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NEUE JAHRBÜCHER

FÜR

PHILOLOGIE UND PAEDAGOGIK.

GEGENWÄRTIG HERAUSGEGEBEN

VON

ALFRED FLEGEEISEN und RICHARD RICHTER

PROrXUOB VK DBS8DXV RBCTOR UHD PSOrXBBOK IX LJEIPZIO

FÜITPUNDSECHZIGSTEB JAHBGANG.

EINHUNDERTUNDZWEIUNDFÜNFZIGSTER BAND.

LEIPZIG

DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.

1895.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHBFÄGHEB

MIT AUSSCRLÜSZ DBB CLASSISGHBN PHILOLOQIB

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. BiCHARD BiCHTER.

1.

ZUR ERSTEN ORIENTIERUNG ÜBER DEN GESCHICHTS-

UNTERRICHT.

Durch die allgemeinen lebrpläne vom j. 1892 werden zwar für die entsprechenden stufen aller arten höherer schulen in Preuszen dieselben geschichtlichen lehraufgaben festgesetzt, aber thatsftch- lioh besteht , wie sich noch zeigen wird , insofern ein nicht ganz un- erheblicher unterschied, als gymnasium* und realanstalten nicht alle methodischen mittel gemein haben, um das für beide vor- geschriebene lehrziel zu erreichen.

Dieses selbst schlieszt in der amtlichen fassung eine doppelte aufgäbe ein: die aneignung geschichtlicher kenntnisse und die entwicklung des historischen sinns.

Was die erstere anlangt, so nötigt natürlich die unermeszliche fülle dessen 9 was in dem der geschichtswissenschaft zugänglichen Zeitraum von 6 bis 7 Jahrtausenden geschehen ist, zu einer ein- schneidenden aus wähl, der allgemeine lehrplan läszt unter still- schweigender ausschlieszung aller prähistorischen thatsachen nur ^die epochemachenden ereignisse der Weltgeschichte' übrig, eine formu- lierung^ die trotz der ihr anhaftenden dehnbarkeit doch eben mög« liebste energie in der einschränkung gebietet.

Gleiche Zustimmung verdient die besonders in der erhöhten zahl der jahrescurse zum ausdruck gebrachte bestimmung, wonach fortan die geschichte der neueren zeit und hier wieder besonders die unseres Vaterlandes vor allen andern abschnitten der ge- schichte bevorzugt werden soll, hüten wir uns freilich, den nationalen gesichtspunkt allzu sehr auf kosten des pädagogischen zu betonen, das, was für die Jugend das bestgeeignete und förder- lichste ist, entspricht auch am meisten dem richtig verstandenen nationalen interesse. dürfte es daher als ausgemacht gelten, dasz die geschichte des classischen altertums für die schüler verständ-

N. Jahrb. f. phU. u. pld. II. abt. 1895 hft. 1. 1

2 H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschichtsunterriclit.

lieber und zugleich in ansebung ibrer gesamten geistigen entwick- lung nutzbringender wäre , so müste ibr der lange gegönnte vorzug im unterriebt aucb fernerbin erbaltcn bleiben, nun glaube aucb ich zwar, dasz sie sich in der tbat durch die gröszere Qbersicbtlicbkeit ihres begrenzten Schauplatzes und durch gröszere einfacbbeit ibrer erscheinungen auszeichnet, schlage aber im ein Verständnis mit dem lehrplan die^e vorzttge nicht hoch genug an, um sie nicbt durch das unmittelbare patriotische Interesse an unserer eignen volksgescbicble für mehr als ausgeglichen zu erachten, denn der erste ansprucb nn die schule bleibt doch, dasz sie die Zöglinge zur künftigen mitarbeit an den aufgaben ihres Volkes vorbereite, um dies zu vermögen, wirkt sie planmäszig darauf bin, die geistigen und sittlichen anlagen des Schülers zu wecken, zu stärken und zu veredeln, wenn nun an diesem obersten unterrichtszweck alle lehrfächer, das eine mehr, das andere weniger, beteiligt sind, so fällt dem geschichtsunter- rieht noch die besondere aufgäbe zu, über die öfifentlichen zu- stände der gegenwart zu orientieren, um damit zugleich ein Ver- ständnis für die erfordernisse der nationalen zukunft anzubahnen, soll aber hinwieder diese Orientierung einigermaszen gründlich aus- fallen, so musz auf die nähere und fernere Vergangenheit zurück- gegriffen werden, insbesondere auch auf die geschichte der Griechen und Römer, sofern diese Völker zweimal, am anfang und am ende des mittelalters, die gesamtentwicklung Europas in politik und cultur entscheidend beeinfluszt haben und noch immer beeinflussen, allein immer bleibt doch das zu erklärende die neuere und neueste geschichte wichtiger als das erklärende, die femer liegende Ver- gangenheit, genug, wenn es vor 1870 wohl üblich war, den Unter- richt mit dem jähre 1815 abzubrechen und somit auf jede Verbin- dung mit der nächsten gegenwart zu verzichten, so mochte man diese Unterlassungssünde allenfalls mit der unerquicklicbkeit und unfertigkeit unserer öffentlichen zustände entschuldigen, aber da- mit hörte sie doch nicbt auf, eine Unterlassungssünde und zwar eine gröbliche zu sein.

Wenn dann ferner eine pragmatische behandlung des geschichtsstoffes verlangt wird, so klingt das wie eine selbst- verständliche forderung, ohne es jedoch zu sein ; oder bat es an lehrern gefehlt , die sich mit dem traurig Öden geschäft befaszten, ihren armen opfern eine obendrein wohl noch übermäszige summe von einzelnen daten, namen und zahlen in bequemem anscblusz an irgend eine dürre, mehr oder weniger zusammenhanglose geschieb tstabelle gedächtnismäszig einzuquälen? man weisz, wie das schwesterfach der geschichte, die geographie, dieses loos tabellarischer misbandlung ge- teilt hat. heute scheint überall auch in der praxis dieses scbulmarty- rium der einsieht gewieben zu sein, dasz beide fäcber erst durch ihre f&higkeit zur begrün düng der in ihren untersucbungskreis fallen- den erscheinungen ein existenzrecht im Stundenplan einer höheren schule gewinnen, dasz die verschiedenen classenstufen auch ein ganz

II. Denicke: zur ersten Orientierung über den gcscbichtsunterricht. 3

verschiedenes masz von pragmatik fordern und vertragen , versteht sich von selbst, aber schon im einführenden Unterricht der VI und V Ittszt sich das Verständnis für geschichtliche zusammenhänge und Wechselwirkungen anbahnen und pflegen, anderseits halte sich der lehrer in diesem bestreben auch auf den obersten stufen in den sach- lich und didaktisch gegebenen grenzen, er vergesse nicht, dasz es eine erschöpfende begründung geschichtlicher thatsachen überhaupt gar nicht gibt, insbesondere soweit es sich um ihre psychologische Vorgeschichte handelt, niemand vermochte oder vermag mit Sicher- heit in der seele eines menschen zu lesen, noch verdienst und schuld in seinem wollen und handeln untrüglich zu würdigen, niemand mit Sicherheit zu sagen, dieses oder jenes motiv, ob ehrgeiz oder patriotische hingebung oder beides, hat Caesar bewogen, über den Bubicon zu gehen, niemand weisz das geheimnis aufzudecken, wie und wie weit Vererbung, erziehung und freier wille den Charakter und das thun des menschen bestimmen.

Aber auch abgesehen von diesen mangeln, die der geschichts- wissenschaft als solcher anhaften, ist es aus gründen stofflicher Schwierigkeit auch auf den obersten classenstufen nicht immer angängig, geschichtliche vorhänge und zustände zu anschaulichem Verständnis zu bringen , es sei denn , dasz man eine ganz ungebühr- liche zeit darauf verwendete, denken wir beispielsweise an die Voraussetzungen, die entstehung und die Wirkungen des deutschen Zollvereins, ich kenne kein Schulbuch, worin diese verwickelte materie wirklich klar dargelegt würde, und ich glaube, es gibt auch keinen lehrer^ der sie in der dafür höchstens verfügbaren zeit seinen schülem klar machte; setzt sie doch, um wirklich klar zu werden, viel zu viel handeis- und finanzgeschichtliche Specialkenntnisse voraus, auf solche fälle aber, wo selbst in den höheren classen die behandlung notgedrungen unpragmatisch und undeutlich bleiben musz, wird der geschieh tslehrer recht oft stoszen.

Die zweite forderung des allgemeinen lehrziels be- traf die entwicklung des historischen sinns. was mag dar- unter verstanden sein? man könnte wohl antworten: ^historischer sinn' bedeute im gründe dasselbe wie philosophisches interesse, da er nicht blosz das wesentliche merkmal der ermittlnng von Ursache und Wirkung mit dem letzteren begriff teile, sondern auch seinem um- fange nach gleich diesem sich auf die totalität des seins richte , so- fern es ja nichts gebe, was nicht eine geschichte hätte, aber im ein- klang mit dem Sprachgebrauch schränken wir ihn doch in ansehung der erscheinungen , die er umfaszt , auf die Schicksale und zustände der menscbheit ein und verstehen darunter nun zunächst die gewöh- nung und neigung, aus eignem antriebe zu fragen, wie sie geworden sind, dieses selbstthätige und interessierte forschen wird nun zu der allgemeinen erkenntnis führen, dasz, wenn einzelne episodische ereig- nisse oder ereignisgruppen von volks- oder weltgeschichtlicher bedeu- tung wohl von der willkür eines einzelnen oder einzelner geschaffen

1*

4 H. Denicke: zur ersten Orientierung fiber den gescbichtsunterricht.

sein mögen (so etwa die Vergewaltigung der Niederlande durch Philipp II, Ludwigs XXY eroberungsknege, die roben, mecbaniscben Staatenbildungen Napoleons) , so doch fast alle groszen geschicht- lichen thaUacben und entwicklungen von dauer in den Stimmungen und bedttrfnissen eines volkes ihre breitere grundlage haben, so entsteht im allgemeinen ein wünschenswerter respect vor dem ge- schichtlich gewordenen als etwas tiefgewurzeltem^ oder negativ aus- gedrückt, eine gewisse scheu vor radicalem besserwissen und ftndern- wollen. es hat zeiten gegeben , denen dieser historische sinn so gut wie völlig abhanden gekommen war, so der generation, die in der französischen revolution rücksichtslos mit aller Überlieferung brach ; wir schätzen uns glücklich, dasz wir uns die guten fruchte der revolu- tion wenigstens groszenteils in den Steinschen reformen anzueignen verstanden, ohne einen gewaltsamen bruch mit der Vergangenheit zu vollziehen, wenn man freilich nachmals in weiten kreisen unseres Volks sich darin gefiel, an den französischen verfassungszuständen wie an einer allgemeingültigen Schablone unsere heimischen einricbtungen zu messen, so verfiel man auch bei uns in den gleichen fehler un- geschichtlicher auffassung. aber eben der historische sinn unseres Volkes, den es in reicherem masze als seine neuerungssüchtigen west* liehen nachbam von der natur mitbekommen hat, und den unsere groszen historiker, so Moser, Niebuhr, Savigny, Orimm, Dablmann, Ranke, Boscher und ihre nachfolger pflegten, hat es doch wenigstens vor thatsttchlichen imitationen in dieser richtung glücklich bewahrt. *eines schickt sich nicht für alle', musz der grundsatz fUr eine rich- tige individuelle auffassung der einzelnen menschen wie der ein- zelnen Völker sein, wenn sich aber diese geschichtliche sinnesrich- tung nicht mit radicalen anschauungen, wie der socialdemokratiscben oder hier zu lande und anderswo der anli monarchischen, vertrügt, so schlieszt sie doch keineswegs das entschiedene streben nach reform aus. anderseits verkennt sie auch nicht die gegenseitige abbängig- keit, die alle culturvölker der erde im austausch ihrer ideellen und materiellen guter umfaszt; frei von chauvinistischer Selbstüber- schätzung, aber auch frei von dem viel häszlicheren und schäd- licheren gegenteil, an dem leider weite kreise gerade unseres volkes trotz aller seiner siege und ehren in alter und neuer zeit noch immer kranken, wird sie in dem glauben gipfeln, dasz von gott der ganzen menscbheit in ihrer allseitigen Vervollkommnung eine einheitliche aufgäbe gesetzt sei, an der ihre glieder, die Völker und Staaten, jedes an seinem teil gebend und nehmend mitzuwirken haben, ich denke^ diese merkmale: die immer bereite teilnehmende frage nach dem werden geschichtlicher zustände und begebenbeiten , der bedingte respect vor dem gewordenen , die einsieht in die wechselseitige ab- hängigkeit aller culturvölker, die nationales selbstbewustsein zugleich begründet und einschränkt, der glaube an eine der ganzen menscbheit zugeteilte unendliche gesamtaufgabe machen wesentlich den begriffs- inhalt dessen aus, was der lehrplan geschichtlichen sinn nennt.

H. Denicke: zur ersten oricntierang über den geschichtsunterricht. 5

Wie kann diese sinneBrichtung mehr und mehr auch in den heranwachsenden Schülern entwickelt werden? nun^ besonderer Veranstaltungen dazu bedarf es kaum ; sie wird in den meisten fällen die von selbst reifende frucht geschichtlicher belehrungen sein, wenn sie in dem pragmatischen geist erteilt werden , von dem wir schon in auslegung des lehrplans sprachen, immerhin wird man in oberen classen bei vielen gelegenheiten , z. b. bei besprechung der über- stürzten neuerungen Josephs II, der französischen revolution, der Steinschen reformen, der gegenwärtigen socialdemokratischen und socialreformatorischen bestrebungen , insbesondere aucb der, um mit Bismarok zu reden, ^auf gewachsenem boden' begründeten bundesstaatlichen Organisation des neuen deutschen reiches, sich nicht entgehen lassen, auf diesen unterschied einer ungeschicht- lichen auffassung und behandlung politischer dinge mit besonderm nachdruck hinzuweisen.

Diese beiden aufgaben, die das allgemeine lehrziel einschlieszt, sollen nun in einem zweistufigen lehrgang erfüllt werden, dem die lehrpl&ne vom jähre 1882 einen mit je einer wochenstunde bedachten propädeutischen cursus in den zwei untersten classen vorangestellt haben, eine neuerung, die an 0. Jäger einen entschiedenen Widersacher gefunden hat. er wünscht in seiner bro- schüre 'bemerkungen über den geschichtlichen Unterricht', dasz sich dieser auf der Unterstufe auf die biblischen geschichten beschränke : dienten sie freilich zunächst religiösen zwecken, so gäbe es doch keinen lehrstoff, der gleiche Vorzüge auch zur ersten einführ ung in die geschichte aufwiese; dahin rechnet er die Übersichtlichkeit des engen historischen Schauplatzes, die patriarchalische einfachheit der zustände und sitten, das deutliche herauswachsen eines Stammes aus der familie , das sichtliche hervortreten mächtiger persönlichkeiten, die berührungen mit fremden Völkern, das überall erkennbare un- mittelbare eingreifen gottes in die menschlichen Schicksale und endlich die unermeszliche geschichtliche perspective nach rückwärts und vorwärts, auszerdem beruhe der Unterricht auf quellenlectüre, die wieder mit ihrer naiv kindlichen und zugleich dramatisch so be- wegten spräche der fassungskraft wie dem interesse des kindes voll- kommen entspreche, er befürchtet nun von einer gleichzeitigen ein- führung in die reizvolle griechische sagen weit, der neben einer ersten bekanntschaft mit den grösten heldengestalten der alt«n und vaterländischen geschichte jene stunden gewidmet sein sollen, nur eine abschwächung der starken eindrücke, die er sich von den bibli- schen erzählungen verspricht, und plaidiert deshalb überhaupt für zu- rücknähme dieses zweifelhaften dem geschieh tsunterrichte gemachten geschenkes. ' es mag dahingestellt bleiben , ob man hier Jäger bei- pflichten müsse ; jedenfalls hat sich die Unterrichtsverwaltung diesen

' noch andere bedenken hat kürzlich Lattmann in der zeitschr. fär gymn.-wesen vom interessenstandpunkt des lateinischen aus geltend gemacht.

6 H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschichtsunterricbt.

von der Zerstreuung des Interesses hergenommenen bedenken nicht angeschlossen, vielmehr die beiden stunden auch in den neuen lehr- plänen beibehalten und ihre aufgäbe dahin präcisiert, dasz in sezta lebensbilder aus der vaterländischen geschieh te und in quinta er- z&hlungen aus der sagenhaften Vorgeschichte der Griechen und Römer geboten werden sollen, vermutlich hat der patriotische wünsch, der ersten frischen empf^nglichkeit der in die schule eintretenden grosze eindrücke gerade aus der heimischen geschieh te entgegenzubringen, für diese sonst etwas auffällige reihenfolge der beiden unterrichte- pensen entschieden, in Übereinstimmung damit soll auch der gang, den der lehrer im Unterricht der sezta einzuhalten hat , ein regres- siver sein, dies aber wohl mehr noch deshalb, weil der kleine Zu- hörer in seinem bewustsein mehr anknüpfungspunkte für das lebensbild kaiser Wilhelms oder Moltkes mitbringt als für die heroen einer weiter zurückliegenden Vergangenheit, dasz anderseits aber seine empfänglichkeit mit jedem schritt rückwärts erlahme, steht kaum zu befürchten, wenn jedoch ein heimatlicher ausgangspunkt für diese erzählungen gewünscht wird, so läszt sich der wohl nur in sehr ausgedehntem sinne , etwa dem der heimatlichen provinz ver- stehen; denn wie sollte an den weitaus meisten schulorten ein be- sonderer localer anhaltspunkt für jene lebensbeschreibungen ge- geben sein? Hinsichtlich des der quinta zufallenden pensums hätte sich der lehrplan füglich klarer ausdrücken sollen, er unter- scheidet zwischen Mer sagenhaften Vorgeschichte' der Griechen und Römer und *den eigentlichen sagen' des classischen altertums. was soll diese Unterscheidung bedeuten? zu welcher kategorie gehören denn nun Hercules, Perseus, lason, Oedipus, Theseus, Achilles, Odysseus? will man, wie die praktische auslegung der dunklen be- stimmung wohl durchgängig gethan hat, sie der ersten zuweisen, was bleibt dann von den ^eigentlichen sagen' des classischen alter- tums, die der altsprachlichen und deutschen lectüre vorbehalten werden? wollte man dagegen umgekehrt unter der sagenhaften Vor- geschichte der beiden fraglichen Völker nur etwa die zeit von der dorischen Wanderung bis auf Solon und wiederum die zeit von der gründung Roms bis zu den punischen kriegen verstehen, so würden die für die quinta geeigneten biographischen stoffe im ganzen so unergibig und trocken sein , dasz sich der lehrer durch überflusz an zeit in Verlegenheit gesetzt sehen müste. denn die geschichten des Eodros und Aristomenes, wie des Horatius Codes und Mucius Scaevola sind rasch genug erzählt, da nun die lehrpläne unmöglich die quintaner haben zur lange weile verurteilen wollen, so hilft über den zweifei nur die annähme hinweg, dasz hier unter 'eigentlichen sagen' des altertums die antike götterweit verstanden wird und dem- nach die ganze heroensage in geeigneter auswahl in den themen- kreis der quinta gehört.

Wenn der lehrplan dann noch vorschreibt, dasz das deutsche lesebuch den sagengeschichtlichen und biographischen aufgaben

H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschichtsanterricht. 7

möglichst verwandte stoffe bringen soll , eo ist das deshalb eine un- abweisbare Forderung, weil die sextaner und quintaner ohnehin die ihnen zugemutete beschäftigung mit so vielerlei dingen kaum ohne schaden vertragen, dieser Forderung sachlicher concentration ent- spricht auch der wünsch, dasz der deutsche lehrer zugleich den ge- schichtlichen anfangsunterricht erteile.

Übrigens halte ich es nicht für angebracht, dem schüler einen leitfaden in die band zu geben und ihm überhaupt eine häusliche repetition zuzumuten, das einzige, was er sich schriftlich aufzeichne und repetiere, seien die vom lehrer an die wandlafel geschriebenen namen ; sonst soll ja der ganze Unterricht nichts weiter leisten, als die kleinen kerle aufhorchen machen, sie erwärmen und mit einem ganz bescheidenen vorrat geschichtlicher grundbegriffe ausrüsten, der junge lehrer unterschätze aber keineswegs die grosze Schwierigkeit, die vor allem darin beruht, einen ungekünstelten kindlichen ton in der erzählung zu treffen, soweit sich diese Fähigkeit überhaupt er- lernen und erarbeiten läszt, schule er sich an so vortrefflichen mustern , wie sie Niebnhr , Gust. Schwab , die gebrüder Grimm in ihren erzählungen bieten.

Mit quarta setzt dann der erste cursus des eigent- lichen geschichtsunterrichts ein, um in untersecunda gemäsz der in einem vorläufigen abschlusz aller Unterrichtszweige bestehenden gesamtaufgabe dieser classe sein ende zu finden.

Hier ist nun der ort, unter rück weis auf die im eingang ge- machte andeutung einen wichtigen gesichtspunkt zu betonen, den Jäger in seiner angezogenen broschüre gründlich erörtert, gymna- sium und realschule vergleichend, erkennt er den eigenartigen beruf der ersteren an st alt geradezu in der aufgäbe, geschicht- liche bildung mitzuteilen; an ihrer durch führung seien jedoch in erster linie nicht etwa die besondern geschichts- stunden beteiligt, die vielmehr nur eine ergänzende bedeutung hätten, sondern der altsprachliche Unterricht, natürlich dieser weniger nach seiner grammatischen als nach seiner sachlichen seite, ein vorbehält, der eigentlich in sich selbst zerfalle, da sprach- und sach Unterricht sich zwar in Wirklichkeit nicht immer deckten, aber doch immer decken sollten, indem der schüler die Schriften des Thukydides und Xenophon, Caesars und Ciceros lese, und zwar mit der genauigkeit lese, die die Überwindung sprachlicher Schwierig- keiten erfordere , treibe er recht eigentlich ein historisches quellen- studium und erarbeite sich selber aus zeitgenössischen Zeugnissen eine ungleich deutlichere kenntnis der geschichtlichen begebenheiten und zustände, als sie ihm der notwendig immer summarische Vor- trag des lehrers oder abgeleitete und abgeblaszte geschichtsdarstel- lungen in buchform vermitteln könnten, hier sehe er in anschaulicher Wirksamkeit die groszen und kleinen kräfte , die die geschichte be- wegten, durch eine eindringende lectüre der Sophokleischen Anti- gone gewinne er den tie£sten elnblick in die denkungsart nicht etwa

8 H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschichtsanterricht.

blosz des dichters^ sondern zugleich seiner von ihm vertretenen Volksgenossen , und aus Homer schöpfe er ein allseitig detailliertes oulturgemttlde von der Jugendzeit des griechischen volkes.

Diese vorzttge der c^tsprachlichen lectüre sind bei richtigem betrieb gewis unbestreitbar; nur sei ergftnzungsweise darauf hin- gewiesen, dasz auch die realschüler in ihren neusprachlichen lesestoffen ähnliche mittel historischer bildung besitzen , die freilich zu wenig in einander greifen und zeitperioden mit weniger über- sichtlichen und auch aus andern gründen für den Unterricht weniger ergibigen Verhältnissen betreffen, natürlich behält daneben der be- sondere geschichtsunterricht sein volles recht; wenn die sprachliche lectüre ihn durch die Intensität geschichtlicher anschau - ungen überbietet, so gibt er in extensiver beziehung den ge- schichtlichen kenntnissen ihre unentbehrliche er Weiterung.

Was nun die genauere Sichtung und gliederung des Stoffes sowie seine Verteilung auf die einzelnen classen hier wie auf der Oberstufe betrifft, so geben die lehrpläne darüber verbindliche , an ort und stelle nachzulesende Vorschriften , die frei- lich auch nur wieder allgemein gehalten sind und nur allgemein ge- halten sein können, ich begnüge mich damit, einiges principielle hervorzuheben.

Dasz und warum von den perioden der geschichte die neuere geschichte und von den Völkern das deutsche am eingehendsten be- handelt werden soll, erwähnte ich schon, dieses plus musz durch energische abstriche an der geschichte des altertums und mittelalters ausgeglichen werden, wenn dies im lehrplan aber in so entschiedener weise geschieht, dasz in secunda ein volles Jahrespensum gestrichen wird , so fragt sich freilich , ob man hier nicht des guten zu viel gethan hat. im gymnasium mag diese ein- busze nicht so fühlbar werden, da hier die griechische und lateinische lectüre sie wenigstens einigermaszen ausgleichen dürfte, aber den oberrealsecundanern in einem jähre griechische und römische ge- schichte mit einiger gründlichkeit und anschaulichkeit vorzuführen, ohne die schüler zu überbürden oder von der pflicht sicherer an- eignung des gebotenen zu entbinden , ist wohl nicht allein mir bis- her nicht gelungen, richtig aber bleibt gegen den früheren zustand, dasz die alte und mittelalterliche geschichte vielfache kürzungen zu« läszt. so verträgt die ältere, von der sage überwucherte geschichte Borns bis zu den punischen kriegen auf beiden stufen ein knappestes masz der bebandlung; insbesondere werde die äuszere geschichte der königszeit gekürzt, wie überhaupt die kriege, die zu der allmäh- lichen Unterwerfung Italiens führten, um so entschiedener ist dieses ihr schluszergebnis festzuhalten, mit möglichster gründlichkeit musz ferner auf der Oberstufe auf die grundlegenden Verfassungs- einrichtungen, die classenteilung des volkes, die Volksversamm- lungen, den Senat, die ämter, insbesondere auf das in aller geschichte einzigartige tribunat, das das gesamtvolk in zwei nicht sowohl Staats-

H. Denicke : zur ersten Orientierung über den gescbichtsunterricht. 9

rechtlich als völkerrechtlich mit einander verkehrende gruppen zu teilen scheint, u. a. m. eingegangen werden, bringt der lehrer diese politischen bildangen in ihren anfangen nach art und bedeutung zu anschaulichem Verständnis und sicherer einprägung, so hat er einer raschen erledigung der späteren perioden tüchtig vorgearbeitet, übrigens wäre es sehr wünschenswert, für die ganz mit unrecht bis- her vernachlässigte römische kaiserzeit eine gröszere Stunden- zahl zur Verfügung zu haben , da wir hier einem von der geschichte nicht wiederholten und auch in zukunft nicht wiederholbaren phäno- men gegenüberstehen, einem weitreich nämlich, das im strengen wortsinn ein solches ist, während alle andern , das assyrisch- baby- lonische, das persische, das griechische, das mittelalterlich- deutsche, das islamitische, britische, russische, nur wegen ihrer beträchtlichen ausdehnung über verschiedene nationen , nicht aber wegen ihrer die ganze culturwelt umspannenden dimensionen so genannt werden, zugleich ist jene periode, wenn ich so sagen darf, im sittlich-patho- logischen sinne höchst anziehend und lehrreich, wie anderseits in ihr die anfange groszer, noch heute blühender nationen, der romani- schen, und die entscheidenden siege der edelsten weltreligion liegen, zu warnen ist wieder vor öder nomenclatur; die sämtlichen namen und regierungsjahre der zahlreichen römischen kaiser einzuprägen, wäre ebenso zwecklos, ja nachteilig, wie die reihe der römischen päpste oder der englischen könige herunterleiern zu lassen. Mit gleicher entschied enheit läszt sich unter den äuszerlichkeiten der mittelalterlichen geschichte aufräumen, wozu ich auch hier wieder zahlreiche in den gangbaren Schulbüchern mitgeteilte kriegsbegeben- heiten rechne, um so eindrucksvoller entwickle sich vor den äugen der Schüler die wahrhaft groszartige weltmachtspolitik der deutschen kaiser auf der höhe des mittelalters und die heldenhafte persönliche hingebuiig, mit der sie diese betrieben, es braucht dabei nicht die bedenkliche einseitigkeit des politischen programms verschwiegen zu werden, das einer phantastischen grösze die garantien einer zwar bescheidenen, aber dauerhaften nationalen zukunft opferte, aber darum verliert es nicht die kraft, noch heute, ja heute vielleicht mehr denn je, begeisternd zu wirken und zur nachfolge anzuspornen, wem sich das bild Barbarossas in die seele prägt, wie er hoch zu rosz, ein siebzigjähnger greis, an der spitze des waffenfrohen deutschen adels Europa und Kleinasien durchzieht, um als schutzherr der abend- ländischen Christenheit das ferne Jerusalem zu erobern , wie er vor der zeit und dem ziele sein leben läszt in diesem kämpfe, der mag, selbst unter anwendung der eigenartigen maszstäbe, die jene zeit an die band gibt, immer noch an der überschwänglichkeit des wollens anstosz nehmen, aber trotz aller kritischen einreden empfängt er doch die stärksten eindrücke von dem weitausschauenden sinn und der rücksichtslosen thatkraft, womit die geschicke einer groszen nation heute wie immer geleitet sein wollen , und solche eindrücke thun, wie ich glaube, der heranwachsenden generation in unsem

10 H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschieh tsunterricht.

trotz aller erfolge noch immer zu engen politischen und wirtschaft- lichen Verhältnissen not. Für die betrachtung der auszerdeat8chen Völker hat der lehrer nur so viel zeit übrig, um über ihre geschichte da, wo sie sich mit der deutschen berührt, mehr oder weniger ober- flächlich zu orientieren, das masz der berücksichtigung verschiebt sich freilich schon mit der annäherung an die neuere geschichte. in der letzten epoche des mittelalters hört Deutschland auf, das reich der mitte zu sein; Frankreich, Spanien und England fangen an, es einzuholeil oder gar schon zu überflügeln, in der neuzeit treten ihm dann noch andere Staaten ebenbürtig zur seite, vorübergehend Schweden und die Niederlande, später vor allem die Vereinigten Staaten und Bnszland. aber wenn auch in groszen zügen der gang der Weltgeschichte festgestellt sein will, so musz doch die deutsche geschichte immer entschieden überwiegen.

Was die nähere beschaffenheit der geschichtlichen mitteilungen betrifft, so legt der lehrplan von 1892 mehr als sein Vorgänger von 1882 darauf wert, neben der änszeren auch verfassnngs- und culturgeschichte getrieben zusehen, ob und inwieweit die letztere überhaupt in den rahmen der geschichts- wissenschaft hineinpasse, darüber wird seit langem in der fach- litteratur debattiert; gegenwärtig neigt die historik (ich verweise nur auf das einschlägige buch von Ottokar Lorenz: die geschichts- wissenschaft) wohl mitentschiedenheit dahin, für sich das begrenztere feld der eigentlichenstaatsgeschichte abzustecken, alles aber, was man mit dem vielumfassenden, freilich auch etwas unbestimmten namen ^culturgeschichte' bezeichnet, besondern fach Wissen- schaften vorzubehalten, durch diese einschränkung sucht sie sich vor der uferlosen Unendlichkeit des Stoffes und vor dilettantischer verflachung zu retten, aber diese Selbstbeschränkung, die der strengen Wissenschaft frommen mag, braucht deshalb noch nicht dem Jugend Unterricht dienlich zu sein, einige namhafte pädagogen lehnen auch für diesen einläszlichere culturgeschichtliche belebrungen ab, allerdings einigermaszen in Widerspruch mit sich selber, wie ihnen Biedermann in seiner lesenswerten schrift über * den geschieh ts- unterricht nach culturgeschichtlicher methode' vorwirft, mir selbst erscheint die gewünschte ausgibigere behandlung verfassungs- und culturgeschichtlicher themen als ein erfreulicher fortschritt, frei- lich blosz dann, wenn sie nicht sowohl eine Vermehrung als nur eine Verschiebung der lehr- und lernaufgabe bewirkt, wie schon angedeutet; musz und kann der nötige räum vor allem durch eine ermäszigung der kriegsgeschichtlichen partien ge- wonnen werden, über deren unverdiente bevorzugung sich schon Locke spottend beklagte, es ist in der that ziemlich unverständlich, wie man gerade darauf verfiel , gegenüber allen andern lebens- und thätigkeitsgebieten nationaler und staatlicher gemeinschaften , also den manigfaltigen Verfassungseinrichtungen und der vielverzweigten rechts-, wohlfahrts- und culturpflege, den hauptton des Unterrichts

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«uf die kriege zu legen und zwar nicht so sehr auf ihre allerdings meist Tielentscheidenden völkerrechtlichen ergebnisse als auf ihren verlauf im einzelnen, der doch wiederum schon au:? mangel an zeit nicht so ein- gehend geschildert werden konnte, um den schillern wirkliche stra- tegische und taktische kenntnisse beizubringen oder sie immer durch den reiz lebensvoller und farbenreicher bilder besonders zu fesseln, in Wahrheit überwog vielmehr die masse gleichgültiger und trockener kriegsgeschichtlicher notizen. natürlich trifft auch diese nur der er- hobene Vorwurf, denn in der that fordern und lohnen manche kriege eine verweilende erzählung und betraebtung, so die Perser- und die punischen kriege, die kreuzzüge, der siebenjährige, der befreiungs- krieg, die mindestens in einzelnen abschnitten allen ansprüchen der Herbartschen interessentafel gerecht werden, insbesondere in er- habenen , durch ihre geschichtliche Wirklichkeit selbst den mächtig- sten ideal gestalten der dichtung überlegenen beispielen die todes- freudige hingäbe an höchste sittliche gemeinschaften, an staat, kirche und nation , predigen, aber wie möchte der lehrer es mit der ohne- hin schon übergroszen gesamtaufgabe seines Unterrichts in einklang setzen, selbst beim siebenjährigen krieg alle die kreuz- und quer- züge der preuszischen , russischen, österreichischen, französischen truppen ausführlicher darzulegen oder gar sie den schülem abzu- verlangen, was sollen so viele einzelheiten der Völkerwanderung, der mittelalterlichen Römerzüge, des spanischen erbfolgekriegcs usw.? welcher sittliche oder intellectuelle gewinn fällt dabei ab? und wie viel bleibt auch nur im gedächtnis haften? ja, darf man nicht zweifeln, ob selbst ein lehrer, der diese dinge wiederholt behandelt hätte, sich ihrer zwei wochen nach der durchnähme noch genauer erinnern würde? wenn sich verfassungs- und culturgeschichtliche materien, einmal verstanden, leicht behalten lassen, weil sie logisch in sich fester zusammenhängen, so gilt das umgekehrte von schlachten und kriegen, weil sie auf einem zusammenwirken von allerlei factoren beruhen , bei deren unberechenbarkeit das gedächtnis der hilfe des urteilenden Verstandes entbehrt, um obendrein oft noch durch ihre fülle überlastet zu werden.

Dürfen also hinter den kriegerischen Unternehmungen des Staates seine andern lebensäuszerungen nicht ungebührlich zurücktreten, so entziehe sich der lehrer auch nicht den häufigen an- lassen , den blick des schülers über das engere gebiet der eigent- lichen Staatsgeschichte hinaus auf das leben und schaffen des Volkes als solchen zu richten, soweit es sich auszerhalb der staatlichen einfluszsphäre vollzieht, wie lückenhaft und schief müste doch seine darstellung von der geschichte unseres Volkes im letzten Jahrhundert ausfallen, wenn er, etwa aus scheu vor vermeintlicher wissenschaftlicher grenzverletzung, erfind ungen von so unermesz- licher tragweite wie die der dampfmaschinen und des telegrapben verschweigen oder allzu oberflächlich behandeln wollte I dazu kommt, dasz derartige im engern sinne culturgeschichtliche begebenheiten

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auch anf das politische leben entscheidend zurückwirken: Goethes und Schillers dichtnngen haben nicht blosz litterargeschichtliche be- deutang, sondern knüpften zugleich das erste starke band deutscher einheit. ähnliches gilt von der einigenden kraft der Verkehrsmittel» besonders der eisenbahnen. trotzdem wird die eigentliche staats- geschichte immer das feste rückgrat des geschichtsunterrichts blei- ben müssen, allein , wenn auch andern ffichem die aufgäbe znfWt, die groszen aus privater initiative hervorgegangenen bewegnngen und errungenschaften auf materiellem wie wissenschaftlichem und künstlerischem gebiete ausführlicher zu behandeln, so finde der Schüler doch in der geschichtsstunde anregung und anleitung , sie auch im Zusammenhang mit der staatlichen entwicklung zu sehen und einigermaszen zu würdigen. *

Der lehrplan weist derartige aufgaben weniger der ersten als der zweiten stufe zu, eine etwas willkürliche trennung: auch innerhalb des ersten cursus soll doch von classe zu classe ent- sprechend der zunehmenden reife eine Vermehrung culturgeschioht- lieber Unterweisungen platz greifen.

Auch in der gruppierung des Stoffes verlangt übrigens die verschiedene reife wesentliche ab weichungen, in quarta thut man gut, vorzugsweise, aber keineswegs ausschlieszlich , wie Jftger betont, von einem biographischen einteilungsprincip auszugehen, in späteren classen dagegen von dem sachlichen, ebenso wird man in den mittleren classen anziehenden anekdoten einen grOszem platz einräumen als in späteren, wo die hauptaufgabe, eine leidlich gründliche Übersicht über die geschichte an- zueignen, der berUcksichtigung des einzelnen^ nebensächlichen, episodischen enge schranken setzt, ich verkenne dabei keineswegs die Wichtigkeit des details , das vielmehr für ein gründlicheres und genuszreiches Studium der geschichte unerläszlich ist, wie wir denn auch aus diesen gründen Jäger die lectüre der alten Schrift- steller so hoch schätzen sehen, deshalb ist es durchaus nötig, die schüler zu verständiger lectüre ausgeführter geschichtswerke auch über mittelalter und neuzeit anzuleiten und zu veranlassen, an den meisten anstalten wird auszer Goethes und Schillers geschichtlichen arbeiten wohl nur noch Arcbenbolz gelesen, es würde ein groszer gewinn sein, wenn G. Frejtags köstliches werk 'bilder aus der deutschen Vergangenheit' wohlfeiler zu haben wäre.

In bezug auf die neueren socialpolitischen kämpfe und entwicklungen als auf ein besonders wichtiges capitel, das ebenso sehr der cultur- wie Staatsgeschichte angehört^ gehen die wünsche und hoffnungen des lehrplans wohl etwas hoch: vermutlich wird das selbständige urteil, zu dem er die schüler in diesen dingen befähigt sehen möchte, besten falls nur in dem bescheidenen sinne wirklich-

' Fechner hat in seinem neuerdings erschienenen prrundrisz der Weltgeschichte die hier entwickelten Grundsätze der Stoffauswahl mit entscbiedenheit und geschick durchgeführt.

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keit werden, dasz sie wie bei so vielen andern tbemen der gescbicbte lediglich die elementarsten grundzüge der verwickelten materie mit klarheit erfassen und im übrigen in verständiger Selbstkritik sich bescheiden lernen, der lehrer wird sie davon überzeugen, dasz die socialdemokratie sich mit der natur selbst in Zwiespalt setzt, wenn sie zwei so tief im menschen liegende triebe wie den eigentums- und familientrieb misachtet und durch aufhebung des privatcapitals und erbrechts vergewaltigen möchte, anderseits wird er sie darüber auf- klären , dasz die gesellschafts- und Wirtschaftsordnung der heutigen culturvölker unter dem unwiderstehlichen einflusz der modernen dampftechnik zu einer erschreckenden Ungleichheit in der Verteilung der guter geführt hat, die als eine schwere krankheit am staats- körper anzusehen sie schon die warnenden beispiele des absterben- den römischen reiches und des ancien regime in Frankreich gelehrt haben, wie aber für die Verwerflichkeit und unanwend barkeit der von der socialdemokratie angepriesenen heilmittel, wird sich auch ihr blick für die etwas spät eingeschlagene methode öffnen lassen, die bedrohte eigentums- und gesellschaftsordnung durch ein prakti- sches Christentum zu retten, das während des letzten Jahrzehnts bereits in zahlreichen tiefgreifenden reformen seitens des Staates und erhöhten fürsorglichen masznahmen der privaten zu gunsten der minderbegüterten classen in erfreuliche erscheinung getreten ist. Der lehrplan verlangt bei behandlung dieser dinge hervor- hebung der Verdienste der Hohenzollern um die hebung der unteren classen : er verlangt damit nicht heuchlerische liebedienerei, sondern schuldige anerkennung thatsächlicher groszer Verdienste.

Ihren endpun kt findet die neuste gescbicbte passend mit dem tode kaiser Friedrichs, den letzten abschnitt von 1871 1888 meint Jäger nur in chronikartiger kürze, etwa in einer stunde, be- handeln zu sollen, da zu diesen noch im flusz be6ndlicben Vorgängen eine objective geschichtliche Stellungnahme nicht möglich sei. da- gegen dürfte indes der einwand gelten, dasz der culturkampf, die Organisation des gerichtswesens, die socialpolitische gesetzgebung, die colonialpolitik als ziemlich abgeschlossene capitel sehr wohl eine ausführlichere sachlich gehaltene besprechung zulassen.

Für eine genauere gliederung des stoffes, als sie im lehr- plan vorgenommen ist, wird am besten auflehrbücher ver- wiesen, ich nenne auszer dem schon angeführten durch seine auswahlprincipien ausgezeichneten grundrisz von Fechner zwei neuer- dings erschienene von sehr verschiedener anläge, die beide jedoch besondere Sorgfalt auf die einteilung verwenden: die geschichts- tabellen von Edm. Mejer und das Wesselsche lehrbuch für prima, beide periodisieren niemals nach äuszerlichen gesichtspunkten, wie solche folgenden, in andern lehrbüchem vertretenen Überschriften: *vom ende des peloponneeischen krieges bis zum regierungsantritt Alexanders des groszen' oder 'vom schlusz des westfälischen friedens bis zum tode Friedrichs des groszen' zu gründe liegen, sondern stets

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nach der zosammeogehörigkeit der Inhalte, auch in vielen andern methodischen beziehungen geben sie dem aufmerksamen lehrer sehr schätzbare fingerzeige.

Wenn ich mich nunmehr zu der frage wende , w i e die im vor- hergehenden gekennzeichneten ziele zu erreichen oder doch anzu- streben sind, so ergibt sich wieder eine doppelte aufgäbe: die Vermittlung neuen geschichtlichen materials und die repetition des bereits mitgeteilten, wie aber soll man mitteilen? Jäger spottet mit recht über die wohlfeilen ratschlage^ die man in dieser beziehung in Zeitschriften, directorenconferenzen und 'wohl auch in amtlichen instructionen erteilt findet, in der tbat ist mit solchen imperativen *habe geist!' oder 'erzähle mitanschau» lichkeit und wärme!' niemandem, der über diese schönen eigen- schaften nicht schon verfügt, geholfen, statt dessen verweist der vortreffliche pädagoge auf ein gründliches Studium der sache, das jeder bei gutem willen leisten könne, dazu gehört natürlich mehr als etwa blosz die genaue bekanntschaft mit dem bezüglichen ab- schnitt des eingeführten Schulbuchs, selbst wenn dieses, was ich aus gründen einer erfolgreichen häuslichen repetition seitens der Schüler im gegensatz zu Jäger nicht für verwerflich halte, einigermaszen ausführlich gehalten ist; wie das Wesselscbe buch; so musz doch darin immer noch sehr vieles in zu gedrängter kürze und zu abstracter spräche gehalten sein , um dem in politischen und culturgeschicht- liehen dingen unbewanderten schüler ein anschauliches Verständnis zu ermöglichen, hören wir z. b. in nur wenig geänderter fassung folgende angäbe eines lehrbuchs über den ausbruch der Julirevolution : Karl X nahm eine reactionäre haltung an, die die deputiertenkammer zu einer scharfen Opposition veranlaszte, obwohl das active Wahl- recht an einen hoben census gebunden war und somit die weniger begüterten, vollends die niederen classen, »ich ganz von jener körper- schaft ausgeschlossen sahen. Karl stand nun vor der wähl entweder einzulenken und ein liberales ministerium zu berufen oder aber einen Staatsstreich zu wagen, er entschied sich für das letztere^ berief in der person Polignacs einen extremen reactionär und erlie^z nach abermali- gem ungünstigen ausfall der wähl die fünf Ordonnanzen, durch die er die kammer auflöste und das Wahlrecht noch weiter zu Ungunsten des Volkes verschob, auf diesen Staatsstreich folgte die dreitUgige revolution . . . usw. wenn selbst der reifere primaner dies alles wenig anschaulich finden wird , so lie^t der lehrer es mit gereiftem Verständnis^ er kennt aus seiner ungleich breiteren und tieferen ge- Schichtskenntnis und lebenser fahrung ähnliche Vorgänge und ver- fahrungs weisen, z. b. mittel, wie das Wahlrecht durch classenteilung und erhöhte censussätze einzuschränken sei , und würde ohne mühe jene dürren notizen mit diesen seinen anderweitigen kenntnisscn und urteilen detaillieren und anschaulich machen können, er verführe dann ähnlich einem dichter, der sich bei irgend einem geschicht- lichen Vorwurf auf gleich dürftige quellen angewiesen sähe, wollte

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er aber im geschiebtsunterricht beim Vortrag der betreffenden be- gebenbeiten die lUcken seiner kenntnisse durch derartige combina- tionen und reflexionen ausfüllen, so versündigte er sich gröblich gegen die erste pflicht geschichtlicher darstellnng, gegen die Wahr- heit, die sich hier durchaus mit der nachweisbaren Wirklichkeit deckt, nie ist das detail geschichtlicher erscheinungen und vorgftnge das gleiche ; wenn sie einander auch im groszen noch so ähnlich sehen mögen, dieses musz der wahrheitsgetreue erzäh 1er also wissen, und das vermag er nur durch das Studium ausführlicher geschichts- werke. ich glaube, in den angedeuteten fehler halbwahrer phan- tasien und constructionen zu verfallen, besteht eine grosze Ver- suchung. Jäger meint im gründe dasselbe, wenn er unter angäbe einer ergötzlichen probe gegen den novellistischen ton mancher geschichtsbücher eifert, kommt einmal ein fall, wo der lehrer wegen unzureichender kenntnis durch angäbe plausibler, aus seiner menschen- und geschichtskenntnis hergeleiteter umstände einen vor gang zu verdeutlichen sucht, so musz er zur Steuer der Wahrheit die blosze annähme als solche bezeichnen.

Jäger gibt noch den beherzigenswerten rat; es sei für den jungen lehrer besser, ein buch zu studieren als deren zwei, er mache sich daraus für jede stunde ein seinen zwecken entsprechen- des excerpt und befolge thunlichst die disposition des eingeführten leitfadens , mit deren beibehaltung er sich überdies seine ohnehin so schwere vorbereitungsarbeit erleichtert, und wenn der officielle lehr- plan freien Vortrag von ihm fordert, so nehme er das so wenig wie Jäger in superlativem sinne : was so viele bedeutende männer nicht gekonnt haben, braucht er auch nicht zu können, unbedenklich mag er also kurze notizen seinem Vortrag zu gründe legen , der damit ja noch keineswegs aufhört ein freier Vortrag zu sein , anderseits aber dadurch nur an Sicherheit und Sachlichkeit gewinnen wird, ver- gewissert er sich nun in der angegebenen weise seines Stoffes, so wird ihm die formgebung im einzelnen schon gelingen, so gut sie ihm eben gelingen kann, dem einen mehr, dem andern weniger, wie die natur nun einmal die gäbe ihm zuerteilt hat. keinesfalls aber hilft jenes recept 'habe geist', das durch die berühmtheit seines Ur- hebers an seiner Wunderlichkeit nichts verliert und dem Jäger das tröstende wort des alten Cato entgegensetzt: rem tenel verba sequentur. auch an der gewis wünschenswerten wärme des Vor- trags wird es nicht fehlen, wenn der lehrer sich die mühe gründ- licher Vorbereitung nicht hat verdrieszen lassen und überhaupt so viel geist und gemüt besitzt, um von groszen geschichtlichen dingen ergriffen zu werden.

Kennt er also die sache, nicht zwar bis in ihr kleinstes detail, aber doch , wie es etwa Jägers griechische und römische geschichte für diese studienkreise bietet , so hat er einmal an seiner quelle ein gutes muster der er?ählung und wird ohnehin über der fülle des that- sächlichen kaum der Versuchung erliegen, viel zu moralisieren,

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zu tbeologisieren und zu raidonnieren. diese fehler wollen noch etwas näher beleuchtet werden, was den ersten betrifft, so bleibt es dem lehrer gewis unbenommen, die dinge beim rechten namen zu nennen, also beispielsweise eine ofifenbare gemeinheit, wie sie Napoleon mit der gefangennähme und erschieszung des herzogs von Enghien begieng, als solche zu kennzeichnen, aber er hfite sich anderseits doch , den riesen mit dem masze hausbackener moral zn messen, danach hätte Napoleon am ende besser gethan, er wftre ein ehrsamer bürger und hausvater auf seiner kleinen in sei geworden, um fleiszig seinem berufe nachzugehen und ja niemandem zu nahe zu treten, dieser kleinlichen, engherzigen auffassung gegenfiber bat die religiöse ein volles recht, die nicht blosz in so lauteren geschicht- lichen grOszen wie etwa Luther, sondern auch in solchen aus genialitftt und niederträchtigkeit seltsam gemischten Charakteren wie Napoleon Werkzeuge gottes sieht, um den erstarrten oder erstarrung drohenden geschichtlichen ström wieder in bewegung zu setzen, anderseits aber musz dieser glaube an ein unmittelbares göttliches eingreifen nicht vordringlich laut werden, wer bei allen möglichen gelegenheiten den finger gottes in der führung der menschheit zu sehen vorgibt, wird kaum gläubige finden und vermutlich für einen heuchler gelten, unsere äugen sind viel zu blöde und gottes wege viel zu dunkel, als dasz sich ehrliche menschen nicht grosze Zurückhaltung in diesen fragen auferlegen sollten, nur wo in der that ein solcher eindrock sich aufdrängt, wie etwa bei der Vernichtung des altersschwachen Römerreiches durch die Jugend kräftigen Germanen, der rettung Preuszens durch den tod der Elisabeth (1762), dem Untergang der groszen armee in Ruszland oder, wie eben gesagt, bei dem auftreten weltgeschichtlicher persönlichkeiten, da mag man wagen, auf ein Sichtbarwerden göttlicher Vorsehung hinzudeuten und selbst dann noch in zurückhaltender form, also nicht: es war, sondern es er- scheint wie eine göttliche fUgung. gewis ist jedem der glaube zu wünschen, dasz ein gott lebt, ohne den kein ziogel vom dache und kein haar von unserm haupte fällt; aber thöricht und hofißlrtig zu- gleich ist es, gottes gedanken und fügungen im einzelnen nach- rechnen zu wollen, ich möchte daher empfehlen, die bezügliche ver- mabnung des lehrplans zu hinweisen auf ein höheres walten in der geschichte mit vorsiebt zu befolgen.

Auch mit allgemeinen betracbtungen über geschichtliche that- sachen und personen sei der geschichtslehrer sparsam, mitunter dienen sie auch wohl nur zu bequemer maskierung unzulänglicher Vorbereitung auf das thatsächliche selbst, vor allem lerne der Schüler doch erst dieses, um zugleich freilich daran gewöhnt zu werden, reflexionen, für die die Weltgeschichte in der that eine un- erschöpfliche fundgrube bildet, in bescheidenem umfange selber unter mitwirkung des lehrers anzustellen, ich komme bei bespre- chung der gröszem repetitionen hierauf zurück, genug, die er- zählung des geschichtslehrers sei schlicht und sachlich und bilde

H. Denicke: zar ersten orientierang über den geachichtannterricht. 17

sich an den höchsten mustern, die er vielleicht weniger bei den neueren findet als bei den alten: Herodot, Thukjdides, Livius und Caesar.

Es wäre aber vom Obel, wenn er den zur mitteilung des neuen verfügbaren teil der stunde regelmäszig durch ununterbrochenen Vortrag ausfüllen wollte, das mag er thun, wenn er gerade so packende erzählungsstoffe hat wie die schlacbt in den Thermopjleii oder Luthers auftreten in Worms, im übrigen aber vergesse er nicht, dasz jeder mensch, ob erwachsen oder unerwachsen, bei blosz receptivem verhalten nur wenig ausdauert, er musz daher seine Schüler bei allen schicklichen gelegenheiten durch eingestreute fragen erfrischen, wie er zugleich durch diesen an'r ei z zu eignem nachdenken den unterriebt fruchtbarer machen wird, der anlasse, auch bei mitteilung des neuen im geschichtsunterricht zu fragen, gibt es mehr, als man gemeinhin will gelten lassen, suchen wir da- für nach allgemeinen gründen, so liegen sie: 1) in der annähernden gleichbeit aller menschen, also auch derer, die die geschieh te ge- macht haben, und derer, die sie jetzt hören und verstehen sollen, 2) in den geschichtlichen analogien, die je länger desto mehr den Schülern zu geböte stehen , 3) endlich in dem umstand , dasz zahl- reiche geschichtliche thatsachen in karte und atlas so zu sagen hineingebeimniszt sind , die zu lesen und zu deuten die schüIer von früh auf angeleitet und angehalten werden : so finden sie seibor den örtlichen grund für die zahlreichen schlachten in der nähe von Leipzig oder in Oberitalien in der buch tenarti gen einlagerung der entsprechenden tiefebenen in gebirgsland, wie sie, um noch ein anderes beispiel zu nennen, in der vormaligen territorialen Zer- splitterung Preuszens den geographischen grund für die annexionen Westpreuszens und Hannovers selber erkennen werden.

ünerläszlich ist ferner, wie bei beginn des Vortrags und seiner kleineren teileinheiten eine orientierende Zielangabe, so gegen den scblusz der stunde ein zusammenfassender rück blick, sei es dasz der lehrer aus gründen etwa nötiger Zeitersparnis oder sach- licher Schwierigkeit ihn selber gibt, oder aber vom schüler geben läszt ; dies wieder je nach der classenstufe und der natur des Stoffes in form von fragen oder in form zusammenhängender kleiner berichte.

Eine besondere beachtung verdient noch die erörterung schwie- riger begriffe, besonders staatsrechtlicher und wirtschaft- licher art. wie kann man hoffen, die geschichtliche entwicklung menschlicher einrichtungen zum Verständnis zu bringen, wenn diese selbst ihrem wesen nach dem schüler unbekannte gröszen sind? weisz er nicht, was ein parlament ist, wie es zu stände kommt, in welchen formen es sich bethätigt, welche hauptsächlichsten befug- nisso es ausübt, oder vermag er nicht die drei elementaren Staats- thätigkeiten : gesetzgebung , rechtspflege und Verwaltung klar aus einander zu halten, so kann er unmöglich die zeitlichen Wandlungen dieser einrichtungen und thätigkeiten begreifen, es empfiehlt sich

N. JAhrb. f. phil. n. pftd. II. abt. 1895 hft. 1. 2

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bei solchen begrifflieben erörterungen, für die übrigens ein vor- wiegend erotematisches verfahren einzig angebracht ist, möglichst an gegenwärtige and heimatliche Verhältnisse anzuknüpfen und sie in vergleich mit den gerade zu besprechenden analogen bildungen der geschichte zu stellen, an jedem ort einer höheren schule gibt es ein gericht^ eine Verwaltungsbehörde^ eine Vertretung der bürger- •Schaft, und daran läszt sich am leichtesten das wesentliche und typische dieser einrichtungen , das bei den verschiedenen Völkern und in verschiedenen Zeiten nur differenziert erscheint, verdeut- lichen, es geschehe , wo zuerst ein derartiger fremder begriff ent- gegentritt, natürlich nur soweit es die classenstufe erlaubt, es ist verlorene mühe , dem quartaner schon die elemente der Solonischen Verfassung oder die complicierten socialen und staatsrechtlichen Ver- hältnisse zur zeit der Gracchen wirklich anschaulich und interessant machen zu wollen: gleichwohl musz auch er schon einiges davon hören und lernen.

Übrigens darf der geschichtsunterricht hier wirksame hilfe auch von andern fächern erwarten, so zwingt unbeschadet der vorhersehenden ästhetischen gesichtspunkte die lectüre mancher dichtung, z. b. des Eieusischen festes, des Spaziergangs, der verher- lichung des königtums im prolog zur Jungfrau von Orleans, der von naturrechtlichen anschauungen erfüllten patriotischen reden Stauf- £Eu;hers auf dem Bütli zu einer eingehenderen besprechung nationaler, staatlicher und gesellschaftlicher grundbegriffe, die teilweise und in elementarster form bereits auf unterster stufe im religionsunter- richtanläszlich einiger katechismusstellen, besonders der lutherischen erklärung der vierten bitte, zur Verhandlung kamen, wenn es so- nach, besonders bei zweckbewust ineinandergreifendem betrieb der beteiligten fächer, auch mit den mittein des gegenwärtigen lehr- plans gelingt, dem reifern schüler die grundzüge der Staats- und gesellscbaftsordnung begreiflich zu machen, ja ihm auch wohl schon die umrisse eines Systems erkennbar werden , ähnlich wie im deut- schen Unterricht die gelegentlich an die lectüre angeschlossenen ästhetischen belehrungen sich allmählich zu gröszern gruppen ver- binden, so rechne ich dagegen die neuerlich hervorgetretenen be- strebungen, einen systematischen unterriebt in der Staats- und wirtschaftslehre einzuführen, zu den verstiegenbeiten, an denen die pädagogische litteratur des letzten Jahrzehnts überhaupt keinen mangel hat. für dieses experiment ist der primaner, der dabei allein in betracht kommen könnte, zu jung: es fehlt ihm noch zu sehr an eignen concreten erfahrungen und anschauungen, um nicht ober- flächliche auffasäung und phrasenhaftes gerede befürchten zu lassen, zugleich aber bedeuten jene anlaufe ein neues attentat auf die geltende lehrverfassung. sie verwirklichen, biesze offenbar ein neues fach einführen, das mindestens eine wöchentliche stunde beanspruchen würde ; natürlich auf kosten irgend eines andern im lehrplan ver- tretenen faches. haben wir aber grund , bewährte lehrstoffe durch

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neueningen von zweifelhaftem didaktischen wert zu beeinträch- tigen? im boBondem darf ich hier wohl unbeschadet des geziemen- den respectes Hermann Schillers behandlungsweise der neuesten geschichte als probe anfuhren, wie bequem sich auf dem papier didaktische wunder vollbringen lassen, er erklärt (zeitschr. f. gym.- wes., Septemberheft 1889), in 14 18 stunden dem primaner eine anschauliche kenntnis so gut wie aller staatlichen und wirtschaft- lichen Verhältnisse der gegenwart beibringen zu können, von den gestaltungen und fragen der hohen politik an bis zu der nicht gerade leichtverdaulichen begrififsreihe : arbeit, capital^ lohn, grundrente, angebot und nachfrage, es leuchtet indes ein, dasz er mit diesen ansprüchen den boden der Wirklichkeit unter den fdszen verliert, sowohl was die föhigkeiten als die bedürfnisse der schttler anlangt

Jedes übermasz der ansprüche an der einen stelle pflegt sich durch einen ausfall an anderm orte zu rächen, an verletzliches all- gemeingültiges gebot aber ist, mit der vorgeschriebenen und auf anschlusz an das nächste classenpensum berechneten lehraufgabe fertig zu werden, ein gebot, gegen das zu bündigen die geschichte wohl leichter verführt als die andern lehrföcher. eine Übertragung auf die folgende classe kann und darf nicht stattfinden : es bliebe also ein vacuum^ während der historische Unterricht doch vor allem für zusammenhängende kenntnisse sorgen soll, man schützt sich hier wie überall durch eine planmäszige Verteilung des ge- samten Pensums auf gewisse Zeiteinheiten, etwa von Vierteljahr zu Vierteljahr und dann wieder von woche zu woche.

Es bleibt noch übrige kurz die einrichtung der repeti- tionen zu besprechen, sowohl der gröszern, wie derer, mit denen etwa ein drittel jeder v or trag sstunde auszufüllen ist, bei welcher berechnung übrigens die in allen classen erforder- lichen sofortigen Wiederholungen eben besprochener kleinerer oder gröszerer abschnitte anszer ansatz bleiben, zunächst läszt der lehrer zweckmäszig erst von einem oder zwei schülern die vorgekommenen geographischen namen an der karte aufzeigen, um dann meist in gleicher Ordnung und unter gleichen gesichtspunkten den inhalt der letzten stunde teils abzufragen, teils in kleinen abgerundeten abschnitten nacherzählen zu lassen, diese nacherzählungen werden zugleich eine trefiliche Übung der Sprachfertigkeit sein, wenn zwar nicht auf strengern schriftmäszigen satzbau , aber doch auf richtig- keit des ausdrucks gehalten wird. Ein gewisses, freilich möglichst zu beschränkendes masz von zahlen musz auf jeder classenstufe verlangt werden ; sie sind unersetzliche mittel, um ereignisse sowohl zu trennen als zu verknüpfen; ohne solche halte- punkte werden die trotz aller wegstriche noch immer massenhaften thatsachen verworren im be wustsein des Schülers durcheinander laufen.

Was die gröszeren repetitionen betrifft, so dienen sie nur dann zur wiederauffirischung und Sicherung der kenntnisse, wenn man sie

20 H. Denicke: snr ersten Orientierung Aber den geBchichtnanterriclit.

in ihrem amfang verstftndig begrenzt, es ist offenbar ein unfug zu sagen : 'in acht tagen repetieren wir die ganze griechische geschichte.' das verfahrt und berechtigt die schttler einfach zur faul- heit, und selbst innerhalb vernünftig begrenzter perioden beschränke der lehrer seine forderungen auf das wesentliche ; wird er doch an sich selbst erfahren haben, wie leicht und bald trotz seiner grOszeren Urteilskraft und seiner festeren kenntnisse das einzelne dem gedftcht- nis wieder entschwindet ; wie viel weniger darf er dem neuling ein genaues behalten auch der nebensachen Ober die nächste lehr- stunde hinaus, wo allerdings auch diese noch ordentlich gewost sein sollen , zumuten ; gerade ihr zurücktreten bringt noch das gate mit sich, dasz um so deutlicher und nachhaltiger die bauptsachen im bewustsein hervortreten und haften können, freilich musz auch der lehrer noch besonders dafür sorgen, dasz der schüler den wald vor bäumen sehen lerne, sowohl durch eine die wesent- lichkeiten kräftig betonende art seines Vortrages wie durch die ein- richtung der repetitionen , besonders der umÜEtösenderen , von denen wir gegenwärtig sprechen, er musz die eigne Urteilskraft der schüler in bewegung setzen, ich deutete schon oben an, dasz der geschieh tsunterricht, dem oft der Vorwurf zu einseitiger Inanspruch- nahme der receptivität gemacht wird, sogar bei mitteilung des neuen vielfach gelegenheit gibt, den schüler durch passende fragen zu eignen urteilen und Schlüssen zu veranlassen, hier in den grOszem repetitionen eröffnet sich nun für ihn mit dem, was Jäger das operieren mit geschichtlichem sto ff nennt, eine weitere quelle zn geistiger selbstthätigkeit. er übersieht jetzt die ereignisse einer gröszern periode, aber zunächst in der Ordnung, wie sie ihm vorgeführt waren, jetzt werde er vor die aufgäbe gestellt, sie unter andern gesichtspunkten neu zu ordnen, neue reihen durch ausscheiden und verknüpfen zu bilden und damit eine freiere und festere herschaft über den mitgeteilten stoff zu gewinnen, so empfiehlt Jäger beispielsweise am schlusz der griechischen ge- schiebte aus den verstreuten angaben über Theben eine zusammen- hängende geschichte in gemeinsamer arbeit mit den Schülern zq« sammenzustellen. er verspricht dem lehrer für derartige Übungen die regste teilnähme der schüler. äcbon die quarta läszt in be- scheidenen grenzen derartige gruppenbildungen zu, die einen sach- lichen, persönlichen, territorialen oder ethnischen mittelpunkt haben können, so erst gewinnt das viele und vielerlei des historischen Wissens feste baltpunkte und eine gewisse gescbichtsphilosopbische klarheit und tiefe. *

Eine gleich energische mitarbeit, die zweckmäszig zuweilen zu einer aufsatzleistung gesteigert wird, beansprucht von dem reiferen schüler die bildung von vergleichen: sie können per- sonen, zustände und Vorgänge betreffen und innerhalb eines und desselben Volkes oder mehrerer liegen, so fordert die spartanische, athenische und römische Verfassung zu vergleichungen unter einander

H. Denicke: zur ersten Orientierung über den gescbichtsunterricht. 21

heraus, wie die vorhersehenden antiken staatsformen überhaupt wieder in ihren wichtigsten unterschieden von den neuzeitlichen, z. b. in dem gegensatz von Volksversammlung und Volksvertretung, von Stadtstaat und flttchenstaat aufgezeigt sein wollen, ebenso lassen sich die gesellschaftlichen zustände Roms im letzten vorchristlichen Jahrhundert mit denen der gegenwärtigen culturstaaten in eine er- gibige parallele stellen, ein anderes beispiel würden die gesetzes- codificationen in Spartn, Athen, Rom und im mittelalter an die band geben, oder die münzherabsetzungen, wie sie im altertum zum zweck von Schuldentilgungen beliebt wurden und in trauriger fülle im späteren mittelalter und in der neueren gescbichle wiederkehren, oder es gilt, für den satz, dasz aufstrebende culturvölker aus zwingenden verkehrspolitiscben gründen einen möglichst günstigen anschlusz an das meer zu gewinnen suchen, eine reihe geschichtlicher belege her- beizuschaffen ; einige der nächstliegenden würden etwa sein : die ein- Verleihung der kleinasiatischen küstenstriche in das Perserreich, die colonisationen der Griechen, die eroberung seinem stammreich be- nachbarter hafenplätze durch Philipp, die annexion Tarents wie nachmals überhaupt aller küsten des mittelmeeres durch die Römer, endlich die kämpfe um den alleinbesitz oder mitbesitz des Ostsee- handels, in denen die Hansa, der deutsche orden, die Polen, die Habsburger, die Schweden, Russen und Preuszen ihre rolle spielen. Demosthenes wirken und Schicksal bietet bei groszen unterschieden manche vergleichungspunkte mit dem leben und streben Hannibals, und Richelieus laufbahn vergleicht sich in nicht wenigen beziehungen mit der Bismarcks. als begründer von weitreichen treten Cjrus, Alexander, Caesar, Karl der grosze, Napoleon in eine reihe, wie ihre Schöpfungen selbst in entstehung, blute und verfall viele charak- teristische und typische züge aufweisen, noch umfassender wäre die aufgäbe, zwei so art- und schicksalsverwandte Völker wie das griechische und deutsche zu vergleichen: die primaner zuvor durch eine eingehende , das wesentlichste knapp zusammenstellende besprechung in der classe angeleitet werden sich mit nutzen an dieser und ähnlichen aufgaben versuchen.

Aber auch hier sei wieder vor der gefahr willkürlicher con- sti*uction eindringlich gewarnt. Jäger verurteilt mit vollem recht die manier Mommsens, in der römischen geschichte von conserva- tiven und liberalen, von fortschrittspartei , Junker-, pfafifen- und muckertum zu reden, also vorhandene ähnlichkeiten verschiedener Zeiträume bis zur gleichheit sprachlicher benennung zu übertreiben, der kundige erwachsene leser mag solche feuilletonis tische extra- vaganzen vertragen ; er wird seine correctaren anbringen ; ein schüler jedoch müste dadurch notwendig irre geführt werden, sehr zum schaden seines noch unfertigen geschichtlichen Wahrheitssinnes.

Die anempfohlenen vergleichungen geschichtlicher dinge und Personen unter einander sollen ihr Verständnis erleichtem und ver- tiefen, was aber gerade die personen betrifft, so weist uns

22 H. Denicke: zur ersten Orientierung über den geschichtsanterricht.

Schiller in seinem sprach 'willst du die andern verstehn , blick in dein eigenes herz' noch einen andern tiefer führenden weg. wer sich in bestimmte bedeutungsvolle Situationen Hannibals , Luthers oder Bismarcks lebendig hineinzudenken vermag und sich die frage vorlegt und beantwortet: wie würdest du selbst in gleichem falle gedacht , gefühlt , gewollt, gehandelt haben, der, aber auch nur der, merkt die grOsze jener männer wie seine eigne kleinheit. ich sehe nicht ein , warum nicht auch der schüler allmählich zu solchen be- wusten vergleichungen mit sich selbst sollte angehalten werden können; liegt nicht gerade hier die hauptsächliche quelle der begeisterung, die Goethe geschichtlichen Studien als ihre beste Wirkung nachrühmt?

An anschauungsmitteln fehlt es auch dem geschichtlichen Unterricht nicht, wenngleich ihm hierin der geographische überlegen ist. dasz das aufweisen der geschichtlichen Schauplätze an der Wand- karte seitens des lehrers und das wiederaufweisen seitens der schüler niemals verabsäumt werden darf, versteht sich von selbst, dagegen bleiben meines erachtens im interesse der ungeteilten aufmerksam- keit der schüler die atlanten in der lehrstunde besser geschlossen, während nachdrücklich darauf zu halten ist, dasz sie bei der häus- lichen Vorbereitung oder Wiederholung regelmäszig benutzt werden, auch durch einfache skizzen an der tafel wird der lehrer manches veranschaulichen, so die Verschiebung von vOlker-, sprach- und Staatsgrenzen, schlachtenpläne und dergl. jede anstalt sollte femer, wenn auch nicht gerade über plastische nachbildungen interessanter geschichtlicher objecte z. b. römischer oder mittelalterlicher be- lagerungswerkzeuge, wie man sie wohl hier und da vertreten findet, so doch über einen nicht zu knappen vorrat an bildlichen darstel- lungen wichtiger geschichtlicher gegenstände und personen verfügen, die hinreichend groszen formats sind , um im classenunterricht be- quem verwendet werden zu können ; am wenigsten aber werde an abgüssen und abbildem gespart, die die entwicklungsgeschichte der kunst in ihren bedeutsamsten erzeugnissen vor äugen bringen, heut- zutage pflegen populäre geschichts werke mit einer groszen anzahl von geschichtlich treuen , womöglich der betreffenden epoche ent- stammenden bildern ausgestattet zu werden; der Verwertung im Unterricht steht jedoch ihre kleinheit entgegen, die ein vorzeigen von bank zu bank nötig macht, was immer umständlich und auch aus disciplinarischen gründen nicht ohne bedenken ist.

Zu diesen äuszern anschauungsmitteln gesellen sich in überlieferten zeitgenössischen berichten, Urkunden, reden, briefen solche rein geistiger art. natürlich bleibt eine zusammen- hängende quellenlectüre in der einschränkung, in der sie überhaupt auf schulen getrieben werden kann , den sprachstunden überlassen, aber einiges wichtige und packende von jenen erhaltenen bruch- stücken des geschichtlichen lebens, das dort keine stelle fand, musz auch in der geschichtskunde mitgeteilt und, wo nötig, kurz commen-

H. Denicke : zur ersten Orientierung über den geschichtsunterricht. 23

tiert werden , beispielsweise der anfruf 'an mein volk', ebenso die proclamation könig Wilhelms über die annähme der kaiserwürde, ferner die eine oder die andere der gewaltigen, von staatsmttnnischem und geschichtlichem sinn erfüllten reden des fürstenBismarck; auch den brief der königin Luise, in dem sie ihre kinder mit propheti- schem Scharfblick charakterisiert, werden wir dem schüler ebenso wenig vorenthalten wie das kurze, aber desto inhaltsschwerere hand- schreiben des besiegten Napoleon an könig Wilhelm; und so mehr oder weniger in allen geschieh tsperioden.

Endlich verdient auch der dichter im geschichtsunterricht zu wort zu kommen, es ist mit recht gesagt worden, dasz man das der reformation vorangehende Zeitalter aus Goethes Götz von Berli- chingen rascher und anschaulicher kennen lerne, als aus einem dick- leibigen geschichtsbnche. allein das gilt doch nur von den treiben- den ideen und allgemeinen lebensformen , die allerdings in diesem idealgemälde zu deutlichstem ausdruck kommen^ während die ein- zelnen ereignisse und figuren verschoben , verändert oder gar frei erfunden sind, ebenso verhält es sich mit andern historischen dramen wie auch mit den geschichtlichen romanen von Alexis, Dahn, Scheffel u. a. , die in unsem Schülerbibliotheken eine besondere an- ziehungskraft üben, mit der gemachten einschränkung stützt dem- nach der deutsche Unterricht, wo allein solche umfängliche dich- tungen mehr oder weniger ausführlich behandelt werden können, wiederum in erwünschter weise den geschichtlichen, in diesem selbst können nur kleinere dichtungen im anschlusz an die erzählung dann und wann mitgeteilt werden, aber ich meine, sie sollten es auch, gleichviel ob die streng wissenschaftliche geschieh tschreibung recht hat, solche dichterische Verklärungen der ereignisse gegebenen falls zwar kritisch aus2ubeuten , aber um der reinheit ihres stiles willen nicht mitzuteilen, für forschungszwecke haben ausschlieszlich die den ereignissen zeitlich nahe stehenden dichtungen wert, und auch das nur, wenn sie zeiten betreffen, für die ein dürftiges quellen- material vorliegt, aber auch ein beziehungsreiches schönes gedieht aus späterer zeit erfüllt den zweck , den wir hier hauptsächlich im äuge haben , nämlich den ton des Unterrichts bei groszen geschicht- lichen momenten zu heben.

Nicht ohne nutzen auch für den elementaren geschichtsunter- richt scheint mir eine kurze auskunft über die ganz eigenartige Stellung zu sein, die die geschichte allen andern Wissen- schaften gegenüber einnimmt, wie verschieden diese auch nach inhalt und methode sein mögen, sie kommen alle in dem bestreben und in der fähigkeit überein, auf inductivem wege all- gemeine gesetze zu 6nden, um sie deductiv wieder auf die einzel- erscheinungen anzuwenden, so berechnet der phjsiker auf grund zuvor ermittelter allgemeiner gesetze die gesch windigkeit eines herabrollenden Steines; nicht anders verfährt der »prach- oder rechtsgelehrte , wenn er sprachliche oder juristische einzelfälle all-

24 H. Denicke : zar ersten Orientierung Qber den geBchichtsoxiterriclit

gemeinen normen subsumiert, der historiker dagegen sieht sich bei der incommensurabilität der menschlichen willen, die die ge- schichte machen ^ and mit deren in die erscheinung tretender Wirk- samkeit er es zu thun hat, auszer stände, unverhrfichliche allgemeine gesetze, nach denen sich der fernere lauf der dinge zu richten hfttte , aus dem hinter ihm liegenden teil der geschichte abzuleiten, zum höchsten vermag er auf grund der relativen gleichartigkeit , die allerdings zwischen allen menschen besieht, entwicklungstendenzen aufzuweisen, die jedoch keinen aagen- blick vor thatsllchl icher durchkreuzung geschützt sind, man weiss, dabz dieses Unvermögen oder zum wenigsten diese begrenzte leistongs- fähigkeit der gcbchichte, die sie von allen andern Wissenschaften charakteristisch unterscheidet und Schopenhauer veranlasste, ihr geradezu den ehrentitel einer Wissenschaft abzusprechen, nicht immer respectiert worden ist. so hat kein geringerer als Hegel auf grund vermeintlicher gesetze den gang der Weltgeschichte mit tief- sinniger Willkür zu construieren versucht, es ist gegenwärtig nicht mehr vonnöten, vor nachahmung dieses berühmten, aber über- wundenen musters zu warnen, darum aber darf man sich doch einen so woblbegründeten prophetischen ausblick gern gefallen lassen, wie ihn Edm. Meyer in der gehaltvollen einleitung zu seinen bereits angeführten geschichtstabellen gibt: indem er dengegensatx zwifichen Romanen- und Germanentum in grossen zOgen verfolgt, sieht er 'ein rückwärts gewandter prophet' in den seitherigen siegen des Germanentums die bürgschaft auch für seine künftige Über- legenheit; aber vorsichtig setzt er hinzu: es sei denn, dasz der ganze gang unserer geschichte trüge.

Haben wir somit erkannt, was die geschichte nicht leisten kann^ so vernehmen wir auf unsere nunmehrige frage nach ihrer posi- tiven aufgäbe von Schopenhauer die treffende antwort: sie &0II dem menschlichen geschlechte die gleichen dienste thun, wie das zu- sammenhängende selbstbewusteein dem individuum. nur durch eine schlichtere form unterscheidet sich von dieser forderung des Philo- sophen der anspruch des histerikers Ranke, die geschichte solle sagen, was denn eigentlich geschehen sei. seine erfüll ung ist an drei schwere Voraussetzungen geknüpft: 1) an eine streng wissenschaftliche er- mittlung des quellenmäszigen thatbestandes, 2) an ein eindringendes principielles Verständnis aller materien, mit denen die geschichte es zu thun hat ; seien sie politischer, volkswirtschaftlicher, ästhetischer oder wissenschaftlicher art; 3) endlich an die fähigkeit, in dem ge- wirr der einzelheiten mit intuitivem Scharfsinn die leitenden ideen der geschichte und ihrer einzelnen perioden zu erfassen, mit diesen mittein gelingt dann ein aufbau der geschichte, der zwar kein ge- schlossenes begrififssjstem darstellt, aber doch immerhin einem sol- chen ähnelt, reflectieren wir z. b. auf das wesentlichste merkmal, das unsern drei letzten kriegen gemeinschaftlich ist, so finden wir es in dem einheitlichen zweck, den zusammenschlusz Deutschlands

H. Denicke: zar ersten Orientierung über den geBchichtsunterricht. 25

zu erreichen, unter diesen zweckbegriff passen nun viele andere der- selben Periode angehörende ereignisse und ereignisgruppen minder wichtiger art, z. b. der Gasteiner vertrag, sofern er eine Verzögerung des entscheid ungskampfes mit Osterreich bedeutet, oder die luxem- burgischen händel, sofern sie den misglOckten versuch Napoleons darstellen , uns in unserer entwicklung zur einheit und macht dicht vor dem ziele noch aufzuhalten, auch viele innerpolitische vorginge ordnen sich zwanglos unter: z. b. die parlamentarischen Verhand- lungen über die Verfassung des norddeutschen bundes, die errich- tung eines besondem ^ auch Süddeutschland umfassenden zollparla- ments u. s. f. nehmen wir aber wieder jene einheitskriege als ganzes und suchen sie in einen gröszern Zusammenhang einzuordnen, so bilden sie nur die schluszglieder einer langen kette, die bis zum* westphttlischen frieden zurückreicht und alle die bemühungen und begebenheiten zusammenhält, deren enderfolg die aufrieb tung des deutschen einheitsstaates unter preuszischer führung war. in dieser deutschnationalen perspective nehmen sich selbst die Napoleonischen kriege, so sehr sie ein gewaltiges ganze für sich auszumachen scheinen, nur als eine episode , als mittel zum zweck aus. Anderseits aber fehlt es auch nicht an bildungen und ereignissen , die mit jenen grundgedanken nur wenig oder gar nichts gemein haben, beispiels- weise die socialistische agitation Ferd. Lasalles und ihre erfolge, gleiche incongruenzen begegnen in allen gröszern abschnitten der geschichte. gleichwohl aber gibt man den manigfachen einzelheiten, die sie einschlieszen , a potiori eine gemeinsame Überschrift, und wenn hier wieder die Unmöglichkeit einleuchtet, den gesohichtsstoff mit gleich wissenschaftlicher strenge wie etwa das tier- und pflanzen- reich zu gliedern, so bildet doch diese zum teil fehlerhafte sjstematisierung auch hier das einzige mittel, in die chaotische fülle der einzelnen thatsachen licht und Zusammenhang zu bringen und sie damit erst für das denken fruchtbar wie für das gedächtnis behaltbar zu machen.

Berlin. H. Denioke.

2.

PROF. DR. F. ZaNOE; BBALOTMNASIALDIREOTOR: LEITFADEN FÜR EYAN0ELI8CIIKN RELIOI0N8UNTERRI0HT AN HÖHEREN SOHULBN IN FREIEM ANSCHLUSZ AN DIB PREUSZI80HEN LEHRPLANE VOM 6 JANUAR 1892. I. teil: 1. HEFT. SEXTA. 2. HEFT. QUINTA UND

QUARTA. Gütersloh, verlag von Bertelsmann. 1893.

Die beiden ersten hefte dieses leitfadens werden den meisten der fach genossen ihrem Inhalte nach schon bekannt sein, da sie als beilage zu den Jahresberichten des Erfurter realgymnasiums in den jähren 1889 1892 erschienen sind, sie unterscheiden sich von andern leitfäden in charakteristischer weise dadurch, dasz sie den lehrstoff nach pädagogischen gesichtsp unkten geordnet dar-

26 Sterz: anz. ▼. F. Zange leitfaden für evangel. religioDBunterricht.

bieten, um den Unterricht recht fruchtbar zu gestalten und auf seinen verschiedenen gebieten reichen und bleibenden gewinn für die schüler zu erzielen, wie der Verfasser schon frtlher fttr die planmftszige Ver- bindung des biblischen geschichts- und des katechismusunterriebts eingetreten ist, so finden wir auch in diesem leitfaden biblische ge- schichte, Spruch, katechis^mus und lied mit einander verknOpft and daneben den religionsunterricht zu den übrigen unterrichtsgegen- ständen, vor allem auch zu dem alltäglichen leben und der heimat- lichen weit des schülers in beziebung gesetzt.

Das erste heft enthält das pensum der sexta, nämlich als jahres- ziel : das auserwählte volk und seine glaubenshelden. dieses jahres- ziel ist nun wieder in vier unterziele gegliedert, die ebenfalls ganz nach obigen gesichtspunkten behandelt und mit kurzen Wieder- holungen abgeschlossen sind, wie dann zuletzt ein zusammenfassen- der Überblick über die geographischen, culturgeschichtlichen und naturkundlichen dinge, für welche ein interesse erweckt ist, das ganze abschlieszt.

Was das pensum der quinta und quarta im zweiten hefte be- trifft, so lernen die schüler dieser stufe 'den heiland und die seinen' kennen, zunächst entwickelt der Verfasser die bedeutung Jesu aus der alttestamentlichen gescbichte und Weissagung; hauptsächlicb aber aus der gescbichte der auferstehung, der himmelfahrt und geistesausgieszung, um dann im anschlusz an den zweiten glaubens- artikel des Lutherschen katechismus das leben und wirken Jesu von seiner kindheit an bis zu seinem tode darzustellen, sodann leitet er folgerichtig über zu einer behandlung der geschiebte der ersten Christen mit Zugrundelegung der ersten hälfte der apostelgeschichte (cap. 1 12) und unter steter Verknüpfung der geschichtlichen er- eignisse mit der erklärung des zweiten und dritten glaubensartikels und des dritten hauptstücks. auch mit den bauptabschnitten des kircbenjahres und den hauptteilen des gottesdienstes werden die schüler bekannt gemacht.

Der inhalt des gegebenen ist so reichhaltig, dasz er hier nur in ganz allgemeinen umrissen angedeutet werden kann, jeder, der das buch näher prüft, erkennt leicht, mit welchem pädagogischen ge- schick die verschiedenen teile des religionsunterrichts mit einander verknüpft, ja sogar scheinbar entlegene dinge aus andern Unterrichts- fächern passend herangezogen und verwertet sind, allerdings und das dürfen wir uns nicht verhehlen stellt der Unterricht, wie ihn der Verfasser gegeben wissen möchte, sehr hohe anforderungen an den religionslehrer; aber anderseits wird auch die darauf verwandte mühe und arbeit durch die sichere aussieht auf bleibenden gewinn für die schüler reichlich belohnt; denn nur auf diesem wege wird es uns gelingen, für das leben zu bilden und zu erziehen und demgemäsz schule und leben in innige Wechselbeziehung zu setzen.

CöTHEN. Sterz.

W. Gilbert: kritische erörterungen zu Goethes Faust 27

3.

KRITISCHE ERÖRTERUNGEN ZU GOETHES PAUST.

Die erOrteruDgen , welche hier zum abd ruck gelangen, haben zunächst den eigentlichen Goethestudien femstehende leser im äuge, welchen daran gelegen sein dürfte, aus einer kurzen und nüchternen beleuchtung von grundfragen nach einfachen gesichtspunkten sich ein urteil über den grad der einheitlichkeit des Goethe- schen Faust, dieser gewaltigsten und tiefsinnigsten Schöpfung deutschen geistes, zu bilden, vielleicht aber werden einzelne ab- schnitte, besonders im 3n und 4n capitel, auch in den kreisen der wissenschaftlichen Fauststudien interesse finden , wenngleich verf. auch selbst bekennen musz, in der 'Faustlitteratur' nur mangelhaft bescheid zu wissen.

Für leser, welche dessen bedürfen; schickt verf. eine summarische Übersicht voraus, wie sich die einzelnen scenen und abschnitte des ersten teiles der Faustdichtung auf die drei perioden dich- terischer arbeit verteilen, welche bezeichnet werden 1) durch den (auch nach Eckermann 10 februar 1829) 1775 abgeschlossenen Urfaust, den Erich Schmidt 1887 aus einer handschrift des hof- fräuleins Luise von Göchhausen veröffentlicht hat, 2) durch das 1790 gedruckte ^fragmen t', 3) durch ^Faust, eine tragödie, erster teil' (zuerst gedruckt 1808, im folgenden kurzweg 'Fausttragödie' genannt).

Walpurgisnacht und Walpurgisnachtstraum (sc. 20 und 21) entstammen erst der dritten penode, und auch aus der erwShnung der Walpurgisnacht im 'fragment' (v. 2590) kann man ein früheres planen der Walpurgisnachtscene nur vermuten , nicht erschlieszen. aber sonst liegt die Gretchen tragödie (sc. 7 24) bereits im Urfaust fast vollständig vor, auch die schluszscenen 22 24, welche im 'fragment' fehlen , sc. 24 jedoch in prosa. sc. 18, welche ebenfalls im 'fragment' fehlt, ist im Urfaust begonnen (durch Valentins raonolog und das kommen von Faust und Mephistopheles nebst den später in sc. 13 übertragenen versen 3342 3369), und ihre fort- setzung, die tötung Valentins durch Faust, ist zum mindesten geplant, da in sc. 22 darauf bezug genommen wird, dem Urfaust fehlt von der 3n Gretchentragödie nur die der eigentlichen periode zugehörige ausführung von sc. 18 und auszerdem die im 'fragment' zugefügte sc. 13 *wald und höhle', welche den gang der Gretchentragödie so- wohl bei der ihr 1790 wie bei der ihr 1808 gegebenen stelle nur beeinträchtigt. Sc. 5 Auerbachs keller liegt im Urfaust in prosa vor, sc. 6 hexenküche ist erst für das 'fragment' gedichtet. Von den vorausgehenden scenen enthält der Urfaust nur : aus sc. 1 den anfang v. 354 605 (erster monolog Fausts, beschwörung des erd- geistes , erstes gespräch mit Wagner) und aus sc. 4 (jedoch mit be- merkenswerten abweichungen) das gespräch zwischen Mephistopheles

28 W. Gilbert: kritische erOrterungen xa Goethes Faust

und dem schfiler. letzterm sind im 'fragment' die nachfolgenden yerse 2051 2072 zugefOgt, sowie die vorausgehenden verse 1770 1867, in denen Faubt von Mephistopheles dafQr gewonnen wird, da er doch die menschheit nicht auszufüllen vermöge , sich in das genuszleben einführen zu lassen, alles weitere gehOrt, wie auch Zu- eignung, Vorspiel und prolog im himmel erst der dritten periode an, freilich ist damit nicht ausgeschlossen, dasz das und jenes des später zugefügten schon in der zeit des ürfaust bruchstückweise von Goethe ausgeführt war. Also t^ind folgende er Weiterungen des Urfaust erfolgt: 1) im 'fragment* (1790) v. 1770—1867 und 2051 2072 , welche das gespräch mit dem Schüler umschlieszen, femer sc. 6 hezenküche und sc. 13 wald und höhle. 2) in der ^Fausttragödie' (1808): Zueignung, Vorspiel, prolog im himmel, ferner in sc. 1 v. 606 807 (Fausts entschlusz zum Selbstmord und das erklingen der Osterglocken), sc. 2 vor dem thore ostertag, sc. 3 (Faust und pudel-Mephistopheles bis zu dessen entweichen während des Schlummers Fausts), der anfang von sc. 4 v. 1530 1769, wel- cher besonders auch die verschreibung an Mephistopheles enthält, femer die ausführung von sc. 18 'nacht, Valentin*, endlich sc. 20 und 21 (Walpurgisnacht und Walpurgisnachtstraum).

Trotz der selbstzeugnisse Goethes, nach denen die spätere Faust- dichtung, ja auch die des zweiten teils, nur als die ausführung eines fest entworfenen ursprünglichen planes erscheinen möchte, ist es erstlich an sich das wahrscheinlichere und geht es zweitens aus der groszen lücke, welche Goethe in seiner ältesten dichtung zwischen sc. 1 und 4 liesz, zwingend hervor, dasz das, was ihn zunächst an- zog, nicht plan und Symbolik war, sondern einzelne realistische scenen und die Gretchentragödie. aber dennoch lag ein gewisser plan, wenigstens seit Vollendung der sc. 22 und der im Urfaust vorliegenden teile von sc. 1, implicite in den wesentlich von der volkssage abweichenden zügen, mit denen sich in Goethes seele der Charakter Fausts spiegelte, in der dem erdgeiste zugewiesenen Stel- lung und in der Unmöglichkeit, die teufelsverschreibung mittelalter- licher form ernstlich aus der volkssage herüberzunehmen, endlich auch in der Charakteristik des Mephistopheles. tritt man an die frage heran, in wie weit dieser plan oder sagen wir statt dessen un- bestimmter und zugleich umfassender, in wie weit der geist der ältesten dichtung in den spätem erweiterungen festgehalten ist, so wird man streng scheiden müssen, ob die spätere fortführung bereits aus der frühern dichtung als geplant hervorgeht oder ob sie sich nur ohne widerstreit an diese anschlieszt, und ebenso ob im falle anscheinend fehlenden einklanges nur die Symbolik, also nur die dichterische form, oder ob der ge danke und der geist der dich- tung eine ändcrung erfahren hat. die erwartung, mit welcher man an die frage herantritt, wird gewis die sein dürfen, dasz ganz augenscheinlichen äuszern widerstreit, wie die einfügung einer wette, welche Faust in der (früher gedichteten) nachfolgenden handlung

W. Gilbert : kritische erörterungen zu Goethes Faust. 29

unausgesetzt verliere, Goethe yermieden haben werde, dasz dagegen die groi*zen Zwischenräume zwischen den einzelnen perioden dich- terischen Schaffens kleinere Unebenheiten erwarten lassen und bei der tiefen Umwandlung von Goethes Seelenleben vielleicht auch Ver- schiebungen in der eigentlichen grundlage der dichtung, in dem Charakter des Goethe -Faust selbst auch schon innerhalb der ersten, die gleiche stufe in Fausts lebensgange darstellenden scenen.

1. Der gang der Gretchentragödie im Urfaust, im fragment und in der Fausttragödie.

^Überschauen wir die folge der Gretchenscenen im Urfaust , so greift ein glied der kette fest ins andere ... am brunnen erfahren wir Gretchens schände; in der kirche beim totenamt fttr die mutter bricht sie zusammen; Valentin flucht ihrem fall; Faust wütet dem kerker entgegen; im gefängniä endet die wahnsinnige' (Erich Schmidt, Goethes Faust in ursprünglicher gestalt' s. XL VI f.). es seien nur einige erläuternde bemerkungen verstattet, sc. 13 fehlt; auf sc. 12 folgt unmittelbar sc. 14 (Gretchens stube) und sc. 15 (zweite garten- scene), in welcher Gretchen verspricht, heut nacht den riegel offen zu lassen und der mutter den Schlaftrunk zu geben, für sc. 16 (am brunnen) ist die zeit des morgendlichen wasserholens anzu- nehmen unmittelbar nach der liebesnacht, ehe noch Gretchen nach der mutter gesehen hat; faszt man v. 3854 *der sünde blosz', das doch wohl eine genetivverbindung ist (von Löper s. 226) , als dativverbindung, so könnte man auch an das abendliche wasserholen vor der liebesnacht denken, aber dazu passt nicht das Präteritum 'trieb' v. 3855. für sc. 17' ist die zeit wohl um einen tag später; der morgen , an dem sie früh in allem Jammer in ihrem bett schon aufsasz, ist der morgen der ersten reuenacht; auf den (in dunkel gehaltenen) tod der mutter, den sie vom brunnen zurückgekehrt wahrgenommen haben musz, scheint mir v. 3616 zu weisen 'hilf, rette mich von schmach und tod', da auch den tod sie erwarten zu lassen ihre hingäbe an Faust allein doch wohl kaum ausreicht auf sc. 17 folgt im Urfaust unmittelbar sc. 19 dorn, im Urfaust ausdrücklich bezeichnet als ezequien der mutter in gegen wart aller verwandten : ihr zusammenbrechen offenbart ihre schände. Daran bchlieszt sich der anfang einer auf Valentins tötung zielenden scenengruppe mit der bezeichnenden Überschrift Vor Gretchens haus', bestehend aus Valentins monolog (sc. 18, v. 3620 3645) und aus sc. 18 v. 3650 3659 ('wie von dem fenster dort der

* wie verschieden die zwingerscene angesetzt worden ist, zeige der gegensatz zwischen dem zweiten abdrack von Erich Schmidts Urfaust, wo sie falls verf. nicht die erinnerung täuscht vor den tod von Gretchens mutter gerückt ward, und Veit Valentin (Goethes Faustdiehtung in ihrer künstlerischen einheit, s. 93), der Gretchen bereits 'mutter geworden' (d. h. ihres neuen zustandes sich bewust ge- worden) sein läszt.

30 W. Gilbert: kritieche erörterungen zu Goethes Faust.

sacrist^i ein bischen diebsgelttst, ein bischen rammelei')

nebst sc. 13 y. 3342 3369 : 'nun frisch dann zu ! das ist ein Jammer ihr geht nach eures liebchens kammer als giengt ihr in den tod (so im Urfaust) . . . stellt es sich gleich das ende vor.' der zusammen- stosz mit Valentin ist noch nicht ausgeführt , aber auf Valentins tOtnng nimmt schon im Urfaust ' sc. 22 Hrüber tag feld' zeile 66 C ausdrücklich bezug. höchst bedeutungsvoll sind d i e später zer- rissenen und auf zwei scenen verteilten verse für die plan- mäszige und klare durchfOhrung der GretchentragOdie im Urfaust. 'finsternis' (v. 3653 f.) herscht in der seele Fausts , den Mephisto- pbeles zum liebchen geleitet (v. 3343); er geht, als gieng es in den tod (v. 3344). nur eine beschwichtigung wider besseres wissen spricht Mephistopheles im drittletzten vers aus (v. 3367) 'geh ein und tröste sie, du thor'. Faust weisz es, dasz er nicht zu Gretchen mehr gehen kann, um beglückt liebeswonnen zu genieszen, dasz er, wenn er dennoch geht, nur geht, um das Verhältnis zu lösen: V. 3345 3351 'was ist die himmelsfreud' in ihren armen, das durchei*8chüttern , durcher warmen ? verdrängt es diese seelennot? habin ich nicht der fluch tling, unbehauste, derunmensch ohne zweck und ruh', der wie ein wassersturz von fels zu felsen brauste begierig wütend nach dem abgrund zul' und v. 3356 3365 'und ich der gottverhaszte hatte nicht genug, dasz ich die felsen faszte und sie zu trümmer schlug ! sie I ihren frieden must' ich untergraben, du, hölle, wolltest dieses opfer haben! hilf, teufel, mir die zeit der angst verkürzen, mag's schnell geschehn, was musz geschehn, mag ihr geschick auf mich zusammenstürzen und sie mit mir zu gründe gehn.' die gewaltigen verse, welche bei ihrer gegenwärtigen Stellung in sc. 13 ihre bedeutung völlig verloren haben, bedürfen keines erläuternden wertes; sie zeigen auf das deutlichste, wie Goethe in der ältesten dichtung es verstanden bat, Fausts entfer- nung von Gretchen sowohl innerlich wie äuszerlich abzuleiten, äuszerlich aus dem totschlag, welcher ihn zwingt, die Stadt zu meiden, innerlich aus seiner un stätcn Faustnatur, aus seinem un vermögen, in Gretcbens liebe be fr iedigung zu finden« und dies geschieht in einer kurzen knappen scene , und zwar in der ersten, in der wir seit der liebesnacht Faust wiedersehen.

So ist die Gretchentragödie des Urfaust, wie der Götz, trotz der auflöäung in eine reihe von einzelbildem mit vielfachem scenen Wechsel ein geschlossenes und bei aller lockerheit klargefügtes drama. die handlung verläuft in einem zuge, nur mit einer längeren Zwischenpause nach Valentins tod (sc. 22 z. 15 'und du wiegst mich indes in abgeschmackten freuden ein, verbirgst mir ihren wachsen- den Jammer und lassest sie hilflos verderben'; sc. 24 anfang 'es faszt mich längst verwohnter schauer'); eine zweite pause vor

* die angäbe von KFischer II ' 68, dasz diese worte im Urfaust fehlen, ist ein versehen.

W. Gilbert: kritische erörteruogen zu Goethes Faust. 31

Valentins monolog anzunehmen, und wäre sie auch nur kurz, kann ich mich wegen dessen unmittelbarem hervorgehen aus der dom- scene nicht entschlieszen. und diese Gretchentragödie des Urfaust ist lückenlos, wenn man einige wenige verse ergänzt, in denen Valentin hervortritt, und darnach etwa v. 3704 3775 hinzuliebt, obwohl in Wirklichkeit der zusammenstosz mit Valentin und sein tod erst 1806 endgültig abgeschlossen worden ist. die absieht, 'die abgeschmackten freuden' auszuführen, hatte gewis der dichter des ürfaust noch nicht, eine aufklärung, woher Faust Oretchens ge- schick erfahren habe, vermiszt der leser nicht, zumal die künde vom aufgreifen einer kindesmörderin von selbst und sofort ein allgemeines Öffentliches gerede wird.

Die erste beeinträchtigung hat die geschlossenheit der Gretchentragödie bereits im 'fragment' erlitten, obwohl dieses nur bis zur domscene reichte und Valentins monolog, die verse 3650 3659; sowie scene 22 24 vorläufig unterdrückte. Goethe dichtete nämlich in Rom den herlichen monolog 'erhabner geist' und schaltete ihn nebst einem verbindenden gespräche zwischen Faust und Mephistopheles und mit den versen 3342 3369, welche er aus des Urfaust scenencomplez 'vor Gretchens haus' entnahm (alles zu- sammen die jetzige sc 13) zwischen sc. 16 'am brunnen' und sc. 17 ^Zwinger' ein, während er (Erich Schmidt' s. LVIII f.) ursprünglich einschaltung vor der gesamten Gretchentragödie be- absichtigt hatte, gewis wollte Goethe hierdurch (vgl. auszer dem monolog auch v. 3283 3290) vorführen, dasz auch in der zeit der liebe in Fausts seele der Zwiespalt zwischen höherem streben und genusz nebenhergieng, und vielleicht wollte er auch Fausts Unver- mögen, in Gretchens liebe befriedigung zu finden, weiter motivieren, aber weder mit der Gretchentragödie noch mit dem an- fange des ürfaust steht der herliche, seinen Ursprung aus der italienischen reise so deutlich bekundende monolog völlig in ein- klang. die wonne erhabener betrachtung, die v. 3217 3239 durch keine seelenerregung beeinträchtigt schildern und der nach V. 3240 3250 nur der glühende sinnliche trieb und der taumel zwischen begierde und genusz' entgegenwirkt, musz nach der Ver- führung des armen Gretchens um so mehr befremden , da die scene schlieszlich ohne genügende Vermittlung in dem ausbruch höchster Verzweiflung, der aus dem ürfaust stammt, endet (v. 3345 ff.), ferner vereinbart sich der beginn des monologes 'erhabner geist, du gabst mir alles, worum ich flehte', nicht mit der zurückstoszung Fausts durch den erdgeist (sc. 1), weshalb EFischer (II' 194) die schwerlich zu billigende annähme aufstellte, dasz Goethe ursprüng- lich mehrfachen verkehr Fausts mit dem erdgeiste geplant habe, in welchem das anflüiglich versagte allmählich gewährt ward; Goethe

' sehr wenig entspricht es dem feiste der ursprünglichen dichtnng, dasz durch y. 3249 f. die einzige liebesnacht des Urfaust vervielfältigt erscheint.

32 W. Gilbert: kritische erOrterungen so Goethei Faust.

l&szt eben in diesem monolog die ^befriedigung* zu sehr hervortreten, und zugleich hat er Fausts urspraugliches streben nach der Unend- lichkeit des weltlebens denn darum hatte er gefleht dorch ein anderes und eingeschränkteres ert^etzt, das Goethes derzeitigen bestrebungen nfther lag, durch genieszendes und erkennendes be- trachten der natur und ihrer Organismen und befriedigung der phan- tasie an den sagengebilden des altertums.

Aber bei dieser Stellung von sc. 13 (zwischen sc 16 und 17) behielten doch wenigstens die gewaltigen verse 3345 3366 ihre rechte stelle innerhalb der OretchentragÖdie und ihren sinn , blieb Fausts entfemung von Gretchen auch innerlich motiviert (anszer durch 3345 ff. auch durch 3310 'nun ist dein bächlein wieder seicht* und 3330 f. 'sie meint, du seist entflohn, und halb und halb bist du es schon'), war endlich die unstftte Fausts und die Unmöglichkeit, dasz er in der Sinnlichkeit seine seele ausgefüllt sehen konnte, an derjenigen stelle der dichtung voll hervorgehoben , an der man sie andernfalls vermiszt. alles dies gieng verloren, als Goethe in der ^Fanst- tragOdie'^ vermutlich weil auch er daran anstosz nahm, Faust nach der Verführung Gretchens im geftthle seiner erhabenheit schwelgen zu lassen, der gesamten scene (statt sie wieder in ihre nicht wohl zu vereinbarenden bestandteile aufzulösen) den gegen- wärtigen platz vor scene 14 f., also vor Gretchens Ver- führung anwies, es ist einleuchtend, dasz bei einem so wesent- lichen Platzwechsel eine scene, welche gerade Fausts verhfiltnis zu Gretchen zum hauptgegenstand hat, ohne tiefgreifende änderangen nicht sinngemäsz bleiben konnte, jedoch nichts ward geändert, nicht einmal die verse (auszer 3345 3365 auch 3250), welche Gretchens Verführung als erfolgt voraussetzen, da aber bei der neuen Stellung der scene Gretchen noch nicht gefallen ist, wie vereint sich da V. 3291 f. mit 3310 und 3330? und wie sind da unmittelbar nach dem ausdruck des bewustseins , dasz er, 'der flüchtling , unbehauste und Unmensch ohne rast und ruh\ alsbald sich wieder von Gretchen losreiszen müsse, die im ton höchster Verzweiflung gesprochenen verse zu fassen ^hilf, teufel, mir die zeit der angst verkürzen! was musz geschehn, mag's gleich gcschehn usw.'? sieht man in ihnen (ihrem ursprünglichen sinne entsprechend) die Überzeugung, dasz das Verhältnis jetzt (vor der Verführung) ein ende und zwar ein beide teile seelisch vernichtendes ende nehmen müsse, so stimmt dies abgesehen von den dann doch zu stark aufgetragenen färben durchaus nicht zu dem tone der fast unmittelbar folgenden ver- führungsscene (sc. 15). die entgegengesetzte erklärung aber (z. b. bei Veit Valentin, Goethes Faustdichtung in ihrer künstlerischen einheit s. 88), diejenige, welche 'was musz geschehn, mag*s gleich geschehn' mit dem ergcbnis der verführungsscene in einklang setzt, ist doch ausgeschlossen, nicht nur deshalb; weil weder 'die zeit der angst' noch des Mephistopheles beschwichtigendes Hröste sie' dazu passt.

W. Gilbert : kritische erörteruDgen zu Goethes Faust. 33

Nicht minder verhängnisvoll war ftir die 'Paus ttragOdie' die Umstellung der domscene (sc. 19) hinter 'nacht, Valentin' (sc. 18), wobei sie gleichzeitig von ihrer beziehung auf die exequien der mutter gelöst werden sollte (ich sage nur •sollte', weil v. 3787 blieb: 'betst du für deiner mutter seele') und V. 3789 eingeschaltet wurde *auf deiner schwelle wessen blut?' der grund dieser Umstellung ist vielleicht auch das streben, den tod der mutter in immer tieferes halbdunkel zu rttcken, sowie der wünsch, die beiden lyrischen scenen 'zwinger' und 'dom' durch eine scene mit dialog und handlung zu trennen , hauptsächlich aber gewis eine erkenntniS; die Goethe in seiner jugend nicht zu haben brauchte, inzwischen aber als familienvater gewonnen hatte, dasz nämlich Gretchens muttergefUhle (v. 3790 3793 'und unter deinem herzen regt sich's nicht quillend schon und ängstet dich und sich mit ahnungsvoller gegenwart? ') für die zeit der exequien der mutter in der that sehr verfrüht sind.^ mit dieser Umstellung aber fiel nicht nur die bisherige motivierung der Offenkundigkeit von Gretchens fall und somit auch der YalentinscenO; sondern, was wesentlicher ist, die in der domscene aufsteigende blosze furcht vor Offenkundig- keit (v. 3814 'quidquid latet apparebit'; v. 3822 'verbirg dich, sünd' und schände bleibt nicht verborgen') tritt nun in widersprach mit der bereits vor der (nun vorausgehenden) Valentinscene ein- getretenen und durch den sterbenden Valentin weiter unter das Volk verbreiteten Offenkundigkeit.

Über die neue füllung der beim veröffentlichen des frag- ments einmal zerrissenen alten Valentinscene ist kaum ein wort erforderlich : das Ständchen des Mephistopheles ist in dem Zusammen- hang der handlung unverständlich; Fausts verlangen nach ver- grabenem geschmeide, das er der geliebten schenken könne, passt wenig ZU seiner umdüsterung in den versen 3650 3659 , welche auch in die neue Valentinscene aufgenommen wurden , während die im ürfaust unmittelbar auf sie folgenden und mit ihnen in innig- stem inneren Zusammenhang stehenden verse 3342 3369 , wie im 'fragment', in die scene 'wald und höhle' übertragen blieben ; wie wenig angemessen letzteres in anbetracht der Umstellung dieser scene war, ist oben ausgeführt.

und hinzu kam nun zu der 'Fausttragödie' die Walpurgisnacht, dies nötigte^ auch, da zwischen ostern (sc. 1 3) und Walpurgis nach dem kalender nur wenige wochen liegen, zur aufgäbe der natürlichen Zeitfolge, offenbar geflissentlich hat Goethe die

* eineD inneren grund der amstellun^if glaubt Veit Valentin (s. 93 95) annehmen zu dürfen: er bezeichnet die domscene nach der Valentin* scene als Steigerung; denn sie enthalte die Verzweiflung Gretchens, die SU dem späteren kindesmord überleite, aber 'Verzweiflung* schildert der dichter in der domscene nicht.

^ aus der erwähnung der Walpurgisnacht in v. 2590 (im 'fragment') gieng diese nÖtigung, ja überhaupt das dichten einer 'Walpurgisnacht' noch nicht hervor.

N. Jfthrb. f. phil. a. pld. II. »bt 189S hlt 1. 8

34 W. Gilbert: kritische erOrternngen zu Goethes Faust.

natflrliche Zeitfolge aufgehoben und dies durch einschaltung von Y. 3660—3663 ('so spukt mir schon . .') betont: zwischen ostem und Walpurgis wird Gretchen verführt; zwei tage vor Walpurgis ist ihr fall offenkundig und wird ihr bruder erschlagen (vgl. v. 3660 3663); in der Walpurgisnacht (4183 ff.) hat Faust die vision des enthaupteten Gretchens; und wenn dabei der leser noch annehmen kann, dasz diese vision den thatsachen vorauseile und geburt, kindes- mord, berumirren und einkerkerung in Wahrheit in eine längere pause vor den unmittelbar hintereinander verlaufenden drei schlasz- scenen (sc. 22 24) fallen, so wird er von dieser annähme wie ge- flissentlich abgelenkt durch den ungeändert gelassenen anfang der 22n scene, in welchem er bei den 'abgeschmackten Zerstreuungen' eben an die Wolpurgisnacht denken musz. gewis liegt bei dieser geflissentlichen ablenkung von natürlicher Zeitfolge die bestimmte absiebt Goethes vor , auch schon den ersten teil des Faust in eine höhere symbolische weit emporzuheben, aber der leser zieht die natürliche Zeitfolge des Urfaust vor.

Wenn auch die erweiterungen der 'Fausttragödie' herliebe stellen enthalten, wenn auch die Überarbeitung durch den reifen künstler die Jugenddichtung im einzelnen erheblich vervollkommnet* hat, um die GretchentragÖdie als geschlossene, wobi- ge fügte einheit zu genieszen, musz man aufihren gang im Urfaust zurückgreifen, in welchem sie lückenlos vorliegt, wenn man nur die alte Valentinscene in der oben angedeuteten weise erweitert

2. Die person des Mephistopheles; realismus und Symbolik; monistische weltauffassung.

Dieses capitel vermag nicht einmal in einzelheiten etwas neues zu bieten, aber es ist ein notwendiges glied in dem gesamtbilde, welches verf. durch diese erörterungen zu geben beabsichtigte, es ist auch für den Verfasser notwendig, damit sein Standpunkt nicht als der eines nur auflösenden zergliederns erscheine.

Die einheitlichkeit der GretchentragÖdie des Urfaust wird noch gesteigert durch die verhältnismäszige einheitlichkeit derge- stalt des Mephistopheles: in der weltfahrt des Urfaust ist Mephistopheles im wesentlichen rein realistisch und mensch- lich ausgeführt als der Verführer und Sündengehilfe, als solcher bestimmt er thatsäohlich die handlung. in sc. 5 'Auer- bachs keller' hebt schon die prosaische fassung auf das bestimmteste hervor, dasz nur Mephistopheles in diese kreise einführt; und ob- wohl in ihr die ausführung der Zaubereien nicht dem Mephistopheles, wie mit recht im 'fragment', sondern in anlehnung an die volkssage Faust zugeteilt ist, wird doch Fausts Unbehagen in der rohen gesell-

® freilich gilt dies für die .GretchentragÖdie nicht annähernd in dem masze wie für die im 'fragment' gebotene Umarbeitung der schüler» scene und der scene in Auerbaohs keller.

W. Gilbert: kritische erOrterungen za Goethes Paust. 35

Schaft dadurch gekennzeichnet, dasz er in der ersten hälfte des Zu- sammenseins in gegensatz zu Mephistopheles' lebhafter beteiligung an der Unterhaltung sich auf wenige kurze antworten beschränkt und zwischen dem ersten und zweiten zauberspiel zum aufbrach mahnt, die Gretchentragödie beginnt allerdings in der siebenten scene phne jede einwirkung des Mephistopheles , und zwar ftuszert Faust den 'appetit' auf die 'dirne', die er nicht zu lieben , sondern nur zu genieszen verlangt, und die Voraussetzung ihrer zugänglich- keit mit einer frivolität, welche erweist, dasz diese scene bei ihrer entstehung dem dichter noch nicht als das glied einer tragödie von den Versuchungen , dem fall und der läuterung Fausts vorschwebte, aber dies gilt nur für die siebente scene ; ja es kann scheinen, Goethe habe nur darum Fausts verlangen so frivol beginnen lassen, um durch diesen gegensatz in sc. 8 seine heiligen liebesgefühle, seinen entschlusz, das zimmer nicht wieder zu betreten, sowie besonders auch das verführerische eingreifen des mit dem kästohen kommen- den Mephistopheles^ um so schärfer hervorzuheben, trefflich ist Mephistopheles auch als Verführer Gretchens in sc. 10 gezeichnet, wo er zunächst ihre eitelkeit schürt (2902 2912), dann aber durch weltmännische frivolität ihre sittsame scheu zu untergraben sucht (2946-> 2950. 3006). und der abschlusz der Gretchens verführang gewidmeten scenen ist der ausdruck von Mephistopheles' freude am bösen: sc. 15 *nun, heute nacht ?' 'was geht's dich an?' 'hab ich doch meine freude dran.' Nicht minder sind die be sondern Verschuldungen, welche Faust in der Gretchentragödie auf sich ladet, von Mephistopheles abgeleitet: in sc. 11 gewinnt dieser Faust trotz seines anfänglichen sträubens zu der falschen aussage über herrn Schwerdtleins tod. in der alten Valentinscene ist er es , der den nmdüsterten Faust dazu treibt, zum liebchen zu geben; dasz auch die verse 3704 3712, in denen er Faust zustoszen läszt, wie er führt, aus altem entwürfe stammen, wie an sich wohl anzunehmen wäre, ist freilich nicht mehr nachweisbar, nur bei der auch sonst in auffallendem halbdunkel gehaltenen tötung der mutter Gretchens hebt es der dichter nicht ausdrücklich hervor, dasz Mephistopheles' einwirkung wider Fausts erwarten den Schlaftrunk zum todestrunk macht; aber der leser empfindet es; an der aufrichtigkeit Fausts bei beschwichtigung der bedenken Gretchens (v. 3515 f.) könnte er auch dann nicht zweifeln, wenn er nicht eben erst Faust so bedenk- lich gegen ein falsches Zeugnis gesehen hätte.

Aber anderseits trägt doch auch schon im Urfan st Mephisto- pheles einige züge des Teufels', die sich freilich, wenn man von dem nicht speoiell für den 'teufel' charakteristischen absieht, von durchbrausen der luft auf schwarzen pferden (sc. 22—24), von der

* geg«n Sehröer sei bemerkt, dass die anterstellnng des geizes, mit der Mephistopheles den bereits UDsicheren bedenken Fausts ('ich weiss nicht, soll ich?*) entgegentritt, natürlich nicht ernst, sondern stachelnder spott ist.

8'

36 W. Gilbert: kritische erOrterungen zu Goethes Fauat.

Faust verliehenen Zauberkraft, von der Verfügung über Lncifers schätze (v. 2674 2677 in der fassung des ürfaust) , auf blosze an- deutungen und anspielungen beschränken/ und zweitens ist auch schon mit dem Mephistopheles des ürfaust durch seine beziehung zum erdgeist ein gut teil Symbolik verknüpft, nimmt man zu diesen beiden elementen, sowie zu seinem oft koboldartigen Charakter (von Loeper XXIX f., E. Fischer II' 235 f.) die wesentlich mensch- liche Verkörperung der verführungsm&chte im ürfaust hinzu, so dürfte man schon daraus erkennen, dasz man den feinen abschattun- gen, welche nicht nur aus der Verschiedenheit der dichtungszeit, sondern ebenso auch aus dem Charakter der einzelnen dichtungsteile hervorgehen, durch aufstellen einer 'doppelnatur', durch bloszes unterscheiden eines älteren Mephistopheles und eines Mephistopheles der 'Fausttragödie' nicht gerecht wird.

Die beziehung des Mephistopheles zum erdgeist ist einer der sichersten und für das Verständnis der älteren Faustdichtung wesentlichsten erweise K. Fischers (II' 188 ff.), schon der dichter des ürfaust wollte die macht des bösen aus Fausts dränge nach weltleben und aus dem weltleben selbst ableiten und bediente sich, um di^s auszudrücken, der Symbolik, er schuf die gestalt des erd- geistes, des groszen erhabenen weit- und thatengenius, und liesz Faust den Mephistopheles als einen ihm von diesem geiste bei- gesellten gefährten betrachten: auszer sc. 13 v. 3241 ff. (zuerst im 'fragment') in sc. 22: 'groszer herlicher geist, der du mir zu er- scheinen würdigtest^ der du mein herz kennest und meine seele, warum mustest du mich an den schandgesellen schmieden . . .?* und * wandle ihn, du unendlicher geist, wandle den wurm wieder in die hundsgestalt." aber gewis kam es dem dichter des ürfaust nur

' im ürfaust sind dies besonders: ▼. 2809 f., v. 3004 f., ferner in Auerbachs keller: 'merkt, den teufel vermuten die kerls nie, so nah' er ihnen immer ist' und 'fort, es war der teufel selbst", dagef^en ge- hören 21B4 'was hinkt der kerl auf einem fusz?\ '2300 f. 'sei ruhig, freundlich element» für diesmal war es nur ein tropfen fegefeuer*, sowie 2321, erst der Umsetzung der prosa in verse (im 'fragment*) an. im 'fragment' treten auszer v. 2504 und y. 2498 ff. der 'hezea- küche' noch hinzu v. 1783 'uns hat er in die finsternis gebracht' und V. 1866 'und hätt* er sich auch nicht dem teufel übergeben' in Ver- bindung mit y. 1855 'so hab* ich dich schon unbedingt', in anbetracht des letzteren verses ist die aufsteliung (K. Fischer II* 236), dass Mephistopheles nur einen 'auftrag' des erdgeistes (und also doch auch im endziele völlig im sinne des erdgeistes) erfülle, wenigstens für das 'fragment' nicht haltbar.

^ Minor (d. litt. ztg. 1894 nr. 16) lehnt die folgerung K. Fischers ab, da ja auch ein gefangener Christ mit gott hadern könnte 'gott, warum hast du mich in diesen kerker geworfen', ohne dasz ihn gott vater eigenhändig in den kerker geworfen haben müste. ich kann mich diesem urteile nicht anschlieszen , wenn ich mir die obigen stellen mit einsetzung der werte 'gott' und 'teufel' vorlese, aber besonders ist doch erstlich ein unterschied zwischen dem namen gottes, der seit Jahr- hunderten gedanken und reden beherscht, und einem neugebildeten sjmbol, das noch dazu während der ganzen weltfahrt Fausts (im Ürfaust)

W. Gilbert: kritiBche erörterangen zu Goethes Faust. 37

auf diese ableituDg bei seiner Symbolik an, zumal da er die gestalt des Mephistopheles bei Fausts weltfabrt im wesentlichen rein mensch- lich und auszerdem ohne verschmähen einzelner teufelszQge aus- führte; ja es möchte scheinen, es seien der Mephistopheles der welt- fahrt einerseits und anderseits die symbolische gestalt des erdgeistes nebst des Mephistopheles beziehung zu dieser zwei noch nicht völlig in einklang gebrachte massen gewesen, die frage, durch welche gattungsbezeichnung nun des Mephistopheles wesen ^dämonologisch' zu bestimmen sei, hat er weder sich vorgelegt noch von seinen lesern erwartet, und als 'irdischen elementargeist' (K. Fischer II' 190. 235 f. 254) wird sich ein leser des Urfaust, der nicht folgert *°, son- dern unbefangen genieszt, Mephistopheles schwerlich vorstellen; eine Verkörperung der mächte der Verführung des weltlebens und weltmännisch kalter Verspottung der ideale bleibt er unbedingt, als solche symbolisch völlig von der person Fausts losgelöst, während in Wahrheit diese mächte auch aus Fausts eigner seele, nicht nur aus seiner Umgebung stammen.

Je weiter das leben Goethes vorschritt , um so mehr lehnte sich Goethe an die mittelalterliche teufelsgestalt an. aber damit wurde nur das mischungsverhältnis zwischen bereits ur- sprünglich vorhandenen dementen geändert, und zudem betraf der Wechsel nur die Symbolik, nicht den durch diese aus- gedrückten gedanken. es ist wesentlich, dasz Goethes auffassnng in der gesamten Faustdichtung" eine monistische, von dem geiste Spinozas beeinfluszte, geblieben ist. eine entgegensetzung von gut und böse, von himmel und höUe, von gott und teufel als zwei gleichgeordneten mächten kennt sie im ernste nirgends, vers 1658 'wenn wir uns drüben wiederfinden* gehört der Vorbereitung der als 'fratze' bezeichneten verschreibung an und wird durch die bedeutungsvolleren stellen der verschreibung und wette als bedeutungslos erwiesen, und wenn am Schlüsse des zweiten teils sich sogar der geöfifnete höllenrachen und die himmels- glorie zeigen und teufel sich aufstellen, um Fausts seele zu empfangen, so wird der dualismus durch die liebesrosen , vor denen die teufel weichen müssen, thatsächlich aufgehoben, ganz abgesehen davon, dasz Ooethe (gespräch mit Eckermann vom 6 juni 1831) für diese Verwendung 'scharf umrissener christlich -kirchlicher figuren und Vorstellungen' eine besondere begründung für erforderlich hielt.

nicht wieder hervorgetreten ist, und sieht man sweitens nicht ein, wie Faust dazu kommt, den erdgeist beträchtliche zeit nach dessen er- scheinen als den lenker seines lebens anzurufen, wie der cbrist seinen gott, wenn ihm Mephistopheles nicht auch untersteht und er dann zu Faust keine andere beziehung hat, als dasz er ihm einmal erschien und ihn zurückstiess.

aber auch die Folgerung an sich dürfte nicht folgerichtig sein, da der erdgeist nichts weniger ist als auf das elementare und stoffliche der erde beschränkt.

** aufgegebene entwürfe der paralipomena bleiben hierbei be- gründeterweise auszer betracht.

38 W, Gilbert: kritischa erörterungen zu Goethes Faust.

Der Ürfaust tritt hervor mit der Signatar einer neuen, an- mittelbar aas eignem schauen bevorzugter geister gewonnenen, von der herschenden Wissenschaft unterdrückten Weltanschauung: y.589 593 *wer darf das kind beim rechten namen nennen? die wenigen, die was davon (von 'weit, des menschen herz und geist') erkannt, die thöricht g'nug ihr volles herz nicht wahrten , dem pöbel ihr ge- ftlhl, ihr schauen offenbarten, hat man von je gekreuzigt und ver- brannt.' es ist die monistische Weltanschauung Spinozas, dessen einflusz auf Ooethe ja bekannt ist." ihre harmonische ge- staltung der weit sowohl als auch ihre beruhigende Wirkung aaf Goethe selbst schildern so herlich v. 430 453 bei erblicken und beschauen des Zeichens des makrokosmos. wie' die Schilderung des makrokosmos, so ist auch die gestalt des erdgeistes durch sie be- stimmt; ja gerade um ihretwillen führte Goethe an stelle des auf erden thfttigen göttlichen dieses sjmbol ein, die in ewigem Wechsel auf und ab flutende erscheinungsform des ewig bleibenden, in wel- cher, wie das vernichten vom schaffen , so auch das böse vom guten nicht abgespalten ist. diese Weltanschauung wahrt auch die er Weiterung der ^Fausttragödie*. zunächst die selbst- schilderung, die v. 1335 1384 Mephistopheles von seinem wesen gibt: wie diese an die im Urfaust geschaffene abhängigkeit des Mephistopheles vom erdgeist (y. 504 ff. 'geburt und grab , ein ewiges meer, ein wechselnd weben') erinnert, insofern des Mephisto- pheles Verneinung sich in ihr nicht auf das ethische gebiet, auf das menschliche leben, beschränkt, sondern zugleich als Zerstörung (v. 1343), als die das licht bekämpfende finstemis (v. 1349 ff.), als die Vernichtung gegenüber allen keimen organischen lebens (v. 1369 ff.) auf alles irdische leben ausgedehnt ist, so ist in dieser Schilderung auch der dualismus, den einzelne werte nahe zu legen scheinen (bes. 1357 f.), auf das klarste aufgehoben nicht nur durch Fausts erläuterung 'so setzest du der ewig regen, der heilsam schaffenden gewalt die kalte teufelsfaust entgegen, die sich ver- gebens tückisch ballt' (1379 1382), sondern auch noch weit be- stimmter durch Mephistopheles' eignes geständnis 'ein teil von jener kraft, die stets das böse will und stets das gute schafft', im p rol o g ist zwar an die stelle der alten sjmbolik eine an die christlichen an schauungen angelehnte, an die stelle des erdgeistes der herr ge- treten, aber die monistische weltauffassung, welche das böse als natürlich notwendige, in einer höheren harmonie in ihm sich auf- lösende begleiterscheinuDg des guten betrachtet, ist trotz des wechseis der sjmbolik geblieben; Goethe hatte es eben gelernt, die Über- zeugungen, die er früher in gegensatz zum christlichen glauben aus- gesprochen hatte, in dem angestammten glauben wieder zu finden oder wenigstens in seinen formen auszuprägen. Mephistopheles er-

** (fies steht nicht in widersprach mit Fausts verachtnng der (über- lieferten) Wissenschaft; das gesamtarteil über die Wissenschaft bleibt davon unberührt.

W. Gilbert: kritische erOrterungea zu Goethes Faust. 39

scheint (wie schon Satan im buch Hiob) im himmel unter dem ge- sinde des herrn (v. 274) , um auskunft zu geben Vie alles sich bei uns befinde' (v. 272), 'bei uns', d. h. nicht etwa in einer hölle, son- dern auf der erde und in der menschen weit, dem sitze der Verfüh- rung und des bösen: v. 278 f. Won sonn' und weiten weisz ich nichts zu sagen, ich sehe nur, wie sich die menschen plagen'; v. 318 ff. 'da dank' ich euch; denn mit den toten hab' ich mich niemals gern be- fangen; am meisten lieb' ich mir die frischen wangen; für einen leichnam bin ich nicht zu haus.' in dieser irdischen menschenwelt wirkt Mephistopheles durchaus in abhängigkeit vom herrn, d. h. innerhalb der göttlichen weltordnung, nicht in gegensatz zu ihr. er bedarf der erlaubnis des herrn ; um Faust seine strasze zu führen (v. 313). ist Mephistopheles so unverfroren, dem herrn und auch seinem herrn eine wette zu bieten , wie ein gleichstehender , so geht der herr (vgl. auch v. 323) auf dies Verhältnis nicht ein : v. 315 f. ^so lang' er auf der erde lebt, so lange sei's dir nicht verboten', worauf Mephistopheles antwortet Ma dank' ich euch', auch der zweck, den die macht der Verführung und des bösen als wichtiges glied der weltordnung erfüllt, wird ausgesprochen: v. 337 343 *ich habe deinesgleichen nie gehaszt; von allen geistern, die verneinen, ist mir der schalk " am wenigsten zur last ; des menschen th&tigkeit kann allzu leicht erschlafiFen, er liebt sich bald die unbedingte ruh; drum geh ich gern ihm den gesellen zu, der reizt und wirkt und musz als teufel schaffen.'

3. Die Faustnatur nach älterer und jüngerer fassung.

Zunächst sind hier einige mei^t anerkannte ergebnisse der Faust- erklärung zu wiederholen.

V. 377 'drum hab' ich mich der magie ergeben', es kann (vgl. bes. auch v. 378. 422 427) nicht zweifelhaft sein, was dem jungen Goethe bei diesem sjmbol der 'magie' mindestens vorschwebte : das für die genieperiode und das genie charakteristische hineintauchen in die natur und das leben , das unmittelbare schöpfen aus der natur und aus dem eignen selbst, die tiefste naturempfindung und die un- mittelbare naturoffenbarung (K. Fischer II' 217). der sodann Faust erscheinende erdgeist, d. h. der 'geist der erde' (v. 461) im gegen- satz zu dem nur ein Schauspiel bietenden weiteren makrokosmos, in einer Faustskizze von Goethes band als *der weit- und thatengenius' bezeichnet, ist (v. 501 509) das flutende leben mit seinem steten Wechsel; er ist, wie Goethe die Spinozistische weltauffassung 'gott in der natur und die natur in gott' so herlich wiedergibt, die kraft des weltlebens, welche in fortstürmendem Wechsel der gottheit lebendiges, d. h. des ewig bleibenden stets sich umgestaltendes kleid am sausenden Webstuhl der zeit wirkt, dieser 'grosze herliche'

" SU vergleichen ist die verschiedene auffassnng des 'schalks' bei K. Fischer (II' 164) und Baumgart (126. 192).

40 W. Gilbert: kritische erOrtemngen zu Goethes Faust.

und 'anendliche' geist (sc. 22; vgl. sc. 13 anfang 'erhabner geist') kommt nicht etwa von Faust gebannt durch die magische Zauber- formel, er 'würdigt ihm zu erscheinen' (sc. 22) : noch ehe das zeichen des geistes ausgesprochen ist, wölkt es sich, dampft es und zucken strahlen und fühlt Faust, dasz er um ihn schwebt und zu neuen ge- fühlen all seine sinne sich erwühlen; sein kommen ist eine gunst, die er Faust gewährt auf grund (vgl. den herm im prolog v. 299 ff.) ihm schon Iftugst geschenkter beachtung : 'mich neigt dein mächtig Seelen flehen', 'du hast mich mächtig angezogen, an meiner Sphäre lang gesogen', 'welch erbärmlich grauen faszt Übermenschen dich! wo ist der seele ruf? wo ist die brüst, die eine weit in sich erschuf und trug und hegte?' also das längst beachtete un- widerstehliche (v. 480 f.) titanische drängen Fausts nach einer selbstgeschaffenen (d. h. in der seele erlebten) weit in sich ist es, das den erdgeist ihn erhören läszt; diese erhörung ist ein Symbol schon im Urfaust.

Dieses drängen nach einer selbsterschaffenen weit in sich ist aber untrennbar von dem , was eigentlich die Vorbedingung einer solchen selbsterschaffenen weit ist, von dem wirklichen erleben alles menschenwehs und allen menschenglücks: 464 £L 'ich fühle mut , mich in die weit zu wagen , der erde weh , der erde glück zu tragen, mit stürmen mich herumzuschlagen und in des Schiffbruchs knirschen nicht zu zagen'; vgl. die dem 'fragment' zu- gehörigen verse 1770—1775, die ganz im sinne der alten dichtung sind, nur dasz in ihnen (wie auch in den folgenden versen 1776 1805) das streben des 'Übermenschen', 'sich den geistern gleich zu heben' (v. 493), entweder neu oder specieller bestimmt ist als das verlangen nach genusz des der ganzen menschheit zu- geteilten, nach erweiterung des eignen selbst zu ihrem selbst.

Nur die negative kehrsei te zu diesem stürm und drang nach weltleben und schöpfen aus der natur ist die empörung gegen die unfruchtbare buchgelehrsamkeit, gegen den wüst in der Wissenschaft, mit welcher der erste monolog Fausts bereits beginnt, und es ist im höchsten grade bezeichnend, dasz im ürfaust vor der scene in Auerbachs keller, also vor Fausts welt- fahrt, auszer dem ersten monolog und der beschwörung des erd- geistes nichts ausgeführt ist, als das gespräch zwischen Faust und Wagner und die schülerscene. wie in letzterer Goethe in unüber- trefflicher Satire durch Meph.s mund die unfruchtbare, pedantische, geistlose Wissenschaft und abrichtung der studierenden zeichnet, werden im gespräch mit Wagner aus tief empörter brüst die forde- rungen der natur einer kraftlosen künstelei und stubengelebrsam- keit gegenübergestellt: in v. 530 ff. gibt Goethe eine kritik der rhetorik, auch der geistlichen, wenn man die weit kaum einen feier- tag sieht und nicht aus dem leben schöpft, wenn es nicht urkräftig (d. h. nicht abgeleitet, sondern mit urkraft) aus der seele dringt; das ganze ist dann bestenfalls ein ragout fremder gedanken und

W. Gilbert: kritische erOrterongen zu Goethes Faust. 41

formen, ein kräuseln der Schnitzel der menschheit und schellen- geklingel. darauf folgt v. 558 ff. eine kritik der philologie und ge- schichte. und schlieszlich fQhren v. 586 ff. vor, wie es in der Wissen- schaft mit dem steht , was innerhalb des menschlichen denkens der gegenständ von Goethes sehnen ist: weit (d. h. weltrfttsel), herz und geist, wenn sie sich auch dem (unmittelbaren) ^geftlhl' und 'schauen' einzelner enthüllten, in der herschenden Wissenschaft sind sie von je durch blutige gewalt unterdrückt worden.

In dem verhalten Faust s gegenüber der ersch einung des erdgeistes sind drei stufen zu unterscheiden, welche die in der 'FausttragOdie' zugedichteten verse 626 ff. trefflich zusammen- fassen : 'in jenem seFgen augenblicke ich fühlte mich so klein , so grosz (welche zwei stufen zusammen treffend die gemütsverfassung gegenüber dem erhabenen » geben) , du stieszest grausam mich zu- rücke ins ungewisse menschenloos.' zunächst fühlte sich Faust so klein, die gewaltige ersch einung schreckte ihn, stiesz ihn ab, 80 dasz er sich wegwendete: y. 485 'weh, ich ertrag dich nicht*, V. 496 f. 'bist du es, der von meinem hauch umwittert in allen lebenstiefen zittert?' aber dies ist nur die erste empfindung; nach ihr genieszt er einen kurzen augenblick erhöhten kraft- gefühls, in welchem gewissermaszen die weit und das flutende leben ihm faszbar und vor ihm offen zu liegen scheint, fast bereits in seine seele aufgenommen : 500 'ich bin's ; bin Faust , bin deines- gleichen', 511 'wie nah fühl' ich mich dir', nun aber folgt das zurückstoszende wort 'du gleichst dem geist, den du begreifst, nicht mir'; oder, des symbolischen entkleidet, auf den augenblick erhöhten kraftgefühls, auf die kurze beseligende täuschung folgt der rückschlag, die volle empfindung der Unzulänglichkeit seines einzel- geistes , das flutende leben , die weit in ihrer allheit in sich aufzu- nehmen (K. Fischer ü' 221 223): 'ach die erscheinung war so riesengrosz, dasz ich mich recht als zwerg empfinden sollte' (v. 621 f., zur 'Fausttragödie' gehörig).

Somit ist die Fauststimmung im Ürfaust mit zweifel- loser klarheit zum dichterischen ausdruck gebracht: vor der er- scheinung des erdgeistes der drang nach urkraft statt unnatur und unfruchtbarer pedantischer gelehrsamkeit, nach unmittelbarem schöpfen aus der natur und eignem erleben der weit in ihrer ganz- heit; nach der erscheinung des erdgeistes der gegensatz zwischen der Unendlichkeit des strebens und der Unzulänglichkeit menschlichen Vermögens, das gefühl des Unvermögens dem unend- lichen gegenüber, hält die spätere ausfüllung der groszen lücke diese Fauststimmung fest, oder zeugt auch sie davon, dasz sich in einem Zeitraum von einem vierteljahrhundert die auffassung der menschlichen probleme in der seele eines Goethe erheblich änderte und verschob?

In dem zusatz des 'fragments' von 1790 v. 1770—1850 (der jedoch hierfür nur bis zu v. 1815 in betracht kommt) ist die

42 W. Gilbert: kritische erOrterungen zu Goethes Faust.

alte Fauststimmang auf das treueste festgehalten *\ freilich bis V. 1809 so, dasz der gegensatz zwischen dem unendlichen streben und der menschlichen Unzulänglichkeit durch die wechselrede zwi- schen Faust und Mepbistopheles ausgedrückt wird, also Faust (vgl. hierüber s. 46) wieder des vollen bewustseins seiner Unzulänglich- keit ermangelt, aber in diesen 80 versen scheinen vielleicht aach längere abschnitte (so 1789—1802. 1816>-1841) durch Wortwahl, ton und versbau Ursprung aus ältester zeit zu verraten.

Wie steht es mit den erweiterungen der FausttragOdie? es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dasz der osterspazier- gang sowohl sicher kleinere ältere bestand teile enthalte als auch in alter zeit geplant scheine, wie denn des Mepbistopheles erscheinen als hund bereits im ürfaust (sc. 22), Selbstmordgedanken Fausts aber im *fragment' (v. 3270 f.) erwähnt werden, und mag auch die .Goetheforschung'^ zu dem ergebnis kommen, dasz keine teile dieses scenencomplezes der jugend Goethes zuzuschieben sind, jeden- falls hält der osterspaziergang bis v. 1109 die alte Fauststimmung fest, freilich mehr die dem erscheinen des erdgeistes vorausgehende, dies zeigt der gegensatz zwischen Faust und Wagner v. 937 948, bes. V. 940 'hier (unter dem volke) bin ich mensch, hier darf ich's sein', obwohl für 981 1067 die Verschiebung der äuszeren stellang und des lebensalters Fausts (Erich Schmidt, Urfaust' s. LXYIII) sicher jüngeren Ursprung erweist, zu der alten Fauststimmung passt das quälende bewustsein, als arzt nichts gewust und zu tode curiert zu haben, sowie v. 1064 ff. 'o glücklich, wer noch hoffen kann aus diesem meer des irrtums aufzutauchen; was man nicht weisz, das eben brauchte man, und was man weisz, kann man nicht brauchen', in V. 1068 1099 äuszert sich der trieb nach dem unendlichen durchaus im geiste des Urfaust durch das verlangen, der sonne nachfliegen zu können, wie überhaupt für diese stelle treffende parallelen aus Goethes Jugendzeit (bes. Werther I, 18 august) angeführt werden. Aber während so, unbeschadet der wissenschaftlichen frage nach der that- sächlichen entstehung der einzelnen teile, der osterspaziergang bis V. 1109 (und das gleiche gilt wieder für den schlusz, für das er- scheinen des pudels, 1145—1177) fast als ein nur in einzelnen stellen in der form überarbeiteter und ausgeführter bestandteil des Urfaust gelesen und genossen werden kann, ist das grundproblem ganz anders gefaszt in den nun folgenden versen 1110^1117:

'^ interessant ist z. b. ein ver(f1eich von 1810—1816 mit 1666 1569 'der gott, der mir im bnsen wohnt' usw. wenn auch letitere verse nicht ans der Fauststimmungf heraustreten, so fühlt man doch in ihnen vornehmlich den schaffenden Goethe der spätem zeit.

'^ zu diesem ergebnis gelangt in ausführlicher darlegung Erieh Schmidt, Goethes Faust in ursprünglicher gestalt' s. LXII LXXI. auch für v. 860 867 lehnt er früheren Ursprung ab. aber konnte Goethe nach dem ausbruch der coalitionskriege und der weiteren anf die französische revolution folgenden kriege diese verse dichten, welche sichere friedenszeiten Deutschlands zur Voraussetzung haben?

W. Gilbert: kritische erörterungen zu Goethes Faust. 43

da bist dir nur des einen triebs bewust,

o lerne nie den andern kennen,

zwei Seelen wohnen, ach, in meiner brüst,

die eine will sich von der andern trennen;

die eine hält in derber liebeslust

sich an die weit mit klammernden orfi^anen;

die andre hebt g^ewaltsam sich vom dust

zu den gefilden hoher ahnen.

wem stünde nicht die herliche , von jedem von uns so oft citierte stelle vor der seele als der classische ausdruck der Fauststimmung? aber diese Fauststimmung ist eine neue, von der des ürfaust grundverschiedene, bezeichnend ist es schon, dasz sich diese verse nicht eben leicht an die vorausgehenden Wagners anschlieszen. freilich so klaffend ist die fuge nicht, wie es nach Schröers anmerkung scheinen möchte: ^mit den zwei seelen kann nicht der trieb Wagners und der Fausts gemeint sein , Faust geht in dem folgenden zu etwas anderem über.' der ^eine (erste) trieb' Iftszt sich sowohl für Wagner wie für Faust bezeichnen als der endliche , im endlichen befriedigte trieb , der bei Wagner auch für die erkenntnis die grenze setzt, bei Faust dagegen sich nur erstreckt auf den hang am leben und die sinnlichen lebenstriebe , die auch ein Faust hat , so gut wie jeder andere mensch , in derber liebeslust sich an die weit mit klammernden Organen haltend, auch die v er - bindung mit dem folgenden ist nicht eben deutlich, wenn Faust sich an die geister in der luft wendet, damit sie ihn hin weg- führen zu neuem, buntem leben, oder sich wenigstens einen zauber- mantel wünscht, der ihn in fremde länder trüge, so könnte man einen augenblick stutzen, ob dies nicht der erste, der niedere, trieb sei ; und so interpretiert thatsächlich Baumgart s. 230 f. aber der gang des gesprftchs zeigt es doch auf das bestimmteste, dasz der höhere, der Wagner fremde trieb, der trieb nach dem unendlichen, sich in Faust ftuszerte als der wünsch der sonne nachfliegen zu können und nach den classischen versen 1110 1117 abgeschwächt und eingeschränkt in bezeichnendem hinwenden an die geister der luft sich ausspricht als der wünsch nach neuem, buntem leben, und war' es auch nur in fremden ländem. dieser trieb ist also die andere seele, die sich gewaltsam hebt vom dust zu den gefilden hoher ahnen, d. h. in die himmlischen regionen, die hier aber nicht sowohl als teile des makrokosmos als als teile des erdenlebens erscheinen. Nach dieser Interpretation ist das Verhältnis zwischen der alten und der neuen Fauststimmung leicht klargestellt, übereinstimmen beide in dem höheren trieb, in dem stre- ben nach unendlichem, aber scharf unterscheiden sie sich durch das diesem entgegengesetzte.'* in der alten Fauststimmung ist dies zunächst die unfruchtbare verknöcherte

'* wenn K.Fischer II* 252 die verse 1 112^1117 als den vollendeten aus- druck der sehnsacht in das unermeszliche bezeichnet, die Werther erfüllt, so sind bei diesem urteile doch eben v. 1114 f. nicht genügend berücksichtigt..

44 W. Gilbert: kritiBclie erOrterangen zn Goethes Faust.

Stubengelehrsamkeit, welche sieghaft abgeschüttelt wird, dann aber (nach dem erscheinen des erdgeistes) die nicht abzuschüttelnde erkenntnis der menschlichen Unzulänglichkeit: *da gleichst dem geist, den du begreifst.' in der neuen Faust- stimmung dagegen ist es die dem hOhem widerstrebende, den trieb zum hohem hemmende sinnliche natur des menschen: der hang am leben (lebensinstinct) und das aufgehen in den kleinen interessen des lebens. dem Titanentum des Urfaust ist dieser gegensatz vOllig fremd, und vor den im weit- und sinnenleben gemachten erfahrungen überhaupt jeder gegensatz zwischen seiner unendlichen und seiner sinnlichen natur. es ist vielmehr charakteristisch für dies Titanentum, dasz die kleinen interessen des lebens sich nicht regen und einem Schiffbruche (467) und scheitern (im *fragment' v. 1775) mit trotziger vermessenheit entgegengeschaut wird, anderseits aber das leben, die weit und die der sinnlichen natur entstammenden gefühle und leiden Schäften in all ihrer hOhe und tiefe, mit allem web und glück (465) einen wesentlichen teil desjenigen un- endlichen bilden, nach welchem der Faust der älteren dichtung strebt: so auch im *fragment' v. 1770—1775 und in den vielleicht aus ältester zeit stammenden versen 1789 1802 (*associert euch mit einem poeten . . . würd' ihn herrn mikrokosmos nennen'). £ine eigenartige mischung alter und neuer Fauststimmung ist die an die erste Unterredung mit Wagner sich anschlieszende betrachtung v. 606 685 durch die ein- Schaltung v. 630 651, welche vielleicht bereits durch y. 625 vorbereitet ist (^so hatt' ich dich zu halten keine kraft'), während V. 606 622, über welche schon s. 41 gesprochen worden ist, tind ebenso v. 652 685 '^ genau die alte Fauststimmung ausdrücken, weist die einschaltnng in v. 634 639 auf den stoff, auf den erden- staub, der dem menschen sich andrängt, der ihn seine befriedigung in den gutem 'dieser' weit finden, das ideale, das unendliche als trug und wahn ansehen und die herlichen gefühle im irdischen gewüble erstarren läszt, hemnisso, die der Faust der ältesten dichtung ab- schüttelt oder abschütteln zu können meint; ja v. 640—651 weisen sogar auf die schlieszliche Verengung der interessen, welche auf- gehen in sorge um haus und hof , weih und kind u. a. , gedanken, welche dem Titanen Faust ebenso fremd sind als dem jugendlichen Goethe und Faust ein stück engherziger Wagnematur in die seele legen, wenn auch auf anderem gebiete. Nur aus der neuen Faust Stimmung heraus sind endlich die herlichen verse zu ver-

'^ bes. V. 682 685. es bedarf wohl nicht des hinweises, dasz nur ein Irrtum Schröers vorlieget, wenn er diese verse (in der anm. und 8. LXVI) eigentlich unverständlich nennt, es liegt eine begründang durch mehrere prämissen vor: 'was man nicht nützt, ist nicht besits, sondern last; nützen aber kann man nur das frisch erschaffene; also, um das ererbte zu besitzen, musz man es gewissermaszen frisch er- schaffen und dadurch erwerben.'

W. Gilbert: kritische erörterungen zu Goethes Faust. 45

fitehen, die den anfang der dritten scene bilden: v. 1178 11*85. 1194—- 1201. die triebe des nicht auf das endliche be- schränkten menschen , aber wohlgemerkt nicht etwa der drang des Urfaust , der ganzen erde weh und glück in der eignen brüst zu durchleben , sondern die menschen- und gottesliebe , Vernunft und hoffnung, die Sehnsucht nach dem absoluten geiste (*nach des lebens quelle'), zusammengefaszt die bessere seele, das alles regt sich in der stillen zelle (aus der es den Urfaust gerade hinausdrängt), wenn das leben nicht mehr die Sammlung der gedanken auf das höhere stOrt *^ wenn entschlafen sind die wilden triebe mit jedem ungestümen thun (also wenn eben der lebenskampf und eben die leidenschaften schweigen, die für den Titanen Faust einen wesentlichen teil des unbegrenzten bilden , nach dem es ihn drängt). Es war oben be- merkt, dasz der gegensatz der sinnlichen natur zu seinem idealen streben dem Titanen Faust vor den erfahrungen seines weit- und Sinnenlebens fremd ist. aber im verlauf dieses weit- und sinnen- lebens tritt er ihm vor die seele, jedoch nicht als der hang am leben, auch nicht als die kleinlichen interessen des lebens , wohl aber als die sinnliche gier, und zwar empfindet Faust diesen gegensatz im Urfaust ausschlieszlich als den auch ihn knechtenden gegensatz zwi- schen ihm selbst und dem die gemeine Sinnlichkeit verkörpernden Mephistopheles (sc. 11. sc. 15 ende. sc. 22). erst im *fragment', am schlusz des 1788 gedichteten monologs ^erhabener geist . . .' (sc. 13), der im ^fragment' seinen platz nach Gretchens Verführung hatte, ist er zum teil in die seele Fausts verlegt: v. 3240 3250 (bes. V. 3243 f. 'den gefährten, den ich schon nicht mehr entbehren kann'), dagegen in der Tausttragödie' (bes. v. 1110 ff. 636 ff.) ist zwar nicht dieser gegensatz, aber der mit ihm vergleichbare zwischen dem idealen streben und der vom endlichen gehemmten und am endlichen hängenden (ja schlieszlich am endlichen befriedigten) menschennatur völlig in die seele Fausts verlegt und ihm in wider- sprach mit der früheren auffassung das bewustsein eines solchen gegensatzes schon vor seinem weit- und sinnenleben gegeben.

In das 'fragment' dagegen ist eine jüngere fassung der Faustnatur noch nicht eingedrungen mit ausnähme einer neben- sächlichen unerheblichen Verschiebung, nämlich der nunmehr wieder der Wissenschaft gewährten Schätzung, wie dies den gedanken- inhalt des monologs 'erhabener geist . .' (sc. 13) bestimmt hat, ist oben (s. 31) besprochen, aus dem gleichen gründe beginnt der monolog des Mephistopheles** v. 1851 f. 'verachte nur Vernunft und

1^ ebenso v. 1560 f. 'die Schöpfung^ meiner regen brüst mit tausend lebensfratzen bindert'.

'* weicht so diese stelle des fragments hinsichtlich der Schätzung der Wissenschaft vom geiste des Urfaust ab, so ist anderseits K. Fischers anfstellang (II' 197), dasz sie darch des Mephistopheles Schätzung der Vernunft in Widerspruch mit der 'Fausttragödie', näm- lich mit dem prologe, trete, nicht begründet: nur wegen ihrer uuzu* länglichkeit, wegen ihres nach jedem auffluge wieder eintretenden aus-

46 W. Gilbert: kritische erOrteruDgen tu Goethes Faust,

Wissenschaft, des menschen allerhöchste kraft'; dagegen fCbr den ürfanst sind (überlieferte) Wissenschaft und vemunft beinahe g6gen- sfttze, insofern letzlere die grundlage des genialen eignen erlebenden schOpfens aus der natur und der eignen seele ist.

4. Fausts entschlusz zur weltfahrt in der erweiterten

dichtung ein duplicat.

Sehen wir von der vorausgehenden erweiterung in der 'Faust- tragödie' ab und betrachten wir das 'fragment' allein, so fOgen sich V. 1770 ff. ('und was der ganzen menschheit zugeteilt ist' usw.) in den gang des ganzen ohne Schwierigkeit, sofern man anerkennt, was anzuerkennen ist, dasz Fausts seele auch wieder in den zustand vor der zurückstoszung durch den erdgeist EurQck- treten konnte, ja es vielleicht erforderlich war, den in dieser znrllck- stoszung symbolisch , vorgeführten seelenvorgang Fausts nochmals in Zergliederung der wirklichen gedanken vorzuführen, denn eine Wiederholung jenes seelenvorganges ist dieser abschnitt, den Goethe (wie Wortwahl, ton und vers in 1789 1802. 1806 1841 vermuten lassen, vielleicht unter ausgedehnter benutzung längst vorhandener stücke) bei der Veröffentlichung des 'frag- ments' dem Urfaust einfügte, er zeigt zunächst Fausts sehnen nach dem unendlichen, nach erleben des menschentums in seiner vollen tiefe und breite, als wäre**^ die ernüchternde zurück- stoszung durch den erdgeist nicht vorausgegangen: v. 1770 1775 (fast eine genaue nachbildung von 464 467); v. 1785 'allein ich will'; V. 1803 1805 'was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist, der menschheit kröne zu erringen, nach der sich alle sinne dringen?' und der zweifei an der möglichkeit, dies ideal zu er- reichen, ist anfänglich nur in des Mephistopbeles gegen- reden verkörpert , welche bestimmt sind , Fausts ideales verlange« zu zerstören: v. 1776—1782. 1788—1802. 1806—1809; erst 1812 1815 ('ich fühVs, vergebens hab' ich alle schätze . . . bin dem unendlichen nicht näher') wird er infolge dieser gegenreden von Faust selbst ausgesprochen, hiemach geht die entwicklang treffend vorwärts: es folgt Mephistopbeles' auf f orderung, sich in den Strudel der weit und des genuszlebens zu stürzen, nebst der indirecten zusage Fausts durch die worte 'wie fangen

Setzens, bezeichnet Mephistopheles für den menschen die yemunft als grund der verscblechterung seines lebens (v. 280—290. 330. Baumgart, Goethes Fanst als einheitliche dichtnng I s. 131 ff.).

^ es ist schon oben (s. 40) bemerkt, dasz das streben des Urfauat, als ^Übermensch' 'sich den geeistem gleichzuheben' (also dem gött- lichen, das ja der erdg^eist yertritt), in den hier besprochenen veraen des 'fragments* entweder neu oder specieller bestimmt ist als das ver- langen nach genusz .des der ganien menschheit zngeteilten, nach erweiternng des eignen seihst za ihrem selbst, aber ein versuch, aus dieser abweichung einen handlungsfortschritt, eine in des crdgeistes zurückstoszung begründete wesentliche herabsetzung des Verlangens Fausts zu folgern, würde dem verf. ganz unberechtigt scheinen.

W. Gilbert: kritische erOrterungen zu Goethes Faust. 47

wir das an?' und am 8cblusz, nach Fauste abgang, v. 1851 1867 die begründung, wesbalb Mepbistopheles Fausts Untergang erwartet. Aber von der-erweiterung in der 'Fausttragödie' musz man unbedingt absehen, um 1770—1850 (über 1851 1867 ist später zu sprechen) als einen berechtigten teil des ganzen anzu- erkennen, wie kenntlich in der Tausttragödie' die naht zwischen 1770 ff. und dem vorausgehenden trotz des reimens von 1768 f. auf 1770 f. ist, hat Scherer in den aufsätzen über Goethe s. 287 ff. aus- geführt aber weit wesentlicher ist es, dasz die seelenvorgttnge, welche v. 1770—1841 vorgeführt werden, und beson- ders ihr ergebnis, der entschlusz, sich in den sinnen- rausch zu stürzen, (dieser von 1741 an) in der erweiterang der 'Fausttragödie' v. 1530 bis 1767 (v. 1768 f. kommen als blosze naht nicht mit in frage) vorweggenommen werden, letztere enthält nämlich: 1) Fausts Verzweiflung 1566 1571. 1588—1606. 1744 1749; 2) Mepbistopheles' aufforde- rn ng, sich in das leben zu stürzen, v. 1540 1543; 3) des ver- zweifelnden Faust entschlusz, in den tiefen der Sinnlichkeit glühende leidenschaften zu stillen und durch wunderzauber sich zu betäuben, v. 1750 1759; 4) das bewustsein, dasz dieser rausch ihn nie befriedigen kann, auszer in den stellen der wette be- sonders 1675—1687. 1765—1767. Somit bilden v. 1530—1767 (nur in der 'Fausttragödie') und v. 1770 1841 (schon im *frag- ment') , wenn wir von der in der mitte ersterer enthaltenen wette und verschreibung absehen, ein duplicat, und zwar ein duplicat nur mit folgenden abweichungen: 1) das ursprüngliche ziel Fausts, an dessen erreichung er verzweifelt , ist entsprechend der in capitel 3 erörterten Verschiedenheit zwischen der älteren und der jüngeren fassung der Faustnatur ein verschobenes, besonders liegen die 'glühenden leidenschaften' des sinnlichen menschen (v. 1751) für den Faust des 'fragmentes' an sich innerhalb, für den Faust der 'Fausttragödie' auszerhalb dieses zieles.** 2) in der erweiterung der 'Fausttragödie' wirkt die zurückstoszung durch den erd- geist von anfang an, was das zurückgreifen auf Fausts seelen- zustand vor dieser zurückstoszung in den versen des 'fragments' (1770 ff.) nur um so störender macht, wenn man diese verse als glied der 'Fausttragödie' liest. 3) in der erweiterung der 'Faust-

" hiernach könnte iwiscben dem in der erweiterang der 'Fanst- trag^ödie* gefasiten entschlasz, in den tiefen der Sinnlichkeit glühende leidenschaften zn stillen, und dem im 'fragment' gefaszten entschlusz, sich in die w^lt (das gennszleben) zu stürzen, der schein eines bandlnngsfortschrittes entstehen, wenigstens in den äugen der unbedingten Vertreter der einheitlichkeit der dichtang. aber aach der schein eines solchen bandlnngsfortschrittes verflüchtigt sich durch das nnmittelbar neben den 'glühenden leidenschaften* genannte: sauber- hfillen und wunder (▼. 1752 f.), rauschen der seit und rollen der be- gebenheit (v. 1764 f.), taumel, schmerzlicher genusz, verliebter hasz, erquickender verdruss (v. 1766 f.); vgl. auch v. 1678 1687.

48 W. Gilbert: kritiBche erörteruogeo tu Goethes Fkasi.

tragOdie' wird Faust das dem 'fragment' völlig fremde bewns t- sein beigelegt, auch im weltleben und im sinnenransoh nie be- friedigung finden zu können, dieses unmntTolle bewastaein Fausts beim antreten der weltfahrt, dasz weder sinnliche noch geistige genOsse ihm die ersehnte befriedigung gewfthren können, bildete die Voraussetzung der in der 'Fausttragödie' eingefügten wette iwischen Faust und Mephistopheles und ist vielleicht gerade um dieser willen in die seele Fausts gelegt, zugleich aber steht es in enger innerer beziehung zu der neuen fassung der Faustnatur: denn das bewnst- sein der doppelseele gibt die innere erfabrung widerstreitender be- dttrfnisse , denen zufolge von jedem erstrebten gut oder genust die eine seelenbälfte wieder hinwegreiszt. Die tbatsache, dasz hier- nach V. 1770 1841 (schon im 'fragment') und die voransgehende erweiterung der ^Fausttragödie' ein duplicat bilden und nicht neben einander besteben können, dasz eigentlicb v. 1770 1841 entvreder zu tilgen oder in das vorausgebende hineinzuarbeiten waren, scheint mir die einbeitlichkeit des ganzen stärker zu beeinträchtigen, als die im folgenden zu besprechende abweichung in den erwartangen, welcbe Mepbistopheles auf Fausts unterliegen rechnen lassen.

5. Fausts wette im Verhältnis sowohl zur älteren dichtung wie zum Schlüsse des zweiten teils«

Es sei auch hier gestattet, zunächst einige wohlbekannte that- Sachen zu wiederholen.

Bei der erweiterung seiner dicbtung wollte Goethe klar den ausblick auf die Zukunft geben, deshalb schickte er den prolog voraus mit des Mephistopheles erwartungen und den ent- gegengesetzten aussprüchen des berrn, desbalb fügte er in der form einer der verschreibung vorausgehenden wette zwischen Faust und Mepbistopheles ausdrücklieb die bedingungen für unterliegen oder rettung Fausts ein. die gewählte form , die verschreibung und da- mit auch die wette, ist hierbei nur symbol, das deutet der dichter selbst uns verständlich an (K. Fischer II* 152 fif.): Faust nennt die verschreibung eine 'fratze' (1739), den Mepbistopheles, der sie ver- langt, einen pedanten (1716); und die verschreibung läszt Faost nicht unbedingt und natürlich noch weniger unter vorausbestim mang einer zeitgrenze dem teufel verfallen (wie beides in der volkssage stattfindet), sondern nur für den fall, dasz er im genusz sein besseres selbst verlöre (also fQr den fall, in dem er nach mittelalterlichem glauben so wie so 'dem teufel verfiele'), allerdings enthalten v. 1658 f, ('wenn wir uns drüben wiederfinden, so sollst du mir das gleiche thun', d.h. mir dienen) diese bedingung nicht; darauf baut Düntser (I* 111. II* 291) die meinung, dasz nach dem (von Düntzer von der wette geschiedenen) vertrage Faust Mepbistopheles unbedingt verfalle und die wette dem nur die möglichkeit einer beschleunigung von Fausts tod beifüge; aber auf v. 1658 f. wird ja überhaupt ein vertrag nicht geschlossen.

W. Gilbert: kritisclie erOrterungen zu Goethes Fausi 49

Das, was Fausts erliegen herbeiführen würde, ist am entschiedensten ausgesprochen im prolog v. 334 ^staub soll er fressen, und mit lust' (and ähnlich, aber euphemistisch, v. 1691) und in der wette y. 1696 ^kannst du mich mit genusz betrügen', aber in dieser wette konnte sich Faust nicht auf das negative beschränken, sollte er nicht als ein durchschnittsmensch erscheinen, so muste er gegen Mephistopheles* erwartung, ihn im gemeinen zu befriedigen, die vollegöttlichkeitseines 1 eben sd ran ges einsetzen (seinen 'urquell' y. 324), sein rastloses vorwftrtsstreben, das ihn eben trotz aller irrungen und fehltritte davor bewahrt, im gemeinen befriedigung zu finden (v. 300—311. 317. 328 f. 11935 f.), aber ebenso auch im edlen bei jedem erreichen eines zieles statt befriedigten stehenbleibens (vgl. y. 341) nur sofort neue ideale aufbtellen läszt: 'werd' ich be- ruhigt je mich auf ein faulbett legen' ; 'kannst du mich schmeichelnd je belügen, dasz ich mir selbst gefallen mag' (in Selbstzufriedenheit); 'werd' ich zum augenblicke sagen: yerweile doch, du bist so schön'; 'wie ich beharre, bin ich knecht, ob dein, was frag' ich, oder wessen.'

Wenn wir uns nicht an das eine wort heften 'werd' ich zum augenblicke sagen: yerweile doch, du bist so schön', sondern den sinn des einsatzes Fausts festhalten, so werden wir nicht zu dem urteil E. Fischers (II* 200 ff.) gelangen, dasz Faust in der dem ürfaust angehörigen handlung seine wette alle augenblicke verliere, i&t doch auch ein unterschied zwischen befriedigendem genusse, der den durst stillt, und bloszem netzen der lippen, das so- fort den durst nach neuem entbrennen Iftszt; und ist doch nach der sceno, in welcher Gretchen die erste (im Urfaust einzige) liebesnacht zusagt, in der älteren dichtung die nächste, in der wir Faust wieder- sehen, diejenige (im Urfaust: nacht, Valentin, im 'fragment': wald und höhle), in welcher er weisz, dasz seine zu stetem vorwärtsstürmen drängende natur ihn zwingt Gretchen zu verlassen: v. 3348 'bin ich der flüchtling nicht, der unbehauste, der unmensch ohne rast und ruh?' vgl. s. 30. aber der bahnbrecher und altmeister der Faustkritik hat mit obigem urteil auch nur in eine zu weit gehende kraftvolle form seinen grundlegenden zweifellos richtigen nachweis 'geprägt, dasz (II' 143) die alte dichtung von der idee des prologs und der wette noch nicht durchdrungen und beherscht ist und dasz (II* 224) das verschwören der befriedigung für den Faust der alten dichtung auch nach der zurückstoszung durch den erdgeist (welche die auf den makrokosmos bezüglichen verse von der weltfahrt trennt) unmöglich bleibt.

Nur einer einschränkung scheint mir dieser nachweis E. Fischers noch zu bedürfen, war die alte dichtung noch nicht von der idee des prologs und der wette beherscht, so konnte doch bereits dem dichter des Urfaust die notwendigkeit einer schlieszlichen rettung Fausts bewust vor der seele stehen.*' und dies war

<* auBzer K. Fischer II* 284 lehnt die« z.b. Minor (deutsche litterator- leitang 1894 nr. 16) ab.

N. Jahrb. f. phil. n. püd. 11. abt. 1895 h(i, 1. 4

50 W. Gilbert: kritiftcbe erOrterangeo su Goethei FViutt.

meines erachtens der fall , wenigstens seit die beschwOrang des erd- geistes und die scbluszscenen ge»cbaflen waren, yemichten des strebens selbst durch die macht der sinnlichen begierden, sei es durch befriedigung im sinnlichen sei es durch cerstl^ning der eeeli« sehen kraft , schlieszt sc. 22 auf daa bestimmteste aus. wenn sich Faust mitten in der Verzweiflung über Gretchens von ihm yer^ schuldetes geschick auf sein herz und seine seele beruft ('grosser er- habener geist . . ., der du mein herz kennst und meine seele, warum an den schandgesellen mich schmieden . . .?'), so ist der dauernde abfall vom edlen zur gemeinheit damit ebenso ausge- schlossen wie die Vernichtung der inneren kraft durch das gemeine. über könnte es möglich erscheinen , dasz trotz obiger ^ dazu freilich wenig stimmenden, worte Faust wie ein tragischer held noch in schuld und Verzweiflung scheitere, ein solches unterliegen entsprScbe dem Wesen und Charakter des ürfaust zweifellos (K. Fischer II' 233 f.) mehr als ein befriedigtes aufgehen in der Sinnlichkeit; mid als mOglichkeit ist es auch in früheren stellen der dichtung, sowohl in dem anfange des ürfaubt (v. 467; dazu im ^fragment' v. 1775) als auch innerhalb der GretchentragOdie (v. 3362 ff.) , ausdrücklich aufgestellt, wenn aber die Gretchentragödie , die höchste Verschul- dung, die Faust auf sich laden konnte, abschlosz, ohne dass dies facit gezogen wurde", so muste es dem dichter be wüst werden, dass es nicht mehr gezogen werden konnte.

Zweifellos ist der von K. Fischer so entschieden hervor- gehobene gegensatz zwischen dem 'fragment' und der wette der 'Fausttragödie' hinsichtlich der erwartungen, welche Mephistopheles auf unterliegen Fausts rechnen lassen, die der wette zu gründe liegende annähme des Mephistopheles, Faust im sinnenleben zu befriedigen, könnte man in die bereits im 'frag- ment' hinzugefügten v. 1851 1867 nur mit ftuszerster willkür hineininterpretieren.*^ man müste unter berufung auf v. 1855 'so hab' ich dich schon unbedingt' und auf den dahinter stehenden ge- dankenstrich Mephistopheles' eigentliche erwartung über den aus- gang in v. 1851 1855 für abgeschlossen halten und Hasz nur 'm blend- und zauberwerken dich von dem lügengeist bestärken' pressen zu 'gewöhne dich nur an nichtiges , finde schlieszlich deine befriedi- gung darin', man müste in v. 1856 ff. die andere alternative aaf-

*' auch V. 4696 'o war' ich nie geboren' gehört erst der 'Faust- tragödie' an.

** thatsüchlich thnn dies anch die Verfechter der einheit nicht. sondern Baumgart (s. 135) legt Mephistopheles auch beim abschliessen der wette das bewustsein bei, dasi Fausts natnr im genusse nie be- friedigung finden werde , wohl aber er hoffen dürfe , in den genüsseo, die er nach der wette Faust biete, seine beste kraft zu zerstören. Veit Valentin (s. 67) bezeichnet die wette in Verbindung mit der an- nähme, dasz Faust unersättlich sei, als eine Sicherung des Mephisto- pheles für beide ihm denkbaren fillle; aber dann erwartet man doch eben im monolog einen hitiweis auf den andern fall.

W. Gilbert: kritische erOrteningen zu Goethes Faust. 51

gestellt sehen , dasz es ihm nftmlich nicht gelinge , Faust zu befrie- digen, hinzugefügt unter dem frischen eindrucke von Fausts in y. 1770 £f. bekundetem grenzenlosen streben , und die daran an- geschlossene erklärung, inwiefern auch in diesem falle Faust zu gründe gehen müsse, thun wir aber den werten des dichters keine gewalt an , so haben wir hier nicht zwei möglichkeiten von Fausts unterliegen, sondern nur eine, und die Zuversicht des Mephistopheles gerade darauf begründet, dasz Faust im wilden leben, in den tri- vialen freuden flacher unbedeutendheit keine erquickung und be- friedigung finden könne, dasz er einen geist habe, dessen übereiltes streben der erde freuden überspringt, die freuden des nur endlichen menschen picht zu genieszen vermag, wenn dieser Vernunft und Wissenschaft verachte, die ihn noch am ehesten zu erquicken ver< möchten, und sich durch nichtige blend- und zauberwerke , durch ein wildes leben und durch flache unbedeutendheit führen lasse, die ihn nie befriedigen können, so werde er und sein streben durch seine unersftttlichkeit selbst und durch das quälende vergebliche schmachten nach erquickung aufgerieben werden, treffend fügen sich nun die schluszverse an 'und hätt' er sich auch nicht dem teufel übergeben, er müste doch zu gründe gehn' : eine natur, bei welcher sich so das höchste verlangen nach befriedigung und die Unmöglich- keit sich befriedigt zu finden gegenüberstehen, bedarf nicht erat der fühmng des bösen , um in die gefahr sich aufzureiben zu kommen, wenigstens nicht vom Standpunkte des Mephistopheles aus, des ver- ftchters des idealen und seiner unversiegbaren kraft.

Wie verhält sich zum prolog und zu der wette der schlusz der gesamtdiohtung? in dem etwa 30 jähre später gedichteten zweiten teil des Faust kommt ein augenblick, in wel- chem eines augenblickes befriedigung, der wünsch, einen augenblick verweilen zu können, Faust doch möglich scheint, unmittelbar vor seinem tode nach einem schaffensreichen leben: v. 11658 ff. und 11578 ff.: 'ein sumpf zieht am gebirge hin, verpestet alles schon errungene; den faulen pfuhl auch abzuziehn, das letzte war* das höchsterrungene, eröffn' ich räume vielen millionen, nicht sicher zwar, doch thätig frei zu wohnen . . . solch ein gewimmel möcht' ich sehn, auf freiem grund mit freiem volke stehn. zum äugen- blicke dürft' ich sagen : verweile doch , du bist so schön I es kann die spur von meinen erdentagen nicht in äonen untergehn. im Vorgefühl von solchem hohen glück geniesz' ich jetzt den höchsten augenblick.'

Hat hiermit Faust seine wette verloren? diese frage hat Goethe geflissentlich in halbdunkel gehüllt: der leser hat die bestimmteste Überzeugung , dasz Mephistopheles seine wette nicht gewonnen haben kann noch darf; anderseits aber überwiegt der eindruck, dem buchstaben nach will der dichter des zweiten teils des Faust Mephistopheles gewonnen haben lassen, dies ausdrücklich hervorzuheben, ist nicht etwa klügelei,

52 W. Gilbert : kritisube erörteningen zu Goethes Fauat.

sondern, wie sich epftter zeigen wird, bedentdam nnd ftlr das ver- btändnis sowohl einer Faustnator wie Goethes selbst wesentlich, erstlich ist Mepbistopheles selbst y. 11586 ff. zweifellosi dass er die wette gewonnen bat; und niemand bestreitet es ihm . sondern die engel erbeuten (v. 11933 ff. 11941 ff.) durch die erlösende macht der liebesrosen den teufein die seele ab. femer tritt unmittelbsr nach den Worten Fausts , in denen er den höchsten angenblick ge- nieszt, der tod ein; und dasz er die folge dieser worte sei, hebt die wähl des ausdrucks hervor, dessen sich Mephbtopheles nnd die Lemuren bedienen, um den eintritt des todes zu constatieren: 'die uhr steht still', ^der zeiger fllllt', 'es ist vorbei' mit wGrtlic^er an- lehnung an Fausts wette (v. 1705) 'die uhr mag stehn^ der zeiger fallen, es sei die zeit für mich vorbei', freilich anderseits *kommt' doch 'der tod' schon vorher (v. 11396) und wird schon vorher statt eines grabens das grab für Faust durch Mepbistopheles und die Lemuren gegraben; und so kann es wieder scheinen, dasx nicht Fausts todjdie folge seiner worte sei, sondern umgedreht seine worte die folge des nahenden todes, insofern mit der lebenskraft des sterbenden zugleich auch der lebens- und thatendrang stocken mosi und der (in der phantasie nun genossenen) letzten Vorstellung eines Zieles nicht mehr ein tbätiges streben nach erreichen dieses aieles zur Seite stehen kann, das wesentlichste jedoch ist, dasz Faust auch bei buchstäblicher auslegung durch seine worte eigentlich die vrette überhaupt nicht verloren haben kann, der augenblick, zu dem er sagen könnte 'verweile doch , du bist so schön' ist ja gar nicht ge- kommen; nur in seinem vorgefübl genieszt er, wie er sagt, den höch- sten augenblick seines lebens; er schwebt ihm nur als ein ideal vor; und würde seine vorwärtsdrängende natur dies ideal je erreichen, so würde sie, sofern sie noch lebenskraft besäsze, auch bereits ein neues ideal aufstellen, ein neues ziel stecken.

Mit der auffallenden, den lesern des ersten teils der ^Faust- tragödie' unerwarteten tbaisacbe, dasz der dichter des zweiten teils offenbar den schein erwecken wollte, als habe Mepbistopheles seine wette dem bucbstaben nach gewonnen, kann man sich nicht aus- reichend abfinden durch die erklärung (K. Fischer IV 156 u. a.), Faust verliere die wette scheinbar, gewinne sie aber in Wahrheit wegen des gebietes der ihm zu teil werdenden 'be friedigung', ich vermag deshalb nicht anzunehmen, dasz Goethe bereits bei der er* Weiterung des ersten teils an die möglicbkeit eines solchen ausganges dachte, dasz er vielleicht gerade in rücksicht auf ein solches ende Fausts in der wette die worte gewählt habe 'werd' ich zum augen- blicke sagen: verweile doch, du bist so schön', die wette ist nur ein Symbol, gewählt, um einen ausblick auf den ausgang der ret- tung Fausts zu geben; mit diesem ausgang aber widerlegt sich das Symbol ; denn durch ihn erhält ein einzelnes bei der wette gewähltes wort eine derart selbständige bedeutung, dasz es den gang der handlung nicht allein bestimmt, sondern dem gedanken des gesamten

W. Gilbert: kritische erörterungen zu Goethes Faust. 53

Symbols entgegengesetzt bestimmt, noch weniger steht dieser aus- gang in einklang mit dem prolog, zumal mit den Worten v. 328 f. *und steh beschämt, wenn du bekennen muszt, ein guter mensch in seinem dunkeln dränge ist sich des rechten weges wohl bewust.' diesen werten hätte Goethe unbedingt eine andere wendung ge- geben, wenn er an die mOglichkeit eines ausganges dachte, der die überlegene Zuversicht des herrn nicht voll bestätigte, das ist aber bei dem ausgange des zweiten teils nicht der fall, blieb sich auch Faust des rechten weges bewust, so hat er doch unbedachtsam in der wette worte gewählt, welche ihn wie wenigstens Goethe es scheinen lassen will Mephistopheles überliefern und den herrn nötigen , seine überlegene macht gegen diesen zu gebrauchen, und keinesfalls hat Mephistopheles anlasz zu einem 'beschämten bekennt- nis', sondern weit eher zu Hrinmph aus voller brüst', wenn er glauben darf gewonnen zu haben und nur schlieszlich der macht weichen mu8z; die beschämung aber, dasz er selbst dieser macht zum siege mitverholfen hat durch seine lüsternheit den hübschen engein gegen- über (v. 11740 11842), liegt doch auf einem völlig andern gebiete, gewis hat erst nach 1808 Goethe den plan dieses aus- ganges gefaszt und nur bei seiner ausführung an die dazu passen- den worte der wette angeknüpft.

Was Goethe bestimmte, den plan abzuändern und Faust die wette nicht glatt gewinnen zu lassen, kann die erkenntnis scheinen, dasz der einsatz des rastlosen vorwärtsstrebens, den Faust gibt, ein auch für den edelsten durcbschnittsmenschen, ja für den Titanismus eines Faust nicht einzuhaltender sei , so dasz er, der sein leben lang siegreich den einsatz aufrecht erhalten, am ende doch versagte, aber der grund liegt tiefer, er betrifft nicht das ende von Fausts streben, an welches äuszerlich der schein seines Unterliegens geknüpft ist, sondern den wert seines strebens überhaupt und den gang seines lebens : es sollte räum geschafft werden für die göttliche gnade, deren notwendigkeit Goethe auf der höchsten stufe der reife seines lebens erkannte, für den dichter des zweiten teils ist keineswegs Fausts läuterung und erhebung durch den gang seines lebens so abge- schlossen , dasz die symbolischen schluszbilder nur das ergebnis der voraufgehenden handlung noch einmal zusammenfaszten. die höchste läuterung innerhalb der grenzen eigner menschlicher kraft vermag weder die spuren vergangener fehltritte (bei Faust in der Gretchen- tragödie) auszulöschen und so zur rechtfertigung aus eigner kraft zu werden noch kann sie je den erdenrest abstreifen , welcher auch beim höchsten streben den menschen sittliche Vollkommenheit nie erreichen läszt; dasz dies letztere auch für Faust gilt, hat der dichter scharf hervorgehoben, indem er ihn unmittelbar vor seinem ende die dann von Mephistopheles so unheilvoll ausgeführte gewaltthätige Zerstörung von Philemons und Baucis' baine anordnen läszt. so be- darf Faust in doppeltem sinne der göttlichen gnade, sowohl der erlösenden, sünden vergebenden, die bereits v. 11678, dann aber

54 W. GemoU: Friedrich der grosse und Mark Aarel.

besonders 11936 hervorgehoben wird, als auch der heiligenden and zu voller läaterung und reinheit führenden, auf die notwendigkeit letzterer weisen die vollendeteren engel 11953 ff. './uns bleibt ein erdenrest zu tragen peinlich, und wttr' er von asbest, er ist nicht reinlich, wenn starke geisteskraft die elemente an sich herangerafft, kein engel trennte geeinte zwienatur der innigen beiden, die ewige liebe nur vermag's zu scheiden.* Diesen Schlüssel zum ende seines Faust hat Ooethe selbst gegeben in dem in allen commentaren citierten gespr&ch mit Eckermann vom 6 juni 1831: 'im Faust selber eine immer höhere und reinere thfttigkeit bis ans ende, und von oben die ihm zu hilfe kommende göttliche liebe, es steht dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in harmonie, nach wel- cher wir nicht blosz durch eigene kraft selig werden, sondern durch die hinzukommende göttliche gnade.' noch bedeutsamer ist die von Förster berichtete (vgl. Vogel Goethes Selbstzeugnisse nr.492)y aber freilich in die von Biedermannsche ausgäbe der gespräche Goethes nicht aufgenommene ablehnung der Vermutung, dasz die rechtferti- gung der werte 'ein guter mensch in seinem dunklen dränge ist sich des rechten weges wohl bewust' die lösung des Faustproblems bilden werde: 'das wäre ja aufklärung; Faust endet als greis, und im greisenalter werden wir mjstiker.'

SOHNEEBEBG. WalTHBB GiLBBBT.

4.

FBIEDRICH DEB 6B0SZE UND MABK AUBEL.

Keinem aufmerksamen beobachter kann es entgangen sein, dass die gegenwärtige politische läge fast so wie beim beginn des sieben- jährigen krieges ist , nur dasz heute die feindschaft Busslands und Frankreichs etwas ganz anderes bedeutet wie vor 140 jähren, weil nicht die cabinette, sondern die leidenschaftlich erregten Völker den krieg gegen Deutschland wünschen, ja, hätte nicht die Weisheit des alten im Sachsen walde, Bismarcks, den gott uns noch lange erhalten wolle y für uns gesorgt und Österreich aus einem grollenden feind zu unserm engsten bundesgenossen gemacht, so sähen wir uns heute genau von denselben feinden und in ebenso bedrohlicher weise um« ringt wie der alte Fritz um das jähr 1756. dasz er dieser furcht- baren gefahr nicht erlegen , sondern ruhmvoll aus dem gefährlichen kämpf hervorgegangen ist, ist für uns ein glück verheiszendes omen und ein starker trost für i^le anfalle des kleinmuts.

Von selbst richtet sich also heute unsere aufmerksamkeit auf

* festrede, königsgeburlBtagf 1894, anfange and Bchlasz sind weg- gelassen, benutzte quellen: neben den werken Mark Aureis und Friedrichs d. gr., Onken Friedrich II, Reinhold Koser könig Friedrich d. gr. 1898» Karl Biedermann Deutschlands trübste seit oder der 80 jährige krieg in seinen folgen für das deutsche culturleben.

W. GemoU: Friedricli der grosse and Mark Aurel. 55

ihn, den yielgewandten nnd vielseitigen, der ^Feldherr und Staats- mann, diplomat und Volkswirt in einer person, seine kriegsthaten nnd friedenswerke als geschieh tsch reiber schilderte, sich seine sieges- märsche componierte, zwischen den schlachten wie in den erholungs- pausen der friedensarbeit verse machte und die grundlagen der Philosophie erörterte, und unendlich vielseitig, wie seine anläge war, schlosz sie auch die stärksten gegensätze ein: neben dem leichten , frohen sinn, der den heitern genusz sucht und am schönen scheine sich ergötzt, eine thr&nenreiche gefUhlssch wärmerei, die im schmerze wOhlt, neben der aufwallenden hitze eisige, schneidende kälte, neben hingebender begeisterung ätzender spott'.

Was war es nun aber, das diese vielseitigen anlagen und aus- einanderstrebenden neigungen bändigte und zur schönen harmonie zusammenzwang; aus welchem bom schöpfte Friedrich die unver- siegliche kraft des gemüts, von welcher Fichte gesagt hat, dasz sie es sei und nicht die gewalt der armee, die siege erringe? die ant- wort gibt Friedrich selbst in den Worten , mit welchen er Voltaire seinen regierungsantritt ankündigt: 'der dichter und fürst sind eins geworden, das volk, dem meine liebe gilt, ist jetzt die einzige gott- heit , der ich diene ; lebt wohl , ihr verse , ihr concerte , ihr freuden alle, Voltaire selber, lebe wohl, mein höchster gott ist meine Pflicht.*

Das pflichtbe wustsein also war es, das sich alle gaben und triebe dieser reich angelegten natur unterwarf, alle gedanken und handlungen Friedrichs beherschte, alle seine stunden bis zur letzten ausfüllte.

Damit trat ein absolut neues , unerhörtes in die damalige weit, denn bisher galt, wie Fr. K. v. Moser in der schrift 'vom deutschen nationalgeist' ausführt, als das hauptattribut der landesherlichen hoheit das dominium Tiberianum tondendi et deglubendi subditos 8U0S d. h. das recht, nach art des römischen kaisers Tiberius die unterthanen zu scheren und zu rupfen wie das vieh. auch die ahnen Friedrichs und selbst die trefflichsten unter ihnen, der grosze kurfürst und Friedrich Wilhelm I, hätten sich nimmermehr zu diesem neuen princip, dasz der fürst nur der erste diener seines Staates sei , bekannt, sie stabilierten über dem widerstand und öfter dem recht der unterthanen ihre Souveränität wie einen rocber de bronze.

Aus sich selbst hat Friedrich den erhabenen begriff seiner königspflicht auch nicht, denn selbst nach der katastrophe von 1730 hielten leute von urteil, die ihn gut genug kannten, im gründe nicht besonders viel von ihm; so berichtet graf Seckendorf unter dem 19 juni 1731 an den prinzen Eugen: 'der kronprinz sagte mir, er sei ein groszer poet geworden, er könne in zwei stunden hundert verse machen, er sei musiker, moralist, physiker, mechaniker. es wird weder ein general noch ein krieger aus ihm werden, da er für irgend welches detail seiner geschäfte durchaus keinen sinn hat. am sein

56 W. GemoU: Friedrich der groBze und Mark iurel.

Yolk glücklich zu machen , wird er gute minister aussuchen und die walten lassen.'

Dasz aber Friedrich seinen strengen pflichtbegriff aus der da- maligen theologie oder der christlichen moral geschöpft habe, ist von vom herein ausgeschlossen, denn Friedrich stand dem Christentum vollstftndig fremd gegenüber, in dem ersten briefe an Voltaire aus Bheinsberg, 4 nov. 1736 (0. P. VIII s. 228) sagt er: 'was die theologen betrifft, so scheint es, dasz sie sich alle im all- gemeinen gleichen, von welcher religion oder welcher nation sie auch sein mögen, ihr zweck ist immer, sich eine despotische autoritftt über die gewissen anzumaszen, das genügt, um sie zu zelotischen Verfolgern aller derer zu machen, deren edle kühnheit wagt, die Wahrheit zu enischleiem.' in einem spätem briefe an Voltaire (0. P. X s. 18) heiszt es : 'eine gesellschaft würde ohne gesetze nicht bestehen können, aber wohl ohne religion, vorausgesetzt, dasz es eine macht gibt, welche durch strenge strafen die menge zwingt, den gesetzen zu gehorchen' und in einem briefe an d'Alembert vom 18 oct. 1770 (0. P. XI s. 93) 'erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, dasz die religionen von heute ebenso wenig der Christi als der der Irokesen gleichen', weiterhin 'Jesus war eigentlich ein Essener, er war unterrichtet in der moral der Essener, welche viel von der des Zenon hat. seine religion war ein reiner deismus', ebendort s. 95 'was macht es aus, an welchen cultus sich ein volk anschlieszt?'

Zwar hat Friedrich nie den glauben an gott verloren oder sich von Voltsire nehmen lassen, in einem briefe an diesen vom 26 dec. 1737 legt er ein ergreifendes bekenntnis über die all weise gottheit und den unfreien menschen ab, und zwischen jan. 1737 und april 1738 dichtete er mehrere tief empfundene öden über die gute gottes und die liebe zu gott. aber ganz so wie Friedrichs gott sieht der gott der stoiker auch aus, und ganz wie sie vermischt Friedrich gott mit dem fatum, wenn er z. b. in dem gedieht 'Le Stoicien', welches er am 16 nov. 1761 zu Strehlen verfaszte (0. P. VII s 350) sagt:

Und wenn bo der beschlusz des fatums ist,

80 lerne dich der notwendigkeit zu unterwerfen.

ja, am scblusz dieses gedichts gebraucht er die ausdrücke gott und götter nebeneinander wie gleichbedeutend, eine freiheit, die ein von herzen christlicher dichter sich nicht leicht nehmen dürfte.

Sonach bleibt nur noch die philosophie übrig, aus deren rüstkammer Friedrich den pflichtbegriff hätte entnehmen können, doch darf man nicht an die neuere philosophie, vor allem nicht an Kant denken, dessen lehre vom kategorischen imperativ erst nach Friedrichs tode veröffentlicht wurde; nein, die alte philosophie, genauer die stoische philosophie, war seine quelle, ja mit bestimmt- heit kann man sogar den mann bezeichnen, den er sich hier zum muster nahm, es ist der römische kaiser Mark Aurel.

Die ^selbstbetracbtungen' Mark Äurels studierte Friedrich

W. Gemoll : Friedrich der grosze und Mark Aurel. 57

eifrig, übersetzte sie in versen, die er dem fQr ihn maszgebenden kunstrichter Voltaire vorlegte (0. P. X s. 17), und verfaszte (0. P. VI 8. 129—138) einen dialogue entre Marc Aurdle et an R6collet. und nicht blosz die lehre, auch das leben Mark Aurels bewunderte er so, dasz er sich gar nicht mit ihm vergleichen wollte, sondern bescheiden sagte (0. P. IX s. 351) Massen wir also M. A., indem wir ihn bewun- dern, ohne seine Vollendung erreichen zu kOnnen, und indem wir uns auf das niveau unserer mittelmftszigkeit stellen', dafür verglichen ihn andere schon bei seinen lebzeiten mit M. A. , und die marquise de Chatelet, eine frau, mit der er in ziemlich eifrigem verkehr stand, nannte ihn treffend den 'modernen M. A.' (0. P. XII s. 307).

In der that eine gewisse allgemeine ähnlichkeit zwischen M. A. und Friedrich springt sofort in die äugen :

Beide sind in einer langen reihe anders gearteter fürsten allein Philosophen, denn der stolze kaisersitz in der ewigen Stadt bot im allgemeinen ebenso wenig wie der preuszische königsthron der Philosophie eine heimstfttte, M. A. aber hiesz schon bei seinen Zeit- genossen philosophus und rtthmt selbst (11 17) die philosophie also: *was ist's nun, das den menschen sicher geleitet? einzig und allein die Philosophie.' desgleichen bezeichnete Friedrich sich selber häufig als den philosophen von Sanssouci (z. b. an Voltaire 0. P. X 54) und nennt an einer stelle, in der dissertation sur l'innocence des erreurs de Tesprit (0. P. VI s. 189) , die philosophie seine leiden« Schaft, welche alle seine schritte treu begleiten.

Beide sind femer stoische philosophen; für M. A. bezeugt es sein biograph Julius Capitolinus, fttr Friedrich das vorhin erwähnte gedieht 'Le Stoicien'. beide sind aber nicht blosz philosophen der schule gewesen, sondern haben durch ihr leben und wirken die philosophie bethätigt. selbst die absonderlich keiten der stoischen philosophie wie z. b. die Überzeugung von der erlaubtheit des Selbst- mordes teilten sie. M. A. sagt darüber V 21 'lebe deiner würdig, ist das nicht möglich , so verlasz das leben' und XI 3 'die bereit- willigkeit, aus dem leben zu gehen , hängt von einer besonderen er- wägung ab , nicht von einfacher Verstocktheit wie bei den Christen' und Friedrich selbst (Le Stoicien 0. P. YII s. 362) 'überlege einmal : wer kann dich hindern, wenn du vom leben ermüdet bist, den lauf desselben abzukürzen ? ' wirklich führte er im siebenjährigen kriege jahrelang gift bei sich , entschlossen , wie er öfter in seinen briefen äuszert, seinen leiden ein ende zu machen, sobald es nicht mehr möglich sei sie zu ertragen.

Beide fÜrsten sind femer schriftsteiler und zwar beide in einer fremden spräche, M. A. in der griechischen, Friedrich in der fran- zösischen.

Beide haben einem bedeutenden manne einflusz auf ihre ent- Wicklung eingeräumt, jener dem Fronto, dieser Voltaire; beide haben mit ihrem mentor zeit ihres lebens correspondiert, und beider brief- Wechsel ist erhalten.

58 W. GemoU : Friedrich der grosse and Mark AareL

Beide haben schlieszlich gegen vOlkerbOnde kriege geftthrti die an der Donau im jetzigen erzherzogtum Osterreich ihren mittelpankt hatten.

Doch, wie gesagt, das alles ergibt wohl eine gewisse ftuszere fthnlichkeit, aber der entscheidende pnnkt ist doch der pflicht- begriff, beide fQrsten haben ihn so hoch gefaszt, wie kaam ein anderer mensch , und sein gebot ^opfere dich für andere' nach den beiden bestandteilen desselben ^nimm keine rücksicht auf dich' and *nimm jede rücksicht auf andere' mit edelster selbstverleugrniuig ausgeführt.

Keine rücksicht nahmen sie zunächst auf ihren leib und seine beqnemlichkeit. 'mühe dich nicht ab', sagt M. A. X 38, *mit dem dich umgebenden gefUsz, nicht gröszeren nutzen hast du vom kOrper ohne die ihn bewegende und zusammenhaltende Ursache als die Weberin vom Schiffchen, der Schreiber vom schreibrohr, der wagen- lenker von der geiszel'. ähnlich spricht Friedrich von seinem aeelen- futteral (6tui de Täme in einem briefe an d'Alembert vom 30 dee. 1775), und wie wenig er es geschont hat, lehrt vor allem sein brief- wechsel. an Voltaire schreibt er 26 oct 1740 'ich werde meinem fieber den abschied geben, denn ich habe meine maschine nötig und * musz ihr abgewinnen, was ihr irgend zu leisten mOglich ist' and an seine Schwester in Baireuth 24 febr. 1747 'mein körper wird an- gegriffen von so vielen feinden, dasz ich immer genötigt bin, einen ausÜEill gegen dieselben zu machen', nach einem langwierigen gicht- anfall im winter 17''V76 ^^^^^^^ er Voltaire: 'meine grundmanem sind unterhöhlt, ich überlasse die auszenwerke der Übermacht, welche bald mir das ende bereiten wird durch einen gut vorbereiteten Sturm.' wahrhaft königlich aber sind folgende worte aus einem brief an Voltaire vom 24 mai 1770: 'übrigens denke ich nicht mehr an meine leiden , es ist sache meiner beine , sich an die gicht su ge- wöhnen , wie sie können, ich habe andere beschäftigungen' und aas einem späteren briefe an denselben 'mein m6tier erfordert arbeit und thätigkeit, mein körper und geist müssen sich ihrer pflicht fügen, es ist nicht notwendig, dasz ich lebe, wohl aber, dasz ich handle.' interessant ist es übrigens für uns Schlesier, dasz Friedrich seit 1766 briefliche ratschlage des Breslauer antes Jagwitz einholte.

Keinen Spielraum , keine freiheit der Bewegung gönnten beide fürsten den trieben und affecten ihrer seele. 'man musz erreichen', sagt M. A. II 17, 'dasz der gott, der in uns wohnt, über vergnügen und schmerzen erhaben sei , nicht bedürftig, dasz ein anderer etwas thue oder nicht thue, ferner dasz er zufalle und Schickungen auf- nimmt als von daher kommend, woher er selbst kam , schliesslich dasz er den tod mit ruhiger fassung erwartet' und VIII 41 'der von leidenschaften freie geist ist eine bürg, denn nichts festeres hat der mensch, und dahin musz er fliehen, um fernerhin unüberwindlich sn sein, wer dies nicht sieht, ist ungebildet, wer es sieht und nicht

W. Gemoil: Friedrich der groeze und Mark AureL 59

binflieht, ist unglücklich', und III 5 ermahnt er sich selbst: 'es sei der gott in dir der leiter eines mannhaften wesens, eines greises, eines Staatsmanns, eines R($mers, eines berschers, der sich selbst so vorbereitet hat, wie einer sein musz, der gefaszt die abberafung aus dem leben erwartet.' Dasz auch Friedrich es lernte , alle leiden- schaften zu beherschen, über lust und schmerz, furcht und hoffen, sorge und Verzweiflung sich zu erheben, dafür sorgte die fürchter- liche zeit, die er durchleben muste, vor der man sich schützen müsse, wie er einmal schreibt, durch eingeweide von eisen und ein herz von erz, um alles gefühl zu verlieren, sich selbst nennt er grau, runzelig aus kummer, durch kOrperleiden niedergedrückt und, mit einem werte , nur noch gut vor die hunde geworfen zu werden, trotz stoicismus und ausdauer gibt es augenblicke, wo er einige lust verspürt, sich dem teufel zu ergeben; seit jähren beklagt er nicht mehr die toten, sondern die lebenden, rührend ist seine klage : *ich gehe durch eine schule der geduld, sie ist hart, langwierig, grausam, ja barbarisch'; er rettet sich daraus, indem er das Uni- versum im ganzen ansieht, wie von einem fremden planeten. da er- scheinen ihm alle gegenstände unendlich klein, er betrachtet alle Ereignisse des lebens mit viel mehr gleichgültigkeit als sonst und bemitleidet seine feinde, dasz sie sich so viel mühe um so geringes geben.

Das beste und vielleicht einzige mittel, unbewegte ruhe der seele zu erreichen, starke, unablässige arbeit für andere, haben l)eide fürsten in groszartigstem maszstabe angewandt, mit beredten werten schildert es M. A. V 1 :

*Wenn du früh erwachst, sei eingedenk, dasz du zu einem menschen werk erwacht bist, du bist noch ungehalten, wenn du zur thätigkeit schreitest, weswegen du geboren bist und wozu du auf die weit kamst? oder bist du dazu geschaffen, dasz du dich auf kissen niederlegst und dich pflegst? Aber, das ist angenehmer I also bist du zum vergnügen geboren und nicht zum schaffen, nicht zur thätigkeit? siehst du nicht, dasz die pflanzen, die Sperlinge, die ameisen, die spinnen, die bienen in ihrer weit ihre pflicht thun? und du willst nicht menschlich schaffen , du eilst nicht zu dem, was deiner natur gemäsz ist? Aber man musz sich auch ausnüienl gewis, auch hierfür hat die natur ein masz bestimmt, ebenso wie fürs essen und trinken, dennoch schreitest du hierin über das masz, über das genügende hinaus , beim arbeiten aber gehst du unter das masz herab und bleibst innerhalb der grenzen des möglichen stehen, du liebst dich nämlich selbst nicht, sonst würdest du deine natur und den willen derselben achten, andere, die ihre künste lieben, reiben sich bei den bestrebungen um dieselben auf. du aber ehrst deine natur weniger als der drechsler die drechselkunst oder der tänzer die tanzkunst oder der geizige das geld oder der ruhmsüch- tige den rühm, denn dir scheinen die gemeinnützigen handlnngen gering und wenig der ehre würdig.'

60 W. Gemoil: Friedrich der grosse nnd Mark Aarel.

Noch eindringlicher sagt er V 3 :

'Gehe geraden wegs zur pflicht, folgend der eignen natur und der allgemeinen, diese beiden haben einen weg. ich schreite auf dem naturgemäszen wege vor, bis ich hinsinke und sterbe* and VI 7 :

*An einem ergOtze dich und dabei gib dich zufrieden, nSmlich von einer dem gemeinwohl nützlichen that fortzuschreiten zur andern , des gottes eingedenk' und VI 2 :

*£s darf für dich kein unterschied sein , ob du bei kSlte oder hitze, schlaftrunken oder vom schlaf ausgeruht, getadelt oder gelobt, sterbend oder bei gesundheit deine pflicht thust.'

Wie könig Friedrich aber unausgesetzt thfttig gewesen ist, wie das erhabene gesetz heroischer Pflichterfüllung für ihn das leitende princip war, das brauche ich nicht erst auszuführen, das weiss die weit, und für jeden Preuszen ist es eine lebendige, unyergessene erinnerung.

Wenn nun Friedrich sich M. A. zum Vorbild genommen hatte, wie kam es , dasz der schüler gröszer als der meister wurde ? die antwort darauf gibt das wort Piatons, das M. A. übrigens im munde zu führen pflegte, 'entweder müssen die könige philosophen oder die Philosophen könige sein'.

M. A. war als privatmann ein philosoph gewesen und blieb es auch als tbronfolger und als kaiser. zwar war er ein treuer und ge- wissenhafter monarch; ein tüchtiger und redlicher Verwalter des an* geheuren reichs, das ihm untergeben war und dessen kräfte nnd mittel er sorgsam zu rate hielt, ein umsichtiger feldherr und tapferer Soldat, welcher mit den seinen alle mühsale und entbehrungen teilte, aber er war dies alles nur, weil er der gottheit, die ihn auf diesen posten gestellt hatte, gehorchen muste, und seine tiefste neignng zog ihn zur philosophie und als seine wichtigste und liebste aufgäbe hat er sie allzeit betrachtet; noch als kaiser besuchte er die philo- sophenschulen und soll sogar dem volke philosophische Vorlesungen gehalten haben, zum philosophen war er geboren; schon bei dem kinde erkannte und rühmte man die strenge Wahrhaftigkeit und den tiefen ernst, und als knabe von 12 jähren legte er das philosophen- kleid an und unterwarf sich der harten lebensweise der strengsten stoiker. wir sehen bei ihm fast gar keine entwicklung, die eigen- schaften, welche ihn auszeichnen, besasz er früh und die, welche ihm fehlten, hat er sich in seinem ganzen leben trotz aller redlichen mühe nie erwerben können. hauptsSchlich fehlte ihm eine eigen- scbaft, welche erst den groszen monarchen ausmacht, die schneidige thatkraft; er hat es selbst gefühlt, das beweist eine stelle seiner Selbstbetrachtungen (IV 5), wo er sagt, eins fehle ihm fast ganz, das feuer und die energie, und in noch höherem grade beweist es die thatsache, dasz er zuerst die kaiserliche gewalt mit einem zweiten teilte, dem L. Verus, und für seine menschenkenntnis ist es ein schlechtes zeugnis, dasz er sich gerade in diesem seinem mitregenten vergrififen hatte.

W. Gemoll: Friedrich der grosee und Mark Aurel. 61

So ist M. A. wohl ein trefflicher , edler mensch , den man un- bedenklich den erhabensten persönlichkeiten des altertums an die Seite stellen kann, und ein guter kaiser geworden , dessen bildnis nicht im hause zu haben noch lange nach seinem tode in dem ganzen weiten römischen reich für eine schände galt, aber er ist kein groszer kaiser geworden: der innere Zwiespalt, welcher zwischen seinen philosophischen neigungen und kaiserlichen pflichten bestand, raubte seinem redlichen wollen den verdienten erfolg und hauchte seiner reinen und makellosen persönlichkeit den schwermütigen, düsteren Schimmer auf, der sich auch in seinen ^selbstbetrachtungen' wiederspiegelt.

Ganz anders Friedrich, wohl überrascht immer aufs neue der

gewaltige umfang seiner ffthigkeiten , wohl ist er philosoph, redner,

dichter, geschichtsforscher, gesetzgeber, feldherr und Staatsmann,

aber das alles , weil er ein vollendeter herscher war : das wort Max

Piccolominis in Schillers Wallenstein

Qeworden ist ihm eine herscherBeele, nnd ist gestellt auf einen herscherplatz,

passt, wenn je auf einen menschen, auf unseren Friedrich, der

sich noch am rande des abginindes mit den charakteristischen

versen tröstet:

Doch ich, dem stürm und Schiffbruch dräun, will, Btnndhaft trotzend dem verderben, als könsg denken, leben, sterben.

er ist der könig kot' iJEoxr\y: nicht blosz beherscht und lenkt er alle lebensregungen des preuszischen Staates, nicht blosz concentrieren sich in diesem wunderbaren mann der unerschöpflichen arbeitskraft alle bestrebungen seiner zeit, sondern er beginnt eine neue epoche, er regeneriert das verfallende kOnigtum. in einer zeit, wo die herscher allgemein die kräfte und mittel ihrer unterthanen zu ihrem eignen vergnügen ausbeuteten, hat er zuerst die königliche lehre von den pflichten des königlichen amtes aufgestellt und sich le premier domestique (im Antimacchiavell) und le premier serviteur de r^tat (in dem essai sur les formes de gouvemement) genannt, durch die Verleugnung seines selbst, durch seine Unterwerfung unter die zwecke und die bestimmung seines Staates, durch seine nie er- müdende arbeit , durch seine sich aufopfernde fQrsorge, durch seine nie wankende pflichttreue hat er das königtum vertieft und geadelt, so dasz es die katastrophen des 18n und die Umbildungen des 19n Jahr- hunderts siegreich überdauerte, dasz es heute jedem wahren könig pflicht und ehrensache ist, sich seinem volk zu opfern und in seinem Staate aufzugehen, ist das werk unseres Friedrich, des einzigen, un- vergleichlichen.

H^il unserem volke, dem ein solcher könig beschieden war, und heil allen nachfolgem des groszen königs, die ihm nachzueifern für ihre erste pflicht und ihr gröstes glück halten.

LiEQNiTz. WiLH. Gemoll.

62 E. Haapt: ans. v. Beck lateinigches übangabnoh.

5.

Beck: lateinisches Übungsbuch, neu bearbeitet vom Haag. YIEB HEFTE. Bielefeld und Leipsig, Yelhagen und Klasing.

Während das im gleichen vorlag erschienene und in diesen blftttem 1890 s. 275 ff. und 1891 8. 312 ff. besprochene flbongs- buch von Lutsch auf dem gründe weiterbaut, den Perthes gelegt hat , erinnern die vorliegenden hefte , die schon in mehrÜBM^hen auf- lagen erschienen sind, an die methode von Lattmann, doch stellt Beck-Haag nicht so hohe anforderungen an lehrerund sohfller» dagegen fehlt leider zwischen den einzelnen teilen der innere zu* sammenhang. ferner ist die jeweilige classenlectüre nicht berflck- sichtigt worden, auch die einteilung der vier hefte in sieben oorse ist mir nicht recht klar geworden, jedenfalls aber mosz lobend an- erkannt werden , dasz diejenigen schüler, welche nach Beck-Haag unterrichtet werden, eine tQchtige grammatische Schulung geniesten.

Der erste teil beginnt ^it recht langweiligen vorflbungen: terra magna amicus fidus poeta Graecus usw. erst in § 2 werden daraus kleine sätzchen gebildet, indem est oder sunt hinzu- gefdgt wird : terra est magna. § 3 tritt an stelle des adjeotiyums ein substantivum : Corintbus est oppidum. Romani sunt populus. daran schlieszen sich erweiterungen durch den accusativ 4); durch genetive , dative und adjective 5). in § 6 folgt in kleine abschnitte zerlegt esse , dessen zeitige einübung lob verdient, da- gegen hätte die gleichzeitige vorfQhrung des doch recht seltenen vocativs unterbleiben kOnnen. ein besonderer abschnitt über den ablativ ist in der neuesten aufläge gestrichen worden, die in § 7 durchgenommenen composita von sum gehören nach quinta. daran schlieszt sich § 8 f. zu früh die erste conjugation, gleichfalls in pensa geringen umfanges geteilt, darauf folgt § 12 ff. die dritte deolina- tion, die praktischer weise mit dem natürlichen geschlecht begonnen wird, doch sollte die einübung der adjectiva erst nach absolvierung der substantiva erfolgen. § 19 bespricht die vierte, § 20 die ftinfte declination. § 21 gelangen 6 unregelmäszige verba der ersten con- jugation zur einübung , die entschieden in das pensum der quinta gehören, sodann wird § 22 f. die zweite, § 24 f. die vierte und mit vollem recht erst dann in § 26 f. die dritte conjugatlon durdi- genommen. auch hier wäre eine beschränkung sehr am platze ge- wesen. § 29 bringt vielerlei auf einmal: adjectiva, substantivisch gebraucht; apposition; pluralia tantum; Wörter der zweiten decli- nation auf -er. davon sind die letzteren noch vor § 6 einzuüben; alles andere gehört nach quinta. dasselbe gilt von den präpositionen in § 30. in § 31 f. werden die für Wörter, in § 33 f. die cardinalia und die ordinalia , in § 35 die Steigerung eingeübt. § 36 bespricht die adverbia, die zu dem pensum der quinta gehören, ebendahin ist der anhang zu verweisen , der verschiedene unregelmäszigkeiten der fünf declinaticnen in form und geschlecht behandelt.

£. Haupt: anz. v. Beck lateinisches übungbbuch. 63

Das zweite bttndcben, welches in qninta darchgenommen wer- den soll, bespricht zunächst die eben erwähnten abweichungen in überarbeiteter gestalt. darauf folgen § 11 zeit- und Ortsbestim- mungen, § 12 ff. die unregelmäszige Steigerung, die fürwörter wer- den § 16, die Präpositionen § 17 wiederholt, die deponentien und semideponentien gelangen § 18—22 zur einübung. § ^3 bringt die verba der dritten conjugation auf io. von den andern conjugationen ist nicht die rede. § 25 ff. werden die verba anomala besprochen. § 35 dagegen behandelt die distributiva und adverbia numeralia.

Die folgenden abschnitte handeln zunächst über die conjunc- tionen 38 und § 43 f.), ein capitel, welches ohne zweifei in das pen- sum der quarta gehört, die adverbia, welche wunderlicher weise da- zwischen in § 39—41 besprochen werden, sollten im anschlusz an die adjectiva eingeübt werden, die pronomina interrogätiva 45) und indefinita 46) gehören nach § 16. darauf folgt § 49 das partici- pium coniunctum ; § 50 der ablativus absolutus; § 51 der accusativus cum infinitivo; § 52 die coniugatio periphrastica , die im anschlusz an die einübung des verbums zu behandeln ist; § 53 das gerundium und gerundivum , das besser in quarta durchgenommen wird.

Die nicht genannten §§ hinter den einzelnen abschnitten ent- halten zusammenhängende stücke zur Wiederholung.

Das dritte heft ist für quarta bestimmt, die einzuübenden regeln, in denen die dasz-sätze mit recht eine grosze rolle spielen, sind praktischer weise im zusammenhange aufs. 1—13 dargestellt worden. § 1 behandelt die construction der Ortsnamen zu ausführlich und wenig übersichtlich. § 6 timeo ut kann fehlen; einen coni. fut. gibt es nicht. § 12 se praestare kann doch nicht im passiv vorkommen. § 14 aequo und aequipero könnten wegfallen. § 15 fehlt faveo, während irascor, male dico und supplico gestrichen worden kann. § 16 ist dignor zu entfernen. § 17 arguo hat kein supinum. § 19 fehlt excellere.

Mit 8. 13 ganz unten beginnen die Vorübungen und einzelsätze, in welchen die eben angeführten regeln zur anwendung kommen, von zeit zu zeit finden sich auch zusammenhängende stücke, leider werden die eingeübten regeln in den folgenden abschnitten nicht oft genug zur Wiederholung herangezogen, auch ist, wie schon gesagt, auf die clussenlectüre nicht die gebührende rücksicht genommen worden.

Der eben erhobene Vorwurf gilt in gleichem masze von der vierten abteilnng, welche ftir die tertia der gymnasien und für die tertia und secunda der realgymnasien bestimmt ist. die lateini- schen mustersätze, welche den einzelnen regeln vorausgeschickt wor- den sind , hätten wie die stücke zum auswendiglernen dem bellum gallicum entnommen werden sollen.

Im einzelnen ist mir folgendes aufgefallen, warum § 1 mit den pronomina indefinita begonnen wird, ist mir unerfindlich, sonst folgt das buch dem gewöhnlichen gange der grammatik; nur die modi in hauptsätzen werden erst nach absolvierung der nebensätze durchgenommen. § 2 das prädicat steht nur dann im plural, wenn

64 J. Sievers: anz. ▼. 0. Utescher rechenaufc^ben für höhere schalen.

die subjecte personen sind. § 14 piget und taedet braucht nicht ein- gettbt zu werden. § 17 genügt 'genetivus partitivus'. § 25 bei den yerben der fülle steht der abl. instrumenti; bei den verben des mangels der abl. separativus. recht hübsch ist § 31, in welchem die verschiedenen constructionen eines und desselben yerbums ein- geübt werden; doch könnte hier manches gestrichen werden. § 33 bebandelt die tempora und die consecutio temporum, die in ihren einfachsten erscheinungen schon in quarta besprochen worden ist § 35 quin und quominus gehören auch zu den dasz- Sätzen, die Übri- gen §§ bringen zum groszen teil des neuen zu viel auf einmal«

Der druck der Übungsstücke ist klar und deutlich, im übrigen aber ist der platz sehr gespart worden, der druck der regeln ist viel zu klein und sehr wenig übersichtlich, auch die alphabetischen Wörterverzeichnisse sind viel zu eng gedruckt.

SOHNEEBERQ. ErNST HauPT.

6.

RECHENAUFGABEN FÜR HÖHERE SCHULEN. IN DREI HEFTEN NACH DEN NEUEN PREU8ZI80HEN LEURPLANEN BEARBEITET VON OtTO

Utescher, Oberlehrer, heft I. lehrstcff der eezta. 40 s. 8. ergebnlBse zu heft I. 32 8. 8. beft II. lebraufgaben der quinta. 40 8. 8. heft III. lehrstoff der quarta. 40 s. Ferdinand Hirt^ königliche universitäts- und yerlagBbuchhandlung. Breslau 1894.

Ein neues rechenbuch ist nur selten etwas neues ; hier aber ist es der fall, anstatt nämlich, wie es jetzt wohl fast allgemein ge- bräuchlich ist, die Schüler durch lange reihen von aufgaben derselben art zu mechanischer rechenfertigkeit zu drillen , legt der verf. den hauptton auf die manigfaltigkeit der aufgaben und auf die lösung von textaufgaben, die er mit groszer umsieht auszuwählen und an- zuordnen versteht, sie verfolgen meistens den zweck, was im all- gemeinen nur zu billigen sein dürfte, dem schüler den Wissensstoff anderer Unterrichtsgebiete geographie, astronomie, raumlehre mühelos einzuprägen und ihn mit einigen wichtigen praktischen Ter- hältnissen bekannt zu machen, wie z. b. bei der berechnung von alter»* reuten, packetporto und eisenbabnfahrkarten. ob die angaben des verf. immer der Wirklichkeit, wie es wünschenswert wäre, ent- sprechen, mag ich nicht entscheiden; wesentliche fehler sind mir nicht aufgefallen, die zahl der aufgaben ist völlig genügend, für das kaufmännische rechnen der realen lehranstalten steht ein er- gänzungsheft in aussieht, von dem man nur wünschen kann, dasz es gleiches lob verdiene, wie die obigen drei. Für überflüssig halte ich im dn heft § 32 den abrisz aus der buchstabenrechnung; auf- gefallen ist mir ausserdem im In beft s. 25 die merkwürdige Wieder- holung der angäbe s. 8 und im 3n heft s. 24 z. 14 u. 15 v. o. die bezeichnung der Muhammedaner als dissidenten.

Frankbnberg in Sachsen. Jxjrqen Sieysrs.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AUSSCBLÜSZ DER CLA88I8CHKM PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. BiCHARD BiCHTER.

7.

ZU DEN TEÜBNERSCHEN SCHÜLEEAÜSGABEN, zweiter aufsatz (vgl. jahrb. 1893 heft 7).

Jetzt, wo das manuscript des commentars zum bellam Oallicom in die druckerei wandert und damit die bearbeitnng dieses bedeut- samen schulscbriftstellers abgeschlossen ist, wo ferner die auswählen aus den Metamorphosen und der Anabasis so gut wie fertig vorliegen, dürfte es an der zeit sein , dem einführenden und vorläufig orien- tierenden aufsatze über die 'schülerausgaben' einen zweiten folgen zu lassen , um die freunde unserer bestrebungen über das, was bis- her zu ihrer Verwirklichung geschehen ist und in der nächsten zeit geschehen soll, aufzuklären, soweit dies im rahmen eines aufsatzes geschehen kann, denn das gebiet ist zu ausgedehnt und der fragen, die zur erOrterung stehen, sind so viele, dasz manches auch heute noch nur gestreift werden kann, im übrigen aber die herren collegen gebeten werden müssen , durch einsieht in die bisher erschienenen teile der Sammlung sich die folgenden bemerkungen zu ergänzen.

Ich darf wohl annehmen , dasz alle , die sich für den lectüre- betrieb unter den gegenwärtigen Verhältnissen interessieren, und das sind doch alle lehrer des lateinischen und griechischen^ von den leitsätzen, nach denen die schülerausgaben gearbeitet werden, kennt- nis genommen haben, jedenfalls haben diese lebhaften beifall ge- funden, und zwar in allen Jahrgängen und rängen der lehrerweit, diese Zustimmung ist für die herren, die ihre kraft und zeit dem unternehmen widmen, sicherlich wertvoll, weil sie daraus erkennen, dasz sie sich auf dem richtigen wege befinden, dagegen werden über die möglichkeit ihrer durchführung verschiedenartige bedenken ge- äuszert. man sieht z. b. ein , dasz der nutzen , den die schüleraus- gaben dem unterrichte verheiszen, nur dann im vollen umfange

N. jahrb. f. phil. u. pld. U. abt. 1895 hfl. 2. 5

66 F. FügDer: zu den Teabnerschen schQlerauBgaben.

erzielt werden kann, wenn die ganze Sammlung an einer anstalt eingeführt wird; das sei aber bei den verschiedenen neigangen der fachlehrer, die doch berechtigt seien und berücksichtigong ver- langten, nicht wohl durchzusetzen, dieser einwand erscheint wenig stichhaltig, werden doch auch andere lehrmittel die ganze anstalt hindurch benutzt, ohne dasz alle fachlehrer von ihrer vortrefflichkeit überzeugt sind, man sollte meinen, wenn der leiter und die mehr- zahl der beteiligten lehrer einig seien, müsten sich die abweichen- den stimmen fügen, nun ist es klar, dasz eine neuerung, je ab- geschlossener sie auftritt, jederzeit anfänglich um so entschiedenere gegner findet, und es liegt femer in der natur des menschen be- gründet, dasz die älteren lehrer conservativeren sinnes sind.

Es ist zunächst die besorgnis, die neuen ausgaben könnten den Schüler zur trägheit und denkfaulheit verleiten, die hier zu zerstreuen ist. man sieht in den manigfachen hilfen, die wir dem Schüler darbieten, nichts als unnötige krücken und preist in den nor- texten die zeugen einer besseren Vergangenheit, dasz man sich darin nur nicht täusche! niemand wird es bestreiten, dasz ein energischer und umsichtiger lehrer auch heute noch verständige schüler, die nichts als autortext und lexicon in bänden haben , zum Verständnis des Schriftstellers führen kann, aber jedenfalls ist das heute viel schwerer als früher, und im günstigen falle wird doch der um- fang der jahreslectüre mit den forderungen der lehrpläne schwerlich überall im einklange stehen, von dem vielbeklagten übel der esels- brücken will ich dabei gar nicht reden, aber aus eigner erfahrung und aus mitteilungen gewesener schüler weisz ich zur genüge, dasz gerade bei solchen lehrern, die auf fernhaltung anderweitiger hilfsmittel dringen, der unfug der gedruckten Übersetzungen in hoher blute gestanden hat und noch steht, auf die Unterstützung durch die eitern ist bekanntlich im kämpfe gegen dieses unwesen fast gar nicht zu rechnen; betonte mir gegenüber doch einmal ein vater, sein 8obn sei so eifrig bei seinem Caesar, dasz er sich sogar aus Berlin dazu bücher schicken lasse ! verlangen wir nun die anschaffung und be- nutzung von hilfsmitteln , die der sacbe wirklich dienen, so ist wenigstens die aussieht gegeben, dasz der schüler nicht die zeit und die lust findet, am ende auch nicht das geld, um sich neben jenen auch noch unerlaubte zu kaufen und zu lesen, aber auch von diesem heiklen punkte abgesehen , liegt doch beute die sache nach meiner und vieler anderer urteil so, dasz das vorgeschriebene ziel in der altclassischen lectUre nicht mehr auf dem früheren wege erreicht werden kann, neue aufgaben erfordern neue wege zu ihrer lösung^ und die 'schülerausgaben' wollen in vollem bewustsein der gegen- wärtigen läge einen solchen neuen weg bahnen helfen.

In Wirklichkeit scheinen auch die stimmen seltener zu werden, die unsere arbeiten verwerfen, weil sie zu weitgehende erleichte- rungen enthielten, dafür wird im gegenteil von anderer seite be- fürchtet, sie stellten zu hohe anf orderungen an den schüler.

F. Fügner: za den Teabnerschen Bchüleraasgaben. 67

eher trifft jedenfalls dies zu als jenes, denn die lecttlre so eingehend und nach allen seiten hin durchzuarbeiten, wie es unsere ausgaben an die band geben , erfordert wirkliche arbeit , und zwar auf beiden Seiten , beim schüler sowohl als beim lehrer. die urteile , die mir in Öffentlichen besprechungen zunächst über Nepos zugänglich ge- worden sind, haben für mich vor der band nur den wert schätzbaren materials. ohne gründliche prüfung in der praxis , mindestens im verlaufe eines ganzen Schuljahres, ist ein maszgebendes urteil über ein lehrmittel überhaupt nicht möglich, am wenigsten über eins, das zum teil auf ungewohnte pfade führt, darum wird es mir niemand verargen, wenn ich über alle die 'ja aber'!, die ich habe lesen dürfen, eine schlichte postkarte stelle , die begierig nach dem Caesar fragt, weil der schreiber mit dem Nepos so gute resultate erzielt habe, freilich , unsere ausgaben können ihren zweck völlig verfehlen, nicht nur wenn der lehrer sich selbst nicht völlig in ihnen heimisch macht, sondern auch wenn er es versäumt, die schüler in die benutzung derselben sorgfältig einzuführen, des- halb wage ich hier die bitte, die hilfshefte und den commentar (am besten beides zusammengebunden als erklärungen) sowohl bei beginn der lectüre, als auch im verlaufe des jahres mehrmals von den schülern in die classe mitbringen zu lassen und ihnen an- leitung zu geben, wie sie diese hilfsmittel am zweckmäszigsten daheim ausnutzen sollen, um dies am Nepos zu beleuchten, so meine ich , man müsse nicht allein die winke für die präparation in der classe besprechen, sondern auch die anleitung zum übersetzen er- läutern und womöglich an ähnlichen kurzen beispielen, die sich ja leicht bilden lassen, einüben, es ist dem lehrer ferner unbenommen, ja es ist sogar wünschenswert, dasz er unter den grammatisch- stilistischen regeln , die sich aus der lectüre ergeben und auf die im verlaufe der erklärungen verwiesen wird, diejenigen auswähle, auf deren einübung er besondem wert legt, sei es aus statistischen oder aus didaktischen gründen, manche regel kommt ja in Wirk- lichkeit so selten in der lectüre zum ausdruck, dasz sie in der praxis des lectürebetriebes zunächst wenig ins gewicht fällt.

Man äuszert femer sein befremden darüber, dasz die straffe methode, die ich handhabe, schüler wie lehrer zu fest am gängelbande führe, da bedenke man doch, dasz es sich zu- nächst um die einführung in die lectüre handelt, ist da nicht eine feste band nötig, um den schüler vor unpraktischem arbeiten und nutzloser trödelei zu behüten? wir haben keine zeit mehr für unnütze schritte, wenn wir das ziel erreichen wollen! für den schüler kann ich also in meiner anleitung schlechterdings keinen nachteil sehen, führung braucht er, denn er will eben erst gehen lernen; je sorgsamer wir seine ersten geh versuche überwachen, um 80 sicherer wird er später selbst auftreten, ins wasser musz , wer schwimmen lernen soll, aber man nimmt den künftigen freischwimmer erst an die angel und dann an die leine , ehe man ihn blosz mit den

68 F. FQguer: sa den Teubnenchen schülerausgaben.

äugen verfolgt, 'aber Sie hemmen auch denlehrerin seiner freien bewegung', sagt man mir. ich kann's nicht leugnen und setze eine gewisse selbstbescheidung bei dem lehrer voraus, der nach meinen ausgaben unterrichtet, aber ist das nicht bei allen lehrmitteln der fall, und ist das nicht auf der classenstufe noch sehr nötig und heil- sam I wo der Nepos gelesen wird? im Unterricht selbst bleibt dem lehrer auch bei der benutzung meiner ausgaben noch so viel zu thon, dasz er, sollte ich denken, froh sein kann, wenn ihm ein teil der Ver- antwortung mit der darbietung des Stoffes abgenommen wird, in der that ist das mir auch von collegen, die nach meinem Nepos unter- richten, gern zugestanden worden, sie sagen wohl mitGolling, der den Nepos in der Zeitschrift für die österreichischen gymnasien angezeigt hat, dasz sie sich eine solche leitung gern gefallen lieszen. dazu kommt die rücksicht auf die folgende classe, in der doch in der regel ein neuer lehrer unterrichtet, ist da ein lückenloser f o r t - schritt in den hauptsachen auch unter günstigen verhftltnissen wirklich annfthemd so gewährleistet, wie es bei der benutzung eines methodisch fortschreitenden lehrmittels der fall ist? schlieszlich sind wir lehrer doch der schüler wegen da und nicht umgekehrt! dafür, dasz die feste, führende band allmählich lockerer läszt bis hin zur nur gelegentlichen berührung, ist in der bearbeitung der später gelesenen schriftsteiler gesorgt, ich hoffe, dasz schon der Caesarcommentar dies an seinem teile beweist.

Will man von der apperception und analogie ernstlichen ge- brauch machen, um zusammenhängendes und fortschreitendes wissen zu erzielen, so geht es ohne Verweisungen auf analoge vorstellen und zusammenfassende sammelsteilen (regelcomplexe) nun einmal nicht ab. wenn dann ein meinem vorgehen nicht gewogener recen- sent, der den Nepos zweimal in verschiedenen blättern anzeigen zu müssen geglaubt hat, ohne noch dazu bei der zweiten auf die erste anzeige zu verweisen mein besonderer liebling Lagarde hat ein- mal öffentlich ausgesprochen , dasz er von einem recensenten , der zweimal das gleiche buch anzeige, niemals mehr eine recension lese! wenn, meine ich, ein recensent eine stelle, wo sich Verweisungen gerade häufen, heraussucht, um rhetorische fragen bilden zu können, so kann ich dafür nur ein achselzucken haben, erfabrungs- gemäsz , heiäzt es wohl irgendwo , schlagen die schüler solche Ver- weisungen doch nicht nach; ebenso erfabrungsgemäsz , betont ein anderer, machen solche bücher dem schüler keine freude; nicht weniger erfahrungsgemäsz , behaupte ich , ist der knabe von hause aus bequem, man mubz ihn eben zu seinem glücke zwingen; gern thut er erst dann etwas, wenn er den nutzen einer arbeit eingesehen hat , und dazu, meine ich, ist der lehrer da, ihm zu zeigen, wie man die Verweisungen es sind nur rückverweibungen! braucht und verwertet, vielleicht dämmert der mehrzahl dann doch nach und nach die einsieht auf, dasz diese art repetition (technisch die immanente genannt) die zweckmäszigste, kurzweiligste und das

F. Filgner: zu den TeubnerBchen BchfilerauBgaben. 69

Selbstgefühl am meisten stärkende ist, die es gibt, da sich bestimmte Verweisungen häufig wiederholen, wird ein nachschlagen all- mählich entbehrlich, und mancher an sich ti*äge schttler wird, um sich das nachschlagen zu sparen, an die stirn greifen und fragen : worauf kam's doch hier an? hat er aber diese frage erst einmal sich richtig beantwortet, so ist die betr. Verweisung für ihn ledig- lich ein wink , so kurz und scharf, wie es worte kaum sein können, z. b. kommt regel 19 im Nepos, welche den ersatz der futurischen conjunctive behandelt, recht häufig vor; bei fortgesetzten Ver- weisungen auf sie wird die sigle B. 19 fdr den schüler bald eine ebenso kurze wie deutliche anleitung für das Verständnis der be- treffenden stellen, oder regel 1 betrifft die Übersetzung lateinischer adjectiva durch deutsche präpositionale ausdrücke, wie pugna Mara- thonia. werden in der that viele Verweisungen auf regel 1 nach- geschlagen werden müssen, ehe der nur einigermaszen nachdenkende schüler weisz, was der wink B. 1 bedeutet? ich glaube nicht, und darum behaupte ich, dasz sich weder eine praktischere noch eine wirksamere art der belehrung denken läszt als die von mir streng durchgeführte citiermethode. man darf sich nur nicht durch einen blick in den commentar einschüchtern lassen , sondern musz in der praxis die sache mutig angreifen, da nach den lehrvorschriften im ersten halbjahre in der classe zu präparieren ist, schwindet die Schwierigkeit bald noch mehr, dann bitte ich aber anderseits den vorteil zu erwägen, der aus einer bestimmten klaren betonung derjenigen punkte entspringt, auf die es beim herübersetzen haupt- sächlich ankommt, ist in IV an der band des buches unter der führung des lehrers die bekanntschaft mit diesen Übersetzungsregeln gemacht, so wird die arbeit in III B um vieles leichter, weil die Ver- weisungen (die regeln sowohl wie die ziffem für sie) dieselben bleiben, die siglen besagen nämlich im Caesarcommentar dasselbe wie im Neposcommentar, nur scheiden eine anzahl aus , auf die ich Verweisungen nicht mehr für nOtig halte, und einige wenige neue mit neuen nummern kommen hinzu, die als bekannt vorausgesetzten regeln werden im anhang in klammern nur noch einmal in form von kurzen be weisstellen angeführt, um repetition (dvd|Livr]Cic) zu er- möglichen, also: auf den ersten blick mögen die Verweisungen wegen ihrer zahl etwas auffallen, aber in der präzis werden sie nicht nur guten segen stiften, sondern auch ihre schrecken bald verlieren, bei gegebener gelegenheit werde ich zwar die citate im Nepos- commentar hier und da schärfer zu formulieren haben, auch wohl wie es im Caesarcommentar durchgeführt ist die citate öfter ausdrucken, so dasz ein nachschlagen vielfach entbehrlich wird, aber verzichten auf die methode werde ich nicht, denn alle andern wege scheinen mir den erfolg weniger sicher zu verbürgen.

Andere beigaben, die zur Vervollständigung meines Systems nötig sind, haben nicht nur beifall, sondern zum teil auch schnell nachahmung gefunden, sie werden also beizubehalten sein, sowohl

70 F. Fügner: za den Teabnerachen schülerausgaben.

die Synonyma und phrasen als die sachlichen Zusammenstellungen, ob jeder Jahrgang von den letzteren die frucht ernten kann , die ich voraussetze , steht dahin , aber selbst dann , wenn es einmal an zeit zu ihrer Verwertung gebrechen sollte, was gewis bedauerlich wäre, selbst dann werden wenigstens die besseren schüler zeit finden, sich mit ihnen zu beschäftigen, der deutsche aufsatz sollte übrigens ab und zu von ihnen ausgehen , in den oberen classen auch die münd- lichen vortrage, wie man sich an der fülle des gebotenen ernst- lich stoszen kann, ist nicht leicht zu verstehen, man sollte doch meinen, dasz man sich der gaben freute und daraus eine auswahl zu treffen eilte, je nach der verfügbaren zeit, der vorhandenen Schülerkraft oder auch nach dem persönlichen geschmack. ja wenn noch fremde dinge an die lectüre herangebracht wären! davor habe ich mich aber ängstlich gehütet und meine kraft vielmehr daran gesetzt, auf die schätze, die in der classenlectüre liegen, hin- zuweisen und sie möglichst zu heben, dem lehrer bleibt hier gerade manches zu thun, hier hat er gelegenheit seine superiorität über dem lehrbuche zu beweisen.

Dasz ich es wünschen musz, die fruchte der lectüre auf syno- nymischem und phraseologischen wie auf grammatisch-stilistischem gebiete wirklich einzuheimsen, liegt auf der band, deshalb kann ich auch die meinung nicht unterschreiben, dasz dergleichen dinge nicht in die schriftstellererklärung gehörten, sondern im Übungs- buche ihren natürlichen platz hätten, wo man die dinge findet, da gehören sie auch hin, und das Übungsbuch wie die Übersetzungs- übungen und grammatischen belehrungen haben von diesen funden auszugehen, wenn sie den lehrplänen gemäsz der lectüre wirklich dienen wollen, damit habe ich nicht behauptet, dasz die gram- matik sich durchaus mit dem begnügen müste, was die jeweilige classenlectüre von beispielen an die band gibt, aber wenn irgend möglich, d. h. wenn es die Systematik einigermaszen zuläszt, sollte das doch der fall sein.

Dasz das Übungsbuch selbständig seinen weg gehen und sogar den gang der lectüre bestimmen möchte, ist durchaus nicht mehr zulässig, ich ezemplificiere dabei auf Holzweissigs Übungsbuch für HIB. die probelehrpläne schrieben bekanntlich bellum Gallicum I 30 ff. für III A vor, wahrscheinlich aus sprachlichen gründen, die doch auf schwachen füszen stehen, nach ihnen hat sich Holz- weissig gerichtet; er reiszt also das erste buch aus einander und zwingt den lectürebetrieb sich nach ihm zu richten, die verkehrte weit! die erklärung des Schriftstellers darf sich um solche aus- nahmen nicht kümmern und nimmt auf die anläge der Übungs- bücher keine rücksicht; denn der autor ist das prius, und die grammatische Unterweisung und Übung hat schlieszlich seinem Verständnisse zu dienen, sowenig hier auch der ort ist, auf die Übungsbücherfrage näher einzugehen, so dürfte doch die bemer- kung am platze sein, dasz die anlehnung der Übungsstücke an die

F. Fügner: sa den Teubnerschen schülerausgaben. 71

lectttre nie so eng sein sollte, dasz sie zur kttnstelei, zur zerfase- rung und verwässerung des autors oder gar zur bevormundung der lectüre ausartet, die lehrpläne scheinen mir unrichtig verstanden, wenn man glaubt, sie redeten solchen Verhältnissen zwischen lectüre und grammatik das wort, während sie doch nichts anderes fordern als anlehnung des Übungsbuches in grammatischer und lexikalischer hinsieht an den lectürestoff. was darüber hinausgeht, hemmt beide teile und schafft ein ungesundes Verhältnis^ wo der diener sich leicht zum herm aufschwingt.

Die hilfshefte zu Nepos und Caesar liefern dem grammatischen unterrichte das sprachliche rohmaterial; dieser soll es ver- werten; meinethalben umschmelzen und zur bekannten münze machen, damit es im wechsellaufe der lectüre wieder zu gute komme, eigentlich sollte man gar kein Übungsbuch zum übersetzen neben meinen hilfsheften nötig haben; freilich schüfe dies besondere anforderungen an die umsieht des lehrers und die aufmerksamkeit der schüler, aber ein idealer zustand wäre es trotzdem, höchstens etwa Übersetzungs- stoff für häusliche arbeiten könnte man sich gefallen lassen, weil man die zeit ungern miszt, welche das dictieren der exercitien erfordert, wie es heute liegt, machen sich die Übersetzungsbücher noch viel zu breit jedenfalls aber setzt meine lectüreerklärung den normalen zustand voraus, dasz der autor von vom nach hinten gelesen wird, auslassungen im Caesar (in buch 2 4 besonders) alterieren meinen commentar nur wenig, lassen sich sogar bei der Übersichtlichkeit des textdruckes und der anläge der sachlichen Zusammenstellungen leichter vornehmen als beim gebrauche der älteren hilfsmittel.

Wir kommen zum wichtigsten punkte, wie kann sich der schüler lexikalische Wohlhabenheit, um mit Roth fuchs zu reden, erwerben, ohne die eine gründliche und rasche lectüre un- möglich ist? dasz für IV ein gröszeres lexikon nicht in betracht kommen kann, gibt man so ziemlich allseitig zu. man hat deshalb specialwörterbUcher zu Nepos geschrieben , die stark benutzt sind, sie haben den nachteil, dasz sie den ganzen Nepos behandeln, der nur zum kleinen teile wirklich gelesen wird, und dasz sie not- gedrungen die einzelnen stellen angeben, wo das wort vorkommt, auch wohl gleich mit der passenden Übersetzung, die gegenwärtige Stimmung ist diesen speciallexicis nicht sonderlich hold, und nament- lich Roth fuchs hat sich entschieden gegen sie ausgesprochen, bei Caesar liegt die Sache ähnlich ; auch hier bieten die speciallexica zu viel , zumal sie zugleich den bürgerkrieg umfassen, statt ihrer ver- langt Rothfuchs vocabulare, nach den capiteln des autors ge- ordnet, womöglich nur mit angäbe der grundbedeutung, aber mit hinweisungen auf composita und derivata. soweit ich die litteratur kenne , ist solch ein vocabular zur zeit noch nicht vorhanden , ob- wohl Rothfuchs' appell wiederhall gefunden hat , denn die vocabu- lare sind heuer ä la mode. zu begreifen ist es leicht, wie man zur wähl solcher gedruckten präparationen gekommen ist; der

72 F. Ffigner: zu den Tenbnencben Bchäleraosgaben.

zeitmaDgel des schttlers und die irrtümer in den selbstgefertigten präparationen waren die wesentlichsten triebfedern. hat man aber wirklich mit den vocabnlaren ein heilmittel entdeckt? mir will es nicht so scheinen , nnd ich habe mich nach gründlicher erwägung des wichtigen punktes zur anfertigang von solchen gedruckten prä- parationen , die in das hilfsheft aufzunehmen wären, bis dato nicht entscblieszen können, aus folgenden gründen : solche vocabulare enthalten teils zu viel, teils zu wenig, zu wenig enthalten sie j wenn der Verfasser zu viel voraussetzt und nicht genügend mit den mancherlei übelständen rechnet, denen ein schüler mit oder ohne schuld ausgesetzt ist. wie soll er vorhandene lücken ergänzen? das vocabular läszt ihn im stich, musz er nicht zum groszen lezikon schreiten? hat er eins zur band? vor mir liegt z. b. die neueste p'ublication der art: 'präparationen zu Caesars gallischem krieg von dr. Wilh. Heraus, drei hefte. Berlin, Orote. 1894.' den herrn ver- &8ser schätze ich sehr hoch und bin mit ihm gut bekannt, so dasz ich weisz: was er schreibt, ist gediegen, so ist auch diese seine jüngste arbeit sorgfältig gemacht, und sie befriedigt mich dennoch nicht, was die copia anlangt, so vermisse ich gleich im ersten capitel in- colere, effeminare, importare, vergere. natürlich hat der verf. die kenntnis dieser vocabeln bei dem angehenden Untertertianer voraus- gesetzt, ob aber auch mit hinreichendem rechte? ich glaube, es ist kaum möglich, hier das richtige zu treffen, da eine feste norm nicht vorhanden ist. und flickereien sind doch hier nicht an- genehm, wo Schreibereien gerade vermieden werden sollen, ebenso liegt es mit dem gegensatze, dem zuviel, wie oft soll eine vocabel wiederholt werden und in welchen absätzen? wie steht's ferner, wenn auslassungen im texte vorgenommen werden müssen ? H. J. Müller hat in der präparation zu seinem quarta-übersetzungsstoffe z. b. tri- bunus militum 7 mal gegeben, nicht seltener sicher sind situs gelegen, incolumis unversehrt, postremo zuletzt u. a. wiederabgedruckt, bis- weilen liegen nur ein paar druckzeilen zwischen den einzelnen stellen, das scheint doch wohl zu genügen , oder ist es schon des guten zu viel? würde man es dem scbüler nicht mit recht verdenken, wenn er auf derselben Seite seines präparationsheftes etwa zweimal vix kaum oder legatus der unterfeldherr aufschriebe? und in der ge- druckten präparation sollte so etwas ganz in der Ordnung sein? kurz, man schwebt hier noch in der luft, was die copia verborum und ihre darbietung anbetrifft, bringen wir dazu noch die rein passive oder receptive rolle, die der schüler diesen vocabularen gegenüber spielt, in anschlag und vor allem den umstand, da^z diese brockenweise gelieferte zufuhr der lexikalischen kenntnisse keinen überblick über den stand der kenntnisse, keinen zu- sammenschlusz und damit keine rechte freude am capital aufkommen läszt, so können wir in den gedruckten präparationen eine befriedigende erwerbsart jenes 'schönen capitals', das Botbfuchs mit recht preist , unmöglich erkennen.

F. FügDer: zu den Teubnerschen schflleransgaben. 73

Nun liegt es aber so, dasz gerade Rothfachs sich die vocabulare wesentlich anders gewünscht hat, als die mir bekannt gewordenen aussehen, er verlangt nämlich vor allem die angäbe der grund- bedeatung und anfügung der derivata und composita, mit andern Worten eine starke heranziehung. der etjmologie. da- mit ist er ganz sicherlich auf dem richtigen wege, aber die versuche^ seinem ideale gerecht zu werden , sind wohl eben deshalb bisher ge- scheitert, weil sich die gedruckte prftparation mit dem etymologi- schen princip schwer und im günstigen falle nur zum teil in ein- klang setzen läszt. dort herscht Vereinzelung, hier Systematik, dort hilfe für den augenblick , hier dauernde Versicherung gegen lexika- lische bettelarmut. meint Bothfuchs aber, die etymologische Ver- tiefung des vocabulars habe der lehrer suo loco et facultate data hinzuzuthun, so musz ich gestehen, dasz mir weder das gelegent- liche an dem verfahren gefüllt noch die blosz mündliche Vermittlung, das äuge musz mithelfen und zwar auch daheim, das ist nur möglich , wenn dem schüler ein etymologisch geordnetes vocabular in die band gegeben wird , aus dem die stufen der ableitung auch sinnlich wahrnehmbar werden.

Mit fug und recht betont man jetzt die notwendigkeit des etymologisch geordneten vocabellernens. auszer Both- fuchs (und früher schon 0. Weise) hat darüber ein kräftiges wort gesprochen A. Waldeck in seinem jüngsten aufsatze (Zeitschrift für das gymnasialwesen 1895 s. 97 ftS. er weist darauf hin, dasz es gerade jetzt, wo die lectüre im voraergrunde steht, nur durch an- leitung des Schülers zu selbstthätiger Vermehrung des lexikalischen Wissens unter berücksicbtigung der etymologie möglich sei , 'ein so umfassendes Wissensmaterial festzuhalten, wie es zum lesen der Schrift- steller erforderlich ist' (a. a. o. s. 99). gewis hat Waldeck mit der for- derung recht, dasz eine solche anleitung von VI an vorzunehmen sei, aber da ich grund zu der befürchtung habe , dasz dies bisher nicht überall nachdrücklich genug geschehen sein dürfte, habe ich es zu- nächst noch nicht gewagt, zum Nepos ein etymologisch geordnetes vocabular im hilfsheft zu geben, ein solches wäre nach meiner meinung wohl am platze, wenn der schüler in VI und V geübt ist, auf die be- deutung der präpositionen und vor^ilben in der Zusammensetzung zu achten und die leichteren, gewöhnlichen ableitungen selbständig vor- zunehmen, es wäre um so eher brauchbar, als die copia verborum für meine ausgäbe weder den ganzen Nepos umfaszt noch Nepotianische Singularitäten enthält, sondern auf Caesars wertschätz hinarbeitet, nach alledem entschlosz ich mich, das Wörterbuch zwar alphabetisch zu ordnen, aber überall das etymon anzugeben , um den sinn für das etymologische princip zu stärken und dem Verständnis eines etymologischen Wörterbuches vorzuarbeiten, ein solches habe ich nunmehr fürs bellum Gallicum, von R. Schlee ausgehend, dem Caesarbilfshefte einverleibt, ich hofife, der schüler wird im stände sein, sich darin zurechtzufinden , und nehme gern an, dasz ihm der lehrer

74 F. FügDer: zu den Teubnerschen scbülerausgaben.

dabei insofern bebilflicb sein wird, als er ibn im gebraucb desselben unterweist und ihm da einen wink gibt, wo das Wörterbuch an die etymologischen kenntnisse und die Operationsfähigkeit des schülers auf diesem gebiete nach seiner meinung etwa zu hohe auforderungen stellt, deshalb darf ich auch wohl hoffen, dasz man nach einem blicke auf das Wörterbuch es nicht gleich für unbrauchbar hält, wenn einige Verweisungen auf abgelegenere etyma fehlen sollten, der lehrer kann sich ja diese fälle leicht merken und den schüler, wenn er ein neues capitel aufgibt, auf den richtigen weg weisen: ist doch die zeit, die man auf solche belehrungen verwendet, wahrlich nicht verschwendet! überdies wird ja im anfang des Schuljahres in der classe präpariert» wobei die nötige anleitung und schär fung des etymologischen Spürsinnes sicherlich keine untergeordnete rolle spielen wird, ich möchte also bitten, sich durch einige Uneben- heiten und Schwierigkeiten im anfang der lectüre nicht abschrecken zu lassen, denn der heilsame erfolg vergilt hernach die bemüh ungen reichlich, da wo neben dem hilfsheft der commentar benutzt wird, schwinden die bedenken so gut wie gänzlich , weil die selteneren Wörter erklärt werden, ferner möchte ich aber, wie B. Schlee, das vocabular nicht allein zum nachschlagen, sondern auch zum aus- wendiglernen verwendet sehen, wenn dann der lehrer beim ab- fragen der vocabeln die zugehörige sippe heranzieht, soweit es ibm rätlich erscheint, wird sich der überblick über den wortvorrat des gallischen krieges immer mehr erzielen lassen und die Vor- bereitung auf die lectüre in wirksamer und bleibender weise er- leichtert werden.

Die übrigen capitel des hilfsheftes zum Caesar bedürfen keiner weiteren beleuchtung. nur über die ersten ; autor, werk, land und leute sowie das kriegswesen behandelnden, erlaube ich mir die be- merkung aus dem vorwort zu wiederholen, dasz sie nicht lernstofiT, sondern lehrsto ff bieten wollen und für die häusliche lectüre des Schülers bestimmt sind, es wird geraten sein, dasz man ab und zu den schüler veranlaszt, über diesen oder jenen abschnitt zu referieren, wenn es der inhalt der classenlectüre gerade an die hand gibt.

Ostern d. j. wird auch die auswahl aus den Metamorphosen und der Anabasis in allen drei abteilungen vorliegen, abgesehen von den bildlichen zugaben, an denen unsere ausgaben alle andern leicht überragen, bietet das hilfsheft zu Ovid eine einführung in die poetische spräche und die mythologie, deren ausnut/.ung im unter« richte sicherlich für alle folgenden classen von gröster Wichtigkeit wird, es versteht sich von selbst, dasz diese Unterrichtsmittel in der hand des schülers bleiben sollen, da er sie auf den folgenden stufen immer wieder brauchen wird, und es erscheint wünschenswert, dasz der lehrer auf diese darbietungen fleiszig zurückgreife, dasselbe gilt von dem inbalte des hilft<heftes zur Anabasis, namentlich von dem abschnitte über das griechische kriegswesen.

Texte sind auszer den erwähnten bis zur zeit fertiggestellt von

A. Lichtenheld : die formale bildung. 75

Ciceros Catilinaridcben reden und der Pompeiana, von der Odyssee, Herodot und Thukydides. die auswählen aus den bistorikem sind reicblich getroffen, um der entscbeidung des lehrers nicbtzu sebr vorzugi'eifen. aber aucb im übrigen wird von den berren mitarbeitem so rüstig an dem werke geschafft, dasz uns das nächste Schuljahr ein tüchtiges stück vorwärts bringen wird, an der bereitwilligkeit, mit der sich vielbeschäftigte und mit den bedürfnissen unserer schulen wohlvertraute männer zur förderung der 'schülerausgaben' zusammengethan haben, erkenne ich mit dankbarer freude, dasz man für den Unterricht in den altclassischen sprachen von ihnen heilsames erhofft, dasz im besondem an meinen arbeiten noch manches im einzelnen ausgefeilt werden musz, weisz ich selbst am besten, und ich werde nicht nachlassen , an meinem teile zu thun , was möglich ist. gebe gott, dasz wir im nächsten jähre mit derselben schönen gewisheit, unsere kraft an eine sache verwendet zu haben, die des schweiszes wert ist, von neuem zu unsem freunden über den ver* lauf des Unternehmens sprechen und gleichen dank für zahlreiche aufmunternde worte und gute ratschlage sagen können , wie wir es hiermit für die freundlich keit thun , die uns so vielfältig bisher zu teil geworden ist.

Verden. F. Füonbr.

8. DIE FORMALE BILDUNG.

eine inhaltsbestimmung.

Zur einführung.

Während der begriff der bildung schon wiederholt seine zu- sammenfassende sonder bearbeitung gefunden bat ich nenne nur Lazarus im 'leben der seele' und A. Hauber in K. A. Schmids encyclo- pädie des gesamten erziehungs- und unterrichtswesens ist der ihm verwandte (nicht untergeordnete) der formalen bildung noch nicht so glücklich gewesen, denn was es an dergleichen gibt, wie z. b. bei demselben Hauber in einer anmerkung, kann als nur erst dem Sammelstadium angehörig betrachtet werden, wo er verwendet wird, wird er nach seinem inhalt und umfang als bekannt voraus- gesetzt, und doch gilt für ihn noch so ziemlich jenes Goethesche :

denn eben wo begriffe fehlen,

da stellt ein wort zur rechten zeit sich ein,

nicht allerdings in dem sinne des bobnes auf den gelehrten dunkel, der die lücken seines wissens mit werten und phrasen, die um so tiefsinniger klingen, je tiefer die leere ist; zu verdecken sich bemüht, sondern in einem solchen, dasz ihm jede verletzende spitze fehlt, zahlreich sind die geheimnisse, die uns noch rings umgeben, und

76 A. lacbtenheld : die formale bildung.

manche, wie die tranBcendenten , werden auch immer geheimnisse bleiben, und doch haben sie in einem worte ihren namen. so ist dieses der beweis, dasz die lücke erkannt ist; es ist die bezeichniing eines zieles, auf das das forschen sich zu richten hat, ein vorläufiger notbehelf , dasz ein Sammelpunkt gegeben werde , wo sich nach und nach die zugehörigen erscheinungen und erfahrungen vereinen, bis die zeit gekommen ist, dasz die ungeordnete masse sich zu einer erkenntnia kristallisiere, so lernt das kind sprechen und so die mensohheit.

Allerdings lag fQr unsem begriff die sache insofern besonders ungünstig, ungünstiger als für den der bildung, als er einerseits nicht wie jener ein so viel gebrauchter vulgärbegriff ist, der täglich das verlangen reizt, ihn sicherer zu fassen, sondern schon viel mehr in den bereich der psychologie oder besser in den der vulgär Psycho- logie der Pädagogik gehört, und er anderseits doch wieder der strengen psychologie als eine sache erscheint, bei der die gefahr, in regionen zu geraten, wo sich die ergebnisse der Untersuchungen leicht wie gemeinplätze des dilettantismus ausnehmen, sehr nahe liegt, so dasz sie ihn darum gern denen überläszt, die von anderer Seite in das ganze gebiet eindringen, nämlich den ästhetikem^ Psychiatern, Sprachforschern und besonders den pädagogen. und diese sind es ja auch , die den terminus geschaffen haben.

Verfolgt man nun bei ihnen, d. h. bei allen, die unterrichten und über Unterrichts fragen geschrieben haben, nicht zum mindesten in den verschiedenen Organisationsentwürfen für höhere schulen*, welcher gebrauch von dem terminus gemacht wurde, so stöszt man auf solche dunkelheiten und Widersprüche, dasz man mitunter zu dem urteil kommen könnte, seine erfindung sei eine sehr unglück- liehe und darum überflüssige gewesen, und doch ist dem nicht so. er verdankt seinen Ursprung wirklich dem verlangen oder geradezu dem bedürfnis einer Zusammenfassung gewisser erscheinungen des entwickelten geibteslebens , die denn auch dem unterriebt gewisse ziele setzen.

Die beste rechtfertigung, dasz diese Untersuchung nicht gsjit überflüssig ist, würde sich nun allerdings daraus ergeben, wenn wir uns in das gewoge der vor mir liegenden langen reihe von hierher gehörenden aussprüchen stürzen und jene Widersprüche und dunkel- heiten aufdecken würden: dies würde jedoch einerseits viel räum und zeit erfordern und könnte anderseits nur so geschehen, dasz wir die ergebnisse der folgenden arbeit vorweg in die kritik hinein- verarbeiteten, und das widerstreitet dem plan, den ich mir gemacht

* für den österreichischen Organisationsentwurf und die zugehörigen instructioncn hat mein verehrter director J. Loos in einem auch ge- druckten Vortrag: ^material und formal, die didaktischen leitbegriffe der neuen Instructionen für gjmnasien und realschulen' (Prag 1886) sich der dankenswerten und mir sehr willkommenen mühe unterzogen die betreffenden stellen sowie diejenigen, bei denen er annehmen mäste, dasz den antoren dabei so etwas wie formale bildung vorschwebte, sq- sammenzustellen.

A. Licbtcnheld : die formale bildnng. 77

habe, icb begnüge mich also mit einer allgemein gebaltenen über* siebt über den sprachgebraucb und dies auch nur zu dem zweck, um wenigstens einigermaszen das gebiet abzustecken , auf dem das ge- bäude sich erheben kann.

Die entstehung unseres begriffes hat ihren Ursprung in einer reihe von thatsachen und Wahrnehmungen, aus denen sich ergibt, dasz selbst groszes wissen durchaus nicht immer verbunden ist mit einer raschen und sicheren beherschung desselben und dasz sein besitzer durchaus nicht immer beföhigt ist zu einer Verwertung desselben zur gewinnung von höheren und umfassenden erkenntnissen, zu denen der weg qrst durch eine gründliche Verarbeitung des Stoffes und viele acte logischer Operationen jeder art führt, wie ein toter schätz liegt in solchen fällen das wissen in zahlreichen stücken zwar nicht ganz vereinzelt, aber doch nur in kleinen verbänden in seinem Speicher aufgehäuft, und wenn der ruf an teile desselben ergeht, zur weiteren bereicherung mitzuwirken, so vernehmen sie denselben nicht, so ist man dazu gekommen, dem wissen das denken im sinne besonders logischer gewandtheit gegenüberzustellen, und ist weiter, wieder auf Wahrnehmungen gestützt, zu der Überzeugung gelangt, auch in diesem , dem denken , lasse sich durch entsprechende anleitung und Übung gerade so gut eine förderung erzielen wie in der ansammlung bloszen wissens. dasz jene auch der festigung dieses zu statten kommt, dessen sei nur nebenbei gedacht, so unendlich wichtig auch die Sache ist. auch für jene beste anleitung und Übung hat sich ein sehr beliebter terminus in der gymnastik des geistes ein- gestellt, und es ist darunter also verstanden die allseitige durch- arbeitung des lemstoffes an vielen und vielerlei aufgaben, die die elemente desselben Stoffes in möglichst vielfache berührungen mit einander bringen, aber auch diese mit denen anderer Stoffe, nicht zuletzt mit den erscheinungen und erfahrungen des gewöhnlichen lebens, vermittelt besonders noch durch ein reiches frage- und ant- wortbpiel, dem als vorbild die Sokratische methode dient.

Dieser letztere umstand ist aber zugleich beweis, seit wie lange schon, wenn es dem Sokrates mit seiner dialektik auch um ganz andere dinge zu thun war, thatsächlich das unterrichten jene gymna- stik geübt hat. wenn sich die pädagogik der letzten anderthalb Jahr- hunderte ein verdienst hierin beimessen kann, so ist es nur das, dasz sie die bedeutung jenes Verfahrens auch mit für die formale aus- bildung erkannte und dasz sie es mit bewustsein, methodisch und in gröszerer ausdehnung übte, existiert hat es aber stets , und das aus dem einfachen gründe, weil es da, wo nicht Selbstunterricht vor- liegt, sondern ein lebhafter lehrer ihn leitet, sich von selbst einstellt.

Auf jenen oben besprochenen gegensatz geht es also, wenn wir auf der einen Seite von totem wissen, auf der andern von ge- wandtheit, Scharfsinn, richtigem urteil, rascher auffassung, schlag- fertigkeit , anstelligkeit, von kraftbildung des geistes, von selbstän- digem, geistbildendem arbeiten und wie die ausdrücke und Wendungen

78 A. Lichtenheld : die formale bildung.

alle heiszen, reden hören, nicht zuletzt endlich von dem können, das dieses alles gleichsam zusammenfassend jenem toten wissen gegenübergestellt wird, dieser letztere ausdruck aber scheint nicht besonders glOcklich gewählt zu sein, ein können, eine fertigkeit im ausgesprochensten sinne ist z. b. die flieszende beherschung einer fremden spräche, und wenn etwas ohne jenes denken erworben wer- den musz, dann ist es eine solche suada. in den bereich des bis- herigen gehören also alle solche fertigkeiten nicht, auch wenn sie in noch so bestimmten ^formen' ablaufen.

Wenn es sich bei der formalen bildung nun um weiter nichts handeln würde, als um diesen gegensatz und die erscheinungen, die er umfaszt, und wenn es gelingen würde, über das Verhältnis der- selben überall zu einer entscheidung zu kommen , so dürfte schon das als ein gewinn betrachtet werden, sind doch der Schwierig- keiten und strittigen fragen nicht wenige, die da begegnen, vor allem die, ob diese zu erwerbende formale bildung, auf welchen Standpunkt sich Schmeding in seiner gegen das classische Sprach- studium gerichteten tendenzschrift *zur frage der formalen bildung* (Duisburg 1882) stellt, durchaus nur an der materie, an der sie durch jene 'gjmnastik' erzielt wird , hafte und ob sie also für jede andere durchaus neu erworben werden müsse, oder ob und bis zu welchem grade das an einem bestimmten stoff erworbene können auch andern zu gute komme, je nach dem Standpunkt, den man in einer andern frage einnimmt, scheint die entscheidung hier sehr leicht oder sehr schwer zu treffen, nimmt man nämlich an, dasz das, was an formaler bildung durch das Sprachstudium, durch die mathematik, durch die lectüre deutscher classiker u. a. erreicht werde, alles dasselbe sei, dann ist es gar nicht anders möglich, als dasz der an dem einen dieser gegenstände erzielte gewinn auch bei den andern sich bewähren müsse, gesteht man aber jenes nicht zu, dann erhebt sich erst die neue frage , worin denn die unterschiede bestehen , und nach ihrer beantwortung wäre zu suchen.

Weiter aber hätte man auch zu untersuchen, nicht nur, wie sich die oben genannten ergebnisse, die als gewandtheit, Scharfsinn usw. bezeichnet wurden, zu einander verhalten, sondern auch, ob sie über- haupt alle so kurzweg als formale fertigkeiten bezeichnet werden können, ob man z. b. nicht geläuiigkeit logischer formen mit ge- wissen qualitäten der Vorstellungen, besonders der reizbarkeit| verwechselt, und so noch manches.

Aber unsere formale bildung umfaszt doch noch mehr, wir fuszen noch auf dem Sprachgebrauch , und wenn wir diesem auch nicht die berechtigung zugestehen, uns allein die directive zu erteilen, so hat er sich doch zahllose male auch in speculativen dingen als ein pfad- finder bewährt, allerdings in dem sinne jenes Sprüchleins:

was kein verstand der verständigen sieht, das übet in einfalt ein kindlich gemüt,

und wir zollen ihm darum die gebührende beachtung.

A. Licbtenheld: die formale bildung. 79

Hier gibt uns einen fingerzeig der terminus selbst, er umfaszt zwei bestandteile. auf den ersten blick könnte es scbeinen, als sei die formale bildung nur eine ab- oder unterart der bildung über- haupt, so dasz sie mit einander stiegen und sänken, dies ist aber^ so reich die Wechselbeziehungen auch sind , nicht der fall ; das Ver- hältnis hier festzustellen , unterlassen wir jedoch, da es sich aus der ganzen arbeit von selbst ergeben wird, wir fassen hier nur das eine moment ins äuge, dasz in der Verbindung mit formal die ^bildung*' darauf hinweist, dasz das können, welches es nun sei, im sinne eines guten, geläufigen könnens zu nehmen sei, und dasz es eine gewisse höhe erreicht haben musz, wenn die bezeichnung dafür gelten soll.

Betrachten wir nun aber das epitheton formal, so wird dasselbe, so glücklich es auch gewählt zu sein scheint, doch anderseits leicht eine quelle der Verwirrung, das hauptwort form nämlich, von dem es gebildet ist, ist ein homonym und zwar ein mehrdeutiges, was heiszt nicht alles form ! vor allem wird es auch gebraucht für gestalt, und gerade diese Verwendung kann hier nicht, oder doch nur cum grano salis in betracht kommen, da wir es ja nicht mit einer substantiellen materie zu thun haben, unsere materie, die lernstoffe, haben ihr leben nur in der bewegung und können, als angeeignete, ihre ezistenz nur durch bewegungsacte kund geben, auf die bewegung bezieht sich also hier form, und suchen wir nun nach einer deutung für das wort, so sagen wir: was die gestalt für die substantielle materie ist, das ist die form für die bewegung, nämlich die art und weise, zu werden, sich zu vollziehen und in die erscheinung zu treten, an beiden^ an gestalt und form, haftet so die manigfaltigkeit und der Wechsel, sie sind das wirkliche leben, sie erleiden also auch Umbildungen, haben ihre Spielarten und sind, was nun die hauptsache ist, wenn bestimmte zwecke und ziele ins äuge gefaszt werden, der Vervollkommnung fähig, und auf diese weist für unsere form eben der träger bildung hin.

Aus diesem allein durch blosze deduction uns nun in unseren gegenständ hinein zu folgern , würde uns aber doch nur in die irre führen, dahin nämlich, dasz alle fertigkeiten als der formalen bil- dung zugehörig gelten müsten, darunter auch wieder jene fremd- sprachige suada, die, wie wir sehen werden, dies nur dann erreicht, wenn sie vollständig an die stelle der muttersprache getreten ist. aber um der bessern abgrenzung willen war jene feststellung doch notwendig , und wir werden ab und zu von ihr gebrauch machen. 80 müssen wir sie gleich hier im äuge behalten, wenn wir jiun glauben, auch jenem Sprachgebrauch beachtung schenken zu müssen, nach dem, wie der substantiellen materie die gestalt gegenüber- steht, so bei schriftlichen darstellungen oder reden dem in halt gegenüber alles, was nicht zu diesem gehört, als form zu- sammengefaszt wird, dazu gehört aber gar vielerlei: der aufbau, die logische weiterführung oder die causale Verknüpfung der ge-

80 A. Lichtenheld : die formale bildung.

danken (d. h. des Inhalts), der grad der sprachlichen Vollendung mit dem vielen wieder, was zu ihr gehört, femer die Vortragsweise, die Orthographie, die interpunction und selbst die schrift. dem- gemäsz hören wir denn auch urteile, wie die, dasz eine rede oder arbeit sowohl nach inhalt wie form ein meisterwerk sei, aber auch, dasz sie inhaltlich zwar schwach und trivial, aber formvollendet, dasz jemand zwar ein oberflächlicher Schwätzer, aber doch ein ge- Svandter redner sei, dasz er wenigstens die form behersche u. dergl. damit wird also beides, inhalt und form, nicht nur in einen scharfen gegensatz gebracht, sondern auch wie selbstverätändlich anerkannt, dasz, in weitem abstand sogar, jedes seiner besondern ausbildung fähig sei. aber welche von den genannten dingen sind es denn nun, die als hierher gehörig genommen werden dürfen, und welches ist bei der auswahl das entscheidende kriterium? denn dasz z. b. die Orthographie nicht auf jenen bloszen Sprachgebrauch hin sich das recht dazu erwirkt, das gebt daraus hervor, dasz dann jedes noch so mechanisch erworbene können, jede fertigkeit ein gleiches beanspruchen dürfte, der weg, auf dem man zur beher- schung der Orthographie gelangt, ist ja zum weitaus grösten teil der der rein mechanisch - gedächtnismäszigen einprägung der schreib- gestalten, und wie steht es mit der sprachlichen Vollendung?

Wir brechen hier ab ; denn weder fragen zu lösen , noch auch nur alle zu stellen, ist die aufgäbe dieser einführung, sondern wie gesagt nur durch beachtung des Sprachgebrauchs, vorbehaltlich folgender sichtung, einigermaszen das material zusammenzubäufen.

Folgendes ist aber, meine ich, doch klar erdichtlicb. es steht mit unserer formalen bildung gerade so wie mit der bildung. die versuche, diese zu zerlegen und so zu einer festen inhaltsbestimmung zu gelangen, sind so umfangreich ausgefallen, dasz das streiten um die berechtigung seiner an Wendung in bestimmten fällen dadurch nicht im geringsten eingeschränkt worden ist. und dies aus dem gründe, weil zur bildung so vielerlei gehört, dasz, wer den von einer Seite gestellten ansprüchen genügt, doch daneben mängel aufweisen kann, auf die hin ihm von der andern das prädicat ^gebildet' be- stritten wird, von der Unbildung zur bildung, die nicht gegensätze, sondern nur gradbezeichnungen sind , führen nicht nur viele stufen, sondern auch der leitern sind nicht wenige, auf vielen und sehr verschiedenen gebieten , die in ihrer gesamtheit unsem culturreich- tum ausmachen, musz man sich umgesehen und er Werbungen [ge- macht haben, um in den bereich der gebildeten eingang zu ge- winnen, darum ist der ausdruck auch so vielsagend, dasz er schlechthin gesetzt doch so viel wie nichts sagt, weil nichts be- stimmtes, und das alles gilt nun auch für unsere formale bildung. soll der terminus also einen festen inhalt bekommen, dann wird wohl das sicherste sein, auch mit diesem eine Zerlegung vorzu- nehmen und zu versuchen, ob sich die eine allgemeine formale bil- dung nicht auflösen läszt in besondere arten derselben.

A. Lichtenheld : die formale bildung. 81

Dies wollen wir denn nun auch tbun, und zwar schlagen wir jetzt das entgegengesetzte verfahren ein, indem wir sofort das er- gebnis voranstellen , womit wir uns jedoch durchaus nicht der Ver- pflichtung, zu begi'Ünden, warum wir die bezeicbnung formal gerade auf die zu nennenden arten einschränken oder ausdehnen, entziehen wollen, die aufgäbe wird aber so um so kürzer und rascher erledigt, dieses ergebnis nun ist, dasz eine dreifache formale bildung zu unter- scheiden ist, nämlich

1) eine logisch-formale,

2) eine sprachlich-formale,

3) eine ästhetisch-formale.

Es sind nicht nur allbekannte dinge, von denen wir ausgehen müssen, sondern ich musz mich auch zum teil wiederholen, über denselben gegenständ habe ich früher einmal gesprochen, und sogar ziemlich ausführlich, wenn auch nicht über alle drei arten; näm- lich auf den seilen 126 152 meines buches: ^das Studium der spracjien und die intellectuelle bildung' (Wien 1882). es handelte sich dort jedoch mehr um die bedeutung gewisser sprach- licher erscheinungen für das wesen und die entwicklung des logi- schen denkens , und wenn dieses moment auch hier nicht auszer be- tracht bleibt, so liegt es doch ziemlich zur seite.

Die logisch -formale bildung.

Was für den körper das atmen, der blutumlauf, der innere er- nährungsprocess , kurzum alle animalischen bewegungen sind, die sich ohne absieht und zum teil ohne dasz sie zum be wustsein kommen, vollziehen, das ist für die seele die blosze bethätigung der bewust- heit durch fühlen ; empfinden, percipieren und das auftauchen iso- lierter Vorstellungen, also das denken im weitesten und niedersten, primitivsten sinne des Wortes, jene bewegungen sowohl wie diese sind blosze bethätigungen des dualistischen lebens, ohne welche dieses leben überhaupt nicht wäre, denn ohne bewegung ist kein leben , auch kein geistiges, darum kann das bewustsein z. b. selbst im schlafe nicht leer sein, auch jenes primitive denken hat seine form, aber eine solche, die man der formlosigkeit chaotischer massen vergleichen könnte , ein bloszes nacheinander , und ist darum ohne intellectuellen wert, dies ändert sich aber sehr bald, mit den klein- sten Verbindungen beginnend, wann, ist für uns belanglos, entstehen organisierte gebilde , die sich dann in wachsender fülle mehren, und deren wesen im Zusammenhang besteht, denn wie die erscheinungen auszerhalb in endlosen beziehungen zu einander stehen, so wer- den, diesen im anfang allerdings seltener entsprechend und erst ganz allmählich aus zusammengeratenen zusammenhängende werdend (Lotze) , solche auch unter den durch die sinne und erfahrung ver- mittelten aufnahmen, die man als materielle, um ein wort dafür zu haben, den beziehungen gegenüberstellen kann, gestiftet.

N. j%hrb. f. phil. a. pfid. II. abt. 1896 hO. 2. 6

82 A.Lichtenheld: die formale bildung.

So gehören also zwei dinge zam denken: ein stoff, die Vor- stellungen, vom einfachsten Inhalt und geringsten umfang bis hinauf zu jenen begriffen, die umfangreiche erkenntnisse in so verdichteter gesialt, dasz sie als einheiten ihren teil am denken haben, in sich bergen, und zweitens die beziehungen, in welche diese zum teil selbst wieder von beziehungen erfüllten gebilde zu einander treten. und darin , dasz auf diese weise Verbindungen zwischen jenen her- gestellt werden, liegt das formen der denkmaterie zu logischen denkreihen, deren exacteste form schlieszlich der gesprochene satz ist.

Die beziehungen sind aber äuszerst zahlreich und manigfaltig* man halte umschau und beobachte , in wie endlos verschiedenen die erscheinungen , die dinge und Vorgänge der weit und dazu die des geistes zu einander stehen, diese alle zu erfassen und für sie er- kenntnisäquivalente zu schaffen, ja vermittels dieser beziehungen über das gebiet der individuellen und allgemein menschlichen er- fahrung hinauszudringen, ist die freilich immer nur zum kleinen teil und auch in bezug auf wahrheit nur mangelhaft erfüllte aufgäbe des menschlichen strebens. längst hat man es unternommen , jene be- ziehungen auszulösen und nach ihrer gleichartigkeit zu sondern, um einen überblick zu gewinnen , und so ist man zu jenen unter sehr verschiedenen namen gehenden tafeln gelangt, in denen Überein- stimmung natürlich schwer zu finden und zu verlangen ist. einzelne gruppen ergeben sich von selbst: die der räumlichen und zeitlichen beziehungen, inhärenz und adhärenz, über- und Unterordnung, gleich- heit und Verschiedenheit, ausschlieszung und gegensatz, die der causalen in Ursache und Wirkung, grund und folge usw. aber wenn man die probe macht und sätze darauf hin analysiert, um alle unter den gliedern sich findenden beziehungen irgendwo einzureihen, dann kommt man gerade so dazu , immer neue beziehungskategorien an- zusetzen; wie es etwa dem geht, der für die grammatik alle arten der genetive, die auch beziehungen ausdrücken, aufzählen will (Sprachstudium s. 257).

Doch nicht um solche schematisierungen handelt es sich hier, die ja nur abstractionen sind, und noch weniger darum, hier etwa auch eine solche tafel zu geben, sondern um das wirkliche leben im concreten denken, wie jeder durch sein material bestimmter denk- act es mit sich bringt, in der auszenwelt haben sie also für sich keinen bestand , sie sind keine erscheinungen für sich, durch die sinne etwa direct wahrnehmbar , sondern sie sind relativ, sie walten ob zwischen dingen, zuständen, eigenscbaften und Vorgängen in jeder Verbindung, da sie also keine objecte directer Wahrnehmung sind^ so werden sie auch nicht durch acte primärer perception übermittelt, sondern zu ihrer erfassung ist immer ein besonderer geiätesvorgang erforderlich , zu dessen Vollziehung die seele von natur aus mit den erforderlichen befähignngen oder kräften ausgestattet ist, wie ja auch zur perception, und die durch die reizungen der Wahrnehmung sich zu bethätigen veranlaszt oder gezwungen werden, wie die seele

A. Lichtenheld : die formale bildung. 83

zu diesen krftften gelangt ist, ob bei irgend einer scböpfung, ob durch anpassung und Vererbung, etwa zugleich mit der ausbildung der Sinnesorgane, kann uns wieder gleichgültig sein, genug, sie sind da und machen sich geltend, im anfang ungewollt and nur wenigen reizen folgend, dann häufiger und vom willen in thätig- keit gesetzt, wenn sich das denken auf bestimmte ziele richtet, und in beiderlei weise die erkenntnisse mehrend, sei's wahre, sei's falsche, sei's dauernd festgehaltene, sei's von selbst oder mit absieht um wirk- lich oder vermeintlich richtigerer willen wieder aufzugebende, wir betonen das, weil, wie wir noch sehen werden, der inrtum für uns bedeatung hat.

