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BANCROFT LIBRARY
Neue Heilen
durch die Vereinigten Staaten, Mexiko, Ecuador,
Weſtindien und Venezuela
von
Friedrich Gerſtäcker.
Zweiter Band:
Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien. (Erſter Theil.)
Die Ueberſetzung wird vorbehalten.
90 d
7. *
(Erſter Theil.) Von New⸗Orleans nach Vera⸗Cruz Von Vera⸗Cruz nach Puebla Po ER Von Puebla nach Mexiko . Die Hauptſtadt Mexiko
Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und
Von Mexiko nach Cuernavaca .
(Zweiter Theil.) Von Cuernavaca nach Acapulco Acapulco und weiter Ein Abſtecher nach Ecuador Panama . 5 0 Von Panama nach St. Thomas 5 A ien
| 1. Von New-Orleans nach Vera-Eruz.
Samstag, 23. November, ging ich an Bord der Schoonerbrigg „Daphne“, um mit dieſer den Miſſiſſippi hinab durch den Golf nach Mexiko hinüber zu fahren. Abends acht Uhr etwa wur⸗ den wir flott. Das kleine Schlepp⸗-Dampfboot nahm uns, zwei große Schiffe, ein amerikaniſches
und ein preußiſches, die „Georgina“, mit noch einm dreimaſtigen Schooner in's Schlepptau, und wir iR dampften langſam den Strom hinab, etwa zwei Meilen unter der Stadt wieder Anker werfend. 15
Das war ſchon ein langſamer Anfang, ließ ſich aber nicht ändern. Auch am nächſten Morgen
brachen wir ſpät auf, weil auf dem Amerikaner, dem „Pokahontas“, ein Streit unter der Mann⸗ ſchaft ausgebrochen und ein Deutſcher durch ein
8 Meſſer verwundet, ein Irländer bös zerſchlagen
worden. Beide mußten zurück nach New⸗Orleans geſchafft und gegen zwei andere Matroſen aus⸗
x getauſcht werden. Das dauerte etwa bis zehn Uhr,
dann ſetzten wir unſern Weg, zwar mit der Strömung, aber gegen den Wind, langſam fort, um an demſelben Abend, Gott weiß aus wel— chem Grunde, wieder vor Anker zu gehen. Wir kamen nur wenig von der Stelle. |
Am Montag erreichten wir endlich Abends
5 5 und bei Gegenwind die Barre, als ein Tele— graphenbeamter vom Lande an Bord kam und
dem Capitän eine Depeſche übergab. Unglaublich, aber wahr, in der Depeſche ſtand, daß die Pa⸗ piere des Schiffes nicht in Ordnung wären und wieder nach New-Orleans hinaufgeſchickt werden müßten, und der Capitän entſchloß ſich, ſelber zu gehen. | Am nächſten Morgen ſchlug der Wind um, und wir hätten fliegend den Miſſiſſippi verlaſſen können, aber nein, da lagen wir feſt, von un⸗ ſerem Anker gehalten, und erwarteten die Rüd-
. kunft des Capitäns. Das war ein mal Pech.
Die Zwiſchenzeit benutzten wir, um zu fiſchen,
5 = und fingen mit der Grundangel Seeforellen,
einen Fiſch in Form der Aſche ähnlich, aber mit Forellenkopf, doch zu weichlichem Fleiſch.
Am 26. kam die „Teutonia“ von Hamburg, das zweite Schiff der Hamburg-New-Orleans⸗ Linie, über die Barre und dampfte ſtromauf. Wie gern wäre ich an Bord gegangen, aber die
„Teutonia“ hielt ſich leider nicht bei uns auf. Am 28. kam der Capitän nach ſehr raſcher
Fahrt zurück und hatte ſeine Papiere in Ord⸗ x
nung, aber der Wind war ungünftig und brachte
die Nacht einen fliegenden Sturm aus Süden,
jo daß wir zu ſchleppen anfingen und den zwei⸗ 5 5 ten Anker auswerfen mußten. Das war zweimal
Pech, und an ſegeln natürlich nicht zu denken. Am 29. heftiger Südwind mit hohem See— gang. Ein franzöſiſches Schiff, von zwei Schlepp— dampfern gezogen, arbeitete neun Stunden, bis es in den Strom kommen konnte, lief dann auf wärts und ankerte gerade unter unſerem Stern. Am 30. wundervoller Nordwind, — wir hät- ten mit zehn Meilen Fahrt auslaufen können, aber der Franzoſe — dicht unter uns lag er; wir wären nicht im Stand geweſen, den Anker zu heben, ohne ihm in die Takelage zu laufen, und er konnte gegen Wind und Strömung nicht von der Stelle. Damit verſäumten wir den wun⸗
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dervollen Wind und Morgen. Das war dreimal Pech. Die Reiſe von New-Orleans bis Vera⸗ Cruz dauert unter günſtigen Umſtänden etwa fünf Tage. Heute iſt der ſiebente, daß wir New— Orleans verlaſſen haben, und wir liegen noch immer im Miſſiſſippi. 1 Allerdings hatten wir einige Abwechslung an Bord, denn der Sohn des Capitäns bekam einen Cholera⸗Anfall und wir damit die günſtige Aus⸗ ſicht, die Krankheit durchzumachen; aber glück⸗ licher Weiſe beſſerte es ſich wieder mit ihm, und wir hatten die Angſt umſonſt gehabt. Es wäre auch wirklich zu arg geweſen, denn als ich das letzte Mal im Jahre 1843 aus New-⸗Orleans auslief, hatten wir das gelbe Fieber an Bord, und jetzt wäre die Cholera ein erbärmlicher Tauſch geweſen. Neulich Abends hörte ich einem Zwiegeſpräch zwiſchen dem Steuermann und meinem einzigen Mitpaſſagiere zu. Beide find Yankees, und der Letztere war eine kurze Zeit als Inſpector bei dem Whiskey⸗Steuer⸗Departement angeſtellt. Ich
5 gebe es auch nur deshalb hier wieder, um den Geeiſt zu zeigen, der jetzt im ganzen Volke herrſcht,
muß auch bemerken, daß der Steuermann ein ein⸗ facher Seemann und der Andere ein anſtändiger
*
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11 und liebenswürdiger junger Mann iſt, die es Beide für die größte Schande halten würden, auch nur einen Cent von einem Andern wirk— lich zu ſtehlen.
Der junge Paſſagier äußerte, daß er große Hoffnung hätte, wieder bei der internal Revenue (das Volk nennt ſie infernal) angeſtellt zu wer— den, und der Steuermann meinte ſehr naiv: „Alle Wetter, das wäre ein Poſten, da könnte Einer in ein paar Jahren ſein Schäfchen in's Trockene bringen,“ worauf der Paſſagier ſagte:
das ginge doch nicht jo leicht, als er denke .
Den unteren Beamten würde zu ſehr auf die Finger geſehen, und es wären eigentlich nur die oberen, die wirklich im Stande wären, ihr Glück zu machen. „Aber etwas fällt doch immer dabei ab,“ bemerkte der Steuermann. „Ja, etwas ſchon,“ meinte der Andere, „aber es muß klug ange— fangen werden.“
Ich konnte mir jetzt nicht helfen, und be⸗ merkte ihnen, ſie redeten da ſo ruhig von der Chance, Onkel Sam zu beſtehlen, als ob die Beamten gar keinen Eid leiſten müßten, der ſich doch nicht ſo leicht umgehen ließe.
„Bah!“ ſagte der frühere Branntwein-Con⸗ troleur, — „in dem Eide ſteht gar nichts davon
12 da; — hier iſt der Eid, den wir zu leiſten haben. Ich würde wahrhaftig nie einen Privatmann übervortheilen, aber aus der Regierung mir eine gute Stellung, und „zu machen, was man kann,“ iſt gewiß keine Sünde.“
Ich bat ihn, mir den Eid zu zeigen, den er gedruckt bei ſich trug, und dieſer enthielt faſt in der ganzen Form nichts Anderes, als auf die frühere Rebellion bezügliche Andeutungen, die den Beamten verpflichteten, loyal zu bleiben. Nur am Schluſſe verſprach er mit ein paar kur⸗ zen Worten, feine Pflicht treu und red⸗ lich zu erfüllen. Ich deutete jetzt auf dieſe Stelle und fragte, wie ſie dieſelbe, nachdem ſie dies einmal beſchworen, mit ihren Anſichten über die Sache vereinigen könnten; ſie meinten aber ſehr ruhig, dies hätte damit nicht das Geringſte zu thun, und „es gäbe keinen Beamten, der nicht derſelben Anſicht wäre.“
3 Daß ſich die Sache wirklich jo verhielt, wußte ich ſchon ſelber aus eigener Erfahrung und nach dem, was ich von Anderen darüber gehört, aber ich hatte es noch nie ſo klar und deutlich durch einen Beamten ſelber ausſprechen hören. Die Beamten ſehen alſo dieſen Eid als gar nicht be— ſtehend an, und ſtehlen eben ſo viel, als ſie,
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ohne entdeckt zu werden, möglicher Weiſe können. Das iſt aber ſelbſt die Anſicht ſonſt unbeſchol⸗ tener und braver Amerikaner; — nun denke man ſich, welche Anſichten das Geſindel hat.
Wie ſchon vorerwähnt, verhinderte uns das dicht unter unſerem Stern ankernde Schiff am Auslaufen, und der Schleppdampfer einer andern Linie als der, welchen die „Daphne“ benutzt hatte, weigerte ſich, uns fortzunehmen. Glücklicher Weiſe kam aber gleich nach Tiſch ein anderer von draus ßen ein, machte uns frei, nahm uns in's Schlepp⸗ tau und brachte uns ohne Weiteres über die Barre hinaus, wo wir, mit allen Raaſegeln ge— ſetzt, vor dem Winde und auf kaum bewegter See luſtig dahinglitten.
Mittags am 1. December, etwa 120 Meilen von der Mündung des Miſſiſſippi entfernt, ſahen wir unter 270 nördlicher Breite etwa die erſten fliegenden Fiſche, und das ſollten auch ungefähr die einzigen Fiſche bleiben, die wir bis heute, Donnerstag, 5. December, zu ſehen bekamen, einige Schweinefiſche ausgenommen, von denen wir wohl einen harpunirten, aber nicht an Deck bekamen. Bis hierher hatten wir auch eine herr⸗ liche Briſe, die uns raſch weiter und unſerem Ziel entgegengeführt haben würde, wenn unſer
Capitän eben ein anderer Mann geweſen. So aber ſchlief er den ganzen Tag.
Ich habe etwas Aehnliches nie für möglich gehalten —, aber nur dreimal an jedem Tag — nach jeder Mahlzeit nämlich — kam er an Deck, kauerte ſich dort nieder, rauchte ſeine Pfeife und ging dann ordentlich und regulär wieder zu Bett. Dabei hatte er bedeutende Angſt, daß wir in der Nacht das ihm unbekannte Vera-Cruz anlaufen ſollten, und noch auf 150 Meilen Entfernung ließ er in der herrlichſten Briſe alle leichten Segel einnehmen, damit wir nicht zu raſchen Fortgang machten. > Das war am 3. und Windſtille folgte. Heute ſind wir endlich (am 5.) in Sicht von Land ge- kommen, und heute Abend weht eine prachtvolle Briſe. Natürlich läßt der Capitän ſchon in die⸗ ſem Augenblick wieder die oberen Segel einnehmen und geht dann direct zu Bett. Es iſt zum Ver⸗ zweifeln!
Am 6. Wie gedacht, ſo geſchehen. Mit der geſtrigen Briſe hätten wir wenigſtens den Leucht⸗ thurm von Vera⸗Cruz anlaufen können, aber Gott bewahre! Die Segel waren halb einge— nommen und konnten nicht wieder geſetzt wer- den — da der Capitän ſchlief. Als er heute
Morgen aufwachte, war Windſtille, und wir treiben jetzt in Sicht des prachtvollen Kraters Orizaba draußen in See herum.
Der Anblick, als heute Morgen die Sonne aufging und die Schneekuppe des Orizaba beſchien, war herrlich, aber doch kein Vergleich gegen den von geſtern Abend, als ſie hinter den gewaltigen Bergwänden unterging, ihre rieſigen Contouren klar gegen den weſtlichen Himmel abzeichnete und ſie mit ihrem rothen Lichte übergoß. Zu gleicher Zeit lagen ſo phantaſtiſch geformte Wolkenmaſſen zwiſchen und um dieſe Gebirgsformen, daß man oft kaum wußte, was Berg, was Wolke ſei, und das Auge ſtaunend dem wahrhaft märchenhaften Scenenwechſel folgte.
Ich habe viel Schönes und Wunderbares von Bergſcenerien in meinem Leben geſehen, aber nie etwas wild Phantaſtiſcheres, als dieſes von der Sonne gluthroth übergoſſene Gewirr von Bergen und Wolken, das uns leider nur zu bald im hellen Mondenlicht verſchwand.
Heute Morgen liegt der Orizaba, noch etwa 100 Miles entfernt, vor uns, und man kann mit dem Teleſkop deutlich den ungeheuren Krater in ſeiner Spitze erkennen. Er muß aber ſeit ziem⸗ lich langer Zeit kein Feuer oder heiße Dämpfe
16 ausgeſtoßen haben, denn der Schnee liegt oben an jeinem Rand noch voll und dicht, und nur eine tiefe Schlucht läßt ſich an ſeiner Nordſeite erkennen, in welcher früher wahrſcheinlich die Lava ihren Abfluß fand.
Kein Lüftchen regt ſich dabei; das Schiff ct ſo ſtill, wie vor Anker, und kein einziges Segel iſt am Horizont zu ſehen. Noch nicht einmal ein Vogel hat uns beſucht, — ein Zeichen, daß wir noch ziemlich weit vom Lande ab ſind. Der Ca⸗ pitän ſchläft wieder.
Am 7. Endlich Rettung aus dieſer lang⸗ weiligen Umgebung. Wir waren den ganzen Tag faſt mit Windſtille herumgetrieben, und erſt etwa um drei Uhr kam eine kleine Briſe, die uns dem Lande etwas näher trieb — aber auch dieſe ſchien uns nichts helfen zu ſollen, denn gegen vier Uhr ſprach der Capitän ſchon wieder davon, daß er nicht wagen dürfe, dem Land zu nahe zu kommen — und von einem Lootſen war keine Spur zu ſehen. Es fehlte auch wahrlich nicht viel, ſo wären wir dicht vor der Einfahrt wieder um— gekehrt, als wir noch etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang ein kleines Boot ent⸗ deckten, das auf uns zu zuhalten ſchien. Es war in der That ein Lootſe, der uns gerade mit
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Dunkelwerden erreichte — und faſt zugleich er—
hob ſich eine ſo prächtige Seebriſe, daß wir, vor
dem Wind, dem Lande raſch entgegenfliegen konnten. Der Hafen von Vera-Cruz gehört nicht zu den beſten und iſt bei einem gerade in dieſer
Jahreszeit am häufigſten wehenden ſtarken Nord⸗
wind den darin liegenden Schiffen oft gefährlich.
Ein Riff erſtreckt ſich dabei am Lande reichlich zwei Meilen, vielleicht noch mehr hinauf, und
man darf deshalb nicht etwa auf den niederen
und ſchlechten Leuchtthurm zuhalten, ſondern muß ihn ſo lange links liegen laſſen, bis man
faſt auf den Strand geräth, und nun — bis
dahin einer Weſtrichtung folgend, nach Süden
zu in den Canal einläuft, der zwiſchen Vera-Cruz
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und dem Fort Ulloa den eigentlichen Hafen, oder
vielmehr die Rhede bildet. Man hat da allerdings an manchen Stellen nur vier Faden Waſſer, aber keinen beſondern Ankergrund, und leiden fällt es gar nicht ſo ſelten vor, daß bei einem einſetzenden Nordſturm die Schiffe ihre beiden Anker ſchleppen und an die Küſte getrieben und
zerſchmettert werden.
Da lagen wir — drinnen in der Stadt ſchlugen die Glocken die achte Stunde an, — im dicht beiliegenden Fort trompeteten die Wachen
Gerſtäcter, Neue Reiſen. II. 2
und machten einen Heidenlärm — und wie wun⸗ | derbar die Stadt jelber dabei im hellen Monden⸗ lichte lag; wie ſonderbar die niederen, alters— grauen Häuſer mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗ mauern und den runden Kuppeln und zahlreichen Thürmen ausſahen! Selbſt das Fort, durch das Mondenlicht niedergedrückt, ſchien flach zu ſein und auf dem Waſſer zu ſchwimmen — aber die Seereiſe war wieder einmal überſtanden und ich ſelber in einem neuen, prachtvollen Land, nach dem ich mich ja ſchon ſo lange geſehnt. Dort drüben lag der Schauplatz von Cortez' Thaten — dort herrſchte Montezuma — und Maximilian — Beide ſo unglücklich, und doch wie verſchieden in ihrem ganzen Wirken — dort, unter den ſchlum⸗ mernden Bergrieſen, lag ein ganzes Chaos von Weltgeſchichte, und ich konnte die Zeit kaum erwarten, wo ich den Fuß auf mexikaniſchen Boden ſetzen würde. Jetzt bin ich da, — hier an der Plaza ſitze ich und ſchaue auf das wunderliche Treiben zu meinen Füßen hinab, auf den grünen, freundli⸗ chen Platz mit Palmen und Granatbüſchen, zwiſchen denen ein geſchmackvoller Brunnen ſein plätſchern⸗ des Waſſer emporſendet, auf die wunderliche Ka⸗ thedrale gegenüber, deren Dächer und Vorſprünge
mit einer Unzahl von Zapilotas oder Aasgeiern
beſetzt find, auf die Seßoritas in ihren Mantillen
und die Mauleſeltreiber in kurzen Serapes und
breitrandigen Sombreros, auf die nichts weniger 7 als kriegeriſch ausſehenden Soldaten in rothen
Hoſen und blauen Jacken, auf ſpielende Kinder und vorbeigaloppirende Pferde. 385 Wie ein altes Märchenbild vergangener Zeit
liegt die kleine Hafenſtadt hier um mich her, ſo . unähnlich dabei irgend einem andern Ort der
Welt, wie es ſich nur möglicher Weiſe denke läßt. Vera⸗Cruz — ja, wahrlich, es führt feinen Namen mit Recht, denn es hat das wahre Kreuz des Landes ſchon ſeit endloſen Jahren getragen und gewöhnlich das vorderhand auseſſen müſſen, 15 was ihm Andere im inneren Lande eingebrockt,
die dann auch ruhig warteten, um zu ſehen, wie
es ihm bekommen würde. BR Vera-Cruz — da ſteht auch kein Haus, das nicht in der einen oder andern Revolution feine
Kanonenkugel bekommen, und ſelbſt der alte Ori- 5
zaba, der verſtorbene Vulkan jener Nachbarſchaft, ſcheint Mitleid mit der Stadt bekommen und aufgehört zu haben, ſie durcheinander zu ſchütteln, denn ſie war geplagt genug und er konnte ſeine
Bemühungen deshalb getroſt einſtellen. Se
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Und trotzdem begreift man nicht, wenn man den Platz und feine Befeſtigungen genauer ans ſieht, daß er nicht ſchon lange in ſeinen Kämpfen mit den Amerikanern und Franzoſen in Grund und Boden zuſammengeſchoſſen iſt, denn die Mauern ſehen wahrlich nicht ſo aus, als ob ſie der Kugel aus einer gezogenen Kanone Stand halten könnten. Vera⸗Cruz hat aber trotzdem Glück gehabt, denn die Liberalen, die es im letz- ten Kriege ernſtlich beſchoſſen, waren ſo ärmlich mit Geſchütz verſehen und zielten ſo ſchlecht, um
ihm verhältnißmäßig doch entſetzlich wenig Schaden
zuzufügen, und die paar Kugeln, die wirklich in die
Stadt flogen, beſchädigten wohl einzelne Häuſer
und Kirchen und zertrümmerten in den erſteren be= ſonders Spiegel und Schränke und erſchreckten arme Frauen, ohne jedoch für die Belagerer einen wirklichen Erfolg zu erringen.
Die Kirchen boten freilich die größte Scheibe
und wurden deshalb auch von den meiſten Kugeln
getroffen, und daß man in dem ſonſt doch ſo ziemlich bigotten Lande ſo entſetzlich wenig für ihre Reſtauration thut und die meiſten in der That völlig verfallen läßt, hat wohl ſeinen Grund
in der Auflöſung der Klöſter überhaupt, und in der Beſchränkung der Rechte ſämmtlicher Geiſt⸗
21 lichen. Ihre Macht in Mexiko iſt gebrochen, und wenn ſie auch mit alter Zähigkeit daran arbeiten, ſie wieder zu gewinnen, wird ihnen das doch kaum gelingen. Gegenwärtig ſcheint nur eine einzige von allen Kirchen der Hauptſtadt in | regelmäßigem Gebrauch zu ſein — die Kathedrale an der Plaza. Die übrigen, wo ſie nicht ganz dem Einſturz nahe ſind, ſtehen leer und werden
faſt ſämmtlich als Bodegas oder Waarenlager N
an hieſige Kaufleute ausgemiethet. — Die geiſt⸗ liche Partei wird hier allerdings ſtreng unter dem Daumen gehalten; man ſieht zum Beiſpiel keinen einzigen Geiſtlichen im Ornat oder in Ordens tracht auf der Straße; ebenſo iſt jetzt geſetzlich
verboten worden, die heilige Monſtranz offen zu
Sterbenden zu tragen — in einer bevölkerten Stadt immer ein hoͤchſt ſtörender Gebrauch, da er plötzlich den ganzen Verkehr hindert und die ihm Begegnenden, ohne Rückſicht auf das Glau⸗ bensbekenntniß, zwingt, in einer wenigſtens an⸗ ſcheinend betenden Stellung ſtehen zu bleiben, bis der Zug vorüber iſt. Ja, in einigen Ländern Süd⸗Amerikas zwang man ſogar Jeden, auf die
Kniee niederzufallen, und mancher Fremde, aus einem proteſtantiſchen Lande vielleicht, der nicht
einmal gleich wußte, um was es ſich da handle,
er
wurde bei ſolchen Gelegenheiten arg gemißhan— delt. Das iſt jetzt hier Alles vorüber — wenig: ſtens für den Augenblick — ſelbſt das zu über⸗ mäßige Läuten mit den Glocken iſt unterſagt, wovon früher eben auch im Uebermaß Gebrauch gemacht ſein ſoll. | Die Bauart von Vera-Cruz iſt natürlich ganz genau in dem altſpaniſchen Styl, wie man es in allen ſüdamerikaniſchen Städten findet, in denen der Einfluß der Fremden noch nicht zu überwiegend geworden iftl, wie z. B. in Val⸗ paraiſo. Das tropiſche Klima verlangt das aber auch; Vera⸗Cruz liegt unter 190 13° nördlicher Breite, alſo vollkommen in der heißen Zone, 5 und ſelbſt jetzt, im ſogenannten Winter, ſchlafe ich bei offenen Balconthüren, mit einem Mini⸗ mum von Zudecke; es verſteht ſich da von ſelbſt, daß die Häuſer überall dem Luftzug offen ſein Er müſſen, und die Privatwohnungen der Mittel- und ärmeren Klaſſe haben ſelbſt im Parterre meiſt nur Gitterthüren mit einem dünnen Ver— hang bedeckt und ſtehen bis ſpät in die Nacht hinein offen. Und was für prächtige alte, faſt ruinenartige # Kirchen findet man in der Stadt; ja, ſelbſt die Kathedrale, die den meiſten Städten, wie Quito,
9
Guajaquil und ſelbſt Lima, nicht zur 5
Zierde gereichen, ſieht durch ihre runde, un 5 bemalte Kuppel wie den viereckigen, durchbroche⸗ at
nen Thurm und das Verwitterte ihrer e 1 maleriſch genug aus. Br Ueberhaupt bildet die, wenn auch kleine Plaza
einen allerliebſten Mittelpunkt der Stadt durch den grünen, mit Palmen und Blumenbüſchen bepflanzten Raſenfleck derſelben, auf deſſen Cen⸗ trum ein hübſcher eiſerner Springbrunnen ſteht, während breite Trottoirs mit Ruhebänken ſelbſt 3 bei naſſer Witterung einen bequemen Spaziergang bieten. Leider hat man in den letzten Kriegen 1085 alle die herrlichen Cocospalmen in der Stadt und um dieſelbe herum abgehauen oder raſirt, 5 um angeblich dem Feinde keinen Schutz zu ges währen, und erſt an wenigen Orten begonnen, 80
ſie nachzupflanzen. Hier auf der Plaza iſt das 9
aber geſchehen, und wenn ſie auch noch mancher es
Jahre bedürfen, um wieder ihre frühere Höhe zu erreichen, ſo iſt doch wenigſtens der Anfang 1 dazu gemacht. 8
Auch eine Freiheitspalme wurde auf die Plaza
gepflanzt, eine Palma real, aber freilich an eine 1
ungünſtige Stelle, faſt unmittelbar neben einer
Gaslaterne, an der ſie jetzt ein kümmerliches 5
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Ausſehen hat und mit ihren vergilbten und ab- geſtorbenen Blättern ziemlich dürftig daſteht.
Nur das Herz ſcheint geſund, und es iſt möglich, daß ſie ſich wieder erholt, aber viel wird an der Stelle nie aus ihr werden.
Um die Plaza ſtehen Häuſer mit Colonnaden; die eine Front nimmt das ziemlich geſchmackvolle Gouvernementshaus ein, das mit ſeinen Rund⸗ bogen ganz hübſch ausſieht; ihm gegenüber ſteht das Hötel de las Diligencias, unter den Bo— gen mit Verkaufsläden und Kaffeehaus, und der Kathedrale gegenüber, wo ich jetzt durch die Gaſt— lichkeit der Familie d'Oleire nur zu behaglich einquartiert bin, ſtehen Privathäuſer mit eben— falls darunter befindlichen Bodegas, Comptoiren und kleineren Läden.
Das Gouvernementshaus ſchräg gegenüber ſah beſonders freundlich und luftig aus, und hatte mir außerdem eine beſondere Ueberraſchung aufgeſpart.
Es ſchlug auf der daran befindlichen uhr gerade voll, und mit dem erſten Schlag faſt — genau wie bei einer der alten Schwarzwälder Uhren — ſprang ein kleiner Soldat in rothen
Hoſen vorn unter die Colonnaden, hob mit dem zweiten Schlag eine kleine Trompete an den
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Mund, blies darauf ein kleines Stück, und war mit dem letzten wieder in der dunklen Thür verſchwunden, — und jedesmal, wenn es voll ſchlug, erneute ſich dies allerliebſte Schauſpiel.
Die Tracht der Bewohner, ſo weit es nicht die unteren Klaſſen betrifft, iſt vollkommen euro— päiſch; nur die Reiter tragen den breiten mexi⸗ kaniſchen Hut, eine kurze Jacke und faſt in⸗ dianiſch ausgefranzte Leggins an den Beinen. Ebenſo haben die Damen, wenn ſie zur Kirche gehen, noch die ſchwarze Mantille beibehalten, die ſie aber ganz kokett umzuſchlagen verſtehen.
Die Arbeiter tragen, wie überall in den heißen Ländern, nur Hemd und Hoſe, und zwar an Sonntagen das erſtere über der zweiten, die Frauen einen einfachen Kattunrock und die Man— tillen aus demſelben Stoff.
Höchſt wichtige Bewohner der Stadt darf ich aber nicht vergeſſen zu erwähnen, und das ſind die ſogenannten Zapilotas (carrion crow in den Vereinigten Staaten), die großen, ſchwarzen Aas— geier, die hier die Stelle der Tauben in unſeren deutſchen Städten vertreten, und ſo zahm wer— den, daß ſie Einem manchmal kaum aus dem Wege gehen und ſich in früher Morgenſtunde nicht ſelten mit den Hunden auf der Straße
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herumbeißen. Sie ſind aber auch — ſo wider⸗ 3
lich ſonſt in ihrer ganzen Erſcheinung — eine wirkliche Wohlthat der Tropen und genau daj=
ſelbe, was die Hyäne in Afrika iſt. Sie reine
gen Stadt und Umgegend von jedem Unrath, und ſelbſt ein gefallenes Maulthier oder Pferd kann die Nachbarſchaft nur auf kurze Zeit ver- peſten, denn die Zapilotas halten da ſtrenge Polizei, und in vier bis fünf Tagen ſind die leeren Knochen das Einzige, was von dem todten Stücke übrig geblieben.
Komiſch iſt es, wenn ſie ſich Abends auf der
Kathedrale ihren Ruheplatz ſuchen, wozu ſie eine
ziemlich geraume Zeit gebrauchen, denn die beſten Plätze, d. h. die höchſten und beſonders die oben auf dem Kreuz, werden den glücklichen Beſitzern
immer wieder ſtreitig gemacht, wobei durch einen
manchmal entſtehenden Kampf zuweilen eine
ganze Reihe in Unordnung geräth. Hat es dann
die Nacht geregnet, oder iſt auch nur ein ſehr ſtarker Thau gefallen, dann ſitzen ſie Morgens nach Sonnenaufgang an den ſonnigen Seiten der Straßen auf Dächern und Geſimſen mit ausgeſpannten Flügeln regungslos halbe Stun⸗ den lang, und laſſen ſich wieder ordentlich ab⸗
trocknen. Uebrigens werden ſie auch von der
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Polizei beſchützt, und wer einen von ihnen muth⸗ 5
willig tödtet, hat eine nicht unbedeutende Geld?
ſtrafe zu erlegen.
Vera⸗Cruz iſt nicht beſonders geſund, doch ſcheint . 5 es noch, als ob es beſſer wäre als fein Ruf, denn das gelbe Fieber zum Beiſpiel, das eigentlich hier
das ganze Jahr heimiſch iſt, tritt, nach Allem, was
ich darüber gehört, ſelten oder nie ſo bösartig auf, 8
wie zum Beiſpiel dieſes Jahr wieder in New⸗
Orleans, wo es Tauſende von Opfern gefordert 1
hat und ſich dann ſpäter durch die Cholera ab⸗
löſen ließ. Allerdings wird die Stadt von gro 5
ßen Sümpfen umgeben, die nun jetzt in der trockenen Jahreszeit wieder meiſtentheils ver- dunſten; trotzdem hat man hier augenblicklich keine epidemiſche Krankheit, ja läßt ſogar die von Havannah kommenden Schiffe in Quarantaine
legen, da gerade dort die Cholera heftig wüthen
ſollte. Allen Reſpect übrigens vor den Producten des Landes, über die ich früher lange nicht ſo
vortheilhaft gedacht habe, als da ich ſie ſelber
näher kennen lernen konnte. Der Vera⸗Cruz⸗ Tabak (der auf der Hochebene allerdings nicht) iſt ganz ausgezeichnet und die dort verfertigten Cigarren, von denen nur bis jetzt zu wenig ge⸗
—
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macht werden, um einen Ausfuhr-Artifel zu bilden, ſtehen den Havannah-Cigarren in der That nur wenig — wenn überhaupt — nach, koſten aber auch freilich das Nämliche, was Havanah⸗ Cigarren in ihrer Heimath gelten.
Eben ſo ausgezeichnet iſt der in der tierra caliente gezogene Kaffee, der mir wenigſtens beſſer geſchmeckt hat als der Venezulaniſche und in Vera⸗Cruz zu einem mäßigen Preis zu haben iſt. Wie reich überhaupt iſt das ganze Land, und doch in welch ewigen, unaufhöͤrlichen Kämpfen lebt das Volk, nur immer den Acker mit Blut düngend, ohne je an eine Ernte zu denken! —
Was man und wo man auch hier in Vera⸗ Cruz vom inneren Land erzählen hört, Räuber geſchichten bilden immer den Refrain; Räuber⸗ geſchichten, die oft an die ſchönſten Lebensjahre Rinaldo Rinaldini's erinnern, und unglaubliche Dimenſionen annehmen, ſobald man Jemanden antrifft, der nur eine etwas entlegene und nicht ſo leicht zu controlirende Tour gemacht hat. Ich ließ mich übrigens dadurch nicht ab— ſchrecken, das Innere ſelber zu beſuchen. Daß zahlloſe Räubereien vorfielen, war Thatſache; aber es iſt erſtlich einmal ſehr die Frage, ob ich
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ſelber dadurch behelligt werden würde, und dann — ging ich auch vortrefflich bewaffnet, und glaubte deshalb ſchon, ohne zu große Gefahr, ein kleines Abenteuer beſtehen zu können.
Gedanken an die Reiſe trübten deshalb meinen kurzen Aufenthalt in Vera⸗Cruz auch keine Se⸗ cunde, und ich gab mich ganz der Geſellſchaft vieler deutſcher Freunde hin, die ich dort fand.
Deutſches Leben überall, deutſcher Fleiß und Unternehmungsgeiſt, der ſich wacker, ſelbſt in den ſchwierigſten Zeiten und Lagen, hält, und dabei ruhig allen Hinderniſſen die Stirn bietet.
Das Leben dieſer Kaufleute, beſonders in den ſüdamerikaniſchen Staaten, wie auch hier in Mexiko, iſt oft ein kleiner Roman in ſich ſelbſt, denn man darf ja nicht glauben, daß ſie in den Revolutionen unbehelligt bleiben. Alle Präſiden⸗ ten, wie ſie heißen, ob ſie, rechtmäßig gewählt, gegen eine Revolution ankämpfen, oder ſelber Revolution machen, brauchen Geld, und da der
Staat nie etwas beſitzt, die Kaufleute dagegen,
beſonders die fremden, ſtets, fo iſt nichts natür⸗
licher, als daß ſie, — bald mit, bald ohne Er- folg, in Anſpruch genommen werden, und ſchon dadurch in viel nähere Beziehung mit der Re-
le
gierung kommen, als ihnen ſelber lieb und nütz⸗ lich iſt.
In der Hauptſtadt Mexiko ſpielte ja zum Bei⸗ ſpiel der Verräther Marquez, der zuletzt von bei- den Parteien gehangen wäre, wenn ſie ihn nur er— wiſcht hätten, eine ordentliche Comödie mit den fremden Kaufleuten, die er in der letzten Scene des Dramas, wo er ſich verrätheriſcher Weiſe zum Commandirenden der Hauptſtadt aufgewor⸗ fen, zu einem Frühſtück einlud, die Thüren dann mit Soldaten beſetzen ließ und einen der acht⸗ barſten Deutſchen, der ſich weigerte der Geld— forderung Genüge zu leiſten, jo lange in Gefan— genſchaft hielt, bis er endlich zahlte.
Jetzt waren die Zeiten allerdings wieder ru— higer, aber wer kann ſagen, wie lange das in Mexiko dauert. — Quien sabe!
Handel und Geſchäft lagen denn 91 0 in Vera⸗Cruz ziemlich darnieder, aber unſere Lands— leute ſchienen ſich das wenig zu Herzen zu neh— men, oder doch Vertrauen auf die Zukunft zu haben; äußerlich ſah man ihnen keinenfalls irgend welche Sorgen an, und mich ſelber empfingen ſie auf das freundlichſte.
Ich war gleich nach meiner Ankunft im Hötel de las Diligencias — wie man hier und bis Puebla
2
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an jeder Zwiſchenſtation und in jeder Stadt das
anſtändigſte Hötel zu heißen ſcheint — abgeſtie—
gen, blieb aber dort nur wenige Tage, da ich
von der Familie d' Oleire auf das liebenswür⸗ digſte eingeladen wurde, zu ihnen hinüber zu
ziehen. Ich hatte ein mir vollkommen fremdes
Land betreten, aber ich ſelber wurde von den guten Menſchen dort nicht als Fremder ange— ſehen, und die kurze Zeit, die ich in Vera-Cruz verbrachte, verging mir allerdings wie im Flug.
Auch Ausflüge zu Pferd machte ich, und wenn man ſich der Stadt von der See aus nähert und die dürre, von einigen kahlen Sandhügeln eingeſchloſſene Fläche ſieht, von der ſie umgeben
iſt, ſollte man es kaum für möglich halten, daß
die Nachbarſchaft einen hübſchen Spazierritt bieten könne. Deſto mehr war ich überraſcht, als ich eines Morgens mit einem jungen Mann aus dem d' Oleire'ſchen Geſchäft jene dürren, gar nicht weiten Hügel überritt und in den prachtvollſten Schatten eines Waldes eintauchte, durch den
ein Reitweg führte, wie man ihn ſich kaum
romantiſcher denken kann. Und wie das in den Büſchen zwitſcherte und jang, wie das ſchwirrte von herüber und hinüber
fliegenden Vögeln, und wie ſelbſt das Laub ſo
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freundlich rauſchte, wenn die Briſe darüber hin- ſtrich! — Es iſt eigenthümlich, wie man ſich auf einer Seereiſe, und ſei ſie noch ſo kurz, nach ſchattigen Bäumen ſehnt, und wie wohl es Einem thut, wenn man ſich endlich wieder darunter findet. — Die Menſchen find nun einmal keine Amphi⸗ bien. Selbſt der an das blaue Waſſer gewöhnte und dort eigentlich heimiſche Matroſe wirft ſich, ſobald er ihn erreichen kann, in den Schatten der Büſche, und nimmt, wenn er wieder zur See geht, häufig eine Anzahl Zweige mit, um ſie in ſeinem Vorcaſtle aufzuhängen. Er hat da wenigſtens noch ein Andenken vom feſten Land und etwas Grünes, das ihn vielleicht an die eigene Heimath erinnert.
Ganz eigenthümlich nahm ſich Vera-Cruz aus, als wir es auf dem Rückweg wieder in Sicht bekamen. Die Stadt ſelber hat genau eine ſolche bräunliche Farbe wie ein photographiſches Bild, und liegt vollkommen flach in der Ebene, aber darüber hinaus ragen überall die Kuppeln und niederen Thürme der Kirchen und Klöſter, hie und da auch mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗ werken, und dahinter wieder breitet ſich der Strei— fen Meer, den nachher die niedere und früher für uneinnehmbar gehaltene Feſtung Ulloa deckt,
7 5 + * r er N 8 N \ N * RR, * 2 * * 33 x
fo daß man dadurch ein höchſt charakteriſtiſches, wenn auch nicht beſonders maleriſches Bild erhält.
Vera⸗Cruz ſelber iſt nur eine ſehr kleine
Stadt, die ſich allerdings wohl weiter ausgebreitet
hätte, wenn fie nicht von Feſtungsmauern um: 5
ſchloſſen wäre. So aber ſind die Häuſer feſt und dicht ineinander gedrängt ohne mehr als einen
kleinen Hofraum für jedes, und erſt in den
letzten Jahren ſcheint man angefangen zu haben, vor dem einen Thor und in der Kähe der Eifen- bahn eine kleine Vorſtadt anzulegen, die ſich aber wohl kaum raſch vergrößern wird. Alle Augen- blicke giebt es ja eine neue Revolution, und wenn Vera⸗Cruz auch gerade keinen uneinnehm⸗ baren Charakter hat, hält man ſich doch immer hinter den Mauern ſicherer, als davor.
So troſtlos übrigens die unmittelbare Um⸗ gebung der Feſtung auch ſein mag, jo wunder: bar ſchön und üppig geſtaltet ſich die Scenerie,
ſobald man nur eine kurze Strecke mit der von hier abführenden Eiſenbahn in das Land hinein fährt und den Sand des Meerſtrandes hinter ſich läßt.
Dort beginnt allerdings zuerſt der Sumpf, und die ganze Niederung, der auch wohl Vera—
Cruz ſeine gelegentlichen gelben eee Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. N
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zu danken hat, breitet ſich weit hinein in das Land; aber das dauert mit der Bahn nicht lange, und wie man ſich nur einem kleinen, dort gele— genen Städtchen Medellin nähert, an dem ein, wenn nicht breiter, doch auch nicht unbedeutender Fluß mit hohen, waldigen Ufern vorüberſtrömt, findet man ſich plötzlich von dem ganzen Zauber tropiſcher Scenerie umgeben.
„Noch hat Niemand ungeſtraft unter Palmen gewandelt.“ — Es iſt das eins jener gangbar gewordenen albernen Sprichwörter, gegen welches ich mich wenigſtens auf das entſchiedenſte ver- wahren möchte.
Aller menſchlichen Berechnung nach ee ich wohl nie wieder eine Tropengegend betreten, aber fo oft ich fie auch und an den verſchiedenſten Stellen in allen Welttheilen beſuchte, ging mir das Herz immer auf, wenn ich in den Schatten jener herrlichen Bäume trat und ihre luftigen Wipfel rauſchen hörte. Gejtraft bin ich aber nie worden, und nur die Sehnſucht habe ich immer mit mir fortgetragen nach dem jchönen ai
Und Mexiko iſt ſchön. Die Natur hat ihre Gaben mit verſchwenderiſchen Händen ausge— ſtreut, und ſelbſt von dem Volk kann man nicht
EEE, Bu ee 5 1 = T x 35
ſagen, daß es bös oder tückiſch wäre. Ich will alle die entſetzlichen Raubanfälle, die mir auf
meiner Tour durch das Land erzählt wurden,
glauben, und wahrlich nicht leugnen, daß es auch viel — recht viel Geſindel in dem weiten Reiche giebt; — aber welches Land hat das nicht,
und — Gelegenheit macht Diebe. Die ewigen 5 Revolutionen und Umwälzungen, faſt alle von
den Pfaffen angeregt oder unterſtützt, machten Tauſende von Menſchen nicht allein brotlos, ſondern gewöhnten fie auch an ein müſſiges Le⸗ ben, ja zwangen ſie dazu. Iſt es da ein Wun⸗ der, daß fie verwilderten. Das Heben und blu⸗
tige Treiben in Mexiko hat ja gar kein Ende 1 genommen, und es iſt kaum zu erwarten, daß
in einem noch ſo wilden und wenig bevölkerten
Reich, für das die einzelnen Regierungen wenig i
oder gar nichts thun können, weil ſie jelber nur ewige Arbeit haben, ſich auf ihren Sitzen zu hal— ten, der Arme und durch den Krieg Ruinirte nicht gleich wieder ein friedlicher Landmann wird, ſobald es einem der Präfidenten oder Regieren? den einfällt, zu ſagen: „Der Krieg iſt vorbei!“ | Gebt dem Volk einmal einen wirklichen Frieden, — zeigt ihm die Mittel, ſich ehrlich durch's Leben zu bringen, mit einer Garantie,
daß er die Frucht, die er ſäet, nicht bei der Ernte für neue Soldatenbanden hergeben muß,
und die Räubereien werden von ſelbſt aufhören. —
Jetzt iſt freilich wenig Hoffnung dazu; den Mann,
der dem Lande hätte den Frieden geben konnen, haben ſie gemordet, der blutige Lerdo, mit der indianiſchen Puppe Juarez, regiert den kleinen Theil von Mexiko, auf dem ſie noch feſten Fuß halten, und im übrigen Land iſt in dieſem Augen= blick der Bürgerkrieg wieder an ſechs oder acht verſchiedenen Stellen ausgebrochen. — Es iſt traurig, wie die Menſchen ſo mit frevlen Hän⸗ den ihr eigenes Paradies verwüſten.
Doch um auf Medellin mit ſeinen prachtvollen, üppigen Hacienden und dem ganzen ſtrotzenden Reichthum ſeiner Vegetation zurückzukommen, ſo that es den Augen wirklich wohl, in dem fri⸗ ſchen Grün der Blüthenbüſche herumzuwandern und dabei das fröhliche und harmloſe Treiben der Menſchen zu ſehen, die ſich darin bewegten.
Harmlos? — nun ja, im Allgemeinen, wenn man die Spieltiſche abrechnet, die in dieſem klei— nen „Badeort“ von Vera-Cruz aller Orten und Enden aufgeſtellt waren. Aber die ſpaniſche Race kann nun einmal ohne das Hazardſpiel nicht exiſtiren. Ihr ganzes Leben iſt auch etwas Aehn⸗
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liches, und wenn es verboten wäre, würden fie 8
es heimlich thun, — genau ſo, wie es bei uns,
in den civiliſirteſten Ländern der Erde, eben auch
geſchieht.
Es war ein Sonntag, als wir den Platz be⸗ 5 ; ſuchten, in welchem auch viele Bewohner von
Vera⸗Cruz kleine Landhäuſer haben, oder doch =
wenigſtens in der Saiſon ihren Wohnſitz dort nehmen, und natürlich an dem Abend Ball. Vor⸗
her hatten wir aber noch einen reizenden Spa-
zierritt durch die Nachbarſchaft, durch Fruchtgär— 9 ten und Baumwollenfelder gemacht, und ſahen
uns dann auf dem Rückweg die Stadt etwas näher an.
Medellin iſt ein — man könnte ſagen künſt⸗
licher Badeort, denn irgend eine Mineralquelle beſteht dort nicht. Ein deſto herrlicheres Bad bietet aber dafür der kleine Fluß, der, wenn ich nicht
irre, den nämlichen Namen führt, als das Städte chen ſelber, und um ihm doch eine medieiniſche Kraft zu geben, hat man ausgeſprengt, die Sarſa-
parilla, die in Maſſe an ſeinen Ufern wächſt und oft in den Strom hineinhängt, mache das
Waſſer jo außerordentlich geſund und heilkräftig. |
Ehe wir in den Ballſaal hinübergingen, —
und es fing indeſſen ſchon an zu dämmern, be—
ſüuchte ich noch einmal ein altes, verfallenes Ge⸗ bäude, das mir vorher gezeigt und in ſofern von Intereſſe war, als in dem letzten Kriege die von dem Vicekönig von Aegypten gekauften Trup⸗ pen, welche von den Franzoſen nichtswürdiger Weiſe gezwungen wurden, ſich gegen ein ihnen ganz fremdes Volk zu ſchlagen, hier einquartiert geweſen waren und den Platz damals verſchanzt
ö und verbarrikadirt hatten. Was wußten jene une
glücklichen Menſchen von dem Kaiſer von Frank— reich, was von dem von Mexiko, — was hatten ihnen die Mexikaner je zu Leide gethan, daß ſie ihre Kugeln gegen ſie abſchoſſen und Gram und Herzeleid in manche Hütte trugen? Was hatten ſie ſelber verſchuldet, daß ſie aus ihrer Heimath, von ihren Familien geriſſen wurden — die Un⸗ glücklichen, die noch kaum einen frohen Tag in
ihrem Leben geſehen, und unter Zwang und
Despotismus aufgewachſen waren?
Es iſt eine Schmach für unſer Jahrhundert, daß etwas Derartiges geſchehen konnte und durfte, und wird ein Schandfleck für Frankreich bleiben, ſo lange es noch eine richtende Geſchichte giebt. In dem düſtern, öden Raum wanderte ich jetzt umher. Die unglücklichen Aegypter, das ges knechtetſte Volk, ſo lange die Welt ſteht, — waren
mit den Schiffen ihrer Händler wieder fortge-
zogen, die ausgenommen, deren blutige Leichname 8
unter den Waldbäumen lagen. Die früheren Be⸗ feſtigungen hatten die Mexikaner zerſtört, — das Thor ſtand offen, und eine dumpfe Höhle gähnte mich an, als ich es betrat. Da waren aber noch die Plätze, wo ſie ſich unter dem wohl ſchon das mals defecten Dach gegen den Regen geſchützt, 1 5
dort die rauchgeſchwärzten Wände, wo ſie ihr 1
dürftiges Mahl gekocht. Hie und da in den Wällen erkannte ich auch noch, trotz der Dam⸗ merung, verſchiedene Stellen, in welche die Ku⸗
geln eingeſchlagen und den Kalk von den Mauern losgeriſſen hatten. — Aber der Platz war, das
Wenigſte zu ſagen, ungemüthlich. Ueberall auf dem Boden lagen niedergebrochene Steine und Balken, wie Schutt umher, und die einzigen leben= den Weſen in dem ganzen öden Platz, in dem das Dämmerlicht mehr und mehr ſchwand, waren
vielleicht, außer ein paar hie und da verftedten 5
Schlangen und anderem Gewürm, ein paar große 8
Fledermäuſe, die meine Anweſenheit nicht gern
zu ſehen ſchienen. E Ich mochte ihnen nicht zur Laſt fallen, und wanderte ſtill und ſchweigend, der armen Aeg er
denkend, in die Stadt zurück.
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Fröhlicher Lärm und Muſik, Lachen und
$ Jubeln! — Wie düſter lag dort hinter mir das
zur Ruine gewordene Caſtell der afrikaniſchen
Schlachtopfer — wie ſo hell und Lichter ſtrahlend
vor mir der brillant erleuchtete Raum, in dem ſich die Tanzenden ſchon im muntern Reigen drehten, während dicht dahinter, aber in einem offenen Gemach, die Spieltiſche mit ihrem klim⸗ pernden Geld den Damen wieder die Tänzer wegzulocken ſuchten.
Aber die Damen von Mexiko ſcheinen gar keine oder nur ſehr wenig Tänzer zu gebrauchen, denn ſie beſorgen ſich das ſchon gewöhnlich ſelber, indem ſie allein — wie ich das auch früher in Californien geſehen — in den Ring treten. Und doch ſind neue Tänze eingeführt, und zwar ſcheint hier die amerikaniſche Occupation eine fruchtbare Saat ausgeſtreut zu haben, denn die dansas, die ich in Medellin von einigen Damen aufführen
1 5 ſah, waren eigentlich nichts in der Welt weiter
als eine zierliche Hornpipe oder ein ſogenann—
ter Jig.
Einige ſehr intereſſante hübſche Geſichter be—
merkte ich dabei, und junge Frauen, natürlich in ihrem höchſten Staat, mit Crinolinen, Chignons ꝛc. — aber keine langen Schleppen, ſondern Alle
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leicht geſchürzt, um auch die allerliebſten kleinen Füße nicht ungeſehen zu laſſen. Uebrigens ſchien es eine Art von Wetttanz zwiſchen verſchiedenen jungen Damen, die einzeln einander ablöſten und zu übertreffen ſuchten, während das männliche Publikum — denn die zuſchauenden Damen ver⸗ hielten ſich vollkommen paſſiv — oft bis zum Enthuſiasmus ſeinen Beifall zu erkennen gab.
Während des Tanzes hatte ein alter Burſche, der die Guitarre ſpielte, oder eigentlich mehr im Tact ſchlug, fortwährend kleine zweizeilige Strophen — auf die Eigenſchaften der gerade tanzenden Schönen bezüglich — geſungen, und oft lauten, ja ſtürmiſchen Beifall geerntet. Die Worte verſtand ich allerdings nicht, denn erſtlich hatte ich mein weniges Spaniſch in dem langen Zwiſchenraum ſo ziemlich verlernt und mußte wieder von vorn anfangen, und dann biß der Burſche auch die Worte ſo kurz ab und brummte ſie manchmal ganz in den Bart hinein, daß ſelbſt meine des Spaniſchen vollkommen kundigen Be— gleiter den Sinn nicht herausbekamen. Was er aber ſang, ob es ſchmeichelhaft oder mit leichter Ironie gemiſcht war, konnte man immer deutlich und unverkennbar in den lebendigen Zügen der gerade tanzenden Schönen leſen, wie ſie die Lip—
pen zuſammenzog, erröthete oder ihm auch einen
blitzenden und trotzigen Blick zuwarf — aber N
das war auch die einzige Waffe, die fie zu haben ſchienen, und der alte Mexikaner hatte das wohl | eine Stunde als alleiniger Wortführer fortgeſetzt, als plötzlich ein junges ſchlankes Mädchen -- nicht mehr zu jung, aber wunderhübſch, mit ruhig umherſchauendem Auge den Saal betrat und ein Flüſtern raſch durch die Verſammlung lief. Sie mußte das auch hören, ſchien es aber gar nicht zu beachten, ſondern ganz in die Muſik vertieft zu ſein und betrachtete nur die gerade draußen beſindliche Tänzerin mit prüfenden Blicken.
Der alte Burſche ſchwieg — es war, als ob er ſich ſelber überlege was er thun ſolle, und ein neben mir ſitzender Mexikaner flüſterte mir zu, ich möge jetzt aufpaſſen, das ſei eine der berühmteſten Tänzerinnen in ganz Medellin. Sie ließ uns nicht lange warten. Kaum war
die junge Dame, die allein den Tanzplatz inne hielt, abgetreten, als ſie in den Ring hinein⸗ ſchlüpfte und nun zu der raſch einfallenden Melodie mit außerordentlicher Fertigkeit eine
richtige Jig tanzte. Sie mußte auch unter den
Schuhen kleine hölzerne oder metallene Platten haben, denn der Tact klappte wie ein zierliches
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94 2 N
Hammerwerk immer ſchärfer, immer raſcher mit
zur Muſik, und ſchon machte ſich der Beifall des 1
Publikums in lauten Ausrufen Luft.
Jetzt fiel auch der alte Sänger wieder ein, und zwar, wie es ſchien, in ſchmeichelhaftem Lob, denn um die Lippen der Schönen zuckte ein
ſpöttiſches Lächeln. Ob er das aber bemerkt 9
hatte, er ging weiter, und plötzlich ſah ich, wie
ihr Geſicht blutroth wurde und einige der älteren 55
Damen kicherten. Aber ſie dachte nicht daran,
irgend eine ihr nicht paſſende Anſpielung ruhig
hinzunehmen. Ohne dabei ihren Tanz auch nur für einen Moment zu unterbrechen, ſang ſie in
der nämlichen Weiſe eine Antwort, die aber jo
ſcharf und beißend ausgefallen ſein mußte, daß |
das Publikum plötzlich in lauten Jubel ausbrach. Der Alte begann wieder, ſie aber blieb ihm keine Antwort ſchuldig und nach Allem, was ich
dabei ſehen konnte, auch entſchieden im Vortheil.
Das Ganze wurde natürlich vollſtändig extem— porirt, und ich hätte viel darum gegeben, die genauen Worte und Anſpielungen zu verſtehen,
doch, wie geſagt, in der Muſik und dem Lärm
wie der undeutlichen Ausſprache war das un⸗ möglich. ö
*
Der Tanz ſoll bis gegen Morgen gedauert
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haben, ich ging aber früh zu Bett, blieb je⸗ doch noch lange genug dort, um zu ſehen, wie eine Dame beſonders, die aber ſchon jedenfalls im Anfang der Dreißiger ſtehen mußte und nichts weniger als hübſch war, nur ſehr jugendlich gekleidet ging, mit jeder neuen Tänzerin den Wettkampf aufnahm — aber fie behielt ein un: dankbares Publikum, dem ſie jedoch, wie dem alten Sänger, trotzig die Stirn bot. In Vera⸗-Cruz blieb ich im Ganzen kaum eine Woche, und hatte dort auch noch Gelegenheit, einige Ueberreſte der öſterreichiſchen Expedition zu beobachten, denen es allerdings nicht immer gut ging.
Am beſten ſcheinen ſich die Aerzte zu befinden, von denen ſehr viele in Mexiko zurückgeblieben ſind, und denen man auch nicht das Mindeſte in den Weg gelegt hat. Den Mexikanern war ja ſelber damit gedient, tüchtige Aerzte in ihr Land zu bekommen, und manche habe ich getroffen, die ſich außerordentlich wohl befinden. Einzelne Soldaten trieben ſich aber noch, obgleich man ſie im Ganzen ſchon nach New-Orleans geſendet hatte, in der Stadt herum und — bettelten, eben
nicht zur Freude ihrer Landsleute. Die Meiſten
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von dieſen jollen jedoch Böhmen jein, und in dem Fall iſt es auch erklärlich. | Ä
Noch wäre ich gern einige Tage länger ges blieben, aber der franzöſiſche Paketdampfer kam mit einer Unzahl Paſſagieren ein, und meine dortigen Freunde verſicherten mir, daß die Dili- gence jetzt auf längere Zeit belegt werden würde, ſobald dieſe das Land beträten, da die meiſten von ihnen augenblicklich nach der Hauptſtadt gingen. Dem wollte ich mich nicht ausſetzen, und da fie glücklicher Weiſe zwei Tage in Quaran⸗ taine gelegt wurden, benutzte ich dies und ließ mich gleich einſchreiben. Den freundlichen Em— pfang meiner wackeren Landsleute in Vera-Cruz nahm ich aber für ein gutes Omen. Straßen⸗ räuber oder keine, ich wollte das Land kennen lernen, und ein wenig Gefahr macht ja ſelbſt den langweiligſten Weg intereſſant, wie viel mehr alſo eine Fahrt durch dies wunderbar jchöne Land.
En ET N r ©, . 272 ĩͤ d FR a Es eier 1 1 E 4 N pP * 1
2. Von Vera-Cruz nach Puebla.
Mittags um ein Uhr ging der Eiſenbahnzug von Vera⸗Cruz ab. Die Bahn führte aber bis jetzt nur erſt bis Paſo del Macho, das wir noch an dem nämlichen Abend erreichen ſollten.
Dort, wo wir vorüberfamen, ſtanden, uns mittelbar vor der Stadt ein paar beſchädigte Eiſenbahnwagen. Im letzten Kriege waren Kugeln hindurchgefahren und hatten die Achſe des einen zerſchmettert — aber es dachte Niemand daran, ſie zu repariren. In Wind und Wetter blieben ſie ſtehen und mochten da auch ruhig verfaulen. Waren ſie total ruinirt, dann muß⸗ ten neue angeſchafft werden. Jetzt zählten ſie
noch mit.
Die Reiſe von Vera⸗Cruz, oder vielmehr die
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Abfahrt, ſieht übrigens noch ziemlich behaglich aus. Unmittelbar an der Stadt ſetzt man ſich in einen ganz bequemen Eiſenbahn-Waggon, und mit all' den bei ſolcher Fahrt gebräuchlichen Vor⸗ richtungen ſcheint es gar nicht, als ob man eben
im Begriff ſtände, in ein — gerade nicht wildes, 5 hr aber doch verwildertes Terrain einzutauchen. Das ändert ſich freilich noch an dem nämlichen
Tag.
Die Scenerie iſt wundervoll. So wie man nur erſt einmal die niederen Feſtungsmauern der Stadt und den Schmutz der nächſten Umge— bung hinter ſich hat, begrüßt das Auge die wundervollſte Vegetation, und Cocospalmen ragen überall aus einem üppigen Gewirr von Schling⸗
pflanzen und Blüthenbüſchen empor. Rothe, N
weiße und gelbe Winden ſchlingen ſich zu un⸗ durchſichtbaren Mauern und Gewölben zuſammen, und hie und da ſtrecken die breiten Blätter der Bananen ihre grünen Arme dem Licht entgegen.
Dann und wann aber, wie man durch die Baum⸗
gipfel einen freien Blick gewinnt, ragt plötzlich in der Ferne der hohe, ſpitze Schneekegel des Orizaba herüber und ſticht merkwürdig gegen die wilde, überreiche Vegetation der heißen Zone ab; aus welcher er emporſteigt. :
„
Kleine Ortſchaften, an denen Stationen an⸗ gelegt wurden, unterbrechen die Fahrt; Frucht- ſtände in Bambushütten, die mich lebhaft an ähnliche auf Java erinnerten, bieten dem Frem⸗
den eine nicht unangenehme Abwechslung, und das Auge findet überall ſo viel zu ſchauen, daß man ſich wirklich kaum um ſeine Reiſegefährten kümmern kann und mag. Weiß man doch auch nicht einmal, ob es für die kurze Zeit der Mühe lohnt, denn welche von ihnen begleiten uns auf der längeren Tour? Das muß ſich erſt im Nachtquartier ergeben. Von da ab wurde näm— lich die Weiterreiſe nur durch die Diligence auf dem camino real ermöglicht und ſollte am nächſten Morgen beginnen. .
Nun muß ich aufrichtig geſtehen, daß mir das Wort camino real nicht beſonders gefiel, denn wenn ich an Ecuador, Peru, Chile, Uru⸗ guay und alle anderen ſüdlichen Staaten zurüd- dachte, ſo überlief mich ein ſtilles, ahnungsvolles Grauen. Camino real heißt eigentlich „könig— licher Weg“ oder Hauptchauſſee, und wenn ich mir irgend einen recht nichtswürdigen Weg leb— haft ausmalen wollte, ſo brauchte ich mir nur die caminos reales jener Gegenden in's Gedächt⸗ niß zurückzurufen. Aber früher geleſenen Be⸗
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ſchreibungen nach ſollten ja alle die Hauptwege
unter der Regierung des Kaiſers gründlich reſtau⸗ 5
rirt ſein, und ich hatte alſo nichts Aehnliches wie in den „ Republiken zu be⸗ fürchten.
Paſo del Macho hieß die Station, wo wir
unſer Abendeſſen einnahmen und dann über⸗
nachteten. Dort vor dem Hauſe hielt auch ſchon die Diligence — genau ein ſolches Fuhrwerk, wie es ſonſt in den Vereinigten Staaten von Nordamerika üblich war —, und noch jetzt er— zählen dort die alten Leute an langen Winter⸗ abenden, neben ihren Abenteuern mit Bär, Pan⸗ ther und giftigen Schlangen oder Ueberfällen der blutgierigen Wilden, ihre Fahrten in einer ſolchen Diligence. | Dieſe iſt jetzt hier in Mexiko als „Neuerung“ eingeführt — ein rother, neunſitziger, doch gut in Federn hängender Kaſten, aber jo ſtark ge-
arbeitet, um ſelbſt den Schreckniſſen eines e
mino real die Stirn zu bieten; und dort hinein ſollten wir am nächſten Morgen gepreßt und unſerem weiteren Schickſal überliefert werden. Das Hötel, in dem wir uns befanden, be⸗ ſtand aus einem großen Saal, um den herum, nicht unähnlich wie in einer Cajüte an Bord Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 5 4
deines Schiffes, verſchiedene kleine Schlafgemächer
llagen und nur durch dünne, nicht einmal zur Decke reichende Bretterwände getrennt wurden.
In erſter Klaſſe mit der Eiſenbahn war auch ein Herr mit zwei ſehr elegant gekleideten Da—
Be men, jedenfalls Schweitern, gekommen, die beim
Abendeſſen ſehr viel Wein und nach dem Kaffee jede ein großes Glas Cognac tranken. Es waren Franzöſinnen und, wie ich bald fand, meine Reiſegefährtinnen für morgen früh. Außerdem befanden ſich noch zwei ältere und zwei jüngere Mexikaner am Tiſche, und eine junge mexika⸗ niſche Frau mit einem kleinen Kinde und einem jungen Hunde — ſämmtlich Futter für das Innere der Diligence. Da wir übrigens Alle müde waren und früh wieder heraus mußten, ſuchten wir bald unſer Bett, und ich ſelber ging nur noch vorher etwa eine Stunde mit einem ſeit langen Jahren in Mexiko lebenden Deutſchen vor dem Hötel ſpazieren und ließ mir Einiges über die jetzigen und früheren Verhältniſſe des Landes erzählen.
Am nächſten Morgen, noch bei ſtockfinſterer Nacht, ein Heidenlärm: die Paſſagiere, wie die ganze Nachbarſchaft, wurden geweckt, damit die eigentlichen Schlachtopfer erſt Kaffee trinken
a |
konnten, ehe fie ausgeliefert wurden. Jetzt kamen =
er
die Maulthiere — oder mulas — und Jeder ſuchte ſich in der Dunkelheit feinen, ihm durch den Einſchreibezettel angewieſenen Platz. Das ſchien freilich Anfangs ganz unmöglich, denn eine Unzahl
kleines Gepäck, wie Reiſeſäcke, Cigarrenkiſten, größere Schachteln und andere Dinge, ſtanden ſo überall im Wege, daß Niemand im Stande war die Füße auszuſtrecken. Einige wollten da⸗ f gegen proteſtiren, doch der eine Mexikaner bat j fie vernünftiger Weiſe, nur erft einmal den Wagen abfahren zu laſſen, nachher würde ſchon
Alles raſch „zuſammengeſchüttelt“ werden; und
darin hatte er vollkommen Recht. 5
Es iſt auch eine allbekannte Thatſache, daß bei ſolchen Abfahrtsgelegenheiten, ſei das nun ein Schiff, ein Boot oder ein Wagen, Alles im Anfange überfüllt erſcheint und Niemand die Möglichkeit ſieht darin auszuhalten: aber erſt einmal kurze Zeit unterwegs, und es regu— lirt ſich Alles. Selbſt das Unmögliche wird möglich gemacht, und man richtet ſich zuletzt ſelbſt behaglich ein — behaglich — Gott verzeihe mir das Wort auf einem camino real!
Die Thiere zogen an; der Wagen rollte in
die Nacht hinaus und jede weitere Unterhaltung 4*
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wurde in dem Moment unmöglich, denn die Räder gingen über ein paar im Wege liegende Steine fort, wie ich damals dachte, und ſolche A Stöße erfolgten, daß nur Jeder beſchäftigt war, ſich ſelber auf ſeinem Sitz feſtzuhalten, ohne dem Nachbar mehr als nöthig zur Laſt, d. h. auf den Leib zu fallen. Aber die „Steine“ hör— ten nicht auf; was ich für etwas Zufälliges gehal- ten, war der gewöhnliche Gang der Diligence, und: Steht bei den Fallen! dachte ich mit meinem alten Capitän Schmidt. Tu l'as voulu, George Dan- din — der Stein rollte, und was ich mir ein⸗ gebrockt, mußte ich nun auch eſſen.
Der Mond ſtand allerdings am Himmel und der Kutſcher konnte ſeinen Weg nothdürftig er— kennen; im Innern des Kaſtens herrſchte aber völlige Dunkelheit. Während das Kind ſchrie, der kleine Hund winſelte, die Männer fluchten
und die Damen ſtöhnten, wurden wir unglück—
lichen Paſſagiere mit wahrhaft eiſerner Aus— dauer auf den ſteinharten Sitzen auf und nieder geſtoßen, und wir Alle fühlten, daß erſt einige Uebung in dieſem Marterkaſten dazu ge- höre, um auch nur ſeinen Empfindungen durch Worte Luft zu geben, wenn man nicht ſeine eigene
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Zunge leichtſinniger Weiſe in Gefahr bringen wollte, abgebiſſen zu werden. a
Eiſenbahn! Ich hatte Anfangs geglaubt, daß der Preis derſelben für die kurze Strecke, und f mit nur 25 Pfd. Gepäck frei, etwas hoch ges
griffen ſei. Jetzt fand ich, daß ſie ſpottbillig geweſen, und daß man hätte den dreifachen Preis
fordern dürfen, nur um einen ſolchen Weg uns 1 möglich zu machen. Aber das ſollte noch bejjer kommen. Re
Endlich wurde es Tag. Wir jahen erſt an beiden Seiten des Weges hohen, prächtigen Wald im Dämmerlicht, und konnten dann auch nach und nach unſere eigenen Jammergeſtalten im Innern des Wagens unterſcheiden. bi |
Die Diligence fuhr übrigens lange nicht mehr i ſo raſch, als beim Ausgang aus Paſo del Macho, wo ſie „beſſern“, d. h. trockenen Weg gehabt. Dort war die Straße wenigſtens abgetrocknet 5 durch Wind und Sonne, hier hatte der Schatten und Schutz der Bäume beides verhindert, darauf einzuwirken, und als ich jetzt einen Blick aus dem Fenſter hinauswarf, fand ich, daß der ganze camino real nur aus einer faſt ununterbrochenen Kette von Sumpflöchern beſtand, um welche ſich der Kutſcher entweder herumwinden mußte oder
SE
in die er, wenn er das unmoglich fand, keck und
unerbittlich ein- und hindurchtauchte.
