebung durch ihre Farbe. Auch diese Schutzfärbung ist durch Auslese ent- standen. Wehrhafte Tiere haben derartigen Schutz nicht nötig, sie können sich im Vertrauen auf ihre Waffen frei bewegen; für sie ist im Gegen- teil grelles Abheben von der Umgebung vorteil- haft, da hierdurch ihre Feinde schon von weitem gewarnt werden. So zeichnet sich die Wespe durch grelle Warnfärbung aus, die ebenso be- wehrte Biene dagegen hat dunkle Schutzfärbung. Auch aus diesem Grunde genießt die Schlanim- fliege durch ihre Nachahmung also keinen Schutz, denn da sie ständig in lebhafter Bewegung ist, fällt sie eben durch diese Bewegung auf, ohne aber zu warnen. Endlich muß man sich doch fragen: warum ist es nötig, daß gerade die Schlammfliege durch Nachahmung der wehrhaften Biene sich schützen muß, während die anderen Fhegenarten ohne Mimikry erhallen bleiben ? Als Ergebnis seiner Untersuchungen über die Mimikry stellt Heikertinger folgende vier Sätze auf: 1. Eristalis selbst wurde bei allen Versuchen schutzlos gefressen; 2. sein angebliches Modell, die Biene, wird nachweislich von jenen Tieren, die auf fliegende Insekten von Bienengröße Jagd machen, schutzlos gefressen ; 3. der Eristalis ist von dem typischen Fliegen- habitus seiner Verwandten nicht im mindesten abgewichen; diese Abweichung wäre aber der Mimikryhypothese gemäß eine unerläßliche Vor- aussetzung für die Annahme einer Nachäffung; 4. die Herausbildung einer „Nachäffung" durch Auslese ist unvorstellbar, weil die Ähnlichkeit in wirksam täuschender Ausbildung bereits vorliegen muß, ehe eine Auslese einsetzen kann. Was Heikertinger in seiner Arbeit von der Schlammfliege sagt, soll nicht nur von dieser selbst gelten, sondern es soll ein typisches Beispiel zur Widerlegung der Mimikryhypothese überhaupt sein. Heycke. Soziale Züge bei solitären Bienen. Im Gegen- satz zu den siaatenbildenden Hauiflüglern, wie den Hummeln und Bienen, fehlen den solitären Bienen die Arbeiter, und das Weibchen stirbt bald nach der Eiablage. Mit dem Bau das Nestes, dem Eintragen von Nahrungsvorrat für die Brut und der Bestiftung der Zellen hat es sein Lebens- werk getan. Eine Ausnahme in der F"ülle dieser „einsam lebenden Bienen'' macht die Gattung Halictus und namentlich Halictus quadricinctus F. Durch die Mitteilungen von C. V erhoff und namentlich von H. von Buttel-Reepen wissen wir, daß das Weibchen von Halictus quadricinc- tus F. das Ausschlüpfen der jungen Brut erlebt und somit in unmittelbare Berührung mit ihren Kindern kommt. Dieses Verhalten ermöglicht eine ungezwungene Erklärung für die Entstehung der hochentwickelten Staatenbildungen anderer Hymenopteren aus ursprünglichen Anfängen. Über Halictus sind neuerdings zwei Aufsätze erschienen, die Beachtung verdienen. Zunächst hat der bekannte Bienenkenner Friese eine An- zahl Formen des Halictus quadricinctus F. und anderer Halictusarten untersucht und systematisch bearbeitet. (Die Formen des Halictus quadri- cinctus F". sowie einige neue Halictusarten der paläarktischen Region von Dr. R. Friese, Schwerin. Deutsche entomologische Zeitschr. 1916.) Er gibt dazu eine kurze Übersicht des biologischen Verhaltens von Hai. quadricinctus F. und vor allem 2 Abbildungen, die den eigentümlichen Nestbau deutlich wiedergeben. Er besteht im wesentlichen aus einer langen zylindrischen und senkrecht gebohrten Röhre, von der aus seitlich I — 2 Dutzend horizontal gerichtete Zellen an- gelegt werden. In der Umgebung dieser „Wabe" gräbt nun das Weibchen bis auf wenige Stützen die Erde weg, so daß sie ähnlich wie ein Wespen- nest fast frei in ihrer Erdhöhlung hängt. Die dritte Abbildung zeigt die Nestanlage von Hai. sexcinctus F., bei dem die Zellen wohl auch seit- lich von einem Haupteingang, der hier horizontal liegt, abstehen, aber nicht nachträglich frei heraus- gearbeitet werden. Das Nest stimmt somit in fast allen Zügen mit dem anderer solitärer Bienen überein. Doch bleibt auch hier der bio- logische Zusammenhang zwischen dem Weibchen und den Nachkommen gewahrt. Weiterhin veröffentlichte K. von Frisch im biologischen Zentraiblatt 1918 Bd. 38 einen „Bei- trag zur Kenntnis sozialer Instinkte bei solitären Bienen". Er fand Ende Juli 19 17 an einem regnerischen Tag sechs Halictusmännchen, die N. F. XVn. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 645 sich an einem dünnen Halrfi der Komposite Buphthalmum salicifolium zusammengedrängt hatien. Die Tiere saßen bald unbeweglich fest, bald wurden sie lebhafter und machten auch kleinere und größere Ausflüge, kehrten aber immer wieder an ihren Platz zurück. Diese Beobachtung konnte Frisch an mehreren Tagen hintereinander machen. Ein ähnliches fortgesetztes Festhalten von Halictusmännchen an einer eng umgrenzten Örtlichkeit ist bisher nicht festgestellt worden. Ein gewisser Instinkt der Zusammengehörigkeit muß sie zusammengeführt haben, denn es ist nicht einzusehen, warum gerade der bevorzugte Stengel als Ruheplatz beibehalten wurde, obwohl in der Nähe noch andere standen, die sich von diesem einen in keiner Weise unterschieden. Auch konnte ihr Zusammentreffen nicht zufällig sein, wie man es bei massenhaftem Vorkommen an- nehmen könnte, denn in der Umgebung war weit und breit kein Halictusmännchen zu sehen. Ebensowenig konnte sie etwa ein Verweilen an gemeinsamer Geburtsstätte oder Wärmebedürfnis zusammengeführt haben. Diese Beobachtung über Halictusmännchen reiht sich an die oben erwähnten kurzen Andeutungen über soziale Instinkte bei Halictusweibchen zwanglos an. Leider ist bei Frisch nicht angegeben, an welcher Halictusait er seine Beobachtungen gemacht hat. Dr. Stellwaag. Über seine Versuche zur Bekämpfung der Fliegenplage berichtet Teichmann in der Zeitschr. f. angewandte Entomologie (Bd. IV, H. 3). Die Fliegen werden, wenn sie in größerer Zahl auftreten, nicht nur außerordentlich lästig, son- dern durch Übertragung von Krankheiten auch äußerst gefährlich. Durch die Behaarung des Körpers und den Rüssel werden die Krankheits- erreger nicht nur auf Nahrungsmittel übertragen, sondern durch den Stich mancher Arten auch direkt ins Blut übergeführt. Manche Bakterien können auch den Darm durchwandern, ohne ihre Ansteckungsfähigkeit einzubüßen. Eine derartige Übertragung durch Fliegen ist z. B. nachgewiesen bei Ruhr, Typhus, Cholera, Tuberkulose, Diph- therie, Pest. Der Wadensfecher (Stomoxys cal- citrans) gilt außerdem als Verbreiter der Milz- brandbakterien. Diese Gefährlichkeit erklärt es, daß man mit allen Mitteln versucht hat , der Fliegenplage Herr zu werden. Diese Mittel dienen entweder zur Abwehr oder zur Vernichtung, Letztere wieder richten sich gegen die ausgebildeten Insekten oder deren Brut. Gegen erstere werden Fallen und Gifte (Formalin, Arsen, Karbolsäure) angewandt. Gegen die Brut benutzt man Chlor- kalk, Eisensulfat, Borax, Schwefelkalk. Diese Mittel sind zum Teil nicht genügend wirksam, zum Teil auch zu teuer, oder sie schädigen den Dung, der mit ihnen durchtränkt werden muß. Teich - mann benutzte nun zu seinen Versuchen den jetzt zur Vertilgung schädlicher Insekten so häufig angewandten Cyanwasserstoff. Er erprobte seine Wirkung an drei Arten von Fliegen: der Stuben- fliege (Musca domestica), der kleinen Hausfliege (Homalomyia canicularis) und der Stechfliege (Sto- moxys caicitrans). Die Versuche wurden in einem abgedichteten Raum von 2,25 cbm Inhalt ange- stellt. Die Fliegen wurden nach der Einwirkung der giftigen Dämpfe untersucht, dann 24 Stunden der frischen Luft ausgesetzt und nochmals unter- sucht. Dabei zeigte es sich dann, daß viele, die vorher kein Lebenszeichen mehr von sich gaben, nach diesen 24 Stunden sich vollständig wieder erholt hatten. Als Resultat, das in 31 Versuchen an mehr als 3000 Fliegen gefunden wurde, ergab sich, daß die ausgebildeten Insekten der drei ge- nannten Arten sicher abgetötet wurden durch die 30 Minuten dauernde Einwirkung von 0,1 Volumen- prozent des Gases, bei einer Stärke von 0,25"/,, in 15 Minuten. Die drei P"iiegenarten verhielten sich bei diesen Versuchen ziemlich gleich. Bei den Versuchen an den Eiern, Larven und Puppen wurden die Brutplätze (Pferdedung) mit einer Lösung von Cyannatrium in Wasser Über- gossen. Unter der Einwirkung des Wassers ent- wickelt sich ebenfalls Cyanwasserstoff, nur ge- schieht dies sehr langsam, so daß das Gift, das außerdem durch den Dung noch zurückgehalten wird , sämtliche Hohlräume durchdringen kann. Hierbei zeigt sich ebenfalls, daß bei einer 0,25 "Z,, Lösung von Cyannatrium Eier, Larven und Puppen mit Sicherheit abgetötet werden konnten. Diese Bekämpfung der Fliegenplage durch Cyanwasserstoff läßt sich in der Praxis leicht durch- führen. Für I cbm Dung gebraucht man 25 1 Wasser, in dem 62,5 g Cyannatrium gelöst sind. Da die Entwicklung der Fliegen im Hochsommer etwa 10 Tage in Anspruch nimmt, wäre diese Behandlung auch nur etwa alle 10 Tage nötig, im Frühjahr und Herbst noch seltener. Da auch die Kosten im Verhältnis zum Nutzen gering sind, lohnte es sich wohl, einen Versuch zu machen. Heycke. Altes imd Neues über Anpassung von Seetieren an Süßwasst rund umgekehrt. Nicht allzugroß ist die Zahl der Tiere, die den Wechsel zwischen Salz- und Süßwasser vertragen. Abgesehen von wasser- bewohnenden Säugetieren und Vögeln, deren Blut- zusammensetzung ja von dem osmotischen Druck des sie mehr oder weniger dauernd umgebenden Wassers unabhängig ist, sind solche Tiere haupt- sächlich aus den Protozoen, den Fischen und den Krebsen bekannt. Unter den Protozoen lebt manche bekannte Art, z. B. manches Pantoffeltierchen, Muschel- tierchen und Glockentierchen, sowohl im Süß- wasser wie im Meere, und an einer Vortizelle wies zum ersten Male Ferdinand Cohn nach, daß man sie ohne Schaden allmählich aus Süßwasser in Salzwasser überführen kann. Der Versuch ist leicht zu wiederholen, während man bei plötz- licher Überführung das sofortige Zusammen- schrumpfen der Vortizelle bemerkt, sie wird zu 646 Naturwissenschaftliche Wochenschrift, N. F. XVII. Nr. 45 einem runzeligen Krümchen, das sich bei schleu- nigerZurückführung in Süßwasser wiederglätten und sozusagen neu beleben kann, andernfalls aber schnell abstirbt. Unter den Fischen soll der Dreistachelige Stichling, Gasterosteus aculeatus, der in beiden Medienlebt, ohne Schaden aus dem einen ins andere geworfen werden können. Die weitaus meisten Fische vertragen dies natürlich nicht, sterben dann vielmehr unter Vergiftungserscheinungen, und bei solchen Fischen, die bei ihren Wanderungen Süßwasser und Meer vertauschen, sind damit ein- hergehende Schwankungen ihres osmotischen Blut- druckes von gewisser Stärke festgestellt, so daß diese Fische nicht völlig homoiosmotisch sind, wenn auch längst nicht in dem Grade poikilosmo- tich wie die Selachier und die weitaus meisten Wirbellosen. Bei den Krebsen ist das Problem reich an beachtenswerten Einzelheiten. Das Phyllopod Artemisia (Arfemia) salina L., in Deutschland in Seesalzsalinen bei Greifswald vorkommend, wird durch Verdünnung des Salz- gehaltes nicht gerade zu dem süßwasserbewoh nenden Branchipus schäfteri Fischer, wie Schmanke- witsch 1874 es darstellen wollte, aber doch immer- hin branchipusähnlich, wie S a m t e r und H e y m o n s nachwiesen ; es liegen hier also Beziehungen vor ähn- lich wie beim Feuersalamander, den Kammerer durch Darbietung von Wassermangel und Kälte, Be- dingungen also, unter denen der Alpensalamander lebt, nicht gerade in den Alpensalamander um- wandeln, aber doch ihm in Aussehen und Fort- pflanzungsweise bemerkenswert anähneln konnte. Manche ausländische Garnelenart ist hochgradig euryhalin, kann sowohl im salzigen als auch im brackigen und selbst süßen Wasser leben. Eine, Palaemonetes varians Leach, lebt bei Neapel in Süßwasser, bei Kopenhagen in brackigem, und hier verläßt sie das Ei auf viel weniger entwickel- tem Stadium als dort, sie betätigt also im Süß- und brackigen Wasser den Unterschied der Ent- wicklung, der allgemein zwischen Süßwasser- und Meereskrebsen sowie auch -fischen besteht. Zwei Flohkrebse, Pontoporeia affinis Bruzelius und Palla- sea quadrispinosa G. O. Sars, und der Spaltfüßer Mysis relicta Loven haben je eine nächstverwandte Form im Meere, aus der sie sich entwickelt haben müssen, und zwar, was Deutschland betrifft, nach Samter und Weltner in der Ancyluszeit, als die Ostsee ein Süßwasserbecken wurde, denn nur in den Gebieten der zur Ostsee abwässernden Flüsse finden sie sich heute. Daß eine Ein- wanderungaus dem Salz- ins Süßwasser heute noch stattfände, ist ausgeschlossen. Für ausgeschlossen wird man auch die heutige Anpassung sonstiger Meereskrebse ans Süßwasser oder Süßwasserkrebse ans Meer erachten, für möglich höchstens die An- passung ans Brackwasser, insoweit man die Tiere in der Natur bereits ins Brackwasser vordringen sieht. Aber eine wohl recht beachtenswerte neue Feststellung im Bereich dieser Erscheinungen, die mir zurzeit durch meine Neubearbeitung der „Krebse" für die vierte Auflage von„Brehms Tier- leben" gegenwärtig sind, gelang cand. rer. nat. Gerh. Steinke^) an der O'^tseegarnele, Leander adspersus Rtk. (Palaemon fabricii), bei Greifswald. Zwei in ausgesprochenem Salzwasser gefundene Tiere konnten, wenn auch nur ganz allmählich, in süßes Leitungswasser übergeführt werden. Es waren vier Stück gefangen worden, zwei gingen noch im Salzwasser bald ein, zwei hielten sich in diesem sowie nach allmählicher Verdünnung des Seewassers durch Leitungswasser und schließlich auch in reinem Leitungswasser, das oftmals erneuert wurde, viele Wochen lang. Dieser Versuch zeigt wohl zum ersten Male die Resistenz gegen Süßwasser bei einem poikil- osmotischen Tiere, das im Freileben noch nicht im Süßwasser angetroffen wurde. Freilebend kommt diese Krebsart sowohl in der Nordsee als auch in der viel salzärmeren Ostsee vor, geht auch ins Brackwasser, aber ins Süßwasser, wie gesagt, nicht; sie nützt also ihr Anpassungsvermögen in der Natur keineswegs voll aus. Hiernach erscheint weniger der Umfang ihrer im Freileben betätigten Euryhalinität erstaunlich als deren Grenzen, und wenn sich andere Krebstiere ebenso verhalten sollten, wären ihre Wanderungen und Anpassungen etwas anders zu beurteilen als bisher. Allerdings ist bisher für Leander nicht erwiesen, daß er sich in Süßwasser auch fort- pflanzen könnte. Immerhin muß verwundern, daß man ihn dort nie findet. V. Franz. Astronomie. Mit der Kosmogonie des Sonnen- systems beschäftigt sich Jeffreys in einem Aufsatz (Monthly Not. R. astr. society 1918, 6), der zunächst mit neuen Gründen die Laplace'sche Idee als un- möglich ablehnt, die leider noch immer nicht nur in Schulbüchern ein unberechtigtes Dasein führt. Aus einer symmetrisch angeordneten Gasmasse kann sich niemals ein Planetensystem entwickeln, vielmehr muß die ursprüngliche Anordnung hoch- gradig heterogen sein. Eine solche erhält man am besten nach der sogenannten Planetesimal- hypothese von Moulton und Chamberlin. Diese nehmen an, daß unserem ursprünglichen noch sehr ausgedehnten Sonnenball eine andere Sonne von der mehrfachen Masse sehr nahe begegnet sei, so daß eine so gewaltige Gezeitenwirkung eintreten mußte, daß sich von unserm Sonnenball ein oder zwei gewaltige Ströme von Masse lostrennten, hinter jener entweichenden Sonne her, so daß die ganze losgetrennte Masse in einer Ebene schwebte. Die Massen hatten eine solche Geschwindigkeit erhalten, daß sie nicht zurückfallen konnten, sondern sie begannen um ihre Muttersonne zu laufen, und waren naturgemäß in zahlreiche Kerne ver- schiedenster Größe und eine große Menge feinster Materie verteilt. Dies feine Medium leistete nun und 154. ') G. Steinke, Die kleine Ostseegarnele bei Greifswald, für Aquarien- und Terrarienkunde, 191S. Seile 153 N. F. XVn. Nr. 45 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. .647 bei langsamerer Bewegung den größeren Massen Widerstand, wodurch die ursprünglich lang- gestreckten Bahnen ihre heutige mehr kreisähnliche Bahnform erhielten. Auch wurde der größte Teil dieser Materie von den großen Kernen aufgesogen, der andere aber wurde gezwungen, sich in dem- selben Sinne, wie die Planetenkerne zu bewegen, so daß die Bewegungsreibung allmählich aufhörte. Gegenwärtig ist dies Medium wohl fast ganz ver- schwunden, bis auf Meteore und vielleicht das Zodiakallicht. Aus der langsamen Wirkung auf die Verkleinerung der Exzentrizitäten der Bahnen kann man einen Schluß ziehen auf die dazu er- forderlichen Zeiträume, und es ist bemerkenswert, daß sich Zahlen ergeben, die zu den aus der Radiumforschung für das Alter der Erde abge- leiteten gut passen. Jene Kerne sind im Moment der Lostrennung vom Mutterkörper offenbar gas- förmig gewesen, und haben sich dann langsam kondensiert. Damit aber diese Gase sich nicht über den Raum verteilten, sondern sich durch ihre innere Anziehung zusammenhielten, mußten die Körper so groß gewesen sein, daß sie gegenwärtig mindestens looo km Durchmesser haben. Dies stimmt auch für alle Planeten und für die meisten Monde. Nicht stimmt es bei den kleinen Planeten und einigen Monden. Aber in diesem E"alle ist anzunehmen, daß hier die plötzlich von hohem Drucke freiwerdenden Gase sich so stark ab- kühlten, daß sie sehr bald den Siedepunkt er- reichten, und dann zu Flüssigkeiten und weiter zu festen Körpern erstarrten. Schwierig ist nun die Antwort auf die F"rage nach der Entstehung der jetzt gegen 1000 kleinen Planeten. Jeffreys erwägt alle möglichen Fälle und kommt zu der Ansicht, daß sie zuerst einen Planeten gebildet hätten, der übrigens noch nicht die Größe unseres Mondes halte, und daß dieser bei einer sehr lang- gestreckten Bahn dem Jupiter so nahe gekommen sei, daß dieser ihn durch seine riesige Gezeiten- wirkung auseinander gebrochen habe. Das damals noch bestehende widerstehende Mittel, sowie die Störungen der Planeten haben dann im Laufe der Zeiten den Asteroiden ihre heutigen Bahnverhält- nisse gegeben. Einige sind auch durch Einfangen zu Monden des Mars und des Jupiter geworden. Die Entstehung der Monde ist entweder so zu denken, daß kleinere Kerne aus jenem Strom eingefangen sind durch die größeren, oder nach den Untersuchungen von G. H. Darwin durch die Gezeitenwirkung, auf die er eine sog. „Reso- nanztheorie" aufbaute. So soll. Erde und Mond anfänglich ein Körper gewesen sein, der in etwa 4 Stunden sich um seine Axe drehte. Ebenso groß war eine der freien Schwingungen dieser Masse, und so ka'm es, daß sich die Gezeiten in der Entstehung einer Flutwelle von zweistündiger Periode äußerten, die immer größer wurde, weil ihr keine inneren Kräfte entgegenwirkten. Endlich trat ein Aufbrechen ein, und die Mondmasse löste sich ab, und das neue System entwickelte sich unter "dem Einfluß der Gezeitenreibung zu seinem heutigen Zustande. Wendet man diesen Gedanken auf die anderen Planeten an, so zeigt sich, daß nur bei Saturn etwas ähnliches zu erwarten gewesen wäre, ein Verhältnis zwischen Planet und Mond, das nur bei der Erde und Mond 80 ;i ist, sonst immer etwa 1000:1 oder noch geringer. Es ist aber bei Saturn die Sonnenwirkung zu gering, um eine so große Sonnenflut auf dem Planeten zu erzeugen. In Anwendung auf den Merkur findet man, daß die noch nicht ganz geklärte Forschung nach seiner Umdrehungszeit mit der Annahme der langen Umdrehungszeit zu beantworten ist. Er verhält sich zur Sonne wie unser Mond zu uns, er dreht der Sonne immer die gleiche Seite zu. Für Venus ist keine genaue Antwort zu geben. Vielleicht gibt es noch bei Mars eine nennenswerte Sonnenflut. Jederrfalls ist nach dieser Kosmogonie der Mond der einzige Körper, der nach der Resonanzhypothese entstanden ist. Über die Kometen findet sich keinerlei Andeutung. Offenbar sind sie durch die andauernden Störungen durch die großen Planeten nicht zu einer ruhigen Ent- wicklung gekommen, sondern bewegen sich regel- los durch das System als Reste jener von der Sonne losgetrennten Masse, mit dem Geschick, im Laufe der Zeiten immer weniger zu werden und endlich ganz zu verschwinden. Riem. Die Parallaxe eines Nebels zu bestimmen ist eine ganz besonders schwierige Aufgabe, weil wegen der unbestimmten Form dieser Gebilde die Messung keinen scharf erfaßbaren Punkt hat, dessen Ort an benachbarte Sterne angeschlossen werden kann. Infolgedessen schien ein Nebel in der Andromeda für die Parallaxenbestimmung geeignet zu sein, weil er einen scharfen, sternartigen Kern aufweist. Es wurden 16 Aufnahmen am 150 cm- Reflektor der Sternwarte auf dem Mt Wilson ge- macht und der Kern mit 8 in der Nähe liegenden Sternen verglichen. Aus diesen Messungen ließen sich zunächst die Parallaxen der Vergleichssterne ermitteln, und dann die des Nebels. Diese kam heraus mit dem Betrage von o",023, mit einer Unsicherheit von nur o",oo4, also ein recht be- friedigendes Ergebnis. Aus diesen Zahlen folgt die auffallend geringe Entfernung von 140 Licht- jahren, und ein Durchmesser des Nabels von 19 mal dem Durchmesser der Neptunsbahn, da der scheinbare oder Winkeldurchmesser ^ 26 Sekunden beträgt. Riem. 648 Natur wissenschaftliche Wochenschrift . N. F. XVn. Nr. 45 Anregungen und Antworten. Zweckmäßigkeit oder Nutzmäßigkeilf Der Zweckmäßig- keilsbegriff hat in der Biologie manche Unklarheit und manches Mißverständnis hervorgerufen und daher öfters schon Wider- spruch erfahren. Unter dem Einfluß religiöser Vorstellungen wird nicht selten die Ansicht vertreten, die Sprenge* in die Worte kleidet: „Überzeugt, daß der weise Urheber der Natur auch nicht ein einziges Härchen ohne eine gewisse Absicht hervorgebracht hat, dachte ich darüber nach, wozu denn wohl diese Haare dienen mochten". ') Diese Fragestellung nach dem Zweck ist aber nicht wissenschaftlich, wie u. a. auch schon Goethe erkannte.-) Je mehr wir uns aber ge- wöhnen, ohne diese Fragen: Wozu? oder auch Warum f zu arbeiten, sondern die Frage Wie? anzuwenden, desto über- flüssiger und schädlicher wird das Wort Zweckmäßigkeit, zweckmäßig und muß durch andere Worte ersetzt werden. Plale') behält das Wort zweckmäßig zwar bei, nennt aber als eventuelle Ersatzwörter „nützlich, lebenfördernd oder leben- erhaltend". Entweder es ist eine Einwirkung zweckmäßig oder sie ist es nicht; ist sie es, so ist es doch im allgemeinen Regel, daß graduell keine Abstufungen angenommen werden. Dadurch erscheint die als zweckmäßig angesenene Einrichtung als „vollkommen zweckmäßig". Da der Nutzen einer Einrichtung groß oder klein, ja so klein sein kann, daß er fast bedeutungslos ist, so gibt die Anwendung des von Dennert vorgeschlagenen Wortes ,, nutzmäßig-' die Möglich- keit, den für das Lebewesen vorhande^ien Nutzen graduell abzustufen. Eine Gefahr beruht auch bei Anwendung des von Dennert vorgeschlagenen Wortes. Der Mißbrauch, der mit den Wörtern ,, nützlich" und „schädlich" in der Schulbiologie getrieben worden ist,*) kann in neuer und anderer Form wieder auf- leben, dies müßte streng gleich von Anfang an vermieden werden. Dennert 's Vorschlag kann daher zugestimmt werden, nur mögen die Schulbiologen mehi vergleichende Morphologie, vergleichende Physiologie betreiben, damit dieselbe Erschei- nung — sagen wir z. B. Behaarung bei Pflanzen — nicht bei der Pflanze A so besprochen wird, daß der Schüler annehmen muß: So ist es überall und gleich darauf bei der Pflanze B doch wieder eine andere Deutung erfährt, die auch wieder in einer Weise gegeben wird, als wäre die Erscheinung bei A nie besprochen worden I Liest man genau die in unseren Schulbüchern gegebenen Darstellungen, so kann man sich zuerst wohl freuen, so klar wie selten ins innere Walten der Natur zu blicken, nur hüte man sich dann, die besprochene Pflanze in anderer Umgebung anzusehen I Die als Schatten- pflanze, als Xerophyt, als Hygrophyt im Buche beschriebene Pflanze erlaubt es sich nicht so selten auch in einer Umgebung gut zu gedeihen, in der die so schön im Schulbuch beschrie- benen Anpassungen nicht nur keine Zweckmäßigkeit, sondern ') C. K. Sprengel, Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Engelmann, Leipzig, 1894. 2) Vgl. die Vorlesung: Kondilionismus in K. C. Rothe, Vorlesungen über allgem. Methodik des Naturgeschichtsunter- richtes. 2. Heft. F. Seybold, München 1914. ä) Plate, Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl. Engelmann, Leipzig 190S Seite 7. *) Vgl. Dr. F. Werner, Nutzen und Schaden, in: K. C. Rothe, Der moderne Naturgeschichtsunterricht. Tempsky, Wien 1908. auch keine Nutzmäßigkeit haben können, wenn das Schulbuch eben Recht hätte I K. C. Rothe. Die Ausführungen in Nr. 31 über die Fallgeschwindigkeit der Bomben sind nicht einleuchtend, der Vergleich mit dem Wurl gegen eine stärker als der Wurfparabel entsprechend gebogene Fläche erscheint nicht zutreSend. Denn diese drückt zwar den gegen sie geworfenen Körper nach unten, die fallende Bombe aber wird doch in keinem Augenblick mit ihrer oberen — vorderen Seitenwand tatsächlich an die Luft angedrückt, son- dern die Resultante ihrer Luftwiderstände wirkt stets genau in der Richtung der Flugbahn der Hugbewegung entgegen, ihre vertikale Komponente wirkt also nach oben und muß, wenn auch noch so wenig, die Bewegung gegenüber der in der Luftleere verlangsamen, nicht anders als beim gefiederten Pfeil auf dem absteigenden Aste seiner Flugbahn. V. Franz. Als mir dieser Tage die „Naturw. Wochenschrift" vom 21. Oktober 1917 in die Hände kam und ich darin den Artikel des Herrn Dr. R. H e n n i g über das Wiederholungsgefühl las, erinnerte ich mich, einst gehört oder gelesen zu haben, daß diese Erscheinung folgenderweise physiologisch zu er- klären wäre. Von jeder Empfindung wird im Gehirn ein Erinnerungs- bild festgelegt. Diese Erinnerungsbilder müssen notwendig eine Rolle spielen bei der Wahrnehmung eines dauernden Zustandes oder eines stetig sich verändernden Vorganges. Denn ohne die Erinnerungsbilder der unmittelbar vorher- gehenden Zustände können die Änderungen, die sich in jedem Augenblick einstellen, nicht zu meinem Bewußtsein kommen. Ich muß also annehmen, daß das Erinnerungsbild des Zustandes in einem gewissen Augenblick sofort im folgenden Augenblick schon als solches in mein Bewußtsein tritt, wodurch ich im- stande bin, zu erkennen, welche Änderungen stattgefunden haben. Und diese Vorstellungen der unmittelbar vorherge- gangenen Zustände sind sehr lebhaft, weit klarer jedenfalls als wenn dieselben Erinnerungsbilder später wachgerufen werden. Wenn man nun die Möglichkeit annimmt, daß ausnahms- weise das Erinnerungsbild eines Zustandes festgelegt wird, bevor derselbe Zustand wahrgenommen wird, also während der Zeit zwischen dem Reiz der Sinnesorgane und der Empfin- dung, so kann dies Erinnerungsbild von der Empfindung selbst hervorgerufen werden. Und damit sind die Bedingungen für das Auftreten des ,, Wiederholungsgefühls" erfüllt, nämlich : ein sehr lebhaftes, klares Erinnerungsbild, bis in alle Einzel- heiten identisch mit der aktuellen Situation, und als solches gleichzeitig mit der Wahrnehmung dieser auftauchend. Soviel ich es beurteilen kann, ist die obige Erklärung mit den Anschauungen des Herrn Prof. Dr. Th. Ziehen, wie diese aus seinem „Leitfaden der Physiologischen Psychologie" (6. Aufl., 1902) sich ergeben, nicht im Widerspruch. Und sie scheint mir bei weitem befriedigender, als die von Dr. Hennig erwähnte Annahme: „daß in einem Komplet von neuen Ein- drücken ein einzelner oder auch mehrere bekannt anmuten und daß sich hieraus der irrige Schluß ergibt, das ganze Erlebnis habe sich schon einmal in genau gleicher Weise ab- gespielt". Hierin bleibt ja die Art und Weise, wie das irrige, aber trotzdem sehr lebhafte Erinnerungsbild entsteht, gänzlich außer Betracht. Nimmt man hingegen an, das Erinnerungsbild sei echt und stamme aus demselben äußeren Reiz, wie die Empfindung, so ist der geheimnisvolle Schleier der Erscheinung mit einem Male gelüfte H. On phil t. Dr. Inhalt: Wilhelm E Alters der Gesteii el, Die Erscheinung der pleochroitischen Höfe und ihre Bedeutung für die Bestimmung des absoluten . (8 Abb.) S. 633. L. Reh, Blausäure zur Bekämpfung von Ungeziefer. S. 638. — Einzelberichte: L. von Ammon, Tertiäre Vogelreste von Regensburg und die jungmiocäne Vogelwelt. S. 642. Heikertinger, Die Bienenmimikry von Eristalis. ?. 643. C. Verhöff und H. von Büttel- Reepen , Soziale Züge bei solitären Bienen. S. 644. Teichmann, Bekämpfung der Fliegenplage. S. 645. Ferd. Cohn, Altes und Neues über Anpassung von Seetieren an Süßwasser und umgekehrt. S. 645. Jeffreys, Kosmogonie des Sonnensystems. S. 646. Parallaxe eines Nebels S. 647. — Anregungen und Antworten: Zweckmäßigkeit oder Nutzmäßigkeit? S.648. Fallgeschwindig- keit der Bomben. S. 648. Wiederholungsgefühl. S. 64S. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 42, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G, PStz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den 17. November 1918. Nummer 46. Das Spektrum der elektromagnetischen Wellen. Von Karl Kuhn. mit den Lichtstrahlen. Die Wellenlänge der kürzes- [Nachdruck verboten.] Im Jahre 1669 teilte I. Newton seine berühmten Untersuchungen über die Natur des weißen Lichtes und der Farben mit. Er hatte gefunden, daß ein Strahl weißen Lichtes beim Durchgang durch ein Glasprisma in ein Band ausgebreitet wird, welches alle Regenbogenfarben aufweist, und er hatte be- obachtet, daß durch Vereinigung des farbigen Lich- tes wieder ein weißer Lichtstrahl entsteht. Newton war erst 25 Jahre alt, als er die für die Optik grundlegende Entdeckung machte, daß weißes Son- nenlicht aus sehr vielen Sirahlengattungen verschie- dener Brechbarkeit besteht. Nach Newtons Ent- deckung der Dispersion der Lichtstrahlen bildete der Nachweis unsichtbarer Strahlen jenseits von Rot durch Friedrich Wilhelm Herschel im Jahre 1800 einen der bedeutendsten Fortschritte der Optik. Herschel, ein Deutscher, kam um die Mitte des 18. Jahrhunderts als Musiker nach London und wurde einer der größten Astronomen (Entdecker des Uranus) und Physiker Englands. Herschel untersuchte die Wärme Wirkung eines Spektrums, indem er die geschwärzte Kugel eines l'hermometers durch die verschiedenen Farben hindurchführte. Im Blau zeigte sich eine geringe Wirkung, aber nach dem roten Ende des Sonnen- spekirums hin stieg das Thermometer beträchlich Die größte Wärmeentwicklung beobachtete Her- schel aber, als er das Thermometer in den dunk- len hchtfreien Raum jenseits des Rot brachte und er schloß daraus auf das Vorhandensein einer für das Auge unsichtbaren Strahlung. Diese erste Ent- deckung von „dunklen" Strahlen machte großes Aufsehen und es erhob sich die Frage nach der Natur der unsichtbaren Strahlen. Im Aniang des 19. Jahrhunderts bestimmten Thomas Young und F r e s n e 1 die Wellenlänge der verschiedenen Lichtsorten und sie stellten fest, daß die am stärksten brechbaren blauen und violetten Strahlen die kürzeste Wellenlänge, die weniger brechbaren gelben und roten Strahlen eines Spek- trums die längeren Wellenlängen haben. Um das Wesen der von Herschel jenseits des Rot ent- deckten unsichtbaren Strahlen, der ultraroten oder Wärmestrahlen, zu erklären, sprach Ampe re 1835 die Ansicht aus, die ultraroten Strahlen seien nichts anderes wie Lichtstrahlen von einer noch größeren Wellenlänge wie die der roten Strahlen. Es konnten auch bald alle Eigenschaften der Lichtstrahlen wie Spiegelung, Interferenz und Beugung, Polarisation und Doppelbrechung an den ultraroten Strahlen nachgewiesen werden und die experimentelle Wellenlängenbestimmung, welche eine größere Wellenlänge wie lür die äußersten roten Strahlen ergab, bewies die Wesensgleichheit der ultraroten ten noch gut sichtbaren violetten Lichtstrahlen be- trägt etwa 400 ^(jt< '), die längsten roten Wellen haben eine Länge von 800 fiß und so umfaßt der sicht- bare Teil des Spektrums rund eine Oktave. Das ultrarote Spektrum umfaßte 1847 nach den Mes- sungen von Foucault und Fizeau ebenfalls fast eine Oktave ; die längsten damals gemessenen Strahlen hatten eine Wellenlänge von 1450 jW/t. Dann dauerte es längere Zeit, bis ein Fortschritt in der Erforschung des ultraroten Spektrums er- folgte. Es war der Amerikaner S. P. L a n g 1 e y , welcher die experimentellen Hilfsmittel sehr verbesserte und die ersten genauen Wellenlängenmessungen im ultraroten Gebiet durchführte. Er ersetzte die in den Spektrometern gebräuchlichen Glasteile, welche für die längeren ultraroten Strahlen un- durchlässig sind, durch Steinsalz, das schon früher von Melloni wegen seiner hohen Durchlässig- keit als Prismensubstanz benützt wurde. Zum Nachweis der ultraroten Strahlen führte. L a n g 1 e y das hochemphndliche Bolometer ein, bei den in einem dünnen geschwärzten Draht die elektrische Widerstandsänderung gemessen wird, welche durch die in Wärme verwandelte Energie der absorbierten Strahlen hervorgerufen wird. Langley durch- forschte mit seinen Apparaten vor allem das ultra- rote Spektrum der Sonne und drang bereits im Jahre i8»6 bis zu ehier Wellenlänge von 5,3 fi") vor. Neben dem Bolometer dienen heute beson- ders Thermosäulen zum Nachweis der ultraroten Strahlen. Durch die Verbesserungen von Rubens und anderen wurde die Empfindlichkeit der Ther- moelemente so gesteigert, daß sie jetzt zu den feinsten Wärmemessungen des Physikers brauch- bar sind. Die Photographie der ultraroten Spektren ist nach Abney^) mit besonders sensibilisierten Platten bis 2 /t Wellenlänge möglich. Mit den von Langley angegebenen verbesser- ten Hilfsmitteln und durch Benützung eines Fluß- spatprismas zur Erzeugung des Spektrums konnte F. Paschen im Jahre 1894 bis zu einer Wellen- länge von 9,3 /t vordringen und Rubens in Ge- meinschaft mit Trowbridge und Nichols konnte 3 Jahre später unter Verwendung von spitzwinkeligen Prismen aus Steinsalz und Sylvin die Messung bis 23 /t, das ist bis zur 40 fachen Wellenlänge des gelben Natriumlichts, ausdehnen. ') I «^j:= 0,000 001 mm. •) I ^« = 0,001 mm. ') VV. Beetz, Die bisherigen Beobachtungen im ultra- roten Spektrum S. 21 (J. A. Barth, Leipzig 19°7)- 650 Naturwissenschaftiiche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 46 Noch weiter kann man im prismatischen Spektrum kaum kommen, da alle in Betracht kommenden Prismensubstanzen längere Wellen staik absor- bieren. An Stelle der Prismen Beugungsgitter zur Aufnahme der kontinuierlichen Spektren im Ultrarot zu verwenden, hat große praktische Schwierigkeiten; doch konnte neuerdings das ultra- rote Spektrum mit Beugungsgittern bis etwa 35 (it ') erweitert werden. Aber bereits vor 20 Jahren hatte Rubens ein ganz neues Verfahren aufgefunden, um zu längeren Wärmewellen vorzudringen. Eine Anzahl von Stoffen ist für Licht und kürzere ultrarote Strahlen gut durchlässig, während sie sich langen Wellen gegenüber wie ein IVIetallspiegel verhalten und sie reflektieren. Quarz z. B. ist für Licht- und Wärmestrahlen bis4/( durchsichtig und wird erst für längere Wellen zum Spiegel. Nach Rubens und seinen Mitarbeitern spiegeln Steinsalz bei etwa 52 ;(, Bromkalium bei 82,6/(, Thalliumchlorür bei 91,6/*, Jodkalium bei 94,1 /(, Thalliumbromür bei 117/' und Thalliumjodür bei 151,8 1.1 Wellenlänge. Diese Eigenschaft benutzte Rubens zur Isolierung der langwelligen ultraroten Strahlen. Er ließ das Strahlenbündel eines Auerbrenners auf eine Platte aus Steinsalz fallen; diese läßt die Lichtstrahlen und kürzeren Wärmewellen größtenteils hindurch, reflektiert aber die längeren wie ein Spiegel und wirft diese auf eine gegenüber gestellte zweite Steinsalzplatte. Nach 4 — 5 Reflexionen sind die langwelligen Strahlen förmlich durchgesiebt und von allen Licht- und kurzwelligen ultraroten Strahlen befreit. Die nach dieser Methode durch Steinsalz ausgesonderten Strahlen haben eine mitt- lere Wellenlänge von 52 f« und Rubens nannte mit Recht die durch selektive metallische Reflexion gewonnenen langwelligen Strahlen „Resf'Strahlen. Die Reststrahlen des Thalliumjodürs sind Wellen von 151,8 ft Länge, d. h. sie haben etwa die 250 fache Wellenlänge des gelben Natriumlichts. Zu noch größeren Wellenlängen kann man nach Rubens mit der Reststrahlenmethode kaum vor- dringen, da die meisten Lichtquellen in jenen entlegenen Strahlengebieten nur noch eine sehr geringe Strahlungsintensität besitzen und da es für diesen Zweck auch an geeigneten Substanzen zur selektiven Reflexion fehlt. Im Jahre 19 10 hat Rubens in Gemeinschaft mit R. W. Wood eine andere Methode zum weiteren Vordringen im äußersten Ultrarot ange- geben. Rubens hatte gefunden, daß Quarz, welcher im ultravioletten und sichtbaren Gebiet sehr durchlässig ist, für ultrarote Strahlen jenseits 4 fi seine Durchlässigkeit verliert. Der Quarz wird aber für sehr langwellige Strahlen wieder durch- lässig und zeigt für diese auch einen sehr hohen Brechungsexponenten. Ein Quarzprisma lenkt daher sehr lange Wellen mehr als doppelt so stark ab wie die gewöhnlichen Licht- und Wärmestrahlen, ') H. Rubens, Das ultrarote Spektrum. Sitzungsber. d. Kgl. Preufl. Ak. d. Wisscnsch. 1917. S. 47—63 (G. Reimer, Berlin). so daß ein Quarzprisma leicht das langwellige vom kurzwelligen Gebiet trennt. Wird eine Lichtquelle innerhalb der optischen Brennweite einer Quarz- linse aufgestellt, so werden die gewöhnlichen Licht- und Wärmestrahlen schwach zerstreut, während die langwelligen Strahlen infolge des hohen Bre- chungsexponenten hinter der Linse noch zu einem reellen unsichtbaren Bilde vereinigt werden. Man bringt dann an der Stelle des langwelligen unsicht- baren Bildes der Strahlungsquelle einen undurch- lässigen Schirm an, welcher durch eine kleine Öffnung nur die langen Wellen des reellen Bildes hindurch läßt. Wird dieses Isolierverfahren durch eine zweite Quarzlinse wiederholt, so erhält man den langwelligen Strahlungsanteil in vollkommener Reinheit. Diese „Quarzlinsenmethode" hat gegen- über der Anwendung eines Quarzprismas den Vorteil, daß die ausgesonderte langwellige Strahlung größere Intensität besitzt und daß daher mit Hilfe eines Interferometers ihre Wellenlänge leicht ge- messen werden kann. Rubens und O. v. B a e y e r') haben mit der Quarzlinsenmethode die meisten irdischen Lichtquellen auf ihren langwelligen Strahlenanteil untersucht und fanden meist ein Maximum bei etwa 100 /( Wellenlänge. EinAuer- brenner zeigte z. B. bei 200 /( nur noch ein Zehntel der Maximalenergie, welche seine Strahlung bei 100 /( aufwies. Als jedoch eine Quarzquecksilber- lampe untersucht wurde, zeigte sich eine Strahlen- art, die sich von allen bisher bekannten Strahlungen des optischen Spektrums ziemlich unterschied. Die Wellenlängenmessung ergab, daß der leuchtende Quecksilberdampf eine Strahlung aussendet, deren Energiemaxima bei 218 und 342 fi gelegen sind. Die Wellenlänge des zweiten Maximums ist dem- nach größer als '/., Millimeter und übertrifft die- jenige der gelben Natriumlinie um das 580 fache. Diese langwellige Strahlung geht fast ungeschwächt durch schwarze Pappe hindurch und bildet die äußerste Grenze des bisher erforschten ultraroten Spektrums. Rubens untersuchte alle erdenklichen Licht- quellen, ohne auf noch längere Strahlen zu stoßen. Mit der Quarzlinsenmethode wurden unter anderem folgende Strahlungsquellen geprüft: kräftige Flaschen funken eines Induktors von 40 cm Schlag- weite zwischen Elektroden aus Zink, Cadmium, Aluminium, Eisen, Platin und Wismut; elektrische Bogenlampen mit Kohlenelektroden, mit Bremer- kohlen und Eisendochlkohlen; eine Quecksilber- amalgamlampe mit 20 "/o Wismut und eine elek- trische Cadmiumdampflampe. Rubens wies nach, daß die langwellige Strahlung der Quarz- quecksilberlampe von den langsamen Schwingungen der sehr schweren Atome des Quecksilberdampfs herrührt. Quecksilber hat das Atomgewicht 200 und die Atome noch schwererer Elemente werden im elektrischen Lichtbogen vermutlich noch lang- samer schwingen und damit noch größere Wellen ') Sitzuögsber. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wissensch. S. 339 bis 345 ('9"i)- N. F. X\ai. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 651 emittieren. Das höchste Atomp;ewicht haben die Elemente Thorium (232,15) und Uran (238,17) und ihr ultrarotes Spektrum im elel^trischen Metall- dampflichtbogen könnte Strahlen von größerer Wellenlänge aufweisen. Da jedoch das Atom- gewicht des Urans das des Quecksilbers nicht sehr übertrifft, so wird man bei seiner Benützung als Strahlungsquelle die Grenzen des ultraroten Spek- trums nicht besonders ausdehnen können. Rubens suchte nun weiter zu kommen, in- dem er als Strahlungsquelle die Sonne benützte. Diese besitzt nach neueren Messungen eine Tem- peratur von rund 6000" abs. und wenn sie an- nähernd wie ein schwarzer Körper strahlt, so muß sie Wellen von 400--600 /t Länge in erheblicher Stärke aussenden. Rubens setzte sich mit dem Astrophysiker Schwarzschild*) in Verbindung und beide untersuchten 1914 mit der Quarzlinsen- methode die Sonnenstrahlung auf das Vorkommen von Wärmewellen von 0,1 — 0,6 mm Länge. Es zeigt sich, daß in dem angegebenen Spektralbereich keine merkliche Strahlung von der Sonne zur Erd- oberfläche gelangt. Da es unwahrscheinlich ist, daß die Sonne ganz anders wie ein schwarzer Körper von 6000" strahlt, so ist nach Rubens und Schwarzschild das Fehlen der langwelligen ultraroten Strahlen wohl durch die Absorption des Wasserdampfs der Erdatmosphäre zu erklären, welcher diese Strahlen vollständig absorbiert. Nun ist es neuerdings Lummer^j in Breslau bei seinen Versuchen zur Verflüssigung des Kohlenstoffs ge- lungen, eine Temperatur von 6000 " abs. im elek- trischen unter Druck brennenden Kohlenlichtbogen zu erzeugen. Wenn auch der Kohlenlichtbogen nicht wie ein vollkommen schwarzer Körper strahlt, so ist es doch nicht ausgeschlossen in seinem Spektrum mit der Quarzlinsenmethode Wellen von 0,5 mm Länge aufzufinden. Wir wissen seit den Zeiten Young's und Fresnel's, daß das Licht und die ultraroten Strahlen eine Wellenbewegung sind und daß die Ätherschwingungen sich senkrecht zur Fortpflan- zungsrichtung als sogenannte Quer- oder Trans- versalwellen vollziehen. Der Äther, welcher allen Raum erfüllt, verhält sich bei den Lichtwellen in Bezug auf Elastizität wie ein starrer Körper und doch hemmt er die den Weltraum durch- eilenden Planeten nicht in merklicher Weise in ihrer raschen Bewegung. Diese Schwierigkeit ver- mied ClerkMaxwell, indem er die mechanische Wellentheorie des Lichtes aufgab und das Licht für einen elektromagnetischen Vorgang erklärte. Maxwell konnte aus seiner Theorie eine Beziehung zwischen dem optischen Brechungsexponenten eines Nichtleiters und seiner Dielektrizitätskon- stanten folgern. Von letzterer hängt die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit elektrischer Störungen ') Rubens und Seh warzschi Id , Sitzungsber. d. Kgl. Preufi. Ak. d. Wisscnsch. 1914. ^) O. Lummer, Verflüssigung der Kohle und Herstellung der Sounentemperatur (Sammlung Vieweg, Heft 9/lo). Braun- schweig 1914. in dem betreffenden Isolator ab, während die Ge- schwindigkeit des Lichtes durch dessen Brechungs- exponenten bestimmt wird und zwar soll das Quadrat ') des Brechungsexponenten irgend eines Stoffes genau gleich seiner Dielektrizitätskonstanten sein. Nun gelten Max w eil' s Gleichungen für strukturlose Medien und da die Isolatoren wie überhaupt jede Substanz einen atomistischen Bau besitzen, so stimmte die angegebene Beziehung vielfach nicht. Wenn nämlich eine Lichtwelle in einen durchsichtigen Körper eintritt, so versetzt sie dessen elektrisch geladene Ionen in Mitschwin- gung, wenn die Schwingungen der mit den Atomen oder Molekülen verbundenen elektrischen Ladungen mit den elektromagnetischen Schwingungen der einfallenden Strahlen übereinstimmen. Verwendet man aber die */j mm langen ultraroten Strahlen des Quecksilberdampfs zur Bestimmung des Bre- chungsexponenten, so kann eine strenge Prüfung von Maxwell's geistreicher Theorie erfolgen, denn diese Wellen liegen weit außer den Gebieten der molekularen Eigenschwingungen, so daß für diese Strahlen jeder feste Nichtleiter als ein Kon- tinuum gelten kann. In den letzten Jahren be- stimmte R u b e n s^) an 35 festen Körpern, darunter 20 Kristallen und 15 amorphen Substanzen, die Brechungsexponenten für die langwellige Queck- silberdampfstrahlung und außerdem die Dielektri- zitätskonstanten. In allen Fällen war die Max- well'sehe Beziehung zwischen den optischen und elektrischen Eigenschaften der Nichtleiter gut erfüllt. Eine zweite Beziehung folgt aus Maxwell's elektromagnetischer Lichttheorie für den Zusam- menhang zwischen dem elektrischen Leitvermögen eines Metalles und seiner Durchsichtigkeit für eine gegebene Strahlenart. Dringt Licht in ein Metall ein, so rufen die im Lichtstrahl bestehenden elek- trischen Kräfte Leitungsströme hervor, die eine Wärmeentwicklung zur Folge haben; es wird also die Energie der Schwingungen vermindert und das Licht absorbiert. Nach M a x w e 1 1 **) ist es also leicht erklärlich, weshalb die guten Elektrizi- tätsleiter gerade die am wenigsten durchsichtigen Körper sind. Wenn man aber aus der bekannten elektrischen Leitfähigkeit eines Metalles den Grad der Durchsichtigkeit für Lichtstrahlen berechnet, so stößt man auf erhebliche Abweichungen. Dies rührt wiederum von der atomistischen Struktur der Materie her, die aber den langwelligen ultra- roten Strahlen gegenüber zu vernachlässigen ist. Rubens^) untersuchte daher das optische Ver- halten von 12 reinen Metallen und 21 Legierungen für die Reststrahlen des Flußspats von 25 /( Länge und fand eine nahezu vollkommene Übereinstim- ') Physik der „Kultur der Gegenwart" S. 301 (Teubner, Leipzig 1915). 2| Sitzungsber. d. Kgl. Preuß. Ak. d. Wissensch. S. 59 bis 61 (1917). ') Physik der „Kultur der Gegenwart" S. 322. *) Sitzungsber. d. Kgl. PreuS. AI;, d. Wissensch. S. 59 bis 61 (1917)- 6S2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 46 mung: mit dem aus der elektrischen Leitfähigkeit berechneten optischen Absorptionsvermög^en. Auf zwei wichtigen Gebieten hat also die Kenntnis des ultraroten Spektrums zu einer quantitativen Bestätigung der elektromagnetischen Lichttheorie Maxwell's geführt: wir können heute aus rein optischen Strahlunfismessungen das elektrische Leitvermögen eines Metalles ebenso wie die Dielek- trizitätskonstante eines festen Isolators ermitteln. Lange bevor Heinrich Rubens durch seine glänzende Experimentierkunst das äußerste Ultra- rot erschloß, war die elektromagnetische Li^ht- theorie Maxwell's durch die berühmten Ver- suche von Heinrich Hertz zur allgemeinen Anerkennung gelangt. Hertz konnte im Jahre 1888 ein Leitersystem zu so raschen elektrischen Schwingungen anregen, daß es ähnlich wie eine optische Strahlungsquelle Wellen elektrischer und magnetischer Kraft aussandte, die sich vollständig nach Art der Lichtwellen ausbreiten. Diese elektro- magnetische Strahlung, welche Hertz Strahlen elektrischer Kraft nannte, pflanzt sich in glänzen- der Bestätigung von Maxwell's Theorie mit der Geschwindigkeit des Lichtes im Räume fort und Hertz konnte mit den elektrischen Wellen alle optischen Erscheinungen wie Spiegelung, Brechung, Interferenz, Beugung und Polarisation nachahmen. Die kürzesten elektrischen Wellen von Hertz, die genau wie die Lichtstrahlen trans- versale Schwingungen im Äther oder hypothesen- freier im Dielektrikum darstellen, hatten eine Wellenlänge von 60 cm, d. h. sie waren etwa millionenmal größer wie die Wellen des gelben Natriumlichts. Dieser riesige Größenunterschied der optischen und Hertz 'sehen Wellen bedingt auch gewisse Unterschiede zwischen den optischen Erscheinungen und deren elektrischen Analogien. Es gelang aber kürzere elektrische Wellen zu er- zeugen, welche mit den längsten ultraroten Strahlen weitgehend übereinstimmen. Aueusto Righi in Bologna arbeitete im Jahre 1893 mit Wellen von 3 cm Länge und noch weiter kam 1895 der Russe Lebedew,*) der die klassischen optischen Versuche von Hertz mit elektrischen Wellen von 6 mm Länge wiederholen konnte. Als Strahlen- oscillator benützte Lebedew ein winziges elek- trisches Fünkchen, das zwischen 2 Platindrähten von je 1,3 mm Länge übersprang. Die Untersuchung der sehr kurzen elektrischen Wellen, die man ge- nau wie die langen ultraroten Strahlen mit der Thermosäule nachweist, ist wegen ihrer außer- ordentlich geringen Intensität ziemlich schwierig. 1806 stellte Lampa«) in Prag Versuche m?t elektrischen Wellen von 4 mm Län^e an und 191 1 konnte O. von Baeyer') im Laboratorium von Rubens in Berlin Hertz 'sehe Wellen von nur ') Wiedemann's Annalen der Physik 56, S. I (Barth, Leipzig 1895). ') Sitzutigsber. d. Wiener Ak. d. Wissensch. lo?, S. I049 (A. Holder, Wien 1896). ') Landolt-Börnstein, Physikalisch-chemische Tabel- len. 1912 (J. Springer, Berlin). 2 mm Länge in genügender Stärke erzeugen, um ihre Eigenschaften zu untersuchen. Durch weitere Verkleinerung der Dimensionen eines Oscillators und durch Verwendung von vielen Oscillatoren nebeneinander zur Vergrößerung der Intensität, wird man sich vielleicht noch mehr den längsten Wärmewellen nähern können. Die Lücke zwischen dem elektrischen und optischen Spektrum beträgt heute etwa 2 '/a Oktaven und die schmale Kluft zwischen den längsten ultraroten Wellen von 0,342 mm und den kürzesten elektrischen Wellen von 2 mm Länge wird wohl bald gänzlich überbrückt sein. Eine Reihe der Hertz 'sehen Versuche über die Strahlen elek- trischer Kraft konnte Rubens mit der Queck- silberdampfstrahlung von ','3 mm Länge wieder- holen. Die langen Wärmestrahlen ließen sich wie die elektrischen Wellen durch feine Metalldraht- gitter polarisieren und zeigten an sehr kleinen künstlichen Resonatoren elektrische Resonanzer- scheinungen. Mit Recht konnte H. Hertz') auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg 1889 sagen: „Das Licht ist eine elektrische Erscheinung, das Licht an sich, alles Licht, das Licht der Sonne, das Licht einer Kerze, das Licht eines Glühwurms. Nehmt aus der Welt die Elektrizität, und das Licht verschwin- det; nehmt aus der Welt den lichttragenden Äther, und die elektrischen und magnetischen Kräfte können nicht mehr den Raum überschreiten." So wurde durch die genialen Gedanken Maxwell's und dieUntersuchungen von Hertz undRubens^ die Optik zu einem Zweig der Elektrizitätslehre. Bei seinen ersten Versuchen im Jahre 1887 erzeugte Hertz elektrische Wellen von 6 m Länge, zu Beginn der drahtlosen Telegraphie wurden elektrische Wellen von etwa lOO— 300 m Länge ver- wendet und die modernen Großstationen benützen zur Erzielung beträchtlicher Reichweiten Wellen bis zu 10 000 m Länge. Dem in den elektrischen Lichtleitungen üblichen Wechselstrom von 50 Schwingrungen in der Sekunde entspricht eine Wellenlänge von 6000 Kilometern in der Luft. F. W. Herschel hatte bei der Untersuchung der Spektralfarben mit einem geschwärzten Ther- mometer jenseits des Rot die unsichtbaren ultra- roten Strahlen durch ihre Umwandlung in Wärme nachgfewiesen. Mit einem Bolometer, dem hoch- empfindlichen Thermometer des modernen Physi- kers, kann auch leicht in dem jenseits des Violett eelegenen dunklen Raum eines Spektrums eine Wärmewirkung festgestellt werden, welche von den ultravioletten Strahlen herrührt. Zum ersten- mal wurden die ultravioletten Strahlen im Jahre 1801 von J. W. Ritter durch ihre chemische Wirkung aufgefunden und selbst heute ist die Photographie das fast ausschließlich gebrauchte Hilfsmittel zur Erforschung des ganzen ultra- ') H. Hertz, Licht und Elektrizität. S. 5/6 (A. Kröner, Stuttgart 1905I. *) Vgl. noch H. Rubens, „Wärmestrahlung" in der Physik der „Kultur der Gegenwart" S. 187—208. N. F. XVII. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 653 violetten Gebietes. Die Wellenlänge der sichtbaren violetten Strahlen liegt etwa zwischen 440 und 380 /(/(. Bei Anwendung von Spektrometern mit Glasteilen kann nur das Gebiet des ultravioletten Spektrums photographisch oder durch seine Fluo- reszenzwirkung zur Beobachtung kommen, das zwischen 380 und 340 /(/( liegt. Eine große Inten- sität besitzt in diesem Gebiet der elektrische Kohlenlichtbogen. GenaueWellenlängenmessungen im Ultraviolelt unternahm im Jahre 1856 Esselbach und er erweiterte das ultraviolette Spektrum bis zu Wellen von 350 ///(. Das gewöhnliche Glas beginnt Wellen von 340 //// an sehr stark zu absorbieren und erst das in der Neuzeit in den Handel gebrachte Jenaer Ultra- violettkronglas ist für Strahlen bis 300 /(;< gut durchlässig. Als Strahlenquelle zwischen 340 und 300 /(,« verwendet man mit Vorteil eine Queck- silberdampflampe, deren Glasteile aus dem ge- nannten Jenaer Kronglas bestehen. Für das Gebiet von 300 bis 220 ///( zeigt das Quarzglas hohe Durchlässigkeit und bei einem Spektrographen für diesen Teil des Spektrums müssen alle Prismen und Linsen aus geschmolzenem Quarz hergestellt sein. Eine große Stärke in diesem Gebiet hat die Strahlung der Ouarzquecksilberlampe. Ver- wendet man für die Prismen und Linsen eines Spektrographen kristallisierten Quarz d. h. Berg- kristall oder noch besser Flußspat, so läßt sich auch noch das Strahlengebiet zwischen 220 und 185 Hfx erschließen. Die letzten Spektrallinien des elektrischen P'unkens zwischen Aluminiumelektro- den liegen unter Verwendung einer Quarzflußspat- optik bei 185 /<^ Diese von Stokes erreichte Grenze im ultravioletten Spektrum konnte lange Zeit nicht überschritten werden. Da wies 1892 Viktor Schumann nach, daß die kürzeren Wellen bereits sehr stark von der atmosphärischen Luft und auch von der Gelatine der photographischen Platten absorbiert werden. Deshalb konstruierte Schumann einen Vakuumspektrographen mit einem Prisma und mit Linsen aus Flußspat und benützte zur Aufnahme selbst präparierte, bindemiitelfreie photographische Platten. So konnte Schumann im Spektrum von Wasserstoff Geißlerröhren bis zu Strahlen von 123 fifJ. vordringen. Die Schumannstrahlen, wie man diese ultravioletten Strahlen genannt hat, werden schon durch ganz kurze Luftstrecken völlig aufgehalten und von 120 /.i/n an setzt auch die Absorption dieser Wellen durch Flußspat ein. Als Ph. Lenard^) die ionisierende Wirkung sehr kurzwelliger ultravioletter Strahlen auf Gase untersuchte, benützte er als Lichtquelle einen elektrischen Funken besonderer Art und schätzte, daß dieser eine Strahlung von 1 20 — 90 ///< aus- sandte. Messungen der Wellenlänge wurden aber nicht angestellt. Auch Wood glaubte im elek- trischen Funken „Ultraschumannwcllen" nachge- wiesen zu haben ; doch zeigte Steubing,^) daß es sich bei Wood wohl nur um zerstreutes gewöhn- liches Funkenlicht handelte. Mit großem Erfolg hat Theodore Lyman^) das ultraviolette Gebiet erweitert, indem er von 1 20 /(/« bis 60 /ufi vordrang und damit eine ganze Okiave des ultravioletten Spektrums der Messung erschloß. Wie Viktor Schumann benützte er einen Vakuumspektrographen und gelatinefreie photographische Platten. An Stelle eines Fluß- spatprismas verwandte er jedoch ein Beugungs- gitter und damit war jeder absorbierende feste Körper zwischen der Lichtquelle und der photo- graphischen Platte vermieden. 1904 gelang es ihm, Strahlen von 104 /«,« Wellenlänge zu photo- graphieren und 10 Jahre später beobachtete er eine Wasserstofflinie von 90,5 fiju. Bei 90 /is 0,063 A. Noch beträchtlich kürzere Röngenstrahlen hat wahrscheinlich F. Dessauer '^) unter den Händen gehabt; Dessauer konstruierte einen neuen Hoch- spannungstransformator, der eine Maximalspan- nung von 310 Kilovolt') lieferte. Er schätzt die Wellenlänge der Röntgenstrahlen bei Spannungen von 103 bis 308 Kilovolt nach der Größe ihres Absorptionskoeffizienten auf 0,192 bis o,i42A. Die- se Angaben Dessa u er s stehen mit den in Rönt- genspektrographen unmittelbar gemessenen Wellen- längen uud mit der nach der Quantenthoerie be- rechneten Härte der Rötgenstrahlen im Widerspruch die Berechnung der Wellenlängen aus dem Absorp- tionskoeffizienten ist unsicher *). Das heute spek- 1) Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik Bd. XIII, Heft 3 (Hirzel, Leipzig 1916). •-) vergl. Wagner, Phys. Zeitschrift S. 417 (Leipzig 1917)- ') Wagner 1. c. und Proc. Nat. Acad. 2, S. 265 (1916). *) Phys. Zeitschrift S. 269—271 (Leipzig 1918). 6) Phil. Mag. 34, S. 153 (1917) nach Referat in den Beibl. zu d. Ann. d. Phys. 0) Verh. d. D. Phys. Ges. S. 155—230 (Vieweg und Sohn, Braunschweig 1917). ') Neuerdings 450 Kilovolt, siehe M. m. W. S. 1030 (München 1918). »J vergl. Kohlrausch, Phys. Zeitschrift S. 345— ;i49 Bd. 19 (Leipzig 1918). trometrisch genau erschlossene Gebiet der Rönt- genstrahlen reicht von 0,073 A bis zu 12,346 A und es umfaßt dieser neue Spektralbereich über 7 Oktaven. Völlig wesensgleich mit den Röntgenstrahlen sind die /Strahlen der radioaktiven Stoffe; nur stellen sie eine elektromagnetische Strahlung von zum Teil noch erheblich kürzerer Wellenlänge dar. Daraus erklärt sich ihre große Durchdringungs- fähigkeit, welche die der Röntgenstrahlen oft be- trächtlich übertrifft. Es war Rutherford, wel- cher zuerst im Jahre 1914 beim Durchgang von /■Strahlen durch Kristallplatten Interferenzerschei- nungen auffand und damit zum erstenmal genaue Wellenlängenmessungen anstellen konnte. Die harte äußerst durchdringungsfähige /-Strahlung von Radium B und Radium C umfaßt das Spek- tralgebiet ') von 0,072 bis 0,428 A. Die starken Linien von 0,159 "n^^ 0,169 A entsprechen der K-Serie der Röntgenspektren von Ra B und RaC, welche mit den Elementen Blei und Wismut che- misch identisch (isotop) sind. Für Uran, das Ele- ment mit dem höchsten bekannten Atomgewicht, berechnet sich nach Moseleys Formel für die kurzwelligste Linie der K-Reihe im Röntgenspek- trum eine Wellenlänge von 0,1086 Ä. Der Ur- sprung der /Strahlen unter 0,137 Ä im Spektrum von Ra B und Ra C ist also unbekannt. Mit diesen Messungen stimmt recht gut eine neue, sehr sorgfältige Untersuchung der harten /Strahlen des Radiums von Kohl rausch '") über- ein, der jedoch die Wellenlänge auf indirektem Weg aus den mit allen Vorsichtsmaßregeln be- stimmten Absorptionskoeffizienten berechnete. Für die 2 härtesten Strahlengruppen schätzt Kohl- r a u s c h die Wellenlänge auf 0, 1 74 und o, 1 39 A. In- folge der geringen Genauigkeit der aus den Ab- sorptionskoeffizienten berechneten Wellenlängen darf angenommen werden, daß diese harten Strahlen den durch Rutherford gemessenen Linien von 0,15g oder 0,169 und 0,099 A entsprechen. Zu ganz anderen Ergebnissen für die Wellenlänge der harten /-Strahlen von Radium C kommt jedoch neuerdings R ut he rf or d. ■*) Nach den Massen- absorptionskoeffizienten in Aluminium und Blei schätzt er die Wellenlänge der harten /-Strahlen auf 0,02 bis 0,007 A. *) In diesem Gebiet scheint nach Rutherford die unmittelbare Wellenlängen- messung mit der Kristallanalyse zu versagen, da hier die Wellenlänge der /-Strahlen schon von der Größe der Gitterkonstanten ist. In den /i- Strahlen radioaktiver Stoffe haben wir z. T. Elektronenstrahlen von einer solchen Ge- schwindigkeit, wie sie ein elektrisches Feld von beispielsweise 600000 bis 2000000 Volt erzeugen würde. Röntgenröhren mit ähnlich hohen Span- ') Rutherford, Phil. Mag. 28 S. 263 (iqm). ■-) Jahrbuch der Radioaktivität S. 64—101 (1901). =>! Rutherford 1917 1. c. Bd. 34 S. 153. M Vgl. jedoch Kohlrausch, Phys. S. 345— 349 (i9l8)- 656 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 46 nungen zu betreiben ist heute technisch unmöglich. Die raschesten /?