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jerlin bei Wilhelm Borngräber | Verlag Neues Leben A 2912 *

Alle Rechte vom Verleger gewahrt. Copyright by Wilhelm Borngräber Verlag Weues Leben, Berlin W

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Heimat.

Das iſt fo ſchön: wenn an der Heimat Schwelle Die bunten Bilder mählich uns verlaſſen, Wenn alte Träume durch die alten Gaſſen Serübergrüßen aus der Kindheit Selle,

Und alle Länder, die der Fuß durchmeſſen,

Vor eines Sauſes offener Tür vergeſſen.

Wiener Frühling. Schönbrunn.

Ein Traum von dazumal. Die Taxushecken Stehn maiengrün auf mattgetöntem Blau.

Zoch überragt der ſchlanke Säulenbau

Der weißen, luſtig⸗ſtolzen Gloriette

Den Steinneptun am weiten Waſſerbecken; Fern, fern in roſig⸗ violettem Grau

Dehnt ſich die weichgeſchwungne Hügelkette. Ein alter Gobelin mit friſchen Farben,

Den nicht der Zeiten Wirbelſturm zerriß,

Den nicht der tiefen Wächte Finſternis,

Die Sonnenglut der Tage nicht verdarben. Schnell in dies Bild, fo licht und wohlerhalten, Webt Phantaſie die fehlenden Geſtalten.

Wer kennt ſie nicht?! Es öffnet ſich die Gruft, Und aller Rönigsprunk der Majeſtät

Steigt ſeidenkniſternd an die Frühlingsluft,

Die bald den kühlen Moderhauch verweht. Steinurnen füllen ſich mit Blütenlaſten,

Die Fahnen ſchlagen, ſchwer von goldnen 3 Die tulpenbunten Röcke drängen breit

Sich durch des Gartens grüne Einſamkeit.

Und Wort und Witz und lächelndes Verſtehn Und Puderduft geſellt dem der Diolen Aus engen Miedern tiefes Atemholen,

Ein Beugen, MWeigen, Auf⸗ und Niedergehnn Rund um den See ſchlingt ſich die Menuette, Wie farb'ge Schlangen ringelt ſich der Tanz, Weit überpurpurt von des Abends Glanz

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. . . . Traumfelig fteig’ ich von der Gloriette, Die wie mit roten Roſen überſtreut, Und fahre heim ins Iuftige Wien von heut.

Kahlenberg. Schon ſchlingt der junge Wein die Kinderhände Feſt um den Stab, um keck hinaufzuklettern, Ganz ohne Furcht vor Sturm und Hagelwettern. In Sonnenfluten badet das Gelände. Die Zahnradbahn faßt reiche Farbenpracht, Hüte voll Blumen, Bluſen, lichtgetönt. Vaterl ſaugt die Virginia, Mutterl ſtöhnt: „Ui jeh, die Hitz!“ Die blonde Mizzi lacht. Zart rauſcht das Laub, wenn es der Wind umſchleicht. Nach kurzer Zeit ſchon iſt der Berg erklommen Und bald das Beſte, die „Melange“, erreicht. Die Streichmuſik wird gratis hingenommen. Röſtlicher Ausblick! Wald und all die hellen Umblauten Berge! Wundervoller Duft! Ein Fähnchen flattert luſtig in der Auft, Der leicht vom Wind bewegten, ſonnenhellen. Gleich nach der „Jauſe“ gehts den Hang hinab Durch kirchenſtillen Wald zum Wieſengrunde Hinein in feierliche Andachtsſtunde. Und in der Mulde weiches Blumengrab, Mit Simmelsſchlüſſeln golden ausgeſchlagen, Streckt man erlöſt die ſtraßenmüden Glieder, Blickt hoch ins Blaue und träumt bunte Lieder Fern, fern verrollt des Alltags ſchwerer Wagen. Die Donau zieht ihr Schleppenkleid vorbei Am Biſamberg, der von Smaragd umkettet,

Dort Kloſterneuburgs würdige Abtei!

Ein altes Pärchen, ſorgſam eingebettet

In Tuch und Hülle, zecht am Wieſenrain;

Es grüßt und nickt, winkt freundlich uns entgegen Und ladet uns zu einem Glaſe Wein

Wir aber wandern fort auf Frühlingswegen

Und ſchlürfen aus des Lenzes Feſtpokalen

Den ſüßen Duft der zarten Blütenſchalen.

Volksgarten.

Kein weiter Weg, mir gegenüber faſt,

Dort, wo die Kinder um das Sitter drängen, Dehnt er ſich hin mit ſeinen Laubengängen Junger Kaſtanien voller Blütenlaſt.

Holzreifen rollen, und der Gummiball

Will, hochauftanzend, gern den Simmel ſprengen. Im Waſſerbecken leiſer Tropfenfall.

Wo rot der Goldfiſch engen Kreis durchſchnellt, Und dort, wo Sand zu Bergen aufgeſchichtet, Auf Plätzen, die von Sonne überlichtet,

In den Alleen, die nur matt erhellt,

Sind Kinder, Kinder, Kinder, bald ein Seer, Ein Seer in Söckchen und Matroſenhüten, Lebendige, roſig⸗ weiße Frühlingsblüten.

Das arme Fräulein hat es manchmal ſchwer, Das vollbepackt mit Tüchern, Flaſchen, Tüten. Und doch iſt es kein trauriges Geſchick,

So mit den Kindern in den Park zu gehen, Wo alle Büſche bunt im Blühen ſtehen,

Das fagt ihr froh⸗erwartungsvoller Blick.

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ö

Die Tulpen blähn ſich unterm Sonnenkuß,

Stiefmütterchen mit ſammetweichen Wangen

Empfangen gern des Springbrunns Tröpfelguß. . - -

Da kommt es langen Schritts einhergegangen,

Um ernſthaft hier Philoſophie zu treiben;

Doch hält es ſchwer, für ſich allein zu bleiben,

Denn um die Bänke tollt der Kinderſchwarm

Und auf den Bänken .. und dann iſts fo warm.

Wie der Solunder duftet und der Slieder! . . .

So ſchwer .. . fo ſüß . .. Ah ſchau, da ſitzt fie wieder!

Ja, unter blühenden Kaſtanienbäumen

Philoſophie am hellen Frühlingsmorgen

Das mögen würdige alte Herrn beforgen!

Wir aber wollen ſchwärmen nur und träumen,

Wo unter alten Liebesmelodien

Grillparzer Wacht hält ob dem jungen Wien.

II

In Tirol.

Das war in Tirol, da der Abend kam,

Den Dolomiten die goldenen Kronen

Von den fürſtlichen Säuptern nahm

Und einen blaſſen Silberkranz

Auf die umſchatteten Stirnen gedrückt,

Daß von zitterndem Sternenglanz

Die ſchlummernde Weite überbrückt,

Wo die ernſten, geruhigen Menſchen wohnen. Wir tranken die frieden⸗ atmende Pracht Voll Andacht wie einen heiligen Wein

In die Tiefe der Seele hinein.

Da brach es wie zürnender Klang

Durch die feſtliche Nacht,

Und der ſteinerne Mund der Söhe ſang:

Mit dem Fuße im Erdenland,

Mit der Stirne am Wolkenrand

Steh ich gebunden, dennoch frei,

Das Leben treibt ſeinen Reigen vorbei, Hohes, Niederes, Heiliges: Tand,

Zerſchellt an der ewigen Wahrheit Wand Zwiſchen blauen Enzianflammen,

Ausgelöſcht vom blauenden Dunkel,

Zwiſchen zitterndem Taugefunkel

Und den flirrenden Mondlichtfunken

Drängten unſere Hände zuſammen,

Die wir bebend ins Knie geſunken.

Das Leben ein zerſchellender Reigen?! .. Da rauſchte durch das erdrückende Schweigen

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Der Fluß mit kriſtallener Stimme empor: Das Leben iſt ein hemmendes Tor!

Man muß es brechen, muß es ſprengen,

Mit allen Fluten hindurchzudrängen

Und ſich ergießen, frei aller Schwere,

In die Seligkeiten der ewigen Meere!

Das Leben ein hemmendes Tor??ꝛ Es riß uns jäh vom Boden empor

Und wir gingen, wo der Wald ſich neigt, Wo ein zärtlicher Duft

Aus ſtill atmenden Blüten ſteigt

Und an die ſanftbewegte Luft

Taſtend ſich ſchmiegt

Wie das Kind an den Mutterarm, der es wiegt. Und die Blumen, von Dunkel umfangen, Hoben den blühenden Mund und ſangen: Das Leben iſt Weg durch Schatten und Licht, Stumpfes Dunkel, gleißenden Glanz,

Iſt hinſchwebender Reigentanz,

Fluten, das hemmende Tore durchbricht,

Iſt Entfachen . Flammen ... Verglühen . |

Und dort, wo der Wald ſich neigt,

Und wo der Berg aus dem Schatten ſteigt, Und wo der Fluß ſeinem ſchwellenden Trieb Zum Meere gehorcht, vom Mondlicht weiß, Sielten wir uns und hatten uns lieb.

Und die wir getrennt in den Abend gegangen

Fühlten, daß heilige Kräfte uns zwangen Gemeinſam den wechſelnden Weg zu gehn: Mit gleitenden Reigenſchritten Mit ſuchenden Wandertritten Durch Morgen und Abendglühen Zu blůhen

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Traum am Abend.

Das war die Schönheit, die vorüberglitt.

Mit weißem Bug, das Segel roftig-rot,

So, ſchnellen Kiels, zerſchnitt das kleine Boot

Die ſanftbeglänzten Wellen, daß die Flut

Ihm aufbegehrend an die Flanken ſprang.

Und in dem Boot umfaßten ſich zu dritt

Mädchen und ſangen, aber der Geſang

War Klingen nur wie wohl die Glocke klingt,

Die eines Dorfes Feierſtunde kündet.

Kings auf den Höhen Abendlicht entzündet

Wie eines Herdes ſtill⸗ verträumte Glut,

Die, heimwärts winkend, milde Fackeln ſchwingt. Und heimatlich ward alles Land umher;

See, Berg und Singen gingen ſo zuſammen

Wie Kinder Sand in Sand nach Sauſe gehn. Dann ſchwand das Boot, ließ See und Berge ſtehn. Die Dunkelheit ſtieg erdenwärts und ſchwer

Mit plumper Macht zerdrückte fie die Flammen. Das war die Schönheit. Träume, ſtill verglommen. Kühl ſtreckt der Berg ſich, ein erloſchener Serd, Dem eine frevle Sand die Glut genommen

Und nichts zurückließ als das nackte Schwert.

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Abend in der Mark.

Wie Eiſen lafter ſchwer der runde See, Roſtrot, auf Fichtenſtämmen ſtirbt der Tag. Fern aus dem Dunkel noch ein Vogelſchlag, Ein Rinderlachen, halb vom Schlaf erſtickt. Von Glockenblumen ſchattenhaft umnickt Sandhügel, grell, wie neugefallener Schnee.

Was hüllenlos und warm im Lichte ſtand Säumen die Nebel kühl verſchleiernd ein, Verhängen dumpf des Waldes offenen Schrein, Daß alles ſtill iſt und wie eingefangen.

Die Stimmen, die ſo helle Lieder ſangen, Verklingen wie vor einer ſteilen Wand.

Und Sterne gleiten ſchwankend durch den See, Es wirft der Mond ſich bleich in ſeinen Schoß, Die Fichten werden ſchreckhaft ſtumm und groß Und duften lau. Der glatte Nadelgrund

Kaunt flüfternd wie ein Schlaf befangner Mund. Aus nahem Laubwald äugend tritt ein Reh.

Schwermütige Landſchaft, wie ein altes Bild Empfind ich dich, das nachgedunkelt hängt

In kühlem Saale, wo Brokat zerfällt

Und Roſen welken, ſpüre einer Welt Seltſames Schweigen, wie den ſtummen Gruß Aus Landen, die wir einmal ſchon durchmeſſen In Träumen, wo, von Wanderluſt gedrängt, Viel weite Flächen überſchritt der Fuß,

Und wo die Hände, überreich gefüllt,

Schätze verſchenkten, die ſie nie beſeſſen.

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Im Vorübergleiten.

Wälder, die der Herbſt entzündet,

Daß ſie grell in Flammen ſtehn,

Runde, ſchilfumkränzte Seen,

Matte Augen, halb erblindet.

Leere Felder, die im Schoß

Schon das künftige Leben tragen,

Breite Furchen ſchwerer Wagen

Und die Wieſen, blumenlos

Seh ich ſtill vorübergleiten.

Wird der Frühling hier, der Sommer wieder ſchreiten? Wird aus dieſem graugedörrten Land Safterfüllt der Halm zum Lichte ſteigen, Und ſich fruchtbeladen niederneigen,

Tief umglüht von roter Blüten Brand? Reuchend eilt der Zug, fein Atem brandet Laut wie Meerflut, und ſein weißer Giſcht Schäumt empor, verflattert und erliſcht. Keuchend hält der Zug. Wir ſind gelandet. Sind gelandet. Alles Künftige ruht,

Und wir denken in der lauten Stadt

Nicht des Kommenden, mit allen Sinnen Tauchen wir in eine wirre Flut:

Jagen und erhaſchen und entrinnen.

Und da draußen ſinken Blatt um Blatt. Jagen . . . und Erhaſchen .... und Entrinnen.

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2 Mes, Neue Gedichte 17

Tote Stunde.

Mittagsglut. Mit großen Augen ſchauen Sonnenblumen nach den grellen Strahlen. Scharf vom Simmelsgrund, dem dunkelblauen, Heben ſich die breiten, gelben Schalen.

Leife durch das Schleppenkleid der Eſche Haucht der Wind, und legt in das Gehänge Schwanker Zweige ſpielend eine Breſche, Daß die Blätter flüſtern im Gedränge.