Bis dahin hatten wir Alle ziemlich mürriſch geſeſſen und das nun eben doch Unvermeidliche ſchweigend ertragen. Jetzt plötzlich, als der Wagen ſich etwas raſcher fortbewegte, war es, als ob der ganze Vordertheil verſänke. Im näch⸗
0 fſten Augenblick erfolgte ein furchtbarer Stoß; daas Hintertheil hob ſich, im Innern ſtürzte Alles durcheinander, und nun war es, als ob ſich die
ganze Diligence überſchlagen und einen ſogenann— ten Purzelbaum ſchießen wollte. Aber es ſchien
nznur ſo. Das hinten aufgeladene Gepäck mochte
doch glücklicher Weiſe zu ſchwer geweſen ſein, es drückte den Rücktheil wieder zurück, der vordere Wagentheil hob ſich, als ihn die mulas weiter riſſen, empor, und fort rollten wir, einem neuen Loch entgegen.
Dieſer kleine Zwiſchenfall ſchien aber die Zungen gelöſt und die ganze mürriſche Laune verſcheucht zu haben. Die Behandlung war zu niederträchtig, und wir brachen faſt Alle in ein freilich halbverzweifeltes Lachen aus. Jetzt wurde auch die Unterhaltung allgemein; wir waren auf einmal bekannt mit einander geworden, und die
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nachherigen Stöße konnten nur dazu dienen, dieſe = Bekanntſchaft zu befeſtigen. 1
Sonderbarer Weiſe ſprang aber die Unterhal⸗ h 1 tung ſehr bald von dem Wege ſelber ab und
drehte ſich, wenigſtens für zwei Stunden, nur
um die Ladrones oder Straßenräuber, die dieſen 5 5 Weg unſicher machten, die Diligence ſchon oft angefallen und beraubt und ſogar eine Anzahl Menſchen dabei getödtet hatten. Ich war auch für die Herren nicht ganz unvorbereitet. Ich ſaß mit meiner geladenen Doppelbüchſe im Arm, Revolver und Meſſer an der Seite, im Wagen und ſag nur bis jetzt noch nicht die Möglichkeit ein, wie 85 man bei einer ſolchen Fahrt ſich wirkſam ver⸗ 85 theidigen könne. Wenn dabei nur die Hälfte der Geſchichten wahr war, welche ſich die Mexikaner = erzählten, jo unterlag es faſt keinem Zweifel, 3 daß wir ebenfalls angefallen werden mußten, und von einer verſprochenen Escorte war keine Be Spur zu erkennen. Der Wald um uns her lag öde und ſtill und bot faſt bei jeder Biegung die herrlichſte Gelegenheit, aus dem Hinterhalt vor⸗ zuſpringen und eine Ladung Rehpoſten in den ä
durcheinander geſchüttelten Kaſten hineinzufeuern. Aber die Räuber blieben aus, und ſtatt deren
überholten wir bald darauf in einem kleinen
56 Dorf einen Trupp Infanterie, die beſtimmt ſchien, uns zu begleiten.. Der Weg hatte hier auch in der That einen ſolchen Grad von Nichts würdigkeit erreicht, daß wir doch nur im Schritt fahren konnten. :
Die Soldaten jtanden an der Straße, unter den Bäumen aufmarſchirt, und ſahen mit ihren braunen Geſichtern und grauen Uniformen mit grünen Streifen nicht ſchlecht aus. Sie ſchienen auch gute Gewehre zu haben, und es war nicht wahrſcheinlich, daß es ein Trupp von Straßen- räubern wagen ſollte, die auf ſolche Art unter ſtützten Paſſagiere anzugreifen. Aber die Freude dauerte nicht lange. Etwa eine Stunde Wegs ja, hielten ſie gleichen Schritt mit uns. Der Weg beſtand hier aus einer ſolchen Kette von Schlammlöchern, daß die acht vor die Diligence geſpannten Maulthiere kaum, und nur mit größter
Anſtrengung, den leeren Wagen hindurchſchleppen konnten, der zuletzt auch wirklich vollkommen ſtecken blieb. Unſere Escorte marſchirte nun wi voraus, und als es dem Kutſcher nach großer Anſtrengung gelang, die Räder wieder frei zu bekommen, ſo daß wir weiter rücken konnten, über— holte uns die zweite Escorte, die soldadera, das Ka heißt die Frauen und Queritas der vorangegan—
SD
genen Soldaten, die Körbe mit Lebensmitteln auf iR
ihren Köpfen trugen und ganz ernſthaft und ehrbar an beiden Seiten des Wagens mitgingen — bis wir wieder ſtecken blieben. Dann vers ließen auch ſie uns, und nach einer halben Stunde etwa holten wir beide Theile der Truppe ein, die ſich unter den Bäumen ein Feuer an: gezündet hatte und ihr Frühſtück kochte und ver— zehrte. Wir fuhren vorüber, und das war das letzte Mal, daß wir, bis dicht vor Puebla, irgend einen Soldaten zu ſehen bekamen.
Ganz wunderbar ſchön und herrlich wurde aber hier die Scenerie, als wir uns beſonders dem kleinen Orte Cördoba näherten, und hier ſchienen die Eingeborenen doch auch einigermaßen die Hand geboten zu haben, um der Natur, die ihnen Alles gab, nur wenigſtens in etwas ent- gegen zu arbeiten. Bis dahin hatten die einzel- nen Hütten, die wir im Walde fanden, nur wie verlaſſen in der prachtvollſten Vegetation, aber von Unkraut umwuchert, geſtanden. Jetzt zeigten ſich hie und da kleine Gärten, und wo nur ein Keim in die Erde geſteckt war, da wuchs ein Wald von Fruchtbäumen empor. Kam man dann zu einer größeren Hacienda, ſo war es wirklich ein ganz prachtvoller Anblick, dieſen faſt fabel-
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haften Reichthum zu ſehen, den die Natur ent- faltete. Bananenſtämme ſchoſſen bei einem ganz enormen Umfang im Stamm zu einer Höhe empor, wie ich ſie faſt noch nirgends gefunden. Mango, Sapotes, Orangenbäume, Cherimoyas, Agua ⸗Caltas ſtanden überall mit ihrem herr— lichen Laub, und die Hecken bildete gewöhnlich ein dichter Streifen von Kaffee- und einzelnen Cacaobäumen, die im Schatten des Fruchtwaldes gediehen. |
Wie wohl das dem Auge that, nachdem man ſo lange Zeit nur den wild durchwachſenen Wald geſehen, zu dem der entſetzliche Schlammweg ganz vortrefflich paßte! Hier wurde ſogar dieſer camino real etwas beſſer, ſo daß wir nicht mehr alle Augenblicke auszuſteigen und halbe Stunden zu marſchiren brauchten, und wir erreichten endlich, aber ſchon nach Dunkelwerden und nachdem wir noch vor Sonnenuntergang den Schneekegel Orizaba deutlich geſehen und bewundert hatten, das kleine Städtchen Orizaba, wo wir im Dili⸗ gence⸗Hötel übernachten ſollten.
In Orizaba fand ich einige Deutſche, und da uns Paſſagieren noch ein paar Stunden Raſt blieben, weil wir erſt um zwölf Uhr wieder auf— brechen ſollten, ſo ging ich mit dieſen noch kurze
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Zeit auf den „Chriſtmarkt“, der aber eigentlich faſt nur aus Spielbuden und Spieltiſchen be— ſtand, und wo faſt alle Waaren zum Verloſen eingerichtet ſchienen. In dieſer Zeit iſt nämlich das Hazardſpiel freigegeben und die Spielpacht bringt der Stadt für dieſe eine Woche etwa 35,000 Dollars ein. Man kann ſich alſo denken, was dieſe Leute verdienen müſſen, um doch auch noch ihren eigenen Gewinnſt dabei zu machen.
Nie im Leben habe ich aber auch das Spiel jo und für alle Klaſſen, von dem reichſten Ha⸗ ciendero bis zu dem ärmſten Indianer hinab, ausgebeutet geſehen, und man findet Tiſche, wo um Unzen, wie andere, wo um eine kleine Kupfer— münze geſpielt wird, und zwar an einem ſo lei— denſchaftlich wie am andern. Aber nicht allein die Spieler frequentiren dieſe Zelte, nein, faſt ſämmtliche Familien der Stadt, da eine ſehr große Bude mit vielen Hundert Sitzen zu einem echten Lottoſpiel eingerichtet und faſt jeden Abend auch vollſtändig beſetzt iſt. Wie gemiſcht aber die Betheiligung dabei ſein muß, beweiſt ſchon der Ausrufer, der die Nummern zieht und auf den Bildungsgrad der minder Befähigten freundlichſt Rückſicht nimmt. Er zieht zum Beiſpiel Nr. 87 und ruft dann ochenta siete, dann aber auch
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noch einmal die beiden Zahlen, wie ſie hinter einander ſtehen, alſo ocho siete, damit ſolche, welche keine verbundenen Zahlen leſen können, ſich leichter hineinfinden. Die erſte Quinterne gewinnt dabei einen beſtimmten und ziemlich hohen Satz. Die gezogenen Nummern werden mit Maiskörnern beſetzt.
Auf dem Markte ſaßen eine Menge Frucht- verkäufer bei dem Licht von lodernden Kienbrän— den, das einen eigenthümlichen Schein über das Ganze warf. Kienholz giebt es hier in Maſſe, denn an den Vulkanen ſtehen große, aber freilich ſchon ſehr gelichtete Kieferwaldungen.
Orizaba iſt ein wichtiger hiſtoriſcher Punkt in der Kaiſergeſchichte geworden. Maximilian, als er hierher kam, befand ſich ſchon auf ſeinem Weg nach Europa. Er hatte eingeſehen, daß er ſeine Stellung nur durch einen langen Kampf vielleicht erhalten konnte, und wollte kein Blut- vergießen in Mexiko mehr ſein et halben. Sein Entſchluß war gefaßt, ſein meiſtes Gepäck ſchon zum Verſenden fertig. Da trat ſein böſer Geiſt wieder an ſeine Seite — der Pater Fiſcher, der in dem charakterſchwachen aber gutherzigen Mo— narchen das beſte Werkzeug gefunden zu haben glaubte, in Mexiko das Concordat einzuführen
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und der Kirche die „geraubten Güter“ wieder zu— rückzuerſtatten, und deſſen Ueberredung — darin ſtimmten Alle überein — iſt es allein zuzuſchrei⸗ ben, daß Maximilian nach der Hauptſtadt zurüd- kehrte. Was er ihm damals gejagt, weiß natür— lich Niemand, aber wahrlich nicht die Wahrheit, denn der Kaiſer hätte ſonſt nie den unglüdjelig- ſten Schritt ſeines Lebens gethan, der ihn ſeiner Todesſtätte entgegenführte.
Der Kaiſer ſtarb — aber Pater Fiſcher — ein höͤchſt zweideutiger Charakter in Mexiko, da man ihn dort ganz unverhohlen einer ſehr unan= genehmen Juwelengeſchichte bezichtigte — lebte, und hatte ſogar die Frechheit, nach Oeſterreich in derſelben Zeit zurückzukehren, wo man in der Hauptſtadt Mexiko, im Diario Oficial die Docu- mentos oficiales de los traidores — das heißt das geheime Archiv des todten Kaiſers veröffent— lichte, das gerade, wie jeder Unterrichtete in Mexiko behauptet, von dieſem nämlichen Pater der Re— gierung „überlaſſen“ wurde.“
Dort drüben in jenem weißen langen Hauſe wohnte der Kaiſer — dort verzehrte er ſich in quälenden Zweifeln — dort brachten ihm die Bewohner von Orizaba einen Fackelzug, als er ſich endlich — ſchwankend wie er war, entſchloſſen
3
7 u u J 1 ‚ e .
| hatte, ſeiner erſten Abſicht zu entſagen. — Jetzt
konnte er nicht mehr zurück, und am nächſten
Lag ging er — in Begleitung des triumphiren⸗ den Pfaffen — ſeinem Schickſal, ſeinem Tod
entgegen.
Armer Maximilian! Wohl nie im Leben ſind einem Kaiſer, der Herrſcher eines fremden Volkes ſein wollte und darüber zu Grunde ging, ſo viele, ſo aufrichtige Thränen nachgeweint worden, als Dir, denn ſelbſt Deine ärgſten Feinde haben Dir zugeſtehen müſſen, daß Du es gut und ehr⸗ lich gemeint und kein falſcher Gedanke in Deinem Herzen lebte. —
Leider war meine Zeit in Orizaba kaum nach Stunden gemeſſen, denn nach Dunkelwerden trafen wir ein, und ſollten ſchon um Mitternacht den Platz wieder verlaſſen.
Erſt um elf Uhr warf ich mich auf mein Lager, um wenigſtens den Körper ein klein wenig aus⸗ zuruhen; Punkt zwölf wurde aber ſchon wieder geweckt, und nachdem wir kaum noch Zeit ge— gehabt eine Taſſe Kaffee zu trinken, ſahen wir uns wieder verpackt und raſſelten mit furchtbaren Stößen in die Nacht hinaus.
Die Straße war von hier aus nämlich beſſer, das heißt trockener, und der Kutſcher konnte raſcher
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65 fahren, bis wir endlich die Stelle erreichten, wo ſich der Weg aus dem wärmeren Lande hinauf auf die Hochebene zieht. Dort aber war ich ſeelensfroh, als ich mit Tagesanbruch dem Mar⸗ terkaſten entſpringen konnte, um zu Fuß die ſo⸗ genannten Cumbres hinauf zu ſteigen, und die
prachtvolle Ausſicht auf die untenliegenden Thälerr
lohnte mich auch reichlich für die kleine Mühe. Nur den Revolver mußte man an der Seite tragen, denn gerade vor dieſer Stelle war ich beſonders gewarnt worden, da hier die meiſten Ueberfälle ſtattgefunden haben ſollten. Zum Glück jedoch hatten wir den Herrn Baron J. W. von Müller nicht bei uns, dem in der kurzen Zeit ſeines Aufenthalts in Mexiko jo ganz haarſträu⸗ bende Abenteuer mit Räubern, wilden Stieren, Tapiren, Tigern und ſo weiter begegnet ſind, der aber doch glücklicher Weiſe mit dem Leben davon— gekommen iſt. Wir wurden gar nicht beläſtigt und konnten, als die Diligence endlich nachkam, wieder einſteigen. Ich ſelber nahm jetzt meinen Platz hinter dem Kutſcher, denn in dem Kaſten ſelber bekam man erſtlich gar nichts von der wundervollen Scenerie zu ſehen, und dann wäre da drinnen auch eine Vertheidigung gegen einen
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doch möglichen Angriff vollkommen nutzlos ge⸗
. weſen.
Hier muß ich aber meine aufrichtige Hewi derung den mexikaniſchen Kutſchern zollen, die wirklich das Außerordentlichſte leiſten, was ich je in der Art von Fuhrwerk geſehen habe. Die Diligence iſt mit acht Thieren beſpannt, von Paſo del Macho waren es, durch den Schlamm, Maulthiere, hier Pferde. Zwei gehen an der Deichſel, vier davor und zwei wieder vorn. Der Kutſcher hat, während er mit dem rechten Fuß den Hemmſchuh regulirt, in jeder Hand drei Zügel und in der rechten noch die lange Peitſche, mit der er das vordere Geſpann erreichen kann. Dabei fährt der Burſche, der ſich den Mund ver— bunden hat, um nicht zu viel Staub zu ſchlucken, und nie flucht (überhaupt habe ich in keinem ſpaniſchen Land ſo wenig fluchen hören als in Mexiko), mit einer ganz fabelhaften Sicherheit und macht mit ſeinem Achtgeſpann die ſchwierig— ſten Wendungen. Dem auch nur iſt es zuzu— ſchreiben, daß auf den entſetzlichſten Wegen ſo verhältnißmäßig wenig Unfälle vorkommen. Frei⸗ lich ſtehen immer noch genug Kreuze am Weg, die theils von Räubern verübte Mordthaten, theils die Stellen bezeichnen, wo beim Umſchlagen
der Diligence Kutſcher oder Reiſende den Hals
gebrochen haben; und ein Wunder iſt das frei⸗ lich nicht. Uebrigens fahren dieſe Kutſcher nicht allein mit acht, ſondern ſogar manchmal, bei außergewöhnlich ſchlechter Beſchaffenheit des ca-
mino real, wie zu Zeiten in der Regenſaiſon, mit
dreizehn Pferden auf dieſelbe Weiſe.
Die erſten Kutſcher für dieſe Diligencen waren Amerikaner, welche dieſe Wagen auch hier ein⸗ geführt haben, aber die Mexikaner, die ja auch außerdem mit Pferden ganz vortrefflich umzugehen wiſſen, haben ihnen das bald abgelernt und können jetzt wahrlich nicht mehr übertroffen werden. |
Merkwürdig iſt der Unterſchied, den dieſe paar Tauſend Fuß, die wir emporgeſtiegen waren, in der Vegetation machten und wie niedrig die Bäume plötzlich in der kurzen Friſt geworden waren. Cactus und Agaven traten hier ganz ent⸗ ſchieden auf, wie ein palmenähnlicher Baum,
der da oben auch Palme genannt wird und mit
ſeinen langen, ſpitzen und meſſerähnlichen Blät- tern ganz vortrefflich zu der übrigen ſtachlichen Vegetation paßt, aber eigentlich Yuca (Yucca) heißt. Der Weg war hier trocken, aber Steine lagen Gerſtäcker, Neue Reifen. II. 5
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überall, und kleine wie größere Vertiefungen unterbrachen beſtändig die Straße. Dieſe Eonn- ten aber natürlich den Kutſcher nicht abhalten, ſeinen Pferden auf das rückſichtsloſeſte die Peitſche zu geben, und fort donnerte die Kaleſche, uns arme Paſſagiere auf eine Weiſe zuſammenſchüt⸗ telnd, die wahrlich nicht beſchrieben werden kann, die erlebt ſein muß, um ſie in allen ihren Schrecken und Mißhandlungen zu begreifen. Der Kutſcher ſelber hat natürlich einen beſ⸗ ſern Platz auf ſeinem Bock, aber neben ihm kann man nicht ſitzen, da die Stelle ſein Ge— hilfe einnimmt. Dieſer führt eine zweite Peitſche, hat die Pflicht, dann und wann abzuſpringen und nach dem Geſchirr zu ſehen, wie auch neue Blöcke für die Hemmſchuhe zurecht zu zimmern, und ſucht ſich dann, ehe er wieder heraufklettert, ein paar Taſchen voll Steine zuſammen, um dieſe von oben auf ein etwa nachlaſſendes Thier hinab— zuwerfen. Zu Zeiten ſpringt er auch, genau wie
die Treiber auf Java, eine Strecke neben den
Pferden her und haut ſo lange mit ſeiner Peitſche auf ſie ein, bis er ſie in einen raſenden Galopp gebracht. Daß er uns arme Paſſagiere im In⸗ nern dabei wie Erbſen in einer Kinderklapper durcheinander wirft, kümmert ihn verwünſcht
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wenig; er will nur raſcher von der Stelle kom
men, und das erreicht er denn auch in der That.
In Palmar, einem kleinen Städtchen, das wahrſcheinlich ſeinen Namen von den palmen⸗ ähnlichen Bäumen hat, denn Palmen ſelber kom⸗ men natürlich auf der Hochebene nicht mehr vor, frühſtückten wir, aber freilich ſehr erbärmlich, und tranken einen nichtswürdigen Wein dazu.
Ueberhaupt muß man es ſich von da an vergehen
laſſen, Wein zu fordern, wenn man nicht für eine nur einigermaßen trinkbare Sorte einen
ganz enormen Preis bezahlen will. Man muß
nämlich nicht allein den Wirthen den ſehr theuren Transport, ſondern auch den Gewinn an dieſem bezahlen, und daher kommt es, daß ſchon in
Puebla eine Flaſche Bordeaux 1½, eine Flaſche
haut sauterne 2 Silberdollars, in Mexiko die letztere aber ſogar 2½, alſo beinahe 3 preußiſche Thaler koſtet. Das iſt etwas zu viel für den geringen Genuß. | Ueberhaupt iſt Mexiko ein entſetzlich theures
Land; enorme Preiſe werden für Alles von dem
„armen Reiſenden“ gefordert, und man kann die Hand nur fortwährend in der Taſche haben. Ein Real (5 Silbergroſchen) iſt etwa genau daſſelbe hier, was ein einzelner Groſchen bei uns iſt,
— 11 *
.)
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N und wird womöglich noch geringer geachtet. Einem deutſchen Schriftſteller kann es deshalb auch
in dieſem Lande der Unzen wohl nie recht be— haglich werden. Ja, wenn ihn die Nachdrucker
5 bezahlen wollten, möchte es gehen, aber ſo ar—
beitet er mehr für andere Leute, als für ſich ſelber, und das Einzige, was ihm übrig bleibt, iſt, ſich in allen Stücken einzuſchränken.
Hinter Palmar kam ich zum erſten Mal in Sicht der beiden berühmten Vulkane mit den faſt unausſprechlichen Namen: Popocatépetl (der rauchauswerfende Berg in der alten Indianer ſprache), und daneben der breitere Iztaceihuatl (die weiße Frau), und der letztere Name iſt nicht ſchlecht gewählt, denn, beſonders wenn man etwas näher kommt, läßt ſich, mit nur einiger Phan⸗ taſie, leicht eine mit einem rieſigen weißen Tuch 5 überdeckte, ruhende Frau auf dem Berge erkennen. Uueeberhaupt findet ſich die ſe Bildung nicht jo ſelten in Mexiko, denn lange, durch vulkaniſche Kraft aufgeworfene Hügel zeigen noch an anderen Orten in ihren wunderlichen Contouren Aehn— lichkeit mit dem Bilde einer lang ausgeſtreckten Frau. So paſſirten wir vor Puebla einen nicht hohen Berg, die Malincha, auf dem die Phanz . tafie uns ebenfalls eine Frau erkennen läßt, die,
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auf dem Rücken liegend, mit heraufgezogenen 5
Knieen ruht. Geſichter laſſen ſich ebenfalls überall auf den Bergen unterſcheiden.
Die beiden rieſigen Berge ſahen wunderbar 0
ſchön aus und ihre Kuppen waren mit ewigem Schnee bedeckt. Durch die Biegung der Straße und benachbarte Höhen wurde uns aber ihr Anblick bald wieder entzogen, und ich tröſtete mich nur mit dem Gedanken, daß wir ihnen ja jetzt immer näher rückten und ſie bald in ihrer ganzen Pracht bewundern ſollten.
Vor Puebla, das wir ſpät am Abend erreich—
ten, erhielten wir wieder eine reitende Escorte
von Bewaffneten, denn gerade in der Nachbar⸗ ſchaft einer größeren Stadt treibt ſich das raub⸗
luſtige Geſindel am meiſten herum. In Ori⸗ |
zaba ſchon, wo die Frau mit dem kleinen Kinde und dem jungen Hunde ausſtieg, hatten wir aber einen neuen Paſſagier bekommen, der einen furchtbaren Schnupfen hatte und in einem fort nieſte, die Zwiſchenzeit jedoch lediglich dazu be— nutzte, Mord- und Raubgeſchichten an der Straße zu erzählen, in denen er meiſtens eine Rolle ſpielte. Es war ein kleiner Händler aus Mexiko ſelber, kam jetzt von Tabasco und konnte die
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Keckheit und Unverſchämtheit der Ladrones gar nicht lebhaft genug beſchreiben. Er war eine wahre Chronik ſämmtlicher in der Republik vorge— fallenen Angriffe ſchlechter Menſchen, und immer dazwiſchen durch kam dann wieder der Ausruf, wie gnädig ihn beſonders der liebe Gott be— ſchützt habe, daß er immer mit dem Leben davon— gekommen ſei. Dabei ſtand ihm das Maul keinen Augenblick ſtill und er wurde wirklich zu einer Plage. n
Die Gegend von Palmar bis Puebla iſt troſt— los genug. Dann und wann findet man wohl mit Mais oder Weizen beſtellte Felder, aber Cactus und Agaven (hier Mageh genannt) bil⸗ den überall die Hauptvegetation, und hier be— traten wir auch den Diſtrict, wo die Bereitung des Pulque beginnt: ein wunderliches Getränk, das aus der Mageh Aloe-Art gewonnen wird, und auf deſſen Bereitung ich ſpäter zurückkom— men werde. Ich koſtete es in der einen kleinen Stadt bei einem alten Weibe auf dem Markte, das mir die gelblichweiße trübe Flüſſigkeit, in der eine Menge kleiner ſchwarzer Gegenſtände herumſchwammen, in einer ſchmus eg Calebaſſe bredenzte.
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Oh ihr Schönen, herrlichen Bilder von mexi— kaniſchen Indianerinnen mit Federkrone und Schurz, die ſehr im déshabillé in einer Hänge⸗ matte ruhen, oder graziös einen Bogen und Pfeil in der Hand halten — wo ſeid ihr geblieben, was iſt aus euch geworden? Das hier war eine mexikaniſche Indianerin, wie entſetzlich ſchmutzig ſah aber das alte Scheuſal aus, und wie hingen ihr die Lumpen um die Knochen! Ich überwand allerdings den Ekel und hob aus Wißbegierde die Schale an die Lippen, aber es war ein trauriger Genuß. Das trübe Zeug ſchmeckte fade und ſchaal, etwa genau ſo wie es ausſah, und ich goß den Reſt einem gerade vor» beilaufenden Hund über den Rücken, der es aber nicht einmal dort vertragen konnte.
Als es dunkel wurde, verſuchte ich zu ſchlafen — es ging nicht. Das furchtbare Schütteln des Wagens rüttelte mich immer wieder empor, wenn mir ſelbſt der Mann mit dem Schnupfen Ruhe ge— laſſen hätte, und ich dankte Gott, als wir end— lich das Pflaſter von Puebla erreichten, wo wir doch bald nicht allein ein Nachtquartier, ſondern ſich auch ein paar Tage Raſt für mich finden ſollten, da ich mir feſt vorgenommen hatte, Puebla wenigſtens zwei oder drei Tage zu durchſtreifen.
äter lag ich ſchon
ee
1 3. Puebla.
Die kleine Stadt und gewiſſermaßen auch Feſtung Puebla, obgleich von Feſtungswerken an der Stadt ſelber wenig ſichtbar iſt, war ein zu hiſtoriſcher Platz geworden, als daß ich ihn hätte mitten in der Nacht paſſiren koͤnnen. Ich beſchloß, da ich übrigens meine Paſſage nach Apizaco mit ſogenannter escala*) genommen, hier jedenfalls einen oder mehrere Tage zu blei— ben, und habe es wahrlich ſpäter nicht bereut.
*) Mit escala läßt man ſich auf den mexikanischen Poſten einſchreiben, wenn man ſich unterwegs irgendwo auf⸗ zuhalten gedenkt, und kann dies jederzeit erlangen; vergißt man aber, das kleine Wort einfügen zu laſſen, ſo wird Einem ein ſolcher Aufenthalt, merkwürdiger Weiſe, gar nicht mehr ge⸗
ſtattet, und man muß die ſpäter zurückzulegende Strecke noch einmal bezahlen.
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Puebla liegt natürlich mit auf der Hochebene, die hinter Orizaba beginnt und nach Weſten zu den ganzen Flächenraum faſt bis Cuernavaca hin umfaßt. Die Vegetation rings umher iſt deshalb auch eine ziemlich dürftige und beſchränkt ſich eigentlich auf kleine Büſche, wie die Aloe— und Cactusarten. Deſto prachtvoller iſt aber dafür die Scenerie, und es läßt ſich kaum etwas Großartigeres denken, als ein Blick von dem Fort aus über die Stadt, die mit ihren regel- mäßigen Quadras zu des Schauenden Füßen liegt, nach den herrlichen Vulkanen, dem Popo catépetl und Iztaccihüatl hin.
Der erſte erhebt ſich mit ſeiner ſchneebedeck— ten Spitze pyramidenförmig rechts empor, wäh— rend links von ihm die „weiße Frau“ wie mit einem Leichentuch überdeckt auf der langgezoge— nen Kuppe des letzteren ruht. Aber nicht allein durch ihre Höhe und Schneekuppen entzücken ſie das Auge, nein, mehr noch durch den oft faſt ununterbrochenen Wechſel ihrer Beleuchtung, je nach den Dünſten, die aus ihren Schluchten auf— ſteigen und bald phantaſtiſche Geſtalten um ſie her bilden, bald düſtere Schatten auf ſie werfen, um im nächſten Augenblick wieder der Sonne
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vollen Raum zu gewähren, ſo daß man gar nicht ſatt werden kann ihnen zuzuſchauen.
Aber wir wollen uns erſt der Stadt ſelber zuwenden, und unwillkürlich entfährt da dem Beſchauer der mitleidige Ausruf: Armes Puebla! denn was hat dieſe Stadt nicht in den letzten Jahrzehnten erfahren und gelitten, wo ſie faſt immer der Schauplatz blutiger Belagerungen war und das ausbaden mußte, was mexikaniſche Po— litik oder franzöſiſche wie amerikaniſche Er— oberungsgelüſte für ſie eingebrockt.
Der Anblick der Vorſtädte beſonders iſt wirk— lich ein höchſt trauriger. Ueberall ſieht man nur leerſtehende und meiſt zuſammengeſchoſſene Gebäude und eingeſtürzte Mauern. Durch Ku— geln zertrümmerte Kirchen und Thürme gehören dort zu den Alltäglichkeiten, auf die auch wirk— lich — wenigſtens keiner der Bewohner von Puebla ſelber mehr achtet.
Die Roſe von Puebla! — ja, der Dichter hat wahrlich Recht! Aus Blut und Leichen ſtieg ſie empor, und in der einen Stadt ſind, glaub' ich, Dank den Franzoſen, die beſonders nach Ba— zaine's claſſiſcher Abſchiedsrede in der Haupt⸗ ſtadt nur allein nach Mexiko gekommen waren, „um den Frieden im Innern herzuſtellen,“ mehr
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Greuelthaten verübt worden, als in dem ganzen übrigen Land zuſammen.
Uebrigens muß die Stadt früher, wie Quito zum Beiſpiel bis noch zu dieſem Augenblick, faſt einzig oder doch größtentheils aus Kirchen und Klöſtern beſtanden haben, von denen die letzteren faſt immer ganze Quadras oder Blöcke, und damit einen ungeheuren Flächenraum einnehmen. Und wie prachtvoll und bequem ſind ſie alle ge— baut geweſen, mit gewaltigen, ſäulengetragenen Gängen, mit kühlen, ſchattigen Hofräumen, in denen ſich gar nicht etwa ſo ſelten ein plätſchernder Springbrunnen fand, mit bequemen Gemächern und luftigen Speiſeſälen — und jetzt haben die Kugeln der Belagerer die maſſiven Mauern ge— brochen, ſo daß dem Laien ein Blick in das Innere geſtattet wird und er die Stätten ungeſtört betrach— ten kann, wo früher die „Diener“ des Herrn, die ſich aber zu Herren aller Menſchen zu machen ſuch— ten und eine Revolution nach der andern in Mexiko anfachten — in „ſtiller Demuth“ hauſten.
Juarez, der jetzige Präſident der Republik, machte dieſem Treiben ein Ende. Ein paarmal ſchon waren die Geiſtlichen mit ernſten Maßregeln be— droht, wenn ſie keinen Frieden hielten, und man hatte ihnen die Gewalt, die der Staat beſaß,
Anfangs nur gezeigt. Das aber, anſtatt fie vor- ſichtiger zu machen, reizte fie zu größerer Wider— ſetzlichkeit; ſie hielten es nicht für möglich, daß irgend ein Präſident der ſtreng katholiſchen Republik es wagen dürfe und könne, ihr Eigen⸗
thum — oder vielmehr das Eigenthum der Kirche
und dadurch Gottes, anzutaſten, bis ſie Jua⸗ rez eines ſchönen Morgens auf das unangenehmſte mit einem drakoniſchen Edict überraſchte, in wel- chem er ſämmtliche Klöſter aufhob und den Grund⸗
beſitz der Kirche für Staatseigenthum erklärte. Uebrigens ſtehen noch eine Unmaſſe von Klö⸗
ſtern in Puebla verödet und unverkauft, und zwar aus einem doppelten Grund.
Erſtlich wird der Grundbeſitz ſolcher geiſtli— chen Güter allerdings zu einem Spottpreis aus⸗ geboten, er verlangt aber trotzdem ein bedeuten⸗ des Capital, um ihn wirklich zu verwerthen, denn die Klöſter können in ihrem jetzigen Zuſtand na— türlich nicht von Privatleuten benutzt werden, dieſe entſetzlich dicken Mauern und Bauten aber nieder- zureißen und wieder friſch aufzubauen, koſtet enorm viel Geld, und nicht Jeder kann das daran wenden.
Ein anderer, viel tiefer gehender Grund liegt
aber in der Geiſtlichkeit ſelber, denn wenn den Prieſtern auch die Gewalt aus den Händen ge⸗
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nommen iſt und ſie nichts Poſitives gegen die einmal erlaſſenen Geſetze der Regierung thun konnen, jo wiſſen ſie doch deſto beſſer im Ge- heimen zu bohren; — und wann hätten die Prie- ſter irgend eines Volkes, ſo lange die Welt ſteht und es Prieſter giebt, nicht den Aberglau- ben deſſelben benutzt, um ihre eigenen Zwecke zu erreichen.
Mit den Männern in Mexiko iſt nun aller⸗ dings nicht viel und nur in einzelnen Fällen etwas anzufangen, aber deſto beſſer verſtehen ſie dafür auf die Frauen einzuwirken, und darin iſt der Staat — nachdem er einmal entſchieden ſeine Trennung von der Kirche ausgeſprochen — machtlos. | | 5
Oefter habe ich es nicht allein in Puebla, nein noch viel mehr in der Hauptſtadt ſelber ausſprechen hören, welch unheilvolles Treiben unter der in Grund und Boden hinein verdor—
benen mexikaniſchen Geiſtlichkeit herrſcht, und des: halb entblöden ſie ſich auch nicht, zu den un⸗ chriſtlichſten Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen, ihre weltlichen Güter zu retten, und nicht ein- mal ein Geheimniß machen ſie oft daraus. Es iſt zum Beiſpiel offen ausgeſprochen, daß ſie Jed⸗ wedem, der „gottesläſterlich“ auf einem ſolchen,
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früher geiſtlichen Grundſtück wohnt und ſich ein Haus darauf gebaut hat, oder ſelbſt das eines Andern an ſolcher Stelle benutzt, allen geiſtlichen Zuſpruch und ſelbſt die Abſolution verweigern. Kein Kind wird von ihnen aus einem ſolchen Haus getauft, keine Leichenceremonie vollzogen, kurz und gut, jeder Bewohner einer Stätte, auf der früher Kloſter oder Kirche geſtanden, iſt ge— wiſſermaßen excommunicirt, und man erzählt ſich dabei kaum glaubliche Geſchichten, wie ſie auf dem Sterbebett Liegenden oder vielmehr ihren Familien Verſprechungen und Gelübde abgezwun— gen haben. — Das iſt die Liebe Gottes, die ſie nicht allein predigen, ſondern auch durch ihr Leben und Wirken bethätigen ſollen; und was würde Chriſtus geſagt haben, wenn er Zeuge einer ſolchen Wirthſchaft geweſen wäre? — Was ſagte er damals?
Wie billig übrigens der Grundbeſitz in jetziger Zeit iſt, mögen folgende zwei Beiſpiele zeigen. Unmittelbar an der Stadt liegt ein herrliches Schwefelbad. Eine gewaltige Quelle ſprudelt aus einem Felsbecken hervor und wird in acht oder zehn vortrefflich angelegte und ausgemauerte Bä⸗ der, in denen man bequem ſchwimmen kann, hineingeleitet. Dicht daneben liegt ein 45 Schritt
llanges und 20 Schritt breites, ſchön angelegtes i und ausgemauertes Pferdebad. Dazu gehört ein kleinerer und ein ziemlich großer hübſch an— gelegter Garten mit einem ſehr geräumigen und leicht in Garten zu verwandelnden Hofraum, und das Ganze wurde einem Kaufmann in Puebla zu dem Bagatellpreiſe von 3000 Dollars ange⸗ boten. Dabei iſt die Quelle ſo mächtig, daß ſie nicht allein alle dieſe Bäder unausgeſetzt reich— lich mit friſchem Schwefelwaſſer ſpeiſt, nein, man muß ſogar noch einen Theil unbenutzt ablaufen laſſen, weil man augenblicklich keine Verwendung dafür hat. | Zu demſelben Preiſe wurde eine dicht an der Stadt liegende, aber durch die Kugeln ziemlich bös zugerichtete Kirche mit einem mehrere Acker umfaſſenden großen Raſenplatz ausgeboten, und iſt ſelbſt jetzt noch zu haben. Kein Wunder — Puebla iſt durch dieſe ewigen Kriege und Belagerungen, denen es ausgejeßt geweſen, wenigſtens halb entvölkert worden, denn wer irgend konnte, zog ſich aus der unausgeſetzt bedrohten Stadt hinweg, und augenblicklich fehlt im Lande vollſtändig das Vertrauen, dahin zu⸗ rückzukehren. Anders, weit anders wird das aber werden, wenn erſt einmal die ſcharf im Bau be⸗
griffene Eiſenbahn zwiſchen Mexiko und Vera⸗ Cruz beendet iſt, was dem Contracte nach in vier Jahren geſchehen fein muß, wenn die Ge⸗ ſellſchaft nicht ihre Anrechte und damit unge⸗ heure Capitalien verlieren will. Allerdings ge— ſchah für Puebla nicht, was recht leicht hätte ge— ſchehen koͤnnen und eigentlich ſtrategiſch hätte geſchehen müſſen, da es nun einmal der Schlüf- ſel zur Hauptſtadt des Landes iſt. Die Bahn lauft nämlich nicht direct auf Puebla zu, ſondern
nördlich etwa 20 oder 22 Leguas daran hin.
Aber ſchon iſt eine Zweigbahn im Bau begriffen, durch welche ſich Puebla direct an die jetzige Endſtation Apizaco anſchließt, ſo daß man ſpäter Mexiko von hier aus in etwa ſechs Stunden be— quem und ſicher wird erreichen können, während jetzt noch immer Straßenräuber den Weg be— drohen und gefährden.
Ueberhaupt genießt Puebla ſelber, gerade in dieſer Hinſicht, einen keineswegs guten Ruf, und in der Nähe der Stadt ſind ſchon am erſten bewaffnete Patrouillen nöthig, um das Geſindel ein wenig im Zaum zu halten. Sonderbarer Weiſe ſcheint ſich dieſes „Geſindel“ aber weit weniger bei den unteren Klaſſen, als ſogar mehr bei den höheren Ständen zu finden. Verſchiedene
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 6
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Raubanfälle haben dort in der Nähe ſtattgefun— den, bei denen einzelne der Räuber getödtet oder
Be. gefangen wurden, und man erkannte denn jedes—
mal in ihnen nicht etwa Strolche aus der Nach— barſchaft, ſondern ganz angeſehene und wohl—
a habende Bürger aus der Stadt ſelber, die ſich
auf ſolche Weiſe einen kleinen Nebenverdienſt geſucht.
Selbſt während ich dort war, wurden zwei Kindern, einem Knaben von etwa zehn Jahren und einem jungen Mädchen, auf dem Paſeo oder Spaziergang, alſo noch in der Stadt, die Pferde weggenommen, und auch „Erwachſenen“ iſt das ſchon an der nämlichen Stelle und am hellen Tage, mit einer ungeheuren Frechheit ausgeführt, geſchehen. Ja, wenige Tage zuvor hatte man ſo— gar einen jungen wohlhabenden Mann aus ſei— nem eigenen Hauſe mit Gewalt und unter der Drohung des Todtſchießens entführt, um ein Löſegeld von ihm zu erpreſſen. Glücklicher Weiſe aber wurden die Schurken entdeckt, und man konnte den Bedrohten, ehe ihm etwas Ernſtliches geſchehen, befreien.
Es geht dort jetzt auch in der That Niemand ohne ſeinen Revolver aus, und noch weniger darf man wagen, ohne Waffe vor die Stadt
hinaus zu reiten. Beiſpiele, daß ſolcher Leicht⸗ ſinn geſtraft wurde, kommen nur zu häufig vor.
Auf das freundlichſte wurde ich in Puebla von einem Deutſchen, Herrn Berkenbuſch, auf;
genommen, und der genannte Herr opferte mir 5 in liebenswürdigſter Weiſe ſeine Zeit, um mich in den wenigen Tagen meines dortigen Aufent⸗
haltes überall herumzuführen, was natürlich in dieſem Lande nur immer zu Pferde geſchieht. Nachdem wir alſo am erſten Tage die innere
Stadt und die Verwüſtungen beſehen, die ame
rikaniſche und franzöſiſche, ja ſelbſt mexikaniſche Kanonen in ihren Mauern angerichtet — denn wenn ein Theil der Stadt von den Feinden ge= nommen war, beſchoſſen die mexikaniſchen Forts vollkommen rückſichtslos ihre eigenen Landsleute, — ritten wir am zweiten Tag nach der berühm⸗ ten Pyramide von Cholula hinaus, mit der prachtvollen Ausſicht auf die beiden herrlichen Vulkane.
Um Puebla herum iſt die Gegend, wie ſchon erwähnt, wüſt und unangebaut — kein Feld liegt
da draußen, kein Garten, ja faſt kein Baum ſteht 5 |
in der ganzen Nachbarſchaft. Nur in der Ferne nach Cholula zu hatte ich grünes Laub geſehen, 6 *
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aber nie im Leben geglaubt, dort eine ſo reizende, wirklich herrliche Scenerie zu finden.
Vor uns ſahen wir einen niederen Hügel, den mir mein Begleiter als die Pyramide zeigte; ich hatte aber bis jetzt, und noch zu weit davon ent⸗ fernt, wenig darauf geachtet, und meine Augen nur, wo es der etwas rauhe und ſehr ſtaubige Weg erlaubte, auf die beiden ſchneegekrönten Bergrieſen mit ihren wunderlichen Formen ge— halten. Jetzt plötzlich, ganz in der Nähe des kleinen freundlichen, mit zahlreichen und gut gehaltenen Gärten umgebenen Ortes Cholula, ſuchte ich wieder die Pyramide, und ſiel, über— raſcht bei dem Anblick der ſich mir plotzlich bot, meinem Pferd in die Zügel, denn der Moment durfte nicht ſo raſch vorübergehen.
Unmittelbar vor mir lag der kleine Ort, und einzelne Karawanen von Eſeln und Maulthieren mit ihren maleriſchen, aber etwas ſchmutzigen Führern und Führerinnen zogen noch immer der Hauptſtadt zu, um dort ihre Producte abzuſetzen; hinter dem Ort aber hob ſich dieſe ſogenannte Pyramide — einer jener ſpitzen vulkaniſchen Hügel, wie ſie ſich mehrfach hier, wie auch auf der ganzen Hochebene finden, von einer hübſchen Capelle mit hoher Kuppel gekrönt, empor, und
darüber lagen, der eine rechts, der andere links, einen wahrhaft zauberiſch ſchönen Hintergrund bildend, die beiden mächtigen Kuppen der ſchnee— bedeckten Vulkane.
Einen Moment ſtutzte ich — ein unmöglicher
Gedanke zuckte mir durch's Hirn — „hier biſt
Du ſchon geweſen — die prachtvolle Gegend haft Du ſchon einmal geſehen“ — aber es war auch, wirklich nur ein Moment, denn Schon im nächſten Augenblick ſtand Salzburg mit ſeiner Feſtung und ſeinem ſchneebedeckten Untersberg vor meiner Erinnerung. Die Pyramide von Cholula iſt nicht ganz ſo hoch wie die Feſtung in Salzburg, und das Thal dort viel mehr eingeengt, aber der ganze Charakter erinnerte mich unwillkürlich an jenes ſchöne Land, natürlich nur mit der Aus⸗ ſicht voraus, und ich konnte mich lange nicht von dem Bilde losreißen. Ich glaubte auch wirk— lich, ich hätte hier den ſchönſten Punkt Mexikos
erreicht — das Herz war mir jo voll und doch
ſo leicht, und ich hätte laut aufjubeln mögen L und doch war mir ſpäter noch Schöneres, viel Schöneres vorbehalten.
Endlich ritten wir weiter. Die Sonne brannte, trotzdem daß wir uns im December und auf ziemlicher Höhe befanden, faſt ſenkrecht auf das
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fſtaubige Land nieder, und da wir noch die Py- ramide ſelber beſteigen wollten, blieb uns nicht viel Zeit, denn gerade in der Mittagsſonne durch die kahle Ebene zurückzureiten, iſt eben nicht be- ſonders angenehm. Wir ritten in die Stadt. Gleich vorn in der erſten Straße ſtand eine An- zahl von Indianern, von denen das Dorf faſt ausſchließlich bewohnt wird, und hielt augen- ſcheinlich eine Gemeindeverſammlung ab. 5 Die Männer trugen ihr einfach weißes — wenigſtens weiß geweſenes Ba umwollenzeug, aber außerdem auch noch, trotz der Hitze, ihre bunte Serape über der Schulter, und ſchienen ernſtlich vertieft über das nachzudenken, was ihnen der Sprecher — übrigens ein ganz intelligent aus⸗ ſehender Burſche — vortrug. Die Verhandlung wurde in ſpaniſcher Sprache geführt und von leben— digen Geſticulationen begleitet. Um übrigens nicht in den Verdacht zu kommen, als ob wir uns in die Staatsgeheimniſſe des kleinen Ortes einſchleichen wollten, ritten wir raſch und grüßend vorüber, was die ganze Gemeindeverſammlung freundlich und achtungsvoll erwiderte. Dann ſtellten wir unſere Pferde in eine der Poſaden ein, die übrigens genau ſo ausſah wie der ganze Ort. Sie ſchien von jedem menſchlichen Weſen —
einen franzöſiſchen Hausknecht ausgenommen — gründlich geräumt zu ſein. Alle Thüren und
Fenſter ſtanden natürlich offen, aber ſelbſt die Stuben waren leer und der Hausrath beſchränkte ſich in ihnen auf zwei oder drei Holzſtühle und einen Tiſch.
Nicht einmal eine Erfriſchung war darin zu
bekommen und wir hielten uns auch nicht auf, ſondern machten uns ungeſäumt auf den Weg zu der „Pyramide“ ſelber, die ſich nur wenige Hundert Schritt davon entfernt erhebt.
Es iſt das jedenfalls ein höchſt intereſſanter Punkt, noch aus der alten Heidenzeit, und zeigt deutlich, welche bedeutende Arbeiten die damaligen
Eingeborenen unternahmen, ohne vor der größten Mühe und Beſchwerde — ganz unähnlich der
jetzigen faulen Race — zurückzuſchrecken. Ganz ſicher aber iſt es nicht der Fall, daß dieſe ſo—
genannte Pyramide oder der ganze Hügel, auf
dem früher ein Tempel ſtand und den jetzt eine chriſtliche Kirche krönt, ausſchließlich von Men—
ſchenhand aufgebaut ſei. An den Seiten ſieht 5 5
man allerdings deutlich und überall die feſt in⸗ einander gedrängten Mauern von ungebrannten Ziegeln, ſogenannten adobies, die mit den Jah⸗
ren eine wirklich unbegreifliche Feſtigkeit erlangen, a
e
aber an einzelnen, durch ſpätere Regengüſſe wahr- ſcheinlich abgeriſſenen Stellen kann man jetzt auch eben ſo unbeſtreitbar die wirkliche und natürliche
Erde erkennen.
Solche ſpitze, oft koniſche, oft länger gedehnte, niedrige Hügel finden ſich überall auf der ganzen merxrikaniſchen Hochebene. Es ſind aber weiter nichts als Erdblaſen, die durch vulkaniſche Erup— tionen ausgeworfen ſind und von denen ſelbſt noch verſchiedene in der Nähe von Cholula ſelber ſtehen. Kaum denkbar iſt es deshalb auch — obgleich fanatiſcher Wahnſinn noch manches Un— begreiflichere möglich gemacht hat — daß man hier verſucht und ausgeführt haben ſollte, einen ganzen Berg mit Menſchenhänden an einer Stelle aufzurichten, wo man, gar nicht weit davon entfernt, die ganze Arbeit ſchon vollſtändig ge—
* than fand und mit Leichtigkeit benutzen konnte.
Viel wahrſcheinlicher bleibt — und der Meinung
ſchließen ſich faſt Alle an, die ich darüber geſpro—
chen und welche die Pyramide ſelber in ihrem jetzigen Zuſtande geſehen, daß der Hügel aller—
dings ſchon beſtand, ehe man einen Tempel
darauf baute, daß ihn aber die Indianer, um ihm nichts von ſeiner Höhe zu nehmen und doch einen weiten Grund für ihre Bauten zu haben,
mit einem feften und breiten Mauerwerk um⸗
gaben. Dadurch erhielt er jedenfalls eine regel- je
mäßigere Form und oben — was ſie gerade haben wollten — einen größeren Umfang. Den
eigentlichen kleinen Berg hat aber jedenfalls die Natur ſelber aufgeworfen.
Die obenſtehende Kirche iſt noch nicht im 15
Innern ausgebaut und dem Gebrauch übergeben, aber es wird ſcharf daran gearbeitet — was man nämlich in Mexiko ſcharf nennt. Zwei Leute fanden wir im Innern thätig, und vier lagen draußen im Schatten und ruhten ſich ganz be= haglich aus. Ein kleiner Junge aber, der uns bald als Fremde ausgefunden, kam uns nach und bot uns kleine Steinbilder an, die man noch häufig dort im Boden findet. Es waren Geſichts⸗ masken von etwa anderthalb Zoll Länge, mit nicht unſchönen Formen.“ |
Die Ausſicht von dort oben, auf der einen Seite nach dem wirklich reizend im Thal liegenden Puebla, auf der andern nach den Schneevulkanen hin war überraſchend ſchön, und wir blieben lange dort oben, um den Anblick zu genießen.
Auf dem Rückweg, als wir das kleine Dorf wieder erreichten, wo zu Cortez' Zeiten eine Stadt mit über 100,000 Einwohnern ſtand, und der
90 kecke Eroberer damals jenes furchtbare Blutbad unter ihnen anrichtete, wanderten wir zuerſt durch das verödete, aber prachtvoll angelegte Kloſter mit ſeinen weiten kühlen Räumen, in denen wir aber keinen einzigen Menſchen fanden. Das ganze ungeheure Gebäude ſchien wie ausgeſtorben, und doch welches fröhlich geiſtliche Leben mag hier früher geherrſcht haben! Weite, prachtvolle Säulengänge zogen ſich überall herum, und das Centrum bildete ein kleiner, außerordentlich ge— müthlicher Hofraum mit einem ſeligen Spring— brunnen, der rings von ſchattigen Orangen- oder Limonenbäumen umgeben war. | | Aus dem Kloſter gingen wir über den großen, freien Platz der ebenfalls leer und öde ſtehenden Kirche zu, die man ihrer Größe nach faſt eine Kathedrale nennen könnte. Anſcheinend war ſie verſchloſſen. Die Thuͤr gab aber dem leichten Druck der Hand nach, und wir ſtanden gleich darauf in dem gewaltigen, von zahlreichen Säu— len getragenen, aber ſonſt leeren Raum, aus dem uns eine wirklich eiskalte Luft entgegenwehte. Links, gleich am Eingang, ſtand ein lebens⸗ großes Bild des Heilandes mit dem Kreuz auf dem Rücken. Sonſt war die Kirche meiſtens des ſonſt üblichen Schmuckes beraubt, und nur noch
hie und da in den Niſchen und über verſchie⸗
denen Altären ſtanden andere Heiligenbilder. Auf-
gegeben ſchien man ſie aber doch nicht zu haben, wie die verſchiedenen Kloſterkirchen in der Stadt, in denen man ſogar die Vergoldung in den
Kuppeln und an den Seitenwänden abkratzte.
Weit hinten in einer der Vertiefungen ſtand ein Mann auf einer hohen, etwas gefährlich aus⸗ ſehenden Leiter und reparirte etwas an der Wand, und unter ihm ſaß ein Junge in einer alten ſchmutzigen Serape und grunzte manchmal vor ſich hin — vielleicht um uns aufmerkſam zu machen, daß die Kirche bewacht wäre und wir uns alſo vorſehen möchten. Das ganze Gebäude machte übrigens einen wirklich großartigen Eindruck: etwa ſechsunddreißig bis vierzig hohe Säulen trugen — immer je vier — eine kleine Kuppel, und die feierliche Stille, die auf dem Ganzen lag und ſelbſt den leiſen Schritt laut ſchallen machte, hatte in dem ſchmuckloſen und doch mäch— tigen Raum etwas Ergreifendes und Impoſantes. Ob die Kirche dem Gebrauch wieder übergeben werden ſoll, weiß ich nicht — es ſchien faſt ſo, und es wäre auch in der That ſchade, wenn ein ſo ſchönes Bauwerk niedergeriſſen würde. Freilich iſt dies das Zeitalter des Nieder⸗
92 reißens und Zerftörens, und wohin man in Mexiko auch ſieht, findet man das bewahrheitet—
An Aufbauen denkt aber Niemand hier — ich
wenigſtens habe, während meines ganzen Aufent- haltes im Lande, bis jetzt auch noch nicht ein ein— ziges im Bau begriffenes Haus geſehen. Der Krieg hat ſo viele Menſchen hingerafft, ſo viele Familien verarmt oder gar außer Landes gejagt, daß man, im Augenblick wenigſtens, an keine Vergrößerung der Städte denken kann, und nur Mühe hat, die vielen leer ſtehenden Wohnungen an den Mann zu bringen.
Am nächſten Morgen beſuchte ich mit Herrn: Berkenbuſch die berühmt gewordenen und mit Blut ſo oft getränkten Feſtungshügel der Stadt, und ich begreife in der That nicht, daß die doch ſonſt gerade im Anſturm ſo vortrefflichen fran— zöſiſchen Soldaten daſſelbe nicht gleich bei dem erſten Angriff genommen haben, denn über die Gräben kann man mit Bequemlichkeit hinüber— ſpringen, und die Mauern ſind, wenn auch ſtark, doch ſehr niedrig. Außerdem iſt das Fort ſo ge— baut, daß man mit Hilfe der abgeriſſenen Hänge auf der einen Seite wenigſtens bis dicht — ja in Steinwurfsnähe unter den Mauern ankom— men kann, ohne daß die Belagerten auch nur im
Stande wären, einen einzigen der Angreifer zum Schuß zu bekommen. General Forey aber, der den erſten Angriff leitete, war zu ſchwach. Er hatte, in unſeliger Unterſchätzung des Feindes, wenn ich nicht irre, nur dreihundert Mann, die noch dazu, nach einem beſchwerlichen Marſch und ohne ihnen eine Raſtzeit zu gönnen, zum Sturm commandirt, aber entſchieden geſchlagen und zum Rückzug gezwungen wurden. Mein Begleiter zeigte mir die Stelle, wo das Blutbad ſtattfand, denn viele Franzoſen fanden dort ihren Tod, und ebenfalls den Platz, wo ſpäter von den Meri- kanern vierzig franzöſiſche Soldatenleichen ver brannt worden waren, damit ſie dort die Luft nicht verpeſteten.
Unerklärlich iſt übrigens, wenn man von dort oben das Terrain überſieht, ein Umſtand, der auch ſpäter zur Eroberung Pueblas führte und von dem vollkommen unzurechnungsfähigen Ge— neral Ortega ganz überſehen wurde. Im Nor⸗ den von Puebla liegt nämlich, unmittelbar an der Stadt, ein kleiner Hügel, der zwar nicht ſehr hoch iſt, die Stadt aber doch vollkommen beherrſcht, ohne daß er auch nur von der Garniſon beſetzt geweſen wäre. Die Franzoſen, denen der Vor⸗ theil dieſer Stellung natürlich augenblicklich ein⸗
N
lleuchtete, umgingen ſpäter die Stadt. Ortega ſah ſie und bemerkte noch zu ſeinem Adjutanten: „Ich glaube wahrhaftig, die Lumpen wollen den San Lorenzo beſetzen,“ machte aber nicht die ge— ringſte Anſtalt, ſie davon abzuhalten, — wie er ſich denn eben um gar nichts bekümmerte, ſon— dern nur ein liederliches und luculliſches Leben führte. Er hätte jedenfalls verdient gehabt, vor ein Kriegsgericht geſtellt zu werden. Eigenthümlich war übrigens ſeine Art, Sol- daten zu preſſen; denn da man wußte, daß jeder Waffenfähige in den Straßen aufgegriffen wurde, wagten ſich die jungen Leute nur ſehr vorſichtig hinaus, und ließen ſich zuletzt gar nicht mehr im Freien blicken. Da ließ er eines Tages plötz— lich mit allen Glocken läuten, und als das neu- gierige Volk jetzt nach der Plaza ſtrömte, um zu ſehen, was da vorgefallen ſei, wurde es plötzlich von Soldaten umzingelt und Alles aufgegriffen, was nur einigermaßen zum Soldaten tauglich war. Dieſe verſchwanden indeſſen augenblicklich wie— der, als die Stadt endlich von den Franzoſen genommen wurde. Die mexikaniſchen Soldaten riſſen ihre Uniformen ab, warfen ſie in Stücken auf die Straße und zerbrachen ihre Flinten und Säbel, aus Furcht, noch einmal gepreßt und une
ter das Militär geſteckt zu werden, und ver- ſchwanden dann, irgend einer ruhigen Arbeit nachgehend, in den Häuſern. Das Fort aber feuerte luſtig herüber und ſchoß viele Bewohner von Puebla in den Straßen todt.
Vorher ſchon hatte man aber zu einer ge— waltſamen Maßregel ſeine Zuflucht genommen,
um den Soldaten das Paſſiren der Straßen zu = erleichtern und ſie dabei keiner Gefahr auszu-
ſetzen. Man durchbrach nämlich die meiſt alle maſſiven und ſehr dicken Mauern der Gebäude von einem Hauſe zum andern, — unbekümmert natürlich um alle dadurch gejtörten und oft voll— kommen außer Cours geſetzten Familienwohnun— gen, und wo ſich die Arbeiter zu dem Zwecke zeigten, half keine Einwendung. Die Wände wur- den durchbrochen und die Soldateska kroch in langer Reihe hindurch.
Als wir zurück in die Stadt ritten, überhol- ten wir einen kleinen Zug Infanterie, bei dem aber die gemeinen Soldaten wirklich anſtändiger ausſahen, als der Officier, der nicht einmal einen Degen an der Seite trug. Die armen Teu⸗ fel werden aber auch ſchlecht genug beſoldet, und gleich am erſten Morgen bettelte mich ein Sol— dat, der ſich noch dazu auf Wache befand, an.
Ja, als ich nachher an der Schildwache, die das Gewehr im Arm trug und die Sache geſehen hatte, vorüberging, blieb ſie ſtehen und ſah ſo freundlich aus, daß ich feſt überzeugt bin, ſie würde mich ebenfalls um ein kleines Douceur gebeten haben, wenn ich ihr nur Zeit dazu ge— gönnt hätte.
Durch die Stadt wieder zurückreitend, paſſir— ten wir eine ziemlich große Plaza, oder einen Markt, wo in der Franzoſenzeit die Gefangenen erſchoſſen wurden. Es ſollen dort zahlreiche Men— ſchen hingerichtet ſein, und wie rückſichtslos man dabei verfuhr, mag folgendes Beiſpiel erläutern.
Eines Morgens tritt die Wache in die Thür des Gefängniſſes und ruft den Namen Ignaz Perez aus, wonach einer der Unglücklichen, der den Vornamen vielleicht nicht einmal gehört hatte, aufſtand und ſagte: „Ich heiße Perez!“ Er wurde dann einfach in die Mitte genommen, auf die Plaza geführt und dort augenblicklich er— ſchoſſen. An dem Abend noch ſtellte es ſich aber heraus, daß dieſer Perez nur auf einen Ver⸗ dacht hin verhaftet geweſen war, und der andere
e Perez noch im Kerker ſaß. Das machte aber
nichts, — es war ja nichts verſäumt, und der andere Perez — diesmal der richtige — wurde
nun einfach abgeholt und ebenfalls todtgeſchoſſen. Er hatte ja geholfen, ſein Vaterland gegen die Eroberer zu vertheidigen.
In der Mauer, als wir vorüber ritten, konnte
ich deutlich überall die faſt zahlloſen Kugellöcher erkennen; — das Blut war natürlich lange ent⸗ fernt. — Oh Roſe von Puebla!
Auf dem Wege beſuchten wir noch die Schwefel— bäder, — eine wirklich herrliche, aber jetzt im
Verhältniß außerordentlich wenig benutzte An—
lage, in welcher wir nicht einen einzigen Baden— den trafen, — einen Mexikaner ausgenommen, der mit ſeinem Hund in dem Pferdebad herum— ſchwamm.
Das Waſſer iſt ſo ſtark ſchwefelhaltig, daß eine ſilberne Uhr, wenn man ſie mit in's Bad nimmt und dort offen auf die Bank legt, in ganz kurzer Zeit ſchwarz wird. Es hat eine grün— bläuliche Farbe und gemäßigte, nicht heiße Tem— peratur, und die Quelle führt es in einem außer— ordentlich ſtarken Strom direct in die großen, viereckig gemauerten Baſſins.
Das Pferdebad iſt, wie vorhin erwähnt, 45 Schritt lang und 20 breit, und wird gegen das Ende zu ſo tief, daß ein Pferd darin ſchwimmen muß. Etwa zur Hälfte etwa, wo kleine eiſerne
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 7
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Halter angebracht jind und wo den Thieren die Fluth gerade über den Rücken geht, werden ſie angebunden und müſſen dort eine für ihre Cur beſtimmte Zeit ſtehen bleiben, was ſie ſich auch ſehr ruhig und gern gefallen laſſen. Der Preis iſt dabei ſehr billig geſtellt und koſtet — aller- dings nicht im Verhältniß der Größe — für ein Pferd einen Quartidio — etwa 12½ Pfennig — für einen Menſchen 2½ Real (124, Sgr.)
In dem Garten blühten viele Roſen. Ich nahm mir zum Andenken an Puebla einige da— von mit.
Die Zeit der Stiergefechte iſt glücklicher Weiſe ſo ziemlich vorüber, ſelbſt in Madrid ſollen ſie unterſagt ſein, und auch in Puebla wurden ſie verboten, nachdem ich die Stadt erſt kurze Zeit verlaſſen hatte. Ich bekam dort aber doch noch Gelegenheit, einem der letzten beizuwohnen, und wenn ich auch das Schauſpiel ſelber haſſe, ſo findet man doch an ſolchen Orten immer etwas dem fremden Lande Eigenthümliches, und ich mochte es deshalb nicht verſäumen.
Die Arena iſt weit und geräumig gebaut, mit Bänken wie ein Circus, aber unbeſchützt gegen Regen und Sonne. Nur die Zuſchauer in den Logen ſitzen, bei etwa eintretendem Wetter,
trocken, und die Preiſe der Plätze find charakte⸗ riſtiſcher Weiſe ſo geſtellt, daß die Sonnenſeite faſt um die Hälfte billiger iſt als die Schatten⸗ ſeite.
Der Raum, der Tauſende von Menſchen faſſen kann, war nur ſpärlich beſetzt, Damen ſah man überhaupt nur ſehr wenige. Am ſtärkſten waren
die unterſten, alſo die billigſten Plätze in An- =
ſpruch genommen, und dort jubelte das Volk auch ſchon, als wir eintraten; denn der erſte Stier, ein ziemlich junges Thier, war herein⸗ gelaſſen und der Clown oder Hanswurſt, der ſich überhaupt ſehr paſſiv benahm und nur ein⸗ mal eine unglückliche Gaſtrolle als Picador gab, hatte ſich von dem muthigen kleinen Burſchen in der Arena herumjagen laſſen.
Der erſte Stier wurde auf die bekannte Weiſe mit vorgehaltenen Tüchern geneckt — aber auch ermüdet. Dann ſtieß man ihm mit buntem und raſchelndem Papier beſteckte Stacheln in den Rücken, wozu allerdings eine bedeutende Geſchick— lichkeit und kaltes Blut gehört, denn der Picador muß, wenn er nicht ausgeziſcht und ausgepfiffen ſein will, dem Thier zwei dieſer Stacheln auf einmal über die Hörner hinüber in die Schultern ſtoßen und dabei außerordentlich geſchwind ſein,
7%
%
denn wenn er es nur um einen Moment verſieht, ſo hat ihn das Thier rettungslos auf den Hör— nern und er kann von Glück ſagen, wenn er
nicht ſchwer geſchädigt davonkommt.
2 Zuletzt ſteckten ſie dem armen geplagten Thier 75 noch mit Schwärmern gefüllte Stacheln an, die ſich dann entzündeten und Feuer ſprühten, wäh—
rend das arme, gequälte Geſchöpf vor Wuth und
Schmerz laut aufbrüllte.
Als man ſich daran genügend ergötzt, kam der Matador, um ihm den Gnadenſtoß zu geben. Er neckte es erſt allerdings ein paarmal mit einem rothen Tuch, während er aber den ſcharf geſchlif— fenen Degen ſchon in der Hand trug. Jetzt kam es wieder heran und er ſtach es — nicht etwa
in den Bug, daß es gleich todt zu Boden ſtürzte,
ſondern hinter das Schulterblatt, fo daß es noch
mehrere Minuten herumtaumelte, bis es ſich end— lich niederthat und dann, unter dem Jubel— brüllen der Menge, von dem „Schlächter“ vollends getödtet wurde. f
Haben die Bewohner von Puebla denn noch nicht genug Blut geſehen?