• Strahlen von RaC haben fast Lichtgeschwindigkeit und sie entsprechen den Kathodenstrahlen einer Röntgenröhre, welche durch ein Feld von 2102000 Volt beschleunigt worden sind. Die Wellenlänge der bei ihrer plötzlichen Bremsung entstehenden elektromagne- tischen Strahlung schätzt Rutherford') mit Hilfe der Quantentheorie auf 0,007 A. In der neuesten Zeit wurde bei Freiballon- fahrten die Beobachtung gemacht, daß in Höhen von etwa 2000 m an in geschlossenen Gefäßen die Ionisation der Luft sehr stark zunimmt. Die Ursache davon ist eine in größeren Höhen sehr rasch an Intensität zunehmende Strahlung von einer Durchdringungsfähigkeit, welche die härteste y-Strahlung der auf der Erde bekannten Radio- elemente etwa 7 mal übertrifft. Wenn es sich bei dieser von oben kommenden merkwürdigen Strah- lung um elektromagnetische Wellen handelt, so ist ihre Wellenlänge sicher noch beträchtlich kürzer wie die der harten /-Strahlen des Radiums C. Ursprung und Natur dieser vielleicht außerterrestri- schen Strahlung sind aber noch ganz unbekannt. Vor 6 Jahren wurde die Interferenz der Röntgen- strahlen entdeckt und damit wurden erst diese Strahlen an das kurzwellige Spektrum der elektro- magnetischen Strahlen angeschlossen. In dieser kurzen Zeit hat sich der Bau der Röntgenspektro- graphen sehr vervollkommt und es können heute bereits zwei benachbarte Spektrallinien im Röntgen- gebiet getrennt werden, deren Abstand ") nur etwa dem der beiden D-Linien im Natriumspektrum ') Rutherford 1917 1. c. Bd. 3+ S. I53. ») Wagner, Phys. Zeitschr. S. 413 (1917). entspricht. Man wird daher jetzt mit Aussicht auf Erfolg den Zeemannefifekt, den Starkeffekt usw. im Gebiet der Röntgenfrequenzen aufsuchen können. Infolge der Wesensgleichheit aller Ätherwellen pflanzen sich die Röntgenstrahlen, die uUravioletten, sichtbaren, ultraroten und elektrischen Wellen mit einer Geschwindigkeit von 300000 km in der Sekunde im Räume fort. Die auffallenden Unter- schiede etwa der Röntgenstrahlen und der elek- trischen Wellen, die bei der drahtlosen Telegraphie gebraucht werden, folgen einzig aus dem ent- sprechend großen Unterschied der Wellenlängen dieser transversalen Schwingungen im Äther oder im Dielektrikum. Die Erforschung des ultraroten Spektrums hat die elektromagnetische Natur aller Ätherwellen bewiesen. Die Erforschung der Röntgenstrahlen hat weitgehende Aufschlüsse über den inneren Aufbau der chemischen Atome gegeben und das Atommodell des Dänen Niels Bohr liefert nicht nur die Theorie der Röntgenspektren der Elemente, sondern stellt auch mit überraschen- der Genauigkeit die lang gesuchten Gesetzmäßig- keiten und die Feinstruktur der optischen Spek- trallinien dar. Es konnte auch mit den Röntgen- strahlen in das Gefüge der Kristalle hineingeleuchtet werden ; die Lage der Atome in den Raumgittern der Kristalle wurde experimentell erforscht und die Kristallphysik machte beträchtliche F"ortschritte. Die Anwendung der Quantentheorie auf die Strah- len im Gebiet der Röntgenfrequenzen hat sich glänzend bewährt und es sind hier noch reiche Ergebnisse für die grundlegenden Probleme der Spektralanalyse, ja für die ganze Optik der elektro- magnetischen Strahlung zu erwarten. Einzelberichte. Botanik. Die umg^ekehrte Pflanze. Mit 4 i\bb. In einem nachgelassenen Werke ') macht der kürz- lich verstorbene Tübinger Pflanzenphysiologe Hermann Vöchting sehr interessante Mittei- lungen über jahrelang fortgesetzte Versuche, die die Wirkung der Schwerkraft auf Formbildungs- vorgänge behandeln und die eine wesentliche Er- gänzung und Erweiterung der von ihm begründeten Lehre von dem polaren Bau des Pflanzenkörpers geben. Schneidet man aus einem Weidenzweige ein Stück heraus, so kann man an ihm ein unteres, nach der Wurzel hin schauendes, das Wurzelende, und ein solches, das nach der Spitze des Zweiges gerichtet war, das Sproßende, unterscheiden. Steckt man das Zweigstück mit dem Wurzelende in die Erde, so schlägt es hier rasch Wurzeln, und zwar ')UntersuchuDgen zur experimentellen Anatomie und Patho- logie des Pflanzenkörpers, Tübingen '18 H. Laupps che Buch- handlung. kommen die längsten und stärksten direkt aus dem Ende hervor. Am oberen, dem Sproßende, treiben die Achselknospen aus, wiederum die höchste am stärksten. So entsteht in ganz normal bleibendem Wachtum bald ein neues Weidenbäumchen. Was geschieht nun aber, wenn man das Zweig- stück umgekehrt in den Boden steckt, d. h. wenn das Sproßende in der Erde ist und das Wurzel- ende gen Himmel ragt? Wiederum treiben im Be- reich der feuchten Erde Wurzeln aus, wie ja solche an einem Weidenzweige durch P^uchtigkeit an beliebigen Stellen hervorgerufen werden können. Die stärksten entwickeln sich aber nicht an der Schittfläche, sondern möglichst weit entfernt da- von, also unter der Erdoberfläche. Auch die Achsel- knospen schlagen aus und treiben Seitenzweige, aber immer kümmerlicher gegen den gen Himmel ragenden Wurzelpol des Stecklings hin. Die stärksten kommen aus der Erde, und indem sie sich bald mit neuen Würzelchen versehen, ent- N. F. XVII. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 657 stehen schheßHch aus diesen tiefen Seitentrieben neue Pflanzen, während alle höheren samt der Mutterachse selber mit der Zeit schrittweise ab- sterben. Will man also untersuchen, was mit einer umjrekehrten Pflanze geschieht, so müssen diese tiefsten Seitenzweige dauernd entfernt werden. Nun- mehr treiben in einiger Entfernung von dem Boden ein oder zwei Seitenknospen kräftig weiter, die über ihnen befindlichen bleiben aber klein und Abb. I. Iljährige Weidenpflanze aus einem umgekehrten Steckling hervorgegangen, a. Die ursprüngliche Stecklingsachse, oben im Absterben begriffen, z. Seitenzweig. Nach Vöchting. sind, wie wir hier schon vorwegnehmen wollen, samt ihrem Tragstück zum Absterben verurteilt. Wir haben also ein System vor uns (vergl. Abb. 2a), das folgendermaßen zusammengesetzt ist: in der Erde haben wir eine Wurzel W, in einiger Ent- fernung über dem Boden einen fortwachsenden geotropisch aufgekrümmten Seitenzweig Z(oder zwei, was für unsere Überlegungen keinen Unterschied bedeutet), und beide sind verbunden durch ein Stück der ursprünglichen Achse. Aber dieses Stück ist in die Bahn der zwischen Sproß und Wurzel verlaufenden Wechselbeziehungen in um- gekehrter Richtung eingeschaltet. Bald zeigen sich nun schwere Wachstumsstörungen, die im Laufe der Jahre zu wunderlichen Geschwülsten führen. Gegenüber der Ansatzstelle des Seitenzweiges Z (vgl. dazu Abb. i) wölbt sich aus der Außenseite der Mutterachse a ein mächtiger Buckel hervor, unterhalb des Seitenastes entsteht ein wulstiger Sockel, der auch an der unteren (morphologisch oberen) Flanke entlang zieht und allmählich ver- streicht, und beide werden durch brückenartige, um die Mutterachse herum greifende Wülste ver- bunden. Auch an der Ansatzstelle der obersten und stärksten Wurzel schwillt das Gewebe an. So wachsen diese merkwürdigen Gebilde jahrelang weiter, während aber einige deutlich einen sich allmählich immer mehr ausprägenden Heilungs- prozeß erkennen lassen, kränkeln andere dauernd und enden, oft erst nach vielen Jahren, ein mühsam hingeschlepptes Dasein. Worin besteht nun die Störung? und umgekehrt, wie wird sie von manchen Pflanzen überwunden? Dazu müssen wir auf das wichtige Gesetz der Polarität des Pflanzenkörpers zurückgreifen, wie es Vöchting bereits vor einem Vierteljahrhundert aus umfangreichen Versuchen über Verwachsungen, Umkehrungen usw. ableitete. Nach diesem Gesetz sind die Pflanzenzellen polar gebaut, und diese Polarität geht bereits auf die Eizelle zurück. Schon an ihr muß ein positiver und ein negativer Pol ihrer inneren Struktur ausgebildet sein. Auf sämt- liche Abkömmlinge geht diese Polarität über, die Pflanze bildet also ein System von Zellen, die alle mit ungleichnamigen Polen zusammenstoßen und zusammenstoßen müssen, wenn der Organismus normal arbeiten und sich entwickeln soll. Aus dieser inneren Polarität der Zellen und ihrer ent- sprechenden polaren Aufreihung sind die Erschei- nungen der äußeren Polarität zu erklären und ab- zuleiten, wie sie sich am ausgeprägtesten in dem Gegensatz zwischen Sproß und VVurzel kundtun. Vöchting bezeichnete deswegen die aus seinen Experimenten theoretisch abgeleiteten Pole der Zellen als Sproß- und Wurzelpole. Sie sind sehr stark festgelegt bei allen langgestreckten Zellen, also Holzfasern, Gefäßgliedern, Siebröhrzellen, Bastfasern usw., weniger stark bei Parenchymzellen, deren Polarität auch unter besonderen, entweder durch normale Wachstumsvorgänge oder experi- mentell gesetzten Einwirkungen den veränderten Umständen entsprechend „abgelenkt" werden kann. Die Störungen nun, die sich in so auffälligem Maße in den umgekehrten Weidenstecklingen geltend machen, beruhen, wie ein Blick auf die Abb. 2a dartut ^), einmal darauf, daß im ganzen Mutterstück die Polaritätskette umgekehrte Rich- tung hat, und dann, daß an der Ansatzstelle der Äste und Wurzeln gleichnamige Pole in mehr oder weniger großem Winkel aneinanderstoßen. Diese innere Regelwidrigkeit veranlaßt die abnormen ') In den Abbildungen 2 — 4 bezeichn Richtung der Sprofiwurzelpolarität. die Pfeile die 658 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 46 Wachstumsvorgänge, die in den oben geschilderten Geschwülsten sichtbar werden, die sich aber auch, wie Vöchting in sehr sorgfältiger Weise fest- stellt, in der F"orm und Größe der Zellen, der Zusammensetzung der Gewebe und in dem Faser- verlauf äußern. Was den letzteren angeht, so gibt von ihm die Abb. 2 b eine Vorstellung. Hier ist gleichzeitig durch die Pfeile der Verlauf der in den Geschwülsten verlaufenden neuen Polaritäts- linien eingezeichnet. Danach schwingen sie also aus dem ausladenden Wulste rechts am Mutter- stück im Bogen durch die Brückenwülste (deren damit die Heilung geht nun z. B. so vor sich, wie das die Abb. 2 c schematisch darstellt. Von der Wurzel und noch wesentlich mehr vom Astsockel her wallen die Wülste weiter bis sie aufeinander- stoßen und dann durch den neuen Zuwachs all- mählich zusammenfließen. Nunmehr können sich auch im inneren die normalen Polaritätslinien herausbilden, anfänglich noch stark geknickt, all- mählich aber immer schlanker verlaufend. Dieser weitere Verlauf des Zuwachses ist in der Abb. 2 c durch den großen Pfeil angedeutet. Merkwürdig ist, daß sich zwar weniger auf- M Abb. 2. Schematische Darstellung von verkehrten Weidenstecklingen in verschiedenen Stadien der Ent- wicklung. W Wurzel, z Seitenzweig, a Mutterachse. Die Pfeile geben die Richtung der Polarität an. a Junger Steckling, b .\lterer in der Aufsicht, c Noch älterer im Längschnilt. Z. T. nach Vöchting. vorderer hier in der Aufsicht dargestellt ist) herum in den Sockelwulst des Astes, um hier dann in der normalen Scheitelrichtung weiterzustreichen. Dadurch ist aber immer noch nicht ein von der Wurzel zum Sproß ununterbrochen ziehender Verlauf des Polaritätszusammenhanges hergestellt. Das Mutterachsenstück sitzt noch, gleich einem Fremdkörper, dazwischen. In ihm ist einmal der weitere vom Cambium gebildete Zuwachs abnorm (gesteigerte Parenchymbildung, starke Verkürzung der Holzzellen und Gefäßglieder verbunden mit abnortner Ausbildung derselben), dann aber be- sonders schließt es weder an die Wurzel noch an den Sproß normal-polar an. Der Stoffverkehr geht also über ein beträchtliches Stück auf unge- wöhnlichen Bahnen vor sich. Gelingt es der Wachätumskraft nicht, dies Hindernis zu über- winden, so geht schließlich, wetin auch erst nach Jahren, die Pflanze ein. Seine Überwindung und fallende, aber doch morphologisch und anatomisch ganz deutlich nachweisbare Störungen auch im normalen Verlauf der Entwicklung des Pflanzen- körpers zeigen, und zwar an der Ansatzstelle der Seitenäste und der Wurzeln. In der Achsel stoßen nämlich beim Dickenwachstum ebenfalls ungleich- namige Pole aufeinander, infolgedessen sind hier der Faseiverlauf und die Zellenelemente von einer so merkwürdigen Beschaffenheit, daß sie V ö c h t i n g geradezu als pathologisch bezeichnet und zu dem Satze gedrängt wird, daß eine mit sekundärem Dickenwachstum begabte holzige Pflanze , abge- sehen vom ersten Jugendalter, niemals völlig ge- sund sei. Auch die durchaus pathologischen Geschwülste, die an der verkehrten Pflanze auf- treten, geben Anlaß zu allgemein interessanten Betrachtungen. Wie merkwürdig, daß nur durch die verkehrte Orientierung zur Schwere- richtung tiefgreifende pathogene Wirkungen aus- N. F. XVII. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 659 geübt und krankhafte Gewebe hervorgerufen werden 1 Noch heftiger wirkte die veränderte Lage zum Erdmittelpunkt bei Opuntien, die der Autor in um- gekehrter Lage festhielt. Sie sterben von ihren Scheitelteilen aas langsam, aber unaufhaltsam ab, junge Knospen, die nach abwärts gerichtet werden, gehen rasch zugrunde. Desgleichen war an einem köpflings abvvärtshängenden Säulenkaktus im Ver- lauf von 10 Jahren kein weiteres Wachstum erfolgt. Sein Vegetationspunkt war abgestorben, er konnte die nach unten gerichtete Stellung auf die Dauer nicht vertragen. IVIiehe. Erzeugung von Hexenbesen durch die Zwerg- mistel. Die an Bäumen auftretenden dichten Zweigbildungen, die man allgemein als Hexen- besen bezeichnet, werden zumeist durch parasitische Pilze hervorgerufen. Es gibt aber auch eine Gat- tung schmarotzender Blütenpflanzen, die solche Gebilde erzeugen kann, nämlich die Loranthaceen- gattung Arceuthobium, von der verschiedene Arten auf amerikanischen Nadelbäumen die Entstehung der Hexenbesen veranlassen. Auch die europäische Zwerg- oder Wacholdermistel, Arceuthobium oxy- cedri, ist dazu befähigt. Von Heinricher, der sich seit Jahren mit der Kultur dieser in Süd- europa auf Juniperus Oxycedrus heimischen Loran- thacee beschäftigt und mehrere Arbeiten darüber veröffentlicht hat (vgl. Natur w. Wochenschr. 1916, S. 254, 508), ist schon 1914 ein solcher F"all beschrieben worden. Wie er in einer neuen Mit- teilung darlegt, wird der Hexenbesen, den Arceu- thobium auf Juniperus erzeugt (als Wirtspflanze diente zumeist unser heimischer Wacholder), be- sonders durch zwei Erscheinungen gekennzeichnet; erstens durch die dichte Häufung von Auszwei- gungen, zweitens durch ihre negativ geotropische Auf krümmung, auf der dasbesenartige Aussehen be- ruht. Unter 16 mit Arceuthobium besetzten Juniperusstöcken zeigten zwei die Hexenbesen- bildung, und diese beiden Stöcke waren nur an je einer Stelle mit der Zwergmistel behaftet; die reich besiedelten Wacholderstöcke zeigten keine Anlage von Hexenbesen. Anscheinend wird durch die örtlich begrenzte Tätigkeit der Parasiten ein Zustrom von Nährstoffen nach dem Sitze des Schmarotzers angeregt und so eine gedrängte Anlage von Knospen und ihre Ausbildung zu Trieben herbeigeführt, während beim Vorhanden- sein vieler Parasiten auf einem Stock eine Stauung von Baustoffen unterbleibt, da sie vollständig auf- gebraucht werden. Dieselben Bedingungen sind nach Heinrich er's Annahme auch für die durch Pilze erzeugten Hexenbesenbildungen maß- gebend. Der Zustrom von Nährstoffen nach der örtlich begrenzten Stelle bewirkt dort auch starke Hypertrophie, und diese hat vermehrte Triebbildung im Gefolge. Die geotropische Aufrichtung der Zweige betrachtet Verf. weniger als ausgesprochene Wirkung des Parasiten, da sie auch bei dessen Abwesenheit nach Entfernung des Gipfels des Wacholders (wie auch anderer Bäume) einzutreten pflegt. Allerdings sei es wahrscheinlich, daß die geotropische Reaktionsfähigkeit in den vom Schmarotzer durchwucherten Zweigen teilweise erhöht ist; auch dies würde als Folge der verstärkten Nährstoffzufuhr und der dadurch hervorgerufenen Vermehrung des Parenchyms zu deuten sein (Zeiischr. f. Pflanzenkrankheiten Bd. 28 (191 8), S. 193—200). F. Moewes. Kompaßpflanzen. Wie Ernst Stahl vor Jahren gezeigt hat, liegt die Bedeutung der eigen- tümlichen Xordsüdstellung der Blätter von Lactuca scariola darin, daß die vertikal stehenden Blatt- spreiten sich so orientieren , daß sie von den Morgen- und Abendsonnenstrahlen voll in der Fläche getroffen werden, den heißen Strahlen der Mittagssonne dagegen ihre Kanten zukehren, fn bezug auf die Sonne weisen also die Blätter morgens und abends Flächen-, mittags dagegen Profilstellung auf. Morgen- und Abendsonne wird voll ausgenutzt, die Mittagssonne gerriieden, mit ihrer heftigen, sich namentlich in Überhitzung und Transpirationssteigerung äußernden Wirkung. Karsten (Flora, Bd. XI, S. 48, 1918) hat nun an Lactuca scariola genaue Temperatur- und Transpirationsmessungen angestellt, um die obige Ansicht Strahl's experimentell zu prüfen. Er stellte fest, daß das flächenbesonnte Blatt sich im Maximum um 7,6 " C stärker erwärmte, als das kantenbesonnte. Was die Transpiration anlangt, so leitet Karsten aus seinen Beobachtungen den Schluß her, daß auch die Verdunstung der Kompaß- pflanze in viel höherem Maße von der morgend- lichen und abendlichen Besonnung abhängt, als vom diffusen Licht. — Senkrechte Stellung der Blattspreiten ist auch bei anderen Pflanzen, be- sonders in den Tropen zu finden. Ob auch hier Nord-Südorienlierung vorkommt, ist noch nicht untersucht. Sie fehlt bei den senkrechten flachen Sproßgliedern der Opuntien, wie Karsten und Stahl gelegentlich ihrer mexikanischen Reise feststellten. Um so merkwürdiger war es, daß Karsten an einer unter besonders günstigen Be- dingungen gepflegten Kakteengruppe des Gewächs- hauses eine scharf ausgeprägte NordSüdeinstellung der jungen Glieder erkennen konnte. Daß sie in den Tropen selber nicht hervortritt, glaubt er folgendermaßen erklären zu können. In den nied- rigen Breiten, wo mittags die Sonne nahezu senk- recht am Himmel steht, ist es ziemlich gleichgültig, nach welcher Himmelsgegend die senkrechten Glieder ihre Kante wenden, die Vertikalstellung an sich gewährt schon hinreichenden Schutz. In der gemäßigten Zone steht auch mittags die Sonne niedriger, weshalb vertikale Organe die intensive Sonnenwirkung dann am besten vermeiden, wenn sie ihre Fläche nicht nach Süden wenden. Man sollte also typische Kompaßpflanzen nur außer- halb der Wendekreise erwarten dürfen. Allerdings ist bei dieser Überlegung nicht berücksichtigt, 66o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 46 daß ja, wie oben betont, in der Nord-Südrichtung der aufrechten Blätter außer dem Schutz gegen die sengende Mittagssonne noch die vorzügUche Ausnutzung der Morgen- und Nachmittagssonne gegeben ist, und dieser Vorteil könnte ja auch für die Tropen zutreffen. Miehe. Geologie. Über Schieferung und Schichtung in kristallinen Schiefern gibt Ö. H. f£rdmanns- dörffer interessante Mitteilungen im Centralbl. für Mineralogie, Geologie und Paläontologie Nr. 1 1 und 12, 1918. Unter Schieferung versteht man zumeist die sekundäre Schieferung. Charak- teristisch für die Schieferung ist die parallele Lagerung spaltender Mineralindividuen, wodurch eine leichtere Teilbarkeit des Gesteins nach einer Fläche eintritt. Die Schieferung ist somit eine typische Eigenschaft der Textur. Nicht hierher- gehörig sind die durch Spannungsverhältnisse ent- standene Plattung, Klüfiurg usw. ohne Parallel- stellung von Gemengteilen. Die Schieferung zerfällt begrifflich in eine pri- märe und eine sekundäre. Primär schieferige Ge- steine sollten schieferig, sekundär schiefrige als geschiefert bezeichnet werden. Die primäre Schieferung findet sich sowohl bei Sedimenten (Sedimentation blättriger gut spaltender Mineralien wie Glimmer, Chlorit) wie auch bei Erstarrungsgesteinen (Spaltrichtung von Glimmer, Hornblende, Feldspat durch fluidale Bewegung in der noch flüssigen Masse parallel gestellt). Bei primär schiefrigen Gesteinen ist Schicht- und Schieferungsebene identisch, bei geschieferten Gesteinen schneiden sich beide Ebenen unter allen möglichen Winkeln. Die Schieferungsebenen der kristallinen Schiefer stellt man fast durchweg zu den sekundär schief- rigen. Indessen gibt es auch viele kristalline Schiefer, bei denen Schicferungs- und Schichtfläche zu- sammenfallen, die somit primärschiefrig sind. Ein charakteristisches Kennzeichen für diese Gruppe von Schiefern ist ihre einfache tektonische Lagerung ohne Änderung der ursprünglichen Aufeinander- folge der verschiedenen Sedimentlagen. Es kam nicht zu einer differentiellen Bewegung verschie- dener Gesteinselemente, sondern die Umwandlung zum kristallinen Schiefer ist durch einen stationären Charakter gekennzeichnet und durch Kontakt- metamorphose erzeugt. Sie ist nicht die Folge eines mit Gleitfaserbildung verknüpften Bewegungs- oder Ausweichungsvorganges oder einer Kristalli- sationsschieferung, sondern sie ist von den präexi- stierenden Schicht- d. h. Unstetigkeitsflächen ab- hängig, die bei der Ummineralisierung des Gesteins durch schieferungsbefördernde Mineralien noch be- sonders verstärkt wurden. Derartige Schiefer haben oft eine große räum- liche Ausdehnung und eine sehr gleichartige Ent- wicklung, die eine regionale Ursache (Regional- metamorphismus) voraussetzt. Die Verhältnisse während der Bildung dieser Schiefer dürften denen ähnlich gewesen sein, wie sie im Kontakt mit tiefgelegenen Granitmassen auftreten. Regional- und Kontaktmetamorphose sind in solchen Fällen identisch und liefern identische Pro- dukte — kristalline Schiefer. Der normale Kontakt- metamorphismus ist nur ein durch sehr starkes Wärmegefälle und rapide Umwandlungsgeschwin- digkeit gekennzeichneter Spezialfall. Wünschenswert ist es, diese Schiefer I. Art von den Schiefern II. Art mit wesentlicher Teilnahme von differentiellen Gefügebewegungen zu trennen. Erdman nsdörffer hebt mit Recht die Häufig- keit polymetamorpher Gesteine hervor, die durch verschiedene metamorphosierende Vorgänge entstanden sind. In vielen Gebieten kristalliner Schiefer hat man häufig eine Kombination von Erstarrungsgesteinen mit Schiefern I. Art beobachtet, wo erstere durch differentielle Bewegungen eine schiefrige Textur erhalten haben, während in den ursprünglichen Sedimenten die Schiefertextur als Relikt der pri- mären Schieferung durch stationäre Umkristalli- sation modifiziert zu deuten ist. ■ Für die Schiefer der II. Art kommt vor allem noch das Auftreten des gerichteten Druckes (Stress) hinzu. Die interessanten Ausführungen von Erd- mannsdör f f e r geben ein Bild von der Schwierig- keit dieser Untersuchungen. (G.G.) V. Hohenstein, Halle. Astronomie. Der neue Stern im Adler. Die nunmehr vorliegenden Veröffenilichungen über die Entdeckung und die ersten Beobachtungen des am 8. Juni im Adler erschienenen glänzenden neuen Sternes gestatten einen vorläufigen Überblick über den bisherigen Verlauf der Erscheinung. Die Frage, wem die Ehre der Entdeckung gebührt, ist bisher nicht aufgeworfen worden wegen der Unmöglich- keit, hierüber eine Entscheidung zu treffen, denn gleich am ersten Tage war das Gestirn so auffällig, daß es keinem Beobachter entgehen konnte, der mit jener Himmelsgegend nur einigermaßen ver- traut war. Beiden astronomischen Zentralstellen in Kiel und in Cambridge (Nordamerika) liefen in- folgedessen auch sofort sehr zahlreiche Anzeigen ein. — Die Bezeichnung „neuer Stern" ist selbst- verständlich mit einiger Beschränkungzu gebrauchen denn „neu" im eigentlichen Sinne kann ein solcher Stern nicht sein. Ein dunkler oder schwachleuch- tender Körper muß immer vorhanden gewesen sein. Im jüngsten Falle fand man auf verschiedenen photographischen Himmelskarten und Platten an der Stelle, die jetzt die Nova einnimmt, einen Stern zehnter bis elfter Größe, also einen gar nicht allzu schwachen Himmelskörper. Es unterliegt kaum noch einem Zweifel, daß dieses Sternchen die Nova ist. Auch hat man auf der Großherzogl. Sternwarte zu Heidelberg und der Harvard-Stern- warte in Nordamerika, den beidenStellen, die die größ- ten Sammlungen von Himmelsaufnahmen besitzen, N. F. XVn. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 661 bei der Untersuchungf früherer Platten unabhänprig festgestellt, daß jenes Sternchen anscheinend schon seit Jahrzehnten geringe Schwankungen seiner Lichtstärke etwa im Umfang einer halben Größen- klasse zeigte. Sollte sich dies bei Heranziehung weiterer Platten bestätigen, so würde dadurch vielleicht ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Er- klärung der merkwürdigen Erscheinugen geliefert werden, die die neuen Sterne uns darbieten. Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, daß auch am Orte der Nova Persei von 1901 P i c k e r i n g auf Harvard- Aufnahmen ein Sternchen 14. Größe fand, das Lichtschwankungen in Betrag einer Größen- klasse zeigte. Ob dieses Sternchen und die spätere Nova der gleiche Himmelskörper sind, ist auch heute noch nicht sicher ermittelt. Die Örter stimmen innerhalb von 2 Bogensekundcn überein. Auch die Zeitdauer des Aufflammens der Nova Aquilae hat man feststellen können. Auf einer Harvard-Aufnahme vom 3. und einer Heidel- berger Platte vom 5. Juni ist das am Ort der Nova stehende Sternchen unverändert ic — 11. Größe. Eine Harvard-Platte vom 7. Juni zeigt die Nova bereits als einen Stern 6. Größe, ohne daß man indessen darauf aufmerksam wurde. Erst als in der nächsten Nacht ein Stern erster Größe, etwa gleich Altair im Adler, jene Stelle einnahm, wurde die Erscheinung bemerkt. Am 9. Juni endlich trat der Höhepunkt ein, indem die Nova selbst Wega noch um eine halbe Größenklasse übertraf. Un- mittelbar darauf begann aber auch schon der Ab- stieg, und bis Ende Juli sank die Hrlligkeit unter Schwankungen bis zur vierten Größe. Der bis- herige Verlauf der Erscheinung ist durchaus normal und deckt sich nahe mit jenem der Nova Persei von 1901. — Einige Liebhaber der Himmelskundc wollen die Nova schon vor dem 8. Juni als Stern erster oder zweiter Größe gesehen haben. Diese Angaben sind nunmehr als irrtümlich erwiesen. Die gleiche Erfahrung machte man in Februar T901. Das Spektrum des neuen Sterns zeigte die für diese Klasse von Himmelskörpern kennzeichnenden Veränderungen. Am 8. und 9. Juni glich es fast völlig den Spektren der Sterne erster Klasse, in- dem das leuchtende Farbenband nur von den dunklen Wasserstoftlinien unterbrochen war. Schon am 1 1. Juni zeigte sich das ausgeprägte Nova Spek- trum, das man nur bei den neuen Sternen finden kann. Das Lichtband erschien von zahlreichen dunklen Banden und Liniengruppen durchsetzt, deren Zwischenräume hier und da fast hellen Linien glichen. Besonders auffallig wegen ihres Glanzes wareineWasserstofflinieimRot,diedemGesamtlicht des Sternes schon für das bloße Auge einen rötlichen Schimmer verlieh Der Anblick im Spektroskop war in diesen Tagen von wunderbarer, seltsamer Schönheit. Physikalisch deutet das Erscheinen der dunklen Linien und Banden auf das Vorhandensein einer lichtabsorbierenden Gashülle hin. Am ehesten ist das Nova-Spektrum noch mit den Banden- oder Kulissenspektren der Sterne vom vierten Spektral- typus zu vergleichen. Indessen stellt es bei näherer Betrachtung doch etwas Einzigartiges dar. — Dem bloßen Aui^e erschien der Stern in den ersten Tagen weiß mit grünlichem Schimmer, später rötlich, doch eigentlich nicht gelbrot. Auch im Spektrum nahm das Gelb nur geringen Raum ein. C. H. Die Bestimmung einer SternparaUsxe, das ist des Winkels, unter dem der Halbmesser der Erdbahn gesehen von dem zu messenden Stern aus erscheinen würde, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der messenden Astronomie. Einesteils wegen der absoluten Kleinheit des zu messenden Winkels, andererseits wegen der Schwierigkeit, den meist hellen Stern scharf genug im Instrument auf- zufassen, abgesehen von allen störenden Einflüssen des Luftzustandes, der Wärmeverteilung im In- strument und seinen Teilen usw. Es ist infolge dessen nicht wunderbar, wenn in manchen Fällen die Ergebnisse verschiedener Beobachter, die sich noch dazu verschiedener Instrumente und Methoden bedienten, nicht sehr befriedigend übereinstimmten. Daß aber die heutige Meßkunst auch hierin auf der Höhe steht, zeigt folgende Zusammenstellung der Messungen an zwei sehr hellen Sternen. Es werden hier angeführt der Name des Beobachters, die Parallaxe, deren wahrscheinlicher Fehler und das angewandte Instrument. 1. Prokyon Wagner o",299 o",038 Meridiankreis Flint O, 340 O, 039 Meridiankreis Elkin O, 334 o, 015 Heliometer Miller O, 387 O, 012 Photographie Mitchell o, 309 o, 007 Photographie ~Ö71Ö9 2. Atair Elkin o",232 o",oi9 Heliometer Flint O, 220 O, 047 Meridiankreis Jewdokimow O, 216 O, 073 Meridiankreis Mitchell o, 218 o, 077 Photographie o, 220 Riem. Zu den wenigen bisher bekannten Fällen, in denen ein Meteorschwarm in unmittelbare Be- ziehung zu einem Kometen gesetzt werden kann, ist ein neuer gekommen, der den Kometen 1858 Win necke betrifft. Durch die Störungen des Jupiter war dessen kleinster Abstand von der Sonne im Jahre 1858 = 0,76 auf 0,97 im Jahre 1909 angewachsen, also fast genau = i, der Erd- entfernung von der Sonne. Der Komet mußte also unter Umständen sehr nahe an die Erde kommen können, wenn sich beide Körper gleichzeitig in dem Teile ihrer Bahn befinden würden, der der Bahn des andern nahe gelegen ist. Dies trat in der Zeit vom 21. Mai — 4. Juli 1916 ein, die größte Annäherung fiel auf den 28. Juni. Hier trat ein glänzender Meteorfall ein. Es gelang 7 Radianten festzustellen, für die erst parabolische Bahnen berechnet wurden. Als sich aber zeigte, 662 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 46 wie nahe diese Bahnen zusammenstimmten, wurde die RechnunjT einer elhptischen Bahn durchgeführt, die nun die Identität bewies und den gemein- samen Ursprung des Kometen und des Meteor- schv/armes deutlich zeigte. Riem. Zoologie. Eine neue Futterpflanze für den Edelseidenspinner. In der Zeitschrift „Die Seide" (Jahrg. 191 7 Heft 2) findet sich die Mitteilung, daß ein Japaner eine neue Futterpflanze der Seidenraupe entdeckt haben will, mit der gute Kokonsergebnisse erzielt werden konnten. Diese Pflanze, mit ihrem japanischen Namen Akinogehsi ist eine Salatart, Lacfiica brcvirosfis Chcinip. Da voraussichtlich auch die Kultivierung dieser Pflanze von Kreisen, welche die Einführung des Seidenbaues in Deutschland fördern wollen, erwogen werden dürfte, sei das Urteil des bekannten österr. Seidenbausachverständigen Hofrat J. Bo 1 1 e - Wien nach dem Bericht in der „Zeitschift für angewandte Entomologie" mitgeteilt. Bolle macht mehrere Bedenken „gegen diesen neu aufgetauchten und zu rosig und hoffnungsvoll angekündigten Ersatz" der Monis alba geltend. Vor allem weist er auf die große Bodenfläche hin, welche die neue Futterpflanze benötigen dürfte. Er schätzt, daß man von jedem Hektar nur 40 Meterzentner Blätter ernten könne, womit man gegen 2 Unzen Seidenraupensamen zu 30 g aufzüchten und im besten Fall lOO kg Kokons- ertrag wird erzielen können. Bei dieser Berech- nung ging Bolle von dem Standpunkt aus, daß, während i2'/.2 Meterzentner Maulbeerlaub für je 50 kg Kokonertrag genügen, bei der Salatpflanze wenigstens Vs mehr zu rechnen ist. Dieser Schluß ist sicher berechtigt, da das dünne Blatt von Ladnca sehr rasch welk wird, daher von den Raupen immer nur ein bestimmter Bruchteil des gebotenen Futters angenommen werden wird, ein Teil aber bei der Fütterung verschmäht und dann ungenützt zu gründe gehen wird. Auch das Pflücken der Salatblätter ist sicherlich eine viel mühseligere Arbeit als das Abstreifen der Triebe des Maulbeerbaumes. Ferner ist der Anbau einer einjährigen Blattpflanze, die das Maulbeerlaub ersetzen soll, unzweckmäßig und unökonomisch, eine Tatsache, die „auch die noch immer nicht verstummten Freunde der Schwarz- wurzelfütterung beherzigen sollten." H. W. Frickhinger, Bücherbesprechungen. Rothe, Karl Cornelius, Vorlesungen über allgemeine Methodik des Naturge- schic hts-Unterrichts. Heft I und II. München. Seybold. — 3, — M. und 3,50 M. Das Buch geht nicht auf spezielle methodische Fragen ein, bringt auch keine erschöpfende Über- sicht des dahingehenden Stoffes, sondern behan- delt in 8 Kapiteln allgemeine Fragen über die Methodik des Naturgeschichts- Unterrichts. Heft I enthält: Geschichte der Methodik im XIX. Jahr- hundert. Der gegenwärtige Stand der Methodik. Kritik des derzeitigen Standes. Heft II bringt: Der Konditionismus. Die Deszendenzlehre und ihre Berücksichtigung in der Schule. Das Heimat- prinzig im naturwissenschaftlichen Unterrichte. Hygiene im Naturgesehichts-Unterrichte. Die Darstellung ist ansprechend und berück- sichtigt in geschichtlicher Anordnung ausreichend, was nötig ist, um einerseits richtig vorbereitend einzuführen und andererseits Kritik üben zu können. Daß er die unbestreitbaren Verdienste der Öster- reicher Schmarda, Vitus Graber, Kerner von Marilaun betont und mehr hervorhebt, ist sehr anerkennenswert und trägt hoffentlich dazu bei, daß die für den modernen Biologieunterricht mit grundlegenden Arbeiten dieser Männer auch von reichsdeutschen Autoren mehr gewürdigt werden. Scharf, aber dabei alles Gute durchaus anerkennend, ist seine Stellungnahme zu S c h m e i 1. „Junge schafft für die Zukunft, Schmeil für den Augenblick der Gegenwart." In letzter Zeit mehren sich ja die Stimmen, die Schmeil's Bedeutung für den Ausbau der Methodik der bio- logischen Wissenschaften auf das richtige Maß zurückführen und bündig darlegen, daß auch er nur eine kleine Etappe in dem unaufhaltsamen Strome des sich immer gründlicher ausbauenden biologischen Unterrichtes bedeutet. Auch was Rothe über Deszendenzlehre, das Heimatprinzip und die Hygiene im Naturgeschichts- Unterricht sagt, ist gut abgewogen und trifft im allgemeinen das Richtige. Die starke persönliche Note, die der Text zeigt, erklärt sich aus der Entstehung des Buches aus Vorlesungen in einem Lehrer- vereine. Für die Naturgeschichtslehrer aller Schulen dürfte das Buch mancherlei Anregung bringen und besonders denen zu empfehlen sein, die sich in den weitschichtigen Stoff einarbeiten wollen. Dr. O. Rabes, Mülheim-Ruhr. AAi'alter Stempeil, Licht und Leben im Tierreich. Mit 35 Textfiguren. 122 S. „Wissenschaft und Bildung" Bd. 147. Verlag von Quelle & Meyer. Leipzig 19 17. — Geb. 1,50 M. WalterStempell, dessen 1 9 1 6 erschienenen „Elemente der Tierphysiologie" allgemein bekannt geworden sind, hat neuerdings einen der wich- tigsten und interessantesten Abschnitte aus dem Gebiete der Sinnesphysiologie in einem Bändchen der Sammlung „Wissenschaft und Bildung" allge- meinverständlich dargestellt. Neben speziell physio- logischen Kapiteln über die Reaktion der Tiere N. F. XVn. Nr. 46 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 663 auf Lichtreize, übtr die verschiedenen Lichtsinnes- organe der Tiere und über das Sehen von Körpern und Farben, werden auch andere mehr biologische Fragen behandelt. So sucht der Verfasser die verschiedenen Farben der Tiere zu erklären und ihre Vererbung. Im letzten Abschnitt wird noch der Einfluß der Sonnenbestrahlung (Wärme) auf die Tiere dargestellt, der Schlaf und die Licht- produktion der Tiere. Die verschiedenartigen Wirkungen des Lichtes auf die Organismen finden eine knappe, zusammenfassende Bearbeitung. Fratje. Böttgers Praktische Anleitung zur Kultur der wichtigsten Ölgewächse. 2. Aufl. m. Berücks. d. neuest. Erfahrungen der wissensch. Forschung u. Praxis vollst, neu bearb. v. J. Richter. Leipzig, Reichenbach'sche Veriagsbuchh., 89 S. Der immer fühlbarer werdende Mangel an Fetten und Ölen hat zu der Losung: „Baut Öl- pflanzen" Anlaß gegeben. Verf führt den Leser in die Praxis des Ölfruchtbaues ein. Er bespricht eingehend: i. die eigentlichen Ölpflanzen: Raps (Brassica Napus oleifera) und Rübsen (Br. Rapa oleifera) nebst zwei Mittelformen „Awehl" und „Biewitz", Senf (Br. nigra, Br. alba), Dotter (Carne- lina sativa), Gartenkresse (Lepidium sativum), Öl- rettich (Raphanus oleiferus s. chinensis), Sonnen- blume (Helianthus annuus), Madie (Madia sativa), Mohn (Papaver somniferum), sowie 2. die Öl liefernden Gespinstpflanzen: Lein (Linum usita- tissimum) und Hanf (Cannabis sativa). Ausführ- liche Angaben werden über Klima, Boden, Dün- gung, Aussaat, Pflege, Bekämpfung der tierischen und pflanzlichen Feinde, Ernte, Erträge u. dgl. gemacht. Herter. Goebel, Prof. Dr. K., Organographie der Pflanzen insbesondere der Archfego- niaten und Samenpflanzen. 2. umgearbei- tete Aufl. 2. Teil. Spezielle Organographie 2. Heft: Pteridophyten. Mit 293 Abb. im Text. Jena '18. G. Fischer. — 12 Mk. In dem vorliegenden starken Hefte Avird die Gestaltenlehre der Pteridophyten behandelt. Goebel bezeichnet seine Wissenschaft bekannt- lich als Organographie, beschreibt, unterscheidet und deutet also die Glieder des Pflanzenkörpers mit Rücksicht auf ihre Funktion, die ihrerseits wieder von Faktoren der Umwelt bestimmt wird. Dabei verliert er jedoch die stammesgeschichtlichen Beziehungen und Zusammenhänge nicht aus dem Auge, jenes geistige Band, das die Formen und Gestalten im Innersten zusammenhält und zu einer großen ideellen Einheit vereinigt. Er widersteht aber der Verlockung, phylo- genetische Gedankengebände aufzurichten, er läßt stammesgeschichtliche Erörterungen nur dort aus seinem kritisch geprüften Material herauswachsen, wo sie sich ungezwungen darbieten. So ist er auch in diesem Hefte wieder ein um- und vor- sichtiger Führer in dem Dickicht der Schlagworte : höher und niedriger, abgeleitet und ursprünglich jünger und älter, rückgebildet und primitiv. Diese vorsichtige Haltung prägt sich auch in der Schreib- weise aus, die oft eine ironische Färbung annimmt, viele Worte nur in Anführungshäkchen, gewisser- maßen nur mit einem skeptischen Achselzucken, gebraucht und oft resigniert abbricht, wo der erhitzte Anfänger mehr erwartet. • — Goebel unterscheidet zwei Haupigruppen, Lycopodiales und Filicales, indem er zu den letzteren auch die Schachtelhalme in engere Beziehung bringt. Die Betrachtung geht aus von den Geschlechtsorganen, den Mikro- und Makrogametangien. Es folgt dann das Prothallium, der Gametophyt, von dem der Verf. meint, daß er keineswegs die ursprüngliche Form zu sein brauche. Der Sporophyt könne es eben- sogut sein, ja diese Ansicht verdiene im Interesse einer einheitlichen Auffassung der Organismenwelt den Vorzug. Die Sporen seien vegetativ ge- wordene Gameten, die erst nach dem Durchlaufen einer vegetativen Entwickungsphase (des Pro- thalliums) die eigentlichen zur Kopulation be- stimmten Sexualzellen hervorbrächten. Das Pro- thallium hält er für stark rückgebildet, wenigstens bei den Filicinen, indem er darauf hinweist, daß manche höhere Gliederung erst nach längerer Lebensdauer zum Vorschein komme, gewöhnlich also unsichtbar bleibe. Nach einer Erörterung der Embryoentwicklung und einem kurzen Ab- schnitt über Apogamie geht der Verf. zur Be- sprechung desSporophyten über, indem er zunächst einige allgemeine Dinge, wie die Vegetationspunkte, die Scheitelzellenfrage, sowie Periodizität und Lebens- dauer, hygro- und xerophile .Ausbildung behandelt und dann zur Bewurzelung kommt. Bei den Pteri- dophyten hat sich noch nicht eine so strenge Trennung der Organsysteme herausgebildet, wie sie für Dikotylen und Koniferen charakteristisch ist, sie sind „homorhiz" im Gegensatz zu den letz- teren, die als „allorhiz" bezeichnet werden. In den Lykopodien, deren Stamm und Wurzel noch sehr ähnlich gebaut sind, sieht er einen ursprüng- lichen Typ, von dem sich die Sprosse immer weiter entfernten, und hält demgemäß den eigentümlichen Maschenzylinder, den das Leitsystem der meisten eigentlichen Farne bildet, für eine abgeleitete Aus- gestaltung, bedingt durch die großen Blattei. Nun- mehr wird der Sproß geschildert in seiner ver- hältnismäßig geringen Differenzierung und dann die im Gegensatz dazu sehr mannigfaltig ent- wickelten Blatter samt ihrer Wachstumsweise, ihrer Nervatur usw. Nach einer kurzen Darstellung der Mutationen bei F'arnen sowie der vegetativen Ver- mehrung werden die letzten großen Abschnitte den Sporophyllen, den Blüten, den Sporangien und Sporen gewidmet. Goebel's Werk ist kein Lehr- und Handbuch im gewöhnlichen Sinne, es setzt gerade die all- gemeinen morphologischen Verhältnisse als be- kannt voraus und kommentiert sie höchstens. Es ist vielmehr eine vorwiegend auf eigener Forschung und Anschauung beruhende einheitliche Darstellung 664 Naturwissenschaftliche Wochenschi-ift. N. F. XVII. Nr. 46 großer morphologischer Zusammenhänge, bei der allerdings ein ganz bedeutendes Tatsachenmaterial bis in seine Einzelheiten verarbeiiet und durch zahllose Abbildungen erläutert wird. Es wendet sich demnach auch in erster Linie an den Fach- mann, für den das Buch zu der grundlegenden Literatur gehört, sei aber auch jedem geschulten an morphologischen Problemen interessierten Pfianzenkundigen als höchst fördernde und an- regende Lektüre wärmstcns empfohlen. Miche. Anregungen und Antworten. Physiologische Selbstbeobachtungen beim Fliegen. Die Ausfüuruugcn Uskar frochnow's in Nr. 26 der Naturw. Wocbenschr. 1918 regen mich dazu an, auch von meinen „physiologischen Selbstbeobachtungen beim Fliegen" etwas miliuteilen. Allerdings bm ich nicht Flieger, und mein erster Flug ist bisher der letzte geblieben und lührte nur in 1200 ra Höhe. Doch sind die Eindrücke von ihm sehr bestimmte. Das Getühl des Fallens beim Durchsacken des Flugzeugs ist in der Tat von genau der gleichen Art wie im F"ahrstuhl bei der Abwärtsbewegung, solange sich diese beschleunigt, und das Gelühl, man falle ins Bodenlose, ist keineswegs stärker als bei den erstmaligen Fahrten im Fahrstuhl. Viel unange- nehmer als diese „Fahrstuhltmpfindung" erschien mir die „Hexenschaukelcmpündung'-, die sich unwiderstehlich auf- drängende Vorsielluug, daß beim Beginn des Abwärtsfluges Horizont und Eraboaen in rasender Eile empor- und über den Kopt steigen. Die ganze Landschaft mit Häusern, Feldern usw. scheint dabei zu einem masselosen, schcmenanigen Bild zu werden. Beim Kurvenflug trat aber noch stärker als die Vorstellung, die Erde kreisele und steige an der Seite empor, nach welcher hin das Flugzeug sich neigte, ein starker kest von der wohl durch das statische Sinnesorgan vermittelten Gewißheit hervor, daß das FTugzeug sich stark seitwärts geneigt hat, und dies führte, da im gleichen überraschenden Augen- blick nicht sofort die Überlegung einsetzte, daß man durch Zentrifugalkraft an den bitz angepreßt wird, und auch eine Empfindung davon nicht eintrat, zu einem reflektorischen Sich- Festhalten am Rand mit den Händun und einem Sich-Fest- stämmen mit den Füßen, als wäre die Gefahr vorhanden, man könne aus dem Flugzeug herausgekippt werden. Die beim Durchsacken eintietende Empfindung, „daß die Eingeweide sich heben", wie Prochnow sagt, oder, da diese Empfindung bei mir vielleicht weniger bestimmt ist, daß wenigstens im Bauche etwas vorgehe, gehört bereits zu den Übereinstimmungen zwischen F'lug- und Seefahrtempfindungen, auf die Prochnow erst später zu sprechen kommt. Diese Empfindung tritt nämlich genau ebenso im schaukelnden Schiff ein als eins der ersten Zeichen drohender Seekrankheit. Da eins der besten Mittel gegen Seekrankheit aufler angeborener Unempfindlichkeit, anhaltender Arbeit und langsamer Gewöh- nung dann besteht, daß man sich in einen Liegestuhl begibt und schwere Decken auf den Leib legt, so mag jene Empfin- dung wohl tatsächlich, wie Prochnow annimmt, auf einem Sich-Hcben der Eingeweide inlolge ihres Beharrungsvermögens beruhen, und dies mag auch eine Tellursache der Seekrank- heit sein. Schon aus diesem Grunde ist also das Auftreten der Seekrankheit bei manchen Menschen im Flugzeug erklärlich. V. Franz. Kla Abnormer Mageninhalt bei Kröten. Bei der Sektion :r frisch gefangenen gemeinen weiblichen Landkröte in der ch der Magen ganz abnorm vergrößert und auf- getrieben. Als Inhalt des Magens fand ich: 26 Fichten- nadeln, I Holzstückchen (Ast der Fichte) noch mit Kinde bekleidet, 28 mm lang 3 mm dick , I Marienkäferchen (nur noch die Flügeldecken), 2 Fliegen, I Ohrwurm, 3 Grashalme, 12 und 15,5 mm lang und 4,7 g braune verdaute krümmlige Massen, nicht mehr zu bestimmen. Im Dickdarm befanden sich an 8 Stellen verdaute Massen tierischen Ursprungs, an einer 9. Stelle nahe dem Ende war der Darm ca. 3,5 cm lang stark aufgetrieben, er hatte hier einen Umtang von 1,8 cm, er war mit einer sehr übelriechenden braunen Masse angclüllt, hatte einen starken Druck auf die Harnblase ausgeübt, diese zum Teil aus dem Körper gedrängt. Ganz rätselhati war mir die Frage, „wie kam die Kröte zu der Aufnahme dieser Menge von Tannennadeln P" In der Literatur findet sich meines Wissens keine Angabe darüber. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Kröte zu Ernährungs- zwecken pflanzliche Stoflfe aufnimmt. Im Magen waren sie auch nicht verdaut worden, sondern hatten sich dort gesammelt Es lag als einzige Erklärung die Vermutung naiie, daß diese Siofle bei dem Erhaschen ihrer Beutcliete von ihr mit verschlungen worden waren. Zur Klärung dieser Fragen schritt ich zur Beobachtung und zum E.xperiment. Die Untersuchung von Kröten, die ich in Nadelwaldrändern gefangen, halten in 20 Fällen nur 2 mal geringe Mengen von Nadeln im Magen, 1 mal 2, das andere mal 5 Stuck, nie fand ich welche im Darm, auch waren die- selben stets unverdaut, nur leicht gelbbraun verfärbt. Das direkte Experiment harte mehr Erlolg. Ich hielt die Kröten im Aquarium, dessen Boden dick mit Tannennadeln bestreut war, als Nahrung verabreichte ich kleine Nacktschnecken, nachdem ich Sorge getragen hatte, daß an deren Schleim Nadeln festklebten. Mit wenig Mühe gelang es mir, die Kröten zu bewegen, diese Schnecken mit den Nadeln an- zunehmen. Nicht immer glückte es den Kröten beim Er- fassen der Beute mit der Zunge und Herabschlingcn die Nadeln abzustreichen. Bei der Sektion fanden sich dann stets auch noch nach Tagen die Nadeln unverdaut im Magen vor. Andere Insekten (Kater) wurden, trotzdem schon eine Menge Nadeln den Magen lullten, gern genommen. Zwei Kröten gingen nach langer Zelt ein. Ihr Magen land sich in ähnlichem Zustand wie der der im Freien gelangenen. Der Tod war durch das Unvermögen weitere Nahrung aulzunehmen eingetreten. Auch die Aultieibung am Ende des Darmes fand sich wieder vor. Nicht aber das Heraustreten der Harnblase, so daß ich nicht entscheiden kann ob dies bei der zuerst sezierten Kröte nicht einem anderen Umstand zuzuschreiben ist. Als Tatsachen kann ich also auf Grund meiner Beobach- tungen und Versuche leststellcn, daß Kröten mit ihren Bcute- tieren an diesen lestsilzende Pflanzenleile mit verschlucken, daß diese, falls sie unverdaubar sind, sich im Krbtenmagen anhäufen und schließlich den Tod des Tieres verursachen. Dr. F'rhr. v. Lützow, Deutsches Landerziehungsheim H.aubinda, Post Streufdorf. iMlrasaSlis Karl Kuhn, Das Spektrum der elektromagnetischen Wellen. S.649. — Einzelberichte: Hermann Vöchting, Die umgekehrte Pflanze. (4 Abb.) S. 056. Heinricher, Erzeugung von He.Nenbcsen durch die Zwergmistel, b. 659. Ernst Stahl, KompaßpHauzen. .-.. 659. O. H. Er d m a uns d ö r f f c r , Über Schicferung und Schichtung in kristallinen Schiefern. S. 600. Der neue Stern im Adler. S. 660. Sternparallaxe. S. 601. Winnecke, Meteor- schwarm. S. 661. J. Bolle, Eine neue Futterpflanze für den Edelseidenspinner. S. 662. — Bücherbesprechungen: K. C. Kothe, Vorlesungen über allgemeine Methodik des Naturgeschichts- Unterrichts. S. 662. Walter Stempell, Licht und Leben im Tierreich. S. öb2. J. Richter, Böttgers Praktische Anleitung zur Kultur der wichtigsten Öl- gewächse. S. 663. K. Goebel, Organographie der Pflanzen insbesondere der Archegoniaten und Samenpflanzen. S. 663. — Anregungen und Antworten: Physiologische Selbstbeobachtungen beim Fliegen. S. 664. Abnormer Mageninhalt bei Kröten. S. 664. den an Prof. Dr. H. Mi ehe, Berlin N 4, Invalidenstrafle 4z, erbeten. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pälz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Manuskripte und Zuschriften Naturwissenschaftliche Wochenschrift. tNcue rolge 17, uand; der ganzen Reihe 33. Bao Sonntag, den 24. November 1918. Nummer 4:7. Vergleiehende Untersuchungen an Gehirnen als Beitrag zur Phylogenie der Arthropoden. [Nachdruck verboten.] Von Dr. Fr. Bretschneider, Stuttgart. Mit 13 Abbildungen im Text. natürlichen Verwandt- Limulus, den einzigen noch lebenden Vertreter der altertümlichen Pfeilschwänze (Xiphosuren), von den Spinnen vornehmlich di' Die Frage nach der Schaft und dem Stammbaum der Gliederfüßler mit seinen Hauptzweigen: Krebse, Spinnen, Tausendfüßer, Insekten ist, seit sie Hacke P) 1866 in ihrer ganzen Breite aufgerollt hat, nicht mehr zur Ruhe gekommen. Verschiedene, ein- ander mehr oder weniger ausschließende Lösungs- versuche wurden gemacht und zu ihrer Stütze wurde ein unübersehbares Tatsachenmaterial bei- gebracht. Die Lage und Gliederung des Zentral- nervensystems und der Verlauf der Nerven hat dabei stets eine wichtige Rolle gespielt. Da- gegen wurde der innere Bau des Gehirns bisher kaum zu phylogenetischen Schlüssen herangezogen, da die Untersuchungen noch zu lückenhaft waren. Unsere Kenntnisse vom Bau des Insektengehirns haben sich im letzten Jahrzehnt wesentlich er- weitert, worüber bereits mehrfach an dieser Stelle berichtet wurde.-) Doch reicht das Material zu phylogenetischer Verwertung noch nicht aus. Nur über die Phylogenie der Hymenopteren konnte v. Alten ^) aus dem Gehirnbau, ins- besondere der Entwicklung der pilzförmigen Körper wichtige Schlüsse ziehen. Jetzt hat Nils Holmgren sich der mühsamen, aber verdienst- vollen Aufgabe unterzogen, von dem relativ gut bekannten Insektengehirn aus tiefer zu steigen und den Anschluß bei Tausendfüßern, Krebsen, Spinnen und schließlich Borstenwürmern zu suchen. Denn letzten Endes führt der Stammbaum der Gliederfüßler, darin sind sich die Forscher ver- schiedenster Richtung einig, auf Ringelwürmer zurück. Holmgren hat gerade diejenigen Formen zur Untersuchung gewählt, welche besonders ur- sprüngliche Züge aufweisen oder durch Ver- einigung von Charakteren verschiedener Klassen sich als Übergangsform anbieten, die daher bei den phylogenetischen Spekulationen eine hervor- ragende Rolle spielen: eine Reihe von flügellosen Insekten, von den Tausendfüßern neben Julus und Lithobius die kleine Scolopendrella, die den flügel- losen Insekten am meisten ähnelt, von Krebsen unter anderen besonders den viel Ursprüngliches zeigenden Apus, dann den als wahrscheinliches Übergangsglied zu den Spinnen vielumstrittenen ') Häckel, Generelle Morphologie, 2. Bd. lS66. 2) H. E. Ziegler, Die Gehirne der Insekten. Naturw. Wochenschr. 1912, S. 433—442. Bretschneider, Neuere Untersuchungen über das Gehirn der Insekten. Naturw. Wochenschr. 1915, S. 17 — 24. ^) V. A Iten , 19 10, Zur Phylogenie des Hymenoptercngehirns. Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 46. Skorpione, die als dem Limulus nahe verwandt gelten, ferner den eigentümlichen Arthropoden- und Wurm- charaktere vereinigenden Penpatus und schließlich als Vertreter der Ringelwürmer den marinen Borstenwurm Nereis. Holmgren hat seine Resultate in einer umfangreichen Arbeit *) mit dem Untertitel: Vorstudien zu einer Phylogenie der Arthropoden niedergelegt, auf die wir im folgenden etwas eingehen wollen. Wir beginnen die Reihe von unten, also mit dem Borstenwurm Nereis. Das Auffallendste im Gehirn von Nereis sind Körper von ausgesprochener Pilzform, die auf den ersten Blick täuschend an die bekannten pilz- förmigen Körper der Insekten erinnern (vgl. Abb. 9). Ziemlich scharf abgegrenzte Haufen von kleinen, stark färbbaren Zellen des Ganglienzellenbelags (es sind jederseits drei solche Haufen, Holmgren nennt sie Globuli, Abb. i, Gb i — 3) senden ihre Fortsätze in Stiele, die sich ebenfalls deutlich aus der übrigen Fasermasse des Gehirns hervorheben (Abb. I, St.). Auch die histologische Auffassung, zu der Holmgren gelangte, ist durchaus die gleiche, wie sie Kenyon'^') für das Insektengehirn begründet hat: „Von den kleinen, stark chroma- tischen Globulizellen gehen feine Stammfortsätze ab, welche den Stielen folgend, bald Seitenäste abzweigen, die sich in den Palpenglomerulen (Abb. I, Gl) dendritisch verästeln. Die Stamm- fortsätze setzen sich unter Abgabe von Dendriten in den Stielen fort. . . . Das dichte Aussehen der Stielsubstanz ist offenbar von den Dendritenmassen derselben bedingt." Dürfen wir nun diese Ge- bilde mit den Pilzen der Insekten homologisieren? Der erste Autor, der den Vergleich durchführte. Hall er") warnt vor Homologisierung. Hamaker') kommt zum entgegengesetzten Schluß. Holm- gren schließt sich ihm an. Er verfolgt diese Körper von Nereis an in ihren mannigfachen Modifikationen durch die Reihe: Nereis— Peri- *) Holmgren, 1916, Zur vergleichenden Anatomie des Gehirns von Polychäten, Onychophoren, Xiphosuren, Arach- niden, Crustaceen, Myriapoden und Insekten. Kungl. Svenska Vetenskapsakademiens Handlingar, Bd. 56, Nr. I. 5) Kenyon, 1896, The brain of the bee. Journ. comp. Neurology, Vol. 6. Referate unter 2. ") Haller, 18S9, Textur des Centralncrvensystems höherer Würmer. Arb. Zool. Inst. Wien. T. 8, H. 2. ') Hamaker, 1898, The nervous System of Nereis. Bull. Mus. comp. Zool., Harvard Coli. Vol. 32. 566 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 47 patus — Limulus — Apus — Scolopendrella — Japyx— Campodea bis hinauf zu den geflügelten Insekten. Trotzdem habe ich mich von der Homologie der erwähnten Globuli von Nereis mit den pilzförmigen Körpern der Insekten nicht überzeugen können. Dem vom Insektengehirn kommenden Beobachter fällt die gänzlich verschiedene Lage auf: die Globuli von Nereis liegen im vordersten Teil des Gehirns (Abb. i Gb) in der Nähe des Palpennerven (Pn), so daß sie früher als Tentakelganglion (Hall er) oder Palpenganglion bezeichnet wurden. Von hier aus gehen die Stiele (St) nach rückwärts in der Richtung gegen den „Zentralkörper" (Abb. i, durchziehenden Faserzug, den „Riechstrang" ver- bunden. Im hinteren Teil des Nereisgehirns entspringt jederseits aus einem besonderen sensorischen Ganglion (Abb. I, N. gl.), der Nuchalnerv, der zu einem eigentümlichen, hinter den Augen (Au) ge- legenen Sinnesorgan, dem Nuchalorgan (N. org.) führt. Die beiden Nuchalganglien sind durch eine kräftige, besonders dichte und feinfädige Kommissur, die Nuchalkommissur (N.k.) ver- bunden, welche Ho Imgren als Homologon des Zentralkörpers, jenes wichtigen Gehirnzentrums der Insekten (Abb. 9. u. 10, C) betrachtet. „Es ist Au. Opt. C. Cz. A.K. Schema des Gehirns von Nereis von der Seite gesehen (nach Holmgren). .\u Augen, Opt. K. optische Kommissur, N. org. Nuchalorgan, N. gl. Nuchalganglion, N. K. Nuchalkommissur entspricht dem Cenlralbörper, P. K. Palpenkommissur, Seh. Schlund, Tr. Unterschlundganglion entspricht dem Tritoce- rebrum, Gl. Glomerulen der Palpenganglien, dienen zugleich als Stielglomerulen, Pn Palpennerv, An „Antennen"-nerv (diese „Antennen" entsprechen nicht denjenigen der Gliederfüßler), Gbl— 3 Globulus 1—3, St. Stiele der Globuli. N. K). Umgekehrt liegen die Pilzzellen oder Becherzellen der Insekten im hintersten Teil des Gehirns weit hinter dem Zentralkörper, den die nach vorn ziehenden Stiele umgreifen (Abb. 9). Aber nicht nur die Lage nähert die Globuli von Nereis dem Palpenganglion, sondern ihre Stiele stehen „in deutlichem Zusammenhang mit den Palpennerven: eine Menge von Glomeruli liegt unmittelbar lateral von den Stielen (Abb. i, Gl). Es sind die Palpenglomeruli." Wie erwähnt, nimmt Holmgren an, daß hier die Dendriten der Globulizellen sich verästeln. Bei den Insekten gehen diese Dendriten in die Becherglomerulen (Abb. 9, Bg, so genannt, weil bei den höheren Insekten die Glomerulenmasse die Stiele und Zellen in Becherform umgreift). Die den Palpen- glomerulen von Nereis wohl sicher homolog zu setzenden Antennalglomerulen der Insekten sind von den Becherglomerulen weit entfernt und mit ihnen durch einen auffallenden, das ganze Gehirn Schema des Gehirns von Peripatus, von der Seite gesehen (nach Holmgren, vereinfacht). Opt. Nervus opticus. C. gestreifter Körper ^Centralkörper entspricht der Nuchalkommissur von Nereis. Cz. Centralliörperzellen (:^ Ganglion des gestreiften Körpers). A. K. Antennalkommissur entspricht der Palpen- kommissur von Nereis. Tr. Tritocerebrum. En. Eingeweide- nerv. Gl. Glomerulen der Antennalganglien, dienen zugleich als Stielglomerulen. Ant. Antennennerv (entspricht dem Palpen- nerv von Nereis). Gbl— 3, die drei Globuli. St3. Stiel des Globulus 3. Pcd. Pedunculus. Au. Auge. offenbar, daß diese Kommissur nicht nur eine Kommunikation zwischen den beiden Gehirn- hälften ausmacht, sondern auch Bedeutung als ein assoziatorisches Organ besitzt, indem hier in Chromsilberpräparaten typische assoziatorische F"aserballen entdeckt wurden." Aber auch die unmittelbar vor ihr gelegene „optische Kommissur (Abb. I, opt.K.) ist sehr kräftig und bildet einen wirklichen Querbalken". Das Unterschlundganglion von Nereis (Tr.) entspricht nicht dem Unter- schlundganglion der Insekten, sondern ist, wie Holmgren wahrscheinlich macht, dem Dritthirn (Tritocerebrum) homolog. Das Tritocerebrum wird bei Insekten, Tausendfüßern und Spinnen, sowie Limulus und Peripatus embryonal stets hinter dem Schlünde (postoral) angelegt, rückt dann aber den Schlundkonnektiven entlang nach vorn, um mit dem Proto- und Deuterocerebrum eng vereinigt das vor dem Schlund (präoral) ge- legene Gehirn zu bilden. Dagegen bleibt bei vielen Krebsen (z. B. Simocephalus) das Trito- cerebrum, das hier die 2. Antenne innerviert, zeitlebens unterhalb des Schlundes. Auf ver- N. F. XVn. Nr. 4; Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 667 schiedene Übergangsstufen, die Kühnle^-) auf- gezeigt hat, habe ich früher an dieser Stelle hin- gewiesen.-) Das Oberschlundganglion (Gehirn) von Nereis entspricht folglich dem Erst- -|- Zweithirn der Insekten (Proto- -f- Deuterocerebrum). „Eine Seg- mentierung bei dem ausgebildeten Gehirn existiert nicht." Theoretisch zieht Holmgren die Grenz- linie zwischen den Globuli mit Stielen, Nuchal- kommissur und Optikuskommissur einerseits und dem Palpenganglion mit Palpenglomerulen und Palpenkommissur (Abb. i, P. k.) andererseits. Auch bei Peripatus läßt sich anatomisch ebensowenig wie bei Nereis eine Grenze „zwischen einem Vorder- und einem iVIittelgehirn durch- Ant. m.A. Abb. 3. Schema der linken Hälfte des Gehirns von Peripatus capensis (vereinfacht nach Holmgren). m.A. motorischer Antennen- nerv. Sa. Verbindung mit dem Unterschlundganglion. Md Mandibelnervf. Mn Mundlippennerv. M Medianlinie (Sym- metrieebene); übrige Bezeichnungen wie in Abb. 2. führen". Dagegen ist das hier auch mit dem Oberschlundganglion vereinigte, also präoral ge- legene Tritocerebrum (Abb. 2, Tr.) als „Hinter- gehirn" deutlich abgegrenzt. Es innerviert Schlund, Kiefer und Lippen (Abb. 2 u. 3 En). Zwischen und unter den Antennennerven (Ant.) ist vorn jederseits eine Partie differenziert, welche Holm- gren und Haller als die „Globulipartie" des Peripatusgehirns auffassen. Wie bei Nereis sind jederseits 3 Globuli und 3 Stiele vorhanden (Abb. 2 u. 3, Gb 1—3, St 1—3). Auch hier gehen Seitenzweige der Globulifasern in die Antennal- glomerulen (Abb. 2 u. 3, Gl). Doch zeigt die feinere Untersuchung, daß schon eine gewisse Trennung zwischen kleineren „Stielglomeruli" und größeren Antennalglomeruli angebahnt ist. Zwei kleine Gruppen von Stielglomerulen sind sogar schon ganz abgetrennt. Von dem gemeinsamen Hauptstiel, dessen hinteren Teil Holmgren als „Trabekel" (Abb. 3, Trab.) bezeichnet, zweigt sich schon frühzeitig ein kleiner Nebenstiel ab, den er „PeduncuJus" nennt (Abb. 2 u. 3, Ped.). Der Centralkörper oder gestreifte Körper (Abb. 2 u. 3, C) ist zweiteilig und zeigt deutliche Schichtung. Er ist auf der Rückseite mit einer Schicht kleiner, stark färbbarer Zellen versehen, die ihre Fasern in ihn hineinsenden (Abb. 2, Cz). Er tritt auch mit dem Pedunculus und damit den Globuli, ferner dem Antennalstrang und dem Augenfaser- system in enge Verbindung (Abb. 2). „Aus embryo- logischen und besonders vergleichend anatomischen Gründen" hält Holmgren „es für festgestellt, daß der gestreifte Körper und dessen Ganglion (Cz) von Peripatus mit der Nuchalkommissur und deren Ganglion bei Polychäten (Abb. i, N.k. u. Ngl.) homolog sind". Wenn man ferner, wie das heute fast allgemein *) angenommen ist, die Palpen von Nereis mit den Antennen von Peripatus homo- logisiert, so ergibt sich eine weitgehende Über- einstimmung im Gehirnbau dieser beiden Tiere, wie ein Vergleich der schematischen Abbildungen i u. 2 zeigt. Diese tiefgreifende Übereinstimmung im Gehirnbau von Polychäten und Onychophoren erstmals aufgezeigt zu haben, ist einer der schönsten Erfolge der Holmgrenschen Unter- suchungen. Schwieriger wird die Homologisierung bei dem Gehirn von Limulus, das durch seine eigen- tümliche Lage unterhalb des Schlundes und seine gelegentliche Assymetrie Besonderheiten bietet. Im Innern finden wir 3 Globuli (Abb. 4, Gb i — 3), welche 4 Stiele mit zum Teil kompliziertem Ver- lauf entsenden. „Unter allen Arthropoden steht Limulus durch die gewaltige Entwicklung seiner Globuli allein da. Diese Bildungen bedecken hier nämlich die ventrale Fläche des Gehirns fast vollständig." Doch tritt diese enorme Entwicklung erst relativ spät, postcmbryonal auf, ist daher wahrscheinlich eine sekundäre Eigenschaft. Neu ist, daß die Stiele besondere von den Antennal- glomeruli gänzlich abgetrennte Stielglomeruli be- sitzen. Nach Lage, Struktur und Faserverbindungen sind wohl ausgebildete Antennalglomerulen (Abb. 4, Agl) vorhanden, obgleich keine Ver- bindung mit peripher verlaufenden Nerven be- steht. „Sie deuten aber an, daß die Limulus- vorfahren einmal I. Antennen besessen haben müssen. Bei den Trilobiten sind durch Beecher Antennen bekannt geworden." Der gestreifte Körper (Centralkörper, Abb. 4, C) ist auch hier hinten und dorsal mit besonderen Zellen (Cz) ver- sehen. Bei geeigneter Orientierung des Limulus- gehirns (Abb. 4) konnte Holmgren den Ver- ») Ei, macht Hei d e r Wirbellosen. Kultur der Gce 1914, Phylogenie der l 111, Abt. 4, Bd. 4. 