Auf die altersmorſchen Mauerziegel Stützt der Apfelbaum die ſchweren Arme, Silbern gleißt am Gartentor der Riegel, Golden glüht der Kies, der ſonnenwarme.

Strenger Laubgeruch und Roſendüfte Miſchen ſich herb⸗ſüß zu luftigem Kranze. Durch das laue Flimmerbad der Lüfte Taumeln Mücken in erregtem Tanze.

Starr wie Goldblech ſteht die Sonnenſcheibe, Stahlblau flirrt der Panzer der Libellen, Glitzernd biegt auf ihrem zarten Leibe

Sich das Licht in ſchmalen weißen Wellen.

Stille dehnt ſich endlos. Wie ertrunken Jeder Laut, der Windhauch ſelbſt, der leiſe, Iſt verſchüchtert in das Gras geſunken. Nur die Mücken irren wild im Kreiſe.

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2*

Könnte doch der heiße, goldne Tod Dieſer Stunde faſt mir bange machen, Kläng befreiend nicht durchs Apfelrot Helles, beutefrohes Kinderlachen.

Herbſt-Andacht.

Gebundene Garben! Still und ſchön Wie im Gebet geſchloſſene Hände. Von blauen, leicht verhängten Höhn Leuchten der Wälder goldene Wände.

Es breitet hoher Feiertag Sich über früchteſchwere Lande. Fern dröhnt des Meeres Wellenſchlag,

Und ſchluchzend rollt die Flut zum Strande.

Ein Gottesdienſt voll Kraft und Glut Schenkt Predigt, Sang und Grgeldröhnen, Die Schar der Andachtsvollen ruht Gläubig vor Farben, Duft und Tönen.

Hoch über allem Grgelklang,

Dem brünſtig hingegebenen Schweigen Spielt eines Vogels kleiner Sang

Wie Sonnenfunken auf den Zweigen.

Iſt das die Seele, die von Glück Bezwungen ſich zur Höhe wendet? Kehrt eine Sehnſucht dort zurück, Erfüllt, erhoben und vollendet?

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Hohes Leben.

Noch ſind Gaben hier in Fülle, Wege führen frei ins Licht, Und des Dunkels ſtumpfe Hülle Streifte noch die Felder nicht.

Noch treibt auf des Stromes Breite Meines Schiffes lichte Laſt,

Und noch ſucht fein Kiel die Weite, Die Unendlichkeit umfaßt.

Noch ſchenkt hohe Mittagsfeier Ihren Segen meiner Saat,

Noch verhüllt kein banger Schleier Meiner Hände offene Tat.

Noch. . . . . Und will der Tag ſich ſenken Gibt es wohl ein Abendglühn,

Meines Lebens Fahrt zu lenken

In ein dankbares Verblühn.

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Schönheit.

Flimmernde Wieſen, angeſchmiegt den breiten Grau⸗blaſſen Felſen, Kiefern, tiefgebückt

Wie Bettler, Tannen, jäh emporgezückt

Gleich Schwertern die ins Himmelblau geſtoßen. Der ſchnelle Fluß von unbeholfenen großen Duftenden Lärchenſtämmen überbrückt.

Auf weißen Wegen ein gedämpftes Schreiten, Hüte von Alpenblumen übernickt,

Stäbe, die jauchzend durch die Luft geſchwungen Und Lieder, die von Wanderluſt geweckt,

In zag gewordenen Lauten, wie erſchreckt

Von ſo viel Schönheit, in ſich ſelbſt verklungen. Nur Waſſerrauſchen noch und Bienenfleiß,

Der Berge Ernſt, die Lieblichkeit der Matten, Lichtfernen und die Buchten blauer Schatten. Ich fühle mich verwoben in den Kreis,

Den Einſamkeit und Schönheit um mich ſchließen. Ein tiefes Freuen rötet mir die Wangen,

Ich ſpüre, wie die Stunden ruhig fließen

Und alles Harte glätten, und ich weiß:

Ich bin nur dieſen trüben Weg gegangen

Den kargen Weg, den ſie das Leben nennen, Um dieſes Tales Schönheit zu erkennen.

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| Das Tagebuch.

Auf der Terraſſe eines kleinen Landhauſes ſitzen zwei alte Herren.

Der eine (in der Unterhaltung fortfabrend, indem er auf den Garten weift): m... und ſieh, wie diefer ſchöne Garten war Mein Leben: überſichtlich alle Wege; Ein kleiner Irrgang wohl mit ſcharfen Ecken Wie jener dort, ſonſt alles grad und klar. Gewiß, wohl ragten ſpitzige Zypreſſen Empor und ſtachen ſchwarz ins milde Blau, wohl gab es manche dunkle Schattenflecken: Des Bruders Tod, das Scheiden meiner Frau

Der andere (einfallend): Doch haſt du ſie ein Leben lang beſeſſen.

Erſter: Es waren vierzig wundervolle Jahre; Nur wurde ſie zuletzt recht ſchwach und matt, Ich goͤnnte ihr den Tod, wie man dem Blatt Das Niederſinken gönnt an Serbſtestagen In der Gewißheit, daß ein Wiederſehn In Frühlingsſonne ihm und uns beſchieden. Den tiefſten Dank legt' ich ihr auf die Bahre Und habe ruhig ſie zu Grab getragen. Es war ein Ausklang rein und voller Frieden.

Zweiter (vor ſich bin): Wie war fie ſchön! Mein Gott, wie war fie ſchön!

Erſter: Ja, lieblich war ſie und auch liebevoll,

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Nicht laut in Liebe, zaghaft faſt. Verträumt Ging fie fo hin und ſtrich mit leiſen Sänden Mir alle Falten aus dem Leben fort, Daß keine, keine Stunde mir verdorrt, Und jeder Tag mir reich mit Licht umſäumt.

Zweiter (eifrig): Und nie war zwiſchen euch ein Streit, ein Groll?

Erſter: Nein, Ernſtes nie. Wohl kleine Zwiſtigkeiten, Wie ſie der Alltag ſo den Menſchen bringt, Als ob ein Spatz durch Nachtigallen fingt: Ein ſchriller, kleiner Ton, ein wenig Streiten Um dies und das. Wir waren ja verſchieden, Ich, mehr aus einem feſt umgrenzten Land, Den Fernen ſie, den Träumen zugewandt, Doch wie es war, wir waren es zufrieden.

Zweiter (verträumt): . . . ja, eine Rünſtlerſeele hatte fie... . Ein ſtiller See, in dem die Schönheit ſich Abſpiegelnd, bunte Bilder hinterläßt. Ihr ward ein jeder Blütenzweig zum Feſt, Der duftbeladen ihre Wange ſtrich. Sie war ... wie eine ſtete Melodie, Wie Rhythmus, der ſich weich um alles ſchlang, Ein wundervoller, halbverſchwebter Klang. Sie war ... wie Duft von Blumen, die verborgen, Nur dieſes Duften uns entgegenbringen; Sanft war fie wie das Kauſchen weißer Schwingen Und klar wie Tau an einem Frühlingsmorgen

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Erſter: Wie du ſie kennſt! Und warſt doch lange fern.

Zweiter (ſchnell):

Kennt man nicht feiner Seimat liebes Land,

Nicht jenen erſten, großen Silberſtern,

Der uns von früher Kindheit an gegrüßt,

Den Ton, mit dem die Quelle ſich ergießt,

Den Fliederſtrauch nicht, der am Fenſter ſtand

Und ſüßen Duft in unſern Traum geweht;

Der Abendwolke blaſſen Rofenrand,

Der Glockenſtimme fanftes Nachtgebet?! !!.

Wie follte man, was eines Lebens Kern

Geweſen felbft im fernſten Land vergeſſen? ... (Er hält, gleichſam erſchrocken, inne.)

Er ſter: Ich weiß, ſie war ein Stückchen Heimat dir, Ihr traft euch oft als Kinder, oft und gern. Dann wart ihr groß: du gingſt, und ſie blieb mir.

S3 ßpweiter (bitter): . . und fie blieb dir .. . und du haſt fie beſeſſen. .

rſter: Hör, Freund, jetzt will ich's ehrlich dir vertrauen: Ich ſchalt auf dich als einen leichten Herrn, Auf deſſen Wort nicht allzufeſt zu bauen, Als einen, der ſein Geld mit loſer Hand Vertan, vergeudet, nutzlos hingeſtreut. Sie aber ſprach: mir iſt's, als war es heut „Du und ihr alle habt ihn nicht erkannt. Weil ſeine Sehnſucht andre Wege ging,

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Und feine Träume euerm Denken fern,

Iſt er ein ganz Verlorner euerm Kreis,

Ein Irrender, der keinen Weg zurück

Und keinen Port und keine Ziele weiß.“

So ſprach ſie eifrig und mit warmem Blick Und knüpfte neu das alte Freundſchaftsband, Das locker zwiſchen mir und dir geworden. Und alſo kams, daß dich an fernen Borden Der Brief des auferſtandenen Freundes fand.

Zweiter: So alfo wars? Gft hab' ich nachgedacht, Was wohl die ſtarren Sinne dir gewendet.

Erſter:

Beate war es, die mich dir geſendet, Die dich uns Freunden wieder nah gebracht. Heut jährt ſich's nun, daß ſie die Augen ſchloß. Viel bunte Kränze legt ich auf ihr Grab

(Er nimmt ein kleines Buch aus der Taſche.) Und will auch nun einlöſen mein Verſprechen, Das ich ihr in der letzten Stunde gab. Wie gerne möcht ich dies Gelöbnis brechen! Iſt's doch, als würde wiederum ſie ſterben, Wenn ich dies kleine Buch der Flamme gebe; | Doch darf’s nach meinem Tode Feiner erben, 1 Wer aber weiß, wie lang ich noch verweile, . Ob ich den Tag heut noch zu Ende lebe; Zeit hat nur Jugend, Alten ziemt die Eile. Sie ſagte: „Dieſes Buch ſollſt du nicht leſen. Verbrenn es ſchnell.“ Nunwohl, ich las es nicht; Doch konnt' ich mich ſo ſchnell nicht von ihm trennen,

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Hält es doch einen Teil von ihr gefangen. Und immer ſchwerer wird mir meine Pflicht; Doch muß es fort, bevor ich fortgegangen.

Zweiter (erregt): O gönn mir einen Blick in ihre Welt!

(Der Erſte ſchlägt Feuer, hält das Buch hinein und legt es auf die ſteinerne Brüſtung der Terraſſe. Aus den Blättern, die von der Hitze auseinanderflattern, fällt ein Brief. Der Freund erkennt die Schriftzüge und bückt ſich, um ihn zu verbergen.)

Erſter (bemerkt es und greift danach): Nein gib, mein Freund, auch dieſes Blättchen trag Nun ſein Geheimnis in die große Nacht, Damit ſich mein Verſprechen ganz erfüllt. (Er behält das Blatt, ohne darauf hinzuſehen, in der Hand.) Mir iſt, als fühlt ich ihres Herzens Schlag, Der noch in dieſem letzten Blatte wacht. Nun ſcheide, liebe Seele, keuſch verhüllt.

(Er will das Blatt in die Flamme legen, zögert dann aber.)

Ach Gott!. ... nur einmal! .. laß mich einmal nur Die lieben Züge noch vor Augen ſehn. Nur ſehn! Mir blieb ſo wenig ihrer Spur

Zweiter (baftig, ihm in den Arm fallend): Derbrenn’ das Blatt! Du ſündigſt! Gib es hin! Die Flamme zittert, ſie wird bald verwehn.

Erſter (auf den Brief niederblickend, betroffen):

Die Schrift? !.. Mein Gott!... Iſt das nicht deine Schrift? (Er lieſt, während der andere ſich ſchweratmend gegen die Brüſtung der Terraſſe lehnt.) (Pauſe.)

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Erſter: Ein Puppenfpiel . . mein Leben. ohn

Sinn Er u Bus Ein Traum, ertränkt . .. in einem Becher Gift «„ 2 „46 Er:

(Er ſinkt ſchwer auf einen Stuhl.)

Zweiter bperſucht ihn aufzurichten): Komm zu dir, Lieber! Sör' mich ruhig an. Laß dir erklären. .. Brich nicht gleich der Stab Laß mich dir ſagen .. offen, Mann zu Mann Erſter (vor fib bin): Nun welft der Kranz mir um mein Doppelgrab; Nun ſchaudert's mich, zu ihr hinabzuſteigen, Der ich ein Nichts war, das in ſich zerfällt, Die nie mich liebte, nie mir war zu eigen. Nun ſinkt das Leben, eine faule Frucht, Vom morſchen Baume, dem kein Abendglanz Die Krone mehr umſchmückt mit rotem Kranz. Die ganze Erde wird zur dumpfen Bucht, Die alles Licht aufſaugt aus meiner Welt. Zweiter (für ſich): | So zart, fo ſcheu, fo ſorgſam ſtets gehegt, \ Muß das Geheimnis nun zu Tage brechen 1 Und treffen, wie ein roher Sammer trifft; ' Muß wirken wie ein ätzend ſcharfes Gift, ! Verwirren dieſes friedevolle Leben, Daß es, am Ufer ſchon, noch Wellen ſchlägt ... (zum erſten.)

Sor, liebſter Freund, laß mich dies Wort noch ſprechen

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Nie hab ich eine Blüte nur zertreten,

Die deinem Garten ihren Glanz gegeben,

Nur meine Seele ſchwebte ob den Beeten.

| (Paufe.)

Zwei ganz Verarmte ſtehn wir vor dem Tor,

Das bald auch unſer Wanderſchritt durchmeſſen,

Ich, der ſie nie und der ſie doch beſeſſen,

Du, der beſaß und dennoch ſie verlor.

Was neu ſie band, laß uns es nicht zerreißen,

Nicht Feindſchaft werden, was Geſchick beſtimmt. (In die Landſchaft weiſend.)