Dann kamen zwei mit den mexikaniſchen Far— ben beſteckte Maulthiere herein, um das todte Geſchöpf hinauszuziehen, ein ſchmutzig ausſehen—
der Burſche warf aus einem kleinen Karren Sägeſpähne über das Blut und die Sache konnte von Neuem beginnen.
Die zweite Abtheilung war intereſſanter. Ein junger, muthiger Stier wurde hereingelaſſen und zwei mit kurzen Lanzen bewaffnete Reiter erwar⸗ teten ihn. Die Lanzen hatten aber keine tödt- liche Spitze, ſondern nur einen kurzen Stachel mit Querhalt daran, um den Stier zu verhin— dern, das Pferd unter den Leib zu faſſen. Uebri⸗ gens waren die Pferde ſelber durch einen den halben Bauch deckenden Ledergurt, wie durch zwei, vorn an jeder Seite hängende Leder ſo
ziemlich gegen jeden Stoß verwahrt, konnten
wenigſtens nicht ſo leicht geſchädigt werden.
Der Stier, gereizt, wandte ſich jetzt gegen den einen Reiter und führte einen, wie es ſchien, gefährlichen Stoß gegen das eine Pferd; aber der Reiter hatte ihm geſchickt den Stachel in die Schulter geſtoßen, und indem er das ganze Ge— wicht ſeines eigenen Körpers dagegen lehnte, hielt er das Thier, das nun machtlos in die Luft hieb, erfolgreich von dem Gaul ab.
Jetzt ein anderes Bild. Vier Reiter ohne Lederſchürze und Lanze — wie es ſchien, Ama: teurs, hielten an der Thür, durch welche der er-
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| wartete Stier Einlaß bekommen ſollte. Jetzt öffnete ſich dieſelbe, aber es kam kaum mehr als
ein eben überwachſenes Kalb heraus — ein kleines, ſchwarzes, ſchwächliches Geſchöpf, hinter dem die Reiter jetzt herjagten, bis es Einer von ihnen am Schwanz ergriff, dieſen dann, als er den Moment für günſtig hielt, unter ſeinem eigenen Bein durchzog und dann das arme Geſchöpf, durch plötzliches Antreiben ſeines Pferdes, mit dem Hintertheil herumwarf und dadurch zu Bo— den riß. Das war das ganze Kunſtſtück, und wie beifällig wurde daſſelbe von der verſammel— ten Menge aufgenommen!
Jetzt, nach verſchiedenen anderen ee
kam der Schluß. Ebenfalls ein ganz junges Thier, dem man aber auch noch zur Vorſicht die Hörner durch Kugeln unſchädlich gemacht hatte, wurde hereingelaſſen. Auf ein gegebenes Zeichen ſprang die ganze Jugend, die wahrſcheinlich ſchon lange auf den Moment gehofft und gewartet, in die Arena und auf den Stier ein, der bei den plötzlich von allen Seiten auftauchenden kleinen Geſtalten gar nicht zu wiſſen ſchien, auf wen er ſich zuerſt werfen ſolle. Suchte er ſich aber Einen von ihnen aus, ſo ſprang der raſch zur Seite oder hinter eine der an vier Seiten der Arena
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aufgeſtellten Schutzwände, und indeſſen hatten ſchon wieder zwanzig Andere den Kampf auf: genommen. Uebrigens war die Sache gar nicht ſo ganz ungefährlich, denn ſelbſt kleine, ungeſchickte Jungen betheiligten ſich dabei, kamen zwiſchen die Füße der anderen und geriethen ein paar— mal in nicht geringe Gefahr, von dem zwar kleinen, aber doch wüthend gemachten Thier ge— faßt und in die Luft geworfen oder auch unter die Füße getreten zu werden.
Uns wurde das Schauſpiel endlich widerlich — wir traten hinaus auf den um das Gebäude laufenden Balcon — drinnen jauchzte und ſchrie das Volk vor Luſt und Wonne, wenn das arme, geängſtigte, junge Thier von einem Schwarm großer, brutaler Jungen gefaßt und zu Boden geworfen wurde, und hier draußen? — Dort drüben lagen in einem unbeſchreiblichen Glanz und Zauber die beiden Schneevulkane, von dem roſigen Glanz der untergehenden Sonne wie mit Purpur übergoſſen — ein Bild der ſtillen Ruhe und der Größe Gottes, während da drinnen ein entartetes Geſchlecht eins ſeiner Geſchöpfe miß— handelte und dabei in viehiſches Jauchzen aus⸗ brach. — Sonderbare Welt, ſo voll von Schön— heit und Erbärmlichkeit! Aber Eins beſteht neben
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dem Andern — wir wiſſen nicht wozu — wir begreifen es nicht. Ich aber muß geſtehen, daß ich mich beim Anblick dieſes wundervollen Schau— ſpiels in der That ſchämte, Zeuge jenes Skan— dals dort im Innern geweſen zu ſein — es kam
mir jetzt wie eine Entwürdigung der herrlichen
Natur vor, die hier draußen alle ihre Schätze für das Auge des Menſchen ausbreitete, und ich ſchwur mir heimlich zu, daß dies das letzte Stier— gefecht ſein ſolle, dem ich je im Leben beigewohnt.
4. Von Wuebla nach Mexiko.
In Puebla ging die Diligence, die aber von hier ab aus drei Wagen beſtand, denn der Ver— kehr zwiſchen Puebla und Mexiko iſt ziemlich bedeutend, wieder Morgens um vier Uhr, alſo noch in ſtockfinſterer Nacht ab, und jo wenig traute man den Pueblanern, daß eine ſtarke Es- corte neben den Diligencen herritt. Uebrigens ſahen die Burſchen ſelber wirklichen Straßen— räubern ſo ähnlich, wie ein Ei dem andern, und als ſie mit Tagesgrauen wieder von uns Abſchied nahmen und uns unſerem Schickſal allein über— ließen, ritten auch wirklich ein paar von ihnen an den Wagen heran und — baten ſich ein Dou— ceur aus — die alte Geſchichte. Sie waren jedoch mit einer Kleinigkeit von einigen Realen außer— ordentlich zufrieden und bedankten ſich freundlichſt.
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Noch muß ich bemerken, daß die beiden anderen Diligencen mit den Paſſagieren des damals von Havannah gekommenen Dampfers — faſt lauter Franzoſen — beſetzt waren. Sie hatten ihre kurze Quarantaine abgelegen und mich in Puebla über— holt. Von dieſen gingen aber die meiſten eben— falls bewaffnet, und wir konnten von da ab einer möglichen Bande von Straßenräubern ſchon ganz entſchieden die Stirn zeigen.
Wunderbar herrlich wurde aber der Anblick der beiden Vulkane Popocatépetl und Iztacci— hüatl, als der dämmernde Tag ſeine erſten Lichter auf ihre bleichen Schneekegel warf und ſie mit immer höherem prachtvolleren Roth übergoß, und noch pittoresker der Anblick, als endlich, dicht vor Tagesanbruch, der blitzende Orion mit ſeinen hellen Sternen gerade zwiſchen den beiden Bergen unterging und die ſonſt dunkle Stelle wirklich funkeln machte. Es war herrlich, und doch ſollte ich dieſe Berge noch viel ſchöner ſehen.
Uebrigens nahm der Weg unſere ganze Auf— merkſamkeit in Anſpruch, denn er war, was man hier beſſer nannte, und unſere drei Marterkaſten konnten deshalb in einem ſcharfen Trab über die Bahn hingeſchüttelt werden. Dazu obenauf
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mit einer geladenen Büchſe zu ſitzen — denn ge— rade dieſer Theil der Straße wurde für ziemlich gefährdet gehalten — war in der That ein Kunſt⸗ ſtück und lenkte die Aufmerkſamkeit leider viel zu viel von der reizenden Scenerie ab.
Von Puebla aus führte jetzt unſere Bahn auch ganz entſchieden auf der Hochebene von Mexiko hin, und der Charakter des Landes ſprach ſich immer deutlicher in allerlei Arten von Stachelpflanzen, als: Cactus-, Mageh- und Nu⸗ kaarten, aus. Viele Akazien wuchſen ebenfalls, wie denn die Mimoſen ſtark vertreten blieben, und wirklich angebaute und dann meiſt immer mit Mais bebaute Felder ſchienen eigentlich ſehr ſelten. Selbſt an den kleineren Häuſern, die wir von Zeit zu Zeit paſſirten, mußten es die Eingeborenen nicht einmal für nöthig gehalten haben, ein kleines Stück Feld oder ein Gärtchen anzulegen, und doch würden dort gewiß allerlei Arten von Fruchtbäumen gewachſen ſein. Nur
die Pulquepflanze, die wichtige Mageh, trat in
den Vordergrund, und ziemlich weite Flächen ſah ich ſchon damit bepflanzt, obgleich der eigentliche Bau derſelben mehr näher zu Mexiko ſelber beginnt.
Es iſt eine merkwürdige Thatſache, daß die
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Agave, und gerade dieſe Art derſelben, in vielen Theilen Amerikas, beſonders in Ecuador, Peru und Venezuela wächſt und in keinem Lande faſt der Rede werth benutzt wird. Nur in Ecuador ſcheinen die Indianer den Nutzen dieſer Pflanze zu kennen, ohne daß ſie aber nur den geringſten Handel damit treiben, und wie wird ſie hier in Mexiko ausgebeutet.
Mit Recht heißt ſie hier „die Kuh des Landes“ denn man melkt ſie nicht allein bis zu ihrem letzten Lebenstropfen aus, ſondern benutzt ſie auch noch zu zahlloſen anderen Zwecken; es giebt in der That kein nützlicheres oder wenigſtens
mehr benutztes Gewächs in dem ganzen weiten Reich.
Es iſt nicht die eigentliche Aloepflanze, die wohl Jeder bei uns der Form nach kennt, aber doch ein ganz ähnliches Gewächs, nur in weit koloſſalerem Maßſtab, und ich habe ausgewachſene und zum Schafttreiben vollkommen reife Pflan— zen geſehen, die einen Flächenraum von wenig— ſtens 45 Fuß im Umkreis einnahmen. Die mit Stacheln bewehrten Blätter ſind dabei außer—
5 ordentlich dick und fleiſchig und enthalten eine
Unmaſſe Saft, der aber bis zum fünften Jahr vollſtändig werthlos und herb bleibt und deshalb
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bis zur richtigen Zeit geſchont werden muß.
Dieſer Zeitpunkt beginnt, wenn die Pflanze im
Begriff ſteht ihren Blüthenſchaft zu treiben, und man kann das ſehr deutlich daran erkennen, daß ſie von dem mittelſten, enorm dicken Trieb Blatt nach Blatt ablöſt und dieſen zuletzt nicht viel dicker läßt als ein einzelnes zuſammenge— rolltes Blatt.
Jetzt iſt der Moment gekommen, die Pflanze anzuzapfen, und das geſchieht auf folgende, nicht eben ganz bequeme Art, daß man nämlich an der Stelle, an der man angreifen will, zuerſt die Kanten der nächſten Blätter glättet und ſie von ihren Stacheln befreit — denn wollte man Blätter ausſchneiden, ſo würde nicht allein zu viel Saft verloren gehen, ſondern ſich die Pflanze vielleicht ſogar auch verbluten. Nun wird das den beginnenden Pflanzenſchaft noch umgebende Blatt mit einem beſonders dazu gehaltenen eiſernen Inſtrument abgeſtoßen und herausge— riſſen, und iſt man jetzt zu der Stelle gelangt, wo das eigentliche Herz ſitzt, ſo gräbt man dort, mit einer Art von Kratzer, ein Loch hinein, das unten rund ausgeſchabt wird und Anfangs noch ziemlich klein iſt. In dieſer Höhlung ſoll ſich
110 der Saft der Pflanze ſammeln, und ſie wird auch danach das „Faß“ genannt.
Gleich im Anfang kann man aber noch nicht den Saft benutzen, ſo wird alſo vorher eine Handvoll Wurzelwerk oder Faſern hineingeſtopft, das etwa vierzehn Tage lang darin anfaulen muß. Iſt das geſchehen, jo nimmt man es wies der heraus, kratzt die innere Höhlung auf's Neue etwas aus, um die Poren vollſtändig zu öffnen, und kann nun die Ernte beginnen, die monate= lang dauert und in der Zeit jeden Tag ihren Ertrag liefert. An jedem Morgen geht der Ar— beiter hinaus, ſetzt einen langen, dünnen Flaſchen— kürbis als Heber ein, zieht den Saft, der ſich in der Nacht angeſammelt hat, heraus und läßt ihn in einen bereit gehaltenen Schlauch oder ein anderes Gefäß, um ihn dann aus allen Pflanzen zuſammen in einen dazu beſtimmten Bottich zu tragen und gähren zu laſſen.
Dieſer erſte Saft heißt Agua miel oder Honig- waſſer, und iſt nicht allein ſehr ſüß und ange— nehm zu trinken, ſondern ſchmeckt auch genau wie das Waſſer aus einer eben gereiften Cocos— nuß — aber es darf nur ſehr vorſichtig, und beſonders von verheiratheten Frauen zu beſtimm— ten Zeiten gar nicht getrunken werden. Sobald
111 es aber einer leichten und zwar ſehr raſchen Gäh— rung unterzogen wurde, iſt es vollkommen uns ſchädlich, ja ſogar ſehr geſund und belebend, und wird deshalb auch in ganz ungeheuren Quanti— täten von der geſammten Bevölkerung Mexikos genoſſen.
Der Pulque ſelber ſieht weiß und milchig, aus und hat, wenn man erſt einmal ein wenig daran gewöhnt iſt, einen nicht unangenehm ſäuer— lichen Geſchmack, mit etwas zäher und ſchleimiger Conſiſtenz. Er iſt auch herb genug, um den Durſt leicht zu ſtillen, und geiſtig genug, um, beſonders bei größeren Quantitäten, gehörig zu berauſchen. Uebrigens bildet er in jenen Gegen— den, wo er hauptſächlich gedeiht, und das iſt vor Allem auf dieſem Theil der mexikaniſchen Hoch— ebene, einen bedeutenden Handelsartikel, der ganze Eiſenbahnzüge in Anſpruch nimmt und Tauſende von Menſchen ernährt.
Man darf indeß ja nicht glauben, daß die Mageh nicht auch ihre Arbeit verlangt, denn obgleich ſie wild im Lande wächſt, muß ſie, um einen recht reichlichen Ertrag zu liefern, in guten tief gegra— benen Boden eingepflanzt werden, und erſt dann, wenn man die Erde auch noch nach einiger Zeit um die jungen Pflanzen auflockert, darf man ſich
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eines reichen und lohnenden Ertrags verfichert halten. Waſſer braucht die Pflanze faſt gar
nicht, außer in der allererſten Zeit, um nur ein⸗
mal ihre Triebe auszubreiten, und ſelbſt da iſt es vielleicht nicht einmal unbedingt nothwendig, denn es ſcheint faſt unglaublich, welche Miß— handlung die junge Pflanze erträgt, ohne davon auch nur im mindeſten berührt zu werden. So verſicherte mir ein dortiger Magehpflanzer, daß er beſonders einen Schößling, den er mir zeigte und der jetzt in voller Kraft und Ueppigkeit'ſeine dicken Blätter entfaltete, zwei volle Jahre habe draußen im Freien, im Winter in Kälte und Naäſſe, im Sommer in der heißen, glühenden Sonne auf einem Steinhaufen unbeachtet liegen laſſen, und als er dem faſt vollſtändig Verwelkten dann endlich guten Boden gab, griff er augenblick— lich Wurzel und iſt jetzt eine ſeiner beſten Pflanzen.
Allerdings braucht die Mageh reichlich ihre fünf Jahr, bis ſie, ſelbſt unter günſtigen Ver— hältniſſen, ihren Blüthenſchaft zu treiben anfängt; dann aber giebt ſie auch viele Monate hinter— einander ihren Saft und jede einzelne einen Er— trag von 10—45 Dollars, ja iſt ſie recht ſtark und kräftig, auch vielleicht noch mehr. An jedem Morgen wird dabei die Höhlung, in welcher ſich
a her A
der Agua miel befindet, nachdem der Arbeiter dieſen herausgehoben, wieder leicht ausgekratzt und dadurch natürlich immer größer, und bei recht ſtarken Pflanzen findet man oft eine ſoge— nannte caja, die faſt einen Fuß im Durchmeſſer hält.
Nach und nach aber ſtirbt die Pflanze ab. Der ganze Saft, den ſie vorbereitet hatte, um ihren Blüthenſchaft zu treiben, geht in die Höh— lung hinein und wird ihr entzogen. Die Blätter werden nach und nach welk, und wenn ſie ihre letzten Kräfte erſchöpft hat, ſtirbt ſie ab und wird ausgehackt, um den Nachbarpflanzen Raum zu geben. Rings um ihre Wurzel hat fie aber ſchon wieder zahlreiche Schößlinge ausgetrieben, die freilich früher entfernt werden müſſen, ehe der
Hauptſtock zu ſehr angegriffen wird, da ſie ja 8
ſelber auch von dieſem ihr Leben erhalten. Wird das verſäumt, jo kann man ſich auch darauf ver— laſſen, daß aus den zu ſpät fortgenommenen Schößlingen nie etwas Ordentliches wird.
Die Behandlungsart des Saftes iſt ungemein einfach, denn zu dem in ein Gefäß geſchütteten Agua miel, wie er aus der Pflanze kommt, wird nur etwas gegohrener Pulgque zugeſetzt, und er
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8
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geht ſelber dann ſehr leicht und raſch in Gährung | über, wobei er eine milchige Färbung annimmt. Außerdem benutzt man aber auch noch die Magehpflanze zu einer Menge von anderen Din— gen. Aus einer andern Art derſelben wird ein vorzüglicher Baſt gewonnen, der billige und ziemlich haltbare Seile liefert, Beutel und Säcke verfertigt man ebenfalls daraus. Das abgeſtorbene welke und dann getrocknete Blattzeug wird zur Feuerung verwendet, und oben in den Bergen habe ich ſogar geſehen, daß ſie mit den fleiſchigen Blättern ihre Hütten ſowohl decken, als auch die Seitenwände derſelben davon bilden. Das aber geſchieht natürlich nur aus ſolchen Pflanzen, die ſich nicht zur Pulquebereitung eignen, denn ſolche dürfte man nicht in dieſer Weiſe mißhandeln. Die Pulque-Magehpflanze findet aber nach Weiten zu ihre Grenze. Hinter Cuernavaca wird der Boden zu heiß zu ihrem Anbau, und es wächſt hier eine andere, bedeutend kleinere Art, aus der man aber auch einen recht guten Brannt— wein, den ſogenannten Mescal, bereitet. Der iſt übrigens eine neuere Erfindung, und die früheren Indianer ſcheinen ihn nicht gekannt zu haben, während ſchon Montezuma ſein Gläschen oder Calabaschen Pulque trank und ſich wahrſcheinlich
1497:
beſonders wohl dabei fühlte, bis i die Spanier den Spaß verdarben.
Der Weg war entſetzlich ſtaubig, aber was kümmerte das den Kutſcher der Diligence! Nur wenn er manchmal die Maulthiere gar nicht mehr erkennen konnte, und nun allerdings der Gefahr ausgeſetzt war, mit dem ganzen Kaſten in eins der gar nicht etwa ſo ſeltenen Löcher hinein zu fahren, hielt er einen Moment an, ließ den Staub vorüberziehen und hieb dann wieder mit voller Macht auf die Thiere ein.
Bald hatten wir jetzt aber auch den Endpunkt unſerer gegenwärtigen Qual — der ganzen Dili— gencefahrt — erreicht, denn Apizaco, ein kleines, erbärmliches, aus ein paar Hütten beſtehendes Neſt, lag vor uns, und von hier aus konnten wir unſern Weg, Gott ſei Dank, mit der bis hierher beendeten Eiſenbahn fortſetzen. Die Wohl- that einer ſolchen erkennt man auch wirklich erſt in ihrem vollen Werthe an, wenn man auf einem ſolchen Marterweg eine Weile gerädert worden, und mit einem aus voller Bruſt heraufgeholten Seufzer ſprang ich, dort endlich angelangt, von dem Bock herunter und ſtärkte dann die müden Glieder durch ein ſehr frugales Mahl und ein noch
frugaleres Glas Pulque, das mir aber damals 8 *
116 noch gar nicht munden wollte. Man muß ſich erſt an das „Göttergetränk“ gewöhnen, ehe man einen wirklichen Genuß darin finden kann. Die Wagen der Bahn find ziemlich gut ein- gerichtet und der Zug fährt auch verhältnißmäßig ſehr raſch, aber fait zum Verzweifeln iſt der ewige Aufenthalt auf den verſchiedenen Stationen, der gar nicht etwa ſo ſelten eine — ja, anderthalb Stunden dauert, ohne daß man den geringſten Grund für eine ſolche Verzögerung erfahren könnte. Höchſt intereſſant war aber trotzdem der, wenn auch zu lange Aufenthalt auf dieſen Plätzen, denn wir hatten jetzt die wirkliche und Haupt⸗ pulque⸗Gegend erreicht, und ich mußte über den ungeheuren Verkehr ſtaunen, den dieſes anſchei— nend ſo unbedeutende Product hervorgerufen. Ganze Züge von Eſeln, mit gefüllten Ziegen— oder Schweinefellen beladen, ſah man ſchon aus der Ferne den Stationspunkten zu heranziehen, und Wagen nach Wagen ſtand dort beladen, um raſch ſeine Fracht nach Mexiko zu ſenden. Die Hauptſtadt conſumirt in der That einen nicht unbedeutenden Theil des dortigen Ertrages — und was trinken die Leute dabei ſelber! Hier füllt eine Gruppe das edle, milchig ausſehende Getränk aus ſeinen Schläuchen in die der Käufer,
und eine rieſige Calabaſſe geht dabei von Hand 5
zu Hand, die, wenn aus dem einen geöffneten
Ziegenbein gefüllt, die Lippen eines Einzelnen nicht verläßt, ohne geleert zu werden — und doch ſoll das Getränk den, der nicht daran gewöhnt iſt, ſehr leicht berauſchen; dort dagegen hocken
Frauen, die ſich einen der Schläuche gekauft, . und detailliren ihn. Wie ſie ihn meſſen, weiß
ich nicht, ich habe es nie geſehen, und ich glaube,
daß das Augenmaß in dem Umfang des Leder 5
ſackes bei einer ſehr bedeutenden und täglich be— reicherten Erfahrung wohl den Hauptmaßſtab giebt. N
Uebrigens iſt es eine Thatſache, daß ganze
Eiſenbahnzüge zwiſchen Mexiko und Apizaco nichts befördern als Pulque, und man auch ſchon an⸗ 8
gefangen hat, denſelben in beſonders dazu ges haltene Fäſſer zu füllen, was ihm allerdings nur zum Vortheil gereichen kann, da es den ſehr unangenehmen Fellgeſchmack beſeitigt.
Die ganze Landſchaft dabei, zwiſchen der Station und der Hauptſtadt, iſt mit faſt nichts weiter bebaut, als dieſer Agavenart, von der man oft ganz ungeheure Exemplare findet, und man kann ſich kaum einen wunderlicheren Anblick denken, als ein ſolches Feld, da die dicken und
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| 118 ſtacheligen Blätter der Mageh, die ſich nach allen Seiten ausbreiten, für jede Pflanze einen nicht
n
unbedeutenden Platz beanſpruchen. Wenn man
nun noch bedenkt, daß ſie oft ganze weite Thäler füllen, und dazu hoch an den Hängen der Hoch— ebenen hinauflaufen, ſo glaubt man ſich oft in eine öde Wildniß verſetzt, zeigten nicht die regel— mäßigen Reihen die hier ſchaffende Hand der Menſchen.
Um die beiden herrlichen Vulkane waren wir in einem Halbkreiſe herumgefahren, denn der eigent— liche Richtweg zieht ſich mitten zwiſchen ihnen hin— durch, und den hatte auch damals Cortez eingeſchla— gen, als er mit ſeiner kecken Räuberſchaar in das Land ein⸗ und gegen die Hauptſtadt vordrang. Die Pfade dort ſind aber noch entſetzlich rauh, und auch ſchon um die Eiſenbahn zu erreichen, muß man den nicht unbeträchtlichen Bogen machen. Dadurch aber bekommt man das Bild der beiden Berge von anderer und ganz verſchiedener Seite. Von Puebla aus geſehen, liegt der Popocatepetl an der linken Seite, die weiße ruhende Frau dagegen rechts. Jetzt haben ſie ihre Stellung verändert. Die letztere liegt zur Linken, und weiter entfernt, aber rechts, erhebt ſich der ſpitze Schneekegel des Popocateépetl.
Der Abend dämmerte, und wir waren noch ein tüchtiges Stück von der Hauptſtadt entfernt, aber die Scenerie nahm einen immer intereſſan— teren Charakter an. Schon näherten wir uns den großen Seen, welche die Hauptſtadt des
Landes umgeben und die in den erſten Kriegen mit den Spaniern eine jo bedeutende Rolle ſpiel-
ten — aber die Civiliſation hatte ſich auch ihrer bemächtigt. Der Telegraphendraht lief durch ſie hin, und zwar auf eiſernen Pfeilern — jeden falls eine Verbeſſerung der Kaiſerzeit, deren Spuren ja noch durch das ganze Land verbreitet ſind. |
Das Waſſer der Seen, das ſonderbarer Weiſe ſalzig iſt und an deſſen Ufern die Indianer ein grobes Salz und Salpeter ſammeln, ſah gelb und trüb aus und ſchien höher als die Stadt ſelber zu liegen, denn von da ab ſenkte ſich der Weg — der Duft des Abends legte ſich dabei über die Landſchaft und die Berge — unwillkür⸗ lich flog mein Blick nach den Vulkanen hinüber und ſah von dem Moment an nichts weiter, denn das Bild, das ſich dort dem Auge bot, war wahrhaft zauberiſch ſchön.
Die Sonne ſank eben hinter den weſtlichen Bergen und goß ihren roſenrothen Schimmer
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auf den Schnee der Vulkane, die darunter er: glühten. Aber das dauerte nicht lange, denn die Dämmerung iſt auch hier nur kurz, und kaum war ſie etwa zehn Minuten verſchwunden, als plötzlich blaue, düſtere Schleier empor- und höher und höher ſtiegen, während der Schnee der Berge in derſelben Zeit jene bleierne, düſtere Färbung an— nahm, die ihm jedesmal gleich nach dem Schwin— den des Abendrothes eigen iſt. Der Popocaté— petl blieb aber von dem Duft unberührt, ſeine Kuppe ragte noch immer hervor, während die weiße ruhende Frau dagegen für wenige Minu- ten darin verſchwand. — Jetzt plötzlich änderte
. ſich, wie mit einem Schlag, das Bild: die
Nacht war angebrochen, und mit faſt blendend weißem Schein ſtach der Gipfel des Popocateépetl gegen den blauen, geſtirnten Himmel ab, während faſt in dem nämlichen Moment das rieſige Bild der ruhenden weißen Frau, noch von dem Abend— duft getragen, der den unteren Theil des Gebirges verdeckte, wie in der Luft zu ſchweben ſchien. Es war, als ob ſie eben langſam und feierlich von
a dem Gipfel des neben ihr emporragenden Nach— bars abgeſtrichen ſei und nun durch die Lüfte der ewigen Ruhe entgegengetragen werde.
Um uns her lag die Nacht, und nur undeut⸗
lich ließ es ſich erkennen, daß wir die Gegend 175
der Agaven verlaſſen hatten und in ein Land eine tauchten, in dem es wieder Büſche und auch
Bäume gab. Lichter ſchimmerten durch das dunkle Laub, beleuchtete Häuſer wurden ſichtbar,
die ſchönen Berge verſchwanden hinter aufgeführ⸗ ten Bauten, und bald darauf hielt der Zug vor N einem Schwarm von Menſchen, der ſich mit einer
wahren Gier über das Gepäck herſtürzte. In dieſem Augenblick hätte man auch eben ſo gut in einer großen europäiſchen Stadt ſein können, ebenſo pfiff die Locomotive, ebenſo bremſten die Wagen, ebenſo ſchrieen und drängten ſich die Menſchen, und ebenſo raſſelten die Droſchken her— an, um einfache Paſſagiere zu erbeuten und dop= pelte Fahrtaxe von ihnen zu erpreſſen.
Was für ein langer, ſonderbarer Bogengang war das, an dem wir hinfuhren? — Die alte
ſpaniſche Waſſerleitung — wir waren doch wohl ;
in Mexiko — und doch wieder zweifelte ich, denn plötzlich hielt die Droſchke wieder und mein Kut
ſcher meldete mir, daß hier, an dem Thor der
Hauptſtadt, das Gepäck noch einmal viſitirt wer⸗ den müſſe. Richtig, mein alter Koffer mußte ſich auch dieſer Unbequemlichkeit unterziehen, und erſt als ſich nach ziemlich genauer Unterſuchung er—
dt Mexiko.
Ein ganz eigenthümliches, aber unſtreitig
wohlthuendes Gefühl war es, mit dem ich in die Hauptſtadt von Mexiko einfuhr. Alle die alten Jugenderinnerungen wurden wach — die Gier, mit der ich damals die Eroberung von Mexiko geleſen, und mit welcher Bewunderung ich die Thaten des heldenmüthigen Cortez verſchlungen und mich über den weichmüthigen und doch auch wieder heroiſchen Montezuma geärgert hatte. Cortez war für mich überhaupt und auf lange Zeit, durch die gedankenloſen Schilderungen der Lehrer dabei unterſtützt, das wahre Muſterbild eines ritterlichen Helden geweſen, bis ich denn freilich ſpäter einſehen lernte, daß er viel eher den Titel eines tollkühnen Flibuſtiers verdiente,
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der eben kein Mittel in der Welt ſcheute, um ſeinem Ehrgeiz und ſeiner Goldgier zu dienen. 8 Cortez und Pizarro! Das Blut von Millionen
klebt an ihren Händen, und wir ſollten uns wohl
hüten, in den Schulen die Charaktere ſolcher Bravos als Muſterbilder für die Jugend auf— zuſtellen. Aber es ſind einmal geſchichtliche Fi— guren geworden, ſie haben in fernen Welttheilen
. „blinde Heiden“ zum Chriſtenthum bekehrt. Ihre
Thaten gehörten alſo in die Heldengeſchichte der
Vorzeit, und wie ein Profeſſor der Geſchichte
augenblicklich einen Menſchen als Spitzbuben bei der Polizei verklagen würde, der ihm ein halbes Dutzend ſilberne Löffel ſtiehlt, ſo lehrt er an demſelben Morgen im Colleg, daß Cortez, der den armen Montezuma mißhandelte, um von ihm Schätze zu erpreſſen, ein hoher, edler Cha-
rakter geweſen, zu deſſen Ruhm er ſich ſogar be—
geiſtert fühlt.
Mexiko macht heutigen Tages nicht mehr den Eindruck eines alten Azteken-Platzes, ſondern weit eher den einer, wenn auch ſpaniſchen, doch vollkommen modernen Stadt, gut gepflaſtert, mit eleganten, oft dreiſtöckigen Häuſern, mit regel- mäßiger Straßenbeleuchtung und zahlreichem Fuhrwerk, das einen ziemlich regen Verkehr vers
.
räth. Aushängeſchilder und Firmen decken fait bei allen Gebäuden den unteren Theil, und ge⸗ ſchmackvoll ausgeſtattete und mit hellerleuchteten Spiegelſcheiben verſehene Schaufenſter verrathen nur zu deutlich, daß die Fremden den größten Theil der Geſchäfte in Händen haben, wie denn auch in der That der Import des ganzen Landes hauptſächlich, ja faſt allein von deutſchen ae betrieben wird.
Nach dieſem allererſten Eindruck, aus den Fenſtern der Droſchke heraus, aus denen man allerdings nichts ſieht als die Gebäude, die hellen Ladenfenſter und den auf den Straßen herum: drängenden Menſchenſchwarm, würde man aber kaum je auf Mexiko rathen, wenn man gefragt würde, wo man ſich jetzt befände. Es iſt auch nirgends nur die Spur von dem zu ſehen, was man ſich früher von dieſem Platz gedacht, und man bemerkt nur, daß man ſich in einer großen, volkreichen Stadt befindet — auch ein angeneh— mes Gefühl, noch dazu wenn man bedenkt, daß man, noch vor wenigen Stunden faſt, auf der ſtaubigen, rauhen Landſtraße, und dabei fort— während von Straßenräubern bedroht, herum— geſchüttelt wurde.
Ein Hötel iſt aber doch, und trotz aller ro—
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mantiſchen Erinnerungen, das erſte Bedürfniß, dem man entgegenſtrebt. — Der ſeit vielen Tagen mißhandelte Körper verlangt eine Art von Ge nugthuung — eine kurze Ruhe nach allen bisher ertragenen Strapazen und caminos reales, und man findet ſich ſogar angenehm überraſcht, wenn man plötzlich ein hellerleuchtetes Gebäude, mit Portier, Kellner, Billardzimmer ꝛc., betritt und in dem angewieſenen, ziemlich freundlichen Zim— mer ſtatt eines Klingelzuges ſogar einen telegra— phiſchen Knopf — die Erklärung in ſpaniſcher und franzöſiſcher Sprache — findet. Auf dieſen Telegraphen komme ich übrigens ſpäter wieder zurück.
Natürlich legte ich mich an dieſem erſten Abend nicht etwa gleich in's Bett, ſondern machte noch erſt eine Wanderung durch die Stadt und beſuchte zwei der kleineren Theater, die um einen Vierteldollar drei bis vier Stunden lang die Zuſchauer durch Luſtſpiele, Ballet (eine ſchauer— liche Solotänzerin, die in Lebensgröße draußen an der Bude, auf einem Beine abgebildet, ſteht) ꝛc. ergötzen.
Dieſe kleinen Theater exiſtiren übrigens, wie es ſcheint, nur in der Weihnachtszeit und ſind auch traurig genug — ich will den Leſer wenig—
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ſtens nicht mit einer Beſchreibung derſelben er— müden, da er die äußere Ausſtattung derſelben ganz ähnlich in jedem ſehr ſchlechten deutſchen Sommer-Theater findet. Uebrigens mag es ſein, daß mich dieſer angemalte Kram vielleicht viel weniger angewidert, wenn ich nicht gerade heute, und zwar erſt vor wenigen Stunden, das wun- derbar großartige Schauſpiel eines Sonnenunter— ganges an den beiden Vulkanen geſehen hätte. Das Alles mit ſeinen prachtvollen Lichteffecten und dem ganzen Zauber ſeiner Umgebung war noch friſch und warm in der Erinnerung, und damit hätte ich denn auch freilich kein Theater mehr beſuchen ſollen.
Am nächſten Morgen war mein erſter Weg nach der Poſt, um dort Briefe von zu Hauſe zu finden; umſonſt, mein Name ſtand nicht auf den langen Liſten, die unter dem Buchſtaben G nur faſt zahlloſe Gutierres und Gonzales — die Schmidt und Meier Mexikos, zeigten; ich mußte leer wieder abziehen, und nur der, der in einem fernen Welttheil die Briefliſten zum erſten Male raſch und hoffnungsvoll, dann langſam und enttäuſcht durchlieſt — und wie oft iſt es mir ſo ergangen —, kann begreifen, wie mir etwa zu Muthe war.
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Ich ging traurig durch die Straße — ich hatte mich ſo auf den erſten Tag in Mexiko gefreut, eben der Briefe wegen — umſonſt — ich ſchritt ſehr langſam auf dem breiten Trottoir hin; an mir vorbei rauſchte eine Dame in einem bell- blauen Seidenkleid — arme Frau; ich hatte andere Dinge im Kopf, als die anderthalb Ellen ſchmutziger Seide, die hinter ihr auf dem Pflaſter dreinfegten. Ich mußte ihr mitten auf die hübſche Schleppe getreten haben, und da ſie raſcher als ich ging, ſo that es einen heilloſen Riß. Ich mochte das Elend aber nicht mit anſehen, ſondern drehte mich ab und ſchritt langſam die Straße wieder zurück. Umſonſt — Schleppen gab es überall, und ich fand meine gute Laune erſt wieder, als ich etwa ſechs oder ſieben von ihnen abgetreten und der Erde gleichgemacht hatte. Das ſöhnte mich ordentlich wieder mit der Menſchheit aus; ich brütete nicht mehr ſtill in mich hinein, ſondern bekam wieder Augen für meine Umge— bung und fand jetzt, daß die mexikaniſchen Damen noch etwa zwei Jahre in der Mode zurück ſeien und genau mit einer ſolchen Energie etwa zehn Thaler Seidenzeug durch den Dreck ſchlepp— ten, wie es unſere eigenen lieben Damen, die ſich jetzt aus jedem beliebigen Regenſchirm das
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genau jo gemacht. | Uebrigens hatte es das Gute, daß ich, in die
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hübſcheſte Kleid machen können, vor der Zeit
Gegenwart zurückgerufen, jetzt auch aufmerkſamer
auf die Damen ſelber wurde; aber ich wüßte nichts Beſonderes darüber zu ſagen. Hübſche
und intereſſante Geſichter hatten viele von ihnen; aber wenn ich erzählen wollte, daß ſie hinten
an den Köpfen ekelhafte Wulſte von falſchen
Haaren trügen, ſo wären die deutſchen Damen
im Stande und riefen mir zu: Ei, das tragen wir ja auch! und da will ich lieber dieſe mexi⸗
kaniſche Tracht, die ſich allerdings weſentlich von
den früheren Federſchurzen und Kronen untere
ſcheidet, unbeſchrieben laſſen. Was ſie aber ſehr geſchmackvoll tragen und
was ihnen ganz vortrefflich ſteht, das ſind die
ſogenannten Rebozos, die Mantille der Spa- nierinnen, und ob ſie nun aus ſchwerer Seide
oder Spitzen oder gewöhnlichem ſelbſtgefertigten =
Baumwollenzeug gewoben iſt, die jungen und älteren Damen wiſſen ſie ſo geſchickt und dabei immer ein wenig kokett umzuwerfen, daß es eine Luſt und Freude iſt. Sonſt findet man
freilich in ihrer Kleidung nichts beſonders Eigens
thümliches, da ſich hier ſowohl wie in anderen Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8 .
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“x Ländern, obgleich man hier weit mehr als anders-
wo die Franzoſen haßt, doch Alles alberner Weiſe nach franzöſiſcher Mode richtet. Es iſt die nämliche Geſchichte, wie damals in Rußland. Die Franzoſen wurden aus dem Land gejagt, aber ihre Schneider und Friſeure blieben zurück, und was Bayonnette und Kanonen nicht ver— mocht, erreichten fie nach und nach mit Nadel und Pomade. Sie civiliſirten, wie ſie es nannten, das Land, und Mode wie Krankheiten bekamen nach ihnen den Namen.
Der Mexikaner der unteren Klaſſen, denn die Nationaltracht der Serape iſt aus den höheren Ständen faſt gänzlich verbannt, trägt noch immer dieſe in ganz Südamerika gebräuchliche Decke, um ſich damit gegen Kälte oder rauhe Luft zu ſchützen. Uebrigens zeigen ſich Alle, Vornehme ſowohl wie Peons oder Diener und gewöhnliche Arbeiter, ſo ängſtlich gegen den gar nicht etwa ſeoo ſcharfen Wind dieſer Höhen, daß ſie, ſelbſt bei nur anbrechendem Abend, entweder die Serape oder einen Shawl um Kinn und Mund wickeln und ſich oft vollſtändig darin einhüllen. Ich
ſelber habe nie die geringſte Unbequemlichkeit
von der Luft dort oben geſpürt, der Mexikaner aber behauptet, daß fie der Lunge beſonders
ſchädlich ſei, wie er denn auch ebenſo den Satz aufſtellt, daß es nichts Schädlicheres für die Haut gebe, als ſich zu waſchen. Beſonders auf Reiſen hüten ſie ſich denn auch auf wahrhaft rührende Weiſe vor friſchem Waſſer, und über— haupt findet man zwiſchen den Mexikanern wie Südamerikanern wenig oder gar keinen Unter- ſchied in ihrem ganzen Leben. Die Einen ſind ſo unreinlich wie die Anderen.
Mexiko jelber iſt, wie ſchon erwähnt, eine ſehr ſchöne und auch im Verhältniß reinliche Stadt, ſo lange man nämlich den Vorſtädten und unangebauten Stellen nicht zu nahe kommt. Die Straßen ſind mit breiten Trottoirs belegt Hund im Ganzen gut gepflaſtert, und beſonders die Plaza mit der wundervollen Kathedrale, vor der Kaiſer Maximilian einen prächtigen Spring- brunnen hat anlegen und Bäume wie Blüthen⸗ büſche pflanzen laſſen, gewährt einen gar hübſchen und freundlichen Anblick. Störend freilich ſteht da— ran die breite, niedere weiße Fronte des Palaſtes, mehr einer Kaſerne als einem Schloſſe ähnlich, doch mit enormen Räumlichkeiten verſehen. Der verſtorbene Kaiſer hatte allerdings im Sinne, es umzubauen, und ließ beſonders im Innern einen Theil der alten, doch nutzloſen Baulichkeiten
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132 niederreißen, um einen großen und ſchönen Garten dort anzulegen. Der Abzug der Fran— zoſen aber unterbrach das Alles. Die Arbeiten blieben liegen, halb eingeriſſene Mauern wurden ſich ſelber überlaſſen, bei irgend einer Gelegen— heit einmal von ſelber einzuſtürzen, von der Anlage eines Gartens war keine Rede mehr —
wo hätte die Republik auch Geld, wenn die Re—
publikaner ſo viel gebrauchen! — und dieſe, wie alle anderen öffentlichen Arbeiten bleiben natür— lich liegen. d
Die Mexikaner halten auch nichts davon. Was ſie an alten Werken, wie Waſſerleitung, Wege, Kirchen ꝛc., haben, benutzen ſie, aber es fällt ihnen gar nicht ein, es auch nur im Stand zu halten, viel weniger denn gar etwas Neues zu ſchaffen. An der alten Waſſerleitung zum Beiſpiel ſind eine Anzahl von Bögen ſchadhaft geworden und das ausſickernde Waſſer verrieth die Gefahr des Einſturzes. Das mußte man nun allerdings vermeiden; aber größere Koſten konnte man dadurch erſparen, daß man die ſchad— haften Bögen durch Holzgerüſte ſtützte. So ſtehen ſie noch und werden noch Jahre lang ſtehen, bis das Holz einmal plötzlich wegfault und die ganze Sache zuſammenpoltert.
Zahlloſe Kirchen ftehen jo mitten in der Stadt als Ruinen und ſind, nach Confiscation der geiſtlichen Güter, dem Volk zum Verkauf an⸗ geboten worden, aber es finden ſich auch hier nur wenige Käufer dafür.
In Mexiko, genau wie in Puebla, ſtehen
noch, und zwar in den beſten Stadttheilen, ganze ER
Quadras von jetzt unbewohnten Klojtermauern bedeckt, unbenutzt, und freilich gehört eine andere Nationalität als die mexikaniſche dazu, alle, ihr dabei entgegentretenden Hinderniſſe auch mit Energie und Ausdauer zu bewältigen. Beide
Eigenſchaften liegen aber gar nicht im merifar
niſchen Charakter, und Gott weiß, wie lange Jahre noch darüber vergehen werden, bis dieſes wirklich ſchöne und unendlich reiche Land die Geltung erlangt, zu der es durch ſeine Lage und Gaben berechtigt iſt.
Was die Kleidung der arbeitenden Klaſſe betrifft, ſo trägt dieſe noch Serape und Rebozo oder Mantille, und zwiſchen ihnen herum drängen ſich die aus den umliegenden Dörfern herein— gekommenen Indianer, die Männer mit ihren kurzen Hoſen und der Serapa, die Frauen in Hemd und Unterrock, wie mit einem Kopftuch, merkwürdig und auffallend dem gleichen Volks⸗
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ſtamm in Ecuador ähnelnd. Ueberhaupt iſt es eigenthümlich, daß die ganze mexikaniſche Hoch— ebene eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit den gleich hoch liegenden Landestheilen in Ecuador nicht allein in dieſer Hinſicht zeigt. Der ganze Charakter der Landſchaft und Vegetation iſt der nämliche, nur daß ich in Ecuador nicht ſo viel Mimoſen angetroffen habe als in Mexiko. Sieht man aber einen Trupp Indianer zwiſchen den Magehs und Cactus, mit ihrer Laſt am Kopf hangend, den Weg entlang traben, die Männer voran, die Frauen mit den Kindern an der Hand, oder die kleinſten in der Rebozo liegend, hinterher, wobei ſie noch einen Eſel, ſelten ein Maulthier, treiben, ſo möchte man darauf ſchwören, daß man ſich in der Nähe von Quito befände. | | Selbſt in der Sadt findet man unter ihnen gleiche Angewohnheiten und Sitten: die Waſſer— träger ſchleppen ihre ſchweren, genau wie in Ecuador geformten Gefäße in derſelben Art, und die Fruchtverkäuferinnen ſitzen genau fo” unter ihren viereckigen Sonnenſchirmen, wie dort drüben ihre Schweſtern, Tauſende von Meilen entfernt.
Manches haben aber auch ſelbſt die Indianer
von den Fremden gelernt, was fie jetzt noch aus⸗
beuten, zum Beiſpiel den Blumenverkauf in der
Stadt, den ſie früher nicht betrieben. Es giebt 5
ja kaum ein Land der Welt, das ſo reich an
Blumen iſt wie Mexiko. Wenn ſie dieſe aber A
auch früher wohl dann und wann in ungeord— neten Maſſen hereinbrachten, ſo haben ſie jetzt, beſonders von den Franzoſen, es gelernt, die
geſchmackvollſten Bouquets davon zu binden, die
ſie nun zu einem ſo billigen Preis, beſonders
an Sonntagmorgen, in den Straßen ausbieten,
daß ein europäiſcher Gärtner gar nicht mehr
mit ihnen concurriren könnte. Sonſt ſind ſie
freilich auch in ihrem Schmutz den Indianern Ecuadors nur zu ähnlich und überhaupt eine ges
drückte und unterdrückte Menſchenrace.
Republik — es iſt lächerlich, wenn man dieſe Bewohner einer Republik betrachtet, und erſt das
Kaiſerreich zeigte den guten Willen, ſie zu heben
und zu Menſchen zu machen. Kaiſer Maximilian
intereſſirte ſich beſonders für die Indianer, und ſeine Regierung wäre vielleicht ein Segen für
ſie geworden. Jetzt iſt er todt — ehe ſie ſelber
nur vielleicht eine Ahnung erhielten, wie gut er
es mit ihnen meinte, und kein anderer Menſch bekümmert ſich mehr um das arme Volk, als
.
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daß man es, wie eben die Zugſtiere, zum Arbeiten benutzt. Aber trotzdem liegt mehr Intelligenz in dieſem Volksſtamm, als man vielleicht ver- muthen ſollte; fie haben zum Beiſpiel einen Sinn
für das Schöne, wie fie es nicht allein im Bin- den ihrer Bouquets, nein, auch bei einer noch viel ſchwierigeren Kunſt, vielleicht der ſchwierig—
a jten, zeigen, beim Modelliren.
Man findet da beſonders unter der indiani— ſchen Bevölkerung nicht allein tüchtige Arbeiter, ſondern wirkliche Künjtler, die mit den ein⸗ flachſten Werkzeugen und Mitteln in unglaublich kurzer Zeit die reizendſten Arbeiten, beſonders
aus Wachs und Zeug, herſtellen. Sie modelliren in den kleinen, etwa einen Fuß hohen Figuren auch nicht blos etwa einen Kopf und ein Paar Hände und ſtopfen das Andere nachher geſchickt aus, ſondern ſie formen aus maſſivem Wachs oder faſt noch kunſtfertiger aus Zeug die ganze
5 Figur anatomiſch richtig in der Stellung, die ſie
ihr geben wollen, und bekleiden ſie erſt nachher in den verſchiedenen Landestrachten durch eben—
falls mit Wachs getränktes Zeug, dem fie, wenn
es noch weich iſt, den ſchönſten Faltenwurf zu geben wiſſen. Gar nicht ſo ſelten findet man wirkliche Kunſtwerke, die dabei um einen erſtaun⸗
lich billigen Preis verkauft werden und gewöhn⸗ lich nicht mehr als anderthalb bis zwei Dollars koſten. Eben ſo geſchickt formen ſie aus Wachs die Früchte des Landes in täuſchend e Farben.
Cinzelne Individuen giebt es dabei, die im Lande herumziehen und für wenige Groſchen Jeden, der es wünſcht, in Wachs als Büſte modelliren, und mir wurde von einem Indianer erzählt, dem ein Europäer anbot, ihn mit nach Europa zu nehmen, weil er ein wirkliches Genie in ihm entdeckte. Der Mann wollte aber nicht; er verdiente in Mexiko was er brauchte, ſo
wenig das auch ſein mochte, und verlangte eben x
nicht mehr.
Aber nicht allein im Modelliren von Wachs zeigen ſie große Kunſtfertigkeit, ſondern in einigen Gegenden hat ſich die Induſtrie auch darauf verlegt, zum Beiſpiel Todtenköpfe und Menjchen: knochen en miniature aus Alabaſter, Stein und ſelbſt Holzkohle auszuſchneiden. Beſonders häufig findet man kleine Köpfe, die auf der einen Seite den vollen, blühenden Menſchenkopf und auf der andern den Schädel zeigen. In dieſer Art ſah ich auch einen kleinen, vortrefflich getroffenen Kopf von Garibaldi.
158 Außerdem machen ſie ſehr mühſam ausgeführte Arbeiten in Federn, allerdings nicht mit dem Geſchmack als die Braſilianer, aber doch mit großer Kunſtfertigkeit angefertigt, zum Beiſpiel ganze Gemälde von Kolibrifedern, die ſo geſchickt in einander gelegt und feſtgeklebt werden, daß ſie ein wirkliches kleines Bild herſtellen. Auch auf Viſitenkarten kleben ſie aus den Federn der Vögel ſelber alle die Arten, die im Lande vor— kommen, auf, und ebenſo formiren fie dieſelben en miniature, aber vollſtändig, auf einem kleinen Draht und verkaufen dieſe wirklich künſtlichen Arbeiten dann um einen Spottpreis.
Spielzeug machen ſie ebenfalls, und manchmal ganz allerliebſt. So fand ich zum Beiſpiel kleine Kühe, aus einem einzigen Stück rohen Kalbfells ganz geſchickt ausgeſchnitten und zuſammenge— bogen, die das Stück um einen Claco, alſo wenige Pfennige, verkauft wurden und bei vollkommener
Unzerbrechlichkeit das Praktiſchſte ſind, was man
kleinen Kindern in die Hand geben kann.
Eine ſehr große Fertigkeit beſitzen ſie in der Bereitung von dulces oder Zuckerwerk — be— ſonders in dem Ueberzuckern von Früchten, und die meiſten, ja faſt alle ſolche Arbeiten werden allein von den Indianern geliefert. Die weißen
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Abkömmlinge der Spanier — jetzt allerdings in der ſehr großen Minderheit, laufen indeſſen nur als „Ebenbilder Gottes“ herum, ſtehlen dem Schöpfer ihre Tage ab und ſchimpfen dann ins⸗
geheim auf das „Glück“ der Fremden, die eh
durch Fleiß und Sparſamkeit ein Vermögen er—
worben. Es iſt wirklich erſtaunlich, was dieſe
ſpaniſchen Stämme an Faulheit zu leiſten im
Stande ſind, und doch dürfen ſie, beſonders auf
der Hochebene von Mexiko, ein zu heißes Klima nicht zum Vorwand nehmen. Eine beſſere und
mildere Temperatur kann es nirgends geben;
man lebt dort faſt wie in einem ewigen Frühling, und den Winter hindurch ſind die Nächte ſo friſch, daß man eine wollene Dede recht gut ver— tragen kann.
Und was leiſtet Mexiko an wirklichen Arbei— ten? — enorm wenig.
Allerdings werden im Lande ſelber Zeuge, und beſonders die wollenen Decken oder ſoge— nannte Serapes von den ordinärſten bis zu den feinſten, angefertigt. Auch Alles, was zu Pferde— geſchirr und Reitcoſtüm gehört, wird im Lande gemacht; durchwandert man aber die verſchiedenen Läden der Stadt, ſo findet man nur einzig und allein importirte Artikel, mit vorzüglich einer
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kaum glaublichen Menge von franzöſiſchen Ga- lanteriewaaren. 5
Ein Artikel dabei, der jedoch meiſt auf offenem Markt feilgeboten wird, und oft zwar in den ärmlichſten Ständen, iſt echt mexikaniſch — und zwar die feinſte und ſchönſte Filigran-Arbeit in Silber, und noch dazu für einen außerordentlich mäßigen Preis — aber auch dieſe Filigran-Arbeiter ſind Leute von gemiſchtem Blut.
Auch Hüte ſind ein mexikaniſches Fabrikat, obgleich meiſtens von Fremden angefertigt. In einen richtigen und feinen Filzhut ſetzt aber der Mexikaner ſeinen ganzen Stolz, und daß der Filz dabei dick und noch außerdem durch reiche Gold- und Silberſtickerei faſt unerträglich ſchwer gemacht wird, hat nichts zu ſagen. Es iſt gar nicht etwa ſo ſelten, daß ſolch ein Hut an 20 bis 50 und mehr Thaler koſtet, und dabei iſt er nicht einmal beim Reiten praktiſch, weil der Wind unter den faſt fußbreiten Rand drückt. Selbſt in der Straße hat man nur ewig oben dieſen Rändern und unten den, das Unglaubliche leiſtenden Schleppen auszuweichen. Aber das ſchadet nichts; es iſt einmal die Nationaltracht, und je theurer ſie gemacht werden kann, deſto
ßbheſſer.
Dieſem Fabrikat bejonders haben ſich in einem kleinen Theil die Franzoſen, ganz haupt⸗ ſächlich aber die Deutſchen zugewandt und dabei viel Geld verdient.
Ueberhaupt ſpielen die Deutſchen in Mexiko eine ziemlich bedeutende Rolle und ſind allgemein geachtet und gern geſehen. Freilich hätte die In⸗ tervention dieſem Verhältniſſe faſt einen Stoß gegeben, denn der Kaiſer brachte leider Gottes eine Menge abenteuerlichen Gelichters mit, das nur nach Mexiko gekommen war, um geſchwind reich zu werden, und ſich weder des Landes noch des Kaiſers wegen Gewiſſensbiſſe machte. Viele dieſer Herren mißbrauchten den Credit, den die Deutſchen ſich durch ihren Fleiß und ihre Red— lichkeit in Mexiko erworben, in umfaſſendſter Weiſe, und haben auch dafür geſorgt, daß man ſie noch lange nicht im Lande vergeſſen wird, ja ihre Namen als theure Angedenken aufbewahrt; aber die Zeit iſt vorüber, — die Mexikaner fingen auch ſelber an, einen Unterſchied zu machen, und die zu leichten Elemente wurden über Nacht wie- der weggefegt. |
Allerdings ſind noch ſehr viele Oeſterreicher im Lande zurückgeblieben, aber faſt ausjchließlich nur von der beſſeren Art, meiſtens Aerzte, da
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. die wirklichen Abenteurer wohl bald einſahen, daß
ſie ſich in ihren Erwartungen und Hoffnungen getäuſcht. Unter dem Glanz und Flitter eines Thrones hätten ſie mit hochklingenden Namen und Titeln und in brillanten Uniformen Leicht- gläubige vielleicht noch eine Zeit lang blenden können, aber im praktiſchen Leben ließ ſich die Sache nicht durchführen, und ſie gaben es des— halb auf.
In deutſchen Händen befindet ſich jetzt faſt — hier ſowohl als in Vera-Cruz — das ganze Importgeſchäft des Landes, und auch in geſell— ſchaftlicher Beziehung ſcheint das deutſche Ele— ment ziemlich wacker zuſammenzuhalten. Das „Deutſche Haus“, wie das mit einer Bibliothek, Leſezimmer, Billard ꝛc. verſehene Geſellſchaftshaus heißt, vereinigt die meiſten der hier anſäſſigen Deutſchen, und ſogar ein Turnverein hat ſich in jüngſter Zeit etablirt, dem ich aber keine lange Lebensdauer prophezeie. Mexiko hat allerdings ein herrliches und nicht zu heißes Klima, aber zum Turnen iſt es denn doch — ſelbſt im Win— ter — ein wenig zu heiß, und ſchon während ich dort war, alſo noch im neueſten Beginnen, ent— ſchuldigten ſich die einzelnen Mitglieder ſehr häufig mit der allzu drückenden Temperatur.
„
Merkwürdiger Weiſe haben die Franzoſen, die doch ſonſt von allen Nationen am feſteſten im Auslande zuſammenhalten, kein beſonderes Vereinslocal, das ſich ſogar die Spanier gegründet.
Uebrigens bedauert Niemand mehr als gerade die Deutſchen oder überhaupt die Fremden, daß dem Kaiſerreich ein Ende gemacht wurde, und zwar nicht allein aus perſönlichem Intereſſe an dem liebenswürdigen Charakter des Kaiſers ſel— ber wie ſeiner Gemahlin, ſondern beſonders weil ſie ſahen, daß dadurch ein geregelter Zu— ſtand in Mexiko eingeführt wurde und auch nur dadurch eingeführt werden konnte. Was ſich als Spreu mit unter den Weizen gemiſcht und in das Lanv, wahrlich nicht zu feinem Beſten, ein: geſchmuggelt hatte, wäre mit der Zeit doch wie— der ausgemerzt worden oder hätte ſich ſelber ab— geſchliffen; aber es ſollte eben nicht ſein. Maxi⸗ milian, ſo herzensgut er ſich immer gezeigt, war zu ſchwankender, weicher Natur, um ein Volk zu beherrſchen, wie die Mexikaner. Das verlangte eine unerbittliche, eiſerne Hand, wie ſie Garcia Moreno den Ecuadorianern gezeigt und die Re— volutionen damit im Keime erſtickt hatte, und die hatte Maximilian nicht.
144
Zuerſt ließ er ſich durch Marſchall Bazaine und franzöſiſche Lügen, daß Juarez das Land flüchtig verlaſſen habe und von jetzt an nur noch Raubbanden exiſtirten, zu dem unglücklichen Des eret vom 5. October 1865 verleiten, nach welchem gegen jedes Mitglied einer bewaffneten Bande die Todesſtrafe ausgeſprochen wurde. Aber er hätte entweder nie darein willigen, oder, wenn er es doch that, die Maßregel mit der furcht⸗ barſten Strenge durchführen müſſen. So wälzte Bazaine nur das Odium des Decrets auf den armen Kaiſer, der begnadigte, wo er nur irgend konnte, während die Franzoſen, beſonders mit der ſogenannten Contre-Guerilla, zahlloſe Men⸗ ſchenleben hinſchlachteten. Der Fluch des Schrift- ſtücks blieb aber natürlich auf dem Kaiſer haf ten, und der unglückliche Monarch büßte ſeine Schwachheit mit dem Tode; aber er büßte fie als Mann, und Alle, die ihn noch zuletzt geſehen, haben nur die eine Stimme über ihn, daß er ſeinem Schickſal in heroiſcher Ruhe und wie ein wackerer Soldat entgegenging.
Und hatte er gar keine Freunde, die ihn war- nen, die ihm rathen konnten? Doch, er hatte deren; aber wir brauchen nicht nach Mexiko zu gehen, um ähnliche Beiſpiele zahlreich genug zu
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finden. Der Kaiſer hatte einzelne brave Männer
um ſich, und er hörte ſie auch wohl an, aber
Andere, die ihr eigenes Intereſſe dabei verfolg- ten und kein Mittel ſcheuten, ihre Zwecke zu er- reichen, alſo auch nicht die Schmeichelei, wußten ihren Worten mehr Nachdruck zu geben. Maximilian hatte Freunde um ſich, aber noch in der letzten Stunde vermochte der Pater Fiſcher, der in dem ſchwachen Kaiſer das beſte Werkzeug
ſeiner eigenen Pläne ſah, denſelben von jeinem
Entſchluſſe, nach Europa zurückzukehren, abzu⸗
bringen. Allerdings hatte er die feſte Abſicht, in
Mexiko abzudanken, aber auch dort wieder ge— wann der Einfluß anderer Intereſſen, mit rich⸗ tiger Ueberredung betrieben, die Oberhand. Er ging nach Querétaro und ſtellte ſich an die Spitze der Armee, und ſelbſt von dort aus noch hätte er mit leichter Mühe fliehen können. Wahre Freunde verſuchten ſelbſt da ſeine Rettung, aber auch hier trat ihnen ein intriguantes Weib ent⸗ gegen, und der günſtige Augenblick verſtrich — der Kaiſer fiel. Und ſeine Speichellecker und Hof— ſchranzen? Sie zogen ſich mit dem, was ſie in der Geſchwindigkeit hatten erbeuten können, vom Pater Fiſcher bald darauf gefolgt, in Sicherheit nach Europa zurück, und werden jetzt, aller Wahr⸗ Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 10
146 ſcheinlichkeit nach, große Geſchichten erzählen, wie ſie allein, wenn ihnen der Kaiſer nur ver⸗ traut, ihn ſowohl als das Reich gerettet haben würden; — es iſt das ja eben Menſchennatur.
Die jetzige Regierung iſt nun eifrig bemüht, alle Erinnerungen an die frühere Kaiſerzeit zu vernichten und aus dem Gedächtniß des Volkes zu merzen; aber es iſt das doch nicht ſo leicht, als man vielleicht zu glauben ſcheint, denn zu viele Verbeſſerungen wurden in der kurzen Zeit eingeführt, die ſich nicht ſo leicht vertilgen laſſen als angebrachte Namenszüge und Kronen.
In Querétaro war man ſogar genöthigt, den Executionsplatz nicht allein der Erde gleich zu machen und alle Büſche und Stauden in der Nachbarſchaft wegzuſchlagen, ja ſogar Schutt aus der Stadt auf die Stelle zu fahren, um den Ovationen und Blumenſpenden ein Ende zu ma: chen, konnte aber nicht verhindern, daß viele edle Familien noch jetzt innerlich und ſelbſt äußerlich um den gemordeten Kaiſer trauern, daß ſeine Bilder nach der Natur wie in Apotheoſen überall und faſt an jedem Schaufenſter in der Stadt ausgeſtellt ſtehen, daß ein Kalender Maximilian's, der die Kaiſerzeit in den freundlichſten Farben ſchildert, bald in zwei Auflagen vergriffen wurde,
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und jetzt ſogar im Süden, in Yucatan, ein Trupp von Revolutionären den Namen der Kaiſerin auf ihre Fahne geſchrieben, um den dortigen Diſtrict von Juarez' Herrſchaft loszureißen. Ich will dabei allerdings nicht behaupten, daß jene Landſtriche unter den Herren, die das Land, wenn auch Namens der Kaiſerin, beherrſchen möchten, glücklicher ſein würden, als unter der jetzigen Regierung; ich traue einer ſo viel und ſo wenig wie der andern, aber es zeigt doch immer die Stimmung im Lande und verdient deshalb Er— wähnung.
Einen Gewinn hat übrigens die Stadt Mexiko auch für den Fremden durch die Kaiſer— zeit und durch das damit verbundene Einſtrömen zahlreicher Fremden gehabt, nämlich die Errich— tung vieler und zuweilen recht guter Hötels, an denen früher ein bedeutender Mangel geweſen fein ſoll. Hotel „Iturbide“ (auch eine Erinnerung aus einer früheren Kaiſerzeit, die mit der Er— ſchießung des Monarchen endete), Hötel „Bazar“, Hötel „National“ ſind recht gut und behaglich eingerichtet, und bieten beſonders alle die nicht hoch genug anzuſchlagende Annehmlichkeit, daß man in ihnen ein hübſches Zimmer zu verhält— nißmäßig billigem Preiſe (10 Dollars für 15
10 *
1448 Tage oder 1 Dollar per Tag) bekommen kann, ohne verpflichtet zu ſein, auch dort zu eſſen; man bezahlt eben in der Reſtauration für das, was man ſich geben läßt.
Auf's äußerſte war ich ſogar erſtaunt, als ich im Hötel National, wo ich abſtieg, wie im Eingange des Capitels erwähnt, die Bequem— lichkeit eines telegraphiſchen Klingelzuges vorfand. An dem erſten Abend hatte ich allerdings keine Gelegenheit davon Gebrauch zu machen, am nächſten Morgen aber, nachdem ich mich gewa— ſchen, drückte ich beſcheiden einmal auf den Knopf, um den Kaffee herauf zu citiren, und zündete mir indeſſen eine Cigarre an — aber der Kaffee kam nicht. Ich drückte jetzt zweimal, und wartete mit echt deutſcher Geduld wohl eine Viertelſtunde — er kam noch immer nicht, auch Niemand ſonſt, der ſich um mich bekümmerte, und ich fing an ungeduldig zu werden. Ich ließ den Telegraphen wie ein Glockenſpiel arbeiten, und horchte dann, weil ich glaubte, die Kellner würden jetzt von allen Seiten herbeiſtürzen, um zu erfahren wo ein Unglück geſchehen ſei. Nichts Derartiges ge— ſchah. Das Haus blieb todtenſtill, und ich mußte zuletzt ſelber hinuntergehen, um meinen Kaffee zu beſtellen.
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Am nächſten Morgen erneute ich allerdings noch einmal den Verſuch, aber nur mit dem näm⸗ lichen Erfolg, und fand jetzt, daß der Telegraph im Hauſe eigentlich nur eine ſcherzhafte Ein—
richtung ſei, um durchreiſende Fremde zu dem
irrigen Glauben zu veranlaſſen, daß ſie irgend eine Bedienung zu erwarten hätten. Eine Treppe tiefer, unter dem Zahlenbrett, das die Nummer des gezogenen Telegraphen angab, ſaß allerdings, wie ich ſpäter bemerkte, in beſchaulicher Ruhe der Portier, und drehte jedesmal, wenn die Klin⸗ gel zum erſten Mal ertönte, den Kopf darnach um, wahrſcheinlich nur um zu ſehen, welcher Fremde wieder einmal in die Falle gegangen ſei. Das war auch Alles; er hielt es nicht ein⸗ mal der Mühe werth, Einen der langſam auf den Treppen herumſchlendernden Leute nach einem möglichen Kellner auszuſchicken, und bei weiteren Ruheſtörungen rührte er ſich gar nicht. Ertönte
dann wieder einmal Morgens die Klingel, erſt
leiſe, dann laut und gebieteriſch, ſo wußte ich ganz genau, daß ein neuer Fremder in dem Hötel eingezogen ſei und eben damit beſchäftigt war Lehrgeld zu bezahlen.