668 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 4; gleich mit Nereis und Peripatus gut durchführen. Ein prinzipieller Unterschied ist, daß bei Limulus besondere, hochspezialisierte Facettenaugen- ganglien ausgebildet sind (Abb. 4, Ae.S. u. I.S.). Von den Spinnentieren hat Holmgren die Gehirne einer Phalangide und der Skor- pione untersucht. Das Gehirn zeigt auswendig keine Segmentierung. Es können aber zwei Teile unterschieden werden: Das Vorderhirn entspricht dem Vorderhirn des Limulus, stellt also Erst- -f- Zweithirn dar (Proto- -j- Deuterocerebrum). Die Schlundkommissuren entsprechen dem Hinterhirn von Limulus (Dritthirn , Tritocerebrum). „Eine innere Segmentierung des Vorderhirns ist nicht vorhanden. Von einem Antennalteil finden sich aber bei Skorpionen u. a. sehr deutliche Über- reste" (Abb. 5, Ant.Gl u. A.K.). Letzteres „be- Abb. 4. Schema des Limulusgehirns, von der Seite gesehen (vereinfacht nach Holmgren). F. A, Facettenauge. P.A. Parietalauge. P. An. Parietalaugennerv. Ae.S. und I. S. äußere und innere Sehmasse. C. Centralkörner. CZ. Centralkörpcrzellen. A. K. Antennalkommissur. A. gl. Antennalglomezulen. Tr.K. Trito- cerebralkommissur. Ped.N. Pedipalpenncrv. Chel.N. Cheli- cerennerv. Trab. Trabekel. St. Gl. Stielglomerulen. Gbl — 3 die drei Globuli. Rn. Roslralnerv. weist, daß alle Cheliceraten von Antennaten stammen, wenn nämlich das Vorkommen von Antennen als einzig maßgebend für die Einteilung gilt". Die Globuli sind ursprünglich in der Drei- zahl vorhanden (Phalangiden), dann aber meist zu einem reduziert (Abb. 5, Gbj. Die Zahl der Stiele wechselt. Alle Stiele „stehen in Zusammen- hang mit Stielglomerulen (Abb. 5, Stgl.), welche vom Antennalteil gezogene Glomerulenmassen sind". Der größte Stiel ist der Brückenstiel, der seinen Namen davon hat, daß er vor dem Central- körper (C) eine eigentümlich gewundene Kom- missur, die Gehirnbrücke (Br) bildet (Abb. 5). „Diese Kommissur ist aber eine assoziatorische Kommissur, welche GlomeruJiballen von derselben Beschaffenheit wie diejenigen der Stiele enthält". Die Brücke, der wir hier zum erstenmal begegnen, fehlt bei Peripatus, bei Limulus ist ihr Vorkummen noch fraglich; sie kommt bei Crustaceen, Myria- poden und Insekten allgemein vor. Die umfang- reiche Region der Stielglomerulen (St.GI.) steht durch kräftige Faserstränge, welche sich jederseits zu einem mächtigen Stamm vereinen, mit dem Brustganglion in Verbindung (Fig. 5, Stvb.). Der mit besonderen Ganglienzellen (Cz) versehene Centralkörper (C) tritt mit den Sehlappen in enge Verbindung (Abb. 5). Die schematischen Ab- bildungen 4 u. 5 gestatten den Vergleich des Spinnengehirns mit dem von Limulus. Auf den Vergleich der Sehorgane kann hier nicht ein- gegangen werden. Holmgren hat dann weiterhin Krebse untersucht, von denen Apus teilweise den An- schluß an Limulus gestattet, aber auch schon Ped.N Abb. 5. Schema des Skorpionengehirns, von der Seite gesehen (nach Holmgren). M.A. Medialauge. S.A. Seitenauge. Br. Brücke vom Brückenstiel gebildet. Stvb Verbindung der Stielglome- rulen mit dem Brustganglion; übrige Bezeichnungen wie Abb. 4. Ähnlichkeiten mit Insekten aufweist. Das Dritt- hirn (Tritocerebrum) ist als erstes postorales Ganglion weit vom Oberschlundganglion entfernt, es inner- viert die 2. Antennen. In der postoralen Lage des Tritocerebrums schließen sich daher die Krebse unmittelbarer an Nereis an als an Peripatus oder Limulus. Jederseits drei wenig entwickelte Globuli hat Holmgren als erster nachgewiesen. Doch ist ein Paar in auffallender Weise von den anderen getrennt (Abb. 6, Gba getrennt von Gb i , 2) ; dieses schickt Fasern durch einen Stiel {Br.St.j, der mit dem der Gegenseite die Brücke bildet (wahrscheinliche Homologie mit Spinnen?); Stiel- glomeruli fehlen dabei. Die beiden anderen, eng vereinigten Globuli (Gb i, 2) senden ihre Fasern in den von Holmgren sogenannten ,. Globuli- apparat" oder Nebenlappen (Abb. 6, Nl), d. h. eine Glomerulenmasse mit breiter Kommissur und N. F. XVn. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 669 Faserverbindungen mit allen Gehirnteilen. Nahe an den Globularapparat (Nl) grenzt die Glomeruien- masse des i. Antennalganglions (A.Gl.). „Hin- sichtlich des Vorhandenseins von i. Antennen steht Apus den Trilobiten näher als Limulus. Die 2. Antennen von Apus und die Cheliceren von Limulus sind miteinander unzweifelhaft homolog." ^) Die Verhältnisse im Apusgehirn bilden den Angelpunkt in der Frage nach der Homologie der Globuli mit den pilzförmigen Körpern der Insekten. Wir sehen hier einen Globulus, den Globulus 3 (Abb. 6, Gb 3) weit entfernt von dem Antennalganglion (A.Gl.) und Opt. Abb. 6. Schema des Apusgehirns, von der Seite (vereinfacht nach Holmgren). Opt. Lobus opticus. Gb i— 3 Globulus I — 3. Nl. Nebenlappen (enthält die Glomerulen der Globuli I u. 2). A.Gl. Antennalglomerulen. Ant. I Nerv der I. .Antenne. Nl.K. Nebenlappenkommissur. C. Centralkörper. Cz. Centralkörper- zellen. Br.St. Brückenstiel. Seh. Schlund. den Globuli I und 2 in der Nähe des Opticus (Opt.) seinen Stiel (Br.St.) in der Richtung zum Centralkörper (C) entsenden und mit der Brücke in Verbindung treten. Dieses Gebilde hat also eine an die Insekten erinnernde Lage und könnte als Vorläufer der Pilze in Frage kommen. Wie steht es aber bei diesem Globulus 3 mit dem An- schluß nach unten, an Peripatus und Nereis? Die Annahme einer Wanderung eines der 3 Globuli an eine andere Stelle scheint mir doch nicht hin- reichend begründet zu sein. Und die Spinnen, bei denen erstmals eine Brücke und ein Brücken- stiel auftritt, können wir doch nicht wohl zwischen Apus und Peripatus oder Nereis einfügen. Seine Untersuchungen an Asseln (Porcellio, Asellus) führten Holmgren zu folgenden Re- sultaten: „In der Ganglienzellrinde sind keine Partien vorhanden, welche durch kleine, chromatin- reiche Zellen sich als Globuli sicher herausstellen könnten." Dies weist unzweifelhaft auf eine ab- geleitete Stellung der Isopoden Apus gegenüber hin. Dagegen ist ein Globularapparat mit Glo- merulen und Ganglienzellen auch bei Asseln vor- handen; sein Aussehen soll dem bei flügellosen Insekten (Tomocerus und Machilis) sehr ähnlich sein. Auch der „Centralkörper erinnert sehr an den von Machilis sowohl in Form wie in Struktur." Er ist nämlich in eine Reihe von Teilkörpern zerlegt, während er bei Apus noch einheitlich ist. Auch ist er wie bei Insekten allseitig von Fasern umsponnen, dafür fehlen die bei Apus noch vor- handenen Centralkörperzellen (Abb. 6, Cz). Bei den Dekapoden kommt er zu der Überzeugung, „daß mit den pilzförmigen Körpern der höheren Insekten gleichwertige Bildungen bei den Deka- poden nicnt vorkommen". Beim P"lußkrebs (Astacus fluviatilis) ist das Globulussystem wie bei ') Auch hier ist Heider anderer Ansicht. Er homolo- gisiert die I. Antennen mit den Cheliceren, die 2. mit den Pedipalpen ; siehe '). Die „Cheliceren" von Limulus sind übrigens wie die folgenden Beinpaare mit Scheren versehen. Abb. 7. Schema des Gehirns von Julus (Diplopoden, nach Holmgren). M.K. Medialkörper. Gl. I u. 3 Glomerulen des Globulus I u. 3. Tr. Trilocerebrum. Lb.N. Labrainerven; übrige Bezeich- nungen wie Abb. 6, Isopoden in Form einer Brücke und eines Globular- apparates vertreten. Die nun folgenden Tausendfüßer grenzt Holmgren gegen die Asseln scharf ab: „Es gibt keine ausgesprochene Ähnlichkeit zwischen dem Gehirn von Isopoden und demjenigen von Myriapoden, und das Gehirn der Isopoden spricht entschieden gegen eine nähere Verwandtschaft mit Myriapoden." Er hat Julus als Vertreter der Diplopoden, Lithobius als Chilopoden und von der kleineren Ordnung der Symphylen die für den Anschluß an Insekten wichtige Scolopendrella untersucht. Bei Julus finden sich 3 Globuli. Holmgren faßt das so auf, „daß Julus durch Beibehalten der für Anneliden wie Onychophoren, Limulus und einige Spinnentiere charakteristischen 3 Globuli sich ursprünglicher als die Chilopoden verhält" (Abb. 7, Gb 1—3). Die Stiele (St) werden durch eine ganze Anzahl aus den Globuli kom- mende Faserbündel vertreten, die in zwei zentral gelegenen „Medialkörpern" zusammenlaufen (Abb. 7, M.K.). Diese mediale Verbindung der Stiele von Globulus i und 2 hält Holmgren 670 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 47 für eine sekundäre Eigentümlichkeit, von der beim Vergleich mit niederen Formen abgesehen werden muß. Eine Bestätigung dieser Auffassung findet er bei der Myriapode Scutigera, wo wenigstens „die lateralen Stiele blind enden, ohne die Medial- linie zu erreichen". Stielglomerulen sind in zwei Gruppen vorhanden (Abb. 7, Gl i u. 3), eine Gruppe (Gl 3) bildet die Brücke, die andere (Gl i) steht in engem Zusammenhang mit den Antennal- glomerulen (A.gl.), was als ursprüngliches an Nereis und Peripalus erinnerndes Verhältnis ge- deutet werden kann. „In der Gruppe der iVIyria- poden sind wieder Verhältnisse vorhanden, welche andeuten, daß die ursprüngliche Giomeruligruppe sich bei der sekundären Segmentierung auf das Antennenganglion einerseits und den Stielapparat andererseits verteilt haben". Der Centralkörper (Abb. 7, C) ist klein und schwer aufzufinden, was wohl mit der Entwicklung der Medialkörper zu- sammenhängt. Das Tritocerebrum (Abb. 7, Tr) ist präoral mit dem Gehirn vereinigt und inner- viert die Oberlippe und Speiseröhre (Lb.N), also schon wie bei den Insekten. Lithobius zeigt gegen Julus bedeutende Vereinfachung des Stielapparates; es ist nur ein Globulus jederseits vorhanden, der dem Globulus 2 von Julus entspricht. Noch weitergehende Re- duktion des Stielapparates findet sich bei der Übergangsform Scolopendrella: Globuli und Stiele fehlen. „Stielglomeruli" sind in gleicher Lage wie bei Julus in geringer Zahl vorhanden. Sie bilden eine Kommissur über dem großen Centralkörper. „In übrigen Eigenschaften weist das Scolopendrellagehirn hauptsächlich Insekten- charaktere auf". Ein Vergleich zwischen Krebsen und Tausendfüßern ergibt: „Indem bei den Myria- poden' (besonders bei Diplopoden: Julus) die ur- sprünglichen 3 Paar Globuli wie bei Limulus, Peripatus und Nereis noch vorkommen, sind diese in dieser Hinsicht unzweideutig ursprünglicher als die noch lebenden Crustaceen, wo jene Bil- dungen schon bei Apus stark reduziert, bei den höheren vollständig verschwunden sind. Es ist nicht denkbar, das so typisch entwickelte Globulus- system von Julus von einem so stark reduzierten wie dasjenige eines Isopoden oder gar von Apus herzuleiten, wohl aber das umgekehrte. Wenn wir nach einer Stammform für die Myriapoden suchen wollen, müssen wir sie tiefer in der Tier- reihe suchen, als bei den ursprünglichsten der noch lebenden Crustaceen." Da auch die übrigen Charaktere fast durchweg für diese Auffassung sprechen, kommt Holmgren zu dem Schluß, daß beide Gruppen (Krebse und Tausendfüßer) „von gemeinsamen Vorfahren von niederer Or- ganisation als die niedersten der heute lebenden abgeleitet werden müssen". Als solche kommen die Trilqbiten in Betracht. Den Übergang von den Tausendfüßern zu den flügellosen Insekten (Apterygoten) sucht Holm- gren bei Campodea, deren Kleinheit die Ge- hirnuntersuchung sehr schwierig macht. Zwei deutliche Globuli sind jederseits zu finden (Abb. 8, Gb I u. 2). Ihre Fasern bilden Stiele von ziemlich kompliziertem Verlauf (St. u. Qu. St.), wobei auch eine Art rückläufiger Stiel gebildet wird. Wichtig ist, daß die Stiele vor dem Centralkörper (C.) eine Faserkommissur bilden, die auch mit dem Medial- körper (Abb. 8, M.K.) in Verbindung tritt. Als Medialkörper betrachtet Holmgren den mittleren unpaaren Faserballen des großen aus 9 Teilkörpern bestehenden Centralkörpers (C). Durch diese Auffassung gewinnt er den Anschluß an die Myria- poden. Das Vorhandensein von Globuli nebst Stielen trennt Campodea von Scolopendrella; nur Stielglomeruli sind bei beiden vorhanden (Abb. 8, Gl. i). Trotzdem hält Holmgren die Gehirne von beiden für naheverwandt. „Beide besitzen aber Charaktere, die gegenüber den entsprechenden der anderen Gattung ursprünglicher sind. Es müssen deshalb diese beiden Gattungen von einer gemeinsamen Stammform abgeleitet werden, die belrefifs des Gehirns mehr Diplopoden ähnlich war als Scolopendrella. Indem nun sowohl den Ch'lo- poden und den Diplopoden ein Medialkörper zu- Ant. A.GI. M. Abb. 8. Schema des Gehirns von Campodea von oben, linke Hälfte (nach Holmgren). Gh I, 2 Globulus I u. 2. Gl. I Glome- rulen des Globulus I. St. Hauptstiel entsteht durch Vereini- gung der Stiele der beiden Globuli. C. Centralkörper. Br, Brücke. Nl. Nackenlobus. M. Medianlinie. M.K. Medial- körper. Qu. St. Querstück des Slielapparates. A.GI. Antennal- glomerulen. Ant. Antennennerv. Abb. S ist umgekehrt ge- stellt wie Abb. 3. kommt, dürfte die Stammform diesen Gruppen genähert sein, d. h. nahe an der Verzweigungsstelle, wo einerseits die Chilopoden, andererseits die, Symphylen ausgingen, liegen." Im Gehirn von Japyx als weiterem Vertreter der Apterygoten finden wir 3 Paar Globuli, wovon 2 Paar seitlich liegen. Diese letzteren entsprechen deutlich den bei Campodea beschriebenen, nur ist der Verlauf der ' zahlreichen Stiele noch kompli- zierter. Auch hier sind die beiderseitigen Stiele durch eine breite Kommissur verbunden, die mit dem Medialkörper in Verbindung tritt. Die Stiele sind von den sie umgebenden Fasermassen nicht scharf getrennt, bilden mit ihnen eine morpholo- gische Einheit, die Holmgren als Stielapparat, Globularapparat oderNebenlappen bezeichnet. Diese N. F. XVn. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 671 Benennung wurde schon bei Apus für die ent- sprechenden Teile eingeführt (Abb. 6, Nl.). Wenn wir nun noch hören, daß das 3. Paar Globuli bei Japyx von den beiden andern weit entfernt nahe der Medianebene gelegen ist und in nächster Be- ziehung zu der Brücke steht, „welche als die medial vereinten Stiele derselben angesehen werden muß", so wird die Ähnlichkeit mit den niederen Krebsen noch auffallender. Doch ist der volumi- nöse Centralkörper aus jederseits 4 Teilstücken und einem Medialkörper zusammengesetzt. H o 1 m - gren führt den Vergleich mit den Tausendfüßern durch: ,,In den mt-isten Verhältnissen erinnert Japyx an Julus, in anderen an Lithobius. Dadurch liegt die Schlußfolgerung nahe, daß die Japygiden von einer Stammform ausgegangen seien, welche tiefer in dem System liegt als die Verzweigungs- stelle von Diplopoden und Chilopoden". Für Lepisma, das Silberfischchen, liegt eine Spezialarbeit von Böttger'") vor, auf die an dieser Stelle schon mehrfach eingegangen wurde. ^*) Böttger hat den Anschluß an die geflügelten Insekten, also nach oben hin, sichergestellt. Lepisma hat zwar primitive, aber durchaus Abb. 9. Abb. 10. Schema der pilzförmigen Körper und des Centralkörpers im Gehirn von Abb. 9: Lepisma saccharina (nach Böttger). Abb. 10: Tomocerus flavescens (nach Kühnle). Bz. Becher- zellen (entsprechen den Glohuli). Bg. Becherglomerulen ent- sprechen den Stielglom.). Tr. Trauben als Endigungen der Stiele bei Lepisma. C. Centralkörper. Abb. 9 u. 10 sind umgekehrt gestelU wie Abb. 3. typische pilzförmige Körper. Obgleich H o 1 m g r e n einige (prinzipiell wohl weniger wich- tige) Verbesserungen an Böttger's Befunden gemacht hat, gebe ich in Abb. g noch einmal das Schema nach Böttger, um die typische Lage und Form der pilzförmigen Körper in Er- innerung zu bringen. Zu beachten ist, daß die Abb. 9 u. 10 gerade umgekehrt orientiert sind wie Abb. 3. Der Vergleich mit Campodea, Japyx und Scolopendrella, den Ho Im gren durchführt, gibt wenig Übereinstimmungen. Die Lepismiden stellen einen hochdifferenzierten Typus dar. H o 1 m - gren sagt, „daß Campodeiden und Japygiden betreffs des Gehirnbaus den Symphylen näher '") Böttger, igio, Das Gehirn eines niederen Insekts. Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 46. ") Aichberger, Das Gehirn eines niederen Insekts. Naturw. VVochenschr. 1913, S. 347 — 49. Außerdem die unter Anmerkung 2 genannten Aufsätze. stehen, als sie mit den Lepismiden verwandt sind. Es ist deshalb die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Gruppe der Apterygoten diphyletisch ist, eine Auffassung, welche auch durch den übrigen Körperbau verteidigt werden kann". Da nun aber die geflügelten Insekten (Pterygoten) sich leichter an Lepisma anschließen lassen (denn Lepisma hat ja echte Pilze 1), fragen wir, wo für Lepisma der Anschluß nach unten zu suchen ist. Hier scheint mir noch eine Lücke zu klaffen. Jedenfalls bin ich von der Homologie der pilzförmigen Körper mit irgend einem der erwähnten Globulisysteme (bei Nereis, Peripatus, Limulus usw.) nicht über- zeugt. Wenn man nach einem Homologon, einem Vorläufer der Pilze bei niederen Arthropoden sucht, könnte man am ehesten an den medialen Globulus bei Japyx oder den Globulus 3 bei Apus (Abb. 6, Gb3) denken. Doch fehlt bei Lepisma die bei jenen auffallende Verbindung mit der Brücke. Können hier vielleicht weitere von Holmgren untersuchte Apterygoten, Machilis und Tomocerus, Aufschluß geben ? Machilis hat gleichzeitig wohlentwickelte Facettenaugen und 3 große Ocellen; das Gehirn ist daher mit großen Sehlappen versehen. In den Nackenloben, also etwa an der Stelle, wo bei Lepisma die Pilzzellen sind, findet sich jederseits eine sehr deutliche Gruppe von Globulizellen, welche mit der Brücke in Verbindung steht. Diese entspricht also wohl dem medialen Globulus bei Japyx und dem Globulus 3 bei .Apus. Weniger deutlich ist lateral in der Höhe des Centralkörpers eine Gruppe von ähnlichen Zellen, die mit einem „Glomeruliapparat (»Nebenlappen»)" verbunden ist. Die seitlichen Globuli sind als rudimentär zu bezeichnen. Das Homologon ihrer Stiele scheint in einer dicken Masse mit Glomerulen und den Centralkörper umgreifenden Kommissuren vor- handen zu sein. Dies erinnert mich sehr an Ver- hältnisse, die ich neuerdings im Gehirn der Schmetterlinge, das auch in mancher Beziehung primitiv ist, gefunden habe. Ich stehe nicht an, die Homologie dieser Teile für sehr wahrschein- lich zu halten. Mit den pilzförmigen Körpern haben diese Gebilde aber nichts zu tun. Der Centralkörper von Machilis ist symmetrisch und besteht aus 8 Teilkörpern; ein unpaarer Medial- körper fehlt wie bei Lepisma und Tomocerus im Gegensatz zu Japyx und Campodea. Über den Bau des Gehirns von Tomocerus hat Kühnle^-) einige freilich unvollständige Angaben gemacht. Typische pilzförmige Körper fand er nicht; an ihrer Stelle entspringen Fasern aus Zellen, die sich „in Größe und Färbung kaum von denen der Umgebung unterscheiden". Über den Verlauf der die Stiele vertretenden Faser- stränge, sowie etwaige zugehörige Glomerulen konnten die Präparate Kühnle 's keine eindeu- '^) Kühnle, 1913, Untersuchungen über das Gehirn, die Kopfnerven und die Kopfdrüsen des gemeinen Ohrwurms. Jen. Zeitschr. f. Nat. Bd. 50. Referate in Nat. Wochenschr. siehe unter Anm. 2. 672 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 47 tige Auskunft geben. Trotzdem haben Kühnle und ich ^^) keinen Anstand genommen, in diesen Teilen die primitiven Anfänge pilzförmiger Körper zu sehen, wie das die schematische Abb. lO zeigt. Holmgren bestreitet, daß die Nackenloben von Tomocerus mit den Pilzzellhauben von Lepisma und anderen Insekten homologisiert werden dürfen. Er verweist dabei auf Campodea (Abb. 8), wo außerhalb der Nackenloben (Nl.) die Globuli i u. 2 (Gb I u. 2) besondere „Pilzhauben" bilden. Aber diese Globuli i u. 2 von Campodea kann ich eben nicht als Homologon der Insektenpilze betrachten. Dazu kommt, daß Holmgren selbst in den Nackenloben von Campodea kleine stark chroma- tische „Globulizellen" findet, die mit der Brücke in Veibindung treten. Diese allein könnten als Homologon der Pilze in Betracht kommen. Denn auch bei Tomocerus gehen die Fasern der frag- lichen Pilzhaube oder Nackenlobe teilweise in die Brücke. Dagegen bezweifle ich nicht, daß der „Stielapparat", den Holmgren bei Tomocerus lateral in der Höhe des Centralkörpers findet, in Übereinstimmung mit Machilis als „Nebenlappen" entwickelt ist, wie ja auch Kühnle sagt: „Der große Centralkörper steht in inniger Beziehung Crustaceen (Apus) Insekten Myriapodei Lepisma zieht, anstandslos zustimmen: Machilis stimmt mit Tomocerus viel mehr überein als mit Lepisma. Machiliden und Collembolen sind obere Zweige eines gemeinsamen Stammes, während Lepisma sich viel früher abgezweigt hat. Fassen wir nun die phylogenetischen Resultate der vergleichenden Untersuchungen zusammen, so ergibt sich nach Holmgren Folgendes: 1. Die Onychophoren (Peripatus) schließen sich einerseits an Polychäten (Nereis), andererseits an Limulus- Spinnentiere an (Abb. i — 4). Da bei Peri- patus die Stielglomerulen sich noch nicht von den Antennalglomerulen getrennt haben, ist die Verwandtschaft zu den Polychäten eine nähere. Alle diese haben ein noch unsegmentiertes V^ordergehirn. 2. Von der Gruppe mit „segmentiertem" Vorder- gehirn nehmen die Krebse durch Reduktion der Globuli und Stiele eine Sonderstellung gegenüber den Myriapoden-Insekten ein. Beide müssen von einer gemeinsamen Stammgruppe abstammen. 3. Den Anschluß von i an 2 vermittelt die Ähnlichkeit der niederen Krebse (Apus) mit Li- mulus. Da den Xiphosuren aber Antennen fehlen (die Antennal glomerulen sind noch vorhanden!), muß auf eine gemeinsame Stammgruppe zurück- Schematischer Stammbaum der Arthropoden nach Holmgren. .«^bb. 12. Stammbaum der Arthropoden nach H. E. Ziegler ZU dem medianen Verbindungsstück der beiden Nebenlappen". Nur haben letztere nach meiner Ansicht mit den pilzförmigen Körpern nichts ge- mein. Auch IVIachilis und Tomocerus bringen keine volle Klä.ung der Frage nach der Entstehung der pilzförmigen Köiper unterhalb Lepisma. Wenn auch die Pilze in der Klasse der Insekten nicht ganz neu entstanden sind, sor.dern schon tiefer (vielleicht bei Apus ?) gewisse Homologa aufweisen, so fällt nach meiner Auffassung ihre Ausbildimg als typische pilzförmige Körper doch in den Ent- wicklungskreis der Insekten. Wir können aber den phylogenetischen Schlüssen, die Holmgren aus dem Vergleich von Machilis, Tomocerus und ") Bretschneider, 1914, Über die Gehirne des Gold- käfers und des Lederlaufkäfers. Zeel. Anzeiger Bd. 43. Ferner in dem unter Anm. 3 erwähnten Aufsatz d. Naturw. Wochenschr. gegangen werden, die sich in den fossilen Trilo- biten zu bieten scheint. Holmgren faßt seine Ansicht in dem schematischen Stammbaum Abb. 1 1 zusammen. Wie verhalten sich seine Resultate zu den An- schauungen anderer Forscher? Zum Vergleich setze ich den Stammbaum bei (Abb. 12), den H. E. Z i e g 1 e r im Handwörterbuch der Natur- wissenschaften ")gibt, sowie den paläontologischen von Handlirsch -"*) (Abb. 13). Ziegler leitet die Tausendfüßer von Apus ähnlichen alten Krebsen ab, die ihrerseits sich unmittelbar von den Würmern ableiten. Wirklich spricht auch die postorale Lage des Tritocerebrum bei Krebsen (Apus) für un- mittelbaren Anschluß an Borstenwürmer (Nereis), ") Bd. X, S. 1019, Artikel „Zoologie". "*) Handlirsch, Die fossilen Insekten. Lei] N. F. XVn. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 673 wo das Unterschlundganglion dem Tritocerebrum entspricht, während bei allen andern Gruppen das Triiocerebrum präoral gerückt ist. Die Trilobiten unddieXiphosurensieht Ziegler auch als Abkömm- linge jener alten Krebse an. Eine wesentlichere Differenz ergibt sich bei der Ableitung der Spinnen : Z i e g 1 e r lehnt die Limulustheorie Lankesters'*) ab, nach der die Blättertracheen der Spinnen (Skorpione) aus den Abdominalkiemen von Limulus entstanden sein sollen. Da bei Spinnen auch echte insektenähnliche Tracheen vorkommen, nimmt er in Übereinstimmung mit Häckel") für die Tra- cheen monophyletische Entstehung an (eine Aus- nahme ist Peripatus) und führt auch die Spinnen auf Myriapoden ähnliche Ahnen zurück. Holm- gren dagegen hält in Übereinstimmung mit Heider*) und Handlirsch '•■*) die Limulus- Kainozoiku Mesozoikuc Silur Anneliden Abb. 13. Stammbaum der Arthropoden nach Handlirsch. theorie für unzweifelhaft richtig. Gibt der Gehirn- bau eine wesentliche Stütze derselben? Es ist nicht zu leugnen, daß der innere Bau des Spinnen- speziell des Skorpionengehirns sich im Ganzen leichter an Limulus anschließen läßt, als an irgend- welche Myriapoden oder Krebse, wie ein Vergleich der Abb. 4 — 8 zeigt, wenn auch gewisse Verhält- nisse, wie das Auftreten einer Brücke bei Spinnen, die bei Limulus noch nicht nachgewiesen ist, wieder umgekehrt gedeutet werden könnten. Ho Imgren legt besonderes Gewicht auf die „Segmentierung": er zieht eine scharfe Grenze zwischen Limulus-Spinnen mit „primär unsegmen- tiertem" und Crustaceen-Insekten mit „sekundär segmentiertem" Vordergehirn. Doch ist gerade die Segmentierungsfrage eine der schwierigsten und umstrittensten. Die Diskussion weiterer Punkte, _..4 .il/ ' 7 ■•/ ^ / wie die Homologie der Augen bei Limulus und Spinnen würde hier zu weit führen. Einen tüch- tigen Anwalt, auf den sich Holmgren mehrfach beruft, hat die Limulustheorie in Kassianow**) bekommen, der alle neueren einschlägigen Unter- suchungen gegeneinander abwägt. In der Ab- leitung der Spinnen über Xlphosuren von Trilobiten stimmt Handlirsch mit Holmgren überein, wie er auch die Krebse auf Trilobiten zurückführt (Abb. 13). Der Stammbaum Handlirschs unterscheidet sich wesentlich von den beiden andern, indem er für Krebse, Myriapoden und Insekten, ja auch für Apterygoten und Pterygoten eine getrennte Entstehung aus Trilobiten annimmt. Da er besonderes Gewicht auf die Lage der Ge- schlechtsöffnungen legt, muß er auch die Tausend- füßer in zwei getrennte Entwicklungsreihen teilen. Die Tracheen der verschiedenen Reihen hält er für ungleichwertig und unabhängig von einander entstanden. Gegen die Auffassung Handlirsch's kann der Vergleich der Gehirne lebender Formen wenig einwenden, da uns eben leider das Gehirn der Trilobiten, auf das alle zurückgehen sollen, unbekannt ist. Zum Schluß seiner Arbeit geht Holmgren noch auf die Frage nach der Lokalisation „psychischer Zentren" im Gehirn ein. Seit Dujardin wurden die pilzförmigen Körper der Insekten als Sitz des „Verstandes", besser des Gedächtnisses und der komplizierten Instinkte auf- gefaßt. Diese Anschauung wurde mehrfach an dieser Stelle dargelegt '') und durch vergleichend - anato- mische Befunde gestützt, die zeigen, daß die Aus- bildung der Pilze mit der Entwicklung der geistigen Fähigkeiten darallel geht. Holmgren will diese Beziehung nur unter starker Beschränkung gelten lassen, hauptsächlich auf Grund der mächtig ent- wickelten „Globuli" beijapyx und besonders bei Limulus, Tiere, denen wir keine hohen Fähig- keiten zuschreiben dürfen. Da ich, wie gesagt, die Homologie dieser Globuli mit den Pilzen nicht annehme, kann dieser Einwand auch für die Pilze als solche nicht maßgebend sein. Freilich harren dann jene als analoge Bildungen aufzufassenden Glo- buli auch noch ihrer näheren Erklärung. Daß sie früher auftreten als die Pilze und ursprünglich dem Atennenganglion (Deuterocerebrum) genähert liegen kann man vielleicht aus der vorwiegenden Bedeu- tung der von diesem Gehirnteil innervierten Sinnes- organe (Palpen, Antennen) bei niederen Formen (Nereis, Peripatus) gegenüber den vom Protocere- brum innervierten Sehorganen erklären. Holm- gren hält gerade die Antennalglomeruli für die ältesten psychischen Centren (Nereis), von denen sich erst allmählich die Stielglomeruli abgegliedert haben (Peripatus, Limulus). Für die gesonderte Reihe der Spinnen macht Holmgren wahr- scheinlich, daß hier der Centralkörper Träger 1«) Lankester, 1904, The Strukture and Classification of theArachnida. Quart. Journ. of Micr. Sc. Vol. 48, part. 2. ") Häckel, 1896, Systematische Phylogenie, Bd. II. ") Kassianow, 1914, Die Frage über den tjrsprung der Arachooideenlungen aus den Merostomenkiemen (Limulus- theorie). Biolog. Centralblatt Bd. 34, 1914. 674 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 47 der psychischen Fähigkeiten ist. „Bei Phalan- giden ^^) ist er verhältnismäßig klein. Er ist bei Skorpionen, Thelyphoniden, Pnryniden, ^'') Soli- fugen'') größerund gewinnt bei den netzbauenden Araneiden im Verhältnis zum übrigen Gehirn eine enorme Größe". Sehr wesentlich ist dabei, daß der Centralkörper bei Spinnen (wie auch bei Peripatus und Limulus) „mit eigenen Ganglien- zellen, welche an diejenigen der Globuli stark er- innern, ausgestattet ist (Abb. 2 — 5). Durch diese Ganglienzellen (Cz) nimmt der Centralkörper (C) bei diesen Gruppen einen Charakter an, welcher mit demjenigen der pilzförmigen Körper der Insek- ten analog ist. D. h. der Centralkörper wird hier zu einem Associationsorgan, wo die Sinneseindrücke durch besondere Associationszellen verarbeitet werden können, ehe sie auf motorische Centren transmittiert werden". Die Ein^^chaltung einer Zelle macht eine Verarbeitung des Sinneseindrucks (Verstand) oder sogar eine Aufspeicherung (ver- erbtes oder erworbenes Gedächtnis) denkbar. •') Afterspinnen, darunter die Weberknechte, nächtliche Raubtiere. *") Phrynoideen und Thelyphoniden Geißelskorpione, gif- tige tropische Raubtiere. ^') Walzenspinnen, leben tagsüber versteckt und gehen nachts auf Raub aus. während Centralkörper ohne besondere Zellen (Insekten) nur eine direkte Überführung des Ein- drucks auf andere, meist motorische Centren (Reflexe) ermöglichen wird. „In einer solchen Associationsbahn ist die Schaltzelle also als das besondere «psychische» Organ aufzufassen". Ho Imgren hält es für „wahrscheinlich, daß alle chromatischen Globulizellen, sie mögen den pilz- förmigen Körpern, der Protocerebralbrücke, dem Centralkörper oder dem Ganglion opticum ange- hören, eben solche associatorische Schaltzellen sind." Als Stütze dieser Theorie können die Be- funde am Ganglion dpticum der Libellen gelten, wo es Zawarzin^^) gelang, dieselben Neurone nachzuweisen, die K e n y o n ^) in den pilzförmigen Körpern entdeckt hat. Nur eine beschränkte Anzahl der überaus zahl- reichen Fragen, die Holmgren in seiner ver- dienstvollen, weitausgreifenden Arbeit durch neues Material und neae Gesichtspunkte gefördert hat, konnte im Rahmen dieses Aufsatzes Berücksich- tigung finden. Auf dem freilich noch weiten Wege zu ihrer Lösung wird das Werk Holmgren's stets ein wichtiger Markstein bleiben. ^'^) Za warzin, 19 14, Die optischen Ganglien der Aeschna- larven. Zeitschr. f wiss. Zool. Bd. loS. Referat hierüber mit Abbildung in Naturw. Wochenschr. 1915, S. 23. Einzelberichte. Geologie. „Iniektivfaltung und damit zusam- menhängende Erscheinuncren" behandelt Hans Stille in der Geologischen Rundschau (Bd. VIll). Vom Autor werden zunächst einige neue Be- griffe in die tektonische Geologie eingeführt. Unter „injektiver Faltung" versteht Stille Faltung „unter gesteigerten Vortrieb einzelner Falten- elemente". Erfolgt der Vortrieb ins Liegende, dann spricht er von „dejektiver Faltung", erfolgt er jedoch ins Hangende, dann bezeichnet er ihn als „ejektive Faltung". Injektive Faltung schließt das Gesamtphänomen einer Faltung, Faltungs- injektion dagegen den speziellen Vortrieb des einzelnen Faltenelementes ein. Aus dem Formenschatz der saxonischen Bruch- faltung in mittel- und nordwestdeutschem Gebiete erscheinen einige Haupttypen charakteristisch zu sein, die durch Übergänge miteinander verknüpft sind. Der mittlere Typus ist die kongruente saxonische Faltung, bei der zerrissene Mulden und Sättel in der Hauptsache kongruent entwickelt sind. Die inkongruente saxonische Faltung mit ungleichmäßiger Entwicklung der Sättel und Mulden kann als dejektive saxonische Faltung mit tiefein- gesenkten Muldenzonen, oder als ejektive saxonische Faltung mit weit vorgestülpten Sattelzonen ent- wickelt sein. Nach den Hauptverbreitungsgebieten führt sie Stille als niederhessischen Typus (dejektive Faltung), charakterisiert durch die hessischen „Grabenzonen", als südhannoverischen Typus (kongruente Faltung) im Niederdeutschen Becken und als nordhannoverischen Typus (ejek- tive Faltung) im Gebiete der „Horste" Mittel- und Nordhannovers an. Stille bezeichnet die zwischen den Graben- zonen liegenden Bezirke älterer Sedimente als „Breitsättel", deren Sattelnatur bei ihrer Annäherung an die Grabenzonen erst recht deutlich wird. Ab und zu treten in den Grabenzonen, die Stille als Mulden angesehen wissen will, ältere Schichten wie die der Breitsättel als „Aufpressungshorste" auf. Auch im angrenzenden östlichen Thüringer Gebiete ist dies der Fall. Meist handelt es sich um aufgepreßten Zechstein. Beim nordhannoverschen Faltungstyp redet man von Horsten. Weitverbreitet finden wir in flacher Lagerung jüngere Schichten (Süden Kreide, Norden Tertiär). In schmalen Zonen lagern da- zischen Jura, Trias, Zechsteinsalz. Zwischen den hochgepreßten Horstzonen lagern als „Breitmulden" schwach muldenartig gelagerte jüngere Schichten. Durch Gegenüberstellung dieser beiden Er- scheinungen ergaben sich für Niederhessen ,, weit- ausgedehnte, schwachgefaltete bis flache Tafeln älterer Schichten, unterbrochen durch schmale, stark gestörte Zonen jüngerer", für Nordhannover N. F. XVn. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 675 „weitausgedehnte bis flache Tafeln jüngerer Schich- ten, unterbrochen durch schmale, stark gestörte Zonen älterer". Der sü^hannoversche Faltungstypus schaltet sich regional zwischen niederhessischen und nord- hannoverschen Typus ein. Charakterisiert wird dieser Typus durch gleichmäßige Entwicklung von Sätteln und Mulden. Nördlich des Sollinggebirges und im Erzgebirge ist diese Faltung vertreten. Zu erkennen sind „versenkte Muldenkerne" und „gehobene Sattelkerne im Wechsel". Die 'einzelnen Typen der saxonischen Tektonik sind räumlich miteinander verknüpft. Die „Schwelm- Leine-NetteZone" durchläuft ganz Niederhessen, folgt bei Göttingen dem Leinetal, verläßt dieses bei Northeim, streicht weiter am Westrande des Harzes hin, läßt sich weiter durchs Hügelland, durchs Flachland bis zur Aller, zur Elbe, ja bis Mecklenburg hinein verfolgen. Die „Eder Diemel- Egge-Zone" verläßt Hessen in nordwestlicher Richtung, verläuft, immer neue Herzynische Stränge aufnehmend, zum Eggegebirge und zum Odning. Die tektonischen Vorgänge schließen sich zu ein- heitlichen Zonen zusammen. Innerhalb dieser er- leiden die Vorgänge große Veränderungen. So finden sich in diesen tektonischen Zonen in Hessen „Gräben", in Südhannover Sättel und Mulden, in Nordhannover „Horste". Die Verknüpfung wird noch vollständiger durch das Auftreten von Mittel- formen, so daß die „niederhessischen", „südhan- noverschen", „nordhannoverschen" Formen nur Typen einer Reihe tektonischer Gebilde sind, die ineinander übergehen. Wie die südhannoverschen Formen durch Faltung entstanden sind, so sind auch die „Horste" Nordhannovers und die „Gräben" Hessens Formen der Faltung i.n extremster Weise. Nicht Zerrung, sondern Pressung erzeugte die hessischen Gräben. Die dejektive Faltung (niederhessischen Typus) findet man in einem flachgründigen Schwellen- gebirge, die konkruente, harmonische Faltung (südhannoverschen Typus) in tiefgründigen und schwellenahen, die ejektive Faltung (nordhannover- scher Typus) in sehr tiefgründigen bis grundlosen, schwellenferneren Zonen. „Niederhessen ist für orogenetischen Druck wenig gefügig, Nordhan- nover wenig erreichbar; Südhaniiover ist aus- reichend gefügig und erreichbar". Die einzelnen Gesteine, die von der Faltung betroffen wurden, sind bei der dejektiven Faltung Niederhessens harmonisch, bei der ejektiven Faltung Nordhan- novers sehr unharmonisch beeinflußt worden. Bei starrerer Tiefe (Niederhessen) muß dejektive Fal- tung eintreten, während mobilere Tiefe (Nord- hannover) ejektive Faltung entstehen lassen mußte. In Südhannover sind die dejektiven Motive Nieder- hessens und die ejektiven Motive Nordhannovers ausgeschaltet und beigleichmäßigererDruckwirkung konnte kongruente Faltung entstehen. Rudolf Hundt. Bodenkunde. Bodenfragen nennt der bekannte Münchener Bodenforscher E. Kamann eine Reihe von Mitteilungen, die in der Deutschen landwirt- schaftlichen Presse Nr. 29 u. f. erschienen sind. I. Basenaustausch der Silikate. Es handelt sich hierbei um Umsetzungen im Boden bei der Düngung, die man zusammen- fassend Bodensorption (= Absorption des Bodens) bezeichnet. Interessante Resultate ergaben ge- mischte, wechselnde Mengen von 2 Salzen ent- haltende Salzlösungen (z. B. Kalium-Ammonium oder Kalium Calcium), die man auf geeignete Silikate einwirken ließ. Bei der Lösung Kalium- Ammonium verhalten sich beide Basen gleichartig und verdrängen einander je nach der vorhandenen Menge entsprechend dem Gesetz der chemischen Massenwirkung. Bei Kalium-Calcium herrscht auch das Gesetz der chemischen Massenwirkung vor, jedoch wird die in geringerer Menge vorhandene Base stärker gebunden als ihrer Menge in der Lösung entspricht. Bei großem Überschuß kann Kalium das Calcium völlig verdrängen, dagegen Calcium das Kalium nur unvollständig. Aus einer kaliarmen Bodenlösung wird verhältnismäßig viel mehr Kalium absorbiert als aus einer kalireichen. Bei Anwesenheit von genügenden Mengen des wirkenden Silikates kann, wenn viel Kalksalze vorhanden sind, das Kalium fast vollständig ge- bunden werden, während bei Überschuß von Kali- salzen der größere Teil des Kaliums in der Lösung verbleibt und ausgewaschen wird. Für jede Kali- düngung ist es deshalb erforderlich, daß aus- reichend lösliche Kalk- oder Natronsalze vorhanden sind, wodurch das Kalium absorbiert wird und in der oberen Bodenschicht verbleibt. In absorptions- schwachen (Sand-) Böden gibt man das Kali des- halb am besten als Kopfdünger. Der Landwirtschaft sind durch Nichtbeachtung dieser für die Kalidüngung hochwichtigen Ergeb- nisse ungezählte Millionen verloren gegangen, die in das Grundwasser übergetreten sind und damit aus dem Bodenhaushalt ausgeschieden sind. Vor- liegende Untersuchungen geben ein Bild von den im Boden verlaufenden Umsetzungen, die erst richtig durch volle Durcharbeitung der theoretischen Grundlagen und Prüfung in, der Praxis erkannt werden können und dann ungeahnte Fortschritte in der Düngerlehre erwarten lassen. Durch enges Zusammenarbeiten von Wissenschaft und Praxis ist die deutsche chemische Industrie zur ersten der Welt geworden. Dasselbe ist auch für die Boden- forschung zu erwarten, wenn genügende Hilfsmittel für die Errichtung einer Anstalt für Boden- forschung bereitgestellt werden, wiesle bereits in den Vereinigten Staaten von Nordamerika besteht. 2. Verbleib einer Chlorkaliumdüngung in einem Lehmboden. Mit Hilfe von Düngungsversuchen hat man den Einfluß der Düngung auf die Pflanzenentwicklung festgestellt. Die Ausnützung der Düngerstoffe durch die Pflanzen ergibt sich aus einem Vergleich 676 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 47 der von den Pflanzen aufgenommenen Nährstofife und der Menge der durch Düngung dem Boden zugeführten Stoffe. Die Menge der aufgenommenen Stoffe ist oft gering. Da fragt es sich: Was ist mit den nicht von der Pflanze aufgenommenen Stoffen geworden, wie viel wirkt noch im nächsten oder den folgenden Jahren nach? Ramann hat 19 1 7 auf einem schweren Lehmboden des Akademie- gutes Weihenstephan Versuche über den Verbleib einer Kalidüngung angestellt. Der Boden wurde pflanzenfrei gehalten, um das Schicksal des Düngers im Boden kennen zu lernen. Die Düngung er- folgte am 28. April. Die Bodenproben wurden jeweils unter hydraulischem Druck ausgepreßt und die Bodenlösung auf ihren Chlorgehalt geprüft, welcher ein gutes Maß für die Wanderung der löslichen Salze im Boden gibt. Es wurde jeweils der Gehalt an Cl g in i Liter der ausgepreßten Bodenflüssigkeit bestimmt. Die Witterung war im Sommer 191 7 trocken, deshalb zeigte sich ein Zuströmen der Boden- flüssigkeit zur Oberfläche und somit eine Anreiche- rung des Salzgehaltes in der oberen Bodenschicht. Im ungedüngten Felde war bereits Ende April eine für unsere Gegenden ungewöhnliche Menge von 0,15 g Cl in i Liter, im Juli sogar 0,25 g Cl in der Oberschicht und 0,31 g Cl in 10 — 20 cm Tiefe vorhanden. Im Juli und August fiel Regen, wodurch sich die Verhältnisse rasch änderten und der ClGehalt auf 0,03— 0,05 g Cl im Liter (normal) fiel. Viel schärfer waren diese Verhältnisse im gedüngten Felde, welches im Juli in der obersten Bodenschicht einen Chlorgehalt von 1,37 g im Liter ergab. Durch einsetzende Regen sank der Chlorgehalt auf 0,05 g. Die Versuche ergaben somit starke Überführung aus der Tiefe nach oben während der Trockenzeit, dagegen Auswaschung in Regenzeiten. Über das Verhalten des Kaliums der Boden- lösung läßt sich augenblicklich noch keine ab- schließende Antwort geben. Interessant ist jedoch folgendes Beispiel. Am Tage der Düngung (28. April) enthielt die Bodenlösung in o — 10 cm 0,294 g Kali, in 10 — 20 cm 0,176 g Kali und 0,165 g Kalk, am 28. Mai dagegen r, ... ^f. o—iocm 0,161 gKaliu.O,259gKalk ""g^'^""SM^"io-20cmo;i74?„ „o,i56i „ Gedüngt I in O-iocm 0,181 g „ „ 0,439g -, ^ \ 10— 20cm 0,305g „ „0,309g „ Trotz der Trockenheit war das Kalium zum größten Teile in die Tiefe von 10 — 20 cm abge- führt, dagegen eine beträchtliche Menge von Kalk in Lösung gegangen und in den oberen Boden- schichten verblieben. Die einzelnen Salze ver- hielten sich somit hinsichtlich ihres Wanderungs- vermögens sehr verschieden. Am 2. Juli war nach langandauernder Trocken- heit der Unterboden der gedüngten Fläche feucht (Bildung von wasseranziehendem Chlorcalcium?), jener der ungedüngten hart. Die Verkrustung des Bodens durch die Kalidüngung machte sich nur schwach geltend. Es ist zu hoffen, unter geeig- neten Verhältnissen dieser schlimmen Wirkung der Kalidüngung entgegenzuarbeiten. Auch diese Untersuchungen zeigen, wie die Wissenschaft der Praxis unmittelbar Vorteile bringen kann. 3. Die Phosphorsäure in der Bodenlösung. Die ersten 1914 ausgeführten Untersuchungen mit Bodenpreßsaft ließen das eigentümliche Ver- halten der Phosphorsäure erkennen. Der Gehalt betrug am 18. März in allen Böden bis 50 cm Tiefe etwa 0,002 g im Liter, stieg Ende April auf 0,0029—0,0075 g, hielt sich bis Ende Juli auf 0,004 — 0,005 S und war im September nicht mehr bestimmbar, somit im Herbst aus der Bodenlösung verschwunden. Auch anderwehig wurde ein völliges Zurückgehen der Phosphorsäure im Boden zur Herbstzeit festgestellt. Die Versuche wurden 1917 fortgesetzt und zwar mit einem schweren pflanzen- freien Boden, der einerseits ungedüngt, andererseits mit einer starken Kaligabe (20 g pro qm) gedüngt war. Im Frühjahr ist der Phosphorsäuregehalt mittelhoch, steigt mit fortschreitender Jahres- zeit bis zu seinem höchsten Gehalt, um dann im Spätherbst und Wintei rasch auf den Frühjahrs- gehalt herunterzusinken. Die Schwankungen sind in den oberen Bodenschichten größer als in den unteren. Die mit Chlorkali gedüngten Felder enthalten im Durchschnitt mehr gelöste Phosphor- säure. Auffällig ist, daß in den ungedüngten Feldern der Rückgang der Phosphorsäure viel früher beginnt und bereits am 30. August zu un- nießbaren Spuren herabgesunken war. Von der Wasserführung des Bodens ist der Gehalt an Phosphorsäure anscheinend unabhängig. Sie be- wegt sich im Boden nicht erkennbar nach den Regeln, welche für lösliche Salze gelten. Den jahreszeitlichen Wechsel der Phosphorsäure in der Bodenlösung muß man einstweilen als Tatsache hinnehmen. Wie sich der Phosphorsäuregehalt im pflanzen- bewachsenen Boden oder in Beziehung auf die Pflanzenentwicklung verhält, ist noch unerforscht, jedenfalls ist dies eine der brennendsten landwirt- schaftlichen Fragen. Neben dem Vegetationsversuch ist ebenso wichtig auch die Bodenforschung. Ramann hebt mit vollem Rechte hervor, daß man für einen Stoft", für welchen man jährlich viele Millionen aufwendet, ohne von dem Verbleib von ^/.j dieser Stoffe etwas zu wissen, Antwort durch die Boden- forschung bekommen muß, welche Hand in Hand mit dem Vegetationsversuch arbeiten muß. Wie sehr nach loojähriger landwirtschaftlicher Forschung die Bodenforschung noch zurück ist, beweist die von E. R a m a n n festgestellte Tatsache des jahres- zeitlichenVerschwindens derPhosphorsäure. Welche prakt ische Bedeutung dieser Beobachtung zukommt, läßt sich noch nicht sagen. Es ist Sache der Wissenschaft, dies aufzuklären, was am besten in N. F. XVlI. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. ^71 einem Institut für Bodenforschung geschehen kann, dessen Gründung unbedingtes Erfordernis für unsere Landwirtschaft ist. V. Hohenstein, Halle. Zoologie. Zur Entwicklungsmechanik des Wirbeltierauges. Es mag vielleicnt von vornherein nahe liegen, die Ursache für die Entwicklung der Augenlinse aus der Haut bei den Wirbeltieren in einem Reiz zu vermuten, den die vom Gehirn aus vorsprießende Augenanlage ausübt. In der gegenwärtigen entwicklungsgeschichtlichen Ära unserer Forschung hat es nicht an experimentellen Prüfungen dieser Frage gefehlt, an denen be- sonders Spemann beteiligt ist. Seine Ergebnisse sprachen anfangs im Sinne jener Vermutung, später schienen sie diese in eigenartiger Weise zu präzisieren. 1901 fand nämlich Spemann, daß bei Amphibienembryonen nach Entfernung der Augenanlage auch die Bildung der Augenlinse ausbleibt. Mencl aber fand 1903 bei einer miß- gebildeten Lachslarve, der die Augenanlagen fehlten, dennoch Augenlinsen. Lewis kam 1904 zum selben Ergebnis wie Spemann, King, der nur eine etwas veränderte Operationsmethode an- wendete, zum entgegengesetzten. Le Cron be- stätigte 1907 Lewis' Befund, aber Spemann selbst fand 1907 Entgegengesetztes beim Wasser- frosch. Stockard erzielte 1909 durch Ver- wendung von Chemikalien zahlreiche Mißbildungen des Fisches Fundulus mit vielen „freien" Linsen, was also mit der Beobachtung Mencl's an der Lachslarve in Einklang steht. Schließlich erklärte Spemann selbst 191 2, daß die von ihm unter- suchten Amphibien sich nach Gattungen ver- schieden verhalten, bei den einen finde abhängige, bei den anderen unabhängige Entwicklung der Augenlinse statt. Werber^) weist nun darauf hin, daß freie Linsen nur bei irgendwie mißgebildeten oder ge- geschädigten Tieren gefunden sind, und meint, scheinbar freie Linsen können nur dadurch zu- stande kommen, daß Bruchstücke der Augenanlage, wenn auch oft sehr kleine, nach ^den betreftenden Stellen der Haut hin versprengt sind. Diese Ansicht drängte sich Werber bei der Unter- suchung von zahlreichen auf chemischem Wege erzielten Mißbildungen, namentlich F"ischlarven, auf, die zuvor längere Zeit auf dem Stadium des Eies einem geringen Azetongehalt ausgesetzt waren. Oftmals waren die versprengten Retina- teile sehr deutlich zu finden, in anderen Phallen weniger deutlich, aber mit überaus großer Wahr- scheinlichkeit vorhanden. Von diesem Standpunkte aus würde das Auftreten freier Linsen bei auf natürlichem Wege entstandenen Mißbildungen nicht verwundern. Bei der operativen Entfernung der Augenanlage, meint Werber weiter, können ') F. J. Werber: On the blastolytic origin of the „inde- pendent" lenses of some teratophthalmic embtyos and its significance for the normal development of the lens of verte- brates. Journ. of exp. Zool., vol. 21, 1916, S. 347 — 366. leicht Reste von ihr zurückbleiben und die Ent- stehung einer Linse an normaler Stelle hervor- rufen. Wenn die Ergebnisse, nach Spemann 's späteren Angaben, bei verschiedenen Amphibien- gattungen verschieden ausfielen, so werde das nicht auf verschiedenen entwickelungsmechanischen Fähigkeiten beruhen, sondern auf Nebenumständen, wie der verschiedenen Festigkeit der Gewebe bei den einzelnen Gattungen, einem Umstand, den Spemann selbst erwähnt. Demnach wäre die Bildung der AugenHnse aus dem Ektoderm ein ausgesprochenes Beispiel von abhängiger Differen- zierung. Nach Werber hätten wir also unsere Auf- fassung in diesem Sinne wieder zu vereinfachen und vereinheitlichen. Es sei jedoch daran erinnert, daß die Entwicklungsmechanik gerade bei den Amphibien nicht nur Unterschiede nach Gattungen, sondern selbst nach Lokalrassen schon öfter auf- gefunden hat, so Hermann und R. Hertwig in der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen und Dürken in den Korrelationen zwischen Glied- maßen und Nervensystem bei Fröschen. Bei der anerkannt exakten Arbeitsweise von Spemann — man hat öfter Gelegenheit gehabt, bei Ver- sammlungen seine Präparate mit Bewunderung zu betrachten — kann hier nicht in dem Sinne über die Ergebnisse Werber 's berichtet werden, als ob die interessante Frage damit endgültig be- antwortet wäre. V. Franz. Unna's Arbeiten über Sauerstofforte und Reduktionsorte im Organismus wurden vieltach noch nicht ihrer Bedeutung entsprechend beachtet. Es sei daher auf eine Studie von Schieffer- d eck er') aufmerksam gemacht, die an Unna's F'eststellungen anknüpft. Unna hatte gefunden, daß alle Zellkerne „Sauerstofforte" sind, imstande, freien Sauerstoff abzugeben, und somit ohne Sauer- stoffbedürfnis. Das Plasma verhält sich bald eben- so, bald reduzierend, zum Teil je nach seinem größeren oder geringeren Gehalt an Granula oder Tröpfchen. Der Kern aber gibt dauernd Sauer- stoff an das Plasma ab. Sehr reich an Sauerstoff ist das Plasma in den basalen Schichten der Epithelien, er soll ihnen zugeführt werden durch die Blutge- fäße des unterliegenden Bindegewebes, und aus diesem Grunde erscheint die basalste Zellenschirht denn auch am besten geeignet, die Zellvermehr- ungen einzuleiten. Das ganze Lungenepithel ist so sauerstoffreich, daß die durchströmende Luft keinen Sauerstoff an dieses abgibt, sondern nur an die Epithelien der Lungenalveolen, die Reduktionsorte sind, und von denen er auf die noch stärker re- duzierenden roten Blutkörperchen übergeht. In Drüsen wird Sauerstoff als nützliches Desinfiziens an die Sekrete abgegeben; so in den Nieren an den Harn, in den Schweißdrüsen an den Schweiß. 1) P. Schiefferdccker: Über die Durchtränkung des Epithels mit Sauerstoff. Biologisches Zentralblatt, Band 38, 1918, Heft 7, Seite 276 bis 283. 678 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 47 Schiefferdecker erörtert nun, in welcherWeise nach seinen Ermittelungen vermutlich der Sauer- stoff in die Epithelien hineingelangt. Die Nasen- schleimhaut fand er durchbohrt von Kanälchen, die einer lymphartigen Flüssigkeit dauernden Durchtritt gestatten. Sie hängen mit einem Saft- lückensystem des Bindegewebes, aber nicht direkt mit Lymphgefäßen zusammen, wie denn auch die in ihnen an die Oberfläche der Nasenschleimhaut tretende Flüssigkeit ärmer an Eiweiß ist als die Lymphe. Mit diesem Flüssigkeitsstrom,' der sich an der Oberfläche mit Drüsenzellensekreten ver- mischt, wandern auch Leukozyten zwischen die Epithelzellen hinein. Die desinfizierende Eigen- schaft, die ihnen Schiefferdecker schon früher zuzuschreiben geneigt war, wäre durch starkenSauer- stoffgehalt erklärt oder erhöht. Ebensolche Kanäichen fanden sich in den Epi- thelien von Kehlkopf und Luftröhre. In der Oberhaut fehlen sie zwar, aber auch hier gibt es bekanntlich Spalträume zwischen den Zellen. Durch sie hindurch dürfte die Epidermis mit Sauerstoff versorgt werden, abgesehen von ihrer Ernährung, zumal bei dicken Epithelien, eine gewiß wichtige Funktion, und von diesen Spalträumen aus, nahm Schiefferdecker schon früher an, tritt auch Flüssigkeit in den letzten Abschnitt der Schweißdrüsenausführungsgänge und mischt sich hier dem Schweiß bei. Auf diesem Wege könnte also der Scheiß seinen Sauerstoff wenigstens zum Teil erhalten, und alles in allem würde das Zellplasma, soweit es sich sauer- stoffreich zeigt, sein en O - Gehalt nicht in dem Maße vom Kern beziehen, wie Unna es annahm. Von den die Nasenschleimhaut durchbohrenden Kanälchen sei noch erwähnt, daß sie z u e r s t bei hy- pertrophierter Schleimhaut gefunden wurden, wo sie gleich den darunter liegendenSaftspalten des Binde- gewebes stark erweitert sind. Bei Schleimhautrei- zung tritt infolge Erweiterung der Blutgefäße ein stärkerer Flüssigkeiisdurchstrom ein, daher eine stär- kere und flüssigere Abscheidung aus der Nase, der sogenannte Schnupfen. Ist bei höherem Alter die Schleimhaut infolge chronischer Reizung mehr oder weniger hypertrophiert, so tritt leicht der sogenannte „Greisentropfen" auf. V. Franz. Wie sich Landinsekten Wassersnot verhalten, untersuchte J. S. Szymanski^j an etwa 50 Arten, indem er sie auf eine kleine Holz- brücke setzte, die in einem Gefäß mit lauwarmem Wasser stand. Die einfachen Experimente geben viel mehr Aufschluß als die Beobachtung in der Natur, so häufig für sie auch nach Regengüssen sich Gelegenheit findet. Vier Verhaltungsweisen beobachtet man an den auf das wasserfreie Mittel- stück der Brücke gesetzten Kerbtieren. 1. Gut fliegende oder springende Arten, wie die Fleisch- ') J. S. Szymanski, Das Verhalten der Landiusekten dem Wasser gegenüber. Biologisches Zentralblatt Bd. 38, Nr. 8, 1918, S. 340-344- fliege Sarcophaga, die Kleinzirpe Triecphora, ver- lassen die Insel auf dem Luftwege; Arten, die ohne erhöhten Punkt nicht aufzufliegen vermögen, wie Käfer der Gattungen Cantharis und Malachius, laufen schnell auf ihr auf und ab, bis sie zufällig hilflos ins Wasser fallen, woraus zu folgen scheint, daß sie sich auch im Freileben nicht anders als durch Davonfliegen aus einem überschwemmten Gebiet retten können. 2. Gut schwimmende Tiere dagegen, wie Laufkäferarten oder die Roßameise, werfen sich spontan ins Wasser und schwimmen ans „Land". 3. Eine Wolfsspinnenart, Lycosa chelata Müller, vermag gleich Wasserläufern über dem Wasserspiegel hin zu laufen und sucht auf diese Weise nach einigem Hin- und Herrennen auf der Brücke das „Land" zu erreichen; wird sie aber hieran verhindert, so bleibt sie regungslos auf dem Wasserspiegel liegen und geht, wenn in diesem Zustande wieder auf die Brücke gebracht, nicht mehr von neuem aufs Wasser. 4. Schwere und schwerfällige Arten, wie Marien- käfer, Pappelblattkäfer, Bockkäfer, Mistkäfer, Rosen- käfer, Grünrüßler und andere, manchmal auch die Roßameise, suchen zunächst die ganze Brücke ab, versuchen dann ins Wasser zu gehen und kehren wieder um. Nach wiederholten solchen Versuchen, in deren Verlauf sie ganz benetzt werden, tauchen sie kriechend unter den Wasserspiegel und gelangen auf den Leitern der Brücke zum Gefäßgrund, wo sie das „Land" zu erreichen suchen. Dieses Verhalten beweist, daß zunehmende Benetzung des Kör- pers den adäquaten Reiz für dasUnter- tauchen darstellt, was denn auch für die meisten übrigen Arten, wenn man sie ein oder mehrmals untertauchte, bestätigt werden konnte. Eingehender beschreibt Szymanski noch die Schwimmbewegungen einiger Insekten. Sie sind bei der Roßameise in komplizierter Weise aus folgenden Reflexen zusammengesetzt: das Vorder- beinpaar bewegt sich sehr rasch in sagiitaler Ebene, das Mittelbeinpaar langsamer in annähernd horizontaler, die Hinterbeine übernehmen die Rolle des Steuerruders. Dies zeigten im einzelnen auch Amputationsversuche. Andere Ameisenarten machen die gleichen Schwimmbewegungen, doch ohne den gleichen Erfolg. Laulkäferarten bewegen die Beine wie beim Gehen und steuern gleich der Roßameise mit dem entsprechenden Hinterbein, ziehen auch manchmal — Harpalus — bei Wen- dungen das gleichsinnige Bein aus dem Wasser. Einige Baumwanzen rudern synchron mit beiden Hinterbeinen, einige kleinere Ichneumoniden mit den Flügeln. Alle anderen Arten, die sich ja auch nicht spontan ins Wasser werfen, vermögen in ihm bloß zappelnde Beinbewegungen auszuführen. V. Franz. Meteorologie. Über die neuesten Ergebnisse der Lenardschen Tehorie der Dampfkondensation auf Nebelkernen berichtet H. Schmidt in der Met. Zeitschr. 35, 105, 1918 — Wir bezeichnen die N. F. XVn. Nr. 47 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 679 Luft als mit Dampf gesättigt, wenn der Dampf- druckderart ist, daß Gleichgewicht mit einer ebenen Flüssigkeitsoberfläche besteht. Befindet sich die Luftmasse nicht in Berührung mit der flüssigen Phase, so tritt bei Überschreiten dieses Sättigungsdruckes nicht ohne weiteres Kondensation ein, es ist dazu vielmehr stets ein bestimmter Grad von Über- sättigung nötig. Lord Kelvin hat gezeigt, daß infolge der Oberflächenspannung kleine Tröpfchen mit Dampf von höherem Druck im Gleichgewicht stehen als ebene Flüssigkeitsoberfiächen, und zwar wächst dieser Überdruck mit der Abnahme der Trop- fengröße. Um die Kondensation bei Tropfen von der Größe eines Moleküls einzutreten zu lassen wäre dabei eine relative Feuchtigkeit von vielen hundert Pro- zent notwendig, wie sie in der Natur nie vorkommt. Es mußte deshalb angenommen werden, daß in der Atmosphäre hygroskopische Kerne vor- handen sind, die die Kondensation begünstigen. Als solche Kerne wurden auf experimentellem Wege die Ionen erkannt. Unter der Annahme, daß durch die elektrische Ladung die Tröpfchen- bildung ausgelöst wird, leiteten Warburg und I. I. Thomson ein Zusatzglied zu der Lord Kelvin'schen Formel ab, das insbesondere noch die Ladung des elektrischen Elementarquantums enthielt. Neuere Untersuchungen zeigten jedoch, daß in Phallen, wo das Zusatzglied eine entscheidende Rolle spielen muß, die neue Formel nicht mit den Beobachtungstatsachen im Einklang steht. F. Lenard hat nun eine neue Theorie auf- gestellt, bei der ebenfalls die Begünstigung der Kondensation durch die Ionen berücksichtigt wird. Er betrachtet jedoch nicht die elektrische Ladung, sondern lediglich die räumliche Ausdehnung des Ions als bestimmend für das Einsetzen der Kondensation. Es wird dabei von folgender Über- legung ausgegangen. Über irgendeiner ionenhaltigen Flüssigkeit oder einer Lösung wird die Dampfspan- nung dadurch herabgesetzt, daß nicht verdampfbare Molekülkomplexe, deren Kern ein Ion oder ein Lö- sungsmolukül ist, aufdieunterihnen liegenden Mole- küle eine Art Schirmwirkung ausüben, so daß diese nicht mehr mit der Oberfläche und dem darüber liegen- den Luftraum in Austausch treten können. DerDamp- druck über der komplexfreien Flüssigkeit verhält sich zu dem der Lösung wie die Gesamtoberfläche zu dem nach obiger Überlegung dem Austausch zugänglichen Teil derselben. Im Verfolg dieses Gedankens ergibt sich der Satz: „An der Ober- fläche ist die Konzentration einer Lösung verringert, und zwar derartig, daß sich die Oberflächen- konzentration zur Konzentration im Innern wie das Volumen des Lösungsmittelmoleküls zu dem Vo- lumen des Lösungsmoleküls verhält." Wegen der verringerten Oberflächenkonzentration muß bei geringen Schichtdickcn beim Vorhandensein kom- plexer Moleküle eine Vergrößerung der Oberflächen- spannung eintreten. Diese erreicht ihren maximalen Wert, wenn ein einziges komplexes Molekül von nur einer normalen Molekülschicht umgeben ist. Sie wird verschwindend gering, sobald die Schicht dicker wird als der Wirkungskreis des Komplexes. Dies tritt nach den Berechnungen Lenard 's schon bei einer zweifach molekularen Schicht ein. Es wird nun angenommen, daß den Nebel- tropfen irgendwelche Molekülkomplexe, gleich- gültig welcher Art, — „Nebelkerne", — zugrunde liegen. Dann ergiebt sich ebenfalls ein Zusatz- glied zur Kelvin'schen Formel. Es hängt ab von den Radien des Tropfens und der Kerne und dem Bruchteil der Kernzahl, der in- folge der Molekularbewegung durchschnittlich an der Oberfläche des Tropfens- liegt, einer Zahl, die also etwa den Wirkungsgrad der Kerne be- zeichnet. Die Formel lautet dann: , p' 2«' ff 4R2 '°gp'^i^:ii^~'°^4R' -/^s^- Hierin sind p und p'die Drucke des gesättigten und übersättigten Dampfes, a' dieOberflächenspannung, s und ff die Dichte der Flüssigkeit und des Dampfes, R der Tropfenradius, S der Kernradius und ß der eben gekennzeichnete Bruchteil der Kernzahl. Die Formel unterscheidet sich außer durch das Zusatz- glied auf der rechten Seite noch dadurch, von den Kelvin 'sehen daß, im ersten Glied die Oberflächen- spannung cc' nicht mehr konstant ist. Molekülkomplexe der Art, wie sie der Auf- stellung der vorstehenden Formel zugrunde liegen, sind nun erfahrungsgemäß die Träger elektrischer Ladungen in Gasen. Die durch die Ladung be- dingte Korrektion in der Formel ist jetzt jedoch nur noch von untergeordneter Bedeutung. Der Verlauf der Gleichgewichtsdampfspannung p' ist nun folgender: für den unbedeckten Kern nahezu Null, steigt sie mit zunehmender Bedeckung des Kerns rasch an und erreicht ihr Maximum, wenn die Schichtdicke der normalen Moleküle etwa das i V2 fachedes Durchmessers dieser Moleküle beträgt, dann nimmt sie wieder langsam ab, um bei unendlicher Tropfengröße den Wert p zu erreichen. Untersucht man nun die maximale Dampfspannung in ihrer Abhängigkeit von der Kerngröße S, so ergibt sich das überraschende Resultat, daß zu jedem Wert von p' max zwei Werte von S gehören. Es gibt also einen absolut größten Wert von p' max bei dem jeder Kern die Kondensation herbeiführen muß, gleichgültig wie groß er ist, wenn er sich nur überhaupt von den gewöhnlichen Dampfmolekülen unterscheidet. Die experimentellen Untersuchungen von L. Andren ergaben eine Bestätigung dieser Ergeb- nisse. Die Extremwerte der Tropfengröße für Wasser, Alkohol und Benzol stimmten auch zahlen- mäßig mit den vorausberechneten sehr gut überein. Es ergab sich ferner, daß in allen Gasen sich stets auch ohne elektrische Einwirkung komplexe Dampfmoleküle bilden, deren Größe und Zahl lediglich eine Funktion des Gases ist. Die Über- gänge zwischen den verschiedenen Kerngrößen finden kontinuierlich statt. Die vier verschiedenen „Nebel- oder Tropfengrenzen", die man früher an- nahm, lassen sich nicht aufrechterhalten. Die größten der stets vorhandenen Kondensationskerne sind die Elektrizitätsträger. Scholich. 