Sieh, wie der Abend durch die Bäume glimmt Und war gewohnt, als heller Tag zu gleißen. Leer iſt das Feld, die letzten, loſen Ahren

Sind eingeſammelt und uns blieb kein Reft.

Dir ward ja doch der Tag zum goldnen Feſt, Mir mußte ſich der Traum zum Seft verklären

Erſter:

Nun liegt das Dunkel über meinem Saus, Der Garten iſt von Schatten überwoben; Mich wundert nur, daß immer noch dort oben

mz weiter:

| Die Sterne ſcheinen, und die Sonne liegt Bald wieder überm Garten, ihn zu ſchmücken. Auch über dunkle Buchten führen Brücken. Und iſt die Seele Dir jetzt ſchmerzgepflügt, Es werden ſich die tiefen Furchen glätten.

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Du wirft verzeihn, mehr noch: du wirft verſtehn, Sehn, wie wir alle ſchwer in Retten gehn,

Nur, daß nicht jeder ſieht des andern Ketten. Und hat mein Träumen Wunden dir geſchlagen Laß unſre Armut uns gemeinſam tragen!

Erſter: Vielleicht noch weiß ich nicht, wie ichs verwinde Kommt eine Stunde, die die Wunde ſchließt, Entſpringt ein Quell, der liebreich übergießt Die Kluft mit feines Waſſers Silbereile . . . Daß ich den Weg zu Dir dann wiederfinde Und meine Seele auf dem Wege heile.

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Beethoven⸗Sonate.

Blaſſe Blüten, grelle Sterne Heben ſich aus ſattem Grün, Schlingen ſich zu loſen Ketten,

Die, vom Lauf des Bachs zerriſſen,

Sich ans andre Ufer retten; Zeigen hier ein blaues Kiſſen, Dort ein weißes Kreuzgebilde, Gelbe, lila⸗rote Schilde,

Wie von Kinderhand geſät

In der Wieſe weiten Schoß, Leicht und bunt und regellos, Wildes, übermütiges Blühn. Düfteſchwerer Windhauch weht, Und des Mittags Sonnenfunken Sind verſchwenderiſch geſtreut Wie ein feiner goldner Sand. Ferner Glocken Seftgeläut . . Und die Weite traumverſunken. Langſam keimt am Simmelsrand Abendröte, brünſtiger Schein,

Strauchgewirr auf Wieſenwellen

Alles ſchläft in Gluten ein.

Aus umblühten Neſtern quellen Vogellieder, liebeſchwer.

Doch der Abend muß verblaſſen, Und es geht die Nacht einher. Weiße ſchlanke Genien faſſen

Sich bei ſchlanken weißen Händen, Zweige reichen ſie ſich zu,

3 Metz, Neue Sedichte.

33

3$

Norbeerzweige von Geländen,

Die der Seligen Fuß betreten.

Und es klingt wie leiſes Beten, Wie ein leiſes Symnenfingen,

Wie ſie bald im Wandeltanze

eib um Leib durch Leiber ſchlingen, Eng vereint zu rundem Kranze. sjeitre fanft bewegte Ruh.

Und die Ebne braun und weit. Alle Gluten nun verſunken,

Und das Lied aus Vogelkehlen, Das erklungen ſommertrunken

Vor des Abends rotem Tor, Taſtet nach den Blütenſeelen Zagend durch die Dunkelheit. Strenger Odem ſteigt empor.

Wie ein Selm aus ſtumpfem Stahl, Drin Gpale eingelaſſen,

Runden ſich die Wolkenmaſſen. zitternd trifft der Sterne Strahl Auf die weißen Hände nieder,

Die wie bleiche Grchideen

Auf des Grundes Dunkel ſtehen. Langſam ſchwellen an die Lieder, Bis zu hallendem Chorale Aufgeblüht der Klänge Reigen, Und das Licht der Mondesſchale Fängt ſich in den ernſten Zweigen, Die, gedrängt von heiligen Mächten, Keimend, ſprießend ſich verflechten, Bis zu einem einzigen Baum

Eingeengt die Duftend⸗Schlanken Und es liegt der weite Raum

Still wie unbetretnes Land.

Um des Selmes dunklen Rand

Krauſe Silberlocken ranken.

Fern verſchwebt der Genien Reigen Wunderbares, tiefſtes Schweigen

Hat den ſtarken Sang beſiegt.

Stumme Landſchaft:

Baum im All.

Aſte, die zum Simmel bauen,

Sterne, die zur Erde ſchauen

Von der Einſamkeit gewiegt.

Nur der Tau in leiſem Fall

Stört die unbefleckte Stille,

Breitet ſeines Segens Fülle

Über ſeliges Erblühen.

ùàt•Äfern wie im Verglühen

Schluchzend eine Nachtigall.

33

Der Gaſtgeber.

Die Kerzen brannten. Bunt, in flachen Schalen Lag edles OGbſt, und in geſchliffenen Kannen Glomm dunkler Wein. Viel Blumen, hingeſtreut, Entſandten Düfte. Über hohen Tannen,

Die eng das weiße Haus gefangen hielten,

Wie Silbertücher ſpannte ſich das Licht

Des vollen Mondes. Alles war bereit

Und wartete. Die Säſte kamen nicht.

Zwei ſpäte Falter um die Flammen ſpielten. Der Hausherr ſchritt im Zimmer hin und her, Schob ungeduldig an den breiten Stühlen

Und fpäbte ſcharf nach draußen, wo der ſchwülen Stumpf⸗blauen Nacht die Türe offen ſtand. Die duftgetränkte Stille wurde ſchwer.

Da glitt es wie ein Schatten längs der Wand Kam langſam ſchleichend über die Terraſſe, Unangemeldet trat es langſam ein

Das Antlitz ſchützend vor der Kerzen Schein

Das ſeltſam ſchemenhafte, ſeltſam blaſſe.

Der Hausherr ging, die Hände ausgeſtreckt,

Den erſten, den willkommenen Gaſt zu grüßen; Der aber zögerte noch an der Schwelle, Zurückgewendet nach dem dunkeln Park,

Halb zwiſchen Dämmerlicht und breiter Selle; Vom langen Mantel die Geſtalt verdeckt, Verharrte er mit feſtgeſchloſſenen Füßen.

Der Blumenduft ward brünftiger, und ſtark Strömte der Wein berb-füßen Atem aus

Der Hausherr ſah dem Gaſte ins Geſicht:

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Ein Fremder war es, den er nicht geladen, Auch keiner von den frühen Kameraden,

Ein Fremder, der noch nie in feinem Haus. Die beiden Falter taumelten ins Licht. Der Fremde aber ſprach: „Mein werter Freund, Ich komme, um Verzeihung zu erbitten

Für Eure Gäſte, die zu dieſer Zeit

An jenem Tiſche ſich erlaben ſollten,

Und deren keiner heute mehr erſcheint.

Es dünkt mich eine Pflicht der Höflichkeit

Sie abzumelden. Wißt, ſie ſelber wollten Recht gern zu Eurem kleinen Feſte kommen. Ihr wart bei ihnen, hört ich, wohlgelitten;

Sie koſteten im voraus das Vergnügen:

Es naſchten am Ronfekte ſchon die Damen, Die Serren ſchmeckten Wein aus alten Krügen. Und das war gut, denn als ſo alle vier

Im Wagen ſcherzend mir entgegenkamen,

Hab ich bei mir ſie heute aufgenommen,

Mich trifft die Schuld: Die Gäſte ſind bei mir. Es lüſtet mich zurzeit nach feinen Köpfen, Nach vornehm⸗ſchlanken, wohlgeformten Gliedern, Nach jungem, lachendem, geſundem Leben,

Im Frack verborgen und in Seidenmiedern, Nach Glücklichen, die ſpielend Schätze heben Und ſich nur Röſtlichkeit vom Daſein ſchöpfen. Zwei Herren, wie zwei Damen, wohlgemerkt, Lud ich mir ein und holt ſie ſelber ab.

Nur ſchade, daß fie ſich nicht erſt geſtärkt

An euren Weinen, den erleſenen Früchten,

Weil ich dergleichen nicht zu bieten hab,

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Mein Tiſchſpruch, werter Serr, heißt kurz: Ver zichten.“ Der Hausherr unterbrach: „Was wollt Ihr hier? Iſt dies ein Scherz, und hält man mich zum Narrn? Wo find die Bäfte, die ich heut erwarte? | Ich gebe, lieber Freund, nicht leicht ins Garn.“ „Sagt ichs noch nicht, daß ich am Wege barrte, Sie aufhielt in der Fahrt? .... Sie find bei mir. Ich grüßte fie, die flinken Pferde ſcheuten ni Ihr findet unweit fie am Wege liegen Ich muß recht deutlich ſprechen mit den Leuten, Sie machen mir nicht gerne das Vergnügen. —“ Der Hausherr zitterte, er wurde bleich Und ſank erſtarrt auf einem Stuhl zuſammen. Der Fremde griff die Falter, von den Flammen Schon ganz verſehrt, wog fie auf flacher Hand | Und fuhr dann fort: „Ich bin, mein Freund, nicht reich; | Wohl habe ich ein ausgedehntes Land, Doch tragen jene, die es ſtill betreten, Nicht viel hinein: Krankheit und Alter, Not, | Auch Liebeskummer unter ſchmalen Beeten Ruht wenig Roſtbarkeit. Ich bin.“ „Der Tod!“ —— | Der Hausherr ſchrie es, und die Wände gellten N Von feinem Schrei. Mit feinen Glockentönen Verkündete ein Uhrwerk ſpäte Stunde, a Indes vom Park herauf erregte Hunde Mit heiſern Stimmen winſelten und bellten. Und Diener kamen, ſchreiend ſchon von fern, Daß ſich ein Unglück auf der Fahrt begeben, Die Pferde ſcheuten, und der Wagen brach,

' {

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und daß ſie alle vier nicht mehr am Leben:

zwei junge Damen und zwei junge Herrn. Der Hausherr hörte nicht mehr, was man ſprach, Er hob ſich, ganz von Sinnen, ſteil empor, Griff übern Tiſch. .. rot blutete der Wein Aufs weiße Tuch, N ſchönen Blumen knickten Bald unter feinen vorgeſtreckten Sanden Und ſtarrte nach der Türe, nach den Wänden,

In Parkestiefe ſeine Augen blickten,

Den Fremden ſuchend, der ſich jäh verlor.

Der aber war verſchwunden. Farblos lagen Die beiden Falter, von der Glut verſengt,

Und über die Terraſſe, dicht verhängt,

Ward ſtill der erſte Gaſt hereingetragen.

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Hagar.

.. . . Und Sagar ſah den Herrn und Gatten an Die dunkeln Augen weitete Erſtaunen

Dann ſenkte ſie den Blick. Mit ſchmalen braunen,

Mit raſchen Händen griff fie nach dem Stab, Griff nach dem Brot, das Abraham ihr reichte, Und nach der Sand, die er zum Abſchied gab. Noch einen letzten Blick gab fie dem Mann Und ſtand in Glut, und Abraham erbleichte. Und Sagar ging. Schwer hing fi in ihr Kleid Der Knabe Ismael; er murrte leiſe: |

So fort zu müſſen von den Lämmern, Tauben, Die er gewartet und die ihn beglückt,

Von Gärten, deren Früchte er gepflückt,

Süße Granaten, ſäftereiche Trauben,

Er weinte lauter bald um Spiel und Speife. Weit dehnte ſich die Wüfte, endlos weit.

Die Tage krochen einer nach dem andern

Wie lahme Schnecken kriechen langſam fort. Reglos das Land, von Sonnenglut verdorrt. Und alle Tage ſahen ZSagar wandern.

Die Pfade fingen an ſich zu verwirren.

Kein Menſchenlaut, der wüſtentiere Heulen

Von ferne nur, und wilder Tauben Girren.

Der Wind erhob den Sand zu fahlen Säulen. Der Knabe, den die wunden Füße brannten, Begann zu jammern, ſtill in ſeinen Locken Verſanken ſeiner Mutter bange Tränen,

Denn Trank und Speiſe waren aufgezehrt.

Die Sonne, wie ein Glut gewordenes Schwert,

40

ira Min An =

Stieß ihre Glut ins Land, das dürr und trocken. Und näher ſchon das Heulen der Hyänen. Mit Armen, die ihn kraftlos nur umſpannten, Bettete Hagar ihren jungen Sohn

Zu letzter Ruhe in verbranntes Gras.

Dann eilte ſie, ſein Sterben nicht zu ſehen;

Sie hob die Hände, betete und ſchrie

Und ſtieß in ihrer Schmerzen Übermaß

An Steinen blutig Stirne, Bruſt und Knie Und war nur mehr ein einzig brünſtiges Flehen. Da klang zur Erde ſeltſam⸗ſüßer Ton,

Wie Silberharfen, die am Abend klingen Die Arme in den weitgewordenen Ringen,

Die leiſe klirrten, hob das Weib empor

Und lauſchte, ob das Klingen ſich verliere,

Ob es verging, ein Nebel ihren Sinnen,

Nur Laute aufgeſchreckter Wüſtentiere, Zungriger Vögel Schrei im nahen Rohr.

Doch näher war und immer leiſes Rinnen. Und eine Stimme rief: „Es hörte ſchon

Des Kindes Jammer ſeiner Mutter Not,

Der ſtark die Welt in ſtarken Händen trägt. Geh zu dem Knaben, deſſen Herz noch ſchlägt, Erlabe ihn und führe deinen Sohn

Zu neuem Leben gen das Morgenrot

Und laſſe ihm die mütterlichen Hände,

Starke Geſchlechter hütet deine Sand!“ Und Schweigen, Sonnenglut und greller Sand. Der Cherub ſchwand, es ſchobeu ſich die Wände Des blauen Athers, der ihn freigegeben,

Wie eines Zeltdachs weiche Falten zu.