Das Hötel Iturbide hat übrigens nicht allein ſeinen Namen nach dem ebenfalls erſchoſſenen
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Kaiſer bekommen, ſondern liegt ſogar im Haufe Iturbide, in dem alten Kaiſerpalaſt, einem prächtigen Denkmal aus vergangener Zeit, mit rieſigem Portal, hoch aufgebauten Etagen und faſt großartigen, keck geformten Säulen, welche die Veranden tragen. b
Mexiko iſt überhaupt ein hiſtoriſch höchſt in= tereſſanter Platz, denn jede Straße faſt bietet eine andere Erinnerung aus der wunderlichen und verwickelten, aber faſt immer blutigen Ge— ſchichte des Landes. Da ſteht das Haus noch mit ſeinen ſonderbaren, mit Fließen“) belegten Wänden und Giebeln, in dem die Familie Cor— tez wohnte; dort iſt die Stelle, wo neben dem früheren Tempel und jetzt der Kathedrale das freilich nun eingeriſſene oder umgebaute Haus Montezuma's ſtand. Das dort war ein Haus, jetzt leer und verfallen, das ſich der reichſte Mi— nenbeſitzer des reichen Landes erbaute, der, als ihm der erſte Sohn geboren wurde, die Straßen bis zur nächſten Kirche — etwa eine Entfernung von 4= bis 500 Schritt — mit maſſiven Silber:
*) Noch bis auf den heutigen Tag exiſtirt das alte mexi⸗ kaniſche Sprichwort: „Der wird ſich auch kein Haus mit Fließen
bauen“ — was heißen ſoll: er wird nie etwas vor ſich brin⸗ gen, da dieſe Bauart früher ſtets außerordentlich theuer war.
151 barren belegen ließ, damit auf ihnen fein Sohn in die Kirche getragen würde, während derſelbe Sohn auf der Schwelle derſelben Kirche, etwa 60 Jahre ſpäter, krank und elend ſaß und Al⸗ moſen von den Vorübergehenden erbettelte.
Dort, im Hofe eines der öffentlichen Gebäude, neben einer Soldatenwache, die ihr Geſchirr auf ihm putzen und ihn verunreinigen, ſteht der alte Opferſtein, auf dem die Kriegsgefangenen der Mexikaner mit einem Fuße angefeſſelt wurden und gegen drei Krieger des Stammes kämpfen mußten, in welchem Falle, wenn ſie den Kampf ſiegreich beſtanden, nicht allein die Freiheit, jon= dern auch hohe Würden und Ehren ihrer harr— ten, im andern Falle aber ihr Blut die innere Höhlung füllte — und welche wunderbar künſt⸗ liche Arbeit zeigt der Stein — wunderbar in der That, wenn wir bedenken, daß die Mexikaner der Zeit noch nicht einmal die Benutzung des Eiſens verſtanden und Alles mit ſteinernen In⸗ ſtrumenten arbeiteten.
Dort in der Kathedrale, die eine Zierde der ganzen Stadt bildet, wenn ſie auch der frühere alte Tempel weit beſſer ſchmücken würde, iſt noch der alte rieſige Kalenderſtein Montezuma's ein⸗ gemauert und kündet deutlich an, auf welcher
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hohen Stufe der Intelligenz die damaligen Prie⸗ ſter des Volkes ſtanden; unfern der Stadt ſteht auch die alte Ceder, unter der noch derſelbe Stein liegt, auf dem Cortez geſeſſen hat, als er da— mals aus Mexfiko vertrieben und nach dem Ver— luſt zahlreicher Freunde bitterlich weinte. Noch bis auf dieſen Tag heißt fie auch el arbol de la noche triste oder der Baum der Trauernacht. — Bei Chapultepek, dem lieblichſten Punkte der Welt und auch dem Lieblingsaufenthalte Maxi⸗ milian's, liegen noch die gut erhaltenen Bäder Montezuma's, und überall zeigen ſich die Spuren jener vergangenen Zeiten aus dem Leben eines Volkes, das glücklich war, bis die Eroberer in das Land fielen und mit dem ſcharf geſchliffenen Schwert die Heiden belehrten, daß da oben über den Sternen ein Gott der Liebe wohne. Das koſtete freilich ſehr viel Menſchenblut, und Außer: lich wurden die blinden Heiden auch wirklich zum Chriſtenthum bekehrt — es wäre ihnen auch ſonſt ſchlecht ergangen, wenn ſie ſich nicht hätten überzeugen laſſen —, innerlich aber hangen noch bis auf den heutigen Tag Tauſende dem alten Glauben an, und es wird ſogar als ganz be— ſtimmt behauptet, daß fie in vielen für fie be⸗ ſtimmten Kirchen gewußt haben, hinter dem Al—
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tare des neuen Gottes einzelne ihrer alten und allerdings nicht hübſchen Götterbilder einzugra— ben, zu denen ſie jetzt ungeſtört beten können, wenn ſie ſich vor dem Altar niederwerfen. — Es geht in der That wunderlich in der Welt zu; ſonderbar nur, daß gerade die Indianer die ehr⸗ lichſte Menſchenklaſſe unter der mexikaniſchen Bevölkerung ſind und die Banden von Straßen— räubern und Dieben meiſtens aus wirklichen mexikaniſchen Chriſten beſtehen, die vor jedem Heiligenbilde den Hut ziehen und ſich bekreuzen.
Da ich übrigens gerade auf das Capitel komme, darf ich auch nicht die Kirche der Ma— donna von Guadalupe unerwähnt laſſen, den größten Wallfahrtsort, den Mexiko beſitzt. Die heilige Madonna iſt, der Erzählung der Geiſt— lichen nach, dort auf dem Berge, gerade über Mexiko, in früherer Zeit einem Schäfer erſchie— nen und hat, wenn ich nicht irre, von ihm ver— langt, daß er zum Erzbiſchof gehe und den Bau einer Kirche von ihm begehre. Der Erzbiſchof glaubte aber, der Schäfer flunkere ihm etwas vor. Die heilige Jungfrau erſchien dem Schä— fer aber zum zweiten und dritten Male, und befahl ihm zuletzt auf einen beſtimmten Berg zu gehen, dort eine Anzahl von Roſen zu pflücken
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und dieſe dann dem Erzbiſchof zu bringen. Das that der Schäfer. Obgleich er ſonſt da oben noch nie Roſen geſehen, jetzt fand er ſie und nahm ſie in ſeiner Schürze mit; als er ſie aber bei dem Geiſtlichen ausſchütten wollte, war ein neues Wunder geſchehen. Roſen hatte er allerdings nicht mehr in der Schürze, aber auf derſelben ſtand das Bild der Mutter Gottes im Himmels— glanz mit langem geſtickten Mantel und Heili— genſchein gemalt, und mußte jetzt den Ungläubig⸗ ſten überzeugen.
Die Kirche wurde gebaut und überreich mit Silber, Gold und Juwelen ausgeſtattet, die Schürze mit dem Bild darauf aber in einem Eoft- baren Rahmen über dem Altar aufgehangen, wo es ſich auch noch bis auf den heutigen Tag be— findet und ſchon eine große Anzahl von Wundern gethan haben ſoll.
In der Kirche ſelber ſind in einer Ecke auf einer Maſſe kleiner, allerdings erbärmlich gemal— ter Bilder viele von dieſen Wundern dargeſtellt. Menſchen werden darauf durch das Anrufen der Heiligen von durchgehenden Pferden, Räubern, aus Waſſer⸗ und Feuersnoth gerettet, und ſil— berne Arme und Beine, kleine Krücken und an— dere Symbole hangen darum her, um dadurch
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nähere Kennzeichen anzugeben. In der Kirche jelber iſt auch ein kleiner Ladentiſch aufgeſchla— gen, wo bei Philipp und Simon en gros gekaufte Roſenkränze, die nachher geweiht wurden, en de- tail zu 1 bis 6 Realen das Stück an die Gläu⸗ bigen verkauft werden. Ebenſo kann man dort kleine Bilder der Jungfrau, Stücke Band und kleine Kugeln, die eine wohlthätige Wirkung auf den Körper ausüben ſollen, und viele andere nützliche Dinge noch erhalten. Ein Pater ſteht hinter dem Ladentiſch, verkauft und hat auch gleich Papier vorräthig, um das Gekaufte ordent⸗ lich einzuwickeln. Ich erwarb auf dieſe Weiſe einige Roſenkränze und Bilder, um ſie als An— denken mitzunehmen.
Uebrigens glaube ich beinah, daß ich zu viel bezahlt habe, denn mein Begleiter ſagte mir, daß ſich mit den Herren auch handeln ließe, und daß ſie, beſonders wenn man mehr zuſammen nehme, einen Rabatt gäben.
Neben der Kirche ſteht ein wie ein Schiff ge— formter, ziemlich weit ſichtbarer Stein, von dem man erzählt, daß ein aus arger Gefahr gerette— ter Seemann der Jungfrau von Guadalupe in höchſter Noth gelobt habe, ihr ein Schiff zu bauen. Auf feſtem Lande glücklich angekommen,
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ſoll ihm aber die Sache doch ein wenig zu koſt— ſpielig geweſen ſein, und er hat deshalb dort oben den Stein aufgeſtellt, der von Weitem al— lerdings die Geſtalt eines kleinen Schiffes unter vollen Segeln hat. Dicht bei der Kirche iſt der heilige Brunnen mit ſehr eiſenhaltigem Waſſer und fortwährend von Kranken umlagert, die das Waſſer trinken und ſich damit beſpritzen oder darin waſchen. Appetitlich ſieht es nicht aus, aber das Waſſer ſoll wunderkräftig fein. Uebri⸗ gens kann man ſich darauf verlaſſen, an der Schwelle der Kirche von einer Maſſe verfrüppel- ter Bettler überfallen zu werden, und es gehören ſtarke Nerven dazu, um den Anblick der ver- ſtümmelten Glieder zu ertragen, die Einem, um Mitleid zu erregen, von den unglücklichen Bes ſitzern entgegengehalten werden. Ich vertheilte raſch alles kleine Geld, was ich bei mir hatte, und dankte Gott, als ich von der entſetzlichen Umgebung erlöſt wurde.
Die heilige Jungfrau von Guadalupe wird in Mexiko ſehr hoch gehalten, und leider kam ich nur ein wenig zu ſpät zu dem Feſte, das jährlich zu ihren Ehren gehalten wird und zu dem beſonders die Indianer in Schwärmen her— beikommen und — viel Geld dort verzehren.
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Mir wurde verſichert, daß die Kirche in der Zeit eher einem Jahrmarkt, als einem Heilig⸗ thume glich. Uebrigens iſt ſie außerordentlich reich, und ein maſſiv ſilbernes Geländer, das die Altäre umgiebt, ſoll nur einen kleinen Theil früherer Schätze ausgemacht haben.
Schon von mehreren Seiten war mir geſagt, daß ich den Markt und beſonders den Canal beſuchen möchte, auf dem die Indianer mit ihren Gemüſen ankommen. Dorthin ging ich eines Morgens und bereute es wahrlich nicht, denn es kann kaum ein lebendigeres, freundlicheres Bild geben, als dieſen höchſt eigenthümlichen Gemüſemarkt der Hauptſtadt.
Morgens mit Sonnenaufgang, alſo in jetziger Zeit etwas nach ſechs Uhr, treffen die kleinen, wie ein längliches Viereck gebauten Fahrzeuge der Indianer ein. Sie ſind mit grünen, friſchen Gemüſen und zum Theil auch mit Früchten hoch aufgebaut, und dazwiſchen ſitzen und ſtehen die jungen, drallen Frauen und treiben die Boote vorwärts, und um ſie her ſpielen lachende Kinder, die das Bild allerdings verſchöͤnern, den Gemüſen ſelber aber nicht immer nützlich ſind. |
Anfangs kommen fie nur einzeln — die am raſcheſten rudern konnten, find die Erſten und
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auch im Stande, ſich den beſten Platz auszu— ſuchen —, aber bald folgt der Schwarm nach, ſo daß es nur kurze Zeit dauert und der eben nicht ſehr breite Canal liegt ſo gedrängt voll Boote, daß für die ſpäter kommenden kaum eine genügende Fahrſtraße bleibt. Und jetzt ſind auch von allen Seiten die Fruchthöker gekommen, die, wie bei uns daheim, Kohl und Rüben en gros einkaufen, um ſie über Tag nachher wieder mit einem geringen Nutzen zu verkaufen. Aber welch ein Unterſchied zwiſchen hier und daheim, denn wenn man bei uns einmal derartige Scenen er— lebt hat, ſo wird man ſich gewiß an den ewigen Skandal erinnern, den das bitterböſe Geſchlecht der Hökerweiber unterhält und oft damit eine ganze Nachbarſchaft zur Verzweiflung treibt. Hier hört man kein böſes, ja ſelbſt lautes Wort, ausgenommen dann und wann einmal ein fröhliches Lachen oder einen harmloſen Scherz; Alles wird in Frieden und Freundſchaft abge— macht, und die Frauen am Ufer bezeichnen nur die Gegenſtände, die ſie haben wollen, aber nicht erreichen können, worauf die Verkäufer ihnen das Verlangte zuwerfen, ohne nur die geringſte Beſorgniß zu verrathen, daß ihnen die betreffen— den Höker mit dem Betrag durchbrennen könnten.
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Aber fie wiſſen auch, daß ihnen bei einem nur verſuchten Betrug, alle übrigen Käufer augen⸗ blicklich beiſtehen würden.
Herrliches Gemüſe kommt da zu Markte, wie es die gemäßigte Zone kaum in einem andern Land der Welt beſſer und kräftiger hervorbringt: Kraut, Blumenkohl, Rüben, Zwiebeln, Salat und wie die grünen Herrlichkeiten alle heißen. Dicht am Ufer breiten ſich dann die Einzelverkäufer aus, denn ſie wiſſen recht gut, daß der Engros— Handel nicht lange andauert, und nun kommen die Leute aus der Stadt mit ihren kleinen Körben und holen, was ſie brauchen, während die In— dianerinnen in den Booten ihr mitgebrachtes frugales Mahl von einigen Tortillas und etwas getrocknetem Fleiſch verzehren und ſich dann anſchicken, die Heimfahrt anzutreten, um am nächſten Morgen mit einer friſchen Ladung zus rückzukehren.
Ruhige, harmloſe Menſchen; die Revolutionen gehen über ſie hin und vernichten vielleicht ihre beſcheidene, ärmliche Heimath, aber ſie ſind wie die Halme, die der Sturm wohl niederbeugen, aber nie zerbrechen kann. Er zerſplittert die Eiche, aber über ſie brauſt er hin, und wenn die Sonne auf's Neue hervorbricht, heben ſie ſich
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langſam wieder empor und ſchaukeln nach wie vor in der Briſe.
Und wie entſetzlich ärmlich leben Viele von dieſen Leuten! Da find die Salz- und Salpeter- gruben an den Ufern der verſchiedenen Seen, wo ſie in Höhlen und Schmutz und Ungeziefer faſt wie wilde Thiere hauſen — und doch genügt ihnen ihre Exiſtenz, und keine Revolution im ganzen Lande iſt je von der Seite ausgegangen, die am meiſten Urſache . mit ihrem Geſchick zu zürnen.
Uebrigens iſt es ganz unglaublich, mit welch“ geringen Kleinigkeiten ſich gerade die Indianer begnügen, um irgend ein „Geſchäft“ zu betreiben. So ſieht man oft einzelne von ihnen mit ein paar Stückchen Käſe durch die Straßen ziehen, die ſie zum Verkauf ausbieten, ja, ich habe an der Plaza Indianer mit einer einzigen weißen Blume ſitzen ſehen, die irgend eine heilkräftige Wirkung „für das Herz“ haben ſoll, und wenn ſie dieſelbe für ein paar Clacos verkauften, gingen ſie befriedigt nach Hauſe.
Wie muß einem ſolchen armen Teufel zu Muthe ſein, wenn er an einem der prächtigen Läden vorübergeht und dort einzelne Luxusgegen— ſtände aufgeſtellt ſieht, deren Zweck er natürlich
„„
nicht begreift, deren Preis aber hinreichen würde, ihn und ſeine ganze Familie ein paar Jahr am Leben zu erhalten, und mehr als ſein Leben ver⸗ langt er ja nicht auf der Gotteswelt! Wenn der zum Communismus überträte, wer könnte es ihm verdenken? Aber kaum ſteigt wohl je ein ſolcher civiliſirter Gedanke in ſeinem Herzen auf — er verlangt nicht einmal 40 Millionen vom Staat zu einem Unterſtützungsfonds der freien Arbeit. Still und ruhig müht er ſich ab und wird in⸗ deſſen von dem weißen Geſindel unter die Füße und zuletzt in die Erde hineingetreten, um dort den Acker noch nach dem Tode zu düngen, auf dem er ſich früher abgemüht. — Hol' ihn der Teufel, warum hat er nicht auch gelernt das Volk zu beſchwindeln — er hätte ein großer Mann werden können! Juarez iſt ja auch nur ein Indianer. 8
An einem der ſchönen Abende — und ſie waren alle ſchön — beſuchte ich mit einem Deutſchen das alte Schloß Chapultepek, wo Mon⸗ tezuma ſeinen Sommerſitz gehabt, das die Ame— rikaner mit Sturm genommen, wo Kaiſer Maxi⸗ milian's Lieblingsaufenthalt geweſen und das noch jetzt — was wahrlich viel geſagt iſt — den ſchön⸗ ſten Punkt Mexikos bildet.
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 11
Das Schloß ſelbſt, von ſtarken, hohen Mauern umgeben, bei denen es Einem eigentlich unbe— greiflich ſcheint, daß es die Amerikaner damals ſo raſch mit Sturm nehmen konnten, iſt aller⸗ dings von keiner außerordentlichen Schönheit, wenn es auch freundliche, luftige Zimmer und einen ſehr hübſchen Garten hat; die Perle Cha— pultepeks iſt aber der eine Thurm, der das ganze
Gebäude überragt und die wundervollſte Ausſicht
in vollem, durch nichts eingeſchränktem Panorama auf das ganze Thal von Mexiko bietet. —
Ich bin von Gott vor tauſend anderen Menſchen reich begünſtigt worden — ich habe ſeine Wunder und die Schönheiten ſeiner Welt aller Orten ſehen und darin ſchwelgen dürfen, aber Schöneres in ſeiner Art gerade, habe ich nie gefunden, und in dem Augenblick hielt ich mich für all' die Mühen und Beſchwerden, die es mich gekoſtet, um es zu erreichen, reich und voll belohnt.
Oh, wie wunderbar ſchön iſt doch dieſes Land! Und trotzdem, jo weit auch hier der Blick über alle dieſe herrlichen Gegenden ſchweift, keine Stelle faſt im ganzen Thal, wo ſich nicht die Menſchen aus Goldgier, Religionshaß oder von blindem Ehrgeiz angetrieben, gemordet und den Boden mit Blut roth gefärbt haben. Von älteſter
AR:
bis zu neueſter Zeit reichen dieſe Greuel, und ſelbſt noch in dieſem Augenblick lauern Banden von Straßenräubern in dem Thal wie an den Hängen der es umgebenden Berge, auf den fried— lichen Wanderer, und die Regierung iſt mit all' dem Blut, das ſie vergoſſen, nicht im Stande, ſelbſt die unmittelbare Nähe ihrer Hauptſtadt
von dieſem Geſindel frei zu halten. — Aber
leider finden wir das in der ganzen Welt beſtätigt,
daß gerade in den Ländern, über welche die Natur mit vollen Händen ihre Gaben ausge- ſchüttet, das Geſchlecht der Menſchen den ein— zigen dunklen Flecken in dem Bilde zeigt, wäh— rend es harmlos und friedlich und deshalb auch glücklich in den wüſteſten Einöden beiſammen wohnt. NER
Ich konnte den Blick kaum losreißen von den wundervollen, prachtvollen Contouren der Berge, von dem eigenen Zauber, der auf der ganzen Landſchaft lag. Zu unſeren Füßen faſt, oder doch nur kurze Strecke entfernt, breitete ſich die Hauptſtadt mit ihren zahlreichen Kirchen und Klöſtern und den regelmäßig eingetheilten Straßen
aus; hinter und neben ihr lagen die noch in
der Sonne blitzenden Seen, dahinter erhoben
ſich die beiden großartigen, mit Schnee bedeckten 11*
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Vulkane, und ringsum, ſoweit der Blick ſchweifte,
5 5 zeigten ſich kleine, freundliche Städte und Dirt: ſchaften, eingerahmt von dem höher ſteigenden
Lande, das den ganzen Horizont umſchloß; un— mittelbar unter uns aber lag der kleine, doch freundliche Park von Chapultepek, unter deſſen rieſigen Cedern ſchon Montezuma, dann Iturbide und zuletzt Maximilian gewandelt — eine ganze Kette von unglücklichen Fürſten, denen hier das Schönſte der Welt als Eigenthum geboten wurde, nur um ſie deſto ſicherer zu verderben.
Und jetzt ſank die Sonne — das Thal füllte ſich mit mattem Dämmerſchein und die beiden Kuppen der Vulkane fingen an zu erglühen; ro— ſige Wolken hingen darüber in der Luft und ſtiegen aus den Schluchten der Gebirge, wohin die Strahlen der untergegangenen Sonne ſchon nicht mehr dringen konnten, wie bleiche Geſpenſter der Vorzeit empor.
Ich hätte die ganze Nacht hier oben bleiben mögen, aber der Eiſenbahnzug, der uns nach der Stadt zurückbringen ſollte, wurde bald er— wartet, und wir wollten doch auch noch, ehe wir das Schloß verließen, die rieſigen Bäume da unten beſuchen, unter denen all' die Opfer mexi— kaniſcher Kriege und Revolutionen gewandelt
165 und von dem Glanz und Glück ihrer Herrſchaft geträumt hatten. |
Es ſind wirklich prachtvolle Bäume, dieſe mächtigen Cedern mit ihren Rieſenſtämmen und feſt zuſammengedrängten dunkeln Wipfeln, wie ſie daſtehen in ſtiller Einſamkeit. Der eine, den wir maßen, hat 7½ Klafter in ſeinem Um: fange, etwa 4 Fuß vom Boden, und ſeine Zweige beſchatteten dabei einen verhältnißmäßig kleinen Raum. Nahe dabei liegen außerdem die klaren Quellen, die ihr Waſſer der Stadt zuführen, liegt noch das alte Bad Montezuma's und all' der ermordeten Fürſten, die ihm nachgefolgt — aber dem Publikum iſt der Platz jetzt verſchloſ— ſen. Nur wer eine beſondere Karte erhält, darf ihn beſuchen, und ich weiß nicht, ob das eine bleibende Maßregel iſt, oder ob ſie nur zeitweilig aufrecht erhalten werden ſoll. Es wurde näm⸗ lich im Schloſſe ſelber gerade Manches reſtaurirt, da Juarez dort in nächſter Zeit zur Feier ſeines Antritts ein großes Frühſtück geben wollte.
Ich würde mir dazu an ſeiner Stelle ein ganz neues Haus haben bauen laſſen, denn in dem Schloſſe hätte mir gewiß kein Biſſen ges ſchmeckt; aber die Naturen ſind eben verſchieden.
Am Tag vor Weihnachten fuhr ich ebenfalls
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mit einem Deutſchen nach dem berühmten Cortez⸗
5 baum hinaus, der in dem kleinen Ort Tacuba
unmittelbar neben der Kirche ſteht. El arbol de la noche triste oder der Baum der Trauernacht iſt zu merkwürdig — ſchon ſeiner ſelbſt und ſei— nes ungeheuren Umfangs wegen, um an ihm vor—
* beizugehen.
Der Baum iſt eine rieſige Ceder mit aller— dings Schon altersmorſchem Stamm und wenig mehr übrig gebliebenen Rieſenzweigen, aber der Stamm ſelber hat 4 Fuß über der Erde reich— lich 9 Klaftern im Umfang, und an ſeinem Fuß liegt noch ein Stein, auf welchem Cortez in je— ner Nacht, als er aus Mexiko vertrieben worden, geſeſſen haben ſoll und geweint.
Es war das in jener Zeit, als Diego Velas— quez, der Gouverneur von Cuba, eiferſüchtig auf den unerwartet günſtigen Erfolg von Cortez' Expedition, Pamphilo Narvaez nach Vera-Cruz ſandte, um Cortez abzuſetzen und den Oberbefehl ſelber zu übernehmen. Cortez war aber nicht der Mann, ſich einer ſolchen Ungerechtigkeit zu fügen. Narvaez hatte wohl 1300 Mann mit ſich, er ſelber kaum 450. Trotzdem marſchirte er ge— gen Vera-Cruz, ſchlug Narvaez und nahm ihn gefangen, verſtärkte ſich dann mit den gegen ihn
zur Verzweiflung getrieben, revoltirten und Cor—
ie felßer fih zuleke nicht mehe gegen fie Halten
konnte. Tag und Nacht griffen fie ihn an, und
als er aus dem damals vollkommen mit Waſſer umgebenen Mexiko flüchten wollte, richteten vie
Mexikaner eine furchtbare Niederlage unter ſei— nen Truppen an. Er hatte im Ganzen etwa 1300 Mann gehabt, aber kaum mehr als 400 entkamen mit ihm und wie wenige von Allen unverwundet. Erſt in Tacuba, auf einer niederen Anhöhe, hielt er Stand und warf dort Schanzen auf, und noch jetzt ſteht jener alte Baum, unter welchem ihm, vielleicht zum erſten Mal in ſeinem Leben, das Herz verzagte und er bitterlich weinte.
A
6. Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und die Feſtzeit.
Weihnachten rückte heran und die Feſtzeit, und auf der Plaza wurden ſchon durch das Auf— ſchlagen vieler Buden die Vorbereitungen dazu getroffen.
Weihnachten! — Wie manche, manche Weih— nachten habe ich draußen in der Fremde, fern von meinen Lieben verlebt — und an wie viel verſchiedenen Plätzen! Zuerſt verträumte ich
meinen Weihnachtsabend — und manche trübe
Stunde war dabei — einſam in den Urwäldern Amerikas, und Chriſtbäume ſtanden genug da, aber an keinem ein Licht, nichts als die vor mir lodernde Gluth, und ſtatt dem Gejubel fröh— licher Kinder das Geheul der Wölfe um mich her. — Dann kam eine andere Zeit — ich
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kehrte ja nach dem Vaterland zurück, und eine Zeit lang war es, als ob ich nun in den Hafen der Ruhe eingelaufen wäre. Ich hatte Weib und Kind, und allen menſchlichen Berechnungen nach mußte ich jetzt zu Hauſe bleiben. — Es war nicht wahr. Das Jahr 1848 zeigte mir die Wahl, mein Leben als Schriftſteller in den aufgeregten Zeiten entweder kümmerlich zu friſten, oder mir durch einen kecken Entſchluß eine Stellung zu erzwingen, und — von ewiger Reiſeluſt außer⸗ dem getrieben, wählte ich das Letztere.
Die nächſte Weihnacht fand mich zwiſchen den Goldgräbern in San Francisco, die zweite auf dem Walfiſchfang, die dritte in Indien — in Batavia. — Wieder eine Pauſe und wieder hin⸗ aus in die Welt. Im Jahr 1860 wanderte ich auf dem Weihnachtsmarkt von Lima umher — geſtern auf dem von Mexiko, und man muß we— nigſtens geſtehen, daß ich Abwechslung in der Sache habe.
Aber jo weh dem armen Wanderer auch ge: rade an dem Tag zu Muthe iſt, wo ihm die Er- innerung alles Liebe und Gute aus der Heimath mit einem Schlag heraufbeſchwört, und ihn die Sehnſucht mit allen Banden des Herzens nach Hauſe zurückzieht, ſo bereue ich doch wahrlich
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nicht, dieſen Abend und die rege Zeit vorher in Mexiko verlebt zu haben, denn es kann wohl kaum einen Platz in der Welt geben — unſere deutſche Heimath, das Vaterland des Chriſtbaums natürlich ausgenommen, wo ſich die ganze Bevöl— kerung ſo lebhaft an dem Feſt betheiligt, wie ge⸗ rade hier in Mexiko.
Schon in Puebla fand ich unter den Colon— naden der Plaza eine Maſſe Sonneberger Spiel— zeug ausgeſtellt, und Heiligenbilder oder kleine buntgemalte Gruppen — Scenen aus der bibli— ſchen Geſchichte, wurden aus Thon und Wachs, oft nicht ungeſchickt fabricirt, feilgeboten. Damals war es aber erſt der Beginn der Feierlichkeit, und wenn es dunkelte, packten die Leute ihre Siebenſachen zuſammen und gingen heim. Anders wurde das aber, als Weihnachten herannahte, und jetzt ſah ich plötzlich zu meinem Erſtaunen, daß auch die Bäume nicht fehlten, und zwar un⸗ ter fremdartigen Zweigen und Wipfeln des Le— bensbaumes und der hier nicht hergehörenden Kiefer, unſere alten ehrlichen Fichten und Tan— nen, die Käufer auf jedem deutſchen Weihnachts— markt gefunden hätten. Und nun eröffneten ſich in langen Reihen die Buden, welche die Aus—
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ſtattung für das Naeimiento (Geburt Chriſti) liefern ſollten.
Die eine Reihe nahmen die Chriſtbäume ein und mit ihnen die verſchiedenen dazu nöthigen Mooſe, deren Mexiko in prächtigen Farben lie— fert. Zuerſt das lange, graue ſpaniſche Moos — in Texas ſpaniſcher Bart genannt — dann ein herrlich braunes und dunkelgrünes Moos, was Alles dazu benutzt wird, um den Fuß des Chriſtbaumes — oder bei den Mexikanern die Ecken, in denen das Nacimiento aufgeſtellt wird, auszuſchmücken und mit Grün zu bekleiden.
Dazwiſchen drängten ſich Jungen herum, die lange Silberſtreifen an einen Stock gebunden trugen und ihren Waarenvorrath dem Publikum unter die Naſe hielten. Auch große rothe Blu— men und kleine gelbe Früchte — dem Ausſehen nach den Holzäpfeln ähnlich, fanden ſich als Schmuck für den Baum, an dem man eben jene Silberfäden herunterhängen läßt, Sterne von Blech oder Zinn, welche die Strahlen der Lich— ter zurückwerfen, und neben den tauſend kleinen Heiligenbildern auch Sonne und Mond der alten heidniſchen Azteken.
Uebrigens haben die Mexikaner ein ganz merkwürdiges Talent im Modelliren, und gar
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nicht etwa fo jelten findet man Indianer, die aus einem Klumpen Thon in wenigen Minuten den Kopf jedes beliebigen Menſchen auf das treueſte nachbilden. Ihre Wachs- und Zeug— figuren, in denen ſie in einzelnen Modellen die mexikaniſchen Trachten wiedergeben, habe ich ſchon erwähnt, und ſelbſt in ordinärem Thon findet man, ebenſo wie in Wachs, manchmal kleine Gruppen, die theils heilige Scenen, theils Stiergefechte, Pulka-Arbeiter, Tänze, Maulthier- treiber ꝛc. vorſtellen, zu einem fabelhaft billigen Preis“
Auf dem Chriſtmarkt hier bildeten deshalb auch Buden mit derartigen Gegenſtänden die größte Zahl, und man fand dort manchmal ganz allerliebſte Sachen, wie zum Beiſpiel kleine Land— ſchaften, Schneegebirge ꝛe. Dort drängte ſich denn auch die Menſchenmenge dermaßen zuſam— men, daß man nur langſam und im Schritt — oft fortgeſchoben, oft geſtemmt, hindurchkommen konnte.
Dazwiſchen kauern, genau ſo wie bei uns, die armen Kinder mit ihren Zwetſchenmännern und Schornſteinfegern, kleine Jungen und Mäd— chen in zerlumpten Serapen oder Rebozen, und bieten die billigſten und am roheſten gearbeiteten
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Figuren aus, damit auch die ärmſten Leute etwas finden, um ihr Nacimiento damit auszuſchmücken.
Hier trifft man beſonders die aus Pappe ge⸗ arbeitete Mageh (die Aloe), um eine mexikaniſche Landſchaft darzuſtellen, und hie und da ſieht man auch kleine, mit Haaren von Baumwolle ver- ſehene Engel, die ſcheinbar über einer ſolchen Aloepflanze ſchweben, in Wirklichkeit aber mit dem Bauch auf die mittelſte Spitze derſelben ge- ſpießt ſind. |
Wendet man ſich rechts, jo geräth man in die Reihe der Dulces-Fabrikanten, die in Mexiko außerordentlich ſtark vertreten ſind und wirklich Bedeutendes beſonders in überzuckerten Früchten leiſten. Da findet man alle hier vorkommen⸗ den Arten faſt, die ſich nur irgend dazu eignen, ſelbſt ſüße Kartoffeln — ſogenannte Camotes — Feigen, Birnen, Orangen, Bananen, Ananas, Citronen, Limonen und wie ſie alle heißen. Da— neben Dulces von Cocosnuß wie andere ge— würzreiche Arten, in allen Formen, und zwar in ungeheuren Maſſen aufgehäuft, da es in Mexiko außerordentlich viel gekauft wird. Einige Arten weißen Zuckerwerks, die ich aber nicht ge— koſtet habe, werden in der That körbeweiſe nach Hauſe getragen.
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Wieder an anderen Stellen find Eßwaaren zu haben, an denen ſich die zu Markt Gekom— menen laben können — wenn ſie Appetit dazu verſpüren, denn beſonders appetitlich ſehen die dort aufgeſchichteten Speiſen gerade nicht aus. Ein Lieblingsgericht ſcheinen in Bananenblätter eingeſchlagene zuſammengeſetzte Speiſen zu ſein, an denen auch der — hier aber ſehr ſchwache — ſpaniſche Pfeffer nicht fehlt. Allerlei verſchiedene Fleiſcharten werden zuſammengelegt und gebacken, und dazu ißt man die Tortillas — flache, ge— backene Maiskuchen, die noch am beſten ſchmecken. Der Dunſt diefer Kuchen, fett und erſtickend, zieht aber über den ganzen Platz, und wenn am Abend noch der Rauch der als Beleuchtung die— nenden Kienbecken dazu kommt, ſo bieten die verſchiedenen dunkelrothen Flammen mit den ſich dazwiſchen bewegenden maleriſchen Geſtalten wohl ein reizendes Bild, benehmen Einem aber auch faſt den Athem. f
Aber je ſpäter es wird, deſto mehr drängt ſich das Volk dem Platze zu. Unter den Colonnaden, wo die beſſeren Waaren zum Verkauf ausgeboten. werden, preßt es herüber und hinüber und zwi— ſchen den Buden kann kein Apfel mehr zur Erde nieder, während einzelne Träger, die den Einkauf
irgend einer Herrſchaft fortſchaffen ſollen, die— ſelben auf den Kopf nehmen müſſen und trotz— dem die größte Mühe haben, wieder hinaus und auf einen nur etwas freieren Platz zu kommen.
Es ſind viele Deutſche in Mexiko, und daß dieſe den heiligen Abend in alter, guter deutſcher Weiſe feiern, verſteht ſich wohl von ſelbſt. Die alte Sitte iſt zu ſchön, und es iſt Thatſache, daß das Kind, das nur ein einzig Mal glücklich unter einem Chriſtbaum geſtanden, denſelben nie ver— gißt und von da ab ein Weihnachten ohne ihn für unmöglich hält. Hat er ſich doch jetzt ſelber unter den ſonſt gegen alles Gemüthliche jo gleich— giltigen Yankees Bahn gebrochen, und wird bald den ganzen nordamerikaniſchen Continent ſieg— reich durchwandern und erobern. f
Die Weihnachtsbäume erleiden allerdings unter den Tropen eine kleine Veränderung, und ſelbſt hier, wo man ſo ſchöne Fichten und Tannen hat, wie bei uns, ja ich möchte ſagen noch voller und üppiger gewachſen, ſehen die vergoldeten Bananen eigenthümlich aus, die anſtatt der Aepfel den Baum zieren, aber mir haben ſie doch ge— fallen, und die Frucht hat dabei noch das Anz genehme, daß ſpäter beim Schälen das Gold und Silber gründlich entfernt wird.
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Ich verbrachte den Weihnachtsabend in einer deutſchen Familie unter dem Chriſtbaum und glücklicher Weiſe in großer Geſellſchaft — vor⸗ her ſchon hatte ich in einer andern Familie bes ſcheren ſehen, — aber du lieber Gott, wie weh iſt einem „armen Reiſenden“ dabei ſelber um's Herz, wenn man den Jubel der Kinder ſieht, und dabei nur an die eigenen — ſo fern und unerreichbar — denken muß. Ich muß auch ges ſtehen, daß ich mich vor dem Abend gefürchtet hatte. Hoffentlich war es der letzte Weihnachts- abend, den ich in fernen Landen verlebt habe.
Am 25. war großer Feiertag in der Stadt, aber nicht allein des Weihnachtsfeſtes wegen, ſondern der Präſident hielt ſeinen Bando oder militäriſchen Umzug in der Stadt, ſpäter mit großer Sitzung im Abgeordnetenhauſe, wo er ſich als neugewählter Präſident dem Volke zeigte und ſeine Anrede an daſſelbe, aber freilich mit ſo leiſer Stimme hielt, daß man auf den Gallerien auch nicht eine Silbe davon verſtehen konnte. Soviel bleibt gewiß, Juarez iſt augenblicklich in Mexiko nicht allein populär, ſondern das eigentliche Volk hat auch Vertrauen zu ihm, daß er die neugewonnene Republik feſtigen und er⸗ halten werde — wenn nicht ſchon der Name Re⸗
publik in-allen ſüdamerikaniſchen Staaten und ebenſo in Mexiko — ein Spott auf die Sache ſelber wäre.
In einer Republik ſoll das Volk durch einen von ihm gewählten Repräſentanten regieren — aber was iſt in allen dieſen Staaten eben dieſes ſouveräne Volk? Ein Haufen unwiſſender, roher Menſchen, die, beſonders in Mexiko, von klugen Advocaten geleitet und benutzt werden. Man braucht ihre Stimme und ihre Fäuſte — weiter nichts —, ihre eigene Meinung wird nicht befragt und kann nicht befragt werden, denn ſie haben keine — ſie gehen mit der Maſſe und dem Erfolg.
Juarez' perſönliche Erſcheinung macht gerade keinen beſonders günſtigen Eindruck. Es iſt eine kleine, gedrängte, derbknochige Geſtalt, und ſein braunes Indianergeſicht mit den vorſtehenden Backenknochen und der niedrigen Stirn verräth eben keine großen geiſtigen Eigenſchaften. Aber der kurze Nacken zeigt einen ſtarren Sinn, und Zähigkeit hat er auch allerdings, von ſeinem Reiter Lerdo dabei noch tüchtig angeſpornt, ge— nug bewieſen.
Als er den Saal der Abgeordneten betrat,
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 12
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wo eine Art Thronſeſſel mit zwei rothgepolſterten Stühlen für den Präſidenten und Vicepräſiden⸗ ten des Hauſes ſteht, wurde nur an einer Stelle etwas Vivat gerufen, und auch nur von dort, über der Thür des Eingangs, flogen eine Unzahl bunter Bänder wie ein Regen — oder noch beſſer, wie eine Ordensvertheilung in Europa — über den Präſidenten und ſeine nächſte Umgebung nieder. Sie enthielten daraufgedruckte Lobgedichte des Präſidenten, aus der Feder irgend eines Hofpoeten — denn warum ſoll es nicht auch in einer Republik Hofpoeten geben? Abends zogen kleine Trupps ſehr mittelmäßig geklei— deter Mexikaner mit etwas Muſik und einer Art Standarte, mit Juarez' Bild darauf, durch die Straßen, Lichter dabei in der Hand tragend; auch wurden auf der Plaza viele Raketen abgebrannt, vor denen man ſich ein wenig hüten mußte. |
Die Abgeordneten im Saale jelber betrugen ſich ſehr ungenirt. Faſt alle rauchten, bis der Präſident eintrat; auch die Zuſchauer gaben ſich dem Genuſſe hin — es war ein entſetzlicher Qualm im Hauſe, und ſelbſt bei der Anſprache des Erſten der Nation behielten die Zuſchauer auf den Gallerien — mit wenigen Ausnahmen —
7. Von Mexiko nach Cuernavaca.
Allerdings hatte ich von Mexiko aus die Ab⸗ ſicht gehabt, Querétaro zu beſuchen und die Stätte ſelber zu ſehen, wo der arme, aber bis zum letzten Moment heldenmüthige Kaiſer endete. Dieſe Fahrt wurde mir aber von allen Seiten auf das entſchiedenſte abgerathen, denn erſtlich hätte ſie viel Geld bei einer enormen Strapaze mit viertägiger Diligencenfahrt gekoſtet, und dann würde ich meinen Zweck nicht einmal erreicht haben, da, wie ſchon erwähnt, die Regierung alles in ihren Kräften Stehende gethan hat, die örtlichen Spuren jener Kataſtrophe vollſtändig zu vernichten. Man findet den Platz kaum wieder, und da im Kloſter ſelber noch Gefangene ſaßen, wurde auch keinem Fremden der Eintritt dort
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geſtattet. Was hätte es mir aljo geholfen, um die kleine Stadt Querétaro anzuſehen.
Einen dieſer, und zwar eben entlaſſenen Ge— fangenen ſah ich ſelber in Mexiko — Herrn von Görbitz, den früheren Adjutanten Miramon's, der in jenen Tagen nach Madrid, wo er über⸗ haupt lebte, zurückkehrte. Ueber die früheren und letzten Verhältniſſe in Querétaro dürfen wir deshalb wohl intereſſanten und wahrheitsgetreuen Schilderungen entgegenſehen, da Herr von Görbitz beabſichtigt, ſeine Erlebniſſe in deutſcher wie in ſpaniſcher Sprache herauszugeben.
Miramon ſelber war ein tapferer und tüch— tiger Mann, aber auch entſetzlich ehrgeizig, und ich fürchte faſt, der Kaiſer traute ihm Anfangs zu viel — aber zuletzt theilte er das Geſchick des Monarchen, und ihm treu zur Seite hielt ſich der Indianer Mejia. |
Der Proceß der bis jetzt noch zurückgehaltenen Gefangenen wird indeſſen in langſamer Reihen- folge vor den Gerichten abgewickelt, und nur die werden bis zuletzt aufgehoben, die ſich vielleicht die kleinliche Rache irgend eines Beamten zu— gezogen haben. Eine längere Verurtheilung braucht aber Keiner von ihnen mehr zu fürchten.
Da mir auch Herr von Görbitz abrieth, unter
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Ei den jetzigen Verhältniſſen eine, jedenfalls hoͤchſt undankbare Reife nach Querétaro zu unterneh—
i 5 men, verzichtete ich darauf, beſchloß aber doch,
Mexiko ſelber bis zum Stillen Meer zu durch— wandern und mich dann ſüdlich zu wenden. Ich bekam dadurch nicht allein eine der wildeſten
. Provinzen des Landes, Guerrero, zu ſehen, ſondern
konnte auch darauf rechnen, dort zu einer inter- eſſanten Zeit durchzupaſſiren, da ſich gerade die zwei revolutionären Heere entgegenſtanden. Außer— dem mußte ich das Land der Pintos oder gemalten Indianer kreuzen, die — jedenfalls in Folge einer ganz eigenthümlichen Hautkrankheit — in vielen Fällen wie gefleckt erſcheinen.
Dort gab es alſo viel für mich zu ſehen, und daß noch, beſonders zwiſchen der Hauptſtadt und Cuernavaca, zahlloſe Straßenräuber den Weg un— ſicher machen ſollten, konnte mich natürlich nicht davon zurück ſchrecken.
Hier wäre es übrigens wohl am Platz, ein paar zuſammenfaſſende Worte über das Räuber— weſen in Mexiko zu ſagen, denn es ſpielt in jenem Land eine nicht unbedeutende Rolle und charakteriſirt dabei die Zuſtände.
Wenn man nur den Fuß auf mexpikaniſchen Boden ſetzt und die Abſicht äußert, das innere
Land zu jehen, jo kann man ſich auch feſt darauf verlaſſen, daß Einem ſchon die entſetzlichſten Ge—
ſchichten über alle nur erdenklichen Raubanfälle
und Mordthaten erzählt werden, und einem nur einigermaßen ängſtlichen Menſchen ſollte die Luſt zu einer Vergnügungsfahrt wahrhaftig ſchnell genug vergehen. Es wird dabei natürlich viel übertrieben und hat große Aehnlichkeit mit den zahlloſen Löwen-, Tiger- und Schlangengeſchich— ten, die wir zu leſen bekommen, da faſt kein Menſch gern den Fuß in eine tropiſche Landſchaft ſetzt, ohne näher mitzutheilen, mit wie genauer Noth er irgend einer wilden Beſtie entgangen iſt — natürlich ohne auch nur die Spur einer ſolchen geſehen zu haben. |
Ebenſo ift es ſehr häufig mit den Raub⸗ anfällen auf den mexikaniſchen Landſtraßen, die aber doch in der That viel öfter vorkommen, als einem ruhigen Reiſenden lieb ſein kann.
Wo Krieg iſt, findet ſich ſtets genug Geſindel, das Freund wie Feind mit anerkennenswerther Unparteilichkeit ausplündert und dabei auch einen Mord nicht ſcheut — fließt doch eben im ganzen Lande Blut, und Menſchenleben verlieren ihren Werth. Natürlich erreicht ein ſolcher Zuſtand aber ſeinen Höhepunkt, wenn der Krieg in einen
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Guerillakampf ausartet und, wie hier, Contre— guerillas dagegen verwandt werden. So artete
denn auch der ganze Krieg in Mexiko, bei den Franzoſen wie Mexikanern, in ein wahres Raub-
ſyſtem aus, bei dem ſich der franzöſiſche General der Contreguerilla, Dupin, einen ſo geachteten Namen erwarb, daß ihm ſelbſt die mexikaniſchen Straßenräuber ihre Anerkennung nicht verſagen können. |
Damals lagen kleine Banden an allen Stra- ßen, und die Ueberfälle, wenn auch dabei geraubt wurde, hatten meiſt immer den Hauptzweck, den Feind zu beunruhigen und zu ſchädigen, wo und wie das auch immer geſchehen konnte. Als aber mit dem Fall Querétaros und Mexikos, wie mit dem Tod des unglücklichen Kaiſers Max den wirklichen Feindſeligkeiten ein Ende gemacht wurde und die Anhänger des Kaiſerreichs jeden ferneren Widerſtand nutzlos fanden, da hatten doch zu viele Menſchen Geſchmack an dieſem ein— träglichen Guerillageſchäft gefunden und — ſetzten es eben fort. Die Contreguerilla hatte allerdings ihre Haut ſchon in Sicherheit gebracht und war mit Orden bedeckt nach Frankreich zurückgekehrt, aber die Mexikaner blieben und fanden es zum Theil vortheilhafter, den Diligencen an der Straße
aufzulauern, als ſich einer überdies ungewohnten, wenn auch nützlichen Thätigkeit hinzugeben.
In Nordamerika war dies ein anderes Ver⸗ hältniß. Es gab auch dort, und leider nur zu viel blutige Raubbanden, die unter dem Namen von Jayhawkers und Buſhwhackers während des Krieges nach Herzensluſt mordeten und raubten, und wohl eben ſo viel — und vielleicht mehr Greuelthaten verübten als die Mexikaner. Als aber die Soldaten nach Friedensſchluß aus dem Feld zurückkehrten und ihre eigene Heimath wieder aufſuchten, mußten ſie machen, daß ſie aus dem Lande kamen, um deren Rache zu entgehen, und die meiſten von ihnen flüchteten nach dem glück- lichen Texas. Die Soldaten ſelber aber dachten gar nicht daran, ein ihnen fernliegendes Räuber⸗ leben zu führen. Sie waren des Krieges ſatt und an Arbeit gewöhnt, ihre Farmen hatten außerdem die ganze Zeit darniedergelegen; ihr Geſchäft war vernachläſſigt worden, und mit vollem Eifer gaben ſie ſich wieder dem früheren Berufe hin. Man kann jetzt in Nordamerika in den wildeſten Diſtricten ſo ſicher und ungefährdet, allein und unbewaffnet reiſen, wie in den Stra⸗ ßen einer volkreichen Stadt ſpazieren gehen. — Nicht ſo in Mexiko.
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Es wird, wie geſagt, viel von Leuten über— trieben, die nun gern einmal ein ſelbſterlebtes Abenteuer erzählen wollen, aber im Ganzen fallen doch Raubanfälle, die manchmal auch ein blutiges Ende nehmen, nur zu häufig vor, und die Dili— gence iſt thatſächlich auf manchen Strecken zwei— und dreimal die Woche ausgeraubt worden. Die meiſte Schuld daran trägt freilich zum großen Theil die entſetzliche Feigheit der mexikaniſchen Reiſenden, die ſich lieber geduldig ausrauben laſſen, ehe ſie ſich der Gefahr ausſetzen, daß einer der Räuber in die Diligence hineinfeuerte, und das Komiſche iſt hier vorgekommen, daß an einer der Straßen im Innern ein altes Weib in Männerkleidung, allein und nur mit einem Revol—
ver und einer Muskete bewaffnet, wochenlang und
faſt täglich den Poſtwagen geplündert und ſämmt— liche Paſſagiere gezwungen hat, ihre Werthſachen abzulegen, bis endlich einmal ein Franzoſe auf ſie feuerte und ſie in die Schulter traf. Sie ſtürzte zu Boden und man entdeckte jetzt die etwas beſchämende Thatſache, die ſich allerdings nicht mehr wegleugnen ließ. Aber trotzdem wurden die Mexikaner nicht muthiger, und als man nun
fand, daß ſich die Räuber nach und nach weniger blutdürſtig zeigten, went ſie keinen Widerſtand
fanden — ſie hatten wohl oft eben fo viel Angſt vor den Paſſagieren, wie dieſe vor ihnen — ſo fiel man auf ein anderes Mittel, ſie billig los zu werden. Man gab mir ſelber von den ver⸗ ſchiedenſten Seiten den Rath, keine Waffen mit- zunehmen, ſondern nur etwa drei oder vier Thaler in die Taſche zu ſtecken, um doch wenigſtens etwas zu haben, wenn die Räuber la bourse ou la vie forderten, und mein übriges Geld der Poſt zu übergeben.
Thatſächlich iſt zu dieſem Zweck ein Zahlungs⸗ ſyſtem auf der hieſigen Diligence eingeführt, das den Räubern auf entſchiedene Art ein Schnipp— chen ſchlagen ſoll. Reiſende überliefern auf der Ausgangsſtation der Direction der Diligence all' ihr baares Geld — einige Dollars, wie ge= ſagt, ausgenommen, und erhalten dafür einen gedruckten und unterſchriebenen Schein. Damit können ſie in jedem Nachtquartier oder unter- wegs ihre Zeche bezahlen. Es iſt wie ein Cre— ditbrief auf die betreffenden Stationen, und wo man zwei oder drei Dollars verzehrt, oder viel— leicht zu irgend einem Ankauf etwas Geld haben will, läßt man es ſich einfach auf der betreffenden Diligenceſtation geben, wo es dann auf dem
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Zettel abgeſchrieben wird. Solche 19 8 5 honorirt jede Station.
Bequem iſt das jedenfalls und wäre auch gar nicht ſo übel in Deutſchland einzuführen, um nicht mit vielem Geld unterwegs und in den oft unſicheren Hötels behelligt zu ſein.
So weit geht in der That dieſe Angſt vor Gewaltthätigkeiten der Ladrones, daß ſchon Rei— ſende, die ſich vertheidigen wollten, von ihren Mitpaſſagieren daran verhindert wurden, um die Sefiores der Straße nicht unnöthiger Weiſe zu reizen, das heißt, von einem in den Wagen ge— feuerten Schuß nicht etwa einen Theil oder die ganze Ladung abzubekommen. |
Andererſeits muß man aber auch den Straßen: räubern wieder zugeſtehen, daß ſie beſonders in letzterer Zeit mit vieler Mäßigung verfuhren. Früher iſt es allerdings gar nicht ſo ſelten vor— gefallen, daß fie die Reiſenden bis auf's Hemd ausgeplündert haben, ja in Mexiko ſoll einmal ein ganzer Wagen vollkommen nackter Paſſagiere eingetroffen ſein — jedenfalls ein ſehr ſchlechter Scherz der Ladrones, wenn man beſonders das kalte Klima der Hochebene berückſichtigt. Jetzt aber ſcheinen ſich die Herren Straßenräuber mit viel weniger zu begnügen und zeigen nur eine ſtille
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Leidenſchaft für goldene Uhren, andere Werth ſachen, wie auch natürlich baares Geld — ohne in ihren Anſprüchen extravagant zu ſein. Ja, es ſoll ſogar vorkommen, daß ſie den ausgeplün⸗ derten Reiſenden etwas zurückerſtattet haben — gewöhnlich einen Dollar, um damit auf der näch— ſten Station ihr Frühſtück zu bezahlen. Jeden⸗ falls ein hübſcher Zug von ihnen. So erhielt einſt ein junger Mann, der nur 6 Realen bei ſich gehabt, dadurch, daß ihm die Räuber 1 Dollar wieder herausgaben, weil ſie bei dem einen Paſſa⸗ gier 300 Dollars gefunden, ſogar 2 Realen mehr, als um was er geplündert worden — aber auf dieſe Speculation kann man nicht reiſen.
Die Regierung thut übrigens jetzt Manches, um die Straßen ſicher zu ſtellen, und beſonders in der Nähe größerer Städte, wo ſich das meiſte Geſindel vorfindet, werden berittene Patrouillen mitgegeben, die allerdings maleriſch genug aus— ſehen, und ſich ein paarmal ſchon ganz wacker mit den Banden herumgeſchlagen haben. In— zwiſchen behaupten die hieſigen Einwohner, daß dieſe Patrouillen manchmal ſelber die Gelegen— heit wahrnähmen und die Reiſenden plünderten, aber ich glaube, das iſt übertrieben, und bezieht ſich wohl nur darauf, daß Einer oder der An—
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dere, wenn jie den Wagen wieder verlafien, um auf ihre Station zurückzukehren, an den Schlag geritten kommt und ſich mit einem freundlichen Gruß ein Douceur ausbittet. Sie ſind aber dann immer mit 1 oder 2 Realen vollkommen zufrieden — arme Teufel! ſie werden ſchlecht genug beſoldet, mit 1 Real täglich, und ſollen den oft nicht einmal bekommen.
Alle Straßen können dieſe Patrouillen natür— lich nicht überwachen; das Land iſt ungeheuer groß, und Raubanfälle kommen deshalb noch aller Orten vor. Das Beſte bleibt es deshalb
ſtets, gut bewaffnet zu ſein, um der Bande die
Spitze bieten zu können. Im Ganzen ſind ſie immer feige, und wenn ſich nur zwei oder drei Leute in der Diligence befinden, die, mit Waffen verſehen, auch entſchloſſen ſind dieſelben anzu— wenden, ſo braucht man wahrlich keinen Ueber— fall zu fürchten oder kann ihn, wenn er trotzdem erfolgen ſollte, mit leichter Mühe abweiſen. So wurden auf der Straße von Mazatlan vor ganz kurzer Zeit ſechs gutbewaffnete Amerikaner von vierundzwanzig Straßenräubern geſtellt und auf— gefordert, ihr Eigenthum abzugeben. Statt deſſen warfen ſie ihre Koffer von den Packſätteln ihrer Thiere, formirten damit eine Barrikade und
hielten jich beinahe zwei Tage gegen die Strolche, die es nicht wagten, ſie plötzlich und zugleich an— zugreifen. Die Amerikaner hatten nur Schrot— gewehre und Revolver, pfefferten aber auf die Burſche ganz wacker und hielten ſich ſo lange, bis ihnen eine berittene Patrouille zu Hilfe kam und die Vagabunden die Flucht ergreifen mußten. Eine ganz eigenthümliche Abwechslung hat das Land übrigens durch das ſogenannte und eigentlich vollkommen italieniſche Plagiar-Syſtem erfahren — ein Wort, für das ich von Niemandem eine befriedigende Erklärung erhalten konnte, wenn wir es nicht von plagio ableiten wollen. Es be- ſteht einfach in dem Raub eines bekannten und natürlich wohlhabenden Individuums, das man ſo lange gefangen hält, bis deſſen Verwandte oder Geſchäftsfreunde eine hinreichende Summe zuſammenbringen, um ſeine Freiheit wieder zu erlangen.
Früher kannte man etwas Derartiges in Mexiko gar nicht, und der Ueberfall einer Bande, ob aus politiſchen oder aus Geldrückſichten, be— ſchränkte ſich auf die Plünderung deſſen, was jie gerade vorfanden, bis ein Spanier, der es daheim vielleicht von ſeinen Zigeunern gelernt, den erſten und ziemlich glücklichen Verſuch machte,
192 ſich auf ſolche Weile ein Vermögen zu erwerben. Da es aber ſo glücklich und vom beſten Erfolg gekrönt ablief, fand die Sache Anklang im Lande. Der Mexikaner iſt ſtets bereit, Alles zu ergreifen, was ihm einen Gewinn verſpricht, ohne ihn dabei körperlich zu ſehr anzuſtrengen. Gewiſſens— - jerupel ſcheinen ihn nicht ſonderlich dabei zu plagen. 5
Die Sache kam, wie geſagt, in Aufnahme, Hund bald hörte man von allen Seiten derartige Attentate, ohne daß die Regierung das Mindeſte hätte dagegen thun können — und dieſer Zu— ſtand beſteht noch. Es iſt ſo weit gekommen, daß ſich, beſonders in der Nähe von Mexiko und Puebla, bekannte und reiche Bürger der Stadt kaum mehr allein hinaus in's Freie wagen, weil ſie jeden Augenblick befürchten müſſen, von irgend einer verſteckten und auf ſie lauernden Bande aufgegriffen und fortgeführt zu werden, und da— bei werden ſie noch, wie das in vielen Fällen geſchehen iſt, auf das nichtswürdigſte behandelt.
Das iſt der thatſächliche, augenblickliche Zus ſtand des Landes, wobei aber ja nicht geſagt ſein ſoll, daß kein Menſch mehr in Mexiko reiſen könnte, ohne angefallen zu werden. Die Be— raubungen ſind in letzter Zeit ſogar viel ſeltener
193 geworden, und mancher Reiſende kann vielleicht Monate im Lande umherfahren, ohne einer ein— zigen ſolchen Bande zu begegnen. Aber er muß trotzdem jede Minute, die er in der Diligence ſitzt, darauf vorbereitet ſein — ein für nervöſe Menſchen etwas ungemüthlicher Zuſtand.
Erſt vor wenigen Tagen fand wieder ein
ſolcher Ueberfall, und noch dazu unter erſchweren— den Umſtänden und von einem Mord begleitet, ſtatt. Man wollte nämlich einen Mann, von deſſen Reiſe man Kenntniß bekommen, entführen, brauchte aber ein Pferd, um ihn darauf zu ſetzen und raſcher damit an die Stelle zu kommen, und zu dem Zweck erſtachen die Räuber einen armen, unſchuldigen Teufel, der im Schutz ſeiner leeren Taſchen ungeſchädigt glaubte reiſen zu können, nahmen ihm das Pferd ab und führten ihr Vorhaben auch richtig aus, ohne bis jetzt noch entdeckt zu ſein. Allerdings ging neulich das Gerücht, daß man ihrer habhaft geworden ſei — aber es hat ſich als falſch erwieſen. Es ſchien den Bewohnern der Hauptſtadt auch gleich unglaublich.
Wie lange dieſer faſt unerträgliche Zuſtand noch dauern wird, läßt ſich nicht beſtimmen; der Präſident ſoll wenigſtens erklärt haben, er könne
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 13 8
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N nicht mehr dagegen thun, als bis jetzt geſchehen ſei — nämlich die Diligence ſtreckenweis durch
Escorten begleiten zu laſſen. Es wird auch in der That kein anderes Mittel geben, als daß ſich die Mexikaner ſelber — genau ſo wie es die Londoner Bürger machten, als die Garottirer in der City überhandnahmen, — nicht allein gut bewaffnen, ſondern auch zu dem Entſchluß kom— men, von ihren Waffen entſchiedenen Gebrauch zu machen. Erſt dann, wenn ſie aus jeder Dili- gence tüchtig auf ſich gefeuert ſehen, werden die Räuber ſich zweimal beſinnen, ehe ſie einen be— ſetzten Wagen angreifen. „Help yourself!“ ſagt der Amerikaner, und das Wort findet auf kein Land ſo praktiſche Anwendung, wie auf das jetzige Mexiko.
Allgemein wurde mir aber geſagt, daß ich, ſobald ich den Staat Guerrero ſelber erreiche, von Räubern nichts mehr zu fürchten hätte. Der Staat befand ſich allerdings in vollſtändigem Aufruhr, aber — ſie duldeten keine Räuber zwiſchen ſich — für Mexiko in der That etwas Außerordentliches.
So war denn der Tag zur Abreiſe wieder
erſchienen, und es that mir wirklich leid, als ich
die ſchöne Stadt, in der ich mich wochenlang ſo
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wohl gefühlt und ſo viele liebe Freunde gefunden hatte, wieder verlaſſen mußte. Aber Abſchied⸗ nehmen iſt ja — ich möchte faſt ſagen — mein Beruf; ich bin wenigſtens daran gewöhnt und ließ mich alſo bis Cuernavaca — bis wohin ich mit der Diligence gehen konnte — einſchreiben.
Dieſem Marterfuhrwerk hätte ich mich nun allerdings ſehr gern entzogen und wäre lieber gleich von hier aus im Sattel geweſen, aber in Mexiko ſelber finden ſich nur höchſt ſelten zu= verläſſige Arrieros und gute Maulthiere für eine ſolche Reiſe, und ich mußte deshalb ſchon in den ſauern Apfel beißen und meine Glieder noch einmal einem ſolchen Kaſten anvertrauen — hoffentlich das letzte Mal in meinem Leben.
Intereſſant, faſt ein wenig zu ſehr, um zu⸗ gleich angenehm zu ſein, war übrigens unſere Abfahrt vom Poſthof in Mexiko mit den acht muthigen Pferden, die wir vor dem Wagen hatten. |
Dieſe Thiere — ſelbſt die Maulthiere nicht — ziehen unter keinen Umſtänden langſam an, ſon—⸗ dern immer in geſtrecktem Galopp, weil ſie ſchon wiſſen, daß ihnen dabei die Peitſche des Kutſchers um die Ohren fliegt, und auf breiter, offener Landſtraße hat das auch nicht das Mindeſte
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weiter zu ſagen, als daß man eben ein paar Stöße
mehr bekommt. Hier in der Stadt dagegen war
das ein anderes und vielleicht ein wenig ge— fährlich Ding, denn die erſten ſechs Pferde zeigten ſich ſchon ſo ungeduldig, daß ſie kaum noch durch zwei Menſchen konnten gehalten wer— den, und die vorderen beiden wurden ja erſt
im entſcheidenden Moment angehangen — aber was half's — wir hatten alle unſere Sitze ein- genommen — ich oben auf, mit der geladenen
Büchſe, der Kutſcher griff die Zügel in der Hand zuſammen. „Mach' fertig davorn!“
Einer der Stallleute hielt die beiden, jetzt ebenfalls tanzenden Pferde an den Zügeln, der Andere hängte raſch und geſchickt den Haken ein. Mit einem Satz ſprang er dann zwiſchen den Thieren hinaus, der Andere ließ ebenfalls los und wie ein Wetter raſſelte der alte Kaſten die Straße hinab, während der Kutſcher die Thiere mit aller Kraft nach der rechten Seite hinüber zu ziehen ſuchte. Er mußte ſchon an der näch— ſten Ecke links umbiegen und wollte beſſer das Gelenk bekommen. Aber in dieſem Augenblick gehorchten die unbändigen Thiere den Zügeln
noch nicht — nur fort — nur vorwärts — mitten
in der Straße ſtürmten ſie entlang. Jetzt aber
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half es nichts — links mußten ſie hinum. Der Eine der Stallleute war nebenher geſprungen und ſcheuchte die vorderen mit ſeinem Hut und Schrei — ſie folgten in ſcharfer Biegung. Dicht an dem Eckſtein der Trottoirs kratzte das Rad und in raſender Flucht hoben ſich ſchon die linken Räder — nur einen Zoll noch — aber der alte Kaſten flog herum. „Caracho!“ lachte der Kutſcher vor ſich hin. Doch jetzt ging der Weg geradeaus, und wenn die vor uns
befindlichen Karren und Milchweiber nur raſch
genug aus der Bahn kommen konnten, ſo hatte die Sache nichts weiter zu ſagen. — Aber es ging — unſer Kutſcher war ein Meiſter in ſeiner Kunſt und bald öffnete ſich vor uns das weite Land. |
Mordgeſchichten waren mir nun allerdings auch vor dieſer Fahrt zur vollen Genüge in Mexiko erzählt. Einige Herren beſonders ſchienen ſich ein Vergnügen daraus zu machen, mich mit Erzählungen von allerlei Raubanfällen auf die Reiſe vorzubereiten. Dieſelben ließen mich aber doch ziemlich ruhig, denn ich hatte meine ſcharf— geladene Doppelbüchſe und meinen Revolver in beſter Ordnung und fühlte mich ſo ziemlich ſicher. Zu mir kam außerdem noch ſpäter ein Herr
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8 aus dem Innern des Wagens herauf, der eben- falls einen Revolver führte, und ſelbſt der
Kutſcher hatte eine alte einfache Piſtole hinter ſeinem Sitz liegen, da die Ladrones, wie aus ſeinem ſpäteren Bericht hervorging, die Kutſcher in letzter Zeit ebenfalls nicht beſonders glimpflich behandelt haben ſollten.