68o Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 47 Bücherbesprechungen. Dr. W. Ahrens, Altes und Neues aus der Unterhaltungsmathematik. Mit 5 1 Text- figuren. 206 S. Berlin 1918. Julius Springer. P. Männchen, Geheimnisse der Rechen- künstler. Leipzig 1918. Teubner. 50 S. Beide Werke dienen in erster Linie der Unterhal- tung, und erfüllen diesen Zweck aufs beste durch die überraschend große Menge erstaunlicher Rechen- kunststücke, Ratespiele, mathematischer Scherze, Paradoxa und Kuriosa, sowie höchst merkwürdiger Dinge aus den Gebieten des Zahlenaberglaubens und der Zahlenmystik. Hier nimmt besonders die bekannte Sator Arepo Formel einen breiten Raum ein, an der sich seit Jahrhunderten die Menschen den Kopf zerbrochen haben. In allen Fällen wird gezeigt, worauf die Aufgabe beruht, welcherlei Kunstgriffe zur Lösung anzuwenden sind, und auch, wo es angeht, einiges über Ent- stehung und Geschichte dieser Spiele und Auf- gaben. Beide Werke sind sehr willkommen, wenn es gilt, die Mathematik auch zur geselligen Unter- haltung und zur spielenden Einführung in manche zahlentheoretische Probleme zu benutzen, und setzen nur elementare Kenntnisse voraus. Riem. Dr. Aloys Müller, DieReferenz flächendes Himmels und der Gestirne. Mit 20 Abb. 162 S. Braunschweig 1918. Fr. Vieweg u. Sohn. Aus der bekannten Tatsache, daß den meisten Menschen das Himmelsgewölbe als abgeflacht er- scheint, und daß die Gestirne am Horizont größer erscheinen als im Zenit, folgt die Aufgabe, diese teils physikalische, teils psychische Erscheinung zu erforschen. Diese Objekte erscheinen uns dabei als Sehgrößen, projiziert auf gewisse scheinbare Flächen, eben die Referenzflächen. Es werden im ersten Teil die Bestimmung der Referenzflächen behandelt, die des blauen Himmels, des bewölkten, der Gestirne und des Sternhimmels, im zweiten Teil die Bedingungen, unter denen diese Er- scheinungen zustande kommen, sie sind physi- kalischer, physiologischer und psychologischer Art. Man muß das sehr durchsichtig geschriebene Werk selber studieren, um zu sehen, wie interessante und verwickelte Probleme in diesen einfachen Dingen verborgen sind, die noch keineswegs ganz befriedigend gelöst sind. Riem. P. Luckey, Einführung in die Nomo- graphie. Mit 24 Abb. im Text und I Tafel, 43 S. Leipzig 191 8. Teubner. Der Verfasser gibt als Ziel an, den Inhalt von Größenbeziehungen so in Zeichnungen fertig niederzulegen, daß alle für den betreffenden praktischen Zweck in Betracht kommenden Zahlen- lösungen mit hinreichender Genauigkeit bequem aus einer solchen Zeichnung entnommen werden können. Demgemäß wird die Herstellung ent- sprechender Leitern (Skalen) eingehend beschrieben, und durch zahlreiche Beispiele und Aufgaben deren Verwendung klargelegt. Hierher gehören auch die ausführlichen Darlegungen über Rechenschieber, die ja die verbreitesten Nomogramme sind. Für alle praktischen Rechner dürfte das Werk wert- voll sein. Riem. Dr. M. Lindow, Differentialrechnung. 96 S. Leipzig 19 18. Teubner. Das Werkchen bemüht sich, den Leser weniger auf theoretischem, als auf praktischem Wege in die Methoden der Differentialrechnung einzuführen, indem es ständig die Anwendungen auf mechanische und physikalische Aufgaben bringt. Dadurch wird eine große Anschaulichkeit erreicht, die sich auch in der Auswahl der Aufgaben und Beispiele zeigt, so daß wir hier eine sehr brauchbare Einführung in diese Disziplin vor uns haben. Riem. Literatur. Die Nützlichkeit der Bienen und die Notwendigkeit der Bienenzucht von einer neuen Seite dargestellt von Chr. Konrad Sprengel. Wortgetreuer Abdruck der im Jahre iSii bei Wilhelm Vieweg, Berlin, verlegten Urschrift. Heraus- gegeben und mit Nachwort versehen von Prof. Dr. August Krause, Berlin. F. Pfennigstorff. 1,25 M. Brand hoff, A., Etwas aus Unendlichem. Ein neues Energie-Prinzip. Frankfurt a. M.- West. 'iS. Akademisch-Tech- nischer Verlag. 2 M. Tabellen zur Statistischen Wettervorhersage für Nieder- österreich und die angrenzenden Landstriche. Nach dem Ver- fahren von Stephan Kaltenbrunner zusammengestellt von Dr. R. Schneider. Herbst (September -November). Herausgegeben von der k. k. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Wien XIX. 'iS. Voß, A., Wetter-Taschenbüchlein 1919 zum praktischen Gebrauch der einfachen, bewährten Voß'schen Wetterlehre. Mit Anmerkraum für jeden Tag des Jahres. Berlin '18. Voßianthus-Verlag. 1,60 M. Inhalt: Fr. Bretschneider, Vergleichende Untersuchungen an Gehirnen als Beitrag zur Phylogcnie der Arthropoden. (I3Abb.) S. 665. — Einzelbericbte : Hans Stille, Injektivfaltung und damit zusammenhängende Erscheinungen. S. 674. E. Ramann, BL.denfragen. S. 675. F.J.Weber, Zur Entwicklungsmechanik des Wirbeltieraugcs. S. 677. Schieffer- decker, Sauei stofforte und Reduktionsorte im Organismus. S. 677. J. S. Szymanski, Landinsekten in Wassersnot. S. 678. H. Schmidt, Lenardsche Theorie der Dampfkondensation auf Nebelkernen. S. 678. — Bücherbesprechungen: W. Ahrens, Altes und Neues aus der Unterhaltungs-mathematik. S. 6S0. P. Männchen, Geheimnisse der Rechen- künstler. S. 6S0. Aloys Müller, Die Referenzflächen des Himmels und der Gesti ne. S. 6S0. P. Luckey, Ein- führung in die Nomographie. S. 680. M. Lindow, Differentialrechnung. S. 680. — Literatur: Liste. S. 6S0. Ma uskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N 4, Invalidenstraße 42, erbe Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Sonntag, den i. Dezember 1918. Nummer 48- Einige Bemerkungen über die neuen Sterne. [Nachdruck verboten.] Von C. Hoffmeister, Bamberg. Mit 3 Abbildungen im Text. Das Erscheinen eines neuen Sterns von großer Helligkeit im Sternbilde des Adlersam 8. Juni 1918 hat die allgemeine Aufmerksamkeit erneut auf diese Klasse von Himmelskörpern hingelenkt, die sowohl wegen ihres Verhaltens an sich, als wegen des Umstandes, daß bis zur Gegenwart jede befriedi- gende Erklärung der Erscheinungen mangelt, be- sondere Beachtung verdienen. Gerade der letztere Hinweis dürfte es rechtfertigen, wenn im folgenden vor einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlich- keit einige Beziehungen erörtert oder angedeutet werden sollen, die vielleicht bei der weiteren Be- handlung der Aufgabe und seiner schließlichen Lösung eine nicht geringe Rolle zu spielen berufen sind. Auch ist es nach dem heutigen Stande der Angelegenheit in gleichem Maße Sache des Physikers, wie des Astronomen, zur Erklärung der rätselhaften Erscheinungen beizutragen. Die nach- stehenden Zeilen werden dies erkennen lassen. Über die neuen Sterne selbst sollen hier nur einleitend die wichtigsten Tatsachen kurz zusam- mengefaßt werden unter dem Hinweis, daß sich weitere Einzelheiten darüber in den Lehrbüchern der Astrophysik in ausreichendem Maße vorfinden. Das wichtigste Kennzeichen der neuen Sterne ist die plötzliche, außerordentlich starke Licht- zunahme. Bei der Nova Persei vom Februar 1901 betrug sie in wenigen Tagen mindesten 13 Größen- klassen, was einer Steigerung um das 160 000 fache der ursprüngliehen Helligkeit gleichkommt. Das größte Licht wird meist nur einen Tag lang bei- behalten. Unmittelbar darauf setzt der Abstieg ein, wobei der Stern einige kennzeichnende Um- wandlungen seines Spektrums erfährt, wie man sie bei keiner anderen Art von Himmelskörpern findet. Im Zustande der größten Helligkeit gleicht das Spektrum fast völlig dem eines Sterns der ersten Spektralklasse, weist also nur die wenigen dunklen Wassei Stofflinien auf. Nach wenigen Tagen tritt an seine Stelle das ausgeprägte Nova- Spek- trum mit zahlreichen Absorptionsbanden und hellen Linien, das dem Auge als eine Aneinanderreihung heller und dunkler Streifen erscheint und in seinen Einzelheiten ziemlich raschen Veränderungen unter- worfen ist. Der Endzustand scheint schließlich das Spektrum der sog. WolfRayet-Sterne mit hellen Linien zu sein, doch bedarf es hierüber noch eingehender Forschungen. Alle neuen Sterne weisen ferner einige Zeit nach ihrem Aufleuchten, auf dem absteigenden Aste ihrer Lichtkurven, tritt ein dauernder Ruhestand überhaupt nicht mehr ein und der Stern wird zu einem unregelmäßigen Veränderlichen. So zeigte z. B. die Nova Persei von 1901 im August 191 7 eine plötzliche Hellig- keitszunahme von etwa einer Größenklasse. Die Ursache der Erscheinungen ist, wie oben erwähnt, noch völlig in Dunkel gehüllt. Die ältere Ansicht vom Zusammenstoß zweier Himmels- körper ist zu unwahrscheinlich, um ernstlich in Betracht zu kommen. Einen anderen Anblick ge- winnt die Sache, wenn man, wie Seeliger dies tat, sich den einen der beiden Himmelskörper als ausgedehnte kosmische Gas- oder Nebelmasse vor- stellt. Der rasch bewegte, an seiner Oberfläche schon ganz oder nahezu erkaltete Stern würde dann bei seinem Eintritt in den Nebel durch den Widerstand plötzlich zu neuer Glut entflammt gleich einem Meteor in der Erdatmosphäre. Dieser Erklärung widerspricht das außerordentlich rasche Abflauen der Erscheinungen, welches entschieden darauf hindeutet, daß die Ursache der Lichtsteige- rung fast nur augenblicklich einwirkt und dann wieder verschwindet. Endlich könnte man auch an Ursachen denken, die im Sterne selbst liegen. Allen bisherigen Erklärungsversuchen bereitet die kurze Dauer des größten Lichtes ein ernstliches Hin- dernis. Die Erhitzung des Sterns dürfte sich nur auf eine äußerst dünne Schicht beschränken, wenn die rasche Abnahme verständlich sein sollte, denn wenn der Stern wirklich wieder in den Zustand der weißen Sterne versetzt würde, so würde sich die Zeitdauer seiner Lichtabnahme nach Jahrmilli- onen, aber nicht nach Tagen und Wochen bemessen 1 Eine wichtige Frage ist ferner die nach dem Zustand der Novae vor ihrem Aufleuchten, und hiermit gelangen wir zum Hauptpunkt unserer Aus- führungen. Die Nova Aquilae 3 vom Juni 1918 scheint in dieserBeziehungeinebesondereBedeutung zu gewinnen. Man fand nämlich auf älteren Auf- nahmen am Ort der Nova einen verhältnismäßig hellen Stern 10. Größe, und es unterliegt kaum noch einem Zweifel, daß dieser Stern und die jetzige Nova wirklich der gleiche Himmelskörper sind. Ferner zeigen die früheren Aufnahmen, daß jenes Sternchen sehr wahrscheinlich bereits seit Jahr- zehnten geringe Lichtschwankungen aufwies, wo- rauf unabhängig Wo 1 f in Heidelberg und Picke - ring an der Harvard-Sternwarte in Nordamerika aufmerksam machten. Die eingehende Prüfung der Platten steht noch aus. — Es sei hierbei daran starke, rasch verlaufende Helligkeitsschwankungen erinnert, daß seiner Zeit Pickering am Ort der auf, die sich unter Abnahme ihrer Weite und Zu- Nova Persei von 1901 auf älteren Platten ebenfalls nähme ihrer Dauer lange Zeit fortsetzen. Vielleicht ein schwaches Sternchen 13. bis 14. Größe fand, 682 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr. das Lichtschwankungen im Umfang einer Größen- klasse zu zeigen schien. Im Zusammenhang mit den jüngsten Erfahrungen an der Nova Aquilae gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, daß auch dieses Sternchen die spätere Nova Persei gewesen ist. Daß eine Nova nicht wirklich „neu" im eigent- lichen Sinne des Wortes ist, kann ja wohl als selbstverständlich gelten. Die besondere Bedeutung der eben mitgeteilten Erfahrungen besteht nur darin, daß sie zu zeigen scheinen, daß die Novae auch schon vor ihrem plötzlichen Aufflammen gering veränderliche Sterne sind. Diese Erkennt- nis deutet, falls sie sich bestätigt, darauf hin, daß auch die Ursache des Aufleuchtens in den Sternen selbst zu suchen ist oder daß die Erscheinung mindestens einen besonderen Zustand des Sterns zur Voraussetzung hat. Die Mitwirkung von Nebel- massen ist dabei nicht ausgeschlossen. Man hat ja in der Tat unmittelbar neben der Nova Persei einige Monate nach ihrem Aufleuchten eine An- Gr6s sa /' ■ 3. / 'J ^ ♦• / ■— •■ "— ■ ^ - 5 1 1 7. ( 1 q JuniS 8 10 12 U 16 18 20 22 24 26 28 30 julM 6 8 10 12 M 16 Vorläufige Lichtkurve der Nova Aquilae. 191S Juni und Juli. zahl Nebelknoten feststellen können. Nur müßten Stern und Nebel schon lange vor dem Aufleuchten des ersteren in einer näheren Beziehung zu ein- anderstehen, als die oben angeführte Hypothese annimmt. Allenfalls kommen wir zu dem Schluß, daß die neuen Sterne mit der großen Klasse der veränderlichen Sterne viel näher verwandt zu sein scheinen, als man bisher vielfach glaubte, daß sie also gewissermaßen ihrer Sonderstellung entkleidet werden und nur mehr eine Unterabteilung der veränderlichen Sterne zu bilden haben. Freilich ist letzteres aus äußeren Gründen immer schon so gehandhabt worden, erhält aber nun eine neue Stütze durch die Erkenntnis, daß anscheinend nicht jeder beliebige schwache Stern als Nova aufleuchten kann, sondern daß dafür ein besonderer Zustand, der sich uns durch Veränderlichkeit der Lichtstärke verrät, die Voraussetzung zu bilden scheint. Es liegt nun sehr nahe, nach weiteren Be- ziehungen und Übergangsformen zwischen den neuen Sternen und den verschiedenen Klassen der Veränderlichen zu suchen. Im Rahmen dieses Aufsatzes ist selbstverständlich nur eine zusammen- fassende Behandlung möglich, und es ist auch nur der Zweck dieser Zeilen, Anregungen für die weitere Verfolgung des Gegenstandes zu geben. Jene ver- änderlichen Sterne, die eine rein mechanische Deu- tung ihres Lichtwechsels zulassen, scheiden hier wohl aus. Es sind das die nach ihren hellsten Vertretern als Algol- und ß Lyrae Sterne bezeich- neten Klassen der Verfinsterungssterne. Gleichwohl sei daran erinnert, daß sämtliche Verfinsterungs- sterne den ersten Spektralklassen — A und B der Harvard-Bezeichnung — angehören. Gelbe und rote Sterne findet man nicht unter ihnen. Dies beweist, daß doch auch der Entwicklungszustand des Sterns für das Zustandekommen der Veränder- lichkeit nicht gleichgültig ist, wenn auch die Annahme eines schwachleuchtenden Körpers, der bei seinem Umlauf den Hauptstern periodisch ver- finstert, und für etwaige Unregelmäßigkeiten die Annahme einer Drehung der Apsidenlinie oder veränderlicher Radialbewegung zur Erklärung völlig hinreichen. Ganz anders verläuft der Lichtwechsel bei den d Cephei- oder Blinksternen, so genannt nach ihrem hellsten Vertreter d Cephei. ^) Sie leuchten rasch auf und nehmen langsam ab, ähnlich den neuen Sternen, doch wiederholt sich dieser Vor- gang periodisch. Die Perioden liegen zwischen einigen Stunden und mehreren Wochen. Der Um- fang des Lichtwechsels beträgt im Höchstfall 2 — 3 Größenklassen, ist aber meist geringer. Auch hier unterscheidet man mehrere Unterabteilungen. Als Grundform kann die Lichtkurve von d Cephei gelten, gekennzeichnet durch raschen Anstieg und langsame Abnahme ohne Stillstand. Oft findet sich im absteigenden Ast eine Welle, gleichsam ein Neben-Maximum, das aber bei anderen Vertretern dieser Klasse wieder fehlt oder nur ganz schwach angedeutet ist. Eine merkwürdige Abänderung begegnet uns in den sogenannten Antalgolslernen. Sie zeigen Stillstand des Licht- wechsels im Minimum, dann sehr rasches Auf- blitzen und allmähliche Abnahme. Ihre Perioden sind meist sehr kurz und betragen etwa 7 — 'S Stunden. Diese kurzperiodischen Blinksterne treten merkwürdigerweise in manchen Sternhaufen in außerordentlich großer Zahl auf, so daß man geradezu von einer „Sternhaufenart" der Veränderlich- keit spricht. Zweifellos werden sie für die Er- forschung unseres Fixsternsystems noch wesent- liche Bedeutung gewinnen, wenn man erst die Ursache des merkwürdigen Lichtwechsels kennt. Die rein mechanische Erklärungsweise versagt hier, wenn auch die große Regelmäßigkeit der Perioden für eine Umlaufs- oder Umdrehungs- bewegung spricht. Daneben sind aber zweifellos ') Die von Luizet im Französischen eingeführte Bezeich- nung „Cepheides", die auch im Deutschen teilweise Eingang gefunden hat, ist zu unterdrücken, weil Wortbildungen dieser Art schon zur Benennung von Sternschnuppenströmen benutzt werden. Sinngemäß müßte man sonst auch die Algol- und /i-Lyrae-Sterne als Perseiden und Lyriden bezeichnen, worunter man bekanntlich die beiden reichsten Meteorslröme versteht. Der von Hartwig eingeführte Name „Klinksterne" ist von den als Seezeichen gebräuchlichen Blinkfeuern hergeleitet und hat sich als sehr zweckmäßig bewährt. N. F. XVn. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 683 noch andere Ursachen am Werke, die sich auch in einer regelmäßigen Veränderlichkeit der Spektra dieser Sterne ausprägen. Die Blinksterne, die meist den frühen Spektralklassen angehören, werden nämlich um so weißer, je mehr ihr Licht zunimmt und sinken mit abnehmender Helligkeit in eine spätere Spektralklasse zurück. Dies findet auch darin seinen Ausdruck, daß die Schwankung photographisch meist größer ist, als für das Auge. Man könnte an eine Gezeitenerscheinung in den lichtabsorbierenden Atmosphären der Sterne denken, doch ist der ganze Lichtwechsel noch so rätsel- haft, daß solche Erklärungsversuche verfrüht sind, denn die Hauptursache wird damit nicht getroffen. Ob die sogenannten C-Geminorum-Sterne, ge- kennzeichnet durch gleichmäßige Zu- und Abnahme, als besondere Klasse zu führen sind, erscheint dem Verfasser zweifelhaft. Man findet zwischen diesen, übrigens wenig zahlreichen Sternen und den eigent- lichen Blinksternen eine geschlossene Reihe von Ubergangsformen, so daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß beiden Arten der Ver- änderlichkeil die gleiche Ursache, wenn auch mit etwas verschiedener Wirkungsweise , zugrunde liegt. Völlig symmetrische Lichtkurven sind äußerst selten. Fast immer zeigt sich bei sorg- fältiger Untersuchung, daß die Zunahme doch etwas rascher verläuft als die Abnahme. Gegen die mechanische Erklärung desLichtwech- sels der Blinksterne, wie sie von Luizet versucht wor- den ist, sprechen auch die gelegentlich auftretenden Unregelmäßigkeiten in den Lichtkurven. Die Perio- den sind dagegen von bemerkenswerter Beständig- keit. Auchperiodische Wellen, die sich durch Sinus- glieder darstellen lassen, oder fortschreitende Ände- rungen der Periodenwerte sind selten und in den wenigen Fällen, wo sie gefunden wurden, nicht sicher verbürgt. Zwischen den bisher behandelten kurzperio- dischen und den eigentlichen langperiodischen Sternen finden sich keine vermittelnden Zwischen- formen. Die Sterne mit Perioden von 50 bis etwa 120 Tagen zeigen meist nur schwachen Licht- wechsel und große Unregelmäßigkeiten aller Art, stehen aber spektroskopisch den langperiodischen nahe. Diese bilden eine ziemlich scharf abgetrennte Klasse mit o Ceti (Mira) als hellstem Vertreter. Sie zeichnen sich durch den großen Umfang ihres Lichtwechsels aus, der bis zu 10 Größenklassen beträgt, haben aber sonst mit den neuen Sternen nur wenige gemeinsame Züge. Die Periodenwerte liegen meist zwischen 200 und 700 Tagen, die Mehrzahl um etwa 300 Tage. Auch hier tritt die Erscheinung auf, daß der Anstieg rascher verläuft als der Abstieg. Die Lichtkurven und die Perioden weisen starke Unregelmäßigkeiten auf. Spektro- skopisch gehören diese Sterne zu späten Klassen (M der Harvard-Bezeichnung) und erscheinen dem Auge meist ausgesprochen rot. Sie haben für unsere Betrachtung nur untergeordnete Bedeutung, gleich den zahlreichen roten und rotgelben Sternen mit geringem, unregelmäßigem Lichtwechsel. Zu den unregelmäßigen Veränderlichen rechnet man auch eine kleine Gruppe von Sternen, ob- gleich sie mit den schwach veränderlichen roten Sternen nichts gemein haben, die nach ihrem ältesten bekannten Vertreter, dem Stern U in den Zwillingen, U Geminorum-Sterne genannt sind. Sie sind recht selten, denn unter den mehr als 2000 bekannten Veränderlichen kennt man bis- her nur 5 Beispiele dieser Art. Ihr Lichtwechsel ist so eigenartig, und dabei scheinen sie den neuen Sternen so nahe zu stehen, daß sie hier etwas ausführlicher behan- delt werden müssen. Der Umfang des Lichtwechsels be- trägt bei allen UGe- minorum-Sternen mehrere Größen- klassen, bei einigen deren 5 — 6. Das Eigenartige besteht in dem jähen Auf- leuchten von einem zum anderen Tag. Gestern noch im großen Fernrohr un- sichtbar , hat der Stern heute seine größte Helligkeit und beginnt morgen oder übermorgen / ^^^ / schon wieder abzu- >— ^ . -•- r^- — nehmen. Die Ge- stalt der Lichtkurve gleicht der bei den neuen Sternen beob- achteten oft so völ- lig, daß man den zu- letzt entdeckten Ver- treter jener Klasse, den höchst merk- würdigen Veränder- lichen UV Persei zu- erst für einen neuen Stern ansah, bis man ihn schließlich auch auf einigen früher aufgenommenen Platten hell vorfand. Die Helligkeit der Sterne ist durchweg gering. Bei dem hellstenVertreter der Klasse, SS-Cygni, bewegt sich der Lichtwechsel zwischen 8. und 1 2. Größe. Die vier andern sind viel schwächer; nur U Geminorum erreicht die 10. Größe. Dieser Umstand erschwert leider die spektroskopische Beobachtung außeror- dentlich oder macht sie geradezu unmöglich. Sicher ist nur, daß diese Sterne nicht rot sind, und an- scheinend nehmen sie auch bei der Lichtabnahme keinen rötlichen F"arbton an, wodurch sie sich von den Abb. 2. Verschiedene Lichtkurven von Blinkslernen nach Beobachtungen des Verfassers. 1. RZ Tauri Periode 0.172 2. ST „ 4-035 3- SW „ 1.584 4. V Leonis min. 0.544 5. KU Canura venaticorum 0.364 684 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 48 neuen Sternen auch spektroskopisch unterscheiden. Der wesentliche Unterschied besteht in dem wieder- hohen Aufleuchten der U Geminorum-Sterne, wo- bei die einzelnen Erscheinungen durch Zeiten nahezu beständigen Lichtes getrennt sind. Die Zwischenzeiten der Lichtausbrüche sind verschieden lang. Siebetragen z.B. bei SS Cygni 30 — 70 Tage, bei U Geminorum 80 — 120 Tage, bei UV Persei 430 bis über 500 Tage. Wie ersichtlich, bestehen keine regelmäßigen Perioden, doch gruppieren sich die einzelnen Zwischenzeiten, auch bei den beiden andern Sternen dieser Art, SS Aurigae und RU Pegasi, unverkennbar um gewisse Mittelwerte. Auch die Gestalt der Lichtkurven unterliegt starken Unregelmäßigkeiten, die besonders bei SS Cygni den Verlauf der Erscheinungen manchmal ganz entstellen. Der Aufstieg dauert bei diesem Stern gelegentlich mehrere Tage und ist alsdann kaum f "N / \ / \ _^ / \ , -JuliO 2 * 6 8 10 ,2 14 1 / ^ "\ / \ / '"Jug.2l 23 2.5 27 29 3t Sepl.2 4 | Abb. 3. Kurre und darauffolgende lange Erscheinung von SS Cygni Juli und August 191 1. Steiler als der Abfall. Am häufigsten ist allerdings immer das plötzliche Aufflammen. Bei UV Persei hat man solche langsame Aufstiege noch nicht feststellen können; dieser Stern verhält sich bei seinem Erscheinen ganz wie eine Nova. Merk- würdig ist ferner die abwechselnde Aufeinander- folge kurzer und langer Maxima, doch zeigt der recht unruhige Stern SS Cygni auch hierin sehr häufig ein abweichendes Verhalten. UV Persei hat jedoch diese Regel seit seiner Entdeckung im Jahre 1911 immer befolgt. Die drei vom Verfasser beobachteten Maxima kennzeichnen die Eigenart dieses Sterns : Anfang September 191 5 wurde er plötzlich hell gesehen und war am nächsten Tage wieder ver- schwunden. Im Dezember 191 6 war er II Tage lang, vom 18. bis zum 28., über der Sehgrenze des zehnzölligen F"ernrohrs. Die letzte Erscheinung fand im Mai 1918 statt. Am frühen Morgen des 5. war er noch unsichtbar, am 6. abends im größten Licht (12. Größe), am 7. im Abnehmen (13. Größe), am 9. verschwunden. In den langen Zwischen- zeiten der Erscheinungen ist er trotz eifriger Be- obachtung auf den Sternwarten zu Bamberg und Utrecht nie gesehen worden. — Bemerkenswert ist ferner noch, daß D'Esterre, der Entdecker von UV Persei, auf seinen Platten in der Nähe dieses Sterns einige Nebelknoten gefunden hat, ganz ähnlich, wie sie sich bei der Nova von 190 1 in ihrem späteren Zustand zeigten. — Bei SS Cygni und RU Pegasi hat man auch während des ziem- lich beständigen und lang andauernden kleinsten Lichtes geringe unregelmäßige Schwankungen fest- stellen können. Die drei anderen Vertreter der Klasse sind zu lichtschwach und verschwinden selbst für starke Fernrohre außerhalb der Zeiten größten Lichtes vollkommen. — Die Ursache des Licht wechsels derU Geminorum Sterne ist noch völlig unbekannt, und man sieht schlechterdings zur Zeit gar keine Möglichkeit, diese wunderbaren Erscheinungen mit den zu Gebote stehenden Kenntnissen zu erklären. Endlich muß der Stern 1] Carinae am südlichen Himmel erwähnt werden, der von einem Nebel umgeben ist und unregelmäßige Lichtschwankungen zwischen den Größen — I und 8 gezeigt hat, also mit einem Umfang von 9 Größenklassen, so daß zwischen kleinstem, und größtem Licht das Ver- hältnis 1 : 4000 besteht. Wir gelangen nunmehr zu folgender Schluß- betrachtung: Wie die vorstehende Übersicht ge- zeigt hat, bestehen zwischen den „neuen Sternen" und den unter der Bezeichnung „veränderliche Sterne" zusammengefaßten Himmelskörpern eine Reihe von Beziehungen, die auf eine nahe Ver- wandtschaft beider Erscheinungsgruppen hinweisen. Mit wenigen Ausnahmen findet sich überall das plötzliche Aufleuchten mit darauffolgender lang- samer Abnahme, am schärfsten ausgeprägt bei den „neuen Sternen" und den U Geminorum-Sternen, die unter allen Veränderlichen den neuen Sternen am nächsten zu stehen scheinen und auch sonst einige gemeinsame Züge mit letzeren aufweisen. Es sei dabei an die Feststellung von Nebelmassen sowohl bei UV Persei als der Nova Persei von 1901 erinnert, ferner an die Unbeständigkeit des kleinsten Lichtes der U Geminorum-Sterne, die die Novae nach erfolgter Abschwächung, vielleicht auch vor ihrem Aufleuchten in ähnlicher Weise zeigen Besonders durch die letztere Erkenntnis wird das Band, das die „neuen" und die „veränderlichen" Sterne verknüpft, wesentlich gefestigt werden. In zweiter Linie kommen die Blinksterne in Betracht, die ebenfalls das plötzliche Aufflammen zeigen, jedoch nur mit geringeremUmfang^desLichtwechsels. Bei ihnen kommt als Unterscheidungsmerkmal noch die große Regelmäßigkeit der Perioden hinzu, die den U Geminorumm und den neuen Sternen abgeht. Wir haben also folgende drei Gruppen: Perioden Umfang des Spektra Lichtwechsel Blinksterne regelmäi3ig klein schwach veränderlich U Geminorum-Sterne unregelmäßig groß ? Neue Sterne keine sehr groß stark veränderlich N. F. XVII. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 68 s Alle drei Klassen zeigen das plötzliche Auf- leuchten und die langsame Lichtabnahme, und wenn sie sich auch in sonstigen Merkmalen stark von einander unterscheiden, so ist doch der Gedanke an eine gemeinsame Ursache des Licht- wechsels nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Schlüssel des Rätsels dürfte in diesem Falle vornehmlich in den Biinksternen zu suchen sein, die wegen ihrer großen Zahl am leichtesten und unter den verschiedensten Gesichtspunkten unter- sucht werden können, — die unter anderem auch der spektroskopischen Beobachtung leichter zu- gänglich sind als die U Geminorum-Sterne. Allenfalls zeigt sich, daß zur Erklärung der merkwürdigen Erscheinungen, die die veränderlichen und neuen Sterne uns darbieten, Umstände in Be- tracht gezogen werden müssen, die sich zur Zeit noch vollkommen unserer 'Beurteilung entziehen, und wenn man berücksichügt, daß durch die neueren lichtelektrischen Beobachtungen eine wenn auch geringe, vielfach regelmäßige Veränderlichkeit bei so vielen hellen Sternen nachgewiesen worden ist, daß die Beständigkeit des Fixsternlichtes schon beinahe als Ausnahme angesehen werden muß, so unterliegt es keinemZweifel, daß die Erforschung dieses großen Gebietes der Sternkunde für die AuP fassung unseres ganzen Weltbildes vielleicht schon in den nächsten Jahrzehnten eine Bedeutung ge- winnen kann, die jetzt selbst von vielen Astronomen noch kaum geahnt wird. Über die Entstehaiig der braunen Farbe gewisser Schnictterlingskokons. [Nachdruck - Von J. Dewitz, Metz Die Frage nach der Entstehung der braunen Färbung der Kokons gewisser Schmetterlingarten hat öfters die Autoren beschäftigt. Besonders hat Poulton die Aufmerksamkeit auf diese Kokons gelenkt, weil nach seiner Ansicht der Grad der Färbung von der hellen oder dunkeln Umgebung abhängt. Andere Autoren sind ihm in dieser Er- klärung gefolgt. Ich habe dann gezeigt, ' j daß die braune oder schwärzliche Färbung des Kokons von der Feuchtigkeit in der Umgebung abhängt. H. Federley-) ist darauf 5 Jahre später zu derselben Ansicht gelangt, ohne meine früheren Angaben gekannt zu haben. Ich habe über den Gegenstand schon einige Male Mitteilungen ver- öffentlicht •') und in diesem Sommer infolge der Arbeit von Leonore Brecher: Die Puppen- färbungen des Kohlweißlings, Pieris brassicae L., Arch. f Entwickl.-Mechan. Bd. 43, 1917, S. 88 bis 221, die Frage von neuem geprüft. Die uns hier beschäftigenden Kokons lassen sich in zwei Gruppen trennen. Zu der einen Gruppe gehören die Kokons von Lasiocampa quercus und Eriogaster lanestris, zu der andern z. B. der Kokon von Saturnia pavonia. Beginnen wir mit diesem Kokon. I. Der Kokon von Saturnia pavonia. Die Raupe, welche zur Verwandlung schreitet, entleert wie die Raupen anderer Arten zunächst ihren Darm, indem sie zu fressen aufhört und den Kot von sich gibt. Dieser wird immer weicher, bis eine braune Flüssigkeit abgeht. Nach dieser Reinigung spinnt die Raupe einen festen Kokon. Und wenn dieser beendet ist, entleert sie aus 1) Zum erstenmal zeigte ich den Einfluß der Feuchtigkeit auf die Braunfärbung der Kokons in: Zeitschr. f. wissenschaftl. Inscktenbiologie. Bd. i, 1905, S. 503—509. 2) Meddellanden af Societas pro Fauna et Flora Fennica h. 36 (1909 — 1910). Helsingfors 1910. S. 91 — 99. ') Vgl. am Schlüsse meine Veröffentlichungen über die Frage. ihrem Darm eine Flüssigkeit, die selbst mehr oder minder farblos ist und die den Inhalt der Malpighi- schen Gefäße enthält, der sich seinerseits in den Darm entleert hat. Mit dieser Flüssigkeit benetzt die Raupe den gesponnenen Kokon. Er wird dann fester und dunkler. Die Kristalle der Malpighischen Gefäße liegen zerstreut oder gehäuft auf den Ge- spinstfäden. Es kann aber auch vorkommen, daß die Raupe diese zweite Darmentleerung und damit die Durchtränkung des Kokons mit Darmflüssig- keit unterläßt und sich darauf beschränkt, den Kokon zu spinnen. An den Fäden solcher Kokons hängen dann naturgemäßerweise keine Kristalle aus den Malpighischen Gefäßen. Nach dem Spinnen ist der Kokon weiß, ganz hellbraun oder dunkler braun je nach dem Grade der Feuchtigkeit in der Umgebung. In einer mit Feuchtigkeit gesättigten Atmosphäre ist der Kokon von Anfang an auch ohne Anfeuchtung durch die aus dem After entleerte Flüssigkeit braun und die nachfolgende Ausscheidung aus dem Darm (die mehr oder minder ungefärbt ist) verstärkt die braune P'arbe des bereits mehr oder minder stark braun gefärbten Kokons. In einer wenig feuchten Atmosphäre fällt der gesponnene Kokon hell aus und auch die nachfolgende Darmausscheidung vermag keinen dunklern Farbenton hervorzurufen. In einer ganz trockenen Atmosphäre entstehen ganz weiße oder gelblich weiße Kokons und die Entleerung aus dem After übt auf die Verfärbung keine Wirkung aus. Solche weißen Kokons erhält man am sichersten, wenn man der Raupe den After verschließt und sie in der trockenen Zimmer- luft spinnen läßt. Man kann aber einen solchen weißen Kokon nachträglich künstlich braun machen, indem man ihn in Wasser legt. In oxydierenden Lösungen (z. B. in Chromsäurelösung) wird die Farbe tief braun oder schwarzbraun. Es entsteht nun die Frage, von welchen Organen die Elemente geliefert werden, die die braune Farbe erzeugen. Wie wir sahen, wird der Inhalt 686 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn Nr. der Malpighischen Gefäße in den Darm entleert und die Darmflüssigkeit und der Inhalt der IVIal- pighischen Gefäße vereint werden durch den After auf das Gespinst (Kokon) gebracht, das seinerseits ein Produkt der Spinndrüsen ist. Treten bei Insekten braune, schwarzbraune oder schwarze Farben auf, so vermutet man von vornherein einen melanotischen FarbstofT, ein Melanin, das dadurch zustande kommt, daß ein oxydierendes Ferment, eine Oxydase, auf ein Chromogen wirkt. Die Oxydase ist bei den Insekten die auch im Pflanzen- reich weit verbreitete Tyrosinase, die deshalb diesen Namen führt, weil sie auf Tyrosin in der Weise einwirkt, daß ein schwarzes Produkt, ein Melanin, entsteht. Um nun zu untersuchen, ob in den genannten Organen (Malpighische Gefäße, Darm, Spinndrüsen) Tyrosinase und Chromogen oder Tyrosinase allein vorkommt, wurden die gut gespülten Organe in einem Porzellantiegelchen mit oder ohne Zusatz von Tyrosinpulver und etwas destilliertem Was'^er mittels eines stumpfen Glasstabes verrieben. Wird nun die Verreibung mit und ohne Zusatz von Tyrosin mit den Mal- pighischen Gefäßen vorgenommen, so bleibt die Flüssigkeit in beiden Fällen unverändert, färbt sich nicht. Verreibt man den Darm einer spin- nenden Raupe allein, so tritt gleichfalls keine Verfärbung ein. Verreibt man ihn aber mit einem Zusatz von Tyrosin, so wird die Flüssigkeit schwarz wie Tinte. Der Darm der spinnenden Raupe ent- hält daher Tyrosinase, aber kein Chromogen. Was die Spinndrüsen angeht, so wurden die gut ge- spülten Organe einer spinnenden oder erwachsenen Raupe auf einen Objektträger gelegt und hier zer- stückelt, so daß der Spinnstoff teilweise ausfloß. Sodann wurde der Objektträger in eine feuchte Atmosphäre gebracht, in der sich die zerstückelten Spinndrüsen und der ausgeflossene Spinnstoff all- mählich bräunten. Die Spinndrüsen enthalten demnach Tyrosinase und Chromogen. Nach diesen Angaben kann man den Vorgang des Braunwerdens des gesponnenen Seidenkokons übersehen. Wird der Kokon in trockener Luft gesponnen, in der der Spinnstoff sogleich trocknet, so ist der Kokon ungefärbt, weiß. Wird der Kokon in feuchter Atmosphäre gesponnen , so zieht der Spinnstoff Wasser an und die Tyrosinase vermag auf das Chromogen einzuwirken. Der Kokon wird daher braun. Wenn dann die Raupe nach dem Spinnen des Kokons den ungefärbten oder schwach gebräunten Seidenkokon mit dem Darminhalt anfeuchtet, so wirkt außerdem noch die Tyrosinase des Darms auf das Chromogen im Spinnstoff. Ich glaubte früher, daß die farbe- gebenden Elemente (Ferment und Chromogen) nur aus dem Munde (Spinndrüsen) der Raupe hervor- kämen. Die obige Untersuchung der einzelnen Organe widerlegt diese Ansicht. Ein Auszug der weißen Kokons von S. pavonia sowie der weißen Tönnchen von E. lanestris mit Chloroformwasser gab keine Schwarzfärbung mit Tyrosinpulver. Der Auszug, besonders der der Kokons von E. lanestris, war rosa und blieb es auch nach Hinzufügung von Tyrosin. Wie ich auch schon früher erwähnt habe, geben beide Objekte, in zerkleinertem Zustand mit verdünnter Natronlauge behandelt, eine rote Flüssigkeit, die sich an der Luft bräunt. Besonders bei S. pavonia wird sie schwarzbraun, wenn man reichlich Material anwendet. Die Kokonstücke selbst werden aus- gezogen und bleiben weiß. Die Gegenwart eines oxydierenden Ferments (Oxydase) in den Kokons von S. pavonia und pyri konnte ich früher da- durch zeigen, daß ich weiße Kokonstücke in Gua- jaktinktur legte, die dadurch blau wurde. Besondere Aufmerksamkeit wurde in den dies- jährigen Untersuchungen der Frage geschenkt, ob die helle oder dunkle Umgebung von Einfluß auf die helle oder dunkle Färbung der Kokons ist. Von diesen Versuchen will ich nur die folgenden anführen. Eine Kristallisierschale wurde mit weißer Holz- wolle, die vorher gut angefeuchtet war, lose gefüllt. Der Boden und teilweise die Seiten der Kristallisierschale wurden mit Fließpapier umhüllt, die Schale mit einer runden Glasscheibe zugedeckt und über das Ganze ein Schleier aus weißer Gaze gebreitet. In die Kristallisierschale, die im Zim- mer auf dem Fenster stand, kamen drei spinnende Raupen. Alle drei gaben dunkelbraune Kokons. Der Gegenversuch geschah in folgender Weise. In diesem Versuch war die Holzwolle tief schwarz gefärbt und vollkommen trocken. Der Boden und die Seiten der Kristallisierschale wurden jetzt mit schwarzem Zeug umhüllt und über das Ganze ein Schleier aus schwarzer Gaze gebreitet. Es wurden wieder drei spinnende Raupen eingesetzt, die nun 3 schneeweiße Kokons gaben. Da die Autoren der Ansicht sind, daß grünes Laub braune Kokons hervorruft, so kam noch ein dritter Versuch zur Ausführung. Die Raupen von Saturnia pavonia, die für alle Versuche benutzt waren, waren auf Heidekraut gesammelt. Da mir solches nicht zur Verfügung stand, nahm ich das ähnlich aussehende Laub von Tamarisken. Dieses war auf dem Ofen vollkommen getrocknet, behielt aber seine grüne Farbe. Eine Kristallisierschale wurde mit diesem feinen, getrockneten Laub lose gefüllt und zwei spinnende Raupen wurden eingesetzt. Die Schale wurde dann auf breite Blätter vom Gartenfinger- hut (Digitalis) gesetzt, die auf einer Glasscheibe ausgebreitet lagen. Die Seiten der Glasschale wurden mit denselben Blättern umhüllt. Auf die runde Glasscheibe, die die Kristallisierschale zu- deckte, legte man Bohnenblätter. Das Ganze wurde in das nicht zu starke Sonnenlicht gestellt. Die beiden Raupen gaben schneeweiße Kokons. "Eine weiße feuchte Umgebung gab dunkel- braune Kokons, eine schwarze trockene Umgebung schneeweiße, eine grüne trockene gleichfalls schnee- weiße. Man sieht daraus, daß die Farbe der Um- gebung auf die Farbe der Kokons ohne Einfluß ist und daß die Feuchtigkeit einen solchen ausübt. N. F. XVn. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 2. Der Kokon von Lasiocampa quercus und von Eriogaster lanestris. Nachdem die Raupe von Lasiocampa quercus ihren Darm in der bei Saturnia pavonia ange- gebenen Weise gereinigt hat, spinnt sie einen leichten, grauen Kokon. Sie entledigt sich dann eines Teiles ihrer Haare, die teils im Kokon stecken bleiben, teils zu Boden fallen (z. B. auf ein untergelegtes Papier). Meist am Nachmittag beginnt die Raupe dann den Seidenkokon zu in- krustieren. Dieses tut sie in der Weise, daß sie mit dem Munde eine cremefarbene Flüssigkeit auf das Gespinst bringt, die an der Luft schnell er- härtet und bräunlich oder schwärzlich wird. Dann glättet sie das so entstandene Tönnchen von innen her mit weißer Seide. Man fragt nun, woher die cremefarbene Flüssigkeit stammt, die die Raupe im Munde hat und mit der sie den Seidenkokon durchtränkt. Nimmt man eine Raupe, die den Seidenkokon bereits inkrustiert hat oder die damit beschäftigt ist, dieses zu tun, aus dem Kokon heraus, so sieht man, daß die erhärtete creme- farbene Masse um den Mund und den After herum haftet. Man schließt daraus, daß die Raupe die cremefarbene Flüssigkeit aus dem After entleert und mit dem Munde aufnimmt. Diese Annahme läßt sich durch einen Versuch erhärten. Unter- bindet man einer spinnenden Raupe den After, so spinnt sie zwar den Seidenkokon, unterläßt aber die Durchtränkung dieses mit der creme- larbigen Flüssigkeit. Beim Drücken des hintern Endes einer Raupe, die angefangen hat, den Seidenkokon zu durchtränken, quillt aus dem After ein Tropfen der cremefarbenen Flüssigkeit heraus. Diese ist mit Kristallen der Malpighischen Gefäße erfüllt. Sie erhärtet schnell und bräunt sich an der Luft. Über die Ursache der Bräunung der aus dem After ausgestoßenen Flüssigkeit belehrt uns die Untersuchung der in Frage kommenden Organe, die wie bei Saturnia pavonia verrieben wurden. Da die cremefarbene, zur Inkrustierung des Seiden- kokons dienende Flüssigkeit ihrem Inhalt nach zunächst aus den Malpighischen Gefäßen stammt und da sie dann den Darm passiert, wo sie Bei- mengungen erhalten kann, so müssen sich die Körper, die die Bräunung hervorrufen, bereits in den Malpighischen Gefäßen befinden oder sie müssen erst im Darm zugefügt werden oder sie stammen aus beiden Organen. Der Inhalt der Malpighischen Gefäße ändert seine Farbe weder mit noch ohne Zusatz von Tyrosin. Das- selbe wurde bei Saturnia pavonia beobachtet. Dagegen schwärzt sich der zerzupfte Darm bereits ohne Zusatz von Tyrosin. Er enthält demnach die beiden genannten Elemente, die vereint das Melanin geben. Die Fähigkeit, sich an der Luft zu bräunen oder zu schwärzen, muß die creme- farbene, zur Inkrustierung desSeidenkokons dienende Flüssigkeit also im Darm erhalten. Diese Flüssigkeit zeigt die Eigenschaften, die einer mit Tyrosinase und Chromogen versehenen Flüssigkeit zukommen. Auf dem Objektträger bräunt sich ein Tropfen der antrocknenden Flüssig- keit nur von oben, nicht auf der dem Glase an- liegenden Seite, weil die Tyrosinase für ihre Wir- kung des Sauerstoffes der Luft bedarf. Auf an- gefeuchtetem Fließpapier dagegen entsteht auf der Rückseite der für die melanotische Reaktion charakteristische dunkelbraune Fleck. In einer Atmosphäre von Kohlensäure bleibt die Farbe des cremefarbenen Tropfens unverändert. Läßt man ihn hier eintrocknen und bringt ihn dann in eine feuchte Kammer mit gewöhnlicher Luft (Sauer- stoff), so zieht der eingetrocknete, gelblichweiße Tropfen Feuchtigkeit an und wird braunschwarz. Wir sahen, daß die cremefarbene Flüssigkeit die Elemente, die sie befähigen, sich zu bräunen, im Darm erhält. Da aber die Raupe mit den Munde diese Flüssigkeit aufnimmt, so können der letzteren die gleichen Elemente oder eines von ihnen (Tyrosin oder Chromogen) auch noch durch den Mund zugeführt werden. Daß eine solche Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, ersehen wir daraus, daß ein Stückchen des gesponnenen Seiden- kokons in Wasser gelegt, allein schon schwarz wird, daß also auch das Gespinst Tyrosinase und Chromogen enthält. Daß sich diese im Ge- spinst selbst und nicht in den im Gespinst steckenden Haaren befinden, geht daraus hervor, daß letztere in Wasser gelegt ihre P'arbe nicht ändern. Auchbei Lasiocampa quercus ist jetzt (wie schon früher) von mir geprüft worden, ob die helle oder dunkle Farbe der Umgebung auf die helle oder dunkle Farbe der Konkons vom Einfluß ist. Dazu wurde der gesponnene Seidenkokon von seiner Unterlage (Ast, Blatt usw.) abgenommen und in weißer oder schwarzer Umgebung befestigt. Dieses geschah zunächst in weißen oder schwarzen, am Fenster hängenden Säckchen, ferner in kleinen Emailletöpfen und in Kästchen, die mit weißem oder schwarzem Papier ausgelegt waren. Es waren im ganzen 14 Kokons in weißer und 13 in schwarzer Umgebung entstanden. Ein Einfluß solcher Umgebung auf die hellere oder dunklere Färbung der Kokons ließ sich nicht feststellen. Dagegen fielen in feuchter Atmosphäre die Kokons gleichmäßig schwarzbraun oder schwarz aus, gleichgültig ob sie in der Dunkelheit oder im Licht oder in einer weißen Umgebung entstanden. Bei Eriogaster lanestris sind die Vorgänge be- züglich der Entstehung des tönnchenartigen Kokons dieselben wie bei Lasiocampa quercus. Nur sind hier die Tönnchen oft ganz weißlich oder creme- farben weiß. Neben ihnen kommen dann tief- braune vor und zwischen beiden Extremen ver- schiedene Übergänge. Auch bei dieser Art wurde der Einfluß der weißen und schwarzen Umgebung auf die Entstehung der hellen oder dunklen Fär- bung der Kokons geprüft. In weißen sowie in schwarzen, am Fenster hängenden Säckchen ent- standen immer gelblichweiße Kokons; in feuchter Atmosphäre dagegen in weißen Säckchen braune Kokons. Auch bei dieser Art vertraten gewisse Naturwissenschaftliche Wochenschrift, N. F. XVII. Nr. Autoren (Poulton) die Ansicht, daß die grüne Farbe der Blätter braune Kokons erzeuge. Ich habe schon früher die Meinung geäußert, daß die Kokons auf Blättern deshalb braun werden, weil die Blätter Feuchtigkeit abgeben. Füllt man ein Blechkästchen mit Weidenblättern, setzt eine er- wachsene Raupe der Art hinein und verschließt das Blechkästchen mit seinem Deckel, so ist der gebildete Kokon trotz der Abwesenheit des Lichtes braun. Er ist deshalb braun, weil die gleich- mäßige Feuchtigkeit im Kasten die cremefarbene Flüssigkeit, mit der der Seidenkokon durchtränkt wird, lange genug flüssig erhält, so daß die Tyro- sinase auf das Chromogen wirken kann. Meine früheren Veröffendichungen über diesen Gegenstand befinden sich in; Zoolog. Anz. Bd. 27, 1903, S. 161 — 168; dass. Bd. 27, 1904, S. 617 bis 62 1; Zeitschr. f. wissenschaftl. Insektenbiologie Bd. I, 1905, S. 503—509; Arch. f. Entwicklungs- mechan. Bd. 31, 1911, S. 617 — 636; Premier Con- gres Internat, d'entomologie, Bruxelles 1910, S. 133 bis 136; Internat, entomolog. Zeitschrift (Guben) 1912, S. 129; Zoolog. Anz. Bd. 40, 1912, S. 396 bis 399; dass. Bd. 49, 1917, S. 169 — 175. In dieser letzten Notiz sowie in der Veröffentlichung im Arch. f. Entwicklungsmechan. befindet sich ein Literaturverzeichnis der Veröffentlichungen anderer Autoren über den Gegenstand. Diesem Verzeichnis muß ich hier nachträglich noch hinzu- fügen die Veröffentlichungen von William Bateson in Transact. Entomol. Soc. London, 1892, 5.45 — 52,5.213 — 214; sowie von Eduard B. Poulton dass. 5. 446. Einzelberichte. über gegenwärtige Bodenbewegungen bei Bückeburg, Göttingen, in Thüringen und im nord- deutschen Tief lande äußert sichO. von Linstow in den Monatsberichten des 69. Bandes der Zeitschr. d. deutsch, geol. Gesellschaft. Bei Bückeburg liegt der Weinberg, von dem man nach Süden hin die Weserkette und östlich der Stadt den Harri überblicken kann. Auf dem vom Weinberg in der Luftlinie 3,7 km weit ent- fernten Harri steht der Ida-Turm, der 1847/48 errichtet wurde. Der Vater des Verf, Prof Dr. von Linstow, hat 1856 — 1862 vom Weinberg aus niemals diesen Ida-Turm wahrgenommen. Als er aber mit seinem Sohn, den Verf. der obenge- nannten Arbeit, im Februar 191 5 auf dem Wein- berg stand, war der Ida-Turm auf dem Harri sichtbar. Sowohl der 85,1 m hohe Weinberg als auch der 213 m hohe Harri bestehen ausWealden- sandstein, den Wealdenton unter- und überlagert. Die Schichten fallen nach NNO ein. Nach Norden hin lagert sich Untere Kreide an und jurassische Gesteine bauen die Weserkette auf. Wealdensand- stein und Jurakalke durchstreichen schwebende Verwerfungen, durch die der Kamm in einzelne Stücke zerlegt wird. Eine dieser Störungslinien geht von Bückeburg nach Klein-Bremen zu, eine andere, östliche, mit dieser parallel laufend, berührt Bad Elisen, Buchden und zieht nach der Weser- kette. Aber auch im Gebiete des Harris müssen solche Störungslinien sich finden, an denen ent- lang Schichtenverschiebungen stattfinden. Und zwar scheint diese Bruchlinie zwischen Bückeburg und Bad Elisen zu verlaufen, an der der östliche Teil des Harris hochgepreßt worden ist. Viel schwieriger gestalten sich die Verhältnisse, wenn man ein gleichzeitiges Absinken des Weinberges und des Harris annimmt. Von solchen rezenten Bodenbewegungen berichtet auch von Koenen aus der Umgebung von Göttingen. Von dem Dorfe Grone aus wird der Kirchturm von Niko aus- berg und ein Teil des Dorfes selbst immer besser sichtbar. Auch von anderen Punkten aus ist das- selbe beobachtet worden. Wie bei Bückeburg sind auch hier Bruchlinien festzustellen. So geht eine Verwerfung durch die Schlucht hindurch, welche durch Nikolausberg sich hinzieht. Westlich und südlich dieser sind nach den Beobachtungs- punkten hin sind weitere Störungslinien festgestellt worden. Auslaugungen von Gips- oder Anhydrit- lagern, sowie Umwandlungen von Anhydrit zu Gips kommen nicht in Frage. Reich an rezenten Bodenbewegungen ist Thü- ringen in den Gegenden um Weimar, Apolda, Jena, Dornburg. Ein scheinbares Emporsteigen von Ortschaften ist von Kahle festgestellt worden. Er scheidet etwa entstehende Irrtümer von vorn- herein aus wie Unzuverlässigkeit der Gewährs- männer, abnorme Brechungsverhältnisse der Luft, Hochwachsen des Getreides, Erniedrigung des Zwischengeländes durch Abwehung oder Kultur- arbeit. Von ihm wird auch das Wachstum des Beobachters berücksichtigt. So beobachtete Kahle ein Emporheben Pfulsborns von Suiza, Nieder- Trebra, Flurstedt, Hermstedt aus. Frauenprießnitz hebt sich. Das kann beobachtet werden von Eckelstädt, Dornburg, Hainichen, Mertendorf aus. Die Höhenveränderung von Dobrichau stellte man von Gestewitz, die von Thierscheck von Wetzdorf, die von Hohndorf von Gr. Löbichau und Hetzdorf, die von Göritzberg von Bürgel, die von Lesau von Zwätzen, die von Mertendorf von Hainichen aus fest. Hier in Thüringen sind tektonische Ursachen oder Auslaugungen von Gips, Anhydrit, Steinsalz die Veranlassungen der Bodenbewegungen Von diesen rezenten Bodenbewegungen leitet O. V. Linstow zu den Torfbildungen im nord- deutschen Flachlande über. Er unterscheidet drei N. F. XVII. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 689 Moortypen : Flachmoor, Übergangsmoor (Zwischen- moor), Hochmoor. Aus einem Flachmoor kann ein ÜberganfTsmoor und schließlich ein Hochmoor entstehen. Diese Weiterentwicklung ist von be- sonderen Bedingungen abhängig. Aus einem Flachmoor kann dann nur ein Übergangsmoor werden, wenn die sich bildenden Torfmassen sich häufen, daß sie dem Grundwasser entzogen werden. Birken und Kiefern siedeln sich als anspruchslosere Pflanzen an. Porst (Ledum pulustre L.), Wollgras (Eriophorum vaginatum L.), Sphagnumarten kom- men weiter hinzu. Bei weiterer Erhöhung er- sticken die Wurzeln der Birken und Kiefern durch den Reichtum der Sphagnumarten. Aus dem Übergangsmoor wird ein Hochmoor. Nun gibt es Flachmoore, die trotz größter Mächtigkeit (5 — 10 m, Pentlacker F'lachmoor bei Nordenburg 24.6 m, Moor bei Hohenfelde in der Nähe von Friedland über 17 m, ein weiteres 27 m) alle Jahre überschwemmt werden und nie Übergangsmoore werden. Bei diesen scheinbar beständigen Flach- mooren hängt dieser Zustand mit der Litorina- senkung zusammen, da sie in der Nähe der Küste oder wenig landeinwärts liegen. Ähnlich ist es mit den Mooren in langgestreckten offenen Rinnen wie beim Wakenitzmoor, südöstlich von Lübeck, das mehr als 5 m mächtig ist. Nun gibt es auch weiter im Inlande Niederungsmoore, die in ihrer Entwicklung nicht zum Hochmoor werden, während andere desselben Verbreitungsbezirkes Übergangs- und schließlich Hochmoore werden. Bei ersteren müssen demnach ständige, geringe, nur in der Zeit sich summierende Bodenbewegungen mitsprechen, während die anderen sich auf Böden befinden, die in Ruhe sind. Diese Senkungen bei Niederungsmooren können zur Ursache haben, daß Zechsteinsalze in ihrem Untergrunde ausgelaugt werden oder aber, daß tektonische Vorgänge eine fortgesetzte Boden- bewegung hervorrufen. Das Auftreten von Hoch- mooren hat man mit erhöhten Niederschlägen in Verbindung gebracht. Dem steht aber entgegen, daß in Gebieten gleichen Regenfalles sowohl Flach- wie Hochmoore nebeneinander auftreten. Diese bei Ausbildung von Niederungsmooren beobachtete rezente Bodenbewegung muß auch im Tertiär bei der Braunkohlenbildung eine Rolle ge- spielt haben. Niederungsmoore von 20 m Mäch- tigkeit sind immerhin Seltenheiten, dagegen gibt es Braunkohlenflöze bis zu 100 m stark (Geisel- tal bei Merseburg 95,25 m, am Niederrhein bis 100 m). Der Setzungskoeffizient der Braunkohle beträgt nach Glöckner 2,5. Wenn man nun 2 annimmt, dann erhält man schon 200 m Mächtig- keit für die Torfdecke, die am Niederrhein die Braunkohlen bildete. Bei der Bildung dieser ter- tiären Torflager müssen also auch Bodenbewegungen stattgefunden haben, die entweder durch Auslaugen von Zechsteinsalzen oder durch tektonische Ur- sachen hervorgerufen wurden. Nach den de Geer'schen Untersuchungen in Südschweden wären 20 000 Jahre seit Bildung des baltischen Höhenrückens, 25000 Jahre seit Bildung des Di- luviums in der Breite von Berlin, 30000 Jahren seit Verlassen des Inlandeises von seiner größten Ausdehnungstelle verflossen. Aus dem Gehalt von Helium in den Gesteinen des Tertiärs hat man seit Beginn des Paleozäns 1 5 Mill., des Eozäns 10 Mill., des Oligozäns 8 Mill., des Miozäns 6 Mill., des Poliozäns 2 — 4 Millionen Jahre berechnet. Den ter- tiären Mooren, die zur Braunkohlenbildung führten, standen zur Entwicklung viel größere Zeiträume zur Verfügung wie den postglazialen Mooren, mit denen wir es jetzt zu tun haben und die erst nach Verschwinden des Inlandeises entstehen konnten. Aus den Einlagerungen von Ton und Sand in die Flöze kann man schließen, daß ein gleich- mäßiges Fortschreiten der Torfbildung mit der einmal zunehmenden oder abnehmenden Boden- bewegung nicht stattgefunden haben konnte. Rudolf Hundt. Physik. Vorschläge über eine rationelle Lichtein- heit macht E. Warburg in den Berichten der deut- schen physikalischen Gesellschaft XIX (1917) S. 3 — 10. Zwei Forderungen muß jede Einheit erfüllen, sie muß leicht reproduzierbar und rationell sein. Die in Deutschland gebräuch- liche Lichteinheit, die Hefner-Lampe, genügt der ersten; sie läßt sich in vielen gleichen Exemplaren herstellen, die wenn sie mit einheitlichem Brenn- material (Amylazetat) gespeist werden, die gleiche Lichtmenge aussenden. Eine Einheit ist um so rationeller, ein je kleineres Maß von willkürlichen Festsetzungen sie enthält. In dieser Beziehung läßt die Hefnerkerze mancherlei zu wünschen übrig, insofern als die Konstruktion, das Material und die Dimensionen der Lampe, die Wahl des Brennstoffs, die Flammenhöhe, der Feuchtigkeits- gehalt der Luft, in der die Lampe brennen soll, ganz willkürlich festgesetzt ist. Die Einheit kann infolgedessen weder auf internationale noch auf unbegrenzte Dauer rechnen. Ganz ähnlich lagen die Verhältnisse bei der Einheit des elektrischen Widerstandes, der alten Siemens- Einheit, die durch einen Quecksilberfaden von 100 cm Länge und I qmm Querschnitt dargestellt wird. Sie war praktisch zweckmäßig, aber willkürlich in Material, Dimensionen und Temperatur der Säule. Heute benutzt man das Ohm als Einheit, eine Queck- silbersäule von 106,3 cm Länge. Diese ist inso- fern rationeller, weil sie auf den Gesetzen des Elektromagnetismus gegründet ist; sie stellt sehr nahe das 1 o fache der absoluten elektromagnetischen Widerstandseinheit im C. G. S.