In hohem masze ungleich verföhrt dabei die spräche überhaupt sowie die verschiedenen sprachen und in ihnen wieder die sprechen- den individuen in der lautlichen bezeichnung der beziehungen, sei's durch eigne Wörter, sei's durch flezionsendungen oder Wortstellung, oder auch gar nicht, darauf ist also kein verlasz , wenn man ihnen nachgeht, sondern die Vorstellungen sind selbst klar ins bewustsein zu heben, um auch jene zu erkennen, oft auch, um bei mehrdeutig- keit das wahre Verhältnis zu erfassen, z. b. ob *da' causal oder tem- poral , ob der genetivus absolutus dasselbe oder concessiv oder in- strumental ist u. dgl.

Ausgebreitet vor dem geiste liegt also die weit mit ihrem unendlichen inhalt an ruhenden und bewegten objecten, und seine aufgäbe ist es nun, diese zu erfassen, ihre beziehungen aller art zu erkennen und zu setzen, so mehrgUedrige gebilde, die ganz sein eigentum sind , zu schaffen , welche zu einheiten verdichtet wieder ihre neuen beziehungen haben und so fort, dasz aus alle dem ein wohlgefügtes abbild der weit im kleinen in ihm hergestellt wird, könnte diese erwerbung in einem einzigen gewaltigen aufnahms- und denkacte geschehen, dann wäre die möglichkeit wohl da, dasz die weit in uns, der mikrokosmus, ein getreues ab- und Spiegelbild des makrokosmus würde, aber so vollzieht sich die sache ja nicht, der eine act ist aufgelöst in zahllose kleine, deren jeder einzelne von atomistischer unbedeutendheit ist, und die erst durch ihre gesamt- wirkung, als ein bruchteil des erkennbaren, ein gebilde schafifen, das in seiner structur, die man oft genug einem netze verglichen hat, aber einem netze, das sich nicht in einer fläche ausbreitet, son- dern in dem die die knoten verbindenden föden, d.h. die beziehungen, sich nach allen richtungen hin erstrecken , der Wirklichkeit nur sehr mangelhaft entspricht, denn was aufnähme findet und welche ge- bilde hergestellt werden, das hängt vom zufall in allen seinen ge- stalten ab , von den zufallen der äuszeren erfahrung , was sich näm- lich den sinnen darbietet, von den zufallen der energie des subjects in den einzelnen arbeitsacten, von deraufmerksamkeit, dem Interesse, den äuszeren hilfen, unter denen der Unterricht die hervorragendste stelle einnimmt, vom treffen des richtigen Zeitpunktes, nicht zu min- destens endlich vom zufall der begabung.

84 A. Lichtenbeld: die formale bildung.

Die logisch-formale bildung hat nun ihre statte in diesen beziehungen, in dem reichtum und der richtigkeit der- selben, sowie in dem leben der kräfte, aus denen sie entspringt, und der gelKufigkeiten, die durch diese geschaffen werden, bei der frage, welches denn nun ihr psychisches leben sei , stöszt man aber sehr bald auf die andere, wie sie erworben wird, und erkennt, dasz sie gleichbedeutend sind, und so wird sie denn auch sehr leicht zu einer frage der pädagogik. die beziehungen haben nämlich das mit den materiellen erwerbungen gemein, dasz sie, wenn einmal erkannt und hergestellt, so gut ein eigentum des geistes bleiben wie jene auch, und dasz die erworbenen nicht nur zur gewinnung weiterer erkennt- nisse mitwirken, sondern dazu geradezu unentbehrlich sind, eine ver- wickelte schluszoperation gelingt nur dann, wenn der geist, von den einfachsten fällen ausgehend, immer schwierigere vorzunehmen in die läge kommt, bis er bei jener anlangt, denn Sprünge gibt es hier so wenig wie irgendwo sonst im gebiete des geschehens. so stecken denn in allen erkenntnisgebilden , von den einfachsten begriffen an bis hinauf zu den umfassendsten gruppen, auch alle die denkacte, durch die sie zu organischen ganzen geschaffen wurden und die sie zusammenhalten , und je energischer , bewuster und vorsichtiger sie vollzogen wurden, um so gröszer ist ihr intellectueller wert, und um so eher sind sie zu neuer arbeit da und verwendbar, natürlich nicht immer mit derselben hellen bewustheit, aber darum nicht minder kräftig, auszer wo ein bedenken kommt und eine frühere erkenntnis richtig gestellt werden zu müssen scheint, sonst teilen sie das loos der Verdichtung aller associationen , zu denen sich die früheren er- werbungen zusammenscblieszen, die also nicht blosz aus materiellen bestandteilen bestehen ^ sondern in denen auch die beziehungen ein- gereiht sind, die die bildung der betreffenden reihen herbeiführten, dies erkennt man neben vielem andern aus jener nicht übersehbaren menge solcher erkenntnisse, wie sie z. b. beim sprechen als mehrere glicder umfassende Satzteile und ganze formelhaft feststehende sätze in die auszenwelt treten , und mit deren hilfe allein ein rasches und noch mehr ein sogenanntes gedankenloses und doch wohlgefügtes sprechen möglich ist. viele von diesen sind allerdings mechanisch gelernt, wie man dergleichen auch in gewissen fremdsprachlichen Phraseologien findet, die meisten aber sind ergebnisse eigner com- bination und durch denkacte gewonnen.

Der weg, um zu einem reichen besitzstand hergestellter und geläufiger beziehungen unter den elementen zu gelangen, und das ist nun bei weitem das haupterfordeniis logisch- formaler bildung, ist damit nun auch deutlich gegeben, es ist derselbe, der dahin führt, dasz auch die materiellen bestandteile des wissens sowohl im geiste gefestigt als auch leicht reproduciert werden, lateinische vocabeln, rein auf mechanischem wege gelernt, panis brot, panis brot usw. entschwinden bald wieder dem gedächtnis, und wenn einzelne doch haften bleiben, so ist das durchweg dem um-

A. Lichtenheld : die formale bildung. 85

stände zu verdanken, dasz sich irgendwelche gedächtnishilfen an sie anküpfen. ihr bestand im geiste wird erst dadurch gesichert , dasz sie vermittels der einübung durch beispiele in zahlreiche associations- reiben verflochten werden und so^ nach dem bekannten bilde, in dem netzwerk der beziehungen fest hängen, und das gilt nun nicht nur für alles materielle wissen , sondern umgekehrt werden auch dessen so gefestigten bestandteile wieder die stützen für die an sie ge- knüpften beziehungen. im allgemeinen steigt ja auch das materielle wissen mit der logischen beherschung desselben und geht gelehr- samkeit mit der logischen (und einigermaszen auch der sprachlichen) gewandtheit, ja selbst mit Scharfsinn in den betreffenden fächern band in band.

Bei der frage nach der bewährtesten methode, jene zwiefache ausbildung gleichzeitig zu erzielen, kommen wir nun auf jene gymnastik des geistes, die dafür die kürzeste antwort ist. denn ihr wesen besteht ja darin, dasz alles, was gelernt werden soll , durch eine wohlberechnete und zur möglichst hohen bewust- heit gesteigerte Verarbeitung zugeführt wird, dasz alle bestand- teile der materie durch zahlreiche Übungen, schriftliche und münd- liche, sowie discussionen in vielfache associationen gebracht und so von immer neuen selten betrachtet werden, so dasz jedes dement mittelpunkt eines netzes der beschriebenen art wird, dies ist die quintessenz aller intellectuellen pädagogik. auf diese weise wird aber auch jene haupteigenschaft alles geistigen besitzstandes ge- schaffen , ohne die auch der reichste nur einen geringen wert hätte, wenn er überhaupt ohne sie erworben werden könnte, nämlich reiz- barkeit, das ist die bereitschaft sowohl der formalen wie der mate- riellen bestandteile, jedem, auch leisem rufe zur weiteren mitarbeit, wenn die geisteserlebnisse die gelegenheiten bringen und es fordern, zu folgen, der ort, diese geistesgjmnastik zu üben, ist aber durch- aus nicht allein die schule, so wenig wie sie allein alles wissen über- mittelt, gleichberechtigt in ihrem wirken nach beiden richtungen stehen schule und leben neben einander, wer nur in den büchem lebt, wird leicht, wie man sagt, unpraktisch für das leben, und d. h. es fehlen ihm für dieses die nötigen beziehungsreichen associationen und den vorhandenen die reizbarkeit.

Wenn nun damit die sacho erschöpft wäre, und wenn die bezieh ungserrungen Schäften nur als relationen, an und zwischen den materiellen bestandteilen und ihren gebilden haftend, im geiste ezistenz hätten, dann würde die logisch formale bildung durch arbeiten jener art zwar einer Steigerung und höchsten aus- bildung fähig sein, aber doch immer nur mit der bereicberung oder auch nur festigung der materiellen wissensteile, und jeder fortschritt dort würde durch einen hier und umgekehrt bezeichnet werden, dann wäre aber auch alles, was man von dem formal bildenden wert besonderer disciplinen wie z. b. der mathematik es kann bei ihr nur der logisch formal bildende gemeint sein

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behauptet, eitel dunst, nur in den verwandten, den anschan* liehen disciplinen wie physik, mechanik, mathematischer geographie könnte sie ihre kraft bethätigen, und auch da nur, wo eben die mathematik oder vielmehr, was jeder von ihr schon weisz, ihre berührungspunkte findet, und das will den wenigsten einleuchten, wir stoszen also auf jene Streitfrage, die wir schon in der ein- leitung berührten , und in der wir eine entscheidung zu gewinnen trachten müssen.

Es handelt sich also darum, ob die logisch - formale bildung durchaus nur in dem material, an und mittels dessen sie erworben wurde, ihre ezistenz hat, und ob sie durchaus nur wächst mit dem verarbeiten des jedesmaligen Stoffes, oder ob es zur erzielung logi- schen kOnnens auch noch andere hilfsmittel gibt, etwa in der art, dasz es an einer bestimmten materie, wie der mathematik, erworben, sich nun auch an andern , mit denen nur spärliche oder gar keine materiellen berührungen vorhanden sind, bewähren kann, und da- für, dasz es noch solche hilfömittel gibt, spricht nicht nur die all- gemeine Überzeugung, sondern es läszt sich auch erweisen, und das nicht etwa durch die bekannten berufungen auf bestimmte erfahrun- gen , denn über solche läszt sich immer streiten.

1 . Wir gehen aus von der thatsache, dasz die beziehungen nicht direct durch die Wahrnehmungen und die erfahrung gegeben werden, sondern' dasz ihre setzung, zwar durch jene veranlaszt, doch einen be- sondem denkact erfordert, sei es einen ungewollten, erzwungenen, sei es dasz der wille das denken auf bestimmte ziele richtet und mit absieht combiniert, und einen denkact, zu dem die seele von sich aus befähigt ist. einer der beweise dafür, dasz dem wirklich so ist, dasz die beziehungen überhaupt nicht als an der materie haftend ohne weiteres mit ihr gegeben werden , ist der , dasz ihre Setzung auch unterbleiben kann, sowie dasz auch irrtümliche, besonders causale, gesetzt werden können, danach haftet also den beziehungs- kräften selbst in latentem zustande eine Spontaneität an, die sich als thätig sowohl überall da bewährt, wo erste erfiahrungen in neuen gebieten gemacht werden , also besonders in der frühesten Jugend, als auch in späteren zeiten, wo in anknüpfung an frühere erfahrun- gen und reiben durch setzung neuer beziehungen über diese hinaus- gegangen wird und neue erkenntnisse geschaffen werden, alles das kann aber auch, wie gesagt, unterbleiben, und daraus ergibt sich femer, dasz auch den bloszen kräften an sich eine höhere oder geringere reizbarkeit anhaftet; ist sie grosz, dann kann dies wohl als eine gewähr dafür angesehen werden , dasz der betreffende köpf sich überhaupt als ein logischer entwickeln und dasz die reizbarkeit auch den später hergestellten beziehungen anhaften werde, diesem allen entspricht endlich auch die erfahrung, dasz reizbarkeit als qualität des geistesinhalts zwar meistens eine allgemeine, sowohl die formalen wie die materiellen bestandteile umfassende, oft aber auch nur eine einseitige, jenen oder diesen anhaftende ist, oder mit andern

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Worten , dasz es einerseits köpfe gibt mit einem guten und raschen gedächtnis für rein materielles wissen und dürftigem logiseben können, aber auch umgekehrt, was eben auf eine gewisse losgelöst- heit der beziehungen von ihrer materie hinweist.

2. Fast noch mehr wie das unterbleiben des beziehens sprechen für die Spontaneität und einseitige reizbarkeit der bloszen kräfte ge- wisse irrtümer, das setzen von beziehungen da, wo die beschaffen- heit der materie und das Verhältnis ihrer bestandteile unter einander nicht die berechtigung dazu hat. besonders die causalen beziehungen sind geeignet, dazu beispiele zu liefern, und sie liefern solche täg- lich in falschen Schlüssen, allerdings werden solche durch jene Ur- sache seltener veranlaszt; die häufigere liegt in schon vorhandenen fehlem früher hergestellter gebilde, in mangelhaften begriffen, lücken- haften associationen u. dgl. nun zu jenem ein beispiel. wenn ein kind durch einen stosz einen schmerz erleidet und sich gleichzeitig im dunklen zimmer ein licht entzündet oder eine glocke ertönt, dann geschieht es leicht , dasz in der seele des kindes jene eindrücke in causale Verbindung mit einander treten, die sich bei erneuertem ein- tritt des einen ereignisses in der erwartung auch der andern ihm associierten zeigt, in dieser erwartung liegt eine erste regung des so mächtigen triebes, causal zu verbinden, trotzdem dasz jene association nur eine zusammengeratene und nicht zusammengehörige ist. denn diese Unterscheidung gilt nur vom Standpunkte einer gereifteren er- fahrung, die weisz, dasz licht und glockenklang nichts mit dem stosz und schmerz zu tbun haben , nicht auch für das kind , das, jenem triebe folgend, das post hoc für ein propter hoc nimmt und diesen unterschied , so wichtig er ist, zu ignorieren um so eher ver- anlaszt wird, als in vielen fällen jene beiden Verhältnisse, das causale und temporale, ja zusammenfallen, die reizbarkeit jenes triebes, der also so leicht unbesehen falsches für wahres nimmt, zeigt sich aber nicht nur in dem ersten kindesalter, er bricht das ganze leben hin- durch aller orten hervor, und da ist sie oft ein hemmender factor der menschlichen coltur als eine hauptquelle des aberglaubens und ver- wandter irrtümer. der komet ist es, der krieg und pestilenz ge- bracht oder wenigstens angekündigt hat, denn auch das wird nicht klar unterschieden, und nun wieder solche bringt; die feuer- und wasserprobe des gottesurteils ist beweis für schuld und Unschuld, und so fort in unabsehbarer reihe.

Was wir aus dem bisherigen gewonnen haben, ist einerseits sehr wenig, wenig mehr als das, was wir ohne dies schon wüsten, dasz nämlich , wenn das formale können nicht durch die äuszere er- fahrung übermittelt , sondern nur geweckt wird , jede art derselben, von so kleinen anfangen die ausbildung auch ausgeht, sich irgend einmal zuerst bethätigen musz, und dasz sie, demselben triebe folgend , der sie hervortreten liesz , dann auch noch öfter spontan einspringt , um sowohl irrtum wie Wahrheit zu schaffen, aber wenn sich daraus auch^eine gewisse Unabhängigkeit von vorangegangener

88 A. Lichtenheld : die formale bilduog.

und vorhandener erfahrung ergibt und jenes können nicht durchaus nur in der erfahrung geborgen sein mu8z, so reicht diese selb- stftndigkeit doch nicht weit und macht sich nur in den einfachsten Operationen geltend, bedeutungsvoller dagegen ist das zweite, dasz nämlich die formalen er Werbungen ihre eigne reizbarkeit haben, mit der zwar die materielle gleichen schritt zu halten pflegt, hinter der diese aber auch sogar weit zurückstehen kann, die wertvollere Con- stitution ist natürlich die erstere.

3. Auf einen ganz neuen Standpunkt stellen wir uns nun mit dem folgenden, liesz sich nach dem vorangegangenen die sache so auffassen, als schwebe das formale können, wenigstens in seinen einfachsten äuszerungen, losgelöst von aller materie ge wisser maszen über derselben, um sich, je nach ihrer beschaffenheit, an ihr zu be- thfttigen, aber auch sich zurückzuhalten, so sehen wir sie in dem folgenden so, wie es die gegner der freien formalen bildung nur wünschen, vollständig mit erworbenem eigentum verwachsen und doch zur Selbständigkeit, wenn auch zu einer andern wie jener» erhoben.

Die wichtigste und wirksamste formale kraft des geistes ist jene, nach der sich alles gleichartige in äuszerer und innerer apper- ception zu gebilden von dem verschiedensten umfang zusammen- schlieszt. und dem unterliegen nun auch die ergebnisse der voll- zogenen formalen Verbindungen, gerade so wie in den begriff süss auch alle gegenstände mit aufnähme gefunden haben , die als sQsze begegneten und an denen er gewonnen wurde, nur dasz sie bei der reproduction ihn in mattester bewustheit, entfernt schwingend, um- geben, um in ihren eignen begriffen (zucker, bonig), umgeben wieder von ihren anhängen, sich einer um so stärkeren bewust- heit zu erfreuen, so scblieszen sich auch alle fälle, die gleiche formale Verbindungen enthalten, zu gebilden zusammen, deren mittelpunkt und träger jedesmal die betreffende bildet, eine besondere stütze enthalten viele derartige bildungen, die man beziehungsbegriffe nennen kann, dadurch, dasz die spräche ihnen eigne lautliche Vertreter zur Verfügung stellt, meistens conjnnctionen: wenn, weil, aber, oder, und, sondern, nachdem, denn» darum u. s. f. aber auch flexionsendungen aller art, Wortstellungen (hast du das gethan, so ). es vereinigen sich also alle wenn- sätze , um den causalen wennbegriff zu bilden , und durch die der- artigen gehörten Sätze kommt das kind ja hauptsächlich dazu , auch seinerseits die form zu erfassen, 'wenn' zu gebrauchen, denn die Wirkung, die jene beziehungsbegriffe äuszern, zeigt sich nun darin, dasz, wo unter dem denkmateriale die betreffenden beziehungen ob- walten oder obzuwalten scheinen, diese mit ihrer hilfe durch apper- ception um so eher und rascher erfaszt und gesetzt werden, wenn in der logikstunde eine bestimmte schlu^zformel erst theoretisch durchgenommen und an einigen beispielen eingeübt worden ist, dann gelingt sie mit hilfe des so erzeugten beziehungsbegriffes , zu

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dem sich die regel and die beispiele verdichtet haben, um so leichter auch an beispielen, die selbst nicht allzu gut vorbereitetem material entnommen sind, freilich aber auch mit der gefahr, hier eher zur irrtümern zu kommen, alles was Scholastik und dogmatik heiszt , bietet dazu beispiele in fülle, hier gelangen wir aber nun auch zu jener behauptung von der formal bildenden kraft der mathematik, an der also thatsächlich etwas ist, und die erstens darin besteht, dasz, weil in ihren aufgaben der beweisgang auf das sorgfUltigdte und bewusteste heraustritt, sie auch mehr wie jede andere geeignet ist, derartige beziehungsbegrifie zu bilden, dasz diese sich nun in allem anschauungsmaterial als die Orientierung fördernd bewähren, darüber kann kein zweifei sein, wenn sich auch nicht unterscheiden läszt , wie weit ihre Wirkung und wie weit das Vorhandensein von beziehungen in der materie selbst das tempo be- schleunigt, aber auch in dem ferner liegenden nicht anschaulichen material kann sie nicht ausbleiben, wenn sie hier auch naturgemttsz schwächer sein musz; jenes gesetz von der gegenseitigen anziehung alles gleichartigen, von dem wir ausgiengen, macht die annähme unerlfiszlich.

Die richtigkeit der letzten ausführungen zu erhärten, bietet sich nun noch eine erscheinung von überraschender analogie dar, auf deren erörterung wir daher nicht verzichten können, nämlich die Wortstellung (s. Studium der sprachen s. 133 f.). bei dieser gibt es zwar eine bestimmte zahl von Conventionellen, im gebrauch gewordenen möglichkeiten , die aber doch zu grosz ist, als dasz sie alle aufgezählt und in feste regeln gebracht werden könnten, dies gilt selbst für sprachen mit so geringer beweglichkeit in der Wort- stellung wie das französische sie hat. doch aber ist wie gesagt die zahl der erlaubten permutationen beschränkt; auch bei so groszer freiheit wie im deutschen ist nicht alles zulässig, selbst nicht im vers , und es fragt sich nun , wie der geist im gebrauch das er- laubte vom unerlaubten unterscheidet und das letztere vermeidet oder fehler erkennt, dasz es im raschesten flusz der rede mit der grösten Sicherheit geschieht, nehmen wir jeden augenblick wahr, und ebenso ist kein zweifei, dasz die richtige anordnung der worte in eminentem sinne zu den formenden thätigkeiten gehört, würden wir, wie dies aber auch bei fremden sprachen nur zum geringen teile geschieht, uns die Wortstellung durch regeln zu eigen machen, dann wäre die erklärung einfach: die thätigkeit wäre im anfange eine mit klarster bewustheit vollzogene logische, die mit der zeit zu einer immer schnelleren, mechanischeren würde, bei der die bewust- heit, das besinnen in der vornähme der Subsumtion, immer matter würde , wie dies bei allen dergleichen Operationen der fall ist. aber so geschieht es nicht, wir erlernen die Wortstellung im gebrauch durch die unbewuste nachahmung, ohne von einer regel früher etwas zu hören, als bis wir etwa fremde sprachen lernen, oder auch, bis wir in der deutschen elementargrammatik auf diese oder jene ver«

90 A. Lichtenheld: die formale biidung.

einzelte stoszen. gleichwohl lebt die regel in uns, aber nicht als regel , sondern wieder verborgen in apperceptionsgmppen , die sich gebildet haben aus allen gehörten und darnach selbst gebildeten gleichartigen fällen, und in denen die materiellen bestandteile dieser nicht minder aufnähme gefunden haben wie die formen, nur dass jene in die matteste bewustheit zurücktreten, anders Iftszt sich diese merkwürdige erscheinung nicht erklären, und die analogie mit den logischen formen , die nur viel zahlreichere mOglicbkeiten aufweisen, liegt auf der band, wir erkennen daraus aber auch die auszerordentliche Überlegenheit der durch die analogie entstan- denen bildungen gegenüber denen, die von der regel ihren ausgang nehmen, so ist es bekannt, dasz wir aus mangel an natürlich (durch die analogie) entstandenen apperceptionsgruppen, zu denen es die wissenschaftliche oder Übersetzungsmethode nun einmal nicht kommen läszt, auch nie zu einer wirklichen beherschung der Wort- stellung in den alten sprachen gelangen, auch wenn einer ein angeb- lich noch so gutes latein schreibt, weder merken wir bei der lectflre alle die feinheiten und sinnesnüancierungen , die sie ermöglicht, sowie dies bei darstellungen in der muttersprache der fall ist , noch kommen wir vollends so weit, in eigner darstellung sie selbst zu verwerten.

4. Auch bei diesem beweise dafür, dasz das formale können nicht ausschlieszlich in die betreffende materie, an der es sich zeigen soll , verwachsen ist, haben wir es wie bei dem vorhergehenden mit Vorstellungsgruppen zu thun, die von auszen, d.h. auszerhalb der betreffenden materie, auf dasselbe fördernd einwirken und daher, wenn auch nicht selbst formaler natur, doch dem weiteren besitzstand der formalen biidung angehören, die sache ist in wenigen Sätzen abgethan; aber das, was auf diese weise erzielt werden kann, ist im vergleich zu dem bisherigen doch besonders weitreichend, wieder ist die m a t b e m a t i k am geeignetsten, die sache darzulegen, und wir kommen damit auf das zweite der momente, auf denen die allgemeine ansieht von ihrer formalen bildungskraft beruht, die mathematik ist diejenige Wissenschaft, die, weil durch räum- und zahlenmasze bestimmbar, mit den festesten, sagen wir vorläufig Vorstellungen und begriffen arbeitet, die darum auch den folgerichtig- sten fortscbritt gestattet und fordert, und bei der zudem alles auf die stricteste beweisfUbrung wie sonst nirgends hinausläuft, so wird, bei entsprechender arbeit, die structur dieser gruppe im geiste auch die wohlgeordnetste, mit den klarsten und festesten beziehongen ausgestattete , ein Vorbild gleichsam für alle andern und als solches so zu sagen nacbeiferung erzwingend, dazu bilden sich unvermerkt im laufe der bescbäftigung mit ihr Vorstellungen von der möglich- keit, der notwendigkeit und vor allem dem nutzen der zuläng- lichen beweisführung überhaupt, und diese treten nun überall, wenn auch nie ausdrücklich constatiert, hervor, wo es sich um be- weisführung bandelt, und üben einen moralisch zu nennenden

A. Lichtenheld : die formale bildang. 91

zwang aus, ihren fordemngen folge zu leisten, auch dem Unterricht in der formalen logik kann man gleichartige nebenwirkungen zuerkennen und noch mehr den disponierübungen an gelesenen etttcken und bei gelegenheit der besprechung von aufsatzthemen. hier zeigt sich die sache sogar besonders deutlich, abgesehen davon, dasz, wie auch bei der logik die beispiele, die so erarbeitete materie selbst fortan als ein wohlgeordneter besitzstand weiter lebt, der sich bei verwandtem material fruchttragend erweisen musz, bilden sich die Vorstellungen von der nutzbarkeit und notwendigkeit des dis- ponierens überhaupt, d. i. des ordnenden zerlegens gröszerer ge- dankenmassen , die dadurch zugleich selbst erst geweckt werden, um ihrer unter befolgung des bekannten divido et impera herr zu werden, und erzwingen sich, wo sie am orte sind, gehör, die auf- gestellten Schemata selbst wie z. b. der chrie, kommen als directe hilfen, die arbeit zu fördern, noch hinzu, suchen wir, um die Wichtig- keit dieser errungenschaften ins rechte licht zu setzen, nach einer .analogie, so bietet sich diese in den sittlichen Vorschriften, die der Jugend eingeprägt werden, dar. wie jene zum logischen, so ver- balten sich diese zum sittlichen thun selbst, wie die theorie zur praxis, wie das gesetz zu seiner ausübung, sie regulieren das thun als herschende Vorstellungen, und wer die bedeutung der auf das logische ordnen wirkenden Vorstellungen Ifiugnet oder unterschätzt, der musz sie auch den sittlichen mazimen absprechen.

Wenn wir mit dieser arbeit statt der theoretischen ziele, das wesen , die arten und den seelischen ort der formalen bildung über- haupt zu bestimmen, praktisch-pädagogische im äuge hätten, dann müste das capitel von den mitte In, durch welche sie denn nun erzeugt werde, ein sehr umfangreiches und ausführliches werden. 60 aber können wir uns nicht nur überhaupt sehr kurz fassen, son- dern hier müssen wir dies auch, da das wesentlichste schon gesagt worden ist. die mittel liegen also einerseits in der lemmaterie, den disciplinen, anderseits in den methoden, wie sie zugeführt wird, da aber bei allem lernen naturgemäsz mehr darauf gesehen wird, den lemstoff selbst zum geistigen eigentum zu machen und diesem ziel auch die methoden zustreben, so musz sich die formale bildung mit dem begnügen, was so nebenbei für sie abfällt, demgemäsz heiszt es z. b. auch in den alten instructionen 'als hauptzweck der erlernung der alten sprachen ist, obwohl die durch grammatische Studien zu erwartende formale bildung nicht auszer betracht bleibt, doch die lesung der classiscben schriftsteiler angenommen', worin auch wieder jene Unbestimmtheit, was für eine formale bildung gemeint sei, enthalten ist. zum glück aber ist es, wie wir nun schon gesehen haben , gar nicht möglich , dasz , wenn jenes ziel mit erfolg erreicht werden soll, dieses, die erwerbung logisch -formaler bildung, 'auszer betracht bleibe', sie stellt sich von selbst ein und hält, wenigstens im allgemeinen, gleichen schritt mit der durch gründliche Verarbeitung, wie sie oben verlangt wurde, gewonnenen

92 A. Lichtenheld: die formale bildung.

aneignuDg des materials. wohl aber unterscheiden sich die ver- schiedenen disciplinen darin, dasz die einen schon durch ihr material mehr formale Übungen verlangen oder zulassen als die andern, am weitesten stehen in dieser beziehung zurück geographie und ge- schichte; am meisten begünstigt sind mathematik, physik und gram- matik. eine mittlere Stellung nimmt das fremdsprachige stadinm ein, je nachdem es nämlich nach der natürlichen methode, durch parlieren, betrieben wird, oder nach der wissenschaftlichen oder flber- setzungsmethode. hierzu ist aber zu bemerken, dasz der logisch- formale gewinn der allein in betracht kommenden zweiten wieder zurücktritt vor dem sprach lieh -formalen, und wir schieben die erörterung dieses Studiums darum für den nächsten abschnitt auf, der von dieser bildung handelt, auf demselben gebiete liegt aber auch zumeist das, was an formalem gewinn bei geschichte und geographie abfallt, wie denn die beschäftigung mit jeder m^terie auch die entsprechende bereicherung des sprachlichen kOnnens neben dem logischen mit sich bringt (Sprachstudium s. 76 £f. bes. s. 81). zu früh wäre es auch noch, zu beurteilen, wohin so manche so- genannte formale fertigkeiten und eigenschaften gehören und was von allerlei redensarten zu halten ist, bei denen man gleichfalls for- male bildung mehr oder weniger bestimmt vor äugen hat.

Dagegen haben wir nun noch zu untersuchen, ob sich diese logisch- formale bildung nicht teilen läszt in Unterarten, in andere jedoch natürlich als die nach den Wissensgebieten, denn das ist es ja nun, was die berecbtigung dazu gibt, alle die besprochenen erscbeinungen aus jenen wissensgruppen auszulösen und in eine eigne zusammenzufassen, also überhaupt das logisch -formale könnendem materiellen wissen gegenüber zu stellen, dasz es allem wissen an- gehört und an fast jeder materie (nicht der musik) in gleicher weise seine gestaltende kraft zurhebung ihres intellectuellen wertes geltend macht, eine teilang da- gegen, die eher zulässig erscheint, wäre die nach den verschiedenen kategorien der beziehungen, wie wir deren eben eine reihe auf- gezählt haben, diese teilung verbietet sich aber von selbst, denn erstens steht die zahl und Ordnung der beziehungen selbst durchaus nicht fest, und wir müsten es erst unternehmen , eine eigne tafel aufzustellen; zweitens ist die materie einer Wissenschaft ja keine tot und abgeschlossen daliegende masse, sondern sie ist in jeder schriftlichen oder mündlichen darstellung anders geordnet und ge- formt, und drittens sind die metboden als nur in der wirklichen ausübung lebend erst recht nicht zu fassen.

Eine andere einteilung bietet sich dar nach der denk- materie in folgendem sinne: die denkreihen werden zum einen und grösten teil erfüllt von jenen Vorstellungen , die an die Wörter gebunden sind, denen sie die möglichkeit der vergegenwärtigung und der begrifflichen ausbildung überhaupt erst verdanken, und von

A. Lichtenheld: die formale bildung. 93

denen in hellerer oder dunklerer bewastheit begleitet sie das bewust- sein durchziehen, aber nicht durch sie allein, neben ihnen bilden den zweiten hauptbestandteil anschauungen, die bilder sicht- barer gegenstände ; gleichfalls allerdings meist vom worte begleitet und im denken mehr oder weniger von ihnen verdunkelt, im all- gemeinen dann um so mehr, von je weniger bestimmten concreten einzeldingen die rede ist. am anschaulichsten ist das denken natür- lich durchwegs in der ersten Jugend, neben diesen beiden haupt- bestandteilen finden sich auch noch andere; z. b. statt der worte zeichen wie die mathematischen, töne und Überhaupt die eindrücke der übrigen sinne, in dem augenblick der Wahrnehmung ist kein zweifei , dasz sie im bewustsein sind ; unsicher dagegen , in welcher weise sie weiter leben und bei der erinnerung vergegenwärtigt werden, z. b. ein früher erlittener schmerz, er selbst ist ja nicht mehr da. es ergeht ihnen dann wohl wie den abstracten Vorstel- lungen, indem sie, wie diese von der sinnlichen stütze des Wortes getragen werden, so von der anschauung der körperstelle, die den schmerz erlitt, des gegenständes, der den geschmack oder geruch hatte, oder von anderen begleitenden umständen als erinne- rungszeichen und dazu worthilfen. doch sei dem wie ihm wolle, die eindrücke dieser art sind gegenüber den wortvorstellungen, denen sie sich nach dem eben gesagten also auch vorwiegend an- reihen, und den anschauungen in einer verschwindenden minderheit, so dasz wir uns mit der t eilung der denkmaterie nach diesen zweigruppen der Vorstellungen und anschauungenbegnügen können, darnach ergibt sich aber auch dieselbe teilung für die logisch- formale bildung, und dies ist nicht ohne Wichtigkeit.

Bei den früheren ausführungen wird jeder leser vorwiegend die gruppe der Vorstellungen im äuge gehabt haben, schon aus dem gründe, weil man, wenn man sich das gehörte vergegenwärtigen will , dies mit hilfe von worten thut. aber alles gesagte trifft nicht minder auch die anschauungen. denn dasz es unter diesen gerade so gut beziehungen gibt , ist selbstverständlich , und zwar nicht nur räumliche , an die man wohl zuerst denkt und die sich beim messen und vergleichen zeigen , sondern auch causale. dies zeigen deutlich die Wissenschaften von den raumgröszen, die mathematik mit ihren lehrsätzen, die mechanik, maschinenbau u. a., alle blatt- und brett- spiele und so fort bis in die Verrichtungen mit den gebrauchsgegen- ständen des täglichen lebens hinein, die brettspiele besonders lehren, dasz es sich bei diesen causalen reihen nicht um ein messen handelt und um gröszen Verhältnisse, sondern um so logische verschlingungen wie sie die abstractesten Vorstellungen nur bieten.

So musz denn nun auch das anschaulich-logische können einer ausbildung fähig sein, und dies führt uns auf eine noch wenig ge- sondert besprochene erscheinung. jene ausbildung ist nämlich vor allem bedingt von der fähigkeit überhaupt, anschaulich denken zu können, und diese wird unter den menschen sehr un-

94 A. Lichienheld : die formale bildang.

gleich aDgetroffen. beweise für diese behauptuDg beizubringen, ist Dicht schwer, ein solcher liegt in der bekannten thatsaohe, dasz in dem vermögen, anschaalich darzustellen, und in der ausdehnang, in der sich solche versuche überhaupt bei ihnen finden, die dichter sich sehr von einander unterscheiden, einer, der hier nicht weniger ab alles zu wünschen übrig läszt, der aber bezeichnender weise da- neben ein gewaltiger meister der spräche ist, ist Elopetock; für einen so groszen naturfreund er sich auch erklSrt, gesehenes fest- zuhalten und wiederzugeben, ist ihm nicht verliehen, und ebenso will es bei seinen personen nicht gelingen, sich ftuszerlich oder inner- lich ein scharfes bild von ihnen zu entwerfen, im höchsten maaze entwickelt ist, wie dieses ja auch allgemein an ihm gerühmt wird, jede art von anschaulichkeit bei Goethe, und dem entspricht auch die oft nachweisbare eigenheit, dasz er, wo es sich nur thnn liesz, für die personen, örtlichkeiten und äuszeren erlebnisse in seinen ge- dichten und romanen dergleichen wirklich gesehenes verwendete. derjenige, der, mit derselben anschaulichkeit begabt und wie Qoethe verfahrend, in jener hinsieht sich am meisten selbst beobachtete oder wenigstens die meisten aufzeichnungen darüber hinterlassen hat, ist Qrillparzer (s. das schluszstück 'über Franz Grillparzers Schaffens weise' in meinem buch 'Orillparzerstudien', Wien 1891). als man ihm ein stück als nicht aufführbar zurückstellte, schrieb er entrüstet: 'und ich habe es doch aufführen sehen!* nttmlich im geiste beim schaffen des werkes. es mag dahin gestellt sein, wie weit die natürliche beanlagung oder erste jugendeindrücke, die die ganze entwicklung des geistes bestimmten, im spiele sind; sicher ist jedoch, dasz bei denjenigen, deren beruf es befördert, wie bei maschinenbauem, malern, bildhauern, arcbitecten, bei der mehrzahl der bandwerker, nach allem, was wir von dem geistesinhalt und seinem leben wissen, der geist und darum auch das denken mehr von anschauungen erfüllt sein musz als etwa bei philosophen und sprach forschem, und zu ihnen gehören nun auch die mathematiker. die ebenso oft wiederholte wie bestrittene behauptung, dasz zur mathematik eine besondere beföbigung gehöre, beruht also, wie viele ähnliche, insofern auf Wahrheit, als die Vorbedingung der befihigang zu anschaulichem denken überhaupt nicht überall gleich vorhanden ist. fehlt aber diese , dann kann es natürlich auch nicht oder doch viel schwerer als da, wo sie vorhanden ist, gelingen, alle die cau- salen raumbeziehungen , die die lehrsätze in gröster manigfaltigkeit bringen , zu erfassen, und ebenso geht es mit der föbigkeit, die ge- stalten der pbysicalischen und anderer instrumente im gedKchtnis zu behalten und frei nachzuzeichnen, dasz die Übung , das Studium der mathematik, in dem streben der bewftltigung der eigentlichen aufgäbe auch zugleich das anschauliche denken, wenigstens für die mathematischen gestalten, fördert, darüber kann kein zweifei sein. hier werden die causalen beziehungen und überhaupt die lehrsätze gerade so hilfen für die anschauliche erinnerung wie umgekehrt an

C. Uumbert: der frauzösische artikeL 95

andern orten anschauungen für abstracte materien und beziehungen. wie weit aber diese arbeit die mangelnde naturanlage oder frühere yersäumnisse zu überwinden, und ob sie sie etwa in ihr gegenteil zu verkehren vermag , darüber getraue ich mir noch kein urteil zu, halte es aber für zweifellos, dasz ein daneben energisch gepflegtes üben in abstractem denken ein hemmnis für die entwicklung des anschaulichen ist.

Was nun noch die ohreindrücke anbelangt, so kOnnen diese für die logisch formale bildung nur in sofern in betracht kommen, als solche nur unter sich, nicht gemischt mit anschauungen und Vorstellungen, sich zu reihen mit beziehungen unter sich vereinen, und das geschieht nur in der musik. im ersten falle , bei den ge- mischten reihen, läszt sich von einer besondem akustisch- logisch- formalen bildung nicht reden, im zweiten aber haben wir es, ob- gleich die tonabstände meszbar sind, doch mit einer erscheinung zu thun, die nicht mehr in das capitel der logisch formalen, sondern in das der ästhetisch -formalen bildung gehört, und dort werden wir auch auf diese sache zurückkommen.

(schlasz folgt.)

Wien. Adolf Liohtbnheld.

9.

DER FRANZÖSISCHE ARTIKEL.

1. Artikel vor gattungsnamen und vor abstraoten.

Durch Versetzung des artikels vor ein adjectiv macht man aus einer eigenschaft, die prttdicativ oder attributiv zu einem gegen- ständ hinzu tritt , einen gegenständ , den man an dieser eigenschaf t erkennt: lang, klein; der lange ist abgereist, der kleine ist wieder angekommen; sage, savant, le sage, un savant. umgekehrt verliert ein gegenständ durch weglassung des artikels seine individuelle substantivische bedeutung. so wird

I. das Substantiv ohne artikel = adjectivum. a) ebne Präposition: 1) nach den verben des seins oder werdens: mon pdre est marchand * ; 11 a 6t6 61u roi. 2) in der apposition, wo ein solches verb zu ergänzen ist: Racine, poöte fran9ais. von einem schon be- zeichneten gegenständ wird nur noch eine eigenschaft angegeben ; daher sinkt das subst. zu einem adj. herab. 3) nach Jamals, ni ni, seit seit und in aufzfthlungen : hommes, femmes, vieillards, en- fants , tous prirent la fuite. nicht die gegenstände in ihrer persön- lichen bedeutung sollen hervorgehoben werden, sondern der durch

> ebenso mit oe : e*eBt dommaj^e, c'est plaisir etc. Tolstoi garde toa- joars le premier rang dans la faveur publique, c'est justice (rev. d. d. m. 1886 bd. 78 B. 824).

96 C. Humbert: der französische artikel.

sie bezeichnete, eigenschaftliche oder sachliche Inhalt: alle ergriffen die flucht, welche eigenschaften sie auch besitzen mochten, mochten sie dem männlichen oder dem weiblichen geschlecht angehören, jung oder alt sein, in den Sätzen mit ni ni tritt blosz die Ver- neinung hinzu: jamais roi n'a . . . = nie hat jemand, der die eigenschaft hatte , könig zu sein, soit soit führt gleichfalls das inhaltliche eines vorher genannten oder leicht zu erratenden gegenständes ein: soit peur, soit prudence, il 6vita le combat (mochte der grund nun so oder so beschaffen sein), b) mit prS- positionen: 1) nach verben, wie choisir*, reconnaltre (ponr) etc. 2) ohne verb, besonders mit de und ä: arm^e d'Italie, des ÜTres d'enfant, cbemin de fer, bateau k vapeur, verre k vin. in l'arm^e de ritalie, les livres de Tenfant sind Italien und das kind besitzer, also selbständige personen; ohne artikel bezeichnen sie nur eine eigenschaft des vorher genannten gegenständes: 'für kinder ge- eignete* bttcher, ein (wohl gar feindliches) beer, 'das in Italien krieg führt."

II. Das subst. ohne artikel, mit oder ohne präpo- sition, wird selbst präposition: k cause, k cöt6, k d^faut, afin, k force, k mesure, k proportion, k raison, k titre, de crainte, de peur und viele andere, alle mit de; de fa^on, de manidre, de pro- f^rence etc. mit 4; faute de, gräce k,

III. Das subst. mit und ohne präposition wird «■ adverb: d'abord, d'avance, davantage, enfin, force ^ (moutons), avec plaisir etc.

IV. Das subst. mit präposition •= conjunction: k peine, k mesure, k proportion, en cas, k condition, en und de sorte, de fa9on , de mani^re, afin, de peur, de crainte, meist mit que (auch inf. mit de oder k).

V. Das subst. mit verb wird «= verbum. dies geschieht in einer unendlichen menge von ausdrücken, besonders mit avoir und faire, ich nenne nur: avoir peur, fürchten, und faire peur k q., bange machen, auch in allen diesen fallen bezeichnet das subst. keinen selbständigen gegenständ mehr; sondern, sei es nun allein oder in Verbindung mit einem andern wort, einen umstand, ein Verhältnis oder eine tbätigkeit (oder ein leiden, einen zustand), mit dem artikel aber erhält es wieder seine eigne, selbständige bedeutung. vgl. livrer bataille und il lui livra une bataille, dans laquelle . . .; avec courage und ils combattirent avec un* courage qui les rendit invin-

* anch da wird einem schon genannten gegenständ nur noch eine eigenschaft zuerteilt, aber: les Portugals reconnurent cet iroposteur pour le roi Sebastien, weil da nicht von der eigenschaft könig über- haupt, sondern von einer bestimmten person die rede ist.

^ so die bekannte 'italienische arraee' Bonapartes.

* ich nenne es adv., weil es mit beanconp gleichbedeutend ist; weil kein de folgt, könnte man es auch adj. nennen.

' ebenso avec le courage, qui . . .; und avec da coarage la mit etwas mut «s wenn ihr nur etwas mut zeigt, so werdet ihr . .

C. Humbcrt: der französische artikel. 97

cibles. wo das subst. in seiner selbständigen bedeotung auftreten soll, musz man auch den artikel wieder setzen, in : il est Fran9ai8 «« ^er ist ein Franzose' bezeichnet il schon die person ; man fügt nur noch die eigenschaft hinzu, c'est fran9ais aber biesze 'es ist fran- zösisch', denn ce ist nichts persönliches und fran^ais ohne artikel auch nicht; daher 'c'est un Fran9aiä', wenn überhaupt von einer person geredet werden soll, ebenso il est des Fran^ais 'es gibt Franzosen', weil da il seine persönliche bedeutung verliert, auch die sogenannte apposition steht m i t dem artikel , wenn das wort, zu dem sie hinzutritt, den gegenständ nur allgemein angibt und sie ihn erst genauer bestimmt: les Su^dois ofirirent la couronne ä un Fran9ais, le g6n6ral Bernadotte. ebenso Philippe leBel, Charles le T6m6raire.* auch der Superlativ hat deshalb den artikel, weil e r den gegenständ als einen solchen, der die eigenschaft im höchsten grade besitzt, von allen andern unterscheidet, doch setzt man sich manchmal scheinbar über die angegebenen regeln hinweg, so in höchst bezeichnender eigentümlicher weise nach dtre. hiervon einige besonders charakteristische beispiele aus der revue des deuz mondes.

Ausnahmen von der regel.

Artikel nach 6tre selbst vor adjectiven. j'en appelle ä vous autres, messieurs, qui n'6tes pas des Italiens, des gens 6nerv6s par les vers de P6trarque (15/2 80 s. 733). les Boug6 6taient des protestans (1/3 80 s. 36). comment un tel homme pouvait-il 6tre encore (auszerdem noch) un passionn6? (rev. 15/9 92 s. 274). Swedenborg 6tait un juste (15/4 84 s. 887). pourquoi Alexandre Dumas fils, qui n'est pas u n timide, n'a-t-il pas tir6 lui-m6me un drame de son roman (rAfiaire C16menceau)? (A. Vitu, im Figaro 21 d6c. 1887). il ne sait lui-m6me s'il est un hör^tique ou un catholique (rev. 15/4 84 s. 658). und ebenso (über Mignet): T^crivain ötait sup6rieur, l'homme 6tait un sage (1/4 84 s. 71 1)^ und: M. 6tuit avant tout un historien, il n*6tait point un politique, il a 6t6 4 peine un fonctionnaire dans cette direction des archives pour laquelle il sem- blait fait (1/4 84 s. 710). si Butcha^ 6tait un artiste, il lui serait facile de regarder les röalit^s des mdmes yeuz qu'il 6tudie une oeuvre d'art; maisB. n'est pas un artiste (rev. d. deuz m. 1/8 91 s. 485),

* aber trotEdem Charles premier, und g^ar deux, trois etc. wahr- scheiDlich, weil dies Zahlwörter sind, die nicht einmal eine eigenschaft, geschweige denn eine individuelle eigenttimlichkeit des gegenständes angeben, sie numerieren blosz die zu unterscheidenden gegenstunde, als wären es hUuser in den straszen. man nimmt es daher leicht damit, wie der kellner oder portier mit den gasten im wirtshaus: nr. 8 ist oben, nr. 10 ist ausgegangen.

^ Butcha bezeichnet hier (für Cherbuliez Tart et la nature') den kunstverächter oder philister, der nur die Wirklichkeit schätzt, so «. 488 'H. est un ^pioiirien', und vorher s. 482 'les clercs de notaire, ies B. pr^firent une jolie femme k la V^nus de Milo.'

N. Jahrb. f. phil. a. pld. II. abt 1895 hfl. 8. 7

98 C. Hambert: der französische artikel.

und dann s. 487: Bntcba est nn lecteur et i1 s'en tient le plus soQvent aux lectures cursives; l'artiste a fait des tbdmes etc.

Aber anch in demselben sinn ohne artikel: s'il («s TarÜsta) est vraiment artiste, il est homme autant oa plus que vous (ebenda 8. 491). diese beispiele scheinen der regel zu widerspreeben , be- sonders solche, in denen selbst adjeetive durch un zu Substantiven erhoben werden, wie un passionn6, un timide. zu ihrer erklSrung braucht man aber nur jene regel genauer zu bestimmen , etwas zu modificieren.

n est historien, fonctionnaire, protestant, catholique heiszt: 'er gibt sich mit geschichte ab, ist als beamter angestellt, ge- hört zur protestantischen, katholischen kirche', bezeichnet nur eine äuszerliche eigenschaft oder thfttigkeit, die vielleicht mit dem wesen des mannes nichts zu thun hat ; un historien , un f. , an p., un c. hingegen : 'er ist das , was ein geschichtschreiber usw. sein soll.' die Wörter bezeichnen hier die ganze, volle persönlich- keit des mannes, der sich zu dem berufe eignet, zu jener kirche bekennt ; u n catholique , einen autoritfttsgläubigen , un Protestant, un h^r^tique, einen mann, in dem das bedflrfnis mit eignen angen zu sehen, die neigung zum zweifei, über den glauben vorwiegt, das einzelne Individuum wird mit einer ganzen gattung von Indi- viduen zusammengestellt und gesagt, dasz beider wesen sich decken, hierher gehören auch : Tautruche est un oiseau ; Tor est un m6tal, le cheval est un quadrupdde, in denen der artikel nicht fehlen darf, vgl. noch die bekannten ausdrücke : vous dtes un ignorant, un mala- droit: 'Sie sind ein esel (schwächere Wörter geben den eindruck nicht wieder), ein tölpel'; auch da wird die eine eigenschaft als be- sonders charakteristisch, das ganze wesen des menschen bildend^ mit ihm identificiert. so würde ich in dem oben angeführten satze über Dumas 'un timide* wiedergeben: 'der kein hasen herz ist.* bekanntlich liebt es dieser dramatiker, uns seltsame ausnahmen vorzuführen, und musz uns dann zwingen, daran zu glauben.

Nachträglich noch ein beispiel aus John Grand Carterets Wagner en caricatures (Paris, Larousse, 1891) s. 273: Wagner 6tait un audacieuz 14 Berlioz restait un timide, n'ajant dans sa manche ni abb6s, ni ambassadrices/

Sonstige abweichungen und eigentümlichkeiten im

gebrauch des artikels.

Der artikel nach ni ni , Jamals : eile n^y soufirait ni u n per- sonnage equivoque , ni u n e familiarit6 mals^ante (Cberbuliez , miss Bovel, 1882, s. 180). Gambetta n'a appris ni la science, ni la

^ zur erklärun^ dieser worte eine stelle aus einem briefe Berlios* vom 14 febr. 1861: TopiDion publique s'indigne de plus en plus de me voir laiss^ en dehors de TOpera, qaand la protection de l'ambassadrice d*Autricbe y a fait entrer si ais^ment Wagner, dem groszen Franzosen gieng es damals noch schlechter als dem Deutseben.

C. Hambert: der französiBche artikel. 99

Philosophie, ni les lettres (rev. 15/4 84 s. 373). jamais un plus noble coeur n'essnja taut de traverses (que le Tasse) (rev. 1/6 63 8. 33). une crau d6sol6e, ne pousse ni un arbuste ni un buisson, ni seulement une ronce (15/5 77 s. 361). il ne comptait plus ni les obdtacles ni les dangers (und zwar ist hier nicht von beson* deren obst. und dang, die rede) (1/3 80 s. 59). je n'ai yn ici ni un chien courageuz, ni u n cheval imp^tueux ni un homme passionn6 (1/9 78 8. 203). jamais u n chr6tien n'obtient la favenr d'y passer la nuit (janv. 79 s. 443). hier sollen chretien usw. mehr hervor« treten als gewöhnlich, vergleiche den schon erwähnten, von den grammatikem kaum beachteten gebrauch des unbestimmten artikels nach 6tre.

Auch steht manchmal vor abstracten un, wo man den be- stimmten artikel oder einen teilungsartikel erwartet: il comprenait qu'an orgueil l'avait pouss^, Torgueil du nom, de la race (rev. 15/8 92 s. 753) und s. 754: M"« Majust6 lui inspirait une piti6. in beiden fallen "»une sorte de. ebenso s. 761: un regard dans lequel une haine se dissimulait. p. 749: eile 6tait bldme, les traits ravagte d'une penr.* überall individualisierend statt des un- bestimmten allgemeinen: eile sonrit, une qui6tude 6pandne sur son visage (1/11 92 s. 130). une paiz 6tait en lui (1/11 92 s. 135).

Teilungsartikel vor abstracten (nach Plattner haben diese nur den bestimmten artikel oder gar keinen), cette tris- tesse ne ressemblait guöre 4 de la r6signation. C'^tait quelqne chose qui ressemblait 4 de la menace (rev. 1/4 84 s. 539). das Zeit- wort ressembler weist auf den grund hin ; der bestimmte artikel vor abstracten , wie vor gattungsnamen , bezeichnet den gegenständ überhaupt, nicht einen unbestimmten teil davon; jene traurigkeit aber hatte mehr von drohung als von ergebung in sich.

Vollständiger artikel partitif vor einem adj. ohne subst. (nach Plattner steht dann blosz de" § 276 anm. 1). donnez- moi deuz chevauz, mais des bons, des beauz (rev. 15/10 84 s. 843). ebenso John Grand - Carteret in Wagner en caricatures (Paris, Laroosse 1891). erst läszt er daselbst s. 71 Charles de Lorbac den groszen componisten 'envelopp6 dans sa robe de chambre en ve-

^ un une kann in solchen fällen auch emphatisch stehen ■> eine furcht, die . . .; dann werden artikel und subst. durch langsateered sprechen hervorgehoben, vgl. meine ausgäbe von Moliöres Avare, an- merkungen (s. 87) su une peau d*un l^zard (act II sc. 1), bei Seemann, Leipzig 1889.

^^ bei dieser gelegenheit die kurze praktische regel: unser subst. ohne artikel hat 1) auch im französischen keinen artikel, wo es seine substantivische bedeutang verliert: avoir faim usw.; 2) bekommt im französischen den bestimmten artikel, wenn es den gegenständ über- haupt bezeichnet, im allgemeinen: nons apprenons Thistoire, les chiens aboient; 8) den art. part., wenn nur einen teil davon: voilä des chiens qui aboient.

*' natürlich, weil das Substantiv zu ergänzen ist.

7*

100 C. Hambert: der französische artikel.

loursvert, coifi(§ d'une grande toque de mdme couleur* vorftlhreiL dann beiszt es , nach Dromont : Balzac travaillait dans ane robe de meine. Wagner a une passion pour les robes de chambre an veloars vi ölet OQ bleu de roi, que relövent de grosses torses d'or. und dann fthrt Carteret selbst fort: une seule cbose varie la teinte de la robe de cbambre, ici, verte, 14, violette, et Ton sait qu'il en por- tait des ronges, des jannes, des cbocolats; rarc-en-oiel des con- lenrs. qoand les allemands" se mettent k dtre polychromes, lei excentricit6s de leur rayon visuel ne coonaissent plus aacose borne.

Das de und k der eigenscbafb steht bald mit, bald ohne arÜkel. hier einige sätze, in denen er fehlt, obwohl das subst. ein adj. bei sich hat. Horace, 6l6gant officier, d'entrain irr6sistible (rev. d. d. m. 1/10 91 s. 507). le m6n6trier 6tait un petit homme, k flgure insig- nifiante , d'&ge incertain, d'air souffreteux (1/2 84 s. 546). le fidöle (gläubige) 4 peau noire (in Indien) chasse les d^mons en convrant sa cabane avec de la fiente que lui donne le taureau de Siva (1/2 91 8. 660). dans le fond se cachait un bas-manoir 4 tour unique et carröe (15/8 91 s. 874).

Bien ohne folgenden article partitif. il me deman- dait pardon de ces mensonges^ derienautre (rev. 1/11 92 s. 27). Thistoire du monde n'est rien autrechose que Thistoire de Dien (1/11 92 s. 174). mit autre sehr gewöhnlich, ebenso longues ann6es ohne de davor, depuis longues ann^es ce peuplier mena* 9ait de s'6crouler au premier vent (1/2 67 s. 529). longues beteiehnet hier gleich plusieurs, divers, diff6rents, maints, certains allein sdiOB dasselbe wie der art. partitif, eine unbestimmte anzahl, und so wird dieser Ob er flüssig.

Noch einige andere sätze , in denen die weglassung oder der gebrauch des artikels besonders zu beachten ist: hormis un mule- tier, qui portait veste ä ramages, souliers ferrös et chapeau Ä larges bords, ces gaillards paraissaient m^priser toute esp^ce de chau88ure (P. de Musset, le Vomero eh. I). der Wegfall des artikels gibt dem satz mehr leichtigkeit und gibt die vornehme eleganz des ooketten muletier wieder im gegensatz zu der roheit der andern. vgl. in einer poetischen Übersetzung der ^nächtlichen heerschau': petit chapeau il porte, babit sans ornement, petite 6p6e, pour arme, au Q6t6 gauche lui pend (von Barth61emy), und Beranger: il avait petit chapeau, avec redingote grise.

Artikel in gewissen redensarten: celui dont les affaires vont mal perd le courage pour lui et les autres (15/3 82 s. 398). je tremble de la crainte que vous n*ayez aucun plaisir 4 me voir 15/8 91 s. 780. um die furcht mehr hervorzuheben («» la er .... me fait trembler , aber dann stände das hervor zuhebende nicht am ende), wird sie individualisiert; und bei dem mut handelt

1* der grosze Franzose Moliirc liebte auch die grÜDe und rote färbe.

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C. Humbert: der französificbe artikel. 101

es 8ioh in obigem satz nicbt blosz am den eignen , sondern aach am den der andern , deshalb soll aacb courage kräftiger hervortreten, la contre - rövolation essayait de s^organiser soas le nom de la restaaration (1/4 80 s. 503). hier steht la von der gerade den Franzosen besonders bekannten restaaration. sonst pflegt nach den gattungsbezeichnungen nom, titre asw. das folgende sahst., wel- ches das individaam innerhalb der gattung angibt, blosz mit de za folgen.

De mit dem anbestimmten artikel statt des bloszen de nach position usw. in Verbindungen, wie titre de roi, rang d'amiral darf nach PI. der unbestimmte artikel nie eingeschoben werden (§266 anm.) , in andern Ähnlichen aber bin ich ihm schon öfter begegnet, einige beispiele: j'oublie ce qu'il y a de pr6caire dans la position d'une gouvemante (1/1 61 s. 188). il joue le röle d'un montreur de lanterne magique (1/5 84 s. 601). 11 se d6roba au röle d'un com6dien dont on a reconnu la voiz sous le masque (1/4 84 s. 513). in dem letzten satz ist der artikel durch den folgenden relativsatz motiviert.

Vor dem zweiten Superlativ darf nach PI. § 127 der artikel nie fehlen: j'ai h&te d'arriver 4 la demiöre et plus retentis«» sante production de Tolstoi, la mort dl van llytch (rev. d. d. m. 1886 bd. 78 s. 827).

Im gegensatz zu dans hat en eine weniger bestimmte , weniger abgegrenzte bedeutung und steht deshalb seltener vor einem subst. mit dem artikel. so fehlt z. b. der artikel bei en plein, auch wenn das darauf folgende subst näher bestimmt wird: on lui avait dit en pleine as8embl6e de la Bochelle que le temps 6tait venu de rendre les rois esclaves (rev. 15/4 84 s. 894).

um so aufflllliger ist en statt dans in folgenden sfttzen: en mit dem artikel: toujours il avait vu, en les rares mariages la for- tune venait de Thomme, la mdme injustice de la femme pour le mari (rev. d. d. m. 1/9 91 s. 164), und gleich darauf: la femme tiree de la pauvret6 ne voyait en son mari que Toccasion qu'il lui avait htb donn6 d'Atre. und kurz vorher s. 154: de jour en jour, ellefinis- sait par 6couter, berc6e en le charme de sa voix, en la douceur des choset qu'il disait

2. Der artikel vor elgenxiAmen.

A. Personen- und Ortsnamen, monate und tage.

Eigennamen sind bestimmten einzelwesen eigen, bezeichnen so schon ein individuum. darum stehen personen- und Ortsnamen, sofern sie nicht von gattungsnamen herrühren, wie le Havre, Lesage, Lafontaine, ohne artikel. ebenso die namen der monate und die der tage; diese bezeichnen dann aber wirklich nur einen be- stimmten d.h. den vom Standpunkt des redenden zu* nächst liegenden, gerade vergangenen oder bevorstehenden^

102 C. Hambert: der französische artikeL

tag dieses namens ; ebenso lundi passö und prochain. le bateau arrive londi beiszt daher: kommt nächsten montag.

Der artikel aber macht den eigennamen wieder zum gattungs- namen, den dann gerade er wieder, als einen durch ihn bestimmten^ ▼on den übrigen Wochentagen unterscheidet, also: il arrive le lundi B> des montags, jeden montag überhaupt.

Ebenso steht natürlich auch der artikel von jedem beson- deren, nicht der zeit des rodenden zunächstliegenden individuam dieser gattung: il arriva le dernier lundi du mois, lel. pr6ce- dent oder suivant, von irgend einem tage der Vergangenheit aus gerechnet.

Soll ein name im plural eine ganze familie bezeichnen, so ist er auch kein bloszer eigenname mehr: les Cösars, les Bourbons; ebenso wenig in dem sinn: 'mttnner, wie der und der': les Molidre, les Racine ont illustre le sidcle de Louis XIV. noch weniger, wenn er die stelle eines gattungsnamens mit einem Superlativ vertritt; wie beim Superlativ selbst, darf da erst recht der artikel nicht fehlen : Cic^ron est le D^mosthdne («» le plus grand orateur) des Romains, in le vertueuz Socrate, le grand Corneille weist der artikel auf die durch ihre tugend oder grösze bekannte person hin. ebenso vor den namen berühmter, besonders italienischer, maier und dichter: le Dante , T Arioste , le Tasse, le Titien, le Camoens, le Poussin. da steht der artikel rein emphatisch, um dem gegenständ mehr bedeu- tung zu geben und es macht zugleich den eindruck, als erweitere sich das blosze individuum zum begriff einer ganzen gattung.

B. Länder, provinzen, kreise (gröszere und kleinere)

inseln, flüsse, gebirge.

Ihrer gröszeren bedeutung wegen bekommen auch wohl länder, provinzen, kreise, flüsse und gebirge den artikeL sahen wir doch gleich anfangs schon, dasz der artikel die einem gegenständ beigelegte eigenscbaft in einen gegenständ verwandelt, den man an dieser eigenscbaft erkennt, und da ist zu beachten , dasz man beim gebrauch geographischer bezeichnungen sich den bezeichneten gegen- ständ nicht für sich allein, in seiner Wirklichkeit, vorzustellen pflegt, sondern wie er uns auf der erdkugel oder karte entgegentritt, und da nehmen die zuletzt genannten einen mehr oder weniger groszen räum ein , während man selbst die grösten stfidte mit punkten be- zeichnet, daher heiszt es auch k Paris, aber en France und dans la France m^ridionale; eben»o, wie k deux heures nur den Zeitpunkt angibt, wo der zeiger auf zwei uhr hinweist; en und dans denz heures hingegen bedeuten während und nach verlauf des Zeit- raums von zwei stunden, vergleiche noch dans Paris, nicht mehr Paris auf der karte , als punkt im all , sondern in seiner selb- ständigen bedeutung, als räum in der Wirklichkeit = innerhalb seiner straszen und mauern; und im gegensatz dazu das im deui*

C. Hambert: der franzÖBieche artikel. 103

sehen nicht zu übersetzende k in Wendungen wie : nous nous trou- vions k deuz heures oder lieues de la ville, d. h. auf einem punkte im räum, der zwei meilen oder stunden von der stadt entfernt war. im einklang damit steht endlich die behandlung der inseln. die kleinen, auf der karte blosze punkte, werden wie die Ortsnamen, gröszere wie iSnder behandelt«

Nun gibt es aber in der spräche keine regel ohne ausnahmen, und auch da scheint mir die dem lande zugeschriebene geringere oder gröszere bedeutung von groszem einflusz gewesen zu sein.

So 1) steht der artikel immer a) vor den schon durch den numerus imponierenden pluralibus: les Indes, lesJ^tats-ünis usw.

b) vor allen durch den zusatz eines adjectivs erweiterten und in- dividualisierten, von andern unterschiedenen Ittndern: laGrande-Bre- tagne la France m^ridionale. c) vor fernen ländern e longinquo reverentia , die einst durch ihre grösze oder ihre producte beson- ders imponiert haben : la Chine , le Mezique , le P^rou , le Bengale, le Brasil, le Japon (grÖsze, gold, wilde tiere, pflanzen).

Und so fällt er 2) stets weg vor singularibus , die den- selben namen haben wie eine ihrer städte. der räum, das land wird mit dem punkte, der stadt, verwechselt: Nassau, Naples.

3) Bei allen übrigen singularibus aber steht der artikel oder nicht, je nachdem das land, als ein beson- deres oder bedeutendes indiyiduum, hervortreten soll oder nicht, gewöhnlich nicht, wenn es blosz als ziel, endpunkt einer bewegung erscheint, als der Schauplatz einer thätigkeit oder einer begebenheit, auf den es weniger ankommt als auf die begeben- heit und die thfttigkeit selbst, daher haben diese singularia (la Prusöe, France usw.) a) nie den artikel nach en: j'ai fait un vojage en France, b) bald den artikel, bald nicht, nach de.

c) immer den artikel in allen andern fällen, also ohne Präposition und nach jeder andern präposition als en und de. diese fälle aber, b) und c), müssen wir noch näher be- sprechen, erstens c).

Ohne präposition, also als subject und object, ist das land selber thätig oder der gegenständ , auf den die thätigkeit sich bezieht : la France a attaque TAngleterre. und ähnlich nach jeder präposition, die nicht eine blosz räumliche beziehung ausdrückt: la France a fait la guerre ä oder un trait6 avec FAngleterre. j'ai combattu pour la France, die länder stehen hier zu einander und zu dem verbum in derselben be7^.^^ung wie sonst personen.

Wie aber^'<^)Vhält es sich mit der präposition de? nach de steht der artikel, wenn das land a) als besitzer, also in seiner persönlichen bedeutung, b)in seiner räumlichen bedeutung, seiner ganzen ausdehnung hervortritt, er fällt aber weg, wenn es nur als punkt erscheint, wie die orte, oder nur die eigenschaft eines gegenständes angibt, man vergleiche noch- mals: L'arm6e d'Italie und de Tltalie, sowie les frontidres dela

104 C. Hambert: der fraosOsische artikel.

France (in ihrem ganzen umfange) sont . . .' und je viens de la frontidre d e France " (von einem punkt der grenze).

Das en vor Ittndernamen sowie de nach den titeln roi, emperenr usw. müssen wir noch besonders besprechen.

C. En vor Iftndernamen und seine Stellvertreter

ä und dans.

*In' und 'nach' vor Ittndernamen, so lautet die regel, heiszen en; nun steht aber das unbestimmte en, im gegensatz zu dem be- stimmten k und dans, gewöhnlich ohneartikel; vor den Länder- namen , die 8 1 e t s den artikel haben , treten deshalb k und dans an seine stelle ; k vor den pluralibus : auz Indes , aux Etats - Unis und vor den mttnnlichen singul., die besonders imponierten: au Bengale, au Japon, auch wohl k la Chine; dans, wenn das land ein adj. vor sich hat: dans la France m^ridionale, dans rAm^riqne centrale, doch, wie schon gesagt, nur e longinquo reverential mit ausdrücken, die häufiger vorkommen '^ pflegt man es leicht zu nehmen , sich der kürze zu befleiszigen und dann auch Verbindungen von subst. und adj. als ein ganzes zu betrachten. '^ infolge dessen setzt man jetzt auch vor Chine und manche ländemamen mit einem a<y. die blosze Präposition en; so vor Asie Mineure, und im gegensatz daza, Asie Centrale, Terre sainte, Petite-Russie u. a.

D. Beispiele und ausnahmen von der regel.

Ländernamen ohne artikel. 11 nous rejoindra & la fron- tidre de Chine (rev. 1/2 91 s. 483) und vorher s. 432 jusqn' k la fr. de Chine nous n'avons rencontr6 que des amis. Leroj Beauliea cite des soci^tös secrdtes existant en Chine, qui pröchent, comme les Bocialistes occidentauz, T^galit^, une ^uitable distribution des biens (rev. d. d. m. 1/3 91 s. 169). la propri^t^ foncidre demande qne nous fassions venir de Chine la muraille que le C^leste^Empire laisse aujourd'hui crouler (1/4 91 s. 553). lettres de Chine et de Paris (About, Germaine, Hachette 1890, s. 159 eh. IX). le vojrageur qui veut p()n6trer enAsie centrale n'6prouve plus aujourd'hni les m6mes difficult^s qu'autrefois (15/8 92 s. 876). les ethnologaes en ont reconnu («» des juifs) quelques milliers enAsie centrale dansPInde et jusqu'en Chine (15/2 91 s. 775). ebenso en Petita

1^ 80D8t nach Plattner meist ^die grenze eines andern landes nach Frankreich hin 263, 5). auch da erscheint Frankr^^ch nicht in seiner ganzen ausdehnung, noch als besitzer. vgl. Tarm^e de France.

'^ so fHllt auch in sprüchwörtern und sprüchwörtlichen redensarten gern der artikel aus: pauvretd n'est pas vice.

'^ so schon lange la FrancheComtä und von sonstigen ausdrücken: des jeunes gens, du bon vin u. a. die fälle, wo ^nach' mit pour wieder- gegeben wird, nach partir, 8*embarquer, faire voile, faire ronte, se mettre en route oder chemin verlangen natürlich keine abweichung von der regel.

C. Humbert: der franzÖBische artikcl. 105

Bussie (15/2 91 s. 777). ce qui se passe en Chine semblerait fait pour raviver dans le vieil Occident un sentiment de 8olidarit6 (15/12 91 8. 953). monsieur Foumier a signö un trait6 avec le pl^nipotientiaire de Chine (15/5 84 s. 466).

Plattner nennt en Asie Mineure, en Franche-Comtö^ en Nouvelle-CaUdonie, en hasse Bretagne, en Terra sainte; wohl de, aber nicht en Chine, auch erwähnt er le roi de Ordce, le roi des Helldnes als ausschlieszlich gebräuchlich, früher le roi de la Gröce.

Den Ittndern, die denselben namen haben wie eine ihrer stttdte pflegt man übrigens, um das unangenehme gefühl der Unklarheit zu ▼ermeiden, meist rojaume, grand-duch6, duchö usw. vorzusetzen^ ebenso lle de den kleinen inseln , die man auch sonst wie städte be- handelt.

Dasselbe geschieht übrigens , wie schon Plattner bemerkt , bei kleinen Staaten, die nicht eine gleichnamige stadt enthalten: ducb6 d'Anhalt , la principaut^ de Waldeek u. a. ohne zweifei aus demselben gründe, der weniger orientierte leser weisz dann so- gleich, dasz er es mit einem lande zu thun hat, und auch, mit was für einem lande, bei grOszeren Staaten setzt man diese bekannt- Schaft voraus oder bezeichnet sie schon durch die prftposition en oder dans. im Widerspruch mit den angeführten regeln hiesz es in der revue vom 15 Januar 1886 s. 370: 'dans le Nassau' und, im gegensatz dazu : 'si mon faible est grand pour les vins de 1 'Allemagne, je rends ä eeux de la belle France toute la justice qui leur est due' (rev. 1/1 61 s. 178). der susatz belle zu France deutet schon an, dasz die beiden Iftnder hier nicht blosz zur bezeichnung der ihren weinen zukommenden eigenschaften betrachtet werden sollen, sondern in der, ihnen selber eignen , persönlichen bedeutung , und nur darum muste hier die rücksicht auf die blosze eigenschaft, die angäbe des Ursprungs, zurücktreten, der Verfasser bekennt seine schwäche für ihre weine, und so kann er's nicht über's herz bringen, sie selbst geringschätzig zu behandeln.

£. Boi de France, roi des Fran^ais, des Beiges, de la Grdce, des Helldnes, rex Borussiae und Borussorum.

Vor der französischen revolution, unter dem ancien regime, war das land nicht besitzer des fürsten , sondern der fürst der des landesy das volk zählte nicht mit; und so trat und tritt im allge- meinen auch noch jetzt, infolge alter gewohnheit, um den einen vom andern zu unterscheiden, zu den titeln roi, empereur usw. der name des landes nicht in selbständiger bedeutung, sondern mit de ohne artikel , wie eine eigenschaft des landesherm hinzu : roi de Prusse, de France, und nicht : de la Prusse, de la France, wie : livres d'enfant, tour d'^glise, statt: tour de Töglise und livres de Tenfant. eine aus- nähme bildeten und bilden zum teil auch noch jetzt die pluralia

106 C. Hambert: der französiBche artikel.

(les Indes), die mit einem adjectivnm (la Grande- Bretagne), und gewisse auszereuropttische Ittnder, die durch ihre grösze, ihre pro- dacte und wohl auch durch die entfemung, ex longinqno reverentia, imponierten (la Chine, le P^rou usw.).

Dann aber trat an die stelle des roi die r6publique fran^aise, und als sie wieder einem empereur platz machte, nicht ein empereur de France, sondern des Fran^ais, dem sich später, als roi des Fran9ais, der bürgerkönig Ludwig Philipp anschlosz. man hätte auch de la France^* sagen können, wenn man in solcher Verbindung nicht schon zu sehr an d e France ohne artikel gewöhnt und der Über- gang von FranQaise zu des Fran^ais nicht leichter gewesen wäre, so trat gar das volk sei bs t an die stelle des landes, und es trat erst recht in seiner bedeutung hervor, ebenso bei dem, erst durch die juli- revolution geschaffenen roi des Beiges, dem gleichfalls neugeschaffenen könige Griechenlands aber legte man den titel roi de 1 a Grdce bei. da man den ausdruck roi de Grdce noch nicht gewohnt war, begnügte sich die begeisterung der gebildeten für die alte Gröce damit , die neue mit dem artikel zu beehren, die schon vor der französischen revolution, zur zeit der unumschränkten fürsten- gewalt vorhandenen herscher der übrigen europäischen länder be- hielten die ihrer Stellung entsprechenden titel: roi dePrusse usw. bcL

Doch auch hier nur e longinquo reverentia! münzen, die viel cursieren, werden abgeschliffen und verlieren ihren glänz, der weisze gi'iechische rabe muste sich schlieszlicb wieder der regel fügen, man sagt jetzt: le roi de Grdce oder, im einklang wieder mit Belgien und Frankreich, noch lieber le roi des Helldnes.

Gerade vor thoresscblusz finde ich noch in der neuesten nummer der revue des deuz mondes folgende bemerkung über die thron- besteigung Friedrichs des groszen: sur les monnaies frapp^es k Voccasion de Thommage, le titre de roi de Prusse, rezBorussiae, fut chang6 en celui de roi des Prussiens, rezBorussorum. les Prussiens 6taient Substituts k la Prusse, les bommes au sol, l'im- perium exerc6 par un homme sur des bommes k la propriet6 d'one terre, la monarchie moderne 4 la monarchie f^odale (revue vom 15/1 93 s. 308).

Der roi pbilosopbe war in dieser hinsieht der Vorläufer der revolution fran9ai8e. aus jener bemerkung aber kann man schlieszen, dasz der Verfasser des artikels^^, Ernest Lavisse, ganz mit mir übereinstimmt.

80 sag^t man: le drapeau de la France, 'die fahne ist der stols, die ehre des landes'. ebenso 'die hauptstadt' und 'die g^roszen männer'. daher les grands bommes, la capitale de la France; das land erscheint als besitzer; aber Laon, ville de France.

" l'av^nement du grand Fr^ddric.

Bielefeld. C. Humbbrt.

E. Schwabe: anz. v. Th. Opitz u. A. Weinhold chreBtomathie usw. 107

10.

CHRESTOMATHIE AUS 80HRIPTSTELLEBN DEB SOQENANMTBN SILBERNEN LATIMITÄT. fOb DEN SOHULOEBBAUCH ZUSAMMENGESTELLT VON

Theodob Opitz und Alfred Wbinhold. Leipzig, B. G. Teubner 1893. XIV u. 477 s.

Das vorliegende buch ist durch zwei aufsätze von Th. Vogel in dieser Zeitschrift (bd. 144, 1—8 und 209—218) angeregt worden, die beide für die primaner des jetzigen gjmnasiums eine etwas aus- gebreitetere kenntnis der silbernen latinitftt empfehlen, das formelle bedenken, es möchte dadurch der lateinische ausdruck in den schrift- lichen ausarbeitungen leiden, wird von V. dadurch entkräftet, dasz nachgewiesen wird, ein wirklicher Ciceronianischer stil oder das sog. 'classische' latein , das man früher sich anlas oder anempfand , sei heute, bei der Spitzfindigkeit der stilspecialisten und sprach- Statistiker, kaum mehr für den lehrer, geschweige denn für den Schüler, zn schreiben möglich, zudem sei es auch gar nicht mehr nötig, denn der lateinische aufsatz , der noch eine gewisse einheit- lichkeit des Stiles bedurfte, sei ja gefallen and die noch übrig bleiben- den lateinischen aufgaben, besonders in den oberen classen, könnten leicht so eingerichtet werden, dasz ein bestimmtes genus dicendi festgehalten würde , ohne dabei allzu ängstlich zu fragen , was wohl Cicero und Caesar zu diesem worte, zu jener Wendung sagen würden, die frei werdende zeit aber könne man vor allem dazu ausnützen, dasz die lectüre vertieft und erweitert würde, und zu diesem zweck em- pfiehlt Vogel eine auswahl aus den prosaikem der silbernen latinität.

Von vielen Seiten wird nun überhaupt eine auswahl aus Schrift- werken verworfen, aber, wenn die silberne latinität in gröszerem umfange für die schullectüre herangezogen werden soll, ist diese aufgäbe überhaupt nicht anders zu lösen, denn sonst musz ein un- geheurer ballast mitgeschleppt werden, und das bleibende und wahr- haft wissenswerte verschwindet unter der Überfülle des trivialen, überholten, geradezu falschen und stilistisch unschönen, die beiden genannten autoren haben nun in dankenswerter weise unternommen, eine solche für die schule brauchbare Chrestomathie zu schaffen, dabei haben sie sich in der hauptsache an die Vogelschen vorschlage (a. a. 0. s. 215 f.) gehalten und nur einzelnes hinzugethan oder weg- gelassen, im groszen und ganzen wird man diese auswahl gutheiszen und zum gebrauch auf unseren gymnasien empfehlen können, sie ist nach den besten ausgaben gemacht , für die gymnasiasten sehr reichhaltig und jedenfalls bietet sie stoff genug, um auch den Studenten der philologie, die nicht viel zeit auf die prosa der ersten kaiserzeit verwenden können, eine hinreichende Übersicht zu ermög- lichen, besonders nützlich sind die kurzen deutschen Vorbemerkungen, die alles zur ersten Orientierung notwendige enthalten.

Im einzelnen freilich hätte ref. manches gern anders gehabt, nach seiner ansieht sind eine anzahl von Schriftstellern mit unrecht

108 E. Schwabe: ans. v. Th. Opitz u. A. Weinhold Chrestomathie usw.

überhaupt nicht zu worte gekommen, die Augusteische prosa selbst sollte ja mit in den kreis der auswahl hineingezogen werden, da wäre wohl auf des älteren Seneca suasorien und controversien rücksicht zu nehmen gewesen, vielleicht empfiehlt sich fQr die schul- lectttre am meisten suas. 1 und 7, wegen der bekannten poetischen einlagen, und aus den controversien einzelne der einleitenden briefe des rhetors an seine drei söhne, denn die eigenartige gedanken- kttnstelei in den controversien selbst wird man wohl, als der jogend noch nicht recht verständlich, lieber bei seite gesetzt sehen wollen. Ferner vermisse ich Gellius. genau genommen gehört er ja nicht mehr der silbernen latinität an. wenn aber Justinus als epitomator des Trogus platz findet , so darf man aus dem gleichen gründe auch Gellins die aufnähme nicht versagen, als lesenswert erscheinen mir, neben einzelnen stücken der vorrede I 14. 19. 23; II 7. 12. 18. 26. 29; III 2. 18; IV 18; V 2. 6. 14; VI 1; VII 1. 8. 14. 19; IX 3. 16; X 1. 3. 12. 18; XI 6. 9. 10. 13. 18; XII 2. 8; XIH 19. 23; XIV 1. 3; XV 4. 7. 8. 12. 22. 31; XVI 19; XVII 9. 14; XVm 13; XIX 9; XX 1. die hier vorgeschlagene reihe ist natürlich mancher erweiterung und änderung fähig, ich habe besonders die sttlcke herausgehoben, die sich als quellenstellen für viel erzählte anec- doten ergeben, die die bekannte verliebe des autors für die Gracchen und Scipionen illustrieren , und die drittens die philosophischen an- sichten seiner lehrer enthalten, sind auch die noctes atticae planlos und vielfach ohne gescbmack zusammengestellt, so enthalten sie doch des trefflichen so viel, dasz ich wenigstens einige stellen, wie die geschichten von Androclus, den sibjllinibchen büchem^ Scipio auf dem capitol u. a. den Schülern gern einmal im Wortlaut zugäng* lieh gemacht sehen möchte, nicht blosz auf dem umwege des lateini- schen scriptumS; wo so oft die einfache quellendarstellung durch eine reihe kunstvoller conätructionen verhüllt wird. Wenn ich nun ferner auf meine wünsche betr. der briefe des Martial und Statins und einzelner abschnitte aus Frontinus und Pomponius Mela ver- ziehte, so bleibt doch noch ein drittes gebiet, das m. e. hätte berück* sichtigt werden können wenn auch nur, wie im Florileginm Afranum, anhangsweise, ich meine die in Schriften, wenn die schule der sich mächtig ausgestaltenden archäologie eine menge oon- cessionen gemacht hat (und ich meine, mit recht), so wird wohl auch die jüngere epigraphik für sich ein bescheidenes plätzchen bean- spruchen dürfen, schon Nipperdej gab seinem Tacitus die rede das Claudius über das jus bonorum der Gallier bei. sollten denn unsere primaner nicht auch z. b. die worte des Augustus selbst hören und in den besser erhaltenen teilen des Monumentum Ancjranum den besten historischen commentar zu ihrem Horaz finden? dazu könnten noch eine ganze reihe anderer Staats- und privatinscbriften genommen werden, die, wie kein anderes quellenmaterial; jene Zeiten und ihre sitten in das hellste licht setzen, z. b. einzelne stadtrechte, einzelne sepulcral- inschriften usw. ich unterlasse es, aus dem überreichen material ein-

£. Schwabe: anz. ▼. Th. Opitz u. A. Weinhold Chrestomathie usw. 109

zelnes Yorzu schlagen , in der hoffnung, in späteren auflagen des be- sprochenen buches einer passenden anzahl von inschriften 2u be- gegnen.

Was femer die auswahl ans den benutzten Schriftstellern an- geht, so erscheint mir, in historischer, wie pädagogischer hinsieht, als am besten gelangen die zasammenstellung aus Sueton , die sich in dem ersten hefte findet, besonders aus den Seiten 38 82 kann ein treffendes und lebendiges bild des kaisers Augustus entwickelt werden, auch ans des Tiberius vita ist taktvoll das herausgehoben worden, was eine einigermaszen gerechte darstellung ergibt, frei- lich, es wird, auch bei der grösten Sorgfalt im auswählen, niemals möglich sein , aus Suetons darstellung eine richtige Vorstellung von dem groszen kaiser zu gewinnen, ebenso wenig, wie man ander- seits durch Adolf Stahrs buch dazu gelangen könnte. Zweck- entsprechend erscheinen ferner die abschnitte aus Sueton. de gramm., unter denen ich nur ungern die vita Terentii vermisse, und femer die Schilderungen der deutschen geschichte aus Vellejus Paterculus und Florus. Das zweite heft enthält den jüdischen krieg nach Tac. bist. V. die aufnähme erscheint dadurch gerechtfertigt, dasz die historien seit der 1893 er lehrordnung nicht mehr als obli- gatorische lectüre den annalen vorangehen, im anschlusz an das fünfte buch der historien ist auf Vogels anregung hin aus Justin das 36e buch, das die Urgeschichte der Juden behandelt, auf- genommen worden, dann folgen einzelne abschnitte aus Curtius Bufus und Valerius Mazimus. die letzteren hätten m. e. etwas reich- licher bemessen sein können, gerade bei ihm finden sich , trotz der seltsamen disposition und des etwas dunkeln und gespreizten stils, eine menge hübscher und gut vorgetragener anecdoten und apo- phthegmen, die ich ebenso gern, wie die oben genannten stücke des Gellius, auch einmal direct den schülem vorgeführt sehen möchte, das beft wird durch eine auswahl aus den briefen des j. Plinius beschlossen, hier hätten, ohne schaden für das ganze^ nr. 1 3 und 5 wegbleiben können, die ersten beiden wegen der sachlichen in- haltslosigkeit und die letzten beiden wegen der schwierigen und zeitraubenden erklärung, selbst wenn Zeichnungen zu den geschil- derten landhäusem beigegeben wären, etwas ausführlicher hätte ich gern das lOe buch berücksichtigt gesehen , das natürlichste aus der ganzen correspondenz, und, wie Duruj gesch. des röm. kaiser II 292 (Hertzberg) mit recht hervorhebt, die beste Urkunde zu der geschichte des von den zeitgenössischen historikem so arg vernach- lässigten Trajan. dasz der panegjricus nicht berücksichtigt worden ist , kann man wohl nur billigen. Zu den meisten bedenken gibt die auswahl des dritten heftes anlasz, das hauptsächlich auszüge aus dem ä. Plinius bringt, abgesehen von dem steifen und schwor- fftlligen stil des autors sind auoh inhaltlich nur sehr wenige partien seines werkes geeignet, allgemeines Interesse hervorzurufen, das bat schon der letzte Verfasser einer chrestomathia Pliniana, Urlichs,

110 E. Schwabe: anz. v. Th. Opitz u. A. Weinbold Chrestomathie usw.

erfahren müssen, dessen treffliches, mit ausgezeichnetem commentar versehenes buch noch heute, nach fast vierzig jähren , der zweiten aufläge barrt. die beiden Verfasser sind ihm nur zum teil gefolgt, besonders in den eigentlich naturgeschichtlichen abschnitten weichen sie vielfach von ihm ab. gerade in diesen ist von ihnen des guten zu viel geboten und hier kann künftighin am ehesten ein abstrich erfolgen, den breitesten räum nehmen, wie begreiflich, die ab- schnitte aus den bücbern 33 37 ein. ihre lectttre ist heute noch den gebildeten fOr die kenntnis nicht nur des ft. Plinius, sondern auch der antiken kunst und kunstübung überhaupt notwendig, für die schule aber bilden die künstlerabschnitte des Plinius eine der wert- vollsten ergftnzungen zu der lectüre der ersten capitel des Lessing- schen Laokoon. beide können und sollen sich gegenseitig befruchten, werden aber dazu nur dann im stände sein, wenn durch gute com« mentare für die schüler den lehrstunden vorgearbeitet werden kann. und hier kommen wir auf einen von den Verfassern glücklicher- weise schon selbst erkannten mangel ihrer arbeit, auf das fehlen einer sacherklSrung, die wenigstens Plinius ganz unbedingt verlangt, dadurch steht auch die neue auswahl gegen die ürlichssche in ihrer brauchbarkeit vorläufig noch wesentlich zurück. Die auszOge aus Vitruv sind mit freude zu begrüszen. der heute wenig gelesene autor, der freilich ebenfalls einer sehr weitläufigen erklftrung bedarf, ist durch die ausgewählten stellen, darunter den locus classicus III 2 (definition der einzelnen genera templorum) ausreichend vertreten. Das vierte heft enthält ausgewählte stücke aus L. Annaeus Seneca, von denen uns wieder die briefe an Lucilius am anmutigsten und für die classenlectüre geeignetsten erscheinen, auch die allgemeinen be- trachtungen aus den protreptischen Schriften und aus de beneficiis sind wohl geeignet, gelesen zu werden und ein günstiges bild von dem lehrer Neros zu erzeugen, nicht unterdrücken aber kann ich meine bedenken gegen die abschnitte, die den quaestiones naturales entnommen sind, es hat immer etwas misliches an sich, den schülem des ausgehenden 19n Jahrhunderts einen einblick in den stand der empirischen Wissenschaften des altertums zu geben (ganz besonders der Römer, die fast nur aus griechischen quellen und meist mit mis- Verständnissen übersetzen), die jungen leute sind noch nicht im stände ; das werden dieser Wissenschaften historisch denkend zu er- fassen; sie beurteilen nur das gewordene, und dabei kommen ver* gangene Zeiten leicht zu ungünstig weg, da wir es ja so berlich weit gebracht haben, gerade so wie man sicherlich nicht den Aristoteles zuerst von seiner naturwissenschaftlichen seite aus zu betrachten lehren wird, sollte man das vom altertum überhaupt nicht thun, sollte nur das bleibend wertvolle hervorheben und das veraltete in seiner stillen ruhe und Vergessenheit lassen. ftLr die gesamte ge* bildete weit haben die empirischen Schriften des altertums aller- höchstens ein historisches interesse. die schule aber gehen solche historische liebhabereien nichts an. darum würde ich gern auf die

E. Schwabe: anz. ▼. Th. Opitz n. A. Weinhold cbrestomathie usw. 111

theorie über die erdbeben und kometen verzichten, dasselbe be- denken, das ich schon bei den naturgeschichtlichen abschnitten des ä. Plinius streifte, gilt in noch stftrkerem masze von den ab- schnitten ans Celsus. für den künftigen mediciner genügen ab- schnitt 1 und 3. die abschnitte 2. 5. 6 kann nur ein fachmann mit Interesse lesen, und gar nr. 4 ^der flieszende und der Stockschnupfen' wird bei einer classe nur heiterkeit hervorrufen (ebenso wie die ent- httUungen über den löwen aus Plinius aufs. 219 z. 30), sicherlich aber nicht im •> stände sein, als auserwähltes stück der silbernen latinitftt einen bleibenden günstigen eindruck hervorzurufen. Endlich im fünften hefte folgen abschnitte aus Quintilian. man braucht nicht blosz an das berühmte wort Friedrichs des groszen zu denken , um eine reichliche auswahl aus den Schriften dieses treff- lichen gelehrten, feinen stillsten und in seiner bescheidenheit so an- mutenden menschen mit freuden zu begrüszen. auch hier nimmt, wie zu erwarten, das lOe buch den breitesten räum ein, und gern liest man wieder einmal die feinen, wohl abgewogenen urteile über griechische und römische classiker. aber auch die andern stücke sind gut ausgewählt, wie die mit Überzeugung und feuer vor- getragene Verteidigung der beredsamkeit, die ergreifende Schilde- rung des tragischen geschicks, das Quintilian nach vielen jähren glücklichen familienlebens einsam zurückliesz u. a. m.

Aber auch hier empfindet man wieder den mangel des erklären- den und helfenden commentars, auf den wir schon öfters hingedeutet haben, die beiden Verfasser haben , falls sich das bedürfnis heraus- stellen sollte, einen solchen, für die schülerhand berechnet, in aus- sieht gestellt, das bedürfnis danach ist ganz unzweifelhaft, denn wenn für irgend welche Schriftsteller, ist es für die zu gelehrtem wesen neigenden, sammelnden und stöbernden autoren der silbernen latinitOt nötig sie zu erklären, gute texte gibt es genug und mehr als das, aber an guten commentaren fehlt es allerwegen, noch vor wenigen Jahren pflegte man vornehm auf diecommentatoren früherer epochen herabzusehen und ihre bemühungen als mindestens unnötige kärmerarbeit zu betrachten, die der wahre gelehrte nicht nötig habe. wer aber von den jungen philologen (und solche sind ja auch als be- nützer gedacht) heutzutage einen autor verstehen und genieszen lernen will, ohne vor anderen und sich selbst mehr in anspruch zu nehmen, als den ehrlichen willen zu lernen , dem soll man einen ordentlichen commentar in die band geben und ihn nicht nötigen, das, was er zum Verständnis braucht , mit vieler mühe und Zeitverlust aus allerhand hilfsbüchern zusammenzusuchen, die beiden , auch sonst durch ihre arbeiten auf diesem gebiete wohlbekannten autoren sind dazu die berufenen leute. hoffentlich lösen sie das gegebene versprechen ein. dann erst wird das buch recht nutzbar werden und die anerken- nung und Verbreitung finden, die es verdient, und die ich ihm, trotz mancher abweichenden ansieht im einzelnen, aufrichtig wünsche.

Leipzig. Eemst Schwabe.

112 Th. Sorgenfrey: ans. von A. Gieae deutsche bilrgerkande.

11.

A. GiESE: deutsche BÖRGSfiKUNDE. ElNF&BRUNO IM DIB ALL- GEMEINE LEHRE VOM STAATE, IN DIE VERFASSUNO UND VER- WALTUNG DES DEUTSCHEN REICHES UND DES PBEUSZISOHBS STAATES UND IN DIE ELEMENTE DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE.

Leipzig 1894. R. Voigtl&nders verlag. VIII q. 127 b. 8.

Zu den mancherlei forderungen, welche in neuerer zeit an die schule herangetreten sind, gehört nicht zuletzt die, dasz die schale ihre Zöglinge auch über die bestehenden Staatseinrichtungen be- lehren und 80 auf das politische leben unmittelbar vorbereiten soll, aus der Vergangenheit die gegenwart verstehen zn lernen , hat frei- lich schon längst als ideales ziel des geschichtsunterrichts gegolten, in der geschieh tsstunde sind schon immer die natürlichen grand- lagen alles staatlichen lebens den schülern zum be wustsein gebracht^ ist der opferfreudigen, selbstlosen hingäbe des einzelnen an das ganze gedacht worden , in der neueren besonders preuszischen gOächichte hat es nicht an willkommener gelegenheit gefehlt , tu zeigen, wie hochgesinnte könige auch für den geringsten ihrer unter- thanen gesorgt haben, eins hat bisher gefehlt: die systematische «uRammenfassung. nachdem Moormeister in seinen dementen der wirtscbaftslehre den versuch gemacht hat, in systematischem aaf- bau, aber schlichter , einfachster form alles zusammenzufassen, was wohl zu wissen nötig ist, um die Schlagwörter unserer tage- zu ver- stehen , tritt uns in Gieses bürgerkunde ein ähnlicher versuch ent- gegen, der verf. legt im gegensatze zu Moormeister den Schwer- punkt der darstellung auf den staat und seine Verfassung and bietet so vor allem eine allgemeine und eine besondere Staatslehre, in der allgemeinen Staatslehre wird von der entstehung des Staates and seinen grundlagen , von seiner Verfassung und besonders seinem inneren leben, wie es sich in den verschiedenen arten von Ver- fassungen gestaltet, von der Verwaltung und dem verwaltungs- organismus, endlich auch von den änderungen der Verwaltung, der eigenart der römischen kirche und der ^zusammengesetzten Staaten' sowie vom Völkerrechte gehandelt, die besondere Staatslehre führt uns in die Verfassung des deutschen reichs und im anschlusz darsa in die des preuszischen Staates ein. dieser besondere teil ist so ans- führlich, dasz er in dem abschnitte über zoll- und reichssteuerwesen sogar das beispiel eines etats bietet, während die darstellung dti preuszischen Staates so eingehend über die verwaltungseinteilang berichtet, dasz die aufgaben und die verwaltungsgliederang der einzelnen ministerien und der ihnen untergeordneten behOrden genau nachgewiesen werden, wie genau die ausfCLhrung ist, belegt § 60, welcher das directorium der Vermessungen im preuszischoi Staate, das ober Verwaltungsgericht, die ansiedlungscommission für Wedtpreuszen und Posen und die oberrechnungskammer vorfahrt gegen diese beiden ersten teile tritt der dritte teil, der die elemente

Tb. Sorgenfrey : anz. Ton A. Gieee deatsehe bürgerkunde. 113

der Yolkswirtscbaftslebre zur anscbaunng bringen soll, erbeblicb zarück. in gedrungener kfirze werden die wirtscbaftsstufen und die beutige Organisation der arbeit , die stufen des tauscb yerkebrs , der preis und seine factoren , das geld , die mttnze und die ersatzmittel der münze besprochen, ein anbang bietet die wichtigsten ariikel aus der verfassungsurkunde des deutschen reiches sowie aus der des preuszischen Staates: ein register bildet den abschlusz. derverf. hat in geschickter weise sein ziel zu erreichen gewnst, was er bietet, ist richtig und angemessen, hier und da um auf einzelheiten einzugehen hätte der ausdruck schärfer gefaszt werden können : so s. 8, wo der begriff gottheit nicht recht verständlich ist, so s. 60, wo hoch- und landes verrat als ein schändliches verbrechen bezeichnet wird ist denn nicht jedes verbrechen schändlich? nicht zutreffend ist die angäbe s. 50, dasz die flagge der deutschen kriegsflotte weiss mit einem schwarzen kreuz ist, und in der mitte den preuszischen adler hat, während doch s. 115 artikel 55 der reichsverfassung ab- gedruckt ist: 'die flagge der kriegs- und handelsmarine ist schwarz- weisz-rot.' wird der bttrgermeister wirklich, wie s. 81 behauptet ist, in Preuszen von magistrat und Stadtverordneten gewählt? ganz abgesehen vom westen , wo ja ein magistrat überhaupt nicht existiert, dürfte doch wohl nach der städteordnung eine unmittel- bare mitwirkung des magistrats nicht anzunehmen sein, wie soll sich damit die bei der bestätigung eines bürgermeisters durch den kOnig übliche formel vereinigen lassen, dasz die von der ^stadt- verordnetenversammlung' vollzogene wähl allerhöchst bestätigt wor- den sei? nicht minder ist auch die angäbe s. 87, nach welcher die gemeindevertretung bei der wähl des geistlichen mitwirkt, sehr zu beschränken : bei patronatsstellen wird die gemeindevertretung nicht befragt, kann also auch bei der wähl der geistlichen nicht mitwirken, auch was s. 88 von den geistlichen der römisch-katholischen kirche gesagt wird , dasz sie zu ihrer anstellung die bestätigung durch den Staat bedürfen, ist in dieser form unrichtig, ebenso musz beschränkt werden , was s. 79 gesagt wird , dasz in den Stadtkreisen die leiter der polizei an die stelle des landrats treten, bezieht sich diese an- gäbe nicht nur auf die städte mit königlicher polizei Verwaltung? in allen andern Stadtkreisen fällt die gesamte innere Verwaltung dem bürgermeister zu , welchem ein Stadtrat als leiter der polizei zur Seite steht, während der landrat Verwaltung und leitung der polizei in seiner person vereint, manche einrichtung hätte noch er- klärt werden müssen : so «erfahren wir nicht aus der darstellung, was eigentlich die reichsbank ist, während doch die seehandlung s. 85 eingehend besprochen wird, recht misverständlich ist s. 90 der satz: 'neben diesen schulen gibt es noch technische schulen, nämlich die technische hochschule und die provinzial - gewerbe- schulen.' gibt es in Preuszen nicht drei technische hochschulen?

Wenn so die lectüre der deutschen bürgerkunde einen im ganzen gelungenen überblick über die bestehenden Staatseinrichtungen

N. Jahrb. f. phi). o. pld. II abt. 1895 hfl. 8. 8

114 E. Oehley: beriebt über die Sie YerMUiimliing

bietet, so ist damit nocb nicbt gesagt, dasz 68 ein schulbach ist. was der verf. erstrebt, musz im gesobicbtsonterriobte aus den bistorischen tbatsacben selbst entwickelt werden, wie wir in der alten gescbicbte die gmndformen aller staatsTer&ssongen zur an- scbauung bringen, so bringt ans die neueste gescbicbte ganz von selbst auf die erklttrung volkswirtscbaftlicber begriffe: wer von Ludwig XIV spricht, kann das mercantilsystem nicbt unerwShnt lassen, wer von assignaten spricbt, musz den begriff papiergeld über- haupt erläutern, die accise fUbrt Ton selbst auf indirecte steaem, die grttndnng und entwicklung des Zollvereins musz darauf weiter bauen, soll sieb aber wirklieb der scbttler scbon mit der Verfassung des deutseben reiches und des preuszischen Staates befassen? ref. meint , der geschiebtsunterricht soll den scbüler mit dem Terlangen erfttUen, von der wissenschaftlichen bebandlung der natfirlicben grundlagen alles staatlichen lebens auf der universitSt etwas zu hören und nicht nur den künftigen Juristen und bistorikem über- lassen , sich mit nationalökonomie zu beschäftigen, wenn z. b. an einer Universität Ober armenwesen gelesen wird, so sollte eine solche Vorlesung in gleichem masze die hOrer aller facultäten interessieren, leider scheint unter der studierenden jugend das interesse für national- Ökonomische Vorlesungen ebenso gering zu sein, wie für historische : eine ernste mahnung für jeden gescbichtslehrer. von einer sjste^ matischen bebandlung freilich, wie sie Oiese bietet, wird die jagend sich nicht anlocken lassen, so schön der verf. den zweck seines buches in einem besonderen begleitworte darzustellen weiss, in die schule dürfte die bürgerkunde kaum ihren eingang finden.

Nbuhaij>ensleben. Theodor SoEGENFasT.

12.

BERICHT ÜBER DIE EINÜNDDREI8ZIGSTE VERSAMMLUNG DES VEREINS RHEINISCHER SCHULMÄNNER (1894).

Die diesjährige versammlang faod dienstag, den 27 märs sn K5hL im Isabellensaale des Gürzenich statt; sie war von 122 teilnehineni besucht.

Die tagesordnang wies folgende punkte auf:

1) Bericht des directors dr. Jäger über die philologenversammlmig in Wien (1893) und über die Vorbereitungen cur philo! ogenyersamm* lung in Köln (1895).

2) Gedanken über die deutsche lectüre in den oberclassen mit beson- derer beziehung auf Schillers abhandlung über naive und senti- mentalische dichtung. director prof. Evers.

3) Haben sich in der praxis momente ergeben, welche ändernngen in der jetzt bestehenden, auf den Verhandlungen der ersten rheinischen directorenconferenz beruhenden Ordnung und einrichtung der Schul- zeugnisse wünschenswert erscheinen lassen ?

Director Jäger berichtet über die philologenversammlang in Wien, dieselbe habe einen auszerordentlich eindrucksvollen Yerlanf

des Vereins rheinisclier scbolmänner. 115

genommen, er hebt hervor, dasz sich deutlich gezeigt habe, wie die geistige susammengehörigkeit der Reichiideatschen und der Dentsch- österreicher nach lösnng der politischen sich mit aller kraft geltend mache, dasx der Versammlung die ausseichnung su teil geworden sei, in der hofburg vom kaiser empfangen xu werden, wie ihr nicht minder ein sehr freundlicher empfang in den herlichen r&umen des Wiener rathauses zu teil geworden sei: dass Köln als nächster Versammlungsort gewählt worden sei, lege uns mit der hohen ehre auch sehr ernste pflicnten auf. er berichtet hierauf über das, was bis jetzt geschehen und wie er sich die fernere aetion denkt: die vorschlage, die er in Wien mit dem zweiten Vorsitzenden, geh. rat Bücheier in Bonn, vorgelegt, werden von der Versammlung genehmigt.

Man tritt in punkt 2 der tagesordnung ein.

Director prof. Evers (Barmen): der anlasz für das thema, das er etwas weiter, als auf dem programm stehe, fassen werde, sei eine Aufforderung des directors &iesel gewesen, dann der neue lehr- plan in Verbindung mit der vierten direotorenconferenz, die den unter- und mittelbau des deutschen unterrichte behandelt habe, der neue lehrplan gebe ohne einen unterschied zwischen gymnasien und real- gvmnasien an, was gelesen werden sollte. Überblicke man den gesamten plan, so werde jedem die gewährte freiheit, die jeden lehrer zum dank verpflichten müsse, auffallen; bei der II inf. und den oberen olassen sei allerdings die behandlung bestimmter stücke verlang^, aber doch sehe man in progi'ammen noch freiheit in der auswahl, deshalb müsse die frage einmal erörtert werden, wie weit die freiheit gehe, zumal sich im lehrplan einige lücken fänden wie bei III sup. und I sup. der realanstalten, femer die reihenfolge der stücke in II sup., die er sich gerade umgekehrt denke, femer sei über die gesamte auswahl und Stufenfolge um so mehr eine offene ausspräche erwünscht, als die urteile vieler fachmänner auseinandergi engen, so sei auf der vierten directoren- conferenz die these angenommen: ^dramen sind frühestens in 11 inf. zu lesen'; nach dem neuen lehrplan geschehe das aber schon auf III sup. und auf der osterdienstagsversammlung 1892 sei der satz auf- gestellt: Schillers glocke und Wilhelm Teil ist nicht die geeignete lectüre für III sup. femer giengen die ansichten auseinander, ob man Götz von Berlichingen in der schule lesen solle oder nicht, nach seiner meinung sei ein durchschnittstertianer noch nicht reif für eine Würdigung des Teil; es sei ein grosser unterschied, ob ein sohüler ein stück in der schule oder zu hause lese, ferner erhebe sich die frage, warum betreffs der lectüre des Teil ein unterschied zwischen gjmnasien und realanstalten gemacht würde, nach seiner ansieht passe dramatisches dahin, wo es dem knaben verständlich sei. die form müsse aber so schlicht, so einfach sein, dasz sie ganz hinter dem Inhalt zurücktrete, wie in Uhlands herzog Ernst von Schwaben und Kömers Zriny. wenn wir fachleute uns auch nicht die in diesen stücken ent- haltenen mängel verhehlten, so träfe das doch nicht die auswahl der stücke für III. gerade diese dramen sprächen so unmittelbar zu solchen Jünglingsherzen, dasz er meine, wir alten müsten umgekehrt lernen, diese stücke mit den äugen der jungen anzusehen und, könne er hinzu- fügen, mit den äugen unserer väter und groszväter. zu seiner freude habe er diese stücke in verschiedenen programmen gefunden; als drittes im bunde empfehle er Herders Cid. neben dieser lectüre denke er sich die von bailaden und romanzen, die ebenfalls einen hohen sitt- lichen gehalt hätten, wie die von Ubland, Chamisso, Rückert, Platen, Schiller; von letzterem etwa: der gang nach dem eisenhammer, der ring des Poljkrates. deshalb sei er dafür, die glocke, die der tertianer zwar leicht und gern lerne, frühestens erst in II inf. zu lesen; auch hier sei der innere gehalt noch nicht zum Verständnis zu bringen; das könne erst auf I geschehen, auf II inf. wären auszerdem zu behandeln

8'

116 E. Oeblej: bericht über die Sie YerBammlang

von ballacleii und romaDien: bürftschaft, kraoiehe des Ibjkns, kämpf mit dem drachen, tancher; an dieten sei zum ersten male das ver- st&ndnis von künstlerischer einheit beisabringen , und swar einfach in der weise, dasz man auf den Stoff und dessen eestaltang, resp. umgestaltnng dnrch den dichter hinweise, dann wSrde dem angehen- den Jüngling das Verständnis aufdämmern von einer tieferen idee. swar habe director Matthias davor gewarnt, die idee oder den gmndgedanken bei der behandlnng eines jeden lesestückes heraossaschftlen , aber er sei der ansieht, dasz von II inf. an und ganz speciell bei Sehillen gedichten das zusammenfassen in einen gmndgedanken nnerläsBlicb nnd für kürzere bespreehnngen sehr verwertbar seL ganz beeonders empfehle es sich, wenn man dabei einige stücke von Ooethe hinzu- nähme und die schaler den unterschied in der behandlung des Stoffes dnrch die beiden dichter finden lasse; als dritter hanptstoff bliebe für II inf. Teil übrig, was Hermann und Dorothea betreffe, so hätte dieses epos seine eigenste stelle erst in I, wie auch auf der direetoren- conferenz gesagt sei, aber das Verständnis dafür könne einem eeeon- daner so weit aafgehen, dasz er sich selbst daran mache, es noch einmal zu lesen, ganz entschieden sei er gegen das lesen der Jung- frau von Orleans nnd gegen das der Minna von Bamhelm, weU beide stücke zu hoch für diesen Standpunkt seien, das erste wegen der romantik und mystik, das andere, weil die rollen des Werner und des Biocaut und der beiden franen selbst in II snp., die der Fransiaka sogar in I schwer zum Tcrständnis gebracht werden könnten; sollte in II inf. ein Instspiel gelesen werden, dann wäre er z. b. für Schillers neffe als onkel. er schlüge also vor: für II inf.: im sommer: Sehillers ethische balladen und romanzen, die glocke. im winter: Teil und Hermann und Dorothea, für II sup.: im sommer: wie im lehrplan unter 1. Im winter: Jungfrau von Orleans und Minna von Bamhelm; für die privatlectüre eigne sich sehr Maria Stuart, von den im lehr- plan aufgestellten stücken empfehle er Götz von Berlichingen für privat- lectüre, Egmont eigne sich mehr für I und Wallenstein sei nur für diese classe geeignet, da der bau dieses grossen drama hier erst zum Verständnis gebracht werden könne und zwar nach der lectüre von Schillers abhandlungüber naive und sentimentalische dichtung,etwa in der zweiten hälfte des jabres. der Stoff scheine gross, übertreffe aber doch nicht den im lehrplan vorgesehenen, weshalb solle man aber erst auf I sup. Shakespeare lesen und nicht schon auf I inf., da dessen Macbeth doch leichter zu verstehen sei als die gedankenljrik unseres koryphäen- pasres? Shakespeares Macbeth nnd Schillers Wallenstein könnten die classenlectüre im winter für I inf. ausmachen, Iphigenie nnd braut von Messina, die für I sup., welche als schlusz und krönnng des gesamten dramatischen lehrstoffes übrig blieben: beides frauen- dramen, beide könnten mit der Sophokles -lectüre in Wechselwirkung treten, für die privatlectüre auf I inf. empfehle er Emilia Oalotti oder Nathan der weise, auf I sup. Shakespeares Cäsar oder Schillers Demetrius. mit diesem dramatisciien böhepunkte würde der lyrische sich verbinden und zwar erst die gedankenlyrik Goethes und dann die Schillers, wenn er dagegen spreche, dasz als prosalectüre für I inf. nur Laokoon aufgestellt sei, so mache er sich auf einen starken widerstand gefaszt; er plädiere für eine möglichste beschränkung nnd zwar etwa auf stück 2, 3, 5, 6, 16, 17. dabei sei den schülem eine klare gesamtdisposition des ganzen zu geben, auch die ganze Ham- burgische dramaturgie für I sup., selbst Buschmanns auawahl acheine ihm zu viel; genügen würde die besprechung von 1 7, 10, 12, 86 50, 73—80. diese besebränkungen nehme er ans dem einfachen gründe vor, um den im lehrplane gar nicht behandelten prosastücken Schillers gerecht zu werden, die er am ende unseres Jahrhunderts für das kommende geschlecht für sehr wichtig halte, dabei habe er im aoge:

des Tereins rheinischer scholm&nner. 117

über oaiTe nnd sentimentalische dichtang, über das pathetische, be- sonders die erste hftlfte und darin die wundervolle betraehtung der Laokoon - gruppe , femer 'was heisst und su welchem ende studiert man Universalgeschichte', über das erhabene, über die notwendigen grensen beim gebrauch schöner formen, die lectüre Schillers halte er für so wichtig, weil es die höchste seit sei, dass gegenüber den Zerr- bildern modemer kunst- und lebensrichtung die losung ausgegeben werde: surück zu Sehiller. bei aller tiefe und Vielseitigkeit des Laokoon und der Hamburgischen dramaturgie falle das hauptgewicht auf die form, bei Schiller trete überall die höchst ästhetische künst- lerische und zugleich praktische ideenfordernng hervor, das pathos einer männlichen Persönlichkeit voll innerster harmonie und vor allem, - was für unsere Jugend nötig sei, der kategorische imperativ ernster Sittlichkeit, und dabei stehe Schiller in der form des gedankenaufbaues dem Lessings in keiner weise nach.

Nach Verlesung der präsensliste bemerkt director Jäger: bei einem thema wie das von director Evers behandelte wäre es früher so ge- halten worden, dass jeder sich aus der reichen Schüssel herausgenommen habe, was ihm passe; eine systematische Verhandlung sei nicht mög- lich, weil keine thesen aufgestellt seien, sehr sympathisch habe ihn der verschlag berührt, Herders Cid zu lesen; ferner stimme er sehr der kritik zu, die der redner an dem vorschlage geübt habe, in III sup. die glocke und Wilhelm Teil zu lesen; es werde sehr erwünscht sein, wenn mehrere darüber sich äussern worden, auch er halte eine schul- mäszige lectüre von Schillers glocke in III für unrichtig; das gedieht werde die schüler zwar in seiner unmittelbarkeit berühren, aber man könne es mit ihnen nicht in der tief eindringenden weise lesen, wie der deutsche Unterricht sie mit sich bringe, ebenso habe er immer ungern den Teil gelesen auf einer stufe, wo die lectüre noch ganz und gar stofflich wirke; daher sei er für die vom redner vorgeschlagene lectüre. weiter möchte er zu erwägen geben, ob man nicht für diese classe, wenn man von Goethe etwas zu lesen g^ben wolle, Qötz von Berlichingen geben solle, nicht ganz einverstanden sei er mit dem, was der redner über die Jungfrau von Orleans gesagt habe, es sei richtig, dass das stück sehr feine beziehungen habe, die man für eine möglichst reife stufe sich aufsparen solle; aber auf der andern seite wirke das stück, weil es romantisch sei, auf eine altersstnfe, die frei- lich noch nicht das Verständnis für den kunstwert von dramen habe, in starker und unmittelbar anregender und aufregender weise, richtig sei ferner das, was der redner über die lectüre von Minna von Barn- helm und was er gegen die lectüre des Wallenstein auf II sup. ge- sagt habe, über den anfang der dramatischen lectüre im allgemeinen sei schon früher sehr viel discutiert worden, es komme vor allem darauf an, wie man ein drama auf der betreffenden stufe lese; man dürfe natürlich nicht, wie jetzt su seinem entsetzen geschehe, die dra- maturgische n-ecke mit haupt- und nebenfiguren an die tafel malen; das solle man sich überhaupt sparen, richtig und beherzigenswert sei das, was über Nathan gesagt sei. wir seien wohl gelegentlich in der läge gewesen, apologetisch hierbei su verfahren; man habe moniert, in dem Nathan seien allerlei haken; in der schrift von Wiese über den religionsunterricht sei Nathan als etwas zugleich langweiliges und gefährliches verworfen, er würde aber die gymnasialbildung im deutschen für sehr unvollständig halten, wenn man den Nathan nicht lese; denn das stück habe, sein kunstwert möge sein welcher er wolle, einen ganz auszerordentlichen einflusz auf das gesamte geistesleben unserer nation ausgeübt, endlich wolle er noch seine genugthuung darüber aussprechen, dasz der redner den mut besessen habe, einmal dem übertriebenen cultus der Lessingschen abhandlungen entgegen- antreten, wer wollte nicht die bedeutung von Lessings Hamburgischer

118 E. Oehley: bericht über die Sie ▼enammlimg

(!ramatnrgie würdigen? aber verkehrt sei, wenn man die ganae Ham- burgische dramatargie znm gegenständ der schnllectttre mache, ebenso sei durch die lectih'e des Laokoon eine richtong ftbermiaaig atark ge- worden, die die dramatischen kunstwerke als konstwerke den schalem bis ins kleinste zu analysieren strebe und darüber überhaupt vergesse, das knnstwerk den schUlem nach seinem inhalt wirksam an macdien. es sei gleichgültig, ob dem schüIer etwa die gestalt vordemonatriert werde, die Schillers Demetrios schlieszlich bekommen haben würde, wenn er nur den dinen gewaltigen tragischen gedanken faaae, dass ein mensch im guten glauben an seinen königsbemf ein angehenres unternehmen in die band nehme und dann auf der höhe erfahre, dass er nicht derjenige sei« für den er sich gehalten habe, alao ihm in dem angenblick der sittliche boden unter den füssen entwanden werde, so dasz er in schuld und Unglauben vollenden müsse, was er in Unschuld und glauben begonnen, über die lectüre der Sohillerachea prosaabhandlungen wolle er heute nicht sprechen, das erfordere, dass man sich erst wieder mit denselben vertraut mache.

Director dr. Becker (Düren): die masse des Stoffes, die sa bemer- kungen anlasz gebe, sei so gross, dasz er sich von vorn herein vor- nehme, nur zu einzelnen punkten das wort zu ergreifen, die kriük, welche bezüglich des Teil in III sup. geübt sei, habe auch seine Zu- stimmung, indes sei doch bedenklich, in III sup. drei stücke voran- bringen, jeder, der Unterricht gebe, wisse, wie viel er an than habe, um die Schüler im deutschen schreiben und sprechen zu lehren, jetzt, wo wir die abschluszprüfung hfttten, sei erforderlich, dass wir nicht zu viel stofffülle in die classe brächten, kaum sei von dem redner ge- streift worden, was den realanstalten besonders am herzen liege, n£n- lich die lectüre des Homer auf III sup. in der Voss^schen übersetsong; das deutsch in dieser Übersetzung sei kaum zu verstehen« warum nehme man nicht die Übersetzung von Jordan? in bezng aaf den atoff für III inf. könne er nicht ganz der ansieht des redners aasümnien über Minna von Barnhelm, manches würde natürlich dem schüler darin unverständlich bleiben überhaupt seien die stücke für männer ge- schrieben — aber er habe dieses 5— 6mal gelesen und nicht die empfin- dnng gehabt, dasz das, was unverständlich geblieben, zu viel sei; es scheine ihm wünschenswert, dasz neben Schiller und Qoethe an das ohr des sohülers auch ein werk von Lessing komme, der schwierigste punkt in III sup. sei die glocke; er wisse sich kaum zu raten und za helfen ; dasz der schüler mit der kenntnis dieses Stückes ins leben trete, ja, aber mit dem Verständnis nicht.

Geheimer regierungsrat Deiters: eigentlich dürfe er dem herm vortragenden nicht widersprechen, da er ihn zum gewähramann ge- macht habe, jedoch wolle er auf einige andere punkte, die er nur zwanglos herausg^reifen könne, zurückkommen, die lectüre dea Wilhelm Teil hat der vortragende aus der III sup. verbannen wollen, gestfitst auf das majoritätsvotnm einer directorenconferenz und auf aachliche gründe, das erstere könne er nicht anerkennen, da in der conferens den stimmen, die entscheiden konnten, stimmen, die nicht entscheiden konnten, gegenüberstanden, nach seiner ansieht habe Schillera Teil auch für die schüler der III sup. einen ganz erheblich stofflichen wert, der den in Körners Zriny erheblich übersteige; und wenn wir andi mehrere classen aufwärts stiegen, so müsten wir doch zugeben, dass auch da das stoffliche interesse immer das erste sei. wenn man aage, die schüler seien noch nicht im stände, die politische grösze in dem stücke zu würdigen und zu verstehen, so scheine ihm das ein so grosses Unglück nicht zu sein, der ansieht des vortragenden und vor^ sitzenden gegenüber glaube er, dasz die schüler die logische behand- lung, die sich in Lessings dramaturgie zeige, nicht entbehren könnten. das zweite bedenken möchte er knüpfen an die lectüre in I nnd swar

des yereins rheinischer scbulmänner. 119

gegen die vom redner so sehr warm empfohlenen Schillerschen prosa- Schriften; es sei nicht ganz absichtslos geschehen, dasz sie in nnsem lehrplänen nicht berücksichtigt seien; es gehöre zum Verständnis z. b. der abhandlung von der naiven und sentimentalischen dichtang eine reihe von Voraussetzungen, die der mehrzahl von schillern nicht so leicht faszbar seien; im gewöhnlichen gang des Unterrichts werde es zu schwer für die schaler sein, dem gedankenaufbau zu folgen; und wenn damit zu viel zeit verloren gienge, so wäre das als für geeignetere lectüre verloren zu bedauern, ganz sicher richtig sei, dasz man den heutigen Strömungen entgegentreten müsse, aber man erreiche das viel besser durch kunstwerke selbst als durch abhandlungen darüber.

Oberlehrer Löffke (Köln}: aus der erfahrung wolle er einiges mit- teilen; er habe gefunden, dasz Uhlands Ernst von Schwaben und Körners Zrinj dem schüler der III zu fern lägen; namentlich Uhlands ruhige, gemessene weise sei nicht so wirksam wie Schillers antithetische rede weise, für Götz von Berllchingen möchte auch er stimmen, denn für das einfache bei Qoethe, der den alten haudegen so trefflich schildere, könne der schüler erwärmt werden, eine frage möchte er sich noch erlauben, was für ein unterschied gemacht werden solle zwischen der lectüre in der classe und zwischen privatlectüre. er lasse nur solche abschnitte lesen, die gelesen werden müsten, damit der schüler sie ver- stehe; er möchte vieles nicht in der classe lesen lassen, da er nicht so viel Interesse bei der lectüre in der classe wie bei der zu hause ge- funden habe, was die abhandlungen betreffe, so eigne sich Lessing für die schule mehr als Schiller, da jener so sehr auf den Inhalt ein- gehe, wenn er z. b. von der KdOapctc bei Sophokles spreche, so müsse das doch jeder gelesen haben, darüber wundere er sich, dasz der redner von den Schillerschen abhandlungen nicht die über die tragische kanst empfohlen habe, die der schüler am besten verstehe; die abhandlung über naive und sentimentalische dicfatung gehöre nicht zur grundlegenden bildung. der gegensatz zwischen Idealismus und realismns könne vom schüler nicht recht verstanden werden, die aufsätze Schillers seien überhaupt nicht gut verständlich, wenn man nicht einigermaszen über die grundgedauken orientiert sei.

Oberlehrer Gl oel (Wesel): er habe die Schillerschen abhandlungen mit gutem erfolge gelesen und gerade in diesem winter; er empfehle die lectüre 'über das pathetische', seinem gefühle würde es mehr entsprechen, wenn Hermann und Dorothea nach II sup. verleg^ würde, schon deswegen, weil dabei eine gewisse kenntnis des Homer voraus- gesetzt werde.

Prof. Backhans (Köln): auf einen punkt wolle er sich beschränken, auf die Schillerschen abhandlungen. diese müste nicht nur der lehrer der Ilias und des Vergil verstehen, sondern auch die schüler müsten eine gewisse kenntnis davon haben, dafür jedoch, sie in der schule zu lesen, eigneten sie sich nicht, sondern man müsse die wesentlichen grund- sätze herausnehmen, gewisse capitel dem schüler zum lesen empfehlen und einiges vielleicht auch in der classe lesen.

Direotor Becker: diese mühe sei nach seiner ansieht schon von Schiller selbst besorgt in seinen distichen, in denen man dieselben grundgedauken wie in den abhandlungen fände, da sich die besprechung hauptsächlich auf die lectüre in I wende, so wolle er noch einen punkt berühren; der deutsche Unterricht müsse einige berührung mit andern gegenständen bieten; der schüler müsse in diesem Unterricht einiges kennen lernen von den baustilen, von wichtigen psychologischen factoren, auch von der form einer abhandlung. einige der wichtigsten lesebücher, z. b. das von Buschmann sorgten dafür, solche Sachen müsse der schüler lesen und in der schule sich darüber äuszem, da das sehr zur bildung beitrage.

Dlrector prof. Evers: gegen einiges, was gegen seine aufstellung

120 E. Oehlej: die Tenammlang det Tereins rhein. schulmänner.

gesagt sei, möchte er sich wenden, er habe nieht die bebaoptong auf- gestellt, dasz er anf Lessing verzichten wolle, wohl aber, weil er es selbst aus erfahrung wisse and von andern, lehrem und •ehülem, ge- hört habe, dasz man den Lessing in ganz ftbertriebenem maaae gelesen habe, z. b. ein ganzes semester nur Laokoon und Hamborgische dra- matnrgie, gesagt, dasz man die lectüre desselben beachriiuEen mSase und zwar gründlich, ferner habe er nieht bestritten, dasa Leasing anch auf die materie eingehe, aber man müsse doch zugeben, dass es haupt- sächlich die gesetze der formschönheit seien , die derselbe bespreche. dem einwände, dasz Schiller grosse ansprfiche in litterarisehen Voraus- setzungen mache, könne er damit begegnen, dass das ähnlich and mehr bei Lessing der fall sei; in diesem punkte könne er sich leider nicht so verteidigen, wie er wolle, weil er das schlusscapitel seiner anseinander- setzung nicht habe vorführen können, das wolle er noch bemerken: wenn man den Schillerschen abhandlungen einmal auf den grund gehe, 80 werde man Boden, dasz sie von grosser einfachheit seien, so dasz sie die schUler der I sehr wohl verstehen könnten; so habe er über Qoethes Hermann und Dorothea, betrachtet nach Bchillers abhandlung über naive und sentimentalische dichtung, ganz vorzügliche aafsätze erhalten, wenn Schiller auf das naive zu sprechen komme und das- selbe vorführe bei hindern, frauen, dichtem, so sei das doch ein ganz klarer aufbau; was er von dem unterschiede zwischen satire und elegie, zwischen schäfer- und sentimentalen idyllen sage, sei doch für den Schüler sicher nicht zu hoch, näheres iiber die Schillerschen abband- luugen denke er noch zu veröffentlichen, schliesslich spreche er die hoffnnng aus, einige Zustimmung zu ernten, wenn er sich anch bewust sei, dasz er auf einem exponierten posten stehe.

Director Jäger: was die letzte bemerkung betreffe, so könnten wir vom Standpunkt einer frischen debatte nur wünschen, dasz sich recht viele auf einen exponierten posten begäben.

Zum Bchlusz teilt der versitzende mit, dasz an stelle der satsungs- gemasz aus dem geschäftsführenden ausschusz ausscheidenden mitglieder Thom^, Poppelreuter, Becker (Düren) gewählt seien: director Matthias (Düsseldorf), prof. Mejer (M.- Gladbach), director Petry (Hemscheid).

Der verschlag, den dritten punkt zam ersten punkt der tagesord- nung der nächsten Sitzung zu machen, wird angenommen.

Director Jäger: im ganzen würden wir befriedigt sein dürfen von dem wissenschaftlichen teil, eine menge von ideen, die in unserer mitte lebten, seien anf die Oberfläche getrieben worden, niemand werde mit dem gedanken weggehen, dasz es sich nicht der mühe verlohnt hätte, vier standen in dieser weise debattierend zusammen zu sein, im übrigen seien wichtige beschlüsse in beziehung auf die grosse action des näch- sten Jahres gefaszt und die bände derer gestärkt, die die träger des Geschäftes zu seiu berufen sein werden.

Nach den Verhandlungen fand wie gewöhnlich ein gemeinaames mittagsmahl im Casino statt und am abend versammelte sich noch ein ^grosser teil der Versammlung zu gemütlicher Unterhaltung im Rheini* sehen hofe.

Köln. Emil Oehlbt.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AÜ8SGHLUBZ DBB CLA88I8CHBN PHILOLOOIB

HEBAUSQEOEBEN VON PROF. DB. BiGHABD BiCHTEB.

(8.)

DIE FORMALE BILDUNG.

eine inhaltsbestimmang. (schlosz.)

Die spraohlioh- formale bildung.

Wir baben zunäcbst die aufstellung dieser zweiten kategorio selbst als einer formalen zu rechtfertigen und knüpfen zu diesem bobufe an an das unmittelbar vorhergehende , an die vermengung n&mlich, die wir uns meist zu schulden kommen lassen, wenn wir vom denken reden, als sei kein unterschied in den bestandteilen des- selben und diese wären deshalb, weil alle Vorstellungen genannt werden, stofflich gleichartig, wir haben sie eben gesondert und müssen nun noch eine zweite sonderung vornehmen, wenn die querschnitte dort etwa als senkrechte aufzufassen sind , die in stän- digem Wechsel und mit wechselndem überwiegen die auf einander folgenden Vorstellungen und anschauungen trennen, so ist dieser nun ein verticaler: oben liegen die werte und unten alles, was sie vertreten , im reden die Vorstellungen , sonst die begriffe, meistens verstehen wir nun unter denken das denken in worten, und dies ist , ganz abgesehen von dem , was wir eben über die anschauungen sagton , wieder falsch , obgleich diese auffassung hier und da sogar noch ihre wissenschaftlichen Verteidiger hat. die werte sind eben nicht die Vorstellungen selbst , sondern nur ihre Vertreter und für die abstraoten sowie die begriffe zugleich die unerläszlichen stützen, ohne die sie , mit ausnähme einiger beziehungsvorstellungen , über- haupt nicht zu einer existenz in der seele und zu einer begrifflichen ausbildung sowie zu einer hellen bewustheit gelangen könnten, wären die werte die Vorstellungen selbst, dann könnte es nur eine spräche geben, so denken wir also wohl in worten und mit hilfe

N. Jahrb. f. phil. o. pld. II. «bt. 1895 hFt. 3. 9

122 A.Lichtenheld: die formale bildang.

von Worten , aber nicbt worte scblecbthin , und der grad der faellig- keit , mit dem sie beim denken im bewastsein gegenwärtig sind , ist sogar ein sehr wechselnder, bis zur kaum mehr erkennbaren Ver- dunkelung hinab, dies zeigt sich z. b. dann, wenn wir das wort nicht finden können für etwas, was uns seinem inhalt nach schon denÜich vorschwebt, so ist also die spräche nur das mittel zum denken und gedachtes darzustellen, die umkleidung desselben und damit form, und sprechen infolge dessen ein doppeltes thun, nämlich sowohl den inhalt herzustellen und zu ordnen , als auch diese umkleidung in die richtige gestaltung zu bringen , so dasz jener aufs deutlichste hJBrvortritt.

Aber mit der bloszen Feststellung des gegensatzes von denken und spräche oder der innem und äuszern seite der spräche , der ja ohnedies nicht bestritten wird , ist doch , so wichtig derselbe fttr uns ist; wenig erreicht für das , um was es sich nach den eingangs- worten dieses abschnittes zunächst handelt, man kOnnte uns viel- mehr schon mit gewichtigen einwürfen zu leibe rücken.

Wenn wir nämlich oben das Verhältnis der spräche zum inhalt mit dem worte umkleidung charakterisierten und die umkleidung kurzweg form benannten , so liegt der einwurf nahe , das sei eine Unterschiebung, eine einschmuggelung des wertes form, der einwurf ist unberechtigt, aber eine erläuterung ist nötig, man musz nämlich nicht nur denken- und spräche, sondern weiter auch spräche und sprechen auseinander halten, beim fertigen satz, der etwa auch noch geschrieben vorliegt, ist die sprachliche einkleidung allerdings eher als form im sinne von gestalt zu benennen und einem gefftsz zu ver- gleichen , in das der gedankeninbalt gegossen wurde und das nun sinnföllig, sogar für das äuge, so vor uns steht, dasz auch der inhalt seiner gestalt entspricht, aber dieser vergleich hinkt vollständig, spräche ist nicht etwas abgeschlossen und unbeweglich vorliegendes, sondern sie hat ihr leben im sprechen, und so ist auch jener satz erst durch eine thätigkeit zu stände gekommen, und diese thätigkeit, die allein in betracht kommt, ist ein formen.

Doch da ist auch schon ein zweiter einwurf, der nämlich, dasz, wenn sprechen auch eine formende thätigkeit sei, sie doch, ja gerade deswegen, mit hilfe irgend welcher logischer kategorien vollzogen werden müsse, die sprachlich-formale bildung also aufgehe in der logisch-formalen und höchstens als besondere art derselben ihr unter- geordnet, aber nicht neben sie gestellt wurden dürfe.

Und auch das ist nicht richtig, erstens verwechselt man bei einer solchen auffassung wieder das ordnen des inhalts des ge» sprochenen mit der thätigkeit, durch welche die gestaltung des äuszem, lautlichen materials zu stände kommt, ja die Verwechselung kann wohl so weit gehen, dasz man an jene Operationen mit allerlei regeln denkt, die sich beim übersetzen in die nach der wissenschaft- lichen methode gelernten sprachen oder aus einer solchen vollziehen und die ausgesprochen logischer natur sind (studium der sprachen

A. Lichtenheld: die formale biidang. 123

8. 98 ff.), wir kommen darauf noch zurück, zweitens denken die kundigeren wohl daran, dasz, wenn die sprachlichen kategorien auch nicht mit den logischen verwechselt werden dürfen, jene doch schlieszlich auch auf logische beziehungen zurückzuführen sind, darauf erwidern wir, dasz bei unserm sprechen dieses Verhältnis überhaupt nicht in betracht kommt (weshalb wir uns auch zum glück auf diese schwierige frage nicht einzulassen brauchen), denn in unserm sprechen jetzt werden die grammatischen kategorien ja nicht erst geschaffen ; sie sind producte, die nach Jahrtausende langer arbeit der vorfahren ^ bei denen jeder aber auch nur in minimalster weise mitwirkte, jetzt fertig vorliegen und nach mechanischer an- eignung ohne die geringste reflexion, selbst wenn grammatische Studien sie kennen gelehrt haben, verwendet werden, selbst die an- bänger der überwundenen philosophischen grammatik könnten, da es sich um das sprechen selbst handelt, da keine scrupel hegen.

So ist also das sprechen nach seiner äuszem , lautlichen seite wohl ein formen, aber kein logisches, und es fragt sich, was es denn sei. die antwort ist kurz : was hier formend wirkt , sind lediglich associationen, und zwar solche, die auf ganz mechanischem wege in allmählicher festigung zu stände gekommen sind, diejenigen nämlich, die die Vorstellungen , inhaltlich und für sich genommen , mit ihrem wort verbinden, dasz zwischen beiden kein logisches be- Ziehungsverhältnis obwaltet, liegt auf der band, denn was hätte die Sache brot mit dem wort brot gemein? wäre es anders, dann könnte es, wie schon einmal gesagt wurde, nur eine spräche geben, selbst die onomatopoetischen bildungen können da nur in ihrem onomato- poetischen kern herangezogen werden^ denn die ganzen Wörter lauten in jeder spräche anders, und wenn viele gebilde dem wirken der innem sprachform ihren Ursprung verdanken (ßoOc, kuh das bumachende , bahn zu canere , der sänger wie gallus zu gellen), also doch wenigstens in der ableitung eine erwägung, eine causale be- Ziehung steckt, so waren solche schöpferische Sprachmomente doch jederzeit in der ganzen flucht des Sprechens vereinzelt und kommen jetzt gar nicht mehr in betracht. ganz abseits liegen natürlich die- jenigen fälle, wo, wie bei sprachlichen Untersuchungen, die laute selbst gegenständ der betrachtung sind oder wo um der findung von klangfiguren willen die betreffenden laute revue passieren müssen, diese sind zwar in eine causale reihe verflochten , aber das denken über sie vollzieht sich doch wieder in der genannten weise.

Dem allen entspricht es nun auch , dasz an der arbeit , wie wir uns das lautliche material der muttersprache aneignen, die reflexion gar keinen anteil hat wir machen es uns durchweg dadurch zu eigen, dasz wir es stück für stück von andern hören und allmählich mecha- nisch unserem besitzstand einverleiben (wovon auch die durch ana* logiebildung erworbene beherschung der flexionsformen keine aus- nähme macht), selbstverständlich jedes als Vertreter eines bestimmten inhalts, den wir gleichzeitig mit aufnehmen, indem sich aus der rede-

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124 A. Liohtenheld: die formale bildang.

Situation allemal ergibt, was gemeint sei, höchstens ab und zu mit dem directen hinweis : das ist ein reh (= das ding heiszt reh). be- sonders nahe stehen in den letzten fällen diesen assodationen nach ihrer mechanischen aneignung die geschichtsvocabeln : 753 die gründung Roms, deren beide glieder gerade so zufällig zusammen- geraten und mechanisch verbunden sind, aber das Verhältnis ist auch sonst das gleiche.

Betrachten wir nun endlich noch das formen der bestandteile zum satz, so ist dies also, wie gesagt^ ein doppeltes thun: das eine reiht die Vorstellungen an einander, und dies ist sowohl das wich- tigere ^ als ein logisches, mögen die beziehungen nun erst gesetzt werden oder alte logisch associierte Verbindungen zur Verwendung kommen, das andere, meist sich von selbst einstellende, besteht darin, dasz die elemente dieser reihe, sowohl die materiellen wie die beziehlichen , die durch jene mechanischen associationen ihnen ver- bundenen laute mitbringen, so dasz die reihe der Vorstellungen, der innere satz , nun über sich die parallelen der laute hat. wollte man daraus aber die allerdings nahe liegende folgerung ziehen , dasz die Vollständigkeit der sprachlichen darstellung ein untrüglicher gradmesser der klaren erfassung der darzustellenden materie selbst sei, dasz also sprachliche fehler auf logische oder materielle mängel zurückzuführen seien, so wäre das doch übereilt, wie wir alsbald sehen werden.

Nach diesem stellt sich aber auch noch von einer ganz andern Seite her das sprachliche können ^ und zwar nun nicht mehr nur von der lautlichen seite, als der formalen bildung zugehörig dar, oder: es läszt sich noch unter einem andern gesichtspunkt spräche als etwas auffassen, was als form zu bezeichnen ist. dieser gesichts- punkt ist, dasz die spräche, obwohl selbst ein wissen, das so gut an- geeignet werden musz wie jedes andere auch, doch auch zugleich eine besondere Stellung dadurch einnimmt, dasz sie das mittel für die darstellung und aneignung jedes andern wissens ist. sie ist, und hier treffen sich das logische und sprachliche können» ein er fordernis, das bei allem denken und geistigen arbeiten gerade so unerläszliche Voraussetzung ist, wie das logische können, und das wie dieses im allgemeinen zwar mit der materiellen bereicherung des geistigen inhalts wächst, aber doch auch, und sogar in noch viel stärkerer ab weichung, nicht vollständig gleichen schritt mit jenem hält , sondern seiner eignen ausbildung hinter jener zurück oder ihr voraus fähig ist. endlich haben auch noch das beide mit einander gemein, dasz, wie das logische können auf den angeborenen kate- gorien beruht , so die fähigkeit zum sprechen mit den sprachwerk- zeugen gegeben ist, und dasz bei beiden diese begabung auf dem- selben wege durch hören und nachahmen , nur sprechen viel mehr, vielfach sogar im einzelnen gleichzeitig zur fertigkeit wird.

Nachdem wir so die rein sprachliche bildung als eine formale zur genüge, wie wir hoffen, gesichert haben, können wir nun der

A. Lichtenheld; die formale bildung. 125

andern seite derselben, der bildung, unsere aufmerksamkeit zu- wenden« da diese aber hierbei auch noch weiter in ihrer Sonder- stellung dem wissen gegenüber zu betrachten ist, so werden sich un- gesucht auch noch weitere stützen für ihre formale geltung ergeben.

Wie bei allem wissen und kOnnen gibt es auch für die sprach- beherschung eine entwicklung von den einfachsten anfangen durch eine periode des stammelns, der schwerflUligkeit bis hinauf zur höch- sten gewandtheit , und wie überall sind auch hier arbeit und Übung die natürlichsten mittel, vorwärt« zu kommen, bei der Stellung, die die spräche als mittel der darstellung und aneignung für alles wissen einnimmt, müssen sich die hier erzielten fortschritte auch in der Sprache widerspiegeln und kommt demgem&sz die jenen gewidmete arbeit auch dieser zu statten, das Verhältnis ist also im allgemeinen dasselbe wie bei der logischen bildung, die gleichfalls zum weitaus fiberwiegenden teile an die materielle bereicherung gebunden ist. aber wie bei dieser dies doch nicht durchaus der fall ist, so gehen auch bei der Sprachfertigkeit beide fortschritte noch viel weniger allgemein band in band , wie schon gesagt wurde, wir fassen hier nur den fall ins äuge , wo die Sprachgewandtheit den oft sehr weit- gehenden überschusz zeigt, suchen wir nach den Ursachen, so müssen wir sagen, dasz, wie es für viele dinge, besonders die künste, aber auch für disciplinen wie die mathematik (s. o.) unstreitig eine besondere begabung, ein talent gibt, so auch für das sprechen ein solches nicht zurückzuweisen ist, und es kommt nur darauf an, das wesen dieser begabung genauer festzustellen.

Als erstes erfordemis derselben ist ein besonders gutes ge- dächtnis lediglich für die lautlichen demente der spräche anzusetzen, und da es solche gedächtnisse für zahlen, namen, fremde vocabeln anerkanntermaszen gibt, so ist nicht abzusehen, warum es nicht auch ein solches für die werte der muttersprache geben soll, mit den lauten dieser ist aber durchweg auch ein Inhalt verbunden, und da müssen wir nun als zwei te, aber der ersten aufs engste verbundene eigenheit dieser begabung ansehen , dasz das band , das Vorstellung oder Inhalt und laut verbindet, sehr leicht hergestellt wird und die Verbindung fest bleibt, so dasz, selbst bei dürftigstem inhalt, wie bei den bekannten gedächtnishilfen, sobald die Vorstellung dem bewustsein naht, auch der laut zur stelle und auf der zunge ist. dieses gute gedächtnis braucht sich aber nicht nur auf einzelne werte zu erstrecken, sondern es kann auch phrasen und ganze sätze um- fassen, da wir aber femer nicht in abgerissenen werten sprechen, sondern in Sätzen, so musz bei den redekünstlem drittens auch die ausbildung aller der kategorien oder vorstellungsgruppen , die für die durch analogiebildung sich vollziehende redeformung in be- tracht kommen, sich leicht vollziehen , gerade so wie auch die oben besprochenen beziehungsgruppen bei den logischen köpfen aus- gebildeter und von einer gröszem reizbarkeit sind, viertens end- lich müssen auch die Sprech Werkzeuge sich einer beweglichkeit und

126 A. Lichtenheld: die formale bildang.

einer günstigen Verbindung mit jenen gebimteilen erfreuen, von welchen die sprecbthätigkeit ausgebt, die den rasebesten geborsam und die feinsten wecbselbeziebungen sicbem.

Auf diesen vier factoren berubt also das sprecbtalent, soweit die gedanken auszer betraebt bleiben, und wenn auch alle vier selten gleicb günstig beisammen gefunden werden , so liegt docb auf der band, dasz normal das Vorhandensein eines oder einiger die bessere entwicklung auch der andern im gefolge bat.

Aber es ist docb eine doppel wertige gäbe, sie bat nicht nur ihre liebt-, sondern auch ihre Schattenseiten, zu den ersten gehört zunächst , dasz ohne sie kein wahrer redner werden kann, doch da- Ton sei hier abgesehen, wichtiger scheint mir folgendes: der weg nämlich y der zur begrififsbildung führt, kann sowohl der sein, dasz erst die elemente solcher bei verschiedenen gelegenbeiten sich an- sammeln, und dann im günstigen momente mit hilfe des gegebenen Wortes zum begriff sich zusammenscblieszen , aber auch der um- gekehrte, dasz das wort sehr früh aufgenommen wird und nun mit seinem anfangs dürftigen inhalt den kern bildet für die folgende, um so rascher sich vollziehende begriffsbildung. es ist eben, worauf wir gleich noch kommen werden, ein gar gewaltiger unterschied, ob man ein wort nur versteht oder es zu eigner Verwendung geläufig hat. ebenso steht es mit phrasen und Sätzen, ein in der jugend aus- wendig gelerntes Sprichwort bedeutet im an fang gar nichts, weil die erfabrungen fehlen, aber wem es geläufig ist, der gelangt doch eher zur erfassung der darin liegenden Weisheit als der, dem es fehlt, so haben wir also in dem sprachgedächtnis ein hilfsmittel für die raschere und reichere intellectuelle entwicklung zu erblicken.

Aber es kann auch im entgegengesetzten sinne wirken, es ist ein bilfsmittel, aber nicht die intelligenz selbst, diese zu erwerben erfordert intensive arbeit aller orten, damit die worte und sätze nun auch einen reichen und wohlgeordneten inhalt erhalten, und da tritt es wohl ein , dasz in bequemer Selbsttäuschung die Umhüllung für den kern genommen wird, dasz der phrasengewandte sich für einen gebildeten oder gar gelehrten hält, unendlich grosz ist ja der ab- stand dessen, was unter demselben worte sich bei verschiedenen Individuen birgt, wer das wort hat, kann von der sache blutwenig, aber auch auszerordentlich viel sein eigen nennen, ein kreis ist für das kind nichts weiter als etwas rundes , für den mathematiker ein wort, bei dessen klang tausend dinge in seinem wissen in Schwingung versetzt werden und zur apperception bereit sind, um zu erfahren, was das wort deckt, ist erst eine art examen erforderlich, und da kann das entgegengesetzteste zu tage kommen, und so auch bei phrasen, Sätzen, Sprichwörtern.

Die beobachtung dieser erscheinung ist uralt, besonders bei oberflächlichen dichtem kann man wahrnehmen, wie sie sich viel- fach mit hängen gebliebenen phrasen , von deren sinn sie nur so viel verstehen , dasz sie an ihrer stelle nicht geradezu zum unsinn

A. Lichtenheld : die formale bildung. 127

werden, weiter helfen, so erzählt Sokrates in der millionenmale ge- lesenen apologie, es sei ihm wiederholt widerfahren, dasz er bei schwierigen stellen , die ihm unverständlich blieben , sich beiden betreffenden dichtem selbst rats holen wollte, er aber die erfahrung machen mäste, dasz auch sie keinen aufschlusz zu geben vermochten. und von solchen erlebnissen kOnnte ich gleichfalls berichten, be- sonders bei dichtenden jungen damen. die redeweodung, dasz der dichter der mund des gottes sei, erhält dadurch ihre eigne, für jenen nicht sehr schmeichelhafte und doch sehr natürliche erklärung. Sokrates selbst aber verfolgte in allen seinen Unterredungen ja aus- gesprochen das ziel , die menschen zu veranlassen , sich bei den ge- bräuchlichsten Worten etwas zu denken, bei wem eben die innem fortschritte sich nicht auf gleicher höhe halten mit der äuszem Sprachfertigkeit, der gerät leicht in gefahr, ein Schwätzer zu werden, dem zu jeder sache , ehe er sie noch einigermaszen erfaszt hat, auch schon die werte und phrasen nur so zuflieszen, sich im bewustsein breit machen und, vor allem wenn die beweglichkeit und unruhe der Sprechwerkzeuge, das ergebnis auch einer gymnastik, besonders entwickelt ist, über die zunge gleiten.

Drei dinge sind es nun, in denen die herschaft Über die mutter- sprache als bloszes darstellungsmittel zum ausdruck kommt, und diese sind: reichtum, correctheitund dergebrauch dessen, was von schönheitlicher beschaffenheit ist. dieses letzte führt uns hinüber in die dritte art der formalen bildung, und wir werden es dort erOrtem.

Was den reichtum betrifft, so gibt es niemanden, der seine muttersprache vollständig in dem sinne beherscht, dasz ihm alle hilfsmittel derselben zum eignen gebrauche, denn das ist erst beherschung, zu geböte stünden, dahin zu gelangen, dasz man, be- rufstermini ausgenommen, jedes wort so weit versteht, dasz irgend welche Vorstellungen durch dasselbe geweckt werden, ist nichts be- sonderes für leute, die viel lesen ; aber der weg von dieser beher- schung zu dem der eignen Verwendung ist so lang , dasz niemand besonders weit auf ihm kommt, doch es liegen ja berechnungen vor, die man wiederholt angestellt hat. nach diesen bringt es der ge- meine mann etwa bis zur aneignung eines procents des ganzen wort- bestandes, wie ihn ausführliche Wörterbücher aufweisen, die sprach- gewaltigsten wie Goethe etwa bis zu zehn procent. obwohl wir von modernen Schriftstellern noch keine vollständigen Wörterverzeich- nisse haben , auszer sehr dürftigen einzelner dialektdichter , so er- halten jene Zahlenangaben doch grosze Wahrscheinlichkeit durch den vergleich mit antiken autoren , wo wir besser daran sind, das grie- chische Wörterbuch von Passow hat an 200000 artikel , das Homer- wörterbuch von Ebeling an 10000, für Plato zählen wir bei Ast über 10000. Horaz hat gegen 6000 artikel gegen 90000 bei Georges, diese Zählungen haben zwar sehr viele wenn und aber, aber an- nähernd veranschaulichen sie das Verhältnis doch, mit den bloszen

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Yocabeln ist aber das, was zum reicbtum gebOrt, durchaus nicht er- schöpft, doch da hier auch die correctheit bineinspielt , so sei diese sofort mit herangezogen.

Auch bei ihr kommt zuerst der Wortschatz in betracht. sie zeigt sich darin , dasz jedes wort mit dem inhalt verbunden wird, der zur zeit der nach dem besten Sprachgebrauch feststehende ist, oder, wie ich es im Studium der sprachen benannt habe^ dasz der individuelle begriff dem gentilbegrifif so nahe wie möglich kommt, starke ab weichungen , wie sie sich z. b. besonders Elopstock er- laubt, haben Unklarheit oder mindestens Schwerfälligkeit im gefolge, mäszige finden immer statt, denn aus ihnen geht jene Verschiebung hervor ; die als bedeutungswandel in der Sprachentwicklung eine so grosze rolle spielt, besonders für die synonym a ist correctheit ein erfordemis einer sauberen schreib- und Sprechweise, aber hier auch am meisten gefährdet, wenn wir eben hörten, über einen wie geringen teil des gesamten wortbestandes sich selbst die reichste sprachbeherschung erstreckt, so liegt die folgerung nahe, dasz dem entsprechend auch der vorhandene begriffsschatz nur gering und damit weiter auch die summe der gegenstände , über die sich das denken erstrecken kann, für das betreffende Individuum nur beschränkt sein kann, dem ist aber nicht so^ und die Ursache liegt in den zahllosen synonymen, von denen zwar nie auch nur zwei ganz dasselbe ausdrücken , so dasz sie an jedem orte anstandslos mit ein- ander vertauscht werden könnten, deren begriffssphären aber doch immer so viel gemeinsames haben , dasz an jedem orte fast mehrere Wörter zur wähl zur Verfügung stehen, und aus dem darin liegenden schwanken geht nun jene Verschiebung und der bedeutungswandel hervor; dazu kommt, dasz durch Zuhilfenahme von weiteren wörtem (weiszes pferd «« Schimmel) und durch Umschreibungen, die schliesz- lich ganze sätze umfassen , der mangel ersetzt werden kann, noch mehr tritt dies alles hervor in dem, was nun gleichfalls zum reicbtum gehört und worin die gleiche correctheit sich bethätigen kann, näm- lich in den vielen tausenden von phrasen und stehenden redens- arten, denen auch zahllose conventioneile sätze angehören, es kommt hier , besonders bei den ersteren , ein doppeltes in betracht : erstens dasz man nicht ungebräuchliche phrasen verwendet: man sagt wohl 'mit furcht erfüllen, furcht einjagen, erregen', aber nicht 'furcht ein- geben', und zweitens dasz man diese alle als synonyma auseinander- hält, nicht 'furcht einjagen' sagt, womit das plötzliche bezeichnet wird , wo nur ein langsames einflöszen stattfindet, dies ist eine in- correctheit, die zum Widerspruch wird, wenn ein 'schrecken ein- flöszen' entschlüpft, da in jenem die Vorstellung des plötzlichen, in diesem des langsamen liegt, wie sehr correctheit auf reicbtum be- ruht, geht nach diesem daraus hervor , dasz jene wähl also geläufig- keit der verschiedenen möglichkeiten voraussetzt, eben der all- seitige mangel an reicbtum führt aber darum zur incorrectheit, zum schwanken, und hieraus geht wieder hervor, dasz verstösze gegen

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den beBten Sprachgebrauch schon stark sein mtlssen, wenn sie wahr- genommen werden sollen.

Anders steht die sache bei dem, was nun weiter noch zur cor- rectheit gehört, nämlich der richtige gebrauch der Flexionen und rectionen. formen wie 'esz, vergesz' statt ^isz, vergisz' oder ein falscher casus bei einer präposition, einem verbum, adjectivum sind sehr sinnfllllig und fordern daher leicht zur correctur heraus , und ebenso steht es mit verstOszen gegen die Wortstellung, die gleichfalls zur correctheit gehört.

Doch dabei wollen wir nicht verweilen, jede grammatik bietet ja das nötige zur ergänzung dar, und zudem steht die correctheit ja gerade insofern auf der tagesordnung, als das fahnden auf yer- BtÖBze gegen dieselbe zur zeit ein beliebter wissenschaftlicher sport ist, der einerseits sehr viel gutes im gefolge hat, aber anderseits doch auch oft ttber das ziel hinausschieszt, indem er selbst die zu- Iftssige freiheit, die ein charakteristischer vorzug unserer spräche ist, zu gunsten einer diesem geiste widerstreitenden Conventionellen eretarrung, wie sie durchaus nicht immer zum vorteil das franzö- sische aufweist , auf das allerengste beschränken möchte.

Mit dem, was die letzten Seiten enthielten^ sind wir einer sache zugedrängt worden, die gleichfalls vollständig in den bereich unseres themas gehört und sich hier am besten anschlieszt. es ist dies der Stil, darauf nämlich, dasz jeder von allem, was zum sprach- reichtum an wörtem, phrasen, möglichkeiten der satzbildung ge- hört, immer nur einen teil und diesen mit ungleicher correctheit beherscht, sowie auf der gleichen erfahrung, dasz auch die logischen formen nicht alle jedem gleich geläufig sind und die geläufigen nicht immer gleich scharf heraustreten, ergibt sich eine individuelle eigenart der darstellungsweise , die wir eben stil benennen, er ist, wie sich aus dieser kennzeichnung ergibt, sowohl ausgesprpchen for- maler natur, als er auch, so sehr er als etwas charakteristisches eine erfreuliche erscheinung ist, doch auf einem mangel an allbeherschung beruht, bei ihm kommt es also nicht darauf an, was man sagt, so sehr der inhalt die form auch beeinfluszt, wie dies die genera dicendi besonders deutlich zeigen, als vielmehr darauf, wie man es sagt, und das bekannte wort Bufifons Uo style c'est Fhomme' ist also, soweit es in seiner extremitHt überhaupt wahr ist^ auf dieses wie einzuengen.

Um den stil eines menschen und überhaupt die möglichen stilistischen eigenheiten festzustellen, wäre nun zunächst eine tabelle der letzteren und sodann eine stilistische Zusammenstellung der diesen entsprechenden Vorkommnisse für den betreffenden autor er- forderlich, eins ist aber so unmöglich wie das andere, wie solches sich auch bei den logischen kategorien herausstellte, und man urteilt durchweg auch nur nach sehr auffallenden eigenheiten sowie nach allgemeinen eindrücken, auf einige der in betracht kommenden dinge sei aber doch hingewiesen, zu sondern sind sie nach sprach-

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liehen und logischen eigenfcümlichkeiten, die aber nicht immer streng aas einander zu halten sind.

Zuerst gehört dahin also das, was sich am allerwenigsten ohne Wörterbücher und Zählungen auch nur annähernd feststellen läszt, nämlich welche Wörter und phrasen und wie oft diese verwendet werden, bei der beurteilung wird davon auch fast gänzlich ab- gesehen , höchstens dasz dieses oder jenes wort durch seine häufig- keit auffällt, der correctheit gehört es zu, wenn der eine für jede Vorstellung ein mit möglichster exactheit gebrauchtes wort setzt, während der andere die sjnonjma und ähnliche Verbindungen häuft, bis er meint, endlich verstanden zu werden, eine eigenheit, doch aus andern gründen, besonders der alten allitterierendon poesie. jener exactheit, d. h. der strengen anlehnung an den herschenden gebrauch, den gentilbegriff, steht die bis zur unverständlichkeit gehende ktthnheit im abweichen von jenem gebrauch gegenüber, wozu Elopstock die beispiele in fülle bietet und was ihm den an- schein der tiefe gibt und doch nur das lesen unnötig erschwert, dieses wird aber auch, ja noch mehr sogar, erreicht durch eine weitere stilistische eigenheit, die im satzbau und der Wortstellung liegt, in denen er sich neuerungen und noch Öfter einfache Um- stellungen erlaubt, die von ihrem gegenteil, der strengen beobach- tung des üblichen, über gebtthr abweichen, zu den Vorstellungen zurückkehrend finden wir bei dem einen die schlichte und directe bezeichnung mit dem treffendsten wort, während andere nicht ohne Umschreibungen und bildliche Wendungen auskommen zu können meinen (maniriert), oder dasz der eine auf der ständigen suche nach kraft- und kern werten ist, die auch gelegentliche roheiten nicht scheuen, womit sich leicht entschiedenheit des tones und be- stimmtheit verbindet, während der andere in vorsichtiger oder ängst- licher scheu die ungeföhrliche mitte und den maszvollen ton mit allerlei verclausulierungen liebt, die bescheidenen leuten geziemt, alles dies gehört noch in den bereich der form; über denselben hinaus geht es, wenn man einem autor anschaulichkeit nachrühmt oder dieselbe vermiszt. sehr auffallend sind die unterschiede des satzbaus , deren gegensatz auf der einen seite der in lauter knappen Sätzen fortlaufende coupierte stil, auf der andern der der lang- atmigen Perioden ist, die an die indischen Wortungeheuer erinnern und aus derselben geduld und besonnenheit, vielleicht auch aus zeit- überflusz hervorgehen, auf die spitze wird jener stil getrieben, wenn es auch noch verschmäht wird, durch reichliche Verwendung von Partikeln und conjunctionen den causalen Zusammenhang und fortschritt kenntlich zu machen, eine eigenheit, durch welche sich ganze sprachen unterscheiden , wie das griechische mit seiner über- fülle in dergleichen gegen die lateinische armut und Zurückhaltung.* rein logisch ist die streng causale weiterführung, die selbst da, wo ein Sprung zu neuem gemacht wird , diese durch geschickte Über- gänge , die überhaupt , wie die gerundeten abschlüsse , auch für den

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stil sehr in betracht kommen, zu verdecken sucht, die Vorliebe für stete teilungen , Unterordnungen u. dgl. , dem allen das lockere an- einander der gedanken gegenübersteht, das es dem leser überläszt, den logischen faden sich zu suchen, handelt es sich um bev^eise, dann l^n man auf diese V7eise, wie z. b. Nietzsche lehrt, zu jedem beliebigen ziele kommen, denn wer will bei solcher gedanken- fühmng allen Unterschiebungen im einzelnen auf die spur kommen ? wer sich dadurch imponieren läszt, nennt es geistreich, stilistisch ist es z. b. noch , wenn Lessing selbst seine manier so charakteri- siert, dasz er sich jemand sucht, mit dem er streiten kann und wie es dann weiter heiszt , oder wenn er sich im Laokoon den anschein gibt, als solle der leser zeuge sein, wie sich die Sachen eben in seinem denken aneinanderreihen und eins aufs natürlichste aus dem andern hervorgehe, oder wenn er die gleichnisse u. dgl. stets zu dreien häuft u. s. f. doch das sind schon specialitäten.

Ein ausgeprägter stil, d. h. die ständige Wiederkehr derselben, meist wenig zahlreichen eigenbeiten, ist, abgesehen von den Schlüssen^ die man daraus auf den Charakter und die bildung des betreffenden ziehen kann, für kurze darstellungen fesselnd, weil eine scharfe eigen- art daraus hervortritt, auf die dauer aber ermüdend, selbst ein solches meisterwerk wie Otto Ludwigs 'zwischen himmel und erde' büszt durch die eintönigkeit des coupierten stils viel von seiner Wirkung ein, und auch Schiller verliert durch sein pathos, wenn man mehrere stücke nach einander liest, die grenze aber zu ziehen , wo der stil, soweit er nur form ist, aufhört und das gebiet des eigentlich gedank- lichen beginnt^ ist natürlich schon deshalb schwer, weil, wie schon gesagt wurde ; die form zu vielfach von dem gedanken, mindestens von seiner ^rbung, bestimmt wird, hält man aber fest, dasz das wesen des stils in der form liegt, dann wird man sich bei der Ver- wendung dieses wortes nicht allzu weit von dieser basis entfernen und dem inhalt lassen, was des inhalts ist.

Den einzigen weg, auf dem wir zur gowinnung der her- schaft über die mutterspracho gelangen, sowohl nach der äuszer- liehen wie innerlichen seite , bietet die Überlieferung , der verkehr mit den sprachgenossen in wort und schrift; das einzige mittel, diesen besitz zu festigen und ihn zu einem wirklichen können zu machen , ist die ausübung dieses könnens selbst, dasz dies nun bis zu einem gewissen grade von selbst geschieht, ohne allen Unterricht und ohne irgend eine auf dieses ziel gerichtete absieht^ dafür sorgt der zwang des lebens. aber auch noch weit über das notwendigste hinaus sorgt jene mittelbare forderung, die, der Stellung der spräche als des darstellungsmittels alles wissens gemäsz, der Unterricht in jedem teile dieses und der blosze verkehr mit besser und gehaltvoll redenden (in büchem vor allem) mit sich bringt, je eindringlicher die arbeit ist, die auf die erfassung des inhalts gerichtet ist, um so mehr wird dabei auch für die spräche abfallen, um so reicher wird der wort- und phrasenschatz, und um so fester werden die associationen

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zwischen den lauten and dem durch die arbeit gewonnenen reichen und geordneten inhalt. zur meisterschaft endlich führt nur diejenige Übung, die, auf einem solchen wissen fuszend, bei jeder Vorstellung und jeder wendung klarste und schttrfste Umschau httlt unter allen ausdrücken, die etwa verwendet werden können, bis der richtige ge- funden ist. und hier ist nun endlich auch der passendste ort, des Studiums der alten sprachen zu gedenken, insofern man ihnen in hervorragendem masze eine formal-bildende Wirkung zuschreibt.

Formal-bildend! was heiszt das nun wieder, und was heiszt das hier? ist das logisch-formal oder sprachlich-formal, oder gar, da das ergebnis des Unterrichts ja nicht ein Hotes wissen', sondern ein lebendiges kOnnen' sein soll; besteht dieses letztere nun in einer flieszenden beherschung der alten sprachen in wort und schrift, oder auch nur darin , dasz man sie gelttufig liest ? nun, wie*s damit steht, das sei gott geklagt, wenn von dem modernen Unterricht, man weisz meist selbst nicht warum, gerühmt wird, dasz er vor dem früheren das voraus habe, dasz er eben statt zum toten wissen mehr zum kOnnen führe, dann ist er bei diesem können wie so manchem andern gerade zu dem entgegengesetzten ziele gelangt: an die stelle einer noch leidlichen gewandtheit ist die peinvollste unbe- holfenheit getreten, hier also htttten formale gewandtheit und leben- diges können gar nichts mit einander zu thun , ja sie schlieszen sich sogar aus. wir müssen der sache also von anderer seite beikommen.

Wenn man über die ziele und ergebnisse des altclassischen Sprachunterrichts streiten hört und dabei erklärt wird , auf dem in- halt der classiker, der uns das leben des altertums nach allen rich- tungen und in allen seinen erscb einungen darstelle, ruhe nicht das Schwergewicht, denn das könne man ebenso gut, wenn nicht besser, jedenfalls aber mit unendlicher ersparnis an kraft und zeit durch massenlectüre von Übersetzungen und andere bilfsmittei erreichen, er liege vielmehr in dem Studium der sprachen selbst, dann ist damit auch leicht als selbstverständlich die auffassung zur stelle, als sei nun auch mit ausschlieszung jedes dritten das Schwergewicht von der materiellen seite auf die formale geschoben, dann fällt auch alsbald das Schlagwort von der gymnastik des geistes, und als die tummelstätte kqt' iEoxf\y dafür wird auf das syntaktische regel- werk hingewiesen, als biete die Verarbeitung desselben die gelegen- heit zur erwerbung aller möglichen logischen ^ überall zur geltung kommenden fertigkeiten.

Aber auch hier sahen wir schon früher ^ wie es mit dieser gel- tung steht, mag ihr Ursprung aufweiche lemmaterie immer es sei zurückgeführt werden, und selbst zugestanden , es sei viel mehr an der Sache als sich oben ergab, so wäre doch gerade die syntaz nicht die gelegenheit, da viel zu erreichen, nicht dasz sie nicht direct wirklich reichliche anlasse böte zu logischen Operationen, aber die zahl dieser ist sehr beschränkt, immer nur dieselbe eintönige einordnung des einzel falls unter die regel mit dem suchen unter

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mehreren I oder bildung von beispielen nach solchen regeln, nach dieser seile ist also der gewinn sogar sehr dürfbig.

Aber damit doch nicht überhaupt, die durch die syntax veran- laszten arbeiten sind thatsächlich von groszer bedeutung für die in- tellectuelle erziehung, nur liegen die gewinne wo anders, und damit kommen wir nun auf jenes dritte, handelt es sich in einem zu be- handelnden Satze um die feststellung oder anwendung einer regel, dann ist sehr oft y wenn auch nicht immer , ein genaues Verständnis desselben nach seiner materiellen , inhaltlichen seite , und zwar so- wohl für die Vorstellungen selbst als auch für die unter ihnen vor- handenen beziehungen erforderlich, so dasz, um zu diesem Verständ- nis zu gelangen, der satz auf jene beiden bestandteile hin nach allen selten hin und her gewendet und glied um glied durchdacht werden musz. das ist aber allemal ein bedeutendes intellectuelles ereignis, das nur durch die gewohnheit sein aufregendes verliert, denn dabei wird leicht eine menge wissen und erfahrung aus allen möglichen gebieten y je nach dem inhalt des Satzes, in bewegung gesetzt und herangezogen, alte associationen werden gefestigt und geläufiger gemacht, sowie durch die verschiedensten combinationen neue ge- stiftet, und es entstehen so wohlgeordnete und festgefügte erkenntnis- gebilde von materiellem und formalem gehalt; die zur ferneren arbeit zur Verfügung stehen und endlich fremdsprachiges wissen nur zum geringeren teile umfassen, wenn sie auch mit hilfe solches und scheinbar um seinetwillen gewonnen werden.

Und doch liegt der Schwerpunkt jener arbeiten mit ihren über- setzungsmühen bei weitem nicht in der sjntax und grammatik, son- dern auf lezicalischem gebiete, und zwar in den gleichen, nur viel häufigeren, verwickeiteren und nicht so derb plastischen arbeits- acten, zu denen die notwendigkeit zwingt, das in der fremden um- kleidung vorliegende satzganze nach allen werten, phrasen und beziehungen umzuwandeln in ein solches der muttersprache , das zugleich, soweit es nur irgend geht, den anforderungen , die diese vor allem an die correctheit stellt, entspricht, oder, was jedoch minder fruchtbringend ist, die umgekehrte procedur vorzunehmen, denn diese arbeit vollzieht sich ja nicht so, dasz für jedes wort (und jede form) hier ein mit diesen vollständig sich deckendes dort glied um glied mechanisch eingesetzt wird ; sondern bei der vollständigen Verschiedenheit der Verteilung alles crfahrungsmaterials oder der erscheinungen nach begrifflichen einheiten in den verschiedenen sprachen, die so weit geht, dasz auch nicht je zwei Wörter in zwei sprachen sich vollständig decken, so dasz man durchweg eins für das andere einsetzen könnte, ist eine oft vollständige Zerlegung der durch die worte vertretenen begriffe in ihre vorstellungselemente nötig , um durch die sich so ergebende klarste erfassung der bedeu- tung der Wörter usw. an jeder stelle den anhält zu finden für die wähl des richtigen wertes in der andern spräche, und so durch eine reihe von Operationen aus den elementen der einen spräche ein neues

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gebilde zu schaffen y das in seiner summe zwar dem in der andern dargestellten gedanken entäprioht, in seiner neuen zusammenfttgung aber eine ganz andere structur aufweist.

In diesen im laufe der jähre sich zahllose male wiederholenden arbeitsacten liegt jene gjmnastik des geisteS; die durch nichts zu er- setzende Wirkung des Sprachstudiums, die aber nur durch die wissen- schaftliche oder ttbersetzungsmethode, wie sie an unsern gjmnasien geübt wird , und auch nur an sprachen , die in ihrer structur etwa so weit von der unsern abstehen wie die alten, sowie an gehaltvollen Schriftwerken geübt, erzielt wird, denn so werden, wie gesagt, ent- sprechend der überall im weitall und auf erden aufs neue besttttigten erfahrung , dasz das grosze nur durch die allmählichste kleinarbeit geschaffen wird, so auch hier unausgesetzt neue erkenntnisorganismen geschaffen, jedes einzelne von geringstem umfang und wert, in ihrer gesamtheit aber unübersehbar und nach und nach das ganze sprach- material nach seinen drei Seiten, der lautlichen, inhaltlichen und logischen in die bewegung hineinziehend, denn die manigfaltigkeit dessen, was die fremden texte satz um satz bringen, hat ja kein ende, und die höhe des dargestellten bringt es unausweichlich mit sieb, dasz der, der um der Übersetzung willen dieses so vollständig wie möglich zu erfassen gezwungen ist, sich, so weit es allemal geht, zu derselben höhe emporringen musz. es werden endlich durch alles das der Untergrund und die bausteine an wohlvorbereiteten einzel- erkenntnissen geschaffen , die für jede weiterführung des gebäudes der intelligenz unerläszlich sind, und ohne die keine wertvollen ein- sichten und Wahrheiten zu stände kommen können.

Wieder fragen wir nun: was ist das also für ein ergebnis? ist es materiell oder formal, und wenn letzteres, logisch oder sprach- lich? die antwort lautet, dasz die fruchte überall zu finden sind, materielle zwar weniger in dem sinne, dasz so auch der Inhalt der schriftsteiler, soweit er in zahlreichen einzelheiten ein bild des lebens der alten bietet, und ein in alle gebiete sich erstreckendes wissen aufgenommen wird, was ja auch ohne die zeitraubenden Über- setzungsmühen erreicht werden könnte, als vielmehr darin, dasz der vorstellungsinhalt aller Sprachbestandteile , der formen, Wörter, phrasen und auch Verbindungen aus solchen dementen, überaus be- reichert , geordnet und mit reizbarkeit ausgestattet , also jene oben genannten kleinen erkenntnisgebilde geschaffen werden; sprach- liche dadurch, dasz infolge der notwendigkeit der genauesten und besten wiedergäbe, unter ständiger mitbilfe des Wörterbuchs und des lehrerä , der lautliche sprachreichtum vermehrt , die correctheit gesteigert wird, indem besonders die Wörter den dem besten ge- brauch entsprechenden inhalt bekommen und die associationen zwi- schen laut und inhalt durch die vielen Übungen geläufiger werden ; logische endlich dadurch, dasz dieselben auf die erfassung und erschlieszung des sinnes gerichteten arbeiten mit dem suchen nach der entsprechendsten wiedergäbe ständige erwägungen und oft um-

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fitftndliche discussionen zwischen lehrer und scbttler erfordern, die alle möglichen logischen formen in bewegung und Übung bringen, sowie auch dadurch, dasz, was die zu übersetzenden Sätze selbst an dergleichen enthalten, aufgenommen wird, besonders jene dis- cussionen, die sich ja naturgemäsz sowohl infolge des sto£fes, um den es sich handelt, als infolge der reiferen einsieht des lehrers auf einer das niveau des schülers stets weit überragenden höhe halten und die gelegenheiten zur heranziehung des allerreichsten er- £ahrungsmaterials bringen , sind es , die nach allen drei richtungen hin auf das befruchtendste wirken und worin kaum ein anderer gegenständ mit unserem Sprachstudium zu wetteifern vermag.

In diesen letzten abschnitten habe ich zugleich auch auf das kürzeste und gemeinverständlichste die hauptergebnisse dessen zu- sammengefaszt, was mein buch über das Studium der sprachen ent- hält, und dort sind auch die beweise und bis ins einzelnste gehenden darlegungen fQr diese behauptungen zu finden, sie gipfeln darin, dasz wir die alten sprachen nur als mittel zum zweck zu betrachten haben^ zum zweck der scha£fung reicher erkenntnisse, die in der be- herschung der muttersprache liegen, die arbeiten und mühen sind damit auf die beherschung der fremden spräche gerichtet, die eigent- lich wertvollen ergebnisse liegen aber in dem, was indirect und wohl ebenso unbeachtet wie ungewollt durch jene erzielt wird, und diese beiden ergebnisse können oft sehr weit von einander abstehen, es versucht zu haben, durch genaue Weisung der wege die auffassung über den wert des Sprachstudiums und die discussion darüber in die genannte richtung zu drängen, ist das verdienst des buches, und wenn der gegenwärtig ruhende ansturm gegen die classischen sprachen über kurz oder lang denn ausbleiben wird er nicht sich wieder erheben wird, dann wird das buch eine rüstkammer sein, um daraus waffen zur abwehr zu holen.

Anhang: über einige formale eigenschaften.

Wir haben nun , soweit es erforderlich schien , die beiden bis- her besprochenen arten der formalen bildung zu charakterisieren und dabei so scharf wie möglich auseinander zu halten gesucht. denn das war bei der Verwirrung, die im gebrauch des ausdrucks begegnet, das wichtigste, nun ist es auch möglich, mit erfolg einen blick auf einige eigenschaften zu thun, die man mit jenen in Verbindung zu bringen vermag und pflegt, und sowohl zu suchen, wie weit dies mit recht geschieht, als besonders, welcher von beiden sie etwa angehören.

Sehr viele beziehungen zur formalen bildung hat da zunächst die gewandtheit. fragen wir, zu welcher, so ergibt sich: zu beiden, wie es die Verwendung des wertes für die geschicklichkeit im be- ruf zeigt, besteht ihr wesen einerseits in der raschen und sicheren Verfügung über schon vorhandene reihen, in den associationen, in der reizbarkeit des schon vorhandenen verbundenen inhalts in

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möglichst vielen seiner teile, mit alle dem aber ist nicht viel anzu- fangen , wenn nicht anderseits auch die sprachliche fertigkeit hinzu- kommt, um, wo es nötig ist, das gedachte rasch nach auszen wirken zu lassen.

Weniger erforderlich ist das letztere zum Scharfsinn^ der sich zum weiteren unterschied von der gewandtheit als reinere logisch formale eigensohaft in der entdeckung entlegener beziehungen und der bewältigung längerer und verwickelfcerer Operationen zeigt.

Logisch und sprachlich dagegen sind wieder schlagfertig- keit und witz, logisch allein die rasche auffassung und das richtige urteil^ die sich zum unterschied von der apperception in der erfassung zusammengesetzter erscheinungen bethätigen. klare begriffe und reizbarkeit setzen alle voraus.

Die aufgezählten dinge gelten alle für sehr schätzenswerte Vor- züge^ und in den kämpfen des lebens sind sie auch mächtige hilfs- mittel , die ihrem besitzer erfolg und sieg sichern, doch auch Wir- kungen, die nicht so erstrebenswert sind, können aus beiden arten der formalen bildung hervorgehen, wer ein gutes gedächtnis für das äuszerliche sprachmaterial hat, der läszt sich leicht verleiten^ diese beherschung mit der sachlichen und inhaltlichen zu verwechseln und sich mit jener zu begnügen; er wird ein schwätzen wir sprachen schon oben von dieser erscheinung. aber wie es eine sprachliche Voreiligkeit gibt, so auch eine logische, logische combinationen werden ja ebenso gut mit zulänglichem und richtigem material vor- genommen wie mit lückenhaftem und fehlervollem, und da gibt es nun eine wieder auf reizbarkeit der beziehungsgruppen und Wörter, der wenn und weil beruhende behendigkeit und gewandtheit, welche allzu schnell beziehungen nicht nur findet und setzt, sondern auch gelten läszt ^ als sei die sache abgetban und kein zweifei mehr mög- lich, wenn wir oben behaupteten , reizbarkeit sei ein natürliches ergebnis gründlicher durcharbeitung reichen materials, so liegt darin nicht die einzige quelle derselben; wie sie bei solidem wissen eine dürftige sein kann, so auch bei spärlichem eine lebendige, der lehrer kennt die Vertreter dieser letzten gattung in jenen burschen, die bei jeder frage das zeichen zu einer antwort geben, die dann aber öfter falsch wie richtig ist. normalconstitutionen sind eben selten, trotzdem ist die besprochene reizbarkeit durchaus nicht vom Übel, denn wenn sie vorerst auch viele Verkehrtheiten im gefolge hat, liegt in ihr doch eine gewähr für zukünftige erfolge, nur musz das bewustsein ihrer Unzulänglichkeit lebendig werden, zu ernster arbeit treiben und sich mit der besonnenheit paaren, von der gleich noch mehr.

Harmlos aber sind diese Wirkungen der gewandtheit gegen die, welche die Sittlichkeit treffen, diese treten besonders dann ein, wenn die leidenschaft hinzukommt, die infolge der erhöhten reizbar- keit des ganzen nervensystems einerseits die gewandtheit zum Scharf- sinn steigert, anderseits der ziel Vorstellung des begehrten einen

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bestimmenden einflusz auf die materielle und formale gestaltung der denkreihen verleiht, unerschöpflich und überkühn ist dann der geist in erfindung von gründen, die die befriedigung der leiden- Bchaft rechtfertigen sollen, in gegengründen, die die im wege siebenden sittlichen grundsätze unterwühlen, oder doch in aus- fluchten, sie wenigstens zu umgehen, denn gründe sind ja, wenn man sie braucht, wie Falstaff sagt, gemein wie brombeeren. solcher Wühlarbeit ist der ärmere und schwerfölligere geist nicht ausgesetzt und er bewahrt seine Sittlichkeit darum leichter, wenn ihre grund- sätze einmal wurzel geschlagen haben.

Bei dieser gelegenheit sei dessen gedacht, dasz man auch eine sittlich-formale bildung angesetzt hat dazu verführte wohl der umstand , dasz die Sittlichkeit ein characteristicum sehr vielen thuns, selbst des wissenschaftlichen arbeitens ist, also gewisser- maszen wie logische und sprachliche gewandtheit nicht ein thun für sich sei , sondern in anderm zur äuszerung kommt, gleichwohl ist der Zusatz formal nicht berechtigt; es gibt wohl eine sittliche bildung, aber keine formal - sittliche, denn sie formt ja weder wie die logische, noch ist sie umkleidung des inhalts wie die spräche, noch ist sonst etwas, was man formend benennen könnte, bei ihr zu entdecken, sie beruht auf maximen, und das sind Vorstellungen, und diese üben insofern einen einflusz auf das denken und thun aus, als sie besonders in zweifelhaften fälleYi die das thun bestimmenden denkreihen materiell in die richtung zu bringen suchen, an deren ende sie selbst stehen, dasz sich das ergebnis der mazime sub- sumiere, wenn auf die Sittlichkeit das epitheton formal anwendung finden könnte , dann müste dies bei jeder herschenden gruppe der fall sein; wir müsten z. b. bei denen, die alles unter den gesichts- punkt der religiosität bringen , von einer religiös- formalen, oder bei denen, die bei jedem thun und lassen nur ihren materiellen vorteil im äuge haben , von einer nach dieser eigenheit benannten formalen bildung reden können und so fort, auch der sittliche takt be- zeichnet nichts anderes als die herschaft einer sehr fein geordneten gruppe der sittlichen Vorstellungen, so wie der gesellschaftliche der gleichen der gesellschaftlichen regeln, meint man aber, dasz man es bei diesen mit einer formalen gewandtheit in unserm sinne zu thun habe, so ist auch das falsch; denn form heiszt hier soviel wie regel , Vorschrift , gesetz. nur die hergehörenden körperlichen bewegungen machen eine ausnähme, sie sind jedoch der ästhetisch - formalen bildung zuzurechnen.

Wie die Sittlichkeit beruht auch die leidenschaft auf dauernd oder vorübergehend herschenden Vorstellungen, aber die letztere hat auch eine formale bedeutung , die in jener erhöhten reizbarkeit liegt, zu der durch sie das denken erhoben wird, und die sowohl die materiellen bestandteile trifift als auch in folge dessen eine bis zum Scharfsinn sich steigernde findigkeit schafft in der gewinnung von beziehungen. in dem kämpf, den die Sittlichkeit mit der leiden-

N. Jahrb. f. phil.u. pftd. II. abt. 1895 hlt. 8. 10

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Schaft führt, hat aber auch jeoe eine gleich geartete helferin, die zu dem blinden ungestüm der leidenschaft zugleich den gegensatz bildet, und dasist die besonnenheit. sie ist keine tugend, denn sie kann sogar in den dienst des Verbrechens treten, und doch eine der schön- sten Zierden des geistes und eine der sichersten hilfen, aller orten zu richtigen erkenntnissen und entscheidungen zu gelangen oder doch über falsche keine zu starke Selbsttäuschung aufkommen zu lassen, es bleibt wenigstens der zweifei. sie verdankt ihren Ursprung ent- weder geradezu dem schaden, der einem früheren irrtum entsprang, oder doch der furcht vor solchem, sowie dem ehrgeiz, der in der gleichen furcht seine negative seite hat, liegt also in Vorstellungen von ganz bestimmtem gebalt, die aber nun auch wieder insofern formal wirken, als sie eine erhöh ung der energie und der bewust- Seinshelligkeit der denkreihen im gefolge haben, so dasz jedes glied auf seinen bestand und jede beziehung auf ihre berechtigung con- trolliert wird, damit das denken nicht unvermerkt in unrichtige associationen hinübergeleitet und voreilige Schlüsse gezogen und entschlüsse gefaszt werden, wieder nennen wir Sokrates , der diese besonnenheit zum psychischen princip seines Verfahrens gemacht hat und damit einen weg angab, sie systematisch zu erzeugen, dieser besteht darin, dasz der lehrende mit seinem überlegenen wissen und können schritt um schritt den lemstoff mit dem lernenden durch- denkt und dabei jeden fehler aufdeckt und stark betont, so wird die furcht vor fehlem eine ständige begleiterin alles denkens. wie der Scharfsinn unmittelbar, so ist die besonnenheit mittelbar die auf Vorstellungen beruhende haupteigenschaft, ohne die hervor- ragende denkergebnisse , besonders also auch in der Wissenschaft, nicht erzielt werden können.

Es ist nun wohl nicht mehr nötig; dasz wir uns mit der richtig- stellung von allerlei redensarten, die in der pädagogik gäng und gäbe sind, und bei denen vorwiegend irgend eine formale bildung vorschwebt; aufhalten, wenn wir lesen, der Unterricht solle die Ur- teils- und beobachtungsfähigkeit angewöhnen, oder wenn die rede ist von der denkenden betrachtung einer sache, besonders der natur, von sinn für Wissenschaft, von der bethätigung des denkvermögens, der anleitung zur selbstthätigkeit , der mathematischen phantasie und wie sie alle lauten , so sind das alles sehr schöne dinge , aber nicht ein einziges dieser vermögen ist rein formaler natur , und die meisten von ihnen haben zum formalen können nur diejenigen all- gemeinen beziehungen, die in der den materiellen so gut wie den formalen bestand teilen des denkens zu schafifenden reizbarkeit oder in nur indirect formal wirkenden Vorstellungen liegen, was hier mathematische phantasie genannt wird; haben wir oben einfach als anschauliches denken bezeichnet, und das ist an sich nur so viel formal wie das denken überhaupt.

Es ist wieder die auffassung, als könnten jene dinge deswegen, weil sie nicht unter die kategorie des Hoten wissens' unterzubringen

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Bind, sn der sie sogar in einem entschiedenen gegensatz stehen, nun nirgends anders platz finden als unter dem 'lebendigen können', das dann weiter mit der formalen bildung vermengt wird, setzen wir dafür als drittes das verstehen an, dann haben wir sowohl dasjenige princip, auf das als das vornehmste zur zeit die pädagogi- schen absiebten zumeist hinauslaufen, als auch dasjenige, in dem die mehrzahl der obigen termini sich treffen, zum verstehen aber ftlhrt diejenige yerarbeitung des lemstoffes, die wir oben als die beste dharakterisiert haben , und die sowohl der materiellen wie formalen bereichemng in gleicher weise zu statten kommt, wenn sie auch nicht alles leistet und besonders durch das mechanische auswendig- lenen unterstützt werden musz.

Die ftsthetisoh-formale bildung.

Auch hier ist unsere aufgäbe in der hauptsache eine doppelte: «ratens die auf Stellung dieser kategorie als einen besonderen for- malen Oberhaupt zu rechtfertigen, und zweitens das wesen derselben darsnlegen. dabei zeigt sich aber sofort folgende besonderheit. wenn sowohl die logische wie die sprachliche bildung schon an sich formal waren , wenn wir dem gegenüber uns eben erst gezwungen sahen, die aufstellung einer sittlich - formalen bildung zurück- zuweisen , weil nicht ersichtlich sei , in wiefern sich diese von einer sittlichen im allgemeinen unterscheiden solle, so liegt hier dagegen die sach^ so, dasz die ästhetisch-formale bildung sich nicht mit der allgemein ästhetischen deckt, sondern dasz sie, wenn diese sich auch aus jener entwickelt hat, doch nur einen teil der- selben bildet diese Unterscheidung musz also gleichfalls begründet werden, doch sind die verschiedenen aufgaben von einer solchen besohaffenheit , dasz sie sich gleichzeitig lösen lassen; ja eine tren- nung wäre gar nicht durchführbar.

Wir haben es hier auf der einen seite mit ebenso dunklen par- tien des seelischen lebens zu thun, wie auf der andern mit offen da- liegenden und bekannten tbatsachen. es handelt sich bei jenen um das wesen des ästhetischen ergötzens, und so gefährlich es ist, können wir doch einigen fragen über dasselbe nicht aus dem wege gehen.

Es ist da ein zweifaches zu unterscheiden: erstens diejenige Inst, die an den inhalt, den stoff, das gedankliche eines kunstwerks gebunden ist, und zweitens die hier in betracht kommende, in der form der darstellung liegende, die eben das rätsei birgt, zum künstlerischen schaffen gehört aber noch ein drittes: die tech- nische fertigkeit und die freu de an demselben ; aber obwohl nicht einmal selten jene beiden andern factoren vor diesem dritten voll- ständig zurücktreten, so ist bei ihm doch dann, wenn er sich nicht in den dienst jener nach der einen oder andern seite hin stellt, nicht mehr von einem künstlerischen schaffen zu reden.

In jeder ästhetischen affection liegt ein urteilen, ausgesprochen

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140 A. Lichtenheld: die formale bildang.

in dem in sogar äuszerst feinen abstufungen sich kundgebenden Wohlgefallen oder misfallen. nach Kant- Scbillerscher definition ist schön das, was ein uninteressiertes Wohlgefallen erweckt, mit hilfe dieser definition lassen sich beide arten des Wohlgefallens oder mis- fallens (am Inhalt oder an der form) wenigstens theoretisch scharf auseinanderhalten, denn da das interesse nur an bestimmten Vor- stellungen haften kann, das diesen entsprechende aber nur der inhalt oder sto£f ist (die technik bleibt auszer betracht), da es femer keinen Stoff gibt, der nicht in diesem oder jenem ein solches interesse zu erwecken vermöchte, so vollzieht sich auch jenes urteil mit hilfe von Vorstellungen und bleibt für das reine uninteressierte Wohl- gefallen nur die form übrig, wir kommen damit allerdings dahin, dasz ästhetisch im reinsten sinne nur die form ist, aber diese auf- fassung ist ja keine vereinzelte, auch bei jenen durch kunstwerke erweckten reizungen, auf die uns die bezeichnungen : erhaben, würde, anmut, be wunderung, rührung usw. weisen, ist darnach jedesmal zu unterscheiden , ob es die blosze form ist, die sie erweckt, so weit sie überhaupt in betracht kommen , oder der stoff, und je nachdem sind sie allemal als rein oder minder-rein ästhetisch zu benennen.

So weit der stoff gefallen erweckt und auch , soweit dies ge- fallen von erregungen wie den eben genannten begleitet ist, ist die Psychologie um die erklärung nicht in Verlegenheit, wir haben es mit der lust der harmonisierenden apperception zu thun und mit gefühlen, die an sich lustgefühle sind oder doch aus gründen, wie sie Schiller z. b. in der abhandlung: *über den grund des Vergnügens an tragischen gegenständen' anführt, zu solchen werden, allerdings gestatten die gefühle schon kein so tiefes vordringen in die geheim- nisse des seelischen lebens , und wir erreichen bei ihnen viel früher die letzte stufe der erklärung als bei den rein intellectuellen ver- gangen, zu denen jene harmonisierende apperception gehört.

Noch früher gelangt man aber ans ende bei dem Wohlgefallen an reiner formenschönheit, z. b. an arabesken. wir können nicht sagen, welche seelischen fasern mit der Wirkung der lustempfindung berührt werden durch symmetrische und proportionierte gestalten, durch die figuren des goldenen Schnitts und der Hogarthschen schön- heitslinien, durch farbenzusammenstimmung und farbenglanz, den schmelz des marmors, durch zahllose lichteffecte, die natur und kunst hervorzaubern, durch reine accorde, durch eurhythmie und euphonie, durch eine schöne stimme, durch regellosen vogelsang und so manches andere, in allen diesen dingen haben wir es mit formenschönheit zu thun, die Wirkungen sind nicht nur ästhetische sondern nach manchen wie gesagt sogar die ästhetischen kot' iSoXriv ; zu erklären aber, wodurch der sinnliche reiz zu einem so qualificierten seelischen wird , ist nicht möglich, er ist da , und wir müssen ihn als thatsache hinnehmen, es fehlt das mittelglied der Vorstellungen ^ das bei dem inhalt der kunstwerke zwischen diesem und den elementaren kräften der seele, die jene werden lassen, uns

A. Lichtenheld: die fonnale Bildung. 141

die erklftrung der hannonisierenden apperception gibt; die Wirkung ist eine unmittelbare.

Aus eben diesen gründen, durch welche die ästhetisch- formale bildnng ihre Sonderstellung in der ttsthetischen überhaupt hat, ist sie aber auch etwas anderes als die logisch -formale, der man sie unterzuordnen geneigt sein könnte, und vollends als die sprachlich- formale, wenn es auch für den künstler bei der gestaltung alles dessen, was die formen ausmacht, ein überlegen, abwägen, ver- werfen und bessern gibt, so fällen trotz einer menge von logischen ▼ergangen bei solchem thun die letzte entscheidung doch schliesz- lich jene uremp findungen, die sich nicht tiefer verfolgen lassen, wir sind darum auch nicht im stände , an die stelle dessen , was bei der logischen bildung die beziehungen, bei der sprachlichen die assooiationen sind, hier etwas diesen entsprechendes zu setzen, und doch entstehen die formen des kunstwerks durch eine formende thfttigkeit des geistes so gut wie bei jenen und es ist daher die auf- stellung unserer kategorie der ästhetisch - formalen bildung nicht

Es ist kein Widerspruch, wenn wir nun auch dazu kommen, dasz es auch in diesen schönheitsgemäszen formen ein mehr und weniger gibt und dasz durch Übung und ausbildung das weniger zu einem mehr wird, die dem einzelnen erreichbare Vollendung müste ja dann mit dem erwachen des geistes sofort erreicht sein, wir müssen hier aber wohl unterscheiden, die entwicklung kann eine doppelte sein: nach der tiefe und nach der breite, und so um- fassend die letztere sein kann , einer so geringen Vervollkommnung über das hinaus, was die so auszerordentlich verschiedene begabung einmal verliehen hat, ist die erstere fähig, unendlich geringer gegen das, was wir da in der logischen und sprachlichen entwicklung wahrnehmen, tiefe aber heiszt Steigerung einer gewissen feinfühlig- keit, die gleich besprochen wird, und breite durchdringung des ganzen wesens mit dem verlangen, allem thun und allen äusze- rungen eine mindestens gefällige form zu geben! und dies ist es nun , was wir bei unserer ästhetisch - formalen bildung vornehmlich im äuge haben, beides verbindet sich natürlich gern miteinander.

Bleiben wir zunächst bei der tiefe, so kommt sie nur für das eigentliche künstlerische schaffen und genieszen in betracht. ver- sucht man es nuu , für sie , so weit es da rein nach der formalen Seite eine ausbildung gibt, die letztere genauer zu bestimmen, dann wird dies bis zur Unmöglichkeit dadurch erschwert, dasz beim künstlerischen schaffen und so auch beim genieszen form und inhalt, denen als drittes sich wieder jene technik und die freude an ihren leistungen zugesellt, nie mit voller bestimmtheit auseinanderzuhalten sind, denn viel mehr als bei der sprachlichen darstellung ist hier die form vom inhalt bedingt, musz dieser sich jene suchen oder schaffen , und viel mehr wie dort ist hier die höchste Wirkung nicht von dem überwiegen des einen oder andern, sondern von dem har-

142 A. Lichtenheld: die formale bildung.

monischen zusammenstimmen beider abhängig, ja dies so sehr, dasz erst das formen einen stoff in das gebiet des künstlerischen erbebt, jedes lyrische gedieht, bei dem der inhalt in der Stimmung liegt, ist dafür beispiel. das wichtigste moment im fortschritt des künst- lerischen empfindens besteht also darin, diese Wechselbeziehung immer tiefer und tiefer zu erfassen, und da sie dabei naturgemäsz vom inhalt ausgehen musz , ferner aber auch die formale gestaltung in so hohem masze von der technischen fertigkeit bedingt ist, so ist es wirklich nicht möglich , von der gesamtwirknng jedem der drei factoren den ihm gebührenden anteil aufs genaueste zukommen zu lassen, bei diesem schaffen aber haben wir es nicht mehr mit der ästhetisch-formalen, sondern mit der allge- meinen ästhetischen bildung zu thun, und was dabei für die erstere verlangt wird , ist, dasz sich das geftthl dafür verfeinere, welcher stimmungswert an sich jeder form innewohnt, eben hierin aber unterscheiden sich die Individuen auszerordentlich, ob sie näm- lich nur für die rein sinnliche freude an schönen linien, farben- zusammenstimmung , melodien usw. befähigt sind, oder auch zu- gleich jene feinfühligkeit für die erfassung des stimmungsgehaltes derselben besitzen oder erwarten können, man prüfe sich selbst darauf hin es ist das zugleich eine sehr unterhaltende und nütz- liche Übung , ob sich bei so manchen arabesken, tapeten und mustern von dem letzten etwas bei deren anblick regt, ihrer aber kann der künsÜer nach dem obigen absolut nicht entbehren , auch wenn er (wie z. b. Makart) ein noch so groszer meister der bloszen form ist. sie ist ein haupterfordernis des künstlerischen talents. wenn wir endlich aber noch den satz hinwerfen, dasz sich die ästhetische bildung aus der ästhetisch- formalen entwickelt habe , so liegt das hauptmoment dieser entwicklung wieder in dem allmäh- lichen erfassen der form als dieses mediums.

Was wir weiter unter entwicklung dieser formalen bildung in die breite verstehen, haben wir schon gesagt, für sie ergibt sich aber nicht nur eine ganz andere betracbtungsweise , sondern sie liefert uns auch noch einen neuen und sehr wichtigen anhält für die rechtfertigung unserer kategorie. denn dies ästhetisch formale können ist ja durchaus nicht nur auf die kunst, auf das schaffen und genieszen in ihr beschränkt, sondern es durchdringt das ganze leben, wohin wir nur blicken, und geschmack ist der noch geeig- netste name, um alle diese äuszerungen zusammenzufassen.

Im kunstbandwerk bat er nach den künsten zunächst seine geltung und zwar mehr noch wie in diesen, da bei jenem viel mehr auf der form das Schwergewicht liegt als auf dem inhalt , obgleich dieser, wieder als Stimmung, auch nicht ganz zurücktritt, weiter gewahren wir, wie in jedem gerät, das wir in die band nehmen, vom einfachsten an bis hinauf zu den mächtigen maschinen die ge- fällige form mit der zweckmäszigkeit der gestalt zu vereinen ge- trachtet wird, wenn das innere des hauses und der Wohnräume be-

A. Lichtenheld: die formale bildung. 143

haglioh sein soll, dann musz das äuge seine ästbetische'.befriedigung in den tapeten, möbeln usw., und besonders in der barmonischen anfstellung und anordnung derselben und überhaupt in allem , was Bonst dem schmucke dient, finden, unerschöpflich ist die mode an erfindangen, die doch alle dem zweck dienen, den leib zu schmücken, daai er gefallen errege, ja nicht zum geringsten teile wird auch den mangeln dieses nachgeholfen durch frisuren, schminken und die lächerlichsten aushilfen. denn merkwürdig ist es, dasz da, wo es sich nm eben diese schmückung des leibes handelt, die geschmacks- Verwirrungen am häufigsten sind.

Das verlangen des auges weniger des obres nach an- genehmen, ästhetischen eindrücken und die lust an solchen ist eben ein nrtrieb unseres geachlechtes , so alt wie dieses selbst, und die befthigung dafür ihm mitgegeben wie das denken und wie der trieb und das vermögen, zur spräche zu gelangen , ein hauptfactor femer für die entwicklung des menschen zum culturwesen, wenn auch nicht von der bedeutung, wie sie ihm Schiller in seinen künstlem andichtet, und so eine begleiterscheinung und ein mitwirkendes in fast allen äuszerungen des menschlichen thuns und schafiens.

Eben hierin aber liegt nun jene angekündigte weitere be- rechtigung, dasz der ästhetisch-formalen bildung die Stel- lung zuerkannt werde, die wir ihr neben der sprachlich- und logisch- formalen zugewiesen haben.

Die so eben begonnene aufzählnng der wirkungsgebiete der lethetisch-formalen bildung haben wir jedoch zu früh abgebrochen. wir sahen eben, wie der mensch in seiner kleidung usw. an sich selbst zu so etwas wie einem schaffenden künstler wird, aber das erstreckt sich noch viel weiter, es gehört dahin auch , wenn er in faaltnng, bewegung und dem ganzen gebahren nach gewandtbeit, nmdnng, eleganz, anmut, Sicherheit und würde, kurz nach allem Btrebt, was in dem kqXöc der kalokagathie der Hellenen liegt, so weit eben nur die form in betracbt kommt, denn die wahre bedeu- tnng der kalokagathie geht ja viel weiter, sie umfaszt auch die faarmonie aller lebensäuszerungeu , besonders der sittlichen, des maszhaltens in allem willen und streben, kurz, es ist in ihr das Eosammengefaszt, was wir bei unserm gegenständ als ästhetisch- formal und ästhetisch auseinandergehalten haben, nur dasz nicht der schonen form ein künstlerischer inhalt, sondern ein ethischer im weitesten sinne gegenüber steht, darum hören aber auch jene finazeren eigenschaften , besonders Sicherheit und würde auf, nur einen formalen wert zu haben, wenn sie der ausdruck der ent- Bprechenden seelischen sind , und darum wird aus jenen Vorzügen, wie bei der sprachlichen gewandtbeit, sogar ein gebrechen, wenn, was freilich das findigste talent nicht lange verhüllen kann, der ent- sprechende inhalt fehlt, denn dann wird aus anmut bald Ziererei, ans würde gespreiztheit. was Goethe von der körperlichen gewandt- beit sagt:

144 Licbtenheld: die formale bildung.

'Willst da schon zierlich erscheinen und bist nicht sicher? vergebens! nur ans vollendeter kraft blicket die anmut hervor'

das gilt mutatis mutandis für alle jene formen des geschebens , die seelischen Vorzügen entsprechen und ihr äuszerer, sieb von selbst ein- stellender aasdruck sind, und so gebort dann endlich in den bereich der ästhetisch -formalen bildung auch die beherscbung der gesell- schafüichen regeln, nicht insofern aber, als diese regeln feststehende formein sind, zu welcher auffassung wieder die homonjmität des Wortes verleiten könnte, sondern deshalb und in so weit , als in der durch sie vermittelten Sicherheit des auftretens und in der gerun- deten abwicklung des Verkehrs ein wenn auch entferntes ästhetisches moment liegt, ist doch selbst die Ordnung eine eigenschaft, auf die das gleiche anwendung findet, und so auch die reinlichkeit.

Sowohl um zu den letzten gegenständen zu kommen, die hier nocb aufiiahme finden müssen, als auch um mancher dunkelheiten willen , die sich auf den ersten Seiten dieses abschnitts , der ja keine vollständige theorie der ästhetik, wenn auch nur in nuce bringen sollte , nicht vermeiden lieszen , können wir nun nicht umhin , einen kurzen rundgang durch die künste anzutreten, um zu verfolgen, in welchem masze im allgemeinen die formale seite in ihnen mehr oder weniger hervortritt, denn dieser anteil , das überwiegen der form vor dem inhalt, ist in den verschiedenen künsten auszerordentlich wechselnd.

Unter den räumlichen künsten ist die baukunst die formalste von allen, wohl haben die einzelnen stilarten ihren Charakter als ausdruck eines ideeilen gehaltes, ja sie bringen wohl auch eine Welt- anschauung zum ausdruck: der hellenische tempel, flach, in seinen wenigen räumen leicht übersichtlich, durch die ausgeklügeltste Symmetrie, den heitern schmuck der färben und der säulensysteme das äuge mit entzücken erfüllend, spiegelt die freudigkeit wieder, die in die grenzen des lebens eingeschlossen ist und ihr ziel darin sieht, dieses zu einem in sich vollendeten schönheitsganzen zu ge- stalten. — In der echten gotbik dagegen mit ihren weiten düstern räumen, ihrem niscben- und winkelwerk, das dem äuge die Orien- tierung schwer gestattet, ihren himmelanstrebenden pfeilern, dächern, thürmen, die sich unabsehbar wiederholen in den fialen, tbürmchen und Zuspitzungen aller art und aller orten kommt die ganze mystik des Christentums zum ausdruck, die auch im leben überall ver- borgene wirmisse sieht und die blicke ins jenseits, zum himmel empor zieht , als sei da erst klarheit. und so auch die cultusbauten der andern religionen, bestimmt im besonderen durch den Charakter des Volkes und des wechselnden Zeitgeistes, der z. b. auch eine freundliche kirchengothik geschaffen hat, die monumentalbauten des profanen öffentlichen lebens und selbst das wohnhaus vom palast an bis zum bauernbaus. und doch spielt das streben nach derartiger oft tiefsinniger Charakterisierung keine gar grosze rolle in dem wirklichen leben dieser kunst. ist der stil einmal erfunden oder

A. Lichtenheld: die formale bildung. 145

Yielmehr, hat er sieb entwickelt, dann arbeitet fortan die überliefe- rang nnd die Schablone, welcher baumeister greift bei einem kirchen- bau zu einem bestimmten stil um der Weltanschauung willen? man hSlt sich an die muster, die man variiert, baut kirchen im festungs- Btil nnd villen in irgend einem kirchlichen ; das hauptbestreben geht dahin, von der bewältigung der bautechnischen aufgaben abgesehen, ein gebäude herzustellen, das durch schöne linien, Symmetrie und Proportion y gefällige Übergänge, durch die harmonie mit der Um- gebung und dem baumaterial, durch entsprechende Ornamentik dem äuge im ganzen wie in den teilen wohlthuende eindrücke zu bereiten vermag, das ist aber alles formal und zwar, da wir es mit dingen im räum zu thun haben, anschaulich formal.

In der plastik steht es nur etwas anders, unter den drei momenten, die, neben der technik, bei dem plastischen scha£fen zu- sammenwirken, ausdruck, naturwahrheit und Schönheit lag noch stets der Schwerpunkt auf dem letzteren, besonders von der zweiten, der naturwahrheit, wurden zu Zeiten die allergrösten Zugeständnisse an gnnsten der Schönheit gefordert, die meisten zu der zeit, die jene gOttergestalten schuf, um deretwillen vor allen die Hellenen als das kflnstlervolk par excellence gepriesen wurden , und die noch immer als diejenige gilt, in der die plastik ihren höhepunkt erreicht und die allen folgenden die muster geliefert hat. geheiligt wurde diese richtung vor allen andern durch den namen der idealisierung^ und wenn die darstellung bestimmter götter und beiden den ausdruck in den Vordergrund schob, so zog die Schönheit demselben eine grenze, durch deren strenge innehaltung zugleich auch die ethische ideali- siernng jener götter stattfand, wie sie weder irgend eine andere konst noch selbst der glaube sie zu schaffen vermochten, so ist selbst das schreckenshaupt der Medusa schön^ und zwang die portrait- statne mit ihrer notwcndigkeit der naturwahrheit von jener grund- forderung der plastischen kunst abzustehen, so geschah dies doch nur beim köpf, der leib oder anstatt seiner die Umhüllung blieben und bleiben noch jetzt derselben treu.

Die leichte beschaffung und handhabang des materials bringt fttr die maierei auch eine erleichterung der technik mit sich, die ihr fttr ihre stoffe ein unendliches feld eröffnet, das sie um so mehr ausbeutet, als auch die nachfrage viel gröszer ist. wie die dichtkunst nach und nach alles in ihren bereich gezogen hat, was es nur an menschlichem und übermenschlichem geschehen gibt, so die malerei die ganze sichtbare weit, die folge dieser verschiedenen TorzOge ist, dasz sie keine jener drei richtungen, die wie fUr die plastik auch für sie gelten, so einseitig verfolgt wie jene, ja dasz die Schönheit, um die es sich hier ja handelt, nicht selten vor den beiden andern oder der technik zurücktritt, dennoch beruht auch bei ihr die höchste Wirkung darauf, dasz ihr ihr voller anteil gewahrt wird, und die zeit, da dies am meisten geschah, die der Baphaeliten, gilt nicht nur noch immer als die der höchsten blute dieser kunst.

146 A.Lichtenheld: die formale bilduDg.

sondern auch der ärgste naturalist sucht sich doch immer für seine kunststücke motive, die wenigstens in der raumverteilung oder dem colorit, wenn nicht selbst in der Zeichnung, eine idealisierung der form gestatten, und wenn sie sich noch so sehr dagegen sträuben, sie kommen aus dem zug ins schöne nicht heraus; er lastet auf ihnen wie ein bann.

Noch weiter zurück tritt die Schönheit in derjenigen kunst, die das leben am directesten nachahmt, und in der das Verhältnis zwi- schen den mittein der nachahmung und dem nachgeahmten das 'bequemste' ist, indem durch handelnde menschen wieder mensch- liches handeln dargestellt wird, in der Schauspielkunst, sehr ist sie von der kunst, in deren dienst sie ja auch steht, von dem sto£f und Charakter des Stückes abhängig, je naturalistischer und je ferner vom pathos dies ist, um so mehr tritt auch die formen- Schönheit zurück ; je mehr es sich hebt sei's nach der classischen oder der phantastischen richtung hin , um so mehr steigt mit der spräche auch das streben, in würde und anmut der bewegungen, in schönen Stellungen und gruppierungen , in costümen und decora- tionen die Übereinstimmung zu erhalten, auch der Zeitgeschmack macht sich geltend ; ich verweise nur auf die sogenannten conven- tionellen bewegungen, von denen wir im zehnten stück der Ham- burgiscben dramaturgie und in der gescbichte der Schauspielkunst von Devrient 2, 117 ff. lesen.

Nur von den ästhetischen Wirkungen auf das äuge war bisher die rede, das ohr ist für solche jedoch nicht minder beföhigt, son- dern verlangt sie, wenn auch auszerhalb der kunst durchaus nicht in gleicher häufung. auch die musik ist in eminentem sinne eine kunst, die durch formen Schönheit wirkt, ja die darin mit der archi- tektur und plastik wetteifert, von naturalismus ist bei ihr nicht die redC; denn sie ahmt ja nicht nach, aber sie charakterisiert und zwar viel mehr wie jene; denn wie es für jeden gedanken eine beste und zutreffendste form der sprachlichen einkleidung gibt probe ist, wenn er so zum geflügelten wort wird und Schiller darin der meister so bat auch jedes gefübl , jede Stimmung ihr musikali- sches motiv, das sie am bestimmtesten wiedergibt und erregt, motive, die darum auch immer von neuem variiert werden, aber wenn es auch genug musik gibt, die des charakterisierens entbehrt, so gibt es doch einzelne stellen ausgenommen keine, die, wenn sie auf jenes ausgeht, nicht auch zugleich darauf bedacht sein müste, in rein sinnlicher Wirkung dem ohr sein recht widerfahren zu lassen, und wie sehr die letztere überhaupt überwiegt, das lehrt jene so überaus reich vertretene leichte musik, die nur f^r den Ohrenschmaus berechnet ist und durch die die massen vollauf befriedigt werden, dafür aber spielen die akustischen Wirkungen als angenehme und unangenehme auszerhalb der kunst eine viel dürftigere rolle als die des auges. es ergötzt uns der vogelsang, ein angenehmes organ, der helle klang des glases oder des freiliegenden metallstückes, aber

A. LichteDheld : die formale bildung. 147

all das yersch windet doch gänzlich gegen jene unzahl von eindrücken, hei denen das ohr ästhetisch indifferent bleibt.

Diejenige von den kttnsten endlich, in der das sinnlich-formale element am meisten vor dem stoff zurücktritt, die dichtkunst, ist nigleich auch diejenige, die überhaupt über die wenigsten mittel zu direoten Wirkungen jener art verfügt, und wie sehr sie diesen maagel fühlt, zeigt sich darin, dasz sie durch das medium des ge- dankens und wortes wenigstens indirect nach anschauung, der inner- lichen, strebt, aber diese braucht noch viel weniger als bei der maierei immer eine schöne zu sein , da ja nicht äuszere augenreize stattfinden, noch ist eben wegen jenes mediums das anschauliche schaffen ästhetisch- formal, sondern es ist ästhetisch überhaupt, mit jenen direoten Wirkungen werden wir nun zurückgeführt zu jener Seite der sprachlich-formalen bildung, die wir neben dem reichtum und der correctheit als die dritte bezeichneten, und deren erörte- miig wir auf eine spätere zeit verschoben, denn fast nur in der Sprache liegt das ästhetisch - formale element der dichtkunst; es deckt sich also so ziemlich mit der scbönheitlichen gestaltung jener. am sinnlichsten ist es, wenn es hervortritt in der lautlichen euphonie, wie sie erzielt wird durch wohlklingende wÖrter mit vollen vocalen und schönem Wechsel in vocal Ismus und consonantismus, sowie durch alle arten der klangfiguren und eine vom geschmack , also unmittel- bar, geregelte Verwendung dieser mittel, das wohlige auf und ab des rbythmus des verses schlieszt sich dem an , und er wirkt um so mehr, wenn ein satzbau mit schönem fall sich ihm an schlieszt. hier ist das formale element überall rein akustisch und spielt in das gebiet der musik hinüber, wie man denn auch von gelungenen BchOpfungen der art sagt, sie seien musik für das ohr. manche werke Ooethes wie die natürliche tochter, Iphigenie, Tasso, die römischen elegien, Erlkönig, Fischer sind hier für die deutsche spräche die noch unerreichten muster. alles jenes, selbst eine eigne art von rhythmus, durch entsprechende Verteilung der accentuierten Silben erzeugt, gilt auch für die prosa. um das höchste in dieser euphonie leisten zu können , musz freilich auch die spräche darnach beschaffen sein, ob man aber behaupten kann, dasz in einer solchen ansbildnng derselben die akustisch -ästhetische Veranlagung eines yoUkes sich einen ungewollten ausdruck gesucht habe, steht doch dahin, das zu untersuchen ist sache der Völkerpsychologie, einige be- obachtungen drängen sich von selbst auf, wie die, dasz jenes bei den Italienern wenigstens zuzutreffen scheint, aber es kommen da doch an viele momente in betracbt, um so kurzer band ein urteil abzugeben.

Eine eigentümliche Stellung nehmen alle jene Ornamente ein, die als figuren, tropen und als rhetorische gebilde bezeichnet wer- den, man rechnet sie zur form, und doch sind sie nur sehr bedingte ergebnisse formalen könnens. was dazu verleitet, ist erstens der umstand, dasz sie nicht dem stoff oder inhalt des dicbtwerkes an- gehören und man nun , ähnlich wie bei den ergebnissen des sprach-

148 A. Lichienheld: die formale bildung.

Stadiums , mit ausschlieszung jedes dritten , alles , was nicht inhalt ist^ kurzweg als form bezeichnet und dieses wieder mit dem for- malen können verwechselt, so rechnet man ja selbst die Ortho- graphie, die etwas rein mechanisches und intellectuell gänzlich wertloses ist, sowie die interpunction^ die wenigstens logische Operationen erfordert, ihr zu. zweitens ist es das ttsthetische moment, das , wie in aller Ornamentik , auch in ihnen liegt und das in allen jenen tropen usw., die anschaulichen gehalt haben, sogar anschaulich- ästhetisch ist, was jene Zuweisung yeranlaszte. aber erstens ist wieder ästhetisch und ästhetisch-formal nicht dasselbe, und zweitens schafft jene sprachlichen omamente nicht der ästhetische urtrieb, sondern; wenn dieser auch mitwirkt, doch vielmehr der verstand, und so haben wir denn in diesen gebilden producte des Zusammen- wirkens des ästhetischen , sprachlichen und logischen Schaffens , mit stärkerem hervortreten bald dieses bald jenes, aber geübt an einem Vorstellungsinhalt von ganz materieller beschaffenheit. es sind klare gedanken mit reichen beziehungen in sich und zu ihrer Umgebung, die in ihnen begegnen, und das Wohlgefallen ist, abgesehen von dem, das jede anschaulichkeit erregt, sonst das rein intellectuelle an der gelungenen verstandesarbeit, die wissen, Scharfsinn, witz und sprach- mächtigkeit zu stände brachten.

Ähnlich steht es mit jenen Vorzügen, die in einem folgerichtigen und wohlabgemessenen aufbau liegen und als architectur bezeichnet werden, zum gelingen derselben ist die vollste Übersicht und materielle beherscbung des Stoffes erforderlich ; die formende thätig- keit ist aber eine logische und ästhetisch wieder nur insofern , als jeder woblgefügten Ordnung ein ästhetisches moment innewohnt.

Architectur und dichtkunst treffen sich als gegensätze darin, dasz wie in jener von jedem inhalt in Charakterisierung und Stim- mung abgesehen werden, so in dieser die form jedes schmuckes ent- behren kann, ohne dasz die Wirkung dadurch beeinträchtigt wird, nur die Ijrik kann ohne diesen schmuck nicht bestehen, sondern bis zum leeren klingklang abgerissener worte, der entweder gar keinen sinn hat oder geradezu unsinn ist, darf er sich breit machen, ander- seits aber dient die formale Schönheit durch alle ihre abstufungen und arten in der dichtkunst ebenso sehr der Charakterisierung des gesamtgehaltes wie auch in andern künsten. Goethes Iphigenie in der spräche des Götz oder der Bäuber wäre unmöglich, die formale Vollkommenheit derselben, correctheit und Sauberkeit mitinbegriffen, erscheint wie ein natürlicher ausflusz des Charakters der heldin ; das ideale problem der rettung der ihren durch die reinheit ihrer ge- sinnung und des wandeis verlangt auch eine idealisierung des ganzen lebens, deren symbolischer ausdruck eben jene formale Schönheit ist. und so wäre auch umgekehrt Götz im gewande jenes dramas unmöglich, wendet man dagegen ein, dasz ja Iphigenie erst in prosa abgefaszt war, so ist gerade diese prosa , die von anfang an in jam- bischen rhythmen dahin flosz, beweis der Unrichtigkeit des einwurfs.

H. Stending: das lat. Bcriptom in den oberclassen der gynmasien. 149

Endlich bietet sich auch für die Ssthe tisch -formale bildung nach dieser Übersicht noch ganz von selbst eine teilung dar, nämlich in eine anschanlich-, eine musikalisch- und eine sprach- lich-formale, die erste umfaszt die färben mit, die zweite die wenigen wohlkl&nge anszerhalb der musik, die dritte greift mit den tropen usw. hinüber in das gebiet des gedanklichen, der Vorstellung, ist also darin mehr logisch - formal , soweit eben alles gedankliche logisch ist, als ästhetisch- formal und auszerdem form nur im gegen- sati zum Stoff und inhalt. jede kann vollständig für sich vorhanden Min, und nur in der lust, die sie erwecken, haben sie ihre berührung.

Wien. Adolf Liohtbnheld.

13.

DAS LATEINISCHE SCRIPTUM IN DEN OBERCLASSEN

DER GYMNASIEN.

Da bei den Übungen im übersetzen aus dem deutschen in das lateinische, wie ich sie s. 442 ff. des Jahrgangs 1894 besprochen habe, für den erfolg alles auf art und gang der vorausgebenden umarbei- tnng der deutschen originalstücke ankommt, so will ich auf veran- lassung der verehrten redaction versuchen , diesen teil der aufgäbe an zwei weiteren probepensen noch ausführlicher klar zu machen.

Nach häuslicher Vorbereitung des zu bearbeitenden abscbnittes wird satz für satz gelesen und durch die scbüler angegeben , welche ausdrücke nicht wörtlich zu übertragen sind, diese werden zunächst an sich in gemeinsamer besprechung auf ihre bedeutung hin geprüft und scharf definiert, metaphern und metonjmien worden nach- gewiesen, dann ist noch der wert derselben für die vorliegende stelle festzustellen, und die für diese unwesentlichen merkmale sind auszuscheiden, hierauf folgt die betrachtung des ganzen Satzgefüges ; der hauptgedanke musz herausgestellt und für den lateinischen haupt- satz umgeformt, das Verhältnis der nebensätze zu diesem klar dar- gelegt werden, zuletzt bringen die schüler die ganze periode in die SU übersetzende gestalt und in Zusammenhang mit den daneben stehenden sätzen, wobei der lehrer, so weit es nötig ist, auf zu beachtende stilistische regeln ( Wortstellung, concinnität, gegensätze) aufmerksam macht.

Selbstverständlich wird jeder dieser schritte nicht immer schema- tisch wiederholt, bald gewöhnen sich die schüler bereits bei der eignen häuslichen Vorbereitung viele dieser fragen teils bewust, teils nnbewust für sich zu lösen; das richtige kann dann unter Wider- legung etwa auftretender anderer ansichten ohne weiteres für die gesamtumgestaltung angenommen werden, jedenfalls darf, vom ersten versuch abgesehen, die Vorbereitung eines pensums die zeit einer lehrstunde nicht überschreiten.

150 H. Steuding: das lat. scriptum in den oberclassen der gymnasien.

Der kürze und Übersichtlichkeit wegen werde ich nun zunächst den teit in der art vorftlhren, dasz die ausdrücke und stellen, welche eine besprechung erfordern, gesperrt erscheinen ; daran schlieszt sich die Umformung ungeföhr so, wie sie sich ein sehr aufmerksamer Schüler während der gemeinsamen behandlung anzeichnen kOnnte ; zum schlusz gebe ich wieder eine mir von einem guten schüler ge- lieferte Übersetzung, als beispiele benutze ich aus Seumes Spazier- gang den anfang des briefes aus Budin und ein stück aus dem von Terracina.

I. A) 'Du weiszt, dasz Schreibseligkeit eben nicht meine erbsünde ist, und wirst mir auch deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ichdireherzu wenigalszu viel erzähle, wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu hause in meinem polstersessel bleiben können, nimm also mit fragmenten vorlieb, aus denen am ende doch unser ganzes leben besteht, in Dresden misfiel mir noch zuletzt gar sehr, dasz man zur bequemlichkeit der ankömmlinge und fremden noch nicht die straszen und gassen an den ecken bezeichnet hat: ein polizeiartikel, an den man schon vor zehn jähren in kleinen provinzialstädten, sogar in Polen, gedacht hat, und der die topographie auszerordentlich erleichtert, und topo- graphie erleichtert wieder die geschäfte.

Den letzten nachmittag sah ich dort noch die Mengsische Sammlung der gipsabgüsse. Schnorr wird dir besser erzählen, von welchem werte sie ist, und Küttner hat es, meines wissens, schon sehr gut getban. du weiszt, dasz ich hier ziemlich idiot bin und mich nicht in das heiligtum der göttin wage; ob ich gleich über manche kunstwerke, zum beispiel über die Mediceerin, meine ganz eignen gedanken habe, die mir wohl schwerlich ein antiquar mit seiner ästhetik austreiben wird, schon freue ich mich auf den augenblick, wo ich das original in Palermo sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht, hier interessierten mich eine menge köpfe am meisten, die ich gröstenteils für römische hielt. Küttners wünsch fiel mir dabei ein, dasz der kurfürst diese Sammlung, zur wohlthat für die kunst, mehr completieren möchte, auch ist die periode des beschauens zu beschränkt, da sie den sommer wöchentlich nur zwei tage und den winter öfifentlich garnichtzu sehenist.'

B) Dasz ich nicht ausführlicher schreibe, als nötig ist, weiszt du, und dasz ich nur die hauptsachen berühre, wirst du mir deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, denn wenn ich ausführlichere briefe an dich hätte schreiben wollen, so hätte ich auch zu hause und auf meinem ruhebett bleiben können, sei also mit bruchstücken zufrieden, aus denen bekanntlich unser ganzes leben zusammen- gesetzt ist. doch um ein beispiel anzuführen, misfiel mir am letzten tage, den ich mich in Dresden aufhielt, gar sehr, dasz die namen der straszen und gassen nicht an diesen selbst angeschrieben sind , so

BteadiDg: das lat. scriptum id den oberclassen der gymnaaien. 151

daaz ankOznmlmge und fremde sie nicht bequem benutzen können, wfthrend schon vor zehn jähren in landstädten , und zwar in denen Yon Polen, die behörden verordnet haben, dasz dies geschehe, wo- durch die wege kürzer, die geschäfte leichter werden.

Am nachmittag, bevor ich abreiste, nahm ich dort den schätz von in gips ausgedrückten bildem in augenschein, welche von Baphael Menge einst gesammelt worden sind, wie hoch dieser zu schätzen ist, wird dir unser Schnorr besser auseinandersetzen, und Eüttner hat ihn dir schon, so viel ich weisz, genau beschrieben ; denn du weiszt recht wohl, dasz ich in diesen dingen so unerfahren bin, dasz ich den tempel der Minerva nicht zu betreten wage; gleichwohl mache ich mir über einige kunstwerke, wie über die Medicäische Venus, meine eignen gedanken, die aufzugeben mich vielleicht kein kenner der denkmäler des altertums überreden dürfte, und schon erwarte ich mit freuden, dasz ich jenes götterbild selbst zu Panormus sehen werde, wo es, wie ich glaube, jetzt aufbewahrt wird, an diesem orte aber gefielen mir am meisten nicht wenige brustbilder, deren grösserer teil mir zur zeit der alten Römer entstanden zu sein Bobeint. als ich diese betrachtete, erinnerte ich mich, dasz Küttner wünschte, es möchte unser fürst zum groszen vorteil der kunst und der künstler diesen schätz ergänzen, auch ist die zeit, in der es er- laubt ist diese dinge zu beschauen , kurz , da das haus , in dem sie aufbewahrt werden, im sommer nur alle drei tage, im winter zu keiner zeit für den öffentlichen gebrauch offen steht.

C) Non fusius me scribere, quam necesse sit, scis ac quod sum- mas tantum res attingo, mihi tua ipsius causa libentissime ignosces. etenim si uberiores litteras ad te voluissem mittere, etiam domi atque in leoticula mea lucubratoria remanere potuissem. contentus ig^tor esto reliquiis, ex quibus totam nostram vitam compositam esse constat. sed ut exemplo utar, mihi ultimo die, quo Dresdae yersabar, magnopere displicuit, quod vicorum platearumque nomina non in iis ipsis proscripta sunt, ut advenae peregrinique commode iis uti non possint; cum ante decem iam annos in municipiis, atque eis Poloniae, ut id fieret, magistratus edixerint, qua re itinera bre- yiora, negotia faciliora fiunt.

Tempore pomeridiano, antequam proficiscerer, ibi thesaurum imaginum gypso expressarum contemplatus sum , quae a Baphaelo Mengio olim collectäe sunt, qui quanti aestimandus sit, Schnorrus noster tibi melius exponet, et Cütnerus, quantum scio, tibi eum iam accurate descripsit; neque enim ignoras me harum rerum tam imperi- tom esse, ut templum Minervae intrare non audeam ; quamquam de nonnullis artificiis velut de Venere Medicaea meas cogitationes intra me volvo, quas ut abiciam haud scio an nemo rerum antiquarum perituB mihi persuadeat. atque iam cum gaudio exspecto me illud Bimnlacrum ipsum visurum esse Panormi, ubi id nunc puto adservari. hoc autem loeo mihi maxime placebant haud paucae imagines fictae, quarum maior pars mihi Bomanorum antiquorum temporibus orta

152 H. Steuding: das lat scriptum in den oberclassen der gymnasien.

esse videtur. quas cum contemplarer, memineram Cütnerum optare, ut princeps noster magno cum artis artificumque emolnmento eum thesaurum suppleret. ac tempus, quo licet has res contemplari, breve est, cum domus, nbi adservantur, aestate non nisi quarto quoque die, hieme nullo tempore usui publico pateat.

II. A) ^Die Albaner bilden sich ein, dasz ihre Stadt das alte Alba Longa sei, und sagen es noch bis jetzt auf treu und glauben jedem fremden, der eshören will, die antiquare haben zwar gezeigt, dasz das nicht sein kOnne, und dasz die alte Stadt, laut der geschichte, an der andern seite des sees am fusze des berges müsse gelegen haben : aber drei oder vier milien, denken die Albaner, machen keinen groszen unterschied; und es ist wenigstens niemand in der gegend, der ein näheres recht auf Alba Longa hätte als sie. wir wollen sie also in dem ruhigen besitz lassen, die jetzige Stadt scheint zur zeit der ersten Caesaren aus einigen villen entstanden zu sein, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. dadurch sieht es nun freilich um das monument der Cuiiatier miszlich aus, das auf dem wege nach Aricia steht und welches mir überhaupt ein ziemlich gotisches ansehen hat. nach der geschichte sind alle, die drei Curiatier wie die beiden Horatier, unten vorder Stadt Rom begraben, wo der kämpf geschah und wo auch ihre monu- mente standen: indessen läszt sich wohl denken, dasz die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven landsleuten hier ein neues denkmal errichteten, als unten die alten verfallen waren, wenigstens ist nicht einzusehen, wozu das ding mit den drei spitzen sonst sollte aufgeführt worden sein, ein castell zur Ver- teidigung des Weges wäre das einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die gestalt.'

B) Die bewohner des fleckens, der gegenwärtig Albano genannt vnrd , meinen , dasz sie das alte Alba Longa innehaben , und sagen noch bis jetzt auf treu und glauben jedem beliebigen fremden , dasz dies so sei. denn obwohl die antiquare aus der geschichte nach- gewiesen haben, dasz dies nicht wahr ist, und dasz jenes Alba auf der andern seite des sees und am fusze des berges gelegen habe , so nehmen doch die Albaner in der meinung, es komme nichts darauf an, ob jenes Städtchen einst einige tausend schritt entfernt gewesen sei oder nicht, dieses für sich in anspruch, und niemand in jener gegend kann dasselbe mit besserem rechte thun. mögen sie also für sich haben , was sie wollen; der jetzige flecken aber scheint zur zeit der ersten Caesaren aus einigen villen entstanden zu sein, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. deshalb möchte ich kaum glauben, dasz das auf dem wege nach Aricia gelegene monument den Curiatiern errichtet worden sei es kommt aber dazu, dasz es im mittelalter gebaut zu sein scheint denn es ist dem ge- dächtnis überliefert worden, jene drei Curiatier und die beiden Horatier seien nicht weit von der stadt Rom, wo sie den Zweikampf eingegangen wären , begraben worden und hätten dort auch monu-

H. Stending: das lat. Bcriptam in den oberclaasen der gymnasien. 153

mente gehabt; dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dasz jene Albaner späterer zeit aus liebe zu ihrer alten Vaterstadt ihren tapferen landsleuten an dieser stelle, als jene alten monumente Yerfallen waren , neue errichtet haben, denn ich sehe nicht ein, aus welchem andern gründe jener unterbau mit drei spitzsftulen ge- Bchmttckt worden sei. wenn es aber seiner gestalt nach erlaubt wäre, glaubte ich, dasz dies ein zur Verteidigung des weges er- richtetes castell sei.

C) Incolae eins pagi, qui nostris temporibus Albanum appellatur^ Albam Longam oppidum illud antiquissimum se obtinere arbitrantur et com fide etiam nunc cuilibet peregrino id dicunt ita esse, nam qaamquam homines rerum antiquarum periti hoc verum non esse Älbamque illam in altera lacus parte et in montis radicibus fuisse annalinm memoria replicata demonstraverunt, tarnen incolae Albani nihil interesse rati, utrum illud oppidum olim nonnuUa milia pas- auiim abfuerit necne, id sibi vindicant, neque quisquam illius regionis meliere iure idem facere potest. habeant igitur sibi, quae volunt; pagns autem, qui nunc est, Caesarum priorum temporibus ex villis nonnullis videtur ortus esse, quarum nobilissima erat villa Pompeiana. qnam ob rem (id) monumentum, quod in via Aricina est, vix credam Curiatiis positum esse accedit autem, ut medio aevo (aetate media) fiactum videatur memoriae enim proditum est tres illos Curiatios et utrumque Horatium baud procul ab urbe Roma, ubi certamen inissent, sepultos esse ibique monumenta habuisse; tamen non est aine veritatis specie Albanos aetatis inferioris illos patriae antiquae amore motos popularibus suis fortissimis hoc loco antiquis illis monu- mentis dilapsis nova statuisse. neque enim intellego, quam aliam ob causam illa substructio tribns cippis omata sit. quodsi per formam eins liceret, id putarem castellum ad viam defendendam factum esse.

So leicht wie bei diesen arbeiten darf freilich die zu über- setzende form nur bei den ersten pensen dieser art gemacht werden, ich habe sie aber so gewählt, um zu zeigen, dasz man auch sehr schwache dassen zu solchen Übungen heranziehen kann.

WuBZEN. H. Steuding.

14.

Bothebt: karten und skizzen aus der vaterländischen

OESOHICHTE DER LETZTEN 100 JAHRE, ZUR RASOHEN UND SICHERN EINPRjLaUNG ZUSABiMENGESTELLT UND ERLÄUTERT. Düsseldorf,

druck und verlag von August Bagel. 1893.

Der Verfasser hat mit den vorliegenden karten und skizzen, die in der präzis des Unterrichts selbst entstanden sind, den fachgenossen einen wesentlichen dienst erwiesen, indem er einerseits von der not- wendigkeit ausgeht, den geschichtlichen Unterricht durch derartige skizzen anschaulicher zu machen, anderseits aber auch die thatsache

N. Jahrb. f. phil. n. p'id. U. abt 1895 ha. 3. 11

)

154 A. Sterz: anz. y. E. Rothert karten und skizzen.

zugesteht, dasz nicht alle fachgenossen die neigung haben, solche orientierende linien selbst in der einfachsten foim zu zeichnen , ist er bemüht gewesen , durch diese knappe graphische darstellung der Vorgänge der letzten hundert jähre eine sichere grundlage zu schaffen, auf der sich die kürzere oder ausführlichere behandlung der ereig- nisse weiter aufbaut, auszerdem hat er auch zu den einzelnen karten kurze erläuternde bemerkungen hinzugefügt.

Durchaus zu biligen ist , dasz bei der auswahl der karten in erster linie Preuszen und Österreich berttcksichtigung gefunden haben, demgemäsz veranschaulichen die drei ersten karten den ver- lauf des ersten coalitionskrleges auf den einzelnen kriegsschau- plätzen, während zwei andere die ereignisse der jähre 1799 und 1800 mittels färbe (meist blau, rot und gelb) und linie darstellen; und so geht es weiter bis zu den freiheitskriegen. zuletzt sind die feldzüge der jähre 1864, 1866 und besonders übersichtlich der deutsch -französische krieg in seinen verschiedenen Stadien dar- gestellt, von andern karten absehend , machen wir besonders auf die karte nr. 14 aufmerksam, die vermöge der in wellenförmigen linien ausgeführten darstellung der deutschen verfassungskämpfe der jähre 1848 51, zugleich in Verbindung mit der schleswig- holsteinischen frage, wohl geeignet ist, eine klare Übersicht über die aufeinanderfolge und das ineinandergreifen jener verwickelten Ver- hältnisse zu gewähren.

Endlich möchte ich noch einige worte zu den erläuternden be- merkungen hinzufügen, soweit es sich um kriegsgeschichte und das ist meist der fall handelt, enthalten diese in prägnanter kürze den anlasz, verlauf und das ergebnis der einzelnen kriege oder geben auch, wie die drei letzten blätter zeigen, eine Übersicht über die ge- schichtliche entwicklung Deutschlands, Frankreichs und Österreichs vom jähre 1815 bis zu der neuesten zeit, da nun diese dinge auch in der classe behandelt werden und auch in dem geschichtlichen hilfs- buche sich finden, so möchte ich sie an dieser stelle beinahe für ent- behrlich halten, und doch wird eine nochmalige Zusammenstellung dicht neben der karte dem schüler zum nutzen gereichen.

So empfehlen wir das buch Botherts allen facbgenossen als ein sehr brauchbares hilfsmittel für den geschieh tsunterricht und wün- schen ihm weitere Verbreitung, dann entscblieszt sich vielleicht der Verfasser, auch andere abschnitte der deutschen gescbichte, die reich an kriegerischen ereignissen sind, z. b. den dreiszigjährigen krieg und die kriege Friedrichs des groszen, nach denselben gesichts- punkten graphisch zur darstellung zu bringen.

CÖTHEN. Alwin Sterz.

J. Bieren : am. t. M. Cantor Vorlesungen über gesch. d. mathematik, 1 55

15.

YOBIiBSÜNGBN ÜBBB OESOHICHTE DER MATHEMATIK VON MORITZ C AMT OB. I. band: von DEN ÄLTESTEN ZEITEN BIS ZUM JAHRE ISOO NACH OHR. MIT 114 FIGUREN IM TEXT UND 1 LITHOGRAPH. TAFBL. ZWEITE AUFLAGE. 1894. 881 S. 8. II. BAND: VON 1200—1668. MIT 184 FIGUREN IM TEXT. 1892. 861 8. 8. III. BAND. 1. ABT.: YOH 1668—1669. MIT 46 FIGUREN IM TEXT. 1894. 249 S. Leipzig, dmck und v erlag von B. 6. Teubner.

Nachdem der Verfasser in der einleitung eine art Vorgeschichte der mathematik gegeben und die versuche, die entstehung des zahl- begrifGs und die ausbildung des Zahlensystems bis zur alleinherschaft des Zehnersystems zu verfolgen, beleuchtet hat, behandelt er im ersten bände (in 8 abschn. und 40 capiteln) die mathematik der Ägypter, der Babylonier, der Oriechen, der ROmer, der Inder, der Chinesen und der Araber und die klostergelehrsamkeit des mittel- alters. hieran schlieszt sich ein vollständiges, alphabetisch geord- netes Sachregister, endlich gelangen noch auf einer lithogra[)hischen tafel zur darstellung: die hieratischen Zahlzeichen der Ägypter (s. 43), die altchinesischen und die kaufmannsziffem der Chinesen (s. 631) , die etruskischen und altrömischen zeichen für 5 , 10 , 50, 100 und 1000 (s. 487) u. a. m. ; die beigesetzten Seitenzahlen be- gehen sich wohl auf die erste aufläge, sie sind in der weise ^ wie Yon mir angedeutet, umzuändern. Allenthalben zeigt der Ver- fasser eine so genaue und umfassende kenntnis der quellen , soweit sie bis jetzt erschlossen sind. Überall bemüht er sich, über das leben der hervorragenderen männer so eingehend zu berichten und gibt so klare auszttge aus den bedeutenderen erscheinungen auf diesem gebiete, dasz gewis jeder, der mathematischen gegenständen auch nur ein klein wenig gescbmack abzugewinnen vermag, dem studium dieses bandes manche anregung verdanken wird; eine höhere mathe- matische bildung ist dazu keineswegs erforderlich. Dasz bei der groszen lückenhaftigkeit des vorhandenen und dem Verfasser zu- gänglich gewesenen materials noch eine ganze reihe von fragen durch mehr oder minder gewagte conjecturen gelöst worden sind, während anderen sogar nicht einmal auf diesem wege beizukommen war, kann niemanden wundem ; eben diese fragen bilden vielleicht die hauptschwierigkeit, aber wohl auch den hauptreiz des werks und setsen dem fleisz und dem Scharfsinn des Verfassers ein ehrendes denkmal. jenachdem man sich mehr für geometrische gebilde oder für Zahlenwesen interessiert, wird man auch jenen oder diesem mehr aufmerksamkeit schenken, für mich hatten einen besondem reiz das rechenbuch (I s. 23) des Ahmes (c. 2000 1700 vor Gh.), wel- ches mir einen aus bedauern und bewunderung zusammengesetzten begriff von der altägyptiscben bruchrechnung beigebracht hat, und die täfeichen (I s. 81) von Senkereh (2300—1600 vor Gh.), die zwar das Vorhandensein des sezagcsimalsystems bei den Babyloniem un-

11*

156 J. Sievera : anz. y. M. Cantor TorleBongeD über geBch. d. mathematik.

widerleglich darthnn , uns aber über die frage , ob sie auch die null besessen haben, leider ganz im stich lassen, die frage nach der heimat der null scheint überhaupt noch nicht entschieden zu sein ; ihre einführung, so selbstverständlich sie uns erscheint, hat doch eine sehr lange zeit beansprucht und ist erst mit dem endgültigen siege des algorithmus über den abacus (um 1500 nach Ch.) zur voll- endeten thatsache geworden, urkundlich kann die null erst 738 nach Ch. nachgewiesen werden (I s. 563) ; doch ist sie (I s. 576) schon zu Brahmaguptas zeit (um 640 nach Ch.) gegenständ be- sonderer Vorschriften gewesen und schon 400 nach Ch. (I s. 569) musz sie in Indien bekannt gewesen sein, die entstehung unserer zififem ist bekanntlich ebenso dunkel; Verfasser läszt die apices (des Boethius) nach Indien wandern (I s. 564) und von da als indische oder, wie sie bei den Westarabem hieszen, gübftr, d. h. staubziffem, zurückkehren (I s. 565). Den hauptanteil an diesem bände hat naturgemäsz die griechische mathematik. sind doch die Thaies und Pythagoras, die Euklid und Archimed, die Apollo- nius und Heron , die Pappus und Diophant so bedeutende m&nner auf diesem gebiete, dasz man sie auf breitester grundlage behan- deln musz. die spätere entwicklung der griechischen geometrie aber, das, was der Verfasser einmal als die damalige höhere mathe- matik bezeichnet, ist ein je länger je mehr verödendes feld, dem nur der wissenschaftliche geist zuletzt noch ein dürftiges Interesse abzugewinnen vermag ; erst einem Descartes und einem Leibniz war es vorbehalten, lange nachdem die griechische cnltur abgeblüht hatte, mit neuen mittein neues zu schaffen. In der neuen auf- läge sind die capitel mit indischen ziffem, die abschnitte römisch numeriert, ebenso auch im dritten bände, während im zweiten bände abschnitte und capitel römisch numeriert sind.

Der zweite band ist chronologisch abgeteilt und umfaszt die zeit von Leonardo Pisano und Jordanus Nemorarius bis an das jähr 1668, wo Leibniz promovierte; auch diesem bände ist ein voll- ständiges Sachregister beigegeben ; doch fehlt die kurze inhaltsüber- sicht, die im ersten bände (2e aufläge) gewis manchem lieb ist. Obwohl ich diesem zweiten bände nun, soweit des Verfassers arbeit reicht, dieselbe anerkennung zolle, wie dem ersten, habe ich ihm doch nicht das gleiche Interesse abgewinnen können; doch ist das urteil, wie gesagt, rein subjectiv und kann wohl in der hauptsache auch auf die zeit von 1200 1450 eingeschränkt werden. Den Pisaner Leonardo umgibt eine zu grosze und zu trostlose einöde, um seine zeit noch anziehend zu finden, erst mit dem Wiederauf- leben der Wissenschaften , mit dem eintritt des humanismus, der die Überreste der reichen griechischen litteratur zu sammeln und dem abendlande zugänglich zu machen suchte, während man bisher auf mathematischem gebiete sich mit vielfach verdorbenen oder ganz entstellten lateinischen oder gar lateinisch -arabischen Übersetzungen hatte begnügen müssen, erst mit dieser groszen und durch die soeben

J. Sieren : ans. t. M. Cantor rorleflungen über geBcH. d. mathematik. 157

erfondene buchdrnckerkunst noch ganz bedeutend yerstärkten be- x«iohenmg wird die gescbicbte der mathematik wieder interessanten hatte man im altertum drei ströme mathematischer erkenntnis mit Tenchiedenen quellen und scheinbar auch verschiedenen mUndungen nntersoheiden kOnnen, so waren sie jetzt zusammengeflossen zu einem mlditigen ströme, der zusehends wuchs an breite, tiefe und ge- Bchwindigkeit des laufs. was Ägypten, was Babylon und Indien, was Oriechenland aus den urzellen heraus entwickelt hatte, das erbte jetxt die eine europäische culturwelt und entfaltete es zu einer yoll- kommenheit, von der man kaum noch die keime im altertum zu entdecken vermag. Koppemikus, Kepler und Galilei bringen eine noae Weltanschauung ; Peurbach und Begiomontan legen den grund zur modernen trigonometrie; italienischen mathematikem gelingt die lOsung der gleichungen dritten grades ; damit war das zeichen gageben su einer langen reihe von erfindungen, die zu fast ebenso vielen in unedelster weise ausgefochteuen fehden führten, in denen sich jetzt nur schwer oder gar nicht recht und unrecht unterscheiden ISszt. 80 ist es z. b. schwer zu sagen, wem man die lösung der gleichnng dritten grades zuschreiben soll, dem wortbrüchigen, aber geistreichen Cardano, den Ferrari vertritt, dem mindestens bOchst unzuverlSssigen Tartaglia, oder etwa einem dritten, dem del Ferro (II s. 442); so weiez man nicht, was man von dem streit um die sog. Ouldinsche regel halten soll : Guldin beschuldigt Cava- lieri des plagiats (11 s. 767), Cavalieri antwortet, Guldin habe seine idee von Kepler entlehnt und somit streiten sich beide um eine ent- decknng, die Pappus (I s. 421) schon mehr als 1000 jähre zuvor gemacht hatte ; so ist man ratlos, ob man die quadratur der cycloide dem prahlerischen Boberval, zu dessen anwalt sich Blaise Pascal aufwirft (II 807), oder dem ruhigen, in seinem auftreten so sym- pathischen Toricelli verdanken soll, es sind das nur einige proben der vielen Streitigkeiten, die in diesem bände eingehend erörtert werden; sie sind gewissermaszen das verspiel zu dem berühmten streit zwischen Leibniz und Newton um die erfindung der infini- tesimalrechnung , die den anbruch der neuen zeit anzeigt und im dritten bände genau dargestellt wird, die geschiebte wird in vielen solchen fllllen die acten mit einem groszen f ragezeichen schlieszen ; nur selten wird es ihr gelingen, was sie zu wünschen ja auch gar keine Ursache hat , dem einen oder dem andern ein plagiat nachzu- weisen, wenn sie auch manchmal mit schmerzlichem bedauern die mOglichkeit eines solchen nicht ganz von der band weisen kann. dieser nachweis des plagiats ist eben sehr oft nicht zu erbringen, weil gar keins vorliegt, weil die neue idee, auf die schon manche YOrarbeit hinwies, gewissermaszen in der luft lag und von verschie- denen personen trotz räumlicher trennung doch ungefähr gleich- zeitig, wenn auch zuweilen mit wesentlich verschiedener auffassung, ergriffen wurde, das ist ja auch ein ganz natürlicher Vorgang: wenn gleiche Ursachen gleiche Wirkungen zur folge haben, und demnach

158 J . Sievers : anz. y. M. Cantor yorlesungen über gesch. d. maihematik .

annähernd gleiche Ursachen auch annähernd gleiche Wirkungen her- vorrufen können ; so kann man doch im allgemeinen auch bei an- nähernd gleichen Wirkungen, die ja thatsächlich nur vorliegen, an- nähernd gleiche Ursachen als vollständigen erklärungsgrund gelten lassen, hat doch schon mancher etwas erfunden, was schon lange vor ihm bekannt war, so z. b. erinnere ich mich^ dasz ich als schüler den satz:

+ 2' H [. n' = (1 + 2 H ny

gefunden und die Newtonsche näherungsmethode zur auflösung der numerischen gleichungen angewandt habe, ohne zu ahnen, dasz es sich um längst bekanntes handle, ähnliches ereignet sich sehr oft, man kann belege dafür in jeder fachzeitschrift genug finden, was sich aber zeitlich nach einander ereignet, das kann auch einmal gleichzeitig stattfinden, auch werden zuweilen neue ideen gefunden, gelegentlich geäuszert und sogar niedergeschrieben , aber trotzdem lange achtlos bei seite geschoben, bis etwa eine spätere zeit das Ver- ständnis bringt, ohne aber immer dem entdecker gerecht zu werden, und das ist auch vollkommen berechtigt, wenn nachweislich dem Urheber selbst das Verständnis für seine neuerung gefehlt hat. diese von dem Verfasser geübte präzis ist zu billigen ; nur auf zwingende gründe hin spricht er einem Urheber das Verständnis für seine eigne neuerung ab , bezichtigt er einen andern des plagiats. Musz man sich nun einerseits auch über die wüsten Schimpfereien damit zu trösten suchen, dasz der begriff der Urbanität damals wohl noch nicht die berechtigung hatte, wie heutzutage, so bedeutet doch anderseits auch jeder solche streit einen be wüsten fortschritt, und auch dann einen fortschritt, wenn, wie in dem Guldinschen falle kein neuer wert geschaffen, sondern nur ein lang vergrabener wieder gehoben wurde. Dasz übrigens die Guldinsche regel nicht von Guldin, sondern von Pappus herrührt, dafür lassen sich seitenstücke beibringen ; der bekannte Eulersche satz : e -{- f '= Je -{- 2 stammt (nach II s. 626) auch nicht von Euler, sondern von Descartes her und die sog. Gerhardtsche (Albert Girard ) reihe :

1. 2. 3. 5. 8. 13. 21. 34. 55. 89 ,

bildungsgesetz : Wr— i + Wr = Wr+i

war schon Leonardo da Pisa bekannt; er stöszt auf sie (nach II 24/25) in seiner kaninchenaufgabe : 'ein paar kaninchen zeugt allmonatlich ein paar junge und jedes neue paar vom dritten lebensmonat an ebenfalls ; wie viel paar sind nach einem jähre vorbanden, wenn kein tier vorher stirbt?' es sei mir gestattet, hieran die berichtigung der landläufigsten fehler zu schlieszen: Archimedes hat (I s. 288):

gefunden, kann man sich nun auch mit der bezeichnung 3y als Archimedischer zahl einverstanden erklären , so ist die bezeichnung

J. Sieren : anz. t. M. Cantor Vorlesungen über gesch. d . mathematik. 159

Ton 3,14 als Ludolphscher doch kaum noch zu rechtfertigen; denn Ladolph van Ceulen bat tt weder am ersten noch am genauesten bmreclmet, in der zeit gehen Vieta (9 dzst. II s. 546) und Adriaen ▼an Boomen (1 7 dzst. II s. 550) ihm voran und in der genauigkeit sind ihm z* b. Dase und Richter über. Bei den Diophantischen gleichungen ersten grades suchen wir nach positiven ganzzahligen lösnngen; die bedingung der ganzzahligkeit stammt aber gar nicht von Diophant (I s. 447), sondern von Bachet de Meziriac (II s. 703). In der Zeitschrift für die lateinlosen höheren schulen wurde kflrzlich (h. 10/11 d. j. s. 295) von herrn gewerbeschuldirector dr. Holzmüller aus Hagen i. W. der schlusz von n auf n -{- 1 ols KBatnersches beweisverfahren bezeichnet; diese erfindung verdanken wir (n s. 684) Blaise Pascal. Das gleichheitszeichen (=s) rührt nicht von französischen mathematikern her, wie Bardey (lehrbuch B. 2) behauptet, sondern (11 440) von dem Engländer Becoorde. Der binomische satz mag in seiner letzten ausgestaltung Newton znsuschreiben sein, an seiner entdeckung haben aber Michael Stifel und Blaise Pascal jedenfalls ein nicht geringes verdienst und die erfindung der logarithmen können Bürgi und Kepler wohl Neper und Briggs streitig machen, endlich rührt das rückwärtseinschneiden, auch die Pothenotsche aufgäbe genannt, nicht von Pothenot (III s. 23), sondern von dem entdecker des lichtbrechungsgesetzes Willibrord Snellius her (II s. 645) , dessen rühm dafür aber wieder durch die

o *

formel (11 s. 184) x = r— r- auf kosten des Nicolaus Cusanus

<S "T" COS iC

und durch die bekannte inbaltsformel für das sehnenviereck (I s. 605) auf kosten der alten Inder erhöbt worden ist. diese reihe von irr- tttmem liesze sich wohl noch um ein erkleckliches verlängern; ich verzichte darauf, um mich zu einem andern gegenständ wenden zu können, nämlich zu den einzelaufgaben, die der Verfasser aus den mathematischen werken aller zeiten mitteilt und bespricht, und von denen etliche teils mit, teils ohne Ursprungszeugnis noch heute in nnsem aufgabensammlungen eine rolle spielen, wem wäre z. b. nicht die aufgäbe des Maximus Planudes (c. 1300 nach Ch.) be- kannt: (I s. 478) ^eine summe S besteht aus lauter gleichen geld-

atücken. davon erhält Ä 1 und des restes, B 2 und des nun-

mehrigen restes u. s. f. wie grosz ist 5, und wie viele personen teilen sich hinein?' sie tritt in vielen lehrbüchem auf, aber niemand scheint bemerkt zu haben, dasz sie eigentlich überbestimmt ist, und doch ist das der fall ; denn allein aus der gleichheit der teile des Ä und des B ergibt sich: 8 = {n 1)'; zahl der teilenden: n 1. und ist demnach das ^u. s. f.' zu beweisen, nicht zu berechnen.' interessant ist ferner die (chinesische) aufgäbe (I s. 643): aus den resten, die eine (zweistellige?) zahl bei der teilung durch 3, 5 und 7 läszt, die zahl selbst zu ermitteln, interessant sind auch (I s. 583 586) verschiedene aufgaben indischen Ursprungs , die unsern auf-

160 J. Sieven : ans. y. M. Cantor vorlesuDgen über gesch. d. mathematik.

gabensammlungen entschieden nur zur zierde gereichen würden, wie z. b. die beiden aufgaben B&skeras: 1) 'der 8e teil einer berde äffen ins quadrat erhoben hüpfte in einem haine umher und erfreuce sich am spiel, die 12 übrigen sah man auf einem hügel mit einander schwatzen, wie stark war die herde?' 2) 'das quadrat des um 3 verminderten 5n teils einer herde äffen war in einer grotte rer- borgen, 1 äffe war sichtbar, der auf einen bäum geklettert war. wie viele waren es im ganzen?' Von ganz besonderem interesse aber erscheint mir die aufgäbe, die zur ersten Wahrscheinlichkeitsberech- nung den anlasz (II s. 688 690) gegeben hat. sie lautet : ^A und B spielen um 3 gewinnspiele, nachdem Ä das le spiel gewonnen hat; sind sie genötigt aufzuhören, wie sind die einsätze zu ver- teilen?' Pascal und Fermat finden beide, dasz ^ j^ , ^ ^ zu er- halten habe.

In der vorliegenden ersten abteilung des dritten bandes werden die grundlegenden arbeiten von Leibniz, denen man die differential- und integralrechnung verdankt , auszerdem aber noch die ähnlichen zwecken gewidmeten schrift^n von Newton, Tschimhaus, den brüdem Bemoulli, dem marquis deL'Hospital und andern behandelt; die zweite abteilung soll bis Newtons tod 1726 und die dritte bis 1759 reichen, wo Lagranges erste arbeiten in den abhandlungen der Turiner academie erschienen, diese sätze habe ich fast wörtlich einer anzeige des Verfassers entnommen. Die erste abteilung ent- hält, wie schon bemerkt, eine genaue darstellung des prioritäts- streits zwischen Leibniz und Newton ; der Verfasser tritt mit recht für Leibnizens Selbständigkeit ein. die Untersuchung ist gründlich, die darstellung klar und sogar spannend, überhaupt kann ich mein urteil über das werk, soweit es biä jetzt fertig vorliegt, dahin zusammenfassen, dasz mich wohl noch niemals ein werk so inter- essiert hat, wie dieses, ich freue mich schon im voraus auf die noch ausstehenden beiden abteilungen; doch erkenne ich gern an, dasz der Verfasser bei dem noch zu bewältigenden groszen material die Ungeduld mancher leser nicht befriedigen kann , er musz , will er, wie seither, gediegenes schaffen, dem Wahlspruch huldigen: festina lente! Für die, die von dem ersten bände die zweite, sonst aber die erste aufläge besitzen, nur noch die bemerkung, dasz bei citaten aus dem ersten bände zu der Seitenzahl etwa 10 y„ zu addieren sind, ich schliesze mit dem wünsche, dasz das werk, wie es verdient, von den fachgenossen recht viel benutzt werde; wäre es vor 25 jähren schon vorhanden gewesen, so hätte ich, glaube ich mit bestimmtheit behaupten zu können , mir das Studium der mathematik anders ein- gerichtet.

Fbamkbnberg in Sachsen. Jübobn Sievers.

A. Leitsmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 161

16.

WILHELM VON HUMBOLDTS BRIEFE AN FRIEDRICH AUGUST WOLP AUS DER ZEIT SEINER LEITUNG DES FKEUBZISCHEN UNTERRICHTS WESENS 1809 UND 1810.

Die bandEchnften der Dacbstebend zum ersten male genau nach den originalen abgedruckten briefe Humboldts, die zur klareren erkenntniB seiner leitung des preuszischen unterricbtswosens ein hOdiat wertvoller beitrag sind, befinden sich zum allergrösten teil im besitz seiner enkelin , frau Konstanze von Heinz , geborne von BQlow, der der wärmste dank für die erlaubnis zur publication auch an dieser stelle dargebracht sei, im schlösse Tegel, einige ergänzende stocke besitzt die königliche bibliothek in Berlin: den abdruck der- selben in Humboldts gesammelten werken band 5 habe ich hie und da nach den originalen verbessern können.

1.

Ihr Bericht, mein theurer Freund ist vortreflich; frei, wie sonst in diesen Dingten selten gesprochen worden ist; dabei schonend nnd fein, nnd so dmss er sehn Ittsst, dass die Anstalt noch mehr, als Sie es geradesn sagen, Hanptreformen bedarf. Ich werde eilen ihn gleich nach Königsberg za schicken.*

Die Buttmannsche * Sache arbeitet Ihnen jetzt in die Httnde. Wenn Bnttmann am 1. April abgeht, und er thnt es, wenn Sie anf mein

gestriges Billet Ihre Zastimmnng geben, so haben Sie an Gehalt was ie unter swei Collaboratoren vertheilen können. Diese Vertheilung wird sicherlich gleich in Könifi^sberg gebilligt, und ich bitte Sie, Sich ▼orlftufig ja um Sabjecte umzusehn.

Den Collaborator suchen Sie ja jetzt gleich.

Der Rest fordert ein tieferes Eingreifen in die Schnle, vorzüglich in das Directorinm. Anch da wird die Hülfe nicht fishlen. Aber es ist möglich, dass man dies bis zur Ankunft des Ministerii aussetzt.

Diese ist, unter uns, noch ungewiss in Absicht des Tages. Vor dem 7^*"^ scheint es nicht, dass der Hof /ibreisen werde.'

Sagen Sie mir jetzt bestimmt, mein Lieber, ob Sie zufrieden sind, dass ich in Absicht Buttmanns und der beiden Collaboratoren die Vor- •chlftge auf die angegebene Weise mache .^ Der Bote hat Befehl auf Antwort zu warten.

Sagen Sie mir anch, ob Sie eine Abschrift oder ein Brouillon Ihres Berichts haben? Sonst lasse ich eine machen.

'am 14 october 1808 war Wolf an stelle des verstorbenen Merian mm yisitator des Joachimsthalschen gymnasiums ernannt worden, als solcher hatte er der section für cultus und Unterricht unter dem 18 febmar 1809 einen ausführlichen bericht über diese anstalt und an ihr Yorzunehmende re formen eingereicht; besonders beantragte er die anstellnng eines oder zweier jüngerer collaboratoren. der bericht ist abgedruckt bei Arnoldt, Friedrich August Wolf 1, 143.

* Philipp Buttmann (1764—1829), 1796 bibliothekssecret»r an der Berliner bibliothek, 1800 9 professor am Joachimsthal; vgl. Buttmann allgemeine deutsche biographie 3, 656.

' erst im december des Jahres kehrten hof und behörden von Königsberg, wohin im april auch Humboldt abgieng, nach Berlin zurück.

162 A. Leitzmann : W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Haben Sie nichts für die Medaille erfunden?^ Bei Gelegenheit von Inschriften, wie gefällt Ihnen die um das Wappen des jetzigen Oesterreichischen Geschäftsträgers hier, der Bombelles helsst?^ Pax decet imbelles, sed bellum Bombelies.

Die Zeichnungen meines puteals* habe ich bekommen. Zoega^ arbeitet schon an einer Beschreibung. Sie sollen alles fürs Museum^ haben.

Wollten Sie wohl einige Verse der inliegenden Vossischen Cassandra* mit meiner '0 vergleichen. Die Trimeter sind wunderbar, z. B. 1126 1231. kein einziger richtig. lauter Ictus auf Nebensilben. Aber die Uebersetzung scheint nicht schlecht. Noch eine soll in der Teutona, ich weiss nicht von wem seyn?'* Wie geht Ibre Gesundheit. Mit inniger herzlicher Liebe Ihr

[Berlin,] 24. Februar. [1809] H.

Ich habe einen Aufsatz von Beil in Händen über das Studium der Medicinischen Wissenschaften, der voll treflicher Ideen ist. Dieser Mensch darf uns nicht fehlen, und dieser wird es nicht. ** Als Juristen

* zum gedächtnis der baldigst erwarteten rückkehr des königs- paares nach Berlin sollte eine denkmünse geschlagen werden. Wolfs inschrift dafür lautet: Fortunae reduci desideratissimorum Friderici Guilelmi III et Lovisae vota soluta 1809 (EÖrte leben und Studien Friedrich August Wolfs 2, 32 anm.).

^ Ludwig graf Bombelles (1780 1843)^, der gemahl von Friederike Bruns tochter Ida, später für den beitritt Östarreichs zur allianz gegen Napoleon besonders thätig; vgl. Wurzbach biographisches lezikon des kaisertums Österreich 2, 40.

* Humboldt hatte in Rom eine antike marmorne, mit einem bas- relief versehene brunneueinfassung gekauft, die später mit einer in- schrift Wolfs im atrium des Tegeler Schlosses aufgestellt wurde (vgl. an Wolf gesammelte werke 6, 307. 308).

7 Georg Zoega (1765—1809), dänischer archäolog, seit etwa 1790 dauernd in Rom; sein leben hat Welcker beschrieben (Stuttgart und Tübingen 1819). er war Humboldts ständiger begleiter durch die ruinen des alten Rom (vgl. an Goethe s. 219; an Schweighänser s. 99). 'selbst Zoegan, der sonst interessantere ansichten hat, fehlt es an lebhaftem interesse. er ist ein allgemeiner indifferentist und Skeptiker und, wenn auch wirklich seine gelehrsamkeit dadurch weniger schaden leidet, so verliert doch die mitteilung allen reiz .... auch mein bruder hat die bemerkung gemacht, dasz niemandes Umgang so wenig zu eigner arbeit belebend, ja man kann sagen, sogar so niederschlagend dafür ist* (an Wolf gesammelte werke 5, 262); vgl. noch s. 260 und an Welcker s. 27.

^ Wolfs und Buttmanns museum der altertumswissenschaft erschien in zwei bänden, Berlin 1807 10; daneben museum antiquitatis studio- rum in einem bände, Berlin 1808 11. eine abhandlung Zoegas, der übri- gens schon am 15 februar 1809 gestorben war, ist nicht darin enthalten.

* Heinrich Voss der söhn hatte seine Übersetzung des Aesohylus J805 begonnen; im .druck erschien sie erst 1826, weshalb hier ein manuscript gemeint sein musz.

10 gesammelte werke 3, 73.

11 über das Journal Teutona und die darin enthalten sein sollende Aeschylusübersetzung habe ich nichts ermitteln können.

1* Johann Christian Reil (1759—1813), 1787 professor der medicin in Halle, 1810 in Berlin; vgl. Bandorf allgemeine deutsche biographie 27, 700. zu seiner berufung nach Berlin vgl. noch an Nicolovius s. 16 ; an Motherby bei Dorow, facsimile von handschriften 3. schon 1795 war Humboldt auf seine arbeiten aufmerksam geworden (vgl. an Schiller' s. 239; an Wolf gesammelte werke 5, 144). der hier gemeinte aufsats dürfte der 1808 in Reils und Hoffbauers beitragen zur beforde-

A. Ldtzmann: W. y. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 163

kBnnteii wir Savigfnj** yielleicht haben. Aber wo ist ein Theologe? Meine Lieblingsidee wäre jetzt, diese 4 nemlich: Sie, Reil, Savigny luid den Theologen Tor der neuen Weltschöpfnng hier zu haben, um so Busammen alle 5 unter uns en comit^, der von allen Gollegien fürs •nte abgesondert wäre, die specielle Einrichtung aller facultaeten fest- BQsetten. Aber mit dem Gelde hat Sie Massow*^ falsch berichtet. Es sind nicht, wie Ihr Aufsatz ^> besagt 33000 Thaler sondern nur 24000. ▼on den Hallischen fonds übrig. Doch das, denke ich, soll sich finden.

Adieu!

Wissen Sie, dass Gräfin Voss** gekommen ist?

8o eben erhalte ich Ihr Billet, das schon die nothwendigste Ant- wort enthält. Vorzüglich gut ist es, dass es mit Ihrer Gesundheit besser geht. Biester*^ mnss ich gestehen, denkt nur mit Zittern an die Uni- versität. Die Bibliothek ist sein Sein und das woher er steuert. Weil aber (auch unter uns, und im Vertrauen auf das fi€voc HqxxiCTOio ge- sagt) mir höchst zweifelhaft ist, ob er auch nur für die Bibliothek gut tangt, so habe ich ihm nicht die Idee erregen mögen, dass er gewiss künftig wahrer, einsiger oder erster Bibliothekar seyn würde, sondern ihm unverholen erklärt, dass das von den Talenten und dem Fleiss ab- hängen sollte, den er erst zeigen würde, da bisher die Bibliothek in schrecklicher Unordnung gehalten würde, was er wirklich sehr ehrlich und gutmüthig zugegeben. H.

2.

Es ist eine Ewigkeit, dass wir uns nicht gesehen haben. Warum treffen wir nicht einmal zusammen bei Frau von Bergi?'®

Ihr Bericht *> ist abgegangen, und das Nöthigste ist nun unmittel-

mng einer kurmethode auf psychischem wege 1, 161 erschienene 'über den begriff der medicin und ihre Verzweigungen' sein, wenn nicht ein mannscript gemeint ist.

" Friedrich Karl von Savigny (1779 1861), 1803 professor der Jurisprudenz in Marburg, 1808 in Landshut, 1810 in Berlin; vgl. Lands- berg allgemeine deutsche biographie 30, 425. zu seiner berufung nach Berlin vgl. noch an Nicolovius s. 13. 16; an Motherby bei Dorow, fac- simile von bandschriften 2, 3; die briefe an Achim von Arnim (an Nico- loYlns 8. 120. 128. 130).

Julius Eberhard Wilhelm Ernst von Massow (1750 1816), 1798 WöUners nachfolger als cultus- und unterrichtsminister, 1807 emeritiert; Tgl. Friedlaender allgemeine deutsche biographie 20, 573 und Varren- trapp, Johannes Schulze s. 229.

i& vom 3 august 1807, betreffend die begründung eines groszen litterarischen Instituts in Berlin an stelle der verlorenen Universitäten, abgedruckt bei Köpke, die gründung der königlichen Friedrich Wilhelms- nniversität zu Berlin s. 153.

*^ die tochter der frau von Berg (vgl. anm. 18).

" Johann Erich Biester (1749—1816), 1773 professor am pädagogium in Bützow, 1777 privatsecretär des ministers Zedlitz, 1784 bibliothekar an der Berliner bibliothek; vgl. Kelchner allgemeine deutsche bio- graphie 2, 632. er war mit Humboldt seit dessen jünglingsjahren UAhe .' bekannt (nicht deuten kann ich freilich das 'nähere Verhältnis', in welchem Humboldt 1789 bald zu ihm zu stehen an Forster gesammelte werke 1, 276 berichtet), an der obigen stelle steht in der handschrift nur B., das ich richtig als Biester (und nicht Buttmann) aufzulösen glaube.

*^ Karoline Friederike von Berg, geborne von Häseler (1760—1826), die in der Berliner gesellschaft von damals so oft genannte freundin der königin Luise; vgl. neuer nekrolog der Deutschen 4, 1036.

" vgl. anm. 1.

164 A. Leitsmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

bar auf Becker*® oder einen andern für die Anstalt zu denken. Haben Sie die Güte die nöthigen Schritte su than; sobald icb darch Sie weiss dass Becker annimmt, schreibe ich ihm officiell. Mit dem Gehalt beim Joachimsthal verhält es sich folgendergestalt: es war ausser einigen Naturalien 550 Thaler t Aber man kann da 150. eine bedingte auf nicht mehr vorhandne Ueberschüsse angewiesene Zulag« waren, gewiss nur auf 400 Thaler rechnen. Wollen Sie eine genauere designation, so schreibe ich sie Ihnen unTerzfiglich.

Ich bin sehnmal bei diesen Zeilen unterbrochen worden. Von Herzen

Ihr

[Berlin,] 1. [Mftrz 1809.] H.

3.

Königsberg, 20 Junius 1809.

Tausend Dank für alle Ihre Briefe, liebster Freund, und vor allem für Ihre Rückkunft. Es ist mir ein unendlieher Trost, Sie wieder in Berlin zu wissen, theils für unsre Geschäfte, theils für mich selbst. Ich führe hier ein sehr freudeloses Leben. Es ist ein unangenehmer Ort 'S ein schändliches Klima, wenig irgend interessanter Umgang, wenn auch einige interessante Menschen, und viel Geschäfte zu denen man nicht einmal weder an Acten, noch Menschen die gehörige Hülfe hat. Was hier und da für unsre Angelegenheiten geschehen ist, wird Ihnen Uhden '*, mit dem ich ausserordentlich zufrieden bin, sagen. An einigen grossen Sachen, vorzüglich der Universität, arbeite ich noch, soviel ich kann. Savignj hat sehr beifällig geantwortet, wenn nemlich ich gewiss und kein andrer Curator der Universität wäre.*' Doch hatte ich ihm noch gar keine Bedingungen gesehrieben, und eher schlechtere ahnden lassen, als ich machen kann. Schmidt in Giessen ist auch nicht abgeneigt.** Reil beobachtet ein sonderbares Stillschweigen, das

><> Immanuel Bekker (1785—1871), ein lieblingsschüler Wolfs, 1810 Professor in Berlin; vgl. Halm allgemeine deutsche biographie 2, 800,

** anders, ja fast enthusiastisch urteilte Humboldt nach seiner rück- kehr nach Berlin 1810 über Königsberg und sein dortiges leben: 'Nico- lovius und ich sehmählen oft gemeinschaftlich auf Berlin und erinnern uns dann mit doppelter dankbarkeit an Königsberg, ja, mein lieber, es war offenbar in Königsberg viel, viel schöner' (an Motberbj bei Dorow, facsimile von bandschriften 2, 3); 'eignes nachdenken, wofür ich Königsberg, wo mir einsamkeit und hübsche natur gelegenheit dazu gaben, ewig dankbar sein werde' (an Nicolovius s. 24). seit kurzem wissen wir, wie anziehenden Umgang Humboldt sehr bald im hause Motherbys fand, der schönen Königsberger kirchhöfe gedenkt er noch 1826 gegenüber Charlotte Diede (hu eine freundin 1, 240).