Ein vortrefflicher Zuſtand in Mexiko, wo die Regierung, trotz der Maſſe Truppen, die ſie auf den Füßen hält, nicht einmal die Sicherheit in ihrer unmittelbaren Nähe aufrecht erhalten kann und gar nicht etwa ſo ſelten ihre Diligencen leer geplündert in die Stadt geſchickt bekommt. Da müſſen ſich denn die Reiſenden eben ſelber bewahren, und nur der Feigheit der mexikaniſchen Reiſenden iſt es zu verdanken, daß das ganze Räuberweſen nicht ſchon lange mit Stumpf und Stiel ausgerottet iſt. Würden die Canaillen nur von jeder Diligence aus tüchtig gepfeffert, ſo hörte das Unweſen von ſelber auf, ſo aber laſſen ſie ſich meiſt immer geduldig plündern, ſind nur froh, wenn ſie ihr doch werthloſes Leben behalten, und haben dadurch eben das räuberiſche Geſindel ſo bodenlos keck und unver— ſchämt gemacht, daß es ein einziger Geſell oft
wagt, eine ganze Diligence voll Menſchen an⸗ zugreifen und auszuplündern.
Uebrigens war heute der 6. Januar und irgend ein hoher Feſttag, was eine Menge von Menſchen auf die belebte Straße gebracht. Wir begegneten ganzen Zügen wie kleinen Karawanen, und das mag auch vielleicht die Urſache geweſen fein, daß wir die Gebirgshöhe, die Cuernavaca von Mexiko trennt, ungefährdet oder doch wenig⸗ ſtens unbeläſtigt erreichten.
Die Scenerie war hier, ſo lange wir uns in dem Thal von Mexiko hielten, wunderhübſch
und der Boden ringsumher bebaut. Anfangs
raſſelten wir allerdings an ein paar Ruinen aus dem Krieg vorüber — unter anderen an einer Schule oder Erziehungsanſtalt, die der Kaiſer noch gegründet, und die jetzt ſo gründlich
zerſtört war, wie das Gebäude ſelber. Aber die |
Spuren des Krieges verwiſchten ſich mehr und mehr; freundliche, belebte Dörfer, von grünen Feldern umgeben, zeigten ſich überall, während darüber hinaus die prachtvollen, ſchneebedeckten Vulkane noch immer ihren Gruß herüberwinkten.
Hier ſind auch wieder, mehr als an anderen Orten, Bäume angepflanzt, an denen es auf der Hochebene von Mexiko beſonders fehlt, und ein ganz
200 vortrefflich geeigneter Baum für dieſes Land ſcheinen die Eucalypten von Auſtralien, die man ja auch mit eben dem Erfolg ſchon in Indien, im Pendjab angepflanzt hat. Ich ſah in der Nähe der Hauptſtadt, auf einer bedeutenden Pulkeſtation, ganz prachtvolle Eucalypten, und ſchon wenigſtens 40—50 Fuß hoch, gezogen, und ſie trugen dabei ſowohl Blüthen als Samen. Mit einiger Pflege könnten ſie für das durch die Spanier faſt entholzte Land ein großer Segen werden.
Unſere Fahrt durch beſiedeltes Land dauerte aber kaum eine Stunde, dann ging es die ziem- lich kahlen Berge hinan, und rechts und links war nichts zu ſehen als rauhes Geſtein und niederes Buſchwerk, von dem man nur manch— mal, wenn man einen vorragenden Punkt er—
reichte, einen überraſchend ſchöͤnen Anblick nach dem Thal und ſeinen Seen zurück hatte.
Jetzt endlich wurde uns auch der abgeſchnitten, denn wir überſchritten die Höhe und fanden uns plötzlich in einem jener erbärmlichen Gebirgs— dörfer, das aber für uns mit einem beſondern Schrecken begabt war. Wir ſollten nämlich dort
zu Mittag eſſen oder frühſtücken, wie man es
gerade nennen will, und die niederen ſchmutzigen
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Häuſer ſahen wahrlich nicht jo aus, als ob fie irgend einen beſondern Genuß — trockene Tor— tillas vielleicht ausgenommen — verſprächen. Um ſo angenehmer wurden wir überraſcht, als wir ein Diner erhielten, wie ich es nicht ſo gut in den größten Diligence-Hötels zwiſchen Vera— Cruz und Mexiko gefunden. Allerdings lag kein Tiſchtuch auf, es gab weder Löffel noch Gabeln oder Meſſer, und das Salz ſtand in einer Cala⸗ baſſe zum allgemeinen Gebrauch auf dem Tiſch. Aber wir bekamen eine vortreffliche Suppe, reich— lich gebratenes Huhn, Reis und Kartoffeln, und nach dem Eſſen einen ſo guten Kaffee, wie ich ihn ſelbſt in Mexiko nicht beſſer getrunken — außerdem aber auch noch ganz vortreffliche Pulke, und hatten dafür nur einen ſehr mäßigen Preis zu zahlen — leider war es der letzte Lichtblick auf dem langen Weg! f
Dicht vor dem Hauſe ſaß eine Bande von Kerlen, die mir außerordentlich verdächtig vor— kamen, denn wenn es überhaupt Galgengeſichter auf der Welt giebt, ſo trugen ſie dieſe. Ich hörte aber, daß dies die Escorte ſei, die uns auf der nächſten Strecke begleiten ſollte, da die mei— ſten Ueberfälle bei den ſogenannten penuelos in einer wilden Waldgegend vorgekommen ſeien.
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Die Leute ſaßen aber ganz ruhig im Schatten und ſpielten Karten, und ſchienen ſich verwünſcht wenig um die Diligence oder deren Paſſagiere zu kümmern, denn ſelbſt als wir fertig gegeſſen hatten, machten ſie noch keine Miene aufzuſtehen, viel weniger denn ihre Thiere zu ſatteln. Sie ſchienen ihr Spiel noch nicht beendet zu haben und konnten uns deshalb alſo auch, ſo leid es ihnen vielleicht that, nicht begleiten.
Aber wir ſorgten uns wahrlich nicht deshalb; vielleicht war es ſogar beſſer ſo, als mit der nichtsnutzig genug ausſehenden Bande, denn gar nicht etwa ſo ſelten iſt es ſchon vorgekommen, daß gerade die Escorte ſelber die Diligence be— raubt hat und nachher ganz gemüthlich in die Berge hinein deſertirt iſt. — Wer will ſie da finden? Die Regierung wahrlich nicht.
So wurden unſere Pferde denn wieder vor- geſpannt, die Reiſenden ſtiegen ein, ich wieder auf den Bock, und jetzt zwar die Zündhütchen aufgeſetzt, ſo gefährlich eine ſolche Fahrt auch immer ſein mag, und fort ging es den Hang hinab und den tiefer liegenden Fichten- und Kieferwaldungen zu, wo die Herren von der Straße gewöhnlich ihre Schlupfwinkel hatten und mit einem wüſten Geſchrei hervorbrachen, um
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die Paſſagiere vor allen Dingen einzuſchüchtern und nachher um ſo ungefährdeter zu berauben.
Etwa eine gute halbe Stunde waren wir ſo gefahren, und der Kutſcher, der unerſchöpflich in Räubergeſchichten war, hatte mir ſchon ein paar wirklich allerliebſt geeignete Stellen gezeigt, wo man die Reiſenden überfallen und kleine Kreuze auch eine blutige That verkündeten, als wir wie— der eine Waldecke umfuhren. Plötzlich brachen oben aus den Büſchen heraus eine Anzahl be— waffneter Reiter, die von dort aus ſcharf nach der Straße hinabritten, wo ſie uns dann den Weg abſchneiden konnten. |
Waren das Straßenräuber? Unſer Kutſcher griff nach ſeiner Piſtole, und mit den Worten: „Einen bring' ich um!“ faßte er die Zügel ſeiner acht Thiere allein in die linke Hand zuſammen, während ich, den Daumen am rechten Hahn, den Zeigefinger am Bügel, nur auf ein verdächtiges Zeichen wartete. Die Leute dort drüben mußten aber unſere drohenden Vorbereitungen ebenfalls erkannt haben, denn Einer von ihnen winkte mit der Hand und rief: Escolte! Das hätte der Henker freilich errathen können; von uns wahrlich Nie— mand.
Mehr und mehr kamen dabei aus den Bü⸗
204 ſchen heraus, bis wir etwa ſiebzehn jo wild aus- ſehende Burſchen um uns hatten, wie ſie ſich ein Banditenmaler nur möglicher Weiſe wünſchen könnte. Ihre Pferde ſahen freilich ſchlecht aus, hielten ſich aber doch wacker auf den Füßen, und die Reiter, meiſt nur in Hemd und Hoſe, mit einem Stroh- oder Filzhut auf, trugen Re- volver und Degen — die Degen aber nicht an der Seite, ſondern nach echt mexikaniſcher Art unter dem linken Knie — und an der rechten Seite ein ledernes Futteral, in welchem ein kur— zer Carabiner hing, der beim Galoppiren gewal— tig hin⸗ und herſchaukelte.
Zuerſt traute ich den Burſchen auch wirklich nicht und blieb noch wenigſtens auf Alles vorbe— reitet; es war aber in der That die Escorte, die uns eine Strecke lang und durch die am meiſten gefährdeten Stellen begleitete; und jetzt hätte ich mir eigentlich gewünſcht, von einer Bande jener Straßenräuber angefallen zu werden — wir hät— ten tüchtig unter ihnen aufräumen wollen — aber ich habe nun einmal mit ſolchen Abenteuern kein Glück und ſollte alle dieſe mexikaniſchen Di- ſtricte, die der Hauptaufenthalt jener Banden ſind, ſo ruhig und ſicher paſſiren, als ob ich auf
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einer deutſchen Landſtraße führe. Wozu hatte ich mir nun einen Revolver angeſchafft?
Noch eine halbe Stunde Fahrt und vor uns öffneten ſich die Berge; der Weg ſenkte ſich ſcharf zu Thal und in all' dem Schmuck ihrer Vegeta— tion lag wieder die tierra caliente — das warme Land, das wunderſchöne Thal von Cuernavaca mit feinen Bananen» und Zuckerrohrfeldern — ein wohlthuender Anblick, wenn man eine ſo lange Strecke nichts geſehen hat als die troſtloſen Magehs und Cactuspflanzen der Hochebenen — zu unſeren Füßen.
Es ging jetzt in der That ſcharf bergunter, und der Kutſcher hemmte auch wohl ein wenig ein, die acht Thiere liefen aber doch ſo raſch ſie laufen konnten und der Wagen machte manchmal Sätze, daß ich glaubte, er müſſe in Stücke bre⸗ chen. Aber es ging; er hielt aus, ſtieß aber ſo furchtbar, daß ich nur mit Mühe meine Zünd— hütchen wieder abbekommen konnte, denn es fing an, da oben gefährlich zu werden.
Jetzt raſſelten wir durch ein Dorf; aus allen Häuſern ſprangen die halbverhungerten Hunde vor und kläfften gegen die Pferde an. Der Kutſcher lachte — er war guter Laune, daß wir nicht angefallen worden waren, nahm ſeine alte
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Piſtole und feuerte ſie, mitten im Dorf, auf
| | einen der anſchlagenden Kläffer ab. Natürlich
traf er ihn nicht und die Kugel mochte an dem harten Boden oder irgend einem Steine mög— licher Weiſe abgeſchlagen und nach irgend einer Richtung hinausgefahren ſein, wo ſie durch die dünnen Wände hin auch recht gut eine Frau oder ein Kind beſchädigen konnte. Hoffentlich iſt kein Unglück geſchehen, aber wir fuhren auch zu raſch hindurch, um es noch zu erfahren, und dort unten lag jetzt das kleine Städtchen Cuernavaca, von ſeinen ſchattigen Hainen umſchloſſen, und nicht lange, ſo klapperten wir über das troſtloſe Pflaſter vor das unvermeidliche Hötel de las Diligencias.
Cuernavaca liegt wirklich wunderbar ſchön, und es iſt leicht erklärlich, daß es die Kaiſerin Charlotte zu ihrem Lieblings-Aufenthalt wählte und einen reizenden Fruchtgarten mit einem Wald von Mangos dort anlegen ließ — dann kam der Abzug der Franzoſen — die kaiſerlichen Truppen fielen auf die Hauptſtadt zurück, und ihnen auf dem Fuß folgte das wilde Chor der Guerrero-Schwärme unter Ximenes und anderen Führern, die das kaiſerliche Schloß denn auch
gründlich ausplünderten und verwüſteten. Aus
den Schiebladen der Mahagoni-Commoden füt⸗ terten die Soldaten ihre Pferde, und die Ma- tratzen zerrten ſie auf den Hof und machten ſich darauf ihr Lager.
Cuernavaca blühte unter der Regierung des Kaiſers auf, und die Kaiſerin ſelber, die überall, wo ſie nur irgend konnte, den Armen half, hat hier viel Gutes gethan und ihr Andenken wird treu genug bewahrt — aber die Zeit iſt vorüber, der Platz ſinkt wieder in ſeine alte Vergeſſenheit zurück, und bald werden die von dem Kaiſer ſelber gepflanzten Fruchtbäume und Palmen das einzige Zeichen ſein, was hier von ihm zurüdges blieben — armer Kaiſer!
Cuernavaca iſt übrigens darauf eingerichtet, um Reiſende zu Maulthier nach verſchiedenen Theilen des Landes zu befördern. Es giebt hier eine Anzahl von Arrieros, die ſich mit weiter nichts beſchäftigen, und man bekommt außerdem zuverläſſige Leute zu Führern.
Von Cuernavaca ſelber iſt wenig zu jagen, Es iſt klein und ärmlich, liegt aber in einer be— günſtigten Zone und treibt beſonders einen ſehr bedeutenden Fruchthandel nach dem kälteren Me⸗ riko. Es iſt dabei erſtaunlich, welche Laſten die Indianer tragen und auf wie lange Strecken;
208 aber mit einem Packen auf dem Rücken, den man kaum einem Maulthier aufladen möchte, trollen ſie in einem kurzen Hundetrabe die heiße Landſtraße dahin und leben dazu von trockenen Tortillas und warmem Waſſer.
Ueberhaupt iſt der gewöhnliche Mexikaner, wenn anſcheinend auch gar nicht ſehr kräftig ge— baut, doch manchmal im Stande Laſten zu tra- gen, mit denen ſich bei uns in Deutſchland Leute würden für Geld ſehen laſſen. So wurden mir in Vera⸗Cruz in den dortigen Handlungshäu— ſern einzelne Männer gezeigt, die wirklich Un— glaubliches leiſteten und im Stande waren, zwanzig Arobas, alſo fünf Centner, in Form einer Kiſte aus dem Hof hinaus und bis in die Straße auf den Wagen zu tragen. Mit zwölf Arobas — alſo drei Centner — gingen ſie bis an die Bootlandung hinunter — eine Strecke von wenigſtens 6—700 Schritt.
Der Paſeo von Cuernavaca iſt ſehr beſchei— dener Art, etwa von der Größe des Pferdebades bei Puebla und ebenſo von einer weißen niede— ren Mauer eingefaßt, nur rund und ohne Waſ— ſer, und darin gehen die Bewohner des kleinen Städtchens ſpazieren, Jbis fie ſchwindlig werden
und ſich dann auf die rund herumlaufende Bank 9 ſetzen. Nachher gehen ſie anders herum. 5 Der Markt iſt ſehr ärmlich, der Fruchtmarkt
ausgenommen; aber es giebt Kaffeeſtände und
Quincailleriehändler mit Hemdknöpfchen, Hoſen ?
trägern, Glaskorallen, Zwirn und anderen Herr⸗ Be lichkeiten; der eigentliche Handel ſelber tjt aber 15 durchaus in den Händen ſpaniſcher Kaufleute,
die überhaupt, beſonders nach dem Weſten hin ein, verzweigt find. Wie zahlreich ſie ſich aber gerade in Cuernavaca vorfinden, bewies mir ein kleines, im Hofe des Hötels aufgeſchlagenes Thea
ter, in dem leider augenblicklich nicht geſpielt 1
wurde und wo man die Seitenwände mit vier mexikaniſchen und zwei ſpaniſchen Flaggen-Deco⸗ rationen geziert hatte. 8
Deutſche giebt es in Cuernavaca gar nicht 8 — nicht einmal einen deutſchen Hutmacher, der 5 f ſonſt eigentlich in keiner ſüdamerikaniſchen Stadt
fehlte. Selbſt aus der Begleitung des Kaiſers iſt kein einziger hier zurückgeblieben.
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 14
3
=
*
durch die vereinigten Staaten, Moriko, Ecnador
wieſtindien und venezuela
von
5 8 Zweiter Band: es } Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien. 5 9 ;
(Zweiter Theil.)
Die ueberſetzung wird vorbehalten.
Jene 7 = Hermann Eofenoble RE 18 68. ae
Von Cuernavaca nach Acapulco.
Von Cuernavaca aus hatte ich noch eine
ſehr berühmte Höhle beſuchen wollen, aber fälſch⸗
licher Weiſe hörte ich, daß ich dann den am 14. unfehlbar eintreffenden Dampfer verſäumen würde und elf Tage in Acapulco zu liegen hätte.
Außerdem konnte ich gerade jetzt einen beſſern 5
Contract mit einem Arriero machen, der zwei
Reiſende zu befördern hatte, und da entſchloß ich 5
mich denn kurz, den geraden Weg zur Küfte ein⸗
g zuſchlagen.
Meine beiden Begleiter möchte ich aber 500 5
mit ein paar kurzen Worten bei dem Leſer ein- führen, denn es waren ein paar wunderliche
Geſtalten, die ſich auch erſt ſpäter weiter ente wickelten.
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Der Eine von ihnen — wenn ich jo jagen mag die „vornehmere“ Perſönlichkeit, denn vor- nehm ſahen ſie alle Beide nicht aus — war ein kleines, gedrungenes und ſehr gelenkes Männ- chen, ein Spanier — mit außerordentlich ſorg— fältig gekräuſelten Haaren — was ich aber auch an ſeinem Begleiter bemerkte, und wahrhaft frauenhaft weißen und kleinen, nur etwas ſchmutzigen Händen, als ob er ſie ſich an dem Morgen nicht gewaſchen hätte. Er trug eine kurze blaue Tuchjacke, wie ſie überall beim Reiten in Mexiko, und oft dabei ſehr reich verziert, getragen wird, ſehr enge Hoſen und die zierlichſten Stiefel, die ich in meinem ganzen Leben geſehen habe. Dabei führte er einen kleinen Revolver, aber ohne Gurt und nur mit einem weißen, an den Enden rothgeſtickten Taſchentuch um den Leib gebunden, ſo daß ich nicht recht einſah, wie er, da er das Tuch durch den Bügel gezogen, die Waffe zum raſchen Gebrauch bei der Hand haben wolle. — Uebrigens verſprach ich mir kein be— ſonderes Reſultat von ſeiner Hilfe, wenn wir uns ja noch hätten gegen irgend Jemand verthei— digen müſſen.
Auf dem Kopf hatte er einen jener grauen mexikaniſchen Filzhüte mit einem faſt fußbreiten
| 7 * N *
215
Rand, wie ſie ſchon das Glück manches Hut⸗ machers begründet haben. Dieſer Rand war auch unten mit Silber geſtickt, und ſo ein Hut koſtete in der Hauptſtadt von 20 bis 25 Dollars. Ich ſelber möchte ihn aber nicht geſchenkt haben, denn ſie ſind entſetzlich ſchwer und durch den breiten und vollkommen ſteifen Rand höchſt un⸗ bequem — aber es iſt freilich Nationaltracht. Der Mann mochte etwa 44 Jahre zählen und hieß Don Pedro Gaspard.
Sein Begleiter war kaum 30 Jahre alt, mit etwas blaſſer Geſichtsfarbe und auffallend weißen und auch reinen Händen. Er trug einen leichten blauen Rock, an den Aermeln ein klein wenig kurz, groß carrirte enge Beinkleider ohne Strippen, ziemlich derbe Stiefel und etwas gebrauchtes Unterzeug — was man recht gut ſehen konnte, da ihm beim Reiten die Hoſen gleich Morgens heraufrutſchten und dann über Tag ſo blieben. Als Waffe führte er einen Stockdegen, den er zugleich als Reitgerte für ſein Maulthier ge— brauchte.
Er ſchien ſehr gutmüthiger Natur und war immer fidel, während der kleine Mann mit dem großen Hut einen mehr ernſten Charakter zu haben ſchien. Er ſprach wenigſtens den erſten
IE A a ER ee / Aa ey
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Tag faſt kein Wort und kam mir überhaupt ein
wenig nervös vor.
Dieſe Beiden — oder nur der Kleine, ich wußte es nicht — führten einen Diener bei ſich, einen Burſchen aus der Gegend von Jalapa, aber einen ſo ungeſchickten Tölpel, wie ich ihn nur je in meinem Leben geſehen habe. Er ſaß ſtets auf ſeinem Pferde, als ob er ſchief aufge— klebt geweſen wäre, und verlor im Lauf der Reiſe Alles, was ihm nicht unverlierbar feſt am
Körper ſaß. Er trug ebenfalls einen großen, aber natürlich ordinären, mexikaniſchen Hut und eine Serape, auf welcher er der Hitze wegen ritt, und die denn auch richtig eines ſchönen Tages, da er noch dazu immer zurückblieb, unter ihm wegrutſchte und verloren ging.
Das war meine Begleitung, dazu zwei Arrieros
. mit zwei Packthieren, alſo im Ganzen acht Maul⸗ tthiere — damit brachen wir am 7. Januar endlich
auf und ſchlugen dabei einen ziemlich ſüdlichen Cours, mit nur wenig Weſt, ein.
Der Ritt von Cuernavaca aus war ziemlich heiß, denn mit allen nöthigen Vorbereitungen hatten wir nicht ſo früh, als ich es wohl ge— wünſcht, aufbrechen können — aber es konnte nichts helfen. Aus den Cocospalmen, Bananen
hainen und ſchattigen Gärten der Stadt hinaus ritten wir in das offene Land hinein, und die Sonne brannte dazu aus allen Kräften nieder, während die Gegend, je weiter wir die Stadt verließen, mehr und mehr wild und verödet ſchien. Anfangs paſſirten wir allerdings noch einige Hacienden und große Zuckerrohrfelder, dann hörten dieſe auf. Nur in der Nähe der Berg— quellen zeigte ſich noch lebende Vegetation, weiter hinan an den Hängen war nichts als gelbliches Gras und eine Art Mageh mit Cactuspflanzen zu ſehen, und als wir Mittags ein kleines Dorf erreichten, konnte es kaum 'was Traurigeres auf der Welt geben, als dieſes Neſt.
Das Dorf ſelber beſtand nur aus offenen
Rohrhütten, die Wände nicht ſelten aus Neifig
hergeſtellt, die einzelnen Bauſtellen mit den langen, ſtangenartigen Cactus eingefriedigt und nur in Ausnahmefällen einen Fruchtbaum zei— gend. Am Wege ſelber ſtanden einige kleine, ärmliche Kabachen, in denen, dem Namen nach, Lebensmittel zum Verkauf gehalten wurden, in Wirklichkeit gab es aber nichts als ein paar grüne Platanos und einige Eier, aus denen ſich die Reiſenden ein Mahl herſtellen konnten.
218 Eein paar Orangen war das Einzige, das uns noch etwas Labſal gab.
Dann gings weiter, bis wir mitten in einer ſcheinbaren Wüſte und außer Sicht jeder menſch— lichen Wohnung ein paar Indianer, Mann und Frau, an der Straße ſitzend fanden, die im Schatten eines einzeln ſtehenden Baumes einen großen irdenen Krug und oben darauf ein mit einer gelben Flüſſigkeit gefülltes Glas ſtehen hatten, zum Zeichen, daß dort irgend ein Getränk feilgeboten werde.
Ich hielt natürlich an und fragte, was das Glas enthalte, es war Tamarindenwaſſer oder kalter Tamarindenthee, ein geſundes und er— friſchendes Getränk, und wir leerten Jeder ein Glas. Auf große Kundſchaft konnten die armen Teufel aber kaum an dieſem einſamen Platz rechnen, denn wir begegneten auf unſerem gan— zen Weg an dem Tage nicht einem einzigen
Menſchen, außer früh am Morgen einer kleinen Karawane von Karren. Trotzdem lagerten ſie hier an dem heißen Platz mit unerſchütterlicher Ge— duld und jedenfalls dem Bewußtſein, daß ſie indeſſen daheim doch nichts verſäumten.
Die Nacht verbrachten wir in einer elenden Poſada in einem kleinen Städtchen, wo wir aber
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doch wenigſtens ein paar Waſſermelonen und eine gute Suppe bekamen, und brachen dann wieder früh zu neuem Marſche, und einer hohen Hügelkette entgegen, auf.
Wir befanden uns hier an der Grenze des
bis jetzt eigentlich unabhängig gebliebenen Staates Guerrero, der ſich augenblicklich allerdings in offe—
nem Bürgerkriege befand, aber jedenfalls den
Ruhm und mit vollem Recht beanſprucht, daß er in ſeinen Grenzen nie Räubergeſindel geduldet hat, und man ihn ſogar jetzt — ein wohlthätiges Gefühl gegen die ewige Unſicherheit im eigent— lichen Staate Mexiko — mit voller Sicherheit durchſtreifen kann.
Die politiſchen Zuſtände in dieſem Staate ſind eigenthümlicher Art, ſtehen aber in Mexiko ſelber nicht vereinzelt. Seit der Kazikenzeit hatte ſich nämlich die Familie Alvarez hier als Ober— haupt, das ſich aus Gefälligkeit gegen den Prä— ſidenten der Republik „Gouverneur“ nannte, gehalten, und als der Vater des jetzigen Gou— verneurs Alvarez zu alt wurde, übergab er ſeinem Sohne, wobei eine Art Wahl im Lande abgehalten wurde, ſein Amt, das dieſer auch
unangefochten verwaltete, bis der Vater ſtarb.
Jetzt auf einmal trat ein anderer General,
ET N Er ER ZEN EN eig 855
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100 Namens Timenes, auf, ließ ſich von ſeinen An— phängern wählen und ſetzte ſich im Oſten des 5 Reiches feſt. Alvarez dagegen rief ſeine Mannen 0 zuſammen und hielt den Weſten, und wie wir pbhurten, jo ſollten ſich die beiden feindlichen Par— teien jetzt völlig gerüſtet gegenüberſtehen. Das ſchadete aber gar nichts, denn wir brauchten nicht zu fürchten, dadurch in unſerer Reiſe aufgehal— ten zu werden. Frachttransporte ließ man aller— dings nicht paſſiren, und Bewohner von Guerrero ſelber möchten auf einer Tour wohl ebenfalls Schwierigkeiten gefunden haben, aber Fremde machten davon eine Ausnahme und man ver— langte von ihnen nur einen Paß.
Sonderbarer Weiſe miſchte ſich die mexika— niſche Regierung gar nicht in die inneren Strei— tigkeiten eines ihrer Staaten, ſondern ließ es ganz ruhig die verſchiedenen Parteien unter ſich
ausfechten. Schoſſen ſie einander todt, ſo war das ihre Sache, nicht die der Regierung, die mehr zu thun hatte, als ſich um eine ſolche Ba— gatelle zu bekümmern.
Den zweiten Abend übernachteten wir wieder in einem kleinen Dorf in ziemlich Armlicher Weiſe: ein paar junge Mädchen beſorgten die Wirthſchaft, und ich hörte, daß die Frau vom
Haufe krank ſei. Ich hatte mich auch nicht er⸗ =
kundigt was ihr fehle, bis ich nach dem Eſſen Er
ein leiſes Wimmern hörte und dann Jah, daß | 85 die ganze Familie um ein halb im Freien bee findliches Bett herumſtand. Jetzt ging ich dort
ebenfalls hin und hörte, die Frau ſei an dem 9 Nachmittag von einem Scorpion geſtochen worden
und leide, wenn auch die Wunde nicht gefährlich war, doch entſetzliche Schmerzen. |
Da ich meine kleine Medicintafche, wie immer, bei mir führte, jo beſchloß ich, einen Verſuch mit
Chloroform zu machen, und holte das kleine
Fläſchchen herbei, wobei ſich augenblicklich alle
im Hof Befindlichen herzudrängten, um die Wir— 5
kung zu beobachten. Da aber der geſchwollene 5
Fuß der Alten nicht beſonders appetitlich ausſah, 5 jo wandte ich mich an eine der Töchter, goß ihr
von dem Chloroform in die Hand und hieß ſie 0 die Wunde und die benachbarten Theile damit
einreiben. Die Wirkung war zauberſchnell: das 5 Chloroform konnte kaum getrocknet fein, als ſich
die Frau plotzlich von ihrem Lager emporrichtete und erſtaunt umherſchaute. „Iſt es beſſer?“ fragte ſie die Tochter. „Ich habe keine Schmerzen mehr — wo ſind bi ſie hin?“ erwiderte die Frau, und in demſelben
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1 0 Moment fing auch die ganze Familie und alle
Umſtehenden ſo laut und entſetzlich an zu lachen, daß ich mich ganz erſtaunt nach ihnen umdrehte. Es konnte wohl kaum etwas Komiſcheres geben als dieſen Augenblick.
Uebrigens muß ich hinzuſetzen, daß das Chloro— form nur auf eine beſtimmte Zeit wirkte, dann kamen die Schmerzen wieder, waren aber doch nach der dritten Einreibung ſo gemildert, daß | die Frau die Nacht ſchlafen konnte.
| Am nächſten Tag paffirten wir eine reizende Lagune, die in einem fruchtbaren, mit Maisfeldern gefüllten Thale lag. Ueberhaupt ſchienen die Be⸗ wohner hier weit thätiger zu ſein, als in den öſtlicher gelegenen Staaten. Am Nachmittag, nachdem wir einen ſteilen Hang hinabklettern mußten und wieder in wärmeres Land kamen, lagerten wir die heiße Tageszeit hindurch an. dem faſt trockenen Bett eines ziemlich breiten Fluſſes, deſſen Größe in der Regenzeit ſich aber nur aus den zu Thal gewälzten Kieſeln erkennen ließ — und dort auf ſeinem Pancho ausgeſtreckt, einen Becher Thee vor ſich und eine Papiereigarre im Mund — öffnete mir Don Pedro, nachdem er lange und ſchweigend vor ſich niedergeſtarrt,
15 fein Herz.
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Er war der Hoffriſeur der Kaiſerin Charlotte geweſen, für die er ſchwärmte — er konnte ſie nie vergeſſen — er hatte auch die Lieferungen für alle zum Hofdienſt gehörigen Toilette-Gegen⸗ ſtände gehabt und ſeinen eigenen Bedarf dabei frei eingebracht — die Kaiſerin hatte ihm das größte Vertrauen geſchenkt — ihn ſogar in ein⸗ zelnen Fällen zu ihrem Almoſenier gemacht. — Er hatte alle vornehmen Familien in Mexiko friſirt und dabei die ſchönſte Frau des Landes, ein wahres Bild, geheirathet. Den Kaiſer hatten ſie aber gemordet und den ganzen Hofſtaat weggejagt. Lieferungen gab es natürlich gar nicht mehr, und ſeine Frau war ihm mit einem vornehmen Herrn untreu geworden. Er hätte ihn auch umgebracht, aber er war mit bei der jetzigen Regierung — es ging nicht.
Und wie haßte er die Franzoſen! Ich muß aufrichtig geſtehen, ich glaube, es war ein wenig Brotneid dahinter, aber er haßte die ganze Nation, und wie er angab nur aus dem Grunde, daß ſie ſich hier in Mexiko ſo nichtswürdig benommen hätten. Auf den Marſchall Bazaine ſchimpfte er dabei am meiſten, ſtimmte aber darin allerdings nur mit allen denen überein, mit denen ich in ganz Mexiko über den Herrn geſprochen. Daß
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ich ein Deutſcher war, ſöhnte ihn, wie er mir verſicherte, vollſtändig mit mir aus, denn er be- hauptete, mich Anfangs für einen Franzoſen ge-
halten zu haben.
Auch ſein Begleiter verrieth ſich, während wir dort lagen, indem er, in Vergeſſenheit ſeiner ſelbſt, ein paar Lanzetten herausnahm und be= trachtete, ob ſie nicht vielleicht roſtig geworden wären.
Es war der Barbier — daher auch die ſchnee— weißen Hände — der ganze Laden mußte aus— geriſſen ſein und hatte die „Meiſterin“ zurück- gelaſſen.
Der Friſeur wurde wirklich ſentimental — er ſprach bald von Todtſchießen, bald von ſeinem Haus und Grundſtück, was er zurückgelaſſen hätte, und daß er jetzt nach Californien oder Panama gehen wolle — es ſei ihm vollkommen gleich. Der erſte Dampfer, der in Acapulco ans legte, ſollte ihn mit fortnehmen aus dieſem Lande des Fluchs und der Verdammniß, wo es nichts als Schurken und Räuber gäbe.
Die Unterhaltung wurde in Spaniſch geführt und der Burſche des Friſeurs, ebenfalls ein Mexikaner — der aber an dem Geſchäft ſeines Herrn unſchuldig war, denn er hatte Fäuſte wie
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ein Miſtkärrner — und eben jo ſchmutzig — lag daneben, hörte das Alles mit an, was über jeine Landsleute gejagt wurde, und ſchien ſich vortreff— lich zu amüſiren.
Als wir etwa um drei Uhr Nachmittags wieder aufbrachen, erreichten wir noch vor Abend eine Zuckerſiederei, wo wir bis zum nächſten Morgen zu raſten beſchloſſen.
Die Zuckerpreſſe hier war freilich in roheſter und primitivſter Weiſe aus ein Paar knarrenden und von Ochſen in Bewegung geſetzten Walzen hergeſtellt, und es wurde dort auch nur der ganz rohe Zucker, ſogenannter Rapadura, in Venezuela papelon genannt, fabricirt; doch die Leute zeigten wenigſtens, daß ſie etwas ſchaffen wollten, und ſchienen ſich auf ihrer Hacienda auch ziemlich wohl zu befinden.
Dicht daneben ſtürzte ſich ein murmelnder Bergbach mit einem kleinen Waſſerfall vorüber, und ich nahm dort, ohne meine Reiſegefährten zu einem Gleichen bewegen zu können, ein herr liches Bad.
Am nächſten Morgen brachen wir wieder mit vollem Mondſchein ſchon um zwei Uhr auf und tauchten hier eigentlich zum erſten Male in das
wirklich pittoreske Gebirgsland von Guerrero ein, Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19
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denn unmittelbar vom Hauſe ab führte der enge
Pfad ſchon eine fteile Schlucht hinab, in der
wir an der andern Seite wieder hinaufklettern mußten, nur um einer neuen zu begegnen.
Es kann in der That kaum in der ganzen Welt eine wildere, romantiſchere Scenerie geben, als dieſe zerriſſenen und dichtbewaldeten Schluch— ten und Hänge Guerreros, von Waldbächen dabei durchrauſcht und in dem Zauber einer hellklaren Mondſcheinnacht. Für die Maulthiere war es allerdings ein beſchwerlicher und böſer Weg, denn ſelbſt die niederführenden Hänge fielen ſo ſteil ab, daß ſie ſich dabei nicht ruhen konnten; aber die Nacht war wenigſtens friſch und kühl und der Anblick der wilden Höhen ſo entzückend, daß ich oft eine Strecke an irgend einer offenen Waldblöße zurückblieb, um mich dem vollen Ge— nuſſe dieſes Anblicks hinzugeben.
Es mochte ungefähr halb vier Uhr Morgens ſein, und an Tagesdämmerung war in dieſen Breiten noch nicht zu denken. Unſere Thiere kletterten eben wieder einen ſteilen Hang hinab und unten rieſelte ein Bach durch den dunklen Grund, in den der Mond nur einzelne Streiflichter hinein— werfen konnte. Vor mir hatte ich Stimmen ge— hört, aber nicht darauf geachtet; ich rauchte meine
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kleine Pfeife und ließ meinem Maulthier ruhig
den Zügel, daß es ſeinen Weg eben nach Be— quemlichkeit fortſetzen konnte. Da plötzlich, gerade an der tiefſten Stelle des Thales, unmittelbar am Waſſer, das rauſchend zwiſchen den Granit⸗ felſen hindurchſprudelte, ſah ich etwa acht oder zehn dunkle Geſtalten am Weg ſtehen, und ein- zelne Mondſtrahlen, die auf blitzende Gewehrläufe fielen, verriethen, daß ſie auch bewaffnet ſeien. Wer ſie wären, davon hatte ich allerdings keine Ahnung und auch in der That keine Zeit zum Ueberlegen; der erſte Griff war nur nach dem Revolver, und den erſt in der linken Hand, ſetzte ich ſo raſch als möglich Zündhütchen auf mein Gewehr und wunderte mich während derſelben Zeit nur, daß es auf der andern Seite noch nicht geknallt hatte. Die Leute blieben aber ruhig, Gewehr bei Fuß, ſtehen, und als ich jetzt, die Büchſe ſchußfertig auf dem Sattelknopf, an ſie heranritt, riefen ſie mir ein freundliches Buenas noches entgegen und — baten um ein paar Cigarren.
Ich hatte in dem erſten Moment wirklich gar
nicht an die augenblicklichen Kriegsunruhen im
Staate Guerrero, ſondern immer nur an das
kaum verlaſſene Räuberweſen Mexikos gedacht,
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228 und natürlich konnte mich die Frage nach Ci— garren nicht gleich beruhigen, denn das beſonders iſt bei Straßenräubern eine oft gebrauchte Liſt. Aber ich konnte mir auch nicht gut verhehlen, daß die Leute, wenn ſie feindlich geſinnt geweſen wären, mir wohl kaum ſo lange Zeit gelaſſen hätten — es waren jedenfalls Soldaten, irgend ein Vorpoſten der einen oder andern Partei, hier in dem engen Felſenpaß aufgeſtellt, um die Straße zu überwachen, und ſo ſtellte es ſich auch zuletzt heraus. Es war der erſte Vorpoſten von Ximenes’ Armee, der entweder einen Einfall der Alvarez-Truppen verhindern, oder doch durch ſeine Boten rechtzeitig den Freunden Kunde geben und ſie warnen konnte. Die Burſchen waren dabei ſo gemüthlich als möglich, und als ich ihnen eine Handvoll Cigarren gab, dankten ſie auf das freundlichſte.
Eine eigenthümliche Wirkung übte dieſes Be— gegnen aber auf den Hoffriſeur aus, der bis dahin immer verſucht hatte, voranzureiten, wäh— rend ſich ſein Mozo oder Burſche dicht hinter ihm halten mußte. Ihm ſchien doch der Schrecken etwas in die Glieder geſchlagen zu ſein, denn von dem Moment an ließ er ſeinen Burſchen
vorausreiten und hielt ſich überhaupt jo viel als möglich zurück.
An dem Abend erreichten wir, nach einem ziemlich langen und mühſeligen Ritt, den Mescal⸗ Fluß, einen großen, ſchönen Strom, der auch in ziemlicher Länge den ganzen Guerrero-Staat durchfließt.
Bis zu dieſem Strom waren die Franzoſen 7 8
damals gedrungen, während ſie die Küſte des Stillen Meeres ſchon in Beſitz hatten, ſahen ſich aber nicht im Stand ihn zu kreuzen, denn er wurde von den Mexikanern ſcharf bewacht, ſo daß ſie wieder nach Mexiko zurückkehren mußten.
Bis dahin hatten wir alle Waſſer, die wir auf unſerem Weg getroffen, mit Sicherheit durch— waten können; hier ging es nicht, denn der Mescal war tief und reißend, und ich ſollte hier zum erſten Mal eine neue Beförderungsart antreffen.
Die Weiſe, wie das geſchah, ſahen wir gleich
praktiſch ausgeführt, ſobald wir nur das Ufer erreichten, denn ein Indianer mit ſeiner Frau hatte ſich eben mit dem nöthigen Reiſegepäck auf einer winzigen Balſa — einem Floß — einge- ſchifft, während ein Pinto-Indianer in Schwimm- tracht gerade bemüht war, den Eſel vom Ufer herunterzuzerren, um ihn dann, als er ihn glück—
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un,
lich in's Waſſer gebracht, mit dem Kopf auf
das Floß zu legen, ſo daß er die Beine nicht
ebenfalls hinaufbringen konnte.
Merkwürdig war das Floß ſelber, denn es beſtand nur aus etwa 100 Stück zuſammen⸗ befeſtigten großen Calabaſſen oder Flaſchenkür⸗ biſſen, die kaum mehr als etwa 6 Fuß im Qua⸗ drat einnahmen, aber natürlich außerordentliche Tragfähigkeit beſaßen. Der Indianer ſchwamm dann, das Floß mit der rechten Hand haltend, nebenher und trieb es dadurch zum andern Ufer hinüber, während der Eſel, in ſeinen vergeblichen Bemühungen an Bord zu kommen, nur aus beſten Kräften dazu mithalf, indem er mit dem Halſe nachſchob.
Drüben am Land half der Indianer ſeinen beiden Paſſagieren heraus — der Eſel war ſchon an's Ufer geſtolpert, da er noch immer in Ge— danken ſchob — dann, wie der Mann das Ges
päck ebenfalls ausgeladen, trat er wieder zum Floß, packte es mit beiden Fäuſten und hob es ſich — anſcheinend mit gar keiner ſehr großen Mühe, auf die Schultern. Mit ſeiner Laſt wanderte er jetzt am Ufer hinauf, bis er eine Stelle oberhalb erreichte, von der aus er, trotz
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der ſtarken Strömung, leicht zu uns herüberhalten konnte, und nun kamen wir an die Reihe.
Die Maulthiere mußten natürlich ſelber hin⸗ überſchwimmen; als erſte Ladung nahm er nach⸗ her das Sattelzeug und den Arriero, daß der drü— ben die Maulthiere wieder auffangen konnte, bei der zweiten die Bagage, und zuletzt immer zwei und zwei von uns, während ich, drüben ange⸗ kommen, ein wahrhaft prachtvolles Bad nahm.
Die Barbierſtube ging aber wieder nicht in's Waſſer. 5
An unſerem Fährmann hatte ich übrigens zum erſten Mal Gelegenheit, einen Pinto in all' feinem Glanz zu ſehen, denn der Burſche war vollſtändig nackt, hatte auf dem dunkelbraunen Teint eine Maſſe indigoblauer Punkte oder Flecken und ebenſolche, aber ſchneeweiße, oben auf der Hand.
Die Urſache dieſer Flecken darf aber nicht etwa in einer Verzierung geſucht werden, wie ſich zum Beiſpiel die nordamerikaniſchen India⸗ ner die Geſichter gelb oder blau malen. — Die Pintos denken gar nicht an etwas Derartiges, ſondern die Natur beſorgt ihnen das, und zwar in höchſt unangenehmer Weiſe durch eine Art von Hautkrankheit, die, ähnlich der Leproſy, bis
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jetzt wenigſtens unheilbar iſt und dazu bei nä⸗ herer Berührung auch ſogar anſteckend ſein ſoll. Die Leute ſelber ſind von Natur kupferbraun, und die am häufigſten vorkommenden Flecken blau und weiß und zeigen ſich hauptſächlich an der Bruſt und an den Händen. Beſonders efel- haft ſehen die weißen Flecken an den Rändern aus. Ich habe Frauen mit völlig ſchneeweißen Händen geſehen, während am Gelenk eine Art blauer Wulſt ſie einfaßt. Andere haben nur zur Hälfte dieſe Farbe und den oberen Theil der Hand dann blau und weiß punktirt.
Die Bruſt der Männer iſt faſt bei allen blau geſprenkelt, als ob man einen Pinſel mit blauer Farbe darauf ausgeſpritzt hätte, und hie und da ſollen auch Einzelne weiße Flecken über den ganzen Körper haben — von dieſen kam mir aber Keiner zu Geſicht. b
Die Urſache dieſer fatalen Krankheit ſcheint noch nicht ergründet zu ſein, wie man ja auch
noch keinenfalls mit Genauigkeit weiß, woher
die Leproſy ſelber oder auch die Elephantiaſis rührt. Deshalb iſt auch bei allen dieſen noch keine Heilung möglich. Entſetzlich widerlich wird Einem aber der Anblick, wenn man gezwungen ſein ſoll, Lebensmittel zu eſſen, die von ſolchen
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Händen zubereitet wurden. Mir drehte es we- nigſtens immer den Magen um, wenn ich ſie den Teig zu ihren Tortillas zurecht kneten ſah, und ich wäre nicht im Stande geweſen, auch nur einen einzigen Biſſen davon anzurühren. Kör⸗ perlich ſcheinen dieſe Menſchen aber nicht das mindeſte Unbehagen zu ſpüren; ſie ſind geſund, und nur die ekelhaften Flecken wachſen über ihre Körper, je älter ſie werden, und erben ſich dabei gewiſſenhaft von Familie zu Familie fort.
Die Pintos beginnen eigentlich erſt vom Mes- cal⸗Fluß, obgleich ſie auch vorher ſchon einzeln vorkommen; von da aber bevölkern ſie Alles, und wenn ſie auch nach der Meeresküſte zu be- deutend abnehmen, ſo findet man doch noch zahl— reiche Exemplare von ihnen ſelbſt in der Hafen: ſtadt Acapulco, wohin ſie mit verſchiedenen Pro— ducten zu Markte kommen.
Der Fluß ſelber hat jedenfalls ſeinen Namen von einer an ſeinen Ufern häufig wachſenden Pflanze, einer Art von Aloe oder Mageh, aus der ein beſonderer, nicht unangenehm ſchmecken— der Branntwein, „Mescal“ genannt, gewonnen wird.
Dieſe Nacht blieben wir in einer richtigen Pinto⸗Colonie; ich ließ mir aber zur Vorſorge
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ein Huhn abkochen, deſſen Zubereitung ich felber, und äußerſt vorſichtig, überwachte, dann machte ich mir ein paar Becher Chocolade, ging an dem Abende aus und erlegte noch einen jungen Hirſch, und hielt nun, da ich faſt nie Brot eſſe, eine ganz gute Mahlzeit.
In dieſer Nacht, im herrlichſten Mondſchein, brachen wir wieder etwa um halb zwei Uhr auf und hatten einen böſen, langen Ritt in einem kein Ende nehmenden trockenen Flußbett, das uns höher und höher in die Berge hinaufführte. Es war eine wilde, troſtloſe Waldlandſchaft, die nur ſprudeln-⸗ des Waſſer hätte beleben können. So verödete ſie der weiße, blendende Sand, in dem die armen Maulthiere oft bis an die Feſſeln einſanken, und ich war nicht böſe darüber, als wir ziemlich früh Halt machten, denn ich fühlte, wie müde unſere Thiere geworden waren.
Hier erreichten wir vortreffliches Jagdterrain, wenigſtens für Hirſche, von denen ich aber nur den kleinen virginiſchen Hirſch mit langem We— del und vorgebogenem Geweih antraf. Es ſind dieſelben, die man überall in den Vereinigten Staaten findet, nur mit womöglich noch gerin— gerem Geweih. Man trifft ſehr ſelten einen alten Hirſch, der gut aufgeſetzt hat.
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Von hier brachen wir um halb ein Uhr Mor: gens wieder auf und marſchirten faſt genau auf das ſüdliche Kreuz zu, das ſchon ziemlich hoch und etwa um halb ſechs Uhr im Zenith ſtand. Etwa um drei Uhr aber erreichten wir den zweiten gro= ßen Fluß, der auf unſerem Wege lag, den Papas gallo, und mußten dieſen mit einem Canoe über- ſchiffen, was natürlich faſt eine Stunde Zeit nahm, da die abgeſattelten Thiere allein hinüber: ſchwimmen ſollten.
Natürlich warf ich augenblicklich meine Klei- der ab, um in dem herrlichen, klaren Waſſer ein Bad zu nehmen. Kaum aber merkten die Boots- leute meine Abſicht, als ſie mir Beide erſchreckt zuriefen, nur ja aus dem Waſſer zu bleiben, denn es wimmele da drinnen von Kaimans, und ich käme nicht ungefreſſen wieder heraus.
Daſſelbe alberne Vorurtheil, hier wie im Norden, und eigentlich nur eine Entſchuldigung für die ſchmutzigen Burſchen, ſich nicht zu wa— ſchen. Ich ließ mich denn auch nicht irre machen; — kannte ich doch die Geſellſchaft der Kaimans ſchon zur Genüge vom Miſſiſſippi her, und wußte, daß ich nichts von ihnen zu fürchten hatte. Ich fragte nur den Indianer, wo ſich gewöhnlich die Kaimans am meiſten aufhielten, und als er mir
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den Platz unter einem Felſen, gerade in der Nähe des Canoes, bezeichnete, ſprang ich in's Waſſer und ſchwamm darüber hin. Ich glaubte, ich würde die Indianer dadurch überzeugen können, daß ihnen die Kaimans nichts zu Leide thäten — aber weit gefehlt. Es wäre ein Wunder, ſagten ſie, daß ich nicht gefreſſen ſei, und damit war die Sache abgemacht.
Umſonſt ſuchte ich aber meine beiden Reiſe⸗ gefährten, den Friſeur und den Barbier, zu be— wegen, ſich nur wenigſtens einmal abzuſpülen, — die beiden Schmutzfinken hatten ſich noch nicht einmal die Hände gewaſchen, ſo lange ich mit ihnen zuſammen war, — Gott bewahre! Eine volle halbe Stunde ſaßen ſie unmittelbar am Waſſer, ohne ſich auch nur die Fingerſpitzen naß zu machen, ſetzten ji dann in's Canoe, fuhren an's andere Ufer, ſtiegen wieder in den Sattel und ritten auf's Neue in das ſtaubige Land hinein. Mir fing die Geſellſchaft ſchon recht von Herzen an leid zu werden.
Am andern Ufer wurden wir einen Moment von zwei Zollwächtern oder Soldaten angehal— ten, die uns nach unſerem Paß fragten. Keiner von uns hatte aber einen ſolchen, und ich ſelber nur zwei von einem Freund erhaltene Briefe aus
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Mexiko, einen für den General Ximenes, wie einen zweiten für die andere Partei des General Alvarez. Es konnte uns alſo nichts paſſiren, ſobald der Brief nicht an einen verkehrten Trup— penkörper abgegeben wurde. Aber ſelbſt dann hätte es nichts geſchadet, denn die Leute konnten ja alle mitſammen nicht leſen, und auch dieſe zwei wackeren Krieger baten uns ganz ungenirt, ihnen unſere Documente, Paß oder Brief, vor— zuleſen, da ſie ſelber, wie ſie offen erklärten, nichts davon verſtänden. Sie ſeien nur dahin geſtellt, um die Papiere zu unterſuchen, weiter nichts, aber leſen hatten ſie nie gelernt.
Das Komiſche bei der Sache war, daß wir uns außerdem ohne irgend welches Licht als das des Mondes befanden, und der wurde jetzt eben- falls durch die ſteilen Berge verdeckt. Die Leute waren deshalb vernünftig genug, ſich mit dem Befühlen des Briefes zu begnügen, und ließen uns ungehindert paſſiren.
Ich fragte fie, ob der Fluß fiſchreich ſei; — ja — es waren viele Fiſche darin; — ob fie deren fingen, — nein, — ſie verſtanden nicht zu fiſchen; — ob viel Wild im Walde ſei, — ja; — ob ſie davon erlegten, — nein, — fie konnten die Hirſche nicht treffen; — wovon ſie lebten: — Quien sabe!
238 war die einzige Antwort, — Tortillas sihay — wenn es welche giebt.
Das Volk iſt wirklich urfaul; denn hier an dieſen Strömen, im Innern des Landes, könnten fie doch wenigſtens die reichſten Pflanzungen an- legen, aber es fällt ihnen nicht ein. Der Boden gäbe ihnen Alles, was ſie hineinſteckten, hundert— fältig wieder; aber ſie ſtecken eben nichts hinein und hungern lieber, als daß ſie ſich zu irgend einer Arbeit bequemten.
Die Scenerie in dieſen Bergen war in den dichten Waldungen reizend, und je höher wir ſtiegen, deſto mehr bekamen die Berge ein faſt europäiſches Anſehen, denn Fichten und Tannen zeigten ſich hie und da, und die eigentliche Kiefer bedeckte ganze Hänge. |
Uebrigens ſtand uns an dieſem Tage eine ſtrengere Controle hinſichtlich des Paſſes bevor; denn wie wir vor einigen Tagen einer Vedette des Kimenes’schen Corps hatten Rede ſtehen müſſen, jo erreichten wir jetzt die Außenpoſten von Al: varez, wo mein Brief von Jemandem, der wirk— lich leſen konnte, einer genauen Prüfung unter- worfen wurde. In demſelben ſtand aber nur mein Name, die beiden Spanier waren nicht er— wähnt, und der Hauptmann, oder was er war,
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239 es ließ ſich nicht gut erkennen, da er in Hemds⸗ ärmeln und barfuß vor ſeiner Hütte ſaß, ſchien Schwierigkeiten machen zu wollen. Endlich geſtat— tete er mir, mit einem Peon voraus und nach dem Hauptquartier zu reiten, wo ich den für Alvarez erhaltenen Brief vorzeigen ſollte. Dort würde dann entſchieden werden, ob meine Beglei- ter ebenfalls paſſiren könnten. Zu dieſem Zweck bekam ich ein kleines Stück Papier, auf das ich meinen Namen ſelber ſchreiben mußte, denn der Mexikaner brachte ihn nicht fertig, und dann ſchrieb er ſeinen eigenen als Legitimation dar— unter. Ich brauchte das Papier, um es den ver— ſchiedenen Poſten, die ich paſſiren mußte, zu zeigen.
Bei dieſen machte ich mir nun allerdings das Vergnügen, ihnen das Papier jedesmal verkehrt hinzureichen, erlebte aber nie, daß ſie es um⸗ drehten. Sie konnten wahrſcheinlich alle verkehrt leſen, und gaben es dann mit den Worten „'sta bueno“ zurück.
Im Hauptquartier, das von Soldaten wim— melte, wurde ich ſehr freundlich aufgenommen und erhielt auch bald für meine Reiſegefährten die Erlaubniß, nachzukommen, zu welchem Zweck ich dann meinen Peon mit einer erhaltenen Karte zurückſchickte und indeſſen etwas für uns zu eſſen
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beſtellte. Nachher ſchlenderte ich in dem kleinen Orte herum und beſah mir die verſchiedenen Häu— ſer, in denen die Mannſchaften einquartiert, oder beſſer, untergebracht waren. Die Leute hatten übrigens recht gute und auch ſauber gehaltene Gewehre, natürlich nur Percuſſionsſchlöſſer, aber nicht zu ſchwer und dabei mit ziemlich langen Bayonnetten verſehen. Ich bin auch überzeugt, daß ſie dieſelben im Falle eines wirklichen Krie— ges viel mehr als Lanze wie als Feuerwaffe ge— brauchen würden. Es ſcheint aber Niemand, trotz alle den kriegeriſchen Vorbereitungen, an irgend einen Kampf zu denken. Der Oberſt, der hier das Commando führte, und mit dem ich über die Verhältniſſe ſprach, meinte, die Sache, wer hier im Lande Gouverneur ſein ſolle, werde wahr— ſcheinlich im Congreß entſchieden werden, und es ſei dabei keinem Zweifel unterworfen, daß der Spruch günſtig für Alvarez ausfallen müſſe. Dann bleibe allerdings noch die Frage, ob ſich Ximenes der Entſcheidung gutwillig fügen würde, aber er hatte in dem Fall wohl wenig Hoff- nung, genügende Truppen zu behalten, denn ſo— viel ich dort ſah und hören konnte, wollte das Volk von Guerrero gar keinen Krieg.
Der Oberſt war der hübſcheſte Mexikaner,
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den ich im ganzen Lande geſehen hatte, mit edlen und intelligenten Zügen. Ueber die politiſchen
Zuſtände ſeines Landes ſchien er auch vollkom— men gut unterrichtet, wich aber meinen Fragen nach dem Urtheil dieſes Landestheils über die Erſchießung des Kaiſers aus. Ich mußte ihn auch in der That zu direct fragen, da ich der ſpaniſchen Sprache doch nicht ſo mächtig war, um etwas verblümt dahin zu gelangen.
Nachher ſchlenderte ich noch etwas im Ort
herum und betrachtete mir dabei beſonders eine militäriſche Spielergruppe, die recht gut in Wal⸗ lenſtein's Lager gepaßt hätte. Die Leute lagen, kauerten und ſtanden um eine unter einem ſchat⸗ tigen Baum ausgebreitete Serape her und jpiel- ten ihr gewöhnliches Spiel Monte, aber, ihren Verhältniſſen natürlich entſprechend, ziemlich nie= drig. Als ich zu ihnen trat, luden ſie mich ein mit zu ſetzen, ich entſchuldigte mich aber damit, daß ich das Spiel nicht verſtehe.
„Oh, Seſor,“ rief da der Banquier, ein wild⸗ ausſehender Burſche mit einer breiten Schmarre über das ganze Geſicht, „wir wollen Sie's ſchon lehren.“
„Das glaub' ich,“ lachte ich, und 1 5 ganze
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II.
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Geſellſchaft brach in ein wieherndes Gelächter aus — ſie verſtanden den Scherz.
Etwa zwei Stunden ſpäter, als ich meinen Peon zurückgeſchickt, kam mein Barbierladen nach, und der Friſeur führte ſich augenblicklich bei dem Oberſten ein und ſuchte dieſem mit feinen Be: kanntſchaften in Mexiko zu imponiren. Mit den erſten Familien der Stadt war er allerdings be— kannt, denn er hatte die Damen vom Hauſe friſirt und ſich von den Männern nachher die Rech— nungen bezahlen laſſen, hier aber waren das alles plötzlich ſeine beſten Freunde: General jo und jo — lieber Gott, un amigo caro — Gou⸗ verneur ) — wir ſind wie Verwandte zuſammen — Miniſter H — mehr als ein Bruder. Der Officier hörte ihn ſehr ruhig an; der Friſeur ſchien ſeine Abſicht aber doch nicht ganz erreicht zu haben, denn der Oberſt gab mir endlich den Paß, den er aber nur auf meinen Namen aus- ſtellen ließ und dann hinzuſetzte: „in Begleitung von zwei Spaniern.“ N
Von hier aus bot die Scenerie des Landes, das wir durchritten, einen entſchieden europäiſchen Charakter und beſtand faſt nur aus ſchönen und offenen Kieferwaldungen. Der Pfad zog ſich auch größtentheils auf den Höhen hin, und wenn
243 er einmal zu Thale lief, hob er ſich immer raſch wieder, bis wir endlich am nächſten Tag Provi⸗ dencia erreichten. |
Providencia liegt etwa 12 Leguas von Aca⸗ pulco, aber lange nicht ſoweit von der Küſte entfernt, der Gouverneur oder General Alvarez hat hier eine Hacienda und zugleich ſein Haupt⸗ quartier. Von hier aus regierte er ſe inen Theil des Staates, während Ximenes im Oſten deſſelben nach eigenem Gutdünken wirthſchaftete, und die Regierung von Mexiko ſich gerade ſo wenig darum bekümmerte, als ob Guerrero in China läge.
Providencia ſollte ein kleines Städtchen ſein, und da es jo nahe der Küſte und der Hafenjtadt lag, ſo hatte ich mir leichtſinniger Weiſe ſchon ein ganz freundliches Bild davon gemacht, ſollte mich aber darin ſehr getäuſcht ſehen. Es war eins der elendeſten Neſter, die wir auf dem ganzen Weg gefunden, und in der That nichts, gar nichts darin zu haben als ſchnödes agua ardiente; nicht einmal eine reife Banane, viel weniger denn eine Flaſche Wein. Ebenſowenig fand ſich eine Poſada im Ort, und wir mußten die Nacht vor einer der elenden Hütten im Freien
lagern; in das Innere derſelben hätte mich über— 16*
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haupt Niemand hineingebracht, denn ſie ſahen genau jo aus, als ob ſie von Ungeziefer wim⸗ melten.
Vorher war es übrigens nöthig, daß wir uns General Alvarez vorſtellten, um von ihm unſern Paß nach Acapulco ausgeſtellt zu bekommen. Als wir ankamen, hielt er allerdings ſeine Sieſta, um vier Uhr aber wurden wir vorgelaſſen, und ich muß geſtehen, daß die ganze Sache im Innern des Gebäudes ziemlich geſchäftsmäßig ausſah. |
Alle dieſe Hacienden, die ja auch noch ſämmt⸗ lich aus der ſpaniſchen Zeit herſtammen, haben enorm weitläufige, natürlich nur einſtöckige Ge— bäude mit großen, luftigen Zimmern und langen, bedeckten Gängen nach vorn und hinten, eine Art gemauerter Veranda, die gegen Sonne wie Regen hinlänglichen Schutz bietet. Einen Flügel dieſer Häuſerreihe, wie man es recht gut nennen könnte, hatte General Alvarez theils ſeinen Bu— reaux, theils zu Wachtlocalen eingeräumt, und dort ſaßen engbrüſtige Mexikaner mit Brillen auf und ſchrieben oder trugen dicke Actenbündel auf beſtimmte Plätze und zu anderen ihres Glei— chen, die dort ſchon lagerten. Der Platz heimelte mich wirklich an, er ſah ordentlich europäiſch
aus, und ich hätte mich darin recht gut in ein 5
ehrliches deutſches Stadtgericht zurückverſetzen können, wenn die Bureaubeamten nicht alle ihre Cigarre im Munde gehabt hätten, und das zer— ſtörte die angenehme Täuſchung gründlich. Wenn ich mir nur die Möglichkeit denke — und die
Haut ſchaudert Einem dabei — daß ein deutſcher 2 Aſſeſſor oder gar ein Actuar, von einem Vice
Actuar gar nicht zu reden, Morgens mit der brennenden Cigarre im Munde in's Bureau käme, der Unglückliche wäre von dem Moment an brotlos für Lebenszeit. EL,
Die vordere Veranda des Hauſes war übrigens vollſtändig kriegeriſch eingerichtet und ſogar ſechs kleine Kanonen ſtanden dort aufgepflanzt, wäh— rend an der ganzen Länge der Wand die Ge— wehre und etwa ein Dutzend Lanzen lehnten. In der That ſchienen auch die Leute von Alvarez viel beſſer organiſirt, als die von Ximenes, die weit cher einer Bande von Straßenräubern, das heißt im Aeußern, glichen. Die ganze Sache iſt aber, wie geſagt, nur allein militäriſcher Pomp, ſoweit ſich das Wort Pomp auf barfüßige und mit den verſchiedenſten Hoſen begabte Soldaten anwenden läßt. Es denkt Niemand an einen Krieg, und da die Leute doch nichts weiter zu
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thun haben oder wenigſtens nichts thun, was auf Eins herauskommt, ſo können ſie auch eben ſo gut die Zeit „im Felde“ liegen.
Wir wurden in das Vorzimmer des Generals berufen und uns dort Stühle angewieſen, um zu warten. Das hielt ich aber keine zehn Minuten aus, ſtand wieder auf, ſagte dem einen Actuar oder was er war, er ſolle mich rufen, wenn es ſoweit ſei, und ſchlenderte indeſſen durch die verſchiedenen Theile der Hacienda und den ziemlich gut angelegten, aber entſetzlich vernachläſſigten Garten. Der Platz hätte recht gut zu einem kleinen Paradieſe umgeſchaffen ſein können — aber es war eine echt mexikaniſche Wirthſchaft, nur daß man hier, während in den niederen Hütten die Armuth ihren Wohnſitz hatte, überall die Spuren des Ueberfluſſes erkennen konnte.
Nach einer halben Stunde etwa kam der Beamte, dem ich meinen Brief an den General
ſchon übergeben hatte, athemlos hinter mir drein-
geſtürzt. Der General hatte nach mir verlangt und ich war nirgends zu finden geweſen.
Als ich in das Zimmer trat, fand ich den Friſeur ſchon in voller Erzählung ſeiner hohen Bekanntſchaften und Freunde in Mexiko: er ſchwamm zwiſchen lauter Generalen und hohen
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Würdenträgern im wahren Sinn des Wortes herum. General Alvarez, während der Oberſt in dem kleinen Ort den Burſchen raſch durch— ſchaut hatte, ſchien entzückt von ihm und fragte ihn auf das lebhafteſte nach Dieſem und Jenem, von denen Don Pedro Gaspard natürlich Alles zu erzählen wußte, was man nur von ihm ver- langte — es hätte ja kein Friſeur ſein dürfen! Er ließ dabei, wozu wirklich viel gehört, nicht einmal den Barbier zu Worte, kommen und ſchwelgte völlig in ſeinem Element.
Alvarez ſelber war ein Mann von unterſetzter Statur mit pechſchwarzen, glatten, kurz geſchnit— tenen Haaren und niederer Stirn, mit einem halb indianiſchen, aber vollkommen ausdrucksloſen Geſicht. Er ſchien auch in der That nur die zweite Perſon an ſeinem Hofe, denn ein anderer, ſehr magerer brauner Senor, aber mit klugen Augen, wurde von ihm fortwährend um ſeine Meinung gefragt, verhielt ſich aber ziemlich ſchweigend und ernſt, und zeigte ſich auch keines— wegs ſo von Hochachtung gegen den Friſeur er— füllt. Er erkundigte ſich endlich, wer denn eigent— lich der ſei, der dem General in dem Brief em— pfohlen worden, und als ich mich meldete, be— trachtete er mich ſcharf und grüßte mich dann
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freundlich, gab auch unmittelbar darnach, ohne
den General weiter zu fragen, die Ordre, den
Paß auszuſtellen, der in wenigen Minuten fertig war und Alvarez nur zum Unterzeichnen vorgelegt wurde.
Von Providencia brachen wir, nachdem wir am Abend nur mit Mühe ein Huhn zu einer Suppe aufgetrieben hatten, ſchon um Mitternacht wieder auf, um Acapulco, das Ziel unſerer Reiſe, wenigſtens vor der größten Tageshitze zu erreichen. Der Platz hatte auch in der That nichts Verführeriſches, um uns nur eine Minute länger als nöthig dort zu halten. Wieder ging es aber von hier in zwar nicht ſehr hohe, aber doch ziemlich zerklüftete Berge hinein, und ich war wirklich froh, daß wir den größten Theil dieſer Strecke in der Nacht zurücklegten, denn am Tag muß dieſe Tour wahrhaft zum Verzweifeln ſein. Man weiß, daß man dem Meere nahe iſt, man hofft, es von jedem Hügelrücken, den man erſteigt, endlich erblicken zu können, und von jedem aus ſieht man nur wieder eine andere Bergreihe vor ſich, die eben hoch genug zu ſein ſcheint, um die Ausſicht gründlich zu verſperren. So geht es Stunde auf Stunde, und ſelbſt als der Tag anbrach, wiederholte ſich dieſes ewige
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Verſprechen und Verſagen, und doch konnten wir kaum noch vier oder fünf engliſche Meilen vom Meer entfernt ſein.