71

Hagar erhob ſich aus erſtarrter Ruh, Kaum meifternd ihrer ſchwachen Glieder Beben. Der leiſe Windhauch, der vorüberſtrich,

Hob Blattgewirr, das ſich zum Dache baute, Von einer Quelle, deren Rieſellaute

Die ſchwergewordene Stille hell durchbrachen. Da neigte Hagar traumhaft lächelnd ſich, Sie ſchöpfte, ging und labte ihren Knaben. Leicht fügten ſich die Wege ihren Sohlen, Die keine Dornenreiſer mehr zerſtachen.

Und Iſmael, mit tiefem Atemholen, | Nahm lächelnd eines neuen Lebens Gaben.

42

Kaſt in der Wüſte.

Iſrael lagerte von heißen Mühen

Der Wanderſchaft erſchöpft im Wüſtenſand.

Starr ſtand des Himmels blaue Flammenwand, Kein Baum gab Schatten und kein Strauch fein Blühen;

Die Schläuche leer und alles Waſſer ferne

Kein Bachgerieſel, keines Fluſſes Wellen,

Kein Brunnen, keine ärmliche Ziſterne.

Das Blut nur ſang wie Murmeln naher Quellen. Kaum, daß die trockene Kehle noch das Mahl Sinunter würgt, das harte, halbverdorrte.

Und Flüche werden laut und bittre Worte,

Denn durch das Lager ſchleicht des Durſtes Qual. Und Träume kamen, grauenhafte, wilde

Don Strömen Blutes, die fie gierig tranken;

Und Träume kamen, wundervolle, milde,

Von blauen Bächen unter Blütenranken.

Und wenn ſie, aufgeſchreckt aus ſolchem Traum, Mit irren Händen nach den Bechern faßten,

Und wenn des Mundes ausgedörrter Saum

Sich gierig trennte, um das friſche Naß Sineinzuſaugen, o der jähe Schmerz,

wenn glühender nur noch des Bechers Erz. Und langſam aus dem Durſte wuchs der Haß, Und Moſe war es, den ſie alſo haßten.

Er aber, dem die dunkle Blüte trieb,

Zob feine Hände über aller Leben:

„Jehova, wenn Dir dieſes Volk noch lieb

Und du nicht willſt, daß halben Wegs verſiegen

1 5

Die roten Ströme feiner Lebenskraft,

So löſe Quellen aus der Erde Haft,

Daß ſie den Dürſtenden zu trinken geben, Denn ſiehe, ihre Seelen unterliegen!“

Und in dem Rauſchen, das von Gſten wehte, Vernahm er ſeines Herren Machtgebot,

Des Herren, den Iſrael in feiner Not

Inde ſſen laut und ungebändigt ſchmähte. Die Menge teilend, die wie ſtarre Wogen Sich um den Felſen ſchlang, der einſam lag, Schritt Moſes, und es traf ein harter Schlag Von ſeinem Stabe gen das Felsgeſtein. | Da, wie von feiner Hand herabgezogen, Wand ſich zu Tal ein ee Band

Lebendigen Waſſers . Schweigend lag das Land. S 0

Dann füllte dieſe Stille lautes Schrein. Und Iſrael fiel nieder, und der Dank

Aus tauſend Kehlen ſchluchzte durch den Raum.

Und Iſrael fiel nieder und es trank.

Der Führer aber wartete, im Traum

Sah er verirrtes Volk ſich an der Schwelle Des neuen Landes finden, neu geeint

Zu einer Kette, die unlösbar ſcheint.

Da ging auch er und beugte ſich zur Quelle.

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ö 4 2 4 —0

Gin m 7.

Jakobs Traum.

Die Dunkelheit wuchs um den letzten Schein

Der Sonne, und des Tages geller Ton

Schlief in der Stille Flüſterlauten ein.

Den ſchwülen Atem hauchte wilder Mohn

mit rotem Mund auf ſchweigendes Gefild,

Und alles Leben fügte ſich zum Bild. Jakob der Jüngling lag vom Weg ermattet

Auf kühlem Stein das golden⸗braune Haupt Am Baume, deſſen Krone dicht belaubt

Die Nacht mit ihrem tiefen Samt durchſchattet. Bald ſchenkten erſte Sterne blaſſes Licht

Und einten ſich, mit matten Silberkränzen

Das ſtumpfe Blau des Himmels zu durchglänzen. Und Jakob hatte ſchlafend ein Geſicht:

Es zog ſich eine goldene Leiter nieder

Aus Sternenhöhe bis zum Erdenrund;

Und ſolch ein Leuchten ging von ihren Sproſſen, Daß der in Sinfternis erloſchne Grund

Wie von der Sonne Mittagsglut umfloſſen.

Ein jedes Ding gab dieſes Leuchten wieder.

Und Engel ſtiegen über jene Brücke,

Die nun die Welt dem Gottesreich verband,

Sie gaben leiſe ſingend ſich die Hand,

Und Seligkeit war jeder ihrer Blicke.

Gott aber ſtand in wunderſamer Pracht

Am Tor der Welt und ſprach .... Die Stimme glich Der Harfe Klängen und der Ströme Rauſchen, Und alles ward zum Ohre, ihr zu lauſchen:

Der Panther, der die Palmen ſcheu umſchlich, Die bunten Tauben, die ins Laub ſich ſchmiegten, Die ſanften Winde, die die Wipfel wiegten

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So aber kam es durch die ſtumme Nacht: „Sieh, dieſes Land, das breite Flüſſe tränken, Das feſtlich ruht mit lichtdurchwirkten Weiten, Mit ſilberblaſſen grün⸗umgrenzten Seen,

Mit Sainen, die wie dunkle Träume ſtehn, Siehe, den reichen Schoß voll Röſtlichkeiten, Ich will ihn dir und deinen Söhnen ſchenken. Gen Morgen, Mittag, Abend und gen Nacht Sollſt du dich breiten in der Enkel Zelten, Ich führe dich hinauf zu Glanz und Macht.“ Und als die Lande ſich im Frühlicht hellten, Erwachte Jakob und er ſah den Tau

Des neuen Tags, der auf den Dingen war, So ſeltſam leuchten, ſeine Augen blickten

Mit gleichem Leuchten um ſich in den Glanz.

Er griff ans Haupt, ihm ſchien, als ſei ein Kranz,

Ein Kronreif eingeflochten feinem Haar; Doch über ihm war nur des Himmels Blau Und nur die Blüten, die vom Baume nickten. Da ward er ſeines Traumes ſich bewußt Und ſpürte tief, was Gott ihm offenbart. Heiß pochte ihm der Serzſchlag in der Bruſt, Es deckten ſeine Wangen ſich mit Glut,

Aus Scham und Freude ſonderlich gepaart; In ſeinen Adern aber ſang das Blut, Erleſen wie der ſchweren Trauben Saft, Und ſprengte faſt den köſtlichen Pokal,

Und in den Armen ſehnte ſich die Kraft. Er richtete den Feldſtein auf als Mal

Dem Ewigen, dann eilte er dem Land

Des Morgens zu, das hell in Roſen ſtand.

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Das Bild.

Grau war der Krug und weiß die Hand, Die nach dem grauen Kruge griff;

Ein leiſer Wind vom Turme pfiff

Und jagte ſpielend übers Land.

Der Brunnen gab ein Bild zurück,

Ganz klar ſtand das auf ſeinem Grund: Die Wangen rund und rot der Mund

Und hell der Blick, lichthell der Blick.

Er wollte nur das Bild beſehn,

Es lachte ſo zu ihm empor

Dem Gaul die Zügel übers Ghr!

Und der blieb ſtehn, blieb zitternd ſtehn.

Der Bub zum Brunnenbild hinab Er beugte ſich, er neigte ſich,

Und wie er mit den Fingern ſtrich, Ergriff er ſie, die ſich ergab. Der Burghof lag in hellem Licht,

Tief⸗dunkel war das Turmgemach,

In das niemals die Sonne brach.

Sie fürchteten das Dunkel nicht.

Der Senker hat ſo harten Griff!

Sie war das Fräulein, er der Knecht! Geſchah ihm recht! Geſchah ihm recht?. Ein leiſer Wind vom Turme pfiff.

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Silberne Stunde. (Weft: $landern.)

Frühmorgenſtunde. Es atmet der See

Breite Bruſt unter zitternden Wellen.

Möwen, die hellen,

Tragen den Schnee

Ihrer Schwingen empor in ſilbernes Grau,

Das ſich zögernd von Nebeln befreit.

Dünen und Strand vereinfamt . . weit

Nur eine Frau, eine junge Frau

Niedergebeugt zu Muſcheln, die feſt

Eingebettet liegen im Sand

Wie Kinder im Bett, kleine Vögel im Yieft.

Durch meine Tage windet das Band,

Das ſilberne Band dieſer Stunde ſich hin;

Warum? Ich weiß es nicht, aber ich bin

Dieſer Frau ſo nah, die ſuchend ſteht

An Ufern, ganz leer,

Über die das Meer

Mit taſtenden kleinen Wellen geht

Und ihnen nur Muſchelſchalen läßt:

Eingebettet wie Kinder oder wie junge Vögel im Neſt. |

48

Am

*

2

Der verſchloſſene Garten.

In jenem Garten ward der Frühling wach Und warf fein Grün um dunkle Mauerrücken. Der Sommer kam und ließ vom Laubendach Lichtblauer Dolden junge Anmut nicken.

Der Serbſt trat ein mit Frucht und ſattem Duft, Und alles Blühen ward zu reifen Garben.

Der Winter ſchenkte ſeine keuſche Luft

Und deckte mit dem Schneetuch alle Farben.

Ich wartete am Parktor, zag und ſcheu, Und wagte nicht den Garten zu betreten, Glanz, Duft und Reife zogen mir vorbei, Prunkten und ſtarben auf den weiten Beeten.

Ich ſah des Reigens immer neues Spiel, Erlebte es von ferne mit Entzücken

Und hoffte heiß, daß eine Blüte fiel,

Mir meine bange Einſamkeit zu ſchmücken.

Dann öffnete ich jäh das Gittertor

Schon zitterten die Sände mir vom Warten Doch wie ich mich in ſeinen Raum verlor, Verſandete der wechſelvolle Garten.

Nur Gde fand ich, alles Leben ſchwand, Der Blumen Zartheit und die Kraft der Bäume. Da fioffen Tränen über meine Hand,

Und vor dem Parktor ſtarben meine Träume.

4 *

Ideale. Ich griff in einen reichen Frühlingsbaum Und ſtreute Blüten auf den Staub der Gaſſe, Mit Schönheit ſeine Armut zu verdecken. Da gab es bald ein wildes Hälſerecken Und mich umdrängte eine laute Maſſe, Die mich verhöhnte, mich und meinen Traum. Nun geh ich längſt in jener Menge mit Und blicke nur hinauf, wo Träume blühen; Und alles läuft in ſeines Alltags Gleiſen. Doch wenn verwelkte Blüten ſo im leiſen Herniederſinken mich berühren, glühen Mir jäh die Wangen, und ich möchte weinen Vor tiefer Scham, daß mir mein Traum entglitt Durch das Geſchrei der Häßlichen und Bleinen.

Warten.

Der Veilchenſtrauß im bunten Japantopf Entſendet letzten müden Duft ins Zimmer,

Der Lampenſchale mattes Goldgeflimmer Umzittert Dantes ſtrengen Bronzekopf;

Ein Juno-Saupt, die Augen blicklos⸗weit, Starrt in des Winkels warme Dunkelheit. Die Frau im Seſſel, halb nur noch belichtet, Das dunkle Haar von Spangen jäh durchglänzt, Sitzt, vom Brokat des Kiſſens ſteil umkränzt, In heißem Warten ſtarr emporgerichtet.

In ihren ſchmalen Fingern bebt ein Buch, Dem Schilde zu vergleichen, der den Feind Abwehren ſoll; nein, eher wohl dem Tuch, Das flatternd einem Freund entgegenwinkt, Dem Traume wohl, in den man ſich geweint; Ja, gleich dem Traume, der Vergeſſen bringt. Des Buches Zeilen abwärts ſteigt der Blick Wie Rinderfüße über Leiterſproſſen Sprunghaft und raftlos baftend, und verſchloſſen Bleibt ſo der Sinn dem Geiſte. Das Getick Der Uhr umſäumt mit feinen, leiſen Stichen, Wie eine Nadel, die den Faden zieht,

Die Stunde, die ſo leuchtend aufgeblüht

Und unerfüllt und ſchattenhaft verblichen.

Die Stunde, ausgeſchmückt mit Licht und Duft, Sollte den wundervollen Truhen gleichen,

Den edelſteinbeſetzten, überreichen:

Mit ſattem Samt der Boden ausgeſchlagen, Ein köſtliches, ein zartes Glück zu tragen,

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Und blieb nur eine ungefüllte Gruft.

Die Türe gebt, der Vorhang ſchwankt zurück, Und auf der Schwelle, Lächeln in den Blicken, Steht die Erfüllung, ſteht des Wartens Ziel

Und beugt das Knie, im Ernſt halb, halb im Spiel. Doch jene Frau fühlt noch das Zeigerrücken,

Der Stunde Trümmer fühlt ſie, Stück um Stück, Und bietet ſtatt des Lächelns liebem Gruß

Nur Tränenſpuren auf erſchöpften Zügen,

Und ſchemenhaft, mit leiſem Geiſterfuß

Kommt es daher wie künftige Liebeslügen.

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Spiel im herbſtlichen Park.

Goldbraun umrahmt die ſchmalgewundenen Gänge, Auf die ein bleich gewordner Simmel blickt.