*< Johann Daniel Wilhelm Otto Uhden (1763 1835), Humboldts Vorgänger auf dem römischen residentenposten, 1802 vortragender rat im ministerinm; vgl. neuer nekrolog der Deutschen 13, 85 und Hum- boldt an Goethe s. 183, an Nicolovius s. 54. interessante anszüge aus briefen Uhdens an Böttiger über die anfiinge der Berliner Universität und Humboldts nnterrichtsleitung hat Geiger im Euphorion 1, 365 ver- öffentlicht.

" vgl. anm. 13. am 9 juni schreibt Humboldt in betreff Savignjs an Arnim: 'versichern Sie ihm, dasz gewis nur ich curator der Uni- versität sein würde und dasz mir der wert, den er auf diesen punkt lege, unendlich schmeichelhaft sei' (an Nicolovius s. 121).

*^ Johann Ernst Christian Schmidt (1772—1831), 1793 lehrer am pädagogium und privatdocent, 1798 professor der theologie in Giessen; vgl. Wagenmann allgemeine deutsche biographie 31, 743. zu seiner projectierten berufiing nach Berlin vgl. noch an Welcker s. 10. 11. 19; an Nicolovias s. 18. 16; an Schleiermacher ans Schleiermachers leben 4, 169.

I

V

j

A. Leitzmann : W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 165

mir nicht gefällt.'^ Wie lan^^e ich noch hier bleiben werde, kann ich nicht sagen, es hängt von meinen Geschäften und ihrem Fortgange ab. Sobald es möglich ist, kehre ich gewiss zuriick.

Ueber die Anknnft Ihrer Bücher freue ich mich sehr. Ich bitte Sie jetst inständig, machen Sic ein ruhiges Etablissement, arbeiten Sie, und gedenken Sie Ihres Ruhms. Der Ruhm ist ein Sisyphus Stein, der tCekisch entrollt, wenn man ihn nicht immer wieder empor wälzt. Ihr Beruf sind grosse gelehrte Arbeiten, Sie sind jetzt so gesetzt, dass Sie ▼ollkommene Masse haben (die eigentlichen Geschäfte sollen Sie immer unr so erhalten, dass Sie sie nebenher abmachen können) Sie haben ein gutes und grösseres Gehalt, als irgend einer, der mit Ihnen im bleichen Yerhältniss steht, und einige 100 Thaler mehr habe ich schon darauf gedacht, Ihnen durch die wissenschaftliche Deputation zu ver- schaffen, Ungewissheit ist für Sie wenig oder keine. Die grosse and wahre muM man nie in sein Privatleben eingreifen lassen, und übrigens ist nichts für Sie besonders zu fürchten. Also ich bitte Sic herzlich, lassen Sie uns das schöne alte Burgörnersche'^^ Leben herstellen. Unter- nehmen Sie irgend eine Arbeit, helfen Sie uns nebenher in unsern viel weniger wichtigen Arbeiten, und schliesscn Sie mich, wie bisher, in Ihr enges und liebevolles Vertrauen «in. Aber machen Sie jn, dass es nicht heisse, dass ich Sie, indem ich Sie hier fizirte, unthätig für die Wissenschaft machte.

Die Sache mit Ihrem Gehalt hat auch mich sehr geärgert. Ich schreibe jetzt gleich; und werde mein Mögliches tliun, Ihnen den Ver- lust ersetaen zu lassen. Doch kann ich freilich für den Erfolg nicht ein- stehen. Uhden schreibt mir, dass auch er Aehnliches erlebt hat, und wer hat es jetst nicht.' Die Meisten, liebster Freund, sind viel unglücklicher gewesen, und haben 3 Jahre lang ihr ganzes Gehalt entbehrt. Allein wie gesagt, ich werde thun, was möglich ist. Dagegen bezahlen Sie auch keinen Abzug und selbst wenn Sie es thäten, ist er sehr unbedeutend.

Wie in aller Welt aber, liebster bester Freund, haben Sie Ihre Oeschifte arrangirt? Der ganze Zweck Ihrer Reise, die Ihnen damals so eilig schien, dass Sie nicht einmal den Quasimodogeniti abwarten wollten, war Hallo und Cassel, um dort Geschäfte abzumachen. Nun sind Sie gerade überall, sogar in Hameln, nur nicht in Halle und Cassel gewesen. Verzeihen Sie mir die Freimüthigkeit; aber es ist kein Wunder, wenn Sie bei solchen arrangements vielen Verlust erleiden.

Ueber Heindorf kann ich Ihnen noch weder Jal noch Neint sagen. Ich bin eigentlich gegen den Plan. Ich gebe zu, dass er hier recht gut ist. Aber warum wollen wir unser Regiment damit anfangen, dass wir ein Berlinisches Gymnasium auf Kosten der hiesigen Uni- Tersität schlechter machen. Was mich noch mehr in meiner Meynung bastätigt, ist dass Sie mir weder sagen, dass Heindorf für das Gym- nasium wenig nützlich ist, noch einen andern tüchtigen an seiner Stelle anzeigen. Denn da Dellbrück *^ auch abgeht, so braucht man zwei und

» vgl. anm. 12. "»» vgl. allgem. d. biogr. W. v. Humb. s. 841. 343.

** Ludwig Friedrich lleiudorf (1774 1816), ein lieblingsschüler Wolfs, 1796 subrector am Kölnischen gymnasiom, 1810 professor an der Universität in Berlin, 1811 in Breslau, 1816 in Halle; vgl. Bursian allgemeine deutsche biographie 11, 335. 'Heindorf hat mir viel freude gemacht, er ist Ihnen überaus attachiert, wodurch er sich mir vor- BÜglich empfohlen hat, ist äuszerst bescheiden und scheint mir sehr gründlich in seinen kenntnissen, in einem höheren grade, als es sein alter erwarten liesze* (an Wolf gesammelte werke 5, 165).

«» Johann Friedrich Ferdinand Delbrück (1772 1848), 1797 colla- borator am grauen kloster in Berlin, 1809 professor der ästhetik in Königsberg, 1816 schulrat in Düsseldorf, 1818 professor der ästhetik in Bonn; vgl. Prantl allgemeine deutsche biographie 5, 36.

166 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

also noch einen aasser Gotthold.'^ Dazn kommt, dasz beim Anssen- bleiben Ihrer Antwort schon etwas Andres geschehen ist, dessen Erfolg* man erst wird abwarten müssen. Sie wissen nemlich vermuthlich, dass Kreuzer'^ wieder zarückgekommen und ohne Stelle ist, und man ver- muthet, dass er oder B'öckh*® (der ihm nemlich vielleicht seine eigne Stelle wieder abträte) nun lose werden. Könnte man nun einen von beiden haben, so wäre freilich Kreuzer fürs philologische Seminarium weniger tauglich, allein es wäre doch ein tüchtiger Mann mehr aus dem Auslande zu uns gezogen, was auf den Ruf und die öffentliche Meynung jetzt so gut wirkt. Ausserdem muss ich auch einen Philo- logen in Frankfurt haben, und kann nur jetzt noch nichts thun, bis ich mir mehr fonds auch für Frankfurt verschaft habe, womit ich jetzt umgehe.

Ueberlegen Sie nun nach allem diesem ob Sie Gotthold, auch im Fall Heindorf bliebe, an das graue Kloster wollen. Ist dies, so sagen Sie es mir gleich, damit ich ihm schreibe. Sonst muss es noch anstehen.

Mit Schneider'* bin ich Ihrer Meynung. Aber die Wohnung kann man ihm, jedoch ohne Ezpectanz, einräumen, und Sie brauchen nur Uhden hiervon ein Wort in meinem Namen zu sagen, so macht er das mit dem Schul directorio ab. Die 6 mal 19 Thaler kann ich jetzt nicht geben, Lieber. Die Gasse steht zu schlecht. Aber ich sorge sie zu verbessern, und bin dann ganz Ihrer Meynung. Ihr Verhältniss ist be- stimmt, und gewiss nach Ihrem Wunsch. Sie erhalten die officiellen Schreiben mit nächster Post.

Für die Nachrichten aus Helmstädt cet. danke ich Ihnen sehr. Pott" hat abgelehnt. Ich habe nun Augusti" schreiben lassen. Doch war Pott noch unschlüssig. Er geht aber nicht. An Vociren von Mehrem lässt sich erst denken, wenn man, wie Sie einmal sagten, einen Tisch voll Geld hat. Dahin strebe ich, wenigstens schnappend, wie Tantalus, und die Sache muss sich bald entscheiden.

^ Friedrich August Gotthold (1778—1858), 1806 proreetor in Küstrin, 1810 director des Friedrlchscollegiums in Königsberg; vgl. Kaemmel allgemeine deutsche biographie 9, 485. ''dasz Ihnen Gotthold gefällt^ ist mir ungemein lieb; sein äaszeres ist von der art, dasz es vertrauen einflöszen musz, und ich hoffe, dasz ihm auch diese empfehlende eigen- Schaft in seinen Schulverhältnissen nützlich sein soll' (an Motherby bei Dorow, facsimile von handschriften 2, 3}.

» Georg Friedrich Creuzer (1771—1858), 1799 privatdocent, 1800 Professor der classischen philologie in Marburg, 1804 in Heidelberg; vgl. Urlichs allgemeine deutsche biographie 4, 553. 'es wird schwer sein mehr gelehrsamkeit und belesenheit zu vereinigen, als Creuzer besitzt; auf jedem blatt seines buches ist sein geist und ein tiefes ge- fühl, eine seltene auschauungsgabe sichtbar, oft erkennt man deutliche funken wahren genies' (an Welcker s. 80).

w August Böckh (1785—1867), ein lieblingsschüler Wolfs, 1807 privatdocent in Heidelberg, 1811 professor in Berlin; vgl. Stark all- gemeine deutsche biographie 2, 770.

>< Friedrich Konrad Leopold Schneider (1786 1821), 1809 coUa- borator, dann professor am Joachimsthal; vgl. Hoche allgemeine deutsche biographie 82, 110.

** David Julius Pott (1760—1838), 1783 repetent der theologie, 1786 privatdocent in Göttingen, 1787 professor in Helmstädt, 1810 in Göttingen; vgl. Siegfried allgemeine deutsche biographie 26, 485.

^ Johann Christian Wilhelm Augusti (1771 1841), 1798 privat- docent, 1803 professor der orientalischen sprachen in Jena, 1812 pro- fessor der theologie in Breslau, 1819 in Bonn; vgl. Nitzsch allgemeine deutsche biographie 1, 685. zu seiner berufung vgl. noch an Nicolovius s. 16; an Schleiermacher aus Scbleiermachers leben 4, 170. 171.

A. Leitzmann: W. y. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 167

Sie sind doch noch immer der Meynang, dass 8ie Director der wiB«enBchaftlichen Deputation werden? Ich gebe Ihnen Uhden, der •ehr verträglich ist, sum Mitdirector damit Sie mit dem Geschäftsgang nichts XU thun haben, sondern kommen und wegbleiben können, wann Sia wollen. Anoh die geistlichen Deputationen haben so zwei Directoren.

Als Director sitzen Sie zugleich in der Section des Unterrichts mit Yoller Stimme. In dieser Eigenschaft üben Sie die Aufsicht auf die Ojmnasieu aus, und es bedarf also gar keines besondern Titels ▼OB Visitator oder sonst.

Wegen des grauen Klosters aber haben wir nicht ganz freie Hand. Der Magistrat ist Patron. Dies sind schädliche Verhältnisse, aber sie sind nicht zu ändern. Reden Sie also auch wegen Gotthold mit Uhden. Er ist gewandt, und wird die Sache an Ort und Stelle einzuleiten ver- stehen. Ich weiss noch gar nicht recht, wie ich es mit diesen städti- •eben Patronaten machen werde. Vielleicht wäre es nicht übel, BtXdtieche Schul Collegien zu errichten, welche die Städte Ordnung so ▼erlangt, und diese wieder zum Theil von den Regierungen wählen zu ImMen. So hätte man die Sache mittelbar in Händen. Uebrigens hat die Section jetzt sich so freie Hand erstritten, dass sie nicht einmal sa einem Professor beim Joachimsthal mehr Königlicher Bestätigung bedarf, und auch der Minister erfährt nur monatlich nachher, was wir gemacht haben.

Lehen Sie herzlich wohl und schreiben mir recht oft! Mit inniger Liebe Ihr H.

Meine Frau ist niedergekommen mit einem Sohn, am 23. April.^ 8ie war am 10 Mai schon wieder ausgefahren. H.

4.

Königsberg, den 30. Junius 1809. Lieber theurer Wolf, ich führe hier ein äusserst fatales und un- angenehmes Leben '^, und sehne mich nach Berlin zurück, wo doch das Gespräch mit Ihnen mir immer Trost und Erquickung war, mich mit neuen Ideen anfrischte, und mir zu dem Genüsse des Geistes auch den der Freundschaft gab. Hier sind einige Menschen, die von vielen Seiten recht schätzbar sind, und zufrieden bin ich sogar mit allen wenigstem, mit denen ich zunächst zu thun habe. Nicolovius'^ ist brav von Charakter, feurig, klar und bestimmt, wenn auch wohl nicht tief in seinen Ideen und nicht reich an neuen, heiter im Umgang und durch Reisen vielseitig gebildet. Süvern'' ist sehr verschieden von ihm, und manchmal etwas hypochondrisch. Aber von Kopf und Bildung gefällt er mir sehr. Er hat einen Ernst in Ideen, der ihm vielleicht noch weiter hilft, als man anfangs erwartet, ist sehr bescheiden, und

^ Hermann: vg), an Welcher s. 12; an Schweighäuser s. 170.

•• vgl. anm. 21.

»• Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (1767—1839), 1796 kammer- secretär in Eutin, 1805 consistorialrat in Königsberg, 1808 Staatsrat im Unterrichtsministerium, 1817 geheimer oberrcgierungsrat; vgl. Fried- laender allgemeine deutsche biographie 23, 635. 'er ist ein mann von manigfaltigen kenntnissen und liberaler denkungsart* (an Körner s. 114); Tgl. noch an Schleiermacher aus Schleiermachors leben 4, 170. Hum- boldts briefe an ihn sind von Haym herausgegeben (Berlin 1894}.

w Johann Wilhelm Süvern (1776—1829), 1800 rector in Thorn, 1803 director in Elbing, 1807 professor in Königsberg, 1809 Staatsrat im Unterrichtsministerium ; vgl. Diltheys ausführliche und bedeutende dar- •tellung in der allgemeinen deutscheu biographie 37, 206 und Humboldt an Goethe s. 233; an Schleiermacher aus tichleiermachers leben 170.

168 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. k, Wolf.

scheint mir (j^ut sa sejn. Auf der Universität ist wohl bloss Herbart '^ beraussaheben. Allein über den ist es schwer, mit Sicherheit zu ur- theilen. Im Ganzen bleibt mir mein erster Eindruck, ich stelle ihn nicht hoch. Nur von Zeit su Zeit kommen einzelne Dinge, die mich wieder zweifelhaft machen. Zum genauen Lesen bleibt mir so wenig Müsse, sonst müsste sich leichter ins Reine kommen lassen. Allein wie alle diese sejn mögen, und wären sie auch drei- und zehnfach mehr, die Freundschaft, die Innigkeit entsteht in meinem Alter nicht neu mehr. Nur halb wie ich mit Ihnen bin, wie ich mit Schiller und Göthe, den ich als abwesend fast den Abgestorbenen beigesellen mnss, war, werde ich mit niemand mehr. Ich denke ernstlich auf den Rück- zug. Nur muss ich einige Dinge erst in Ordnung bringen, ehe wir ruhig wirken können. Schreiben lässt sich viel nur mit so grosser Mühe , allein redend will ich Ihnen schon erzählen , mein Theurer, wie vieles stand und noch steht, wie langsam alles geht, wie man hier und dort in den Weg treten wollte. Ich wirke mit Eifer, aber mit Ruhe und immer mit Heiterkeit, bald zu, bald entgegen, und wenn sich auf diese Weise meine Lage mehr geebnet haben wird, so werde ich za Ihnen kommen und dann bleiben. Unbequemlichkeiten wird es immer geben, so lange es eine Trennung zwischen Königsberg und Berlin giebt. Allein man mnss solHuge doch die kleineren vorziehen, und das Privatleben ist auch etwas. Hier versauert man, und davor hat sich niemand so zu hüten, als ich. Bei Madeweis '^ bin ich oft und sehr freundschaftlich. Er ist gegen Sie immer ganz der Alte; er spricht oft mit mir von Ihnen, und wird Ihnen auch schreiben. Von Bejme^^ muss ich Ihnen doch sagen, dass er mehrmals unumwunden gesagt hat, vor Ihrem Aufsatz im ersten Stück Ihres Journals ^^ mögte man nieder- fallen und anbeten. Ich bin sehr gut mit ihm, schätze wirklich die Seiten aufs neue, die ich schon sonst schätzte, und habe auch neue an ihm kennen gelernt. Ueberhaupt haben wir unendlich viel zu sprechen, nnd wenn wir auch nach Ihrem Ausspruch nach langen Unterredungen noch immer nichts gesprochen hatten, so spricht man bei der Trennung doch wirklich noch weniger. Ich ärgre mich oft selbst über mich, dass ich den Thiergarteu^' weit fand. Wie gern wollte ich viel weiter hier gehen. Da ich immer Liebhaberei zu wilden Sprachen habe, so lerne ich hier Litthauisch. Es ist doch plaisant genug, dass

ich bin, esmi du bist, essi er ist, esti und ich gehe eiroi heisst. Verzeihen Sie die verwirrten briefe, und be- halten Sie mich lieb. Von ganzer Seele Ihr H.

Für die Universität arbeite ich mit Macht. Ich habe einen grossen Schritt halb gewonnen, nun stockt es auf einmal. Doch wird es gehen«

Von meiner Frau, die seit dem 23 April wieder einen Sohn mehr hat^^, habe ich gute Naclirichten. Sie grüsst Sie sehr.

>^ Johann Friedrich Herbart (1776—1841), 1802 privatdocent der Philosophie in Göttingen, 1809 professor in Königsberg, 1833 in Göttingen ; vgl. Prantl allgemeine deutsche biographie 12, 17. Mcr neulich aus Göttingen berufene Herbart, der mir in der nähe viel besser gefällt als von ferne in den recensionen seiner büclier' (an Goethe s. 233).

^* postdirector in Königsberg, früher in Halle.

^^ Beyme war seit dem 25 nov. 1808 staatsminister und groszcanzler.

*^ 'darstellung der altertumswissenschaft' in Wolfs und Buttmanns museum 1, 1 (vgl. anm. 8).

** Wolfs Wohnung lag im tiergarten (Körte 2, 32).

** vgl. anm. 34.

(fortsetznng folgt.)

Weimab. Albbbt Leitzmamn.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMMSIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AU8SCHLU8Z DER CLA88I8CHBN PHILOLOOIB

HEBAÜSGEGEBEN VON PROF. DB. RiCHARD RiCHTEB.

17.

EIN LEHRGANG FÜR DEN DEUTSCHEN UNTERRICHT

IN OBERSECUNDA.

Die etwas dehnbaren bestimmungen der preuszischen lehrpläne über den deutschen unterriebt in oborsecunda haben zu einem ziem- lich regen meinungsaustauscb Veranlassung gegeben (zeitschr. f. d. deotschen unterriebt 1893 s. 583. 1894 s. 183. 1895 s. 37). der entsprechende passus der sächsischen lehrordnung von 1893 schlieszt in allen hauptpunkten jeden zweifei aus : wenn verf. sich trotzdem entschlossen hat, seine bei mehrjähriger praxis gewonnenen ansichten zu verCffentlichen , so erklärt sich das einerseits aus dem um- stände, dasz die neue lehrordnung im vergleich mit der von 1882 einiges neue bringt, wozu es sich empfiehlt Stellung zu nehmen (es wird die lectüre von gedichten Walt her s von der Vogel- weide gefordert und ein Überblick über die entwicklung der deutschen spräche den die meisten natürlich auch schon vor 1893 geboten haben jetzt ausdrücklich vorgeschrieben, ein deutlicher hinweis darauf, dasz die sprachgeschichtlichen betrach- tongen keinesfalls fehlen oder allzu sehr zurücktreten dürfen z. b. etwa zu gunsten der deutschen altertümer). anderseits läszt das regulativ bei aller bestimmtheit dem lehrer bezüglich des lehrstoffes wie der methode glücklicherweise ! so viel freiheit, dasz das im allgemeinen klar bezeichnete ziel von den verschiedenen leb rem sicher auf sehr verschiedenen wegen erreicht v\urd : sollte da nicht die verCffentlichung 6ines eingehend ausgearbeiteten lehrganges man- chem willkommen sein, insofern ihm dadurch ein maszstab für den eignen Unterricht geboten wird? ein maszstab, weiter nichts! verf. ist weit entfernt, durch seine erörterungen etwa gewisse bindende

N. Jahrb. f. phil. u. pld. U. abt. 1895 hfl. 4. 12

170 P. Vogel : ein lehrgaDg für den deutschen Unterricht in oberseeunda.

abmachungen über einzelheiten des Unterrichts anregen oder ein- leiten zu wollen : niemandem ist die individuelle freiheit nötiger und willkommener als dem lehrer des deutschen. sehr wertvoll aber würden litterarische gegengaben sein ! verf. bemerkt ferner aus- drücklich , dasz er nicht beabsichtigt, einen ideallehrgang zu bieten, sondern dasz er nur vorführt, was sich an der band mehrjähriger erfahrungen thatsächlich für ihn herausgebildet hat: im Schul- jahr 1894/95 (45 schulwochen) ist der lehrgang fast genau so durch- geführt worden , wie er hier dargestellt wird.

1. In oberseeunda steht m. e. das mittelhochdeutsche, d. h. sowohl die lectüre als die damit zusammenhängenden sprach- lichen und litteraturgeschichtlichen darbietungen im mittelpunkte des Unterrichts : die gelegenheit, die schüler eingehender und im Zu- sammenhang in die Vergangenheit unserer spräche einzuführen, die sich während der ganzen gymnasialzeit nur einmal bietet musz aufs aasgibigste ausgenutzt werden, macht die kürze eines Schuljahrs eine beschränkung des Stoffes nötig, so beschneide man dispositionslehre und logische Übungen etwas und bemesse die auf Schülervorträge zu verwendende zeit kürzer: nicht dasz diese stoffe eine wegwerfende behandlung verdienten, im gegenteil sind z. b. die von Poeschel (zeitschr. f. d. deutschen Unterricht 1894 s. 395) empfohlenen Übungen sehr wertvoll aber es tritt hier doch der Unterricht in den vorausgehenden und in den folgenden classen er- gänzend ein.

Den angel- und ausgangspnnkt wiederum für das mittelhoch- deutsche usw. bildet das Nibelungenlied, ein groszes epos auch mit auswahl gelesen istxunächstnichts für den schüler, zumal wenn ihm der gang der handlung durch seine knabenlectüre und durch den Unterricht der quarta schon bekannt ist: viel mehr wirken auf ihn kürzere poetische erzählungen , gewisse lyrische ge- dichte, besonders aber das drama. wenn von 'begeisterung' der schüler für das Nibelungenlied gesprochen oder geschrieben wird, so wird m. e. einesteils die Wirkung der begeisterten persönlichkeit eines lehrers oder der im anschlusz an die lectüre vorgenommenen besprechungen verwechselt mit der Wirkung des epos an sich, andern- teils nennt man oft ^begeisterung', 'tiefinnerstes interesse'^ was nichts ist als eine teils dem Pflichtgefühl entsprungene, teils anerzogene anteilnahme wackerer schüler, ganz zu schweigen von dem den liebhabereien des lehrers gegenüber erheuchelten interesse bei schlauen kerlen und strebern. ich habe die Überzeugung, dasz diese Verwechslungen auf allen Unterrichtsgebieten recht oft vorkommen und dasz sie die lehrstoffe durch bunte gläser ansehen lassen, ich habe mich nie illusjonen hingegeben : gewis ist gerade die Jugend die zeit der begeisterung , des regen interesses, aber ebenso gewis ist mir, dasz die Jugend im allgemeinen ein procent ausnähme- exemplare werden eingeräumt gerade den Stoffen, die die schule bietet, von vorn herein wenig oder gar kein interesse

P. Vogel: ein lehrgang für den deutschen Unterricht in obersecnnda. 171

entgegenbringt, es soll nicht etwa in abrede gestellt werden , dasz die schfller den lehrstoffen reges interesse ^ abgewinnen können : ich bin nnr anmaszend genug zu behaupten , dasz dies nicht der stoff an sich wirkt^ sondern die behandlung desselben; dieser yerant* wortnng musz man sich als lehrer allzeit bewust sein.

Ausgehend nun von der ansieht, dasz das Nibelungenlied an sich nichts fflr den obersecundaner sein würde, durchdrungen aber anderseits von dem hohen wert, den diese lectüre haben soll und kann, erachte ich es für notwendig , ganz besonders im anfang geradezu diplomatisch zu verfahren , um die schüler für dieses her- liche werk zu gewinnen, um sie so zu sagen vertrauen zu der sache fassen zu lassen, demgemäsz halte ich es fttr meine erste pflicht, zu beginn des Schuljahres alles zu vermeiden, was den schülem das epos verleiden, was die lectüre hemmen und erschweren kOnnte. so kann ich mich nicht entschlieszen, nach dem Wortlaut der lehrord- nnng eine einführung in das mittelhochdeutsche voraus- zaschicken: man ist nicht in der läge, die grammatik schmackhaft so machen, ehe die schüler einigermaszen belesen sind, und da ist gefahr vorhanden, dasz sie denken, es warte ihrer ein unterriebt wie nach EUendt, und dasz mistrauen und antipathie platz greifen; auch handelt es sich ja hier nicht um systematische erlemung der voUstftndigen mhd. grammatik, sondern nur um gewinnung gewisser hauptgesichtspunkte, und dazu ist das heuristische verfahren min- destens genügend, vor beginn der lectüre wird nur: a) die vom nhd. abweichende ausspräche mehrerer laute (h, z [assss], iu, ie, on, Ou) besprochen, b) darauf hingewiesen, dasz f und v, desgleichen tennis und media (bes. in der Lachmannscben ausgäbe') mit ein- ander wechseln (zum teil bedingt durch inlaut und auslaut) , c) die zahl der hebungen angegeben und die völlig freie behandlung der Senkungen hervorgehoben, d) die bedeutung mehrerer oft gebrauchter wOrtchen (slt [sinl]; vil; gar, baz, schiere ; dicke, ja, unz, wan, als, aber) dictiert (zu hause auswendig zu lernen!), dann geht's sofort, noch in der ersten deutschen lection des Schuljahres, an die lectüre des epos: ich lese immer eine reihe von Strophen mittelhochdeutsch vor wenn die schüler dann durch mein vorbild genügend an die ausspräche und den rhythmus gewöhnt sind, müssen sie selbst lesen , dann wird der abschnitt ins neuhochdeutsche übertragen, möglichst flink , die schüler müssen dreist raten, und ich helfe nach

' von 'begeisteruDg' der schüler für schulgegenstände kann nur in den allerseltensten f»illen die rede sein; wenn einzelne schüler oder ganse cUssen (besonders niedere) im landläufigen sinne 'begeistert mit- machen', so ist das nicht 'begeisterung', sondern die freude der knabeu, wenn sie mit möglichster leichtigkeit d. h. im anschlusz an gedächtnis- mftszig feststehende kenntnisse nnd an eigne erfahrangen irgend etwas Stoff ganz gleichgültig! prodn eieren können.

' nach dieser am hiesigen gymnasium eingeführten ausgäbe wird auch im folgenden unter angäbe der Strophen- und der Zeilenzahl citiert.

12*

172 P. Vogel: ein lehrgang fflr den deatschen Unterricht in obersecunda.

bedürfnis rasch ein (liederlich! wird man mir einwerfen ; aber es wird das alles später wieder ausgeglichen!): die schtller sollen sich eben zuvörderst einmal in dem Nibelungenlied heimisch fühlen lernen, sollen den eindruck gewinnen ; dasz keine Schwierigkeiten von belang im wege stehen, sollen möglichst bald auf einen gröszeren abschnitt zurückblicken können, um dadurch schon eine ahnung zu bekommen von der groszartigen anläge des ganzen, zur erreichung eben dieser zwecke verzichte ich für das ganze Sommerhalbjahr auf freie vortrage und fange mit der litteraturgeschichte erst an, wenn der erste teil des Nibelungenliedes beendigt ist (1082).'

Noch sei im allgemeinen bemerkt, dasz ich den schülern gestatte, ihre exemplare nach wünsch zu überschreiben : sie entschlieszen sich dann vielleicht eher dazu, vorkommenden falls auch in späterer zeit einmal den urtext aufzuschlagen anstatt einer Übersetzung. Ferner mHge erwähnt sein , dasz ich von ganz wenigen ausnahmen in ganz besonders qualificierten f&llen abgesehen bei der lectüre des gesamten epos weder auf das vorlesen des mhd. Originals , noch besonders im interesse der schwächeren auf eine Übersetzung ins nhd. verzichten zu dürfen glaube; doch ist letztere nur mittel zum zweck : auf die schüler soll der mitte Ihochdeutschetext wirken ; also würde es mir als zeitverschwendung erscheinen, wollte ich eine m u s t er Übersetzung erstreben, wie etwa bei der altclassischen lectüre : es genügt hier eine ziemlich wortgetreue wiedergäbe.

Trotz allem guten willen musz die Übersetzung von 1 19 etwas zerbröckelt werden: gewisse häufig vorkommende sprachliche, bes. syntaktische erscheinungen lassen sich weder im voraus noch erst nachträglich klar machen, sie müssen eben an der band der ersten sich bietenden beispiele zum Verständnis gebracht werden; glücklicher- weise kann man das meiste schon mit der lectüre der ohnehin poetisch wenig wertvollen einleitung (1 12) verbinden, so spreche ich im anschlusz an 4, 4 hetens 5, 3 zen von der so gebräuchlichen inclina-

» ich lese folprende answahl: 1—2. 4—22. 45—49. 72—109. 118—127. 129. 137. 224—229. 235 237. 241 250. 256 269. 264—267. 270—275. 277 290. 292 294. 298 304. 312—315. 319—323. 325—326. 328—339. 361 381. 384 399. 401—402. 404—407. 410-440. 442—443. 514—622. 562-578. 609—618. 627 631. 637—642. 667—679. 712—717. 757-770. 773—775. 777—813. 815-819. 834,3—848. 859—911. 913—930.932—955. 965—967. 979—987. 991—999. 1002. 1004—1012. 1026—1030. 1041—1053. 1055—1057. 1065—1066. 1068—1082. 1133-1134. 1138-1140. 1142—1167. 1169—1185. 1189. 1192,4—1193,3. 1195-1204. 1222—1225. 1327-1337. 1389-1361. 1397—1404. 1438—1445. 1447—1453. 1457—1462. 1464—1500. 1502. 1606-1620. 1682—1592. 1596—1608. 1610—1617. 1621—1630. 1632 1639. 1641 1688. 1690—1730. 1737 1738. 1740 1743. 1756 1762. 1765—1788. 1790—1796. 1836—1840. 1888—1926. 1928—1929. 1931—1936. 1940. 1946—1950. 1956-1967. 1959—1963. 2018—2022. 2036—2066. 2072 —2123. 2125. 2127—2146. 2163—2171. 2184—2188. 2244—2263. 2265—2316. die auswahl ist zunächst von der absieht bestimmt, die haupthaud- lung vorzuführen ; es sind jedoch auch solche Strophen ausgelassen, die besondere Schwierigkeiten enthalten, aber entbehrlich sind, der inhalt der ausgelassenen stücke wird erzählt.

P. Vogel: ein lehrgang fClr den deutschen Unterricht in obersecunda. 173

tion (es empfiehlt sich gleich jetzt einige spätere fälle: zer 16, 2, seinem 85, 1, zuo zin 91, 1, inz 92, 4, d^st 119, 3, diez 274, 2 auf- schlagen ZQ lassen und zu erklären), im anschlusz an geseit 1, 1 und gesaget 8, 3 (vgl. maget 18, 2, aber meit 45, 2) von dieser art der znsammenziehung, ebenso 7, 3 von slme ; genennen 10,4 gibt Veran- lassung, die bedeutung des ge- gleich ein für alle mal ausführlich zu behandeln (sehr interessant! vgl. Hildebrand vom deutschen Sprach- unterricht s. 90—92); femer ist vorzuführen: der genitivus par- titivus 1, 1. 7, 4; der genitiv als object in negativen Sätzen 10, 4; der possessive gebrauch des genitivs ir 4, 4. 6, 1; die negation 12, 4 (enkunde) unter vorläufiger heranziehung von 14, 2 (sin künde), 17, 4 (son kan), 18, 3 (sine wesse); dann ist beim lesen von 13 19 nur noch herauszuheben llp als Umschreibung der person 16,4 (riters llp), 18,3 (ir llp) und zu 14,4 (in welle got behüoten) das hftofige fehlen der conjunction in nebensätzen (bes. condicionalen), welche dann im conjunctiv stehen.

Ist dies erledigt, so unterbreche ich die lectüre von 20 an durchaus nur am ende eines wenn auch manchmal kurzen ab Schnittes, alle sprachlichen, ästhetischen und sachlichen be- sprechungen bes. altertümer : doch verliere ich mich hier nicht ins einzelne 1 bringe ich am liebsten am schlusz eines solchen, wenn nötig, schicke ich sie voraus, auf besonders wichtige stellen, auf die ich später bei zusammenfassenden besprechungen, etwa bei Charakteristiken, wieder zurückzugreifen gedenke , weise ich schon jetzt ausdrücklich hin und lasse sie am rande bezeichnen, was sprachliche bemerkungen betrifft, so biete ich zunächst nur, was zum augenblicklichen Verständnis dringend nötig ist (z. b. vor be- ginn des abschnitt es 72 103 die verallgemeinernden relativa wegen 78, 1. 86, 1. 87, 2) und einzelbetrachtungen (z. b. am ende des- selben abschnittes im anschlusz an lintrache 101,2 über tautologien in compositis vgl. zeitschr. f. d. deutschen unterr. 1893 s. 606. 1894 8. 692): über alles das hingegen, was die schUler erraten können, besonders declinations- und conjugationsformen (z. b. in einer bürge rlche, reit er in menegiu laut, die grözen sterke), wird, wie oben gesagt, zunächst hin weggelesen, bis das ende des ersten haupt* abschnittes (137) erreicht ist.

Hier lasse ich nun eine längere (ca. 3 stunden) Unterbrechung der lectüre eintreten, um die classe auf heuristischem wege über das starke verbum, sowie über starke und schwache declina- tion aufzuklären.

Zunächst zerlege ich die Wandtafel , ebenso jeder schüler eine Seite seines heftes^ in 6 längs- und 7 quercolumnen: in diese 42 felder werden nun die in den 1 137 gelesenen Strophen vorkommenden

-* es empfiehlt sich, ein besonderes 'deutsches* heft als ein KTf^fiia elc dci anlegen zu lassen für die sahireichen aufzeichnungen, die sich beim deutschen Unterricht der II* nötig machen.

174 P. Vogel: ein lehrgang für den deutseben unterriebt in obersecunda.

starken verbalformen sno loco eingetragen; zur Orientierung fCLr die schüler dient das nbd. , doeb sind im anfange aucb directe winke des lebrers nOtig; einige formen (*) biete icb den schülern zur Vervollständigung des bildes der 7 ablautsreiben aus den weg- gelassenen bzw. erst später zu lesenden stropben. wir erbalten: I. a) gescbibt 16, 3; gibe* 224, 3; b) pflegen 10, 2; seben, ge- schehen 13, 3—4; c) pflac 13, 1; sacb 19, 1; bat 83, 3; d) pbl&gen 4, 1 ; bäten 92, 3 ; gäben 94, 1 ; e) saehe* 133, 1 ; f) geseben 84, 3 ; n. a) nime* 2123, 3; versprich 16, 1; b) zemen, nemen 49, 3 4; reeben 97, 3; c) spracb 16, 1; racb 19, 2; nam 81, 1; d) nämen 76, 4; e) zaeme 123, 1; f) geborn 5, 1; yemomen 106, 3; ge- sprochen 121, 2; III. a) bilfe* 64, 2; vinde 78, 2; b) werben 105, 3; helfe* 156, 2; gewinnen 15,4; erwinden 107,4; ertwingen 109,3; c) gewan 7,4; starp 19,4; vant 22,4; twang 95,4; d) stürben 6, 4; erkrummen 13, 3; würfen 129, 4; e) würbe 49, 3; gewtinne 106, 4; f) vergolten* 248, 3; gewnnnen* 288, 4; lY. a) snldet 101, 4; bltet 124, 1; b) bllben 15, 3; mlden 17, 4; nlgen 104, 3; c) reit 22,3; sneit 74,4; d) riten 72, 2; flizen 129, 1; ©) tribe* 433, 1: f) geriten* 321, 2; V. a) ziubest 14, 3; ver- liuse* 406, 4; b) Verliesen 2, 4; ziehen 77, 1; geniezen 103, 3;

c) verbot 122, 2; stoup* 42, 2; d) schuzen 129, 4; e) züge 13, 2; f) erkom 5,2; vloren 14,4; VI. a) tragen 99,2; varent* 1120, 3; b) sieht* 1837, 2; traget* 1150, 3; c) wuobs 2, 1; schuof 127, 3;

d) sluogen 19,3; e) slflege* 941,4; f)erslagen 99,1; VII. a) be- scheiden 14, 2; heizen 82,3; empfähen 102, 1; läzen 121, 3; b) raetet* 1146, 4; ratest* 1185, 1; c) biez 7, 1; liez 7, 2; rief 118, 1 ; d) rieten 49, 1 ; liefen 75, 4; emphiengen 76, 3 ; e) emrphienge* 521, 2 ; f) geheizen 2, 3. Die schüler beobachten nun mit leichtig- keit immer mit Zuhilfenahme des nhd. , was für verbalformen in jede der 6 längsspalten fallen, desgleichen nach welchen gesichts- punkten sich die verba in die 7 ablautsreiben verteilen ; femer wird beobachtet, wie in classe I II UI V der vocal des sing. ind. und imper. praes. (a) in den übrigen formen des praes. (b) gebrochen wird^ (wie diese brechung aber bei bestimmten verben in III unterbleibt), während im nhd. der vocal der columne b auch in die le pers. sing. (I II III) bzw. in den ganzen sing. (V) eingedrungen ist; sodann zeigt sich, dasz im praet. I V der plur. einen andern vocal (d) hat, wie die le und 3e pers. sing, (c), während im nhd. nicht gewechselt wird (aber: ward, wurden); scblieszlich finden die schüler, dasz in I II III V VI reihe e, in VI VII reihe b den nmlaut aufweisen, nur dasz im mhd. derselbe noch nicht vCllig durchgeführt ist (III e. VI b. VII b). diese gesichtspunkte genügen für diese erste betrach- tung. die flexion der einzelnen tempora und modi deckt sich mit dem nbd. : die 3e plur. ind. praes. führe ich durch värent (VI a)

^ ich nenne hier nar den namen 'brechung' (bzw. 'umlant'): er- kläruDg folgt später.

I

P. Vogel: ein lehrgang für den deutschen Unterricht in obersecuilda. 175

vor; die 2e sing. ind. praet. übergehe ich fUr jetzt mit stillschweigen, sie wird nicht gebraucht.

Nach derselben methode und wiederum unter rubricierung der einschlagenden beispiele im heft werden danach die vom nhd. ab- weichenden starken und schwachen declinationsformen den Schülern vor die äugen gestellt:

Substantiv a. masculina (stark) : degene 2, 4 (nom. plur). 22, 4 (gen. plur.); wagene 93, 2; casus- e auch nach liquiden er- halten.

Feminina (stark): gen. dat. sing, noch mit endungen arte 5, 1 ; jngende 7, 4; werlde 16, 2; degenheite 107, 1; daneben kuonheit 1, 2 u. a. ; desgl. mit umlaut krefte 5^ 2 ; bürge 20, 3 ; daneben Bchon: mit ir kraft 6,1. 12, 1; umlaut im plural 96,4. 109,4; auch hier schwanken: hende 121, 3; banden* 258; 4.

Feminina (schwach): kameren 99,4; nhd. nur noch: unserer lieben frauen; Schiller: in der erden, auf der Leipziger messen.

Neutra (stark): plur. mit er (kleider 86,3) noch seltener; nom. acc. plur. ohne endung: lant 22, 3; herzeleit 45, 1; ros 72, 4; ort 74, 1 (erbe 7, 2, rlche 83, 1 haben e schon im nom. sing.); gen. plur. swerte 74, 1; dat. plur. landen 2,2; sing, lehne 7, 3; triu- tenne 47, 3.

Adjectiva (stark): gen. sing, schöneres 2, 2; aber nom. acc. sing, neutr. allez 93, 4; ebenso: des 10, 3; daz 13, 3; es 90, 4; ez 92, 4; zu beachten: ditze 88, 1. nom. sing. fem. stolziu 6, 2; diu 4, 4; nom. acc. plur. neutr. starkiu 5, 4; diu 74, 1 ; disiu 107, 3; im anschlusi an 13, 4 wird von dirre gesprochen; endung im dat. sing, erhalten in röteme 72, 3; vgl. slme 7, 3; mime 84, 2. (schwach): acc. sing. fem. starken 96, 2; grözen 97, 4; hörllchen 122,4; besten 127, 2.

Als attribute finden sich adjectiva a) trotz invertierter Stel- lung flectiert 1, 2 von beiden lobebaeren; 13, 2 einen valken wilden; b) ohne inversion auch unflectiert 12, 3 al ir leben (daher im nhd. in solchen fällen kein apostroph zu setzen); 14, 3 ein edel man; 46, 3. 48, 4. 49, 1. 96, 2. 101, 4. 127, 3; c) stark decliniert auch nach bestimmtem artikel 10, 3 der drler kUnege; 83, 3 die sine man; d) schwach decliniert auch nach unbestimmtem artikel 2, 1 u. 3 ein schoene magedln, ein schoene wlp. Als prädicat findet sich das a^joctivum (auch ohne artikel) flectiert 102, 3 holden; 256, 4* wunder; 279, 4* froellchen; 364, 3* gesunden.

Hieran schlieszen sich nun noch einige beobachtungen über den artikel. a) der artikel fehlt oft: 13, 1 in tugenden; 15, 1 von manne; 15, 2 ftne recken minne; 86, 2 fürsten boten; 93, 3 von Niblnnge lant; 100, 2 u. 4; 129, 1; b) er steht dagegen oft beim possessivum: 79, 3 den slnen beiden; 83, 3 die sine man*, daneben nftch slme {ebne u. a. hier ist das griechische zu vergleichen, des- gleichen bei c) gen. subjectivus bzw. possessivus in attributiver Stellung: 48, 1 daz Siglinde kint; 75, 4 vil der GuntYieres man;

176 P. Vogel: ein lehrgang für den deutschen Unterricht in obersecunda.

94, 1; 95, 3; 125, 4; daneben 85, 4 in der Burgunden lant; 88, 2 des beides hant d) freie Wortstellung 90, 1 hört der Niblunges.

Endlich wird die bildung der adverbiaim anschlusz an 6, 4 j&merllche; 18, 1 schöne erörtert; adv. auf -en (46, 1 unm&zen; 79, 2 wlten) sind ursprünglich dat. plur.

Natürlich wird während der weiteren lectüre des epos noch mehrmals nie wieder so lange behufs sprachlicher betrach- tungen halt gemacht: ich gehe hierauf nicht nfther ein; denn es wäre unzweckmäszig; diese ruhepunkte etwa von vom herein an- zusetzen , anstatt sich hier lediglich nach dem bedürfnis zu richten, d. h. grammatisches einzuschieben, sowie die schüler wieder ober- flächlich zu übersetzen anfangen, es wird dann das bisher be- sprochene — und das ist etwa alles, was auf die dauer gemerkt werden musz an der band von neu auftretenden beispielen repetiert; der stoff wird um einiges erweitert (z. b. comparation; die alten formen verrist 1658,1; jungist 1680,4; mit umlaut groezist 1762, 4; vorderöst 1466, 1; 1957, 2; aber schon 17, 3 jungest; mit umlaut sterkest 1671, 3), hauptsächlich aber vertieft, besonders wird immer mehr und mehr das Verhältnis zum nhd. be- tont, ich weise hier nur hin auf: a) verlust starker bildungen, z. b.' pflac, räch, slouf, neic, beides, beide, vride, tugent, grimmes muotes, edels küneges. b) aber auch den umgekehrten Vorgang: Etzelen, Hagnen, arn (13, 3), diu helmen; ladete, geladet, c) ge- sc hlechts Wechsel, z. b. maer, aventiure. d) entwicklung der be- deutung, die im mhd. oft viel manigfaltiger und weiter, oft ur- sprünglicher und richtiger ist, z. b. künnen (yitvuückuj, kunst), mügen (macht), sollen, gelouben, smielen, kapfen, frummen, werben, höchgezlt, nlt, arebeit, hochmuot, wohlgemuot, ecke, snell, halt, bescheiden, eilende, veige u. a. m.

Ist der erste teil des Nibelungenliedes (1082) gelesen, so tritt eine längere pause für rückblicke und zusammenfassende besprechungen sachlicher art ein: Siegfrieds Charakter, Siegfrieds schuld, Eriemhilds schuld, Hagens motive. dann werden besonders die mythischen elemente herausgeschält (Siegfried, Hagen, Brün- hild, Albericb, tarnkappe usw., im zweiten teile sind dann nur die Donauweibeben nachzutragen) und das Verhältnis zwischen Siegfried und Brünhild in eingehender erörterung auf seinen ursprünglichen kern zurückgeführt« zu gründe wird natürlich Schirners fahrt gelegt, die ich in der Übersetzung von Wol- zogen vorlese; den scbülern wird die bedeutung von Froh-Scbimer, Gerda, Gumer, des viehhirten, der riesen, des von selbst sich schwingenden Schwertes, des rosses, des zäbmezweiges , der waber- lohe, des firnmeths im eiskelch usw. klar gemacht; auch machen

^ ich gebe hier keine bestimmten belegstellen, eben weil ich keinen bestimmten passus des liedes im äuge habe; beispicle finden sich allenthalben.

P. Vogel: ein lehrgaDg für den deutschen Unterricht in obersecunda. 177

wir uns ein phantasiebild , wie der mythus wohl in seiner ältesten, simpelsten form gelautet haben mag. hierauf erzähle ich ziemlich eingehend natürlich aber mit auslassung alles unnötigen beiwerks und aller tendenziösen ausfuhrungen die Völsunga-saga. es kommen die schttler zu der erkenntnis, dasz diese nichts ist als eine noch Tiel jüngere, bereits mit der heldensage verquickte form des alten auf den Wechsel der Jahreszeiten bezüglichen mythus, oder richtiger, dasz sie mehrere solche jüngere formen vereinigt bietet. treffliche dienste leistet hier: die saga von den Volsungen und Nibe- lungen usw. frei übertragen von dr. A. Edzardi. übrigens sei be- sonders constatiert, dasz die schüler diesen darbietungen mit groszer anfmerksamkeit zu folgen pflegen. Nun wird die brücke nach dem Nibelungenlied geschlagen und behandelt, wie Siegfried und Brttnhild dort immer noch mehr, ja fast alles von ihren ur- sprünglichen mythischen zügen eingebüszt haben , wie aber manche stellen des epos doch noch auf das alte Verhältnis hinweisen (wäh- rend Hagen ganz auf den boden der heldensage hinübergetreten ist). hieran schlieszt sich dann naturgemäsz die frage: wie erklärt das Nibelungenlied Brünhilds feindschaft gegen Siegfried?

Natürlich versäume ich auch nicht, auf Dornröschen und fr au Holde zu sprechen zu kommen, worin der gleiche mythische kern liegt , auch weise ich schon jetzt darauf hin^ dasz ebenderselbe sich anch in der später bei der litteraturgeschichte zu behandelnden sage von Tristan und Isolde findet, ebenso dürfen ausblicke auf verwandte gestalten der griechischen mythologie, insbesondere Aohilleus, nicht fehlen.

Mit der sich hieran schlieszenden 1 e c t ü r e des zweiten teiles des Nibelungenliedes beginnt nun die besprechung der litteratur- geschichte, deren älteste zeit sich ganz von selbst an die vorher behandelten ursprünglich im volke entstandenen mythen anreiht. am kürzesten ist es, wenn ich zunächst um von meiner stofif- answahl rechenschaft abzulegen angebe, was ich den schülern allmählich zu dictieren pflege , als eine dauernde gedächtnismäszige grandlage. L altdeutsche periode bis 1150.

1) bis 800. älteste volkspoesie: mythen und tiersagen, dann (bes. zur zeit der Völkerwanderung) heldenlieder. Hildebrandslied. Stabreim. (8s jahrh.)

2) bis 1150.

Heiland, niederdeutsche evangelienharmonie: die^

personen und der Schauplatz der heil, geschichte

nach Deutschland gerückt. Otfried, Krist. endreim. Ludwigslied, heldenlied, aber mit geistlichem

grundton. in der zeit der Ottonen nur lateinische hof- und klosterdich-

tung: Eckehard, Waltharilied (hexameter).

9s jahrh.

178 P. Vogel: ein lehrgang für den deutechen Unterricht in obersecunda.

11. mittelhochdeutsche periode 1150 1500.

1) blütezeit bis 1300 (gründe des aufschwungs: Hohenstaufen ; sichere Stellung der kirche; kreuzzüge).

a) höfisches epos : kurzzeile ; ausländische stoffe nach franzö- sischen quellen, hauptideen : höfisches rittertum und frauen- dienst, zurücktreten des rein menschlichen.

Heinrich der glichesaere, Reinhart Fuchs.

Heinrich yon Veldeke , Eneit.

Hartmann von der Aue, der arme Heinrich (aasnahme-

Stellung). Wolfram von Eschenbach, Parzival. Gottfried von Straszburg^ Tristan und Isolde.

b) Yolksepos: langzeile, ^Nibelungenstrophe'. fränkischer und burgundischer Sagenkreis : lied vom hümin

Siegfried.

ostgotischer Sagenkreis : zwerg Laurin.

Ecken ausfahrt.

hunnischer und ostgotischer Sagenkreis : rabenschlacht.

ostgotischer, burgundischer^ fränkischer Sagenkreis: rosen- garten.

ostgotischer, burgundischer, fränkischer, hunnischer Sagen- kreis: Nibelungenlied.

nordischer Sagenkreis: Gudrun.

c) höfische lyrik: frauendienst, herrendienst, gottesdienst. Manessesche liederhandschrift.

der von Eürenberg, Nibelungenstrophe.

Dietmar von Aist, kurze reimpaare.

die beiden Spervogel | entwicklung der Strophen-

Beinmar der alte >dichtung(liet); zwei stellen

Walther von der Vogelweide ^J und abgesang. Sprüche.

Heinrich Frauenlob.

Neidhart von Beuenthal, höfische dorfpoesie.

2) zeit des Verfalls bis 1500 (gründe des Verfalls: Zerrüttung im reich, eigennutz der Kaiser, roheit der ritter, entartung der geistlichkeit, nationales unglück, erfindungen und ent- deckungen).

die meistersänger. Bar, Gesätze. schttler, Schulfreunde, singer^

dichter, meister. tabulatur. form überwiegt den inhalt. [geistliche spiele und fastnachtsspiele.] Es wird wohl kaum jemand einwerfen können, dasz zu viel geboten würde: an Jahreszahlen werden nur die perioden verlangt, nomenclatur nur so weit dringend nötig; die didaktik habe ich in den letzten zwei jähren ganz weggelassen ; geistliche spiele und fast> nachtsspiele behandle ich nur, wenn zeit übrig bleibt: beide gebiete

' über das hierbergebörige speciellere dictat betr. Waltber a, n. unter lectüre.

P. Vogel: ein lehrgang für den deutschen Unterricht in oberBecundo. 179

lassen sich schwer fruchtbringend gestalten, da den schülern proben fehlen und ein vorlesen von solchen in der Übersetzung bei diesen Stoffen langeweile erregt. Eine beschränkung des details halte ich hier übrigens nicht nur für unbedenklich, sondern sogar für not- wendig: die lehrordnung spricht nur von einem Überblick über die entwicklung der deutschen litteratur, also kommt es vor- wiegend auf den inneren Zusammenhang an: warum sind so gut wie keine alten heldenlieder erhalten? woher die kümmerliche und ein- seitige entwicklung im 9n jahrh. ? warum zur zeit der Ottonen nur lateinische dichtung? welches sind die gründe des aufschwungs und dann des Verfalls?

Ich behandle die litteraturgeschichte bis incl. II 1 a nicht in besondem , vollen stunden , sondern benutze dazu die nach beendi- gong irgend eines abschnittes des zweiten teiles den Nibelungen- liedes abfallenden Viertelstunden am schlusz der lectionen: dies snefae ich allerdings fast regelmäszig zu erreichen , man hat ja die bemessung der abschnitte in der band, nur wenn ich den schülern grGszere proben (in der Übersetzung) vorzulesen habe, musz sich aus- nahmsweise die lectüre mit den restminuten begnügen, an proben biete ich regelmftszig: das ältere Hildebrandslied und dann gleich das jüngere; es Iftszt sich hier sehr schön zeigen, wie der Stoff im lanfe der zeit weichlicher, gemütlicher, sentimentaler gestaltet wor- den ist, und man kann den schülern den rückscblusz nahe legen, dasz die ftltesten elemente des Nibelungenliedes ursprünglich einen wesentlich rauheren, grausigeren Charakter gehabt haben dürften; das Ludwigslied; vom Waltharilied (v. Scheffel) den anfang, be- sonders aber den urwüchsigen, echt reckenhaften schlusz; den armen Heinrich ganz, nur mit weglassung der in die breite gebenden aus- führungen; aus dem Parzival: Parzivals ersten besuch in der Grals- burg, möglichst an der band der proben lasse ich die schüler sich ein urteil bilden über den Charakter der betreffenden werke. Im Übrigen wird von allen gedichten, so auch spftter von den volks- epen der infaalt in grocizen zügen vorgeführt, zum teil auch durch Bchfllervortrftge (s. u.); beim Heliand, Krist und der Eneit ist das natürlich unnötig, bei letzterer nur ein durch einige beispiele belegter hinweis darauf am platze, wie das lateinische original von dem französischen und dem deutschen epiker verunstaltet worden ist; für den Beinhart Fuchs verweise ich die schüler auf' privatlectüre von Goethes Reineke, in der classe aber zeige ich an mehreren eigennamen, wie sich die tiersage als ursprüng- lich deutsches besitztum erweist, über die behandlung der lyriker B. u. Natürlich verknüpfe ich die litteraturgeschichte, soweit es irgend möglich ist, mit der mhd. lectüre: sowie ich die litteratur- geschichte beginne im anscblusz an die besprechung der mythi- schen elemente des Nibelungenliedes , so richte ich es z. b. so ein, dasz ich zum Waltharilied gerade in der stunde komme, wo wir 1694 lesen:

180 P.Vogel: ein lehrgang fQr den deutschen Unterricht in obersecunda.

er und von Späne Walter die wachsen hie ze man. Hagenen sande ich widere, Walter mit Hiltegnnde entran.

während wir das ende des Nibelungenliedes lesen, behandle ich das kunstepos, so dasz sich dann an die allgemeinen sachlichen be- sprechungen über das Nibelungenlied , die ich natürlich nach absol- vierung des gesamten epos eintreten lasse^ sehr passend die behand- lang des volksepos überhaupt anschlieszen kann.

Bei der eben erwähnten rückblickenden sachlichen besprechung am ende der eposlectüro handelt es sich einmal darum, die Charaktere der im zweiten teil neu auftretenden personen obenan Büdeger nochmals in gesamtbildem vorzuführen , die der schon im ersten teil vorkommenden zu ergänzen , z. b. wie wird Hagen im zweiten teil gehoben? (fthnlich Günther, Oiselher^ Oernot.) ist der Charakter der Ericmhild einheitlich? warum verschwindet Brünhild im zweiten teile fast ganz? Weiterhin wird die gliede- rung der handlung klar gelegt (dreiteilung bis ins einzelne), femer die Hreue im Nibelungenlied' behandelt. Hauptsftchlich aber wer- den — unter gleichzeitiger repetition der mythischen die sagen- haften elemente herausgehoben und auf ihren geschichtlichen kern zurückgeführt, natürlich ignoriere ich auch nicht die aus der zeit der kreuzzüge und der Staufen stammenden elemente : doch scheinen sie mir gerade beim volksepos weniger wichtig als die beiden andern.

und nun der abschlusz auf sprachlichem gebiet, wir frischen erstlich mit Verwendung der in den Strophen 2261 2316 enthaltenen beispiele die grammatischen kenntnisse nochmals auf. hierauf setzen wir das mhd. in beziehung zum ahd. (dasz das ahd. vollere endungen aufweist^ die im mhd. zu e welches schon viel- fach neigung zeigt auszufallen geschwächt sind , ist bereits bei der lectüre erwähnt: vgl. verrist, jungist, groezist, vorderöst (s. o.); gewamöt 1685; weinund 2075; sntdund 2146; lobilich 304; unsich 1776): ich schreibe die ahd. paradigmata fisc, gast, sunu, geba, kraft; wort (im plur. mit ir paragogicum) an die tafel und lasse hieran die schüler das wesen des u miaut es erkennen; hierauf werden die 8 mhd. und nhd. umlautsformen constatiert, ferner nochmals durch einige beispiele belegt, dasz der umlaut im mhd. noch nicht ganz durchgeführt ist (z. b. 2312, 3 angestllche; 2302, 2 lobellch), anderseits an menegiu 22, 3; elliu 83, 1; bürgen 96, 4 erinnert, die im nhd. den umlaut eingebüszt haben (auch mhd. manegiu 102, 4). ebenso schreibe ich die flexion des ind. und conj. praes. und praet. von gibu an (im conj. praes. müssen noch die gotischen endungen herangezogen werden), damit das wesen -der brechung (auch nochmals des umlautes) gefunden werden kann, ausdrücklich sei gesagt, dasz ich das ahd. lediglich als ausgangs- punkt für das inductive verfahren verwende.

Auch die beziehung des mhd. zum nhd. beschäftigt uns jetzt noch einmal: insbesondere wird der classe vor äugen geführt, wie die formen der 7 ablautsreihen hauptsächlich durch zahlreiche

Vogel: ein lehrgaDg für den deutschen unterriclit in obersecunda. 181

analogiebildungen'* im nbd. sich vielfach abweichend vom mhd. und sehr manigfaltig entwickelt haben, z. b. 11 ich briche, nime, gebire, schire ^= breche, nehme, gebäre (gebiert), scheere; V er biatet, lioget bietet (beut), lügt; III wir wurden, stürben, klammen wurden, starben, klommen, u. a. m. Durch anlegung «iner besondem tabelle (im anschlusz an 2261 ff.) machen wir uns ein bild von dem Verhältnis der nhd. vocale und diphthongezu den entsprechenden mhd. : am wichtigsten ist die Verkürzung bzw. ver- Iftngerung von a, e, i (jftmer 2315; her 2302; riter 2316; saz 2281; degen 2262; vil 2262), iu «=> eu, ü, ie, die zwei arten des nhd. au und ei (gelouben 2271; hüs 2261; leid 2263; sin 2261): dialektisch glooben , aber nie hoos , leed , aber nie seen !

Es erübrigt dann noch , die Stellung des hochdeutschen gegen- über den germanischen und den indogermanischen sprachen XU erOrtern. anknüpfend an einen den schülern zu dictierenden Stammbaum der wichtigsten indogermanischen sprachen führe ich die beiden lautverschiebungen eingehend vor, indem ich eine grosze anzahl beispiele gebe (bzw. bilden lasse), die im heft in die dazu erforderlichen 9 spalten einrangiert werden, auch einige lehn- worte (pfosten, pfalz, pfähl, kämpf, münze, minze, ziegel, tisch, tihten) werden im lichte der lautverschiebung betrachtet.

Es ist schon oben gesagt worden , dasz nunmehr die behand- lang des volksepos im allgemeinen folgt: ich widme dieser 2 3 volle stunden; über das nähere vgl. oben s. 178 und 179. dann komme ich zur lyrik. die Verlagshandlung von Georg Reimer hat auf anregung des Schneeberger gjmnasiums eine ^auswahl mittel- hochdeutscher lyrischer gedichte' als anhang zur Lachmannschen Nibelungenausgabe' drucken lassen : das ermöglicht mir dieses ge- biet (auszer Heinrich Frauenlob) ganz im anschlusz an die lectüre durchzunehmen: erst lesen wir 8 gedichte vom Kürenberger (ez h&t nair an dem herzen), Dietmar von Aist (abl nu kumet . . . , ez stuont eine frowe . . ., so w6 dir . . .), Spervogel (er ist gewaltic . . ., swer einen friunt . . .), Veldeke (slt die sunne . . .), Beinmar (sl jehent, der sumer . . .), dann etwa 60 von Walther. die schüler lernen so am besten die lyrischen stoffe und die lyrischen formen kennen, diese lectüre macht gar keine Schwierigkeit, wenn der lehrer jedes lied gut vorliest und dann einige winke gibt, hier und da empfiehlt es sich, eine moderne nachdichtung heranzuziehen. übrigens habe ich gefunden, dasz die schüler diese lyrischen gedichte sehr gern lesen und inhaltlich wohl auffassen und nachempfinden, durchschnittlich in höherem masze als das Nibelungenepos.

* für analogiebildangen pOegen auch die localen dialekte inter- eBsante belege zu bieten; in Scbneeberg sagt man: 'er hat mich ge- hieben', ans der Kirchberger gegend ist mir bekannt: 'es schmak gnt, er gibte.'

' hier citiere iub aber die gedichte Walthers von der Vogelwcide nach der numerierung der verbreitetsten ausgäbe von Pfeiffer -Bartsch.

184 P. Vogel: ein lehrgang für den deutschen unterricbt in obersecanda.

ist eine schöne Sache, und im vorhergehenden hat sich gezeigt, dasz auch ich in meinem unterrichte danach strebe, wo es sich empfiehlt; aber nur so etwas nicht auf die spitze treiben , sonst wird mehr ge- schadet als genützt: nur nicht alle deutschen themata im anschlusz an den classenunterricht oder gar nur an den des deutschen! das ist das ödeste, was es für die schüler gibt ; sie haben den stofif schon genügend in der classe tractiert und sollen nun noch darüber schreiben, anderseits wird ihnen leicht gar der stoff selbst ver- leidet, der ihnen möglicherweise im Unterricht wohl gefallen hat. nun , an den gymnasien ist ja die methodenreiterei gott sei dank ! noch nicht gäng und gäbe :^ aber es kann gar nicht oft genug davor gewarnt werden; auch Ernmbach thut es a. a. o. und behauptet mit recht, dasz der aufsatz sehr wohl ein ^isoliertes ding' sein darf, ich gehe noch weiter: es musz wenigstens hier und da einmal solch ein 'isoliertes ding' kommen , soll die schüler nicht geradezu ein ekel befallen ! und ich sage : lieber nach der alten schule lauter 'isolierte' themata als lauter aufgaben unter dem gesichtspunkte der con- centration. ich habe z. b. im Schuljahr 1894/95 1 aufsatz und 3 kleinere ausarbeitungen an das Nibelungenlied , 1 kleinere aus- arbeitung an die Iliaslectüre angelehnt, dazu 1 Übersetzung aus Livius (s. anm. 10): die 4 übrigen aufsätze sind 'isoliert': die ge- winnenden menschlichen eigenschaften des Goetheschen Egmont; hat Schiller recht, wenn er von den Phaeaken sagt: 'immer ist Sonn- tag; es dreht immer am herd sich der spiesz'? (diese beiden auf sfttze fuszten nur auf dem Unterricht der classe im Vorjahre); die St. Wolfgangskirche und die hospitalkirche in Schneeberg, ein vergleich; wie entwickelt sich der Charakter der Walburg in Björnsons drama *ein fallissement'? ich halte die beiden letzten themata für die lehrreichsten des Jahres: sicher ist, dasz das letzte welches mit der schule rein gar nichts zu thun hat den schülern das interessanteste und auch dasjenige gewesen ist, welches die besten erfolge gezeitigt hat. überhaupt empfiehlt es sich, die schüler öfter einmal durch Stellung eines themas zum lesen eines wertvollen nicht schulmäszigen Werkes zu veranlassen (s. auch unten unter 'vor- träge'), wenigstens in den kleinen Städten lernen sonst die schüler recht wenig kennen.*

Bei der aufgäbe und der emendation der aufsätze finden je nach bedürfnis ziemlich ausführliche besprechungen (s. auch unten unter 'protokollierübungen') statt: so viel wert ich auch z. b. auf beschleunigten gang der lectüre des Nibelungenliedes lege, musz dieselbe hier und da sogar auf 2—3 stunden zu gunsten der auf-

* anm. der red. wir vermögen hier unserem geschätzten mit- arbeiter nicht recht zu folgen in seinem eifer ge^en die angebliche methodenreiterei, die uns in diesem zusammenhange und namentlich im gegensatze zu seiner eignen methode nicht greifbar genug ist. auch die procentberechnung, die er oben s. 183 über das interesse der schüler an deutschen themen anstellt, erregt uns besondere zweifei.

P.Yogel: ein lehrgaDg für den deutschen Unterricht in obersecuuda. 185

fiätse zurücktreten, denn ich halte diese logisch -rh et oris eben fibongen im anschlusz an einen stoff, der die ganze classe beschäftigen wird oder beschftftigt hat, für viel lehrreicher und wirkungsvoller als die dispositionslehre im Zusammenhang, welche ich am Schlüsse des Schuljahres zu treiben pflege, wenn (wie z. b. 1894/95) die zeit das erlaubt

Bei diesen besprechungen lege ich auf folgendes besondem wert: a) auf Übungen im stoffsammeln; und zwar lasse ich dies einmal im unterrichte selbst ausführen, sonst zu hause mit darauf- folgender controle in der schule ; b) suche ich , wenn der atoff ge- sammelt vorliegt, die fähigkeit auszubilden, das einzelne immer und immer wieder unter den nächsthöheren begriff zu subsumieren, bis endlich die hauptteile der disposition herausspringen, gelegent- lich überläszt man dann einmal auch diese arbeit der häuslichen ihätigkeit der schüler; es wird dann die disposition schriftlich auf- gesetzt, eingegeben, corrigiert und emendiert und hierauf erst der aufsatz gemacht, wenigstens einige zeigen hier schon, dasz sie etwas gelernt haben, während die meisten nur notdürftige leistungen, yiel- fach auch entliehene wäre liefern, ich habe mich dadurch bisher immer bewogen gefühlt, wieder zum mündlichen verfahren wel- ches aber natürlich von fall zu fall sich immer mehr abkürzt zurückzukehren: man kann da wenigstens die schüler, wenn sie er* lahmen , dadurch ermutigen , dasz man ihnen einmal kräftig weiter- hilft, c) es werden die schüler immer und immer wieder darauf hingewiesen, dasz die teile der disposition einander ausschlieszen mtlssen; ferner d) darauf, dasz nicht jede gewonnene logisch richtige disposition sich zur praktischen ausfübrung eignet und dasz die praktischen erwägungen dann den ausschlag zu geben haben.

Mit vortragen beginne ich, wie oben gesagt, erst nach michaelis, und es hat jeder schüler vor und nach Weihnachten je einen Vortrag zu halten, meist den ersten mit, den zweiten ohne Bchrift liehe Vorbereitung, was letzteren fall betrifft, so gebe ich dem betreffenden kurz vor der lection , in der der vertrag gehalten werden soll; ein buch (etwa: Stoll sagen des classischen altertums. Kurz litteraturgeschichte) und bezeichne ihm ein (erzählendes) stück (also etwa: Pyramus und Thisbe; Inhaltsangabe von zwerg Laurin oder der rabenschlacht usw.), das er sich innerhalb einer knapp bemessenen frist, die ihm dazu bewilligt wird, mehrfach durch- zulesen hat, um dann zu beginn der deutschen lection den inhalt frei wiederzugeben, durch experiraente bin ich zu der erkenntnis gekommen, dasz schwerere aufgaben als solche reproductionen für den durchschnitt auch der obersecundaner noch nicht gestellt wer- den dürfen. Bei den vortragen, die vorher schriftlich aus- gearbeitet werden, stecke ich natürlich die ziele etwas höher, lese den Vortrag auch vorher einmal durch, um Unklarheiten und fehler noch rechtzeitig ausmerzen zu lassen, die thcmata müssen aus nahe- liegenden gründen von jähr zu jähr wechseln: schuljahr 1893/94

N. Jahrb. f. phil. u. päd. U abt. 1895 hft. 4. 13

186 F.Vogel: ein lebrgang für den deutschen Unterricht in obersecunda,

habe ich nur wenig vortrage im anschlusz an den deutschen Unter- richt, eine grosze anzahl im anschlusz an die Odysseeprivatlectüre halten lassen ; 1894/5 dagegen eine gröszere reihe über das Walthari- lied, Schimers fahrt, die Völsungasaga, Gudrun usw. (meist recapi- tnlationen des von mir im Unterricht 8. o. gebotenen; die nötigen bücher stelle ich den schttlem zur Verfügung). Jedes jähr aber verlange ich von einem teile der classe als yortrSge inhalts- angaben von solchen neueren litteraturwerken, die den vor- tragenden selbst und der majorität der classe bisher noch fremd gewesen sind; in gröszere teilen sich natürlich 2 3 mann: es werden so. zunächst die vortragenden gezwungen, das werk ordent- lich durchzunehmen, und hier und da fühlt sich doch auch einer aus dem auditorium bewogen, dasselbe noch nachträglich zu lesen, wenn ihm der inhalt verlockend erschienen ist. ich halte diese anregung zur privatlectüre für sehr wertvoll. *' 1894/95 sind in dieser weise vorgeführt worden: Baumbach, frau Holde; die dramen: Adler, das buch Hiob; Oottschall, die rose vom Kaukasus; Schuster, Per- petua; — im Schuljahr 93/94: Schefifel, trompeter von Säkkingen; Baumbach, Zlatorog; Fulda, Talisman; Vasantasena nach der be- arbeitung ^on Haberlandt (die exemplare werden geliehen oder sind in 10- oder 20 pfennig-heftchen zu haben). Besondere Pro- tokolle über die vortrage werden deshalb nicht geführt, weil ich über den gesamten deutschen Unterricht protoko 11 aufnehmen lasse, und zwar führen es die schttler abwechselnd über je eine lection, ich corrigiere und censiere jedes einzelne, ich habe mit diesem fort- laufenden Protokoll sehr gute erfahrungen gemacht und halte es für eine sehr nützliche logisch-rhetorische Übung, schwer ist es für die schÜler natürlich, den gedankengang einer lection heraus- zufinden und zu fixieren ; es kann dies auch im anfang des Schul- jahres nicht im entferntesten , selbst nicht von den besten , verlangt werden, erst müssen sie sich überhaupt daran gewöhnen, zugleich zu hören , aufzufassen , zu stilisieren und zu schreiben, und ist diese gewissermaszen mechanische Schwierigkeit überwunden, so herscht zunächst natürlich immer noch das bestreben, am liebsten satz für satz zu excerpieren, und die Protokolle werden seitenlang, man musz das eine Zeitlang einräumen und auch bei der censierung nicht un- günstig wirken lassen, vom ende des Sommerhalbjahres an etwa kann man allmählich wenigstens einen teil der classe zu einer art von wirklichem protokoll bringen : um die scbüler in dieser hinsieht zu belehren , lasse ich einige male das protokoll gleich während des Unterrichts in mündlicher besprechung aufstellen , und ferner gebe ich verwandte aufgaben für eine oder zwei von den ^kleineren aus-

*' wer an die vortrage eingehende debatten anschlieszt (Poeschel zeitschr. f. d. deutschen Unterricht 1894 s. 395), kann eben so gut ver- langen, dasz, bevor der Vortrag gebalten wird, das betreffende werk von mehreren oder allen schülern gelesen wird, ich finde in II* zu längeren debatten nicht zeit.

P.Yogel: ein lehrg^g für den deutBchen Unterricht in obersecanda. 187

arbeituDgen' (s. anm. 10), z. b. 1894/95: gedankengang des Streites der kOniginnen und gedankengang von Büdegers Werbung gleich nach einander als häusliche und als classenarbeit. bei der emen- dation dieser aufsätze wird den schülem ein mustertext geboten, der soweit es sich wenigstens um auffindung der kempunkte des gedankenganges und die wähl der dafür genau zutreffenden aus- drucke handelt in gemeinsamer besprechung gefunden wird. dieser mustertext zeigt dann den schülem , wie sich mutatis mutan- dis ein protokoll ausnehmen musz. am ende bietet mindestens die h&lfte der schüler gute oder leidliche Protokolle, und wenn man sich die flbungen in prima fortgesetzt dächte, könnte man auf sehr schöne resnltate rechnen, nebenbei sei bemerkt ^ dasz mir diese Protokolle auch eine gewisse kritik meines Unterrichts ermöglichen : man merkt doch hin und wieder, dasz man abgeschweift ist, einen sprung ge- macht, sich nicht klar genug ausgedrückt hat, und kann sich ftlr die Zukunft danach richten.

Der Vollständigkeit wegen biete ich noch in kurzen stichworten den Inhalt der zusammenhängenden dispositionslehre, die wie oben gesagt das Schuljahr abschlieszt und im wesentlichen nur eine Zusammenfassung dessen ist, was casuistisch bei den be- sprechungen der aufsätze behandelt worden ist: anschauung. Vor- stellung, begriff, definition : genus proximum , differentia specifica ; Inhalt, umfang, einteilung (divisio) «= die unter einen höheren gattungsbegriff fallenden arten (umfang) angeben, fundamentum diyidendi. besonders gebräuchliche fundaroenta. Scheidung (par- ütio) die teile eines dinges (begriffes, satzes) angeben. Verbin- dung von divisio und partitio. Dies genüge: es würde mir wider- streben, diesen gegenständ genauer auszuführen, da ich den Schülern doch nur das einfachste und notwendigste, kurz: das herkömm- liche vorführe , dies aber sich in so und so viel büchem genügend erörtert findet; auch von den zahlreichen zur illustration ver- wendeten beispielen lohnt es sich nicht auch nur eines zu nennen, da deren bei Oötzinger (stilschule) und anderwärts mehr als genug sn holen sind.

Und nun sei's zum schlusz noch einmal gesagt: als ich den lehrgang schrieb , schwebten mir keine thesen , keine antrage vor, hogte ich keinerlei uniformierungsbestrebungen; nur einen masz- stab soll der lehrgang den coUegen bieten , günstigsten falles dem oder jenem die oder jene anregung. in jedem falle ist das sein gröster vorzug, dasz er kein ideallehrgang ist, sondern ein bild der Wirklichkeit entrollt.

SCHNEEBERQ. PaUL VoQEL.

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188 A. Biese: hellenische lebensanBchauung und die gegenwart.

18.

HELLENISCHE LEBEN8ANSCHAÜÜNG UND DIE

GEGENWART.

Wir leben in einer zeit, in der das neuerwachte nationalgefühl überall die schroffsten gegensätze gezeitigt bat. der panslavismus, das antisemitentum, der sprachrein igungstaumel und die abwendung Ton dem altertum sind nur wenige Symptome dieser weithin herschen- den geistesrichtung.

Die entfaltung einer ebenso nationalen wie individuellen per- sönlichkeit, die als parole ausgegeben wird, erscheint als unverein- bar mit einer pflege des antiken ideals. das Christentum wird als unversöhnlicher gegner dem heidnischen Hellenentum gegenüber- gestellt; man will von den ideen weder einer ferneren noch näheren Vergangenheit etwas wissen, man will auf eignen fttszen stehen, nicht auf fremden krücken einherstolzieren; man will die brücken hinter sich abbrechen, die uns mit der Vergangenheit verbinden, die schiffe verbrennen, die uns an das gestade einer hochentwickelten ideellen weit hinübertrugen.

Und unsere jüngstmodemen Stürmer und drftnger, welche gerade im gegensätze zu dem stürm und drang des vorigen Jahr- hunderts , der durch und durch von nationalen ideen getragen war, einen internationalen; ja antinationalen zug der dem pseudoideal eines naturalismus zustrebenden bewegung gegeben haben \ stimmen darin mit dem 'zeitgeiste' überein, dasz sie der antike 'die moderne' entgegenhalten ; früher sagte man 'das moderne' hebt Litzniann mit recht hervor , sehr bezeichnend ist das femininum an stelle des neutrum getreten, denn auch dieses ideal ist ein varium et mu- tabile, schlangenartig färbe und gestalt jeden augenblick wechselnd; fast jeder versteht daher unter 'der moderne' etwas anderes als sein dem gleichen ideal zustrebender nebenmensch; der gemeinsame nfthr- boden, aus dem dieses ideal seine nahrung zieht , ist die moderne nervosität und hysterie ; auf diesem gründe entwickeln sich, je nach der individualität, dem bildungsgang, dem temperament, die hetero- gensten erscheinungen : crassester materialismus, mystischer Spiri- tismus, demokratischer anarchismus, aristokratischer individualis- mus, pandemische erotik, sinnenabtötende askese. So ist unsere zeit von den unvereinbarsten gegensätzen durchflutet und zerrissen, und man sollte wähnen , es müsse bei der compliciertbeit und Zer- klüftung der neueren cultur die veranschaulich ung einer geistigen weit von gröstem werte erscheinen , in der alles n')cb einfacher und klarer ist, der mensch unbefangener mit dem all verkehrt, ein kräf- tiges und freudiges schaffen alle manigfaltigkeit des daseins zu-

' vgl. das frisch geschriebene, anregende buch: 'das deutsche drama in den litterarischen bewegangcn der gegenwart' von Berthold Litz- mann, Hamburg und Leipzig, Leop. Voss, s. 119.

A. Biese: Lellenische lebensanschauung und die gegenwart. 189

sammenhält and mutig ein harmoDisches bilden des ganzen menseben in angriff nimmt.' man sollte wfthnen, es müsse der moderne geist aus all der anrast der gegenwart, wie zur ewig jungen, ewig ver- jüngenden natur, so auch zu dem uuversieglichen brunnen voll jngendkraft und jugendschOnbeit, der in dem Hellenentum strOmt, sich mit begeisterung, ja mit beim weh und andacht hinwenden.

Aber das gegenteil ist der fall, der basz gegen das altertum, wie freilich gegen alles ideale , ist eine breite Strömung in unserem geistigen leben geworden.

Ja, man konnte jüngst in einer unserer besten Zeitschriften lesen, die eigenartige entwicklung Schillers sei durch den einflusz Goethes nnd der antike zerbrochen , das stets so hoehgepriesene zu- sammenwirken beider sei als kein glück anzusehen, denn es ver- hinderte das selbständige reifen eines volkstümlichen dramatikers ersten ranges, und das ward belegt durch den hinweis auf den ab- stand zwischen Räuber, Fiesko , Kabale und Liebe , Don Carlos und Wallenstein.

Es gibt metaphorische stich- und schlagworter, welche ganze Zeiten charakterisieren, in der unsrigen ist, wie nie zuvor, von be- rufenen und unberufensten aller kreise und stände wer auf der Schulbank einmal sasz , verallgemeinerte seine einzelerfahrungen die schulfrage zu einer zeitfrage gestempelt worden, und die metapher, die diesem zum teil recht unschönen und unklugen treiben entsprang, war das attribut 'als erzieher', das einem nationalheros beigelegt ward , um protest zu erheben gegen die erziebung durch Griechen und Römer.

Dur unselige Nietzsche, der modegötze unserer heutigen jflngstmodemen ^, eröffnete den reigen mit seiner schrift 'Schopen- hauer als erzieher', dem dritten stücke der 'unzeitgemäszen betrach- langen' (1874). es folgte 'Rerabrandt als erzieher', ein buch, das wie kein zweites für unsere unklar gärende zeit charakteristisch ist ; es erlebte in vier jähren 43 auflagen! und wie erklärt sich dies phftnomen? nicht nur durch die geschickte reclame, sondern durch das schillernde, sprunghafte, aphoristische ~ worin freilich Nietzsche, der grosze sprach küubtler, meister blieb , durch die bunte mischung von geistreichem und geistreichelndem , durch das blendende, das

* vgl. die treffliche kleine schrift 'der kämpf um das gymnasiuin, gesichtspunkte und anregungen von R. Kucken', Stuttgart 1891, 8. 18.

' eine sehr empfehlenswerte schrift über das Nietzschetum als eine Zeitkrankheit ist: 'Friedrich Nietzsches Weltanschauung und ihre ge- fahren, ein kritischer essay von Ludwig Stein' (Berlin 1898, Keimer); bei Nietzsche wird der immorifilismus und atheismus im bunde mit schrankenlosestem individualismus, der 'herrenmoral', System; trefflich weist Stein die prrundirrtümer und Widersprüche dieser für unsero modernen , die nichts ernHtliches gei'^rnt haben und daher sich leicht blenden hissen, vurhängnisvollen lehre nach. vgl. auch meine 'philo- sophie des metaphorischen' s. 213 f. '

190 A. Biese: hellenische lebensanachauung und die gegenwart

krause durcheinander von zeitphrasen. * zu diesen gehört auch die verketzemng der antike, da wird orakelt: 'das deutsche geistes- leben musz nicht mehr um die 'sonne' Homers, sondern um die deutsche 'erde' circulieren; eine cultur, die ihren entscheidenden Schwerpunkt nicht in sich selbst behftlt, ist eine falsche; eine solche falsche cultur war die der hellenistischen Orientalen ^ der späteren Bömer, der vorgoethe sehen Deutschen; solche culturen kosten einem Volke den Charakter; die heutigen Deutschen, wenn man das mili- tärische und politische leben ausnimmt, stehen überwiegend unter dem einflusz einer falschen cultur', und ein paar hundert seiten weiter heiszt es besonders tiefsinnig: 'in Deutschland ist nur eine deutsche bildung berechtigt; der lOsende und erlösende glaube an ein echtes menschentum ist es, welcher erst unser nationales leben zu rechter blttte erwecken kann ; aber zu dem Substantiv : mensch musz noch das adjectiv : deutsch kommen ; wer ein rechter Deutscher ist, der ist auch ein rechter mensch, keineswegs umgekehrt' usw. da nun Rembrandt doch etwas zu weit ablag und nur künstlich als Vorbild der gegenwart mit ihren manigfachen zeitströmungen vor- gehalten werden konnte, erschien es bei dem epidemisch wirkenden nachahmungsdrange zeitgemäszer, die heroen der gegenwart, also Moltke und Bismarck^ als erzieher aufzustellen; neuerdings ist sogar Jean Faul als 'lehrer unserer zeit' empfohlen worden in einem von tief sittlichem und ernstem geiste ereilten buche (Jean Paul und seine bedeutung für die gegenwart von Josef Müller, München 1894); da wird mit jugendlicher emphase ausgerufen: wer ist nun derheld, an dem das deutsche volk als ein anderer Antäus sich verjüngen könnte , der ihm zur befreiung aus einem schattenhaften , ideenlosen dasein hilfreich die band böte? Jean Paul ist der mann, er ist national; er ist eine starke individualitftt, er ist ein ideal sittlicher Charakter, dessen innere gegensätze durch die religiöse grundrich- tung versöhnt werden u. ä. m. so hoch ich nun auch Jean Paul schätze und so sehr ich die gruppierung seiner wichtigsten ideen bei Müller für nützlich halte, so wenig scheint mir doch der phan- tastische, ins romantisch -barocke zerflieszende dichter fQr die gegen- wart 'als erzieher' geeignet.

In jüngster zeit bat nun der bekannte Jean Paul-biograph, Paul Nerrlich, den Müller des atheismus und 'unglaublicher roheit der auffassung' beschuldigt, in demselben verlage wie der Bem- brandtist ein buch verfaszt, das nach dem Straussschen grundsatze 'die wahre kritik des dogma ist seine geschichte', 'das dogma vom classischen altertum in seiner geschichtlichen entwicklung' (Leipzig, Hirsch feld 1894) darstellt und zu den ergebnissen gelangt, dasz christlicher geist und antiker geist einander ausschlieszen ob- wohl das Hellenentum eine wurzel des Christentums ist , dasz das dogma vom classischen altertum zu den einstmals weltgeschichtlich

* die beste kritik des ^sersationellen' Reinbrandtbuches enthält das btichlein ^zeitphrasen' von Ctto Seeck (Berlin 1892).

A. Biese: helleniBche lebeuBanschauung und die gegenwart. 191

notwendigen irrtümern gehörte und die gegenwart befreiung auch von diesem dogma verlangt, die religion soll ^ebenso mittelpunkt des gesamten Unterrichts wie der wichtigste factor fttr die erziehung sein' ; wie dies zu erreichen, bleibt um so rätselvoller, als die heutige religion auch als eine überwundene macht bezeichnet wird; naiv hilft aber der Verfasser sich mit dem satze : ^es bleibt nichts übrig, als sich mit dem gedanken vertraut zu machen, dasz das nftchste Jahrhundert vollendet, was das jetzige begonnen hat, und dasz etwas neues an stelle des alten tritt; selbstverständlich kann es der staat nicht sein, welcher dieses neue schafft, sondern nur ein einzelnes geniales individuum'. consequentermaszen mttste man demnach mit dem neuen System erst abwarten , bis der neue prophet erschienen ist. nicht minder undeutlich bleibt es, wie die geschichte, in der cnltnr- (litteratur- und kunst-) geschichte einbegriffen ist, sich in den dienst der neuen religion stellen soll ; der Sauerteig dieser soll natürlich auch Goethe und Schiller usw. durchdringen und um- modeln , falls sie nicht auch ganz überwundene mächte sein sollen ; das altertum ist freilich weder von dem sach- noch aus dem Sprach- unterricht *anszuschlieszen' ; 'es kann ihm jedoch nicht mehr die bis- herige dominierend^ Stellung eingeräumt werden*.

Doch hinweg von solchen Utopien in so schattenhaften um- rissen!

Halten wir all den protestlem das wort Jean Pauls entgegen : Mie jetzige menscbheit versänke unergründlich tief; wenn nicht die jagend durch den stillen tempel der groszen alten zeiten und menschen den dorchgang zu dem Jahrmarkt des lebens nähme.*

Doch , wenn wir nicht nur den geschmälerten besitzstand der dassischen Studien auf den gymnasien festhalten , sondern den ver- lorenen zurückerobern wollen, gilt es, auf alle weise den gehalt des Unterrichts zu vertiefen , es gilt, durch that zu beweisen, dasz nach wie vor das Hellenentum keine überwundene oder überwindbare macht ist, sondern dasz es auch die gegensätze, welche die gegen- wart zerklüften, überwinden und versöhnen kann, dasz es für eine ideelle weltauffassung und für die musz doch streben, wer über- haupt erziehen will es keine heil vollere Synthese gibt als die des Hellenen- und des Christen- und des Germanentums, auf dieser gmndlage müssen wir in die herzen der Jugend eine sittlich lautere geeinnung pflanzen, aus der Charaktere hervorgehen, die den Schweren aufgaben der zeit gewachsen sind, die Jugend hat die zukunft. bilden wir jene nac^ideellen principien, führen wir sie hin zu den quellen, ans denen das reinste menschentum entströmte, und füllen sie mit reinem empfinden und edlem wollen, so wird auch die zukunft eine ideellere werden, es siegt nur, wer die feste Zuversicht des sieges in sich trägt und danach handelt.

und seien wir in der that getrost: so lange Goethe und Schiller und Lessing unüberwindbare mächte in unserem geistesleben bleiben werden, so lange wir nicht in ein jesuitisches mönchstum einer

192 A. Biese: hellenische lebensanschauung und die gegenwart.

imaginären Zukunftsreligion versinken, sondern neben dem religiOs- sittlichen ideal, wie es nirgend reiner als in der lehre Jesu, in seinen gleicLnissen, in seiner bergpredigt u. s. f. realität gewinnen kann, auch das schöne, das reich der ideen pflegen werden: so lange wird auch das Hellenentum eine unüberwindbare macht verbleiben müssen, es ist nun einmal unumstOszlich : wer mit dem altertum bricht, bricht auch mit unserer geschichte. das altertum verleugnen heiszt, die wurzeln verleugnen , aus denen das herlichste , was deutsche dichter und denker geschafifen haben, seinen Ursprung gewonnen hat, es heiszt, allen wissenschaftlichen sinn preisgeben, so lange Wissenschaft identisch ist mit der frage nach den gründen , mit der aufsuchung der quellen.

Wie der mensch nur an der fremden spräche der eignen bewust wird , so wird er auch das geistesleben seines volkes nur begreifen, wenn er die entwicklung eines fremden geisteslebens begriffen hat, und das um so mehr, je complicierter das eigne und je einfacher das fremde ist.

Nur durch gegensfttze gelangen wir zur einheit, zur harmonie.

Die einförmigkeit lähmt, die manigfaltigkeit belebt ; auf dieser psychologischen thatsache ruht die Wirkung des Sprachunterrichts; fast kein wort deckt sich völlig in der einen und der andern spräche ; jede spräche stellt einen besonderen und immer eigenartigen ver- such dar, die weit der inneren und äuszeren erfahrung zu begreifen und auszusprechen * ; jedes wort ist daher der specifische ausdruck eines specifischen seelischen oder intellectuellen inneren ; übersetzen kann daher nur metaphorisch sein, nur eine Synthese des eignen und des fremden geistes; es beruht auf einer metempsycbose, und daraus folgt, dasz eine fremde spräche lernen heiszt, seinen geist um den geist des fremden volkes erweitem, in der vergleicbung beider sprachen seine Urteilskraft und sein ganzes logisches vermögen

' vgl. V. WilamowitZ'Moellendorff iu seinem Vorwort zu der vor- trefflichen Übersetzung des Hippolytos (Berlin 1891) und besonders das ebenso eingebende wie scharfsinnige programm von Julius Keller 'die grenzen der Übersetzungskunst, kritisch untersucht' (Karlsruhe 1892), 8. 38; auf denselben ansobauungen ruht das für den Unterricht wert- volle bücblein von Paul Caaer: 'die kunst des Übersetzens, ein hilfs- buch für den lat. und griech. Unterricht' (Berlin 1894); mit vollem recht sagt Cauer in seiner namentlich für die grammatische seite der classiscben Studien anregenden Schrift ^unsere erziebung durch Griechen und Römer' s. 61: 'die gedanken der scbüler gleiten an dem deutschen text ab wie das rad an der zu glatten schiene; es fehlt an reibung . . . deshalb musz der deutschen lectüre in prima eine reich- liche lectüre in fremden sprachen vorangehen und zur seite bleiben.' Cauers zahlreiche Schriften zur schulfrage gehören überhaupt zu dem wertvollsten, was über sie geschrieben ist; in der so eben genannten Schrift spürt man freilich, dasz ihr ein in den 'preusz. Jahrb.' zuerst erschienener aufsatz über 'formale bildung' zu gründe liegt; daher ist das freilich auch unersohöfliche thema nach der ethisch^philosophischen und ästhetischen richtung hin kaum gestreift, wie überhaupt in des Verfassers büchern der verstand phantasie und gemüt weit überwiegt.

A. Biese: hellenische lebeDsanschauung und die gegenwart. 193

steigern oud einen soaverftnen Standpunkt über der eignen spräche gewinnen, einen Standpunkt auszerhalb derselben, von dem aus allein wir unsere spräche und unsern geist objectiv sehen und be- urteilen lernen, wie Keller treffend sagt, wie mit der spräche, so ist es anch mit dem geistigen leben überhaupt, nur durch die kenntnis fremder eigenart bereichem wir die eigne.

Nichts ist lehrreicher, geist- und herzbildender als den ausdruck derselben empfindungen und anscbauungen bei den verschiedenen TÖlkem zu vergleichen; diesem hehren gesichtspunkte dient die von Max Koch in Breslau trefflich redigierte ^Zeitschrift für ver- gleichende litteraturgeschichte', die vor all den mehr special istisch gerichteten fachblSttern noch immer nicht die verdiente anerkenn ung and Verbreitung gefunden hat ; sie sollte aber füglich in keiner lehrer- bibliothek fehlen; denn poetische motive in antiker und moderner poesie in parallele zu setzen, ist fQr den schüler ungemein anregend ; er spürt durch die Wechselbeziehung mit dem fremden die eigne seele wachsen; erst durch die erkenntnis der feinen Unterschieds- nüancen zwischen dem antiken und deutschen empfindungsleben wird ihm das eine wie das andere deutlich, es bedarf im Seelenleben immer *der reibung', der gegensätze. wie dankbar ist es z. b. , in prima ich nehme an, ich vertrete den lehrer des deutschen , an das gerade gelesene Elopstocksche gedieht ^die frühlingsfeier' anzuknüpfen, die erinnerung an Uhlands frühlingslieder, an die Fanstacene *vom eise befreit sind ström und bäche' usw., an ge- dichte von Oeibel ('o darum ist der lenz so schön' und 'tief im grünen frühlingshag'), Bodenstedt ('wenn der frühling auf die berge steigt'), an Goethes 'Gauymed' usw. zu wecken, vielleicht auch an Walthers 'wintersüberdrusz', 'frübliug und frauen* zu gemahnen, um dann den unterschied zwischen alledem und den reflectierten, ein wenig frostigen , den Wechsel des lebens betonenden und so den tod in das liebliche bild hineinziehenden frühlingsoden des Horaz finden zu lassen und daran anzuknüpfen : das von lenzes- und Wander- lust erfüllte gedieht des liebenswürdigen Veronesers: iam uer egeli- dos refert tepores , das Anacreontcum : Tbe ndic f apoc (pavivTOc, des Thjillos fjbii nriXoboiieOci x^^i^^^vec, des Paulus Silentiarius fibfl }xiy Zeq)upoici |i€fiUKÖTa köXttov dvoiTCi, des Meleagros x€i- ^QTOC i^v€fi6evT0C An* ai6^poc olxo|ievoio usw. mit ihrer frischen, fröhlichen frühlingsstimmung. und wer wird nicht bei den Zeilen des Anacreonteum !b€ ndic T^potvoc 6beu€i an die zeilen Goethes er- innert: wenn 'über flächen, über seen der kranich nach der heimat strebt'? wie in einzelnen kleinen zügen, läszt sich auch im all- gemeinen so unendlich viel verwandtes zwischen griechischem und deutschem empfinden aufweisen, es ist eben immer nur das vollendet, was ein allgemein menschliches in individueller form ausprägt; und unverrückbar bleibt bei den vOlkern die bewegung vom naiven zum Sentimentalischen; so bei den Griechen, so auch bei den Deutseben.

Je lichter aber und einheitlicher und geschlossener trotz aller

194 A. Biese: hellenische lebensaDschaaung und die gegenwart.

manigfaltigkeit das allgemein -menschliche ausgeprägt ist, um so wirkungsvoller fQr die Jugend , um so bedeutsamer als Vorstufe zur erkenntnis des modernen , das so vielverzweigt , so buntbewegt ist. dem Hellenentum wohnt die kraft inne, ^uns wenigstens fQr augen- blicke von der furchtbaren last zu befreien, welche die Überlieferung von mehreren tausend jähren auf uns gewälzt hat', und derselbe, der dies gesagt hat, wird immerdar Zustimmung finden müssen mit seinem worte: 'wenn wir uns dem altertum gegenüberstellen und es ernstlich in der absieht anschauen , uns daran zu bilden , so ge- winnen wir die empfindung, als ob wir erst eigentlich zu menschen würden.'

Und wahrlich, wo immer wir auch das Hellenentum fassen, überall läszt sich geist an geist eutzünden, nehmen wir das epos oder die Ijrik oder die tragödie, nehmen wir poesie oder prosa. nicht nur Homer kann als erzieh er dienen für unsere zeit in seiner gesunden natürlich keit, seiner heiteren lebensanschauung , die frei- lich auch die schatten nicht übersieht was liegt allein in dem Worte o\ Ka)üiövT€C 1 aber neben der daseinsfreude keine gespenster duldet*, sondern auch Sokrates und Piaton in ihrer tiefsittlichen, tiefharmon Ischen Weltanschauung, der eine lehrer erreicht es eben falls er nur geist hat und geist zu wecken versteht auf diese, der andere auf jene weise ; man sollte nur mehr freiheit lassen.

Gustav Schneider in Gera erreicht es, wie er uns in seiner kleinen trefflichen schrift 'hellenische weit- und lebensanschauungen in ihrer bedeutung für den gymnasialen Unterricht' (G«ra 1893) zeigt, indem er seine schüler auf das schöne hinweist, das in der lebensanschauung ebenso wie in der kunst der Hellenen herscht; er führt uns in die Weisheit des Sokrates und Piaton, aber auch vor die lateranstatue des Sophokles und weisz das eine wie das andere gleich geistvoll zu deuten und für die schule nutzbar zu machen, knüpfen wir daher im weiteren verfolge unserer darlegungen daran die frage , was uns hellenische lebensanschauung für die gegenwart bedeuten kann, ob in ihr nicht eine überwindende macht liegen dürfte und ob nicht- das ideal unserer grösten denker und dichter mit dem des Piaton und Sokrates in sittlicher und ästhetischer hin- sieht übereinstimmt.

Während die jüdische geschichte, wie sie uns das Alte Testament überliefert, nicht übermäszig reich an menschentjpen ist, die wirk- lich für die Jugend bleibenden wert beanspruchen dürfen ich nenne Adam und Eva, Kain und Abel, Jakob und Esau, Isaak und Bebekka , Joseph und seine brüder , bieten die gleichnisse und

* es kann nicht dringend genug auf das köstliche werk von Erwin Rohde 'psyche, seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen' (1890—94, Freiburg i. B.) hingewiesen werden; es verbindet ebenso wie 'der griechische roman' weitverzweigte gelebrsamkeit mit Scharfsinn und einer hervorragenden darstellungsgabe.

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Ideinen reden Jesu^, sowie manche erzählungen aus seinem leben ewig daaemde typen ; man denke an den säemann, an pharisäer und Zöllner, an den geizhalz, dessen seele gefordert wird, an den schalks- knecht u. s. f. aber vor allem bis ins innerste, trotz der kürze, ein- dringend , ist die erzählong von Martha und Maria^ bei denen Jesus einkehrt, hier haben wir die ewigen gegensätze, die zwischen den menschen bestehen und bestehen werden : die richtung zum irdischen nnd die zum überirdischen, zum materiellen und zum ideellen ; realis- mns und Idealismus. Maria geht ganz auf in dem gedanken: du hast ihn wieder, von dem du nahrung deines geistes gewinnst^ von dem alles heil für deinen inwendigen menschen kommt, du darfst wieder lauschen auf seine rede^ die aus einem warmen herzen voll liebe zu gott und den menschen quillt; und sie fühlt sich wachsen in ihrem dem edlen zugewandten innern. Martha will auch in liebe ihm dienen, dem meister; aber sie geht auf in der sorge für das alltäg- liche, nützliche ; ihr blick haftet an der erde, Die Weltgeschichte hat die beiden gegensätze hingestellt in den beiden Völkern, den Griechen und den Römern, in dem volke der kunst und der Wissen- schaft und in dem volke des rechts und des Staates.

Mir ist es immer so erschienen, als ob auch bei den Charakteren der Völker einzelne kleine züge das allgemeine widerspiegelten, als ob in dem ideal des Griechen, wie es sich in dem werte KaXöc xdifadöc ausprägt, und in dem des Römers, das in dem werte mens sana in corpore sano seinen ausdruck findet, etwas wesentliches sich kund- gäbe, als ob das nützlichkeitsprincip, das den Römer auch in seinem empfinden* nicht völlig verläszt, sich auch in diesem motte geltend machte, und welchem ideal nähern wir Deutschen uns? Wir sprechen von einem menschen, den man achten und lieben musz: er habe köpf und herz auf dem rechten fleck; er zeige sich demnach wflrdig jenes einstmaligen ehrenprädicates , das die fremden den Deutschen gegeben: sie sind ein volk der denker und dichter, und es ist wahr: unsere grösten dichter sind auch grosze denker und unsere groszen denker sind auch grosze dichter gewesen, wenigstens diejenigen Philosophen, welche ein metaphysisches System geschaffen haben wie Leibniz, Schelling, Hegel, Schopenhauer, vgl. meine 'Philosophie des metaphorischen', in dieser schrifb habe ich gezeigt, dasz alle psychologie, alle ethik und alle metaphysik metaphorisch bleiben musz , dasz für das geistige immer das sinnliche als symbol dienen musz, dasz das innenleben, das rein geistige, weil es sich unserer anschauung entzieht, nur gleichnis weise deutbar und ver- ständlich ist. in die sie beherschenden begriffe legt die zeit ihre liebe und ihren hasz; sie tragen den Stempel des volksgeistes. bei

^ ein sehr lesenswertes buch, das gemeinverstHndlich und doch wissenschaftlich die lehre Jesu darstellt, ist das werk: 'der inhalt der lehre Jesu' von Hans Hinrich Wendt, Göttingen 1890.

^ Yg\, meine 'entwicklung des naturgefühls bei den Griechen und Römern'.

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den Griechen der berlichsten blute denn auch bei ihnen war der träum, den niemand so schön geträumt wie sie, nur kurz , war der herschende begriff das schöne, aber was ist schön ? es ist etwas geistiges, nur in der phantasie existierendes; es musz also um- schrieben werden, und nun gar das gute, das sittliche! Da wir aber an uns selbst eine Symmetrie und harmonie in den einzelnen gliedern und kräften unseres körpers, eine regelmäszige bewegung, ein auf und ab im schlagen des pulses , im klopfen des herzens usw. wahrnehmen, so liegt es tiefbegründet in unserem wesen, dasz uns schön erscheint, was dieser Symmetrie, dieser regelmäszigkeit analog ist. und so ward die harmonie bei den Griechen der Schlüssel für das schöne, und so ward die der kunst entlehnte metapher der Schlüssel für das sittlichgute; die harmonie herscht in der musik, das masz, die Symmetrie in der architektur und plastik; es ist *die Verbindung vieler einheiten zu wohlthuender gesamtwirkung' * und dies princip ward für den Griechen das masz der dinge.

Dies schöne tritt uns entgegen in der hellenischen auffassung der weit als eines kosmos, in dem Ordnung und harmonie herschen, in dem die verschiedenen elemente durch das ebenmasz mit einander verbunden und gegen einander ausgeglichen sind , in dem die gött- liche Vernunft ein fifaX^a, ein ^kunst- und prachtwerk', geschaffen hat (vgl. Schneider a. a. o. s. 12).

Was aber für den makrokosmos gilt, das gilt auch für den menschlichen mikrokosmos. und gibt es wohl eine treffendere metapher für das glück , für die Zufriedenheit des menbchen als die harmonie des innenlebens mit dem auszenleben? bezeichnen wir es nicht auch heute noch mit dem inneren gleichgewicbt der seelo, das sich äuszert in der festigkeit, den stürmen des lebens zu widerstehen, in der freudigkeit, das schöne und gute zu genieszen und zu voll- bringen? und was anderes ist auch heute noch für den geistigen menschen das erstrebens werteste als die harmonische ausgestal- tung seines innern , als das ^evoio oloc icci *^, das auf dem yvOüOi ceauTÖv ruht?

* vgl. das aasgezeichnete buch von Rudolf Backen Mie lebens- anschauungen der groszen denker' (Leipzig 1890] s. 27; da heisst es: 'iu Wahrheit steht hier die weit nur deswegen dem menschen so nahe and vermag sich ihm so leicht mitzuteilen, weil der denker (Piaton) aus unserem dasein geistige gröszen in die weite des alls hinein- getragen hat', vgl. meine 'philosophie des metaphorischen' s. 149 f.

^^ Mit gutem gründe bat der liebenswürdige novellist and lyriker Hans Hoffmann, der auch einst die kathedra zierte, seinen schönen gedichten ('vom lebenswege', Leipzig, Liebeskind 1893) das wort als motto vorangesetzt: 'werde, der du bist.' das ist freilich heute schwerer denn je; Hoffmann ist es gelangen; durch stürm und drang hat sich eine harmonische persönlichkeit hindurchgerungen. Lagarde drückt dies also aas: 'der meiszel thut weh, der aas dem empfindenden blocke den gott herausschlägt: je weiter aber der stahl in der arbeit ^vor- geschritten, desto stiller hält der marmor, der sich schon über die aus der uatur erstehende geistesgewalt freut.' (

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Aber alles das ist ohne ideelle grundlage, ohne den glauben an wirkende ideen ohnmächtig, und da ist es gerade für die heutige jngend von groszem werte, die leuchtenden gestalten des Sokrates und Piaton ihr lebendig zu machen , soweit es die beschränkte und Torgeschriebene lectttre noch möglich macht, sie begreifen zu lehren, wie das sittlichgute und das schOne dasselbe auf verschiedenen ge- bieten ist, dasz beide begn£fe auf der harmonie ruhen, welche dem herzen und den sinnen wohlthut und zugleich nützlich ist. aus dieser wnrzel sind die metaphem kqXöv und aicxpöv für das gute und schlechte erwachsen; das ethische und ästhetische sind in ihrer grundlage eins ; jenes erfVeut das gemüt und befriedigt das gewissen, dieses die sinne.

Mit recht macht Schneider (s.. 14) darauf aufmerksam, dasz der BOmer, wenn er das sittlichgute mit honestum bezeichnet, vor allem auf den eindmck rücksicht nimmt, den es auf die mitbürger macht : 69 ist das ehrbare, ehre bringende; das turpe ist das schimpfliche, schände bringende; auch von diesem gesichtspunkte aus betrachtet, offenbart sich der römische sinn, der alles auf den staat bezieht.

Bei Sokrates spielt auch noch das nützliche, zweckmäszige, ver- nünftige in dem guten und schönen eine grosze rolle: das dem nutzen dienende ist ein werk der einsieht Memorab. I 4, 4. IV 3, 3; einsieht, wissen ist tagend ; das böse ruht auf Unkenntnis des guten und des nützlichen Mem. III 9. IV 6. 8. 9 ; das all ist von 9pövnctc durchdrungen und zeigt deutlich den bau eines Organismus , in dem alle teile den zwecken des ganzen dienen.

Bei Piaton wird das künstlerische princip des schönen das herschende. die tugend ist Schönheit der seele , kraft und gesund- heit; das böse geht aus schwäche, aus dem mangel der richtigen Symmetrie und harmonie der seelenkräfte hervor. ^Schönheit gibt es nicht ohne masz', aber auch die höchste tugend ist die des maszes, die sophrosjne, deren gegensatz, die ößptc, die wurzel der tragischen eonflicte ist; 'abgemessenheit und ebenmäszigkeit wird uns doch offenbar überall zu Schönheit und tugend', heiszt es Phileb. 64 E. ethisches und ästhetisches fallen in eins zusammen.

Bei Piaton, dem dichterphilosophen , durchdringen sich immer anschauung und denken; für das höchste denken vermag er auch nnr die metapher aus der sinnenweit zu nehmen ; der begriff wird ihm zur reinen 'gestalt', zur ibea, und so verleiht er in groszartiger metapher den Sokratischen begriffen ein selbständiges sein, und über der sinnenwelt baut sich die ideale weit empor, auf die nun der philosophierende poet alles grosze und gute und schöne überträgt, was auf erden keine statte hat oder was er durch alles vergängliche als Urbild hindurchleuchten läszt. und sollte diese groszartige an- Stauung; die zugleich ein groszartiges gedankensjstem in sich schlieszt, nicht von erhebendster, läuterndster kraft auch für unser heutiges heranwachsendes gcschlecht sein? und widerstreitet dem unsere christliche anschauung? lesen wir nicht 1. Cor. 13 *wir

1 98 A. Biese : belleniscbe lebeDsanschaauDg und die gegenwart.

sehen durch eiDen Spiegel in einem dunklen wort' ? ist nicht auch nach Piaton das irdische nur ein schwaches abbild , ein sjmbol des ewigen, ein cTbujXov, napdbciTMa, ^i^rictc? könnte nicht aach er schreiben: ßX^iro^cv Top fipTi öi* icÖTiTpou i\ alviT^axi? die Wirk- lichkeit ist ein schatten der transcendenten weit, 'alles vergäng- liche ist nur ein gleicbnis' ist dasselbe in Goetheschen Worten aus- gedrückt.

Und wie erhaben ist die gottesanschauung bei Piaton, bei Sokrates (vgl. die teleologische betrachtung und das hervorheben der treuen fürsorge des 6€Öc für jeden einzelnen Memor. 1 4 u. ä. m.) ; wie tiefsittlich die Vorstellung des bat^öviov, das ihm sagt, was er thun und was er nicht thun soll (Mem. I 4, 15), und dessen Ur- sprung ö 6€Öc ist (IV 8, 6); wie hoch steht bei Sokrates die €uc^- ߀ta, die biKatocuvii usw., und wie hehr ist die Überzeugung von der Unsterblichkeit der seele bei Sokrates und bei Piaton (Phädon) !

Wie diese sittlichen und religiösen anschauungen durch das Christentum vertieft und verklärt sind und wie, umgekehrt, die christliche lehre im Griechentum eine bedeutsame wurzel hat , das sind Probleme von höchster fruchtbarkeit auch für den Unterricht.

Nicht minder wertvoll ist es aber, den philosophischen sinn in der Jugend zu wecken , das einzelne unter ideen zu sammeln, wie es Sokrates so meisterlich und oft mit so feiner Ironie (ich erinnere nur an das köstliche gespräch mit Glaukon III 6) versteht; bei der hast des tagestreibens die Umschau nach bleibenden zielen , bei der Verzweigung der ar))eit den sinn für das ganze bewahren : das ist eine der höchsten pflichten des lehrers, auf dasz endlich wieder ein geschlecht heranwachse mit dem sinn für das allgemeine, der Student heutigen tages identificiert freilich auch das gute und dais nützliche, aber er sagt: 'das ist gut, was nützlich ist' im sinne des banausentums und des Americanismus, 'das studiere ich, was mir zur erlangung des amtes dienlich ist.'

Die 'philosophische Propädeutik' ist als facultas, bezeichnender- weise, sehr im preise gesunken; diese 'mittlere' befähigung übt nur geringe anzieh ungskraft aus , und doch wäre es so wichtig, dasz der Student durch die ernste gedankenzucht , welche in der geschichte der Philosophie, in der erkenntnistheorie und psychologie liegt, hin- durchgeftlhrt würde. "

Sokrates und Piaton können aber vorzüglich wie Cicero in der lateinischen primalectüre zur einführung in das philosophische denken dienen; jener für die ethik, dieser für den idealismus über- haupt, es war in der that ein groszes, es war ein gewaltiger mut.

" vgl. die berechtigten klagen Schuppes in der zeitschr. f. gym- nasialwesen (märz 1894) 'erfolg und miserfolg', meinen aafsatz in dem ersten beft der vorjährigen Jahrbücher 'ein aufblühen der philosophie '. eine fülle anregenden materials enthält das programm von Friedr. Polle, 'über den Schulunterricht in der philosophie^ Dresden 1894 (Vitzthum- sches gymnasium).

A. Biese: hellenische lebensanschauung und die gegenwart. 199

den Piaton gezeigt hat, zum ersten male den gedanken zu denken und xn entwickeln: es gibt nur eine selbständige weit, und das ist die weit des gedankens, die rein geistige weit I

und wenn der schüler, der durch Sokrates und Piaton hin- dnreligegangen ist, hernach zu den groszen Systemen der deutschen Philosophen gelangt; was findet er bei Fichte? das sittengesetz wird norm des weltprocesses, der sich in der vemunft vollzieht; *der geist ist ein bild gottes, die weit ein bild des geistes'; das titanen- hafte streben, das dem durch und durch von Sittlichkeit, von that- kraft erfüllten mann beseelt, das sollen, das er in sich fühlt, wird snm Schlüssel des problems der dinge; der kategorische imperativ des groszen Kant wird weltgesetz; das *ding an sich' ist auch nur gedanke.

Den ethischen idealismus Fichtes gestaltet Schelling zum phy- sischen idealismus um; die ästhetische anschaunng ist die objectiv gewordene intellectuelle ; poesie und philosophie sind eben eins; im schönen ist das problem der philosophie gelöst; Schönheit und Wahr- heit sind Synthesen von endlichem und unendlichem; das typische Schema für die metaphorische welterklärung ist der Organismus; das vollkommenste kunstwerk ist das Universum als vollendete selbst- setzung des absoluten. " auch bei Hegel ist die analogie des kunst- Werkes unverkennbar; sein System ist ein imposantes gedanken- gedicht oder eine Symphonie von begriffen; den grundrhythmus gibt der dreitakt: thesis, antithesis, synthesis; die philosophie ist die sich denkende idee. die absolute Idee senkt sich in die natur, um als lebendiger bewuster geist aus ihr emporzutauchen.

Schopenhauer erhebt den willen auf den thron; der wille ist von innen gesehener leib, leib der sichtbar gewordene wille; mit dem willen, nach analogie des menschen, wird das all, der ^makran- thropos', beseelt: der wille als unbewuster trieb und als absichts- volles wollen wird der stufenweise sich entfaltenden weit meta- phorisch geliehen, und so entsteht ein roman von der objectiva- tion, der sichtbarwerdung des willens, von dem 'dummen', 'blinden' willen, dem rastlosen, ungestümen lebensdrang, der sich allmählich znr vemunft emporringt und die leuchte der besonnenen Überlegung im menschen entzündet.

So wird die philosophie unter der band des künstlerischen genies zor spräche nicht nur des gedankens, sondern auch des Charakters und der phantasie.

Ob wir das altertum oder die neuere zeit, ob wir Piaton oder Giordano Bruno und Campanella, ob wir Leibniz oder Hegel oder Schopenhauer betrachten , immer mischt in das denken die anschau- nng, sei es die specifisch künstlerische, sei es die vom lebendigen Organismus, von dem mikrokosmos, ihre färben und gestaltet das Weltbild harmonisch zu einem kosmos voll innerer Ordnung, voll

1' vgl. meine 'philosophie des metaphorischen' s. 198 f.

200 A.Biese: hellenische lebensanschauang und die gegenwart.

Vernunft^ voll gottesideen. und wo das thatsachensjstem zu harschen meint, wie im positivismuä , strömen doch immer geistige begriffe hinein ''; wer mit dichteraugen oder mit philosophischer anschauung die weit betrachtet, musz sie beseelen, durcbgeistigen.

Die kunst war es, welche den Hellenen das Schema für die welt- erklärung bot ; die kunst, das schöne, ist die grundlage alles idealis- mus; denn das schöne ist durchgeistigte form, von der Wichtigkeit der kunst für die erziehung ist jeder heutigen tages überzeugt; sehen zu lernen ist eine wichtige aufgäbe für den schüler; dem kann der zeichen- und naturunterricht dienen, und letzterer musz mit dem naturerkennen auch das naturempfinden pflegen; beide haben zu allen zeiten einander gesteigert, beide stehen in engster Wechsel- beziehung; welch wichtiges ethisches und pädagogisches moment in der weckung des natursinnes liegt '^, bedürfte weit gröszerer be- achtung , da es gemeinhin von der pädagogik kaum gestreift wird.

£s hat nun aber immer das, was als schön galt, nicht nur hin- sichtlich der natur, wie ich in meinen büchem über die entwicklung des naturgefühls in alter und neuer zeit dargelegt habe, geschwankt, sondern auch hinsichtlich der kunst. in höchst interessanter weise hat dies Ferdinand Laban in seiner monographie *der gemütsaus- druck des Antinous. ein Jahrhundert angewandter psjchologie auf dem gebiete der antiken plastik' (Berlin 1891, Spemann) anschau- lich gemacht; es gibt kaum einen gemütsausdruck^ den man nicht in dem Antinouskopfe gefunden hätte, von Wildheit und grausam- keit und roheit , von wollust und koketterie, von todesstarrer hoff- nungslosigkeit bis zur Sanftmut, milde, gemütsruhe, entzücken, liebeswonne; es gibt eben kein objectiv schönes überhaupt, sondern bei jeder betrachtung eines kunstwerkes rinnt das, was der künstler keimartig hineinlegte, geheimnisvoll mit dem empfinden des be- schauers zusammen d. h. nicht nur mit seiner geistigen individualität als solcher, sondern auch mit ihr als einem mikrokosmos, der ein Spiegelbild des makrokosmos, der zeitepoche, ist.

Doch vielleicht ist innerhalb derselben zeit das kunsturteil nicht so schwankend gewesen als heute. '^

Wie will man aber die Jugend zu einem kunst Verständnis er- ziehen, wenn man nicht bei dem klarsten und reinsten, bei dem durchsichtigsten und zweifellosesten anföngt, das die kunstgeschichte kennt^ bei den meisterwerken der Hellenen ? es ist doch in der that, wie Schneider (a. a. o. s. 30) sagt, etwas ganz besonders wertvolles, dem schüler zu zeigen, wie ein und derselbe gedanke, der grosze

*^ vgl. meine 'philosophie des metaphorischen' s. 207 f.

^* vgl. meine aufnätze in der zeitschr. für deutschen Unterricht Jahrg. V 8. 173 93 'das naturschöne im Spiegel der poesie als gegen- ständ des deutschen Unterrichts' und s. 822 —39 'die naturlyrik Ludwig Uhlands und Kduard Mörikes\

*^ vgl. die sehr lesenswerten ausführungen von Karl Wörmann 'was die kunstgeschichte lehrt', Dresden 1894, Ehlermann.

A.Biese: hellenische lebensanschaunng und die gegenwart. 201

gedanke der harmonie , ebenso die griechische Weltanschauung wie die griechische kunst geschaffen und in ihrem wesen bestimmt hat. freilieb ist es heutigen tages für den lehrer des griechischen schwer, noch zeit für griechische kunst zu finden; da müssen die andern verwandten gebiete beisteuern, sei es nun der geschichts- oder der deutsche oder der lateinische nnterricht, z. b. im anschlusz an Giceros Verrinen u. tt. m. und gerade das gelegentliche, das auszer- gewöhnliche, das nicht obligatorische, das nicht für das leidige ezamen wesentliche, pflegt es gibt das zu denken! auf die Jugend am nachhaltigsten, am reinsten zu wirken.

So lehrt das Hellenentum, wie das kunstschaffen und das philo- sophische denken und das sittliche wollen für den menschen auf der harmonie, der harmonischen ineinsbildung , von Suszerem und innerem, auf durchgeistigung der anschauung, auf veranschaulichung des geistigen beruht, und was Sokrates und Piaton gelehrt haben, das haben auch unsere grösten dichter empfunden und gedacht und in berlichen werten ausgeprägt.

So sagt Goethe um aus der fülle nur ein paar belege zu geben in den ^Sprüchen in prosa', dieser unerschöpflichen fund- grube der Weisheit: 'alles, was wir erfinden, entdecken im höheren sinne nennen, ist eine aus dem inneren am äuszeren sich entwickelnde Offenbarung, die den menschen seine gottähnlichkeit vorahnen läszt. es ist eine sjnthese von weit und geist, welche von der ewigen har- monie des daseins die seligste Versicherung gibt.' viel tiefsinniges finden wir bei Novalis, so z. b. 'wir werden ^ie weit verstehn, wenn wir uns selbst verstehn , weil wir und sie integranto hälften sind, gotteskinder , göttliche keime sind wir. einst werden wir sein , was unser vater ist.' 'die individuelle seele soll mit der weltseele über- einstimmend werden.' 'die phantasie ist der stoff des Verstandes.' *die idee vom mikrokosmos ist die höchste für den menschen, kos- mometer sind wir ebenfalls.' 'die weit ist ein universaltropus des geistes, ein symbolisches bild desselben.' 'jede Wissenschaft wird poesie, nachdem sie philosophie geworden ist.' 'wenn unsere in* telligenz und unsere weit harmonieren, so sind wir gott gleich' usw.

Sachen wir also unsere Jugend durch das Hellenentum zur har- monie zu erziehen, zur harmonie des leibes und der seele, zur har- monie der Seelen- und geisteskräfte , der phantasie und des Ver- standes , des kopfes und des herzens , des wollens und des handelns. dann werden wir nicht nur ihr glück, das auf dem gleichgewicht der seele beruht, begründen, sondern auch dem vaterlande dienen; denn nur freudigkeit, nur enthusiasmus schafft das grosze.

Schleswig. Alfred Biese.

N. Jahrb. f. phil. a. pEd. II. abt 1895 hfl. 4. 1 4

202 J. Ziehen: der französische anfangsunterricht

19.

DER FRANZÖSISCHE ANFANGSUNTERRICHT UND DER

FRANKFURTER LEHRPLAN.

Der vielbesprochene Frankfurter lehrplan ^ hat dem französischen anfangsunterricht wohl zum ersten mal in umfassender praktischer durchführung die eigentümliche und inhaltsschwere bedeutung ge- geben, zugleich der humanistischen wie der realistischen bildung als grundlage und als eröffnendes glied zu dienen, selbstverständ- lich müssen die eigenartigen bedingungen, unter die dadurch der französische anfangsunterricht gestellt ist, auf seine ausgestaltung sehr maszgebend einwirken, und es ist anzunehmen, dasz das be- streben, diesen anfangsunterricht nach so verschiedenen Seiten gleich- mäszig fruchtbar zu machen, manche versuche veranlaszt tind zu manchen erfahrungen führt, die ihm auch auszerhalb der Frankfurter reformclassen nur förderlich sein können, ein paar einschlagende fragen sollen hier in diesem sinne, d. h. von dem boden des Frank- furter Versuches aus, aber mit dem wohl nicht unberechtigten ansprach auf etwas allgemeineres interesse kurz behandelt werden.

Der Schöpfer des Frankfurter lehrplans, director Reinhardt, hat sich wiederholt veranlaszt gesehen, einer mehrfach hervorgetretenen falschen ansieht über die tendenz seines reform Versuches entgegen- zutreten, der Frankfurter lehrplan soll, soweit das gymnasium in frage kommt, keine beeinträchtigung des humanistischen Unterrichts zur folge haben, er soll demselben vielmehr nach Reinhardts absieht eine statte schaffen, wo er ungefährdet von so mancher schmälerung im staatlichen lehrplan erst recht gedeihen kann; ob diese absieht erreicht werden kann , wird erst die zukunft lehren gegner des Frankfurter lehrplans halten es ja freilich mit teilweise recht weit- gehender zuversichtlichkeit für ausgeschlossen; doch die huma- nistische tendenz des Frankfurter Versuches hängt nicht von der frage seines erfolges ab, sie liegt als thatsache vor und hat nicht zum wenigsten die gestaltung des französischen anfangsunterrichts in den versuchsclassen bestimmt; plan wie lehrbücher desselben^ sind aus den kreisen des humanistischen Unterrichts hervorgegangen^

^ über den Frankfurter reformversuch 8. Karl Reinhardt die Frank- furter lehrpläne, mit einer einleitun^ herausgegeben (Frankfurt a. M. 1892). ders. die Schulordnung in Comenius* Unterrichts lehre und die Frankfurter lehrpläne, vortrage und anfsätze der Comenius-gesellschaft II 2 (LeipzifT 1894). vgl. auch meinen artikel 'Frankfurter lebrplan' in W. Reins so eben erscheinendem encjclopädisoheu handbuch der Pädagogik.

* bis jetzt liegen von solchen vor: Max Banner französisches lese- und Übungsbuch, erster cursus 1892. zweiter cursus 1893. dritter cursus 1894. deutscher übersetzungsstoif zum einprägen der französischen formen- und Satzlehre 1894 (Bielefeld und Leipzig, Velhagen und Klasing).

und der Frankfurter lehrplan. 203

TOD den höchst beachtenswerten reformbestrebungen neuphilologi- scher autoritäten, wie Walter, Dörr, Vietor, Kühn, Schmidt u. a. ist der Frankfurter versuch seiner entsteh ung wie seinem bisherigen verlaufe nach durchaus unabhängig, wenn auch gelegentliche be- rtlhrungen mit denselben in erfreulicher weise vorliegen.

Der französische anfangsunterricht in den Frankfurter reform- anstalten steht im dienst sowohl humanistischer wie realistischer nnterrichtsziele; nur ein verständiger compromiss zwischen den durch diese beiden Unterrichtsziele bedingten anforderungen ermög- licht überhaupt den gemeinsamen unterbau, und, wenn ich recht sehe , so hat in dem falle des Frankfurter lehrplans vor allem das humanistische princip sehr darauf zu achten , dasz ihm bei den com- promissmasznahmen nicht etwas verloren gehe, ohne das das weiter- bauen des gjmnasiums auf dem gemeinsamen unterbau einfach un- möglich wird : die grammatisch-logische Schulung, dieser erwägung ist von Seiten Reinhardts und seiner mitarbeiter bei der gestaltung des französischen anfangsunterrichts auch wohl rechnung getragen; der lateinische anfangsunterricht nach Perthesscher methode sollte zum Vorbild genommen und seine grün dsätze sollten nur entsprechend den andersartigen bedingungen des französischen als lebender spräche modificiert werden; was von Perthes und seinen nachfolgern mit groszem geschick für das sofortige einführen des schülers in den lebendigen Organismus der spräche auf dem boden des lateinischen geleistet worden war, muste in hohem grade geeignet erscheinen, dem Unterricht in einer lebenden spräche zu gute zu kommen wenn ich an Banners in ihren grundgedanken vortrefflichen lehr- btlchern etwas aussetzen soll, so ist es das, dasz der Verfasser sich nicht noch enger an Perthes anschlieszt, beispielsweise einzelsätzen, etwa in form von Sprichwörtern oder maximen, weit gröszeren räum gibt, auch das vocabularium womöglich schon im ersten , spätestens im zweiten teile nach Perthesschem vorbilde etymologisch und phraseologisch gestaltet; was sonst den Bannerschen lehrbüchern von ihren benutzern in den Frankfurter reformclassen wiederholt vorgeworfen wurde, die Schwierigkeit des gebotenen lesestoffes, kann meines erachtens, soweit der Vorwurf begründet ist, nur die von Banner getroffene auswahl , nicht das princip treffen ; jeder, der die Perthesschen bücher kennt und nach ihnen unterrichtet hat, weisz, dasz im interesse eines sofortigen einführens in den lebendigen Organismus der spräche das frühzeitige auftreten verhältnismäszig groszer Schwierigkeiten nicht vermieden werden kann; diese Schwie- rigkeiten sollen im sinne von Perthes anfangs durch mechanische aueignung umgangen werden, erst später soll für sie alle, eine nach der andern, gewissermaszen die indemnität gewonnen werden, be- kanntlich dient diesem letzteren zweck in den Perthesschen lehr- büchern ein mit geradezu genialem blick ausgewählter und durch zahllose innere beziehungen grammatischer und inhaltlicher art tausendfach in sich verketteter lesestoff, der in dieser hinsieht für

14*

204 J. Ziehen : der französische anfangsunterricht

die etwaige neobearbeitung der Bannerschen bücher immer aufs neue amregend und vorbildlich wirken kann.

Also im Perthesschen sinne soll nach absieht seines Urhebers bei dem Frankfurter reformversuch der französische Unterricht betrieben werden; dabei kommt einmal das humanistische gymnasium auf seine rechnung, indem sprachliche Schulung, einblick in die ableitungs- formen der spräche , praktische aneignung der syntaktischen haupt- regeln frühzeitig von den schttlern gewonnen wird; aber auch die Vertreter der realistischen richtung des Unterrichts kommen nicht zu kurz : ohne sprechen der fremdsprache keine Perthessche methode, das gilt für die anwendung dieser methode auf den neusprachlichen Unter- richt ohne jede einschränkung; zielt doch selbst der lateinische Unter- richt nach Perthes auf eine möglichst freie mündliche handhabung der spräche ab ; und dasz auf dem wege der Perthesschen methode die nötige fertigkeit im französischsprechen zu erreichen ist , wird meines erachtens durch die Frankfurter erfahrungen bewiesen, ich erteile den französischen Unterricht in der quinta unseres gjmna- siums schon jetzt nach anderthalb jähren fast ausschlieszlich in fran- zösischer spräche und glaube, dasz andere in andern reformclassen der Frank^rter anstalten die gleiche erfahrung gemacht haben, ist dem aber so, so wird den anf orderungen der Vertreter des realismus durch die gestaltung des französischen anfangsunterrichts genüge geschehen und der Frankfurter reformversuch vor zwei wiederholt ausgesprochenen forderungen der neuphilologischen reformbewegung fernzuhalten sein , zu deren durchführung jedenfalls , mögen sie an sich noch so zweckmäszig und berechtigt sein , diesem auf verstän- digem compromiss beruhenden gemeinsamen unterbau von gjmna- sium und realgjmnasium die zeit fehlt, die beiden forderungen, die ich meine, betreffen die anwendung der lauttafeln und die phone- tische Schreibweise als Vorstufe der historischen Orthographie; ich würde die notwendigkeit ihrer Zurückweisung vom boden des Frank- furter reformversuchs nicht betonen, wenn nicht zahlreiche besucher der Frankfurter versuchsclassen die nichtbeachtung eben dieser bei- den forderungen als mangel des Frankfurter Versuchs bezeichnet hätten ; ich kann freilich in ihr keinen mangel, sondern nur ein sehr berechtigtes fernhalten cum grano salis verstanden unnötiger dinge sehen, was ich mit ein paar werten ausführen möchte.

Zunächst also die lauttafeln nichts liegt mir femer als die groszen Verdienste bestreiten zu wollen, die sich besonders Vietor durch die Verwertung der lautphjsiologischen gesetze für den sprach- lichen Unterricht erworben hat; auch zweifle ich nicht einen augen- blick an der praktischen vortrefflich keit dieser von Vietor empfohlenen lauttafeln, obgleich ich immer noch glaube, dasz die schüler aus rich- tigem vorsprechen des lehrers die ausspräche des zu erlernenden idioms sowohl naturgemäszer wie auch nachhaltiger erlernen doch davon ganz abgesehen, ich möchte die lauttafeln aus dem fran- zösischen anfangsunterricbt in den Frankfurter reformclassen vor

und der Frankfurter lehrplan. 205

allem deshalb femgehalten wissen, weil ihre anwendung anderen^ für das gymnasium jedenfalls (s. anm. 3) wichtigeren dingen die zeit wegnimmt im interesse einer reinheit der ausspräche, deren wert meines erachtens von zahlreichen reformern unter den neu- Philologen etwas reichlich hoch angeschlagen wird, vemachlässi- gong von ausspräche und sprechfKhigkeit, die man früher dem fran- zösischen Unterricht, namentlich dem am gymnasium, mit recht Torwarf, hat dem entgegengesetzten extrem platz gemacht; mit der einseitigkeit, die jeder thatkrftftigen neuerung anzuhaften pflegt, be- tonen Victor und seine genossen den wert reiner, möglichst genuiner ausspräche; wir sollen uns hüten, dasz uns darüber nicht wichtigeres und fruchtbareres verloren geht, ich schätze eine gute ausspräche des französischen durchaus hoch, bin mir auch nicht be wüst, aus persönlichen gründen lieber die frage der ausspräche zu einer frage xweiten ranges herabdrücken zu wollen, aber es schien mir doch ein beweis dafür, dasz das oben bezeichnete extrem vorliegt, wenn mehr als ein besucher unserer versuchsclassen alle die wichtigen fragen nach der brauchbarkeit des französischen für die elementare aneig- nung grammatischer grundbegrifife u. a. m. glattweg vergasz über dem einen bedenken, ob ohne anwendung von lauttafeln auch die richtige Unterscheidung von chou und joue möglich sei und ob Schüler x nicht nous avons allzu ähnlich dem nous savons aus- gesprochen habe, dasz auf derartige dinge im Unterricht wohl ge- achtet werden musz, ist auch meine ansieht, aber wenn irgend jemand, so müssen sich die Vertreter des Frankfurter reform- yersuchs davor hüten, nicht wichtigeres über diesen an sich vor- trefflichen und wertvollen dingen zu vergessen , das eindringen in geist und bau der spräche, ohne das die erlernung des lateinischen wie des griechischen bzw. englischen in den späteren classen sehr erschwert, vielleicht ganz unmöglich gemacht ist. man möge mir hier nicht entgegenhalten , dasz die anwendung der lauttafeln gar nicht so sehr viel zeit in anspruch nimmt, namentlich nach Über- windung der ersten Schwierigkeiten andern dingen genug platz im Unterricht übrig läszt ich habe in dem französischen anfangs- Unterricht bei einer unserer versuchsclassen noch keinen augenblick gefunden , wo mir nicht wichtigere dinge als die an sich precäre er- nngung einer physiologisch correcten ausspräche alle zeit und alle kraft in anspruch genommen hätten, und darum möchte ich meinen Standpunkt gegenüber denen, die die anwendung der lauttafeln in unserem französischen anfangsunterricbte vermissen, dahin zu- sammenfassen : möglichste Sprechfähigkeit soll der französische an- fangsunterricht nach dem Frankfurter lehrplan mindestens in glei- chem masze erstreben, wie das von Seiten der oben genannten, hochverdienten neuphilologischen reformer geschieht wollen wir doch selbst den lateinischen und griechischen Unterricht wenigstens insofern auf den lebendigen gebrauch der spräche gründen , als wir ein gewandtes lesen der texte als erste Voraussetzung tieferen ver-

206 J.Ziehen: der franzöeiscbe anfangBunteiricht

ständnisäes betrachten; aber eine ideelle correctheit der ausspräche zu erzielen, wie sie durch die Vietorschen lauttafeln erreicht werden soll , das geht über die dem französischen anfangsunterricht im Frankfurter lehrplan zufallende aufgäbe hinaus.

So viel über die anwendung der lauttafeln; obwohl die anfäng- liche benutzung der phonetischen Schreibweise eigentlich mit der anwendung der lauttafeln steht und föUt, so müssen ihr doch noch einige besondere bemerkungen gewidmet werden, bequem ist der um weg ja an sich nicht, der vom bloszen sprechen durch das mittel- Stadium der phonetischen Orthographie zur historischen Schreibweise des französischen hinführt; nur rUcksichten der ausspräche könnten uns veranlassen, den unbequemen umweg mitzumachen, die an- hänger der phonetischen Schreibweise betonen, dasz die sofortige anwendung der historischen Orthographie ganz unbedingt beein- trächtigend auf die bisher nur durchs obr bestimmte auffassnng des Wortlautes und worttones wirken musz das ist vollkommen richtig und die anwendung der historischen Orthographie wird zu einer groszen gefahr für die reinheit der ausspräche, sobald sie zu früh und in verkehrter weise an die schüler herantritt, zu früh : in den ersten tagen, unter umständen in den ersten wochen soll der schüler die fremde spräche überhaupt nur mit dem ohr aufnehmen; an das so wenig entsprechende bild des in gewöhnlichen lettern geschrie- benen Wortes soll er erst allmählich und mit sehr vorsichtiger Steige- rung der Schwierigkeiten herangeführt werden; kein einziges wort soll er schreiben, ohne es vorher erst mit dem ohr aufgefaszt und mit den eignen Sprech Werkzeugen wiedergegeben zu haben, werden alle diese vorsieh tsmaszregeln beachtet, so ist die gefahr nicht so grosZ| die man von der sofortigen anwendung der historischen Schreibweise befürchtet, und es kann dem so wie so stark in an- sprach genommenen anfänger darum meines erachtens ein an sieb vortrefflich ersonnenes verfahren femgehalten werden, das immer- hin zeitraubend und ganz ohne zweifei auch verwirrend ist. was die historische Orthographie selbst betrifift, so wird sie als bitterböse crux ja allseitig zur genüge empfunden; aber gestehen wir es ein: sie hat auch ihr gutes und namentlich der stark zum vertiefenden eindringen in den Sprachbau verpflichtete französische anfangsunter- richt, wie ihn der Frankfurter lebi-plan voraussetzt, kann in den meisten orthographischen Schwierigkeiten ebenso viele merkzeichen erblicken, die ihn hinweisen auf die notwendigkeit maszvoU be- triebener, aber unausgesetzter beschäftigung mit den ableitungs- gesetzen einer spräche, um mit einer praktischen erfahrung diese mitteilungen zu schlieszen: so wenig Schwierigkeiten ich in der Frankfurter versuchsclasse mit der französischen rechtschreibung gefunden habe, so sehr heiszt es und weit mehr als beim latei- nischen anfangsunterricht sein augenmerk daraufrichten, dasz nicht die deutsche Orthographie unter dem nebenhergehen der fran- zösischen schaden leidet auch aus diesem gründe ist es gut,

und der Frankfurter lehrplan. 207

dasz der deutsche Unterricht im Frankfurter lehrplan reichlich mit standen bedacht ist

Eine günstif^e fügung hat zu dem französischen anfangsunter- zicht an den Frankfurter versuchsclassen Vertreter der verschieden- sten richtungen des neuphilologischen Unterrichts vereint; in den vorstehenden zeilen durfte eine richtung zu worte kommen, die namentlich die interessen des gymnasiums in dem wie gesagt auf compromiss beruhenden gemeinsamen unterbau gewahrt wissen will; wir sind gern bereit, von den Vertretern anderer richtung das ihrige zu hören und zu lernen; uns alle eint ja neben dem ernsten streben nach Verwirklichung des im Frankfurter lehrplan liegenden guten gedankens auch die hofifnung, dasz aus der ruhigen erörterung verschiedener Unterrichtsmethoden nutzen hervorgeht für den Unterricht auch auszerhalb des Reinhardtschen Versuchs.'

' ich habe in den vorstehenden zeilen die fragen des französischen anfangsunterrichts absichtlich nur vom Standpunkt des gymnasiums aus beurteilt I da ich den Organismus der realscnnle nicht aus eigner er* fahmng kenne, glauben möchte ich allerdings, dasz der gröste teil des oben gesagten auch für sie gilt; dem französischen Unterricht fällt auf der realschule eine noch bedeutungsvollere aufgäbe zu: er soll dem Schüler nicht nur den späteren praktischen gebrauch der spräche er- möglichen, er soll auch die logische Schulung, für die das gymnasinm später im lateinischen und griechischen noch weitere nahrung findet, am französischen weiterführen; dieser letzteren aufgäbe kann aber der französische Unterricht in der realschule gewis nur dann gerecht wer- den, wenn er von anfang an auf streng grammatischer methode, etwa der oben bezeichneten Perthesscben, aufgebaut ist.

Frankfurt am Main. Julius Ziehen.

(16.)

WILHELM VON HUMBOLDTS BRIEFE AN FEIEDRICH AUGUST WOLF AUS DER ZEIT SEINER LEITUNG DES PREUSZISCHEN UNTERRICHTSWESENS 1809 UND 1810.

(fortsetznng.)

6.

Königsberg 14. Julius 1809.

Je längere Briefe Sie mir schreiben, liebster Freund, desto mehr Freude machen Sie mir. Auch will ich Alles pünktlich beantworten, nur erlauben Sie mir, beim Einzelnen kurz zu seyn. Ich fange mit Ihrem letzten an.

Zuerst meinen Glückwunsch zum verlornen Fieber. Auch hier plagt und verfolgt es alle Menschen. Nur ich blieb bis jetzt immer ver- schont. Meine Abwesenheit von Berlin ist mir äusserst traurig. Qenan genommen, könnte ich wohl gehen, allein es sind^ wenigstens ehe nicht alles fest eingerichtet ist, und dazu gehört leider hier viel Zeit, auch bei meinem Aufenthalt in Berlin tausend Schwierigkeiten für die Geschäfte, die ich nur hier gut zu heben im Stande bin. Also muss ich mich schon darin ergeben. Dennoch hoffe ich ziemlichbaldig^ Rückkunft.

208 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Von der Zerfallenheit der Dinge, wie Sie es nennen^ zeipft sich nicht eben mehr, yielleicht, ja man kann wohl sagen gewiss, weniger, als sich vor einiger Zeit besorgen Hess. Niemand kann die Zukunft enträthseln. Aber ich weiss nicht, ich habe einen vielleicht manchem wunderbar scheinenden Muth, einigermaszen gründet er sich freilich auf das Sprichwort : was sich beugt, das bricht nicht, allein lassen Sie uns nur mit Raschheit fortarbeiten, ich glaube nicht, dass uns das Ge- bäude zusammenstürzt, so toll es manchmal aussehen mag. Am wenig- sten hilft es daran zu denken. Man kann vielmehr mit Sicherheit be- haupten^ dass das nur schadet. Dass Ihnen noch solche Baierische Oedanken kommen, dass Sie Landshut^^, was sogar Buttmann ^^ aus- schlug, noch für gewissermassen etwas halten, statt dass alle von dort sich wegsehnen, darüber ist bei mir, meip theurer Wolf, ordentlich ein Y^^^c acßccTOC entstanden. Im verschuldeten Baiern ist wohl die Goldgrube Deutschlands nicht, und an Wissenschaft und Kunst nimmt man da nur zur parade Interesse. Sie müssen es nur kennen, wie ich es bei Jacobi^^ kennen gelernt habe. Haben Sie denn nur in mehreren Jahren jetzt eine Universität zu Stande bringen können, die um viel besser wäre, als Frankfurt oder Königsberg? Ihre nicht abzuläugnen- den Schätze danken sie dem Klosterraub, und Sie mussten sehen, wie ungeschickt und träge die noch in München aufgespeichert^ und allen Menschenkindern unzugänglich stehen. In Rom lassen Sie viel arbeiten. Aber beschützen immer die Mittelmässigkeit, und verspotten sogar das Bessre.

Mit dem Agamemnon willige ich herzlich gern ein.^^ Es sind dabei externa und interna zu beachten, ad 1. verlange ich nichts als eine von Ihnen zu bestimmende Anzahl Exemplare mit besondrem Titel und pagina, und erlaube auch, dass der Verleger eine Anzahl Exemplare, wann und wie es ihm beliebt, besonders verkaufe, behalte mir bloss eine neue Ausgabe nach 3 Jahren vor. ad 2. ist es schwieriger. Meine erste Mejnung war, den Agamemnon fast ganz, wie er da int, unver- ändert, gewissermassen historisch, zu künftiger Aenderung drucken zu zu lassen. Dies misriethen Sie mit Recht. Nun ist also eine Um- arbeitung nöthig. Zu der aber habe ich jetzt weniger, als je Zeit. Allein auch da ein Vorschlag: bis zum 1. August schicke ich Ihnen den ersten Chor in der gar nicht, oder mehr oder minder veränderten Ge- stalt, die ich ihm habe geben können, und die dient Ihnen dann zum Massstab, auf welchen Grad der Umarbeitung Sie rechnen können. Sie gehen dann mit meiner und meines Postens Ehre zu Rathe, und über- legen, ob man so drucken kann? Ein Brief braucht 5 6 Tage. Also am 6. August haben Sie Antwort. Ich sehe den Agamemnon gern ge- druckt, und thue also gewiss das Mögliche.

Mit dem Namen ists eine närrische Frage. Mir liegt weder an de noch dt. Ueber diese Schwierigkeit kann also der Jemand sein Herz ohne Mühe erleichtern.

Vater ^^ geht an Niemandes Platz hierher. Königsberg hat aber schon vor meiner Ankunft 17000 Thaler jährlicher Zuschüsse erhalten.

^* über Wolfs berufung nach Landshut vgl. Körte 2,28 und Arnoldt 1, 142.

*^ vgl. anm. 2.

46 auf der rückreise von Italien nach Deutschland hatte Humboldt im november 1808 seinen alten freund Jacobi, der seit 1805 in München als Präsident der akademie der Wissenschaften lebte, dort besucht.

4^ Humboldts Agamemnonübersetzung sollte in Wolfs museum ge- druckt werden; sie ist jedoch erst 1816 als buch erschienen.

*'^ Johann Severin Vater (1771—1826), 1796 privatdocent, 1798 pro- fessor der philosophie in Jena, 1800 professor der theologie in Halle, 1804 in Königsberg, 1820 wieder in Halle, an seinem 'Mitbridates' hat

A. Leitzmann : W. t. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 209

Nach Frankfurt nehme ich ihn darum nicht, weil er doch mehr als Orientalist, denn als Theologe {i^ilt, und Frankfurt mehr einen Theo- logen braucht.

Heindorf^' ist gar nicht durch den Auftrag an Sie aufgestört. Schon l&ngst vor Ihrer Ankunft hat er, Gott weiss wie, den Ruf als wirklich angesehen, und so hat mir Spalding^ schon damals davon ge- schrieben. Er kommt vermuthlich her. Nur soll ihm Süvern^' noch einmal die Sache vorstellen. Er ist wirklich thöricht, seine Freunde SU verlass'en und an diesen unartigen Ort zu gehen. Will er sein Unglück ernstlich, so mag es darum seyn.

An die Berlinischen Weisheitszellen ^' denke ich stark, und ich schmeichle mir, Sie bald mit etwas zu überraschen. Die wirkliche Ausführung wird freilich noch warten müssen.

Ueber Herbart ^^ sagen Sie sehr wahr. Er gefällt sich hier, ver- muthlich weil er allein thront. Aber er ist thätig und brauchbar.

Staegemann und seine Frau^, die Stein immer soll die versteinerte Griechin genannt haben, sehe ich wenig. Sie gefällt mir nicht sonder- lich, er ist manchmal amüsant und oft sehr witzig.

Ihre Verhältnisse, mein Lieber, sind gleich bestimmt, sobald die wissenschaftliche Deputation organisirt ist. Sie sind dann mit Uhden^^ Director derselben, und als solcher Mitglied auch der Section des öffentlichen Unterrichts, nicht bloss in Sachen der Deputation, sondern

Humboldt mitgearbeitet, 'er . . . stiftete nur einen geringen nutzen als lehrer und hat sich neulich durch seine sucht zu predigen noch über- dies sonderbar gezeigt, allein zum blbllothekar taugt er meinem urteil nach wirklich' (an Nicolovius s. 27]; 'das kleine Väterchen hat mich sehr lachen machen, seine anmaszungen sind wirklich höchst sonder- bar und das beste ist nur, dasz er sich doch am ende bescheidener be- gnügt, die ähnlichkeit einiger meiner beschäfti jungen hat mich in den stand gesetzt, die arbeiten, die er in den letzten jähren gemacht hat, genau zu prüfen, es ist überall sehr viel fleisz, grosze genauigkeit und daher unverkennbares verdienst in den resul taten; allein ich versichere Ihnen, dasz es ordentlich schwer ist, sich so viel mit verschiedenartigen sprachen zu beschäftigen, ohne auch nur auf eine richtige allgemeine idee oder eine tief gelehrte ansieht zu kommen, er scheint ganz zu vergessen, dasz das herumtreiben in vielen und halbbarbarischen sprachen durchaus verderblich ist und auch in sich nicht mehr die fruchtbarkeit hat, wenn man versäumt, bei einer wichtigen und ausgebildeten immer- fort mehr in die tiefe zu gehen er hätte dies als Orientalist notwendig thun sollen, mir aber ist weni^rstens nichts davon bekannt geworden' (ebd. s. 29); vgl. noch an Welcker s. 53.

<• vgl. anm. 26.

^ Georg Ludwig Spalding (1762—1811), söhn des bekannten propstes, mit Humboldt seit frühen jähren befreundet, 1787 professor am grauen kloster in Berlin; vgl. Hoche allgemeine deutsche biographie 35, 29 und Humboldt an Wolf gesammelte werke 5, 70. 125. 131. sehr un- günstig beurteilte ihn Humboldt im jähre 1805 in einem briefe an Wolf bei Varnhagen, vermischte Schriften^ 2, 242.

** vgl. anm. 37.

'* die akademie der Wissenschaften sollte gründlich reformiert und ihres französischen Charakters entkleidet werden, vgl. darüber beson- ders Köpke s. 54. 198; an Nicolovius s. 10; an Goethe s. 235.

w vßl. anm. 38.

^ Friedrich August Stägemann (1763—1840), 1790 criminnlrat in Königsberg, 1806 geheimer finanzrat in Berlin, 1817 mitglied des Staats- rats; vgl. Petersdorff allgemeine deutsche biographie 35, 383. seine frau ist die vielgefcierte Elisabet Graun, geborne Fischer.

^^ vgl. anm. 22.

210 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

in allen, worüber wir stimmen, oder die ich Ihnen suschreibe. Ueber die Deputation haben Sie unrichtige Begriffe. Die wissenschaftliche unsrer Section steht rein unter mir, und Bose^ geht uns nichts an. £r ist Chef der wissenschaftlich-technischen Deputationen und ver- sammelte er auch ja alle in Eine Berathschlagung, so könnte es nur einladungsweise geschehen. Ihre Mitdirectorschaft mit Uhden kann Sie nicht in Unruhe setzen. Uhden ist für alles da, whs der blosse Ge- schäftsgang ist. Sachen erbrechen, die wissenschaftlichen I)inen über- geben, Geschäfte selbst abmachen, die Correspoudenz mit andern Col- legien besorgen, auf die form zu sehen, Registratur und Kanzlei in Ordnung zu halten n. s. w. Dies ist ein langweiliges ewigrollendes Rad, das niemals stocken darf, und eine Sache zu der Uebung und kleinliche Kenntniss gehört. Sie dirigiren allein alles Wissenschaft- liche, vertheilen die wissenschaftliche Arbeit, sehen Sie nachher wieder durch, und nehmen selbst Theil daran. So dünkt mich, ist es für die Sache und Sie am besten. Uhden habe ich Ihnen mit Fleiss gegeben. £r ist der verträglichste, nachgiebigste und der selbst am wenigsten Ansprüclie auf Gelehrsamkeit macht. Süvern hätte sieh mehr ins Ge- lehrte gemischt, und muss selbst noch erst den Geschäftsgang lernen. So viel guten Willen er auch hat, giebt er mir doch oft Kleinigkeiten zu redressiren. In der Section sind Sie Mitglied, ich schicke Ihnen zu, was mir für Sie gut scheint, wenig, aber Wichtiges, Sie sind bei allen Sessionen wenn Sie wollen, und bleiben auch weg, wenn Sie nichts Specielles haben und nicht kommen wollen. Die Gymnasien- Geschäfte haben Sie nicht gerade speciell, sondern wenn ich sie Ihnen zuschreibe, Sie müssten denn Vorschläge machen, wie Süvern es einmal wollte, was mir aber nicht nüthig scheint, Ein eignes Directorium für die Berlinischen Gymnasien zu errichten, und darin sitzen wollen.^' So, denke ich, ist alles klar und verständlich. Bei einigen geistlichen und Schul Deputationen der Regierungen ist es auch so, dasz sie zwei Directoren einen weltlichen für den Geschäftsgang und einen geist- lichen für die geistlichen Sachen haben.

Meiner Frau habe ich oft von Ihnen, und neulich von dem letzten Römer und der AuXT]ßa iroiriccca geschrieben. Meine älteste Tochter nimmt seit Zoegas'^^ tode bei Amati^* Griechischon Unterricht *<*, der scriptor bei der Vaticana ist, und wohl der beste Grieche in Rom. Er wollte den Dionjsiuä von Halicarnass herausgeben. Sie schreibt mir mit letzter Post auch einen Schwedischen Brief. Sie sehen also, das» die südlichen und nordischen Sprachen zugleich blühen. Wem die Vaticana bleibt, weiss ich noch nicht gewiss. Ich glaube dem Papst. Das Gebäude wenigstens behält er.

Für ein Auditorium vermuthlich im Ueinrichschen Palais** werde ich gleich sorgen. Auch Schleiermacber*' liest wohl gern da.

JShe ich mit Nicolovius^^ nur irgend ordentlich reden kann, müssen

^ über ihn habe ich nichts ermitteln können.

^7 dies wollte Wolf allerdings (vgl. Körte 2, 40).

vgl. anm. 7.

^' Geronimo Amati (1768 18.34); vgl. nouvclle biographie universelle 2, 299.

^^ über Karolinens griechischen Unterricht vgl. noch an Wolf ge- sammelte werke 5, 239; an Weleker s. 4. 6; an Schweighäuser s. 167.

«« vgl. Köpke 8. 71.

^^ über Schleiermachers bcziehnngen zu Humboldt fehlt es an näheren nachrichten, die zu einem klaren bilde verhelfen könnten, die ausführlichste äuszerung über ihn steht in den briefen an eine freundin 2, 258.

^^ vgl. anm. 86. die beziehung obiger stelle vermag ich nicht za deuten.

A. LeitzmaDn: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 211

B!e mir, liebster Freund, sagen, was für ein Werk obngefähr wenigstens Sie im Sinn haben.

Heindorf, auf den ich noch einmal hier zurückkomme^ kann, ohne, was nie gut ist, zugleich GjmnasienDirector zu seyn, hier nicht mehr als 1000 Thaler Gehalt haben, und Collegia bringen wenig ein. F'rei- lich sind noch Emolumente, aber die betragen nicht 3 400 Thaler.

Wenn ich mit einer hier im Werk seyenden Schulreform durch- dringe, nehme ich vielleicht Gotthold zum Kector eines Gymnasii hier- her.^ Er hat mir einen langen Aufsatz über eine Schalreform in Cüstrin geschickt, der mir nicht misfällt.

Für Schneiders'^ Wohnung im Joachimsthal sorgt Uhden bereits. Ich bin dem Schneider sehr gut.

Fiir die Bekanntschaft mit Heinicke^" danke ich Ihnen sehr.

Mit der Frankfurter Vereinigung geht es sehr schlecht. Die refor- mirte Schule ist mehr Priyatanstalt, als öffentliche und setzt sich auf die eigensinnigste Weise entgegen. Sie ist erbärmlich, aber auch Schneider'^, der einer der Vorsteher ist, nimmt sich wie ein ein- gefleischter Reformirter. An der Stadtschule ist Kalau*^"* durch den Magistrat zum Rector gewählt, ich habe ihn aber nur unter der ße- dingnng bestätigt, dass ich nach der Vereinigung einen andern Director wählte. Er soll nicht übel in Graecis et Latinis, sonst wenig brauch- bar seyn.

Zum compte rendu wünsche ich Ihnen herzlich Glück, vorzüglich, wenn es Ihnen wirklich gelungen ist, Ihre Angelegenheiten so durch eine actio in distans abzumachen. Dass Sie Sich aber hartnäckig auf dem Lande ^tabliren und Berlin meiden, ist mir äusserst leid. Gott, liebster bester Wolf, bedenken Sie doch nur, dass man im Thiergarten^ nichts als Kiehnbäume und Krähen hat.

An ReiP° scheint freilich nach dem, was Sie sngeu, kaum zu denken. Doch sobald ich in meinen Unternehmungen hier glücklich bin, mache ich mit ihm, Savigny^' und Schmidt'* gleich einen Versuch.

Die kostenlosen Schnittchen sollen erfolgen.

Schultz^' nehme ich für Frankfurt, sobald Augusti^* absagt, sonst Tielleicht aum zweiten theologischen Professor mit 600 Thaler hierher. Sie selbst, mein Bester, sind Schuld daran, jdass ich so wenig auf ihn geachtet habe.

Steffens müssen wir, falls Berlin noch Universität wird, auf jeden Fall haben. 76

•* vgl. anm. 28.

•* vgl. anm. 31.

** gewis sind die Schriften des taubstummenlehrers Samuel Heinicke (vgl. Kellner allgemeine deutsche biographie 11,369) über lautiermethode beim Sprachunterricht gemeint.

•' Johann Gottlob Schneider (1750—1822), 1776 professor der classi- Bchen Philologie in Frankfurt, 1811 in Breslau; vgl. Hoche allgemeine deutsche biographie 82, 125.

^ Georg Christoph Immanuel Kalau war rector in ßromberg und sUrb 1843 in Berlin.

•• vgl. anm. 42. '" vgl. anm. 12. '* vgl. anm. 13.

'^ vgl. anm. 24.

73 David Schulz (1779 1854), 1806 privatdocent der theologie in Halle, 1807 in Leipzig, 1809 professor in Halle, im selben jähre in Frankfurt, 1811 in Breslau; vgl. Tschackert allgemeine deutsche bio- graphie 32, 739. zu seiner berufung vgl. noch an Schleiermacher aus Schleiermachers leben 4. 171.

'* vgl. anm. 33.

Henrich Steffens (1773—1845), 1796 privatdocent der mineralogie in Kiel, 1804 professor in Halle, 1811 in Breslau, 1832 in Berlin; vgl.

212 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Der Section schreiben Sie bloss (weil Sie die Form wissen wollen) uno tenore nnd ohne Titel und abgesetzte Linien:

Einer Königlichen Hochlöblichen Section für cet. zeige ich an

bis der Vortrag ans ist.

Berlin,

I

Wolf.

So haben Sie ein ordentliches Schema. Auch brauchen Sie nur dann zu antworten, wenn wirklich etwas zu sagen ist.

Denken Sie an die Mitglieder der wissenschaftlichen Deputation. Meines Erachtens müssen mit Ihnen, ohne ühden, sechse seyn, alle in allgemeinen Wissenschaften, nicht jenen schrecklichen Chemie, Botanik cet., die bei uns, meiner Meynung nach nur ausserordentliche sejm sollen. Aber sechs ordentliche, besoldete, obgleich ich mehr als 500 Thaler nicht geben kann, sie also Nebenposten haben müssen. Ich denke :

ein Philologe Sie.

Theologe, Schleiermacher

Mathematiker (zugleich für allgemeine Physik) Tralles^® oder

Fischer" oder? Pädagoge und mithin Philosoph ?

Historiker im weiten Umfang des Worts ? ja nicht Woltmann. ^^ Ueber den letzten bin ich zweifelhaft. Man kann die allgemeine Physik und Naturgeschichte vom Mathematiker trennen und einen neuen dazu annehmen, oder auch hier einen Linguisten, für andre, als klassische Sprachen, oder einen Literator für schöne Literatur wählen. Orientalist muss der Linguist oder Theologe seyn.

Die Geschäfte sind, ausser dem Wissenschaftlichen, was Sie schon erfuhren, noch Beurtheilung von Vorschlägen zu Stellenbesetzungen und Examina, wie Sie und schon ich es vorgeschlagen. Zu den Ezamlnibus werden auch die unbesoldeten zugezogen, wo es Noth thut und die Prüfungsgebühren immer getheilt.

Böse ist für alles Technische sehr gut, und wird uns nie im Wege seyn, ob man gleich jetzt An- und Eingriffe von überall her zu fürchten hat.

Uhden ist völlig in allem Geheimniss.

Wegen Bellermann ^^, dass ihm auf den Magistrat zu wirken über- lassen ist, habe ich bereits an Uhden geschrieben.

Liebmann allgemeine deutsche biographie 35, 555. diese notiz und Steffens* brief an Schleiermacher aus Schleiermachers leben 4, 173 be- richtigen Steffens* eigne darstellung dieser berufung (was ich erlebte 6, 146).

'• Johann Georg Tralles (1764—1822), 1810 professor in Berlin; vgl. an Nicolovius s. 11.

^ Ernst Gottfried Fischer (1754—1831), einer der jugendlehrer der brüder Humboldt^ 1785 lehrer am pädagogium in Halle, 1787 professor am grauen kloster, 1810 an der Universität in Berlin; vgl. Cantor all- gemeine deutsche biographie 7, 62.

'^'^ Karl Ludwig von Weltmann (1770—1817), 1794 professor der Philosophie in Jena, 1799 hofrat in Berlin, seit 1813 in Prag. 'Weltmann n'a jamais valu grand^chose et vaut moins que jamais' (an Schweig- häuser s. 47); vgl. noch an Schiller* s. 74. 81. 98. 156.

^* Johann Joachim Bellermann (1754 1842), 1784 professor am gymnasium und professor der philosophie an der Universität Erfurt, 1804 director am grauen kloster in Berlin, zugleich 1810 privatdocent, 1816 professor der theologie an der Universität; vgl. Bellermann all- gemeine deutsche biographie 2, 307.

A. Leitzmann: W. t. Humboldts briefe an F. A. Wolf. ' 213

Schreiben Sie doch Süvern. Er ist manchmal etwas reizbar, aber sonst sehr f^nt. Ich bin ausserordentlich mit ihm zufrieden^ und auch er, wie ich hoffe, mit mir.

Mit inniger und immer gleicher Liebe Ihr

H.

6.

Königsberg, den 28. Julius 1809.

In der Voraussetzung, theurer Freund, dass Heindorf-® wirklich bei «einem Entschlüsse hierher zu gehen beharren sollte, schicke ich Ihnen heute zwei officielle Zeilen, um Sie zu bitten, mir Ihre Vorschlüge zur Wiederbesetzong seiner Stelle bekannt zu machen. Obgleich eine solche Förmlichkeit in einer Sache, wo ich doch hernach auf nichtofficiellem Wege erst auf den Magistrat wirken muss, nicht an sich nöthig wäre, so ist sie Ihnen dennoch vielleicht angenehmer. Obgleich ich Ihnen fernere Vorsicht und Verschwiegenheit empfehle, so können Sie mit Bellermann ^' frei reden. Da ich indess nicht weiss, wie Sie mit ihm stehen und wie Ihnen dies lieb ist, oder nicht, so überlasse ich dies ganz Ihrer Einsicht. Nur bitte ich Sie um so baldige Antwort, als möglich ist, da ich, um eine frühere Wahl des Magistrats zu verhüten, Heindorfen, wo möglich, nicht eher vocire.

Dass Sie noch immer nicht officiell zum Director der wissenschaft- lichen Deputation und zugleich zum Mitglied der Section ernannt sind, darüber klagen Sie mich nicht an, mein Theurer. Da erst dann Ihr Einfluss auf die Gymnasien recht kräftig sejn kann, so liegt mir diese Sache sehr am Herzen. Allein ich möchte Ihnen gern 500 Thaler Zu- lage bei dieser Oelegenheit verschaffen, und das ist die Schwierigkeit, die mich langsamer zu handeln zwingt. Doch hoffe ich in einigen Wochen zu gelingen. Gegen Sie arbeitet übrigens niemand hier. Aus Freundschaft und selbst einer gewissen Achtung handelt mir Niemand entgegen, und ich habe Beispiele, dass man Menschen, die man sehr beschützte, hat fallen lassen, weil ich es so wollte. Nur die Umstände stehen allen Geldverträgen im Wege. Thun Sie mir übrigens, da ich Sie herzlich und mit immer gleicher Anhänglichkeit liebe, die Freund- schaft, auch in diesem kurzen Zwischenraum, wo ich Sie, wie jetzt, darum bitte, mit mir gemeinschaftlich zu wirken. Man muss auch am Rande des Abgrundes das Gute nicht aufgeben. Ich arbeite mit un- unterbrochenem Eifer fort, und wie schlimm auch die Sachen kommen könnten, sehe ich doch den Zeitpunkt nicht, wo uns nicht von irgend Einer Seite ein lebendiges und nützliches Wirken übrig bliebe. Sie sehen, dass es mir nicht an Muth fehlt. Nur wünschte ich, dass wir wieder beisammen wären und arbeite daran.

Was haben Sie zur Recension der Bücher über die Universität in Berlin in der Literatur Zeitung^* gesagt?^'

Bei einer andern Recension der Literatur Zeitung^' ist mir ein- gefallen, Sie zu fragen: ob Sie die Pelasger, wie da geschieht, für einen ungriechischen, also fremden Stamm halten? Ich habe mich in Rom einmal viel damit beschäftigt ''^ bin aber der Meynung geblieben, dass sie ein eigentlich griechischer, nur durch Dialect verschiedener Stamm waren.

•® vgl. anm. 26. " vgl. anm. 79.

^' die Schriften von Schleiermacher, Villers, Wachler und Eggers sind in der Jenaer litteraturzeitung vom 17 19 mai 1809 besprochen. ^ hier ist im original ein satz unleserlich gemacht. ^ in einer besprechung von Vaters Mithridates (23 mai 1809). '^ im jähre 1807: vgl. an Schweighäuser s. 132.

214 A. Leitzmann: W. t. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Der Aufsats in den Heidelberger Jahrbüchern über nnsre neae Verfassang^® ist doch nicht etwa von Woltmann?'^^

Leben Sie herzlich wohl, und schreiben Sie bald Ihrem

H.

7.

Königsberg, den 31. Julius, 1809.

Lieber thenrer Wolf, Ihr Fieber fängt mich an fast zu beunruhigen, ich begreife nicht, wie Sie, der Sie sonst stark und gesund sind, es nicht los werden können; schonen Sie Sich ja recht, ich bitte Sie. Sie werden mit letzter Post wieder einen Brief von mir bekommen haben, und auch ein officielles Schreiben der, wie Sie es nennen, furchtbaren Art. Aber lassen Sie es Sich nicht schrecken. Erstlich höre ich, dass Heindorf ^^ jetzt wieder wankend wird, wie man es bei Charakteren dieser Art erwarten muss; dann fordert er, sagt man mir, 600 Thaler Reisegeld, die ich ihm zu geben nicht im Stande bin. Allein auch wenn er geht, hängt es von Ihnen ab in der officiellen Antwort nun den, oder die, welche Sie vorschlagen, zu nennen, und mir alles Nähere in unsern Privatbriefen zu sagen. Da sieht und erfährt es niemand. Bleibt Hein* dorf, so geht die Noth aufs Neue für hier an, und ich muss Sie um eine zweite Medietatem ersuchen. Mit Schultz^ soll es sich sobald entscheiden, als ich vonAugusti^, und das muss in wenig Tagen seyn, Antwort habe.

Ich kann von mir sagen, dass ich jetzt durchaus in unserm Ge- schäft lebe. Je mehr ich hineinkomme, desto mehr sehe ich ein, dass meine Vorgänger eigentlich von dem Umfang des ihnen anvertrauten Geschäfts keinen Begriff hatten. Sie dachten nicht einmal daran, sich Mitarbeiter zu schaffen, und Stellenbesetzungen und meist noch sehr kleinliche Geldarrangements war alles, worauf sie sich einliessen. Da- mit allein aber ist wenig gethan. Es muss Einheit in den Bestre- bungen und ein guter lebendiger Geist herrscheu; es müssen Grund- sätze festgestellt, ausgeführt und durch die Ausführung selbst wieder berichtigt werden, und darum kommt es erstaunlich darauf an, nicht die krummen und einseitigen Ansichten eines Einzelnen, sondern das gemeinschaftliche Nachdenken Mehrerer an die Spitze zu stellen. Darum behandle ich mit jedem Tage die Section mehr als Section, räume, ohne es auszusprechen, der gemeinschaftlichen Meynung den Vorzug vor den einzelnen, selbst den meinigen, ein, und vertilge, so viel ich kann, das fatale ehemalige Ministerwesen, wo man nur den Einzelnen als all- mächtig für sein Fach ansah, und seine Räthe höchstens als Leute be- trachtete, die das Recht hatten, in den Wind zu reden. Sehr natür- lich waren denn auch diese Räthe von einem Geiste beseelt, wie wir ihn gekannt haben. Jede Meynung war modificirt durch den Gedanken, ob sie auch bei dem Chef ausführbar seyn werde, und selbst Subalternen, wie z. B. Schröder^' hatten manchmal mehr Gewicht, als die wenig- stens zum Rathgeben Bestellten. Bei uns ist dies um so nöthiger, weil viele doch noch immer die Eitelkeit besitzen, lieber unter Einem sogenannten Chef, als unter einem ordentlich und fest orgunisirten CoUegio zu

^^ publicandum betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der preuszischen monarchie (Heidelberger Jahrbücher 2, 2, 145).

" Vgl. anm. 78.

®® vgl. anm. 26.

«^ vgl. anm. 78.

»f> vgl. anm. 83.

^' Schröder war kriegsrat und rendant der hauptcasse der wissen- schaftlichen anstalten (vgl. Köpke s. 71. 204).

A. Leitzmann : W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 215

stehen. Selbst die passion unmittelbar unter den Köni{2^ gesetzt zu seyn, was gerade ebensoviel heisst, als von dem Menschen abzuhängen, der diese oder jene CnbinetsOrdre schreibt, vergeht den Leuten noch nicht, und die Academie hätte nie, wie sie jetzt, wie ich höre, thut, aus ihrem allerdings sehr engherzigen und enggeistigen scripto diese be- stimmte Hitte herausgelassen, wenn ich nicht in der Fehde mit Sack wegen der KunstAcademie^' einen so entschiedenen 8ieg davon ge- tragen, und mit Kinem Schlage allem Curatorunwesen ein Ende ge- macht hätte.

Darum eben, lieber Freund, liegt mir nun auch so sehr daran, die Collegien, mit denen ich arbeite, so gut, als möglich zu machen, was zwar vorzüglich von den Personen , aber auch sehr viel und fast mehr Ton*dem Geist abhängt, den man wirklich mit nicht schwerer Mühe, sobald man sich nur über Aeusserlichkeiten und Egoismus hinwegsetzt, hineinbringen kann. So wie ein Mensch fühlt, dass seine Stimme gilt, ist es ihm mehr Ernst um die Sache und handelt er selbst wenigstens mit voller Kraft. Die beiden Collegien, auf die ich rechne sind die Section selbst und die wissenschaftliche Deputation. Den Cultus lasse ich bei Seite liegen, und berühre ihn hier nicht. In der Section rechne ich für das, was eigentlich in höherem und tieferem Sinne Unterrichts- ond Erziehnngs Grundsatz ist, auf Sie, Süvern^' und ich denke hin- zufügen zu können auf mich, und ich glaube nicht, dass wir dazu eines Mitgliedes mehr bedürfen. Mit Süveru, gegen den Sie mit Unrecht sprechen, bin ich sehr zufrieden. Er hat viel Ernst, in eigentlich pädagogischen Dingen gute und tiefere Ansichten, gerade die Arbeit- samkeit, die nöthig ist, und dabei kann man denn andre Kleinigkeiten wohl übersehen. Zu den ökonomischen Angelegenheiten suche ich jetzt noch einen Mann, und dann kann es mit der Section vollkommen gehen.

Die wissenschaftliche Deputation liegt mir ebensosehr, fast noch mehr am Herzen. Fichte^ darf nicht hinein, wenigstens nicht als be- soldetes Mitglied. Die unbesoldeten sind mehr oder weniger Ehren- mitglieder uud incommodiren wenig. Wegen Tralles^^ bin ich auch Ihrer Mejnung. Nur habe ich zwei Bedenken: Tralles ist eigensinnig, spitzig, und nicht immer sehr artig. Das betrift Sie vorzii^^lich als Director, sehen Sie also ehe wir ihn nehmen, wohl zu, ob Sie auch mit ihm fertig zu werden hoffen. Dann kommt es, da die meisten Examina doch zu Schulstellen sind, auch darauf an, dass einer nicht bloss Mathematiker, sondern auch geübt ist die Gabe des mathemati- schen Unterrichts zu beurtheilen. Wären diese Hedenken wirklich ge- gründet, so könnte Fischer*^, oder ein anderer, besoldetes, Tralles ausserordentliches, und nur, wo tiefere Kenntniss nöthig wäre, zuzu- ziehendes Mitglied seyn. MitMannert^^ wäre es wohl recht gut. Fürs Erste aber dürfen wir hierbei nicht auf Ausländer denken. Wer kommt für 500 Thaler! Das geht erst, wenn man zugleich eine Universitäts- Professur anbieten kann. Vielleicht ists aber bis dahin besser, nur interimistisch gegen Remuneration Personen zu dem Geschäft zuzu-

*^ Johann August Sack (1764—1831), 1798 oberfinanzrat in Berlin, 1806 civilgouvcrneur, 1816 oberpräsident von Pommern; vgl. Petrich allgemeine deutsche biographie 30, 162.

w vgl. anm. 37.

^ vgl. Fichtes leben und litterarischer briefwechsel ' 1, 415.

»* vgl. anm. 76.

•* vgl. anm. 77.

•7 Konrad Mannert (1756—1834), 1786 lehrer in Nürnberg, 1796 Professor der geschichte in Altorf, 1805 in Würzburg, 1807 in Lands- hut, 1826 in München; vgl. Wegele allgemeine deutsche biographie 20, 199.

216 A. Leitzmann: W. t. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

ziehen, nnd die Plätze offen zu lassen. Mehr philosophischer Geist, als MHonert besitzt, wäre auch da, wo Sie ihn vorschlagen, wenigstens wünschenswürdig.

Ehe Ichs vergesse sagen Sie mir doch ja mit umgehender Post, was Sie von Spangenberg ^ in Göttingen halten. Man konnte ihn als Juristen hierher berufen.

Wie Sie zu der Idee kommen, dass Sie unter Uhden^ stehen sollen, ist mir unbegreiflich. Sie sollen Mitglied der Section nnd Director der Deputation (letzteres mit Uhden) also überall sein College seyn. Selbst Ihr Stehen unter mir wird, mein Bester, nur so viel zu sagen haben^ dass es Ihre Pflicht seyn wird mich in den Sie betreffen- den Sachen zu leiten. Es wäre wirklich höchst traurig, wenn es mir am wenigsten gelänge, Sie, den ich am meisten liebe, zufriedeft zu stellen.

In dem, was Sie mir bei Gelegenheit der Academie über Uhden sagen, liegt bloss Misverstand. Die Academie hat keinen Grund zur Klage, und die Besseren darin sind auch ganz mit den neuen Einrich- tungen zufrieden. Uhden unterzeichnet nie anders, als indem mein Titel vorsteht, und ausdrucklich die Worte: in Abwesenheit des Sectionschefs dabeistehen. Er verfügt bloss in eilenden, oder ganz unbedeutenden Fällen selbst; an die Academie hat er noch nie ge- schrieben, immer nur ans Directorium. Dass diess in seinen Finanz- sachen einer Leitung bedarf, fühlen die Mitglieder am meisten selbst. AJlein auch diese wird nur in dem Tone geübt, der sich für eine solche Gesellschaft geziemt. Da nun die Section einmal nicht in Berlin ist, so muss sie einen Bevollmächtigten haben. Als Sack verreiste, ver- fügte, wie Uhden jetzt für mich, ein kleiner unbekannter KriegsRath für ihn. Hier verfügt und ganz ohne den Minister nur zu nennen, Nagler*^^ für das ganze Departement der auswärtigen Angelegenheiten. Also ist das mit Verfassung und Gebrauch übereinstimmend. Gab es ehemals weniger Fälle der Art, so kam es nur daher, weil das Bedürfniss nicht eintrat. Auch hätte jeder Unrecht, der sich an solchen Aeusserlichkeiten stossen wollte. Die Frage ist nur, ob wer unterzeichnet, wenn er nicht der wirklich Selbstständige ist, seine Vollmachten überschreitet, und darin kann ich Uhden bis jetzt auch nicht den leisesten Vorwurf machen. Bei den Kammern und Tribunalen war es immer hergebracht, dass bei Krankheit des Praesidentcn der älteste Kath unterschrieb. Der Magistrat höre ich, hat, gegen Bellermanns ^'^^ Willen, und eine schlechte Wahl getroffen. Es ist mir höchst fatal und mit eine üble Folge meiner Abwesenheit. Allein (unter uns) ich denke darauf, die Rechte der Magistrate zu beschränken. Es ist sonst kaum möglich, dass etwas Vernünftiges aus den Gymnasien wird.

Leben Sie herzlich wohl, mein theurer guter Freund ! Mit inniger Freundschaft Ihr II.

^ Ernst Peter Johann Spangenberg (1784—1833), 1808 assessor in Göttingen, 1812 generaladvocat in Hamburg, 1815 assessor, 1816 rat in Zelle; vgl. Eisenhart allgemeine deutsche biographie 35, 41.

^ vgl. anm. 22.

100 Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770—1846), 1809—10 ge- heimer Staatsrat und cabinetssecretär der königin Luise, 1821 general- postamtspräsident, 1823 generalpostmeister; vgl. Kelchner allgemeine deutsche biographie 23, 238.

'0« vgl. anm. 79.

(fortsetzung folgt.)

Weimar. Albert Leitzmann.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMASIALPÄDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT ACSSCBLUSZ DER CLA88I8CHBN PHILOLOGIE

HEBAUSGEGEBEN VON PBOF. DB. RiCHABD RiCHTEB.

20.

WIE KANN DER CLASSISCHE UND DER DEUTSCHE UNTER- EICHT AUF DER OBERSTEN STUFE DER GYMNASIEN ZUM RELIGIÖSEN LEBEN DER SCHÜLER IN INNERE BEZIEHUNG

GESETZT WERDEN?^

Wohl ists wichtig, dasz ein schüler, der das gymnasium ver- Iftszt , vieles weisz , wichtiger, dasz er auch vieles leisten kann , das wichtigste aber bleibt doch , dasz er selbst während seiner Schulzeit ein wackerer mensch geworden ist. denn mehr als durch wissen und können mttssen sich diejenigen, welche die ungebildeten massen führen und leiten wollen, durch ihr gesamtes sittliches wesen ein anrecht auf diese bevorzugte Stellung erwerben. Es ist nun aber eine oft gehörte klage, dasz infolge der modernen lebensverhältnisse die gymnasien aus erziehungsan stalten vielfach zu bloszen lehrstätten geworden seien, das ist freilich zweifellos eine Übertreibung, denn wenn sich auch hier und da die eigentliche schulzucht in der praxis auf die zeit des aufenthaltes in der schule selbst beschränken sollte, so wirkt doch eben nicht blosz der äuszere zwang erziehend , mäch- tiger und edler als die furcht vor drohender strafe wirkt das wort nnd das beispiel, die ganze sittliche persönlichkeit der lehrenden auf die lernenden ein. Alle unsere schüler, auch die der obersten classen, stehen nun in rücksicht auf die schwierigeren fragen des lebens auf dem Standpunkt des autoritätsglaubens ; erschüttert wird

^ zur Veröffentlichung dieses in einer abteilungssitzung der fünften Jahresversammlung des sächs. gymnasiallehrervereins zu Chemnitz ge- haltenen Vortrags werde ich durch eine die Wahrheit in wesentlichen punkten entstellende besprechung seitens eines namenlosen in nr. 30 des pädagog. Wochenblattes vom 8 mai d. j. vcranlaszt.

N. Jahrb. f. phil. a. pfid. II abt. 1895 hft. 6 u. 6. 15

218 H. Steoding: classischer Unterricht und religiOsea leben.

dieser erst dann , wenn sich vor ihnen verschiedene autoritäten be - kfixnpfen und sich gegenseitig ihres einflnsses berauben. Dasz die glieder eines lehrercollegiums in disciplinellen fragen einander unter- stützen, gilt als durchaus selbstverständlich, weit wichtiger aber scheint es mir, dasz das gleiche geschieht, wo es sich um die höch- sten fragen des daseins, um die alle Sittlichkeit bedingende religiöse Überzeugung im herzen der schüler handelt, mag es auch bei ein- zelnen stoisch -leidenschaftslosen naturen anders sein oder vielleicht einmal in einer vollkommneren zeit anders werden, wenn wirklich einst das gute an sich zum alles beherschenden lebensprincip ge- worden sein wird , in dem jugendlichen alter unserer gjmnasiasten und in der gegenwart gibt es ohne gottesfurcht und ohne scheu vor zeitlicher oder ewiger strafe keine wirkliche Sittlichkeit, daher gilt es für uns, den seit der kinderzeit im herzen haftenden glauben ihnen nicht nur zu erhalten, sondern ihn gegen alle drohenden angriffe zu schützen; ihn zn vertiefen und zu festigen, wenn es jetzt bei uns in Sachsen auch nicht mehr vorkommt, wie es vor 15 bis 20 jähren hier und da geschah, dasz der naturwissenschaftler dem religions- lehrer direot entgegenarbeitet, so ist doch wohl anderseits kaum ein wirkliches einverständnis über das, was in dieser hinsieht zu ge- schehen hat, irgendwo erzielt worden, eine vollständige Überein- stimmung über alle nebendinge und jede einzelne kirchliche lehre ist selbstverständlich weder zu erstreben noch zu erreichen; nur die grundwahrheiten unseres glaubens müssen dem Schüler durch alle seine lehrer als völlig unantastbar vorgeführt und vor allen von anderer seite gegen sie erhobenen oder zu erhebenden einwänden geschützt werden, so dasz kein abiturient den trugschlüssen und Schein- beweisen der feinde des Christentums ungewaffnet entgegenzutreten gezwungen wird.

Darauf hinzuarbeiten ist natürlich zunächst die pflicht des reli- gionslehrers ; ihm gegenüber fassen aber erfahrungsmäszig manche Schüler der oberclassen, ebenso wie gegen andere geistliche, leicht das Vorurteil , er müsse eben , auch wenn es seine wirkliche Über- zeugung nicht wäre, durch amt und pflicht gezwungen, so reden, wie er spricht; deshalb können die übrigen lehrer, die an sich nicht zur behandlung dieser fragen verpflichtet sind, einen ganz besonders tiefen und nachhaltigen eindruck durch energische aus- spräche ihrer Überzeugung hervorrufen und so die bemühungen des religionslehrers auf das kräftigste unterstützen, aber auch die blosze in wechselnder form gebotene Wiederholung derselben beweise, der- selben Widerlegung solcher dialektischer angriffe, mit denen die grundlagen unseres glaubens erschüttert zu werden pflegen, ist für die Sicherheit des in den künsten der schluszfolgerung noch un- geübten Schülers von beilsamster Wirkung, erst wenn er gezwungen wird , diese gedankenkreise wieder und wieder zu durchdenken , ge- winnt er allmählich selbst mut, kraft und fähigkeit, die scheingründe

H. Steuding: clasBischer Unterricht und religiöses leben. 219

der gegner durch die richtige erwiderung zurückzuweisen und die eigne Überzeugung unerschütterlich zu verteidigen, statt dasz er jene , wie es jetzt infolge eines falschen Schamgefühls leider oft ge- Echiehty weil er dazu nicht im stände ist, trotz inneren widerstrebens als beweiskräftig gelten läszt.

Zunächst wird nun zu bestimmen sein, über welche grundsätze religiösen glaubens eine volle Übereinstimmung erzielt werden musz und kann, wenn ich bedenke, dasz die hauptgefahr, die einem jungen manne sowohl auf der Universität , wie im gesellschaftlichen leben für seinen glauben droht, in der gegenwart lediglich von Seiten der auf ganz einseitiger Überschätzung des Wissens auf- gebauten materialistisch-pessimistischen Weltanschauung ausgeht, so halte ich es für notwendig und hinreichend , ihn gerade vor dieser zu schützen und zu bewahren, ich meine alsO; es werde genügen, folgende drei grundsätze, aus denen sich alle Sittlichkeit und über- haupt alles gute von selbst ableitet, als unveräuszerlichen besitz in geist und herz jedes primaners unauslöschlich einzuprägen:

1) den glauben an die eigne persönliche Unsterb- lichkeit und Selbstverantwortlichkeit.

2) den glauben an gott als allweisen und allmäch- tigen Schöpfer und allgütigen lenker der weit.

3) deshalb auch den glauben an den endlichen sieg des schönen, wahren und guten in der weit.

Da unsere lehrordnung unter anderm für den religionsunter- richt in der unterprima die 'besprecbung der verschiedenen reli- gionen und bekenntnisse' und für oberprima die besprechung *der in der zweiten hälfte des 18n und im 19n Jahrhundert hervorgetretenen kirchenfeindlichen richtungen' vorschreibt, so werden wir uns, wenn wir uns an diese sätze halten, auch in enge ftlhlung mit dem religions- unterricht selbst setzen können.

Wie ich mir nun dieses zusammenwirken denke, will ich an einem ausgeführten und mehreren blosz skizzierten beispielen aus der praxis des mich am nächsten angehenden classischen und deut- schen Unterrichts darzulegen versuchen.

Die günstigste gelegenheit, die aufgestellten sätze eingehend zu behandeln, bietet die lectüre des ersten buches von Ciceros Tus- culanen^ und ich will deshalb dieses zunächst ausführlicher be- sprechen. — Der schriftsteiler bekämpft bekanntlich darin die furcht vor dem tode und geht nach einer einleitenden Unterredung auf die Vorfrage nach dem wesen des todes und der seele ein. ersterer ist nach ihm entweder eine trennung des körpers und der seele oder der Untergang von beiden zusammen, die seele selbst ist nach dem glauben des volkes entweder ein teil des körpers oder ein lufthauch oder feuer^ nach der meinung verschiedener philosophen entweder eine function gewisser körperlicher teile oder eine zahl; was jedoch eigentlich auf dasselbe hinauskommt, da die zahl eben auch nur das Verhältnis der einzelnen stoffteile zu einander bestimmt; andere

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220 H. Steadiog: classischer Unterricht und religiöses leben.

drückten wieder das gleiche noch schärfer so aus, dasz sie behaupteten, die sogenannten seelentbätigkeiten beruhten auf der Wirkung einer dem Stoffe innewohnenden kraft, die aber nur bei einer durch natür- liche bildung hervorgerufenen bestimmten anordnung der stoffteile die lebensthätigkeit veranlassen könnte, wieder andere betrachteten die Seele endlich als ein unbekanntes stoffartiges etwas, das aber von allen irdischen Stoffen durchaus verschieden sei, da sich aus deren eigenschaften die geistigen thätigkeiten nicht erklären lieszen. Cicero selbst entscheidet sich weiterhin aus eben diesem gründe mit Plato für die ansieht, dasz die seele etwas göttliches, der gottbeit wesent- lich gleichartiges sei.

Hier kommt es nun darauf an^ dem schüler klar zu machen, dasz alle modernen ansichten über das wesen der seele bei den alten bereits vorhanden sind; dasz insbesondere auch die als aller- neueste errungenschaft der naturwissenschaftlichen Weltanschauung gepriesene materialistische lehre durchaus keine neue entdeckung ist. auch sie ist, wie die meinung des Dicaearch nichts als eine in der luft schwebende hypothese, die die geistige thätigkeit keines- wegs aus den eigenschaften des Stoffes zu erklären vermag, und wenn die sogenannte psychophysik die thätigkeit der Sinnesorgane und nerven noch so feinsinnig und unwiderleglich auf electrisch- chemischen erscheinungen ähnliche Spannungen und auslösungen zurückführt und den sitz gewisser geistiger thätigkeiten im gehime nachweist, so vermag sie doch nichts über den Werkmeister oder künstler zu sagen, der diesen ganzen mechanismus in geordnete und vernünftige thätigkeit versetzt und nach seinem einheitlichen willen lenkt und leitet, ganz abgesehen davon, dasz sie den erfinder und erbauer dieser künstlichsten von allen maschinen nicht einmal ahnen kann, im folgenden 79 81) führt Cicero selbst die haupt- gründe an, die auch jetzt noch für diese anschauung vorgebracht werden, alles, was einen anfang habe, habe auch ein ende; die seele entstehe bei der zeugung mit dem körper, müsse also auch mit ihm untergehen, aber zunächst ist der obersatz nicht unbedingt zuzu- geben, ist nicht auch ein von einem bestimmten punkt im räume ausgehender strahl eine nur halb begrenzte gerade, die einen an- fang, aber nach der andern richtung hin kein ende hat? indessen kann diese über den ausgangspunkt hinaus fortgesetzt gedacht wer- den, doch was hindert uns, das gleiche bei der seele anzunehmen, so dasz sie etwa wie der eine Schenkel der parabel aus der Unendlich- keit in die endlichkeit herein und wie der andere wieder in jene hinausgeht? Cicero weist im anscblusz an Plato besonders den Untersatz zurück , indem er gleichfalls eine präexistenz der seele be- hauptet, in unsere christliche ausdrucksweise umgesetzt heiszt das aber weiter nichts als: die seele des menschen kommt von der unendlichen gottbeit und kehrt aus diesem end- lichen leben wieder zu ihrer Unendlichkeit und in diese zurück, als beweis für den Untersatz, dasz die seele bei der

H. Steudiog: classischer Unterricht und religiöses leben. 221

Zeugung mit dem körper zusammen entstehe , führte Panaetius die geistige ähnlichkeit zwischen eitern und kindern an , was man jetzt mit dem Darwinschen Schlagwort ^Vererbung' bezeichnet, auszer den zahlreichen diesen satz nicht bestätigenden fllllen von geistiger unähnlichkeit zwischen kindern und eitern hebt hier schon Cicero nach Aristoteles richtig hervor, der scheinbare Zusammenhang der geistigen eigenschaften lasse sich auch sehr wohl durch ähnlichkeit der körperlichen Organe erklären, vermittelst deren der geist des menschen seine thätigkeit äuszert, d. h. vor allem aus der ähnlichen bildung des menschlichen gehimes. ich pflege zur Verdeutlichung den vergleich mit musikinstrumenten anzuführen, wenn zwei ver- schiedene kttnstler dasselbe musikstück auf zwei gleichgestimmten clavieren spielen, klingt das einander viel ähnlicher, als wenn der- selbe künstler ein stück zuerst auf dem clavier und dann etwa auf der Violine oder trompete vorträgt, aus der gröszeren ähnlichkeit der klangwirkung ist also nicht ohne weiteres auf engeren inneren Zusammenhang der künstler zu schlieszen. auf ganz entsprechende weise ist auch der zweite fttr die materialistische ansieht aufgeführte hauptgrund zurückzuweisen: was schmerz emp6nde, könne krank werden, was aber erkranke, werde sicher auch untergehen, die seele empfinde schmerz, müsse also untergehen. Cicero entgegnet dem nur kurz mit bezugnahme auf die von ihm stark veräuszerlichte lehre Piatos über die drei hauptfunctionen der seele, die er geradezu zu drei teilen derselben macht, dasz die vemunft keinen schmerz empfinde, wir müssen dagegen hervorheben, dasz schmerz über- haupt und insbesondere seelischer schmerz keineswegs mit krank- heit gleichzusetzen ist, was ein von Cicero selbst auch an anderer stelle gebotener hin weis auf das zweifellos nicht als seelische krank- beit zu betrachtende mitleid völlig deutlich macht, aber selbst die sogenannten geisteskrankheiten sind für diesen beweis nicht zu ver- wenden, denn gerade in neuerer zeit ist nachgewiesen worden, dasz geisteskranke regelmäszig an misbildungen und erkrankungen des gehirnes leiden. Da nun der geist seine thätigkeit eben nur mit bilfe dieses körperlichen organes äuszern kann, so geht es ihm wie dem künstler, der auf einem verstimmten instrument spielt, mag er auch noch so richtig greifen , es kommt nichts wohlklingendes, nichts vernünftiges zu tage.

Auch mit dem einwand, der gegen den Unsterblichkeitsglauben aus der nach unveränderlichen naturgesetzen sich bildenden ent* Wicklungsreihe und Stufenleiter aller irdischen Organisationen ab- geleitet wird, gehen die modernen materialisten von der anschauung des Dicaearch aus, welcher, wie bereits gesagt, (§21 f.) lehrte, dasz alle lebensthätigkeit auf einer in allen lebenden wesen gleichmäszig veil^ilten und vom stoff selbst untrennbaren macht beruhe, diese in jedem atom wirkende kraft können wir ruhig zugeben , nur be- trachten wir sie als Wirkung und thätigkeit des allgegen- wärtigen gottes, der eben wegen seiner allgegenwart

222 H. Steuding : claBsischer Unterricht und religiöses leben.

auch in jedem atom ununterbrochen anwesend und thatig sein musz. was sind femer die ausnahmslosen und unveränderlichen naturgesetze anderes als die ewigen willensacte gottes, der somit eben durch diese die gesamte entwicklung der weit für alle zeit und ewigkeit gedacht und zu- gleich allmächtig bestimmt hat?

Darnach können wir die ganze natürliche Schöpfungsgeschichte ruhig gelten lassen ; nicht aber ist es der blinde zufall , der durch den kämpf ums dasein und dergleichen unterstützt , die ganze reihe der gestaltungen hervorruft: nein, es ist der im kleinsten wie im grösten unveränderlich und unaufhörlich thätige wille gottes, der die Organisation vom schwingenden ätherteil und atom an durch das molekül zum sich selbstthätig bildenden krjrstall, zur wachsenden pflanze, dem sich frei bewegenden tier und endlich auch zum vernünftig denkenden menschen aufsteigen läszt. wie nun aber trotz dieser entwicklungsreihe ein gewaltiger unter- schied zwischen ätberteil und molekül, zwischen krjrstall und pflanze, zwischen dieser und dem tier, und zwischen den in jedem von ihnen eigentümlich wirkenden kräften besteht, so unzweifelhaft ist er auch zwischen tier und mensch vorhanden, der schein des himmelslichts, selbstbewustsein und Vernunft, und besonders das dem menschen gleichfalls allein gegebene gottesbewustsein trennen diesen vom tier^ heben ihn zum göttlichen geist empor und machen ihn so zum mittelglied zweier weiten, was er mit dem tiere gemein hat, wurzelt in der erde und wird, wie schon Plato lehrt, sich wieder in seine be- standteile auflösen, aber als der höchste irdische Organismus ragt er zugleich in die übersinnliche weit des geistes; aus dem bereich der not wendigkeit in das der freiheit hinein, und dieser teil, dieser ausflusz oder diese form des göttlichen geistes in ihm ist nicht an den irdischen stoff gebunden, wird also auch nicht untergehen, denn wie der göttliche geist in seinem körper, der weit des Stoffes, des raumes und der zeit wirkt, ohne doch auf ihn beschränkt zu sein, so kann auch der menschliche geist, im scharfen unterschied vom tiere, über seinen körper räum- lich und zeitlich hinauswirken, und demnach ist wenigstens dieser teil oder diese seite seines daseins gleichfalls nicht auf den stoff be- schränkt, der mensch aber bildet so als körper- geistiges wesen das mittelglied zwischen dem reiche des Stoffes und dem- jenigen des geistes.

Endlich kommt Cicero 31) auch auf den subjectiven un- sterblichkeitsbeweis und zwar bezeichnet er ihn als maximum argu- mentum, er geht zunächst von dem jedem menschen eingepflanzten oder innewohnenden glauben an Unsterblichkeit aus, ohne freilich den einwand, dasz der wünsch des persönlichen fortlebens die ver- anlassung dieses glaubens sein kann, zu berühren und damuf hin- zuweisen, dasz auch dieser allgemeine wünsch nicht auf dem genusz- streben und der sinnlichen natur des menschen Überhaupt beruhen

H. Steuding: clasaiBcher Unterricht und religiöses leben. 223

kann, da der wünsch und glaube unsterblich zu sein die menschen auch zu solchen zeiten beherscht hat, wo man sich das fortleben nach dem iode als unangenehm und traurig vorstellte. Im folgen- den hebt Cicero dann aber hervor, dasz gerade diejenigen, die als musterbilder der gattung mensch zu betrachten sind, sich am wenig- sten bei ihrem handeln von Selbstsucht bestimmen lassen, darin hat er zweifellos recht: das beste, was überhaupt im menschen ist, die selbstlose liebe zu seinen mitmenschen, kann nicht untergehen, und die liebende hingäbe an gott kann nicht auf einem Irrtum beruhen, hiergegen spricht mächtiger als jeder logische beweis das beseligende, ruhe und frieden gebende all- gewaltige gefühl von Sicherheit für gegen wart und Zukunft, das wir aus dem festen vertrauen auf ein groszes, un er forschliches, über und in der weit, über und in uns selbst waltendes wesen gewinnen.

Mehrfach geht Cicero in dieser schrift auf die frage nach dem zustand der seele nach dem tode ein und weist dabei die aus der behaupteten undenkbarkeit einer solchen existenz gegen den unsterblich keitsglauben entnommenen gründe mit der einfachen frage zurück, ob man sich denn von dem wirken der seele im körper etwa eine klarere Vorstellung machen könne, diese frage ist berech- tigt, doch ist hinzuzufügen; dasz wir menschen eben infolge unseres eignen aus körper und geist gemischten wesens eine klare Vorstel- lung von einem reinen geiste, da dies auszerhalb des gebietes unserer erfahrung fällt, überhaupt nicht zu fassen vermögen.

Wir können uns derselben nur dadurch nähern, dasz wir die Vorstellung unseres eignen wesens von allen beschränk ungen be- freien, die durch unsere körperlich - sinnliche natur begründet sind, dies thut aber auch Cicero bereits , wenn er annimmt , dasz die be- schäftigung der aus dem körper ausgeschiedenen menschlichen seelen in einem durch die un Vollkommenheit unserer Sinnesorgane nicht behinderten anschauen des von gott so wunderbar und herlich ge- ordneten Weltalls bestehe.

Nichts anderes glauben wir, wenn wir in derbetrachtung und dem allmählich fortschreitenden begreifen von gottes herlichkeit einst eine ewige, beseligende thätigkeit zu finden hoffen.

In seinem streben, die furcht vor dem tode zu bekämpfen, nimmt nun aber Cicero 25) ohne weiteres an , dasz mit dem glauben an Unsterblichkeit die Voraussetzung eines zukünftigen seligen zustandes unmittelbar gegeben sei. hier müssen wir auf den gegensatz zur christlichen anschauung entschieden hinweisen und vor einem halt- und grundlosen eudämonismus oder Optimismus warnen, f ü r die begriffe schuld, sünde, reue, busze, erlösung, gnade und Versöhnung im höheren sinne fehlt es der griechischen religion und philosophie noch an einer sichern glaubensgrundlage. eben deshalb gehörtaber die weitere ausführung dieser Vorstellungen, ebenso

224 U. Steuding: clagsiscber Unterricht und religiöses leben.

wie die gesamte Offenbarung, ausschlieszlich in den religionsunterricht. für uns genügt es hervorzuheben, dasz die sittliche forderung der Selbstverantwortlichkeit durch die not- wendig bei gott vorauszusetzende eigenschaft der gerech tigkeit un- mittelbar bedingt ist, wenn er sich in dieser auch mittelst seiner gnade und der erlösung der menschheit durch Chnstus selbst be- schränkt hat.

Dies führt uns nun auf unseren zweiten hauptsatz und auf die zweite in dieser schrift des Cicero behandelte gedankenreihe, auf die sogenannten gottesbeweise.

Hier ist selbstverständlich überall der fehler im Schlüsse auf- zuzeigen, dagegen ist der einzige überzeugende und auch von Cicero gebührend hervorgehobene kosmologische beweis eingehend zu be- handeln und zu dem Schlüsse zu führen, dasz vernünftiges nicht ans unvernünftigem hervorgehen könne, insbesondere musz der einwand zurückgewiesen werden , dasz das vernünftige auch im zufälligen neben allem unvernünftigen mit enthalten, und dasz somit bei der unendlichen dauer der entwicklnng die gegenwärtig in die äugen fallende vernünftige Ordnung der weit nach zahllosen un- vernünftigen gestaltungen doch durch zufall, d. h. Vererbung, an- passung, Zuchtwahl u. dgl. mehr, ohne einen be wüsten und weisen Schöpfer und lenker entstanden sein könne, die absolute unwahr- scheinlichkeit des eintretens dieses günstigsten zufalls pflege ich durch ein beispiel aus der combinatorik , durch den hinweis auf das gewaltige anwachsen der möglichkeiten infolge geringer Vermehrung der verschieden zu gruppierenden permutationselemente , zu ver- deutlichen, bei der unendlichen anzahl der das weitall bilden- den Stoffelemente ist die permutationszahl und damit die unwahr- scheinlichkeit dieses zufalls überhaupt nicht mehr auszudenken. Doch dies möge als ausgeführtes beispiel für die von mir gewünschte art der behandlung der classiker genügen, ich will nun nur noch andeutungsweise einige stellen besprechen, die zu ähnlichen betrach- tungen anlasz bieten.

Auf unseren dritten hauptsatz, den glauben an den end- lichen sieg des schönen, wahren und guten in der wel t, kommen wir z. b. in der dichterlectüre bei erörterung der tragischen katharsis. an einer tragischen person nehmen wir nur in so weit innerlich anteil, als wir uns selbst ihr ähnlich oder verwandt fühlen, d. h. in so weit wir empfinden, wir würden unter gleichen Voraus- setzungen und in gleicher läge ebenso wie sie gehandelt und uns deshalb in die gleiche schuld verstrickt haben, folgt solcher schuld nun die strafe der sittlichen gerech tigkeit, so fühlen wir, dasz eigentlich wir selbst auch dieser strafe verfallen sind ; diese erkenntnis regt uns dazu an, die leidenscbaften und die anschauungsweise, die den beiden und gegebenen falls auch uns selbst zu solchem fehler führen kann , in uns zu bekämpfen und dadurch zu reinigen, dieses uns unbewust in uns herschende gesetz der sittlichen gerechtigkeit

H. Steuding: clasBischer Unterricht und religiösefi leben. 225

wird aber ebenso verletzt, wenn wir eine tragische Persönlichkeit unschuldig leiden und untergehen sehen , da wir uns auch mit ihr unbewust gleichsetzen.

Ich gehe nun von dem gefOhl des 'befriedigt- oder nicht- befriedigtseins', das der schttler selbst nach dem lesen eines dramas empfindet, aus und weise nach oder lasse vielmehr durch die schüler, so weit möglich, nachweisen, worauf diese empfindung im einzelnen falle beruht, woher aber kommt uns diese so ganz uneigennützige freude und befriedigung über den* sieg der sittlichen gerech tigkeit in der weit? es ist die freude über den sieg des in unserem inneren lebenden Sittengesetzes, die nur in diesem falle deshalb zu unein- geschränkterem ausdruck als gewöhnlich im wirklichen leben kommt, weil uns die dramatische begebenheit nicht unmittelbar persönlich angeht, so dasz diese freude hier nicht durch unlust beeinträchtigt wird, die sonst durch den widerstreit des Sittengesetzes gegen unsere eignen neigungen in uns zugleich erregt wird, eben wegendieses gegensatzes zu unseren neigungen kann nun das sitten- gesetz nicht auf unserer sinnlichen natur beruhen, es ist also eine Wirkung des in uns selbst thätigen gött- lichen geistes. Wir freuen uns demnach über die im drama vorgeführte handlung , weil hier das schöne , wahre und gute seinen gegensatz überwindet, wie es auch in der Wirklichkeit nach dieser Weltanschauung einst zum siege kommen musz. diese anschauung ist idealismus. erin idealist, der in der weit erfolg hat, der überall anerkennung und liebe findet, wie z. b. Qpethe und sein Egmont, wird zum Optimisten, wie eben diese beiden; ein idealist aber, der durch mangel an erfolg in gegensatz zur weit gerät, wird zum Pessimisten, er verzweifelt an der weit und der eignen kraft, flieht aus jener und zieht sich in sich selbst zurück, wie Goethes Werther. Egmont wie Werther gehen nun freilich durch ihren idealismus zu gründe, aber dennoch ist der behauptung, dasz die weit im ganzen immer schlechter werde, auch bei dieser gelegenheit entgegen- zutreten; denn wenn auch im einzelnen in der gegenwart viel schlimmes geschieht, so ist doch zweifellos das sittliche be- wustsein der gesamtheit, wie es sich in gesetz und recht und in der allgemeinen Verurteilung und Verachtung des schlechten äuszert, jetzt ein viel höheres und vollkommeneres, als es zu irgend einer früheren zeit gewesen ist. das ist also ein thatsäcb lieber be- weis von der richtigkeit dieser ganzen Weltanschauung, die auf der Überzeugung von der leitung des Weitfortschritts durch eine weise, gütige und gerechte gottheit beruht.

Freilich dürfen wir dabei nicht vergessen, dasz in unserer be- schränkten menschlichkeit jeder fortschritt auch mit seinem gegen- satz belastet ist, und somit nicht aus jedem mangel unserer zeit etwa auf einen wirklichen rückschritt geschlossen werden musz. ein auf seinem beschränkten gebiet wahrer gedanke wird verallgemeinert und bis auf die letzten folgerungen durchgebildet, dadurch gewinnt

226 H. Steading : classischer Unterricht und religiöseB leben.

der ihm inne wohnende irrtum an bedeutung, bis endlich die klare erkenntnis desselben den gegensatz hervorruft, der dann aber auch selbst wieder über das rechte ziel hinausgeht, die ideen der freiheit und gleichbeit, deren übertriebene folgen uns jetzt ringsum be- drohen , liegen als beispiele zur verdeatliefaang nahe zur band, erst nachdem sich auch der gegensatz wieder ausgelebt hat, erfolgt der ausgleicht die Synthese, die dann den wahren fortschrittsgewinn herausstellt und dadurch zu einer sicheren grundlage neuer und weiterer entwicklung wird, sa bildet die gesamte mensch- liche cultur eine allmählich aufsteigende Wellenlinie, bei der die culturhöhepunkte sich immer mehr erheben, und die auf sie regelmäszig folgenden Senkungen sich immer weniger tief hin ab neigen.

Auf fragen des allertiefsten religiösen interesses, die mit unseren leitsätzen in engstem Zusammenhang stehen, führt uns unter vielem andern endlich die besprechung der letzten werke Goethes, ich meine die Wahlverwandtschaften' und den zweiten teil des Faust.

Den titel ^Wahlverwandtschaften' hat Ooethe bekanntlich den technischen ausdrücken der chemie entlehnt, die damit die eigen- tümliche erscheinung bezeichnet, dasz gewisse mit einander ver- bundene Stoffe diese ihre frühere Verbindung aufgeben , sobald sie mit gewissen andern Stoffen in berührung kommen, zu denen sie eine gröszere neigung haben, zur darlegung dieses naturvorgangs müssen wir uns bereits des in diesem sinne dem geistigen leben entlehnten begriffs 'neigung' bedienen, was ist das aber überhaupt für eine besondere naturkraft, die den einen stoffteil zu jedem be- liebigen andern hinzieht als allgemeine anziehungskraft, und einzelne wieder mit stärkerer macht zu gewissen andern verschiedener art in dieser chemischen Wahlverwandtschaft, oder zu solchen gleicher art bei der bildung von krjstallen? ich habe vorhin schon naturgesetz als einen willensact gottes erklärt, bietet uns da nicht auch die in allen dingen der weit wirkende kraft gottes die natür- lichste lösung dieses rätseis? dieselbe kraft äaszert sich in ge- steigertem masze im Wachstum der pflanzen, im leben der tiere und im denkenden sei bstbe wustsein des menschen, das diesen selbst von der gesamten natur scheidet und der gottheit annähert, wie aber in unserer seele Vorstellungen und gedanken unauslöschlich erhalten bleiben und sich immer wieder mit einander verknüpfen , wenn sie einander verwandt sind oder einmal in inniger beziehung zu einander gestanden haben, so mögen auch die seelen der im leben mit einander vereinigten menschen in dem göttlichen geiste als wirklich gewor-

' selbstverständlich sind die Wahlverwandtschaften den Schülern nicht zur lectüre zu empfehlen, sondern nur ihrem Inhalte nach durch erzählung vorzuführen, zu bemerkungen ganz ähnlicher art bietet auch die besprechung von Kleists Käthchen von Heilbronn oder die der romantiker überhaupt veranlassung. der zweite teil des Faust ist natürlich nur mit auswahl zu lesen.

H. Steuding: classischer Unterricht und religiöses leben. 227

^ene vorstelluDgen oder gedanken gottes mit einander verbunden und g^enseitig auf sich einwirkend ewig fortdauern und thätig sein, dasz sie sich dabei infolge der ausgleichenden gerechtigkeit gottes in einem mehr oder weniger seligen oder unseligen zustande befinden, müssen wir notwendig annehmen! von diesem Stand- punkt aus würde sich also der g^gensatz von be wustloser natu r, mensch und gott so gestalten,- dasz in ersterer der stoff den geist überwiegt, beim menschen das ▼erhftltnis sich zu gunsten des letzteren umkehrt, und bei gott der geist absolut über den stoff herscht. das reich des Stoffes erscheint uns somit als das des be wustlosen zwanges, das des geistes als bewustsein und freiheit. nur wir menschen aber können bewust gründe gegen einander abwägen und der chemischen Wahl- verwandtschaft ähnlich wirkende triebe und leidenschaften in uns bekämpfen oder ihnen ihren lauf lassen und insofern in mensch- lichem sinne frei handeln, wer ohne Überlegung stets unmittelbar das allein gute und 'richtige erkennt und keine sinnlichen triebe zu unterdrücken hat, dem fehlt infolge seiner eignen Vollkommenheit die freiheit des irrens; denken in menschlichem sinne kann somit gott nicht, bei ihm ist denken gleich wissen, und dieses wieder mit dem richtig, d. h. schön, wahr, gut handeln eines und dasselbe; er ist frei von jeder beschränkung auszer dieser, die er sich selbst auf- legt, er ist nicht in menschlichem sinne denkendes subject,* noch gedachtes object, da ja nichts denkendes auszer ihm existiert, son- decn der persönliche urgrund von beiden und damit in seinem vollen wesen für uns menschen ewig unbegreiflich.

Aus dem allen erklärt sich nun nicht blosz die vom Christentum aufgestellte forderung der allgemeinen menschonliebe, da wir eben alle den gleichen göttlichen geist in uns fühlen, es erklärt sich daraus auch das gerade mit der fortschreitenden cultur sich immer freier äuszemde mitgefühl mit der bewustlosen natur, der tier- und pflanzen- weit, die empfindung, welche den edlen menschen abhält, einem jungen bäum die kröne auszubrechen, beruht auf der liebe, mit der wir alles, was von gottes geist belebt und uns somit verwandt ist, innig umfassen.

Diesen Zusammenhang zwischen mensch und menschen, sowie zwischen mensch und natur verwendet Goethe in seinem roman als gi*undmotiv. Eduard und Charlotte sind mit einander verbunden und zufrieden , bis sich ihnen die wähl verwandteren naturen Ottilie und der hauptmann nähern, da löst sich die frühere Verbindung, und die neue bildet sich, diesen Vorgang stellt Goethe so dar, als ob er mit der einer naturgewalt ähnlichen notwendigkeit eintreten müste, trotzdem ihn sein eignes beispiel vom gegenteil hätte überzeugen müssen, damit verlegt er aber die ganze handlung aus dem reiche der bewusten menschlichen freiheit in das des bewustlosen zwanges. dasz wir menschen solchem nicht unterworfen sind , empfinden wir, und so erklärt sich das gefUhl der unlust, des Unbehagens, das uns der ganze roman einflöszt.

228 Q. Steuding: classischer Unterricht und religiöses leben.

Viel reiner und «dler hat Goethe diesen auf der alles umfassen- den liebe ruhenden geist des Christentums der gesinnung und der that in seiner Iphigenie zum ausdruck gebracht, wie Jesus Christus, ganz abgesehen von seiner göttlichen natur, schon als reiner und edler mensch ein Werkzeug gottes ist, von dem eine belehrende und erlösende Wirkung auf die irrende und sündige menschheit übergeht, so mildert und veredelt Iphigenie reinen herzens die rohen sitten der barbarcn , heilt und tröstet das in wahnsinniger reue verzweifelnde gomüt ihres bruders^ versöhnt die von wildem zorn und trotz er- flammten herzen der männer und entsühnt so ihr geschlecht von dem ererbten, durch sünde veranlaszten und immerfort^ünde zeugen- den fluche.'

Am tiefsten aber ist dieses durch gesinnung und that wirkende Christentum von Goethe in seinem Faust erfaszt. hier schildert er, wie der hochstrebende mensch infolge einseitiger und fehlerhafter Überschätzung des bloszen wissens die ihm durch sein körpergeistiges wesen gesteckten grenzen zu überschreiten versucht, bis ihm bei diesem Ikarosfluge die schwingen versagen und er, an der göttlichen Seite seines daseins verzweifelnd, in die Sinnlichkeit und sünde herab- sinkt (wette mit Mephiätopbeles). Sein besseres, ewig vorwärts- strebendes, göttliches selbst hebt ihn aber aus dieser wieder empor, zunächst in das reich der sinnlicji-geistigen* Schönheit (Helena) und dann' in die weit der sittlichen , selbstlos thätigen und aus reiner liebe zur menschheit schaffenden Wirklichkeit, indem er hier mensch- lich in thätiger liebe immer strebend sich bemüht, macht er sich durch die sittliche that und zugleich durch reue und busze endlich reif zum eingehen in das reich des guten, der ewigen Seligkeit, hineingelangen aber kann er nur durch die göttliche gnade, die ver- gebende liebe, die auch als Mas ewig weibliche' bezeichnet wird^ weil die liebe die wesentlichste eigenachaft des weibes ist. im bilde Gretchens und der Jungfrau Maria verzeiht ihm jene den ungesühnten rest irdischer schuld und führt das, was nicht irdisch, sondern gött- lich und ewig an ihm ist, wieder zu gott empor.

^So löst sich die Faustidee, die die ganze strebende menschheit durchdringende idee, welche in sich keine lösung finden kann, auf in der christlichen, der göttlichen idee, wie das wesen des menschen nach dieser lebensanscbauung zuletzt eben auch wirklich aufgeht und fortdauert im wesen gottes; der inhalt des Faustdramas ist aber somit ein bild des weges, den der menschen- geist durch irrtum und sünde hindurch zu gott gehen musz.* Trotzdem ist auch hier hervorzuheben, dasz Goethe ebenso wenig wie sein vorbild, das classische altertum, die eigentlich christliche erfahrung mit ihrem beängstigen-

^ vgl. O. Pflciderer, gescbichte der religionspbilosopbie^ 8. 252.

^ aus meinem aufsatz: Goethes Faust, ein bild moderner christlich- germanischer erziehnng und entwicklung; in der Zeitschrift für den deutschen Unterricht. 3r Jahrgang, ergänzungsheft s. 65.

H. Steudiug: elastischer Unterricht und religiöses leben. 239

den gefdhle von sünde und schuld, sowie die beseligende, frieden gebende gewisheit der auf reue und busze ruhen- den erlOsung durch Christus kennt und sie deshalb auch in seinen dichtungen nirgends zum ausdruck bringen kann.

Ich bitte zu entschuldigen, dasz ich hfer nur einzelne beispiele, die solche äuszerungen religiöser Überzeugung hervorrufen können, willkürlich herausgegriffen habe, wie sie mir zufällig mein eigner Unterricht während der letzten monate dargeboten hat. ganz ebenso gute gelegenheit findet sich dazu bei der darlegung der entstehung eines mjthos, bei der einführung in die griechische philosophie, bei der lectüre einer jeden schrift Piatos ^ bei erklärung einzelner aus- sprüche antiker und moderner dichter, bei behandlung Luthers, Klopstocks, Lessings, Herders, Schillers, wie bei besprechung der Sturm- und drangperiode oder der romantiker. selbstverständlich ist aber auch hierin das rechte masz zu halten; nur wenn der Unterricht selbst gerade lehrer und schüler auf einen liöhepunkt der erbauung führt, dann spreche derlehrer 80 aus vollem herzen; dann erst kann er sicher sein, dasz es auch wieder zu herzen geht, und er sich selbst so die liebe seiner jungen freunde gewinnt, die form wird dabei freilich, der fassungskraft seiner zuhörer entsprechend, vielfach eine ein- fachere und ausführlichere sein müssen, als ich sie hier der mir gewährten beschränkten zeit wegen gewählt habe.

Wenn ich nun noch einmal überschaue^ was bisher dargelegt ist, so ergeben sich mir folgende forderungen:

Wie man bei jedem Ichrfache mit seinen collegen in meinungs- austausch treten und zu einer Übereinstimmung gelangen musz , so suche auch in religiöser hinsieht jeder in den oberen classen unter- richtende lehrer mit dem religionslehrer zunächst fühlung zu ge- winnen, bei passender gelegenheit, die alle Unterrichtszweige bieten, gebe dann derjenige, der selbst zu einer ihn befriedigen- den christlichen Weltanschauung gekommen ist, seinen Schülern eine rückhaltlose darlegung der eignen Überzeugung in rücksicht auf die höchsten fragen des lebens; zugleich bekämpfe er die lehren der materialistischen philosophie mit ihren eignen Waffen, er raube so ihren scheingründen den reiz der neuheit und befähige den schüler, ihre nichtigkeit zu begreifen und selbst zu erweisen, vor allem aber wirke er durch sein eignes beispiel, durch die autorität seiner ehrlichen Überzeugung. Wer dagegen selbst eine solche christliche Welt- anschauung noch nicht wieder errungen hat, der enthalte sich in unserem christlichen Staate, an einer christlichen schule jeder reli- giösen einwirkung auf seine noch nicht selbständig prüfenden und urteilenden schüler!

WuBZEN. H. Stbüdino.

230 Rieder: concentration beim übersetzen.

21.

DIE BERÜCKSICHTIGUNG DER CONCENTRATION BEIM ÜBERSETZEN AUS DEN FREMDEN SPRACHEN IN DIE

MUTTERSPRACHE.

Wenn in der neuern pädagogik nicht mit unrecht immer wieder und wieder auf concentration des unterrichte gedrungen wird^ so musz dieser grundsatz auch beim übersetzen aus den fremden sprachen in die muttersprache berücksichtigt, d. h. es musz durch angäbe ge- eigneter parallelstellen aus den erzeugnissen anderer litteraturen, im besondern der nationalen, das Verständnis des fremdsprachlichen Stoffes unterstützt und gefordert werden.

Die übrigens allgemein anerkannte, wenn auch nicht allgemein berücksichtigte zweckmäszigkeit dieses Verfahrens springt am meisten in die äugen, wo es sich um die Übertragung von stellen aus dichter- werken handelt ; doch gilt die eben gestellte forderung natürlich für alle derartigen Übungen, oder, fragt Brosin mit recht, sollte es noch nötig sein, daran zu erinnern, wie gerade die heranziehung solcher form- oder sinnverwandten stellen aus den erzeugnissen anderer litteraturen wesentlich dazu beiträgt, das auf den ersten blick vielleicht fremdartig anmutende durch den nachweis gleichen gebrau ches im munde besonders heimischer oder wenigstens moderner muster dem Verständnis näher zu bringen und gleichsam seiner fremd- artigkeit zu entkleiden, oder wie oft ähnliche oder übereinstimmende Situationen überraschende strahlen aufeinander werfen, oder end- lich wie willkommen es sein musz, wenn der nachbildende dichter blosze andeutungen des Originals erläuternd ausführt oder den reichen gehalt eines kurzen satzes entwickelt?

Wenn man ferner erwägt, worauf Brosin gleichfalls aufmerk- sam macht, dasz häufig der poetische zunftgenosse vermöge seines divinatorischen blickes die richtige deutung gibt, wo gelehrte aus- leger vielleicht von jeher geschwankt haben oder auf falscher fährte gegangen sind, endlich wenn man bedenkt, dasz sich aus der berück- sichtigung solcher parallelstellen auch insofern gewinn ziehen läszt, als auf diesem wege so manche aufschlüsse über unterschied und Übereinstimmung antiker und moderner anscbauung, auffassung, empfindung und kunstweise gewonnen werden, so liegt der überaus grosze nutzen, den dieses verfahren bietet, klar auf der band.

Im folgenden will ich nun einige solcher parallelen, wie sie sich mir beim Unterricht ergeben haben und wie ich sie natürlich mit auswahl meinen schülern gelegentlich mitzuteilen pflege, anführen, ohne aber dabei auf streng systematisches verfahren, ausführlichkeit oder Originalität anspruch zu erheben.

Und zwar fange ich mit stellen aus lateinischen und grie- chischen dichtem an, gehe dann zu einzelnen Sätzen mit

Rieder: concentration beim übersetzeD. 231

sentenziösen aussprttchen über, soweit sie in werken der prosaiker oder in der tradition erbalten sind, und scbliesze mit der anfübrnng gröszererpartien aas werken der poesie und prosa.

Beatas ille, qui procal negotiis paterna rara bobas exercet suis.

Hör. epod. II 2, 4.

Selige musz ich ihn preisen, der in der stille der ländlichen Aar, fern von des lebens verworrenen kreisen, kindlich liegt an der brüst der natur.

Schiller, braut von Messina lY 7.

Integer vitae scelerisque purus.

Hör. od. I 22, 1.

Wohl dem, der frei von schuld und fehle bewahrt die kindlich reine seele!

Schiller, die kraniche des Ibycus.

Diffugere nives, redeunt iam gramiua campis arboribusque comae.

Hör. od. IV 7, 1.

Der mal ist gekommen, die bäume schlagen aus.

Geibel, Wanderlust

Principibus placuisse viris non ultima laus est.

Hör. ep. I 17, 35.

Denn wer den besten seiner zeit genug gethan, der hat gelebt für alle zelten.

Schiller, prolog zu Wallenstein.

Dignum laude virum Musa vetat mori: caelo Musa beat.

Hör. od. IV 8, 28.

Des beiden name ist in erz und marmorstein

80 wohl nicht aufbewahrt als in des dicbters liede.

vgl.

und

Non incisa notis marmora publicis, per quae spiritns et vita redit bonis

post mortem ducibus

clarius indicant

laudes quam Calabrae Pierides.

Hör. od. IV 8, 13.

Wer flicht die unbedeutend grünen blätter zum ehrenkranz Verdiensten jeder art? wer sichert den Olymp, vereinet götter? des menschen kraft, im dichter offenbart.

Goethe, Faust, Vorspiel auf dem theater.

Musis amicus tristitiam et metus

tradam protcrvis in mare Creticum

portare ventis. Hör. od. I 26.

Hier kann nit sein ein böser mut,

wo da singen gesellen gut. hie bleibt kein zorn , zank, hasz und neid,

weichen musz alles herzeleid. Luther.

232 Rieder: concentration beim übersetzen.

Es schwinden jedes kammers falten, so lang des liedes zauber walten.

Schiller, die macht des gesanges.

Scandit aeratas vitiosa naves cnra nee tarmas eqaitnm relinqnit ocior cervis et agente nimbos ocior Enro.

Hör. od. II 16, 21.

Um das rosz des reiters schweben, nm das schiff die sorgen her.

Schiller, siegesfest, vgl.

Sed timor et minae scandunt .eodem , quo dominus neque decedit aerata triremi et post equitem sedet atra cnra.

Hör. od. III 1, 37.

Hie murus aenens esto, nil conscire sibi, nulla pallescere culpa.

Hör. ep. I 1, 60.

Ein gut gewissen ist ein sanftes ruhekissen. vgl. Magnum est praesidium innocentia. Senec. controv. 7, 1.

Me gelidum nemus Njmpharumque leves cum Satyris chori secernunt populo.

Hör. od. I 1, 32.

Im hain, wo frühlingsblüten regnen, da bin ich gern mit mir allein; da fühl* ich eines geists begegnen, der unerkannt will bei mir sein. Tieck.

vgl.

Die einsamkeit ist des dichters braut. Kinkel.

Scriptorum chorus omnis amat nemus et fugit urbes.

Hör. ep. II 2, 77.

Virtutem incolumem odimus, sublatam ex oculis qnaerimus invidi.

Hör. od. III 24, 31.

Wenn unsre Deutschen einen mann erst loben, dann weilt er sicher schon im himmel oben.

Martin Greif, gedichtet 396.

vgl. Hör. od. II 20» 4. epist. II 1, 12. Ovid am. I 16, 39. Prop. IV 1, 21. Tac. Agr. in., dial. de or. 18 med. und besonders Thuk. II 46 t6v oOk ÖVTa ÖTrac ctuiOcv ^Traivctv . . . q>66voc t^P toIc Kbci irpöc dvTi- TuaXov, t6 bt ßi] initob\hy dvavTaTU)v(cT4i cövoiqi T€T{|LiTjTai, und ähn- lich Goethe, Wahlverwandtschaften 2r teil Is cap. a. e.

Dulce et decorum est pro patria mori.

Hör. od. III 2, 13.

TcGvdiLicvai fäp xaXöv ^vl irpo|Lidxoici TrccövTa dvöp' dyaeöv, irepl ij TrarpCöi )Liapvd|Li€vov.

Tyrtaios.

Ich wüste keinen schönern tod, als den färs Vaterland. Gleim.

vgl.

Rieder: concentration beim übersetzen. 233

Wer mutig für sein Vaterland gefallen,

der baut sich selbst ein ewig monument

im treuen herzen seiner landesbrüder

und dies gebäude stürzt kein Sturmwind nieder.

Körner, Zriny V 2.

Pulchrumque mori succnrrit in armis.

Verg. Aen. II 817.

Will mit dem Vaterland das Schicksal enden, so stirbt sichs schön die waffen in den bänden.

Schiller, die Zerstörung von Troia 66.

Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci.

Hör. epist. II 3, 348.

Wer zum guten das schöne fügt,

in der wage der menschen am gewichtigsten wiegt.

Schiller.

Wirke gutes, du nährst der menschheit göttliche pflanze, bilde schönes, du streust keime der göttlichen aus.

Schiller, zweierlei Wirkungsarten.

Naturam expellas fnrca, tamen usqne recurret.

Hör. epist. I 10, 24.

Der frosch hüpft wieder in den pfuhl, und säss* er auch auf goldnem stuhl.

Non satis est pulchra esse poemata: dulcia sunto et, quocunque volunt, animum auditoris agnnto. nt ridentibus adrident, ita flentibus adsont humani voltus.

Hör. epist II 3, 99 ff.

Wie mit dem Stab des götterboten

beherscht er das bewegte herz.

er taucht es in das reich der toten,

er hebt es staunend himmelwärts

und wiegt es zwischen ernst und spiele

auf schwanker leiter der gefühle.

Schiller, die macht des gesanges str. 2.

Transvolat in medio posita et fugientia captat.

Hör. sat. I 2, 108.

Willst du immer weiter schweifen? sieh, das gute liegt so nah.

Goethe, erinnerung.

Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi flnem di dederint. nt melius, quidquid erit, patil . . . carpe diem.

Hör. od. I 11, 1.

Freut euch des lebens,

Weil noch das lämpchen glüht;

pflücket die rose,

eh sie verblüht.

Usteri, gesellschaftslied str. 1.

Vivitur parvo bene. Hör. carm. II 16, 13.

Vieles wünscht sich der mensch, und doch bedarf er nur wenig.

Qoethe, Hermann und Dorothea 5, 13. N. Jahrb. f. phil. o. pftd. U. abt. 1895 hft. 6 a. 6. 16

234 Uieder: concentration beim übersetzen.

Labantar anni.

Hor. od. II U. 2.

Die jähre fliehen pfeilgeschwinfl.

Schiller, Glocke.

Quid Sit futarum cras, fuge qnaerere.

Hor. od. 19, 13.

Darum sorget nicht für den andern morgen.

Matth. 6, 34.

Prudens futuri temporis eiitum caliginosa nocte premit deus.

Hor. od. III 29, 29.

Nur der irrtum ist das leben, und das wissen ist der tod.

Schiller, Kassandra.

Nur dämmerung ist unser blick, nur dämmerung ist unser glück.

Herder, die diimmeruug.

Excitat auditor Studium laudataque virtus crescit et immensum gloria calcar habet.

Ov. ex Pont. IV 2, 86. und ähnlich an einer andern stelle:

Denique non parvas animo dat gloria vires.

Von des Icbens gutem allen ist der rühm das höchste doch, wenn der leib in staub zerfallen, lebt der grosze name noch.

Schiller, siegesfest.

Reizvoll klinget des ruhms lockender silberton in das schlagende herz, und die Unsterblichkeit is^ ein hoher gedanke, ist des schweiszes der edlen wert.

Klopstock, der Zürchcrsee str. 13. dagegen singt Gryphius:

Der rühm, nach dem wir trachten,

den wir unsterblich achten,

ist nur ein eitler wahu.

ist unser leib erblichen,

der geist von uns gewichen,

vcrgiszt man bald, was wir gethan.

Carmina proveniunt animo deducta sereno.

Ov. trist. I 1, 39.

Böse menschen haben keine lieder.

nach Seume, dio gesänge.

Firma valent per se nullumque Maehaona quaerunt.

Ov. ex Pont. III 4, 6.

Die gesunden bedürfen des arztcs nicht, wohl aber die kranken.

Luc. 5, 31.

Fallitur augurio spes bona saepe suo.

Ov. hor. XVI 234.

Hoffen und harren macht manchen zum narren.

Bieder: concentration beim übersetzen. 235

Est in secessa longo locus: insnla portum ef6cit obiectu latemm, quibas omnls ab alto frungitnr inque sinus scindit sese unda rednctos. biuc atque hinc vastae rnpes, geminiqne minantar in caelum scopuli, quorum sub vertice late aeqnora tata silent: tum silvis scaena coruscis desuper borrentiqae atrum nemns imminet umbra; fronte snb adversa scopolis pendentibns antrnm , intos aquae dnlces viToque sedilia saxo, Nympharam domus. Uic fessas non yincula navis alla tenent, anco non adligut ancora morsn. ^

Aen. I 159 ff. vgl. Tasso, befreites Jerasalem XV 42. 43:

Den hafen macht ein felsen, so gestellt, dasz er die stirn ihm nnd den meereswogen den rücken zeigt und sie rückstöszt und spellt. ein fcisenpaar, wohl türmen zu vergleichen, ragt hier und dort, den schiffenden zum zeichen, darunter hört man nie das meer sich regen, indes ein schwarzer wald darüber ruht, und eine grott* ist mitten drin gelegen, durch epheu hold und kühl* und süsze flut. vor anker braucht sich hier kein schiff zu legen, noch branchts ein tan zu seiner sichern hut.

Talia voce refert curisque ingentibus aeger spem voltu simnlat, premit altum corde dolorem.

Aen. 1 208 f. vgl. Tasso V 92:

So sprechend tröstet er die bangen seelen mit frohem blick und heiterm angesicht und drückt die tausend sorgen, die ihn quHlen, ins tiefste herz zurück.

Qnis genus Aeneadum, quis Troiae ncsciat urbem virtutesque virosque aut tanti incendia belli? non obtunsa adeo gestamus pectora Poeni, non tam aversus equos Tjria Sol iungit ab urbe.

Aen. I 565 ff. vgl. Tasso II 47:

Er spricht darauf: welch land ist, das so weit von Asien nnd der bahn der sonne liege, dasz nicht der rühm von deiner tapferkeit, glorreiche beiden Jungfrau, es erstiege?

und Camoens II 111:

Wen gibt es denn, der durch den ruf nicht kennt,

der Portugiesen wunderbare thaten?

es irrt von uns so weit nicht ab der strahl

der klaren sonne, dasz du glauben müstest,

die Meliodaner sei*n so rohen sinnes,

dasz sie nicht grosze that zu schätzen wüsten.

* die zahlreichen anklänge an Vergil bei Schiller übergehe ich, da diese bereits von Oökar Brosin, dessen Vergilausgabe übrigens auch in dieser beziehung eine reiche fundgrube ist, zum gegenständ einer ebeuHo erschöpfenden wie scharfsinnigen erörternng gemacht sind (archiv für litteraturge schichte herausgegeben von 8cbnorr von Carolsfeld VIII bd. 48 hft. 1879).

16*

236 Kieder: conoentration beim übersetzen.

Vix ea fatas erat, cum circtimfasa repente scindit se nahes et in aethera pnrgat apertam. restitit Aeneas olaraqae in Ince refulsit OS umerosque deo simills.

Aen. I 686 ff. ▼gl. Tasso X 49:

Kanm spricht er*8, nnd die wölk* ist aufgeschlossen,

die sie verschlossen hielt in sicherer hat,

und ist sogleich in freier laft zerflossen,

ihn aber sieht in heller tagesglat

man in der mitte hehr und glänzend stehen.

Polas dum sidera pascet. Aen. I 608.

Auch ansere dichter vergleichen die sterne mit einer auf die weide ziehenden herde. so Hoffmann von Fallersleben:

Wer hat die schönsten Schäfchen? die hat der goldne mond.*

Non ig^ara mali miseris succurrere disco.

Dido bei Yerg. Aen. I 630.

vgl. Ghamisso im ^zweiten lied von der waschfrau*:

So lang sie rüstig noch am waschtrog stand, war für den dürftigen offen ihre band; da mochte sie nicht rechnen und nicht sparen, sie dachte blosz: ich weisz, wie banger thut.

Aliqaod nomenque decusque gessimus. Aen. II 89.

und ich erwarb bei allem volk mir goldne meinung. die will getragen sein im neusten glänz, nicht hastig abgelegt.

Shakespeare, Macbeth 17.

Superis concessit ab oris. Aen. II 91.

Zu neuen ufern lockt ein neuer tag.

Goethe, Faust I 2 monolog.

Titam trahebam. Aen. II 92.

Schleppt' ich meine langen tage.

Goethe, Schatzgräber.

Vos, aeterni ignes, et non yiolabile yestrum

testor numen. Aen. II 164.

Bezeugtes, ihr ewig glühenden lichter dort.

Shakespeare, Othello III 3.

So schwör* ich droben bei den ew*gen Sternen.

Schiller, Teil II 2.

Tacitae per amica silentia lunae. Aen. II 266.

Nur Hesper, der verschwiegene, allein darf, still herblickend, ihr vertrauter sein.

Schiller, erwartung.

' diese worte: ^polus dum sidera pascit' könnten auch leicht das thema zu Schillers rätsei vom monde und den Sternen geliefert haben.

Rieder: concentration beim übersetzen. 237

Willkommen, o silberner mond, schöner, stiller gefäbrt* der nacht.

Klopstock, die frühen gräber.

Yenit summa dies et inelnctabile tempns

Dardaniae. fnimus Troes, fnit Ilium. Aen. II 324.

Weh, weh, ruft Aladin, dasz durch Barbaren von gmnd ans diese stadt zusammenbricht! mein leben, unsre herschaft, ach sie waren; ich lebt' und herschte lebe, hersche nicht! wir waren! unvermeidbar naht uns allen der letzte tag und augenblick! wir fallen!

Tasso XIX 40.

Angusta viarum. Aen. II 332.

Aus der strasze quetschender enge. Goethe, Faust I.

Improvisum aspris veluti qui sentibns anguem pressit huml nitens trepidusque repente refugit attollentem iras et caerula colla tumentem.

Aen. II 379 ff. vgl. Ariosto XXXIX 32:

Wie einem mann, der nnvorsichtig hart

den fuBz gesetst auf eine gift'ge schlänge,

die zwischen gras vom schlaf befallen ward,

und der erschreckt und blasz, durch schnelles fliehen

dem zornigen tiere sucht sich zu entziehen.

Qualis ubi in lucem coluber mala gramina pastus, frigida sub terra tumidam quem bruma tegebat, nunc positis novus exuviis nitidusque iuventa lubrica convolvit sublato pectore terga Arduus ad solem et Unguis micat ore trisulcis.

Aen. II 471 ff. vgl. Ariosto XYII 11:

Der könig von Algier steht am portale,

den hellen waffenglanz am haupt und brüst;

der schlänge gleichend, die aus düsterm thale

hervorgeht, rein von jedem alten wüst,

und stolz sich freut am neuen schuppenstrahle,

sich frischer jugend, hührer kraft bewust.

drei zungen schnellt sie und ihr aug* ist feuer,

und jedes tier weicht aus dem ungeheuer.

Obstipui steteruntque comae et vox faucibus haesit.

Aen. II 774. vgl. Shakespeare, Hamlet I 5:

War' mir's nicht untersagt, das innre meines kerkers zu enthüllen, so hüb' ich eine künde an, von der das kleinste wort die seele dir zermalmte, dein junges blut erstarrte, deine äugen wie Stern* aus ihren kreisen schieszen machte, dir die verwormen krausen locken trennte und sträubte jedes einzige haar empor, wie nadeln an dem borst'gen Stacheltier.

Italiam. Itallam primus conclamat Achates,

Italiam laeto socii clamore salutant. Aen. III 623.

238 Rieder: concentration beim Übersetzen.

vgl. und Und!

land, rief es und donnert* es 'land!'

Luise Brachmann, Columbus.

Est moliis flanima medullas. Aen. IV 66.

vgl. Qoethe, Götz von Berlichingen 5r act:

Ich bin so krank, so schwach, alle meine gebeine sind hohl, ein elendes fieber hat das mark ausgefressen.

Et primum pedibus talaria nectit aurea, quae sublimem alis sive aeqnora supra seu terrnm rapido pariter cum flamine portant. tum virgam capit; hac animas ille evoeat Orco, pallentes alias sub Tartara tristia mittit, dat somnos adimitque et lumina morte resignat.

Aen. IV 239 ff. vgl. Gamoens II 57:

Schon schwebte der Cjllenier durch die luft

mit seinen flügelschuh*n zur erde nieder.

die rechte hielt den schicksalsvollen stab,

womit er müden äugen schlaf verleiht;

mit ihm auch ruft zurück die traur*gen seeleu

er aus der unterweit; der wind gehorcht ihm:

es deckt das haupt ihm der gewohnte heim.

Vocemque his auribus hausi. Aen. IV 359.

vgl. Goethe, Iphigenie II 1:

Es klingt so schön, was unsre väter thnten,

wenn es, im stillen abendschatlen ruhend,

der Jüngling mit dem ton der harfe schlürft.

Ncc tibi diva parens generis nee Dardanus auctor,

perfide, sed duris genuit te cautibus horrens

Caucasus Hyrcanaeque admorunt ubera tigres.

nam quid dissimulo aut quae rae ad roaiora reservo?

num fletu ingemuit nostro? num lumina flexit?

num lacrinias victus dedit aut miseratus aroentem est?

Aen. IV 366 ff. vgl. Tasso XVI 67:

Sophie gebar dich nicht, nicht Azzos blut

erzeugte dich, dich zeugten wilde wogen

und der beeiste Kaukasus, und wut

hast du ans einer tigVin brüst gesogen.

was heucheln noch? Unmensch voll frevelmut,

zu keinem zug von menschlichkeit bewogen!

entfärbt er sich? weiht einen seufzer nur

er meinem schmerz, nur einer thräue spur?

I sequere Italiam , ventis pete regna per undas, spero equidem medüs, si quid pia numina possunt, supplicia hausurum scopulis et nomine Dido saepe vocaturum. seqnar atris ignibns absens et, cum frigida mors anima sednxerit artus, Omnibus umbra locis adero. dabis, improbe, poenas. Audiam et haec manes veniet mihi fama sub imos. his medium dictis sermonem abrumpit et auras aegra fngit seque ex oeulis avertit et aufert linqucus multa meta cnnctantem et mnlta volentem dicere. snscipiunt famulae collapsaque membra marmoreo referunt thalamo stratisquo reponunt.

Aen. IV 381 ff.

Rieder: coucentration beim übereetzen. 239

vgl. Tasso XVI 59. 60:

Geh, nnmensch, geh, du falsches aogeheuer, zieh mit dem frieden, den da gibst, nar hin. unsichtbar dich verfolgend, ungetreuer, will ich dir nach, ein geisterschatten, ziehn. als furie folg' ich dir mit schlangt und feuer! gleich meiner liebe soll mein hasz erglühn; erhält das Schicksal dich auf wildem meere, kommst du, trotz klipp* und Strudel, zu dem beere,

Dann, bösewicht, zahlst unter blut and laichen du auf dem Schlachtfeld mir die herbe pein, dann rufst du bei des todes letzten streichen, zu hören hoff ich*s noch, den namen mein! hier aber musz ihr geist dem schmerze weichen, das wort verhallt, die ohnmacht bricht herein, sie fällt gebrochnen aue^s fast tot darnieder, und kalter schweisz bedeckt die starren glieder. -

Noz erat, et placidum carpebant fessa soporem corpora per terras silvaeque et saeva quierant aeqnora, cum medio voWuntur sidera lapsa.

Aen. IV 622. derselbe schöne contrast wie in Bürgers Lenore :

Bis auf am himmelsbogen die goldnen Sterne zogen.

Variam et mutabile semper femina. Aen. IV 569.

vgl. Shakespeare, Hamlet I 2:

Schwachheit, dein nam* ist weib!

Vizi et quem dederat cursum fortuna peregi.

Aen. IV 653.

diese worte der sterbenden Sidonierin finden einen Widerhall in 'des mädclleus klage':

Ich habe genossen das irdische glück, ich habe gelebt und geliebet.

Qaadrupedante putrem sonitu quatit nngula campum.

Aen. VIII 596. Dasz rosz und reiter schnoben, und kies und funken stoben.

Bürger, Lenore.

(Et) Sol decedens crescentes duplicat ambras.

Verg. ecl. 2, 67.

Und die sonne blickt durch der zweige grÜn und malt auf den glänzenden matten der bäume gigantische schatten.

Schiller, bürgschaft.

Es würde zu weit fübren ^ alle bUcber der Aeneis oder gar alle werke Yergils in dieser weise durcbzugehen. scbon die wenigen an- geführten beispiele werden genügen, um die richtigkeit der bebaup- tung darzutbuD, dasz gerade Yergil nicht blosz für die Italiener, sondern auch für Shakespeare und die meisten unserer dichter vor- bildlich geworden ist. in wie hohem masze durch ihn ganz beson- ders die muse Schillers beeinfluszt ist, hat Brosin, dessen arbeiten

240 Rieder: concentration beim fibersetsen.

ich, wie natürlich, vielfach benutzt habe, in der oben citierten ab- handlung vortrefflich nachgewiesen. Von anderen lateinischen dichtem nur noch wenige aussprUcbe :

Saave, mari magno tarbantibus aeqaora ventis, e terra magnam alterins spectare laborem.

Lacret. 2, 1.

Vom sichern port läszt siebe gemächlich raten.

Schiller. Teil II.—

Bis vincit, qui se vincit in victoria.

Pohl. Sjr. 64.

Sich selbst bekämpfen, ist der schwerste krieg, sich selbst besiegen, ist der schönste sieg.

Logau, Sinngedichte.

Wer sieht den lewen? wer sieht den risen?

wer überwindet jenen und disen?

da£ tuot jener, der sich selber twinget

and allin sinia lit in hnote bringet

uz der wilde in staeter zQhte habe.

Walther von der Vogelweide. Lachm. s. 81.

Ardaa res vicisse alios, victoria maior est animi flactas composnisse saos.

Tapfer ist der löwensieger, tapfer ist der weltbezwing^er, tapfrer, wer sich selbst beswang.

Herder, die wiedergefundenen söhne.

Semper bonus homo tiro est Mart. XII 57, 2.

Ein wackrer mann bleibt immer ein anfänger.

Goethe, Sprüche in prosa II. abt.

Vox audita perit, littera scripta manet.

Was man schwarz auf weiss besitzt, kann man getrost nach hause tragen.

Goethe, Faust.

Qui proficit in litteris et deficit in moribus,

plus deficit,

quam proficit. Alter Spruch.

Wohl denen, die des wissens gut nicht mit dem herzen zahlen.

Schiller, licht und wärme.

Es folgen noch einige griechische dichterworte.

T6v TcGviiKÖTo ji^i KaKoXoTclv

Chilon ap. Diog. Laert. I 3.

De mortuis nil nisi bene.

der name bleibt allein, wenn alles musz zerstieben. 0 lasz dem toten das, was ihm allein geblieben.

Rückert, angereihte perlen 14.

nieder: concentration beim Übersetzen. 241

Ein roächtig^er yermittler ist der tod.

Schiller, braut von Messina lY 9.

*0\^i OeiSiv dX^ouci fiuXoi, dXdouci bi Xc'rrrd.

Gottes mühlen mahlen langsam, mahlen aber trefflich klein, ob mit langmnt er sich säumet, briogt mit schärf er alles ein.

Logaa, Sinngedichte. Vgl. Hör. od. m 2, 81.

TToXXd ficraEO ir^Xci kOXikoc xal x^iXcoc dKpou.

Zwischen lipp* und kelches rand, schwebt der dunkeln mächte band.

Fr. Rind, gedichte: Ankäos von Samos.

Ante obitum nemo miser est felixque vocandns, inter enim calieem labraque multa cadunt.

"AvepiMiroc div toOt* tcGi koI ^i\iyr\c* dci. Men.

Dasz wir menschen nur sind, der gedanke beuge das haupt dir; doch dasz menschen wir sind, hebe dich freudig empor.

Sprach von £. v. Feuchtersieben.

Yüxflc Tdp oöbdv icTi TifiitdTcpov.

£uripides Ale. 302.

Ist leben doch des lebens höchstes gut.

Schiller, Maria Stuart III 6.

'Qc dcl t6v ö^olov dT€i Ocöc ibc t6v ö^olov.

Hom. Od. XXII 218.

Qleich und gleich gesellt sich gern.

Ein edler mensch zieht edle menschen an.

Qoethe, Tasso I. Vgl. Pares cum paribus facillume congregantur.

Cic. de sen. 8, 7.

Cu^q)€pTf| b* dp€Tf| irdXci dvbptuv xal fidXa XuTpOt»v

Hom. 11. XIII 287.

Verbunden werden auch die schwachen mächtig, der starke ist am mächtigsten allein.

Schiller, Teil 13.—

Xp6voc Tdp €Ö^apf|C Ocöc. Soph. Electra 179.

(Es ist die zeit ein milder gott). des menschen engel ist die zeit.

Schiller, Wallensteins tod. 5, 11.

BpoTuiv bi ^avTiKf|v xa(p€iv kCI).

Soph. Electra 398.

Die kunst der seher ist ein eitles nichts, betrüger sind sie, oder sind betrogen.

Schiller, braut von Messina IV 4.

•Q Ectv' dtT^^^tiv AaKebat^oviotc , öti Tf|6€ K6{ji€6a Totc K€ivu)v /»/^aci 'rreiBÖMCvoi.

Simonides.

242 Rieder: concentration beim übersetcen»

Die, hospes, Spartae no8 te hie vidiaBe iacenfes, dnm sanetis patriae legibus obseqiiiinar.

Cic. Tusc. 1 42. 101.

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, da habest nns hier liegen gesehn, wie das gesetz es befahl.

Schiller, Spaziergang 97. 98.'

Wandrer! sags den kinderlosen eitern, dass fürs Vaterland aof diesen feldern Spartas kühne heldenjagend sank.

Körner, aaf dem schlacbtfelde von A. str. 4.

*AXX' dir* kxQpibv bf^Ta iroXXd fiav6dvouciv ol coq>oi.

Aristoph. Aves 876.

Teuer ist mir der frennd, doch aach den feind kann ich nützen; zeigt mir der frennd, was ich kann, lehrt mich der feind, was ich soll.

Schiller, freand and feind.

Fas est et ab hoste doceri

Ov. meUm. IV 428.

Xp6via \iiy fjXGcc, dXX* öpnuc alvdi TÖbc

Enrip. Hei. 1282.

Spät kommt ihr, doch ihr kommt.

Schiller, Piccol. I 1.

"HXe* 'ObuccOc Koi oTkov UdvcTai, b\\^i ircp ^XOibv.

Od. XXIII 7.

'AXX* ZcOc äv6p€ca voi^jiaTa ndvTa tcXcut^.

II. XVIII 328.

Der mensch denkt, gott lenkt.

Ich gehe nunmehr zu einzelnen Sätzen aus werken der prosaiker, Sprichwörtern und sonstigen sentenziösen aussprttchen über.

lamqne non pagna, sed caedes erat. Ciirt. lY 16, 32. Liv. V 44, 7. 4 5, 3. XXIII 40, 11. XXV 14, 10. Tac. bist. IV 83.

Ein schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen.

Schiller, Jungfrau von Orleans I 9.

Tebtudo collecta in suum tegimen iuta est. Liv. XXXVI 32.

'Mit welchem recht?' muszt fleiszig fragen^ dann wirst du kaum ein unrecht wagen, und wie die schildkröt' aus dem haus' schaust du auf deine feind* hinaus.

Mendaci homini ne verum quidem dicenti credere solemus.

Cic. Div. 2, 71. vgl. Phaedr. I 10, 1.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

In omni vita sua quemque a recta couscientia traversum unguem non oportet discedere. Cic. ad Attic. XIII 20.

^ Wanderer, meld* es daheim Lakedämons bürgern: erschlagen liegen wir hier, noch im tod ihrem geböte getreu.

Qeibel, class. liederbuch.

Rieder: conoentration beim überBetzen. 243

Üb* immer treu und redlichkeit

bis an dein kühles grab

und weiche keinen finger breit

von gottes wegen ab. Höltj, gedichte.

Nullum magnum malum praeter culpam. Cic. fam. IV 4, 2.

Das leben ist der guter höchstes nicht, der übel g^östes aber ist die schuld.

Schiller, braut von Messina IV 10.

Vgl. Vacare culpa magnum est solatium. Cic. fam. VII 8, 4. Praeter culpam ac peccatum homini accidere nihil potest, quod Sit horribile ac pertimescendum. Cic. fam. V 21, 5.

Gloria virtutem tamquam umbra sequitar. Cic. Tusc. I 45.

Die tugend sieht nach ihrem schatten,

dem rühm, sich wenig um. Qoethe.

Concordia res parvae crescunt, discordia maximae dilabuntur.

Sali. bell. lug. 10, 6.

Friede ernährt, Unfriede verzehrt. Vgl. L'union fait la force. eintracht macht stark.

Utiuam tertius vobis amicus adscribererl Cic. Tusc. V 22.

Ich sei, gewährt mir die bitte, in eurem bunde der dritte.

Schiller, die bürgschaft.

Cuiusvis hominis est errare, nullius nisi insipientis, in errore per- severare. Cic. Phil. XII 2.

Das sind die weisen,

die durch Irrtum zur Wahrheit reisen;

die beim Irrtum verharren,

das sind die narren. Rückert.

Vgl. Errare humanum est. Senec. controv. 4, decl. 3.

Es irrt der mensch, so lang er strebt.

Qoethe Faust, prolog im himmel. auch Pind. Olymp. VII 24 ff. und Eurip. Hippol. 602.

Divide et imperal Entzwei und gebiete: tüchtig wort; verein' und leite: bessrer hört.

Goethe, vgl. Büchm. gefl. werte.

Ne sutor ultra crepidam! Plin. 35, 10.

eigentlich ne sutor supra crepidam sc. iudicet.

Schuster, bleib bei deinem leisten!

lustum bellum, quibns necessarium, et pia arma, quibus nuUa nisi in armis relinquitur spes. Liv. IX 1.

Das höchste heil, das letzte liegt im Schwerte.

Kömer, aufruf str. 1.

In affecto corpore qaamvis levis causa magis, quam valido gravier sentitur. Liv. XXll 8.

Doch der kranke fühlt auch schmerzlich die leise berührung.

Goethe, Hermann und Dorothea IX 138.

Amicus certus in re incerta cernitur. Cic. Lael. 80.

244 Rieder: concentration beim übersetzen.

Freundestrene prüft man meist im Btarme.

Körner, Alfred der grosze I 4.

Vgl. Spr. Sah 17, 17: ein freand liebt alleseit, und ein bruder wird in der not erfanden, und:

Not ist die wage,

die des freandes wert erklärt,

not ist der prüfstein auch

Ton deinem eignen wert. Rückert.

Invidia tamqnam ignis summa petit. Liv. VIII 31.

8oirn dich die dohlen nicht nmscbrein, muszt nicht knöpf aaf dem kirchturm sein.

Goethe, zahme Xenien Y.

Vgl. Eminentis fortnnae comes invidia. Vell. Paterc. I 9, 6. Nunquam emiuentia invidia carent. ebd. II 40, 4. Virtatis comes in- vidia. ad Her. lY 26. Intacta invidia media sant. Liv. XLY 36, 5. Invidia gloriae comes. Nep. Chabr. III 3.

Der neid hat scharfe äugen.

Schiller, Biaria Stuart II 9.

Der basser lehrt uns immer wahrhaft bleiben. Goethe.

Festina lentel C'rrcObc ßpab^u)cl

HAte-toi lentementl Chi va piano, va sanol

Eile mit weile!

Ohne rast und hast!

vgl. Büchm. gefl. worte.

Non solum ipsa Fortuna caeca est, sed eos etiam plerumque effieit caecos, quos complexa est. Cic. Lael. § 54.

Ohne wähl verteilt die gaben, ohne billigkeit das glück.

Schiller, siegesfest.

Yivere militare est. Sen. ep. 96, 5. vgl. Büchm. gefl. worte.

Nicht so vieles federlesen, lasz mich immer nur herein, denn icli bin ein mensch gewesen und das heiszt: 'ein klimpfer sein'.

Goethe, westöstl. divan.

Vgl. Sen. ep. 51: nobis quoque militandum est et quidem genere militiae, quo nunquam quies, nunquam otium datur.

Via crucis via lucis.

Die rauhe bahn führt himmelan.

Die schmerzen sind^s, die ich zu hilfe rufe; denn es sind freunde, gutes raten sie.

Goethe, Iphigenie IV 2.

Dasz sie die perle trägt, das macht die muschel krank; dem himmel sag für schmerz, der dich veredelt, dank.

Rückert, vierzeilen.

Per aspera ad astra. Durch kreuz zum kränz. Durch nacht zum licht.

Bieder: concentration beim übersetzen. 245

Non est od astra mollis e terris yia. Sen. rasend. Herc. 437.

Epionrns dicit aliquem Timm bonam nobis esse eligendnm ac semper ante oculos habendum, ut si tanqnam illo spectante vi?amas.

Sen. ep. II.

Ein jeglicher masz seinen beiden wählen, dem er die wege znm Olymp hinauf sich nacharbeitet.

Ooethe, Iphigenie II 1. vgl.

Vor jedem steht ein bild des, was er werden soll; so lang er das nicht ist, ist nicht sein friede 7olU

Rtickert, angereihte perlen 54. nnd:

Ein vollendetes hienieden wird nie dem Vollendungsdrang, doch die seel* ist nur zufrieden, wenn sie nach Vollendung rang.

Rfickert, liebesfrühling, nachtrag 1835, str. 3.

Adnlescentiam alunt (studia), senectutem oblectant, seeundas res ornant, adversis perfugium ac solatium praebent, deleetant domi, non impediunt foris, pemoctant nobiscum, peregrinantur, rusticantnr.

Cic. pro Arch. p. 7, 16.

Nicht der ist auf der weit verwaist, dessen vater und mutter gestorben, sondern der für herz und geist keine lieb und kein wissen erworben.

Hückert, vierzeilen, erstes hundert 88.

vgl.

Und wer der dichtkunst stimme nicht vernimmt, ist ein barbar, er sei auch, wer er sei.

Goethe, Torq. Tasso V 1.

Si res eae, quas gessimus, orbls terrae regionibus definiuntur, cupere debemus, quo manuum nostrarum tela pervenerint, eodem gloriam famamque penetrare, quod cum ipsis populis, de quorum rebus scri- bitur, haec ampla sunt, tum iis certe, qui de vita gloriae causa dimi- cant, hoc mazimum et periculorum incitamentum est et laborum.

Cic. pro Arch. p. § 23.

So bindet der magnet durch seine kraft das eisen mit dem eisen fest zusammen, wie gleiches streben held und dichter bindet.

Goethe, Torq. Tasso 13.—

Plato mihi nnus instar multorum milium est ein ausspruch des Antimachus in der Übersetzung von Muret , der, als ihn bei dem vorlesen seines grossen gedichtes alle ausser Plato verlieszen, sagte: 'ich werde dessen ungeachtet lesen, denn ein Plato ist mir gleich vielen tausenden', womit der ausspruch Epicurs zu vergleichen ist, der in einer schrift an Metrodorus, wo er darüber sprach, dasz er selbst und jener das urteil der menge gering achten müsten, sagt: 'wir sind einer dem andern ein hinlänglich groszes theater'; ferner der aus- spruch Ciceros, der in einem briefe an Atticus sagt: 'noster ille Cato mihi unus est pro centum milibus', endlich der ausspruch Democrits : «cic k\io\ fiOpioi.» derselbe gedanke liegt den werten Schillers im Demetrius zu gründe:

246 Bieder: concentration beim übersetzen.

Man soll die stimmen wägen nnd nicht zählen, der Staat musz untergehn, früh oder spät, wo mehrheit siegt und anyerstand entscheidet.

ähnlich Kömer, Zriny I 3:

Die stimmen zählt man nicht . . .

man wägt die stimmen nach dem Innern werte.

Goethe sagt:

Nichts ist widerwärtiger, als die majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich accommodieren, aus schwachen, die sich assimilieren, und der masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will.

Corporibus applicantur armaque arrois iunguut in arium coinpulsi, Corona hostinm cincti. Liv. XXIII 27.

Nicht vorwärts konnten sie, auch nicht zurück, gekeilt in drangvoll fürchterliche enge.

Schiller, Wallensteins tod IV 10.

Solum sapientem esse liberum et omnem stultum servum.

Cic. parad. V.

Willst du, mein söhn, frei bleiben, so lerne was rechtes und halte dich genügsam und nie blicke nach oben hinauf.

Qoethe, zahme Xenien.

Yestis virnm reddit. Quint. instit. erat. VIII 6.

Kleider machen leute.

Res omnihns passeribus nota. Cic. fin. 2, 23 (75).

Das pfeifen die spatzen auf dem dache.

Et nomen pacis dulce est et ipsa res salutaris. Cic. Phil. 3, 1.

Schön ist der friede! ein lieblicher knabe, liegt er gelagert am ruhigen bach.

Schiller, braut von Messina 18.

Patria est, ubicnnque est bene. Cic. Tusc. V 37.

Hat ein thor nur brei zur band»

was kümmert ihn das Vaterland I Freidank.

Male parta male dilabuntur. Cic. Phii. 2, 27.

Wie gewonnen, so zerronnen.

Unrecht gut gedeihet nicht. Spr. Salom. 10, 2.

Ut semeutem feceris, ita metcs. Cic. de orat. II 65.

Böse flüchte trägt die böse saat.

Schiller, braut von Messina 18.

Post nubila Phoebus.

Gedicht aus d. j. 1350. vgl. Sil. Ital. 7, 206.

Auf regen folgt Sonnenschein.

Primo decipi incommodum est, iterum stultum, tertio turpe.

Cic. invent. I 71.

Wenn jemand mich einmal betiügt, so verzeih^ es ihm gott, be- trügt er mich zum zweiten mal, so verzeih* es mir gott.

Claudius.

Sua cuique satis placebant. Sali. Cat. II 1.

A. Baldamus: die Torbildang des geschichtslehrere. 247

Jeder freut sieb seiner stelle. Schiller, gloche.

Cibi condimentam est fames. Cic. fin. 11 28.

Hnnger ist der beste koch.

Homo est animal sociale. Cic. Tasc. V 23.

vgl. Arist. Pol. I 1, 9 (Z(£)ov 'iroXiTtKÖv) and:

Der mensch bedarf des menschen sehr zu seinem groszen ziele.

Schiller, die weltweisen.

Qai dedit beneficium, taceat; narret, qni accepit. Sen. de benef.

Qespeudete wohlthaten schreibe in den kamin, empfangene in marmor.

Qoethe.

Speise mit wohlthat da den bedürftigen: himmlisches manna kostet er, rück* es ihm aaf wird es ihm aloe, gift!

Herder, wahre wohlthat.

TTaGriMOTa ^aOfmaTa. Aes. fab. 232.

Gebrannt kind scheut das feaer.

vgl. Tranqnillas etiam naufragus horret aqaas. Ov. ex Pont. II 7, 8. Ate etc TÖv aÖTÖv 'rrorajiSv oök dv ^^ßa{nc. Plat. Craty 1. 402 a.

In demselben flusse

schwimmst du nicht zum zweitenmal.

Goethe, dauer im Wechsel.

GuMBiNNEN. Rieder.

22.

DIE VORBILDUNG DES GESCHICHTSLEHRERS.

[zum Frankfurter historikertage.)

Ostern 1893 tagte in München die erste Versammlung deutscher historiker. den anstosz zu ihrer berufung hatten die neuen forde- rungen gegeben, die an den gescbicbtsunterricbt herangetreten waren, und die aus ihnen besonders in Preuszen hervorgegaDgenenre formen, sie stellte deshalb praktische fragen neben rein wissenschaftliche in ihr Programm und wies damit in sehr glücklieber weise auch den folgenden bistorikerversammlungen die wege. die Münchener Ver- sammlung hatte die principielle frage nach den aufgaben des ge- schichtsunterrichts behandelt, die ostern 1894 in Leipzig tagende erörterte die Stellung der alten geschiebte im gelehrten Unterricht, die ostern dieses Jahres (1895) in Frankfurt a. M. abgehaltene hat über die anläge des historischen Studiums auf der Uni- versität beraten, so weit es sich dabei um die Schulung künftiger forscher, archivare und bibliothekare bandelt, liegt diese frage unserer Zeitschrift fern; indes die weitaus gröste zahl derer, die geschiebte studieren, werden doch dereinst lehrer an höheren schulen, und deshalb mag es einem gjmnasiallehrer, der an den beiden ersten bistorikerversammluDgcD teilgenommen bat und von der Frankfurter

248 A. Baldamus: die Vorbildung des geschichtslehrers.

nur durch ein unvorhergesehenes hindemis fern gehalten war, er- laubt sein , an dieser stelle aus anlasz jener Verhandlungen zu der Vorbildung der geschichtslehrer einige natürlich den gegen- ständ nicht erschöpfende randbemerkungen zu machen, wir glauben zudem , dasz diese seite der sache das weitgehendste Interesse be- ansprucht, eben weil sie die gröste anzahl der Studenten der ge- schichte berührt und damit auch die Universitätslehrer, deren an- schauungen doch wieder maszgebend sind für ihre schüler^ die künftigen lehrer an höheren schulen, wir können nämlich die meinung^ dasz der universitätsprofessor sich um den künftigen be- ruf seiner Studenten nicht zu kümmern habe ^ vom Standpunkt der Wissenschaft wohl verstehen, aber wir glauben doch, dasz eben diese Wissenschaft auch leiden würde, wenn sie nicht mehr praktischen aufgaben diente: hörte in den gymnasien der Unterricht im latei- nischen und griecbischen auf, so würden diese sprachen , wie Wila- mowitz selbst sagt, auf den Universitäten bald die Stellung ein- nehmen, die heute den semitischen sprachen und dem indischen zukommt; ob aber daraus der classischen philologie und ihren wissen- schaftlichen Vertretern an den Universitäten kein nachteil erwüchse, möchten wir doch bezweifeln.

Indes das nebenbei, dasz die frage nach der anläge des histo- rischen Studiums in Frankfurt überhaupt gestellt ist, hängt offenbar zusammen mit der entwicklung, die die geschichtswissen- schaft in letzter zeit genommen hat, und den aufgaben, die dadurch dem ihr nachgehenden geschichtsunterricht erwachsen nnd ihm auch von anderm als wissenschaftlichem Standpunkte aus ge- stellt sind.

Das auftauchen neuer geschichtswissenschaftlicher probleme steht in engster beziehung zu den zeitfragen, je mehr in unsern tagen die socialen fragen und die materiellen interessen in den Vordergrund des öffentlichen lebens getreten sind, um so stärker ist das bedürfnis geworden, die entsprechenden geschichtlichen Vorgänge einer eingehenden erörterung zu unterziehen, so ist zu der politischen und Verfassungsgeschichte die social- und Wirtschaftsgeschichte hinzu- gekommen, indes nicht als etwas unabhängig neben den andern dis- ciplinen stehendes, denn gerade darin erblicken die Vertreter der neuen geschichtsbetrachtung den hauptfortschritt, dasz sie in jedem Stadium der geschichtlichen entwicklung allen Seiten menschlicher tbätigkeit in ihrem innem zusammenhange und gegenseitigen ein- flusse nachgehen; erst dadurch glauben sie die geschichtlichen Vor- gänge, auch die politischen^ in ihren innersten Ursachen recht zu er- kennen, so erhebt sich an stelle der politischen gescbichte, die bisher als die geschichte an sich galt, das , was mit dem etwas dehnbaren begriff in dieser dehnbarkeit liegt aber gerade sein vorzug, da er

^ vgl. v. Wilamowitz-MöUendorff: philologie und Schulreform, rectorats- rede, Göitingen 1892, s. 6 f.

A, BaldamuB: die Vorbildung des geschichtslehrers. 249

ja eben das ganze menschliche leben umfassen soll als cultur- geschichte bezeichnet wird, auf diese entwicklung näher einzu- gehen ist hier natürlich nicht der ort, ebenso wenig ist es am platze, den traurigen streit zu erörtern , der hier und da zwischen den Ver- tretern des alten und neuen entbrannt und mit unnötiger lebhaftig- keit geführt ist; nur das mag gesagt sein als etwas selbstyerst&nd- liches , dasz die gegenseitige durchdringung beider riohtuDgen jede vor einseitigkeit bewahren und so die erkenntnis der Wahrheit fördern möchte.

Was folgt nun aus diesem entwicklungsgange für den ge- Schichtsunterricht der höheren schule? unberührt darf er selbst- verständlich davon nicht bleiben, denn er soll, zumal in den primen, die wissenschaftliche entwicklung widerspiegeln, aber ebenso selbstverständlich ist es wohl , dasz die thatsachen der poli- tischen geschichte nach wie vor den hauptgegenstand des Unter- richts bilden müssen, die culturgeschichtlichen Vorgänge sind als Ursachen oder Wirkungen an sie anzuknüpfen ; die gelegenheit dazu wird sich ungesucht überall bieten, dabei wird der eigentliche ge- schichtsunterricht aus dem groszen gebiete vorwiegend das ver- fassungs-, social- und wirtschaftsgeschichtliohe zu berücksichtigen haben, während das kunstgeschichtliche mehr dem religions-, das litteraturgeschichtliche dem deutschen unterrichte zu überlassen ist, jedoch so, dasz der geschieh tslehrer auch hier die Wechselwirkung an- deutet und für die weitere ausführungauf die nach barfächer verweist.

Fast die gleichen forderungen, die sich hier vom rein wissen- schaftlichen Standpunkte ergeben , sind nun auch aus ganz andern orwägungen erhoben worden. Ottokar Lorenz' hat mit recht her- vorgehoben, Masz der einzige wirkliche vermittler histo- rischen Unterrichts in unserer nation der lehrer an den mittelschulensei'; er führt aus, dasz bei der entwicklung, die die Wissenschaft genommen, das Universitätsstudium überall zum fachstudium geworden sei, dasz von allen studierenden deutscher Universitäten über 90 procent nie ein historisches colleg gehört haben und mithin 'die bildung des historischen bewustseins in den gröszeren kreisen der gebildeten heute fast ausschlieszlioh in die band des lehrers an den mittelschulen gegeben ist', man mag diese thatsache, die mit dem begrifif der universitas litterarum so wenig zu* sammenstimmt, bedauern, aber zu bestreiten ist sie nicht, die verant- wortungsvolle aufgäbe, die damit dem lehrer der höheren schulen, insbesondere dem geschieh tslehrer zufällt', wird in ihrer ganzen trag-

* die geschichtswlsseDSchaft in hauptrichtungen und aufgaben II 368 f. 899. vgl. aaeh grenaboten 1891 nr. 24.

' Lorenz weist übrigens darauf hin, dasz auch in ansebung des alters ihrer schüler die höheren schulen (mittelschulen) thatsächlich ganz und gar in die stelle eingerückt seien, die in älteren zeiten den philosophischen facultäten in bezug auf die pflege der allgemeinen bildung zugekommen sei.