-System dar. Die Zahl der willkürlichen Festsetzungen ist also geringer. Kirch ho ff hat nachgewiesen, daß die Strah- lung, die aus der Öffnung eines gleichförmig tem- perierten Hohlraum dringt, von der Substanz un- abhängig ist; sie hängt vielmehr nur von der Temperatur ab. Um eine rationelle Lichteinheit zu erhalten, wird man an die Hohlraumstrahlung anknüpfen. Warburg schlägt vor, als Einheit 690 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. der Flächenhelle die normale Flächenhelle der Hohlraumstrahlung von einer noch festzusetzenden Temperatur T,, zu wählen und als Einheit der Lichtstärke das Produkt aus dieser Flächenhelle und einer Fläche von passender Größe (etwa 4 qmm). Es wird vielleicht zwcrkmäßicr sein, die Normaltemperatur T„ so zu wählen, daß die neue Einheit ungefähr gleich wird der normalen Flächen- helle der gebräuchlichen Metallfadenlampen. T^ müßte demnach etwa 2300" abs. sein. Doch sollen vorerst noch keine bestimmten Vorschläge über die Normaltemperatur und die Größe der Einheit gemacht werden. Natürlich darf auch die Tempetatur nicht willkürlich, etwa als Schmelz- punkt irgendeines Körpers, festgelegt werden, sondern ihre Bestimmung muß unabhängig von Materialeigenschaften genügend eenau vorgenom- men werden können. Das gelingt durch Ver- gleichung von Strahlungsintensitäten, die derselben Wellenlänge angehören. Man bedient sich dabei zweckmäßig der lichtelektrischen Kaliumzelle von Elster und Geitel, die bei Benutzung des rotieren- den Sektors nicht als Photometer, sondern ledig- lich als Photoskop dient. Die an der physikalisch- technischen Reichsanstalt zur näheren Unter- suchung der Verhältnisse begonnenen Versuche haben wegen des Krieges unterbrochen werden müssen. Doch scheint nach bisher vorliegenden Ergebnissen die Durchführung des Planes jeden- falls schwierig zu sein und sehr gute Apparate zu erfordern. Seh. Chemie. Frisch geglühteTier- und Pflanzenkohle zeigt in hervorragendem Maße die Eigenschaft, eine ganze Reihe von Stoffen an ihrer Oberfläche an- zuziehen (adsorbieren) und festzuhalten. Kocht manz. B.Rotwein mit Holzkohle, dann verliert erso- wohlFarbewie auch Aroma. Knochenkohle wird zum Entfärben des Zuckersaftes verwendet. Auch Gase werden adsorbiert; bringt man ein Stückchen (unter Sand) frisch ausgeglühter Buchenholzkohle in ein Gefäß, das Ammoniakgas enthält, dann werden über 100 ccm des Gases pro Gramm Kohle ver- schluckt. Faulendes Fleisch verliert den üblen Geruch, wenn es einige Zeit unter einer Schicht Holzkohle liegt. Schlecht riechendes Wasser kann man durch Holzkohlefilter trinkbar machen. Die unangenehmen Gerüche im Abort werden durch Aufstreuen von Torfmull beseitigt. Ja Kokosnuß- kohle wird dazu benutzt, die Luft, deren Druck sich durch Verwendung der Luftpumpe nicht mehr er- niedrigen läßt, aus Entladungsröhren weiter zu entfernen. Das Mittel erweist sich als besonders wirksam, wenn die Kohle durch flüssige Luft stark abgekühlt wird. Die niedrige Temperatur wirkt eben in derselben Richtung wie das Adsorbens, nämlich sie unterstützt die Verdichtung des Gases. In der Tagespresse fand sich kürzlich eine Notiz daß in England Pflaumenkerne gesammelt würden. Man verwende die Schale in den Gasmasken. Vermutlich wird sie verkohlt und erhält dadurch die Eigenschaft, die giftigen Gase zu adsorbieren. Doch ist die Adsorption nicht auf Gase und Farbstoffe beschränkt, sie erstreckt sich auch auf Mikroorganismen; adsorbierende Pul- ver sind Bakterien fallen, an den die Bakte- rien festkleben wie die Fliegen am Fliegen papier. Schon im Altertum hat man Wunden mit Er.folg mit Ton behandelt. Bei Krankheiten des Magen- darmkanals, bei Ruhr, Typhus, Cholera hat man gelegentlich gute Erfolge durch Eingabe von Kohlepulver erzielt. Die Firma E. M e r c k (Darm- stadt) hat ein Kohlepräparat, Incarbon genannt, hergestellt, das intravenös injiziert wird. In einer Arbeit in der Zeitschrift für Elektro- chemie XXIV (1918) S. 147— 150 beschäftigt sich H. B e c h h o 1 d (Frankfurt a. M.) mit der Adsorp- tivdesinfektion durch Metallkombinationen und dis- perse galvanische Elemente. Die Untersuchung er- gibt, daß die Adsorption eines Pulvers von der Fein- heit seiner Teilchen abhängt. In je kleinere Teil- chen nämlich ein Gramm eines Körpers auf- geteilt ist, desto größer ist seine Oberfläche. Die Adsorption mehrerer Pulver von verschieden großem Korn gegenüber Staphylokokken wurde ermittelt, und zwar wurde Eisenoxyd mit einer mitt- leren Kerngröße von 174 und 5,4// (i/<^ 0,001 mm und Kieselsäure (151 und 6,8 ,«) untersucht. In beiden Fällen adsorbieren die feineren Pulver sehr viel besser. Haben die Körner indessen die Größen- ordnung der Bakterien (i — 2 fi), dann spielt nicht so tkhr die Feinheit des Pulvers als der Stoff, aus dem es besteht, eine Rolle, wie aus folgender Zusammenstellung hervorgeht: Bariumsulphat 1,1 /t 95,9 "/o Ton 5,1 „ 62 »/„ Tierkohie 6,1 „ 99,93 "/q Pflanzenkohle 7,3 „ 99,97 "/o Die zweite Spalte enthält die mittlere Korngröße die dritte den Grad der Adsorption gegenüber Bakterien. Obgleich die beiden Kohlepulver weniger fein sind, ist ihr Adsorptionsvermögen besonders groß. Kohle ist also als Adsorbens be- sonders geeignet. Es besteht ferner ein Paralle- lismus in der Fähigkeit, Bakterien und Farbstoff (basisches Methylenblau) zu adsorbieren. Wenn auch die Mikroganismen an dem Adsor- bens festkleben, so gehen sie doch nicht zu Grunde denn wenn man das Pulver auf einen geeigneten Nährboden bringt, dann findet eine \A^eiterent- wicklung statt. Zur Abtötung hat man daher das Adsorbens mit Desinfektionsmitteln wie Thymol, Jod und Wasserstoffsuperoxyd imprägniert und gute Wirkungen erzielt. Nun ist die keimschädi- gende Wirkung von Metallen (Kupfer und Silber) schon vielfach beobachtet worden. Ein Glas z. B., das Silbernitratlösung enthalten hat, ist, man mag es auswaschen so viel man will, für Bakterien- kulturen nicht zu gebrauchen. Kupfersulfat zeigt in einer Verdünnung von 1 : 50 Millionen noch deutliche Wirkung. Es ist wohl sicher, daß die Schädigung auf das Ion des betreffenden Metalls zurückzuführen ist. Metallionen, d. s. positiv ge- N. F. XVn. Nr. 48 ladene Metallatome, finden sich in großer Zahl in jeder Lösung eines Salzes, in bilden sich aber auch, wenn das betreffende Metall selber mit Wasser in Berührung kommt. Bechhold überzieht daher Kohle oder Bolus (ein reines Alminiumsilikat) mit feinen Metallschichten (die Adsorptionsfähigkeit der Pulver wird dadurch nicht vermindert) und bestimmt durch Versuche ihre Keimschädigung. Sie ist besonders stark bei Silber, Quecksilber und Kupfer, während Gold keine nachweisbare Wirkung zeigt. Wie schon erwähnt, gehen von jedem Metall, das mit Wasser in Berührung ist, Atome als Kat- ionen in Lösung. Ihre Zahl wird stark vermehrt, wenn man gleichzeitig ein zweites edleres Metall in das Wasser taucht. Wir erhalten dann ein galvanisches Element, an dem das weniger edle Metall die positiven Ionen in Lösung schickt, um da- bei selber negative Ladunganzunehmen. Bechhold stellt auf dem Adsorbens solche kleinen Elemente in großer Zahl — er nennt sie disperse galva- nische Ketten — dadurch her, daß er gleichzeitig zwei Metalle auf dem Pulver niederschlägt. Es zeigt sich, daß die desinfizierende Wirkung von Kupfer Silberbolus oder von Kupfer-Goldbolus be- trächtlich stärker ist, als wenn nur ein Metall vor- handen ist. Doch ist die keimschädigende Wir- kung keineswegs auf alle Bakterienarten gleich groß; auf Mäusetyphus z. B. wirkt Kupfer be- sonders stark, auf andere Bakterien wieder Queck- silber. Weiter wurde die desinfizierende Wirkung von kolloiden Metallen untersucht. Sie ist bei Mi- schungen von zwei verschiedenen Metallen beträcht- lich größer, als wenn eins allein einwirkt. Nun ist es ausgeschlossen, daß hierbei disperse galvanische Ketten gebildet werden, da die kolh.iden Teile wegen der abstoßenden Kräfte, die zwischen ihnen wirksam sind, nicht miteinander in Berührung kommen. Im Ultramikroskop kann man die ein- zelnen Teilchen getrennt voneinander wahrnehmen. (Ein Zusammenballen — Koagulation — tritt erst unter besonderen Umständen ein.) Die oben angeführte Theorie, welche die erhöhte Desinfek- tionswirkung auf elektrochemische Vorgänge zurück- führt, reicht demnach nicht aus, die beobachteten Erscheinungen restlos zu erklären. Die Erhöhung der Giftwirkung durch Mi- schung kolloider Metalle ist nicht auf Mikroorganis- men beschränkt, sie gilt auch für den Organismus von Säugetieren. B e c h h o 1 d hat diejenige Dosis kolloiden Kupfers, bzw. Silbers bestimmt, welche für Mäuse gerade tödlich ist (das Gift wurde in die Schwanzvene eingespritzt). Injiziert man gleichzeitig beide Metalle, dann reicht weniger als die halbe Dosis von jedem aus, um den Tod des Versuchstiers hervorzurufen. K. Seh. Zoologie. C. G. Joh. Petersen, der Leiter der Dänischen Biologischen Station in Kopenhagen, gibt in deren Report von 191 8 eine Übersicht über die von 1883— 1917 ausgeführten genauen Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 691 Untersuchungen über den Meeresboden der däni- schen Meeresteile und seine Bewoh^ien Die Frage, inwieweit der MeerestKxSnl^ischnährung produ- ziert, ist das letzte Ziel dieser „Nutzwertunter- suchungen". Leider sind die zahlenmäßigen Be- rechnungen,, zum Teil infolge Verweisung auf andere Arbeiten, nicht in allen Stücken ganz durch- sichtig dargestellt, was im folgenden Referat zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommen muß. Indessen haben die langjährigen Untersuchungen auch sonst viel Bemerkenswertes ergeben. Aus der Beschreibung der Dredschen , Netze und sonstigen Fanginstrumente geht hervor, daß auch verschiedene Arten Bodengrundhebern ersonnen wurden zur quantitativen Bestimmung der vor- handenen Bodenbesiedelung. Der Boden ist nahe an den Küsten diesen selbst ähnlich, also sandig oder auch steinig, Ton findet sich erst im tieferen Wa'iser; zum Beispiel blauer Ton im Skagerrak in den dortigen Tiefen bis zu 700 Metern und im ostlichen Kattegat. In den Dänemark benach- barten, nur 20—40 m tiefen Teilen der Nordsee gibt es keinen Ton, sondern nur Sand, Kies und Steine. Hinsichtlich der Vegetation ist eine Zostera- und eine Algenregion zu unterscheiden. Jene, stark vom Licht abhängig, geht nirgends tiefer als 14 m, in den Fjorden meist nur 4 — 5 m tief Algen werden unterhalb 40—50 m sehr spärlich. Zur Ermittelung der jährlichen Produk- tion an Seegras verhalf die Feststellung, daß seine Rhizome im Winter weniger und kürzere Glieder bilden als imSommer, sodaß man an ihnen das Wachs- tum eines Jahres leicht feststellen kann. Es ergab sich für die 2000 Ouadratseemeilen große Zostera- fläche vom Skagerrak bis zur Ostsee, die nur '/: des Bodensbedeckt, aberweitausdiegrößteMengepflanz- lichen Materials überhaupt hervorbringt, eine jähr- licheProduktion von über 8 000 Millionen Kilogramm Trockensubstanz, etwa das Vierfache der jährlichen Produktion der dänischen Wiesen. Diese Vege- tation und die der Algen ist die Haupt- quelle der Ernährung der Bodenfauna. Sie dürfte das Plankton an Wichtigkeit weit über- treffen. Zwar nicht im lebenden Zustande wird die Bodenflora von den Tieren, zum Beispiel Austern, anderen Muscheln und Würmern, verzehrt, sondern nach dem Absterben der Pflanzen als feiner Detritus, der überall als oft schwärzliche und übel nach Schwefelwasserstoff riechende Masse den Boden in dünner Schicht bedeckt. Ans Lot befestigte Glastuben brachten solche Materie regel- mäßig herauf. Außerdem fressen manche Krebse und Mollusken lebende Pflanzen, hauptsächlich Algen, und selbstverständlich sind viele Tiere fleischfressend, ihre Hauptmasse aber muß not- wendigerweise pflanzenfressend sein. Nach der Bodenfauna gehören die ganze Ostsee bis über Rügen hinaus und die meisten Küstenstriche der dänischen Meeresarme, ferner gewisse Stellen im Kattegat und an der Westküste Jütlands einer euryhalinen, 3 bis weniger als l% 692 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 48 Salzgehalt vertragenden „baltischen" oder Maco- ma - Lebensgemeinschaft an, deren bezeichnendste Bestandteile fast in jedem ^|^ Quadratmeter Boden- grund ein- oder mehrmals wiederkehrend Ma- coma (Teilina) baltica, Mya arenaria und Cardium edule, also die bekanntesten Ostseemuscheln, und an Würmern Arenicola, Aricia und Nephthys sind. Ebenso genau sind die folgenden Lebensgemein- schaften nach ihren in '/< Quadratmeter Boden- grund fast stets ein- oder mehrmals auftretenden Be- standteilen analysiert: Meist nach größerer Tiefe zu, doch stellenweise auch dicht am Ufer, folgt die Abra-Lebensgemeinschaft mit Abra alba, mehr oder weniger anderen Muscheln, Nephthys, dem Krebs Diastylis, oft mit dem „herzförmigen Seeigel" Echinocardium cordatum, und stets mit Schlangensternen Ophioglypha albida, namentlich in der Beltsee und den „Fjorden", dem Großen und Kleinen Belt und dem Sund. Große Sand- flächen des Kattegats und der Nordsee bedeckt drittens die Venus- Lebensgemeinschaft mit Venus gallina und anderweitigen Muscheln, dem Gasteropod Philine, Polychäten, Gammariden, wenig Aktinien, wenig Schlangensternen von zwei verschiedenen Arten und oft mit Echinocardium. Viertens: mittlere Tiefen des Kattegats nimmt die „Echinocardium-Filiformis- Lebensgemein- schaft" ein mit Muscheln von 5 Arten, darunter als einzige größere Cyprina islandica, Schnecken von 3 Arten, Würmern von mehr als 4 Gattungen, Pennatuliden , Gammariden, Echinocardium cordatum und sehr zahlreichen Schlangensternen, namentlich Amphiura filiformis, deren Arme sich der Menge der Tiere wegen großenteils kreuzen und somit wie ein Netz den Boden überspannen müssen. 5. Die tiefsten Teile des Kattegats erfüllt die „Brissopsis-Chiajei Com- munity" mit kleinen Muscheln. Würmern, kleinen Dekapodenkrebsen, Seeigeln Brissopsis lyrifera — wie Echinocardium aus der Familie der Spatan- giden — und Schlangensternen, darunter in nen- nenswerter Menge Amphiura chiajei. 6. Tiefere Teile des Skagerraks nimmt die „Brissopsis- Sa rsii community"ein mit sehr vielen, nämlich pro Quadratmeter an tausend kleinen Muscheln von 7 Ar- ten, Würmern, darunter 00 Myriochele heeri, 1 Krebs, dem Spatangiden Brissopsis lyrifera und kleinen Schlangensternen, darunter Ophioglypha sarsii. 7. Eine „A mphil epis- Pect en Community" findet sich in den größten Tiefen des Skagerraks, sie enthält kleine Muscheln, darunter den winzigen transparenten Pecten vitreus, i Skaphopod, Polychäten und Schlangensterne A mphil epis norvegica. 8. Örtliche Verbreitung hat im südöst- lichen Kattegat die „Haploops Community" mit sehr zahlreichen röhrenbewohnenden Krustazeen Haploops tubicola, 2 andern Krebsen, i Echiniden, ziemlich vielen kleinen Schlangensternen, ferner mit Würmern, darunter Aphrodite aculeata, und kleinen und mittelgroßen IVluscheln. Eine Karte zeigt die Verbreitung der Lebensgemeinschaften genau. Nicht alle der genannten Tiere liegen auf dem Grunde obenauf, sondern viele stecken in ihm drin. Hierzu kommen natürlich auch weniger konstante Tiervorkommnisse. Vor allem kommt eine „Epifauna" hinzu, bestehend aus Tieren, die an Steinen, Muscheln, anderen Tieren und an Pflanzen sitzen. Dazu ge- hören in tieferem und salzigerem Wasser zum Beispiel die miesmuschelähnliche Modiola modio- lus unter den Muscheln und eine Seepocken- (Balanus-)Art unter den Krebsen. Die Modiola- Epifauna fällt im südlichen Katiegat fast genau mit der Echinocardium-Filiformis Lebensgemein- schaft zusammen, in den Fjorden auch mit „Echi- nocardium-Abra", aber nie mehr mit „Macoma" noch in den Tiefen mit „Brissopsis". Modiola verlangt starke Bodenströmung. Die Quantität dieser Epifauna ist meist größer als die der Boden- fauna. Dem „Macoma"-Gebiet gehört eine Epi- fauna von Miesmuscheln (Mytilus edulis), Baianus und Strandschnecken Littorina an; Seegrasvege- tation bringt außer Mytilus Rissoa-Schnecken und Idothea- und andere Krebse mit sich. Muschel- pfähle, im Mai und Juni gesteckt, bedecken sich meist schnell mit I — 2 mm langen Mytilus, die aber zu Zeiten vom Seestern Asterias rubens wieder abgefressen oder, wie im Limfjord, von Botrylluskolonien überwuchert werden. Vorzeitig gesteckte Muschelpfähle bedecken sich mit Algen- schleim, so daß Miesmuscheln sich nicht anheften können. Der Charakter der Bodenfauna ist jeweils be- dingt durch die Bodenbeschaffenheit selbst — Sand oder Ton — und durch Temperatur und Salzgehalt, aber auch durch biologische Momente. Im Netz der Ophiurenarme zum Beispiel (4. und 5.) können Muscheln nach Beendigung des Larven- lebens kaum aufwachsen, sie werden meist früh- zeitig abgefressen, während viel Muscheln (1., 2., 3. und 6.) gedeihen, wo Schlangensterne zurück- treten oder fehlen. Muscheln und Schlangen- sterne schließen sich also gegenseitig ziemlich aus. Anderwärts kommen Muscheln zahlreich vor, er- reichen aber infolge der Wellen oder strenger Winterkälte kein höheres Alter. Macoma (Tellina) baltica ist auffallend hart gegen diese Einwirkungen. Daß sie aber in der Venus- Area des Kattegat fehlt, wo man beste Bedingungen für sie vermuten möchte, kann wieder auf ihrem Abgefressenwerden durch Echinodermen beruhen, die in der Ostsee fehlen. Fische können nicht so genau wie die weniger beweglichen Bodentiere gezählt werden. Ihr jähr- licher Nachwuchs aber kann nach den Fischerei- statistiken abgeschätzt werden, und ihr ganzer Bestand ist wohl nur einige Male größer an Ge- wicht als der jährliche Nachwuchs. Eine rohe Überschlagsberechnung der Quantität der vorhandenen Tierbestände ergab folgen- des. Während die im Kattegat vorhandene Pflanzenmenge mehrere Millionen Gewichtstonnen, etwa 24 (4 Millionen Tonnen Trockensubstanz) beträgt, mögen nutzlose, nicht für Fische als Nah- N. F. XVn. Nr. Naturwissenschaftliche Wochenschritt. 693 rung in Frage kommende Tierarten 5 Millionen Tonnen vorhanden sein, nützliche Fischnahrung I Million Tonnen, also erheblich weniger als Pflan- zen, wie es ja sein muß, da i Gewichtseinheit Pflanzennahrung erheblich weniger als i Gewichts- einheit Tier erzeugt. Entsprechend muß das Ge- samtgewicht der von den i Million Tonnen poten- tieller Fischnahrung zehrenden Tiere wieder er- heblich kleiner sein, und in der Tat ergab die Berechnung etwa nur ^/j„ Million Tonnen solcher Tiere, also 100 000 Tonnen, wovon nur 5000 Tonnen die vorhandenen Schollen und ähnlichen Plattfische und Aale ausmachen, aber 20000 Tonnen die Seesterne, 10 000 Tonnen die Kleinfische und 50 000 Tonnen die Krebse und größeren Schnecken. Letztere beiden Posten, zusammen 60000 Tonnen, dienen den 6000 Tonnen vorhandener Dorsche und ähnlicher Fische zur Nahrung, die auch Heringe fressen. Heringe sind 7000 Tonnen vor- handen und fressen Plankton. Nutzfische bil- den also an Gewicht nur einen kleinen Teil der Produktion des Meeres an Tieren, weil sie selbst fleischfressend sind. Nur wenig mehr zu ihren Gunsten fiele die Rechnung aus, würde man mit den Gewichten der Trocken- substanz rechnen. Genauer führt Petersen eine derartige Rech- nung für bestimmte Stellen des Limfjords aus. Dort in vorher ganz schollenarmem Gebiet aus- gesetzte Schollen, Pleuronectes platessa, fraßen, in 24 Stunden ihren Darm etwa dreimal füllend und entleerend, vermutlich das Stück täglich etwa 30 g in der rund 240 tägigen Freßperiodc von April bis zum November, das Stück also im ganzen 7200 g, wobei es um 400 g, nur '/jg des Ge- fressenen, zunahm. Die jährliche Produktion an Schollcngewicht betrug nach der Fischereistatistik pro Quadratmeter mindestens 0,82 g, erfordert also pro Quadratmeter das 18 fache Gewicht an Futtertieren: 14,7 g. Das Verhältnis i: 18 ändert sich in 1:7, wenn man mit Trockensubstanzen rech- net, infolge der geringen Trockensubstanz vieler Nährtiere. Die Produktion an Aal beträgt dort 0,5 g pro Quadratmeter oder 0,25 in Trockengewicht, verlangt also 7 >< 0,25 = 1,75 g Trockengewicht = etwa 17,5 g Rohgewicht an Nährtieren pro Quadrat- meter. Scholle und Aal zusammen verlangen also dort zum Wachstum dauernd einen Nährtierbestand von 14,7 + 17,5 = 32,2 g pro Quadratmeter. Vor- handen sind nach Boysen Jensen's Berech- nungen zwar im Mittel fast das Doppelte, 64 g pro Quadratmeter. Da aber an diesem Bestand noch andere Tiere fressen und die genannten Nutz- fische ohnedies nicht alles Vorhandene finden können.so ist dieMenge der vorhandenen Fischnahrung durchaus begrenzt, und dies ist ein wichtiges Resultat der Nutzwertunter- suchungen in diesem Gewässer. Die in den Jahren 191 2 — i9i6dorthinjährlichtransplantierten445 000 Schollen, etwa 70 Stück pro Hektar, scheinen denn auch an Menge mehr gewesen zu sein, als der Meeresboden ernähren kann, was das Unter- maßigbleiben und Nichtverwertbarwerden vieler Fische zur Folge gehabt haben muß und den jährlichen Fang weit hinter dem jährlichen Einsatz zurückbleiben ließ. Um so mehr sind die Nährtiere nicht uner- schöpflich vorhanden, als ihr Bestand manchmal stark wechselt. Die Muschel Abra alba ist manch- mal in Menge in Thisted Bredning und Nissum Bredning im Limfjord vorhanden, nimmt aber wieder ab bis auf Null. Ihre Perioden dauern I — I Vs Jahr, und die Muschel hat nur eine ver- hältnismäßig kurze Lebensdauer. Muscheln mit längerer Lebensdauer, wie Solen, Corbula, Nucula, lassen gleichfalls Perioden, meist längere, erkennen. Auch die Sandklaffmuschel, Mya arenaria, rekrutiert sich durch Junge in manchen günstigen Jahren sehr viel stärker als dann wieder manchmal zehn Jahre hindurch. Ähnliches gilt für Echinocardium. Große Schwierigkeiten setzt bisher die Z o s t e r a - Region den Nuizwertuntersuchungen entgegen. In sehr schwankender Menge treten die Schnecken Rissoa membranacea und conspicua auf; es zeigte sich, daß sie nur einjährig sind, die vorjährigen sehr rasch absterben und die neuen schnell heran- wachsen, ihr Maximum an Zahl und Gewicht im Spätsommer erreichen und während des Winters an beiden abnehmen. Das mindestens zweijährige Cerithium reticulatum lebt fast nur während der Eiablage, eine kurze Zeit im Sommer, an den Seegrasblättern, die übrige Zeit aber zwischen den Wurzeln, wo es dem Netz unerreichbar ist. Rissoa und Krebse bilden einen großen Teil Fisch- nahrung, die große Mehrzahl der jungen Mytilus fällt Wirbellosen, namentlich Asterias rubens, zur Beute. Unter den Fischen sind Gobius ruthen- sparri und Gasterosteus aculeatus praktisch ein- jährige Formen, denn tatsächlich werden sie der großen Mehrzahl nach im Laufe eines Jahres ge- fressen. Der Seestichling Spinachia vulgaris übrigens und ebenso wahrscheinlich Gobius ruthensparri können an sich nicht länger als i '/4 Jahr leben. Was die Verbreitung der Nutzfische betrifft, so kann zunächst ein Plattfische-Gebiet mit Flunder, Scholle und als häufigster ArtKliesche (Pleuronectes flesus, platessa und limanda), Zoarces (Aalmutter), Cottus scorpius (Seeskorpion), ge- legentlich Rhombus maximus (Steinbutt), Gadus callarias (Dorsch) usw. aufgestellt werden, es reicht von der Ostsee bis ins Kaitegat und in Küsten- nähe bis ins Skagerrak oder von der Macoma- bis zur Echinocardium-Filiformis-Lebensgemein- schaft, oder in Tiefen von im Mittel etwa 20, stellenweise bis 38 Metern. Schellfische und einige andere Dorscharten, die diesem Gebiet fehlen, er- scheinen erst im „Schellfischgebiet", das im Kattegat und Skagerrak Tiefen von etwa 45 — 130 Metern einnimmt und mit den beiden Brissopsis-Lebens- gemelnschaften zusammenfällt. Noch größere Tiefen im Skagerrak bis über 500 m gehören teils einem Hundszungegebiet (Pleuronectes cyno- glossus), teils einem Macrurusgebiet (Coryphae- noides [Macrurus] rupestris) an. So ändert sich in Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 48 den Gewässern zwischen Dänemark und Skandi- navien allmählich der Charakter der Fauna von dem der Ostsee zu dem der nördlichsten Nordsee hin. Dem Fischer am Großen Belt z. B. ist der Schellfisch, die Hundszunge und die gewöhnliche Seezunge völlig unbekannt. Offene sandige Küsten desKattegats mit spärlicherV'egetation enthalten we- nig Klieschen, aber viel junge Schollen, Flundern, Steinbutte, Glattbutte, Seezungen, Gobius minutus und Heringe, Ammodytes U.Makrelen, alsoimganzen die Jungfische der Fischfauna des Plattfischgebietes. Vor Wellen geschützte Stellen aber bringen See- graswuchs und eine Fischfauna von Syngnathiden, Gasterosteiden, dem Aal, Labroiden und anderen mit sich, unter denen jedoch nur die Syngnathiden völlig auf die Zosteraregion beschränkt sind. Der Aal bevorzugt im übrigen die Macoma- Lebens- gemeinschaft und pfiegt sich nicht weit von ihr zu entfernen; alle Beziehungen zwischen Fisch- fauna und Bodenfauna sind natürlich nicht unbe- dingt fest. Die dänische Fischerei war vor 100 Jahren noch sehr gering, jetzt ist eher eine Überfischung zu befürchten. Allerdings leiden durch den Fischereibetrieb weder die schwebenden Fier der marinen Nutzfische noch wesentlich die Nährtiere der Fische. Zur Hebung des Fischreichtums könnte an eine Bekämpfung oder möglichst aus- giebige Vernichtung der Nahrungskonkurrenten und Feinde der Nutzfische gedacht werden, wie Cottus, Krabben, Seesterne oder Buccinum und Nassa unter den Gastropoden, Tiere, die zum Teil im Netz gefangene Fische anfressen; in Amerika ist der Kampf gegen die Seesterne auf- genommen worden; in Dänemark sind bisher am ehesten nur Seehunde und Kormorane mit Frfolg bekämpft worden. Mehr Frfolg als die künstliche Erbrütung von Schollen- und Dorscheiern scheint die von Lachseiern für die dänischen Gewässer gehabt zu haben. Besonders wichtig sind Schon- vorschriften und zwar Mmimalmaße der zu fangen- den Nutzfische. Da die Nutzfische fleischfressend sind, kann aus schon erwähnten Gründen an ihre künstliche Einsetzung in solche Gebiete, denen sie fehlen, weniger gedacht werden als bei vege- tabilisch sich ernährenden eßbaren Tieren, wie Muscheln. Hier könnte an Mya arenaria gedacht werden, bei der Miesmuschel geschieht etwas Ähnliches durch Verwendung der Muschelpfähle, deren Ertrag auch als Tierfutter verwendet wird. Die Umpflügung des Meeresbodens mit Dredschen, die viel nutzlose Tiere heraufbringen und deren Tötung (Trocknung) am Land ermöglichen würden, würde zugleich den jungen Austern viel Anhefte- gelegenheit an Steinen und Muscheln geben und damit den Ertrag an Austern steigern. Zum Bei- spiel der Limfjord könnte viel mehr Austern er- nähren, es fehlt aber dort an geeigneter Anhefte- gelegenheit für die jungen Muscheln. Die dänischen Austern mögen mit etwa 5— 10 Lebensjahren auf den Markt kommen. Ältere sind zu schwer und haben den weiteren Nachteil, daß ihre Schale großenteils der Fläche nach durch Lamellen ge- kammert ist, deren jährlich eine gebildet wird, und zwischen denen eine mit höherem Alter meist immer unangenehmer riechende Flüssigkeit sich befindet, die den Genuß stark beeinträchtigt, wenn das Messer die innersten der dünnen Lamellen durchbricht. Es sind auch ausländische Salmoniden in die dänischen Gewässer ausgesetzt worden; der Erfolg ist noch nicht zu beurteilen. Da die meisten dieser Pläne noch in weiter Ferne liegen, ist der dänischen Fischerei gegenwärtig in erster Linie anzuraten, die Fischzüge immer weiter in das Skagerrak und die Nordsee auszudehnen und für gute Behandlung der gefangenen Fische an Land zu sorgen, wofür auch neue Gefriermethoden in Betracht kommen. V. Franz. Astronomie. Über das rätselhafte Verhalten der Nebel, insbesondere der Spiralnebel verbreitet sich Campbell ausführlich,und kommt zu folgenden Überlegungen. Es steht fest, daß in einer 30 Grad breiten Zone, in deren Mitte die Milchstraße liegt, keineSpiralnebel vorkommen, obwohl diese zu vielen 1 000 bekannt sind. Wohl aber nehmen sie nach den Polen der Milchstraße hin stark zu, und drängen sich an den Polen in Haufen zusammen. Zur Erklärung dieses seltsamen Verhaltens nimmt man an, was vielleicht noch seltsamer ist, daß außerhalb des Milchstraßensystems sich ein licht- absorbierendes Medium befinde, das jene Nebel abblendet, so daß diese um so mehr zur Geltung kommen, je weiter sie von der Milchstraße ab- stehen. Nach Slipher ist die Bewegung dieser Spiralnebel in der Gesichtslinie sehr groß, mehrere 100 km in der Sekunde, eine alle planetarischen Maße übersteigende Zahl, die auch unter den P'ixsternen nicht vorkommt. Dagegen sind Eigen- bewegungen am Himmelsgewölbe nicht meßbar, woraus hervorgehen muß, daß sie ungeheuer weit entfernt sind, also auch ungemein ausgedehnt. Bei 3 Spiralnebeln glaubt Slipher nachgewiesen zu haben, daß sie eine Umdrehung besitzen, so riesig, wie sie nach Newtons Gesetzen dem Verhältnis zum Pol- und Äquatordurchmesser entsprechen. Es müßte so eine Spirale also das Material zu mehreren Millionen Sonnen von der Masse der unsrigen hergeben können. Demgegen- über hat aber Mdanen eine Umdrehung von mehreren Millionen Jahren gefunden, die also ganz zweifel- haft ist. Die Spiralen können nicht in Sterne aufgelöst werden, mit alieiniger Ausnahme vielleicht der beiden am südlichen Himmel sichtbaren Kap- wolken, falls diese in der Tat Spiralen sind. Auf Grund sehr hypothetischer Erwägung von Hertz- sprung sollen diese beiden gegen 30 000 Licht- jahre entfernt sein. Wilson hat in ihnen 12 Nebel gemessen, sie zeigen ein Zurückweichen von uns von 3 — 400 km in der Sekunde. Nun kommen alle bekannten Nebel mit hellen Linien nur in der Milchstraße und in den beiden Kapwolken vor, eine auffallende Analogie, so daß man annehmen N. F. XVn. Nr. 48 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 695 muß, daß jene Nebel in der Tat Glieder der Kapwolln Dr. phil. et med. A. Willer. Mit 5 Abbildungen im Text. Die Tätigkeit des Herzmuskels geht bei den Wirbeltieren in der Weise vonstatten, daß der Voriiofskontraktion die Kontraktion der Kammer folgt. Bei den Wirbeltieren mit doppeltem Vorhof und Kammer geht die Kontraktion der Vorhöfe und ebenfalls die der beiden Kammern synchron einher, d. h. die Vorhöfe kontrahieren sich zu gleicher Zeit, die Kammern ebenfalls beide zusam- men im gleichen Augenblick. Allerdings bestehen nach Fredericq's Untersuchungen kleine Unter- schiede zwischen den einzelnen gleichartigen Ab- schnitten, die sich aber auf nur 0,02 — 0,04 Sekunden erstrecken. Unter normalen Verhältnissen folgt je einer Vorhofskontraktion eine Kammerkontrak- tion. Trennt man jedoch in geeigneter Weise die beiden Herzabschnitte, so kontrahieren Atrium und Ventrikel sich unabhängig voneinander, woraus hervorgeht, daß die regelmäßige Schlagfolge der aufeinander folgenden Abschnitte durch eine Reiz- übermittelung, die von dem einen zum anderen Abschnitt übergeht, bedingt ist. Dort aber, wo ein physiologischer Reiz von einem Körperteil zum anderen übergeleitet wird, muß auch eine anatomische Grundlage für diese Leitung vorhanden sein. Diese Reizleilung sollte nun nach der An- sicht eines Teiles der Physiologen und Anatomen auf nervöser Basis, nach der Ansicht des anderen Teiles auf muskulärer erfolgen. Die letztere Meinung scheint schließlich die Oberhand behalten zu wollen, da es gelungen ist, in sämtlichen Klassen der Wirbeltiere muskuläre Verbindungen zwischen Vorhof und Ventrikel nachzuweisen, nach deren Zerstörung die Schlagfolge der Herzab^chniite un- regelmäßig und unabhängig voneinander wurde. Diese muskuläre Grundlage der Reizleitung, das Reizleitungssystem, wurde zuerst am Säugetier- herzen studiert, wo es als sog. H is'sches Bündel ein sehr kompliziertes Gebilde darstellt. Um die Entstehung und Bedeutung dieses Bündels zu ver- stehen, geht man am besten aus von den stammes- geschichilich ursprünglichen, einfachsten Verhält- nissen, wie sie bei den Fischen vorgefunden werden. In der aufsteigenden Wirbeltierreihe gelangen wir dann durch immer kompliziertere Leiiungsbahnen zum His' sehen Bündel der Säugetiere. Von den Inschen sind bisher die Selachier und die Teleostier genauer auf das Reizleitungs- system im Herzen untersucht. In dieser Klasse besteht das Herz aus 4 hintereinander gelegenen Abschnitten, dem Venensinus, dem Vorhof, der Kammer und dem Aortenkonus, die sämtlich kon- traktionsfähig sind. Nur bei den Knochenfischen ist der letzte Abschnitt mehr oder weniger ver- kümmert und statt dessen ein nicht kontraktiler Aortenbulbus ausgebildet. Die vier primitiven Herz- abschnitte sind mit quergestreifter Muskulatur ver- sehen, die in folgender Weise miteinander in Verbindung steht. Sinus und Vorhof sind im allgemeinen durch Bindegewebe voneinander ge- trennt, dagegen gehen an der Innenseite der klappenartigen Ausbuchtungen bei den Knochen- fischen Sinusmuskulatur und Vorhofsmuskulatur ineinander über. Bei den Selachiern sind (Raja clavata) diese Verhältnisse insofern etwas andere, als hier der Venensinus sich trichterartig in den Vorhof einsenkt. Die Sinusmuskulatur schlägt sich in diesen Trichter um, gleichfalls die Mus- kulatur des Vorhofs, so daß am oberen Rande beide Teile in einem muskulären Ring verschmelzen. Der Innenrand selbst ist wieder bindegewebiger Natur. So ist der muskulöse Teil der dem Vor- hofshohlraum zugewandten Trichterfläche dem ..I D""' Vorhoy I I JVorhof Abb. I, Längsschnitt durch d bei den Selac ie Sinus-Vorhofsverbindung hiern. Vorhof zugehörig, der innere Teil dem Sinus (siehe Abb. i). Die atrioventrikuläre Verbindung bei den Knochenfischen wird hergestellt durch einheitlich in Trichterform zusammenhängende Muskelfaser- bündel, die medial von dem Bindegewebe der Klappen, lateral von dem bindegewebigen Ring begrenzt werden, der Vorhof und Kammer trennt; in die Klappen selbst gelatigen hierbei die Muskel- fasern nicht, sondern verlaufen direkt vom Vorhof zur Kammer. Bei den Selachiern liegen die gleichen Verhältnisse vor (s. Abb. 2). ') Zwischen dem vierten Herzabschnitt der Knochenfische und dem Ventrikel besteht naturgemäß, da dieser binde- gewebiger Natur ist, keine muskuläre Verbindung, dagegen findet sich eine solche zwischen Ventrikel und dem Aorienkonus. Die Muskulatur des ersteren geht ohne Besonderheiten in diejenige des Konus über. Bei den Amphibien, deren Vorhof geteilt, deren ') Naturgemäß bestehen bindegewebige Verbindungen zwischen drm Ring und den Klappen, die hier und da die Muskelmasse durchkreuzen. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 49 Herzkammer jedoch noch einfach ist, sind die Bahnen der Reizleitung durch Külbs am Frosch- herzen untersucht und beschrieben worden. Ent- sprechend dem verschiedenen Bau des Herzens sind auch die muskulären Verbindungen zwischen Vorhof und Kammer anders ausgebildet als bei den Fischen, jedoch ihre beginnende Differenzie- rung durch die Teilung des Vorhofes wohl zu erklären. Während bei den Fischen ein etwa gleichmäßiger trichterförmiger Muskelring die Ver- bindung zwischen Vorhofsmuskulatur und Ventrikel- muskulutur herstellt, schieben sich die Vorhöfe bei den Amphibien trichterförmig in den Ventrikel hinein, wobei jedoch eine völlige Trennung beider Abschnitte durch Bindegewebe stattfindet. Im Ventrikel selbst findet im Trichter erst eine Ver- bindung statt. Diese ist nun aber nicht ringförmig — wie z. B. bei der Sinusvorhofsverbindung der Selachier — , sondern der Muskelring wird vorn durch ein Gefaßbündel, hinten durch den Klappen- apparat unterbrochen, so daß zwei seillich gelegene muskulöse Halbrinnen entstehen, die das Reiz- VorKammer H Herzkammer Übergang der Vorhofs- Kammermuskulalur Schematischer Längsschnitt durch dieVorhof-Kammerverbindung bei den Selachiern. leitungssystem zwischen Vorhof und Kammer dar- stellen. Die Muskulatur dieser Halbrinnen geht im vorderen Teil jederseits in den bei den Am- phibien noch restierenden Aortenkonus über, so daß hier eine direkte Verbindung mit dem vierten Herzabschnitt gegeben ist. Die Sinusvorhofsver- bindung ist noch nicht näher bei den Amphibien beschrieben worden. ') Bei den Reptilien, deren Herz ebenfalls aus zwei Vorkammern und einer Kammer besteht, ist das Reizleitungssystem in der gleichen Weise aus- gebildet wie bei den Amphibien. Auch hier stellen zwei muskuläre Halbrinnen die anatomische Grund- lage zur Reizübermittelung von Vorhof zu Kam- mer dar. Leider sind Untersuchungen am Herzen der Krokodile bisher nicht angestellt. Da hier die bei den übrigen Reptilien nur angedeutete Scheide- wand in der Kammer zu einer vollständigen Tren- nung derselben in eine rechte und eine linke ') Külbs gibt nur an, daß „die Verbindung zwischen Venensinus und Vorhofsmuskulatur am freien Ende der Klappen hergestellt wird sowohl beim Frosch wie bei der Schildkröte und Eidechse. Ein ausgedehntes System quergestreifter Muskel- fasern vermittelt hier den Zusammenhang und zwar nicht nur mit dem rechten, sondern auch mit dem linken Vorhof, weil die mediale Sinusklappe sich unmittelbar dem Vorhofsseptum anlagert." Die Angaben Mackenzie's und Keith's hier- über sind noch strittig. Kammer führt, so kann man hier wohl ganz be- sonders interessante Ergebnisse erwarten, die besonders einen guten Einblick in die Entstehung der recht komplizierten Reizleitungsbahn des Vogelherzens zu geben versprechen. Die muskuläre Verbindung zwischen Sinus und Vorhof bei den Vögeln besteht darin, daß an dem freien Rande der Sinusklappen die Muskulatur des Venensinus in die des rechten Vorhofes übergeht. Unsere Kenntnisse über die Verbindungen der Muskulatur der Vorhöfe und Kammern im Vogel- Halbrinnen-Reizleitungssystem \ \ Arterien-/ Klacpenapoarat Abb. 3- Querschnitt durch das Eidechsenherz nach Külbs. herzen gründen sich auf die Arbeiten von O b e r - meier, Tawara, Hofmann, Mackenzie und Külbs, doch wurden erst durch die Arbeiten des letzteren die Verhähnisse endgükig klargelegt. Die Untersuchungen beziehen sich im wesentlichen auf das Hühner- und Taubenherz und zwar wurden vom Hühnerherzen verschiedene Altersstadien untersucht. Hier interessieren aber nur die aus- Halbrlnnen. Reizleitungssystem ^ei'zleilungssystem Herzkammern Abb. 4. Schematischer Frontalschnitt durch das Vogelherz nach Külbs. gebildeten Stadien. Im allgemeinen besteht zwischen den beiden Vorhöfen und den Ventrikeln bei den Vögeln eine vollständige Trennung durch eine bindegewebige Lage zwischen beiden Ab- schnitten. An der Hinterseite des Herzens jedoch senkt sich die Muskulatur der Vorhöfe in der F"orm von zwei Halbrinnen in die Herzkammern hinein. Diese beiden Halbrinnen sind jedoch nicht wie bei den Amphibien und Reptilien von- einander durch Bindegewebe völlig getrennt, son- dern stoßen in den oberen Teilen zusammen. Dort, wo ihre Vereinigung oberhalb des Binde- gewebes, das Vorhof und Kammer trennt, statt- N. F. XVII. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 699 findet, geht ein aus Muskelgewebe bestehender Sporn nach vorn von ihnen ab und dringt durch das die beiden Herzabschnitte scheidende Binde- gewebe durch, um nach unten hin in Verbindung mit der Muskulatur des Ventrikelseptums zu treten (s. Abb. 4). Bei den Säugetieren fehlt ein eigentlicher Venensinus, jedoch hat sich ergeben, daß die Gegend, wo die obere Hohlvene in die rechte Vorkammer einmündet diejenige Stelle ist, von der die Reizbildung im Herzen ausgeht. Und zwar ist es hier ein aus Muskelfasern, die sich netz- förmig miteinander verflechten, bestehender Knoten, der durch Muskelstränge, die einerseits zu der Hohlvene andererseits zum Vorhof verlaufen, die Verbindung zwischen diesen beiden Abschnitten aufrecht erhält. DieserKeith-Flack'scheKnoten liegt in der Furche zwischen oberer Hohlvene und Vorhof, und besteht aus einem umfangreicheren Kopfteil und einem dünneren Stamm. Außer der Verbindung durch diesen Knoten bestehen noch einzelne direkte Verbindungsfasern, die oberhalb rechter 1 Schenkel } des linker J Bündels Herzka Abb. 5. Schematischer Frontalschnitt durch nach Külbs. das Säugetierhe des Knotens durch das Fettgewebe hindurchziehen und als Wenckebach 'sehe Fasern bekannt sind. Wenn dieser Keith-Flack' sehe Knoten auch als eine den Säugetieren eigentümliche Bildung er- scheint, so sind doch beim Rochen an den Ecken des Sinustrichters Knotenbildungen beschrieben worden, die man vielleicht als Vorläufer des Sinus- knotens der Säugetiere betrachten kann. Die atrioventrikuläre Verbindung bei den Säugetieren ist gegenüber den entsprechenden Reizleitungsbahnen der übrigen Wirbeltiere ganz wesentlich reduziert (s. Abb. 5). Die Entdeckung dieses Reizleitungssystems haben wir W. His jun. zu danken, der durch seine Schrift „Die Tätigkeit des embryonalen Herzens und seine Bedeutung für die Lehre von der Herzbewegung beim Erwach- senen" im Jahre 1893 die Grundlagen zu einer myogenen Theorie der Reizleitung überhaupt erst schaffte. In der Scheidewand der beiden Vorhöfe und zwar im hinteren Teile derselben findet sich ein spindelförmiges aus Muskelgewebe bestehendes, sich aber von der übrigen Muskulatur abhebendes Gebilde. Dieser sog. Tawara'sche Knoten ent- sendet nach unten hin einen mit einer binde- gewebigen Scheide versehenen Muskelstrang, der den bindegewebigen Ring, welcher die Vorhöfe von den Kammern trennt, durchbricht und sich im Kammerseptum in zwei Zweige, einen rechten und einen linken, trennt. Dieser Strang wird als His' sches Bündel bezeichnet. Der rechte Zweig verläuft zur Innenfläche der rechten, der linke zur Innenfläche der linken Kammer. Die Verzweigungen dieser beiden Äste ver- laufen unter dem Endokard und gelangen schließ- lich zu den Papillarmuskeln, in denen sie sich verlieren, indem sie in die übrige Herzmuskulatur übergehen. Einzelne der Muskelfäden ziehen jedoch frei durch das Lumen der Herzkammern und bilden hier zum Teil die sog. „falschen Sehnenfäden". ^) Der allgemeine Verlauf des His' sehen Bündels ist im Prinzip bei allen Säugetieren der gleiche. Jedoch bestehen gewisse Unterschiede in Einzel- heiten des Verlaufs und der Verzweigung. W. Lan ge betont, daß bereits „in der Ausbreitung der beiden Schenkel des His 'sehen Bündels innerhalb der Ventrikel relativ große individuelle Schwan- kungen bestehen". Jedoch gibt es auch für die einzelnen Arten typische Unterschiede, welche sich auf die Art und Weise der Verzweigung und Aufsplitterung der beiden Äste und den Durch- bruch durch das Endokard bzw. die Bildung von falschen Sehnenfäden beziehen. Sehr schöne und klare Abbildungen, die sich auf diese Unterschiede beziehen, hat W. Lange vom Herzen des Bären, des Rindes und des Zebras gegeben. Eine ge- nauere systematische Durcharbeitung dieser Ver- hältnisse wäre interessant, besonders da Lange annimmt, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dem Verlauf der Schenkel einerseits und der Ge- stalt und Größe des Herzens und dem verschiedenen Erregungsablauf in demselben andererseits. Näher kann an dieser Stelle hierauf nicht eingegangen werden. Als ganz natürlich ergibt sich die Frage, ob denn die Muskelfasern des Reizleitungssystems sich histologisch von den übrigen Muskelfasern des Herzens unterscheiden. Purkinje hat 1846 zuerst bei Huftieren in netzförmig verzweigten Fäden, die er unterhalb des Endokards beobachtete, bläschenförmige Muskelfasern nachgewiesen, die sich durch reichlichen Protoplasmagehalt und Fibrillenarmut auszeichneten. Es hat sich nun gezeigt, daß diese Pu rkin j e-Fasern bei den Huftieren die Elemente des Reizleitungssystems im Herzen darstellen. Auch bei den übrigen Säugetieren und dem Menschen sind diese histo- logisch differenzierten Fasern im Reizleitungssystem nachgewiesen worden, wenngleich sie am schönsten bei den Huftieren ausgebildet erscheinen. Im ') Nicht alle „falschen Sehnenfäden" enthalten Fasern des Reizleitungssystems, wie Mön ck eberg festgestellt hat. Es gibt aufler den diese Fasern enthaltenden noch solche, die frei von Muskulatur sind, und solche, die gewöhnliche Mus- kulatur enthalten. 700 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 49 His' sehen Bündel zeichnen sich diese Fasern noch durch ihren besonders reichen Glykogengehalt aus. Sie gehen am Übergang der spezifischen Reizleitungsmuskulatur in die übrige Herzniusku- latur allmählich in die gewöhnlichen Fasern des Myokards über. Sind die Muskelfasern des Reizleitungssystems bei den niederen Wirbeltieren auch noch nicht in so deutlicher Weise wie bei den Säugetieren als Purkinje -Fäden ausgebildet, so lassen sich jedoch im atrioventrikulären Bündel bei den Knochenfischen (Külbs) und den Selachiern (Willer) bereits Unterschiede zwischen diesen Fasern und denen der gewöhnlichen Herzmusku- latur nachweisen, die in geringerer Affinität den Protoplasmafarbstoff'en gegenüber und einer rela- tiven Fibrillenarmut bestehen. Das gleiche, viel- leicht noch ausgeprägtere Verhalten findet sich bei den Amphibien und Reptilien. Bei den Vögeln kann man bereits von Purkinj e'schen Fäden sprechen. Scheinen so für die myogene Theorie des Herzschlages die anatomischen Grundlagen bei den Wirbeltieren gegeben, so darf doch nicht verschwiegen werden, daß auch die neurogene Theorie, die annimmt, daß die Reizleitung auf nervösen Bahnen im Herzen erfolgt, immer noch Anhänger besitzt. Insbesondere schienen die Er- gebnisse, die Carlson aus Versuchen am Herzen des Lim\üus, einem Xiphosuren (Mollukkenkrebs) erhielt, für die neurogene Theorie zu sprechen. Da es sich hier aber um das Herz eines Wirbel- losen handelt, so können irgendwelche Schlüsse auf das Wirbeltierherz nicht gezogen werden. In der Tat haben rein physiologische Versuche (Elektrokardiogramm) ergeben, daß zwischen Wirbeltierherz und dem Herzen von Limulus grundsätzliche Unterschiede bestehen. Gestützt wird die myogene Theorie auch durch die Ergebnisse der pathologischen Anatomie. Bei klinisch beobachteter Störung der normalen Reiz- leitung, die sich durch gewisse Unregelmäßigkeiten in der Schlagfolge des Herzens bemerkbar macht, oder auch bei völliger Aufhebung der'Reizleitung wurden pathologische, durch das Mikroskop nachweisbare Veränderungen im Reizleitungssystem beobachtet. So fand man z. B. in solchen Fällen Blutungen, Verkalkungen, entzündlichelnfiltrationen und andere Veränderungen. Literatur. His, W. jun., Die Tätigkeit des embryonalen Herzens und seine Bedeutung für die Lehre der Herzbewegung beim Erwacliscnen. Arbeiten aus der med. Klinik zu Leipzig. 1893 S. 21 und 47. Külbs, F., Über das Reizleitungssystem bei Amphibien, Reptilien und Vögeln. Zeitschr. f. exper. Pathol. u. Therap. Bd. II. — , Über das Reizleitungssystem im Herzen des Fisches. Charite-Annalen 37. Jahrg. — , Das Reizleitungssystem im Herzen. Berlin 1913. Springer. _ ■ — und Lange, Anatomische und experimentelle Unter- suchungen über das Reizleitungssystem im Eidechsenherzen. Zeitschr. f. exper. Pathol. und Therapie. Bd. 8. Lange, VV.. Die anatomischen Grundlagen für eine myogene Theorie des Herzschlags. Berlin 1912. — , Desgl. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bei 84. Abt. I. Willer, A., Über das Herz des Selachier mit besonderer Berücksichtigung des Reizleitungssystems. Berlin 19I4. Schade. Einzelberichte. Meteorologie. Das sog. Brockengespenst und seine Abarten, wie das Ballon gespenst, der auf einer Wolkenschicht erscheinende Ballon- schatten, umgeben von farbigen Ringen, gehören zu den Naturerscheinungen, deren Erklärung noch nicht restlos gelingt und, soweit sie gelungen, noch wenig allgemein bekannt ist, wie insbesondere Berichte von Kriegsteilnehmern lehren. So teilte vor einiger Zeit der Belgische Kurier mit, ein Flieger habe sich plötzlich einem aus einer Wolke ihm entgegenkommenden feindlichen Flug- zeug gegenüber gesehen und habe nach vergeb- lichen Versuchen des Ausweichens mit verzwei- felter Wucht auf den Feind losgesteuert, wobei er ihn als eine „Luftspiegelung" erkannte. Eben- so unbegründet wie diese Deutung ist der Zweifel, den das genannte Blatt in den Bericht überhaupt setzt: als Brockengespenst sind die Erscheinung und die plötzlichen Eindrücke des Fliegers durch- aus erklärlich. Im „Prometheus" 1918, Nr. 52 beschreibt M. Steinbrück folgende eigenartige Lichterscheinung auf See: ein 4 Meter aus dem Wasser liegendes Fahrzeug fuhr gegen 8 Uhr morgens bei spiegelglatter See in dichtem Nebel. Als die Sonne schwach durchbrach, bildete sich auf der ihr abgewendeten Seite in scheinbar 50 m Entfernung ein heller Halbkreis mit schwachen Regenbogenfarben an seinen Enden nach dem Wasser zu. Um den Kopf des auf dem Fahrzeug stehenden Beobachters bildete sich ein helles kreisähnliches Feld mit deutlichen Regenbogen- farben, fast einem Heiligenschein ähnlich. Die Theorie derartiger Erscheinungen wurde von Prof. F. R i c h a r z ') und dessen Schüler K. Suchtey^) behandelt. Nach J. M. Pern- ters Meteorologischer Optik versteht man, laut Richarz, unter Brockengespenst den auf oder in Nebeln erscheinenden Schatten des ') F. Richarz, Über die das Brockengespenst umgeben- den Beugungsringe, Meteorologische Zeitschr., H. 6, 1912. — Über die das Brockengespenst umgebenden Beugungsringe und das Luftmaximum um den Korbschatten eines Ballons. Deutsche Luftfahrerzeitschr., Jahrg. 1913, Nr. I u. 4. ^) K. Suchtey, Aufnahmen von hellen Ringen und Säulen um den Ballonschattcn und deren künstliche Nach- bildung. Deutsche Luftfahrerzeitschr., Jahrg. 1913, Nr. 4. N. F. XVn. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 701 Beobachters ohne Rücksicht auf das etwa gleich- zeitige Auftreten von farbigen Kreisen um den Schatten. Kernschatten und Halbschatten zu- sammen ergeben ein Bild, dessen Begrenzungen vom Auge in eine gewisse Gegend des Halb- schattens verlegt werden, wo die relative Hellig- keitszunahme von innen nach außen am größten ist. Hinzukommen kann ein dem Schatten des Kopfes oder — bei großen Entfernungen — • den Schatten eines fliegenden Luftballons umgebender Lichthof, ferner den Schatten umgebende far- bige Ringe. Der Lichthof tritt nicht nur beim Schatten auf Nebel auf, sondern, wie allgemein bekannt sein dürfte, auch auf betautem Gras, wo der Schatten des Wanderers wie von einem Heiligen- schein umgeben erscheint, sodann auch auf un- betautem Gras, auf Nadelwald, auf Laubwald, auf Getreidefeldern. Von dem auch in der Metereo- logischen Optik sog. He il igen schein berichtet übrigens Ernst Krause in „Natur und Kunst", daß er von einem seiner ersten Beobachter wirk- lich für dessen eigenen Heiligenschein gehalten wurde. Das Helligkeitsmaximum, der Lichthof um den Schatten, ist durch Richarz in überaus klarer und zwangloser Weise erklärt worden. Hinter jedem Tröpfchen der Nebelwand entsteht in Verlängerung der Richtung des Lichteinfalls ein Schattenzylinder, weil der Lichtstrahl nach Rückwerfung eines Teils seines Lichts an der Tröpfchenvorderseite und eines weiteren Teils an der Rückseite mit dem Rest seiner Lichtschwin- gungen als durch Brechung stark divergierendes Bündel hindurchgeht. Die Tröpfchen wirken also wie winzige undurchsichtige Kugeln, sowohl für das einfallende, wie für das nach Reflexion an ihnen heraustretende Licht. Eine Schicht von solchen Kugeln muß offenbar, eben wegen der Schattenzylinder, für jeden Beobachter das Licht mit maximaler Intensität an d er Stelle zurück- werfen, für welche die Blickrichtung und die Rich- tung des Lichteinfalls zusammenfallen. Nun fällt gerade auf diese Stelle der Schatten, er verdeckt daher, falls er eng und stark ist, das Lichtmaximum vollständig, so daß er der Beobachtung entgeht, er erscheint jedoch noch von einem Lichthof um- geben, wenn es weniger scharf und mehr breit ist. Ebenso wie die ihrer Wirkung nach undurch- sichtigen Wassertröpfchen können natürlich auch die Nadeln oder Blätter eines Waldes oder die Ge- treidehalme wirken. Letztere erzeugen wegen ihrer Parallelität unter Umständen nicht ein ring- förmiges, sondern säulenförmiges Lichtmaxi- mum, wie ein solches um die Schatten eines Ballons von Suchtey photographiert wurde: Die Lichtsäule, nach außen hin natürlich ver- waschen, ist nicht viel breiter als der Ballon- schatten, aber nach zwei Seiten hin mehr als doppelt so lang. Tautröpfchen auf den Feldern dürften die Erscheinung dermaßen verstärkt haben, daß sie hohen Glanz erlangte und auf der Platte festgehalten werden konnte. An einem aus Hanfbindfäden hergestellten künstlichen Ge- treidefeld, wurde dasselbe, ja sogar für jedes Auge des Beobachters eine besondere Lichtsäule be- obachtet, was nach der Theorie durchaus zu fordern ist. Nicht ganz so durchsichtig ist bisher die Theorie der oft zu bemerkenden farbigen Beugungs- ringe. Sie sollen nur entstehen können bei homogenem Nebel von Tröpfchen gleicher oder nahezu gleicher Größe. Es ist, nach Ri- charz, anzunehmen, daß das Licht auf seinem Rückweg aus dem Nebel innerhalb dieses an den passierten Tröpfchen Beugung erleidet. Der Be obachter erhält aus der Mitte der von ihm be obachteten Erscheinung nur ungebeugtes Licht weiter seitlich gelegene Teilchen aber reflektieren ihm auch gebeugtes Licht zu. So können ahn lieh wie an den Höfen von Sonne und Mond, bei denen das lichtbengende Medium sich zwischen Lichtquelle und Beobachter befindet, Beugungs- ringe entstehen. Für die Beugungsringe bei Sonne und Mond aber kann die Theorie annehmen, daß die beugenden Teilchen sich in einer gegen- über den Abständen von Beobachter und Licht- quelle sehr dünnen Schicht befinden. Dagegen bei den Beugungserscheinungen des aus dem Nebel herausdringenden reflektierten Lichtes würden die einen Nebelteilchen Lichtquelle und die anderen Ursache der Beugung sein. Die Theorie der hierbei auftretenden Beugungserschei- nungen muß die Übereinanderlagerung der Beu- gungserscheinungen des aus allen Richtungen aus dem Nebel herausgestrahlten Lichtes enthalten, wobei aber die Intensität der in der Einfallsrich- tung zurückgeworfenen Strahlen, wie oben dar- gelegt, maximal ist. Ferner tritt in den diffus reflektierenden Nebelschichten Beugung sowohl beim Eindringen als auch bei der Rückkehr der Strahlen ein. Aus diesen Erschwerungen der Theorie mag es sich erklären, daß man bisher bei Berechnung der Tropfengröße aus verschie- denen Ringen einer und derselben Brockenge- spensterscheinung zu Widersprüchen kam statt zu der bei Sonnen- und Mondhöfen erzielten Über- einstimmung. Anderwärts als an Schatten auf Nebel- wellen, wo sie um den Ballonschatten gleich dem Lichthof bereits photographiert worden sind, dürften Farbenringe noch nicht beschrieben sein. Für Gelegenheitsbeobachtungen im Gelände bemerke ich, daß die Erscheinung des Brocken- gespenstes mit der eines Regenbogens gepaart sein kann. Ich hatte bisher zweimal im Felde Gelegenheit, einen Mondregenbogen zu sehen, beide Male entstand er nicht auf einer Regen-, sondern auf einer Nebelwolke, und zwar das zweite Mal — in einer Nacht im Juli 191 8 — auf einer von mir nur etwa 10 m entfernten oder, genauer gesagt, da der Nebel nicht ganz plötz- lich aufhörte, sondern in geringer Dichte noch mich selbst, der ich auf einem Bergvorsprung stand, umfing, auf einer in etwa 10 m Abstand ;o2 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 49 von mir dichter werdenden. Bei zweifellos ganz normaler Sehwinkelgröße erschien er daher so nahe und somit so klein und von mehr als halb- kreisförmigem Umfang '), daß er mich sofort an Bilder vom Brockengespenst erinnerte, obwohl mein Schatten von mir noch gänzlich auf dem Bergabhang gesehen oder dorthin verlegt wurde. Farben zeigte dieser Mondregenbogen so wenig wie der, über den ich früher berichtete, er erschien schimmernd weiß. Hätte statt des Mondes die Sonne geschienen, so wäre der Regenbogen auf der weißen Wolke sicher überhaupt nicht sicht- bar gewesen, sondern in der allgemeinen Licht- helligkeit unter die Empfindungsschwelle ge- kommen, ebenso wie gewöhnlich der Halo-Ring der Sonne, der meist, wenn vorhanden, höchstens am Morgen- oder Abendhimmel oder im Spiegel- bild auf einer ruhigen Wasserfläche sichtbar zu werden pflegt, während der Halo des Mondes am Himmel sehr stark auffällt. Ein Regenbogen, der bei der eben noch schwach leuchtenden Sonne im weißen Nebel sichtbar wurde, dürfte auch das gewesen sein, was Steinbrück in seiner eingangs erwähnten Beobachtung als hellen Halbkreis er- wähnt, während im übrigen das von ihm Be- obachtete ein Brockengespenst ist. V. Franz (i. Felde). Zoologie. In einem Aufsatze, der die Mieß- muschel als Nahrungsmittel, insbesondere vom hygienischen Standpunkte aus, behandelt, referiert Wilhelmi auch über die Frage nach der Giftig- keit der Mießmuschel (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen 3. Folge. 56. Bd. I. H.). Die eigentlichen Mießmuschelvergiftungen, die oft tödlich verlaufen, sind spezifisch für Mytilus edulis, finden sich also in dieser Form bei anderen Muscheln nicht. Über die Ursache ist man lange Zeit vollkommen im unklaren gewesen, doch galt es schließlich für ausgemacht, daß nur Muscheln bestimmter Standorte giftig sind, und zwar dann, wenn sie in verunreinigtem Wasser, z. B. in stagnierendem Hafenwasser wachsen. Merkwür- digerweise scheint aber der Grad der Stagnation und der Wasserverunreinigung nicht immer parallel der Giftigkeit der Mießmuscheln zu gehen, es muß sich mithin um eine spezifische Verunreinigung handeln, die zwar meist mit der allgemeinen zu- sammenfällt, aber nicht zusammenzufallen braucht und gelegentlich, wenn auch selten, in sonst als rein geltendem Wasser auftreten kann. Thesen hat es 1902 sehr wahrscheinlich gemacht, daß die spezifische Einwirkung von verunreinigtem Wasser auf die Muscheln beruhe auf der Anwesenheit eines Giftes, das von dem Weichtier gespeichert wird. Es gelang ihm zunächst durch Injektion von Meerwasser, das giftigen Muscheln entnommen worden war, Mäuse zu vergiften. Dann zeigte er, daß Muscheln in einem Aquarium, dem in sehr starker Verdünnung Curare, Strychnin, Upas und schließlich das Muschelgift selber zugesetzt wurde, giftige Eigenschaften annehmen, ohne selber durch das gespeicherte Gift geschädigt zu werden. ^) Die Anreicherung des Giftstoffes erfolgt wahrscheinlich in der Leber, da diese die Hauptlagerstätte des Giftes ist. Was den Giftstoff selbst anlangt, so läßt es sich nach Salkowski gut mit Alkohol oder Wasser nach Zusatz von etwas Salzsäure ausziehen, der Auszug ist dunkler als der von ungiftigen Muscheln und nimmt in der Wärme nach Salpetersäurezusatz eine grüne Färbung an. Die physiologische Wirkung ähnelt der von Curare. Nach Brieger soll das Mytilotoxin eine quaternäre Base sein (CgHi^NOj), wahrscheinlich ein Abkömm- ling des Betams, das er reichlich in Muscheln nachweisen konnte. Der Konsument braucht nicht übertrieben ängstlich wegen der Muschelvergiftungsgefahr zu sein, weil im üblichen Handel Mießmuscheln aus verunreinigtem Hafenwasser überhaupt nicht vor- kommen. Bei den Vergiftungsfällen, die vorge- kommen sind, soll es sich meist um solche Muscheln gehandelt haben, die von den Verzehrern selber gesammelt wurden. Immerhin ist bei der Muschelfischerei die Beschaffenheit des Wassers sorgfältig zu berücksichtigen. Wilhelmi erhebt die Forderung, daß nur an solchen Stellen ge- fischt werden dürfe, die wenigstens i km von Abwasserauslässen entfernt und durch keinerlei andere Fäulnisquellen verunreinigt sind , und schlägt weiterhin gewisse biologische Methoden vor, durch die der Verunreinigungsgrad geprüft werden könne. Miehe. ') Übrigens zeitweilig unsymmetrisch infolge Bewegungen im Nebel. ') Auch Kupfer vermögen speichern. Muscheln in große Menge A. Hedin, Sven, Bagdad, Babylon Mit 200 Abbildungen. Leipzig 'i Brockhaus. — 12 M. Der schwedische Forschungsreisende, der in diesem Kriege mehrfach über seine Eindrücke auf Reisen an die deutschen Fronten berichtete, machte sich im Frühjahr 1916 auf, um das Zwei- stromland zu besuchen. Nachdem er den Versuch, Bticherbesprechungen. Nin F. auf dem Landwege von Aleppo nach Mosul zu reisen, wegen unüberwindlicher, namentlich durch das Wetter bedingter Schwierigkeiten hatte auf- geben müssen, entschloß er sich, von Dscherablus den Euphrat als Reisestraße zu benutzen. Auf einem türkischen Doppelschahtur, einem eigen- tümlichen Fahrzeug von der Art einer Fähre, glitt er, immer zeichnend und beobachtend, den riesigen N. F. XVII. Nr. 49 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 703 Strom hinunter bis Risvanije bei Feludscha, von wo er auf einer merkwürdigen, von Menschen fortbewegten Kleinbahn zum Tigris gelangte und von da nach der Märchenstadt Bagdad übersetzte. Von hier aus machte er dann in Gesellschaft des Herzogs Adolf Friedrich von Mecklenburg einen Ausflug nach Babylon, indem er wiederum von Rasvanije aus auf einer Fähre den Euphrat hinab- fuhr. Nachdem er hier unter Führung von Prof. Koldewey die Ausgrabungen besichtigt hatte, kehrte er nach Bagdad zurück, von wo die gleiche Gesellschaft mit der Bagdadbahn nach Samarra reiste. Hier wurde eine Karavane ausgerüstet, die sich am Tigris aufwärts über die alte Königsstadt Assur nach Mosul bewegte, in dessen Nachbarschaft die Stätte des alten Ninive sich befindet. Diese Reise mit ihren bunten wechselnden Eindrücken und mannigfachen Abenteuern schil- dert Hedin in der ihm eigenen reizvollen Leben- digkeit und Anschaulichkeit. Höhepunkte seiner Reiseerzählung sind die Abschnitte über die im Titel genannten Stätten, die mit lehrreichen historischen und literarischen Exkursen verziert sind. Naturgemäß spielt auch der Weltkrieg vielerorts in das Buch hinein, doch ist es kein Kriegsbuch. Wohl tut wiederum das herzhafte Eintreten für die deutsche und die türkische Sache, das umso wertvoller ist, als es, wie manche Stellen beweisen, nicht aus einer kritiklosen Stimmung heraus geschieht. Die Ausstattung ist vorzüglich, das Buch ist verschwenderisch mit Bildern ver- sehen, unter denen man mit besonderem Ver- gnügen die schönen, sicher hingeworfenen Skizzen des Verfassers betrachtet. Miehe. Fricke, Eine neue und einfacheDeutung der Schwerkraft, als Manuskript gedruckt. BerHn 1918. 46 S. Die Welt wird dem Verfasser zur Strömung des Äthers, Goethe gibt ihm den Gedanken der Polarität und das „gleichförmige Fließen des Raums als Urkraft" ist dem Urphänomen des großen Dichters geschwisterlich verwandt. Die „Raumbewegung" löst das Rätsel der Schwere, welche nicht Kraft, nicht Spannung ist, sondern sich wandelnde Energie. Schopenhauer's Behauptung (Parerga und Paralipomena II § 79), daß das Licht ohne Zweifel in einem gewissen Zusammenhang mit der Gravitation stehe, eine ausstrahlende Kraft sei, wie jene zusammenziehend wirke, war Pate bei des Verfassers Gedanken. Beziehungen zu Goethe und Schopenhauer in einem physikalischen Büchlein zu finden wird aber dem Fachmann nicht allzu verlockend er- scheinen. Des Menschen Streben geht stets nach mecha- nischen Bildern; wenn er die hat, glaubt er alle Rätsel gelöst, denn die Mechanik selbst scheint keine Rätsel aufzuweisen. Über Wert und Unwert solcher Bilder ein Urteil fällen ist unrecht, so lange sie nur in einer ersten keimartigen Skizze vor uns Hegen. Das Urteil müssen sie sich selber sprechen, indem sie zeigen ob sie die Wissenschaft fördern, oder ob sie vergessen untergehen. Alle Folgerungen auszudenken und dann wiederzukommen, ist des Verfassers Sache. Dr. V. Engelhardt. Die Nützlichkeit der Bienen und die Not- wendigkeit der Bienenzucht, von einer neuen Seite dargestellt von Chr. K. Sprengel. Wortgetreuer Abdruck der im Jahre 181 1 bei Wilhelm Vieweg, Berlin, verlegten Urschrift. Herausgegeben von Piof. Dr. A. Krause. Berlin F. Pfennigstorff. — 1,25 M. Während das im Jahre 1793 erschienene Haupt- werk des Spandauer Rektors „Das entdeckte Ge- heimnis im Bau und in der Befruchtung der Blumen" nachträglich der Vergessenheit entrissen wurde und zu allgemeinem wissenschaftlichen An- sehen gelangte, ist ein anderes kleines Büchlein aus dem Jahre 181 1 bisher so gut wie unbekannt geblieben. K. Sprengel zieht in diesem einige praktische Folgerungen aus seinen Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen Blumen und Insekten, indem er in volkstümlicher Weise auf die Nützlichkeit der Bienen für den Fruchtansatz hinweist und daraus die Notwendigkeit ableitet, die Bienenzucht zu fördern. Abgesehen von dem Interesse, das der Fachbotaniker diesem kleinen Schriftchen des berühmten Autors zuwenden wird, sind die durch zahlreiche Beobachtungen bekräf- tigten Erörterungen Sprengel's so klar und lehrreich, daß sie auch jetzt noch in vorzüglichem Maße geeignet sein dürften, in den Kreisen der Gärtner, Landwirte und Imker Aufklärung über wichtige Grundfragen zu verbreiten. Man kann deshalb dem Herausgeber und dem Verlage dank- bar sein, daß sie das vergessene Heftchen wiederum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Es ist ein wortgetreuer Abdruck der Urschrift, dem einige Erläuterungen in Form eines ^achwortes und eine Einleitung hinzugefügt sind. Miehe. Gutzeit, Prof. Dr. E., Die Bakterien im Haushalt derNatur u nd des M enschen. 