Endlich, endlich nahm auch das ein Ende. Wir ritten in eine enge Bergſchlucht hinein, rechts und links hoben ſich höhere Bergkuppen empor, da plötzlich, wie das Geſträuch vor uns auseinander wich, hob es ſich wie eine Laſt von der Bruſt. Der Blick wurde frei und vor uns — ein wahrhaft zauberiſch ſchönes Bild — dehnte ſich das weite blaue Meer, und lag da unten, in eine reizende Bucht hineingeſchmiegt, wie ein Miniaturbild, aber mit all' den glühenden Farben tropiſcher Sonne übergoſſen, das kleine, aller— liebſte Städtchen Acapulco, an einer wunderſchö— nen, von bewaldeten Hügeln eingeſchloſſenen Bucht, einer der ſicherſten Häfen der ganzen Welt.
Ich konnte mich auch in der That lange nicht von dem prachtvollen Anblick losreißen und blieb dort oben wohl eine halbe Stunde halten, wäh— rend die Barbierſtube indeſſen mit unſeren Pack- thieren, von dem Anblick, wie es ſchien, nicht be— ſonders angeregt, ſchon lange wieder bergab und in die Büſche eingetaucht war. Was konnten ſie auch da oben ſehen? Salzwaſſer und eine
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kleine mexikaniſche Stadt, von denen fie ſchon eine ganze Menge durchzogen. Uebrigens ſollte ich erſt ſpäter erfahren, daß ſie Urſache zu ganz beſonderer Eile hatten.
Von hier aus fiel der Weg ziemlich ſteil zu Thal ab. Wir hatten keinen Berg mehr zu über— ſteigen, und konnte ich mich wieder des Genuſſes, den ich ſchon ſo oft empfunden, erfreuen, aus einem gemäßigten Klima, mit der Vegetation höherer Breiten, raſch und plötzlich in eine voll— kommen tropiſche Natur hinabzuſteigen. Die Kie— fern hatten ſchon, ſeit wir Providencia erreicht, aufgehört und Laubbäumen Platz gemacht, von denen manche mit prachtvollen, bald weißen, bald gelben großen Blüthen überdeckt waren. Jetzt traten breitblättrige Stauden in den Vorgrund, — reiche Lianen ſchlangen ihre Blumenranken über den Weg ſelbſt hinaus; noch etwas tiefer, und ein herrliches Thal öffnete ſich vor uns, in dem wir ſchon unten die breiten Blätter der Bananen und einzelne Palmenwipfel erkennen konnten. Jetzt tauchten wir, während die Sonne über den Wipfeln emporſtieg, hinein, und be— fanden uns wie mit Einem Schlage mitten in den Tropen. |
Freundliche Bambushütten — wenigſtens von
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außen, denn im Innern iſt ſich der Schmutz in allen gleich — lagen tief und ſchattig in Frucht⸗ hainen und zwiſchen Kaffeebäumen und Bananen verſteckt, und kleine Orangenwälder trugen kaum die Laſt der reifen, goldigen Früchte. Und wie die Vögel in den dichten Sträuchern zwitſcherten und ſangen und herüber und hinüber flatterten! Es war ein herrlicher Ritt in der kühlen Mor- genbriſe, und ich kann mich kaum eines ſchöneren in meinem ganzen Leben erinnern.
Das kleine Dorf, das wir hier erreicht, lie— ßen wir bald hinter uns und trabten jetzt eine Strecke zwiſchen dichtbewaldeten Anhöhen hin, als plötzlich ein Hirſch dicht neben mir am Wege aufſprang und den einen Hügel hinanſetzte. Er
hatte meine Begleiter ſchon an ſich vorbeireiten
laſſen, und hätte es mit mir wahrſcheinlich eben— ſo gemacht, wenn ich nicht zufällig gehalten, um von einem der Blüthenbüſche reifen Samen ab zupflücken.
Meine Büchſe hing mir allerdings geladen am Gürtel, aber ich hatte kein Zündhütchen auf. Doch das währte nicht lange; wie der Blitz war ich aus dem Sattel, mein Maulthier ſich ſelber überlaſſend, drückte ein Hütchen auf den rechten
252 Piſton, und bekam das flüchtige Wild eben noch gut zum Schuß, als es über eine offene Stelle
hinüberſetzte und wenige Secunden ſpäter außer
Sicht geweſen wäre. Es war ein glücklicher Schuß; die Kugel ſchlug vor der Keule ein, riß dem Hirſch den oberen Theil des Herzens weg und warf ihn in ſeinen Fährten nieder. Mein Maulthier lief allerdings fort, da aber die Pack— thiere noch hinter mir dreinkamen, ſo konnte ich das Wild auf eins derſelben laden, und ging dann zu Fuß nach, bis ich die Uebrigen, die mein Thier aufgehalten, an einer murmelnden Berg— quelle wieder überholte.
Dort nahm ich ein prachtvolles Bad in dem kalten friſchen Waſſer, das ſich die Anderen aber aus Geſundheitsrückſichten, wie ſie meinten, ver— ſagten, frühſtückte dann und ſetzte nun meinen Weg nach dem kaum noch anderthalb Leguas entfernten Acapulco fort.
Der Pfad blieb ſich hier vollkommen gleich; es war fortwährend dieſelbe reiche Vegetation,
von einer Ueppigkeit, wie man ſie nur unter
dieſen Breiten findet, und dann und wann tra— fen wir einzelne kleine Plantagen, oder eigent— lich Gärten, mit wieder einer kurzen Strecke
Wald dazwiſchen, bis ſich der Pfad zuletzt zu einer breiten Straße ausdehnte und eine lange Häuſer⸗ oder vielmehr Hütten reihe die Nähe der Stadt verkündete.
Ich mußte mir übrigens geſtehen, daß ſie oben vom Berge aus weit hübſcher ausgeſehen hatte, als hier unten in unmittelbarer Nähe, was jedoch unter den Tropen ſehr häufig vorkommt. Ma⸗ leriſch genug machte ſich das Ganze, das läßt ſich nicht leugnen. In den offenen Bambushäu⸗ ſern am Wege ſchaukelten ſich die paradieſiſch angezogenen Männer und Frauen in ihren Hänge— matten, und die jugendliche Bevölkerung, in der Urtracht des Menſchengeſchlechts, wälzte ſich vor den Hütten mit den Hunden und Hühnern herum; aber wenn man ein wenig genauer hinſah, trat der Schmutz dieſer ganzen Race in höchſt un- romantiſcher Weiſe zu Tage, und an Poeſie wil⸗ der Schönheit war kein Gedanke mehr.
Es geht das ſo in der Welt. Wir Alle haben ſeiner Zeit, und die Jugend noch heutigen Ta— ges, für Fenimore Cooper's Uncas und Chin⸗ changook geſchwärmt; wenn wir aber geſehen hätten, auf welche Weiſe der alte Chinchangook und ebenſo der junge edle Häuptling Uncas ihre
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Mahlzeiten kochten, und wie felten ſie daran dachten, ſich Geſicht oder Hände zu waſchen, ſo würden wir viel und vielleicht zu viel von dem Zauber eingebüßt haben. „Man darf in keinem Hotel in die Küche hineinſehen,“ iſt eine alte Regel, die ſelbſt auf Europa ihre Anwendung findet, wie viel mehr denn auf Mexiko oder einen wilden nordamerikaniſchen Volksſtamm. Ich jel- ber war denn auch zufrieden mit einem flüchtigen Ueberblick des pittoresken Aeußern, und da ſich ſelbſt die Packthiere, die wittern mochten, daß ſie ihrer Laſt bald quitt wurden, in einen ſcharfen Trab ſetzten, ſo gab ich auch meinem Thier die Hacken und ſprengte hinterdrein.
Jetzt öffnete ſich vor uns die Stadt. Niedere einſtöckige Häuſer, wie in allen ſpaniſchen Städten, enge Straßen, vergitterte Fenſter, und dabei eine ſchwüle, heiße Luft. Ich hatte mir Acapulco, das ich für einen bedeutenden Hafen am Stillen Meer gehalten, anders gedacht. Ich fand jetzt, daß es ein eigentlich verhältnißmäßig kleines und unbedeutendes Neſt ſei — aber was ſchadete das! Die lange, beſchwerliche Reiſe war glücklich über— ſtanden, und als unſere Thiere endlich vor dem einzig möglichen Hötel der Stadt, dem Hotel
9. Acapulco und weiter.
Mexiko iſt ein großes, gewaltiges Reich, und von der Natur begünſtigt, wie kaum ein anderes des ganzen amerikaniſchen Continents. Was aber haben die Mexikaner bis jetzt dabei gethan? Die Antwort, die jeder Fremde im ganzen Land beſtätigen wird, iſt: Gar nichts — ja nicht einmal den tauſendſten Theil von dem benutzt, was ihnen die Natur im reichſten Maße und offen zu Tage liegend, geboten.
Kaiſer Maximilian hätte etwas aus dem Land machen können. Er beſaß dazu die nöͤthi— gen geiſtigen Mittel und den guten Willen; aber wenn er auch nicht auf jo traurige und gewalt⸗ ſame Weiſe zu früh geendet, ſo fürchte ich doch, daß er, dem läſſigen mexikaniſchen Charakter ge—
genüber, zuletzt die Geduld verloren und die Sache in Verzweiflung aufgegeben hätte.
Schon Acapulco liefert dazu den Beweis. Silber, Gold und Queckſilber, mit manchem an— dern werthvollen Metall vielleicht, füllen ſeine Berge, die Vegetation ungeheurer Strecken be— ſteht aus den herrlichſten Farbehölzern, und ſeine verſchiedenen Klimate in der Nachbarſchaft des Hafens könnten die Producte aller Naturreiche erzeugen — und was exportirt Acapulco? Nichts auf der Gotteswelt faſt als ein wenig Silber, und vielleicht etwas Cacao, wie Häute. Ein deut⸗ ſches Schiff, das damals gerade im Hafen lag, mußte im Ballaſt nach den Chinchas-Inſeln gehen, um dort Guano einzunehmen, und der von San Francisco oder Panama einlaufende Dampfer iſt immer in wenigen Stunden abgefertigt; — er braucht nicht viel Zeit, um die in dieſem Hafen für ihn lagernde Fracht einzunehmen.
Die Lage des Hafens iſt entzückend ſchön. Das läßt ſich nicht leugnen. Allerdings bietet er keine freie Ausſicht auf das Meer, denn er iſt rings von Hügeln eingeſchloſſen, aber kein hef— tiger Windſtoß kann auch dafür die im Innern liegenden Schiffe erreichen, und ein guter Anker— grund bietet ihnen daneben jede Sicherheit. Dieſe
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 17
*
Hügel aber, die heftige Stürme fern halten, ſchließen jedoch auch zu gleicher Zeit jede Briſe ab, und die dadurch herrſchende Gluth iſt ent- ſetzlich.
Man hat in Acapulco eine Sage, daß ein Mann ſtarb und ſeiner Sünden wegen in die Hölle geſchickt wurde, aber ſchon in nächſter Nacht wieder zurückkehrte, um ſich — ein paar wollene Decken zu holen; denn, an Acapulco gewöhnt, war es ihm dort unten zu kalt.
Ich hatte bis dahin geglaubt, daß es mir an keinem Punkt der Erde zu heiß werden könnte — hier in Acapulco mußte ich einge⸗ ſtehen, daß ich den Platz gefunden. Ich war nicht im Stande, auch nur einen Buchſtaben zu ſchreiben, und ſuchte nur die ganzen drei Tage, die ich mich dort gezwungen aufhielt, nach einer kühlen oder wenigſtens halbkühlen Stelle, um nicht ganz zu zerſchmelzen. Wie es die Bewohner auch dort aushalten, weiß ich wahrhaftig nicht, und doch leben gerade hier eine Anzahl von Deutſchen, die aber freilich ebenſo über die Hitze klagen.
Die alten Spanier, die den Platz in früheren Zeiten inne hatten, müſſen das ebenſo gefühlt haben, denn ſie fingen an, den einen nach der
»
See zu liegenden Hügelrücken in der ſogenannten Quebrada zu durchſtechen, um von dort nachher
die Briſe in die Stadt hereinzulaſſen; aber der
Freiheitskrieg ſtöͤrte ſie in ihrer Arbeit und trieb
ſie aus dem Lande, und die jetzigen Herren des
Reiches würden gewiß ſehr zufrieden ſein, wenn 2
der keinesfalls ſchwierige Durchſtich beendet wor⸗
den wäre, ihn aber ſelber zu beenden, fällt ihnen |
gar nicht ein. Ueberhaupt findet man Aehnliches
in allen früher von den Spaniern in Beſitz ge⸗
haltenen Ländern Amerikas. Viele Arbeiten haben dieſe unternommen, die wohlthätig für das ganze Land wurden, wie zum Beiſpiel die zahlreichen Waſſerleitungen, und wie fleißig be-
trieben ſie in allen Theilen den Bergbau, wie viele tüchtige Straßen haben ſie angelegt! Mit ihrer Herrſchaft im Lande endeten aber auch ihre
Werke, und die faule Nachkommenſchaft gab ſich nicht einmal die Mühe, ſelbſt nur das in Stand zu halten, was jene frei geſchaffen, viel weniger denn begonnene Bauten auszuführen.
Welch' wichtiger und bedeutender Platz könnte Acapulco werden, wenn es Wege in das Innere
und dann fremde Kräfte hätte, um die Schätze
des Landes auszubeuten! So aber liegt Alles
todt; das Volk vegetirt eben und arbeitet gerade
RR N ie
260
5 ſo viel, als es zum Leben nothdürftig braucht,
weiter aber wahrhaftig auch nicht das Geringſte,
und der Hafen von Acapulco wird auch deshalb
noch für lange, lange Jahre, und bis nicht ein anderes Volk, und zwar ein thatkräftigeres, Be— ſitz davon ergreift, nichts Anderes bleiben, als
ein todtes, ödes Neſt, was er jetzt iſt.
Was die Stadt ſelber betrifft, ſo läßt ſich wenig oder gar nichts darüber jagen. Eine In⸗ duſtrie exiſtirt gar nicht, die Fabrikation von Hängematten, aus den Faſern einer Aloeart ge— flochten, vielleicht ausgenommen, und dieſe wer— den hier zu dem unglaublich billigen Preiſe von 2 bis 2½ Real das Stück, alſo etwa 8 bis 10 Groſchen, verkauft. Was man ſonſt in der Stadt ſieht, außer den Serapen, die im Innern ver- fertigt werden, und einigen ordinären Hut- und Korbarten, iſt Alles ausländiſches Fabrikat, und jede Stecknadel muß von Europa oder Nord— amerika importirt werden. Der Handel iſt da—
bei ausſchließlich in den Händen von Deutſchen
und Spaniern, wenigſtens alle größeren Ge— ſchäfte ſind es, und die Mexikaner ſelber haben nur kleine Krämerläden. Auch ein deutſcher Arzt befindet ſich hier, der von der öſterreichiſchen Expedition zurückgeblieben, ja ſogar ein zweiter,
der zugleich eine Apotheke hat. Außerdem giebt | 3 es mehrere große und kleine deutſche Geihäfte—
aber nur eine deutſche Frau exiſtirt in Acapuleo,
die Frau des Dr. Link und eine Tochter des Capi⸗ tän Sutter aus Californien.
Das Hötel von Acapulco, denn ein paar
andere miſerable Buden kann man gar nicht mit dem Namen bezeichnen, iſt das Louiſiana-Hötel, das eine alte, rüſtige und wohlbeleibte Franzöſin
unterhält. Es hat allerdings nur ein Logir⸗
zimmer, in das hineingeſtopft wird, was ſich eben hineinſtopfen läßt, aber eine recht gute und auch nicht zu theure Küche, und die alte robuſte Dame ſitzt den ganzen Tag vorn in ihrem Billardzimmer, raucht dicke Cigarren und ſpuckt links und rechts um ſich her. |
Von den Deutſchen dort wurde ich allerdings auf das freundlichſte begrüßt, aber man kann es mir trotzdem nicht verdenken, daß ich mich von dem Platz wieder wegſehnte, und ich glaubte, ich müßte verzweifeln, als der von San Tran:
cisco erwartete Dampfer einen Tag über feine
Zeit ausblieb. Die Hitze war zu drückend ſchwül — kein Lüftchen wehte den ganzen Tag, und der Körper blieb in einer ununterbrochenen, durch nichts geſtörten Transſpiration.
-
Meine Barbierftube war ich indeſſen ſchon
am nächſten Morgen losgeworden, denn der nach San Francisco beſtimmte Dampfer traf bald nach uns in Acapulco ein und nahm ſie mit
fort. Gleich hinterher lief aber auch ein Brief
von Mexiko ein, der die Anweſenheit des Don
Pedro in jener Stadt auf das ſehnlichſte wünſchte, ſeine Sehnſucht aber nicht mehr geſtillt be— kommen konnte, denn der Friſeur war abge— dampft und der Ocean gab ſeine Paſſagiere nicht zurück.
Die Stadt Acapulco iſt, wie alle dieſe ion
niſchen Städte, mit niederen Häuſern und jo regelmäßig, als es das Terrain eben zuließ, ge—
baut. Eine Treppe giebt es, glaube ich, in ganz Acapulco nicht, und draußen vor der Stadt fand ich ſogar eine Menge von Familien, die ſich
ganz gemüthlich und häuslich eben nur im Schatten eines Mangobaumes niedergelaſſen hatten und dort kochten und ſchliefen. Was brauchten ſie auch mehr! In dieſer Jahreszeit
regnete es doch nicht, und luftig genug wohnten ſie, wie ſich nicht leugnen läßt, gewiß an ſolchem Orte, den ſie freilich mit Hunden und Schweinen
| wie einer gelegentlichen Kuh zu theilen hatten.
Am dritten Tag Abends traf endlich der
263
verlebten. Viel lieber wäre ich auch mit dem
deutſchen Schiff als dem amerikaniſchen Dampfer Be
in See gegangen, aber ich hatte ein anderes
Ziel — mein Weg lag noch weit geſtreckt vor mir, und um zehn Uhr Abends glitten wir aus der engen, dumpfigen Bai in die freie, offene, luftige See hinaus, hinaus wieder einmal in
das Stille Meer, das ich, als ich es zum letzten
Mal verließ, keine Ahnung hatte, je wieder zu ſehen. Wer kann jagen, wohin ihn ſein Schickſal
treibt?
Mexiko liegt nun hinter mir, aber einen
Blick muß ich noch zurückwerfen auf die herrlichen
ſchon am vorigen fällige Dampfer, die „Golden City“, von San Francisco ein, und ich freute
| mich wirklich darauf, an Bord zu gehen, wenn 5 mir auch die Zeit in Acapulco verhältnißmäßig raſch entſchwunden war. Dazu trugen freilich
nur die Deutſchen bei, und beſonders auch Gas pitän Mertens von der Bremer Bark Victoria, an deren Bord wir draußen im Hafen in etwas friſcherer Luft manche vergnügte Stunde
Berge, auf das ſchöne Land, dem Gott Alles =
’
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ö gegeben, was Menſchen glücklich und zufrieden machen könnte, und das doch nur faſt ununter— brochen zu einem wilden, blutigen Kampfplatz und Schlachtfeld verwandt wurde, auf dem Bru— der gegen Bruder mit den Waffen in der Fauſt gerüſtet ſteht. |
Wieder einmal hat das Land eine Monarchie gebrochen und iſt zur ſogenannten Freiheit zu— rückgekehrt; aber wie oft wird gerade das Wort mißbraucht.
„Die Mexikaner haben das Kaiſerreich abge— ſchüttelt und damit allerdings jenen Brief des unglücklichen Kaiſers, vom 3. November 1864 datirt, desavouirt, worin er an den Staats-Mi⸗ niſter Velasquez ſchreibt:
„Mein lieber Staats-Miniſter Velasquez de Leon! Zurückgekehrt von meiner beſchwerlichen Reiſe aus den Provinzen des Innern, während welcher ich von jeder Stadt, jedem Flecken und jedem Dorfe die unzweifelhafteſten Beweiſe der Sympathie und des herzlichſten Enthuſiasmus empfangen, haben ſich mir zwei unerſchütterliche Wahrheiten aufgedrängt. Die erſte: daß das Kaiſerreich eine Thatſache geworden iſt, baſirt auf den freien Willen der unermeßlichen Mehr— heit der Nation 2c.; die zweite: daß dieſelbe un⸗
ermeßliche Mehrheit Frieden, Ruhe und Rechts⸗ ſicherheit wünſcht, Güter, welche ſie von meiner Regierung ſehnlichſt hofft und erwartet ꝛc.“
Ob ſie damit glücklicher geworden ſind, muß die Zeit lehren. Keinenfalls kann man ihnen
das Recht abſprechen, ihr eigenes Land auch ſel- 1 ber zu regieren und eine fremde Intervention
zurückzuweiſen. |
Trotzdem iſt der ganze Zuſtand im Innern des Landes im gegenwärtigen Augenblick ein höchſt trauriger. Die Sicherheit der Straßen iſt zu keiner Zeit ſo maßlos gefährdet geweſen, wie gerade jetzt. Das ſogenannte Plagiar-Sy⸗ item, nach italieniſchem Muſter, wo Geiſeln auf— gegriffen werden, um von ihren Angehörigen Löſegeld zu erpreſſen, nimmt faſt mit jedem Tage überhand und geht ſogar ſo weit, daß angeſehene Leute in den Straßen von Puebla und Mexiko
abgefaßt und entführt werden.
Alle öffentlichen Arbeiten liegen dabei dar— nieder, die Regierung hat kein Geld, und was ſchlimmer iſt, keinen Credit; der Handel beſchränkt ſich nur auf das Nothwendigſte und wird ſogar durch unſinnige Steuern noch erſchwert, aber dieſe ſind unvermeidlich, da es an vielen Orten die einzige Art und Weiſe iſt, um baar Geld für die
260.
Regierung zu erſchwingen. Jeder Staat im
8 \ Reiche hat dazu dieſe Steuern, und werden Waaren nach irgend einem Platz im Innern konſignirt, jo müſſen ſie, wenn man ſie von dort
wieder nach anderer Stelle bringt, auf's Neue verſteuert werden. Ebenſo iſt es mit dem Gelde, das enorme Transportzinſen zahlt, die ſich, wenn es einen größeren Weg zurücklegt, bis auf ein Drittel des Capitals belaufen können. Dadurch
wird natürlich der eigentliche Handel und Ver—
kehr im Lande faſt abſichtlich erſchwert und in mancher Hinſicht ſogar unmöglich gemacht; über—
blaupt ſieht es faſt fo aus, als ob die Regierung
nicht allein ſelber nichts thun, ſondern auch noch
Andere an jeder Thätigkeit verhindern wollte.
Daß fie unter ſolchen Umſtänden einer Einwan— derung von Fremden keinen Vorſchub leiſtet, ja
am liebſten gar keine fremden Anſiedler und Kaufleute im Land hätte, iſt natürlich, und was
würde aus Mexiko, wenn es keinen fremden Im— port hätte? Aber das wollen die guten Men—
ſchen eben nicht einſehen, und ich möchte deshalb
auch keinem Deutſchen rathen, unter den jetzigen Verhältniſſen wenigſtens, nach Mexiko auszu—
wandern. Sicherheit für ſein Eigenthum kann ihm nicht geboten werden, und wenn auch Mexiko
was könnte aus dem Land werden, wenn es von nordiſchen Händen in Angriff genommen würde! |
Das freilich darf man keinem Mexikaner ja= gen, von denen ja viele behaupten, daß gerade von Mexiko aus die Civiliſation über den gan⸗ zen Erdboden weggeſchritten ſei — und weshalb nicht? Behaupten doch die Chineſen, daß die Compaßnadel nach Süden und nicht nach Nor- den zeige, und die Holländer, daß ihre Nation die Buchdruckerkunſt erfunden habe, während Gutenberg nur die alien au Zettern erfunden hätte. N
Zu gleicher Zeit lief ſchon damals das Ge- rücht um und hat ſich ſeitdem nur beſtätigt, daß auf der Halbinſel Yukatan eine bewaffnete Schaar gelandet ſei, welche die Regierung dort geſtürzt und die Kaiſerin Charlotte proclamirt habe. Und das nicht allein — überall ſind jetzt, und zwar an acht verſchiedenen Stellen, Revolutio⸗ nen ausgebrochen, und da und dort hat ſich ge—
268 zeigt, daß Juarez — vielleicht noch weniger als Maximilian die Sympathien des ganzen Volkes beſitze.
Es war grauſam und entſetzlich, daß man den Kaiſer, der nur in dem feſten Glauben nach Mexiko gekommen war, daß ihn die große Mehr— zahl zu ihrem Fürſten wünſche, tödtete — aber unpolitiſch von dem Standpunkt der jetzigen Partei war es nicht, denn Juarez, oder vielmehr ſein Meiſter Lerdo, hat wohl gewußt und wiſ— ſen müſſen, wie bei einem großen Theil der Bevölkerung wirkliche Sympathien herrſchten, die dann bei der nächſten, in Mexiko gar nicht ausbleibenden Revolution in der That gefährlich werden konnten.
Jetzt — wenn Porfirio Diaz nicht an die Spitze derſelben tritt — und das kann geſche— hen, denn er iſt kürzlich aus dem Staatsdienſt entlaſſen, hat die Revolution kein beſtimmtes Haupt, das Juarez groß zu fürchten brauchte. Im andern Falle wäre ihm der Name des Kai— ſers immer wieder entgegengetreten, wenn Maxi- milian ſelber auch wohl kaum hätte vermocht werden können, je nach Mexiko zurückzukehren.
Was Santa Anna gegen das Land unter— nehmen will, braucht die Regierung nicht zu fürch⸗
ten. Santa Anna hat jeden Boden dort ver= loren, und er mag wohl ein paar Tauſend Fli⸗ buſtier an die Küſte werfen und damit morden
und plündern, aber Präſident wird er nie wieder, 5
und wagt er ſich ſelber noch einmal auf mexika⸗ niſchen Boden, ſo iſt die allgemeine Stimme, daß er wohl kaum wieder ſo gut wegkommen möchte, als das letzte Mal.
Allerdings iſt die Prieſterpartei noch immer eine ſehr gefährliche, weil ſie eben im Stillen
bohrt und treibt und in dem Sturz der jetzigen
Regierung die einzige Hoffnung ſieht, wieder zu Macht zu kommen. Aber auch dieſe Hoffnung iſt eine verlorene, denn keine Regierung der Welt könnte das Edict, welches die Kirchengüter confiscirte, zu einer Zeit aufheben, wo ſchon der
größte Theil derſelben meiſt ausſchließlich in die
Hände von Fremden übergegangen iſt, die ſich vor der gedrohten Excommunication beim Ankauf nicht beſonders fürchtete.
Mexiko ſelber iſt ein wunderbar ſchönes Land, und die Indianer haben gewiß Grund zu ihrer Sage, in welcher ſie behaupten, ihr Gott habe, nachdem er die Welt vollendet, ſich ein Fenſter im Himmel angelegt, von dem aus er ſtets auf Mexiko hinabſchauen könne, das ihm vor allen
270 anderen Ländern ſo ſehr gefallen. Aber was helfen dem Volk die Reichthümer und Schön⸗ heiten der Natur, wenn es fortwährend ſeinen eigenen Boden mit Blut düngt und nicht allein eine Einwanderung hindert, für ſie Schätze aus— zubeuten, nein, ſelbſt das eigene Volk davon ab— hält, das zu genießen, was ihm Gott gegeben?
Ich ſelber halte Juarez wenigſtens für einen ehrlichen Mann. Er iſt ein Indianer und ſteht deshalb weit über der verdorbenen ſpani— ſchen Race, und daß er es gut mit ſeinem Lande meint, hat er ſchon gezeigt, als er es dem faſt unerträglich gewordenen Druck der Geiſtlichkeit entzog. Aber Juarez iſt immer nur ein Werk⸗ zeug in den Händen des viel klügeren Lerdo, der
wohl einſieht, daß die an Zahl ſo gering gewor— dene weiße Race in Mexiko nie auf die Sym— pathien der Mehrzahl rechnen darf. Er brauchte deshalb einen Indianer zu ſeinem Präſidenten und wird ihn benutzen, ſo lange er ſich eben brauchbar zeigt. Auf Ruhe darf aber das Land nie unter dieſer Regierung hoffen, denn es fehlt ihr auch das Vertrauen, und das kann ſie ſich nie wieder gewinnen.
Hätte man bei der Präſidentenwahl Porfirio Diaz genommen, oder ihn wenigſtens nur zum
Vicepräſidenten gemacht, jo war es möglich, einen geordneten Zuſtand wieder einzuführen und ſelbſt mit fremden Regierungen wieder Beziehungen anzubahnen. Porfirio Diaz iſt allgemein als Ehrenmann bekannt. Er hat ſich ſowohl in als nach dem letzten Krieg als ſolcher gezeigt und das vergoſſene Blut klebt nicht an ſeinen Händen. Mit Juarez' Regierung iſt dagegen keine Verſöhnung möglich. Brach ſie doch auch ſelbſt durch den Hohn, mit dem fremde Geſandte von ihr behandelt wurden, jede Brücke hinter ſich ab. Ja, die Mexikaner find im gegenwärti— gen Augenblicke übermüthiger geworden, als ſie je geweſen, denn die eigenthümlich geſchützte Lage ihres Landes konnte ihnen kein Geheimniß bleiben.
Schon das ungeheure, von Sümpfen und
Bergen durchzogene Terrain gewährt ihnen einen
nicht zu gering anzuſchlagenden Schutz gegen fremde Einfälle, mit den gewaltigen Entfernun— gen von einem Platz zum andern, aber das Alles tritt gegen das von Nordamerika gegen jeden Angriff ausgeſprochene Veto in den Hintergrund. Sie trauen Amerika allerdings ſelber nicht; ſie wiſſen, daß es von jeher ein Auge auf das Nachbarland gehabt und über kurz oder lang
272
einmal ihr gefährlichſter Feind werden könne, aber für den Augenblick iſt es ihr mächtiger Be— ſchützer, und der leichtherzige Charakter dieſes ſüdlichen Volkes läßt es ſich gern über alle Sorgen für die Zukunft hinwegſetzen. Ja, die Mehrzahl denkt ſogar nicht einmal an eine ſolche Möglichkeit, ſondern ſieht allein in der Tapfer⸗ keit der mexikaniſchen Soldaten nicht blos die jetzige „Rettung des Vaterlandes“, ſondern auch ſeinen vollkommenen Schutz für die Zukunft.
„Wir ſind die tapferſte Nation,“ habe ich oft genug die Mexikaner prahlen hören, „denn wir haben die Franzoſen beſiegt, die bis jetzt alle anderen Nationen unterjochten.“ Dieſes ſtolze Bewußtſein macht fie aber vollkommen glücklich und zufrieden, und ſie ähneln darin einem Schwind— ſüchtigen, bei dem jeder andere Menſch weiß, daß er ſeinem Tode entgegengeht, nur er ſelber nicht. Es würde, wenn es nicht unmöglich wäre, ſelbſt grauſam ſein, ſie in ihrem Vertrauen auf ſich ſelbſt wankend zu machen.
Auf dem Weihnachtsmarkt in Mexiko, ziem— lich ordinär gemacht, aber mit bunten Farben ausgemalt, war eine Gruppe dargeſtellt, welche die Stimmung der großen Mehrheit des Volkes recht gut bezeichnen könnte. Die Gruppe be—
ſtand aus zwei Figuren: Ein Franzoſe, die Fahne
der „großen Nation“ in der einen und das blanke Schwert in der andern Hand, liegt am Boden. Hinter ihm, den Fuß auf ſeinen Körper geſetzt, ſteht die Jungfrau Mexiko, in der rechten Hand
die grün⸗weiß⸗rothe Fahne (die Streifen aur
recht ſtehend, wie bei den franzöſiſchen Fahnen) und in der linken — nicht etwa eine Waffe, ſondern nur einen Fächer haltend. Nur der Luftzug dieſes Spielzeuges diente, in ihrer Hand, dazu, um den mächtigen Feind niederzu— ſchmettern. Es erinnert das freilich etwas ſtark an Gellert's Fabel mit dem Heupferd, aber nichtsdeſtoweniger ſteht die Thatſache feſt, daß Mexiko, in dieſem Augenblick wenigſtens, in der That unangreifbar für fremde Mächte geworden iſt, denn Frankreich wird ſich hüten, ſich zum zweiten Mal die Finger zu verbrennen, und andere Reiche haben ſich wahrſcheinlich ein zu gutes Beiſpiel an dem Vorhergegangenen ge— nommen, um seinen ähnlichen Verſuch zu machen. Mexiko bleibt deshalb vor der Hand ſich ſelber überlaſſen und ihm Zeit und Ruhe von außen genug, das Glück ſeines ſchönen Landes zu ſichern und ſeine Zuſtände zu verbeſſern, ſeine Schätze auszubeuten; aber gegen den faulen Wurm, der Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 18
274
im Innern frißt, hilft eben kein äußerer Schutz,
And ich fürchte ſehr, es wird erſt dann zu wirk⸗
licher Beſinnung ſeiner ſelbſt und nachher auch zu Frieden und Wohlſtand kommen, wenn es der ſchon faſt zu mächtig gewordene Nachbar auch noch eingeſteckt, und das jetzige Syſtem, das die wahre Caricatur einer Republik iſt, von den rothen Stühlen im Abgeordnetenhaus her— unkergefegt hat.
Und was für ein Geiſt herrſcht unter dem mexikaniſchen Heer? — Ich ſelber bin allerdings mit den Herren nicht zuſammengekommen, was aber in Mexiko von ihnen erzählt wird, klingt nicht beſonders tröſtlich. Einigemal ſoll ſchon die Escorte ſelber die Diligence, der ſie zum Schutz beigegeben war, geplündert haben, und über den Officierſtand wurde nicht beſſer ge— ſprochen.
Damals ging das Gerücht um, daß ſich in Vera⸗Cruz zwei mexikaniſche Officiere hätten degradiren laſſen, um nicht nach Yucatan in den Krieg zu ziehen. In der nämlichen Zeit ſteht ein Raubanfall in der Zeitung, nach dem Capitän Sylveſter Ochoa mit einem jungen Engländer mehrere Tage gemeinſchaftlich reiſte und ſich dann erbot, dem jungen Manne, Namens Ruſſell,
den etwas ſchweren Revolver zu tragen. Kaum
hatte er ihn, jo ſchoß er ſeinen Reiſegefährten nieder, plünderte ihn und wurde dann flüchtig.
Dieſer Offteier wird jetzt ſteckbrieflich verfolgt.
Ein kleiner amerikaniſcher Junge gab eine
ganz vortreffliche Antwort, als er in der Haupt⸗
ſtadt Mexiko gefragt wurde, wie es ihm hier
gefiel. Sie charakteriſirt zugleich den Zuſtand
des ganzen Landes. „Oh, recht gut,“ ſagte der kleine Burſch,
aber mit einem ſo zögernden Ton, daß es eher
wie eine Verneinung klang, und der Fragende,
das bemerkend, ſetzte hinzu — „Nun? — was haſt 5
Du denn eigentlich dagegen?“
„Oh, es iſt hier wohl ganz hübſch,“ meinte jetzt der Kleine, „aber — es ſind zu viel Mexi⸗ kaner hier.“
Es ſind in der That zu viel Mexikaner in
Mexiko, und bis ſie nicht gelichtet werden, bleibt
es ein Chaos von Revolutionen, in denen man nie Frieden und Wohlſtand erwarten darf. Einen ziemlich harten Stand haben jetzt in
Mexiko die angeſiedelten Fremden, denn ſie ſind
der Willkür mexikaniſcher Beamten vollkommen Preis gegeben, und keine Stelle in der Welt,
bei der, ſie gegen Ungerechtigkeiten proteſtiren 18*
276
können; denn wenn auch faſt ſämmtliche Nationa= litäten gegenwärtig unter den Schutz des ameri— kaniſchen Conſulats geſtellt ſind, ſo würde es der Union doch nie einfallen, eher als es ihr ſelber paßt, einen Krieg mit Mexiko anzufangen, weil vielleicht ein Franzoſe oder Deutſcher von irgend einem Beamten ſchlecht und unrecht be— handelt wurde. Alle Fremden ſind deshalb gegen wärtig, wie gerade die Sachen ſtehen, auf Gnade und Ungnad den Mexikanern Preis gegeben, und es iſt dabei gar nicht abzuſehen, wann in dieſem Zuſtand eine Aenderung eintreten kann. Uebrigens muß man es den Mexikanern doch zum Ruhme nachſagen, daß unter ſolchen Um— ſtänden die Lage der Fremden im Lande, einzelne kleinere Fälle natürlich ausgenommen, noch eine ziemlich leidliche, wenn auch nicht mehr begün⸗ ſtigte iſt. Fremde, die dort keinen feſten Wohnſitz haben und deshalb mit den Behörden in keine Berührung kommen, dürfen ſich wahrlich nicht beklagen, auch nur auf irgend eine Art beläſtigt zu werden; man verlangt ihnen nicht einmal einen Paß ab, und ſie dürfen ſich ungehindert, auf welcher Landſtraße fie wollen, von den Räuber⸗
banden plündern laſſen. Der gebildete Mexikaner iſt dabei ein ganz
277 liebenswürdiger Menſch, und ich bin unterwegs mit vielen zuſammengekommen, die ich wirklich lieb gewonnen habe. Sie zeigten ſich immer freundlich und gefällig, und halfen bereitwillig mit der Sprache aus, wenn ich einmal für dies oder jenes kein Wort finden konnte.
Dabei war ich erſtaunt, noch jo viele Sym⸗ pathien für das Kaiſerreich unter ihnen zu fin: den. Die meiſten von ihnen ſehen wohl ein, daß es der verſtorbene Kaiſer wirklich gut mit dem Lande gemeint hat, wenn ſie auch nur ſelten, und dann immer höchſt vorſichtig, eine Aeuße— rung über die jetzige Regierung wagen.
In einer Hinſicht ſtimmen fie aber auch lei⸗ der mit faſt allen Deutſchen überein, die ich darüber ſprach, daß nämlich der Kaiſer Maxi⸗ milian einen wahren Schwarm von nichtsnutzi⸗ gen Abenteurern um ſich verſammelt gehabt habe und von allen Seiten verrathen und verkauft geweſen ſei. |
Armer Kaiſer! Er war von den beiten, wenn auch oft etwas phantaſtiſchen Anſichten beſeelt, aber er konnte ſein Ziel nicht erreichen, denn die Wenigen, die es wirklich gut mit ihm meinten, ſahen ſich nicht im Stande, irgend welchen Ein⸗ fluß auf ihn auszuüben, und die Anderen, die
2s
ſich um ihn drängten, hatten nur allein ihr eige⸗ nes Intereſſe im Auge und kümmerten ſich den
en Henker um das Land oder Kaiſerreich.
5 Wenn nur die Hälfte von dem wahr iſt, was man ſich in Mexiko unter den Deutſchen ſelbſt von ſehr vielen öſterreichiſchen Officieren des Kaiſerreichs erzählt, ſo ſind das ganz andere Perſönlichkeiten geweſen, als ich ſie habe unter dem Corps in Oeſterreich ſelber kennen lernen. Abenteurer waren aber auch wohl die meiſten, die unter einem mexikaniſchen Kaiſerreich nur die alten Goldgruben Montezuma's zu erblicken glaubten, und als ſie ſich darin getäuſcht ſahen, es gerade ſo machten, wie die Spanier in alten Zeiten. Zwiſchen jetzt und damals iſt nur der Unterſchied, daß man in gegenwärtiger Zeit Bü— cher führt und kleine Vergeßlichkeiten ſchwarz
auf weiß behält, was früher nur durch münd—
liche, alſo höchſt ungewiſſe Traditionen auf an- dere Geſchlechter überging.
Verrathen und verkauft war der arme Kaiſer ſo von allen Seiten, und es ging ſo weit, daß man ihm in Cuernavaca nicht einmal mehr ſein Eſſen bringen wollte, weil das Küchengejindel das Geld für Alles nicht allein ſchuldig geblie— ben war, ſondern auch die in Maſſe eingekauf⸗
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ten Gegenſtände, z. B. Butter und Eier, wieder nach anderer Seite hin verkaufte. Der Keller- meiſter des Kaiſers hatte in Mexiko ſelber einen Weinverkauf, und die beſten und edelſten Weine waren dort zu haben! Und ſeine Generale? — Lopez, Marquez haben ihn verkauft, ſelbſt Mi⸗ ramon, der tüchtigſte von allen, hatte ſeine Dienſte ſchon Juarez angeboten, und Maximilian wußte es und traute ihm ſelbſt dann nicht mehr, als er es wirklich für die Zeit treu mit ihm meinte, während Miramon's Frau, voll Stolz und Ehr⸗ geiz, ſelber darnach drängte, die Nachfolgerin des geſtürzten Kaiſerpaares und ſelber Kaiſerin von Mexiko zu werden.
Unglücklicher Weiſe war Maximilian dabei ſchwankenden, unſichern Charakters, und Leute, die ihn genau gekannt haben, verſichern, daß immer der bei ihm Recht gehabt, dem es gelang, das letzte Wort zu bekommen. Er war deshalb leicht von einem ſchon gefaßten Entſchluſſe ab- zubringen, was denn auch Pater Fiſcher wohl zu benutzen und auszubeuten verſtand. Selbſt dieſer, dem Kaiſer am nächſten ſtehende Prieſter hat nur geſucht, ihn für ſeine eigenen Zwecke zu benutzen, und wenn nur der zehnte Theil von dem wahr iſt, was man ſich in Mexiko über die-
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fen würdigen Pater erzählt, Jo verdiente er, daß er — der Leib⸗-Pater des Kaiſers der Franzoſen würde.
Als er Mexiko damals, — gerade während meiner Anweſenheit, verließ, denn ich ſelber habe ihn noch in den Hauptſtraßen der Stadt geſehen, glaubte man auch dort allgemein, er würde hin⸗ auf nach den Vereinigten Staaten gehen, denn man hielt es nicht für möglich, daß er die Frech— heit haben könne, nach Oeſterreich zurückzukeh— ren; — aber was wagt ein Pfaffe nicht.
Uebrigens veröffentlicht das „Diario Official“ in Mexiko jetzt die geheimen Archive des Kaiſers, die zuletzt in den Händen des Pater Fiſcher waren, unter dem Titel: „Documentos offieiales de los traidores, para servir a la Historia de la intervencion“ (officielle Documente der Verräther zur Geſchichte der Intervention), und wen ich in der Hauptſtadt darüber ſprach, behauptete auf das beſtimmteſte, daß jener Pater gerade dieſe Papiere an die Regierung des Juarez für 3000 Dollars verkauft habe. Ich kann für die Wahr⸗ heit nicht bürgen, aber ich habe auch nicht Einen gefunden, der es nur bezweifelt hätte, wohl aber erklärte ein dortiger, ſehr angeſehener Mexikaner auf das beſtimmteſte, daß er beim Finanzminiſter
281:
eine Ordre an die Kaſſe geſehen habe, dem Pater
Fiſcher dieſe Summe auszuzahlen. Und was hatte Juarez' Finanzminiſter mit Pater Fiſcher zu thun?
Einen höchſt intereſſanten Bericht über die
Vertreter der fremden Mächte während Maximi⸗
lian's Regierung, beſonders über die Geſandten 5
von Oeſterreich, Preußen, Italien, England und Frankreich, brachte außerdem der „Mexican Stan⸗ dard“, ein engliſches Blatt, der leider, wie man in Mexiko behauptet, ſehr viel Wahres enthalten ſoll, trotzdem daß er nichts weniger als ſchmeichel— haft für die Herren klingt. Nur Herr von Magnus ſoll in der letzten Zeit wacker und entſchieden für den unglücklichen Monarchen eingetreten ſein, — aber es war zu ſpät. Lerdo hatte ſeinen Tod beſchloſſen, und Juarez keinen Willen. Juarez ſelber würde ihn nie verurtheilt haben.
Das Decret vom 3. October, das alle mit den Waffen in der Hand ergriffenen Mexikaner zum Tode verurtheilte, war es aber, was ihn — nicht etwa verdammte, ſondern den Feinden den gewünſchten Grund zu ſeinem Tode gab; und doch iſt dieſes grauſame Deeret nie in ſeinem Herzen entſtanden, ſondern ihm nur durch Ba⸗
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zaine, dem der Fluch des ganzen Landes folgt, aufgezwungen worden.
Und trotzdem wagt jener Graf Keratry in ſeinem Buch „Kaiſer Maximilian's Erhebung und Fall“, das nur geſchrieben ſcheint, um den Marſchall Bazaine als edlen Menſchenfreund und Märtyrer darzuſtellen, den Thatbeſtand der- maßen zu verdrehen, daß Bazaine es geweſen, der ſich dagegen geſträubt, und Maximilian allein darauf beſtanden habe.
In Mexiko ſelber, und bei Allen, die zu je= ner Zeit in des Kaiſers unmittelbarer Nähe waren, iſt nur eine Stimme darüber, die gerade das Gegentheil von dem verſichert, was uns Graf Kératry möchte glauben machen. |
Der Kaiſer hat ſich bis zum letzten Augen- blick dagegen geſträubt und auch das Decret nie ſelber durchgeführt, ſondern begnadigt, wo ihm
irgend die Gelegenheit dazu geboten wurde. Aber
ſelbſt das war nur eine halbe Maßregel und ſtrafte ſich bitter vom erſten Augenblick an. Um ihn aber zur Unterzeichnung zu bewegen, war ihm der irrige Glaube beigebracht, daß Juarez das Land flüchtig verlaſſen habe und die Revo— lution gebrochen ſei.
Die Wendung, die Graf Keratry der Sache
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giebt, hätte etwas Komiſches, wenn fie nicht einen jo ernſten Gegenſtand beträfe, denn er ſucht es ſo darzuſtellen, als ob Kaiſer Maximilian mit dieſem Decret dem Präſidenten Juarez hätte eine Aufmerkſamkeit erweiſen wollen, und ſchließt dieſen Gegenſtand, in welchem er Maximilian das Schwerſte, aber auf eigene Weiſe geſchminkt, zur Laſt legt, mit den Worten:
„Das iſt die, Geſchichte dieſes ſchickſalſchweren Tages, der kein Flecken für das edle Opfer von Querétaro bleiben darf!“ —
Die wirkliche Geſchichte wird dieſe Geſchichte richten.
Doch vorbei! Der Kanonenſchuß fällt, der
unſere Abfahrt kündet, und auf dem großen
amerikaniſchen Dampfer „Golden city” ließen wir bald den heißen Hafen Acapulco hinter uns und hielten in die prachtvoll kühle Baie der offenen See hinaus.
Von einer kurzen Dampferfahrt zwiſchen der mexikaniſchen Küſte und Panama würde freilich entſetzlich wenig zu ſagen ſein, denn das Leben und Treiben auf dieſen Dampfern bleibt ſich ewig gleich, wenn es nicht das erſte Mal geweſen wäre, daß ich auf einem amerikaniſchen Dampfer fuhr. Ich muß dabei geſtehen, daß ich kein
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günſtiges Vorurtheil für fie hatte, denn nur zu oft mußte ich früher hören, daß auf ihnen die Paſſagiere auf das unbarmherzigſte zufammen= gepreßt und dann in ſolcher Ueberfüllung nur immer, wenn auch reichlich, doch kaum mehr als abgefüttert werden. Ich ſollte auch eine Probe davon bekommen, obgleich der Dampfer auf dieſer Reiſe gerade eine nur verhältnißmäßig geringe Anzahl von Paſſagieren trug. |
Mich traf nämlich das Unglück, der Reiſege— fährte des Präſidenten der ganzen Linie zu wer- den, und ich mußte dafür büßen.
Gegenwärtig läuft zwiſchen San Francisco und New⸗York, via Panama, eine Oppoſition⸗ Dampferlinie, alſo zwei, und die Preiſe ſind da— durch, da eine die andere freundlichſt todt zu ma⸗ chen wünſcht, auf das äußerſte heruntergedrückt. Die Paſſage von San Francisco nach New-York koſtet im gegenwärtigen Augenblick, incluſive der Panama⸗Eiſenbahn, die gegenwärtig 25 Dollars und für 100 Pfund Gepäck 5 Dollars rechnet, nur 97 Dollars amerikan. Gold erſter Cajüte und 50 Dollars zweiter. Für Acapulco beſteht aber leider kein ſolcher Zwang, denn dort legt die Pacific⸗Dampfſchiffslinie allein an, hat alſo auch ihre alten Preiſe für dieſen Hafen und das nörd—
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licher liegende Manzanillo feſtgehalten, ſo daß
ich ſelber von Acapulco bis Panama 75 Dollars amerikan. Gold, und wenn man die Panama⸗ Route hinzurechnet, die ich nicht frei hatte, 35 Dollars mehr, alſo 105 Dollars, oder von Aca— pulco bis Panama (auf vier Tage) 8 Dollars mehr bezahlen mußte, als die Paſſagiere von San Francisco bis New-Nork zahlten.
Aerger war es freilich noch einigen Paſſa⸗ gieren von China gegangen, die ihre ganze Paſ— ſage mit 650 Dollars bis New-Nork bezahlt hat⸗ ten, wobei nur 350 Dollars von China nach San Francisco gerechnet wurden. Da die Paſſage von San Francisco nach New-York aber nur 97 Dollars betrug, ſo hatten ſie mithin 253 Dollars zu viel gezahlt, und die Compagnie in Californien wollte es ihnen nicht zurückerſtatten. Uebrigens hatten ſie beſchloſſen, eine Klage in New⸗York einzureichen, und vor der Hand mag das nur anderen Reiſenden zur Warnung dienen.
Was nun den Präſidenten der Paeific-Dampf⸗ ſchiffslinie, Herrn Mac Lane, betraf, ſo reiſte derſelbe mit zwei Töchtern und zwei Dienerinnen, und hatte dafür in höͤchſt beſcheidener Weiſe die eine ganze Cajütenſeite des Dampfers in Be⸗ ſchlag genommen. Die Folge davon war, daß die
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wirklichen Paſſagiere, die ihr theures Geld für die Ueberfahrt bezahlten, auf der andern, und
. zwar der Sonnenſeite, zuſammengedrängt und in
die winzig kleinen Cajüten eingepfercht wurden. Und das nicht allein, ſelbſt der ganze und kühlſte Gangweg an der Backbordſeite des Dampfers war auf Befehl oder Wunſch des Präſidenten (denn der Capitän war ein Engländer, und ich möchte ihm dieſe Maßregel nicht gern zuſchrei— ben, oder war es doch Speichelleckerei?) abge— ſchloſſen, damit der hohe Herr nicht durch das zufällige Vorübergehen oder längere Aufhalten anderer Paſſagiere in feiner contemplativen Zu⸗ rückgezogenheit geſtört würde.
Rede mir noch Einer von Hofſchranzen an europäiſchen oder anderen Höfen. Unter den amerikaniſchen Republikanern finden wir genau dieſelbe Schmach, und ein deutſcher Hausmar— ſchall oder Excellenz hätte nicht mit größerer Würde und Aufgeblaſenheit reiſen können, als dieſer Amerikaner.
Uebrigens glaube ich nicht, daß er feiner Ge- ſellſchaft damit einen großen Nutzen geleiſtet, wenn es ihm ſelber auch bequem geweſen ſein mag, denn ſämmtliche Paſſagiere waren darüber entrüſtet, und viele Amerikaner und Amerika⸗
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niſch⸗Deutſche erklärten ganz offen, daß ſie von nun an mit der andern Linie reiſen würden.
Die Boote find übrigens ſehr elegant einges richtet, nur zum größten Theil mit zu kleinen state rooms oder Cajüten, um dort ſo viel als möglich Paſſagiere einſtopfen zu können; — bei großer Hitze eine höchſt unangenehme und auch der Geſundheit ſchädliche Sache.
Die Bedienung beſtand ſonderbarer Weiſe größtentheils aus Stock-Chineſen, von denen nur Einer ein klein wenig Engliſch verſtand. Wie ich hörte, war das die erſte Reiſe, die das Schiff mit den Söhnen des himmlischen Reiches machte; die ſechs weißen Stewards an Bord ſchienen aber nicht recht mit der Compagnieſchaft einver- ſtanden, denn wie verlautete, wollten fie, in Pa— nama angekommen, ſämmtlich kündigen, wenn die Chineſen nicht abgelohnt würden. Dieſe ver— derben ihnen jedenfalls den Preis.
Ueber die Officiere des Bootes kann ich we— nig oder nichts ſagen; ſie hielten ſich ſo fern von allen Paſſagieren und ſo eingeknöpft in ihre Würde, daß ſie ſich nicht einmal zu einem Gruß an Deck herabließen und deshalb auch von uns vollſtändig ignorirt wurden. Es iſt dies das erſte und hoffentlich auch das letzte Mal geweſen, daß
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ich eine Reiſe auf einem amerikaniſchen Dampfer gemacht habe, und ich lobe mir zu einer gemüth⸗ lichen Fahrt die deutſchen, engliſchen und fran⸗ zöſiſchen Linien.
Nur ein paar Worte noch muß ich über die Paſſagiere ſagen, von denen in erſter und zwei— ter Cajüte die reichliche Hälfte aus Deutſchen beſtand, die ſich aber erſt im Verlaufe der Fahrt entpuppten und dann als oft ſehr traurige Exemplare zu Tage flatterten. Es waren, mit einigen, aber ſehr wenig Ausnahmen, ſogenannte amerikaniſirte Deutſche, die ſich vier oder fünf Jahre mit „Handel und Erwerb“ in Califor⸗ nien aufgehalten und nun merkwürdiger Weiſe ihre Mutterſprache verlernt hatten. Wenn ſie dann einmal Deutſch ſprachen, ſo geſchah es mit jener tollen Miſchung verderbter Wörter, und dazu kauten einige von ihnen Tabak, damit man ihnen ja nicht den Deutſchen anſehen ſollte.
Viele von ihnen hatten, wie es ſchien, Geld verdient und gingen jetzt nach Deutſchland zu— rück, und dort verblüffen ſie nun in dem kleinen Dorfe, wo ſie daheim ſind, die Bauern durch unverſtändliche Redensarten und ärgern anſtän⸗ dige Hausfrauen durch ihr ewiges Spucken.
Unter den Ladies der erſten Cajüte gab es
289 übrigens eben ſo „gemiſchte Geſellſchaft“, als unter den deutſchen Handelsleuten der zweiten. Selbſt in den wenigen Tagen an Bord kamen wunderliche Geſchichten zu Tage, denn San Fran⸗ cisco hat ebenſo ſeine chronique scandaleuse, wie jede andere große Stadt. Am meiſten aber amüſirte mich eine nicht mehr ganz junge Re— publikanerin, die jeden Tag wenigſtens einmal Staatsviſite in dem abgeſchloſſenen Theil des Herrn Präſidenten und bei deſſen Töchtern machte, dazu aber jedesmal erſt in ihre Cajüte hinab⸗ fuhr, ein ſchwarzes ſchweres ſeidenes Kleid an— zog und Concert-Toilette auf dem Kopf machte. Der Beſuch dauerte jedesmal etwa eine Viertel⸗ ſtunde, dann kam ſie wieder zurück, tauchte auf's Neue unter, warf den irdiſchen Tand ab und erſchien wieder, wie vorher, in ihrem einfachen Reiſekleid. Der Etiquette war dadurch volles Genüge geleiſtet. | Uebrigens hatten wir auch einige wirkliche Ladies an Bord, und unter dieſen beſonders ein liebenswürdiges junges Weſen, das aber einen böſen Krankheitskeim in ſeiner Bruſt trug. Sie war ſehr leidend, und es wirklich rührend, dabei zu ſehen, wie ſie ihr Gatte — keinenfalls ein Amerikaner — pflegte und über ihr wachte. Das Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19
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junge Ehepaar kam von Japan zurück und ging nach den Vereinigten Staaten, um dort die Ge— ſundheit der jungen Frau wieder herzuſtellen. Gott gebe, daß es geſchieht!
Am fünften Tage erreichten wir Panama, wo ich zurückblieb, während die übrigen Paſſa⸗ giere raſch über den Iſthmus auf den ihrer ſchon im Atlantiſchen Ocean harrenden Dampfer be— fördert wurden, und als der kleine Dampfer, der ſie an Land bringen ſollte, von Bord abfuhr, hätte ſich die eine Dame faſt verſäumt und zu⸗ rückbleiben müſſen, da ſie in dem unvermeidlichen ſchwarzen Kleid noch einen letzten Beſuch ge: macht und wahrſcheinlich mit dem Umkleiden nicht ſo raſch fertig geworden war. Wie ſchwer ſich doch manche Menſchen das Leben machen, und noch dazu auf ſo ungeſchickte Weiſe!
10. Fin Abſtecher nach Scuador.
Als ich diesmal nach Panama kam, geſchah es mit dem Wunſch, ſobald als irgend möglich den Iſthmus kreuzen zu können und Venezuela zu beſuchen. In Ecuador hatte ſich wahrſcheinlich wenig verändert, und ſchon halb auf dem Heim⸗
weg kam auch die Sehnſucht dazu, meine Reiſe
von jetzt an ſoviel als möglich abzukürzen, um nach Deutſchland zurückzukehren. Wenn ich auch gerade noch keine Altersſchwäche ſpüre, finde ich doch nicht mehr wie früher wirkliche Freude an Strapazen und Entbehrungen, und da ich doch
wußte, daß mir deren noch genug in Venezuela bevorſtanden, mochte ich ſie nicht eben muthwil⸗
liger Weiſe vermehren.
Da fand ich in Panama einen Brief von der 19 *
292 Ecuador⸗Land⸗Compagnie, mit dem Wunſch darin, daß ich den Pailon beſuchen und ihnen Bericht über den jetzigen Stand der Dinge dort geben möchte, und wie ich mir die Sache überlegte, er— wachte auf einmal auch die Sehnſucht wieder nach dem alten Pailon, an dem ich damals, allein und wie verlaſſen, ſo lange Monate zugebracht. Jetzt bot ſich die Gelegenheit — ich war nur eine verhältnißmäßig ganz kurze Strecke von ihm entfernt und ſchon im Stillen Meer — was hin derte mich, noch einmal mein Canoe über die ſtille Bai zu lenken und dem tiefen Orgelton der ſingenden Fiſche oder dem eintönigen hop! hop! hop! hop! der weißen Fröſche zu lauſchen? Wie ein Märchen aus der Jugendzeit ſtiegen die alten Erinnerungen friſch in mir empor, und da es ſich auch glücklich mit der Abfahrt des kleinen Dampfers traf, der nur einmal im Mo⸗ nat dieſe Richtung fährt und deſſen Abreiſe auf den nächſten Tag angezeigt ſtand, ſo fand ich mich ſchon am nächſten Tag wieder an Bord, und ſtatt dem Atlantiſchen Ocean entgegen, dampfte ich luſtig auf's Neue in das Stille Meer hinaus.
Wunderliches Leben, das ich faſt, ſo lange ich denken kann, in der Welt geführt! Der kleine Dampfer, der jetzt — früher war
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es die „Anna“ — zwiſchen Panama und Guajaquil läuft, heißt „Talca,“ Capitän Chambres, und könnte eigentlich ein wenig ſchneller ſein. Uebrigens genügt er vollkommen für dieſen Dienſt — ſo⸗ weit es wenigſtens die Compagnie betrifft, denn er iſt im Stand eine bedeutende Quantität Fracht einzunehmen und hat auch Raum für viele Paſ⸗ ſagiere. Er läuft von Panama aus Buenaven⸗ tura, Tumaco, Esmeraldas und noch einige an⸗ dere kleine Häfen bis Guajaquil an und macht jeden Monat nur eine Reiſe hin und zurück.
Uebrigens fühlte ich mich hier an Bord tau⸗ ſendmal behaglicher, als an Bord des amerika⸗ niſchen Dampfers, mit dem ich von Acapulco her- abgekommen. Capitän wie Officiere dieſes eng⸗ liſchen Schiffes, lauter Engländer oder Deutſche, waren prächtige Leute, und die wenigen Tage vergingen mir ſo raſch, daß ich kaum wußte, wo ſie hingekommen.
Ich hatte Paſſage nach Tumaco genommen, um von da aus in einem Canoe nach dem Pai⸗ lon hinüberzufahren, und der erſte Platz, an dem wir anlegten, war Buenaventura.
Sieben Jahre waren vergangen, ſeitdem ich das Neſt nicht geſehen, aber es mußte die ſieben Jahre im Schlaf gelegen haben, denn es ſah noch
294 genau ſo ſchmutzig und erbärmlich aus, wie vor jener Zeit. Doch heimelte es mich faſt an, als
ich die „Pfahlbauten“ wieder ſah und meines
eigenen kleinen Hauſes am Pailon gedachte. Und kehrte ich denn wirklich jetzt zu dem zurück? Träumte ich nicht die ganze Geſchichte, und ſollte ich jenen Theil der Welt, von dem ich damals für immer Abſchied genommen, wirklich in we— nigen Tagen wiederſehen? Es war mir wie ein Traum, und ich kam eigentlich erſt wieder in Buenaventura recht zu mir, als es wie mit Kübeln zu ſchütten begann und ich in eins der Häuſer ſelber flüchten mußte. Ja, das war Wirklichkeit — ſo konnte es nur in dieſem Theil der Erde regnen, und ich war froh, als ich bald darauf Gelegenheit bekam, in einem Boot des Dampfers wieder an Bord deſſelben zurück- kehren zu können.
Uebrigens hat dieſes ganz elende Neſt, das
ausſieht wie ein gewöhnliches Fiſcherdorf, einen
höchſt bedeutenden Handel mit dem Innern, und viele Hundert Ballen und Kiſten mit Waaren wurden hier, für den Innern-Verkehr beſonders, ausgeladen, während wir auf dem Rückweg an demſelben Platz etwa zwölfhundert Ballen mit Chinarinde an Bord bekamen. Außerdem fahren
—
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noch eine Menge kleinerer Segelfahrzeuge, Schoo⸗ ner und Briggs, an der Küſte auf und ab, und es herrſcht dort ein nicht unbedeutender Verkehr.
Die Lage des Ortes iſt eine ſehr geſchickt ge— wählte und vortreffliche, an der Mündung eines ſchiffbaren Fluſſes, dicht am Meer und auf er:
höhtem Land. Die freundlichſten Villen ließen
ſich dort bauen, denn auch das Klima iſt kühl und angenehm, und von jedem Mittag an weht den halben Tag und die ganze Nacht eine friſche und erquickende Briſe; aber ändere einmal ein Menſch dieſes Volk. Nicht eine Cocospalme ſteht am ganzen Strand, keine Banane, kein Fruchtbaum. Was ſie an Früchten haben, be- kommen ſie den Fluß herab oder von Tumaco, und in den erbärmlichſten ſchmutzigſten Hütten wohnen dieſelben Menſchen, die ſich mit leichter Mühe und faſt keiner Arbeit dort ein kleines Paradies ſchaffen könnten. |
Viel mögen freilich auch die verſchiedenen Kriege und Revolutionen dazu beitragen, daß ſich das Land ſo ſchwerfällig vorwärts bringt, aber auch ſelbſt in ruhigerer Zeit würde es ſich nicht emporraffen. Es fehlt ihm die Energie des Nordens, und der Süd-Amerikaner verküm⸗ mert lieber in Schmutz und Elend, ehe er eine
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Arbeit vornähme, die ihn nicht gerade auf den
. Nägeln brennt und nur möglicher Weiſe aufge-
ſchoben werden kann.
Dien vierten Tag endlich ee e wir die kleine Frucht⸗Inſel Tumaco, die ich früher keine Zeit gehabt genauer kennen zu lernen Von
bier aus mußte ich mir jetzt ein Canoe miethen,
um nach dem Pailon hinüberzufahren.
Tumaco an ſich iſt kein bedeutender, aber ein reizender kleiner Ort, auf einer kleinen, flachen Inſel im Mirafluß, an der unmittelbaren Grenze
zwiſchen Ecuador und Neu⸗Granada gebaut, und
ſchon durch den ſandigen, aber von Fruchtbäumen bedeckten Boden reinlicher als irgend eine andere Stadt an dieſer Küſte.
Ihr Anblick iſt außerordentlich maleriſch, denn wenn auch im Ganzen flach, ſteigt doch an der dem Meere zuliegenden Spitze ein kleiner Hügel, el morro genannt, empor und von hier aus ſchon wiegen die herrlichſten Cocospalmen ihre Feder— wipfel dem Fremden entgegen, während das Auge überall, wohin es fällt, auf breitblätterige Bananen oder das dunkle Laub der Mangos wie anderer Fruchtbäume trifft.
Das klingt nun allerdings Alles ſehr roman⸗ tiſch und ſieht auch in der That ſo aus — wenn
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man ſich nur ein klein wenig davon entfernt hält, — rückt man der Sache aber etwas näher auf den Leib, ſo findet man in dieſen Häuſern den⸗ ſelben Schmutz, dieſelbe Armuth wie in allen anderen, und wo ſich die Phantaſie junge, blü— hende Indianer malte, die friedlich und glücklich unter ihren Palmen leben, zeigt uns die immer und ewig mit der Poeſie im Streit lebende Wirklichkeit einen Haufen ſchmutziger Negerfami⸗ lien, — die alten Damen ewig in Streit und Hader mit einander, und Kinder dabei — ich gehe gleich zum Früh ſtück und möchte mir den Appetit nicht gern auch nur mit ihrer Beſchrei— bung verderben.
Wie allenthalben an der Küste haben aber in der That die Neger in wirklich bedrohlicher Weiſe überhand genommen. Vor ſieben Jahren noch gab es dort allerdings ſchon viele Neger, aber unter der eigentlichen Miſchlingsrace der Meſtizen oder von Weißen und Indianern Ab— ſtammenden ſtanden ſie doch immer noch verein- zelt da. Jetzt dagegen bilden fie in entſchieden⸗ ſter Weiſe die Mehrzahl, und wohin man ſieht, begegnen Einem die unangenehmen ſchwarzen oder braunen Geſichter mit den unvermeidlich ſchwar—
zen Wollköpfen.
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Abkömmlinge von Indianern ſieht man hier
nur noch ſelten, und dann auch meiſt nur eine andere Race vorbereitend — mit Negern oder
Mulatten verheirathet.
Ich befrug einige der dort Anſäſſigen darüber, dieſe verſicherten mich aber: das Nämliche ſei im ganzen Land der Fall. Die Neger breiteten ſich nach allen Richtungen hin mehr und mehr aus, und in zwanzig Jahren, wenn das ſo fortginge, würden wohl wenig Spuren von reiner indiani— ſcher Abſtammung noch im Lande zu finden ſein.