M.jahrb. f.phil.a. pid. II. abt. J895 hfl. 6 u. 6. 17

250 A. ßaldamuB: die Vorbildung des geschicbtelehrerH.

weite recht klar werden, wenn man erwägt, dasz die abiturienten sehr bald berufen sind, an dem politischen leben der nation teil- zunehmen, wenn die schule früher trotz des satzes 'non scholae sed vitae discimus' hierauf wenig rücksicht zu nehmen brauchte, so ist das seit einfUhrung des constitutionalismus mit seinen vorteilen und schaden wesentlich anders geworden, gewis wird das leben selbst die abiturienten weiter erziehen, aber man wird doch verlangen müssen, dasz die künftigen führer der nation gewisse grundlagen mitbringen, d. h. einigermaszen klare staatsrechtliche und volkswirtschaftliche grundbegriffe. die anknüpfung hierfür aber bietet am besten der geschichtsunterricht, nicht in der weise, dasz man systematisch damit eine sogenannte bürger- kunde in besondem Unterrichtsstunden verbindet , sondern so , dasz man bei passenden gelegenheiten, zu denen auch fragen der Schüler gehören, von diesen dingen spricht, so kann man z. b. leicht bei den reformbestrebungen unter Maximilian I über matricular- beitrage , reichs- und staatssteuem , auch über directe und indirecte steuern, bei Colbert und Friedrich d. gr. über Schutzzoll und frei- handel , bei entstehung der Niederlande über das wesen des bundes- staates und die naturnotwendig in ihm bestehenden parteien, bei der englischen revolution über den Parlamentarismus, das ein- und Zwei- kammersystem, bei Ludwig XIV und Friedrich d. gr. über ver- schiedene arten des absolutismus, bei Turgot und Stein- Hardenberg über Zunftwesen usw. usw. reden/ gerade dasz diese kenntnisse gelegentlich an historisch abgeschlossenen Vorgängen gewissermaszen unabsichtlich übermittelt werden, halteich für besonders wichtig, damit verlieren sie alles tendenziöse, was ja auch die Mtinchener historikerversammlung so energisch abgewiesen hat , und erst dadurch kann aus ihnen die wünschenswerte geistes- richtung von selbst entstehen, wo der geistig angeregte primaner, der durch und durch kritisch gestimmt ist und kritisch gestimmt sein musz, absieht fühlt ^ da wird er verstimmt, da regt sich seine Opposition, gerade die streng und engherzig alle andern meinungen ausschlieszende Orthodoxie hat die entfremdung von der kirche mit- verschuldet ^ ; ähnliches wäre zu befürchten, wollte man den ge- schichtsunterricht erteilen etwa mit der 'tendenz' der bekämpfung der socialdemokratie. wir glauben nicht falsch verstanden zu wer- den, wenn wir gerade aus Patriotismus zuweilen das gefühl haben, dasz wir fast zu viel patriotische feste feiern und fast zu viel patriotische reden halten, zumal die mitleistung der schüler dabei zunächst im nichtsthun (schulfreiheit) besteht, hier müssen die thatsacben wirken und werden es , wenn der schüler z. b. einsehen lernt, dasz überall in der geschichte die Vertreter radicaler freiheits-

^ vgl. auch meinen anfsatz über die stoflfvertoilung im geschicbts- Unterricht in der Zeitschrift für das gymnasialwesen 1891 s. 334.

^ vgl. Brieger: die fortschreitende entfremdung von der kirche im lichte der geschichte, akademische rede. Leipzig 1894.

A. Baldamus: die yorbildung des geechichtelehrers. 251

ideen , sobald sie zur herschaft kommen , die schlimmsten tyrannen gewesen sind, dasz überall der doctrinarismus der Parteiprogramme nur in der Opposition möglich ist und sich verflüchtigt, sobald diese Opposition zu verantwortungsvollem handeln gelangt, dasz überall die monarchie (die tyrannis der Griechen, Ludwig XIV usw. usw.) der natürliche Vorkämpfer der untern Volksschichten gegen die be* vorrechteten classen , mag das nun ein grundbesitzender feudaladel oder ein industrieller geldadel sein, gewesen ist; nur müssen solche Wahrheiten sich von selbst ergeben, im letzten gründe nicht vom lehrer gesagt, sondern vom schüler empfunden und ge- funden werden.

Erkennen wir also an, dasz den schülern der obem classen not- wendig gewisse staatsrechtliche und volkswirtschaftliche kenntnisse übermittelt werden müssen, und dasz dies am besten durch ver- f assungs- , rechts-, social- und wirtschafts geschichtliche be trach- tungen geschieht , so sehen wir , dasz sich diese forderung ungeföhp deckt mit der forderung, die sich aus der jüngsten entwicklung der geschichtswissenschaft ergibt, wenn aber eine solche forderung von der präzis und von der Wissenschaft gleichzeitig erhoben wird , so wird man über sie nicht als über eine modesache hinweg- gehen können. Oskar Jäger bezeichnet soeben' die ^belehrungen über unsere gesellschaftliche und wirtschaftliche entwicklung' als eine lieblingsidee unserer zeit, wie jede zeit ihre lieblingsideen ge- habt habe ; damit ist über ihren dauernden wert nicht abgesprochen, nur ihre Übertreibung verurteilt: könnte man doch auch den huma- nismus als eine lieblingsidee des 16n Jahrhunderts bezeichnen, und doch wird Jäger am allerwenigsten diese idee aufgeben wollen.

Die forderung ist also berechtigt und verlangt erfüllung. bei dem ausgangspunkt dieser ganzen betrachtung verzichten wir auf eine Untersuchung darüber, wie weit diese forderung auch bisher schon in der oben als angemessen bezeichneten weise erfüllt ist, und ob nicht in Preuszen als erste Vorbedingung für ihre erfüllung die andere forderung zu erheben ist: mehr zeit für den Unterricht in der geschichte der neuzeit auf der Oberstufe, d. h. die beiden jähre der prima, wie in Sachsen' (geht es einmal wegen der abschluszprüfung in Preuszen nicht anders, dann würde schliesz- lieh die alte geschichte, wie sie aus der reifeprüfung gestrichen ist, auch aus der obersecunda gestrichen und dem lateinischen und grie- chischen Unterricht zugewiesen werden müssen), wir wenden uns der Frankfurter frage in der form zu: wie ist hiemach mit besonderer rücksicht auf künftige geschieh tslehrer das historische Studium auf der Universität anzulegen?

® didaktik and methodik des geschichtsanterrichts in Banmeisters 'handbuch der erziebungs- und Unterrichtslehre für höhere schalen* VIII 74. München 1895.

' vgl. meinen oben angeführten aufsatz and die bemerkungen in den grenzboten 1891, 11 Juli s. 84 ff.

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252 A. Baldamus : die yorbildung des geschicbtslebrers.

Nach den uns zugegangenen berichten haben die referenten sich hauptsächlich ttber die allgemeinen forderungen ausgesprochen, prof. V. Zwiedineck verlangt in seinen thesea 1) 'dasz in einem Zeiträume von beschränkter ausdehnung die genaue erkenntnis der in Wechsel- wirkung stehenden politischen und culturverhältnisse angestrebt werde', dasz ^innerhalb dieses Zeitraumes der Zusammenhang der er- scheinungen, das werden der ereignisse zu ergründen versucht wer- den solle^ um auf diesem wege eine wissenschaftliche, universelle ge- schichtsauf Fassung zu erzielen' und 2) ^dasz das historische Studium mit dem Studium der politischen anschauungen und einrichtungen der gegenwart verbunden sein solle' und dasz deshalb 'namentlich in der mittleren und neueren geschichte die beziehungen zwischen der zu behandelnden epoehe und der gegenwart herzustellen und einerseits auf die dabei hervortretenden unterschiede aufmerksam zu machen, anderseits die elemente klarzulegen seien, aus denen sich die modernen zustände entwickelt haben.' diesen allgemeinen forderungen ist durchaus zuzustimmen, sie mögen manchem selbst- verständlich erscheinen; dasz sie von einem Universitätsprofessor aufgestellt werden, ist trotzdem, wie wir unten sehen werden > be- merkenswert, wir freuen uns, dasz hier auch dievergleichungen betont sind, denn wir meinen, dasz sie und diegesamtüberblieke über gröszere abschnitte nach bestimmten groszen gesiohts- punkten den Unterricht besonders fruchtbar machen und den Schü- lern ^ auch wenn sie die einzelheiten vergessen, einen dauernden gewinn fürs leben bieten können.

Die neuen forderungen berührt v. Zwiedineck in der ersten these, der correferent prof. Vogt that dies durch empfehlung der in der Versammlung verteilten ^ratschlage für das Studium der mittleren und neueren geschichte', die den Zöglingen des Leipziger historischen seminars von ihren lehrern gegeben werden, diese ratschlage stellen ein Idealbild auf. wir glauben der Wichtigkeit der sache zu entsprechen , wenn wir den grundlegenden abschnitt vollständig folgen lassen :

^Die Wissenschaften, welche ein vollkommen ausgebildeter histo- riker ftir das gebiet der mittleren und neueren geschichte ganz oder zum teil beherschen musz, kann man in propädeutische, eigentlich historische und hilfswissenschaftliche einteilen.

'Als propädeutische Wissenschaften sind zu bezeichnen die Philosophie, die philologie, die rechtswisseuschaft, die national- Ökonomie und die geographie. in der philosophie ist beschäftigung mindestens mit logik, psychologie und ethik zu wünschen, auf dem gebiete der philologie ist, neben der beherschung der für das histo- rische forschungsgebiet jeweils in betracht kommenden sprachen, erforderlich, dasz der angehende historiker auf irgend eine weise, sei es im coUeg, sei es im seminar, die kunst philologischer kritik und hermeneutik kennen gelernt habe, am ratsamsten ist es^ hierzu ein philologisches proseminar zu besuchen, nicht minder müssen

A. Baldamas : die vorbildoxig des gescbichtslehrers. 253

dem historiker die grandbegriffe der Jurisprudenz geläufig sein, möge er sie sieb nun in recbtswissensebaftlicben Übungen oder durcb boren eines coUegs über institutionen (und womöglicb aueb über r(hBische rechtsgescbicbte) angeeignet baben. dabei bleibt ein nocb tieferes eindringen in die Jurisprudenz , insbesondere die besdiäfti- gung mit kircben-, Staats- und völkerrecbt, wünschenswert, auf nataonalökonomischem felde bedarf es einer genauen kenntnis der theoretiseben und praktischen nationalökonomie und der finanz- Wissenschaft} anzustreben ist ferner ein Verständnis der politischen und socialen theorien, wie ein^ Vertrautheit mit den elementaren methoden der Statistik, in der geographie handelt es sich nament- lich um die politischen und ethnographischen teile der disciplin.

^Die eigentlich historischen Wissenschaften sind die der politischen geschichte, der wirtschafts-, social-, rechts- und Ver- fassungsgeschichte und der geistesgeschicbte (geschieh te der Philo- sophie, kunstgeschichte y litteraturgeschichte und teilweise kircben- geschichte). der historiker musz, gleichgültig auf welchem gebiete dieser Schwesterwissenschaften er im besondern arbeiten will, mit dem Stoff und den methoden aller dieser disciplinen vertraut sein, nament- lich ist festzuhalten, dasz ohne genaue kenntnis der wirtschafts-, social-, rechts- und Verfassungsgeschichte kein tieferes Verständnis der politischen geschichte, ohne kenntnis wenigstens der geschichte der Philosophie und der kunstgeschichte kein tieferes Verständnis der geistesgeschicbte zu erreichen ist. darum ist zu fordern , dasz der angehende historiker sich nicht blosz ein bestimmtes wissen in diesen disciplinen aneigne, sondern auch wenigstens auf den haupt- sächlichsten gebieten durch teilnähme an den einschlägigen Übungen sich einsieht in deren besondere arbeitsmethode verschaffe.

'Die bilfs wissen Schäften kann man in allgemeine und be- sondere der einzelnen historischen disciplinen teilen, allen disciplinen gehören an die Chronologie, die paläograpbie und die allgemeine quellenkunde (bistoriographie) ; sie müssen mitbin unter allen um- ständen studiert werden, für politische und wirtschafts-; social-, rechts- und Verfassungsgeschichte ist ferner die urkundenlehre (diplo- matik) unerläszlich. die hilfswissenscbaften der geistesgesobichte (inschriftenkunde , ikonographie , metrik, Sprachgeschichte usw.) können dagegen den speciellen jungem dieser Wissenschaften vor- behalten bleiben.'

Dies Programm ist, wie ausdrücklich gesagt wird, aufgestellt zunächst ohne rücksicht auf einen praktischen beruf; es wird dann noch der gang eines solchen Studiums skizziert^ und scblieszlicb von

^ wie sich praktisch ein teil dieses pro^^ramms , der im engern sinne historische, gestaltet, mag aus einer Übersicht der 'curse des Leipziger historischen seroinars, abteilung für mittlere und neuere geschichte' erhellen: A. vorbereitende curse: 1) einführnng in das Verständ- nis der politisch-geschichtlichen quellen des mittelalters; Übungen zur politischen geschichte dieser zeit. 2) einführung in das Verständnis der

254 A. Baldamus: die vorbildang des geschichtslehrers.

dem künftigen lehrer gesagt, dasz er etwa die finanzwissenschaft entbehren, den besuch der Übungen auszerhalb des historischen Seminars beschränken könne, den hilfswissenschaften nicht über- mäszige aufmerksamkeit zuzuwenden brauche ; er müsse neben einer Schulung in den hauptsächlichsten historischen methoden sich nament- lich ein sicheres und umfassendes historisches wissen aneignen, wer jedoch als lehrer einmal historische wissenschaftliche thätigkeit pflegen oder sich vOllig den specifisch historischen berufen, der akademischen laufbahn, dem archivdienst usw. widmen wolle, für den sei es unerläszlich , das aufgestellte ziel voll ins äuge zu fassen. Auch wir wollen zunächst das ziel voll ins äuge fassen, eins wird dann wohl jedem, der sich die summe der hier vorgeschriebenen Studien vergegenwärtigt, klar sein, dasz sie eine normale Studienzeit vollständig ausfüllen" und neben sich zu ernstem betriebe anderer Studien keine zeit lassen, sind also die durch sie zu erwerbenden kenntnisse für den historiker notwendig oder auch nur wünschens- wert — und das sind sie, wie gewis niemand bestreiten wird so kann von der alten methode , die geschieh tsstunden als flickstunden für die philologen zu benutzen, keine rede mehr sein, so wird man weiter die folgerung ziehen müssen, die forderungen der Staats- prüfung für die künftigen geschichtslehrer dem Studium anzupassen und nach der staatswissenschaftlich-national- ökonomischen Seite zu verschieben, eine solche Verschie- bung hat übrigens auch 0. Lorenz a. a. o. im Zusammenhang mit seinen anschauungen von der bedeutung des geschichtsunterrichts gefordert, erwägt man nun noch, dasz zu den oben geforderten Übungen und collegien etwa im fünften semester die eigne wissen- schaftliche arbeit auf irgend einem gebiete zu J)eginnen hat, deren nächstes ziel die doctorwürde sein wird, so wird man eben zu der crkenntnis kommen, dasz ein so geschulter historiker gar nicht in der läge ist, sich nennenswerte andere prüfungsfacul täten neben der

rechtsgeHcbichtlichen quellen des mittelalters; rechtsgeschichtliche Übun- gen. B. hilfswissenschaftlicher curs: diplomatisch-verfassnngsgeschicht- liche Übungen. G. hanptcurse: 1) Übungen, zumeist wirtschafts- und socialgeschichtlichen iohalts, zur geschichte des mittelalters und des 16n Jahrhunderts. 2) Übungen aus dem gebiete der neueren geschichte. diese curse werden in jedem semester sämtlich abgehalten; doch sind die mitglieder des Seminars nur an einem teilzunehmen verpflichtet, und in der regel wird das auch ratsam sein, auszerdem werden zur praktischen anleitung künftiger bibliothekare und archivare periodisch collegia über bibliothekskunde und archivkunde gelesen.

^ man beachte z. b., dasz der Student nach dem oben angeführten lehrplan des historischen seminars, d. h. nur eines kleinen teiles der Übungen, an denen er teilnehmen soll, erst im vierten semester an die hauptcurse herankommt; dabei ist für jeden cursus nur ein semester angenommen (was wenigstens für B kaum ausreichen dürfte) und vorausgesetzt, dasz der student gleich im ersten semester ins Seminar eintritt und nicht durch den doch wohl auch aus guten gründen zu wünschenden Wechsel der Universität gestört wird.

A. Baldamus : die Torbildung des geschichtslehrers. 255

in der geschichte zu gewinnen, zumal für diese zu der mittleren und neueren geschichte, auf die sich jene ratschlage beziehen, noch die alte hinzutritt, für die geographie fehlen die naturwissenschaftlichen, ftir lateinisch und griechisch die eigentlich philologischen kenntnisse, und selbst beim deutschen dürfte das betreffs des alt- und mittelhoch- deutschen zutreffen, auch mit den in den 'ratschlagen' für künftige lehrer vorgesehenen abweichungen von dem ideal bleibt doch die hier gezogene consequenz bestehen , denn die hauptsache ist die genaue kenntnis der wirtschafts-^ social-, rechts- und Verfassungsgeschichte, daneben philosophie, kunst-, litteratur- und kirchengeschichte. dazu kommt, dasz die von uns empfohlene form der gelegentlichen unab- sichtlichen besprechung der staatswissenschaftlichen und volks- wirtschaftlichen dinge nur dann möglich ist, wenn der lehrer wirk- lich aus dem vollen schöpfen kann und nicht von der band in den mund lebt will man mithin ernst machen mit der hier vorgesehenen gründlichen Schulung der künftigen geschichtslehrer, wie sie sich aus der entwicklung der geschichtswissenschaft, aus dem überwiegen- den fachstudium unserer Studenten und aus den ansprüchen der ver- änderten staatlichen Verhältnisse ergibt, so musz man auch seine Staatsprüfung aus einer philologisch -historischen in eine juristisch- nationalökonomisch -historische umwandeln.

Wie würde sich nun aber dazu die schul Verwaltung stellen? sie würde die so vorgebildeten lehrer direct verwerten können für den geschichtsunterricht, daneben für deutsch und poli- tische (aber nicht naturwissenschaftliche) geographie. an groszen schulen, zumal an doppelanstalten, würde das unschwer einzurichten sein, hier gibt es schon historiker, auf die das gesagte in der haupt- sache passt. schwieriger wäre die läge an kleinen schulen, doch liesze sich ein ausweg denken, die neue Vorbildung würde auch, ergänzt durch praktische erfahrung, die natürlich beim schulmann ebenfalls nötig ist; eine treffliche Vorbildung für Verwaltungsbeamte sein, jenes examen könnte also auch zur anstellung im Verwaltungs- dienste berechtigen; und denkbar wäre dann der zustand, dasz ein solcher Verwaltungsbeamter an kleineren orten den geschichtsunter- richt in den oberen classen der gjmnasien usw. erteilte, ehe wir diesem gedanken weiter nachgehen, wollen wir noch bemerken, dasz jenes juristisch-nationalökonomisch-historische examen auch zur Vor- bedingung für die anstellung alsredacteur gemacht werden könnte, die nach den 'ratschlagen' gewonnene ausbildung bezeichnen eben die ratschlage selbst als 'beste Vorbereitung für die thätigkeit des künftigen tagesschriftstellers'. ist dem so, wie nicht wohl zu be- zweifeln ist, so läge es doch auch im interesse der presse, wenn eine gewisse garantie jedes examen gibt nur eine solche gewisse garantie gegeben wäre, dasz ihre redacteure diese für ihre thätig- keit grundlegende bildung sich aneigneten, für den innern wert und das ansehen der tagespresse wäre das nur vorteilhaft, und wenn dabei einige Zeitungen nicht mehr erscheinen könnten, so dürfte

256 A. Baldamus: die Vorbildung des geschichtslehrers.

dieser verlast mit würde ertragen werden können, man wende nicht ein, dasz es sich hier um ein freies gewerbe handelt, von den ge- werbetreibenden, denen das leibliche wohl der menschen anvertraut ist , den ärzten und apothekern , verlangt man einen befähignngs- nachweis; da könnte man doch auch das geistige wohl für zu wertvoll erachten, als dasz man es jedem beliebigen auslieferte, indes wir verhehlen uns nicht, dasz auch noch andere bedenken ent- gegenstehen, glauben aber doch, dasz der gedanke erwägenswert und nicht etwa mit einigen schlagworten , wie reaction und presz- knebelung abzuthun ist; diese seite der sache sollte aber hier nur angedeutet werden : wir kehren zur schule zurück.

Da wird jene Verbindung von verwaltungs- und schulamt'^ zu- nächst mindestens so ungeheuerlich erscheinen wie das redacteur- ezamen; dasz sie nicht ohne beispiel wäre, beweist die Verbindung zwischen geistlichem amt und religionsunterricht, die ja wohl noch an mapchen schulen besteht, indes wir wissen selbstverständlich, dasz einem solchen verfahren sehr schwerwiegende gründe entgegen- stehen, es wäre zu fürchten, dasz diese im doppelamt beschäftigten herren in keinem recht warm würden ; für die schule möchte das die folge haben, dasz sie, nur wenige stunden in ihr thätig, keine rechte fühlung mit ihren mitarbeitern aufrecht erhalten könnten, was dem für Unterricht und erziehung so notwendigen zusammenwirken aller beteiligten sehr hinderlich wäre, die gegen das in gewissen grenzen unvermeidliche und durchaus nützliche fachlehrerwesen von päda* gogischer seite erhobenen einwände würden in verstärktem masze geltend zu machen sein, die schule braucht ihre leute ganz, und auch von der Verwaltung würde vielleicht ebenso einspruch erhoben werden.'* wir erachten deshalb diesen verschlag selbst nicht für durchführbar, hielten es aber für unab weislich , einmal die con- sequenzen richtiger Vordersätze auch wirklich auszudenken.

Sollen wir deshalb auf diese Vordersätze verzichten? durchaus nicht; nur weise man nicht alles lernen der Universität zu und überlasse manches dem spätem Studium, die Uni- versität bietet ja überhaupt zu directer Verwertung im spätem beruf verhältnismäszig wenig, sie soll den Studenten schulen und be- fähigen, sich die kenntnisse, die ihm etwa im beruf fehlen, anzu- eignen, das gilt auch für den nach alter und den nach neuer methode geschulten geschichtslehrer: jener wird seine juristischen und nationalökonomischen oder allgemeiner culturgeschichtlichen kenntnisse zu ergänzen haben, dieser die keunntni^se, die seine ver-

10 erwähnt mag übrigens werden, dasz vor nicht lai^ger zeit eine auch für schulen bestimmte 'bürgerkunde' erschienen ist, bearbeitet von einem Juristen und einem lehrer (Hoffmanu und Grfoth: deutsche bürgerkunde. Leipzig 1894). )

1^ es möchte gehen wie bei den ausgleichsverhandluiiigen in Augs> bürg, über die Luther schrieb: 'audio vos inceptasse r fairificum opus, scilicet concordandi Papae et Luthcri. sed Papa noletfi^ et Lutherus deprecatur' usw.

A. BaldamuB: die Torbildung des geechichtslehrers. 257

wendbarkeit in andern Unterrichtsfächern ermöglichen, wir halten die in den 'ratschlagen' empfohlene ausbildung fOr die richtige, möchten nur vor einer Übertreibung warnen, weil die Unterrichts- verwaltung aus praktischen gründen jetzt viele prfifungsfacultäten fordert, und glauben dies unbeschadet des erstrebten Zieles thun zu können; weil eben auf der Universität nur die grundlage für weiteres Studium gelegt wird.

Dieser gedanke des nachlemens hat ja neuerdings ausdruck gefunden in den feriencursen. bei entsprechender gestaltung werden daraus zweifellos fruchtbare anregungen gewonnen werden können; freilich glauben wir nicht, dasz es ratsam und der akade- misch gebildeten lehrer würdig ist, wenn diese vortrage zugleich für sie und für lehrerinnen gehalten werden*'^: beider Vorbildung ist doch zu verschieden, ebenso glauben wir , dasz für solche curse die angekündigte 'einleitung in das geschieh tsstudium des mittel- alters' weniger fruchtbar ist als die gleichfalls angekündigte 'ein- führung in die geschichte der preuszisch-deutschen Wirtschaftspolitik' und die 'französische Volkswirtschaft'.

Für wichtiger aber als diese feriencurse, die doch immer nur kurz und von verhältnismäszig wenigen besucht sein können, halten wir das eigne Studium, und da ergibt sich die ganz einfache folgerung: man überlaste den geschichtsl ehrer der primen nicht mit stunden und gebe ihm einen auskömmlichen ge- halt, der ihn von der drückenden p flicht (pflicht gegen frau und kinder) des nebenerwerbs befreit, ihm erlaubt, seine freie zeit zum Studium zu verwenden und damit die möglichkeit gibt, aus dem vollen zu schöpfen, die forderung einer nicht zu groszen (sagen wir etwa 16 18) Stundenzahl ist auch deshalb berechtigt, weil anerkannter maszen die geschichtsstunden , in denen der lehrer fast ununterbrochen reden musz , schon körperlich mehr anstrengen als manche andere." dasz wir diese forderung hier einmal aus wissenschaftlichen gründen betonen, ist notwendig, weil ihre erfüllung durch die überall hervortretenden Sparsamkeits- rücksichten jetzt mehr als früher gefährdet ist, und wenn Preuszen in den gehaltssätzen zur zeit erheblich über anderen Staaten , z. b. Über Sachsen steht, so sollte es sich doch hüten, die heilsame Wirkung seiner neuregelung durch Vermehrung der Stundenzahl abzuschwächen, gerade deshalb liegt hier der vergleich mit Sachsen nahe, weil dieses in letzterer beziehung wieder Preuszen als vorbild dienen könnte: Sachsen überschreitet zwar das ideal der Stundenzahl auch noch, fordert aber doch von seinen lehrern einige stunden weniger als

>* Tgl. ankündiguDg von Greifswald im litterar. centralblatt 1895 n. 8 sp. 278.

^* selbstverständlich soll damit keine ausnahmestellnng für den geschichtslehrer beansprucht werden; im rahmen nnserer betrachtung haben wir es aber nur mit ihm zu thun und können auf andere fächer nicht eingehen.

258 A. Baldamus: die Torbildung des geschichtslehrers.

Preuszen, etwa die frühere preuszische zahl, es gilt hier eben beides zu tbun, denn eins ist vom wissenschaftlichen Standpunkte aus die notwendige ergänzung des andern.

Zur sicheining des erstrebten zieles musz ich nun noch einen punkt berühren , dessen erwähnung mir nicht leicht wird , aber in diesem Zusammenhang nötig ist. es ist die w e r t s c h ft t z u n g von forschung und lehrthätigkeit. man wird wohl behaupten können, dasz die Studenten der philosophischen facultät lebenslang an ihren Universitätslehrern mit besonderer pietät hängen; um so wunderbarer ist es, dasz dies Verhältnis ein in gewissem sinne einseitiges ist. wir hoffen nicht falsch verstanden zu werden, wenn wir der annähme ausdruck geben, dasz manche Universitäts- lehrer die lehrthätigkeit ihrer früheren zOglinge mit einer ge< wissen geringschätzung ansehen, wenigstens für minderwertig halten im vergleich mit einer etwa nebenher gehenden noch so eng begrenzten forscherarbeit oder etwa dem archivdienst, der von selbst zu rein wissenschaftlicher arbeit hinführt, beweisen läszt sich das natürlich nicht, auch wird es den betreffenden vielleicht gar nicht zum klaren bewusteein kommen, sie werden es auch theoretisch nicht zugeben , aber sie leben in dieser anschauung. wie die sache selbst, kommen wohl auch die in dieser richtung wirkenden Ursachen nicht immer zu klarem bewustsein. wir rechnen zu ihnen die that- Sache , dasz im lehrerberufe eine höhere carri^re fehlt, wir rechnen dahin weiter die thatsache, dasz die Universitätslehrer der übrigen facultäten neben ihrem lehramte praktisch genau in derselben weise als ärzte, prediger und richter Ihätig sind, wie ihre Zöglinge, die der philosophischen facultät nicht; denn dasz manche einmal zu anfang ihrer laufbahn lehrer an höheren schulen gewesen sind, kommt nicht in betracht, da sie dabei doch wohl meist mehr der not gehorchten als dem eignen trieb, wir rechnen dabin endlich die thatsache, dasz manche ihre forscherarbeit selbst fUr wichtiger halten als ihre eigne lehrthätigkeit. wir wollen nun aus dem vergleich mit den andern facultäten nicht die folgerung ziehen , dasz den Universitäts- professoren einige stunden an gymnasien zu übertragen seien , son- dern nur den wünsch aussprechen, dasz sie versuchen möchten, sich zu dem lehrerberuf innerlich sympathischer zu stellen und ihren Studenten von deren künftigem beruf einen möglichst hohen begriff beizubringen, gerade bei der schon betonten pietät gehört das hier ganz besonders zu den Imponderabilien, deren bedeu- tung ja überall sonst immer mehr gewürdigt wird, wer seine freie zeit anwendet, ehrlich für seinen beruf zu arbeiten und sich als lehrer zu vervollkommnen, darf wohl anders, aber nicht geringer geschätzt worden , als der , der diese freie zeit etwa zur herausgäbe von Urkunden oder dgl. benutzt, man verstehe uns nicht falsch, die zu ernster, oft scheinbar kleinlicher forscherarbeit erziehenden seminarUbungen sollen bleiben wie sie sind; diese schule, in der die deutsche Wissenschaft grosz geworden ist, soll jeder künftige lehrer

A. Baldamus: die Torbildang des geschichtslehrers. 259

durchmachen; wenn ihn aber dann neigung oder zwang zum lehrer- beruf ftihrt , 80 darf er nicht das gefühl haben , dasz er damit nach dem urteil derer, zu deren füszen er gesessen und zu denen er mit pietät aufblickt, von einer hohen zu einer untergeordneten thfttigkeit hera'bsteigt und denen , die die bisher gefibte einzelforschung fort- setzen können, nachzustehen hat. es lähmt die berufsfreudigkeit und schädigt damit auch den Unterricht, wenn der lehrer und das wird oft gerade der begabteste und geistig angeregteste sein den abschlusz seiner Studienzeit nicht als ein aufsteigen sondern als ein herabsinken ansieht, dies gefühl soll wie gesagt nicht verhindert werden durch änderungen im studiengang der Universitäten; es nicht aufkommen zu lassen , ist sache der persönlichen haltung der Professoren gegen ihre schüler.

Dasz diese ganze erörterung, weil sie misdeutet werden könnte, mir nicht erwünscht ist, habe ich schon angedeutet, sie erschien aber notwendig, weil das besprochene als imponderabler einschusz auch zu 'der anläge des Studiums' gehört, gern verzeichnen wir nun auch die thatsachen , die auf dem uns zunächst beschäftigenden ge- biete eine dem lehrerberufe gerechter werdende gesinnung'^ bekun- den oder herbeizuführen geeignet sind, zumal uns das noch auf einen andern punkt der 'anläge' zurückführt, dahin gehören die oben be- rührten ausführungen von 0. Lorenz über die hohe bedeutung des geschiühtsunterrichts für die deutsche nation. dahin gehört die that- sache, dasz erst die brennenden fragen der geschieh tspädagogik den anstosz zu den Versammlungen deutscher historiker gegeben und hier den lebhaftesten meinungsaustausch auch unter den Universitäts- lehrern geweckt haben, die historikerversammlungen , zu deren Sicherung ja erfreulicher weise in Frankfurt der verband deutscher historiker begründet ist, würden von der gewonnenen bedeu- tung gewis einbüszen, wenn sie etwa die behandlung der prakti- schen fragen aufgeben würden, weil vielleicht einmal zu tief in einzelheiten der pädagogik eingegangen ist oder eingegangen wer- den könnte, wir rechnen zu diesen anzeichen aber auch die zahl- reicher werdenden umfassenden geschichtsdarstellungen aus der feder von Universitätslehrern (Onckens Sammlung, die Grotesche Weltgeschichte , Lindners geschichte des deutschen volkes , v. Z wie- dinecks bibliothek deutscher geschichte, auch Lamprechts deutsche geschichte). für die alte anschauung, für die Waitzianer strengster Observanz föllt solche im groszen und ganzen anmerkungsfreie ge- schichtsdarstellung eigentlich aus dem rahmen wissenschaftlicher arbeit heraus; wenn sie jetzt von Universitätslehrern geübt wird gleichgültig, ob sie oder die Verleger dazu den ersten anstosz

** vgl. übrigens O. Jäger: 'aus der praxis' s. 6 'wird ihm es ge- schieht manchmal ziemlich früh geschichtsunterricht in prima über- tragen, so darf er sich sagen, dasz er ein schwereres geschäft über- nommen hat, als wenn er geschichte vor stodenten vorzutragen hätte, nnd handle demgemäsz'.

260 A. Baldamas: die vorbildoDg des geBchichtslehrers.

geben , so musz sich doch das urteil über die letzten aufgaben des historikers, die uisioht über das, was wissenschaftlich ist, etwas ver- schoben haben, das beherschen weiter gebiete, sie unter möglichster Verwertung der einzelforschungen in groszen zOgen darzustellen^ er- scheint wieder als eine wissenschaftliche leistung, ja zuweilen als die höhere leistung. diese thätigkeit aber nähert sich sehr der lehr- thfttigkeit des geschichtslehrers der primen , jene für weitere kreise bestimmten werke rechnen auf einen bildungsstand , der etwa in den primen gewährleistet ist. auch aus den Frankfurter thesen V. Zwiedinecks leuchtet die anschauung, die mit der einzelforschung die aufgäbe des historikers nicht erschöpft sieht, hervor, bewähren soll sie sich besonders in den collegien , während die Seminare der einzelforschung dienen müssen; und die Vorlesungsverzeichnisse zeigen das auch, so liest z. b. pro f. Lamprecht in Leipzig ein die ganze deutsche geschichte umspannendes zweistündiges publicum: 'einleituDg in das politische und culturgeschichtliche Verständnis der gegenwart.' der lang zurückgedrängte philosophische geist regt sich auch hier wieder und ist nicht mit der wendung *all- gemeines gerede' abzuthun.

Wir brechen ab : erschöpfen wollen wir das thema ebenso wenig, wie wir beanspruchen, neues gesagt zu haben ; es sind gedanken, die im anschlusz an die Frankfurter beratung aus der praxis geflossen sind, sollten wir thesen aufstellen, so würden sie etwa lauten:

1. Es ist aus wissenschaftlichen gründen und wegen der an- forderungen des öffentlichen lebens wünschenswert, dasz der künf- tige geschichtslehrer den in den Leipziger ratschlagen empfohlenen studiengang einschlage und die darin erstrebte gesamtausbildung erreiche.

2. Da indes die praktischen bedürfnisse der schule und die ent- sprechenden Prüfungsvorschriften die volle erreichung dieses zieles beeinträchtigen, auch der bisher übliche studiengang nicht immer darauf zugeschnitten war, ist es wünschenswert, dasz dem geschicbts- lehrer der primen die möglichkeit ernsten weiterstudiums gesichert werde.

3. Es ist wünschenswert, dasz der student im seminar zur strengsten einzelforschung erzogen, daneben aber im colleg zu ver- gleichenden geschichtsUberblicken nach groszen gesichtspunkten angeregt werde; zugleich ist nach möglichkeit zu verhüten, dasz er den lehrerberuf als ein notwendiges übel auffaszt.

Die thesen sagen viel und wenig, wie man will; das haben sie aber mit fast allen derartigen thesen gemein, sie sind ohne grosze Worte praktisch, die zweite berührt sogar eine geldfrage; aber es ist nun einmal nicht anders: viele der groszen reformfragen der schule, und sonst auch, sind im letzten gründe geldfragen, das übrige Viseber (*Auch Einer') würde sagen : das moralische versteht sich meist von selbst.

Leipzig. Alfked Baldamus.

WGeBaoU: die privatlectüre nach den neuen lehrplänen. 261

23.

DIE PRIVATLECTÜBE NACH DEN NEUEN LEHRPLÄNEN.

Die lehrpläne vom 6 Januar 1892 fordern s. 66 eine geordnete deutsche und fremdsprachliche privatlectüre auf dea obem classen als notwendige ergänzung der Schularbeit.

Was heiszt denn privatlectüre?

Zwar ist dieser begrifif bis in die jüngste zeit recht umstritten und bleibt es vielleicht bis zum jüngsten tage, aber an sich ist er klar : in ihm liegt zunSchst die andeutung einer freiwilligen, sodann einer selbsttfndigen, mit eigner kraft zu stände gebrachten leistung. ist dem so, so ist die freie privatlectüre, von der man jetzt so viel hört, eine tautologie, die verbindliche ein Oxymoron.

Übrigens widerstreitet eine privatlectüre 'als notwendige er- gänzung der Schularbeit' dem stillschweigenden vertrage, der, wie vielen lebensverhältnissen , so dem Verhältnis zwischen der schule und ihren Zöglingen zu gründe liegt» wenn ich mir eine hose machen oder ein haus bauen lasse, würde es mir ungerecht er- scheinen, wenA die ehrsamen meister erklärten: 'ja, aber dies bein must du nähen, diese ecke must du aufmauem als notwendige er- gänzung meiner arbeit.' auch der arzt nimmt , wenn ich mir einen arm oder ein bein abschneiden lasse, die mühe allein auf sich nach dem vertrage, der auch hier vorliegt, so schlieszt auch die schule einen vertrag mit ihrem zögling , sie stellt ihre forderungen (schulgeld und Schulordnung) und verpflichtet sich dafür, ein gewisses quantum von wissen zu übermitteln, es erscheint nicht billig, wenn sie einen teil ihrer Verpflichtungen auf fremde schultern abwälzt.*

Wohl fordert der arzt öfter neben seinen 'ärztlichen bemühun- gen' noch besondere anstrengungen und leistungen von seiten des patienten, aber sie dienen nur zur Unterstützung seiner masznahmen, sie sind leistungen secundärer natur, so zu sagen 'begleitende nebenumstände', alle primären handlungen behält er sich allein vor. so verlangt auch die schule vom ersten tage an besondere haus- arbeiten vom schüler und nimmt dafür seine zeit und kraft manch- mal in recht ausgibiger weise in anspruch, aber mag diese häusliche arbeit vor arbeit oder nach arbeit sein, sie ist immer neben arbeit.

* wir haben manche bedenken gegen diesen artikel, hier auch das formelle, dasz nnser geschätzter mitarbeiter von dem omne simile Claudicat einen sehr ausgedehnten gebrauch macht; aber es ist doch recht gut, wenn einmal, was im folgenden geschieht, die ernste frage angeregt wird, wie sich die höhere schule gegen Oriindeutschland in der litteratur verhalten soll; mit dem bloszen ignorieren oder ent- rüsteten ablehnen hindern wir unsere Jugend nicht, sich fUr Halbes Jugend zu begeistern. die redaction.

262 WGemoU: die privatlectüre nach den neuen lehrplänen.

die bauptarbeit wird in der schale getban. das ist ein selbstver- ständlicber und seit alters anerkannter satz; ihn mit besonderem nachdruck betont, ihn in die mitte der neuordnung gestellt zu haben, ist ein verdienst der lehrpläne vom 6 januar 1892.

Ist nun eine 'geordnete privatlectüre als notwendige ergänzung der Schularbeit' eine arbeit von secundärer art , wie sie allein vom Schüler gefordert werden darf, oder primärer art, wie sie allein der lehrer leisten kann?

Somit wäre jene forderung der neuen lehrpläne unerfüllbar?

Ich meine, man musz hier zwischen fremdsprachlicher und deutscher privatlectüre unterscheiden, aus dem altsprachlichen Unterricht hat sich die privatlectüre entwickelt und ist erst von da auf den deutschen Unterricht übertragen: die sogenannten ge- schlossenen anstalten hatten seit alters besondere Studientage, an denen das private lesen der alten classiker gepflegt wurde; durch ministerialverfügung vom 11 april 1825 wurde diese specialität, die sich wirksam und segensreich erwiesen hatte, auch den öffentlichen anstalten dringend ans herz gelegt, seitdem haben wir privatlectüre als allgemeine einrichtung. aber institutionen lassen sich nicht ohne weiteres von ihrem mutterboden verpflanzen : es war zu keiner zeit an öffentlichen anstalten mit der privatlectüre weit her, sondern was da manchmal unter diesem namen umlief, erinnerte sehr an das bekannte privatissimum, das gratis et frustra gelesen wird, gewöhn- lich war ein gröszerer abschnitt eines Schriftstellers z. b. ein buch Satiren oder episteln von Horaz die private arbeitsleistung eines Vierteljahrs, und am ende desselben wurde die mehr oder weniger grosze Solidität der arbeit durch Stichproben festgestellt. Homer ganz gelesen zu haben, galt als ehrensache, und da das in der classe bewältigte pensum recht klein war, so war das pensum der viertel- jährlichen privatlectüre desto gröszer. auf die poesie also richtete sich die privatlectüre hauptsächlich, wenn auch prosaiker (z. b. Cicero und Sallust) nicht ausgeschlossen waren, innerhalb dieser grenzen hatte der schüler freiheit in der auswahl der privatlectüre, die controlle fand häuflg in extrastunden statt.

Statt dieser Öden art der privatlectüre, die eigens erfunden zu sein schien, um sich mit dem ministeriellen befehl abzufinden und alles beim alten zu lassen, hatte der verf. in den 80er jähren, wo man noch nicht so ängstlich mit jeder minute im altsprachlichen Unterricht geizen muste wie jetzt, die einrichtung getroffen, dasz in den classen von Untertertia an eine stunde wöchentlich für cursori- sches lesen des lateinischen pensums der nächstniederen classe be- stimmt wurde. Sicherheit im unpräparierten übersetzen wurde damit angestrebt, auch bot diese stunde gelegenheit zur einübung der von den lateinlehrern zusammengestellten und auf die einzelnen classen verteilten synonyma und phrasen, wodurch der sonstige Unterricht entlastet und ihm zeit zur inhaltlichen erklärung der Schriftsteller erobert wurde.

WGemoU: die privatlectüre nach den neuen lehrplänen. 263

Für die altsprachliche privatlectüre nach den neuen lehrplänen ist ein anderer gedanke bestimmend gewesen : Mie nähere Verbin- dung der prosalectüre mit der geschichte' (s. 25) hat Ticero aus seiner hervorragenden Stellung zurücktreten' lassen und Livius in den Vordergrund gerückt, man braucht nicht so von Ciceros uni- versaler bedeutung überzeugt zu sein wie Birt, eine römische litte- raturgeschichte gesprochen in 5 st. *was aus dem brunnen griechi- scher Weisheit und griechischer menschlichkeit flosz , sammelte sich für den occident in Cicero wie in einem gewaltigen reservoir, um daraus die gefilde der zukunft unmerklich und doch im tiefsten zu durchtränken'; man braucht der gepflogenheit der früheren zeit, durch gleichmäszige berücksichtigung von Ciceros reden, rhetori- schen und philosophischen Schriften und briefen auf der Oberstufe ein möglichst abgerundetes und volles bild von der litterarischen thätigkeit jenes mannes zu geben jener gepflogenheit braucht man keine thräne nachzuweinen , dennoch wird man sagen müssen, dasz von einem ersatz Ciceros durch Livius gar keine rede sein kann, wenn man freilich mit Nägelsbach gjmnasialpädagogik s. 115 f. Livius seinen mangel an taktischen und politischen kenntnissen als Vorzug anrechnet, seine verzwickte, periodenreiche und weitschweifige spräche wohlthuend nennt, dann sage ich mit Horaz: non est quod multa loquamur, Yenimus ad summum fortunae und iubeas miserum esse, libenter Quatenus id facit.

Verf. ist niemals ein anhänger des einseitigen Ciceronianismus gewesen, sondern lebt der Überzeugung, dasz die kaiserzeit bis Mark Aurel als die zeit der grösten machte des grösten glanzes und des grösten einflusses auf die Germanen unsern schülem näher als bis- her gebracht werden müsse, aber Cicero durch Livius ersetzen, würde ihm bedeuten, den teufel durch Beelzebub austreiben, wäre die nähere Verbindung der classischen prosalectüre mit der ge- schichte praktisch ausführbar, so könnte ein werk wie die 'chresto- mathie aus Schriftstellern der sog. silbernen latinität' von Opitz und Wein hold für die privatlectüre dringend empfohlen werden, aber da alte geschichte nur in II '^ betrieben wird , wird die gröste pädagogische kunst keine brücke vom geschichtsstoff der I zur prosalectüre schlagen können, auch bleibt die alte lehre: non multa, sed multum ewig neu, daher ist ein schriftsteiler jener Opitz- Wein- holdschen Chrestomathie vorzuziehen, aber welcher? ich schlage vor Senecas epp. mor.und dialogi. Senecas stil steht dem modernen ausdruck viel näher als Ciceros oder gar Livius' stil ; der inhalt ist immer interessant, mag dieser geistreiche mann selbsterlebtes schil- dern oder philosophische gedanken ausführen, auf den letzten punkt lege ich das gröste gewicht, die philosophie ist jetzt so gut wie ganz aus der schule verbannt; den schaden merken, die in der präzis stehen, schon nach so kurzer zeit, namentlich im deutschen Unterricht, es ist kaum noch möglich ^ ^wichtige und allgemeine begriffe und ideen mit den schUlern zu erörtern' (s. 18 lehrpläne).

264 WGemoll: die privatlectüre nach den neuen lehrplänen.

sie beiszen da nicht mehr recht an. sicherlich könnte Senecas leichte und gefällige art, die schweren goldbarren griechischer philosophie in gangbare mttnze auszupr&gen, viel segen stiften, wie sehr er die Jugend anzieht, kann man auf den anstalten am besten erkennen, wo die trefflichen Süpfl eschen aufgaben usw., die ihm viel ent- lehnt haben , eingeführt sind, wollen wir unsern schülem wirklich eine lebendige anschauung vom altertum geben, so kann die be- kanntschaft mit der stoischen philosophie, der würdigsten antiken und dem römischen geist congenialen philosophie , nicht umgangen werden, kein bequemerer weg der einführung aber in diese philo- sophie als die lectüre von Senecas Schriften!

Über die methode der privatlectüre lassen sich die neuen lehrplSne gar nicht aus. verf. schlägt folgenden weg ein, der sich ihm als praktisch bewährt hat: 3 4 bücher Livius werden für ein Schuljahr in aussieht genommen und am anfang desselben die zu lesenden capitel, etwa 100 120, für jedes Vierteljahr also 25 30, bezeichnet, fleiszige schüler sollen eben die möglichkeit haben, schon zeitig ihre muszestunden der privatlectüre zuzuwenden, die letzte woche des Vierteljahrs etwa wird, zur absolvierung der 25 30 capitel verwandt, und zwar so, dasz von stunde zu stunde 4 5 capp. zur präparation aufgegeben werden , der lehrer die Übersetzung des Schülers nur, wo es dringend nötig ist, corrigiert, den Zusammen- hang mit den ausgelassenen partien des buches gibt und den Inhalt vom schüler deutsch oder lateinisch kurz zusammenfassen läszt.

Genau so würde ich es im griechischen machen, nur dasz hier nicht die prosa, sondern Homer in erster linie zu berücksichtigen wäre ; genau so auch im französischen und englischen, nur dasz hier auf der Oberstufe der realen anstalten die portionen etwas gröszer sein könnten, aber nur etwas gröszer, denn auch die realschüler springen mit französisch und englisch nicht wie mit ihrer mutter- sprache um.

Aber, wird man sagen, das ist ja gar keine privatlectüre, das ist ja das längst bekannte cursorische lesen, um den namen streite ich nicht, doch halte ich die sache für sehr wertvoll, ein- mal wegen der vortrefflichen Übung im durcharbeiten gröszerer ab- schnitte als bei der statarischen lectüre möglich ist, dann wegen des gegengewichts gegen die grosze beschränkung in der wähl der statarischen lectüre. in diesem sinne ist die privatlectüre wirklich die notwendige ergSnzung zur classenlectüre , erst beide zusammen geben dem schüler eine einigermaszen genügende anschauung von den beiden alten resp. den beiden modernen sprachen.

Für das deutsche liegt die sache ganz anders, hier ist wirk- liche privatlectüre möglich d. h., wie oben erörtert, freiwillige und selbstgewählte, selbständige und mit eigner kraft durchgeführte lectüre. denn auszer Lessings Laokoon und dramaturgie und Schillers prosaaufsätzen, die in der schule durchgenommen werden, dürfte es wenig litteratur werke geben, die über den horizont eines schülers

WGemoll: die privatlectüre nach den neaen lehrpl&nen. 265

der Oberstufe hinausgehen, die Schwierigkeit liegt hier einerseits in der massenhaftigkeit des materials und der notwendigkeit, gröszere mengen desselben zu bewältigen, anderseits in dem begreiflichen wünsch der schule, die zügel wohl locker zu halten, aber nicht ihren bänden entgleiten zu lassen.

um zuerst von dem was der deutschen privatlectüre zu sprechen, so ist hier vor einem zuviel und einem zuwenig zu warnen, auf der zehnten schlesischen directorenconferenz (1894) hat die majorität den satz durchgebracht: 'das lesen guter Übersetzungen ist itir die freie privatlectüre zu empfehlen.' die fassung berechtigt zu dem verdachte, als wollten die directoren selber den schüIern Über- setzungen für die fremdsprachliche privatlectüre in die band drücken, es ist aber nur die deutsche gemeint, 'die sich nicht nur (sie!) auf die eigne litteratur beschränken, sondern auf die weltlitteratur aus- dehnen soll' (Verhandlungen der directoren Versammlungen 43r bd. 8. 190). 'dasz niemand zu weit greife', steht doch schon in der bibel: was thun unsere schüler, was thut der deutsche Unterricht auf unsern schulen mit der weltlitteratur! jene sollen in der deut* sehen litteratur heimisch werden , dieser in dieselbe einführen , dies und nichts weiter ist sein zweck, immer wieder musz betont wer- den, dasz der deutsche Unterricht eigne aufgaben hat und nicht dazu gemisbraucht werden darf, 'manches für die schule wissenswerte, das durch die neuen lehrpläne abgeschnitten ist, so die tragödien des Aeschylus und Euripides' (a. a. o. s. 190) durch eine hinterthür wieder einzuführen, noch werden auf den gymnasien 1 2 stücke von Sophokles im griechischen Unterricht gelesen und davon haben die schüler mehr als wenn sie den ganzen Aeschylus und Euripides in guten Übersetzungen privatim läsen; den realschülern aber fehlen alle anknüpfungspunkte für das Verständnis einer Aeschylus- und Euripidesübersetzung, sie haben ja dafür Shakespeare, 'laszt sie den hören'.

Und der entgegengesetzte pol, das zuwenig der deutschen privatlectüre? dasz die geschichte bis zur gegen wart vorgetragen wird , ist endlich erreicht worden , die deutsche litteratur wird nach den neuen lehrplänen nicht über Schiller und Goethe hinaus behan- delt, nur für I^ sind 'proben von neueren dichtem' (s. 16) und für I* Lebensbilder bedeutenderer neuerer dichter' (ebd.) in aussieht ge- nommen, ich meine ^ dasz eine Orientierung über die deutsche litte- ratur seit Goethe bis zur gegenwart eine dringendere aufgäbe ist als die Orientierung über die neueste geschiebte, denn die unbekannt- schaft mit jener schadet dem jüngling mehr als mit dieser, freilich erwächst für den lehrer damit eine gewaltige aufgäbe: die Uni- versität hat ihn hier so gut wie ganz im stich gelassen, die litteratur- geschichten gehen selten über 1870 hinaus, und die litteratur der letzten 24 jähre und ihre beziehungen zu Bussland (Dostojewski), dem norden (Ibsen) und Frankreich (Zola) sowie zur deutschen Philosophie (Nietzsche) selbständig zu durchforschen, kostet viel

N. Jahrb. f. phil. a. päd. II. abt 1895 hfl. 5 a. 6. 18

266 WGemoU: die privatlectüre nach den neuen lehrplänen.

zeit, kraft und geld. doch *wat möt, möt'. die schule würde dem ideal einer erziehungsanstalt sehr fern stehen, wenn sie ihre Zög- linge auf dem uferlosen meer der modernen litteratur, das zahl- reiche opfer verschlingt, ohne compasz lassen wollte.

Nun haben die Unterrichtsstunden schon so manigfache auf- gaben, dasz auch der gewissenhafteste und tüchtigste lehrer mehr wie einen sehr allgemeinen überblick über die neueste litteratur nicht geben kann, hier musz die privatlectüre ergänzend eintreten.

Damit sind wir schon bei dem wie der privatlectüre angelangt, ich knüpfe die privatlectüre an die vortrage der schüler an. wohl wird am anfang jedes Vierteljahrs ein drama (gewöhnlich von Shake- speare, selten von Goethe, Schiller) zur häuslichen lectüre bestimmt und in einer der letzten stunden des Vierteljahrs nach inhalt, auf- bau, Charakteren usw. besprochen, aber da die durchschnittsschüler das drama erst den abend vorher durchlesen , ^der not gehorchend, nicht dem eignen trieb', wäre es allzu sanguinisch, hier von privat- lectüre sprechen zu wollen, die vortrage aber können zu wirklicher privatlectüre führen, im ersten Semester lasse ich jeden schüler sein thema frei wählen, suche nur herauszubekommen, wofür jeder eine Vorliebe hat; am anfang des zweiten Semesters stelle ich doppelt so viel themen als schüler da sind, so dasz jeder noch freie wähl hat. Frejtag, Ebers, Spielhagen, Geibel, Schefifel, Jordan, Fontane, Richard Wagner, Ernst v. Wildenbruch bieten themen im überflusz, die den schüler zu selbständiger arbeit nötigen und ihm durch den reiz der neuheit freude machen , und die besprechung der vortrage durch den lehrer wird auch auf Ibsen, Hauptmann, Sudermann, Fulda und manchen geringeren der modernen Streiflichter fallen lassen.

Selbstverständlich gibt es dabei für die schule nur einen ein- zigen Standpunkt^ das ist der des treuen Eckart, doch ist es bei weitem besser und würdiger, zu belehren und zu leiten, zu warnen und zu trösten, als sich dem wahn hinzugeben, dasz die schule die ihr anvertraute Jugend von der modernen litteratur fem halten kann^ während jede mittelstadt ihr theater nicht blosz für die alten hat, der buchhändlerische vertrieb sich auf tausend wegen an die Jugend herandrängt und die eitern selber lieber die Vorstellung eines Stückes von Sudermann und Hauptmann als von Schiller und Goethe besuchen.*

* für den winter 1894/95 sind von mir folgende themen für vor- trage gestellt, die mit einem f versehenen von den schillern der I* gewählt worden:

Goethes frauengestalten.

Homerstndien. Heinrichs v. Kleist zerbrochener kmg. t - - - tragödien.

f - - - Käthchen von Heilbronn,

fdas deutsche lustspiel seit Lessing. tW. Müller.

WGemoU: die privatlectüre nach den neuen lehrpl&nen. 267

tPlaten.

Berthold Auerbach, fdie deutschen dorfdichtungen. t Ibsen.

erklärung der Aristotelischen definition der tragödie. fLenaus lieder. f - Sayonarola.

Lessings, Lenaus und Qoethes Faust mit einander verglichen« f Grabbes Napoleon.

Hohenstanfen. fder rationalismus und seine Vertreter, fdie romantik und ihre Vertreter.

ChamisBos Salas 7 Qomez. fdie dialectdichtung der Deutschen.

Heine die grenadiere und v. Zedlitz die nSlchtliche heersohau. fabschied Gids von Ximenen, Hectors von Andromache bei Homer und Schiller, Siegfrieds von Kriemhild.

f Goethe im Elsass (nach dichtung und Wahrheit], f Goethes balladen.

welche Stoffe bieten Goethes balladen dem maier?

Inhalt von Schillers aufsatz: ^die Schaubühne als moralische anstalt betrachtet.'

Inhalt von Schillers aufsatz': 'gedanken über den gebrauch des ge- meinen und niedrigen in der kunst.'

vorfabel zu Schilles Don Carlos.

die ezposition in Schillers Maria Stuart, f Schillers Kabale und liebe ein zeitbild.

die schluszhandlung in Schillers dramen.

die reue in Schillers dramen.

die fÜrstenbilder in Schillers dramen. LiEGNiTz. Wilhelm Gemoll.

24.

DER FRANZÖSISCHE ARTIKEL, (nachtrag zu hft. 2 s. 95—106.)

Frankfurt am Main wird stets angeführt als ausnähme von der regel, dasz das unterscheidende sur mit einem flusznamen ohne artikel steht, in folgendem satze fehlt der artikel; die fremde stadt wird hier den französischen gleichgestellt, weil sehr bekannt, gleich- sam als eine eingebürgerte behandelt (mit Frankfurt an der Oder würde es wohl nicht so leicht geschehen, in häufiger vorkommenden Wendungen macht man sich's bequem. '): n'^tant jamais all6 ä Franc- fort-sur-Mein, ce sourire lui 6tait nouveau (rev. 16/12 79 s, 810)

Zuweilen steht der article partitif vor abstracten, wo die gram- matiker den bestimmten artikel verlangen : le v6ritable attachement

' vgl. das ausfallen des artikels in Sprichwörtern und Wendungen wie avoir faim, soif usw., die Verdrängung von roi de la Gröce durch de G., fromage d*Hollande statt de H. usw.

18*

268 C. Hambert: der franzÖBische artikel.

ne se prouve pas par du dösespoir, mais par des efforts soutenus (Souvestre, le döpositaire). der article partitif muste stehen in dem satze : ces essais commencdrent ä lui donner d e 1 a reputation (es etwas) (madame Riccoboni, Emestine, am anfang).

C'6tait un vieillard k figurd socratique (mit einem Sokrates- gesicht) (Souvestre, un pr6cepte de Lafontaine), ebenso: *de sa femme', r^pondit le jeune homme ä figure päle (Souvestre, las pröventions) , trotz des bestimmten artikels vorher, und im gegen- satz dazu: Eitzofif 6tait un gros homme de petite taille, ^ la figure couleur de suif, au regard louche usw. (Souvestre, les bannis). in derartigen Wendungen mit dem unterscheidenden ä kann , wenn sie nicht zu stehenden redensarten geworden sind (wie bateau ä vapeur, potage oder soupe auz . . .), der artikel stehen und wegbleiben.

In dem satze: le souffle de Christ, lorsqu^l descend dans rhomme, se fait connaltre par des sensations phjsiques . . . Christ est incam^ en euz pratiquement (rev. d. d. m. 1/9 93 s. 133) steht beide male Christ ohne artikel.

Ein prädicatives participe kann ebenso wie ein adj. als subst. gebraucht werden mit dem unbestimmten artikel : un homme n'est point u n vaincu tant qu'il lui reste un souffle de vie et de volonte (rev. 1/9 93 s. 46).

Es ist dasselbe, wie wenn prädicative völkemamen mit dem teilungsartikel stehen, da soll nicht etwas blosz äuszerliches , blosz für den augenblick vorhandenes ausgedrückt werden, sondern das prädicat bezeichnet (oder erfüllt gleichsam) das ganze wesen des sub- jects , wie in *ce cbeval est u n quadrup^de' das quadr. nicht blosz eine unwichtige eigenschaft, sondern das ganze wesen eines vier- ftiszlers, alle unauflöslich damit verbundenen eigenschaften. ebenso Tor est un m^tal. ebenso wie des Fran9ais alle wesentlichen eigen- schaften des Franzosen in dem satze: hommes 6gar6s par les fauteurs de nos plus cruels ennemis, qui 6tes-vous et que voulez-vous? dtes- vous des Fran9ais? nous le sommes autant que vous! ötes- vous des patriotes? —r nous le s. a. q. v.! (rev. d. d. m. 1/10 93 8. 676). also auch un vaincu i= ein vollständig, endgültig besiegter.

Wie erhalten der französische comparativ mit dem be- stimmten artikel und der blosze comparativ nach ce qu'il y a de die bedeutung eines Superlativs?

Der französische Superlativ ist nur ein comparativ, und wird erst Superlativ durch vorsetzung des bestimmten artikels (oder pron. possess.). im gegensatz zu einem gröszeren, der noch andere neben sich hat; ist der gröszere der eine, der gröszer ist als alle anderen, daher der allergröste, wie die bibel das buch vor allen anderen, das buch der bUcher^ und der dichter, der gröste dichter, bei den Griechen Homer, ebenso nach ce que, z. b. ce qu'il y a oder

C. Humbert: der franzötische artikel. 269

avait de plus beau; da erhält der comparativ die bedeutung eines Superlativs, weil ce que auf ein bestimmtes wirklich vorhandenes hinweist, was schöner ist oder war als alles andere, während umgekehrt in dem fragenden qu'y a-t-il de plus beau? die com- parativ bedeutung bleibt, weil da que nach allen möglichen dingen fragt, die vielleicht schöner sind, nicht als alle andern, sondern blosz als das eine, von welchem vorher die rede gewesen ist.

Artikel vor dem prädicativen pron. possessivum.

Das pronom possessif prädicativ ohne artikel: Tindividu, mdme en s'asservissant , demeüre soi le plus souvent et sa servitude est sienne (rev. d. d. m. 15/11 93). wir würden 'die seinige' sagen, natürlich aber auch mit dem artikel : il rogarde le paysage avec le m^me air d6tach6, comme si ceite affaire n'6tait point la sienne (rev. 1/12 93 s. 532).

Weglassung des bestimmten artikels.

II peut arriver dans Favenir, et TAllemagne le comprend comme nous, qu'Allemands et Fran^ais aient 4 exercer une action commune contre une compagnie trop avide (die englische Bojal Niger Company in Afrika) (rev. d. d. m. 15/12 93 s. 952). hier fehlt der artikel vor Allemands und vor Fran^'ais , ein fall , den die grammatiken meines Wissens gar nicht berühren, warum nicht les A. et les F.? offenbar, weil sie wegen der action commune zusammen- gefaszt werden sollen zu einem ganzen, aber warum denn nicht les A. et F.? ebenso sicher, weil sie im gründe an sich doch nicht ein ganzes sind, so blieb denn nichts anderes übrig als einen mittel- weg einzuschlagen und den artikel ganz wegzulassen, ebenso : n o v a - teurs et conservateurs ont raisonn6, comme si le fait möme du sexe n'ezistait pas (ebd. 15/9 93 s. 397), und: philosophes et savants ont soutenu que la femme 6tait an homme non d6velopp6 (s. 399). ebenso interpellateurs et interpell6s se donnent le mot pour s'expliquer swiä^ rien dire (rev. 1/3 93 s. 226). tant que cette Situation restetä ce qu'elle est, France et Bussie sont 6galement int^fess^es k ne pas se laisser detourner d'une alliance qui est lay'garantie de leur propre 86curit6 comme de la paix du con- tinent (ykv. 15/2 93 p. 948). les fouilles faites en Egypte rendent aujourd'^ui t6moignage du commerce que n'ont pas cess6 d'entre- tenir avt%c eile P6lasges et Achtens (15/2 93 s. 898). tories etunionistes ont d6j4 passionnement ouvert la campagne (1/3 93 8. 236). j

Die ^ auslassung des artikels vor Angleterre usw. läszt sich auch anders /erklären in dem satze: notre litterature s'est renouvel^e en am^pruntant un esprit nouveau ä TEurope entiöre, Angleterre et Alilemagne, Espagne et Italie^ d. h. 'einerlei was diese Europe sein

270 C. Hambert: der französische artikel.

mochte' und ähnlich in obigen Sätzen, wo interpellateurs et inter- pell6s und novateurs et conservateurs an *alle' erinnert.

Ebenso schon in einem roman aus der ersten hälfte dieses Jahrhunderts von Sachen : le lierre , la girofl6e et les autres plantes pari6taires ont fait pour le ch&teau ce que le vigneron avait fait pour sa base; aujourd'hui, ch&teau et rocher pr6sentent pendant la belle saison une masse verte dont Taspect n'a plus rien de terrible (Elle Berthet, le nid de cigognes I). und ebd. V: ch&teau et d6pen- dances semblaient abandonn6s.

En mit dem bestimmten artikel; dont statt avec mit einem relativum, der article partitif und der unbe- stimmte artikel vor abstracten Substantiven.

Seit einiger zeit ist mir in der revue des deux mondes der immer mehr zunehmende gebrauch des unbestimmten und des partitiven artikels statt des bestimmten aufgefallen und der von en statt dans mit dem artikel, wo die grammatiken verpönen; am meisten in einem roman von Beibrach am schlusz des jahres 1893; einige stellen daraus mögen hier folgen.

Jamais ce rdve n'avait pris un essor complet, mais il avait agit6, en le mjstöre imp6n6trable du coeur, des battements d'ailes confus (rev. 1/11 93 s. 137).

M a u V a i s e m e nt ', il se laissait aller & u n e coldre , regrettant qn'elle n'eüt point consenti (rev. 1/11 93 s. 136). il 6tait courb6 80US le poids d ' u n d^sespoir (ebd.). une confusion lui venait des artifices dont eile avait U86 (s. 138). une torpeur Tenvahissait (s. 140). M"^^ DardoiSy les jeux luisans d'une gloire, afQchait Raoul, semblait le trainer derridre un char (s. 148). le jour baissant faisait sur eux peser davantage une m61ancolie (s. 166).

Les d6pit8 . . . aboutissaient & une haine (= un sentiment de h.) (rev 15/11 93 s. 410). de Tamour la brülait^ dont eile voulait s'^carter avec des bonds fous et vers quoi, au contraire, eile 6tait contraintd de tejidre de toutes ses forces (ebd. s. 411).

Son regard la parcourait dänTTKlgstupeuri en la longueur flottante de son vötement , eile lui parutlfel!^^*^^^® ^^ grandie d'il ne savait quoi, dont sa colöre tombait brusquemöSiXs- 1^^)-

II lui en venait surtout Timpression d'ötre ensen^*^ ^®^ ^^®^^ d'une Sure tendresse. et une l&chet6 le poussait ä sV auf *^^^°®^ (8. 146). ^ A

Diese beispiele und noch manche andere finden sichi*^^® '^®^- d. d. m. 1/11 93 s. 132—67. /

Neben dem un, une zuweilen auch une sorte de, Ä^®^ ^^^^ statt en, und avec statt de und dont, in ähnlichen m\^^ böchst selten, sie zeugen von einer gewissen Verschwommenheit un^^ weich-

' schändlicherweise.

F. HomemanD : anz. y. P. Dettweiler Ciceronis epistulae selectae. 27 1

heit', die dem Verfasser eigen oder die er um des stofifes willen hier hervorkehrt.

Ebenso der gebrauch von dont: eile vojait le geste dont il venait de se lever (rev. 1/11 93 s. 136).

Noch ein beispiel aus einem gleichfalls seltsamen , eigentüm- lich mystischen roman von Gilbert Augustin Thierrj 4e masque' : qu'elle est ainsi charmante en le manteau de ses noirs cheveux 6pandus avec ses longs yeuz clos qu'arrose nne aur6ole (rev. 15/2 94 s. 746).

' diese Weichheit rührt von dem bei en fehlenden consonanten und die verBchwommenheit von der, im gegensatz za dans, ihm fehlenden scharfen begrenzung.

Bielefeld. C. Humbert.

25.

P. Dettweiler, M. Tdllii Ciobronis epistulae selectae. FÜR DEN SOHULQBBRAUCH ERKLÄRT. Gotha, Friedrich Andreas Perthes. 1894. X u. 223 s. gr. 8.

Die vorliegende neueste ausgäbe ausgewählter briefe Ciceros ist nicht einem erst vor kurzem, etwa infolge der neuen preuszischen lehrpläne, hervorgetretenen bedürfnis entsprungen, sondern einer langen und liebevollen behandlung von Ciceros briefen in der schule, aber dennoch oder vielleicht gerade deshalb entspricht sie den wesent- lichsten anforderungen , welche die neuen lehrplttne an den Unter- richt stellen, in besonders hohem masze.

Wenn es der zweck des neuen gymnasiallehrplans ist, die classi- schen sprachen soweit zurückzudrängen, dasz die nationalen und modernen demente der allgemeinen bildung unserer zeit dazu in eine art von gleichgewicht treten , so musz er natürlich die gefahr der Zersplitterung hervorrufen, diese läszt sich nur durch Verein- fachung und Verknüpfung des vielgestaltigen lehrstoffes vermeiden, wobei auch zu berücksichtigen ist, dasz die menge des Stoffes der vorhandenen zeit wirklich entsprechen musz. die lehrpläne leiden in dieser beziehung an einem inneren widersprach, insofern sie dem lateinischen der angeführten absieht gemäsz den räum beschränken, sich aber zu dem nun notwendigen verzieht auf das bisherige vielerlei der classikerlectüre noch nicht in vollem masze entschlieszen können, nicht viele Schriftsteller a n zulesen , sondern in wenige sich e i n - zulesen ist jetzt mehr als je die aufgäbe, da die weltgeschichtliche bedeutung der Römer nicht wie die der Griechen am meisten auf einer eigenartigen kunst und philosophie beruht, sondern auf der lösung groszer praktischer aufgaben im Staats- , rechts- und kriegs- wesen, so sind die Schriftsteller, in die der schüler vor allen dingen eingeführt werden musz , die groszen römischen geschichtschreiber : Caesar; Livius, Tacitus ; denn auch Livius rechne ichfürdieschule

272 F. Homemann: anz. t. P. Dettweiler CiceroDis epistulae selectae.

unbedenklich zu den groszen historikern. daneben hat nur ein dichter selbständigen wert: Horaz; die übrigen, Ovid und Vergil, füllen nur das bild römischen geisteslebens und sind litterargescbicht- lieh zu wichtig, um ganz wegfallen zu können, für die beiden tertien ergibt sich hieraus^ als die natürliche lectüre: Caesar (Bellum Galli- cum) und eine knappe aus wähl aus Ovid; für die secunden:' Livius

der in den neuen lehrplttnen zu sehr zurücktritt und eine nicht zu umfangreiche auswahl aus Vergil, für die primen: Tacitas und Horaz. dagegen wird Sallust fallen müssen, zumal da er yerhält- nismäszig schwer ist, und dasz Cicero stark beschränkt werden soll, heben auch die neuen lehrpläne s. 25 hervor, die philosophischen und rhetorischen Schriften sind für keine classe mehr vorgeschrieben, meiner meinung nach mit recht, denn Cicero ist für uns nicht mehr wie vordem der vermittler antiker philosophio und der grosze lehrer der redekunst; auch zweifle ich, ob die lectüre philosophischer werke in einer fremden spräche ; zumal in einer der beiden alten, den Schülern nicht zu viel zumutet: fruchtbarer ist jedenfalls eine ein- fübrung in philosophisches denken im anschlusz an deutsche Schriftwerke, aber auch abgesehen von seinen theoretischen Schriften hat Cicero den wesentlichsten teil seiner bedeutung verloren , seit- dem die neuen lehrpläne s. 24 vorschreiben, dasz der sprachliche gesichtspunkt fortan bei der lateinischen lectüre zurücktreten , das inhaltliche Verständnis and die einführung in das geistes- und cult ur- leben der Römer die hauptsache sein soll, eine answabl aus den reden und briefen Ciceros wird sich daher^ abgesehen von allgemein pädagogischen rücksichten, wesentlich nach dem gesichtsp unkte zu richten haben, inwieweit sie geeignet sind, die historische lectüre

die ja nach dem oben gesagten den kern des lateinischen le^e- Stoffes bildet zu ergänzen und zu unterstützen, teils wird man sie benutzen, um das bild römischen geisteslebens, das die schule gewähren soll, zu bereichern, teils um zeiten, deren Schilderung aus den drei genannten historikern nicht ausreichend zu gewinnen ist,

wie namentlich die der sinkenden republik den schülem mit ihrer hilfe nahe zu bringen.*

Dasz die vorliegende auswahl aus Ciceros briefen ganz beson- ders darauf angelegt ist, diesem zwecke zu dienen, darin sehe ich vor allem ihren didaktischen wert, sie bildet die positive ergänzung zu D.s vortrefflichen arbeiten über die reden pro Roscio und die Philippiscben reden, die er mit recht vom lehrstoffe des gjmnasiums

* an reden würde ich daher zur eiDführiing eine oder zwei leichtere gerichtsreden, als hauptsache und zugleich als bcispiele der staats- reden die gegen Catlliua lesen, aber nicht, wie auch D. noch empfiehlt, die Pompejana. die Catilinarischen reden wären in II' (winter) an die römische gcschichte anzuschlieszen, zugleich als Vorbereitung für die in I*' folgenden briefe. damit wäre auch die für römisclies geistes- leben so wichtige litteraturgattung der rede den schülem gcuügend vorgeführt; die fürl* vorgeschriebene gröszere rede Ciceros würde ich weglassen.

F. Homemann: anz. ▼. P. Dettweiler Ciceronis epistulae selectae. 273

ausschlieszen möchte (sammlung pädag. abhandl. von Frick und Meier, II und VI), als oberster grundsatz schwebte ihm vor, 'solche briefe auszuwählen, die am deutlichsten, und zwar aus der ganzen in den Sammlungen behandelten zeit, es er- klären, wie die ganze ttuszere und innere entwicklung Borns zu der monarchie hindrängte, die also das wer- den des römischen kaisertums im besonderen oder einer kräftigen monarchie im allgemeinen vor äugen zu führen geeignet wären.' die Stellung Ciceros zu diesem Werdegang soll nicht das hauptthema sein, sondern nur einen wirk- samen concentrationspunkt fttr die behandlung bilden, deshalb ist die Sammlung chronologisch mit rücksichtnahme auf Ciceros leben und wirken geordnet, in ausfuhrung obigen hauptgrundsatzes sind ferner nicht blosz die zustände, sondern auch die führenden männer der zeit, namentlich Caesar und der spätere kaiser Augustus, mög- lichst deutlich geschildert, die schon in diesen thematen liegenden zahlreichen anlasse, auch den antiken, insbesondere den römischen menschen kennen zu lehren, sind noch vermehrt durch briefe, welche allgemein menschliche Verhältnisse wie liebe und treue, trauer und trost, die bände der familie und freundschaft zur an- schauung bringen, natürlich wird endlich auch die für das damalige römische leben wichtige litterarische gattung der briefe in ihrer sprachlichen und inhaltlichen eigenart hier an dem hervorragendsten beispiele vorgeführt, namentlich der oben als der erste und haupt- sächlichste bezeichnete grundsatz der aus wähl ist in keiner der bis> herigen ausgaben der briefe in ähnlicher weise durchgeführt (ein- leitung s. 5 f.).

Aber D.s ausgäbe behandelt nicht blosz die briefe Ciceros gerade nach den gesichtspunkten , die dem heutigen stände des lateinunterrichts am gjmnasium entsprechen: sie ist auch ein bei- trag zur durchführung der gesamtidee, in der nach meiner meinung gegenwärtig der gymnasiale lehrstoff seine innere einheit suchen musz, ich meine die beziehung alles Schulwissens auf ein geschichtliches Verständnis der gegenwart und die darin liegende Vorbereitung zugleich für jedes wissen- schaftliche Studium und für das praktische leben, die neuen lehrpläne stellen auf s. 42 dem geschichtsunterricht die auf- gäbe, das gedächtnismäszige festhalten des thatsächlichen zwar nicht zu vernachlässigen, die inneren Verhältnisse aber vor den äuszeren in den Vordergrund treten zu lassen und das Verständnis für den pragmatischen Zusammenhang der ereignisse und für ein höheres walten in der geschichte, die fähigkeit zum begreifen der gegenwart aus der Vergangenheit vor allem zu wecken, an vielen andern stellen ziehen sie ferner die fremdsprachliche und die deutsche lectüre zur Unterstützung der geschichte heran und lassen also auch diese lehrfUcher an der beschriebenen aufgäbe teilnehmen, damit treffen sie das richtige aus zwei hauptgrttnden. seitdem die idee

274 F. Hornemann : anz. y. P. Dettweiler Ciceronis epistulae selectae.

der entwicklang auch die naturwisscnschaften beherschi, ist der historische Charakter gesamtmerkmal aller modernen forschung ge- worden, und eine wissenschaftliche vorbildungsschule musz ihren Stoff, die allgemeine bildung, dem entsprechend behandeln, d. h. sie musz alle hauptstrOme moderner bildung und gesittung in ihren lehrplan aufnehmen und das Verständnis dafür wecken, wie dieselben im lauf der geschichte zusammengeflossen sind, darin liegt aber zweitens die beste Vorbereitung für das praktische leben, denn die leitenden kreise des Volkes müssen soweit mit allen zweigen der bildung in berührung stehen , dasz ihnen nirgends ein allgemeines Verständnis für die Strömungen des Jahrhunderts fehlt, je gröszer die Zersplitterung der Interessen gegenwärtig ist, je heftiger ihr kämpf entbrennt, desto notwendiger wird dies, darum hat D. nicht blosz im allgemeinen das historische in seiner behandlung der briefe besonders hervortreten lassen, sondern er hat sich auch nicht ge- scheut , Verhältnisse der gegen wart zu berühren , wenn sie zur er- klärung dienen oder selbst durch den antiken Schriftsteller erklärung finden, insbesondere hat er ein hauptaugenmerk auf die wirtschaft- lichen Verhältnisse gerichtet, namentlich auf die versuche, die uralte and jetzt wieder brennend gewordene sociale frage zu lOsen (s. VII und 5 f.). darin stimmt er wiederum mit den neuen lehrplänen überein , die ebenfalls auf die sociale frage den grösten wert legen und verlangen, dasz der lehrer gegenüber den socialen f orderungen der gegen wart auf die geschichtliche entwicklung zurückweisen soll (s. 42).

Aber wie alles wissen, so bleibt auch dieses unfruchtbar, wenn es einfach dargeboten , nicht von dem schüler unter anleitung dos lehrers erarbeitet wird, deshalb fordern die lehrpläne an vielen stellen anleitung des schülers zur selbsttbätigkeit, und ich sehe einen dritten hauptvorzug der aus wähl D.s darin, dasz er die eigne arbeit des schülers in der richtigen weise und dem rich- tig enmasze fördert, er erleichtert nämlich das sprachliche und sachliche Verständnis des einzelnen briefes so weit, dasz eine gewisse breite der lectüre möglich wird, die ja zum heimischwerden in einem Schriftsteller immer nötig ist. dazu dienen die anmerkungen, welche in der sprachlichen erklärung nur Schwierigkeiten beseitigen, in der erläuterung des inhalts so viel bieten sollen, dasz die Unterrichts- stunden wirklich entlastet werden und von der häuslichen Vor- bereitung des schülers wenigstens ein vorläufiges Verständnis er- wartet werden kann, dazu dient femer die hervorbebung der haupt- gedanken und hauptpersonen durch graphische mittel, die auch von andern als förderlich anerkannt ist, und die jedem einzelnen briefe vorangestellte scharfgegliederte disposition und Überschrift, da- gegen überläszt D. dem Unterricht selbst die herausarbeitung, Ord- nung und feststellung des allmählichen gewinns der lectüre durch den schüler unter leitung des lehrers. bierin sieht er mit recht ein hauptmittel, um zu wirklich wissenschaftlicher arbeit zu erziehen,

P. Feit: anz. y. F. Pätzolt paraphrasen zu briefen CiceroB. 275

und hält solche aufgaben für besonders geeignete gegenstände auch des häuslichen fleiszes. dabei wird man die privaÜectttre der schttler mit benutzen können , für welche sich die briefe gut eignen und der etwa die hälfte der Sammlung zu überlassen wäre, denn um für die auswahl der in der schule zu lesenden briefe dem lehrer möglichst freien Spielraum zu lassen, hat D. etwa doppelt so viel in seine aus- gäbe aufgenommen , als er selbst jährlich an briefen liest, gerade dieses streben nach möglichster freiheit hat ihn auch veranlaszt, die wähl der maszgebenden hauptgesichtspunkte für die besprechung im Unterricht nicht durch eine einteilung in verschiedene teile oder bücher noch weiter einzuengen ^ als es schon durch die auswahl und Behandlung der briefe nach den obigen gesichtspunkten von selbst geschieht (s. Y und VI).

Aus diesen gründen scheint mir D.s ausgäbe ein besonders be- achtenswerter beitrag zu der schwierigen aufgäbe, die tendenzen und forderungen der neuen lehrpläne in die präzis zu übertragen, nur dies hervorzuheben war mein zweck in dieser kurzen anzeige : auf das einzelne, auch die teztgestaltung, sind andere besprechungen schon ausführlicher eingegangen, es sei noch erwähnt, dasz die aus- gäbe bereits an 27 orten eingeführt ist, also reichliche gelegenheit vorliegt, dasz sie sich auch in der präzis erprobe und an recht vielen Schülern die zu erwartende günstige Wirkung übe.

Hannover. F. Hornemann.

26.

DR. Friedrich Pätzolt, direotor des k. otmmasiums zu

BRIEG, PARAPHRASEN VON BRIEFEN ClOEROS ZU LATEINISCHEN

STILÖBUNGEN IN PRIMA. Berlin, R. Gärtner. 1895. 77 8.

In einem der letzten hefte der Uehrproben und lehrgängo' von Fries und Meier hat B. Menge in getreuer darstellung aller der Schwierigkeiten, welche die bescbränkung der Stundenzahl im ge- folge führt, die noÜage des lateinischen Unterrichts in prima ge- schildert, wer in der einen dafür bestimmten stunde classenarbeiten schreiben lassen oder besprechen, hausarbeiten durchnehmen, Über- setzungen aus dem lateinischen und kleine ausarbeitungen anfertigen lassen und wohl gar noch privatlectüre controlieren muste, der wird ihm gern zugeben, dasz die fü» grammatik und Stilistik bleibende zeit aufs knappste bemessen ist : kaum eine oder zwei stunden stehen im Vierteljahr dafür zu geböte, und doch wären drei- oder viermal so viel um so notwendiger, je mehr das aus obersecunda mit- gebrachte wissen der primaner gegen frühere Zeiten zurücksteht, hier rat zu schaffen ist wohl nur auf dem wege möglich , dasz bei der lectüre in wohlüberlegter auswahl auf die wichtigsten grammati- schen und stilistischen regeln hingewiesen, durch die angeschlossenen schriftlichen arbeiten die einübung vollzogen und bei der rückgabe

276 P. Feit: anz. v. F. P&tzolt parapbrasen zu briefen Ciceros.

und durchnähme durch nochmalige Wiederholung Sicherheit zu er- reichen versucht wird, die Schwierigkeit liegt dann nur darin, bei zweijährigem cursus eines derartigen Unterrichts zu möglichst voll- ständigem abschlusz des als notwendig erkannten zu gelangen.

Der lateinlehrer wird jedes Unterrichtsmittel, welches ihn bei diesem betriebe der grammatik und Stilistik unterstützt, dankbar begrüszen. hier sei auf ein solches hingewiesen, der director des gymnasiums in Brieg dr. Pätzolt hat in seinen ^parapbrasen' die briefe Ciceros , welche durch die lehrpläne in den kanon der prima- lectüre aufgenommen sind, diesem zwecke nutzbar gemacht. Pätzolts lateinische Übungsbücher für unter- und obertertia im anschlusz an Caesars gallischen krieg (Gotha, Perthes) sind bekannt, wie in diesen, so hat er auch in den ^parapbrasen' ein geschickt ausgearbeitetes, praktisches lehrbuch geliefert, er schlieszt sich an Alys 'ausgewählte briefe Ciceros und seiner Zeitgenossen' an. dieser hat 80 briefe in seine Sammlung aufgenommen, die ^parapbrasen' umfassen 70 Übungs- stücke: längere briefe, wie der an Lentulus ad fam. I 9, sind in mehrere aufgaben zerlegt, kürzere briefe zu einer Übung zusammen- gefaszt. nur vier briefe aus Alys aus wähl sind nicht berücksichtigt; zu dem sich dort findenden material kommt dagegen noch de divin. II 1 hinzu, am randeist bei jeder aufgäbe das grammatisch-stilistische pensum , welches hineingearbeitet ist, nebengedruckt; und die Über- sicht am schlusz zeigt; dasz die auswahl mit gutem bedacht getroffen ist und die wichtigsten abschnitte entsprechend häufig vertreten sind, so sind z. b. der gebrauch des infinitivs, des acc. c. inf., die bedingungösätze , die modi'in relativsätzen und der gebrauch der Zeiten in folgesätzen je viermal herangezogen, vielleicht hätte es sich empfohlen, den in der Ellendt-Seyffertschen grammatik unter dem capitel 'grammatisch-stilistischer anhang' zusammengestellten regeln in noch gröszerer ausdehnung anwendung zu geben, es finden sich auch in den text eingeschobene Übersetzungshilfen, doch ist ihre zahl sparsam bemessen, da der anschlusz an Ciceros worte so eng ist, dasz einem primaner, welcher der lectüre mit aufmerksamkeit gefolgt und im übrigen genügend vorgebildet ist, kaum eine Wen- dung fehlen dürfte, dem umfange nach sind die Übungen so ge- halten, dasz viele von dem durchschnittsprimaner in einer stunde bewältigt werden können ; einige sind etwas ausgedehnter und eignen sich mehr für hausarbeiten oder aufgaben für die reifeprüfung. im allgemeinen wird dies willkommen sein, da sich kürzungen leicht vornehmen lassen.

Der ausdruck ist wohl durchgearbeitet und bietet gutes deutsch und manche treffende Übersetzung, der gebrauch indirecter rede, eine bei solchen anschluszübungen mitunter gefährliche klippe, ist glücklich vermieden , nur drei aufgaben sind eigens zu dem zweck, diese ausdrucksweise zu wiederholen , bestimmt.

Der gewissenhafte lehrer wird zwar am liebsten die texte zu den schriftlichen Übungen im anschlusz an den lesestoff und die

P. Feit: anz. y. F. Pätzolt paraphrasen zu briefen Ciceros. 277

individuellen Vorkommnisse des Unterrichts selbst entwerfen wollen, allein wer ist immer in der Stimmung, eine Variation glücklich aus- zuarbeiten ? wem wäre das beispiel anderer nicht nötig« um ihn vor einseitigkeit zu bewahren? bleibt ja doch bei dem weiteren umfang der primalectüre noch genug gelegenheit, den eignen witz und das eigne didaktische geschick zu üben, gewis thun uns aber solche bücher wie das Pätzoltsche not, die in die bände der schtller gelegt werden können, und vor dem lästigen dictieren bewahren, mit dem viel kostbare zeit verloren geht, ganz besonders aber werden der- artige vorlagen willkommen sein , um ihnen drei vorschlage für die reifeprüfung zu entnehmen, aus den briefen läszt sich leichter als aus anderer lectttre ein selbständiges ganzes ausschneiden ; drei briefe können leicht unmittelbar vor beginn der schriftlichen prüfung ge- lesen werden ; der schttler wird , wenn sie den prüfungsaufgaben zu gründe liegen , die Vorbereitung haben , an die er für alle übrigen arbeiten gewöhnt ist , auf die man aber leider gerade bei der wich- tigen abschluszarbeit meist mehr verzichten musz als bei andern eztemporalien.

So empfehle ich das Pätzoltsche hilfsbuch den fachgenossen als wirksame Unterstützung des Unterrichts, indem ich den wünsch nicht unterdrücken kann, dasz der Verfasser auch den weiteren bereich der primalectüre für ähnliche paraphrasen ins äuge fassen möge, was vor allem für den schwierigsten der gelesenen schriftsteiler, für Tacitus, gelten soll.

Ohlau. Paul Feit.

27.

DIE NEUESTEN GESCHICHTLICHEN LEHRBÜCHER.

In keiner zeit ist so fleiszig gearbeitet worden , um den anfor- derungen neuer lehrpläne entsprechend neue lehrbücher zu schaffen, als jetzt : Verleger und Verfasser bemühen sich , immer besseres zu bieten , besseres nach auszen , besseres nach innen, den deutschen Verlegern musz zugestanden werden, dasz sie allmählich lernen, auch bei Schulbüchern allen billigen anf orderungen zu genügen und der lernenden Jugend zweckmäszige, auch in gesundheitlicher beziehung allen ansprüchen genügende lehrbücher zur Verfügung zu stellen: wie unterscheiden sich doch die meisten unserer neuen lehrbücher durch gutes papier und trefflichen druck von denen, aus welchen vor 40 oder 50 jähren gelernt wurde, anders scheint es mit den Verfassern der neuen lehrbücher zu stehen, von denen mancher wohl durch äuszere gründe dazu geführt wird, ein neues buch abzufassen, und in dem streben, wirklich etwas neues zu liefern, darauf kommt, den gewöhnlichen und geraden weg zu verlassen, wir werden im verlaufe nachstehender besprechungen bei mehr als einem hilfsbuch

278 Th. Sorgenfrey : die neuesten geschichtlichen lehrbücher.

diese beobachtung nicht unterdrücken können, es entspricht dem zwecke dieser Zeitschrift, vor allem darauf auszugehen ^ wert oder Wertlosigkeit der besprochenen bücher für den Unterricht zu erörtern: aus diesem gründe kann es auch genOgen, wenn von einigen Ver- fassern nur einzelne teile ihrer arbeit näher besprochen, die andern bände aber nur gestreift werden, wir beginnen mit einem für quarta bestimmten hilfsbuche.

1)Emil Enaake: hilfsbuch für den Unterricht in der alten oeschiohte für die quarta höherer lehranstalten. halle a. S., buchhandlung des Waisenhauses. 1894. 91 s. gr. 8.

Wie der erste Unterricht in der alten geschichte an den lehrer ganz besondere anforderungen stellt, wie dieser meines erachtens vor allem ein guter erzähler sein musz, der mit sicherer herschaft über den Stoff die begabung verbindet, die knaben zu erwärmen, so ist es eine sehr schwere aufgäbe , für den anfangsunterricht in der alten geschichte ein wirklich gutes hilfsbuch zu verfassen: es soll den Schüler zur Wiederholung locken entweder durch kürze oder behag- liche erzählung, zugleich aber durch sorgfältige gliederung des Stoffes die Übersicht erleichtern, die gliederung des vorliegenden hilfs- buches ist die , dasz die griechische und römische geschichte in je vier teile zerlegt wird, in der griechischen geschichte führt der le Zeitraum von den ältesten zeiten bis zum beginn der Perser- kriege, der 2e behandelt den Zeitraum der Perserkriege, der 3e die kämpfe um die vorherschaft in Griechenland , der 4e das makedo- nische Zeitalter, die römische geschichte wird so behandelt, dasz der le Zeitraum von der gründung Boms bis zur Unterwerfung Italiens geht, der 2e die begründung der römischen herschaft über die länder des Mittelmeers, der de das Zeitalter der bürgerkriege, der 4e den römischen staat als kaiserreich darstellt, diese teile sind nicht gleichmäszig , und so umfaszt der 4e Zeitraum der römischen geschichte nur die zeit des Augustus. auch sonst ist nicht überall gleichmäszig verfahren, die gcographie von Griechenland nimmt im Verhältnis zu der Italiens einen viel zu groszen räum ein , wenn überhaupt der quartaner den ersten zusammenhängenden Unterricht in der alten geschichte mit der geographie der Mittelmeerländer be- ginnen darf, sollte es nicht empfehlenswerter sein, sogleich mit der geschichtserzählung selbst zu beginnen? der mythischen geschichte Griechenlands und Roms ist von Knaake ein zu groszer räum zu- gewiesen , so den messenischen kriegen , so den römischen königen. die erzählung ist an nicht wenigen stellen recht ungenau , und es dürfte dem buche überhaupt nicht geschadet haben , wenn der verf. den druck verzögert hätte, ist es denn wirklich wahr, dasz 'man seit dem jähre 776 nach Olympiaden rechnete', wie s. 8 berichtet wird? hat Drakon (s. 9) wirklich ein für alle gültiges strafrecht abgefaszt? sehr leicht dem misverständnis ausgesetzt ist, was s. 10

Th. Sorgenfrey: die neuesten geschichtlichen lehrbücher. 279

von der Solonischen Verfassung gesagt wird : *nacb den vier classen richteten sich die steuern und die leistungen im kriegsdienste.' hat denn Böckh das 3e buch seines Staatshaushalts umsonst geschrieben ? wer die stelle bei Enaake liest^ musz auf den gedanken kommen, die Athener hätten in bestimmten Zeitabschnitten ebenso gut ihre steuern nach der steuercasse geschickt, wie wir es zu thun pflegen, und keinem quartaner kann es verargt werden, wenn er eine ganz falsche Vorstellung bekommt, ähnliche ungenauigkeiten finden sich auch anderwärts : da wird (s. 40) davon gesprochen , dasz Alezander zum söhne des Ammon 'geweiht' worden sei , da wird (s. 25) davon be- richtet, dasz die dramen nur zur verherlichung der Dionysosfeste dienten, angaben, die in dieser fassung den unkundigen zu falschen Vorstellungen verleiten müssen, auch im einzelnen ist die form nicht sorgfältig genug behandelt, ganz zu schweigen davon, dasz s. 15 die Überschrift vom ersten zuge auf den dritten springt und zwar von einer schlacht bei Marathon, aber nicht von einem zweiten zuge der Perser berichtet, dasz s. 36 am rande die zahlen 559 536 statt 359 336 stehen, finden sich formen wie kömmt (s. 46), wird von flottenmannschaft (s. 30) und fuszsoldaten (s. 57 u. ö.), wird von besseren bürgern (s. 65) gesprochen, ja auch geradezu falsche formen wie absichtlich Xantippus (s. 16. 20. 22. 55) sind stehen geblieben, so ist der eindruck, den diese arbeit Enaakes macht, kein solcher, dasz sein buch empfohlen werden kann , es hinterläszt die lectüre vielmehr das bittere gefühl , dasz der verf. zu eilig sein hilfsbuch herausgegeben hat. eine förderung des Unterrichts ist nach keiner Seite hin bemerkbar.

m

2) K. Lobmeyer und A. Thomas, hilfsbuch für dem Unter- richt IM DER deutschem GESCHICHTE BIS ZUM AUSGANG DES MITTELALTERS FÜR DIE UNTERTERTIA HÖHERER LEHRANSTALTEN. ZWEITE MACH DEM NEUEM LEHRPLÄMEM VERBESSERTE AUFLAGE

VON Emil Emaake und dr. E. Lohmeyer. Halle a. S., buch- handluDg des Waisenhauses. 1894. 11 u. 88 s. gr. 8.

Die hilfsbücher, zu deren abfassung Universitätslehrer und schul- mann sich die band gereicht haben, genieszen einen guten ruf, be- sonders das für die zeit vom ausgange des mittelalters bis zur Jetzt- zeit, für den schulmann Thomas ist jetzt Knaake eingetreten und nach den anforderungen der neuen lehrpläne ist ein kurzer Über- blick über die weströmische kaisergeschichte eingefügt worden, wäh- rend sonst das streben der verf. dahin gieng, zu kürzen und Ursache und Wirkung schärfer hervortreten zu lassen, die kaisergeschichte ist ganz angemessen behandelt, sie schlieszt sich naturgemäsz und einfach an die regierung der einzelnen kaiser an. die deutbche ge- schichte wird in vier teile zerlegt: der le Zeitraum führt von dem auf- treten der Kimbern und Teutonen bis zum vertrag zu Yerdun, der 2e bis zur höhe der kaiserlichen weltherschaft unter den ersten frän-

280 Th. Sorgenfrey : die neueBten geschichtlichen lehrbficher.

kiscben oder saliscben kaisem, der 3e umfaszt den kämpf zwischen kaisertum und papsttum, der 4e führt vom interregnum bis zum ausgange des mittelalters. das ist eine einteilung, wie sie dem unterrichte, der sich in vier quartalpensen gliedert, recht wohl zu gründe gelegt werden kann, bei der darstellung sind alle mittel des buchdruckes verwendet, um den schüler beim lernen zu unter- stützen: da sind die wichtigsten zahlen im texte durch augenfällige Ziffern hervorgehoben , da sind die namen bedeutender männer , da sind einzelne stich worte durch gesperrten druck besonders bemerk- lich gemacht, es sind das stützen, die in keinem schulbuche auszer acht gelassen werden sollten: empfehlenswert ist für künftige auf- lagen nach dem vorgange von Eckertz (leider nur an einigen stellen, z. b. bei Heinrich I und Otto I), die bedeutung der einzelnen herscher kurz in der Überschrift zu charakterisieren, es wäre für den Unter- richt sicher sehr forderlich, wenn der schüler einen leitsatz für seine Wiederholung hätte, den hilfsbüchem von Lohmeyer-Thomas eigen sind die geographischen hinweisungen und erläuterungen in den an- merkungen; allerdings könnte hier noch manches schärfer gefaszt werden, um ein beispiel herauszuheben: s. 26 wird die Diemel als nebenfiusz der Weser schlechtweg bezeichnet; sollte es nicht dem schüler dienlicher sein, zu sagen: linker nebenfiusz? falsch ist die angäbe s. 73 , dasz Döffingon südlich von Tübingen liegt, sehr brauchbar ist auch die Zeittafel, welche die wichtigsten zahlen zum wiederholen zusammenstellt, dem inneren werte des hilfsbuches entspricht die äuszere Sorgfalt der ausstattung: das buch verdient in joder beziehung die anerkennung, die es, nach dem erscheinen der zweiten aufläge zu urteilen, bereits gefunden hat. wir haben hier ein wohl überdachtes, sorgfältig gearbeitetes hilfsbuch, das als Schulbuch einen fortschritt bezeichnet.

3) KoMRAD Friedländer und Franz Zsohech, orund-

RISZ DER WELTGESCHICHTE. FÜR DEN UNTERRICHT IN DEN OBER- CL ASSEN HÖHERER SCHULEN BEARBEITET. 1. TEIL. GRIECHISCHE UND RÖMISCHE GESCHICHTE. VON DR. FrANZ ZsCHECH. Leipzig,

R. Voigtländers verlttg. 1894. VI u. 286 b. gr. 8.

Seit der einführung der neuen lehrpläne in Preuszen ist kein teil des geschieh tsunterrichts der Oberstufe schwieriger als der in der alten geschichte. der Zeitraum von 40 schul wochen soll und musz genügen, den schüler mit Hellas und Rom bekannt zu machen, die meisten deutschen Staaten sind Preuszen darin gefolgt, und so ist ein grundrisz für diesen Unterricht von ganz besonderer bedeu- tung. im gegensatze zu den grundrissen, welche das neue ziel da- durch zu erreichen streben , dasz sie entfernen, was irgend nach des Verfassers Überzeugung entbehrt werden kann, bringt der grundrisz von Zschech eine sehr ausführliche darstellung, die mit behaglicher breite die griechische und römische geschichte bis zum beginn des

Th. Borgenfrey: die neuesten geBchichtlichen lehrbücher. 281

miitelalters führt, den stoff hat Z. in der althergebrachten weise gegliedert, nachdem land und volk der Griechen besprochen wor- den ist, wird die griechische geschieh te in zwei teile zerlegt, in die vorhistorische und die historische zeit, die historische zeit bringt die ausbildung der Verfassungen, die freiheitskttmpfe der Hellenen gegen die barbaren, die kämpfe um die vorherschaft und das make- donische Zeitalter bis zur Unterwerfung unter die Römer zur dar- Stellung, die römische geschichte wird gleichfalls durch eine Über- sicht über Italien und die italische völkerweit eingeleitet und teilt dann die geschichte 'des alten Italiens' in die drei Zeiträume : Rom unter den königen , als freistaat und als kaisertum. die darstellung selbst läszt jedem dieser teile dieselbe geltung zukommen; ausführ- lich und eingehend wird die vorhistorische und älteste geschichte der Griechen, wird die königszeit Roms und die zeit bis auf Pjrrhus behandelt, mehr einem handbuche als einem grundrisse gleicht das vorliegende hilfsbuch und doch ist es als handbuch wieder nicht aus- führlich genug, die form freilich , in welcher der stoff zur darstel- lung kommt, ist durchweg gediegen: wer an ein hilfsbuch die forde- rung stellt, dasz es eine angenehme lectüre bietet, der findet hier, was er sucht, aber ist dies wirklich die oberste forderung an ein hilfsbuch ? ganz und gar nicht , denn ein grundrisz für schulen soll den Schülern doch nur das wiederholen erleichtern, und diese wich- tigste forderung an ein hilfsbuch ist bei Z. nicht beachtet, die fülle des Stoffes musz hier fast den lernenden erdrücken , wenn auch die schöne form , welche der verf. seiner darstellung gegeben hat , alle anerkennung verdient, wichtiger aber für ein hilfsbuch ist die rich- tige ausscheidung dessen , was bei verkürzter zeit entbehrt werden kann , ist die übersichtliche gruppierung , ist die möglichst einfache gestaltung zur erleichterung der Wiederholung, in dem, was Z. bietet, geht er oft über die schule hinaus: der abschnitt über römische litteratur und bildung im silbernen Zeitalter z. b. kann nicht in der schule behandelt werden, weil die dort aufgeführten namen leere worte ohne inhalt bleiben , ja es bedenklich erscheinen musz, dasz ein lehrer seine schüler auf Martial, Juvenal und Apulejus hinweist, beim lesen dessen, was Z. geboten hat, kann fast der ge- danke nicht unterdrückt werden , es habe der verf. in seinem buche alles, was er sich je zum unterrichte zusammengestellt hat, drucken lassen, dasz er dabei dinge bringt, die pädagogisch geradezu be- denklich sind, ist vom ref. an einem andern orte (zeitschr. für das gymnasialwesen XLYIII s. 284) hervorgehoben worden, dürfte aber doch auch an dieser stelle nicht ganz verschwiegen werden, dieser lo teil eines grundrisses der Weltgeschichte steht in einem gewissen gegensatze zu dem 2n teile, den Friedländer bearbeitet hat : auf diesen teil, der schon 1892 erschienen ist, soll hier nur im vorbeigehen hin- gewiesen werden, da er sich durch knappheit der darstellung und besonders durch das hervorheben groszer leitender gesichtspunkte in jeder beziehung empfiehlt.

N. Jahrb. f. phil. n. pftd. lU abt. 1896 hft. 5 u. 6. 19

282 Th. Sorgenfrey : die neuesten geschichtlichen lehrbücher.

4) W. Härtens, lehrbuch der oesohiohtb für die oberen

CLASSEN höherer LEHRANSTALTEN. 2. TEIL*. GESCHICHTE DES

MITTELALTERS. Hannover-Lindeni verlag von Manz & Lange. 1894. I u. 160 8. gr. 8.

Anf den 1892 erschienenen und von vielen Seiten als gediegene arbeit bezeichneten In teil, der die gescbichte des altertums um- faszt, läszt Martens in bei weitem kürzerer form die geschieht« des mittelalters folgen, über das ziel eines lehrbuchs im allgemeinen hat sich M. in dem Vorworte zum In teile dahin gettuszert, dasz er in der auswahl des Stoffes den grundsatz befolgt habe, nicht mehr and weniger zu bieten ; als was dazn bestimmt ist; eigen tum des Schülers zu werden, doch dem eifer manches jungen geschichts- freundes weitere anregung und belehrung nicht vorenthalten habe, trotzdem wollte der verf. namen und thatsachen möglichst be- schränken, um die erkenntnis des inneren Zusammenhangs zu er- schlieszen und so geschichtliches Verständnis zu erwecken, denselben Standpunkt hat M. auch im 2n teile vertreten, nur hat er sich viel kürzer gefaszt, aus der kirchengeschichte nur das unumgänglich nötige herangezogen, die deutsche litteratur nur gelegentlich ge- streift, die mittelalterliche geschichte Frankreichs, Englands und Buszlands für den 3n teil aufgehoben, auch auf karten, wie sie der le teil brachte, hat aus äuszeren gründen für den 2n und 3n teil verzichtet werden müssen, die geschichte des mittelalters umfaszt die zeit bis 1500: auf eine einleitung über den Schauplatz der ge- schichte des mittelalters, über die einteilung der mittleren geschichte und die Vorgeschichte der Germanen bis zum beginn der Völker- wanderung folgt die in vier Zeiträume geteilte mittlere geschichte. M. führt uns zuerst vom zerfall des weströmischen reichs bis zur kaiserkrönung Karls des groszen, sodann bis zum beginn des Zeit- alters der kreuzzüge, weiter zum Zeitalter der kreuzzüge selbst, endlich bis zur entdeckung Amerikas bzw. bis auf Maximilian I. ref. kann diese einteilung nicht für besonders glücklich erachten: ist denn wirklich die kaiserkrönung Karls auch nur in seinem leben das wichtigste ereignis? sind wirklich die kreuzzüge für die deutsche geschichte des mittelalters von so hervorragender be- deutung, um sie zum mittelpunkte einer deutschen geschichte zu machen? schon das zerreiszen der geschichte Karls in zwei perioden in der zweiten wird von Karls kaiserkrönung, seinem walten im innem des reichs, seiner persönlichkeit und seinem ausgange gehandelt kann kaum für den Unterricht förderlich sein, schon ganz äuszerlich betrachtet, kann diese einteilung für die schule nicht empfohlen werden: wir brauchen eine einteilung, die sich mit den vier quartalen des Schuljahres abfindet, es erleichtert dem schüler die Übersicht nicht wenige wenn er auch zeitlich sich beschränkt sieht, die darstellung ist sonst lesbar und wohl geeignet, reichliche anmerkungen geben Worterklärungen oder geographische erläute-

Tb. Sorgenfrey : die neuesten geschichtlichen lehrbächer. 283

rungen. bei diesen erklärungen gibt es freilich manchen anstosz: so 8. 30 , wo chalif als Stellvertreter des gesandten gottes gedeutet wird , während es doch allgemein als nachfolger erklärt zu werden pflegt, so s. 133, wo Margarete Maultasch als wahrscheinlich von ihrer mandbildung so znbenannt bezeichnet wird, nicht ganz bestimmt und deshalb nicht ganz einwandfrei scheint der kirchliche Stand- punkt des Verfassers zu sein: was ist denn, so fragt sich jeder bei der lecttlre der vorrede , confessionell anstöszig? darf denn über- haupt ein Schulbuch nach irgend einer seite hin anstösziges ent- halten? was soll es denn heiszen, Karls d. gr. privatleben sei ^ wenn man den maszstab christlicher Sittenlehre anlegt' keineswegs vor- wurfsfrei? (s. 50.) ist nicht jeder mensch, jeder held, jeder könig nach den sitten seiner zeit zu beurteilen? und weiter: was soll denn der schttler über den groszen kaiser urteilen, wenn er liest: Mn seinem hause soll ein etwas leichtfertiger ton geherscht haben' ? be- denklich ist jedenfalls die auffassung, dasz die Stiftung von Bamberg eine frucht frommen sinnes ist (s. 71). fast ebendahin zielt die bemerkung s. 124^ dasz in den kreuzzügen millionen von abend- ländem ihr blut vergossen haben, was M. über Hus sagt, ist be- deutungslos genug und läszt'die Stellung des Verfassers nicht er- kennen, der ausdruck *die lehre von der ohrenbeicht', der sich 8. 141 findet, ist wohl nur ein druckfehler. warum ist bei Heinrich IV der so wichtigen Unterstützung der städte gar nicht gedacht worden ? auf weitere einzelheiten einzugehen , möchte an dieser stelle nicht geeignet erscheinen: es genüge, darauf hinzuweisen, dasz für die benutzung des buches von Härtens im Schulunterrichte besondere empfehlenswerte neuerungen nicht sprechen, wenn auch gern an- erkannt werden soll, dasz M. redlich danach strebt, durch typogra- phische hilfsmittel das lernen zu erleichtern.

5) Harrt Brettsohneidbr, hilfsbuch für den Unterricht in der geschichte für die oberen classen höherer lehr- anstalten, teil iii : tom westfälischen frieden bis zur GEGENWART. (lehraufgIbb DER OBERPRIMA.) Halle a. S. , Ver- lag der buchhandlong des 'waisenhauees. 1894. IX u. 192 s. gr. 8.

Von dem nach den lehraufgaben der oberen classen in drei be- sondere teile zerfallenden hilfsbuche fQhrt der für oberprima be- stimmte band vom westfälischen frieden bis zur gegenwart. mehr als irgend ein anderes neueres hilfsbuch hat sich die arbeit Brett- schneiders in den dienst der neuzeit gestellt, und so nimmt schon rein äuszerlich betrachtet das 19e Jahrhundert die hälfte des ganzen buches ein. im anschlusz an die 5 perioden der alten und mittleren geschichte, die in den beiden ersten bänden ihre behandlung ge- funden haben, bespricht B. die zeit von 1648 1789 als 6e, von 1789 bis zur gegenwart als 7e periode. die 6e periode benennt er das Zeitalter der unumschränkten fürstenmacht , die 7e das Zeitalter

19*

284 Th. Sorgenfrey: die neuesten geschichtlichen lehrbücher.

der kämpfe um bürgerliche freiheit, gestaltung nationaler Staats- wesen und socialer probleme. die 6e periode zerlegt B. in zwei ab- schnitte: 1648-1740 und 1740—1789, die 7e in drei: 1789-1815, 1815—1871, seit 1871. schon diese eigenartige einteilung des Stoffes erregt in ganz besonderem masze das interesse und die behandlung ist nicht minder fesselnd, freilich das darf schon an dieser stelle nicht unausgesprochen bleiben, dasz B. die grösten anforderungen an die schüler stellt und ihnen namentlich in der neuesten geschichte viel; ja zu viel zumutet, der verf. setzt nur allzu oft begriffe und kenntnisse voraus , die wir von unsern durchschnittsschülem nicht erwarten dürfen, da finden sich um nicht allzu weitläufig zu sein , soll nur die behandlung der neuesten zeit , der socialen pro- bleme , hervorgehoben werden nicht allein sämtliche lehrer der socialdemokratie bis auf Max Stimer mit namen aufgeführt, da wird von Hirsch -Dunckerschen gewerkvereinen ^nach dem muster der englischen trades unions', von Stroussberg und Lasker, von der Franckensteinschen clause!, von dem wahlcartell zwischen conserva- tiven, reichspartei und nationalliberalen gehandelt, ist das nicht zu viel ? ist die schule wirklich in der läge, so in die kämpfe der gegen- wart einzuführen? reverentia debetur puero, sagten die erzieher ver- gangener tage , und mit recht, eine behandlung der gegen wart auf kosten der werdenden Verhältnisse vor 1871 führt uns weit vom wege ab. vielleicht scheidet B. gerade in der neuesten geschichte ein gut teil auS; wenn sein buch in zweiter aufläge erscheint, nur zu bedauern ist es, dasz das vorwort erst als nachwort erscheinen soll , denn dort wird er wohl über seine absiebten und forderungen rechenschaft ablegen, die darstellung entspricht der anerkennung, welche in dieser beziehung die beiden ersten teile allenthalben ge- funden haben: sie ist frisch und gefällig, leider hat B. nicht genug darauf gesehen , dasz er in jedem falle auch den edelsten ausdruck wählte: so wird von Bousseaus vertrödelter Jugend (z. 57) erzählt, so wird (s. 159) berichtet, dasz Napoleon und Gramont die andern minister übertölpelt haben, auch die zahl der fremdwörter hätte vermindert werden sollen, so richtig es auch ist, in jedem falle das Schlagwort der parteien anzuführen, aber eine so hervorragende häufung von fremd wörtem, wie etwa s. 172 bietet, kann auf den primaner keinerlei bildenden einflusz ausüben, mit sicherem blick und sicherer band hat B. den stoff zusammengefaszt , wo es mehr auf die ergebnisse als auf die entwicklung bestimmter ereignisse an- kommt: wer auf solche Zusammenfassungen wert legt, der sei auf die darstellung der amerikanischen unabbängigkeitskämpfe s. 70 verwiesen, wenn sonst die angaben zuverlässig sind, so bedarf doch s. 171 eine angäbe der berichtigung : die civilehe ist am 1 october 1875 nicht 74 in Preuszen eingeführt worden, derartige irrtümer sind ebenso vereinzelt wie die druckfchler, die sich wie s. 91, wo 'fürten' statt 'fürsten' zu lesen steht, nur ganz selten finden, aber gegen eine unsitte musz noch einspruch erhoben werden, aus einem

Th. Sorgenfrey : die neneBten geBcbichtlichen lehrbücher. 285

schulbucbe sollten lobende urteile über die früheren bSnde unbedingt fem bleiben: dasz eine yerlagshandlung von der bedeutung der des Waisenhauses sich dazu versteht, zwei Seiten des buches anhangsweise reclamezwecken zu widmen, kann nur bedauert werden, für die Schüler sind solche zusätze unnötig, der lehrer wird schon an andern stellen auf ein wirklich brauchbares lehrmittel hingewiesen werden. B.s arbeit musz in jeder beziehung empfohlen werden, es ist sein hilfsbuch eins der besten, die in den letzten jähren erschienen sind.

6) Emil Stutzer, hilfsbuch für aESOHioHTLiOHB wieder-

HOLUMGEN AN HÖHEREN LEHRANSTALTEN. MIT ZAHLENKANON FÜR MITTLERE 0LA88EN. ZWEITE NBUBE ARBEITETE AUFLAGE.

Berlin, Weidmunnsche buchhandluDg. 1894. VE u. 92 8. gr. 8.

Ein Schulbuch, das, ohne ein unentbehrliches hilfsmittel zu sein, eine zweite aufläge erlebt, empfiehlt sich von selbst, mancher lehrer zieht wohl die tabellenform für hilfsbücher vor und St. hat es ver- standen, mit allen mittein, die uns der buchdruck an die band gibt, dem lernenden seine arbeit zu erleichtem, die einteilung des Stoffes ist die gewöhnliche in alte, mittlere und neue geschichte. die aus- führung des gedankens, für alle classen 6in buch den schülern in die band zu geben, musz als gelungen bezeichnet werden, soweit nicht principielle bedenken einem solchen gedanken entgegenstehen, für einen quartaner, ja noch für einen tertianer will es ref. mehr verwirrend als fördernd erscheinen, wenn er so viele angaben unter und neben einander findet, in der darstellung wird der stoff richtig behandelt, nur an wenigen stellen dürfte St. auf Widerspruch stoszen. so fragt es sich, ob jetzt wirklich die ältere attische geschichte ohne rücksicht auf die schrift vom Staate der Athener behandelt werden darf, ob das jähr 98 wirklich die glanzperiode des römischen reiches bezeichnet, ob die briefe der dunkelmSnner nur von Erfurt aus- gegangen sind, ob Friedrich Carl nicht schon 70 an der Loire und bei Orleans gekämpft hat. recht brauchbar sind die zusammenfassenden rückblicke am ende der einzelnen Zeiträume: es sollte in allen unsem lehrbüchern auf solche rückblicke ebenso groszer wert gelegt wer- den, wie auf vorblicke; es kann dem schüler nicht nahe genug ge- legt werden, wie zweckdienlich es ist, nach dem innern wesen des gelernten zu fragen ; nicht mit dem äuszem erlernen von Jahres- zahlen und thatsachen sich zu begnügen, von den drei anhängen sind angemessen der erste , welcher Stammtafeln der Luxemburger und Habsburger sowie der Hohenzollem enthält, und der zweite, welcher zunächst eine Übersicht über die geschichte der preuszischen Provinzen gibt, sodann die äuszere entwicklung des preuszischen Staatsgebietes zur darstellung bringt, überflüssig scheint uns der dritte anhang, der leitende gesichtspunkte für gruppierende gesamt- wiederholungen bietet: für den lehrer gehören doch solche Zusammen- stellungen kaum an diese stelle , für den schüler sind sie fast wert-

286 Th. Sorgeafrey: die neuesten geschichtlichen lehrbücher.

los, denn nur ganz vereinzelte schüler werden auf eigne Veranlassung hin das buch benutzen, je richtiger es auch ref. im interesse ein- dringenden Verständnisses des geschichtlichen Stoffes erscheint, gerade die gruppierende methode bei den Wiederholungen anzu- wenden, um so weniger dürfte es nötig sein, in die für schüler be- stimmten bücher solche aufgaben aufzunehmen.

7) Franz Hölscher, genealogisohe tafeln für den Ge- schichtsunterricht ZUSAMMENGESTELLT. Leipzig, Verlag von Gustav Fock. 1894. III s. u. 56 tafeln.

Längst bringen geschichtliche hilfsbücher wer erinnerte sich nicht an Schäfer auch Übersichten der einzelnen geschlechter und ihrer Verzweigungen, jetzt, nachdem 0. Lorenz in seinem genea- logischen atlas ein so vortreffliches hilfsbuch für den lehrer und ge- schichtsfreund geschaffen hat, bietet Hölscher auch dem schüler eine besondere Zusammenstellung genealogischer thatsachen. es sind 56 Stammesübersichten hier vereinigt von den Achämeniden bis zu den Bourbonen, eine fülle, die der herausgeber damit erklärt, dasz er auf die dramatische schullectüre rücksicht genommen hat. aber auch so gibt H. für die schule wobl zu viel und es wird sich nicht leicht die einführung in die schule ermöglichen lassen, denn nur da, wo das eingeführte hilfsbuch auf die Stammesübersichten über- haupt verzichtet, wird das bedürfnis nach einem besondem buche sich geltend machen , sofern nicht der lehrer den in frage kommen- den Stammbaum an die tafel schreibt, die ausführung ist nicht ganz so sorgfältig, wie bei einem schulbuche erwartet werden kann, wenn auch zugegeben werden soll, dasz die herstellung der tafeln mancherlei Schwierigkeiten bieten muste. so tritt, um die zahl der unter den berichtigungen verzeichneten irrtümer zu ergänzen, auf taf. 4 als druckfehler ^btissin' entgegen, taf. 26 wird die gemahlin königs Albert von Sachsen Karoline genannt, während sie Carola heiszt, taf. 35 wird die preuszische prinzessin Marie nur als gemahlin des prinzen von den Niederlanden bezeichnet, während sie doch als Prinzessin von Sachsen-Altenburg gestorben ist. taf. 37 dürfte es sich empfehlen, die groszherzogin Victoria von Hessen als tochter des herzogs von Coburg (vgl. taf. 28) zu bezeichnen , taf. 42 hätte die Verbindung der dänischen königsfamilie mit dem hause Orleans nicht unerwähnt bleiben sollen, dem von anderer seite geltend ge- machten vorwürfe, H. biete zu viel, kann ref. sich nicht anschlieszen : findet H. gelegenheit, seine arbeit zu einem zweiten abdruck zu bringen, so müste nicht auf Verkürzung, sondern allein auf möglichste genauigkeit gesehen werden.

Neuhaldensleben. Theodor Sorgenfbey.

J. Ziehen: zar syntaz des coojunctiys. 287

28.

ZUR SYNTAX DES CONJÜNCTIVS.

E. Mätzner weis2 auch in der neusten aufläge seiner ^franzö- sischen grammatik, mit besonderer berücksichtigung des lateinischen' für den gebrauch des französischen sog. conditionalis bei 'erwäh- nung des auf dem Standpunkt der Vergangenheit als künftig zu er- wartenden* kein anderes lateinisches analogon zu geben als die imperfectform der coniugatio periphrastica , wie sie das von ihm citierte beispiel aus Livius (28,28 habituri erant) bietet, ich möchte dem gegenüber auf einen meines wissens bisher unbeachteten ge- brauch des dem französischen conditionalis formell ja näher stehen- den lateinischen conjunctivus imperfecti aufmerksam machen, dessen spuren auch innerhalb der lateinischen sjntax entschieden der be- achtung würdig sind. Caesar schreibt bell. civ. III 111, 4: quas (naves) si occupavissent , porium ac mare totum in sua potestate haberent, commeata auxiliisque Caesarem prohiberent und bell. ciy. III 25, 5 : haec a custodiis classium loca maxime vacabant, quod se longius a portibus committere non auderent; ich glaube nicht, dasz die landläufigen erklärungen der conjunctivi impf, an diesen stellen, wie sie die Caesarcommentare bieten und wie sie dort nachgelesen werden mögen, der feinen bedeutungsnuance des conj. impf, in den beiden angeführten Sätzen gerecht werden; es scheint mir zweifellos, dasz hier wie durch den conditionalis in den von Mätzner angeführten französischen beispielen einfach das, was inner- halb der Vergangenheit als zukünftig erwartet wurde, bezeichnet werden soll, dasz wir berechtigt sind , dem lateinischen conj. impf, diese bezeichnung des 'innerhalb der Vergangenheit als künftig zu erwartenden' zuzutrauen, erhält eine willkommene stütze in dem gebrauch des conj. praesentis von dem, was vom Standpunkt der gegenwart als zukünftig gedacht wird ; ich begnüge mich, für diesen letztern gebrauch auf die kurze bemerkung von Baehrens poetae latini minores V s. 112 zu aegritudo Perdiccae v. 1 hinzuweisen, vielleicht tragen diese zeilen dazu bei , dem hier angedeuteten gebrauch des lateinischen conjunctivs, der für die geschichte der lateinischen wie französischen sjntax von bedeutung ist, einige beachtung zu verschaffen.*

* auch die syntax der lateinischen consecativsätze scheint mir durch den oben bezeichneten Charakter des conjunctivs bestimmt; das con- secutive ut, relativisch gefaszt, läszt sich etwa durch ^dementsprechend' wiedergeben; der conjunetiv im consecutivsatz drückt, unabhängig von der conjunction ut, aus, was nach maszgabe des im hauptsatz ent- haltenen zu erwarten ist oder war.

Frankfurt am Main. Julius Ziehen.

i

288 A. Leitzmann: W. ?. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

(16.)

WILHELM VON HUMBOLDTS BRIEFE AN FRIEDRICH

AUGUST WOLF AUS DER ZEIT SEINER LEITUNG DES

PREUSZISCHEN UNTERRICHTSWESENS 1809 UND 1810.

(fortsetzting und schlasz.)

8.

Königsberg, 8. Angost 1809. Heindorf *<>* geht, wie Sie wissen, nun nicht hierher, nnd ich denke, Sie freuen Sich ebensosehr, als ich, darüber. Er hätte hierher nie ge- taugt. Jetzt aber ist die Noth um eine neue Wahl. Ich habe Sie oftioiell nicht plagen mögen, weil Sie da ungern antworten. Aber mir werden Sie Ihren Rath privatim nicht yersagen. Ich weiss wirklich eigentlich keinen. Gotthoid'*'' soll, denke ich, hier Bector werden, und hat als solcher, schon viel zu thun. Nach einem Aufsatz, den er mir geschickt, halte ich ihn auch für das Schulfach, wo er wirklich nicht einseitige Ansichten hat, sehr tauglich, und vielleicht «mehr als bloss in Philologie. Schneider *o^ ist zu jung und in Berlin zu brauchbar. Becker '^^ kommt nicht. Schultz ^^^ für Philologie, wie Sie sagen, un- angemessen. Nun muss man doch auf die alten Vorschläge zurück* kommen, oder neue machen. So in gelehrten Zeitungen sind mir neu- lich Matthiaei07 in Altenburg, Erfurdt*®» in Naumburg, Gernhardio» in Merseburg u. s. f. vorgekommen. Aber was ist ohne nähere Kenntniss davon zu halten? Dissen*'^ haben Sie, wonn ich mich nicht irre, mir selbst gelobt. Noch ein Dietz*'* in Ratzeburg war neulich mit Lob genannt. Thun Sie mir die Liebe mir bald ein bestimmendes Wort zu sagen. Ich habe heute keine Zeit, mehr hinzuzufügen. Zeller**', der hier ein Bildungsinstitut für Schullehrer anlegt, ist angekommen, ich habe gestern ziemlich die letzte Hand an die Umformung eines Waisen- hauses gelegt, das in sein Institut übergeht, was mich viel Mühe und Zeit gekostet hat. Indess ist es auch etwas Lebendiges, was in rerum

»<>* vgl. anm. 26.

*** vgl. anm. 28.

>'^< vgl. aum. 3L

'0* vgl. anm. 20.

*<* vgl. anm. 78.

107 August Matthiae (1769—1835), 1798 lehrer an Mouniers institut in Weimar, 1802 director in Altenburg, 1808 kirchen- und schulrat; vgl. Hoche allgemeine deutsche biographie 20, 626.

'0« Karl Gottlob August Erfurdt (1780— 181.S), 1801 lehrer, 1807 conrector in Merseburg, 1810 professor der classischen philologie in Königsberg; vgl. Bursian allgemeine deutsche biographie 6, 195.

>o« August Gotthilf Gernhard (1771—1845), 1800 subrector in Naum- burg, 1811 rector in Freiberg, 1820 director in Weimar; vgl. Eckstein allgemeine deutsche biographie 9, 37.

ii<» Georg Ludolf Dissen (1784—1837), 1809 privatdocent der classi- schen Philologie in Göttingen, 1812 professor in Marburg, 1813 in Göttingen; vgl. Mähly allgemeine deutsche biographie 5, 254.

**' Johann Christian Friedrich Dietz (1765—1830), rector in Ratzeburg»

^*' über Karl August Zeller (1774 1846) und seine Wirksamkeit im Schulwesen seiner zeit vgl. den artikel Heglers in Schmids und Schraders encyclopädie des erziehungs- und untorrichtswesens 10, 629 und Diltheys darstellung allgemeine deutsche biographie 37, 215.

A. Leiizmann: W. v. Humboldte briefe an F. Ä. Wolf. 289

natura dasteht. Jetzt reformire ich die hiesigen gelehrten Schnleo, verwandle drei in Bürgerschulen nnd verbessere die andern. Der Plan, den ich allein gemacht, aber mit Benutsnng Ihres Aufsatzes über den Unterschied der Bürger- und gelehrten Schulen i*', ist fertig, und in dieser Woche noch halte ich eine Conferenz mit Magistratsgliedem, um bedeutende Zuschüsse der Stadt zu erhalten, und dann an die Aus- führung zu gehen. Schlägt dies nicht fehl, so wird es ein Beispiel für andere Städte werden, und in Elbing bereite ich schon jetzt das Gleiche vor. Ende künftiger Woche mache ich vielleicht eine kleine Reise nach Litthauen auf einige Tage. Aach da müssen mehrere Schulen zu Bürgerschulen heruntergesetzt wi^rden, und mit Einer ists schon ge- schehen. So, sehen Sie, lieber theurer Freund, dass ich nicht unthfttig bin. Ueber Berlinische Dinge hoffe ich auch bald im Stande zu seyn, Ihnen etwas Gutes zu sagen. Wer wäre wohl ein tüchtiger Mann zum Rector der Liegnitzer RitterAcademie?'*^ Leben Sie herzlich wohll Mit inniger Freundschaft

Ihr

H.

9.

Königsberg den 22^ August 1809. Wie Sie mir auch schreiben mögen, liebster Freund, ausführlich oder fragmentarisch, ist es mir immer unendlich lieb. Ich antworte auch lang oder kurz, wie ich immer kann. Heute möchte es eher nur wenig werden. Mit Becker*'^ ist es sehr schlimm, aber nun einmal nichts zu machen. An Schultz*** denke ich für Frankfurt. Die Stellen, die man jetzt offen nennen kann, sind: in Königsberg (Marheineke**^ hat angenommen) noch eine Theologische Professur. Ich weiss jetzt auswendig nicht recht, ob von 600 oder 1000 Thalern, die bewnsste philologische, zwei juristische (weswegen nun an Hugo*** zum Gut- achten geschrieben ist) eine astronomische von 600 Thalern, wenigstens Ein Rectorat eines Gymnasiums (wozu Gotthold*'* bestimmt ist) ver- mnthlich aber noch eins, da Wannowski''* sehr alt ist. Ein Rectorat einer Bürgerschule die, ob sie gleich alte Sprachen ausschlieszt, und im Grunde blos höhere Elementarschule werden soll, doch sehr gut sein muss; in Frankfurt, ausser der bewussten Theologischen Stelle (da ich bald über fonds disponiren zu können hoffe) eine philologische Professur, ohne die es doch nicht gehen kann, insofern nicht der

*'* dieser 1803 verfaszte aufsatz ist gedruckt bei Körte, Friedrich August Wolf über erziehung, schule, Universität s. 95.

**^ zu Humboldts reform der Liegnitzer ritterakademie vgl. seinen aufsatz gesammelte werke 6, 844 und seinen brief an den Breslauer Professor Reiche in den blättern für litterarische Unterhaltung 1847, 478.

*** vgl. anm. 20.

*** vgl. anm. 73.

**7 Philipp Konrad Marheineke (1780—1846), 1804 repetent der theo- logie in Göttingen, 1806 professor in Erlangen, 1809 in Heidelberg, 1811 in Berlin; vgl. Wagenmann allgemeine deutsche biographie 20, 338. za seiner bernfung vgl. noch an Schleiermacher aus Schleiermachers leben 4, 171.

**^ Gustav Hugo (1764—1844), 1788 professor der Jurisprudenz in Göttingen, 1802 hofrat, 1819 geheimer justizrat; vgl. Mejer allgemeine deutsche biographie 13, 321. zu seiner projectierten berufung vgl. noch an Nicolovius s. 13.

»'» vgl. anm. 28.

i>o über ihn habe ich nichts ermitteln können.

290 A. Leitzmann: W. v. Humboldte briefe an F. A, Wolf.

Schultz auch da einigem Mangel abhilft; in Breslau (wo aber der Magistrat wohl drei vorschlagen, und also kein neuer zu nennen seyn wird) das Rectorat am Elisabethanum (Schummeis ^'^ Wahl hat die Section cassirt) in Liegnitz das Rectorat der Ritterakademie ^'*. Diese letztere Anstalt wird mit einiger Schonung für den schlesischen Adel und mit Abschaffung aller bisher einengenden Curatorien und adelichen Directorate in ein ordentliches Oymnasium vielleicht mit damit ver- bundenem Ackerbau-Institut verwandelt. Die Aufhebung würde man auch in Schlesien sehr gern sehen, wenn mit den fonds eine wahre Universität in Breslau gestiftet würde. Auch reichten die fonds, wenn man die Frankfurtischen dazu nähme, hin. Aber können Sie eine solche Umwälzung, da Berlin nun auch gewiss gestiftet wird, billigen, und müsste man nicht fürchten, sich alle Schlesier nun von jeder andern Universität zu entziehen? wenigstens muss man meiner Mey- nung nach damit warten, bis Berlin ein paar Jahr gestanden hat.

Ueber das Verhältniss der Bürger- und gelehrten Schulen, muss frejlich künftig und sobald als möglich, etwas fest gestellt werden. Ich schicke Ihnen in kurzem die von mir zur hiesigen Schulverbesse- rung gemachten Arbeiten. Sie werden daraus sehn , dass ich für jetzt nur dahin gehe, der Zukunft nicht vorzugreifen, und in dieser Absicht den wirklich abgesonderten Bürgerschulen entgegen steuere. Thäte ich das nicht, so verderbte ich gleich die Gymnasien im ersten Zuschnitt. So aber können, selbst wenn mau ganz abgesonderte RealSchulen, wie in Bayern, gut fände, diese immer noch gestiftet werden. Freilich aber mösste sich meine ganze Ansicht, wenn dies geschehen sollte, erst ändern. Ich nehme die Sache ganz einfach so. Der Bürger bleibt ent- weder bei dem blossen, aber sehr vollständig zu machenden Elementar- unterricht stehen, oder nicht; im letztern Fall muss er mit dem Ge- lehrten in derselben Schule denselben Weg gehn. Nur muss die Schule so eingerichtet seyn, dass nicht blos der philologische, sondern der mathematische und historische Unterricht gleich gut sey. Für alle einzelne Berufe des Lehens, Handwerker, Kaufleute, Landwirthe, nicht wissenschaftliche Aerzte (in so fern es deren geben soll) u. s. w. kann es bloss Special-Schulen geben. In diese aber darf der Eintritt nicht früher, als mit dem 15 Jahr geschehen. Zur Universität geht keiner als nach vollendetem 18^°.

Kultus und öffentlicher Unterricht sind in jetzigem Augenblick noch nicht geschieden. Dass bei den Prüfungen der geistlichen Kandidaten, insofern sie nicht bereits als Schulamts-Kandidaten geprüft sind, auch ein Mitglied der wissenschaftlichen Deputation concurrire, halte auch ich für notig.

Halten Sie Gatterer "' für einen gelehrten, d. h. gründlichen Histo- riker? In seiner Weltgeschichte giebt es manchen Irrthum, und die ausgemachtesten Thatsachen stehen ohne alle Absonderung neben sehr ungewissen.

Der Gedanke mit Spalding*'^ ist tre flieh, und soll benutzt werden.

Die Berliner Universität wird gegründet, und auch gleich nach dem Frieden. Lassen Sie nur mich dafür sorgen, und warten Sie nur noch einige Wochen.

*<^ Johann Gottlieb Schummel (1748—1813), 1772 lehrer am kloster io Magdeburg, 1779 professor in Liegnitz, 1788 prorector in Breslau; vgl. Hippe allgemeine deutsche biographie 33, 69.

"* vgl. anm. 114.

«8 Christoph Wilhelm Jakob Gatterer (1759—1838), ein söhn des bekannten Göttinger professors, 1787 professor der cameralwissenschaften und tcchnologie in Heidelberg, dazu 1797 professor der diplomatik; vgl. Hess allgemeine deutsche biographie 8, 409.

^** vgl. anm. 50.

A. Leitzmann : W. y. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 291

Auch den Barbierburschen steht Veränderang bevor, und auch darüber, habe ich schon viel geschrieben. Nur hängt dies mit Ver- Kndemng von Behörden snsammen, and aach da mnss ich Sie um Ge- duld bitten.

Langenbeck **^ (ich schreibe alles durcheinander, wie es mir einfällt) hat den Ruf hieher ausgeschlagen.

Verzeihen Sie die Eil und die fremde Hand. Aber ohne diese hätte ich heute schweigen müssen. Also auch künftig erbitte ich mir gleiche Erlaubniss. Meine Finger sind sehr widerspenstig, und rächen sich dann oft an den Augen des Lesers. Dass ich manchmal Ihr Morgengedanke bin, ist mir unendlich süss zu lesen gewesen. Wie oft gedenke auch ich Ihrer. Auch müssen wir bald zusammen seyn. Es geht sonst nichts von der Stelle.

Leben Sie herzlich wohl! Mit inniger Anhänglichkeit Ihr

H.

10.

Königsberg, 1. September 1809."«

Ich sitze ungeheuer in Oeschäften, liebster Wolf. Ich habe vieles aufgerührt, und das rächt sich nun an mir selbst, und kommt mir über den Hals. Ich muss durch und werde es. Indess versuche ich Ihre lieben beiden Briefe, mein theurer Freund, so gut es sejn kann, zu beantworten.

Zuerst über die hiesige philologische Professur. Es ist entschieden, dass wir erst mit Erffurdt'*^ und Matthiae"« versuchen, und Ihnen den Auftrag hiermit geben. Dissen *'^ ist uns immer gewiss. Mein Plan und meine Bitte ist nun folgende:

Schreiben Sie an Erffurdt und sagen Sie ihm, Sie hätten officiellen Auftrag, ihm die bewusste Professur und die Leitung eines philologi- schen Seminarii mit den anliegend designirten Einkünften (die ekel- hafte Designation ist ihm zu ersparen) und 300 Thaler Reisegeld an- zubieten. Nehme er an, so werde unmittelbar der Antrag an den König gemacht, und die Genehmigung sey keinem Zweifel unterworfen. Wo möglich müsse er jedoch zu Michaelis noch oder wenig später kommen. Ist dies nicht, lassen wir es uns indess auch gefallen. In dieser Art können Sie sicher schreiben, meinen jetzigen Brief aufbrechen und sollen nicht compromittirt werden.

Zugleich aber wünschte ich, Sie schrieben Matthiae, Sie wüssten, dass man einen Philologen für Königsberg, auch (um alles minder ge- wiss zu machen) für ]^ankfurt suche, Sie würden leicht Einfluss auf die Besetzung haben können, und thäten bei ihm eine Anfrage, ob er wohl kommen würde. Zeigt er Lust, so hätten wir gleich, ohne Zeit- verlust, ihn, wenn Erffurdt vielleicht abschlägt. Denn nimmt dieser an, so bleibt es schlechterdings bei ihm.

Dass ich Sie bitte gerade so an den einen und andern zu schreiben, beruht darauf, dass wir Erffurdt an sich vorzögen und glauben, dass er leichter, als Matthiae zu erhalten ist

"^ Konrad Johann Martin Langenbeck (1776 1861), 1802 privat- docent, 1804 professor der anatomie und Chirurgie in Qöttingen, 1816 bofrat, 1840 obermedicinalrat; vgl. Gurlt allgemeine deutsche biographie 17, 664.

^'« vom selben tage ein brief an Schlabrendorf (an Jacobi s. 141).

**' vgl. anm. 108.

'*^ vgl. anm. 107.

vgl. anm. 110.

292 A. Leitzmann: W. v. Hnmboldts briefe an F. A.Wolf.

Mehr Reisegeld hat weder Herbart ^'^j noch Gaspari^'*, noch Vater *^, noch irgend einer bekommen, anoh mues man nicht mehr geben, wenig- stens nicht för die sidera minora von Frankfurt nnd Königsberg. Klagen die Leute, kann man lieber den terminus a quo des Gehalts günstig bestimmen.

Wegen Frankfurt wollte ich Sie schon bitten Schultzen'** zu schreiben. Nun empfiehlt wieder Bredow ^^^ wie die Anlagen zeigen, Cludius**^ und Hanstein***, dessen Brief ich 8ie an Uhden*'' zurück- zugeben bitte, Wolfrath. *'^ Gegen diesen bin ich durchaus. Sind Sie für Gludius, so bitte ich Sie, brevi manu an Bredow zu schreiben, und ihm in meinem Namen aufzutragen, oder (im Fall Sie Bedenken finden) ihm durch Uhden auftragen zu lassen, mit Cludius sofort zu unter- handeln. Ziehen Sie doch Schultz vor, so sagen Sie es mir mit um- gehender Post. Bredow gefällt mir sehr ; nicht so ihm Frankfurt. Er klagt über den Ton der Professoren und wünscht darum Leute hin, die mit ihm gemeinschaftlich wirken können. Anfangs dachte ich Cludius und Schultz zugleich zu rufen. 1000 Thaler und 500 Thaler könnte ich aufbringen. Allein da man eigentlich nur immer Einen lutherischen Theologen bis jetzt gehabt hat, und an Moeller*'', als reformirten, auch gedacht ist, so wenden wir auf Einmal Alles auf Theologie. Ordinarius sollte Schultz allerdings werden.

Landschultz*'® wird bestätigt, aber ich gebe ihm nicht den Pro- fessorTitel. Er muss seltner werden, und gesetzlich lässt es sich rechtfertigen.

Wegen des Heinrichschen Palais*^* theile ich Ihre Sorgen nicht Wir können nicht zwei Palläste fordern, sonst denkt der König, dass wir ihn aus dem Schloss endlich auch vertreiben, und das Heinrichsche ist in jeder Absicht besser als das Anspachische. Alle Collegia brau- chen ja doch nicht da gelesen zu werden. Sie aber fangen ja im October an. Bis dahin soll alles bereit sejn und Uhden gehörige In- structionen haben.

*8« vgl. anm. 38.

*3i Adam Christian Gaspari (1762—1830), 1796 professor der philo- sophie in Jena, 1797 professor in Oldenburg, 1803 professor der geo- g^aphie nnd Statistik in Dorpat, 1810 in Königsberg; vgl. Ratzel all- gemeine deutsche biographie 8, 394.

"* vgl, anm, 48.

"• vgl. anm. 73.

i<< Gottfried Gabriel Bredow (1773—1814), 1794 lehrer am grauen kloster in Berlin, 1796 in Eutin, 1804 professor der geschichte in Helm- städt, 1809 in Frankfurt, 1811 in Breslau; vgl. Wegele allgemeine deutsche biographie 3, 282. zu seiner berufung vgl. noch an Nicolovius s. 16. 16.

*^^ über ihn habe ich nichts ermitteln können.

^^ Gottfried August Ludwig Hanstein (1761—1821), 1787 prediger in Tangermünde, 1803 oberdomprediger in Brandenburg, 1804 propst in Berlin, 1808 consistorialrat; vgl. Ranke allgemeine deutsche bio- graphie 10, 643.

*" vgl. anm. 22.

138 über ihn habe ich nichts ermitteln können.

"9 Anton Wilhelm Peter Möller (1762—1846), 1788 professor der theologie in Duisburg, 1806 consistorialrat in Münster, 1811 pro- fessor in Breslau, seit 1816 wieder in Münster: vgl. neuer nekrolog der Deutschen 24, 297. zu seiner berufung vgl. noch an Nicolovius s. 9. 14.

140 über ihn habe ich nichts ermitteln können.

*^* vgl. anm. 61.

A . Leitzmann: W. y. Hamboldts briefe an F. A. Wolf. 293

lieber unser Wiedersehen kann ich Ihnen nichts sagen. Vor Ende des Jahres glaube ich nicht daran.

Wie Sie die Recensionen über die UniversitätsWerke^^' nicht kennen, ist mir nur dadurch begreiflich, dass sie Ihnen zu alt sind. Sie stehen in der Jenaer Zeitung.

Was meynen Sie? Zuerst und jetzt in wenigen Tagen denke ich Savignj*^' (wenn der nicht kommt Hugo'^^, und wenn auch der ent- sagt, vielleicht Roth ^*^ in Nürnberg) Schmidt'^* und Steffens *^^ zu rufen, und bei ReiP^^ honoris causa anzufrageu. Dann thue ich nicht mehr. Der Moment ist ungünstig, und wir müssen nicht in den Ruf der Körbe kommen. Nur Reil, Savignj und Schmidt sind schon angesprochen, und die beiden letzten haben sich günstig bewiesen, und Steffens, glaube ich, kommt.

Bekanntmachungen, in denen auch Sie genannt werden sollen, wer- den nicht lang mehr fehlen.

Der Agamemnon! ''> Wo Zeit und Stimmung finden? Ich ver- zettele meine Zeit mit keinem Detail und arbeite gar nichts von dem currenten Zeuge, begnüge mich, was auch schon Zeit kostet, es zu kennen, zu lenkeu und in Ordnung zu halten. Allein Vieles Grosse musB jetzt verändert und gemacht werden. Ich bin drin engagirt, meine Ehre auch. Tausend Verhältnisse rauss man schonen, und manche braviren. Die Trägheit einiger Umgebungen, die Unsicherheit des Bodens, die Weitläuftigkeit der Sache, da ich doch täglich mit Allem, von den Elementarschulen an bis zu den Academien, beschäftigt hin, sind schlimme Hindernisse. Wie da Ruhe finden? Sonst ist mir nichts mislungen. Ich habe nur noch nicht angefangen, mich daran zu setzen.

Schicken Sie mir doch Ihren Plan wegen der Ausgaben der Classiker. An Schwetscbke ^^ denke ich gewiss.

Die UniversitaetsStatuten sollen hier verbessert werden. Ich habe es aber selbst sistirt, weil ich Berlin abwarten möchte, um Gleich- förmigkeit zu bewirken.

Mit Rernhardi*^^ ist der Einfall sehr gut Nur fürchte ich seine Eitelkeit und Patzigkeit. Altenstein widersetzt sich den Gehalten der Deputation, damit es nicht Versorgungen würden. Ich bin fast geneigt, da etwas an der Sache ist, die Besoldung nur immer auf 1 oder 2 Jahre, mit Vorbehalt des Wechsels zu ertheilen, wie eine Art Remuneration. Es hat auch das Gute, dass der Bessere selbst den Guten verdrängen kann.

Loder '" kann kommen, wenn er will und tritt bei der Uuiversitaet

"• vgl. anm. 82.

'*• vgl. anm. 18.

**^ vgl. anm. 118.

^*^ Karl Johann Friedrich von Roth (1780—1852), 1803 consulent, 1806 finanzrat in Nürnberg, 1810 oberfinanzrat in München, 1817 ministerial* rat, 1828 oberconsistorialrat ; vgl. Staehlin allgemeine deutsche biographie 29, 817.

vgl. anm. 24.

^*^ vgl. anm. 76.

**^ vgl. anm. 12.

"' vgl. anm. 47.

*^ wohl der bekannte buohhändler in Halle Karl August Schwetschke.

1»^ August Ferdinand Bernhardi (1770 1820), 1808 director des Werderschen gymnasiums in Berlin; vgl. Hettner allgemeine deutsche biographie 2, 468.

1^* Justn 8 Christian Loder (1753—1832), 1778 professor der medicin in Jena, 1803 in Halle, 1808 leibarzt in Königsberg, seit 1810 in Moskau; vgl. Gurlt allgemeine deutsche biographie 19, 76.

294 A. Leitzmann: W. v. Humboldte briefe an F. A. Wolf.

gewiss (es ist nicht zu ändern) ein, bei der medicinischen wissenschaft- lichen Deputation vielleicht auch.

Nicolovius '^ sagt sich auf Schollen jetzt nicht einlassen zu können.

Leben Sie herzlich wohl! Von ganzer Seele Ihr

H.

11.

Königsberg 12. September 1809.

Es thut mir unendlich leid, durch Uhden^^ zu hören, dass Sie noch immer nicht hergestellt sind, und noch mehr, dass ich Sie doch mit umgehender Post um einige Zeilen über folgende Sache bitten muss.

Altenstein wünschte, dass Niebuhr^'^ Mitglied der Academie der Wissenschaften würde, und ich habe immer, auch durch Sie, Ton Niebuhrs Gelehrsamkeit (auch in morgenländiscben Sprachen) so günstig urtheilen hören, dass ich kein Bedenken habe. Das Einzige, dass er nicht Schriftsteller ist, scheint mir durch den Vortheil überwogen, der Academie, bei so viel Unvernünftigen, jetzt einen Vernünftigen mehr zu geben. Dann verdiente Altenstein der viel für die Academie und alle Wissenschaften thut, dass ihm der Gefalle geschähe. Nur wünschte ich, dass die Wahl, die bald geschehen müsste, freiwillig wäre, und habe dies hier geäussert. Thun Sie mir nun die Liebe und sagen Sie mir, was Sie im Ganzen von Niebuhr und seiner Aufnahme halten? und wie die letztere am leichtesten, ohne ihn von hier aus zu ernennen, zu bewirken sejn möchte? Oder hielten Sie in der jetzigen Lage eine Ernennung durch den König auf Vorschlag der Section noch für besser? Von dem Rath, den Sie mir geben, erfährt niemand ein Wort. Uhden weiss nur im Ganzen, dass ich Ihnen deshalb geschrieben.

Einige Organisation denke ich der Academie*^* nach ihrem Regle- ment, oder ungeachtet desselben bald zu geben. Aber zuerst erhalten Sie ganz allein meine Gedanken. Die Ernennung der ClassenSecretaire und des Praesidenten scheint mir wirklich noth wendig. Nun die Fragen :

ernennt das erstemal nicht besser der Staat? Sie machen in ihrer jetzigen Verfassung sonst sehr confuse Dinge.

wer soll Secretair in der philologischen Classe und wer Praesident seyn? Auch darüber ein Wort.

Sollten Sie glauben, dass ich jetzt, und manchmal mit vielem Ver- gnügen, den Qulntus Calaber lese, der mir noch unbekannt war? Ueberhaupt fange ich nie einen Tag, als mit Graecis oder Latinis an. Die Acten verderben sonst (vielleicht schon auch so) einen Menschen von Grund ans.

Herzlich gute Besserung. Meine Frau trägt mir recht herzliche Grüsse an Sie auf. Mit alter inniger Freundschaft

Ihr

H.

12.

Königsberg den 23^"° September 1809. Sic ermuntern mich selbst liebster Freund! zum dictiren und heute wo ich in einigen Stunden auf ein paar Wochen in Geschäften nach Litthauen verreise ^b^, würde mir selbst zu schreiben, unmöglich fallen.

'5* vgl, anm. 86. *^ vgl. anm. 22.

1^5 yg], darüber lebensnachrichten über Niebuhr 1, 425. 440. 158 vgl, anm. 62.

1^7 über diese reise vgl. noch an Schön aus den papieren Schöns 2, 248.

A. Leitzmann: W. y. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 295

Zuerst and hauptsächlich über die Frankfurter Professur. Nach allem was Sie mir von beiden sagen, ist mir der David Schultz ^^^ viel lieber als Cludius. *^* Wären auch beide nur einander gleich; so ist doch immer von einem Jüngeren noch allenfalls mehr zu erwarten. Ich bitte Sie also ausdrücklich und gebe Ihnen freie Vollmacht, dem Schultz die Stelle, d. h. eine ordentliche Professur der Theologie mit einem von Ihnen selbst zu bestimmenden Gehalte, das nur nicht 800 Thaler übersteigen muss und einem Reise- Gelde von 150 Thalern an- zubieten. Nimmt er an, so mache ich augenblicklich den Antrag an den König und er kann noch im November aufs späteste seine Vor- lesuDgen anfangen. Ich empfehle Ihnen diese Sache, mein Lieber! zu recht schleuniger Besorgung. Es versteht sich indess immer, dass wenn Ihnen in der Zwischen-Zeit, wie indess wohl kaum zu glauben ist, andere Gedanken über die Besetzung der Stelle kämen, Sie mir dieselben roittheilten und die Ausführung des Plans mit dem p Schultz unterliessen.

Meine zweite noch dringendere Bitte, die ich Ihnen in Kurzem offiziell zu wiederholen hoffe, ist, dass Sie mit dem Mouat October ganz gewiss Vorlesungen zu halten anfangen. Ich werde das nehmliche auch Schleiermachem^^i Fichten*^', und schon aus alter Dankbarkeit, da er mit zuerst die Idee zur Universität gehabt hat und nicht über- gangen werden kann, Schmalzen '** auftragen. Indess werde ich schon dafür sorgen, dass Sie zuerst die Stunden wählen können. Die offiziellen Nachrichten muss Uhden'*', wenn mir alles nach Wunsch gelingt, in sehr kurzer Zeit erhalten.

Wirklich schmerzhaft ist es mir gewesen lieber Freund I dass ich Ihren Wunsch für Doctor Schneider'^ nicht erfüllen kann. Ich habe mir die Sache hin und her überlegt, allein mich am Ende dagegen be- stimmen müssen. Die Section hätte müssen einen eigenen Antrag beim Könige machen, um einen blossen Titel nachzusuchen, und hätte sich dadurch in den offenbarsten Widerspruch mit den seit Kurzem von ihr selbst dem Ministerio und dem König geäusserten Principien setzen müssen. Süvern**^ der die Sache zum Vortrag hat, war dafür; ich habe mir aber selbst davon opponiren müssen. Ich hoffe mit Sicher- heit im Stand zu sejn, dem Doctor Schneider sehr bald eine wirkliche Lehrerstelle mit vollem Gehalt beim Joachimsthal zu geben. Dann bin ich auch nicht gegen den ProfessorTitel , obgleich die gegen Land- schultz **^ neulich gewiss mit Beifall aller besseren angewandte Cabinets- Ordre der Strenge nach auch Schneidern uusschliessen würde. Da unsre offizielle Antwort Schneidern schmeichelhaft sejn und ihm die be- stimmte Aussicht auf die wirkliche Professur geben wird; so habe ich Ihren Antrag lieber durch die Section gehen lassen, als Ihnen privatim mittheilen wollen.

Wegen der'*^ Plans der preussischen SchulBücher meinte

ich blos, dass Sie die Güte haben möchten, mir dasjenige mitzutheilen,

*^ vgl. anm. 73.

«w vgl. anm. 135.

»«» vgl. anm. 62.

*ß* vgl. anm. 94.

»«« Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760—1831), 1785 privatdocent der Jurisprudenz in Göttingen, 1787 professor in Rinteln, 1788 in Königs- berg, 1803 in Halle, 1810 in Berlin; vgl. Landsberg allgemeine deutsche biographie 31, 624 und Köpke s. 88. 44. 159.

"• vgl. anm. 22.

164 yg] anm. 31.

"* vgl. anm. 37.

^®® vgl. anm. 140.

1^7 lüeke im orifi;inal.

296 A. Leitzmaün: W. y. Hamboldts briefe an F. A. Wolf.

was Sie schon bisher auch geschrieben hatten; Eine eigene neue Ans- arbeitnng wäre jetzt, wie Sie sehr richtig bemerken, wenig an ihrer Stelle.

Wegen der Prüfungen, denen von jetzt an auch blos ascendirende Lehrer unterworfen werden sollen, haben wir eine Instruction erlassen, die Ihnen Uhden mittheilen kann, und mit der Sie hoffentlich zufrieden sejn werden.

Mit der wissenschaftlichen Deputation, hoffe ich schon noch ins Reine zu kommen. Es ist nur fatal, dass dadurch Zögerung entsteht. Ich habe aber die Idee statt der festen Besoldungen, nur Commissionen, welche zu der ganzen Thätigkeit bei der Section verpflichten, mit 500 Thalem jährlicher Remuneration verbunden sind, aber nur 1 Jahr- lang dauren, und ob sie gleich auch demselben Manne solange man will, gelassen werden können, doch jedes Jahr erneuert werden, zu er- teilen. Diese Einrichtung scheint mir sehr viele Vorzöge zu verbinden. Nur der Director ist als Mitglied der Section permanent. Auch werden Sie mein Lieber |: unter uns gesagt | obgleich Uhden es schon weiss :| allein Director seyn und Uhden bleibt heraus, dagegen werde ich von Zeit zu Zeit bei den Versammlungen zugegen seyn, womit Sie gewiss nicht unzufrieden sind.

Solger *^ hatte mir seinen Gedanken schon selbst geäussert, und ich habe ihn sehr dazu ermuntert.

Zu den Berufungen von Fremden habe ich jetzt sehr wenig Muth. Marheinicke^*', der hieher berufen war, hat sehr naiv gebeten, den Ruf nach einigen Monaten zu erneuen und nicht undeutlich blicken lassen, dass er sehen will, ob dann noch ein preussischer Staat existire. Sein Brief ist natürlich ohne Antwort geblieben und die Gelegenheit der Rache wird sich finden. Indess muss man sich nicht mehr ab« schläglicben Antworten aussetzen, und ich werde daher noch behutsamer seyn. Mit der Bibliothek ist es allerdings schlimm, und der Himmel weiss, ob ich selbst bei eigener Anwesenheit in Berlin, mit den ein- mal wenig dahin passenden Menschen fertig werde. Die Einkünfte habe ich Hoffnung schon jetzt mit 1400 Thalcrn jährlich zu vermehren. Lassen Sie sich indess hievon nichts merken.

Von Herzen adieu! Humboldt.

13.

Königsberg, den 13. October, 1809. Es schmerzt mich recht tief, liebster Freund, dass ich so spät und auf einmal viele Ihrer Briefe beantworte, die mir eine innige und herz- liche Freude gemacht haben. Sie glauben nicht, wie viel Sie mir durch Ihr häufiges und freundliches Schreiben gewähren. Es ist der einzige Ersatz für uusre leider noch immer unbestimmt fortdauernde Trennung. Allein, ich fühle es mit jedem Tage^ nur ein schwacher Ersatz. Für mich, für unsre Freundschaft, für das GemUth und die innere Empfin- dung, kann man mit Recht behaupten, eigentlich keiner, und für die Geschäfte, wo mir Ihr Rath so oft so viel werth wäre, auch bei weitem kein hinlänglicher. Erst wenn wir zusammen in Berlin sind, können die Dinge eigentlich recht gut gehen, indess aber muss doch auch ge- handelt werden. Wie viel mir das zu thun giebt, davon haben Sie keinen Begriff. Es ist die verschiedenartigste Tbätigkeit, die man zu- gleich ausüben muss; andern kann ich doch nur die Ausführung über-

i«8 Wilhelm Ferdinand Solger (1770—1819), 1809 privatdocent der ästhetik in Frankfurt, 1810 professor in Berlin, in der allgemeinen deutschen biographie fehlt er sonderbarer weise.

»»8 vgl. anm. 117.

A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 297

lassen^ und auch da muss ich noch oft nachhelfen. Wo noch alles neu ist, wo noch nichts passt und sich schickt, da ist schlechterdings die unmittelbare Leitung des- Chefs an allen Ecken und Enden nöthig. Daher habe ich nun zugleich zu kämpfen mit der Direction und Ab> fertigung aller einzelnen Angelegenheiten im Erbrechen und Lesen, den Vorträgen, dem Revidiren der Concepte, und der Aufsicht auf Registratur und Kanzlei; mit der zweckmässigen Einleitung der Hauptsachen, be- sonders neuer Reformen (mit Kleinigkeiten gebe ich mich selbst nie ab) da ich aus Erfahrung 'weiss, dass die wahrhaft wichtigen Dinge nie gehen, wenn ich nicht, meist mit schriftlichen Aufsätzen (von denen ich Ihnen schon mehrere habe schicken wollen) die Grundsätze angebe; dann mit dem Wichtigsten von allem mit dem Nachsinnen ober das, was geschehen muss, ohne dass es durch einzelne Eingaben hervorgelockt wird, dem Zusammenhalten und Fortbringen des Ganzen; und endlich, was das Beschwerlichste und Zeitraubendste ist, mit dem Erhalten der persönlichen Verhältnisse, mit dem was eigentlich die Politik der Ge- schäfte ist, ein um so schrecklicheres Kapitel ist, als wir hier eigent- lich keine Verfassung haben, und als es ohne Aufhören ein Aneinauder- rennen der Menschen und Behörden giebt. In dies letzte Kapitel ge- hört auch der Hof, gehören Kabalen, Intriguen, denen jeder, ich nicht am wenigsten, ausgesetzt ist und wer weiss wie viele odiosa. Damit fertig zu werden, oder nur wenigstens darin nicht stecken zu bleiben, ohne eigentlichen Freundesumgang, ohne den Rath, der, wie z. B. ob- gleich Sie für mich da sehr einzig stehn, ausser der Rücksicht auf die Sache, noch die auf das Wohl und die Ehre der Person nimmt, dazu gehört, liebster Freund, wenigstens ein Sinn, der nicht vor Unannehm- lichkeiten ermüdet, und nicht von Schwierigkeiten zurückgeschreckt wird, und das, und dass ich mit den Menschen leichter fertig werde, mag mein grossester Beruf zu meiner jetzigen, warlich nicht angenehmen Lage seyn. Aber darum bedarf ich der Nachsicht in der Beurtheilnng. Wohl mögen Sie manches was hier unter meiner ürma (und ich sage mich von nichts los, was sie trägt, da ich mich um alles selbst be- kümmere) geschieht tadeln, und andre, da Sie Ihre Freundschaft ge- linder macht, vielleicht noch mehr. Sie können mich auch nicht mehr verbinden, als wenn Sie es mir recht offen, und ganz ohne Schonung sagen; bei Ihnen, Liebster, ist mir eine Aeusserung dieser Art nur Be- lehrung, nie Kränkung. Denn ich weiss, dass was Sie über den ein- zelnen Fall sagen, Ihr Urtheil über mich im Ganzen nicht abändert, dass es am wenigsten Ihre Freundschaft, Ihre Anhänglichkeit, Ihre Freude an der meinigen zu Ihnen schwächt, woran mir, wenn sich das trennen Hesse, noch mehr selbst, als an Ihrem Urtheil allein liegt. Aber kennen müssten Sie meine Lage ganz, um zu wissen, wie wenigstens nie meinem Eifer, und vielleicht oft selbst nicht meiner Einsicht zur Last fällt, womit Sie oder andere unzufrieden seyn mögen.

Ich muss hier zugleich auf die Stelle Ihres Briefs oder vielmehr einen Ihrer Briefe über den Calaber, auf dessen bisheriges Nicht- gelesenhahen Sie mehr Gewicht legen, als ich erwartete, kommen. Von dieser Seite mit einiger Strenge beurtheilt möchte mir wohl mancher Vorwurf gemacht werden können. Im wahrhaft philologischen Studium bin ich seit unserm Znsammenseyn und meinem Aufenthalt in Jena wohl nirht soviel mehr vorgerückt, als ich damals hätte erwarten können, und habe bloss, was mir da noch sehr fehlte, sehr viel mehr seitdem gelesen und wiedergelesen. Auch das ist mir ein Kummer, dass ich wohl fühle, dass mir jetzt ein anhaltendes Studium^ wenn auch nur eines halben Jahres nöthig wäre, und dass es sogar Bedürfniss ist, womöglich bald als Gelehrter in irgend einer Schrift alifzntreten. Allein Sie müssen auch doch sey dies nicht zu meiner Rechtfertigung, son- dern nur zu Ihrem Tröste, wegen Ihres Antbcils an mir gesagt nicht vergessen, dass ich mich auf der einen Seite habe in vielerlei Fertig-

N. Jahrb. r. phil. u. päd. II. abt. 1895 hft. 5 u. 6. 20

298 A. Leitzmann: W. y. Humboldts briefe an F. A.Wolf.

keiten und Geschicklichkeiten zerstreuen, und auf der andern auf einen Mittelpunkt concentriren müsseu, der eigentlich nichts ausschliesst. Ich habe im Ganzen von jeher mehr eine philosophische (womit ich hier gar nicht eine abgesondert metaphysische meyne) Tendenz gehabt, und in Füchem eigentlicher Gelehrsamkeit hätte ich schwerlich je viel ge> leistet. Auch lässt sich wohl behaupten, dass in meinem jetzigen Wirkungskreis mir dies nicht im Wege steht, sondern diese Eigenthüm- lichkeit oft hilft. Nur ist sie mir selbst oft unangenehm, und meinem Ruf nachtheilig, da ich natürlich in jedem Fall nur mit dem Einzelneu, der hier oder dort gilt, zu ringen habe, und das Verdienstliche, zu dem ich gelangen kann, sich nur im Ganzen zeigt und schwer übersehen lässt. Zuletzt aber kann ich nicht verhehlen, dass ich eine andre Eigen- thümlichkeit habe, die ich, selbst indem ich sie misbillige, nicht ablegen kann, nemlich wenig auf meine Geschäftigkeit und auf alle Geschäftig- keit selbst, und am wenigsten auf meinen Namen zu geben. Es ist und bleibt nun einmal ein Grundzng in mir, nur mich gern an allem nur irgend Möglichem zu versuchen, und dadurch Alles, auch das Heterogenste, kennen zu lernen und in innere, oder äussere Verbindung zu setzen; auf die Resultate und ihr Gelingen unglaublich wenig Werth zu legen, und von jeder, besonders einer irgend neuen, Thätigkeit un- widerstehlich angezogen zu werden. Dies möchte ich nur Ihnen sagen; denn eigentlich bricht das meinem ganzen Beruf zu einem irgend be- deutenden Amte den Stab, aber wahr ist es darum doch.

Diese Selbstgeständnisse, mein theurer Freund, verdanken Sie meiner Reise. ^""^ Einsam im Wagen hatte ich Zeit, tiber mich nach- zudeuken, und an Lust fehlt es mir dazu nie. Die Reise hat mir un- endlich wohl gethan. Der Umgang von drei einsamen Tagen mit Schoen*'' war mir allein sehr viel werth. Den Mann, gewiss den geistvollsten unter uns hier, keinen ausgenommen, hat man gehen lassen, und damit gleichsam Fingerzeige gegeben, wer ihm noch nach- folgen soll. Dann war ein Schulrath Clemens ^^, ehemaliger Rector in Tilsit, jetzt in Gumbinnen, mehrere Tage mein Reisebegleiter, ein braver Mann, kein tiefer Gelehrter, vielleicht darin sogar mancher Mangel, aber ein praktisch braver Schulmann, und unvergleichlich, auf Haus- fleiss und Charakter der Schüler zu wirken, und um Lehrern und Schülern Geltung und Unterstützung unter den Bürgern zu verschaffen. Die Schulen in Tilsit und Gumbinnen sind nur darum beide gut^ weil er an beiden war und ist, und nur darum beide schlecht, weil er der einen jetzt und der andern bisher fehlte. Wenige Provinzen können gewiss einen solchen Mann aufweisen. Jetzt, mein Theurer, zu vielen höchst wichtigen einzelnen Dingen Ihrer Briefe, auf die ich gern, wo es noch nöthig ist, punktweise Antwort hätte.

1. In Absicht Niebuhrs*^^ nehme ich als ausgemacht an, dass er ein Gewinn für die Academie ist, allein dass es wünschenswerth wäre, er hätte sich öffentlich gezeigt. Ich suche also mit seiner Ernennung zu warten, und reize ihn zu einer Arbeit. Kr soll mehrere, eine über die AltKömischen finanzen, so gut als fertig haben. In Absicht der Methode

"0 vgl. anm. 167.

'7' Heinrich Theodor von Schön (1773 1856), 1797 kriegs- und domänenrat in Bialystock, 1798 rat im generaldirectorium in Berlin, 1806 in Königsberg, 1809 regierungspräsident in Gumbinnen, 1816 ober- präsidcnt in Danzig; vgl. Maurenbrecher allgemeine deutsche biographie 32, 781. Humboldts briefe an ihn sind in der publication 'aus den papieren Schöns'- zerstreut abgedruckt.

^'' über ihn habe ich nichts näheres ermitteln können; doch vgl. an Schön aus den papieren Schöns 2, 248.

»73 vgl. anm. 165.

A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 299

ist meine Mejnnng fest, dass man die Wahl der Academie jetzt neu festsetzen, aber dann auf einige Zeit, wie in Baiem snspendiren muss. Ueberhanpt (allein das ist strenges Geheimniss) aber denke ich der Academie jetzt tief ins Fleisch zu greifen. '^^ Sie wissen aus der CabinetsOrdre , die an die Academie ergangen ist, dass nur die bis- herigen Ausgaben gesichert sind, und der König sich eine neue Orga- nisation vorbehält. Bei dem Streit über das Reglement haben sich schriftlich einige Mitglieder so erbärmlich, und mit so vielen gramma- ticalischen Schnitzern gezeigt, dass ihre Unfähigkeit actenkundig ist. Walter'^^ hat sich in einer fürchterlichen ImmediatVorstellung an den König gegen das Comit^ gewandt, und ich habe seine Vorstellung zugesandt erhalten, um zu berichten. Diesen Bericht mache ich nun gleich über die ganze Academie; sage dem König, die Academie sey schlecht, man müsse Mitglieder entfernen (mit aller Pension) nur bloss dass Fremde wieder honnett hineingehen können, und schlage die äussersten Linien der neuen Einrichtung vor. Diesen Bericht schicke ich erst Ihnen, und schon jetzt bitte ich Sie, mir Ihre Ideen zu sagen, und mir frei die Mitglieder zu nennen, die heraus müssen. Ich hatte wenigstens 12 ge- zählt. Die Art der Entfernung wäre dann eine doppelte. Die beste: Aufhebung der Academie und neue Constituirung in Einem und dem- selben Augenblick, oder Verweisung aller Untanglichen in Eine Classe der Ehrenmitglieder, wo sie freilich noch vorlesen, nicht aber stimmen und sonst activ seyn können. Nur der Name misfällt mir. Der König wird sehr schwer dazu zu bringen seyn, zu bcidem, aber am schwersten zum ersten. Lassen Sie Sich' diese Sache ja recht angelegen seyn, liebster Freund. Aber schreiben Sie mir alle Namen hübsch aus. Homo sum, non Oedipus. Wen Sie zum Praesidenten wollen, errathe ich nicht, mit allem Kopfbrechen. Wie können Sie aber Buttmann '^^ zum Secretaire vorschlagen? Er kann ja gar keine Sprache schreiben, und ist eckigt und ungeschickt, zu keiner Stelle gerade so unHlhig. Auch sollen vier Secretaire seyn; wenigstens scheint mir das besser. Im Stillen habe ich schon Eine wichtige Sache gemacht. Lombard *^^ (aber ganz unter uns) resignirt seine Stelle.

2. Reinhard ^^® hat abgeschrieben. Vielleicht könnte ihn auch in Geschäften Schinid*^® aus Giessen ersetzen. Doch soll sich dieser gerade vor Geschäften scheuen.

3. Schneider.*^® Schon vor Empfang Ihres Briefs hatte ich ihm ge- schrieben, und jetzt noch ein Postscriptum gemacht. Die Sache liegt so, aber auch geheim. Das Schuldirectorium wird in wenig Wochen, wenn es der König genehmigt, ganz abgeschaft, und pensionirt, ein neuer Etat ist schon gemacht, und Schneider kann dann, vielleicht noch in diesem Jahr ordentlicher Lehrer werden. Officiell habe ich keine Veranlassung ihm das zu sagen. Will er es absolut, so mag er darum bei der Section einkommen, ihm nach vollendetem Jahr die Stelle zu geben, die Section verspricht dann dies und thut wahrscheinlich mehr

"* vgl. anm. 62.

17& wohl der anatom und physiker Friedrich August Walter (1764 1826).

*'• vgl. anro. 2.

"7 Johann Wilhelm Lombard (1767 1812), 1786 cabinetssecretär bei Friedrich Wilhelm II, 1800 geheimer cabinetsrat, 1807 ständiger secretär der Berliner akademie; vgl. Hüffer allgemeine deutsche bio- graphie 19, 141.

«'» Franz Volkmar Reinhard (1763—1812), 1780 professor der Philo- sophie in Wittenberg, 1791 oberhofp rediger und kirchenrat in Dresden; vgl. Förstemann allgemeine deutsche biographie 28, 32.

*♦• vgl. anm. 24.

"0 vgl. anm. 31.

20*

ä

300 A. Leitzmanu: W. v. Humboldts briefe an F, A. Wolf.

d. h. früher. Den Titel betreffend, hätte ich in der während meiner Abwesenheit p^emachten Verfü^nng anch nichts geändert, Lieber, nnd würde nicht Schneider sondern ein Aehnlicher wie Landschultz *^' beim Joachimsthal Lehrer, so trüge ich gewiss nicht auf den Titel an. Aller- dings ist beim Joachimsthal, wie wir wohl wissen, (wie auch darch eine CabinetsOrdre von 1774. beim grauen Kloster) der Titel Professor constitutionsmässig für alle Lehrer. Allein eine neuere CabinetsOrdre vom 26. Februar 1803., die Ihnen vermuthlich unbekannt ist, befiehlt, auch in diesem Falle ihn nur zu geben,

Wenn der Mann schon öffentlich anerkannte Beweise einer nicht ge- wöhnlichen Gelehrsamkeit gegeben hat. Ich frage Sie, ob hiernach die Section, die doch mit Würde sprechen soll, mehr sagen konnte selbst bei Schneider, der streng genommen, noch auch nicht in dem Fall ist, als nicht entgegen seyn. Wegen des Pedells schreibe ich heute UhdeuJ*^ Die AccisoBonitication hat man mehr nachgesucht, um dem Gymnasium nicht das Recht zu vergeben, und sie den Lehrern, nicht der Cnsse gelassen, damit die Accise keine Einwendungen macht. Allerdings hätte ich daran denken können, Idelern ^"^^ dafür mehr Stunden aufzubürden. Allein mir schwebte vor, er könne nicht mehr geben, und eine kleine, auch unerwartete Er- leichtemng hebt ja in jetziger Zeit den Muth.

4. Den Agamemnon ^^^ jetzt umzuschreiben ist und bleibt unmög- lich. Ich musB jetzt für meine Stelle und meinen Ruf darin sorgen. Wenigstens versprechen lässt sich nichts, so gern ich wollte. So drucken mit einer Note, des Jahrs, worin er gemacht ist, thue ich, wenn Sie wollen, sehe aber dann freilich die Arbeit immer wie eine Art Mann- script an. Wie kann aber die Existenz' Ihres Journals von meinem Agamemnon abhängen?

5. Mit Erffurdt*^^ ist alles gut. Süvern'^^ ist nur krank, aber in folgender Woche machen wir alles ab.

6. Mit Schultz'^' gleichfalls. AberBredow*^ schreibt mir ja einen Brief, wo er sagt, auf Ihre Veranlassung an Cludius'*'^ geschrieben zu haben, und aus dem ich schon schloss, Sie hätten für diesen gestimmt. Wie hängt das zusammen? Cludius will, verlangt aber mehr Reisegeld. Ich bin nicht für ihn, obgleich jetzt mehr geschehen kann, da Frank- furt 7000 Thaler jährlich mehr bekommt.

7

14.

Königsberg, den 7. November 1809.

Ich sage Ihnen nur mit zwei Worten, liebster Freund, heute auf

Ihren Brief vom 81. vorigen Monats dass mit Schultz *** und Erfurdt**'

nicht die mindeste Schwierigkeit ist. Beide sind officiell vocirt, und

Schultz schon durch CabinetsOrdre bestätigt. Wollen Sie ihm das

*^* vgl. anm. 140.

^^^ vgl. anm. 22.

»^3 Christian Ludv/ig Ideler (1766—1846). 1809 lehrer am Joachims- thal in Berlin, 1810 mitglied der akademic; vgl. Bruhns allgemeine deutsche biographic 13, 743.

*^* vgl. anm. 47.

*^* vgl. anm. 108.

^■^ vgl. anm. 37.

*8^ vgl. anm. 73.

*^ vgl. anm. 134.

1'» vgl. anm. 135. .

'"" vgl. anm. 73.

"" vgl. anm. 108.

A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 301

auch Doch schreibeD, ists recht ^ut. Mit Cludius*^ habe ich es aller- dings noch in meiner Gewalt und nehme ihn nicht. Nor da auch Sie Schultz vorzog^en, war das Schreiben an Bredow '^' freilich unniitz, und ich hätte lieber gesehn, Sie hätten es unterlassen. Doch schadet es nicht. Ihre Besserung freut mich unendlich. Kohlrausch ^^* ist einer der besten Aerzte und ein treflicher Mensch. Aber Ihre fortwährende Schwäche erschreckt mich, und ebenso Ihr Ablehnen von Geschäften. Ich habe Sie eben zum Director der wissenschaftlichen Deputation (alle Stellen sind nur auf Ein Jahr, aber mit Möglichkeit der Wieder- ernennung) und zum Mitglied der Section in dieser Qnalitaet und mit den Berlinischen Gymnasien als Ihrem Departement beim König vor- geschlagen. I^assen Sie das immer geschelin. Ehe es recht in Gang kommt, bin ich dort, und helfe Ihnen viel tragen. Sie erhalten 400 Thaler mehr, und auch Ihre 3000 Thaler kommen nun auf die Universitäts und Academiefonds. Fassen Sie überhaupt nur Muth, liebster Freund, beurtheilen Sie mich mit Nachsicht und werden Sie nicht müde, gemeinschaftlich mit mir zu arbeiten, dass wir entweder wirklich zum Ziel gelangen, oder doch den Weg dahin so zurücklegen, dass jedermann siebt, dass der weitere uns nur gewaltsam abgeschnitten worden ist. Ewig mit immer gleicher Freundschaft Ihr H.

Man braucht in Lieguitz, wo die Ritteracademie im Grunde ein Gymnasium werden solU^', einen Lehrer für alte Litteratur vorzüglich. 6— 600 Thaler Gehalt. Wissen Sie Einen? Ein Schwiegersohn Gedike8l<'^ Horn**^, schreibt mir sehr dringend. Was ist es für ein Mensch? Er hat den Seneca übersetzt.

15.

Königsberg, den 20. November, 1809.

Herzlichen Dank für Ihre gütigen Zeilen vom 14. mein theurcr Freund. Krusemarks*''* Rückkunft hat unsrer Abreise, wenn sie vor- her noch hätte ungewiss scheinen können, auch den letzten Zweifel benommen. Wir gehen vermuthlich gegen die Mitte des künftigen Monats von hier ab, da ich aber zugleich Pommern bereisen will, so kann ich erst nach Neujahr bei Ihnen eintreffen. Lassen Sie Sich indess diesen Aufschub nicht verdriessen. Im Frühjahr kommt meine Frau, und wir sind dann dauernd beisammen.

Auf den Horn*^' werde ich, nach dem, was Sie mir sagen, wenig- stens nicht für den Augenblick reflectiren.

Am Wichtigsten ist mirs, liebster Wolf, über Ihre Aeusserungen- in

>«»« vgl. anm. 136.

>" vgl. anm. 134.

*•* über Heinrich Kohlrausch (gestorben 1826) vgl. an Welcker 8. 16; an Nicolovius s. 30.

*•* vgl. anm. 114. ' »9« Friedrich Gedike (1764-1803), 1779 director des Werderschen gymnasiums in Berlin; vgl. Kaemmel allgemeine deutsche biographie 8, 487.

«»^ Franz Christoph Hörn (1781 1837), 1803 lehrer am grauen kloster in Berlin, 1806 in Bremen, seit 1810 wieder in Berlin; vgl. Schramm-Macdonald allgemeine deutsche biographie 13, 136.

^^ Friedrich Wilhelm Ludwig von Krnsemarck (1767—1822), in diplomatischen Sendungen 1802 in Paris, 1805 in Hannover, 1807 in London, 1809 preuszischer gesandter in Paris, 1815 in Wien; v^], Bailleu allgemeine deutsche biographie 17, 269.

^^ vgl. anm. 197.

i

302 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Absicht anderer Geschäftsverhältnisse zu sprechen. Sejn Sie in jeder Rücksicht deshalb anbesorgt. 80 wie ich Ihnen nichts anbieten werde, was Ihrer nicht würdig sej, so wenig werde ich zürnen, wenn Sie auch so ausschlagen sollten. Ich denke in wenig Tagen mit dieser Sache zu Rande gekommen zu seyn, und werde Ihnen dann, wenn es irgend möglich ist, vor der officiellen Verfügung noch privatim schreiben. Ich schmeichle mir, dass Sie finden werden, dass ich mit der Treue und Freundschaft, die ich immer für Sie hege, Ihre Lage so bereitet, so in nahe Verbindung mit mir gebracht, und zugleich so frei uud mobil er- halten habe, dass sie Ihnen nie einen Augenblick druckend werden kann. Indessen bleiben Sie immer durchaus frei. Wollen Sie nicht darin eingehen, so ist es mir für meine Freundschaft zu Ihnen, und für die öffentliche Anerkennung Ihrer vor der Welt hinreichend, sie Ihnen angeboten zu haben. Ich würde damit nicht zufrieden seyn, weil ich mir sehr viel Nutzen von Ihnen und Ihrer Thätigkeit für die Sache verspreche. Allein ich rechne darauf, dass, wenn Sie auch nicht in öffentliche Verhältnisse eingingen, mir privatim Ihr Rath und Ihre Mitwirkung nie entstehen würden. Sie könnten also vielleicht aller- dings dasselbe auf die eine und die andre Weise wirken. Bloss in Rücksicht auf den König und Ihr Gehalt muss ich bemerken, dass es nöthig seyn wird, dass Sie entweder nur für jetzt, wegen Ihrer noch nicht hergestellten Gesundheit, ablehnen, oder ausdrücklich versprechen, nun sobald es geschehen kann, ganz für die Universität und als Pro- fessor thätig seyn zu wollen. Denn sonst könnte man denken, dass Sie eine Art wenn gleich ehrenvoller, doch Ihrer Anstellung nicht ganz entsprechender Müsse vorzögen.

Schultz*^ hat sich in Frankfurt ungeschickt benommen, und da- durch Unzufriedenheit erregt. £r musste auf Ihren Brief natürlich gewiss seyn, konnte auch nach Frankfurt gehen, allein, dass er sich bloss auf Ihren Brief schon als Professor gerirt hat, wie er gethan, war Unrecht, da jedermann wissen muss, welcher Unterschied zwischen einem Privatbrief und einer officiellen Verfügung ist. Dann hat er auch Dogmatik und Kirchengeschichte zu lesen abgelehnt, und sogar gesagt, dass er dazu jetzt noch nicht im Stande sey. Indess lobt ihn auch Vater*^^ sehr, und die Unzufriedenheit wird sich geben. Er scheint endlich auf Eroolumente zu rechnen. Allein ich habe nie von Emo- lamenten, soviel ich weiss, geschrieben. Jetzt sind wirklich keine vacant.

Für die Erinnerung wegen der LectionsPlane der Gymnasien meinen herzlichsten Dank. Ich werde sie augenblicklich benutzen.

Leben Sie herzlich wohl. Ich werde mich unendlich freuen, Sie ganz hergestellt wiederzufinden. Durch die Ankündigung Ihrer Vor- lesungen haben Sie mir eine grosse Freude gemacht. Mit immer gleicher und herzlicher Freundschaft Ihr H.

16.

Radegast, den 14. December 1809. Abends 6. Uhr.

Ich schreibe Ihnen von hier aus über eine Sache, über die ich mit

Ihnen mündlich zu reden vergass. Sie wissen, ich habe bis jetzt nur

drei Mitglieder für die wissenschaftliche Deputation vorgeschlagen:

Tralles***, Schleiermacher »o^ und Spalding.»'»^ Ich habe aber noch zwei

»00 vgl. anm. 73. *"• vgl. anm. 48. 20« vgl. anm. 76. *^^ vgl. anm. 62. 104 vgl. anm. öO.

A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 303

andre im Sinn, über die ich Ihre Meynang wissen möchte, nemlich Himlj*^^ and den jungen Erman'*'*, ersteren für das pädagogische und insofern philosophische Fach und letzteren für allgemeine Natur- geschichte und Wissenschaft. Himly kenne ich persönlich gar nicht, auch seine bei Hitzig herauskommenden Scripta nur so Yom Blättern. Allein danach gefällt er mir nicht übel, und da wir einmal von Bern- hardi*^ abstrahiren und auch Fichte *°^ nicht rechnen wollen, so bleibt, soviel mir bekannt ist, sonst niemand übrig. Auch ist es nur für Ein Jahr. (Jebrigens hat er sich als politischer Censor immer gegen die Section so gut betragen, dass ich ihm deshalb wohl eine Auszeichnung gönnte. Erman ist gewiss treflich, nur fragt es sich, ob er sich, ausser Physik, auch wohl genug mit Naturgeschichte abgegeben hat, um darin wenigstens insoweit ezaminiren zu können, als diese Kennt- nisse beim allgemeinen Schulunterricht nothwendig sind. Denn so wie es auf eigentlich specielle Gelehrsamkeit ankommt, zieht man aus den ausserordentlichen Mitgliedern den Botaniker, Mineralogen cet. zu. Dann fehlt noch ein Historiker. Wissen Sie dafür jetzt in Berlin selbst keinen Rath? Sie verbänden mich nun ungemein, liebster Freund, wenn Sie diese beiden Punkte, die admission von Himly und Erman junior und die Wahl eines Historikers in Ueberlegung ziehen, auch allenfalls mit Süvern*<^ oder Nicolovius^'® besprechen und mir dann baldmöglichst Ihre Meynung sagen wollten. Ich schlüge sie dann noch vor meiner Rückkunft vor.

Halle, 15. December. 3 Uhr Nachmittags. Ich schliesse dies Blatt hier. Ich habe Reil'*^ heute früh ge- sprochen. Ob er gleich nicht abgelehnt hat, glaube ich an sein Kommen nach Berlin nicht. Er will mir ferner schreiben, oder sich mit mir bei meiner Rückkunft besprechen. Bei Niemeyer**' habe ich gegessen. Er reist mit mir nach Rothenburg. Die Universität ist in traurigem Zustand. 280 Studenten, wenn man Krüppel und Greise mit- rechnet; und alle Augenblicke wird einmal von Cassel angefragt, warum man die Studenten nicht verschlösse. So wenig Begriffe hat man von einer Deutschen Universität. Schütz**' habe ich voll vom Jubilaeum in Leipzig, wohin er als Deputirter gegangen war, gefunden. Andre viros doctos habe ich nicht gesehen, weil ich mit viris indoctis viel Geschäfte abzumachen hatte. Leben Sie herzlich wohl. Mit alter Liebe der Ihrige H.

*<^ Karl Gustav Himly (1772—1837), 1796 professor in Braunschweig, 1801 professor der medicin in Jena, dann in Göttingen; vgl. Rothmund allgemeine deutsche biographie 12, 4.S5.

•<*• Paul Erman (1764—1861), 1791 professor der physik an der kriegsschule, 1809 an der Universität in Berlin; vgl. Lommel allgemeine deutsche biographie 6, 229 und an Nicolovins s. 11.

••^ vgl. anm. 151.

•°' vgl. anm. 94.

**• vgl. anm. 37.

«»0 vgl. anm. 36.

•" vgl. anm. 12.

•"August Hermann Niemeyer (1764 1828), 1784 professor der theologie, 1786 director der Franckeschen Stiftungen in Halle, 1816 oberconsistorialrat; vgl. Binder allgemeine deutsche biographie 23, 677.

««» Christian Gottfried Schütz (1747—1832), 1773 professor der classischen philoIogie in Halle, 1779 professor der poesie und bered- samkeit in Jena, 1804 wieder in Halle; vgl. Hoche allgemeine deutsche biographie 33, 111.

304 A . Leitzniann : W. v, Humboldi^s briefe an F. A. Wolf.

17.

Erfurt, den 24. D^cember 1809. »'<

Ich bin glücklich hier angelangt, habe einen grossen Theil meiner QeschÜfte abgemacht, behalte aber einen grösseren freilich noch übrig. Doch eile ich, soviel ich kann, nach Berlin, d. h. zu Ihnen zurück. Denn sonst reizt mich die Anlebenscbe Stille wohl, und ich finge anf gut Qlück aufs Nene mit der Tafelbibliothek an. Recht lebhaft hat mich der Anblick der Zimmer an Ihre so gütige, und jetzt bei der langen Reihe verflosHener Jahre so treue Freundschaft erinnert. Es waren damals eigentlich schönere Zeiten; doch bin ich den jetzigen auch nicht abholrl. Die Gegenwart ist eine grosse Göttin, nnd selten spröde gegen den, der sie mit einem gewissen heitren Muthe behandelt.

Lesen Sie, mein Lieber, die Inlnge. Sie hat mich auf viele Weise zweifelhaft gelassen. Ist es blosses Treiben Arnims, der, wie zu weit- Iftuftig zu erzählen ist, Privatinteresse dabei hat? Ist es angelegter Plan von Savigny*'^ seihst? Dann: sollen und wollen Hugo*'* und Savigny zusammen in Göttingen scjn, oder ist es eine Mncbination von Leist'^^ gegen Hugo, oder wenigstens eine Massregel, bei der er sich nicht kümmert, wie dieser sie n<'hmen wird? Auf keinen Fall aber glaubte ich müssig bleiben zu müssen, und immer ist die Sache für nns gefährlich. Will man Göttingen ernstlich und wahrhaft heben, so können wir anf keinen von beiden mehr rechnen, nnd macht Savignj's Berufung Hngü*n uns geneigter, so wird Savigny in Göttingen ganz anders auftreten, als in Landshut. Ich habe also Savigny heute ge- schrieben, nnd ihn gefragt, ob er Lust habe, nach Berlin zu kommen? Ich habe ihm fürs Erste nur von der Aussicht gesprochen, die er haben kann, in Berlin für «eine Wissenschaft zu wirken. Da ihm natürlich dies, habe ich ihm gesagt, das Erste und Wichtigste sey; so müsse ich erst wissen, wie er darüber denke, ehe ich äussere Bedingungen machen könne. So behalte ich die Unterhandlung in meiner Hand, und bewirke doch vermuthlioh in ihm eine Zögerung des Entschlusses. Ich bitte Sie jetzt inständigst, mir zu sagen, was Sie über Hugo in Er- fahrung gebracht? Jetzt, da ich noch einige Tage hier bleibe, und nachher wieder hier zurückgehe, ist meine sicherste addresse: abzugeben bei HErrn Dunker, in

in der Wohnung des verstorbenen Praesidenten von Dacheröden. Erfurt.

Ich lüugne nicht, dass ich Kavigny, als Gelehrten und Juristen, für eine bessere acquisition für die Universität, als Hugo halte. Hugo hätte für jetzt vielleicht mehr Zuhörer, Allein Savigny würde sie er- halten. Ich seihst habe bei Hugo anfangs mit 3 gehört, so wenig Bei- fall fand er zuerst. Verzeihen Sie meine Kürze und leben Sie herz- lich wohl! Ganz Ihr H.

18.

Erfurt, 11. Januar 1810.*»'' Obgleich ich ein schlimmes Auge habe, mit dem ich eigentlich nicht schreiben sollte, so kann ich, liebster Freund, doch Ihren lieben Brief vom 31. vorigen Monats und Jahres weder unbeantwortet lassen,

*^* vom selben tage briefe an Nicolovius und Arnim (s. 10. 128).

*'•» vgl. anm. 13.

«"^ vgl. anm. 118.

"Wustus Christoph Leist (1770—1868), 1795 professor der Juris- prudenz in Göttingen, 1809 unterrichtsminister im königreich Westfalen, 1810 klosteramtmann in Ilfeld, 1829 consistorialdirector in Stade, 1839 obcrappellationsgcrichtspräsident in Zelle; vgl. Frcusdorff allgemeine deutsche biographie 18, 226.

"^ vom selben tage ein brief an Nicolovius s. 13.

A. Leitzmann : W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 305

noch dictirend beaotwortcn. Ich gebe daher unmittelbar zu dem über, was flchoelle und eigne Beantwortung fordert.

Erlauben Sie, mein theurer inniggeliebter Freund, dasa ich auch, wie Sie, ganz und ohne Rückhnlt offen mit Ihnen bin. Sie haben un- richtige Ideen über das VerhHltniss, das für Sie das passendste ist, nnd ebenso Vorurtheile über und gegen Ihr neues.

Sie sagen: Stein habe Sie geradezu zum StaatsRath machen wollen, und ich hätte dies thun sollen. Aber, mein Bester, da wären Sie sehr schlecht berathen gewesen, die Wissenschaft und die Universität ebensosehr, und wenn Sie es nicht gleich glauben, so kann es nur sejn, weil Sie nicht anschaulich wissen, was ein StaatsRath in einer bection ist. Fragen Sie nur Süvern"^, ob er den ganzen Sommer hin- durch hat etwas für sich thun können? Sie kommen auf diesem Wege in alle Geschäfte, nnd in alle Geschäftsverhältnlsse, die auch der best« gesinnte Chef nicht immer süss machen kann. Sie hätten gar keine, oder äusserst wenig Zeit, und würden vor Ekel und Verdruss bald aus- geschieden seyn. Sie werden sagen, dass es immer von mir ahgchancren hätte, Ihnen weniger oder nur gewisse Geschäfte zu geben. Allein das ist nicht der Fall. Denn ich darf nur eine gewisse Anzahl StaatsRäthe haben, und einer, der wenig arbeitet, bringt also die ganze Section sarück, und steht auch selbst in üblem Licht bei seinen Collegen. Allein gesetzt auch, ich hätte es gethan, mein Nachfolger würde es ▼ielleicht und gewiss nicht; Sie mussten dann Ihren Abschied nehmen, und verloren entweder Ihr StaatsRathsGehalt, oder es bedurfte einer neuen Negotiation, wenn Sie es erhalten wollten. An den Verlust für Ihre eignen Arbeiten will ich jetzt nicht einmal denken. So, lieber Freund, war es nach Steins Plan.

Ich dagegen habe Ihnen Ihr Gehalt gesichert, auch wenn Sie eigent- lich nichts thun; ich habe Ihnen eine dem Wesen nach viel ansehn- lichere Stelle, als die eines blossen Staatsraths, eine Direction gegeben, nnd Sie in die Section mit völlig gleichem Range eines Staats- Baths gesetzt. Da Sie aber nicht gerade zu der Zahl gehören, die ich haben darf, so brauche ich Ihnen nicht mehr Geschäfte zu geben, als Sie haben wollen. Ich habe dies Alles auf Ein Jahr gemacht, damit Sie versuchen können. Gefällt Ihnen Ihre doppelte Qualitaet, so be- halten Sie die eine und die andere, gefällt Ihnen bloss die Direction der Deputation, so gebe ich Ihnen in der Section keine Arbeit; gefällt Ihnen endlich bloss die Section^ so schlage ich dann dem Könige vor, Sie so bei der Section fortarbeiten zu lassen. Ihr Gehalt, bis auf die leidigen 400 Thaler ist von dem allem unabhängig. *

Wer, mein Lieber, hat nun besser für Sie gesorgt. Stein oder ich? Jeder Unpartheiische mag selbst entscheiden.

Ein Gelehrter, wie Sie, muss nicht StaatsRath seyn, er muss es im eigentlichsten Verstände unter Sich halten. Als Titel muss er es verschmähen, nnd mit vollen Geschäften sich nicht aufbürden lassen.

Die Aufsicht über die Gymnasien sehen Sie irrig, liebster Freund, für ein eignes Amt an. Es ist Ihr Departement als SectionsMitglied nnd setzt Sie daher in keine Abhängigkeit, als von den Beschlüssen der ganzen Section, wenn Sie vortragen, wie jeden andern Rath. Ich kann aber für mich auch gegen die Section entscheiden, also bin immer nur wieder ich der Einzige, von dem Sie abhängig seyn könnten.

Hiernach gestehe ich Ihnen offenherzig, liebster Wolf, dass ich keinen andern Platz für Sie weiss. Ich habe mein Möglichstes, nach meiner besten Ueberzengung gethan, Sie zufrieden zu stellen, und Sie in Wirksamkeit zu setzen, ohne Sie den Wissenschaften zu entziehen. Einen andern Platz, als den angewiesenen, weiss ich nicht für Sie. Schlagen Sie ihn aus, so bleibt nichts übrig, als dass Sie einfaches

«'» vgl. anm. 37.

306 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Mitglied der wissenschaftliclien Depatation siodf und als Academiker arbeiten , und Vorlesungen halten. Einem Manne, wie Sie, würde ich, auch wenn ich ihn weniger herzlich liebte, immer Freiheit zu erhalten wissen. Ich kann mir auch schmeicheln, dass Sie mir immer erlauben, Ihren Rath zu benutzen. Also überlegen Sie wohl. Aber mein Rath ist, dass Sie annehmen. Mein Wunsch auch. Die Section wird Ihnen gefallen, ich stehe dafür.

Darüber, dass Uhden**^ den Stilus Regius an Ihnen exercirt hat, habe ich schon der Phrase wegen, herzlich lachen müssen. Die Menschen sind sehr wundersam, und oft erst durch ihre Thorheiten amüsant.

An der Verfügung an die Gymnasien ist Er unschuldig. Ich selbst habe sie angegehen, wie sie ist, und mit Fleiss. Nur im ersten Jahr kann Unannehmlichkeit entstehen, und die kann mau durch Privat- Nachfragen in Berlin sehr leicht heben. Die Cataloge lange vorher lu fordern, auch die von den vorigen Semestern, hätte die Menschen ver- drossen, so schmeichelt es ihnen, sich wie die Universitäten behandelt zu sehn. Hätten andere im Ministerium diese kleinen Dinge beachtet, so wäre viel Unzufriedenheit weniger. Ich habe nie in einem wesent- lichen Punkt nachgegeben, und meyne doch populärer zu seyn, als die andern.

Für die Nachrichten von Hugo"* herzlichen Dank.

Ueber Schmidt"* weiss ich auf ähnlichem Wege, dass er wohl nur dann kommt, wenn Giessen nicht Darmstädtisch bleibt.

Reil*" verspricht wieder mehr, aber ich glaube nicht daran.

Savigny"^ hat im Ganzen angenommen, doch ist die Negotiation noch nicht zu Ende.

Dies alles streng unter uns. Nur Nicolovius"^ ist zum Theil unter- richtet. Ihm habe ich auch wegen Schrader*** Auftrag gegeben, weil er schon früher Aufträge von mir hatte, und ich nicht weiss, was er gethan hat. Schrader soll nur einen schlechten Vortrag haben.

An Woltmann'" lassen Sie uns nicht denken! Kennen Sie seine Bruchstücke von Uebersetzungen aus Tacitus? Ich empfehle Ihnen die Stelle wo (aber nur im Deutschen) den Ccnturionen in einem Aufruhr 60 Prügel aufgezählt werden.

Mit Göthe habe ich ä schöne Tage im vollen Andenken an Sie im Angesicht Ihres Bildes und des Ihrer Tochter verlebt."^

Mit innigster Liebe uud Freundschaft Ihr H.

19.

[Berlin,] 80. Januar 1810. Ihr Brief vom 27. dieses liebster Freund, den ich nicht Zeit hatte, früher zu beantworten, ist mir in jeder Art empfindlich gewesen. Es war eine meiner angenehmsten Aussichten hier, ausser unsrer alten freundschaftlichen, auch noch in Geschäftsverbindung mit Ihnen zu treten, und ich muss jetzt erfahren, dass Sie Sich, und zwar nicht aus

"0 vgl. anm. 22.

**' vgl. anm. 118.

•" vgl. anm. 24.

vgl. anm. 12.

««* vgl. anm. 13.

"* vgl. anm. 36.

Heinrich Eduard Siegfried von Schrader (1779 1860), 1803 privatdocent der Jurisprudenz in Göttingen, 1804 professor in Helmstädt, 1809 in Marburg; vgl. Landsberg allgemeine deutsche biographie 32, 428.

«7 vgl. anm. 78.

"^ vgl. Goethes tagcbücher 4, 87.

A. LeitsmaDn: W. y. Humboldts briefe an F. A. Wolf. 307

Orfinden, die bloss in Abneigungf gegen Geschäfte, oder in Mangel an Zeit wegen Ihrer Stadien lägen, sondern aus ganz eigentlicher Un- snfriedenheit von aller Verbindung mit unsern Einrichtungen lossagen. Ich kann hierin nichts als eine unglückliche, wirklich hypochondrische Btimmang finden; denn in der Sache ist es mir unmöglich Ihren Gründen beizustimmen; auch sehe ich, dass Sie schriftlich und münd- lich diese nicht mit Ruhe sondern wirklich mit einer Art Bitterkeit nnd Leidenschaft behandeln, die mir, da ich nie einen andern Wunsch gehegt habe, als Sie zufrieden und glücklich zu sehen, nothwendig weh thun muss.

Sie klagen in Ihrem Brief direct über Vernachlässigung und Zurück- setinng, die Sie erfahren, indirect über grosse Misgriffe, die in Be- sorgung der mir anvertrauten Geschäfte geschehen.

Nicht wegen Ihrer 22jährigen Dienste, da Sie Sich gewiss nicht auf solche Gründe zu berufen brauchen, sondern wegen der Verdienste, die Ihnen niemand je streitig macht, habe ich darauf gedacht, Ihnen den ehrenvollen Posten, den ich für einen Gelehrten zu vergeben hatte, SU ertheilen. Für diesen halte ich den des Directors der wissenschaft- lichen Deputation, und um öffentlich zu zeigen, dass ich diese Stelle, Ihnen ertheilt, nicht für bloss vorübergehend, sondern für dauernd ansah, wollte ich damit eine andre Thätigkeit in der Section verbinden, die auch unabhängig von der Deputation fortdauern könnte, und auf die ein Director dieser an sich keinen Anspruch machen kann. Ich sorgte ausserdem bei dieser Bestimmung, soviel es nur möglich war, für Ihre Bequemlichkeit. Sie sind damit unzufrieden, einzig, wie es scheint, aus dem Grunde, dass Sie nicht StaatsRath sind, und Sich nun als unter die Staatsräthe meiner Section gesetzt ansehen« Zuerst muss ich dagegen erinnern, dass diese Ansicht mit derjenigen, welche Sie im vorigen Jahre hatten , in offenbarem Widerspruch steht. Nie haben Sie mir im vorigen Jahre gesagt, dass Sie Staatsrath sejn wollten, wohl aber bestimmt, dass diejenigen, bei denen man vorzugs- weise auf gelehrte Wirksamkeit rechnete, diesen Titel nicht haben müssten. Wenn ihn Hufeland *^ bekommen hat, so ist das wohl kaum eine Ausnahme zu nennen. Denn bei Tlufeland rechnet man bei weitem mehr auf seine Geschäfte in der medicinischen Polizei, als auf seine Thätigkeit als Lehrer. Der Titel des Staatsraths sagt, dass sich einer ganz der Geschäftsl auf bahn widmet, dass er wissenschaftliche Arbeiten nur treiben will, insofern er nebenher dazu Müsse behält das nun können Sie nicht für Sich, kann ich nicht für Sie wollen. Die Depu- tationen sind bei uns eine Verbindung der gelehrten mit der Geschäfts- thätigkeit, oder vielmehr eine Annäherung beider gegen einander, ein Hittel zu verhüten, dass nicht eine eigentliche Kluft sie trenne. In diese Laufbahn brachte ich Sie, und räumte Ihnen in dieser die erste Stelle ein. In allen Ländern sind Geschäfts- und GelehrtenLaufbahn getrennt. In Frankreich sind Mitglieder desselben Nationallnstituts Staatsräthe und nicht, und keiner glaubt sich hinter den andern zurück-

gestellt, obgleich auch da die Staatsräthe gewisse äussere Vorzüge aben. Jeder denkt mit Recht, dass verschiedene Laufbahnen gar nicht einmal in Collision kommen, und der Gelehrte kann wohl die seinigew.'v*^ *'och anschlagen, dass er selbst Praerogativen in den andern veracb?* "nd welche Praerogativen nun sind es? Wirklich sehr kleine.*^ ^ Gesellschaft in der Stadt, d. h. die gute wird die Staats- räthe, aarum weil sie es sind, nie vorziehen, ich sehe schon in den wenigen Tagen hier, dass es nicht geschieht. Wie kann es auch nur geschehen? Dass die Staatsräthe eigentlich die alten adlichen Vor-

«» Christoph Wilhelm Hufeland (1762— 18S6), 1783 arzt in Weimar, 1793 Professor der medicin in Jena, 1800 in Berlin; vgl. Gurlt all- gemeine deutsche biographie 13, 286.

308 A. Leitamann : W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

rechte hUtten, habe ich nie sagen wollen. Das Erscheinen bei Hofe ist das Einzige. Wo giebt es überhaupt jetzt adliche Vorrechte? Sind in der Instruction, wie Sie andeuten, ohne es deutlich auszusprechen, Punkte, wo dem neuen Director zu nahe getreten ist, so sagte ich Ihnen schon, dass die Instruction ja erst ein Project ist. Zeigen Sie sie mir nur an, und wir wollen uns bald darüber verständigen. Was Sie noch sonst, wie Sie sagen, schreckt, und in wiefern dies der Fort- gang dieser ganzen Sache thut, sehe ich ernstlich nicht ein, und kann also auch freilich nichts darüber sagen. Wirklich, liebster Freund, überlegen Bio die Sache ruhiger, es kann nichts darin liegen, was Ihnen die Ueberlegung ärgerlich oder verdriesslich machte, fragen Sie allenfalls Andre, und denken Sie zugleich vorzüglich auf die Sache, die, denke ich, uns doch mehr als jede andre Rücksicht am Herzen liegt, und die wenigstens ich, wenn ich auch weit entfernt bin, von Andern Aufopferungen zu fordern, auch nie einen Augenblick ans den Augen verliere.

Ich gehe jetzt auf die Geschäfte und meine Verwaltung selbst über. Gott weiss es, bester Freund, und Sie kennen mich zu lange, um es nicht zu wissen, dass ich nicht von mir und meinen Veranstaltungen eingenommen bin, dass ich gern Rath einhole, und dass mir die Aeusse- rung 8ogar sehr bittern Tadels immer lieber, als das Verschweigen der Misbilligung ist. Aber ich weiss auch, dass ich mit bester Ueber- legung und mit Eifer gehandelt habe, dass ich meine Ansichten im Ganzen und meine einzelnen Schritte mit Gründen belegen kann, und ich glaube sagen zu können, dass die Sache unter mir schon jetzt ge- wonnen hat. Ich muss auch meinen Räthen volle Gerechtigkeit wider- fahren lassen. Es wird keinem von ihnen einfallen, sich ihnen in Genie und Gelehrsamkeit gleichzustellen, allein ein Geschäft braucht oft und meistentheils viel massigere Talente. Auch ich habe nicht Lust, mich einem meiner SectionsRäthe im Ganzen nachzusetzen, dennoch giebt es Parthieen, und für jeden könnte ich eine namhaft machen, die sie besser bearbeiten, als- ich. So ist unläugbar, dass Süvern*'^, den Sie nur nicht bloss als Philologen betrachten müssen, über Paedagogik und den philosophischen Theil des Erzichungsfachs äussürst gut durch- dachte, und selbst neue Ideen hat. Misratlien können viele Dinge. Sie können leider z. B. sehr Recht mit Reil*^' und Savigny'" haben. Nur ist das gewiss niemandes Schuld, eine andre Einleitung wäre mit diesen noch bichrer misglückt, und vielleicht können Sie Sich doch auch in dieser Propbezeihung, wie in der mit Vater*" und Bredow*'* irren. Ueber die AcademieAngelegenheit, mein Lieber, sind Sie ein wenig sehr ungerecht gegen mich. Dass in Rücksicht der mathematischen Klasse meine Absicht mislungen ist, war keineswegs meine Schuld. So etwas muss aber auch nicht gleich abschrecken. Wenn mau das zulässt, macht man eigentlich nichts. Dhs Ende der Tage ist nicht ge- kommen. Selbst mit Bode'^^ ist die Sache noch nicht aus, und dann ist auch diese Ernennung nicht für ewig. In Geschäften ist es mein Grundsatz, dass man nur dann gut wirkt, wenn man ruhig, geduldig und beharrlich ist. Auch die reifste Ueberlegung kann durch Zufällig- keiten ihres Zwecks verfehlen, aber wenn man nur diesen im Augo behält und immerfort redressirt, so kommt man doch ans Z*^\. Den

«»« vgl. anm. 37.

"* vgl. anm. 1-2.

vgl. anm. 13.

"' vgl. anm. 48.

*^^ vgl. anm. 134.

»35 Johann Eiert Bode (1747—1826), 1777 astronom der Berliner akadomie und director der Sternwarte; vgl. Bruhns allgemeine deutsche biographie 3, 1.

A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefc an F. A. Wolf. 309

Vorwurf, den Sie mir über Biester*'* machon, erwartete ich nicht. Erinnern Sie Sich denn nicht, dass Sie selbst Biestern und Spalding'^^ ▼orachingen? Auoh Hess sich unter den gegebenen Umständen der Vorschlag rechtfertigen. Entstand er aber bei Ihnen aus nicht reifer Ueberlegung, so ist es doch hart, mein Thcurer, dass Sie selbst nun mir mit einer wirklich bittern Wendung die Sache vorhalten. Dass Sie Spalding eine Art von Vice-Praesident nennen, ist doch sehr weit gegangen. Freilich ist eine Art von auch sehr unbestimmt. Aber ist einer denn VicePraesident, wenn man ihm da, wo von Vieren nur Einer reden kann, für diesmal das Reden überlässt? Und warum, Lieber, ist Spalding Secretaire? doch nur darum, weil Sie es nicht angenommen hätten, und weil der Secretaire gar nicht primus inter

Sares zu seyn braucht. Ich sehe diese ganze Sache so an. Nicht dass ie vier Vorgeschlagenen Secretaire wurden, sehe ich für eine Ver- besseruDg, oder den Anfang einer Verbesserung an, aber wohl, dass die Academie nun Classen- Secretaire hat. Kommt ein Philosoph denn jetzt bat die Academie keinen so wird Biester von selbst weichen. Koeh Einmal, mein Bester. Wer nie mit dem minder Outen anfangen will, bis das Beste geschehn kann, der wirkt nie etwas im Grossen. Dass Reinharts*'^ Ruf vertheuert haben kann, will ich nicht in Abrede seyn. Es gab aber andre wichtige Gründe, warum ich wünschen mnsste, dass diese Berufung und ihre Bedingungen bekannt würden, selbst wenn ich, wie ich wirklich that, das Mislingen voraussah, und diesen musste jene Rücksicht, weichen.

Dies, lieber theurer Freund, ist meine Ansicht aller Dinge, die Sie in Ihrem Briefe berühren. Ich will Sie gewiss in keine Verlegenheit keiner Art setzen, auch nicht überreden, aber dass es mir auch per- sönlich weh thut, wenn ich sehe, dass eine, wie es mir scheint, vor- gefasste Meynung über einen blossen Titel, Sie, der Sie in jeder Rück- sicht so treflich sind, hindert, mit uns gemeinschaftliche Sache zu machen, jeden von uns zu nehmen wie er nun einmal ist, von uns dasselbe zu erwarten, und überall nur die Sache vorwalten zu lassen, treu zusammen zu arbeiten, gemeinschaftlich begangene Irrthümer, wo welche vorfielen, auch gemeinschaftlich zu tragen und vorzüglich zu ▼erbessern, das können Sie mir nun einmal nicht verargen und werden es nicht thun. Was Sie mir sind, wissen Sie, und sehen es noch an der Ausführlichkeit dieses Briefs, da ich warlich kaum Minuten in diesen ersten Tagen frei habe.

Leben Sie herzlich wohl, und bleiben Sie unsrer alten Freundschaft und Liebe, die in mir immer gleich innig und herzlich ist, treu. Von ganzer Seele der Ihrige H.

Ueber Biester mündlich mehr. Er benimmt sich äusserst brav.

20.

Ich schicke Ihnen hier, mein theurer Freund, die Verfügung, die an Ihre Deputation ergehen soll. Lesen Sie sie und zeichnen mir die Stellen an, wo Sie Abänderungen wünschen. Wir sprechen hernach darüber. Ich wünschte aber sehr, die Sache sehr schnell wieder zu haben. Sind Ihre Erinnerungen nicht tief in die Sache eingehend, so tbeilen Sie sie mir nur schriftlich mit. Müssen wir darüber reden, so sagen Sie es mir morgen früh mit einem Wort schriftlich. Ich bin morgen in Tegel, komme aber in diesem Fall, wenn es irgend möglich Ist, zwischen 5 und 7. zu Ihnen. Leben Sie herzlich wohl. Wenn das

*'* vgl. anm. 17. "' vgl. anm. 60. "^ vgl. anm. 178.

310 A. Leitzmann: W. v. Humboldts briefe an F. A. Wolf.

Leben immer so fortdaoerie, wäre es unerträglich. Man sieht sich nicht mehr. Allein mit der Ankunft meiner Familie wird es gewiss besser. Wir müssen den Tag ausmachen, wo Sie regelmässig, wenn Sie doch in der Stadt sind, mit uns essen. Von ganzem und innigem Herzen Ihr

[Berlin,] 13. [Februar 1810.] H.

Ich habe diese Abschrift nicht durchsehen lassen können. Also verzeihen Sie Schreibfehler.

21.

Wegen des Joachimsthals sollen Sie morgen früh bestimmte Aut- wort haben. Die Sache ist wichtig und erfordert einige Ueberlegung.

Freitags, mein Bester, kommen Sie nach Belieben. Willkommen sind Sie immer und die ganze Sitzung hindurch, aber fordern will ich es nicht. Wenn Sachen vorkommen, wo Ihre Zustimmung besonders wünschenswerth ist, so werde ich sie warten lassen, bis Sie erscheinen. Doch kann dies freilich nur ausnahmsweise und selten geschehen. Eine Sache ist schlimm. Alle Sie mehr interessierende Sachen Interna hat Süvern*'* mit wenigen Ausnahmen, und erträgt, als ältester, zuerst vor, also zwischen 9 und 10 Uhr. Uhden*^®, der dann folgt, hat meist Externa. Dies geradezu zu ändern, ginge, wie Sie selbst fühlen, nicht füglich. Vielleicht aber findet sich ein günstiger Anlass, den ich dann dazu benutzen werde.

Die Berg*^* ist in Verzweiflung, dass sie neulich Sie zu bitten ver- gessen hat.

Ich wünsche, Sie ässen Sonnabend mit Adam Müller*^* und einigen andern bei mir. Ich sage es so lange voraus, damit Sie Sich nicht versagen. Von Herzen adieul Savigny*^^ hat, bis auf den Abschied, angenommen. Ihr

[Berlin,] 19. [Februar 1810.»*^] H.

22.

Ich werde sobald als möglich, mein Lieber, mit Ihnen mündlich über die interimistische Instruction reden, und vielleicht schon morgen Nachmittag zu Ihnen kommen, da die Sache Eil hat.

Dass die Fassung derselben den Geist der Deputation lähmen sollte, wenn sonst nicht andere Umstände hinzutreten, glaube ich nicht. Es ist keine Stelle darin, die anzeigte, dass die Section sie bei den ihr gegebeneu Arbeiten leiten wolle. Der wesentliche Unterschied zwischen dieser Interimistischen und der ersten Instruction besteht nur darin:

1. dass die jetzige bloss sagt: es bleibe der Deputation unbenommen, eigne Vorschläge zu machen, und die erste sie dazu aufforderte. Im Grunde gilt das gleich und ist nur darum geschehen, weil wirklich die erste Instruction die Deputation als eine Behörde darstellte, die ewig auf Verbesserung speculiren sollte, und in der Distinction zwischen

•*» vgl. anm. 37.

•^0 vgl. anm. 22.

•" vgl. anm. 18.

*•« Adam Heinrich Müller (1779—1829), 1806—9 in Dresden, 1809—10 in Berlin, seit 1811 in Wien, 1813 landescommissär in Tirol; vgl. Mischler allgemeine deutsche biographie 22, 501.

•** vgl. anm. 13.

*** vom selben tage ein brief an Goethe (s. 237).

V

A. Leitzmann: W. v. Humboldt« briefe an F. A. Wolf. 311

der Art wie die Deputation and wie die Section wirken sollte, zn metaphysisch war,

8. dass die erste der Deputation auch Verbindung^ mit dem Publicum gab, was Sie selbst misbilligten.

An der Stelle des Erbrechens hat kein Mistrauen Schuld. Sie war ancb in der ersten. Es war nur gut, das zu verfügen, weil sonst das ordentliche Halten des Jonmals so sehr erschwert wird. Auch bei den Begierungen erbrechen die Praesidenten alles was in alle Deputationen kommt, und auch ich erbreche die Sachen für den Cultus obgleich da Nicolovins'^^, wie Sie in der Deputation, praesidirt und unterschreibt.

Glauben Sie mir, liebster bester Wolf. Weder ich, noch die Section haben Mistrauen, Sie vielmehr in uns. Allein da eine Instruction für lange Zeit ist, da man sie nicht ohne d^menti, wenn sie einmal ge-

feben ist, einschränken kann, so war es weiser, sich jetzt so zu halten. angen Sie nur an, machen Sie nur viele VorschlKge proprio motu, man wird sie immer gern aufnehmen, und Sie werden mit voller Frei- heit bandeln. Kennen Sie mich denn als einen Menschen, der die Discnssion zurückweist, oder fürchtet? Bei Andern stehe ich in diesem Rnfe warlich nicht.

Süvern*'* hat mir bloss erzählt, wie ich mit ihm nach Frankfurt reiste, dass er Sie gebeten hätte, ihn mit ins Kloster zu nehmen, und daas Sie es versprochen. Ich habe nichts dazu gesagt; das ist Privat- sache unter Ihnen, und wenn Sie ihn mitnehmen, so weiss Bellermann**' ans meiner Verfügung, dass Sie und nicht Er der Commissarius sind. Glaaben Sie mir auch hier, Lieber. Stlvern hat bloss Lust gehabt, das Kloster zu sehn, nicht sich einzumischen, und hat nicht geahndet, dass Sie es anders nahmen.

Ich war heute bei Zelter in der Liedertafel, wo man aber für Gesang cn ernsthaft ist, und es ist voll 2 Uhr und mein Tisch liefet noch voll Sachen, die abgemacht werden müssen. Also eine herzliche Gate Nacht ! Ihr

[Berlin,] 18. [März 1810.] H.

28

[Berlin, Mitte März 1810.] Verseihen Sie, liebster Wolf, wenn ich Ihnen Ihre Erklärung, so angenehm mir im Ganzen ihr Inhalt ist, obschon sie noch niemand, als ich gelesen hat, wieder zusende, weil sie mir nicht deutlich ist, und ich nicht recht sehe, was Sie eigentlich meynen. Die Frage der Section war, ob Sie

wie die Section wünschte , sobald es Ihre Gesundheit erlaubt, noch innerhalb des Jahres wieder eintreten und Ihre Directorial-Geschäfte übernehmen wollen? in wel- chem Fall Sie es der Section, wenn der Zeitpunkt käme, un- zeigen müssten?

oder ob Sie dabei beharren, nur ausserordentliches Mitglied zu seyn? Das Eine oder Andere muss ich Sie bitten bestimmt und klar aus- ladrücken, weil ich mich sonst in Verlegenheit befinde, das Dircctorat bei der Deputation, die schon in recht erfreulicher Thätigkeit ist, ent- weder für die Zwischenzeit, bis Sie wieder eintreten, oder für den ganzen Rest des Jahres gehörig einzurichten. Insofern müssen Sie auch meine abermalige Bitte entschuldigen.

Dass Sie auch als ausserordentliches Mitglied nach dem Ausdruck Ihrer jetzigen beiliegenden Antwort 'so weit es Ihre Gcsundheits-

"* vgl. anm. 36. vgl. anm. 37. "7 vgl. anm. 79.

312 A. Leitsmana: W. v. üumboldtB briefe an F. A. Wolf.

umstände erlanben' thätig seyn können und mögen, wünschen wir von Herzen, wenn Sie einmal nicht ordentlich wieder eintreten wollen.

Ich darf Sie wohl noch um Beschleunigung Ihrer Antwort ersuchen.

Von ganzem Herzen Ihr H.

24.

Ich muss also Ihre Eingabe officiell machen, «und thue es, da Sie nicht anders wollen, übermorgen.

Was Zedlitz einmal für Sie gethan hat, weiss ich nicht. Warum werden Sie auch so räthselhaft? Was ich nur irgend kann, tbue ich für Sie gewiss, mein liebster Freund.

Sie müssen die interimistische Instruktion der Deputation officiell empfangen haben. Da Sie bei Ihrem Beschluss beharren, muss ich sie mir baldmöglichst zurück ausbitten.

Meinen ersten freien Mittag bringe ich bei Ihnen zu.

Mit herzlicher Freundschaft Ihr

[Berlin,] 21. [März 1810.] H.

25.

Wie können Sie, mein lieber theurer Freund, über Ihre Lage in Sorgen scjn? Ich habe dieselbe so gesichert, dass, wer auch nach mir kommen möchte , nichts dran ändern kann. Ihre 3000 Thaler waren bisher auf Schlesische Klosterfonds fundirt. Darin lag eine Art Un- gewissheit. Jetzt empfangen Sie 2100 Thaler aus der Universitäts, und 900 Thaler aus der AcademieCasse und ich begreife nicht, wie man, selbst mit bösem Willen, den gegen Sie niemand haben wird, Sie an- tasten könnte.

lieber Ihre übrigen Verhältnisse, mein Theurer, sage ich nichts. Seit meiner Zurückkunft von Erfurt hat mir die Kegulirung keiner Sache so am Herzen gelegen, als dieser. Ti^tz aller angewandten Mühe ist es mir mit Ihnen nicht gelungen. Ich habe Ihnen Ideen, die Sie gefasst hatten, nicht nehmen, kaum sie mildern können. Dass ich die Sache erst im letzten Augenblick aufgegeben, wissen Sie am besten.

Wie aber die Dinge jetzt sind, halte ich sie für Sie sehr gut. Ihre Krankheit, liebster Wolf, hat Sie trübsehender gemacht, als Sie sonst sind. Müsse und Ruhe werden Ihnen Ihre frühere Heiterkeit wider- geben. Kommt noch, was ich so sehr wünsche, eine litterarische Arbeit hinzu, so werden Sie Sich wieder glücklicher fühlen. Glauben Sie es mir, ein Geist, wie der Ihrige, bedarf einer starken, kräftigen, ihn ganz in Anspruch nehmenden Beschäftigung. Eine solche ist die in unsem Geschäften nicht. Nehmen Sie aber wieder eine mehr dieser Art vor, so wird Ihnen innerlich und äusserlich besser werden, und Sie werden aber auch vielleicht mit mehr Antheil zu uns zurückkehren.

Indess nehme ich mit Vergnügen Ihr Anerbieten gelegentlicher Thätigkeit an, und bitte Sie, nur immer mit sicherra und festem Ver- trauen auf mich und meine herzliche Zuneigung zu Ihnen zu rechnen. Von ganzem Herzen

Ihr

[Berlin,] 10. April 1810. H.

Weimar. Albbrt Lbitzmann.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHEFÄCHEß

MIT ACS8CULUSZ DER CLA8SI8CHEM PHILOLOGIE

HEBAUSGEGEBEN VON PEOF. DB. RiCHABD RiCHTEB.

29.

DER ALTE UND NEUE CÜR8 IM LATEINÜNTERRICHT.

Die kürzlich ausgegebene didaktik und methodik des lateini- schen Unterrichts von P. Dettweiler ist ein so inhalt- und gedanken- reiches, dabei so sehr aus einem geiste und gusse gearbeitetes werk, dasz jeder gewissenhafte leser die Verpflichtung gefühlt haben wird, sich zuvor mit dem ganzen einigermaszen abzufinden, ehe er kritisch bei einzelheiten sich aufhält, hieraus dürfte sich auch erklären, dosz das buch, soviel ich übersehen kann, bis jetzt noch wenig besprochen worden ist.

Sein panier entfaltet der geschätzte Verfasser zur Verständigung der leser, fttr die dies erst nötig war, gleich im Vorworte, mit freudigem mot bezeichnet er seine arbeit als einen versuch , im an- Schlüsse an die didaktisch - pädagogischen grundgedanken Hermann Schillers die forderungen des erziehenden Unterrichts für das lehrfach des lateinischen bis ins einzelne durchzuführen und für dieses damit deren berechtigung zugleich und erfüllbarkeit im kleinen wie im groszen zu erproben.

Da der verf., geb. 1856, seit 1890 gymnasialdirector in Bens- heim, die 'oft angefochtenen leitenden gedanken' der neuerungen, welche vom Standpunkte des erziehenden Unterrichts aus angeregt worden sind, mit überzeugtem eifer in seinem schulamte vielfach erprobt hat, so ist er in der günstigen läge, seinen lesern anstatt grauer theorie überwiegend mitteilungen aus seiner praxis und der seiner nächsten amtsgenossen bieten zu können« jeder wird das zu schätzen wissen, da eine auf mehrfachen versuchen beruhende er- fahrung kennen zu lernen jedenfalls von interesse und gewinn ist.

Das lob, dasz der verf. die seine lebrerüberzeugung beherschen- den grundgedanken mit entschlossenem mut und groszer folge- richtigkeit bis zu den abgelegensten winkeln des unterriobtsbetriebs im lateinischen durchgeführt hat, könnte nur parteiisches übelwollen

N. Jahrb. f. phil.u. päd. U. abt. 18f»5 hfl. 7. 21

314 Th. Vogel: der alte und neue cars im lateinnniemcbt.

ihm versagen, darum darf seine arbeit, die in weiten kreisen Zustim- mung finden, bei vielen sogar belle h'eude hervorrufen wird, eine gewisse ehrenvolle beachtung auch von Seiten derer beanspruchen, die tiefergehende grundsätzliche einwendungen zu erheben haben.

Dazu enthält die didaktik eine fülle von ratschlagen in der rieh- tung auf beschränkung des lemstoffes, beseitigung der überwiegend mechanischen hausarbeiten , desgleichen lästiger dehnungen und sonstigen Schlendrians, von denen jedermann ein gut teil als be- herzigenswert ansehen wird, auch die wohlerwogenen winke wegen der auswahl und rechten nutzbarmachung der classenlectüre wird 'manchem etwas' bringen, wofür er dem verf. dankbar zu sein hat

Nach diesen Vorbemerkungen kann ich mich aber doch nicht enthalten, zwei grundsätzliche hauptbedenken offen auszusprechen, deren ich mich bei durcharbeitung des buches nicht habe erwehren können.

Das eine möchte ich in die worte zusammenfassen: eine meiner ansieht nach allzu starke betonung der er- zieherischen Seite auf kosten der wissenschaftlichen.

Der geehrte, auch auf grund persönlicher bekanntschaft von mir hochgehaltene Verfasser und seine gesinnungsgenossen werden von dieser einwendung weder überrascht noch unangenehm berührt werden, in derselben eben nur einen protest der 'alten schule' sehen, die dem entschlossenen ja, also ein laues ja, aber gegenüberstellt, um jedes mis Verständnis fernzuhalten, erkläre ich von vom herein nachdrücklichst, dasz auch für mich die erzieherische aufgäbe des gymnasiums nach der seite der Sittlichkeit, der religiosität , des Patriotismus über der unterrichtlichen steht, den einflusz , den der lehrer im dienst und auszerhalb desselben in dieser richtung auf die Jugend ausübt, halte auch ich für das wichtigste und verant- wortungsvollste in seiner ganzen amtsführung. auf grund der in ein paar Jahrzehnten von mir gemachten erfahrungen kann ich aber nicht umhin , von einer, so zu sagen, plan- oder programmmäszigen gesinnungsbearbeitung der jugend mir weniger nutzen zu versprechen, als geistliche und paränetisch angelegte lehrer dies gemeinhin thun. vor allem aber möchte ich keinem unterrichtsgebiete unter dem gesicbtspunkte einer heilsamen beeinflussung der jugend den ge- ringsten zwang angetban und dessen stoffe, soweit sie nicht solche bebandlung von selbst herausfordern, der erzieherischen seel- sorge direct dienstbar gemacht sehen, sowie der unterriebt irgend- welche tendenz verfolgt, wird er dazu gedrängt, um der zu erzielenden Wirkung willen die stoffe auszuwählen, zu verbinden und zu be- leuchten, wie es eben zweckdienlich erscheint, nicht die geringste wabrheitsf^lschung braucht dabei unterzulaufen, keine bewuste pia fraus , und doch nehmen sich die stoffe bei tendenziöser bebandlung anders aus, als sie an sich sind, stelle ich aus Shakespeares bistorien die edlen gestalten und herzerquickenden scenen zusammen oder Sen- tenzen von besonderer religiosität, so begehe ich keinerlei fölschung,

Hl. Vogel: der alte :ind neue cur» im lateinunterricbt. 315

der f Ollig nnkandige wird sich aber darnach eine schiefe vorstel- long vom ganzen machen, will eine auswahl aus Quintuä Curtius Bnfas (s. 209) 'ein bild tragischer grösze . menschlicher Verfehlung und menschlichen leides' Torftlhren, so geht sie sicher nur des Schrift- stellers eignen absiebten nach, nimmt sie aber rficksicht auf eine gleichzeitige lectflre des Xenophon , anf die nachfolgende der Pom» peiana und des Demosthenes (s. ebd.), so bringt sie etwas an das werk heran y das nicht in ihm liegt, gewisse züge von bundes- und mannentreue in Yergils Aeneide fordern von selbst zu einer parä- netisehen behandlung heraus, dafem man im unterrichte der pro- fanen fftcher eine solche überhaupt für angezeigt hftlt , aber andere stellen ähnlicher art beruhen auf uns fremden anschauungen, so dasz Ton des dichters empfinden zu dem unsrigen erst künstlich eine brücke geschlagen werden mosz. eine vergleichung der öden des Horaz mit denen Klopstocks ist einfach schon deshalb natürlich, weil dieser sich an Horaz gebildet hat. eine bezugnahme auf Walther "von der Vogelweide (s. 218) liegt, wie der verf. der didaktik ohne weiteres einräumen dürfte, bei Catull ebenso nahe als fem bei Horaz. den Germanen hat Tacitus nicht nur eine besondere schrift, sondern anch nmfSngliche abschnitte in den annalen und historien gewidmet, läsit der Unterricht in deutschen schulen diesen partien eine bevor- zugende beachtung zu teil werden, so befriedigt er zugleich ein patriotisches interesse und stellt Stoffe ins licht, die auch des Schrift- stellers Interesse in hohem grade erregt haben, benutzt man da- gegen die Pompeiana u. a. zur 'einfUhrung in volkswirtschaftlicbo begriffe', so kehrt man etwas heraus, was dem redner stark neben- sache war. dasz seelsorgerliche und concentrationsrücksicbten sein ganzes buch durchdringen, und namentlich die der classenlectüre gewidmeten gehaltreichen abschnitte, darf der verf. der didaktik von seinem Standpunkte aus sich zum rühme anrechnen, er konnto und durfte es nicht anders halten, meine bedenken sind somit nicht gegen ihn, sondern gegen ein System gerichtet, für welches, wie ich weisz, ganze scharen hochachtbarer pädsgogen heutzutage mit einer gewissen begeisterung eintreten.

Da es sich hierbei um eine principienfrage von groszer trag- weite handelt, so darf ich, um nicht verkannt zu werden, wohl mit einem allgemeineren bekenntnis heraustreten, die dienste, welche ein neunjähriger lateinunterricbt dem deutschen, dem französischen, der geschichte, der religion usw. leistet; selbst wenn er es gar nicht darauf anlegt, veranschlage ich hoch; aber auf die frage: warum wird das latein noch immer am gjmnasium mit einer so beträcht- lichen Stundenzahl betrieben? gebe ich, ohne scblagworte wie idealismus, formal bildende kraft u. dgl. auch nur in den mund zu nehmen, die antwort: weil die römische weit, ganz vornehmlich die letzten zelten der republik und die anfange der alleinherscbaft, eine einzigartige culturhistorische bedeutung und bildkraft haben, insbesondere für Christen und Germanen, und sodann, weil ein ge-

21*

316 Th. Vogel: der alte und neue curs im lateinunterricbt.

wisser grad von beherscbung des latein für die gelehrten berufe nocb jetzt unerlSszlicb ist. was ein 6— 9jäbriger lateiniscber unter- riebt zukünftigen kaufleuten, ingenieuren und der misera con- tribuens plebs, die nur durcb das berecbtigungsmonopol an das gymnasium gelockt wird , etwa nützen könne , überlasse ich diesen selbst abzuwägen, jeden nachweis, dasz beim lateintreiben der natur der sacbe nacb noch vieles andere nebenbei mitgelemt und geübt wird , heisze ich willkommen , aber nur wenn er nicht so gehalten ist, als sei die Stellung des latein im gjmnasiallehr- plan an sich fragwürdig, werde aber gerechtfei*tigt durch die guten dienste, die es andern disciplinen leiste.

Bei dem, was für mich das weitab höchste ziel alles lateinunter- richts ist, bei der einführung in die römische culturwelt; wird man mir verstatten noch im besonderen zu verweilen, wobei ich natur- gemäsz auf gesinnungsbildung und concentration wiederum einzu- gehen haben werde.

Da unsere gjmnasialjugend nur einen sehr kleinen ausschnitt der römischen weit durch lectüre von quellenschriftstellem kennen lernen kann, eine auswahl sonach unerläszlich ist, wird in erster auswahl natürlich aller lesestoff von ihr möglichst fernzuhalten sein, den sie nach ihrer altersstufe entweder nicht verstehen oder nicht schmackhaft finden kann, desgleichen solcher, den sie nicht ver- stehen oder schmackhaft finden möchte, sodann wird ihr nichts vorgelegt werden dürfen, das nicht nach irgend einer seite un- gezwungen für sie fruchtbar gemacht werden kann, es ist aber m. e. weder möglich noch nötig, dasz die letzte erwägung an allen schulen zu nahezu demselben ergebnis führe, nicht einmal wünschens- wert , da sich zur vollen fruchtbarmachung einer schrift nicht alle lehrer gleichermaszen eignen, dasz bei der auswahl des lesestoffs für eine classe früher gelesenes , später zu lesendes , auch die parallele lectüre im griechischen mit in betracht gezogen wird, finde ich ebenso selbstverständlich , wie dasz lesestücke von hervorragender bedeutung für deutsche geschichte oder religionsgeschichte beson- dere beacbtung finden auf die oder jene weise, aber allen derartigen rücksiebten, so zu sagen, in usum Delphini möchte nur insoweit rechnung getragen werden, als die hauptrücksicht , die eindringliche und wahrheitsgetreue Vorführung der römischen weit nach ihren wesentlichen Seiten, das zuläszt.

Bei der aus Nepos, Caesar, Ovid zu treffenden auswahl gestehe ich erzieherischen , wenn man will , auch concentration srücksichten unbedenklich die entscheidende stimme zu, da von einer eindringen- deren erfassung des altertums auf dieser noch mit den elementen der spräche ringenden stufe nicht wohl die rede sein kann, weiter hinauf aber entschieden nicht, wird Ciceros Cato maior als besonders geeignet angesehen, das agrarische stillleben vornehmer Römer von der gemütlich -beschaulichen seite kennen zu lernen, so kann mich die sorge darum , ob viel ethische oder philosophische nebenfrucht

Th. Vogel: der alte und neue curs im lateinanterricht. 317

dabei zu ernten ist, wenig bekümmern, erachtet man es für erforder- lich, den beginn der f&alnis in Boms leitenden kreisen recht dramatisch vorzuführen, und hält man das Jugurthinum für die rechte schrift, nm diesen dienst zu leisten , so würde ich darnach nicht fragen , ob mit dieser lectüre dem lehrer des griechischen, des deutschen, der ge- schichte usw. ein dienst geleistet wird, am liebsten wird natürlich ein rechter Jugenderzieher bei heldenhaften patrioten wie bei gottes- fürchtigen und frommen menschen yerweilen. soll aber die wirren- reicbe, blutgetränkte Übergangszeit vom römischen freistaat zur monarchie, die dabei doch schon die Saatkörner zur neuen welt- religion in sich trug, sich tief und getreu den jungen geistern ein- prägen, so gehört zum lichte viel schatten, zum erfreulichen viel bäszliches : wüstes partei treiben, schamlose ehr- und habsucht, heuch- lerische hinterlist, brutale roheit, sittliche Verkommenheit aller art. der hohe sittliche wert Ciceros im vergleiche zu der masse seiner standesgenossen, die reinheit eines Livius und Vergil, der adel eines Oermanicus und Agricola hebt sich von solchem hintergrunde um so leuchtender ab. nur der, dem neben den bewundernswerten eigenschaften der Römer auch deren rücksichtsloser nationaler egoismus, stark ausgeprägte nüchtemheit, geringachtung des reinen menschentums und nur äuszerlich überfirniszte roheit ernstlich nach- geführt worden ist, vermag es, die bedeutung von Ciceros schrift- stellerei wie von Vergils Aeneide für das römische volk im rechten liebte anzusehen , an den satiren und episteln eines Horaz sich voll zu erlaben, nur für den, der durchschaut hat, wie häufig die auf italischem boden erwachsene stolz - bombastische rhetorik mit ihren schönen Sentenzen und wohl berechneten gemeinplätzen nur eine gleisznerische hülle war, unt^^^or^schöne gesinnungen sich ver- bargen, werden lateinisch^^StS^riftstücke, in denen ein ehrliches ge- mttt schlicht und treuhjgfzig sich äuszert, im richtigen glänze strahlen. Auch darauf IßgQ ich groszes gewicht, dasz die schüler von den wenigen hauptsoiiriftstellern , über deren lebens- und bildungsgang wir eingehgaÄ'unterrichtet sind Cicero, Horaz, Tacitus , zu denen icjizur Vermittlung des Zusammenhangs und um ihrer cultur- geschjjjhtlichen bedeutung willen gern noch Seneca, Quintilian und " alteren Plinius gefügt sähe , ein möglichst lebendiges und zu- gleich zutreffendes bild erhalten, über Caesar als weltgeschicht- liche berühmtheit bin ich dabei ganz hinweggegangen, keinem schulmanne nehme ich es übel, um am beispiele des Horaz anzu- deuten , wo ich hinauswill , wenn er gewisse fromme oder löblich loyale stellen in den öden stark accentuiert, meinethalben auch TTUKvd Inr] erbaulichen Charakters an sie anknüpft, die thatsache aber, dasz der feinsinnig-liebenswürdige dichter von Venusia weder religion noch politik je sonderlich ernsthaft genommen hat und alles eher war als eine pathetische natur, möchte keinem Oberprimaner

zweifelhaft sein.

Das, was ich wünsche, erfordert ohne zweifei eine erheblich

318 Tb. Vogel: der alte und neue curs im lateinunterricht.

ausgedehntere, im einzelnen anch nach etwas andern gesichts- punkten ausgewählte lectüre, als sie in der didaktik empfohlen wird, neben dem an sich unbestritten wertvollen ist m. e. manches heran- zuziehen zur Vervollständigung des bildes oder, um mich so stolz auszudrücken, zur culturgeschichtlichen abrundung des ganzen, reicht dazu die ver willigte Stundenzahl schlechterdings nicht auS; so wird das hauptfach des gjmnasiums , welches die rolle des beschei- denen am wenigsten zu spielen Ursache hat, eine Vermehrung der stunden verlangen mögen ; jedenfalls aber wird es ablehnen dürfen, für alle möglichen modernen fächer noch vorspanndienste zu thun, insbesondere dem lehrer des deutschen die hälfte seiner arbeit ab- zunehmen, die beschränkung auf einen gar zu kleinen kreis muster- gültiger Schriftwerke erscheint auch aus praktischen gründen be- denklich, dasz die grosze mehrzahl der Juristen, mediciner und Vertreter der naturwissenschaften nach dem abgang von der schule heutzutage mit lateinischer lectÜre sich so wenig befaszt , wie sie je ihren Racine, Corneille, vielleicht auch ihren Klopstock, Lessing wieder zur band nimmt, gebe ich gern zu. aber manche thun es denn doch; die philologen, theologen und historiker aber bleiben mit dem latein in Zusammenhang, gleichviel ob es sich um schriftsteiler-, Chroniken- oder gelehrtenlatein handelt, was sie dabei zu lesen be- kommen, soweit es nicht ein barbarisches mixtum compositum ist, wird eher an alle möglichen späteren autoren als an Cicero und Caesar gemahnen, schon um dieser in der gegenwart noch vorhan- denen bedttr&isse willen lege ich wert darauf, dasz die schule wenig- stens iy TTapöbqj einiges von Seneca, Quintilian und dem älteren Plinius bietet als von den autoren, die für gewisse disciplinen lange eine hohe autoritative bedeutung nach Seiten des Inhalts wie der ausdrucksweise gehabt haben. *

Mein zweites hauptbedenken betrifft die Zurückstellung des lateinschreibens hinter dem über'^^etzen aus dem latein in der didaktik.

Den geehrten ver f. wird diese zweite einwenduirg'-.ebenso kalt lassen wie die erste, indem er mit klarem bewustsein dei} Schwer- punkt der Übungen nach der seite der herübersetzungen gerü^l^that, ist er auf Widerspruch sicher gefaszt gewesen und wird von semlSHk Standpunkte aus nicht in Verlegenheit sein ihm zu begegnen, meinem seiner zeit in dieser Zeitschrift (jahrg. 1891 II 8.4 ff.) ausgesprochenen und des weiteren begründeten satze, 'die gjmnasiasten müsten latein schreiben, damit sie das gefühl bekämen, die spräche zu beherschen', setzt der verf. s. 47 in verbindlicher form, aber bestimmt den seinigen entgegen : 'dieses geftlhl werden sie in ganz anderem umfange haben, wenn sie die schriftsteiler ordentlich ins deutsche übersetzen und verstehen können.' ich könnte mich zu meinen gunsten zunächst auf den Sprachgebrauch berufen, lobt man an einem manne, dasz er

* mehr hierüber im jahrg. 1891 II heft 6 dieser Zeitschrift.

Th. Vogel: der alte und neue cars im lateinanterricht. 319

fremde sprachen beherscht, so will man damit wohl sagen, dasz er sie spricht und bis zu einem gewissen grade schreibt ; sonst redet man von eingehender bekanntschaft, kennerschaft u. dergl. indessen der Sprachgebrauch kann auf unmodernen anschauungen beruhen, «nf diese stütze sei daher verzichtet, handelt es sich auch doch um mehr als einen bloszen wortstreit.

Es handelt sich um nichts geringeres als um das aufkommen eines neuen dogmas für den altclassischen Sprachunterricht, das leicht einen Siegeslauf durchs reich antreten kann, wenn keinerlei einrede erfolgt, zumal da viele beflissen sein werden, ihm die wege zu ebnen.

Übertrage ich fremdsprachliches ins geliebte deutsch , so habe ich ein gegebenes, dafem ich es überhaupt verstehe, in einem material wiederzugeben, dessen behandlung mir von jugend auf geläufig ist. sagt mir die eine form der wiedergäbe nicht zu, so wird sich eine reihe möglicher anderer mit leichtigkeit darbieten, habe ich dagegen in -einer fremden spräche mit einer doch nicht ganz von mir beherschten grammatik , Stilistik und Synonymik zu schreiben , so sehe ich mich zunftchst hilflos dem leeren papier gegenüber, gilt es doch, falls g$x kein anhält gegeben ist, gleichsam aus dem nichts zu schaffen. die erfindung des gedankens, die einkleidung in die sprachliche form, die weiterführung und die Verknüpfung mit anderen gedanken, alles hat mein werk zu sein, der herübersetzer hat zunächst im vor- hergehenden einen anhält für das nachfolgende, einen weiteren in den im context für ihn vorhandenen bekannten gröszen, von denen aus bald mit Sicherheit, bald vermutungsweise den unbekannten nachgegangen werden kann, alle diese vorteile sind für den latein- schreibenden nicht vorhanden, setzt man natürlich auf der einen Seite den günstigsten, auf der anderen den ungünstigsten fall, stellt man einem nach eingedrillten regeln bequem zu schreibenden scriptum eine herübersetzungsaufgabe gegenüber, die sich ohne geist und ge- schmack gar nicht lösen läszt, so wird die zweite aufgäbe natürlich dem schwerfälligen untermittelkopf leichter mislingen als die erstere. eine derartige gegenüberstellung wäre aber doch chicanös.

Im gewöhnlichen verlaufe des Schuljahres pflegen nach meinen erfahrungen Übersetzungen aus einer fremdsprache ins deutsche von geweckten köpfen als eine leistung angesehen zu werden, die sich bei einiger Vorbereitung und einigem geschick ganz von selbst er- gibt, in wesentlich anderem lichte, wie ich gern zugebe, erscheint der mehrzahl der schüler die forderung, bei der reifeprüfung unter erschwerenden umständen eine unbekannte fremdsprachliche stelle ins deutsche zu übersetzen, das unheimliche bei dieser leistung ist aber nicht die Schwierigkeit an sich, sondern die immer wieder ge- machte peinliche erfahrung, dasz landeskundige ignoranten von einem freundlichen genius über grosze Schwierigkeiten ahnungslos hinweggefUbrt werden, während die trefflichsten schüler, von irgend- welcher &ir\ betroffen, vor völlig durchsichtigen stellen ratlos stehen.

Von der reifeprüfung ist ja hier aber nicht die redc^ sondern

320 Th. Vogel : der alte and neae cars im lateinuuterricht.

nur vom Unterrichtsbetriebe, dasz ein hervorragender lehrer, wie es nach aller künde der verf. der didaktik ist, die Übersetzungen aus dem lateinischen in prima so Verstandes- und geschmackbildend zu gestalten vermag, dasz die schüler hohen gewinn aus ihnen ziehen, bezweifle ich nicht im geringsten, gern gebe ich auch zu, dasz manches grammatische und stilistische exercitium erspart werden kann, wenn bei der herübersetzung auf die Verschiedenheiten der lateinischen und deutschen Sprachmittel nach bestand und Ver- wendung planmäszig hingewiesen wird, eine grundverschiedene leistung bleibt es aber doch, eine Livianische periode unter an- leitung in ihre bestandteile aufzulösen und in gefällige deutsche Sätze umzugieszen , und deutsch gedachtes in die form einer künst- lichen lateinischen periode zu bringen, erwägt ein scharfsinniger lehrer mit seinen schülem, wie natura, vis, ratio u. dergl. nach dem Zusammenhang treffend und geschmackvoll übersetzt werden können, so leistet er ohne zweifei dem deutschschreiben damit gute dienste, insofern deutsches gefühl und deutscher geschmack ja doch beim herübersetzen die letzte instanz zu bilden haben, gilt es, 'wesen, kraft, eigenschaft' im Zusammenhang passend lateinisch aus- zudrücken, so wird überwiegend latein dabei gelernt, so liegen doch wohl die dinge, latein zu lernen möchte aber des latein- schülers hauptanliegen sein.

Indem ich sonach den satz, den P. Dettweiler meiner angezogenen behauptung gegenübergestellt hat, beim besten willen nur als para- doxen anzusehen vermag, verkenne ich nicht das gewicht der a. a. o. von ihm erhobenen weiteren ein Wendungen : 1) die allerwenigsten schüler bringen es zu diesem gefühl der beherschung, 2) die wirk- liche beherschung einer spräche zeigt sich erst im freien gebrauche derselben ; den freien aufsatz hat man ja aber fallen lassen.

Für das schulgebiet, das ich am genauesten kenne, gebe ich satz 1 nur mit einschränkung zu. dasz lateinische reden und ab- handlungen auch an unseren gjmnasien in den letzten Jahrzehnten den meisten schülem viel mühe gemacht haben und mäszig gelungen sind, läszt sich nicht in abrede stellen, wobei dahingestellt bleiben mag, wie viel schuld daran die unvermerkt immer gesteigerten an- forderungen bezüglich des reinen classischen colorits gehabt haben mögen, um kostbare zeit und kraft nicht wesentlicherem zu ent- ziehen, haben daher auch wir im königreich Sachsen zum leidwesen vieler nicht nur lehrer, sondern auch geistlichen, Juristen und firzte diese Übungen in ihrer strengen form fallen lassen, freie aufsätze geringeren umfanges und leichterer art werden aber auch neuerdings recht häufig in befriedigender beschaffenheit geliefert, von manchen schülem nach eigner wähl an stelle von scriptis. je weniger her- schaft übdr die spräche , um so weniger natürlich gefühl der befrie- digung über diese herschaft, wie es in dieser beziehung an den ein- zelnen schulen stand und jetzt steht, darüber gibt es keine Statistik, allzu ungünstig würden ihre ergebnisse kaum sein.

Th. Vogel: der alte und neue cnrs im lateinunterricht. 321

Zu 2) sage icb mit Horaz : est quadam prodire tenas , si non datur ultra, können und sollen kunstgerechte abhandlungen nicht mehr geliefert werden, so begnügt man sich eben mit schlichterem, nacberzfthlungen , Inhaltsangaben , briefen , schmucklosen erörterun- gen leichter fragen, jedenfalls sorge man dafür, dasz die schüler eine spräche, die sie neun jähre lang betreiben^ in den mund und* in die feder nehmen, so bescheidenes auch dabei herauskommen mag. immer nur empfangen, empfangenes zerlegen, kritisieren oder in andere formen umgieszen musz doch bei einem frischen geiste den unwiderstehlichen trieb erwecken , in diesem stoffe nun auch einmal productiv zu sein, wird dieser trieb schon in unteren classen ge- weckt und von da an beiläufig in Viertelstunden und halben stunden liebevoll gepflegt, so kann meines erachtens nur der ganz träge und stumpfsinnige secundaner vor der aufgäbe zurück- gehrecken, beispielshalber ein deutsches märchen oder eine griechische heldensage dem lehrer, der in verständlichem latein die geschichte vorgetragen hat, daheim schriftlich nachzuerzählen, gern erinnere icb mich noch jetzt einer Vertretungsstunde (wenn ich das 6ino aus meinem lehrerleben mitteilen darf), in der ich nach gründlicher Vor- bereitung meinen Oberprimanern das wesentliche aus dem letzten jähre von Goethes Straszburger aufenthalt lateinisch ziemlich uno tenore vorgetragen hatte, die zusammenhängende nacherzählung gegen ende der stunde glückte den beauftragten schülem so Über- raschend gut, dasz sich augenscheinlich die ganze classe dadurch ge- hoben fühlte, wäre schriftliche wiedergäbe verlangt worden, so würde sicher keiner über eine derartige forderung erschrocken sein.

Dem satze des verf. auf s. 239 'die Übersetzungen in das latei- nische können auf den oberen stufen zurücktreten' (andere stellen lauten bedenklicher) pflichte icb bei , wenn ich mich streng an den Wortlaut halten und dabei vornehmlich an hausarbeiten denken darf, am liebsten würde ich für die häuslichen schreibübungen oberer schüler nur solche aufgaben gestellt sehen, die eine einigermaszen freie behandlung zumuten, zum mindesten eine wohl zu überlegende nachbildung oder Umbildung gegebener texte, auch in den unter- und mittelclassen läszt sich von dem zur festen einprägung des grammatisch-stilistisch-lexikaliscben lernstofi^es erforderlichen drill viel im unterrichte abthun, so dasz wenigstens von Obertertia an das mehr oder weniger mechanische schriftliche übersetzen von Satz- glied zu Satzglied meines erachtens erheblich beschränkt werden kann zu gunsten bildenderer aufgaben, bei denen es auf die elemen- taren anfange der compositio ankommt, sonach fehlt es keines- wegs an berührungspunkten zwischen des verf. ansichten und den meinigen.

über die meinungsverscbiedenheit, welche zwischen uns be- steht, keine silbe öffentlich verlauten zu lassen, wäre mir das liebste gewesen; lediglich das Pflichtgefühl hat mir die feder in die band gedrückt, in diesem lichte wolle der geschätzte Verfasser der

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322 Th. Vogel: der alte und neue eure im lateinunterricht.

didaktik auch die folgenden allgemeiner gehaltenen schluszbemer- kungen ansehen.

Griechisch ist auf deutschem boden selbst in der zeit der huma- nisten gesprochen und geschrieben worden nur von einzelnen Sonder- lingen, dasz studierte männer, von den philologen abgesehen, nach def uniTcrsitätszeit noch nach einem griechischen buche greifen auszer etwa dem neuen testament und Homer, gehört nachgerade zu den ausnahmen, unser griechischer Unterricht trägt dem rechnung^ er ergibt sich darein, dasz das ^gefäsz mit köstlicher narde' beim abgange von der schule meist zerschlagen wird , begnügt sich daher mit der sorge, dasz dann recht reichlicher wohlgeruch ihm ent- ströme, das latein spielt eine andere rolle in unserem wissenschaft- lichen leben; eine gewisse Vertrautheit mit dieser spräche möchte der studierte mann bis ins greisenalter sich bewahren, danach halte ich kräftige betonung des her- und hinübersetzens auf allen stufen des gymnasiums für dringend geboten , für so dringend , dasz ein pactieren bezüglich dieses punktes für mich unmöglich ist, was man darnach auch von meiner schulpolitischen einsieht halten möge.

Die neuerlichen heftigen angriffe auf die altclassische seite des gymnasialunterrichts (s. 39 u. aw.) haben mich so wenig gleich- gültig gelassen wie den Verfasser der didaktik. ich segne sie, soweit sie wirkliche schaden bloszgelegt und störenden alten Sauerteig aus- gefegt haben, körperliche und geistige gesundheit, Sammlung der Interessen, anregung patriotischen sinneS; erziehung für das leben usw. sind wahrlich auch für mich losungsworte von heiligem ernst, aber dem immer stärker werdenden drängen nach herabdrückung des niveaus im lateinischen auf die linie, bis zu der heutzutage das griechische geführt wird (wobei ich den beginn des lateinischen mit Untertertia als erstes und die einheitsschule als zweites gespenst im hintorgrunde sehe), setze ich an einem früheren punkte mein non possumus entgegen, als die didaktik es thut. dazu drängt mich meine innerste fachmännische Überzeugung, aber auch wenn ich die ganze angelegenheit nur als politiker ansähe, würde ich zu einem anderen verhalten nicht gelangen, so sicher die gymnasien von ge- wisser seite fortdauernd angriffe erfahren werden ^ bis ihr monopol gefallen ist; ebenso sicher werden die beiden auf keinem bahnhofe und an keiner börse zu verwertenden alten sprachen von den raiso- logen so lange verunglimpft werden, bis sie in einen bescheidenen Winkel der schule oder aus ihr hinausgedrängt sind, die 'amerikani- sierende' richtung wird jedes Zugeständnis, welches die alten sprachen machen , gern annehmen , aber nur als vorläufige abschlagszahlung. ein gymnasium, welches das latein in untertertia anfangt, mit eini- gen vierzig lateinstunden in summa sich begnügt und seinen Ober- primanern auf grund einer Übersetzung aus Cicero oder Livius die reife im latein zuspricht, ist wahrlich kein aus der luft gegriffenes schreckbild, sondern in naber, sehr naber sieht!

Für den teil von Deutschland, auf den sich meine amtserfabrun-

Th. Vogel: der alte und neue eure im lateinunterricht. 323

gen erstrecken , kann icb das nicht sagen ; ich glaube sogar berech- tigt zu sein , für ihn das Vorhandensein einer nachhaltigen und tief- gehenden Opposition gegen die hauptföcher des gjmnasiums und Uiren dermaligen betrieb in abrede zu stellen, einzelnen abfälligen leitnngsartikeln , Vereinskundgebungen und in Zwischenräumen er- schienenen Schmähschriften wird man doch nicht die ehre sonder- licher beachtung anthun. mir persönlich ist, wie ich ehrlich ver- sichern kann, bei meinem ausgedehnten verkehr mit Vertretern verschiedenster berufsarten ungleich häufiger der Vorwurf entgegen- getreten, dasz die gymnasien unseres landes den modernen forde- mngen zu viel nachgegeben hätten , als die gegenteilige, das mag zaMl sein ; jedenfalls sind die behelligungeu; welche unsere gjmna- sien auch in der zeit der schnlreformepidemie erfahren haben , so wenig bedrohlich und nachhaltig gewesen, dasz um ihretwillen im gefUge dieser schulen kein stein hätte verrückt zu werden brauchen.

Dem Verfasser der didaktik als begeistertem philologen und anerkanntem fachmann auf dem gebiete der römischen litteratur wird es sicher nur erfreulich sein, aus diesem zeugnis, das leider nur ak ein persönliches gegeben werden konnte, zu ersehen, dasz dem schifflein des latein bei uns dermalen meeresstille und glückliche fahrt in höherem masze beschieden ist als anderwärts, wo es an- scheinend durch klippen und Sandbänke hindurchsteuern musz. in- soweit er die vorstehenden ausführungen aber als beachtlich an- sieht, dürfte er mit mir das angenehme gefühl teilen, dasz unsere meinungsverschiedenheit sich lediglich um zwei principienfragen dreht, die jeder beantwortet, wie sie sich ihm darstellen und wie er vermeint sie beantworten zu müssen.

Dresden. Theodor Voqel.

30.

DAS KÜNSTLERISCHE IN DER SPRACHE.

Alle spräche geht an sich aus von concreten sinnlichen an- schauungen und erhebt sich erst allmählich zu reinen oder abstracten begriffen, die sinnliche Wirklichkeit; die uns umgibt, ist der alleinige boden , auf welchem der ganze bau oder Organismus der spräche er- wächst, weil die spräche ein erzeugnis des menschen ist, so ist es trotzdem falsch, ihn ganz allein und als solchen als Urheber oder Schöpfer derselben ansehen zu wollen, die spräche ist vor allem andern ein bild oder eine darstellung der weit in dem auffassenden Spiegel unseres geistes. wie alle kunst zuletzt ein bild oder eine nachahmung der natur ist, so auch die spräche, es kommt überall weniger darauf an, wie die spräche in uns entstanden ist als in wel- cher weise sie den gegebenen inhalt der weit darstellt und aus sich reflectiert. die Sprachgeschichte allein aber ist noch keineswegs eine

324 C. Hermann : das künstlerisclie in der spräche.

wahre und vollkommene wissenschaftliche erklärung der spräche, sie ist eine phjsiologie des lautkörpers der spräche, aber der geist, der in ihr lebt, wird durch sie noch nicht wahrhaft erkannt und be- griffen, auf die blosze historische erklärung alles menschlichen, allein wird in der gegenwart ein zu ausschlieszendes und über- triebenes gewicht gelegt, es ist gut, dasz wir jetzt wissen^ dasz die spräche nicht, wie man früher meinte, durch den verstand oder das denken von innen heraus gemacht worden ist, sondern dasz sie sich von sinnlichen anfangen aus wie ein bäum organisch und natur- gemäsz weiter entwickelt hat. ihr ganzes leben ist zuerst ein un- bewustes gewesen und alles , was wir jetzt bewustsein oder denken nennen, hat sich erst später als ein resultat oder eine frucht von ihr abgelöst, es gibt auch einen weg der geistig genetischen erklärung der spräche, dessen ausgangspunkt überall nur die ganz unmittel- bare, frische und naive berührung des menschlichen geistes mit den gegebenen erscheinungen der auszenwelt sein kann.

Alles, was uns umgibt, sind zunächst nur einzelne dinge und ihre erscheinungen. deswegen zerfallen auch alle begriffe oder wortvorstellungen der spräche an und für sich nur in zwei classen, die als diejenigen der Substanzen und der inhärenzen bezeichnet werden dürfen, wir nennen einen substantivbegriff dasjenige wort der spräche, welches nach der analogie eines sichtbaren einzelnen dinges von uns gedacht wird, diese auffassung gibt sich insbeson- dere auch in der Verbindung des artikels als einer Vertretung des zeigbaren dinges mit dem Substantiv zu erkennen, wir vergessen hierbei an sich vollständig, dasz das Substantiv in der regel nicht ein einzelnes ding, sondern eine ganze gattung für uns bedeutet, mittelbar aber kann dann auch jeder andere begriff der spräche, wenn er selbst gegenständ oder subject einer aussage ist, in die grammatische form eines Substantivs umgewandelt werden, das rot, das leben, das entweder oder usw. jedes subject der rede ist daher für unsere auffassung eigentlich immer ein sichtbares einzelnes ding oder ein individuum. ja die spräche geht hierin noch weiter, indem sie durch die Verbindung mit dem geschlechtscharakter jedem Sub- stantiv immer die eigenschaft einer lebendigen männlichen oder weiblichen und dem redenden subject selbst ähnlichen person ver- leiht, es sind daher an sich immer menschliche personen , welche als träger der sätze oder des inhaltes der rede auftreten, alle spräche ist gleichsam ein fortwährendes wirkliches sprechen einzelner menschlicher personen mit einander, jedes subject erzählt unS; was es selbst thut, denkt oder auszuführen scheint, alles geschehen wird menschlich lebendig aufgefaszt oder persönlich und anschaulich dramatisiert, wir sehen alles dieses vor uns wie auf einer wirklichen bühne im theater. die spräche ist wie ein Schauspieler, der das leben nachahmt wie es ist und es uns in seinen einzelnen thaten in eingebildet sichtbarer weise vor äugen führt, hiermit hängt auch die einrichtung zusammen, dasz das nächste oder unmittelbare prä-

C. Hermann : das künstlerische in der spräche. 325

dicat eines subjectes immer nur ein verbalbegriff oder ein wort der lebendigen bezieh ung und tbathandlung sein darf, es widerspricht dem sprachgeiste durchaus , einen adjectiv- oder sonstigen nominal- begriff, der an sich immer etwas ruhendes oder einfach daseiendes be- zeichnet, unmittelbar und ohne weiteres als prädicat mit dem subject zu verbinden, sondern die spräche hat hierÄir das allgemeine mittel der copula oder des wertes sein erschaffen, auch wo dieses wort wie im lateinischen häufig ausfallt, ist es doch immer als an sich vor- banden zu denken und es gleitet die spräche auch hier nur wie durch einen sprung oder eine abbreviatur über dasselbe hinweg, es thut also auch hier das logische subject eigentlich immer etwas und es streckt von sich gleichsam einen arm aus, um dieses weitere oder entferntere pr&dicat damit zu ergreifen, persönliches Substantiv und verbale beziehung oder tbathandlung sind daher an und für sich immer die beiden allgemeinsten und wichtigsten kategorien der rede, sie müssen in einem jeden satze vorkommen und alles weitere schlieszt sich nur als eine ergänzung oder Vervollständigung an ihr Verhältnis an. alle spräche ist menschliches oder lebendiges ge- schehen und insofern eine hereinziehung der ganzen Vorgänge der weit in die eigne lebenssphäre oder thätigkeit des menschen selbst. Auch das ganze System der wortclassen hat seinen boden in den gegebenen Verhältnissen der uns gegenüberstehenden objec- tivität. die spräche unterscheidet im ganzen die drei hauptclassen des nomen , des verbum und der partikel. ein jeder satz als solcher aber besteht zunächst nur aus dem substantivischen subject und dem verbalen prädicat. die wortclasse des nomens aber schlieszt auszer dem substantivischen gattungsbegriff auch den adjecti vischen eigen- schaftsbegriff in sich, dieser folgt in seiner flectierten behandlung durchaus dem mit ihm verbundenen substantivbegriff, dies ist notwendig und naturgemäsz, weil die eigenschaft an sich immer eine bleibende und ruhende merkmalsbestimmung des subjectes ist. das verbale prädicat dagegen, dessen Inhalt eine zeitliche beziehung und vorübergehende thätigkeit ist, wird anders behandelt und als eine eigne wortclasse vom Substantiv unterschieden, gleich hierin ist ein richtiger instinct und Scharfsinn des echten spracbgeistes zu er- kennen, die unvollkommenen sprachen , wie etwa das chinesische, kommen auch ohne diesen ganzen unterschied der wortclassen für die bezeichnung des denkens aus. an sich ist ein eigenschaftsbegriff wie etwa rot und ein tbätigkeitsbegriff wie etwa gehen gleichmäszig eine erscheinung oder inhärenz an einem gegebenen ding oder sub- ject. die spräche sondert beides von demselben ab, aber bemerkt so- gleich den unterschied, der hierbei stattfindet, sie stattet den verbal- begriff mit ganz andern näheren merkmalen aus als den begriff des adjectivs. auf diesen geht sogleich der geschlechtscbarakter des sub- stantivischen subjectes über, dasselbe würde beim verbalbegriff un- geeignet sein, da dieser an sich immer nur eine vorübergehende oder gelegentliche erscheinung am subject ist. an der stelle des ge-

326 C. Hermann : das künstleriBche in der spräche.

schlechtscharakters aber tritt hier das persönliche pronomcn ein, d. h. es wird uns gesagt^ ob das subject der handlung entweder ich, der redende , oder dn , der angeredete , oder irgend ein dritter ist. auch dieser unterschied hat von der spräche eigentlich nicht mit notwendigkeit erschaffen werden müssen, wir brauchen streng ge- nommen weder zu wissen , ob das subject ein mann oder ein weib noch ob es ein ich , du oder er usw. ist. alles dieses sind bestim- mungen , die an sich nur das subject als solches angehen und sich nicht mit auf seine prädicate zu übertragen brauchen, es könnte an sich auch ganz gut heiszen : der ich , der du oder der es sagt, die spräche liebt es aber überall, das subject und das prftdicat dadurch enger an einander zu binden , dasz sie auf das letztere irgend eine allgemeine bestimmung des ersteren überträgt, alle an der rede beteiligten sind ihrem bleibenden Charakter nach entweder m&nner oder weiber , während die rede als thätigkeit sich an sich nur zwi- schen den beiden personen des redenden und des andern oder an- geredeten vollzieht, alles über diesen ganz engen und nächsten kreis hinausliegende aber ist der spräche zuerst noch fremd gewesen, die dritte geschlechtskategorie, das neutrum, ist erst später ent- standen und es ist jedes ding zunächst ohne weiteres mann oder weib, gleichviel welches gewesen, so nennt auch das kind jedes andere ding gleich einen mann oder ein weib und es hat auch alle religion nur davon ihren ausgang genommen ; dasz der mensch in jeder andern sache eine ihm ähnliche menschliche person , gott oder göttin , mann oder weib erblickt bat. alles hat zuerst menschliche gestalt oder uniform tragen müssen, auch das dritte persönliche pronomen hat sich zuerst wohl nur aus den beiden andern entwickelt, ebenso ist auch der dual ursprünglicher gewesen als der plural. aus der wirklichen rede heraus ist eigentlich alles dieses andere ent- standen und mit feinem sinne hat der echte sprachgeist hier den unterschied des verbalen und des nominalen prädicates erkannt.

Alle entstehung der spräche hat zuerst offenbar mit der bloszen lautarticulation ihren an fang genommen, diese ist selbst ein höchst wichtiger act und Vorgang im menschlichen Seelenleben gewesen, kein tier erhebt sich jemals zu einer klaren und scharfen Unter- scheidung der einzelnen elemente des lautes, unser aiphabet ist eine erscbeinung von hervorragender und fundamentaler bedeutung für die ganze geistige Stellung des menschen, jedem einzelnen laut des- selben wohnt eine bestimmte sinnbildlich geistige bedeutsamkeit für uns bei, etwa ähnlich derjenigen, welche auch die einzelnen färben für uns besitzen, es sind gleichsam tönende farbenerschei- nungen, welche uns hierbei vor äugen stehen und auch Heraklit im altertum hat schon die worte tönende bilder der dinge genannt, die spräche ist wie ein maier, der uns mit seinen farbenelementen ein lebendiges gemälde von der weit entwirft, mag das lautelement dann auch durch zufall oder Convention die maüigfachsten verschie- denen bedeutungen annehmen, so ist in ihm doch immer etwas

C. Hermann: das künstlerieche in der spräche. 327

sinnvoll und bedeutsam malerisches enthalten, insbesondere aber schlieszt sieb der unterschied der beiden lautclassen der consonanten nnd der vocale immer in nachahmender weise an das Verhältnis der beiden beschaffenheiten oder kategorien der Substanzen und der in- bftrenzen in der Suszeren Wirklichkeit an. in der ältesten Dur aus oonsonant und vocal bestehenden wurzel oder ursilbe ist bereits die ganze spräche in nuce oder wie in ihrer ersten wiege enthalten gewesen, ein Vorgang in der natur, wie das auffliegen eines vogel$>, ist das Vorbild oder der anstosz für das hervorbrechen dieser silbe ans der seele des menschen gewesen, der consonant hat hierbei das ding oder den körper, der vocal die aus demselben hervortretende bewegung bezeichnet und es ist dieses die erste analytische aus- sonderung der weit in ihre allgemeinen beschaffenheiten gewesen. das spätere verhältDis von Substantiv und verbum im satze ist durchaus dem Verhältnis dieser beiden elemente der ursilbe ver- wandt oder conform. die spräche dringt von auszen her in die weit ein und löst dieselbe allmählich mehr und mehr in ihre allgemeinen elemente oder beschaffenheiten auf. alles menschliche ist mehr oder weniger aus einem erkennenden anschlusz oder einer beobachtung der natur entstanden, spräche, kunst und Wissenschaft sind die drei allgemeinen bilder von der weit in der seele des menschen, die erste unter ihnen aber ist die altertümlichste und es ist eigentlich aus ihr zuerst alles andere geistesleben des menschen entstanden.