2. Aufl. Berlin '18. B. G. Teubner. — 1,50 M. Der Schwerpunkt der Darstellung ruht auf den Beziehungen der Bakteriologie zum wirtschaftlichen und häuslichen Leben. Dabei ist der Begriff „Bakteriologie" ziemlich weit gefaßt, indem auch andere niedere Pilze, Hefen, Schimmelpilze in den Gedankengang einbezogen werden. Demgegenüber ist die allgemeine Morphologie und Physiologie der Bakterien nur recht knapp, aber für den be- sonderen Zweck des Büchleins in immerhin wohl noch ausreichender Weise behandelt worden. Der Verf. hat ein Geschick, der durchschnittlichen Fassungskraft weiterer Kreise durch handgreifliche Anschaulichkeit entgegenzukommen, nützliche Kenntnisse in gewinnender Form vorzutragen und zum Nachdenken über alltägliche Dinge anzuregen. Weniger geglückt scheint mir die allgemein-physio- logische Seite. Zu ihrem Ausbau hätte der Autor leicht Platz gewinnen können, wenn er auf die 704 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 49 chemischen Exkurse verzichtet hätte, die dem ganz Unkundigen doch nicht genug geben. Auch anderswo scheint mir das Bakteriologische etwas zu sehr durch abgelegene Dinge überwuchert zu werden. Einige kleine Ausstellungen mögen hier folgen: die Begründung der günstigen Wirkung des Schäiens scheint mir nicht überzeugend (S. 85). Ob die Stoffe, welche die schwarze Farbe guten Humusbodens bedingen, gute Nährstoffe für die Bakterien sind, ist recht zweifelhaft (S. 76). Der Begriff „Salpeterfresser" leidet an einer gewissen Unklarheh (S. 70). Miehe. Foerster, Dr. H., Bäume in Berg undMark sowie einigen angrenzenden Landes- teilen im Arbeitsgebiet des Bergi. sehen Komitees für Naturdenkmals. pflege. Mit 15 Tafeln. BerHn '18. Gebr. Bornträger. Nach Regierungsbezirken und Kreisen ange- ordnet wird hier eine Zusammenstellung aller nur einigermaßen bemerkenswerter Bäume gegeben, die sich im Bergisch-Märkischen Lande finden. Standorte und Bäume werden genau beschrieben, einige der auffälligsten Exemplare im Bilde fest- gehalten. Von besonderem Interesse sind die Angaben über das Vorkommen alter Hülsenbäume (Hex aquifolium). Die größte Hülse findet sich in Mittel-Enkeln, Kreis Wipperfürth, Regierungsbezirk Köln, am Ausgang des Ortes an dem Wege nach Ober-Enkeln. Sie ist 10 m hoch, hat einen Um- fang von 1,45 m und ist nach der Schätzung des Verfassers 700—800 Jahre alt. Die Hülsen sind wahrscheinlich die letzten Reste einer ehemaligen Waldvegetation, die bei dem Ausroden des Waldes verschont wurden. Miehe. Anregungen und Antworten. Ein Wort zu W. O. Dietrichs Kritik meiner Mastodon- Rekonsiruklion. Es sei mir gestattet, aut Dr. Dietrichs Kritik, die ich im Interesse des Fortschrittes unserer Kenntnis vom Aussehen unseres tertiären Leitmastodon (M. angustidens Cuv.) lebhaft begrüße, einige Worte zu erwidern. Gelegentlich eines Vortrages meinerseits in der k. k. zool. bot. Gesellschaft in Wien hat O. Abel gegenüber meiner veröffentlichten Rekonstruktion von M. angnsHdens eine ver- besserte SkelettdarstelluDg vorgeführt, die sich durch den mehr gesenkten Kopf und vor allem die Hochstcl- lung des Carpus und Tarsus unterscheidet. Zur gleichen Auffassung hinsichtlich Hand und Fufi ist auch W. O. Dietrich in der jüngst vcröfientlichten Besprechung meiner Rekonstruktion gelangt (Naturw. W'ochenschr. N. F. XVII Nr. 26 S. 369 — 373. Jena 1918). Dagegen ist bezüglich der Schädelhaltung dieser Autor mit mir einer Auffassung. Ich muß allem zuvor betonen, daß meine rekonstruierte Darstellung, die leider manche zeichnerische Mängel aufweist, hinsichtlich Hand und Fuß nicht ganz dem entspricht was ich zum Aus- druck bringen wollte. Beide sind zu stark liegend aus- gefallen. Anderseits bin ich nach wie vor der Überzeugung, daß die Lageveränderungen, welche sich im Ca'pus der Masto- donten von den in dieser Hinsicht ursprünglicheren zu den vorgeschritteneren Typen verfolgen lassen und die wie erwähnt in der Richtung zur Serialität vor sich gehen, ohne mit dem in unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden zu können, was bei den Huftieren stattland, ein Korrelat in der äußeren Gestaltung von Hand und Fuß haben mußten. Diese Über- zeugung, die ich infolge der noch ausständigen vergleichenden Studien an den Carpen und Tarsen sämtlicher Proboszidier derzeit nicht zu einer konkreten punktweisen Zusammen- stellung verdichten kann, verwehrt es mir, die Einwände O. Abels und W. O. Dietrichs rundweg anzunehmen. Abel's Rekonstruktionsversuch erscheint mir nach der Gegen- seite übertrieben, die Hand und auch der Fuß der von ihm Torgelührtcn Zeichnung zu hoch. Die gesenkte Kopfhaltung teile ich als Ruhelage keineswegs. Dabei möchte ich aller- dings betonen, daß Rekonstruktionen ja immer Augenblicksbilder und Auffassungssache sind und Engherzigkeit jedenfalls nicht am Platze ist. Dietrich hat seiner Auffassung über die Fußbildung nicht zeichnerisch Ausdruck verliehen. Daß die erörterten Einwände besonders bezüglich des Carpus eine ge- wisse Berechtigung haben, unterliegt keinem Zweitel. O. Abel hat mit Recht auf die Tatsache hingewiesen, daß schon bei AI. angustidens genau wie bei allen anderen Proboszidiern und auch bei allen anderen Säugerformen mit gleicher Stellung von Hand und Fuß (z. B. Amblypodcn) die Ulna bedeutend verstärkt und als der viel mächiigcre Knochen der beiden Unterarmelcmente entwickelt ist. Daraus geht nun allerdings, wie schon Abel erkannt hat, die Tatsache der Säulenstellung der Extremitäten hervor und es liegt, wie ich seiner Darstel- lung hinzufügen möchte, gerade in der Stützfunktion und dem Bestreben eine Überstreckung der Ex- tremitäten im Ellbogengelenk zu verhindern, d er Grund, warum bei allen diesen Formen die Ulna zum stärkeren Knochenelement geworden ist. Das Olecranon ulnae als Widerpart gegen die Übtrstreckung mußte ja so mächtig als nur möglich entfaltet werden. Diese Tat- sache wird auch schön illustriert durch die ganz normalen Verhältnisse im Unterschenkel, wo die Überstreckung eben durch die Patella, also einen von den beiden Unterschenkelknochen unabhängigen Skeletteil verhindert wird. Dagegen sehe ich nicht ein, daß diese Säulenstellung auch eine vollständige Identität hin-vichtlich der Ausbildung des Fußes nach sich ziehen muß. Der Elefantenfuß bat sich ja e n t w i c k e 1 1 ; es ist kein Grund anzunehmen, daß diese Entwicklung sprunghaft zu dem Endstadium geführt hat. Fs ist naheliegend die Lagcrungsveränderung im Carpus mit einer in dieser Entwick- lung bedingten weiteren Aufrichtung von Hand und Fufi in Zusammenhang zu bringen. Das Richtige scheint auch hier wie immer in der Mitte zwischen beiden Extremen zu liegen, von denen das eine durch die in meiner Rekonstruktion nicht aber in meinen Erörterungen dazu zum Ausdruck gekommenen Auffassung gegeben ist. Prof. Dr. G. Schlesinger, Wien. Inhalt: A. VVillcr, Das Reizleitungssystem im Herzen der Wirbeltiere. (5 Abb.) S. 697- — Einzelberictite : ■■'■ Kicharz und K. S u c h t e y , Brockengespenst. S. 700. W i 1 h e 1 m i , Giftigkeit der Mießmuschel. S. 702. — Bücherbesprechungen : Sven Hedin, Bagdad, Babylon, Ninive. S. 702. Fricke, Eine neue und einfache Deutung der Schwerkraft. S. 703. Chr. K. Sprengel, Die Nützlichkeit der Bienen und die Notwendigkeit der Bienenzucht, von einer neuen Seite dar- gestellt. S. 703. E. Gutzeit, Die Bakterien im Haushalt der Natur und des Menschen. S. 703. H. Foerster, Bäume in Berg und Mark sowie einigen angrenzenden Landesteilen im Arbeitsgebiet des Bergischen Komitees für Naturdenk- maUpfiege. S. 704. — Anregungen und Antworten: Ein Wort zu W. O. Dietrichs Kritik meiner Mastodon-Rekon- struktion. S. 704. Manuskripte und Zuschrifti werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlii Verlag von Gustav Fischer in Jena Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b N 4, Invalidenstraße 42, erbeten. H., Naumburg a. d. S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. Ncut Folge Sonntag, den 15. Dezember 1918. Nummer 50. Der Einfluss des Bodens auf Siedelung und Staatenbildung und Kulturentvvicklung. [Nachdruck verboten.] E. Ramann, München. In einem Vortrag in der Geographischen Ge- sellschaft in München bespricht E. Ramann ^) die Böden verschiedener Khmata und ihren Einfluß auf die Formen der menschlichen Siedelung sowie auf die Menschheitsentwicklung überhaupt. Nach dem Vorgange von E. Hilgard werden unterschieden: Feuchtböden in (humiden) Klima- ten, deren Niederschläge höher sind als der Ver- dunstung entspricht, so daß sich Sickerwässer bilden, und Trockenböden, die (ariden) Klima- ten angehören, in denen mehr Wasser verdunsten könnte, als durch Niederschläge zugeführt wird, Bildung von Sickerwasser daher nur im beschränkten Maße stattfinden kann. Den beiden Hilgard- schen Abteilungen fügt Ramann eine dritte, weit verbreitete Gruppe von Böden an, welche unter der Herrschaft eines Wechselklimas gebildet werden, während eines Teiles des Jahres je unter humiden und je unter ariden Einwirkungen stehen und daher sowohl Eigentümlichkeiten der Trocken- wie der Feuchtböden in sich vereinigen. Die F"euchtböden erhalten ihre Eigenschaften durch die Einwirkung reichlicher Niederschläge, welche mehr Wasser zuführen als unter den herr- schenden Bedingungen verdunstet. Der Überschuß an Wasser wird als Sickerwasser in tiefere Boden- schichten geführt, bildet Grundwasser und Quellen und wird endlich durch die Flüsse dem Meere zugeführt. Die Sickerwasser sind stets schwache Salzlösungen, so daß dem Boden fortgesetzt lös- liche Bestandteile entzogen werden. Die Böden sind Auswaschböden. In Feuchtgebieten verwittern die Gesteine vorwiegend zu wasserhaltigen Tonerdesilikaten, zu Tonen; die Tone bleiben in gemäßigten Klimaten erhalten, in tropischen werden sie unter Wegfuhr der löslichen Kieselsäure weiter zu Tonerdehydraten und Eisenoxydhydraten zersetzt ; ein Vorgang, der meist als Lateritbildung (Lateritisierung) be- zeichnet wird. Quarz bleibt in allen Fällen un- angegriffen oder doch nur mechanisch zerkleinert als Quarzsand zurück. Die physikalischen Eigenschaften der Feuchtböden werden vorwiegend durch die feinsterdigen Bestandteile und die Menge des Tones bedingt, welcher die Bodenbestandteile bindet und den Boden die Eigenschaften unserer herrschenden Bodenformen verleiht. Für die Pflanzenwelt ist die Lagerungsweise der Boden- teilchen, die sich mehr oder weniger zusammen- ') Mitt. d. Geogr. Ges. München 13. S. I (1918). „Der ;n und sein geographischer Wert". lagern und Krümel bilden, von besonderer Wich- tigkeit. Die Krümel der Feuchtböden sind wenig widerstandsfähig und werden unter der Einwirkung fallenden Regens leicht zerstört, der Boden lagert sich dann dicht zusammen, er verschlämmt und geht in Einzelkonstruktur über. Der Humusgehalt der Feuchtböden ist im all- gemeinen nicht hoch, nur unter Wasser oder in Gegenden mit niederer Temperatur sammeln sich die mehr oder weniger zersetzten Reste der Pflanzen in größerer Menge im Boden an. ZwischenPflanzen undBoden bestehen enge Beziehungen, die nicht nur in den Boden- eigenschaften zum Ausdruck kommen, sondern auch in der Pflanzen- und Tierwelt, welche im Boden lebt und Einfluß ausübt, ihren Ausdruck finden. Ein Beispiel hierfür ist, daß lange Zeit als Acker landwirtschaftlich genutzter Boden durch Anpflanzen von Waldbäumen nicht sofort in einen ausdauernden Wald umgewandelt werden kann. Dem Forstmann bereiten die im 30.— 60. Jahre absterbenden, auf früherem Ackerlande erzogenen Bestände zahlreiche Schwierigkeiten, trotzdem in nächster Nähe alte Waldungen auf gleichartigem Boden sich gut entwickeln. Ein Wald besteht nicht nur aus dem Baumbestande, son- dern auch aus dem zu gehöre ndenWald- boden, dessen Eigenschaften nicht willkürlich verändert werden können, ohne daß der Wald Schaden leidet. Auch für andere herrschende Pflanzengenossenschaften gilt der Grundsatz, daß Boden und Pflanzenwelt sich gegenseitig beeinflussen, so daß man im über- tragenen Sinne von einer Symbiose beider spre- chen kann. Die herrschende Pflanzenvereinigung der Feuchtgebiete ist Wald, also Ge- nossenschaften langlebiger, hochwüch- siger Pflanzenbestände. Die Böden ausgesprochener Trockengebiete, die Trockenböden, erhalten ihre bezeichnen- den Eigenschaften, durch das Überwiegen der Verdunstung über die Menge der Niederschläge. Während reichliche Niederschläge zur Bildung von Sickerwassern führen, durchfeuchten die sparsameren Niederschläge der Trockengebiete nur die oberen Bodenschichten; bei einsetzender Verdunstung wird das Wasser des Bodens kapillar gehoben, so daß überwiegende Bewegung des Wassers von unten nach oben stattfindet; damit erfolgt gleichzeitig die Überführung gelöster Salze aus den tieferen Bodenschichten in die höheren. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß nach Niederschlägen 7o6 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. R F. XVII. Nr. SO die Feuclitigkeit in den Boden eindringt und lös- Hche Stoffe zur Tiefe füfirt; die atmospliärischen Niederscliläge sind aber, ciiemisch betraclitet, fast reines Wasser, sie sättigen sich in den oberen Boden- schlichten sofort mit ihnen zugänglichen löshchen Stoffen, oder richtiger, zwischen Boden und dem vorhandenen Wasser bildet sich ein Gleichgewicht heraus, da in den Böden nicht die löslichen, son- dern durch Wasser angreifbaren Bestandteile vor- herrschen. Die absickernde Bodenflüssigkeit trifft die nächste Bodenschicht bereits als gesättigte Lösung, so daß sie nur noch schwach einwirken kann, auf diese Weise ist die auswaschende Wir- kung des sinkenden Wasserstromes begrenzt. Ganz anders gestalten sich die Bedingungen des im Boden aufsteigenden Wasserstromes, dessen gelöste Stoffe sich durch die Wasserabnahme bei der Ver- dunstung immer mehr anreichern. Diese Be- ziehungen sind noch nicht ausreichend aufgeklärt. Tatsache ist jedenfalls, daß die Trockenböden reich an löslichen und angreifbaren Bestandteilen sind. Die durch die Verwitterung gebildeten, den Pflanzenwurzeln zugänglichen Stoffe verbleiben im Boden; es findet unter natürlichen Verhältnissen eine Anreicherung des Bodens statt, welche so hoch ist, daß es unter bestimmten Bedingungen zum Kristallisieren und Ausblühen der löslichen Boden- salze führen kann. Die Trockenböden sind Anreicherungsböden. Die physikalischen Eigenschaften der Trockenböden sind für den Pflanzen wuchs günstig. Der hohe Gehalt an löslichen und an- greifbaren Stoffen führt dazu, daß die Krümelung des Bodens sehr stark ist und in erhebliche Tiefen reicht. Der Unterschied von Bodenkrume und Rohboden, der in feuchten Böden in seinem Verhalten gegen die Pflanzenwelt hervortritt, fehlt in den Trockenböden fast vollkommen. In den Feuchtgebieten meidet der Landwirt die Vermischung beider Schichten ängstlich, während der ausgeworfene Untergrund der Trockenböden fast ebenso fruchtbar i^t, wie der Oberboden. Hierzu kommen Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung. Die Zusammen- stellung von Hilgard, der die Analysen vieler hundert amerikanischer Böden der Feucht- und Trockengebiete verglich, gibt einen Anhalt für die Menge der Nährstoffe, welche die Böden beider Gruppen den Pflanzen zur Verfügung stellten. Es mag bemerkt sein, daß die fortschreitende Forschung voraussichtlich die Unterschiede noch viel bedeutsamer hervortreten lassen wird und die Zahlen daher nicht als Höchstwerte zu betrachten sind. Nach Hilgard enthalten humide Böden aride Böden KaU 0,21% 0,67% Kalk 0,13 „ 1,^3 „ Magnesia 0,29 „ 1,27 „ Phosphorsäure o, 12 „ 0,16 „ Die Trockenböden besitzen daher sehr hohe (potentielle) Fähigkeit zur Fruchtbarkeit Es fehlt nur Wasser um sie in tätige (aktuelle) Fruchtbarkeit überzuführen. Die Tatsachen gestalten sich also so: Die Trocken- böden verdanken ihre Fähigkeit zur Fruchtbarkeit der geringen Wasser- wirkung, der sie ausgesetzt sind, dieser Wassermangel verhindert andererseits üppigen Pflanzen wuchs; nur zur Zeit der meist sparsam fallender Regen begrünt sich der Boden. Man muß aber der Meinung entgegentreten, als üb ausschließlich das Wasser die Fruchtbar- keit der bewässerten Trockengebiete bedinge; die Wasserwirkung ist von der Zusammen- setzung des Bodens abhängig; in welch' hohem Maße dies der Fall ist, geht z. B. daraus hervor, daß man in den Bewässerungsgebieten Oberitaliens und Südfrankreichs eine Wasser- zufuhr von i Sekundenliter als ausreichend für die Wasserversorgung eines Hektars be- trachtet, daß dagegen zur Zufuhr der not- wendigen Pflanzennährstoffe 90 — lOO Sekundenliter beansprucht werden. Die Böden unter Wechselklimaten tragen je nach den herrschenden Verhältnissen bald mehr den Charakter der Trocken-, bald der Feuchtböden. Die erste Abteilung ist gut unter- sucht, zu ihr gehören die Steppenböden der ge- mäßigten Klimate, die Schwarzerden (Tscher- nosem). Zur zweiten Abteilung gehören wahr- scheinlich die Böden der tropischen Savannen, jedoch ist ihre Kenntnis noch zu wenig fortge- schritten, um ein sicheres Urteil zu ermöglichen. Den VVechselböden gemeinsam ist Mangel ge- schlossener Wälder. In den Savannen herrschen vereinzelt stehende Bäume neben Grasgewächsen, meist hochwüchsigen Schilfgräsern, vor, in den Steppen bedecken vorwiegend niedere und mittel- wüchsige Gramineen den Boden. Das Klima der Savannen zeichnet sich durch eine kurze, meist 2 — 3 Monate währende Regenzeit aus, in der gewaltige Regenwassermassen das ganze Gebiet in einen Sumpf verwandeln, und in eine lang anhaltende Trockenzeit, welche zur tiefgehenden Austrocknung des Bodens führt. Das Klima der Steppen hat kaite Winter, welche bei geringer Verdunstung infolge der nie- deren Temperatur Gelegenheit zur Ansammlung von Feuchtigkeit im Boden (W in t e r fe u ch - tigkeit) geben, wahrend hohe Verdunstung im Sommer zur Austrocknung des Bodens führt. Savannen wie Steppen mit zeitweiser Gras- vegetation von hervorragender Üppigkeit und da- rauf folgenden Zeiten hoher Verdunstung, geben Gelegenheit zu einer Art natürlicher Heu- bildung, die vertrocknende Pflanzenmasse wird durch Fäulnisvorgang kaum angegriffen und ihre nährenden Bestandteile werden nicht durch lang- dauernde Regen ausgelaugt. Reiches Tier- leben, besonders Pflanzenfresser, Herden von Wiederkäuern und Einhufern, belebt diese Gebiete. Die bisherigen Darlegungen geben Grundlagen N. F. XVn. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 707 für das Verständnis dafür, daß die Menschen in den drei großen Bodengruppen unter verschie- denen Lebensbedingungen stehen und ihre Ent- wicklung auch verschieden verlaufen mußte. Den ausgesprochenen Trockenböden bewohnen Be- wässerungssiedler, die Waldböden die Waldsiedler, die Böden der Wechselklimate sind die Heimat der Hirtenvölker. Die Ge- setze, nach denen sich die Entwicklung vollzieht, sind für jede Gruppe durch Klima und Boden bedingt, erst mit fortschreitender Kultur macht sich der IVIensch bis zu einem gewissen Grade frei von der ursprünglich vorhandenen Abhängig- keit vom Boden; es treten Abweichungen auf. Die Waldsiedler lernen durch Düngung die Ungunst der Feuchtböden überwinden; Hirten- völker werden ansässig und das Auf- blühen von Industrien und Handel er- möglicht Ansammlung zahlreicher Menschen durch Zufuhr der Nährstoffe aus entfernteren Gegenden und Ländern. I. Bewässerungssiedler (Orientalische Kultur- form). Bereits seit Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde man darauf aufmerksam, daß die Ausgangs- punkte höherer Kulturcnlwicklung in Trockenge- bieten liegen, welche entweder wie in Ägypten regelmäßig wiederkehrenden Flußüberschwem- mungen ausgesetzt sind oder der Bewässerung bedurften. Die gleiche Erscheinung zeigen die Kulturkreise Mittel- und Südamerikas, in denen sowohl die Hochlagen von Mexiko wie die Ge- biete der hikakultur in Bwässerungsgebieten liegen. Die enge Beziehung zwischen früher Kulturent- wicklung und der Beschaffenheit des Bodens er- kannte E. Hilgard, der diesen Einfluß klar- stellte. Er wies darauf hin, daß die Bewässerung des Zusammenschlusses vieler Menschen und der staatlichen Ordnung bedarf, dann aber reichen Ertrag gibt. Im Bewässerungsgebiet Kaliforniens reichen 4—6 ha Boden hin, eine F'amilie zu er- halten, in Waldgebieten des östlichen Amerikas bedarf es dazu 12 — 20 ha. Ist die Bewässerung in Ordnung, bedarf es viel geringerer Arbeits- leistung, um denselben Erfolg zu erzielen, wie im Waldgebiete. Man kann noch hin'ufügen, daß die Ernten viel sicherer sind als in niederschlag- reichen Gegenden. Das Klima ist, die notwendige Wasserzufuhr vorausgesetzt, den Getreidearten günstig, keine Frühjahrstrocknis gefährdet die Entwicklung, keine sommerliche Regenperiode bedroln die Ernte der Feldfrüchte. Die Lebens- bedingungen der Menschen im Bewässerungsgebiet sind daher leichter und gesicherter als in Feucht- gebieten. Die Anlage der Bewässerung bringt enge Siedelung und Ansammeln der Menschen auf kleinem Räume mit sich und damit Arbeits- teilung und Entwicklung der Gewerbe. Die Siedelungen im Bewässerungsgebiet kennzeichnen sich durch Anhäufung von Menschen auf kleinem Räume. Soweit Wasserzufuhr möglich, soweit reicht die Boden- kultur. An Felder höchster Fruchtbarkeit stößt unmittelbar die Wüste oder Halbwüste. Ameisen- haufen in einem trocknen Kiefernwald vergleich- bar, sammelte sich die Menschheit in geschlosse- nen Massen auf den bewässerbaren Flächen an. Die Kulturmethode der Bewässerungsgebiete ist stabil. Sie kann nicht willkürlich verändert werden. Sie ist wie sie ist, oder sie ist nicht. Zerstörung der Bewässerung bedeutet Vernichtung der ansässigen Bewohner, die dem Hunger er- liegen. Mesopotamien ist noch heute eine Halb- wüste. Bleibt die Bewässerung erhalten oder ist sie, wie in Ägypten, wo die Hochwässer des Nils die Hauptleistung übernehmen, von Menschenarbeit mehr oder weniger unabhängig, dann zeigt die vorhandene Kultur wunderbare Widerstandsfähig- keit. Völkerwellen können über solche Gebiete hinweggehen, ohne nennenswerten Einfluß auf die Grundlagen der Bodenkultur zu gewinnen. Ein- dringende Eroberer können die Kultur dieser Länder vernichten oder sie müssen sich ihr an- passen; eine dritte Möglichkeit besteht nicht. Die Bodenkultur des Orients arbeitet nach uralten Mustern und die Glockenschläge des Turmes in Granada regeln noch heute die Wasserverteilung, wie sie vor Jahrhunderten von den Arabern ge- ordnet wurde. Oft genug ist auf diese Stabilität hingewiesen worden, sie wird verständlich durch die Eigenschaften des ariden Bodens, auf dem sie sich aufbaut. Die Rückwirkung der Bewässerungskultur auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Bewohner konnte nicht ausbleiben. Mögen die ersten An- fänge gewesen sein, welche sie wollen, jedenfalls verlangte die Anlage umfassender Bewässerungen, gemeinsame Arbeit und Unterordnung des Einzel- nen unter die Gesamtheit. Nur so konnte sie gewonnen, erhalten und gesichert werden. Die Kulturmethode bedrohte dafür aber die Freiheit der Einzelnen. Wer Macht hatte, ihnen die Wasserzufuhr zu sperren, von dem waren sie in allen ihren Lebensbedingungen abhängig. Je weiter sich die Bewässerungsflächen ausdehnten und je zahlreicher ihre Bewohner wurden, um so mehr war ihre Freiheit gefährdet; so waren die Bedingungen gegeben, welche zur Unfreiheit der großen Masse und zur Herrschaft von Einzelnen führten. Unter dem Einfluß der allein möglichen Bodenkultur bildeten sich jene großen Despotien heraus, welche die orientalischen Länder kenn- zeichneten und unter deren Nachwirkung unsere geistlichen und staatlichen Ordnungen teilweise noch heute stehen. Die Autokratien und Despo- tien der späteren Zeiten sind Nachklänge des alten Orients, mögen ihre Träger nun dabei Lama oder Ludwig XIV. heißen. Form und Methoden haben sich geändert, die Sache ist geblieben. Die Ansammlung vieler Menschen unter gün- stigen Lebensbedingungen führte zur Entfaltung von Künsten und Wissenschaften, ihre Zusammen- fassung in der Hand eines Einzigen ermöglichte die Errichtung gewaltiger Bauwerke, welche wir noch heute bewundern oder deren Reste unser 7o8 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 50 Staunen erregen. Der Turm zu Babel, die Pyra- miden, die Peterskirche sind Schöpfungen, welche nur begriffen werden können durch die unbe- schränkte Herrschaft eines Einzelwillens. Die Kulturformen, welche aus den Bewässerungskulturen hervorgingen, kann man als die des „orien- talischen Kulturkreises" bezeichnen; sie sind nicht auf die alte Welt beschränkt, sie haben aber im alten Orient ihre schärfste Ausprägung erhalten. Unermeßlich ist der Einfluß den ihr Kulturgut auf die Entwicklung der Mcn'^chheit gewonnen hat, aber auch ebenso unermeßlich ist der Schaden, welchen ihre Ausartung in Auto- kratie und Despotismus der fortschreitenden Ent- wicklung zugefügt hat und noch heute zufügt. 2. Waldsiedler. Im vollen Gegensatz zu den Bewässerungsländern vollzieht sich die Ausbreitung und Entwicklung der Kultur in den Feuchtgebieten. Das Land ist waldbedeckt; der Boden ist arm oder nicht reich an Pflanzennährstoffen ; die physi- kalischen Eigenschaften des Bodens verändern sich bei Freilage unter dem Einfluß fallender Regen ungünstig. Landwirtschaftliche Nutzung erschöpft den Boden in kurzen Zeitabschnitten und verschlechtert die physikalischen Eigenschaften der Böden, es bedarf der Bodenbearbeitung und, um dauernde Erträge zu erzielen, der Düngung. Für den Anbau menschlicher Nährfrüchte muß zunächst der Wald beseitigt werden. In allen Waldgebieten beginnt daher die Bodenkultur mit Vernichtung des Waldes auf der zur Nutzung be- stimmten Fläche. Das einfachste Mittel hierzu ist das Niederbrennen des Waldes, das Wald- schwenden. Seine Anwendung reicht in Mittel- europa bis in junge Zeiten, im Norden, in Finnland und Nordrußland wurde es bis zur Neu- zeit geübt und vollzieht sich im großen Umfange noch heute in Gebieten, die der landwirtschaft- schaftlichen Kultur neu erschlossen werden, so in den Waldgebieten Nordamerikas und der Tropen. Durch Feuer waldfrei gemachter Boden gibt einige gute Ernten, dann geht der Ertrag zurück und lohnt nach einigen Jahren, längstens nach Jahrzehnten nicht mehr Arbeit und Aussaat. Die Flächen bleiben liegen und neue Waldteile werden zur landwirtschaftlichen Nutzung herangezogen. Es ist also vollendeter Raubbau, der nach längerer oder kürzerer Zeit zur Erschöpfung des Bodens führt. Als Brandkultur hat sich ohne Zweifel die erste Besiedelung der Waldgebiete vollzogen. Sie fordert im Verhältnis zur Einwohner- zahl große Flächen; damit war die Notwen- digkeit der Einzelsiedelung gegeben. Die Familie war auf sich selbst gestellt. Die Lebensnotwen- digkeiten mußten in harter Arbeit erworben werden; ein neu hinzukommender Nachbar war nicht ein willkommener Helfer am gemeinsamen Werke, sondern wurde als schädlicher Mitbewerber an der zur Verfügung stehenden Fläche empfunden. Ver- mehrte sich die Zahl der Bewohner, so blieb kein Mittel als neue Flächen in Angriff zu nehmen, bei fortschreitender Besiedelung, Auswanderung oder Wegnahme fremden Besitzes. Die Gebiete der Waldsiedler sind daher Gebiete, von denen Kolonisation ausgeht und mit ihr harte Unter- drückung der früher einheimischen Bevölkerung. Es ist der Kampf ums Dasein; der Mensch will essen und wohnen; alle schönen Redensarten und frommer Augenaufschlag haben Engländer und Amerikaner nicht verhindert, die Urbevölkerung von Nordamerika und der australischen Gebiete aus- zurotten. Man lasse sich durch Sozialisten und Pazifisten nicht täuschen ; dieser Kampf ist in unserer Zeit nicht vermindert, sondern verstärkt und wird stärker werden, je mehr sich die Erde bevölkert, nur daß der Sieg nicht mehr dem kräftigsten und besten winkt, sondern dem skrupellosesten und mitleidlosesten. Gegenüber dem anständigen Manne ist der Schuft immer erfolgreich, warum sollte es im Völkergeschick anders sein? Der Weltkrieg galt nicht unsern Lastern, unsere Tugenden haben uns die Feindschaft der Welt zugezogen. Die Besiedelung in Waldgebieten schreitet noch jetzt in gleicher Weise fort, wie sie sich in der ersten Zeit beginnender Kultur vollzogen hat. Nicht willkürlich wählte der Mensch diesen Weg, sondern er war ihm durch die nähr- stoffarmen, leicht physikalisch veränderlichen Böden vorgeschrieben. Der Massenanhäufung von Menschen im Be- wässerungsgebiet stehen die Einzelsiedelungen im Waldgebiet gegenüber. Jeder war auf sich selbst gestellt; wenn auch in wichtigen Dingen mit dem Stamme verbunden, lag das Schwergewicht auf der Familie. Die Entwicklung vollzieht sich in individueller Freiheit; konnte der Kulturfortschritt auch nur langsam sein, die Bedingungen zur Er- reichung der höchsten Ziele der Menschheit waren gegeben. An der Befähigung der Einzelnen und der Stämme lag es, sie für ihre Entwicklung nutz- bar zu machen. Die Einzelsiedelung ist allen Waldgebieten eigen, ihre höchste Entfaltung hat sie durch die Germanen erfahren und wie es be- rechtigt ist, die Bewässerungskultur als orientalische Kulturform zu bezeichnen, so ist es berechtigt, die Einzelsiedelung im Waldgebiete als germanischen Kultur kreis zu bezeichnen, denn die Germanen haben sie zur höchsten menschlichen Kulturform entwickelt. Während die Bewässerungskultur im wesent- lichen stabil ist, waren in den Waldsiedelungen Bedingungen zum Fortschritt gegeben. Ein großer Schritt vorwärts erfolgte durch die Boden- düngung, die eine der großartigsten Fortschritte der Menschheit überhaupt ist. Die Trockenböden bedürfen der Düngung nicht, oder doch nur in beschränktem Umfange; die Feuchtböden müssen gedüngt werden, um dauernd ertragreich zu bleiben. Durch Düngung wird die zur Erhaltung der Familie notwendige Fläche verkleinert; der Ackerbau wird ortsstet; die Ernten werden nicht nur reichlicher, son- dern auch sicherer; auf gleichem Räume kann eine größereAnzahl Menschen dauernd leben. Durch Dün- gung macht sich der Mensch bis zu einem gewissen N. F. XVII. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 709 Grade frei vom ursprünglichen Boden; sie führt den Boden in günstigeren Zustand über als ihn die Natur gegeben hat. Wie sehr diese einfache Wahrheit in das Bewußtsein der Menschen ein- gedrungen war und welchen Wert man auf die Erhaltung des Bodenzustandes legte, kann man aus den Pachtverträgen ersehen, die vielfach den Betrieb regelten, die Düngung sicherten und selbst den Verkauf von Stroh untersagten. Das Be- streben nach Ersatz der ausgeführten Stoffe be- herrschte längst den Ackerbau; ehe die Ersatzlehre durch Lieb ig ihre klassische Ausgestaltung erfuhr, war sie bewußt und unbewußt die Grundlage der Bodenkultur geworden. Die fortschreitende For- schung eröffnete neue Wege zur Ausnutzung der Feuchtböden; mit der richtigen Erkenntnis der Bedeutung der Mineralstoffe für die Pfianzen- ernährung war die Möglichkeit gegeben den Ernte- ertrag zu steigern. Die Einführung der Ergebnisse wissenschaftlicher P'orschung in den Betrieb der Landwirtschaft hat den Ertrag an Nährstoffen in Deutschland seit hundert Jahren mindestens ver- doppelt, wenn nicht vervielfacht. Trotzdem stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung, sie stellt noch gewallige Steigerungen der Bodenproduktion in Aussicht. Innerhalb gewisser Grenzen nähert die menschliche Arbeit die Eigenschaften der Feuchtböden denen der Trockenböden an, schafft den Pflanzen günstigere VVuchsbedingungen und macht sie selbst weniger empfindlich gegen Wechselfälle des Klimas. Ohne unsere hohe land- wirtschaftliehe Kultur hätten wir den Weltkrieg nicht bestehen können. Diese Tatsache gibt Ge- legenheit auf eine Wahrheit hinzuweisen, die nicht oft genug und nicht stark genug betont werden kann. Grundlegend für unseren Kulturfortschritt ist die freie wissenschaftliche, also nicht unmittel- bar menschlichen Zwecken dienende Forschung, besonders Naturerforschung. Die ersten Arbeiten über Pflanzenernährung waren rein wissenschaft- licher Natur, es hat Jahrzehnte bedurft, ehe sie von der Praxis ausgenutzt wurden. Das letzte halbe Jahrhundert hatte Ausnahme- verhältnisse; große Strecken fruchtbaren Bodens wurden in außereuropäischen Ländern dem Brot- fruchtbau neu erschlossen. Die Transportmög- lichkeiten wurden erhöht. Dies führte zur Über- schätzung des Handels gegenüber der Bodenpro- duktion. Erst der Weltkrieg hat volles Verständnis dafür gebracht, daß ein Volk nur dann zuversicht- lich der Zukunft entgegensehen kann, wenn es im Stande ist, seine Lebensnotwendigkeiten selbst zu decken; man hatte die geschichtliche Wahrheit vergessen, daß einem Lande dauernd nur soviel Menschen verbleiben, als es zu ernähren vermag. Alle früheren großen Völkerbewegungen lassen sich im Grunde darauf zurückführen, daß die Ursprungsländer der Völker- wellen ihren Bewohnern nicht genügend Nährstoffe boten, auch die großen Bewegungen der „Völker- wanderung" können darauf zurückgeführt werden. Die Abhängigkeit der Bevölkerung gilt nicht nur für Ländergebiete, sondern auch für einzelne Länderteile. Die Ströme der Auswanderer, welche in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts von Deutschland ausgingen, entstammten vor- wiegendTeilen des Reiches(Hochlagen der deutschen Mittelgebirge, Schlesien, Erzgebirge, Thüringer Wald usw. oder den armen Böden Norddeutsch- lands) mit charakteristischen Auswaschböden, den nordischen Grau erden, die sich in gleicher Weise in den skandinavischen Auswanderungs- ländern wiederfinden. 3. Hirtenvölker. Der dritte Kulturkreis um- faßt die Hirtenvölker. Ihre Wohnsitze sind die Böden der Halbwüsten und der Wechselklimate. Der Mensch fand in den Steppen und Savannen reiche Tierbeute, ging aber bald dazu über, an Stelle der unsichere Beute liefernden Jagd, geeig- nete Tierformen in seine Abhängigkeit zu bringen, und soweit zu zähmen, daß sie und ihre Produkte jederzeit erlangbar waren. Die Steppenbewohner wurden zu Hirtenvölkern. Die Lebensverhältnisse der Hirtenvölker unterscheiden sich durch Zurück- treten der Pflanzennahrung, zumal des Getreides von den Völkern mit dauernden Siedelungen. Der Boden der Steppen ist selbst ein Produkt des herrschenden Klimas. Klima wie Boden be- günstigen die Entwicklung einer reichen, pflanzen- fressenden Tierwelt; indem ihr der Mensch vor- wiegend seine Lebensbedürfnisse entnahm, wurden seine Beziehungen zum Boden viel weniger eng als bei den Bewohnern fester Siedelungen. Der Hirte nutzt den Boden durch Vermittelung der Tierwelt. Er ist nicht Dauersiedler, sondern folgt seinen Heerden dorthin, wo sie Wasser und F"utter finden. Die Unstetigkeit der Lebensweise beeinflußt die Kulturent- wicklung in einseitiger Weise. Die fahrende Habe muß leicht beweglich bleiben, ihre Menge kann nicht anwachsen ohne als Last emp- funden zu werden. Die Selbständigkeit des Ein- zelnen oder doch des Stammes ist groß, der staatliche Verband locker. Die Anforderungen an die selbsttätige Arbeit sind gering. Dagegen schärft fortgesetzte Aufmerksamkeit auf die Herden und gegen drohende Gefahren die Naturbeobach- tung. Die Phantasie wird angeregt. Innerhalb der Grenzen, welche die unstete Lebensweise den Hirtenvölkern zieht, kann die geistige Entwicklung hoch sein; für allgemeine Kultur fehlt aber das Gebundensein an die Scholle und der Segen, der aus der fortgesetzten Arbeit von den Voreltern auf die Nachkommen übergeht. Die Lebensbe- dingungen sind unveränderlich und bleiben unver- änderlich, so lange der Zustand des reinen oder fast reinen Hirtenlebens andauert. Wächst die Menschenzahl, so können, wenn die Menge der Niederschläge zur Getreidekultur ausreicht, die Hirtenvölker zu Dauersiedlern werden; so sehen wir heute die Steppen Osteuropas zumeist fest besiedelt und in den Prärien Nordamerikas und den südlichen Steppen Südamerikas dringt der Acker- bau dauernd vor. 7IO Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 50 Bewässerungssiedler, Waldsiedler und Hirtenvölker sind drei gro^e Kreise der mensch- lichen Entwicklung; jede grundverschieden in ihren Lebensbedingungen und eng gebunden an die herrschende Bodenformation. 4. Es ist wahrscheinlich, aber noch nicht in den Einzelheiten erkennbar, daß es noch eine vierte Gruppe der Kulturentwicklung gibt, die man als chinesischen Kulturkreis bezeich- nen kann; die Siedelung auf Lößboden. Der Löß nimmt durch weite Verbreitung, durch gleichmäßige kerngroße und porösen Bau eine eigenartige Stellung unter den Böden ein. Echter Löß ist arm an tonigen Teilen, frei von Steinen. Die Berührungsstellen der Körner des Bodens bilden Kapillarräume einer Größe, welche der Wasserleitung im Boden günstige Bedingungen schafft. Wasser dringt nicht nur leicht in den Löß ein, sondern beim Austrocknen der oberen Bodenschichten leicht und ausgiebig aus der Tiefe nach oben gehoben, da die Hubhöhe der Kapillaren beträchtlich, die Geschwindigkeit der Wasserbe- wegung hoch ist und der poröse Bau lange Leit- bahnen bietet. Stellte man die Aufgabe, einen Boden mit ausgiebigster Wasserbewegung künst- lich herzustellen, so würde man nach Kerngröße und Bau zum Löß gelangen. Die Wasserversor- gung der Pflanzen ist im Löß im höheren Maße gewährleistet als auf anderen Bodenformen. Die frühzeitige und hohe Kultur Chinas steht wahr- scheinlich in enger Beziehung zum Löß; in wel- chem Grade ihre Dauerhaftigkeit von der Staub- zufuhr aus den inneren Wüsten Asiens abhängt, läßt sich noch nicht entscheiden. Die hochent- wickelte Bodendüngung Chinas zeigt aber, daß die Lößböden hungerbedürftig sind. Unsere Darlegungen gelten den engen Be- ziehungen die zwischen Boden und der Entwick- lung der Menschheit bestehen ; wie es hier in großen Zügen gezeigt wurde, wiederholt sich der Einfluß des Bodens auf seine Bewohner auch im kleinen und selbst im kleinsten Kreise. Wer mit offenem Sinn und aufmerksamen Augen Deutsch- land durchwandert, kann überall darüber Studien machen. Bekämpfung der Mühleiischädlinge mittels Blausiinre. Von Dr. Hans Walter Frickhinger-München. [Nachdruck verboten.] Mit I Abbildung im Te.\t. Vor einem Jahre \) etwa setzten auch in Deutsch- land Bestrebungen ein, welche darauf abzielten, die Erfahrungen der amerikanischen Praxis sich zunutze zu machen und die zahlreichen Mühlen- schädlinge, vor allem deren gefährlichsten, die M e h 1 m o 1 1 e [Efhcstia KucliiiicUa Zcllcr) mittels Blausäure zu bekämpfen. Die Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt in Frankfurt a. M., die durch ihre Beteiligung an den nord- amerikanischen Räucherungen über die An- wendungsmöglichkeit des Blausäureverfahrens sehr gut unterrichtet war, trat, nachdem Prof. Dr. R. H eymon s- Berlin durch ausgedehnte Vor- versuche in Anlehnung an die amerikanischen Erfahrungen die günstigen Ergebnisse der Ameri- kaner nochmals mit vollem Erfolg nachgeprüft hatte, zwecks Einführung des Verfahrens in der Praxis mit Professor Dr. K. E s c h e r i c h - München in Verbindung und bat diesen, ihren Plänen seine Unterstützung leihen zu wollen. Herr Professor E s c h e r i c h hat mir, als seinem Assistenten, diese Aufgabe übertragen und es ist mir gelungen, noch in den ersten Monaten des Jahres 19 17 eine Mühle ausfindig zu machen, deren Besitzer sich bereit erklärte, sie uns zum Zwecke eines ersten Vergasungsversuches zur Verfügung zu stellen. Ich habe an dieser Stelle im ver- gangenen Jahrgang schon kurz berichtet (S. 519/20), von welch durchschlagendem Erfolge sich der erste Versuch mit dem Blausäureverfahren, die Durchgasung der Kunstmühle des Herrn Adam Schulz in Heidings feld (Bayr. Regierungs- bezirk Unterfranken) erwiesen hat. Das Leben in der Mühle schien, nachdem die Mühlengebäude etwa 14 Stunden lang unter Gas gesetzt waren, wie erloschen: zu Hunderten lagen die toten Larven und Falter der Mehlmotte und zahlreiche andere Insektenschädlinge umher, auch einige Mäuse waren der Einwirkung der giftigen Gase erlegen. Auch darüber habe ich kurz berichtet, daß der leichten Beschaffenheit des Blausäuregases wegen an die zu durchgasenden Gebäude gewisse Bedingungen zu stellen sind. Die Blausäure ist ungeheuer flüchtig, infolgedessen müssen die Räume, die mit Blausäure behandelt werden sollen, möglichst dicht und massiv gebaut sein. Dadurch wird verhindert, daß die Dosierung der Blausäure, die nach den angestellten Versuchen bei einer Einwirkungsdauer von etwa 1 2 Stunden und einer Dosierung von i,03Vol. "/o 'j alle Lebensstadien der Mehlmotte abtötet, durch übermäßigen Gas- verlust erniedrigt und dadurch die guten Ergeb- ') Der Aufsatz wurde an Ostern aber verschiedener, in den Kriegsve Umstände wegen erst heute erscheinen 1918 geschrieben, kann hältnissen begründeter ') Die Dosierung von I Vol.-»/„ Cyanwasserstoff besagt, daß in je loo cdm Luftraum immer I cdm Cyanwasserstoff enthalten ist. Um eine solche Gaskonzentration zu erreichen, sind für je loo cdm Raum etwa 2,3 g NaCN, 3 — 5 ccm HjSOi (je nach der Stärke der verwandten Säure) und 7 ccm HjO zu verwenden. N. F. XVII. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 711 nisse in Frage gestellt werden. Zeigen sich deshalb an den zu durchgasenden Gebäuden irgendwelche Undichtigkeiten, wie sie häufig am Dache oder an den Türen und Fenstern anzutreffen sind, so müssen die Lücken und Risse genauestens ab- gedichtet werden: das geschieht bei durchlässigen Stellen am Dache oder Lücken in der Wand am besten dadurch, daß man sie mit alten Rupfen oder Säcker verstopft, bei Durchlässigkeiten an Fenstern und Türrahmen dadurch, daß man diese mit Zeitungspapier oder alten Tapeten überklebt. Auch die hohe Gift igkeit der Blausäure macht gewisse Vorsichtsmaßregeln notwendig: sind die Wohnung des Müllers oder Stallungen in das zu durchgasende Mühlengebäude eingebaut, so sind diese, um jede hährlichkeit von vornherein aus- zuschließen, vor dem Beginn der Durchgasung von den Inwohnern bzw. den darin befindlichen Tieren zu verlassen. Weiterhin darf die Durchgasung selbst nur von völlig mit dem Verfahren vertrauten Leuten vorgenommen werden, die Blausäure- methode in der Hand Ungeübter könnte das größte Unheil anrichten. Sind diese Vorsichtsmaßregeln und Abdichtungs- maßnahmen gründlich vorgenommen worden, so kann die Durchgasung begonnen werden. Die Blausäure (Cyanwasserstoff HCN) wird durch Einwirkung von Säuren auf Cyanalkalien gebildet. In der Praxis wird zumeist als Säure die Schwefelsäure (H.^SOJ und von Cyanalkalien das Cyannatrium (NaCN) verwandt. Die Er- zeugung der Blausäure erfolgt dabei nach der Formel NaCN + H.3SO, = HCN + NaHSO^. Die zu verwendende Schwefelsäure wird dabei mit Wasser verdünnt. In den meisten Fällen wird sog. Abfallschwefelsäure von 60" Beaume zur Verfügung stehen, dann werden auf i Teil Schwefelsäure 2 Teile Wasser gerechnet; ist nur Schwefelsäure von 55" Beaume vorhanden, dann muß die Verdünnung dermaßen vorgenommen werden, daß auf 4 Teile Schwefelsäure 7 Teile Wasser treffen. In der Praxis kann die Gaserzeugung auf zweierlei Weise geschehen: bei der Heidingsfelder Durchgasung erfolgte sie in einem eigens zu diesem Zwecke nach amerikanischem Muster kon- struierten Apparate, dem Cyanofumer oder, wie ich vorschlug, ihn mit einem guten deutschen Worte zu benennen, dem , Vergaser" oder „Gas- erzeuger" (Abb. i). Dieser Vergaser stellt einen fahrbaren, allseits verschlossenen Behälter dar, der im wesentlichen aus zwei übereinander befindlichen und durch ein abstellbares Ventil miteinander in Zusammenhang stehenden Kesseln, mit je einem eigenen Eingußrohr, besteht. Im oberen Kessel befindet sich das in Wasser gelöste Cyannatrium, im unteren die mit Wasser verdünnte Schwefel- säure. Wird das Ventil geöffnet, so fließt die Cyannatriumlösung in den unteren Kessel ein und ruft dort in Verbindung mit der Schwefelsäure die Entwicklung des Blausäuregases hervor. Diese Methode der Gaserzeugung hat einen großen Vorteil: bei ihrer Anwendung ist es möglich, die Blausäuregaserzeugung außerhalb des zu durchgasenden Gebäudes vorzunehmen. In dem Heidingsfelder Falle wurde der Vergaser vor dem Mühlenhaupteingange aufgestellt und das Gas wurde durch eine Schlauchleitung in das Mühlen- innere eingeleitet. Aus mancherlei Gründen empfahl es sich nicht, diese Art der Gasentwicklung auch bei den spä- teren Durchgasungen beizubehalten. Einmal ist es in der Kriegszeit mit ziemlich großen Schwierig- keiten verknüpft, den Transport des Gaserzeugers von einem Durchgasungsort zum anderen 'recht- zeitig zu bewirken. Auch die Schwierigkeit der Beschaffung eines vollkommen undurchlässigen Gummischlauches durfte nicht unterschätzt werden. achte den Haiion (links-, in dem die Schwefelsäure, die Holz- kiste mit Blechausschlag (in der Mitte), in der das Cyan- natrium verschickt wurde. In der Kufe (rechts) ging die Auf- lösung des Cyannatriums in warmem Wasser vor sicli. (Nach einer Originalaufnahme des Verfassers). (Aus Zeitschr. für angewandte Entomologie.) Und gerade auf diesen Punkt ist besonderes Ge- wicht zu legen; denn die Undurchlässigkeit der Schlauchleitung könnte möglicherweise eine Ge- fährdung des Durchgasungspersonals mit sich bringen. Deshalb wählte man in der Folge eine andere, bedeutend einfachere Methode, die sog. „Bottich- methode", deren Handhabung ich bei der Durch- gasung der Seh uchbaur 'sehen Kunstmühle in Schwabmünchen (Bayr. Regierungsbezirk Schwaben und Neu bürg) kennen lernte. Die Gasentwicklung geschieht hier in einfachen Holzbottichen, wie sie wohl in jedem Ort beschafft werden können. Außer „Holzbottichen" ist es auch möglich, Emaillegefäße von ge- 712 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 50 nügend großem Fassungsvermögen (80 — lOO 1) zu verwenden, dagegen sind eiserne oder verzinkte Gefäße der Einwirkung der Schwefelsäure wegen, ungeeignet. Die Beschaffenheit der Holzbottiche oder Emaillegefäße ist gleicligültig, nur eine Be- dingung müssen sie erfüllen, sie müssen voll- kommen dicht sein. Würde die in ihnen zu entwickelnde Lösung aus ihnen austreten können, so könnte das möglicherweise für das Durch- gasungspersonal eine Gefährdung bedeuten. Mittels dieser Bottiche geschieht die Gasentwick- lung innerhalb des zu durchgasenden Gebäudes: die Bottiche werden je nach Gut- dünken des Durchgasungsleiters in den einzelnen Stockwerken der Mühle verteilt. Sie können also an vollkommen beliebigen Orten aufgestellt werden, wie sie sich für die Gasentwicklung in dem be- treffenden Gebäude gerade besonders eignen. In jeder dieser Tonnen wird Blausäure entwickelt. Der Vorgang dabei ist folgender: in die Bütten wird zuerst die verdünnte Schwefel>äure, in Mengen, die vorher genau berechnet sind, eingegossen. Die für die Blausäureerzeugung nötige Cyanmenge steht, in Papierdüten abgewogen, daneben und wird im Moment des Beginns der Durchgasung von dem eingeschulten Durchgasungspersonal vor- sichtig in die Bottiche hineingegeben. Bei dieser Methode ist nur eine Vorsichtsmaßregel genau zu beachten, die wiederum ihren Grund in der leichten Beschaffenheit des Cyanwasserstoffgases hat: die Blausäure wird bei ihrer Bildung, da sie viel leichter als die Luft ist, die Tendenz zeigen, nach oben zu entweichen, infolgedessen muß die Gasentwicklung bei dieser Methode der Erzeugung immer im obersten Stockwerk begonnen werden. Dann ist es ausgeschlossen, daß das ausführende Personal irgendwie sich einer Gefahr aussetzt. ') Sind alle Bottiche mit Cyan beschickt, so ver- lassen die Bedienungsmannschaften durch den letzten noch offenen Ausgang den Mühlenbau, die Mühle wird von dem Leiter der Durchgasung fest verschlossen, und die Einwirkung der giftigen Gase auf die Schädlinge kann beginnen. Die Durchgasungszeit wird zumeist so gelegt, daß die Mühle während einer Nacht unter Gas gesetzt bleibt. Am nächsten Morgen nach einer etwa i O — 1 2 stündigen Einwirkungszeit nimmt der Durchgasungsleiter die Durchlüftung des Ge- bäudes vor. Zu diesem Zwecke sind meistens schon vor der Gasentwicklung gewisse Hilfsmaßnahmen vor- genommen worden, es ist z. B. dafür gesorgt worden, daß einzelne Fenster, womöglich unter ') Mit dieser „Bottichmethode" hat man neuerdings, wie den VeroffenUichungen Sto klasas und Wah Is zu entnehmen lüst reich einen Durchs tigsver^uch men; es wurde dort die Mühle des Herrenhausmitgliedes Herrn Dr. L. Radimsky in Kolin mit durchschlagendem Erfolge miUels Cyanwasserstoff von der Mehlmoltenplage be- freit. Die Durchgasung wurde von den ,,K a 1 i w e r k e n A.-G." in Kolin ausgeführt. Erreichung eines tüchtigen Durchzuges von außen geöffnet werden können, daß event. auch der Ventilator von außen in Bewegung gesetzt werden kann. Ist dies geschehen, so gehen die be- dienenden Mannschaften, zum Selbstschutz mit Sauerstoffapparaten (Selbstrettern) versehen, in die Gebäude und öffnen in den einzelnen Stockwerken die Fenster, um dadurch den Gasen einen un- gehinderten, möglichst schnellen Abzug zu er- möglichen. Die Dauer der Durchlüftung ist ganz verschieden, in den meisten Fällen, wenn die at- mosphärischen Verhältnisse günstig liegen, wird es in I — 2 Stunden möglich sein, die Mühle wieder vollständig gasfrei zu bekommen. Starke Sonnenbestrahlung verzögert den Abzug der Gase beträchtlich, es dauert dann häufig 4 und 5 Stunden, bis von den Gasen in der Mühle nichts mehr zu verspüren ist. Erst wenn der Durchgasungsleiter die Mühle als gasfrei erklärt und sie für den öffentlichen Verkehr wieder frei gibt, dann erst darf die Mühle wieder von jedermann betreten werden. Die Reinigung einer Mühle von der Mottenplage erfordert also im ganzen den Zeitraum von kaum 24 Stunden. Es empfiehlt sich an die Durchgasung direkt an- schließend eine gründliche mechanische Reinigung der Mühle vorzunehmen, da die Moltengespinste und Verunreinigungen in den, der Mehlbeförde- rung dienenden, technischen Einrichtungen des Mühlenbetriebes nach Abtötung der Larven viel leichter zu entfernen sind, als wenn die Schäd- linge noch in ihnen hausen. Bei den Rückständen in den Bottichen handelt es sich namentlich um Natriumdisulfat (NaHSOJ oder, wenn die Reaktion bei höherer Temperatur geschieht, um Glaubersalz {Natrium- sulfat (Na.iSOj). Daneben bleibt auch die über- schüssige Schwefelsäure zurück; die blaue Färbung der Lösung, wie sie dem Laien vornehmlich auf- fällt, wird durch den Gehalt der unreinen Abfall- säure an Eisen verursacht (Berlinerblau- bildung). Diese Rückstände müssen, da sie immer noch mehr oder weniger giftig sind, sehr vorsichtig aus der Mühle entfernt werden. Den Inhalt der Bottiche in Gewässer, die mit Fischen besetzt sind, zu entleeren, ist nicht ratsam, weil dadurch der Fischbestand geschädigt werden könnte. Die Rückstände aus den Tonnen werden deshalb zumeist in vorher angelegte Gruben ge- schüttet und mit Erde überdeckt. Die Ausnützung eines neuen Verfah- rens der Schädlingsbekämpfung, dessen durchschlagende Erfolge die wissen- schaftliche Nachprüfung ergab, in rationeller und weitausblickender Weise ist nicht minder wichtig als die vorangegangene gründliche wis- senschaftliche Erprobung. Leider aber hatte bisher die Wissenschaft , wenn ihr einmal die Erkundung einer ausschlaggebenden Be- N. F. XVn. Nr. 50 ■ Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 713 kämpfungsmöglichkeit glückte, damit ihre Aufgabe für beendet angesehen, statt sich darüber klar zu sein, daß nunmehr erst die Hauptaufgabe ihrer harrte, mit ihrer wissenschaftlichen Autorität ein- zutreten für die Ausnützung des neuen Verfahrens in der Praxis. Bei der An- wendung der Blausäure im Kampf gegen die ver- schiedensten Schädlinge ergab sich, nachdem die glänzende Wirkung des Verfahrens feststand, um so mehr die Notwendigkeit, daß eine zentrale Stelle für die Einführung in der Praxis eintrat, weil in diesem Falle ja mancherlei Be- denken, die man wegen der Gefährlichkeit der Blausäure gegen ihre allgemeine Anwendung ins Feld führte, zu überwinden waren. Um nun der Blausäuremethode in unserem Vaterlande die Wege zu ebnen, wurde im Februar 191 7 in Berlin als gemeinnütziges Unternehmen der dem Kgl. preuß. Kriegsministerium angegliederte „Technische Ausschuß für Schädlings- bekämpfung" („Tasch") gegründet. In weit- ausschauender und großzügiger Organisation ver- folgte der „Technische Ausschuß" das Ziel, die Einführung der Blausäuremethode in Deutschland in möglichst kurzer Zeit und in einer einwand- freien Ausführung, die jede Gefährdung des Dnrchgasungspersonals von vornherein aus- schaltet, zu bewirken. Die Arbeit, die der Tasch bisher geleistet hat, ist eine sehr große; wurden doch bis zum Ende des Jahres 1917 schon fast 4OOOCO cbm Mühlenräume gegen die Mehlmotte, 140000 cbm von Militär belegte Räumlichkeiten gegen Läuse, 23000 cbm Räume gegen Wanzen mit Cyanwasserstoff behandelt, außerdem kamen drei Kriegsschiffe mit über 4000 cbm gegen Wanzen zur Durchgasung. Im ganzen wurde also bis Ende Dezember 19 17 stark über '/o Million cbm Raum von den verschiedenartigsten Schädlingen befreit. ') Den Kampf gegen alle diese Schädlinge nicht nur wirksam, sondern vor allen Dingen ration eil zu gestalten, war die Hauptaufgabe, vor die sich der Tasch gestellt sah. Da die Ausführung einer Durchgasung mit Blausäure nur von völlig, mit dem Verfahren vertrauten Leuten gänzlich gefahr- los ausgeführt werden kann, und es bei dem Leutemangel im Kriege nicht möglich war, von vornherein ein so zahlreiches Personal auszubilden, um es an verschiedenen Orten des Reiches statio- nieren zu können, so mußten die verschiedenen Durchgasungen anfänglich immer wieder von den- selben Leuien ausgeführt werden. Dadurch wurde es dann oft nötig, daß die ausführenden Techniker von einer Durchgasung zur anderen große Strecken mit der Eisenbahn zurücklegen mußten und so wurde ') Neuerdings wurde auch der Versuch unternommen, wie aus den Veröffentlichungen Stellwaag's und Teich mann's zu ersehen ist, die Blausäure im Kampf gegen Pflanzenschäd- linge (Traubenwickler) und menschliche Parasiten (Stech- mücken) zu gebrauchen. Gegen die Stechmückenplage hat sich die Blausäuremethode als praktisch nicht sehr aussichts- reich erwiesen, dagegen hat sich die Anwendung von wässe- rigen Blausäurelösungen gegen die Traubenwickler sehr g*t bewährt. das Verfahren nicht unwesentlich verteuert. Um diesen Mangel zu beheben, trat der Tasch an die Militärverwaltung mit der Bitte heran, im Interesse der Erhaltung gewaltiger Mengen von Lebensmitteln eine bestimmte Anzahl von Mannschaften unter bestimmten Bedingungen bereit zu stellen, damit sie, mit dem Cyanwasserstoffverfahren vertraut ge- macht, im Dienste der gemeinnützigen Sache ver- wendet werden können. Das Kgl. preuß. Kriegs- ministerium, dem ja selbst an der möglichst be- schleunigten Einbürgerung des Verfahrens liegen mußte, weil die verschiedenen Schädlingsplagen in Kasernen, Lazarettzügen, Entlausungsanstalten, Gefangenenlagern, Baracken am erfolgreichsten mit Blausäure zu bekämpfen waren, hat diesem Er- suchen bereitwilligst stattgegeben und in Breloh bei Munster-Lager (Provinz Hannover) eine sog. „Kompagnie für Schädlingsbe- kämpfung" ins Leben gerufen. Im Gaskampf erprobte Pioniere werden in ihr in der Anwendung des Blausäureverfahrens ausgebildet und mit ihrer Hilfe ist es dem Tasch möglich geworden, eine umfassende Bekämpfung der verschiedensten Schädlinge zu organisieren, wie sie für die rasche Einführung des Verfahrens sich als nötig erwies. Es ist geplant, einstweilen die Bekämpfung der Mühlen Schädlinge, späterhin dann wohl auch die Bekämpfung verschiedener schädlicher Speicher- und Hausinsekten ') mit Hilfe der Schädlingskompagnie bezirksweise durchzu- führen. In einzelnen preußischen und bayerischen Regierungsbezirken sind die Vorarbeiten für eine derartige bezirksweise Durchgasung schon in vollem Gange: in der Provinz Hannover hat bereits der erste zusammenhängende Durchgasungszyklus stattgefunden und in anderen preußischen Provinzen, ebenso wie im bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken sollen noch in diesem Frühjahr Durchgasungszyklen vorgenommen werden. Die Tätigkeit des Tasch ist demnach schon an seinen Werken zu erkennen. So steht denn zu hoffen, daß dank der groß- zügigen Organisation, mit der sich der Technische Ausschuß der Einführung des Cyanwasserstoff- verfahrens in Deutschland gewidmet hat, die Bekämpfung der Mühlen Schädlinge mittels Cyanwasserstoff den ersten großen organisatorisch begründeten Erfolg der angewandten Entomologie in Deutschland wird bilden können.-) •) Hier kommt vor allen Dingen die Bekämpfung der Wanzen in Betracht (vgl. die VeröffentlichungHas e 's). Auch zahlreiche Magazininsekten, zumeist Kleinschmetterlinge, wie die Wachsmotte, deren Bekämpfung Teich mann und Zander neuerdings beschreiben, kämen hier in Frage. ^) In der Zeit, die bis zur Drucklegung meiner Ausfüh- rungen verstreichen mußte, sind in der Organisation des Tasch einige .Änderungen eingetreten, auf die hier nicht näher ein- gegangen sei. Jedenfalls kommt ihm das Verdienst zu, der Einführung des Blausäureverfahrens in Deutschland endgültig die Wege geebnet zu haben, so daß man heute von der Tat- sache der Einbürgerung des Cyanwasserstoffverfahrens in Deutschland sprechen kann. In Bayern ist die Organisation der Bekämpfung der Mühlenschädlinge unterdessen selb- 714 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 50 Literaturverzeichnis. (Deutsche Veröffentlichungen über das Blausäureverfahren.) 1. Oberstabsarzt Prof. Dr. Oskar Bail, Die Anwendung von Blausäuredämpfen zur Ungeziefervernichtung. In: Die Umschau XXI. Jahrg. 1917 Nr. 45 S. 808 — 812. 2. Prof. Dr. E. Brefllau, Die Winterbekämpfung der Stechmücken. In: Zeitschr. für angewandte Entomologie Bd. IV 1917, H. 2 S 327—331. 3 Prof. Dr. K. Esc her ich, Die angewandte Entomo- logie in den Vereinigten Staaten. Eine Einführung in die biologische Bekämpfungsmethode. Zugleich mit Vorschlägen zu einer Reform der Entomologie in Deutschland. Mit 61 Text- abbildungen. Verlag von Paul Parey in Berlin. 1913. 4. Derselbe, Blausäure als Entlausungsmittel. In Zeit- schrift für angewandte Entomologie III. Bd. 1916. S. 426 — 28. 5. Derselbe, Blausäure im Dienste der Schädlings- bekämpfung. In: Die Umschau XXI. Jahrg. 1917 Nr. 5. 6. Dr. H. \V. Frickhinger, Blausäure im Kamp' gegen die Mehlmotte (Ephestia Kuehniella Zeller). In: Zeitschr. für angewandte Entomologie, IV. Bd. 191 7 H. I S. 129— 140. 7. Derselbe, Blausäure im Kampf gegen die Mehlmotte. In: Naturw. Wochenschr. N. F. XVI. Bd. 1917 Nr. 37 S. 519/20, 8. Derselbe, Blausäure im Dienste der Mehlschädlmgs- bekämpfung. 11. Aufsalz. Bericht über eine vereinfachte Methode der Mühlenräucherung. In: Zeitschr. für angewandte Ento- mologie Bd. IV 1917 H. 2 S. 310—324. 9 Derselbe, Organisation der Bekämpfung der Mühlen- schädlinge. In: Der Süddeutsche Müller. 7. Jahrg. 1918 Nr. 2 S. lo/ii. 10. Derselbe, Organisation der Bekämpfuns der Mühlen- schädlinge. In: Süd- u. Mitteldeutsche Müllerzeitung. 31. Jahrg. 191S Nr. 4 S. 27/28. 11. Derselbe, Organisation der Bekämpfung der Mühlen- schädlinge in Bayern. In: Bayerische Staatszeitung 6. Jahrg. Nr. 57 vom 8. März 1918. 12. Derselbe, Die Mehlmotte. Schilderung ihrer Lebensweise und Bekämpfung mit besonderer Berücksichtigung der Cyanwasserstoffdurchgasung. 64 S. München 1918. Ver- lag Natur und Kultur. Dr. Franz Jos. Völler. 13. Dr. L. Gaßner, Blausäure als Wohltäter der Mensch- heit In: Blätter für Volksgesundheitspflege XVIII. Jahrg. 1918. 7./S. H. S. 8V86. 14. Prof. Dr. Älbrecht Hase (Jena), Über die Be- kämpfung der Bettwanze (Cimex lecMarius L.) mit Cyan- wasserstoff (Blausäure). In: Zeitschr. f. angew. Entomologie Bd. IV Jahrg. 191 7 H. 2 S. 297—309- 15. Prof. Dr. Richard Heymons, Blausäuredämpfe als Bekämpfungsmittel gegen die Mehlmotte. In: Zeitschr. f. das gesamte Getreidewesen 191 7 Nr. 4 und Der Müller, Zeitschr. f. die gesamte Mühlenindustrie 39. Jahrg. 1917 Nr. 21. ständig vom bayerischen Kriegsministerium übernommen worden. Die bayerische Organisation . kennzeichnet sich besonders dadurch , daß in sie auch die Verwaltungs- behörden (Bezirksämter, bzw. Stadtmagistrate und Kreisregie- rungen) einbegriffen sind, durch die die Durchgasungsanträge der Privatbesitzer den stellv. Generalkommandos übermittelt werden. Diesen stehen Gaskommandos zur Verfügung, die die Durchgasungen ausführen. Durch die politischen Um- wälzungen der letzten Wochen ist natürlich auch diese Organisation einstweilen ins Stocken geraten, sie wird aber voraussichtlich in absehbarer Zeit eine weitere behördliche Regelung finden. 