Das Gras von ſpäten Blüten leicht durchſtickt, Ein Klingen, wie verſchwebende Geſänge . Die Waſſerbecken, ausgeſchöpft und trocken, Ergreifen ſeltſam, blinden Augen gleich,

Die ſteinernen Najaden liegen bleich

Und heimatlos, Serbſtfäden in den Locken.

Und Träumen über der gefangnen Stille Wehmut und Sehnſucht eingeſchmiegt den Hecken, Erſchöpfter Bäume müdes Waffenſtrecken, Und Düfte halbverſehrter Blumenfülle. Ich gehe mit zwei lieblichen Trabanten,

Zwei Knaben, die mich hellen Blicks umſchmeicheln, Die Wege hin; verwelkte Blätter ſtreicheln

Sanft meines Kleides buntgewirkte Kanten

Die Knaben, aufgereckt zu ſtarrer Würde,

Wollen gleich Pagen meine Schleppe halten,

Und eifrig raffen ſie die leichte Bürde.

So werden wir zu Märchenbuchgeſtalten.

Ich, die Prinzeſſin, ſchreite nun durchs Tor

Dem Schloſſe zu, es brennt im Abendſchein

Der Purpurfahne heißes Flammenzeichen

Ins roſenüberglühte Land hinein.

Im Saal erklingen die berauſchend weichen Tanzweiſen, denn der Reigen ſoll beginnen, Geführt von Helden und von Königinnen. Bald haben wir uns ſo ans Spiel verloren,

Daß, dunkel drohend aus des Parkes Ecken,

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Die Schatten tiefer Dämmerung uns erſchrecken Und uns vertreiben aus den goldnen Toren. Und die wir eben noch in Wunderhainen

Des Maͤrchenlandes ſelig uns ergingen,

Stehn fröſtelnd vor des Alltags fahlen Dingen. Die ſtolzen Pagen, zag und würdelos,

Bebend vor Kälte, fangen an zu weinen; Und von des Nixenbrunnens trocknen Steinen, Von dürren Ranken überdeckt und Moos, Bringt uns das Echo dieſes Weinen wieder; Es zittert nach in ſtillgewordnen Weiten,

Die nur belebt vom Neidgezänk der Raben. Wie welke Blätter wehn die Träume nieder Lachend umfang ich meine Edelknaben

Und flieh dies Reich verblühter Serrlichkeiten!

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Der Geiger.

Von den Saiten ſeiner Geige weht es wie der Duft von Almen,

Klingt es wie aus alten Pfalmen,

Süßen, heiligen Legenden.

Unter ſeinen ſchmalen Händen

Sprühen Farben, jähe, grelle,

zucken Lichter, rollt die Welle

Leicht vom Wind berührter Meere,

Wandern Pilger, ſtürmen Heere,

Schreit das Leben, ſtöhnt das Sterben,

Lacht das Laſter, ſeufzt das Leid,

Jubelt ſelige Trunkenheit,

Gellen Wahnſinn und Verderben

Und durch all das Wirre, Wilde,

Kommt ein Ton wie Frühlingswehn,

Und er bleibt, der zaghaft milde,

Vor den ungeſtümen Klängen,

Die aufkeuchend ihn umdrängen,

Jäh und wie erſchrocken ſtehn,

Angſtvoll, daß ſich ihm vermähle

Dieſe Brandung aller Triebe.

Wie ein Reis in heiligen Sainen

Blüht empor das leiſe Weinen

Einer zarten Kindesfeele,

Die auf ganz verlaſſenen Hängen

Ihre Seimſtatt ſucht: Die Liebe.

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Schloßbeſuch. Dein weißes Schloß auf ſeinem Tannengrunde, Am Teiche, der von Iris ganz umſäumt, Und die Alleen, ſtatuengeſchmückt Dies Bild der Schönheit hat mich ſehr beglückt; Und wenn ich einen Edelſitz geträumt, Ich ſah ihn wie zu jener Abendſtunde.

Das Hallenrund von grünem Licht erfüllt, Uraltes Schnitzwerk, Waffen an den Wänden, Geſchwärzte Truhen mit Beſchlag aus Eiſen Die alten Diener, mit den ſanften leiſen Bewegungen, den wohlgeſchulten Händen, Wie eingewoben dieſem ſtillen Bild.

Zwei ſteile Türen weichen jäh zurück,

Und eine bunte, tiefverſchwiegene Schar Blickt goldumrandet von der hellen Wand: Prunkvolle Ketten, breites Ordensband, Perldiademe in gewelltem Saar Geſchürzte Lippen und ein kühler Blick.

Ich ſchreite langſam deiner Ahnen Reihe Hinauf, hinab und leſe ihre Namen.

Und jene Frauen, ſtarrend von Brokaten, Und dieſe Männer ritterlicher Taten

Blicken wie zürnend aus den runden Rahmen Auf mich, die Seimatlofe, Fremde, Freie.

Wie plötzlich hundert Kerzenflammen ſprühen, Das halbe Dämmerdunkel ſchnell zu brechen, Fühle ich deinen Blick herüberfragen

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Und ſehe dich an einer Bitte tragen, Doch keiner wagt ein erſtes Wort zu ſprechen, Und beide eint ein wachſendes Erglühen.

Ich aber muß der ſtummen Bitte wehren, Denn ſieh: ich würde dir zur Seite ſchreiten, Als ob ich ſchwer in ſchweren Feſſeln ginge, Und bleichen würde mir der Glanz der Dinge, Verdunkeln würden ſich die hellen Weiten, Das Licht verglühn auf meinen Sochaltären.

Biſt du gleich frei, auch dich umfängt ein Rahmen Wie jene, die im Ahnenſaal gefangen,

Kühl niederblicken auf die raſche Welt.

Dein Leben war von Mauern rings umſtellt;

Du biſt niemals den offenen Weg gegangen,

Den freien Weg, den meine Schritte nahmen.

So bleibe du und laſſe mich den Fernen. Mag unſere Freundſchaft eine Brücke bauen, Die feſter werden wird mit jedem Tag.

Mein Serz hat einen allzu wilden Schlag; Ich kann nicht atmen in der dämmerlauen Luft deines Parks mit ihren blaſſen Sternen.

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WIE

Sie trafen fib am Garten, wo die Klänge Der Geigen ſich dem ſanften Duft geſellten, Den ein Rondel von Rofen und Reſeden Entſandte, und wo eine Menſchenflut

In immer neuen Wellen ſich ergoß.

Sie gingen ganz verſenkt in die Muſik;

Der Rhythmus ſchlang ſich wie ein weiches Band Schmeichelnd um ſie und führte ſie zuſammen. Die Melodie ſchlich ihnen leiſe nach

Und gab der Stunde ihre eigne Prägung, Daß jeder Blick und jegliche Bewegung

Von ihr umhüllt, in ihr gebettet lag.

Das Frauenkleid, das weiß herniederfloß

Und dunkler Haare Dunkelheit vertiefte, Schmiegte ſich ſeltſam und geheimnisvoll

In die Muſik mit ſeiner Falten Schönheit, Wie ſanft verhallender Akkord in Moll. So gingen ſie und fühlten, wie die Stimmung Der Stunde ſie ſo völlig überwand,

Daß ſie ſich liebten, wie noch nie im Leben Sie je geliebt: wunſchlos und tief und rein. Die Melodie erloſch, man hörte Klatſchen. Da fühlten ſie, wie ihnen etwas ſchwand, Wie etwas Liebes und unſagbar Zartes

Von ihnen ging, um nie zurückzukehren.

Und ſchweigend ging ein jeder ſeinen Weg Sie wohnt da unten irgendwo im Land, Ihr Mann iſt etwas korpulent und laut

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Und hält Muſik für ſtörendes Geräuſch. Er unterrichtet täglich fünfzig Rangen, Auch irgendwo in einer fernen Stadt. Doch wenn gewiſſe Klänge an ihr Ohr Mit der Erinnerung zartem Finger pochen, Dann ſtehn wohl beide einen Augenblick In ihres Alltags Einerlei und Enge

Und denken an die Viertelſtunde Glück, In Duft gebettet und in Geigenklänge.

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Regen,

Um mich liegt Stille wie ein fabler Teppich,

In den der Regen zarte Muſter ſtickt.

Die bunte Welt iſt ausgeblaßt zu Grau.

Wohl drängt der Dächer grelles Feuerrot,

Das laute Grün des frühlingstrunkenen Baums

Durch die verblichene Webelſymphonie,

Wie Sörnerruf durch mattes Geigenſpiel,

Doch kann es nicht den dumpfen Bann zerreißen,

Der wie mit Stricken bindet, wie mit Stricken!

Nicht wie mit Eiſenketten, deren Klirren

Doch Leben kündet; alles Leben ſtarb.

Und ſchmerzhaft fühl ich in der weiten Leere:

Ich werde immer ſo am Fenſter ſtehn,

Das tränenüberſtrömtem Auge gleicht,

Und niederſchaun und warten warten warden

Ich werde fo viel viele Leben ſtehn,

Viel lange Leben, gegen die der Tod

Ein Farbenrauſch iſt und ein klingend Spiel.

Da rührt ein Finger goldnen Sonnenſcheins

Ans Regentor, die ſchweren Tränen ebben.

Wie eine Knoſpenhülle finft die Stimmung

An mir herab, und hell entfaltet ſich

Mir iſt, als könnte ichs mit Händen greifen! So biſt du nun: Ein trübes Wolkenbild

Kann dich in Tiefen ſtürzen, unergründlich, Aus denen dich ein Sonnenſtrahl erlöft.

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Das Fenſter öffne ich und atme atme Indeſſen Frühlingslüfte mich umfchlingen, Den ſtarken Duft des Lebens durſtig ein,

Der ganz durchwirkt vom Dufte der Springen.

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67

Beichte.

Glaub, lieber Freund, wenn voller Übermut Ich dir erzähle von der Stunden Heiterkeit Nicht ganz daran, daß ſie mich ſo beglücke, Denn ſieh, die leichte Luſt iſt mir nur Brücke Von dumpfer Glut zu unerlöſtem Leid.

Ein buntes Zittern nur, ein Regenbogen Schnell hingemalt, um ſchneller zu verſinken, Hineingeſogen voller Saft und Gier,

Doch wenn die Sinne ſeine Farben trinken, Iſt nur ein kleiner Reſt von mir in mir.

Ich aber brauche dieſen Trug der Stunden Als Spielzeug, das mir auf die ſtarre Wand Des Lebens ſeine bunten Ringe ſtreut,

Die grellen Lichter jener Heiterkeit,

Das leichte Florkleid über ſchweren Wunden.

Ich brauche dieſes ſchillernde Vergeſſen

Von Dingen, die ein Leben reich verſchönen, Von Freuden, tief und voller Seligkeiten, Die alles Leben erſt zum Leben krönen, Von höchſtem Glücke das ich nie beſeſſen.

Er füllung.

Nun, da ſie alles Glück von ihm empfangen, Rein Tor mehr, das dem Wunſch verſchloſſen ſtand, Entglitt fie feiner wundertätigen Hand,

Die ſanft aus dieſem aufgeblühten Land

Gewieſen ihrer Sehnſucht ſcheues Bangen.

Und in den ſchwermutvollen Abendſtunden, Da noch der Tag mit blaſſen Lanzen ſtach, Sich jäher Laut an ſchwerer Stille brach, Sah fie den Spuren ihrer Sehnſucht nach, Die keinen Weg zu ihr zurückgefunden.

Und neue Sehnſucht ging nach altem Sehnen, Das ganz verſank in der Erfüllung Schoß, Und ihre Schwingen wurden ſtark und groß, Sie hoben ſich und ſanken hoffnungslos. Viel taube Mächte tranken ihre Tränen,

Und jenen haßte fie, der fie erhoben,

Ihr ſeines Lebens Feſtlichkeit gebracht.

Sie achtete nicht mehr der neuen Pracht,

Und fühlte nicht die neuerworbene Macht,

Den Serrſcherreif nicht, der ihr Haar durchwoben.

Die eine Welt der Wirklichkeit verdeckten, ie bunten Schleier wünſchte ſie zurück, en fragenden verhängten Kinderblick, er frühen Zeiten unerwecktes Glück,

Da der Erfüllung Gaben ſie erſchreckten.

Und war nun einſam, keine Brücken führten In jener Lande ſchemenhaftes Sein; Verſchloſſen ſtand im fahlen Morgenſchein Der Kindheit heiliger unbetretener Hain. Sie aber war im Lande der Berührten

5 Metz, Neue Gedichte. 65

Herbſtbetrachtung.

Nun ſingt der Mund des ſanftern Windes Die wegemüde Sehnſucht ein,

Sie will nicht anders als des Kindes Genügfam-ftilles Lächeln fein.

Die weite Wiege ſchaukelt fachte, Die grellen Farben werden mild, Und alles, was ſo jäh erwachte, Schläft ein und ſänftigt ſich zum Bild.

Zu Bildern werden helle Stunden, Aufſchimmernd noch in mattem Glanz, Und junge Blüten, einſt gewunden Zum Kranz, verblaffen nun im Kranz.

Die Tage gehn mit leiſen Schritten, Mit ſchnellen Sohlen ſchreiten ſie, Was wir erlebten, was erlitten, Klingt mit als Wandermelodie.

Und alles: Bilder, Lied und Schreiten, Verſchloſſene Pforte unſer Ziel Was ſind ſie anders als ein Spiel Von unerfüllten Möglichkeiten?!

Im Herbſt.

Im bunten Garten, wo die Kinder liefen Mit weißen Kleidern um die Raſenrunde, Iſt es nun ſtill, als ob die Seelchen ſchliefen Und ängſtlich harrten der Erlöſungsſtunde.

Der Frühling ging mit ſeinen blauen Glocken

Der Sommer hin mit feinen Rofengiuten,

Und um der Trauben köſtliches Verbluten

Schwebt ſchon der Traum von blaffen Winterflocken.