Die dritte wortclasse der spräche, die der partikeln, steht an sich , wie es scheint , auszerhalb alles geordneten syntaktischen Ver- bandes in der rede da. die partikeln sind, wie es scheint, gleichsam formlose erratische blocke, die aus der ältesten wurzelhaften urzeit der spräche in die gegenwärtige gestalt der rede übergegangen sind, sie stehen in der mitte der andern geformten redeteile da und bilden nur eiue art von stummen Wegweisern von dem einen dieser teile zu dem andern, es ist daher eigentlich immer ein problem, wie die- selben syntaktisch oder philologisch nach ihrer einordnung in die rede zu erklären seien, eigentlich kann jedes wort im satze nur zu einer von den beiden allgemeinen kategorien des subjeotes oder des prädicates gehören, nomen und verbum allein bilden den formal geordneten oder sich aus sich allein zu einer logischen einheit zu- sammenschlieszenden inhalt der rede, die werte des formlosen oder isolierenden chinesischen Sprachbaues sind im gründe alle nichts als Partikeln, die ohne jede erkennbare beziehung zu einander dastehen und wo das denken nur sprungweise von dem einen zum andern fortgehen kann, dort gibt es überhaupt gar keine grammatischen kategorien oder allgemeine unterschiede der teile der rede, jedes wort kann ohne weiteres für alle möglichen kategorien functionieren. auch in diesem punkte aber hat der natürliche Scharfsinn der spräche in unserer rede das richtige oder sachgemäsze getroffen, alle par- tikeln dürfen an sich oder inhaltlich genommen als inhärenzen an andern gegebenen teilen der rede aufgefaszt werden, die präposition

328 C. Hermann : das künstleriBche in der spräche.

an z. b. vertritt, wenn ich sage: Mch stehe am hause' den begriff oder die eigenschaft der auszenseite eines ortes. sie ist also an sich eine inhKrenz an dem örtlichen Charakter des Substantivs haus, die aussage : 'ich stehe' aber streift gleichsam an dieser beschaffenheit des hauses vorüber und nimmt nur das dieselbe vertretende wort an in gestalt eines adverbiums zu sich , wodurch das Verhältnis ihres snb- jectes 'ich' zu dem begriff des hauses angezeigt oder vermittelt wird, alle prKpositionen sind an sich derartige örtliche inhKrenzen an dem Substantiv als an einem dinge im räume, hätten wir die prSpo- sitionen nicht, so würde die logisch-grammatische bezeichnung aller dieser Verhältnisse nur schwer oder unmöglich sein, der Chinese würde in einem solchen falle nur etwa sagen können: haus auszenseite ich. die präpositionen sind abbreviaturen oder ge- berdenartige zeichen für eigentliche begiiffe, welche ein Substantiv vor sich ausstreckt, um seine örtliche Stellung nach auszen hin anzu- zeigen, ebenso sind die conjunctionen inhaltlich genommen inhärenzen an den ganzen Sätzen oder gröszeren oinheiten der rede, welche deren allgemeine Verhältnisse nach auszen hin anzeigen oder betreffen, das wort wenn vertritt hier die eigenschaft einer bedingung und tritt als eine abkürzende geberde an die stelle dieses begriffes ein. auch hier würde der Chinese nur in schleppender oder unbehilflicher weise sagen können: bedingung: usw. Auch die syntaktische Stellung der inteijectionen endlich ist in einer ganz ähnlichen weise zu erklären, eine interjection ist ein wort, welches für sich allein die stelle eines satzes ausfüllt, sie ist inhaltlich immer ein gram- matisches prädicat, dessen ausgefallenes subject das 'ich' oder der redende selbst ist. im vocativ nimmt auch das Substantiv und im imperativ das verbum die grammatische form einer interjection an. sage ich: MarcO; so ist der eigentliche satz der: ego voco Marcum. da ich nun selbst da bin, so fällt das grammatische subject aus und es bezeichnet der vocativ nun wie durch eine geberde die Stellung des Marcus als eines gerufenen, von derselben art ist auch noch manches andere in der spräche, z. b. die aufschriften an den häusern, etwa: kaiserliches oberpostamt. auch dieses ist grammatisch ge- nommen eine interjection. eigentlich müste dastehen : dieses ist das kaiserliche oberpostamt. jetzt sagt gleichsam das haus zu mir: ich bin das kaiserliche oberpostamt. da also das logische subject selbst da ist, so nimmt dieses das prädicat wie eine lebendige aussage zu sich, alles dergleichen sind abbreviaturen oder stehen gebliebene reste und Vertreter von vollständigen Sätzen, die spräche erspart sich hierdurch mancherlei umwege und läszt gleichsam eine geberde an die stelle eines ganzen satzes eintreten, man musz philologisch genommen streng daran festhalten, dasz alle rede nur in einem XÖTOC oder einer Verknüpfung von subject und prädicat bestehen kann, auch die partikeln sind prädicate oder inhärenzen an andern teilen oder olementen der rede, es wird in der wirklichen rede man- ches unterdrückt, was an und für sich zum inhalt des denkens gehört.

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C. Hermann : das künstlerische in der spräche. 329

die spräche ist voll von geberdenartigen zeichen oder abkUrzungen für die wege des denkens. alle flexionen zunächst sind geberden, durch die ein Stammwort uns seine verschiedenen stellangen oder relalionen zu erkennen gibt, alles dieses aber macht die spräche Anschaulich y plastisch oder lebendig, nichts ist falscher als in der spräche nur ein totes zeichen für das reine oder abstracto denken an sich sehen zu wollen, der mensch glaubt mit seinem denken die spräche zu beherschen und willkürlich anwenden zu dürfen, wäh- rend es vielmehr umgekehrt die spräche ist; welche ihn in seinem ganzen denken aus sich bedingt und beherscht. es scheint zunächst, dasz das denken nur in uns liegt und die spräche dann erst als ein ttuszeres mittel der Verständigung zu ihm hinzutritt, man sah früher die spräche als einen reflex oder ein product des reinen inneren denkprincipes an. jetzt wcisz man, dasz die spräche nicht etwas gemachtes, sondern etwas historisch oder lebendig erwachsenes ist. das gilt aber nicht blosz von ihrem lautelement oder von der sinn- lichen Seite der yXujccq , sondern auch von dem geistigen denken oder dem XöifOC derselben, dieses ist beides an sich immer zu einer untrennbaren einheit verbunden und es ist auch die älteste laut- gliederung schon der erste anfang alles geistigen denkens gewesen, auch die spräche aber, wie sie jetzt vorliegt, ist immer ein gedanken- mäsziges werk oder product der geschichte. ihre erscheinungen müssen erkannt und gedeutet werden nach ihrem geistigen wert und gehalt. die sprachen haben von ihrem ersten ausgangspunkt an überall andere wege für die bezeichnung des denkens ein- geschlagen, im allgemeinen können alle sprachen in blosze ur- sprüngliche Wurzelsprachen und in höhere oder formell ausgebildete ^ortsprachen unterschieden werden, das flectierte wort ist wie ein mensch mit beweglichen gliedern, der durch dieselben seine meinungen oder Stellungen zu erkennen gibt, jeder spräche aber wird durch die von ihr erworbene bildung des geistigen denkens auch ein anderer Stempel oder Charakter aufgedrückt, alle cultursprachen haben da- her immer einen höheren geistigen wert als diejenigen , welche auf dem Standpunkt ihrer bloszen unentwickelten naturanlage stehen ge- blieben sind, unsere deutsche spräche aber darf in jeder beziehung als die höchste und am vollkommensten ausgebildete unter den neueren sprachen angesehen werden, sie hat insbesondere ein ganz eigentümliches gesetz der Verbindung und Stellung der werte, wel- ches der echt deutschen eigenschaft der geordneten strenge und grttndlichkeit des denkens entspricht, auch die Wortstellung aber ist immer eines von den geberdenartigen oder grammatisch for- malen elementen, auf denen der höhere und eigentlich kunstmäszige Charakter der spräche beruht, das lautelement der spräche hat immer einen malerischen, ihre syntaktische Ordnung aber einen ge- berdenartigen zug und Charakter an sich, mit bloszer rein histori- scher erklärung der spräche aber ist es für uns oder für den Stand- punkt der Philologie noch nicht gethan. alles in ihr ist nicht blosz

N. jfthrb. r. phil. a. pSd. II. abt 1S95 hft. 7. 22

330 F. Kern: vier Bchulreden.

laut, sondern auch geist und lebendiger anschaulieber gedanke. ^wir fragen auch bei einem kunstwerk nicht danach , wie es entstanden sei , sondern wie es uns das wesen der natur in anschaulicher and sinnvoller weise aus sich reflectiere. der mensch , die spräche *und das kunstwerk sind einander überall ähnlich und bilden eine trias von erscheinungen , in denen sich das sinnliche und das geistige zu einer lebendigen geordneten einheit verbinden.

Lsipzia. Conrad Hermann.

31.

VIER SCHULREDEN VON FRANZ KERN.

Die vier schulreden, welche auf den folgenden blättern mit- geteilt werden, sind die letzten, welche mein verstorbener vater bei der entlassung von abiturienten gehalten hat, die vierte, in wel- cher er vom glauben spricht, wenige wochen vor seinem tode, am 29 September 1894. sie schlieszen sich den bereits veröfiPentlichten an (zweite aufläge. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 1887; Pro- gramme des Koellnischen gymnasiums 1891 und 1893), und es sind hiermit alle abiturientenreden, die er in Stettin und Berlin gehalten hat; gedruckt, aus seiner Oldenburger und Danziger zeit finden sich keine schulreden in seinem nachlasse mit ausnähme des nekrologs auf seinen früh verstorbenen freund und collegen Franz Bresler, der im osterprogramm des städtischen Danziger gymnasiums 1871 ver- OfiPentlicht worden ist. eine kurze besprechung, die Rud. Lehmann der letzten reihe der schulreden in der deutschen litteraturzeitung 1894 s. 1556 gewidmet hat, erfreute meinen vater noch wenige tage vor seinem tode. so sind wir sicher, dasz es auch in seinem sinne ge- schieht, wenn die letzten, die er gehalten hat, hier mitgeteilt werden.

Berlin. Otto Kern.

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Familie, freunde, staat. (20 märs 1893.)

Sie verlassen heute, meine lieben jungen freunde, diese schule, und ein völlig anderes leben soll nun für Sie beginnen, eine zeit, in der Sie selbständiger und unter eigner Verantwortlichkeit sich das erwerben und erringen sollen, was Sie zu männlicher thätigkeit tüchtig macht.

Manchem von Ihnen steht binnen kurzer zeit auch eine andere trennung bevor, nicht für immer, wie die von der schule, aber doch auf längere zeit und öfter sich wiederholend , die nämlich von Ihrer familie und damit zugleich auch von freunden, die Sie bisher ge- wonnen haben, und in deren gemeinschaft sich Ihnen manche lebens- freude erschlossen hat.

F. Kern: vier schulreden. 331

Ihr äusseres yerhttltnis zur schule löst sich in dieser stunde ginzlich und für alle zeit; dasz aber in Ihren herzen ein inneres yerhftltnis zu ihr bleiben werde , das pietäts voller dankbar keit , das wflnschen wir und dürfen es wohl hoffen; und sicher ist es, dasz Sie noch oft genug in späteren jähren deutlich empfinden werden, was Sie von ihr ins leben mit hineinnehmen, zum teil auch, was Sie noch hätten mit hineinnehmen können, wenn Sie gewollt hätten.

Mit der familie steht es ganz anders, das äuszere band wird nur vorübergehend und nie gänzlich sich lösen; denn auch in der ferne bleiben Sie mit ihr in steter Verbindung; das innere aber, von der natur selber unlösbar geknüpft, das heiligste und schönste im menschlichen leben , bleibt fest bestehen ; denn es beruht nicht nur auf dankbarer erinnerung an unzählige liebesbeweise ^ an viele glflckliche stunden im eltemhause, wohl auch an gemeinsam em- pfondenes und getragenes leid , sondern soll und kann von jähr zu jabr immer edler, freier^ schöner werden, hier soll Ihr dank nicht nur als stilles reines gefühl im herzen ruhen, um sich vielleicht hier und da einmal in worten zu äuszem, hier musz der dank sich deut- lieh bethätigen dadurch, dasz Sie durch Ihr künftiges leben das gifick der Ihrigen erhöhen, trübe schatten, die etwa darüber lagern, erhellen, vielleicht sogar einmal später durch Ihre männliche erfolg- reiche thätigkeit drückende sorgen zerstreuen helfen, das wird sich natürlich je nach den Verhältnissen, in denen Sie leben, ganz ver- schieden gestalten.

Eines aber gilt für Sie alle ohne ausnähme : Sie können durch das, was Sie in den nächsten jähren thun und treiben, was Sie sich aneignen oder verschmähen , arbeiten oder versäumen , leichtfertig genieszen oder mit sittlichem ernst von sich weisen, die schuld der dankbarkeit in alleredelster weise abtragen und den Ihrigen reinste und stolzeste freude bereiten, können aber auch berechtigte und fröhliche hoffnungen traurig zertrümmern, ja das tiefste herze- leid über die bringen, denen Sie doch zu unendlichem dank ver- pflichtet sind.

Für glück und ehre Ihrer familie sind Sie nun zum teil mit verantwortlich, jedenialls beides empfindlich zu schädigen, dazu stehen Ihnen nun viele wege weit offen in dem, was Sie thun und was Sie unterlassen, bedenken Sie wohl, dasz durch alles, was Sie erreichen und was Sie verfehlen, helles licht fällt oder trübe schatten auf das leben derjenigen, die Ihnen vor allen die nächsten und teuersten sind.

Wie Sie nach dem scheiden von der schule im kreise der familie bleiben, so können Sie es auch in dem der freunde, hier aber ist das band kein unlösbares, und manchmal ist es besser, wenn es leise und allmählich sich löst und ein anderes dafür eintritt.

Mögen Sie nun aber die früh gewonnenen fürs leben behalten, mag später das Verhältnis zu dem einen oder andern erkalten und mögen dafür andere Ihren herzen teuer werden: daran, dasz innige

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332 F. Kern: vier schulreden.

freundscbaft ein hohes, ein überaus wertvolles lebensgut sein kann, pflegen junge menschen am allerwenigsten zu zweifeln, und sie urteilen so mit vollem recht, doch, um vor enttäuschung, ja vor gefahren bewahrt zu bleiben, ist es doch gut, bei der wähl des freundes über das neue sich klar zu werden , was man von ihm er- wartet und empfängt, es ist nttmlich leider nicht so selten, dasz ein junger mensch durch die lebensansichten und lebensgewohn- heiten, die er von einem andern aufgenommen und angenommen hat, auf bahnen gerät ^ die ihn weit, weit abführen von dem, was ihm als schönes und würdiges ziel einst vor der seele stand, im freund Schaftsgarten können auch giftige pflanzen blühen, besser kei n freund als ein gefährlicher freund, doch ist es nicht zu schwer, die von dorther drohenden gefahren rechtzeitig zu erkennen, wenn man nur die äugen offen hält, und wer den sogen an sich erfahren hat, den ein edler, kluger und tüchtiger freund uns bringen kann, der wird Ihnen von herzen wünschen, dasz Sie in Ihrem leben dieses Segens nie zu entbehren brauchen.

Also Sie bleiben auch nach dieser abschiedsstunde, in der Sie mit ehren den kreis der schule verlassen, im kreise der familie und wohl auch der freunde; und wenn sich im laufe der nächsten jähre in Ihrem Verhältnis zu diesen beiden kreisen etwas verändert, möge es dann immer etwas höheres und schöneres werden: die liebe zu den Ihrigen tiefer, ernster, fruchtbarer, die neigung zu den freunden und mitstrebenden reiner , besonnener , inhaltreicher !

Doch bald genug wird auch die zeit kommen , wo Sie in dem viel weiteren kreise, dem Sie alle durch Ihre geburt in gleicher weise angehören, und in dem Sie täglich und stündlich leben, ich meine, in der gesellschaft^ im Staate und reiche nicht mehr blosz empfangende und genieszende sein werden, wie bisher, sondern selbst energisch und gewissenhaft mitzuarbeiten und mitzugestalten haben an dem, was für das allgemeine wohl zu leisten das gegenwärtige bedürfnis verlangt.

Dazu sich fähig und geschickt zu machen , ist nun Ihre aller- nächste aufgäbe, deren glückliche lösung wir von Ihnen hoffen, sie wird Ihnen aber zu der gewünschten zeit und mit dem ersehnten erfolge nur dann gelingen, wenn Sie den stunden der erholung, die jeder Ihnen von herzen gönnt, nicht allzu weite ausdehnung geben und sie nicht mit solchen freuden crfUUen, die unlustig und un- geschickt machen für die arbeit der folgenden tage, die anforde- rungen an tüchtige berufsbildung sind heute hoch genug und die lücken darin später sehr schwer auszufüllen.

Die Vorbereitung dazu wird bei Ihnen eine ungemein verschie- dene sein, weil die berufszweige, die Sie sich erwählt haben, weiter auseinander liegen, als sie sonst wohl in einer abiturientengeneration zu liegen pflegen.

Während die einen lernen wollen häuser zu erbauen und maschinen zu construieren , wollen andere sich tüchtig machen,

F. Kern : vier echulreden. 333

mit dem unzilhligen beer der krankheiten zu kämpfen, die den menschlichen Organismus bedrohen, diesem schwebt als künftige ^ lebensarbeit friedliche kaufmännische betriebsamkeit vor, jenem ^desmutiger kämpf mit feinden des Vaterlandes, andere haben sich als beruf erwählt die pflege des rechts oder die mitteilung wissen- schaftlicher erkenntnis oder die erleuchtung der menschenseele mit dem himmlischen licht, das aus gott selber geboren ist.

Wie unendlich verschieden all diese lebensarbeit, wie sehr ver- schieden also auch die wege, die zu wandeln sind, damit diese arbeit einst mit glücklichem erfolg geleistet werden könne ! überall aber ist gleich nötig kräftiges und dauerndes wollen ^ überall gleich nötig ernstes verzichten auf manche störende lust oder bequemlich- keit. das gilt von der Vorbereitung auf den beruf und gilt nachher auch von der berufsthätigkeit selber.

Es ist ein schönes und stolzes wort, das bei Thukydides die korinthischen gesandten zu den Spartanern von den Athenern sagen : 'ihnen gilt nichts anderes als fest und hochgenusz als stets ihre Schuldigkeit zu thun.'

So thun denn auch Sie nach dem masze Ihrer kraft stets Ihre Schuldigkeit; erfüllen Sie treu Ihre pflichten gegen die familie und Ihre freunde, gegen den staat und das reich, doch vergessen Sie auch nicht, dasz es noch ein anderes reich gibt jenseits aller irdi- schen mühen und sorgen und erfolge, das gottesreich, in dein allein dauernder friede und unzerbrechliches glück zu finden ist.

Wohl dem menschen, der innig davon überzeugt ist, dasz gottes Wille ihn durch lust und schmerz leitet , dasz seine macht es ist; die das rastlose, gierige verlangen des menschenherzens in heilige stille tauchen kann , so dasz wir thun^ was andern frommt, und einmal in frieden uns zur ruhe niederlegen können, wenn wir müde geworden sind vom wandern.

Wohl auch Ihnen, wenn solche empfindungen^ die von be- griffen nicht umspannt werden ^ durch werte kaum angedeutet wer- den können, Ihre herzen erfüllen und Sie begleiten auf Ihrem ganzen lebensgange, in freud und leid, in der mühe wie in der musze^ Sie begleiten auch schon in den so schönen, aber auch so bedeutungs- schweren Jahren, denen Sie, von uns scheidend^ nun mit fröhlichen hoffnungen entgegengehen.

II.

Brief an die Bömer, cap. XII. (27 September 1893.) Ihre gedanken, meine lieben jungen freunde, sind heute vor- wärts gerichtet in eine zukunft, deren bild mit hellen, freundlichen färben vor Ihrer seele steht, und in der that, es gibt im mensch- lichen leben nicht all^u viel tage , in dpnen man so , wie Sie heute, auf ein ganz anderes leben vorwärts schauen und ganz von neuem wieder anfangen kann.

334 F. Kern : vier schul reden.

Sie haben jetzt Vorstellungen von manchen fröhlichen stunden, erfüllt von heiterer jugendlust, denen Sie entgegengehen, und wer wollte es Ihnen verübeln, dasz Sie fröhlich sind in solcher hoffnung. wem seine eigne erinnerung stunden dieser art für alle zeit festhält, wie sollte der Ihnen nicht von herzen wünschen, dasz die jetzt vor Ihnen liegenden jähre nicht zu arm sein mögen an solchen zeiten, in denen Sie sich freuen mit den fröhlichen.

So weit kennen Sie aber, so jung Sie sind, schon jetzt das menschliche leben durch fremde erfahrung und wohl auch durch eigne , dasz Sie wissen , dasz nicht jede lust und freude wünschens- wert und heilsam ist, dasz es vielmehr freuden gibt, welche die jugendliche seele verunreinigen und sie hinabziehen in das niedrige und gemeine, dasz es freuden gibt, die aussehen wie herliche lebens- bluten und doch als traurige frucht nichts anderes bringen als quälende reue. Sie wissen auch, dasz eine lange reihe von so- genannten schönen tagen für jeden menschen, der zwecke er- reichen will, das unerträglichste ist, weil es hemmt in dem, was wir ernstlich wollen , und unsere zukunft oft ganz anders gestaltet , als wir sie hofifnungsvoll träumten.

Sie müssen wissen, was zu Ihrem frieden dient, das gestern sollte stets klar und offen vor uns liegen, wir dürfen nicht mit mis- mut und bedauern oder gar mit beschämung darauf zurückblicken, wenn wir heute kräftig und frei wirken wollen.

Möge also die hoffnung auf die vor Ihnen liegenden freuden jetzt und später begleitet sein von der Überzeugung, dasz es nichts ist mit den freuden, ja oft schlimmer als nichts, wenn das edle masz dabei fehlt, die klare besonnenheit, die von den alten mit recht so hoch gepriesene sophrosyne. lassen Sie sich von dieser immer leiten, wo lebensfreude sich vor Ihnen aufschlieszt, so haben Sie da- mit eine wichtige bedingung geschaffen für Ihr lebensglück.

Aber wer sagt es uns , wer verbürgt es Ihnen, dasz wir immer nur tagen entgegenleben, an denen es sich darum handelt, was wir von freuden, die sie etwa in sich tragen, annehmen oder ablehnen sollen? sie bringen auch leiden, trauer, entbehrungen. da ist dann von behaglichkeit keine rede mehr, geschweige denn von bunter, fröhlicher lust. Sie kennen Goethes wort von der weit, dasz sie nicht aus brei und mus geschaffen ist, dasz es harte bissen zu kauen gibt, die wir verdauen müssen, wenn wir nicht ersticken wollen, da hilft also keine besonnenheit, da hilft nur tapferkeit und gednld. mögen Ihnen die nicht fehlen, wo das leben Sie härter anfaszt, als wir alle es Ihnen wünschen, wie Sie besonnen sein sollen in dem genusz der lebensfreuden , so sollen Sie auch tapfer sein und ge- duldig in der trübsal.

Aber im leben gilt es doch nicht blosz, freuden maszvoll sich anzueignen und leiden tapfer und geduldig zu ertragen; wir haben doch nicht blosz abzuwarten, was die zukunft uns gutes bringt und schlimmes: wir müssen vor allem durch eignes tbun unserm

F. Kern : vier schulreden. 335

leben erst seinen wertvollen Inhalt geben, frei schmieden am eignen glück , nicht trttge sein in dem , was wir thun sollen, was Tou freuden uns ohne unser zuthun entgegenblttht, welche leiden UBB unverschuldet treffen, das alles steht weit zurück hinter dem^ was wir durch unser thun und lassen uns selber bereiten, ein groszer gedankenljriker sagt mit vollem recht :

Gott hat die weit gescbaffen und dich darein; doch deine weit za schaffen, dies werk ist dein.

Gott hat dich nicht geschaffen za pein und Inst; du selber schaffst dich selber zu last und pein.

Sie werden die Wahrheit dieser verse wohl schon an sich und Ihrem leben erfahren haben , werden ein bewustsein davon haben, welches reine und tiefe glück in erfolgreicher arbeit beschlossen liegt, wie viel leid wir uns selber anthun können , wenn wir unser leben verkehrt einrichten, wenn wir mit begierde aufsuchen, was wir fliehen sollten ^ und unlustig uns dem entziehen, was wir mit eifer fafitten erfassen sollen.

Vor Ihnen liegen jähre, auf die so recht Goethes werte passen :

Mein erbteil, wie herlich weit und breit !j die zeit mein besitz, mein acker die zeit.

denn welchen wert hätte wohl die zeit, wenn sie nur unser besitz w&re, wenn sie nicht zugleich unser acker sein kOnnte! gewis stehen im felde der zukunft stets die schönsten saaten , und gewis können sie nicht gedeihen ohne gottes sonne und seinen befruchtenden regen, aber wie sollen sie aufsprieszen, wenn treue menschliche arbeit nicht gepflügt und gesäet hat. hoffen Sie immer das beste das ist menschlich und ganz besonders jugendlich aber thun Sie auch immer das beste, was Sie thun können, das heiszt, entschlieszen Sie sich zu einem arbeitsamen und gedankenvollen und, wo möglich, fein empfindenden leben.

Der letzten eigenscbaft habe ich die einschränkung hinzugefügt *wo möglich', weil ich weisz, dasz es nicht jedermanns sache ist, ästhetisch zu empfinden und an kunstwerken inniges, selbständiges Wohlgefallen zu haben, aber das arbeitsame und das gedankenvolle leben gilt für Sie alle bedingungslos, das arbeitsame, weil es für jeden menschen ohne irgend eine ausnähme pflicht ist, das gedanken- volle, weil Sie heute aus einer schule entlassen werden, in der Sie die grundlagen höherer geistesbildung sich zu eigen gemacht haben.

Wie weit, wie eng nun künftig der kreis sein mag, in dem Sie zu wirken haben werden es kommt so viel darauf nicht an und gewis weniger, als die eitelkeit uns einreden möchte, wenn wir nur fitill und unerschlafft im kleinsten punkte die höchste kraft sammeln

336 F. Kern: vier schulreden.

und davon überzeugt sind, wie fruchtbar der kleinste kreis sein kann, wenn wir ihn wohl zu pflegen wissen.

Aber wo Sie auch später im leben stehen mögen, verlangt wird von Ihnen einmal Selbständigkeit des Urteils ; sowohl in Ihrem besondem beruf wie in Ihren politischen, socialen, religiösen meinungen. der dröhnende ton der phrasen, von denen keine partei frei ist, sollte Sie nie betäuben; das glitzern der schönen redens- arten, die Sie auf allen Seiten zu hören bekommen, dürfte Sie nie so blenden , dasz Sie die Wirklichkeit darüber verkennen, ringen Sie Ihr leben lang ehrlich und treu nach der erkenntnis der Wahrheit, und geben Sie dann dem , was Ihnen als Wahrheit gilt , klaren , be- stimmten ausdruck , unverzagt und unerschrocken , aber auch rück- sichtsvoll gegen andere ehrliche Überzeugungen.

Das letzte ziel aber, das jede menschliche arbeit haben sollte, ist befÖrderung des allgemeinen Wohles , des sieges reiner mensch- lichkeit. nehmen Sie nicht teil an bestrebungen, in denen engherzig- keit und hasz und neid ihre traurigen rollen spielen, sondern halten Sie , so viel an Ihnen ist , mit allen menschen frieden.

Es gibt aber noch ein ziel, ein höchstes und letztes im leben, zu dem die gemeinsame menschliche arbeit nicht führen kann, nach dem aber die einsame menschenseele verlangt mit inbrünsti- ger Sehnsucht, das ist der friede mit gott, das ist die Überzeugung, dasz Über uns waltet der gute, der wohlgefällige und der voll- kommene gotteswille. Won oben herab kommt ein göttlicher lebens- ström, der die menschenseele erfüllt und weiht, der von da zu seiner quelle zurückkehrt, um den segensreichen lauf fort und fort wieder zu beginnen, gnade nennen wir den ström, wenn er vom himmel herniederflieszt , glaube, wenn er heilend und beseligend in uns waltet, gebet, wenn er aufsteigt, woher er gekommen, denn in gott leben , weben und sind wir.'

Die meisten von Ihnen werden die quelle erkannt haben, aus welcher der gedankengang geflossen ist , der meine rede beherscht hat. aber auch die, welchen die quelle fremd ist, haben gewis empfunden, dasz diese mahnungen ebenso schlicht wie einleuchtend sind, dasz diese lebensziele allen menschen vorschweben sollten.

Ich stelle die mahnungen kurz zusammen: seid fröhlich in hoff- nung, geduldig in trübsal. seid nicht träge in dem, was Ihr thun sollt, so viel an £uch ist, habt mit allen menschen frieden, haltet an am gebet, so dasz Ihr Euch fügen lernt in den guten und voll- kommenen gotteswillen.

Diese werte gebe ich Ihnen mit auf die neue lebensbahn. wenn Sie nach ihnen leben, so werden Sie männer werden, die in lust und leid des daseins das rechte zu finden wissen, die durch ihre lebensarbeit und lebenshaltung das allgemeine wohl fördern und in sich den gottesfrieden tragen , der uns tröstet im schmerz und alle irdische freude verklärt mit seinem reinen himmelsglanze.

F. Kern : vier echulreden. 337

III.

Humanität., (21 märz 1894.)

Im jähre 1794; also gerade vor hundert jähren, schrieb Herder in dem entwürfe einer schulrede , die er in dem Weimarer gymna- sium vor den ferien gehalten hat, die werte nieder : ^(die schule) ist (dazu) da; dasz sie aus kindern und Jünglingen menschen bilde, menschen, die jede edle kraft ihrer seele kennen und anwenden, die ihre zeit, die schönste zeit des lebens wohl anwenden lernen, die nicht nur grundstttze, sondern durch Übung selbst fertigkeiten er- langen, aus sich selbst alles das zu machen, was einst in jedem menschlichen, häuslichen, bürgerlichen beruf ihre pflicht und ihre eigne glückseligkeit von ihnen fordert, darum heiszen die schulen instituta humanitatis; darum heiszen die Wissenschaften, die hier gelehrt werden , humaniora. hat ein junger mensch in der schule humanität gelernt, so wird er auch auf der Universität ein gesitteter, fleisziger, ehrliebender mensch bleiben und sich zu seiner bestim- mung fortbilden; er wird in jeder bestimmung, wozu ihn neigung, gelegenheit und bedürfnis treiben , der werden , der er werden soll ; denn er hat in der schule, was er da sein sollte, zu sein gelernt.'

Dieser hinweis Herders auf die humanität als auf das ideal unseres lebens, meine lieben jungen freunde, eine gedankenrichtung, welche seine schon vorher geschriebenen ideen zur philosophie der geschichte der menschheit beherscht und ebenso die ein jähr nach jener schulrede veröffentlichten briefe zur beförderung der humanität diese mahnung Herders ist auch jetzt ^ nachdem hundert jähre verflossen sind , wahrlich nicht überflüssig geworden , weder für die das gymnasium besuchende und von ihm scheidende Jugend y noch für gereifte männer in lebensstellungen aller art.

Freilich müste sie als überflüssig schon vor hundert jähren ge- golten haben , wenn Schiller durchaus recht gehabt hätte mit den begeisterten versen, die er fünf jähre vor der Herderschen rede ge- dichtet hat , ich meine die anfangsstrophe der 'künstler' :

Wie Bchön, o^mensch, mit deinem palmenzweige

stehst du an des Jahrhunderts neige

in edler stolzer männlichkeit,

mit aufgeschlossnem sinn, mit geistesfülle,

voll milden ernsts, in th.itenreicber stille,

der reifste sobn der zeit,

frei durch Vernunft, stark durch gesetze,

durch Sanftmut grosz und reich durch schätze,

die lange zeit dein busen dir verschwieg,

herr der natur, die deine fesseln liebet,

die deine kraft in tausend kämpfen übet

und prangend unter dir aus der verwildrung stieg!

allerdings die von Schiller schon damals mit recht gerühmte her- schaft über die natur hat sich mit nicht zu ahnender Schnelligkeit

338 F. Kern: vier schulreden.

in unserm Jahrhundert sogar sehr erheblich gesteigert, und der stolz und die freude darüber bleibt berechtigt, wenn auch in den letzten Jahren erfindungen zu solchen zwecken angewendet worden sind, die nur ganz unmenschliche barbarei sich setzen kann, die mOglichkeit und die Wirklichkeit solcher anwendnng des nützlichen zu schäd- lichem und nichtswürdigem thun hat ja zu allen Zeiten bestanden.

Aber was sonst Schiller in seinen schwungvollen versen von der menschheit seiner zeit rühmt, an des Jahrhunderts neige, war wirklich nur in einzelnen menschen, wie es auch jetzt ist; im all- gemeinen stand damals nicht die menschheit auf der von ihm ge- rühmten höhe, wie sie auch jetzt nicht daraufsteht, wo in wenig Jahren das neunzehnte Jahrhundert zu ende geht.

Schon als es anfieng, hat auch Schiller ganz anders von dem zustande der menschheit zu seiner zeit geurteilt und zwar so ge- urteilt, dasz die grosze änderung in den politischen Verhältnissen keineswegs als ausreichende Ursache der änderung des Urteils gelten kann, jetzt späht Schiller auf der ganzen, weiten erde umsonst nach dem seligen gebiet, wo die schöne Jugend der menschheit blüht; jetzt scheint es ihm , dasz auf dem unermessenen rücken der weit nicht räum sei auch nur für zehn glückliche, er schlieszt sein ge- dieht (der antritt des neuen Jahrhunderts) mit der strophe :

In des herzens heilig stille räume must du fliehen aus des lebens drang, freiheit ist nur in dem reich der träume und das schöne blüht nur im gesang.

Wobei aber der geniale dichter sich beruhigte und sich be- ruhigen durfte, das hat für uns, das hat für Sie, meine lieben jungen freunde, die Sie heute zu schlichter lebensarbeit oder vielmehr zu der Vorbereitung darauf aus der schule entlassen werden, kaum irgend welche bedeutung. Schillers leben in dem reich der träume, seine schöpferische lebensarbeit, sein wirken für humanität und ge- sittung wiegt die gewissenhafte und tüchtige arbeit vieler tausende auf zur beförderung der humanität. was e r da^Ür gewirkt hat und noch wirken wird , ist ganz unermeszlich und völlig unberechenbar.

Mit uns, mit Ihnen steht es ganz anders; wir müssen in den kleinen kreisen, in denen wir leben und Sie leben werden, treu und unermüdlich unser bestes thun , um das menschliche leben , so weit es uns in unserm kurzen dasein berührt, immer menschlicher zu ge- stalten, denn dasz in unserer zeit, in unserm lande schon von einer Verwirklichung des ideals der humanität nicht gut die rede sein kann, welcher unbefangene und klar denkende, von Vorurteilen nicht verblendete könnte das in abrede stellen?

Jedenfalls regiert da noch nicht die humanität, wo gering- schätzung und abneigung auf der einen seite besteht gegen menschen, wenn auch ihr lebenswandel rein und vorwurfsfrei ist, und auf der andern seite manche Überhebung und ausbeutung der mitmenschen zu beklagen ist. diese Vorurteile, diese lebensrichtungen beherschen

F. Eern : vier Bchulreden. 339

nicht nur viele gereifte menschen , die für ihr thun und reden volle -Verantwortung tragen, sondern dringen leider auch allmählich hinein in die unverständige, gedankenlose jugend.

Humanität bildet sich nach Herder da , wo die menschen jede edle kraft ihrer eeele kennen und anwenden, derselbe gedanke ist wohl auch enthalten in den werten, die man für seinen Wahlspruch erklärt: 'licht, liebe, leben', die auf seinem grabstein in Weimar zu leaen sind, wie er die drei werte hat aufgefaszt wissen wollen, weisz idi urkundlich nicht; aber ich deute sie mir, hoffentlich in seinem sinne, so, dasz er nur da, wo licht, helles, klares licht in der ge- dankenweit leuchtet, und liebe, also über die selbstverständliche ge- rechtigkeit hinaus wohlwollende, thätige teilnähme an dem geschick anderer in den gemütem vorhanden ist, dasz da und nur da leben, wirklich menschliches leben, also humanität vorhanden ist.

Denn was sind die edlen kräfte unserer seele, das heiszt die kräfte, welche die menschliche seele weit emporheben über die tierische? auf dem gebiete des wollene ist es der sinn für das recht und die herzensgute, auf dem des gefühls das innige Wohlgefallen an allem, was schön ist, und damit zusammenhängend das freie phantasievolle schöpferische spiel in der hervorbringung des schönen, endlich auf dem gebiet des denkens das streben nach Wahrheit auch da, wo sie gar keinen praktischen nutzen hat, ja selbst da, wo es uns schmerzlich ist, sie einzusehen und gelten zu lassen.

Demnach erkennt der nicht die edle kraft seiner seele oder wendet sie wenigstens nicht an, der nur nach so viel erkenntnis ver- langt, als nötig ist, um seine bedütfnisse zu befriedigen und sein leben vor gefahren zu sichern, auch derjenige weisz nichts davon, den seine phantasie nie erhebt in das reich der Schönheit über das augenblickliche, beschränkte leben hinaus, am allerwenigsten aber ist menschlich, ist human die rücksichtslose, ungerechte behandlung anderer menschen, das alleinige streben nach eigner lust, das mit- leidlose gehenlassen , die völlige unbekümmertheit um fremdes leid.

Nun, meine lieben jungen freunde, wir entlassen Sie mit der hofihung, dasz Sie alle, welchem Studium, welchem beruf Sie sich auch immer zuwenden mögen, treue mitarbeiter werden an dem groszen, wahrhaft vornehmen werke, das den sieg der humanität zu seinem letzten zwecke hat. entschlieszen Sie sich dazu, so haben Sie lichten , klaren Sonnenschein gewählt statt trüber dämmerung, blütentreibende frühlingswärme statt eisigen winters , ein reich des friedens statt des unseligen krieges aller gegen alle.

Für Ihr künftiges leben haben Sie hier die fundamente gelegt. erbauen Sie nun darauf ein wohnliches haus, von dem auch auf andere menschen glück und sogen ausgeht, samen sind in Ihre seele ausgestreut worden mancherlei art. mögen sie aufgehen und emporwachsen und blühen und frucht bringen zum heile der mensch- heit, zur freude Ihrer angehörigen, zum frieden Ihrer eignen seelen.

340 F. Kern : vier schulrcden.

IV.

Vom glauben. (29 September 1894.)

Sie würden, meine lieben jungen freunde, heute hier nicht so vor mir stehen, wenn die königliche prüfungscommission nicht über Sie hätte urteilen können, dasz Sie das vorgeschriebene masz des Wissens sich angeeignet haben, denn wie nach dem in den ver- schiedenen lehrgegenstttnden erworbenen wissen die einzelnen classen gesondert und zusammengesetzt werden , so musz auch das zeugnis der reife abhängig gemacht werden von dem durch die Prüfungs- ordnung geforderten wissen.

Auf der schule soll der grund gelegt werden für sichere Selb- ständigkeit der wissenschaftlichen Überzeugung, die schüler sollen emporgehoben werden über das unsichere und willkürliche meinen und wähnen und glauben, das wir heute annehmen, um es morgen wieder zu verwerfen, denn das ist doch die allerge wohnlichste an- wendung des wertes glauben, dasz wir darunter einen zustand des erkennens verstehen, dem es an hinlänglich sicherer grundlage fehlt, um sich zum wissen zu erheben, wer eine thatsache glaubt, hat sich von dem, welcher ihr gegenteil weisz, allemal berichtigen und belehren zu lassen , und zu Wahrheiten , die wir wissen , bedarf es keines gläubigen gemütes. ist das wissen der helle , lichte tag, so ist solch ein glauben und meinen höchstens eine schwache dämme- rung; in der wir den manigfachsten täuschungen ausgesetzt sind, ja, wir pflegen mit recht die zu tadeln, die auf unsichere berichte und ganz unvollständige beobachtungen gestützt, statt sich ver- ständig und besonnen jedes urteils zu enthalten, gleich eine felsenfeste Überzeugung in sich entstehen lassen , und machen ihnen mit recht leichtgläubigkeit zum Vorwurf, auf dem weiten gebiete der berichte und beobachtungen also ist es kein glück und kein verdienst, und bringt es keinen segen, rasch und leicht zum glauben zu gelangen.

Aber ist nicht ungläubigkeit auch ein Vorwurf, ebenso wie leicht- gläubigkeit? und wenn das, wie billig, zugegeben werden musz, wie kann dann in dem einen fall der glaube ein wertvolles gut sein und in dem andern eine thörichte Übereilung unseres denkens?

Das befremdende dieses Widerspruches verschwindet, wenn wir bedenken , dasz der auf sehr weit auseinander liegende , ganz ver- schiedene gebiete angewendete begriff des glaubens auszer dem gattungsmerkmal der Überzeugung nur das negative merkmal enthält, dasz die Überzeugung auf keinem beweise ruht, also nur, wo es zu beweisen gibt, steht der blosz glaubende tief unter dem wissenden; wo aber nichts bewiesen werden kann und doch mit vollster seelenkraft geglaubt wird , ist dieser glaube wertvoll, ist unerschütterlich und kann weder durch die schärfste kritik von berichten; noch durch die sorgfältigsten beobachtungen umgestoszen werden.

F. Kern: vier schulreden. 341

Es gibt nämlicb erstens einen glauben, der zwar gewis nur ein zustand des reinen erkennens ist, aber dennocb durcb keinen beweis gestützt, durch keinen gegenbeweis erschüttert werden kann, weil dieser glaube selber eine ganz notwendige grundlage für alles beweisen ist: es ist der glaube an die axiome, die logischen, die maUiematischen, die naturwissenschaftlichen, auch der glaube an die existenz einer auszenwelt

Es gibt aber zweitens auch einen glauben, der in seinem vollen Inhalt , und zwar gerade in seinem wesentlichsten inhalt darum nicht in ein wissen verwandelt werden kann, weil er nicht ein erzeugnis ist von Wahrnehmungen und Vorstellungen , sondern emporquillt aus den tiefsten tiefen des gemütes, aus der heiszen eelmsucht der nach frieden verlangenden menschenseele. das ist der religiöse glaube.

Das erkennen, das sich natürlich mit diesem glauben verbindet, nftmlich das glauben der thatsachen der heiligen geschichte, ist nicht das tiefernste wesen desselben; es liegt vielmehr im unaussprech- lichen gefühl , in dem stillen gebet der geSngstigten menschenseele zu dem gott, dessen wunderbares wesen und wirken ihr erkennen nicht faszt und begreift, wo nun in solchem glaubensieben die ewig wache Sehnsucht des herzens nach einem unentreiszbaren gut befriedigt ist, wie soll da diese beseligende thatsache des gefühls verschwinden oder auch nur verblassen vor dem grübelnden, dem zersetzenden denken auf einem gebiet, auf dem durch die geistes- arbeit von vielen Jahrhunderten bis jetzt noch kein allgemein ein- leuchtendes ergebnis philosophischer erkenntnis gefunden worden ist?

Dem gläubigen gemüte, das sich eins fühlt mit seinem gott, bleibt doch gott allein die einzige, nie zusammenbrechende säule, an der all sein glück emporranken und freudig aufblühen kann, wohl dem menschen, der von der gottesntthe sein tägliches thun und treiben durchdringen läszt, ihm sich hingibt mit der ganzen innig- keit seines gemüts, zu ihm ^flieht in jeder not und sorge, gegen diesen klaren frühling der gottesliebe ist alles auf das eigne thun und wissen gestellte glück ein welkes blatt, das der herbst wind umhertreibt. wer so von herzen gläubig ist, der bleibt friedevoll in aller unruhe, die ihn umgibt; bleibt fest, wenn alles um ihn wankt und schwankt ; bleibt reich und froh in einsamkeit und armut.

Aber von allem weh , was die menschenbrust fassen kann , ist keines tiefer und erschütternder, als das schmerzliche gefühl der gott entfremdeten einsamkeit. wir mögen von dem, was die erde schönes und begehrenswertes bietet, noch so viel haben, es bleibt doch ein armes und dunkles leben, wenn wir es hinbringen müssen ohne das lebendige gefühl der gottesnähe.

Meine lieben jungen freunde, ich habe angefangen, zu Ihnen zu sprechen von dem glauben, das tief unter dem wissen steht; ich habe die rede fortgeführt bis zu dem glauben, der ein unvergleich- lich hohes gut jedes menschlichen lebens ist, wie es sich auch ge-

342 R. Gast: za Lessings Nathan dem weieen.

stalten möge, in allen seinen so ungemein verscbiedenen formen, aufgaben und erfolgen.

und Ihr leben wird nach dem, was Sie als Ihren künftigen beruf angegeben haben, sehr verschiedene formen annehmen, aber in den nächsten jähren doch bei Ihnen allen darin gleich sein, dasz Sie tüchtig zu arbeiten haben, um das für Ihren beruf nötige wissen sich anzueignen, möge es Ihnen ebenso, möge es Ihnen zum teil noch besser gelingen , als es Ihnen bisher gelungen ist 1

Der andere wünsch aber, der sich gleichfalls an das Yon mir vorher gesprochene anschlieszt, gilt auch Ihnen allen, aber bezieht sich nicht nur auf die zunächst vor Ihnen liegenden jähre , sondern auf Ihre ganze lebenszeit.

Mögen Sie stets erfüllt sein und bleiben von der empfindung, die der fromme dichter ausdrückt in den einfachen, innigen werten:

Meinen leib nnd meine seele

samt den sinnen und verstand,

groszer gott, ich dir befehle,

unter deine starke band.

herr, mein schild, meine ehr* und rahm,

nimm mich auf, dein eigentnm.

32,

ZU LES8INGS NATHAN DEM WEISEN.

Im selben jähre mit dem zweiten bände von ErichSchmidts L es sing (geschichte seines lebens und seiner Schriften, Berlin, Weidmann, 1892), in dem Nathan dem weisen ein umfangreiches, ganz vortreffliches capitel gewidmet ist, sind Karl Werders Vor- lesungen über Lessings Nathan erschienen (gehalten an der Universität zu Berlin Berlin , F. Fontane u. co.) , jedenfalls das beste buch , das bis jetzt über Lessings vielumstrittenes drama ge- schrieben worden ist, das alles in 6inem ist: eingehendste Verteidi- gung, Würdigung, beleuchtung und erklärung.

Wie Werder darin sich gegen alle vorwürfe, die teils von ästhe- tischem, teils von religiösem Standpunkte aus gegen Lessings drama erhoben worden sind, gewendet hat, und zwar mit dem erfolge, dasz er sie alle in überzeugender weise widerlegt, so spricht er ausführ- lich auch darüber, warum Nathan, der Jude, die hauptperson des Stückes ist. daran ist ja, seitdem das stück erschienen ist, beson- ders von theologischer seite, vielfach und zum teil so leidenschaftlich anstosz genommen worden, dasz man selbst zu der anklage sich verstiegen hat. Lessing habe mit seinem Nathan das Christentum beschimpft.

Bei der Zurückweisung dieses Vorwurfs weist Werder natürlich darauf hin, dasz nach Lessings anschauung, die in seiner 'erziehung des menschengescblechts' (von § 53 an) aufs klarste dargelegt ist, das Christentum in der entwicklung der menschheit eine höhere stufe

R. Gast: zu Lessings Nathan dem weißen. 343

ist als das Judentum, und sagt, dasz diese Überzeugung auch aus jeder zeile des Nathan herauszuhören sei.

Aber darauf hat er^sich nicht eingelassen, den beweis für diese Anschauung Lessings so zu führen, wie er im stücke selbst vom dichter gegeben ist nebenbei natürlich, da ja das stück an sich, das musz immer wieder betont werden, nicht im entferntesten den z weck hat, die drei in frage kommenden religionen mit einander zu vergleichen^ nebenbei also, wie so manches andere, und nach echt Lessingscher weise so, dasz wir selbst uns den beweis aus dem stücke herausholen müssen, dasz er, meine ich, sich uns nicht auf- drftngt, aber bei eingehenderer betrachtung unabweisbar zu tage tritt.

Da ich diesen beweis auch sonst noch nicht in dieser weise ge- führt gefunden habe, möchte ich ihn in dieser Zeitschrift darlegen, weil er natürlich gerade für die erklttrung des stücks in der schule von besonderem werte ist und vielleicht dazu hilft, auch jetzt noch bestehende bedenken , ob Nathan der weise sich für behandlung in der schule eigne , zu beseitigen.

Auf drei lebensrettungen baut sich bekanntlich die handlung des Stücks auf, und für Lessings Wertschätzung des Christentums ist es notwendig, die näheren umstände dieser drei rettungen fest- zustellen, ihren wert zu bestimmen und sie mit einander zu ver- gleichen, 'an ihren fruchten sollt ihr sie erkennen!' das ist ja das znotto y das wir dem drama ebenso gut geben könnten , wie das von Lessing selbst gewählte : introite , nam et heic dii sunt.

Der sultan Saladin hat einen tempelherm, der selbzwanzigster

von ihm gefangen worden war, allein begnadigt, der tempelherr

selbst erzählt (I 583) den hergang so :

schoD den hals entblöszt, kniet' ich auf meinem mantel, den streich erwartend: als mich schärfer Saladin in^s äuge faszt, mir näher springt, und winkt, man hebt mich auf; ich bin entfesselt; will ihm danken; seh* sein ang' in thränen; stnmm ist er, bin ich; er geht, ich bleibe.

wie das zusammenhängt, weisz der ritter selbst nicht ; doch erfahren

wir (I 239) :

man sagt,

dasz Saladin den tempelherm

begnadigt, weil er seiner brüder einem,

den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe,

und dasz es schon viele zwanzig jähr her, dasz dieser bruder nicht mehr lebt.

Durch den scheinbaren zu fall also, dasz der tempelherr grosze ähnlicheit mit einem längst verstorbenen, besonders geliebten bruder des Sultans hat , und dasz durch diese wunderbare ähnlichkeit so zu sagen ein nachklang jener bruderliebe in seinem herzen geweckt wird , durch eine augenblickliche regung des herzens läszt Saladin sich bestimmen , dem tempelherrn das leben zu schenken, und das kostet ihm nichts als einen wink.

344 R. Gast: zu Lefisings Nathan dem weisen.

Der begnadigte tempelherr lebt als des sultans gefangener in Jerusalem, da bricht im hause des Juden Nathan feuer aus; Becba, die für des Juden tochter gilt; schwebt in groszer gefabr zu ver- brennen, der tempelherr hört sie im feuer schreien und rettet sie. der näheren umstände wegen lasse ich hier Dajas erz&hlung Yom

hergang der sache folgen (I 98) :

obn' alle

des hauses kundschaft, nur von seinem ohr

geleitet, drang, mit vorgespreiztem mantel,

er kühn darch flamm* und rauch der stimme nach,

die uns um hilfe rief, schon hielten wir

ihn für verloren, als aus rauch und flamme

mit eins er vor uns stand, im starken arm

empor sie tragend, kalt und ungerührt

vom jauchzen unsers danks, setzt seine beute

er nieder, drängt sich unteres volk und ist

verschwunden.

die gerettete möchte ihm gern danken und läszt ihm das durch Daja sagen, die 'ihm sich mit entzücken nahte, dankte, erhob, entbot, be- schwor, — nur einmal noch die fromme creatur zu sehen, die nicht ruhen könne , bis sie ihren dank zu seinen füszen ausgeweinet'. er liesz sich nicht dazu bestimmen; suchte die zudringliche Daja durch spott und höhn abzuwehren und durch grobheit loszuwerden, auch wo später Nathan selbst kommt und es als eine gunst von ihm erbittet, dasz Recha ihm persönlich danken dürfe , weist er ihn kalt, dann in kränkender, ja tief verletzender weise zurück, und erst nachdem Nathan zu dem mittel gegriffen hat, in ruhiger hinnähme aller kränkung ihn aufs feinste zu verwirren und zu beschämen, erfüllt er ihm seine bitte, aber auch jetzt nicht um des dankes willen, son- dern um damit die kränkung, die er dem Juden vorher zugefügt, wieder gut zu machen.

Die gerettete Recha ist nicht, wofür sie gilt, des Juden Nathan tochter, sondern ein christenkind (IV 493). vor achtzehn jähren bat ein reitknecht ihm ein mädchen von wenig wochen gebracht; das kind schickte ihm ein christlicher ritter, ein herr v. Filneck, dem Nathan viel, sehr viel zu danken hatte, der mehr als einmal ihn dem Schwert entrissen, und zwar schickte er es,

weil die mutter kurz

vorher gestorben war; und sich der vater

nach Qazza plötzlich werfen muste,

wohin das würmchen ihm nicht folgen konnte.

er blieb bald drauf bei Askalon.

Nathan hat sich des mädchens mit der liebe eines vaters an- genommen und es so ganz wie sein eigen kind aufgezogen, dasz es selbst sich dafür hält.

Betrachten wir nun diese drei that«n nach ihrem werte!

Saladin selbst nennt später die seine eine gute that, 'gebar sie auch schon blosze leidenschaft'. Nathan nennt sie ein wunder, ja kein kleines wunder! aber nicht ihres inhalts wegen, sondern weil 'kein gefangener tempelherr je anders als zum gewissen tode

B. Gast: zu Leasings Nathan dem weisen. 345

nach Jerusalem kommt', ^weil man nie gehört, dasz Saladii\ je eines tempelherm verschont', besehen wir die that genau ; so ist es gar keine that im vollen, positiven sinne des wertes, es ist nur eine nnierlassung , und zwar die Unterlassung einer feindseligkeit, ja einer grausamkeit^ der allerdings der tempelherr sein leben zu danken hat.

Die that des tempelherrn wird nicht immer nach gebtihr ge- schätzt; auch Werder wird ihr nicht gerecht, indem er sie mit Sala- dins that ganz gleich stellt, er sagt (s. 33): Mie beiden thaten (Saladins und des tempelherm) sind thaten des moments, des bluts, des naturells, der leidenschaft.' das passt aber nur auf Saladins be- £piadigung und steht auch im widersprach zu dem, was Werder selbst (s. 34) ganz treffend sagt: ^die that des tempelherrn ist eine ritter- that , die zur gewohnheit seines Standes und geschäfts gehört , eine Übung der ordenspflicht , re6exionslos und überwindungslos, und in diesem sinne fast mechanisch vollbracht.' was haben mit all diesen nftheren umständen moment, blut, naturell und leidenschaft zu thun?

Zu gering wird der wert seiner that von manchen angeschlagen, weil er selbst nichts aus ihr zu machen scheint, aber er scheint es nur. wenn er, um Rechas dank abzuwehren und der Zudringlich- keit Dajas ein ende zu machen , dieser gegenüber in derbhumoristi- scher weise von seiner that spricht und mit scheinbarer gering-

schfttzung z. b. sagt (III 100):

tempelherren , die müssen einmal nun so handeln; müssen, wie etwas besser zugelernte hunde, sowohl ans feuer, als aus wasser holen

80 erfahren wir später von ihm selbst, wie wenig es ihm mit solchem Wortlaut ernst gewesen ist; III 108 ruft er, an solche äuszerungen erinnert, aus:

o Daja, Daja! wenn in augenblicken des kummers und der galle, meine laune dich übel anliesz, warum jede thorheit, die meiner zung* entfuhr, ihr hinterbringen?

Aber auch wenn der tempelherr selbst den wert seiner that unterschätzte y dürften wir das deswegen nicht mit ihm thun. für nns bleibt fest stehen, dasz er mit einsetzung des eignen lebens und zwar unter groszer gefahr, selbst den schrecklichen feuertod zu sterben , ohne sich auch nur zu besinnen *, ohne zu fragen , wem es gälte, ein menschenleben gerettet hat eine that, die noch heute, unter gleichen umständen gethan^ eine heldenmütige aus- übung selbstloser nächstenliebe genannt werden müste.

Aber dem tempelherrn fällt es gar nicht ein, den wert seiner

* dasz er gerade darauf sich in seinem Innern doch etwas zu gute thut, klingt aus den bitter-ironischen Worten IV 867 heraus:

Besinnen, allerdings! that ich denn das nicht auch? erkundete, besann ich denn mich erst nicht auch, als sie im feuer schrie?

N. Jahrb. f. phil. u. pid. II. abt. 1895 hft. 7. 23

346 K. Gast: zu Leasings Nathan dem weisen.

that herabsetzen zu wollen auch nicht, wo er Nathan gegenüber

(II 428) sagt: mein leben war mir ohnedem in diesem augenblicke

lästig, denn da spricht er nur von dem einsatz, den er bei der

ausführung der that aufs spiel setzte, und auch das ist subjective

Schätzung; für uns bleibt der einsatz das eigne leben.

Worauf es ihm überall ankommt, wo er von seiner that spricht,

ist dies : darauf hinzuweisen, dasz diese that für ihn als tempelherm

nichts weiter war als seine p flicht, wie er es ganz klar zu Nathan

sagt (II 426):

Es ist der tempelherren p flicht dem ersten dem besten beizuspriDgen, dessen not sie sehn.

Ist dem so, so musz er 'zu stolz' sein, d. h. doch, es unter seiner würde finden, Mank einzuernten, wo er ihn nicht säete' (IV 348). verdient die that dank, so gebührt der also nicht ihm, sondern dem orden, der ihm solche thaten zur pflicht gemacht hat. denn nicht irgend ein beliebiger Christ, nicht er als ritter Card V. Stauffen hat Bechas leben gerettet, sondern in ihm der tempelherr, und dasz Lessing ihn wiederholt aufs nachdrücklichste daraufhin- weisen läszt, ist für die entscheidung der frage, welchen wert er den drei religionen beilegt, von gröster Wichtigkeit.

Nun zu Nathans thatl sich eines fremden kindes anzunehmen wie eines eignen ist unter allen umständen eine liebesthat, zu der gar mancher weder fähig noch geneigt ist. das kind, dessen Nathan sich annimmt, ist das kind eines andersgläubigen das könnte den wert der that zu erhöhen scheinen; aber dieser andersgläubige ist ein freund Nathans, dem er viel dank schuldet, das setzt den wert der that insofern herab , als sie unter solchen umständen für einen mann wie Nathan ganz natürlich, ganz selbstverständlich ist, auch in seinen eignen äugen.

und doch scheint Nathan selbst dieser that den höchsten wert beizulegen! wo Daja (1, 29 ff.), sein recht an Recha bezweifelnd, ihn fragt: eure? eure Recha?

Nennt Ihr alles, was Ihr besitzt, mit eben so viel recht das Eare?

da erwidert er ihr :

Nichts mit groszerm! alles, was

ich sonst besitze, hat natur und glück

mir zugeteilt, dies eigentum allein

dank^ ich der tagend.

Aus der erzählung, die er (lY 7r auftr. 659 ff.) dem klosterbruder

von seiner that gibt, wird klar, wie wir die sache anzusehen haben.

lassen wir auch hier den dichter selbst reden ! Nathan erzählt da :

Ihr traft mich mit dem kinde zu Darun. Ihr wiszt wohl aber nicht, dasz wenig tage zuvor, in Oath die Christen alle Juden mit weib und kind ermordet hatten; wiszt wohl nicht, dasz unter diesen meine frau mit sieben hoffnungsvollen söhnen sich

R. Oast: za LessingB Nathan dem weisen. 347

befanden, die in meines braders hause,

sn dem ich sie geflüchtet, insgesamt

verbrennen müssen.

Als

Ihr kamt, hatt* ich drei tag' und nacht* in asch'

und staub vor gott gelegen und geweint.

geweint? beiher mit gott auch wohl gerechtet,

gezürnt, getobt, mich und die weit verwünscht;

der Christenheit den unversöhnlichsten

hasK zugeschworen

Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.

sie sprach mit sanfter stimm*: 'und doch ist gottl

doch war auch gottes ratschlusz das! Wohlan!

komm! übe, was du längst begriffen hast;

was sicherlich zu üben schwerer nicht,

als zu begreifen ist, wenn du nur willst.

steh auf! Ich stand! und rief zu gott: ich will!

willst du nur, dasz ich will! Indem stiegt Ihr

vom pferd, und überreichtet mir das kind,

in Euern mantel eingehüllt. Was Ihr

mir damals sagtet; was ich Euch: hab' ich

vergessen, so viel weisz ich nur; ich nahm

das kind, trug's auf mein lager, küszt' es, warf

mich auf die knie und schluchzte: gott! auf sieben

doch nun schon eines wieder!

Aus diesem berichte Nathans geht hervor: nicht dasz er sich Bechas angenommen hat, erscheint ihm als eine besondere tbat, son- dern ihren besonderen wert erhält diese tbat fQr ihn durch die be- sonderen umstände, unter denen er die sonst, wie wir schon gesehen, ftlr einen Nathan selbstverständliche tbat ausführte, dasz er nach dem schwersten herzeleid, das ihm widerfahren konnte, aus einem langen^ schweren kämpfe mit dem eignen herzen als sieger bervorgegangenf ist, dasz die erkenntnis des rechten in ihm auch den willen gezeitigt hat, das rechte zu thun, das ist es, was er tugend nennt, erst nach- dem er diese that der Selbstüberwindung vollbracht hat, nachdem er diesen sieg sich abgerungen , wird ihm das kind des freundes ge- bracht und damit ihm von gott selbst als ein lohn für seine Selbst- überwindung mit der gelegenheit, an einem christenkinde liebe zu üben, zugleich ein gewisser ersaiz für die verlorenen lieben gegeben, von diesem subjectiven Standpunkte aus betrachtet, ist Nathans liebesthat von den dreien die gröste.

Betrachten wir nun, in welchem Verhältnis die drei guten thaten zur religion der drei männer stehen!

Saladins that hat mit der religion gar nichts zu thun; sie ent- springt einem nachklang der bruderliebe, der durch den anblick des tempelherrn in ihm geweckt wird, ja, dasz sie von Nathan ein wunder genannt wird, soll uns daran erinnern, dasz die bekenner des Islam sonst es für ihre pflicht hielten , die andersgläubigen zu vernichten , so dasz selbst ein so edler mann , wie Saladin es war, alle tempelherren , die vorher in seine band gefallen waren , ohne ausnähme hatte köpfen lassen, so erscheint denn seine that eher als eine that wider den geist seiner religion.

23*

348 R. Gast : zu LeBsings Nathan dem weisen.

Nathans und des tempelherrn liebesthat sind beide reli- giösen Ursprungs.

Nathan ist ein frommer Jude, und so gilt für ihn und bei ihm das gebot des alten testaments : du sollst deinen nächsten lieben, als dich selbst, dieses gebot hält aber den frommen Juden nicht ab, für schweres ihm angethanes herzeleid der Christenheit den unversöhn- lichsten hasz zuzuschwören. Nathan ist eben ein Jude, und fUr ihn als Juden gibt es jene tiefste und weiteste deutung des gebots der nächstenliebe noch nicht, die Jesus mit dem gleichnis vom barm- herzigen Samariter gegeben hat, noch nicht jenes das höchste for- dernde gebot: liebet eure feinde 1 segnet, die euch fluchen ! thut wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen I

Aber Nathan ist ein weiser Jude, und so hat er längst be- griffen, dasz dies das rechte, das göttlichste ist aber das zu üben, was er als das höchste anerkannt hat, das kostet ihn, den frommen Juden, doch erst einen langen, schweren kämpf, und da er den in diesem kämpfe errungenen sieg nicht als etwas selbstver- ständliches, sondern als eine besondere, ungewöhnliche that ansieht, so erscheint seine that als eine that über den geist seiner religion.hinaus.

Und der tempelherr? er sagt (IV 346) zu Saladin:

Du weiszt von NathaDS tochter, Saltan. was

ich für sie that, das that ich weil ich's that.

das heiszt doch nichts anders als: ich habe die that um ihrer selbst willen gethan, das gute, weil es gut war. er that es, wie so oft und stark betont wird, weil es seine, des tempelherrn, pflicht war, so zu handeln, pflicht der tempelherren aber sind solche thaten, weil ihr orden ein christlicher orden, weil sein zweck es darnach ist, Christi gebot der nächstenliebe im vollen und weitesten sinne zu üben, ja dieser Übung das ganze leben zu widmen, so ist denn die that des tempelherrn so recht eine that aus dem geist seiner religion heraus.

Aus dem gesagten ergibt sich nun von selbst der folgende ge- dankengang: ist das höchste, dessen der mensch fähig ist, die liebe, und ist das höchste sittliche gebot dies, den nächsten (in Jesu sinne genommen) ebenso zu lieben, wie gott und sich selbst, so steht sicherlich die religion am höchsten, aus der die gröste liebesthat eines menschen, mit einsetzung des eignen lebens einem andern das leben zu retten, herausgeboren wird nicht als etwas wunderbares, nicht erst nach schwerem kämpf mit dem eignen herzen durch Selbst- überwindung, sondern als etwas selbstverständliches, aus freistem, augenblicklichem entschlusse, ohne eine frage darnach, wem die that gilt, ohne alle selbstische gedanken und absiebten, mit verzieht auf jeglichen dank und lohn, und diese religion ist in Nathan dem weisen das Christentum!

Dessau. E. R. Gast.

O.Weissenfels: anz. y. A. Biese die philosophie des metaphorischeu. 349

33.

Alfred Biese, die Philosophie des metaphorischen in Grund- linien DARGESTELLT. Hamburg und Leipzig, verlag von L. Voss, 1898. VIII u. 229 8.

Einem wichtigen, vielfach verkannten, kaum je bisher in seine letzten tiefen verfolgten begriffe sucht diese monographie sein volles recht zu teil werden zu lassen, der räum, den sie umspannt, ist ein angeheurer, wohin der verf. auch blickt; überall regt sich ihm das 80 schwer verkannte, zu einer rhetorischen figur, zu einem verkürzten gleichnis herabgewürdigte metaphorische, in welchem er selbst viel- mehr den eigentlichen g^nie inspirateur alles geistigen leben s erkennt. um die ganze Vielseitigkeit seiner wirkungsart klar zu legen, glaubt er demnach bei den ersten regungen des schauens und denkens in der kindlichen seele beginnen und sich dann über alle wichtigen und charakteristischen gebiete menschlicher kunst und thätigkeit ergehen zu müssen, er behandelt der reihe nach das metaphorische in der spräche, das metaphorische im mythos, das metaphorische in der religion, das metaphorische in der kunst, das metaphorische in der Philosophie, das letzte capitel macht für sich allein die hälfte des ganzen buches aus: es ist ein abrisz der geschichte der pbilosophie, von Thaies anhebend bis auf Nietzsche.

Was zunächst den ausgangspunkt des Verfassers betrifft, so darf man vielleicht finden, dasz er sich durch einen gar zu weiten Zwischenraum von seinen Vorgängern in alter und neuer zeit ge- trennt glaubt, unter den zahllosen, die im altertum rhetoriken ge- Bchrieben haben, waren die meisten allerdings nachsprecher und syllabarum aucupes, wie das stets zu geschehen pflegt, wenn ein problem lange ausschlieszliches lieblingsproblem für alle sich zum denken und schreiben berufen glaubenden bleibt, andere aber redeten nur der kürze halber so , als wenn , was man tropen und figuren nennt, etwas nachträglich zur ausschmückung dem nüchternen gedanken aufgesetztes wäre (ornamenta extrinsecus allata). was die rhetorik des Aristoteles betrifft, so ist sie reich und interessant in psychologischer hinsieht; aber das geheimnis der schönen form klärt sie nicht auf. dies lag der ganzen art dieses philosophen auch zu fern : die problome der rhetorik sind für ihn nicht ästhetische, sondern logische probleme. eine sehr glückliche ergänzung dazu bilden die rhetorischen Schriften Ciceros, die der form wie dem in- halte nach zu den besten Schriften aller zeiten gehören, der leitende gedanke in diesen Schriften ist nun eben dieser, dasz werte und ge- danken von natur eins sind, und dasz es einer falschen rhetorik huldigen heiszt, wenn man zu dem gedanken immer ein möglichst reiches und glänzendes gewand sucht, wo zwischen wort und ge- danken eine vollkommene harmonie hergestellt ist, da ist das form- ideal erfüllt, die metapher und alles, was man als glücklich im ausdruck bezeichnet, ist in Ciceros äugen nicht etwas durch nach trag-

350 0. Weissenfelti: anz. y. A. Biese die philosophie des metaphorischen.

liehe manipulationen hinzugefügtes, sondern etwas, so weit es be- rechtigt ist, dem gedanken selbst inhärierendes. verba, sagt er (de orat. II 34, 146) satis omata mihi quidem videri solent, si eins modi sunt , ut ea res ipsa peperisse yideatur. weiter in diesem punkte zu gehen I war in einer zeit, wo man das wesen nnd den Ursprung der spräche noch nicht hinlänglich klar und tief erfaszt hatte , nicht gut möglich, die auffassung der metapher, welche der yerf. bekftmpft; ist eigentlich die Gottscheds, über dessen ftuszerliche art, den Ur- sprung und den reiz des poetischen zu erklftren, ist doch aber genug- sam gespottet worden, es werden nur selten glückliche metaphem sein , mit denen man nachträglich , was man niedergeschrieben hat, verbrämt, diejenigen anderseits, welche bei der ersten formgebung sich von selbst der feder aufdrängen und bis in das erste dftmmern des gedankens zurückreichen, werden fast ausnahmslos bezeichnend und energisch sein, die ganze Sprachbetrachtung aber stützt sich Stiit Hamann und Herder auf eine psychologische grundlage. auch der verf. des nüchternsten lehrbuchs von heute weisz das , wenn er auch nicht unaufhörlich auf diesen tiefern grund hinweist, was dem- nach ein so dichtes und so weit verzweigtes netz über alle formen der rede hat spinnen können , wie die metapher , was , wie sie , mit bewustsein bald, bald völlig unbewust, von menschen jedes alters und jeder geistesanlage fortwährend gebraucht worden ist und ge- braucht wird , das musz in der natürlichen art und tendenz unseres geistes wurzeln, dies ist der grundgedanke des Verfassers, und damit hat er vollkommen recht, aber neu kann das alles einem mit der jetzigen psychologischen Sprachbetrachtung und Spracherklärung vertrauten nicht scheinen, man ist deshalb erstaunt, wenn man den verf. in gar so feierlichen und verzückten werten erzählen hört, wie ihm zuerst, unter der nachwirkung eines früher behandelten Pro- blems, dieser herliche gedanke aufgegangen ist.

Neu aber ist allerdings die ausnutzung des begrififs des meta- phorischen zur beleuchtung der übrigen gebiete menschlichen Schaffens, wenn in der spräche, welche die eigentümlichste und wichtigste Schöpfung des menschen und das geklärte resultat seines gesamtkönnens ist, das metaphorische eine so bedeutende rolle spielt, so musz sich allerdings auch in allen übrigen menschlichen hervor- bringungen, welche dem kern unseres wesens entsprieszen, die trieb- kraft des metaphorischen nachweisen lassen, gebiete dieser art, welche nur bei energischer thätigkeit der eigentümlichsten kräfte unseres inneren angebaut werden können, sind aber die religion, die kunst, die philosophie. mit diesen beschäftigt sich demgemäsz das buch.

Worin aber äuszert sich dieser metaphorische trieb, der dem menschlichen gedanken die richtung weist, ihm sein charakteristi- sches zeichen aufdrückt? in der einsetzung des bekannten für das fremde, des sinnlichen für das geistige, des geistigen für das sinn- liche, und woraus erklärt sich diese tendenz unseres denkens? aus

O.Weisaenfels: anz. v. A. Biese die philosophie des metaphorischen. 351

unserer doppelnatur selbst, antwortet der verf., Mie ja nichts anderes ist als Verkörperung des geistigen und vergeistigung des körper- lichen', was wir in uns erleben, dieses gewisse, übertragen wir auf die in ihrem gründe uns fremden und rätselhaften dinge , und nach dem bilde unserer natur setzen wir in dem äuszeren, das uns ent- gegentritt, ein inneres voraus, das so gefundene ist allerdings nicht die absolute Wahrheit : es trägt den Stempel seiner entstehung , des Bubjectiven, phantasiemäszigen. 'wer wollte aber darum in der ver- gänglichen, von dem metaphorischen durchsetzten hülle den ewigen kern verkennen , wer zum nihilismus sich herabwürdigen , weil nun doch einmal der menschliche gottesbegriff die absolute Wahrheit nicht in sich schlieszen kann, weil wir ihn in seiner reine und un- wandelbarkeit nur ahnen können , und das auch nur nach maszgnbe unseres eignen endlichen ich?' nicht als lug und trug will der verf. das metaphorische aufgefaszt sehen , sondern als eine naturgemäsze schranke in unserem denken und glauben, die phantasie des künstlers nnn vollends lebt und webt im metaphorischen, so dasz die dichterische metapher als ein abbild des gesamten processes künstlerischer her- yorbringungen gelten kann, menschliche empfind ung und geistiges bewustsein auf fremde gebiete übertragend , gehorcht der künstler dem eigentümlichsten impulse seiner natur. so allein glaubt er das objective adeln, die natur in die sphäre der kunst erheben zu können. Doch das alles ist nur verspiel zu dem hauptabschnitte, der die hälfte des buches einnimmt und von dem metaphorischen in der Philosophie handelt, 'alles urdenken', sagt der verf. mit Schopen- hauer, 'geschieht in bildern: darum ist die phantasie ein so not- wendiges Werkzeug desselben', der verstand und die phantasie be- dürfen einander notwendig und können das eine ohne das andere nichts rechtes leisten, erkennen und denken können nie ihren sub- jectiven Ursprung verleugnen, die weit mit unseren sinnen ; mit unserem denken erfassend, gestalten wir sie zugleich nach dem bilde unseres wesens um. so erklärt es sich, dasz auch die philosophie von metaphorischen dementen durchsetzt ist. ist sie darum aber auf trug und auf willkür gegründet? nein! in jenen metaphorischen elementen haben wir die notwendigen schranken unseres denkens zu erkennen, nur in den tiefen unseres seins können wir die erklä- rung der auszendinge schöpfen, die höchsten probleme gerade lassen nur eine gleichnisartige lösung zu. deshalb wird der metaphjsik immer etwas von der dichtung anhaften, auf objective Wahrheit also musz der mensch verzichten, doch der verf. schlieszt so weiter: unser denken und dichten würde nicht so metaphorisch sein, wir würden uns in unserem wesenskerne nicht zum masze des alls machen können , wenn das all nicht im gründe uns verwandt wäre, freilich sind wir selbst an die schranken des endlichen gebunden, deshalb müssen wir dem über die erfahrung hinausgehenden , dem unend- lichen, dem rein geistigen die hülle des endlichen leihen, um es ver- stehen zu können, zu gleichnissen und bildern unsere Zuflucht nehmen.

352 0. WeiBsenfels : anz. y. A. Biese die philoBophie des metaphorischeo.

um es uns deuten zu können, das ist das schluszresultat dieser Philo- sophie des metaphorischen.

Man sieht, dasz das lob, welches in diesem buche der schöpferi- schen kraft und schönheitsfülle des metaphorischen gespendet wird, auf eine verherlichung der phantasie hinausläuft, im gegensatz zur nüchternen, verstandesmäszigen betrachtung. ^es hat immer banau- sische Seelen gegeben', sagt der verf., 'welche das metaphorische und damit die poesie auszufegen sich bemühen und den verstand zum alleinherscher erheben, die phantasie aber zum Aschenbrödel ernied- rigen wollen.' aber die phantasie ist nicht blosz dazu da, etwas glänz und fülle über einen nüchternen, einfarbigen grund auszubreiten, in das gemeine und traurig- wahre, wie Schiller sag't, bilder des gol- denen Scheins zu weben, sie wird hier vielmehr als eine enthüllerin der Wahrheit gefeiert, das höchste und tiefste, das der mensch in seinem innem empfindet, meint der verf., liesze sich nicht anders als in bildern und gleichnissen ausprägen, und wo der verstand eben nicht ausreiche , müsse die phantasie ihre hilfe leihen, so sind z. b. die mythen bei Plato nicht ein dem substanziellen seiner lehre auf- gesetzter zierrat, der dem ganzen ein einladendes aussehen geben will, sondern sie sind die krönung des gebäudes. was dem gesagten nach erschöpfung der üblichen ausdrucksmittel noch mangelte , soll unter Verwertung einer weiter dringenden kraft hinzugefügt werden, ja die kunst ist in allen ihren formen eine mächtigere offenbarerin als die Wissenschaft, deren kreis ein engumgrenzter ist. in alle tiefen wagt sie sich hinab, zu allen höhen steigt sie empov. wie wenig wäre der edelsten Sehnsucht des menschen genügt, wenn wir auf die Wissenschaft allein angewiesen wären! was diese bieten kann, ist immer nur Stückwerk, sie bietet nicht speise, die sättigt; sie ist nicht der brunnen, woraus ein trunk den durst auf ewig stillt, weit ihr voraus , weit über sie hinaus eilt die kunst in ihren manig- faltigen gestalten, darum, wer dieser stimme nicht vernimmt, bleibt ein barbar, er sei auch, wer er sei. ja, die Wissenschaft selbst kann nicht zur wahren Wissenschaft werden, wenn sie eigensinnig und in falschem dunkel die hilfe jener gestaltenden und dem ganzen zu- strebenden kraft, deren eigenstes gebiet die kunst ist, von sich weist, was erst, nachdem Jahrtausende verflossen, die alternde Vernunft er- fand, sagt Schiller, lag ein symbol des schönen und des groszen vorausgoofifenbart dem kindischen verstand, und diese geoffenbarten Wahrheiten, welche die kunst bietet, könnte mau im sinne jenes Lessingschen gedankens von der erziehung des menschengeschlechts sagen, sind bestimmt, allmählich in Vernunft Wahrheiten umgewandelt zu werden, wie weit das möglich ist, wer vermag es zu sagen? viel- leicht wird stets ein incommensurabler rest bleiben, welcher seiner natur nach dieser ^eiaßacic €lc fiXXo ^evoc widerstrebt.

Betrachtet man es von dieser seite, so kann man dieser ver- herlichung des metaphorischen zustimmen, nach kurzem besinnen aber wird man hinzufügen, dasz da doch eine kraft waltet, welche

O. Weisaenfels : anz. y. A. Biese die philoeophie des metaphorischen. 353

za ausschreitungen geneigt ist und der man die zügel nicht ohne weiteres überlassen kann, wäre dem nicht so, wie hätte da über- haupt ein streit darüber entstehen können, ob die Vernunft oder die Phantasie führerin und ganius des dichters sei? was wäre die spräche, und nicht etwa blosz die spräche der dichter, ohne das metaphorische? aber der verf. gesteht doch auch , dasz es häszliche metaphorische bildungen gibt, er äuszert sich über diesen punkt nicht genauer, an einer stelle aber will es mir doch scheinen , als grienge er in seine): liebe zur metapber zu weit, er druckt nämlich 8. SO eine zeitungskritik ab, die nach meinem urteile ein wahres masterstück einer geschmacklosen, albernen, knabenhaft -unreifen Schreibweise ist. wenn ich ihn aber recht verstehe, bewundert er diese metaphorischen schätze, in Wirklichkeit steht die sache so. eine spräche, in der sich das metaphorische nie und nirgends oder gar so selten regt, ist nüchtern und farblos und entbehrt der rechten eindringlichkeit. nur die specialwissenschaft darf so reden ^ wenn sie von dem centralen menschlichen interesse weitabliegende Pro- bleme behandelt, eine spräche anderseits , welche alles in bild und gleichnis umzusetzen sucht, verliert leicht den unschätzbaren vorzug einer soliden Verständlichkeit, touc irävTa ^eracp^povrac alviT^ara TP<i9€iv, sagt Aristoteles, mag auch beim Ursprünge der spräche und auch noch während ihrer ersten periode das metaphorische ein bedeutendes übergewicht gehabt haben, in der folge überwog das verstandesmäszige, und die metapber, selbst die glückliche, aus den tiefen des gedankens entsprossene metapber, wurde als ein f^buc^a, als ein glänz und wärme spendender schmuck betrachtet wer immer nur in bildern und gleichnissen schwelgt, wird bald die fähigkeit verlieren, klar und zusammenhängend zu reden, diese fUhigkeit soll aber auch der dichter besitzen, auch in versen musz man etwas faszbares sagen, eine von dem, was man gedanke nennt, losgelöste poesie , die immer nur bilder und schmeichelnde laute bietet , läszt nicht blosz den köpf leer, sondern hat auch keine in die seele dringende kraft, die metapber ist also etwas, was auch gemis- braucht und ungeschickt gebraucht werden kann, sicherlich kann man aus den werken der groszen dichter ganze bände voll der schönsten, glänz und wärme ausstrahlenden metaphern zusammen- stellen, gestehen wir aber, dasz sich dem ebenso reiche Sammlungen unklarer, verunglückter, manierierter metaphern gegenüberstellen lassen, welche sich mit bleierner schwere auf den geist des lesenden legen und nicht poetisch, sondern verdrieszlich stimmen, gestehen wir sogar, dasz selbst die echten und groszen dichter sich viel solche ftsthetische standen haben zu schulden kommen lassen, im allgemeinen wird ja viel zu schnell geschrieben und viel zu schnell gedichtet, auch ein bild will ruhig ausgestaltet sein, nicht alles , was wie ein blitz uns aufleuchtet, ist auch wirklich brauchbar, wenigstens hält es nachher oft schwer, ihm jene das nachemp6nden ermöglichende anschaulichkeit zu geben, in andern fällen hat sich der dichter.

354 0. Weissenfels : anz. y. A. Biese die philosophie des metaphorischen.

augenscheinlich in dem eitlen bestreben, etwas ganz besonderes, von dem gemeinen weitabtiegendes zu sagen, in ein gleichnis hinein- gequftlt. metapbem aber, die in grüblerischer pein ersonnen sind, üben nie eine beseligende Wirkung, ist es auch .pedanterei, den dichter mit den kühnheiten seiner spräche immer vor das tribonal der strengen logik zu fordern , so dürfen die metaphern doch nicht wie aus einem dumpfen rausche geboren scheinen, dürfen nicht das aussehen von flebervisionen haben, die wahre metapher entrückt vielmehr dem trüben erdenäther und strahlt himmelsklarheit aus, selbst wenn sie noch so weit über die grenzen der alltäglichen Sinneserscheinungen hinaus zwingt, es stimmt dumpf und verdriesz- lich, wenn sich die phantasie an einem unrealisierbaren bilde müde arbeiten musz , zumal wenn dergleichen schnell auf einander folgt, auch anschauend und empfindend will der mensch zugleich doch auch verstehen, was haben die modernen lyriker aber in dieser hin- sieht nicht alles gewagt! dicht neben dem erfrischenden nnd erhebenden steht oft das offenbar mislungene und geradezu un- geheuerliche, man schlage so einen band gedichte an beliebiger stelle auf: man wird selten lange zu lesen brauchen , ohne dasz sich zu dem schönen das häszliche und verschrobene fügt es soll nicht geleugnet werden, dasz es auch unter den modernen dichtem solche von plastischer phantasie gibt, bei denen überspannte und -in sich unwahre metaphern sehr seltene ausnahmen sind , aber im all- gemeinen wird man sagen dürfen , dasz selbst die besten für eine ästhetik des häszlicben reiche beitrage liefern würden, wählen wir ein beispiell welch ein gemisch von klar und unklar geschautem bei dem höchst vortrefflichen Lenau oft in demselben gedichte ! da findet sich z. b. in der Sammlung ein sehr ernstes und gehaltvolles, mit der Überschrift 'Beethovens büste'. von Beethovens liedern heiszt es dort, dasz 'sie jubeln, leben schmetternd, dasz die tiefsten gräber klüften, und ein dionysisch taumeln rauschet über allen grüften'. das ist ebenso schön als gewaltig gesagt, es wäre arm- selige pedanterei , an dieser hyperbel anstosz zu nehmen, aber man höre weiter, um die liebeslieder Beethovens zu charakterisieren, heiszt es dann weiter: 'keime künftiger nachtigallen träumen auf korallenzweigen.' dazu musz man lächeln, und wer es ernst nimmt mit diesem vergleiche, wird es durch kopfschmerzen büszen müssen, von andern liedern heiszt es, es seien dem naturgeist abgelauschte lieder, 'die er spielt auf mondstrahlsaiten , ob dem abgrund aus- gespannten , deren rby thmen in der erdnacht starren zu krystallen- kanten', mit einem noch gigantischeren bilde werden die Sym- phonien charakterisiert: 'in der Symphonien rauschen, heiligen gewittergüssen, seh' ich Zeus auf wölken nahn und Christi blut'ge stirne küssen.' eine tief erregte empfindung blickt aus alle dem her- vor, aber es sind doch verunglückte versuche, unklar geschautes und gedachtes in bildem und gleichnissen zum ausdruck zu bringen. Dasz die tendenz zum metaphorischen ausdruck in der spräche

O. WeiBsenfidlB : ans. y. A. Biese die philosophie des metaphorischen. 355

selbst liegt, ist klar, aber die spräche bat ihre lebensalter, wie Herder sagt, seitdem sie aus ihrem kindeszeitalter heraus ist, liegt ihr wenig- Btens ebenso viel an verstandesmäsziger wie an sinnlicher klarheit. die metaphem verblassen immer wieder, und ausdrücke voll herlich- ster anschanlichkeit werden von der groszen menge der schreibenden nnd sprechenden offenbar mit stumpfer gleichgültigkeit neben vielen andern als formein zur nttchtemen gedankenmitteilung gebraucht. so sind oft trümmer edler tempel mit verwendet worden, um gemeine ^ohnhftuser aufzubauen, auszerdem hätte es sich verlohnt, darauf hinzuweisen, dasz die bevorzugung des metaphorischen ausdrucks wiederholentlich litterarische perioden von lächerlicher geschmack- losigkeit hat entstehen lassen, worin anders bestand die perfecta Atticorum sanitas , als darin, dasz sie maszvoll und nur an richtiger stelle das metaphorische vorwendeten, im gegensatz zum schwulst der Asianer, deren stil vor allem auch zu reich an metaphern war. auch in Frankreich gehört zu den charakteristischen zeichen der pröciositö der misbrauch und die pedantische ausnutzung des meta- phorischen, im gegensatz dazu lobt man die sobri6t6 der scharf und klar schreibenden, die sprachliche anstrengung musz dem gedanken proportioniert sein, was einfach ist, musz in einfacher weise zum ausdruck gebracht werden, es heiszt sich schlecht ausdrücken, wenn man stets wie in dithyrambischer trunkenheit redet und nach den stärksten und entlegensten mittein greift , um dinge zu sagen , die am sichersten mit nüchternem verstände bewältigt werden, es ist eine falsche Vornehmheit des ausdrucks, wenn man immer darauf aus ist, den eigentlichen ausdruck in einen metaphorischen umzu- setzen, das schafft eine orakelhafte dunkelheit. zugleich stimmt es yerdrieszlich, wenn man sich immer erst darauf besinnen musz, was diese verba lepido fucata sonore , wie Lucrez sagt , als des pudels kern hinter sich bergen, vor allem verdiente auch darauf hin- gewiesen zu werden, dasz selbst Shakespeare der euphjiptischen Ziererei seiner zeit sehr weit gehende Zugeständnisse gemacht hat: wer nach innerlich falschen oder zur unzeit gebrauchten metaphern sucht, wird bei ihm sogar eine reiche auswahl finden.

Nach den erörterungen des Verfassers musz es scheinen, als stelle der hang zum metaphorischen die eigentümlichste und vor- nehmste Seite der menschlichen begabung dar. dem ist nun wohl nicht so: auch in zukunft wird die vemunft vielmehr als des menschen allerhöchste kraft gefeiert werden, in ihr erblickten nicht blosz die nüchternen stoiker, sondern auch der schwungvolle Plato, der in metaphorischen gleichnisreden so gern seine tiefsten gedanken ansklingen liesz, das wahre f)Y€^oviKÖv unseres innern. der gött- liche lenker des Platonischen seelenwagens im Phädrus ist der Neue, den metaphorischen trieb aber könnte man dem edleren der beiden rosse, dem 6u^dc vergleichen, so lange dieses in die höhe und weite strebt, ohne sich dabei rebellisch gegen seinen herrn und roeister aufzuleben, geht alles gut. zu selbständigem thun aber ist es wenig

356 0. WeisBenfels : anz. y. A. Biese die philoeophie des metaphorischen.

geschickt, hin und wieder ein ruck des zügels musz es in der rieh- tung erhalten , sonst rast es sich müde und kehrt nach fruchtlosem irren erschöpft an den ort seines ausgangs zurück, es ist pedanterei und rationalistische plattheit, den metaphorischen gestaltungstrieb als verwirrend und yerftthrerisch in uns zum schweigen bringen zu wollen, das heiszt sich freiwillig verstümmeln und auf die beihilfo einer gewaltigen kraft verzichten, mit der im bunde die führende Vernunft sich zu überschauenden höhen emporschwingen kann, welche ihrer eignen anstrengung allein unerreichbar sind, auf der andern seile aber ist es eine unklare und gefährliche Schwärmerei, alle vemunftmäszige besonnenheit abzuschütteln und alles immer nur im gleichnis schauen zu wollen, es ist wahr, dasz die ofifen- barungen der kunst über das, was die nüchterne Wissenschaft zu bieten vermag, weit hinausgehen, man kann sogar zugeben , dasz die Wissenschaft selbst, sobald sie aus dem vorbereitenden Stadium des zusammensuchens und sichtens heraustritt, die hilfe des meta- phorischen nicht entbehren kann, mag sie sich nun der reconstruc- tion des vergangenen oder der erforschung der natur zuwenden, gleichwohl ist es für jeden normalen menschen ein gebieterisches und unausrottbares bedüifnis , über alle gebiete die sonnenklarheit der begrifflichen und vernünftigen erkenntnis auszubreiten, was dichtung und kunst in gleichnis und sjmbol gehüllt darbieten, wird von allen , welche sich den vollen reichtum der menschlichen anläge inmitten ihrer vielleicht sehr nüchternen berufsthätigkeit bewahrt haben, mit andacht entgegengenommen, aber eine finale beruhigong vermag die gleichnisartige erklärung nicht zu gewähren, wohl richtig, dasz es dem menschen für immer versagt bleiben wird, die Wahrheit von angesicht zu angesicht zu schauen, was die höchsten probleme wenigstens betrifft , so wird wohl stets ein unauflösbarer rest übrig bleiben, mit welchem sich sein vemunftmäsziges erkennen immer abmühen wird, aber das brennende verlangen, hinter dem schleier des metaphorischen das bild der Wahrheit selbst zu schauen, beweist doch klar, dasz die menschliche erkenntnis nicht in der fähigkeit, ähnlichkeiten aufzudecken und nach dem bilde des eignen wesens die unendlichen weiten der natur zu beseelen, gipfelt.

Wie aber? kann man weiter fragen, gibt es keine charakteri- stischen zeichen, welche die phantastische willkür von der in bild und gleichnis gekleideten Wahrheit zu unterscheiden gestatten? ganz unzweideutige, die in jedem einzelnen falle eine ganz sichere antwort geben, wohl nicht, daraus erklärt es sich, dasz wüste träumereien oft ein unverdientes ansehen genossen haben, aber zum glück fehlt dem blosz phantastischen die triebkraft. es wuchert nur eine kurze zeit lang, dann welkt es und fällt vertrocknet ab vom bäume der menschheit. überdies kann ihm die nächste sichere erkenntnis be- scheidenster art den todesstosz versetzen, opinionum commenta delet dies, sagt Cicero, naturae iudicia confirmat. auch der klar- sehende und klarempfindende mensch ist nur selten im stände, über

O. Weiisenfels: anz. t. A, Biese die philosophie des meUphoriscben. 357

symbolische lösungen des weltrStsels in dem einen oder andern sinne ein logisch unanfechtbares urteil abzugeben , aber er ist sich in seinem dunkeln dränge des rechten weges wohl bewust, und wenn ein phantastisches gleichnisspiel trotz aller tönenden worte in seinem innem kein echo erweckt , so hält er eben mistrauisch mit seinem beifall ssurück.

More geometrico wird man also niemals beweisen können, dasz die metaphorische erklärung eines dem nüchternen verstände un- zugänglichen Problems die allein richtige ist. unter dem schütze solcher Unanfechtbarkeit hat sich denn auch zu allen zeiten viel wüster unsinn hervorgewagt, auch erklärt sich daraus die ab- neigung der positiven geister gegen diesen freien, den boden des controllierbaren verlassenden constructionstrieb. es ist deshalb durchaus zu wünschen , dasz von zeit zu zeit ein buch , wie dieses, erscheine; in welchem die höheren rechte der phantasie gewahrt werden, mit ebenso viel schärfe übrigens als wärme wird auch der Philosophie das recht solcher logisch nicht weiter zu begründenden erklärungen von Lange in seiner vortrefflichen geschichte des materialismus gewahrt, formell, sagt dieser, möge freilich mit den Sätzen der kritik der reinen vemunft alles angefochten werden können, was an Ichrmeinungen jenem idealistischen gestaltungs* und erkenntnisdrange entsprungen sei, aber der hellste lichtstrahl der kritik vermöge doch keinen ersatz dafür zu bieten, nicht der zufall habe jene weit der dichtung entstehen lassen ; sondern sie sei eine notwendige , aus den innersten lebenswurzeln der gattung hervor- brechende geburt des geistes. es sei dem menschen eben eingeboren, die Wirklichkeit durch eine von ihm selbst geschaffene idealweit er- gänzen zu wollen, selbst wenn dieser idealismus sich in Phan- tastereien verliert, ist er ein begeisterter Stellvertreter höherer, un- bekannter Wahrheiten, nach welchen wir uns sehnen, allein die aus den dichtenden tiefen des gemüts geborene idee vermag uns har- monische befriedigung gewähren, weil eben keine einzelnen auf- klärungen der exacten Wissenschaften den abgrund unseres Ver- langens nach erkenntnis ausfüllen können, so wird im gegensatz zu ihrer unvollständigkeit die weit der ideen zur bildlichen Stellvertre- tung der vollen Wahrheit, jene höheren Wahrheiten, sagt Lange, ent- sprechen dem stärkeren zuge des herzens, gegenüber der nüchternen erkenntnis, welche den verstand mit kleiner münze bereichert, so sind viele Schöpfungen einer gewagten und gleichsam unbewust dichterischen combination entstanden, welche dennoch durch ihren geist und gebalt trotz aller logischen Unzulänglichkeit tiefe und groszartige Wirkungen ausgeübt haben.

Gr.-Lichterpelde bei Berlin. 0. Weisöf.nfels.

358 A. Sterz : anz. y. Fr. HolzweisBig leitfaden £• d. evang. religionsonterr.

34.

LEITFADEN FÜR DEN EVANGELISCHEN RELIGI0N8UNTEBRI0HT IN HÖHEREN LEHRANSTALTEN. NACH MA8ZGABE DER LBHRPLÄNB VOM 6. JANUAR 1892 BEARBEITET VON DR. Fr. HoLZWEISSIO, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN VICTORIA - GTMNASIUMS ZU BURG. I. teil: PENSUM DER UNTER- UND MITTELSTUFE. 1. ABTEILUNG:

kirchenlieder, katechisbfus-erklärung und sprüche, sowie Oberblick über Kirchenjahr und Ordnung des Gottes- dienstes. 2. ABTEILUNG: BIBELKUNDE*, GESCHICHTE DES REICHES GOTTES IM ALTEN UND NEUEN TESTAMENT; REFORMATIONS- GB8CHICHTE. II. TEIL: PENSUM DER OBERSTUFE. Verlag VOn

Reinhold Pabst, Delitzsch. 1893.

Auszer dem bilfsbnch und dem repetüicnsbuch für den evange- lischen religionsunterricbt in den oberen classen höherer lehranstalten hat der Verfasser den vorliegenden leitfaden im engen anschlusz an die neuen preaszischen lehrpläne herausgegeben, nach maszgabe dieser ist der gesamte lehrstoff für alle stufen des gymnasiums ab- gegrenzt und bisweilen in gedrängter kürze, aber doch immer in stilistischer abrundung und mit einer kl arbeit und Übersichtlichkeit behandelt, die häufig solchen leitfaden fehlt, namentlich wird die Übersichtlichkeit durch anwendung verschiedener lettern, häufige absätze und andere zweckmäszige mittel wesentlich erleichtert, wer die beiden andern bttcher des Verfassers kennt, findet in dem leit- faden vieles, was jenen entnommen ist; und doch darf man diesen nicht etwa für eine blosze Überarbeitung jener halten, denn ab- gesehen von dem gröszeren umfange des lehrstoffs, wird die dar- stellung des leitfadens, in der die innere Überzeugung und das be* sonnene urteil des Verfassers in gleicher weise zum ausdruck kommen, mehr als früher von dem gesichtspunkte beherscht, hauptsächlich die- jenigen gebiete der religionslehre, die unmittelbare bedeutung für gesinnung und gemüt der schüler haben , recht ausführlich , andere dagegen nur kurz zu behandeln und noch andere ganz zu übergehen.

Die le abteilung des I teiles enthält zunächst eine gröszere anzahl von kernliedern, und zwar zu kirchlichen festen, für andere besondere zeiten und gelegenheiten und lieder allgemeinen inhalts. an diese Sammlung schlieszt sich der Wortlaut der hauptstücke des Lutherschen katechismus an und gleich darunter eine kurze, aber recht verständliche worterklärung. zwar ist es ja die sache des religionslehrers , diese erklärung zu geben, aber der schüler wird es als eine wesentliche erleichterung empfinden, bei dem lernen des Wortlautes auch diese erklärung immer vor äugen zu haben, wert- voller noch als diese ist die eigentliche sacherklärung des katechis- mus mit den in zweckmäsziger weise beigegebenen bibelsprüchen ; und gerade diese zeichnet sich nicht allein durch die übersichtliche gliederung aus, "bei der sich der schüler überall leicht zurechtfindet, sondern sie ist auch dem geistig-religiösen Standpunkte der betreffen-

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A. Stere : ans. y. Fr. Holzweissig leitfaden f. d. evang. religioDBunterr. 359

den Schüler angepasst. man vergleiche nur diese erklärung mit der im II teile des leitfadens wiederkehrenden, aber mehr vertiefenden beaprechung des katechismus , und es ist nicht schwer zu erkennen, mit welchem geschick derselbe gegenständ in verschiedener be- handlungsweise den schülern zur anschauung gebracht wird.

Die 2e abteilung hat zum inhalte die geschichte des reiches gottes im alten und neuen testamente. mit recht hat der Verfasser die einschlägigen fragen der einleitungswissenschaft : name, inhalts- angabe der einzelnen bücher , Übersetzungen und eigenschaften der heiligen schrift kurz erledigt, um uns mit der geschichte des reiches gottes in seiner fortschreitenden entwicklung vom mosaismus zum prophetismus, in Verbindung mit den äuszeren Schicksalen des Volkes bis zur zeit Christi , und auch auf grund der poetischen und pro- phetischen bücher mit seinem glauben, leben und seinen mossiani- sehen hoffhungen eingehender bekannt zu machen, und so leitet die betrachtung über zu dem leben Jesu als der kröne der jüdischen ge- schichte. dasz für dieses das matthäusevangelium mit hinzuziehung des evangeliums Johannis, um eine gegliederte darstellung möglich zu machen ^ zu gründe gelegt ist , billigen "wir durchaus , ebenso wie auch die genauere gliederung der bergpredigt; nur hätte dieser letzteren eine annähernd gleiche behandlung der heilslehre Jesu in den gleichnissen und eine Übersicht über den inhalt der wenigstens im matthäusevangelium enthaltenen reden entsprechen sollen.

Was die darstellung der reformationsgeschichte im anschlusz an ein lebensbild Luthers betrifft^ so hat der Verfasser recht gethan, am das Verständnis für diese gewaltige bewegung zu erleichtern, auf die begründung des Christentums unter den Deutschen, sowie auf die eingetretene Verderbnis der kirche nebst den versuchen, eine reformation herbeizuführen, in kürze hinzuweisen, dasz die namen Zwingiis und Calvins auch nicht fehlen durften, ist selbstverständlich ; aber auch die ausblicke auf die weitere entwicklung der evange- lischen kirche im Verhältnis zur katholischen , auf die äuszere und innere mission und andere erscheinungen auf diesem gebiete scheinen mir im interesse der schüler, die nach absolvierung der untersecunda die anstalt verlassen, nicht allein wünschenswert, sondern auch not- wendig zu sein, auch hier hat der Verfasser in bezug auf inhalt und umfang der einzelnen abschnitte das richtige getroffen.

Der II teil umfaszt die pensen der obersecunda und prima: das evangelium Johannis, die apostelgeschichte, den römerbrief, die kirchengeschichte und endlich die glaubens- und Sittenlehre, auch hier ist vieles aus dem hilfsbuch entlehnt, namentlich was die inhalts- angabe der wichtigeren neutestamentlichen Schriften betrifft, wo es dem Verfasser besonders darauf ankommt, den inhalt möglichst scharf zu gliedern , um eine geeignete unterläge für die eigentliche besprechung derselben im unterrichte zu geben, wäre dabei auf den fortschritt des exegetischen gedankenganges schwieriger capitel mehr rücksicht genommen, und wären femer schwierige begriffe gelegent-

360 A. Sterz: anz. v. Fr. Bolzweissig leitfaden f. d/evang. religionsunterr.

lieh erklärt und allgemeine hierher gehörige fragen in kürze be- sprochen, so htttte gerade dieser teil des buches eine wesentliche bereicherang erfahren.

In der geschichte der christlichen kirche ist, abgesehen von den biographischen beigaben, die systematische gliederung, sowie die einteilung einer jeden periode nach den fünf gesichtspunkten : aus- breitung, Verfassung, cultus, leben und lehre beibehalten, dieses letztere hat den vorteil, dasz sich der eine oder der andere stoff im zusammenhange durch die verschiedenen perioden leicht verfolgen läszt. auch hier zeigt sich die unverkennbare absieht des Verfassers, einzelne perioden und in diesen gewisse persönlichkeiten und ereig- nissOj je nach ihrer bedeutung für die schule, mit gröszerer ausführ- lichkeit zu behandeln und namentlich der reformationsgeschichte sowie den hervorragenden erscheinungen der neueren und neuesten kirchengeschichte mehr beachtung zu schenken.

Den abschlusz des JI teiles bildet die darstellung der glaubens- und Sittenlehre, nach der vorausgeschickten feststellung der all- gemeinen begriffe: religion, Offenbarung, heilige schrift, kirchliches bekenntnis folgt eine genauere inhaltsangabe der einzelnen artikel der Augsburgischen confession nebst erklärenden bemerkungen^ sodann die behandlung der glaubenslehre selbst; und erst hieran schlieszt sich der lateinische tezt und die Übersetzung der Augustana. wes- halb der Verfasser von der früheren anordnung, wie wir sie im hilfs- und repetitionsbuche finden, abgewichen ist, scheint mir nicht genügend begründet zu sein; meines erachtens muste schon aus praktischen gründen der tezt, die inhaltsangabe der artikel und die darstellung möglichst in beziehung zu einander gesetzt und mit einander verbunden werden.

Die mit der glaubenslehre vereinigte Sittenlehre kommt in der darstellung nicht zu ihrem gebührenden rechte ; denn sehen wir ihre behandlung unter dem abschnitt ^heiligung' der glaubenslehre näher an, so ist sie nur eine erweiterte und vervollständigte erklärung des ersten hauptstückes des Lutherschen katechismus. und doch musz man im interesse dieses für die oberste classe so wichtigen unter- richtsgegenstandes eine eingehendere behandlung der wichtigsten hauptpunkte desselben für notwendig halten.

Das repetitionsbuch von Holzweissig hat sich seit einer reihe von Jahren als praktisches hilfsmittel in den bänden der schüler be- währt; und so hoffen wir, dasz sich auch dieser neue leitfaden, der noch mehr als jenes dem bedürfnisse der schule angepasst und für die verschiedenen stufen der höheren lehranstalten bestimmt ist^ ebenso schnell seinen weg bahnen und bald viele freunde unter den fachgenossen finden wird.

CöTHEN. Alwin Sterz,

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMNlSIALPiDlGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHKFÄCHEß

MIT AUS80HLÜ8Z DEB CLASSISüHBN PHILOLOGIE

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. BiCHARD BiCHTER.

35.

PSYCHOLOGISCHE STUDIEN AUF PÄDAGOGISCHER

GRÜNDLAGE.

Dasz Psychologie und pädagogik in enger beziehung stehen und stehen müssen, ist selbstverständlich und wird durch den inbalt der ttber beide disciplinen geschriebenen werke bestätigt, trotzdem ist diese Verbindung mehr in den allgemeinen leitenden gesichtspunkten als auf specielleren abgegrenzten gebieten , auf gebieten, welche der detailforschung angehören , vorhanden, die heutige psjchologie ist eine ausschlieszlich oder fast ausschlieszlich empirische Wissenschaft, experimentelle begründungen, zahlenmäszige constructionen, ver- suche in die ver wickeltäten psychischen Verhältnisse mathematische Ordnung hineinzubringen, um es kurz zu sagen, empirische klein- forschnngen sind es, die ihr das charakteristische gepräge verleihen. die Pädagogik dagegen baut mehr auf allgemeinen begriffen ihre lehre auf; sie übernimmt dieselben von der psjchologie und ver- bessert und läutert sie ständig und gewissenhaft nach deren ergeh - Hissen, auf Untersuchungen aber über Specialprobleme ähnlicher art wie die , welche in der psjchologie alle tage vorkommen , läszt sie sich weit seltener ein. dasz indes auch auf dem wege specieller Untersuchung die pädagogik zu gewinnen vermag, ist auszer zweifei. und umgekehrt ist fraglos, dasz die psjchologie aus pädagogischen einzelforschungen den grOsten nutzen ziehen kann; denn der zu unterrichtende schüler bietet ein beobachtungsobject dar, wie es sich nirgends gleich günstig findet, nicht einmal bei der Selbst- beobachtung.

So oft wir nämlich einen rein psjchischen Vorgang an uns selbst untersuchen wollen, bemerken wir sofort, dasz das object uns unter der band zerrinnt, die handlung des beobachtensjst ein neuer geistiger process, ein inhalt, der unsem geist immer mehr einnimmt

N. Jahrb. f. phil. a. pid. U. abt. 1895 hft. 8. 24

362 Seiffert: psychologische Studien auf pädagogischer grandlage.

und das zu beobachtende aus dem bewustsein verdrängt, nur in der erinnerung kann man dasselbe noch festhalten , und dann erscheint es abgeschwächt und verschwommen, auszerdem ist derjenige, wel- cher an sich eine beobachtung machen will, durch den bloszen Vor- satz dazu schon befangen , so dasz der zu zergliedernde Zusammen- hang selbst nicht rein , sondern mehr oder minder gefärbt vor sein äuge tritt.

Psychische beobachtungen an andern, erwachsenen personen sind in gleicher weise mislich. es ist zu schwer, den gewünschten Zusammenhang in ihnen wirklich zu erzeugen, so lange sie nicht wissen, worum es sich handelt; haben sie aber kenntnis davon, so sind auch sie befangen und daher nicht geeignet, unverfälschte resul- täte zu liefern, auszerdem ist es bei der compliciertheit der denk- processe erfahrener personen äuszerst schwierig, den verlauf eines einzelnen derselben vom anfang bis zum ende zu verfolgen, endlich ist die form der denkprocesse , selbst wenn sie sonst einfach sind, schwer festzustellen ; denn erwachsene geben weder durch die spräche noch auf andere weise die mehrheit der gedanken, die sie bewegen, zu erkennen.

Ganz anders ist es bei kindem, speciell in der schule, es liegen hier, wenigstens im anfangsunterricht , d. h. so oft eine disciplin oder ein zweig derselben neu beginnt oder von neuen gesichts- punkten aus betrieben wird , verhältnismäszig einfache, leicht über- sehbare beziehungen vor. dieselben sind auch meistens rein und unvermischt; denn es ist weder statthaft noch bei richtiger leitung möglich, dasz im köpfe des schülers alles kreuz und quer durch einander geht; sein denken bewegt sich in einfachen, wenn auch nicht immer geraden linien. störende einflüsse von der seite her, welche die einfache structur zu durchkreuzen drohen , können leicht erkannt und beseitigt werden, die schüler haben ferner noch nicht das peinliche gefUhl, beobachtungsobjecte zu sein; sie geben un- befangen antworten auf alles, was zu wissen interessiert, ohne mis- trauisch zu werden, sofern sie nur merken, dasz sie durch die ihnen gewiesene methode zu einer neuen crkenntnis gelangen, sie sind endlich noch nicht gewöhnt, einen teil ihrer gedanken zurückzuhalten, sondern geben dieselben, manchmal mehr als nötig oder erwünscht, wenn nicht durch sprechen, so doch durch blicke, mienen und ge- bärden kund.

Diesen vorteilen stehen naturgemäsz auch einige mängel gegen- über, viele denkprocesse können an schülern noch nicht beobachtet werden, weil ihr geist noch nicht zu solcher reife gediehen ist, dasz sich dieselben in ihm abspielen könnten, aber dies sind spätere sorgen; für die nächste zeit bieten einfache gedankenzusammen- hänge noch so viel ungelöste rätsei, noch eine solche fülle von Pro- blemen, die zum teil noch ganz unbeachtet sind, dasz kein bedürfnis vorhanden ist, schon jetzt zu complicierteren Verhältnissen tiber- zugehen.

Seiffert: psychologische Studien auf pädagogischer grundlage. 363

Mehr ins gewicht fällt ein zweites bedenken, experimente, das sind beobachtangen , bei welchen die bedingungen in rticksicht auf das zu erreichende ziel zweckmäszig geregelt und variiert werden, darf man an schülern nur mit vorsieht anstellen, denn der Unter- richt und die erziehung bleibt die hauptsache, und auf seine eignen speciellen interessen darf der lehrer keine zeit zum schaden der schttler verwenden, doch schon der Unterricht, sowie die indivi- dnalität der schüler, die bei allen verschieden ist, verlangen, dasz bald auf diese bald auf jene weise gelehrt werde; und schlieszlich fuhren auch augenblickliehe miserfolge den gewissenhaften lehrer stets zu einer Verbesserung seiner methode, die dann allen seinen Zöglingen zu gute kommt.

Eines der einfachsten probleme, dessen Untersuchung zugleich von groszer Wichtigkeit ist, weil die zu besprechenden thatsachen im Sprachunterricht vom anfang bis zum ende eine grosze rolle spielen, soll im folgenden behandelt werden, es ist

Das gesetz der gedankenverschmelzung.

Die Sprachforschung lehrt, dasz diejenigen lautgebilde, welche man als wurzeln bezeichnet und vom stamm der Wörter wohl unter- scheidet, nicht die bedeutung von einzelnen Wörtern, sondern von sfitzen haben, ein einziges wort bezeichnet auf der anfangsstufe des eben erst zu sprechen beginnenden menschen einen wünsch, einen befehl, einen ausdruck des zornes, der furcht, des Schmerzes oder des Staunens, genau ebenso wie kinder noch jetzt mit einem einzigen Worte oder auch mit einem einzigen naturlaut ausdrücken , dasz sie zur mutter wollen ^ auf den arm genommen zu werden wünschen, nahrung verlangen usw. wer das kind kennt, versteht es trotz der kürze des ausdrucks sehr wohl und übersetzt sich die kindersprache in die landläufige; gilt es, einem andern die ftuszerung des kindes zu verdolmetschen, so geschieht es durch sätze. das kind sagt 'hut' und die kinderfrau erläutert mit gröster ausführlichkeit: 'das kind freut sich über den hut' oder 'das kind sagt: der vater hat den hut vergessen^ oder das sieht aus wie ein hut, oder ich will den hut' usw. allmählich gewöhnt sich das kind an die spräche der erwachsenen, es spricht in Sätzen, was früher für sich allein etwas war, wird jetzt zum teile eines ganzen und hat nur in Verbindung mit andern gliedern noch wert und bedeutung. aber die sätze des kindes haben etwas wurzelhaftes, sie sind ein einziges ganzes und werden nur als ganzes vom kinde erfaszt. ihre teile unterscheidet es erst ganz allmählich, und auch dann nicht bewust, nicht so, dasz es sich über das Ver- hältnis derselben irgend welche gedanken machte« es hat auch für die sprachliche form absolut kein Interesse, sonst fragen kinder überall nach dem 'warum' und bringen dadurch ihre eitern zur Ver- zweiflung, wenn man aber einem kinde sagt 'es heiszt nicht: die mutter hat etwas mitgebringt', sondern 'mitgebracht', so stellt es die frage , warum dies so sei , höchstens aus Opposition , gewöhnlich

24»

364 Seiffert: psychologische stadien auf pftdagogiacher grundlage.

aber begnügt es sich , den richtigen satz ein paar mal leise nach- zusagen und dann wegzulaufen; es ist ihm eine solche bolefarung augenscheinlich langweilig, während es sonst bei den unglaublich- sten dingen einen Wissensdurst entfaltet, der allen verstand der ver- ständigen übersteigt.

Die erste aufgäbe des fremdsprachlichen unterrichte ist nun, dieses Vurzelhafte' aus spräche und auffassung herauszubringen, es geschieht dies durch grammatische Unterweisung, dieselbe sollte nur bei gelegenheit der erlernung fremder sprachen getrieben werden, sonst hat sie ebenso wenig interesse für das kind wie vor- her die sprachliche Zurechtweisung; aber letztere ist nötig, und das kind freut sich schlieszlich , wenn es ebenso gut spricht wie er- wachsene ; an jener dagegen kann es kein interesse haben, da es den zweck derselben nicht einzusehen vermag, so ist es denn dem lehrer des lateinischen in sexta blosz unbequem , wenn die schüler bereits von der Volksschule begriffe wie subject und prädicat, zurttckbezQg- liches und hinweisendes fürwort äuszerlich mitbringen, ganz anders ist es , wenn das kind einen praktischen nutzen des gelernten sieht, wenn es bemerkt, dasz derselbe deutsche ausdrnck hier durch aqua, dort durch aquam , hier durch hominem und dort durch hominibus wiederzugeben ist.

Nehmen wir nun einen einfachen satz der art, wie sie sich in allen Übungsbüchern auf der ersten seite finden : 'die frauen bereiten den landleuten eine mahlzeit.' nehmen wir an, es seien nach ge- nügender ableitung aus passenden beispielen an den verschiedensten Wörtern die casus der ersten declination geübt und gelernt worden und zergliedern wir nun die gedankenarbeit, die nötig ist, um obigen satz zu übersetzen, in gestalt von kleinen sätzen, wie sie im schüler- jargon alle tage vorkommen, es sind folgende: 1) 'die frauen' ist der pluralis. 2) *die frauen' steht auf die frage 'wer'. 3) also ist 'die frauen' nominativus. 4) Mie frau' heiszt femina. 5) die Wörter auf a haben im nominativus pluralis die endung ae [oder a) femina geht wie mensa; b) der nominativus pluralis von mensa heiszt mensae]. 6) also heiszt 'die frauen' feminae. dieselben sechs oder stieben punkte kommen bei der Übersetzung der andern substantiva in betracht. so wird schlieszlich jede nominal form einzeln gewost. es ist nun weiter nötig , den jedesmaligen schlusz aus den vorher- gegangenen Prämissen festzuhalten und der reihenfolge der deutschen werte oder den speciellen gesetzen der lateinischen Wortstellung gemäsz die lateinischen ausdrücke an einander zu reihen, als selbst- verständlich wird dabei vorausgesetzt, dasz der schüler weisz, was 'bereiten' heiszt, und dasz er darin unterwiesen ist, dasz 'die' und 'den' im lateinischen nicht durch besondere werte ausgedrückt werden.

Dies sind die denkoperationen, welche nach der theorie im an- fange vorliegen, die erfahrung aber bestätigt, dasz sie auch in der praxis von den meisten zuerst einzeln vollzogen werden, es ist sehr

SeiffiBii: psychologische Stadien auf pädagogischer gnindlage. 365

lincbt, hierin die kinder zu beobachten, viele können anfangs nur dann das richtige treffen, wenn sie alle punkte laut einzeln angeben, wie sie oben angeführt sind, andere denken das meiste zwar ohne lu reden, wo aber eine Schwierigkeit entsteht, namentlich wenn ihnen ein glied zu entschwinden droht, sprechen sie es hastig leise ▼or sich hin. bei noch andern merkt man wenigstens an fehlem im resnltaie genau, wo ihre denkthätigkeit ausgesetzt hat. es sind vier arten von fehlem, welche vorkommen, entweder eine prämisse fehlt ganz; z. b. die schttler kommen zu keinem resultat oder sie raten es nar, weil sie den numerus nicht bedacht haben, oder eine prämisse ist falsch; es wird z. b. der accusativ statt des dativs gesetzt, oder die BchOler erfassen zwar die einzelnen punkte richtig, vergessen aber einen der vorhergehenden über einem folgenden, z. b. über dem casus den numerus, oder endlich , die glieder sind zwar alle vor- handen, aber die Verbindung gelingt nicht: es wird etwa feminaae oder nach analogie von mensae femae statt feminae gebildet.

Die aufzählung der sechs oder sieben punkte, die angeführt worden , klingt vielleicht mechanisch oder gekünstelt, es scheint, als ob eine methode falsch sein müsse, welche zur herstellung eines weites so vieler hilfsmittel bedürfe, thati^ächlich sind dahin zielende vorwürfe auch schon oft gegen die formal-grammatische ausbildung erhoben worden, wir werden im weiteren verfolg dieser ausführung sehen , wie gerade in der compliciertheit der ersten anfange einer der hauptvorteile dieser methode liegt, es liegt ferner der einwand nahe, dasz die teilung der denkprocesse zu weit getrieben sei. wer aber diesen erscheinungen in den ersten stunden des lateinischen Unterrichts in sezta oder auch wenn die conjugation zum ersten male im zusammenhange betrieben wird , nur einmal seine aufmerk- samkeit zuwendet, der wird inne werden, dasz selbst bei den besten Schülern die bezeichneten punkte nicht sowohl sich finden lassen als vielmehr von selbst hervorspringen.

Es sind sogar in der gegebenen aufzählung einige punkte als je ein einziges ganzes aufgeführt, welche selbst wieder zusammen- gesetzte Operationen des denkens voraussetzen, zwar hinsichtlich des numerus wird es kaum jemals vorkommen, dasz ein schüler schwankt, ob von einer pei*son oder sache oder von mehreren die rede ist, ist allen auf den ersten blick klar, anders aber verhält es sich mit den casus, noch bis quarta hat der lehrer unter der Un- geschicklichkeit von Schülern zu leiden , welche subject und object, namentlich aber prädicatsaccusativ und prädicatsnominativ ver- wechseln, in sezta macht im anfange das erkennen des dativs vielen besondere Schwierigkeiten, manche schüler wissen sich nicht anders als dadurch zu helfen , dasz sie der reihe nach, mit *wer oder was* beginnend, durchfragen, bis sie endlich zum richtigen falle gelangt sind; nicht selten gehen sie auch über das gesuchte ziel hinaus, die Schwierigkeit des findens des casus wirkt dann auf den numerus zurück, so absolut ausgeschlossen es sein dürfte, dasz,

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wenn nur dies 6ine gefragt wird, die nnmeri mit einander ver- wechselt werden können, ebenso leicht kommt es anderseits vor, dasz an stelle des geneiivus pluralis irrtümlich der genetivus singa- laris gesetzt wird : die aufmerksamkeit , welche aaf den einen punkt verwandt wird , ist so grosz , dasz für den andern keine mehr übrig bleibt.

Besondere beachtung verdient endlich punkt 5 , das finden der richtigen endung. es ist sicher nicht empfehlenswert, die casas von anfang an an einem bestimmten worte immer in derselben reihen- folge zu üben; es ist weit besser, möglichst bald ohne jede be- stimmte folge zu fragen: wie heiszt der genetivus singularis, der dativus pluralis, der ablativus pluralis, indem man dabei gleich- artiges (z. b. endungen ae, is, solche, in denen ein a vorkommt) zu- sammenhält, aber schlieszlich kann man sich auch der aufgäbe nicht entziehen , ein wort ohne zwischenfragen nach der althergebrachten Ordnung vom schüler durchdeclinieren zu lassen, für manche schüler ist dies sogar unstreitig die beste methode. bei diesen nun kann man oft beobachten ^ dasz sie, um zu dem erwünschten casus zu ge- langen, das ganze wort im geiste durchdeclinieren (noch öfter ist ähnliches bei der conjugation zu finden), selbst wenn sie die lippen nicht bewegen, sieht man ihnen an, was sie denken, manche halten es ist dies ebenso interessant wie ergötzlich zu beobachten ihre äugen so , wie wenn an der Wandtafel die casus unter einander stünden ; sehen erst (beim nominativus) nach oben, sodann (beim genetivus) etwas tiefer und gehen dann, wie wenn sie eine ge- schriebene endung suchten, mit den blicken immer mehr nach unten, bis sie endlich das richtige gefunden zu haben glauben, der lehrer weisz dabei, wenn er seine leute kennt, genau, bei welchem casus sie gerade stehen.

Am deutlichsten aber lassen sich die gedanken derjenigen, nicht selten vorkommenden schüler erkennen, welche das, was sie inter- essiert oder aufregt, leise vor bich hinsprecben. diese angewobn- heit ist in anderer beziehung äuszerst unangenehm, sprechen er- fordert zeit, denken aber soll möglichst schnell gehen, das sprechen hält somit das denken auf; namentlich wird es störend, wenn ein schüler sich an Wiederholungen zu gewöhnen droht, etwa mehrere male 'dativ, dativ, dativ' hersagt, weil er noch nicht zum nächsten punkte hinüberkommen kann; es musz dann im eignen interesse des knaben mit aller energie darauf gehalten werden , dasz alle be- wegungen der lippen unterbleiben , aber als object der beobach- tung sind solche schüler geradezu unbezahlbar.

Wie schon öfters angedeutet, bilden sich die prämissen nicht alle selbständig neben einander so, dasz jede von der andern ge- trennt wäre und erst zuletzt alle in eine zusammenflössen , sondern sie treten so zu sagen schon unterwegs mit einander in Zusammen- hang, numerus und casus vereinigen sich: aus 1 und 3 wird als Zwischenstufe der gesamtentwicklung gefolgert: *also ist es der

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nominativus pluralis.' solche zasammenfassungen auf halbem wege erleichtern die weiteren fortschritte. es ist ein gutes mittel schnelleres übersetzen zu erreichen , wenn man die schüler von anfang an ge- wohnt, nie blosz zu sagen: das ist dativ, accusatiy, sondern der datiYUS pluraliS; der accusativus singularis. anderseits ist es auf- fällig, wie schwer im denken träge schUler sich gerade hieran ge- wöhnen, sobald etwas neues durchgenommen ist und daher den ersten anweisungen etwas weniger peinliche aufmerksamheit ge- widmet wird als ursprünglich, suchen sie sich dieser pflicht der com- bination zu entziehen und geben immer wieder einmal nur den casus an. die mühe, die sie ersparen, erscheint uns lehrern wahrhaftig gering, die schüler aber müssen sie doch wohl als solche empfinden, da sie sich so gern der verlangten aufgäbe entziehen.

So kommen bei einem einfachen satze^ wie wir ihn betrachteten, noch mehr als zwanzig denkoperationen zusammen, welche der schüler zu voUziehen hat und binnen kurzer frist mit erstaunlicher aicherheit vollzieht, es ist dies eine arbeitsleistung, wie sie das kind früher nicht entfernt kannte, und der fortschritt in der denkarbeit ist ein solcher, wie ihn der schüler früher noch nie durchgemacht bat; denn eine rechenaufgabe, bei welcher gleich viele factoren zu beachten sind, wird einem seztauer wohl schwerlich vorgelegt wer- den können; selbst in den nächsthöheren classen würde sie noch Schwierigkeiten verursachen, beim erlernen einer spräche dagegen scheint es, als ob die meisten Schwierigkeiten, wenn sie auch an- fangs noch so grosz waren, immer nur eine zeit lang bestünden und nach einer weile nicht mehr als solche empfunden , kaum mehr als solche begriffen würden, kein mensch kann auf einen andern mit souveränerer Verachtung herabsehen als der bereits von Miltiades und Themistokles übersetzende quintaner auf einen seztaner, dem mensa noch quäl bereitet: so wenig erinnert er sich an die mühe, welche ihm einstmals das gleiche problem verur;$acht hat.

Auch für uns 1 ehrer ist, wenn wir nicht den lebendigen Zu- sammenhang mit dem geist unserer schUler verlieren und in die ge- fahr geraten wollen, das lernen dieser als ein beinahe mascbinen- mftsziges getriebe anzusehen, bei dem wir nicht begreifen können, wie etwas anders gehen kann, als des meisters kundige band es weist , auch für uns lehrer ist es ratsam , von zeit zu zeit in uns dieselben psychologischen processe wieder hervorzurufen, welche wir selbst als schüler sich in uns abspielen fühlten und die wir jetzt in nnsem schülern sich abspielen sehen oder sehen sollten, um dies zu erreichen^ gibt es nur einen weg: der lehrer musz selbst wieder ein- mal eine spräche auf grammatischer grundlage lernen, welche mög- lichst wenig berührungspunkte mit den ihm bekannten hat, am besten eine solche, welche sich auch anderer schriftzeichen als eine der letzteren bedient, der nutzen hiervon ist ein doppelter, einer- seits lernt man auf diese weise im allgemeinen wieder die Schwierig- keiten der ersten neuaneignung kennen, die man sonst geneigt ist zu

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gering anzuschlagen, anderseits erhfilt man auch in vielen speciellen punkten belehrung. 66 kommt , selbst wenn man denselben Unter- richt schon l&ngere zeit erteilt hat, oft genug vor, dasz man vor der durchnähme eines abschnittes fürchtet, die sohttler würden seinen inhalt nur langsam begreifen , während, wie man bald mit freu- diger Überraschung inne wird , die mehrzahl ihn spielend bewältigt, ebenso oft tritt der fall ein, dasz aus themen, die man für leicht gehalten hatte, für die kinder schier unbegreifliche Schwierigkeiten entstehen, welche man geneigt ist, ihrem mangelnden fassungs- vermögen oder dem umstände zuzuschreiben , dasz man selbst eine falsche oder ungeschickte lehrmethode anwendet, während man aus den Schwierigkeiten, welche man bei denselben punkten der nea gelernten fremdsprache an sich selbst verspürt, ersehen kann , dass die anstösze in dem vorliegenden inhalt begründet sind, dasz die methode richtig war und die schüler ihre Schuldigkeit thaten, und dasz nur das psychologische urteil über die grösze der zu leisten- den arbeit gelitten hatte, weil man zu lange praktischen versuchen gleicher art fern geblieben war.

Der erste f ortschritt nun, welchen ein lernender macht, i$t der, dasz er ein einzelnes wort sofort ohne jede Zerlegung richtig zu über- setzen vennag. dies wird meist schon in den ersten wochen erreicht, bald geschieht dasselbe auch bei leichten, einfachen sätzen: die Wörter werden nicht mehr einzelnen betrachtet, sondern der satz wird mit einem blicke übersehen und in einer einzigen kurzen und stetigen gedankenbewegung als ganzes in die fremdsprache über- tragen, allmählich gelingt dies auch bei complicierteren gebilden, bei Perioden ; und wer endlich eine fremde spräche flieszend spricht, der gelangt für diese schlieszlich auf denselben Standpunkt, auf welchem er vorher bei der muttersprache sich befand, der weg, den er zurückgelegt hat, ist ganz eigentümlich, er kannte erst nur die muttersprache; in dieser hatte jeder satz die bedeutung einer Wurzel, er sollte eine fremde spräche lernen; dazu war es nötig, die Sätze ihres wurzelhaften wesens zu entkleiden, er hat endlich die neue spräche erlernt: nun ist ßuch in dieser jeder satz wieder wurzelhaft geworden, er ist in einer bogenlinie herumgegangen, aber nicht in einem kreise, sondern in einer spirale ; er kommt nicht auf den auBgangspunkt zurück, aber auf einen punkt, der diesem genau gegenüber, jedoch viel weiter vom centrum entfernt liegt.

Sind nun die denkprocesse des sprachkundigen beim übersetzen von denen des anfängers principiell verschieden? gewis nicht; sie sind sogar nur im hinblick auf diese zu verstehen, so oft wir uns nach schnellem übersetzen eines deutschen satzes ins lateinische oder eines lateinischen satzes ins deutsche die frage vorlegen, weshalb unsere Übersetzung richtig ist, können wir stets nur dadurch ant- worten, dasz wir jedes wort mehr oder minder genau, aber stets nach analogie des anfangs Verfahrens zerlegen und die richtigkeit der einzelnen Operationen nachweisen, sobald femer die Übersetzung

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Beiflbrfc: piyohologiBclie stadien auf pädagogischer grundlage. 369

einer stelle (etwa deshalb, weil das prftdicat weit entfernt steht und nicht sogleich mit dem aage erfaszt wird) einmal stockt und ein kaner augenblick des nacbsinnens eintritt, ist es stets eine frage d«r obigen art^ die blitzschnell im geiste auftaucht, man kann darauf eine einfache probe machen, indem man ein deutsches lesestück aus einem beliebigen übungsbuche recht schnell laut ins lateinische ttbersetst, ohne vorher den tezt gelesen zn haben; bei jeder kleinen pftose, bei jedem stocken wird man eine derartige frage sich leicht nnd fiflchtig über die schwelle des bewustseins erheben und ebenso Bcbnell wieder zurücksinken sehen.

In welcher- weise nun erfolgt die Verschmelzung der prfimissen? das problem liegt darin , dasz , um wieder auf das erste beispiel zu- rflebnkommen, aus zwanzig oder mehr Operationen eine einzige ge- worden ist, so zwar, dasz zum Zustandekommen der resultante nicht mehr seit nnd kraft nötig ist, als die entwicklung einer einzigen componente erforderte und auch jetzt noch, wenn wir sie einzeln bilden, erfordert, der grund für diese auffallende erscheinung kann nicht darin liegen, dasz inzwischen ein allgemeiner fortschritt des denkens eingetreten wäre, welcher diesen speciellen begründete, der epeoielle fortschritt ist im gegenteil bei dem sextaner in den ersten Tieraehn tagen , wenn nicht der einzige, so doch bei weitem der wichtigste, den er überhaupt macht, auch würde dieser lOsungs- versuch keine erklttrung für die tfaatsache enthalten, dasz auch, wenn sprachkundige beide Operationen vollziehen, die vorbereitende nnd die zusammenfassende, wo doch also von einem dazwischen liegenden fortschritt keine rede sein kann, zeit und kraftaufwand für beide processe dieselben sind.

Allerdings sind gewisse Zwischenglieder vorhanden, welche den Übergang von den vielen anfangsoperationen zu dem einzigen end- process vermitteln und erleichtem, die endungen der deutschen werte geben zunächst einen gewissen anhält, den der schüler bald xn benutzen versteht; sie beschränken die auswahl unter den mög- lichen formen, aber den Worten 'die freu' oder 'eine mablzeit' kann man nicht ansehen, ob sie den nominativ oder den accusativ dar- stellen, da gibt ferner die Stellung der werte nützlichen aufschlusz; aber sie verführt auch zu misgriffen ; leichtsinnige sextaner sind ge- neigt, immer das erste wort des satzes in den nominativ zu setzen. die betonung der deutschen Satzglieder ist ebenfalls von groszer Wichtigkeit; aber gerade mit dieser ist es bei jungen Schülern oft schlecht bestellt, aber lassen wir selbst alle diese Zwischenstufen wirken , wie sie eigentlich sollen , so gelangen wir doch nur zu dem ergebnis, dasz aus 20 gliedern nicht sofort eines , sondern erst 10, dann 5 geworden sind, und dann erst ein einziges; die frage aber, wie zwischen diesen stufen der Übergang stattfinde , ist damit noch nicht gelöst. Man pflegt endlich zu sagen, man bekäme durch die Übung allmählich ein richtiges gefühl für die adäquate Übersetzung. aber was heiszt hier gefühl? die psjchologie kennt nur gefühle der

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lust oder unlust. und wenn wir statt dessen lieber das wort 'takt' gebrauchen wollen, so müssen wir uns doch auch weiter fragen, was wir unter takt in dieser speciellen anwendung zu verstehen haben, die Schwierigkeit ist durch die einführung dieses Wortes nicht ge- hoben , höchstens weiter geschoben.

Ebenso wenig liegt eine ausreichende erklftrung für den vor- liegenden process in der annähme, dasz durch die Übung eine anzahl von hemmnissen beseitigt und dadurch der einzelverlauf der teile und ihre aufeinanderfolge beschleunigt würden, ähnlich wie bei mechanischen bewegnngen die geschwindigkeit bei gleichem kraft- aufwande um so gröszer wird , je weniger reibungswiderstfinde vor- handen sind oder je mehr diese durch die fortgesetzte einwirknng der bewegung verringert werden, die abschleifung der widerstände spielt allerdings eine gewisse rolle bei der beschleunigung unseres processes; braucht man doch nur daran zu denken, dasz wir mit einem werte um so leichter operieren können, je mehr ohr und zunge an dasselbe gewöhnt sind, dasz die form der endungen am anfange nicht so schnell ins gedächtnis tritt wie nach einiger Übung u. dgl. m. aber dies alles reicht wohl aus, um eine Verringerung der zeit des nachdenkens bis zu einem gewissen grade, nicht aber um eine solch absolute herabminderung zu erklären, auszerdem ist die annähme ganz falsch, dasz eine schnellere aufeinanderfolge der einzelnen teile in unserem problem eine rolle spiele, von einer aufeinanderfolge ist überhaupt nicht die rede, die Selbstbeobachtung erweist im gegen- teil evident, dasz in demjenigen, welcher flieszend zu übersetzen ver- mag, die verschiedenen untergedanken, weit entfernt, sich successiv hinter einander abzuspielen, sich vielmehr so rätselhaft dies auch scheinen mag simultan vereinigen, in demselben einzigen augen- blicke von allen Seiten nach der mitte sich zusammenschlieszend zum hauptgedanken. wenn wir sjmbole gebrauchen und die teilopera- tionen als strecken darstellen wollten, so bestände ihre Vereinigung nicht darin, dasz sie zu einer 6- oder 20 mal so groszen strecke der länge nach an einander gesetzt würden, sondern wir müsten uns etwa vorstellen, dasz alle einzelnen strecken parallel neben einander lägen und plötzlich der breite nach sich zusammenschlössen, oder wir müsten sie uns denken wie neben einander ausgespannte gleich lange fäden, die unter der band des seilers zu einem einzigen, neuen sich vereinen, völlig zutreffend wäre das bild aber doch nicht, denn der neue faden des seilers ist viel dicker als die einzelnen strähnen ; der unsrige dagegen bleibt dünn wie vorher jeder seiner teile; denn weder die zeit noch die arbeitsleistung wird beim gesamtgedanken gröszer. es ist etwas ähnliches der fall wie bei den fetten und mageren kühen im träume des Pharao: sie verschlingen einander, ^und da sie die hineingefressen hatten, merkte man's nicht an ihnen, dasz sie die gefressen hatten'.

Man könnte endlich eine crklärung versuchen durch einen ver- gleich mit gewissen erfolgen körperlicher ausbildung, bei welcher

Seiffert: psychologische studien auf pädagogischer grundlage. 371

ebenfalls die beiden factoren kraft und zeit eine eigentümliche ent- wicklang durchmachen, bei zusammengesetzten turnerischen oder militärischen Übungen nämlich (kippen am barren, schwierigeren Übungsfolgen am pferd, griffen mit dem gewehr) braucht der an- fänger nicht blosz mehr zeit, sondern auch bedeutend mehr kraft als der geübtere, bei welchem ohne jede pause und ohne dasz er selbst den augenblick merkt, wo etwas neues beginnt, ein telnpo in das andere übergeht, die ^abrundung' ist es, die hier zugleich erspamis an zeit und kraft bewirkt, sie ist im wesentlichen dadurch bedingt, dasz der erfahrene mit seiner kraft hauszuhalten versteht, nie in spitzem winkel über sein ziel hinansschieszt , nicht einen muskel mehr an- spannt als nötig ist, während der anfänger mit dem ganzen körper arbeitet und den grösten teil der kraft, die er anwendet, nutzlos vergeudet dies trifft nun für den geistigen process, welchen der an- fänger im übersetzen durchzumachen hat, keineswegs zu; denn hier ist ja, wie bewiesen, kein glied nutzlos, keines überflüssig oder ent- behrlich , wenn anders überhaupt eine spräche nach grammatischer methode gelernt werden soll, auszerdem sind die processe, um die es sich bei der körperlichen ausbildung handelt, auch wiederum successive, also nicht geeignet, das simultane zusammenflieszen zu erklären.

Aus dem gebiete der rein geistigen erscheinungen schlieszlich, mit denen man versuchen könnte, die beobachteten Vorgänge in Zu- sammenhang zu bringen, sei nur eine hjpotbese erwähnt, weniger ihres wertes als ihrer Verbreitung wegen , die hjpotbese der ^unbe- wusten Vorstellungen', es wäre sehr einfach, zu sagen, dasz in dem scbluszprocesse die ursprünglichen Operationen unbewust enthalten seien, aber was wäre damit gewonnen? was sollten wir uns unter dem 'unbewusten enthaltensein' denken? dasz die umfassendere Operation auf die kleineren logisch zurückzuführen ist und jeder- zeit zurückgeführt werden kann, haben wir zur genüge erörtert, aber dieses logische Verhältnis ist doch kein grund, nun auch psycho- logisch das unbewuste Vorhandensein der prämissen in dem haupt- act zu behaupten, sobald die reduction wirklich ausgeführt wird, liegt ein bewuster process vor und wir kommen zu bewusten Vor- stellungen, wird sie aber nicht vollzogen, so sind die prämissen nicht unbewust, sondern zur zeit Überhaupt nicht in uns vor- handen. — Auch sonst kann nicht eindringlich genug auf den mis- branch hingewiesen werden, der mit dem werte 'unbewust' ge- trieben wird, es musz herhalten, wo man keine verständige erklärung findet, das schlimmste aber ist, dasz durch den schein, als ob mit dieser bezeichnung etwas erklärt sei, die wissenschaftliche forschung selbst gehemmt und an fortschritten gehindert wird, da man bei leeren worten halt macht und sich mit ihnen begnügt, anstatt weiter nach dem inhalt zu suchen.

Sind wir nach alledem nicht in der läge, den Vorgang, welchen wir bebandeln, aus einem andern abzuleiten, so ist es das beste, ihn

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als Belbständigen process hinzanehmen wie er i8t| auf weitere erklS- rungen zu verzichten und uns damit zu begnügen , seine eigentüm- lichkeit in form eines gesetzes zu fixieren. Lazarus (das leben der Seele, 2r band: geist und spräche) ist, so viel ich weisz, der erste, welcher eine anzahl hierher gehöriger erscheinungen genauer unter- sucht und ausführlich behandelt hat. er hat auch bereits auf den nutzen hingewiesen, welchen derartige Untersuchungen fttr die Päda- gogik haben können, und hat, selbst darauf nicht weiter eingehend, die hofifnung ausgesprochen, dasz 'die pftdagogen diesen gedanken weiter nachgehen werden* (2e aufläge s. 894). er faszt die geschil- derten Vorgänge zusammen unter dem namen Verdichtung des denkens'. aber dieses wort reicht bei ihm über die von uns be- sprochenen erscheinungen hinaus, so meint er z. b. , dasz der ge- dankeninhalt, den jemand, nachdem er ein buch gelesen hat, mit dem titel desselben verbindet, im gegensatz zu demjenigen inhalt, den er vor der lesung des buches bei denselben Worten hatte, eine Verdich- tung darstellt, hierbei dürfte das wort in einem ganz andern sinne gebraucht sein wie in andern von ihm angeführten fallen und auch in anderm sinne, als wie er den von uns geschilderten processen zu- kommt, wir wollen daher lieber, selbst auf die gefahr hin, dasz er nur annähernd seinen inhalt wiederspiegelt, den ausdruck *'gedanken- verschmelzung', der sich schon des öfteren uns von selbst dargeboten hatte , gebrauchen und definieren :

Die gedankenverschmelzung besteht darin, dasz mehrere denkprocesse, welche als prämissen zu dem- selben Schlüsse gehören und anfänglich successiv hinter einander vollzogen werden, unter dem einflusse von gewohnheit und Übung simultan in einen gedanken- process so zusammenflieszen, dasz zum Zustandekom- men des letzteren nicht mehr kraft und zeit nötig ist, als das Zustandekommen einer der prämissen erforderte.

Verfolgen wir die tragweite und die bedeutung dieses gesetzes noch weiter!

Wenn ein tertianer eine schwierige lateinische oder griechische periode übersetzen soll, so bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als ab ovo beginnend nach allen regeln der kunst den satz zu zer- gliedern, sich zu fragen^ welches das subject, welches das prädicat des hauptsatzes ist, wozu dieser genetiv gehört, in welchem Ver- hältnis jener nebensatz zum hauptsatze steht usw. der kenner da- gegen braucht nur einmal auf die vor ihm stehenden buchstaben hin- zublicken, um auch sofort alle beziehungen von werten und Sätzen zu erkennen.

Wenn bei einer militärischen Übung ein zug von seinem führer in einer bestimmten, von der jetzigen verschiedenen formation an einem bestimmten punkt mit der front nach einer bestimmten seite geführt werden soll, so musz der anfänger sich die verschiedenen Zwischenformationen der reihe nach vergegenwärtigen , in rücksicht

SeifliBrt: psychologische Stadien auf pädagogischer grundlage. 373

darauf die commandos sich überlegen, schlieszlich auch noch zeit darauf verwenden , um unter den möglichen wegen den kürzesten und unter den möglichen aasftthrungsarten diejenige zu wählen, welche die wenigsten commandos erfordert, der erfahrene Zug- führer dagegen wirft einen blick auf seinen rechten flUgelmann, «inen zweiten auf die stelle, wohin er kommen soll, und dann be- ginnt er schon ohne weiteres nachdenken ein commando nach dem andern abzugeben, er hat dabei nicht etwa einen früheren fall in «rinnerung, wo ihm eine ähnliche aufgäbe gestellt wurde, son- dern 8cha£ft die lösung vollkommen neu aus sich heraus , ohne jede Schwierigkeit, fast mechanisch und instinctiv. *er könnte es im schlafe.'

Wie schwer und mühselig es oft ist, die richtige lesart eines Bcbriftstellers ohne weitgehende Übung darin oder ohne besonderes talent dazu herzustellen , davon weisz jeder zu erzählen, der sich als Student in jungen semestem auf conjecturenjägerei warf, er erhält in seinem seminar die beste anleitung, weibz genau, nach welchen principien er zu verfahren hat, und doch ist der erfolg fast nie der mühe wert, bei dem geübten philologen dagegen fallen bei andern arbeiten, mit denen er sich beschäftigt, conjecturen gewissermaszen als schnitze! in menge mit ab , ohne dasz er besondere mühe darauf verwendet, man sagt: 'er hat ein äuge dafür.'

Wenn es sich darum handelt, die diagnose für einen krankheits- fall festzustellen, so musz der eben erst zu dieser würde empor- gestiegene cand. med. eine längere zeit genauen untersuchens der krankheitserscheinungen, aufmerksamen vergleichens des beobach- teten mit dem aus büchem gelernten oder durch die praxis ihm be- kannten, angestrengten prüfens des für und wider darauf ver- wenden, um schlieszlich zu einem urteil von zweifelhafter richtigkeit zu kommen, der erfahrene praktische arzt oder specialist dagegen ist schnell and sicher in seiner diagnose und verspürt nicht den zehnten teil der anstrengung, welche jener empfindet.

Ahnlich in der Jurisprudenz, wenn eine gesetzwidrige handlung als bestimmte strafthat qualificiert, in der technik, wenn entschieden werden soll, was für eine specielle maschinenart für irgend einen zweck die geeignetste sei, in handel und gewerbe bei beurteilung der rentabilität einer wäre, der Zahlungsfähigkeit eines künden, der Chancen des ein- und Verkaufes, ähnlich um es kurz und zu- sammenfassend zu sagen bei jeder handlung des gewöhnlichen lebens, die überhaupt irgend welchen grund bietet, darüber nach- zudenken : überall beruht der wichtigste fortschritt den denkens auf der Verschmelzung der als prämissen dienenden denkprocesse zu einer einzigen gedankenoperation , welche sofort die conclusio ent- hält, das gesetz der gedankenverschmelzung ist also ein allgemeines denkgesetz.

Ohne diese Verschmelzung wäre es übel mit uns bestellt, wir kämen mit unserem denken nicht vom flecke, wir mtUten immer

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wieder dieselben stufen hinaufsteigen , die wir schon unendlich oft betreten hatten, wir würden dies zwar allmählich schneller thun bis auch in der Schnelligkeit eine grenze einträte , aber jede stufe müsten wir einzeln mit dem fusze berühren , und das ursprünglich langsame gehen verwandelte sich wohl in eiliges trippeln , aber nie in schönen , kräftigen , wohl abgemessenen Sprung.

Die aufgaben , die unserem denken gestellt sind , wachsen mit jedem schritt, den wir vorwärts thun. je höher wir hinaufsteigen, desto weiteren weg sehen wir noch vor uns; so oft wir einen neuen aussichtspunkt erklimmen, liegen neue schwer passierbare stellen vor unsern blicken in doppelter anzahl. darum musz auch unser gang immer behender und leichter, unser schritt immer gröszer und sicherer werden , und jede neue bewegung, die wir ausführen, musz zu einer Vermehrung der aufgespeicherten kraft und geschicklichkeit führen, hundert mal setzten wir den fusz auf schmalem pfade be- rechnend und vorsichtig von stein zu st-ein, schlieszlich aber sind unsere muskeln und nerven geschult und können mechanisch, allein die arbeit verrichten.

Aller fortschritt des denkens beruht auf fortwährendem Wechsel von Zergliederung und Verschmelzung, nur durch Zergliederung können wir die fülle der thatsachen, aufgaben und probleme kennen lernen, welche in jeder erscheinung der wahrnehmungs- und geistes- weit, wenn sie einzeln, mehr noch wenn sie im causalzusammeu- hange mit andern auftritt , enthalten ist. mit jeder Zerlegung aber wächst die zahl der zu ergründenden und neue arbeit erheischenden glieder. daher musz die Verschmelzung helfend hinzutreten, der er- folg unserer arbeit darf nicht nur darin bestehen, dasz eine gewisse menge von erkenn tnissen gewonnen und als schätz des gedächtnisses aufbewahrt wird; nicht nur darin, dasz die summe des erdachten wächst, sondern zugleich musz auch in der denkthätigkeit eine änderung vor sich gehen, an die stelle der ursprünglichen einfachen processe mit beschränktem ziele und beschränktem erfolge müssen weiter gehende, umfassendere treten, welche die ersten sämtlich als logische Voraussetzung enthalten, dadurch ihre logische berechti- gung verbürgend, und doch psychologisch einfach sind, ur- sprünglich, nicht ihrer entstehung, aber ihrem wesen nach, eine einzige gedankenbewegung darstellend und in einem einzigen augen- blicke vollziehbar. auch bei diesen processen aber bleibt ein fort- geschrittenes denken nicht stehen ; sondern auch diese müssen sich wieder mit gleichartigen verschmelzen, neue, höhere Ordnungen bilden und so fort, so lange der menschliche geist fähig ist, neue eindrücke aufzunehmen und neue gebilde zu schaffen, so verbürgt das gesetz der gedankenverschmelzung den fortschritt des denkens mehr als irgend ein anderes geistesgesetz.

Hieraus nun ergibt sich als pädagogische forderung, dasz bei allem Unterricht von anfang an danach gestrebt werden musz, den geist der scbülcr an gedankenverschmelzung zu gewöhnen, in allen

Seiflert: psychologische studien auf pädagogischer grundlage. 375

disciplinen ist dies möglich; nirgends aber mehr als im Sprachunter- richt, hier ist nicht die materie das bestimmende moment, wie bei den historischen und naturwissenschaften , wo feststehende, nicht mehr zu ändernde ereignisse oder gegenstände mit stabilen, ihnen allezeit und an allen orten anhaftenden merkmalen den gang der Unterweisung bestimmen, sondern der stoff ist hier eine biegsame, elastische masse, die unter der bildenden band des lehrers in manig- faltigster weise geformt werden kann, jeder inhalt kann in einfachen Sätzen zum ausdruck gebracht werden, und die Sätze wiederum können die verschiedensten formen annehmen, von jeder seite, vom numerus, vom casus, vom stamm, von der endung, vom subject, vom prädicat aus, kann die Zergliederung eines wortes oder satzes begonnen, und nach jeder richtung hin kann sie weiter geführt werden, nirgends gibt es eine solche fülle von einzuübenden beispielen wie im formen- reichtom namentlich der alten sprachen, eine fast unerschöpfliche quelle bieten z. b. im griechischen die verba auf ^i. da gilt es für den Schüler, alle seine gedanken zu concentrieren, unablässig zu ver- gleichen, zu zerlegen und zu verschmelzen, wenn einige dieser verba gelernt sind, ein anderes eben neu besprochen ist, und nun der lehrer in die mitte tritt und ohne pause, zu schnellstem nachdenken und sprechen drängend und durch sein eignes beispiel dazu ermunternd, frage auf frage stellt, indem er alles fortwährend variiert, modus, tempus, genus, person, bedeutung kreuz und quer durch einander wirft: was heiszt *du stelltest, du tratest; du standest, er war, er gieng; er wüste, er möge sein, wisse, sei, sage' usw. es ist für den Schüler in den ersten vier wochen unmöglich , jede einzelne dieser formen für sich im gedächtnis zu behalten, er musz sich vielmehr die meisten aus 3 5 ihm gegebenen regeln jedesmal neu zusammen- stellen , und doch ist es ein genusz zu sehen , mit welcher Schnellig- keit bald die antworten gegeben werden fast unmittelbar nach der frage , und mit welchem vergnügen auch die schüler diesen Übungen beiwohnen, sobald sie richtig geleitet werden: sie empfinden selbst freude an der schnellen bethätigung des denkens.

Dazu kommt noch folgendes, es ist bekannt, wie einseitig oft männer sind, welche in ihrer Specialwissenschaft hervorragendes leisten, in dieser vermögen sie sofort die verwickeltsten Verhält- nisse zu überschauen, für andere dinge dagegen fehlt ihnen aller blick, die fähigkeit zur gedanken Verschmelzung wird also zunächst immer nur für dasjenige gebiet erworben, auf welchem sie besonders geübt wird ; von hier aus kann sie sich dann auf andere übertragen ; doch ist auch möglich, dasz sie auf das erste beschränkt bleibt, in letzterem falle nun liegt die Ursache der beschränkung offenbar nicht im wesen der Operation selbst, sondern in dem Charakter und den anlagen des denkenden individuums; derjenige, welcher alle seine arbeitskraft auf ein einziges gebiet verwendet, hat für die übrigen augenscheinlich kein oder doch verhältnismäszig zu wenig interesse. der inhalt seines Specialgebietes nimmt ihn dermaszen in

376 Seiffert: psychologische Stadien auf pädagogischer grandlage.

nnsprueb, dasz in seinem denken kein platz übrig bleibt^ in welchem anderer inhalt sich entwickeln könnte.

Wenn wir uns nun fragen , auf welchem gebiete am besten ge- dankenverschmelzung geQbt wird, ohne dasz einseitigkeit zu be- fürchten ist, so kann die antwort nur sein: auf demjenigen, zu wel- chem aller inhalt, er mag sein welcher art er wolle, am leichtesten in beziehung tritt, dies ist aber die sprachliche form, kein inhalt kann sie ganz entbehren und jeder inhalt läszt sich in sie hinein- bringen, überhaupt stehen denken und sprechen in engstem zu- sammenhange mit einander, der gröste teil des denkens vollzieht sich an der band der spräche, ohne diese ist zwar nicht wie auch schon öfters, und nicht von unbedeutenden gelehrten behauptet worden ist , denken an sich, aber doch ein denken von 4ier höhe des nnsrigen und aller weitere fortschritt des denkens unmöglich, so zieht sich die sprachliche form durch alle teile unseres geistes, <lurch alle wissenschaftliche erkenntnis wie durch die einfachsten und gewöhnlichsten geistigen thätigkeiten wie ein roter faden hin- durch , überall selbst einen faotor des denkens bildend und daher das allgemeinste und übergangreichste gebiet darstellend , auf wel- chem gedankenverscbmelzung geübt werden kann.

Die formal-sprachliche ausbildung ist in den letzten Jahrzehnten der gegenständ immer erneuter und immer verschärfter angriffe ge- worden; man hat behauptet, die zeit, die man auf sie verwende, sei verschwendet, verloren; es sei viel einfacher, eine spräche nach so- genannter natürlicher methode zu lernen, wie ein jeder es thun müsse, wenn er im ausländ gezwungen sei, die spräche seiner Um- gebung durch bloszes hören, lesen und selbstsprechen sich anzu- eignen, man hat hierbei ganz das übersehen, was wir schon oben betonten, dasz nicht der blosze erwarb von kenntnissen, sondern die fähigkeit sie zu verwerten und zu erweitem die hauptsache ist, dasz es nicht darauf zuerst ankommt, dasz, sondern darauf, wie man etwas lernt, um zu leinen , ist doch nicht blosz die Schulzeit da; wir sollen unser ganzes leben nicht aufhören, kenntnisse zu sammeln und unser wissen systematisch zu bereichern, die schule aber bat genug gethan und nur dann bat sie es gethan , wenn sie neben einem gewissen sicheren schätze von kenntnissen ihren Zöglingen vor allen dingen die fähigkeit mit auf den weg gibt, weiter lernen und sich fortbilden zu können auf allen gebieten, selbst auf solchen; welche mit den schuldisciplinen in keinem handgreif- lichen zusammenhange stehen, nach der von den neuerem vor- geschlagenen methode ist nun zwar der augenblickliche Zuwachs von wissen gröszer und rascher, die formal-sprachliche methode dagegen bietet bUrgschaften für alle zukünftigen fortschritte im wissen und können, wie sie jene nicht entfernt aufzuweisen ver- mag; denn bei dieser gehen gerade alle jene processe der gedanken- verscbmelzung verloren, in denen wir das beste mittel der förde- rung des denkens fanden.

Seifet: pftfdMMOgBM* seaüa i;^ pifci^yjcfter graalTtpe. 3

Ist HUB die graKBaiLscc« sn^igiicng «iser fnundea Sfumeh« oder Midi zweier tgb grCsusi vene. sc folgt daraos AataHich nicht.» dan alle ipracbea asf dicä« ve-je celercc vervien mtLssen. die denk- fortackritte, velcbe dvreii eine derartige erlen&ang einer drillen oder mrten fremdspraciie noch weiter eemaciit würden, wiren gerai»? giQgen die schon bei der ersten und zweiten enielcen ; sie wfinien den mehrrerbraDch ron zeit nicht rechtfertigen, welcher mit der grammatischen methode, rergiichen mit der sogenannten natür- liehen, nnn einmal rerknOpft ist. diese gnmdsStze sind auch in den preossischen lehrpUnen Tom 6 janoar 1892 zam aasdruck ge- kommen, in denen es z. b. heiszt, dasz 'bei lateinlosen anstalten das fransOsische bezfiglich der sprachlich-logischen Schulung dieselbe aufgäbe in lOsen habe, wie bei lateinlehrenden das lateioische*, und dan die methode demgemisz einzurichten sei , während für gjmna- aien ond realgymnasien eine Ihnliche Terwendung des fransQjdschen »QSgeschlossen wird.

Ans dem gesagten folgt femer speciell für die formal-^mma- üaehe methode , dasz auch in dieser nicht immer der kürzeste weg der beste ist. das streben musz vielmehr darauf gerichtet sein, dasz die schüler zwar absolut sicher zu ihrem ziele gelangen, jedoch Auf einem wege , auf dem sie möglichst viel geistige Schulung ge- winnen, selbst wenn er augenblicklich als umweg erscheint, durch allzu vorsichtiges beiseiterftumen etwaiger hindernisse schadet man den schfilem. um nur ein beispiel anzuführen, welches wiederum dem anfangsnnterricht der sezta entnommen ist : bei der erlernung der adjectiva der zweiten declination wäre es absolut nicht nOtig, die beispiele so durchdeclinieren zu lassen, dasz bei jedem casus alle drei gescblechter hinter einander genannt werden (magnus, magna, magnnm; magni, magnae, magni usw.), da ja bei der praktischen anwendnng in jedem falle nur ein geschlecht gebraucht und leiubt gefunden wird, während bei der herzäblung das hinttberspringen von der zweiten declination zur ersten und von dieser wieder zur zweiten vielen schülem Schwierigkeiten bereitet, dennoch wird sich kein lehrer, der seine methode zielbewust durchführt, diese Übung entgehen lassen.

Auch für die entscbeidnng der frage, wie weit eine toU) spräche auf grammatischer grundlage zu butroibon sei, ob man eine gowisHo fertigkeit im mündlichen oder schriftlichen gubraucho derselben ver- langen dürfe oder gar müsse, oder da» ondsiel nur die gulftutlge Über- setzung der fremden litteratnrwerke in die eigne spräche sei, sind die von uns gewonnenen resultate nicht wertlos, für den latoiniHchen anfsatz z. b., der lange zeit ein viel umfoohtenoH stroitobjcüt war, bis er endlich beseitigt wurde, ergibt sich folgendoN. es ist zweiorlui möglich, entweder er war für den schülur «ine sohwierigo Hprauh- liehe aufgäbe, dann kostete er ihn denkarbeit und regte zur gu- dankenverschmelzung an. diese aber war, weil die faotoren vom schüler selbst zusammengestellt wurden, welcher wenig erfuhrung

N Jahrb. f. phil. n. päd. II. abt 1886 hfl. 8. 85

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378 Sei£Eert: psychologische studien auf pädagogischer grondlage.

und anderseits doch auch das interesse hatte, gröszere Schwierig- keiten zu yermeiden, weniger wertvoll als solche, zu welcher die schttler genötigt würden durch Übersetzung Ton deutschen stücken, welche fachmänner zusammengestellt hatten.* dazu kommt, dasz in diesem falle beim schüleraufsatz die durch den inhalt gegebenen factoren den durch die form geforderten gegenüber allzu kurz kamen, oder aber^ die schüler waren schon so weit fortgeschritten, dasz der lateinische aufsatz ihnen nur sehr wenige sprachliche Schwierigkeiten verursachte; in diesem falle war er weniger eine grosze aufgäbe als das zeichen der Vollendung, das siege! des ab- schlusses. dann aber bot er keine oder doch nur wenig gelegenheit mehr zur gedanken Verschmelzung, konnte als bloszes pr unkstück entbehrt und muste beseitigt werden , sobald die auf ihn verwandte zeit anderweitig gebraucht wurde. Eine ähnliche frage, über welche unsere resultate nützliche aufklärungen geben, ist die, ob und inwieweit auf gymnasien lateinische Stilistik zu treiben sei, und welches überhaupt der bildungswert dieser Wissenschaft im vergleich zu dem der grammatik ist. es würde bei der compliciertheit der Ver- hältnisse zu weit führen , dies hier auseinander zu setzen.

Zum schlusz sei noch daraufhingewiesen, was eigentlich selbst- verständlich ist, dasz die processe der gedanken Verschmelzung in der praxis fast niemals rein, d. h. als die augenblicklich einzigen in- halte des bewustseins vorkommen, sondern fortwährend von andern thatsachen durchsetzt und von andern Operationen durchkreuzt wer- den, welche teils fördernd teils hemmend auf die Verschmelzung ein- wirken, über diese einflüsse sind besondere Untersuchungen nötig.

* dem ist tbatsäcblicb so. bei den abiturientenarbeiten wurden nach- weislicb in den letzten jabren weit mebr lateiniscbe extemporalien als lateiniscbe anfsätze verfehlt.

Lauban. Seiffert.

36.

PLATONISMÜS UND CHRISTENTUM IM RAHMEN DES HUMANISTISCHEN GYMNASIUMS.

Die kleine im jähre 1893 von mir veröffentlichte schrift 'helle- nische weit- und lebensanschauungen in ihrer bedeutung für den gymnasialen Unterricht' hat eine sehr freundliche aufnähme ge- funden, was sich nicht nur in öffentlichen anzeigen und recensionen, sondern auch in vielen privaten Zuschriften bekundet bat. jedoch ist gerade in einer ganz besonders wichtigen beziehung ein bedenken von zwei sehr berufenen männem hervorgehoben worden, von herm geheimrat L. Wiese in einem sehr freundlichen briefe und von herrn gymnasialdirector Meier in seiner anzeige in Fries u. Meier, lehr-

G. Schneider: Piatonismas und christentam. 379

proben und lehrgänge hft.XXXV 8. 108 f. nach voller anerkennnng des grundgedankens der kleinen schrift* schreibt Meier: ^referent hat sich nach der lectflre gefragt: dürfen wir denn überhaupt die hellenische Weltanschauung , also auch die Platonische ethik , dem Schüler als höchste errungenschaft, als beifallswert und absolut wahr hinstellen, musz das nicht vielmehr in allen stunden unsere deutsch- christliche lebensanscbauung sein? die ethik Piatos ist im letzten gründe eudSmonistisch, auf das wohl des eignen ich gerichtet, dasz das wesen des guten ein die natur des schönen entfliehe», entspricht nicht mehr dem ernst unserer lebensauffassung. unsere zeit ist über die bestrebungen, die eine ästhetische gestaltung des lebens als auf- gäbe des menschen ansahen, hinweggeschritten, wir verkennen nicht mehr, dasz die ganze herlichkeit griechischer cultur auf einem un- sittlichen gründe, der einrichtung der Sklaverei, ruht, darf man dem Schüler die herrenmoral des Griechentums als ziel hinstellen? der verf. hat es in seinem buche vermieden, den ausgleich der helle- nischen Weltanschauung mit unserer deutschen vorzunehmen, und es wäre doch von höchstem Interesse gewesen, die art und weise kennen zu lernen, wie diese auseinandersetzung dem Standpunkte eines pri- maners entsprechend vor sich geht, denn vollzogen werden musz dieser ausgleich. die griechische Weltanschauung darf als moment eingehen in unsere deutsch-christliche und dieselbe bereichern und vertiefen, auch sie erschlieszt uns ja eine seite der welterkenntniä, die Wahrheit in sich trägt ; aber sie darf nicht als gleichwertig und gleichberechtigt neben die Weltanschauung treten , die wir als die höchste anerkennen.'

Nach der Widerlegung zweier möglicher einwendungen, näm- lich '1) dieser Vorgang vollzieht sich schon von selber im geiste des Schülers, oder 2) er ist eine aufgäbe der religionsstunde' folgt der schluszpassus : ^der gegensatz spitzt sich schlieszlich zu auf die frage : soll die schule erziehen oder blosz unterrichten? auf der Versamm- lung der historiker in München hat man entschieden für die ge- schichte wenigstens das letztere behauptet, tritt man der ersteren ansieht bei , so musz man in allen lehrgegenständen mit ihr ernst machen, möge das vorliegende schriftchen zur gründlichen erörte- rung dieser grundfrage unseres Schulwesens anlasz geben.'

Zunächst erkläre ich dem gegenüber, dasz ich weit davon ent- fernt bin, Mie hellenische Weltanschauung, also auch die Platonische ethik, dem schüler als höchste errungenschaft und absolut wahr hin- zustellen', und dasz ich mich mit den aufgestellten forderungen Meiers im vollen einverständnisse befinde, ich will meine hierher

* 'dem grundgedanken des Verfassers kann man nur zustimmen; gewis wird in einem so betriebenen Unterricht der Vorwurf hinfällig, dasz das gymnasium seine schüler nicht in die gedankenweit des alter- tums einführe und an der schale grammatischer tüfteleien kleben bleibe, wir möchten daher allen collegen, die den Plato zu lesen haben, das scbriftchen zu eingebender beachtung empfehlen.'

25*

380 G. Schneider: PlatoniBmaa und chrifitentum.

gehörigen anschauangen in aller kürze und nur in den wesentlichsten punkten zur darstellung bringen.

Das humanistische gymnasium weist dem griechischen unter- richte immer noch einen ziemlich groszen räum und eine bedeutende steile in seinem Organismus zu und legt auf die lectttre der gpriechi- sehen meisterwerke und auf die erfassung ihres inhalts ein groszes ge- wicht, was nun den inhalt anbelangt, so musz das gymnasium für seine Schüler das beste und schönste auswählen, was die auf dem gymnasium gelesenen griechischen schriftsteiler bieten, das ist aber nichts anderes als die weit- und lebensanschauung der vornehmsten und edelsten denker der Hellenen, die neuen preuszischen lehrplttne heben in dieser beziehung den ideengehalt der Sophokleischen stücke und der Platonischen dialoge hervor und betonen dabei die ethik Piatos , in- dem sie fordern, dasz die auswahl der zu lesenden Platonischen dia- loge ^in erster linie im hinblick auf den pädagogisch bedeutsamen ethischen gehalt' getrofifen werden soll, ethik aber und religion sind bei Plato nicht zu trennen, demnach musz die forderung der preaszi- schen lehrpläne vom jähre 1892 dahin verstanden werden, dasz auf die darstellung der ethisch -religiösen anschauungen Piatos im gymna- sialen unterrichte ein besonderes gewicht zu legen ist. da nun der Unterricht des humanistischen gymnasiums, wenn ^humanistisch' nicht ein leerer zusatz sein soll , eine erziehliche bedeutung haben musz , so musz bei der auswahl des Stoffes auch auf diesem gebiete das edelste und schönste in den Vordergrund gerückt werden, und der lehrer, der mit seiner seele beim unterrichte ist, wird ganz von selbst mit besonderer wärme das hervorheben, was nach seiner Über- zeugung wahr und von ewigem werte ist. damit aber werden die- selben anschauungen ihren einzug in die gemüter der besseren Schüler halten.

Meine kleine schrift hat ganz besonders die harmonische ge- staltung des gymnasialen Unterrichts gefordert und zwar um der im innem des schülers zu erzeugenden harmonie willen, nicht blosz das schöne, auch das gute und wahre ist nur da, wo harmonie herscht. es musz also eine einheitliche lebensanschauung sein, zu der das gymnasium seine schüler erziehen will, und diese kann nur die deutsch-christliche sein, daraus folgt mit not wendigkeit, dasz die griechische Weltanschauung nicht ^als gleichwertig und gleich- berechtigt neben die Weltanschauung treten darf, die wir als die höchste anerkennen', sondern nur *als moment in unsere deutsch - christliche Weltanschauung eingehen' kann, und wenn nun Meier von der griechischen Weltanschauung sagt, dasz ^sie uns eine seite der Welterkenntnis erschlieszt, die Wahrheit in sich trägt', und ihr auch die fähigkeit zuschreibt, unsere deutsch-christliche Weltanschau- ung zu bereichem und zu vertiefen , so zeigt sich darin eine Wert- schätzung der griechischen Weltanschauung , über die auch der be- geistertste bewunderer des Hellenismus nicht hinausgehen darf.

Aber wie ist nun jene harmonie zwischen der griechischen und

G. Schneider: Piatonismus und Christentum. 381

der deutsch -christlichen Weltanschauung herzustellen? ich denke, auf grund des wertes des apostels Paulus: 'prüfet alles, und das gute (eigentlich : das schöne) behaltet.' gut ist aber in der griechi- schen Weltanschauung alles, was mit unserer deutsch-christlichen Übereinstimmt, man vergesse dabei nicht, wie auszerordentlich unsere Weltanschauung durch das Hellenentum auf manigfachen wegen seit vielen Jahrhunderten beeinflnszt worden ist , und weiter beeinfluszt werden würde, selbst wenn die gjmnasien das grie- chische aus ihrem unterrichtsplane streichen wollten, zu dem guten nun an der hellenischen Weltanschauung rechne ich vor allem den satz des alten Sokrates, dasz in dem menschlichen leibe ein geist wohnt, der seinen grund und Ursprung in dem geiste hat, der durch das Weltall geht, also in dem geiste gottes. daraus folgt ohne weiteres, dasz wir in gott leben ^ weben und sind, und dasz wir seines geschlechtes sind , und so sind mit jener Überzeugung des Sokrates die gedanken 'etlicher poeten' gegeben, welche der apobtel Paulus in seiner groszen missionspredigt in Athen als wahr anerkennt und zum ausgangspunkte seiner Verkündigung des wahren gottes macht, dieser satz ist die grundlage aller idealen Weltanschau- ung, und so ruht denn auch das ganze gebSude der Platonischen ethik und religion auf diesem satze , oder in genauerer angäbe, auf dem satze, dasz in dem menschen eine unsterbliche seele wohnt, die aus gott stammt und demnach zu ihm zurückzukehren be- stimmt ist.

Betrachten wir nun den allerwesentlichsten bestandteilen nach das ethisch-religiOse System , welches sich bei Plato auf dieser basis erhebt, in einer berühmt gewordenen stelle des Timäus wird die frage aufgeworfen, aus welchem gründe gott die weit geschaffen habe, und die antwort lautet: 'gott war gut, und weil er gut war, war er frei von neid und wollte, dasz alles ihm selbst so ähnlich als möglich werde.' um diesen groszen gedanken , um die idee des guten darzustellen, beseelte gott die chaotische materie mit seinem geiste und bereitete aus ihr eine gute und schöne weit; und so schuf er den menschen so gut als möglich, ihm selber ähnlich, wir sehen, wie dieser stelle der gedanke zu gründe liegt, dasz der mensch seinem inneren wesen nach geist vom geiste gottes ist, und dasz Plato vornehmlich im hinblick auf dieses geistige wesen des menschen sagt, gott habe den menschen so gut als möglich ge- schaffen , ihm selber ähnlich, daraus ergibt sich für den menschen die sittlich-religiöse forderung, dasz er mit aller kraft danach strebe, gott ähnlich zu werden, denn die gottgleichheit ist ihm seiner endlichen natur wegen versagt, diese verähnlichung mit gott aber besteht in der frömmigkeit auf grund der erkenntnis, d. b. auf grund wissenschaftlicher erkenntnis. damit ist aller wissen- schaftlichen forschung ihr höchstes und einzig wahres ziel gesteckt : sie soll der erkenntnis gottes dienen und so dem menschen helfen, gott ähnlich zu werden, das ist der eigentliche wert der wissen-

382 G. Schneider: PlatonismuB und Christentum.

Schaft; und so ist das streben nach wissenschaftlicher bildong eine sittlich-religiöse pflicht. Wissenschaft, ethik und religion sind nach Platonischer anschauung ihrem innersten wesen nach ein und das- selbe, denn sie entspringen demselben urquell, dem geiste in uns, der seinen grund und Ursprung im geiste gottes hat«

Betrachten wir einmal vom Platonischen Standpunkte aus den lehrplan unserer humanistischen gymnasien, indem wir fragen, welchem zwecke die einzelnen disciplinen zu dienen haben, wenn wir diesen im sinne Piatos bestimmen wollen, die weit, die uns sichtbar entgegentritt, ist eine darstellung der ideen, das heiszt der gedanken gottes , und hiermit eine Offenbarung seines wesens« so- mit hat alle naturbetrachtung und also aller naturwissenschaftliche Unterricht, ebenso der geographische vor allem die aufgäbe, zur er- kenntnis gottes hinzuführen. Plato und andern vornehmen denkem der Hellenen war die gesetzm&szigkeit in der bewegnng der himmeis- körper und die durch sie erzeugte Schönheit und harmonie ein deut- licher beweis für das dasein gottes. so müssen auch wir uns ge- wöhnen , wo wir gesetze in der natur erkennen , den schöpferwillen gottes wiederzufinden.

Die neuen preuszischen lehrpläne wollen , dasz durch den ge- schichtsunterricht in den oberen classen das Verständnis für ein höheres walten in der geschichte geweckt werde, gewis ist es von ganz besonderer bedeutung, die sittlichen mächte zu erkennen, die in der Weltgeschichte wirksam sind , und von diesem Standpunkte aus es begreifen zu lernen, dasz die Weltgeschichte das Weltgericht ist, bei welchem die ewige gerechtigkeit selbst wage und schwort in den bänden hält und die sittliche weltordnung wahrt und schirmt, in einem solchen sinne schrieb Herodot seine geschichte, aber bei ihm lenkt eine neidvolle gottheit die geschicke der einzelnen und der Völker, Plato würde als geschichtsch reiber an die stelle der neidischen gottheit den guten gott gesetzt haben , der auszer dem neide ist.

Auch nach Platonischer Weltanschauung ist gott ein geiät, und so ist seine erkenntnis nur durch den geist möglich, darum ist es nötig, dasz wir loskommen von der sinnenweit und in und mit dem geiste die Wahrheit suchen, wegen dieser fäbigkeit, den geist vom sinnlichen ab- und dem geistigen zuzukehren, legt Plato dem unter- richte in der mathematik eine hohe bedeutung bei. dieser Unter- richt ist nach seinem lehrplane eine unmittelbare Vorbereitung auf den unterriebt in der Wissenschaft, deren eigentlichstes ziel die er- kenntnis gottes ist, auf den Unterricht in der philosophie. es ist klar, dasz auch aller sprachliche Unterricht die denkkraft stärkt und schult, die neuen preuszischen lehrpläne bezeichnen als die eine aufgäbe des lateinischen Unterrichts sprachlich-logische Schulung, der gymnasiale Unterricht weist die jugendlichen gemüter auch auf den bedeutenden inhalt der meisterwerke hin , mit denen er es zu thun hat, und verweilt hier am liebsten bei den groszen und er-

G. Schneider: Platonismas und Christentum« 383

habenen ideen edler denk er. und gerade die erkenntnis und an- eignung idealer gedanken und ewiger Wahrheiten nähert den men- schen seiner göttlichen bestimmung; denn der anschauung ewiger Wahrheiten hingegeben, kommt er los von der Sinnlichkeit, so weit es dem menschen auf erden möglich ist, und führt er ein leben im geiste. und dieses leben im geiste schafft ihm die rttckkehr zu gott, wenn die pforte des todes sich ihm aufthut.

So dient aller Unterricht in den Wissenschaften geistiger er* hebung und der erzeugung idealer gesinnung. in demselben dienste steht auch der Unterricht in den künsten. das zeichnen schärft den blick für das schöne , das schöne aber ist eine Offenbarung des gött- lichen; edle musik bringt ruhe und harmonie in die seele und macht sie edlen stimmmungen und idealen gedanken zugänglich , und das turnen gibt dem körper kraft und der seele mut und befähigt so den menschen, für seine Überzeugungen einzustehen und seine pflicht zu erfüllen.

Demnach ist das ziel des gesamten Unterrichts nach Platoni- scher anschauung die hervorbringung idealer gesinnung, wir können dafür mit Plato auch sagen, frommer gesinnung. doch bedarf unsere darstellung noch einer ergänzung. Plato setzt das wesen der frömmig- keit darein, dasz der mensch sich in den dienst gottes stellt, dasz er ihm hilft; wie der diener seinem herm, nämlich hilft bei seinem groszen werke, das gute in der weit zu verwirklichen, und so be- steht die frömmigkeit darin , dasz der mensch nicht nur an seiner eignen geistigen und sittlich-religiösen ausbildung arbeitet, sondern auch , so viel an ihm liegt, mithilft, dasz seine mitmenschen so gut als möglich werden, ein leuchtendes beispiel hierfür ist Sokrates, •der sein handwerk aufgab , um seine seele zu bilden, und sein haus- wesen vernachlässigte und in äuszerster dürftigkeit lebte, um seine mitbürger immer und immer zu mahnen , sie sollten für ihre seele sorgen, dasz diese so gut als möglich werde , in der überzeugunff, dasz es nur ein unglück gibt, nämlich schaden zu leiden an seiner seele.

Die Platonischen gedanken, die wir bisher zur darstellung ge- bracht haben, stimmen mit unsem deutsch-christlichen anschauungen im wesentlichen überein und sind zum teil von dem apostel Paulus selbst als wahr anerkannt, teils ruhen sie auf dem von diesem groszen gottesmanne als wahr anerkannten gründe, und die aufnähme dieser gedanken in unsere christliche Weltanschauung vollzieht sich leicht und richtig dadurch, dasz wir in allem wahren und erhabenen, das -der menschliche geist, also auch der geist der Hellenen hervor- gebracht hat, eine Offenbarung gottes erblicken, gerade so wie wir in allem schönen und zweckmäszigen in der natur den schöpfer- gedanken des weisen und gütigen gottes wiedererkennen.

Es erwächst nun aber eine andere aufgäbe , nämlich die, dem Schüler darzuthun, dasz trotz aller wahren und erhabenen gedanken, die sich bei den Griechen auf dem ethisch-religiösen gebiete finden,

384 6. Schneider: Platoniemus und Christentum.

unsere deutsch- christliche anschauung doch die erhabenere und reinere ist und erst in ihr die ganze Wahrheit gegeben ist. es ent- spricht dem wesen des Unterrichts mehr, diesen nach weis nicht in abstracter weise zu führen , sondern so , dasz für ihn ein lebendiger mittelpunkt gesucht wird, ich meine ein Vertreter der deutsch-christ- lichen anschauung. wir brauchen also einen mann von echt deutscher und echt christlicher gesinnung, einen solchen aber haben wir im vollsten masze in unserm Elopstock. da dieser zugleich ein mann von gediegener classischer bildung war, so haben wir in ihm in der that ein lebendiges beispiel für den von Meier geforderten nachweis des ausgleichs zwischen hellenischer und deutsch-christlicher lebens- anschauung.

Beginnen wir mit dem , was Plato und Klopstock gemeinsam ist. die erste strophe der herlichen ode *der Zürcher see' lautet :

Schön ist, matter nator, deiner erfindong pracht, auf die Auren verstreut, schöner ein froh gesiebt, das den grossen gedanken deiner Schöpfung noch einmal denkt.

das ist ganz Platonisch gedacht: die weit, die wir sehen, ist eine Ver- wirklichung des groszen gedankens gottes , die idee des guten zur darstellung zu bringen , d. h. alles so gut als möglich zu machen, ihm selber ähnlich, ja die ganze grundlage von Klopstocks weit- und lebensanschauung stimmt mit der Platonischen vollkommen überein, denn auch nach ihm beruht aller wert des menschen darauf, dasz er eine unsterbliche seele hat, die 'dem ewigen hauche ent* Sprüngen' ist^ und auf dieser grundlage erhebt sich seine ethik und zum guten teile auch seine religion. aber auch der begeisterte Ver- ehrer Platonischer Weisheit musz zugeben , dasz bei dem deutschen und christlichen dichter gröszere lauterkeit und gröszere tiefe zu finden ist. unsere darstellung soll, wie gesagt, nicht erschöpfend sein ; es wird aber auch genügen , wenn ich zwei bestimmte punkte hervorhebe.

Von jeher hat man die sogenannte Platonische liebe gepriesen, und man hat sich gewöhnt, in ihr etwas ganz besonders reines und erhabenes zu sehen, und in der that ist es schön und hohen lobes wert, wenn ein mann, der es in wissenschaftlicher, sittlicher und religiöser beziehung zu einer hohen stufe der erkenn tnis und der bildung gebracht hat, nun bestrebt ist, in liebevoller, selbstloser hin- gäbe an einen jüngeren in dessen seele den samen zu allem guten^ wahren und schönen zu streuen und die aufgehende saat zu behüten und zu pflegen, der mann, der es dazu gebracht hat, steht auf er- habener höhe, auf der er reine himmelsluft atmet, und übt ein gott wohlgefälliges werk, zu dieser höhe des erkennens und thuns erhebt ihn die liebe zum schönen, d. h. die liebe zum geistig schönen, aber wie dem erkennen , also dem geistigen erfassen, die erfassung durch die sinnliche Wahrnehmung vorausgeht und eine notwendige Vorstufe für jenes ist, so geht nach Plato der liebe zum geistig schönen not-

V

N.

G. Schneider: Platonismas und Christentum. 385

wendigerweise die liebe zum sinnlich schönen voraus, und so führt der weg zu jener erhabenen höhe mit ihrer reinen himmelslufb an einem abgrunde vorbei , und es weht den wanderer auf diesem ab- schnitte des weges eine so schwüle luft an , dasz ihm die sinne be- nommen werden und er^ wenn er nicht zu den ganz bevorzugten naturen gehört, hinabstürzt, so erreichen nur wenige auserlesene das erhabene ziel, dazu kommt noch ein zweites: die liebe zum schönen führt bei Plato zu einem innigen bunde zwischen dem ge- reiften manne und einem knaben oder Jünglinge, aber nicht zur ehe. ehe und familie hebt Plato in seinem idealstaate für den stand der krieger und der regierenden auf, also für den ersten stand , der die gebildetsten und besten enthalten soll, wie ganz anders bei Klop- stock! freundschaft und liebe werden von ihm ebenso hoch ge- priesen wie von Plato, denn edle freundschaft und reine liebe (nur solche kennt Elopstock) sind lugenden , in denen sich das göttliche und ewige im menschen, seine unsterbliche seele, offenbart, als Offen- barungen und bethätigungen des göttlichen und damit des reinen im menschen bleibt ihm der Versucher fern , und die liebe führt zur ehe und wird damit zum gründe eines reinen, eines christlichen und deutschen familienlebens.

Elopstocks poesie und seele ist erfüllt von der liebe zum messias. dieses moment fehlt natürlich dem beiden Plato. freilich nennt auch er gott den vater, und dieser vater hat einen eingeborenen söhn, der ihm wesensgleich ist. aber gott heiszt bei ihm vater nur als Ur- heber der weit, und sein eingeborener söhn ist die von dem geiste gottes durchdrungene und beseelte weit selbst, dieser eingeboren» söhn kann also nicht zum mittler zwischen gott und der weit werden, wir sind hier zu dem eigentlichen kerne unserer aufgäbe gelangt, die wichtigste frage für den menschen ist die frage nach dem höchsten gute, vom religiösen Standpunkte aus erhält diese frage eine be- stimmtere form: sie wird zur frage nach der erlösung. mit dem begriffe der erlösung treten wir in das innerste wesen der religion ein , und so wird dieser begriff geradezu zum prÜfstein für die zu- Ittnglichkeit der religiösen anschauungen. wie steht es nun bei Plato mit der idee der erlösung? die Sehnsucht nach erlösung hat zur Voraussetzung das bewustsein von dem ernste und der macht des- bösen, dieses bewustsein hat Plato. das böse hat seinen grund in der materie. die vemunft ist das göttliche in uns; aber dieses gött- liche ist hineingebannt in diesen materiellen leib mit seinen sinn- lichen trieben und begierden , und es wird von diesen zunächst be- herscht und bezwungen, es kommt nun alles darauf an , dasz der geist sich losmacht von der sinnlichen natur und wieder herr seiner selbst wird, die erlösung ist nach Plato eine lösung, nämlich eine lösung des geistes von dem leibe, ein sichzurückziehen des geistes auf sich selbst, diese lösung vollzieht sich im wesentlichen auf grund wissenschaftlicher erkenntnis; hat doch nach Plato auch nur die lügend ihren vollen wert, die sich auf wissenschaftlicher erkenntnis

386 6. Schneider: PlatonismuB and chmtentuin.

aufbaut, die heilswahrheiten müssen auf wissenschaftlichem wege errungen werden, und so wird die wissenschaftliche bildung zur Voraussetzung der erlösung. man siebt sofort, den armen wird das evangelium von Plato nicht gepredigt, die berufenen sind eine bevor- zugte classe, lauter geistig hochstehende menschen; ihrer sind nicht viele, noch geringer ist die zahl der auserwählten, nur wenigen ist ^er tod der eingang zur Seligkeit. Plato legt eben in Übereinstim- mung mit dem ganzen Griechentume von Homer an dem denken eine zu grosze bedeutung bei. eine so exclusive religion ist in Wirklich- keit keine religion. wie ganz anders das Christentum! die Wahr- heiten , die der mensch für das heil seiner seele braucht , sind ihm offenbart von gott; einem jeden, auch dem geistig armen ist die möglichkeit geboten , in das himmelreich einzugehen , und ein jeder kann diese möglichkeit für sich zur Wirklichkeit machen, wenn er nur das dargebotene heil im glauben und in liebevoller hingäbe an Jesum Christum erfaszt. ein solcher, mag er geistig hoch oder niedrig stehen, kann der ewigen vaterliebe gottes und seiner gnade gewis sein.

So wird uns das heil nur durch Christus, nicht durch hellenische Weisheit, aber trotzdem wollen wir das gute, das auch diese bietet, festhalten, und es will dem humanistischen gjmnasium ganz be- sonders wohl anstehen, festzuhalten an der erkenntnis, dasz der geist gottes, der uns überall entgegen weht, uns namentlich auch aus den Wissenschaften entgegenweht, dasz die Wissenschaft etwas göttliches und heiliges ist. wer in dieser weise der Wissenschaft sich hingibt, in dessen seele trägt der reine gottesodem, der aus ihr weht, den Samen idealer gesinnung. wo aber dieser aufgegangen ist, da lebt auch eifer zur tugend , und da ist der boden wohl vorbereitet für den glauben an gott und für innige religiosität.

Gera. Gustav Schneider.

37.

DIE VERWERTUNG

DER NACHGOETHISCHEN LITTERATUR IM UNTERRICHTE

DER OBEREN CLASSEN HÖHERER LEHRANSTALTEN.

Der Ursprung aller kunst ist in dem bedürfnis des menschen nach einem lebhaften gefühl seines daseins zu suchen, besonders begabte und reich empfindende naturen, die die scheinbar zufälligen weltdinge in einem gewissen höheren Zusammenhang erkennen und dadurch in eine gesteigerte gemütsslimmnng sich versetzt fühlen, empfinden zugleich auch das verlangen, ihr Seelenleben mit den mittein des Wortes oder tones, pinseis oder meiszeld derart zur dar- Stellung zu bringen, dasz ihr eignes empfindungsieben im genusse

F. Bettiugen : nacbgoethieche litteratur im unterrichte. 387

ihrer darstellung auch auf die übrige menscbheit übergeht, ihre Seele erweitert und dauernd ausfüllt, jedes werk der kunst ist also in der absieht hervorgebracht zu denken, eine gewisse Wirkung auf die mitfühlende menschheit hervorzubringen, und selbst wenn der kün stier gänzlich isoliert ist oder sein werk gar nicht an die Öffent- lichkeit bringt^ so hat er doch immer ein gewisses publicum im äuge, auf das er wirken will, oder er tritt selbst gewissermaszen als fremde person vor sein kunstwerk und weitet seine seele im genusse der empfindungen , die er seinem werke schaffend eingehaucht hat nach der Wirkung also wird der wert jedes kunstwerks beurteilt, nicht nach abstracten begriffen der Schönheit, die einigermaszen zu erweisen der bisherigen ästhetik nicht gelungen ist. je manigfaltiger sich nun das menschenleben in der dichterseele widerspiegelt, je tiefer und umfassender das menschliche dasein in gewisser Ordnung dargestellt ist, je energischer, siegreicher bestimmte empfindungen in dem dichtwerke zum ausdruck gebracht sind, desto mehr wird es geschätzt; ist es im stände^ eine anhaltende totale befriedigung in vielen menschen verschiedener Völker zu erzeugen, so nennen wir es ein classisches werk, einer reihe von deutschen dichtem am ende des vorigen Jahrhunderts gelang es, vollständig neue Seiten des mensch- lichen herzens aufzudecken und dauernd zu beleben; sie 'fanden für alles das, was die damalige weit in ihrem innersten bewegte, einen solchen wirkungsvollen, nicht nur das ganze deutsche volk, sondern, man kann sagen, die ganze gebildete weit ergreifenden ausdruck, dasz man sie als die deutschen classiker bezeichnet hat. wenngleich nun die resonanz ihrer werke in der heutigen zeit eine schwächere geworden ist, worüber sich nur diejenigen täuschen können, die mit absieht ihre äugen vor dem heutigen leben verschlieszen , wenn Elopstock, Wieland und Herder nur noch von gelehrtem interesse sind und sogar unsere bedeutendsten classischen dichtwerke mehr bewundert als gelesen werden, so bildet doch die anleitnng zum Ver- ständnis unserer classischen dichtwerke mit recht einen integrieren- den bestandteil der bildung des gesamten deutschen Volkes von der Volksschule bis zur Universität.

Doch mittlerweile sind fast hundert jähre dahingeflossen , neue geschlechter ringen nach neuen zielen, das ganze leben hat sich nach den Zeiten Schillers und Goethes mächtig umgewandelt, neuer lebens- Inhalt füllt und füllte die seele der dichter und liesz sie in neuen formen ausströmen in die herzen der fühlenden menschheit. un- berechtigt und unwissenschaftlich ist und war der Standpunkt vieler führender männer, alle erscheinungen im kunstleben der gegenwart oder nächsten Vergangenheit deswegen abzulehnen, weil ja nach unsern classikem überhaupt keine leistung auf Selbständigkeit an- spruch machen könne, wie man nach Beethoven keinen componisten, 80 wollte man nach Goethe keinen dichter gelten lassen und glaubte sich mit dem billigen werte 'epigonen' 'moderne' der kunst der gegenwart gegenüber abfinden zu können, vergessen wurde dabei,

388 F. Bettmgen: nachgoeÜuBche litteratur im unterrichte.

dasz das deutsche publicum trotzdem, ebenso wie die neuen meister der tonkunst, so auch die der dichtkunst wertschätzte, manchmal freilich auch verkehrt schätzte , weil ja die berufenen fttbrer abseits standen, so stellte sich nun ein arges misverhältnis heraus zwischen kunsty kritik und einem debattierenden publicum , was sich in der maierei ebenso wie in der musik und der dichtkunst fortwährend unangenehm bemerkbar macht, es ist an der zeit, zu prüfen, in- wieweit und in welcher weise die nacbgoethische litteratur auch in den höheren schulen eingang findet, es gilt doch vor allem, schüler heranzubilden, die nicht wissenschaftlich rückständig oder einseitig vorgebildet sind, die dazu angeleitet werden, auch die gegenwart in ihren wichtigsten beziehungen zu verstehen, damit sie nicht mit allerlei verurteilen belastet das führeramt im volke dereinst über- nehmen können.

Wollen wir die frage beantworten, welche werke der deutschen nationallitteratur nach Goethe in den Unterrichtsstoff aufgenommen werden sollen , und wollen wir uns zunächst auf die dichtwerke be- schränken, so müssen wir vorerst wissen , welche charakteristischen merkmale denn die werke unserer classiscben periode nach inhalt und form zeigen, erst wenn dies festgestellt ist, kOnnen wir be- urteilen, welche neueren dichtungen neue Seiten des herzens ent- deckt und dargestellt haben , was von diesen als dauernd lebt und leben wird und was sich schlieszlich für die höhere schule eignet.

Um es kurz zu sagen , so ist die seele aller classiscben dichter des 18n Jahrhunderts mehr oder weniger erfüllt von leidenschaft- licher Sehnsucht, die ideen der aufklärung zu verwirklichen, das ganze leben in dieser richtung umzuformen und die geschichtliche Vergangenheit des deutschen volkes von dieser hohen warte aus zu beurteilen, die dichter weisen alle vorwärts, durchdringen mächtig die Seelen der menschheit mit neuem, groszartigem lebensinhalt, sie sind die führer auf geistigem gebiete in eine neue zeit hinein , die unerbittlich mit den letzten resten mittelalterlicher Überlieferung auf- räumt, was ist nun aber der inhalt dieser neuen lebensanschauung?

Ich erkenne als dauernden niederschlag der aufklärung des vorigen Jahrhunderts, wie ihn unsere dichter zurücklassen, das streben und verlangen nach gleichberechtigung aller menschen, das recht derselben auf freiheit und Selbstbestimmung, denk- und ge- Wissensfreiheit, duldung und nächstenliebe , kurz schöne mensch- licbkeit, der nichts zu klein oder zu schlecht ist, dasz es nicht in einem höheren zusammenhange, in einer höchsten Ordnung des Universums verstanden und gewürdigt würde. Goethe stellt in seiner person und universellen bildung den höhepunkt der ent- Wicklung des 18n Jahrhunderts dar, er, der in seinen gedanken noch heute sowohl die ganze natur Wissenschaft als auch die neuere phase unseres social-politischen, staatlichen lebens beherscht und noch lange beherschen wird.

Die form der dichtung ist beherscht von dem griechischen, in

F. Bettingen : nachgoethittche litteratar im unterrichte. 389

der renaJBsance zu neuem leben erwachten Schönheitsideal, es wird streng gebalten auf eine feste, vollendete, in allen teilen dem besten geschmack und formsinn entsprechende darstellung in an- lehnung an griechisch-römische Vorbilder, Homer und Sophokles, Horaz , Properz , Martial u. a. die bilder des lebens tragen den for- derungen schönen empfindens rechnung, alles ist ausgeschaltet, was weniger harmonisch, häszlich oder abstoszend wirkt; die poetische gerechtigkeit im sinne der aufklftrung waltet überall; den guten geht es schlieszlich gut, und das böse findet seinen lohn, oder wenn änszerlich der gute unterliegt, so siegt doch seine Sache, für die er gekämpft hat, und die Sympathie des publicums ist ihm gesichert.

Es liegt etwas aristokratisches in der ganzen kunst der renais- sance, über bestimmte gebiete des menschenlebens gleitet der dichter und künstler vornehm hinweg , er idealisiert, er stilisiert gewisser- maszen das leben der Wirklichkeit, um sein schönes empfinden zu befriedigen, *er breitet es lustig und glänzend aus, das zusammen- gefaltete leben', gerade wie in der baukunst, in den gewebe- mustern die stilisierten fruchte, blumen und tiere nur entfernt an wirkliche blumen usw. erinnern, so stellen auch die classiker nicht Wahrheit an sich, sondern schöne Wahrheit dar, die oft erst in fabelhaften ländern und meeren, den inseln der glückseligen, die nur in der phantasie existieren, aber nicht im wirklichen leben zu finden ist.

Eine fernere charakteristische eigenschaft der dichtwerke unserer classiker ist ihr interconfessioneller und internationaler , kosmopoli- tischer Charakter, mit bewustsein erheben sich die denker des vori- gen Jahrhunderts über alle confessionellen schranken, indem sie ein ganz natürliches, ohne Offenbarung erlangbares wissen und eine natürliche moral ausführen , die allen menschen gemeinsam und be- stimmt sein soll, als grundlage des lebens zu dienen, um so allen confessionellen hader zu beseitigen, der in den stürmen des dreiszig- jährigon krieges so viel leid über die menschheit gebracht hatte.

Besasz schon die reformation in ihren gründem, einem Deutschen, Schweizer und Franzosen, einen internationalen Charakter, so ist auch die bildung der aufklärung, wie sie sich in unsern dichtem widerspiegelt, international, die denkfreiheit und religiöse freiheit drang von Frankreich herüber zu uns und hatte ihre wurzeln in England; hier entstand die neue empirische methode wissenschaft- licher und zumal naturwissenschaftlicher betrachtung und verhalf der heute die weit beherschenden technik zum dasein, somit ist die anschauungsweise in der vergangenen litteratur- periode kosmopolitisch und entbehrt ebenso wie con- fessioneller so auch nationalpolitischer färbung; auch Klopstocks deutscher Patriotismus hat keine politische, höchstens eine litterarische tendenz.

Halten wir die eben geschilderten wichtigsten charakteristischen

390 F. Bettingen: nachgoethische litteratur im unterrichte.

merkmale der classiscben poesie fest, so können wir leicht beurteilen, welche neuen triebe die neuere und neueste dichtung hervorgebracht, welche neuen seilen menschlichen fühlens sie entdeckt und dauernd dichterisch verherlicbt hat. die groszartige nationale erhebung der Deutschen im anfang unseres Jahrhunderts rüttelte unsere nation aus ihrem Weltbürgertum gewaltig auf und liesz in den besten die heisze Sehnsucht erwachen, den deutschen einheitstraum zu verwirklichen und Deutschland wieder politisch zu dem zu machen , was es in den groszen Zeiten seiner Vergangenheit gewesen, zor tonangebenden macht in Europa, eine reihe tüchtiger dichter stellt daher ihr deutsches Volkstum in den Vordergrund, sie kämpfen für kaiser und reich, für die erfüllung des deutschen einheitstraums und bejnbehi die endliche erfüllung ihrer b Öffnungen; es sind hauptsächlich ühlandund die schwäbische dichterschule, Qeibel, Hoffmann, Richard Wagner u. a. anderseits erfüllten die befreiungskriege nicht die hoffhungen der Deutschen auf praktische durchführung der ideen der aufklämng im staatlichen, socialen und politischen leben, sondern im gegenteil suchte eine allgemeine politische reaction die gewaltsame Unter- drückung alles dessen durchzusetzen, was an culturf ortschritt mit der aufklärung und der französischen revolution gewonnen schien, dieser reactionäre druck erzeugte gewaltigen gegendruck , und die spuren dieser kämpfe finden sich wieder in den dichtungen mancher deutschen männer, die sich jetzt voll zornes von ihrer heimat ab- wandten und ihre blicke richteten nach Frankreich, dem lande der freiheit. die Chorführer dieser litterarischen richtung sind Heine und Börne, in ihre fusztapfen treten auf längere oder kürzere zeit u. a. Gutzkow, Herwegh, Dingelstedt, Freiligrath. sie sind meist poli- tisch radical und kämpfen in mehr oder weniger tiefgehender auf- fassung für aufklärung, freiheit, kurz für alle guter, die in den classiscben dichtungen als höchstes ziel menschlichen strebens hin- gestellt werden.

Den ausschreitungen einer radicalen philosophie und dem durch geistlose Vertreter dürre und Öde gewordenen rationalismus folgte notwendig als rückschlag ein erstarken der kirchlichen frömipig- keit und des positiven Christentums, das schöne dichterische bluten zeitigte, wie die werke von Annette von Droste-Hülshoff, Weber, Redwitz, Spitta, Gerok, Sturm u. a. beweisen.

Während ein kalter winterfrost die jungen keime der auf- klärung vernichtet zu haben schien, lebte und webte, vom poli- tischen treiben fern, doch die Wissenschaft mit ihrer neuen methode und den starken impulsen der aufklärung weiter und nahm in allen disciplinen einen staunenerregenden aufschwung, zumal in der erkenntnis und praktischen Verwertung der naturkräfte und der aufhellung der geschichte. in neuem glänze zeigte sich jetzt das leben der Vergangenheit und gegenwart, tiefer und umfassender wurde die erkenntnis des lebens und des menschen, und so konnte der neue dichter auch das leben in einem viel tieferen zusammen-

F. Bettingen : nachgoethische litterator im unterrichte. 39T

hange, in jeder beziebung genauer and eingebender darstellen al& es unsem classikem vergönnt war. so entwickelte sich der cultur- historische roman , und mancher beutige dichter glaubt schon auf grund überraschender entdeckungen der pbysiologie des menschen sowie der fortschritte moderner philosophie so manches psycho- logische rätsei im menschenleben dichterisch lösen zu können, der zahl und Schätzung dieser zur mode gehörenden dichter entspricht ihre bedeutung als künstler nicht, weil doch meistens das antiqua- rische beiwerk oder physiologische halbwahrheiten in den Vorder- grund treten und von künstlerisch waltender phantasie und tiefer erfassung des geistes der Vergangenheit wenig bemerkbar wird, in der regel erscheinen ganz gewöhnliche moderne menschen bald in ägyptischem, römischem oder altdeutschem costüm. den anfang machte Raupach mit seinen ellenlangen dramen aus der Hohen* staufengeschichte ; ihm folgen in langer reihe die modernen mode- dichter, von denen bleibenden wert haben etwa Scheffel, einiges von Frey tag, femer Baabe (Corvinus), Jensen, E. F. Meyer, Taylor.

Das verstärkte patriotische gefühl liesz femer eine reihe von dichtem erstehen, die sich in die eigenart und geschichte ihrer engeren heimat poetisch versenkten und hier im heimischen Volks- tum die starken wurzeln ihrer dichterkraft fanden, gerade sie haben mächtig die herzen des deutschen volkes durchdrungen und be- zeichnen daher einen fortschritt in der geschichte der dichtkunst. zu ihnen gehören Wilden bruch, Wilibald Alexis, Fritz Reuter, Holtei,^ Kinkel , Scheffel , Rosegger , Anzengruber.

Ein weiterer fortschritt zeigt sich in der erweitemng des lesen- den oder genieszenden publicums , welche vor allem durch eine er- weitemng des Stoffgebietes möglich wurde, während die kunst der renaissance durch und durch aristokratisch war und nur in den höch- sten kreisen menschlicher gesellschaft grosze leidenschaften in be- deutenden Verhältnissen sich bethätigen sehen wollte, drang doch schon mit der etablierung des dritten Standes auch dieser, wenn auch noch schüchtern, in die dichtung ein, um mehr und mehr sich darin festzusetzen, heutiges tages pocht nicht vergebens der vierte und fünfte stand an der pforte der dichtkunst an, und massenhaft dringen sie ein als baupthelden die arbeiter, die Proletarier nicht nur, sondern auch die geföngnisse, die häuser der lust geben ihre insassen her zu poetischer Verklärung in der dichtkunst. es ist dies ein ganz natürlicher process. nicht mehr stehen im Vordergründe des ganzen lebens einzelne, privilegierte stände, sondern die grosze, breite masse des an der regierung mitbeteiligten volkes , der sociale kämpf und die alle kreise umfassende sociale not hat den unterschied der stände überhaupt beinahe verwischt, ist aber die dichtung nur ein spiegel des lebens, so werden auch allö die empfindung des dichters mächtig erregenden erscheinungen desselben dargestellt werden, eine andere frage ist es ja freilich, ob in der enge des kleinen, von den gesetzen,

392 F. BeiUngeu : nachgoethische litteratar im unterriclite.

der polizei in schranken gehaltenen lebens sich mächtige leiden- Schäften entfalten können, die den stoff fesselnder poesie liefern, genug, unsere talentvollsten dichter sind bemüht, dem heutigen leben mit forschendem äuge ins antlitz zu schauen und seine züge in irgend einer Ordnung zu erklären, das ist ehrliches streben und verdient anerkennung und Würdigung, wenn auch der erfolg noch nicht befriedigt, diese selbigen dichter wollen in dem streben nach einem vollkommneren ausdruck des lebens nicht blosz schOne Wahr- heit , sondern die Wahrheit an sich darstellen , der ausgang dichte- rischer handlung soll mehr der Wirklichkeit entsprechend motiviert und dargestellt als den anforderungen schOnseligen empfindens an- gepasst werden, sie wollen lieber mit einer herben dissonanz als mit einer lüge endigen, auch darin sehe ich den keim zu fortschritt und zukünftiger bedeutender entwicklung; die dichter dürfen nicht rückständig hinter der entwicklung des lebens zurückbleiben , son- dern müssen im gegenteil der weit die neue Ordnung verkünden, ihr neue ziele und wege zeigen , und wenn sie die groszen der erde, die reichen und vornehmen einen blick thun lassen in die sociale not der zeit, in so viele conventionelle lügen, unhaltbare begriffe und Vorstellungen, die eine noch stets wachsende hypercultur und nnnatur gezeitigt hat, wenn sie im leben zeigen, wie die Vernunft unsinn und die wohlthat plage wird^ dann sind sie auf dem rechten wege, und wenn sie mit dem donnerton des propheten die gesellschaft auf andere wege leiten und zum ausgleich der gegensätze durch ihre dichtungen etwas beitragen, dann thun sie dasselbe, was in anderer weise unsere classischen dichter auch gethan haben, der grosze bei- fall , der ihnen zu teil wird , darf nicht einseitig nur der vorüber- gebenden mode oder falschem geschmack zugeschrieben werden, bedeutende dichter dieser richtung sind Eretzer, Bleibtreu, Alberti, Sudermann, Hauptmann, Fulda, wir sehen, viele neue triebe sind aufgeschossen, viele neue blumen erblüht im deutschen dichter- garten, es erübrigt noch, die wichtigsten Veränderungen in der form der neueren dichtung zu berühren.

Während die betonung strenger formschönheit oft in formalis- mus ausartete oder die fremden griechischen , römischen oder ita- lienischen formen als unpassend oder fremdartig für die dar- Stellung deutscher Verhältnisse empfunden wurden, gieng man anderseits in der betonung des inbalts zu weit und verfiel in eine verschwommene formlosigkeit, was hauptsächlich bei den roman- tikem und vielen ihrer nachfolger der fall war. Heine brachte den schillernden französischen feuilletonstil in mode, der mehr ver- blüffen und effect machen als der Wahrheit dienen will, er ver- mischte femer prosa und poesie und bahnte so einen verfall der form an. dann erstarkte das formgefühl mehr und mehr in der richtung, dem specifisch deutschen 'geschmack, deutschem wesen mehr rechnung zu tragen.

So wurde die metrische form im epQS allenthalben, im drama

F. Bettingen: nftchgoethische litteratar im unterrichte. 393

vielfacli aufgegeben , weil sich die vielgestaltigen und complicierten heutigen lebensverhftltnisse kaum in diesem metrischen schnOrleib darstellen lieszen. das epos hat sich in der für dichter und publicum bequemen und zeitgemäszen form der novelle und des romans weiter- entwickelt, und niemand wird leugnen können, dasz auch in der prosaform derselbe poetische hauch und feine duft, dieselbe meister- Schaft in der künstlerischen behandlung der spräche entfaltet wer- den kann wie in der metrischen form, dazu braucht man doch nur eine novelle von Storm oder K. F. Meyer zu lesen, im roman und in der novelle finden wir tragischen und komischen Inhalt in allen ab- stufungen und mischungen, ernst und scherz, pathos und satire, hoohdramatische Spannung und epische behaglichkeit, heroische dar- stellnng and idyllische kleinmalerei. damit haben sich die deutschen dichter in berücksichtigung der naturgemfiszen fortentwicklung aller menschlichen dinge auf eigne füsze gestellt und auf beibehaltung derselben und dazu noch fremdartigen form verzichtet, am ende des 19n Jahrhunderts kann man doch nicht verlangen , dasz ein epiker die Homerische tecbnik verwendet bei völlig anderer empfindungs- und lebensweise eines ganz anders gearteten Volkes als es die alten Griechen waren, im drama ist man, soweit die metrische form be- liebt wird, bemüht, den eigentlich deutschen vers des Hans Sachs mit zwei hebungen einzuführen, die bedeutendsten modernen epiker sind Heyse, Storm, Spielhagen, von Saar, K. F. Meyer, Heinrich Seidel, 0. Keller, Bosegger, Anzengruber, Frey tag.

um ferner die darstellung wirksamer, treuer und der Wirklich- keit mehr entsprechend zu gestalten, wird in allen dichtarten mehr und mehr die spräche individualisiert, was ja auch Schiller und Goethe in gewisser weise gethan haben; aber man geht noch weiter als sie und lllszt die einzelnen personen in ihrem heimatsdialekt sprechen, erzählt in der spräche der einzelnen deutschen volks- stftmme, aus denen der stoff der dichtung genommen ist, und ver- sucht noch dazu, jedes individuum innerhalb der dialektsprache seine individuelle spräche reden zu lassen, auch das ist eine naturgemSsze Weiterbildung der dichterischen form, die nicht beim alten stehen bleiben kann, ebenso wenig wie wir heute bei unserer vertieften cnltnrhistorischen kenntnis antike beiden in allongeperücke und Pantoffeln und die biblischen personen in deutschem rittercostüme auftreten lassen können , wie das früher üblich war.

Die straffe dramatische einheit, wie sie Lessing nach Aristoteles construiert hat, ist auch aufgegeben ; in breit angelegten bildem wird das leben der Vergangenheit oder gegenwart um irgend einen mittel- punkt dargestellt, wie das vor allen Wildenbruch thut.

Das sind in möglichster kürze die charakteristischen eigen - Schäften der nachgoethischen dichtwerke. faszt man aber unter dem begriffe litteratur alle sprachlichen darstellungen zusammen, in denen sachliche Wahrheit und ästhetischer ausdruck verbunden sind, 80 haben wir noch beredsamkeit, philosophie und geschieh te

N. Jahrb. C phiU o. pftd. II. abt. 1895 hft. 8. 26

394 F. Bettingen : naohgoethisclie litteratur im unterrichte.

zu betrachten, philosophie und geschichte haben erst im 19n Jahr- hundert die ihrem wesen entsprechende sprachliche form gefunden, ich will nur einige philosophen und historiker erwähnen, näm« lieh Schopenhauer, Lotze und E. Fischer, Ranke, von Treitschke, Lamprecht und Sybel , Hettner, Vilmar, Scherer und Ambros. eine neue stilgattung ist hinzugekommen, für die früher die äuszeren bedingungen gefehlt haben, die beredsamkeit im parlament, in Volks- und partei Versammlungen, daran schlieszen sich in enger Verwandtschaft mehr fttr die lectüre bestimmte populäre vortrage über sämtliche Wissenszweige, dazu gehörig die essais. auch darin finden wir neubildungen und errungenschaften der nachgoethischen litteratur.

Nach erledigung der wichtigsten Vorfrage können wir nun prüfen, welche von den angeführten litteraturwerken im unterrichte der höheren classen berücksichtigt werden sollen, inwieweit und auf welche weise das geschehen soll, die antwort ist leicht und schwer zugleich, selbstverständlich wird nur das auszuwählen sein, was dem geistig sittlichen Standpunkte der schüler entspricht , was ihr gedanken- und "gefühlsleben erweitert und veredelt, alles andere wird ausgeschlossen oder der weiteren bildung im leben überlassen, aber die entscheidung im einzelnen wird immer subjectiv sein, ab- hängig von der individualität der lehrer und der jedesmaligen oder, bei privatlectüre, des jedesmaligen schülers. ich möchte nur davor warnen, in der prüderie zu weit zu gehen, wir leben am ende des 19n Jahrhunderts, die heutigen lebensverhältnisse sind doch wesent- lich von den vor 30 oder 40 jähren herschenden verschieden, und viele erscheinungen im schulleben scheinen im Widerspruche zu den Voraussetzungen zu stehen, unter denen unsere Schulgesetze erlassen sind, wir können heutiges tages niemand mehr künstlich von dem leben absperren, wie es die moderne civilisation gestaltet hat. die mittel der kraft, des Wohlseins und der bildung werden jedem zugäng- lich gemacht im entferntesten winkel des Vaterlandes; der einzelne nimmt teil an Staat und gemeinde, regiert gewissermaszen sich selber mit, und alle angelegenheiten der kunst und Wissenschaft, der politik und religion, des öffentlichen Verkehrs, des bandeis und wandeis werden tagtäglich öffentlich ohne jegliche Zurückhaltung in der ver- schiedenartigsten weise in der presse besprochen und von den Schülern gelesen, dabei kommen dinge zu ihrer kenntnis, die ganz anderer art sind als die hier und da vorkommenden derbheiten in irgend einem dichtwerk. ich meine nun, es ist besser, wenn die schüler unter einem taktvollen lehrer allmählich angeleitet werden, auch andere , nicht von ihnen geteilte Vorstellungen , begriffe und ausdrücke mit objectiver ruhe besprechen oder behandeln zu können ; sittlich freier und stärker werden sie sich sicherlich im späteren leben ihrer freiheit bedienen können als wenn sie vorher zu ängst- lich gehütet worden sind, was ja, wie eben gezeigt, doch nur schwer möglich ist. wir wählen also hauptsächlich solche litteraturwerke

F. Bettingen : nachgoethische litteratur im unterrichte. 395

aus , die nach Inhalt und form geeignet sind , dem schttler ein bild modernen denkens und fühlens, kurz der modernen cultur zu geben, was sich ergänzend und weiterführend den bildem anreiht, die aus der vorgoethischen litteratur in seiner seele haften, werke von nur temporärer bedeutung oder solche, die ethisch bedenklich sind, schliesze ich aus. so finde ich ungeeignet die werke der früher charakterisierten sogenannten Jungdeutschen, deren form den ver- fall anzeigt, und deren vaterlandsloser, ja oft vaterlandsfeindlichcr inbalt nicht geeignet ist, jugendliche herzen zu bereichem und zu ver- edeln, auch in sittlicher und religiöser beziehung sind sie oft bedenk- lich, von dichtem, die im gegensatz zu den eben charakterisierten stärkeren formensinn bewähren und ihr heimisches Volkstum in den Vordergrund stellen, soll wenigstens einiges von dem besten den Schülern bekannt werden, also von Geibel, Frey tag, Baabe, Baum« bach , Wildenbruch , Alexis , Fritz Reuter, Kinkel. Gutzkow, Halm, Laube, Richard Wagner scheide ich aus. von den culturhistorischen romanen soll Scheffels Ekkehard den schülem bekannt werden, ebenso E. F. Meyers Jürg Jenatsch.

Die modemen realisten oder naturalisten erfordern einen aus- gereiften , festen Charakter zu wirklichem Verständnis , eignen sich also meist nicht zur scbülerlectüre. man kann es vielleicht versuchen, einem besonders reifen Oberprimaner den besten roman dieser schule in die band zu geben , Max Kretzers meister Timpe. jedoch läszt sich gelegentlich , z. b. bei der lectüre von Lessings Laokoon , eine Veranlassung finden, die schüler über die neue litteraturrichtung zu belehren und das wahre und falsche derselben hervorzuheben, die bedeutendsten modernen dramatiker sind Anzengruber, der, wie Schiller für seine zeit, den höhepunkt modemen denkens darstellt und in seinen dramen zum ausdruck bringt, ferner Hebbel, Lindner, Fitger, Wildenbruch, sie sollen in ihren besten leistungen dem schüler nicht unbekannt bleiben.

Zwei Schwierigkeiten verhehle ich mir nicht, die meinen absiebten hindernd im wege stehen, erstens sind die preise für die modemen dichtwerke recht hoch, und es musz dafür gesorgt werden, dasz die Verlagsbuchhändler sich zu billigen Schulausgaben entschlieszen und die Schülerbibliotheken mit recht vielen modemen werken aus- gestattet werden, dann wäre die abfassung eines lesebuchs zu em- pfehlen, in dem sich möglichst grosze und ausgedehnte proben namentlich aus der modemen prosalitteratur fänden, non multa sed multum. auszerdem wäre zu wünschen , dasz die lehrer nicht vor der modemen litteratur halt oder kehrt machten , sondern die- selbe aufmerksam verfolgten und soviel wie möglich durch kritik usw. sich einflusz auf dichter und publicum zu verschaffen , jeden- falls aber in den schülem jenen echten historischen sinn zu er- ziehen suchten, der jede erscheinung des lebens nach Ursache und Wirkung würdigt, fern von einseitigkeit und ab- oder ausschlieszen- der Systematik.

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396 F. Bettingen : nachgoethische litteratur im unterrichte.

IIb.

Lessings Minna von Bamhelm wird der häaslichen lectüre in der weise überlassen, dasz der lehrer daran die besprechung des dramas in der classe knüpft, wodurch so viel zeit gewonnen wird, dasz anch das beste drama Wildenbruchs, die Quitzows, gelesen werden kann, das stofiPlich den geschichtsunterricht ergänzt und geeignet ist, nicht nur allgemein vaterländisch zu wirken, sondern die begeisterung für die Hohenzollerndynastie zu steigern und zu stärken, das zudem durch seine markige spräche, durch die kunst der exposition, den stürmischen fortschritt der handlung, die moderne art seiner ganzen darstellong für den schüler genug des neuen, erhebenden und leicht ▼erständlichen bietet, die im Berliner dialect verfaszten scenen bilden kein hindemis für die classenlectüre, weil sie ja nur referiert zu werden brauchen, wie ja überhaupt die praxis, das drama vor der erklärung actweise von den schülem in der classe lesen zu lassen, manche bedenken hat. besser, glaube ich, gibt man den schülem die lectüre für die häusliche thätigkeit auf, bespricht auf grund dieser nut ihnen das ganze drama und läszt später einzelne scenen und acte nicht gerade von den für Vortrag am wenigsten geeigneten schülem vorlesen, im anschlusz an- Goethes Hermann und Dorothea schlage ich Moerikes daftige idyllen vor; Mer alte turmhahn' mag in der classe gelesen werden, das Mdyll vom Bodensee' der privatlectüre überlassen bleiben, um nun den schttlern auch zu zeigen, welche moderne fom das idyll angenommen hat, läszt man sie einige Worstadtgeschichten' von Heinrich Seidel lesen, in denen nicht quietistische ruhe und weltflacht das ziel der Sehnsucht bilden, wie bei Stifter, sondern die allermodemste bethätigung im kämpfe ums dasein die innere einkehr, ein reiches gemütsieben und Tor allem einen sonnigen, goldigen humor nicht erstickt, welch ein interessanter weg von Voss siebzigstem geburtstag, der vielleicht als einleitung za Hermann und Dorothea gelesen wird, über H. und D. und Morike bis ins moderne Berliner leben hinein , und überall in gleicher stärke und kraft das reiche deutsche gemüt im mittel- punkte poetischer darstellung! zur Vertiefung des historischen Unterrichts und zur veranschaulichnng moderner prosa möge ge- lesen werden : Curtius : gedächtnisrede auf kaiser Wilhelm I ; Storck : gedäcbtnisrede auf kaiser Friedrich ; v. Treitschke : allgemeine Wehr- pflicht, für privatlectüre mOgen noch berücksichtigung finden: Baumbachs *frau Holde', ein frischer, duftender waldgesang, in den aber das moderne leben mächtig hineinragt; Immermann: Münch- hausen; Tanera: der krieg von 1870/71; Wilibald Alexis: die hosen des herm von Bredow, Cabanis, der Boland von Berlin.

IIa.

Statt drei dramen , darunter zwei von Goethe, in der classe zu lesen , schlage ich vor, den Egmont zu hause lesen und darüber in

F. BetÜngen: nachgoethieche litieratur im unterrichte. 397

der art referieren zu lassen, dasz besonders die vollendete art der ezposition zur anschauung gelangt, so reich das stück an einzel- schönheiten ist, so hat es doch dramatisch seine starken mängel, die nicht hinwegzuinterpretieren sind; zudem wird der Charakter des Egmont in seiner schlichten, edlen menschlichkeit , die keine schwäche der natur von sich abweist, dem schüler schwer verständ- lich und ist auch vom ethischen Standpunkt, gewissermaszen als Vorbild für die jagend, nicht einwandfrei, dafür schlage ich zur aus- wahl zwei dramen von vollendeter Schönheit aus der nachgoethischen litteratur zur classenlectüre vor, die sich inhaltlich an die mittel- alterliche litteratur anlehnen, entweder Hebbels groszartige Nibe- Inngentrilogie , die freilich gegen das ende in dem bestreben , jeden einzelzug aus dem Nibelungenliede wiederzugeben, etwas abfällt, aber in bezug auf meisterhafte ezposition, groszartigkeit der Charak- teristik und der dargestellten leidenschaft, stürmischen dramatischen fortschritt und eine markige , moderne , nie versagende spräche das höchste leistet, was die neueste litteratur aufzuweisen hat. Geibels Brunbilde fällt dagegen etwas ab, eignet sich aber auch zur lectüre. wenn ich noch ein äuszerliches moment hinzufügen darf, so sei be- merkt , dasz Hebbels drama billig in der Beclamschen bibliothek zu haben ist.

Im weiteren möge in anlehnung an die mittelalterliche litte- ratur gelesen werden: Fitger: Roland und die rose, ein träum im Bremer ratskeller.

An prosalectüre schlage ich von demselben gesichtspunkte aus vor: Scherer: die entdeckung Germaniens; Pfeifer: Walthers leben (einleitung zu seiner Waltherausgabe) ; Steub : die passions- spiele in Oberammergau. die sprachlichen belehrungen zu veran- schaulidhen diene Peschel: zur entwicklungsgeschichte der mensch- lichen Sprache, der historische Unterricht möge belebt werden durch die lesestücke: Hettner: griechische reiseskizzen ; Vischer: ein blick vom Othrys (für Herodotlectüre) ; Gregorovius: Sjrakus. da auch Schillers Wallenstein gelesen wird, so möge im anschlusz daran Kuno Fischer berücksichtigt werden mit einem lesestück über die komischen figuren im ^Wallenstein'.

Für die privatlectüre seien weiter empfohlen : Weber: drei- zehnlinden; Annette von Droste-Hülshoff : des alten pfarrers woche ; Frey tag: Ingo und Ingraban; Scheffel: trompeter von Säckiogen. Kinkel : Otto der Schütz, alle vorgeschlagenen werke bieten zudem reichen stoff zu vortragen.

Ib.

Wildenbruchs drama 'väter und söhne', das uns in die zeit des tiefsten elends des preuszischen Staates bis zu seiner glorreichen er- hebung im jähre 1813 versetzt, erhebt den schüler in eine Stimmung und erregung seiner seele, die wir vergeblich als Wirkung eines classischen dramas suchen, es mag daher zu cursorischer lectüre

398 F. Bettingen: nachgoethische litteratar im unterrichte.

berttcksichtigt werden, wenn ich das beste aus der patriotischen und politischen lyrik heranziehen soll, so nenne ich Storms patriotische gedichte von 1848 63 und Geibels heroldsrufe, die zahlreich dem schttler bekannt und vertraut werden sollen.

Die prosalectüre reihe sich inhaltlich an die unterrichts- gegenst&nde von Ib an und gebe auch vom besten, was unsere modernen Schriftsteller geleistet haben, soweit es dem Standpunkt des Schülers entspricht und seinen verstand zu schärfen und auf- zuklären geeignet ist. geschichte : Ranke : Karl Y ; Lamprecht : Bheinland als statte alter cultur; Dahn: Untergang des Ootenkönigs Tejas. Platolecttlre: Zeller: Sokrates Verurteilung, philosophische Propädeutik: Schopenhauer: über die ehre und ehrenkränkungen ; Zeller: nationalität und humanität (im anschlusz an Herders ideen). deutsche lectüre : O.Jahn : Winckelmann; Carridre : über die phantasie.

Für dieprivatlectüre mOgen berücksichtigt werden : Storm : Immensee , Aquis submersus ; von Saar : Innocens , Wiener elegien ; Scheffel: Ekkehard; Lindner: bluthochzeit; Frejtag: die Journalisten, bilder aus der deutschen Vergangenheit; Moerike: Mozart auf der reise nach Prag; K. F. Meyer: Jürg Jenatsch.

la.

Wenn so groszes gewicht darauf gelegt wird, den grOsten und patriotischsten redner des altertums, den Demosthenes, mit den Schülern zu behandeln, so, glaube ich, mOgen auch einige gewaltige reden des grösten deutschen patrioten, redners und Staatsmannes dem Schüler bekannt und geläufig werden, ich schlage vor : Hismarck : reichstagsrede vom 6 februar 1888, rede vom 11 märz 1867 bei be- ratung der bundes Verfassung ; Eulenburg : rede zur einweihung des nationaldenkmals auf dem Niederwald, zur Vertiefung der Thuky- dideslectüre diene eine behandlung der Curtiusschen Charakteristik des Perikles und Alkibiades. zum abschlusz der Lessinglectüre weise ich hin auf den geistvollen aufsatz v. Treitschkes über Lessing, für den psychologischen teil der philosophischen Propädeutik eignen sich die zwei abhandlungen Lotzes: 1) vom putz und schmuck und den ceremonien, 2) die temperamente.

Privatlectüre: Anzengruber: das vierte gebot; Baabe: der hqngerpastor; 0. Ludwig: zwischen himmel und erde; Frey tag: soll und haben; Foumier: Napoleon; Lehmann: Scharnhorst; Lyon: Bismarcks reden und briefe; Lübke: kunstgeschichte ; Schmidt: das Perikleische Zeitalter; Yilmar: deutsche litteraturgeschichte.

Damit bin ich an den schlusz meiner abhandlung gelangt, mancher College wird dieses oder jenes vermissen oder anderes wieder nicht billigen; meine ausführungen sollten nur die anregung geben, dem berührten gegenstände näher zu treten und den grund und boden für eine fernere discussion zu schaffen, immer werden die örtlichen Verhältnisse und die individualität der lehrer und schüler einen gewissen einflusz auch auf die auswahl der lectüre haben und

R. Gast: kleine beitrftge zur lateinischen scholgrammatik. 399

haben müssen, aber ich mOchte wünschen, dasz die vielfach sich findenden verurteile gegen die behandlung der modernen litteratur schwftnden und der geist unserer höheren anstalten vor rückstSndig- keit, vor stillstand und rückschritt bewahrt bliebe.

Crbfbld. F&anz Brttingen.

Bern, der red. wir haben diesen anfnatz ^ern aufgenommen als aoregang zar discassion, wie der Verfasser selbst ihn wirken lassen möchte, wir hoffen, dasz sich bald jemand findet, der unseren eigenen ernsten bedenken gegen einen solchen versuch , die deutsche schul- lectüre auf kosten der classischen dichtung zu modernisieren, ausdruck gibt, der dabei vor allem begriff und wesen der deutschen privatlectüre und ihr Verhältnis zum unterrichte schärfer bestimmt und auch die frage erörtert: was werden nun unsere schüIer prlvatlssime lesen, wenn die bisherigen gegenstände dieser lectüre in den schnlkanon auf- genommen werden, und wann und wie sollen sie Goethe, Schiller» Shakespeare und ihres gleichen genauer kennen lernen?

88.

KLEINE BEITRÄGE ZUR LATEINISCHEN SCHUL- GRAMMATIK.

Infolge der neuen prenszischen lebrpläne sind in den letzten Jahren eine grOszere anzahl lateinischer schulgrammatiken teils in wesentlich anderer fassung, teils ganz neu erschienen, wie auf andern gebieten des altsprachlichen Unterrichts, so zeigt sich auch auf diesem ein reger Wetteifer , durch möglichst geschickte abfassung der lehr- bücher diesen unterrichtszweig thunlichst zu fOrdem, und dieser Wett- eifer hat gute fruchte gezeitigt, wenn auch nicht zu leugnen ist^ dasz in manchen stücken, besonders was die Schulausgaben der alten classiker anlangt , nicht immer der richtige weg eingeschlagen oder das richtige masz eingehalten worden ist.

Die Verbesserungen, die sich in den neueren lateinischen schul- grammatiken finden, bestehen besonders in der Verminderung des lehrstoffs und in einfacherer regelfassung oder besserer gruppierung; aber es findet sich doch noch so manches, was entweder aus früheren Zeiten beibehalten worden ist, ohne dasz es beibehalten zu wer- den verdient, oder in einer für den Schüler noch faszlicheren weise sich geben liesze. auf einiges derartige mOchte ich aufmerksam machen.

Die grammatiken , durch welche diese bemerknngen veranlaszt worden sind, nenne ich absichtlich nicht, um den schein zu ver- meiden, als hätte ich es damit auf einzelne bestimmte bücher ab- gesehen, es kommt mir aber nur auf die sache an , und so genügt ja wohl die Versicherung, dasz ich, was ich zur spräche bringe, auch in jüngst erschienenen grammatiken gefunden oder vermiszt habe.

400 B. Oast: kleine beitrage zur laieinisclien schulgrammatik.

I.

In Klieren grammaiiken findet sich bei der declination und con- jugation der lateinischen wÖrter die entsprechende deutsche Über- setzung beigegeben, und zwar fttr die declination meist vollstfindtg, für die conjugation entweder ebenso oder doch für einzelne tempora und formen, in früheren zeiten mochte das notwendig erscheinen, weil damals ein systematisches betreiben der deutschen grammatik dem beginne mit der lateinischen grammatik vielfach nicht voraus- gegangen ist. aber derartige Übersetzungen finden sich in gleicher weise auch in ganz neuen grammatiken sind sie jetzt noch nötig? sind sie wünschenswert?

Nötig sind sie gewis nicht mehr, da bei dem in sexta ein- tretenden oder sonst mit dem latein beginnenden schüler jetzt die ein- übung der deutschen declination und conjugation vorausgesetzt wird, darum musz es unsem jungen selbst wunderlich erscheinen, dasz etwas, was sie bereits fleiszig geübt haben, für sie noch besonders abgedruckt wird, ganz abgesehen von vorkommenden auffälligen Ungleichheiten» dasz z. b. die substantiva eins wie das andere für jeden casus über- setzt sind , während die doch gewis schwierigere declination des ad- jectivums fehlt, oder dasz das präsens 'ich bin, du bist' usw. form für form gegeben ist, während für die andern tempora nur die le pers. sing, angeführt wird, ebendeswegen sind nun diese Über- setzungen auch nicht wünschenswert, da es jedenfalls für den schüler anregender und ersprieszlicher ist, beim erlernen der fremden formen das für die muttersprache bereits gelernte seinerseits zuzu- geben und so von neuem einzuüben, (macht sich doch auch auf anderem gebiete jetzt das streben leider zu bemerklich , der lernen- den Jugend das lernen und verstehen allzu leicht zu machen!) kommen dann fälle ^ wo die deutsche spräche für lateinische formen entsprechende formen nicht bietet, wie in der declination der ablativ, in der conjugation Infinitiv- und participialformen , da ist unter an- leitung des lehrers der entsprechende ersatz zu finden, eine bespre- chung bleibt ja doch trotz beigegebener Übersetzung nötig; es wird doch kein lehrer ohne vorhergegangene besprechung einfach aus- wendig lernen lassen: 'abl. mensa von dem, mit dem tische, durch den tisch' oder gar *mari durch das meer'.

Mag nun aber trotzdem einem die deutsche Übersetzung noch nötig oder wünschenswert erscheinen, jedenfalls ist die forderung zu erfüllen , dasz das beigegebene deutsch richtiges und gangbares sein musz. das scheint selbstverständlich, und doch wird auf diesem gebiete noch viel gesündigt, es ist eine alte, oft wiederholte und leider berechtigte klage , dasz gerade in den für den altsprachlichen Unterricht bestimmten ausgaben, lehr- und Übersetzungsbüchern nicht genug rücksicht auf reines, gutes, mustergültiges deutsch genommen worden ist, und dieser Vorwurf trifft zum teil auch die vorhandenen lateinischen schulgrammatiken.

R. Gaftt: kleine beitrage zur lateinischen achalgrammatik. 401

Verschwinde*!! müssen aus diesen vor allem sprachwidrige Übersetzungen von lateinischen wortformen, für die die deutsche spräche keine entsprechenden formen hat; denn durch solche Über- setzungen musz doch der schüler zu der annähme verführt werden, die beigegebenen Übersetzungen seien gutes deutsch, dessen er sich auch bedienen dürfe, so finden sich in den meisten schulgramma- tiken Übersetzungen für in f. und part. fut. folgender art:

sein werden, sein werdend, lieben werden, lieben wer- dend, werden werden, werden wer- werden geliebt werden d e n d (!) und dem ähnliches ,

Übersetzungen , die im schüler den glauben erwecken müssen , dasz dies der den entsprechenden lateinischen formen angemessene aus- druck ist, während diese Übersetzungen überhaupt nicht deutsch, ja ganz undeutsch sind und weder die lebendige noch die Schrift- sprache sich dieser und ähnlicher formen bedient.

In solchen fällen musz eben der lehrer mit dem lebendigen Worte für das lehrbuch eintreten; er musz den schülem erklären, dasz unsere spräche diese ihr fehlenden formen umschreiben musz, und wie sie zu umschreiben sind, (und dabei kann, um das bei- läufig zu sagen , nicht früh genug darauf hingewiesen werden , dasz wir das futurum in dreifacher weise umschreiben: durch werden, wollen und sollen je nach dem Zusammenhang, auch in den obersten classen beweisen die Übersetzungen in das deutsche, dasz der schüler beim futurum gewöhnlich nur an die Umschreibung mit werden denkt.)

n.

Concretum und abstractum.

Ein altes requisit unserer lateinischen schulgrammatiken ist die einteilung der substantiva nach den verschiedenen classen dernomina propria, appellativa^ concreta und abstracta, ein requisit, das trotz des strebens nach Vereinfachung auch für ganz neu erschienene grammatiken noch notwendig erschienen ist.

Natürlich musz dem schüler eine erklärung jener bezeichnungen gegeben werden, und für die nomina propria und appellativa ist diese leicht und auch für einen seztaner gut verständlich zu geben, anders verhält es sich mit dem nomen concretum und abstractum.

Die in den yerschiedenen grammatiken dafür gebotenen erklä- rungen erscheinen ja meist ganz einfach wie steht es aber um ihre richtigkeit? damit an beispielen klar wird, was in dieser be- ziehung geleistet worden ist, lasse ich einige solcher erklärungen hier wörtlich folgen.

In der einen grammatik heiszt es : *das substantivum ist im lateinischen, wie im deutschen, entweder ein con- cretum, d. h. der name eines gegenständes, der mit den

402 R. Gast: kleine beitr&ge zur lateinischen schulgrammatik.

sinnen wahrgenommen werden kann, i^ie: arbor, der bäum, vir, der mann, oder es ist ein abstractum, d. h. der name eines gegenständes, der nicht mit den sinnen wahrgenommen werden kann, wie virtuSi die tagend.'

Gegenstand also sowohl das concretum wie das abstractom, nur jenes bezeichnung des sinnlich wahrnehmbaren, dieses des sinn- lich nicht wahrnehmbaren gegenständes, sehen wir ab von der un- glücklichen Verwendung des subst. gegenständ wo in Deutsch- land nennt man denn alles, wovon wir einen begriff haben, einen gegenständ? der mann^ die tugend ein gegenständ? aber ab- gesehen davon; wenn dem concretum das gebiet des sinnlich wahr- nehmbaren , dem abstractum das des sinnlich nicht wahrnehmbaren zugewiesen wird , in welches der beiden wird denn der schaler da- nach seinen gott, seine seele zu rechnen haben?

Gehört diese erklärung einer etwas älteren grammatik an, so findet sich in einer neuen die folgende: *die abstracta be- zeichnen eine als gegenständ vorgestellte eigenschaft oder thfttigkeit: pulchritudo die Schönheit, expugnatio die eroberung. die concreta bezeichnen einen mit den sinnen wahrnehmbaren gegenständ: Philippus Philipp' (gewis ein sehr glücklich gewähltes beispiel sinnlich wahrnehmbarer gegenstände!) 'rez der könig, domus das haus/

Also auch hiernach abstractum wie concretum ein gegen- ständ, nur hier das abstractum eine als gegenständ vor- gestellte eigenschaft oder thätigkeit! ich gestehe, ich ver- mag wohl eine eigenschaft oder thätigkeit zum gegenständ meiner Vorstellung zu machen, aber eins von beiden mir als gegenständ Torzustellen, das vermag ich nicht, und weiter! wenn es sich nun um eine eigenschaft oder thätigkeit handelt, z. b. also um die Schön- heit, oder um eine eroberung, aber nicht als um eine vorgestellte, sondern um eine bestimmte sinnföllige, wie um die Schönheit der Venus von Milo oder um die eroberung von Straszburg, nach ihrem hergange bildlich dargestellt, haben wir es dann nach dieser erklärung bei dieser selben eigenschaft und thätigkeit noch mit abstractum zu thun oder mit concretum? ja, und wenn ich nun diese selbe Schönheit der Venus von Milo und die eroberung von Straszburg nicht als abbild vor äugen habe, sondern mir nur nach dem bilde vorstelle, dann habe ich es so lautet die erklä- rung! — mit einem abstractum zu thun?

Mehrere der (mir bekannten) neueren erklärungen lauten ähnlich der folgenden: 'man scheidet 1) nomina concreta zur be- zeichnung eines sinnlich wahrnehmbaren gegenständes (person oder Sache): homo, mensa. 2) nomina abstracta zur bezeichnung bloszer begriffe: iustitia gerechtig- keit, virtus tugend.'

Danach sind nun concreta gegenstände, freilich auch wieder nur sinnlich wahrnehmbare (personen gott?! oder Sachen),

B. Oaat: kleine beitrftge zur lateiniBchen schaigrammatik. 403

denen die abstracta als blosze begriffe gegenüberstehen, ist hier wenigstens in der zweiten bälfte der erklftrung etwas richtiges, wenn auch die beispiele wieder zu falscher anschaunng verführen müssen, so krankt doch auch sie an demselben fehler wie die andern, und zwar liegt der fehler in dem mangel an klarheit darüber, dasz die spräche sich eines und desselben wertes bedient zur bezeich- nung eines begriffs in concreter oder abstracter bedeutung, dasz wir demnach gar nicht von zwei verschiedenen substantivclassen reden dürfen, deren einer die concreta, deren anderer die abstracta an- gehören , sondern dasz jedes substantivum ebensowohl im concreten wie im abstracten sinne gebraucht werden kann.

Klares verstftndnis dafür übersteigt nun jedenfalls die denk- und fassungskraft jüngerer schüler, darum müssen sie damit ver- schont bleiben*, und daraus folgt, dasz die sache gar nicht in die elementargrammatik gehOrt. die schulgrammatik bedarf ihrer aber auch gar nicht, wo spielen denn in ihr concreta und abstracta eine rolle? in den geschlechtsregeln für die 3e declination finden wir sie (und zwar in derselben falschen weise verwendet); da heiszt es z. b. ^feminina sind auf o die Wörter auf ein do und go und die abstracta auf io.' dazu die anmerkung: 'masculina sind die con- creta: pugio der dolch, scipio derstab, septentrio der norden.' (bei- läufig,' wie der norden unter die 'sinnlich wahrnehmbaren gegen- stände' kommt, wird sich der schüler wohl schwerlich erklären können.)

Dasz für diese regel die Scheidung nach concretum und abstrac- tum nicht nötig ist, ergibt sich schon daraus, dasz sie in manchen grammatiken hier schon nicht mehr verwendet wird.

Es finden sich dann die werte concret und abstract hier und da, wo sie je nach dem zusammenhange durch verschiedenen deutschen ausdruck ersetzt werden können; und wenn es endlich in der syn- tazis omata im capitel vom substantivum heiszt, zuweilen fänden sich abstracta für concreta gebraucht, z. b. nobilitas für nobiles, iuventus für iuvenes, so beruht diese darlegung auf derselben Un- klarheit, von der oben die rede war. beim richtigen Verständnis ist es selbstverständlich, dasz nobilitas, iuventus sowohl im abstracten als auch im concreten sinne gebraucht werden können.

So viel ist jedenfalls klar: könnte die lateinische schulgrammatik der lehre vom concretum und abstractum nicht entraten, so musz sie dem schüler eine sachlich richtige , seiner denk- und fassungskraft entsprechende erklärung bieten.

* danach ist es erst recht su misbilligen, wenn bereits bei der dem lateinlernen vor aasgehenden betreibang der deatschen grammatik mit dieser sache noch jüngere schttler heimgesucht werden.

Dessau. £. R. Gast.

404 B. Grimmelt : anz. y. F. FügDer des G. Jalias Caesftt gallischer krieg.

39.

DES C. JuLiuB Caesar oallisoheb krieo. herausgegeben von DR. Franz FÜGNER. Leipzig, B. G. Teubner. text. 1894. geb. mk. 2. ; bilfsheft 1895. geb. mk. 1.20; commeotar 1895. geb. mk. 1.60.

Fügners ausgäbe des gallischen krieges schlieszt sich in ihrer ftuszeren form und inneren einrichtnng eng an seine bearbeitong des Nepos an. sie zerfällt in drei teile, von denen der erste den text enthält, der zweite das hilfsheft bietet, der letzte den com- mentar nmfaszt.

In dem grosz und deutlich gedruckten texte werden zur er- leichterung des Verständnisses verschiedene druckarten verwendet ; diese typischen lesehilfen, die im anfange bei längeren Sätzen und schwierigeren constructionen regelmäszig geboten werden, foUen im fortgange des textes allmählich weg und verschwinden zuletzt fast ganz, die wachsende kraft des jungen lesers wird in stufenmäsziger folge zur vollen Selbständigkeit geführt und gezwungen, ohne finger- zeige den weg durch das satzgebäude zu suchen, in den text sind auszerdem aufgenommen Überschriften, welche den Inhalt grOszerer abschnitte angeben , und kurze randbemerkungen , die mit dem In- halte der einzelnen capitel bekannt machen, sie erleichtem dem Bchüler die Übersicht über das gelesene, die bei einem fremdsprach- lichen Schriftsteller dem tertianer grosze mühe macht, wer glaubt, dasz sie der selbständigen thätigkeit des schülers zu sehr vor- arbeiten , der kann , um den schaden wieder auszugleichen , den in- halt eines grOszeren abschnittes in einer wohlgegliederten disposition mit scharf bestimmter unter- und nebenordnung der teile unter- bringen lassen ; dann wird sich , trotz der inhaltsangaben , gelegen- heit genug finden, urteil und denkkraft des schQlers durch zusammen- fassen des zusammengehörigen unter einem höheren gesichtspunkte und durch Scheidung dessen, was inhaltlich getrennt ist, zu üben, dabei empfiehlt es sich, diejenigen Wörter und sätze von dem schüler aufsuchen zu lassen, die eine andentung der gliedernng des textes enthalten, ein verfahren, das sich nach meinen erfahrungen auch im deutschen unterrichte gut bewährt.

Femer finden sich in dem texte zehn abbildungen und plane; ihm folgen eine Zeittafel , die von dem jähre 390 bis 44 reicht und die wichtigsten daten aus der geschichte der Gallier und aus Caesars leben vorführt, und ein namenverzeichnis , dessen ausführlichkeit wohl in der absieht des Verfassers ihren grund hat, bei der Ver- wertung der lectüre den nötigen stoff zu liefern, beigefügt sind dem texthefte eine physikalisch - politische karte Galliens und zwei Übersichtskarten über die märsche, die Caesar in den jähren 58 und 52, 57 und 55 gemacht hat; sie leisten dem schüler bei der häus- lichen Vorbereitung vorzügliche dienste und müssen bei der durch- nähme in der classe zur veranschaulichung des gelesenen ausgenutzt werden.

B. Grimmelt : ans. y. F. Fügner des C. Jalius Caesar gallischer krieg. 405

Das hilfsheft besteht aus acht capiteln. das erste beschäftigt sich mit Caesars leben, seiner persOnlichkeit und seinem schrift- stellerischen Charakter, durchgehends in angemessener ausführlich- keit. besonders gelangen ist der erste abschnitt, die Überleitung von Nepos zu Caesar, in dem die hauptmomente aus der geschieh te Borns vom jähre 183 bis 70 ebenso knapp als klar und übersichtlich dargestellt sind, capitel II handelt von dem kriegsschauplatze und seinen bewohneni; capitel III von Caesars beer, zahlreiche passend ausgewählte und sauber ausgeführte abbildungen erläutern den text. sie machen es dem schüler möglich, ein ziemlich anschau- liches bild von dem römischen kriegswesen zur zeit Caesars zu ge- winnen, darin liegt meines erachtens ein nicht zu unterschätzender vorteil, die rege jugendliche phantasie nimmt die Vorstellungen, deren sie zur veranschaulichung des gelesenen bedarf, aus dem ge- Sichtskreise , der sich in ihrer Umgebung aufbhut, und überträgt sie ohne weiteres besinnen auf die zustände der Vergangenheit; so ent- steht ein falsches bild der Vergangenheit in den jugendlichen köpfen, das um so eher berichtigt werden musz, je schwerer es auszutilgen ist I wenn es sich einmal festgesetzt hat. deshalb sind abbildungen, die die wahre Wirklichkeit der früheren Vorgänge und zustände dar- stellen, eine dankenswerte beigäbe zu einem schulbuche, und in richtiger erkenntnis ihrer zweckmäszigkeit sind sie in den plan der Teubnerschen schülerausgaben aufgenommen.

Die einleitung ist, nach einer bemerkung des Verfassers, für die häusliche lectüre bestimmt, referent hat kein bedenken getragen, capitel I und III im anfange des Schuljahres in der classe vorlesen zu lassen , erstens um von vom herein den schülem die zum Ver- ständnisse des Schriftstellers notwendigen Vorkenntnisse zu ver- mitteln , zweitens um den gang der lectüre später nicht durch weit- läufige erörterungen unterbrechen zu müssen, entdeckt der schüler später, dasz seine Vorstellungen unklar geworden sind , so weisz er den ort, der ihm anskunft gibt, und begegnet bei der erklärung des Schriftstellers eine stellci die besonders in der einleitung ausgenutzt worden ist, so freut er sich, die quelle zu finden, aus der das ihm bekannte geflossen ist. er wird unter anleitung des lehrers gern den versuch machen , aus dem gelesenen auch selbst die ergebnisse zu gewinnen , die sein führer daraus abgeleitet hatte, es geht ein gefUhl der befriedigung durch die classe^ wenn das gelernte quellen- mäszige bestätigung findet.

Das IV. capitel bringt das Wörterbuch, es ist, abweichend von der regel, etymologisch geordnet, meine schüler verhielten sich dieser ihnen fremden einrichtung gegenüber zuerst etwas zagend und befangen, das vertrauen kehrte erst zurück , als sie an einigen beispielen lernten, wie man mit derselben umgehen müsse, es kommt auch jetzt noch trotz längerer Übung und gröszerer erfab- rung vor, dasz der eine oder andere bekennt, er habe ein wort nicht finden können, die aus der classe erteilte belehrung zeigt ihm.

406 B. Grimmelt: anz. v. F. Fdgner des C. Julius Caesar gallischer krieg.

welcher weg einzuschlagen war. bei manchen wOrtem, deren etjmon fflr einen schüler schwer festzustellen ist, ist in dem Wörterbuch selbst der fundort angegeben ; zuweilen musz eine vorgreifende er- klftrung des lehrers die Schwierigkeit aus dem wege rftumen. beim wOrterab&agen sind die stammverwandten wOrter, soweit sie dem schttler bekannt sind, zusammenzustellen und das einheitliche in ihnen hervorzuheben; denn es ist in dem schQler allmählich das yerstttndnis dafflr zu wecken , dasz eine einheitliche Vorstellung sich durch die manigfaltigkeit der bedeutungen, in welche Wörter der«^ selben wurzel aus einander gegangen sind, hindurchzieht, so wird zunächst ein klares bild von der grundbedeutung eines wertes sich entwickeln , femer gewinnt das gedächtnis eine wesentliche stütze an der einsieht in die beziehungen , in denen die Wörter zu einander stehen, endlich wird das Verständnis für den gebrauch eines Wortes gefördert, wenn die Vorstellung, die sich ursprünglich mit dem Worte verband, zum bewustsein gebracht ist.

Fügners Wörterbuch macht, wenn man die Seitenzahl (48 s.) ins äuge faszt, fast einen dürftigen eindruck. es findet seine er- gänzung in dem daneben zu gebrauchenden commentar ; diese beiden lassen, soweit meine beobachtungen reichen, den schüler nie im stich, wenn dieser aus eigner kraft nicht im stände ist , die richtige Über- setzung einer stelle zu finden, so hilft ihm der commentar, und er hilft, ohne ihm die zeit zu rauben. Zeitersparnis ist aber ein groszer vorteil, und welchen zweck hat femer das mühevolle, gedankenlose nachschlagen des Wörterbuches, wenn dadurch nichts gewonnen wird, als das, was auch der commentar liefert, eine passende Über- setzung eines schwer verständlichen und vielleicht noch schwerer zu verdeutschenden ausdruckes? dasz aber die schüler nur deshalb das Wörterbuch aufschlagen, weil sie hoffen, dort den unverstandenen ausdruck übersetzt zu finden, das weiez jeder aus erfahrung. suchend gleitet der finger die aufgeführten Wortbedeutungen ab, bis sich die zu übersetzende stelle findet, die, um jeden zweifei zu heben, durch angäbe von buch und capitel kenntlich gemacht ist. statt dem lernen- den die mühe des suchens aufzubürden, die doch völlig fruchtlos ist, würde man ihm besser, um seine zeit zu schonen, ein vocabular in die band geben, das ihm die worterklärung von fall zu fall mitteilt, aber in dieser Vereinzelung des einzelnen liegt der nachteil der vocabulare; das bildende ist doch auszer der erfassung eines wertes in seiner grundbedeutung die Übersicht über die Wortfamilien , wie sie ein etymologisches Wörterbuch bietet.

Den schlusz des hilfsheftes bilden ein Verzeichnis von synonymen, eine phrasensammlung, eine Stellensammlung zur syntax und be- merkungen zu Caesars Schreibart, die synonyma sind passend zu- sammengestellt, ihr begriff ist kurz und präcis erläutert und der ort angegeben , an dem das wort in klar erkennbarer bedeutung vor- kommt, ist der begriff eines Wortes im unterrichte inductiv ab- geleitet, mit hilfe etymologischer belehrung erklärt und das gebiet.

B. Grimmelt: anz. y. F. Fügner des C. Julias Caesar gallischer krieg. 407

in dem das wort zar anwendong kommt, bestimmt, dann tritt erst das yerzeichnis in seine rechte, indem es das ergebnis gemeinsamen nach- denkens in knapper form bietet, die phrasensammlong gewährt dem Schüler die möglichkeit, einerseits eine treffende Übersetzung für % manche hftnfig sich wiederholende redensarten zu geben, anderseits bei dem übersetzen aus dem Übungsbuche die entsprechende latei- nische phrase für den deutschen ausdruck zu gewinnen , wenn ihm einmal sein gedftchtnis versagt, nach meinen erfkhrungen gebrauchen die Schüler sie fleiszig, sobald sie auf diese reich flieszende quelle aufmerksam geworden sind, und sie freuen sich, wenn der glück- lichen wähl die verdiente anerkennung zu teil wird, aber auch beim wiederholen und zusammenfassen der einem bestimmten gebiete oder Yorstellungskreise angehörenden phrasen leistet die Sammlung gute dienste. Das yerzeichnis der stellen zur sjntax rechtfertigt sich durch die je länger je mehr anerkannte forderung, die grammatika- lischen belehrungen an das gelesene anzuknüpfen , eine forderung, die in den gebräuchlichsten Schulgrammatiken leider noch nicht durchweg erfüllt ist. sehr häufig stöszt man in denselben auf sätze, deren sinn schwer faszbar, deren Wörter unbekannt sind, diese übel- stände werden vermieden, wenn von der Stellensammlung in der Nepos- und in der Caesarausgabe der richtige gebrauch gemacht wird, beide sind so reichhaltig, dasz jeder leicht sätze findet, die seiner individualität zusagen und seinem zwecke entsprechen.

Der commeniar gliedert sich in drei teile, in dem ersten teile, der anleitung zum übersetzen , wird dem schüler an beispielen ge- zeigt, wie er participialconstructionen , infinitive, relativsätze, con- junctionalsätze häufig zu übersetzen hat. mit Vorliebe bildet der schüler den deutschen satz genau dem lateinischen nach; so ent- steht ein deutsch, das eine fremde förbung trägt und sich vom guten Sprachgebrauch weit entfernt, dies zu verhindern ist der zweck der anleitung; dort werden die einzelnen flille, in denen ein unter- schied zwischen der lateinischen und der deutschen ausdrucksweise besteht, aufgezählt; sie sind durch buchstaben bezeichnet, im com- mentar wird durch diese buchstaben auf die anleitung verwiesen, sobald bei der Vorbereitung in der classe ein solcher hinweis be- gegnet i wird die anleitung aufgeschlagen und die dort gegebene Übersetzung besprochen, sehr bald weisz der schüler, was der buch- Stabe im commentar sagen will ; er hat es nicht mehr nötig nach- zuschlagen und sich am bezeichneten orte zu belehren, die einrich- tung ist ebenso sinnreich wie zweckmäszig und bewährt sich beim unterrichte vorzüglich.

Der commentar hält die mitte zwischen dem zuviel und dem zuwenig; wo die eigne kraft des schülers nicht ausreicht, um zum Verständnis vorzudringen und eine entsprechende Übersetzung zu geben, da greift er ein. man wird häufig gelegenheit haben, dabei den feinen takt des schulmannes zu bewundem, der aus erfahrung weisz, wo er dem schüler die führende band zu bieten, wie und wie

408 B. Qrimmelt: anz. y. F. FOgner des C. Julius Caesar gallischer krieg.

weit er ihn zu leiten hat. der schüler soll jeden wink , der ihm ge- geben wird, benutzen; ich verlange von ihm, dasz er bei der häus- lichen Vorbereitung den commentar fleiszig studiert und sich nichts entgehen läszt, was zu seiner aufkl&rung und förderung dient, dem lehrer wird dadurch die arbeit erleichtert, nicht genommen; er bat die satzconstruction zu erklären , er hat mit dem schüler den weg zu gehen von dem ausgangspunkte des lateinischen ausdrucks bis zum endpunkte der deutschen Übersetzung und diese durch die Zwischenstufen zu erläutern und zu rechtfertigen; er hat den ge- dankenzusammenhang zu entwickeln; er hat die Verbindung mit verwandtem herzustellen und die Verwertung vorzubereiten, zu verstummen also braucht er vor dem commentar nicht, aber er musz sich manchmal vor ihm beugen^ trotz des eigensinnes, an dem wir Schulmeister ja zuweilen leiden ; denn er hat die Übersetzung an- zunehmen, die der commentar gibt; diese Selbstverleugnung musz geübt werden, aber was schadet sie, wenn sie der sache nicht schadet? und dasz das nicht leicht der fall ist, dafür hat der umsichtige und einsichtsvolle Verfasser gesorgt; mag man ihm vielleicht nicht immer beistimmen, lernen kann man stets von ihm.

Fasse ich das gesagte zusammen, so darf ich behaupten, dasz Fügners Caesarausgabe an äuszerer Vornehmheit und innerer ge- diegenheit eine hervorragende, vielleicht die erste stelle unter den für die schule bestimmten ausgaben des Caesar einnimmt, ihre Vor- züge bestehen darin, dasz sie eine Verbindung mit dem Schriftsteller der vorhergehenden classe herstellt und die aus ihm gewonnenen kenntnisse zur grundlage für den neuen erwerb macht ; dasz sie das zusammengehörige aus seiner Vereinzelung heraushebt^ es verbindet und an einem orte entwickelt; dasz sie drittens alles ausschlieszt, was für den schüler nicht geeignet ist, sondern nur den fachmann interessiert; dasz sie endlich eine gründliche ausnutzung des Schrift- stellers nach der sprachlichen wie nach der sachlichen seite hin er- möglicht, deshalb empfehle ich diese ausgäbe wie die ganze Samm- lung der Teubnerschen schülerausgaben angelegentlich der aufmerk- samkeit der fachgenossen, wer sie einmal beim unterrichte benutzt hat, der bleibt ihnen zugetban ; mir sind sie , wie ich gern bekenne, um so lieber geworden , je länger ich sie gebrauche.

Bocholt i. W. B. Grimmblt.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜR GYMNASIALPiDAGOöIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AU88CHLU8Z DER CLA88I8CBBN PHILOLOOIB

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. BiCHARD BiCHTER.

40.

DIE DEUTSCHE GYMNASIALPÄDAGOGIK IN IHRER

NEUESTEN FASSUNG.

I.

Die zweite abteilung des zweiten bandes von Baumeisters handbuch der erziehungs- und an terrichtslehre für höhere schulen hat uns die praktische pädagogik für höhere lehranstalten von AdolfMatthias gebracht.

Das letzte , was ich an zusammenfassender pädagogik vorher gelesen hatte, waren Nussers grundlinien der gjmnasial- pttdagogik auf grundlage der psjchologie (Würzburg 1894) und DOrings System der pädagogik im umrisz(Berlin 1894) gewesen, ich bekenne offen, dasz mir der Übergang zu Matthias wohlgethan hat und namentlich der niederstieg aus dem von Döring aufgebauten pädagogischen wolkenkukucksheim zur lieben mutter erde, zum festen boden der Wirklichkeit, auf den mich Matthias wieder versetzte.

Einen gröszeren gegensatz als zwischen diesen beiden büchem kann man sich kaum denken. Döring construiert und systematisiert nur , Matthias gar nicht ; jener lehnt die rücksicht auf das unter ge- schichtlich gewordenen Verhältnissen ratsame und thunliche aus- drücklich ab , dieser setzt bei seinen ratschlagen lediglich die that- sächlich bestehenden Verhältnisse voraus; jener sucht durch eine geschlossene reihe von folgerungen zu einem erziehungsideale durch- zudringen, der andere treibt ausschlieszlich realpolitik für die prak- tischen bedürfnisse von heute.

Demnach sollte man wohl die beiden bücher überhaupt nicht vergleichen , weil sie sich ganz verschiedene aufgaben gestellt und

N. Jahrb. f. phil. u. päd. II. abt. 1895 hft. 9. 27

4 1 0 R. Richter : die deutsche gymoafiialpädagogik in ihrer neuesten fassung.

grundverschiedene zwecke ins äuge gefaszt haben, es kommt mir auch nicht bei ; diese vergleichung weiterführen zu wollen , als es bisher geschehen ist, also über die andeutung des principiellen gegen- Satzes zwischen den beiden werken hinaus, auch das liegt mir fern, die berechtigung des pädagogischen idealismus anzufechten, der sich in abstractionen das bild einer vollkommenen erziehung entwirft, nur freilich dürfte dieser idealismus, wenn er gehör finden will, nicht in seinen schluszergebnissen zu so abenteuerlichen, alle und jede Verbindung mit der realen weit zerreiszenden forderungen führen, wie das bei DOring im vierten und letzten capitel geschieht, das von den trägem der erziehung handelt.

Erzieher sollen nur sein die berufenen, wohlweislich aber erspart es sich der Verfasser, obgleich er im vorwort eine streng wissenschaftliche erörterung angekündigt hat, auf die fragen einzu- gehen, worin diese berufenheit besteht, wie man die berufenen aus- findig machen, wie man sie ausbilden, wie man sich schlieszlich da« gegen sichern soll, dasz sie in ihrer berufsleistung durch allerhand menschlichkeiten beeinträchtigt werden, er statuiert einfach eine gruppe von erziehungsengeln auf erden ; das ist doch zu wohlfeil.

Als unbedingt unberufen aber schlieszt er von vorn herein von seiner Zukunftserziehung aus die eitern, und zwar nicht erst von einem bestimmten Zeitpunkte an, sondern härter als weiland Lykurg vom anbeginn des lebens des Zöglings, im ersten augenblicke denkt man : der macht kurze arbeit, ist resolut, im nächsten aber sagt man sich, dasz er nur halbe arbeit macht und findet es unbegreiflich, dasz er bei diesem schritte stehen bleibt, von seinem Standpunkte aus musz doch folgerichtiger weise gefordert werden, dasz man vor allem die ehe und die kinderzeugung für den pädagogischen zweck wissenschaftlich regelt und unter Staatsgesetz und gesellschaftliche controlle stellt, damit ein möglichst gesundes und bildsames er- ziehungsmaterial gesichert wird, und dann wären wir ja glücklich so weit, dasz nur noch der letzte schritt zum homunculus in der retorte bliebe.

£s ist schade um den groszen aufwand an logik in den ersten drei abschnitten des Döringschen bucbes und um manche an sieh beachtliche und belehrende begrififsbestimmung , manche trefifende einteilung, gliederung und gruppierung, die sich dort findet, wenn alle diese fäden nur angesponnen und verwoben werden, um zuletzt zu einem völlig nutzlosen hirngespinst zusammenzuschieszen.

Ganz anders bei Nu sser. er setzt statt des reiches der träume das königreich Bayern und umgrenzt sich auch innerhalb dessen noch ein engeres gebiet, indem er nicht wie Matthias für die höheren lehranstalten überhaupt, sondern nur für das humanistische gym- nasium pädagogik schreibt, und zwar eben nur mit rücksicht auf den bayerischen lehrplan, dagegen hat er seinen entwurf auf psy- chologischer grundlage aufgebaut, die bei Matthias fehlt, und ^ ist ausdrücklich anzuerkennen, dasz das nicht nur schein werk u-iid

B. Richter: die deutBcbegjmnaBialpädagog^k in ihrer neuesten fassang. 41 1

modische decoration ist , insofern es nicht nur besteht in einem ein- leitenden elementaren vortrage über einige grondbegriffe und kunst- ausdrücke der psjchologie, auf den das weitere dann wenig oder gar keine beziebung hätte. Nusser ist redlich bemüht, die psycho- logische auffassung und begründung der regeln für den gymnasial« Unterricht wirklich durchzuführen, freilich dasz ihm das geglückt wäre, wird man nicht zugeben kOnnen.

üngescblossen klafiPt bei ihm der spalt zwischen den forderungen der psychologischen theorie einerseits und den geschichtlich gewor- denen schul Verhältnissen oder, wie er es nennt, den forderungen der culturentwicklung anderseits, diese entwicklung hat z. b. dem lateinischen seine dominierende Stellung und den breiten räum im unterrichte des gymnasiums verschafft: es gelingt dem Verfasser nicht, diesen ausgedehnten und vorhersehenden betrieb der einen fremden spräche mit seinen Sätzen über den psychologischen verlauf der bildung in einklang zu bringen, und dieser Zwiespalt zwischen der anerkennung des geschichtlich gegebenen und der philosophi- schen construction wird um so auffälliger, je ungleichmäsziger die einzelnen lehrfächer behandelt sind.

Diese ungleichmäszigkeit ist überhaupt ein erheblicher mangel des buches. für französisch^ mathematik und physik verzichtet der yerf. ausdrücklich auf jedes tiefere eingehen, weil ihm hier die Sach- kenntnis fehle, muste er denn das buch herausgeben? aber auch die übrigen fächer werden ungleich abgethan. lateinisch und deutsch werden unverhältnismäszig bevorzugt, so dasz sich der verf. hier auf einzelheiten der didaktik einläszt und reichliche und zum teil breit ausgeführte, wenn auch nicht unzweckmäszige beispiele des methodischen Verfahrens bietet, dagegen behandelt er das griechische wie ein Stiefkind , merkwürdiger weise , diesen eigentlichen Stamm- halter des humanistischen gymnasiums. der besondere wert, den die griechische litteratur und namentlich die dichtung für (die schule hat, kommt nicht zur erörterung, ebenso wenig das Ver- hältnis der beiden gegenseitig im unterrichte sich ergänzenden alten sprachen.

Jedenfalls aber steht Nussers psychologie vor der gesamtheit der lehrfächer still und stellt die arbeit ein angesichts des neben- einander und des Zusammenwirkens der elf artes liberales des bayerischen gymnasiums von religion und deutsch bis zu zeichnen und turnen, wie er denn auch bezeichnender weise den begriff con- centration der lehrfächer gar nicht anrührt was er unter dem titel : psychologische analyse der Unterrichtsstoffe; der betrachtung der einzelnen fächer vorausschickt, das ist eine einteilung, die mir durchaus nicht den eindruck eines psychologisch begründeten Organismus der Unterrichtsstoffe hinterlassen hat. ich gestehe ehr- lich, dasz mir die logik dieser aufstellung unverständlich und infolge dessen diese ganze sogenannte analyse unklar geblieben ist.

sie ergibt folgendes Schema:

27*

4 1 2 R. Richter : die deutsche gymnasialpftdagogik in ihrer neuesten fassang. natnr mensch gott

materielle interessen politisch-sociale höhere geistige Interessen des

interessen wahren, gnten und schönen

reale unterrichtstoffe historische unter- ideale Unterrichtsstoffe

richtsstoffe

1. anschauungs- 1. geschichte. l.kanst. 2. zeichnen. 8. gesang

Unterricht. 2. natur- 2. classiker- und musik. 4. turnen. 6. reli-

geschichte. 3. zeichnen. lectiire. gion. 6. sprachen. 7. mathe-

4. geographie. 5. phjsik. matik. 8. deutscher stil. 9. der

deutsche aufsatz.

Ich brauche mich mit einer kritik dieser Übersicht nicht auf- zuhalten: der mangel eines zwingenden und durchgeführten ein- teilungsgrundes , der fehler, dasz sich die kategorien nicht gegen- seitig ausschlieszen, die willkür und künstelei in der Unterordnung der lebrfKcher, die gewaltsamkeit, mit der zusammengehöriges aus- einandergerissen wird, das alles spnngt in die äugen, es kommt mir auch nicht viel darauf an, das verfehlte dieser einen partie her- vorzuheben, der viel klares, gutes und lehrreiches in dem buche gegenübersteht, wichtiger ist mir etwas anderes, das sich mir bei der lectüre ergeben hat, nämlich dies:

Für die praxis des Unterrichts springt bei der psychologischen begründung Nussers im ganzen wenig heraus, nach meiner be- obachtung nicht mehr als die dreifache mahnung, dasz man als lehrer den engen Zusammenhang zwischen leib und seele nicht ver- gessen soll (z. b. für die Verwertung der sinnlichen anschauung oder bei beurteilung der erlahmenden aufmerksamkeit) ; femer dasz man für das neue möglichst vorteilhafte anknüpfung an bekanntes und erkanntes zu suchen bat (die apperceptions- und associations- lehre) ; endlich dasz man die einwirkungen auf das gemüt nicht ver- säumen darf über der ausbildung des Verstandes und der gedäcbtnis- mäszigen einprägung von kenntnissen.

Dasz diese mahnungen nicht mehr neu sind, soll nicht be- mängelt werden : sie können nicht oft genug wiederholt werden, weil der praktiker immer wieder in die gefabr kommt, zu sehr in den trockenen ton, in das predigen über die köpfe weg; in das mecha- nische einpauken und in andern alten Schlendrian zurückzugeraten ; aber das dürfen wir doch nicht verkennen, dasz das eben nur mah- nungen, allgemeine erinnerungen bleiben, dasz sich diese päda- gogisch angewandte psychologie noch sehr wenig zu festen normen und bestimmten regeln krystallisiert hat.

So wahr und richtig es ist, dasz wir im unterrichte die weit der gefühle bei unseren Schülern in anspruch nehmen und in Be- wegung setzen müssen, wie weit hilft uns denn im ernstfalle diese erkenntnis, die ja übrigens unseren ahnberren im lehramte auch nicht gefehlt bat, wenn sie ihnen auch noch nicht so wie uns be- gründet, formuliert und eingeschärft wurde? das richtige masz.

B. Bichter : die deatsche gymnasialpädagogik io ihrer neuesten fassung. 413

die richtige mischung, die richtige art der aasführung, d. h. doch alles und jedes, bleibt nach wie vor dem lehrer, seiner einsieht, seiner bildung, seiner erfahrung, seinem takt, ja nicht selten seinem instinct überlassen, wenn mir jetzt jemand sagt: du hast Nusser gelesen, nun behandle einmal nach seiner lehre ''EpuJC dviKare ^dxcxv so, dasz du die moralischen, intellectuellen und ästhetischen lustgeftthle bei deinen primanern gehörig anregst, so werde ich ehr- licher weise antworten müssen: dazu hilft mir kein Nusser; wenn mir etwas derartiges nicht kraft anderer fähigkeiten und kenntnisse übel und böse gelingt, so wird der versuch ganz misraten.

Das soll gesagt sein nicht der psychologie zu Unehren, sondern gegen das in der pädagogischen litteratur noch immer nicht ver- schwundene gescheidlespielen und groszthun mit der angeblichen allheilkraft der psychologischen berechnung des Unterrichts, ein treiben, das deswegen gefährlich ist, weil es bei werdenden er- ziehem die Wertschätzung gediegener fachwissenschaftlichkeit durch Übertreibung des wertes jener hilfswissenschaft ungebührlich zu ver- mindern droht.

Eine probe von dem tone , in dem dabei orakelt wird , bietet gleich die erste seite unseres buches, wo im gegensatz zu den genialen erziehem, die das richtige treffen, ohne sich von ihrer thätigkeit rechenschaft geben zu können , und zu den schablonen- menschen, die sich der theoretischen regeln und grundsätze halb be- wüst sind und eine überlieferte oder angeratene methode anwenden, ohne ihre berech iigung an sich oder ihre zweckmäszigkeit für den vor- liegenden fall ergi*ündet zu haben, eine dritte classe folgendermaszen charakterisiert wird: ^wieder andere endlich sind sich ihres thuns ganz bewust, indem sie ihr lehr- und erziehungsverfahren auf den letzten natürlichen grund alles lehrens und erziehens zuiUckführen und mit wissenschaftlicher exactheit einen geschlossenen Zusammen- hang der Unterrichtsgegenstände herzustellen streben.'

Das sind grosze, aber nichtssagende worte und hyperbeln. kein erzieher ist sich seines thuns ganz bewust; sehr vieles und dabei oft das beste thnt er gefühlsmäszig und gewohnheitsmäszig , und wenn er bei jeder lehrhandlung und zuchtmaszregel auf letzte gründe reflectieren wollte, käme er nicht von der stelle und die schüler würfen einstweilen mit papierstöpseln.

Und was soll man sich denken bei der 'zurückführung des lehr- und erziehungsverfahrens auf den letzten natürlichen grund alles lehrens und erziehens'? wenn man darunter eine definition des Zweckes der erziehung im allgemeinen und der gymnasialerziehung im besondern zu verstehen hat sowie einige allgemeine sätze über die functionen des Seelenlebens, so ist dieses wissen an sich nütz- lich, namentlich auch, wenn man weisz, wie verschieden der er- Ziehungszweck definiert wird, aber für die praxis ist es thatsächlich von ganz untergeordneter bedeutung , es tritt weit zurück bei der ausübung des pädagogischen berufs und entbehrt gänzlich des wertes

414 K. Richter : die deutsche gjmnasialp&dagogik iu ihrer neuesten faesung.

und der Wirkung einer irgendwie sicheren directive bei der wirk- lichen erziehungsthätigkeit.

Und nan vollends die * wissenschaftliche exactheit' auf unserem gebiete! wir wollen nur nicht renommieren, wie wenig eine solche exactheit noch ausgebildet ist in der ^herstellung eines geschlossenen Zusammenhanges der Unterrichtsgegenstände', das lehrt, wie oben angedeutet, besonders deutlich Nussers gerade in dieser beziehung unbefriedigendes buch , das lehrt auch der bisher noch sehr geringe erfolg der an sich höchst anerkennenswerten eifrigen concentrations- bestrebungen.