16. Oheringenieur G. H. R. Koerner, Die Mehlmotte, ihre Entwicklung und Bekämpfung. Budapest. Verlag „Prak- tische Mühlenfachliteratur" (Verlag von A. H. Ludwig Degener, Leipzig) 1910. 17. Prof. Dr. G. Lüstner, Bericht über Bekämpfungs- arbeiten gegen den Heu- und Sauerwurm, ausgeführt von den Königl. Weinbaudirektionen zu Wiesbaden und Trier, der Königl. Lehranstalt zu Geisenheim, den Provinzial-Weinbau- schulen zu Trier und Kreuznach und den VVeinbauinspektoren der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz ru Bacharach, Bernkastei, Linz und Saarburg. In : Mitteilungen über Wein- bau und Kellerwirtschaft 1918 Nr. 6. 18. Dr. Fritz Stellwaag, Leiter der Zoologischen Ab- teilung der k. b. Versuchsstation für Wein- und Ob>tbau in Neustadt a. H., Cyanwasserstoff (Blausäuregas) gegen den Traubenwickler. In: Der Weinbau der Rheinpfalz. Jahrg, 1917 Nr. 8. 19. Derselbe, Cyanwasserstoff gegen den Trauben- wickler, lu : Zeitschr. f. angew. Entomologie Bd. IV. Jahrg. 1917 H. 2 S. 278-286. 20. Derselbe und Dr. Schätzlein, Versuche über die Verwendung von Blausäuregas zur Bekämpfung der tierischen Korkschädlinge. In: Der Weinbau der Rheinpfalz. 6. Jahrg. 1918 Nr. I S. 5— 10. 21. Derselbe, Gase als Bekämpfungsraittel gegen den Heu- und Sauerwurm. In ; Mitteilungen über Weinbau und Kellerwirtschaft 1918 Nr. 8. 22. K. K. Hofrat Prof. Dr. Julius Sloklasa, Direktor der Chemisch physiologischen Versuchsstation an der k. k. böhmischen technischen Hochschule in Prag, Zur Bekämpfung der Mehl- und Getreideschädlinge. In: Mitteilungen der Deut- schen Landwirtschafts Gesellschalt 1918 Stück 5 S. 62 — 64. 23. P.ivatdozent Dr. Ernst Teich m ann - Frankfurt a. M., Ein neues Entlausungsverfahren. In: Die Umschau X.Xl. Jahrg. 1917 Nr. 18 S. 353-55- 24. Derselbe, Cyanwa^-sersloff als Mittel zur Entlausung. (Aus dem Biologischen Laboratorium des Städtischen Hygieni- schen Instituts der Kgl. Universität Frankfuit). In: Zeitschr. f. Hygiene und Infektionskrankheiten 85. Bd. 1917 S. 449 — 466. 25. Derselbe, Ein neues Mittel zur Bekämpfung der Stechmücken. In: Münchener Medizinische Wochenschrift Jahrg. 1917 Nr. 32 S. 1041. 26. Derselbe, Blausäureverfahren und Winterbekämpfung der Stechmücken. In: Zeitschr. für angewandte Entomologie Bd. 5 1918, H. I S. 118—125. 27. Derselbe, Bekämpfung der Stechmücken durch Blausäure. I. Die Anwendung des Verfahrens auf Imagines. In: Zeitschr. für Hygiene und Infektionskrankheiten Bd. l.XXXV. 28. Derselbe, Bekämpfung der Stechmücken durch Blausäure. II. Die Anwendung des Verfahrens auf die Brut der Stechmücken. In: Zeitschr. für Hygiene und Infektions- krankheiten Bd. LYXVI. 29. Derselbe, Die Bekämpfung der Fliegenplage. In: Zeitschr. für angewandte Entomologie Bd. 4 H. 3 S. 347—365. 30. Derselbe, Die Bekämpfung der Wachsmotte (Cn/- Icria mdonella) durch Blausäure. In : /eitschr. f. angewandte Entomologie Bd. IV Jahrg. 1917 H. 2 S. 287—89. 31. Dr. Bruno Wahl, Über Blausäure-Desinfektion von Mühlen. (Mitteilung der k. k. landwirtschaftlich-bakteriolo- gischen und Ptlanzenschutzstation in Wien II, Trunnerstr. l). In: Archiv f. Chemie und Mikroskopie 1917 H. 6 S. 1—26. 32. Prof. Dr. Enoch Zander, Die Bekämpfung der Wachsmotten mit Blausäure (Cyanwasserstoff). In: Zeitschr. für angewandte Entomologie Bd. 5, H. I S. 127/128. Zoologie. Bei der Untersuchung einer Schnitt- serie des Auges einer etwa 9 mm langen Sala- manderlarve fanden sich im Innern der Augen- anlage, der Netzhaut anlieeende, lin.^enförmige Gebilde, die offenbar ihre hiitstehung Retinazellen verdankten. Ihr Protoplasma enthält, wie auch das jener, zahlreiche Pigmentkörnchen („Über ein Einzelberichte. natürlich entstandenes Lentoid" von Alexander J o k 1 , Archiv für Entwicklungsmechanik der Orga- nismen, 44. Bd., 3./4. H. 191 8). Verf. glaubt, daß die Lentoidengebilde aus Retinazellen entstanden sind, was auch nicht weiter zu verwundern ist, da normalerweise ja beide, Linse und Netzhaut, aus dem äußeren Keimblatt, dem Lktoderm, ent- N. F. XVn. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 715 stehen. Man wußte ja schon von den Versuchen Fisch el 's, daß Linsenbildungen auch von den Bildungszentren der Netzhaut ausgehen können; der vorliegende Fall ist deshalb interessant, weil hier offenbar nicht durch einen äußeren Eingriff, das Experiment, sondern durch einen Reiz, welcher das lebende Tier getroffen hatte, die .abnorme Bildung veranlaßt wurde. Der Fall zeigt wiederum, daß die unerwartetsten, weil in Hinblick -auf ihren Zweck ganz abnorm gelagerten Gebilde, überall da anzutreffen sind, wo der Mutterboden, d. h. das Keimblatt, woraus sie normalerweise entstehen, vorkommt; die Lehre von den Mißbildungen gibt ja dafür zahlreiche merkwürdigste Beispiele. Kathariner. Die gegenwärtigen Zeitläufte bringen es mit sich, daß sich der heimischen Erzeugung von Nahrung die öffentliche Aufmerksamkeit in steigendem Maße zuwendet. Es findet dies u. a. seinen Ausdruck in einer Untersuchung: Die wirtschaftliche Bedeutung der Fischzucht von Prof. Marianne Plehn München („Natur und Kultur", Jahrg. 15, S. 488). In einer Tabelle sind die Erträge der verschie- denen Gewässerarten zum Vergleich zusammen- gestellt. Erträge der Fischerei per i ha: Friedenspreis Bodensee 8 kg 10 Mk. Bayer. Seen (ohne Bodensee) 15 „ 20 „ Norddeutsche Seen 25 „ 25 „ magerer Karpfenteich 30 „ 4Ö „ guter Karpfenteich 150 „ 200 „ Dorfteich 700 „ lOOO „ Abwasserteich 700 „ lOOO „ Ein guter Teich kann also hundertmal soviel bringen wie die gleiche Fläche des Bodensees. Was nun die Gewinnung von Fischfleisch in geschlossenen Gewässern anbelangt, so sind für die Teichwirtschaft zwei P'ormen zu unterscheiden, der Forellenteich und der Karpfenteich. Ersterer dient zur Heranzucht feinerer Speise- fische, welche tierischer Nahrung bedürfen, wie die Forellen und die Raubfische. Eine Forelle braucht um ein Pfund zuzunehmen, 7 Pfund Fleisch, der Zander 15 Pfund, der Hecht 30 Pfund. Das Futter muß den Raubfischen größtenteils in Form von Schlachthausabfällen zugeführt werden, wäh- rend sie es nur zum geringen Teil in Form frei- lebender Tiere selbst erbeuten. Demgegenüber ist die Bewirtschaftung eines mit Friedfischen be- setzten, sog. Karpfenteichs einfacher, da die Fische nur die Zuführung pflanzlicher Nahrung erfordern. Der Karpfen kann nach 4 — 5 Monaten 100 g wiegen. Um ein kg. Karpfenfleisch zu erzeugen braucht man im Durchschnitt 4 — 5 kg Mais, oder 3 — 4 kg Lupinen, oder 1,5—2 kg Fleisch- oder Fischmehl. i ha See gibt 92 kg Fischfleisch; I ha Rieselfeld verarbeitet die Abwässer von 250 Personen; ein Teich von I ha kann das Zehn- fache aufnehmen und umsetzen. Unter dem Gesichtspunkte einer steigenden Wertschätzung der Binnenfischereiließ das schweize- rische Departement des Innern (Inspektion für Forstwesen, Jagd und F"ischerei) eine eingehende Untersuchung anstellen über die Beeinflussung der schweizerischen Binnenfischerei durch die Abwässer aus landwirtschaft- lichen und technischen Betrieben („Die Wirkung organischer Verunreinigungen auf die Fauna schweizerischer fließender Gewässer" von P. Steinmann und G. Surbeck, Bern 1918). Untersucht wurden stehende und fließende Ge- wässer: Limmat, Rhein bei Basel und Äugst, Aare und Reuß, Zuflüsse und Abfluß des Rotsees bei Luzern, Badener Stadtbach, Glaney bei Romont (Kanton Freiburg) und verschiedene Dorfbäche. „Zunächst war es erforderlich, durch dasSammeln von Material nachzuweisen, welche Organismen oder Organismengruppen durch die fäulnisfähigen Substanzen beeinflußt, d. h. in ihrer Entwicklung entweder gehemmt oder gefördert werden. Will man die Wirkung eines Abwassers auf die Fauna eines Gewässers feststellen, so gilt es zunächst, Aufschluß über die Qualität und Quantität der Schmutzstoffe zu erhalten, die dem Flußlauf zu- geführt werden. Wenn wir trotzdem chemische Untersuchungen nur in ganz beschränktem Maße durchführten, so ließen wir uns durch folgende Erwägungen leiten. Die in P'rage kommenden Abwässer gerade aus den stärkeren Verunreinigungsquellen schwanken zu den verschiedenen Zeiten nach Menge und Zu- sammensetzung derart, daß selbst durch wieder- holte chemische Analysen kein sicherer Aufschluß über ihre Gesamtwirkung erhältlich ist. Ferner sind für die Wirkung der Abwässer außer der chemischen Zusammensetzung Begleitumstände wie Temperatur, Strömung, Größe des Flusses usw. in so erheblichem Maße bestimmend, daß ein Schluß von der chemischen Natur der Abwässer auf Art und Grad ihrer Wirkung nicht als zu- lässig erscheint. Immerhin haben wir uns jeweilen über die Art der eingeleiteten Schmutzstoffe ge- nerell informiert und überdies dem wichtigsten chemischen Faktor, dem Gehalt an Sauerstoff, durch besondere Untersuchungen Rechnung ge- tragen. Zur Bestimmung des Sauerstoffgehaltes be- dienten wir uns der L. W. W 1 nkl er 'sehen Me- thode. Sie beruht bekanntlich auf der Eigen- schaft des Manganoxyduls, vorhandenen Sauerstoff aufzunehmen und in Oxyd überzugehen. Letzteres, in Salzsäure gelöst, verwandelt sich unter Frei- werden von Chlor wieder in Oxydulsalz. Das freigewordene Chlor kann an der Menge des von ihm aus Kaliumjodid freigemachten Jodes leicht gemessen werden." Man kann zwei Typen von Abwässern auf- stellen : aerobe und anaerobe. Erstere, meist fließende Gewässer, enthalten Atmungsluft, was 716 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVn. Nr. 50 die Existenz höherer Organismen möglich macht. Diese aber tragen durch Umsetzung auch größerer organischer Reste wesentlich zur Selbstreinigung der Gewässer bei, die außerdem durch Hochwasser und eine durch die erhöhte Aufnahme von Luft- sauerstoff gesteigerte Oxydation begünstigt wird. Durch aktive und passive Wanderung höherer und niederer Lebewesen wird gleichfalls ein er- heblicher Teil organischer Stoffe aus dem Ab- wasser entfernt. So beträgt die Menge organischer Substanz, welche aus dem Wasser entfernt wird, für die Fische pro i Flußkilometer ca. 2 q pro. I Jahr, und für die verwandelten Insekten mehrere Tonnen. Die Stoffwechselprodukte der höheren Tiere aber werden bald unschädlich gemacht, in- dem die Kohlensäure und die Produkte des Stick- stoffwechsels rasch wieder verschwinden. In den anaeroben Abwässern bleibt die Auflösung und Umsetzung organischer Körper lediglich den Bak- terien überlassen. Eine ganz besonders verderbliche Rolle im Ab- wasser spielt das Ammoniak, welches für Edel- fische (Forellenarten) schon in einer Verdünnung von I : 500000 tötlich ist. In Fischgewässer ge- langt es in Form von Stalljauche und kann ein ausgedehntes Fischsterben veranlassen, wenn es nach Überschwemmungen, Dammbrüchen usw. in größerer Menge in das Fischgewässer gelangt. „Auch für wirbellose Tiere (Gammarus pulex, Baetis rhodani-Larve, Ephemerella ignita-Larve) erwies sich Ammoniak als sehr giftig. Hierbei ergib sich eine wesentliche Verschiedenheit der Empfindlichkeit zwischen der Baetis- und der Ephemerella-Larve. In der gleichen Verdünnung (100 mg NHg pro Liter) starben erstere nach 6, letztere erst nach 35 Minuten. Die in der Praxis nicht selten vorkommenden akuten Fischsterben (namentlich in kleineren Salmonidenbächen) infolge fahrlässiger oder ab- sichtlicher Einleitung von Jauche wurden bisher meistens als eine Folgeerscheinung eintretenden Sauerstoffmangels gedeutet. Versuche liefern aber den Beweis dafür, daß es sich bei derartigen Fischsterben um raschwirkende eigentliche Gift- stoffe, in erster Linie zweifellos um Ammoniak und Schwefelwasserstoff, handelt; ihre verderb- liche Wirkung auf die P'ische eilt dem mehr all- mählich eintretenden Sauerstoffschwund weit voraus. Dabei kommen in kleineren P'orellen- bächen, in die der Inhalt eines Jauchefasses oder gar einer geborstenen Jauchegrube sich ergießt, wohl meistens viel stärkere Konzentrationen in Frage, als wir sie zu unseren Versuchen verwen- deten. Bach- und Regenbogenforellen erwiesen sich als annähernd gleich empfindlich, wobei letzterer Art eher eine geringere Widerstandskraft zuzu- schreiben wäre. Gobio fluviatilis erwies sich als sehr widerstandsfähig. Etwa die Mitte zwischen dieser Spezies und den Salmoniden hielt nach dieser Richtung hin Squalius leuciscus ein. Eine geradezu erstaunliche Widerstandsfähigkeit trat bei der Dottersackbrut von Bachforellen zutage; bei einer Verdünnung von i : 10 gingen die Brut- fischchen nach etwa 2 '/j Stunden, bei der Mischung von I : 20 erst nach rund 5 Stunden ein. Die Versuche lassen erkennen, daß die akute Giftwirkung einer Mischung von Jauche und Leitungswasser, sei es durch Verflüchtigung be- stimmter Gase, durch Oxydation oder andere chemische Vorgänge, bei längerem Stehen eine Einbuße erleidet. Werden die Fische aus der Jauchemischung noch rechtzeitig in frisches fließendes Wasser zurückversetzt, so erholen sie sich in der Regel bald. Die hierzu erforderliche Zeit ist um so kürzer, je weniger lang die Versuchsfische der Giftwirkung ausgesetzt blieben, auch wenn letztere sehr stark war. Die dunkle Verfärbung und das fleckige Aussehen der Versuchsfische erhält sich auch im Reinwasser noch tagelang. Gekochte Stalljauche erweist sich als ungiftig. Die Giftstoffe verflüchtigen sich bei einer Koch- dauer von 30 — 45 Minuten vollständig. Das Destillat von Stalljauche, in gekühltem Wasser aufgefangen, erweist sich als äußerst giftig. Seine Wirkung beruht in erster Linie auf dem Gehalt an Ammoniak, in zweiter Linie auf der Anwesenheit von Schwefelwasserstoff. Als Schädlichkeitsgrenze des Ammoniaks konnten wir im Gegensatz zu Weigelt eine Konzentration von 2 mg NHg im Liter Wasser feststellen. In dieser Verdünnung (i : 500000) tötete Ammoniak den Versuchsfisch (Alburnus bipunctatus) binnen 82 Minuten. Phoxinus laevis erwies sich als widerstandsfähiger gegen Ammoniak- wirkuiig als Alburnus bipunctatus." An freilebenden Tieren wurden in den Ab- wässern gefunden: Verschiedene Amöbenarten, Ciliaten, Suctorien, Spongilla lacustris, Hydra vul- garis, Hydra species, Strudelwürmer (Dendrocoelum iacteum, Planaria alpina, lugubris, gonocephala usw.), verschiedene Fadenwürmer, Oligochaeten Borsten- würmer (iNais, Stylaria lacustris, Tubifex), Blutegel (Haemopis, Helobdella stagnalis, Herpobdella), Rädertierchen, Gastrotricha, Moostierchen, Muschel- krebse, Kopffüßler, Blattfüßler, Flohkrebse, Asseln, Bärtierchen, Wassermilben, Wasserwanzen, Netz- flüglerlarven, Köcherfliegen, Libellen, Eintagsfliegen, Perliden, Zweiflügler (Eristalis, Atherix, Cerato- pogon, Simulium), Käferlarven (Helmis latreilli, Helmis spec. etc.), Muscheln (Pisidium, Sphaerium solidum, Sphaerium spec), Schnecken (Lymnaea, Planorbis, Succinea, Bythinia, Ancylus) und Fische (Alburnus lucidus, Barbus fluviatilis, Nase, Elritze, Döbel, Weißfisch, Schmerle und Cottus gobio L.). Das günstige Endergebnis lautet: „Unsere Untersuchungsgewässer sind mit Ein- schluß der verhältnismäßig am stärksten verun- reinigten Limmat zurzeit noch immer in einem solchen Zustand, daß sie als produktive Fischge- wässer gelten dürfen. Erscheinungen, wie sie in deutschen Tieflandströmen und wohl auch in französischen und englischen Flüssen an der Tages- N. F. XVn. Nr. so Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 717 Ordnung sind, anaerobe Fäulnis, Sauerstoffkalami- täten, Sclilammbankbildung usw., sind in unserem Untersuchungsgebiet nur in ganz vereinzelten Fällen und nur vorübergehend autgetreten. Ge- rade aus diesem Grunde darf es als eine wichtige und dankbare Aufgabe unserer Behörden betrach- tet werden, den Gewässern ihre volkswirtschaft- liche Bedeutung nach Möglichkeit zu erhalten. Angesichts der von Jahr zu Jahr zunehmenden Beanspruchung der Flüsse für die Zwecke der In- dustrie und Technik und im Hinblick auf ihre Verwendung als Vorfluter für die Schwemm- kanalisationen von Städten mit stets noch wach- sender Bevölkerungszahl darf die Gefahr drohen- der Überlastung unserer Gewässer weder verkannt noch unterschätzt werden. Umsomehr sollten alle Hilfsmittel, die uns Wissenschaft und Technik heute zur Verfügung stellen, herangezogen werden, um die unsern Flüssen zugeleiteten Abfalistoffe (die ja zum guten Teil noch nutzbringend ver- wertet werden könnten) künftig in einer möglichst unschädlichen Weise zu beseitigen." Einen ungeahnten Aufschwung ihrer Wert- schätzung hat in der Gegenwart auch die Bienen- zucht erfahren. Derselbe findet seinen deutlichen Ausdruck darin, daß die Preise der Produkte der Honigbiene, sich fortwährend in aufsteigender Bahn bewegend, mehr und mehr anziehen. Be- greiflicherweise hat dies manchen veranlaßt, sich der Imkerei zuzuwenden; wie lange die Neulinge der Sache treu bleiben, dürfte sich in den nächsten Jahren zeigen. Die Gelegenheit, Feuerproben zu bestehen, wird leider nicht auf sich warten lassen. Muß doch der kleine und mittlere Imker in Gegenden ohne Spättracht infolge der häufigen Volksverluste bei der Überwinterung sowie bei den häufigen Mißernten, geschäftlich gesprochen, fast stets mit Unterbilanz arbeiten. Schon heute kostet ein Kilo Bienenhonig in Deutschland (Juni 1918) 6 Mk., und in der Schweiz hat er den bisher unerhörten Preis von 5,80 Fr. im Großverkauf und 6,50 Fr. im Kleinverkauf er- reicht. Während der Honig wohl in fast allen Punkten durch Zucker ersetzt werden kann, sind wir bezüglich des Wachses mehr oder minder vollständig auf die Biene, und bei ungenügendem oder ganz fehlenden Import des Wachses vom Ausland auf die einheimische Bienenzucht ange- wiesen. Vielleicht noch größer als der direkte ist der indirekte Nutzen, welchen uns die Bienen- zucht bringt, da die Honigbiene, die Bestäubung der Blüten vermittelnd, wesentlich die Obsternte beeinflußt. Recht deutlich erwies sich dies bei einem Versuch, wo die Blüten taub blieben, wenn durch Gazesäckchen der Insektenbesuch fernge- halten wurde. Ist so einerseits ein Aufschwung der Bienen- zucht infolge des Anziehens der Preise für Honig und Wachs sicher, so hat dieselbe andererseits auch durch den Krieg viel Schäden erfahren, die sich zum Teil erst in der Folgezeit mehr und mehr fühlbar machen dürften. Zweifellos sind im Winter viele Völker eingegangen, weil eine zvv'eck- mäßige Einwinterung seitens des im Felde stehen- den Bienenvaters nicht möglich war. Schwer- wiegender, weil allgemeiner verbreitet, dürfte der Nachteil sein, welcher unserer Bienenzucht aus einer Verschlechterung der Rasse der deutschen Honigbiene erwachsen könnte. Die den Tracht- verhältnissen am besten angepaßte Biene wird vom Imker am vorteilhaftesten gezüchtet. Für die meisten deutschen Landstriche ist eine, „schwarm- faule" Rasse die beste, weil mit der Heuernte die Trachtperiode im wesentlichen abgeschlossen ist und später fallende Schwärme, wie bei der nord- deutschen Heidebiene, nicht einmal winterständig werden. Dieser Gesichtspunkt muß für die deutsche Imkerei maßgebend bleiben. Bisher fand er bei den züchterischen Bestrebungen gebüh- rende Beachtung. Daß er nicht leicht zu wahren ist, kann nur der Bienenzüchter beurteilen, der weiß, daß die Paarung der jungen Königin beim Hochzeitsflug weit ab vom Stock in der Luft mit einer Drohne stattfindet. Des Bienenzüchters Aufmerksamkeit muß also darauf gerichtet sein, daß auch das Bienenvolk, welchem die Drohne entstammt, der „Dröhnerich", die gewünschten Eigenschaften habe. Da nun die deutsche Biene sich durch ihre schwarze Farbe von den mehr oder minder hellen Mischlingen mit der italienischen und Cyprischen Honigbiene unterscheidet, wird gern eine rein schwarze Farbe als leicht sicht- bares Merkmal eines guten Bienenvolks ange- sprochen. Dieser Umstand darf aber nicht wie bei der Sportzüchterei auf Farben ausschlaggebend seien. („Verbessert die Biene" von Dr. Ludwig Armbrust er, Zeitschr. f angewandte Entomologie, Verlagsbuchhdlg. Paul Parey, Berlin). Es kommt vielmehr darauf an, ob das Volk möglichst leistungs- fähig ist, und dieser Gesichtspunkt muß auch für die Auswahl des nachzuzüchtenden Bienenvolks durch den Imker maßgebend sein. Es ist zu be- fürchten, daß die oben angeführte Preissteigerung der Bienenprodukte manchen Imker dazu verleitet, schwarmlustige Rassen, wie die Krainerbiene, zu bevorzugen, um durch den Verkauf der Schwärme rasch einen Gewinn zu erzielen. Kathariner. Zur Biologie und physikalischen Chemie eines Phyllopoden, Tanymastix lacunae Guerin, liefert Robert T. Müller mancherlei Beiträge. ^) An- sprechend erscheint mir die Art, wie der Verfasser die von ihm beobachteten Lebenserscheinungen zum Teil physikalisch oder physikalisch- chemisch zu verstehen sucht, und zwar offenbar mit vielem Glück und ohne dabei in eine zu maschinenmäßige Auffassung von ihnen zu verfallen. Noch aus einem anderen Grunde nehme ich an der Arbeit inneren Anteil. ') Robert T. Müller, Zur Biologie von Tanymastix lacunae Guerin. Biologisches Zentralblatt Band 38, Heft 6, 1918, Seite 257— 26S. Naturwissenschaftliche Wochenschrift, N. F. XVn. Nr. 50 Die Eier des branchipusähnlichen Tierchens bedürfen nach ihrer Ablage zu ihrer Entwickelung zunächst eines einmonatlichen oder längeren Liegens im Wasser, dann aber müssen sie durchaus eine Trockenperiode von mindestens 4 Tagen durch- machen. Erneute Wässerung führt alsdann erst zum Ausschlüpfen des NaupHus. Dieser Aus- trocknungszwang — der bekanntlich auch den Eiern von Apus einst nachgesagt wurde, die jedoch der Eintrocknung oder des Einfrierens nicht unbedingt bedürfen — betrachtet Müller wohl mit Recht als höchste Anpassung an die Periodi- zität des Mediums. Das Untersuchungsmaterial entstammte dem Eichener See, einem periodisch wiederkehrenden Bergtümpel bei Schopfheim im Wiesental in der Schweiz. Wie andere Branchipodiden schwimmt auch Tanymastix meist mit abwärts gewandtem Rücken. Wennschon nun diese Arten „unter künstlichen Bedingungen die Tendenz zeigen, dem Lichte die Bauchseite zuzukehren und auf das Licht zuzu- schwimmen", kann der Lichtreiz für die Lage des Tieres nicht verantwortlich gemacht werden, ein- mal weil diese Phototaxis im Freileben oder in geeigneten Aquarien bei Tanymastix vollkommen fehlt, sodann weil weitere Untersuchungen ergaben, daß die Rückenlage der Tiere das Produkt stati- scher und dynamischer Faktoren ist: es wurde zunächst so genau wie möglich das spezifische Gewicht der Tiere festgestellt, und dieses ergab sich als etwa 1,037, ^a getötete oder betäubte Tiere in Zuckerlösung von diesem Gewicht schweben. Ihr Schwerpunkt, nach Balanzierversuchen beim Männchen im sechsten oder zwischen dem sechsten und siebenten fußtragenden Segment, beim Weib- chen zwischen dem achten und zehnten gelegen, fällt nicht mit dem des verdrängten Wassers zusammen, denn in jener Zucker- lösung zum Schweben gebracht, nehmen alle Tiere Rückenlage ein. Die Vorwärtsbewegung in Rückenlage würde infolge der Körperform gleitend bergauf führen, aber diesen Auftrieb gleicht das Sinken infolge des Gewichts aus, und so kommt die horizontale Fortbewegung zustande. Über Tropismen berichtet Müller folgen- des: Nur scheinbar betätigen frischgeschlüpfte Nauplien im Dunkeln positiven Geotropismus. Ihr Sinken auf den Grund verdunkelter Gefäße folgt vielmehr aus der verlangsamenden Wirkung der Dunkelheit auf die Bewegung der Ruder- antennen frischgeschlüpfter Tiere, infolgedessen diese im Dunkeln trotz fortwährenden Aufwärts- strebens nicht imstande sind, sich zu erheben. Deutlich ist dagegen ein Thermotropismus: er versammelt die Tiere stets in Temperaturen von 9—16" C, und zwar auch dann deutlich, wenn das Temperaturgefälle im Aquarium außer- halb dieser Temperaturgrenzen auf 20 cm nur ^/^ Grad beträgt. Phototropismus oder Phototaxis, tritt auf zweierlei Art in die Erscheinung: 1. Frischgeschlüpfte Nauplien schwim- men der Richtung, woher das Licht einfällt, ent- gegen und sammeln sich daher am belichteten Ende des Behälters an. Dieser Phototropismus wird bereits durch das Licht des verschleierten Vollmonds ausgelöst, hält bis zum fünften Lebens- tage an und hat wohl die Bedeutung, im Frei- leben die Bewegungen nach dem freien Wasser hin zu dirigieren. Denn das Aus- schlüpfen erfolgt ja am Boden, auf den die Eier gesunken waren. Dieser Phototropismus ist so stark, daß man durch Beleuchtung von unten die Nauplien auf den Boden des Gefäßes bannen kann, wo sie zugrunde gehen. 2. Vom fünften Lebenstage an ist unter normalen Bedingungen, auch im Dunkel- raume bei Beleuchtung des Aquariums von einer Seite, von Phototropismus nichts mehr zubemerken, die Tiere sind gleichmäßig im Raum verteilt. Trifft man aber doch einmal alle Tiere an der Lichtseite versammelt, so findet man mit Sicherheit am folgenden Tage eine große An- zahl tot. So starben auch im See die PhylL.poden sämtlich ab, nachdem sie sich an der Südseite versammelt hatten, als 1914 der See sich stark erwärmte und Fäulnis einsetzte. Künstlich konnte bei erwachsenen Tieren Phototropismus hervorgerufen werden durch mechanische Reizung, wie Stoß an die Aquarien oder Umrühren des Wassers, durch schroffen Wechsel der Intensität und Richtung der Belichtung, durch Erhöhung derTemperatur über 16", endlich durch Sauerstoff- mangel, Kohlensäure, Säure, Alkali und Fäulnis- stoffe. Sind die störenden Reize nur schwach, so kehren die Tiere dem Lichte — auch dann wenn es von unten kommt — immer die Bauch- seite zu, ohne sich ihm zunächst zu nähern. Sind die Reize stärker, so schwimmen sie, im engeren Sinne „phototaktisch", ') in der Richtung des Licht- einfalls. Hierdurch wird der Krebs „bewahrt vor dem Untergang im warmen Uferwasser und in den sauerstoffarmen Schichten am Grunde des Tümpels und hinausgeführt in sein eigentliches Element, das freie Wasser." Die Analyse der phototaktischen Erscheinungen bei Tanymastix hat somit den Verfasser zu sehr ähnlichen, ja zum Teil zu genau denselben Fest- stellungen und Deutungen geführt, wie mich bei allerlei Metazoen und ganz besonders bei Krebsen meine zuletzt in den Zoologischen Jahrbüchern, Abteilung für Allgemeine Zoologie, im Jahre 191 2 mitgeteilten Phototaxisuntersuchungen. Dort konnte ich bei Nauplien und anderen am Wasser- ') Nicht wenige Zoologen und Tierphysiologen sprechen nur von Tropismen, andere nur von Taxien, viele behandeln beide Worte wie gleichbedeutend. Am besten wird es sein, unter Tropismen die durch eine Reizquelle orientierten Drehungen und Schwenkungen zu verstehen, was somit hauptsächlich bei festsitzenden Organismen vorkommt, unter Taxien die durch die Reizquelle dirigierten Ortsbewe- gungen freibeweglicher Organismen. Dies ist die in der botanischen Physiologie übliche Unterscbeidungsweise. Ref. N. F. XVn. Nr. 50 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 719 gründe schlüpfenden Larven gleichfalls starke posi- tive Phototaxis feststellen, die ich als ein Mittel, um die Tiere ins freie Wasser zu führen, deutete, und die mit zunehmendem Alter der Tiere nach- läßt bis zum gänzlichen Aufhören unter normalen Bedingungen und dann nur noch durch Mitwirkung störender Reize — ich wandte mechanische und chemische Reize an — auszulösen ist. Ich wies darauf hin, daß die scheinbar dauernde Phototaxis der meisten Planktontiere nur das Resultat dauern- der störender Reize, wozu auch Einengung auf kleinen Raum gehört, ist. Weitere Angaben Müller 's behandeln die Abhängigkeit der Ruderbewegungen von äußeren Bedingungen, Temperatur und Licht erhöhen die Frequenz dieser Bewegungen, Zähigkeit des Mediums vermindert sie. An sich ist die Frequenz bei jüngeren Tieren größer als bei älteren, ebenso die Wirkung des Lichts auf die Frequenz: diese Wirkung erreicht mit dem Eintritt der Geschlechtsreife den Wert Null. Sie ist aber erst bei Temperaturen von 8 " an bemerk- bar, und je höher die Temperatur, um so größer ist diese Wirkung des Lichts, und um so höher ist auch die „kritische Intensität" des Lichtes, das heißt diejenige, welche zur jeweils maximalen Frequenzsteigerung nötig ist. Der van t'Hoff- sehe Temperaturkoefifzient QiQ :=l^ |''~ ', in wel- chem Vj und Vj die Geschwindigkeiten eines Vorgangs bei zwei um 10" verschiedenen Tempe- raluren T2 und Tj bedeuten, und der, wie das schon Höber undspäter vielfach Kanit z zeigten, für viele physiologische Vorgänge denselben Wert hat wie für chemische Vorgänge, nämlich den Wert 2 — 3, hat bei der Frequenz der Ruderbewegungen von Tanymastix für keinen größeren Teil der von O — 24" ermittelten Temperaturkurve diesen Wert, vor allem nicht innerhalb der Behaglichkeitsgrenzen von 9 — 16", wo er überall 1,23 ist; unterhalb dieser Grenzen bewegt er sich zwische i und 3,7, oberhalb ihrer unregelmäßig zwischen 2,5 und 1,1. Bei hoher Temperatur vermögen schließlich die Bewegungsorgane den immer rascher folgenden Impulsen nicht mehr zu folgen, Tetanus und Wärmestarre treten ein. Aus der Fortpflanzung sei hier erwähnt: die Eier treten wie bei Branchipus nur nach der Kopulation aus den Eileitern in das Eisäckchen, in welchem sie befruchtet werden. Nach 48 Stunden werden sie abgelegt, meist als linsenförmige Kör- perchen. Zu dieser Gestalt werden sie im Ei- säckchen zusammengedrückt wohl infolge osmo- tischen Druckes des Schalendrüsensekrets. Kleine Eier, wie sie unter Nahrungsmangel entstehen, erfahren die Abplattung nicht. Es müssen nun die schon erwähnte Wässerungs-, Austrocknungs- zeit und die nochmalige Wässerung folgen, nach letzterer tritt der Nauplius, umgeben von der eiförmigen Embryonalhülle, aus einem äquatorialen Riß hervor. Der osmotische Druck, der schon die Eischale gesprengt hat und sich auf 22 bis 31 Atmosphären beläuft, vergrößert und sprengt schließlich auch die Embryonalhülle, der Nauplius wird frei. Auf der Wasseroberfläche schwimmende Eier gehen zugrunde, und zwar offenbar infolge einer tötenden Wirkung des Sauerstoffs der Luft, denn in einer Atmosphäre von Kohlen- säure, Stickstoff oder Wasserstoff behalten sie ihre Entwicklungsfähigkeit. Vollständige Ab- wesenheit von SauerstoiT hindert die Entwickelung ebenfalls, aber die Eier gehen dadurch nicht zu- grunde. Sie entwickeln sich ferner nicht in destil- liertem oder vollkommen reinem Leitungswasser, sondern nur bei Zugabe erdiger Stoffe oder in Aquarien- oder Teich wasser. In Salzwasser (NaCl) von mehr als 0,2 "/„ entwickeln sie sich nicht, bei mehr als i "/q Salzgehalt sterben sie rasch ab. Nur in äußerst seltenen Fällen lassen sich die Eier unter Umgehung der Austrocknung durch Behandlung mit Salzwasser oder durch Einfricren- lassen zur Entwicklung bringen, wie die von Bran- chipus. Das Einfiierenlassen und die Behandlung mit Salzwasser mögen wohl durch Wasserent- ziehung eine Ruheperiode hervorrufen, dürften aber nicht dazu beitragen, die Eischale für die Sprengung vorzubereiten. V. Franz. Anregungen und Antworten. Der neulich hier (Nr. 37, S. 535) vou Heymons er- wähnte große, südeuropäische Skoloptnder, Scolopendra cin- gulata, ist als ein etwa 9 cm langes Tier Kriegsleilnehmern in Mazedonien öfters aufgefallen. Von der Giftwirkung des Skolopenders, die seinem Bill dank den Giftdrüsen — je eine in den durchbohrten Handklauen der zwei mächtigen vier- gliedrigen Kieferfüße — ebenso wie unserem kleineren, sehr häufigen braunen Steinkriecher, Lithobius forficatus, eigen ist, teilt R. Jürgens folgendes mit: Regenwürmer und Nackt- schnecken waren nach dem Biß völlig leblos, Frösche nach 5 — 10 Minuten, eine große Eidechse nach 7 Stunden. Ein bulgarischer Soldat erlitt nach dem Biß und nach Ausbrennen der Wunde Schwellung des Beins, hatte.Fieber und konnte erst nach 14 Tagen aus dem Lazarett als gesund entlassen werden. Ebenso, wenn auch leichter, verlief ein zweiter Fall. Beide mögen aber wohl besonders bösartig i erlaufen sein; die Wir- kung wird ebenso wie die von Schlangenbissen oft übertrieben. Die Bißstelle beim Menschen hatte sich bläulich verfärbt. Duich Biß getötete Frösche zeigten grauviolette, metallische Verfärbung. Nach dem Biß läßt das Tier die Beute los, und nach vielem Tasten m;t Ober- und Unterlippentaster beginnt das Auffressen, auch schon am noch lobenden Tier. Bei Fröschen bleibt fast nur das Gerippe übrig. — Scolopendra cingulata ist ein Nachttier. V. F. Einiges über den Triel und seine Stimme. Der Triel, Oedicneraus oedicnemus (L.), ein an Rumpf etwas über rebhuhn- großer aber langhalsiger und hochbeiniger Regenpfeifervogel, 720 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn Nr. Sö der mit Rebhuhn und Lerche die bräunlich gesprenkelte Farbe des Gefieders teilt, eine Anpassung an den Aulenthall auf trocke- nen Wiesen und dürren Brachen, unverkennbar durch seinen eigentümlich viereckigen Kopf mit großem gelbem Glotzauge und durch auffallende knotige Verdickungen an den Gelenken der hohen Stander, fehlt in Deutschland nirgends auf größere Strecken hin, gilt aber mit Recht als Seltenheit. Meist schreitet er steifbeinig durchs hohe Gras, nur des Abends fliegt er. Nicht ganz unzutreffend hat unlängst Friedrich v. Gagern, der den Triel in den Uskoken im Karst viel beobachtete, ihn einen Eulenkiebitz genannt. An Eulen erinuert das große gelbe Auge, das Flugbild kommt namentlich dem Wuchtein der Sumpfohreule gleich. An Eulen erinnert auch die größere Lebendigkeit des Triels bei Nacht und seine dann erschallende, vom Unerfahrenen leicht mit Käuzchenschreien verwechselte Stimme. Durch scheues Wesen und die Gewohnheit, bei Gefahr mit eingeknickten Ständern und vorgestrecktem Halse sich platt auf die Erde zu legen, entzieht sich der Triel hoch- gradig der Beobachtung; außerdem hat, wie fast unsere ganze Vogelwelt, ganz besonders der auf Ödländer angewiesene Triel in Deutschlands ausgiebig bearbeiteter Kultursteppe starke Be- einträchtigung seiner Daseinsbedingungen erfahren. Dies ist vom Standpunkt der Naturerhaltung um so mehr zu bedauern, als er eine eigenartige Erscheinung darstellt und das nächt- liche Schreien vieler Triele, sowie ihr Herumfliegen im dumpfen Zwielicht zutreffend als etwas recht Stimmungsvolles beschrieben wird. Am ehesten pflegen Jäger den Triel zu kennen, die ihn jedoch meist fälschlich als Brachvogel bezeichnen. In manchen im jetzigen Kriege von uns besetzten Teilen Frankreichs ist mit vielen anderen Vögeln auch der Triel noch wesentlich häufiger als im allgemeinen in Deutschland.- So ist er in der Champagne und längs beiden Seiten des Aisnc- talcs geradezu Charaktervogel neben Elster, Rot- und Braun- kehlchen; dort habe ich einmal einen Triel bei Tage wie aus allernächster Nähe durchs Scherenfernrohr beobachtet, öfter abends die Triele fliegen gesehen und regelmäßig ihre meist nur abends und des Nachts, zu diesen Zeiten aber von Mitte April, wo der Zugvogel eintreffen mag, bis Mitte August, er- tönenden Stimmen vernommen. Naumann erwähnt die Stimmlaute des Triels alsKräiith, Dit, Dike und Dillit, letzteres oft schnell wiederholt; Ziemer erwähnt nach Naumann, die Laute Tüiiü, auch Dellui, Voigt Chräi oder Trie-il. Ich notierte: „ein lautes, helles Schreien, das gegen den Schluß hin in ein leiseres Krächzen oder aber in ein eigenartiges Rollen übergeht", zu schreiben etwa ,,Klih klih klih . . . krrrih kchchchchchih kli" — das ch mit der Kehle zu sprechen — oder „Klih klih klih . . . köllUliih" ". Außerdem ließ einmal in stiller Nacht ein wohl durch unsere in 200 Metern Entfer- nung von ihm vorbeirasselnden Fahrzeuge erschreckter Triel — keine andere Vogelart kann es gewesen sein — ein an hundertmal wiederholtes schnelles „Tirriri tirriri . . ." boren, das zeitweilig auch viersilbig wurde, bei meiner Annäherung aber in ein zweisilbiges langsames ,,Uwitt uwitt . . ." überzu- gehen schien, immer kleiner wurde — und schließlich ver- stummte. — Daß Vogelstimmen zumal in den Konsonanten aus der Nähe wesentlich anders klingen als aus der Ferne, hat man ja öfter. — Ich war, während ich diese Stimmäufle- rungen aufschrieb, noch der irrigen Meinung, sie rührten von der am gleichen Orte häufigen Zwergtrappe her, die jedoch nur wenige, gut bekannte und keineswegs so helle Töne von sich gibt. Darum waren die Beobachtungen unbeeinflußt von der Ansicht, zu der ich später kam, als ich den Vogel mit dem Auge als Triel erkannt hatte, daß er nämlich besonders mit dem „Tirriri" und einigermaßen auch mit den übrigen Slimmäußerungen seinen Namen ruft oder daß der Name Triel, für den sich eine andere Erklärung kaum finden dürfte. der Stimme des Vogels nachgebildet ist gleich wie die Namen Kuckuck, Uhu, Kolk-kabe, Krähe, Kiebitz, Pirol, Zippe, Star, Stieglitz, Girlitz, Fink im Sinne von Buchfink, Schwirl, Tütig für Rotschenkel, demnächst Rottgans, Turteltaube, Knäkente und Schnürrdrossel, vielleicht Krickente und Rebhuhn, schließ- lich Böllhenne oder Bolle für das Schwarze Wasserhuhn und Dommel oder Rohrdommel. V. Franz. Berichtigung. Der in Nr. 28 S. 403 erwähnte Prof. G ö 1 d i war nach einer verdankenswerten Mitteilung von Herrn Dr. Paravicini (Wädenswyl) in Para (nicht in Buenos-Ayres) tätig. Literatur. Voß, A.| Die neue Wetterlehre, Ergänzungen zum „Abc der gesamten Wetter- und Erdbeben-Vorhersage". Neue prak- tische Mondregeln und Vorhersage für 1919/20. Berlin '18. Voflianthus-Verlag. 1,60 M. Sachs, Prof. Dr. A., Die Grundlinien der Mineralogie für Mineralogen, Geologen, Chemiker und Physiker. Stuttgart '18. F. Enke. 2,80 M. Koch, E., Das Geheimnis der Welt entschleiert. Ein neues Schöpfungssystem. 3. Aufl. Glogau '17. E.Koch. 5 M. Jensen, Prof. Dr. P., Physiologische Anleitung zu einer zweckmäßigen Ernährung. Mit 9 Textfiguren. Berlin 'iS. J. Springer. 2,80 M. Molisch, Dr. H., Pflanzenphysiologie als Theorie der Gärtnerei. Für Botaniker, Gärtner, Landwirte, Forstleute und Pflanzenfreunde. 2. neubearbeitete Auflage. Mit 137 Text- abbildungen. Jena '18. G. Fischer. 13 M. Pauli, Prof. Dr. M. E. und Pauli, Privatdozent Dr. R., Physiologische Optik, dargestellt für Naturwissenschaftler. Mit 2 Tafeln und 70 Textabbild. Jena '18. G. Fischer. 5 M. Hauser, Dr. K., und Segall, Dr. A., Zoologie in Fragen, Antworten und Merkversen, unter besonderer Berück- sichtigung der Biologie und Entwicklungslehre zum Gebrauch für Studierende der Medizin, Tierheilkunde und Zoologie. Mit 170 Abbildungen. Berlin '18. Fischer's Medizinische Buchhandlung H. Kornfeld. 10 M. Verworn, M., Kausale und konditionale Weltanschau- ung. 2. Aufl. Jena '18. G. Fischer. 1,50 M. Ernst, Prof. Dr. A. , Bastardierung als Ursache der Apogamie im Pflanzenreich, Eine Hypothese zur experimen- tellen Vererbungs- und Abstammungslehre. Mit 172 Text- abbildungen und 2 Tafeln. Jena '18. G. Fischer. 36 M. Schallmayer, Dr. W., Vererbung und Auslese. Grund- riß der Gesellschattsbiologie und der Lehre vom Rassedienst. Für Rassehygieniker, Bevölkerungspolitiker, Ärzte, Anthro- pologen, Soziologen, Erzieher, Kriminalisten, Höhere Verwal- tungsbeamte und politisch interessierte Gebildete aller Stände. 3. durchwegs umgearbeitete und vermehrte Auilage. Jena '18. G. Fischer. 15 M. Foerster, Dr. H., Bäume in Berg und Mark sowie einigen angrenzenden Landesteilen im Arbeitsgebiet des Ber- gischen Komitees für Naturdenkmalspflege. Mit 15 Tafeln. Berlin '18. Gebr. Bornträger. Linck, Prof. Dr. G., Tabellen zur Gesteinskunde für Geologen, Mineralogen, Bergleute, Chemiker, Landwirte und Techniker. Mit 8 Tafeln. 4. verbesserte Aufl. Jena '18. G. Fischer. 4 M. Hedin, S v., Bagdad, Babylon, Ninive. Leipzig '18. F. A. Brockhaus. Neef, Fritz, Kausalität und Originalität. Tübingen '18. J. C. B. Mohr. 2 M. InhaSil E. Ramann, Der Einfluß des Bodens aut Siedelung und Staatenbildung und Kulturentwicklung. S. 705. Hrtns Walter Frickhiuger, Bekämpfung der Mühlenschädlinge mittels Blausäure, (i Abb.) S. 710. — Einzelberichte: Alexander Jokl, Der Netzhaut anliegende, linsenförmige Gebilde. S. 714. Marianne Plehn, Die wirtschaftliche Bedeutung der Fischzucht. S. 715. L. Armbruster, Bienenzucht. S. 717. Robert T. Müller, Zur Biologie und physikalischen Chemie eines Phyllopoden. S. 717. — Anregungen und Antworten: Giftwirkung des Skolopenders. ^- 7'9- Kiniges über den Triel und seine Stimme. S. 719. Berichtigung. S. 720. — Literatur: Liste. S. 720. Manuskripte und Zuschriften werden an Prof. Dr. H. Miehe, Berlin N Verlag von Gustav Fischer in Jena. Druck der G. Pätz'schen Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H,, 4, Invalidenstraße 42, Naumburg a. d. S, erbeten. Naturwissenschaftliche Wochenschrift. °XS. ° ."Bin". I Sonntag, den 22. Dezember 1918. Nummer 51. [Nachdruck verboten.! Insekten als Blattminierer. Mit 9 Abbildungen im Text. Von Cornel Schmitt, Lohr a. Main. Zu jeder Jahreszeit, besonders aber im Herbste, sieht man an den Blättern der verschiedensten Gewächse weißgrüne Streifen oder Flecken. Sie rühren von Insektenlarven her, die unter der Ober- haut das Blattinnere allmählich verzehren. Drei Insektengruppen sind besonders an dieser Arbeit beteiligt. Von den Käfern sei hier der schädliche Buchen- springrüßler (Orchestes) erwähnt, der sowohl Rot- buche, Eiche, Weiden, als auch Obstbäume und Beerensträucher angeht. Die Zweiflügler stellen dazu die Fliegengattungen Agromyza und Phytomyza. Vor allem sind es aber Kleinschmetterlinge der Gattungen Bucculatrix, Lithocolletis, Nepticula, Tischeria, Lyonetia und verschiedene andere, die es auf das blattgrünführende Innere des Laubes ab- gesehen haben. Die Blattminen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Zur ersten gehören solche, die sich als mehr oder minder lange, geschlängelte, sich fortgesetzt verbreiternde Gänge von der grünen Blattspreite hell abheben. Das sind die „Gangminen". Die zweite Gruppe bildet größere oder kleinere Flecken, von denen sich die Epidermis als fast durchsichtiges Häutchen bald auf der Ober-, bald auf der Blattunterseite abhebt. Das sind die „Blasenminen". Um Blattminen bildlich darzustellen, benutze ich den Kopierrahmen. Ich lege die Blätter mit der Oberseite auf das Glas; dahinter kommt das photographische Papier. — Im Nachstehenden sollen die bekanntesten Blattminen im Bilde mit textlichen Hinweisen vorgeführt werden. I. Lyonetia clerkella (Abb. i a). Unter unseren Kirschbäumen fanden wir Ende Juli die ersten gelben Blätter. Sie trugen alle seltsame Schnörkel, die meist vom Grunde des Blattstiels aus am Rande entlang zur Spitze liefen, dann umbogen, sich immer mehr verbreiteten und in einer 6 — 7 mm langen und 2 mm breiten Mine endeten. In der Mitte der Gangmine lief ein schwarzer Streif, aus Kotrückständen zusammen- gesetzt. Die Endmine war aber frei davon, so daß sie gegen das Licht gehalten, durchsichtig erschien. Oftmals zeigte sich, daß zwischen Blattrand und Gangmine die grüne Blattfarbe geblieben war. Offenbar hatte das Chlorophyll, infolge der Unter- brechung der Leitgänge, nicht in den Blattstiel zu- rückwandern können. Der Gänge waren es häufig mehrere auf einem Blatt. Sie kreuzten sich dann. Immer aber zeigten die Endminen auf den Blattgrund hin. Die Miniermottenraupe von Lyonetia clerkella hatte das Blattinnere vollständig verzehrt, so daß nur die Ober- und Unterhaut stehen geblieben. Die kleine Raupe hatte die Endmine auf der Unter- seite verlassen und war zur Verpuppung geschritten, die entweder am Stamm oder auf der Blattspreite vorgenommen worden. In letzterem Fall hatte Abb. la. Abb. Ib. Abb. la. Gangmine der Kirschblatt-Miniermotte. (Lyonetia clerkella). Abb. ib. Puppenwiegen von Lyonetia clerkella auf e Kirschblatt. die Raupe zwei quer über das Blatt laufende Fäden gezogen, die sich an beideii Enden in viele feine Fädchen auflösten (Abb. ib).'Mit diesen gespannten Stricken waren die Blattränder einander etwas ge- nähert worden. In der Tiefe des Blattes zeigte sich ein dünner Schleier und unter diesem Himmel- bett hing nun das 4 mm lange Püppchen in einer regelrechten Hängematte an zwei übereinander- laufenden weißen Seilen. Schon Mitte August war die Motte ausgekrochen. 2. Bucculatrix fangulella (Abb. 2 u. 3). Die Mottenraupe erzeugt im Hochsommer auf den Faulbaumblättern fast linsengroße schwarze Punkte, 722 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 51 die sich allmählich vergrößern: Das Räupchen frißt, zunächst sich im Kreise bewegend, dann be- ginnt es, die sich fortgesetzt verbreiternden, ge- schlätigelten, bis 12 mm langen IVIinen herzustellen. In ihrer Mitte wird streifenförmig der Kot abge- lagert. Anfang September fand ich heuer die ersten ausgeschlüpften Räupchen. Sie saßen stets auf der Unterseite zwischen zwei Hauptrippen meist mit dem Kopf gegen die IVIittelrippe gerichtet und fraßen die auf dem Bilde ebenfalls sichtbaren Fensterchen heraus. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr wurden die Blätter durchlöchert, so daß zuletzt ganze Sträucher nur mit solchen Blättern besetzt sind, wie sie die Abb. 3 zeigt. Das kleine grünliche Räupchen mit dem hell- braunen Kopf geht zur Verpuppung in den Boden. 3. Nepticula centifo Hella. Rosenminier- motte (Abb. 4). Die braunen geschlängelten Minen verunstalten unsere Gartenrosen. Wie bei Lyonetia clerkella Gangminen wird der Kot in schwarzen Mittelstreifen abgelagert. Da zwei Generationen im Jahr auftreten, kann man tief im Herbst noch die bernsteingelben Räupchen in der Mine vorfinden. (Der Unterdruck wurde von einem grünen Blatt anfangs November ge- wonnen.) 4. Tische ria complanella (Abb. 5). Die Minen dieser Motten fallen uns besonders im Herbst an Eichenloden in die Augen. Eichen- blätter, in denen drei und mehr der Räupchen minieren, sind nicht selten. Die Minen rücken sich dann allmählich näher, bis sie sich zu einer einzigen verschmelzen. So sieht dann das Blatt oft ganz grünlich weiß aus von der etwas abstehenden Oberhaut. Das Unterzellgewebe ist vollständig verschwunden und das grünliche' Räupchen er- scheint, wenn man das Blatt gegen das Licht hält, schwarz. Es quittiert die Belästigung, indem es gegen die Mitte zuschreitet und dort etwas ein- gekrümmt liegen bleibt, wie auf der Abbildung ersichtlich. Auch bei durchfallendem Licht findet man in den Minen selten eine Spur des Raupen- kotes; er wird durch einen Schlitz in der Ober- haut nach außen befördert. Abb. 3. Bucculatrix frangulella. 2. Fraßsladii Faulbaumblättern. Abb. 4. Oben Gangmine von Nepticula cenlifoliella. Unten Blasen- mine einer Tischeria-Art mit dem Räupchen, das im durch- fallenden Licht sichtbar wurde. 5. Lithocolletis quercifoliella (Abb. 6). Im Spätsommer sind die Blätter der Eiche (Quercus pedunculata) häufig auf der Unterseite etwas eingebogen. Zwischen zwei Hauptnerven hat die Motte Lithocolletis quercifoliella ihre Mine an- N. F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 723 gelegt. Manchmal finden sich zwei oder mehrere auf einem Blatt. Glättet man dieses, so zerreißt die Epidermis auf der Unterseite über der ovalen Mine und das grünliche, 14 füßige, gewandte Räupchen kommt zum Vorschein. Sein schwarzer schob sich im September über die untere Epi- dermis der Mine hinaus und entließ die Motte, die wohl überwinterte. Die Mine zeigt, gegen das Licht gehalten, zahl- reiche Pünktchen, die wie feine Nadelstiche die wm^: Abb. 5. Blasenmine der Tischeria complanella an einem Eichenblatt. Im durchfallenden Licht werden die Räupchen sichtbar. Abb. 6. Abb. 7. Ovale Blasenmine von LithocoUetis quer- Blasenminen von Lithocolletis comparella cifoliella an Eichenblatt (Unterseite). an Silberpappelblatt (Unterseite). Oben Gangmine einer Nepticula-Art. Käferfraß vom Buchenspringrüßler (Orchestes fagi). Zuerst Gang- dann Blasenmine. Kot liegt auf einem Haufen beisammen. Etwas später — Ende August, anfangs September fand ich in der Mitte der Minen ein rundes flaches Gespinst, unter dem die Puppe ruhte. Diese oberen Epidermis durchscheinend machen. 6. Lithocolletis co'mparella (Abb. 7). Als die Stürme anfangs November von den Silberpappeln (Populus alba) die gelben Blätter herabrissen, fand ich unter 10 Blättern stets eines, das mit den Minen der Lithocolletis comparella Abb. 9. Gangminen der Fliegenlarve Phyto Klettenblatt. nigra an einem ,724 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 51 besetzt war. Von oben geseheu bilden sie ovale zwischen zwei Hauptrippen gezwängte schwarze Flecken. Auf der Unterseite steht die helle Epi- dermis etwas ab. Oft ist sie gerissen und ge- währt Einblick in das Innere. Die Oberhaut er- scheint in der Durchsicht wie durchlöchert. Viel- leicht ist sie angeätzt vom Kot der Motte. Das schwarze Püppchen hatte die dünne Haut durchbrochen, sich dann erst geöüfnet und die Motte entlassen. 7. Der Buchenspringrüßler (Orchestes fagi) (Abb. 8). Dieser Käfer, ein pechschwarzer Rüßler mit röt- lichgelben Fühlern und Tarsen, mit ziemlich stark gekeulten Hinterschenkeln, ist an Buchen sehr schädlich, indem er Ende April, Anfang Mai die Mittelrippen der Blätter unterseits ansticht und sein Ei hineinlegt; die Larve rückt dann in einen geschlängelten, immer breiter werdenden Gang meistens gegen die Spitze des Blattes vor und verzehrt dann platzend zwischen den beiden äußeren Häuten des Blattes das Parenchym. Die Stellen werden braun und sterben ab. Der Kot bleibt in der Mine. Nach dreiwöchentlichem Fräße ver- puppt sich der Käfer in der Mine. Nach weiteren 10 Tagen erscheint er und beschädigt nunmehr Blätter, Stiele und Fruchtansätze, die Buchein werder dadurch taub. Der Käfer geht aber auch ausnahmsweise auf Obstbäume, Himbeer- und Stachelbeersträucher. 8. Phytomiza nigra (Abb. 9). Die Abb. 9 zeigt einen Ausschnitt aus dem Laubblatt der großen Klette (Lappal Die Larven der Fliege Phytomiza nigra haben das Blatt, meistens den Hauptnerven folgend, so mit Gangminen durch- zogen , daß der Naturdruck (ein Negativ) von vielen Laien als eine Fliegeraufnahme angesprochen wurde. Sitzung der Yereiiiignüg für angewandte Botanik in Hamburg am 24. September 1918. [Nachdruck verboten.] Von Dr I. Schriftführer di Vereinigu Die diesjährige Versammlung der Mitglieder der Vereinigung für angewandte Botanik brachte wieder eine Anzahl interessanter Vorträge, deren Inhalt hier kurz wiedergegeben werden soll, in der Annahme, daß er weitere naturwissenschaftlich gebildete Kreise interessieren dürfte. Als erster Redner sprach Geheimrat Dr. A p p e 1 von Dahlem über Gegenwart und Zukunft der Phytopathologie in Deutschland. Der Pflanzenschutz ist bei uns noch nicht alt, denn erst Kühn hat uns die Bahnen des prak- tischen Pflanzenschutzes gewiesen und später haben So r au er und Frank das Gebiet weiter ausge- baut. Es folgte dann die Gründung des Sonder- ausschusses für Pflanzenschutz bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, der seine wichtigste Aufgabe in der Aufklärungsarbeit erblickte. Durch Anregungen aus den Kreisen der praktischen Landwirtschaft entstand später die Biologische Reichsanstalt, welche den Pflanzenschutz in ein neues Fahrwasser brachte, durch Schaffung einer ganz Deutschland umfassenden Pflanzenschutz- organisation. Seit etwa 10 Jahren ist aber ein Stillstand eingetreten. Warum das der Fall ist und wie dieser Stillstand beseitigt werden kann, das sind die Fragen, die der Redner zu beant- worten suchte. In Deutschland sind etwa 30—35 Phytopatho- logen vorhanden, von denen von selten der Praxis viel zu viel verlangt wird. Weil sie nun die Wünsche der Praxis nicht im ganzen Umfange erfüllen können, sei vielfach eine gewisse Ent- täuschung eingetreten. Ferner sind alle Phyto- pathologen Autodidakten, denn an den Hoch- schulen gibt es kaum ein Ordinariat für Phyto- Karl Müller, Augustenberg, angewandte Botanik. Pathologie. Der Nachwuchs besteht darum ent- weder aus Botanikern oder aus Zoologen, deren phytopathologische Ausbildung Jahre in Anspruch nimmt. Das hindert am gedeihlichen Vorwärts- kommen. In der Kriegszeit hat es 'sich aber ge- zeigt, von welcher Wichtigkeit der Pflanzenschutz ist, der darum viel eingehender als bisher gepflegt werden muß. Auch die Prüfung der Be- kämpfungsmittel muß noch weiter ausgestaltet werden, es fehlt vor allem eine Prüfungsstelle für solche Mittel und ein Gesetz, das nur den Ver- trieb geprüfter Mittel gestattet, da schlechte Mittel das Ansehen des Pflanzenschutzes schädigen. Ein derartiges Gesetz ist wohl bald zu erwarten, vor- läufig wird es durch Bundesratsverordnungen er- setzt. In der Prüfung der Mittel herrscht noch keine Einheitlichkeit, da die Versuchsstationen die Auswahl beliebig treffen. Wenn man den Pflanzen- schutz weiter ausbilden will, ist in erster Linie eine bessere Ausgestaltung der Pflanzenschutz- stationen und bessere Ausbildung der Phytopatho- logen ins Auge zu fassen. An den landwirtschaft- lichen Hochschulen müßten überall Lehrstühle für Pflanzenschutz im Hauptamt geschaffen werden, damit der Pflanzenschutz Allgemeingut der Land- wirtschaft studierenden Jugend wird und durch die Landwirtschaftslehrer in die weitesten Kreise der bäuerlichen Bevölkerung getragen wird. Heute nimmt man sich der Phytopathologie aus Lieb- haberei an. Viele junge Leute verkümmern dann in untergeordneten Stellungen, weil für sie keine Möglichkeit des Vorwärtskommens besteht. Daher muß die weitere Forderung gestellt werden, daß der Phytopathologe wie jeder andere akademisch Gebildete vorwärts kommen kann. Nach dem N. F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 725 Kriege werden wir schwer unter der Konkurrenz zu kämpfen haben und wenn wir dann nicht leisten können, was andere leisten, dann bleiben wir zurück. Das gilt auch für die Entwicklung der Phytopathologie. Dr. Schmidt -Hamburg schilderte die An- forderung der Landwirtschaft an die Botanik. Der noch heute maßgebenden L i e b i g - sehen Theorie von der Ernährung der Pflanzen verdanken die Agrikulturchemiker ihre Stellung. Die von diesen angestellten Düngungsversuche haben vielfach zu bestimmten Düngungsrezepten geführt, die zeigen, daß das Verständnis für die Düngerlehre doch noch gering ist, denn Kali, das leicht ausgewaschen wird und Phosphorsäure, die nicht so leicht aus dem Boden verschwindet, dürften nicht, wie es oft noch geschieht, in gleichen Mengen gegeben werden. Obwohl Stickstoff bei den Landwirten zurzeit kaum mehr vorhanden ist, sind die Ernten trotzdem nicht entsprechend zu- rückgegangen. Die Knöllchen der Leguminosen und die Azotobakter-Bakterien reichern eben den Boden immer wieder mit Stickstoff an. Es gibt aber noch eine große Anzahl von Rätseln, die der Boden dem Landwirt stellt und die der Vor- tragende durch den Agrikulturbotaniker ge- löst haben möchte. Er führt einzelne Fälle an, die in der Hauptsache wohl in das Gebiet der Bodenbakteriologie fallen. Daß die anderwärts gemachten Erfahrungen aus dem Gebiete der Agrikulturbotanik nur sehr langsam Gemeingut der Landwirte werden, führt er auf die geringe Zahl der angestellten Agrikulturbotaniker zurück. Zum Schluß gibt er ein Arbeitsprogramm, das seiner Ansicht nach für die Agrikulturbotanik in Betracht käme. Prof. Lindner- Berlin machte wichtige Mit- teilungen über das Getreide als Fettquelle und die Bedeutung der Aleuronschich t für das Getreidekorn. Nach ihm enthält die Aleuronschicht große Mengen Fett, das aber bisher offenbar übersehen wurde, weil in dem mikroskopischen Bilde das Fett durch andere Inhaltskörper vollkom.men verdeckt wird. Die Menge des Fettes ist 9 mal so groß als der Fett- gehalt der Keimlinge, die ja bekanntlich auf Fett verarbeitet werden. Der menschliche Magen ver- mag nur aus mechanisch verletzten Aleuronzellen das Fett zu verdauen, aus den unverletzten — und das ist die Mehrzahl — dagegen nicht. Das Fett geht darum ungenutzt durch den mensch- lichen Darm. Das Vieh ist dagegen imstande die Aleuronzellen und somit das darin enthaltene Fett zu verdauen. Darum hat man, als man sich ent- schloß, die Kleberschicht des Getreides, die früher zur Viehernährung benutzt wurde, der mensch- lichen Ernährung zugänglich zu machen, einen großen Fehler begangen, denn im deutschen Ge- treide liegt ein Fettgehalt von i Million Tonnen, der jetzt ganz unverwertet bleibt. Der Vortragende glaubt, daß durch Aufklärung vielleicht noch eine Änderung in unserem Ernährungssystem möglich sei. Die Aleuronschicht hält er nicht für ein Drüsenorgan, sondern für ein Organ, das dazu be- stimmt ist, vom Mehlkörper Wasser abzuhalten. Fräulein Prof. Westerdijk- Amsterdam sprach dann über das Spritzen der Kartoffeln in Holland. Daß dort das Spritzen eine viel allgemeinere Maßnahme zum Fernhalten der Phyto- phthorakrankheit der Kartoffeln ist als bei uns in Deutschland, liegt an dem feuchteren Klima der Niederlande. Die Erfahrung lehrte, daß auch die als weniger anfällig bekannten Sorten in Holland bald anfälliger werden, so daß die Bekämpfung dieser Pilzkrankheit für den holländischen Kartoffel- bau ausschlaggebend ist. Während man z. B. im Jahre 1915 44 Millionen Hektoliter Kartoffel erntete, gab es in dem Phytophthorajahr 1916 nur 37 Millionen Hektoliter. In der Provinz Zecland waren die Unterschiede noch größer, nämlich 252 hl/ha 1915 und nur 133 hl/ha 1916. Während die Phytophthora in Deutschland an den Knollen meist in F"orm der sogenannten Trockenfäule auf- tritt, findet man in Holland immer die sogenannte Naßfäule, die große Ausbreitung erlangt. Die Bespritzung der Kartoffelfelder ist jetzt in Holland eine ziemlich allgemein durchgeführte Maßnahme. Man verwendet meistens sogenannte fertige Burgunderbrühe (= Kupfersodabrühe). Ge- spritzt wird bis 7 mal im Sommer. Nur einmaliges Spritzen ist unter Umständen eher von Nachteil als von Vorteil, weil das Laub sehr üppig wird und dann Infektionen um so leichter ausgesetzt ist. Man spritzt in Holland vom 20. Juni ab in Zwischenräumen von 14 Tagen. Selbst dort wo bis 7 mal gespritzt wird, kommt man noch auf seine Kosten. Es wird angestrebt für Holland eine gesetzliche Bespritzung einzuführen. Geheimrat Prof. Dr. T h o m s von Berlin-Dahlem schilderte Untersuchungen überLupinen- Verwertung, die von ihm und Dr. Michaelis- Berlin durchgeführt wurden. Neben dem Bestreben, die Kohlehydratmenge zu steigern, ist noch wichtiger die Steigerung des Eiweißmaterials. Die Lupine enthält viele außerordentlich wert- volle Eiweißstoffe, daneben aber Gift- stoffe, welche Gelbsucht erzeugen. Vor dem Kriege wurde die Lupine zur Ernährung nicht herangezogen, weil ein Überfluß an Nahrungsmitteln bestand. Jetzt dagegen muß man darauf zurück- greifen, zumal jetzt Verfahren zur Entbitterung der Lupinen vorhanden sind. Da die Lupine auch eine brauchbare Faser liefert und auch sonst in vielseitiger Richtung verwertet werden kann, soll ihr Anbau nun gefördert werden. Es hat sich zu diesem Zweck auch schon eine Lupinenverwer- tungsgesellschaft gebildet. Bevor die Lupinensamen zur menschlichen Ernährung verwendet werden können, müssen daraus die Alkaloide, Lupinin und Lupanin (:=Lupanidin-Spartein, ein schweres Herzgift), außerdem andere Bitterstoffe, wohl Saponine, entfernt werden. Es bleiben dann die Kohle- hydrate (Galaktan und Paralaktan) und .die 726 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 51 Eiweißstoffe, die zu 40 — 50 "/o vorhanden sind und bei der Verdauung bis zu Qö'/o aufgespalten werden, übrig. Die Entfernung der Alkaloide auf züchterischem Wege ist noch unsicher, sie ist aber heutzutage auch nicht mehr so bedeutungsvoll, weil man die Alkaloide durch geeignete Aus- laugungsverfahren entfernen kann. Durch ein- fache Wässerung werden allerdings auch leicht lösliche Kohlehydrate entfernt, dagegen werden die Galaktane kaum angegriffen, wenn man schwach saueren, verdünnten Alkohol benutzt. Aus den Schalen der Lupinen läßt sich durch Umwandlung des Galaktans ein ausgezeichneter Klebstoff gewinnen und die Rückstände liefern ein Kaffee- surrogat. Vor der Entbitterung werden die Samen von den 5 — ö^/o Fett befreit und dabei geht gleichzeitig ein Teil der Alkaloide weg. Nach Berechnungen einer Fabrik ist das Entbit- terungsverfahren, wie es vom Vortragenden und seinem IMitarbeiter ausgearbeitet wurde, nicht zu kostspielig, da alle in der Lupine vorhandenen Bestandteile verwertet werden können. In welch umfassender Weise das möglich ist, geht aus fol- gendem hervor: An einem Tisch, dessen Tisch- tuch aus Lupinenfasern besteht, wird Lupinensuppe mit etwas iVIehlzusatz aufgetragen. Dann gibt es Lupinenbeefsteak in Lupinenöl gebacken und mit Lupinenextrakt gewürzt. Hierauf folgt Brot mit 20% Lupinenmehlzusatz, Lupinenmargarine und Käse aus Lupineneiweiß. Ein Lupinenschnaps und ein Lupinenkaffee runden das Essen ab. Zum Waschen der Hände wird Lupinenseife ge- boten, hergestellt aus Lupinenfett und zum Brief- schreiben ist Briefpapier vorhanden aus Lupinen- fasern und Umschläge mit Lupinenklebstoff be- strichen. Bei den Türken wird zum Mehl von jeher 1 5 — 20 "/, Lupinenmehl von Lupinus lermis her- rührend, welche Art dort viel angebaut wird, ver- wendet. Es wäre wünschenswert, daß mit ihr auch bei uns Anbauversuche angestellt würden, weil sich ihre Samen leichter entbittern lassen. Dr. Müller- Augustenberg (Baden) sprach über dieBekämpfungderRebenperonosporanach der Inkubationskalendermethode. Die Schä- digungen, die der Peronosporapilz dem Weinstock alljährlich zufügt, betragen schon in Friedenszeiten allein in Baden viele Millionen, jetzt aber, wo die Weinwerte so gestiegen sind, dürfte die Krankheit in Peronosporajahren im Großherzogtum Baden Schä- den im Wert von 40 — 50 Millionen anrichten. Daß zur Unterdrückung dieser Krankheit alles ge- tan wird, liegt auf der Hand und darum ist die Therapie der Rebenperonospora besser ausgebaut als die anderer Pflanzenkrankheiten und kann viel- fach für diese als Muster dienen. Neuerdings ist nun auch der Zeitpunkt, an welchem die Be- kämpfungsarbeiten durchgeführt werden sollen, genauer studiert worden. Durch Untersuchungen des ungarischen Forschers v. Istvänffi wissen wir jetzt, daß der Pilz in die Rebe nur eindringen und auch nur aus ihr hervorbrechen kann, wenn sich auf ihr Wassertröpfchen befinden. Außerdem kennen wir die Inkubationszeit der Peronospora- krankheit in den einzelnen Jahreszeiten. >Venn man also vom Tage der Ansteckung die Inku- bationszeit hinzurechnet, weiß man, wenn der Pilz hervorbrechen wird, falls um diese Zeit die Reben durch Regen naß sind. In Baden wird auf diese Weise unter Zuhilfenahme eines vom Vortragenden entworfenen Inkubationskalenders seit 5 Jahren der Zeitpunkt des Ausbruchs der Krankheit und somit der Zeitpunkt zum Spritzen durch die Hauptstelle für Pflanzenschutz voraus- bestimmt und in landwirtschaftlichen Blättern und Tageszeitungen, sowie durch die Bezirksämter und Bürgermeisterämter der Winzerbevölkerung be- kannt gegeben. Die Jahre 191 7 und 1918, die bezüglich der Zeiten zur Peronosporabekämpfung stark abwichen, haben gezeigt, wie in solchen Jahren nur durch genaue Wilterungsbeobachtung der richtige Spritzzeitpunkt gefunden werden kann, während alles Schematische nur überflüssige Arbeit macht, ohne den Erfolg zu verbürgen. Im Jahre 1918 konnte man die Winzer sogar auf- fordern, mit dem zweiten Spritzen zu warten und hierdurch eine Bespritzung ersparen, was für Baden immerhin eine Ersparnis von ^/^ MiUion bedeutet. Da diejenigen Winzer, welche sich 1917 an die angegebenen Spritzzeiten hielten, große Trauben- erträge einheimsten, gegenüber jenen, welche zu anderen Zeiten spritzten, haben im Jahre 191 8 fast alle die amtlich bekanntgegebenen Spritzzeitpunkte eingehalten. So ist durch die Inkubationskalender- methode ohne Zwang erzielt worden, was auf keine Weise bisher zu erreichen war, daß nämlich vor Ende Mai schon alle Reben zum erstenmal gespritzt waren und daß auch die weiteren Be- spritzungen im allgemeinen zur richtigen Zeit ein- setzten. Dr. Heinrich -Rostock trug neuere Ergeb- nisse der Samenprüfung vor, die darin gipfeln, daß den Sämereien eine individuellere Be- handlung zukommen muß. Bei der Bestimmung der Reinheit wird z. B. jetzt allgemein das P^remde seiner Bestandteile nach festgestellt und bei der Keimfähigkeit wird der Anteil der nichtgekeimten Samen genau unterschieden. Harte Korner sind z. B. in ihrem Wert verschieden zu bemessen je nachdem, ob sie in absehbarer Zeit noch nach- keimen. Die Anzahl harter Samen gibt natürlich Anhaltspunkte für die Bemessung der Saatstärke. Auch die Wirkung des Lichtes und der Kälte auf die Keimung wird jetzt bei der Samenprüfung mit berücksichtigt. Frisch geerntete Saaten keimen z. B. nicht befriedigend. Durch Anwendung eines kalten Keimbettes sucht man dem abzuhelfen, denn der Zweck der Keimprüfung ist eben die richtigsten, den natürlichen Verhältnissen am nächsten kommenden Keimzahlen zu finden. Samen mit Ritzbruch keimen z. B. anfangs ganz normal, erst später zeigt sich, daß die Keimlinge nicht lebenskräftig sind. Auch die Triebkraft bestimmungen beim Getreide bedeuten einen großen N F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 727 Vorteil in der Saatgutbeurteilung. Die Samen- prüfungsstationen müssen sich ferner bemühen, ein Bild zu gewinnen vom gesamten Samenhandel im Gebiet, sie haben eine wichtige Aufgabe in der Mitwirkung in saatzüchterischen Fragen und bei der Saatenanerkennung. Was z. B. als Original- saaten angeboten wird, ist nicht etwa besonders gute Saat, sondern kann u. U. eine ganz skanda- löse Beschaffenheit aufweisen, wie zahlreiche Bei- spiele lehren. Auch bei der Saatenanerkennung muß aber alles Schematische ausgeschaltet und jede Saat individuell beurteilt werden. Dadurch wird die Samenkontrolle immer mehr fiir die Landwirtschaft nutzbar gemacht. Geheimrat Prof. Dr. Drude-Dresden gab kurze Anregungen zur Kultur einheimischer Faser- pflanzen. Es besteht augenblicklich die Sucht allerhand sog. Faserpflanzen im großen anzubauen, oder soweit sie wild vorkommen, ihre Verwendung durch Beschlagnahme einzuschränken, ohne daß solche Maßnahmen genügend durch den prak- tischen Wert der Pflanzen begründet wären Vielfach kommen auch Anregungen zur Faseraus- nutzung wieder, die praktisch längst schon er- ledigt sind, deshalb sollte man bei der Anempfeh lung von faserliefernden Pflanzen vorsichtiger vorgehen. Prof. Voigt- Hamburg schilderte dann noch unter Vorlage von Sammlungen die landwirt- schaftlichen Erzeugnisse Mazedoniens, die er auf mehreren Studienreisen eingehend kennen gelernt hatte. Das Land gehört zu den unerforschtesten Teilen Europas, deshalb wußte man bisher wenig darüber. Es zeichnet sich durch feuchte Winter und dürre Sommer aus, welche das Kulturverhältnis natürlich ausschlag- gebend beeinflussen. An der Grenze Europas und Asiens gelegen, weist es für die Wanderung von Nutzpflanzen manches Interessante auf. Man pflanzt z. B. Baumwolle, Mohn, den indischen Bohnenstrauch (Cajanus indicus Spydng.), Gerste und Hafer, daneben von amerikanischen Nutz- pflanzen Tabak, Mais, Tomaten, also Pflanzen ver- schiedener Herkunft. Die Kultur ist nicht primi- tiv, wie eine flüchtige Besichtigung vielleicht glauben machen könnte, denn sowohl Tabak- als Gemüsebau setzt allerhand Kenntnisse voraus. Die Bulgaren und Mazedonier sind auch bekannt und geschätzt als Sachsengänger für den öster- reichischen Gemüsebau. Einzelberichte. Astronomie. Ein neuer veränderlicher Stern 6. Größe wurde unlängst von F r. S c h wa b in Ilme- nau im Sternbild Fuhrmann aufgefunden und erhielt die vorläufige Bezeichnung 3.1918 Aurigae. Er gehört zu den Algolsternen, erfährt also in immer gleichen Zwischenzeiten eine Verfinsterung durch den Umlauf eines dunklen oder schwachleuch- tenden Begleiters gleich Algol im Perseus. Die Periode ist von A. Kohlschütter ( Astr. Nachr. 