In dieſe Zeit des ſtillen Rückwärtsblickens,

Die uns den runden Kranz entgegenhält,

Wo ſchwere Frucht aus reichen Bäumen fällt, In dieſe Zeit des üppigen Erquickens

Laßt uns den Schmelz von frühen Blütetagen Aus der Erinnerung ſtetem Garten tragen.

5* 67

Herbſtabend.

Sieh, wie der Tag ſich heimlich fortgeſchlichen, Wie alles Leben in den Schatten ſank.

Vergoſſen nun der Stunden goldner Trank, Erloſchen alle Farbe und verblichen.

Ein Duften nur blieb in den Lüften ſchweben Zart wie der Traum, der unſre Nacht beglückt, Ein Kuß von Blumen, der dem Wind gegeben. Sieh, wie der Wald voll milden Ernſtes blickt, Ein treuer Vater, der das müde Leben

Der letzten Blüten feſt ans Serz gedrückt.

Laß mich die Stirn an deine Schulter preſſen; Ich ſehne mich nach warmen Serzensſchlägen, Nach einer Stimme, die mich ſanft umſchmeichelt, Nach einer Hand, die meine Haare ſtreichelt, Nach Armen, die ſich ſchützend um mich legen. Laß mich den Tag und ſeinen Glanz vergeſſen!

68

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Lear re IF A

Villenvorftadt. Villen, zärtlich ins Grün gedrückt Wie Edelſteine in weichen Samt, Gärten, duftend, roſendurchflammt, Und die Menſchen geſchmückt.

Alles wie zum Spiele geeint: Weiße Kleider und weiße Sand, Spiegelnde Teiche, gelber Sand. Wer hätte geweint?!

Der Glücklichen Stadt, dieſer Winkel der Welt, Von Farben bunt, von Düften ſchwer,

Wo der Frohſinn über den Raſen her

Eifrig läuft und die Tür aufhält.

Wo des Lachens Glöckchenſchlag. Wo die ſeidenen Haare wehen Wo die Stunden mit Kronen gehen Wie Prinzeſſinnen durch den Tag.

Aber es kommt der Winter doch,

Reißt an des Lebens heißem Rot Und dann iſt der Tod, der häßliche Tod Wie im ärmſten Süttenloch.

69

Nachtomnibus. Durch Straßen, die dem Tag entgegengähnen, Schiebt ſchütternd ſich der plumpe, braune Wagen. Ungleich im Takt dröhnt ſchwerer HZufe Schlagen, Der ſcharfe Nachtwind faucht um ſtruppige Mähnen.

Tief in die Ecke unter der Laterne

Drückt ſich ein Mann, es fliegen ihm die ſchlanken, Verfrornen Glieder bei des Wagens Schwanken, Die Blicke irren ziellos in die Ferne.

Ein Lichtrefley ſpielt jäh auf feinen zügen

Und zeigt das Elend in den hagern, blaſſen,

Mit müden Händen ſucht er ihn zu faſſen, Regiert von Sinnen, die im Banne liegen.

Grell aufgeputzt, mit früb-verblaßten Wangen, Ein junges Weib die Straußenfedern nicken Starrt durch das Fenſterglas mit heißen Blicken, Aus Furcht gemiſcht und Hunger und Verlangen.

Ein Pärchen: „Er“ mit Lebemannsmanieren, Ein halberwachſner Junge, fahl und ſchmächtig, Führt heut zum erſtenmal den Schatz ſpazieren, Ein junges Ding, verträumt und übernächtig;

Der Hufe Klappern weckt ihr Melodien, Sie wiegt ſich, halb im Schlaf, auf walzerwellen, Die rotgeküßten jungen Lippen ſchwellen, | Und ihre runden Kinderwangen glühen. Das ſind die Gäſte, die der letzte Wagen Dem ungewiſſen neuen Tag entgegen,

Um den ſich ſchwere graue Wolken legen, Von Arbeit, Luſt und Laſter fortgetragen.

70

Ein Salt bald bier, bald da. Fahrkarten fliegen.

Mit ſteifen Gliedern und umflorten Sinnen Sind alle bald dem dumpfen Raum entftiegen, Ihr Sauch nur bleibt am Fenſterglaſe drinnen.

Die Pferde wittern ſchon des Stalles Stroh Und traben ſchneller durch die winterrauhe Dezembernacht. Woch hebt ſich nicht der graue, Lichtarme Tag. Und fort gehts ins Depot.

71

Wanderburſchen!

„Bruder, mit Verlaub und laß dich fragen: Wohin ſoll dich deine Straße tragen? Willſt du mit in Weite und in Ferne Unterm Zeichen guter Wanderſterne,

Wo für derbe Fäuſte Geld bereit, Wo der Segen golden auf die Hoffnung ſchneit? —“ „Bruder, nein, mein Weg führt nicht in Weiten, Dieſe Straße ſoll mich heim geleiten.“

„Beim in Enge?! ſchon genug geſchafft? | Oder brach die Welt dir deine Kraft, 2 Iſt der Beutel dir ſchon geldesſchwer, | Haſt du Feine bunten Ziele mehr?“ | „Meine Füße find nicht lahm vom Gehen, | Meine Augen find nicht blind vom Sehen

Meine Arme ſchmerzen nicht vom Tragen Eine Wunde hat man mir gefchlagen,

Meine Wunde, fo voll wilden Brandes,

Heilt mir nur die Luft des Heimatlandes.“

72

Das Schickſals buch. Heut kam ich in ein langverſchloſſenes Land Und ſah die Dinge einer fernen Zeit, Da alle Freuden leuchtend wie Kriſtall, Ganz klar und hell und ohne Widerhall Von Schmerz, und Schmerzen ohne Bitterkeit. Die ſüße Torheit, die aus Bild und Band, Aus trocknen Blumen mir entgegenſah, KRührte mich fo, daß eine Träne ſank Auf dies verſchollene Reich der Mädchenträume, Das eine ſeltſam⸗ wunderliche Scham Mir zu betreten lange Zeit verſagte, Bis ich den Eintritt heute endlich wagte.

Und ſo ein alter, halbvergeſſener Schrank Gab mir auf Stunden, was das Leben nahm. Ich fühlte mich den fernen Tagen nah

Und wanderte durch wohlvertraute Räume. Ich ſuchte, fand, erkannte und traf wieder, Die ſchmalen Fächer wurden mir zu Wegen, Auftönten zaghaft Kleine⸗Mädchen⸗Lieder, Es kamen Flüſterworte, leiſes Lachen,

Im engen Raum begann es ſich zu regen, An allen Ecken gab es ein Erwachen.

Dort ſtanden, bunt in Reihen und gedrängt, Die mir von manchem wunderſamen Baum Früchte geboten, farbenheiße Blüten,

Mit manchem bunten Schleier mir verhängt Den Blick für eine Welt der Wirklichkeit, Halbreifer Sinne Wort gewordener Traum: Die Bücher meiner frühen Jugendzeit.

73

Ein Sonnenfinger ftreifte ihre Sha

Und ließ den Goldſchnitt zwiſchen harten Ecken Aufſprühn wie feines, blondes Mädchenhaar, Er ſpielte über rote Einbanddecken,

Daß fie wie runde Kinderwangen glühten. Und mitten zwiſchen jenen ſteifen Bänden Fand ich ein Heft, das auseinanderfiel,

So oft geleſen waren ſeine Seiten,

Armſelig lag's und ſchmal in meinen Händen. Ich ließ die Blätter durch die Finger gleiten Und fand, in einem wunderlichen Stil,

Ein Tagebuch, von meiner Sand geführt, Eh' noch des Lebens Stürme mich berührt.

Mir wurde warm, die Syazinthen brannten In tiefem Rot, ihr Duft lag ſchwer im Raum, Und immer tiefer ſank ich in den Traum,

Den jene engbeſchriebenen Blätter ſandten.

Ich las und las. Glatt ſchloß ſich Glied an Glied, Und eine Kette wuchs, ein Schickſalslied. Ich fühlte mich von Schauern jäh erfaßt | Und las und las in überftürzter Saft, Denn was dort aufgezählt in dürren Worten, Ein Niederreißen war es aller Pforten,

Die mir den Ausblick in die Zukunft ſperrten. Das war kein zages, ungewiſſes Glauben,

Ein Wiſſen war das, kalt und ohne Scheu Ward mir ein Weg gezeigt, fernab den Gärten; An ſchroffen Gründen führte er vorbei.

Ich blätterte zurück, bis ich die Stunden

Der Kindheit fand und ihren ſtillen Glanz,

74

Die rundeten ſich wie ein bunter Kranz,

Den eine mütterliche Hand gewunden.

Da blühte die zufriedene Kinderzeit

Mit großen Freuden und geringen Sorgen, Dem atemloſen Warten auf das „morgen“. Dann halberwachter Sinne Widerſtreit.

Die Wanderjahre, ihr bewußtes Streben, Erfülltes und noch ſehnſuchtsſchweres Leben.

Und dann die Jahre, die ſo langſam glitten Wie Schiffe, deren Segel ſchlaff und leer, Hingleiten über unbewegtes Meer,

Bis ſie ſich mühſam einen Strand erſtritten. Und dunkler wurden bald des Rranzes Blüten, Bis ſie nur mehr wie tiefe Aſtern blühten. Und immer noch und Neues trank mein Blick Und ſpähte, wie nach Gold der Sucher ſpäht, Im wirren Kranz der Jahre nach dem Glück; Das aber war nur ſpärlich eingeſät.

Schon drang ich zu der Zukunft fernſten Tagen, Da kam ein Wort, von Klang fo jäh und ſchwer, Als ob ein Tor im Zorne zugeſchlagen,

Und ich entzifferte kein anderes mehr.

Dies Wort hieß Untergang, hieß tiefſtes Fallen, Es wuchs empor, ſtand drohend über allen. Was ich geweſen, was ich bin und werde,

Dies Wort zerſchlug es, machte alles ſtumm; Nicht war es der Willkommengruß der Erde, Nicht das Gebot des Todes, wär' es drum! Ich hätt' es lieber, wars gleich früh, vernommen, gab ich doch manches ſchöne Tal geſehn,

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Und manches Gipfels Herrlichkeit erklommen, Ich fürchte nicht das ewige Stilleſtehn;

Der Tod iſt rein und kann uns nicht betrügen, Doch dieſes Wort befleckt, mit bitterm Schmerz Stößt es den Zweifel an ſich ſelbſt ins Herz: „Seit du bewußt lebſt, lebſt du nur in Lügen!“ Ich warf das Buch, ein giftiges Reptil, N Fort, daß zerflatternd es in Fetzen fiel. N AN und hob den Kopf. Ein breiter Teppich lag | Verſchwenderiſche Sonne mir zu Füßen, | Jart an die Fenſter klopfte erſtes Grün, | Viel heimgekehrte Vögel ſah ich ziehn | Und hörte ihren Ruf die Heimat grüßen. | Schwer noch durchdröhnte mich des Herzens Schlag, Noch fand ich mich im Bann der Traumgewalten, Die mit des Tages reinem Lichte rangen, l Woch ſah ich die verzerrten Schreckgeſtalten, | Die Worte hört' ich, die wie Schwertftreich klangen. Du kleines Buch, wer hat dich mir gefender? ... Du gabſt mir mehr als lächelndes Vergnügen. b „Seit du bewußt lebſt, lebſt du nur in Lügen!“ 4 Iſt das denn Wahrheit, die im Traum mir ward, Iſt Lüge meines Weſens eigene Art,

Hab ich mich an das Schlechte fo verſchwendet, Hab ich dem blinden Truge nur gelebt,

Ich, der die Wahrheit oberſtes Gebot? !!. Dann komm und leite mich von hinnen, Tod! Dann haſt du dies Gebilde falſch gewebt,

Du, der da irgendwo, jenſeits der Welt,

Die bunten Fäden in den Händen hält.

76

Dann weiß ich nicht, was Wahrheit ift, was Schein, Dann kann ich keine Grenze mehr ermeſſen,

Dann weiß ich nicht, war jene Jugend mein,

Hab ich fie nur als Wahngebild beſeſſen?? ..

Nein .. . nein ... Ich ſtrich die Haare raſch zurück,

Die mir, tief ſchattend, auf die Augen fielen.

Die Wirrnis ſchwand, das neuerlebte Glück

Der Jugend blieb mit Torheit, Tanz und Spielen;

Die Dinge blieben, die die Hand berührt

Und lagen, von der Sonne leicht geſchmückt.

Und alle Zweifel waren mir entrückt.

Doch träumend hab ich einen Hauch verſpürt

Der Macht, die unbegriffen ungemeſſen

Das uns Verborgene zum Leben führt.

Und jenes Traumes werd ich nie vergeſſen.

EN

78

Der Narr.

Es lief ein Narr am hellen Tag In wunderlichen Träumen hin, Der ſuchte eine Königin,

Die ihm als Weib im Sinne lag.

Er ſchlief in ſeinem reichſten Kleid, Daß, wenn die Nacht ſie ihm gebar, Er gleich im beſten Staate war, Zu Spiel und Feſtlichkeit bereit.

Oft blieb er tags am Wege ſtehn Und achtete der Frauen gut,

Da ging ſo manches junge Blut Wohl königlich und blumenſchön.

Er aber ſchürzte nur den Mund Und ſank zurück in ſeinen Traum. Die Arme warf er um den Baum, Die junge Buche, ſchlank und rund.

Und wartete wohl Jahr um Jahr,

Die Frauen ſchritten her und hin Doch nie, daß eine Rönigin

In ihren lichten Reihen war.

Sein braunes Haar, ganz weiß verſchneit, Kein Prunkgewand die Lumpen mehr. Die Frauen glitten hin und her

Und hielten nur noch Spott bereit. Und einmal kam die Hohe doch!

Nur, daß ſie keine Krone trug,

Kein Purpurmantel Falten ſchlug,

Ihr Bettelkleid trug Loch an Loch.