Noch für eine andere stelle möchte ich diesen mangel an wissen- schaftlicher exactheit veranschaulichen, nämlich für die oben an- geführte forderung, dasz man bei der schulerziehung den engen Zu- sammenhang zwischen leib und seele nicht vergessen soll, ja , das hat gott sei dank praktische greifbarkeit gewonnen in einer langen reihe hygienischer Vorschriften über anläge und ausstattung der schulhäuser, über Zuführung von luft und licht, über heizung und Ventilation , über den druck von Schulbüchern und sonstige masz- regeln zum schütze der äugen, über besondere beachtung von kurzsich- tigen und schwerhörigen, über Schulbänke und gesundes sitzen usw.

Hier kann man allenfalls von exacter wissenschaftlichkeit reden, aber es ist die des hygienikers und arztes, nicht die des pädagogen, die in diesem bereiche zweckmäszige einrichtungen begründet hat und weitere Verbesserungen begründen wird; und die ausfuhrung des meisten und wichtigsten liegt nicht in den bänden der lehrer ; was sie zu beachten und zu überwachen haben , liesze sich leicht in zehn Paragraphen auf vier octavseiten zusammendrucken und sollte so als hygienische instruction jedem lehrer in die band gegeben und, unter androbung aller Schrecknisse disciplinarischer ahndung für den versäumnisfall, zur pflicht gemacht werden; die gründe für solche geböte sind so einleuchtend , dasz sie kaum hinzugefügt zu werden brauchten, höchstens könnte man sich versucht fühlen , am Schlüsse hinzuzusetzen: diese instruction ist von euch lehremallen pünktlich und gewissenhaft auszuführen, damit ihr eure pflicht thut, obgleich der günstige erfolg dieser Pflichterfüllung sehr unsicher ist; denn ihr habt eure Zöglinge nur ein Siebentel des Jahres unter eurer unmittelbaren aufsieht und in eurer gewalt; für die übrigen sechs Siebentel des Jahres musz die hygiene von der häuslichen erziehung besorgt werden , was sein unberechenbares hat.

Nun rücken aber erst die schwierigeren fragen an über gegen- seitige beeinflussung von leib und seele, fragen, bei denen der lehrer auf sich allein gestellt ist und von anderen autoritäten im stiche gelassen wird : die nervenfragen, die peinliche frage der körperlichen ermüdung, der Überreizung, der überbürdung durch geistige arbeit« auf diesem grenzgebiete , wo medicin und pädagogik einander die bände reichen möchten, aber sich begreiflicher weise nicht selten in die haare geraten, in diesem bereiche der geheimnisvollen zusammen-

R . Richter : die deatsche gymnasialpädagogik in ihrer neaesteo fassung. 415

hänge, der ungelösten probleme, der unsicheren Symptome, der grösten Verschiedenheiten in den individuellen bedOrfnissen der ein- zelnen Schüler und der unausgleichbaren Widersprüche zwischen cultur und natur, in diesem bereiche sollte die psjchologie nicht wie eine unfehlbare wegweiserin der p&dagogik gepriesen , und von wissenschaftlicher exactheit, zu der sie verhülfe, bescheidentlich ge- schwiegen werden als von einem nicht vorhandenen.

Man höre einige einschlagende stellen aus Nussers grundrisz: *die schule suche vor allem den körper in günstige zustände zu ver- setzen und ungünstige einwirkungen ferne zu halten; denn sie wird, wenn sie körperlich günstige Verhältnisse herstellt, ihre geistige arbeit rascher, friedlicher und vollkommener erledigen, als wenn sie einseitig und kurzsichtig sich nur um geistige interessen kümmert und körperliche hindern isse einfach durch strenge und harte zucht- mittel zu beseitigen oder zu überwinden sucht, die schule sei so einsichtsvoll, dasz sie bei körperlicher abspannung des schülers keine angestrengte aufmerksamkeit verlangt, dasz sie bei körper- lich schwachen langsam und mit geduld verfährt, sie bedenke, dasz kalte füsze , heiszer köpf die aufmerksamkeit -stören und damit die ganze geistesthätigkeit hemmen , dasz verbrauchte und verpestete luft misbehagen, kopfweh und unruhe bei den schülem erzeugen musz ; dasz ungenügendes oder grelles licht die äugen belästigt, sie sorge also ftlr gleichmäszige temperatur, für hinreichendes und richtig einfallendes licht, für genügende Ventilation, dann hat sie, was an ihr liegt, die ungünstigen einwirkungen auf den körper und durch diesen auf den geist beseitigt.'

Wirklich? hat sie das dann? für diesen kräftigen trostspruch ist denn doch die begründung zu dürftig, die nicht einmal der pausen , der Sitzgelegenheiten , des schulhofes und seiner benutzung gedenkt, aber abgesehen von dieser flüchtigen und unzureichenden andeutung über die hygiene des schulhauses , was ist denn die erste bälfte dieser auslassung anderes als ein stück trivialer kanzelbered- samkeit der pädagogik, eine gewissensschärfung, deren Wirkung da- durch noch erheblich abgeschwächt werden dürfte, dasz die aufforde- rung, *bei körperlicher abspannung des schülers keine angestrengte aufmerksamkeit zu verlangen', in ihrer weitherzigen Unbestimmtheit sehr dazu verlockt, die nabeliegende ergänzungsfrage : sondern ? in den heitersten bildern einer schlarafifenschule auszuführen?

An einer andern stelle wird allerdings gerade auf diesen punkt, auf die anstrengung der aufmerksamkeit näher eingegangen; dort heiszt es: 'der lehrer musz ermessen, wie lange er die aufmerksam- keit in anspruch nehmen darf, er musz wissen, dasz die kraft er- müdet, wenn ihre zeit vorüber ist, d. h. wenn die ihrer intensität entsprechende leistung gethan ist. wird über diesen punkt hinaus die kraft der aufmerksamkeit verlangt, so tritt eine Schädigung des Organismus ein. der heisze köpf; die roten obren, das erblassen und unwohlwerden der schüler sind deutliche Symptome dafür, und gerade

416 b. Richter : die deuteche gymnasialpftdagogik in ihrer neaesten fussang.

die eifrigen schüler werden hiervon betroffen ; die leichtsinnigeren schützen sich selbst vor dieser Schädigung, indem sie rechtzeitig an- fangen, unruhig, unaufmerksam und zerstreut zu werden, sie thun ein- fach nicht mehr mit und folgen hierin einem natürlichen bedürfhisse/

Das hier empfohlene aufmerksamkeitsbarometer will mir nicht viel feiner erscheinen als der laubfrosch in der meteorologie. wenn man immer erst so grobe anzeichen der Überanstrengung ab- wartet wie das erblassen und Unwohlsein bei den strebem den roten köpf will ich mir gefallen lassen als ein nicht seltenes und leicht zu beachtendes Symptom der erregung, nur nicht immer der Überanstrengung; es gibt bekanntlich schüler, die bei jedem aufraf bis über die obren rot werden oder wenn man umgekehrt schon die ansalze zu unruhiger haltung und die beginnende Zerstreutheit und Unaufmerksamkeit bei leichtsinnigen schülem als einen beweis dafür annimmt, dasz man durch seine ansprüche an die aufmerksam- keit der classe den körperlichen Organismus zu schädigen im begriff steht, dann wird man diese ansprüche schwerlich in gesunder weise regeln, namentlich im letzteren falle auch nicht in der richtung, in der wir gjmnasialpädagogen uns gewis fleiszig bewegen müssen, dasz wir bei unserer jugend sachte und allmählich, aber beharrlich die fähigkeit ausbilden, den körper durch den geist einigermaszen zu beherschen wie in anderen beziehungen , z. b. bei den sexuellen regungen und beim kitzel des gaumens, so auch in Sachen der aufmerksamkeit.

Es ist eine unserer vornehmsten leistungen, die kraft für die willkürliche aufmerksamkeit bis zu der gewöhnung zu schulen , die schon in der reifeprüfung keine kopfschmerzen bekommt, geschweige denn im mannesleben bei ernstester und anhaltender geistiger arbeit, einer gewöhnung, die das dichterwort bestätigt: es ist der geist, der sich den körper baut.

Ich musz sagen , ich habe von mir selber und damit zugleich von uns gymnasiallehrern überhaupt bisher immer angenommen, dasz wir eindringender, als es von Nusser aus gesundheitsrück- sichten verlangt wird, die Wirkungen unseres Unterrichts überhaupt in der lehrstunde zu beobachten pflegen, dasz wir bei den einzelnen Schülern die meist ständigen manieren leicht kennen lernen, mit denen sie unbewust und leise eine ablehnende, widerstrebende Stim- mung, die neigung sich auszuspannen und abzuschweifen oder das gegenteil verraten , dasz wir nicht leicht auch ein keusch verhülltes gähnen übersehen, dasz wir dort bei dem langgegliederten das be- dürfnis kennen, wenn er der sache müde wird, regelmäszig seine groszen knochen in eine andere läge zu bringen oder bei anderen die neigung, den köpf immer mehr zu senken oder mit der feder zu kritzeln oder nach dem nahen fenster zu schielen, dasz uns wiederum bei diesem eine aufklärung des gesiebtes verkündigt, wie ihm das Verständnis für die eben gegebene erklärung aufdämmert, und bei Jenem ein aufleuchten im äuge, bei einem anderen ein aufrecken, eine

K. Richter : die deutsche gymnasialpädagogik in ihrer neucBten fassang. 417

gespannte haltung des körpers die innere teilnähme , ein stärkeres interessiertsein äuszert; dasz wir uns bestimmte leute auswählen, deren geberdensprache uns als ein maszstab für das urteil über die Wirkungen des Unterrichts dienen kann, leute von verschiedener be- gabung und verschiedenem temperament, natürlich am wenigsten Phlegmatiker , die sich weder last noch unlust ansehen lassen.

Immerhin aber ist bei solchen beobachtungen noch viel Irrtum und Selbsttäuschung möglich, und wenn sie auch gegen wiederholte maszlose Zumutungen an die leistungsffthigkeit der schüler einigen schütz gewähren, so möchte ich mir doch gerade die Sicherheit der mehr medicinischen als pädagogischen diagnose schlechterdings nicht zutrauen, die Nusser bei uns sucht, und die, zumal bei der groszen Verschiedenheit der körperconstitutionen, die correcte Schonung der leiblichkeit mit correcter anwendung von zucht und lehre verbände, insbesondere auch den fall , wo unruhe und Unaufmerksamkeit pädagogisch zu bekämpfen ist, sicher von dem andern unterschiede, wo der schüler 'nur einem natürlichen bedürfnis folgt, wenn er ein- fach nicht mehr mitthut'.

Wir werden uns also, da uns die zuverlässigen kriterien hier fehlen, bescheiden müssen, dahin bescheiden, dasz wir, das beste immer wollend und suchend, so selbstverständliche unterschiede be- rücksichtigen wie den zwischen sextanem und primanern , den zwi- schen der ersten stunde und der fünften stunde des vormittags, den zwischen lateinischem extemporale und dem anhören von declama- üonen, den zwischen dem knaben von mutmaszlich normaler ge- sundheit und dem ärztlich legitimierten Schwächling , und dasz wir die mittel der auslösung ausbilden und anwenden, wie den Wechsel des lehrtones und der lehrform , die Veränderung der beschäftigung innerhalb der stunde, die einschaltung von solchen Übungen für ein- zelne, bei denen die aufmerksamkeit der übrigen wenig angestrengt wird; und wenn es jemand für rätlich hält und versteht, zur er- holung von den Strapazen der geistigen arbeit mitten in der stunde die schüler aus den bänken heraustreten und ein weilchen frei- Übungen machen zu lassen , so habe ich auch nichts dagegen ein- zuwenden; vielleicht wird es noch gesetz.

Was sich mir bei den s. 412 angeführten hauptergebnissen der Nusserschen psychologie an unmaszgeblichen bedenken aufgedrängt hat, habe ich für zwei punkte im vorhergehenden angedeutet; auch zu dem dritten punkte, zu titel apperception, also zu einer sache, bei der über die didaktische anwendung der psychologischen lehre unter den Pädagogen schon viel Übereinstimmung herscht, will ich mir noch eine bescheidene bemerkung erlauben, sie betrifft eine kleinig- keit, aber eine, von der auch anderwärts viel aufhebens gemacht worden ist, und zwar nach meiner Überzeugung fälschlicher weise.

Ober den anfangsunterricht im lateinischen sagt Nusser folgen- des : 'die schüler müssen mit einem gewissen vergnügen dem lehr- stoff entgegenkommen und durch seinen besitz sich gehoben fühlen.

4 1 8 R. Richter : die deut-sche gymoasialpädagogik in ihrer neaeeten fitiBgaDg.

zum zwecke einer solchen lebhaften apperception biete man dem schttler anfangs nur solche lateinische worte, welche mit der deutschen Sprache ähnlichkeiten haben: forma, Corona, porta, munis, agor, puer, metallum, mater, pater, piscis, pellis usw. die fremdartig- keit der spräche wird beseitigt, der knabe fühlt sich hingezogen, weil er in dem fremden idiom anklänge an seine muttersprache findet, er entwickelt zugleich in sich das bestreben, die lateinischen Wörter zunächst nach ihrer bedeutnng zu fragen, denn andere werter, die ihm vorgelegt werden, sind ihm auf den ersten blick undurch- sichtig und verhüllt.'

Wenn wirklich diese frage der beim eintritte in die lateinschale bereit zu haltenden zuckerdüte der apperception so ernsthaft litte- rarisch behandelt werden soll, so komme ich zu einer ganz anderen schluszfolgerung über die ausstattung dieses lockmittels. der neu- ling tritt in den lateinunterricht mit grOster Spannung und empfUng- lichkeit für das zu erwartende als ein neues und fremdartiges, es wäre nicht haushälterisch, wenn man sich mit diesem sehr krftftigen Interesse für die ersten darbietungen nicht begnügen, wenn man ein anderes interesse dazu noch anregen wollte, indem man lateinische Wörter darböte, die an das deutsche anklängen, aber nicht nur das : dieses neue interesse würde das ursprünglich vorhandene in stören- der weise durchkreuzen und die Vorstellung erzeugen : also weiter nichts als ein verhunztes deutsch ! wie wenn die knaben in eine Schaubude treten sollten, um einen neger zu sehen, und der neger wäre nicht schwarz, sondern weisz wie die bisher gesehenen menschen, und wenn dann sehr bald doch ganz fremdartig klingende Wörter kommen müsten, würde die nach dem vorspiele eintretende ent- läuscbung der fortdauer des interesses nicht förderlich sein, mit inimicitiae wird man vernünftiger weise nicht anfangen , aber mit rana, der frosch gedächte ich einen unauslöschlichen, einen viel tieferen eindruck zu machen, als mit forma und corona; die Vor- stellung des frosches ist apperceptionsstütze genug, wenn sich dann im weiteren verlaufe des Unterrichts die vocabeln mehren und häufen, dann sind rosa und villa u. dgl. brauchbare und willkommene bei- läufige erleichterungen der einprägung, aber auch nur beiläufige: denn die band voll lateinischer fremd Wörter und lehnwörter, die dem sextaner nach seiner herschaft über die muttersprache geläufig und in ihrem sinne von vorn herein verständlich sind, hat für die an- eignung des lateinischen pensums der classe wenig zu bedeuten, so dasz man um die psychologische Verfeinerung des Unterrichts , die in der selbstversitändlichen benutzung dieser beziehungen liegt, nicht viel lärm machen sollte.

So viel im anschlusz an Nussers grundlinien der gymnasiaJ- pädagogik; die betrachtungen , zu denen ich durch die praktische Pädagogik von Matthias angeregt worden bin, musz ich auf das nächste heft versparen.

Leipzig. Richard Richter.

A. Wittneben: das Yerhältnis der erdkuude zur geschichte. 419

41.

DAS VERHÄLTNIS DER ERDKÜNDE ZUR GESCHICHTE NACH DEM LEHRPLAN VON 1892.

Aus den urteilen Über die neuordnung des höheren Schulwesens klingt vielfach als grundton ein gewisses misbehagen heraus, bald weil die früher behaglicher im sattel sitzenden föcher so viel ein- gebüszt haben, bald weil die Vertreter minder berücksichtigter Unter- richtsgegenstände ihre liebgewordenen wünsche nicht erfüllt sehen, zu den enttäuschten gehören die Vorkämpfer der erdkunde.

Mit den naturwissenschaften wetteifernd und sich selbst immer mehr zu einer solchen ausbildend, machte die geographie in zu- kunftsfroher werdelust seit jähren anspruch auf eine festere Stellung im lehrplan, auch das bild, welches Willmann in seiner didaktik (II § 57) entwirft, hinterläszt, obwohl er die 'weltkunde' nur zu den accessorischen dementen der bildung rechnet^ den eindruck, als ob sie, alle andern Unterrichtszweige berührend, zum centralfach ge- schaffen sei , mittels dessen die kluft zwischen der sprachlich-histo- rischen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen gruppe aus- gefüllt werden könnte, und doch faszt Willmann die bildungsinhalte im Verhältnis zum gesamten unternchtskörper auf: wie viel mehr musten geographen von fach auf den höheren schulen für ihren lit'b- ling eine ausgibigere pflege anstreben, und nun? als die neuen lehrpläne erschienen, war die Stundenzahl dieselbe geblieben; die Unterstufe war zwar bis IIB erweitert, aber dafür war die erdkunde, wie die geschichte, auf der Oberstufe ganz ins gedränge geraten, wie schön fand man vor 1892 in den beiden secunden die zeit, auszer der alten geographie und geschichte während des einen Jahres die allgemeinen Verhältnisse des festlandes, im andern die des meeres zu behandeln und so denjenigen gesichtspunkten^ welche die allge- meine erdkunde an die band gab, das wichtigere aus der geographie von Deutschland, Europa und den übrigen erdteilen unterzuordnen eine zusammenfassende Wiederholung der früher gelernten stoffe in neuer beleuchtung; wie sie dem Interesse und den kräften der reiferen schüler entsprach, die schönen zeiten sind nun vorbei, seit- dem die ganze alte geschichte sich in IIA zusammendrängt, inwie- weit der Verlust in der II B einzubringen ist, wird sich weiter unten zeigen.

Stellen wir uns nun einmal wohl oder übel auf den boden des neuen lehrplans, so hadern wir in der VI und V nicht mit dem lehrer der naturwissenschaften um das näherrecht, eine mehr selbständige Stellung gewähren der erdkunde ferner die andern classen mit zwei wochenstunden, doch ist im lehrplan (s.44) der zusatz 'insbesondere der um das Mittelmeer gruppierten länder' gewis nicht ohne rück- sieht auf die geschichtsau fgabe der IV gemacht worden, und in den

420 A. Wittneben: das verb&ltnis der erdkunde zur gescbichte

realtertien legen wir, falls die erdkunde nicht in den bänden des gescbicbtslebrers liegt; diesem den gescbicbtsgeographischen stofiT doppelt eindringlich ans herz, in den gjmnasialtertien und unter- secunden endlich, wo ihr nur eine stunde wöchentlich zu geböte steht, kann sie der anlehnung an ein anderes fach nicht entraten^ dies fach kann aber hier , wie auf der Oberstufe (ausscblieszlich der mathematischen erdkunde), kein anderes sein als die gescbichte. also ein dienstverhältnis ? nein, die geographiesch wärmer brauchen sich nicht zu entrüsten, nicht zur dienenden magd der geschichte soll die erdkunde erniedrigt werden , sondern als gleichberechtigte haustochter neben der andern stehen, und zwar so, dasz sie der Schwester die natürlichen bedingungen unter den fusz gibt und da- für von der geschichte den Schlüssel zur politischen geographie er- hält, sich so gegenseitig in die bände arbeitend gewinnen beide, unbeschadet ihrer wissenschaftlichen würde.

Zu den allgemeinen beweggründen nun, die geschichte mittels der erdkunde möglichst örtlich, anschaulich, greifbar zu machen, anderseits die geographischen zustände der gegenwart als geschicht- lich gewordene begreifen zu lehren, hat der lehrplan von 1892 mittelbar noch ein besonderes band hinzugefügt, die 'vergleichende berücksichtigung unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen ent- wicklung bis 1888' in IIB und in lA 'zusammenfassende belehrun- gen wie in IIB, dem Verständnis der höheren stufe entsprechend vertieft' sind für das Verhältnis der erdkunde zur geschichte so mit- bestimmend , dasz wir sie etwas ausführlicher in unsere erörterung hineinziehen müssen, freilich gähren noch die ansichten hierüber, das bekundet die Versammlung deutscher historiker in München vom 5 bis 7 april 1893. welcher abstand des inzwischen verstorbenen gjmnasialdirectors Härtens, der in these 5 die wirtschaftlichen Verhältnisse bewust unter den socialpolitischengesichtspunkt stellen, so das Verständnis für die sociale frage der gegenwart wecken, auch die mittel und wege zur bekämpfung der heutigen socialdemokratie zeigen will von den professoren Dove (München) und Kauf- mann (Breslau), von denen jener erklärt : 'Wirtschaftsgeschichte ge- hört nicht in die schule, die moderne geschichte soll nur bis 1871 ausgedehnt werden' und Kaufmann (an trag 3): 'fern zu halten ist von dem geschieb tsunter rieht jeder versuch, die Jugend zu be- stimmten ansichten über politische, kirchliche oder sociale fragen und Parteien zu erziehen.' wie schön unterrichtet es sich doch aus der wolkenlosen höbe reinster Wissenschaft; aber uns gewöhnlichen menscbenkindern auf dem gymnasialkatheder wird bei dieser gott- Ubnlicbkeit bange, ebenso ist der dort noch festgehaltene wünsch von Kropatscheck, das gymnasium solle nur für die Universität vorbereiten, praktisch ein längst überwundener Standpunkt, wer über die vielbeklagten procente der nicht zum eigentlichen ziel ge- langenden Schüler (lehrpl. s. 67 f.) , wer über die geknickte bildung der nichtabiturienten sonst vielleicht herzlos zur tagesordnung über-

nach dem lehrplan von 1892. 421

gieng, der wird seit jabr und tag durcb das einjäbrig-freiwilligen- recbt und seit 1892 durch die abschluszprfifung an ein milderes verfahren gewöhnt, hat doch selbst ein so conservativer scbulmann wie 0. Jäger dem druck der Verhältnisse sich nicht mehr entziehen können (vgl. Gymnasium 1894 s. 5 ff.).

Oder wäre es wirklich zu verantworten , wenn man die ins ge- schäftsieben übertretenden scbüler leichten herzens ins meer der wirtschaftlichen kämpfe hinausjagte? wird man ihnen nicht wenig- stens einen compass und die nötigsten winkelmesz Werkzeuge auf die fahrt mitgeben? ja, liesze sich nur annehmen, dasz jeder nach- träglich in ruhiger, sachlicher weise mit den socialen kräften der gegenwart sich vertraut machte! nun schöpfen aber die meisten, nachdem sie die schule verlassen haben ; ihre Weisheit teils aus dem persönlichen Umgang mit allen seinen Zufälligkeiten, teils aus der mehr oder weniger parteipolitisch zugestutzten presse; mithin wfirde es, falls die schule diese fragen nicht behandelte, lediglich vom guten glück abhängen , ob der einzelne die ersten und lebhaftesten eindrücke von dieser oder jener seite^ in diesem oder jenem sinne erführe.

Es ist hier nicht der ort; im einzelnen nachzuweisen, wie manig- fach die abiturienten , welchem Studium sie sich auch zuwenden mögen, künftig in ihrem beruf mit den gesellschaftlichen und wirt- schaftlichen fragen der gegenwart in berührung kommen ; wie sie ohne die nötigen kenntnisse auf diesen gebieten heutzutage weder ihre engeren amtspflichten noch ihre aufgäbe als lehrer und leiter umfassender volkskreise erfüllen können, davon überzeugt, dasz jeder das Interesse an den socialen fragen von der schule ins leben mitnehmen müsse, hat der Verfasser schon vor dem lehrplan von 1892 auf der Oberstufe maszvoll nach angemessenen gesichtspunkten die geschichte über 1871 hinaus bis zur gegenwart geführt, das be- denken ^ der lehrer könnte politisch befangen sein, die scbüler alt- klug und naseweis werden, wird gegenstandslos, wenn man auf geographisch-historischem wege auch den neuesten Unterrichtsstoff des politischen Charakters entkleidet.

Zunächst ist es von übel, die gesellschaftliche und wirtschaft- liche bildung durch einen hochdruck gegen ende der beiden stufen des geschichtsunterrichts , also in IIB und in lA, den schÜlern bei- bringen zu wollen; sie musz, soweit die geschichte dafür verant- wortlich ist, aus dem gesamten, vorzugsweise dem ganzen vaterländischen geschieh tsunterricht hervorgehen, daher sehen wir ungern im lehrplan (s. 40 und 41) die einfachen lebensformen der alten Germanen hintangesetzt, indem auf beiden stufen die zeit bis zur groszen Völkerwanderung unter den römischen Standpunkt gerückt wird, ^kurzer überblick über die weströmische kaiser- geschichte vom tode des Augustus, dann deutsche geschiebte bis zum ausgang des mittelalters' heiszt es daselbst unter HIB und ^geschichte der epochemachenden weltgeschichtlichen ereignisse

422 A. Wittneben: das verhältniB der erdkonde zur gescbichte

vom Untergang des weströmischen reiches . . .' anter IB. eignet sich das harmlose ereignis von 476 nach Chr. überhaupt wenig zum weltgeschichtlichen markstein, so erst recht nicht als ausgangs- punkt des mittelalters, weil die geschichtliche bethätigung der Ger- manen damals im vollen flusse war. man suche uns auch nicht damit zu trösten , dasz die ersten Jahrhunderte der christlichen Zeit- rechnung ja als letztes stück der IIA bereits erledigt seien, dort ist der ausgang des römischen reiches vom römischen Standpunkte zu Überblicken, wobei u. a. auch Germanen berührt werden; aber die ersten staffeln der Germanengeschichte selber wollen vom ger- manischen Standpunkt behandelt sein, folglich ist der einzig rich- tige platz im anfang der III B und I B. gleichzeitig ist in den latei- nischen stunden dort, wenn möglich, Caesars bell. Gall. VI 9—28 zu lesen; hier jedenfalls Tacitus' Germania, damit dies herliche stück geographischer und historischer quellenlectüre im engen Zusammen- hang mit dem Unterricht in der Ältesten deutschen geschichte rechten nutzen stiften könne.

Für die wirtschaftlichen kenntnisse insbesondere, welche der lehrplan (s. 41) ausdrücklich fordert, gibt es schlechterdings keine so lautere quelle, wie die erdkunde. nur schade, dasz derselbe lehr- plan (s. 44) das schöpfen selbst erschwert, wo ist der geist der con- centration, dem hervorragende mitglieder der decemberconferenz im voraufgehenden Jahrzehnt das wort geredet hatten? woher soll die Sammlung kommen y wenn in den beiden tertien bei e i n e r stunde wöchentlich sich der schtller zugleich in Deutschland und in den auszereuropäischen erdteilen abmühen musz, ohne auf einem von beiden tummelplätzen recht heimisch zu werden? was soll man dazu sagen, dasz jetzt der HIB die politische und der III A die physische erdkunde Deutschlands zugewiesen ist? da^ natürliche geographische Verhältnis wird damit auf den köpf gestellt, der ge- schichte wird ihre nattlrliche grundlage vorenthalten und einer pflege der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen zustände vollends der nährboden entzogen.

Bei der alten gescbichte geht herkömmlich in den lehrbüchern und im Unterricht den Griechen und den Römern ein überblick über land und leute voran: und warum soll es in der deutschen geschichte anders sein ? etwa weil die erdkunde Deutschlands schon einmal in V, dann wieder in den tertien dagewesen ist? nein, auf der unter- wie auf der oberstufe hat die erdkunde regclmäszig der geschichte den Schauplatz zu bereiten, und es müssen die allgemeinsten natürlichen bedingungen im hinblick auf die spätere Volksentwicklung zunächst mit dun schülem klargestellt werden ; darauf wird betrachtet, was im laufe der zeit aus dem so beschaffenen lande die so beanlagten be- - wohner unter den so und so einwirkenden geschichtlichen ein- flüssen gemacht haben, wegen des elementaren betriebes in HIB und auch in I B wagen wir es nicht mit Rätsel anthropogeograpbie zu nennen, aber im gründe genommen ist es doch ein stück Ritterscher

nach dem lehrplan von 1892. 423

erdkunde und dasselbe , was Bemheim im lehrbuch der historischen methode s. 442 ff. für die gescbichie in anspruch nimmt, natürlich ins gymnasiale übersetzt, was wir meinen , mag eine Übersicht ver- anschaulichen, und zwar in dispositionsform, ähnlich wie es in des Verfassers tafelförmigem leitfaden für den geschichtsunterricht auf höheren lehranstalten (verlag von J. Baedeker in Leipzig; vgl. Hornemann in dieser Zeitschrift 1893 s. 435) mit dem altertum geschehen ist.

Das land.

weltstellung : das germanische Mitteleuropa, das Deutsche Reich, Holland, Belgien, die deutsche Schweiz und Deutsch- Osterreich umfassend:

1) ist das herz des europäischen Staatensystems.

2) vermittelt den Überlandsverkehr Europas; die Verbindungs- linien zwischen den wichtigsten städten der hauptländer gehen durch Deutschland.

3) weist seine bewohner auch auf die Seefahrt hin :

a) hat einladende gegengestade :

a^ Groszbritannien und Norwegen an der Nordsee, ß; die dänischen inseln, Schweden und das baltische Busz- land an der Ostsee.

b) befindet sich nahe am natürlichen mittelpunkt des Welt- handels:

a) die Nordsee (das 'deutsche meer') liegt gerade mitten auf der nordöstlichen Mandhalbkugel', welche für den Völkerverkehr maszgebend ist (antipode Neu-Seeland). ß) die Ostsee ist mit der Nordsee verbunden:

aa) durch die natürlichen wasserstraszen Sund und die beiden Belte; weiterhin das Kattegat und Skager Rak. ßß) von 1895 an durch den ganz deutschen Nord-Ostsee- canal.

c) besitzt hinter einem dürftigen landgürtel ein erzeugnis- und volkreiches hinterland.

Batur: das germanische Mitteleuropa, ein unregel- mäsziges viereck zwischen Dünkirchen, der oberen Rhone, der Raab und Memel:

a) ist überwiegend festländisch; denn die drei landseiten zu. sammen sind fast doppelt so lang als die küstenstrecke von Belgien nach Nordschleswig und von da bis Memel.

b) entbehrt dennoch nirgends ganz des Zusammenhangs mit dem meere ; von seinen gröszeren Aussen gehen :

a) der Rhein, die Ems, die Weser und die Elbe zur Nordsee, ß) die Oder und Weichsel zur Ostsee. T) die Donau zum Schwarzen meer.

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424 A. Wittneben: das verbältnie der erdkande zur geschichte

I. die küstengliederung bewirken die Nordsee und Ostsee : j 1) der flacbe Nordseestrand:

t a) ist ohne betonnung and leachtfener unnahbar^ denn die

\ ebbe und flut:

a) verändert fortwährend die tiefenverhältnisse.

) ß) entblöszt täglich zweimal das Watt zwischen dem fest-

) lande und den düneninseln (nebst Halligen).

; b) bietet gleichwohl der Schiffahrt geeignete ausgangspunkte:

a) im Scheide- Maas-Rheindelta nnd in der Zuider see. f ß) in den von starmflaten schlauchartig erweiterten mün-

dungen :

aa) der Ems (Dollart) und Jade (kriegshafen Wilhelms- haven!), ßß) der Weser (Bremerhaven-Bremen und Geestemünde), der Elbe (Cuxhaven-Hamburg). X) auf der felseninsel Helgoland, welche, 1890 von Eng- land abgetreten, nunmehr alle deutschen Nordseehäfen bewacht. 2) die Ostsee, ohne merkliche ebbe und flut, gliedert:

a) die schleswig-holsteinische Steilküste tiefeinschneidend : a) mit den fjorden von Hadersleben, Flensburg (halbinsel

Sundewitt und insel Alsen), Schleswig, ß) mit den buchten von Eckernförde, Kiel (kriegshafen!) und Lübeck.

b) Mecklenburg und Vorpommern meist flach, nur wenige brauchbare häfen Wismar, Rostock, Stralsund bildend.

c) die eintönige küste östlich von Rügen haffartig durch : a) das Oder-baff (Stettin !) hinter den inseln Usedom und

Wollin, mit den drei wasserstraszen Peene, Swine, Dievenow. ß) die Danziger bucht (Danzig!) und das Frische haff mit

dem Pillauer tief (Königsberg !). X) das Eurische haff mit dem Memeler tief. n. die abgrenzung gegen das ausländ verlangt (entweder thätige oder leidende) teilnähme an allen wichtigen europäischen fragen :

1) naturgrenzen (vgl. Tac. Germ. 1 mutuo motu aut monti- bus separatur [Germania]):

a) fehlen in Niederdeutschland; die norddeutsche tief- ebene geht unmerklich über:

a) im Westen durch Belgien ins nordfranzösische tiefland. ß) im norden durch Schleswig in das dänische Jütland. X ) im Osten in das tiefland von Osteuropa.

b) bilden in Oberdeutschland nur scheinbar einen sichern gebirgsverschlusz : aa) durch die lücke zwischen den Karpaten und Alpen führt

eine völkerstrasze vom Schwarzen meere:

nach dem lebrplan von 1892. 425

a) über das Marchfeld in das nach Südosten offene

Mähren und Böhmen, ß) über Preszburg und Wien donauaufwSrts zur bairi- rischen hochobene. bb) die Alpen sind zwar das höchste und massigste gebirge Europas, aber:

a) recht gangbar, weil tiefe einsuttelungen und flusz- thäler; an den beiden abhängen sich entsprechend, passe darbieten:

aa) der Mont Cenis in den Westalpen war im mittel- alter beim deutsch-italischen verkehr ein belieb- ter pass, so lange Burgund zum reiche gehörte, ßß) der Brenner-pass (Inn— Eisack— Etsch) ist von jeher der bequemste Übergang Über die Alpen gewesen, eine Römerstrasze seit Augustus, jetzt eisenbahn. YT) das Stilfser joch (Inn Etsch Adda), die höchste fahrbare strasze der Alpen, und der Splügen-pass (Hinterrhein Comer see) sind alte handelswege. bh) der Simplon-pass (Rhone Tosa Lago mag- giore) ist erst durch eine kunststrasze Napo- leons I erschlossen, ee) der St. Gotthard mit einem früher sehr unweg- samen pass (Reusz Ticino ; vgl. Schiller, Teil V 2) hat erst seit 1830 eine schöne fahrstrasze, seit 1880 auch einen eisenbabntunnel von Göschenen nach Airolo. ß) stark bevölkert in den längs- und querthälern. cc) zwischen dem Jura und Wasgau (Vogesen) öffnet sich

die burgundische pforte (bedeutung von Beifort 1). dd) das lothringische hügelland, von den Vogesen bis zu den Ardennen , gehört :

a) nach seiner neigung und abwässerung zum Rhein, ß) der Sprachgrenze gemäsz nur mit dem nordöstlichen drittel zu den Deutschen. 2) gefährliche nachbarstämme liegen auf der lauer:

a) die Dänen und Skandinavier stehen, obschon mit den Deutschen nahe verwandt, doch zu ihnen durchweg in einem starken geschichtlichen gegensatz.

b) die Gallier und Franzosen sind der Deutschen 'erbfeinde* an unserer vielumstrittenen westgrenze.

c) die Italiener, in die mittlere und neuere deutsche geschieh te 80 oft leidend hineingezogen , nehmen ihren anteil allmäh- lich zurück.

d) die Hunnen , Avaren und Türken haben durch das Donau- thor vorübergehend die deutsche entwicklung beeinfluszt.

N. Jahrb. f. phU. u. p&d. II. ibl. 1895 hfl. 9. 28

426 A. Wittneben: das Verhältnis der erdkunde zur geschicbte

e) die Südslaven und die Magyaren (Ungarn) thun den öster- reichischen Deutschen stetig abbruch.

f) die Westslaven ragen mit zwei keilen in das deutsche trapez hinein :

a) die Tschechen an der obern Elbe und an der March. ß) die Polen an der Warte und Weichsel. m. die bodengestaltiing Deutschlands:

1) wiederholt alle bodenformen Europas:

a) die norddeutsche tiefebene, alter meeresboden:

a) wird im ostel bischen gebiet von zwei lan drücken unter- brochen :

aa) der baltische trägt die preuszische, pommersche und mecklenburgische Seenplatte und setzt sich im hol- steinischen hügellande fort, ßß) der südliche ; seenarm, zieht vom rechten Oderufer her über den Fläming und verliert sich links von der Elbe in der Lüneburger beide, ß) hat im westen keine namhaften erhebungen:

aa) die Marschen der Nord seeküste müssen sogar künst- lich durch deiche geschirmt werden, ßß) das Ems- und Wesergebiet ist ein einförmiges flach- land mit ausgedehnten mooren und viel geestboden. Y) schlieszt im Süden ab mit einem welligen , fruchtbaren gelände am fusz der gebirge.

b) Oberdeutschland füllen:

a) die reizend manigfaltigen mittelgebirgslandschaften

(s. unten), ß) der nordabhang und die nördlichen vorketten der Mittel-

und Ostalpen mit der vorgelagerten schweizer und der

oberdeutschen hochebene.

2) wahrt den einzelnen teilen die nötige Selbständigkeit; eine eigenartige entfaltung fördern :

a) trennende moore und sonstige ödflächen.

b) gebirge:

a) der Teutoburger wald an der Ems und der Harz zwi- schen dem Weser- und Elbegebiet, ß) ein west-östlicher quemegel von den Ardennen bis zu den Karpaten:

aa) das rheinische schiefergebirge. ßß) das Weser- und Werragebirge, der Thüringer wald,

der Frankenwald und das Fichtelgebirge. TT) das Elster-, das Erz- und das Eibsandsteingebirge

(die sächsische Schweiz) , das Lausitzer gebirge. bb) das Iser- und Riesengebirge, das Waldenburger und Glatzer bergland , das mährische gesenke. f) der Taunus, der Spessart, die Rhön, der Frankenwald und das Fichtelgebirge auf der 'Mainlinie'.

nach dem lehrplan von 1892. 427

b) der schwäbische und der fränkische Jura, der Bairische

wald und der Böhmer wald an der Donau, e) der Schwarz wald und Odenwald als östlicher rahmen

der oberrheinischen tiefebene. t) die deutschen Alpen. 3) leistet dem gedanken der Zusammengehörigkeit Vor- schub :

a) die allgemeine neigung des bodens geht von den Alpen und Karpaten nach der Nord- und Ostsee bin.

b) die gebirge Deutschlands:

aa) sind groszenteils leicht zu umgehen (vgl. Harz , Ejff-

häuser^ Uainleite und Finne, Vogelsberg u. a.). bb) sind auch als ketten nur mäszig ausgedehnt, nach rieh-

tung und formen manigfach wechselnd, cc) bilden selbst in dem grösten System (oben III 2 b ß) keine eigentliche völkerscheide zwischen nord und süd : a) der querriegel verläuft abwechselnd transversal /\ /\. ß) die einzelnen teile gewähren zahlreiche durch- und

Übergänge. Y) ursprüngliche Scheidewände sind durchbrochen: aa) der Rhein (quer) , die Mosel und Lahn (längs) haben das rheinische schiefergebirgo gevierteilt, ßß) die Weser hat sich den weg zur tiefebene in der porta Westfalica zwischen dem Wittekinds- berge und dem Jakobsberge geöffnet. YT) die ^Ibe hat das Eibsandsteingebirge zersägt.

c) die groszen ströme, wegen ihres geringen gefUlles bis zum Oberlauf schiffbar, verbinden (auszer der Donau) poli- tisch und wirtschaftlich den Süden mit dem norden :

aa) die Memel und die Weichsel gehören allerdings nur mit ihrem mündungsgebiet in den deutschen bereich und erwehren sich der Russificierung und des Polen- tums nur kraft eines straffen staatlichen rückhalts.

bb) die Oder verknüpft den zwischen Slaven eingekeilten ostflQgel der Deutschen mit dem rümpf.

cc) die Elbe sucht sogar das ringsumwallte Böhmen zu retten.

dd) die Weser reicht mit ihrem oberlauf Werra und Fulda bis hoch in Mitteldeutschland hinauf.

ee) der Rhein, von der quelle bis zur mündung von Deut- schen bewohnt, alle höhenstufen Mitteleuropas durch- strömend , ist das vollkommenste bindeglied zwischen den Nord- und Süddeutschen : a) der oberlauf umspannt Suddeutschland bis zum

Rbeinknie bei Basel, ß) die nebenflUsse des Rheins weisen auch die ent- legeneren glieder nach norden :

28*

428 A. Wittneben : das Verhältnis der erdkunde sar geschichte

aa) die Aare mit ihren Zuflüssen holt fast die ganze Schweiz, die Mosel Deutsch-Lothringen, die Maas (und Scheide) Belgien heran, ßß) der Neckar fesselt das schwäbische terrassenland. YY) der Main mit seinen nebenflüssen und dem Ludwigs-canal von der Begnitz zur Altmühl bildet ein gegengewicht gegen die südostwärts ziehende Donau. rv. das klima ist gemftszigt, fruchtbar und gesund:

l)diewUrme Mitteleuropas unter 46° bis 55° n. br. : a) im Jahresmittel + 10° bis C. ß) im Julimittel + 17° bis 20° C. T) im Wintermittel bis C.

a) ist im ganzen bei einer nord-südlichen erstreckung von rund ICiOO km doch ziemlich gleichmttszig; denn die süd- lichere breite wird ausgeglichen : aa) durch die meerferne und die höhere läge, ßß) durch die im sttden vorgelagerte Alpenwand.

b) nimmt im allgemeinen ab von Südwest nach nordost: aa) Westdeutschland wird beherscht von den atlantischen

luftströmungen und mitbestimmt von der nicht ge- frierenden Nordsee (golfstrom, ebbe und flut, Salz- gehalt!), ßß) der nordosten Deutschlands macht den Übergang zur 'baltischen (klima- )provinz\

c) ist im einzelnen äuszerst manigfaltig, je nach den boden- erhebungen :

aa) ungewöhnlich warm sind die thäler des Rheinmittel- laufes und seiner nebenflüsse.

ßß) rauh und kalt sind der Scb warzwald und Jura; die Eifel, der Hunsrück , der Westerwald nebst dem Sauerland ; der Oberharz, die Rhön und die vom Fichtelgebirge auslaufenden züge. 2) dieregenmenge, sich über das ganze jähr verteilend:

a) versorgt die gebirge so ausgibig, dasz sie die kleinen und groszen Wasseradern reichlich speisen können.

b) befruchtet die anbauflächen auch im wasserärmeren nord- osten noch genügend.

V. die hilfsquellen :

a) sind auf weiten strecken von natur spärlich :

1) Versumpfungen auf der bairiscben hschebene (moose, riede); moor und beide im untern Ems-, Weser-, Elbe- und Üdergebiete.

2) kable hochflächen mit unfruchtbarem boden, z. b. Eifel, Westerwald, Erzgebirge u. a.

b) flieszen arbeitfördernd aus den mehr brauchbaren als grosz- artigen naturgaben:

nach dem lehrplan von 1892. ^ 429

1) die tierweit liefert:

a) eine fülle von haus- und nutztieren; der wildbestand ist frei von gefährlichen raubtiergattungen , nachdem die baren und w5lfe allmählich ausgerottet worden sind.

ß) einen reichen fisch vorrat aus den Aussen und seen ; auszerdem entschädigen ergibige fisohbänke der Nordsee für die Unfruchtbarkeit der düneninseln.

2) die Pflanzenwelt hat sich unter den bänden der Deut- schen merklich verändert:

aa) der wald, in den höheren lagen und auf magerem boden aus nadelhölzem bestehend, sonst laubwald: q) machte in seiner überfülle das Taciteische Ger- manien unwirtlich (vgl. Tac. Germ. 2 u. 5). ß) nimmt jetzt weniger als ein drittel, im deutschen reiche nur ein viertel der bodenfiäche ein. bb) die waldlosen oder gerodeten flächen :

a) dienen in den Marschen der Nordsee und auf berges-

halden als Weideland. ß) unterliegen fast bis zur hälfte von allem grund und boden einer emsigen acker- und garte ncultur:

aa) getreide bildet noch immer das allgemeinste er- zeugnis, wenn es auch nicht mehr zur ernährung der bewohner ausreicht.

ßß) flachs und hanf werden am meisten in Hannover und Oldenburg, Hessen -Nassau, königreich Sachsen und Brandenburg gebaut.

fT) tabak gerät am besten in der Pfalz, in Baden und Elsasz-Lothringen, in Bayern und Pommern.

bb) Zuckerrübenbau ist am ausgedehntesten in An- halt und Braunschweig, in den provinzen Sachsen und Hannover.

€6) wein in vorzüglicher menge zum keltern wird gewonnen in Elsasz-Lothringen, Bheinbajern, Bheinhessen, Baden, Würtemberg und ünter- franken, Rheinprovinz.

II) obst erster gute gedeiht in Südwestdeutschland; übrigens wird der obstbau auch nördlich von der weingrenze immer edler und lohnender.

3) die miner al schätze der erde werden durch den berg- bau ans licht gefördert, am wichtigsten sind:

a) salze in Anhalt, provinz Sachsen, Thüringen, WUrtem-

berg, Hannover und Elsasz-Lothringen. ß) Silber (nur wenig gold) im Harz und im Erzgebirge, f) von unedlen metallen vor allem eisen in der Bheinpro-

vinz und Westfalen, in Elsasz-Lothringen, in Schlesien

und Hannover.

430 A. Wittneben: das Verhältnis der erdkonde zur geschichte

b) Steinkohlen und braunkohlen in unerschöpflicher ftllle in Westfalen, Bheinprovinz , Schlesien^ Sachsen, c) steigen je länger je mehr im werte :

1} durch die leichtigkeit eines inländischen und auswärtigen Warentausches auf den natürlichen und kunstmäszigen handelswegen (schiffahrt, canalbauten^ eisenbahnenl). 2) vermöge der Schaffenslust und geschicklichkeit eines um- sichtig fortschreitenden ackerbau- und industrievolkes.

Die bewohner.

Die Germanen, in vorgeschichtlicher zeit wahrscheinlich aus den steppen Südruszlands in Mitteleuropa (die Nordgermanen in Skan- dinavien) eingewandert :

a) tauchen nach und nach in der römischen gesohichte und Völker- kunde (vgl.Tacitus' Germania) auf als kl eine volksstämme:

1) dieCimbern (und Teutonen?) von der jütischen halbinsel her.

2) die Sugambrer, Tenkterer, Usipeter am rechten Rheinufer.

3) die Bataver, Friesen, Chauken und Sachsen an der Nordsee.

4) die Chatten (Hessen) , Marser, Tubanten, Brukterer und Angrivarier (Engem) im binnenland bis über die Weser.

5) die Cherusker, Langobarden und Hermunduren (Thüringer) bis zur Elbe.

6) die Markomannen und Quaden links von der Donau.

7) die Angeln, Bugier, Goten an der Ostsee bis über die untere Weichsel hinaus.

8) die Sueben, Semnonen, Vandilen, Burgundionen u. a. im binnenlande zwischen der Elbe und Weichsel.

b) schlieszen sich zu gröszeren Völkergruppen zusammen:

1 ) die Goten ziehen erobernd zum Schwarzen meere.

2) die Alamannen drängen allmählich die romanisierten Kelten südlich von der Donau und westlich vom Ober- und Mittel- rhein zurück.

3) die Franken dringen über den unteren und mittleren Bhein.

4) die Sachsen breiten sich im Weser- und Elbegebiet aus; ein teil setzt, mit Angeln und Friesen untermischt, übers meer nach Britannien (England).

c) erfahren und verursachen grosze Umwandlungen in der Völkerwanderung:

1) die wanderlustigen Vandalen und Sueben, Westgoten und Ostgoten, Burgunder und Langobarden gehen auf dem römi- schen boden bald ihres germanischen wesens verlustig.

2) die Wohnsitze der ansässigen Germanen verschieben sich nach Westen und süden:

a) gewonnen werden :

aa) die linksrheinischen landstriche bis zu den Ardennen und Vogesen.

nach dem lebrplan von 1892. 431

ßß) die Ittnder bis zu den höchsten Alpenkämmen und zum schweizer Jura. ß) verloren geht das land zwischen der Weichsel und Elbe, welches den nachrückenden Slaven in ausdauernder colonialarbeit wieder abgerungen werden mnsz. d) bewähren sich als würdigen zweig der Arier oder Indo- germanen nach ihren anlagen und deren geschichtlicher ent- faltung. I. religion:

l)die entwicklung des germanischen heidentums:

a) wird bei den Festlandsgermanen frühzeitig gestört; es erliegt aber dem Christentum nicht ohne hartnäckigen kämpf (Sachsen!), ß) gedeiht bei den entlegeneren Skandinaviern unter mit- Wirkung der dichter (skalden) künstlerisch zur nordischen mjthologie in der älteren und der jüngeren Edda auf Island.

2) der gottesdienst der Germanen vollzieht sich dem alt- persischen, pelasgischen und urrömischen entsprechend (ganz?) ohne bild und tempel, auf höhen und in heiligen hainen.

3) die oberen götter, die Äsen: a) im unablässigen kämpfe mit den (Wanen und) Dursen

(Loki !) begriffen , welche als mächte der finstemis am Untergang der bestehenden weit arbeiten (vgl. die reiche von Ormuzd und Ahriman in der persischen religion und den kämpf der Olympier und Titanen), ß) als personificierte naturkräfte oder träger sittlicher

Volksanschauungen gedacht. Y) mit geschlecht, ehe, kleidung und geraten, auszerdem mit interesse an irdischen dingen ausgestattet, machen schlieszlich ein System von 12 göttem und 12 göttinnen aus, deren wichtigste sind: aa) Wuotan (Wodan, vgl. Wednesday), nordisch Odin: aa) die alles durchdringende himmelsluft; mit wolken- hut und Sturm man tel vorgestellt (vgl. Zeuc V€(p6- XriTCp^Ta, alTioxoc). ßß) der inbegriff des germanischen geistes (runenschrift !) und thatendranges (vgl. den ^furor Teutonicus' und die sage vom wilden Jäger). TX) *allvater* (vgl. Zeuc iraifip dvbpOüV le GeOüV le) das all regierend vermittelst seines auges (sonne I) und seiner raben Hugin (gedanke) und Munin (erinnerung). bb) Ziu oder Eru (vgl. Tuesday und Ziestag = dienstag, in Baiern = Ertag ; femer *'ApTic) , Tyr oder Saxnot, der einarmige seh wert- oder kampfgott.

432 A. Wittnebeu: das verh&ltniB der erdkunde zur geschieh te

cc) Donar (vgl. donnerstag), nordisch Thor: aa) der erdbefrucbtende gewittergott. ßß; mit seinem felsenzerscbmetternden hammer der be- gründer des ackerbaus und der geordneten besitz- verhältnisse. dd) licbtgottheit in drei formen :

aa) Baldr, der hinsterbende frühlingsgott , von seinem

blinden bruder Hödr auf Lokis antrieb getötet (vgl.

die Siegfriedsage und die Jobannisfeuer um die

somm ersonnen wende) .

ßß) Freyr oder Fro, der leben weckende Sonnengott (vgl.

das 'Julfest' um die Wintersonnenwende). YT) Ostara, die göttin des aufsteigenden lichtes, ee) Frigg, gemahlin Odins, in Deutschland unter verschie* denen namen verehrt: aa) Holda oder Hulda, die Vorsteherin eines geregelten

familienlebens und haushalts (^frau Holle'), ßß) Berchta in Oberdeutschland (*frau Bertha'). if) Freja (vgl. Freitag), die göttin der Schönheit und liebe.

4) gottheiten niederen ranges und mittelwesen stellen eine brücke zwischen der götter- und menschen- weit her:

a) 3 Nornen weben das Schicksal der menschen (vgl. den Nomengesang in Jordans Nibelungen XI. und die drei Parzen des classischen altertums). ß) Walkjren tragen auf Wodans gebeisz die im kämpfe ge- fallenen beiden nach Walhalla, während die übrigen ver- storbenen in daä frcudeleere nebelreich der göttin Hei (vgl. hölle) kommen. Y) zwerge in den gebirgen, elfen in der luft, nixen im wasser : aa) verkörpern die geheimnisvoll schaffenden kräfte der natur (vgl. die berg-, bäum- und Wassernymphen des classischen altertums). ßß) greifen meist freundlich, mitunter neckisch in die gescbftfte der menschen ein.

5) den Übergang zu einem innigen Christentum er- leichtert:

a) der tiefe sittliche ernst der germanischen religion. ß) ein verwandter vorstellungskreis: aa) ein monotheistischer zug in Wodan, ßß) der keim des Verderbens in der weit bis zur götter-

dämmerung gegenüber der christlichen lehre von

der erbsünde. f t) <iei* weltbrand (Muspilli) und die Weiterneuerung

neben den biblischen anschauungen (vgl. Jes. 65, 17.

Offenb. Job. 21, 1 und besonders 2 Petr. 3, 7. 10.

12 f.).

nach dem lebrplan von 1892. 433

"X) das kluge vorgehen der christlichen glaubensboten : aa) die heidnischen feste werden beibehalten, jedoch mit christlichem inhalt gefüllt (vgl. das Julfest «=» Weih- nachten mit tannenbanm; das fest der frühlings- göttln Ostara ostem; das Johannisfest s. ob.). ßß) die alten gottheiten fristen, zu Schreckgestalten um- gedeutet, im aberglauben (hausgeister, kobolde, beien), in der sage und in märchen ihr dasein. Y^f ) der Mariencultus kommt der echtgermanischen hoch- schätzung des weibes entgegen. n. Sitten und einriohtungen (vgl. Tacit. Germ.) :

1) der alte Germane im privatleben:

a) beschäftigt sich persönlich drauszen am liebsten mit krieg oder jagd, daheim mit trinkgelagen und Würfelspiel.

ß) läszt Viehzucht und unvollkommenen ackerbau auf dem gemeindeland (almende) oder auf der eigenhufe durch die schwächeren familienglieder betreiben.

Y) kleidet sich gewöhnlich in tierfelle^ fast nur die frauen in leinen.

b) führt ein monogamisches familienleben und betrachtet die gastfreundschaft als heilige pflicht.

e) treibt tauschhandel, ausnahmsweise mit römischem gelde in den grenzgebieteu.

2) das altgermanische gemeindeleben:

a) beruht ursprünglich auf der familie oder sippe mit patriarchalischen rechtsverhältnissen ; die blutrache ist durch eine sachliche sühne (vieh, wergeld) gemildert.

ß) gliedert sich gesellschaftlich und rechtlich nach stän- den in :

aa) freie mit der Spielart der edelfreien. ßß) unfreie: liten oder hörige und sklaven oder knechte.

f) liegt in den bänden von einungen :

aa) die markgenossenschaft umfaszt die gehöft- oder dorfweise zusammengesiedelten grundbesitzer.

ßß) der gau (pagus) besorgt als politische einheit die friedensangelegenheiten unter dem vorsitz eines ge- wählten fürsten (princeps).

YT) ^ie Völkerschaft (civitas) bildet einen gröszeren ver- band für kriegszwecke unter einem erkorenen hei*zog (dux) oder könig (chuning).

b) verläuft in volkstümlichen formen :

aa) die Volksversammlung (thing) der freien mit schild und lanze, am neu- und vollmond auf der mal- oder dingstätte zusammentretend : aa) berät über gesetze, krieg und frieden . ßß) bandhabt die gerichtsbarkeit. ff) wählt die Obrigkeiten (principes).

434 A. Wittneben : das yerh&ltnis der erdkunde zur geschichte

bb) das beer setzt sieb zusammen :

aa) aus den freien männem, welche durcb die scbwertleite öfifentlioh für mündig erklärt sind, ßß) aus den freiwilligen gefolgschaften eines fürsten oder königs (treuverbältnis).

m. gesohiohtliohe befähigung :

1) die em pfänglicbk ei t für alles grosze, gute und schöne : a) bestimmt die Deutseben dazu, an der culturentwicklnng

der menschbeit in bobem grade scböpferiscb mitzuwirken.

ß) setzt sie in stand, die leistungen anderer Völker selb- ständig zu verarbeiten und mit deutschem gepräge wieder aus sich herauszusetzen (Wölk der dichter und denker'!).

Y) steigert das deutsche anbequemungsvermögen oft bis zur krankhaften nationalen Selbstverleugnung (kosmopoli- tismus).

2) die deutsche spräche und litteratur reiht sich dem besten an, was der menschliche geist überhaupt ge- schaffen hat:

a) die zeit vor und in der Völkerwanderung brachte :

aa) götter- und heldenlieder (z. b. auf Arminius nach

Tacit. ann. II 88), welche trotz Karls des groszen

Sammlung bis auf das Hildebrandslied verloren sind.

ßß) die bibelübersetzung des Westgoten Ulfila (f 388),

von der im codex argenteus zu üpsala umfangreiche

bruchstücke der vier evangelien vorliegen.

ß) die deutsche nationallitteratur der seszbaften stamme:

aa) zerfällt nach den mundarten in zwei gruppen :

aa) die niederdeutsche

nördlich ßß) die oberdeutsche südlich

bb) entfaltet sich am edelsten im althochdeutschen^ mittel- hochdeutschen (erste classische blütezeit!) und neu- hochdeutschen (zweite classische periode!).

3) die germanische urkraft:

a) überdauert alle Schicksale und furchtbaren Verluste an menschenleben und arbeit (vgl. die Völkerwanderung, die Römerzüge, den dreiszigj ährigen krieg und die Napoleonischen opferl). ß) reicht auszerdem hin zu einer tüchtigen colonialarbeit : aa) für deutsche rechnung in den slavischen grenz-

ländern. ßß) unter fremder flagge in der neuen weit; denn eine staatsseitige teilnähme an der aufteilung derselben ist bis auf die neueste zeit dem zersplitterten und zerfleischten Deutschland unmöglich gewesen.

von einer linie Ruhr-, Werra-, Saalemündung.

nach dem lehrplan yod 1892. 435

4) der staatliche sondersinn (Individualismus, parti- cularismus) :

a) vereitelt beinahe zwei Jahrtausende hindurch alle ver- suche, die deutschen stamme Mitteleuropas dauernd um einen mittelpunkt (nach einander Weser, Rhein, Harz, Thüringen und Franken, Schwaben, Donau) zu scharen. ß) findet im neuen Deutschen Reiche:

aa) ein genügendes gegenge wicht an Brandenburg- Preuszen, dem groszen und festgefügten Staate in der norddeutschen tiefebene. ßß) einen ableiter in dem verfassungsmftszigen politi- schen anteil aller deutschen männer an dem wohl und wehe des Vaterlandes. So weit der überblick, geschlossen, ohne dasz wir damit andeuten wollen, er müste irgendwo als geschlossenes ganze durch- genommen werden, die geographischen und ethnographischen ge- sichtspunkte sind ja im hinblick auf die ganze deutsche entwick- lung gewühlt; aber geschichtlich wirksam werden sie zu sehr ver- schiedenen Zeiten und unter ganz verschiedenen umständen, so ist z. b. die centrale läge Deutschlands wir reden Spöttern zum trotz in der geschichtsgeographie noch immer von einer Veitstellung' allerdings eine von vorn herein gegebene, welche in dem grundstock zu anfang nicht verschwiegen werden darf, allein dieser vorzug ist erst von den Ottonen, den fränkischen kaisem und den Hohenstaufen verwertet worden, bis zum zehnten Jahrhundert umgiengen die handelswege vom Orient her über Nowgorod und über Frankreich das deutsche Mitteleuropa, weil dessen günstige Verhältnisse noch im dunkel lagen, auch die anläszlich der Römerzüge so oft über- stiegenc Alpenwand öffnete sich erst nach und nach dem wirtschaft- lichen verkehr, als die kreuzzüge den Schwerpunkt des Mittelmeer- handels nach Norditalien verlegten und die deutschen stUdte den handel über land von dort nach der Nord- und Ostsee vermittelten, die weiten fluszmündnngen Deutschlands schienen unter den Karo- lingern nur dazu bestimmt zu sein, den Normannenunfug um so entsetzlicher zu machen: sie und die Ostseeküste gewinnen ihr natürliches deutsche Interesse erst in den Jahrhunderten der Hansa, im dreiszigjährigen kriege und in den nordischen kämpfen, die mit dem natürlichen Verhältnis recht spät das politische wieder in ein- klang gebracht haben, die andeutungen über den bergbau erfüllen ihren zweck gar erst als natürliche grundlage des 19n Jahrhunderts, wo der eisen- und kohlenreichtum gewisser gegenden für die wirt- schaftlichen, gesellschaftlichen und politischen zustände im deutschen reiche besonders wichtig wird.

Doch genug der beispiele, die zugleich beweisen, dasz man den lehrer nicht streng nach dem buchstaben des lehrplans an zwei stunden geschichte und eine stunde erdkunde in jeder woche binden darf, vielmehr stelle man es ihm vertrauensvoll anheim, je nach

436 A. Wittneben : das Verhältnis der erdkunde xur geschiebte

den unterricbtlichen zwecken eine reihe von stunden hindurch die erdkunde oder die gescbichte zu bevorzugen, kommt erfahrunga- massig bei einer vereinzelten wocbenstunde für ein fach an sieb nicht viel heraus , so ist auch nur bei freierer handbabung beider das ineinandergreifen und der beiderseitige sogen zu erzielen.

Die ersten geschichtsstunden in der III B wie in I B sind an- bedingt dem geographischen unterbau zu widmen, wenn dann weiter- hin die ergebnisse der socialstatistischen methodo von K. Lamprecht in I B verwendbarer sind als in III B, so musz doch jetzt, wo der lehr- plan, wie oben erwähnt, nicht nur von den schttlem, welche eine vollanstalt ganz durchmachen , sondern auch von den subaltern- abiturienten eine vergleichende berttcksichtigung unserer gesell- schaftlichen und wirtschaftlichen entwicklung verlangt, diese seite des deutschen lebens auf der Unterstufe mehr hervorgekehrt werden, als es früher geschehen sein mag. bei licht besehen liegt überhaupt der geschichtästofif der III B dieser aufgäbe gar nicht so fem wegen seines vorwiegend geographischen Inhalts, kann man doch schwanken, ob man das deutsche mittelalter lieber eine geographisch - ethno- graphische gescbichte unseres volkes oder eine deutsche landea- und Völkerkunde in ihrer geschichtlichen entwicklung nennen soll, die Völkerwanderung von Ariovist an ist eigentlich weiter nichts als eine recht stürmische ansiedelung germanischer stamme auf dem boden der Kelten und Römer; die gescbichte der Karolinger und der groszen königshäuser bedeutet die mit christlicher axt und mit christlichem spaten ausgeführte Umwandlung des unwirtlichen Germaniens in ein land mit Sonnenschein und wohnlichem leben; die deutsche nationalarbeit im osten besteht in der zurücknähme des alten germanischen anbaugebietes auf kosten der nacbgedrungenen Slaven; in den letzten Jahrhunderten des mittelalters endlich treten die gutgeographischen und wirtschaftlichen fragen , die ausbildung der heute noch wichtigen territorien, die deutschen städte, das ab- satzgebiet der Hansa u. dgl. , so sehr in den Vordergrund , dasz sie alle amtlichen factoren der reichsgeschichto jener zeit in schatten stellen, wird da nicht in der HIB von den gegebenen Verhältnissen gebieterisch die physische erdkunde Deutschlands gefordert?

Die geschicbtsaufgabe der III A lenkt mit dem Zeitalter der entdeckungen, das offenbar dem Obertertianer nicht verschlossen bleiben darf, unwillkürlich den blick auf die auszereuropäischen erd- teile das natürliche geograpbiepensum der III A und hält, nachdem der schüler sich über Deutschlands trümmer hinweg zu der politischen läge von 1648 und deren ausnutzung von seiten Ludwigs XIV durchgearbeitet hat, fortan sein Interesse für die auszoreuropäischo erdkunde wach, denn der anteil der Seemächte an der bekämpfung Frankreichs läszt ihn ahnen, die colonialpolitik des groszen kurfUrsten läszt ihn bestimmt erkennen, dasz neben der handlung in der alten weit eine andere jenseit des oceans herläuft, beide handlungen gelangen aber mit dem Zeitalter Friedrichs des

nach dem lehrplan yon 1892. 437

groszen zum relativen abschlusz : die europäische in der Vollendung des aufgeklärten absolutismus, die überseeische in der Unabhängig- keit des bedeutendsten colonialstaatswesens in Nordamerika, warum musz man nun beide föden vorher zerschneiden, noch dazu zwischen den regierungen Friedrich Wilhelms I und Friedrichs des groszen, die doch sachlich aus mehr als einem gründe untrennbar sind? über- dies wird eine frische geographische kenntnis der Vereinigten Staaten von der auch so nicht überladenen III A her dem geschichtsunter- richt der folgenden classe zu gute kommen.

Die IIB führt uns nämlich dann sogleich durch das blutige thor der französischen revolution in das Jahrhundert der breiteren, volkstümlichen Staats- und gesellschaftsformen und leitet geschicht- lich und geographisch bis zur gegenwart. so entlastet wird die IIB sich mit voller kraft der doppelaufgabe widmen können , einmal dem ganzen geschiebt s Unterricht der Unterstufe einen abschlieszenden Charakter zu verleihen und zugleich das gegenwärtige kartenbild Europas herauszuarbeiten auf geschichtlichem wege. wer möchte aber leugnen , dasz genetisch erworbene geographiekenn tnisse gröszeren bildungswert haben, als alle mehr oder weniger mechanischen Wieder- holungen früherer pensen? wahrscheinlich kann dann auch in der gjmnasial-IIB platz finden, was jetzt leider nur als Vorzug der real- anstalten dasteht, nämlich 'die bekanntesten Verkehrs- und handels- wege der Jetztzeit' (lehrpl. s. 44) ; sicher kann man so die erdkunde der deutschen colonien, welche nach dem neuen lehrplan, ausdrück- lich aus ihrem natürlichen verbände mit den auszereuropäischen erdteilen herausgerissen, in der III A jetzt völlig in der luft schwebt, in IIB noch einmal abscblieszend behandeln zusammen mit den colonialmaszregeln des Deutschen Reiches. Wie herlich wird in dieser weise die gescbichte überall gegen ende des cursus vergelten, was die physikalische erdkunde ihr zum unterbau und unterwegs geleistet hat !

Folgendermaszen dürfte sich also der combinierte lehrplan für die geschichte und erdkunde möglichst ergibig gestalten.

VI. erdkunde: globus. überblick über die engere und weitere

beimat. im anschlusz an diese concreten gebiete die allgemeinsten geographischen begriffe des festlandes und meeres, der Völker- und staaten- kunde. V. erdkunde: die auszereuropäischen erdteile. IV. erdkunde: die auszerdeutschen länder Europas; zuerst die

südlichen halbinseln, zugleich als geographische unterläge für den geschichtsstoff der IV. geschichte: Übersicht über die griechische und römische

geschichte. HIB. erdkunde: Deutschland; besonders die physische erdkunde,

zugleich als natürliche grundlage für die deutsche geschichte. das wichtigste aus der politischen

438 A. Wittneben : das yerh&ltnis der erdkande zur geschichte.

geograpfaie ist dem rahmen der natflrlichen ein- zugliedern (vgl. Eirchhofifs sohalgeographie). geschichte: deutsche geschichte bis zum ausgang des mittel-

alters. III A. erdkunde: im anschlusz an das Zeitalter der entdeckangen

die auszereuropäischen erd teile einschliesz- lich der deutschen colonien. geschichte: deutsche geschichte vom ausgang des mittelalters

bis zum tode Friedrichs des groszen, insbesondere brandenburgisch-preuszische geschichte. IIB. geschichte: deutsche und preuszische geschichte von der

französischen revolution bis zur gegenwart. erdkunde: Deutschland; seine politischen und wirtschaft- lichen beziehungen zu den andern Staaten Europas und zu den colonien. so werden zweimal die auszereuropäischen erdteile, zweimal das auszerdeutsche Europa, dreimal Deutschland und die deutschen colonien behandelt, und zwar ohne dasz die stoffe zersplittert und die tertien durch das vielerlei überbürdet werden, alles, was das herz begehren kann; aber auf der Unterstufe fromme wünsche^ so lange dort die Vorschriften des lehrplans in wesentlichen punkten entgegenstehen, auf der Oberstufe hingegen, wo eine wechselseitige Vertiefung der beiden lehrgegenstände erst recht am platze ist , er- scheint es schon jetzt durchaus statthaft, die vom lehrplan der erd- kunde (s. 44) anheimgegebenen * Wiederholungen im geschieb ts- unterricht nach bedürfnis' dem obigen geschichtsgeographischen lebrgange anzupassen.

Leer in Ostfriesland. A. Wittneben.

42.

DEUTSCHE SCHULAUSGABEN VON H. SCHILLER UND

V. VALENTIN.

Wenn die Veranstaltung einer neuen Sammlung von Schul- ausgaben mit einem gewissen mistrauen aufgenommen zu werden pflegt, so dürfen wir uns angesichts so mancher erscheinung unter den bereits vorhandenen nicht so sehr darüber wundern, wenn da- gegen der name eines Schulmannes wie H. Schiller an der spitze eines solchen Unternehmens steht, dann mag ihm wohl auch ein gewisses masz von vertrauen entgegengebracht werden, und auch der Ver- fasser der Schriften 'Über kunst, kUnstler und kunstwerko', 'Goethes Faustdichtung' usw. darf seinen gemessenen anteil an einem freund- lichen entgegenkommen für sich in anspruch nehmen, die Samm- lung will in drei gruppen I. dichterische kunstwerke, II. äbthetische

K. Landmann: deutsche schulanegaben von H.Schiller a. V.Valentin. 439

Schriften and IJI. historische und erläuterungsschriften enthalten, die bis jetzt erschienenen bändchen (nr. 1 7) gehören zum gröszeren teile (nr. 1 4) der dritten gruppe an; nr. 5 fUllt in die erste; das doppelheft nr. 6/7 in die zweite gruppe. wir betrachten sie, indem wir je zwei bände mit rücksicht auf den gemeinsamen Verfasser oder herausgeber zusammenstellen, möchten aber dabei im voraus be- merken, dasz wir den in der dritten gruppe auftretenden wegen der eigenartigkeit ihres erscheinens in den ^Schulausgaben' einen weiteren räum zu widmen gedenken als den mehr in dem allgemeinen fabr- wasser schwimmenden der gruppen I und II, womit indessen nicht gesagt sein soll , dasz nicht auch diese sich eigenartig von andern unterscheiden könnten.

1) GÖTTERGLAUBE UND GÖTTERSAGEN DER OeRMANEN. VON DR. WOLFGANG GOLTHER, PRIVATDOOENTEN AN DER MÖMOHEMER HOCHSCHULE. '

2) DEUTSCHE HELDENSAGE. VON DEMSELBEN.

Nicht einen der beliebten fÜhrer auf der Wanderung durch Walhall via Oinungagap bis Bagnarök legt uns Oolther in dem 66 Seiten umfassenden bändchen der nr. 1 unserer Sammlung vor. er will vielmehr, wie er in dem kurzen vorwort sagt, zum Ver- ständnis für die entwicklungsgeschichte altgermanischer religion hinführen, und so stellt er zunächst in der einleitung (s. 1 6) die wesentlichen, auch über die schülerkreise hinaus beachtenswerten gesichtspunkte fest, die nach dem heutigen stände der altertums- wissenschaft bei abfassung einer germanischen mythologie ins äuge zu fassen sind, er verbreitet sich in kurzen, kräftigen strichen über den Ursprung religiöser Vorstellungen , über die erhebung solcher Vorstellungen zum götterbegrifif und über die ausbildung der unter höher angelegten stammen auf einander einwirkenden götterbegrifife zum götterglauben , zur götterlehre, ^neben der die breite schiebt stets neu sich erzeugender Vorstellungen und begriffe als eine unter- Strömung unter allen, selbst den vollendetsten religionsformen dahinflutet'. in die zeit von etwa 700 an bis gegen ende des lOn Jahrhunderts, also in das heldenzeitalter der nordleute, fällt die entstehung der germanischen göttersage. *aber besondere Verhält- nisse wirkten bei ihrer ausbildung mit, und diese nordischen dich- tungen dürfen nicht aus der heimischen Umgebung losgerissen und ohne weiteres zum Wiederaufbau verlorener deutscher oder gar germanischer göttersagen benutzt werden.' Wir glaubten diese Sätze aus der einleitung herausheben zu müssen, um den wissen- schaftlichen wert dieser Schulausgabe vor jenen dilettantischen er- zeugnissen, wie sie unseren schülern leider noch immer aus der tageslectüre entgegentreten, recht scharf zu betonen. Den beiden

* G. ist jetzt ordeotl. professor in Rostock.

440 E.LandmaQD: deutsche Schulausgaben von H.Schiller u.Y.Yalentin.

hauptabschnitten : *der geisterglaube' (die sog. niedere mytho- logie, 8. 6 16) und 'dergötterglaube' (die höhere mythologie, 6. 16 57) folgt 8. 57 64 eine darstellung des gottesdienstes der Germanen die Überschrift dieses abschnittes hätte m. in gleichem fettdruck wie die der andern hervorgehoben werden sollen und auf den beiden letzten Seiten ein namenverzeichnis , das den praktischen gebrauch des bttchleins wesentlich erleichtem wird, der erste abschnitt enthält unter den Überschriften 'seelen und maren' und 'elbe und riesen' das wichtigste aus der niederen mythologie (vgl. E. Mogk in Pauls grundrisz, cap. V— VII s. 998 1052). ganz besonderes lob verdient der zweite, den götterglauben behan- delnde abschnitt, vorzüglich durch die schon in der einteilung des sto£fes unter besonderen Überschriften ausgedrückte scharfe Scheidung zwischen dem altgermanischen himmelsgott (Dius, ags. Tiw, an. Tyr, ahd. Ziu) und dem niederdeutsch- fränkischen Wodan und dem nordi- schen Odin, dessen götterstaat, im wesentlichen ein erzeugnis dei skaldendichtung , so grosze Verwirrung unter den deutschen mytho- logen angerichtet hat. und wenn sich auch hier der Buggesche Standpunkt des Verfassers bisweilen in einer dem fachmann sehi deutlichen wendung zu erkennen gibt , so darf doch der darstellung nachgerühmt werden, dasz der eindruck rein sachlicher belebrung niemals durch eine aufdringliche polemik gestört wird, auch dei (nach unserer einteilung dritte) abschnitt über die gottesdienstlichen altertümer der Germanen verdient unsere volle anerkennung. bei dem Worte 'nodfeuer' (s. 58) vermisse ich eine erklärung der von dem allgemeinen gebrauche abweichenden Schreibung (vgl. Pauls grundrisz I 1124 f.), eine etymologische erklärung, die gerade hiei mindestens ebenso gut angebracht gewesen wäre, wie sie auch sonsl bei den auftretenden eigennamen zum vorteile des büchleins beliebl wurde. Einige inconsequenzcn bei der Schreibung von eigen- namen, wie Yngvaeonen s. 20 gegen Ingvaeonen s. 21, oder wii Upsala 8. 58 gegen üppsala s. 21, will ich ebenso wenig betonen wie die druckfehler auf s. 20. 23. 25. 38. 40, f(Lr die dem verf. an gesichts der sehr sorgfältigen correctur in nr. 2 der Sammlung hier mit indemnität erteilt werden möge.

Wenn, wie zu erwarten steht, das vorliegende heft in der unter prima, vielleicht auch schon in der obersecunda unserer höherei lehranstalten eingang und fleiszige durcharbeitung finden sollte dann wird auch die hochschule damit zu rechnen haben und siel klar machen müssen, dasz eine reihe von fragen, die in den letztei Jahrzehnten ausgedehnte erörterung und lebhafte controverse in dei wissenschaftlichen Zeitschriften gefunden haben, in ihren feststehen den ergebnissen gemeingut der schule geworden sind und darun in Zukunft mit etwas weniger verstecken spielen behandelt werdei müssen.

Auch in der 'deutschen heldensage' (nr. 2) legt Goltber da hauptgewicht auf die entwicklungsgeschichte. besonders schön unc

K. Landmann : deutsche schulaiiBgaben von H. Schiller n. V.Valentin. 44 1

überzeugend bat er (einleitung, s. 1 10) seinen Standpunkt in dieser wichtigen frage in dem abschnitt Wahrheit und dichtung' dargelegt, grundlage der heldensage , so läszt sich der inhalt kurz zusammenfassen, ist die geschichte. später überwuchert die vielfach umbildende, neuschaffende dichtung. aus dem preislied des beiden wird unter der pflege kunstgeübter sänger und bei der Wanderung von stamm zu stamm die eigentliche heldensage, die sich sodann durch beimischung rein sagenhafter und mythischer bestandteile noch in weit höherem grade umbildet, häufig durch die blosze freude am neuschaffen verändert, nicht selten auch durch hervorkehrung neuer motive geistig vertieft: dies alles um so stärker hervortretend, je mehr die historischen ausgangspunkte dem gedächtnisse ent- schwinden. — Die einzelnen Sagenkreise sind (s. 10—59) in der folge: Ermenrich, Dietrich und seine beiden, Sigfrid und die Gibichungen, Walther und Hildegund, Wieland der schmied, Ortnit und Wolfdietrich, Hilde und Gudrun durchaus klar und übersicht- lich dargestellt (unter 'Dietrichs beiden', s. 17 f., hätten wohl auch neben Hildebrand die Wülfinge und neben Witege seine gesellen Heime, Dietleib, Ilsan in den Überschriften genannt werden dürfen), um die methode der behandlung als beleg für die in der einleitung dargelegten grundsätze erkennen zu lassen , versuchen wir die 8 ab- schnitte, unter denen (s. 23 44) die sage von Sigfrid und den Gibichungen zur behandlung gelangt, in möglichster kürze zu- sammenzufassen. — Die erschütterung der burgundischen macht unter könig Gundahari durch A^tius (435) und die völlige nieder- läge der Burgunder durch den ansturm einer hunnischen streifschar (437) einerseits und der tod Attilas durch die band einer ihm eben vermählten deutschen fürstentochter (Hildiko, dem. von Hilde) anderseits bilden die geschichtliche grundlage der sage, zu der die fränkische urform der Sigfiidsage, mit allerlei märchen- und mythen- motiven vermischt, hinzutrat (6s jahrh.), in welcher Verbindung die sage nach dem norden wanderte, während sie in Deutschland selbst eine tiefgreifende Veränderung erfuhr, indem die ursprünglich den mord ihrer brüder an Attila rächende Hilde (mit der Grimhild der Sigfridsage in eins verschmolzen) nunmehr den Attila als Werkzeug der räche für den durch die brüder an Sigfrid verübten mord ge- winnt, die Veränderung, die die Sigfridsage im norden durch das eingreifen Odins in Sigurds Schicksale nimmt, stellt sich als eine neuerung der skalden nach dem vorbilde der heimischen heldensage (sage von Helge dem Hundingtöter, Yalkyrienmythns , zaubertrank und bort) dar, ist also keineswegs, wie man es lange zu thun pflegte, als die ursprüngliche sage anzusehen, aus der auch die darstellung des Nibelungenliedes ergänzt werden müsse, in Süddeutschland, das im lOn Jahrhundert schwer unter den einfallen der Ungarn zu leiden hatte, traten die Hunnen an deren stelle; die Etzelburg wurde nach Ungarn verlegt; die sage von den Gibichungen verband sich mit der in Oberdeutschland heimischen Dietrichsage, nahm zugleich

N. Jahrb. C phil. d. päd. II. abt. 1895 hft. 9. 29

442 K. Landmann: deutsche Bchulaasgaben von H.Schiller U.V.Valentin*

auch die gestalten Rfiedegers von Bechelaren, Volkers von Alzei, der markgrafen Gere, Eckewart usw. auf, liesz (möglicherweise, wie Oolther vorsichtig sagt) in Liudgast und Liudger auch anklänge an die alten kriege zwischen Franken und Sachsen hineinspielen: kurz, es bildete sich die sagenform, wie sie der schöpfer des um 1200 ver- faszten Nibelungenliedes vorfand und durch Versetzung in die ritter- lich-höfische gesellschaft seiner zeit den kommenden Jahrhunderten als heldenepos überlieferte. Der dritte abschnitt auch hier wäre m. e. durch augenfälligeren druck und durch hinzufügung der werte Mer heldensage' in der Überschrift zu scheiden gewesen behandelt den dichterischen gehalt (der heldensage): wie bereits im vor wort in sehr pietätvoller weise hervorgehoben ist, im .engsten anschlusz an Ubland, dem auch die inhaltsangaben des Nibelungenliedes (s. 33 44) und der Kudrun (s. 65—69) ent- nommen sind. Als sehr wertvolle zugaben folgen sodann noch eine Zeittafel, die heldensage in der deutschen litteratur darstellend, und ein vortrefflich angelegtes namenverzeichnis, dessen Vollständig- keit z. b. durch die 4 zeilen 'Athene, Baduhildens vorbild 49', *Dädalu8, Welands vorbild 48 f.*, 'Hephäst, Welands vorbild 48 f.% 'Minos , Vorbild Nidhads 49' auf eine die strengsten anforderungen fast überbietende Sorgfalt der bearbeitung hinweist, während eine vergleich ung der beiden auf einander folgenden Zeilen 'Bikka, Ermenriks ungetreuer rat 11' und 'Bikki, Jormunreks treuloser rat 11' mit eben dieser seite 11 und die auslassung der aufs. 12 mit gesperrter schrift gedruckten ahd. namensform Biccho den be- weis liefern , dasz man in diesen dingen niemals zu viel thun kann..

3) DICHTUNG UND WAHRHEIT. VON JOH. WoLFGANG V. GoETHB, HERAUSGEGEBEN VON DR. HeRMANN SoHILLER, GEH. OBER- SOHULRAT, DIRECTOR DES GROSZH. GYMNASIUMS IN GIESZEN. ERSTER TEIL. AUS DES DICHTERS JUGEND BIS ZUM ÜBERGANG AUF DIE UNIVERSITÄT LEIPZIG. MIT VIELEN ABBILDUNGEN.

4) ZWEITER TEIL. DES DICHTERS URTEILE ÜBER DIE DEUTSCHE LITTERATUR BIS ZUM JAHRE 1776. MIT DEM BILDNIS DBS DICHTERS NACH JUEL.

Eine auswahl aus Goethes groszer confession mag keine leichte arbeit sein, um so dankbarer aber und dankenswerter, wenn sie zu ergebnissen führt, wie sie in nr. 3 und 4 unserer Sammlung vor- liegen, schon die Scheidung der 'Selbstbiographie' nach ihrem psychologischen wert und nach ihrer bedeutung für die litte- raturgeschichte (vgl. die einleitung zu nr. 3) war ein guter ge- danke des herausgebers , der ihm ermöglichte, jedes bändchen in gewissem sinne als ein ganzes darzustellen, das aus dem in ihm be- handelten Stoffe seinen eigentümlichen Charakter empfängt, der erste teil stellt in einer Vorbemerkung die verschiedenen gesichts- punkte zusammen , die bei dem werden und wachsen einer persön-

K. Landmann: deutsche schnlansgaben von H. Schiller n.V. Valentin. 443

lichkeit ins äuge zu fassen sind, und erzählt sodann den hauptinbalt der ersten fünf bOcher und den des sechsten bis zum Übergang des dichters auf die Universität, eine zugäbe von 14 bildern aus dem alten Frankfurt (s. 113 126) dürfte gerade dieses bändchen auch andern als den schülerkreisen höchst wertvoll erscheinen lassen, die auswahl selbst gibt überall die sichere sonde des psjchologen zu er- kennen, und eine eingehende vergleichung mit dem Goetheschen texte wird nur selten eine nietfuge nachzuweisen haben, recht häufig dagegen das geistige band zu bewundem veranlassung geben , das um die teile gelegt wurde, mit ^erklärenden anmerkungen' ist der herausgeber sehr sparsam gewesen, die einzigen fusznoten auf s. 6 und 72 geben nicht sowohl erläuterungen , als vielmehr hinweise auf dichterstellen, deren vergleichung gerade nahe gelegt ist, die auf s. 80 eine ganz kurze hindeutung auf die beziehungen des Frank- furter Gretchens zu dem im 'Faust', der lehrer freilich wird beim gebrauche des buches genötigt sein, sich die commentare von Düntzer und von Loeper recht genau anzusehen ^ um auch auf etwa an ihn herantretende fragen über die richtigkeit dieser oder jener angäbe rede stehen zu können, im ganzen aber wird er den Schülern klar zu machen haben, dasz ^dichtung und Wahrheit' (H. Düntzer hält auch in seiner neuerdings zum abschlusz gebrachten ausgäbe in Kürschners nationallitteratur noch an * Wahrheit und dichtung' fest) keine eigentliche Selbstbiographie ist, dasz aber, um mit Jacobi zu reden, die Wahrheit dieser dichtung oft wahrhafter ist als die Wahr- heit selbst.

Der zweite teil setzt zunächst (s. 1 54) die ayswahl nach der reihenfolge der capitel fort, nun aber mit beschränkung auf die litterarhistorischen zustände in der zeit von 1764 1775, und gibt sodann bis zum schlusz (s. 86) eine Zusammenstellung der selbst- Zeugnisse Goethes für 'Goetz', ^Egmont', 'Werther' und 'Iphigenie', mit letzteren allerdings über jenen Zeitraum hinausgehend, was sich indessen wohl aus der rücksicht auf die gleichzeitig veröffentlichte nr. 5 unserer Sammlung erklären mag.' Dasz bei dieser Über- sicht auf s. 54 vier bereits s. 27 und 33 vorkommende sätze aber- mals vorgetragen werden, könnte nur eine übelwollende kritik zu tadeln wagen, da hier der Zusammenhang offenbar eine solche Wieder- holung verlangt, die am Schlüsse eines jeden dieser abschnitte ge- gebene disposition als ^ergebnis der lectüre' wird nicht nur dem litterarhistorischen Unterricht zu statten kommen, sondern auch das stellen von anfsatzthemen wesentlich erleichtem, erklärende an- merkungen sind auch in diesem zweiten bändchen nur selten beliebt worden, der schönen ausstattung beider nummern ich meine hier, von den der Sammlung gemeinsam anhaftenden qualitäten ab- gesehen, die Silhouetten von herrn und frau Rat vor dem titelblatt

' vgl. Max Koch in den berichten des freien deutschen hochstiftes zu Frankfurt a. M. 1895, s. 193.

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444 K. Landmann: dentsche schalauBgaben von H.Schiller u. V.Valentin.

zu nr. 3 nnd das bildnis Ooethes ans dem jähre 1779 zu nr. 4 entspricht der saubere druck, ich wenigstens habe nur einen druck- fehler zu verzeichnen gehabt, und dieser verdankt sein dasein offen- bar erst der letzten stunde der eigentlichen druoklegung (nr. 4 s. 4 unten). und so dürfen auch diese beiden bftndchen als eine sehr wertvolle bereicherung unserer schullitteratur begrüszt werden, wer aber das zerstückeln des alten werkes vor den äugen der Jugend als einen act der impietät bezeichnen sollte , der möge die primaner herbeiführen, die vor anderer arbeit und zerstreuenden beschäf- tigungen noch musze haben, die vier bücher von 'dichtung und Wahrheit' ganz zu lesen und aus dieser lectüre den gewinn zu ziehen, den etwa 10 12 stunden des Jahrespensums an der band der aus- wähl ich denke hier vorzugsweise an die zusammenfassende wiedergäbe des Stoffes in freien vortragen der schttler zu erzielen vermögen.

5) Iphiqemie auf Taubib. bin Schauspiel, vom Job. Wolfgamg VON Goethe, herausgegeben von dr. Veit Valentin,

PROFESSOR an DEM REALGYMNASIUM WÖHLERBOHlHiE ZU FRANK- FURT A. M. 6/7) LaOKOON oder über die grenzen der MALEREI UND POESIE.

VON G. E. Lessing, herausgegeben von demselben.

In nr. 5 begegnen wir zum ersten male der gruppe I unserer Sammlung, also dem genus commune der schülerausgaben, von diesem aber unterscheidet sie sich auf den ersten blick durch ein wesentliches merkmal: die gänzliche abwesenheit von erklärenden anmerkungen am fusze der seiten, die dagegen am rande neben der erwünschten verszählung den dramatischen aufbau nach acten und ßcenen in kürzester form (I 1, 77) zur darstellung bringen, anstatt der anmerkungen aber haben wir hier in der einleitung (s. 1—14), die freilich auch sonst nicht leicht fehlt, eine sehr . gründliche analjse der dichtung, die in vier abschnitten die dichterischen Voraus- setzungen, das künstlerische problem, die dramatische gestalt und den dramatischen aufbau derselben behandelt und die sonst üblichen noten nicht nur nicht vermissen läszt, sondern nach ihrem inneren werte bei weitem überbietet, um diesen wert recht deutlich hervor- treten zu lassen, müsten wir sie ganz zum abdruck bringen; statt dessen begnügen wir uns, aus dem letzten abschnitt den dramati- schen aufbau im besonderen, d. h. in der übersichtlichen dar- stellung zu skizzieren , die der Orientierung im texte zu dienen be- stimmt ist. die drei hauptstufen : beginn des gegensatzes zwischen Iphigenie und Thoas, erkennnng der geschwister, erlangung der heimkehr gliedern sich für die fünf acte so, dasz die erste in I, die zweite in II und III, die dritte in IV und V fällt, die weitere glie- derung für I ist: 1. 1 53. darlegung der Verhältnisse bei den Scythen; 2. 54 219. Vorbereitung der handlung; 3. 220 560.

K. Landmann : deutsche Bchulausgaben von H. Schiller a. V. ValenÜn. 445

darchftLhning der handlang diese drei stufen selbstverständlich mit weiteren andeutungen über den gang der handlang usw., so dasz also ein lesen der dichtung mit dem vollen be wustsein ihres künstlerischen wertes vorbereitet ist und die classenlectüre sich mit ungestörtem ästhetischen genusz vollziehen kann.

Die ausführlichste besprechung würde die doppelnummer 6/7, also die erste probe aus gruppe II fordern, wenn es überhaupt mög- lich wäre , dem gegenstände im rahmen einer recension gerecht zu werden, wir werden uns deshalb auf einige andeutungen über die einleitung und die methode der textintorpretation beschränken, die einleitung(8. Y— XXIV) bespricht in vier abschnitten entstehung und Charakter der Untersuchung, ihr hauptproblem, ihren aufbau und endlich den Laokoon in bild- und dichtkunst. von besonderer be- deutung für die anläge des buches ist der dritte abschnitt, der, in- dem er den gedankengang der Untersuchung beleuchtet, zugleich eine Inhaltsangabe darstellt, die übrigens in kürzerer form auch schon (s. III) in der gesamtübersicht über den inhalt des buches ge- geben ist. der abschnitt 'Laokoon in bild- und dichtkunst' gibt die notwendigen notizen über die auffindung der Laokoongruppe im j. 1506, über ihre ergänzung durch Montorsoli, den schüler Michel- angelos, über ihre entstehung und die frage ihres Verhältnisses zu der Vergilischen dichtung, über die dichtung Sadolets 'de Laocoontis statua' und das bildwerkGiulio Romanos im Palazzo ducale zu Mantua, endlich über die gruppe selbst, die durch zwei einander gegenüber- stehende, also die nachfolgende betrachtung bequem unterstützende abbildungen (1. die Laokoongruppe im Belvedere des Vaticans, 2. die Laokoongruppe in richtigerer ergänzung) illustriert wird, der text ist in der echten spräche Lessings (nach den Untersuchungen Blümners) unter möglichster beibehaltung seiner interpunction, aber in der neuen rechtschreibung gegeben, von den 29 capiteln sind die letzten 4, deren hinzufügung Lessing später selbst bedauert hat (vgl. einl. s. VII und die anm. zu s. XXIV) , weggelassen , auszerdem hier und da entlegene abschweifungen wie z. b. cap. XXV der hinweis auf eine stelle aus dem Schauspiele 'the seavoyage' von Beaumont und Fletcher mit dem zwei halbseiten füllenden citat. jedem der in fünf abschnitte gegliederten capitel I XXV ist eine Übersicht des darin behandelten stofifes (als 'gang') vorausgeschickt, auf die so- dann die randzahlen am texte hinweisen, bisweilen auch unter hinzu- fügung einer correspondierenden stelle wie z. b. (s. 24 f.) UI 1 : 2 und 3: III 2. auszerdem enthalten diese einleitungen der einzelnen capitel häufig auch ^sachliches' ; so z. b. die zu cap. II und III, denen überdies (s. 14. 22. 23) nachbildungen der beiden pompejanischen Wandgemälde 'Opferung der Iphigenia' und 'Medea' sowie des vasen- bildes *der rasende Ajax' beigegeben sind, die lateinischen und die griechischen stellen sind im urtext und in Übersetzung gegeben, die französischen tfls die am allseiiigsten verständlichen nur im urtext, die englischen und die italienischen nur in der Übersetzung, wenn

446 E. Landmann : deateche Bchulausgaben von H. Schiller a. Y. Valentin.

dabei z. b. (s. 46—48) von dem gedichte des Sadolet 'de Laocoontis statua' 7 verse am anfang und 17 am schlasz weggelassen sind, so wird eine nähere prüfung dieser verse ihre auslassung ebenso recht- fertigen wie die bereits oben erwähnte in cap. XXV. und so scheiden wir auch von dieser doppelnummer (sie kann schon ein buch genannt werden) mit der freudigen anerkenn ung, dasz der schule damit ein groszer dienst geleistet worden ist. wenn wir nicht irren , hat bisher der überall für pflicht erachteten behandlung des Laokoon in der prima fast überall die Beclamsche ausgäbe zu gründe gelegen ; und es ist ja keine frage, dasz diese sehr billig ist. aber schon eine flüchtige vergleichung wird erkennen lassen, dasz hier lediglich die Verlagshandlung gegen den kunstgelehrten und den praktischen schulmann in die wagschale fällt, für die schule soll auch im 20n Jahrhundert nur das beste gut genug sein.

Mit diesem abschiedsworte verlassen wir auch unsere dies- malige arbeit für die 'deutschen Schulausgaben' von H. Schiller und Y. Valentin überhaupt, konnten wir diese mit freuden thun und können wir zum schlusz auch der Verlagshandlung unsere Anerken- nung für die schöne ausstattung nicht versagen, so wollen wir hoffen, dasz die bereits angekündigten nummern nicht allzu lange auf sich warten lassen, dasz aber auch die ebenfalls angekündigte fort- setzung der Sammlung von demselben geiste geleitet sein wird, der aus nr. 1 7 so wohlthuend zu uns spricht.

Darmstadt. Karl Landmann.

43.

EIN WORT ZUR FOSSSCHEN BEARBEITUNG DES HOPF UND PAULSIEKSCHEN LESEBUCHES FÜR III UND IIB SOWIE ZU DEN DAZU GEHÖRENDEN ERLÄUTERUNGEN.

Von der durch R. Foss besorgten neubearbeitung des deutschen lesebucbes für die mittleren classen höherer schulen, nach der es den neuen lehrplänen gemäsz abgeändert und für tertia und unter- secunda bestimmt ist, sind mir bisher drei besprechungen vor die äugen gekommen, die erste war von E. Götze und stand im siebenten jahrgange der Zeitschrift für deutschen Unterricht, herausgegeben von 0. Lyon. Götze äuszerte sich im allgemeinen lobend über die neue ausgäbe , tadelte aber die wähl der Übersetzungen , denen die abschnitte der Gudrun und des Nibelungenliedes entnommen sind. Nach ihm hat H. Schiller im vorigen jahrgange der Zeitschrift für das gymnasialwesen das buch bebandelt und erstens die aufnähme der göttersagen aus der Edda und der stücke aus' Waltbari, den Nibelungen und der Gudrun , zweitens die auswahl der idyllen , des

Schwarz : die Fosssche bearbeitang von Hopf und Paulsiek. 447

romantischen kunstepos und des neueren heldengediohtes beanstandet, drittens durchaus nach meinem sinne die prosasttlcke wegen der vielfach darin herschenden verstiegenheit getadelt. Hiemach hat Heinrich Jacobsen im dritten hefte des achten Jahrganges der zeit- Bchrift für deutschen Unterricht die Fosssche beif^beitung gegen die vorwürfe H. Schillers nicht ohne gereiztheit in schütz zu nehmen versucht, ich lasse dahingestellt, inwieweit ihm dies gelungen ist, will aber meinerseits zwei ausstellungen an der Fossschen be- arbeitung zur spräche bringen , die Schiller in seiner besprechung nicht gemacht hat

Ich behaupte erstens, dasz der lehrer des deutschen in III bei benutzung der Fossschen arbeit nicht alle forderungen erfüllen kann, die von den neuen lehrplänen an den deutschen Unterricht auf dieser classenstufe gestellt werden, mag auch die aufnähme von lese- stücken, die nicht nur das Verständnis eines Untertertianers, sondern auch das eines untersecundaners weit übersteigen und das Vor- handensein solcher scheint Jacobsen a. a. o. selber zuzugeben an sich nicht schädlich sein: jedenfalls hat sie zur folge gehabt, dasz solcher prosaischer lesestoff, der für HIB und IIIA ge- eignet und notwendig wäre, nicht in genügender menge in das buch aufgenommen ist. die lehrpläne verlangen für III nordische und germanische sagen, allgemein geschichtliches, cultur- geschichtliches, geographisches und naturgeschichtliches ; von diesen Stoffen ist in der Fossschen bearbeitung der naturgeschichtliche über- haupt nicht, das geographische nur sehr schwach und dazu dem geographischen lehrstoffe dieser classen nicht genug entsprechend vertreten, deshalb kann der lehrer des deutschen in III den be- treffenden anforderungen der neuen lehrpläne entweder nur unvoll- kommen oder gar nicht genügen, wenn er auf die Fosssche be- arbeitung des Hopf und Paulsiekschen lesebuches angewiesen ist.

Ich behaupte femer, dasz Foss bei gewissen stofflichen und for- mellen abänderungen des poetischen teiles nicht glücklich gewesen ist. die stoffliche änderung besteht in der neuaufnahme von ab- schnitten, die dem schüler die bekanntschaft mit der deutschen götterlehre und heldensage vermitteln sollen, und in dem ersatze einiger stücke aus der mhd. poesie durch Übersetzungen andern Ur- sprunges, gegen die neuaufnahmen nach ihrem inhalte will ich nichts einwenden, dagegen scheint es mir mit E. Götze kein glücklicher griff gewesen zu sein, dasz Foss die «bschnittedesNibelungenliedesder Überset zu ng Frey - tags entnommen hat. ich vermag diese arbeit nicht zu den ** besten nachdichtungen' zu rechnen, halte sie vielmehr für eine teil- weise modern -sentimentale verwässerung des Originals und tadle ihren überflusz an flickwörtem. beispiele für diese meine behaup- tung bietet fast jede Strophe, noch härter musz ich aber damit ins gericht gehen, dasz Foss teile der Gudrun- bearbeitung San Martes für würdig erachtet hat, in das

448 Schwarz : die Fosssche bearbeitung von Hopf and Paalsiekw

lesebuch aufgenommen zu werden, denn bei aller Wert- schätzung von San Maries Verdiensten um die deutsche altertums- forschung, deren ebenfalls E. Götze a. a, o. schon gedacht hat, musz ich doch seine Gudrun-umdichtung als völlig mislungen bezeichnen, ist sie, was man v%n jeder guten Übersetzung oder umdichtung ver- langen musz, im stände, den eindruck des originales hervorzurufen oder wenigstens teilweise zu ersetzen? erhalten nicht die sohfller durch sie ein ganz falsches bild von dem tone und der form dea originales? abschnitt a. erinnert lebhaft an die edle Jobs lade:

Eines tags geschah ein gross bewegen

und sah man sich^s lebendig regen

in Stadt und barg za Balian,

da vier fremde scbiflfe der küste nahn. usw.

wie anmutig sind ferner folgende stellen aus abschnitt b. :

Die königin lauscht* entzückt,

als die töne zu schwellen begannen,

halb hinaus zum fenster gebückt.

und als der sang verklangen,

fortlauschend sprach sie: wie?

so schöne weise gesangen

ward in der weit noch nie.

wie gefällt in c. die betonung Hildburg, Herwig, Gudrun? wie sentimental sind endlich die abschnitte d. und e. I solches zeug den Schülern darzubieten achte ich sie und die neuen lehrplftne zu hoch, teile des Nibelungenliedes und der Gudrun durften meines erachtens den Schülern nur in solchen Übersetzungen geboten werden , welche form und ton der Urschrift haben, und schlieszlich wäre der alte Simrock immer noch besser gewesen als Freytag und gar San Marte. am vollkommensten entsprechen freilich bis jetzt meinen anforde* rungen an eine gute Nibelungen- und Gudrunübersetzung die Über- tragungen von G. Legerlotz*; seine Nibelungen haben bereits in der Zeitschrift für deutschen Unterricht eine sehr eingehende und verständnisvolle Würdigung durch Julius Sahr erfahren , und seine sämtlichen Übersetzungen aus dem mittelhochdeutschen sind in diesen Jahrbüchern 1893 s. 232—238 und 298— 304* durchaus an- erkennend und rühmend besprochen worden, auch E. Götze hat in seiner angeführten besprechung zu meiner freude lobend auf Leger- lotzens Übersetzungen der Gudrun und des Nibelungenliedes hin- gewiesen und dabei ausgesprochen, dasz aus ihnen die proben in dem in rede stehenden lesebuche hätten entnommen werden sollen. Eine weitere änderung in dem poetischen teile der Fossscben bearbeitung , die weder H. Schiller noch E. Götze noch H. Jacobsen erwähnt, wohl weil sie die aufgenommenen gedichte nicht eingehend im texte durchgesehen, sondern sich mit dem lesen der Überschriften begnügt haben, ist nach meiner ansieht aufs schärfste zu tadeln : ich

Verlag von Velbagen und Klasing, Bielefeld und Leipzig.

Schwarz : die FosMche bearbeitung von Hopf und Paalsiek. 449

meine die behandlong des apostrophs. das regelbuch der Ortho- graphie sagt in § 28, 1 : ^wenn laute, die man gewöhnlich bezeichnet, unterdrückt werden , so deutet man in der schrift ihre stelle durch einen apostroph an/ ist nach dieser regel Foss berechtigt, and'rer^ steh'n, ruh'n, eigenem, unsere, ed'le, bitt're, eigenes drucken zu lassen? und wollte man ihm hier den apostroph als zeichen der synkope gestatten, ist er dann berechtigt zu schreiben: all' die mannen, fahr' wohl, des tag's, munteren, unserem, ander'n, teueren, sieh'st, komm', geh', zwei- felnd'glück, gülden' ge wand, ein kühn' geschlecht; ver- brannt' gebein, ein tapfer' gebet, manch' gebroch'nen Speer, heut', von fern'; welch' reicher himmel, herr'n usw.? dagegen schreibt er nr. 67, 51: im kreis, nr. 60, 1 3, 1: zieht, nr. 66, 15: singt, beides als imperat.plur., nr. 63: schenk, nr. 68, 9, 3: von mund zu mund, nr. 72, 3, 1, 1: manch kühner aar, nr. 205, 7, 1: drum; er verfahrt also nicht einmal consequent. nach diesen beobachtungen über die behandlung des apostrophs in der Fossschen bearbeitung musz ich auch annehmen, dasz s. 243 in Schillers ^Pompeji und Herkulanum' die Schreibart 'Herkule's Stadt' (vers 6) , die E. Oötze als druckfehler erschienen ist , vom bearbeiter mit voller absieht gew&hlt wurde entsprechend der ganz veralteten anwendung des apostrophs. Soll nun der lehrer dem lesebuche zu liebe die wissenschaftlich feststehenden regeln von den flexionsendungen mit und ohne vermittelnden vocal, von den flexionslosen adjectiven, von den imperativen mit und ohne e, von den doppelformen einzelner Wörter fallen lassen, oder soll er den Schüler auf die falsche auffassung des herausgebers ihres lese- buches hinweisen? ich habe meinerseits bisher das letztere getban und gedenke es auch ferner zu thun, bis eine neue aufläge diesen übelstand beseitigt hat.

Soviel über das von Foss bearbeitete lesebuch; nun ein wort zu den von ihm verfaszten 'erläuternngen zu den lese- stücken des- deutschen lesebuches' von J. Hopf und £[. Paulsiek, II 1, Berlin, Mittler und Sohn, königl. hofbuch- handlung; 1893. der Verfasser sagt von diesen erläuterungen in der vorrede, er habe sich der grösten kürze befleiszigt und des- halb vorzugsweise nur solche bemerkungen gegeben, die sich 1) auf das versmasz, 2) auf die veranlassung der dichtung, 3) auf die zum versfj^dnisse nötigen geschichtlichen und geographischen daten und 4) &:\A die quellen bezögen, vermieden habe er 1) den Inhalt der gedichte in prosa wiederzugeben, 2) kritische bemerkungen zu machen, 3) themen vorzuschlagen, aus dem Schlüsse der vorrede geht endlich hervor, dasz das büchleio für den ^fleiszigen und streb- samen lehrer' bestimmt ist. hoffentlich hat Foss hierbei nur an ganz junge und vor allen dingen nur an solche lehrer gedacht, die niemals deutsch studiert und noch nie deutschen Unterricht erteilt haben; denn jeden studierten deutschlehrer, ja jeden, der überhaupt

450 Scbwars : die Fosssche bearbeitung von Hopf and Paulsiek.

die reifeprüfung auf einem gymnasium bestanden bat, musz es be- leidigen, wenn er, wie ein krasser laie, über ganz bekannte dinge zum teil weitläufig belebrt wird, so auf s. 1, dasz poesie von iroi^Ui, prosa von oratio proversa berkommt, oder auf s. 31, dasz kreucht eine alte form ist, oder wenn ibm auf s. 32 erläuterungen über die in Schillers Siegesfeste erwähnten beiden und über Niobe gegeben werden, oder wenn er auf s. 38 angaben über Walther von der Vogelweide findet und vieles andere, solche erklärungen stehen nicht mit der angekündigten kürze im einklange und entsprechen nicht der bestimmung des buches für lehrer, mögen sie ^fleiszig und strebsam' sein oder nicht.

Für die anführung des ags. sceof oder sceaf (s. 1) und für die erlänterungen zur nordischen götterlehre, die sich mancher sonst mühsam zusammensuchen müste , mag dem Verfasser ja wohl dieser oder jener lehrer dankbar sein, wenn er auch im unterrichte nicht von allen gegebenen erlänterungen gebrauch macht, eine oder die andere ernstlich anzweifelt, wie z. b. die gleichung Napoleon ■» Niflung, Nebelung, und zu mancher den köpf schüttelt, wie zu der auf s. 3: 'üller BsEibenthaler, weil man die bogen aus eiben- holz machte.' zweckentsprechender wäre es freilich gewesen , wenn Foss etwas über die Sicherheit dieser erklärungen gesagt hätte , die keineswegs überall ausgemacht oder auch nur ausmachbar ist. um die Übereinstimmung von Brunhilde und Domröschen kennen zu lernen, braucht kein studierter deutschlehrer, und sei er auch noch so jung, erst das buch von Herrmanowski zu lesen, auf das s. 3 hin- gewiesen ist.

Betrachten wir nun, was im ganzen buche über die Vers- lehre gesagt ist. in der deutschen spräche zur erklärung des vers- baues von langen und kurzen silben zu reden, galt meines Wissens bisher für verpönt, und ich wenigstens werde es auch künftig nicht thun, sondern bei der bezeichnung betonte und ton- lose oder unbetonte bleiben trotz des Verfassers wunderlicher Warnung auf s. 4, *der schüler könne sich leicht daran gewöhnen, zu glauben, dasz es wirklich unbetonte silben gäbe', von 'zwei taktigen rhythmen' (s. 4) zu reden, werde ich mich wohl hüten; ich werde, wenn ich entsprechend der musik die versfüsze als takte bezeichne, höchstens von zweiteiligen oder zweisilbigen takten spre- chen, die namen jamben, trochäen und daktylen zu gebrauchen^ werde ich so lange, als möglich vermeiden, und ob ich den terti|knem von der magd Jambe und von den spottversen des Archilochus er- zähle, wie es Foss auf s. 4 anrät, weisz ich noch nicht, unter all itte- ration versteht man nicht den gleichklang der consonanten (s. 5), sondern den gleichklang von consonanten an gewissen stellen, unreine reime sind nicht nur solche, in denen die selbstlauter verschiedene quantität (s. 6), sondern überhaupt solche, in denen sie nicht den gleichen, sondern nur ähnlichen klang haben, das versmasz des Schefifelschen Waltharius durfte nicht (s. G) als die

Schwarz: die Fosssche bearbeitang von Hopf und Paulsiek. 451

neue Nibelungenstrophe bezeichnet werden ; denn diese umdichtung besteht ja aus Strophen von ganz verschiedener länge , während die neue Nibelungenstrophe nur vier verse hat. bei der erklSrung der alten Nibelungenstrophe (s. 7) war zu erwähnen, dasz die ersten Tershälften regelmäszig mit einer Senkung schlieszen. undeutlich ist die angäbe, dasz sich vers 1 und 2 und 3 und 4 reimen (ebd.); das zweite und war durch ein komma zu ersetzen, und wozu sind 80 selbstverständliche skandierungsproben gegeben, wie die auf 8. 11. 12. 20. 41? wie steht es aber mit der richtigkeit folgen- der proben, bei denen noch auszerdem die inconsequenz der drei- fachen bezeichnung der hochtonigen silben hervorzuheben ist :

Ihn magst du, entrinn' ich, erwffrgen (s. 18),

könig Ottmar liegt in dem 6inen (s. 24), könig K&rl, der hielt ein m&hl mit sch&ll, &l8 auf der jligd von B6ncev&ll (s. 27), hinaÜshängt in die Unendliche see (s. 41), er kann mei|ne bitte versagen nicht (s. 48), am abend, nörd, mittSg und morgen (s. 56), w8 ich war , war er auch dafbei (s. 62), eins 8hn' d^s andre vertrocknen musz (s. 66),

wo doch der text lautet: eins ohne das andre usw., endlich

ö nein , nein , nein (s. 68) !

Alle diese skandierungen erweisen sich bei dem einfachen an- schauen des teztes als falsch oder als sinnwidrig; von der sogenannten schwebenden betonung scheint Foss nichts zu wissen oder nichts wissen zu wollen, überhaupt muste nach meiner ansieht die ganze menge der metrischen erörterungen des btichleins zu einem zu- sammenhängenden abschnitte verarbeitet und natürlich ohne die darin jetzt enthaltenen Unrichtigkeiten dem lehrer mit dem hin- weise dargeboten werden, dasz in dieser form und in diesem um- fange die deutsche metrik den schul em der mittelclassen am leich- testen eingeprägt werden könne, auf diese weise würden die vielfach breiten und zum teil ganz unnötigen erörterungen bei jedem ein- zelnen gedichte vermieden sein, die den leser jetzt oft zum schütteln des kopfes bewegen: ich weise hin auf die entsprechenden be- merknngen auf s. 4 fP. und zu nr. 10. 11. 14. 18. 20. 28. 34. 36. 46. 76. 76. 80. 103. 110. 160.

Diesen bemerkungen über den metrischen inhalt des büchleins erlaube ich mir eine kleine blüteniese anderer schöner dinge bei- zufügen.

Zu s. 8: *vgl. die Velleden' soll wohl Velleda heiszen.

Zu s. 12: der name des bekannten dithmarsischen dichters ist Klaus Oroth, nicht Claus Grothe.

Zu s. 16: das citat aus Schiller ist falsch ; es beiszt:

Drum soll der sänger mit dem könig gehen, sie beide wohnen auf der menschheit höhen!

452 Sobwarz: die FossBche bearbeitang YOn Hopf and Paulsiek.

Zu 8. 17: sollte Scbiller wirklich darch sein gedieht 'der ring des Polykrates^ den ausspruch haben belegen wollen: 'die Welt- geschichte ist das Weltgericht'?

Zu s. 18: den stofP der erzählung 'Johann, der muntre Seifen- sieder' hat nach Burkard Waldis auch Hans Sachs bearbeitet; übrigens wird savonnier mit zwei n geschrieben.

Zu s. 24 : die mystische erklärung Yon ühlands 'Harald' stammt nicht, wie es scheinen könnte, von Foss, was allerdings seinen rahm nicht mehren würde; man vergleiche Düntzer erl. zu ühlands ball, und rom. s. 192 ff.

Zu s. 81 : die bemerkung zu nr. 46, 44 muste heiszen: 'kreucht ist eine alte form; vgl. fleugt.' welcher lehrer wüste dies aber nicht!

Zu 8. 43: die ableitung des wertes 'lindwurm' von lint band dürfte schwerlich die unanfechtbar richtige sein; mindestens muste die andere ableitung von linnr ^= scblange erwlUint werden.

Zu s. 45: man beacht« das bild: 'Dhland lehnt sich auch bisweilen an andere quellen.'

Zu s. 46: ein bloszer druckfehler ist wohl: 'vier bezirke, über deren jed e m ein tumierkönig gesetzt war' ; ebenso s. 63 : 'wie der pfeil von der sonne' statt 'senne'.

Zu s. 51 : die schlacht bei Brienne fand 1814, nicht 1813 statt

Zu s. 64 : der funke, die lösung von Schillers bekanntem rStsel, wohnt, wie es im ersten verse heiszt, 'in einem steinernen haus', nicht aber, wie die erklärung besagt, 'im feuerstahl'.

Zu s. 65 : dasz 'die duftenden laden' plural von 'die lade' und nicht von 'der laden' ist, brauchte doch nicht bemerkt zu werden; von letzterem heiszt ja der plural 'die laden'.

Zu s. 67: dasz Marathon 'Fenchelfeld' heiszt^ braucht weder der lehrer, noch der schüler zu wissen.

Zu s. 69 : dasz v. Schenkendorfs gedieht 'frühlingsgrusz an das Vaterland' keiner weiteren erklärung bedürfte , bestreite ich , halte es vielmehr für eins der dunkelsten im ganzen lesebuche.

Zu s. 71: ungenau ist die bemerkung: 'im griechischen heiszt ^Xetoc klage- oder trauerlied. davon ist abgeleitet dX€T€io( oder £X€T€iov. s 0 wird bei den Griechen jedes in distichen verfaszte ge- dieht genannt.' vielmehr bezeichnet dX€T€iov das metrum, dX€T€ia aber ein gedieht in diesem metrum.

Endlich täuscht sich Foss, wenn er glaubt, er bringe die zum Verständnis nötigen geschichtlichen bemerkungen , und er habe sich anderseits der möglichsten kürze befleiszigt. letzteres ist entschieden nicht der fall bei der erklärung von Fontanes 'Archibald Douglas' (nr. 76), wo jedenfalls der abdruck der halben seite text aus Scotts 'tales of a grandfather' überflüssig war; ferner bei v. Zedlitz' ge- dieht 'nächtliche heerschau' (nr. 85), wo ich den nutzen der (noch dazu mehrfach fehlerhaften) wiedergäbe der französischen Über- setzung dieses gedichtes von Barth^emj und M^ry nicht einzusehen vermag, die notwendigkeit der erläuterungen über die in Schillers

Schwarz: die FoBBsche bearbeitong von Hopf und Panlsiek. 453

gedichte 'das siegesfest' yorkommenden beiden, über Niobe und über Walther von der Vogel weide habe ich schon oben bezweifelt; ich urteile ebenso über die erklärung der Nemesis, der dioskuren und des Ikarus, sowie über die bemerkung zu Antigene: Wgl. die Antigene des Sophokles', die zu nr. 151 gegeben sind, die Voll- ständigkeit der zum Verständnis der gedichte und prosastücke not- wendigen geschichtlichen bemerkungen musz ich gleichfalls be- streiten, so habe ich z. b. vergebens nach einer erläuterung des 'freundes' gesucht, der in v. Lepels 'kaiser Heinrich II' in atrophe 14 erwähnt wird, und den ich bis jetzt nirgends habe ausfindig machen können; so muste zu Geibels gedieht 'des deutschritters ave' (nr. 71) einiges über die geschichte des deutschritterordens zusammengestellt werden, wie dies zu nr. 70 für den Johanniterorden, freilich unvoll- ständig, geschehen ist; so waren zu ühlands 'graf Eberhard II, der rauschebart' geschichtliche erläuterungen zu geben ; ebenso konnte zu nr. 81 angeführt werden, welche deutschen kaiser in Speier be- graben liegen; so war zu Schillers 'Pegasus im joche' (nr. 148) eine erklärung zu 1, 2: 'wo andre dinge noch in wäre sich verwandeln' sehr notwendig; so war zu nr. 207, Geibels gedieht 'an Deutsch' land' die angäbe einer reihe geschichtlicher daten mindestens sehr wünschenswert.

Eine fülle von themen zur bearbeitung vorzuschlagen, hat Foss mit absieht unterlassen (vgl. vorr. IV); er hat nur 'hier und da darauf hingewiesen , dasz solche leicht zu finden seien', in diesem sinne erwähnt er s. 3 das schon genannte buch von Herrmanowski zur gewinnung von themen über das Verhältnis deutscher märchen zur göttersage, s. 15 86gurs bist, de Nap. I, um stoff zu solchen über den brand von Moskau zu erhalten, wozu auch noch Bodenstedt 'ein blick vom Kreml' verglichen werden soll, viel stofP zu auf- sätzen soll sich auch finden in Foss, histoire des exp^ditions mari- times des Normands, par Depping, in Gaston Paris, histoire po6tiqne de Charlemagne, in A. Beckers roman: 'der fUrster von Horst', in Kohls nordwestdeutschen skizzen, in E. Souvestre und in Beclus, la France usw. wäre es nicht für lehrer von solcher bildungsstufe, wie sie sich Foss bei seinen erläuterungen gedacht zu haben scheint, doch zweckmäsziger gewesen , lieber bestimmte themen anzugeben als bücher, die zum teil sogar recht schwer zu beschaffen sein dürften ? ich nenne auszer den schon erwähnten nur noch Zedier, universal- lezikon (s. 11), Biezler, geschichte Baiems (s. 14), G. Schwab, die Schweiz in ihren ritterburgen (s. 29), Aventinus chronik (s. 43).

Doch genug, der leser dieser zeilen mag die besprochenen ^erläuterungen' selbst ansehen und danach entscheiden, ob ich zu viel daran getadelt habe; diejenigen lehrer, die das buch bereits kennen , werden mir sicherlich ohne weiteres recht geben und viel- leicht sogar noch andere dinge an ihm auszusetzen finden, hoffent- lich gehört es nicht zu den lehrmitteln, die vor zwei jähren auf die Weltausstellung zu Chicago geschickt sind ; sonst würden die aus-

{ 454 L. Jiriczek : die deatsche heldensage.

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^i iSnder einen schönen begriff von den deutschen deutschlehrern und

l' ihren hilfsmitteln zur erklärung bekommen haben, ich halte das

2; buch fttr völlig mislungen und vermag wegen seiner zahlreichen

l schwächen und fehler nicht einmal für das wenige richtige und gute,

;•, was darin etwa enthalten ist, dankbar zu sein, jedenfalls warne

f: ich junge, weniger geübte deutschlehrer , mögen sie auch noch so

^ strebsam sein, vor der benutzung.

^ Quedlinburg. Schwarz.

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44.

0. L. JiRIOZfiK, DIE DEUTSCHE HELDENSAGE. Sammlung GöBChCD

nr. 32. Stuttgart 1894. 173 8. 12.

In klarer , einfach verständlicher form weist verf . zunächst den f.: ' Ursprung der deutschen heldensage nach und verlegt ihn mit vollem

\. rechte in die zeit der Völkerwanderung, bei der folgenden da]>

\ Stellung der Siegfriedsage werden in durchaus wissenschaftlicher

fi und doch auch den laien ansprechender weise die grundbestand-

teile aus den verschiedenen formen der nordischen und deutschen Überlieferung herausgestellt und sowohl auf ihren historischen als auf ihren mythischen gehalt geprüft. Siegfried wird mit Wilmanns 0 und anderen als tagesheld , Brunhild als sonnenjungfrau , die Nibe-

lungen samt Eriemhild als mächte des dunkeis und des todes auf- gefaszt. wahrscheinlicher scheint mir, dasz die Nibelungen wirk- lich sind, was ihr name sagt, nämlich nebel, d. h. die wölken, welche die sonne verhüllen, der gewaltige held, der sie mittelst seines unübertrefflichen Schwertes besiegt und so das sonnengold samt der wolkenjungfrau gewinnt , ist dann sicher ein blitzheros. wenn die wölken den himmel wieder bedecken , ist er ihrer hinter- list erlegen , er wird aber von einem neuen blitzheros , dem feuer atmenden Dietrich, gerächt.

Auch die übrigen deutschen Sagenkreise behandelt verf. durch- aus angemessen , und immer versteht er es , das interesse des lesers durch seine darstellung wach zu halten, somit erfüllt das büchlein, wie die meisten anderen der gleichen Sammlung, durchaus seinen zweck, weitere kreise, insbesondere die schüler der oberen gymnasial- classen, in diesen stoff einzuführen.

Die s. 68 angezogene inschrift vom Brinholdesstul bei Dürk- heim ist nach F. Haug (Berl. philol. wochenschr. 14, 1894, 39 sp. 1238 f.) überhaupt nicht vorhanden.

Würzen. A. Steuding.

C. Frick : gegenwart und heimat im gescbicbtBunterricht. 455

45.

GEGENWART UND HEIMAT ALS AUSGANGSPUNKTE FÜR DEN PROPÄDEUTISCHEN GESCHICHTSUNTERRICHT.

ein beitrag zur lehre von der apperception.

In der kürzlich erschienenen anregenden schrift Oskar Jägers über den geschichtsonterricht ^ findet sich (s. 11) folgende auf den propädeutischen unterriebt in sexta bezügliche bemerkung: Venn der preusziscbe lebrplan yon 1892 bestimmt, dasz dabei, bei diesen lebensbildem aus der vaterländischen geschiebte , von der heimat auszugehen sei also in Köln etwa von Albertus Magnus oder dem heiligen Martinus oder Reinald von Dassel so sehen wir dafür keinerlei zwingenden grund.' da ich ähnliche bemerkungen schon anderswo gelesen habe man hat z. b. vorgeschlagen , in Aachen mit Karl dem groszen, in Merseburg mit Heinrich I, in Schlesien mit den freiheitskriegen zu beginnen, so erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dasz eine derartige interpretation der bestimmung der lehrpläne doch wohl kanm zulässig, noch viel weniger freilich die von anderer seite vorliegende auffassung möglich ist, an die spitze des propädeutischen Unterrichts eine kurze bescbreibung der deutschen heimat zu stellen.

Die lehraufgabe der lehrpläne lautet: ^lebensbilder aus der vaterländischen geschichte, wobei von gegenwart und heimat auszugehen ist' ; femer beiszt es ergänzend in den methodischen be- merkungen : Mer propädeutische Unterricht in VI und V bat die auf- gäbe, ausgebend von der gegenwart und der heimat, die groszen heldengestalten der nächsten und der ferneren Vergangen- heit dem herzen und der phantasie des knaben nahe zu bringen.' es ist doch; meine ich, unverkennbar , dasz wenn gegenwart und heimat die ausgangspunkte für die geschieh tserzählungen bilden sollen, man nicht mit Albertus Magnus oder Karl dem groszen an- fangen könne.

Einen anhält für das richtige Verständnis der amtlichen be- stimmung gibt die bemerkung, dasz nur die groszen heldengestalten dem knaben vorzuführen seien, der Unterricht wird also, da er von der gegenwart ausgehen soll, mit kaiser Wilhelm I und seinem heldenmütigen söhne zu beginnen haben, aber gewis würde dem sinne der bestimmung auch dann noch nicht entsprochen sein, wenn man die sache nun so anfienge, dasz man in chronologischer folge die lebensgeschichte beider durchgienge. denn da die persönlich- keit kaiser Wilhelms noch bis in das vorige Jahrhundert hineinragt, so würde, zumal bei der sonst durcbgehends scharf präcisierten'

^ in Baumeisters handbach der erziehungs- und anterrichtslehre III bd., VIII, München 1895.

' eine scheinbare unverständlichkeit liegt allerdings vor in dem Wortlaut der bestimmung über den griechischen Unterricht in HIB

466 C. Frick: gegenwart und heimat im getchichtsuntenicbt.

'li ausdnicks weise der lehrplSne, für das wort 'gegenwart' eine aus

reichende erklärung fehlen, offenbar soll vielmehr der unterrieb :;; mit der letzten und zugleich bedeutendsten beiden that kaiae

: Wilhelms und seines sohnes, den grossen, in ihren folgen rech

[ eigentlich der gegenwart angehörigen ereignissen der jähre 1870/7

^ seinen anfang nehmen , wie dies schon vor dem erscheinen der lehr

plane, abgesehen von Ottokar Lorenz' und Hermann Grimma eine der verdientesten schulmänner unserer zeit, Otto Frick, der gerad< dem propädeutischen geschichtsunterricht stets die liebevollste auf merksamkeit gewidmet hat, mit entschiedenheit verlangt hatte, i' dadurch wird dann auch die weitere forderung der lehrplftne, di<

ankntlpfung an die heimatlichen Verhältnisse, leicht verständlich denn wenn freilich auch so starke appercipierende Vorstellungen füi die zeit des groszen kampfes, wie in Saarbrücken und umgegend nirgends sonst (gott lobl) vorausgesetzt werden können, so ist docl anderseits genugsam bekannt, mit wie zahlreichen erinnerungszeichei an jene zeit unser deutsches Vaterland gleichsam übersät ist. gibi es doch kaum einen mit einer höhern schule bedachten ort, der nichi sein kriegerdenkmal oder eine friedenseiche oder wenigstens ein< gedenktafel aufzuweisen hätte, an diese täglich und stündlich reden den zeugen von den ruhmesthaten unseres Volkes wird sich der lehrei bei der aufnähme des Unterrichts zu wenden, ihre spräche den Schü- lern verständlich zu machen haben, auch die an jedem orte alljähr lieh stattfindende Sedanfeier bildet einen natürlichen anknüpfungs- punkt. nur in der provinz Schleswig-Holstein dürfte es sich wob! empfehlen y die befreiung des landes von der dänischen herschaf und seine Vereinigung mit Preuszen zum ausgangspunkte der be< lehrung zu machen, dann erst die erzählung des groszen kriegei folgen zu lassen, dagegen würde ich es allerdings nicht für takt voll halten, in den provinzen Hannover und Hessen - Nassau mil den ereignissen des Jahres 1866 zu beginnen, wenn irgendwo, sc ist es gerade dort am platze, die versöhnende zeit von 1870/71 zui grundlage des Unterrichts zu machen.

(8. 26): 'mündliche and schriftliche Übersetzungen ins griechisch« behufs einübang der formenlehre, alle 14 tage' usw. augenschein« lieh aber handelt es sich hier um ein versehen des setiers, dei letztere' vor 'alle 14 tage' ausgelassen hat. denn in den schrift- lichen lehrplänen, welche den gedruckten zur bearbeitung durch di< lehrer vorausgeschickt wurden, steht das wort ganz richtig.

" die geschichtswissenschaft in hauptrichtungen und aufiraben 11 (1891) s. 886.

* in Rodenbergs deutscher rundschau XVII (1891) s. 440 f.

^ lehrproben hft. 29 (ootober 1891) s. 63.

Höxter. Carl Friok.

ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMNASIALPÄDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHRFÄCHER

MIT AUSBCBLU8Z DER CLA88ISCHBN PHILOLOOIB

HEBAUSOEOEBEN VON PBOF. DB. BiCHABD BiCHTEB.

(40.)

DIE DEUTSCHE GYMNASIALPÄDAGOGIK IN IHRER

NEUESTEN PASSUNO.

(schloBZ Yon 8. 409 418.)

II.

Die praktische p&dagogik für höhere lehranstalten von dr. Georg Matthias, die neueste fassong der deutschen gymnasialpädagogik ich kenne wenigstens noch keine neuere tritt sehr anspruchslos auf. und das ist das erste , was mir an ihr gefallen hat. sie leistet mehr, als sie im eingange verheiszt. sie will hauptsächlich dem anfänger dienen, gibt aber auch dem alten praktikus zu denken und zu lernen, und namentlich gibt sie ihm reichlich anlasz , an seine brüst zu schlagen und zu sprechen : gott sei mir sünder gnädig, diese wohlthfttige Wirkung; diesen antrieb zur Selbstbesinnung und Selbstkritik, den wir bei unserer selbst- herlichkeit in der Übung des lehrberufes immer wieder notwendig brauchen ; erreicht der verf. ganz besonders dadurch, dasz er den leser ohne grosze umstände und ohne ihn erst in wissenschaftlichen propyläen umherstolzieren und allerhand eiÜe selbstbespiegelung treiben zu lassen, mitten in die schulstube der Wirklichkeit hinein- führt, vor alltägliche erscheinungen des schullebens stellt und dazu einlädt, solche erscheinungen nüchtern und unbefangen zu betrachten und nach dem maszstabe der unvollkommenheit und der sehr be- schränkten yerbesserungsfähigkeit aller menschlichen Verhältnisse zu beurteilen.

Bei dieser auffassung und behandlung der sache sind freilich keine glänzenden effecte zu erzielen : der verf. musz auf den schönen schein verzichten, als könnte er hier tiefdringende wissenschaftliche forschung anstellen oder ein festgeschlossenes lehrgebäude auf- richten; er musz darauf verzichten, entwürfe zu pädagogischer Weltverbesserung zu machen, die durch ihre neuheit überraschen

N. Jahrb. f. phil. a. p&d. II abt. 1895 hfu 10 n. 11. SO

458 fi. Richter : die deutsche gymnasialp&dagogik in ihrer neaesten fassuDg»

könnten ; er musz manche aufsteigende frage ohne reinliche iGsung wieder fallen lassen und manchen starken Widerspruch in unserem erziehungswesen als nnausgleichbar anerkennen; er musz sich oft mit dem leidigen auskanftsmittel begnügen , das wie in der staats- kunst so auch in der erziehungskunst keine der beteiligten parteien befriedigt, aber im widerstreite der krttfte und interessen als ein- ziger notbehelf übrig bleibt, ich meine den compromiss.

Was haben wir denn anderes, wenn wir uns über unsere mittel ehrlich rechenschaft geben wollen, als den immer wieder zu erneuen- den und nach den jeweiligen umständen, nach zeit, ort und per- sonen zu modificierenden compromiss für die behandlung der drei grodzen probleme unserer modernen gjmnasialpttdagogik, die mit den Schlagworten: geteilte erziehung, fachwesen und massen- erziehung bezeichnet werden?

Es wäre wohl vorteilhaft gewesen , wenn Matthias diese ver- hängnisvolle dreiheit mehr hervorgehoben hätte , wie sie für unsere Sache kennzeichnend ist und die quelle der grösten Schwierigkeiten und ernstesten aufgaben flir uns bildet, allerdings entsprechen von den vier hauptabschnitten seines buches drei ungefähr den drei Pro- blemen , aber eben ohne dasz dieses Verhältnis klar und scharf zum ausdruck kommt, abschnitt II: die behandlung des Unter- richtsstoffes, methode entspricht einigermaszen der frage des fachwesens; abschnitt III: schulzucht. individualisierung der dermassenerziehung; endlich abschnitt IV: schule und haus behandelt die geteilte erziehung. vorausgeschickt isteinabschnittl unter dem titel: die persönlichkeit des lehrers.

Ob nicht besser die Ordnung von I und lY umgekehrt, also schule und haus zuerst und die persönlichkeit des lehrers zuletzt be- sprochen worden wäre? denn die teilung der geschäfte zwischen familie und schule ist doch die erste Voraussetzung der gjmnasial- pädagogik, wenigstens in unserem buche, wo der internatserziehung in einem anhang eine besondere abhandlung (von dr. Gustav Schimmelpfeng) gewidmet ist. wie man sich das Verhältnis zwischen den beiden concurrierenden groszen erziehungsmächten vorstellt, wie man rechte und pflichten zwischen ihnen verteilt, da- durch werden die regeln für das wirken der schule wesentlich be- stimmt; es werden ihm von vom herein engere grenzen gezogen, und die weit überwiegende bedeutung der didaktik in dieser Wirk- samkeit tritt deutlich hervor.

Dabei würde sich zugleich auch die besonderheit der gjmnasial- erziehung berühren lassen , dasz sie auch in einer anderen hinsieht nur eine teilerziehung ist, dasz sie keinen anfang und kein ende hat, nur das mittelstück zwischen elementarschule und akademischer oder sonst berufs- und fachmäsziger ausbiidung darstellt, eine besonder- heit, aus der sich für uns neben dem vorteil einer verminderten Verantwortlichkeit doch auch neue und nicht unwichtige aufgaben ergeben, einerseits die aufgäbe, einen richtigen anschlusz an die vor-

B.Richt6r: die deotaehegymnaBwlpftdagogik in ihrer neuesten fiistang. 459

erziehung zu suchen, was namentlich da, wo es keine yorschuldassen gibt, sondern aus der allgemeinen Volksschule oder aus Privatunter- richt aufgenommen wird , nicht so leicht und selbstverständlich ist, anderseits die aufgäbe , einen richtigen abschlusz für die hochsohule und ihresgleichen zu geben, d. h. nicht alles zu sehr anzulegen auf äuszere abschlüsse; denn das ist doch ein leidwesen in der staats- pttdagogik unserer mittelschulen und einer von den vielen Wider- sprüchen in unserem bildungsieben, dasz man notgedrungen die den schfilem als grundlage für ein fachstudium zu gebende Vorbildung so sehr zu gleichmäszigen , meszbaren, wägbaren, controlierbaren Prüfungsleistungen zuspitzt.

Matthias hat sich weder ttber den eintritt in die höhere schule noch ttber den abgang und die reifeprüfung ausgesprochen, ich habe das als eine lUcke empfunden; ich hätte z. b. , um nur einiges anzu- führen, gern gehört, wie er über solche schüler denkt, die aus privat- vorbildung in die mittelclassen eintreten ich habe mit diesen Zu- züglern aus der wildnis durchschnittlich sehr günstige erfahrnngen gemacht ; ferner wie er die preuszische einrichtung der vorschul- classen beurteilt im gegensatz zu der in Sachsen und anderwärts be- stehenden freien vorschulnng, die mir auch ihre besonderen Vorzüge zu haben scheint, namentlich in socialer beziehung; sodann welche pädagogischen maszregeln er für geboten erachtet, damit im ersten jähre des gymnasiums und beim beginn des lateinischen der Unter- richt sicher elementarisiert wird, so dasz sich der Übergang ins gymnasium nicht in einen halsbrechenden sprung verwandelt, und welche maszregeln er wiederum am anderen ende empfiehlt zum schütze des letzten gymnasialjahres gegen das beunruhigende voraus- wirken der reifeprüfung. mir erscheint als eine von diesen schutz- maszregeln und zwar nicht als die schlechteste eine einrichtung, gegen die Matthias s. 189 f. ganz im allgemeinen und ohne an die reifeprüfung zu denken merkwürdig lebhaft polemisiert, das sind die regelmäszig am Schlüsse jedes jahrescursus wiederkehrenden schriftlichen clausurarbeiten , die Prüfungsarbeiten, wenn sich der Schüler von sezta an acht jähre lang daran gewöhnt hat, schliesz- lich unter feierlicheren formen und mit voller Selbständigkeit, wenn auch durchaus innerhalb des rahmens der schulleistungeU; ein solches specimen eruditionis in den hauptfächern des classenunterrichts zu liefern, wird er auf grund dieser gewöhnung als Oberprimaner der reifeprüfung mit mehr gemütsruhe entgegengehen, sie nicht wie den gang aufs schaffot ansehen und mehr dazu geneigt sein, sich auf das allmählich gelernte zu verlassen als ein tumultuarisches einlernen für den prüfungszweck angstvoll zu betreiben.

Das capitel von der persönlichkeit des lehrers hätte ich mir, wie gesagt, an des verf. stelle bis zuletzt aufgespart, als tüpfohen über dem i, last not least. erst wenn die allgemeinen methoden der zucht und lehre und die allgemeinen Ordnungen des schullebens fest- gestellt sind , und was sonst für jeden lehrer verbindlich oder doch

30*

460 B.Bichter : die deutsche gymnasialpftdagogik in ihrer nenesteii fatsang.

beachtlich und prüfenswert ist, erst dann tritt die Persönlichkeit des lehrers in ihr recht, dann aber auch mit aller wacht, dann kann man sagen: hier ist das instmment, nun spiele darauf; bist du ein Stümper, so wird es mistöne von sich geben, und wenn es auch eine Stradivari wäre; hast du die erforderliche intelligenz und namentlich die Willenskraft ffir fleiszige und gewissenhafte Übung, so kannst du ein guter spieler werden und dich bis zur virtuositftt Bteigeiii ; um aber als künstler bedeutende Wirkungen zu erreichen, möchtest du schon einiges talent haben ; aber auch dein talent würde immer wieder der Übung und der Selbstzucht bedürfen, wenn es nicht verwildern und zur barockheit und excentricität ausarten sollte.

Wenn der abschnitt haus und schule an die spitze gestellt wor- den wäre, würde wohl auch die ausführung nicht so kurz und kärg- lich ausgefallen sein wie jetzt thatsächlich. das eine wird ja bei jedem leser wie bei mir beifall finden , dasz der verf. die in äterer Pädagogik, z. b. in manchen artikeln der ersten aufläge von Schmids encyclopädie, gebräuchlichen salbungsvollen reden darüber, wie fein und lieblich es ist, wenn schule und familie einträchtig bei einander wohnen, als müszige und aufbältliche rhetorik dem leser erspart, aber auch wenn er sich ganz praktisch halten wollte, muste er mehr bieten als was er bietet, er gibt zuerst eine kurze Schilderung nor- maler häuslicher erziehung und fügt die beiden richtigen bemer- kungen hinzu , dasz in diesem falle die schule das beste vom hause empfängt ohne viel eignes zuthuu; wofür sie dankbar sein sollte, und dasz es mit der verständigen familie keines zeitraubenden ge- dankenaustauBches bedürfe, vielmehr das stillschweigende ein Ver- ständnis für beide teile in der regel*genüge. dann aber folgt, breiter ausgeführt, die in lehrerkreisen so sehr beliebte darstellung der ver- wahrlosten häuslichen erziehung, plein air gemalt, dazu einige regeln der pastoralklugheit für die behandlung solcher zustände und ins- besondere etwaiger daraus entspringender conflicte.

Nun schreibt aber Matthias seine pädagogik doch nicht für hausväter, sondern für lehrer und namentlich für den anfänger im lehramt, der in frischer werdelust und Schaffensfreude und im hoch- gefühle des neuen pädagogischen berufs, nachdem ihm obendrein in der Studenten- und candidatenzeit der familiensinn einigermaszen geschwunden ist, die eitern als miterzieber des schülers gering- schätzig anzusehen liebt, der womöglich als classenlehrer einer sexta, wenn ihm einer seiner schüler wiederholt beim vocabelüberhören versagt, die vermeintlich schwache mutter zu sich auf die wohnnng bestellt, um ihr einmal wegen der lüderlichen Wirtschaft tüchtig den text zu lesen, wenn aber die mutter sagt , dasz sie den söhn regel- mäszig am morgen selbst überhöre und dasz er dabei seine vocabeln sicher aufsage, was dann? dann ist vielleicht das pädagogische latein des herrn doctors schon zu ende; er zuckt die achseln oder gibt es noch deutlicher zu erkennen , dasz er die aussage für eine Unwahrheit der mütterlichen schwäche ansehe, und schlieszt die er-

B. Richter: died6atBcbeg7mDa8i&lp&dagogikinihrerneue8ien fassang. 461

gibige conferenz mit der Versicherung, dasz er beim nächsten rück- fall eine scharfe strafe anwenden werde, anstatt dasz er sich von der mutter beschreiben liesze, wie sie das Überhören eigentlich anstellt, und weiter fragte, wo im hause der knabe zu lernen pflege und zu welcher zeit, und ob still oder laut und wie lange zeit er dazu brauche und wie er dabei verfahre, woran sich unter umständen eine anschauliche belehrung über die art und weise , wie kinder zweck- mäszig vocabeln auswendig lernen, anschlieszen könnte nebst einem populären Vortrag aus der psjchologie über den unterschied von treuem und willigem gedächtnis, über die befestigung des gelernten durch Wiederholungen und über den störenden einflusz; den befangen- heit und angst auf die gedächtnisleistung ausüben.

Kurz und gut, es ist notwendiger, den lehrer über seine pflichten gegen das haus als über die pflichten des hauses gegen die schule zu unterweisen, wir sind ja hier ganz unter uns; denn diesen aufsatz liest doch kein familienvater , der nicht zugleich schulmann wäre, so kann ich mich rückhaltlos aussprechen über die thatsächlich sehr schwierige läge, in der sich heutzutage die familie der höheren schule gegenüber befindet, sie ist fast rechtlos und in zweifelsfäUen sehr hilflos.

Die leistung des Staates, dasz er für sehr billigen preis eine recht complicierte höhere bildung liefert und vielerlei garantien für die gute der wäre und die Zuverlässigkeit der lieferung bietet , diese leistung musz von der familie recht teuer bezahlt werden mit man- chem sacrificium intellectus, manchem schweren verzieht; sie musz nicht nur darauf verzichten, nach individuellen bedürfnissen be- deutendere Wendungen im bildungsgange des sohnes selbständig zu bestimmen, nicht nur darauf, ihr urteil über das, was dem söhne not thuty zur geltung zu bringen; sie musz es auch stillschweigend ertragen, wenn ihr bester wille, der schule am söhne zu dienen, völlig verkannt wird und unbenutzt bleibt; sie musz sich alles mög- liche unbegreifliche, befremdliche, widerspruchsvolle in der auffas- sung und behandlung des sohnes gefallen lassen, ohne eine irgendwie befriedigende aufklärung erreichen zu können , als gälte es sich in demut dem geheimnisvollen walten einer schul Vorsehung zu fügen.

Nun beabsichtige ich nicht eine revolution der eitern gegen den absolutismus der schule und zur erreiohung eines constitu- tionellen regimentes anzustiften und für diesen zweck etwa eltern- parlamente und eltemcommissionen zu fordern, neben allen anderen schwächen, des Parlamentarismus, die wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten sattsam kennen gelernt haben, würden diese Parlamente noch an dem besonderen Übelstande leiden, dessen einflusz sonst bei derartigen körperschaften ein bestimmter paragraph der geschäfts- ordnung zu hemmen sucht, dasz nämlich jedes mitglied bei den ein- zelnen fragen persönlich interessiert wäre und nur nach dem eignen Interesse mitraten und abstimmen würde, denn das elternbaus be- trachtet die idiid« mr Htfir dem gesichtspunkte der besonderen

462 R. Richter : die deutsche gymnasialpftdagogik in i

bedürfnisse des sohnes; das ist der natur gemftss, ist auch recht gut; denn in dieser einseitigkeit, in diesem familienegoismus liegt die stärke der familienerziehung. so wird der verkehr swiscben sebnle und haus immer ein höchst persönlicher bleiben, and infolge dessen werden solche versnebe einer Organisierung des familieninteresses zu einer allgemeinen Vertretung der familien der schule gegesflber mislingen müssen.

Auch die andere abhilfe will ich gar nicht erst wünschen, dasi nttmlich durch eine kräftigere entwicklang privater errieknogs- anstalten , begünstigt durch die Verleihung ausgedehnter berecbti- gungen, der Staatserziehung eine wirksame concurrenz bereitet wer- den möchte, ein gedanke, den schon Ludwig Wiese ausgesprochen and Friedrich Paulsen neuerdings mit seinem öfters wiederholten rufe nach gröszerer freiheit in der schulerziehung vertreten hat aber es wird das doch nur ein frommer wünsch bleiben,' zamal bei dem zuge unserer zeit, der so sehr zu fortschreitender Verstaat- lichung privater Verhältnisse treibt, der staat wird sich sein monopd der schulerziehung nicht leicht schmälern und schwächen lassen, schon aus finanziellen rücksichten und um sich die controlle des höheren erziehungswesens zu erleichtern und zu sichern.

Also bleibt alles hübsch beim alten, und Matthias hat am ende recht gehabt, dasz er über das unfruchtbare thema schnell hinweg- gegangen ist, und ich hätte vielleicht besser geschwiegen, aber so ist es doch nicht, gerade hier kann sich unsere pädagogik ver- feinern; hier haben wir ein feld, wo sie fortschreiten oder, wenn man will, auf grosze Vorbilder zurückgehen kann, es ist unverkenn- bar, dasz in anderen beziehungen heutzutage gern auf philanthro- pische grundsätze znrückgegrifiPen wird: so nicht selten in der didaktik , so in der leibespflege. so könnte es auch sein in den be- mübungen um die Verständigung mit der familie. die schale masz werben um die teilnähme des bauses flir ihre sache; sie musz dort drüben die aufklärung suchen, mit beflissenheit suchen über die nn- durchsichtigkeiten und rätselhaftigkeiten im wesen des einzelnen Zöglings; sie musz die initiative dazu ergreifen, dasz dort ein Ver- ständnis für sinn und bedeutung und wert ihrer lehr- und zucht- maszregeln gewonnen und ein volles vertrauen zu der richtigkeit, mindestens zu der gutgemeintheit solcher maszregeln fUr den ein- zelnen fall begründet wird, das musz sie thun um ihrer selbst willen, weil sie an diesem Verständnis und diesem vertrauen ihre besten mitarbeiter hat, und um nicht bei der behandlung der schüler fortwährend im dunkeln zu tappen und mechanisch, schablonen- mäszig, auf geratewohl zu centieren, zu tadeln, zu strafen usw.

Zu dieser )iVilCT6(a gehören allerdings Fähigkeiten und leistnngenj um deren höhere ausbildungund beharrliche bethätigung unser lehrer- stand noch nicht allgemein besorgt sein dürfte, dazu gehört zuerst, dasz man der Versuchung standhaft widersteht, aus völlig unzureichen- den Prämissen einen schlusz über die häuslichen zustände zu ziehen

R. Richter : die deatachegymnasialpädagogik in ihrer Deoeetenfmimg. 463

und so von vorurieilen auszugehen, es wird mit vollem rechte geklagt auch Matthias spricht davon dasz sich die familie oft voreilig ein ungünstiges urteil ttb^ die schule im allgemeinen und über den lehrer im besonderen lediglich auf kindergeschwätz hin, nach den Übertreibungen der kindlichen phantasie und nach den entstellungen der kindlichen Selbstsucht bilde: worauf gründen sich denn aber unsere ungünstigen urteile über die häusliche erziehung? oft genug auf ein ebenso trügerisches beweismaterial , auf zuföUig ans un- bequem gewordene äuszerungen kindischen wesens. es gilt, dasz wir uns sicheres material verschaffen, und ich würde e& durchaus in der Ordnung finden, wenn der lehrer nicht selten einem vater sagte : um diese unliebsamen auffftUigkeiten in der haltung Ihres sohnes sicher zu beurteilen, musz ich ihn in seinen vier pf&hlen sehen, über- haupt: wenn der berg nicht zum propheten kommt , musz der pro- phet zum berge kommen.

Wir müssen die hindemisse wegräumen, die einer vertranlich^n annäherung zwischen vater und lehrer im wege stehen : gewis be- steht dieses hindernia manches mal in der bequemlichkeit und Sorg- losigkeit des vaters, der in seinen feierstunden nicht mit schul- geschichten behelligt sein will und darum die sache laufen läszt, wie sie läuft, wir müssen eine ehre darin suchen , eine solche indo- lenz zu überwinden und den mann davon zu überzeugen, daaz sich die beachtung der schulgeschichten lohnt und das gegenteil sich bitter rächen kann, aber wir müssen ihn bei zeiten überzeugen, bei den ersten bedenklichen Schwankungen und anzeiehen des rückganges in den leistungen des sohnes, nicht erst wenn die dimission in nächster nähe droht

Ein anderes hindernis ist für uns schmeichelhaft , aber für den Schüler unter umständen auch gefährlich , das ist der feste glaube der familie an die Unfehlbarkeit unserer Staatspädagogik ; nament- lich kleine leute, die das treiben in einer höheren schule nicht aus eigner Jugenderinnerung kennen, sind gern der meinung, dasz diese königliche maschine ganz sicher functionieren müsse, weniger schmeichelhaft für uns ist der zustand dumpfer , auf jeden versuch einer äuszerung und bethätigung des interesses am schulleben des sohnes verzichtender resignation, in den manche familie versetzt wird, insbesondere wenn sie schon einmal vergeblich rat gesucht und statt des brotes einen stein , statt einer empfehlung von heil- mittein ein todesurteil erhalten hat.

Das erinnert an unsere in diesem Verhältnisse wichtigste auf- gab«, dasz wir uns auch wirklich zu tüchtigen, aus dem vollen schöpfenden, in keiner Situation um auskunlt und hilfsmittel ver- legenen ratgebem für die familie ausbilden, oder wären wir das alle von Yorn herein ? können wir auch nur alle den ratsuchenden ruhig anhören und aushören und für den zweck der consultation ausforschen, um zu erfahren, wo das übel sitzt? wir sind zu sehr geneigt mit einem fertigen urteil aufzuwarten und zu ordinieren

464 R. Richter : die deutsche gymnasialp&dagogik in ihrer neueBten Umsung,

statt za auscultieren ; wir können auch einwendnngen und Wider- sprüche nicht gut vertragen ; das liegt in anserer berufsgewOhnong. dann machen wirs wie die naturärzte und bestimmen die therapie ohne diagnose. und dieser und jener macht es wohl auch noch wie der heilkundige schäfer , dasz er aus drei topfen abwechselnd salbe verabreicht. ^Ihr söhn ist zu schwach für das gymnasium, Sie müssen ihn wegnehmen' das ist der erste topf. *Sie mttssen ihm privatnachhilfe für dieses und jenes fach versorgen , sonst bleibt er sitzen' das ist der zweite. 'Sie müssen ihn besser überwachen und zum häuslichen fleisze anhalten' das ist der dritte, damit ist die pädagogische apotheke erschöpft wenn nur der vater den mut faszte und darauf erwiderte: ich habe geglaubt mich darauf be- schränken zu müssen , dasz ich etwaige hindernisse des häaslichen fleiszes für meinen söhn beseitigte, dasz ich ihm ein stilles und wohl beaufsichtigtes arbeitsplätzchen schaffte, unzeitige Störungen und Zer- streuungen fernhielte und für eine gute arbeitsdiät in angemessener abwechslung mit erholung und bei rechtzeitigem essen ^ Schlafen- gehen und aufstehen sorgte, aber den trieb und eifer für die arbeit selbst und das streben sie sorgfältig und nach kräften gut za liefern, das , habe ich gedacht , würde die schule , die persönliche autorität des lehrers, die anregung seines Unterrichts erzeugen, und bei Ihrem Vorgänger in der letzten classe war es auch wirklich so.

Ich habe in meinen acten eine Zuschrift eines studierten sex- tanervaters , der sich über die schlechte methode meiner schule be- schwert und als beweis für diese Schlechtigkeit folgendes anführt: ich repetiere selbst das lateinische pensum mit meinem söhne und beobachte zu meinem erstaunen, dasz er zwar die schöne rose regel- mäszig richtig mit rosa pulchra übersetzt , aber ebenso regelmäszig falsch die rose ist schön mit rosa est pulchrum. die rührende einfalt dieser reflexion veranlaszte mich den mann in seiner wohnung auf- zusuchen ; dort haben wir uns unter tiefsinniger erörterung des psy- chologischen Unterschiedes zwischen rosa pulchra und rosa est pulchra und wohlwollender anerkennung der gesunden kindeslogik in dem fehler pulchrum über die methode des lateinunterrichts aus dem gröbsten geeinigt, so dasz vater und söhn fernerhin keine auszerordentlichen beschwemisse mehr durch diese methode gelitten haben.

Es wäre verdienstlich, wenn ein sachkundiger und wohl- erfahrener mann eine pädagogische casuistik über den verkehr der gymnasiallehrer mit den schülereitern schriebe; die Psychologie könnte dabei latent bleiben und dagegen mUste hervortreten eine empirische menschenkenntnis , eine scharfe beobachtung unserer socialen Verhältnisse und ein praktischer sinn für menschenbehand- lung innerhalb eines bestimmten kreises gemeinsamer interessen.

Übrigens mag hier ausdrücklich betont werden, dasz Matthias an einer andern stelle beherzigenswerte ausführungcn über aufgaben bietet; die mit der vorliegenden frage in einem gewissen zusammen-

B. Richter: die deutsche gymnasialpftdagogik in ihrer neuesten fassung. 465

hange stehen, ich meine was § 40 s. 191 213 Aber individualität des Schülers, pflicht genauer beobachtung der individualität, be- obachtung und Würdigung der temperamente, schfilercharakteristiken u. dgl. gesagt ist. ohne im einzelnen überall mit dem gesagten ein- verstanden zu sein, worauf ich aber jetzt nicht eingehen kann, finde ich die das ganze beherschende tendenz, die der yeräuszerlichenden, compagniemäszigen, nivellierenden classenpädagogik entgegenstrebt, durchaus beachtlich und ich wünsche, dasz sie befruchtend wirken möge, nur beschränkt mir eben der verf. diese bestrebungen zu ausschlieszlich auf das innere schulleben, anstatt sie auch nach auszen, für das Verhältnis zu der andern erziehungspartei aus- zunutzen.

Eine unzweckmäszige beschränkung sehe ich auch in dem urteile, das der Verfasser § 38 s. 179 ff. über die rangordnung, nach den leistungen, über die dislocation in der classe fällt, er will die rangordnung nur für den internen gebrauch des lehrercoUegiums herstellen lassen, ich wüste allerdings auch nicht, wie man in einer groszen schule ohne einen solchen anhält auskommen, wie nament- lich der director die erforderliche Übersicht und ein deutliches bild von dem gegenseitigen Verhältnisse der schüler behalten sollte, den Schülern und eitern aber soll nach Matthias diese rangordnung nicht verraten werden, er verwendet unverhältnismäszig viel räum auf die polemik gegen das alte herkommen, aber die von ihm geltend gemachten nach teile werden von den vorteilen weit überwogen, er beruft sich darauf, dasz bei der Verteilung der platze nach points eine volle gerech tigkeit schwer zu wahren sei eine solche gibt es aber überhaupt nicht und namentlich auch schon nicht bei den censierungen ; dasz ferner gleich tüchtige schüler unbilligerweise hinter einander gesetzt werden müsten das wird wohl den be- troffenen leicht verständlich zu machen sein, dasz sie nicht zu dreien auf einem platze sitzen können ; weiter befürchtet er, dasz die eitern neben dem classenplatze die censuren zu wenig beachten und durch ein geringes aufrücken, das der söhn trotz schlechter leistungen nur den noch schlechteren seiner neuen hintermänner verdankte, getäuscht und zu stolz und zuversichtlich gemacht werden könnten auch dagegen wird eine kurze warnende bemerkung auf dem Zeugnisse abhilfe genug geben; schlieszlich könnte nach Matthias leicht der fleiszige, aber minder begabte schüler unverdientermaszen gegen den weniger fleiszigen , aber begabten zurückgesetzt werden, aber wollen wir denn den Wetteifer nicht mehr als erziehungsfactor bei unseren höheren schulen in die rechnung setzen? er ist eine der besten eigenschaften der massenerziehung, wenn er richtig angeregt und geleitet wird; und sein ergebnis kommt in der rangordnung am klarsten zum ausdruck, vollkommen begreiflich für die schüler, während sie die einzelnen censuren einer vom andern kaum erfahren, jedenfalls sich nicht merken können, das ist der eine grosze vorteil der dislocation, und der andere ist die in der einen nummer des

466 B. Richter ; die deutiohegymnaMalpftcUigogik in ihrer neaertea faetang.

clasBenplatzes dem hause sehr yemehmlich ausgesprochene Ter- gleichende kritik des leistungsstandes, den der söhn im yerbältnifl zu seinen mitschOlem erreicht hat. sonst mttsten wir gewissen- hafterweise den eitern eine Zusammenstellung der gesamten oensuren der classe vorlegen, die fachcensnren besagen so interpreiiort sich jeder leidlich einsichtige vater das zeugnis , in welchem Ver- hältnis die leistungen des schttlers zu den ordnnngsmttszig an die classe zu stellenden forderungen stehen ; die rangordnang bezeichnet das Verhältnis der leistungen des einzelnen zur durehsehnittsleiatoBg der classe, und das kennen zu lernen hat die häusliche eniehnng naturgemäsz ein groszes interesse; die fleiszcensur endlich deutet das Verhältnis der thatsächlichen leistungen des schttlers sn seiner begabung an, wenn auch nicht immer und nicht in sicherer Schätzung.

Wir müssen jedes mit der familie uns verknüpfende band, nnd wenn es noch so dünn wäre, eher zu befestigen suchen als reissen lassen, ich denke dabei neben der zahlensjmbolischen verständigong mit dem hauso durch die rangordnung noch an etwas anderes, in § 34 s. 133 f. , wo von der pflege des Wahrheitssinnes der schaler und der Wahrhaftigkeit des lehrers gehandelt wird, sagt Matthias unter anderem folgendes: 'zur Unwahrheit gehörte auch, wenn der lehrer mehr auf äuszeren schein als auf wahres verdienst hinarbeitet, wenn er in gegenwart des vorgesetzten oder bei revisionen etwas vorbereitet, was er im gewöhnlichen Unterricht nicht so an geboi pflegt. ... die leeren comödien der öffentlichen prüfungen sind ja in Preuszon glücklich abgeschafft ; dasz revisionen nicht zur vorftthnmg von paradepfevden und zur Schädigung des wahrbeitssinnes verleiten, dazu könnte jeder an seinem teile mit sorgen.'

Der triumphierende ausruf: 'die leeren comödien der öffent- lichen Prüfungen sind ja in Preuszen glücklich abgeschafft' ist mir nicht sowohl deshalb aufgefallen, weil bei uns in Sachsen die prüfungen noch bestehen, als vielmehr wegen des besonderen Zusammenhanges, in dem die äuszerung hier erscheint; denn nach diesem zusammen- hange werden die prüfungen vornehmlich als handlungen der un- wahrhaftigkeit und als gefährdung des Wahrheitssinnes der schüler verworfen, dieses argument hat mich immer verdrossen, wenn es bei dem auch im kreise der sächsischen gjrmnasiallehrer oft und lebhaft gegen die einrichtung erhobenen widersprach vorgebracht worden ist, wohl gar als das wichtigste und durchschlagende.

Ich habe eine zu hohe meinung von den mitgliedem unseres Standes, als dasz ich Schwindeleien gerade bei dieser leistong für möglich halten könnte, niemand erwartet bei der prüfung etwas anderes als ein kleines repetitionsbildchen aus dem wohleingeprägten Unterrichtsstoffe des Schuljahres, nun ist doch heutzutage kein lehrer so einfältig oder lüderlich, dasz er nicht einigermaszen wüste, waA seine leute wissen, so dasz er nicht in Versuchung kommen kann, eine unwürdige, ihn in den äugen der schüler herabsetzende be- sondere ezamendressur vorzunehmen, wenn er aber bei der prüfung

B. Richter : diedeutsche gymnasialpftdagogikiii ihrer neuesten fassnng« 467

die gegenstände der repetition bestens zu gruppieren und zu ver- knüpfen aaeht und die technik des fragens sorgfältig und fein be- handelt, so dasz die antworten schlag auf schlag erfolgen, so ist das nur ehrenwert und kann auf keiner seite anstosz geben, auf unsere beurteUung der schüler hat die prüf ung freilich keinen einüusz ; das wissen aber die eitern so gut wie wir. so ist sie allerdings eine Schaustellung, aber darum noch keine comödie. eine maszvolle epideixis ist wohlthätig für die schule, wirkt anregend und belebend auf die Jugend und schadet auch uns, den so selten vor erwachsenen zeugen docierenden lehrem nichts, ich würde es sehr bedauern, wenn diese epideixis der schule ganz auf den fuszball und an harren und reck gewiesen würde, wir Deutsehen sind nicht in der gefahr wie die Romanen, in eitles und lärmendes gepränge dabei auszuarten.

Vor allem aber kommt es mir auch in diesem falle wieder auf die eitern an. sie haben hier die einzige gelegenheit, die lehrstimme und ein pröbchen von der lehrweise der männer kennen zu lernen, mit denen sie sich in ihre söhne teilen müssen und von deren thätig- keit sie so viel für diese hoffen und wünschen, und sie sehen die söhne selbst wenigstens einmal ein stündeben in reihe und glied, inmitten der für sie so bedeutungsvollen kameradschaft , und das wenige, was sie zu antworten haben, hat auf diesem resonanzboden einen neuen, bei den eitern oft recht heilsame empfindungen wecken- den klang.

Wir könnten aber auch noch etwas besseres bieten, ich bin sehr für hospitieren der eitern im laufenden, planmäszigen unterrichte, was fehlt ihnen denn am meisten zu richtiger beurteilung der geistigen fähigkeiten der söhne? der richtige maszstab fehlt ihnen, sie können die söhne nur messen an sich selbst oder etwa an jüngeren oder älteren brttdem , was leicht ein schiefes urteil ergibt und den gemessenen zu klein oder zu grosz erscheinen läszt zu grosz, wenn er mit erwachsenen, zu klein wenn er mit jüngeren verglichen wird ; die Ursachen dieser optischen täuschung brauche ich meinen psychologisch geschulten lesern nicht erst auseinanderzusetzen ; sie können in der regel auch nicht messen bei ernsten leistungen der wichtigsten fähigkeiten, sondern nur bei spielender bethätigung solcher nebentalente wie des jugendlichen witzes, der helläugigen beobachtungsgabe , des starken nachahmungstriebes, kleiner künst- lerischer anlagen usw. erst in der classe könnten sie die söhne ver- gleichend beobachten neben den gleichaltrigen strebensgenossen bei wirklichen kraftproben , im ernsthaften ringen mit anspruchs- vollen aufgaben.

Ob das nicht instrueüv wäre, würdigere Vorstellungen von dem nnterrichtsleben erzengen, viel elterneitelkeit dämpfen, viel ver- kehrte urteile berichtigen und dazu beitragen wtLrde , die grausam kühle objectivität der schule und die einseitig hitzige subjectivität des hauses in der Schätzung des einzelnen schülers zu einer wohl- thätigen mittleren temperatur auszugleichen? unüberwindliche

468 B. Richter: diedeatschegymnasialpftdagogikinihrerneaestenfiissQDg*

äuszere bindernisse für ein solches hospitieren kann ich nicht findenf wenn ich recht unterrichtet bin, ist es z. b. in Amerika weitver- breiteter brauch, heranlocken würden wir die eitern allerdings erst müssen , die einen, dasz sie es überhaupt der mühe für wert fftnden zu kommen , die andern , dasz sie die ängstliche scheu Überwänden und sich in das nach ihrer meinung mit explosionsstofifen gefüllte pädagogische laboratorium hineinwagten.

Ich höre im geiste schon sehr lebhafte einspräche gegen meine ganze behandlung des Verhältnisses von schule und haus, obgleich sie im gründe nichts neues enthält, nur eine Verschiebung des Stand- punktes der betrachtung und eine erhebliche Steigerung bisheriger bemühungen sowie eine Verfeinerung der dabei zu Ter wendenden mittel empfiehlt, aber ich will mich nicht im voraus mit den drohen- den einwänden befassen, sondern nur noch die eine frage berühren : wer soll bei den vertieften beziehungen zum hause, bei dem ein- gehenden und intimen verkehr seitens der schule der Termittier sein ? der director ist wenig geeignet dazu , weil er nicht genug in die besonderen yorhältnisse der einzelnen schüler eingeweiht sein kann; auch erscheint er für die beteiligten zu sehr schon als be- schwerdeinstanz. der classenlehrer , an sich am meisten zuständig, wechselt zu oft. das führt auf das tutorensystem , das in England eingeführt und allem anscheine nach beliebt und anerkannt ist, das wir in der regel nur in der kümmerlichen form einer mehr polizei- lichen beaufsichtigung auswärtiger, in pension lebender schüler haben, die sache bedarf hier keiner weiteren ausführung ; auch wird es höchste zeit, dasz ich zu etwas anderem übergehe.

Ich bin dem buche von Matthias, dem ich so viel anregung ver- danke, noch nicht gerecht geworden, eine recension, die alle teile umfaszte, habe ich freilich von vorn herein nicht beabsichtigt, dafür aber will ich es hiermit angelegentlich den berufsgenossen zu nach- denklicher lectüre empfohlen haben, und zwar zu vollständiger, nicht zu eklektischer lectüre. man musz das buch schon deshalb ganz durchlesen, was übrigens bei 221 selten keine arbeit ist, weil man manches da findet, wo man es dem titel nach nicht sucht, der Ver- fasser hat sich den zwang einer strengen disposition und scharfen stofischeidung nicht auferlegt und läszt sich öfters durch die günstige gelegenheit bequemer anknüpfung bestimmen, etwas nachzuholen, was man vorher vermiszt hat, oder etwas zu erörtern, was nicht not- wendig an diese stelle gehörte, was vielleicht formell richtiger an einer andern untergebracht worden wäre.

So wird das erste capitel (persönlichkeit des lebrers) wesent- lich ergänzt gleich im anfange des zweiten (methodik) durch die in § 13 enthaltenen bemerkungen über das Verhältnis des fachwissen- schaftlich gebildeten lehrers zur didaktischen methode, bemerkungen, die ich sachlich gröstenteils treffend finde, nur die mahnung, dasz der einzelne fachmann methodisch rücksicht nehmen soll auf den gesamtorganismus der schule, ist durchaus unzureichend, wie macht

B. Richter : die deutsche gy mnasialp&dagogik inihrer neuesten fassang. 469

man das nun? diese schwierigste frage unserer ganzen gymnasial- pttdagogik, das problem des fachwesens, wird damit nur angerührt; auch späterhin wird darauf nicht wieder eingegangen, das will ich dem verf. nicht gerade verargen , wenn er sich auf die noch ganz unzulänglich gebliebenen und nicht selten in bedenkliche künstelei ausartenden versuche sachlicher concentration im gröszeren stile nicht einläszt, wiewohl er sie der Vollständigkeit wegen doch hätte erwähnen und wenigstens seine Stellung dazu bezeichnen sollen; jedenfalls aber vermiszt man die praktisch ausführbaren maszregeln der persönlichen concentration, kräftige ausbildung des classen- lehrerwesens , womöglich aufrücken desselben lehrers mit dem achüleijahrgang durch mehrere classen; femer möglichst viel Unter- richt in der classe in einer band vereinigt; endlich energische Schei- dung zwischen haupt- und nebenföchem, aber als amtsgeheimnis des lehrercollegiums behandelt, das niemand vor den Schülern und dem publicum in lamentationen über die gedrückte läge seines nebenfaches ausplaudern darf; natürlich das alles mit der allmäh- lichen entwicklung, dasz nach oben hin in der folge der classen mehr und mehr Yon der concentration nachgelassen wird , und die Selbständigkeit der fächer und ihrer Vertreter zunimmt.

Ergänzt wird femer und noch mehr das erste capitel durch die zum zweiten oder dritten gehörigen paragraphen 29 (arbeitsfreudig - keit der schüler), 30 (aufmerksamkeit) , 3^ (gehorsam), 33 (Ord- nungssinn), 34 (wahrheitssinn) , 40 (individualität) , wo überall gelegentlich forderungen an den lehrer aufgestellt und begründet werden, und zwar sehr berechtigte forderungen, die dahin zusammen- laufen , dasz er sich zum lehrercharakter, zur sittlich geschlossenen lehrerpersönlichkeit ausbilden soll.

In anderer beziehung greifen ineinander die Vorschriften über lautsprechen, fragen und antworten, erregung der aufmerksamkeit (s. 66. 42. 82. 116).

Die zwanglosigkeit der Sachbehandlung bekundet sich aber nicht blosz in der freien anordnung, sondern anch in einer gewissen ungleichmäszigkeit der ausführungen in dem sechzehn seiten um- fassenden § 37 verweilt mir der Verfasser viel zu lange bei der sehr untergeordneten frage, wie man die censurprädicate am besten for- muliere — sie bekundet sich auch darin, dasz er kunst- und scblag- worte der pädagogik zum gegenstände einer betrachtung macht, ohne diese worte begrififsmäszig genügend zu bestimmen , so z. b. anschaulichkeit s. 34 ff. oder pädagogischen takt s. 22 ff., wo er namentlich durch die art, wie er vom gesellschaftlichen takte ausgeht, Unklarheit erzeugt, oder dummheit s. 193 ff.; hier wer- den zwar allerhand merkmale des begriffes angedeutet, er wird ver- schiedentlich limitiert; aber er bleibt doch schwankend und un- sicher, so dasz man sich am Schlüsse zweifelnd fragt: was war nun eigentlich dummheit?

Diese zwanglosigkeit, die manchmal an das freiere und sorg-

470 B. B ichter : die deutsche gymnasialpidagogik in ihrer neaesten fknuDg,

losere verfahren bei mflndlioben vortr&gen erinnert , beeintrftchtigl die Wirkung des Werkes insofern, als die zahlreichen regeln and rat- schl&ge zu vereinzelt erscheinen, zu isoliert auf den leeer eindringen, 80 dasz man schlieszlich der masse der einzelheiten in seiner Vor- stellung nicht recht herr werden kann, ich zweifle niuht, daez die strengen systematiker, denen das buch ohnehin zu praktisch seia wird, daran besonderen anstosz nehmen und das ganze etwa, um einen bekannten spottausdruck ans jenem kreise zu gebranchen, 'winke über punkte' nennen werden.

Aber es ist eben eine grosze fülle von schfttzbaren winken über sehr viele in der präzis wichtige punkte, und das maoht das buch sehr nützlich trotz seiner mängel, die übrigens der TerfiMser im schluszworte zum teil selbst erkennt und erklärt

Eine sehr gute eigenschaft ist auch die geradsinnige, stelleii- weise sogar derbe Offenheit, mit der er uns lehrern unsere Sünden vor- hält; eine andere ferner die Selbständigkeit ^ dasz er ohne rfleksickt auf herschende Strömungen und ohne zu liebäugeln mit massgeben- den Personen seine eigne Überzeugung vorträgt, unbekümmert auch darum, ob er damit von andern schon ausgesprochene gedanken, vielleicht auch in derselben form wiederholt, und dazu kommt ein wohlthuender Optimismus in der auffassung der jugend, eine wert- volle mitgift für jeden, der pädagogisch wirken will, und ein preuszisch gemäszigter, die Straffheit und strammheit der ftuszeres zucht nicht ausschlieszender philanthropischer zug.

In einem seltsamen Widerspruche dazu steht das votnm des Verfassers über die körperliche Züchtigung (s. 159 ff.), ich hatte in meiner Unschuld geglaubt, dasz der stock allenthalben in deutschen landen als erziehungsmittel aus der höheren schule vollständig be- seitigt wäre, hier finde ich ihn zu meinem staunen wenn anch mit widerstreben und unter allerband einschränkungen und cautelen doch schlieszlich als zulässig und berechtigt anerkannt, wollen wir denn nicht endlich den letzten traurigen rest des gänzlich veralteten häszlichen corporalzopfes abschneiden? wir sind jetzt sehr eifrig auf Wahrung unserer standesehre bedacht : verträgt es sich damit, wenn wir das publicum zu der annähme berechtigen, dasz wir in der ausübung unseres vornehmen berufes des bakels nicht entraten könnten? natürlich soll er nur ganz ausnahmsweise, nur in ganz auszerordentlichen fällen angewendet werden; so will es Matthias, aber die prUgelstrafe wird um so unberechenbarer, unleidlicher, barbarischer, je seltener sie benutzt wird; nur wenn mit einer ge- wissen regelmäszigkeit und häufigkeit gehauen wird wie in der guten alten zeit, wird die procedur eher zu einer pädagogischen, und dann: wir haben zwangs- und gewaltmittel , die unseren vorfahren nicht entfernt so zu geböte standen ; wir haben unser prüfungs-, ver- setzungs- und berechtigungswesen und anderseits die dimission: das sind unsere stocke, mit denen wir auskommen können.

Reden läszt sich nach meiner meinung in der pädagogik der

R. Richter : die deutsche gy mnasialpftdagogik in ihrer neaesten fasBang. 47 1

höheren schule nur über die sogenannte ohrfeige, mit dieser steht 68 tthnlich wie mit dem duell: jedermann weisz, dasz sie in ver- schiedener beziehung yerwerflich und gefährlich ist, und doch hält sie jedermann für unentbehrlich und unter umständen höchst an- erkennenswert, passiye wie actiye. ich möchte den gjmnasial- director im deutschen reiche kennen lernen , der noch nicht geohr- feigt hat ; ich bin es jedenfalls nicht, aber die moderne ohrfeige ist gar keine körperliche Züchtigung mehr, wenn sie wirklich körper- lich weh thut, ist sie schon eine roheit, eine unverantwortliche gesundheitsbedrohung ; in der form , in der allein sie zu applicieren jeder lehrer auch im affecte selbstbeherschung und besonnenheit genug haben mnsz, als backenstreich, ist sie eb^i nur eine ehren- strafe wie unsere meisten schulstrafen , aber als solche um so wirk- samer, je länger von statur der empfänger ist, und oft sehr schätzens- wert für diesen, weil sie den disciplinarfall brevi manu erledigt.

Nun will ich scblieszlich noch mit besonderem nachdrnck auf das bis jetzt wenig berührte zweite hauptstück des buches (die behandlung des Unterrichtsstoffes, methode) hinweisen, allerdings nur im allgemeinen; einzelnes herauszuheben, zustim- mend oder mit widersprach , wozu ich viel anlasz hätte , verbietet mir der räum, es findet sich wohl später wieder gelegenheit, auf solche fragen zurückzukommen., der Verfasser ist hier in schwieriger läge gewesen, da er sich nach dem plane der Baumeister- schen Sammlung auf das allgemeine der gymnasialdidaktik zu be- schränken gehabt hat, während sich doch jedes fach seine eigne didaktik ausbildet; das hemmt ihn auf schritt und tritt, bei jedem beispiele musz er seine grenze überschreiten ; das gibt auch seinen anweisungen den schein der unvoUständigkeit und unausgeführt- heit; jeder fachmann wird für seine gegenstände unbefriedigt bleiben und notwendiges vermissen, man prüfe darauf hin z. b. § 20 (dar- stellnng allgemeiner sätze) und § 21 (die kunst der erklärung) , wo der Verfasser selbst eingesteht : ^ganz bestimmte regeln, die für alle Unterrichtsfächer gleichmäszig passen , lassen sich kaum aufstellen ; denn nirgendwo sind regeln so häufig von ausnahmen begleitet usw.' darum kann natürlich auch das Matthiassche buch bei allem selb- ständigen werte und aller brauchbarkeit solche werke nicht ersetzen und verdrängen wie Herman Schillers band buch der praktischen Pädagogik, das den Vorzug behält, alle lehrfächer zu umfassen und nach einem einheitlichen plane und gleichen grundsätzen für die didaktik darzustellen.

Man wird es anzuerkennen haben, dasz Matthias unter den ob- waltenden Schwierigkeiten das menschenmögliche für die lösung seiner aufgäbe geleistet hat. insbesondere ist er redlich und mit er- folg bemüht gewesen, den verschiedenen fächern gegenüber den schein der Unparteilichkeit zu wahren, jedem das seine zu geben, keins bei den in beispielen ausgeführten erläuterungen ungebührlich zu bevorzugen, so verschwindet denn auch hier der gegensatz zwi-

472 R. Richter : die deotschegymnasialpftdagogik in ihrer neaesien fiMSüng.

sehen realismus und hnmanismus ; die beiden feindlichen brQder scheinen völlig versöhnt hand in hand zo gehen, and da ich zu Don Manuels chor gehöre, ziemt mir die weisere fassung, dasz ich keinen Ittrm darum mache, dasz die Versöhnung thatsäcblich auf kostendes griechischen erreicht ist. absentia praefulget die paar citate aus dem griechischen in der masse der ttbersetzungsproben ans dem fremdsprachlichen unterrichte 22) können dafür keinen ersatz bieten, dasz die reiche weit von anschauungen und gedanken, in der wir alle, die realistischen lehrer doch wahrhaftig aach, darcb die griechischen Studien und ihr tiefes eindringen in unser ganzes geistesleben heimisch geworden sind, bei den zahlreichen und manig- faltigen exemplificationen in der methodik vollstftndig unberflck- sichtigt und unbenutzt bleibt, doch ich wollte ja eben hier 'worte des friedens harmlos wechseln mit ruhigem blut aber trefiP ich dich drauszen im freien' !

Wenn nun die planmäszige beschränkung auf die allgemeine didaktik in der bezeichneten weise ihr übles hat, so hat sie ande^ seits auch ihren vorteil, sie Iftszt vor allem den wichtigsten fort- schritt recht zur geltung kommen , den unsere gymnasialpftdagogik in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. es ist allmählich die er- kenntnis durchgedrungen , dasz wir uns die elementare technik der allgemeinen lebrformen bewuster weise aneignen, dasz wir sie con- sequenter weise anwenden, dasz wir sie kluger weise für unsere ver- schiedenen und höheren lehraufgaben ausbilden müssen, wir sind endlich von dem Olymp unserer hochgelehrtheit , die sich 80 leicht mit himmelschreiender didaktischer tölpelei verbindet, herabgestiegen in den scheinbar so niedrigen bereich der Volksschule, wo man längst eine verständige lehrtechnik begründet und zum gemeingute aller beteiligten gemacht hat; wir sind dort selbst in die schule gegangen und haben endlich die richtigkeit und Wichtigkeit der simpeln forde- rungen begriffen: lernet ordentlich fragen, ordentlich erzählen, ordentlich beschreiben, ordentlich übersetzen, ordentlich begriffe entwickeln, die dinge anschaulich darstellen, euren vertrag gut stilisieren, angemessen zwischen vortragen und fragen abwechseln, eure stimme richtig gebrauchen, die schüler an lautes und deutliches sprechen und an vollständiges und möglichst richtiges antworten gewöhnen und dafür und für anderes, was dazu gehört, lernet euch ordentlich präparieren, dasz nicht die Zerfahrenheit und formlosigkeit eurer stegreifleistung zum höhn auf eure hohe bildung , zur schände für euren lehrertitel und zur Versündigung an euren Schülern werde.

Die Herbartianer haben das längst gepredigt, aber sie haben sich selbst die Wirkung ihrer predigt verdorben durch ihre Unduld- samkeit — so auch ein engel vom himmel das evangelium würde predigen anders, der sei verflucht: das ist in der regel der festes- rede giebel ; sie haben sich den erfolg geschmälert durch ihren starren dogmatismus in Sachen des sechsfachen interesses und der formalstufen u. dgl. und namentlich durch ihre übermäszigen forde-

B. Richter : die deutsche gymnasialpftdagogik in ihrer neaeatenfaBsung. 473

rungen für ein langes und tiefes studiura der philosophie und Pädagogik und durch ihr zuweilen unausstehliches prahlen mit den geheimnissen ihrer psychologie, was alles hat abschreckend wirken müssen, es ist das grosze verdienst des verewigten Otto Frick und nach und neben ihm Herman Schillers, dasz sie, ob- gleich auch Herbartianer , doch mit mehr beweglichkeit, weit- herzigkeit und praktischem sinn als die eingeschworenen zOnftler die unerläszlichkeit didaktischer technik für die höhere schule un- ermüdlich verfochten und am ausbau dieser technik fleiszig und verständnisvoll gearbeitet haben, unbeachtet gelassen hat diese dinge auch schon Wilhelm Schrader nicht in seiner erziehungs- und Unterrichtslehre , die den wert und die ehre des grundlegenden Werkes behält und dazu den Vorzug einer wahrhaft classischen , in- halt und form des Werkes gleichermaszen beherschenden ciDqppocuvr]. der fortschritt der nachfolger besteht darjn, dasz sie die technischen forderungen schärfer betont und formuliert haben, ins detail ge- gangen und dadurch praktisch wirksam geworden sind.

Auf diesen bahnen wandelt nun auch Matthias, und dasz er sich dabei die schwerfällige Herbartsche rüstung nicht angeschnallt hat, erleichtert ihm den gang und wird vielen das mitgehen erleichtern, hoffentlich auch solchen, die sich etwa noch dunkeln, bei ihrem geiste und ihrer wissenschaftlichkeit die armseligen schulmeister- lichen band Werkskünste verachten zu dürfen, so wird uns auch die pädagogische hyperbel bei Matthias erspart, die bei Frick und Schiller nicht fehlt, die ich unter anderem auch darin finde, wenn man die didaktische Instruction für den anfänger nicht möglichst vereinfacht , sondern durch das hereinziehen von theoretischem und sonst für ihn zunächst in der präzis un verwendbarem bei werk be- lastet und compliciert macht, und wenn man die miene annimmt, als müste jeder 25 jährige candidat, an dem 19 jähre lang in allen tonarten geschulmeistert worden ist, jetzt erst 'vor der classe sitzen' lernen, die zunge gelöst bekommen zu anfangs nur stammelnden versuchen und ganz aus dem rohen holze zum pädagogischen Mercur herausgeschnitzt werden.

Im gegensatz zu einer solchen weit ausholenden und übergründ- lichen einführung scheint es mir notwendiger, Sicherungen dafür zu suchen , dasz der im anfange vorhandene oder leicht zu erzeugende gute und ernstliche wille , die verhältnismäszig schnell begriffenen regeln und kttnste der didaktik (und für einen jungen mann von der durchschnittsreife eines candidaten des höheren schulamtes sind sie wirklich nicht schwer zu begreifen) auch regelmäszig anzu- wenden und in ihrer anwendung sich zu vervollkommnen dasz also dieser gute wille auch beharrlich bleibt und der junge lehrer nicht nach einem guten anlaufe binnen wenigen jähren in bequemen Schlendrian übergeht.

Für diesen zweck will ich nun nicht gerade besserungsanstalten für lässig gewordene pädagogen empfehlen, aber etwas anderes, das

N. Jahrb. f. phil. n. päd. ll.abt. 1895 hft. 10 u, 11. 31

474 B. Richter : die deutaohe gymnaiialj^ldagogik in ihrer nonevten ftMtnng.

ernsthaft gemeint und ansfQhrbar ist. in dem ersten jahraehnt nach dem ersten eintritt in die praktische thätigkeit, wo die jungen lehrer noch nicht wnrzelständig geworden sind, nodi nicht durch familien- hande und andere yerhältnisse am orte festgehalten werden^ wo sie auch noch frische empfKnglichkeit haben fttr neue eindrücke im be- rufsieben und bildsamkeit genug, in dieser periode sollte man sie grundsfttxlich wiederholt versetzen, damit sie unter verschiedenen directoren, in verschiedenen lehrercollegien , unter Tersehiedeneo örtlichen Verhältnissen^ an verschiedenen Schülerschaften arbeitend, ihren pftdagogiscben gesichtskreis erweiterten und vielfältigen , ein- ander ergänzenden und berichtigenden einwirknngen fOr den ab- schlusz ihrer praktischen bildung ausgesetzt wären.

Paulsen sagt in seiner geschichte des gelehrten Unterrichts am ende eines abschnittes (s. 589) und er wird den hfibsch epi- grammatisch zugespitzten .schlusz gewis auch in der neuen bearbei- tung des Werkes stehen lassen : 'habe geist und wisse geist zu wecken, das war das recept, aus dem Fr. Aug. Wolfs ganze pttdagogik bestand, wer das wissen habe, dem werde das lehren von selbst zufallmi, meint Ritschi, warum man nur nicht meint, dasz zum kochen auch nichts weiter gehöre als die materiali^i?'

Diese frage hat mich lebhaft beschäftigt wie vieles, was Paulsen gesagt hat. sein vergleich ist zwar schief, aber ich will ihn mir zu nutze machen und weiter ausführen, auf die gefahr hin^ dasz er da- durch noch schiefer wird, gewis gehört zum kochen, auch in der gymnasialpädagogik , die kenntnis einer gewissen technik ; aber die grosze hauptsache und die notwendige Voraussetzung bleiben doch die Stoffe, und je reicher der verrat und je ausgesuchter die be- scbaffenbeit, um so besser; und das kochen selbst ist eine bescheidene kunst, die sich verhältnismäszig leicht und schnell lernen läszt und bei deren austtbung es hauptsächlich auf Sorgfalt und aufmerksam* keit ankommt, wenigstens wenn nur eine gute hausmannskost zu bereiten ist; und eine solche wird auch in der pädagogik in der regel gesünder sein als die raffinierten saucen, wie sie z. b. De tt weil er über den lateinischen braten gieszt, anstatt ihn im eignen fette schmoren zu lassen, jedenfalls aber gehört zum kochen auch feuer, in der erziehung das feuer eines kräftigen berufseifers. und um nun schlieszlich noch einen vergleicbungspunkt zu bezeichnen, den man weniger aus ästhetischen als aus andern rücksichten billigen wird : damit das feuer immer wieder frisch angefacht werden kann , musz gehörig für holz und kohlen gesorgt werden ; das bedeutet für unsere Pädagogik einen auskömmlichen , vor materiellen nöten und über- bUrdung mit nebenarbeiten schützenden gehalt der lehrer. bei uns in Sachsen wird man jetzt wieder einmal nicht für uns gutgestellten rectoren, desto mehr für die anderen, namentlich die mittleren und jüngeren lehrer ein paar volle schaufeln kohlen nachschütten müssen , damit das feuer seine ausreichende nahrung behält.

Leipzig. Riohard Riohtbr.

H. F. HelnioU: Qeorg FabrichiB an4 Adtm Siber. 475

46.

GEORG FABBICIU8 UND ADAM SIBER.

iDfiomeris cumnUre bonis cn« Misnidos oran

▼eilet» conot« flauut quo bona fönte, DexiB, Fabricio adiecit docto dootum ipse Sibemm,

▼icino atqae vinim ianxit utrnmqae loco. ambo pares aetate, fide, Tirtutibas ambo,

ing^enio, patria, sedalitate parct. ambo pares etadiiSi meritis, industria et arte,

instituendi etiam prosperitate parea. ambo sibi nezn interioris amoris honesto

iuneti, animo ambo sibi coDTeniente pares.

Christoph Caesar.'

Nach langwierigen Verhandlungen, die der grosze ausscbusz der länder Thüringen und Meiszen zusammen mit den herren Wolff von Schönberg, Georg von Carlowitz, Ernst von Miltitz und dr. iur. Ludwig Fachs gepflogen hatte, war am 21 mai 1543 die newe lands- ordnunge des herzogs Moritz zu Sachsen zu stände gekommen. * da- mit es mit der zeit an kirchendienern und andern gelahrten leuten in den sächsischen landen nicht mangel gewänne, verordnete Moritz,, dasz die guter der erledigten klöster und stifte zur gründung dreier landschulen verwendet würden : zu Meiszen , Merseburg und Pforta^ noch im laufe des jabres 1543 wurden die schulen in Meiszen (mit 55 Schülern)' und Pforta (mit 42 schülem)^ eröffnet; die errichtung der dritten dagegen scheiterte zunächst an dem widerstände des Merseburger bischofs und domcapitels. ^ der herzog liesz sich aber nicht irre machen in seinem plane, am 22 august 1547 schreibt Georg Fabricius an Wolfgang Meurer: *aiunt novam scholam institu- tum iri Grimmae, sicuti nostra est, de qua re si quid habes certi, signi- fica." und schon am 13 September desselben jabres kann er dem freunde melden : 'de schola Grimmensi non scripsi ad te frustra, scio id tractari negotium et serio. deus det felicem successum.'^ das anerbieten des Stadtrates zu Grimma, das Augustinerkloster zu schul -

' mag. Christoph Caesar (1540 1604): Carmen elegiacam, Witten- berg 1594, bei H. A. Scbnmacher: historia vitae clarissimi viri Adami Siberi SchoenaWensis , Grimma (1719), s. 298 f.

* Theod. Flathe: Sanct Afra. geschichte der k. s. fürstensehnle za Meiszen seit ihrer gründung im j. 1648 bis sa ihrem nenban in den jähren 1877—1879, Leipzig 1879, s. 13.

> Flathe s. 21; A. H. Kreyssig: Afraner-albam, Meiszen 1876, s. 1 ff,

* C. F. H. Bittcher: Pfdrtner-albnm , Leipzig 1843, 8. 1 ff.

^ K. Kirchner: Adam Siber o. das Cbemnitaer Lycenm in der ersten hälfte des 16n jahrh., in den mitt. d. Tereins f. Chemnitaer geschichte V, Chemnitz 1887 , s. 66 f . Kirchners nbb. ist anch besonders erschienen als 'biographie Adam Sibers*, Chemnits 1887.

* D. C. W. Baumgarten -Crnsius: Oeorgii Fabrieii Cbemnicensis epistolae ad Wolfg. Meurerum et alios aequales, Leipzig 1845, nr. 38 s. 39.

^ Baumgarten-Crusius nr. 40 s. 41. vgl. Kirchner s. 67 nnd K. J. liössler: geschiebte der k. s. fürsten- n. landesschule Grimma, Leipzig

3l*

476 H. F. Helmolt: Georg Fabridna und Adm Biber.

zwecken beranriohten , nahm herzog Moriti gern an; und ao komita am 8 September 1550 auch hier der anterridit beginnen«

Der gedanke, protestantieche territorialaehnlen za grflnden, war neo; für das herzogliche Sachsen war er mit der eröfFkmng der drei fttrstenschulen durchgeführt, sollte er sich aber als lebensfähig erweisen, so galt es, die geeigneten leiter za finden, im anfang schien man damit nicht besonderes glfick zn haben, der erste rector Ton Sanct Afra, mag. Hermann Vnlpias, vordem an der Meiszner Stadtschule, verliesz bereits ostem 1546 seine stellang*; schon Tor- her hatte auch der aus Marienberg in Schlesien nach Pforta berafene Johannes Qigas das schulamt mit dem predigtamt vertaascht.' es ist nun ganz entschieden das verdienst des magisters Jobann Bi viui aus Attendorn ^'*, als sttchsischer consistorialassessor sowohl Meiszea im jähre 1546 als auch Grimma im jähre 1550 in den peraonen tob Georg Fabricins und von Adam Siber schnlmeiater gegeben zu haben, die ihren posten Tollkommen ausfüllten, beide minner begannen ihre amtsthätigkeit unter den schwierigsten äaazeren und inneren Verhältnissen, mit klugheit und taktgefühl wüsten sie immer wieder drohenden gefahren auszuweichen und hinterlieszen die ihnen anvertrauten anstalten am ende einer langen, reichgesegneten Wirk- samkeit so festgefügt und harmonisch ausgebaut, dasz man ihnen ohne weiteres eine Jahrhunderte fiberdauemde blute prophezeien durfte. Fabricius und Siber haben dem institut der säch- sischen fflrstenschule den Stempel ihres Charakters auf- gedruckt.

I.

Geboren waren beide im jähre 1516, Georg Fabricius als söhn eines goldschmieds zu Chemnitz am 23 april", Adam Siber am 28 September als söhn eines husitischen predigers zu SchOnau an der Zwickauer Mulde. ^' in demselben jähre war Georg Fabricius vater in Rom, um für die Chemnitzer Benedictiner die erlaubnis zum fleischgenusse zu erlangen ; man gewinnt leider nicht den ein- druck, als ob die Romreise in ihm dieselbe heilsame Wirkung hervor- gerufen habe, wie wenige jähre vorher in Luther, wie später in seinem söhne, der in einem briefe vom 20 april 1564 bekennt: 'totus

1891, s. 15 (über die Mersebnrger hindemisse besondere 8. 10 ff.); auch C. G. Lorens: bericht ttbez die gründong und eröffnung der landes- schule zu Grimma, Grimma 1860, s. 8 ff.

^ Flaihe s. 24.

Bittcher s. 648.

«> über Rivias (geb. 1 aag. 1600, gest. 1 Jan. 1663) vgl. Flathe B. 22 ff., Paul Süss: geschichte des gymnasiums zu Freiberg I, Freiberg 1876, s. 80, II, Freiberg 1877, s. 12; H. Peter: Georgii Fabricii ad Andream fratrem epistolae es aatographis primam editae I, Meissen 1891, nr. 21 anm. 8 s. 16; besonders aber D. B. W.Baumgarten-Crusius: de Georgii Fabricii Chemnicensis rectoris Afrani vita et scriptis I, Meissen 1839, s. 24 ff.

'' Baumgarten-Crusius, yita s. 10.

** Kirchner s. 7.

H. F. Helmolt: Georg Fabricins und Adam Siber. 477

postea ero in lectione librorum Luther i, qui nos Yiam salutis primus docuit, a quo nos ettam novisti dissensisse, nisi Italia nos docuisset.' '^ doch war Fabricius der ältere seinen zahlreichen kindern ein guter vater und treuer berater; nachdem er in seinem alten glauben gestorben war, sorgte seine gattin Margarethe für sie in liebevollster weise. ^^ des jungen Oeorg lehrer waren Valentin Hertel^^ Johann Scultetus'*, dem das verdienst gebührt, seinen Schüler endgültig der gelehrtenlaufbahn gewonnen zu haben, und ein gewisser Lossus. " zu seiner weitem ausbildung ging Fabricius im jähre 1634 nach Annaberg zu Jobann Rivius. wenn er sich auch selbst 'annos pueritiae nondum egressum' nennt '^ so war er doch 1 8 jähre alt und nach des Scultetus Zeugnis '' bereits derart in seinen Studien fortgeschritten, dasz er schon damals seine lehrthätig- keit begonnen haben dürfte ; natürlich noch unter der directen leitung seines meisters Bivius. dasselbe gilt auch von Adam Siber.*" wie Fabricius an Scultetus, so hatte Siber an dem um Zwickau hoch- verdienten mag. Stephan Roth einen allzeit getreuen, väterlichen freund, besonders nach dem etwa 1536 erfolgten tode seines vaters. Adam lernte schon früh die reformation kennen, viel früher als Fabricius. die lehren ihrer Vorläufer waren ihm vom vaterhause her vertraut"; und als schüler des Zwickauer gjmnasiums" genosz er seit der mitte der zwanziger jähre evangelisch - lutherischen religionsunterricht. er schlosz sich so eng an den unter dem rector Natter lehrenden mag. Johann Rivius an, dasz er ihm 1627 nach Annaberg folgte. '^ unter dessen auspicien erteilte er im jähre 1534 seinen ersten Unterricht.'^ hier in Annaberg schlössen die beiden schulgenossen Oeorg und Adam ihren freundscbaftsbund, den es ist keine Übertreibung erst der tod gelöst hat. frei- lich, ihr gemeinsamer, glücklicher'^ auf enthalt in der alten berg-

" Baumgarten-CrasiuB, vita s. 9 f. 12; epp. nr. 181 8. 113 (der brief ist nicht von 1563, wie Baomgarten-Crasias hat).

^^ Ban m garten- Crnsins, vita 8. 11 f.

'^ Hertel, seit 1522 cantor an der Zwickaner schule unter Natter, gieng 1626 nach Meissen, war 1529 wieder cantor in Zwickau unter Neander, 1531 cantor am Chemnitzer Lyceum und wurde 1539 an Neanders stelle rector: Kirchner 8. 28 ff. 39.

'* Scultetus vertauschte 1535 das rectorat der Chemnitzer schule mit dem amt eines hauptmanns auf dem Hohenstein ; ihm folgte Neander, der Zwickaner rector: Kirchner s. 31; Baumgarten -Crusius, vita s. 17 mit anm. *.

'^ Baumgarten-Crusins, vita s. 18; Kirchner s. 31 mit anm. 4.

'^ Baumgarten-Crusins, vita s. 11.

" ebd. 8. 17 anm. *.

** Kirchner s. 12 mit anm. 2.

*' ebd. 8. 8 mit anm. 1.

•« ebd. 8. 7 ff.

" ebd. 8. 10.

** ebd. 8. 12 mit anm. 2.

*^ vgl. Fabricius' gedieht auf Annaberg: Baumgarten-Crusins, epp., carmina adhuc non edita, nr. 12 8. 173 ff. Kirchner s. 12.

478 fi. F. Helmolt: Qeotg Eafandot and Adam Siber.

atadt hatle gchon im näohsien jähre Min endo erreicht, die hie loiii tode berxog (reorgs auch hier noch allmKchtige, papistiaeh geainste geietlichkeit Tertrieb den edlen Bivios.'* währead Fsbricina tot der band noch in Annaberg unter Badehorns reotorat Tert^lieb, om bald darauf mit diesem nach Leipzig su gehen", trat Siber das caatorat unter Ambrosius Frans und eeinem im heiiwt 16M dahin berufenen geliebten lehrer Bivius in Schneeberg an.*^ nnr kaiae zeit jedoch war Siber dort thätig. sein sehnlicher wanaefa , Luther und Melanditbon zu hören, erf&Ute sich; im sommersemeater 1536 ermöglichte es ihm die munificenz seines gOnners Stephan Both, dis uniTersität Wittenberg zu beziehen.** auszer den beiden beroen der reformation , von denen ihn besonders der milde MelaiichthoB anzog, hörte Adam noch Jonas, Bugenhagen und Cruoigwr.'* in- scribiert wurde er erst im Wintersemester 1536/37 , und i war zu- sammen mit seinem freunde Georg." dieser hatte inswiaoben seine humanistischen kenntnisse unter Badehom yervollkomainet luad be- sonders Caspar Börners Vorlesungen zu Leipzig gehört; Horai und die christlichen dichter, vor allem Prudentius, worden von ihm mit verliebe tractiert.'^ daneben half er dem vielbeschftfldgten rector der Thomana als 'sodus adiutorque laboris', gleichzeitig mit dem nachherigen professor der philosophie und medicin Wolf gang M eurer, dagegen können die zu Wittenberg fortgesetzten Sta- dien kaum von nachhaltiger Wirkung gewesen sein; denn noch im jähre 1536 erscheint Fabricius als gehilfe Hertels in Chemnitz." aber auch hier fand er keine bleibende statt, im jähre 1538 wurde er auf seines froheren lehrers Bivius Vorschlag hin zum supremus an dem neuen Freiberger gjmnasium an stelle des mag. Matthias

'* Kirchner 8. 13 mit edid. 1; Baumgarten-CrusiDs, vitn a. 25 mit anm. ^*. vgl. Fabricius selbst in seiner ^vita Johannis Rivii Atthen- doriensis' (Rivii opera theologica omnia, Basel 1662; in der Sn person wiedergegeben von Melcb, Adam: vitae Qermanoram philosophoram, Heidelberg 1616, s. 147 ff.): 'et mecum viri ernditissimi, Adamus Siboms et Jobus Madeburgus, qui eodem tempore eins discipliaa atqae etiam mnltis magnisque beneficiis usi sumus.'

^ Baumgarten-Crusius, vita 8. 28; Kirchner s. 26 anm. 2.

M Kirehner s. 18.

*• Kirchner 8. 14.

^ Kirehner 8. 14. es geht also etwas su weit, wenn ihm Georg MfiUer, der im d4n bände der allgr- deatsehen biographie, Leipsig 1892, 8. 125 ff. im grossen gansen nach Kirchner den artikel 'Adliun Siber' geliefert hat, eine eigentliche nniversitätsbildung abspricht, freilich ist Siber nur in Wittenberg Student gewesen; denn, obwohl Sommersemester 1546 in Leipzig immatriculiert (Kirchner s. 26 anm. 8), hat er doch diese Universität nicht beziehen können, demnach hat A. Clarmund (vitae clarissimorum in re literaria virorum VII, Wittenberg 1708, s. 124) nicht recht, wenn er berichtet, in den galanten stadiis habe unsem Siber Camerarius zu Leipzig vollends sugestutzt (vgl. Baumgarten-Cmsius, vita 8. 86).

'1 Kirchner s. 14 anm. 8; vgl. s. 37 unten.

^' Baumgarten-Cruaius, vita s. 29 f.

" Baumgarten-Grosins, vita 8. 81; Kirchner s. 16.

H. F. HelmoU: Georg Fftbrieias und Adam Sibec 479

Marcus Dabercusins, der nach Schneeberg surttckkehrte , ernannt, tertius war hier Hieb Magdeburg; ausserdem aber wirkte noch an der schule, freilich nicht als öffentlicher lehrer, sein freund Adam Siber, der bald nach Georgs Weggang von Wittenberg, im jähre 1537, nach Freiberg Obergesiedelt war.'* Georg und Adam sahen sich jetzt, im jähre 1538, zum dritten male wieder: sie schienen gewissermaszen für einander prftdestiniert zu sein, doch bereits im nächsten frühjahr schlug die trennungsstunde; yielleicht wir wissen es nicht genau ^ für immer.

Zeigte der bisherige bildungsgang in beiden kaum merkbare unterschiede, so ward dies mit einem mal anders. Fabricios hatte das glück, mit einem jungen, wohlbegüterten sächsischen edelmann, Wolfgang von Werthern, Italien lu besuchen, das ziel der Sehnsucht jedes humanistisch gebildeten mannes. am 23 april 1539, seinem 23n gebnrtstage , brach er von Beichlingen , dem im Merse- burgiscben gelegenen stammachlosse der herren von Werthem-Beich- lingen, auf und gelangte mit seinem reisekameraden am 17 mai nach Padua."* hier hOrten sie hauptsächlich die Vorlesungen Laszaro Buonamicis. '^ doch beschränkten sie sich nicht darauf; sie besuchten in Venedig Paolo Manuzio, den söhn des groszen Aldo, in Florenz den liebenswürdigen, damals vierzigjährigen Pietro Vettori^, das

^ Kirchner 8. 16; Fabricios in seiner bio^rapbie Ton Bivins : ^RiTÜ eollegae eramuSi Adamas Siberos, Jobos Madeburgas, e^o.'

^^ aass^eschlossen ist ea nicht, dasz sich beide im mai 1546 bei ihrem gemeinsHmen freunde Wolfg. Meorer gesprochen haben. Fabricius meldet am 8 mai ans Beichlingen, er werde Über Pforta bald nach Leipzig kommen; am 19 mal ist er bereits in Chemaits: Baamgarten- Crusios, epp. nr. 22. 23 s. 26 f. Siber dagegen ist Tor dem 16 mai ^brief ans Halle: Kirchners nachtrage za seiner biographie Bibers in den mitt. d. Vereins f. Chemnitzer geschichte VI, Chemnitz 1889, nr. 12 s. 170) 'proxime' ans Leipzig abgereist. Das hochzeltsgedicht des Fabrieins 'Adamo Sibero poetas et Annae Fosiae' (9 sept. 1665) spricht eher gegen seine anwesenbeit bei der feier als dafür. Fabricios lud zu der seinigen (1557) von auswärts nur die beiden Neefe aas Chemnitz, damals am kurfürstlichen bofe, ein: H. Peter, epp. II, Meiszen 1892, nr. 52 s. 3 (brief vom 16 mai 1557). Denkbar ist ein wiedersehen der beiden freunde bei der hochzeit Christ. Schellenbergs mit Anna Siber am 10 sept. 1569 (Peter, epp. II ar. 69 s. 11 mit anm. 1).

** Banmgarten-Crusius, vita 8.41.

'^ Qeorgii Fabrieii itinerum Über unns, Basel 1560, 8.44:

. . . magnns Patavina Lasarns urbe aonioe aperit fontes, diWnaque morom ae vitae praecepta docens dignissima Pheebo et Venasine tooe aeqnans eantando libellos.

" ebd. 8. 89:

. . . tot doctonun monamenta vetasta vhrorum graeeomm inprimis, quornm permulta latere, nondum ezcusa tibi inventis Germania formis veridico nobis retulit Victorias ore.

Vettori (geb. 11 juli 1499, gest. 18 dee. 1684) lehrte seit 1638 wieder in seiner heimat.

480 H. F. Helmolt: Qeorg Fabridns und Adam Siber.

glied einer der ältesten Florentiner patricierfamilien , in Born Bar- tolommeo MarlianOi endlich in Neapel Adriane Goglielmi: eine reihe der besten Vertreter der geistigen renaissance des damaligen Italiens, die manigfacfaen reichen anregnngen, die des deutschen jflnglings seele auf dieser reise empfieng, fielen auf einen fracht- baren boden; sie bewirkten jene glückliche innere harmonie, die das eigentliche wesen des schulmannes und gelehrten ausgemacht, jene beneidenswerte, fast nnverwflstliche frische, die Oeorg Fabricius bis zum letzten atemzuge nicht verlassen hat. und abgesehen von den wertvollen antiquarischen und philologischen kenntnissen, die er in diesen vier jähren sammelte und in seiner ^Roma' und den *antiquitatam libri 11' (Basel 1560) niedergelegt hat, bleibt die italienische reise um deswillen besonders bemerkenswert, weil sie den entschiedenen bruchmitdempapismus herbeifahrte. Wolf- gang von Werthem war noch katholisch ^ als er Deutschland ver- liesz , sein begleiter mindestens noch nicht Lutheraner, der tod des herzogs von Sachsen veranlaszte nun die übrigen glieder des ge- schlechts von Wertfaern, gemeinsam zur lutherischen lehre über- zutreten, brieflich dazu aufgefordert, fügte sich Wolfgang dem familienbeschlusse.** vollends aber wurde auch Fabricius darin be- stärkt , von jetzt an auf die fahne des evangeliums zu schwüren , als er sich persönlich von dem sittenlosen treiben 'in illa Sodoma' über- zeugt hatte. Am 10 october 1543 waren er und Werthem wieder in Beichlingen angelangt, 'nach meiner wiederheimkunft', so schreibt Fabricius im jähre 1544 an seinen onkel, 'bin ich etwan drei woch zuEemnitz gewesen, und wiewol mir viel ehrlicher con- ditiones furfielen, jedoch das ich mich weiter umbsehe und fort- studire , hab ich mich lenger zu dem von Werter versprochen , und bin nach ansgang zehen monat nachdem ich wieder ex Italia kommen [29 September 1544]^', mit den jüngsten zween brudern Philipp und Anton gen Strasburg gezogen, und Blasium [meinen bruder]^* mit mir genommen, der auch noch aller nottnrft versehen; ist mein meinung ein jar oder zween noch alhier zu verharren , und so sicha schicken wil, wie ich verhof , Galliam darnach besehen, was denn

** Baomgarten-Crusius, vita 8.37 mit anixi. *.

^ Baomgarten-Crusias, vita b. 43.

*^ Peter, epp. II nr. 100 anm. 4 8. 28; Banmgarten-Crasias, vita s. 38.

** über BlasiuB Fabricius vgl, Baumgarten-Crnsias, yita 8. 13; Peter, epp. I 8. 3. Oeorg hat mit einer geradeza rührenden liebe bis au seinem tode für seine brüder gesorgt als beispiel für diesen edeln zug seines Charakters diene eine stelle aas dem briefe, den Fabricius am 23 juli 1664 an seinen um 14 jähre es stört nicht, wenn ihn Qeorg einmal (Peter , epp. II nr. 93 s. 24) 'annis duodecim minorem' nennt jungem bruder Andreas geschrieben hat: 'si peccayi, ignosce amori fraterno, nam tuae literae me ezcitamnt; sin aliud habes rectius, ant ego te non intellezi, nt me Starckius non intellezit, utere meliore consilio. modo retineamns fidem et bonam conscientiam et amorem fraternum et Über* tatem inter nos debitam.' darum erfreute sich Georg auch einer wahr- haft väterlichen autorität bei seinen brüdern.

H. F. Helmolt: Georg Fabricins nnd Adam Siber. 481

der liebe gott weiter verleihen wil, es sei daheim oder anderswo, mich zu ruhe stellen, ut illnd talentnm, quod mihi a Deo commissum est, cum lucro reddam.'^ die reise nach Straszburg und der dortige aufenthalt ist die unmittelbare folge der reise nach Italien, hier hatte Fabricius die lateinische spräche , die Umgangssprache der ge- bildeten, in ihrer reinheit kennen gelernt; Johannes Sturm war ganz der mann , ihn diese reinheit nicht vergessen zu lassen, ihm, dessen rühm schon damals ttber Deutschlands grenzen hinaus- gedrungen war, galt als höchstes ideal die imitatio veterum, die cultivierung eines reinen lateins.^^ es ist keine frage, dasz der intime umgang mit dem groszen pädagogen auf die ansichten des jungen Sachsen über das ziel des gelehrten Unterrichts einen nicht zu unterschätzenden einfiusz gehabt hat. gewis hat Sturms methode ihre fehler, gewis darf man sich den stand des Straszburger Schul- wesens in der Wirklichkeit nicht auf der hohen stufe befindlich vor- stellen, wie er in der theorie dem genialen leiter vorgeschwebt hat^^; aber Fabricius brachte genug weiterfahrung mit, dasz er nicht ur- teilslos und blind die mängel übersah, ich gehe nicht so weit wie Eückelhahn in seinem ^Johannes Sturm' ^, der überall und in jeder kleinen ab weichung der Fabricianischen pädagogik von der Melanchthons die autorität Sturms wittert man trftte dadurch entschieden den Verdiensten des Sachsen zu nahe; aber das läszt sich getrost behaupten, dasz sich in Georg Fabricius Stnrmsche nnd Melanchthonsche ansichten vereinigen, harmonisch vereinigen, und darin gerade beruht der ganze unterschied der art und weise, wie Georg das vorgesteckte Unterrichtsziel zu erreichen strebte, von der, die dem System Adam Sibers zu gründe lag. Was war inzwischen aus diesem geworden?

Adam rückte im jähre 1639 in die durch seines freundes Weg- gang erledigte stelle eines zweiten lehrers amFreiberger gymna- sinm auf.**' abgesehen davon, dasz er dadurch pecnniär sichergestellt war was ja stets nur einen gedeihlichen einfiusz auf das inner- liche erstarken eines Schulmannes ausüben wird , fand er in Frei- berg viele treffliche mftnner, deren freundschaft ihn Jahrzehnte lang beglücken sollte, er konnte kein besseres vorbild haben als den rector Bivius, dessen in vieljähriger präzis erworbene klarheit und anschaulichkeit der lehrmethode, dessen auf sorgfältiger auswahl des materials beruhende beherschung des Stoffes zur nacheiferung

^' Baamgarten-Crnsias, epp. t. 168.

^ L. Kückelhahn: Johannes Storm, StraBzbnrgs erster schnlrector, besonders in der bedentung fUr die geschiebte der pädagogik, Leipzig 1872, 8. 121.

*^ F. Paulsen: geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen schulen nnd Universitäten vom ausgang des mittelalters bis zur gegen- wart, Leipzig 1885, s. 195.

«6 Rückelhahn 8. 148 f.

*'' Kirchner s. 16.

482 H. F. HelmoU: Georg Fabriciiu und Adam Siber.

anregen musien.^ onter den collegeo gl&nzte besonders Hiob Magdeburg durch seine kenninb des griechischen.^* in traniem yerkehre stand Siber mit dem frommen, allgemein hochgeachteten dr. Hierönjmus Weller^^ der damals sar abhilfe dee bedflrf* nisses nach gut geschulten protestantischen theologen yorleeungen Über gottesgelahrtheit in Freiberg hielt, mit mag. Valentin Oraviusy den auch Fabricius zu seinen freunden sählte*', nnd mit dr. Michael Jftger.^ nicht lange mehr sollte es wfthren, so wurde er auf den posten gestellt, der seinem yerdienst gebtthrie« im Sommer 1540 verliesz Bivius Freiberg, um als erzieher des prinxen August nach Leipzig überzusiedeln. Siber sollte sein nachfolger werden, die Hebens Würdigkeit Wellers, der die leitung dee gjnma- eiums provisorisch verwaltend die stelle des reotors für Adam offen hielt, und die immer wieder sich bewährende gute seines gönners Both ermöglichten es Siber, in Wittenberg am 23 September 1540 das magisterezamen zu bestehen, auf das er sich dorteeit ende juni vorbereitet hatte. ^ über Leipzig, wo er Wolfgang Meorer auf- suchte, der später seinem freunde Fabricius nach Italien folgte, kehrte er in die heimat zurück, verlobte sich in Chemnitz im october 1540 mit Anna Heinemann, der Stieftochter des nunmehri- gen rectors Valentin Hertel, und heiratete sie am 9 deeember des* selben Jahres , erst 24 jähre alt ^* junker Schmalhans wurde nnn freilich bei ihm küchenmeister; denn die kosten der promotion , des aufenthalts und der hochzeit in Chemnitz, endlich der Übersiedelung nach und der einrichtung in Freiberg waren so grosz, dasz das gleich- gewicht seines budgets auf einige zeit gestört war. doch da Adam das verzinsen für eine gottlose sache hielt, no werden ihn seine schulden nicht sonderlich bedrückt haben. ^^ im gegenteil: etwas weniger Jugend frische, etwas mehr nachgibigkeit wäre angebrachter gewesen. Siber gieng in seiner neuen Stellung zu scharf und rück- sichtslos vor. seine erfolge, die sich schon bald nach seinem amts- antritt in höherer frequenz, die die anstellung eines sechsten lehrers notwendig machte^, deutlich zeigten, lieszen ihn fast übermütig

4^ Georg Müller: artikel 'Job. Rivias' in der allg. deatscfaen bio- grapbie 28, Leipzig 1889. 8. 711 f.

** I. A. Müller: versuch einer YolUtftndigen geschiebte der kursächs. forsten- u. landschule zu Meiszen II, Leipzig 1789, 8.212; Baumgarten- Crnsius , vita s. 54 f.

M Weller war eine wirklich fromme, jedem benchlertum fremde Persönlichkeit; vgl. Baumgarten-Crusias, epp. (ad Eberam nr. 11) 8. 135; Peter, epp. I nr. 15 anm. 4 8. 13; Süss II s. 38.

^^ 'communis amicos noster V. Oraviua*: Sibeni brief vom 27 oci. 1544 in Kirchners nachtragen nr. 6 8. 165; Peter, epp. I nr. 19 anm. 2 s. 15.

« Kirchner s. 17 ff.

^ Kirchner s. 19.

^ brief Sibers an Meurer ans Chemnita vom 7 nov. 1540: Kirchners nachtrHge nr. 3 8. 164 f.

^^ Kirchner 8. 20. 21 anm. 2.

w ebd. 8. 20.

H. F. Helmolt: Georg Fabridas nnd Adam Biber. ^^3

werden, der rttdtschlag blieb nicht ans. die nngeschickliehkeii, fUr den mangelhaften zustand Beiner schale die mangelhafte bildong der Freiberger ratsherren veruitwortlich zu machen ^\ verfeindete ihn mit den einfiaezreichsten bfirgem der stadt : Siber hatte sich einfach unmöglich gemacht, am 4 october 1545 ▼erliese er daher die alte bergstadf«, mit einem seognis Aber seine amt4sftlhrang in der tasehe, das ihn an seinem weiteren fortkommen nicht hinderte. ^ aus der niederiage , die sich Siber dnreh seine geringschätznng der beauf- sichtigenden behörde zugecogen hatte, zog er nun wenigstens fttr sein späteres leben die lehre, dasz eine allzu schroff betonte Selb- ständigkeit streitbaren Superintendenten gegenüber nicht immer am platze sei, ja unter umständen nnr die anvertraute anstalt gef^lhrden könne, audi Stunns schifflein ist daran im jähre 1 58 1 gescheitert, ünserm Siber wollte es mit dem fortkommen nicht sofort gldcken. kümmerlich £snd er den für sich und seine familie nöti- gen unterhalt, indem er im dienste des groszen gelehrten Georg Agricola an Chemnitz thätig war. zwar hatte er daran gedacht, an der Universität Leipzig seine Stadien abzuscbliesaen : hatte er sich doch 8(dK>B im sommersemester 1545 durch freunde dort immatri- culieren lassen «nd darch CSa^nr Bömer eine wohnung gemietet*^; jedoch zeigte sich's bald , dasz dies vor der hand unausführbar war. im Januar 1546 besuchte er Wittenberg anf Melanchthons ausdrücklichen wünsch"; und dieser wohl hat sieh seiner so an- genommen, dasz er noch im frflhjahr als rector an die parochial- schule tu u. 1. fraa^i in Halle berufen wurde, zunächst jedodi beschäftigte ihn nach seiner rückkehr von Wittenberg wieder der gelehrte Agricola dadurch , dasz er ihm die anfertigung des index zu den 21 bflcben seiner ^historia subterraneorum' Übertrag ^quod Agricolae nostro negare non potui% drückt sich Siber euphe- mistisch in einem briefe vom 9 april 1536 aus.** im mai siedelte er dann nach Halle über." auch hier war seines bleibene nidit lange, die ^Hispani' des schmalkaidisdien krieges*^ vertrieben den Protestanten, der kaum seine Uiätigkeit wirksam hatte entfalten

»7 Kirckner s. 98.

^^ brief Siber 8 vom 27 oct. 1546: Kirchners nachtrage nr. 6 t. 166.

>> Kirchner s. 24 f.; Süss II s. 42.

ygl. oben anm. 30. den mietpreis für die wohaang, den ihm Bömer trots herzlicher bitten nicht erlassen wollte, ist Siber mindestens bis seai 1 jan. 1647 schaidif[f ^ebüebea: briefe Sibers an Menrer Yom 9 april, IS mai nnd 1 oct. 164S in BLirchners nachtragen nr. 11 13 s. MS f.; Kirchners biographie Sibers s. 86.

<> 'Philippi Melaaehtkoaifl literis proxime aoeersitas' (Siber an Sl jan. 1646 in Kirchners naehträgen nr. 10 s. 168).

>* Kirchners nachtrage nr. 11 s. 166 f.

** Kirchners biographie s. 28; Ygl. auch oben anm. 36 and den brief vom 16 mai 1546 ans Halle: Kirchners nachträ|^e nr. 12 8. 170.

^ Siber an 16 jani 1647 (Kirchners nachtrage nr. 14 s. 171); vgl. F. A. von Langenn: Morit£, hersog und chnrüirst za Sachsen, I, Leipzig 1841, S.S67.

484 H. F. Helmolt: Georg Fabricios nnd Adam Siber.

können, schon das jähr 1547 sah Sieber wieder in Chemniti. zum glttck so möchte man sagen starb sein Schwiegervater, der rector des gymnasioms Valentin Hertel.^ Georg Agricola war bttrgermeisteri ein anderer gOnner, Wolfgang Faes, war snperinten- dent: Adam Siber erhielt das erledigte rectorat.** von diesem Zeitpunkt, von 1647 an, datiert die bedeutnng Sibera als sächsischen rectors.

Zunilchst kam es Adams organisatorischem talent, das sich schon in Freiberg leider nur zu schroff hervorgewagt hatte, auszerordentlich zu statten, dasz die Chemnitzer lateinschule infolge des krieges zur tabula rasa geworden war. zwar hütete sieh der neue rector, die aus des groszen Paul Niavis' zeiten stammenden traditionen, die trotz allem noch fortlebten, zu bekämpfen ; aber mit einer nicht zu verkennenden freudigkeit und frische machte er sich daran, den boden zu bebauen, der ihm zur pflege anvertraut worden war. wir kennen aus seinem lebensgang die quellen, woraus er schöpfte: vor allem aus seiner von erfolg und anerkennung be- gleiteten thätigkeit als lehrer an den nach Melanchthons schul* Ordnung eingerichteten schulen von Annaberg, Schneeberg and Frei- berg, aus der anlehnung an seinen in Melanchthons sinn unter- richtenden lehrer Joh. Rivius und nicht zuletzt aus dem reichen bom einer auf neuscfaaffen und einrichten hinneigenden , eigenartigen be- gabung und anläge, denn wenn wir auch in dem Siberschen 'ludus litterarum"^ anklänge an Sturmsche ansichten und Schlagwörter hier und da finden , so wäre es doch durchaus falsch , den verüeisser als Sturmianer hinzustellen, vielseitige er&hrung uhd schöpferischer sinn qualificierten Adam Siber ganz besonders zum leiter einer neu zu festigenden anstalt, wie es das Chemnitzer Ljceum, einer eben erst gegründeten, wie es die fttrstenschule zu Grimma war. hier wie dort zeigte sich sein Organisationstalent in hellstem lichte, dasz er es aber an der richtigen stelle entfalten konnte, hatte er wohl nicht zum wenigsten seinem früheren lehrer Bivius und dessen ehemaligem Schüler, seinem treuen freunde Georg Fabricius, zu verdanken, der auf Siber als auf die geeignete persönlichkeit den entscheidenden mann , D. Philipp Melanchthon , aufmerksam gemacht hatte. ^

^^ Kirchner s. 47 mit anm. 4.

•« ebd. 8. 49.

*^ der 'ladas literarom apad ChemDicinm Mitniae, qua rattone ad- ministretnr' (gedruckt bei Kirchner als anhang I b. 182 ff.) sagt (s. 184): 'docendi rationem eam sequirnnr, qua et doctissimos quosqne cum nostrae tum superioria aetatis ubob esse constat et mnlta praedara ingenia ad eruditionis praestantiam videmus perveniste'; and das hier in betraoht kommende werk Sturms, 'de litterarum ludis rede aperiendis über*, war 1688 in erster, 1643 in zweiter aufläge erschienen (Kückelhahn s. ^). vgl. auch Kirchner s. 68 mit anm. 1.

*^ 'de Adamo scripsi ad D. Philippum; puto eum idoneum esse, quam- quam aliorum iudiciis obstare nolo': brief Georgs an Meurer zwischen märz nnd october 1660 (Baomgarten-Crusius, epp. nr. 74 s. 69].

BL F. Helmolt: Georg Fabricius und Adam Siber. 485

Fabricius hatten wir in Straszburg verlassen, anderthalb jähr verweilte Georg bei dem Staatsmänner bildenden manne, als lehrer und schttler zugleich, seine Stellung als hofmeister des jungen herrn von Werthern liesz ihm reichlich zeit und gelegenheit, seine ausbildung zu vollenden, kein noch so glänzendes anerbieten konnte ihn davon abziehen, hatte er schon 1538 ein Leipziger rectorat aus- geschlagen", so besann er sich auch jetzt nicht lang, als ihm im jähre 1545 fast gleichzeitig von Caspar BOmer die leitnng der Thomasschule und von anderer seite eine noch glänzendere stelle als hofmeister Ulrich Fuggers angeboten wurde, noch schreckte er vor dem munus scholasticum zurück, einem 'onus, ad quod nemo nisi vi coactus aut impulsus inopia accedit'.^ doch beteuerte er so- fort, dasz er sich trotzdem von Jugend auf vorgenommen habe, die scbulmeisterlaufbahn einmal einzuschlagen, und dasz er sich gewis nicht seiner pflicht dem vaterlande gegenüber entziehen werde. ^^ und als nun im nächsten jähre die berufung nach Meiszenan ihn gelangte, da bezwang ihn die liebe zum vaterlande: im mai noch trat er das ehren- und dornenvolle amt des rectors der fdrstenschule an.^' Georg Fabricius verhehlte sich nicht, dasz er grosze Schwierig- keiten zu überwinden haben werde; doch ein frischer mann von dreiszig jähren mit reicher erfahrung und soliden kenntnissen brauchte davor nicht zurückzuschrecken, er hatte das ganz be- stimmte gefühl, auf den richtigen platz gestellt zu sein; deshalb schlug er auch unbedenklich zweimal die ihm angebotene Witten- berger Professur 1552 an die stelle von Job. Marcellus und 1560 an die von Philipp Melanchthon T' ebenso aus, wie er auf andere mehr oder weniger glänzende anerbietungen nicht eingieng. seinem vorsatz 'viam disciplinae et virtutis monstrare multis' ''* blieb er getreu, in dem frommen glauben , zu seinem amte von gott be- rufen gewesen zu sein^, entschlief er am 13 juli 1571.^' beinahe die

** Baamgarten-Cruflins, yita s. 81 anm. *.

'* brief Fabricius* vom 21 nov. 1645 (Baumgarten-Crusias, epp. nr. 191» 8. 23).

"** ebd.: ^ego laborem Bcholasticum neqne fagio neqae detrecto, imo hune mihi a paero proposni et in eadem nunc quoqae maneo sen- tenüa, quem etiamsi non uno aut altero etiam anno subeam et intra breve annomm spatiom, non puto me idoirco patriae defuturam aut officio meo.'

^ Baumgarten-Crnsios, epp. nr. 24 8. 26 (vom 29 mai 1546); Flatbe 8. 26 unten.

" Banmgarten-Crusias, vita s. 74; Peter, epp. I nr. 14 anm. 1 s. 12.

V4 Baamgarten-Crusius, epp. (ad Eberom nr. 1) 8. 125 (vom 29 jan. 1662).

^^ 411nd munus, ad quod Dens me vocavit': Fabricius an Mearer am 25 oet. 1546 (Baumgarten-Crasius, epp. nr. 29 s. 30).

^' Peter, epp. II nr. 101 s. 29 (Jakob Fabricius an Andreas den 10 ang. 1571). bis zum abend des vorhergehenden tages war Georg wissenschaftlich thätig gewesen: Kreyssig s. 39 (vermerk zu dem schüler Ernst Caesius aus Dresden vom j. 1567). Übrigens hatte Meiszen in den ersten hundert jähren 10 reotoren, Grimma 7 (oder 8), Pforta 13

488 H. F. Helmolt: Georg Fabridos und Adam 8iber.

die beiden mftnner in der aasgestaltung ihrer anstalten eine groeze, nur of&ciell dnrch den adligen echulinspector, in manchen dingen auch durch den schulyerwalter beschrftnkte freiheit. das ergebnii dieser organisatorischen thftügkeit sind ihre schulgesetxe. genau Paragraph für paragraph festzustellen , was hierin Oeorg geleiatet hat, ist nicht mehr möglich, es existieren von Job. BiTins ge- schriebene 'leges Afranae', die gewöhnlich unter das jähr 1546 ein- geordnet werden.*^ sie bestehen aus 4 teilen ^ dem mandatum dei, den sanctidnes piorum (Noa, Josua, David, Tobias und Agar)| dei lex principis und den decreta magistrorum. mag seiui das« an dei herstellung dieses magern gerippes Eabricius keinen anteil gehabt hat"^: das aber steht fest, dass er allein seiner schule die Ordnung gegeben hat, der sie ihre blttte verdankt dies bezeugen des Fabriciiu eigne werte vom 7 juni [1646]: ^statuta pauca promulgavi , eaqoc mazime necessaria' " ; dies bezeugt deutlicher die klage, die den Torgauer ausschusztage von 1687 proponiert wurde, dass die sttchsische Schulordnung vom 1 januar 1680 ^nie nicht za werck ge- richtet' worden sei"; dies bezeugt endlich der eingang der Schul- ordnung des kurfUrsten Christian I vom 26 Februar 1688 : *da bis- her in der schule Meiszen die von Georgio Fabricio, seligen, gefassti Ordnung gehalten und getrieben worden.' " auch ausserhalb Meiaseni fand die Fabricianische methode anerkennung: Heinrich von Witx« leben, der patron der Boszlebner sdiule, beauftragte schon im Jahn 1 664 den Meissner reotor mit der abfassung von gesetzen und mit der inspection der neuen anstalt« ^* klarer noch liegen Adam Siben Verdienste um die Schulgesetzgebung vor äugen, sein wirken hierin datiert schon aus der Chemnitzer zeit (s. oben s. 484). im jahit 1 649 erschien bei Blasius Fabricius zu Straszbnrg der * ludos lite rarum apud Chemnicium Misniae"^; in demselben jähr auch, wenig- stens nach Clarmunds und Wagners Zeugnissen, die 'leges scholasticae' deren älteste form, wie sie auf einzelne bogen gedruckt im schul gebäude angeschlagen wurde, in den Ueges' erhalten sein dürfte die G. Richter in dem Jenenser programm von 1887 : 'das alte gym nasiam in Jena, beitrage seiner geschichte' mitgeteilt hat.** dei

"^ BauiDfjfarten-Cnitias, vita, anbang III a, 114 f.; R. Vornabanm die evang. schal ordonngen des 16n Jahrhunderts, Qütersloh 1860, s. 411 f

"^ Banrngarten-Crusias, vita s. 61.

^ Baumg^arten-Crusins, epp. nr. 26 8. 27; und kurz vorher aus den brief vom 29 roai 1546: 'in schola mea multa reperio emendanda (ebd. nr. 24 s. 26).

87 Flathe s. 65.

«'^ J. A. Müller: versuch usw. I, Leipzig 1787, s. 25.

8* Baumflf arten- Crusius, vita s. 90.

^ vgl. oben anm. 67; Kirchner b. 126 sub 1; Rössler 8. 83.

*^ R. I 8. 28 f., nach dem lebrplan der Jenaer Btadtschule von 1593 Kirchner (nachtrage 8. 162) hält die 1555 von Chr. Stymmelias im an schlusz an Nik. Borbonius' TTai5aTU'T€tov veröffentlichte form für du ursprünglichere; nach meiner ansieht jedoch ist diese auch schon eim Überarbeitung, vgl. auch Kirchners biographie s. 127. Schumachei

H. F. Helmolt: Georg Fabriciot und Adam Biber. 489

'ludos' regelt in 6 capiteln die classeneinteilang , die lehrmeihode, die tagesordnang , die repetitionen (ein sicheres kriterium jedes Unterrichts) und die zweimal im jähr anzusetzenden examina, die stilübungen und endlich das verhalten an Feiertagen; die Heges' regeln zoeht und sitte. diesen wohl durchdachten lehrplan behielt Adam im groszen ganzen bei, auch nachdem er die leitnng der fOrsienschule übernommen hatte; musten auch einzelne Vorschriften ganz wegfallen, andere stark abgeändert werden, wieder andere hinzu gesetzt: das System wurde dadurch nicht erschüttert, ver* bessert hat er sie 1551 in der ^pietas puerilis% 1564 im 'enchiridion pietatis puerilis', 1572 (prosaisch) im 'libellus scholasticus', 1677 in seinem bericht über Unterricht und zucht, schlieszlich 1581 in seinen «Cu^^ucra, aphorismi und leges'." dadurch erreichte die Schulordnung dieses unermüdlich thfttigen Schulmannes eine solche Vollkommenheit, dasz sie vom 1579er Torgauer reformationstage gewürdigt wurde, in die neue kurfürstliche Schulordnung auf- genommen zu werden, und damit hat die Sibersche pttda* gogik bis zum erscheinen der erneuerten Schulordnung von 1773 eine zweihundertjährige geltung errungen. ** Der hauptunterschied zwischen der Chemnitzer und der Grim- maiachen lehrverfassung besteht in der classeneinteilung. doch nuchte die herabsetzung von 5 auf 3 ordines Siber nicht sonderliche Schwierigkeiten: das pensum der zwei untersten war ja Voraus- setzung zur aufnähme in die fürstenschule. freilich muste man an und für sich nach herzog Moritzens neuer landesordnung^ schon zu- frieden sein , wenn der um aufnähme nachsuchende schreiben und lesen konnte; doch verlangte man im allgemeinen noch kenntnis von declination, coigugation und auch etwas syntaz."^ das alles wurde in der ersten classe man zählte von unten an gründlich repetiert; dann konnte mit dem unterrichte dessen begonnen wer- den, was die schüler der dritten classe einer fünfclassigen latein- schnle traetierten. Adam muste vollständig neues schaffen , als er in Grimma antrat; und doch war dies allem anschein nach nicht so schwer, als die Umformung, die Georg in Meiszen oblag. Vulpius scheint die einzelnen *haufen' ziemlich ungeordnet hinterlassen zu

behauptet (•. 208), im katalog:e der Jacobaeischen bibliothek stünde eine ansgabe (der ältesten verloren gegangenen Sammlung) von Sibers 'Poemata' ans dem j. 1540; doch können aus diesem jähr oder ghr ans der seit vorher die lege« keiaesfaUs stammen, auch wohl kaum ans der Freiberger periode. dass die Richtersche fassong in Grimma entstandeo sein könne, dagegen streiten die verse 21. 26. 86; vgl. Kirchner s. 60.

** Kirchaer s. 129 f.; s. 180; s. 70 mit anm. 8; s. 187 unter 20; Böseier s. 286 ff.

^ C. G. Lorens: der historischen beschreibung Grimmas III abt., 8. 1899 ff.; Kirchner s. 71 mit anm. 4.

M Flathe s. 14.

*^ Siber in seinen aphorismi s. 76; vgl. Rössler s. 35.

N. Jahrb. f. phil. o. pid. II. abt. 1895 hft. 10 u. 11. 32

490 H. F. Helmolt: Georg Fabridoi und Adm 8iber.

haben; wahrscheinlich hat Fabricina deren fiberhanpt nur swei vor gefunden.** hierein die richtige Ordnung an bringen, das war nicbi leicht; doch ho£fte er eobon bald nach seinem amtsantritt, daax die visitatoren die schule in besserem stand vorfinden würden» als sie sie hinterlassen hfttten.*^ man darf sich nun durehaoa nidit eiwi die einzelnen classen so fest gegliedert und streng yon einander ge- schieden Torstellen , wie sie es jetit sind, nach der im September 1892 aufgefundenen ältesten schiüordnung** Sachsens, der dar kreni- schule aus der zeit der amtsttbemahme mag. Nikolaus Thirmanns im jähre 1413, gab es schon damals vier classen: elementarschflleri grammatiker, logiker und philosophen. wollte man das genau nehmen, man bekftme ein falsches bild von dem Dresdner schal- wesen jener Zeiten.** denn im allgemeinen richtete sich die ein- teilung weniger nach den erlangten kenntnissen, als nach den beenehs- Ziffern und den verfügbaren lehrkrftften; stunden in combinierteB classen waren an der tagesördnung. das deutsche Schulwesen un- mittelbar vor und nach der reformation hatte durchaus nichts con- stantes. schnelles Wachstum, veranlaszt durch den rühm eines gerade am ort unterrichtenden humanisten, wich unvermittelt und plötzlich einem jähen fall der frequenz , sobald der gefeierte den rücken ge- kehrt hatte; so begann das auszerordentlich blähende Zwickauer gymnasium sofort nach Oeorg Agrioolas Weggang (1622) gans be- denklich zu sinken. '*° fast alles, blttte und bestand, hieng an dem namen des Schulmeisters. Bivius Übernahm 1637 die Freiberger schule mit insgesamt vier lehrem ; schon im nächsten jähre machte sich die anstellung eines fünften notwendig, auch ermöglichte man durch die Überlassung eines geräumigeren scfaulgebäudes , der 'Thttmerej% vollständig getrennten Unterricht in fünf abteilungen.**' Chemnitz hatte 1539 nur drei lefarer, 1640 schon vier; der ruf Sibers veranlaszte 1647 die Stellung eines infimus.*^

Der etat des stifbuugsplanes wies für Meiszen und Merseburg, an dessen stelle dann Grimma trat, je einen magister, zwei bacca- laureen und einen cantor auf. diese vier lehrer teilten sich in den Unterricht der schüler, die einen sechsjährigen curs in drei classen

'" J. A. Müller I 8. 27. Fabricins schrieb am 7 juni [1546] an Meurer: 'claases confasas distinzi, dispersas coegi, lectiones eas instiiui, quae mihi visae sunt accommodatae ad captum ingenioram, quae nunc ha- bemuB' (Baumgarten-CrufliuB, epp. nr. 26 8. 27).

" Baamgarten-Crusias, epp. nr. 25 8. 27.

^ archivrat H. Ermisch hielt darüber am 12 sept. 1892 dem verein für geschichte Dresdens einen Vortrag, der weiteren kreisen durch die druck legung^ im 13n bände des neuen archivs für sächs. geschichte und altertumskunde zugänglich gemacht worden ist.

*' vgl. dazu: O. Meltzer, die kreuzschule zu Dresden bis zur einfüh- rung der reformation (1539), in den mitt. d. Vereins f. gesch. u. topogr. Dresdens und seiner Umgebung VII, Dresden 1886, s. 38 ff. 47.

*^ Flathe s. 8; Kirchner s. 10. 31.

^^^ Kirchner s. 15; Süss II s. 87. 40.

^^ Kirchner s. 39. 40. 49.

U. F. Helmolt: Georg Fabriciaa nnd Adam Siber. 491

absolvierten, das ergibt von vom herein mehrfache combinationen. der regel nach hatten wohl snpremi, medii und infimi getrennten Unterricht; doch begegnen auch Zweiteilungen wie superiores in- feriores und adultiores iuniores. "^ seit 1568 wirkten übrigens an beiden fürstenschulen , wenn auch nicht stftndig , fünf lehrer. '°* grosze Schwankungen musten sich aber auszerdem noch ergeben aus der ganz und gar nicht regelmäszig eingehaltenen dauer des Schulbesuchs, die norm war sechs jähre; aber wie wenig verhältnismftszig haben so lang ausgehalten! besonders auffällig erscheint dies Verhältnis bei den adligen schttlem. es leuchtet ja ohne weiteres ein, dasz die Jünglinge aus diesen kreisen zwar litteras et obsequium lernen sollten , dasz sie aber nur selten lust dazu ver- spürten, der klösterlichen Ordnung sechs lange jähre ihrer Jugend- zeit zu opfern, wie oft liest man in Krejssigs Afraner - album den vermerk : ^aufugit', 'ad suos rediit', *abiit domum' oder 'abiit ad matrem'.*^^ von einem irgendwie geregelten studiengange derer, die am hof , in der Verwaltung oder in der hohen politik eine rolle zu spielen gedachten, war damals nicht die rede: eine wenn auch nur oberflächliche bildung, die auf dem mehrjährigen besuch einer besseren schule und dann einer Universität , vielleicht auch nur auf der erfahrung einer grOszeren reise ins ausländ fnszte , die genügte vollkommen damaligen ansprüchen. so ist es denn durchaus nicht verwunderlich, wenn von den 146 adligen schülern, die von 1543 1572 in die schule zu 8t. Afra aufgenommen worden sind , nur 15, also 10%, sechs jähre dem cötus angehört haben. *^ dieser rasche Wechsel unter den knaben der besseren stände übte not- wendigerweise einen groszen einfiusz auf das ganze schulgetriebe aus: er verleiht der Meiszner fürstenschule , so lange sie unter Fabricius stand, ihr eigentümliches gepräge. von 1543 1572 be- suchten 771 Schüler seine anstalt; davon waren, wie schon bemerkt, 146 von adel, also 197o* wenn nun auch dieser ungemein hohe procentsatz teilweise begründet ist auf der reichlichen ausstattung gerade der Meiszner schule mit adligen freistellen, so ist er doch auch zum groszen teil ganz entschieden zurückzuführen auf die be- liebtheit der Fabricianischen lehrmethode beim sächsischen adel.

'^ vgl. den von F. Palm seiner programmabh. 'de pristina illostris Moldani disciplina narratio* (Grimma 1850) beigegebenen schalpUn I von 1602.

<<M Flathe s. 79 f.; C. G. Lorenz: series praeceptorom illustris apud Grimam Moldani, progr. Grimma 1849, s. 38 f.

*®^ es ist zu bedauern, dasz Lorenz derartige vermerke in seinem Grimenser-album unterdrücken zu müssen geglaubt bat (vorrede s. XI oben).

10« diese und die folgenden Ziffern machen auf unbedingte genauig- keit keinen anspruch, da die unterlagen bierfür, die schülerlisten von Meiszen und Grimma, in vieler beziehung zu mangelhafte auskauft geben, doch liefern sie von der frequenz ein bild, das immerhin ähnlich genannt werden darf.

32

492 H. F. Helmolt: Georg Fabridas und Adam Siber.

Adam Siber brachte es nur auf 13%: in den dreissig jähren vo 1550 1579 waren von seinen 798 schalem nor 107 adlig, nebei bei mochte noch die gröszere entfemung Grimmas yom bof und di gute meinung, die man von Georg als dem hofhistonographen* hatte, EU gunsten Meissens in die wagschale fallen« anch gewinn man den eindruck, als ob Georg Fabricius im grond eine toi nehmere natur war als sein freund Adam Siber und sich schon des halb besser zum enieher vornehmer knaben eignete.'* anderseit darf man Siber vielleicht als den gediegeneren pftdagogen hinstelleii mit dem hohen procentsatz des nur selten den ganzen cnrs durch laufenden adels in Meiszen mag es zusammenh&ngeni data, obwoh die jttbrliche aufnähme in beiden fQrstenschulen dnrchschnittlic] gleich grosz gewesen ist 26 im durchschnitt '^ - die prftsenuifiei in Meiszen niedriger war als in Grimma: dort betrug sie nur 106, hiei dagegen 115 im durchschnitt. also gieng in Meisten ein raachera Wechsel der schttler vor sich'"; also so darf man gewis folgen wurde in Grimma anhaltender studiert unbedenklich aber dar man beiden rectoren die erscheinung, dasz ihre anstalten onaus gesetzt von bewerbem und ezpectanten förmlich belagert wurden '" zum rühm anrechnen, jeder der beiden hat es verstanden , sein an vertrautes schififlein aJlen widrigen winden zum trotz und dei unter der Oberfläche verborgenen klippen klug ausweichend in dei

^^ die abfastang der 'origines Sazonicae' mäste ihm allerdinf^ viel kostbare ttoDden von seiner pädagogischen thätigkeit rauben, di< ihm sein zum gehilfen bestellter bruder Jakob schwerlich eneti haben dürfte, vgl. Peter, epp. II nr. 91 anm. 2 8. 22.

lo*» vgl. übrigens Flathe s. 88 ff.

10» Fabricius hat von 1546 1571 648 schüler aufgenommen« Sibe von 1550—1584 918.

110 2ur gruudlage dieser berechnung konnte ich für Grimma na die 27 jähre 1550/51 (besUnd: 96 schüler) und 1559—1584 gebranehen da 1551 1558 zu unsichere daten boten: in summa 3106 schüler. be merkenswert ist es, dasz die schülerzahl seit 1561 nur einmal, in j. 1566, wo wegen einer seuche (vgl. Kirchner s. 121) seit juii nieraani aufgenommen wurde, unter 100 herabgesunken ist. durch eine auf fallende festigkeit der präsenzziffer zeichnen sich die letzten 7 jähr des Siberschen regiments aus: 118. 115. 117. 114. 115. 116. 114. Fu Meiszen lagen die Verhältnisse insofern günstiger, als ich alle 26 Fabri cianischen jähre (1546 1571) zur berechnung heranziehen konnte; si« ergaben eine gesamtfrequens von 2758 Schülern, hier wurde dauern« erst 1565 eine 100 übersteigende schülerzahl erreicht, die gröstei Kchwankungen weinen die beiden jähre 1548, wo infolge des Schmal kaldisohen krieges nur 89 schüler anwesend waren, und 1549 aaf, sich 132 namentlich nachweisen lassen. £ztraneer sind principiel eingerechnet.

**' allem anschein nach wechselten noch rascher, als die Meiainer <He Pförtner: ihre jährliche aufnähme betrug durchschnittlich 31. dod licsz sich ihre präsenzziffer nicht feststellen, da Bittcher die abgangs daten nicht eingetragen hat. Pforta sollte schon nach Moritzens plai 100 alumnen erhalten.

^'* Kirchners nachtrage nr. 31 s. 179: brief Siebers an D. Paul Ebei vom 18 oct. 1567.

H. F. Helmolt: Georg Fabricinft und Adam Siber. 493

sicheren hafen zu geleiten, yiel, wenn nicht alles, verdankt das Institut der sftchsischen fOrstenschnle diesen swei männern, was ihren inneren aasbau betrifft.

Diese groszen erfolge hatte vor allen dingen der wahrhaft humane sinn zu wege gebracht, der Georg wie Adam bis zum letzten atemzug erfüllt hat. freilich verstummten nie die klagen ttber geradezu mönchische erziehungsweise, weder der Stettiner Superintendent noch der Breslauer sohulinspector konnten sich mit derMeisznischen disciplin befreunden. "' und vielen schülern hat sie auch nidit besonders behagt; das bezeugt auszer den be- zeichnenden vermerken in den schttlerlisten besonders der brief des rectors vom 28 mai 1647, worin das dictum des ganz im anfang mit aufgenommenen sohOlers £rasmus Eühnel aus Altenberg *'^ enthalten ist: *vitam hanc monasticam non convenisse adultioribus.' "^ auch Leutinger, der geschichtschreiber der mark Brandenburg, spricht von einer «rigid a illius theatri disciplina dCKriTripiov» ; er wäre dort 'taciturnior, subtristior, morbis obnozius' geworden. *^* doch wenn man gerecht sein will, musz man einerseits dagegen halten die allgemein zugestandene Sitten- und zuchtlosigkeit der damaligen Periode "^, die gebieterisch eine scharfe disciplin heischte, wenn man überhaupt nennenswerte erfolge erzielen wollte; und anderseits darf man nicht übersehen, dasz beide rectoren ihren zÖglingen ein warmes, mitfühlendes herz entgegengebracht ^"^ und nie in eine Übertreibung der anwendung von strafen gewilligt haben, geradezu rührend zeigt sich diese fttrsorge um das wohl der schüler in krankheitsfKllen. dos Zuchtmittel der rutenschlftge aber wurde damals überall angewandt ; um so mehr verdient die festigkeit Sibers hervorgehoben zu werden, womit er sich dem verlangen der visitatoren von 1573 (Caspar Peucers) widersetzte, die den Phil. Etzel aus Wittenberg'** in ihrer gegen- wart geschlagen wissen wollten, der Vorgang ist zu charakteristisch, als dasz er nicht hier platz finden sollte, 'de Ezelio Witebergensi, puero perdito et desperate, qui prius aufugerat, sed commendatus denuo literis Wittebergensium receptus fuerat, et postea nihilo factus melior, accusatus est apud visitatores, et hi rogati, ut eum remo-

"• J. A. Müller I 0. 70 mit anm. •**

*" Kreyssig 8. 2.

'** Baomgarten-CraBins, epp. ur. 32 8. 32.

''* 'de Marcbia Brandenbürgensi', nr. 4 der dedioationen mm 14n, 16d und 16n bach (herausg. von J. G. Kraaae in seinen 'seriptores de rebus Marobiae Brandenburg, mazime celebribns' II, Frankfurt und Leipiig 1729, 8. 1077).

^" Kirchner 8. 164; vgl. dasa die nicht ganz sntreffende ansieht Qeorg Müllers über die ^fröhliche Zuversicht', die sieh in den Schriften von Bivios docnmentieren soll (allg. deutsche biogr. 28 s. 712). be- lehrend wirkt Sibers gedieht 'de corrupto seculi praesentis statn' in den 'poemata sacra' der ausg. y. 1666, s. 389 ff.

'** vgl. hierzu besonders Baumgarten -Crusius, epp. nr. 76 s. 70; nr. 87 s. 79; Kirchners nachtrage nr. 21. 22 und 24, s. 174 f.

>!• Lorenz, album s. 38.

494 H. F. Helmolt: Georg Fabricins und Adam Siber.

verent ex hoc coeiu nostro. at illi alio usi consilio virgis ▼oluenmt ipsum caedi coram 86 praesentibns , at eo maior esset terror aliis contumacibus scholasticis. sed vehementer restitit rector, ne id fieret, tyrannidem esse dicens etc.; qnamvis Peuceras diceret, simile ezemplum sese Witebergae nuper statuisse in quodam scho- laatico suo, Narembergici patricii filio, qni caroeris poenam pati recusasset et timuisset infamiam exclusionis ex academia etc. offensi igitur valde sunt yisitatores ista rectoris nostri recosatione, et Peucerus minatus, se de ea relaturum in aulam, objiciens nobis, nos iam virgas e ludo nostro exterminasse.' aus dem tone des darauf bin erstatteten Visitationsberichts geht übrigens hervor, dasz ihm Peuoer diesen beweis von rttckgrat nicht vergessen hat. "*

Die humanitftt und freundlichkeit, die Fabricius und Siber immer ihren schülern gegenüber an den tag legten hieng sie ja doch besonders bei Siber unmittelbar mit seiner methode zu- sammen , stets die pietas in die erste stelle zu rücken : denkart und methode waren bei ihm im besten sinne concinn"' —, diese hat denn auch nicht verfehlt, ihnen eine unauslöschliche dankbarkeit zu sichern, knaben fühlen es sehr gut, wenn man ihnen wohl will; selten lassen sie sich durch eine rauhe schale über den inneren, freundlichen kern hinwegtäuschen, so konnte Fabricius von sich behaupten, dasz er in seiner lehrthätigkeit nur drei undankbare Schüler kennen gelernt habe ''' ; und von den vielen ehrenden Zeug- nissen, die Adam Siber von ehemaligen schülern ausgestellt worden sind''^ sei nur eins erwähnt, das des dritten rectors von Orimma, mag. Martin Haynecks, in der ^parentatio defunctorum tum prin- cipum tum magistrorum' "^ :

Arte vir iDgenioque potens Latioque politas eloqaio, gravis, assiduus patiennque laborura, cai prius haud aliquid sincero dogmate Christi.

gerade die letzte zeile enthält ein lob, das in gleichem masze dem Meiszner wie dem Grimroaer rector erteilt werden musz. man denke an die eigentümlichen Verhältnisse der protestantischen kirche von damals, wohl waren ihre grundpfeiler durch D. Martin Luther ge-

^*^ K. Rössler: schulnachrichten aas der seit von Adam Siber, in der einladuiigsschrift za der einweibung des neuen gebäades der fürsten- und landesschule zu Grimma, Grimma 1891, s. 3. Ein anderes beispiel von Sibers milder denk weise: Kirchner s. 76 f.

*" Kirchner s. 77 unten.

^^ besonders schön ausgedrückt in dem widmungsgedicht, das Siber der 1666er ausgäbe seiner ^pietas pueril is' vorangestellt bat (poemata II s. 290). für Fabricius vgl. fiaumgarten-Crusius, vita s. 75 ff.

*" Baumgarten-Crusius, vita s. 77 anm. *; vgl. auch s. 60. 06; Flathe s. 30 oben und bei Kreyssig, album s. 24 und 27 die lobsprfiche von Ludw. Camerarius und Christoph Curio.

"* Schumacher s. 219 ff.

1*^ M. Hajneccius: Natalicia ludi illustris ducum ac prineipum elector. Sazon. etc. provincialis Muldani ad d. 14 sept. a. J. C. 1608, 8. 57. über Hajneck vgl. Lorenz, series praeceptorum s. 7.

H. F. Helmolt: Georg FabriciuB und Adam Siber. 495

schaffen worden; ihren inneren ausbaa galt es aber, besonders seit des reformators tode, noch zu vollenden. Streitigkeiten konnten nicht ausbleiben; leider machten sie sich überall geltend, dämm war es von höchster Wichtigkeit , dasz durch die einsieht ihrer rec- toren die sächsischen fürstenscbulen nicht in diese geföhrlichen kämpfe der Flacianer und Krjptocalvinisten verwickelt wurden, im jähr 1562 schreibt Georg an seinen bruder Andreas : ^inter theo- logos nova subinde dissidia oriuntur, quia multi non quaerunt nee quaesiverunt, quae Dei sunt, sed quae sua. recentiorum scripta non lege'**, contentus bibliis et interprete Luthero."*^ ganz den- selben Standpunkt nimmt Adam ein , wenn er in einem kraftvollen epigramm auf Luther ausruft: 'nostri fuit secli Lutherus Hellas ^'^ wenn er die Torgauer artikel mit dem zusatz unterschreibt: 'in ne- gotio coenae sacrosanctae vigeat, dominetur et triumphet invicta veritas verborum domini nostri Jesu Christi, sinefigurasophi- stica, sive forma illa sit, sive modus, quod enim semel loquitur deus, nee iterat nee retractat; et qui simpliciter credit, optime credit, inquit Augustinus.' "*

Nach jetzigen anschauungen wurde allerdings damals in der schule etwas viel 'religion' getrieben, im jähre 1575 gab Siber sein ^sabbatnm puerile' heraus, darin behandelt er zunächst unter der Überschrift: 'rudimentorum doctrinae Christianae libri duo' den kleinen katechismus Luthers, indem ein vater seinen söhn abfragt, dann die ganze glaubenslehre in der form eines gesprächs zwischen lehrer und schüler. ausführlich entwickelt er hierin seinen streng- lutherischen Standpunkt ; ob er aber trotzdem so von seinen schülern begriffen worden ist, darf billig bezweifelt werden.**^ Fabricius gieng wieder in anderer beziehung zu weit; so weit, dasz er sich den spott anderer gefallen lassen muste. Job. Major verfaszte auf ihn das epigramm '" :

Fabriciofl Veneres omnes e oarmine tollit: inirorl quid potait tollere? nuUa fait.

Fabricius hatte an Wandlungen wie Augustin, hielt seine früheren gedichte fdr gottlos *% merzte nunmehr aus seinen Schriften alles heidnische aus und führte an die stelle der lectüre von CatuU und Martial die der christlichen dichter ein ^'^ denen er schon als Student

'** Baumgarten-Crusias, epp. 8. 122.

'«^ Peter, epp. II nr. 88 a. 18.

»9 poemata sacra I s. 605 f.: anfange* und schloszvers.

*** Kirchner s. 115 anm. 1.

»• ebd. fl. 112 ff.

<si J. A. Müller II s. 10 anm. *; Wächter (im Ersch and Qraber) 8. 59. doch fand er auch Verteidiger: Matth. Dresser (bei Baumgarten- Crnsios, vita s. 112 f.) und J. A. Müller (II 8. 10 anm. *), zwei seiner nachfolger im amte.

"• J. A. Müller II s. 21.

1^' brief Georgs an Paul Eber vom 22 april 1562 (Baumgarten- Crasius, epp. nr. 8 s. 131). in den zum lob Annabergs i. j. 1556 ge- dichteten distichen heiszt es :

496 H. F. Helmolt: Otorg FaMciiiB und Adm fiiber.

seine neigang entgegeDgebraobt hatte. Biber gieng hieriii nicht so radieal Tor. nach seinem berichte von 1677 worde yon dar iweiten dasse montags und dienstags frdb yon 6 7 ohr Terens geleeeo, allerdings mit der einschrftnknng^ daax die lehrer *daa gUt vom honig' gewissenhaft in scheiden hatten.'*^

Vertreten nach dem gesagten beide reotoren eine fromme rieh- tang eine yon henen kommende frömmigkeit wohlverBtanden, die besonders reichlichen ansdruek in ihren yon den leitgoiioesen bewanderten gedichten gefunden hat'" ; so worde doch dadoreh die rein materielle seite des anterrichts, das lernen an aiofa, om so weniger beeintrftchtigt , als der lehrgegenstände nicht yiel ge- trieben wurden, der lateinische Unterricht, der selbstyenitliidlich den lOwenanteil erhielt, drehte sich in der hauptaaehe am Cicero als angelponkt. die yorliebe fflr diesen Schriftsteller hatte Geoig aus Btrasiburg mitgenommen: Sturms answahl der briefe Cicares wurde von ihm neu herausgegeben'*^; gleiohfidls ans dessen briefai erschienen 1548 die 'elegantiae pueriles' in drei bflehem.'*' und Adam spricht an manchen stellen seiner Schriften gerades» enthu- siastisch yon dem 'optimus', ja 'diyinus' Cicero'*^; insofern iat auch Siber Bturmianer. '** der lehrgang selbst gliederte sich in alther^ gebrachter weise in die disciplinen grammatik, rhetorik, dialektik. nach Qberw&ltigung der anfangsgründe halfen regelmlazig ab- gehaltene repetitionen und (meist auf Ciceronischen stoff sich be- schrftnkende) stilübungen dazu , das gelernte su befeetigen. streng wurde darauf gesehen, dasz nicht eher im unterrichte weitergegangen wurde, als bis das getriebene yollstftndig und yon allen schttlem verarbeitet war. Bibers aphorismen Ober die methode dea anter- richts schreiben in punkt 19 vor: ^quatuor aut ad summnm qninque horis doceant: verum ita, ut vacui aliquid temporia inter- ])onatur: quo pueri ea, quae ezplicatione praeceptorum acceperunt, inter se possint repetere.' "^ dieses Wacuum tempus' war yon der

Namqoe iocis aliquid dedimns puerilibiu annis, cum venia bis anniB forsltan error inest

(Baumgarten-Crusias, epp. 8. 173).

'** Bibers aphorismen über olasses et lectiones nr. 94 und 26, s. 110. der bericht: Kirchner a. 201.

'*^ Melanchthon redete Siber in dem briefe vom 7 nov. 1659 mit den werten an: «clarissime vir, xal T(p 6c<p Kol Totc poOcotc f»iXTcrr€>. ▼gl. Kirchner s. 181 unter 7, der übrigens Sibers begabang als dichter nicht sehr hoehschtttst (s. 161 ff.), dagegen vgl. J. P. Lotichiiisx biblio- thecae poeticae p. III s. 69 63 (nnd s. 63—66: Fabrioius); aacb Kirchner B. 166 unten.

"• J. A. Mfiller II 8. 86.

«" ebd. II 8. 41 f.

i*^' Kirchner 8. 161 anm. 1. 2.

'* Siber hebt in seinem gedieht 'Johanni Sturmio* (poemata eaera I 8. 641 ff.) die Verdienste dieses mannes am die Würdigung des 'disertis- simus Romuli nepotum omninm TulHus* schwangvoll hervor, aber nicht ohne Starm aasdxücklioh als 'pietatis amator' hinaust eilen.

**^ aphorismen s. 99.

H. F. Helmolt: Georg Fabrieini nnd Adam Siber. 497

grösten bedeutung. dadurch wurde zeitig die Selbständigkeit der schttler geweckt: einer der schwerwiegendsten erfolge der fUrsten- tichule. die gewöhnung an selbständiges arbeiten überwiegt reich- lich die mängel einer methode , die auf die praktischen bedttrfhisse des späteren lebens wenig rücksicht nimmt. ***

Man hat die Überzeugung, dasz ein schüler nach ableistung der sechs jähre ein firmer lateiner sein muste. weniger wurde im griechischen gethan, noch weniger in dem nur facultativ gelehrten hebräisch , und üeist gar nichts in den realistischen fächern , obwohl Fabricius und Siber persönlich ziemlich reges interesse an den natur- Wissenschaften'^ nahmen, vollkommen charakterisiert sich damit die sächsische fürstenschule von damals als ein humanistisches gymnasium, dessen hauptziel in litteris die beherschung der lateini- schen spräche war, ohne die der damalige gelehrte einfach nicht ge- dacht werden kann, der in den langen jähren ihrer rectorate ge- sammelte reiche schätz an erfahrungen, der wünsch, das zeitraubende dictieren von regeln und eleganten redensarten möglichst abzu- kürzen^^ — und bei Fabricius sogar die notwendigkeit, sich von dem (nach manchen briefen zu urteilen, nicht ganz unbegründeten) verdachte zu reinigen, ein schlechter grammatiker zu sein'^^ , veranlaszten die beiden Schulmänner, eine grosze zahl von lehr- büchern'^^ herauszugeben, für uns besitzen diese, wie es ja nicht anders sein kann, nur antiquarischen wert.

Dreizehn jähre länger als Oeorg Fabricius war es Adam Siber be schieden, seiner anstalt vorzustehen, und doch möchte ich be- haupten : gerade darum war Georg der glücklichere, denn Adam ist es nicht erspart geblieben, um entlastung zu bitten *^" und seine trüben erfahrungen in der bittem 'cruz scholastioa* '^ zu verewigen.

*^' der Verfasser bemerkt bierza, dasz er nicht ehemaliger fürsten- Bchäler ist.

*** Peter, epp. I Dr. s. 22; nr. 88 s. 24 a. 8.; vgl. Kftmmel in der allg. deutschen biogr. 6, s. 612; Kirchner 8.86.

*** Kirchner s. 66 anm. 1.

144 «iampridem hanc sustineo calnmniam, me nee scire nee tradere grammaticam' (Banmg^rten-Crasius , epp. nr. 122 s. 106). so verbindet Fabricius mit verliebe den imperativ mit non: Baumgarten-Crnsias, epp. nr. 9. 13. 29.

^*^ verseichnisse davon bei J. A. Müller II s. 41 ff.; Kirchner s. 126 ff. vgl. Eckstein, lat. anterr. s. 89. 174 unten. 186 unten. 192. 836. 861'; griech. unterr. s. 391 unten.

1^ Kirchner s. 92 f.: am 13 nov. 1680.

»<▼ ebd. s. 96 ff.

Leipzig. Hans F. Helmolt.

498 Th. Elfthr : die l«teiiifloliiilen %n Eton and Winohatter im I611 jahrb.

47.

DIE LATEINSCHULEN ZU ETON UND WINCHESTER IM

SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT.

Die kenntnis des Unterrichts und schnllebens in den beiden iQtesten der groszen humanistischen lehranstalten England», in dem 1373 (resp. 1387) gegrflndeten Winchester- und in dem 1440 ge- stifteten Eton College, während des 16n Jahrhunderts wird uns vornehmlich durch zwei beinahe gleichzeitige berichte von rectoren dieser schulen vermittelt, sowohl Malims Consuetudinarium Yetns Soholae Etonensis, als auch die Winchester beschreibenden hezameter Johnsons sind in Deutschland fast gar nicht zugftngig. das erstere ist nach dem originale Oberhaupt noch nicht veröffentlicht worden, das letztere liegt zwar bereits seit 1848 gedruckt vor, aber in einem werkchen, was schwer erhältlich und nicht einmal in der bibliothek des Britischen Museums zu finden ist. deshalb ist es vielleicht den lesem dieser Zeitschrift willkommen , die beiden interessanten dar- stellungen hier vollständig vorgelegt zu erhalten.

L Der berioht Malimfl über das CoUegium regale beatae Hariae de Eton bei Windaor (1660).

William Malim wurde um 1633 geboren, sein geburtsort ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Staplehurst in Kent wird als solcher bezeichnet \ zugleich aber darauf hingewiesen , dasz M. sich selbst mehr als einmal Cantuariensis nennt, vielleicht also aus Canterbury stammt, jedenfalls ist die angäbe Strypes', dasz er der söhn eines arztes John Malim ist, welcher als wohlthäter der Londoner St. Petrikirche mehrfach genannt wird, nicht erwiesen, seine ausbildung erhielt er in Eton , nach deren Vollendung er am 14 aug. 1548 in das King^s College in Cambridge eintrat, wo er am 22 aug. 1551 fellow, 1552/3 baccalaureus und 1556 magister wurde, am 11 Januar 1554/5 wurde er aus Unbekannten gründen auf 14 tage ezcommuniciert. am 14 Januar 1559 begann M. im auftrage seines College das Studium des jus civile, unterbrach es aber, als er 1561 zum headmaster von Eton ernannt wurde, er scheint der ihm anvertrauten Jugend ein Orbilius plagosus gewesen zu sein , denn im jähre 1563 entflohen einige knaben der anstalt aus furcht vor schlagen, wie Roger Ascham in der vorrede zu seinem Schoolmaster berichtet.* die bitte seiner schttler an Elisabeth in der

* Thom. Cooper, Athenae Cantabr. Cambridgre 1861, 11 176. ' J. Stow, A. Snrvey of the Cities of London and Westminster (1598) ed. Strype 1726, I 167.

3 ed. Mayor, Lond. 1863, s. XIV.

Th. Klfthr : die lateinschalen zu Eton und Wincheiter im 16n jahrh. 499

Yorrede za einer Sammlung lateinischer gedichte ^^ mit welcher sie die im october 1563 vor der pest aus London nach Windsor ge- flüchtete königin begrttszten, ihren geliebten lehrer mit einem zeichen ihrer gunst zu beglücken und ihn nicht untergehen zu lassen in end- losen mühen und Studien , sondern ihn auf einen andern posten zu befördern, ist ehrlich gemeint gewesen, ihr wünsch scheint bald er- füllt worden zu sein , denn kurz nachher wird als leiter der schule ein gewisser William Smith erwähnt, die seinem abgange von £ton folgenden jähre hat M. auf reisen nach *Constantinopel, Antiochien, Jerusalem und vielen andern berühmten städten Asiens* verbracht. ^ nach seiner rückkehr erfreute er sich der gunst der lords Burleigh und Leicester." der erstere veranlaszte ihn, die werke des Tbom. Chaloner^ durch den druck zu veröffentlichen, am 3 april 1569 er- hielt M. die präbende von Biggleswade in Lincoln und Weihnachten 1573 wurde er zum beadmaster der von Colet gegründeten Panls- schule in London gewählt, in diesem amte bat er sich , wenigstens während der letzten jähre, nicht wohl gefühlt, denn in einem briefe aus dem jähre 1580 klagt er dem lordcanzler: se nimium pauper- tate gravari , libertate privari , conculcari doctrinam , spes suas ex- inaniri. ^ im folgenden jähre wurde ihm denn auch die bürde ab- genommen, beschenkt von den patronen seiner schule' verliesz er die statte seiner lehrthätigkeit. über seine ferneren lebenssohick- sale sind wir nicht unterrichtet, er starb kurz vor dem 15 aug. 1594. Strype nennt ihn einen tüchtigen gelehrten, der eine schöne band schrieb und sich als meister des lateinischen stils bewährte, auszer auf die bereits erwähnten arbeiten M.s sei noch auf eine Sammlung Carmina Scholae Paulinae in regni Elisabetbae initium

* Royal Ms. 12, A. XXX in schönem einbände, die Sammlung ent- hält 72 gedichte sur yerherlichung der königin, eine prosavorrede und ein lateinisches schlascgebet. M. hat wahrscheinlich die etwas dürf- tigen illustrationen geliefert, von seiner band finden sich aaf der riick- Beite des titelblattes rier seilen in griechischer spräche.

^ Strjpe a. a. o. in dem dictionarj of national biography (ed. L. Lee, vol. XXXV 1893) werden diese reisen in die zeit vor Malims rectorat in Eton verlegt im widerspräche mit der bemerkung in der widmang seines True Report (1572) an Leicester: ^for these five yeares last past, since my returne from my travells beyond the seas.'

* in dem Calendar of State Papers 1547 80 (17 märz 1569) wird ein italienischer brief M.s an Burleigh erwähnt, in dem er diesem für seine fürsprache bei lord Leicester dankt.

7 Th. Ch. (1521 65) sehrieb 1562 64 De Republica Anglorum Instauranda Libri Decem. 1579 erschien bei Th. Vautrollier in London die von Malim besorgte und lord Burleigh gewidmete ausgäbe dieses Werkes, sie enthält auszer einem gedichte Burleighs zum gedächtnisse des Verfassers und einem briefe M.s de vita et moribus Thomae Chaloneri noch des letzteren In Singulorum decem de Republica instau- randa Llbrorum arfi^amenta.

^ auch O. Whitney (A Choice of Emblemes, Lejden 1586, ed. Henry Green, Lond. 1866) spricht von der armut M.s (s. 152).

' Gardiner, The Admission Registers of St. PauPs School from 1748 —1876, Lond. 1884, 8. 25.

600 Tb. Klfthr: die lateinichalen sn Eton und Winohatter im I611 jahriu

(Ms. Royal 12 a LXVII, Brit. Mas.) ans dem jähre 1673, die bei- trage von Malims band enthält, und auf eine Oratio Latina Daci loanni Casimir (Lond., John Aide 1578), Ton M. verfasst| hingewiesen, lateinische Terse M.s finden sich in Edw. Orant's Graecae Linguae Spicileginm (1575), Nie. Carr's Demostbenis Oraecomm Oratomm Principis Oljnthiacae orationes tres et Philippicae qnatnor e Qraeco in Latinum conversae (1571) und vor einer karte von Zfltphen (1586). der schon einmal angeführte * wahrhafte berichte den M. dem lord Leicester widmete , ist eine Übersetzung aus dem Italieni- schen, der titel beiszt: The true Report of the suocesse of Famagosta

of the antique writers called Tamassus, a Citie in Cyprus

Englished out of Italian bj William Malim. With certaine notes of bis and ezpositions of all the Türkis he wordes herein necessary to be knowen, placed in the margent, with a short description also of bis of the Island. Lond. 1572, V fol. 16.