Sonderbar, daß gerade das Gegentheil in den Vereinigten Staaten von Nordamerika der Fall iſt und man allgemein dort behauptet, daß die Neger im Ausſterben wären. Iſt es dort der zu raſche und plötzliche Uebergang von Sclaverei zur Freiheit, das vollſtändig veränderte Leben, das in ſeiner Unbeſchränktheit auch wohl Viele zu Extravaganzen trieb; iſt es hier das nicht zu heiße, feuchte Klima, das ihrer Conſtitution vielleicht beſonders zuſagt — aber die Thatſache läßt ſich weder leugnen noch abſtreiten, daß die Neger in dieſem Lande mehr und mehr an Zahl wachſen und in gar nicht zu langer Zeit wohl, wenn
nicht ein anderer Stamm, eine andere Race dem
Leben hier eine Wendung zum Beſſern giebt,
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das vollkommene Uebergewicht erlangt haben
werden. Von ihnen iſt aber eine Beſſerung der b
Zuſtände nun und nimmer zu hoffen. Sie wer⸗ den genügend arbeiten, um ſich am Leben zu er⸗ halten und einen mehr und mehr unter ihnen
aufſteigenden Luxus zu beſchaffen, mehr aber auch
nicht. An irgend eine Verbeſſerung des Landes, an ein Fortſchreiten in Handel und Gewerbe iſt unter ihrer Leitung nicht zu denken, und nur eine gewaltſame Befreiung von ihrer Herrſchaft wäre dann möglich.
Das aber iſt der Fluch, den die erſten Ent⸗ decker und Eroberer dieſes Landes geſäet haben und den ihre Nachkommen jetzt ernten müſſen.
Als jener erbärmliche Räuber Pizarro, der keine
einzige gute Eigenſchaft beſaß, als perſönlichen Muth, und den mit jedem andern Gauner eben⸗ falls theilt, mit Hilfe goldgieriger Pfaffen die Eingeborenen faſt ausgerottet hatte und es in dem neuen Land an Arbeitern fehlte, da wurden ſpäter von der afrikaniſchen Küſte, um das edle, in Amerika begonnene Werk zu krönen, ſchwarze Menſchen geſtohlen und zu Sclaven gemacht, und man glaubte nur Vortheil zu gewinnen, je mehr von ihnen man rauben und der neuen Erde einverleiben könne. Die Nachkommen müſſen
jetzt unter den Folgen büßen, denn das unna⸗
AKürliche Verhältniß der Sclaverei konnte nicht
unter der fortſchreitenden Cultur beſtehen. Der Nutzen, den die Länder alſo damals durch die gezwungene Arbeit der Sclaven hatten und wegen deſſen ſie ſich die Nähe der widerlichen Race gefallen ließen — dieſer Nutzen ſchwand mit der Freiheit der Neger, aber das Volk ſelber blieb ihnen auf dem Hals und iſt jetzt nicht mehr auszurotten oder zu vertreiben, ja es wächſt und wächſt und wir wiſſen noch nicht einmal, wie uns in ſpäterer Zeit die Urenkel deſſelben heimzahlen werden, was unſere Urväter an den ihrigen verübt. Die Folgen dieſer gewaltſamen und unnatürlichen Racenüberſiedelung ſind nicht abzuſehen, und wenn auch das amerikaniſche Volk ſtark und kräftig genug iſt, ihnen die Stirn zu bieten, die hieſige Menſchenrace hat nicht ſolche Energie und wird nach und nach voll— kommen untergehen.
Komiſch iſt übrigens, daß die Neger mit Stolz auf die hieſigen, ihnen in jeder Hinſicht überlegenen Indianer hinblicken. Als ich ſpäter in meinem Canoe, in dem ich einen Neger zum Piloten hatte, den Mirafluß hinabfuhr, begeg— neten wir einem Canoe mit halbnackten, braunen
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Menſchen, die ich für Indianer hielt. Ich frug
meinen Burſchen, ob es Cayapas wären, worauf 1
dieſer ſehr ſtolz erwiderte: „Nein, es ſind buen gentes.“ — „Nun?“ entgegnete ich ihm, „ſind die Cayapas etwa nicht buen gentes?“ — und es giebt in der That kaum einen anſtändigeren, ehrlicheren und fleißigeren, ja ſogar intelligen⸗ teren Indianerſtamm, als dieſe Wilden. Der Neger aber, mit einem Geſicht, deſſen ſich ein Affe geſchämt haben müßte, dabei ein ekelhafter Schwadroneur und faul wie drei Rentiers, ſagte mit dem Ausdruck größter Verachtung: „Son Indios!“ — und ich hätte ihm eins mit dem Ruder über den dicken Schädel geben mögen. „Son Indios!“ Es iſt zum Verzweifeln, wenn man ſo etwas mit anhören muß, aber trotzdem iſt es Thatſache, daß ſich die Neger für eine bes vorzugte Klaſſe halten. Ob ſie das aber ſind, mögen ſie jetzt zeigen, denn in den Vereinigten Staaten wurde ihnen, in einem gemäßigten Klima und unter den nur denkbar günſtigſten Verhältniſſen, die volle Gelegenheit geboten, alle ihre Fähigkeiten vollſtändig zu entwickeln. Machen ſie von dieſer Gelegenheit keinen Ge⸗ brauch, ſondern glauben ſie, daß man ſie dort nur dulden wird, um ſich ſelber am Leben zu
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erhalten, dann könnte es geſchehen, daß in nicht
a ferner Zeit ein furchtbarer Vernichtungskrieg
gegen ſie entbrennen könnte, der dann das Ende der Race ſo blutig und ungerecht herbeiführte, wie es begonnen.
Zeigen ſie aber, was ihnen von vielen Seiten noch beſtritten wird, daß ſie wirklich vorragende geiſtige Fähigkeiten beſitzen und im Stande ſind, ſich aus dem Schlamm hervorzuarbeiten, in dem ſie bis jetzt gelebt, dann haben ſie eine Exiſtenz vor ſich, und ſelbſt das Aeußerliche der Race, das jetzt allerdings nur zu häufig dem Affen gleichkommt, wird ſich veredlen. Iſt doch dieſer thieriſche Ausdruck ihnen wohl ſchwerlich von der Natur gegeben, ſondern eben nur erſt durch ſpätere Leidenſchaften den Geſichtern eingeprägt worden, was genau ſo mit unſerer eigenen Race der Fall iſt. Ein boshafter Menſch iſt nicht deshalb boshaft, weil er ein boshaftes Geſicht hat, ſondern er bekam dieſen häßlichen Ausdruck in ſeinem Geſicht erſt in den Jahren, in denen ſich ſein Charakter völlig entwickelte. Als Knabe
hatte er vielleicht offene und ehrliche Züge, noch
mit keinem Groll gegen die Menſchheit im Herzen. So finden wir auch ſelbſt unter den Schwar— zen eine Menge von Menſchen, die wirklich in⸗
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telligente Züge haben, und daß die Maſſe der
unglücklichen Sclaven, unter gewaltſam verhin-
derter Bildung aufgewachſen, wie das liebe Vieh in den Tag hinein leben mußte, konnte ihnen natürlich keinen klugen und geiſtreichen Aus⸗
druck geben — jede Phyſiognomik wäre ja ſonſt es,
eine Lüge. |
Doch ich komme ganz von meiner Fahrt nach dem Pailon durch die Neger ab, die aber doch dazu beſtimmt waren, mich hinüber zu bringen.
Ich nahm mir nämlich in Tumaco, wo ich ne
türlich nicht länger als nöthig bleiben wollte, zwei Neger, miethete ein Canoe und wollte am nächſten Morgen abfahren, um den Pailon ſo raſch als möglich zu erreichen. Die Leute ver— ſprachen auch, Alles zur rechten Zeit bereit zu halten, aber man muß dieſes ſüdamerikaniſche Volk kennen — denn die Neger ſind darin nicht um die Spur ſchlechter als alle Uebrigen — um zu wiſſen, daß man nie darauf gehen kann, was Einem ein Südamerikaner verſpricht. Er hat
vielleicht die Abſicht, es zu halten — quien sabe! 0
— aber ſo viel iſt ſicher, daß er ſchon in der nächſten Viertelſtunde gar nicht mehr daran denkt und mit der größten Gemüthsruhe — wenn zur Rede geſtellt — eingeſteht, daß er es
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eben vergeſſen hätte oder daß es nicht gut ge⸗ gangen wäre. |
Anfangs habe ich mich über ein ſolch' nichts⸗ würdig wortbrüchiges Weſen ſchändlich geärgert, zuletzt iſt mir aber doch auch eingefallen, daß jede Sache ihre zwei Seiten habe, und bequem wäre es jedenfalls, wenn man das Nämliche bei uns in Europa einführen könnte. Man bekommt eine langweilige mündliche Einladung von einem „Freund“ zu einem großen Diner oder gar thé dansant. Man mag die Sache nicht abſchlagen, ſo ungern man geht, aber der Mann könnte ſich auch beleidigt fühlen und man will ihm nicht gern weh thun. Man ſagt alſo zu, geht am nächſten Tag hin, langweilt ſich wie ein Mops im Tiſchkaſten und hat außerdem den ganzen Tag zu ſeiner Arbeit oder ſonſtigen nützlichen Dingen gründlich verloren. Wie anders wäre das nun nach hieſigen ecuadoriſchen Begriffen. Man wird eingeladen. — „Ja wohl, lieber beſter Freund, mit dem größten Vergnügen, um wie viel Uhr?“ — „Um acht Uhr, wenn ich bitten darf, aber ja nicht ſpäter.“ — „Sehr ſchön.“ Damit iſt die Sache vollkommen abge— macht. Man denkt gar nicht daran hinzugehen, wenn man nicht ſelber Freude daran hat, und
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der Einladende würde das Ausbleiben eben To
natürlich finden. Es würde vielleicht ein halber Eimer heißes Waſſer und zwei Kaffeelöffel voll Thee umſonſt verſchwendet — das iſt das ganze angerichtete Unglück des Abends.
Um aber auf meine beiden Neger zurückzu⸗ kommen, ſo war ich nicht geſonnen, ſie über eine ganze Fluth hinauszulaſſen; der Eine hatte ſich einen Rauſch angetrunken, der Andere war noch nüchtern; wenn ich den jetzt ſich ſelber überließ, betrank er ſich vielleicht auch, und das Beſte war, ich packte ſie augenblicklich zuſammen und in's Canoe. Der Alte ſträubte ſich allerdings — der Eſtero, durch den wir paſſiren mußten, war jetzt seco oder trocken — was that das? wir konnten dort genau ſo gut auf Hochwaſſer warten, wie hier — ich ließ eben nicht nach und bekam meine Leute endlich wirklich in das Canoe hinein und unterwegs.
Es iſt das ein ganz eigenthümlicher Weg, dieſe Bahn, die man ſich durch das Innere, theils durch den Mirafluß, theils durch die Bayous, theils am Meeresufer hin für kurze Strecke und innerhalb der außenliegenden Brandung ſucht. Bald iſt man dabei von Ebbe und Fluth ab⸗ hängig, bald arbeitet man ſich einen Ausfluß
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 20
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des Mira hinauf, bald ſchießt man den Haupt- ſtrom hinab, und im Ganzen bleibt es immer eine ſehr intereſſante, wenn auch etwas lang: wierige Fahrt. Meine beiden Neger wußten aber ſchon ganz genau, wie ſie ſich das Leben angenehm machen konnten. Wenn ich ſie zwang, ihren Contract einzuhalten, jo hatte ich ſie da— mit allerdings von Tumaco weggebracht und am weiteren Trinken verhindert, ſchneller kam ich aber deshalb wohl kaum von der Stelle, denn wir mußten richtig vier Stunden in dem ſeichten
Eſtero auf die Fluth warten und wurden erſt
kurz vor Dunkelwerden wieder flott. Die Leute aber erklärten, in der Nacht durch die gefähr- lichen und oft labyrinthähnlichen Manglaren ihren Weg nicht finden zu können. Sie bogen auch bald links ein, wo mehrere auf Pfähle gebaute Hütten zwiſchen prächtigen Cocospalmen ſtanden, und kaum eine Viertelſtunde ſpäter hing meine Hängematte mitten in einer Negerfamilie, deren Bewohner außerordentlich erfreut ſchienen,
meine beiden Peons zu ſehen, und ſich die be⸗
treffenden Neuigkeiten mit Stimmen zuſchrieen, die einen gewöhnlichen Menſchen hätten taub machen können. Ich war aber ſchon ungewöhnlich
müde geworden, denn meine beiden Strolche
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hatten ſich den ganzen Tag über meinen Kopf hinweg die langweiligſten und fadeſten Geſchich⸗ ten zugeſchrieen, und indem ich Alles ruhig über mich ergehen ließ, ſchlief ich endlich ein.
Am nächſten Morgen mit ausgehender Ebbe ſchifften wir uns wieder ein, und es war gut, daß ich mir in Tumaco 995 Lebensmittel mit⸗ genommen, denn wenn ich hätte von dem Volk, in den Hütten meine Mahlzeiten eſſen ſollen, ſo wäre ich vor Ekel verhungert. So konnte ich es ganz gut aushalten. Unter dem Rancho oder Blätterdach, das ich mir im Canoe hatte aufbauen laſſen, ausgeſtreckt, lag ich mit meinen Sachen ſowohl gegen Regen wie Sonnenſchein geſchützt und konnte leſen oder ſchlafen — was mich freute. Die Scenerie bot hier auch nicht viel Intereſſantes, denn zum großen Theil drück— ten wir uns noch an der äußeren Küſte zwiſchen Sand und der Ausſicht auf das Meer hin, nur dann und wann in einen Eſtero eintauchend, um ein Stück Wegs abzuſchneiden und der rauhen See auswärts zu entgehen. Die Nacht blieben wir ebenfalls wieder bei einer Mulattenfamilie, in der die Frau jedoch einer Miſchlingsrace ent⸗ ſtammte und ziemlich weiß ausſah. Ueberhaupt
wohnten in allen Häuſern, die wir am Ufer an⸗ 20
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308 trafen, ſaßen in allen Canoes, denen wir unter: wegs begegneten, Neger, immer und immer Neger, oder wenigſtens ihre Abkömmlinge.
Abends waren wir übrigens noch in den Hauptſtrom des Mira hineingekommen und ein Stück mit der raſchen Strömung thalab bis zur isla grande gelaufen, am nächſten Morgen aber mit Tagesgrauen wieder unterwegs, glitten ge— räuſchlos den Strom hinab, und ich muß ge— ſtehen, daß ich mich kaum ſatt ſehen konnte an den prachtvollen Ufern.
So lange es noch dunkel war, gewährten ſie beſonders einen eigenthümlichen Anblick, denn da die üppige, ja überreiche Vegetation von beiden Seiten in den Strom hinein und bis auf die Oberfläche deſſelben niederhing, ſo ſah es genau ſo aus, als ob der hier noch ziemlich breite und mächtige Strom ſeine Ufer nicht allein überfluthet habe, ſondern bis in die Wipfel der daranſtehen⸗ den Bäume hineingetreten ſei und nun dazwiſchen hin ſeine wilde Bahn ſuche. Schwarz und dro— hend umhingen dabei den Himmel düſtere Wolken, und es war ein wirklich unheimliches Bild, indem unſer Canoe ſchattengleich dahinglitt. Von der eigentlichen Vegetation des Ufers war dabei faſt gar nichts zu erkennen, denn nur wie eine hohe,
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grüne, undurchdringliche Mauer ſtiegen die Bäume an beiden Seiten ſteil und düſter empor — aber das änderte ſich bald. 8
Die Sonne ging auf — noch konnten wir ihre Strahlen nicht ſehen, denn von den Cor- dilleren wurden dieſe noch zurückgehalten, wäh— rend die über den hohen Gebirgen im Oſten lagernden Wolkenſchleier ebenfalls dazu dienten, den Tag zu verzögern — aber plötzlich brach ſie hindurch — die Nebel wichen und wie in den dissolving views ſprang raſch wie mit einem Schlag das ganze Bild aus düſterer Sturmnacht in das herrlichſte tropiſche Landſchaftsbild über, das ſich nur eben denken und träumen läßt.
Nicht mehr auf einem ausgetretenen, zwiſchen den Wipfeln der erſtiegenen Bäume dahin gur⸗ gelnden Strom glitten wir hin, ſondern auf einem ſonnigen Waſſer, mit deſſen ſchimmernder Fluth die hineinhängenden Blüthen und äußerſten Spitzen der tauſend Blumenranken ſpielten, die ſich in ihm ſpiegelten. Und was für herrliche Bäume ſtanden am Ufer! Hier eine Gruppe von Laubholzbäumen, unter denen beſonders einer hervortrat, der mich mit ſeinen weißen aufrecht ſtehenden Blüthen und großen langen Blättern lebhaft an unſere blühenden Kaſtanien erinnerte.
310 Rothe und gelbe Lianen wiegten dabei herüber und hinüber, und Kolibris und Schmetterlinge gaukelten und zuckten darüber hin. Jetzt glitten wir daran vorbei und erreichten ſchon im näch-
ſten Moment eine lange, mit wildem, hochauf— geſchoſſenem Rohr bewachſene Fläche, aus dem
Et heraus ſich prachtvolle Palmen hoben. Und dort
drüben jene zierlichen federartigen Büſche, die oft ſelbſt die Waldbäume überragten. Es war Bambus, dieſes nützlichſte aller tropiſchen Ge— wächſe, der ſeine langen Ruthen in der Morgen- briſe ſchaukelte, während die feinen Blätter er- zitterten und in den jungen Sonnenſtrahlen ordentlich blitzten und funkelten.
Und jetzt wieder ein anderes Bild — dunkel- laubige Brotfruchtbäume mit ihren wunderlich geformten Blättern hoben ſich wie ein Wald empor, dann ſchloß ſich eine kleine Plantage mit Cocospalmen, Bananen und Zuckerrohr daran an. An der Landung lagen ein paar hübſch ge— arbeitete Canoes, Hunde bellten, Hähne krähten, und über die niedere Bambuswand des Wohn— gebäudes lehnten ein paar behäbige, aber pech— ſchwarze Geſichter mit Wollperrücken und ſchrieen meinen Leuten ihren fröhlichen Morgengruß herüber.
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Und wieder daran hin ſchoß das Canoe — ein wildes Gewirr von hochaufgeſchoſſenem Zucker⸗ rohr, Bambus und wilden Bananen begrenzte den Platz — es war eine frühere Plantage, die, von dem Beſitzer vernachläſſigt, in ihren früheren Zuſtand, den Urwald, zurückkehrte und den Ueber— gang nun erſt noch durch die verwilderten und ſchon unbrauchbaren Nutzpflanzen bildete. |
Weiterhin wieder Ranken und Laubholz und dicht am Ufer zierliche Farrnpalmen, die ihre wirklich reizenden Wipfel über den Strom ſchüt— telten. Bis dahin hatte ich auch geglaubt, daß die Farrnpalme unter den Tropen ſtets eine be= ſtimmte Höhe verlange, und meiner Meinung nach 2—3000 Fuß brauche, um einen richtigen Stamm zu treiben. Wir befanden uns hier aber kaum aus dem Bereich der Ebbe und Fluth, und doch ſah ich Farrnpalmen mit einem Stamm von wenigſtens 6—8 Fuß Höhe.
Endlich erreichten wir die Mündung des Mira — die boca grande, mit einem kleinen er⸗ bärmlichen Fiſcherdorf daran, hielten uns aber dort nicht auf, ſondern über den Strom hinüber wieder innerhalb der außen tobenden Brandungs⸗ wellen, die aber doch ihre Schwellungen und
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Wogen bis hier hereinwarfen und uns tüchtig hin⸗ und herſchaukelten.
Von da ab mußten wir uns wieder durch die Eſteros halten, in denen uns die Fluth manch— mal günſtig, manchmal ungünſtig war, ſo daß wir dann nur höchſt langſamen Fortgang machen konnten. Meine beiden ſchwarzen Burſchen über⸗ arbeiteten ſich ebenſowenig, ſondern ließen es langſam an ſich kommen, und als wir dann endlich in die Manglaren eindrangen und uns dem Pailon näherten, war es ſchon tiefe Nacht geworden. Hier übrigens war ich nicht geſonnen, noch einmal zu übernachten, außerdem hatte die Fluth gerade eingeſetzt, die uns, mit Ausnahme eines einzigen Eſteros, günſtig war, und weiter ruderten wir in die Nacht hinein. Ich kann mich aber kaum einer Zeit erinnern, daß mir ſo ſonderbar, ſo wunderlich zu Muthe geweſen wäre, als an dem Abend. War denn das Alles Wirklichkeit? Um mich her in den Manglaren ſchnalzten und raſchelten die Krabben und rauſchte das Waſſer durch die verſchlungenen Wurzeln, da drunten in der Fluth tönte wieder der eigen- thümliche, ſonſt nirgends gehörte Orgelton der „ſingenden Fiſche“, während drinnen — weit
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drinnen im Walde die „verlorene Seele“ ihre klagende Weiſe ſang.
Tauſende von Meilen hatten lange Jahre hindurch zwiſchen mir und dieſen Stellen ge- legen und nur in der Erinnerung die dort er— lebten Scenen fortbeſtanden, und jetzt — plöͤtzlich faſt, ſah ich mich wieder mitten hineinverſetzt in alles das, was ich kaum je geglaubt auf's Neue zu ſchauen, ſah ich mich wieder im vollen Bereich all' jener wunderlichen Landſchaften und Gruppen, und nicht möglich wäre es mir, zu beſchreiben, was ich dabei fühlte.
Jetzt bogen wir in den Pailon ein 925 glitten langſam mit der Fluth in dem breiten, von Manglaren beſetzten Canal hinauf — höher und höher, bis er die Biegung rechts nach dem Lo— renzo machte; jetzt glänzten von dort aus den einzelnen Häuſern Lichter herauf, und nun bogen wir in dieſelbe Bucht ein, an der mein Haus, meine Palmen ſtanden — oder ſtehen ſollten.
Wie fremd — wie wüſt das Alles ausſah! Draußen auf der Spitze der kleinen Landzunge, der ſogenannten Punta, ſtand ein unnatürlich hohes, aber durchſichtiges Gebäude und jedenfalls unbewohnt. Das war kein Haus eines Ein⸗ geborenen; was um des Himmels willen konnte
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un es jein? Und wo war mein eigenes Haus?
Wo waren meine Palmen? Der Platz lag öde und mit hohen Büſchen dicht überwachſen.
Das Canoe glitt in die kleine Bucht jetzt mit höchſter Fluth hinein — dort ſtand noch ein altes Haus, das ich von früher kannte, und dort mußten wir jedenfalls übernachten und unſere Sachen in's Trockene bringen, da es eben wieder zu regnen anfing. Ich reichte die Gegenſtände aus dem Canoe, die Neger trugen ſie die Uferbank hinauf und in das Haus hinein, wo indeß die Leute ſchon alle ſchliefen und von uns gar keine weitere Notiz genommen wurde. Wir mochten uns droben für die Nacht ſo gut einrichten, wie wir eben konnten — die Eigenthümer des Hötels hatten nichts dagegen.
Ich folgte zuletzt mit meiner Büchſe und meinem Bett (Hängematte und Poncho), kletterte den ſchlüpfrigen Hang hinauf, fand die Leiter, die am Hauſe lehnte, und fühlte oben auf den feuchten glatten Dielen aus geſpaltener und ſchwankender Palmenrinde nach einem Platz, wo— hin ich mich die Nacht legen konnte. In der Dunkelheit war es nämlich nicht möglich, eine paſſende Stelle für meine Hängematte zu finden, denn wohin ich griff, traf ich auf ausgeſpannte
Tr RE LT VRRHETBE ARE
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Toldos oder Mosquitonetze. Schönes Entrée in Pailon, faſt ähnlich dem meines erſten Betretens dieſer Ufer. Ein dunkler, beengter Raum, in
dem ich des jetzt niederſtrömenden Regens wegen
Schutz ſuchen mußte — überall, wohin ich tappte, feuchte, fremdartige Gegenſtände — auf den Bo⸗ den Schmutz, in der einen Ecke das Schreien 5 irgend eines Kindes, das ich in meinem ganzen f
Leben noch nicht geſehen, und dazu der peitſchende ;
Regen auf das Dach nieder. Aber ich war gegen Derartiges, was einen andern Europäer vielleicht zur Verzweiflung getrieben hätte, ſchon lange ab— geſtumpft.
Einen Platz zum Hinlegen konnte ich nicht einmal finden, denn der kleine, offengelaſſene Raum war noch durch unſere Sachen beſchränkt worden. Kurz entſchloſſen nahm ich deshalb auch, wo ich ſtand, meinen Poncho aus der Hänge— matte, wickelte mich hinein, drückte, ſo gut es gehen wollte, die zuſammengeballte Hängematte hinter mich und kauerte mich dann an derſelben
Stelle, den Kopf gegen Gott weiß was gelehnt, 5
nieder.
Draußen heulte der Wind und der Regen ſchlug klatſchend auf die Palmenblätter des Daches nieder, unter dem Haus drängten ſich
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ein paar Kühe zuſammen und geriethen dabei in ein altes Canoe, das dort faulte und über das ſie hinſtolperten, während die Hunde der Nach—
c . barhäuſer bellten — im Hauſe ſchrie das unbe—
kannte Kind und ſchnarchte irgend eine unbe— kannte Perſon, und die beiden Neger, die jetzt ebenfalls für ſich einen Schlafplatz finden woll⸗ ten und nicht wie ich den erſten beſten genommen hatten, auf dem ſie gerade ſtanden, traten und
Bi: fielen ein paarmal über mich weg und wiſchten
ihre Füße an mir ab.
Plötzlich war Alles wie mit einem Schlage ſtill. Der Regen hörte ſo abgebrochen auf, wie er angefangen. Das Kind ſchrie nicht mehr, was den unbekannten Schnarcher jedenfalls halb erweckte, ſo daß auch er ſeine Muſik einſtellte. Die Kühe unten hatten das Haus verlaſſen — ſelbſt die Hunde ſchwiegen. Hop! hop! hop! —
— hop! hop! hop! hop! — — hop! — hop! — klang es oben vom Dach des Hauſes nieder — es waren meine alten Freunde, oder vielleicht die Urenkel derſelben, die weißen, langbeinigen Fröſche des Pailon, die dort, nach vorübergegan— genem Regen, ihr gewöhnliches Abendlied ſangen, — und Sssssssssss — ſiehſt de — ſiehſt de — ſiehſt de — fielen die großen braunen Grillen
317 ein — ſiehſte — ſiehſte — ſiehſte — 989888888! — Und dann begannen die Hähne im ganzen Orte, die das von elf Uhr Abends an alle zwei Stunden regelmäßig beſorgen, zu krähen, die Hunde antworteten ihnen, und wie im Traum hörte ich nur noch von der Bai herüber den leiſen,
eintönigen Orgelton der Fiſche und den heiſern 910
Schrei eines Nachtvogels, der um den kleinen Ort herum nach der Bai hinausſtrich. Dann fielen mir die Augen zu und nur noch halb zwiſchen Schlaf und Wachen hörte ich das mono— tone hop, hop, hop, hop der Fröſche weiter.
Als ich am andern Morgen erwachte, war es heller Tag, und mein erſter Blick von der Thür hinab galt der leeren Stelle, wo mein Haus ge= ſtanden. Es war unmittelbar daneben, wo wir uns jetzt befanden. Keine Spur davon war aber mehr zu erkennen — es mußte gewaltſam ab⸗ geriſſen ſein, oder die Pfoſten wären wenigſtens geblieben. Auch von den dort gepflanzten Palmen war nichts mehr zu ſehen, und an dem Platz nun wuchſen die prachtvollſten Rhododendrons mit den großen, röthlich weißen, gefüllten Blüthen⸗ vaſen und überwucherten ihn vollkommen. Dar⸗ über hinaus aber ſtand das hohe Gebäude, das
mir ſchon geſtern Abend aufgefallen, und dar— Mi 4
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unter — eine kleine Dampfmaſchine — die Säge⸗ mühle, die Herr Flemming hier herausgeführt. Aber das übrige Städtchen? Der ganze Ort ſchien verwandelt. Kein Haus ſtand mehr an
der nämlichen Stelle, und Büſche und Sträucher waren überall dazwiſchen aufgewachſen, während eine Anzahl von Kühen und Hunden den Ober— befehl zu führen ſchienen. |
Ich hatte mich jo auf San Lorenzo und die alten Plätze gefreut und ſah mich jetzt in einem vollkommen fremden Ort, wo nur das eine Haus, in dem ich mich gerade befand, das nämliche ge— blieben ſchien und auch noch ſeine alten Beſitzer,
f die Familie Buſtos, hatte. Die Frauen kamen
jetzt unter ihren Toldos vor — ſie kannten mich wieder und begrüßten mich freundlich — die Eine war die Frau deſſelben Mannes, von dem ich damals mein Haus gekauft, der Mann aber in— deß geſtorben. Wie ging es Miguel, den wir den Pater nannten? — Der iſt ſeit acht Monaten todt. — Biſhop, Sheene, Wille? — Todt. — Martinez? — Fortgezogen. — Die beiden Ame- rikaner? — Todt; ſie hatten ſich todt getrunken. — Manuel? — Fort. — Die Indianer? — Todt! — Wahrhaftig, mir verging die Luſt, weiter zu fragen, und ich beſchloß lieber ſelber
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nachzuſehen, ob ich nicht vielleicht noch einige von meinen alten Bekannten auffinden könne. Was aber war aus meinem Haus geworden? — Oh, das hatte der Agent der Compagnie dem deutſchen Wille — einem Schuft erſten Ranges, oder einem Verrückten, wie ich eher glaube, denn er brachte feinen eigenen Vater um — überlaſſen; er behauptete, daß ihm die Sorge für daſſelbe übertragen ſei, und Wille hatte es dann dort hin⸗ über, wo es jetzt noch, aber ganz verändert ſtand, geſetzt. 9
Und wie es ſonſt am Pailon ausſah?
Schlecht — es war nichts zu eſſen da. Die Kühe hatten alle Platanares und Zuckerfelder zerſtört und die Fenzen dabei niedergeriſſen — kein Menſch baute ſie aber wieder auf, denn es half doch nichts.
Und wie konnten ſie leben?
Ja, das wußten ſie ſelber nicht, und ſie hätten auch große Luft, hier fortzuziehen — die Meiſten wären ſchon gegangen. Es ſtehe jetzt recht bos mit dem Pailon. 15 15
Mitten in dem kleinen Ort ſtand ein ein⸗ zelnes Haus mit einem Garten, das ſich von den übrigen durch ſeine Höhe und beſſere Bau⸗ art, wenn auch aus dem nämlichen Material,
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auszeichnete. Dort wohnte, wie mir die Leute ſagten, der Deutſche, „der die Maſchine herge— bracht“. — Dorthin ging ich jetzt, nachdem ich mich erſt an meiner alten Badeſtelle ordentlich abgewaſchen und gereinigt, und fand auch Herrn Flemming, deſſen Maſchine heute, als an einem Sonntag, nicht arbeitete, zu Hauſe. Er begrüßte mich auf das freundlichſte und lud mich augen— blicklich ein, in ſeinem Haus zu wohnen, was ich mit Dank annahm, da ich ja ſelber an die Luft geſetzt war und lieber im Walde, als bei den Eingeborenen geſchlafen oder gegeſſen hätte. Dort konnten wir auch die jetzigen Verhältniſſe des Pailon ruhig beſprechen und von dort aus die verſchiedenen Leute aufſuchen, bei denen ich außerdem Erkundigungen einziehen wollte.
Herr Flemming hat ſeine junge Frau mit an den Pailon gebracht — jedenfalls ein etwas ges wagtes Unternehmen, wo die Verhältniſſe noch ſo im Urzuſtand liegen, daß ein engliſcher Matroſe ſämmtliche Taufen beſorgt und keine einzige Dame auf Hunderte von Meilen in der Nähe iſt, mit der ſie eine Anſprache haben könnte Ebenſo fehlt es an einem Arzt wie einer Apo- theke, und in der That hat ſich der Pailon, ſeit ich ihn im Jahre 1860 beſuchte, nicht allein nicht
ne A a K - DE RT TE a ee ET Er ET FE, ws 1 r 55 58 4 1 IR
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verbeſſert, ſondern, mit Ausnahme der Säge⸗ mühle und eines kleinen Ladens, wirklich ver⸗ ſchlechtert — ja, verſchlechtert im ſchlimmſten
Sinne, wenn ich die Bewohner des Ortes ſelber
anſehe. Früher wohnte nur ein Neger hier,
ein gewiſſer Pablo, ein richtiger Lump, der
ſpäter in Concepcion geſtorben iſt; die übrigen Familien beſtanden theils aus Ecuadorianern, theils aus Indianern, eine gemiſchte Race, und während des Krieges in Neu-Granada hatten ſich auch noch einige anſtändige Neugranadienſer hier- her geflüchtet — und was war jetzt das Reſultat eines flüchtigen Cenſus? Zwei gebildete Leute: der Deutſche und ein Ecuadorianer, Namens Flores, der Sohn des berühmten Generals — außerdem zwei engliſche Matroſen, die eine Fa⸗ milie Buſtos und eine andere Buſtamente als Halb⸗
Indianer, und alles Uebrige Neger, Neger, Neger, u
oder ihre Abkömmlinge und Seitenracen. Sämmt⸗ liche Familien dabei, die deutſche ausgenommen, in wilder Ehe, und weshalb das Alles? — Weil — vielleicht durch ein unglückſeliges Zuſammen⸗ treffen von Umſtänden — vielleicht durch die concurrirende Langſamkeit der Compagnie wie der Ecuadorianer ſelber — der Weg in das In⸗
nere, der dem Platz allein Leben verleihen kann Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 21
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und muß, noch nicht in Angriff genommen, oder wenn ſo, nach kurzer Zeit unvollendet gelaſſen
wurde.
Noch iſt die Möglichkeit da, das Alles zu verbeſſern — bis jetzt iſt nur Zeit und weiter nichts verloren, und wenn auch die verſäumten
Jahre nicht wieder eingebracht werden können, ſo
wäre man doch im Stande, heute noch ebenſo zu beginnen, wie damals, als ich den Pailon ver- ließ, aber — es muß eben etwas geſchehen, und ich hoffe von Herzen, daß meine Anweſenheit am Pailon von guten und ſegensreichen Folgen für
den kleinen, einſt ſo reizenden Ort, ſein mag.
Es iſt wirklich einer der hübſcheſten und ge— fündeſten Punkte an der ganzen Küſte. Von Hitze haben die Bewohner deſſelben wenig oder
gar nicht zu leiden, ja die Nächte ſind ſogar ſo
kühl, daß man ſich feſt in ſeine Decke ein— wickeln muß — Ungeziefer giebt es ſehr wenig — ich habe die ganze Zeit ohne Mosquito-Netz geſchlafen und bin nie beläſtigt worden, und Nachmittags wie Nachts beſtreicht eine friſche Briſe das ganze Ufer. Es regnet viel, das iſt richtig, und Mangrove-Sümpfe dehnen ſich nach wenigſtens drei Seiten aus, aber der Regen hat in dem warmen Klima nicht das Unangenehme,
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das er bei uns hat, und die Mangrove-Sümpfe dünſten keine giftigen Schwaden aus, weil ſie alle zwölf Stunden vollſtändig von der See friſch abgewaſchen und damit auch gründlich gereinigt werden. Böſe Krankheiten ſind deshalb bis jetzt auch noch gar nicht hier vorgekommen. Das Land kann dabei Alles produciren, was man ihm an⸗ vertraut, von den edelſten tropiſchen Gewächſen an der Küſte bis zu unſeren nordiſchen Feld- und Hül⸗ ſenfrüchten in den ſüdöſtlich und öſtlich gelegenen Regionen. Der Cacao und die Vanille wachſen wild und können alſo mit der bleichteſten Mühe auch gezogen werden, der Kaffee ſelbſt gedeiht vortrefflich, ſogar im tiefen Lande, und ein Mann, Namens Nahar, will jetzt eine größere Kaffee- plantage im Innern anlegen. Gummi elaſticum⸗ Bäume, und andere, die ein für die Mediein werthvolles Harz geben, wachſen im Wald in ſolcher Maſſe, daß man das Quintal (100 Pfund) deſſelben zu einem ſpottbilligen Preis bekommen kann. Der edle Chinabaum findet ſich ebenfalls, wenn auch hier nicht ſo häufig, doch ſteht ſeiner Vervielfältigung nichts im Wege. Zuckerrohr verlangt faſt keine Pflege, deutſche Gemüſe ſelbſt gedeihen an der Küſte, wenn auch ihr
Samen ausartet und immer friſch bezogen werden 21*
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muß, und welche prachtvollen herrlichen Hölzer füllen die Wälder. Unſchätzbare Reichthümer öffnen ſich aber, wenn erſt der Weg den Eingang zum Innern bahnt — Goldminen liegen noch rechts und links in den Bergen, und ſelbſt die dicht dabei befindlichen Cayapas-Indianer waſchen Gold. Was für ſonſtige Erze die Berge ent- halten, iſt noch nicht einmal unterſucht, und das Land im Innern, aber von der See durch bis jetzt unwegſame Wälder getrennt, ſo dicht be— völkert und bebaut, daß eine ſpätere Ausfuhr von dort noch gar nicht zu berechnen iſt.
Ich meines Theils bin feſt überzeugt, daß eine ſich bildende Actiencompagnie, die einen ordentlichen Weg durch dieſe Strecke anlegte, ſogar gute Geſchäfte mit dem Weg ſelber machen würde, aber die Ecuador⸗Land⸗Compagnie wird und kann ſich auch dieſe Gelegenheit nicht entgehen laſſen, denn ſie allein hat in dem Verkauf ihrer Ländereien und Bonds den größten Gewinn aus dem Unternehmen zu erhoffen.
Doch das ſind Alles noch Träume. So lange der Pailon nicht durch eine Straße mit dem Innern verbunden iſt, wird und muß er nur ein elendes Fiſcherdorf bleiben, in dem ein paar
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Menſchen wohl vegetiren, in dem ſich aber nur Indianer und Neger glücklich fühlen können.
Mir ſchien mein Häuschen damals ungemein romantiſch, da ſein ganzer Haushalt nur aus einem Kochtopf, einem Teller, zwei Calabaſſen, einer Harpune, Angel, einem Ruder und einem alten Faß als Stuhl beſtand. Mehr beſitzen aber auch die jetzigen Bewohner des Ortes nicht, die mit ihrer Frau und einer unbeſtimmten Anzahl von Kindern einen ſolchen Platz bewohnen. Es giebt auf der Welt nichts Aermlicheres, als einen ſolchen ecua dorianiſchen Haushalt, und wenn man ſich denken ſoll, eine ganze Lebenszeit auf ſolche Art zu vegetiren, ſo läßt ſich das wohl ſehr erbaulich und verführeriſch in einem Roman beſchreiben, iſt aber für einen gebildeten und einigermaßen an etwas Beſſeres und Höheres gewöhnten Men⸗ ſchen völlig undenkbar. |
Kur einzelne Matroſen fühlen ſich unter ſolchen Umſtänden wohl, denn ſie ſind an nichts Beſſeres gewöhnt, und die Hütte iſt nur ein ver⸗ größertes und luftiges Vorcaſtle, die Koſt ſelbſt eine Verbeſſerung gegen Salzfleiſch und harten Schiffszwieback, und dieſe halten es auch am erſten an ſolchen Orten aus, ja fühlen ſich ſogar wohl darin.
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Prachtvoll iſt die Scenerie, das läßt ſich nicht leugnen. Die Natur hat Alles für dieſe Länder gethan — der Menſch Nichts, und die Natur thut nur manchmal ein wenig zu viel, denn es iſt keine kleine Arbeit, ſich nur durch einen ſolchen Urwald Bahn zu hauen. Es giebt kaum etwas Schöneres auf der Welt, als dieſe kleinen Buch⸗ ten am Pailon, wo ſich die Manglaren etwas höherem Land öffnen und ſchlanke Palmen mit breit⸗ und glänzendblattigem Unterholz, mit blu⸗ migen Lianen und wunderlich geformten Orchideen die untere Staffage bilden. Aber der Menſch kann — ſo proſaiſch das auch klingen mag — doch von keiner ſchönen Gegend leben — aus⸗ genommen die Wirthe in der Nähe eines Bade— Horts. Die Phantaſie hat allerdings ihr Recht — für das Menſchengeſchlecht im Allgemeinen für Mußeſtunden (ausgenommen Schriftſteller), aber das Leben ſelber iſt ernſt und verlangt ernſten Willen und Fleiß, um ſich ſeinen Platz darin zu erkämpfen.
Mit einer nicht hoch genug anzuſchlagenden Ausdauer hat ſich aber trotzdem unſer Landsmann — und noch dazu ein ganz junger Mann und der Sohn der bekannten Verlagsbuchhandlung
Flemming, am Pailon feſtgeſetzt und kämpft wacker
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gegen alle ſich ihm in den Weg ſtellenden Schwie- rigkeiten — und deren ſind in der That nicht wenige. Er hat nicht allein viele natürliche Hinderniſſe zu beſiegen, ſondern beſonders einen gefährlichen Feind in der entſetzlichen Indolenz der Einge⸗
borenen, die eben nur für den Tag leben und
auf nichts Weiteres hinausdenken. Hat ſo ein
Burſche feine 4—5 Dollars verdient, jo hält er 5
ſich für einen reichen Mann und denkt gar nicht daran, weiter zu arbeiten, bis nicht dies, für jetzt angeſammelte Vermögen auch vollſtändig wieder aufgezehrt iſt. Und ſelbſt das würde nichts ausmachen, gäbe es dort nur Arbeiter genügend, um mit ihnen zu wechſeln. Aber ſie fehlen. Unpaſſende Maßregeln der Agenten haben die meiſten vertrieben — Lebensmittel ſind nicht zu kaufen, ſondern müſſen durch lange und zeit⸗
raubende Canoefahrten herbeigeſchafft werden,
und die nöthigſten Arbeiten bleiben natürlich unter ſolchen Umſtänden liegen. Man kann auch wirklich nur ſagen, daß die Bewohner eines ſolchen Ortes in Süd-Amerika — mag er einen Namen haben, welchen er will — leben. Sie haben von Zeit gar keinen Begriff, denn der morgende Tag, ſo lange ſie eben nicht hungern, iſt ihnen das nämliche, was der heutige iſt, und
RN
wie Jemand überhaupt Zeit verſäumen kann, geht vollſtändig über ihren Horizont. Europäer kommen deshalb nur ſchwer mit ihnen aus, wenn ſie nicht ſchon halbe Süd-Amerikaner geworden ſind, um das volle Gewicht des einen kleinen Wörtchens „paciencia“ zu begreifen und zu ver-
ſtehen, aber dann müſſen ſie auch vollſtändig
darauf verzichten, vorher Berechnungen über etwas zu Leiſtendes zu machen.
Daß ich am Pailon wieder einmal eine kleine Jagdtour verſuchte, läßt ſich denken, und ich fand den Wald noch eben ſo wild und ſo naß, als ich ihn verlaſſen — aber auch eben ſo ſchön und üppig, und man kann annehmen, daß man bei einer ſolchen kurzen Tour, nur um ſich Bahn zu hauen, nach dem Werth, den die Pflanzen bei uns haben würden, etwa für 20,000 Thaler junge Palmen, Schlinggewächſe, Orchideen und andere werthvolle Blüthenbüſche zerjtört. Eigent— lich wollte ich eins der wilden Schweine ſchießen, bekam aber keins zu Geſicht, und nur einen jener ſchönen und herrlich ſchmeckenden Vögel von der Größe unſeres Truthahns, den Pauchi, den ich erlegte. Der Indianer, den ich mit hatte, ver— ſtand es dabei, die kleinen, dem coneja ähnlichen Thiere, die flüchtig wie die Haſen laufen, aber
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eher zum Geſchlecht der Hamſter gehören, mit ſeiner Pfeife herbeizulocken. Er rief vier von ihnen an, wonach er aber, trotzdem daß ich ihn warnte, nie nach dem letzten Ruf noch eine kurze Zeit warten wollte. Jedesmal deshalb, wenn wir wieder den erſten Meſſerhieb in einen Buſch thaten, pfiff das angelockte Thier ſeinen War⸗ nungsruf, ganz nahe bei uns, herüber, und ver— ſchwand dann ſpurlos im Dickicht, ohne daß wir auch nur ein einziges zu ſehen bekamen. Eine Fiſcherei, die wir abhalten wollten, ver: unglückte an der entſetzlichen Faulheit und Nach⸗ läſſigkeit der dabei Betheiligten, welche die Vor- ſtellhölzer, trotzdem daß ich fie darauf aufmerf- ſam machte, nicht gehörig in Stand ſetzten. Alle unſere Mühe und Arbeit wie Geldauslage waren vergebens. Wir bekamen auch nicht einen einzi- gen Fiſch zum Lohn. Aber ſo ſind die Leute in dieſer wie in jeder andern Sache; man kann ſich nie auf ſie verlaſſen, und ſo lange man mit ihnen arbeitet, oder fie doch wenigſtens über- wacht, geht es noch allenfalls an, läßt man ſie aber auch nur für einen Moment aus den Augen, ſo kann man ſich auch feſt darauf verlaſſen, daß ſie ſich entweder ruhig unter einen Baum legen und ausſchlafen, oder auch in völliger Gedanken⸗
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loſigkeit an irgend eine andere ihnen gerade ein⸗ fallende Arbeit gehen, — und davon habe ich ſelbſt Proben in der kurzen Zeit meines dortigen Aufenthalts gehabt.
Gern hätte ich eine Tour in das Innere des Landes gemacht, um manche alte Freunde dort aufzuſuchen, aber ich fürchtete mich vor dem ent: ſetzlichen Weg, der noch genau ſo in Schlamm und Waſſer liegt, wie vor ſieben Jahren. Von Quito hörte ich übrigens durch Senior Flores, der es noch nicht ſo lange verlaſſen, daß es ſich auffallend zu ſeinem Vortheil verändert habe. Als ich es damals beſuchte, war es das ſchmutzigſte, erbärmlichſte Neſt, das man ſich unter einer Hauptſtadt nur denken kann, und Schmutz und Unrath nahmen mit jedem Tag mehr überhand. Da wurde Garcia Moreno Präſident des Lan— des, und unter ſeiner ſtarken, wenn auch oft grauſamen Hand ſchuf ſich in Quito wirklich ein neues Leben. Die Stadt wurde gründlich gerei— nigt und — was mehr iſt — durch ſtrenge Be— fehle reinlich gehalten. Die Plaza, die früher eigentlich einem großen Stall glich, wurde mit ſchönen Anlagen und Bäumen verſehen. Gute Hötels entſtanden, Fremde zogen ſich her; die durch das Erdbeben verurſachten Schäden, be⸗
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fonders an den Kirchen, wurden ausgebeſſert, der noch von jener Zeit her in den Straßen lagernde Schutt weggeſchafft, kurz, der Platz auf
eine Art reftaurirt, die man früher in Ecuador
nicht für möglich gehalten hätte.
Nach Garcia Moreno kam allerdings ein an⸗ derer Präſident, und ich weiß nicht, ob dieſer ſo gewiſſenhaft über die Arbeiten ſeines Vorgän⸗ gers wachte, aber das Land hat ſich ſeiner ſchon wieder entledigt, weil er, wie man ſagt, in vie⸗ len Fällen mit Garcia Moreno's Grauſamkeit verfuhr, ohne deſſen Intelligenz und Geiſt zu beſitzen. Jetzt gerade hat das Land gar keinen Präſidenten, aber man glaubt allgemein, daß Garcia Moreno wieder vom Volke gewählt, und dann die Wahl auch wohl annehmen wird, — was jedenfalls das Beſte für den ſonſt nie zur Ruhe kommenden Staat wäre.
Am Pailon beſuchte ich natürlich in verſchie⸗ denen Richtungen die nächſte Umgebung deſſel⸗ ben; aber es iſt wirklich traurig, welche Verwü⸗ ſtungen die Kühe da angerichtet haben. Wo ſonſt reich tragende Platanare ſtanden, die den Bewoh⸗ nern des kleinen Ortes hinreichende Nahrung gaben, liegen jetzt wüſte, verödete, zum Theil auch ſchon mit Büſchen überwachſene Wildniſſe,
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die auf's Neue bedeutende Arbeit erfordern, wenn ſie wieder nutzbar gemacht werden ſollen. Die Cacao-Anpflanzung hat ſich noch am beiten gehalten, obgleich auch darin viele Bäume ein- gegangen ſind. Verbeſſerungen ſchienen aber nir— gends vorgenommen zu ſein; nicht einmal die früheren Pfade wurden in Stand erhalten, und führen jetzt, durch umgeſtürzte Bäume geſtört, ſo im Zickzack und in Windungen ſelbſt nach dem Badeplatz am Nadadero hinüber, daß man kaum im Stande iſt, ihnen ohne Compaß zu folgen. Ich würde den Platz — wenn nicht vom Gegen— theil überzeugt, auch für aufgegeben gehalten ha— ben, und alle die vielen fremden Geſichter, deren Inhaber größtentheils faul in ihren Häuſern lagen, machten auf mich einen nichts weniger als freundlichen Eindruck. Doppelt peinlich wurde derſelbe aber, wenn ich mir dachte, wie anders das Alles hier ausſehen könnte, wenn die Leute, welche die Mittel dazu beſitzen, ihm zu helfen, auch das Land ſelber kennten. So aber verträumt es nur unter ſeinen Blumen und Palmen die Zeit, und der Zauber, der es zum Leben wecken könnte, iſt nicht etwa ein junger, verirrter Prinz, der es zufällig unter den Blüthen, und unbe— wußter Weiſe das rechte und ſehr natürliche Mit-
tel in einem Kuß findet, — ſondern er heißt proſaiſcher Weiſe Geld. Diamant kann nur mit Diamant geſchliffen werden. Geld muß in dieſen Weg hineingeſteckt werden, um ihn Geld tragen zu machen, und erſt wenn dies geſchieht, blüht für das nördliche Ecuador eine Zukunft.
Nachdem ich mich jo dann an dem alten Bailon in der Zeit meines dortigen kurzen Aufenthaltes nach Kräften ſelber umgeſehen und Alles gehört hatte, was jeder Einzelne der Bewohner darüber zu ſagen wußte, rüſtete ich mich wieder zur Rück⸗ fahrt, denn helfen konnte ich hier doch nichts weiter, als die, in deren Hand es wirklich lag, zur Hilfe anzuregen. Ich glaube, daß ich das gethan, und will nun ſehen, welche Folgen es haben wird.
Von San Lorenzo aus bekam ich nicht ſo leicht Leute nach Tumaco, als von dort nach hier, denn die Männer konnten ihre Familien nicht auf vier bis fünf Tage verlaſſen, ohne vorher genügende Lebensmittel, d. h. Platanares, für ſie anzuſchaffen. Endlich fand ich aber doch zwei 5 1 junge Leute, und mein jetziger Lootſe, ein mit der See vollkommen vertrauter Mann, verſicherte mir auch, daß wir nicht den mühſamen Weg durch die Eſteros zurückmachen, ſondern gleich
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hinaus in die See halten würden, um die Fahrt
außen herum zurückzulegen.
Gern wäre ich noch einige Tage in der freund— lichen Familie des Herrn Flemming geblieben, und ſelbſt der junge Flores zeigte ſich mir als ein liebenswürdiger, in jeder Hinſicht freundli⸗ cher Genoſſe, aber ich hätte dann noch volle vier Wochen aushalten müſſen, da der Dampfer nur einmal im ganzen Monat vorbeipaſſirt und Segel-
ſchiffe ſehr ſelten gehen, und dann auch ſehr lange
Zeit zu der Fahrt brauchen. Der Nutzen aber, den ich jetzt noch und gerade gegenwärtig brin— gen konnte, hätte mit der Zögerung nicht im Verhältniß geſtanden, und an einem wundervol— len Morgen, wobei ich bemerken muß, daß es während der Zeit meines Aufenthaltes am Pai— lon diesmal ſehr wenig regnete, glitten wir, juſt mit Tagesgrauen, wieder die Bai hinab und dem offenen Meer entgegen. |
In San Pedro oder vielmehr an der gegen—
überliegenden Spitze hielten wir kurze Zeit, um
ein Gewitter vorüber zu laſſen, das uns gerade
entgegenzog und ungünſtigen Wind brachte, aber
es drehte ſeitwärts ab, und bald konnten wir mit geblähtem Segel und bei günſtiger Briſe
unſer kleines Canoe gerade der Punta de las
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Manglares entgegenhalten. Doch nicht lange; um Mittag ſchlief der Wind ein und wurde nach⸗ her ungünſtig, ja kam uns zuletzt ſo gerade ent⸗ gegen, daß wir das Land anlaufen mußten, um dort zu übernachten und nicht wieder zurückge⸗ trieben zu werden.
Den Abend fand ich noch Gelegenheit, eine Menge verſchiedener an den Strand geſpülter Samen zu ſammeln, und am nächſten Morgen mit Tagesanbruch ſetzten wir unſere Reiſe fort.
Die Fahrt war reizend, und das Canoe aller- dings nicht ſo ſehr groß, aber doch an jeder Seite mit einer Balſa oder einem Stamm ſehr leichten Holzes verſehen, ſo daß es, ſelbſt weit draußen in See, nur ſehr ſelten eine Kleinig⸗
keit Waſſer übernahm. Wir tanzten auch ganz
prächtig in einer ziemlich langen Dünung hin, und als ſich noch dazu eine friſche Briſe erhob und wir das Segel ſetzen konnten, wurde es wirk- lich eine herrliche Fahrt.
Die See hob ſich allerdings ein wenig und zeigte ſchon hie und da kleine, ſpritzende, weiße Kämme, und manchmal, wenn der Wind das leichte Fahrzeug faßte, hob er es ordentlich bis
auf die äußerſten Spitzen der Wogen und ſchau⸗
kelte es herüber und hinüber; aber die Balſas
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hielten es ſicher, daß es nicht umſchlagen konnte, und gegen Abend endlich — wobei ich noch einen tüchtigen Fiſch an meinem nachſchleifenden Berl- mutterhaken fing, liefen wir in den ſchmalen Canal zwiſchen Tumaco und dem Feſtland ein, und bald darauf legten wir, bei höchſter Fluth, die nur wenig Raum zwiſchen dem Strand und den Häuſern ließ, vor meinem früheren Nacht- quartier an.
Der Dampfer wurde übrigens erſt den näch- ſten Tag erwartet, und es war mir gerade recht, daß ich eine kurze Zeit — und wenn ich ſie auch nur nach Stunden zählen konnte, auf der kleinen freundlichen Inſel verleben durfte.
Es iſt auch kein gar ſo unbedeutender Platz, denn nicht allein daß ein Franzoſe, der den Haupthandel monopoliſirt, weil er eben ein Ca⸗ pital dazu beſitzt, faſt alle die im Innern, ja ſelbſt in der Nähe an der Küſte liegenden Plätze mit Waaren verſieht, es wird auch ein ſehr bedeutender Fruchthandel auf Tumaco ge⸗ trieben, und zahlreiche, den Mira herabkommende Canoes bringen dieſe an Zwiſchenkäufer, die ſie dann wieder auf dafür a e verladen.
Tumaco iſt dabei der Hafenplatz für die
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nicht unbedeutenden Goldminen von Barbacoes, 1
und da beſonders dort oben eine Menge von Kaufmannsgütern gebraucht werden, ſo bringt
der Dampfer monatlich nicht allein eine be⸗
deutende Fracht nach dem kleinen Ort (als er
das letzte Mal heraufkam, weit über 700 Ballen 15
und Kiſten), ſondern es werden auch von Tumaco beſonders Chinarinde, Orchilla, Kautſchuk und einige Nebenartikel verſchickt, während Mehl, Salz, wie überhaupt alle Producte einer nörd— lichen Zone, mit europäiſchen oder nordameri⸗ kaniſchen Induſtriewaaren dafür den Austauſch bilden. Uebrigens nimmt der Dampfer auch von hier nicht ſelten bedeutende Sendungen von Goldſtaub mit, während die von Barbacoes nach
Panama gehenden Handelsleute ihre Waaren, |
die ſie einkaufen, meiſt mit Goldſtaub zahlen.
Nun ſollte man allerdings denken, daß Tu⸗ maco ein kleiner, wirklich reicher Platz ſein müſſe, und Thatſache iſt, daß von Einzelnen
Geld genug verdient wird. Wer aber von Frem⸗ |
den hierher geht, hält ſich nur eben zu dieſem
Zweck hier eine Zeit lang auf, nimmt ſich — ſo lange er hier bleibt — in wilder Ehe eine ein⸗
geborene Frau, und lebt indeſſen, mit deren Hilfe, ſo ärmlich und einfach wie die übrigen Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 22
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Landeskinder auch. Wirklich dauerhafte oder nur mit Ziegeln oder Schiefer gedeckte Häuſer findet man deshalb nirgends. Es iſt Alles nur tem⸗ porär aus Bambus gebaut und mit Palmblättern gedeckt: nur ſehr wenig Häuſer mit Bretterwän⸗ den, und das Städtchen, bei dem die hohe Fluth kaum einen Seitenweg zum Paſſiren läßt, macht deshalb auch keinen impoſanten Eindruck, ſobald man es erſt einmal betreten hat — aber es ſieht immer noch golden gegen Buenaventura aus, denn nicht eine einzige ſolche elende Hütte, wie
ſie dort halbe Straßen füllen, ſteht in der kleinen
Inſelſtadt.
Seinen Deutſchen hat aber Tumaco ebenſo— gut wie Buenaventura oder jeder andere Punkt der bekannten Erde, wenn auch dieſer Deutſche eigentlich ein polniſcher Jude iſt, der aber recht gut deutſch ſpricht und mit einer deutſchen Frau verheirathet iſt. Sonſt leben hier noch einige Franzoſen, die recht gute Geſchäfte machen, und dann ein Italiener. Engländer oder Amerikaner ſind keine hier anſäſſig, ſie halten ſich meiſt im Innern, in dem kleinen Städtchen Barbacoes, nahe den Goldminen auf.
11. Panama.
Der erwartete Dampfer kam erſt ſehr ſpät Abends, als ich ſchon ruhig in meiner Hänge—
matte ſchaukelte, ein; ich brauchte aber nicht viel
Zeit zu meinem Gepäck, in kaum einer halben Stunde war Alles geordnet, in ein Canoe und zu dem Dampfer hinübergeſchafft, und etwa ein Uhr in der Nacht glitten wir ſtill und ge— räuſchlos in See hinaus, und jetzt mit ziemlich günſtiger Briſe wieder nicht ſehr weit vom Ufer ab nach Nordweſten unſerem Ziel, Panama entgegen.
Die Fahrt ſelber bot nichts Intereſſantes,
ebenſowenig die Geſellſchaft der Paſſagiere, um die ich mich denn auch wenig genug kümmerte.
Uebrigens hatten wir eine junge Sängerin an
22 *
340
Bord, mit einer niedlichen und ſehr gewandten Stimme, die den ganzen Tag über trillerte und,
ſowie die Nacht anbrach, laut zu fingen anfing. Sie ging in Buenaventura an Land, um von da nach Bogota zu gehen und Concerte zu geben. — Auch nicht übel — das waren etwa vierzehn Tage Reiſe, theils im Canoe, theils auf unwegſamen Straßen zu Maulthier oder gar zu Fuß, und jeden Tag wenigſtens achtzehn Stunden Re— gen. Wenn die Dame nicht mit einem lebens— länglichen Schnupfen nach Bogota gekommen iſt, giebt es keine Wettereinflüſſe mehr. Endlich — am vierten Abend und zwar ſchon nach zehn Uhr, ſichteten wir die der engliſchen Compagnie gehörende Inſel, die aber noch etwa zwölf Miles ab von der eigentlichen Stadt Pa⸗ nama und dem Iſthmus liegt, ankerten dort, und mußten richtig bis zum nächſten Morgen warten, ehe der kleine, zu dieſem Zweck benutzte Fährdampfer der Geſellſchaft ankam, die Paſſa— giere und ihr Gepäck an Bord nahm und uns dann raſch hinüber an feſtes Land brachte, das ich an die ſer Stelle zum dritten Male betrat. Wenn es übrigens einen Ort in der Welt giebt, den die Natur ſchon von vornherein zu einer großen Durchfahrt für Menſchenverkehr
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und Handel beſtimmt hat, fo ift das unſtreitig
das an der ſchmalſten Stelle des Iſthmus in
günſtigſter Lage erbaute Panama. Ein Verkehr
zwiſchen den unmittelbar nördlich und ſüdlich
liegenden Diſtricten, zwiſchen Mittelamerika und 15
der alten Republik Columbien, exiſtirt allerdings
gar nicht, denn die beiden Theile der Continente
haben zu vollkommen gleiche Producte, aber da— für kreuzen ſich deſto lebhafter die Handels-In⸗ tereſſen zwiſchen Oſt und Weſt, denn die Fahrt um Cap Horn herum wird immer eine lange
und gefährliche bleiben, und es gab nichts Na-
türlicheres als den Wunſch, die Schwierigkeiten zu überwinden, welche der zwar ſchmale, aber trotzdem einen feſten Damm vorſchiebende Land⸗ ſtreifen des Iſthmus der Schifffahrt, und durch ſein ſumpfiges Terrain ſelbſt einem Landver⸗ kehr bot. |
Lange Jahre beſchäftigte ſich auch die Spe- culation mit dieſem Problem, aber es blieb nur bei zahlloſen Projecten, denn die Schwierigkeiten waren zu enorm — ja man wußte nicht einmal, wo man für dieſe Sümpfe Arbeiter herbekom⸗ men ſollte. Wer garantirte überhaupt, daß ſich eine ſolche Unternehmung lohnen würde, denn der Verkehr mit dem Weſten war damals doch
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noch immer im Verhältniß unbedeutend. Da kam die Entdeckung des Goldes in Californien dem Werk zu Hilfe, und wo es früher nicht mög⸗ lich geweſen wäre, auch nur den zehnten Theil der Arbeiter zu finden, da ſtellten ſich jetzt un⸗ geahnte Hilfsmittel zu Gebote, welche die Rie— ſenarbeit zu einem Spiel machten.
Der Goldſchwindel hatte das Menſchenvolk gefaßt. Jeder kräftige Mann in Nordamerika, der nicht augenblicklich die Mittel auftreiben konnte, um Californien zu erreichen und in ſechs Wochen ein ſteinreicher Mann zu werden, hielt ſich für unglücklich und vom Schickſal verfolgt, und als die Panama⸗Eiſenbahn⸗Compagnie Allen,
die vier Wochen an der Bahn zwiſchen Aſpinwall
und Panama arbeiten wollten, freie Paſſage nach Californien bot, ſtrömten die Arbeiter in ſolcher Maſſe herbei, daß die Compagnie wenigſtens zwiſchen New⸗York und Aſpinwall kaum Dampfer genug auftreiben konnte, um die Reiſe- und Ar⸗ beitsluſtigen zu befördern.
Was waren vier Wochen Straßenbau gegen die Gewißheit, in ſpäteren vier oder ſechs Wo— chen ein ſteinreicher Mann zu werden, wie das in Californien natürlich gar nicht ausbleiben konnte, und mit einer wahren Wonne gingen
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die Leute an die Arbeit. Das allein aber war
es, was den Rieſenbau vollendete. Unter ande⸗ ren Umſtänden würden die Leute, ſobald ſie ſa⸗ hen, welche furchtbare Sumpfarbeit ihnen oblag, kaum wenige Tage ausgehalten und das Ganze nachher in Verzweiflung aufgegeben haben. Aber
hier wirkte das californiſche Gold. Sie wuß⸗
ten, daß fie ihre beſtimmte Zeit der eingegan⸗
genen Verpflichtung treu bleiben mußten, wenn
ſie überhaupt den Nutzen der ganzen, ſchon ge— thanen Arbeit ernten wollten, und ſie ſtrengten dazu ihre letzten Kräfte an.
Die Geſellſchaft der Panama⸗Eiſenbahn hatte
ſehr viele Perſonen auf der Strecke zwiſchen 4
New⸗York und Aſpinwall oder Colon zu beför⸗ dern — ſehr wenige dagegen auf der andern Seite, zwiſchen Panama und San Francisco, denn die armen Teufel ſtarben wie die Fliegen, und wurden, wo ſie niederſanken — auch in dem weichen Schlamm der Halbinſel beerdigt. Sie arbeiteten einen Theil — Manche auch ihren ganzen Contract ab, aber die Geſellſchaft brauchte die zweite Hälfte ihrer Verſprechungen gewöhn— lich nicht weiter zu erfüllen und durfte ihnen nur ein Grab geben und für neue Zufuhr ſorgen. Dadurch wurde die Aſpinwall-Eiſenbahn be⸗
Er
{ a endet, und es iſt reine Thorheit, wenn Leute jetzt noch die Idee haben, dort einen Canal durch das
Land zu graben. Die Eiſenbahn hat etwa 10,000 Menſchenleben gekoſtet, der Canal, der natürlich ſo viel längere Zeit in Anſpruch nähme, würde in dem giftigen Klima hunderttauſend opfern
e wenn ſie ſich eben dazu hergäben. Aber der
Hebel, der ſie früher dazu trieb: die Sagen des enormen californiſchen Goldreichthums, fehlt; man hat jetzt billigere Wege, hinüber zu gelan— gen, und dieſer Plan wird deshalb nie zur Ausführung kommen. Aber das thut auch nichts — die Eiſenbahn genügt auf dieſer Strecke voll— kommen, und hat jedenfalls zwei der bedeutend— ſten Handelsſtädte — und ſei es auch nur haupt⸗ ſächlich für den Commiſſionshandel, in's Leben gerufen: Panama und Aſpinwall.
Es iſt wirklich der Mühe werth, dieſen Ver- kehr zu ſehen, um ihn zu begreifen, und kein Tag faſt im ganzen Jahr vergeht, wo nicht an einem der beiden Plätze ein oder der andere große Weltdampfer anlegt und neues Leben in das Innere wirft.
In Aſpinwall landen die Dampfſchiffe von New⸗York, England und Weſtindien und ver- mitteln durch St. Thomas den Verkehr mit der
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ganzen, im Oſten wie zugleich nach Nord und
Süd liegenden Welt, während in Panama eine Linie die Verbindung mit dem Norden und da=
durch mit Japan und China offen hält, während die ſüdliche Linie die ganze Weſtküſte Südame⸗ rikas beſtreicht, in Valparaiſo nächſtens mit der
Cap⸗Horn-Dampfſchifffahrt in Verbindung treten 5
wird und zugleich eine Panama⸗Auſtralien⸗Linie direct nach Weſten durch die Inſeln läuft.