Sie ging ſchon lang auf feiner Spur Und nahm, als er nun arm und lahm, Die Hand, die keine andre nahm,

Und wollte nichts als dienen nur.

Demütig liebend ſie erriet,

Was nie ſein Mund mit Worten ſprach, Nur leuchtend aus den Augen brach! Des Narren ungeſungnes Lied,

Der Dichterſehnſucht hohes ziel, Das ſich in ſcheuer Narrheit barg, Sah unter Lumpen fahl und karg Der Seele reichbewegtes Spiel.

Und ward nun ſeinem Fiebertraum Die Königin voll Glut und Glanz, Sie führte über Spiel und Tanz Ihn an des Lebens letzten Saum.

Und als er arm in Schmerzen lag, Wie war ſein Leben hell und weit: Ein Rönigskleid fein Sterbekleid, Die Sterbeſtunde Krönungstag.

79

Drinzeffin. I.

Als mein Fuß noch unter ſamtnem leide ging, Als mein Singer trug des Hauſes Wappenring,

Als mir noch der Rronreif in den Locken ſaß, F Der gelbe Wein mir duftete aus einem zarten Glas, Als ich im hallenden Saale noch ging her und hin, Wer ich wohl fröhlicher, als ich jetzt es bin. Kalt iſt der Stein, darauf mein Fuß ſich ſetzt, Alt iſt mein Kleid, gebleicht und ſehr zerfetzt,

Meine weißen Hände find nun riſſig und rot.... —— Meinen toten Liebſten ſie ſchlugen ihn mir tot. Tee F

Der König läßt mich ſuchen in feinem ganzen Land, - Seine Boten ritten an mir vorbei, fie haben mich nicht erkannt. \

Das kommt: meine Augen leuchten nicht mehr wie einſt zu Haus, 1

Alle die ſchwer⸗feuchten Tränen löſchten ihr Glänzen F aus; ö

Und meine jungen Lippen haben kein Blühen mehr, Und meine tanzenden Schritte, die wurden fo ſchwer. meines Vaters Beten und Fluchen hilft nicht meiner . 1

Mögen fie reiten und ſuſß er meinen Liebſten ſchlugen fie tot.

Er trug nur ein Wams aus Leder, fein Sandſchuh war nicht fein,

Aber ſeine Spielhahnfeder lachte im Sonnenſchein, Alles lachte und glühte und war von Sonne ge | tr..

80

Er war wie die köſtliche Blüte, die aus finfteren Dornen drängt.

Im Sofe ſtanden die Wachen, wie Bäume, dunkel

und ſch wer

Einmal noch hört ich ihn lachen dann nicht mehr. Sara

Meines Vaters Beten und Fluchen, fein königliches Hege 1 2

Mögen fie mich ſuche n Meinen

II.

Nun irre ich ein Jahr im Land

Und kann nicht Ruhe finden Geſtern hat man die junge Sexe verbrannt, Ich habe ſie wohl gekannt

In allen ihren ſüßen Sünden.

Sie fagte: „Du mußt zu Hofe gehn Und den Purpur um dich ſchlagen,

Du wirft den König dir zu Füßen ſehn, Das macht dein Leid nicht ungeſchehn, Aber leichter zu tragen.

Er ſucht dich immer, er liebt dich ſehr,

Sein Serz iſt faft gebrochen;

Kehrſt du wieder, ſpricht er kein Urteil mehr

So todesſchwer;

Auch mir wird es nicht geſprochen.“

Ich gab ihr die Hand zum heiligen Eid. Und konnte ihn nicht erfüllen.

Geſtern im Frühlicht man ſah es weit

Zell brannte ihr Kleid,

Und die Menge hörte man brüllen.

Metz, Neue Gedichte, 8]

Ich weiß, was ich will, ich weiß, was ich tu | Ich kenne die heimliche Türe,

Niemals ſchloß fie der Burgvogt zuuu Dann find' ich Ruh,

Wenn ich ſelber die Flammen ſpüre.

Dann kehrt meinen Augen zurück der Glanz, Mein Blut wird nicht mehr ſtocken,

Meine Schritte lernen wieder den Tanz, Ein roter Kranz

Flattert aus meinen blonden Locken.

III. Das Schloß zu Aſche, der König erſtickt In ſeinem ſeidenen Bette. Man hat die verlorene Prinzeſſin erblickt Mit einer brandroten Kette.

Sie ſchlang die Bette um Sof und Palaſt. Da fprangen die roten Roſſe,

Da haben ſie die Prinzeſſin erfaßt,

Da raſten ſie weiter zum Schloſſe.

Nun weint das Glöckchen, die Glocke ſchreit Sturm, Das Land liegt auf den Knien. | Nur der Wachtturm, der eiſenſtarke Turm, Sah die Rotroſſe vorüberziehen.

82

Die Rinder.

Wenn fo die Kinder mich umſchmeicheln Fühl ich mich immer tief bewegt;

Dann muß ich ihre Köpfchen ftreicheln, Um die ſo wirr die Locken fallen,

Und ſchaun, ob keines unter allen

Den fremden meine Züge trägt.

Das iſt ein ſeltſames Verlangen,

Ein waches Träumen nur, ein Spiel, Und hält mich doch ſo ganz gefangen, Es drängt mich wider meinen Willen, Das blinde Wünſchen zu erfüllen

Und weiß, ich finde doch kein ziel.

Dann muß ich mit den Kindern tollen Um Raſenrunde, Strauch und Baum, Dann ſpielen wir die wundervollen Die wilden Spiele, die ſo reizen

Kraft zu verſchwenden, nicht zu geizen Mit Übermut, dann ſtirbt der Traum.

Und wenn zuletzt vom tollen Haſten

Wir müde lehnen Bruſt an Bruſt,

Um ſtill vom Spiele auszuraſten,

Da drängen Hoffen, Wunſch und Träume Sich mir zum Bild. Im Bann der Bäume Verſtummt die laute Binderluft.

Und in geheimnisvolle Tiefen Steig ich und öffne weit das Tor Und wecke Märchen, die dort ſchliefen.

86

Und rings erregtes Atemholen Und leiſen Schritts, mit ſeidnen Sohlen Steigt all der bunte Prunk empor.

Und plötzlich auf den jungen Zügen

Der fremden Kinder um mich her

Seh ich die eigne Seele liegen

Die Worte wollen mir verſagen,

Doch all die großen Augen fragen

Die warmen Lippen betteln: „Mehr!“

Da muß ich mich den Bitten beugen, Und enger drängt ſich Kind an Rind Und weiter rauſcht der Märchenreigen. Und wie ſie ganz mir hingegeben,

Ihr Leben pocht in meinem Leben, Fühl ich aus ihrem heißen Schweigen Wie ſehr ſie meine Kinder ſind.

Frühlingsdiebe.

In den kleinen Gärten flammen Alle Sträuche, goldbehängt.

Vor den Gärten, dicht gedrängt, Stehen Kinder eng beiſammen.

Und ſie ſehn mit großen Blicken Und ſie zittern vor Begier

Und ſie betteln: „Dürfen wir Nicht die ſchönen Blumen pflücken?“

Denn ſie haben wohl empfunden In dem neuen Frühlingsglanz, Daß ſie, wie in rundem Kranz, Allem Blühenden verbunden.

Doch fie wollen engſte Nähe

Schonen kennt nicht ihre Sand Wie ſie greifen Bild und Band: Nicht genug, daß ich dich ſehe!

Wollt ihr eure Blumen hüten

Schließt nur feſt das Garten tor Und ſie brechen doch hervor

Sich zu einen: Kinder, Blüten.

Sollen ſie die Luſt bezähmen,

Die ſie zueinander drängt?!

Laßt die Diebe, laßt fie nehmen, Wenn die welt voll Blüten hängt!

Hans Chriſtian Anderfen und die Rinder.

Er gab der welt im Spiel die ganze Welt Und feine Seele, gab fein Herz dazu

Und legte es in hilflos kleine Hände.

Die trugen dieſes überreiche Pfand

Als Spielzeug lächelnd in die Kinderſtube

Und ahnungslos, was alles ihnen ward.

Sie nahmen ſeinen Reichtum gern entgegen | Und gaben ihm dafür: fie gaben fich, - Ihre Soldſeligkeit, ihr zartes Blühen, | Ihr Jungſein, ihrer Augen großen Glanz, 5 Den ſchnellen Serzſchlag und der Wangen Glühen, Des Atems Beben, ihr erregtes Blut. 1 Sie gaben all ihr unberührtes Gut

Als edelſten ihm und als erſten Kranz.

Sie kamen innig ſich und ſtill entgegen

Wie Klang und Lauſcher ſich entgegendrängen

Und blühten ineinander.

Feſtgeblüht iſt er in uns ſeit frühen Kindheitstagen, Die er erfüllt mit lieblichſten Geſängen.

Wie wir ihn alle noch durchs Leben tragen

Den einzigen Ton, der niemals ganz vergeſſen Zuweilen aufklingt, wenn zu ſtiller Raſt

Wir aus dem Alltag eine Stunde retten.

Dann ſitzen wir als Kinder im Palaſt

Und ſchmücken uns mit ſeinen bunten Ketten,

Die uns zu Schätzen werden, unermeſſen.

88

Die künſtleriſche Puppe. Mein Kleid iſt wundervoll und die Friſur erleſen. Ich bin ein künſtleriſch empfundenes Puppenweſen; Ein feines Spielzeug nur, doch ſoll ich mehr bedeuten. Im Glashaus ſtehe ich, geſehn von vielen Leuten, Ganz reglos ſteh ich ſo in ſtarrenden Brokaten, Der Ausdruck des Geſichts, ſagt man, ſei wohlgeraten. Der Ausdruck des Geſichts iſt keines Künſtlers Mache, Sehr ernſthaft blicke ich, er wollte, daß ich lache; Ich aber lache nicht, mein Schickſal drückt mich nieder: Denn meine Seele lebt, gebannt nur ſind die Glieder. Ich ſchäme mich ſo tief vor großer Leute Blicken, Ich ſehne mich ſo heiß nach kindlichem Entzücken, Nach kleinen Fingern, die, derb ſtreichelnd, mich zerſtören;

Nicht Kunſtkritik will ich, nur Roſenamen hören. Ich haſſe dieſes Glas, das mich vom Leben ſcheidet! Wie brennend hab ich ſchon den Hampelmann beneidet Der angepreßt und warm in Kinderarmen ſchaukelt, Vor Kinderaugen toll am dünnen Faden gaukelt; Viel ärmer bin doch ich in meinen Prachtgewändern, Dem hochtoupierten Haar, den buntgewirkten Bändern.

Br, dWes Geſſcch e

1 Und daß ſo gar nichts fehle Ich armes buntes Nichts

89

Der Gymnaſtaſt.

Seine Seele iſt ſchön, ſeine Ohren ſind groß,

Die Gberlippe noch hoffnungslos.

Wie Rohr im Winde ſchwankt ſein Gang,

Die Arme ſind für die Armel zu lang,

Das Antlitz iſt blaß, die Mütze rot.

Trifft er ſeine Schweſter, ſchämt er ſich tot.

Sehr fleißig iſt er beim Tennisſpiel,

In der Schule weiß er nicht viel;

Das ſind bekanntlich die größten Lichter Außerdem: er iſt lyriſcher Dichter, Aber natürlich die ſtumpfe Maſſe!l .

Auch iſt er rieſig beliebt bei der Klaſſe,

Man ſucht, ihn in Mathematik zu ſtützen,

Und darf dafür ſeine Muſe benützen:

Indem man unter eigenem Namen

Seine Verſe ſchickt an „betreffende“ Damen. ö Ihm ſind die Weiber gänzlich Wurſt, Er kultiviert um ſo mehr den Durſt, b Geht öfter mal ſeitlich ans Rognakſpinde Und gießt ſich nen Kleinen hinter die Binde. Sein Vater wundert ſich immer ſehr

Ob des KRonſums von feinem Likör, Aber das iſt dem Alten ganz recht, . warum ſchließt fein Extra⸗Schlüſſel fo ſchlecht?! Daß die Mädels ſämtlich in ihn verknallt | Iſt ihm „höchſt pipe“ und läßt ihn kalt; Und weil er fie von oben behandelt,

Hätt manche ſchon gern mit ihm angebandelt, Doch er, reſerviert bis auf die Knochen,

90

0 5 4 {

Hat keiner noch was Ernſtes verſprochen,

Weder „fpätere Heirat“, noch „ewige Treue“,

Er kennt den Schwindel und dankt für die Reue. Des Abends, fo zwiſchen ſechs und ſieben, wenn er getrennt von ſeinen Lieben

Einſam auf ſeiner Bude ſitzt

Und vermeintlich über dem Cicero ſchwitzt,

In Wahrheit ſich auf dem Sofa dehnt,

Dann wird geträumt und ſich geſehnt

Nach allem wahrhaft Hohen und Edeln,

Nach viel was Beſſerm als nach Mädeln.

Und es kommen mit der Abendröte

Die Herren Homer und Ibſen und Goethe, Schiller und Sauptmann, Seine und Kleiſt

Und viele andere Ritter vom Geiſt.

Langſamen Schrittes naht ein jeder

Dem Sofa mit dem ſchäbigen Leder,

Dem Jüngling mit dem korrekten Kragen,

Und alle haben ihm etwas zu ſagen.

Er horcht und horcht, es brennen die Wangen Und auf einmal . .. da find fie wieder gegangen.

Ein leiſes Summen noch und Singen,

Noch ein verworrenes Rhythmenſchwingen Das Dunkel iſt da, die Stube leer.

Nun muß die brennende Lampe her.