Das für uns wichtigste werk M.s ist das Consuetudinarium Yetus Scholae Etoniensis. das original wird aufbewahrt im Corpus Christi College in Cambridge (Ms. 118 s. 477 ff.), davon befindet sich eine nicht ganz genaue abschrift in Bakers handschriftlioher geschichte des Eton College (Brit. Mus. Ms. Bari. 7044 s. 167 ff.), nach dieser copie ist das ^Consuetudinarium' gedruckt worden voll« ständig in Creasy's Memoirs of Eminent Etonians (Lond. 1876* 8. 87 96 anm.) und zur hälfte von J. Hejwood und Thom. Wright in ihrer Sammlung *The Ancient Laws of the fifteenth Century for King*s College, Cambridge and for the Public School of Eton College' (Lond. 1850 s. 626 633). wahrscheinlich hat M. diesen beriebt verfaszt zum zwecke der information der königlichen visi- taioren, die 1561 die schule zu Eton revidierten, der folgende ab- druck gibt das original in dem manuscripte des Corpus Christi College wieder.

Statuta, ordinationes et consuetudines scholae Eto- niensis per singulos annimensescompositaseusaltem in ordinem digosta per 6ul. Malim.

Mense lanuario.

Primum ludendum est utroqae vespere ante coenam et post, in festis Omnibus maioribus duplicibus. Et schola et cubiculum '^ yer- runtur a prandio.

In die Circumcisionis luditur et ante et post coenam pro strenulis ; pueri autem pro consuetudine, ipso Calendarum lanuarii die, veluti ominis boni gratia carmina componunt, eaque vel praeposito, yel prae- ceptori et magistris, vel inter se ultro citroque communiter mittunt.*'

10 die schale enthielt nur einen schlafraum (Long Chamber), der den sohUlern sugleieh als Wohnzimmer diente, und ein classensimmer (Iower school).

'1 so wurde auch der königin Elisabeth sa neujahr 1560 ein bänd- chen gedichte überreicht, zu dem 44 knaben beitrage geliefert hatten.

Th. Klfthr: die lateinicbnlen eu Eton nnd Winohester im 16n jährh. 501

Epipbaniae festum maias duplex loditur et ante et post. Po- stridie eius diel rursas strenue vel invitis animis incumbitar in prisiina studia litterarnm.

13 die, exeqaiae Galielm. Wanflete etiam celebrantar: dantur singulis 2d.*'

Circiter festum Conversionis Divi Pauli, ad horam nonam quo- dam die pro arbitrio moderatoris, ex consueto modo, quo eunt col- lectum Avellanas mense Septembri, itur a puerid ad montem. Mons puerili religione Etoniensium sacer locus est, hunc ob pulchritu- dinem agri, amoenitatem graminis, umbraculorum temperationem, canorum avium concentum et eum Apollini et Musis venerabilem sedem fEununt, carminibus oelebrant, Tempe vocant, Heliconi prae* ferunt. Hie novitii seu reoentes, qui annum nondum yiriliter et nervöse in acie Etoniensi ad verbera steterunt, sale primo con- diuntur, tum versiculis qui babeant salem et leporem, quoad fieri potest, egregie depinguntur. Deinde in reoentes epigrammata facinnt , omni suavitate sermonis et facetiis alter alterum superare contendentes. Quiequid in buccam venit libere licet effutire, modo Latine fiat , modo babeat urbanitatem , modo careat obscoena ver- borum scurrilitate, postremo et lacrymis salsis humectant ora genasqne, et tum demum veteranorum ritibus initiantur. Sequuntur orationes , et parvi triumpbi , et serio laetantur, cum ob praeteritos labores tum ob cooptationem in tam lepidorum commilitonum societatem. Eis peractis, ad horam 5*" domum revertuntur et post coenam ludunt ad octavam usque. **

in ibDen wird der lebhafteste wnDich (reftosiert, dass die kdnigin sich verheiraten möchte (Lyte, A History of Eton College, Lond. 1875, a. 163). 'strenulis' steht als dimin. für strenis. in Sezti Pomp. Festi de Verborum Signif. (ed. C. O. Müller, Lips. 1839, s. 312) heisst es: 'Strenam appeU labant, qaae dabatnr die religioso ominis boni gratia.' an stelle der von M. beschriebenen sitte trat später der gebraaoh, dass beim Jahres- wechsel der erste schäler in einem lateinischen gedichte die ereignisse des yerflossenen Jahres besang, einige dieser poetischen erseagnisse sind in den 'Musae Etonenses' erhalten.

" Will. Waynflete (so nannte er sich nach seinem gebnrtsorte; eigentlich hiesz er W. Patten) leitete cur zeit der grändung fitons Winchester College, warde 1440 von Heinrich VI zum headmaster seiner schale bernfen nnd 3 jähre später znm provost des College er- nannt, er starb als bisohof von Winchester, über seine Verdienste um den ausban Etons vgl. M. Lyte a. a. o. s. 31 34.

^3 dieses eigentümliche fest, das kurzweg 'Montem' genannt wurde, feierte man bis 1758 alljährlich, dann seltener und von 1775 an nur aller drei jähre und zwar ursprünglich an einem der letzten janüar- tage, im 18 jahrh. regelroäszig am ersten dienstags nach dem 23. jan. und seit 1758 am pfingstdienstage. seine freuden sind oft dichterisch gefeiert worden, denn am tage vorher muste der erste schüler dem leiter des College ein lateinisches gedieht 'pro more et monte' vor- legen, jener wurde stets captain of montem. bis zum 20n tage vor dem feste schwebte er aber in banger sorge um seine würde, denn eine plötzliche vacanz in dem King*s College in Cambridge berief ihn nach 20 tagen dorthin, das ende des kritischen tages wurde daher

502 Tb. Klfthr: die lateinschnlen su Eton und Wineheiier im Ite jahrb.

Febrnario mense.

In Festo Purificationis Marianae Inditnr. Maias duplex. Fe- bruarii 7^ die ezeqoiae Domini Best Aetoniensis qaondam Prae- sidis celebrantar postridie'^i iis precibns finitis qnae divinitoa ad expiandas animas institutae sunt, Inditur et ante coenam et post.

Carnisprivium.

In die Lnnae Carnisprivii , ad boram nonam luditor, et con- dontur carmina, sive in laudem sive yitaperium Bacchi patris, et quia clientes Baccbi poetae dicontur, in coias tntela omnes sunt

▼on allen Bohülem im icblafeaale waobend erwartet, und wenn keine botsehaft yon der UDiveraitat eintraf, anter aufseblaeen der bettatallen und suwerfen der fensterläden mit dem jubelnden rafebegrttsit: 'monten eure', in den folgenden wocben wurden die costfime probiert, der capit&n, der salstrKger, der marscliall, der fUbnrich, der lientenant, der major, der proviantmeister , der unteroffieier und die corporate trogen rote fräcke, weisse beinkleider, federhüte und soldatenstiefel , die andern sehüler blaue rocke mit messingknöpfen, weisse weeten und beinkleider, seidne strumpfe und in den hKnden weisse Stäbe, am fest- tage brachen die beiden salsträger in begleitnng der servitoren oder runners zeitig auf, um auf den landstrasaen des weges daherkommende um einen beitrag anzusprechen, die ^renner' hatten seidne geldtaschen und weisse st&be mit lateinischen oder griechischen inschriften auf deren pilsförmigen knäufen, wie z. b. paroentes ego dezteras odi und *€E &Xoc äfpa, für ein geldstttck gaben die salztrttger den Spendern ursprünglich eine prise salz, später eine karte mit der inschrift 'mos

ßro lege, pr^ more et monte'. das gesammelte geld, das oft eine statt- che summe ausmachte (einmal bis 1000 £), wurde dem eaptain als uniyersitätsstipendium überlassen, da er aber sämtliche nicht un- bedeutende kosten zu bestreiten hatte, so verblieb ihm nur ein geringer teil, die übrigen ceremonien am festläge bestanden in unserem ji&r- bundert iu einem feierlichen aufzuge auf den schulhöfen, wo die fahne geschwenkt unrl die stäbe von den corporalen mit den Schwertern zer- schnitten wurden, dann in einer procession auf den salzhSgel, wobei die montem-ode, nämlich knittelverse mit anspielungen auf die teil- nehmer, verteilt wurde, auf dem hügel wurde in gegenwart einer grossen zuschauermenge die fahne ein zweites mal geschwenkt, in früheren Zeiten trat auch ein als priester verkleideter sehüler in be- gleitung eines caplans auf, die lateinische spottreden hielten, das ver- gnügen erreichte seinen höhepnnkt, wenn der caplan, vom hügel ge- stoszen, den abhang hinonterroUte. dieser gebrauch mag veranlassung zu der annähme gegeben haben, dasz montem und das fest des knaben- bischofs identisch seien (Brand Populär Antiquities I 888). der capitän gab darauf den Schülern in den beiden Wirtshäusern Etons ein festmabl. am Spätnachmittage kehrte die procession in die schule zurück, man- cherlei eingerissene roisbräuche veranlassten 1847 die aufhebung dieses originellen festes (vgl. Lyte a. a. o. s. 451 ff.), es sei noch gestattet, darauf hinzuweisen, dasz der bei diesem feste in alten zeiten übliche gebrauch des salzes an die ceremonia saliendi erinnert, eine art de- positio der freshmen (fuchse) in den englischen Universitätscolleges (vgl. K. Schmid geschichte d. erz. IIP, Stuttg. 1892, s. 321). bis in die siebziger jähre unseres Jahrhunderts wurden die in Eton neuein- getretenen (freshmen) gezwungen, gläser gesalzenen bieres zu trinken. Lyte a. a. o. s. 606.

Henry Bost, provost 1477—1608/4.

Th. Elfthr : die lateinichulen zu Eton und Winchester im 16n jahrh. 503

constituti , omnium metrorum omni genere Dionysnm cannnt. Car- mina condita a pueris 7"^ et 6^^ et aliquot 5^ ordinis affiguntur valvis interioribuR coUegii.^^

Die Martis Carnisprivii Inditur ad boram octavam in totom diem; venit coqaus, affigit laganam cornici, iuxta illod, pullis cor- Yorum invocantibns eum, ad ostium scbolae. **

Cinerico die itur ad templum a pueris circiter boram decimam, tempore Sacri peragendi delignnt sibi tum Collegiani tum Oppi- dani ez Magistris vel Sacellanis spectatae integritatis Sacerdotes, quibus arcana pectoris credant, et, quod erranti salutaris sit medi- cina confessio; ad Dominum confugiunt. Puerorum nomina Censores Templi conscripta rotulis confessionariis tradunt. Intra quatuor dies prozime seqaentes peccatorum confessione peccata ezpiant. "

27^ die Rogerio Luptono annuatim parentant. Erogatur sin- gulis denarius. A prandio luditur ad octavam usque. *^

Mense Martio.

Festum Annunciationis Mariae minus duplex. Non luditur nisi pro arbitrio praeceptoris.

Aprili mense.

In die Mercurii hebdomadae sanctae^ circiter boram nonam cessatur a publicis studiis, et scribitur.

Discunt scribere qui nondum scite pingunt; qui vero eleganter sua manu aliquid possunt, hi describunt ordine figuras elementorum, et sociis exempla ad imitandum proponunt.

A prandio circa boram 4^"* itur ad templum , ad rem divinam.

In die Coenae Dominicae , certus Discipulorum numerus seli- gitur a praeceptore venerandum sacramentum recepturus. Qui communicarunt, prandent in mensa seorsim lautius ex sumptibus collegii , et a prandio petunt a praeceptore veniam obambulandi et peragrandi agros. Facilis concedit modo non divertant ad Tabernas vinarias aut cerevisiarias. Sumpta sacra synaxi redeunt in chorum induti Supparis, neque abesse oportet ab agendis Deo gratiis in Aula. Luditur ab omnibus post prandium et coenam, ad 8^°*.

^^ die verse, die bis sam anfangfe nnaeres Jahrhunderts an diesem tage gefertigt wurden, behielten den namen ^Bacchus*, obgleich sie später anch andere themata behandelten. Sam. Pepys, der am 26. febr. 1665 die schale besuchte, erzählt: 'in der anla fand ich gedichte der knaben De Feste, da sie die gewohnheit haben, am fastuachtstage verse zu schmieden, ich las einige und zwar sehr gute, bessere als ich jemals in meiner knabenzeit gemacht habe, anf papierstreifen, die ebenso lang und länger als die ganze anla waren.' Diarj and Gorre- spondence of Samuel Pepjs ed. M. Bright, Lond. 1876, III 398.

1^ diese sitte warde auch in andern englischen schulen beobachtet, nur war hier das opfer ein bahn.

^^ dieser abschnitt ist in der handschrift von Malim selbst mehr- mals durchstrichen worden, daher auch in der abschrift und den drucken nicht enthalten.

<8 Roger Lupton, provost 1503/4—1535.

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504 Tb. Klfthr: die lateintchalen in Bton and Winohester im 16n jafa

In die Yeneris Sancto scribitnr ad nonam nsqne cireiter; dein venitur ad templum ad preces matutinas ; posi prandium conveniv discipuli omnes ad ludum literarium. Ad primam horam ingradil enpremus scholae moderator et orationem habet ad paeros pn cipne proTectiores; proponit qoaenam res Bit Göxccpicrict, qao pa< sit recipienda , quibus recipiatur digne , qnibna indigne. Ita iac lentam praebens exhortationem , in hoc sermone nnam aat alten * horam bene terit

Ad 4**° reditnr ad templum. Post luditnr; qno loana tempo gjmnasiarchia constitnit qai et quot, poatero die, aaorosaiiGtae d minicae mensae se admovebunt. In Babbato Sancto Pasohaa , qu« solemne habetur, scribitur ad septimam nsque yel octayam; de venitur ad templum. A prandio luditnr, donec pnlaetur ad pree vespertinas. Itur cubitum ad 7^"*; nam de tertia vigilia enrge solebant dominicae mortis et resnrrectionis praestantem gloris gratissima memoria recolentes. Hie dum mos yiguit, tres a 4'^'' scholastici maiores natu eliguntur a praeceptore, ad rogato sacrorum aedilis, qui cum cereis et facibus accenais observent sepi cbrum, pro ceremonia, ne ludaei furentur Dominum, aut qnod potii est, ne quid damni contingat ex neglegonti luminum obaervatioi

Diebus huius bebdomadae festis luditur et ante et posi. Dieb operariis scribitur; 8ed luditur a coena ad octavam usque ad die lunae proximum, tunc reditur ad studia.

Mense Maio.

In die Pbilippi et Jacobi, si lubeat praeceptori, et ai sudu fuerit, surgunt qui volunt cireiter 4^"*, ad colligendos ramos Mai< modo non sit madefactis pedibus; et tum omant fenestras cubici frondibus virentibus, redolentque domus fragrantibus herbis.

Hoc tempore permissum est, ut vemi temporis florentem su yitatem Rhyibmis vel Anglico sermone conteztis describant, pro i genii captu, ita tamen ut aliquid Virgilii, Nasonis, Horatii, aut a cuius boni et praestantis poetae de Latino cxprimant.

lohannes ante Portam Latinam multa secum adfert commod Etenim a prandio dormitur in scbola pueris, donec ingrediai Censor Aulae et Anagnostes. Tum illi clamant, Surgite: illico su gitur; ad horam 3*™ itur ad merendam"; a coena post septima luditur. Huius diei celebritas non insulso etiam carmine praec catur: 'Porta Latina pilam, pulvinar, pocula praestat'. 21^ die beati simae et felicis memoriae Principi et Regi Henrico Sexte ius persolvunt. Datur singulis pueris 2 d. In die Ascensus Christi, mil tiae literariae vacatio datur; cessant a studiis, relazant animos, qui studio efTeruntur visendi Parentes aut amicos; quorum ben

'* SU dieser stunde wird auch jetzt noch den King*! Scholars rend des sommers eine erfrischung gereicht, die für sie (i^ebräuchlicl l)ezeichnung 'bever' (von bevere, bibere) ist auch in Winchestc Westminster und in der schule des Charter House üblich.

Th. Klfthr : die lateinschulen zu Eton und Winchester im 16n jahrh. 605

ficiis hie aluntor ad doctrinam, his facultas discedendi conceditur ea conditione, ut reversionem faciant ad festum Corporis Christi, quin- etiam pridie eias diei, nisi ad vesperam praesentes faerint, Ter- berantur. Qai vero diutios adhuc se absentes detinuerint a schola, his collegii fructibus omnino privantur.'® Hie praeceptor priusquam exercitium snum dimiserit, pueris e Indo literario omnibus convo- catis coDcionem habere seiet, qua quemcunque admonet officii sni, ut melius ad bonos mores se componant, memores turpissimum esse se e literatissimorum hominum CoUegio redire inanes, dedecorantes et collegii ezistimationem et magistri.

Mense lunio.

In feste Natalis D. lohannis , post matutinas preces , dum con- suetudo floruit, accedebant omnes scholastici ad Bogum extructum in Orientali regione Templi , ubi reverenter a Symphoniacis cantatis 3ibui Antiphonis, et pueris in ordine stantibus venitur ad merendam. In hac vigilia moris erat (quamdiu stetit) pueris omare lectos variis rerum variarum picturis, et carmina de vita rebasque gestis lohannis Baptistae et praecursoris componere, et pulchre ezscripta affigere clinopodiis lectorum eruditis legenda. Hie luditur et dormitur mane ad sex tarn usque, quia fere hora 9* est, anteqnam lectulos petunt.

In feste D. Petri idem mos obseryatur, qui supra.

Mense lulio.

Visitatio Mariae maius duplex: luditur.

In Translatione Divi Thomae , solebant rogum construere , sed nee Omare lectos, nee carmina componere, sed ludere, si placet prae- ceptori,

Festum reliquiarum : luditur, verritur cubiculum.

Hie 7*™ hebdomadibus ante electionem in Regale Collegium Cantab. inchoatur exhortatio literaria Aetonae , et affiguntur Portis Cbartae denunciantes liberum esse omnibus liberalis ingenii et egregiae indolis pueris, ad bonasque disciplinas percipiendas aptis et idoneis ad Collegium Aetonense accedendi , eorumqne iudioium

*^ diese dreiwöchentlicheD ferien waren ein besonderer vorsag der Etonschüler, da sonst nar die kirchlichen f eiertage und bisweilen noch, wie s. b. in der Merohant Tailors* School in London (gegr. 1661) ein nachmittag in der woche schalfrei waren. Colets schalordnnng für die Paiilsschnle (1512) bestimmte: 'sie sollen aach keine Spieltage haben, wenn der lehrmeister ihnen einen feiertag gibt, so soll er in straf verfallen sein, es sei denn, dasz der könig, ein erzbischof oder bischof in eigner person zugegen wäre und solches verlangte' (das leben des Fürtrefflichen Engeländers D. Johann Colet von Sam. Knight aus dem englischen übersetzt von Theodore Arnold, Leipzig 1755). die schüler der Londoner schneiderschale richteten 1644 eine versificierte petition HH die patrone um gewährung von Spieltagen anstatt der feiertage (ab- gedruckt in H. B. Wilson, A Historj of the Parish St. Laarence Pountny, Lond. 1831, s. 262).

N.jahrb f.phil.u. päd. II. tbt. 1895 hfl.lOu. II. 33

606 Tb. Kl&hr : die lateinschnlen tu Eton and Windhetter im I611 jalü

subenndi, qni id agent, ut aptissimi qoiqae ex omni Britaiinia Colleginm Aetonense sabrogentar.**

Electionis tempore per quinque dies Inditur a prandio , ai a feratur Epomis Cuculla Philosopbiae, vel Praepositi vel ezamin tomm, in Aulam.

In Hebdomada Electionis celebrantur exequiae Boberti Read quibos interesse praepoaitus Cantabrid. et examinatores oportet

Mense Angasto.

Assnmptae Yirginis et Matris festum est principale duple: Vigilia verritur cubicalum, Inditur sub vespertinas preces, et toi die festo.

Decollatio Sancti Johannis Baptistae merendam tollit et aafer et promus a prandio rogat praeceptorem ladend! veniam puerorai nomine in totam diem. Posthac non luditur a 7*.

Mense Septembri.

Nativitas Mariana celebratur quondam, et Cubicalum verrebatu

Hoc mense quodam** die, si visum fuerit praeceptori, libei

rima ludendi facultas pueris conceditur, et itur coUectum Ayellanai

" dem beispiele des William of Wykcbam folgrend, der 1375 dl Winchesterschule mit einem aniversitätscollege in Oxford verbaue hatte Heinrieb VI, angeblich auf anregung John Langtons, für di Schüler Etons, welche 'arm und bedürftig, für das Stadium begab von guten sitten und leidlich geschickt im lesen, singen und in grammatik^ waren, freistellen im Ringes College of our Ladj au St. Nicholas in Cambridge gestiftet (Mullinger the university of Caa bridge I 306). die prüfung und wähl der schüler sollte alljährlic zwischen den festen St. Thomae und Assumpt. Mariae stattfinden un die einladung hiersu 7 wochen vorher an die thore des coUege un der kirche in Eton angeschlagen werden, an dem bestimmten tag sollte der provost und 2 fellows das King^s College auf kosten ibrc Stiftung mit nicht mehr als 10 pferden nach Eton kommen, in ihr« gegenwart hatten der provost, viceprovost und headmaster von Eto die prüfung und wähl vorzunehmen und innerhalb 5 tagen au vollende 'ohne rücksicht auf gesuch, bitte und begehren von königen, königinnei prinzen oder prälaten, adligen oder herren'. in derselben zeit sollt die aufnähme neuer schüler in Eton stattfinden, die knaben 'von gutei Charakter, sittlicher führung, arm und bedürftig, genügend beschlage im lesen, im Donatus und im unverzierten gesange' sein musten. si durften nicht unter 8 und nicht über 12 jähre alt sein, nur besondei wohl unterrichtete knaben konnten bis zum alter von 17 jähren aui genommen werden, wenn sie das alter von 18 jähren erreicht hattei musten sie Eton verlassen, auszer im falle, dasz sie auf der candidateo liste für Ringes College standen. Stat. III. IV.

*' Roh. Reade of Burnham starb 1515, wurde in Eton begrabei und stiftete vor seinem tode dem College eine summe. Lyte a. a. o. XOi

'^ wahrscheinlich am 14 sept. vgl. Brand m. a. o. I 280. doi werden aus einem alten Schauspiele die verse citiert:

This daj, thej say, is called Holy-Rood Daj, and all the youth are now a nutting gone.

Th. Klfthr : die lateinschulen la Eton und Wincheiter im 16d jahrli« Ö07

quas domnm cum onusti reportaverint, veluti nobilis alicuius praedae portionem, Praeceptori, cuius auspiciis susceptum illias diei iter in- gressi sunt, impartiunt, tum yero communicant etiam cum magistris. Priusquam vero nuces legendi potestas permittitur, oarmina pangunty Autumni pomiferi fertilitatem et fruotuoeam abnndantiam pro virili describentes, quinetiam adveotantis hiemis, durissimi anni temporis, letalia frigora, qua posaunt lamentabili oratione deflent et persequuntur; sie omnium rerum vioissitndinem iam a pueris addiscentes, tum nuces, ut in proverbio est, relinquunt, id est; omissis studiis ac nugis puerilibus ad graviore magisque seria con- yertuntur.

Mense Octobri.

In Translatione D. Edyardi vel diebns festis scholam frequen- tare inoipiunt ad 4*"*, donec auditur 6* in literis perseverantes. Hoc tempore ex Bibliis et sacris literis praecipue inaudiunt aiiquid, ut inde vitae sanctimoniam amare discant, contraque mores perditos profiigatosque et impia facta snmmopere detestari.

Haec consuetudo omnibus festis diebus duret ad Paschale tempus.

Mense Novembri.

Festum Omnium Sanctorum maius duplex. Yerritur cubiculum et luditur.

In die Animarum circiter 7^*° venitur ad templum a pueris in superpelliciis ad preces peragendas. Post prandium itur ad ludum literarium , et dicunt vicissim preces fnnebres spe posteritatis fruc- tuque ducti vitam mortuorum, in memoria vivorum grata recor- datione ponentes.

Haec fiunt presente praeceptore, qui iubet lectiones lugubres ordinari a pueris quibus illi visum fuerit , et inde vulgaria oonfici carmina de exurrectionis gloria, de animamm beatndine, et spe immortalitatis. Ad 2^™ vel 3*°> horam itur ad ludendum.

In die Sti. Hugonis Pontificis solebat Aetonae fieri electio Episcopi Niholensis , sed consuetudo obsolevit. Olim episcopus ille puerorum habebatur nobilis, in cuius electione, et litereta et lauda- tissima exercitatio ad ingeniorum vires et motuB excitandos, Aetonae celebris erat."*

die Statuten Winchesteri (ur. XXIX) and Etoiis (nr. XXXI) setsen aasdrücklich den 6i. Nicolaastag fest, an dem der knaben- bischof (Episcopus Parvulorum, £. Nihilensis oder Nicolatensis) , be- gleitet von den Clerks, seinen in priestergewänder geb&llten kameraden, in die kirche ziehen und dort alle gottesdienstlicben handlungen mit ausnähme einiger functionen bei der messe verrichten durfte, die ab- weichung von den Statuten in Malims berichte hat die unwahrschein- liche annähme veranlasat, dasz in Eton zweimal eine solche feier statt- fand, dieselbe fiel in den einzelnen gegenden auf verschiedene tage, denn in dem noch zu erwähnenden edicte Heinrichs VIII werden auszer dem Nikolaustage noch der St. Katharinen- und St. Clemenstag, sowie

33'

506 Th.KlIhridielatdiuehnlenBoEtimand'miidiesterimltoj

Decembri Hense.

Ciroiier festam D. Andreae LudimagiBter eligere solet pro sno arbitrio scaenicas fabulas optimas et quam aocommodatissimaay qnas pueri feriis natalitiis rabBequentibus non eine ludomm elegantia populo spectante, publice aliquando peragant Histrioniim levis an est, ad actionem tarnen oratomm, et gestom motamqne corporis decentem tantopere facit ut nihil magis.

der tag der nnsolmldigen kiodlein genannt, an weleh letateren die feier lu halten, die Collegestatuten ansdrfieklich verbieten. Colet aetste dagegen gerade diesen tag in seiner schalordnnng fest: 'alle kinder sollen allemal am tage der anschuldigen kindlein in die PaaUoer kirehe kommen, und des kleinen bischofs, der noch ein kind ist, predigt an- hören, hernach sollen sie sich in der hohen messe einfinden, nnd jedes von ihnen, nebst den lehrmeistern der schale, dem kindbisehofe opfern' (Knight- Arnold a. a. o.). des Erasmas f&r Colet verfksste Condo scholastica de puero Jesu ist wahrseheinlieh eine solche kinderpredigt. diese Vermutung Hart felders (das ideal einer homanisienschale. verhandlangen der 41n Versammlung deutscher philologen and Schul- männer) findet eine gewisse bestätigang durch deo titel einer üheraas seltenen, in englischem privatbesits befindliehen flbersetsang der Concio: A Sermon of the chylde Jesus made hj the most famous clerke Doctour Erasmus of Roterdam, to be pronounced and preached of a chylde ante chjldren, printed by Redm. in einer Verordnung des jabres 1542 verbot Heinrieh YHI gans energisch das fest des knabenbischofs: 'da bis jetst verschiedene und viele abergläubische und kindische cere- monien beobachtet worden sind und bis sa diesem tage in vielen and sonderlichen teilen dieses köoigreichs beobachtet and gehalten werden, wie, dass am 8t. Nicolaus-, St. Katharinen-, St. Clemenstage, am tage der heiligen unschuldigen und dergleichen seltsam ausstaffierte knaben, als priester, bischöfe und frauen verkleidet, singend und tanzend von haus SU haus sieben, das volk segnen und geld einsammeln, wie, dass auch knaben die messe singen und von der cansel predigen nebst anderen unpassenden und ungehörigen gebrauchen, dio mehr aar Ver- spottung als Eum wahren rahme gottes und seiner heiligen dienen: will und befiehlt des königs majestät, nichts mehr als die förderang des wahren ruhmes gottes erstrebend, dasz hinfort alle solche 'aber- gläubischen gebrauche unterlassen und in seinem königreiche und seiner herschaft gänslich ausgerottet werden, um so mehr als sie mehr dem ungesetzlichen aberglauben der beiden als der einfältigen und reinen religion Christi gleichen' (vgl. Warton the history of engl, poetry ed. C. Hazlitt, Lond. 1871, HI 228). unter der katholischen Maria lebte dies fest aber wieder auf, denn Hughes Rhodes druckte 'the Song of the Childrens hyshop, as it was sung before the queenes maiestie in her priuie Chamber at her manour of suint James in the Feeldes on saynt Nicholas day and Innocents day this yeare nowe present by the chylde byshope of Poules chnrche with his Company' und am 13 nov. 1554 erliesz der bischof von London eine Verordnung an den ihm unter- gebenen clerus, 'einen knabenbischof in procession su haben^ (Strype eccl. mem., Lond. 1822, IH s. 202). aus dem jähre 1556 wird denn auch berichtet, dass am Nicolaustag der knabenbischof seinen nmsag in der alten weise gehalten habe (Strype a. a. o. III 310. 387). nach der thronbesteigung Elisabeths scheint die sitte aber rasch und völlig verschwunden su sein, denn die Schulordnung der Merchant Tailors* School (1561) z. b. weiss nichts mehr von dem feste des knabenbischofs.

Th. El&hr : die lateinBcHnlen zu Eton und WincbeBter im 16n jahrh. 509

* Interdum etiam ezhibet Anglico sermone conteztas fabulas, quae babeant acumen et leporem. ^

In vigilia D. Thomae indicitur otium literarium et vacatio a publica praelectione in scbola. scribere discunt, et ea exercitatio scribendi ad Epiphaniam Domini continnata permanet

Praeter haec discipuli inter se conferunt quotidie aliquid , ali- quid interpretantur, atque hoc proprio Marte et privatim alter in- vitat ad epigrammata; ille lacessit carminibus, nee deest qui prosa oratione laudandam invidiam ad virtutis imitationem excitet atque commoveat.

Haec omnia etsi propemodum nescio praeceptore fiant, etenim hoc tempus omne permittitur lusibus ; animadvertit tamen sedulo, ut intermisceantur ludi liberales, ludi literis digni et non abhor- rentes ab ipsis studiis, ut bonas boras vel ipsis natalitiis, non male coUocasse videantur.

In die Natalis Domini luditur; et statim a 7^^ itur cubitum, quia surgendum erat quondam pueris, intra 3^°* et 4^, ad preces matutinas.

Omnibus feriis insequentibus luditur et ante et post coenam in Aula propter ignem.

In diebus operariis Natalitio tempore scribitur toto die in ludo literario , sed luditur post coenam singulis noctibus ex consuetudine et 'pro arbitrio Praeceptoris.

Horaquinta. ünus ex cubiculi praepositis (qui omnes qua- tuor sunt numero), cui boc munus illa hebdomada obiecerit, ^Surgite' intonat. Uli omnes statim pariter consurgunt. Fundentes Interim, dum se vestiunt, preces quas suis vicibus unusquisque orditur, ac caeteri omnes alternis versibus subsequuntur. Finitis precibus lectos sternunt. Inde unusquisque, quantum pulveris et sordium sub suo lecto est, in cubiculi medium profert, quem deinde variis cubiculi locis conspersum, quatuor ex omni numero, ad boc a praeposito designati , in unum acervum redigunt exportantque. Tunc omnes

'^ wie häafij^ derartij^e anfführungen in Eton waren, beweisen die seit 1525 zahlreichen anf sie bezuglichen eintrage in die rechnungs- bücher. bekanntlich hat die erste regelrechte englische komödie Ralph Roister Doister den Nich. Udall, der 1534 bis 1543 headmaster in Eton war, zum Verfasser, da ihre entstehung aber zwischen 1546 und 1552 fällt, so wird sie zuerst von den Schülern des Westminster College, wo Udall zuletzt headmaster war, gespielt worden sein (vgl. J. W. Haies, the date of the first english comedy, engl. stud. XVfll 3, 408). wohl aber mag ein anderes drama Udalls, Ezekias, in Eton dargestellt worden sein, denn der bericht über seine aufführung vor der königin Elisabeth ge- legentlich ihres besuches in Cambridge 1564 bemerkt 'handled hy King^s College men only' (Nichols, progresses of Elisabeth III 177). da es für diese gelegenheit nicht erst verfaszt worden sein konnte, denn Udall war bereits 1554 gestorben, so laszt sich seine wähl dadurch erklären, dasz einige darsteiler bereits während ihrer Schulzeit in Eton darin aufgetreten waren.

510 Th. Elfthr: die lateinscbulen eu Eton uad Winchester im Ita jakrfa.

bini longo ordine lavatum manoB descenduni", a lavando revtrsi scholam ingrediuntur, ac snum quisque locom capessit.

Bora sexta. Ipgreditur hypodidascalus, ac superiori scholae parte flexis genibus preces orditur; quibus finitis ad primam et in- fimam classem descendit repetens ab bis et oraüonis partem et ver- bnm, qnod praecedente die dederat coningatum. A prima ad secun- dam se oonvertit, a secunda ad tertiam, a tertia, si visom foerit, ad qaartam, qoae in illius parte sedit, ad aeptimam*', ibi si quid obsciz- rius oriatur examinando. Alter interim ex scholae praepositis, coiqae

*^ an die 'knabenpiunpe', die in den recbnangsbüchem erwlhnt wird. Lyte a. a. o. b. 144.

*^ die schale war in 7 classen geteilt, die le, 2e und 36 clawe bildeten die lower school, die von dem anterlehrer (uBher) onterrichtet wurde, die vier folgenden ciassen wurden die upper fchooi genannt und standen anter dem headmaster. die 4e classe jedoch nahm eine swischen- stellang ein, da sie swei stunden am tage dem asher nnter^^eben war. der vorkommende Ausdruck mag^stri beseichnet die pfründner des College, die Statuten der Stiftung weisen die aufnähme an von 70 armen schalem, 10 priestern, 10 caplänen, 10 clerks, 16 choristers (arme knaben nicht über 12 jähre, die auch vom headmaster unterrichtet und vom Orga- nisten, einem der clerks, im kirchendienst anterwiesen werden sollten), 13 armen barschen (16 20 jähre alt, die als diener benatst wurden, aber keinen lohn empfiengen und im alter von 26 jähren entweder die anstalt verlassen oder das amt eines bücherabschreibers übernehmen sollten) und von 13 armen und kranken mXnnern (stat. X und XXX). der headmaster, ^ein mann von gutem Charakter, geschickt in der gram- matik und im lehren, wenn möglich magister artium', sollte 16 £ neben freier beköstigung und einem zimmer, sowie 6 jards tuch, der usher, wenn möglich bHccalaureus artium, 6 £ 12 s ausser freier bekSstigung und 4 yards tuch jährlich erhalten (stat. XIV. XXVIII. XXIX). wie die 70 stiitungsschiiler und die choristers sollten noch freien Unterricht erhalten solche knaben, deren lebensunterhalt die eitern bestritten, die Statuten (XVI. XVIII) nennen sie commensales. 20 von ihnen, den söhnen von vornehmen und besonderen freunden des College, war ge- stattet, gegen entschädigung in der anstalt zu wohnen, sie nahmen ihre mahleeiten an dem tische der capläne, clerks und des ushers ein nnd zahlten dafür wöchentlich 1 s 8 d. die übrigen commensales, deren zahl die Statuten nicht beschränken, wohnten in der Stadt und werden daher seit 1667/8 in den rechDungsbüchern oppidans genannt, sie aszen mit den stiftuugsschUlern, und ihr kostgeld betrug 1 s die woche. die ans> gäbe für jede mahlzeit für je vier knaben war auf 2 d festgesetzt, sonn- tags, dienstags und donnerstags wurde 1 d mehr für das abendbrot auf- gewendet, eine weitere summe von 1 s 4 d war wöchentlich für je vier knaben ausgeworfen für 'breade, drink, otemell and same*. die rech- nung für Nicholas Dethick aus den ersten jähren der regierong der katholischen Maria zeigt aber, dasz die Statuten bestimmung der völligen unentgeltlichkeit des Unterrichts für jeden schüler nicht mehr beachtet wurde, denn sie führt 6s 8 d als vierteljährliches Schulgeld unter den verschiedenen posten auf (Qentleman^s Magazine 1838 vol. II s. 490). in den rechnungen für die brüder Cavendish, die 1560 9- und 10 jährig in die schule eintraten, trifft man noch den seltsamen posten von 6 d vierteljährlich für 'penne and ynke, brome and byrche' (the Retro- spective Review sec. ser. II s. 149 165: an acconut of the expenses of the two Brothers, Mr. Henry and Mr. William Cavendish, Sons of Sir William Cavendish of Chatworth, Knight, at Eton College, beginning October 2P»> 2nd Elisabeth, 1560).

Th. Klfthr : die lateiBSobulen za Eton und Winchester im 16n jahrh. 61 1

ordini tarn in Praeceptoris qaam bypodidascali parte praepoeitos adiens ab eis a matutinis precibus absentium noimina descripta aiifert bypodidascaloque tradit. Alias item praepositas (qui solus semper hoc munus obit) singulorum manus et faciee diligenter in- tuitas, ei qui forte illotis manibHS ad scholam acceeserunt; hos ille ingredienti Ludimagistro statim offert.'^

Hora septima. Ordo quartas ab bjpodidascalo ad Ladi- niagistri partem se confert. Ingreditnr scholam Ludimagister. Eine omnes omniam ordinum praepositi suos post septimam absentes tradunt, ac unus etiam ex scbolae praepositis eorum nomina qui pridie post sextam et septimam vespertinam e sohola abfuerunt, Ludimagistro suos, hypodidascalo item suos tradit lüde omnes ordines , quae sibi praelecta fuerant, memoriter reddunt, eo ordine, ut custos** semper incipiat et caeteros recttantes auscaltet.

Horaoctava. Ludimagister suis sententiam aliquam quartae classi yertendam, quintae variandam, sextae et septimae versibus concludendam proponit, cuius ab ore custos primus exeipit, et primus yertit. Hypodidascalus item tertiae et secundae olassi sententiam aliquam proponit vertendam, et primae quoque eed eam breyissimam.

Vulgaria exbibita a singulis scribuntur eo mane, quae sub- sequeni» die et Ordinate et memoriter recitant. "^

Hora Ilona aut circiter" primum superioris oniusque ordinis custos dassis sibi proxime lectionem memoriter recitat et ezponit, deinde Ludimagister suis, hypodidascalus item suis eadem praelegit.

In diebus Lnnae et Mercurii quatuor superiores ordimes de proposito illis themate soluta oratione scribunt>, ex secundo ordine tertio et primo sibi quisque sententiam proponit ac vertit.

In diebus Martis et lovis superiores ordines themata sibi pro- posita carminibus concludunt; reliqui duo soluta oratione eadem tronscribunt.

In diebus Lunae et Martis praelegit Ludimagister r4® Terentium." ^ ,. .lö^ lustiDum historicum.

i"m ßo I Caesaris Commentaria; Officia Ciceronis; de Amicitia ;

'^ im 17n jahrh. waren im Westminister College zwei monitores immundoram.

'* diese bezeichkinng custos (im engl, dance) fttr den ersten sohfiler einer classe scheint ans dem kirchendienste herttbergenommen za sein, wo der custos chori den gesane anzufangen hatte, ein abschnitt am Schlüsse des consuetudinariums (t. 8^ 616) berichtet allerdings noch über «in« andere Verwendung der bezeiehnang custos.

*^ in dem Cambridge Ms^ ist dieser abschnitt als randberaerkung Yerzeichnei.

'1 die knaben nahmen nun wohl um diese zeit ihr frühstück ein, wie dies bezüglich Winchesters ausdrücklich erwfthnt wird.

^* die erste ▼ollstäodige ausgäbe des Tereaz in England, 1497 von Pynson gedruckt, wurde erst 1598 you der editio des Bernard von Axholme abgelöst.

512 Th. Klfthr : die lateiiuichaleii in £ton and Winehester im Ite jahxli.

lisdem diebus praelegii bypodidascalos

130 Terentium. 2^ Terentium qnoqae. Vivem." Ex qnibas lectionibos pneri exoerpont flores, phrases ?el dioendi loqnaiiones; item antitheta, epitbeta, sjrnonjma, proTerbiSi aimili- tadines, comparationes, historias, descriptiones temporis» loei| per- sonarom, fabnlas, dicteria, sohemata et apophthegmata. In diebne Mercurii et lovis praelegit Ludimagister

!A9 Ovidium de Tristibus. 5^ Ovidii Metamorphoses. 5°)Virgilinin.

lisdem diebns praelegit Hjpodidascalas

!3® Selectas per Stnrmium Ciceronis epistolas.^ 2^ Luciani Dialogos.* 1^ LadoTienm Vivem. Hora nona, cum suis praelegerint, exeont schola.

Hora decima. Schola praepositus *ad preces conBurgite' ex- clamat.

Uli yero ex utraque parte scholae ereote stantes , Terba prae- euntem aliquem pro arbitrio praepositi designatam sequantar.

Inde bini omnes ordine longo in aulam procedont. Knito prandio eodem quo exibant modo ad scholam revertuntur.

Hora duodeeima. Ingreditur Hypodidascalus , atque quae ante prandium quartae classi praelegerat Ludimagister, ab eadem iam sua parte usque ad primam sedente reposeit et singulas orationis partes discutit. Eidem primo ingredienti quatuor primo- rum ordinum praepositi suorum absentium nomina exhibent.

Hora prima. Quarta classis in suam propriam sedem migrat; iamque ingredienti Magistro singulorum ordinum praepositi snos tradnnt absentes. Ludimagister quod spatii inter primam et tertiam datur in quinto, sexto septimoque ordine examinando inainuat, et ex proposita lectione vulgaria ad linguae Latinae exercitationem condit; ita tamen ut dimidia hora ante tertiam triam superiorum ordinum praepositi sua et sociorum themata eidem tradant, quae examinat diligenter.

Hypodidascalus easdem horas in tribus suis ordinibus exami- nandis ponit.

*' wahrscheinlich die linguae Latinae exercitatio 1539.

'* Cic. epp. 1. IV, a I. Stnrmio educationi puerili confecU (^pistolae minores) Argent. 1539. ygL Schmid, gesch. d. ers. II* 334.

'^ in der lateinischen übersetzang , deren es mehrere gab, ■. b. Complures Lnciani dialogi e yersione Erasmi 1512. Thom. More über- setzte vier dialoge (Cjnicas, Menippns, Philopseudes, Pro tyrannieida): Lnciani Dialogi . . . compluria, London 1506, Paris 1514, Venedig 1516, Basel 1521, Leyden 1528, ancb enthalten in Thomae Mori Lucubrationes, Basel 1563.

id rogante a magistro uno praeposito.

Th. Elähr: die lateinBchalen sa Eton and Winchester im 16n jahrli. 513

Hora tertia. üterque exit.

Horaquarto. Bedit uterqne. Quo tempore tantum [i» Ex figuris in grammatica et carminnm reddun t ex his auctori- ratione.

busquantum illisaPrae-lö^ Valerium Maximum, Lucium Florum ceptore est constitutum, ] yelCiceronisEpistolas, Sysembrotum.'^

6°10raecam Grammaticam aut alind pro 7®| arbitrio praeceptoris.^ Hypodidascalo suorum absentes exhibentur, item 3^* ordinis themata, ac 2^^ etiam sententiae quas sibi quisque proposuerit, ac in sermonem Latinum verterit.

Tum unusquisque quantum sibi ex regulis praescriptum erat, memoriter dicit tum etiam vulgaria quo melius regulae grammatices intelligantur a pueris conficiuntur, nt inde Latinus sermo omni ratione familiarior sit.

Hora quinta. Eodem exeunt*® et revertuntur ordine quo ante prandium.

Hora sexta. li qui ex supremo ordine ad caeteras classes instruendas a Ludimagistro designati sunt suas provincias aggre- diuntur, et fidei suae commissos in lectionibus exponendis et sen- tentiis e sermone vemacnlo in Latinum vertendis exercent. Item dictata eodem die a praeceptore recitant et ordinant. Singularum classium praepositi hoc muneris subeunt, ita ut scholae moderatores animadvertant in omnes ad profectum in literis et morum com- positionem.

Hora septima. Potum dimittuntur. ^ Post septimam reversi eodem modo quo post sextam sese exercent, nisi certo quodam anni tempore, quo a coena luditur pro arbitrio Praeceptoris et consuetudine.

Horaoctava. Cubitum eunt preces fundentes.

Die Veneris.

Diebns vero Veneris post lectionem quam pridie habuerant recitatam, qui grave aliquod crimen commiserunt; accusantur. Cor- rectiones vocant^ dant enim malefactomm dignas poenas.

'* Epitoma tropomm 1541.

>7 diese einschränkung lässt aaf einen massigen betrieb des grie- chischen schlieszen, der in dem mangel an lehrern begründet war. wie die Statuten Colets für die Paulsschule (1512), so enthielt auch die Schulordnung für die schule der Merchant Tailors in London (1561) bei der qualificierung des Schulleiters ^a man . . . learned in good and cleane Latino literature and also in Greeke' den zusatz 'jf such may be gotten'. noch 1607 muste der chief usher der letzteren schule, als es sich um seine wähl zum headmaster handelte, seine unbekanntschaft mit der griechischen spräche eingestehen (Wilson, the History of Merchant Taylors* School, Lond. 1812, I 11).

^ um das abendbrot einzunehmen. Lyte a. a. o. s. 145.

BB diese erfrischung bestand in einem schluck hier und einem stück brot. Lyte a. a. o. s. i45.

514 Th. Elähr : die lateinsohiika zu Eton und Wuicheatar im I611 jahik

Ante prandium praelegitnr nihil.

Hora prima pomeridiana ingreditor uterquei leoÜones quas illa bebdomada praelegerant, reposcant.

Hora tertia egrediuntor.

Quarta revertontur, et qaicqoid eadem hebdofliada inter quar* tarn et quintam docuerunt illis redditur.

Ante 5^"* praelegit Ludimagister

14^ Apophtbegmata ant Epigrammata Marüalia, Catcdli, aut Tbomae Mori. Honttium. et 7^ Lucanum aot alium pro arbitrio. Inque diei sequentis horam septimam matatinam proponat thema ali- qaod 6^° et 7^ versibus ; quinto vere solnta oratione varianda. Ae ii boram 1*™ eiusdem diei pomeridianam ab iisdem mr8U8 et qnoqae ordine solata oratione fusius explicandnm. Ante 5*°^ praelegit Hypodidascalos

f Aesopi fabulas. iini^ 20

Ordini< 2^ Aesopi fabulas. [ V Catonem.

Die Sabbatbi.

Hora septima reddunt omnes ordines quae pridie praelecta fuerant.

Ludimagistro traduntur variationes.

Hypodidascalus quae piidie praelegerat cuncta ezaminat.

Hora 9* exit uterque.

Hora prima scholam intrat uterque et quae illa hebdomada dictaverant pueros recitantes audinnt.

Traduntur item Praeceptori themata. Hie si qui sunt ea hebdo- mada a praeceptore constituti ingenii exercendi gratia ficto themate proposito declamant, et alter in alterum invebitur orationes.^'

Ante 7**" nemini ad naturae requisita conceditnr exeimdi potesias sed ne tunc quidem pluribus quam tribus simul idqne cum fuste, quem in hunc usum habent egredi est permissum.

Gustos in Omnibus classibus is assignatar, qui vel Anglice loquitur, vel qui aliquam ex bis quas didioerat regulam integram

^ lateinische fiberseUung von 1502. 2e ed. von 1536 mit den fabeln des Pofginfl.

*^ der y^rg^leich mit dem lehrplane einer andern lateinschale in der ersten hülfte des i6n jahrh. ist nicht ohne Interesse, es handelt sich um die schale von Safihron Waiden in Essez, die 1585 errichtet wurde. aus ihr ist zunächst eine sohnlordnnn^ erhalten, die Richard Cos, der in Eton vorgebildet war, verfasste. die sohüler hatten von früh 6 nhr bis nachmittags ,5 ubr Unterricht mit einer viertelstündigen pause am 9 obr und einer mittagspause um 11 uhr. der unterrichtsplan war folgender:

Th. KlSiir : die lateinschnlai zu Eton uad Winchester im 16d jahrh. 515

9

U 9

08 30

Qaosdecetin mensa

at tbe afternone

render Latynys

Cato, and at tbe afternone render Latynys and vul- gares

Properest hymls

and attbe afternone

render Latynys and

yulgares

Vergilü Buccolica,

at tiie after none

render Latynys and

ynlgares

Vergilü Eneis, re-

petyng of Latynes

and vulgares lernyd

tbat weke

1 «^

o » tL •" ? fl «

^ 08 «> .- ® U-a

=3 «->o •fioO > =

»^ 2 fl > tum

9 9

2

0

Qaos decet in mensa in tbe after- none and render- yng of tbe rules

Cato, at tbe after- none render rules

Most proper bymys, and at tbe after- none render rnles

Vergüü Bacoolicn

in the roornyng, at

tbe after none they

render rulys

Vergilü Eneis in tbe roornyng, at tbe after none render- yng of rules lernyd tbe hole weke

Vergilü Eneis in tbemomyng, attbe after none render- yng of the rnles lernid that weke

a

9 »0

§

N4

a

9

a

MI

Epistolae Tallü

makyng of

epistles beside

Salustias

Epistolae Tullü

makyng of

epistles beside

Horatius

Tewsdaye Wednesdaye

B o

'TS M

a

9

a

o

a

o

'TS

The same, saye they make no- tbyng

Lyke as afore

saye they make

notbyng

Idem

a

9

a •S

Hl

a

9

^ i

The same

saye they make

yerses

All lyke Mon-

day saye they

make yerses

•0 fl o

'S

Parte of Stanbridge« Accidence eyery roor- nyng, with tbe second, thrid and fowrthe forme. Institutiones paryulo- nun. Vocabnla. And also Latynes.

Fabnla Aesopi Genera Lilii Latynys fower tymys in the weke

Terence

Preterita Lilii

Latynys

Terentius

Ooto partes Lilü

Latyns twies eyery

weke

Wrytyng of a theme

Sallnstius

Versefying rulys drawne

owte of Despanserius;

otber Modus conscri-

bendi epistolas

Horatius or Tullius

Moseüan figures or

copia rerum et yerbo-

rum of £rasmu8.

The ffyrst forme

Tbe seconde fforme

The thrid fforme

The fonrtbe forme

The fyfthe forme

Tbe syzte

fforme and

the seyenthe

forme

1

516 Th. Klfthr: die lateiiMohnleii lu Eton und WinehMter im len ji

exceptis tribus Terbis roganti recitare non polest, aat qai i scribendi rationem negligens in Orthographia Z^ pecoayit in

obartaceis.

aas den jähren 1546/7 ist noeh ein lehrplan derselben aehnle, lei nicht vollständig, erhalten, der von Job. Twitben, eehoolmaster, Thom. Brownyng*, asher, verfasst, einen fortsehritt und die eigenl liohkeit des sonntagsunterricbts seigt:

'Oyide Metamorphoseos tbe Thorsday, Salnst the Tryämj with rij forme and at after none renderyn^ of there mljs. The Saterd Ijrke as the yij forme. The Sonday Ijkewise.

The y^ forme.

They have the Tersyfycal mlys of Sulpiee geyyn in the mon of one of the yj^ forme and tbys t^ forme geyyth mlya to the foi tbe which be preterita et snpina of Sulpiee. Also iiij yersee of O Metamorphoseos the Tbnrsdav, Ballast iij fyrst dayes of the weki be renderid on Saterday in the momyng. Tbe Latyne thej haTe i the fowrthe forme. There constrnctyones is tbrowghowte the « UDto Fryday. Vergilles Egloges, and another Tallies Bpistlee, 1 make materes ageynst Tewisdaye. The Wednysday the make yei The Tharsday Epistles. The Friday in the mornyng a part of tl mlys to be ezamined. Att the aftemone renderyng of there r lernyd that weke. The Saterday x^ verses to be Said withowte I on the momyng with tbe examynation of the same, with renderyn] there Latynes. After none constmyth epistles. Tbe . Sonday as other formys dothe.

The ffowrthe forme.

After mies and verses geven of the V^ forme tbey hath a t providyd ageyne vij of the clok when the scbolemaster conayth in hase the verbe examyned among them with vulgares npon tbe %\ and after they write the Laten that one of them shall make by assygnyng of the master. And the master constmyth them a pon of Terence, and at aftemone thei constme it and parce it by ussber. And after renderith rules and then there Latyn ; tbis cont with tyll Friday, than they have a part of there mlys to be ezamy And at aftemone renderith of the rules lernyd that weke. Tbe Si day in the mornyng xij verses of Ovide Metamorphe'. At aflen repetyng and examynyng there Terence lernyd before. The 8oi with other low holydayes an Englysb of an Epistle to be made in Li dyverse wayes and somtyme Tallies Paradoxes to be constrnyd.

The thrid forme

hath for the mies Sulpiee genderes and bis hetemclites declarid ei day a portyon of the ussher, and hath throwgh the weke over nj a verbe set np to be examyned in the mornyng, and makith vnlgi upon yt; and after none they have a theme to be made in Laten, which Latyne one of the seid forme at tbe pleasure of tbe ma makes openlie dyverse ways. And after that they write tbe maat owne Latyne. For tber constructiones nponne Mondayes and Wedei dayes Aesopes fabelles. Tuesdayes and Tharsdayes Lucyanes dialoi The Friday in the mornyng examynation of ther rules; at tbe af none renderyng. Saterday in the mornyng proper verses of metei Lilies makyng, and after that repetytyon of there Latens witb examynatyon of tbe same. The Sondaye a dialoge of Luoyane o fable of Esope to be said withowth booke and construed.

Th. Klfthr : die lateioBchulen tu Eton und Winchester im 16n jahrh. 517

Scholae Actonensis Praeceptores e paeris constituantur i.^'/^ Aulae moderator unas. ** Templi dao. Campi 4^'. Cubiculi 4^*'.

Oppidanorum duo.

Immundorum et sordidorum qui faciem et manus non lavant

et se nimis sordide adiicinnt, unus.

The seconde fforme

Ijkewise tbrowh the weke has a verbe seit np over nyght, and makith ▼nlgaris on It, and dothe like at Laien as the thrid forme, ther ruljs, Parvnla of Stanbridge, and ij verses of bis vocables. There con- structvones Esopes fabnies tbrowh all the weke, save that on tbe ßaterdaj in the mornyng they have iiij verses of Cato to be renderid withowte boke, with the ezamynatjon of tbe same.

The ffirst forme.

In the mornyng a part of Standbridge accidens, and a verbe of the same accidens to he said withowte booke, and then a Laten to be Said at the after none, after that repetycyon of the mies. The Fryday tbere comparisons with the verbe snm. es. fui. to be said; at tbe afternone repetytyon of there rnles. At Saterday repetytyon of there Cato. The Sonday a faball of Aesope.

Also every fforme renderith a fortenyght every quarter for thynges lerDyd the qnarter before.' (Rnles of the Free School at Saffron Waiden in Essez, in the Reign of Henry VIII. oommnnicated by Thom. Wright. Archaeologia XXXIV, London 1852, s. 39 f.)

^' dieses monitorensystem war in den Statuten für Winchester College (abschn. XXXIV) ausdrücklich gefordert: 'in cameris sint ad minus tres scolares honesti ac ceteris scoTaribus maturitate, discreoione ac scientia provectiores, qui aliis suis cousociis concameralibus studenti- bus snperintendant et eosdem diligenter supervideant, et de ipsorum rooribus et conversacione studiiqne profectu custodem, vice-custodem, et magistrum instructorem de tempore in tempns, quo eins causa seu opus fnerit, snb ipsorum debito iuramenti Collegio prestiti supradicto, cum acquisiti fuerint, veraciter certificent et informent' usw. dieser abschnitt wurde wörtlich in die Statuten für Eton aufgenommen (abscbn. XXXVI). die monitoren wurden in Eton schon frühseitig praepositores genannt, wohl um der würde des obersten Yorstehers, des praepositus collegii, nicht nahezutreten, in der zusammengezogenen form prepostors ist der titel in Eton bis auf den heutigen tag erhalten, die pflichten der praepositores sind aber im laufe der zeit ganz andere geworden , wie dies u. a. der bericht des Thom. James für die jähre 1768 bis 1775 zeigt, dessen inhalt sich bei Lyte s. 311 angegeben findet, die ein- richtung fand auch in andern schulen nachahmung. so erwähnt z. b. die Ordnung der Grammar School zu Saffron Waiden je zwei monitoren für jede classe, für den schulhof, die kircbe, einen für den schulweg, auszerdem 'Prepositores in the feld whan they play, for fy^htyng, rent-clothes, blew eyes or siehe like. Prepositores for yll kept hedys, unwasshid faces, fowle clothis and sich other.' Archaeologia XXXIV 38.

*" die rechnungsbücher weisen aus, dasz dem praepositor 'of the Haule' vierteljährlich 1 s bezahlt wurde 'for wryting the commons boke*.

(schlusz folgt.)

Dresden. Theodor Elähr.

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518 P. DOrwald: Sbhillen Braut Toa Meisum im onterriehl

48.

ZUR BEHANDLUNG VON SCHILLERS BBAÜT VON MES8I

IM UNTERRICHT.

Goethes Iphigenie nnd Scbillera Braat Ton Hessina sind die c zigen classischen drameii; deren behandlungdie neuesten preasnee] lehrplftne als lehraafgabe der prima ansdrflcklicb fordern, nnd siel verdienen beide dicbtungen vollauf diese ansseichnnngi da sie gewissem sinne die bOhepunkte der scbaffenskraft unserer diohl fttrsten bilden, aber eben darum, weil in ihnen das classic kunstideal des einen wie des andern seinen ToUendeisten aosdn gefunden bat, befremdet es, dasa diese dramen der unteren pii luge wiesen sind, da sie beide die berlichsten frflohta der antü kunstricbtung unserer groszen meister sind, so setst andi gerade i Verständnis ein gewisses masz classischer bildung beim leser von und einigermaszen würdigen kann die bedentung dieser dichtun^ doch erst , wer schon wenigstens von dem einen oder andern drai des Sophokles eine anschauung gewonnen hat. gewis ist es < triumph der kunst, dasz zum Verständnis dieser bewust nach BuiSk kunstgesetzen geschaffenen^ dicht werke keinerlei kenntnisse ( antiken dramatik nOtig sind, wie denn beide tragOdien mit vorlie wohl auch auf töchterschulen gelesen werden, doch das siel c dramenlectQre in prima wird sich nicht auf eine einsieht in den m bau der bandlnng und in die dramatischen Charaktere im allgemeis beschränken dürfen , sie wird die erkenntnis der den dichter leite den kunstgesetze und deren ästhetische wQrdigung umfassen müs« und wie kann man die beiden genannten dicht werke von der kün lerischen entwicklung ihrer schOpfer, in der sie ja doch nur ei stufe bedeuten, lostrennen wollen, wie kann man gerade sie aus de zusammenhange der 'lebensbilder' beider meister heraosreissei auch aus diesem gründe gehört die Iphigenie und in noch höhere masze wohl die Braut von Messina bei geteilter prima nach ob« prima, und zwar die erstere hinter die bebandlung der Ital. Reif die letztere schon wegen des schicksalsbegriffes hinter die lectfl der Wallensteindichtung. dazu kommen für die Braut von Messii von der im folgenden allein noch die rede sein soll, noch manigfacl Schwierigkeiten, die zu (überwinden nur mit hilfe der kenntnis d Scbillerscben ästhetischen Weltanschauung mOglich sein dürfte, j wir stehen nicht an, es auszusprechen, dasz die erklärung dies dichtung zu dem schwierigsten gehört, was dem scbfller flberhan geboten wird, vorausgesetzt natürlich, dasz diese sohwierigkeitc nicht umgangen werden , dasz man sich nicht mit den traditionelU urteilen begnügt, welche zwar ihrer dich tersp räche hohe schOnhe nachrühmen, aber über die eiuführung des chores, auch wohl üb die scbicksalsidee und die Verknüpfung antiker und moderner vo Stellungen einfach den Stab brechen, es berührt eigentümlich, wj

P. Dörwald: SchiUers Braot Ton Messuia im Unterricht. 519

selbst anerkannt gute bilfsbttcber und leitfSden der litteratur- geschicbte, die für den gjmnasialunterricht bestimmt sind, hier mit ihrem tadel gar nicht kargen, so nennt Herbst in seinem hilfsbucb den gebrauch des chores offen einen ^misgriff, der einem mangel- haften Verständnis von Ursprung und zweck des antiken chores ent« stammte', ja er sagt geradezu, *der Charakter seines antiken Vorbilds werde vollends aufgehoben', während Kluge von einer Wesentlichen abweichung vom drama der Griechen' redet, oder man lese die ganze reihe von aosstellungen nach, welche Laas, der deutsche auf- satz, an dem chore der dichtung macht, von den absprechenden litterarhistorischen urteilen, welche die Scbillersche diohtnng bis auf unsere tage gefunden hat, sehen wir dabei ganz ab, wie denn die folgende darlegung keinerlei beitrag zur litteratur der Braut von Messina bedeuten soll, sondern allein den didaktischen gesichts- punkt verfolgt, wären jene urteile nur einigermaszen berechtigt, 80 wäre von einer behandlung dieser Schillerscben dichtung im iinterricht ganz abzusehen; konnte sie doch nur bemüht sein, kritisch den wert des kunstwerkes herabzusetzen und nicht mehr geeignet erscheinen, diejenige begeisterung für unsern dichter zu wecken , welche die lehrpläne mit fug und recht das ziel dee deut- schen Unterrichts nennen.

Erfreulicherweise hat nun aber auch gerade im kreise der Schul- männer die Scbillersche dichtung, vor allem ihr chor, der ja die härtesten urteile von berufenen kennem des altertums wie von un- berufenen kritikern hat über sich ergehen lassen müssen, zumal in der jüngsten zeit besseres Verständnis und gerechtere Würdigung ge- funden, ich nenne vor allem Bellermann, Schillers dramen, von den Schulausgaben auch die bei Schöningh in Paderborn erschienene Hes- kampsche. auch der Schreiber dieser Zeilen hat bereits seit einer reihe von jähren im Unterricht der prima gegen solche oberfläch- liche urteile, wie wir sie von Herbst u. a. vertreten sahen, front ge- macht und ist bemüht gewesen, seinen schÜlern ein Verständnis für die hohe antike Schönheit der dichtung zu vermitteln, so soll denn die folgende darlegung zeigen, in welcher weise man etwa das drama in prima behandeln kann , um dem schüler eine einigermaszen zu- treffende und zugleich lehrreiche Würdigung desselben darzubieten, die erklärung der dichtung wird natui^emäsz an das griechische drama anzuknüpfen haben, dafür aber auch das Verständnis der antike nicht unwesentlich zu erweitem und zu vertiefen im stände sein, der hanptsache nach handelt es sich bei der Braut von Messina um die erörterung zweier fragen, derjenigen nach dem gebrauche des chores und der nach dem begriffe der schicksalstragOdie»

I. Der gebrauch des chores.

Indem ich den schülem die dichtung zur vorläu6gen ersten lesung anempfehle, beginne ich im unterrichte (etwa 3 Unterrichts- stunden 1) die erklärung der Schillerscben abhandlung 'über den

620 P. DOrwald: Schtllen Braut tod Memna im nntarrioht.

gebrauch des chores in der trag5die*. in ihrer wertschAtsong die didaktischen zwecke weiss ich mich eins mit manchen ad mftnnem; vgl. unter andern Steussloflf in den Verhandlungen westpbttlischen directorenconferens 1889 s. 181, ancb Schnipi ausgeführter lehrplan im deutschen , s. 81 , der ihr neben der handlung Aber naive und sentimentalisohe dichtnn^ den hau platz unter Schillers ästhetischen Schriften in prima einrftamt. i gewis fuhrt keine von ihnen dermaszen den leser auf die hShe idealistischen Weltanschauung, als deren Vertreter der nnterri den dichter auch in seiner lyrik kennen lehrt» wie gerade aie.

Der dichter spricht es im eingange dieser abhandlomg dentl genug aus: der eher der Braut von Messina ist ein der antü tragOdie entlehntes kunstmittel, weicht aber von seinem vorbi in einer wichtigen beziehung gänzlich ab. damit er auf ona vOl die gleiche Wirkung ttben konnte, die dem chore im drama der al eigen war, mttsten auch die in diesem mit dem aehanapiel uns trennlich verbundenen schwesterkttnste, die musik und die orchesi spiel und tanz vereint werden, 'so lange ihm diese sinnlich tige begleitung fehlt, wird er als ein auszending erscheinen, als aufenthalt, der nur den gang der handlung unterbricht, der täuschung stOrt, der den Zuschauer erkältet.' wir sehen, der dieh selbst ist weit davon entfernt, ttberschwänglich Aber diese se neuerung zu urteilen, er kennt die Schwierigkeiten, welche der c fdhrung des chores im modernen drama entgegenstehen, selbst a wohl, dasz er dieselben trotzdem glficklich zu beseitigen vermo« hat, wird die besprechung der chorpartien später zeigen, einst wei hören wir Schiller weiter, er fordert, man müsse sich also von < wirklichen bühne auf eine mögliche versetzen l mit andern wort seine neuschöpfung bedeutet einstweilen blosz einen versuch, < dramatischen kunst neue bahnen zu erschlieszen , sie höheren zie entgegenzufahren , wobei wir uns der werte des prologs an Wall Steins Lager erinnern : 'ein groszes muster weckt nacheiferung v gibt dem urteil höhere gesetze.' dasz der zweck der tragödie i jeder kunstttbung nicht der sein kann, dem kunstgeschmack v -urteil des publicums genttge zu tbun, zeigen die folgenden wor der dichter von wahrem, innerem berufe hat bei seinem schaf nicht die * Wirklichkeit*, sondern sein 'ideal' vor äugen. Schill auffassung von dem hohen berufe des dramatischen dichtere , c publicum zu erziehen, ist dem schüler wohl aus der abhandlung *< Schaubühne als eine moralische anstalt betrachtet' bekannt i vereinigt nun aber der dicht-er seine aufgäbe, den Zuschauer in < höchsten regionen der kunst hinaufzuziehen, mit dem verlang dieses nach 'vergnügen'? doch wohl so, dasz er es lernt, den begi dieses Vergnügens' recht zu fassen, der dichter tritt damit in < erörterung des endzweckes der tragödie ein. wie der schüler ao aus Lessings Laokoon gelernt hat, ist der endzweck jedes kun Werkes das 'Wohlgefallen', das 'vergnügen', der reine ästhetisc

P. Dörwald : Schillers Braut yon Mesidiia im Unterricht. 521

genusz ist aber von jeglicher begierde frei , er ist ^uninteressiertes Interesse', er ist 'die Freiheit des getnüts beim lebendigen spiel aller seiner kräfte'.

Worin besteht nun diese 'freiheit des gemttts'? zunächst in der ^befreiung von den schranken der Wirklichkeit', sie will jede Schöpfung der künste der einbildung, der nachahmenden künste, wie sie Lessing im Laokoon nennt, erreichen: das gemttlde, welches durch linien und färben den schein der Wirklichkeit, die illusion er- strebt ^ das plastische kunstwerk, das durch körperliche gebilde die täusch ung erweckt, wie nicht minder die weit der bühne, welche gestalten und handlungen darstellt, die nur für die einbildungs- kraft bestand haben, das 'spiel der phantasie' nun fibt die Wirkung, den Zuschauer auf einige zeit den beengenden schranken der Wirk- lichkeit zu entrücken , ihn in einer vom künstler geschaffenen weit festzuhalten, die ihn die alltäglichkeit mit ihren mtthen und sorgen, mit ihrem hasten und begehren für eine weile vergessen läszt. aber mehr als das , die Wirklichkeit soll nicht blosz dem blicke und dem vorstellungskreise des beschauers für kurze zeit verschwinden, es soll auch ein höheres an ihre stelle treten, das gemüt soll in dem spiel der einbildungskraft seine befriedigung finden, der snschauer sieht hier^ was er im gewöhnlichen leben vergebens sucht, nämlich einen ausgleich der härten und Schroffheiten der Wirklichkeit, er sieht das böse im kämpfe mit dem guten unterliegen, er sieht die idee des guten triumphieren , findet hier die von ihm , wenigstens soweit er ^ernsthafter natur', ein sittlich gerichteter mensch ist, im leben so oft vermiszte 'moralische weltordnung'. aber selbst dies moralische Wohlgefallen, welches ein ende hat zugleich mit dem sinken des Vorhanges und dann nur allzuschnell durch die rauhe Wirklichkeit dem herzen wieder geraubt wird, erschöpft den end- zweck des dramas nicht; ja das streben nach ihm ist nur allzu ge- eignet, das kunstwerk seinem höchsten berufe zu entfremden, in- dem der dichter sich bemüht, die * Wahrscheinlichkeit' an die stelle der 'Wahrheit' zu setzen, der wahren kunst genügt ein solcher augenblickserfolg nicht, sie will den menschen nicht in einen 'augenblicklichen träum von freiheit' versetzen , sie will ihn 'wirk- lich und in der that frei machen'.

Um die schwierige frage nach der Wirkung des tragischen dem scbüler in einer faszbaren weise zu beantworten, wird man zunächst auf Lessings Hamburgische dramaturgie zurückgreifen müssen, man wird an die bei ihrer lectüre gewonnenen gedanken erinnern, wie der dramatische dichter es versteht, zwischen dem herzen des Zu- schauers und dem Seelenleben des tragischen beiden fäden anzu- spinnen und nach und nach die innere teilnähme jenes dermaszen zu erhöhen, dasz er die schritte des handelnden beiden mit derselben erregung begleitet, als sei dessen begehren und wollen sein eignes, führt die dramatische dichtung nun in straffer einbeit der handlung auf den tragischen punkt, begeht der held, von leidenschaftlichem

N. Jahrb. f. phil. a. päd. II. abt 1895 hft. 10 a. 11. 34

522 P. DOrvald : Schulen Bntat Ton MeMma im

wollen unwiderstehlich yorwärts getrieben, die TerhAngnis? that, so verwandelt sich das anfängliche bangen des zuschai immer mehr in die geftlhle des mitleide und der furchte wir ftLrcli nicht blosz fttr den beiden , der unaufhaltsam seinem verderben eilt, vielmehr fflr uns, die wir mit leidenschaftlicher hing^bnng sc schritte begleiten, die wie an seiner stelle zu stehen und mit ihn fallen wtthnen. die katastrophe tritt ein, und schmerzlicbe rtlbn ergreift uns ob der tragik des menschlichen, aber durch die sta erregung unseres geftlhlslebens , durch die mftchtige ei^griffenl unseres innersten fühlen wir uns nicht 'zermalmt% sondern * hoben', wie der strauchelnde und stQrzende held durch seinen : seine schuld sQhnt , wie ihm selber der tod zur erlösung* wird , atmen wir, wenn der Vorhang gesunken ist, erleichtert auf. empßnden, nachdem wir die g^nze Stufenleiter der gefQhle, vom fftnglichen bangen bis zur tiefsten erschtttterung unserer seele dnr gemacht haben, die befreiung unseres gemttts, indem wir uns < eignen geistigen und sittlichen kraft bewust und zugleich durch Überzeugung von dem siege der ewigen gerechtigkeit beseligt w den. so 'schimmert durch der wehmut dfistem schleier* jetzt *< ruhe heitres blau' und wie es im prolog zur Wallensteindichtv heiszt : 'ernst ist das leben, heiter ist die kunst'. so hat der dich uns die kraft geliehen, 'die sinnliche weit in eine objective ferne rücken , in ein freies werk unseres geistes zu verwandeln und < materielle durch ideen zu beherschen*. mit diesen kurzen a führungen, immer erlftutert durch die zur Verfügung stehenc tragischen dichtungen, dürfte der Unterricht wohl verstfindl machen , was der dichter mit der befreienden Wirkung der tragö meint.

Soll nun die dichtung diese 'erbebende Wirkung' ausüben, musz sie nicht bloEZ 'wahrscheinlich' sein d. h. den möglichst hol: grad von illusion durch naturtreue und durch psychologische mo vierung der handlung darstellen, sondern sie musz vor allem 'wa sein, sie musz wie auf der einen Seite ganz 'ideell', so auch im tiefsl sinne 'reell' sein, wie beide forderungen sich neben und mit einani erreichen lassen, diese frage beschäftigt den dichter im folgendi er stellt in scharfen gegensatz zu einander die zwar durch und dui 'reelle', die Wirklichkeit und das tägliche leben abmalende (seiU blick auf die neueste dramatik I) , dafür aber allen idealen geha entbehrende dramatische dichtung und das wohl 'ideelle', gewii ideen veranschaulichende ^ aber der inneren Wahrscheinlichkeit ( handlung entbehrende drama. die erstere wirkt 'peinlich', c letztere 'unerbaulich', die erstere stellt nicht die 'natur' dar, c letztere 'geht nicht aufs ideale', wie ist nun dieser klaffende wid« Spruch zu beseitigen? dadurch dasz die begriffe realität und idealil sich in eine höhere einheit auflösen, indem 'die kunst nur dadui wahr ist, dasz sie das wirkliche ganz verläszt und rein ideell win 'die natur selbst ist nur eine idee des geistes, die nie in die sin

P. Mrwald: Schulen Braut von Messixia im ontemcht 523

fällt.' die 'kunst des ideals' yermag es und 'es ist ihr aufgegeben, den geist des alls zu ergreifen und in eine körperliche form zu binden', um diesen idealismus unseres Schiller zu verstehen , wird der scbüler auf die gedanken , welche ihm in dem schon genannten prolog zum Wallenstein entgegengetreten sind, zurückverwiesen werden müssen, hier sagte der dichter von der kunst: 'denn jedes äuszerste führt sie, die alles begrenzt und bindet, zur natur zurück.' zur erklftrung des 'idealisierungsproceases', um den es sich hier handelt, bringt F. E[em, lehrstoff für den Unterricht in prima, s. 8 15 schätzbares material bei. man wird wohl am besten vom 'begriffe' der logik ausgehen, um auf das analogon des 'ästhetischen ideals' überzuführen, die parallele des begriffsmäszigen denkens er- läutert sehr gut das 'ideal' des ausübenden künstlers. hier ist es wieder die antike kunst, welche in ihren plastischen idealgestalten (wenn der ausdruck erlaubt ist) den idealisierungsprocess am leich- testen verständlich macht, wie denn auch die 'typischen' gestalten der antiken tragödie dieser kunstauffassnng am reinsten entsprechen, so ist denn die 'natur', gefaszt als das innerste wesen, der kern der dinge, zugleich die 'idee' (elboc, lö^a), ihre darstellung ist die höchste aufgäbe der kunst. so löst sich auch der scheinbare Wider- spruch, dasz ein dichtwerk im tiefsten gründe 'reell' ist, wenn es 'aufs ideale geht'.

Aus dieser allgemein gehaltenen erörterung wird es wohl klar, warum die 'illusion' nicht das höchste ziel des tragischen dichters sein darf, die weit auf der bühne ist als kunstschöpfnng keine ge- meine Wirklichkeit; nichts ist darum verfehlter als das bemühen, die täuschung aufs äuszerste zu steigern (naturalismus). wir erinnern uns des kampfes Lessings gegen die Franzosen mit ihren drei sog. einheiten. wie der ort der handlung und die zeit des dramas ideeller natur sind und lediglich symbolischen Charakter an sich tragen, so ist auch die äuszere form der dichtung , die metrische spräche , wie überhaupt die art der personen zu reden (vgl. besonders den mono- logl), nicht die spräche der Wirklichkeit, sondern ein kunstmittel, wohl geeignet, 'die täuschung selbst zu zerstören', wie es im prolog zum Wallenstein heiszt, d. h. der idealität des kunstwerkes zu dienen, ein litterarischer rückblick auf den naturalismus der stürm- und drangperiode mit ihrer prosasprache und auf Ooethes Iphigenie wie Schillers Don Carlos und Wallenstein anderseits wird sich hier ebenso nötig erweisen wie im vorhergehenden, der 'letzte, der entscheidende schritt' nun im sinne des idealistischen dramas, der 'poetischen tragödie' wäre, schlieszt der dichter den gedanken- gang ab, die einführung des chores, der dem 'naturalismus' in der kunst offen den krieg erklärte.

Wenn im folgenden Schiller die entstehung und die bedeutung des chores für das drama der alten würdigt, so ist bei besprechung dieses abschnittes wieder Lessings Hamburgische dramaturgie heran- zuziehen und jetzt das dort gesagte zu vervollständigen, der chor

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524 P. Ddrwald : Schillers Braut von Meesina im anterricht.

folgte schon aus *der poetischen gestalt des wirklichen lebens* alten, welches in all seinen ftuszerungen Yielmehr zu den sin sprach als unsere heutigen daseinsformen , die dieses reizes Sinnlichkeit entbehren, führt der moderne dichter den chor in tragödie zurück, so verleiht er damit zugleich der ganzen dichti wieder einen sinnlicheren , also poetischeren Charakter , er setzt natürliche und reinmenschliche an die stelle der durch eine üb feinerte cultur überkünstelten lebensformen. dazu musz er ""mit fabel, die er behandelt, eine solche Veränderung vornehmen, i durch sie in jene kindliche zeit und in jene einfache form des leb zurückversetzt wird', diese consequenz der einfühmng des antil Chores hat man mit verliebe unserm dichter zum vorwürfe gemac beweist aber etwa die unmöglichkoit, beliebige moderne stoffc einer die höchsten anforderungen der kunst, wie sie Schiller e wickelt hat, erfüllenden dramatischen form zu gestalten, auch Unmöglichkeit, den chor überhaupt einzuführen? zeugt die c schränkung y welche der dichter für seinen gebrauch aufstellt, ni vielmehr gerade von seiner Weisheit , da er seinen chor nur für wisse, in ihrem Charakter sich der antike nähernde Stoffe gel lassen will? halten wir es also für das folgende fest, dasz der sl der einen dichtung , welcher ein chor beigegeben ist , der forden genügt, die der dichter ausgesprochen hat, dasz er uns nämlich eine ältere zeit mit einfacheren lebensformen versetzt, ein Lessings Laokoon erinnernder blick auf die bedeutung der Wandung für die maierei legt den vergleich der ornamenta Wirkung der bekleidung im gemälde mit dem 'lyrischen prac gewebe' nahe, welches die chorlieder für den ernsten, feierlicl gang der dramatischen handluDg bilden, und diese chorlieder v breiten sich über vergangenes und künftiges , über ferne Zeiten u Völker, über das 'menschliche überhaupt', sie leisten dadurch < tragischen dichtung den wertvollen dienst, dasz sie sie 'reinig( und mit poetischer kraft ausrüsten, zugleich hebt die phantaä volle, das gemUt tief ergreifende spräche des chores auch die poetis< spräche des ganzen dramas, 'diese eine riesengestalt in seinem bil nötigt den tragischen dichter, alle seine figuren auf den kothum stellen und dadurch seinem gemälde die tragische grösze zu gebe er leistet also, freilich in ungleich höherem masze, weil nicht bl< für die form, was die metrische spräche an sich ftir das drai leistet; man erinnere sich dabei des auch von F. Kern a. a. o. s. angeführten Schilierscben briefes vom 24 november 1797, in w ehern es heiszt: 'man sollte wirklich alles, was sich über das gemei erheben musz, in versen, wenigstens anfänglich concipieren, de das platte kommt nirgends so ins licht, als wenn es in gebundei Schreibart ausgesprochen wird.' so bringt der chor in die sprac der tragödie 'leben', anderseits in die handlung 'ruhe', er sich( dem Zuschauer die freibeit seines gemütes, indem er bei dem ei drucke der handlung der dramatischen personen verweilt und ttl:

P. DOrwald : Schillers Braat von MeBsina im Unterricht. 525

sie sich in ^beruhigende betrachtnngen' ausläszt. der chor beurteilt die schritte der handelnden , billigt und misbilligt sie , rfit mahnend und verweist warnend , spricht hofihungen und befürchtungen aus, das alles als *da6 tiefe der menschheit'. es ist demnach der chor kein gewöhnlicher Zuschauer der handlung, sondern ein 'idealer*, er stellt keine individnen dar, sondern er ist der 'repräsentant der gattung'. der leidenschaftlichkeit der tragischen personen gegenüber bewahrt er die 'besonnenheit und weise mäszigung', er vertritt die stimme der höheren Vernunft und moral. nun erscheint allerdings der chor in der Braut von Messina in zwei teile getrennt, also nicht eins mit sich selber da handelt er eben nicht als 'ideale', sondern als 'wirkliche' person. diese rolle des chores scheidet der dichter be- stimmt von der Stellung, welche er im übrigen im rahmen der dich- tung einnimmt, auch auf eine andere freibeit, die sich der dichter dem Vorbild des Aeschylus und des Sophokles folgend genommen hat , wird ausdrücklich verwiesen : der chor tritt mehrmals auf und ab. das schluazwort der abhandlung übergehen wir hier.

Abgesehen von der reichen belehrung, welche diese abhand- lung für das Verständnis der idealistischen kunstauffassung Schillers überhaupt bietet, halten wir ihre eingehende besprechung im Unter- richt schon aus dem gründe für unbedingt notwendig, weil wir wisßen müssen , was der dichter mit seinem chor will und beabsich- tigt, um nicht nur zu einem gerechten urteile über ihn zu gelangen, sondern um überhaupt die Stellung des chores in der Braut von Messina zu verstehen, und beides ist so manchem erklärer der dich- tung nicht geglückt, weil er in die poetische absieht des dichters nicht tief genug eingedrungen ist. sache der erklttrung der ein- fügung der chorpartien in den aufbau der tragOdie wird es nun sein , die ausführung dieser absieht zu prüfen und dem schüler den erbebenden genusz dieser dich tung zu erscblieszen.

NacMem in den beiden ersten scenen die ezposition der hand- lung damit begonnen hat, dasz die fürstin-mutter den ftltesten Messinas ibren entschlusz kundgibt, die beiden feindlichen brüder in der Zu- sammenkunft, zu welcher sie sie bestimmt hat, mit einander zu versöhnen, und in aller eile Diego den auftrag erteilt, zum heutigen tage noch ein anderes, bisher geheimnisvoll verborgenes familien- glied herbeizuholen , da nahen auch schon die festlich in die stadt einziehenden söhne, die mutter eilt ihnen entgegen und der aus zwei balbchören bestehende chor betritt die bühne. der dichter hat uns schon im voraus auf diese teilung seines chores vorbereitet, fragen wir uns jetzt, ob der chor hier, wo er als 'wirkliche' person handelt und nicht als 'ideale', nicht damit zugleich seinen eigentlichen Charakter aufgibt, es ist wahr, die griechischen dramen, welche der schüler kennen zu lernen gelegenheit gehabt hat, wissen nur von einem einzigen chore. so betritt im Aias wir beschränken uns auf die gelesensten Sophokleischen tragödien , Euripides stellt ja so wie so mit seinem lockeren dramatischen aufbau den verfall dar

526 P. Dörwald : Schillers Braat Ton Mettina im nnterricht.

der aus den kriegsleaten des helden bestefaende chor in der pmri die orchestral im König Ödipas und in der Antigene ist ders aas thebanischen greisen zusammengesetzt , im Philoktet ans Schiffsleuten des Neoptolemos. keine dieser diohtangen kennt ei geteilten chor. und doch that unser dichter recht daran , den < in zwei halbchöre zu gliedern, wenn anders in unserem attlckc dramatische handlung sich in dem heldenpaar Don Manael Don Cesar vorwärts bewegt und der tragische conflict, &o wei in den Charakteren der handelnden begründet ist, aas dem gegen der beiden feindlichen brüder flieszt, die ihn durch ihr indirid bedingtes handeln erzeugen, war für den dichter, wollte er drama überhaupt einen chor beigeben, kaum eine andere mOg] keit vorhanden, als beiden brUdem in ihren rittem halbchöre zugesellen ; es zwang ihn also die eigcnart seiner fabel geradezu, diese ab weichung von den antiken Vorbildern zu gestatten. diese abweicbung ist keine wesentliche, sie hebt den Charakter antiken chores keineswegs auf. denn erstlich gab dem dichter d teilung des chores die technische gestaltung des chores des grie sehen dramas an die band , sodann liegt die leidenschaftliche am nnhme , mit welcher beide chÖre auf der seite ihrer herren stel auch dem antiken chore keineswegs fem, und endlich Terliert Schillersche chor trotz seiner gespaltenbeit doch nicht die aufg aus dem äuge, der über der handlung stehende dramatische zuschi und ihr ideeller beurteiler zu sein, ja der letzte teil der dicht zeigt ihn vollständig *eins mit sich' als 'ideelle person'.

Was den erstgenannten punkt anbetrifft, so gilt es ja läz als ausgemachte sache, dasz der Vortrag der chorpartien im grw sehen drama in den seltensten fällen dem gesamtchor zufiel, send sich häufig auf halbchöre verteilte, ja, 0. Hense, der chor Sophokles, Berlin 1877, s. 7 ff., hat sehr schön nachgewiesen, c Sophokles sogar in der individualisierung der einzelchorenten zl lieb weit gegangen ist. und der bau vieler chorlieder dieses dichl zeigt deutlich genug die Verteilung der verse unter die halbchl unter die rotten und reihen, ja unter die einzelnen choreuten. ' einer derartigen teilung des chores zu einer Spaltung in zwei ohi welche der technische bau der Braut von Messina forderte, ^ nur noch ein schritt, der über den gebrauch des chores, wie Sophokles hat, nicht wesentlich hinausführte vorausgesetzt^ d im übrigen die bedingungen, welche an den dramatischen eher stellen sind , inne gehalten werden, nimmt der chor bei Sophol in dem sinne an der handlung teil, dasz er für seinen helden pai ergreift, so bleibt Schiller dem wesen des antiken chores durch treu, wenn er entsprechend seinem besonderen dramatischen st den chor in geteilte lager stellt und die halbchöre sogar in fei) liehen gegensatz zu einander treten läszt. um von Äschylus schweigen, in dessen Orestie der chor sogar die führung der ha; lung in bänden hat, so läszt Sophokles wiederholt den chor an

P. Dörwald : Schillers Braut Yon MeBsina im onterrioht. 527

Verblendung des handelnden helden teilnehmen, ja ihn diesen zum handeln vorwärts drängen, man denke an die kurzsichtigkeit des eh eres im Aias , an dessen unbedingte Parteinahme für seinen herrn und an die beteiligung desselben an der handlung des EOnig Odipus. ja, überhaupt erscheint der Sophokleische chor in seinem korjphaios als *einer der hypokrit^n, der ein glied des ganzen ist und an der handlung teil hat' (Hense a. a. o. s. 17, wo auf Aristoteles poetik 18 verwiesen ist : kqi töv xopöv hi. Iva beT öiroXaßciv Td)V öttokpitüjv Kai M<ipiov ctvat toO öXou Kai cuvaTuiviZecOai fif| (&ctt€p €öpt- mbxjj dXX' (SjCTTcp CoqpoKXei). auch ist wohl Horaz, Ars po6t 193 dem Schüler bekannt.

Verfolgen wir jetzt nach diesen beiden gesichtspunkten die frage , inwieweit Schiller bei der teilung seines oberes dem griechi- schen geiste treu geblieben ist, weiter durch prüfung desselben bei seinem auftreten in der dichtung. der dichter hat jedem der brüder einen chor, bestehend aus 12 personen, beigegeben, damit ist er freilich über die zahl der griechischen choreuten, wie sie in der tragödie Üblich war (15 bei Sophokles), hinausgegangen, doch war ihm, was sich in Athen aus lediglich äuszerllchen gründen (kosten der ausstattung und Schwierigkeit der technischen einübung des Chores) verbot, ohne weiteres gestattet, von einem chorgesange muste der moderne dichter, wie uns schon die vorrede belehrte, gleichfalls abseben ; so blieb ihm nur der feierliche Vortrag übrig, dasz er da nur immer einen einzigen choreuten zu wort kommen lassen konnte, ist ebenso erklärlich, wie dasz der hauptanteil der dem Chorführer entsprechenden hauptpersOnlichkeit jedes chores (Cajetan Bohemund) zußel. indes auch die andern ritter kommen zu Worte, man hat die Verteilung der cborpartien unter die ein- zelnen willkürlich genannt, doch ist das gewis kein tadel. eine feinere individualisierung der choreuten, wie sie der meister des chores, Sophokles, wohl hat, könnten wir von unserem dichter um so weniger fordern, als er dafür einen schönen ersatz durch die individualisierung der beiden halbohCre geschaffen hat. dasz übri- gens bisweilen verse mehreren rittern zugewiesen sind , erklärt sich leicht aus der jedesmaligen Situation, so Öl 2 und IV 4, wo die aus der liebe zu ihrem herrn, dessen unselige befangenheit sie natur- gemäsz teilen, erklärliche leidenschaftliche erregung aus den rittern spricht, auszerordentlich wirkungsvoll sind die IV 4 vom gesamt- chor gesprochenen worte: 'unglückliche mutter, es ist dein söhn', ebenso das vierfache *wehel' und die vom gesamtchor wiederholten Worte V. 371, ähnlich im folgenden auftritt, wichtiger als diese äuszerlichkeiten , welche sich naturgemäsz aus dem fehlen der orchestischen und musikalischen begleitung des chores erklären, ist die schon oben angedeutete Charakteristik der beiden halbchöre. den einen halbchor bilden die älteren, den anderen die jüngeren ritter. und diesem altersunterschiede entspricht auch ein tempera- mentsunterschied. die älteren ritter erscheinen gesetzter und ruhiger.

528 P. Dörwald : Schillers Braat yod Mestin» im antenicht.

die jüngeren erregbarer und feuriger, wie der dichter das als gi solbstversUlDdlich dem chore selbst in den mund legt: 'weis fassung ziemet dem alter.' offenbar hat die wesensverschiedenfa der beiden brüder den anlasz zu dieser Unterscheidung geboten. < mannen des bedächtigen, in sich verschlossenen Don Manuel sei^ die mäszigung und Zurückhaltung ihres gebieters, während d heftigen Don Cesar begleiter von dem gleichen Jugend feoer l gegeben sind, aber auch die ritterlich vornehme gesinnung tei diese mit ihrem herrn : 'der ist kein tapfrer, kein ehrenmann , < den gebieter läszt verachten', im gegensatz zu dem ersten halbchc der dem herschergeschlecht von Messina innerlich fremder geg über steht, und doch, dasz dieser gegensatz nur individuelle deutung hat, aber der einheit des chores keinerlei eintrag thut, zc gerade die Wiederholung jener werte Bohemunds durch den gan chor. wenngleich der altersunterschied der beiden brttder di teilung des chores in alte und junge an sich nicht rechtfertigt, bot er doch dem dichter den anlasz zu dieser schOnen glieden seines chores, welcher nun die chorpartien gerade ihre buntheit i manigfaltigkeit verdanken, eine gefllhrdung der einheit dersel liegt, auch im sinne des griechischen dramas, wie wir vorhin sal darin nicht.

Beantworten wir jetzt die frage, welchen anteil der Schillers chor an der handlung der tragödie nimmt, und wie weit er als * 8chauer\ wie weit als 'mitspieler' in ihr wirksam ist.

Das erste auftreten des chores (I 3) dürfte da nur ezposition« bedeutung haben: wir erkennen einmal aus dem Verhältnis mannen beider fürsten gegen einander die grösze des hasses, der brüder bisher feindlich getrennt hat, aber wir erfahren aus < Worten des chores, vor allem des ersten balbchores auch, wie we] festen boden das her>cbergeschlecht, dessen glieder die träger < handlung der tragödie sind, im volke haben; ein fremdes | schlecht; bat das Fürstenhaus es bisher nicht verstanden, sich < herzen der unter tbanen zu gewinnen, wir beobachten schon hi wie der chor seine aufgäbe, als eine ^ideelle Persönlichkeit' < Wirkung der tragödie auf unser herz in die rechten bahnen zu leiti trefflich erfüllt, schon jetzt noch kennen wir die feindlich brüder nicht bemächtigt sich unser die bange abnung, dasz dies< ^fremden gescblechte', das *an diesen boden kein recht hat', c einst 'gastlich aufgenommen' ward von denen , die sich jetzt ^ seine knechte sehen ', kein glückliches ende bestimmt sein kar diese befürchtung wird in uns verstärkt, wenn der chor uns beleb rlasz die groszen, welche, 'mit der furchtbaren stärke gerüstet', ai führen, 'was dem herzen gelüstet', dem tiefen, dem donnernd fall ausgesetzt sind, was in dem erhabenen bilde des verbeerend wettersturmes weiter ausgeführt wird, 'die fremden eroberer komm und gehen; wir gehorchen, aber wir bleiben stehen.' stellt hier c chor der nur zu leicht dem untergange preisgegebenen irdisch

P. Dörwald : Schillers Brant Ton Messina im nnterricht. 529

grösze die Sicherheit des gewöhnlichen sterblichen gegenüber, so ist diese chorpartie des ersten actes auch sonst reich an herlichen aus- sprüchen tiefer Wahrheit: die heiligkeit des hausfriedens, welche die Eumenide furchtbar rächt, das 'heilende wort^ das misverhftltnis zwischen Schönheit und stärke, endlich der preis des mutterglückes und die herlichkeit der fürstengrösze alles das sind Mehren der Weisheit', die uns auf den *hohen gipfel der menschlichen dinge' hinaufführen, indem wir uns die besprechung der sprachlichen und metrischen form dieser lyrischen partie für später aufsparen, folgen wir jetzt dem auf bau der tragödie weiter, im vierten auftritt ge- lingt es dem heiszen bemühen der mutter, die brüder zu versöhnen, dabei greift der chor in die handlung ein, indem er, die nach der rede der mutter eintretende pause , welche sehr schön den innem kämpf der söhne widerspiegelt, benutzend, dem mahnworte der fürstin den eignen rat hinzufügt: 'höret der mutter vermahnende rede usw.', freilich mit der einschränkung: 'doch gefällt's euch, so setzet sie (nämlich die fehde) fort.' 'was euch genehm ist, das ist mir gerecht, ihr seid die herscher und ich bin der knecht.' er er- hebt sich also nicht über die dienende Stellung , welche ihm in der dichtung zugewiesen ist, und das mit recht ganz wie der chor im antiken drama. auch sonst scheint es blosz so, als ob dieser auftritt die gegen den Schillerschen chor erhobenen einwände begründete, wenn derselbe den verehrungswürdigen fürstlichen sinn der herscherin rühmt : 'über der menschen thun und verkehren blickt sie mit ruhiger klarheit hin' und im gegensatz dazu hinzufügt: 'uns aber treibt das verworrene streben blind und sinnlos durchs wüste leben' so ist diese blindheit und Verworrenheit gewis nicht ein zeichen der Unzu- länglichkeit des Schillerschen chores, sondern etwas allgemein menschliches, auch dies wort 'zieht die groszen resultate des lebens'. und wenn die mutter durch den hinweis auf die 'wilden banden', die nicht liebe zu ihren herren erfüllt, sondern leicht erklärlicher hasz gegen das fremde förstengeschlecht, den söhnen den wert ihrer brüderlichen einigkeit empfiehlt, so ist diese, wie wir sehen, be- rechtigte auffassung der fürstin nicht geeignet , den chor für seine aufgäbe in dem drama untauglich erscheinen zu lassen, denn für den gang der handlung ist diese beurteilung ohne jede bedeutung und die Stellung der ritter zu ihren herren wird durch sie ganz und gar nicht berührt.

Nachdem die Versöhnung der feindlichen brÜder erfolgt ist und Don Cesar, von der auffindung der gesuchten geliebten benachrich- tigt , sich mit seinen rittem entfernt hat, wird der siebente auftritt des ersten actes von dem geständnis, das Don Manuel dem ersten chor gegenüber von seiner liebe ablegt, eingenommen, begründet ist diese mitteilung des sonst so verschlossenen jungen fürsten hin- länglich, nicht sowohl durch die Vertrauensstellung, welche seine mannen genieszen sie hat nur die bedeutung der bedingung, unter welcher die mitteilung gemacht werden durfte, die sonst durch

830 P. DiraaU: StUlM Bteiii wi IfaMM Im QHlimdit

fit idiaHii ^m lUMhram'i g«ilaiigui nmstB, ais ämA 4mm ffinifaBraicfc, wriab» dit imI« Don üfanntl» bemti for der muaiSIkmumg mhmb Inder «rfIlUto md d«r nun noeh erUht isty «ad iodBBB dvck dw aBftniig, wdfliMa dmr fllnt am teUuM

dkhiw bmwwdcta ofhnbrnr aneh die dm Mltantoi des ahoras in dimr dcrmlbe b^gleifctl nimlMli dw beriobti welchen Don Mund ▼OB seinem liebesebenteoer nnd der entflUmmg Bentrieene gibt| nt «einer beorteiliing. 'nnb' hal eem herr 'ea dem gOttlieheii be- gangen', 'des hinmels bnnt berflttri nitsllndigem Terleogen'. md damit spricht er das gelUü anai weMim aneh den soaehenw erfBDt, die forcht nimlich, dam die leidensehafUiehe timt Don Mennel bittei fräebte eintragen mou. ebenso, wenn er bald dnrmof die entfttbmig der geliebten eine Hrfibn Torwegen rlnberisdie ihnt' an besadnai wagt wir sehen, wie in dieser sene der dior allein die diamatiieki bedeatnng der rolle «ner *ideeUeB peraOnliohkeit* hat» der fi4g«di (achte) auftritt besteht allein am cboigesIngeQ. motiTiert ward« dieae betrachtongen durch die frage dm chorm: *aage, waa wada wir jetst beginaen?* in der that hat sieh in der läge der ritter ta so eingreifender Wechsel vollsogai, dam der wanaofa, aioh über da nttcbite Zukunft klar la werden, nur so natllrlioh eraoheint. sba vergegenwftrtigen wir uns auch, um die bereehtigung dar folgendai refleiionen im Organismus des dramm tu verstehen, die eitoatios. du unerhörte ist geschehen, die feindlichen brflder aiad ^nsgMffla^ an die stelle des glfihenden hasses ist ebenso rttokbaltloae bewoade- rung, ja liebe getreten, so sind wir jetit in der handlang an eines rubepankt gelangt, freilich ist es die ruhe ?or dem konunenden stnnne. wtthrend die brüder sich zur erledigung persönlicher angel^g«ihttttt entfernt haben, findet beides, das gefOhl der erleichterang ans sa- lasx der aussöhnung wie das des bangens ob der tukonffc, in den be- tracbtungen des (ersten) cbores zweckmässig plata. ae nnterbrickt der cbor hier getreu seiner au^abe, ruhe in dlie handlang sn briagm, den gang dieser auf kurze zeit und unser gemflt erhebt aioh mit ihn in die sphäre des 'allgemein menschlichen', nnd welehea sind diese orhobendon gedenken? *etwas fflrchten und hoffen und sorgen biisi der mensch fUr den kommenden morgen' so preist der eher woU die iflackseligkeit und die Segnungen dm friedens, aber diseea g««g«»ntllt(»r wird auch dem kriege sein recht, dmsen ideale aeite vir konnru l^^rnen. und wie der krieg 'allm zum ungemeinen eib^f , HO ' wola* auch die liebe *in das gemeine und traurigwahre die bildcr (loM nobnnon* ginianken bedeutsam genug für unsere weltanadan- \inK : nolH'n der kunsli deren begeisterter prophet sonst nnaer diehter iH( . vorm^t^n auch die liebe und der kri^ die edelalen krtfte des inonsohhohi^n bt^rxcns tu wecken nnd zur entfoltong an bringen. wiMlor lühmt \\^r cbor die fV^euden der jagd und der Schiffahrt, der 'unW^Und* drr w«"))« Wnkt dann die reflezion lurttck anr handlmg iloi- diobiuug. die ti^fe d^s hasses der brilder und dea ^loaterraabee

P. Dörwald: Schülers Braat yod. Messina im antemcht. 531

verwegne that', sie lassen den chor und darin ist er der dolmetsch unserer gefühle nichts gutes ahnen. *nicht Wahrsagung reden soll mein mund' doch auch wir mOgen es ahnen, dasz ^böse fruchte die böse saat trftgt*. ja, der chor begründet seine befttrch- tungen fElr das Fürstenhaus su Messina noch weiter : 'greuelthaten ohne namen , schwarze verbrechen birgt dies haus.' indem der chor uns mit diesen frevelthaten, welche auf dem fttrstenhause lasten, be- kannt macht, dient er der exposition des dramas. wie vorher erhebt der chor sich am Schlüsse des acta wieder su einer allgemeinen be- trachtung, die wir, wie sie aus den Vorgängen am fürstenhofe ge- schöpft ist, auf die söhne Isabellas beziehen: *denn gebüszt wird unter der sonnen jede that der verblendeten wut.' mit dieser tief sittlichen Wahrheit schlieszt der chor seine ernste betrachtung , mit ihr hat er den das gemüt des Zuschauers bestürmenden gefühlen und gedanken den treffendsten ausdruck geliehen.

Dasz das Selbstgespräch der Beatrice zu beginn des zweiten actes in ab Wesenheit des chores vor sich geht, ja diesen gar nicht dulden würde, daraus hat man eine waffe 'gegen den Schillerschen chor gemacht, so Laas, der gerade mit dem 'romantischen', 'sen- timentalen' Charakter dieser scene das verfehlte der neuerung des dichters erweisen möchte unseres erachtens ganz mit unrecht, freilich ist die anwesenheit des chores , wie ihn der dichter für dies drama geschaffen hat, für diesen auftritt ein ding der Unmöglichkeit, doch auch die eines chores überhaupt? sprechen etwa die personen des antiken dramas ihre geheimsten gedanken nicht vor dem chore aus ? anderseits , wie macht es Sophokles , wenn des Aias monolog die gegenwart des chores nicht verträgt? schickt er ihn da nicht von der bühne weg? der monolog der Beatrice nun würde an sich einen chor sehr wohl zulassen, nur natürlich nicht einen aus den rittern der feindlichjBu brüder bestehenden, und dasz der chor sich zeit- weise von der bühne entfernt, ist, wie wir schon oben an einem bei- f>piele des Sophokles sahen , kein Widerspruch mit dem wesen des chores, sondern nur eine folge der reicheren gestaltung der hand- lung der dichtung. wenn dann im zweiten auftritte der chor sich auf Don Cesars geheisz zurückzieht, so verträgt gewis diese liebes- scene einen dritten, geschweige denn eine ganze menschenmenge nicht recht, doch bleibt der chor ja auf der bühne, und der dichter hat das natürliche mittel gewählt, die ritter in den hintergrund zurücktreten zu lassen, er erscheint aber sofort wieder, nachdem Don Cesar sich verabschiedet hat, und begrüszt nun in einem her- lichen preise die vermeintliche braut seines gebieters und feiert in dem schluszliede das durch den besitz der schönsten der frauen be- vorzugte fürstenlos, worauf er sich entfernt, um den eintritt in den garten zu bewachen, die scene verwandelt sich jetzt und wir wer- den wieder in das innere des Fürsten palastes geführt, diesmal fehlt der chor. die motivierung dafür betreffs des zweiten halbchores sahen wir soeben; dasz auch der erste halbchor nicht anwesend ist,

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532 P. DOrwald: Schillert Brant von Mesana im nuterriclit.

' ist aus dem befahl zn erkl&ren, welchen I 7 Don Maanel aein«

rittern gegeben hat, nftmlich sich bereit zn halten, 'im glani di ritterstaates nnterm fread'gen schall der hOmer die fllratenbnu heimzufahren', wenn nun Isabella in ihrer anspräche an die aOhi ihrer freude darüber sehr lebhaften ausdmck gibt^ dasx 'der senge

; rohe schar' fern sei, so ist daraus ebenso wenig ein gmnd g^gen d

berech tigung des Chorea in einem ^modernen' Schauspiele, in we chem 'der palast der kCnige geschlossen' ist, herzuleiten wie ans di oben besprochenen stelle II. die auffassung der mutter ttber di den chor bildenden ritter ist nach dieser stelle ja nur in begreiflid anderseits zeugt ihre abwesenheit für die kunst des dichtere, di das auftreten des chores jedesmal sorgfältig motiviert, dorchans i antiker weise, eine abweichung vom drama der alten, doch aae sie blosz ftuszerlicher art, ist das wiederholte kommen and gehe des chores. aber auch für diese freiheit, von welcher der dichte weisen gebrauch gemacht hat ,»konnte er sich auf Vorbilder bemfei an der schon oben erw&hnten stelle läszt Sophokles im Aias v. 81 den chor sich mit der motivierung entfernen , dasz er Teukros hei beiholen und Aias suchen wolle ; eben da findet sich auch ein sohOne

j beispiel des scenenwechsels : es folgt nftmlich der Selbstmord de

I Aias und erst im nächsten auftritte erscheint wieder der chofi nidi

ohne dasz auch hier sein auftreten begründet würde.

Im dritten aufzuge betritt der chor aufs neue die btthne, de erste halbchor^ um Don Manuels braut heimzuführen, der zweit zur bewachung der geliebten Don Cesars. wenn nun in der erste: scene die ritter leidenschaftliche erregung zeigen, so ist dieser hitzig streit zwischen den beiderseitigen anhängem nach dem oben gc sagten nur ein scheinbarer Widerspruch mit dem wesen des chores war dieser einmal so angelegt, dasz er aus den mannen der beidei brüder bestand , so kam es notgedrungen zwischen den rittern zuc heftigen, leidenschaftlich erregten Wortwechsel; dasz auch Sopho kleische dichtungen der leidenschaftlichkeit und der parteinahm des chores nicht entbehren, sahen wir bereits, vernünftig geno] ' I fügt sich aber der zweite haibchor dem befehle Don Manuels , un^

wenn im vierten auftritt der kämpf aufs neue zu entbrennen droht wenn die einen bereit sind den tod ihres herrn zu rächen, die ander den ihren zu schützen , so erscheint auch dieser Zwiespalt zwischei den beiden halbchOren nur zu begreiflich, wieder wird der wegtrit des zweiten halbchores motiviert, und nun erbebt sich in der letzte] scene des acts der (erste) chor auf die volle höhe seiner dramatische] aufgäbe, tiefergreifende klagelieder und das herz gewaltig packend gedanken hören wir aus seinem munde, die entsetzliche 'blutig< that' ist geschehen , der 'holde jüngling' hingestreckt in der blttt der tage, und sie, die eben noch die braut 'mit festlichem prangen einholen wollten , stehen vor der bahre des bräutigams. 'was 8in< h Öffnungen, was sind entwürfe' dies tragische menscbenlos bilde den inhalt der klage des chores. aber auch 'webe dem mörder

P. Dörwald : Schillers Braut von Messina im anterricbt. 533

wehel' damit spricht der chor zugleich das urteil über die grauen- volle that aus und der hinweis auf *der Themis tOchter' zeigt uns, dasz die räche nicht lange auf sich warten lassen wird; der chor bereitet uns auf die katastrophe vor. so gewährt ähnlich wie am Schlüsse des ersten actes hier, wo wieder eine ruhepause in der hand- lung eintritt, der chorgesang einen ausblick auf die weitere entwick- lung der dramatischen handlung. ein erschttttemdes gemälde von der blutthat des Orestes und ihrer strafe schlieszt auf das wirkungs- vollste der chorgesang ab.

Im vierten act erscheint zunächst der zweite halbchor mit Beatrice im dritten auftritt, der erste halbchor in der nächsten scene mit der leiche Don Manuels, 'ein seltsam neues Schrecknis glaub' ich ahnend vor mir zu sehn und stehe wundernd, wie das irrsal sich entwirren soll und lösen I' so ruft der zweite halbchor voll *be- stürzung und Verwunderung' angesichts der zermalmenden that- sache, dasz Beatrice von der fürstin als tochter begrttszt wird, wieder musz er das scharfe urteil Isabellas über sich ergehen lassen : 'o ihr seid undurchdringlich harte herzen' und auf ihre mahnung weicht er zurück , um die bejammernswerte Jungfrau nicht zu 'schrecken', noch ein mehrfaches wehe hören wir aus seinem munde , so sehr er- schüttert ihn das jetzt bald auch der unseligen mutter offenbar werdende unheil, da naht (vierter auftritt) der erste halbchor mit der leiche seines gebieters. mit einem klagegesang betritt er die bühne , es ist die erschütternde predigt des todes, im besondern des todes 'wider den lauf der natur'. 'darum in deinen fröhlichen tagen fürchte des Unglücks tückische nähe I nicht an die guter hänge dein herz , die das leben vergänglich zieren I wer besitzt , der lerne ver- lieren, wer im glück ist, der lerne den schmerz I' man hat diese lehre eine auszerordentlich traurige , einer düsteren Weltanschauung entflossen genannt, und doch enthält sie beherzigenswerteste Wahr- heit, ja sie ist in ganz ausgezeichnetem sinne d i e lehre der tragödie. wehklagen begleiten die entdeckung des schrecklichen durch die mutter. aber als diese sich zur gotteslästerung fortreiszen läszt, da ruft der chor, eingedenk seiner besümmung, die stimme der be- sonnenheit und höheren Vernunft zu vertreten , ihr ein ' halt ein I ' zu, und er erhebt sich zur höchsten Weisheit, indem er der Verblen- dung der fürstin gegenüber es ausspricht: 'die orakel sehen und treffen ein, der ausgang wird die wahrhaftigen loben', und weiter: 'du leugnest der sonne leuchtendes licht mit blinden äugen I die götter leben, erkenne sie, die dich furchtbar umgeben!' damit, dasz alle ritter diese letzten worte wiederholen, ist die, wie wir sahen, durch die eigenartige fabel der dichtung herbeige^rte teilung des chores aufgehoben, von jetzt an erscheint die einheit des chores mit sich selber nicht mehr gestört, die schluszworte des (ersten) chores künden das erscheinen des brudermörders an und auch in der folgenden scene erhöbt der chor das furchtbare des Wiedersehens und erkennens. wie dann die fürstin die ganze entsetz-

584 P. DGrwild : Schillen Bniiit Ton Meisina im nniornoht.

Hd)6 Wahrheit vemommen hat, da spricht der ehor in den woiien: *noch niemand entfloh dem Terhftngten geschick , und wer aich ver- miszt es klflglich in wenden, der rnnsz es selber erbauend Tollenden', gani wie das in dem antiken drama geschieht, ans, was die tragOdie lehren will, nnd weiter malt er in der siebenten soene die aer- schmetternde Wirkung ans, welche die frevel im flirstenhaase anf des zoschaners gemfit fiben müssen, anfangs nnd auch darin ist er ein treuer interpret der yemichtenden schUge , die uns getroffen haben flbermannt ihn die gewalt der gefllhle dermassen , daas er kein wort sa finden vermag, dieselben anssosprechen der dichter beseiohnet die pause, während deren der chor wie regnngslos da- steht, durch gedankenstriche , und auch dann deutet er das ent- setzliche nur an , indem er glficklich preist das los dessen , der fem von 'des lebens verworrenen kreisen', fem von 'der forsten palftsten*, wo so furchtbares geschieht, wo 'die höchsten, die besten stflrien in der schnelle des augenblicks', im frieden des lindlichen lebens weilen kann an 'der bmst der natur'. auch der, der aus dem welt- getQmmel sich zurflckgezogen hat, hat seine seele gerettet, denn die leidenschaft, das hitzige begehren und die eitle lust rauben im getriebe der weit dem menschen nur zu leicht den inneren frieden, darum: 'auf den bergen ist freiheit', 'die weit ist vollkommen überall, wo der mensch nicht hinkommt mit seiner quäl.' diese be- trachtnng voll weltentsagung scheint von der tragischen handlnng abseits zu liegen | und doch scheint es nur so: was der chor hier im fürstenhause hat vor sich gehen sehen, was wir haben werden nnd sich vollenden sehen, es ist die frucht der das menschenherz ver- giftenden leidenschaft. so trifft der chor in dieser seiner reflexion sehr wohl den kern der sache und gerade die tragische erschfitterung Ittszt ihn nur andeutend das bezeichnen , was jetzt die tiefe unserer seele mit schrecken füllt, doch auch jetzt ist die thätigkeit des chores noch nicht beendet, da Don Cosar nicht mehr unter den lebenden zu weilen vermag, der brudermord noch räche und sühnung der schuld durch den tod verlangt , versucht zunächst der chor und bezeichnenderweise jetzt der erste halbchor 1 durch mehrfache Vorstellungen ihn in seinem entscblusse wankend zu machen: 'fromme büszung kauft den zom des himmels ab', des leides ist ohnehin schon genug für das fürstenhaus , endlich soll die rücksicbt auf land und volk Don Cesar am leben erhalten, damit hat der chor zum letzten male in die handlung der dicbtung ein- gegriffen, freilich ohne erfolg, denn der ho&uDgsschimmer, die Wirkung der bitte Beatrices, erlischt nur zu bald, Don Cesar gibt sich den tod, und wie der antike chor die tragOdie durch ein ihr ergebnis zusammenfassendes weisheitswort zu schlieszen pflegt, so endet das drama mit dem chorworte: 'das leben ist der guter höch- stes nicht, der übel gröstes aber ist die schuld.'

So haben wir das auftreten des chores durch die ganze dich- tung hindurch verfolgt und gesehen , dasz seine anteilnahme an der

P. Dörwald: Scbillers Brant Ton Meesma im Unterricht. 535

dramatischen handlung nicht das masz überschreitet, welches wir ihm nach dem vorbilde des antiken chores zubilligen dürfen, dasz die abweichungen , durch welche er sich Ton diesem unterscheidet, lediglich äuszerlicher art sind und nicht sein wesen betreffen , dasz er dabei seine bestimmung die ideale Persönlichkeit' zu sein, welche *die teile auseinander hftlt' und zwischen die passionen mit ihrer beruhigenden betrachtung tritt, und durch das 'tiefe der mensch- heit', dem ausdruck geliehen wird, 'dem gemälde tragische grüsze zu geben', in bewundernswürdiger weise erfüllt, in der that 'verbreitet' er über den engen kreis der handlung hinaus 'sich über vergangenes und künftiges, über ferne Zeiten und Völker, über das menschliche überhaupt, um die groszen resultate des lebens zu ziehen und die lehren der Weisheit auszusprechen', und das alles mit der 'vollen macht der poesie'. fttrsten- und unterthanenlos , liebe^glück und bitterstes leid, die höchsten lebensgüter und die schrecken des todes , Sünde und strafe das alles macht den Inhalt der betrach- tungen des chores aus , ein 'lyrisches prachtgewebe' auch durch den glänz und die Schönheit der dichtersprache. wir glauben den antiken dichter zu hören, nicht blosz in vielen einzelnen, dem classischen altertum entlehnten Wendungen, sondern vor allem in der erhabenen und dabei so maszvollen spräche , deren der chor sich bedient, und diese gehobene spräche hat, wie der dichter es uns versprach, ihren einflusz auch auf die gesamte dichtung geübt, wir können die Wirkung classischer Vorbilder oft vers für vers verfolgen und der Unterricht wird es sich nicht entgehen lassen , darauf stetig hinzu- weisen, welche sinnlich anschauliche^ an prachtvollen bildem reiche spräche tritt uns gerade in dieser Schillerschen dichtung entgegen ! zu ihrem höchsten glänze erhebt sie sich naturgemäsz in den chor- partien , wozu auch die metrische form beitrug, wiederholt finden wir die wähl des rhythmus durch Stimmung und Inhalt bedingt, freilich ist darin eine weise Selbstbeschränkung des dichters zu er- kennen, dasz er in dem metrischen bau der cborlieder auf eine nach- ahmung der antiken dichter verzichtet hat. im allgemeinen zeigen sie den daktylisch -trochäischen rhythmus und den vierfttszler, aber geeigneten orts sind auch anders gebaute verse gewählt, und durch den wirkungsvollen altdeutschen Stabreim und den klangvollen end- reim ist der wohllaut der spräche des chores erhöht, so hat der dichter die Versuchung, das antike kunstmittel des strophenbaues zu benutzen, abgewiesen und dadurch erreicht, dasz den chorgesängen das fremdartige der form genommen ist, dasz sie trotz ihres reichen antiken gehalts in form und Inhalt uns doch durch und durch deutsch anmuten, gewis ein hoher triumph unsere Schiller, dessen kunst den deutschen genius mit der antike zu vermählen wüste.

IL Die schicksalsidee.

Auch auszer dem gebrauche des chores und der durch ihre plastik, ihre kühnen Wortbildungen und ihre bilder an das griechische

636 P. Dörwald: Soliillen Braut yon Messina im aniemoht.

drama erinnernden dichteraprache trägt die Braut von Meaaina reichen antiken gehalt in sich, der schüler wird yon selbst auf den gebrauch der stichomythiCi vor allem aber anf die einfachheit des dramatischen aufrisses, wie er sie in Sophokleischen dramen kennen gelernt, aufmerksam geworden sein, wenn er soeben von der lecttlre der Wallensteindichtung herkommt und der innere zasammen- hang unseres dramas gerade mit ihr wird uns noch im folgenden beschäftigen wird ihm gegenüber der bunten manigfoltigkeit ihres dramatischen lebens die erstaunliche einfachheit im aufban der handlung und in der sahl der handelnden personen, die strenge ein- heit der zeit und die starke beschränkung des scenenwechsels un- schwer als der einwirkung der antiken dramendichtung entstammend klar werden, durch und durch antik aber ist auch die fiabel der tragOdie und man wird, um ein richtiges Verständnis von ihr zu ge- winnen, yon dem Sophokleischen König Odipus bei der besprechung der Braut yon Messina auszugehen haben, ist dies drama im grie- chischen Unterricht gelesen , was es schon um seiner selbst willen verdient als die ergreifendste tragödie des altertums , und was mit rttcksicht auf die einheitlichkeit des lehrplanes der prima wfinschens- wert ist in viel höherem grade jedenfalls als etwa die lectflre der Euripid eischen Iphigenie neben der Ooetheschen dichtung, da dieser blosz um ihrer selbst willen ein platz im griechischen Unterricht kaum einzuräumen sein dürfte so hat der Unterricht es ja leicht, auf das Sophokleische drama sich zu beziehen , andernfalls wird die privatlectüre desselben in einer guten Übersetzung der durchnähme der Schillerschen dichtung vorauszugehen haben.

Der König Odipus steht insofern gänzlich auszerhalb der reihe der tragödien, als das leiden des beiden nicht die strafe seines sittlich verkehrten handelns, nicht die folge einer 'schuld', sondern einer un- seligen Verkettung der dinge ist, sein Schicksal nicht sowohl durch sein handeln bedingt als vielmehr unentrinnbar und im voraus bestimmt ist; das drama ist eine, oder richtiger gesagt, die einzige Schicksals- tragödie, welche gedichtet worden ist (wenn wir von den diesen namen in einem ganz andeni sinne tragenden schicksalsdramen der Müllner und genossen absehen), nun sind freilich einwände gegen diese auffassung erhoben worden ; ohne indes stichhaltig zu sein, dasz der mensch dem allgewaltigen Schicksale gegenüber so rein gar nichts ist, dasz es ihm trotz redlichen bemühens nicht gelingt, seiner zermalmenden macht zu entrinnen, dasz des Odipus leiden kein selbstverschuldetes, sondern ein von dergottheit über ihn verhängtes ist, daA scheint unter das ^lap6v, das gräszliche zu fallen, welches nach den werten des Aristoteles bei dem Unglück ganz guter und ganz unschuldiger personen in unserem herzen platzgreift (Ham- burgische dramaturgie stück 79 und 82). in der that wäre der stürz des besten königs von der höhe seines glucks in die tiefste Schmach bis zur selbstvernichtung für den Zuschauer peinlich und beleidigend, wenn das Schicksal wirklich die kalte tückische macht

P. DOrwald : Schulen Braat toh Messing im unierrichi. 537

wäre, welche *einen um den andern ergreift', aber das ist ja in der Sophokleischen dichtong gar nicht der fall , von einer solchen unser entsetzen erregenden schicksalsmacht weisz der fromme dichter natürlich nichts, gar ein neid der gottheit ist seiner sittlich-religiösen anschauung gänzlich fremd. Odipus leidet, trotzdem oder vielmehr weil er dem Schicksal in der vorfabel wie in der fabel selbst, sowohl durch sein thnn gegenüber dem ihm gegebenen orakel wie durch sein verhalten bei der entdeckung des mörders des Laios widerstand zu leisten, es zu verhindern strebt, die tragödie will also zeigen, dasz der mensch^ auch der klügste und beste, dem Schick- sale den weg, den es nehmen soll, nicht vorzuschreiben vermag, dasz er bei aller klugheit doch mit blindheit geschlagen sein kann, das ist freilich keine erfreuliche Wahrheit , wie denn die tragische dich* tung überhaupt die menschliche Unzulänglichkeit und Jämmerlich- keit zur darstellung bringt, aber es ist eine tiefe sittlich-religiöse Wahrheit I dasz der mensch mit all seinem dichten und trachten der schicksalsmacht gegenüber ein nichts ist. auf dieser Wahrheit gerade beruht die erschütternde Wirkung des Sophokleischen dramas, das die herzen seiner zuhörer mit bescheidenheit und demut gegen die gottheit erfüllen will, wie indes der mensch selbst nach so furcht- baren schicksalsschlägen sich aufriehten kann^ das zeigt derselbe dichter dann in seinem Odipus auf Kolonos. Man wird bei der erklärung der dichtung den schüler darüber nicht in zweifei lassen dürfen , dasz dieselbe von einer sittlichen Verschuldung des beiden ganz und gar nichts weisz und wissen will, sein handeln , soweit es der vorfabel angehört, ist auf das denkbar natürlichste motiviert, Odipus hat genau so gehandelt, wie jeder andere an seiner stelle handeln muste. dasz er den vater unwissentlich am dreiwege er- schlug, dasz er der fürstin, die doch seine mutter war, sich ver- mählte, deswegen kann von keinem verständigen ein Vorwurf gegen ihn erhoben werden , man müste denn und diese annähme zeigt das verkehrte der schuldtheorie verlangen, er hätte sich über- haupt von der weit zurückziehen sollen, und seine leidenschaftlich- keit in dem drama selber ; sie ist doch lediglich eine folge seines eignen reinen bewustseins und seines heiszen bemühens, seinem volke ein retter aus der not zn sein, vor allem weisz weder eine der handelnden personen noch auch, worauf doch alles ankommt, der chor etwas von einer schuld des helden.

Dem König Odipus nun ist die Braut von Messina nachgebildet worden; freilich ist diese dichtung, wie wir sehen werden, keine schicksalstragödie im sinne des griechischen dramas, immerhin ist die schicksalsidee aus dem antiken vorbilde in sie übernommen wor- den, auf die idee von der das mensehliche leben leitenden schicksals- macht ist Schiller bereits früher geführt worden, und es bezeichnet die Braut von Messina in dieser beziehung nur den höhepunkt der künstlerischen entwicklung des dichters. der Unterricht knüpft daher passend an die unmittelbar vorher behandelte Wallensteintragödie an.

N. Jahrb. f. phU. a. pftd. II. abt 1885 hA. 10 a. 11. 85

538 P. Dönrald: Sohillera Brant Yon Mesaiiia im Unterricht.

*Sie sieht den meneohen in des lebens drang und wälzt die grössere h&lfte seiner schald den unglfickseligen gestimen zu* hatte der dichter im proIog (▼. 108 ff.) von der dramatischen konst gesagt: wir haben in diesen 'nnglfickseligen gestimen* damals das nnheilvclle 'scbicksal' erkannt, welches Wellenstein dem Terhftngnis- vollen schritt des treubruches am kaiser zutrieb, aber, fragten wir uns, dürfen wir denn das handeln des beiden dieser dichtung als ein •vom Schicksal gewolltes und unfreiwilliges ansehen? ist nicht viel- mehr die dramatische handlang durch den Charakter Wallensteins bestimmt? eine eingehende besprecbung dieses eigenartigen und nicht mit dem gewObnlichen masze zu messenden dramatischen Charakters ergab uns, dasz der einmal so beanlagte mann unter den an ihn herantretenden Verhältnissen mit innerer notwendigkeit so handeln mnste, wie er es thut. und doch, wenngleich auch in dieser tragödie die handlung *aus den Charakteren flieszt*, spielt auch der schicksalsbegriff erheblich in die dichtung hinein, freüioh kann darunter nicht der *stemenglaube' zu verstehen sein , er ist eine subjective anschauung Wallensteins , für deren macht ttber ihn natürlich auch er selbst allein verantwortlich bleibt, und obgleich dieser astrologische glaube tief philosophisch begründet erscheint und ihm mehr bedeutung als die eines bloszen wahns eingeräumt wird, hat er doch keinen bestimmenden einflusz auf den gang der hand- lung. auch ist es recht auff&llig und mag als ein werk des 'bösen zuffldls' erscheinen, dasz des unterhftndlers Sesin gefangennähme mit der ankunft des schwedischen obersten in Pilsen zusammenftllt, aber der dichter hat offenbar das poetische recht, die bedeutungs- vollen thatsachen so zu gruppieren, wie es ihm die straffe einheit der handlung zu gebieten scheint, wohl aber liegt ein deutlich erkenn- bares, für den beiden verhängnisvolles walten in der Verkettung der ereignisse, wenn Max Piccolomini gerade in dem augenblicke (W. t. I 7) vergeblich bei Wallenstein einlasz sucht, wo die grftfin Terzky sich anschickt, die sittlichen bedenken, welche ihn noch von der that abhalten, erfolgreich zu entkräften, es ist eine müszige frage, ob der herzog sich in der that durch Max noch von der aus- ftthrung seiner plane hätte abbringen lassen, aber in dem 'lachen' der gräfin glauben wir das triumphieren eines bösen dämons zu hören, dessen gewalt der held jetzt unrettbar verfallen ist. er- kennen wir so in dieser unheilvollen Verkettung von umständen eine macht, die den beiden zum handeln treibt, so hat er freilich durch sein eignes thun, wie es ein ausflusz seiner charakteranlage war, dieser macht einflusz auf sich eingeräumt, 'verflucht, wer mit dem teufel spielt P er hat es selbst sehr wohl erkannt , dasz 'eine mauer, aus seinen eignen werken aufgebaut', ihm die freiheit des handelns raubt, so dürfen wir dem Schicksal, an dessen betonung der dichter es übrigens nicht fehlen läszt, hier die bedeutung geben, dasz der mensch, nachdem er einmal eine gewisse grenze in seinem handeln überschritten hat, willenlos und ohnmächtig den ereignissen

P. Dörwald: Schillers Brant von Mesuna im Unterricht 539

gegenüber steht, sie nicht mehr zu führen vermag, sondern von ihnen geführt wird , so dasz sogar böse zufftlle gewalt über ihn gewinnen, danach ist scblieszlich diese furchtbare schicksalsmacht einerseits die ewig sittliche weltordnung selber, die den, der es versucht, ihr zu trotzen , straft, anderseits die Verkettung der dinge, die unselig nur für den wird , der sich ihr gegenüber seiner Willensfreiheit begeben hat. die Wirkung dieser das drama durchziehenden Vorstellung von dem 'Schicksal' liegt in der Steigerung der tragischen gefühle des mitleids und der furcht, indem es uns den beiden 'menschlich näher führt' und seine schuld zugleich in milderem lichte , sein Schicksal um so furchtbarer erscheinen läszt.

Einen bedeutsamen schritt weiter in der eingliederung des Schicksalsbegriffes in die tragische dichtung that nun unser dichter in der Braut von Messina. hat sich Wallenstein durch sein thun selbst der freiheit seines handelns beraubt und in die band der schick salsmächte begeben, so erscheint unter dem einflusse des Sophokleischen Königs Odipus in der Braut von Messina das Schicksal als die dem menschen von anfang an unabwendbar bestimmte not- wendigkeit, wie könig ödipus des Schicksals furchtbaren sprach er- füllen muste , er mochte handeln , wie er wollte , ja vielmehr gerade dadurch, dasz er ihm zu entrinnen suchte, so dient auch das handeln der Personen der Schillerschen dichtung nur der Vollendung des ihnen bestimmten geschickes, und wie das äuge jenes der Wahrheit verschlossen blieb, so tappen auch diese in finsternis, bis zu spät die grellen blitze, welche sie zerschmettern, ihnen die äugen öfifoen.

Was der dichter aus dem Sophokleischen drama entlehnt hat, ist einmal die vorherverkündigung des schrecklichen, was an dem fürstenhause zu Messina in erfüllung gehen soll, wie der junge ödipus in der vorfabel der antiken tragödie vom orakel die antwort erhalten bat, er werde seinen vater töten und seiner mutter sich ver^ mahlen, so haben der fürst und die fttrstin beide einen träum gehabt, und der eine ist von einem 'sternkundigen Arabier' dahin gedeutet worden, wenn ihnen eine tochter geschenkt würde, werde diese ihre beiden brüder töten und das fürstengeschlecht vernichten, während der mutter träum durch einen 'frommen mönch' die deutung fand, der söbne hasz werde die tochter in heiszer liebe vereinen, bleiben wir zunächst bei diesem orakel stehen und fragen wir uns, ob und inwiefern Schiller berechtigt war, dies dramatische mittel aus dem antiken stücke zu übernehmen? kann überhaupt die vorhersagung durch orakel in einer modernen dichtung einen platz finden? der griechische dichter war ja sicher, die handlung den dramatischen gesetzen gemäsz natürlich und allgemein verständlich zu motivieren, wenn er seinen beiden das orakel in ansprach nehmen und seinem Spruche vertrauen schenken läszt. in seiner zeit war der orakel - glaube ja etwas allgemein verbreitetes, aber der moderne dichter? um diese frage zu beantworten, greifen wir auf Lessings Ham- burgische dramaturgie zurück, bei deren besprechung uns eine ahn-

36

540 P. Dönvald: Sohillen Braat voa Meanna im miterrtoht^

liehe frage beschäftigte, in seiner beorteilnng der Voltaireachen Semiramis (stück 11) bekämpft Lessing zunächst die aaffassiuig, dasz ein neuerer dichter den gespensterglanben , bloss weil er die handlung des dramas in eine zeit yerlege, in welcher derselbe har- schend war, benutzen kOnne, verteidigt aber dann den rechten poeti- schen gebrauch ttbemattirlicher erscheinungen, wie sie die kunst eines Shakespeare geschaffen hat Schiller hat nun offenbar seiner &bel ein derartiges gepräge gegeben, dasz die handelnden personen an die vorhersagung durch orakel glauben , er hat dieselbe in ein land und in eine zeit verlegt, wo orakelsprUchen die kraft einer realen , das menschliche handeln bestimmenden macht innewohnte, aber damit allein dürfte nach der analogie der Lesaingschen auf- fassung über den gespensterglauben als ein dramatisches motiv die Sache noch nicht erledigt sein, hat der dichter es auch venitandent diesen orakelglauben zu einem allgemein, auch uns modernen ver- ständlichen motiv zu gestalten? wir können diese frage mit ja be- antworten, zunächst müssen wir uns darüber klar werden, wie sich eine vorherbestimmung der zukunft, die in der vorhersagong der- selben ihren ausdruck findet, mit der Willensfreiheit des menschen, ohne die wir uns eine dramatische handlung nicht denken können, verträgt, wie denken wir uns diesen widersprach zwischen einer unumstöszliohen Vorausbestimmung der zukunft und der das mensch- liche handeln bedingenden freiheit der entschlieszung und des wollens gehoben? doch wohl so, dasz die allwissende macht, deren Organe das, was geschehen wird, im voraus verkünden, die beweggrfinde, welche den menschen gerade so und nicht anders zu handeln be- stimmen , voraus weisz , d. h. ebenso wohl die äuszeren das handeln veranlassenden Verhältnisse und umstände wie die dem beschränkten menschlichen blicke verborgenen falten des herzens klar schaut, so erscheint der mensch wohl frei in seinem handeln und doch ist dss- selbe im höchsten sinne notwendig, notwendig immer als die folge der läge der dinge, dann aber als ein ausflusz des aus einer ganzen summe äuszerer und innerer factoren hervorgegangenen 'Charakters', vor dem äuge der allwissenheit liegt aber die ganze kette von Ur- sachen und Wirkungen, welche durch die flucht der erscheinungen be- dingt wird und welche auch die einzelne handlungjedes menschen mit notwendigkeit erzeugt, klar zu tage ; vermag doch schon ein rechter menschenkenner, für den Wallenstein sich hält, von. sich zu sagen: 'hab' ich des menschen kern erst untersucht, so weisz ich auch sein wollen und sein handeln.' und dasz das in der vorfäbel unserer dich- tung vorausverkündete Schicksal nicht etwas launisch zufälliges und ein tückisches unheil ist, darüber läszt uns die dichtung ja nicht in zweifei. denn der eher läszt uns einen tiefen Zusammenhang zwi- schen dem Unheil , das im drama über das fürstenhaus hereinbricht, und gewissen dingen ahnen , welche die quelle bilden , aus der der Strom des Verderbens seinen lauf nimmt, wir sahen oben, dasz er, obwohl er sich ausdrücklich gegen ' Wahrsagung' verwahrt, doch

P. DOrwald: Schillers Braut Ton Messina im nnierrieht. 541

die znktmft voransscbaaend ansraft: *e8 ist kein znfall und blindes loos, dasz die brüder sich wtttend selbst zerstören, denn verflucht war der mutier scbosz , sie sollte den hasz und den streit gebären.' schon vorher hatte er auf die 'greuelthaten ohne namen', die 'schwarzen verbrechen' hingewiesen, welche das fürstenbaus berge, 'böse fruchte trSgt die böse saat.' wie sollte auch das frevel- beladene geschlecht segen ernten , wo nur fluch zu erwarten war ? ist denn aber die selbstvemichtung der söhne eine folge des freveis der eitern? wohl ist die that Don Cesars, wie wir weiter unten noch sehen werden, eine that freier Selbstbestimmung durch die leiden- schaftlichkeit , infolge deren er sie begeht, in dem gleichen sinne durch die frevel der ahnen bestimmt, wie etwa das 'eherne band', welches in der Goetheschen Iphigenie der gott den Tantaliden *um die Stirn schmiedete', in der stlnde , richtiger in der Sündhaftigkeit des abnherrn seinen Ursprung hat , die sttnde des vaters wuchert in den kindern fort, felsenfest steht ja auch die Wahrheit des gött- lichen Wortes, dasz die sttnde der vSter an den kindern bis ins vierte glied heimgesucht werden soll, verknttpft so der dichter das Schicksal der söhne mit der Vergangenheit des fflrstengeschlechts, so liegt für eine sittliche auffassung darin ein anhält für das verstSndnis des entsetzlichen Unterganges dieses geschlechtes, und wenn wir in dieser Vernichtung die Wirksamkeit des 'Schicksals' sehen, so ist die über den menschen stehende macht nicht ein finsteres, tückisches wesen, wie wohl Isabella in ihrer Verzweiflung meinen mag, sondern die ewige gerechtigkeit selber, die hüterin der sittlichen weltord- nung. Werfen wir jetzt wieder den blick rückwärts auf den könig ödipus , so erkennen wir , dasz Schiller in der auffassung von dem über dem menschen schwebenden Verhängnisse, das von vorn herein unabänderlich bestimmt erscheint, über den antiken dichter binaus- gegangen ist. das entsetzliche des vorher bestimmten Schicksals ist dadurch gemildert, dasz er es, wovon die Sophokleische dichtung nichts merken läszt, aus der in dem ganzen geschlechte herschenden leidenschaftlicbkeit begreiflich macht, wenn bei dem antiken dichter der zerschmetternde schicksalsschlag und der mensch , den er trifft, innerlich unvermittelt bleiben, so hat er schon dadurch einen Zu- sammenhang zwischen dem bevorstehenden unheil und seinen opfern bergestellt, dasz er die selbstvemichtung der brüder aus dem!charakter des geschlechts, dem sie angehören, motiviert hat. dasz die hand- lung der dichtung zugleich aus den Charakteren der handelnden per- sonen sich erklärt, werden wir später noch sehen.

Das zweite, was Schiller dem griechischen vorbilde entlehnt hat, ist der vergebliche versuch, den Spruch des Schicksals zu durch- kreuzen, indem in der vorfabel Isabella und ihr gemabl durch ihr handeln das Verhängnis abzuwenden bemüht sind, aber gerade durch dies handeln die erfüllung desselben herbeiführen helfen, wie der junge Ödipus dem orakelspruch sich zu entziehen strebt, indem er den korinthischen königshof meidet, ja seine eitern bereits die er-

542 P. DOrwald: Schulen ßimat Ton Mettma im Unterricht.

fttllnng des ihnen zu teil gewordenen orakelspmches zu hintertreiben suchten durch die unnatürliche aussetzung des kindes, so hat der fürst die neugeborene tochter zu töten befohlen, die matter dag^en dieselbe in der einsamkeit des klosters am Aetna anferziehen lassen, durch diese maszregel wird sie die Veranlassung, dasz beide brflder zu der unbekannten in liebe entbrennen und dasz dann der bmder den bruder erschlägt, so ist es die im König ödipus herschende auf fassung, wenn der chor ausruft: *und wer sich yermiszt, es (das Schicksal) klüglich zu wenden, der musz es selber erbauend vollenden.' 80 ist denn der schicksalsbegriff fttr den aufbau der handlang be- deutsam wie im antiken drama, aber auch die fabel der diohtang selbst hat eine starke Verwandtschaft mit der des König Odipas, die znnttchst formeller art ist. in der griechischen dichtung liegen die entsetzlichen den schicksalsspruch erfüllenden thaten vor dem be- ginn der handlung, sie gehören der vorfabel an: das drama selbst hat blosz die enthüllung der furchtbaren frevel zum inhalt, der 'kämpf* in dieser tragödie ist der kämpf um die aufdeckong dieses geheimnisses, und die erschütternde frage, die uns in ihr beschftftigt, lautet : wie wird der unglückliche könig die schreckliche Wahrheit auftichmen? insofern also die tragische Verwicklung der dichtung der fabel des dramas vorausliegt, hat man dieses die lösung, die analyse genannt, ebenso baut sich die Braut von Messina nicht wie andere dramen auf einfachen Voraussetzungen auf, sondern es ist ein verwickelter Zusammenhang von dingen, der die vorfabel bildet und der in der handlung der dichtung selber seine entsetzliche aafdeckung erfährt, ist so auch die handlung der Braut von Messina im wesent- lichen eine analjsis, so liegt doch, wie wir sofort sehen werden, ein wesentlicher unterschied im bau beider tragödien darin, dasz in der Schillerscben dichtung die aus dem Charakter des haupthelden flieszende Uhat der verblendeten wut' im mittelpunkt der handlung steht, aber weiter ist die ähnlichkeit zwischen beiden dramen auc^ darin zu finden, dasz, wie die ergreifende Wirkung der Sophokleischen tragödie hauptsächlich dadurch hervorgerufen wird , dasz der held derselben in bejammernswerter blindheit tappt, da, je klarer er zu sehen glaubt, er in um so tieferem dunkel wandelt, so auch in unserer dichtung nacht über den äugen der handelnden personen liegt, welche dann der jähe blitzstrahl aufhellt, für den könig Odipus ergab sich die Unfähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, von selbst aus der fabel und vorfabel der dichtung , und Sophokles hat das kunstmittel der tragischen ironie in erschütternder weise ver- wandt. Schiller dagegen hat seiner fabel zu liebe verschiedene mittel, nämlich bedeutsame charakterzüge der handelnden personen, anwenden müssen, um dieselben im dunkel zu erhalten und die auf- klärung , welche II 6 so nahe lag , zu verhindern.

So weisen vorfabel und fabel der dichtung entschiedene ahn- lichkeiten mit ihrem vorbilde, dem Sophokleischen König ödipus, auf. hier wie dort bilden unentrinnbare orakelsprUche die grund-

P. DOrwald: Scbillen Braut von Messina im auterricht. 543

läge der handlung, hier wie dort führt gerade der versuch, sich ihnen zu entziehen , zu ihrer erfüllung , hier wie dort steht die macht des Schicksals triumphierend der menschlichen kurzsichtigkeit gegenüber, und doch ist der moderne dichter von dem griechischen in einem wesentlichen punkte abgewichen, sahen wir, dasz der held der Sophokleischen dichtung ohne alle schuld leidet, dasz er einer un- seligen Verkettung der dinge zum opfer fällt und so den schicksals- spruch erfüllt, so sind es wohl auch in der Braut von Messina die unseligen Verhältnisse, deren opfer die glieder des fürstenhanses werden , aber das herbe dieses falles ist von Schiller durch die idee der tragischen Verschuldung gemildert worden und die dichtung ist insofern zugleich eine schuld- und cbaraktertragödie, als sie die tragische katastrophe eine folge der in dem drama wirkenden und auf einander stoszenden Charaktere werden läszt. Don Gesar stOszt^ ganz gemäsz seiner leidenschaftlichkeit, dem für einen Verräter ge- haltenen bruder das schwert durch die brüst und er büszt seine schuld durch einen freiwilligen tod. aber auch Don Manuel ist, wie wir schon im ersten teile aus der beurteilung des chores sahen, nicht ohne schwere schuld, des 'klosterraub es that' und sein unent- schlossenes und verschlossenes wesen helfen die katastrophe herbei- führen, ebenso sind Isabella und Beatrice nicht ohne schuld, erstere durch ihre heimlichthuerei, die *alles dies verschuldet', letztere durch ihr haltloses und leichtfertiges wesen. und wie wir selbst im König Odipus das schwere Schicksal der lokaste ein wohlverdientes nennen, so hat der dichter, dem Sophokles darin folgend, der Isabella die verwandten zÜge der überhebung und der frivolität geliehen.

Demnach ist die Braut von Messina nicht in dem sinne wie der König ödipus eine schicksalstragödie : denn das unheil bricht über die Personen der dichtung infolge ihrer eignen schuld herein, wohl aber herscbt in ihr die Vorstellung von der macht des unentrinn- baren Schicksals, welches durch der orakel mund bereits voraus- verkündet ist. so erscheinen schuld und Schicksal eng mit einander verwoben, in bewuster nachahmung der antike hat der dichter den menschen und seine anschlage als ein nichts, als ein bloszes Werk- zeug zur erfüllung des Schicksals dargestellt, ahnungslos ist er dem vernichtend hereinbrechenden unheil ausgesetzt ('darum in deinen fröhlichen tagen' usw.). doch ist die schicksalsmacht, wie wir oben sahen, damit keineswegs als ein tückisches, mit dem menschen spielendes wesen aufgefaszt, vielmehr ist es eine tiefsittliche Wahr- heit, das wort 'nicht an die guter hänge das herz' usw. gewis lagert über der dichtung eine düstere Stimmung, wie sie eben der kämpf des menschen mit dem unheile erzengt, aber sie entläszt uns ver- söhnend mit der Überzeugung: 'das leben ist der guter höchstes nicht, der übel gröstes aber ist die schuld.'

Ohlau. Paul Dörwald.

544 P. Blank: aoK. t. A. Pub* lesebnch Bit die höh. schalen Deutschlands.

49.

LESEBUCH FÜR DIE HÖHEREN SCHULEN DEUTSCHLANDS. HERAUS- OBOEBBN VON DR. AlFRBD PuLS, OBSRLEHBBR AM KÖNIOL. CURI8TIANBUM ZU ALTONA. ERSTER TEIL : LESEBUCH FÜR SEXTA.

ZVTEITBR TEIL : LESEBUCH FÜR QUINTA. Gotha, E. J. ThienemauD. 1896.

Es ist in unsern tagen keine angenehme anfgabe, die zafalreieben neuen erscheinungen auf dem gebiete der scbolbachlitleratar dardi- znsehen , man findet so viel spreu und so wenig weisen, um so er- frealicber ist es, wenn man einmal ein buch antriffi, welches Aber das niveau der mittelmäszigkeit weit hervorragt, nach meiner an- sieht sind die Verfasser von scbulbtlchem in den letzten jähren oft auf bedenkliche abwege geraten, es ist bezeichnend, dasz die meisten in vorreden, ankündigungen usw. nicht genug hervorheben können, dasz ihr buch ganz und gar von dem geist der neuen lehrplSne durch- tränkt sei, dasz es sich den neuen lehrplänen auf das allerengste an- schliesze. wenn es auch notwendig ist, dasz ein buch, welches den praktischen zwecken der schule dient, sich in der auswahl des Stoffes den lehrplftnen unterzuordnen hat, so macht es mich doch stets mis- trauisch, wenn gerade dieses moment so sehr in den vordei^grund geschoben wird, wer sich zu der sehr ernsten aufgäbe berufen ftlhlt, ein Schulbuch zu schreiben, der musz aus sich selbst heraus schaffen, plan und anläge müssen sich im geiste des Verfassers zu einem har- monischen ganzen verbunden haben , nur auf diese weise kann ein werk entstehen , welches geist und Charakter des Verfassers wieder- spiegelt.

Durch die neuen lebrplfino bat sich der deutsche Unterricht endlich die ihm gebührende Stellung errungen, da nun im mittel- punkte des deutseben Unterrichts in den unteren und mittleren classen offenbar das lesebuch steht, so ist augenblicklieb die lese- buchfrage eine der wichtigsten für unsere höheren schulen, es ist hier nicht der ort, auf die mängel und schwächen einzugehen, an welchen die meisten unserer lesebücber leiden, ich mOchte an dieser stelle den lehrer des deutschen auf das neu erschienene lesebuch von Puls hinweisen, von welchem bisher die ersten beiden teile, für sexta und quinta, erschienen sind, wenn die weiteren teile des Werkes auf derselben höhe stehen wie die beiden ersten , so werden wir ein lesebuch besitzen, um welches der lehrer des deutschen mit freude seinen Unterricht gruppieren wird, ich kann hier nur auf einige Vorzüge des buches eingehen, in glücklichster weise ist die aufgäbe gelöst , den poetischen lesestoff von dem ballast der stoff- lichen erklärung zu befreien, in den prosaischen lesestücken lernt der Schüler den Stoff beherschen , der ihm bei der lectüre der ge- dichte geläufig sein musz. auf diese weise wird es dem schüler mög- lich gemacht, sich ganz dem zauber der poesie hingeben zu können, da ihm der stoff aus den prosaischen lesestückeu in zusammen-

P. Blunk : ani. ▼. A. PqIb* leBebuch für die höh. schulen Deutedüand«. 545

hängender weise bekannt ist. der yerfasser lief bei der darch- ftthmng dieses gedankens offenbar gefahr, minderwertige prosa- siflcke aufzunehmen, um für den poetischen lesestoff vorspanndienste zu leisten, doch ist er, so weit ich das habe übersehen können, dieser gefahr nirgends zum opfer gefallen, ein weiterer vorzug des buches besteht darin , dasz sich stets eine reihe von lesestttcken zu einem ganzen zusammenfassen läszt, um dem schüler ein zeit- oder Charakterbild zu entwerfen, so lernt der sextaner zeit, thaten und Charakter Karls des groszen, Barbarossas, des groszen korfürsten, Friedrichs des groszen und Wilhelms I kennen; der quintaner er- gänzt seine kenntnisse so weit, dasz er in anlehnung an grosze persönlichkeiten mit dem entwicklungsgange der deutschen ge- schieh te yertraut wird, auch die deutsche sage ist in dem ersten teil mit groszer liebe und viel geschick behandelt worden, hier lehnt sich der Verfasser ganz an ühland an, was gewis nur zu billigen ist. im zweiten teile finden die griechischen und römischen sagen ihren platz , der beste historiker für die Jugend , der den kindem so recht zu herzen sprechende K. Fr. Becker , führt haupt- sächlich das wort, in engem zusammenhange mit den geschicht- lichen und sagenhaften lesestücken stehen bilder aus dem Völker- und menschenleben, die sehr geschickt ausgewählt sind, da sie die dem kinde so notwendige anschaulichkeit in hohem grade besitzen, dasz dem lesebuche auch nicht diejenigen märchen und fabeln fehlen, welche als eiserner bestand von einem lesebuche in das andere über- geben, braucht wohl nicht erwähnt zu werden.

In richtiger erkenntnis der kindesseele hat der verfasset auch einige schwanke aufgenommen, deren bildungswert allerdings gering ist, die aber von den kleinen so gerne gelesen werden, gerade solche lesestücke sind häufig das confect, durch welches das kind in seinen häuslichen muszestunden zum lesebuche hingezogen wird und es auszerhalb der schule lieb gewinnen lernt, der lehrer kann aber nur dann mit erfolg wirken, wenn der schüler sein lesebuch gern zur band nimmt, nicht mürrisch , wie es bei der lateinischen grammatik wohl zuweilen vorkommen dürfte, zu meinem bedauern hat der Verfasser die eigentliche naturgeschichte ganz bei seite geschoben ; der alte gute Hebel verdient nach meiner ansieht eine grössere be- rücksichtigung, auch Wagner ist in einzelnen tierschildernngen wohl zu gebrauchen, da jedoch nach dem mir vorliegenden prospect der für quarta bestimmte teil die naturgeschichte (und erdkunde) in ein- gehender weise berücksichtigen wird, so ist diese lücke von geringer bedeutnng. bei den poetischen lesestücken gibt der Verfasser stets an, welche ausgäbe er benutzt hat. so steht z. b. bei Siegfrieds Schwert: Ludwig Uhland. gedichte und dramen. Stuttgart 1877. bd. II s. 163 f. ich halte solche angaben in einem lesebuche, wel- ches doch für den schüler bestimmt ist, für unnötig, ja sogar für schädlich, der schüler wird immer wieder glauben, dasz das gedieht im jähre 1877 entstanden ist , es fällt ihm schwer zu glauben, dasz

546 P. Blank : ani. ▼. A. Puls* lesebachittr die bdh. ■eholen DeatMhlandi.

ühland 1877 gar nicht mehr gelebt hat. bei gedichten sollte man stets das entstehungsjahr angeben, oad wenn das nicht mOglich ist, geburts- und todesjahr des Verfassers, dadurch wird der acbfller ohne mtthe in die litteraturgeschichte eingeführt.

Mit recht hebt der Verfasser in dem Vorwort hervor, dass der grammatische Unterricht vielfach arg vemachlftssigt werde, daher gibt Puls seinem lesebuch fttr sexta eine genttgend aosfllhrliche formenlehre bei sowie einen abrisz über die fttr den sextaner not- wendigen begriffe der Satzlehre, dieser anhang zeichnet sich be- sonders dadurch aus, dasz der sextaner im stände ist, dieae kleine grammatik wirklich zu verstehen (im gegensatte zu den grammati- schen beilegen von Hopf und Paulsiek). in dem grammatischen an- hange des quintateiles ist zu meinem bedauern die formenlehre nicht mehr berücksichtigt worden , während die Satzlehre vielleicht mehr enth&lt als man von einem durchschnittsquintaner wird Terlangen können.

Ich bin überzeugt, dasz der Verfasser wegen dieser grammati- schen beilegen vielfachen angriffen ausgesetzt sein wird, ich höre schon aus den recensionen die seit einigen jähren beliebte mode- phrase von der entweihung eines lesebuches durch die grammatik herauskiingen , ebenso wie sich auch mancher recensent davor be- kreuzigen wird, dasz der ver&sser die prosaischen lesestflcke in den dienst der poetischen gestellt hat. wer jahrelang den deutschen Unterricht in den unteren dassen erteilt hat, musz nach meiner an- sieht zu der Überzeugung kommen, dasz das wirkliche Verständnis eines lesestückes (und ohne Verständnis gibt es keinen wahren genusz) nur dann erreicht werden kann, wenn der schttler den Stoff beherseht und auch über die einfachsten grammatischen beziehungen klarheit besitzt, dasz das lesebuch von Puls diese aneignung des Stoffes auf äuszerst praktische weise erleichtert und dadurch für grammatische Übungen und für die so notwendigen leseübungen einen bescheidenen teil der zeit frei macht, bedeutet einen groszen fortschritt auf dem gebiete der lesebücher. einen groszen vorzug des buches erblicke ich auch darin, dasz es seinem Inhalte nach für alle höheren schulen passt, für das gymnasium sowohl wie für die realschule. die äuszere ausstattung des buches entspricht in jeder weise den anforderungen unserer zeit, das papier hat den für das äuge so angenehmen leichten stich ins gelbliche, da es jedoch holzfrei ist, ist es vor dem vergilben geschützt der druck ist klar, ich kann jedem coUegen dringend raten , sich das vorzügliche buch von Puls genau anzusehen und es nicht bei der hochflut der lesebücher achtlos bei seite zu schieben.

Altona. Paul Blunk.

J. Froboese: aius. ▼. Tb. Lindners gescbicbte des deatscben Tolkes. 547

50.

Theodor Lindmbr, qbsohiohte des deutsohbm Volkes, zwei BÄNDE. Stuttgart 1894. J. G. Cottas nachfolger. I. band XII u. 342 8. II. band X u. 388 8.

Hier liegt endlich eine deutsche gescbicbte vor, wie sie bisber von vielen gebildeten vergeblicb ersebnt worden ist, eine deutsche gescbicbte, die auf der böbe der forscbung steht, sich aber auf das wesentliche beschränkt, nur die hauptzttge aus dem wirrsale der politischen , kriegerischen und der culturgeschichtlich bedeutsamen ereignisse, diese aber mit geschick und Verständnis heraushebt, eine deutiscbe gescbicbte, die in einfacher, edler spräche klar, fesselnd und geistvoll geschrieben ist, ohne das streben, den wissenschaft- lichen Untergrund durchschimmern zu lassen, ohne die sucht nach effecthascherei und ohne hang zu geistreichem spintisieren, das nicht selten zu Schiefheit und Unklarheit fQhrt. kurz , der Verfasser hat nur den einen zweck verfolgt, zur belehrung des gebildeten deutschen publicums zu schreiben, er hat sogar die dankenswerte, bei einem historiker von fach seltene selbstbeherscbung gettbt, auf die Vor- führung groszer neuer entdeckungen zu verzichten, dasz der verf. mit den fremd wörtem sparsam umgegangen ist, gereicht dem werke nur zum vorteil, gewagte bilder wie 'endosmose der gegenseitigen culturen' oder fremdwörter wie Wersatilität' u. dgl., die Lamprechts deutsche gescbicbte , ein sonst so bedeutendes werk, verunzieren, sucht man bei Lindner vergeblicb.

Das buch ist zunächst für gebildete laien geschrieben , es hat aber auch für den geschicbtslehrer einen gewissen wert, dem in der deutseben gescbicbte bewanderten wird zwar kaum etwas neues in ihm begegnen , doch die treibenden factoren jeder zeit sind so klar, mit solcher einsieht hervorgehoben, dasz auch jeder geschicbtslehrer das schöne buch mit nutzen lesen wird, besonders für den jüngeren lehrer, für den es doch nicht immer und überall leicht ist, die rich- tige beschränkung auf das wesentliche zu finden , scheint mir die lectüre des werkes empfehlenswert, nicht dasz ich glaubte , überall gäbe das buch die unumstözliche richtschnur. gewis nicht, so wird z. b. bei dem investiturstreit der cardinalpunkt nicht genügend in den Vordergrund gestellt, sondern erst zuletzt (I s. 81) flüchtig ge- streift der geschicbtslehrer wird sogar durchweg im Unterricht den reichlich gebotenen culturgescbicbtlichen stoff nicht vollständig ver- wenden können , dagegen das politische oft erweitem müssen, aber er hat an diesem buche, wie kaum anderswo, einen vortrefflichen genossen zur seite, der ihn immer entschieden und mahnend auf das ausschlaggebende, das für die entwicklung bestimmende hinweist, so dasz er dies nicht ob der bunten vielgestaltigkeit des geschicht- lichen lebens aus den äugen verliert, sondern beherschend hervor- kehrt, das buch ist ein freund , der vor manchem abwege schützt, es ist ein geistvoller berater. ganz besonders ist das maszvolle und

548 J. Froboete: adb. ?. Th. Lindnen gotehichta dm deatMhen toOi

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besonnene urteil, das ttberall in ihm hervortritt, la rflhmen. i fahre beispielshalber an, was I 326 f. darttber gesagt ist, wanun c nationalen and kirchlichen hoffnnngen sn anfang des seehxelmt Jahrhunderts in Deutschland nicht cu ▼erwirklichen waren, fem das urteil ttber die Jesuiten II 11 f., Ober die schuld am dreiaa jährigen kriege n 47 f., dann die ausfQhrungen Aber die nicht vOUi, Wertlosigkeit des reichsverbandes nach dem westfllischen friede 11 72 f. und besonders , was Aber Österreichs verdiendt II 74 an einandergesetzt wird, das sind alles materien , In denen andorwii nur zu oft mehr die partei als die objective geschichte spricht. Wi hier yon II 66 an Aber die deutsche reichsverfassnng gegeben u wird man Oberhaupt selten anderswo so klar und eingebend a gegeben finden, ebenso mascvoU und besonnen sind die erOrterung Aber den Ursprung des conflictes zwischen Friedrich II und Mu Theresia und Lindners urteil ttber beide persönlichkeiten, jetrt mm den Lehmannschen pseudo-entdeckungen thut solche ruhige pari« losigkeit doppelt wohl, wie mild urteilt Lindner femer Aber di anschluse Sttddeutschlands an Napoleon II

Alle schönen partien des buches aufisuzfthlen , wSre nicht möj lieh, nur auf einzelnes kann ich der probe wegen hinweisen, beso: ders gelungen erscheinen mir im ersten bände der 9e, lOe ui lle abschnitt: *die mittelalterliche cultur', 'der Umschwung' ni 'die erwerbung des Ostens', doch wir thun vielleicht unrecht, wei wir diese abschnitte vor vielen andern nicht minder vortrefllichi hervorheben, sehr anschaulich werden die folgen des dreiszi^fthrig« krieges besonders auf wirtschaftlichem gebiete geschildert. glAc lieh , lebendig zum greifen wird uns mit wenigen pinselstrichen d geicllschaft, das ganze leben der rococozeit vor die seele gefUhi treffend wird auch der unterschied zwischen dem norden Deutscl lands einerseits und dem Süden und westen anderseits geken zeichnet, doch klingt es zu hart, wenn es II 135 heiszt: das weitai meiste von dem, was Deutschland im mittelalter hervorgebracl hat, gehört Süd- und Westdeutschland an. zu dem allerwichtigstc und wertvollsten , was das deutsche volk im mittelalter ausgeftlh hat, gehört die colonisation des Ostens , und sie ist wesentlich di werk Norddeutschlands, die culturgeschichtlichen abschnitte aii gewöhnlich besonders gelungen, vortrefflicher kann wohl der g bildete laie nicht mit dem wesentlichsten der geistigen Strömung« an der wende des 18n und 19n Jahrhunderts, besonders mit d kosmopolitischen richtnng in Deutschland bekannt gemacht werde als durch den 16n abschnitt des zweiten bandes. das weltbAi^ge tum der Deutschen ist hier mit meisterschaft und gröster wab beit gezeichnet, die Überleitung aus dieser zeit, wo 'im besitz vc goldenen gedankenscbStzen die Deutschen das eisenfgering achtete] zu dem drucke der Napoleonischen Zeiten, der den nachkommen d< alten kampfgewaltigen Germanen, die nun zu einem volke vc denkem und dichtem umgewandelt waren , das eisen wieder in d

J. Froboese: ans. t. Tb. Lindners geschichte des deutschen volkee. 549

fangt zwang, ist in seiner knappen, einfachen, wuchtigen weise er- greifend und vollendet ganz prächtig ist femer die Charakterisierung Schillers II 217 ff. und die kurze Schilderung der Wiedergeburt Preuszens II 242 ff., ebenso gedankenreich wie schön der schlusz des 18n abschnittes (besonders Yon II 268 an), in dem zwar die mangelhaftigkeit dessen, was nach den k&mpfen von 1813 14 für Deutschland erreicht wurde, anerkannt, doch auch zugleich darauf hingewiesen wird, inwiefern hier saat für die zukunft gesät war. ausgezeichnet sind dann die zustände, die ganze geistige atmosphäre nach 1815 in dem abschnitte 'die nationalen und liberalen ideen' geschildert, wie schwer es von verschiedenen Seiten dem nationalen gedanken gemacht wurde, in Deutschland fortzuleben, wird sehr an- schaulich dargethan, doch können wir in einem punkte dieses ab- schnittes LinduOT nicht zustimmen, wenn wir überall das besonnene, unparteiische urteil Lindners anerkennen, so können wir dies doch nicht bezüglich der nichterfUliung des verfassungsversprechens durch Fridrich Wilhelm III. die momente, die Treitschke zur rechtferti- gung des Verhaltens des königs anführt, sind nach unserer Über- zeugung durchaus zutreffend, in dieser sache scheint uns Lindner ebenso wenig wie Sybel unparteiisch zu urteilen, wir halten es für ein glück, dasz nicht schon bald nach 1815 landtagein Preuszen eingeführt worden sind, da wir der meinung sind, dasz wir dann nie ein preuszisches beer erbalten hätten, das 1866 und 1870 möglich gemacht bätte. im hinblick auf die gemütlichen einrieb tungen in Würtemberg und Bayern, in allen kleineren Staaten, wo die verhaszten militärlaöten Preuszens nicht existierten, würde die mehrzahl der Volksvertreter, besonders der aus den neuen landesteilen, es gewis für ihre erste pflicht als liberale bürgerrepräsentanten gehalten haben, auf Sparsamkeit in den unnützen ausgaben für das militär zu dringen, der verfassungsconflict in Preuszen wäre dann wahrscheinlich schon decennien früher ausgebrochen und Preuszens macht untergraben worden, ehe sie sich consolidierte.

Sehr glücklich wird im 20 abschnitt das aufkommen des poli- tischen radicalismus und das wiedererwachen des totgeglaubten ultra- montanismus mit seinen universalen, herschsüchtigen zielen dar- gestellt, doch genug der beispiele!

Wenn irgend etwas an der Lindnerschen geschichte auszusetzen ist, so ist es der hier und da nicht angebrachte lapidarstil, oder sagen wir lieber die zu flüchtige besprechung wichtiger, allbekannter kriegerischer ereignisse. schon der siebenjährige krieg wird auf zwei Seiten II 162 f. abgethan» an das triviale streift aber die kürze in dem befreiungskriege II 255 f. dasz übrigens II 255 die siege von Groszbeeren und Dennewitz noch allein Bülow zugeschrieben werden, scheint uns nach den Untersuchungen Wiehrs sehr ungerecht- fertigt. II 344 führt die übermäszige kürzung geradezu zur Unklar- heit für jeden, der den Sachverhalt nicht anderswoher kennt, es wird nämlich hier gar nicht erwähnt, dasz 1866 das beer des erz-

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650 E. Schwabe : ans. t. A. Krenaer aosgew. briefe dea jflngem

herzogs Albrecht nach seinem siege in Italien zor reitang Wi nach norden berufen wurde, es klingt daher sehr wunderlich , d die Italiener nach ihren niederlagen den 'vor mar seh langsam fc setzen', wenn II 351 gesagt wird, Österreich wtre (vor 1870) i Frankreich ein geheimes kriegsbttndnis eingegangen, so ist das viel behauptet der 7e band des Sjbelschen werkee wird wohl ^ die oben erwähnte Untersuchung Wiehrs dem verf. noch nicht v gelegen haben, am meisten zu bedauern ist es, dasz der ganze kr Ton 1870 in ein paar sfttzen abgehandelt wird. fSr die sweite a läge ist sehr zu wttnschen, dasz der Terf. die kriegerischen actioi weniger stiefkntttterlich behandelt und die letzten abschnitte < Werkes etwas ausftlhrlicher gestaltet, vielleicht entschliesst s Lindner auch, die deutsche Vorgeschichte wenigstens im tunriss v zuführen, es ist ja freilich hier so manches hypothese, dass n das überspringen der ganzen zeit recht wohl verstehen kann, vi leicht ist jetzt aber endlich durch Much ein etwas festerer nnt grund gewonnen worden.

Doch alles, was dem mftkeln ähnlich sieht, ist dem schOi buche gegenüber nicht am platze, am platze ist hier allein < urteil : das Lindnersche werk ist der wärmsten empfehlung wert, bietet uns in kurzer fassung eine lichtvolle und geistvolle dent» geschieh te.

Samobrhausbn. Julius Frobobse.

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51.

A. KrEUSEB, ausgewählte BRIEFE DES JÜMOBRN PlIMIUS F DEN SOHULQEBRAUCH ERKLÄRT. MIT BINEE TAFEL, GRUNDR]

EINBB RÖMISCHEM VILLA. Leipzig, B. G. Teubuer. 1894. IV 143 8.

Seit einiger zeit macht sich wieder das bestreben bemerkb die schriftsteiler der sog. silbernen latinität in gröszerem umfan in den bereioh der schnllectttre hineinzuziehen, dem soll auch ( vorliegende kleine auswahl aus den briefen des jungem Plini dienen, referent ist darin mit dem herausgeber vollkommen ei verstanden , dasz man nicht die ganze correspondenz vorlegen , so dem nur das wichtigste und interessanteste davon herausheben so Ober das freilich, was dazu zu rechnen ist, werden die ansieht stets auseinander gehen und der eine wird gerade das besondc wttnschen , was dem andern als entbehrlich erscheint, dem ref. < scheint jedoch die getroffene auswahl , die sich an die bttcherreihc folge httlt (eine sachliche anordnung schlfigt Kr. selbst auf s. 6 vo als zweckmSszig und wohl geeignet, ein hinreichend klares bild v< dem vornehmen, höfischen beamten und trotz seiner schwächen do liebenswerten menschen zu gewinnen , der auszer der irdischen eh auch nach der litterariscben Unsterblichkeit strebte, dasz dabei d

£. Schwabe: ans. ▼. A. Kreaser ausgew. briefe des jungem Plinius. 551

zehnte buch, das urBprttngliehsie der ganzen correspondcnz, eine aus- gedehntere berücksicbtigung erfahren hat, ist besonders erfreulich, bietet es ja doch die einzige gelegenheit, einen tiefem blick in die Verwaltung des Ungeheuern reichs zu thun, und zugleich den groszen und edeln kaiser kennen zu lernen , der es nicht verschmtthte, alles, selbst das geringste, in seines reiches grenzen zu beachten, und er verdient wahrlich mehr herücksichtigung als die traurigen beiden des dreikaiserjahres 68, die jahraus jahrein um Tac. historien willen genauer betrachtet werden.

Dem hefte geht eine kurze litterargeschichtliche einleitung voraus, die alles notwendige über das leben und die schriftstellerei des jungem Plinius enthält, daran schlieszt sich eine knappe, aber sehr dankenswerte Zusammenstellung der Plinianischen stileigen- tttmlichkeiten. es mag dies um so mehr hervorgehoben sein , weil trotz der Selbstverständlichkeit einer solchen beigäbe sie doch meistens hei ausgaben von Schriftstellern der silbernen latinität wegzubleiben pflegt.

Die briefe selbst sind von erklärenden anmerkungen begleitet, man kann bei ihnen leicht im zweifei sein, wen denn eigentlich sich Kr. als leser und benutzer gedacht hat. schttler? dann doch wohl nur primaner. aber auch angehende Studenten werden das buch gewis gern benutzen wollen, um in die silbeme latinität einzu- dringen, und auch das wird man wohl als wahrscheinlich an- nehmen dürfen, dasz das buch mehr ftlr die privatlectüre als für den classenunterricht in betracht kommt , also die ausführende und ergänzende erklärung des unterrichtenden lehrers wegfällt, nach diesen beiden gesichtspunkten hin kann sich ref. mit dem gebotenen commentar nicht ganz einverstanden erklären, zunächst bieten die anmerkungen zu viel erläuterungen, die sich der einzelne nicht ganz ungeschickte leser selbst sagen kann, zweitens aber, für den fleiszigen leser, der sich gern näher unterrichten und auszer dem unmittel- baren textverständnis eine genauere anschauung des ganzen milieu gewinnen möchte, aus dem die Plinianischen briefe hervorgegangen sind, bietet Kr. viel zu wenig, gute commentarel heiszt es jetzt überall , die dem leser helfen , wo er sich ohne groszen Zeitaufwand nicht selber helfen kann, und gerade die silberne latinität braucht sie am nötigsten I die zahllosen anspielungen auf die Zeitgeschichte, die Zeitgewohnheiten und die ttiodemeinungen können gar nicht richtig erfBiSzt, oftmals gar nicht einmal erkannt werden, wenn der com- mentar zu wortkarg ist. aus mancherlei andeutungen erkennt man, dasz Kr. die einschlägige litteratur kennt und benutzt hat. aber er hätte sie reichlicher verwenden und vor allem auch citieren sollen, so vermisse ich, um nur einiges anzuführen, jede hindeutung auf Friedländers Sittengeschichte und Schillers römische kaiser- gescbicbte, bei nr. 24 fehlt jegliche besprechung von Silius Italiens, bei ur. 31 von Martial. denn die dürftigen notizen im Personen- register genügen keineswegs, und die beispiele lieszen sich leicht

563 JL 8ten: am. v. Noacks hilfiibiieli fOr doA er. reügionaanterfii

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vermehren, der nach Er.8 ausgäbe erklftrende lehrer wird sieb a freuen 9 dasz ihm ein so weites feld vsx bestellen ttbrig bleibt, a der leser wird oft ratlos sein and schlieszlich zu eben den ba bttchem greifen müssen, die ihm der commentar Mgentlioh entbc lieh machen sollte.

Mbiszbh. Ebxst Schwau

52.

NOAOK, HILPSBUOH fOr DBM BTANOBLISOHBN BBLI6I01I8üHTSBEI< m DBN MITTLEREN UND OBEREN 0LA88EN BÖHBBBR SOHUL

Berlin, 1894. NioolaiBche yerlagsbachhaudlang.

Das bekannte hilfsbnch von Noack ist in der vorliegenden nei bearbeitung zu einem hilfsbnch auch ftlr die mittleren olasaen weitert und den neuen preuszischen lehrplftnen angepasst. naeh i einleitenden angaben über die namen, teile und ttbersetcnngen bibel folgt eine bald kürzere | bald ausführlichere inhaltsangabe i biblischen Schriften, die mit einer Übersicht über den entwioklnn gang des gottesreiches im alten und neuen testamente abgescblos wird, wfthrend die ausfOhrungen über das alte testament aasreich« erscheinen, ist die Übersicht über das leben Jesu zu kurz, hier k es meines erachtens darauf an , an der band der evangelischen richte eine zwar kurze , aber doch mehr zusammenbftngende d Stellung der geschichtlichen aufeinanderfolge der ereignisse sn gel und namentlich die bergpredigt und die gleichnisse eingehender besprechen, dasselbe gilt auch von der apostelgeschichte; auch \ waren allgemeine, erklftrende bemerkungen über die entstehung i die Schicksale der urgemeinde, die begründung des heidenchrist tums und anderes, was sich damit leicht in Verbindung bringen Üb notwendig.

Die kirchengeschichte, die den umfangreichsten teil des buci ausmacht, behandelt mit recht die wichtigsten zeitrftume, besond das Zeitalter der reformation ausführlicher als früher und zeiclu sich unter weglassung von thatsachen und zahlen durch mehr sammenhängende Übersichten aus.

Auf eine bebandlung der glaubens- und Sittenlehre hat der v fasser verzichtet und nur das zu verarbeitende material, d. h. drei ökumenischen sjmbole und die einzelnen artikel der Augsbui sehen confession mit kurzen, unten beigegebenen anmerkungen v bibelversen zusammengestellt, damit ist aber weder dem lehrer m dem Schüler ein dienst erwiesen, vielmehr war gerade zu zeig wie sich das gegebene material zu einem ganzen verarbeiten Iftc auch ist nicht einzusehen, weshalb der Verfasser die Sittenlehre gft lieh unberücksichtigt gelassen hat

CÖTHEN. Alwin Stbbb.

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ZWEITE ABTEILUNG

FÜB GYMNASIALPiDAGOGIK UND DIE ÜBRIGEN

LEHKFlGHEB

MIT AU88CHLU8Z DBB CLA88I8CHBN PHILOLOOIB

HEBAUSaBGBBEN VON PBOF. DB. BiCHABD BiCHTEB.

(47.)

DIE LATEINSCHULEN ZU ETON UND WINCHESTER IM

SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT.

(8chla8z.)

n. Der berioht Johnsons über das ooUege von Winohester

(1666).

Der Verfasser, Christopher Johnson (auch Jonson und Jhonson geschrieben), wurde um 1536 in Kedelston in Derbjshire geboren, im jähre 1549 trat er als schüler in die anstalt^ die er später leiten sollte , um darnach dem New College in Oxford anzugehören, wo er 1555.fellow, 1558 baccalaureus und 1561 magister wurde.' die empfehlung des Francis Hastings, Earl of Hnntingdon, an den bischof Parker verschaffte ihm 1560 das rectorat von Winchester, in diesem amte trieb er eifrig medicinische Studien, die seine be- fÖrderung zum bacc. med. (1569) und zum doctor med. (1571) her- beiführten, diese Studien und die austtbung der ärztlichen praxis sollen seinen eifer fQr die schule nicht beeinträchtigt haben , ja er wird von seinen Zeitgenossen sogar als sehr tüchtiger lehrer ge- rühmt.' er selbst freilich ist wohl nicht sehr begeistert für seinen beruf gewesen, denn mehrmals spricht er von den groszen mühen, die ihm sein amt verursachte, und auf Thom. Aiwjne, einen seiner

1 vgl. Kirbj, Winchester Schollers, Lond. 1888, 8. 128. in dem noch zu erwähnenden Elenchas widmete J. seinen lehrern Gal. Everard (bis 1552 headmaster) und Thom. Hjde (bis 1561 headmaster) folgende distichen:

Qui fura8(I), Everarde, meo sensi ipse periclo: Ignosco. An faciet sie mea Turba mihi? '^ quoque, Praeceptor quondam mens, Hyde, Latentis £ re nomen babes. Numinis istud opus. * C. W. Boase, register of the university of Oxford, Ozf. 1885, I 244. > A. Wood, Athen. Oxon. ed. Bliss, I 659.

N. Jahrb. f. phil. u. p&d. U. abt. 1895 hft. 19. 36

554 Tb. Klähr: die lateinschulen zu Eton ond Winchester im I611 jahrh.

yorgttnger, der nach zwölfjähriger Unterbrechung die leitung der schule wieder übernommen hatte, verfaszte er das epigramm :

Ergo resorberis tarn dira, Alwine, Charibdi.

Nee poteras fracto liber abire iugo. Seinen schülern dictierte er einmal folgende beschreibong seiner person :

Si te forte tuo de praeceptore rogabit

Aut pater, aut hospes, aut quivis obvius venit,

Admoneo , memori quod semper mente tenendum est,

Ne qua sciens de me facias meniacia sive

Suaserit hoc odium , seu (quae rarissima certe

Semper avis) nostri nimio tenearis amore.

Gorpore pertenui me dices invalidoque;

Dormire in lucem, ne laedar frigore; Musis

Gaudere, assiduum tarnen esse negabo; amare

Et varias servare vices ; quod pertinet ad te,

Irasci celerem , si quid peccaveris ; inde

Placari facilem , multis ignoscere multa.

Quanto perditior quis est, tanto acrius Uli

Insistere; haec de me, quae sunt verissima, dices. ^ Für den gebrauch seiner scbüler gab J. 1564 zwei reden heraus *de circulo artium et philosophiae' und ^de eloquentia et Cicerone*, die B. White in Louvain gebalten hatte. ^ ferner übersetzte J. die Batrachomyomachie ins lateinische^ und verfaszte drei auf Winchester bezügliche gedichte , nämlich eine lebensbeschreibung des gründers der schule (Ortus atque Vita Gul. Wykehumi Winton. Episcopi), und distichen auf die Vorsteher (Custodum sive Praesidum Coli. Winton. series) und headmaster des College (Didascalorum Coli. Wint. omnium Elenchus). diese gedichte sind als anhang zu B. Willes' Poemata (Lond. 1573) gedruckt worden, das Addit. Ms. 4379 des brit. mus. enthält themata et declamationes CoUeg. Wint. aus der zeit Johnsons.

1571 schüttelte J. das drückende joch der schule ab und zog sich nach London zurück, wo er in der parochie St. Dunstan in the West der heilkunst oblag, er wurde um 1580 fellow des College of Physicians und bekleidete in diesem nach einander das amt eines censors, consiliarius und Schatzmeisters.^ er starb im juli des Jahres

* Post festum natalis Christi dictata magistri Jonsoni feliciter tra- dita in sexta classe teste Badgero puero. brit. mas. Ayscough Ms. 712.

^ der Verfasser widmete dafür J. später eine kurze latein. rede und die editio eines alten epitaphs (Padua 1568, 4^).

^ Ranaram et murium pugna latina versione donata ex Homero, 40, Lond. >680.

' vgl. W. Munk, tbe Roll of the Royal College of Physicians in London, Lond. 1878, I 76. eine medicinische schrift J.s führt den titel: Counsel against the plague, or any other Infectious Disease: with a question, weather a man for preservation may be parged in the Dog-days or no. ? 8®, Lond. 1577.

Th. Kl&hr: die lateinachnlen zu Eton und Winchester im 16n jahrh. 555

1597, seinen söhnen ein nicht unbedeutendes vermögen hinter- lassend.

Tanner (Bibl. Brit.-Hib. L. 1748 s. 442) rühmt von J.: poetis Omnibus coaetaneis facile antecelluit. dieses lob wird zwar der leser des unten folgenden berichtes einzuschränken geneigt sein , aber es ist nicht ausgeschlossen, dasz der dichter denselben, wenigstens teilweise, während seiner eignen Schulzeit verfaszt hat. zu dieser annähme fOhrt nicht nur die bemerkung in der vorrede zu dem manuscripte, das diesen bericht, sowie die von Willes veröffent- lichten gedichte enthält und in der bibliothek des Winchester College aufbewahrt wird; 'sum puer et vires tantas natura negavit'^, sondern auch eine anzahl von verstöszen gegen sprachliche und pro- sodische regeln (vgl. v. 2. 17. 28. 61. 92. 130. 188. 196. 214. 242). das gedieht J.s findet sich bereits gedruckt in bischof Wordsworth's, The College of St. Mary Wintoun, Oxf. und Lond. 1848, 4°, s. 129, einer Sammlung der in Winchester gebräuchlichen hjmnen und gebete, die auch den berühmten schulgesang 'dulce domum' enthält, das buch ist aber überaus selten und, wie schon erwähnt, nicht ein- mal im britischen museum zu finden.

De Collegio seu potius Collegiata Schola Wiccamia

Wintoniensi.

Inter turrigeras , quas Anglia continet , urbes

Urbs antiqua suo minitatur culmine nubes;

Venta prius dicta est; Wintonia deinde vocata:

Begalis platea est, si vulgi more loquamur.

Wiccamus, insignis mitr&que pedoque Suithini, 6

Condidit hie sacris Sacraria digna Camoenis ;

HiC; hie pauperibus KOupOTpöq)OV ille locavit;

Et ne dirueret saevus fundamina Daemon,

Tutelae domus haec Divae est sacrata Mariae*,

Et ne civili domus haec arderet ab igne, 10

Est positus Custos, qui praesidet omnibus, unus.

Sunt duo, cura vagae quibus est commissa Juventae,

Atque decem Socii, qui dicti a plebe Magistri;

Inde Capellani, qui constant ordine trino;

Vindicat et trinum numerum sibi Clericus ; unus 16

Organa qui facili percurrit dissona dextr&:

Sed pueros numerus bene septuagesimus arctat.

Praefecti octodecim seniores rite vocantur,

^ am ende des Ms. steht: Christ. Johnsonus haec e vetustatis teue- bris eruta loci atque memöriae utconque restitait A. D. 1565.

' über dem einp^angsthore stand die statue der jtmgfraa Maria, die bei der plünderung Winchesters durch Cromwells Puritanersöldner der Zerstörung ent^ieng infolge der bemübungen zweier officiere, ehe- maliger Wiucbester-Boys, die ihres eides, die schule in allen gefahren zu verteidigen, eingedenk waren. ,

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556 Th. Elfthr: die lateinschnien zu Eton und Winchester im 16n jahrh.

Exemplo monituque Scholae moderamina servant:

Si tarnen obstiterint rabidi , nimiumque protervi 80

Nomina sunt cbartae, charta est data deinde Magistro,

Qai qnadripartita bene corrigit omnia 7irg&.

Sex-decimus numerus iubet ut sit meta Cboristis;

Hi resonant sacros argutis vocibus bymnoa

In Templo ; ex Templo Sociis Puerisque ministrant ; 85

His quoque discipulis patet almi ianua Lndi. **

Nomine seu Pueri vociieris^ sive Choristae,

Non Caput obtegitur pilio , crassove galero,

Cimmeriisque togis vestiti inceditis omnes.

Sex Camerae Pueris signantur, et una Cboristis. 30

Ut magis hie mores serventur et ordo decorus, Praefecti camera tres praeponuntur in nna. Purpureas Aurora fores ubi pandit ab ortn Eoo , et qninta cum linea tangitur umbra, Stridula spirantes campana reverberat auras. 85

Inde sonus subito somnosas perforat aures : 'Surgite% Praefectus clamat, 'Num stertitis? ohet lam campana sonat; vos surgite^ surgite, pigri/ Surgendum est: vestes, caligae, soleaeque petunturi In classem properant; et si campana taceret, 40

Discincti inciperent psalmum cantare Latinum. Postea sint versae camerae , pexique capilli ; Sternuntur lecti ; facies sit Iota manusque. Convocat ad Templum tandem campana secunda, In medio recte quae quintam dividit horam. 45

lam Templum petitur; reseret vigil ostia functor,

*^ 'lo. Bakerus (1454 87 praepositus colIe(|^ii) certum f^enas virgaram excogitavit, quibus etiam nunc caeduntur Wiocami' bemerkt Johndon im aDschlusz an ein dem genannten gewidmetes distichon:

Si laus est, inventa quidem Custode Bakero Ex quadripartito vimine flagra ferunt.

das Werkzeug bestand aus vier dünnen apfelbaumzweigen, die arsprSng- lieh unterbunden , später zusammengeflochten an einem holzgriffe be- festigt waren, seine herstelluiig lag zwei jungem Schülern, den rod- roakers, unter aufsieht des aulapräfecten ob. der ostiarias and dericus biblicus zeichneten die namen der delinqucnten auf, der erstere die- jenigen, welche zu vier streichen, einem 'scrubbing', der letztere die, die zu sechs streichen, einem 'bibler', verurteilt waren, bei gravami- nibus fand eine besondere execution in Sizth Chamber statt, wobei die zahl der schlüge unbeschränkt war. die erste strafe wurde dem schüler auf seine meidung 'primum tempus' erlassen, bekannt ist die ersählang von einem Winchester- Boy, der auf die frage der königin £li8abeth, ob er schon die rute gefühlt habe, mit dem citate antwortete: 'infandam Regina iubes renovare dolorem.' ein würdiger nachfolger desselben malte an eine wand von Sizth Chamber eine rute mit der bitter witzigen Unterschrift: 'animam pictura pascit inanis.'

'* später hatten die cboristers ihre eigne schule und wurden nach der Schulzeit als lehrlinge untergebracht.

Tb. Elahr : die laieinsoholen zu Eton nnd Winchester im lOn jahrh« 557

Et curae sibi sit ne clavem perdat adnncam.

lam pia vota Deo fundantur, at omnia rede

Dirigat; ut sacro foveat nos Inmine Christas^

Spiritus ut pariter dignetur Tertius ipsis 50

Perpetao studiis aura spirare secunda.

Nunc duo Praefecti , quibus est haec cura , sagaci

Prospiciant pueros oculo, ne forte loquantar,

Ne propriis careant libris , recitentve profanum,

Ne sine concessa venia sit quilibet absens. 65

lam tandem precibus divina mente peractis,

Campana minima breyiter leviterque sonante,

Sexta quidem ad doctas pueros 70cat hora Camoenas.

At tamen ad Studium non illico tendimus ipsam;

'A love principium' ; Deus est prius ipse colendus, 60

Ut procul inscitiae nebulas detergat opacas.

lam Pindi petimus montem, culmenque bicorne;

Per prata Aonidum , per amoena vireta volamua»

Nectareosque favos facundo condimus ore.

Scrutamur cerebri rimas, ne forte lateret 65

Carmen proposito quod iungat, et baereat apte.

Quilibet ad cistam tam stricte est iunctus , ut olim

Caucaseae rupi divus fuit iste Prometheus.

Musa, Scholam memora, quae vera est mamma MineryaOi Quae pleno pueros lactentes ubere nutrit. 70

Quatuor iliceis fulcris schola nostra" quiescit; Lux tribus hanc lustrat bipatentibus alma fenestris, In quibus octodecim Praefectis structa supeme, Ut bene praesideant aliis , subsellia dantur. Haec Australis habet paries ; Borealis apertam 75

Totius mundi tabulam ; qui tendit ad ortum Ostendit , fierique quae , Quintiliane , requiris ; ^'

^' der schulrAüm wurde später Seventh Chamber genannt.

'^ an dieser wand hänget die tabula legom paedagog^icarum, die ar- sprünglich folgende fassang hatten: In templo: Dens oolitor. Preces cnm pio animi affecta peraguntor. Ooali ne vagantor. Silentiam esto. Nihil profanum legitor. In schola: Diligentia qaisque utitor. Snb- misse loquitor securo. Cläre ad praeceptorem. Nemini molestus esto. Orthographice scribito. Arma scholastica in promptu seroper habeto. In anla: Qui mensam oonsecrat clare pronunoiato. Caeteri respon- dento. Beoti omnes stanto. Reoitationes intelligenter et apte distin- guuntor. Ad mensam quies esto. In atrio: Ne quis fenestras sazis

Filisve petito. Aedifioiuro neve insoribendo neve insculpendo deformato. n cubiculis: Munda omnia sunto. Vespere studetor. Noctu dor- mitor. Interdin studetor. 8ternuntor leotuli. Per fenestras nemo in atrium prospicito. Contra qui faxit, piaculum esto. In oppido, ad montem: Sociati omnes incedunto. Modestiam prae se ferunto. Magistris ac obviis honestioribus genua flectuntor. Yultus, gestus, in- cessus componuDtor. In omni loco et tempore: Qui plebeius est, praefectis obtemperato. Qui praefectus est, legitime imperato. Uterque a mendaciis, ostentationibus, iurgio, pugnis et furtis abätineto. Togam

558 Th. Elfthr : die lateinschnlen zu Eton und Winchester im 16n jahrh.

Murus ad occasum capit hoc insigne decoram:

Aut disce, aut discede, manet sors tertia: caedi.'^

Intueare (precor) paulo suhmissius; ecce! 80

Erigitur rostrum, qao declamare solemus:

Hie agimus lites , hie arma scholastica forti

(Nedum sanguinea) dextr& vibramas in hostes;

Hoc nostrum bellum magis est mnlieribus aptam,

Non etenim manibuS| sed Unguis atimur acresJ^ 85

caeterasqae vestes, nee dissuito, nee laeerato. Patrium sermooem fugito, latinnm exeroeto. Haec ant his similia, si qnando deferantar, indicia damns. Feriis exactis nemo domi iropune moratnr.

14 diese inschrift befindet sich auf einem bilde, das eine mitra, einen krummstab, ein schwert, ein tintenfasx und eine rate xeigt seine bedentung erklären einige wahrscheinlich ebenfalls von Johnson herrührende, weil in dem gleichen ms. wie der bericht befindliche verse :

Mitra pednmqne potens haec verba 'Aut disee' coronat;

At cornugraphium gerit 'Aut discede' ?el ensem;

Vindicat at teneram sibimet sors tertia virgam.

Tres tibi, parve puer, sed qaam vis, elige sortem.

Si tibi prima placet, si fellea pocnla, Phoebas

Qaae dabat, ore bibas, ut vult Latoins, hianti,

Üt Praesul fueris, Mitrfique Pedoque notescit.

Tetrica displiceant rigidi si verba Magistri,

Yel grave pensorum pondas, discedere fas est.

Si snb vezillis Martis, non Palladis, ibis,

Terribilem g-Iadium dabit hie tibi mnrus, abesto.

Si carvae placeant leges, strepitusqae forensis

£t cornagraphium paries eoncedit; abesto.

Discere si non vis, nee vis discedere, caedi

Tertia sors iussit, virgamqne affixit acerbam.

Der Schülerwitz übersetzte die inschrift: ^Work, walk or be whopped.' nnter dem bilde war der platz, wo die züohtigangen stattfanden.

'^ diese disputationen, die zur zeit der Scholastik in den schalen besonders blühten, hatten später vornehmlich die grammatik zum gegen- stände, in London fanden sie auch zwischen schülern verschiedener schulen statt, wir haben au.^ dem 16n jahrh. einen lebendigen bericht von Stow über diese redekämpfe: 'die streitreden der schüler über die principien der grammatik haben sich fast bis in unsere zeit erhalten; denn ich erinnere mich aus meiner Jugend, dasz am abende vor dem feste des heiligen Bartholomäus des apostels die schüler verschiedener grammatikschulen auf dem kirchhofe der priorei St. Bartholomäi in Smithfield erschienen, und ein knabe auf eine bank, die daselbst unter einem bäume errichtet war, trat und fragte und antwortete, bis er von einem besseren schüler besiegt und vertrieben wurde, und nun machte es der sieger, indem er denselben platz einnahm, ebenso wie der erste, bis schlieszlich der, welcher am besten fragte und antwortete, be« lohnungen erhielt, die ich nicht beachtet habe, diese sitte erzeagte gute Schulmeister und gute schüler, die sich eifrig für diese zeit vor- bereiteten, um den kampfpreis zu erringen, ich erinnere mich, dasz zu diesen Übungen unter anderen die schüler der freischule von St. Paul in London, von St. Peter in Westminster, St. Acon's Hospital und St. Anthonie^s Hospital erschienen, von denen die letztgenannte ge- wohnlich die besten schüler stellte und den preis davontrug, als die priorei St. Bartholomäi von Heinrich VIII eingezogen wurde, hörten die Schülerdisputationen an diesem orte auf. sie lebten jedoch nach

Tn. £l&hr : die lateinschulen zu Eton und Winchester im 16n jahrh. 559

Nee locus est, quo noster babet fundamina ludus,

Non, inquam, est minime laudandus, cum fera saevit

Bruma pruinosis gelidisque hirsuta capillis,

Yergit ad Australes partes Aquilone relicto

Phoebus , et algentes tota non lampade lustrat. 90

Nee scbola nostra focum complectitur, attamen omnes

Phoebeis radiis, balituque calescimus oris;

Sub love sie caluit proles argentea quondam.

At si torrenti rabidus Canis aestuat ore,

Mitis ab arboribus venit aura et temperat aestum. 96

In Classes Pueros secuit veneranda vetustas ; Sexta locum primum, sed Classis Quinta secundum Occupat, et Quartae concessa est tertia sedes; Ultima quae sequitur vocitata est Quarta-secunda. ^*

Officium proprium sibi Lucifer omnis babebit. 100

Si lux Solis adest, et Templum concio sacrat, Scribe notas scriptosque tuo committe libello. Te iubet Aonias revereri Luna sorores: Si sis in Sexta vel Quinta Classe locafcus, Bilbilitanus olor festiva Epigrammata cantat; 105

Atque Eobinsoni , si sis orator, in borto Rhetorices varios fas est decerpere flores ; Praediaque expectant Ciceronis Tuscula Quin tarn. Tullius officium Quartae praescripsit , et illam Edocuit Naso doctis Annalibus annum. 110

Tristibus ast Elegis lugeret Quarta-secunda, Ni cito colloquium dederit dilectus Erasmus. Mercurius libros quos Luna requirit eosdem, Et solet Aeneae profugi renovare dolores; Atque altematim tua, Marce, volumina volvit. 115

Si modo lux aderit Martisve lovisve serena, Orata Catharini visemus culmina montis, Otia Paedonomus dederit si forte petenti Signifer ad pueros mittatur ut anulus , aequam

ein oder zwei jähren unter der regierunfi: Eduards VI wieder auf in dem schulhofe von Christ's Hospital, wo die besten schüIer, ebenfalls von St. Anthonie*s schule, die jetzt an schälerzahl und ansehen zurück- gegangen ist, mit silbernen bogen und pfeilen belohnt wurden, welche der goldschmied Sir Martin Bowes gestiftet hatte, obgleich es an Unterstützung und ermutigung zu fehlen begann, fuhren die knaben, voll der erinnerung an den alten brauch, fort, einander in den offenen straszen herauszufordern mit den Worten: salve tu quoque, placet tibi mecum disputare? placet, worauf sie sich Über fragen aus der grammatik stritten und sohlieszlich mit schlagen tractierten, oft in so groszen häufen , dasz sie die straszen sperrten und die leute beunruhigten , so dasz sie schlieszlich daran gehindert werden musten. J. Stow, A snrvej of London 1598, 4^ s. 55. 56. vgl. Schmid, gesch. d. erz. III 2, 347. 16 es gab nur 4 classen, von den Schülern 'books' genannt: sexta (die oberste classe), quinta, tertia, quarta-secunda.

560 Th. Kl&br : die laieinHcliolen zu Eton und Winchester im 16n jahrh.

Aureus ad Montes, ad Prata potentiam eundi 120

Qui gerit atque refert, et ad Aulam, cum datar ignis; Anulus at venia obtenta repetendu8 ab ipso Est Domino Ludi; Praefectus tollat in altum, Protinas excussae resonabunt verbere cistae. '^

Tum quoque Centocnlus noster circumspicit *^ 126

Ut modus in ludis teneatur et ordo palaestris : Lusibus in nostris etiam lex certa tenenda est. Ad portas igitur Praefectus convocat Aulae ; Quilibet ad proprium nomen respondeat ^Adsum*, Steterit in partes , ne sit promiscua turba, 130

(Wiccamus band noster tali farragine gaudet); Praefecti dextr&, Plebeii stanto sinistrft; Custodem nimia ne garrulitate lacessant. Ad iuga sublimis viridantia montis eundum est: Incedat sociata cobors, sociata recedat; 186

Atque ita donec apex montis tangatur, eamus. Hunc bumilis montem vallis quasi cingulus arctat; Haec meta est pedibus non transilienda ; nee aude, Ne tibi sint tremulae febres, discumbere terrae. Hie tamen electo discas bene ludere disco, 140

Seu pila delectat palmaria, sive per auras Saepe repercusso pila te iuvat icta bacillo, Seu pedibus calcata tuis, bis lusibus uti Innocuis fas est; fas est bis lusibus uti,

* Lusibus atque aliis , quos iam praescribere nolo. 146

Nona domum vocat hora, 'domum' Praefectus ^eamus'. At discincta phalanx ne nostra vagetur in arvis Ac veluti glomerantur apes aestate serena, Atque icta repetunt alvearia prisca patella. Wiccamicae volitamus apes post prandia rursus 150

Ad virides montes ; si tertia venerit hora, Campanae sonitu solidas revocamur ad aedes.

Cana pruinosis fuerit si terra capillis, Forsitan et tepida conceditur ignis in Aula: Carbones igitur, si missa pecunia, tradat 166

Aulae Praefectus , ni sit carbone notatus. Ignivomens campos si Sirius urit, eundum est Ad Prata: haec folio stipant virgulta comanti. At tamen ad libros, postquam rediere, revertunt, Praefectusque vigil quae sunt discenda, docebit. leo

Hos lovis aut Martis praebet lux Candida lusus. Prob! dolor, heu! Veneris lux sanguinolenta propinquat;

*^ die inschrift des ring^es war früher; 'potentiam gero feroque'; jetzt heisst sie: 'commendat rarior usus'.

*^ im ms. fehlt ein wort, sicherlich Argus.

Th. El&br : die lateinschulen eq Eton und Winchester im Ito jahrK 561

Sanguineamqne voco, nam si peccaveris huius

Hebdomadae spatio , poenas patiere cruentas :

Fleete genu , pueriqne duo , qui rite yocantur, 165

Dimittent ligulas, manibusque ligamina solvent.

Maeonins vates hodie dabit omina Sextae:

Audiet at Lyricum modulantem Quinta poetam,

A metamorphosi mutatur Qaarta novata,

Cultus et in scenam venit ipse Terentius, ore 170

Cuncta terens lepido; Comoedo scena paratnr,

Cocta tarnen nulla est comoedo coena petenti :

Et Qaintae Sermo vel Epistola docta legetnr,

Carmina vel Megams recitabit docta Theognis.

Advenit Hebdomadae lux quando novissima nobis, 176

Cui dedit extremus nomen Saturnus, in illa Yerbula divini Graece repetenda Novelli Classibus a primis ; aliter discenda Latine. " Musaeus tandem Mnsaenm visere gaudet; Hesiodos sequi tor, comitatus est ille Marone, 180

Qui Sextae Quintaeque solent benedicere classi. Tristibus exomat Naso praecordia Quartae. Quarta- secunda vetat nimium lagere, propinquans Ni male decipiat festi lux aurea solis ; Quando domum pueri post annua festa revertunt. 186

Bis sex Praefecti Seniori a Plebe leguntur: Yae pueris aliis quoties male grata frequentant Claustra, pererrata baec quoties pavimenta repulsant! Ut Schola , sie quendam Praefectum Claustra reposcunt, Attamen alternis vicibus, qui promptus adire, 190

Si stet prae foribus peregrinus et ostia pulset. Si tamen incepta est Electio , Claustra valete.

1* Alexander Nowell (1507?— 1608), Dean of St. Paars in London, ver- faszte S katechismen, von denen der sogenannte 'mittlere' (Christianae Pietatis prima Institutio ad nsnm Scholarum) 1568 erschien , 1572 von T. Norton ins englische nnd 1575 von Wbitaker ins griechische tiber- setzt wurde, das erscheinnngsjahr des 'kleinen' katechismus (Gate- chismns parvus pneris prlmum Latine qai ediscatnr proponendns in Soholis, ist ungewis, wird aber nicht vor 1572 verletzt, fibersetzt wurde dieser ins englische 1577 und ins griechische 1574 von den beiden schon genannten Übersetzern, der 'grosse' katechismus, der von N. zuerst veröffentlicht wurde, kommt, weil nicht für die schule berechnet, nicht in betracht. die bemerkung Johnsons scheint sich auf den ersten teil des kirchlichen katechismus zu besieben, der jetzt in gebrauch ist und zuerst im Prajer Book 1549 veröffentlicht wurde, als sein Ver- fasser gilt auch Nowell. diese annähme wird begründet mit dem hin- weise der wörtlichen Übereinstimmung des Prayer Book mit dem Cat. parvus, der einige wenige abschnitte mehr enthält, und durch ein sehr spates Zeugnis Isaak Waltons (1653). der Short Catechism von 1553 ist gleichfalls Nowell zugescbrieben, wahrscbeinlich aber von Jobn Poynet, bisohof von Wincbester, verfaszt worden (Bale, Script Brit. Cat. 8. cent. 8. 92).

562 Th. Kl&hr : die lateinschulen za Eton nnd WincheBter im 16n jahrii«

Ad yeterem callem tandem, mea Musa, recede, Et qualis luvet ordo Scholam , repete ordine recto. Quando notam nonam vaga Gnomonis umbra recondit 195

(Hoc bene cognotam per tintinnabula tempus), Ezpectant omnes ientacula, quando dederunt Supplice corde preces ad summi tecta Tonantis. Pars abit ad foricas , et pars ascendit in Aulam ; Dat potum Promus, panes Artopta ministrat. 200

CoDSumpto pane et potu , ^descendite' clamat Aulae Praefectus: subito descendunt omnes. Kursus ad undecimam pueros Schola convocat horam. Interea studiis iucumbimus , atque Minervae Nutricis mamma est teneris exposta labellis. 205

Et ferme mediae cum venerit bora diei, Ex Ludo Campana vocat nos parvula ad Aulam. Ante cibum quicumque solet benedicere mensae, nie novem Sociis comitatus Sacra profatur: In Testamento Veteri caput alter in Aula 210

Clara voce legit, qui Biblioclericus inde Dicitur: bebdomadam propriis babet ille Camoenis. Praefectus quidam qui nomen ducit ab olla*®, Aulae Praefecto bubulae cito fercula mittit : Inter prandendum per mensas ambulat ille, 215

Et sua cum famulis defessis prandia sumit. Disponit pueris sua fercula: lunior istud Quatuor in partes cultello dividit aequo ^'; Implet et hie potum : piceus prope cantharus adstat. Cum bene latrantes stomachos saturavimus hisce 220

Quas dixi , patinis , iam Biblioclericus istam Advenit ad mensam , quae dicta est mensa rotunda, Qua licet officio functis ientare; decore Ad Dominum corpus submisäo poplite flectit; Annuit ille caput ; mappas hie ponit in olla. 225

Tum grates agimus, Psalmum canimusque vicissim. Eis actis iterum revocant ad seria Musae. Fragmenta in gremium turbae fundantur anilis. Prandia iam Servi capiunt, capiuntque Choristae. Opsonator emit nobis quodcunque necesse est, 230

Qui coquit bumorem cereali munere, potum Qui facit inde, solet socio gaudere secundo; Hortorum custos, Artopta, molarius unus,

er hiesz auch der präfect 'of the tub' und hatte auch die auf- gäbe, das vom schlächter f^esnndte fleisch auf seine gute zu prüfen sowie die sammlunr; and Verteilung der Speisereste an die armen zu überwachen, die olla (tub) stand zwischen den beiden thüren inner- halb des Speisesaales.

'* die schuler nannten die fleischstUcke 'disparts'.

Th. El&br: die lateinsclmleii zn Eton und Winchester im 16n jahrh. 563

lanitor et Lanio, Pistor, Soppromus, Agaso,

Squalidus at numerum capiet sibi Lixa secundum 286

Unus qui mnndat quadras, Anus una culinae.

Hos stipe commerita geminus Bursarius implet.

Tempore at aestivo data comessatio nobis,

Quando horae trinae pars dimidiata relapsa est.

Si modo sedantur sitientia guttura potu, 240

Protinus ostendunt pueri sua pensa magistro;

Si tamen omittant , dat nomina Clericus borum.

Campanella sonat si quinta advenerit bora :

Cum superis dedimus sacris gratesque precesque,

Ilicet ite, licet, 'circum* licet 'ire' precandum. 246

Coena parata vocat; sunt fercula carnis ovinae

Danda , tribus pueris subservit et una patella.

Prandendi mores bene si cognoveris, ipse

Hoc quoque cognoscas. Coenatis itur ab Aula

Ad Cameras. Paulo post tempore danda merenda, 260

Cum primo octavam campana sonaverit horam.

Exaltant anima, psalmum cantando, lebovam.

Cum templum intramus sanctum, procumbimus omnes,

Ut nos divinus bene protegat Umbo .petentes.

At Cameras iterum celeri pede quisque revertit, 266

Et tecto capite in lecto sibi quisque quiescit.'*

Quid, quaeso, memorem campanas quinque sonantes,

Quas resonare iubet pietas, mors atque volnptas?

Quid Templum memorem picturatasque fenestras?

Quidve tuam loquerer lautam, Cleopatra ^ culinam? 260

Hortos Alcinoi , necnon viridantia Tempe

Praeiereo, Musam nee Bibliotbeca gravabit:

Atria iam sileo quamvis quadrangula fiunt:

Nulla superfusis tingetur deztera lymphis,

Ductus aquae quamvis sit plumbo et poste novatus, 266

Combibet in cella nullas mea musa lagenas,

In Claustris remanet nee nostra Thalia sacerdos.

'* man lag unbekleidet im bette, umwickelte aber den köpf mit tüchern. Th. Wright, history of engl, culture, Lond. 1874, 0. 346. die lagerstätten in Winchester bestanden aus einem strohbündel und einer decke, daher werden von den Schülern noch jetzt frische Überzüge clean straws genannt, bettstellen gab es erst seit dem jähre 1640, wo sie der decbant Fleschmonger anschaffen liesz.

Dresden. Theodor Elahr.

564 0. Sobnlze: der aasdruck begriff in uniern grammatikeii.

63.

DER AUSDRUCK BEGRIFF IN ÜNSERN ORAMMATIKEN.

S. 401 dieses Jahrgangs hat Oast einen interessanten artikel ver- öffentlicht (beitr. zur lat. schalgrammatik), in welchem er empfiehlt, jüngere schQler mit den Wörtern concretum und abstractum zu ver- schonen und den ausdruck abstractum aus den genusregeln zu streichen, darauf hat er die erklttrung: *die abstracta bezeichnen eine als gegen- stand vorgestellte eigenschaft oder thtttigkeit' mit recht verworfen, und endlich hat er folgende neuere erklärung besprochen: *man scheidet l)nomina concreta zur bezeichnung eines sinnlich wahrnehm- baren gegenständes (person oder sache): homo, mensa. 2) nomina abstracta zur bezeichnung bloszer begriffe: iustitia gerechtigkeit, virtus tugend.' hierüber sagt er : 'danach sind nun concreta gegen- stände, freilich auch wieder nur sinnlich wahrnehmbare (per- sonen gott?! oder sachen), denen die abstracta als blosze be- griffe gegenüberstehen, ist hier wenigstens inderzweitenhfilfte der erklttrung etwas richtiges, wenn auch die beispiele wieder zu falscher auffassung verführen müssen, so krankt doch auch sie an demselben fehler wie die andern, und zwar liegt der fehler in dem mangel an klarbeit darüber, dasz die spräche sich eines und desselben wortes bedient zur bezeichnung eines begriffe in concreter oder abstracter bedeutung, dasz wir demnach gar nicht von zwei verschiedenen substantivclassen reden dürfen , deren einer die con- creta, deren anderer die abstracta angehören, sondern dasz jedes substantivum ebenso wohl im concreten wie im abstracten sinne gebraucht werden kann.'

Diesen ausführungen kann ich nicht in allen punkten bei- stimmen, vor allen dingen bin ich der ansieht, dasz die worte ^nomina abstracta bezeichnen blosze begriffe' geradezu etwas falsches enthalten.

Abstracta bezeichnen eine eigenschaft oder eine thtttigkeit, und da diese letzteren nicht allein vorkommen, sondern immer nur an einer person oder einem gegenstände haften, so ist es auch ganz natürlich I dasz man sie sich gar nicht als einen selbständigen gegenständ vorstellen kann, aber das eigentümliche besteht doch nun darin, dasz die eigenschaft und die thtttigkeit, die sonst ihren sprachlichen ausdruck in der form des adjectivums und verbums finden, durch ein substantivum ausgedrückt werden, durch jene form, die nur den gegenstttnden zukommt, etwas unselb- ständiges wird hier zu einem selbstttndigen gemacht, etwas nur an den dingen haftendes oder von ihnen ausgehendes wird in der spräche so dargestellt, als ob es ein eignes, unabhängiges dasein beanspruchen könnte.

Wenn nun die abstracta auch nur oigenscbaften (zustände, verhttltnisse) und tbtttigkeiten ausdrücken, so drücken sie doch

0. Schulze: der aasdruck begriff in UDBem grammatdken. Ö65

etwas reales aus. die eigenscbaft ist ein merkmal des dinges, die thätigkeit eine äuszerung desselben, und wenn wir sagen: 'die tapferkeit der Soldaten rettete die stadt', so wollen wir damit doch nicht behaupten I dasz das wort tapferkeit etwas bezeichne^ was nur in unserm geiste existiere und in der realen weit nicht vorhanden sei. das behaupte ich aber, wenn ich sage: ^nomina abstracta dienen zur bezeichnung bloszer begriffe.'

Ich glaube , der Verfasser der oben angegebenen einteilung der substantiva ist auf den ausdruck begriff durch folgenden schlusz ge- kommen: ein abstractum drückt keinen gegenständ aus. die sprachliche form weist aber auf einen gegenständ hin. dieser existiert nicht in Wirklichkeit, folglich kann er nur in unserm geiste als be- griff existieren. '

Auch sonst wird der ausdruck 'begriff* in den grammatiken der alten und der neueren sprachen manchmal in einer weise ge- braucht, die sich schwer rechtfertigen läszt. so finde ich in einer jüngst erschienenen französischen grammatik zu dem beispiele 'la France est travers^e par de helles montagnes* die regel angegeben : ^wenn einem substantivum ein adjectivum vorausgeht, so steht nur

^ ich stimme Gast vollständig bei, wenn er den ansdmck abstractum ans den lateinischen genasregeln entfernt wissen will, aber in den mittleren and oberen classen diirfte doch der ort sein, wo dieses wort erklärt werden muss. die grammatiken der neaeren sprachen vollends können eine erklärang desselben wegen verschiedener regeln nicht ent- behren, wenn nun den Schülern gesagt wird, dasz ein substantivum einen gegenständ (person, tier, saohe) ausdrückt, dasz aber dies bei einem abstractum nicht zutrifft, dasz man die tagend allein, die tapferkeit als einen (selbständigen) gegenständ nicht sehen kann, son- dern nur einen tugendhaften menschen, einen tapfern Soldaten, dasz man also die tagend und die tapferkeit nur an einem andern gegen- stände findet, als eigenschaft oder thätigkeit, so dürfte die erklärang: abstracta bezeichnen eigenschaften oder thätigkeiten , nicht über die fassungskraft der schüler hinausgehen. Gast wendet ferner gegen die teilung in concreta and abstracta ein, dasz 'jedes sabstantivam in con- cretem and abstractem sinne gebraacht werden könne', ob dies bei jedem Substantiv zutrifft, z. b. bei Demosthenes, klaviertaste, gas usw., will ich dahingestellt sein lassen, offenbar rechnet er zu den abstracten concreta, die in einem bilde gebraucht werden, z. b. jemanden sand in die aagen streuen, aber wenn das erste auch der fall sein sollte, so würde dies meines erachtens noch nicht gegen die betr. einteilung sprechen; loh würde dann z. b. einfach sagen: nobilitas der adel, abstractam; nobilitas die adeligen, conoretam; denn wÖrter sind ja hier nicht einfache laut- oder buchstabencompleze , sondern bekommen erst wert daroh das, was sie bezeichnen, dasz Schwierigkeiten endlich bei deus, anima vorhanden sind, ist von Gast mit recht hervorgehoben, denn deus and anima können nicht mit den sinnen wahrgenommen werden, trotzdem würde ich in diesem falle unter hervorhebung der eigentümlichen Schwierigkeit einer Classification die schüler ohne weiteres sie zu den concreten rechnen lassen, da ich mir gott als ein persönliches weseo und die seele als ein etwas, das mein denken und fühlen erst möglich macht, vorstelle, auch läszt sich anima ■» hauch hier sehr gut heranziehen.

566 0. Schulze : der ausdruck begriff in onsern grammatiken.

das partitive de. ausgenommen sind die ausdrücke, in denen das adjectivum mit dem substantivum einen begriff bildet : des petits- enfants enkel, des jeunes gens Jünglinge, du bon sens gesunder menschenverstand , de la bonne volonte guter wille, Willigkeit.' es liesze sich eine reihe franz. grammatiken angeben, die denselben ausdruck bei dieser regel und bei andern gebrauchen, ich führe noch ein beispiel aus einer commentierten ausgäbe an : 'du vieux cognac ; d u , weil vieux und cognac einen begriff bilden.'

Wörter sind namen für dinge, eigenschaften, thätigkeiten usw. und stelle ich ein oder mehrere adjectiva neben ein substantivum, so will ich damit nur ausdrücken, dasz es sich um einen gegenständ handelt, der ein oder mehrere merkmale aufzuweisen hat. sage ich 'das schöne gebirge', so meine ich nicht, dasz 'schön' und 'gebirge' sich gar nichts angiengen, einzeln für sich dastünden, sondern ich meine , dasz 'schön' eine eigen&chaft des durch das wort 'gebirge' ausgedrückten gegenständes angibt.

Ebenso ist es mit du vieux cognac. auch hier will ich weiter nichts angeben, als dasz alt eine eigenschaft des cognacs ist. durch* aus gleichgültig ist es aber meines erachtens dabei, ob in dem einen falle (de helles montagnes) der artikel fehlt oder in dem andern (du vieux cognac) angewendet wird, man könnte mir nun einwenden, dasz in gewissen fällen, wie des jeunes filles, doch ein unter- schied in der bedeutung herbeigeführt werde, des jeunes filles be- deute junge mädchen , de jeunes filles junge töchter. das ist natür- lich einfach zuzugeben , aber zugleich ist auch darauf zu erwidern, dasz dies mit der logik gar nichts zu thun hat, dasz dies sich ein- fach conventionell herausgebildet hat. vom logischen Standpunkt aus betrachtet bildet helles in de belies montagnes ebenso gut einen begriff mit seinem substantivum, wie jeunes in des jeunes filles. und warum macht man nicht auch einen unterschied, je nach- dem les jeunes filles die jungen mädchen oder die jungen töchter bedeutet? andere französische grammatiken lassen deshalb mit recht das wort 'begriff' bei seite und sprechen von compositen, von Sub- stantiven , die mit ihrem vorangehenden adjectiv ein zusammen- gesetztes Substantiv bilden , das nun in bezug auf den sogenannten article partitif wie ein einfaches Substantiv behandelt wird. In einem andern buche findet sich mit bezug auf beispiele wie du vieux cognac, in denen der artikel nicht obligatorisch ist, folgendes: 'die Zusammenfassung des adjectivs mit seinem Substantiv zu einem begriffe kann sich sogar auf solche fölle erstrecken, in denen das adjectiv lediglich dazu dient, den im Substantiv enthaltenen begriff ZU verstärken, voil^ du vrai brouillard comme k Londres. donnez- lui du bon consomm6 et du bon vin.* wie ein begriff durch ein adjectiv verstärkt werden soll, ist nicht recht einzusehen, es kann sich hier nur um den fall handeln, dasz der umfang des begriffes durch ein merkmal beschränkt wird, in du bon vin handelt es sich nicht mehr um den begriff wein, sondern um den engeren begriff

0. Schuhe: der ausdruck begriff in nnsern grammatiken. 567

gnten wein, beide verhalten sich wie gattung und art zu einander, höchstens könnte hier ein anderer gesichtspunkt in betracht kommen, de bon vin könnte guten wein bezeichnen im gegensatz zu schlechtem, während man bei du bon vin nicht an einen solchen gegensatz dächte, also nicht die art einer andern art gegenüber stellte, aber ich glauboi dasz wir hier zwei sprachliche formen haben, die ein und dasselbe bezeichnen, und dasz du bon vin und unzählige andere nur nach analogie von du vin gebildet sind.

Es läszt sich hieran passend ein anderes beispiel aus einer grie- chischen grammatik anschlieszen, auf das ich bereits an einer andern stelle, bei der besprechung der logischen ausdrücke einer englischen grammatik, in einer anmerkung hingewiesen habe.' nachdem ge- sagt worden ist, dasz f) jm^cr) vf)coc die mittlere insel, im gegensatz zu andern ringsum liegenden inseln heiszt, fährt der Verfasser fort: dagegen wird bei prädicativer Stellung der begriff des Sub- stantivs durch das adjectiv auf einen teil beschränkt, und dieser teil steht nun im gegensatz zum ganzen, z. b. f) vf)coc )Li^cr| oder ji^cTi f) vficoc die insel, wo sie die mitte bildet der mittel- punkt der insel. vgl. summus, medius, ultimus und extremus.'

Wir haben im deutschen ähnliche ausdrücke, die obere stadt, der vordere zug können entweder bedeuten eine höher gelegene Stadt im gegensatz zu einer andern , einen weiter vorn befindlichen zug im gegensatz zu einem andern weiter hinten befindlichen zug, oder auch nur einen höher gelegenen teil einer stadt, den vorn be- findlichen teil eines eisenbahnzuges im gegensatz zu andern teilen, auch andere ausdrücke lassen sich hier anführen; wir sprechen von einem südlichen Frankreich, einem nördlichen Deutsch- land oder Norddeutschland, von Oberägypten und dem oberen Ägypten und ähnlichem.

Habe ich nun ein recht zu sagen : der begriff des Substantivs wird durch das adjectiv auf einen teil beschränkt? auf keinen fall: denn wir würden uns eines logischen fehlers schuldig machen, wenn wir den begriff des ganzen auf einen teil übertragen wollten, greifen wir das beispiel 'das südliche Frankreich' heraus, wir versuchen zuerst den begriff Frankreich festzustellen, wir finden, dasz es ein land ist von der und der bodenbeschaffenheit, mit 38 millionen ein- wohnern, an verschiedenen meeren gelegen upw. durch das wort 'südlich' wird nun aber eine beschränkung herbeigeführt; nicht von ganz Frankreich, sondern nur von einem teile desselben ist die rede, kann ich nun wirklich den begriff Frankreich auf Süd- frankreich beschränken? nun, dann müste ich auch vom südlichen Frankreich aussagen, dasz es 38 millionen einwohner hat und an drei meeren gelegen ist!

' Programm des realgjmnasiums zu Gera 1893: beitrage zur fest- stellung des modernen englischen Sprachgebrauches und bemerkungen zu der grammatik von Gesenius s. 5. daselbst ist t6 cuijua jli^cov ^Tpu)6r| zu lesen.

668 0. BehiiUa: der auedrack begriff in DQieni gmumalikea.

Die wDrter der spräche nehmen eine eigentamlicha stell «in. einerseits sind aie namen der dinge, anderBsits werden manchmal Kur bezeicbnung von begriffen gebraucht, diese do[ natur birgt gefabri;n in sich, die Verwirrung wird aber noch grl dadurch, daai der ausdruck begriff nicht immer mit der wtlnach werten vorsieht gebraucht wird, unter begriff versteht dis logil gedachte einheit der wesentlicheii merkmale einea dingea (objeci wollen wir uns also einen begriff bilden, so mflssen wir erst nn Bucben , was ein oder mehrere wOrter ausdrucken , in nnse speciellen falle, was die bedeutang von 'oberer stadt, fxiari f| vf| Bummns moos' ist. haben wir dies ermittelt, haben wir das di die wort« bezeichnete ding heraungefunden , dann kOnnen wi) die bildung des begrifft-s gehen, anf keinen fall dOrfen wir aber begriff das Substantivs nehmen nnd erklären , daas dnrch dos da stehende odjectivnm dieser begriS auf einen teil beachrtnkt

Keiner ansieht nach ist deshalb das wort begriff hier gans i zulassen und einfach zu sagen: f| ^iic^\ vftcoc die mitUere in»e gegensati zu andern inseln, f| vf|coc M^cr] oder ^£a| i\ vi\coc mittlere teil der insel im gegensatz zu andern teilen oder : ganzen.

In einem andern buche finde ich: 'der srtikel atefat: a) concrelen verwandt«cbartsnamen, aie natflp, MrJTllp; b) oft bei stracten begriffen, und zwar 1) bei den begriffen von tnganden lästern, kUnsten und Wissenschaften, wenn sie nicht nKher bestit werden.' ich weisz nicht, wie der verf. abstractum definiert ; es i möglich, dasz er, wie in der eingangs besprochenen stelle, es als griff auffa^zt. dann wUrde ich dasselbe einzuwenden haben, gegen die zuerst besprochene stelle, oder der verf. hiebt abstrac an als die bezeichnung einer eigenschaft oder einer th&tigkeit, d milste man entgegenhalten , dasz unmittelbar hinter einander wort als ein name und dann wieder als ein begriff beeeid wird, kleinlich wUrde es aussehen, wollte man den andern eini machen, dasz ja ein artikel gar nicht vor einem begriffe ste kOnne, das erste sei Ja ein wort und das zweite eine vorstellu: also dasz es sich um :fwei ganz disparnte dinge handle, das sol selbstverstSudlich nicht durch die obige regel behauptet wen aber leugnt^n iKszt ^ich nicht, dasz durch die anwendung der treffenden ausdrucke die Sache durchaus nicht klarer wird. mteres buch spricht mit recht nur von den 'namen der tugent Isster, Wissenschaften und kUnste'.

In einer andern grammatikheiszt es: 'abweichend vom deutac fehlt der artikel, obgleich von einem bestimmten gegenständ die i ist; 1) beim prBdicatsnomen. 2) bei persönlichen begrif (eeöc, CTpairiTdc, fivepujTioc u.a.), wenn sie generell gebrat sind, und bei galiungsnamen, welche in ihrer anwendung ei{ naroen gleich oder nahe kommen (ßaciXcüc der Perserkönig, 6 Athen), also auch hier finden wir unmittelbar hinter einander {

0. Schulze: der ausdruck begriff in unsom grammatiken. 569

sönliche begriffe und gattungsnamen, ohne dasz nur die geringste nötigung vorliegt, eine solche ausdrucksweise zu ge- brauchen, war es nicht am natürlichsten , anstatt *bei persönlichen begriffen' 'bei personennamen' zu setzen? und war dadurch nicht wieder einer schiefen auffassung begegnet? denn nun sollen die persönlichen begriffe auch noch generell gebraucht werden, hinter dem Worte generell steht in der obigen stelle eine Verweisung auf einen früheren paragraphen, in welchem es heiszt: 'der artikel steht generell, indem er einen einzelnen gegenständ zum Vertreter der ganzen gattung macht.' meines erachtens kann man hiernach nicht sagen 'der persönliche begriff wird generell gebraucht', sondern nur 'der Personenname wird generell gebraucht*, der name, das wort bezeichnet hier alle oder einzelne individuen der gattung. erst aber musz ich untersuchen, was das wort bedeutet, ehe ich daran gehen kann, mir den begriff zu bilden.'

Übrigens drängt sich mir hier noch eine andere frage auf. man könnte nach der fassung der regel annehmen , dasz ein unterschied wäre zwischen 'persönlichen begriffen, die generell gebraucht werden', und zwischen gattungsnamen. der ist meines erachtens nicht vorhanden , dv6pu)Troc ist ebenso ein gattungsname wie ßaci- XeOc (wenn es nicht der Perserkönig bedentet). es hätte also hier ganz gut 'bei persönlichen gattungsnamen' heiszen können, eine Seite weiter finde ich in derselben grammatik den ausdruck 'die concreten verwandtschaftsnamen und gattung sbegriffe wie Traxrip, luii'iTTip . . cxpairiTol Kai Xoxcrroi, ttöXic kqi olKiai (stadt und land) und ähnliche', aus dieser stelle geht deutlich hervor, dasz der betreffende grammatiker crpaniTÖc auch als gattungs- namen oder, wie er sich ausdrückt, als gattungsbegriff betrachtet.

Hier noch zwei charakteristische beispiele : 'der dativ in seiner eigentlichen bedeutung bestimmt den begriff gewisser verba und

' ich bin mir wohl bewast, dasz ich mich hiermit von der auf- fassang verschiedener logiker entferne. Lotze sa^t logik s. 49: 'die vergleichung der einzelnen menschen erzeugt ein allgemeines bild; nicht in dem sinne freilich, als liesze der allgemeine mensch sich wirklich malen, aber doch in dem sinne der naturg^schichtlichen ab- bildangen, die gar nicht daran zweifeln, dnrch ein pferd alle pferde und durch ein kamel alle kamele in einer anscbanung, die mehr als bloszes Schema oder sjmbol ist, deutlich darzustellen.' und weiter: 'dasjenige allgemeine nun, das noch ein bild gewährt, würde ich eine art, das erste von denen aber, die nur noch eine formel möglich machen, die gattung nennen.' endlich heiszt es s. 64: der sinn des Urteils: 'der mensch stirbt', ist natürlich nicht, dasz der allgemeinbegriff mensch, wohl aber, dasz alles stirbt, was unter ihm befaszt ist, und deswegen, weil es unter ihm befaszt ist.' diesen sinn lege ich immer den gattungs- namen unter, der gattungsname mensch würde also für mich hier alle menschen bedeuten, in dem beispiele: die eiche ist ein schöner bäum, würde die eiche so viel wie die meisten eichen sein, von diesem gesichtspunkte aus sage ich, dasz man erst beachten musz, was das betreffende wort im zusammenhange bezeichnet, ehe man daran geht, den begriff zu bilden.

N. jahrb. f. phil. n. pSd. II. abt. 1895 hft. 12. 37

570 0. Schulse : der aasdruck begriff in ansem grammatiken,

gewisser adjecüva und adverbia nfther' und zwei Seiten weiter: 'der dativ dient zur näheren bestimmung von a^jectiven und adverbien...' es kann meiner meinung nach nicht zweifelhaft sein, welcher £as8ung man den Vorzug zu geben hat. man überlege nur, was man alles den Worten 'der dativ in seiner eigentlichen bedeutung' substituieren musz. erstens ist nicht der dativ gemeint, sondern ein wort im dativ. aber auch nicht dieses wort, denn ein wort kann keinen begriff bestimmen; das kann nur das durch dasselbe ausgedrückte merkmal. und schlieszlich kann ein merkmal nicht einen be- griff bestimmen, sondern nur den umfang eines begriffes be- schränken.

Zum schlusz noch eine andere stelle. 'Substantive, welche all- gemeine begriffe, die nicht gezählt werden, bezeichnen, stehen in der mehrzabl , um das vorkommen derselben in verscfaie« dener form, bei verschiedenen subjecten oder zu verschiedenen zelten zu bezeichnen; oder auch mit besonderer nebenbedeutung, z. b. i|iuxn Kai 6dXin), aOxjioi, itXoOtoi, öuvacTcTm, fi^cai vuicrec (mitter- nachtsstunden) . . .' erst durch den folgenden abschnitt wird klar, was der verf. mit den gesperrt gedruckten werten gemeint hat, denn dort spricht er von gewissen Wörtern, welche einzelne zählbare gegenstände bezeichnen, wie irXivOoc backsteine, \'lTTTOC reiterei. zu einer weiteren bemerkung gibt oben das adjec- tivum 'allgemein' veranlassung. ich finde es noch an andern stellen, an einer solchen heiszt es: 'das neutrum des artikels be- zeichnet einen allgemeinen substantivischen begriff von eigentum, angelegenheiten, dem, was zu einer person oder sacbe gehört.' unten den beispielen befindet sich toC 6e)LiiCT0KX€0uc die äuszerung des Themistokles. dasz der ausdruck an und für sich recht unbestimmt oder allgemein ist; ebenso wie im lateinischen illud (illud Ciceronis), läszt sich nicht leugnen, aber ebenso sicher ist, dasz durch das wörtchen auf eine ganz be- stimmte Uuszerung des Themistokles hingewiesen wird, und des- halb kann man meiner ansieht nach auch nicht von einem all- gemeinen substantivischen begriffe hier reden, nicht weniger habe ich auszusetzen , wenn in einer französischen grammatik sätze wie die folgenden bebandelt werden. Ctes-vous gouvernante? oui, madame, je le suis. Ctes-vous la gouvernante de ces enfants? oui, madamc; je la suis, und dann erklärt wird, dasz das neutrale le auf einen allgemeinen begriff (gouvernante) und la sich auf ein bestimmtes einzelwesen (la gouvernante de ces enfants) be- ziehe, es handelt sich hier einfach darum , ob das betr. prädicative substantivum den artikel hat oder nicht, und wenn einmal gesagt war, dasz le la les sich auf ein bestimmtes einzelwesen be- zieht, so hinderte nichts hinzuzufügen, dasz das neutrale le sich auf kein bestimmtes einzelwesen bezieht, der ausdruck all- gemeiner begriff sagt im gründe genommen gar nichts , denn 'allgemein' ist relativ, der begriff soldat ist allgemeiner als der

0. Schulse: der aasdrack begriff in unsern grammatiken. 571

begriff infanterist, und habe ich die sätze: sind Sie ein infanterist? und : sind Sie der soldat, welcher gestern angekommen ist? so würde nach der vorliegenden regel der soldat, also der allgemeinere be- griff, ein bestimmtes einzelwesen, dagegen infanterist, der engere begriff, einen 'allgemeinen begriff bezeichnen! durch den be- stimmten artikel (oder ein pronomen) wird das substantivum deter- miniert und bezeichnet deshalb ein oder mehrere bestimmte einzel- Wesen, ohne artikel weist das substantivum nur auf ein nicht näher bestimmtes individuum einer gattung hin, und der ganze ausdruck kommt einer bezeichnung für einen stand (zuweilen auch für nationalität, religion u. a.) gleich.

Meines erachtens gibt es nur die alternative: entweder werden diese logischen ausdrücke so gebraucht , wie es einmal in der logik üblich ist, oder, und das würde ich für das beste halten, sie werden als durchaus entbehrlich aus unseren grammatiken verbannt.

Die bücher, denen ich die stellen entnommen habe, sind in den achtziger und neunziger jähren erschienen, immerhin könnte es vorkommen , dasz die eine oder andere stelle in einer neuen aufläge geändert wäre, das wird nicht viel ausmachen , da ich keine namen genannt habe, und da übrigens die betreffenden bücher schon längst wegen ihres hohen wertes geschätzt werden, mir kam es hier nur darauf an, auf eine seltsame gewohnheit aufmerksam zu machen, die sich in vielen grammatiken der alten und neueren sprachen findet und die meiner ansieht nach kaum zu rechtfertigen ist.

Oera. 0. Schulze.

54.

KLEINE BEITRÄGE ZUR LATEINISCHEN SCHÜL-

ORAMMATIE. (fortsetsang von s. 899—408.)

m.

Zur lehre von den Zeiten.

1. praesens histoncum.

Vom praesens historicum sagen unsere schulgrammatiken dem sinne nach übereinstimmend : es wird in lebendiger erzähl nng vergangener thatsachen gebraucht für das perfectum historicum. G. T. A. Krüger allerdings drückt sich mit einer be- schränkung aus, wenn er (443b) sagt: ^der gebrauch des praesens historicum erstreckt sich in der regel nur auf handlungen, nicht auf zustände und begleitende umstände, für welche, sofern sie der Vergangenheit angehören, immer das die dauer in der Vergangen- heit bezeichnende imperfectum gebraucht wird.' die worte 'in der regel' besagen ja, dasz es ausnahmen von dieser regel gibt aber

37*

572 R. Gast : kleine beitrftge zur lateiniichen lehiilgrammatik«

es sollte hier nicht blosz von aasnah mefmien gesprochen werden, auch ist bei dieser Fassung der regel Übersehen, dasz das imper- fectum ja nicht blosz der Vergangenheit angehörende sostftnde und begleitende umstände bezeichnet, sondern anch handlangen in ihrer entwicklang, dauer oder Wiederholung.

Das praesens in seiner eigentlichen verwendang bezeichnet ebenso den eintritt eines zustandes and die durchführung einer handlung, wie beider dauer and entwicklung. demnach ist es an sich schon natürlich and selbstverstSndlich , dasz dies tempus, in lebhafter darstellung für die Vergangenheit verwendet, da in allen seinen bedeutungen Verwendung gefonden hat, nicht bloss, den ein- tritt oder die Verwirklichung bezeichnend , für das perfeciom histo- ricum, sondern auch in der bezeichnung der entwicklnng, daner and Wiederholung für das imperfectum.

Uro diesen natürlichen and berechtigten schlasz bestStigt zu finden , braucht man nur etliche capitel eines rOmischen historikers zu lesen, nur einige belege aas Caesars bellum gallicam mOchte ich anführen; man vergleiche 1 18, 3 eadem secreto ab aliis quaerit: reperit esse vera mit I 50, 4 cum ex captivis quaereret, hanc reperiebat causam; oder II 5, 2 ipse Divitiacnm docet . .. mit V 28, 4 quantasvis copias sustineri posse docebant femer IV 14, 2 Omnibus rebus perterriti . . . perturbantar mit IV 26, 1 . . . magnopere perturbabantar.

Und an anderer stelle geben denn auch unsere g^mmatiken selbst, wenn auch nur stillschweigend, eine bestätigang für diese Verwendung des praesens historicum an stelle des imperfectam, wenn sie lehren: dum in der bedeutnng ^wfthrend' wird mit dem praesens historicum verbunden, denn in dieser Verwendung kann das histo- rische praesens ja nur für das imperfectam stehen! ebendasselbe gilt scblieszlich vom conjunctiv des praesens hiätoricum , der sehr häufig sich findet; auch er kann nur das imperfectam vertreten.

So wäre denn das richtige, zu sagen: das praesens historicum wird in lebhafter darstellung aus vergangener zeit für perfectum historicum und imperfectum gebraucht.* (dasz es Öfter für das per- fectum steht, als für das imperfectum, ist natürlich, weil jenes tempus überhaupt öfter gebraucht wird als dieses.)

2. haupt- and nebentempora.

Die einteilung der tempora in haupt- und nebenzeiten findet sich in älteren grammatiken (Zumpt, G. T. A. Krüger, Madvig) nicht, auch nicht in allen neuen, und es wäre nur gut, wenn sie wieder verschwände, erfunden ist diese einteilung jedenfalls, nm für die consecatio temporum eine einfache bauptregel aufstellen za können, welche berechtigung hat sie? und erfüllt sie ihren zweck?

* die entsprecheude doppelte Verwendung findet im griechischen das praesens historicum für den aorist und für das imperfectum.

R. Gast: kleine beitrage zur lateinischen schulgrammatik. 573

Die berechtigung dieser einteilung wird dem schüler durch sein lehrbuch nicht erwiesen, die meisten grammatiken begnügen sich damit, die Unterscheidung selbst anzugeben, ohne eine erklärung oder begründung dieser bezeichnungen beizufügen, nur bei 0. W. Gossrau 455) habe ich folgende erklärung gefunden: *die tem- pora pflegt man einzuteilen in haupttempora und nebentempora, da jene in hauptsfttzen, diese in nebensätzen öfter vorkommen.'

Wenn diese begründung richtig wäre , so kOnnte man die be- nennung hanpt-und nebentempora doch nicht treffend nei^nen, denn sie erinnert nicht an den häufigeren oder selteneren gebrauch der damit bezeichneten Zeiten , sondern erweckt den glauben , dasz jene tempora ihrem w e s e n , ihrer bedeutung nach so genannt zu werden verdienen, aber Gossraus begründung ist gar nicht richtig; widerlegt wird sie durch den gebrauch des perfectum historicum, das ja vorzugsweise im hauptsatz verwendet wird.

Nun führt allerdings Gossrau selbst das perf. bist, nicht unter den nebenzeiten auf, sondern nennt als solche nur imperf. und plu8quamperf. ; aber er thut daran nicht recht, da er sagt: Mie tempora pflegt man einzuteilen', so muste er auch alle tempora als nebentempora aufführen, die m an als solche zu bezeichnen pflegt, also auch das perf. bist. , das , wenn man einmal jene einteilung macht, sicherlich unter die nebentempora gehört, unter denen dann auch das praes. bist, als Vertreter des perf. bist, und imperf. auf- zuführen wäre.

Und das ist eben etwas sehr bedenkliches an dieser einteilung und für den schüler verwirrendes oder irreführendes, dasz zwei tempora, praes. und perf., ebenso unter den hauptzeiten erscheinen wie unter den nebenzeiten, so dasz der schüler zu der meinung ver- führt werden kann, von diesen beiden Zeiten gebe es zwei ver- schiedene arten, und von der verschiedenen art hänge die ver- schiedene construction ab und dem ist doch nicht so!

Fragen wir nun, ob mit dieser einteilung der zweck erreicht wird, um dessentwillen sie offenbar erfunden ist, nämlich durch sie für die sogenannte consecutio temporum eine einfachere oder leichter fasz- bare regel zu ermöglicheti. die darauf gebaute hauptregel lautet be- kanntlich : 'auf ein haupttempus im hauptsatze folgt im neben- satze der coi^'unctiv eines haupttempus; auf ein nebentempus im hauptsatze folgt im nebensatze der conjunctiv eines neben- satzes!' die regel ist klar, kurz und bündig ' wäre also sehr gut, wenn sie auch richtig wäre; das aber ist sie nicht, angedeutet wird schon durch den ausdruck hauptregel, dasz sie nicht un- umschränkte geltung hat. es folgen denn auch der hauptregel nicht etwa eine anzabl ausnahmen, gegenüber denen sie doch die regel bliebe, sondern nebenregeln Hlr die fälle, für welche die sog. hauptregel nicht regel ist, gar nicht gilt, was kann aber die hauptregel wert sein, wenn es in einer grammatik und zwar ganz richtig! also beiszt: 'consecutiv- , causal-, concessiv- und

574 R. Gast: kleine beitrage Kor lateinischen achalgrammatik.

nichtfinale relativsätze sind der regel über die consecatio temporum nicht anterworfen' ! wie viele conjunctivische nebensätze bleiben denn da für die haaptregel übrig?

Kurz, die auf die besprochene einteilong gebaute hauptregel entspricht dem lateinischen Sprachgebrauch so wenig, dasz sie aus unserer schulgrammatik verschwinden musz mitsamt der ihr zu liebe erfundenen einteilung der Zeiten in haupt- und nebentempora.

Das schlimmste aber an der regel ist meiner ansieht nach dies, dasz sie die schÜler zu der annähme verführt, als hienge das tempus des coiy'unctivs im nebensätze lediglich vom tempus des verbums im regierenden satze ab. dem gegenüber weisen einige neue gram- matiken auf das zeitliche Verhältnis hin, in dem dernebensatz zum hauptsatz steht, und zeigen, wie danach das tempus des con- junctivs zu wählen ist. aber das genügt noch nicht, denn nicht blosz das zeitliche Verhältnis des nebensatzes kommt hierfür in frage, sondern auch das logische, das sich aus der qualität des nebensatzes ergibt, nehmen wir ein beispiell ist mit einem perf. praesens ein folgesatz verbunden, der sich auf die gegenwart be- zieht, so steht in diesem der coni. praes., und bei beziehung des in- halts auf die zukunft der coni. der coniug. periphr. ; hängt vom selben perf. praesens ein finalsatz ab, so wird bei denselben zeit- lichen beziehungen doch der coni. imperf. gesetzt, so hängt also die wähl des tempus genau besehen auszer vom tempus des regieren- den Satzes vom inhalt des nebensatzes ab, denn durch diesen werden jene beiden beziehungen, die zeitliche und die logische, bestimmt.

Dessau. E. B. Gast.

55.

DAS METAPHORISCHE IN DER PSYCHOLOGIE.

1) JoH. Rehmke: unsere qbwisheit von der auszbnwelt.

BIN WORT an die GEBILDETEN UNSERER ZEIT. DRITTE DURCH-

GESEHENE AUFLAGE. HeilbroDD, Eugen Salzer. 1894. 47 8.

2) JoH. ReHMKR: LRHRBUOH der allgemeinen PSYCHOLOGIE.

Hamburg und Leipzig, Leop. Voss. 1894. 682 s.

Es gibt heutzutage nicht wenige momente, welche in der lehrer- weit einem philosophischen Studium entgegenwirken, es sind nicht nur die haupt Strömungen unserer zeit, die teils materialistisch, posi- tivistisch, teils exact- naturwissenschaftlich gerichtet sind, es ist nicht nur der buchstabendienst, der durch die conjecturalkritik der universitätsseminare grosz gezogen ist, nicht nur die scheu vor allem allgemeinen, insonderheit dem ästhetischen, dem geschieh ts- philosophischen; die so mancher philologenseele unauslöschlich ein-

A. Biese: das metaphorische in der psychologie. 575

geprägt ist, nicht nur die unrast, die zur inneren Sammlung über die tiefsten fragen des menschengeistes so selten kommen ISszt, u. ä. m., sondern es gibt auch momente ganz jungen datums , die specifisch der entwicklung unseres Standes in der gegenwärtigen zeitlage eigen sind, und zwar äuszerlicher und innerlicher art.

Die lehrpläne von 1892 stellen weit höhere anforderungen an den lehrer, sowohl der methode als auch der zeit nach, die musze für eigne wissenschaftliche Studien ist im schwinden ; wer seine zeit nicht sehr geschickt einzuteilen weisz, wird schwerlich auszer der Vorbereitung und den correcturen noch elastisch genug sein, der Wissenschaft und nun gar nicht blosz der Specialwissenschaft , dem Specialschriftsteller oder gar der Specialepoche, zu dienen, an stelle der überbürdung der schüler ist die der lehrer getreten; die maximal- Stundenzahl ist zur normalzahl geworden, und kommen zu dieser wie so oft Vertretungen hinzu , so werden 6 oder gar 7 stunden Unterricht pro tag keine Seltenheit, und was fordert heute an zeit die didaktisch - pädagogische litteratur, die unleugbar in groszer blute steht , freilich auch zuweilen arg ins kraut schieszt und eines etwas banausisch - seminaristischen zuges mir nicht zu entbehren scheint, wogegen gerade die beschäftigung mit der philosophie das wirksamste mittel sein dürfte, auch ist rein wissenschaftliche arbeit der Pädagogen sehr im preise gesunken; sie bringt keine titel und ehren mehr ein. der socialistisch nivellierende zug der zeit hat auch hier zur erwerbung durch Zähigkeit des alters geführt.

Schlimmer ist ein innerer mangel, der sich bei den lehrem, die in dem letzten Jahrzehnt angestellt sind, geltend macht: sie haben aus dem langen und bangen , hoffen und harren , aus der not und den drangsalen der hilfslehrerjahre so viel bitterkeit in sich hinein gesogen, dasz gar manchem die freudigkeit, 'die mutter aller tugen- den', entschwunden , dasz indolenz an die stelle jugendlicher elasti- cität und Pessimismus an stelle des idealismus getreten ist. auch hier dürfte die philosophische erkenntnis in die unvoUkommenheit der dinge , in die notwendigkeit von ebbe und flut auch im socialen leben der stände, in die tragik, die so manchem der tüchtigsten nicht erspart bleibt, nämlich nimmer das zu werden, wozu er buvdjiiei be- fähigt und berechtigt ist, auch hier dürfte das philosophische Studium am ehesten das innere gleichge wicht, den bumor, diese beste mitgift für einen pädagogen, wiederherstellen und jenes ^olympische gefühl' erzeugen, dem einer unserer besten Schulmänner vor unserem grösten Staatsmann ausdruck lieh, vor Bismarck, der seinerseits unseren stand pries wegen der pflege der 'imponderabilien' d. 1. aller idealen guter , also wegen der pflege des höchsten , was es im menschen zu erzielen gibt, des reinen empfindens und des hohen wollens, jener andacht, welche die blute des Unterrichts sein soll, sei er nun der religion oder der gescbichte, dem deutschen oder einem griechischen oder lateinischen Schriftsteller gewidmet, sie kann unsere schul- räume nur durchwehen, wenn ein geist der thatfreudigkeit und des

676 A. Bies«: dat metaphoritohe in der psycbologie.

idealismuB, der gemtlUwänne und der humanitftt von dem lehrer sieb auf die schüler senkt, ja, die erziehong zum reinen empfinden muss das lebenselement des ganzen nnterrichts sein, und doch ist sie heute selten , seltener als einst , wo mit tieferer bildung onanflOslich ver- bunden galt die bescbftftigung mit der philosophie, und alles geistige leben in ihr seine nahrung fand. *die prosa des lebens', klagte selbst Lagarde schon, ^und die unbeschreibliche hast fiberschreien oft die fähigkeit zu empfinden, in mir wenigstens scheinbar, und dann bin ich zum tode unglücklich und betrfibt. menschenheraen, und die liebe der menschenherzen , wie jedes wort, das sie spricht, müssen im lichte der ewigkeit angesehen und gehOrt werden, mit jener feieiiagsstimmung, die man auf den Alpenseen oder dem meere hat, wenn der glockenton durch die grosze natur weht wie die seele durch den leib, alles gute fordert andacht, und im werkeltags- treibeU; wo ist da andacht möglich?'

Ja, man soll sich wohl hüten zu wähnen, man könne das un- wägbare abwägen und zumessen, man könne auch gesinnungen gleichsam theelöffel weise eingeben; man vergesse nicht: nur was vom geist geboren wird , ist geist, und das andere schöne wort, das jenes unsichtbare, unwägbare, jene im reinen empfinden wurzelnde andacht gleicbnis weise deutet: ^der wind blaset, wo er will, und da hörest sein sausen wohl, aber du weiszt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt: also ist ein jeglicher, der aus dem geist geboren ist.' der lehrer musz wissen, was das Seelenleben in bewegung setzt, was association und analogie der Vorstellungen bedeutet, musz wissen, wie die zarte psycbe eines knaben empfänglich gemacht und zubereitet werden musz, um die edelsten keime aufzunehmen, auf dasz sie die frucht eines edlen und starken Charakters zeitigen, das innerste leben der seele bereitet sich in der stille, man darf nicht plump aufdrängen wollen jene imponderabilien , als da sind ^Vater- landsliebe und das Verständnis für politische Situationen, fUr diese und andere eigenschaften' wie Bismarck sie kurzweg bezeich- nete — , und als da ferner sind: gottesfurcht, Schönheitssinn, Willenskraft, und die alle wurzeln sollen in der Wahrhaftigkeit, ein knabenherz ist sehr feinfühlig , sehr scharfsichtig für alles, was auf- dringlich ist, was gemacht wird, was wirken soll, wer kttnstlich religiosität oder Patriotismus , andacht vor dem hohen und ewigen, wie vor dem kleinsten und unscheinbarsten und doch wieder so rätselvollen, züchten will, der kommt nie zum ziele; es musz in- direct von der tiefe des gemütes auf die tiefe des gemütes, von geist auf geist wirken, und daher ist es unwägbar.

und wohl der Jugend , die da an sich erfährt die Wahrheit des Goethischen Wortes : ^das schaudern ist der menschbeit bestes teil', die da angeweht sich fühlt von dem geiste des ewigen , ob nun die memorabilien oder die apologie, Kriton und Phädon erklärt werden, ob dispositionsfibungen der dichter Weisheit ergründen, ob Stimmung und empfinden und thatkrafb groszer, edler menschen bei den besten

A. Biese: das metaphorische in der Psychologie. 577

äcbriftstellem alter und neuer zeit ihre erlftuterung finden, 'alles gute fordert andacbt'. ein goldenes wort!

Aber zu alledem bedarf es der gesammelten Vertiefung in die menscbenseele , wie das Studium der philosopbie im bunde mit dem Studium der poesie sie am reinsten auch dem lehrer^ dem erxieher d. i. bildner der Jugend darbieten.

Wie das gröste problem des menschen immer wieder der mensch selbst bleibt, so ist ^uch immer wieder nur der mensch als einheit von leib und seele , als körperlich ausgeprägter geist und als ver- geistigter körper wie man bildlich das ^doppelwesen' um- schreibt — , das masz und der Schlüssel aller dinge, in diese sieht der mensch überall sich selbst d. h. das bild seines eignen seins hinein, wir können die auszendinge nicht anders verstehen als von uns selbst aus, nicht anders uns nahe bringen als durch eine Um- setzung in das, was uns der kern unseres eignen daseins bedeutet; überall drKngt es uns, sowohl das äuszere durch das im Innenleben erkannte uns zugänglich zu machen wie das innere in dem äuszeren zur gestaltung zu bringen.

Auf dieser anthropocentrischen nötigung wie ich dies er- kenntnisprincip genannt habe * beruht das metaphorische in dem weiten, umfassenden sinne, den ich ihm in meiner 'philosophie des metaphorischen' gegeben habe, wo ich seinen manigfachen ge- staltungen im geistigen leben nachgegangen bin. auf diesem in unserem ganzen wesen tiefbegründeten zwange, unser äuszeres und inneres sein als das einzig relativ bekannte auf dem wege der analogie und association auf die auszenwelt zu übertragen , unseren mikrokosmos zum schlüssel des makrokosmos zu machen und ander- seits die inneren Vorgänge auch in äuszerungen manigfachster art ausstrahlen zu lassen , beruht jene vergeistigung alles körperlichen und Verkörperung alles geistigen, die das metaphorische in sich schlieszt.

Das schauen ist vom beseelen gar nicht zu trennen ; die ganze weit wird , wenn sie uns nicht ein buch mit sieben siegeln bleiben soll, zum Symbol eines innem; durch die pforten der anschauung gelangt immer die versinnlichende phantasie in das noch so reine und abstracto denken hinein und mischt in dieses ihre lebensvollen

* durch meine Studien über 'die entwicklang des natargeftihls' (1882—88) ward ich anf die Wichtigkeit der sprachlichen natorbeseelung aufmerksam and erkannte, dasz die metapher eine notwendige an- schaaanfi^sform unseres denkens ist, dass ferner der anthropomorphis- mus nicht nur für mythos, religion and philosopbie (n atarauf fassang) von principieller bedeatong ist, sondern dasz auch die Verkörperung des geistigen in der kunst unter denselben begriff fällt; und so nannte ich dies geistige einheitsband für die manigfachen betbätiguiigen anserer seele das metaphorische schlechtweg, es freut mich, dasz diese neuprägaog des begriffes als glücklich und fruchtbar allgemein an- erkannt worden ist.

578 A. Biese: das metaphorische in der psyohologie.

und lebenswarmen färben, und ewig schwankt der kämpf der Philo- sophen: was der eine als thatsache, als begrifflich erschlossene Wirklichkeit hinstellt , weist der andere als ein bild , als ein sjmbol, als eine idee, eine gehurt der phantasie nach, so streiten ewig die beiden grundkräfte unseres geistes, der verstand und die einbildungs- kraft. wie diese hohe gefahren in sich birgt und gar oft nicht nur die spräche , sondern auch das denken mit kühnen gebilden über- wuchert , so dasz des Verstandes amt und pflicht es ist, die netze zu lösen, das unklare zu klären, wie eben in dieser metaphorischen aof- fassung der dinge die schranke unseres menschenwesens sich kund- gibt — und das metaphorische wäre nicht zum weltprincip für uns sterbliche zu machen , wenn es nicht eine doppelte medaille zeigte, unsere schranke und unsere grOsze , so ist anderseits unsere fähigkeit, das innenleben schöpferisch ausgestalten zu können, sowie die erkenntnis: 6€oG fäp Kai t^voc dc^^v, etwas göttliches.

Das metaphorische in der psychologie hat daher in erster linie seine bedeutung in dem aufweisen, dasz die psycho der gestalt der dinge metaphorisch geliehen werden musz, auf dasz diese für nns verständliches leben gewinnen, dasz sehen und beleben eins ist.

Wir wollen dies weite gebiet hier nur streifen, und zwar nur an jenen grenzpunkten , wo beim menschen selbst die deutung des äuszeren auf etwas inneres hin und die ausstrahlung des Innenlebens in form eines äuszeren zusammenfallen.

Die spräche ist ein abbild des seelischen; schon der laut, der ton allein verrät uns die Stimmung, die erregung oder die depression ; die spräche ist Verkörperung des inneren im laute und zugleich durch geistigung dieses körperlichen actes.'

Nicht anders ist es mit der schrift'; auch ihr hätte ich a. a. o. ein eignes capitel widmen können.

Es ist kein wunder, sondern das gegenteil wäre ein solches bei der ganzen anläge unserer natur, wenn selbst in die schrift- Züge wie in den gesprochenen laut , in die art, die buchstaben zu setzen und die buchstaben zu zeichnen, etwas geistiges übergeht, wenn sich selbst bei der bethätigung des Schreibens das innere im äuszeren wiederspiegelt, das wort ist ein abbild des empfundenen, das lautbild des vorstellungsbildes und wie interessant ist die lautsymbolik, auch für den Unterricht I Das äuszere ist verinner- licht, das innerliche ist zum äuszerlichen gestaltet, die schrift fixiert sichtbar das wort; und ursprünglich war die schrift ein abbild dessen, was es begrifflich darstellt; dann traten die zeichen ein, und die buchstabenschrift entstand; sie ist daher durchaus symbolisch, metaphorisch ; aber auch darin, dasz ihre zÜge die Stimmung, ja den Charakter des schreibenden abdrücken, es beruht nur auf dem engen

* vgl. die Philosophie des metaphorischen, cap. 2. ' vgl. W. Prejer zur psychologie des Schreibens, Hamburg und Leipzig, Leop. Voss, 1895.

A. Biese : das metaphorische in der psychologie. 579

zusammenhange des psychischen und physischen , des willens , des Charakters und unserer leihlichen organe, dasz das kind und der Jüngling anders unreifer, unselbständiger schreiben als der mann , dasz der greis auch in der schrift wie in geste und gang das müde, unsichere, suchende, schwankende, zittrige wieder- spiegelt, dasz der glückliche in volleren, gröszeren, schwunghafteren Zügen sich ergeht als der traurige u. ä. m. die schrift des hoch- gebildeten unterscheidet sich dadurch von der des ungebildeten, dasz bei dieser die hauptfactoren der harmonischen bildung und damit die grundbedingung zur erzeugung harmonischer formen fehlen.

Wie die tracht auch sie hat ihre philosophie, ihre Psycho- logie — so ist auch die schrift ein stück individualität: die sucht nach Schnörkeln deutet auf affectation, übertriebene grösze der buch- staben auf groszspurigkeit; die keulenförmige schlnszschleife weist den graphologen auf egoismus und Strebertum, die frei nach oben geschwungene linie am ende des Wortes auf freundlichkeit , wohl- wollen und imtemehmungslust, den etwas nach unten gekrümmten zug, die sogen, harpune, auf Zähigkeit, die nach unten lang ge- schwungene schluszlinie auf Unzufriedenheit, die nach oben ge- richtete auf Widerspruchsgeist und kampfeslust, die biegung der langbuch staben mit der conversität nach rechts auf resignation und wehmutsvolle Sehnsucht u. ä. m. wie in der kunst, in der archi- tektur, deuten die linien etwas seelisches an, sie gewinnen Charakter, in der geraden drückt sich Stetigkeit , in der gekrümmten bewegter Schwung aus; die thätigkeit des nacheilenden auges wird in das object selbst metaphorisch hineingesenkt; die verticallinie versinn- bildlicht das aufstreben selbständiger kraft, die horizontale ruhe und gleichmäszigkeit.

Das ineinanderwirken von leiblichem und seelischem thut sich aber ferner besonders in der bewegung und im mienenspiel kund ; das gesiebt heiszt mit recht der Spiegel der seele, man liest aus den Zügen entschlossenheit oder resignation, mut oder Verzweiflung, gutmütigkeit oder Verschlagenheit, der ausdruck des auges ist bald klugheit, bald blöde einf&ltigkeit, bald sprühender hasz, bald innige liebe usw. die Schauspielkunst ist durch und durch metaphorisch ; jede geste ist da symbolisch, alles verrät das innere des menschen, den der Schauspieler darstellt, mit dem er sich kraft seiner ein- bildungskraft vertauscht, doch das ganze leben in gewohnheiten und Sitten und moden und anstands- und gesellschaftsformen ist ja ein gut stück komödie ; die äuszere zucht , der erziehungsdrill zielt ab auf den honetten abdruck und ausdruck einer honetten seele; bald ist höflichkeit und freundlichkeit, bald ernst und gemessenheit am platz; für alles conventionelle gibt es formen, und diese formen haben mehr oder weniger seele. der geist organisiert den leib, das benehmen, das sociale und das sittliche verhalten.

Wer da sich selbst nur für einen teil des alls und dieses selbst

580 A. Biese : das metaphorische in der pi^chologie.

als den harmonischen makrokosmos auffaszt; durch den der geist des ewigen hindurchweht, der wird auch sich selbst, an leib und seele, zu einem harmonischen gebilde zu gestalten suchen , wird sich be- mühen, den ewigkeitskeim, der in unserer seele schlummert, zu ent- falten und zur vollen frucht zu bringen, das vermag, wie am marmor- block der meiszelnde künstler, nur der stahl der arbeit an sich selbst, der stahl des leids, das die besten krftfte aufwühlt und sammelt, oder die begeisterung, die zu lichten höhen emporhebt, man sagt zwar immer, die religionen deren frucht die ethik ist seien aus dem gefühl der abhttngigkeit hervorgegangen , und denkt dabei an das Sprichwort 'not lehrt beten', man denkt dabei an das Ver- hängnis, das in sorge und kummer auf dem menschen lastet ja, in diesem gedanken wurzelt die gottesfurcht , aber man ver- giszt zu leicht, dasz in einem edlen, begeisterungsfftbigen herzen das glücksgefühl erst so recht beseligt, wenn es zu einem dankgefühl wird ; doch wem soll es danken ? in dieser frage liegt der keim der gottesliebe, und diese religiosität , diese Sittlichkeit soll sich ausgestalten in edlem wollen, in edlem wort, in edler handlung: dabei suchen ethik und pädagogik im bunde mit der psychologie die seele zu leiten.

Das tieföte seelische leben ist metaphorisch; es strebt nach Ver- schmelzung des sinnlichen und unsinnlichen, des natürlichen und des ewigen, das ist der brenn punkt unseres ideellen seins. Novalis sagt:

'Wir werden die weit verstehen, wenn wir uns selbst verstehen, weil wir und sie integrante hälften sind, gotteskinder, göttliche keime sind wir. einst werden wir sein, was unser vater ist.'

Und ein andermal : 'die individuelle seele soll mit der weltseele übereinstimmend werden.'

Doch unter das metaphorische in der psychologie wir nehmen es im weitesten sinne fällt nicht nur die sich selbst den dingen leihende thätigkeit der seele, sowie die art und weise, wie sie sich in allem äuszeren kundgibt und ausprägt, sondern das metaphorische in der psychologie betrifft vor allem das wissen und die Wissenschaft von der seele selbst und die schranken dieses Wissens, dieser Wissenschaft.^ ich erinnere nur an alle die meta- phorischen sprachlichen Wendungen für das sein und das wesen dieses rätselvollen x, das wir seele nennen, an die hypostasierung der Seelenvermögen bei alten und neuen philosophen , an die rosse des göttlichen Piaton , an die einkerkerung der seele in den leib, an die entelechie , das formprincip des leibes , bei Aristoteles , an den sich denkenden körper und die sich ausdehnende seele bei Spinoza, an die beiden uhren und das automaton spirituale bei Leibniz , an die schwelle, klemme, hemmung der Vorstellungen , an die selbst- erhaltungen gegen intendierte Störungen im leben der seele bei

* vgl. m. philos. d. metaph. s. 24. 114. 151. 156.' 161. 178. 184. 200 f.

A. Biese: das metaphorische in der Psychologie. 581

Herbart, an das pbosphorescierende gehim bei den modernen mate- rialisten u. s. f.

Dies führt uns endlich zu den Schriften von Johannes Rehmke, die wir an die spitze unseres aufsatzes stellten, und auf die angelegentlichst die fachgenossen aufmerksam zu machen vor allem der zweck dieser zeilen war.

Mit drastischer schier humorvoller kürze hat er seine grundanschauungen im anschlusz an einen durch blick durch die geschieht der seelenlehre niedergelegt in seiner 1892 gehaltenen kaiser-geburts tagsrede , ^unsere gewisheit von der auszenwelt', die nach zwei jähren bereits die dritte aufläge erlebt hat. es sind in der that ungewöhnlich scharfsinnige und tiefbohrende auseinander- Setzungen, die dadurch das metaphorische in der psychologie auf- weisen, dasz sie das materialisierende unserer gewöhnlichen Vor- stellung in alle Schlupfwinkel hinein verfolgen.

Und der Ariadnefaden, der den Verfasser professor der Philo- sophie in Greifswald durch das labyrinth der sich verschlingen- den und kreuzenden irrwege der verschiedenen philosophischen Systeme in der seelenfrage so siegreich und glflcklich hindurch- geleitet, ist nichts anderes als die consequente durchftihrung der immaterialität.

Wenn man mit dem immateriellen der seele recht ernst macht so ftlhrt Behmke s. 39 aus , so kommt man zu dem schlusz, dasz die seele weder ein im leibe befindliches besonderes wesen noch eine 'function' sei, die im gehim auftritt, die eine wie die andere behauptung würde die seele zu etwas dinglichem oder materiellem stempeln , als was sie schlechterdings nicht verstanden werden kann, wäre seele ein im leibe befindliches besonderes wesen, so müsten wir sie als ein besonderes ding begreifen, oder aber diese behauptung enthielte gar keinen sinn, denn nur raumgegebenes, das ist das ding oder das materielle und seine bestimm theiten, kann einen ort haben , kann irgendwo sein ; soll die seele nun als ein be- sonderes wesen an dem bestimmten orte, welchen der leib ein- nimmt, sein, Mm' leibe sein, so müste sie selber ein ding sein, sonst kann sie eben nicht Mm' leibe sein, wäre sie aber ein solcheg ding im dinge, so könnte wiederum nicht begriffen werden , wie sie das, was doch ^auszer ihr' da sein soll , den leib und die übrige raum- welt; haben könnte, denn jedes ding hat nur sich selbst d. i. all das- jenige , was sein besonderes wesen ausmacht , nicht aber auch noch andere dinge, und doch behaupten mit recht diejenigen, welche sich so als seele ^in' ihren leib hineinsetzen, auch diesen leib und das andere dingliche zu haben, dieser thatsächliche besitz aber beweist am besten , dasz die seele nicht ein besonderes ding und nicht im leibe ist. damit ist zugleich abgewiesen, dasz seele oder be wustsein eine im gehim auftretende ^function' ist.

Diese sätze sind schwerlich zu widerlegen.

Sobald wir die seele uns irgendwo denken , verfallen wir dem

582 A. Biese: das metaphorische in der psychologie.

metaphorischen , dem materialisieren ; sobald physiologen und Psy- chologen davon reden , empfindungen und Vorstellungen entstftnden oder träten auf im gehim, so verfallen sie dem metaphorischen, wenn sie mehr darunter verstehen als dasz gehimvorgSnge die un- mittelbare und notwendige Voraussetzung für das dasein der em- pfindungen seien , nämlich wenn sie z. b. licht* und farbenempfin- düngen 'im gehirn auftreten' lassen: was bedingen wtLrde, dasz dieses selbst wie Behmke schlagend und witzig sagt das bunt- gesprenkeltste ding von der weit sein müste ; die fleiszigste maier- Palette wäre, dagegen gehalten, ein recht einfach gefärbtes ding.

Die Seele ist, aber sie ist nirgends !

Jede andere deutung führt in die stricke und netze einer mate- rialisierenden d. i. das immaterielle zu einem dinglichen herab- würdigenden Vorstellung.

Aber nicht minder ist dies der fall, wenn man die seele als ein anderes , gesondert bestehendes wirkliches dem materiellen gegen- überstellen will, sobald man nämlich dies versucht, wird man bei ehrlicher selbstprüfung, bei strenger Vermeidung aller Übertragung materieller anschauung auf das immaterielle eingestehen müssen, dasz man dabei die seele als materiell, als ein ding sich vorgestellt habe, denn dem materiellen kann doch immer nur wieder ein materielles gegenüber gedacht werden als ein gesondertes wesen.

Aber können wir denn gar nicht in der psychologie dem meta- phorischen d. i. der färbung des begriffs durch die anschauung , die Phantasie, entrinnen? hören wir Behmke!

Die unbestreitbare thatsaebe, dasz die seele eine dingweit hat, beweist am besten, dasz sie selber immateriell ist; wäre sie ein ding , so stände sie gesondert da von der übrigen dingweit , hätte diese also nicht, sondern könnte nur haben, was sie selber als solches ding wäre, wir vermeiden daher auch zu sagen , die seele habe die dingweit 'in sich', weil auch dieses wort zu materialisierender auf- fassung führen könnte und gegen die immaterialität der seele ebenso verstöszty wie wenn wir sagen wollten : die seele hat die dinge 'auszer sich', die seele hat diese dingweit, das genügt und das sagt alles.

Ja, Rehmke geht, ganz consequent, so weit, dasz er die Scheidung der Wirklichkeit in ding und seele , in weit und ich für ein trugbild der materialisierenden einbildungskraft erklärt, welche die seele immer wieder zu einem besonderen *dinge' der dingweit gegenüber macht.

Es ist nun freilich mit diesem verzichten wollen auf ein innen und auszen, auf ein leibliches und seelisches als gegensätze nicht anders wie mit unserer anschauung der weit, die auch noch immer die erde zum mittelpunkte des kosmos macht und die gestirne um sie sich drehen , die sonne noch immer jeden tag *auf- und unter- gehen' läszt.

Die weit der seele besteht aus dingen, unter denen der leib die hervorragendste rolle spielt, und aus vorgestelltem, sowie gefühlen

A. Biese : das metaphorisclie in der Psychologie. 583

und strebuDgen, und soweit wir diese letzteren und das vorgestellte, als innenweit den dingen, der auszenwelt, gegenüberstellen, hat der gegensatz seine berechtigung ; nur dürfen wir nicht falls wir der metaphorischen phantasie entgehen wollen diese innenweit irgendwo im leibe, sei es nun in den q)p^V€C oder in der Zirbeldrüse oder im köpfe oder im herzen untergebracht uns denken, ^auszen- welt' und 'innen weit' sind die beiden abstracten stücke einer weit, welche die seele hat; sie sind die beiden unentbehrlichen und unmittelbar gegebenen momenie, ohne welche die seele nichts hat d. h. ohne welche sie überhaupt nichts ist; denn das sein der seele ist auch dadurch bedingt, dasz sie eine weit hat.

Die seele ist nichts anderes als das concrete bewustsein, das alles das, was 'die auszen- und die innenweit' heiszt, hat, und dem daher die gewisheit von der auszenwelt oder der dingwirklichkeit nicht minder unmittelbar klar liegt, wie die von der innenweit oder dem vorgestellten, den gefühlen und den strebungen.

Mit dem ganzen schweren rüstzeug schematischer, tiefgründig- ster forsch ung ausgestattet, tritt vor uns das 'lehrbuch der all- gemeinen psychologie\ es weist die dargelegten grund- anschauuBgen in eingehendster, oft gar zu breiter weise nach und verbindet damit natürlich eine überaus scharf spürende kritik der seit Descartes geftnszerten anschauungen von wesen und sein der psyche. es reinigt ihren begriff d. h. also den bewustseinsbegriff bis auf das letzte stäubchen von dem metaphorischen, von der materiali- sierung.

Und so haben wir denn den interessanten process vor äugen hinsichtlich des seelendaseins , den die religionsgeschichte und reli- gionsphilosophie hinsichtlich des gottesbegriffes aufweist : die natur- völker formen sich die götter nach dem bilde gefährlicher oder segenbringender tiere, die höher stehenden Völker nach ihrem eignen bilde, nach ihrer eignen gestalt; und immer reiner und edler und erhabener wird diese; das kind denkt sich seinen gott als einen guten mann, seinem leiblichen vater ähnlich, oder als wohlwollenden greis mit freundlichen äugen, mit weiszem, wallendem hart; der mann, der gläubige Christ, der philosoph reinigt den gottesbegriff von den materiellen schlacken 'gott ist ein geist gott ist die liebe' und religion wird ihm zum unmittelbaren gottesbewust- sein, gottesgefühl, zu jener tiefen, reinen andacht, die alles irdische zum ewigen emporhebt und läutert. So gilt es auch, die seele in ihrer reinen form zu fassen , und so weisz Behmke den seelenbegriff von all seinen körperlichen, dinglichen bestandteilen zu säubern und ihn in die klare Sphäre des 'bewustseins' emporzuheben.

Olänzend ist die kritik des altmaterialistischen, des spiritualisti- sehen, des neumaterialistischen und des Spinozistischen seelenbegriffs am eingang des lehrbuchs; Überall spürt der verf. bcharfblickend der dichtenden speculation mit ihrer das ungereimte verhüllenden metaphernsprache nach.

584 A. Biese: das metaphorische in der psychologie.

Es würde hier viel zu weit führen , auf die eigenartige , aber nur mit klaren, unzweideutig umgeprägten begriffen arbeitende terminologie Rehmkes näher eingehen zu wollen; sie bietet eine vortreffliche Schulung des denkens, und die ganze antersachang, die auf ihr ruht, verbreitet in auszerordentlich fesselnder weise klarheit über die schwierigen seelenprobleme.