4960) zu 1,262519 Tage bestimmt worden, die Lichtschwankung erfolgt zwischen den Größen 6,0 und 6,5. Abstieg und Aufstieg dauern zu- sammen etwa 4,5 Stunden. Der Stern befindet sich etwa 2 Grad nordöstlich des Veränderlichen RT (48) Aurigae, bei dessen Beobachtung er auch entdeckt worden ist. Sein Ort für 1900 ist gh 25,9" Rektascension und -j- 31" 32' Deklination. Er ist auf den Himmelskarten von Klein, Schurig, u. a. enthalten und kann bequem im Feldstecher verfolgt und mit seinen Nachbarsternen verglichen werden, weshalb die Freunde des gestirnten Him- mels auf seine Beobachtung aufmerksam gemacht seien. C. H. Sonnenflecken-Maximum. Die zurzeit vorliegen- den Beobachtungen gestatten einen Überblick über das jüngste Maximum der Fleckentätigkeit auf der Sonne, nachdem der Abstieg zum Minimum nunmehr unverkennbar eingesetzt hat. In der Meteorologischen Zeitschr. veröffentlicht A. Wol f e r (Sternwarte Zürich) fortlaufend „provisorische Relativzahlen" der Fleckenhäufigkeit, deren Monats- ittel von Anfang 1917 bis Mitte 1918 das folgende Bild zeigen: 1917 1918 Jan. 76.2 96.3 Febr. 71.8 834 März 86.6 72.2 April 637 76.S Mai 112.7 76.5 Juni II 3.8 64.8 Juli II 7.0 Aug. 143.2 Sept. 12 1.9 Okt. 71.4 Nov. 901 Dez. 116.8 Die „Relativzahlen" sind ermittelt nach der Formel: Anzahl der Flecken -|- zehnfache Anzahl der Gruppen. Es zeigt sich ein sehr spitzes Maximum im August 1917, dessen Höhe die der drei letzten von 1883/84, 1893 und 1905 be- deutend übertrifft und sich derjenigen von 1870 nähert, wenn sie auch immer noch erheblich hinter dieser zurückbleibt. Das Jahresmittel 191 7 ist 98,8, gegen 55,4 im vorhergegangenen Jahre; 1916 war die Sonne an 4 Tagen fleckenfrei, 1917 an keinem Tage. Im Juli und ganz besonders im August und September 1917 wurden außer- gewöhnlich große und zahlreiche Protuberanzen beobachtet. Auch die Zahl der während der beiden letzten Jahre in Deutschland beobachteten Nordlichter liegt weit über dem Durchschnitt. C. H. 728 Naturwissenschaftliche Wochenschrift N. F. XVII. Nr, si Meteorologie. B. Wiese untersucht den Käiteeinbruch vom 7. zum 8. P'ebruar 1917 (Met. Ztschr. 35, 132, 1918). In den MorgeiT- stunden des 8. Februar 1917 wurde in Südost- europa von Mitteldeutschland bis zur Balkanhalb- insel ein Kälteeinbruch beobachtet, der durch die Eigenart seiner Begleitumstände auffiel. Im Norden Europas trat zur selben Zeit eine starke Erwär- mung ein (in Haparanda 23" in 24 Stunden). Die Nacht über herrschte noch größtenteils bedeckter Himmel, so daß die Ausstrahlung als Abkühlungs- grund von vornherein ausschied. Da der Luft- druck zu dieser Zeit stieg, kam auch eine adia- batische Abkühlung nicht in Frage. Besonders bezeichnend war aber das Verhalten der relativen Feuchtigkeit in der freien Atmosphäre, wie es sich aus den Drachenaufstiegen ergab. In Temes- var herrschte am 7. Februar in allen Höhen, die der Drachen durchfuhr, loo^/o relative Feuchtig- keit; am Morgen des 8., nach erfolgtem Kälteein- bruch, betrug sie am Boden 84 "/„ und fiel bis auf S^/o in 2300 m, der größten Höhe, die der Auf- stieg erreichte. Daraus ging klar hervor, daß die Abkühlung nicht in ruhender Luftmasse vor sich gegangen sein konnte, da ja sonst die große Feuch- tigkeit sofort hätte zur Ausscheidung kommen müssen. Der Temperaturverlauf in vertikaler Rich- tung zeigte eine starke Sperrschicht in der Nähe des Bodens. Dies alles deutet daraufhin, daß eine kalte Luftmasse aus der Höhe herabgesunken ist. Die instabilste Schicht in der freien Atmosphäre ist nach den bodennahen Schichten die Substrato- sp'iiäre, die Region der Zirren in ca. 9000 m Höhe. Nimmt man an, daß von dort eine kalte Luftmasse von der Temperatur — 60" und der relativen Feuchtigkeit 44 */o bis 2300 m abgesunken ist, so ergibt sich das durch die Beobachtung gefundene Resuhat. Die Strömungslinien der Luft deuten daraufhin, daß dieser Kälteeinbruch aus der Höhe etwa in der Gegend von Schlesien stattgefunden und sich dann nach Südosten in der Nähe des Bodens ausgebreitet hat. Bemerkenswert ist noch, daß am 8. Februar mittags ein Erdbeben in Ungarn und Serbien ver- spürt wurde. Das Gleiche wurde auch bei Kälte- einbrüchen im Mai und März desselben Jahres in der dortigen Gegend beobachtet, so daß man wohl eine kausale Verknüpfung beider Erschei- nungen annehmen muß. Es sei dazu noch be- merkt, daß O. Meißner 1) neuerdings auch einen ,|^'isammenhang zwischen der Erdoberflächenbe- wegung an den nordwesteuropäischen Küsten und der maximalen Luftdruckdifferenz über Europa festgestellt hat Seh ol ich. Luftdruck und Regenfall im Mittelmeergebiet. Im ganzen Umkreis desMittelmeergebletes herrscht nicht ungetrübt der ozeanische Typus des echten Subtropenkhmas, denn dann müßte der Frühling •) O. Meißner, Seegang in Norwegen und mikroseis- miscbe Bewegung. Ann. d. Hydrogr. usw. 46, 183, 1918. verhältnismäßig trockener sein als der Herbst und das besonders an den Küsten. Das große Sub- tropengebiet der Alten Welt hat zwar Winter- regen und trockene Sommer gemeinsam, die Küsten und Binnenlandschaften weichen aber in den übrigen Jahreszeiten voneinander ab, erstere haben nämlich Herbstregen, letztere Frühlingsregen. Die Unterschiede im Wesen der kontinentalen Frühlingsregen von dem Typus der maritimen Herbstregen sind begründet in der verschiedenen Beschaffenheit der Zyklonen in diesen beiden Jahreszeiten (W. R. Eckardt, das Wetter 191 8, S. 109). Die Zyklonentätigkeit polwärts der Passat- gürtel ist lebhafter über den warmen Meeren im Herbst als im Frühling, der Wärmeüberschuß des Meeres über das Land am größten im Herbst, und daher diese Jahreszeit regenreicher in den Küsten- gebieten als der Frühling, zumeist auch mit ver- breiteten und ergiebigen Regenfällen. Im Mittel- meergebiet gehört zwar die größte Regenhäufig- keit meist dem Winter an, doch wird er vom Herbst hinsichtlich der Regenmenge übertroffen, denn die Herbstregen sind wegen der größeren Wärme des Luftmeeres in dieser Jahreszeit und des damit verbundenen größeren Dampfgehaltes der Luft in den Zyklonenkörpern ergiebiger als die Niederschläge des Winters und Frühlings. Die Niederschlagsmengen der Mittelmeerländer sind charakteristischerweise nicht nur jahreszeit- lich, sondern auch räumlich absolut wie relativ sehr stark verschieden und hier bedarf es noch rein klimatographischer Spezialuntersuchungen, um diese Erscheinungen aufzuklären. Die jahreszeitliche Verteilung der Regenfälle im Mittelmeergebiet hängt ab zuerst von den in den einzelnen Jahreszeiten herrschenden Tem- peratur- und Luftdruckverhältnissen, welche ver- schieden sind im Winter, Frühling, Sommer und Herbst Die im Winter erkälteten größeren Länderräume (Neigung zu höherem Luftdruck herrscht nun vor), werden im Frühjahr ver- hältnismäßig schnell erwärmt und dadurch die Luftmassen aufgelockert (Neigung zur Entstehung von Luftdruckgefällen von dem um diese Zeit kühleren Meer nach dem Inland), und es beginnt die eigentliche Niederschlagszeit Im Sommer entsteht dann meist eine Verschiebung der die Tropen und Passatzonen charakterisierenden Luft- druckgebilde, der Luftdruck ist über dem östlichen Mittelmeergebiet jetzt ziemlich niedrig, und das- selbe liegt im Bereich des verlängerten Passates, und keine wandernden Minima gelangen in das südwestasiatische Wärmetief Die Luftdruckverhältnisse des Herbstes sind wieder ähnlich denen des Frühlings, nur sind die thermischen Verhältnisse der Festländer und Meere genau entgegengesetzt denen des Frühjahrs. Nun erkälten die Festländer schneller als die Meere, und an einzelnen Teilen entsteht eine sehr rege und kräftige Zyklonentätigkeit, welche namentlich den Küstengebieten ergiebige Regenfälle bringt (Siehe auch A. Supan, Die jahreszeitliche Ver- N. F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 729 teilung der Niederschläge in Europa, Westasien und Nordafrika. Petermann's Mittig. 1 890, H. 1 2). Blaschke. Zoologie. Professor Plate in Jena, der seit vielen Jahren Vererbungsstudien an Mäusen ob- liegt und die Ergebnisse in zahlreichen Arbei- ten und in seiner „Vererbungslehre" niederge- legt hat, veröffentlicht soeben im Archiv für Ent- wicklungsmechanik, Bd. 44, H. 2, S. 291 — 366, zwei neue Mitteilungen hierüber. Aus Plate's „Vererbungslehre" sei folgendes über die wichtigsten einfarbigen Hausmausrassen in Erinnerung gebracht: Ein Paar allelomorpher Erbfaktoren, C und c, entscheidet über Vorhanden- sein oder Fehler von Haarpigment: CG- und Cc-Mäuse sind gefärbt, cc-Mäuse dagegen weiß, da der kleine Buchstabe das rezessive Merk- mal bezeichnet, der große das dominante. Unter einem zweiten Faktorenpaar, Ee, bewirkt das do- minante E schwarze Augen und intensive Haar- farbe, das rezessive e rote Augen und hellere Fär- bung. Weiterhin ruft B einen dunkelbraunen körnigen Farbstoff in dich t er Zusammenlagerung hervor, so daß er schwarz aussieht; als h ist der- selbe weniger dicht, und erscheint daher braun oder gelb. A versammelt einen stets vorhandenen gelben Farbstoff an der Spitze der Haare als gelbe Endbinde, a nicht; A ist also ein Verteilungs- faktor. Y bewirkt dagegen einen eigenen inten- siv gelben Farbstoff und ist epistatisch über B, unterdrückt also stets dunkelbraune oder schwarze Farbstoffe. Die Kombination YY kommt in den Versuchen nicht vor, nur Yy oder yy, weil die YF-Tiere nach Ausweis der Vererbungsversuche stets frühzeitig zugrunde gehen oder überhaupt nicht zur Ausbildung kommen. Alle in Versuchen zur Verwendung kommenden orangefarbigen Mäuse sind also heterozygot. Durch die erwähnten Fak- toren entsteht folgende Reihe einfarbiger schwarzäugiger Mäuse oder Mäuse mit C und £; das heißt mit CG oder Gc und EE oder Ee: braun: yyab, schwarz yyaB, zimtgelb yy AI, wildfarbig yy AB und orange Yyab bis YyAB. Die Reihe der im ganzen helleren einfarbigen rotäugigen Mäuse „mit G und e", das heißt mit GG oder Gc und mit ee, ist: weißgelb: yyab, silbergrau yy aB, gelb : yy Ab, graugelb yy AB und orange: Yyab bis YyAB. Der merkwürdige epistatische Faktor Y muß, weil bei Wildmäusen nicht vorkommend, durch progressive Mutation einmal entstanden sein. Da- für spricht auch das plötzliche Auftreten von orangefarbigen Mäusen neben gewöhnlichen Wild- mäusen im Frühjahr 19 14 auf einem Grundstück in Aschersleben, wo es in der ganzen Stadt nach Aussage des dort sehr bekannten Züchters Bi- brack solche bis dahin nicht gegeben hat und auch die Einschleppung gezüchteter Mäuse aus- geschlossen ist. Auch konnten diese Orange- farbigen ganz gewaltige Sprünge ausführen und tüchtig beißen, was ebenfalls für ihre Wildmaus- natur spricht. Außer rein orangefarbigen Hausmäusen gibt es nun ferner orangefarbige mit schwärzlichem Rückenanflug, sog. zobelfarbige oder Zobel- mäuse, die sables der Engländer und Ameri- kaner. Plate betrachtet den dieses Merk- mal hervorrufenden Faktor, den er Y' nennt, als eine Abänderung des Faktors Y, ein- mal weil die Zobelmäuse gleichfalls stets hetero- zygot sind, also die Kombination Y'Y' in den Vererbungsversuchen nicht zur Ausbildung kommt, zweitens weil Zobel mit zunehmendem Alter in rein Orangefarbige übergehen, und drittens weil Zobel oft von Orangefarbigen geworfen werden, wie auch Orangefarbige bei Kreuzungen an Zobeln untereinander auftreten können. Y' ist also eine Modifikation von Y, und zwar eine schwächere desselben, welche besonders in der Jugend den dunklen Farbstoff am Rücken nicht unter- drückt. Die Wirksamkeit von Y' ist eine sehr verschiedene: die durch dieses Merkmal ausge- zeichneten, anfangs stets den schwärzlichen Rückenanflug am intensivsten zeigenden Zobel- mäuse, die sog. „Schwarzzobel", gehen allmählich in „Mittelzobel" und „Gelbzobel" über, wobei letztere ganz den Y gleichen, doch kann die stets von hinten nach vorn vorschreitende Aufhellung sowohl in einem Monat als auch in einem Jahre die nächsthellere Stufe erreichen, auch kann der Aufhellung wieder eine Verdunkelung und selbst dieser wieder eine Aufhellung folgen. Infolge des pigmenthemmenden Einflusses von e geht die Aufhellung bei Zobelmäusen mit Ee schneller vor sich als bei solchen mit EE, ja zuweilen sind solche Mäuse schon von Geburt an von Y-Zobeln nicht zu unterscheiden ; und fast nie tritt bei rot- äugigen ee-Mäusen trotz Y' ein Zobelanflug auf. Ähnlich haben orangefarbige Y-Mäuse mit EE einen gelben, mit Ee einen weißen Bauch. In- folge von e und einem pigmentvermehrenden Faktor D erscheinen schwarze Zobelmäuse von der Zusammensetzung Y'yBBEeDD oder Y'yBBBe Da als sog. „revertierte Zobelmäuse" mit gelber Haarbasis in der schwarzen Zobelregion, während bei Bb der Gegensatz zwischen beiden Haar- hälften unschärfer ist. Im Grunde, meint Plate, können (außer im Falle der Mutation) ebensowenig Zobelmäuse {Y'y...) von Nichtzobeln geworfen werden wie Orangefarbige {Yy . . .) von Nicht- orangefarbigen (yy . . .) ; infolge von ee oder früh- zeitiger Rückbildung des Zobelanflugs aber 1: .n eine junge Maus mit Y' äußerlich keinen Zobel- anflug zeigen und daher der erwähnte Anschein entstehen. Da Y' die Bildung dunklen Farbstoffs nicht unterdrückt, enthalten alle Zobelmäuse 5; Y'y BBEE oder...Ee sind schwarze, Y'yBbEE oder . . . Ee mittlere oder gelbe Zobelmäuse , doch können infolge der Variabilität von Y' zuweilen junge mit Bb wie Schwarzzobel aussehen. Da nur Heterozygoten lebensfähig sind, kommt 730 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 51 die Zusammensetzung YY' nicht vor, und man kann daher auch nicht behaupten, daß Y über Y' dominierte, noch umsfckehrt. Obwohl Y' dem Y sehr nahe steht, ist es als echte Erbeinheit anzusehen, die freilich, wie alles Organische, in ihrer Wirkung und daher auch wohl in ihrer chemisch-physikalischen Konstitution variiert. Nichts wurde beobachtet, was für „Ga- metenunreinheit" oder dafür, daß ein Faktor mit einem andern dauernd verändert werden könnte, spräche. Die Umwandlung von Y in Y' ist als Beispiel einer progressiven Mutation anzusehen. Zwar sind regressive Mutationen oder Verlust- mutationen, bei denen an Stelle einer dominanten Eigenschaft die regressive auftritt, sehr viel häu- figer, was sich von der Plate'schen Grundfaktor- Supplementtheorie aus verstehen läßt, indem die Dominanz auf einem Supplement beruht und dieses eine Art Ferment ist, welches von der Cytoplasma- tätigkeit abhängt, also unter Umständen auch in Wegfall geraten kann, während nach der Präsence- AbsenceTheorie das Wegfallen eines einmal vor- handenen Erbfaktors sich nicht erklären ließe. Aber auch das Vorkommen progressiver Muta- tionen, auf denen die fortschreitende Umwandlung der Arten beruht, ist nicht zu bestreiten. — So- viel aus Plate's erster Studie. Die zweite Studie behandelt die bisher schon viel bearbeitete Weißscheckung bei Mäusen und ihre Erklärung durch polymere Faktoren. Weit- gehende theoretische Schlüsse sind bisher aus der Vererbung der Weißscheckung gezogen worden: daß die Erbfaktoren variieren (Castle), daß die Weißscheckung, obwohl im allgemeinen rezessiv gegenüber einfarbigem Haar, auch in einer dominanten Form, auftreten könne (Dur- ham, Hagedorn), daß Erbfaktoren durch andere verändert werden können (von Morgan gestreifte Vermutung), daß der Pigmentfaktor C während der Ontogenie in einigen E'urchungszellen verloren gehe, also partieller Albinismus vorliege (Morgan). Letztere Auffassung verbietet sich, da gescheckte Tanzmäuse und Albinos in der i^j -Generation gleichmäßig gefärbte Nachkommen ergeben, also Scheckung und Albinismus vollständig unabhängig voneinander sind. Plate's Zuchtversuche, denen der Krieg ein Ende setzte, sprechen dafür, daß sich auch die Variabilität und Erblichkeit der Scheckung in echt mendelistischem Sinne ohne Gametenunreinheit oder gegenseitige Beeinflussung der Erbfaktoren werde erklären lassen: Die Weißscheckung der Mäuse ist ein rezessives Merkmal gegenüber der Einfarbigkeit, die in der Regel vollkommen domi- niert. In einigen Fällen sind die Heterozygoten durch kleine weiße Abzeichen bei sonst völliger Einfarbigkeit schon äußerlich kenntlich (Zeatypus). Die große Variabilität der Weißscheckung, in welcher Plate nach äußeren Kennzeichen schon sechs bis sieben Grade unterscheidet, erklärt sich, wenn man außer dem allelomorphen Paar 8- Einfarbigkeit, s-Scheckung eine Anzahl von polymeren gleichsinnigen Faktoren annimmt, deren Fehlen die Variabilität erzeugt. Fehlt nur einer, so entsteht der erste Scheckungs- grad, fehlen zwei, der zweite, und so fort, wahr- scheinlich ist die Zahl solcher Modifikatoren noch größer als sieben oder acht. Auf dem Boden dieser Erklärung wird es verständlich, daß ge- scheckte einfarbige Junge werfen können, daß die F, zuweilen über den Scheckungsgrad der Eltern transgredieren, daß auf jeder Stufe eine Selektion nach zunehmender oder abnehmender Pigmen- tierung (Cuenot, Castle) ausgeführt werden kann, und anderes.. Der niedere Grad der Scheckung dominiert nicht über den höheren, sondern die verschiedenen Grade sind Glieder einer polyener- getischen Reihe. Durham's und Hagedorn's Angabe, daß es eine dominante Scheckung gibt, ist noch zweifelhaft. Die Faktorentheorie erklärt auch die Ähnlich- keit der Scheckung der verschiedenen Säugerarten, denn auch bei anderen Säugern erscheint die Scheckung abgestuft, wenn sie auch nicht immer wie bei der Maus an den Füßen aufzutreten be- ginnt. Den Ausdruck „Domestikationszeichen" verwirft Plate, weil die niederen Grade der Scheckung sich bei vielen wilden Säugern finden und die Domestikation die Scheckung höchstens insofern begünstigen kann, als im Freileben der Kampf ums Dasein die höheren Grade nicht auf- kommen läßt; wilde Säuger mit weiß am Schwanz, auf der Bauchseite, an den Hinterbeinen und am Kopf sind aber in großer Zahl bekannt. Vermut- lich gehört (S (Einfarbigkeit) zum ursprünglichen Bestand der Säuger, durch Fortfall desselben wurde hieraus in vielen Arten s. Auch der erste der Nebenfaktoren war vermutlich schon bei den primitiven Säugern vorhanden und zwar mit einer anderen Hauptfunktion. Sobald er dann zu s hinzutrat, erwies er sich als Scheckungsfaktor. Sind, wie Plate annimmt, die Erbfaktoren, abgesehen von den in Zuchten selten auftretenden Mutationen, konstant, so schmälert das die Be- deutung der Selektion nicht bei der ungeheuren Zahl von Individuen und der Verschiedenartigkeit der äußeren Bedingungen, die zu Mutationen führt. Es war einer der größten Fehler, als de Vries seine Mutationstheorie gegen die Dar- win'sche Selektionstheorie ausspielte, denn seine Variationen decken sich völlig mit den erblichen Variationen, auf denen Darwin seine Theorie aufbaute. Dagegen kann die Selektion an sich nicht die Erbeinheiten verändern, und dieser An- nahme bedarf es auch keineswegs. V. Franz. Den von der Traun durchflossenen Hallstätter See östlich des Dachsteinplateaus hat O. H a e m p e 1 eingehend hydrographisch, biologisch und im Hin- blick auf Fischereifragen untersucht. *) Folgendes ') O. Haempel, Zur Kenntnis einiger Alpenseen, mit besonderer Berücksichtigung ihrer biologischen und Fischerei- verhältnisse. I. Der Hallstätter See. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. Bd. VIII, H. 3, S. 225 — 306. N. F. XVn. Nr. 5i Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 731 von den Ergebnissen verdient allgemeine Beach- tung. Der in 494 Metern IVIeereshöhe gelegene See gehört nach seiner Lage, sowie nach der Tiefe, Durchsichtigkeit und Temperatur des Was- sers zu den typischen Kaltwasserseen der Ostalpen. In der Farbe des Wassers herrschen die dunkleren Nuancen von Grün, nicht selten mit Trübung bis ins Graugrüne, weitaus vor. Die chemische Zusammensetzung des Wassers, die, wie Haempel meint, mehr Beachtung für Fragen der Planktologie und der Faunen- und Floren- zusammensetzung verdient, als ihr bisher gewöhn- Hch geschenkt wird, scheint sich seit zehn Jahren, nach einer Analyse von Lorenz aus dem Jahre 1897, durch Zunahme an organischer Substanz geändert zu haben, vielleicht zum Teil infolge von Abwässern und Abfalistoffen des Marktes Hallstatt. Die mittlere Tiefe des Sees beträgt 64,8 m, die größte Tiefe etwa 130 m. Da die Ufer meist steil sind, ist die höhere Flora gering entwickelt. Nur am Nordufer lassen sich dichtere Bestände eines Phragmitetum, Scirpetum, Equisetum und Polamogetonetum unterscheiden. Die Phanerogamen sind mit 13 Arten vertreten. Des Potamogetonetum ist be- sonders deutlich abgegrenzt. Wo die Laichkräuter aufhören, beginnen, wohl mehr als Wiesen denn als ausgedehnte Bestände, Charazeen, die für die Anheftung der Rheinankeneier von größter Wich- tigkeit sind. Erst vor 3 — 4 Jahren hat die Wasser- pest im See festen Fuß gefaßt, jetzt droht sie bereits die fischereilich wichtigen Laichkräuter stellenweise zu vernichten, erschwert auch schon die Netzfischerei und in Zukunft wahrscheinlich die Schiffahrt. Die niedere Flora grundbewohnen- der Algen ist reich. Die überaus reiche Litoralfauna umfaßt ohne Wirbeltiere etwa 80 Arten und verteilt sich auf drei Zonen, den Krustensteingürtel, so genannt nach den Steinen, deren 0,5 — 15 cm dicker mit Kalksinter besetzter Algenbelag getrocknet feste Krusten bildet, ferner die Zone der höheren Wasserpflanzen und eine Elodea- und Charazone. In der Krustensteinzone lebt häufig das typische Glazialrelikt Planaria alpina und zwar, abweichend von Zschokke 's Befunden andiesem Tier, auch bei höheren Temperaturen als 15" C, was sich aus der Kalkformation des Ufers erklärt. Die Elodea- und Charazone ist die artenreichste. Die Grundfauna ist artenarm, aber indivi- duenreich. Sie enthält besonders Chironomiden und Mollusken, die als Fischnahrung von hoher Bedeutung sind. Der für viele tiefe Seen typische . blinde Plohkrebs scheint zu fehlen. Ob, wie Thienemann für andere Seen angab, auch hier das Massenauftreten von Dipterenlarven aus der Tanylarsusgruppe und von Tubifex velutinus (albicola?) mit erheblichem Sauerstoffreichtum der Tiefen zusammenfällt, konnte leider mangels Wasseranalysen nicht entschieden werden. Ein typisches Glazialrelikt ist die Milbe Lebertia rufipes Koenike. Dendrocoelum lacteum scheint in der von Skinmann als var. bathycola be- schriebenen Kümmerform vorzukommen. Das Plankton (Mikroplankton) umfaßt 9 Phytoplanktonten, überwiegend Diatomeen, und 20 Zooplanktonten, unter denen Kopepoden dominieren. Die Cladozeren bilden im Herbst einen integrierenden Bestandteil. Rädertiere sind im allgemeinen nicht häufig. Die meisten Ver- treter des Planktons sind perennierend. Bei einigen, zum Beispiel Daphnia hyalina, tritt die Tendenz zum Verluste der geschlechtlichen Vermehrung unter Bildung von Ephippien deutlich zutage. Bythotrephes longimanus erscheint wie in Däne- mark, abweichend vom Vierwaldstädier See, mono- zyklisch; ebenso, wie auch anderwärts, die völlig durchsichtige große Leptodora Kindtii. Die hori- zontale Verteilung des Planktons ist eine gleich- mäßige, eine deutliche „Ulerflucht" (Ruttner) ist nicht erweisbar. Die Oberflächenschichten bis zu 3 m Tiefe umfassen hauptsächlich Mastigophoren, besonders Dinobryon und Ceratium; es folgt zwischen 3 und 10 m eine Cladozerenschicht, und zwischen 10 und 40 m überwiegend Kopepoden (Diaptomus und Cyclops). Von Rädertieren sind Asplanchna und Triarthra typische Tiefenformen. Auch die größten Tiefen sind kaum organismen- frei. Wie in allen kalten Alpenseen, fehlen meist scharf ausgeprägte Temporalvariationen. Nur Nur Bosmina corezoni und Diaptomus gracilis lassen solche erkennen. Öfters tritt dagegen eine Lokalvariation auf, so bei Daphnia. Der Hallstätter See enthält 7 Raubfische und S F r i e d f i s c h e, nämlich als Litoralbewohner Hecht, Seeforelle, Äsche, Barsch, Ahel, Laube, Rotfeder, Pfrille und Koppen, als pelagische die Rheinanke und als Tielenbewohner Rutte und Salbung. Der Haupt- und Brotfisch ist die Rhein- anke, Coregonus steindachneri, der eigentliche Planktonverwerter des Sees. Als Nebenfische sind Hecht, Seeforelle und Äsche von gewerblicher Bedeutung. Um den Coregonenbestand durch den Hecht nicht zu gefährden, muß für ausgiebige Vermehrung der uferbewohnenden Cyperiniden als F'utterfische gesorgt werden. Da zur vollständigen Nahrungsausnutzung ein eigentlicher Tiefenfned- fisch fehlt — die Rutte, Lota vulgaris, muß als Laichräuber möglichst beseitigt werden — empfiehlt sich die Einsetzung der Bodenrenke (Coregonus fera), des Attersus oder besonders der Peipus- maräne Rußlands, mit der in den bayrischen Alpenseen gute Erfolge erzielt worden sind. Da sich die Einzelheiten über vorhandene Tier- arten und den Entwicklungsgang der Plankton- arten und -gruppen meist nicht in Kürze wieder- geben lassen, ist mit Vorstehendem der reiche Inhalt der Arbeit nur angedeutet. Auf Zweifel können die Angaben über „das Phänomen der täglichen Vertikal wanderung des Plank- tons" stoßen. Wenn nämlich die Phototaxis der Planktontiere die ihr früher für das Frei- leben zugeschriebene Rolle nicht spielt, wie neuerdings wieder von R. T. Müller für Tany- 732 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 51 mastix erwiesen, so verliert die Hypothese der von noch niemand gesehenen Vertikalwanderungen eine starke Stütze, denn diese Wanderungen hat man stets durch die Phototaxis erklären wollen. Haempel schließt auf Vertikalwanderungen nur aus einem Nachtfang der außer einer Unmenge „von Plankton" (welche Arten ?) auch Bythotrephes longjmanus, Asplanchera priodonta und Triarthra longiseta, Tiere aus 5 — 40 Metern Tiefe, an der Oberfläche feststellen ließ. Triarthra müßte dabei jeden Abend und Morgen mindestens 20 m Wasser durcheilen, was biologisch ganz unverständlich erschiene. Die Abhängigkeit des Ausfalls der Plankton fange von der Lichtintensität gerade bei Tieren mit Sehorganen — denn nur auf solche bezieht sich die Hypothese derVertikalwanderungen — wird wesentlich dadurch Zustandekommen, daß die Tiere dem Planktonnetz bei Tage infolge des von ihm ausgehenden Lichtreizes ausweichen. Be- sonders ist das für schnell bewegliche Tiere anzu- nehmen, wie Kopepoden, im Meere auch für Leptocephalus und andere. Sollten dennoch manche Dunkeltiere bei Nacht etwas emporsteigen, was wohl möglich und begreiflich wäre, so müßten künftige Untersuchungen diese Vertikalwanderung stets scharf von dem auf der erwähnten Fehler- quelle beruhenden Anschein einer viel ausgiebigeren Vertikalwanderung zu trennen suchen. V. Franz. Zur Histologie der Haut von Chimaera. Chi- maera, ein auch an den skandinavischen Küsten vorkommender Tiefenfisch mit großen, grünleuch- tenden Augen, hat bekanntlich eine nackte Haut und eine anscheinend besonders primitive, nämlich rinnen förmige, nicht aus einzelnen Poren be- stehende Seitenlinie, Merkmale, die nebst der Ver- einigung desKiefergaumenapparats mitdem Schädel die Abtrennung der Chimaeridae von den ihnen sonst ähnlichen Haien als Ordnung der Holoce- phalen berechtigen. NachG. Ruud^) stellen die Seitenlinie und am hinteren Teil des Kopfes die ihr gleichartigen Kopfkanäle, die auch bei an- deren iMschen nicht fehlen, wesentlich schmälere Kanäle dar als die Kanäle auf der rostrumartigen Schnauze; letztere Kanäle werden mit Solger auch die „sekundären" genannt gegenüber jenen „pri- mären", weil ihre Mündungsspalten sich in regel- mäßigen Abständen zu rundlichen Poren er- weitern. Zwischen je zwei Poren fand sich im Kanal je eine einer Papille aufsitzende Sinnes- knospe. Solche Papillen sind auch in den pri- mären Kanälen enthalten, hier tragen sie mehrere hintereinander liegende Sinnesknospen, die unter- einander durch Sinnesepithel verbunden sind. Außerdem finden sich in unsymmetrischer Verteilung kleine Felder in der Haut, die Sinnes- knospen enthalten. Verglichen mit dem Tiefenhai Spinax ') er- scheinen diese Felder besonders einfach gestaltet, denn bei den Haien sowie bei Amia unter den Ganoiden, wo sie auch vorkommen, sind sie als „Spaltpapillen" ausgebildet, als ovale, spalt- förmige Einsenkungen mit spindelförmiger Papille. Die Sinneskanäle dagegen, als Kanäle gleichfalls besonders einfache Bildungen, sind bei Chimaera insofern stärker differenziert als beim Hai, als sie bei diesem nicht einzelne Sinnespapillen, sondern einen gleichmäßig linearen Nervenknopf enthalten. So findet sich primitive und Neubildungen neben- einander. Aus der Histologie ist noch eins recht be- merkenswert: die Kanäle sind umgürtet von Knochenringen, die natürlich am Mündungs- rand des Kanals stets durchbrochen sind. Auf Grund ihrer Struktur und ihres Färbevermögens sollen sich diese Knochenringe als identisch mit Plakoidschuppen, die bei Chimaera sonst fehlen, erweisen. V. Franz. Geologie. Über die Veränderlichkeit der Form der Erzlagerstätten sprach Beyschlag in der Julisitzung der deutschen geologischen Gesellschaft (Augustheft vom „Glückauf"). In früheren Zeiten wurde aus der Form der Erzlagerstätten auf die Entstehung der betreffenden Lagerstätten geschlossen. Erst später kam man zu der Erkenntnis, daß gleiche Vorgänge ganz verschiedene Formen von Lagerstätten erzeugen können. Solche Formveränderung weisen die Bleigänge des Oberharzes auf, wo sie die großen Überschiebungen durchqueren. Durch sie sind sie nach Richtung, Beschaffenheit und Zusammen- setzung hin umgeändert worden. Änderung der Lagerung und Beschaffenheit des Gesteins haben die Manganerzlagerstätten im Kreise Biedenkopf und im Waldeckschen erfahren. Zwischen den gefalteten Kulmschichten treten Berge aus Kiesel- schiefer auf, die aus Senken und Tälern hervor- ragen, welche aus Tonschiefer gebildet sind. Vor der Erosion entstanden auf einer vorhanden ge- wesenen Fastebene Manganerze. Der spröde Kiesel- schiefer gestattete ihnen ein Eindringen, während der Tonschiefer keine geeignete Ablagerungsstätte für sie war. Deshalb finden wir die Erze im Kieselschiefcr als zertrümmerte Gangzonen mit Mangan und Rhodonit ausgekleidet, und im dis- kordent auf dem kulmischen Faltengebirge auf- lagernden Zechsteinmantel zeigen sie sich als ein- fache Gänge mit Kalkspat, Psilomelan, Hausmannit, Pyrolusit. Aus dem Zechsteinkonglomerat bei Franken- hausen in Hessen kennt man Kupfererze. Die zwei vorhandenen Konglomerate sind durch Sand- stein- und Schieferlagen voneinander getrennt. In dem Geismarer Kupferletten shzt die Hauptmasse ') Gudrun Ruud: Sinneslinien und freie Nervenhügel bei Chimaera monstrosa. Zool. Jahrb., Abt. f. Anat., Bd. 40, H. 3, S. 421 — 440, 1917. •j Gu niger, Bo drun Ruud: Om hudsanseorganene hos Spinax laparte. Nyt Magazin for Naturvidenskaberne. [913. N. F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 733 der Erze. Die Erzführung hängt von kleinen Querklüften und organischen Resten (Ullmanien) ab. Bei Thallitten werden ebene Zechsteinplatten durch NS-Spalten zerlegt. Dazu verlaufen OW- Spalten quer. Beide Systeme enthalten Erz. Über dem wenig entwickeUen Konglomerat liegen Kalke und Mergel. Letzterer enthält in mikroskopischer Betrachtung feinverteiltes Kupfererz. Bei Arolsen liegt am Rande des Schiefer- gebirges die Kupferlagerstätte von Zwirna im Gebiete des Buntsandsteines. Kupfererz tritt dort in toniglettigen Bänken in rundlichen Knotten ähnlich wie bei Mechernich auf. Bei Nieder- und Obermarsberg bei Stadtbergen bilden Kulm und Devon steile Sättel, von flachem Zechstein überlagert. Im Zechstein und darunter- liegendem Kulm finden sich auf zwei Spalten Kupfererze, zwischen denen ein Flizgraben vor- handen ist. Auf Klüften führt sein Kieselschiefer- inhalt Erze wie die in den Kalken des unteren Zechsteins. Alle diese verschiedenen Formen der Kupfer- erzvorkommen am Westrande des rheinischen Schiefergebirges sind nur verschiedene Formen einer einheitlichen Lagerstättenprovinz. Ein gleiches Vorkommen verschiedener Formen derselben Lagerstätte findet sich im Gebiet der Porphyrergüsse in der Nordpfalz. Zwei Gruppen lassen sich unterscheiden , eiue SO-Gruppe am Donnersberge und eine NW- Gruppe bei Oberstein. Im Randgebiet des Donnersberges zeigen sich in Klüften Anflüge von Kupfererzen. Die zusammen- hanglosen Vorkommen sind Konzentrationszonen, die mit abnehmender Breite in die Tiefe gehen, an Zerklüftungen der Porphyre gebunden sind und keine Gangmineralien führen. Wenige hundert Meter vom Rande der Porphyr- decke entfernt treten im Rotliegendensandstein Kupfererze in dünnen gebleichten Lagen auf, die annähernd mit der Schicht laufen und Malachit- knotten führen. Als dritte Art des Vorkommens erkennt man in der Bleichungszone der sandigen Tonschiefer des Rotliegenden nußgroße Konkretionen von Kupferglanz und -Kies. Es handelt sich also um Stockwerkbildung im Porphyr- und Knottenerz- bildung in den Sedimenten. Bei Oberstein sind zwei sich kreuzende Gang- systeme in der WW- Gruppe vorhanden, durch die Trümmer- und stockwerkähnlichelmprägnations- zonen entstehen. Im Nahegang haben wir keinen Gang vor uns, sondern eine Schichtgrenze zwischen Melaphyr und hangenden tonigen Sedimenten, auf den Kupfererze vorkommen. Endlich kommen bei Oberstein als Ausfüllung kleiner Trümmer an Bleichungszonen geknüpfte Kupfererze vor. So läßt sich trotz der verschiedenen Formen im nordpfälzischen Eruptivgebiet eine einheitliche Lagerstättenprovinz erkennen. In der Gegend von Aachen und im benach- barten Belgien zeigen sich Beispiele, wie aus Gängen Stöcke und Schläuche entstehen. Von NW nach SO verlaufen Störungen nordwestlich des Hohen Venu. Sie führen alle da nur Erz, wo sie die Kalke des Karbons und des Devons durch- setzen. Dagegen sind sie im Schiefer und Sand- stein ziemlich erzfrei. Es lassen sich glatte Gänge mit Blei-, Zink- und Markasitführung in lagen- förmiger Anordnung unterscheiden. Beim Über- gang in den Kalk werden sie Schläuche oder Stockwerke. An der Grenze zum Schiefer reichern sich die Erze an. Diese Gänge finden ihre Fort- setzung in den Nesselbrüchen der Trias auf der SO Seite des Hohen Venns bei Commern. Im Untern Buntsandstein erscheint die Erzführung als Knottenerze. Bei Mechernich wechelt die Lagen- stätte ihre Form in mannigfaltiger Weise derart, daß bei Commern-Mechernich die Erzlager von einer Schicht zur andern übergehen ohne syn- genetischen Charakter zu beshzen. Bei Cell geht der Bergbau im Buntsandstein und in Devonkalken um. Der rote Sandstein enthält kaum bauwürdige Erze. In den tonigen Schichten treten Weißblei- erzknotten auf, deren Entstehung auf Adsorptions- wirkung zurückzuführen ist. Unmittelbar stößt der Devonkalk an, und auf der Auilagerungsfläche des Buntsandsteins auf Devonkalk finden sich mulmige Bleierze. An der Grenze ist der Kalk aufgelöst, durch weiche Erze ersetzt und in Dolomit umgewandelt, in den auch noch ver- wickelt gebaute Schläuche von Bleierz eingedrungen sind, die verwickelten Bau aufweisen. Bei Be- scheid baut man im Buntsandstein zwei Lagen ab, durch eine Betten- und Konglomeratbank ge- trennt, die zusammen bis 30 m mächtig sind. Entlang einer nicht tektonischen, die Schichtung schief schneidenden Trennungsfläche verläuft die Grenze zwischen tauben und erzführenden, ge- bleichten Gesteinen. Die Erzführung beginnt mit einer Kupfererzzone, dann folgen eine reiche Blei- glanzzone, die allmählich verarmt, eine Zinkerzzone, eine Weißbleierzzone. Im liegenden Konglomerat zeigt sich eine mit Bleiganz erfüllte Mulde. Es handelt sich hier um eingewanderte, epigenetische Erze. So bilden die Vorkommen von Aachen bis Mechernich ebenfalls eine einheitliche Lagenstätten- provinz. Beyschlag faßt die verschiedene Ent- wicklung der Lagenstätten einer Lagenstätten- provinz als F'aziesbildung auf. Rudolf Hundt. Bticherbesprechungen. Köhler, W., Intelligenzprüfungen an Kgl. Akademie der Wissenschaften, in Korn- Anthropoiden. L Berlin 191 7. Verlag der mission bei Georg Reimer. — 9,50 M. 734 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVII. Nr. 51 Als weiteres Ergebnis der Arbeiten der An- thropoidenstation auf Teneriffa ist die zweite Stationsschrift erschienen. Sie bringt die Ver- suche, welche W. Köhler an Schimpansen an- gestellt hat und bezieht sich im wesentlichen auf die Frage: „Handelt der Schimpanse einsichtig oder nicht?" Als Versuchstiere wurden 9 Schim- pansen benutzt, von denen 7 bereits sich längere Zeit als Studierobjekte auf der Station befanden, zwei zum ersten Male Versuchen unterworfen wurden. Die Begabung der einzelnen Tiere ist sehr verschieden und kommt Köhler schließlich zu einer Art Klasseneinteilung seiner Versuchs- objekte. Die erste Serie der Untersuchungen sind sogenannte Umwegversuche. Ein Ziel kann infolge eines Hindernisses nur auf gekrümmter Bahn nicht auf geradem Wege erlangt werden. Ist das Ziel hierbei sichtbar und das Hindernis übersehbar, so gelingt die Lösung glatt. Auch der Umweg- versuch bei Unsichtbarkeit des Zielortes und des größeren Teiles vom möglichen Umweg gelingt im wesentlichen, falls die betreffenden Raumteile nur sonst bekannt sind. Ein ähnlicher Versuch gelang übrigens auch mit einer Hündin. Sehr eingehend sind die Versuche über den Werkzeug- gebrauch, sie sind im wesentlichen derart gedacht, daß ein Ziel (Banane) nur unter Benutzung irgend- eines in erreichbarer Nähe befindlichen Gegen- standes von dem Schimpansen erreicht werden kann. Als Beispiel sei hier der Versuch genannt, in dem vor dem Käfig ein nicht erreichbares Ziel liegt, während sich im Käfig ein Stock befindet. Dieser Stock wird ohne weiteres dazu benutzt, das Ziel heranzuziehen. Überhaupt erscheint der Stock als eine Art „Universalinstrument" für den Schimpansen. Er wird als Springstange (in be- sonderer Weise), zum Heranholen des Zieles, als Löffel, als Hebel und zum Graben benutzt. Die Ausführungen des Verfassers über die Benutzung eines Stockes als „Grabstock" sind im ethnologi- schen Sinne recht bemerkenswert. Auch als Waffe wird der Stock gebraucht, jedoch im all- gemeinen nur im Spiel, kommt es zum ernsten Kampf, so wird der Stock fortgeworfen, und die Arme, Füße und Zähne treten in Funktion. Andere Versuche über den Werkzeuggebrauch be- ziehen sich auf die Benutzung von Kisten und ähnlichen Dingen zum Erreichen hochangebrachter Ziele. Jedoch sind gerade diese Kapitel zu inhalts- reich, als daß hier auf sie näher eingegangen werden könnte, es mag nur erwähnt werden, daß auch Beobachtungen über das SichSchmücken und über Anfänge von Bemalen der Wände, Balken usw. in diesen Kapiteln beschrieben werden. Die Werkzeugherstellung und das Bauen nehmen zwei weitere Abschnitte des Buches in Anspruch. Es handelt sich hierbei um das Abbrechen von Stöcken, das Zurechtbiegen gebogenen Drahtes, das Ausleeren von mit Steinen angefüUten Kisten, die als Mittel zum Erreichen hoch angebrachter Ziele dienen sollen, um Werkzeugverbesserungen z. B. durch Ineinanderfügen zu kurzer, ausgehöhlter Stöcke. Beim „Bauen" werden Versuche beschrieben, in denen es darauf ankommt, daß mehrere Kisten aufeinandergetürmt werden müssen. Hierbei zeigt sich, daß ein Gefühl für Statik beim Schimpansen kaum vorhanden ist. Von den übrigen Kapiteln, die im wesentlichen sich an die vorhergehenden Versuche anschließen, indem sie diese komplizieren, mag nur gesagt sein, daß sie das Bild, das uns die Arbeiten des Verfassers von der Intelligenz des Schimpansen geben, noch weiter vervollstän- digen. Auch setzt sich der Verfasser mit der Zu- fallstheorie und der Nachahmungstheorie ausein- ander, die er beide für seine Versuche ablehnt. Auf Grund seiner Versuche wird folgender Schluß gezogen: „Die Schimpansen zeigen einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen be- kannten. Nicht immer ist, was sie Einsichtiges vornehmen, äußerlich Menschenhandlungen ähn- lich, aber unter geeignet gewählten Prüfungsum- ständen ist der Typus einsichtigen Gebahrens mit Sicherheit nachzuweisea". Der Anthropoide steht „auch an Einsicht dem Menschen näher als vielen niederen Affenarten". Wichtig erscheint mir der Hinweis darauf, daß vergleichende Versuche mit Kindern sehr interessante Ergebnisse versprechen, da bisher entsprechende Arbeiten nicht vorliegen. Die Schrift wird von jedem Biologen mit großem Interesse gelesen werden. Willer. Kohlschütter, Prof. Dr. V., Nebel, Rauch und Staub. Bern '18. M. Drechsel. — 1,80 M. Verf. erörtert in dieser kleinen, sehr klar und anschaulich abgefaßten Schrift zunächst rein theo- retisch, wie Nebel, Rauch und Staub entstehen, welche physikalische Erscheinungen sie zeigen usw., um dann im Einzelnen die Bedeutung dieser Phänomene für das praktische Leben darzutun. Er schildert die atmosphärischen Ausscheidungen der Fabriken, Hütten in ihrer verschiedenen Zusam- mensetzung und Eigenart, ihre Schädlichkeit in wirtschaftlicher und hygienischer Hinsicht, sowie die Mittel, wie letztere vermindert werden kann. Miehe. Conwentz, H., Merkbuch für Naturdenk- malpflege und verwandte Bestrebun- gen. Berlin '18. Gebr. Bornträger. Pas Büchlein enthält alles Wissenswerte über Naturdenkmalpflege, Naturschutz und ähnliches in Deutschland, namentlich in Preußen. Es wird die Verteilung des Gegenstandes auf den Dienstbereich der Ministerien, eine Übersicht der staatlichen Organisationen, ein Verzeichnis der Vereine, Ge- sellschaften und Kongresse, welche der Natur- denkmalspflege ihre Förderung angedeihen lassen, sowie der Zeitschriften gegeben, die sich ganz oder teilweis mit Naturdenkmalspflege, Heimat- schutz befassen. Dann werden einige Gesetze, Verordnungen und Anregungen wiedergegeben und zum Schluß die hauptsächlichsten selbständigen Schriften über Naturschutz aufgeführt. Das kleine Buch bietet jedem an den Bestrebungen des Natur- N. F. XVn. Nr. 51 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. 735 Schutzes Interessierten ein bequemes Mittel, um sich rasch über dies Gebiet zu unterrichten. Miehe. Karl Hauser und Alfred Segall. Zoologie in Fragen, Antworten und Merkversen unter besonderer Berücksichtigung der Biologie und Entwickelungslehre zum Gebrauch lür Stu- dierende der Medizin, Tierheilkunde und Zoologie. 544 S. mit 170 Abb. Berlin 1918, Verlag von Fischers Medizin. Buchhandlung H. Kornfeld. — Preis geh. 10 M. Mit diesem Buche wollen die Verfasser „allen denen, die eine Prüfung in der Zoologie ablegen wollen, ein Hilfsmittel für die Vorbereitung bieten". In 141 1 Fragen und Antworten behandeln sie die gesamte spezielle Zoologie und im allgemeinen Teil das Wichtigste aus der Histologie, Organo- graphie, Entwicklungsgeschichte und Biologie. Ein Repetitorium wie das vorliegende kann und soll kein Ersatz für ein Lehrbuch der Zoologie sein, es soll lediglich dazu dienen, das bereits einmal Gelernte sich ins Gedächtnis zurückzurufen. Diesem Zweck vermag das Buch in hinreichen- dem Maße zu entsprechen, es wird manchem Prüfling willkommen sein. Der Stoff ist so aus- führlich behandelt, daß der Prüfling wohl das meiste, was er zum Examen braucht, in dem Buche finden wird. Manche Gebiete sind vielleicht sogar etwas zu ausführlich behandelt, so vor allem die Syste- matik. Es wäre besser gewesen, statt dessen noch einzelne Fragen aus den Gebieten der Zellforschung, der Vererbungslehre und Entwicklungsmechanik einzufügen, Gebiete, die heute im Vordergrunde des Interesses stehen. Die Fragen, deren Kenntnis nach Ansicht der Verfasser für das Tentamen physicum genügt, sind mit einem * versehen. Im großen und ganzen dürften die Verfasser hier die richtige Auswahl getroffen haben, jedenfalls muten sie dem Mediziner nicht zu viel zu. Auf den letzten 60 Seiten geben die Verfasser eine große Anzahl „Merkverse", deren Wert in- dessen meines Erachtens sehr gering ist. Es soll durchaus nicht bestritten werden, daß ein guter Merkvers für das Gedächtnis eine große Erleichterung sein kann. Ich will nur an das hübsche Verschen erinnern, das in vortrefflicher Weise den Unterschied zwischen dem harmlosen Culex und dem als Malaria Überträger gefährlichen Anopheles einprägen hilft, und das unter den Truppen in Mazedonien und anderen malaria- verseuchten Ländern viel Verbreitung gefunden hat. Ehe der Prüfling sich aber diese schlechten Merkverse einprägt , sollte er lieber in einer zoologischen Lehrsammlung und draußen in der Natur die Objekte studieren, davon verspreche ich mir mehr Erfolg als von diesen Versen. Zum Schluß noch einige Irrtümer, die mir beim Durchblättern aufgefallen sind; es dürlten sich wohl noch weitere finden lassen. Der „Arbeitsfuß" der Honigbiene ist gänzlich falsch dargestellt. Die „Bürste" am Hinterbein der Arbeiterin befindet sich nicht an der Tibia, sondern an dem Metatarsus, und zwar nicht auf der Außen-, sondern auf der Innenseite. Die Außenseite der Tibia ist zur Aulbewahrung des Blütenstaubes eingerichtet, sie dient als „Körbchen". Der „Fersenhenkel" am vorderen Rande des Metatarsus dient nicht zum Abnehmen der Wachsblättchen — wie man allerdings früher glaubte ; die Wachsblättchen werden mit Hilfe der Bürste zwischen den Hinterleibssegmenten hervor- geholt — , sondern erwirkt als „Pollen sc hieb er", d. h. vermittels des sogenannten Fersenhenkels wird der Pollenballen im Körbchen zusammen- gepreßt und nach oben geschoben, um Platz für weiteren Pollen zu gewinnen (Frage 203 und Figur 55). Praecambrium, nicht Praecambium, heißen die ältesten Fossilien führenden Schichten (Fragen 210, 263 und Index). Die Vermehrung der Gregarinaria erfolgt teils durch Iso-, teils durch Anisogameten (Frage 290). Ceratium tripos, nicht tripus (Frage 309 und Figur 68). Die Cytopyge, der Zellafter, ist kein konstantes Organeil der Ciliaten, der Mehrzahl fehlt es (Frage 312). Die meisten Hydra- Arten sind getrennten Geschlechtes, nicht Zwitter (Fragen 354, 364, 371)- Die alte Annahme (Schmankewitsch), daß Artemia bei Verminderung desSalz- g e h a 1 1 e s ihres Mediums in Branchipus über- geht, hat sich längst als unhaltbar erwiesen (Frage 745). Cocciden sind keine Käfer, sondern Rhyn- c boten; unter diesen sind als Formen mit Parthenogenese in erster Linie die A p h i d e n zu nennen. Bei Käfern sind Formen mit partheno- genetischer Fortpflanzung selten. Als Insekten, bei denen Parthenogenesis vorkommt, sind indessen noch die Orthopteren (Dixippus, Bacillus) zu nennen (Frage 823). Nachtsheim. Wilhelm Bölsche, Schutz- und. Trutz- bündnisse in der Natur. Mit vielen erläuternden Abbildungen. ']'] S. Stuttgart 191 7, Franckh'sche Verlagshandlung. — Preis geh. I M. In dem vorliegenden Kosmos-Bändchen erzählt Bölsche seinem großen Leserkreise einiges aus einem der anziehendsten Kapitel aus dem so reich- haltigen Buche der Natur, er behandelt das Genossenschaftsleben in der Organismenwelt, die Symbiose. Mit der ihm eigenen bilderreichen Sprache plaudert er von Einsiedlerkrebsen und Seeanemonen, von Pilzen und Algen, die als „Flechten" zusammen leben, vom Süßwasser- polypen und seinen Algen, von den Termiten und ihren Pilzgärten und vielen anderen „Schutz- und Trutzbündnissen". Nachtsheim. 736 Naturwissenschaftliche Wochenschrift. N. F. XVn. Nr. 51 Anregungen und Antworten. Herrn Dr. M. Th. in O. — Die jährlich erscheinende Literatur über Tierwanderungen ist außerordentlich umfang- reich und zudem senr zerstreut. So finden sich Mitteilungen über die Wanderungen der Vögel in großer Zahl in allen ornithologischen Zeitschriften des In- und Auslandes. Die entomologischen Zeitschriften enthalten manchen Beilrag zur Frage der Insektenwanderungen. Die wichtigste zusammen- fassende Literatur über Tierwanderungen sei im folgenden angegeben; Hesse-Doflein, Tierbau und Tierlebcn, II. Bd. D o f- lein, F., Das Tier als Glied des Naturganzen. Leipzig und Berlin 1914. — Die Tierwanderungen werden im 5. Ka- pitel behandelt. Cornelius, C, Die Zug- und Wandertiere aller Tier- klassen. Berlin 1865. Duncker, H., Wanderzug der Vögel. Jena 1905. Gätke, H., Die Vogelwarte Helgoland. Braunschweig 1891. Graeser, K., Der Zug der Vögel. Eine biologische Skizze. 3. Aufl. Leipzig 191 1. Knauer, F., Tierwanderungen und ihre Ursachen. Köln 1909. Kobelt.W., Die Verbreitung der Tierwelt. Leipzig igo2. — Der gesamte zweite Teil des Werkes handelt von den Wanderungen der Tiere. Palmen, J. A., Über die Zugstraßen der Vögel. Leipzig 1876. Thienemann, J., Jahresberichte der Vogelwarte Ros- sitten der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft. — Er- scheint jährlich im Journal für Ornithologie, das überhaupt viele wichtige Berichte über den Vogelzug bringt. Vosseier, J., Insektenwanderungen in Usambara. In- sektenbörse, Bd. 23, 1906. Von der besonders gewünschten Literatur über die Wan- derungen der Schmetterlinge und Fische seien noch die folgen- den neueren Arbeiten genannt: Franz, V., Über die Wanderungen der Fische, insbe- sondere des Aals. Aus der Natur, Bd. 6, 1910. Franz, V., Phototaxis und Wanderung. Nach Versuchen mit Jungfischen und Fischlarven. Intern. Revue d. ges. Hydro- biologie und Hydrographie, Bd. 3, 1910. Franz, V., Die Laichwanderungen der Fische. Ein Bei- trag zur Gesellschaflsbiologie der Tiere. Arch. f. Rassen- und Gesellschaflsbiologie, Bd. 7, 1910. Franz, V., Über Ortsgedächtnis bei Fischen und seine Bedeutung für die Wanderungen. Kurzer Bericht über das Resultat einer Umfrage. Intern. Revue d. ges. Hydrobiologie und Hydrographie, Bd. 4, 191 1. F'ranz, V., Über Ortsgedächtnis bei Fischen und seine Bedeutung für die Fischwanderungen. Ergebnisse einer Um- frage. Arch. f. Hydrobiologie u. Planktonkunde, Bd. 7, 1912. Krebs, W., Geophysikalische, besonders klimatische Be- ziehungen des Auftretens der Heringsschwärme in der süd- östlichen Nordsee. Fischerboote, Bd. 3, 191 1. Krebs, W., Geophysikalische Verhältnisse auf den Fund- stellen der Aallarven im Atlantik und im Mittelmeer. Fischer- boote, Bd. 3, 1911. Marcus, K., Die Aa' frage. Naturw. Wochenschr. N. F. Bd. 15, 1916. l'cttersson, O., Studien über die Bewegungen des Tiefenwassers und ihren Einfluß auf die Wanderung der Heringe. Fischerboote, Bd. 3, 191 1. Reibisch, J., Biologische Untersuchungen über Ge- deihen, Wanderung und Ort der Entstehung der Schölle (Pleu- ronecles platessa) in der Ostsee. Wissenschaftl. Meeres- unters. Kiel, Abt. Kiel, N. F. Bd. 13, 191 1. Storch, O., Die modernen Heringsforschungen. Naturw. Wochenschr., N. F. Bd. 13, 1914. Strodtmann, S., Die Wanderungen der Fische in der Ostsee. Verh.. d. naturw. Ver. Hamburg, Bd. 18, 191 1. Linstow, V., Schmetterlingszüge in Europa. Intern. Entomol. Zeilschr., 7. Jahrg., 1913. • — Zusammenstellung der bisher bekannt gewordenen Fälle. Uzel, H., Beobachtungen über wandernde Schmetter- linge auf Ceylon. Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiologie, Bd. 8, 1912. Warnecke, G., Wandernde Schmetterlinge. Entomol. Rundschau, Bd. 26, 1909. Weitere Literatur ist aus den angegebenen Arbeiten er- sichtlich. Mitteilungen über die für die Wanderungen in Be tracht kommenden Sinnesorgane finden sich in den meisten der zitierten Abhandlungen. Allerdings sind unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete noch sehr gering. Was die Wahrnehmung von Lufldruckschwankungen usw. bei Schmetterlingen anbetrifft, so sei auf die nachstehenden Arbeiten verwiesen: Freiling, H.H., Duftorgane der weiblichen Schmetter- linge nebst Beiträgen zur Kenntnis der Sinnesorgane auf dem Schmetterlingsflügel und der Duflpinsel der Männchen von Danais und Euploea. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 92, 1909. Hochreuther, R., Die Hautsinnesorgane von Dytiscus marginalis L., ihr Bau und ihre Verbreitung am Körper. Zeilschr. f. wissensch. Zool., Bd. 103, ig 12. Vogel, R., Über die Innervierung und die Sinnesorgane des Schmetterlingsflügels. Zool. Anz., Bd. 36, 1910. Vogel, R., Über die Innervierung der Schmetterlings- flügel und über den Bau und die Verbreitung der Sinnesorgane auf denselben. I. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 98, 1911. Vogel, R., Über die Chordotonalorgane in der Wurzel der Schmetterlingsflügel. II. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 100, 1912. Nacbtsheim. Literatur. Prochnow, Dr. O., Die Zielgeräte der Feinde Deutsch- lands zum Bombenwurf aus Flugzeugen. Herausgegeben von der Optischen Anstalt K. P. Goerz A.-G. Berlin-Friedenau. Grünbaum, Dr. ¥., Elektromechanik und Elektro- technik. Mit 203 Abbild. Leipzig '18. G. Thieme. 7 M. Festschrift, Eduard Hahn zum LX. Geburtstage dar- gebracht von Freunden und Schülern. Stuttgart '17. Strecker und Schröder. 18 M. Stoller, Dr. J., Geologischer Führer durch die Lüne- burger Heide. Mit 8 Karten und 38 Textfiguren. Braun- schweig '18, Fr. Vieweg & Sohn. 6,70 M. Dingler, Dr. H., Die Kultur der Juden. Eine Ver- söhnung zwischen Religion und Wissenschaft. Leipzig '18, Der neue Geist Verlag. 3,60 M. I Cornel Schmitt, Insekten als Blattminierer. (9 Abb.) S. 721. Karl Müller, Sitzung der Vereinigung für an- gewandte Botanik in Hamburg am 24. September 1918. S. 724. — Einzelberichte: A. Kohlschütter, Neuer ver- änderlicher Stern 6. Größe. S, 727. A. Wolfer, Sonnenflecken Maximum. S. 727. B. Wiese, Kälteeinbruch vom 7. zum 8. Februar 1917. S. 728. W. R. Eckardt, Luftdruck und Regenfall im Mittelmeergebiet. S. 72S. Plate, Vererbungsstudien an Mäusen. S. 729. O. Haempel, Hallställer See. S. 730. G. Rund, Zur Histologie der Haut von Chimacra. S. 732. Beyschlag, Über die Veränderlichkeit der Form der Erzlagerstätten, S. 732. — Bücher- besprechungen: Köhler, W., Inlelligenzprüfungen an Anthropoiden. 1. S. 733. 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