Er klingelt wie raſend: „Minna, Licht!“ „Der Junge tut doch ſo brav ſeine Pflicht, Hockt immer da oben und ſchreibt und ſchreibt Wenn der dieſes Jahr wieder ſitzen bleibt!“ Seufzt die Mama. Die Schwefter lacht,

Sie hat jüngſt den Papierkorb mal rein gemacht.

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Und oben über den friſchen Bogen Konzeptpapier kommt es daher gezogen

Von Goethe und Schiller, Heine, Homer,

Von Alten und Neuen kommt es daher,

Und wer den Dichter nur inſpiriert,

Wird jetzt zum Dank „auf neu“ faſſoniert.

Es wird ein etwas buntſcheckiger Strauß, Guckt jede Patengabe heraus,

Aber viel Eigenes iſt auch dabei:

Die Interpunktion, die nicht einwandfrei,

Die Metrik, der Stil und die Grthographie; Aber alles in allem: es iſt Poeſie.

Die Wangen brennen, die Augen blitzen Die Tiſchdecke trinkt viele Federſpritzen Laut pocht des vollen Herzens Schlag. Und vor den Fenſtern ſtirbt der Tag,

Die Nacht deckt ihre dunkle Sand

Über das ſtillgewordene Land.

Aber hier drinnen tagt es fo hell!.

Nur drüben auf dem Büchergeſtell

Der Cicero! ... und Gſtern iſt nah

Und das Mathematikbuch, das ſteht auch da Und die Phyſik und der ganze Schmarrn! Ach was! Da drunter ſtehn die Zigarrn,

Die man ratenweiſe dem Alten geklommen, Der immer meint, daß ſie Minna genommen. Der Abend iſt lang, man ochſt noch genug! Und wo man jetzt gerade fo ſchön im Zug... Man fühlt fo viel Hoheit und Seelenadel Morgen gibt's ſowieſo nen Tadel,

Und der „Bonze“ zetert zu öfteren Malen:

92

„Laſſen Sie ſich's Schulgeld wieder zahlen!

Ich arbeite lieber mit Ackerpferden!

Mit den Kenntniſſen können Sie Müllkutſcher

werden!“

Da lächelt man, verbeugt ſich und ſchweigt.

Aber dann „eines Tags,“ da hat ſich's gezeigt!

Da wird es dem „Bonzen“ fürchterlich klar,

Was an dem vermeintlichen Müllkutſcher war.

Da kommt er ſchmeichelnd und ganz ergeben:

„Sie hatten immer ſolch ſchönes Streben,

Waren der Eifrigſte von der Rlafie” . . . .

Und dann quaſſelt er noch 'ne ganze Maſſe

Von „wahrhaft ſittlichem Betragen“

Da wird man kaltlächelnd „Müllkutſcher“ ſagen.

So träumt der Dichter. Die blauen Ringe

Der „Echten“ umrahmen künftige Dinge:

Ruhm, Reichtum und Ehre. . . . da klingelt's zum Eſſen,

Und Reichtum und Ehre und Ruhm ſind vergeſſen.

Man wäſcht ſich die Tintenfinger in Haft

Und iſt nur noch „hungriger Oymnaſiaſt“.

Von Soheit, Größe und Seelenadel

Bleibt eins gewiß nur: morgen der Tadel.

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So Anfang Mai.

So Anfang Mai, zwiſchen ſechs und acht, Wird der Dämmerungsbummel am liebſten gemacht. Da ſtehen die langen Primaner beiſammen

Und warten voll Spannung auf die „Flammen.“ Der Stock bohrt an blinkenden Stiefelſpitzen, Grell leuchten grüne und rote Mützen,

Und über der Weſte die farbenſatten,

Selbſt ausgeſuchten Frühlingskrawatten.

Und was für hübſche Madel fie hat

Dieſe Provinz⸗ und Mittelſtadt!

Die Blonde da und die Braune daneben!

Auf keinem Pariſer Boulevard

Findet man ein hübſcheres Paar;

Sie haben zwar keinen Pariſer Schick,

Dafür ſind ſchon die Taillen zu dick,

Aber Leben haben ſie, friſches Leben!

Die Primaner murmeln „patent“ und „famos“! Sogar ein Leutnant fagt „tadellos“!

Doch an Primanern und Militär

Schlendern die beiden achtlos her,

Sie ſind beſcheiden, ihr Sehnſuchtsziel

Sitzt in Sekunda und weiß noch nicht viel; Das macht nichts, „er“ will ja zur Bühne gehn, Iſt „rieſig begabt” und „blendend ſchön“!

Die beiden lieben zuſammen den einen,

Aber jede denkt, er liebt nur ſie,

Und jede iſt glücklich von den Kleinen. An der Ecke beim Schlächter ſteht Marie, Redet und redet, das will nicht enden!

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An ihren derben, roten Händen Ziehn Willi und Suſi: „Wir wollen nach Haus!“ Der Sandmann hält ſchon ſein Säckchen bereit. Da kommt die Minna vom Schlächter heraus: „Nein, dieſer Geſelle iſt nicht geſcheit!“ Und die „Schätze“, die neuen Hüte, der Lohn, Die Serrſchaft, das Fräulein, der große Sohn. . » » Das geht, als wenn man die Kurbel dreht. „Adjüs nu aber!“ „Himmel wie ſpät!“ Ein leiſer Wind ſchwenkt die Fahnen des Mai, Die auf zartem Blau weiß-rofig ſchwanken, Er fährt der ehrwürdig⸗grauen Baſtei In die friſchgrünenden Efeuranken. Sein duftender Hauch durchweht die Gaſſen, Läßt heiße Herzen noch heißer ſchlagen; Vor Übermut kann ſich der eine nicht laſſen, Dem andern wird's eng und bang hinterm Kragen, Er blickt fo blöde, dabei fo beglückt! Der Schutzmann denkt: Die ſind alle Veirhche! Stehn mitten im weg auf dem Straßendamm, Grad zwiſchen den elektriſchen Schienen Da kommt der Landrat, da ſteht er ſtramm, Der war ſein Leutnant damals beim Dienen. Damals wars fein! Auch grad mal im Mai. Da! . . Iſt der Radler doch wieder vorbei, 2 immer noch keine Klingel hat! weiches Dämmern umfängt die Stadt. Und es ſchlendert, lacht und liebt im Chor. Jeder Weg hat ſein goldenes Tor, Daran in Rieſenlettern, breit: „Eingang zur Jugendſeligkeit.“

95

EISEN 2 Su Fe

Der Oberlehrer ſenkt den Blick,

Er will ſeine langen Jungen nicht ſtören,

Garnichts ſehen und garnichts hören,

Damit er ihnen den Tadel erſpare;

Er denkt zurück ſo an zwanzig Jahre,

Dreißig Jahre denkt er zurück.

Hat auch mal die alten Griechen umgangen,

Ließ ſich locken von blonden Zöpfen,

Wenn der Mai zu blühen angefangen.

Seine Schüler laſſen ſich für ihn köpfen. Zwei Mütter ſind weniger erfreut:

„Was ſagen Sie bloß?! Nun ſehn Sie doch mal!“ „Wahrhaftiger Gott, es iſt ein Skandal!

Wenn ich bedenke zu meiner Zeit!

Jetzt muß ich aber fürs Abendeſſen“ ..

„Ach ja, und ich muß zum Mittag morgen“ Und haben vor lauter Alltagsſorgen |

Den Mai und die eigene Torheit vergeflen. Zögernder Abend. Ein helles Rund 5 Von Sternen funkelt zur Erde nieder Wie eine Krone auf blaſſem Grund. Und Straßen hin und Straßen wieder

Paare: fünf noch vier nur zwei Jungen und Mädel fo Anfang Mai. ——

96

Berufswahl.

„Du, Tante, nich, wenn ich Kaiſer werde

Krieg ich hunderttauſend Soldaten und Pferde

Un 'ne Menge Fahnen und Kanonen

Un kann immerzu in drei Schlöſſern wohnen?!

Un Sonntags paß mal auf das wird fein!

Da lad' ich die anderen Kaiſer ein,

Un dann fahren wir alle zuſammen aus,

Un dann ruft die Wache vor uns heraus,

Un immerzu eſſen wir Schokolade.

Un nachher, da is denn große Parade,

'ne ertrafeine mit Federbüſchen,

Un 'ne Menge Schutzmänner find dazwiſchen,

Aber von anderen Leuten keine,

Die Parade is bloß für uns Raifer alleine.

.

„Ja, mein Fritzel, nun hör mich mal an:

Der Raifer iſt aber ein ſehr feiner Mann,

Der darf niemals im Leben „Schafskopf“ ſagen,

Hat auch nicht das kleinſte Fleckchen am Kragen,

Steckt die Hände nicht in die Hoſentaſchen

Und läßt ſich den Hals und die Ohren waſchen.

Und, denk nur mal Fritzelchen hu mir graut!

Wenn deine Untertanen erführen,

Daß Majeſtät an den Nägeln kaut

Sie ließen ſich nicht mehr von dir regieren.“

„Gch, meinſte? Un ſag mal, fo Majeſtäten,

Die dürfen wohl auch nicht Pfützen austreten?“

„In Schmutzwaſſer patſchen, von „Nopf zu Fuß naß“? 5

„Nein? Denn macht mir Raiferfein gar kein Spaß!

Was ſoll ich denn mit Soldaten und Pferden?!

Denn will ich man lieber Töff⸗Töff⸗Kutſcher werden.“

7 metz, Yeue Gedichte. 97

Schwindellieſe.

„Was ich aber heute geſehn!“

„Was denn?“ „in Löwen, und der blieb ſtehn Un“ .... „Aber Lieſe, du ſchwindelſt ja wieder!“ Schlägt die Lieſe die Augen nieder,

Und ein bißchen zuckt's um den Mund

„Och nee, der Löwe ... das war ja 'in Hund.“ „Na ſiehſt du wohl, du Schwindelmamſell!

Nun bitte den lieben Gott nur ſchnell,

Daß er das häßliche Lügen verzeiht;

Mit Schwindeln und Lügen kommt man nicht weit.” Am andern Morgen, wer ſteht denn da? | Liefe im Semdchen. „Siehſte, Mama,

Der liebe Sott, un der hat geſagt,

Als ich'n um das Schwindeln gefragt: N Macht nix, mein Kind, ſo was ſieht man ſehr ſchwer, Ich dacht auch zuerſt, daß es 'n Löwe wär.“

98

EEE a =, 2

r *

7 *

Kulant.

Du, Mutti, wenn ich Konditor bin

Un du kommſt mal nach meinem Laden hin, Denn ſag ich: „Sie dürfen von jedem Kuchen Sich die allergrößten Stücke ausſuchen.“

Un denn freu ich mich, wenn du ordentlich ißt. Aber wenn du denn fragſt, was du ſchuldig biſt, Denn ſag ich: „Sie haben's ja nich beſtellt,

Überhaupt von Ihnen nehm ich kein Geld,

Das behalten Sie alle man ruhig da, Sie waren ja früher mal meine Mama.“

Lied des Närrchen.

(Aus dem Märchenſpiel „Den Rönig drückt der Schuh“.)

Joo

Fiel ein Krönlein in den See, Rief der Königsſohn: „G weh! In den Wellen

Wird zerſchellen

Meine goldne Krone!“

Ward das Serzlein ihm fo ſchwer, Plumps! Da fiel es hinterher, Trieb mit hellen

Silberwellen,

Sein rot rotes Herze.

Stand ein Mädel an dem Strand, Weißen Fuß im gelben Sand, Seufzer hallen

Seufzer ſchallen

Hörts um Herz und Krone.

War dem Rönigsſohn fo gut Huſch, da ſprang es in die Flut

Und aus hellen

Silberwellen

Reichts ihm Serz und Krone.

Hat er beides unverweilt Zwifchen ſich und ihr geteilt: Dir ein Stück,

Mir ein Stück

Herzelein und Krone.

Lied des Lehrbuben. (Aus dem Märchenſpiel „Den König drückt der Schuh!.)

Ein alter Ni- Na- Nußbaum ſtund, In meines Vaters Garten;

Die Nüßlein waren kugelrund,

Ich wünſchte ſie in meinen Mund Und konnt es nicht erwarten.

Flink nahm ich einen Sti Sta Stock Und zielte nach den Zweigen.

Da ſah ich meines Vaters Rock

Und kriegte bald ein ganzes Schock Nicht Müſſe, aber Feigen!

Viel Feigen auf das J— A- Ghr, Hei, fing das an zu klingen!

Auch ſang des Vaters ſpaniſch Rohr Noch einem andern Teil was vor, Da konnt ich aber ſpringen!

Steht jetzt nach Nüſſen mir der Sinn, Tu ich geduldig warten

Dieweilen ich gewitzigt bin

Bis ſie der Baum wirft ſelber hin In meines Vaters Garten.

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Die Rinder und ich.

Es iſt ſonderbar:

Geh ich an einem Kind vorbei,

Lachen wir immer alle zwei.

Sitzen wir uns in der Bahn gegenüber, Reichen wir immer irgendwas

Uns zum Spaß

Hinüber herüber:

Eine Fahrkarte, ein Reklameblatt,

Was man ſo grade bei ſich hat;

Beugen uns vor von unſerm Platz,

Reden wohl auch mal einen Satz,

Und wenn der eine den andern verläßt, Halten wir uns noch ein bißchen feſt:

An der Hand, am Schirmknopf oder am Kleid, Haben meiſtens nicht viel Zeit,

Denn die andern, die noch dabei,

Merken gar nichts, nur wir zwei.

Dann winken wir uns noch von weitem zu: Du! adiegß

Morgen vielleicht! ... oder übers Jahr!. Es iſt wirklich ſonderbar. |

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Dies Buch wurde gedrudtinder Piererſchen Hof buch druckerei i. Altenburg S. A. für den Verlag Wilhelm Borngräber Berlin. Den Einband lieferte die Buch— binderei C. Alb. Kindle, Berlin nach Entwürfen des Verlegers

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