Da wird hinweggeräumt die auf dem boden des materialisti- schen Seelenbegriffs entsprieszende behauptung von nnbewnstem seelischen, das eine contradictio in adiecto bildet , wie ein 'un- bewustes ding' eine tautologie ist. da wird den Irrwegen des sogen, parallelismus zwischen hirn- und bewustseinsthätigkeit als der äuszeren und inneren form desselben wesens, den am einfiaszreich- sten Höffdings psychologie vertritt, nachgegangen, und zwar, indem der schillernden, verschleiernden, in das dingliche immer wieder seelisches oder ins seelische dingliches hineindichtenden pbrase ihr inhalt entzogen wird.

Da wird die Wechselwirkung ^wischen seele und dem einzelnen dinge, dem leibe, in ihre schranken gewiesen, sowie die frage nach dem Ursprung der seele; der versuch, die entstehung der seele nach maszgabe der entstehung des dinges, insbesondere des leibes, zu be- greifen, scheitert an der gänzlichen Verschiedenheit dieser zwei con- creten. wollen wir überhaupt dies dunkel in etwas aufhellen, so werden wir zu der annähme eines bewustseins genötigt, za dessen besonderer bewustseinsbestimmtheit die ganze weit des dinglichen und seelischen gehöre, die seele ist die concreto einheit von bewust- seinssubject und bewustseinsbestimmtheit. diese letztere gliedert Rebmke, aus besonderen gründen von der alten einteilung in denken, fühlen und wollen abweichend, in gegenständliches bewustsein (d. L alles, was die seele zum gegenstände haben kann, vermittels der Wahrnehmung empfindung und raumbewustsein und Vorstel- lung), das zuständliche bewustsein (das gefühl lust und unlust , die gefUhlsvorstellung) und das ursächliche bewustsein (d. i. die seele , welche sich ihrer selbst als ursächlichen bewustseinsindi- viduums für das mögliche auftreten einer Veränderung im gegebenen überhaupt unmittelbar bewust ist), als einheit stiftendes, grund- legendes moment schwebt über diesen drei gliedern das eine bewust- seinssubjeci.

Diesem viel verzweigten stoffe dient der mittlere gröste teil des Werkes (s. 157—465), während der dritte teil (s. 466 579) das Seelenleben (das unmittelbare zeitbewustsein , das bestimmen oder das denken, das gedächtnis, das erinnern, das bilden oder gestalten, das handeln, die persönlichkeit, die bedingungen der besonderen persönlichkeit) behandelt.

Was die ganze arbeit auszeichnet, ist die schärfe und klarheit, mit der unerbittlich besonders im kämpfe gegen die tbeorien Höffdings der Seelenbegriff, wie er sich dem Verfasser erschlossen hat, von jeglicher einschmuggelung heterogener gedanken frei-

W. Schaumberg: anz. ▼. P. Gaaer Homers Odyssee. 585

gehalten wird, und wie die grenzen zwischen phjsiologie und Psycho- logie inne gehalten werden.

Das buch gibt nur die allgemeine wegleitung, aber es liefert in den allgemeinen fragen auch eine klärung und verstftudigung, wie sie gerade in unserer zeit, wo der dilettantismus Überall in die Wissenschaft hinein sich drängt, wo es der ^sonntagsreiter in der Psychologie' die hülle und fülle gibt, von besonderer bedeutung und Wichtigkeit ist. das eindringende Studium des buches dürfte auch für jeden pädagogen eine heilsame gymnastik des geistes darbieten.

SoHLESwia. Alfbbd Biese.

56.

Homers Odyssee, sohulausoabb vom Paul Caüer. erster teil* (a )Ll). ZWEITE VERBESSERTE AUFLAGE. Prag, Wien, Leipzig, G. Freitag. 1894.

Von Cauers ausgäbe der Odyssee, die 1886/7 erschien, liegt seit vorigem jähre eine neue aufläge vor, die, nur für die bedürf- nisse der schüler bestimmt , sich in manchen punkten meist äuszer- licher art von der ersten unterscheidet, die answahl der lesarten ist wie in der kleinen Iliasausgabe weggelassen, dagegen soll die frühere ausgäbe als editio maior für die bedürfnisse des philologischen lesers weiter geführt werden, dem texte ist eine nach tagen geordnete Übersicht über die handlung sowie eine kurze inhaltsangabe voraus- geschickt, beides für die schule dankenswerte zugaben, auszerdem finden wir hier zuerst in einer Schulausgabe die wertvollsten Zeug- nisse über Homer aus dem altertume gesammelt, deren bekannteste wohl jeder HomererklSrer schon beim unterrichte verwandt hat. aus der Sammlung kann der schüler ersehen, welch mächtigen einflusz Homer auf das ganze antike leben ausübte, wenn auch der heraus- geber Vollständigkeit nicht erstrebt hat, so vermisse ich doch ungern einige epigramme aus der anthol. Palat. den vereinzelten ausspruch Qoethes auf der letzten seile des bandes sähe ich gern aus seiner Stellung als Ittckenbüszer erlöst, es empfiehlt sich,. der Sammlung antiker aussprüche eine solche deutscher männer anzufügen, sie würde dem schüler klar machen , dasz auch uns zum heile unseres Volkes die sonne Homers noch leuchtet.

Die Homerische frage hat der herausgeber in der vorrede nicht berührt, um dem lehrer nicht vorzugreifen, die ansieht des ver- ewigten rectors der Leipziger Thomasschule Eckstein, der in seinen Vorlesungen lehrte: ^die Homerische frage gehOrt nicht vor die Schul- bänke' teile ich nicht mehr, schon die inconstantia sermonis gibt dem lehrer öfters gelegenheit daraufhinzuweisen, dasz wir in den Homerischen gedichten den niederschlag langer Zeiträume vor uns haben, mehr braucht der secundaner allerdings nicht zu wissen.

N.iahrb. f. phil.a. pid. II. «bt. 1895 hH.lS. 88

686 W. Schanmberg: anz. y. P. Cauer Homere Odyssee.

aber am scblause der ganzen Homerlectüre ist es meines erachtens nötig, dasz der lebrer erklttrt, wie die frage entstanden ist, was man darunter verstebt und wie sieb unsere groszen männer, z. b. Goethe, dazu gestellt haben, denn jetzt, wo nicht nur schriftsteiler des alter- tums wie Piaton, Thukjdides und andere, sondern auch manche neuere Schriftwerke wie Faust und Hamlet ihre 'Homerische frage' haben, ja offenbar die moderne bibelkritik sich in bahnen bewegt, welche die Homerforschung schon lange vor ihr gewandelt ist, ge- hört es zum bildungsinbalt eines abiturienten, über sie das notwen- digste zu wissen.

Von eingreifenden textveränderungen hält sich die neue auf- läge fern, dasz jedoch der herausgeber alles, was seit dem erscheinen der ersten aufläge für Homer geleistet ist, fleiszig benutzt hat, zeigt die (übrigens den gebrauch beider auflagen neben einander durch- aus nicht störende) änderung von etwa 90 stellen, namentlich ist A. Lud wichs kritische ausgäbe sorgsam zu rate gezogen, die prin- cipien dagegen, durch die sich C.s ausgäbe von andern unterscheidet und über die er sich in der praefatio zur ersten ausgäbe der Odyssee, ausführlicher in der zur editio maior der Ilias sowie in einem auf- satz in diesen Jahrbüchern 1889 s. 24 ff. ausgesprochen hat, sind in der neuen ausgäbe dieselben geblieben. C.s texte sind allm&hlich in einer beträchtlichen zahl von schulen eingeführt, jetzt, wo nach dem erscheinen des zweiten bandes* beide gedichte in einer alle an- Sprüche an das äuszere einer Schulausgabe befriedigenden ausstat- tung vorliegen werden, dürfte es auch die interessieren, die aus furcht vor 'sprachvergleicherei' ihr noch fern gestanden haben, ein urteil über die wissenschaftliche richtigkeit der befolgten principien und über ihre praktische brauchbarkeit zu hören, in ihm sollen die einwendungen in den mir bekannt gewordenen besprechungen be- sonders berücksichtigt werden, über die brauchbarkeit glaube ich nach mehrjähriger benutzung der ausgaben im unterrichte der secunda und prima ein sich auf erfahrung stützendes urteil abgeben zu können.

C.s ziel ist, mit bilfe der Sprachwissenschaft einen text herzu- stellen, der von ungriecbischen oder doch nur schwer verständlichen formen frei ist und dadurch auch für die schule lesbarer wird, alles grammatische beiwerk in der lectüre zu vermeiden , ist ja ein kenn- zeicben der neueren pädagogik.

Ehe ich auf die hauptsächlichsten ab weichungen eingehe, ge- statte man mir die bemerkung, dasz sich manche recensenten nicht recht klar gemacht haben, welcher zeit nach C.s ansieht der text an- gehören soll , den er herstellt, es würden sonst solche Unverstand-

* der zweite band der ausgäbe ist so eben erschienen, auszer einer Übersicht über den inhalt von v U) enthält er ein Verzeichnis der eigennamen und ein sachliches register. mit letzterem wird der an- zuerkennende zweck verfolgt, einrichtungen und begriffe des Homeri- schen lebcns anschaulich zu machen sowie den Stoff zu sachlichen be- sprechungen und zu deutschen aufsätzen bereitzustellen.

W. Schaumberg: anz. y. P. Cauer Homers Odyssee. 587

liehe bemerkungen nicht vorgekommen sein : bei Homer dürfe man von der Überlieferung nicht abweichen, C. habe sich von nenerungs- sucht leiten lassen, sein verfahren sei das eines rhapsoden u. dergl.

Wer heute Homer herausgibt, kann entweder einen text zu construieren suchen, wie ihn die Alexandriner gelesen haben, dieses ziel hat A. Lud wich im äuge gehabt, ohne sich allerdings darauf zu beschränken, nur den text jener gelehrten zu geben. J. Bekker, Nauck, Christ und Fick haben ihn zu gestalten gesucht, wie er ihrer meinung nach aus dem munde der Sänger hervorgieng. in den bisherigea Schulausgaben ist im groszen und ganzen das erste verfahren beobachtet, das zweite ist ohne eine Zerlegung in einzel- lieder für eine gesamtausgabe nicht wohl anwendbar; und somit sind die genannten ausgaben, so hoch man auch ihre bedeutung schätzen musz, für die zwecke der schule nicht zu gebrauchen, einen dritten weg, nämlich die gedichte in der form herzustellen, die sie hatten, als sie den uns jetzt vorliegenden umfang erreichten, hat C. eingeschlagen, abgewichen ist er allerdings von diesem princip insoweit, als er in dem bestreben, eine Schulausgabe her- zustellen, nicht ohne weiteres antiquitäten da eingesetzt hat, wo sie sich ohne Schwierigkeit herstellen lieszen, sondern nur da textände- rungen vornahm , wo sinn und metrum sie verlangten oder ungrie- chische formen vorlagen, den Vorwurf des eclecticismus, der aber, wie gesagt, durch pädagogische rücksichten bestimmt ist, wird er sich freilich gefallen lassen müssen, auch ich hätte gewünscht, dasz er sich öfter weniger conservativ gezeigt und sich nicht gescheut hätte, etymologisch durchsichtige formen in den text aufzunehmen, die inconstantia sermonis, die sich in jeder gesamtausgabe finden wird, wäre nicht gröszer geworden, wer diese überhaupt beklagt, scheint zu vergessen , dasz wir in den Homerischen gedichten den niederschlag langer Zeiträume vor uns haben, zur besprechung der Homerischen frage im organischen Zusammenhang des Unterrichts bietet sie sogar eine willkommene grundlage.

Die Zusammensetzung der Homerischen gedichte aus älteren und jüngeren bestandteilen beweist kein laut schlagender als das digamma. wenn der herausgeber aus guten gründen es auch nicht schreibt, so Imt er sich natürlich seinem einflusz nicht entziehen können, man nffb getadelt, dasz er in den als älter anzusehenden teilen dem digamma keinen gröszeren Spielraum gelassen hat, vergiszt aber dabei den nach weis zu führen , dasz die älteren teile auch nur ältere sprach - formen aufweisen, mehr als zweifelhaft ist zudem, ob die ältere las, d. h. diejenige, die zur zeit, als die gedichte entstanden, ge- sprochen wurde, überhaupt das digamma gehabt hat, so dasz, an- genommen, sie hat es nicht gehabt, wir im Homer die nachwirkung des äolischen dialektes anerkennen müssen, die jüngere las hat es sicherlich nicht gekannt, an C.s wohl überlegter handhabung habe ich nur auszusetzen, dasz er dem paragogischen v nicht schärfer zu leibe gegangen ist. auch der schule, in der man doch bei andern

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588 W. Schaumberg: anz. y. P. Cauer Homen Odjstee.

stellen (z. b. ^ 25 f\bk ^KttCTa) von der nackwirkenden kraft des digamma reden musz, wftre damit ein dienst erwiesen« dankbar da- gegen bin ich dem berausgeber , dasz er den doch gut griechischen Wörtern t^, u. ä. nicht den Vernichtungskrieg erklärt hat. sicher- lich sind sie von der Überlieferung oft zur Vermeidung des hiatua eingefügt worden; wo sie deshalb nicht erkl&rt oder nachgefühlt werden können denn sie immer zu übersetzen , dürfte bei ihrer flüchtigen natur nicht leicht sein da mag man sie mit gutem rechte streichen, zumal wenn eine discrepanz der Überlieferung vorliegt, wer aber misbilligend erwähnt, dasz C. i 452 das T€ in fj cu Y fivaKTOC Ö98aX|iöv ttoO^cic; nicht gestrichen hat, wie es Bekker, Nauck und andere thaten, hat sicherlich das rührende in der frage des Kyklopen nicht empfunden.

Stimme ich in diesem punkte im wesentlichen mit C. überein, so kann ich mich dagegen ihm in der Schreibung des alten e-lantes in r\ oder ei nicht anscblieszen. C. führt nämlich , gestützt auf die sicher bezeugte Schreibung des Aristarch, das gesetz durch, dasz jedes e, mag es aus urgriechischem e oder i entstanden sein, vor e und i zu Ti, dagegen vor o (ui) und a das aus a hervorgegangene zu t), das aus e entstandene zu ei wird, so schreibt er z. b. ßtigc OVjigc, ßf)0|iev f)OC, OeiojLiev X^P^^^^- S^g^^ dieses gesetz ist lebhafter Wider- spruch erhoben , und mit recht, denn auch zugegeben , dasz es auf den alten kritiker in Alexandria zurückzuführen ist, was aber noch nicht feststeht, so ist doch sehr zu bezweifeln, ob dieser, dessen bedeutung doch gewis nicht auf sprachhistorischem gebiete liegt, den von der Sprachwissenschaft begründeten unterschied der beiden €-laute gekannt hat. besonders fällt ins gewicht, dasz die von ihm festgehaltene Schreibung von werten auf -€uc und -ic z. b. ßaciXiioc, ttöXt]oc zum gesetze nicht stimmt; man hätte ßaciXeioc, ttöXcioc erwartet, ebenso wenig stimmt das von C. eingesetzte f^aro und anderes mehr. Wackemagel, der am nachdrücklichsten dagegen auf- tritt, meint, Aristarchs System habe darin bestanden, dasz vor vocalen r\ geschrieben werden müsse erstens in der endung -rir), weil ihm diese aus r\ zerdehnt erschien, dann in solchen Wörtern, in denen das gemeingriechische kein e daneben stellt: TT€piCTTJU)Ci, KQKKf^ai, endlich in der declination. sonst habe Aristarch €i ge- schrieben, natürlich ist ein berausgeber, der über Aristarch hinaas- gehen und der Sprachwissenschaft zu ihrem rechte verhelfen will, nicht verpflichtet ihm zu folgen, deshalb schlägt Wackemagel (Berl. phil. wochenschr. 1882 nr. 2) vor, jedes vorvocalische ei, das nicht ein aus e 4~ ^ bestehender echter diphthong ist, sei ent- weder in e€ oder in x] zu ändern, diesen einfachen , einleuchtenden Vorschlag ziehe ich bei weitem dem 'Aristarchischen* gesetze vor. der Schüler würde etymologisch klare fonnen erhalten, eine form CTT610UC würde man dann nicht mehr lesen.

Dagegen schliesze ich mich dem berausgeber an, wenn er an vielen stellen nach den grundsätzen , die er in den praefationes ent-

W. Schaumberg: anz. y. P. Cauer Homers Odyssee. 58 J

wickelt, offene formen statt der contrahierten herstellt, die offenen formen gehen sprachgeschichtlich den contrahierten voraas , haben sich auszerdem im ionischen dialekte lange gehalten: masz da nicht der schlusz berechtigt sein, dasz ein herausgeber, der einen tezt aus der oben angegebenen zeit herstellen will , sie einführt zunächst an stellen, die ohne das keine regelrechte metrische gestalt zeigen, dann aber auch an solchen, wo sie nach metrischen gesetzen, die aus dem Homer selbst abgeleitet sind , hergestellt werden können ?

80 schreibt denn C. nach dem Vorgänge anderer AlöXoo kXutoi bidjLiaTa statt des überlieferten AiöXou KXura b. u. a. , ändert aber auch in 'ATpetbric, äpT€i9ÖVTiic, iräic u. ä. im fünften fusze und im vierten vor der diärese. zwar hätte ich gewünscht , dasz er sich in diesem punkte weniger zurückhaltend gezeigt und im vertrauen anf die epische tradition die contrahierten formen nicht Jüngern dichtem, sondern der handschriftlichen Überlieferung zugeschrieben hätte , doch wird sich gegen seine vorsieht nichts zwingendes vor- bringen lassen, den ihm gemachten Vorwurf, dasz seine auflösung nichts nütze , weil doch noch eine zahl nicht aufgelöster formen zu- rückbleibe , musz ich zurückweisen, von absoluter gleichheit kann in den Homerischen gedichten keine rede sein, die abweisung der offenen formen überhaupt hängt mit der von Kluge in seinem buche 'zur entsteh ungsgeschichte der Ilias' (Eöthen 1888) verfochten en ansieht zusammen , dasz der dactjlus gar nicht der grundtakt des altgriechischen epischen verses sei, sondern dieser sei aus quantitäts- losen , zweisilbigen rhythmen zusammengesetzt gewesen, der spon- deus als der diesen näherstehende versfusz müsse daher beibehalten werden, die frage nach dem vorhomerischen versfusz wird sich mit unsern mittein schwerlich lösen lassen, so dasz alle Schlüsse, die auf so schwankender grundlage aufgebaut werden, verfehlt sind, in dem uns überlieferten Homer herscht im Sprachgebrauch wie im versbau so ziemlich gleichheit. geht aus den an ihm gemachten beobach- tungen hervor , dasz der dactylische rhythmus an bestimmten vers- stellen der herschende ist, so kann ihn ein herausgeber herstellen, der vorhomerische vers kommt nicht in betracht. für die schule ist die herstellung des dactylischen rhythmus eine grosze wohlthat. wie sehr das lesen der verse selbst bis in die obersten classen erschwert wird, wenn in ungewöhnlicher weise spondeen oder synizesen, denen schon Leo Meyer in seiner vergleichenden gram- matik die daseinsberechtigung abgesprochen hat, den dactylischen rhythmus unterbrechen, weisz jeder, der Homerunterricht erteilt hat.

Ich gehe zur besprechung der zerdehnten oder assimilierten formen über, nachdem man eingesehen hatte, dasz es unmöglich ist, formen wie öpöu) durch zerdehnung metri causa zu erklären, schlug G. Curtius den weg ein, dasz er zwischen 6pdu) und öpijü eine Zwischenstufe öpöuj construierte; die so entstandenen formen nannte er assimilierte, von mancherlei Schwierigkeiten, die sich dieser erklärung im einzelnen entgegenstellen, abgesehen, wider-

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spricht auch ihr die inschriftlich bezeugte entwickluug der spräche^ die 6pui aus öp^uj hervorgehen läszt. Wackernagel hat nun im 4n band von Bezzenbergers beitragen s. 259 ff. gezeigt, dasz der epische dialekt nicht selten durch neuere formen, namentliche attische entstellt wurde, als man begann, die mündlich ttberlieferten ge- dichte aufzuschreiben, da die formen nicht in das metrum passten, so corrigierte man sie und bildete formen, wie sie niemals gesprochen sind, dieser in Überzeugender weise im einzelnen begründeten an- sieht hat sich C. angeschlossen, in der praefatio zur ed. maior der Ilias weist er auch den ihm von recensenten seiner ausgaben ge- machten einwand zurück , dasz in den handschriften und Zeugnissen der grammaiiker sich keine spur jener Umwandlung erhalten habe, dasz die Wackernagelsche erklärung auch den beifall anderer ge- lehrten gefunden hat, beweist, dasz sowohl Benner in der 7n aufläge des Fäsischen Homer als auch J. van Leeuwen und M. B. Mendes da Costa in ihrer Iliasausgabe (Lugd. Batav. 1887 u. 1888) Ganors Vorgang gefolgt sind, den versuch^ die zerdehnten formen als orga- nische zu erklären , finde ich nirgends mehr gemacht, dagegen ver- weist man auf die von Bergk griecb. litt.-gesch. s. 688 vorgetragene ansieht: 'indem die stimme des Sängers länger auf einer silbe ver- weilt und die zweizeitige länge zur drei- une mehrzeitigen steigert, löst sich der vocal gleichsam in zwei gesonderte laute auf.' seltsam ist neben der annähme von mehr als zweizeitigen längen , dasz das bedüfnis, länger auf einer silbe zu verweilen, sich besonders bei den Verben auf -duj einstellt, denn bei ihnen kommen die meisten zerdebnungen vor. wie man sich ferner auch den vertrag Homeri- scher verse denken mag, man wird mit dem rhytbmus des dactylus und hexameters sehr oft in musikalischen conflict kommen , wenn man die verse bo vortragen will, die aus dem deutschen her- geleiteten analogien aämen im kircbengesang, wofür niemand ä&men singt, verdeutlichen wegen des verschiedenen rbythmus die sache nicht, die doch wobl auch musikalisch feinfühligen Griechen wür- den gegen solche unnatürliche, dem rhytbmus des dactylus wider- strebende debnungen und dadurch entstandene ungriechische formen im gesang und noch mehr in der recitation einspruch erhoben haben, über das kunstvolle des hexameters verweise ich auf die schönen, auch für das griechische nutzbar zu machenden bemerkungen R. Hilde- brands in der zeitschr. für deutschen unterr. 1894 s. 1 ff.

In der praxis hat sich die Wackernagelsche theorie durchaus bewährt, unerklärbare formen sind mit einem male durchsichtig ge- worden, wenn man eingewendet hat, auch früher habe der schüler gelernt, dasz öpöuivra gleich öpujvra sei, so ist das nicht zu be- zweifeln, unklar aber muste ihm bleiben, wie eine solche zerdehnte form entstehen konnte. Wissenschaft und praxis fordern die auf- gelöste form.

Während die bisher besprochenen principien die beseitigung mancher formen bezweckten , dient die art, wie C. die Präpositionen

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behandelt und eine consequentere , der eigenart des Homerischen satzbaus angemessene interpnnction einführt , dem Verständnis und der lebensvolleren auffassung der gedanken. jeder lehrer bat wohl schon gelehrt, dasz bei Homer die präpositionen noch vielfach die bedeutung von adverbion haben und die adverbiale bedeutung die ursprüngliche ist. sind sie aber adverbien, so müssen sie auch den ihnen als solchen gebührenden accent erhalten, man wird die von C. in seinen praefationes aufgestellten grundsätze billigen, ohne dasz man ihm in allen einzelnen fällen zustimmt, ob die betreffende par* tikel als präposition oder als adverbium aufzufassen sei. der Über- gang von dem adverbium zur präposition ist eben ein allmählicher, so dasz man an manchen stellen mit recht zweifeln kann, einen merklichen fortschritt bezeichnet die ausgäbe durch ihre inter- pnnction. in den bisherigen ausgaben war diese ziemlich vernach- lässigt y obgleich schon Classen auf ihre mangelhaftigkeit in seinen beobachtungen über den Homerischen Sprachgebrauch hingewiesen hatte, eine wirkliche besserung zeigt erst die von Benner besorgte 7e aufläge des Fäsischen Homer, man wird auch hier bisweilen anderer ansieht sein als C. aber an den meisten stellen wird man seinen änderungen zustimmen können, und auch da, wo man es nicht thut, wirken sie anregend.

Fassen wir zum Schlüsse das urteil zusammen , so musz ich C.s ausgäbe in der wissenschaftlichen gestaltung des textes für die bei weitem beste der jetzt existierenden gesamtausgaben erklären, das- selbe lob gebührt ihr wegen ihrer praktischen brauchbarkeit. zu wünschen ist, dasz er bei neuen auflagen in der anwendung der sicheren resultate der Sprachwissenschaft etwas weiter geht, die Wissenschaft fordert das und für die schule wird sich sein text dann noch durchsichtiger gestalten, man glaube auch nicht, dasz zum gebrauche der ausgaben grosze kenntnisse in der 'sprach vergleichung' notwendig seien, die angewandten grundsätze sind so einfach, dasz jeder, der nicht mit Voreingenommenheit an sie herantritt, bald ihre Wahrheit und ihren nutzen einsieht.

Das Wörterbuch von £beling nimmt auf C.s text rücksicht, so dasz man es da, wo man ihn benutzt, am besten einführt. Autenrieth benutzt die hauptsächlichsten resultate der Sprachwissenschaft, allein wenn der lehrer nur vorher einige anweisung gibt, kann jedes lexikon daneben gebraucht werden, gerade so wie in der zeit der einführung der gebrauch anderer ausgaben, die einzelne schüler etwa noch von älteren brüdern hatten, auf keine Schwierigkeit gestoszen ist.

Parohim. W. Sohauhbero.

592 6. Budde: ans. y. W. Mfinch mettiodik des franxOaiachen.

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DR. Wilhelm MuNCH, Methodik des pranzösisohsm. Bau- meister, HANDBUCH DER ERZIBHUNQ8- UNO UNTERRI0HT8LBHRE. BAND III, ABTEILUNO 2. München 1896.

Das beste, was über die vielen fragen der neusprachlichen methodik geschrieben worden ist, findet man ohne zweifei in dieser arbeit, der Verfasser ist durchaus nicht ein anhänger der 'alten methode', er ist keineswegs ein Uaudator temporis acti% aber auch diejenigen dürfen ihn nicht zu den ihrigen zählen, die als einziges oder wenigstens als höchstes ziel des neusprachlichen Unterrichts an unseren höheren lehranstalten die 'praktische sprechfertigkeit' hinstellen, welche sie trotz der manigfachen durch die thatsSchlichen Verhältnisse veranlaszten hindernisse erreichen zu können glauben, und die die auffassung, dasz die neueren sprachen an unseren höheren schulen nicht blosz ihrer praktischen internationalen bedeutnng wegen, sondern auch als mittel zur geistigen und sittlichen bildnng der Schüler betrieben werden müssen, als einen überwundenen Stand- punkt in die rumpelkammer werfen zu können glauben. Vornehm- heit der letzten ziele, femer innere Verbindung dieses fachunter- richts mit der sonstigen Sprachbildung und maszvolle beschränkung auf das erreichbare sollen leitende gesichtspunkte in allem folgenden bilden', so sagt Mttnch , und dies versprechen hat er in der ganzen arbeit gehalten, die besonnene ruhe und die durch die erkenntaais des vom allgemeinen pädagogischen Standpunkt aus erforderlichen und des im interesse des praktischen bedürfnisses erwünschten und er- reichbaren bedingte weise beschränkung wirken wohlthuend gegen- über der ruhelosigkeit und den Utopien mancher methodiker der letzten jähre, die immer neue mittel bieten und in hinblick auf welche man auch sagen könnte, was MUnch in hinblick auf die zahl der angebotenen lemmittel für das französische sagt, nämlich, dasz 'ein masz von gleichgültigkeit gegen das aufdringliche neue für den fachmann eine pfiicht der geistigen selbsterhaltung wird.'

Die geistvolle arbeit ist in fünf hauptteile gegliedert, nämlich I. einleitende betrachtungen, II. die einzelnen gebiete des französischen Unterrichts, III. die Organisation des französischen Unterrichts, IV. hilfsmittel für den fran- zösischen Unterricht, facblitteratur und V. der lehrer des französischen, von besonderer Wichtigkeit sind meiner meinung nach die beiden ersten teile und der dritte teil, insoweit er principielle fragen der methodik, die schon in den beiden ersten teilen zur spräche gekommen sind, nochmals behandelt, aber auch die beiden letzten teile enthalten eine fülle beachtenswerter ge- danken, von denen ich jedoch nur wenige werde anführen können und in bezug auf die ich im übrigen auf .das buch selbst ver- weisen musz. in den einleitenden betrachtungen beiszt es zunächst über den wert des französischen als eines Unterrichtsfaches: Murch

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zweierlei wird der wert des französischen als eines Unterrichtsfaches bestimmt: durch den cultarwert der spräche an sich und durch das masz ihrer pädagogischen schätzbarkeit, in der Vergangenheit wurde die französische spräche sehr hoch geschätzt, von der höhe des mittelalters bis zum beginn unseres Jahrhunderts war im ganzen ihre bedeutung in Europa nur gestiegen, zuerst Vorbild für fein gesittete rede und zugleich auch für anmutige schrifbstellerei, ward sie im 17n Jahrhundert trägerin der maszgebendsten kunstformen, im 18n Vermittlerin aller freien und neuen gedanken, dazu höhere Verkehrssprache der ganzen gesitteten weit, und gewissermaszen ein maszstab, mindestens ein erfordernis höherer bildung überhaupt.' seitdem aber uns selbst eine litteratur von tiefer eigenart erwuchs und die einigung unseres Vaterlandes das nationalbewustsein stärkte, trat die Wertschätzung des französischen mehr und mehr zurück und machte fast einer geringschätzung platz , die sich auch in der art, wie diese spräche an unseren höheren schulen behandelt wurde, be- merkbar machte, in neuerer zeit hat das bedürfnis einer änderung dieses zustandes sich geltend gemacht, es hat sich die Überzeugung durchgerungen, dasz 'eine bestimmtere kenntnis französischen geistes- lebens und die fähigkeit, in unmittelbaren austaosch mit den nach- bam zu treten , bei der immerhin groszen und selbständigen bedeu- tung ihres culturlebens für uns von wert ist*, die art des Unterrichts nun musz dafür sorgen, 'dasz von der beschäftignng mit der fran- zösischen Sprache wirklich das ausgehe, was schätzbares davon aus- gehen kann , dasz derjenige besitz errungen und diejenige Schulung daran erzielt werde ^ welche wertvoll sind', dafür hat aber der alte Unterrichtsbetrieb nicht gesorgt, der in völliger nachahmung der da- mals herschenden methode im altsprachlichen Unterricht zu einseitig grammatistisch war und den begriff der formalen bildung in einem viel zu engen sinne faszte. gegen diese methode tobt seit geraumer zeit ein heftiger kämpf, in welchem immer neue forderungen ge- stellt werden, die zum teil viel zu weit gehen, 'die leidenschaftliche gegenseitige bekämpfung der von einander abweichenden Systeme oder methoden ist aus psychologischen und allgemeinen zeitverbält- nissen erklärlich , aber nicht immer durch das gewicht der unter- schiede gerechtfertigt', das wesen der neuen forderungen aber ist: 'ideal soll die anzustrebende bildung bleiben, denn sie soll alle wert- « volle kraft im menschen entwickeln, und auch formal soll die bil- dung bleiben , aber in einem viel umfassenderen und viel wahreren sinne als das wort zu bedeuten pflegte : denn nicht blosz logische fähigkeit gilt es zu entwickeln , sondern neben ihr die verschieden- sten anderen, rein geistiger und auch geistig- körperlicher art.' in einem ähnlichen weiteren sinne hat mir auch der begriff der formalen bildung vorgeschwebt bei der abfassung des in nr. 21 der *gegen- wart' veröffentlichten aufsatzes über 'den neuen curs im höheren Schulwesen', ich habe darin nicht, wie in nr. 30 der 'gegen wart' herr A. Krüger zu meinem grösten erstaunen behauptet bat, einem

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Unterricht das wort geredet, ^in dem vor allem darch eine ange- messene behandlung der grammatik^ sowie durch an die behandlung grammatischer regeln sich anschlieszende Übersetzungsübungen für die bildung des Verstandes gesorgt wird', sondern ich habe einen Unterricht empfohlen, *in welchem in verständiger weise ausser für die praktische Sprechfertigkeit durch eine angemessene behandlung der grammatik, durch Übersetzungsübungen , die sich an die behandlung grammatischer regeln anschlieszen , für die bil- dung des Verstandes, sowie besonders auf der Oberstufe durch lectürestoffe, die nicht nach ihrer tauglichkeit für parlierzwecke, sondern nach ihrem wissenschaftlichen, künstlerischen und sittlichen wert ausgew&hlt sind, für die bildung des Verstandes, der phantasie und des Charakters gesorgt ist.' also ganz so grammatistisch antik bin ich doch nicht in meinen anschauungen , wie herr Krüger meint, allerdings aber auch nicht so utilitaristisch modern wie er. aus diesem idealen und formalen ziel und aus den anerkannten lehren der Pädagogik der gegen wart entwickelt nun Münch die wichtigsten Zielforderungen, die für den französischen Unterricht aufgestellt wer- den müssen und die als der ruhige niederschlag aus einer stürmischen bewegung gelten können, neben diesen hauptfragen gibt es noch eine ganze reihe von untergeordneten, *deren erOrterung', wie Münch richtig bemerkt, 'gleichwohl leidenschaftlicher zu sein pflegt als die der groszen'. aber auch über einige grosze fragen herscht keines- wegs einigkeit. von den von Münch angeführten noch schwebenden fragen scheint mir principiell am wichtigsten diese: ^haben der fähig- keit zu wirklicher conversation die übrigen unterrichtsbethätigungen mehr oder weniger zu dienen?' die art der beantwortung dieser frage weist dem antwortenden seine bestimmte Stellung innerhalb der reformbewegung an. ich musz von meinem Standpunkt aus die frage entschieden verneinen , da ich die praktische Sprech fertigkeit wohl als ein ziel neben andern mindestens ebenso wichtigen, aber nicht als höchstes oder gar als einziges ziel des neusprachlichen Unterrichts anerkenne, 'wichtiger als alle andern fragen ist', wie Münch an einer andern stelle der einleitenden betrachtungen sagt, 'die, ob der betrieb der lebenden spräche ganz vorwiegend in eine art von technischer Schulung münden, oder ob einführung in eine vornehme gedankenweit doch das wesentlichere oder mindestens ein wesentliches ziel bleiben solle.'

In dem zweiten hauptteile, der die einzelnen gebiete des Unterrichts behandelt , berücksichtigt der Verfasser zunächst die ausspräche, sie ist früher ofiFenbar mit viel zu geringer Sorgfalt ge- pflegt worden, 'das masz des darauf verwandten ernstes war im allgemeinen ganz unzulänglich , aber doch nicht gerade überall so gering, dasz das ergebnis die neuerdings so oft geäuszerte moralische entrüstung rechtfertigte.' dieser geringschätzung der ausspräche in früheren jähren stehen neuerdings übertriebene forderungen gegen-

0. Budde: anz. y. W. Münch methodik des französischen. 59Ö

Über, wie sie sich z. b. in den werten F. Beyers zeigen: Vir wollen nun einmal französisch aussprechen lernen wie die Franzosen I es komme einer und sage, wir könnten es nicht!' beides, die gering- scbätzung der früheren zeit und die Überschätzung in neuester zeit, sind extreme, zwischen denen zu vermitteln ist. bescheidung ist notwendig, denn ^schranken sind in Wahrheit von verschiedenen Seiten gegeben, zuerst in der Wissenschaft selbst, denn sie ist nicht überall zu abschlieszenden ergebnissen über die eigentliche natur der einzelnen laute, oder wenigstens über das wesen gewisser laute in bestimmtem Zusammenhang, gelangt, zweitens durch den flüssigen Charakter des objects, der nationalen ausspräche, selbst, zu diesen beiden schranken kommt als dritte die praktische , wie sie nicht etwa zumeist aus der groszen anzahl der schüler, auch nicht aus dem ungleichen masze ihrer gelehrigkeit, aus der physisch-organischen und der geistig-moralischen Schwierigkeit sich ergibt, sondern mehr noch aus dem immerhin geringen masze der auf das fach verwandten zeit, oder vielmehr aus dem groszen masze der dazwischen liegenden zeit, die ein einleben der organe in die fremde laut weit gewaltig er- schwert', diese schranken zwingen zur beschränkung der aufgäbe, wir können in der schule die schüler nicht zu einer über kritik und mängel schlechthin erhabenen ausspräche , zu elegantem französisch hinfahren, für die schüler musz es genügen, dasz sie überhaupt wirkliches französisch erlernen, zur lösung dieser aufgäbe gehört 1) richtigkeit der einzellaute und 2) Zusammenhang und be- tonung. die Verbindung einer reihe von werten zu einem ununter- brochenen lautganzen ist beim französischen ganz besonders regel- mäszig und fest, und erst die correctheit des einzelnen in diesem Zusammenhang des ganzen hat anspruch auf anerkennung.' wie ge- langen wir nun zur lösung dieser aufgäbe? 'sicherlich nur durch volle sachbeherschung auf Seiten des lehrers, und nur durch viel bemühung. die erstere musz theoretisch und praktisch sein, aber auch so ver- bürgt sie noch nicht den erfolg; dasz treffliches sprechen können samt phonetischer durchbildung des lehrers mit mangelhaften durch- schnittsleistungen der von ihm unterrichteten schüler sich verträgt, lehrt die erfahrung. es gilt, die rechten wege zu beschreiten und darauf zu bleiben.' die ältere praxis befand sich sicherlich nicht auf dem rechten wege, die neuere richtung schlägt die manigfachsten wege vor, unter denen manche allerdings um wege sind, einen um- weg bedeutet z. b. die Umschrift und phonetik. 'die mehrzahl der denkenden und versuchenden fachmänner scheint sich der ablehnung dieser forderung zugeneigt zu haben, die Überzeugung, dasz die sorgfältigste phonetische belehrung nicht Sicherheit der praktischen richtigkeit verbürge, dasz sie vielfach einen unfruchtbaren um weg bedeute, diese Überzeugung ist wohl bei dem gröszeren teil der sachverständigen bestehen geblieben.' Münch empfiehlt als das rät- lichste einen der lautaneignung gewidmeten vorcursus von etwa einem monat mit planvoller anordnung der zu erlernenden laute,

596 G. Budde : ans. y. W. Münch meihodik des AranzOsisoheii.

wobei gelegentlich amscbriftzeichen benatzt werden mögen, es scheint mir aber, als ob Mie mühselige und undankbare arbeit, die ausspräche während der ganzen weiteren Unterrichtszeit allmählich erzielen zu wollen, mit endlosem corrigieren, tadeln, vormachen, an- treiben, versuchen und verzagen' durch den empfohlenen aossprache- cursus nicht aus der weit geschafft würde, der vorcursus garantiert meiner meinung nach noch nicht eine richtige ausspräche für die Zukunft, die hauptsache scheint mir immer doch noch das richtige vorsprechen von seilen des lehrers zu sein, und dasselbe wird auch durch den aussprachecursus nicht an innerer bedeutung vei^ lieren. dieser meiner auffassung ist es auch wohl zuzuschreiben, dasz ich mich nicht ganz der meinung Münchs anschlieszen kann, dasz *in bezug auf die ausspräche wohl diejenige richtung, welche dieselbe von vorn herein am zusammenhängenden lesestttck über- mitteln will , die geringste Zustimmung verdient.'

Beschränkung auf das thatBächlich erreichbare, das ist auch das leitmotiv des zweiten capitels des zweiten hauptteils, das sich mit dem ^sprechen' beschäftigt, die natürlichen bedingungen des schullebens stehen der erreichung des Sprechenkönnens vielfach entgegen, 'es gilt deshalb wiederum, das ziel gewissermaszen auf halbe höhe zu setzen, um so weit wenigstens wirklich zu gelangen, so weit, dasz der schulzögling nach seiner entlassung nun in fran- zösisch redender Umgebung sich bereits geistig zu hause fühlen könne, vermag kein Schulunterricht ihn zu führen, aber die Vor- bedingungen schaffen und ihn ein stück auf den weg führen, das ist es, was die schule kann und soll.' die Sprechübungen sollen gleich beginnen, also sich, wenn man den von Münch empfohlenen vorcursus acceptiert, bereits mit diesem verschlingen, fragen und antworten haben einzutreten , sobald als nur das einfache material zu solchen angeeignet worden ist. Übung ist stehende bedingung. ebenso soll auch Übertragung deutsch gedachter antworten ins fran- zösische nicht den eigentlichen Vorgang bilden; so^bald als möglich wenigstens sollen die antworten unmittelbar aus dem auch sprach- lich schon vorhandenen und bereit liegenden stoffe heraus gegeben werden. *d\e fähigkeit, einfache fragen unmittelbar aufzufassen und einfache antworten möglichst unmittelbar zu geben, musz auf allen stufen der hauptbestandteil der sprechbethätigung, das maszgebende ziel sein.' wer aber eine fremde spräche sprechen will, der musz auch über den nötigen Wortschatz und die gebräuchlichen Wendungen verfügen, diese forderung ist früher auch zu wenig berücksichtigt worden, die abstracto spräche der schullectüre bedarf einer er- gänzung durch bestimmte sachkreise, von denen der selbstverständ- lichste gebildet wird durch die gegenstände der nächsten lebens- sphäre. allerdings musz aber zwischen der lectüre und der aufgäbe des Sprechens ein dauerndes Verhältnis vorhanden sein; die lectüre gibt dauernd und stets wechselnd zum sprechen gelegenheit. man wird die muttersprache nicht ganz aus dem neusprachlichen unter-

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riebt aQSscheiden können, wenn man nicht gefahr laufen will, dem- selben einen untiefen cbarakter zu verleiben. *wo tiefere neue er- kenntnis vermittelt und gewonnen werden soll, darf auf die mutter- Sprache ohne notwendigkeit nicht verzichtet werden/ bei gesunden Verhältnissen kann wenigstens auf den obersten stufen die fran- zösische spräche im Unterricht die vorhersehende werden , aber man darf dem 'sprechen' nicht alle andern unterrichteziele zum opfer bringen, man darf seinetwegen nicht auf ernstes, bildendes eingreifen verzichten, was das sprechen angeht, so wird man überhaupt über einen bestimmten besitz nicht hinauskommen.

Die schwersten geschütze hat man innerhalb der reformbewegung gegen die grammatik aufgefahren, die Münch in dem dritten capitel zusammen mit den mündlichen Übungen behandelt, ja , man vernimmt sogar stimmen , die sie ganz aus dem Unterricht verbannen möchten, die fremde spräche soll auf 'natürlichem wege* gelernt werden , wie das kind die muttersprache lernt, gleich als ob die Vorbedingungen dieselben wären, aber ganz abgesehen von der Unmöglichkeit einer solchen Spracherlernung im Schulunterricht wird pädagogische besonnenheit sich aus ganz andern gründen schwerlich jemals auf einen verzieht auf grammatischen sprachbetrieb einlassen, denn 'er passt nicht zu dem uns vorschwebenden , den geistigen Zu- sammenhang und die begriffliche klarheit mit fordernden bildungs- ziele'. der schüler musz sich die herschenden hauptregeln vollständig aneignen, er musz das regelmäszige unbedingt beherschen. des regel- mäszigen gibt es aber in der französischen spräche sehr viel. *so viel leichter als der alte wagen geht der neue nicht, wie er höher gepriesen wird, es wird allen schülem schwer werden, inner- halb der der grammatik unter den neuen grundsätzen und bestim- mungen gebliebenen zeit das wirklich nötige zu sicherer aneignung zu bringen.' auch darf die grammatik nicht rein gelegentlich je nach dem bedürfnis der lectüre behandelt werden; damit macht man wieder einen umweg, denn dieser weg erfordert in Wahrheit nicht ein kürzeres, sondern ein längeres zeitmasz; ebenso steht die menge der einander kreuzenden lemgebiete und das geringe masz der bereits erzielten allgemeinen geistigen klärung einem solchen verfahren hinderlich entgegen, es musz vielmehr von vorn herein ein fester und zusammenhängender plan hinter dem lesestoff stehen, früher ist im grammatischen Unterricht vieles behandelt worden, was uns jetzt dort überflüssig erscheint, so ist ganz besonders das lexikalisch-phraseologische zu beschränken, das notwendige aber werde gründlich und systematisch gelehrt, dabei ist die so- genannte inductive methode schon wegen der durch sie gebotenen selbstbethätigung der schüler durchaus zu empfehlen, doch man darf es auch damit nicht zu weit treiben; 'man darf bei der formenlehre (der conjugation insbesondere) nicht um des grundsatzes der in- duction willen allzu lange zögern, das vollständige schema ent- stehen zu lassen', solchen forderungen musz nun auch das lehrbuch

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entsprechen , und da ist anzuerkennen , dasz ^in knapper und guter Fassung der regeln und in darbietnng durchsichtiger beispiele die scbulgrammatiken der neuesten zeit zum teil erfreuliches geleistet haben, wie sie auch (mehr oder weniger) den einklang mit der wissenschaftlichen Wahrheit suchen', es ist wohl ein ziemlich allgemein anerkannter grundsatz, dasz von der anschauung des grammatischen gesetzes auszugehen ist, d- h. dasz die regel aus passenden beispielen durch vergleichung mit der muttersprache von den Schülern selbst gefunden werden musz. die beispiele müssen aber auch wirklich gut und angemessen sein, sie müssen einen wirk- lichen gedanken enthalten, so darf z. b. nicht als beispiel gegeben werden : ^si j'avais, je ferais', sondern etwa: 'si j'avais de Targeni, je le donnerais k mon pauvre ami.' die extreme richtung der reform- bewegung will auch das übersetzen aus dem deutschen in das fran- zösische aus dem Unterricht entfernen, dieser forderung glanbt Münch mit recht nicht beipflichten zu dürfen, und er stimmt darin wieder wie in den meisten andern in betracht kommenden fragen mit den amtlichen lehrplänen überein. es darf die strenge gedanken- Schulung, die in einer solchen Übertragung liegt, utilitaristischen bestrebungen zu liebe nicht preisgegeben werden, 'zwar ist es zur sicheren bewegung in der fremden spräche nicht der natürliche weg, aber bis zum verzieht auf dieses übersetzen überhaupt gehen zu wollen, bis zu dem flotten ausruf, es sei eine kunst, die die schule nichts angehe, wagt bis jetzt doch nur eine minderheit von fach- männem; manche sind von dem wagnis wieder abgestanden , und die dagegen abgegebenen stimmen gehören keineswegs blosz con- servativ unfreien an, sondern auch sehr zuverlässigen und selbstän- digen pädagogischen denkern.' es ist allerdings klar, dasz infolge der manigfachen neuen Forderungen , die jetzt an den französischen Unterricht gestellt werden, die 'hinüberseizung' ihre alte lang- gewohnte bedeutung fernerhin nicht beanspruchen kann, eins aber sei für alle diese constructiven Übungen regel: 'das ergebnis musz jedesmal zusammenhängend ausgesprochene, richtig betonte fran- zösische rede sein.'

Auch das ziel der schriftlichen arbeiten, von denen in dem folgenden capitel des zweiten hauptteils die rede ist, hat sich gegen früher verschoben, die schreibübungen müssen weniger den Charakter einer einseitigen vcrstandesbethäligung zum zwecke der Verstandes- oder wissenscontrole haben, als denjenigen der wiederholenden Übung, der variierten und befestigenden darlegung des erworbenen, 'auf der Unterstufe verdienen kleine dictate den Vorzug, dazu können kommen: Umbildungen, franz. beantwortung französisch gestellter fragen , selbständige bildung von Sätzen nach gegebener analogie, nacbbildung eines kleinen zusammenhängenden ganzen, auf der mittelstufe kommen zeitweilig extemporalien hinzu, für die als norm zu gelten hat 1) dasz sie hinlänglich vorbereitet seien, 2) wenn wesentlich constructiv, sich auf einfache sätze be-

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schränken und 3) wenn zusammenhängendem tezt geltend , vor- wiegend nachahmend, im anschlusz an gelesenes, zu erfolgen haben, auf dieser stufe sollte auch der brief gepflegt werden, eine anzahl guter briefe sind auswendig zu lernen, auf der Oberstufe der voll- anstalten kommen die Übertragungen zu weiterer Verwendung, in angemessener Steigerung der Schwierigkeit ; doch selbst an solchen anstalten , an welchen das französische nicht hauptfach ist , dürften etwas freiere arbeiten neben den gebundenen sich empfehlen.' mit diesen forderungen Münchs bin ich durchaus einverstanden, dagegen scheint mir die bestimmung der amtlichen lehrpläne , dasz in den oberen classen der gjmnasien im französischen nur schriftliche Über- setzungen in das deutsche angefertigt werden sollen, nicht das rich- tige getroffen zu haben, durch sie ist doch das fach allzu sehr zur magd des deutschen gemacht worden, ich habe schon an anderer stelle (in der januar-nummer der blätter für höh. Schulwesen) darauf hingewiesen, dasz diese mit hilfe eines Wörterbuches anzu- fertigenden Übersetzungen für einen primaner ein zu geringes masz geistiger anstrengung erfordern und dasz sie dem fache selbst zu wenig zu gute kommen, auch schwierigere texte werden von den primanern der gymnasien meistens ohne wirklich grobe fehler über- setzt, da ja die constrnctionen im vergleich zu griechischen und lateinischen sehr einfach sind und die unbekannten vocabeln von dem Wörterbuch bereitwilligst zur Verfügung gestellt werden, was der lehrer in diesen arbeiten zu monieren oder zu verbessern hat, das sind ausschlieszlich fehlerhafte oder ungebräuchliche oder un- schöne deutsche Wendungen, somit sind diese vorgeschriebenen schriftlichen arbeiten im wesentlichen deutsche, und nicht fran- zösische Übungen, weit mehr würde für das fach doch unbedingt durch kleine freie darstellungen nebst tSictaten und retroversionen erreicht, und der geist würde durch dieselben jedenfalls nicht minder gebildet werden, es würde mich freuen , wenn ich für diese meine ansieht recht viele anhänger fände und dieselben nicht versäumten, auf diese für die Oberstufe des gjmnasiums vorgeschriebenen schrift- lichen arbeiten im französischen als auf einen wunden punki in den sonst, wenigstens für die neueren sprachen, so vortrefflichen neuen lehrplänen häufig hinzuweisen. Es folgen in diesem capitel dann noch betrachtungen über den französischen aufsatz, aus denen ich folgendes hervorheben möchte, ^der französische aufsatz darf sich nicht zum ziele setzen die beschränkung auf ein enges und abstractes Stoffgebiet, auf pathetisch- schablonenhafte umkleidung von alltags- betrachtungen oder darstellung von vergangen aus einem schmalen gebiet der Weltgeschichte; er soll auch nicht im wesentlichen zu- sammengesponnen werden aus einer zu diesem zwecke emsig ge- pflegten Sammlung von gallicismen oder stereotypierten Wendungen, einfachheit, natürlichkeit und innere Wahrheit darf er nicht entbehren, sein ziel sei ein schlichtes, aber leicht zu erreichen ist es damit noch keineswegs.' was die wähl der themata angeht, so stellt Münch

600 0. Badde: anz. ▼. W. MOnch metbodik des franzOsuchen.

die reihe des möglieben folgendermaszen aof: arbeiten im engen anschluBz an erledigte prosalectttre , wie znsammenfaBsende inbalts- angaben (obwohl gerade diese sich nicht sehr empfehlen), oder betrachtung des gelesenen unter bestimmtem gesichtspunkte, beant- wortung einer bestimmten frage ans dem gelesenen ; femer im an- schlnsz an die poetisch- dramatische lectüre , wie inhaltliche analjse von teilen eines dramas, gang der handlnng, auflOsung des knotens, kurze zusammenziehung der fabel, auch geschlossenere bilder ans dem ganzen (beispiel: comment les faits antörieurs k Paotion prin- cipale sont-ils repr^sentös dans la comödie Mlle de la Seigliöre), Charakteristiken, aus der geschichte kommen zur Verwendung: freiere darstellung von wohlbekanntem Stoffe , dann auch parallelen (la mort de C6sar et la mort de Wallenstein usw.), fragen nach Ursachen und Wirkungen (aper9u des causes et des r^sultats des croisades usw.), oder sonstige rück- und vorblicke, auch wohl ein- fache geschichtliche porträts. femer ist nicht ganz auszuscblieszen die Sentenz , auch nicht der brief und vor allem nicht die beschrei- bung^ die besonders an lateinlosen vollanstalten ihre statte haben musz.' und was endlich die wertmaszstäbe fttr die beurteilung des französischen aufsatzes angeht, so möge hier in bezug darauffol- gende forderung Münchs erwähnung finden : ^es musz nicht die nega- tive correctheit der möglichsten grammatischen fehlerlosigkeit das vollste lob erhalten, es musz nicht blosz das an einzelnen verfehlte gesehen werden, sondern die allgemeine stilistische haltung, das erzielte masz von leichtigkeit und echtheit des satzbaus, es musz überhaupt auch das positiv geleistete zur Würdigung kommen.*

In dem fünften capitel geht dann Münch zu der vielumstrittenen frage der auswahl der lectüre über, dasz die aus wähl angesichts der geradezu enormen zahl von Schulausgaben nicht gerade leicht ist, liegt auf der band, schwierig wird sie besonders, wenn man die verschiedenen gesichtspunkte dabei berücksichtigen will, die ohne frage berücksichtigung verdienen, wir dürfen z. b., wenn wir der lebenden spräche uns bemächtigen wollen , auf das der gegenwart entsprossene und sie kennzeichnende nicht verzichten, wir dürfen aber aus gründen allgemein pädagogischer natur auch die meister- werke vergangener perioden nicht ignorieren, dazu kommt die Schwierigkeit, die im wesen der französischen spräche und litteratur selbst liegt, im wesen des französischen geistes, und des deutschen geistes in seinem Verhältnisse zum französischen, dann spricht bei der auswahl der lectüre auch die subjectivität derer mit, die aus- zuwählen haben, es ist nicht mehr wie billig und im interesse eines ersprieszlicben Unterrichts erforderlich, ihr ein masz von einflusz zu- zugestehen, zu dieser berechtigten verliebe gesellen sich dann leider in vielen fällen untergeordnete beweggründe für nie rastende ein- fübrung, die Münch mit folgenden scharfen werten niedriger hängt : 'es werden die «neuheiten» so leichten berzens gepriesen, die recht- fertigung in der vorrede ist vielfach so oberflächlich und nichts-

G. Budde: auz. v. W. Mfinch methodik des franzOsischeD. 601

sagend, dasz man neben p&dagogischem Unverstände mercantile strebungen mit bänden zu greifen glaubt, es ist nicbt angenebm, die pädagogischen gedanken (um nicbt zu sagen : das pädagogische gewissen) im solde bucbbändleriscben Unternehmungsgeistes zu sehen.' gegenüber den erwähnten Schwierigkeiten kommt es offen- bar darauf an, 'verschiedenen gesichtspunkten je nach dem masze ihres wertes mit einander oder doch neben und nach einander ihr recht zu erteilen, im übrigen gilt es nicht eine allgzmeine theorie der Verteilung aufzustellen, sondern für jede schulgattung, und auch keineswegs blosz das; sondern für jede schulgeneration ein ganzes und die gegenseitige ergänzung der lesestoffe zu einem sol- chen ganzen anzustreben, in welchem die verschiedenen rücksicLten je nach Verhältnissen und kräften mit dem rechten gleichge wicht zur geltung kommen', jedenfalls darf man aber nicht allzu sehr in die höhe und nicht zu sehr in die tiefe steigen, man darf keine Stoffe auswählen, die die fassungskraft der schüler übersteigen und die eine allgemeine geistige ausbildung voraussetzen, wie sie der schüler naturgemäsz noch nicht haben kann, anderseits darf man auch nicht, wie es neuerdings vielfach geschieht, mit den schülem der mittel- stufe in die lallende kinderstube hinabsteigen, anrüchige lustspiele können selbstverständlich trotz ihrer modernen spräche nicht in frage kommen, für die geschichtliche lectüre ist der grundsatz: 'in französischer spräche nur französische geschichte' vortrefflich, braucht aber nicht in aller strenge durchgeführt tt werden, aus der französischen geschichte sind die perioden zu bevorzugen, die für Europa von unmittelbarer bedeutung gewesen sind, daraus er- gibt sich, dasz die kreuzzüge, das Zeitalter Ludwigs XIY, das der revolution und des ersten kaiserreichs die erste berücksichtigung er- heischen, rein litterarhistorische lectüre, kunstgeschichtliches und im allgemeinen auch philosophische Schriften und memoiren sind zu verwerfen, von letzteren sind aber besonders auszunehmen: Sarcejs sidge de Paris und d'H6rissons Journal d'un officier d'ordonnance. von biographien sind zu empfehlen Guizots etude sur Washington und Mignets vie de Franklin, 'die frage der besten wähl und Ver- teilung der novellistischen lectüre könnte noch viel besonnenes ab- wägen, vergleichen, versuchen und durchdenken vertragen.' aus der dramatischen litteratur sollte jede schulgeneration nur eine classische tragödie lesen i von Molidre sind zu empfehlen: Femmes savantes, Avare, Bourgeois Gentilhomme. die zahl der für die schule brauchbaren modernen lustspiele ist sehr beschränkt, gröszere epische dichtungen sind nicht zu berücksichtigen , für die epische lehrdich- tung genügen Lafontaines fabeln, für die Ijrik kommen wohl be- sonders B^ranger und Copp6e in betracht. eine gedichtsammlung in den bänden der schüler wird vorausgesetzt.

An die frage nach der auswahl der lectüre schlieszt Münch naturgemäsz diejenige nach der behandlung der lectüre an, über die wir im nächsten capitel seine auslebten erfahren, die lectüre

N. Jahrb. t phil. a. pid. 11. abt. 1895 hft. 19. 39

602 6. Budde : anz. v. W. Münch methodik des fnnssOsischeD.

musz im mittelpunkt des Unterrichts stehen, zur richtigen behand- lung derselben gehört vor allem ein gutes lesen, das aosdaaemd geübt und st-ets planvoll gepflegt werden musz. ich glaube mit Münch , dasz man auf der oberen stufe bei durchsichtigem lesestoff zuweilen sich mit dem lesen und einigen controlfragen begnügen und auf die Übersetzung verzichten darf, aber, wie gesagt, nur zu- weilen, nicht principiell. für das übersetzen gilt als ziel 1) richtig- keit der Übersetzung, 2) gutes deutsch. M. gibt übersetzangsproben aus Mme de la Seiglidre und aus Guizots etude sur Washington, ferner verweist er auf seinen aufsatz über 'die kunst des Übersetsens aus dem französischen' (zeitschr. f. neufrz. spr. u. litt. IX) und *ver- mischte aufsfitze über Unterrichtsziele', 1888, s- 165 £ er empfiehlt, recht häufig unvorbereitet übersetzen zu lassen^ denn ^das zu können ist doch eigentlich das ziel , und die fähigkeit dazu entwickelt sich nicht ohne bestimmte nötigung'. ich möchte noch weiter gehen und empfehlen, stets nur unvorbereitet unter anleitnng des lehrers fiber> setzen zu lassen und eine genaue Wiederholung des in der schale übersetzten pensums den schülem als häusliche arbeit zu geben, wobei für mich auszer dem von M. angegebenen inneren gründe noch der äuszere, disciplinarische umstand bestimmend ist, dasz eine allgemeine einführung eines solchen Verfahrens dem leidigen Un- wesen der gedruckten Übersetzungen und präparationen den todes- stosz versetzen würde. Bei der erklärung des teztes kommt es darauf an, regelmäszig den Zusammenhang zu durchdringen und den fortschritt der gedanken im groszen und ganzen und im einzelnen zu verfolgen, man darf das erklären nicht übertreiben, gegen- wärtig scheint man nach Münchs ansieht zum teil geneigt zu sein, 'im aneignen positiver einzelkenntnisse aus der landes- und cultur- künde Frankreichs etwas weit zu gehen.' die vocabeln, die an der lectUre gelernt werden, sollen nicht isoliert abgefragt werden, son- dern der regel nach mit Verflechtung in sinnvolle wortgruppen. in welcher weise M. die lectÜre zu schreibübungen verwertet zu wissen wünscht, ist bereit» oben zur spräche gekommen, aber auch auszer- balb des französischen Unterrichts sollte , soweit die Verhältnisse es zulassen, Verwertung der französischen lectüre nicht fehlen; so könnte sie vielleicht dann und wann ein thema für den deutschen aufsatz liefern, einige besondere bemerkungen widmet der Verfasser dann noch der behandlung der poesie. die verse müssen selbstverständ- lich gut gelesen werden, für die Übersetzung verlangt M., dasz poesie auch in der Übertragung irgendwie fühlbar werde, die forderung ist sehr schön, scheint mir aber ein wenig weit zu gehen, wenigstens glaube ich , dasz es denen , die nun einmal nicht etwas poetisch be- anlagt sindy schwer werden wird, sie zu erfüllen, wer es aber kann, der soll es nicht versäumen, dasz M. eine gebührende Würdigung des dichtungsinbalts , der Charaktere usw. verlangt, ist bei der Vor- nehmheit und der idealität seiner anschauungen selbstverständlich. Aus dem siebenten capitel, in welchem der Wortschatz be-

6. Budde: anz. v. W. Münch metbodik des französischen. 603

handelt wird, hebe ich folgendes hervor: Mes Wortschatzes bedarf jeder, der in der spräche reden, schreiben oder auch nur lesen will, aber auch hier ist beschrftnkung auf mäszige grenzen erforderlich, gewisse gebiete musz jedoch der verrat wirklich umfassen, wir rechnen dabin nunmehr mit bestimmtheit nicht blosz alle die ge- wöhnlichen abstracten ausdrücke, Substantive oder verben und einen ausreichenden verrat an adjectiven und adverbien zur Charakteri- sierung, nebst sämtlichen gebräuchlichen formwörtern (conjunctionen und Präpositionen), sondern auclf die geläufigsten concreten aus- drücke des täglichen lebens, deren menge im gamen allerdings schon recht grosz ist, wenn nicht im einzelnen falle lücken jeden augen- blick erscheinen sollen.' das erste mittel zur rechten aneignung der vocabeln sieht M., wie auch schon an anderer stelle erwähnt wurde, in der darbietung derselben in einem lebendigen Zusammenhang.

Das letzte capitel beschäftigt sich mit nebengebieten des Unterrichts, wie Synonymik, Stilistik, Verslehre, lit- teraturgeschichte, Sprachgeschichte, für die Synony- mik stellt M. zwei normen auf: 1) beschränkung auf das einfache und zugängliche sowie das verwendbare, 2) das findenlassen durch die schüler selbst, er verlangt, dasz das synonymische nur in deutscher spräche gegeben werde, eine anleitung zur Stilistik ist erforderlich, die belehrung hat aber viel mehr gelegentlich als syste- matisch zu erfolgen, was die Verslehre betrifft, so ist so viel theorie des französischen verses zu geben, als nötig ist, um das Ver- ständnis, die rechte auffassung zu sichern, und als dazu dienen kann, ihn richtig lesen zu lassen, aus der litte raturgeschichte soll die erwähnung solcher erscheinungen bevorzugt werden, durch welche die französische litteratur sich in beziehung zu der sonstigen europäischen und insbesondere der unsrigen gesetzt hat, und femer solche, welche neben und über der litterarischen bedeutung eine cultur- historische einschlieszen. bei der litteraturgeschichtlichen Orientie- rung ist die französische spräche anzuwenden, sehr viel wird man allerdings von der litteraturgeschichte nicht behandeln können. Sprachgeschichte gehört in gewissem sinne noch weniger als litteraturgeschichte in die schule.

In dem dritten hauptteil, der die Organisation des Unter- richts betitelt ist, werden zunächst allgemeine grundsätze der Organisation behandelt, ^nicht blosz allerlei bestimmten lehrfächern hat das französische seine dienste zu leisten, um auch von ihnen solche zu empfangen , sondern darüber hinaus dem ziele der allge- meinen logischen bildung, der begrififlichen klärung, der bereiche- rung der Vorstellungen, der erweckung von interesse, der Schulung der persönlichkeit.' darauf bespricht M. noch einmal die einrieb - tung des elementarunterrichts und beleuchtet verschiedene fragen daraus in derselben besonnenen weise wie in den einleiten- den betrachtungen. hervorheben möchte ich an dieser stelle, was er über die grosze illusion sagt, in der sich diejenigen befinden, die

89

604 6. Budde : anz, v. W. Münch metbodik des fransösischen.

bei der anschauung an eine sofortige Verbindung der französischen bezeicbnung mit der sinnlichen vorstellang glauben, 'die sofortige Verbindung der französischen bezeicbnung mit der sinnlichen Vor- stellung des gegenständes soll das hemmende dazwischentreten der deutschen begri£fsbezeichnung fernhalten, aber es ist von mehr als einer seite, besonders durch von Sallwttrk nachgewiesen, dasz dies eine illusion ist, ein psychologischer irrtum.'

Die besonderheiten der Schularten erfordern natürlich eine verschiedene behandlung ddb französischen, an den latein- losen vollanstalten soll das französische ähnliche bedeatung gewinnen wie das lateinische an gymnasien. 'es musz norm bleiben, dasz die grammatik einen ebenso ernstlichen betrieb finde, und zwar namentlich nach der begrififlich-gesetzlichen seite, wo den schttlem dieser anstalten sonst leicht eine der grundlagen wirklicher sprach- bildung in sehr fühlbarer und bedauerlicher weise verloren bleibt.' ebenso warnt der Verfasser diese schulen vor dem gegenwärtig offen- bar nahe liegenden abweg , dasz sie die lectüre von idealem gehalt zu gunsten concreter stoffe zusammenschwinden lassen, die all- gemeine geistige und sittliche bildung durch die spräche und ihre litteraiur findet wie überall so auch hier in M. einen eifrigen und überzeugten Vorkämpfer, auch an den real schalen mit sechs- jährigem cursus soll der betrieb der grammatik nach der be- grifinich logischen seite ein ernster sein, auch hier musz der inhalt des lesebuchs im interesse wirklicher erziehung zum guten teil ein idealer sein, wodurch rücksichtnabme auf praktische bedürfnisse durch behandlung von briefen geschäftlichen inhalts usw. keines- wegs ausgeschlossen ist. 'an den gymnasien mögen sich die Sprechübungen auf einen einfacheren, wesentlich der lectüre ent- nommenen stoffkreis beschränken und mehr akademischen als idioma- tischen Charakter haben, 'die lectüre braucht weder nach seite des inhalts noch der sprachform grosze aufgaben der geistigen erziehung zu erfüllen.' dieser letzteren auffassung vermag ich nicht ganz bei- zustimmen, wenn auch infolge der äuszeren Verhältnisse das fran- zösische an den gymnasien nicht annähernd so viel für geistige erziehung der schüler durch die spräche und wertvolle litteratur- erzeugnisse thun kann, wie die alten sprachen es vermögen, so soll dasselbe doch nicht einfach darauf verzichten , sondern mit seinem bescheidenen teil alles zu der allgemeinen bildung, die das ziel dieser anstalten ist, beitragen, was unter den gegebenen umständen dazu beizutragen möglich ist. die eigenartige aufgäbe der real gymna- sien ergibt sich aus der vermittelung derjenigen dergroszen latein- losen realanstalten und der humanistischen gymnasien von selbst. Am schlusz dieses dritten teiles gibt dann M. einen überblick über die amtliche Organisation des französischen Unterrichts sowie über die einschlagenden bestimmungen der verschiedenen Staaten.

Der vierte hauptteil behandelt die hilfs mittel für den Unter- richt und liefert eine Zusammenstellung der fachlitteratur.

G. Budde : anz. v. W. Münch methodik des fransösiBchen. 605

In dem fünften hauptteil redet der Verfasser über den lehrer des französischen, er zeigt; wie schwierig infolge der mancherle i forder angen, die an den lehrer des französischen gestellt werden, dessen Stellung ist. 'das vollkommene bleibt jenseits unserer kraft, aber empfiLnglichkeit musz bleiben und wille zur selbstbildung. zu irgend einer neuen aufläge des maltre de langue herabsinken darf der lehrer nicht, aber auch nicht in der schar der büchermensohen aufgehen, gewandtheit soll mit wissenschaftlichem ernst sich ver- binden; lehrtüchtigkeit auch mit welttüchtigkeit und Studienfreude, echt modern sei der lehrer auch darin, dasz er in den didaktisch- pädagogischen fragen nie auf veraltetem Standpunkt stehen bleibe und nicht die neue entwicklung an sich vorüberrollen lasse, er trachte übrigens nicht, eine art von Franzose zn werden, und huldige nicht der Schönheit fremder kunst unter Vernachlässigung der nnsrigen. er übertrage die Sorgfalt , die er dem fremden idiom widmen soll, auch auf die muttersprache; er lebe sich immer tiefer ein in die französische litteratur, aber er verstehe diese litteratur auch in ihren Wechselbeziehungen mit derjenigen der anderen cultur- Völker und nicht zum mindesten unserer eignen wie es übrigens auch sehr wünschenswert ist, dasz ihm die sprachliche und littera- rische weit der alten nicht fremd bleibe oder fremd werde, und dasz er sich namentlich nicht in einen ethischen gegensatz zu den zielen und Vertretern des altsprachlichen Unterrichts hineinziehen lasse, im ganzen hat er, obwohl Vertreter der französischen spräche, doch ein deutsches bildungsideal zu verwirklichen oder doch wenigstens zu verfolgen.*

So zeigt sich der Verfasser in seiner ganzen arbeit als ein überaus geistvoller und besonnener schulmann , der mit groszen praktischen erfahrungen eine umfassende kenntnis der französischen spräche und litteratur und eine grosze belesenheit auf dem gebiete der metho- dischen litteratur verbindet, schonungslos deckt er die schwächen veralteter methoden auf, doch er weist auch die übers ziel hinaus- schieszenden extremen reformer energisch in die nötigen schranken zurück, 'der letzte zweck ist trotz allem bei unserem französischen Unterricht nicht das können dieser spräche um jeden preis', so sagt er im gegensatz zu vielen reformern neuester richtung; die allgemeinen idealen pädagogischen ziele, die geistige und sittliche bildung durch die Sprache, will er nicht ohne weiteres praktischen bedürfnissen zum Opfer bringen, diese letzteren mehr zu berücksichtigen als es früher geschehen ist, verlangt der geist unserer zeit; und deshalb musz praktische Sprech fertigkeit auch ein ziel des neusprachlichen Unter- richts sein, was man darüber hinaus im namen des Zeitgeistes an verzieht auf altbewährte Unterrichtsziele zu gunsten der conversations- fähigkeit fordert, das verlangt nicht der geist der zeit; das verlangt vielmehr nur der herren eigner geist.

Hannover. G. Budde.

606 W. 6. Schmidt: ant. y. geogr. zeitschr., heraasg. too A. Hettner.

58.

OEOORAPHISCHE ZEITSCHRIFT, HERAUSOEOBBEN VON PROF. DR. AlFB.

He TT NBR. I. JAHRGANG. 12 monatfihefte zum preise ron 16 mk. Leipzig, B. G. Teubner. 1895.

Nacbdem der erste Jahrgang dieser Zeitschrift vollendet vor- liegt, dürfte es an der zeit sein, gt^ade auch in diesen blättern noch einmal ausdrücklich auf dieses vortreffliche bilfsmittel zor Verbreitung und förderung wahrer geographischer bildung hinzuweisen, scheint es doch, als habe die Zeitschrift bisher in den kreisen der schalmftnner noch nicht die beachtung gefunden, die man ihr wünschen mnsz um der guten sache willen, in deren dienst sie sich gestellt hat, die sie aber auch verdient, nicht nur nach der meinung des unter- zeichneten, der unterzeichnete ist man gestatte diese persönliche Wendung lehrer der naturwissenschaften an einem gjmnasium. wenn er jetzt, nachdem er lange jähre hindurch den vollen natur- wissenschaftlichen Unterricht von sezta bis untersecunda erteilt hat, wenn er jetzt der bestimmten Überzeugung ist, dasz der naturwissen- schaftler mit der seinem fache bewilligten Stundenzahl, in rücksicht auf die ziele, die dem gymnasialunterrichte gesteckt sind, auskommen musz und auch auskommen kann, so steht bei ihm ebenso fest die meinung, dasz der erdkundliche Unterricht am gjmnasium weder nach der art, noch nach der ausdehnung seines betriebes unter den heutigen Verhältnissen genügt, 'die erdkunde als die einzige fast alle übrigen schulfächer überbrückende disciplin verdient keine Aschenbrödelstellung auf unsern schulen , verdient vor allem nicht auf den oberen classenstufen wie ein steppenflusz im sand zu ver- laufen ; denn gerade da, wo einerseits die geschichtlichen, anderseits die naturkundlichen kenntnisse der schüler ihren abschlusz' erreichen, gerade da erst vermag die erdkunde die wohltbat der association im vollsten masze auszuüben' (Kirchboff 'geographie' im 4n bände des handbucbs der erziehungs- und unterrichtblehre für höhere schulen, herausgegeben von Baumeister), nacbdem so ein meister in seinem fache erst jüngst wieder auf die unterrichtliche bedeutung der geo- grapbie hingewiesen hat, wäre es überhaupt und besonders an dieser stelle nicht um platze, mehr worte über dieses thema zu verlieren, auf eins aber darf in den tagen der Jubelfeier des Deutschen Reiches und in den tagen des Transvaalzwiscbenfalls noch besonders hin- gewiesen werden, unsere colonien sind gleichsam der gemeinsame besitz aller angehörigen des Deutschen Reiches, in der teilnähme für sie können und müssen sich alle Deutschen von nord und sUd je länger je mehr zusammenfinden, wenn sie ihre zeit recht verstehen, je mehr andere länder und Völker (Vereinigte Staaten von Nordamerika, Japan) sich in der gütererzeugung unabhängig machen von uns und anderen, je mehr die bevölkerungs/ahl bei uns zunimmt, desto mehr

^ einen gewiHsen abschlusz. d. ref.

W. B. Schmidt: anz. y. geogr. zeitschr., herausg. von A. Uettner. 607

brauchen wir ansere colonien, desto unabweislicher wird es, dasz die, welche zur führung der geschicke unseres Volkes in der einen oder andern art dereinst berufen sein werden, wenigstens ein gewisses Verständnis mitbringen für geographische fragen, geschieh te der erdkunde, historische entwicklung des Verkehrs und seiner wege, abhängigkeit des gedeihens der menschen, tiere und pflanzen von der geographischen örtlichkeit, klimalehre ; Völkerkunde: all diesen an sich schon hochbedeutsamen geographischen teilwissenschaften hätte der Deutsche von heute ganz besondere veranlassung näher zu treten, es wäre sache der höheren schule, ihre Zöglinge in diese disciplinen etwas tiefer einzuführen, als es heute möglich ist. mit aussieht auf bleibenden nutzen könnte das nur in den oberclassen geschehen, da es sich aber der hauptsache nach nur um einen zu- sammenfassenden Unterricht handeln würde, so würde schon erspriesz' liches zu erreichen sein j wenn nur eine wochenstunde zugebilligt würde (vgl. auch Langenbeck 'der erdkundliche Unterricht nach den neuen lehrplänen', geogr. zeitschr. von Hettner I 442 ff.), an den lehrer freilich würden diese stunden bei der Vielseitigkeit des zu beherschen den Stoffes erhebliche anforderungen stellen, sollten die geeigneten leute fehlen ? die herliche aufgäbe würde genug herbeiziehen !

Was soll das alles hier, wird mancher fragen; in welchem Zu- sammenhang steht diese Zukunftsmusik mit der geographischen Zeit- schrift? mit feinem gefühl hat sie die zunähme des bedürfnisses im Volke nach gediegener geographischer belehrung wahrgenommen, sie will den weit verstreuten stoff der vielverzweigten Wissenschaft zusammenfassen und darbieten in abgerundeter, allgemein verständ- licher und doch wissenschaftlich zuverlässiger darstellung. sie wendet sich also keineswegs ausschlieszlich oder auch nur zunächst an den geographischen fachmann , sondern vielmehr an alle, die an geogra- phischen dingen anteil nehmen , in erster linie also an alle lehrer, die einigermaszen naturwissenschaftliches Verständnis und interesse mitbringen.' ihnen bietet sie den vorzüglichsten und vielseitigsten Stoff, sich bei zeiten geschickt zu machen für den fall, dasz einmal an sie die aufforderung ergehen sollte , in ausgedehnterer weise als bisher geographische bildung unter der Jugend zu verbreiten, sollte die geographische Zeitschrift zu früh geboren sein? wir fürchten es nicht, die Zeitschrift hat sich von vorn herein auf vornehme höhe gestellt, unter ihren mitarbeiten! finden sich die angesehensten Ver- treter aller einschlagenden Wissensgebiete, es liegt auf der band, dasz sie sich auf dieser höhe nur halten kann, wenn alle die, die für ihr Zustandekommen thätig sind, durch entsprechende teilnähme des publicums immer neue anregung erhalten, möchte sie die verdiente teilnähme rechtzeitig auch in unsem kreisen finden !

' vgl. auch den ausgegebenen prospect. Leipzig. Walther Bernh. Schmidt.

INHALTSVERZEICHNIS.

Seck 8. ffaag.

Begriff, der ansdnick begriff in unBeren grammatiken. (O, Schuhe,) 8. 664.

Biese f Alfred, die philosophie des metaphorischen in grnndlinien dar- gestellt. \weii9enfeli,) s. 849.

Bretitchneider s. geschichtliche lehrbÜcher.

Cantor^ Moritz, vorlesangen über gesehlchte der mathematik. bd. I.

(Siever9,) s. 165. Cauer, Panl, Homers Odyssee, Schulausgabe, erster teil« 2e aufläge.

(Schaumberg,) s. 686. Concentration beim iibersetsen ans den fremden sprachen in die matter-

sprache. ißieder,) s. 230. Conjanctiv, cur syntax des conjunctivs. {Ziehen,) s. 287.

JDetiweiler^ M. Tallii Ciceronis epistulae selectae. für den schnl-

gebraucb erklärt, (ffornemann.) s. 271. Deatscher Unterricht in obersecunda, ein lehrgang dafür. (P. Vogel.)

s. 169.

Erdkunde, das Verhältnis der erdkunde zur geschichte nach dem preusz. lehrplan von 1892. {Wittneben.) s. 418.

Eton und Winchester, die lateinschulen daselbst im sechzehnten Jahr- hundert. {Klähr.) s. 498. 663.

Fabricius« G^rg, und Adam Siber. {Helmolt.) s. 476.

Formale bildung. eine inhaltsbestimmung. {Lichienheld.) s. 75. 191.

FosSy bearbeitung des Hopf- und Paulsiekschen lesebuchs. (Schunirt.)

8. 446. Französischer an fangsunter rieht und der Frankfurter lehrplan. {Ziehen,)

8. 202. Französisch, der französische artikel. {Humbert,) 8. 96. Französisch, der französische artikel. nachtrag. {Humbert,) s. 267. Friedländer s. geschichtliche lehrbücher. Friedrich der grosze und Mark Aurel. {Oemoll.) s. 54. Fügnery dr. Franz, des C. Jalius Caesar gallischer krieg. {Crrimmelt,)

8. 404.

^

Inhaltsverzeichnis. 609

Gegenwart und heimat als ausgangspunkt für den prop&dentischen

geschichtsnnterricht. (Friek.) s, 455. Geschichtliche lehrbücher: Knaake^ Lohmeyer und Thomas , Friedländer

und Zschechf Martens, Brettschneider, Stutzer, ffötscher, {Sorgenfrey,)

s. 279. Geschichtslehrer, die vorbildang des geschichtslehrers. zum Frank-

farter historikertage. (Baldamus») s. 247. Geschichtsunterricht, zur ersten Orientierung über den gesohichtsunter-

richt. (Denicke.) s. 1. Oiese, A., deutsche bürgerkunde. (Sorgen frey.) s. 112. Goethes Faust, kritische erörterungen. (Gilbert,) s. 27. Oolther s. Schiller und Valentin. Gymnasialpädagogik, die deutsche gymnasialpädagogik in ihrer neuesten

fassung. (Rieh, Richter,) s. 409. 457.

JSaag, neubearbeitung des lateinischen Übungsbuches von Beck, (Haupt,)

s. 62. Hellenische lebensanschauung und die gegen wart. (Alfred Biese,) s. 188. Hettner^ geographische Zeitschrift. (IV, B, Schmidt,) s. 606. Hölscher s. geschichtliche lehrbücher. Hohweissig, dr. Fr., leitfaden für den evangelischen religionsunterricht

In höheren lehranstalten. (Sterz.) s. 358. v. Humboldt, Wilhelm, briefe an Friedrich August Wolf. (Leitzmann,)

8. 161. 207. 288.

Jiriczek, O. L., die deutsche heldensage. (Steuding,) s. 454.

Kern, Franz, vier schulreden. (Otto Kern.) s. 330. Knaake s. geschichtliche lehrbücher.

Kreuser, A., ausgewählte briefe des jüngeren Plinius für den schul- gebrauch erklärt. (Schwabe.) s. 550.

Lateinische schulgrammatik, kleine beitrage dazu. (Gast,) s. 399. 571. Lateinisches scriptum in den oberclassen der gymnasien. (Steuding.)

s. 149. Lateinunterricht, der alte und der neue curs im lateinunterricht.

(Th. Vogel.) s. 313. Lessing, zu Lessings Nathan dem weisen. (Gast,) s. 342. Lindner^ Theodor, geschlchte des deutschen Volkes. (Froboese.) s. 547. Lokmieyer s. geschichtliche lehrbücher.

MjOTtens s. geschichtliche lehrbücher.

Müneh, dr. Wilheln, methodik des französischen. (Budde,) s. 592.

Nachgoethisohe litteratur, die Verwertung der nachgoethischen litteratur im unterrichte der oberen classen höherer lehranstalten. (Bettingen.) 8. 386.

Noacky hilfsbuch für den evang. religionsunterricht in den mittleren und oberen classen höherer schulen. (Sterz.) s. 552.

610 InhaltsverzeichniB.

Opitz, Theodor, und Alfred Weinhold, Chrestomathie aoB schriftstellerii der sogenannten silbernen latinität. {Schwabe.) 8. 107.

Päizolt, dr. Friedrich, paraphrasen von briefen Ciceros zu lateinischen

stilübnngen in prima. (Feit,) s. 275. Platonismos and Christentum im rahmen des humanistischen gjmnasiums.

(Schneider.) s. 878. PriyatlectQre nach den neuen preuss. lehrplänen. (GemoU.) a. 261. Psychologie, das metaphorische in der psychologie. in Job. Rehmke,

unsere gewisheit von der auszenwelt, und Job. Rehmke^ lehrbnch der

allgemeinen psychologie. (Alfred Biete.) s. 674. Psychologische Studien auf pädagogischer grundlage. (Seifferi,) s. 361. Puls, Alfred, lesebucb für die höheren schulen Deutschlands. I teil:

sexta. II teil: quinta. (Blunk.) s. 544.

Mehmke s. psychologie.

Religiöses leben, wie kann der classische und der deutsche Unterricht auf der obersten stufe der gymnasien zum religiösen leben der Schüler in innere beziehung gesetzt werden? (Steuding.) s. 217.

Rothert, £., karten und skizzen aus der vaterländischen geschichte der letzten hundert jähre. (Sterz.) s. 153.

Schillers Braut von Messina im Unterricht. (Dömfold.) s. 518.

Schüler, H., und V. Falentin, deutsche schalausgaben: Golther, götter- glaube und göttersagen der Germanen; deutsche heldensage. H. Schiller, Goethes Dichtang und Wahrheit. Valentin, Goethes Iphigenie auf Tauris; Lessings Laokoon. (Landmann.) s. 438.

Sprache, das künstlerische in der spräche. (Hermann,) s. 323.

Stutzer 8. gescbicbtlicbe lehrbücher.

Teubnersche Schulausgaben, zweiter aufsatz. (Fügner.) s. 65. Thomas s. geschichtliche lehrbücher.

Utescher, O., rechenaufgaben für höhere schalen in drei heften, sexta bis quarta. (Sievers.) s. 64.

ValenHn s. Schiller, H.

Versammlung (31 e) des Vereins rheinischer Schulmänner in Köln. (Oehley,) 8, 114.

Zange, F., leitfaden für evangelischen religionsunterricht an höheren

schulen, sexta bis quarta. (Sterz.) s. 25. Zschech s. geschichtliche lehrbücher.

VERZEICHNIS

DER AN DIESEM BANDE BETEILIGTEN MITARBEITER.

Baldamus , dr., Oberlehrer am köDiglichen gymnasinm in Leipzig. 8. 247. Bbttingbn, dr. , professor am gymnasinm in Crefeld. s. 386. Biese, dr., Oberlehrer am gymnasinm in Schleswig, s. 188. 574. Blunk, Oberlehrer an der realschule in Altona-Ottensen. s. 544. BuDDB, Oberlehrer am Ijceam I in Hannover, s. 592.

Demickb, dr. , Oberlehrer am Luisengymnasium in Berlin, s. 1. DÖRWALD, dr., Oberlehrer am gymnasinm in Ohlau. s. 518.

Fbit, dr., director des gymnasiums in Ohlan. s. 275. Friok, dr., Oberlehrer am gymnasinm in Höxter, s. 455. Fbobobse, dr., professor am gymnasinm in Sangerhaosen. s. 547. FüOMBB, dr., Oberlehrer am kaiser-Wilbelmsgymnasinm in Hannover. 8. 65.

Oast, professor am gymnasinm in Dessau, s. 842. 399. 571. Gbmoll, dr., director des gymnasiums in Liegnitz. s. 54. 261. Gilbert, dr., rector des gymnasiums in Schneeberg. s. 27. Gbimmblt, dr. , wissenschaftlicher hilfslehrer am progymnasium in Bocholt i. W. s. 404.

Haupt, dr. , Oberlehrer am gymnasinm in Schneeberg. s. 62. Helmolt, dr., in Leipzig, s. 475.

Hbrmann, dr., professor an der Universität Leipzig, s. 523. Hobnemamn, professor am lyceum I in Hannover, s. 271. Humbbrt, dr., professor am gymnasinm in Bielefeld, s. 95. 267.

Kebn, Otto, dr. , privatdocent an der Universität Berlin, s. 330. KlIbb, dr., in Dresden, s. 498. 568.

Landmann, dr., professor in Darmstadt, s. 438. Leitzmann, dr. , in Weimar, s. 161. 207. 288. Lichtenhbld, dr., in Wien. s. 75. 121.

Oeblet, dr. , in Köln a. Rh. s. 114.

612 Veneichnis der mitarbeiter.

RiCHTBs, Richard, dr., rector des königlichen gymnaeiams in Leipsig.

8. 409. 467. RiBDBB, dr., Professor am gymnasinm in Gambinnen, s. iSO.

SoHAUXBBBCi, dr. , Professor am gymnasium in Parchim, s. 685. Schmidt, Walther, dr., Oberlehrer am Thomasgymnaslnm in Leipiig.

B. 606. ScHHBiDBB, dr., Professor am gymnasium in Gera. s. 878. SoHULBB, Otto, dr., Oberlehrer am realgymnasium in Gera. s. 564. Schwabs, dr., Oberlehrer an der ffirstenschale in Meisten, s. 107. 560. Schwabs, dr., professor am gymnasinm in Quedlinburg, a 446. Sbiffbbt , dr., wissenschaftlicher hilf sichrer am gymnasium in Lanban.

s. 861. Sibybbs, Oberlehrer an der realschale in Frankenberg. s. 64. 155. SoBaBHFBBT, dr., professor am gymnasiam in Nenhaldensleben. s. 112. 279. Stbbs, dr., professor am gymnasiam in Köthen. s. 25. 158. 858. 55S. Stbddiho, dr., professor am gymnasiam in Worsen. s. 149. 217. 454.

VoGBL, Panl, dr., professor am gymnasiam in Schneeberg. s. 169. VoGBL, Theodor, dr., geheimer schalrat in Dresden, s. 318.

Wbissbbfbls, dr., professor am Französischen gymnasiam in Berlin.

s. 349. Witthbbbh, professor am gymnasiam in Leer. s. 418.

Zibhbh, dr., Oberlehrer am städtischen gymnasiam in Frankfurt a. IL s. 202. 287.

Verlag der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin.

Für den Beginn des neuen Semesters empfehlen wir die in unserem Verlage erscheinenden

Ausgaben

HKiclmr iil lateiilscliiir ScUsciiiitliitgller

mit Anmerkungen.

iMach dem Inkrafttreten der Lehrpläne von 1892 hat es sich je länger je mehr herausgestellt, dass die vorhandenen Ausgaben der in den Schulen gelesenen altklassischen Schriftsteller den veränderten Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Die neuen Lchrpläne haben die Lektüre mehr in den Mittelpunkt des Unterrichts gerückt, und es erschien daher nötig, Ausgaben zu schaffen, welche der Schule geeignete Unterrichtsmittel darbieten, mit denen die der Lektüre innerhalb des altsprachlichen Unter- richts gesteckten Ziele in möglichst ausgiebigem Masse erreicht werden können. Diesem Zwecke sollen unsere Ausgaben griechi- scher und lateinischer Schulschriftsteller dienen.

Sic werden entweder vollständige Texte, oder, wo die Lektüre des ganzen Schriftwerkes ausgeschlossen ist, eine Auswahl aus demselben bieten. Die Grundsätze, nach denen die Auswahl getroffen wird, ergeben sich aus den Lchrplänen von 1892: „Sie hat nach bestimmten sachlichen Ge- sichtspunkten zu erfolgen, und es ist darauf zu halten, dass immer ein möglichst abgeschlossenes Bild gewährt werde.^ Um auch in der Auswahl ein zusammenhängendes Ganzes zu bieten, werden, soweit es das Verständnis erfordert, an Stelle der ausgeschiedenen Teile ein verbindender Text oder am Schlüsse des Bandes zu- sammeufassende Übersichten» über den vollen Inhalt des Schrift- werkes gegeben. Im übrigen ist dafür gesorgt, dass die Auswahl nirgends so knapp bemessen wird, dass sie den persönlichen Wünschen der Lehrer nicht noch freien Spielraum Hesse.

Zu jedem Toxtbande erscheint gesondert ein Kom- mentar, für dessen Gestaltung den Herausgebern keine zu engen Grenzen gezogen sind, für die im allgemeinen aber als erster Grundsatz gilt, dass dem Schüler nur das geboten werden soll, was ihm für eine verständige häusliche Vorbereitung zu wissen nötig ist. Der Kommentar soll die Arbeit dos Lehrers nirgends überflüssig machen, sondern er soll ihr nur

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dienen und das aus dem Wege räumen, was ihr die knapp bemessene Zeit noch mehr einzuschränken ge- eignet ist. Es ist darum von der Erklärung von Realien meist abgesehen und der Kommentar so kurz wie möglich bemessen worden. Er wird je nach seinem Umfange entweder dem Text- bando als besonderes Heft beigegeben oder als selbständiges Bändchen veröffentlicht werden.

Zur Förderung des Verständnissos sollen ferner bei- tragen: Kurze Einleitungen über das Leben und die Werke des Schriftstellers und knappe Inhaltsangabe der einzelnen Teile des betreffenden Werkes innerhalb des Textes oder im Kom- mentar. Um den Durchblick durch das Ganze zu erleichtem, worden grössere Abschnitte entsprechend in kleinere zerlegt und endlich wird auch die bildliche Darstellung herangezogen worden, wo sie der Erklärung forderliche Dienste leisten kann.

Besonderen Wert haben wir auf eine gute äussere Ausstattung gelegt: Grosse, gut lesbare Schrift, schönes starkos Papier, ein gefälliger haltbarer Einband und endlich ein sehr wohlfeiler Preis lassen die Bändchon schon äusserlich für den Gebrauch in den Schulen als wohl geeignet erscheinen, während für den inneren Wort bosser als alle Anpreisungen die Namen der Herausgeber bürgen, die in der Philologenwelt längst von bestem Klange sind.

Nach ähnlichen Grundsätzen wie diese Sammlung

ist bearbeitet:

GRIECHISCHES LESEBUCH

FÜR OBERSEKUNDA.

AUSGEWÄHLTE STÜCKE ATTISCHER UND SPÄTERER PROSA

HEUAUSGEGEBEN VON

EWALD BBUHN.

Erster Teil: Text. (IV u. 192 S.) in Lcinw. Rcb. Zweiter Teil: Anmerkungen. 8" (52 S.) geheftet.

Preis beider Teile 2,50 M.

Verlag der Weidtnannschen Buchhandlung in Berlin.

HORAZ.

AUSWAHL FÜR DEN SGHULGEBRAUGH

VON

D«- K. P. SCHULZE.

ProfeHor am Prledrloha-Werdenchen Gymnaiiuni bu Berlin.

Erster Teil; Text. (IV u. 147 S.) in Leinw. geb. Preis 1,20 M.

Zweiter Teil: Anmerkangren. S^ (144 S.) mit 2 Tafeln. In Leinw.

geb. Preis 1,40 M.

In der vorliegenden Horaz- Ausgabe von K. P. Schulze, die sich in zwei geschmackvoll gebundenen Heftchen auch äusserlich recht stattlich präsentiert, enthält der 1. Band zunächst eine kurz- gefasste. für den vorliegenden Zweck aber genügend ausführliche Biograpnio des Dichters. An diese Biographie schlicsst sich eine Chai*akteristik der Dichtkunst des Horaz mit besonderer Berück- sichtigung seiner Vorbilder in der Lyrik, des AJcaeus und der Sappho. Dann folgt der Text, der eine reichliche Auswahl aus den Oden, eine knappere aus den Epoden und Satiren, und dann wieder eine reichlichere aus den Episteln enthält. Der Textgestaltung ist mit Recht die vorzügliche Kiesslingschc Aus- gabe zu Grunde gelegt.

Das zweite Bändchen bringt die mit grosser Sorgfalt ausge- arbeiteten Anmerkungen. Der Erklärung jedes Gedichtes ist eme kurzgefasste Inhaltsangabe vorausgeschickt, die den Gedanken- gang treffend wiedergiebt. Die Auswahl des in den Anmerkungen Uebotonen ist zu billigen; Herausgeber hat wohl im ganzen dio richtige Mitte gefunden; wenn er hier und da etwas zu viel zu geben scheint, so ist zu bedenken, dass die Primaner schon jetzt und in Zukunft wird das noch mehr der Fall sein infolge der durchgehenden Verminderung der Stundenzahl im Lateinischön weniger vorbereitet an die Horazlektüre herantreten als früher. Zu loben ist namentlich, dass eine Reihe von selteneren Aus- drücken, wie z. B. adarea (od. IUI 4, 41) und loUigo (sat. I 4, 100) im Kommentar übersetzt ist, so dass den Schülern das in diesem Falle sicherlich nutzlose Vokabelaufsuchen erspart bleibt. Sehr zweckentsprechend sind auch die sachlichen Bemerkungen, ferner die zahlreichen Citate aus griechischen Schriftstellern; endlich ist es mit Dank zu begrüssen, dass Seh. dem Urteil des Lehrers, be- treffend die ästhetische Würdigung der Gedichte, nirgend vor- greift.

Dass der Druck wie die ganze Ausstattung den weitgehendsten Anforderungen der Hygiene entspricht, braucht kaum laesonders bemerkt zu werden. Ich wünsche der sorgfältigen Ausgabe die verdiente Verbreitung.

(Zeitschrift f. d. GymnasialWesen.)

Verlag der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin.

VERGILS ANEIS.

FÜR DEN SGHULGEBRAUCH

GKKÜRZT UND EUKLÄKT

VON

D«- PAUL DEÜTICKE.

ProrcBaor am UumbuldtaKyiunasIuin In llcrlin.

Erster Teil: Einleitung nnd Text (XIII a. 176 S.) in Leinw.

geb. Preis 1,50 M.

Zweiter Teil: Anmerkungen. (250 S.) in Leinw. geb. Preis

2,20 M.

Entsprechend dem den jetzigen Bedürfnissen angopassten Plane der Weidmannschon Sammlung enthält der erste Teil eine P^.inleitung über das Leben nnd die Schriften Vergils (S. I XIII), dann den fast nm die Hälfte gekürzten Text von 9890 Versen erscheinen 5|)30 aufgenommen mit sehr reicher Gliederung und kurzen Überschriften dcT einzelnen Abschnitte, wobei an die Stelle der ausgeschiedenen längeren Partieen ein kurzer verbin- dender deutscher Text tritt; der zweite Teil (250 S.) bietet die Anmerkungen zu dem aufgenommenen Texte.

In einer solchen Auswahl darf nichts fehlen, was für die Entwicklung der Ilaupthandlung und zur Würdigung der Haupt- personen von Wichtigkeit ist, wohl aber sind solche Partieen aus- zuscheiden, welche das Interesse des Schülers durch Verzögerung einer fesselnden Handlung zu beeinträchtigen und abzulenken geeignet sind, es sollen womöglich die dichterisch schönsten Stellen darin enthalten sein, und die ausgewählten Teile haben in sich abgeschlossene Bilder zu gewähren.

Von diesen Gesichtspunkten geleitet hat. 1). eine wohldurch- dachte und selbständige Auswahl aus der Änois getroffen, die einerseits dem Lehrer noch immer Spielraum genug bietet zu weiteri;n Str(?ichung(*n, andererseits aber bei Zuhilfenahme von kursorischer und Privatlektün^ ..fiJi"^^ bewältigt werden kann und so d(?m Schüler einen klaren Überblick über den ganzen Gang der Handlung und wohl auch eine abgerundetere Kenntnis der ganzen Äneis, als wenn er das unverkürzte Werk gelesen hätte, ermöglicht.

Der nach ganz richtigen didaktischen Grundsätzen und mit l^nisieht ausgewählte Text wird uns in sehr übersichtlicher Weise g<'boten, indem jedes einzelne Buch in III VI Teile, und diese wie<ler in weitere kürzere Abschnitte, gewöhnlich je 3 5, ein- geteilt erscheinen. Dadurch sowie durch die Überschriften der einzelnen Büchor und Abschnitte wird eine vollständige Dis-

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Position und in kUrzestor Form eine Inhaltsangabo des ganzen Werkes geboten. Die Überscliriften sind kurz und bündig, dem Inhalte angepasst, mitunter aber etwas zu modern und, wenn man will, zu poetisch ausgedrückt.

Die jedem Buche vorangeschickten Mottos haben den Zweck, den Grundton für die Stimmung des ganzen folgenden Buches anzudeuten, und in den meisten Fällen scheint mir die Wahl derselben recht glücklich und gelungen zu sein, um diesen Zweck zu erreichen; vgl. z. B. zu I aus Schillers Kranichen des Ibykus: „Von fernher kommen wir gezogen Und flehen um ein wirtlich Dach", oder zu IV aus Don Carlos: „Was ist das Leben ohne Liebesglanz? Ich werf es hin, da sein Gehalt verschwunden". Ks sei auch erwähnt, dass diese heiTlichen, grossenteils der deutschen Schullektüre entlehnten Mottos der Konzentration dos Unterrichts zu dienen geeignet sind.

Den Kommentar darf man sich nicht etwa als eine blosse Präparation denken, durch welche dem Schüler einfach., diis Nachschlagen der Vokabeln ganz erspart und die fertige Über- setzung aller schwierigeren Stellen geboten wird, anderseits aber auch nicht als einen Kommentar mit einem umfangreichen wissen- schaftlichen Apparate, sondern es ist ein für die wahren Bedürf- nisse der Gymnasiasten berechneter, wirklichorSchülerkommentar, dem freilich auch in wissenschaftlicher Beziehung eine Bedeutung nicht abgesprochen werden kann. Er enthält nicht bloss in kürzester Fassung und von allem wissenschaftlichen Beiwerke losgelöst die für das formale und sachliche Verständnis des Textes notwendigen und eine gute Übersetzung anbahnenden Erklärungen der Ladewig-Schaperschen, bezw. Doutickeschon Ausgabe vom Jahre 1891, sondern es sind zu einer mitunter noch grösseren Anzahl von Versen Anmerkungen dazugekommen, viele beruhend auf selbständiger Benutzung anderer Erklärer, nicht wenige, die in geistreicher Weise Eigenes und Neues bringen. Diese Er- weiterungen schienen notwendig zur Beseitigung gar mancher für die Schüler, die ja jetzt rascher lesen sollen, ohne Unterstützung nicht leicht zu bewältigender Schwierigkeiten. Freilich ist auch jetzt noch der Erklärung des Lehrers ein ziemlich weiter Spiel- raum gelassen, insbesondere in realer und ästhetischer Hinsicht. Enic ausführlichere, eingehende ästhetische Würdigung hat die Schildbeschreibung in VIII erfahren. Am reichsten sind natürlicher- weise die Anmerkungen in den zwei ersten Büchern, in den folgenden Büchern werden sie bei wachsender Vertiefung all-

mählich sparsamer: sie sind im allgemeinen knapn, aber völlig ausreichend und in klarer Weise zum Ausdruck georacht.

Die Einleitung ist der Bildungsstufe, auf der Vergil ge- lesen wird, in mustergiltiger Weise angepasst und enthält nicht zu viel, nicht zu w«;nig. Die äussere Form ist tadellos und selbst rigorosen schulhygienischen Anforderungen entsprechond.

Dem Buche darf man eine schöne Zukunft prophezeien.

(Zeitschrift f. d. Gymnasial-Wesen.)

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HERODOTOS.

AUSWAHL FÜR DEN SCHULGEBRAUGH

VON

HEINRICH STEIN.

ERSTER TEIL. Text 8<> {V u. 208 S.) in Leinw. geb. l « Mavt

Anmerknngeii (44 S.) geh. | ^ "**'^*'

ZWEITER TEIL. Text. (228 S.) in Leinw. geb. \ «m Mot-v

Anmerkungen (55 S.) geh. ] ^'*" ^*'^^"

Vorliegende Ausgabe gehört zu der schon durch ^ute Aus- stattung sich empfehlenden Weidmannschen Sammlung gnechischor und lateinischer Schulschriftsteller mit Anmerkungen, die den neuen preuss. Lehrplänen ange{)asst sind. Wenn Heinr. Stein die Zahl der Schulherodote um einen vermehrt, so geben ihm seine Verdienste um die Erklärung Herodots hierzu volle Berechtigung. Bei seiner Auswahl hat er sich von dem ansprechenden Gedanken leiten lassen, dorn jungen Leser möglichst eine Überschau und einen Einblick des Ganzen und seiner eigenartigen Kunstform, sowie ein Bild der Persönlichkeit des Autors zu geben. Dazu dient insbesondere eine 10 Seiten umfassende kurze Übersicht der Geschichten Herodots, die auch den> zweiten Bande beigegeben werden wird. Der erste Band umfasst Stücke aus den fünf ersten Büchern, von denen nur bei der ersten Hälfte von No. 39 (Peisistratos und seine Söhne) die Reihenfolge gefjenüber Hcrodot zu ändern war. Das letzte Stück, No. 42 (die Alkmeoniden, VI, 125— 131J fällt wohl in der herodotcischen Reihenfolge^ vor die ersten Abschnitte des noch nicht erschieneneu zweiton Teils. Der erste Band enthält die Geschichte des Kroisos, des Kvros, des Kambyses und des Dareios bis zum Skythenfeldzug emschliess- licli, wobei Abschnitte wie über Land und Sitten der Babylonicr (I, 192-195), Land und Sitten der Ägyptier (II, 1—14. 65. G8— 70. 85-87), die Pyramidenorbauer (H, 124—129. 13G), I^byrinth und Mörissee (II, 147—150), König Amasis (II, 172-186), des Polykrates Glück (III, 39—43), die Lakcdaimonier gegen Polykrates (III, 44—47. .54—56), Ausgang des Polykrates (HI, 120—128) eingereiht sind, und Athens Geschichte von Peisistratos bis Kleisthenes ein- schliesslich, sowie endlich die Geschichte der Tyrannen in Korinth. Die Anmerkungen, die ein besonderes Heft bilden, beschränken sich auf das Sprachliche und sind auch auf diesem Gebiete nichts weniger als eine Eselsbrücke. Wo man den Schülern jede Arbeit beim Präparieren erlassen will, da empfiehlt sich deshalb diese Steinschc Auswahl nicht. Dagegen wird sie, was sie will, auch leisten, sie wird dazu beitragen, dass die Klassenlektüre, befreit von unergiebigen grammatischen und lexikalischen Erklärungen, in rascherem Plusse von statten geht und Raum lässt zur Be- lehrung über bedeutsamere Schwierigkeiten, zu sachlichen Er- örterungen und, vor allem, um zu einer guten und stilgerechten Cborsotziing anzuleiten. (SUdd. Blätter f. höh. Unterrichtsanst.)

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THUKYDIDES.

AUSWAHL FÜR DEN SCHULGEBRAUGH

VON

HEINRICH STEIN.

Erster Teil: Text (VI u. 180 S.) in Leinw. geb. | «.

Anmerkungen (62 S.) geh. j '^ ^^^'

Der zweite Teil befindet sich bereits im Druck.

Aus dem Vorwort:

Diese erste Hälfte der Auswahl erstreckt sich auf die Vor- geschichte und den ganzen Verlauf des Archidamischen Krieges. Von dem einleitenden Teil des Werkes sind nur vier Stücke aus- gehoben, von denen die beiden ersten die Gründung der atheni- schen Herrschaft und die zum Kriege drängenden allgemeinen Verhältnisse betreffen, während die Ibeiden m ihrem Tone an horodotische Weise sich anlehnenden Episoden über Pausanias und Themistokles um ihrer selbst willen bevorzugt, aber in die der Zeitfolge entsprechende Stelle gerückt sind. Auch die folgen- den Stücke sind so gewählt, dass sie, mit Ausschluss der mehr beiläufigen und für das Verständnis entbehrlichen Ereignisse den Gang des Krieges in allen Hauptmomenten und in fort- laufendem Verbände vorführen. Von den zugehörigen Reden sind die kleineren und leichteren alle, von den grösseren nur die für das historische Verständnis nicht wohl entbehrlichen auf- genommen.

Der Text schliesst sich in den Wortformen fast durchgängig der Stahlschen Bearbeitung an. Die sonst aufgenommenen Änderu^igen, eigene wie fremde, werden hoffentlich dem ein- sichtigen Beurteiler als berechtigt erscheinen, zumal in einer Schulausgabe, welche als Unterlage für eine sinn- und sprach - gemässe, allem künstlichen Deuten und Drehen entsagende, gesunde Erklärung und Übersetzung dienen will. Verhältnis- mässig am häufigsten, und in Übereinstimmung mit dem urkund- lichen Zeugnis über den überlieferten Zustand des Textes, ist zur Lösung kritischer Schwierigkeiten das einfachste aller kritischen Heilmittel, die Ergänzung unentbehrlicher Wörter, mit dem Zeichen < ), angewendet worden. Als unecht angesehene Sätze und Wörter sind ausgeschieden.

Die möglichst knapp gehaltenen Anmerkungen werden, wie ich hoffe, ausreichen, um dem Schüler das sprachliche Verständnis bei der Vorbereitung soweit zu erleichtern, dass der Lehrer für die Erklärung des Inhaltes und die zu erzielende angemessene Übersetzung breiteren Raum erhält. Bei besonders schwierigen Stellen ist der Sinngehalt, hier und da auch eine Übersetzung gegeben worden.

Der demnächst folgende zweite Teil wird die Geschichte des sikelischcn Krieges und seiner unmittelbaren Folgen enthalten.

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Noch vor Ostern orschoint:

PLATONS

AUSGEWÄHLTE DIALOGE.

I.

APOIiOaiE, KSITON

NEBST ABSCHNITTEN AUS ANDEREN SCHRIFTEN.

ERKLÄRT VON

D»- HANS PETERSEN,

Oberlehrer am Uymnaaium in Flonaburg.

INHALT.

I. Materialien zur Charakteristik des Sokrates. (1. Xenoph. Hell. I 7,1—15,34—35; 2. Xenoph. Memor. 12. :«— 38; 3. Flato Symp. 215A— 92aA; 4. Aristoph. Wolken •.»2— n»4, 112—118, 218-2^5; 5. Aristot. Metaph. I 6, XII 4; 6. Plato rhacd. 96 A bis ;iyi); 7. Plato Thcaet, 150U 151D.) H. Anolüf^ic und Kriton.

III. Abschnitte aus anderen Dialugen Platous: I. Phaed. 57A 69E, lUD— li$ (Anfang und Scliluss): 2. Tlieaet, 172 C— 1770; 3. RepnbL 514 A— 518 H; 4. Menon 8»E y4E; 5. Phai'dr. 274 C 277 A.

IV. Anhang, enthaltend einige Stellen zur Illustration der Apologie und den Kritou. V. Anmerkungen zu I, II, lY.

V 0 K W O R T.

Diese Au8gal)e der für die Schullektürc sieh eignenden Dia- loge Phitons entspricht in ihrer Einriclitung im wesentlichen (Ion Forderungen, die Bräuning (Jahrb. f. Phil. u. Päd. 142, 336 ff.) für eine Schulausgabe aufgestellt hat; sie enthält sich jeglicher sachlichen Erklärung, es sei denn, dass eine solche selbst uir ein vorlilufiges Verstänanis des die Übersetzung vorbereitenden Schülers durchaus nötig erschien.

Auf der folgerichtigen Durchführung des Grundsatzes, dein Unterricht des Lehrers nicht vorzugreifen, beruht es, dass ich nach dt»in Vorgänge Cauers (in seiner Schulausgabe der Odyssee) als Einleitung nicht eine von mir verfasste Darstellung del» Lebens und der Lehre des Sokrat<'S gegeben, sondern die Materialien zusammengestellt habe, auf d«»nen jede solche Darstellung sich aufbauen muss. Wenn di«» Kürze der Zeit dem Lehrer auch nicht gi'Statton wird, alle diese Stücke in der Klasse mit den Schülern zu I(»sen, so wird er doch das eine oder andere mit Nutzen dazu verwenden und die übrigen der Privatlektüre des Schülers überlassen können.

Nach Härders Beispiel (in seiner Schulausgabe des Thukydides) habe ich einige kurze Stellen aus verschiedenen Schriftstellern angehängt, die djus Verständnis der beiden ])Iatonischen Werke zu beleben und zu vertiefen geeignet sind.

Endlich ist eine Anzahl anderer umfangreicherer Abschnitte von Phitons Dialogen beigefügt worden, deren Wert ich nicht darzulogen brauche. Diese Stellen sind ohne Kommentar gelassen, weil ich der Meinung bin, dass der Lehrer sie am besten als Vorlagen zu unvorbereiteten mündlichen und zu schriftlichen lll)erset Zungen wird gebrauchen können.

Der Text hat zur Grundlage die Ausgaben von Schanz, dessen Koinnientar ich viel Anregung und Belehrung verdanke.

Druck Miii li. lt> riiati. in in Itnlin.

Mitteilnngen

der Verlagsbuchhandlung

B. G.Teubner 35 in Leipzig.

28. Jahrgang.

Diese in S monatlichen Zwischenränmen Teröffentlichten Mit- ._ teilongen, die onenigeltlioh in allen Sortimenttbnohhand- a r\r\w

Vl|| Q langen sowie auch Ton der Verlagsbuchhandlung su haben | WQ^ XI I, \j, sind, sollen das Publikum Ton den erschienenen, unter der xOU%J*

Presse befindlichen und vorbereiteten Unternehmungen des Teubnerschen Verlags in Kenntnis setsen.

Erste Abteilimg.

Anzeigen über künftig erscheinende Bücher.

I. Philologie und Altertuinswlssenscliaft.

Philologisohe Studien zu Flato von Otto Immiscli. 1. Heft.

Axiocbus. gr. 8. geh. (Siehe auch Seite 169.)

Von der Verlagsbuchhandlung mit der Neubearbeitung der C. Fr. Hermannschen Flatoausgabe an Stelle des durch Gesundheitsrück- sichten behinderten Herrn Rektor Wohlrab beauftragt, habe ich den Wunsch geäuTsertf über eine geeignete Gelegenheit zu yerfü^en, um Rechtfertigungen, Voruntersuchungen und andere Parerga, die meine Beschäftigung mit Plato ergeben hat nnd ergeben wdrde, nach Belieben und unabhängig zu yeröffentlichen. Auf diesen meinen Wunsch ist die Verlagsbuchhandlung mit gewohnter Liberalität eixigegangen, und so beginnt hiermit eine freie Folge von anspruchslosen Heften, die ich der freundlichen Teilnahme der Fachgenossen empfehlen möchte. Dafs gerade mit einem Pseudepigraphum begonnen wird, dessen Text auf einer vor- läufig noch recht unsicheren Basis aufgebaut werden mufste, hat in dem Zufalle seinen Grund, dafs die Hauptgedanken dieser kleinen Unter- suchung schon seit einer längeren Reihe von Jahren mich beschäftigten und endlich zum Abschlufs gebracht werden mnfsten. Der hier gebotne Text soll im wesentlichen nur zur Veranschaulichung der Resultate uns r er Textanalyse dienen, nebenher auch eine vorläufige Probe sein für die Haltung meiner Kritik im ganxen, die bessernder Belehrung sich niemals verschliefsen wird. Die Untersuchung selbst bemüht sich nachzuweisen, dafs uns im Axioclnistext eine oberflächliche Redaktion unvollständiger Konzepte vorliegt, deren ursprünglieh beabsichtigte Folge sich noch mit grofser Wahrscheinlichkeit ermitteln läfst. Die Herstellung der vom Verfasser beabsichtigten Ordnung läfst erst die Tendenz des Schriftchens deutlich hervortreten: es ist ein Angriff der Akademie gegen Epikur; und als Abfassungszeit ergeben dich die letzten Jahre des vierten Jahrhunderts.

1895. Nr. 6.

160 Kilnftig encheinende Bücher. [Mitteilnngeii

Das nächste Heft, das hoffentlich in nicht zu langer Zeit nach- folgen wird, soll u. a. eine beqneme Zusammenstellung und kritische Würdigung der Papyrusüberliefening des Platotextes bringen.

Jahrbücher für olaasiBChe Philologie. Heratuigegeben von

Alfred Fleckeisen. XXII. Supplementband. gr. 8. geh.

Dieser Band wird femer u. a. noch folgende Abhandlungen enthalten^ die auch einzeln zu haben sind:

E. Drerup, de Isocratis orationibus iudicialibus quae- stiones selectae.

Die Arbeit stellt sich die Aufgabe, den vernachlässigten Gerichts- reden des Isokrates eine gröfsere Beachtung zu sichern, als ihnen bislang zuteil wurde. Sie behandelt daher zuerst die Gespaonrede in der Ab- sicht, ihren historischen Kern festzulegen, sucht dann ihren rhetoriBchen Charakter näher zu bestimmen, um endlich ihre Priorität gegenüber der Lysianischen Rede gegen Alkibiades zu erweisen. Die Untersuchung erstreckt sich im zweiten Teil auf die juristische Seite des Trapezitikos, dessen volle Übereinstimmung mit dem attischen Recht nachgewiesen wird, so dafs für den Zweifel an der Echtheit der Rede kein Raum mehr bleibt. Im dritten Teil endlich stellt sich die Unechtheit des Amartjros heraus, während der Trapezitikos mit Wahrscheinlichkeit für den echten Amartjros des Isokrates in Anspruch genommen wird.

L. Gurlitt, zur Überlieferungs -Geschichte von Ciceros epistularum libri XVI.

Der von Orelli aufgestellte Satz, dafs für Ciceros sog. epp. ad. fam. der cod. M(ediceu8) 49, 9 Stammvater der gesamten ÜW- lieferung sei, hat sich als unhaltbar herausgestellt. Nachdem erst die codd. Harleiani in London (2773 und 2682) und der Parisinas 17812 als unabhängig von M erwiesen waren, wurde von L. Mendelssohn erkannt, dafs auch der codex D (Palatinus 598), obschon erst im aus- gehenden XV. Jahrhundert entstanden, doch einen Text biete, der an Güte dem M nichts nachgiebt und auf eine den Harleiani näher stehende Vorlage zurückgeht. In der vorliegenden Untersuchung soll erwiesen werden, dafs dieser cod. D in Deutschland entstanden und eine un- mittelbare Abschrift desselben vortrefflichen codex sei, welcher im X. Jahrhundert im Kloster S. Nazarii zu Lorsch katalogisiert wurde, vermutlich aus früheren Jahrhunderten stammte, und Ende 1527 dort von Joh. Sichard gefunden und zu der Ausgabe Crat anders (Basel 1528) herangezogen wurde. Durch eine Untersuchung über Cratanders Arbeits- weise sollen die Gesichtspunkte gewonnen werden, durch welche eine Rekonstruktion dieses verscholl ('neu Laurisheimensis zu gewinnen sei. Die Ergebnisse müfsten, wenn als richtig anerkannt, auch für die Rekonstruktion der übrigen von Cratander benutzten alten Handschriften von Bedeutung sein. Das gilt für die Briefe Ciceros ad Atticum, ad Quintum fratrem, ad M. Brutum, für die Schriften de finibus, Academica, de divinatione, or. in P. Vatinium, in L. Pisonem n. a. m. Für alle diese Schriften würden wir, wenn Cratanders Benutzung seiner handschriftlichen Vorlagen klargelegt wird, gleichsam neue Hss. von hervorragendem Alter gewinnen, während eine wissenschaftliche Behandlung von Cratanders Lesarten unmöglich blieb, so lange sein Benutzungsverfahren unbekannt war.

Die Abhandlung beschränkt sich zumeist auf Ciceros Briefe ad fam. und sucht auch das sonstige Dunkel inbetreff ihrer Überlieferungs- geschichte, das selbst nach Mendelssohns grundlegender Ausgabe (lieser Briefe noch übrig blieb, im Zusammenhange aufzuklären.

1896. Nr. 6.] Philologie und AltertomswisBenachaft. 161

SS. Komemaniiy die historische Schriftstellerei des C. Asinius Pollio. Die oft fast wörtlichen Übereinstimmangen zwischen Appian bell, civ. lib. II und Plutarch in den Biogr^hien des Caesar und Pompejus lassen zwar nur selten eine wirkliche Rekonstruktion der gemeinsamen Vorlage, der Pollionischen Historien, zu, geben aber daSr die Mög- lichkeit, gewisse Eigentümlichkeiten des Werkes, durchgehende Grund- anschauungen, die Auffassung hervorragender Momente der betreffenden Zeit und der oedeutendsten Persönlichkeiten seitens Pollios zu erkennen. In der Quellenfrage ist zurückzukehren zu der Annahme einer direkten Benutzung des PoIlio oder einer griechischen Übersetzung bez. Ezcerptes aus dessen Werk durch Appian und Plutarch; auf alle Fälle ist die Hypothese Judeichs und Ottos, dafs Strabo die Mittelquelle sei, ohne irgend ein stichhaltiges Argument. Die Appianisch-Plutarchische Dar- stellung trägt deutlich den Stempel Pollionischer Eigenart, wie schon ein Vergleich mit Horaz od. II 1 zeigt: sehr auffälliges Hervordrängen der eignen Persönlichkeit des Autors, stellenweise Versuche einer kritischen Betrachtungsweise der Ereignisse, dabei aber Mängel in Topographie und Chronologie infolffe der Gruppierung der Thatsachen nach Schauplätzen, und sachlichen Gesichtspunkten, stete Verknüpfung der Ereignisse unter starker Heraushebung der Personen (gute Charak- teristiken!), die vom Standpunkte des Republikaners betrachtet sind, ohne einseitige Parteinahme für Caesarianer oder Pompejaner. Weiter- hin aber kennzeichnet besonders das Werk eine fatalistische Auffassung, ein warmer Patriotismus, der sich in pessimistischen Betrachtangen über den Bürgerkrieg und die Gesunkenheit des eignen Volkes Luft macht, sowie eine tragisch-rhetorische Darstellung voll grofser Lebendigkeit und Unmittelbarkeit. Dieses, wie die zahlreichen, eingestreuten dichterischen Citete und sonstige litterarische Notizen verraten den Verfasser als Dichter und Litteraturkenner ersten Banges. Pollio ist nicht nur in sprachlicher Beziehung, sondern auch in der künstlerischen Auffassung und der rhetorisch -dramatischen Behandlung der Geschichte ein Vor- läufer und Vorbild des Tacitus gewesen. Pollios Werk liegt auch bei Appian b. c. ÜI— V zu Ghrunde, ja es erstreckte sich, wie der Ver- fasser wahrscheinlich zu machen sucht, bis zur Schlacht bei Actium (728/31). Horaz hat für die erwähnte Ode nur der I. Teil desselben ( 710/44) vorgelegen. Die Abfassung der Pollionischen Historien ist viel später zu setzen, als man seither Raubte. Die Landgraf -Wölfflinsche Hypothese, dafs Pollio der Verfasser des Conmi. de belle Africo sei, ist vom Standpunkt des Sprachforschers wie des Historikers gleich unhaltbar und dauernd aus der Diiskussion auszuscheiden.

E. LommatzBoh, quaestiones luvenalianae.

Zu der Abhandlung konnte der codex Pithoeanus selbst in Bonn benutzt werden. Aus der Untersuchung des Verhältnisses der bisher fast unge- kannten Interlinearglossen (glp) zu den Schollen und Lesarten der Hand- schriften 2. Klasse ergiebt sich, dafs P nicht der Archetypus dieser Handschriften sein kann. P etwa gleichzeitig und sehr ähnlich ist derjenige Codex, aus dem die Juvenal^^lossen des cod. Paris. 7730 (bei Gtoeiz V p. 662 56) zusammengestellt sind; glp geben das beste BUd von der s. g. Nicäusrecension, nächstdem der codex Paris. 9846. Diese Recension stammt von einem Schüler des Servins, der auch einen Kommentar schrieb und sich eng an seinen Lehrer anschlofs; ein verwässerter Auszug daraus liegt in dem Kommentar des s. g. Comutus vor. Es schien angemessen, die Inter- linearglossen vollständig zu veröffentlichen. In den Anmerkungen werden die Quellen der Glossen angegeben, ferner die zahlreichen Parallelstellen aus den Glossarien und was sich in ihnen auf Juvenal zurückführen liefs.

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IQ2 Kfinftij? erscheinende Bücher. [Mitteilt

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Bibliotheca scriptorum Graecoruin et ßomanorum Teubneriana.

? Textausgaben.

Scriptores sacri et profani. Auspiciis et munifioentia Sere:

niorum Nutritorum almae niatris lenensis ediderunt sem philologoiTim Ienenä<is magistri et qui olim sodales fuere. 8.

(Vorläufige Ankündigung.) Im Jahre 1896 werden erscheinen: Fase. I: loannis Alexandrinl cui nomen Philoponi de o •i mundi 11. VI. Recensuit Gualterus Reichardt Virnariensis.

Fase. 11: Patrnm Nicaenorum nomina graece, latine, sj coptice, arabice, armcniacc. Sociata opera ediderunt Uenricus üc Henricus Hilgenfeld et Otto Cuntz. Dann sollen folgen: Fase. 111: S. Synieoiiis Sali vita auctore Leontio, episcopo politano. Ex tribus codicibus Laurentiano, Vaticano, Vindobonensi Ernostufl Gerland Casselanus.

Fase. IV: Cosmae ludicoplenstae topographia christiana. Bernardum de Montfaucou iterum edidit Georgius Siefert Vimar I \ Fasc.V: Dorothci, Epiphanii, Hippoljti, Irenaei, Sym

^ ' logothetae (luae feruntur de XII Dni nostri lesu Christi aposto

LXX dißcipulis fabulae. Ex codicibus graecis, syriacis, armeniacis s< opera ediderunt Henricus Gclzer et Ernestns de Dobschütz Fase. VI: Anonymi narratio de rebus Armenioruna a S. Gr illuminatoris temporibus ad nostram usque aetatem gestis. Rec< Oscurus Streicher Altenburgensis.

Fase. VII: Des FaustiisvonByzanz Geschichte Armeniens, VIBi Ins Deutsche übersetzt von Heinrich Geiz er und Leo Babajai Fasc.VIll: Des Stephnnos Aso/ik ans Tarön Universal gei>cl] Aus dem Armenischen ins Deutsche übersetzt von August Burckh Fase. IK: Das Leben des syrischen Katholikos laballaha« j dem Syrischen ins Deutsche übersetzt von Heinrich Hilgenfel(

1 Fase. X: Demctrii Chomatiani^ urchiepiscopi lustinianae

; : Bulgarorum, epistulae. Post loannem Baptistain cardinalem Pitra i

f ! edidit Gualterus Heusehkel Viuiariensis.

Fase. XI: Georgli Syncelli chronographia. Ediderunt sociata li i I Henricus Geizer et Gualterus Keichartlt.

Fase. XII: Chronograph! Yiudoboucusis opusculum. Edidit mannus Planer.

Fase. XllI: Syiiodi Constantinopolitanäe quae a. p. Chr. i habita est acta. Kdidit Henricus Gclzer.

FiLt>c. XIV. DesZacharlaKYonMytileneKirchengchchichte. Ai Syrischen übersetzt und erläuteit von KarlAhrens und Gustav Kr

Georgii Acropolitae historia. Ad codioum fldem rece;

Ai.'GUSTUtJ Heisenberg. Accedunt eiusdem auctoris

minora nunc primuin edita. 8. g;'h.

Das Werk des Georgios Akropolites, das die Geschieht« Kaisertums von Nikäa vom Jahre 1204 bis zur Wiedereroberunj Konstaniinopel im Jahre 1201 behandelt, soll in neuer Gestal Philologen und Historikf-rn dargeboten werden. Die Ausgabe I. Bekker, Bonn 18iJü, hat wie die meisten ihrer LeidensgenosE im Bonner Corpus, diesem grofsen Krankenhause in der Philologie

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1896. Nr. 6.] Philolo£fie und AltertamBwisseiiflchaft. 163

nicht genügend sorgfUltige Behandlung gefunden. Sie ist nichts als ein Abdruck der Pariser Ausgabe des Allatius vom Jahre 1661, die nach einer vatikanischen Handschrift hergestellt war. Auf Grund von neun bisher unbekannten Handschriften wird jetzt eine neue kritische Be- arbeitung des Textes unternommen. Die Grundsätze derselben hat der Herausgeber in seinen ,,Studien zur Textgeschichte des G^eorgios Akro- polites, Landau 1894", entwickelt. Die Bearbeitung, die das Werk im 16. Jahrhundert gefunden, ist da, wo es von einigem Nutzen sein konnte, zu Rate gezogen worden; über ihren Wert für die Textgestaltung wie über die ganze Handschriftenfrage wird die Vorrede Auskunft geben. Schon bald nach dem Tode des Akropolites wurde das Geschichtswerk von einem seiner Bekannten excerpiert; die selbständigen Zusätze, die derselbe gemacht und die von grofsem historischen Interesse sind, wird der Herausgeber als Anhang unter dem Titel „continuator Acropolitae" nach zwei Handschriften yeröffentlichen. Ebenso werden zum ersten Male eine Reihe von kleineren Schriften des Akropolites den Forschem übergeben. Es sind theologische, rhetorische und poetische Werke, denen sich eine Anzahl von Briefen anschliefsen soll. So wird diese neue Ausgabe sämtliche Werke des Akropolites enthalten, soweit wir von ihnen Kunde haben. Ausführliche Indices sollen die Benutzung erieichtem.

München. Aug. Heisenberg.

Nioephori Blemmidae de vita sna narratdones duae. Nunc

primmn edidit Auoustus Heisenbero. 8. fieh.

Nach einer Münchener und einer Florentiner Handschrift werden hier zum ersten Male zwei autobiographische Erzählungen des Nikephoros Blemmides yeröffentlicht. Die Bedeutung dieses Mannes, einer der heryorragendsten Erscheinungen unter den griechischen Theologen und Philosophen des XHI. Jahrhunderts, ist im Zusammenhange bisher nirgends gewürdigt worden, und seine Lebensverhältnisse waren nur in allgemeinen Umrissen bekannt. Die meisten seiner übrigen Werke^ die sich mit Philosophie, Theologie, Geographie und anderen Wissensgebieten beschäftigen, liegen zum gröfsten Teil wenigstens in älteren Ausgaben vor. Ein Einblick in die Persönlichkeit und Eigenart des Blemmides denn dafs es auch unter den Byzantinern Eigenarten gegeben, wird erfreulicherweise nach und nach allgemeiner erkannt und anerkannt wird aber erst durch die Ausgabe seiner Selbstbiographie ermöglicht. Aufserdem ist das Werkchen von hervorragendem Interesse für die innere und äufsere Geschichte des byzantinischen Reiches in jener Zeit. Neues Licht wirft dasselbe ferner auf die Institutionen der griechischen Kirche und die theologischen Beziehungen der Byzantiner zum Abend-, lande; es ergänzt in wünschenswerter Weise unsere Kenntnisse der Kon- zilien jenes Zeitraumes, die wir bisher ausschliefslich aus lateinischen Quellen schöpfen mufsten. In der Vorrede wird eine kurze Übersicht über das Leben und die Werke des Blemmides vorläufig orientieren. Wo es nötig ist, soll der Text durch Anmerkungen und einige Inedita er- läutert werden. Ein ausführlicher Index wird den Gebrauch der Aus- gabe erleichtem.

München. Aug. Heisenberg.

Mythographi Graeci vol. n. faso. I. Parthenii libellus ;re^l

^pcöTixöv na^rjuccTCDVj ed. P. Sakolowski. Antonini Liberalis fiSTafWQqxoCscav avvayooyr), ed. E. Martinl 8. geh.

An die Ausgabe des Apollodor schliefst sich in der Neubearbeitung der griechischen Mythographen zunächst das Schriftchen des Parthenios,

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l(j4 Eflnftig «ncheinende Bflcber. fHitteilD

jetzt ohnehin «chwer cusänglich, da die letiten Ätugaben (Hein Aualecta Äleiandrina, Hercher'a Erotici) Tergiiffeu Bind. Die Am beruht auf einer griiudlicheu }i ach vergleich ong der Handschrift Beobachtungen de» oft eigentümlichen Sprachge brauch s ; sie wird UberHeferuag TolUtändig, die Konjekturen der Neueren in Ana geben. Auch Hinweise auf die niTthographiache FamUellitteraitar nicht fehlen. Die Praefatio wird anfser den Nachrichten über B Schrift und Ausgaben BemerkunKsn granunatiBcher und litierarhistorii Art enthalten, beigegeben wird ein Index fontium und uominum et re Auch für Antoninaa LiberaliE, dessen Textgestaltung bei Wc mann wie allen übrigen sehr unzulänglich war, hat eine gewiasenl Kollation des Palatinus und die genaue Observation de« merkwf konstanten Sprach gebiauchs nach dieser Seit« hin iat die E durch die aorgfllltigen Arbeiten von Oder und Blum sehr ^efSi worden eine sichere Grundlage geschaffen, wenngleich bei dii Schriftsteller infolge der stark korrumpierten Dberlieferong der I jekturalkiitik ein weites Feld geöifnet ibt. Der Heruusgeber bat jedoch bemQht, zwischen zu radikali^r und zu konservatiTer Kritik Mittelweg zu halten. Praefatio und Indices werden das Wi« werteste über Antoninua bringen, namentlich soll ein Index gramnul der cigentihnlicben Sprache die erforderliche Beachtung «cbenkeu. GOttIngen und Leipzig, im Oktober 1896. P. S. E. 1

B. G. Teubners Schölerausgaben griechischer und lateinischer Schriftsteller. Sophokles' Tragödien, herausgegeben von Gymnasloldirel

Prof. Dr. C, Conradt. I. Antigene, Kommentar, gi

geb. (Siebe auch Seite 170.)

Der Kommentur macht sich zur Aufgabe, den präpariere] Schüler in den Stund zu ttetzen, genau, was dasteht, aufzufassen, fahrt ihn zun&chst jedesmnl in das Verständnis kleinerer Abschi durch eine kurze Inhaltsangabe ein und leitet ihn datui zu gründlii Auffassung des griechischen Ausdrucks und eprachlichen Uildea uni genauem Veraländniii der grammatischen Fügung an. Die Belehnu sind kurz und bestimmt gegeben und erklären nichts , was ein Du schnittsHcbQler selbst finden kann, setzen auch den Gebrauch des Lexil voraus. Citiert wird nur, wo ein Sprachgebrauch anschaulicher gemi werden soll, und nur aus der SchullektÜTC , rumeist nua dem OT Sopb. und ai;s Homer. In diesen Grenzen über ist auf Verknüpfung Wiederbelebung der Kenntnisse hingestrebL Übersetiungen dienen wesentlichen nur als bündige Erklllrunpen. Die Featatellung des ai messenen oder athönon Ausdrucks, auf den nur hiujrefiihrt wird, bl dem Unterrichte überlarsen, ebenao die sittliche Beurteilung und ästhetit Wiirdigune, besonders auch diu Untersuehnng des dramatischen Aufbi der Churaktcre und der leitenden Ideen. Das scheinen Dinge, i die ein Primaner mit eigner Anstrengung nachdenken und nach ( Mafse seiner Einsicht zu einem Urteil kommen mufs, um mit Fnj geför.lert und weiter lorecbtge wiesen werden in können. Metria Schemata sind durch die Zeichensetzung im Texte überflüssig gemai Einige Belehrungen aollen nur der Auffassung des Rhythmus und f Leser dienen, ohne sich auf die metriBche Theorie und Nomenkk weiter einzulassen. Der Kommeiitar zum König Oidipua wird b folgen. C (.'onrad)

1896. Nr. 6.] Philologie und AltertumtwiRseiuohafk. 165

Neuere Sprachen. A. Deutseh.

O. flSeife, unfere WlntUtSptai^t , i^x SBerben unt i^x SBefen.

Stueitc, öcrbeffcrtc Sluflagc. 6.-8. laufcnb. 8. 3n £cin=

tuanb geb.

@(^ne0er, a£S ici^ emartet l^atte, ift bie ftarfe erfte $(uf(age mtint^ @(^rift(^eng öergriffcn; üon aßen Seiten, \otot\t iä) feftc, in ber günftigiten S3eife beurteilt, l^at tS ft4 in Inr^ geit einen großen fieferftetd erobert unb l^offentlici^ an feinem ^eile baju beigetragen, bie ^bfici^t ju berttirflici^en, bie ber aOgenteine beutfc^e ©mc^üerein verfolgte, atö er bie int S^itel and- gel^roc^ene $reidaufgabe jur äöfung fteHte. S(uc^ englifd^en Sefern tuirb e$ n^o^I bemn&dift leic^ttr ^u^änglic^ gemacht merben, ha bie ^erlag^buc^^anblung einem ameiifaniid^en Umberfitötdprofeffor auf fein ^nfuc^en bie (Srlaubni^ erteilt ^at, ed ind (^glifc^e ^u überfe^en.

^ie /tmeite Auflage unterfc^eibet ftc^ mefentlic^ r)on ber erften. ^anci^e^ mistig ^tfd^einenbe ift ergan^enb eingefügt unb bafür ^ier unb ba weniger IBelangreic^ed geftric^en morben: einige ^Ibfc^nitte, befonberS ber über ben £autmanbel uno ber über bie ^ortbiegung, finb gemeinfaglici^er unb leichter berft&nblici^ bargefteOt, oerfd^iebene SteOen me^r im ^udbrutf geglättet unb übgerunbet, au% überaH bie neueften (Srfd^einun^en auf bem Gebiete ber fiitteratur l^erange^ogen morben. 2)en burc^ öffentliche ^Beurteilungen unb auf brieflichem SBege an mic^ gelangten SBünfc^en f^aht ic^ nac^ ^öglid^feit Sle^nung getragen, namentli^ ein SSorts unb Saci^regifter aufgearbeitet unb beigegeben, fo bag ber Umfang [ici^ borauiSftci^tHci^ etmad üergrö^ern tuirb. So möge benn baiS iBüd^Iein tn oerbefferter grorm feinen ^toeiten ®ang ^e^en unb [idi babei toieber ebenfoüiele ((reunbe ermerben, aU ed beim erften tm Saufe ber legten fünf 20lonate gefunbcn ^at!

eifenberg, e.*§a[. O. »eife.

Thomas Mxumer, die Gtöuohmatt. (Basel 1519.) Herausgegeben

von Wilhelm Uhl. Mit Einleitung, Anmerkungen und Ex- kursen, gr. 8. geh.

Von den gröfseren Werken Thomas Mumer^s sind die meisten den Fachgenossen jetzt zugänglich, und zwar fast durchweg in wissen- schaftlichen Ausgaben. Es fehlt bisher nur noch die „Gäuchmatt**, die allerdings bereits als Neudruck vorliefi^; man findet sie in Scheiole's ,,Eloster*S 8. Band, 2. Abt., Stuttgart und Leipzig 1847. Aber es ist jedem Germanisten zur Genüge bekannt, dafs die textlichen und sonstigen Eigenheiten des „Klosters*', dieses offenbar in aller Eile zusammengerafften Sammelwerkes, auch den geringsten philologischen Anforderungen in keiner Weise entsprechen. Der genannte Neudruck ist denn auch eigentlich so gut wie wertlos, und es fehlt daher immer noch an einer brauchbaren Ausgabe der Gäuchmatt.

Der Verfasser der hiermit angekündigten kleinen Arbeit will nun versQchen, diesem Übelstande abzuhelfen. Er bietet in erster Linie einen diplomatisch getreuen Abdruck des Werkes und ^ebt seinen Lesern Rechenschaft über die vorgenommenen oder Torffeschlagenen Änderungen. In der Einleitung sind femer einige litteramistorische Bemerkungen Torausgeschickt; auch wird dort eine Analyse des Gedichtes vor- genommen und seine Bedeutung gewürdigt. In den Anmerkungen und den Exkursen sind schliefslich noch einige Beobachtungen zusammen- gestellt, die der Murnerforschung vielleicht nicht unwillkommen sein werden.

Künftig encheineitclB Bflohei.

B. Französisch.

Dr. Otto SttrnttS ftonjöfifi^tS unb tngUf^el Unftrrii^tttR

^aä) ben Sleucn Sc^it)täiieti bearbeitet, ^tnnjäfif^"^ Z Se^rbuc^ bct frongöfifdien ©prat^e. SKit 6efon^erer rüdfid^tiDung ber Übungen im mfinblidien unb fcEiriftiii^en fre (äebraud^ ber Bpra^e. ®etur)lc MuSgolt (HttSg. C). gi

3n Seinroanb fleb,

S;er Strfoft« §ot fit^ üon ber Slotluenbigfeit flbngeugcn laffen, biejtniaen ©tbuten, in benen nur 5 ober 8 ga^e fiinburd) ober nur »enigen ©ot^enfliittben frQngBfi((t|fr Unterridit erteilt Wirb, ein« itil] Ote Stsffee, befonberä für bie Olerflnfe, eintreten jii lafTcn, um ertnfiglit^en, bag bei BCfamte üe^rftnff oom St^rti buidigtnommen Dom @d|ltler angeeignet, nnb bog für bie It^ttn 3a^Tt beS Unterrichts n 3eit für bi{ guianimen^ängeitbc Seltürr aemonnen netbe.

Sic «nBeatt C beftebt auA ! leiten;

l)8eStBBiS: entfinltenb ten Itntenidjtäftoff fQr bie erften 2%— 3 3

frongcriit^en Unterridilä ; babei bieten bie ExerciceB ber «njcinen

tioncn nur jufammenlidngenbe ÜfiungSftütft ober Süf^e, mel«^

ftoffli^tm ßufamnifn^arae flffien (Dgt. bie bisher erfcfiienenen leite

fluSgobe B fili habere 9Rdi^enfd|Ulen) ; bie StftQre btS flnbnng« nii

metir a\i im iic^rCnnbe uifprflnQlicber i^flung auf franjOftfi

ffultur= unb (öeifteätebcn SHfirffiat, unb enblitb »iU ber »erfi

nud) buT(^ ?1ufna{)nie eitiigcT 93iIb-lBeft)rediungeu ben ftnebau

OtoHif^en ©eile bea Untenit^H förbetn (sgl. Stuflgabe B, U. Teil).

S)Oler0Kft: ent^altenb eine Bearbeitung ber niidbtiflften fQntattüt

l£rfd)einungen, toeldic für i— 2 3aSic Ccbrilofl biet«, fo bog

prammatifc^e $en|um Dot oOer mit VlWauf beä i. ober 5. llnterrti

\at)teS abgeftbloffcn mirb. ^on ba an fallen nur no(^ itgelmd

SSieberliotungen ber Befeftigung cinjelnei gntmmatiii^er ?Ibid)i

bienen,

£ic ,. j>a II pt regeln ber franjafiidicn Qlranimatil" bleiben tnie bi

neben „Se^rbui^" unb „CbeiFiufe" bc^e^en, nur ift für brn oberen Stn

(fqnloTtifd;er Sln^ang) eint laefeHlli4t flut)UlB inS ^ugc gefagt.

Französisohe Iiaatlehre für Uitteldeatsohe, inabesondere Sachsen, von Dr. Paul Schümann in Dresden. U.Anfl. iit.6. {

Die That^ache, ilafa von einem Buche mit so l>eschränktein Aboi kreJB eine zweite Auflage nütig geworden iat, Bpriclit nchon von herein für dessen Berechtigung und Güte. Der Verfoeeer hat zum en Male von allen, die derattiRL' Anweisungen fflr franüöiiache Ausspra verütfeutlirht haben, die Mundai-t xu Grunde gelegt, während die friiht llerRnsgeber nur ganz allgemeine Regeln aufzustellen pflegten, die heschriinktcn Wert hatten, ja für manche deutsche Spracbgebi namentlich in Mitteldeutschland, zum Teil ganz wertlos waren, berühmte Lautpbjsiologe Prof. Dr. Sievera schrieb dem Verfasser b.

„Sie haben mit dem Werkchen den allein richtigen "fl eingeEcblagen , der zu guten praktischen Kesultatcn filhren kann, n', lieb den, die Anweisungen fitr die Aussprache auf ein bestimm Diali'ii tgebiet zu beschränken; denn bei der Mannigfaltigkeit deutschen Mundarten ln»sen eich scharfe Heatimmuugen, besonders n

1896. Nr. 6.] P&dagogik. Deutsche Schnlbfloher. 167

der ne^tiven Seite hin, absolut nicht geben. Aller Aussprachs- Unterricht mufs eben mit vollem Bewufstsein an die natür- liche Mundart des Schülers anknüpfen. Sobald wir nur erst eine Qenexation von Lehrern haben, welche sich zur Anerkennung und zur Vertretung dieses Standpunktes entschliefsen, werden auch die Resultate des Unterrichts ohne Steigerung der Arbeitslast viel befriedigender sein als heutzutage. Icn selbst habe bei elementarem Sprachunterrichte, den ich einmal zur Probe eine Zeit lang gegeben habe, die Erfahrung gemacht, wie leicht man bei richtigem Vernihren eine ziemlich gute Aussprache erzielen kann, und habe auch Ihre Be- obachtung durchaus bestätigt gefunden, dafs es den Schülern Freude macht, selbst die charakteristischen Unterschiede herauszufinden, wenn sie einmal über die ersten Anfänge hinweg sind.^*

Auch die übrigen Kritiken sprachen sich in ähnlicher Weise aus. Die 2. Auflage des Buches bringt, obwohl die erste geradezu Fehlerhaftes überhaupt nicht enthielt, ganz wesentliche Verbesserungen und Er- gänzungen, wobei die Winke der Kritik durchweg berücksichtigt worden sind, uanz besonders beachtenswert sind die Lehrstunden in mono- dramatischcr Form, die der Verfasser seinem Buche beigegeben hat. Wir sehen den Lehrer auf dem Katheder stehen und in lebendiger Bede und Wechselrede mit seinen Schülern beobachten und lernen. Das Lehrverfahren, das dabei zu Tage tritt, ist eehr originell und recht wohl geeignet zu zeigen, wie fruchtbringend die Lautlehre für den Sprach- unterricht gemacht werden kann.

Dafs allein die Lautlehre den Schüler befähigen kann, sich eine reine, von fremdartigem Klang freie Aussprache anzueignen, darüber kann nach den bedeutenden Erfolgen, die damit erzielt worden sind, nicht gut mehr gestritten werden. Doch besteht in den Kreisen der älteren Lehrer leider noch immer ein Vorurteil gegen die Lautlehre. Es heifst, es werde damit eine Wissenschaft in die Schule getragen, die Tiel zu hoch sei für die Aufiiahmefähigkeit der Schüler. Liest man die Schumannsche Lautlehre, so wird man sich bald überzeugen, wie verfehlt ein derartiger Einwand ist. Elementarer und einfacher kann nichts sein, als wie hier nach den mitgeteilten Lehrproben die Schüler mit den Ergebnissen der Lautlehre spielend vertraut gemacht werden, lediglich zu dem Zwecke ihnen eine gute Aussprache des Fran- zösischen beizubringen, nicht entfernt aber um sie zu Lautphysiologen zu machen.

Wir empfehlen unser neues Verlagsuntemehmen allen Lehrern der französischen Sprache im mitteldeutschen Sprachgebiet. Sie werden für dieses Hilfsmittel, welches die vorhandenen grofsen Schwierigkeiten des französischen Aussprachunterrichts so leicht beseitigt, dankbar sein, um so mehr, da jetzt auch von den Lehr- und Prüfungsordnungen auf freie Beherrschung der fremden Sprachen, mithin auch auf gute Aus- sprache weit mehr Wert gelegt wird als früher.

II. Pädagogik. Deutsche Schulbücher.

O. flBeife, utifete fBiuiitt\pxail^t , i^x SBetbett utib i|r SBefeti.

3U)citc, ücrbcffcrtc Sluflage. 6.-8. laufcnb. 8. 3n Sein? tpanb Qti.

SSgl. ^. 16.'.: Neuere Sprachen.

2

168 Künftig erscheinende Bücher. [Mitteilnngea

III. Mathematik, technische und Naturwissenschaften.

Theorie der Aberschen Funktionen. Von Dr. Hermann Stahl«

Professor der Mathematik in Tübingen. Mit Figuren im Text.

gr. 8. geh.

Das vorliege ade Werk soll im grossen und ganzen eine Dar- stellung von Biemann's Theorie der Aberschen Funktionen geben mit Einfügung dessen, was durch neuere Forschungen zu dieser Theorie hinzugekommen ist. Der Inhalt zer^lt in zwei Teile. Der erste Teil behandelt in vier Abschnitten die algebraische Grundgleichung, die rationalen Funktionen, die Aberschen Integrale und die eindeutige Tran»- formation; der zweite Teil in vier weiteren Abschnitten die Theta- funktion^ die Lösung des ümkehrproblems, allgemeine Darstellungen durch die Thetafunktion und die lineare Transformation der Theta- funktionen. Die Darstellung weicht insofern von der Biemann*8chen ab, als einerseits das Dirichlet'sche Prinzip vermieden ist, andrerseits eine naturgemäfse Einführung der Thetafunktion eingeschaltet ist. Die rationalen Funktionen werden rein algebraisch behandelt nach den Me- thoden der Herren Brill und Nöther; die Thetafunktion wird nach Herrn Weber aus den Eigenschaften der 2 p fach periodischen Funktionen von |>yariabeln hergeleitet. Die Lösung des Umkehrproblems und die aU- gemeinen Darstellungen durch Thetafunktionen sind im Anschlufs an eigene Arbeiten des Verfassers gegeben, sowie sie zur Einführung in die Theorie am zweckmäfsigsten erschienen. Auf spezielle Fälle ist nicht eingegangen, weil solche in den bekannten Arbeiten der Herren Prym, Neumann, Weber und Thomae einfi^ehend in Biemann'schem Sinne behandelt sind. Dagegen ist in der Einleitung eine Übersicht über die wichtigsten Sätze und Formeln aus der Theorie der elliptischen Funk- tionen vorausgeschickt und auf ihre Analogie mit den Sätzen und Formeln in der Theorie der Aberschen Funktionen hingewiesen.

Gmndzüge der Differential- und Integralrechnung. Von

Dr. 0. Stolz, ord. Professor an der Universität Innsbi*ack. In 2 Theilen. II. Theil: Complexe Veränderliche und Functionen, gr. 8. geh.

Der zweite Band enthält die folgenden Abschnitte: XI. A. Kom- plexe Veränderliche und Functionen. Ableitungen von Functionen complezer Veränderlichen. Die Kreisfunctionen für complexe Werthe des Arguments.

XII. A. Differentialquotienten einer complexen Function einer reellen Veränderlichen und einer Function einer complexen Veränder- lichen.

XIII. A. Die Integration der einfachsten analytischen Functionen einer complexen Veränderlichen rc, namentlich der rationalen Functionen von X und der rationalen Functionen von x und einer Quadratwurzel aus einem Polynom 2. Grades in x [und zwar der letzteren nach der Formel von Weierstrafs].

XIV. A. Bestimmte Integrale von complexen Functionen einer reellen Veränderlichen und von Functionen einer complexen Veränder- lichen.

XV. A. Der Cauchy'sche Integralsatz und seine wichtigsten An- wendungen.

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1896. Nr. 6.] Erschien. Bficher. Philologie fLAltertumawissensch. 169

Zweite Abteilnng.

Erschienene Bücher.

Sechster Bericht

über die im Jahre 1895 ersehienenen neuen Bäeher, Fortsetcangen

und neuen Auflagen.

I. Philologie und Altertumswissenschaft.

Orositis, Otto, ad Plutarchi de proverbiis Alexandrinorum libellum commentarius. . De proyerbiis Alezandrinorain libelli inediti fasciculus alter. [72 S.] gr. 4, geh. n. «^ 3.

Yoraoseige s. Mitteilungen 1895 Nr. S, S. 67."

Pügner, FranoisouB, lexicon Livianumviromm aliquot doctoram opera adiutus confecit F. F. Fasciculas VII: annuus A) audacia. [Sp. 1185—1376.] Lex.-8. geh. n. JL 2.40.

Orammatik, historische, der lateinischen Sprache. Bear- beitet von H. Blase (Giessen), J. Gollinö (Wien), ö. Land- graf (München), J. H. Schmalz (Rastatt), Pr. Stolz (Inns- bruck), Jos. Thüssing (Feldkirch), C. Wagenbr (Bremen) und A. Weinhold (Grimma). In mehreren Bänden. Ersten Bandes zweite Hälfte: Stammbildungslehre. Von Fr. Stolz. [VI u. S. 365—706.] gr. 8. geh. n. .^ 7.—

Yoranseiga s. Mitteaungen 1891 Nr. 8, 8. 61 bes. 1894 Nr. 5/6, 8. 117.

InuniBOh, Otto, philologische Studien zu Plato. Erstes Heft. Axiochus. [III u. 99 S.] gr. 8. 1896. geh. n. A^.—

Yoranxeige s. S. 159.

Lexikon, ausführliches, der griechischen und römischen Mythologie. Im Verein mit vielen Gelehrten herausgegeben von W. H. BosOHBR. Mit zahlreichen Abbildungen. 31. Lieferung. (Malis— Medeia.) [Sp. 2305— 2496.] Lex.-8. Jede Liefe- rung zu je 6 7 Bogen geh. n. JL 2.

SRettrer, $rofeffor Dr. $., gried^ifd^ed Sefebud^ mit äBortfd^a^. 2 Icüc. L IcH: 3ür Untcr^Icrtia. Stncitc, nac^ ben Slcuett Sc]^r|)Iäncn umgearbeitete Äuflaac. [IV u. 216 ©.] gr. 8. 1896. 3n ßeinmanb geb. n. .^2.—

IBotanaeige f. OHtteilungen 1895 9lr. 5, 6. 1S8.

Vergili Maronis, P., opera. Apparatu critico in artius contracto iterum recensuit Otto Ribbeck. 4 voll. Vol. IV. Appendix Vergiliana. [VI u 101 S.] gr. 8. geh. n. JL 3.

Voranzeige s. Mitteilungen 189S Nr. 4, 8. 97.

170 Erschienene Bücher. [MüteüimgeB

Bibliotheca scriptorum Oraecorum et Bomanonun Teubneriana.

Textaasgaben.

loaephi, Flavli, opera omnia. PoBt Immanuelem Bekkerum recognoyit Samuel Adriakus Nabe». 6 voll. Vol. V. [LX u. 392 S.] 8. geh. n. JC A.

Plauti, T. yaooi, comoediae. Ex recensioiie GsoRon Gosrz et

Fbidbbioi Sohoell. 7 fasce. Fase. Y. MoBtellariam, Persam,

Poennlnm complectens. [XI n. 207 S.] 8. 1896. geh.

A 1.50.

Hieraus einzeln: Mostellaria, Poenulus je JC .60, Peraa JC .45.

Yoranseige i. Mitteiltmgen 1895 Nr. 6, 8. 1S9.

Fase. VI. Pseudolom, Bndentem, Sticham

complectenB. [XXI u. 212 S.] 8. 1896. geh. JH 1.50. Hieraus einzeln: Pseudolus, Budens je JC .60, Stichus JC .46.

Faso. Vn. Trinommum, Tracolentum, frag-

menta complectens. Accedit conspectus metrorum. [XVIII n. 166 S.] 8. 1896. geh. ^ 1.50. Hieraus einzeln: Trinununus JC .60, Tmculentus JC .45.

Supplement um. De Plauti yita ac poesi

testimonia yeterum. Conspectus metrorum. [35 8.] 1896 8. geh. c^ . 46.

B. ö. Teubners Schülerausgaben griechischer und lateinischer Schriftsteller.

Sophokles' Tragödien. Herausgegeben von Prof. Dr. Cabl Con- SADT, Direktor des Eönigl. Gymnasiums zu Greifenberg i. Ponmu I. Antigene. Kommentar. [IV u. 44 S.] gr. 8. geb. A —.70.

Yoranseige i. S. 164 bes. Mitteilungen 1S95 Nr. 1, S. 8.

B. ö. Teubners Schulausgaben griechischer und latei- nischer Klassiker mit deutschen Anmerkungen.

Homers Odyssee. Für den Schulgebrauch erklärt von Dr. Karl. Friedrich Ameis, Professor und Prorektor am Gymnasium zu Mühlhausen in Thüringen. Zweiter Band. Erstes Heft. Ge- sang XIII XVIII. Achte berichtigte Auflage. Besorgt von Dr. C. Hentze, Professor am Gymnatium zu Göttingen. [IV u. 186 S.] gr. 8. geb. A 1.35.

Teabnen Mitteilungen 1896, N;r. 6.

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JC \

Crusius, ad Platerohi da proTerbUi Alezandrlaorom libel-

Itun oommentarius n. S.

Fü^ner, lexioon LiTianam. Faio. YII n. S.40.

Grammatik, hiitorisohe, der latein. Sprache. I, 2 ronStoIx n. 7.

Immisch, pbllologUohe Stadien la Plato. I n. 3.

Xjexikon der grieoh. u. rOm. MTthologie, ron Bosoher. 31. Lfg. o. i.

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Vergili opera, itemm reo. Bibbeok. 4 toIL Vol. IY . . . . n. 3.—

Bibltciheca teripiorum Graecorwm ei Romtmomm TeubnerioMtu

losephi opera omnia, reo. Naber. 6 roll. Vol. V n. 4.

Flauti oom., reoo. Goeu et SohoalL 7 fasoo. Faioo. Y, YI, YII Je 1 . 50.

Tnthturt SehüUrtmtgaben grteehüeher und laieimteher Sckri ^fs^eJUr,

Sophokles' Tragödien, roa Gonradt I. Antigone. Kom- mentar geb. .70.

1

I Tembners Schttiautgtiben grttehtseher und laieimteher Klassiker Maa^ .t£>'**i deuiseken Anmerktutgen,

Homers Odyiiee, TOn Ameia-Hentse. 11,1. 8. Aafl. ... l.Sö.

1 I Nettere Sprachen,

' j B oemer-TMergen, Lehrbaoh d . engl. Sprache. In Lnw. geb. n. 2 . 20 .

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Pldsgtglk. Peateehe Schslbacher. (S. 172.)

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neu bearbeitet Ton Sohmid und Speyer. IL Teil . geb. n. 3 .

MatheMStlk, iechMlBche md NatarwlweitshsfleM. (S. 174.)

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Ausgabe. I geb. n. 2.40.

B^raepelin, Natoretadien im Hanee. In Origlnal-Lnwbd. . n. 3.20.

Volkmann, Frans Kenmann n. 2.40.

Wassiljef, Nik. Iwan. liobaticheftkij n. 1.20.

Wüllner, die Lehre ron der WArme. 5. Aufl. n. 12.—

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Ort, Datum und Wohnung:

1^- Zu etwaiger Battllv»^ auf eim odtr ia» andere aar mte m met'nem Verlage erschienenen, in der vorliegenäeti Nummer Teubnerachen MiUeilungen angeeeigten'BOdter, »ei u(im Kavfc tmr cur Eineichtnahme , biüe ich sich det umstehenden BMeß-ZetteU Üenen unä denselben einer Sortimentsbwehhandlvng, mit deren Mehrt ich sowohl im In- als amA im Auslande in Verbindung stehe, awr A führung iüergeben tu woUen. Jede SortimentsbuehhaniUung loird Oeutänsäite endcetfer sofort vorkgen oder in kilrtester Zeit beidtaffen kSi» Meine gesehäflUchen Einriditvngen erlauben nttr nicht, meinen Ver immittelbar ans Publikum tu liefern.

B. 6. Tettbner*

unentgeltlich in allen Budihandlungen sowie aucA von B. O. TetA Ml Leiptig:

Bibliotb«oa philologloa Teubnerlana. Verzeichnis des Verloga i B. G. Teubner in Leipzig auf dem Gebiete der Philologie insb. Alf tanuwieseoecbaft. (AnbaDg; Zum Unterricht sweien) [109 8. U.-

TeraelobiÜB dea TerlagB von B. O. Teubnar In IielpEl£ auf di Qeblete der Mathematik, der teohiilaolieii und Natur wIsm Bohaften. Im Anb&Dge: ForstwiBsenacbaft [XXIT u. HS S. gt.-

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X,eliT< und HilfBbaob«r ftlr den Unterricht In den neueren Spraolu sowie Schulausgaben englischer nnd französischer Schriftsteller i deutschen Anmerkungen aus dem Verlage von B, G. Teubner Leipzig [82 S. gr.-8];

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Teraelohnla des Verlags auf dem Oeblete der Theologie, Pftc gogik und vertpandter Fächer Ton 6. G. Teubner in Leip [86 S. gr.-81.

1896. Nr. 6.] Philologie und AlteriomswiflsenBchaft. 171

Neue Jahrbücher für Philologie xmd P&dagogik. Heraus- gegeben von Alfred Eleokeisen und Biohard Biohter. 65. Jahrgang. 151. u. 152. Band. 1895. J&hrlich 12 Monats- hefte, gr. 8. n. JC 30.

10. und 11. (Doppel-) Heft

Inhalt. I. Abt. : Ein aofiatx Ton Humboldt llb«r grieohiiohe nrgesohiohte aus dem jabre 1807. Ton A. Leitgmann in Weimar. Die grandxahlentheorie nnd die re- sponsion dei Herakles, ron /. Oeri in Basel. Zu n Fragmenten des Euripldas. Ton K. Busche in Leer (OstAriesland). Die entstebung des gifthonigs und des Schlangen- giftes nach antikem rolksglauben. ron W. S. Roscker in Wurseo. Zu Aristophanes Rittern [t. 526 f.]. ron Th, HuUzsck in Kosen. Snum ouique. Ton O. SchuU in Char- kow (Ruszlsnd). Zur thTmele-frage. von K. Weiumann in Bamberg. Die gedanken der flatoniscben dialoge Politikos und Republik, ron B. Diederich in Altena. Zu den n6qoi des Xenophon. yon O. Friedrieh in Schweidniti. Nundinalüragrn. VI. (schluss.) Ton O. F. üngtr in Wdrsburg. Das bieeextum. yon W. Stemkopf in Dortmund. Ans. T. ff. Merguets lexikon an den philosoph. Schriften Ciceros. drei btade. (Jena 1887 1894.) ron M. ffölsl in Dresden. Beitrüge cur Caesar-kritik. ron /. Lange in N«umark (West- preutsen). Zu TibuUus. yon F. Wilhelm in Grossen an der Oder. Das Nepos-r&tsel. yon F. Vogel in Nttrnberg. Zu Cornelius Nepos [Dion 1, 4]. von A. Weidner in Dortmund.

Zu Cicero de oratore [TL 176]. yon Th. Stangl in Mflnchen. Zu den Bobienser Cioero-scholien. yön demsHben.

n. Abt.: Die deutsche gymnasialpEdagogik in ihrer neuekten fassung. (schlusr.) Ton Richard Richter In Leipzig. Oeorg Fabrioius und Adam Biber, yon ffans F. BelnuAt in Leipaig. Die lateinschulen au Eton und Winchester im secbsehnten Jahrhundert, von Th, Klähr in Dresden. Zur behandlung von Schillers Braut von Messina im Unter- richt, von Paul Dörwaid in Ohlau. Alfred PuU, Oberlehrer am kOnigl. Ohristianeum au Altena: lesebuch fOr die höheren schulen Deutschlands, erster teil: lesebuch für sexta. zweiter teil : lesebuch fOr quinta. (Gotha 1895.) anges. von Pa*d Blunk in Altena.

Theodor Lindner: gescbichte des deutschen yolkes. awei bind«". (Stuttgart 1894.) aogea. von Julius Froboeee in Sangerhausen. A. Kreiutr: ausgewählte briefe des JUngeren PUnins fflr den schulgebrauch erklärt. Mit einer tafel: gmndrisa einer römischen yilla. (Leipaig 1894) angea. von Enut Sdiufobe in Meiszen. Noack: hilfsbuch fOr den evan- gelischen religlonsunterrioht in den mittleren und oberen dassen höherer schulen. (Berlin 1894.) anges. von Alwin Ster$ in COthen.

Neuere Sprachen.

fBottntx% Dr. Ottii, franjöfijc^eiS unb englifd^eiS Unterric^t^^ tütxl, nad) ben bleuen 2t^xpläntn bearbeitet. Snglifd^er leil: Sefirbuc^ ber englifd^en ®pxa(S)t. SKit befonbcrcr 83erüdft(j^ttgung ber Übungen im münblic^en unb fd^riftlid^en freien ®ebrau(^ ber ®pxaä)t öon Dr. Otto ©oerner, Ober- lel^rer am (S^mnafium }um fieiltgen ^eu} ju 2)redben, unb Dr. D«car I^iergen, 5ßrofeffor am ßönigl. ßabetten'ßort)^ iu S)rc3ben. SWit jnjei SJoIIbilbern: ^erbft unb SBinter. ^ierju in Safere: SBörterüerjeic^niffe. [Vm, 136 u. 92 ©.] gr. 8. 3n ßmb. geb. n. JC 2.20.

tSoranaeige f. VHtteitungen 1895 9lr. 2, 6. 40.

Orammattl ber englifd^en &pxad^c. gm

Slnfd^Iufe an ba« Sel^rbud^ ber englifij^en S^jrac^e für ben Sd^ut- itixanä) bearbeitet öon Dr. DScar Il^iergen, ^ofeffor am ÄöniQl. ffobctten-Rorpö ju 3)regben. [xn u. 200 ©.] gr. 8. 3n fitüb. geb. n. JC 2.

fBoTonseige f. Mitteilungen 1895 9lx. i, 6. 41.

172 Snobioitiio Bfteher. [MittaUiu^eii

II. Pädagogik. Deutsche Schulbücher.

(Mathematische Lehrbücher siehe III, Seite 174.)

[flBittl, ®.] 2)eutfd^ed Sefebuc^ für l^öl^ere äRabc^enf^uIen auf ®runb bti S)eutf(i^en Sefebuc^d für l^ö^ere Xdci^terfd^ulen t)on &, SBirtl^ naä) ben fnreu^ifd^en ,,S9efKmmungen" Dom 31. SRoi 1894 neu bearbeitet t}on S. @c{)mib, SMreltor ber ftobt. l^d^. aßöbd^enfij^ute unb btd Sel^rerinnenr^Seminard in ^otdbam, unb %v. ®pt^tx, Oberlel^rer an ber ßönigt Slifabetl^fd^ule in »eriin. 4 leiten, n. Seil, gür ßlaffe IV unb V. (4*^ unb 5^ ©d^ulja^r.) [Xm u. 400 ©.] gr. 8. 1896. »aucrl^aft gebunben n. J^ S.

IBotanaeifle f. atitteilimgett 1896 9lt. b, 6. IM.

2)er UL SBanb erfd&etnt Stnfang S^nuar, ber IV. nod^ t>or Oßent 1896.

8eit{||tift für ben beutf^en ttnterti^t. Segrünbet unter SRit^ tnirtung Don Stubolf ^ilbebranb. herausgegeben Don Dr. Otto S^on. 9. Sal^gang. 1895. gr. 8. $reid für ben Sa^rgang Don 12 SRonatSl^eften ju je 4—5 S)rudfbogen n. JL 12.—

11. $>eft.

3nBaIt: Qui (Erinnerung an (Buftab ^t)tag. 93on ttaxl Sanbmann in Dann* ftabt. mtbt es eine allgeinein'berbinbUd^e Krt ber (Bebic^tbebanMuno? Bon Suauft Vttftl' baufen in fiamburg. SBeld^e unb {Beleges in Xietfft Son Duiiot^ubrrfetung. lBon fttrans Kranit) in fEdien. Sjiredbxinnner: 9lr. 1. (Sine @age bon Ihtri bem (ShroBen- Son 6$iBitt in ftaffel. IRr. s. @inn{brudb. IBon 81. Spttnatixn Sftoxt^m. 9t. n. Beit«n = borgen. 8on 8t 6))renger in 9(ortDeim. 9lx. 4. Au fitjc^r. 8,s8i. IBon R. S))renger in KortbraR- 9lr. 5. Au „f^&f)nlein" bei Urlaub, ßon 8<. €pxenQtt in Slort^nt 9tx. 6. (Sin Beitrag 5ur (Srndrung be« SBefen(» ber „Bulben". SSon O. Sinfenbart^ in ftreujuac^. 9h:. 7. 3u „einen ftorb geben" (f^dix. ö,is2 unb C.nfi). Sßon SB. ftoblf (^ntibt in ftajfel. 9x. 8. fiöliemer 8ioft (Stfc^r. 8,180). »on ^einrieb SlengeS in 8hifa4 i- Oberelfat Kr. 9. Sprechen fann er n{(^t, aber er bentt beflo mef)r (Atfc^r. S,i69/t6o). ßon O. 01öbe in Soberan i. 8R. Rr. 10. €tetn unb S3ein Hagen. (3u Rt\^. 6,67? unb 8,s59). tSon O. (BIbbe in Soberan i. 91. ftleinfc^mibt, 8(., 6eminarlebrer in S3end^im, 2)eutf(^e 6tilubungen. «ngefteiat bon Carl ^ranle in iBoma. %a\di, %. 3)ie fiebre bont (Bebrauc^ ber gropen flnfangSbuc^flaben in ben Qntteifungen für bie neu^o(^beutfd)e 9le(^tf(^reibung. Kngeseigt bon (Sari Qr^onfe in IBoma. (»ottbolb Klee. ®runbaüge ber beutf(^en Sitteraturgefcbic^te. 9lngeieigt bon D. Sbon. Seitf^riften. 9leu erft^ienene »ü(^er.

12. $>eft.

3n^att: %tx @(^(uB(^or ou« (Soet^eS ^eflfbiel: „2)eS (Spimenibe« (SrnKic^en" unb bie tireu)sif(be 92ationaI^bntne. SSon ßanS9lorf(^ in Berlin. Xie (Snt^üQung beft 2)entmali ffir dtubolf ßilbebranb. 2)er 6(^ulmetfier in ^ean $aulS 2)id^tung. Bon Vlubolf fSuft» mann. 6d)Iintme« (Sitieren. Bon Huguft 9]i{flbl^aufenin Hamburg. Sie Stoff quefle au ^reitigratbi^ „Vtmmonium". Bon ftarl^effel in ftobleuA. 6pre(bitnimer: 9}r. 1. S^od) einmal aur papitmtn Bpxadft. Bon ftarl ^ral^I in 2)anaiig. 9tr. 2. 3um 6pra(j^ebmu(^ Senoud. Bon 81. Sprenger in 9{ortbeim. iRr. 8. St^iOerS ficilianifc^e ^djtungen. Bon

^. ftobte in Sflneburg. vlx. 4. Zäunen (3eitf(^r. 7,es8 u 8,ieo). Bon ^einrt(^ 8Renge« in 8lufa(^ i. Oberelfai 8luboIf 2)ietri(^, ^ilbebranb<£eft. 8lngeaeigt bon (Beora Oertit in ficipÄig. 3. 3). «Ranjerunb SlobertSWanjer, «ugemeine Crjie^ungÄle^ für Sebrer' unb acbrerinnen-Bilbungftanflalten. ÄngeAeigt bon (Sari Sftanle in Borna. dffx. SRuff S)cutf(^e« ßefcbuc^ für Ijöbere ßebranftaltcn. «ngejeigt bon ^ einriß (Bio öl in ©efel. C. ftönig, (»cfd&id^te ber beutfAen fiitteratur. angejeigt bon (Jarl ÖranTe in Borna. Qcitfc^riften. »eu erf(^ienene Bücber.

Seitf^rift für lateinlofe ^ol^ere Spulen. Drgan beS SSereind jur görberung be§ lateinlofen ^ öderen ©d^nltocfcn^, foh)ie bed SBcrein^ fä(!^fif(!^er SRealfc^uIIe^rer. ©egrünbet Don Dr. ®eorg SBcibner. Unter SKittoirfung jal^treid^er ©(j^ulmänner ^erauS-

1996. Mr. «.] Ktdagoeik. DenUohe Sohulbflohor. 173

geQttien bon Dr. @. ^olgmilller, ^irettot an 1>er iSetoerbefc^ute

(SeoIf^Hle mit %ai^Ua^tn) in ^ügen i. ÜB., aRitflIteb btr ffaif.

Seo)). Sorol. tllabemie bet dtatutfotf^t. 7. Sa^tQanfl. 189Sy^6.

ßt. 8. $rei3 fflt ben Si^fgang tjon 12 OTonotS^eftm p ie

■2 fflogen n. jK 8.— 2. ^ft. Sloüember. Sniill: fl6tc Umlang unC Steltabt tti StrttEU^ient b«i antun Smaäitii. ein Si. tt. 9|l1tp|i(ttal ($anniit>n). &ii •cf^tQlt bn nntt^itnicge. Ssn Klingt, OtnlffTR an bn Hfalfifuli |B ftmiina^. Ober nenne pUagnif Ae Sn1(. 8smbtiaui> gltci. WtttlluiiKll; Umminbeluneni nnb ttniflTflnbun«n. SiülfKfitrt. OTguitfalntl^et unk ecmttlguiiaHD^tn. Hnt bcn Jtatnlfirri^tni imtinlaln «dulnt, enetnl-anulncn- Britta. tDAmnl-Siii^ttiblnt. (Hui Saningrilnbni jniütfflclltirt.) flmnlldrtcl mt RMIdtttkta unb XaütbUttCCTi. Sefnn&iuiun : Sian. MMI bn bculfdot Blltnolnnttauttl. Bon 1- a.r Ä.i flanot; «nilffl« "■"- - '-"■— "— " 'SV? ™..~-

, b ^Ibmlagnt. Sloit H. Mta, atuna.

-, j!t unb ffin« auomb nritbmnisit. »unH. ftdiinio,

,--. - StruHiW iä*l«6ui6 füt 66im Sduftn. Bsn Br. I. Kbtian. BtBn»,

Suttnt I(atn4i«niul tln CAuItuA fSc uitfnt Rtnbn? Bin Dr. QrUbtlA t^aufin. etfci, StDfft \üt btn bnitfAtn 6)ica4unlKTl4t In ben Uni«- UHb StUtäHanni UtncrStti' anflaltrn Son Dr. aut. ^rlntmann. ()iictmann, «tlananntmlitl |Bc 64n)(n. Bdb

eiintul. StrtlD, ffiiinnirrt BDiIcfungcn ihn Ht Xbtgite bei dnfa4<n nnb bn Mtlfsiteti nttgiali. Bon Sr. Aoljnttnec. ffitnlet, T6 6t<ti(e )ui Stnabung ftan)lflf4fi 6pia4' nHlnfSf mttllertfllitllfntufaanncngrncat Bon Dr. gtlKVfU^al' Bul^wiinn. ScuHitct Ö^nA für bt( untmn unb minlran Hinnen ^Ibtin 8riion|IaIttr. Bsn Dt, Z. Bbilun. - tttti m^lenenr Süi^n. Vcrfsnal-na^tfi^l«!.

3. Jieft. Slegember.

anmalt: 3fl bei bcm nmlna^liittn llntemAl bei Slitlrlllalicn «n( C^ieflomalUe Dbn dl 64dfinenei Miiuilcaenl tSon Sraf. Sr. 3anf(n «on bei Obn-Neal|itul( )u ttf lllb. Lk lilltdiktma Fru^alig » ^Eftn» Blkil* d'aprti la ■lil«ma pktUa rälglol» <!• 1> Utttntms Fruir;!!» da Honilaiu OutsTa Lanaan pir U. Kdma Losla At- ombQ.u, Fori.. (!.'-.■ Pirtloj. - «crdri pr giHtriiiifl M InlcmlDicii TiSljfrdi Situl- nielen». BprlSufißt- »■--'— -■ - : . - -. - ...... - ...

icelen«. Boilüufierr üniäa äbtx bic citdc ^iiu|]ivet|aitiniluna lu Clueblinbura »Bn b. bll 7. OttDiec lai'fi. 'jJHtlciliiiigtit: UmniDnbElu ngen unb tRrugänbunntn. 6lBt<|llfM, (tbi( HnumfldlnbeniuiQifgtBtnt.) Orgontiatortli^« unb fflrmiltourgSrotien- Hui bm gi^rartnfAlcn [üldnlDin eaulen. iSut KaumBcilnbrn guclkiferftelll ) Sndn« ÜnDdrsin^nn. Asüfttul- '^(tArtifeten iHue fRaumadtnben tucfidgeneOt.) ffienniMte« out StltMdflin unb XOflclblblrtR ~ Btfpcediiingen: SidII, Xte attlec unb frucn btS llaPi^rn Xllntuinl. Bon Dr. eolt naild StDll, Sie eogen bt« nufflMcn HUcitum«. Ben Dr. fic[tmai[ei. Üble Blutmib) E(b(nSb(|i$[dbunB(n gculri Reiben edctbenlarrb« uiib tDonii Ben Dr ADl)mfilIci: Seif, e^orlri Eombi 6*ütejpfatf«riaiitunflfn. Bon Dr CoHniilllri. «fiSfelbl, Sei

laldnloitt «dlultn. (Sut »aumgrflnbfn s''t'k''Bff'et" ) Bnrin» annelf Btniritoi. 6o<Sf(.— RoArtifeten iHue fRaurngdlnben tucfidgeftent.) BenniMte« out StltMdflin unb XOflclblblrtR,

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»elf, e^orlri Eambi S^otejpfate.ttriaiitunflfn. Bon Dr CoHniilllri. «fiSfelbl, Sei Stontblanc. Stubleu Im (oiliaebtigt , bclonbec« tn bet <D)onteianC'<8ruT|K. Bon I>r. $01«- müllei. äavail. StKn iut OlffiAlAte. Son Dr «oUtnüHct. SÜnlna, (ÜrunbAflgc bet B^Dfll. Bon Xonnenann. «iinbaum, »aflon Btolpeis: Haqpltn unb Hnniirn. »on Dr.^DljmillUr eenjel, Secpolb Itcautditt tittTe. Bon Dr. ^olimflllec. SAetflei. eiein unb Sleum, BuiSneil flcbtmlnd Ifit ben f(sn>S|if Aen UnteidAt Bau Dr. B^lliplit' ibnl. «lettdinclbti. fturtgEfaMr tarn). 6nnonl)iniI mit tiUiUetnben 64BbetJe'e[(n. Via Dr. BB'I'CPlC^ol' BcelfänelbfT, VioBBtanii KodarDta. Banb I unb II. Son Dr.

fblltpBtlbaL 6AneI[ nnb fSidenbagen, SHtfAdH ftiZumen nnb gugcnb[tiet Bon iniut. ffienbl, SncanoVGble bt« mglirarn UnteidAK. Bon (Halteiiirbcr. 6aurr. otnrai fiom Engliih Hldair. Bon Dr. «latfciileb" fteed, Oaiftbu« ffti bcn nur, tdifien «dlgtetiiuiileiitÄI in brn miltlettn iinb oberrn «laHtn bifrfrcr Siliilrn. Seit lii. Blittei. Wogoc, Bsm IhicbuE |ur J'ailcilianc, Bon i'r. gcliniiinei. Oclilci:, Itloili' Ultt SllbnbnA. Bsn Dr. H. Uonbnehi, SIAtnitdic «cMlen in gtWiblliitin Xieue. £<on Di. (i)[)niikllrE Sinnte, iiit eieumdie ^Bbect Unlniii^liniden naA btt neuen Ocbnu na Bon H ■um. Efillaben bet SotntgrWillle Bon H, ftroS unb llanbot«. Uffttbui* ffft Ben Unlrniat in bet BODlocit. «on if. Jlinfi unb flanboie, Sit Bfanstniri* in «Bon ' "'-'- "-- ■■. »(06 unb SanCuii, let OTmldi unb boS Urne ift. Bon H «trionol-

^titf^rift fSt Mtiili^e QUbnng in S^ulc rntb $in». Scnttolorgan für bot beutjdie SRäbd^ntfcfjulRiejen. SegrÜnbet bon Kidiarb @4orn^ein, gegentnSrtig IinauftQegeben Don Xiireftpr a. 2). Dr. Stl^elnt endiner in Stfena^. 23.3a^ganQ. 1895. Säfirli^ 24 $tfte. gr. 8. ißreis ^albi&^It^ n. JLg.— 21. $eft. yiovmWt I.

Sn^ort: I. «b^anblunaen. Set «rtiftnulbrT Snienhidut. Bon Siil|e Cbef fieini'Sanblbeia o. B. X>it beufli^en gtantniuDKn in bei e<6ule. Bon Obttlttirt Dr.

Erichienene Bflchdr.

Biiii/fflt Sif

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Ct([käret|lrDt)i an £ .

HflUiin, UJ. otimincn an » i aSä tljt II 14 u lrtl»(tn. Sit. 19, 19.

- IV. «ttf^ltHtiK«. Ulm. Hm« «tdori Wei»(L - «cti6nlu^ - V. Eiilttolui tüi St6ul( un «9 d) oni(, Ooari fmii;.li I. Bar««. «Di Dr. KtSiB-Siauni^rtitia. - «rt «on tietii)(lb(ii. - OSlcrl, S)onf4- lionjflnWrt Ubunflliu*. Bün tim b » . SrontCnitfcrt 8ric uiii äbnnafbni «an »emfd&en. fturp, 6»rii(S 4 \i g htr ttoniBfit(l|*n S|wa*t Son b«»' tcEbtn. 4iiM eilbrifcboe »nn B n. e^tDci. Sun E. Him. 6ltin, 6<t|iDn( Sugmtilfbcn. Bon B. ~ H. Slri rt) m B rgE. Bon B. ~ K. ethn, «nt M fitrtgoll* «fgimmt. Son B. a S tl ar», btr Hi.'D[ifL ^ntiti «. Bon B ~ flus. Sirtlet, »tafe Siattt. 8 B ^i''---- 'r.^f^-rv.v-.r- ■■"" ;■■- :!.■,'.-■ Bon B. Binicul, »cWidiK bn « ■■ i-n,-,-,,-. \f. -,■■■- Itutltf S»cf[6>, Ef(f. unb Sjrn^üfiung .

nitti «emttnfiftct auiaoSen. Ben tmattl .

flDfflIltl)(C, tid £(^ccii ßiTIbbuiE «DTi bcnfilBdi. . Xcittbrl-Ülntiaul Stc^cn^cflc. Bn itmltlbtn. - enfldlin, tit boiKiSf SBortbllburs Bdii tfmfflbfn. - aofi« unb Hontt. «emnillTl tum (MmtUtAtn n(liat9R«unlecTtAt. BonSIimiK Saq-Snftn». VI. oTftni unti gtfu^lE Sltirtn. VII. Brlitiofltn. Brtanntina(6ung bM isacna" Brrtaabrt.

22., 23, unb 24. ©tft. snoüem&er II, 55tsemt)er I u. 11.

Sntall: 1. Bcceintangtltetnättltn. Bnlitt Obn bic BcTtenblngm bn ttcr le^lm fauptliRTainiiiluns bei XnittArn Benin* fSi bat btbnt IRlbttnifiqulBirfni in RaHou «on S.-e. EfttStt. Bon linitot Dr. O. Somnfr.Btauni^mHa n, eT<(fla|lrn,

III. Mathematik, technische und Naturwissenschaften.

AbfaancUTiiigGn Eiir GeBchicbte der Mathematik. VIL Heft. Ä. a. ä. T.: Supplement Knm 40. Jahrgang der Zeitechrift fSr Mathematik und Phjsik. Herausgegeben ron Dr. 0. Schlöuilcb und Dr. U, Cantob. Mit einer lithogr. Tafel nai 16 FignreD im Text, [m u. 244 S.]. gr. 8. geh. n. jK 7.60.

II. Eis Bsltng iBF Qatcblolil« dar Algebra In boaUcblind im CDnfioliDttD Jahrhuidoil. Tod Maximilian Curtu. UI, Dl« HMliDtarJft No, 11S3S dar KSnjgl. Hof- lud aUaUblbllDtbak la HUaDheo. Ton Maximilian Carlit. IV. EIng ADtoblogiapUa

_,.- n_..i,.ij n ..i_ ui. .-_. ..._ --iogriiiihliohan MotliaD. HersDigtgoban tob

1, A, Blcm. HinugeBrbati von A. BmUt bMEDhahkiJ R«da, gahilMa bei dar falar- iisuau •immnuuiig aar luieTiicneD uniTaraitkl )U»D •m IX, Oktober IM] TOD Prota»»r A, Wauillif._ Aut dem Bnaalaobea UberKltt Ton Prohiior FTitdriti Ernftl.

OemtoT, UoTitz, Vorlesungen über Ueschichte der Mathe- matik. In 3 Bunden. III. (Schlnrs-)Band. Tom Jahre 1668 bis zum Jahre 1759. In 3 Abteilungen. II. Abteilimg. Die Zeit von 1700 bis 1726. Mit 30 Figuren im Teit. [8. 253

472.] gr. 8. 1896. geh. n. ^ 6 .

&oIjtnü([tr, Dr. ®uf)ab, ^ireftor in ®emerBef(^uIe (9JeaIf(^iiIe mit Sac^tlaffeii) ju ^ogeu i. 93., aWitötieb in ftaiferl Seop. ttorol. 9lfabeini( ber Katurforfc^et, met^obifdiee 8et|tbu(^ ber etementar = Wotfiematil. ©gmnofialiSIuSgQbe. ^n '.* leiten. I. !£eil, im 9Infd)Iug an bie ftreugifc^en äettvpi&at CDU 1892 naii) 2f«^t(|Önfleii georbnri unb bis jur Mbfc^Iufe: Prüfung bet Uittet(efunba veiiiidib. Jliit 138 giguren im ie|t. IVIII u. 228 ®.] gr. 8. 1896. 3ii Snlub. geb. u. M 2.4(.>. Bctmijrtfle f "JlillttTiinaeii iPfS 3li. S. c, 13!'.

1895. Nr. 6.] Matbematilr, tecbn. u. NatarwisBeufichaften. 175

StxütptÜn, Dr. ftüxU 9laturftubien im t^aufe. $(Qubereicn in ber S)ämntcrftunbe. Ein ©u(^ für bic 3tt9C"t>. 9Wit Qüä)- nungcn tjon D. ®ä)to\nbxaffytxm. [IV u. 174 @.] gr. 8. 1896. 3n Driginal^ßcinmanbbanb n. JC 3.20.

tBoranseige f. aRitteilungen 1895 9lr. 5, 6. 140.

Volkmann, P., ord. Professor an der Universität Königsberg L Pr., Franz Neumann. * 11. September 1798, f 23. Mai 1895. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Wissenschaft. Dem Andenken an den Altmeister der mathematischen Physik gewidmete Blätter unter Benutzung einer Reihe von authenti- schen Quellen. Mit einem Bildniss Franz Neumann's. [YII u. 68 S.] gr. 8. 1896. geh. n. JC 2.40.

Yoraaseige ■. Mitteilnngen 1895 Nr. 5, S. 186.

WasBiljef, Prof. A., Nikolaj Iwanowitsch Lobatschefskij. Hede, gehalten bei der feierlichen Versammlung der Kaiser- lichen Universität Kasan am 22. Oktober 1893. Aus dem Bussischen übersetzt von Professor Friedrich Enqbl. Sonder- abdruck aus dem VIL Hefte der Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik. [40 S.] gr. 8. geh. n. JC 1 . 20.

Wüllner, Adolph, Lehrbuch der Experimentalphysik. In 4 Bänden. Fünfte, vielfach umgearbeitete und verbesserte Auflage. II. Band. Die Lehre von der Wärme. Mit 131 in den Text gedruckten Abbildungen und Figuren. [XI u. 936 S.] gr. 8. 1896. geh. n. JL 12.—

Voranzeige s. Mitteilnngen 1895 Nr. 4, S. 108.

Mathematisohe Annalen. Begründet 1868 durch A. Clbbsoh und C. Nbumann. Unter Mitwirkung der Herren P. Gordan, C. Nbumann, M. Nobther, K. VondbrMühll, H. Wbbbr gegen- wärtig herausgegeben von F. Klbin in G^ttingen, W. Dyok in München, A. Matbr in Leipzig. 46. Band. gr. 8. Preis für den Band von 4 Heften n. «^ 20.

4. Heft

Inhalt: Beitrage sar Begründung der transfiniten Mengenlehre. Von Oeorf^ Canior in Halle a. 8. Ueber arithmetische Bigenaohaften amÜTtlsoher Funktionen. Von Paul Stachel in Könj^iberg. Sor les pointa Bingnlier« dei öqnaiionB difförentielles dn Premier ordre. Von RnUle Picard in Paris. Die geometrisohe Theorie der Schwars'- sohon «-Function fOr c omplexe Exponenten. II. Ton Frit» SchÜUng In Aachen. Ver- allgemeinerung sweier Sfitse aus der Theorie der Substitutionengruppen. Von P. Hoyer in Schnepfenthal bei Walterihausen. Note Qber die Siebensysteme Ton Kegelschnitten, welche durch die Bertthrungspunkte der Doppeltangenten einer ebenen Gnrve vierter Ordnung gehen. Von M. Noether in Erlangen. Ueber die allgemeinste Differentialre- solyente der homogenen linearen Differentialgleichungen. Von Emanuel Beke in Budapest. On the Automorphic Linear Transformation of an Altemate Bilinear Form. Von Henry Taber in Worcester, Mass. L ober die Differentialgleichnngen der /'-Reihen dritter Ordnung. Von L. Pochhammer in Kiel. Ueber uuyerzweigte lineare Differential- gleichungen der zweiten Ordnung auf ebenen Curven vierten Grades. Von Paul Qordan in Erlangen.

176 Erschienene Bücher. [MitteümigeB

Zeitsohrift für Mathematik und Physik. Herausgegeben unter der verantwortlichen Bedaction von Dr. 0. Sohlömü^oh und Dr. M. Cantor. 40. Jahrgang. 1895. gr. 8. Preis fOr den Jahr- gang von 6 Heften n. JL 18.

6. Heft, mit 3 lithographirten Tafehi.

Inhftit: Homooentriaoiie Br«ohimg dei Lichte« durch die Linse. Von Prof. Dr. L. Burmester in München (Tafel XIII und XIV). Oonetraction der Fooalcarre au sechs gegebenen Punkten. Von Prof. Dr. R. Müller in Brannschw^ig (Tafel XV). Zar homocentrisohen Breohang des Lichtes Im Prisma. Von Dr. WÜting in Potsdam. Ueber eine besondere Fl&che dritter Ordnung mit vier Doppelpunkten. Von Dr. J7. T%itme in Posen. Kleinere Mitteilungen. Ueber die oonforme AbbÜdnng der Lemais- «atenflftche. Von Fr. SehiUing. Bemerkungen über doppelt-cenirische Vierecke. Voa Dr. Bepel. Ueber die partiellen Differentialgleichungen, denen die symmettischai Functionen der Wurseln einer algebraischen Gleichung genügen. Von Et^n JKMto. Ueber den Schwerpunkt der gemeinschaftlichen Punkte eines Kegelschnitts und einer Ourre dritten Grades.. Von Benedikt Sporer. Historisch-literarische Abtheilnuf (besonders paginirt). Recensionen: Klein, F., Vorlesungeu Qber die Theorie dar elliptischen Modulfunctionen. Ausgoarb. u. verrollst. Ton R. Frieke. 2. Bd. Von W. Frans Meyer. MSray, Ch., Le^ons nourelles sur Tanaljse infinitesimale et ees appUca- tions g6om6trique8. Von W. Front Meyer. Amoux, Q., ArithmAtique grapbiqne. Voa W. Frans Meyer. Daug, S. 7., Differential- och Integral-Kalkylens. Von Max Meyer. Fenkner, Dr. Hugo, Arithmetische Aufgaben. Von Max Mever. XShnei, Pro! Or. Friedrich, Ableitung der yerschiedenen Formen der Gurren dritter Ordnung daroh Pre- Jection und Klassification derselben. Von Max Meyer. Adanu W., (Geometrische Ana- lysis und Synthesis. Von Max Meyer. Brückner, Dr. Max, Die Elemente der yierdimea- sionalen Geometrie mit besonderer BerOcksiohtigung der Polytope. Von Max Meyer. Spieker, Vrot. Dr. Th., 1. Lehrbuch der ebenen Geometrie mit Uebungsaafgaben. 1 Kurse Anleitung zum LOsen der Uebungsaufgaben. 3. Lehrbuch der ebenen nnd sphä- rischen Trigonometrie mit Uebungsaufgaben. Von Max Meyer. Schubert, Dr. Mermann, 4. Sammlung von arithmetischen und algebraischen Fragen und Aufgaben. 5. Anfgaben aus der Arithmetik und Algebra. 6. Ausgewählte Besnltate. Von Jfox Meyer. Loria, Prof. Oino, Le sciense esatte nell' antica Grecia. Von Oantw. WohlwiU, Dr. Emä, Galilei betreffende Handschriften der Hamburger Stadtbibliothek. Von Cantor. C^^, Florian^ A Historj of Mathematics. Von Cantor. Robel, Dr. Enut, Die Sirenen. Von Cantor. Annuaire du Bureau des longitudes. Von Cantor. La g6om6trie analTtique d' Auguste Comte. Von Cantor. Bibliographie vom 1. September bis 15. Ootober 1895: Periodische Schriften Geschichte der Mathematik und Physik Beine Mathe- matik — Angewandte Mathematik Physik und Meteorologie. Mathematisches Abhandlungsregister 1894. Zweite Httlfte: 1. Juli bis 31. December.

Zeitsohrift für xnathexnatisohen nnd naturwissensohaftliehea

Unterricht. Ein Organ für Methodik, Bildungsgehalt und Or- ganisation der exakten ünterrichtsflLeher an Qjmnasien, Real- schulen, Lehrerseminarien nnd gehobenen Bürgerschulen. (Zu- gleich Organ der Sektionen für math. und naturw. Unterricht in den Versammlungen der Philologen, Naturforscher, Seminar- und Volksschullehrer.) Herausgeg. von J.C.V. Hoffmann. 26. Jahrg. 1895. gr. 8. Preis für den Jahrgang von 8 Heften n. JL 12.

8. Heft.

Inhalt: I. Abhandlungen und grOfsere Aufsätse. kleinere Mit- teilungen, Sprechsaal und Aufgaben-Bepertorium. Ober die atereo- graphische Projektion. Mit 3 Fig. i. T. Von Anton StröU, k. k. Prof. a. d. Btaats- Unter- Realschule i. Zara (Dalmatien). Das Kreiselproblem und seine liOsnng. Von Dr. med. Munter in Herford. Mit 1 Fig. 1. T. Bemerkungen au diesem Artikel: I. Von Dr. Prttnke, Gymn.-Prof. in Schleusingen. 11. Von Dr. A. Schmidt, Bealg7mn.-Prol in Stattgart. Kleinero Mitteilungen aus Mangel an Baum zurflckgestellt. Zum Aufgaben-Bepertorium. A) Auflösungen Nr. 1964— 1S69. B) Neue Auf- gaben Nr. 1435 (naohtrÄglich). Nr. 1450— 1460. Briefkasten i. A.-B. LLLitterarisohe Berichte. A) Beaensionen und Ansoigen: Killing, Einftthrung In die Grundlagen der Geometrie. 1. Bd. (Pietsker.) Kotsmann, die Terrainlehre, TerraindarsteUong nnd das militärische Aufnehmen. 6. Aufl. {Holsmüller.) Vogler, Lehrbuch der praktischen Geometrie. II. T. Höhenmesiiungen. 1. Halbband. Anleitung znm Nivelliren und Ein- \vägen. iHolxmüUer) Kalbe, Einführung in die Elektrizitätslehre. 2. T. Djnamische ^iloktrizität. (Gustav Hoffmann.) B. Programmschau: Mathematische und natur- vissenschsftlicbe Programme der BheiuproTinz. (Nachträglich von Ost. 18J)0.) Anhang

Hitnr BDd Hau Ut, H—t«; K—U. Du Wetter f. >DB*vuidtB MIkroikopi* (nen) I, 1— C. D. Bibllo-

r>piiiB: cigtaiTing la neit T, B. [JilU-AniMUt 18W). Btptaib« IBSG. —III. . FftdkgogliDhs Zaltnag etc. Apborlumi lu KntwloktlnngiBOOliIehle d«T Malbe- DuUk Im IB. Jahih. Bede gehiltun üb U. Okt. I8H bei dar rderllclien iunBii>i.tton du StBdlenJilina d. teeha. HoohisliiiU Wien tob dem utieltudin Sektor Emanutl CMtir, k. k. o. Prof d. Math, (nanblrtglloli nltselellt). Berigkte: 1) Berintal ober die 4. TFnimmlDiiB dei Terslni a. Ford. d. Unt. 1 d. MaltL s. L d, Mtir. IV. CSoUuli.)

NaotitikiUobe SemerkoiigaB in dlaeem Beilaht: a) roa Prof. Dr. Etflfu-Barlln. b) Vom HeraBagabar. o) Toa einem Hoehiobal-Lehier. }) Bsrioht ober die Taihand-

Bohalmtoner ib Kala a. Bh. a. IG.— 18. Beptbr.' 1B95. 3) Barloht tob der NatnrtoraeLer.' TsTBainmlnii( In Labask (Vortrag Ton Prof. A'actifA'Kl I. WBiibnrg aber NeoiltalliiDni).

UBariobt tou II. dantaekan Qugripbantag lu Bremen (17.— -B. April 189fi). Zu den HeilteTlwiiwwken der Xrda. (Dl* Qlttathaler Hanfabmeke aber dan Nordaalaea-Caual.)

Dia Wtleritralkteier t. Berlin. Ton •inem Ttllnthmet. NekiolDg Flgk. Qe-

ehirillehei; a) Ssbrltten-Elnlanr. b) Brkfkaatan, e) IJartcfatlgaD(en.

IV. Geographie.

e»8tati|if4t 3tilf4>ift- ^lauSgegeben von Dr. Stlfieb $ettnei, a. 0. ißrofej^or an bei Unioeifitöt Seipjig. 1. So^tflang. 1895. gt. 8. 3fi^rli(^ 12 aRonatS^efte ju je 3", bid 4 Sogen. $reiiS |aI6jälirK(^ n. jK 8.

9. ©eft anit 1 fforte.

an^iill: tUn ict CnlDtab ~"

in Ion», unb Siulallünlcn- Bon Ur. fliVi» "sruhan in'»KÜjiic6-6 .- -

Iat(f(S). a>i( fftfmWunB kii Bonac SonmH Bon Di. asalf ttahhe in «Mklb. Itlilntxt SHlKilunucn: tit i4ilciii(A'[itgcmln['[Ar <BceR(c. San Sicf. Di. ^ani 6lcM<n In SiiitiaflD, Sic mibiitniiAc (Btearacffii unft Xni)icnliiiatcnc aul btm ^eiieicg bcuKifr Milut- forl^rr unb tntt tu Siiii ISM. «en Dr. ft Xiubrci. ecOQiiit>bl[«; 91cule(ctlni. 3u- toBHwiiGrt'tllt »on Dr MuguR Ülgaii. »fiiJetbtlliifiSiinfltii : ©ilnllift. «ib. unb

fttamreligloS«, t^( «tf(6i(6l( iir' *—'—"— '»— " «...v... ^ ... a.^....^

"vt ffil(Batl|itfit.Viiidiili. %bDii

5nt5, e^niwanblBT» bti »i _ . . . _

clb, IhiTtt bM RWna(6t[gr« unb filllKnMiA'ciirattt A(ä Ztfinnjci SnICt«, nirflllite eJilttc. Jon fr *rlt*»'bl Sl(u6, Icti Soramtt In Iiiol Sluii !>■ Wadfl. ftalfftl, Bri- tilgt IUI pliinfibin Seiiaiabbic Den WcnlcnrgiD, mit bcfonbcici iBciflit|lil|irBuiTg 1(1 ftaiitc«. Son a »ftilipffjon «ina'gonB'nt «üilKr. fldlfdinilcnWau,

10. unb 11. (a)oi}()et=) $eft. SRit 2 Aorten.

anball: ftbtt Bie anlfliltunB »" 0(11«. «in BarlMfl. »Ht ein» ttttniKinc bei OBfrt llttM «). «m «mf. fr. SuOoIf Btibnti in •nitCitMlb. - SK 3nftl ttndijt unb ibtc Bemobnei. OTit (intt afo'ofltl*" *ooe »on Iinnilt Clnfet 1). San Dr. fiant - Xl( flmuibioliiiis. »riltog MH KcnntiitS bn CnlnKfditngllt^eEi

_ r,-D -.- uibiobins. »riltog MH KcnntiitS bn CnlnKfditngllt^eErli Olt-

Rbtdtnl. Bon £nii))tniann ^ramanud in Siltenbtig - fllitc bni 6taRb bn B<iiBiUit*l4"< gsriauna In aoibommlo iciiii*ll'Sli<ll aSUKlamettlot unb «dUnbim«, Bin Di. (fmll T)tiftt in iBcItlnfitt':! - Xii gcBdiniaitiBC Saqt unb bi( nennen SoitfAilltc bn ffltma- toUglc. Bon ViDf. Di \[^i nii|it>(n in fioDibuig. Olnc SanbNbatfnOniig im 6innr bei WnSfrrunbt, Bon Sn>' '" ii yiCB STIÜniSin. ÜWogMIiW*« «m'«'"!"'' Sniaminfn-

IrRtllt cpn Dr.«ufluft rTiu.u. iBDrSctbefprtdjunafn: LeTaiiaBr,Deilqua Gtomphiqn» Blonde «niler. Si'i i^' ,l'i"fl- Sotoliini, lit Sflntn. Ben ». Stn^Iirta. «an Brbbtt, ftwlnirrtu' ffliL'iL'DrriOBi! »cn S. (Titntt- »nlit. tUt flco«ca)>i|i(ibe Bnbifituna jAt Id.rMtur. ll.'antiien Üieii SB iiiiltnlftal. Sitatag, in Bell. Mitth:. Biin «. glttau. %<>%, Da« nnibbeulIAr Xlrflanb. Ben 8- baia. Qd. Xa» beutlae Oltbligdonb. tSon g. Qnbn. Cr^lnnlng, anc^ro unb {[int URiatbuna. Bon Xb. fin^be. Xiiutfimann, 6Atc(tcnTiiite ban UttDOi* Uaie'B'nb. |{li Si^Glcr. Son Bdcil. Sanin, Xuii^ eHbaninlte. Bon H. Qtllnti. BrUrimann, CanblAoltl' unb BtgttoUontbilbei au« btn Xiolien Sübnmeitlal. WitXiit Eenffaiftrn. Bati H. Äettnri.

tttnBtBinfl'nt Bfli*«. 8<il|*itfi™Mau.

13. §cft. äKil 1 Sorte.

Enchienene Bflcher.

SAnttti ffiaal In Vttliv. ~ Slabtuniftnu in Wlttnum unk OkuttHttil. Vtit ciut llaiM. Bun «nialtiiciiit Dr. Ktiaui SAntltiei in SdMlg. gut ftcflcbclHn« ank «tf manlllmina ScutT^-Slimitn« IBon O^ctIc^rt Ut. 3. Xftnti tn Seiui«' 1>R BtÜR' ndittac 6Mnb|>iin(t bn %cliirfDilc6unj. «an Di. Bitit Bvn SiBgalltrtn BctlfB. W( algeriU'luncril^'n S^oltt unC tut giogt tict (Stmlflcinne bct StpnfHraen anf aranbU« (tnic erbeil uirb tliirr »rrlr con S. eiiilfijt. Son «anl 6l<inbtiiaei In Snifn. SManx SRitKtluttgrn : 3'b»tn. Han !>'. ^m' Ktnic« in «tiintanli. - 3>n Krttnitaiifl Bnin^ ncn. Bgti ä a<: l il< i ii : i.i 'l':[!:j: '. LDjidliQifdK StculaftUni. SulaanenatBtlll Mn Di. Xugud Si^'nu. - mii^ccbflvtL-dmti.iL'rt. utdltrnbsuti. iCicitfatin luiOkf^CÜi bn «Ott*- ■rrmslt in lobtUniii*« iatMu"!] Soii -C »inj(. »nuniflotlntt, }ut giHeintiii bn ilnnbt. Bon «- Ciiiif i^ri^^riA, »i( BiSd mi btr mütltcin BlSt. Bon «illdi-

Ht' EanDlgani, Ileinn iimteil-ntld^ füi Sitianllaltcn ionic lupi ScibFlnntmlttt. . -L.. "", ._*.... ,t »-- (1. «titnr-

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iradjcrgcDBca^i^tr. «on U. >)ciUini;(c. Lftnionl, il porto dl Tuuiin. Bsn Xi

H. Atttnei. ' üShtiiDiilDii 1111^ ;i;niiiLann, CuiiiBa. Ban V. Aeltntt. (abi "■■ -■■ - '■■■- "-- -ftjfa— "— —-•■--'

IMuBWW'i''' ~i1vi:t^ '.--^ ^l- "--■■'ri4t J>tult(Sfiinb. Bon ffl. ävlti

fenlI unb ;; ■■■■.:-, ''i '■■ ■■;■ n Mlptnlm. Bon B. Ul- "■-'- mtiitratoßtoWf. «nn II. HoUinfltc. Linionl "

ail4«r, - »elltt, »tlbfrfltifBt ou4 Ci

til» taupHocnitti btt ätHstfiiläir. »on i

lY. Heükunde.

Jabrtinoh für Elnderlieilktmde und pbyaiBOlie Brsiehnnc. Neue Folge. Her&uegegebeu von 0. Hbdbnks, A. BTHrFxs and H. T. WiDEBBOFBB. 41. Baod. gr. 8. Preis fOr den Band toh 4 Heften n. JL 10.40. 2. Heft.

In Wt*D. Von Di. WiltieKu Knöpf tlmadirr, BeDo

PriT.-DncDi.^.AfURia.iiiDB^rUn. U«lHia)inDi»beliil*ntiUelUHip>tiUL üebar dlo „ScfawsiTsrdftillalikelt'' dei EuhmUeh Im BtosIlDgultar. Muk I liSS gchiltaiiBD VoiIrKH* In dai „(itlellistalfl fOt NitDr- und Hsllkciiil*"

ilUn In 'd«r Secllon nii Eindaibeilknuda der 87. VuaiiinailnnB dtntubn liud Aeritfi in LUbeDk.) Von Dl. Jtudol/ FirAt, PrlTnldoatnt fOI KlsdU- dsr dl ntich» üniTenlKt In Frag. Zur Srmmtlierapls, iniondcihclt Obn dl» Bohilng'icheD Reiami bal dai aaBtc. laptlickea Dlpbtbcila. Tmtns

für KlndTfa ilknndn in dar Alitbelliing tOr SindKiheilkanda dar M. » Geaollachifl donl.cLer Nalnrfonchar nnd Asnta 1d Wlon IBM. H«t K. VMiiT. Mit 14 Tkfaln nnd !( in den Tsil Eadrnckisn Abbildon

^

1896. Nr. 6.]

Yennischte ' Notken.

179

Dritte Abteilung.

Vermischte Notizen.

Eezensionenverzeichnis.

Die Besensionen Btehen den betreffenden Herren Yerfaseem bes. Heraus- gebern der besprochenen Werke cur Yerftlgimg.

Abkürsnngen der Zeitschriften:

BlfdbO

BphW. . , OOfdIdB.

DL . .

JbflbdFdM

JbübdhSoh

SdBlfhU . Saddeutaohe Bl&tter für hOhere

Unterrichtsanstalten. WfklPh. . Woohenschr. f. klass. Philologie. ZfdQ (Jb) . Zeitschrift fttr das Qjmnaaial-

wesen (Jahresbericht).

Zeitschr. f. d. Osterr. Gymnasien.

Zeitschrift f. d. Bealsohnlwesen.

Ztschr. f. d. dentsohen ünterr.

Zeitschrift fUr lat«inlose hOhere

Schalen.

Zeitschrift f. Mathematik und

Physik.

Zeitsohr. f. d. mathematischen u.

natnrwissenschaftL Untmrricht.

Zeitschrift f. weibl. BUdang.

ZfdOG. . ZfdB . . ZfdU . . ZflÜSch.

ZfMoPh.

Zfmunü.

ZfwB . .

Bl&tter far das bayerische

Oymnasialsohnlwesea.

BerL philol. Wochenschrift

Central -Organ für die In- teressen d. Bealschulwesens.

Deutsche Litteratorzeitnng.

Jahrbuch ttb. d. Fortsohr. d.

Mathematik.

Jahresbericht Ober das höh.

Schulwesen.

LO Literarisches Oentralblatt.

NKbl .... Neues Korrespondensblatt f.

d. Gelehrten- u. Bealsch.

Württembergs. NphB .... Neue philolog. Bundsohau. BOr BcTiie Gritique.

Alexandri Lycopolitani contra Manich. disp., ed. Brinkmann.

Hist. Ztschr. 8. 543.

Anonymi Christiani Hermippns de astrologia dialogus, edd. Kroll et Viereck.

DL 49. BoU. di filol. 6.

Anthologia Latina II, 1. (Garm. epigr., ed. Buecheler.)

„Stadien" dasu BlfdbG 639.

Aristotelis noUtsia 'AQ^ivaCanv, ed. Blase. Ed. IL

Üb. die vlelf. Yerbess. orientiert WfklPh 47. LO 48.

Asbacli, zur Erinnerung an Arnold Schaefer.

DL 49. Köln. Ztg 904. Leips. Ztg (Wies. Beil. 141).

Bachmann, Zahlentheorie. I. Elemente der Zahlentheorie. IL Analyt. Zahlentheorie.

JbübdFdH XXIY.

„_ Vorlesungen über Irrationalzahlen.

JbübdFdM XXIY.

Baues, Yocabulary and guide to English conversation. 5. Aufl.

Westdtsche Lehrer-Ztg 32.

Bardey, zur Formation quadrat. Gleichungen. 2. Ausgabe.

ZfdG 11. SdBlfhU 20,^1. JbabdhSch XU, SO. BlfdbG 641.

Benedicti regula monachorum, ed. Woelfflin.

Lit. Handw. t Kath. 680. Kath. Kirohenstg 97. L'unirerait« oathol. 12.

Biermann, Elemente der höheren Mathematik.

Aroh. d. Math. u. Phys. XIV. ZfdB IS.

Bismarcks Beden und Briefe f. Schule u. Haus hrsg. t. 0. Lyon.

LO 41. KonfercDsbL VI, 1. Schlesw.-Holst. Schulstg 51.

Blafs, die att. Beredsamkeit IL Band. 2. Aufl.

Gymn. 81.

eher, die Reihenentwicklung d. Potentialtheorie.

Gott. gel. Ans. 11. Beibl. s. d. Ann. d. Phys. u. Chem. 6. Kat. Wochschr. 87.

Boerner, Unterricht^werk der französ. Sprache.

NoureU. Yaud. 846.

Boerner-Thiergen, Unterrichts werk d. engl. Sprache.

Dresd. Ans 849.

180 Yermisohte Notizen. [MitteilQiigeB

BoU, Stadien üb. Claudius Ptolemaeus.

M. d. Hauptres. (Eohth. d. Tetrab.) einrerst.: BCr 18.

Brockmann, Lehrb. d. Geometrie. II. Stereom. 2. Aufl.

JbflbdFdM XXIY.

Battner, Porcina Licinus u. d. liter. Kreis d. Catulne.

Ber. hist. 118.

Caesaris commentarii, ed. Kubier. II. de b. ciy.

KphB 22.

G an tor, Vorlesungen üb. d. Geschichte d. Mathematik. I. Band. 8. Aufl. II. Band. III. Band. 1. Lief.

JbflbdFdM XXIV, 1. BlfdbO 611.

Catonis de agri cultura lib., rec. Keil.

Masenm 9.

Chovelius, Anleitg z. Abfassung deutscher Aufsätze. 6. Aufl.

Oymn. SO.

Chronica minora, ed. Frick Vol. I.

Ber. hiai. 118.

Ciceronis epistul. 11. XVI, ed. Mendelssohn,

Ber. hiat. 118.

Damasi epigrammata, rec. Ihm.

Muaeam 9. LG 45. L'aniyeniU oathoL 12.

Dini, Theorie d. Funktionen e. yeränderl. reellen Gröfse.

JbflbdFdM XXIY.

Dio Cassius, ed. Melber. Vol. U.

Claaa. Bev. Oct.

Diophanti opera, ed. Tannery. Vol. IL

LG 45.

Eberhard, Grundgebilde der Geometrie. I. Band.

Natare 18^6.

Epicteti dissertationes ab Arriano digestae, ed. Schenkl.

Oesterr. Lit-Bl. 21. Üb. d. aebr anerkannt« Auag. orientiert BCr 81/SS.

Fiorini-Günther, Erd- und Himmelsgloben, ihre Geschichte und Konstruktion.

Aatron. Journ. (Boaton) 856. Oeogr. Ztaohr. 9. D. Bauteohn. Lit. Bdaoli. 11. Geogr. Jonm. (London) Deo. Laips. Ztg 245. Nant. Bdach. 58. Nat. Bdach. 47.

Föppl, Einführung in die MaxwelPsche Theorie.

Z. Einfflbrg geeign. Lebrb. , durch Klarb. u. Deutlichk. aaagez.: Ztaohr. f. phyt. m. ohem. ünterr. 7. Bleotr. Ingeen.

Forsyth, Differentialgleichungen. Dtsch y. Maser. I.

JbflbdFdM XXIV.

Frantz, Schulandachten. 3. Heft.

Lit.-Bl. d. Dtach. Lehrer-Ztg 10. Monatabi. d. ev. Lehrerbda 112. ZfdOO. 10.

Freeman, Geschichte Siciliens. Dtsch y. Lupus. I. Bd,

Qnt überaetat, aachl. vlelf. verbeaaert: Strafab. Po«t 827. Dtaohe Beyae. I>tm. NnoTa Antol. Ottobre. Nord a. Sfld 270. AnafOhrl. orientierend aprioht flb. d. Sikuler ala „Ligurer'' BCr 4'J.

Frey tag, Vereinfachung i. d. stat. Bestimmung elast. Balkenträger.

JbflbdFdM XXIY.

Friedrich, Q. Horatius Flaccus. Philol. Untersuchungen.

Eins. St. beapr. im Anachl. a. d. „erfreuliche l.eiatong^* DL 48.

Galilei, Dialog üb. d. Weltsysteme. Dtsch y. Straufs.

JbdFdM XXIV.

Geh ring, Index Homericus: Appendix Hymnorum yerba contin.

Clasi. Bev. Nov.

Grammatik, historische, der latein. Sprache. I. 1. Einleitung u. Laut- lehre y. Fr. Stolz.

Kann sich keine Gymn.-Bibl. entgehen lassen: JbttbdhSch VI, 49.

1895. Nr. 6.] YemiiBchte Notizen. 181

Griechische Stndien, H. Lipsius dargebracht.

Mitl a. d. bist. Litt. XXIH, 401.

Gundelfinger, Yorlesungen a. d. analyt. Geom. d. Kegelschs., hrsg. y. Dingeldey.

Nature 1868. ZfdR 19

Heinze, Xenokrates. Darstellg d. Lehre u. Sammlg d. Fragm.

Auiftthrl. Bespr.: Arcb. f. Gesch. d. Philo». VIII, 1.

Henke, Methode d. kleinsten Quadrate.

Arch. d. Math. n. Pbyg. XIV. Zscbr. f. Natnrw. 68 I/II. Zschr. d. Ing.. u. ATch.-Ver. HannoTer. Fortsohr. d. Phya.

Herondae mimiambi, ed. Crnsius. Ed. II.

Museum 9.

Hipparchi in Arati et Eudoxi Phaenom. comm., ed. Manitius.

üb. Text (Hdss.) orientiert RCr 8VS8. Üb. Praef. n. Text allg. sustimmeod orien- tierend besir. eins. Stellen WfklPh 45.

Hoch heim, Aufgaben a. d. analyt. Geom. d. Ebene. I. Heft (Aufg. u. Auflös.). 2. Auü.

COfdIdR 11. ZfdR 7.

Holzmüller, method. Lehrb. d. Elementar -Mathematik. (3 Teile.)

JbttbdbSch Xn, SO. NKbl 10. Elektrotecbn. Zschr. 48. Unterr.>Bl. f. Math, u. Naturw. 2. Leips. Ztg (Wies. Beil. 146).

Holzwei fs ig, griechische Schulgrammatik.

NKbl 9.

Homer, Schulausg. y. Ameis-Hentze. Ilias. 1,1. 5. Aufl. 1,3. 4. Aufl. II, 2. 3. Aufl. Odyssee. I, 1. 10. Aufl. I, 2. 9. Aufl. II, 2. 8. Aufl. Anhang HI. 8. Aufl.

ZfdG (Jb) 11. BlfdbG 728 ff.

llias n. Odyssee. Deutsch nach Vofs von Weifsenborn.

NKbl 9.

Horaz, Oden u. Epoden. Schnlausg. y. Nanck. 14. Aufl., y. Weifsen- fels. Episteln. Schulausg. y. Krüger. 18. Aufl.

1) Entspr. n. Form u. Inh. d. Anford. e. guten Schulb. DL 48. 2) Z. Schul- u. Hausgebr. empfohlen: Oesterr. Lit.-Bl. 20.

Hrabäk, mathem.-techn. Tabellenwerk. 2. Aufl.

Polyt. Ctntralbl. 2. ZfdR 12.

Hupe, Elemeutarb. d. engl. Sprache.

Oymu. 20.

Hyperides, ed. Blass. Ed. III.

RCr 40.

Jacoby, Anthol. a. d. Eleg. d. Römer. 2. Aufl. I. Catull. II. Tibull.

JbübdhSoh VI, 78.

lamblichi i. Nicom. arithro. introd. 1., ed. Pistelli.

ROr 29.

Imhoof- Blumer, Portraitköpfe a. röm. Münzen. 2. Aufl.

JbQbdhSoh X, 75. 77.

Incerti auctoris de rat. die. ad C. Herenr.ium 11. lY, reo. Marx.

T>. Litterargesob. bespr. bes. NphR 24.

Keck, Iduna. Deutsche Heldensagen. 4 B&nde.

ZflUSoh 9.

Keller, grammaÜBche Aufsätze. (Zur latein. Sprachgesch. IT.)

Boll. di flloL 5. BOr 49

Kirchhoff, Vorles. üb. mathem. Physik. IV. Wärme, hrsg. y. Planck

ZfdöO 10.

Klein, Vorlesgn üb. Modulfunktionen, ü. Band, hrsg. v. Frioke.

ZfMuPh 6. JbübdFdM XXIV.

_ Vortr. üb. ausgcw. Fragen d. Elementargeometrie.

Stahl n. Eisen 2:;. Nat. Wochschr. 48. School fteriew liJ, 9.

Temiiichte NotixeD,

Hause.

PoJ'Tgbl.W-achl«. Z^MS.

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Sohlanr.-Holat. Sali

B<dLM.- B11«.Wdt.rM.ckr,»llS.-

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Bot« 117. _ Bchlanr. Vichx. ia^.

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JooTB. na, Mi. Knui-Zlg 67*. ~

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D. Briol»-*..* MI. - B.ül.. Nuhr.

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Lelpi. N. NoDhr. Ste. SlrHib

1. F«I

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BuL NMhr. aa». Huab. CoriMp.

***- ":;,

Dr.ri, Aa

I. Ül

1, - W»«-Ztg 17«

der einfachen n. d. vielfachen Integrale, hng. t. Netto. zntiSob g. gecammelte Werke, hrsg. v. Heusei. L Band.

KouUh. f. Ihlh. D. Fhri. lU/ll. ZflUSoh 1. OwUR. UL-BI. tO. Laudaherg, StreifzQge durch Wald und Flor.

Eum gandun beg*l>l«Tn: ZfdOO 11. D. t»»liiile n. mil «mnnviB IntonHI Gaganitd gsiohriibons Enoli iumbni. d.' Bchalarn atnprohluir JbttbdtiSeh Xm, S. : ZlivhT. f. BahDlgeogi, LO. UifT, BOnsa- n. Hudoli-BL 11.

Lexikon der griech. u. rSm. H^thol., brag. r. Boacher.

COtdIdB II. Lykophron's Alexandra, übera. u. erU. Ton Holiinger.

Fngt dar AbfU'nngault bsapr. bei. WrUPh tg. ADiflUirL orlauUMand baapr, Fr»g.; B>T. Und. gt. 396.

Martin, Folgerungen d. Boden reinertragatheorie. IL Band.

Kandanar fontL Uafla 0. Allg. fontl. DoiHhaa 7. LC U.

Heffert, Übungsbuch e. Übersetzen i. d. Englische. 3. AuB.

OOrdIdB 11.

Hnaici acriptorea Graeci, ed. Jan,

AuittUuL orlenliaraud: HlDutaiahr. I. HnilkgHoh. II. Bbt. itod. gi. M]

Ostermanns latein. übungabüchcr f. Sexta bia Tertia. NeaeAasei T. H. J. Müller. jbUbdhBali VI, bi. Sb. Peter, die acriptorea hiatoriae Augustae.

1 imaginee, ed. 1

nndorf.

eil. Pasc. 1-IV.

Pbiloatrati

NpfaB ti.

Plauti comoediae, edd. Goeti et^cl

DL 4a. Plinii Secundi Ubb. dub. aermonia Till rell., ed. Bi

OailMT. Ut-BI. 1». Jaiub. r. PbiL u. Fldog. 10,11. ausgew. Briefe. Schulauag. t. Kreuser,

jbQbdhSch VI. 6i, Plutarcha Lebenabeachreibungen , dtsch t. Uhle.

znttSah s.

i Graeci, ed. SpengeL II, 1, Ed. II. cu

blBtoriaTum reliquiae, ed. Maurenbrechei Opitz. Procona. b. i

bellum Catilinae, Schulauag.

JbUbdhSoh TI, Ol.

Schmidt, O.E., Briefwechsel d. Cicero t

1895. Nr. 6.] Vermischte Notizen. 183

Schülke, 4 stellige Logarithmentafel.

ZfdB 10. JbflbdhSoh XU, S9.

St&ckel a. Engel, d. Theorie d. Parallellinien y. Euklid b. Gauls.

LO 48. MonaUh. f. Bf»th. n. Phyi. 10712. Bot. doi queit. loienüf. YIII, 603 H.

Stell, Gtötter und Heroen d. klass. Altertums.

ZfltlSch s.

die Sagen d. klass. Altertums.

ZflUSch 8.

Wanderungen durch Alt-Griechenland.

COfdIdB 11.

Sturm, d. Gebilde 1. und 2. Grades d. Liniengeom. I. u. II. Bd.

JbflbdFdM XXIV.

Thukydides, Schulausg. y. Böhme-Widmann. 9 Hefte.

NKbl 9. D. „Peit^-Frage beipr. WfklPh 50.

Vergils Aeneis, Schulaasg. y. Kappes. II. Heft in 8 Abteil. 4. Aufl., v. Wörner.

NKbl 9.

Verhandlungen d. 42. Versammlung dtsch. Philol. u. Schulmänner in Wien.

Oeit«rr. Llt.-Bl. 19.

Veronese, Grundzüge d. Greometrie. Dtsch y. Schepp.

JbnbdFdM XXIY.

Victor u. Dörr, englisches ünterrichtswerk: Grammatik. I. Teil. 2. Aufl. Lesebuch. 8. Aufl. Übungsbuch.

,^erTorragend^' : Paedag. XVIXI, 1.

Wehner, Leitfaden d. Stereometrie.

JbttbdFdM XXIV.

Weise, unsere Muttersprache, ihr Werden und ihr Wesen.

Paedag. XVIII, 1. Dtsoh. Volkibl. 8478. V. Hau« s. Haas 7. ZfdG 10. Bep. d. Tidag. 8. Wetiermanxi« Monatah. Des. Bl. f. litorar. Uuterh. BCr 47. Laibaober Soholatg 18.

Wislicenus, astronomische Chronologie.

ZfdB 9.

Wohlrab, d. altklass. Realien i. Gymnasium. 3. Aufl.

Aaireichend, emprehleaswert: ZfdB 11.

Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik. 5. Aufl. I. Band.

Nat. Wochschr. 48. Unterr.-Bl. f. Math. a. Natorw. 8. •— Oeiterr. Lil-BL 80. Natur n. Offenbaruiig 9. Mooatab. f. Math. u. Phyi. 10/18. COfdIdB 11.

Wünsche, die yerbreitetsten Käfer. E. naturwiss. Übungsbuch.

Leius. Lelirer-Ztg 6. Prometheni 388. Sohweix. Lehrer-Ztg 47. Period. Bl. f. natarh. n. znatb. Cnt«rr. !</4. Katar u. Haas 6. Nat. VToohichr. 45. Allg. Hols- Terk.-Ans. 44. Ztsohr. f. Font- n. Jagdw. Okt.

d. yerbreitetsten Pflanzen Deutschlands. E. naturw. Übungsbuch.

Neue Bahnen 7.

die Pilze.

Halle'sohe Ztg S85.

Zeitschrift, byzantinische, hrsg. v. Krnmbacher. IV. Band.

BeU. d. Allg. Ztg 866.

geographische, hrsg. v. Hettner. 1. Jahrgang.

Erfallt d. Aufg. in gUnsender Weite: Post 387. BolL d. 8oc. geogr. Ital. Dttohes Kolonialblatt 84. Weier-Ztg 17618.

Übersetzungen in fremde Sprachen.

Von Klein, Vortr. üb. ausgew. Fragen d. Elementargeometrie,

wird eine Übersetzung in das Franzöeische veranstaltet von Prof.

Griefs am Lyceum zu Algier;

ferner eine solche in das Italienische von Prof. Gino Loria in Genua.

184. Alphabetisches Re^pster

Alphabetisches Register

der im Jahrgang 1895 als künftig erscheinend und als erschienen an- gezeigten neuen Schriften, Fortsetzungen und neuen Auflagen.

[Die erste Spalte der Seitenxahlen besieht tioh auf Anieigen künftig erscheinender,

die zweite Spalte auf die erschienenen Schriften.]

BT SS Bibliotheca Teubneriana. (Teztaosgaben.) KA s= Kritische Ansgaben mit krit

Apparat etc. SA =3 Scholansgaben mit deutschen Anmerknngen. SRa => Bibliotheca

scriptorum latinomm receutioris setatis. TS s= Tenbners Schalerausgaben.

Seite

Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik. VII. Heft . . 174 Alezandrl Lycopolitani contra Manichaei opiniones disputatio

ed. Brinkmann BT 69 | 80

Annalen, mathematische. 46. Band S4

46. Band j,»;^^

Anonymi Christian! Herrn ippus de astrologia dialogus edd. '

Kroll et Viereck BT 102 i 111

Anthologla Latinaedd.Bue che 1er et Biese. Pars H. Fasel. JSr | 18 Anthologie aus den Elegikem der Bömer, von Jacob 7.

m. Properz. l>. Aufl. SA 71 I 112

Areambean u. Köhler, französ. Lesebuch 41 , 83

Arohiv für latein. Lexikographie u. Gramm. 9. Bd 10. lu

Aristotelis noXitsCa 'A^rivaCoiv it. ed. Blas s .BT 69 i 111

Asbach, zur Erinnerung an A. D. Schaefer 127i 140

Äsehylos* Agamenmon, v. Enger. 3. Aufl. v. Plüfs SA . . 9 18

Babrii fabulae Aesopeae etc. ed. Crusius BT 70

Bardey, methodisch geordnete Aufgabensammlung. 21. Aufl. 87

Resultate dazu 87

arithmet. Aufgaben nebst Lehrbuch d. Arithmetik. 9. Aufl. 87

Bartels -Wirth , deutsches Lesebuch, neu bearb. v. Bartels.

m. Teil. 2. Aufl ' 84

Batraohomachla, hrsg. v. Lud wich KA 65

Benedlcti regula monachorum rec. Wölfflin BT 70 111

Berlit, Rudolf Hildebrand . 50

Blanchi, Vorlesgen üb. Ditferentialgeometrie. Deutsch t. Lukat 44

Biermann, Elemente der höheren Mathematik 45 ^ 87

Bismarcks Reden u. Briefe, v. Lyon 42 ; 50

Boemer, Lehrbuch d. französ. Sprache. 4. Aufl 83

Ausgabe B, f. höh. Mädchenschulen 40

I. Teil ' 83

II. Teil 144

Ausgabe C (gekürzt) 166 i

- Oberstufe z. Lelirbuch d. franz. Sprache. 2. Aufl. . . . 105 114

Wörterbuch z. Lehrbuch d. franz. Sprache. 8. Aufl.. . 83

Boerner u. Thiergen, englisches Unterrichts werk 40

Lehrbuch der engl. Sprache 171

Grammatik der engl. Sprache 171

Breuer, das Notwendigste üb. d. natürlichen Logarithmen 117

CallinlcidevitaS.Hypatiiliberedd.8em.philol.Bonn.sodale8.Br 71 111

Cantor, Vorlesungen üb. Gesch. d. Mathematik. in,2 . . . 107 174

Cäsars gallischer Krieg, von Fügner. Hilfsheft TS ... . 49

Kommentar TS ' 80

Erklärungen TS 80

Gatonis de agri cultura über rec. Keil BT 37 ' 80

GhrestomathlaClceroniana, V. Lüders. 3. Aufl. v. Weifsenfeis 101 141

r

Alphabetisches Register. 185

Saite

Cicero, Auswahl a. d. Keden. I. Die Rede üb. d. Oberbefehl d. Cn. |

Pompeius u. die Catilinar. Reden, v. Stegmann. Text TS 7 ' 80 Corpus glossariorum Latinorum ed. Goetz. voll. I. VI. VII. KA 126 CmsinB, ad Plutarchi de pro verbiis Alexandrin. libell am comment. 67 169

Damasi epigrammata reo. Ihm BT 38 80

Dionysii Haucamasei quae fertur ars rhetorica, reo. U s e n e r KA 1 41

Diophanti Alezandrini opera ed. Tannery. Vol. 11. BT . . 142

Eberhardt, die Grundgebilde der ebenen Geometrie. I. Bd. . i 54

üb. d. Ziele u. Grundlagen der Raumlehre | 54

Englert, Inhaltsangabe der Iliade u. Odyssee . 110

Enclidi8 opera edd. Heiberg et Menge. Voll. VI. VII. BT 38

Vol. VII ed. Heiberg BT 48

Fiorini, Erd- und Himmelsgloben, ihre Geschichte und Kon- struktion. Deutsch bearb. v. Günther 77 119

Frantz, Schul- Andachten. III. (Schluf8-)Heft 43 84

Freeman, Geschichte Siciliens, deutsch v. Lupus. I. Bd. . . 79

Fügner, lexicon Livianum. Fase. VII 169

Gehring, index Homericus (Appendix) 3 47

Geoponioa rec. Beckh BT 129 142

Georgii Aoropolltae historia rec. Heisenberg JSr 162;

Gerber u. Greef, lexicon Taciteum. Fase. XII 110

Gercke, Seneca-Studien 141

Geyer, Friedr. Schleiermachers Psychologie 120

Goethe, Dichtung u. Wahrheit, s. Teubners Sammlung usw. Grammatik, hi8tor.,d.1atein. Sprache. LBand,y.Stolz. 2.Hälfte i 169 Gnndelfinger, Vorlesungen aus der analytischen Geometrie d. |

Kegelschnitte, hrsg. v. Dingeldey 54

Handbuch z. Einführ. i. d. deutscheLitter., s. Lesebuch, Döbelner.

Hanpt, Livius-Kommentar. Zu Buch VUI— X 127

Heinichen, deutsch-latein. Schulwörterbuch. 5. Aufl. v. Wagen er. 68

Herodot in Auswahl, von Abi cht. Text TS

Hlppocratis opera. Vol. I rec. Kuehlewein BT 5

Holder, alt-celtischer Sprachschatz. 7. Lieferung

HolzmüUer, Lehrbuch der Elementar- Mathematik. lU. Teil . 45

L Teil. 2. Aufl T6

-, Gymnasial-Ausgabe. I. Teil 139

Homers Ilias, v. Ameis-Hentze. II. Bd. 2. Heft. 8. Aufl. SA I. Bd. 3. Heft. 4. Aufl. SA

Odyssee, V. Ameis-Hentze. I. Bd. 1. Heft. 10. Aufl. SA

IL Bd. 2. Heft. 8. Aufl. SA

IL Bd. 1. Heft. 8. Aufl. SA

[ -] Anhang zu Homers Odyssee, Schulausgabe von Ameis- Hentze. HL Heft. 8. Aufl. SA

(Jedichte. L Odysse, v. Henke. Kommentar TS . . ,

Ilias u. Odyssee in verkürzt. B^orm nach V o f s , v. We i f s e n -

born. n. Odyssee 73 84

Horaz*Odenu.Epoden,v.Nauck. U.Aufl. v. Weif senfeis 5^ 18

Hrab&k, prakt. Hilfstab. f. logarithm. u. and. Zahlenrechn. 3. Ausg. 46 55

Hnebner, ebene u. räumliche Geometrie des Mafses. 2. Ausg. 75 88

Jahrbnch für Kinderheilkunde. 39. Bd 28. 58

40. Bd . »^- *«o.

41. Bd ; 161.178

statistisches, der höheren Schulen. XVI. Jahrg. ... ,151

141

111 18

142 79 55 88

174 49 81 49 81

170

81 142

Jahrbücher, neue, für Philologie u. Pädagogik. 149. u. 150 Bd. ;19. 50

151. u. 152. Bd.

10. 60. 8t. 118. 148. 171

186 Alphabetisches Register.

Seite

Jahrbiloher f. classiscbe Philologie. XXII. Supplementband .o&iaoi 141

Immisoh, philolog. Studien zu Plato. 1. Heft: Axiochus . . 159 ' 169 Index Homericns, s. Gehring. { loannesPhilopoiiQsdeaetem.munciicontraProclumed. RabeJBT 108

losephi Opera rec. Nah er. Vol. V. BT | 170

Keller, grammatische Aufsätze' 99 ' 141

Klein, Vortr. üb. ausgew. Fragen d. Elem.-Geom., ausg. v. Täger t 74 | 88

the Evanston Colloquium. Lect. on Mathom., rep. by Z i w e t 138 : 147

Kraepelin, Naturstudien im Hause 140 ! 175

Kranse, Theorie d. doppelt-period. Functionen e. yeranderl. Gröfse 74 .

I. Band ' 148

Kroneoker*8 Werke, herausg. v. Hensel. I. Bd '117

Landsberg, Streifzüge durch Wald und Flur 24

Lesebuch, Döbelner. Anhang zu IV, 1 I 114

V. Teil. 2. Aufl 188 j 144

Lese- n. Übnngsbüoher, latein., v. Eautzmann, Pfaff und !

Schmidt. II. Teil: Quinta. 2. Aufl 1 ^*^

Lexikon d. griech. u. röm. Myth., v. Röscher. 30. u. 31. Lief. ' mi«

Liviannm, s. Fügner. |

Taciteum, s. Gerber u. Greef. <

Liohtenfeld, die formale Bildung 84

Lnoilii saturarum reliquiae rec. Marx KA 126

Lykophrons Alexandra, von Holzinger 79

Lyon, Handbuch der deutschen Sprache. I. Teil. 5. Aufl. . 84

Martin, die Folgerungen der Bodenreinertragstheorie. H. Bd. 47 91

Henrer, griech. Lesebuch. I. Teil: Unter -Tertia. 2. Aufl. . . 128 169

Heyer, der römische Konkubinat 66 141

Hithradates Enpator, von Rein ach, s. Reinach.

Mitteilungen der Math. Gesellschaft in Hamburg. Bd. UI, Heft 5 56

Mnmer's Gäuchmatt, hrsg. v. Uhl 165

Mnshackes deutsch. Schulkalender. 44. Jalirg. Oster- Ausg. 1895 28

45. Jahrg. Michaelis -Ausg. 1895 151

Mnsici scriptores Graeci ed. lanus BT 6 m

Math, Grundlagen f. d. geom. Anwendung d. Inyariantentheorie 14 24 Mythographl Graeci. Vol. II fasc. I edd. Sakolowski et 1

Martini BT ,168 1

Nenmann, allg. Untersuchungen üb. d. Newton^sche Prinzip*

der Fernwirkungen 136

Nicephori Blemmidae de vita sua narrationes II prim. ed.

Heisenberg BT 163

Ostermanns lat. Übungsbücher. Neue Ausgabe v. Müller 34

lat. Übungsbuch. Neue Ausg. t. Müller. Tertia. 2. Aufl. 17

Sexta. 4. Aufl. Ausgabe B 48

Quinta. 2. Aufl. Ausgabe B 48

Quarta. 3. Aufl. Ausgabe B 48

Sexta. 4. Aufl 79

Tertia. 3. Aufl 79

Wörterbuch zu den Übungsbüchern für Sexta bis Tertia.

Neue Ausgabe v. Müller 48

Ovlds Metamorphosen (in Auswahl), von Fickelscherer.

Kommentar TS 48

Hilfsheft TS 81

Erklärungen TS 81

Pfeiffer, antike Münzbilder 79

Philodemi volumina rhetorica ed. Sudhaus. Supplementum BT 1 29 \ 142

Pindari carmina ed. Christ A'^l 1 !

Alphabetisches Register. 187

Seit«

81

49 170

117 49

PlatODB ausgewählte Schriften. I. Verteidigungsrede des

Sokrates und Kriton, von Cron. 10. Aufl. v. Uhle SA 72 Planti comoediae recc. GoetzetSchoell. Fascc. UI. IV. BT 89

Fascc. V— VII. Supplementum JBT .... 129

Plücker's wissenschafbl. mathematische u. physikalische Ab- handlungen, hrsg. y. Scboenflies u. rockeis .... 10

I. Band: mathemat. Abhdlpi, hrsg. t. Scboenflies

Plntarohi Moralia rec. Bernardakis. Vol. VI. BT . . . Poetae lyrici Graeci rec. B e r g k. L' d. V. Vol. I cur. Schrpeder KA 86

Vol. n cur. Crusius KA 36

Reidt, Sammig y.Aufgbnu.Beisp. a. d. Trigonometrie u. Stereo- metrie. I. Teil : Trigonomebrie. 4. Aufl., neu bearb. v. Much 76

Auflösungen hierzu. 4. Aufl

Reinach, Mithradates Eupator, König von Pontes. Dtsch t. Götz 2 Revue semestrielle des Publications math^matiques. III. Jahrg. 16 BLosoherf Kachträge zur Schrift über Selene und Verwandtes 87 SaUnstins GrispnSf bellum Catilinae, v. Stegmann. Text TS 180

bellum lugurthinum, von Opitz SA

Sehenk, Belehrungen üb. wirtschaftl. u. gesellschaftl. Fragen 181 ScMeBinger,Handb. d. Theorie d.linear. Different.-Gleichgn. I. Bd. i 24 Schmidt, Lieder der Deutschen aus den Zeiten der Freiheits- i

kriege u. der Kämpfe um die nationale Einheit .... 186 144

Schneider, excerpta negl nad'&v 48

Schröder, Algebra u. Logik der Relative 11

I. Abt i 148

Schülke, vierstellige Logarithmentafeln 14 j 66

Sohmiiaim , französ. Lautlehre für Mitteldeutsche. 2. Aufl.. . 166 Scriptores sacri et profani edd. seminarii philologorum lenensis

magistri et qui olim sodales fuere BT 162

Serenl Antinoensis opuscula ed. Heiberg BT 89

Sidonins, G. Sollins Apolllnaris, ed. Mohr J?T 18

Sophokles' Tragödien, von Conradt TS 8

I. Antigone. Text TS

Kommentar TS 164

88 88 17

S&. 118

48.79 142 148

II. Köniar Oedipus. Text TS

v.Wolff.IV.Teil:K.0edipus.4.Aufl.v.Bellermann5J.

111 170 142 19 Stäckel Q. Engel, die Theorie d. Parallellmien v. Euklid b. auf GauTs 117

StaM, Theorie der Aberschen Funktionen 168

Stobn, Lehrbuch der deutschen Poetik f. hob. Mädchenschulen

u. Lehrerinnenbildungsanstalten. 2. Aufl 106

Stolz, Grundzüge der Differential- u. Integralrechnung. II. Teil 168 Taoltns* Annalen, von Draeger. I. Band (2 Hefte). 6. Aufl.

von Becher SA 181 148

Germania, von Wolff SA 104

Tenbners Sammlung deutscher Dicht- u. Schriftwerke f. höh. Töchterschulen, hrsg. v. Bornhak. 27. Bdchn: Gk>ethes

Dichtung u. Wahrheit, hrsg. V. Hofmeister 48 61

12. Bdchn: Homers Odyssee, nachVofs bearb.

von Wetzel. Neue Ausg

Thnkydides in Auswahl, von Lange. Text TS , . Tryphiodori et Gollnthi carmina rec. Weinberger BT . , Vergill Haronis opera it. rec. Ribbeck. Voll. II— IV. KA it. rec. Ribbeck BT (Editio maior)

- Aeneis it. rec. Ribbeck BT (Editio minor). . . .

- Äneide, von Kappes. II. Heft. 4. Aufl. SA . .

- (in Auswahl), von Fickelscherer. Text TS

114

7 10.8

81

X v/o

111. 160

142

142

72

82

131

143

188

Alphabptisches Register.

Yerhandlnngen der 42. Versammlung deutscher Philologen u. Schulmänner in Wien

Vietor n. Dörr, engl. Lesebuch. Unterstufe. 4. AuÜ

Volkmann, Franz Neumann

Vollbreoht, Wörterbuch zu Xenophons Anabasis. 8. Aufl.. .

Wassiljef, Nik. Iw. Lobatschefskij. Deut$}cli yon Engel .

Weck, Vaterland. Schriften u. Dichtungen. IL Teil : Aus Deutsch- lands tausend Jahren

Weise, unsere Mutter8i>rache

2. Aull. . '

Wesener, ]atein. Elementarbuch. 1. Teil: Sexta, ö. Aufl. . .

Wirth, deutsches Lesebuch f. höh. Töchtcrsch. IL u. VL Teil

neu bearb. v. Schmid u. Speyer. I. Teil . . .

IL Teil

Wirtinger, Untersuchungen über Thetafunktionen

Wislioenns, astronomische Chronologie

Wohlrab, die alt klassischen Realien im Gymnasium. 3. Aufl.

WüUner, Lehrbuch der Experimentalphysik, ö. Aufl. IL Band

Wünsche, die verbreitetsten Küfer Deutschlands

Exkursionsttora. 7. Aufl

Xenophons Anabasis in Auswahl, von Sorof. Text. Hilfsheft.

Kommentar. Erklärungen. TS

Zeltschritt, byzantinische. IV. Band

geographische. 1. Jahrg

für Mathematik und Physik. VJ. Jahrg

4^. Jahrg.

für mathem. u. natnrw. Unterricht. 25. Jahrg. 26. Jahrg .

für laleinlose höhere Schulen. 6. Jahrg.

Jahrg.

für den deutschen Unterricht. 8. Jahrg.

y. Jahrg.

für weibliche Bildung. 22. Jahrg. 23. Jahrg

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18

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Ausgegeben im Dezember 1895.

Druck vou B. G. Teubnor iu Leipzig.

DIE THERAPEUTEN PHILONISCHE SCHRIFT

BESOlIAlTLfCHEX LEUEN.

EIN UKITKAU OKSCllKJHTK DES IIiaLENISTISOUES JUDENTUMS.

PAUL WEMDLAND.

*

Hrit LiHMiN tlif IMiiloiii^rln- J^il.riit Ihol jiiov xhmQtjiv.vv t'«,r ein«* c•llri^tIlcll^• riiL-chunir iiiiii ilii» 'rin'vnjM'nti'n lur finiMi c)u'istlii.-lii*ii MrinrlisNfn'in ::ii} .M"0. iTKlrirf hat, simi nur MMviii/««!! Stimmen lur »li«.* Vi htlii'it tlt's- S.'liritt iiinl l'fir »It'ii j\i«ii««lir'ii (.'haraktt.T <ltT 'rh*?ra- iM'iitt'ii lullt irr'.vordrii. jiiirius' 'rin-orir Mii'b dio lir»rrpr]ii'nile, bis zu Aiit'anj; IHiifi (.'miyboiiiv in ><.Mrii'r Anstiubv mit «■iiifiu imifjuijjroiobeii Uewi/iMuatfiial für «Ifii i'n<iii';riMi«;fM't/.tcii Staii'l]Miiikt fiutrsit. In liif iladurrh \ou m-urm anu'inv'L'ti.* Sir»*ittVa.(ri.' trr«'it't ib.*r Vorf. rin iiml sMi'bf /.um T«'il mit jh-iii-m <!iT.inlf!i »b i- riiibuiiM'bi'n rr>pnin;^ ib.r Srhrift uikI «bMi ji'hli.-rb»'n «.haraktiT «br 'rbiTaiH-wti'n zn urwcisf*«.

K.ij«. I /i-iirt.. «bils <.iit? iliivkti* (iM'rlielVrunir *ler j^i-britt ^'i^ *H-[i^\'i\f< firli 7iir{irkvi*rl'«»!;rfii ÜilVt. il;il.- iiuni'liO iiltt-ri' KiivbotJ?i;.bri{'t- stclb-r. n.nniiitlicii i'l«'iiHU-;, -ir l'»*!»!!!»»! Iia^ou. Uainit iM Luciih' An- satz. aU uiii:'"inli'i! iTv\ ii'->»Mi.

Im-ii il .•••\\.iis{ i'.ii Z'i-aT!*!:jiMiir'.'ls'"nLrl\»'it «b'i* Sibrifi mit \hv w.ii ; I--1 .il" ' / .?-M*.. .'f '.i' ''S«!:!!- I'- ••! \j' »li'nn- l'bibi."S t 'liamktt.T uuA (iru::ii^«.'«"iaii'-.»'ii «l-« ii|.«i!i-. 'ti- !•?• [.'':•<.•}■;!• t\r< hflli'jiiHtisoht'fi Jlii«l"ij- tun:" wrnliii ;^'i'ri;n:»'r ]'iii.iii<li'lt. «lii* TLÜMii -.hioi Aii*>'.il'"<'M übi-r A>i\i >t* in ihr«'iri Vi'r!iriltiii.< /u iii!-«!rir Sshrilt «n I.":iii!i-1. I'.in \\i'it»Ti»r J'»i-v...'i'< iltT \'.i htbri! «M'iri-'lit -i«Ji au* «l«-!!: !'.iii"iir* «irr kviii-cli-ftti.i-^Vn'ii f^iiiirln- i].r ••;-fs»! I\.i:i»r.:»'it : w' ■!. 'i. «.••■!' .Ii- Vi'?t'.i<s»-is Al«h;tr..l- lüi.'j ::. •■'•• !•••!? ;.'_"'!i •••.:•• *t...... r,. „ri •• ! i- Ih'ii I'liil«*««,!!.!!!,. i!>i.i

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Vei'lafi; von 1(. (;. Tcnbiici' in Leipzig.

Dietorich. hr, Albrecht. Abi-itMis. Hm.li.i> /nr i;.-iiu'i-ii>v"-(-lii'.iii" ■t.-- -i.rit.'ivii AilrTliii.i!.. r..sis.-lirirt, li.TniLUin r>.Mn-r /iir ]-'■'!. r »'lü.-r L>r.j;iliri^'"ii Ulii-tliiiii^'k.-il -m d-r lioi.hi'i- Ti'i- vi-r-irlii. .lin--.!.i-i.-lji vr-m kNi-sis.-li-|>liil'il">ri^''li"" V..r.-iri /,n llnnii. |Vt .1. L'L'l ^!.| v'i-. (-. ItilM. 'j<-h. u. X -f.lO.

N.-](vi;i. [{.■■iti-iltr.' /.m- KrliUirimsr ,|or nfuonld.rki.n l'..iruriai...ki"ilyi.»... sr. S. IBita. n. .Z' i".. - vou GutHCfamid. Alfred, klein«' ScLrifK'ii- nr.'riins:,'<-.Lr('lM'ii vi.ii Fhasz Kiiii.. Zwiiti'r Hüivl. Miriri.'ii zur liis.riii.liii.- uikI Literatur >].t M-mif,is.-lii>ii V.Uk.-r iitid zur iilfiT-ii Kirrli.'t, n^siliii-lite. [VIII II. 7:'l S.; .^T. H. I*<iMi. ;.'.■!,. n. JI-. i' l , -

Inl.il- l'.-l.'> -l-ii ] M-i. lU-.'l >-.'. IM'.vcr-' li i.i.'i'., VrUt <lr.<'<4-'>.

n>n'l<>.iiihiiui»i> rur ■riDill-rUiilMlül'Ui^lli.x'VkhrT - )li<> ■■■■' i »irr. I .Iw MHtr.i- <;• Fu-lii- J.i" -Ixi KuitU-^'r /•■ l-ii lrdL-i!i>nI.i. ■!> - Ib p»'.c bivI hHiLi- i;-iri,.:..ii.T aii.l \<,rr-r,'n im (tii-rl.K-lil.- ni.il .VIf'itliun.rLniul. A-fTi-i» bii-I Hjl-flai.loik. - l-.-r D-mr liTWhi-i.b .niir im liiic).« li4'.M Sa- ^Vraul ■»iiPit i'i>d I p lul-iiTlulr 11. Ii.-

uioil.clfii S-ii'li.-ii. i:m lli'ltria iti. <i"ii Tnii n-ii •l.^r iriivl.i-:' lli^hvikr

7.Bt At'i.Liilii<F- ifi \:-n. lli-cpi.hu.-iru Biiil Ai./.I).i-ii iiir ju-IIi.I-m. liiKliilK. unil

I.HrrutuT. lijo X '»I B-'b lu i'n nirkr; T<i-rn Aro'Murx-Mvhr-n. - V.T/.i.hi.u-.

d.T l'airuin.').<'D tin .tlnuliilIH'n. K.-r.i D.n unil AuKiiMi nve slfn'ii kir.tvi.-

ui'-clilchLF. TiUr ilu l'liniuifc dir Jn.nn »i}:!!-!-. liir NnlAtal-vi» ldiHl»iilli<vhjll uDil ihn- iJrtclnnH.;r. - »"«r 11... «»iwiiijnb .-i;. inLnui^vliuT ■■•i'xl'.tt Uif-UKi'.Ui-i

McvcT, Panl,'<l.-'r' rMi.ii.-rli..- Ki.iiku uiiiLit iiuoh di-n Itefliif.- .ini-lleii «ii.l il.'ii Jiis.thriftwn. |VIl u. Ilif, S.) -^x: H. ISii.V -eil. II. J(. 5.—

UBOUor, Honnaiiu, .I<'>' li>-! !',-■■ 'n.i'M.t" ■\i\<. -"^ilii'li'':! \-> 'Xh-w. A.-:..- -.u,.\^^:\\ WiV.,,.'!.-- ~ I ^m >..:.-■. ii. , tf I .

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FngniMihiin boa est f&stonun t«trnpo1i» Attine*) eiusqvc pngoram jiriori ntiqve qnsTÜ savculi jr&rti adscrilmridiim. ^) In co). 11 Mai-atbonia t (0 2, 23) |>riictini anniTcmaria (cf. B ft-l ikpo Iijj; [Sea.] iwji. Athen. IQ 4} dfrinÜi' Uii'tiiriun (B 196, Uüaq.) [lorscript« mot. Hin in T^i}i«uf, lia«it in ^et^omiftt; diviilaDtnr, qood vocafatUum ißteiprotnri liireL cdikdid onUncm nBriem.*) S«vniitiir TricorKnlLi*) saera »obqa. Alüuu natimu jime ae TiEniDi m^ ijua« iii c-uL A nwiiDSKnliir nocni. lam uuni <i rjluln Ifontbaoi'i SIO i<Q4 loUamni» psgönim <inlo «ffitii ridulur Mitr»liiuiÜB ^rieorjmüü Oonoan I'rob«liiitbi, otiiim iiio pwt l'rioorjnUmra tacra 0«iM»a iie Probulintiti porwripta fniiao, aaiecemsiio ia ooL A, qnilfUS ucDTona tetoapoUa moc deoi ddlim-l, tvri u«l timtUimtun. Qoiui ipsa t)iUK|ac diviaa niit in annimnanA, (inontm flnom conLinnn ool A t. 4 IS firv otttu MCOt") et c]uau nun iiaoliimiis rast jnrRi-icn'la (A Iltsqq.). NtmimiB KtethiiiT illümm loounim, iinae A X0~ 19 carauieiDonntnr, tri* alii|tui Maralbomo. CfuDsuru titiiiu sutuiiür u{iitällatar ^kq« Mai/aO&vas^ Bleiuiiiiiuii Vera (ct. Ü 4.1, tB) »fqun Bcn-ulLi fonani (Herix]- VT 116; ihoL 1'in.L pL tX Ift4, XIII UH; Vnaf. 1 15, 4; 82, i), quonbm uOüI äiUim cHt, riaitiJ'im aporto sunt' pagi. Mnrntbone i^tnr alpo<« pAgoram nmo anl cmiwa aut ci-rtb plonml totim ttttrapoUs £ nri^ fana aiva haboiase por qaattuor illa Iiica diB|)OsItafl pataDÜl hihe. lam do tBiupdrani ntioiu) agonduin i>»L IMmo cuins^nn tfitk^,vov roitnop (ncopto T. fht) aitum linnt iistnvonlinann Inni prouiiniptianca illne, qRno mBnscni cam Tpt)>i[i-^ iKuÜDeut, iar cimtn (luteriinim eiKmipIornin nsiu» io iluur' (lialtilinlnr soDt vureus (A 20, 2S, 32),") uüJa airnjuiortim antionun inJÜa BfigniKcnDtnr (Jtij]iiu Invi« iitmin aanoruiD uuniiiri pnucos^oriut iit^Snav, Stiuiiaif, tflitiv ha?) aa nihil omaino desit, oorto vis poUat diindioari. ~ a V. 13 quoniun Tidntur iaU^er tiai&, at in cuiantibits TRsibaa in cot. B

1) Garlitt, de («tiapoli UÜo».

X) lu r^oto a littemtiua «t ärtlioipapbia (o pro f>v\ lanipm dtflaU aJlUr UUi(|,

5) ÜLtle ä Sgür, ifvAjic ilennt i-iliiof p. SIS, 8) uddm tos t^at dgrjfffioavFi;

(!■«•• lijrDiEU Utna. in Cer. 4T«}v cl. tn. 31. «t Ue^reli. f. tflt^tt^^uai^l^ aiipU,!

*1I 1310 diriaiMPnii.

Dil bac gvDUln» noibinit fpraia cl. Gurlill 1. a 31, 3. i-Xdltur 1. t tfitTfi rtpiftiJTB <itiMi{iiti ttivatn* ptoplcr t. XO tvfffi^, ' A ST [«(tbeije i^fii{?]«[n] i{aod propunit cditar nnini rix nL

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biß (Säud^matt.

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Williclm Kl)l.

mit Einleitung, Unmtrfnn^n nnb Cjfurftn.

Stud un^ VttUq von S. (5. Ceubncr. (896.

tinctirr vnchnlueii JBhrlfcb In _

) der Jnhr^tw ko<t«t 81) Xurli. All« llnellb«

Uui noluacji lliist«iUiiiigeii ak. __ ^

Bon bcn gtBfieten SBerfen %i)omai SItutncr'ä finh bit meitten ben (^ac^gcnoffen jegt jiigäiiglif^ . unb jroai {aß bui<:^> mg in wilfenlc^ciftlittion Stu^gaben. f&§ f^^It bi^^ei nur no^ bie „Säui^inntt", bie oHerbingä bcreile alä Ärabnirf BDrliegt; man finbet •" ®(^etblc'ä „Sloftet", 8. 5Banb, S. mbl., Stuttgart unb Seifijia tS47. 91b« i^ iebcm ®ermaniflcn gut @enflge beFutint, bag bie te^tlii^en unb fonftigen Sigeu' ^eit«n beS „fflofterl", iit^ti offtnboi in oUtt Sile jufammeni gtroffttn ©ammtlwtrfeä, nu(5 ben gerinaRtn p^tlDio9t((^en Slufiiibcninaen in Iciner IBei^t tat^ptcdjtn. Set genannte 9]cubruct benn auä) dgcnllid) jo gut nie neTtloä, unb fetilt ba^er iinmer no^i an fin^r braudiboicn SKuägobE bei SAui^uiatt.

S)ei SJetfafiet ber ^iennit angefünbiglen ütinen Vtbtit min nun Dcrjutiien, bitfem Übelftanbe abgu^elfen. <£i bietet in erfter Siinie einen biplomatiftö getreuen fflbbruct bcä SBctfeä unb giebt feinen Setctn äftec^cnjftiaft über bie corgcnoinmenen obet i)0tgt|(^lcigenen ^nbcrnngen, ^n bcr Sinleilung finb feiner einige litteiaT^iftoiiti^e Seineilungen UocauSgejdiidt; aaäi tniTb bDTt eine 'illnali|{e bej @ebi(^ted borgen ommen uitb {eine !iBe= beutiing gfiuQrbigi. 3" &"> SSnmertungen unb ben ffijfuiien ^nb fqi!ie|li^ notb einige Seobai^tungfii ju(QnimengepeIIt, bie ber ^urneifoTji^ung oiellci^t nic^t unmiOfornmen {ein loeiben.

Be(let^8tWtl-

fiej bei iSuf^^nblung Don

beßeDe i(^ ^ieimit gu {i^neUfter Sie|eiung ein S^enttilai befl im ajeringe uon ». &. leubnev in Seipjig (oeben er|(t)ienenen aSerreS;

U^t, 'Zijomai äRuruer, bie ©äui^inatt. (Sq^c( 1519.) 8. 1896. ge^-n-jr 2.80.

[3)ec Xitcl oU entrolltes Statt inmitten eine« ^oijf^nitttS, bet mu9 bct Slrt oon Slanbleiften fpielenbe @eTtien, Omaniente unb SIuBun^tte boTfUUt; oben ein Stnait, inä ^om flo^nb. ISiefei

$o[)|c^itt, tint aitbeit beä JCmbroftuä ^olbein, ijt berfelöt, Ux

BOton fte^ in Shimeta „Utriuaque juris titnli & regulae";

bort trägt et o6ev bte Unterf(^rift: 'Cum priuilegio Caesarea«

maieatatis decennali.'J

2)ie gcu^ '«w

mot jtraff alle JD^6f(|c man=

nett burc^ bett l^od^gelcrte |crre

SE^otttatt 3Jlurtier ber ^e^Iige

gef^iifft toctot, Selber rechten

Sicentiate, »nb bct W™ W"'

Safcl beä Äe^ferlit^cn tc^teä

orbenürfieniccetetbirfitet, tmnb

eigner fcummeii gemet^n bei

löblich ftatt 9ofeI in fre?»

ben eqnei: te| be:

fc^riben onb oet:

(offen.

[Oben Ipoljfdiniti: 3<«i<^itHipp(n von Üomin t;t^allen, mit bem äRDnofiTainm bti Ute @ii)f; unten eine i}u^=, uii)ti unb linlö

95^ funberlii^^e gunj! [«n

önb liebe ^aben loir 3)inEimilianuä »oit gotteS

gnaben 3tömiftfier feijfer arbcnt »nb

foften bift bü^Iinö angcfelje, onb boä

8cftt)et mitt mifer ficpfcriicben

frp^cit, memgllic^c oerbotle

foltö büdllin jn jette javcn

itit iwcf) tnicfcn bg

pen roie f^ ban

»nfer brieff

tet.

pmmtm^ww ' M >ir B jfwf

@^tt ootreb. i

@ejn)ungen bing, finb ii) ge[i$ri6«n,

Stnbt nie lang beftenbig beleben; Sott i(^ ben ftetä felb äroinflen mi^,

6tubieten, lefen, f^nneri^, Snb nit bo jniiF^en f^impff leb triben,

@o iDurbt mqn em^ nit lang twl^ben: 3!)en jnif^len fOTgen, bie man breqt,

Sol man ju j^ten brudien fre^bl. - ^ntntb ^ab id) m^n etn[t serlon

65« jgt, onb biffen (cdimpff gettion, (3^nb gf[^^e baä in bei fafenad|t,

So anber| niemand focgen aij^l) Sin geuffimat bit^t, bet n^ber taidit,

(l!et mir nil roenig ift befant,

Söte ii^ ben in ben bfidietn fanbt) 3Rit mar^eit, boc^ mit f((|imff gefeit;

9Jtl meinen baä mqiä werbe le^bl, ' S5 nerben mic^ com lanb oettriben,

Sie felben ftWen geu^fdjen wt/bm. Saä fetbig gloub i^ nit Don ^n.

So {(^ ein gelertet goui^e bqn, Sei f9 iDOilii^ ou^ beberffen

ffinb nit fc f(^le(^[i{^ »on jn roerffen. So füimenbl f^ baä flagen ntd^t,

Saä i^ mqn jin^ nit ^ab geii^; 3t^ ri(f)t "ff ber erften fart,

(Se baS ber ;in| gefallen roarbt.

Sit foltft noä| niol br^ fitnigrit^

SHcgirtCT übet bie gfu^matt.

[VIL aSein gourfi loden

ß«i

[Vni. 35en gout^ fa^en

^

(IS. Den goucti beruppffcn

Vi

[X. 3)ie flout^s febten »erfouffcn

[XI. ajeii gou^ öfebrüten

'»i

[XII. ^en gout^ D^netnen

iiiij

[XIU. a;en gou(^ e^fen

ti\

[XIV.] Sen gmit^ im (pieget fetjeit

(iüj

[XV.] 2ien gouc^ lernen fingen

liii

[XVL] 2Jen gouf^ bereiten

liiii

[XVILj 15en goud» »ff ein füffe fe|en

m iij

[XVin.] 5)en goud) ftr^i^en

n

[XIX.] g?enu9 Ut onb ermonung

nij

[XX] go^anneS ein bapft

oij

[XXI.] «etfabea ein jiibin

0 tij

[XXIL] J^iS ein ^e^bin

0 iiij

fXXIIt] ®a((mioniS mörin

P

[XXIV.] 3)alibii eamfoniS

t>ii

[XXV,] mam »nb (Tiin

Piii

[XXVI.] aJIamneB §erobiä

piiij

[XXVn.] (gneas onb bibo

1

[XXVni,] ßurialuS »nb Sucietia

*1 'j

[XXIX.] gßo5?eSDnbbieWniginbermÖrin

iiij

[XXX.] 3Iinuä onb Semiramiä

qiü] [aüii-.]

[XXXL] .§obfcTneä onb 3ubit^ r

[XXXII] Summa Fnmmarü aQer getufi r ij [XXXin.] Iiie f^5en fr?en fiinft ftoum

Sßeneris t

[XXXIV.] 3;em gouc^ bie pfifi befe^en u [XXXV,] ein juitffmeifter evroelen üff bet

gout^motten o iij

[XXXVI.] ^e6 junfft meifterü uevgtdit i iij

[XXXVIL] aier gemein loibergelt 9 iij

[XXXVIU.] 35ie f^ben bifen robbet j

[XXXIX.] lulia ein SSmerin j ij

[XL.] ^utipfareä (lugJTOun) } iij

[XLI.] Sefabel ein fönigin 5 üij

[LTin.] Sef^bt^ bct itu^maü. 191

C 3üin (K^te. @S fol ou^ ein qeber gou(^ g gnralt ^oifien, ivo man tn oe^eret, bog er |] fpiei^e mog, lagt tnicb mitt Ittb in tufenbt || S iiii iwi'] tüffel nämen, Üd^ oerbrUffet baS f^ mit fo || günflig ift, er mag out^ off ben &mf[Ier | treuroen, Pttb fagen bag er bq f^m eqb fc^ulj^g fp an bringen vnb cm fagen alle bie, || bie Dn§ geui^en vnfere frp(|eit nit fallen. || ^tjfe artidel bet geu(^ frp^eit f)ab i(^ al=','|len geui^e nit raeUen für^alte baä fti^ megijlic^ nnb pber man bar für rogfe richte m \\ ^abm, onnb jm felbei vox mgterem loftcn || onb fdiabcn fi). ©eben in ber (iblt<^ ftatt II $lafel cnfeiä Sanf^lerä omptä jm erften, j] !ßa0 bet geburt S^rifK onferä Ferren tusjjfenbt funff^unbert Dnb funffge^en.

C S^^omaS 3)tumot San^Ier nnb j o&rifter fi^riber ber geini^matten.

[Lvm.] etWü^ btt «'^,

C aSer bo glaubt, baä feg ein ^eQ,

80 nen mon fünben, wit man raeU: ©eudderg ober narren l^anbt:

3t gebet fgne flroff brum fanbt! atw

6 Sfinben nent man manc^erleg,

3;ie it^ ie| nen ein geiiti^etg; Sßnb »ormalä nant ic^ä f^elmen (tili,

Sffio einer t^abt ein 6uben ftüd; <Bo t|ie^ \ä)i oor bie natten bfd^moren: »»» 10 Jlie felben alle fünbet nioten.

3(^ ^ob in oHem mgnem fditiben

9lüt beti fünben »ein oettriben; [3 i'-l

2a$l mic^ neuen, roie i<^ meQ:

tDIi$ ^tt bat ju bcroegl bie ^ell, mi«

15 3)ie bo routbt ein fttaff ben fttnben

Stilen, bie man bgti nmtbt finben! 3tun ift mtjn megnung bie gemefen;

^3 ic^ Don fünben ^ett gelefen, ^ott ic^ ein matnung t!|un bat oon, smi

niF iBWtiBn&EI' inelirtliiiui'j:

241

annutfungal. '

k^

tileblgt Ti^ bui4 ba« aRo^teebot be« 2>ru<fcnl (U86 ff). M tf)

inttreffaiü ju (e|tn, nie fi^n bamaia Xutoi: vom Sectcger unb biefcT nUtxrum com ^ublitum abhängig mar, bat unke ^aUenbe unb „aHueOe" Sai^n vetlongte, SSaS ben imdteit ^untt anlangt, fo fagt 3Rurnet (liS9G ff.), er habe alle feine £04« gleitf)' jeltig in beiitfi^ unb [ateinif^ei Sajfung niebeigefi^rieMn. SBtc . ^ben leinen ®runb, an biefei iBe^ouptiuie )u iptl^bt; nuc muffen njiF uni Ciüten, pei mBirtltt^ fibeteinfHntntenbc Sconcihingen anjunt^men. Sluf totli^e Steife bet Xit^tn verfug, leigm un< SteOrn wie 9tS 97, lOT. Ul. U4; 63. Siitft^. 11. 18. lOft. Stnjelne ober mehrere Kbfc^nitte biefn bnben Sü^ nnitbm Ui ^nffurt a. St. juer^ aI3 Z^ema einer $i«bijt mnoettd, [|>ater in gebunbener Jltbe aufammenaefa^ unb alS Sut^ ^troutgeacBcn. Unb )Tiia( ptebigte fRutner beutfi^, im Segnifat |u SeUct. liefet verfagte (ateinifc^e ^nbigten übet Sront'« »S, bte fett I&lO au<4 Devf^iebentlic^ gebnidt oorliegen. Spaniet ft^eint ttttr alfa )u inen, i«nn er meint (). 31« »7,U4), aRutnei ^be M mit betottiaen Crflärungtn ido^I nur abfi<5t[i(j mit Seilet gInA> ^Uen »aQen. Xad ^atte ei gar ni^l "i^tig, ba feine Z^AtUMt (ine ganj anbete tiHiT alj bieienige SeilerB. Seine betit&n $tofa*Xntctate ^at et bann in bilinguet ^Dcm nieitet auSgeatMnt 9tatüili<^ tonnte ftt^ bei Suc^bnidet nur auf ben lOeilog bn beutfi^en gereimten Sxlf""9 "klaffen, mfi^tenb bie lateinifc^e, no^I glei<4 ben ^ttbigten in ^rofa aufgefegte, uiwetefen im $u[te befl ZUlUtvS liefen blUb (@3R &30S. 6304). ei tft nü^ un« mbglu^, bog SRutner 1G19 in BafeC Ober bie ©gu^matt aeprtbigt ^ot. affeibing« befibe» »u 'eine ^eugniffe bafür; ebenfo nwnig wU für feine gran^irter X^äiigteit 0. 3. I6ia. ZU legtet Oeweie fei ft^lieglic^ noi$ fremecH, ba% IRutnerS XUtion iuantm bun^ bie [ateinifc^ S^fl"'^ beeinflußt mürbe; f. 0. ju U unt) ogl. tai in ber (Knt. 6. i über 1409 Bemerfte.

r.B03— 6205. über ben aua biefen aJetfen ju jie^ben ((itonologift^en ©«fttufi f. 0. ju 78-Bi,

6319. „6« wirb i^m ebenfo ('item') getien."

6244. 'gidenfi^niei^', offenbar eine impetattoift^ Sitbung, beten Sinn (c^raer )u erllären, Sfll. 'gidengoui^' 189 1, Gt, 489.

6868. 'na<^' liabe i^ gefi^iebcn für baS 'not^' beS Dtudefi, obwohl 3Kumer in biefem g^Ut aui^ junetlen 'no(^' fe^t.

5278. 'fünffjig'. ©ine runbe Summe, reo^I jiemlit^ äben ttieben. Do^ muffen roir immer bebenten, bog unä uon ber Qaffi ber ungebrudten SJerle äRumetS jebe itenntniä mangelt.

52T9. 'gefc^riben ab', tCiei jeigt beutlid^, bug ber SCic^er no(^ bie ganje Unbefan^enbeit feiner ü^ ^f"^ <" ^ Senut)ung frember, iebo(^ aügemetn betannter Originale. Sa ift olfo gan} oecle^, i^n ben $lagiatoi Srant'S ju nennen, ober )u be^auirten, et ^be jenen anonymen X)rud oon ben oier ffetem (f. 0. I^nl. &■ 9; 9Inm. ). 3440.) in unerlaubter Süteife nu«gef (^rieben.

[11.01,0(1 Hi UND I^IEDAGOGIK

Altred Fleckeiaen u„j Dr. rj^^

J89^