Man kann ſchon jetzt mit den verſchiedenen und vollendeten Dampfſchiff-Verbindungen in kaum hundert Tagen eine Reiſe um die ganze Erde machen, und Panama iſt dabei bis jetzt der Mittelpunkt der ganzen Fahrt.
Allerdings droht dieſer Landenge in dem rieſi— gen Unternehmen der nordamerikaniſchen Bacific- Eiſenbahn eine bedeutende und gefährliche Con— currenz, denn alle die nach der Union und Eng: land oder Europa beſtimmten chineſiſchen Producte und Fabrikate werden, ſobald die Bahn vollendet iſt, jedenfalls dieſen Weg einſchlagen, da er Geld und Zeit und beſonders eine Umſchiffung erſpart; aber ſelbſt das wird ſich in der Folge als nicht ſo erheblich herausſtellen, denn wir finden ja überall den Beweis, daß erhöhte Verkehrsmittel auch den Verkehr ſelber ſteigern und dadurch das
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ih
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ſcheinbar Verlorene leicht erſetzen. Bis jetzt hat die ganze Oſtküſte Südamerikas gar keinen di— recten Verkehr mit dem ganzen übrigen Amerika gehabt, und ein Verſuch, zwiſchen Rio Janeiro und Panama eine Dampferverbindung zu unter- halten, mißlang. Das wird und muß jetzt anders werden, denn der rege und raſche Verkehr, der durch die China-Dampfer wie durch die von Ba- nama ausgehenden, nach Auſtralien beſtimmten Dampfer erweckt iſt, kann nicht verfehlen, auch Braſilien mit in den Verkehr zu ziehen, und da- durch eröffnet ſich für Panama, ſtatt der verlo— renen, eine andere neue Erwerbsquelle. Was übrigens die neugranadiſche Regierung — eine Muſterwirthſchaft ſchon ſeit Menſchenge— denken — thun konnte, um den kleinen Platz Pa- nama nicht emporkommen zu laſſen, hat ſie auch ſicher und mit der größten Geſchicklichkeit gethan. Wo irgend ein anſtändiges Haus erbaut iſt, haben das Fremde, Engländer, Amerikaner, Deutſche, Franzoſen oder Spanier, gethan. Die Werfte ſind von den verſchiedenen Geſellſchaften ſelber erbaut, die Eiſenbahn wird von ihnen un⸗ terhalten, und man ſollte nun wenigſtens glau- ben, daß ſie den Fremden dankbar dafür wäre — aber weit gefehlt. Der kleinliche Neid bricht
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überall hervor, und ſelbſt das Einzige, was das
neugranadiſche Gouvernement thun ſollte und
müßte, die Sicherheit von Eigenthum und Per⸗ ſon im Lande aufrecht zu erhalten, wird unter⸗ laſſen.
Eine Anzahl neugranadiſcher Soldaten — eine ſo ruppige Bande, wie man ſie kaum in Venezuela findet — marſchirt allerdings mit der doppelten Anzahl Trompeter dann und wann durch die Stadt oder ſteht an einzelnen öffent⸗ lichen Gebäuden (öffentlich aber im wahren Sinne des Wortes) Poſten. Sie werden auch dazu verwandt, dann und wann einmal einen betrun⸗ kenen Matroſen zu verhaften, was ihnen jedoch ſtets nur mit Hilfe der halben Bevölkerung ge— lingt, ſonſt ſind ſie zu nichts nütze, und ein paar gelbgrüne Jünglinge in Officiertracht, die in der Stadt mit ſchweren Goldſtickereien einher— ſchlendern, mögen vielleicht zum Zierath dienen,
haben aber ſonſt ſcheinbar keinen Zweck. Die
Sicherheit iſt deshalb in Panama ſowohl als in dem gegenüberliegenden Aſpinwall ein völlig eingebildeter Begriff, Mordthaten kommen nichts weniger als ſelten vor, und faſt in allen Fällen find die Verbrecher Eingeborene — aber die Re⸗ gierung iſt ſanft. „Wer ſich ſchuldlos weiß,
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werfe den erſten Stein auf ſie!“ hat ſchon Chri⸗ ſtus geſagt. Sie werfen aber nicht; ein ertapp- ter Verbrecher wird zu ein paar Monaten Ket⸗ tenſtrafe verurtheilt, dann läuft er, ehe er die Hälfte ſeiner Zeit geſeſſen, davon, und die fatale Sache iſt abgemacht.
Ganz in der letzten Zeit ſind wieder ein paar freche Mordthaten vorgefallen, ohne daß man ſich auch nur die geringſte Mühe gegeben hätte, der Mörder habhaft zu werden — und wie auch? Dieſe Polizeidiener und Soldaten, welche, die erſteren mit Knüppeln, die anderen mit Mus⸗ keten bewaffnet, durch die Straßen wandeln, ge— hören einem jo verkommenen, erbärmlichen Men—⸗ ſchenſchlage an, daß man ſie in der Hand zer— drücken könnte, und ich bin feſt überzeugt, daß hundert Soldaten irgend einer nordeuropäiſchen Macht die ganze neugranadiſche Armee zum Teufel jagten.
Gegenwärtig hat Neu-Granada, ſoviel ich we— nigſtens weiß, nicht einmal einen Präſidenten — es müßte denn kürzlich wieder einer gewählt ſein. — Die Sache hat aber auch wirklich zu wenig Intereſſe für die übrige Welt, denn wer um Gottes willen kann all' den Revolutionen in den ſpaniſchen Colonien — und das Mutterland
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eingeſchloſſen, folgen. Es iſt rein unmöglich — man müßte ſich denn ganz ausſchließlich damit beſchäftigen.
Die Lage Panamas iſt reizend, und wenn man auf den alten Wällen ſteht und über die weite, mit Inſeln beſäete Bai hinausſchaut, ſo kann man ſich kaum ein entzückenderes Bild denken. Die Stadt ſelber iſt übrigens, beſon⸗ ders in Betracht ihrer großartigen Handelsver— bindungen, ganz unverhältnißmäßig klein, denn in zehn Minuten kann man ſie bequem von einem Ende bis zum andern durchwandern. Was dabei gut und dauerhaft in ihr iſt, haben auch ſicher die alten Spanier oder neuerdings Fremde gebaut. Beſonders erwähnen muß ich hierbei die alten, aber auch ſchon ſehr vernach⸗ läſſigten Feſtungswerke der Spanier. Die jetzige Race ſchafft nichts Neues, ja reparirt nicht ein⸗ mal das Alte — wozu auch? — Es iſt als ob ſie es ſelber fühlten, daß ſie auf dieſem Terri⸗ torium keinen Beſtand haben werden — befindet es ſich doch jetzt ſchon factiſch in den Händen der Amerikaner.
Panama ſelber betritt man vom Meer aus durch ein enges Thor, an welchem eine Truppe neugranadiſcher Soldaten — barfuß natürlich,
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Wache hält. Wozu? weiß kein Menſch, denn Panama iſt ein Freihafen, es kann Alles, was man einführen will, unbeläſtigt an Land geführt werden. Sollten ſie alſo als Schutz, gegen den Ueberfall einer fremden Macht da ſtehen! Du lieber Himmel, was wollte dieſe Handvoll Sol- daten dagegen machen?
Paſſirt man nun dieſen militäriſchen Poſten, durch den man aber nicht im geringſten beläſtigt wird, ſo wandert man durch eine enge, etwa dreihundert Schritt lange Straße, die aus nie— deren, einſtöckigen Häuſern beſteht, der Plaza zu und befindet ſich dann ſchon etwa mitten in der Stadt, während man faſt durch alle Straßen, wohin man auch ſieht, die breite gelbe Feſtungs⸗ mauer ſehen kann, die den kleinen Platz umzieht.
Uebrigens bietet das Innere der Stadt, wie ſich nicht leugnen läßt, durch ſeine zerfallenen Klöſter und Kirchen einen höchſt pittoresken An— blick, und wenn die alte zerſprungene Glocke der einzigen von allen benutzten zu läuten, oder viel- mehr zu klappern anfängt, wird es ordentlich unheimlich.
Beſonders maleriſch iſt die Ruine des einen großen Kloſters, in deſſen Hofräumen jetzt ein paar Ställe mit modernen Bretterdächern ein⸗
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gebaut ſind. Die weißröthlichen Wände ſtürz— ten natürlich ſchon vor langen Jahren nach allen Richtungen ein, aber Bäume und Büſche wachſen jetzt darauf, wie in den eingebrochenen hohen Fenſtern, und einzelne noch ſtehende Säulen und Bögen geben, beſonders in heller Mondſcheinnacht, ein prachtvolles, wenn auch wildes Bild.
Einen noch grelleren Contraſt bot aber eine an= dere Kirche, in welcher, der alten Kirchenſprache nach, „der Teufel ſeinen Tummelplatz aufgeſchla⸗ gen,“ das heißt, ſündhafte Menſchen ein Theater hineingebaut hatten. Anfangs ſollen ſich auch beſonders alte, würdige Damen der Stadt theils von weißer, theils ſchwarzer Farbe auf das ent— rüſtetſte gegen eine ſolche Profanirung ausge- ſprochen haben, ſo daß ſich der Director endlich veranlaßt fand, einen Verſuch zu machen, um die möglicher Weiſe gegen ihn angeregte Stim— mung zu verſöhnen. Das muß ihm auch voll— ſtändig gelungen ſein, denn das Theater wird jetzt von allen Ständen, nur natürlich nicht den Geiſtlichen, beſucht. Das Mittel war aber, daß er im erſten und zweiten Rang Schilder auf: hängen ließ, welche über eine ganze Abtheilung
or reichten, und auf dieſen ſtanden mit großen Buchſtaben die beſonderen Widmungen.
In der Mitte, dem ſogenannten Cercle, auf der erſten Gallerie ſtehen die Worte: „Al bello Sexo de Panama“, und auf der erſten Gallerie Starbordſeite noch einmal die Widmung der Schönheit: „A la belleza““, dann aber kam die Verſöhnung. Auf der erſten Gallerie Backbord ſtand: „Al Talento“, auf der zweiten die beiden Schilder: „A la civilizacion“ und „A la cultura“. Gegenüber aber auf der zweiten Gallerie Starbord waren Grazie und Tugend vertreten. Auf dem einen Schilde ſtand: „A la gracia“, auf dem andern: „A la virtud“. Sonderbarer Weiſe ſaß hinter der Tugend Niemand — das kann aber auch nur ein Zufall geweſen ſein.
Jedenfalls iſt dieſe Art von Ueberſchriften eigenthümlich und ſieht faſt ſo aus, wenn es auch anders gemeint ſein mag, als ob man die
Zuſchauer klaſſificiren wollte. Ohne Deutſche oder überhaupt Fremde, und dann, wenn nicht Deutſche, doch Franzoſen, bringen die Neu⸗Granadier aber natürlich kein Theater fertig. In der Muſik fehlte es total, und ein junger, ſich hier gerade zufällig aufhal⸗ tender Deutſcher mußte im Orcheſter wenigſtens
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das Pianoforte ſpielen, wohinein dann die Vio⸗
linen der Eingeborenen falſch und außer Tact
einfielen, wann und wie es ihnen beliebte. Der Deutſche ſpielte das Inſtrument vortrefflich; die neugranadiſchen Virtuoſen kamen mir aber vor wie Jungen, die nach Schwalben mit Steinen werfen. Sie zielten immer auf beſtimmte Töne,
trafen ſie aber nie und warfen faſt immer
hinterher. Ueber das Spiel der Geſellſchaft läßt ſich wenig ſagen; ich bleibe aber dabei, wenn man
Theater ſehen will und macht nur die geringſten
Anſprüche, ſo muß es entweder ganz ausgezeichnet oder ganz unter der Würde ſein, und in beiden Fällen wird man ſich amüſiren; das Mittel⸗
mäßige iſt dagegen in keiner Kunſt ſchreck⸗
licher als in der dramatiſchen, und ſtraft ſich in keiner mehr.
Ein anderer Deutſcher hatte die Decorationen ganz geſchickt gemalt. Zu dem erſten Stück: „El estreno de una artista o el grand duque
Leopoldo“, das ich mit anſah, war der Autor 5 nicht genannt; es mag aber jedenfalls ein ſpa⸗
niſcher oder ſüdamerikaniſcher ſein, denn der
Großherzog Leopold war außerordentlich edel Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 23
und trat immer auf, wo er nothwendig gebraucht wurde.
| Durch die beiden jungen Deutſchen erhielt ich oben Zutritt auf die Bühne und benutzte die mir gewordene Erlaubniß augenblicklich, hin⸗ ter den Verſatzſtücken und den Hintergrund durch, das Innere der alten Kirche zu erforſchen.
Ich ſollte es nicht bereuen, denn es war ein
ganz wunderbarer Anblick. Hier die bemalte Leinwand, einen modernen Salon vorſtellend, mit einer Unmaſſe Aſtrallampen und eleganten Verzierungen, und dahinter — ich erinnere mich nicht, je etwas Aehnliches geſehen zu haben —, dicht dahinter die alte Kirchenruine mit ihren dunklen, zerklüfteten, buſchbewachſenen Mauern, die blanken Sterne in den düſtern, unheimlichen Hof herniederſchauend!
Was für Erinnerungen knüpften ſich viel- leicht an dieſes Gebäude, und welche Gegenwart belebte es jetzt! Ich konnte mich von dem An⸗ blick kaum losreißen und mußte es doch zuletzt, denn die Klingel ertönte und der Vorhang ſollte aufgehen, welcher der draußen harrenden „Schön— heit und Tugend“ einen Einblick in das Heilig⸗ thum der Kunſt verſtattete.
Uebrigens erhielt ich hier auch, und zwar
—
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eine recht traurige Kunde von einem früheren
alten Bekannten aus Quito — dem kleinen Uhr⸗
macher aus der Poſada San Antonio, auf den
ſich Leſer meiner früheren Reiſen vielleicht noch
beſinnen, wenn ich ihnen ſeinen Handel mit Oelgemälden und Kolibris in's Gedächtniß zu⸗ rückrufe. Er hatte Quito endlich mit all' ſeinen Habſeligkeiten und Schätzen verlaſſen und wollte ſeine Oelgemälde nun entweder in Süd- oder
Mittelamerika verwerthen, denn in Europa hätte er wohl kaum einen Markt dafür gefunden.
8 =,
In Panama quartierte er fich auch in einem
anſtändigen Gaſthof ein — aber er war ein an⸗ ſtändiges Leben nicht mehr gewöhnt, oder der
Platz ihm auch um eine Kleinigkeit zu theuer.
Trotzdem alſo, daß er dabei ein recht hübſches und mühſam genug angeſpartes Vermögen in
baarem Gelde bei ſich trug, zog er dort aus und
in eine der ordinärſten und billigſten Kneipen hinein, und der Erfolg war ein ſehr trauriger.
Er bekam das gelbe Fieber oder eine andere ſchwere Krankheit — einzelne Leute in Panama
wollen ſogar behaupten Gift — kurz er ſtarb, a |
und nur ein Theil ſeines Vermögens wurde durch das Einſchreiten des preußiſchen Conſuls in
Panama, Herrn Cunau, ſeinen Verwandten da= 237
e
Erbe ws ns
| 356 2
heim gerettet. Daß der Todte übrigens, ehe das geſchehen konnte, in bedeutender Weiſe beſtohlen
. 8 wurde, unterliegt gar keinem Zweifel, und es war mir wirklich ein wehmüthiges Gefühl, als
ich in Panama ſelber in einigen Läden die aus feinem Nachlaß um einen Spottpreis verauctio⸗ nirten Gegenſtände, an deren Erwerb er die beiten Jahre ſeines Lebens verwandt, zum Ver— kauf ausgeſtellt ſah.
Der Markt in Panama gehört zu den er— bärmlichſten, die ich je im Leben geſehen, und beweiſt, daß in Panama ſelber, trotz dem frucht— baren Boden, der es umgiebt, wenig oder gar nichts an Landesproducten gezogen wird. Außer dem ſieht das dort aufgehangene Fleiſch ſo
5 ſchwarz und unappetitlich aus, daß man ſich das
Fleiſcheſſen unter dieſer Breite ganz abgewöhnen möchte.
Panama wie Aſpinwall oder Colon ſind übri⸗ gens Freihäfen, und es läßt ſich denken, wie das den Verkehr heben mußte, da es ihm überall freien Spielraum gab. Von Aſpinwall aus gehen deshalb auch die Waaren raſch nach Pas nama hinüber, und da ſie hier durch keine enorme Steuer vertheuert werden, jo kommen die Händ— ler der ganzen weſtlichen Küſte, ſoweit dieſelbe
557
mit Dampfern oder kleinen Fahrzeugen zu er⸗
reichen iſt, hierher und kaufen ihre Waaren für ke
den Detailhandel ein. Deutſche und Spanier haben dort die größten Importgeſchäfte und ver- dienen dabei natürlich viel Geld.
Manche Sachen kauft man hier aber auch —
wenn man bedenkt, daß man ſich in einem über⸗ 5 ſeeiſchen Land befindet — zu ganz erſtaunlich
billigen Preiſen, beſonders Kleidungsſtücke, die
aber dafür auch einen Hauptartikel bilden. Die
Zahl der Läden, in denen man fertige Kleidungs— ſtücke findet, iſt wirklich Legion, und die Billig⸗ keit derſelben hat ſogar auf den californiſchen Dampfern der Weſtküſte einen ganz neuen In⸗ duſtriezweig eröffnet.
Da nämlich die von San Francisco kommen⸗ den Dampfer ihre Paſſagiere gewöhnlich dire et über die Landenge führen, ſo daß ihnen gar keine Zeit gegönnt wird, in Panama ſelber Ein⸗ käufe zu machen, ſo haben die Barbiere dieſer Fahrzeuge zugleich einen Handel mit Kleidern und Schuhwerk angelegt, und die Barbierſtube
auf ihnen ſieht deshalb genau aus wie ein Kleider
laden. Dieſe Alle kaufen ihren Bedarf in Pa⸗ nama, und da ſie ſich mit einem geringen Nutzen begnügen, ſetzen ſie auch ziemlich viel ab.
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Panama ſollte eigentlich ſehr gute Hötels " haben, läßt aber darin noch Manches zu wün⸗ ſchen übrig. Das ſogenannte Grand-Hötel iſt
0 das größte und ein ſtattliches Gebäude an der
Plaza, über die Koſt darin wurde aber geklagt und das Aſpinwall⸗Hötel ihm vorgezogen — das find aber auch die beiden einzigen, und Fremde ſollten ſich beſonders davor hüten, gerade an dieſer Stelle in einem Hötel zweiten Ranges, von denen es allerdings genug giebt, einzukehren, denn wenn ſie auch in den größeren etwas mehr bezahlen müſſen, haben ſie doch auch mehr Sicher— heit für ihr Eigenthum.
Eigenthümlich iſt in Panama, daß man nur
„ zwei Arten von Häuſern darin findet, und zwar,
wie ſchon vorerwähnt, Kleiderläden mit einer Auswahl von anderen Dingen dabei, wie ſich natürlich von ſelbſt verſteht, und dann kleine, offene Buden, in denen, wenn man hineinſieht, eine Anzahl Flaſchen auf Regalen ſtehen und den Eindruck machen, als ob darin ſpirituöſe Ge— tränke verkauft würden. Das iſt aber nicht wahr — meiſt in Allen ſind das leere Flaſchen, die ſonderbarer Weiſe dort zur Schau ausgeſtellt
werden, und deren Eigenthümer dann meiſt immer
jüngere oder ältere Damen ſind.
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Was die Literatur Panamas betrifft, ſo be⸗ ſchränkt ſich dieſelbe auf zwei, halb in engliſcher, halb in ſpaniſcher Sprache herausgegebene Zei⸗ tungen, der Star und Herald, von einem Eng⸗ länder und Deutſchen, die Chronicle, von einem Amerikaner und Deutſchen redigirt. Beides ſind allerdings mehr commerzielle Blätter, aber doch, ihrer Verbindung mit den benachbarten Theilen Amerikas wegen, von nicht geringer Wichtigkeit. Sie bringen jedenfalls aus allen dieſen kleinen Republiken die neueſten und ſicherſten Nachrich⸗
ten und haben deshalb auch eine unverhältniß⸗ 1
mäßig große Verbreitung nach dem Ausland. Panama macht auch in dieſer Hinſicht ſeine vor⸗ theilhafte Lage geltend; daß aber die Neugras nadienſer ſelbſt eine höchſt untergeordnete Rolle in dieſer neugranadienſiſchen Literatur ſpielen, verſteht ſich von ſelber. Sie kommen gar nicht in Betracht.
Wandert man übrigens durch Panama, ſo ſieht es faſt ſo aus, als ob es in den letzten
Jahren eine Unmaſſe von Belagerungen mitge-
macht hätte und verſchiedene Male beſchoſſen wäre, denn überall trifft man Häuſer und be⸗ ſonders Kirchen in Ruinen, und doch erfreute ſich gerade dieſe Stadt, unter dem Schutz der
75 — n u .
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Fremden, einer faſt ungeſtörten Sicherheit. Die Ruinen ſind aber nur eine Folge der Faulheit dieſer Race, und was hier im Land gebaut wurde, geſchah — wenn es alt iſt, durch die Spanier — wenn neu, durch den Unternehmungsgeiſt von Amerikanern und Engländern, die Eingeborenen hatten wahrlich keine Hand darin. Amerikaner wie Engländer legten aber ihre Bauten meiſt außerhalb der Stadt, beſonders auf den dem Schiffsverkehr mehr günſtigen Inſeln an, von denen ſie einige in beſonderem Beſitz halten, und deshalb hauptſächlich liegt jo vieles Grundeigen— thum in der außerdem kleinen und mit Raum beſchränkten Stadt noch leer und unbenutzt. Die Amerikaner haben ſich beſonders nach der Eiſenbahnſtation hinausgezogen und dort auch ein vortreffliches Werft gebaut, an dem die kleinen Lichter⸗Dampfer anlegen können. Die Engländer, die auch in Aſpinwall ein ſchönes Werft und eine eiſerne Kohlenniederlage gebaut haben, beſitzen draußen in der Bai von Panama eine eigene kleine Inſel, wo die Dampfſchiff⸗ Geſellſchaft ihre Docks, Niederlagen und Arbeiter— wohnungen hat. In Panama ſelber halten ſie ſich nicht viel auf — größere Dampfſchiffe können auch nicht einmal bis dicht an die Stadt hinan⸗
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fahren, und erſt wenn der Iſthmus in die Hände der Fremden — und dann jedenfalls in die der Amerikaner übergeht, wird die Stadt ſelber auf- leben und eine größere Bedeutung erlangen. — Bis jetzt iſt ſie nichts weiter als ein großes Hötel, in dem eine Maſſe von Fremden aus- und eingehen, während auch einzelne Familien — aber doch nur eben einzelne, Wohnung darin nehmen. Dieſe beſuchen ſich auch wohl dann und wann untereinander — man ſieht wenigſtens manchmal Abends einen Neger, der eine Anzahl von Damen nach Hauſe bringt und dabei eine ſinnreiche Erfindung von fünf zuſammengeſtellten Laternen auf dem Kopf trägt — aber die Frem⸗ den ſelber haben keinen einzigen Vereinigungs⸗ punkt — den Schenkſtand ihres eigenen Hötels ausgenommen. Wozu auch — fie bleiben höch— ſtens zwei oder drei Tage hier — ſo lange ſie eben müſſen, und ſtrömen dann wieder nach allen Compaßſtrichen auseinander.
Uebrigens iſt das Leben in Panama als weit theurer verſchrieen, als es ſich wirklich heraus— ſtellt, und man lebt hier thatſächlich billiger, als irgendwie in Mexiko oder gar jetzt einer Stadt der Vereinigten Staaten. Das leidige Hazard— ſpiel freilich, was überall in dieſen ſpaniſchen
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Ländern geſtattet iſt, verleitet Viele, ihr Geld
a a dabei aus dem Fenſter zu werfen, und in je dem
Hötel findet ſich dazu die Gelegenheit. Wer aber thöricht genug iſt, ſich von falſchen Spielern rupfen zu laſſen, darf ſich nachher auch nicht darüber beklagen und hat ſich die Schuld ſelber zuzuſchreiben.
Gegenſtände, die man fertig kauft, kann man in keinem amerikaniſchen Hafen, ohne Aus⸗ nahme, billiger bekommen, als eben in Panama, aber Gnade Gott freilich dem, der einem der dortigen Handwerker in die Hände fällt. So kaufte ich mir zum Beiſpiel ein paar gute Bein⸗ kleider für 3 Dollars — an der einen Seite war die Naht etwa 1½ Zoll weit aufgegangen und ich mußte die 12 oder 16 Stiche daran extra mit 50 Cents bezahlen. Wer ſich auf dieſem Iſthmus niederläßt, thut es nur, um von den Fremden ſo raſch als irgend möglich reich zu werden, und daß er dabei keine Gelegenheit ver— ſäumt, läßt ſich denken.
Die Lage Panamas iſt, wie geſagt, entzückend ſchön, und eine reizendere Bai giebt es nicht in der Welt — Rio de Janeiro kaum ausgenom- men. Die zahlreichen kleinen, mit Palmen be⸗ wachſenen Inſeln umher bilden eine wahrhaft
363 i
prachtvolle Ausſicht, und das Leben, das da draußen zwiſchen den dort ankernden Dampfern und Segelſchiffen herrſcht, die zahlreichen Segel- boote, die herüber- und hinüberkreuzen, die Uns zahl von braunen großen Pelikanen, die dazwi⸗ ſchen fiſchen, bieten einen nie zu vergeſſenden Anblick — aber umdrehen darf man ſich freilich nicht, denn der Schmutz in den eigentlichen Straßen der Stadt fällt Einem dann nur um ſo unangenehmer auf. Ja, ſelbſt wenn man eine der kleinen, auf den Palmeninſeln zerſtreuten Ortſchaften betritt, ſieht man augenblicklich, daß man ſich in ſüdamerikaniſchem Unrath befindet. Die Poeſie ſchwindet, und ſelbſt die Palmen ver: lieren ihren Reiz und Zauber.
Von der Juſtiz des Landes bekamen wir, ehe wir die Stadt verließen, auch noch ein klei⸗ nes Beiſpiel.
Am letzten Tag meines Aufenthaltes in Pa⸗ nama hatte ein Amerikaner ſeiner Mannſchaft erlaubt, an Land zu gehen, und die Leute be⸗ tranken ſich denn auch raſch genug und fingen Streit untereinander an. In einer kleinen Sei⸗ tenſtraße begann der Kampf, aber man brachte die Matroſen doch bald gütlich wieder ausein⸗ ander; — es war nichts als eine kleine Rauferei
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geweſen, bei der ſich natürlich keine Polizei blicken ließ. Wo zehn oder zwölf amerikaniſche Matroſen zuſammen ſind, können ſie thun was ſie wollen, die neugranadienſiſchen Polizeiſoldaten hüten ſich wohl, ihnen zu nahe zu kommen. An⸗ ders geſtaltet ſich das aber, wenn ſie einen armen Teufel einzeln überfallen können, und das ge— ſchah noch an dem nämlichen Abend.
Einer der Mannſchaft war in das dem Aſpin⸗ wall gegenüber gelegene Kaffeehaus gegangen und hatte ſich wollen etwas zu trinken geben laſſen. Der Mann taumelte allerdings, betrug ſich aber ſonſt ganz ruhig, als ihn plötzlich die Polizei witterte, und doch wenigſtens einen Matroſen einliefern wollte. Ob er ſich vorher an der Prügelei betheiligt oder nicht, wußte Nie- mand — kam auch gar nicht darauf an. Fünf von dieſen Geſellen, mit etwa zwanzig ruppigen Ladengehilfen als Beiſtand, machten einen An- griff auf den Einzelnen, der ſich aber nicht im geringſten ſeiner eigenen Fäuſte bediente, oder er hätte den ganzen Schwarm zuſammengehauen, ſondern Jeden, der ihn anfaſſen wollte, nur rechts oder links bei Seite warf. Die ganze Bande fiel da zuletzt zu gleicher Zeit über ihn her, und die Polizeidiener zeigten dabei beſon—
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dere Luſt, den ſchon Gefangenen und Feſtgehal⸗ 15 = tenen mit ihren Knüppeln niederzuſchlagen. Ds aber litten wir umherſtehenden Fremden nicht, wenn wir uns auch natürlich nicht ſpeciell in
das Polizeiverfahren miſchen wollten.
Was wir übrigens thun konnten, thaten wir, und vier von uns, die den ganzen Vorfall mit
angeſehen, gingen augenblicklich zum Präfecten, um ihm den Thatbeſtand zu erklären und zu con— ſtatiren, daß der Mann unſchuldig verhaftet ſei. — Umſonſt. Der Präfect, ein kleiner, ſchmutzi— ger Neugranadienſer, der aber etwas engliſch radebrechte, war ſo grob als möglich, und wir Vier, wüthend über den unverſchämten Burſchen, der dabei ſeine ganze Mannſchaft hatte aufmar⸗
ſchiren laſſen, ſuchten nun den amerikaniſchen
Conſul auf, um uns als Zeugen anzubieten.
Wir fanden den Herrn auch — aber unglück⸗ licher Weiſe gerade beim Billardſpiel, in dem er ſich natürlich nicht konnte ſtören laſſen. Aller- dings war ein amerikaniſcher Bürger ungerecht eingeſperrt, und mußte, wenn nicht Einſprache geſchah, die ganze Nacht in einem feuchten, un-
geſunden Loch zubringen; aber — es war nur
ein Matroſe, und der Herr Conſul erklärte, er werde die Sache morgen unterſuchen.
—
Pfaffen ſieht man genug, und zwar in ihrer Ordenstracht, in den Straßen, an die Kirchen ſelber ſcheint aber wenig genug verwandt zu werden. Die Herren Geiſtlichen haben auch noch | nicht wieder jo recht feſten Fuß im Lande gefaßt, aus dem ſie vor noch nicht ſo langer Zeit der Präſident Mosquera ſämmtlich hinausjagte; aber — die Welt iſt rund und muß ſich drehen. Mosquera unterlag ſeiner Seits und mußte das
Land verlaſſen, und im Handumdrehen waren
wer
jie wieder da.
Sonſt läßt ſich von Panama wenig mehr ſa⸗ gen, als daß man in unglaublich kurzer Zeit ſehr viel Geld ausgeben kann. Dafür findet man aber auch hier, an dieſem Stapelplatz der Welt, wie man ihn faſt nennen könnte, eine Menge intereſ— ſanter Sachen aus anderen Ländern der Erde, z. B. prachtvoll geflochtene Hängematten aus Mittel⸗Amerika, viele chineſiſche Waaren, goldene, in Panama ſelber verfertigte Ketten (und dieſe in der That ſehr billig), Perlen, und als Eigen- thümlichkeit auch kleine goldene Zierathen, an— geblich alle echt und in Neu⸗Granada und Ecua⸗ dor ausgegraben oder gefunden. Mit dem An⸗ kauf derſelben muß man aber außerordentlich vorſichtig ſein, denn erſtlich wird ſehr viel ges
*
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fälſcht, und dann ſind nicht einmal alle wirklich 1 23
gefundenen Sachen echt. Früher bekam man dieſe Gegenſtände auch zu ziemlich billigen Preiſen, jetzt hat ſich aber ein echt amerikaniſirter Deut⸗ ſcher — der leider ſein Deutſch vollſtändig ver⸗
lernt — des Verkaufs bemächtigt, und wer etwas
von ihm erwerben will, muß auch tüchtig da⸗ für bezahlen. |
Gerade damals wurde ziemlich viel von einem Schwindler geſprochen, der unter dem alten gu= ten Namen eines Grafen von Auersperg nicht allein die Bewohner Panamas, ſondern auch die von Guayaquil, Lima, St. Thomas und Havannah arg gebrandſchatzt und mit falſchen Creditbriefen das Unglaubliche geleiſtet haben ſoll. Beſonders in Guayaquil, wo es ihm gelang, ſehr viel
Geld aufzunehmen, behauptet man, daß er mit
den Unzen nur ſo um ſich geworfen und viele Leute angeführt habe. Zuletzt iſt er in New-York geſehen worden, von wo aus er wahrſcheinlich dem Weſten einen Beſuch abſtattet. Man ver⸗ muthet, daß er ein früherer Kammerdiener des wirklichen Grafen ſei, der ihm abgeguckt, „wie er ſich räuspert und wie er ſpuckt,“ ſich aber ſonſt durch Manches verrathen ſoll, was ihn, als nicht
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den höheren Ständen angehörig, bloßſtellt. Das war aber hier an der Weſtküſte Amerikas natür⸗ lich nicht ſo auffällig, und er konnte deshalb ſein Spiel ſo lange und ungeſtraft treiben, noch dazu da er als Deutſcher den guten Namen miß⸗ brauchte, den beſonders unſere Landsleute an der Weſtküſte haben.
Da ich auf meinem Rückweg nach Panama die Abſicht hatte, den Iſthmus zu kreuzen und nach Venezuela zu gehen, ſo mußte ich mich hier für die in Aſpinwall liegenden Dampfer ein- ſchreiben laſſen. Leider fand ich kein directes Fahrzeug, nicht einmal ein Segelſchiff nach La⸗ guaira, obgleich ſich manchmal dazu die Gelegen— heit finden ſoll; lange warten konnte und wollte ich aber nicht, und ſo ſah ich mich denn genöthigt, den Umweg über St. Thomas zu wählen, wohin die Paſſage von Aſpinwall aus 12½ Pf. St. koſtete.
Am nächſten Morgen ſollte ein Extrazug nach Panama abgehen. In der Nacht war der von San Francisco kommende Dampfer eingelaufen, der etwa 350 Paſſagiere mitgebracht hatte. Dieſe mußten augenblicklich weiter nach New-York be⸗ fördert werden, und es iſt ein merkwürdiger An⸗
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blick, zu ſehen, wie das auch ohne den geringſten Aufenthalt geſchieht.
Der kleine Dampfer, dichtgedrängt voll Men⸗ ſchen, mit einem andern Boot noch im Schlepptau, legt an — die Paſſagiere ſtrömen an Land und werden augenblicklich in die ſchon für ſie bereit⸗ ſtehenden Perſonenwagen hineingewieſen, denn Frühſtück bekamen ſie noch bei Lampenlicht an Bord. Omnibus nach Omnibus kommt dabei aus der Stadt, der Zug wird immer länger und Wagen nach Wagen angeſchoben. — Jetzt ertönt eine Trompete — die Sonne iſt eben aufgegan⸗ gen, und einige zwanzig Mann neugranadien⸗ ſiſches Militär — heute Morgen aber und viel⸗ leicht noch von voriger Woche her ungewaſchen, marſchiren auf und beſetzen, zum großen Erſtau⸗ nen und Amuſement der Paſſagiere, die ſich ihre humoriſtiſchen Bemerkungen laut lachend mitthei⸗ len, an beiden Seiten den Perron. Was ſie da ſollen, begreift Niemand, denn bei einem ausbre— chenden Tumult würden ſie höchſtens mit ihren eigenen Ladeſtöcken geprügelt werden. Jetzt geht der Ruf: „Alle an Bord!“ Wer ſich noch auf ebener Erde befindet, ſpringt nach den Wagen
und wirft die im Wege ſtehenden neugrana⸗ Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 24
12. Von Panama nach St. Thomas. Die Iſthmus⸗Bahn hat ſich, ſeit ich fie zu= letzt geſehen, und das ſind jetzt über ſieben Jahre
her, außerordentlich verbeſſert, und es muß ges 95
waltige Arbeit daran geſchehen ſein. Aber das
iſt auch nothwendig, denn wenn die hier nur zun üppige Vegetation die Macht gewänne, wie ſie auch überall den guten Willen und die Kraft Se hat, fo wäre in wenigen Monaten die Bafn
auch wieder vollſtändig überwachſen und in kaum
einem Jahre undurchdringliches Geſtrüpp. Es 1 3
mag jein, daß der Unterſchied, den ich hier fand,
auch großentheils mit in der Jahreszeit lag; SR
denn damals, im Juni, regnete es unaufhörlich,
während jetzt, im Februar, die trockene Jahres
zeit ſein ſoll; aber dort, wo ich früher nur 24*
3%
8 Sumpf gefunden, in dem die Schienen lagen, war jetzt trockener und mit kleinen Chauſſeeſtei⸗
nen überworfener Boden, und breite, tiefe Grä⸗ ben zogen ſich an den meiſten Strecken neben
der Bahn hin und dienten ebenfalls dazu, ſie trocken zu halten. Sie muß auch jedenfalls er⸗ höht ſein, wenn ich auch nicht begreife, wie das geſchehen ſein kann, ohne ſämmtliche Fahrten zu unterbrechen. Erde iſt jedenfalls in ungeheuren Maſſen aufgefahren, und ganze Hügel in der Nähe der Bahn hat man geebnet und dazu ver⸗ wandt.
Die Vegetation durch dieſe Sümpfe iſt aber immer noch ſo mächtig, wie ſie je geweſen. Man ſieht allerdings keine jener rieſigen Laubholz⸗ bäume, wie in den bergigen Diſtricten der Tro— pen, und die wenigen, die wirklich hier ſtehen, haben wohl dann und wann ſtarke Stämme, aber dabei ganz unanſehnliche, dürftige Wipfel, die ihnen weit eher ein komiſches als großartiges Ausſehen geben. Um ſo üppiger aber wachſen dagegen Palmen und Bananen, wildes Rohr, Bambus, Fächerpalmen und ähnliche Gewächſe, und man paſſirt nicht ſelten Stellen, wo die Ve⸗ getation eine wirkliche und entſchiedene Mauer bildet, und ſich der Menſch erſt, wenn er dieſe
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Wildniß durchdringen wollte, mit Meſſer oder Macheta ſeine Bahn hauen müßte. i
Die Stationen an der Bahn ſind dabei au⸗ ßerordentlich freundlich angelegt, mit hübſchen, weiß gemalten Häuſern und niedlichen, gut ge⸗ haltenen Gärten. In gar nichts dagegen haben
ſich die Hütten der dicht daneben liegenden In⸗ ah dianer verändert, obgleich die Indianer jelber
einen andern Charakter angenommen.
Die elenden Hütten ſtehen noch immer dort mit ihren hohen, bis faſt zur Erde niederreichen⸗ den Palmblattdächern, ohne Garten, ohne jede
Bequemlichkeit, dicht an den ſchmutzigen Boden En
angeſchmiegt. Die Häuſer müſſen von Ungezie⸗ fer, beſonders von Centipeden und Skorpionen, wimmeln, und man begreift gar nicht, weshalb fie dieſelben nicht ebenfalls, wie z. B. in Ecua⸗ dor, auf kurze Pfähle ſetzen, was ſie jedenfalls luftiger und reinlicher halten würde. Aber es iſt einmal die Sitte ſo, und wie der Vater ſie vor ihm gebaut hat, baut ſie auch nach ihm der Sohn.
Sonſt aber haben ſich die Indianer, freilich durch die Umſtände auch wohl mit dazu gendthigt, um jo mehr hier verändert, und dabei nur theil⸗
weiſe zu ihrem Beſſern. Früher gingen ſie,
a
das läßt ſich nicht leugnen, ganz nackt und wur-
1 den erſt von den Amerikanern, nachdem die Bahn
hindurchging und viele Damen den Weg paſſir⸗ ten, dazu genöthigt, ein Hemd anzuziehen — das
Wenigſte, was man von einem Menſchen ver-
langen kann. Nach und nach kamen ſie auch dazu, ſich allerdings ſehr leicht, aber doch ordent— lich zu kleiden; aber wo ſind überhaupt die In⸗
. dianer geblieben, die hier noch vor kaum zwanzig
Jahren vollkommen unvermiſcht lebten? Fährt man jetzt hier durch, ſo ſieht man wohl noch einzelne jener ſchlanken, braunen Geſtalten, aber zwiſchen ihnen herum ſpielen ſchwarzbraune, wollköpfige Kinder, und faſt in allen Thüren ſtehen breite,
5 klotzige Negergeſtalten und kündigen ſich als
Herren des Hauſes an. Noch zwanzig Jahre, ja, vielleicht nur zehn, und es giebt auf dem Iſth⸗ mus von Darien keine Indianer mehr, denn die
2 Neger haben fie verdrängt. So überzieht dieſer
Fluch der Sclaverei langſam aber ſicher die ganze Weſtküſte Südamerikas.
5 Aſpinwall ſelber hat ſich in den letzten ſieben Jahren außerordentlich vergrößert, denn deutlich erinnere ich mich noch an die paar kleinen Bretter- buden, die, mit mächtigen Buchſtaben bemalt, großartige Hötels und andere Dinge verkündeten.
375 Dieſe Buden ſind jetzt vollſtändig verſchwunden oder in das Negerviertel der Stadt zurückgedrängt, und ſtatt derſelben ſieht man ganz hübſche, zum Theil maſſive Gebäude von zwei Stock Höhe. Ungeheure Geſchäfte werden dabei allerdings in Aſpinwall gemacht, aber die offenen Läden find alle nur darauf berechnet, aus den dort landen? den Fremden, von denen ſie wiſſen, daß Feine von ihnen, wenn er nicht nothgedrungen muß. auch nur über Nacht bleibt, ſo viel herauszu⸗ a preſſen, als ſie möglicher Weiſe können; nachher mögen ſie wieder laufen. Genau ſo ſollen denn ee auch die Hötels fein, denen ich aber zum Glück noch nicht in die Hände gefallen bin, denn man 88 richtet ſich überhaupt ſchon immer ſo ein, daß man nur eine oder ein paar Stunden Aufent⸗ halt in dem Neſte hat. Ba. Und was für eine entſetzliche Atmoſphäre durchweht den Ort! Man riecht in der That die | matten, heißen und ſchweren Dünſte, die fieber? geſchwängert auf ihm lagern, und dankt Gott, wenn man erſt wieder draußen auf dem blauen Waſſer in der freien, geſunden Briſe ſchwimmt. Wer dorthin zieht, thut es auch nur, um ſo | | raſch als möglich eine Summe Geldes zuſammen⸗ = zuſchlagen und dann, wenn er wirklich das Leben 5
376 behalten hat, in ein fälteres, geſünderes Klima zurückzukehren; aber ungeſtraft geſchieht das wahr⸗ lich nicht, denn mit voller Geſundheit kehrt Keiner aaus dieſem Fieberland zurück. Die Meiſten haben ihre noch kurze Lebenszeit daran zu tragen, und ihre Erben allein ernten gewöhnlich den ſchwer genug erworbenen Lohn.
Uebrigens kann man die älteren Reſidenten augenblicklich von den neu eingetroffenen Frem⸗ den unterſcheiden, die gewöhnlich eine geſunde oder doch wenigſtens menſchliche Geſichtsfarbe mitbringen. Die eigentlichen Bewohner von Aſpin⸗ wall ſehen weit mehr grün als gelb aus, und um die Augen tragen ſie alle dunkle Ränder, wie denn auch ihre Lippen faſt keine Farbe haben.
Und doch habe ich Leute in einem ſolchen Zus ſtand geſehen, die ſich kaum ein volles Jahr in dieſem Peſtloch aufhielten. Man kann es ihnen da wirklich nicht verdenken, daß ſie raſende Preiſe für Alles fordern, was ſie eben leiſten oder zum Verkauf feilhalten.
Einen höchſt intereſſanten Anblick bietet die Front⸗ oder Waſſerſtraße von Aſpinwall, beſon⸗ ders zu der Zeit, in welcher gerade ein langer Bahnzug die Dampfer-Paſſagiere von Panama herübergeſchafft, oder andere Steamer von New-
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York neue Durchwanderer auf den Iſthmus ge⸗ worfen haben — und ein ſolcher Verkehr herrſcht nicht allein drei- oder viermal die Woche, ſon⸗ dern manchmal ſogar jeden Tag.
Dieſe vordere Straße iſt, der ſo häufig nieder⸗
ſtrömenden Regen wegen, mit Colonnaden ge— baut und zu ſolcher Zeit jo gedrängt voll Men: ſchen, daß man ſich ſeinen Weg kaum hindurch bahnen kann. Dieſe drängen ſich dabei aus einem Local in das andere, wo Verkaufsläden und Res ſtaurationen mit einander abwechſeln, oder feilſchen auch an den kleinen, in den Colonnaden aufgeſtellten Ständen, an welchen allerlei Curio⸗ ſitäten: Muſcheln — Kernarbeiten, Calabaſſen, Mützen aus Cocospalmenbaſt, natürlich gewachſen,
Muſchelſchmuck und hundert andere Dinge mit
Früchten und auch Spirituoſen zum Verkauf ausſtehen. Aſpinwall hat ja ſowohl Freihafen wie Freihandel, und dieſem Verkehr ſind deshalb keine Schranken geſetzt.
Und was für Geſtalten ſieht man dabei in dem Gewühl — die eleganteſten Herren und Damen, wie fie eben aus der Cajüte getreten
ſind, und das rauheſte, wildeſte Volk, das ſich
über eine Woche in einem ſchmutzigen Zwiſchen— deck herumgetrieben und in der Zeit — und aus
„ FTF
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einem kalten Klima kommend, weder Kleider noch Wäſche gewechſelt hatte. Aber es ſind Alles Paſſagiere, und ein Jeder von ihnen hat wenig⸗ ſtens ein paar Dollar in der Taſche, um ſie hier für werthloſen Tand oder wirkliche Bedürfniſſe ſitzen zu laſſen.
Eine ungeheure Verbeſſerung erhielt der Hafen durch die prachtvollen, weit ausgebauten Werfte, an denen nicht allein die Dampfer und Schiffe anlegen, löſchen und laden können, ſondern auf welche ſogar die Schienen der Eiſenbahn hinauslaufen, ſo daß die von Panama kommen⸗
den Waaren bis dicht an Bord hinangefahren
und übergenommen werden.
Das ſchönſte und praktiſchſt eingerichtete Werft hat übrigens die engliſche Royal-Mail⸗Company, mit einem rieſigen, vollſtändig aus Eiſen gebauten Kohlenſchuppen an der einen Seite, mit Krahnen, Eiſenbahn und Allem, was dazu gehört. Es muß allerdings an dieſem Ort ungeheure Sum⸗ men gekoſtet haben, lohnt ſich aber nun auch wieder in ſofern, als es ganz enorme Koſten erſpart und um fo viel weniger Menſchenkräfte verlangt. Dieſes neue Werft verdankt aber feine Ente
ſtehung leider einem ſchweren Unglücksfall, der 15
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das alte vor einigen Jahren betroffen und auf das ſich der Leſer vielleicht noch erinnert.
Ein Kaufmann in Aſpinwall hatte dem dort gerade Ladung einnehmenden Dampfer eine Partie kleiner Kiſten als Fracht übergeben, die der Declaration nach harmloſen Inhalt trugen, in Wirklichkeit aber wollte der Betrüger darin
eine Partie Sprengöl fortſchmuggeln, das ihm 8
ſonſt von jedem Paſſagierboot verweigert worden wäre und ſelbſt auf anderen Fahrzeugen eine ſehr bedeutende Fracht hätten zahlen müſſen. Die Matroſen ließen die kleinen Kiſten, im⸗ mer einen Theil derſelben aneinander geſchnürt, ziemlich leichtſinnig in den unteren Raum hinab. Da rutſcht eine derſelben aus dem Seil und ſtürzt, und in demſelben Moment erfüllt ein furchtbarer Schlag die Luft. Das Oel hat ſich entzündet — der Dampfer am Werft iſt zer⸗ ſchmettert und in Brand gerathen, arbeitende Ma- troſen ſind in Atome zerſchellt und einzelne der Zuſchauer nur wie durch ein Wunder gerettet worden. Natürlich fingen die Ueberreſte des Bootes an zu brennen, und nur der Kühnheit eines andern engliſchen Dampfers war es zu danken, daß nicht noch mehr Unheil angerichtet wurde, da ſich auch noch eine Quantität Pulver
380 an Bord befand. So aber ſchleifte ihn derſelbe hinaus in See, wo er denn bald darauf zum zweiten Mal explodirte und ſank.
Der Schaden war natürlich ein ungeheurer und manches Menſchenleben außerdem dabei zu beklagen.
Unſer nach St. Thomas beſtimmter Dampfer lag ſchon ziemlich fertig langſeit. Er hatte nur noch eine Kleinigkeit Fracht einzunehmen, die wir ihm mit der „Talca“ von Süden heraufgebracht, beſonders Ballen mit Chinarinde. Die Paſſa⸗ giere waren ebenfalls an Bord, und etwa gegen vier Uhr wurden die Taue, die uns noch am Ufer hielten, gelöſt und wir gingen in See hinaus. -
Etwa eine Stunde früher war der Oppoſi⸗ tions⸗Dampfer der Pacific-Linie von New⸗ Hork eingelaufen und ſetzte einen unglaublichen Schwarm von ruppig genug ausſehenden Paſſa— gieren an Land. Dieſe Leute kamen aber erſt eben ganz friſch aus der bitteren Winterkälte New⸗Yorks in dieſen Brütofen Amerikas, und wunderlich genug ſtachen Viele mit ihrer Tracht gegen das jo luftig angezogene Volk der Küjte ab. So ſah ich Einige ſogar — hier ein uner- hörter Anblick — in Pelzröcken, in welchen ſie,
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wahrſcheinlich mangelnder Wäſche wegen, ganz gehörig eingeknöpft gingen. Shawls trugen eine Menge von ihnen und kleine Kinder regelmäßig jede Frau.
Viele von ihnen trafen es übrigens glücklich, daß ſie gleich mit dem Extrazug, der uns von Panama herübergebracht, hinüberfahren konnten. Alle war der Zug aber nicht im Stande mit⸗ zunehmen, denn das Schiff ſollte eine ungeheure Anzahl an Paſſagieren, ich glaube 1400, halten. Was eingeſtopft werden konnte, ging aber mi, und als ſich der Zug endlich, gerade als auch 1 wir in See gingen, in Bewegung ſetzte, ſtießen die Paſſagiere ein wahrhaft indianiſches Freu— 9 dengeheul aus, das deutlich bis zu uns herüber⸗ tönte. Ich war froh, daß ich nicht mit zwiſchen der Geſellſchaft ſaß; ein ruhiger Menſch hätte ſich dort unmöglich behaglich fühlen können.
Uebrigens zeigte ſich hier deutlich, in welchem Geiſt die Oppoſition zwiſchen dieſen beiden Dampferlinien betrieben wird; denn den Paſſa⸗ gieren von San Francisco, die nicht gleich ihr Billet durchgenommen hatten, wurden nicht etwa die durch die Oppoſition ermäßigten und feſt⸗ geſtellten Preiſe abgenommen, ſondern fie muß⸗ ten, da in dem Augenblick noch kein anderer
®
Dampfer da oder auch nur ſignaliſirt war, die volle und ſehr hohe Paſſage nach New-Pork bezahlen.
Kaum eine Stunde ſpäter aber, als wir von
Panama hier ankamen, lief er in Sicht, und jetzt hätten die Paſſagiere leicht 100 Dollars er⸗ ſparen können, denn die erſte Linie würde ſie um jeden Preis mitgenommen haben, nur um ſie der andern nicht zu gönnen. Es war aber zu ſpät. Da der erſte Dampfer faſt mit uns zugleich oder doch bald nachher abging, ſo hatten ſich die Reiſenden genöthigt geſehen, ihre Billets gleich zu nehmen, und von denen wurde ſelbſt— verſtändlich keins wieder herausgegeben.
Leider mußten wir es erleben, daß der Ameri- kaner, der nach uns ausgegangen, näher und näher kam, und etwa um halb ſieben Uhr unter dem Hohngeſchrei der darauf befindlichen ameri⸗ kaniſchen Paſſagiere dicht an uns vorüberlief. Es ließ ſich aber nicht ändern; es war wirklich ein wackeres Boot und ließ uns bald weit hinter
ſich zurück. | Dias geſchah am 23. Februar 1868, und der kleine Dampfer „Solant“ ſollte uns nur bis Ja⸗ maica bringen, wo wir nachher von dort aus den größeren benutzten.
Früher war dieſer nur bis St. Thomas ge⸗
88
gangen und hatte dort die von Jamaica und Aſpinwall eintreffenden Zwiſchenboote erwartet, um darnach ſeine Fahrt nach England anzutreten. Jetzt iſt das abgeändert, und man ſpricht ſogar
davon, daß St. Thomas — theils des beabſich⸗
tigten amerikaniſchen Kaufes — theils der ewig
dort herrſchenden Krankheiten wegen, von der
engliſchen Poſtlinie ganz aufgegeben werden ſoll.
Jedenfalls hatten wir eine angenehme Fahrt,
von ruhiger See begünſtigt, und mir war der Umweg über Jamaica, wenn er auch etwas mehr Geld koſtete, ganz recht, indem ich doch dabei manche der übrigen An. Inſeln zu ſehen bekam.
Am 26. erreichten wir die „Perle der Ae
tillen“, Jamaica, und der Anblick der Inſel, deren hohe Gebirgszüge von Nebeln durchzogen wurden, war wirklich prachtvoll. Kingston ſelber, wo der Dampfer anlegte, machte jedoch einen
weniger günſtigen Eindruck und iſt auch in der
That nur ein kleines erbärmliches Neſt. Deſto ſchöner war aber dafür die Einfahrt in den Hafen — für Segelſchiffe jedoch nicht ganz
ungefährlich, da eine Menge von kleinen Inſeln,
Klippen und Sandbänken im Weg liegen und ſorgſam vermieden werden müſſen — aber das
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Bild wird dadurch jo viel ſchöner. Ueberall, wohin ſich der Blick wendet, fällt er auf kleine zerſtreute Wohnungen, Cocospalmen ſchaukeln
5 ihre federartigen Wipfel darüber hin, und das
Grün der Berge bildet einen reizenden Hinter⸗ grund. Jetzt ſchießt das Boot an einer langen
. Landzunge hin, jo flach, daß ſie kaum über der
hohen Fluth trockenen Boden zeigt, und Baracken und Zelte, mit dazwiſchen aufgepflanzten Kanonen unter einem ganzen Wald von Palmen, mit den überall gelagerten ſchwarzen Soldaten in Zuaven⸗ tracht, ſehen maleriſch genug aus.
Kingston iſt auch in der That von einer nicht unbedeutenden bewaffneten Macht umgeben, denn die letzte Neger-Revolution hat die Weißen vor⸗ ſichtig gemacht, ſo daß ſie jetzt im Stande ſind, einen neuen Ausbruch raſch und im erſten Keim zu erſticken. Nicht allein hier liegt Militär, ſon⸗ dern hinter der Stadt find die eigentlichen Ba— racken der Negerſoldaten, während hoch in den Bergen, im ſogenannten Newcaſtle, die weißen Soldaten ihr Lager in dem geſündeſten Theile des Landes haben, aber in kaum zwei Stunden in der Stadt ſelber ſtehen können.
Jetzt biegen wir um die Landzunge, und wie ein kleines Aquarell-Gemälde liegt das Städtchen
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Kingston, mit zahlreich dort ankernden Schiffen,
herüber⸗ und hinüberkreuzenden Booten und von
hochſtämmigen Palmen überragt, vor uns aus⸗ gebreitet. 7
Unſer Boot legte ſich langſeit dem engliſchen 1 Dampfer „Shannon,“ nach Southampton be
ſtimmt, und ein kleiner Kahn führte mich in der nächſten Viertelſtunde ſchon an Land und brachte mich zwiſchen einen Haufen von Negerweibern, die hier eben eine Kohlenbarke löſchten.
Alle dieſe Arbeiten auf Jamaica ſcheinen großentheils von Frauen gethan zu werden, und ein lebendigeres, aber auch geräuſchvolleres Trei⸗ ben ließ ſich hier kaum denken.
Von dem am Werft liegenden Fahrzeug aus wurden die Kohlen auf das Werft ſelber gewor⸗ fen, und hier ſtanden einige ſechzig Negerinnen — in welchem Zuſtande der Reinlichkeit bei dieſer Arbeit läßt ſich eher denken als beſchrei n ben — füllten die Kohlen in Körbe, hoben ſich 0 dieſe auf den Kopf oder ließen ſie ſich vielmehr aufheben, und ſchritten dann, ähnlich als ob ſie
einen Cancan tanzten, unter Lachen, Schreien und Schimpfen — denn ein paar von ihnen
ſchienen fortwährend in Streit dabei zu liegen — der Stelle zu, wo die Kohlen zum Gebrauch
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 25
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der einlaufenden Dampfer angehäuft wurden, und in der That hatten ſie dort ſchon ein kleines Gebirge angeſchaufelt.
Das ſchnatterte und gellte und ſang aber durcheinander, daß man ſich hätte die Ohren zu— halten mögen — Neger ſind überhaupt ſehr laut, wenn ſie irgend eine Meinung äußern, und dieſe Klaſſe beſonders hielt nicht mit ihrer Stimme zurück. Anſtändig war die Unterhaltung, die zwiſchen den ausladenden Matroſen und couleur— ten Damen geführt wurde, ebenfalls nicht, das aber milderte ſie, daß es in einem nichtswürdigen engliſchen Dialekt geſchah, der allen dieſen Inſeln eigen iſt. Wie ſchade aber, daß ich kein Genre- maler bin, was für prachtvolle lebende Bilder habe ich ſchon geſtellt bekommen, und dieſe Koh- llenträgerinnen Kingstons gehörten jedenfalls zu den lebendigſten!
Die Stadt ſelber bietet wenig oder gar nichts, beſonders nichts Neues oder Eigenthümliches; die Hauptſtraßen ſind ziemlich breit, aber die Häuſer niedrig und unbedeutend, und die ver— ſchiedenen Verkaufslocale dunkel und unanſehnlich. Natürlich benutzte ich meine Zeit ſoviel als möglich, und nahm mir einen der berühmten jamaicaſchen Fiakers, einen offenen Kaſten mit
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einem Sonnendach, um die Umgegend ein wenig in Augenſchein zu nehmen; aber auch dieſe bot, wenigſtens in der Nähe der Stadt, nichts Be⸗ ſonderes, kaum viel Freundliches, denn alle die Gärten, durch welche wir fuhren, ſchienen arg vernachläſſigt und von Unkraut überwuchert. Auch die Bäume ſahen trocken aus, es war ja
Winterszeit, und im Frühjahr mag wohl das
Ganze einen freundlicheren Anblick gewähren. Intereſſant war es, die Waſſerwerke Kingstons zu beſuchen, zwei ungeheure Reſervoirs, die das klare Quellwaſſer aus den Gebirgen bekommen und es dann durch Röhren in die Stadt ver⸗ theilen. Eins von dieſen wurde gerade gereinigt, da ſich doch viel Schlamm am Boden angeſetzt und aus dieſem Waſſerpflanzen emporgewachſen waren. Auch hier verrichteten Frauen wieder die alleinige Arbeit: ein wahres Heer von ſchlamm⸗ bedeckten ſchwarzen Megären ſchaufelte ſich den Schmutz in kleine Butten, füllte dieſe halb voll, hob ſie ſich auf den Kopf und wanderte langſam ſehr langſam dann durch das leere Reſervoir der Treppe zu, um ihn oben abzuwerfen und dadurch an der einen Seite höheren Boden zu ſchaffen. In Amerika wäre das ganze Reſervoir jedenfalls in einem Tage gründlich gereinigt 25
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worden, hier gebrauchte man Wochen dazu, denn
Niemand ſchien ſich dabei zu beeilen.
Von dort ab fuhren wir nach den Baracken der ſchwarzen Soldaten hinaus, die auf einer weiten Ebene, ziemlich nahe bei dem Platz für die Pferderennen, und zwar ähnlich wie die nord— amerikaniſchen angelegt ſind. Die Gebäude waren
* hoch und luftig, dem Klima angemeſſen, gebaut,
und die Officierwohnungen hatten dabei kleine Gärten. Hoch darüber in den Bergen, aber noch Meilen entfernt, konnte man die lichten Zelte und Baracken der weißen Soldaten erkennen, die, wie es von unten ausſah, an einem ſteilen Berghang klebten. Hätte ich Zeit gehabt, ſo würde ich auch ſie gern beſucht haben, denn die Ausſicht von dort ſoll wahrhaft wundervoll ſein; da aber Dampfer die angenehme Gewohnheit haben, nie einzugeſtehen, wie lange ſie in einem Hafen liegen bleiben, ſo durfte ich mich nicht zu weit von meinem Fahrzeug, mit ſchon bezahlter Paſſage, fortwagen; ich konnte ſonſt zurückgelaſſen werden, denn auf einen Paſſagier wird ſicher auch keinen Moment gewartet.
Deutſche giebt es ſonderbarer Weiſe in Kingston nur ſehr wenige, ich glaube kaum ein halbes Dutzend, und trotzdem hatte ich die Freude,
389 Bekannte darunter anzutreffen, mit denen ich nachher den Abend ſehr vergnügt verbrachte. Den Vortheil habe ich überhaupt auf meinen Reiſen, daß ich überall Freunde finde; es iſt das mit der ſchönſte Lohn, den mir die Schriftſtellerei abwirft. |
Von Kingston ab, wo wir erjt noch an dem herrlichen Jamaica hinliefen, hatten wir eine höchſt intereſſante Fahrt, indem wir den größten Theil derſelben faſt immer in Sicht von Land blieben. Bis Jamaica waren wir, von Aſpinwall aus, nördlich aufgelaufen, von hier aus aber hielten wir öſtlichen Cours, die Inſeln im Norden laſſend, und erreichten am 28., noch ziemlich früh am Tage, nachdem wir San Domingo die ganze Zeit zu Backbord gehabt, die Neger-Republik Hayti, wo wir an einem der kleinen ſüdlichen Städtchen, Jakemil, anlegten.
Nun hatten wir bis dahin einige Paſſagiere im dritten Platz gehabt, die allem Anſchein nach Geld beſaßen, denn ſie gingen ſehr anſtändig, faſt vornehm gekleidet. Uebrigens waren es unver- kennbar Mulatten, dieſe wären aber, ſelbſt wenn ſie das Doppelte hätten bezahlen wollen, nicht in die Cajüte aufgenommen worden.
Nun finde ich das, vommoraliſchen Stand-
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punkt aus betrachtet, abſcheulich, denn unſere „ſchwarzen Brüder“ müſſen für ihr gutes Geld die nämlichen Rechte haben wie wir ſelber — vom menſchlichen aus war es mir aber jeden⸗ falls recht, denn ich muß zu meiner Schande geſtehen, daß ich mich in der Geſellſchaft von Negern oder ihren Abkömmlingen nicht behag— lich fühle. Ich gönne ihnen alle errungenen Vortheile, und wünſche, daß fie dieſelben gut be= nutzen mögen, aber — ich ſelber mag nichts mit ihnen zu thun, wenigſtens keinen geſellſchaft— lichen Verkehr mit ihnen haben, und aufrichtig geſagt, war es mir recht, daß ich nicht bei Tiſch an ihrer Seite, oder vielmehr in ihrem Dunſt⸗ kreis ſitzen mußte.
In Hayti, wo ſie vielleicht eine ſehr achtbare Stellung bekleideten, gingen ſie an Land, und als ſie das Boot hinüberbrachte, konnte ich deutlich erkennen, daß ein ganzer Menſchen— ſchwarm zum Ufer kam — vielleicht um ſie zu begrüßen. Wer kann in dem Herzen eines Menſchen leſen — es waren vielleicht Gouver— neure oder Miniſter geweſen; an Bord wurde aber nicht ihr Rang, ſondern nur ihre Haut in Betracht gezogen, und dieſe befähigte ſie ganz entſchieden nur für den dritten Platz.
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Leider blieb uns ſelber keine Zeit, das Ufer zu betreten, und nur aus der Ferne durften wir das wunderliche Land betrachten, an das ich wirklich vorher gar nicht gedacht, oder ich hätte es doch vielleicht ſo eingerichtet, ein paar Wochen einmal hier zu bleiben.
Jakemil ſelber ſchien ein ziemlich dürftiger Platz, aus dem nur die auf der höchſten Stelle liegende und jedenfalls noch aus der altſpaniſchen Zeit herſtammende große Kirche abſtach. Das Land ſelber, ſoweit wir es mit unſeren Te⸗ leſkopen überſchauen konnten, war, die uns mittelbare Nähe des Hafens abgerechnet, außer: ordentlich wenig angebaut. Nur ſehr vereinzelt ſah man kleine Hütten und dürftige Farmen. Wie eine Wildniß dehnten ſich die öden, ſchwach bewaldeten Hänge am Strande hin, und Wege ſchien es faſt gar nicht auf der Inſel zu geben. Die Leute darauf befinden ſich wahrſcheinlich außerordentlich wohl, aber ſie haben dann auch nur wenig Bedürfniſſe und arbeiten natürlich denen entſprechend.
Der Hafen iſt übrigens ganz vortrefflich, und wir bekamen vollauf Zeit, ihn zu beobachten, da wir nicht vor Anker gingen, ſondern ſo lange
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auf und ab fuhren, bis das von Bord abgeſetzte Boot zurückkehrte. Schon vorher hatten wir uns bei dem Offi⸗
eier, der das Boot begleitete, eine Quantität
Pfeifen beſtellt, die er uns von Jakemil mit⸗ bringen ſollte. Dieſe ſcheinen das einzige hie—
5 0 ſige Fabrikat zu ſein, und ſprechen allerdings
nicht beſonders für die Induſtrie des Platzes. Es ſind kleine, ganz ordinär gebrannte Thonköpfe, und lange dünne Rohre einer dort wachſenden Binſenart, ohne weitere Spitze und nicht einmal in die Köpfe paſſend, gehören dazu. Jedenfalls
0 muß es eine Eigenthümlichkeit des Landes ſein,
denn Paſſagiere wie Mannſchaft ſchienen ganz
verſeſſen darauf — außerdem ſind ſie — ein
nicht hoch genug in dieſem Welttheil anzuſchla⸗ gender Vorzug — ſehr billig.
Am 29. Abends erreichten wir die Höhe von Portorico, ebenfalls eine hohe, bewaldete und
bergige Inſel, die wir aber zu weit abließen,
um ſelbſt mit unſeren Fernröhren Näheres wahr— zunehmen, bis wir dann endlich am 1. März
Morgens Crab⸗Island an unſerer Linken, hinter
uns Portorico und vor uns die jo arg heimge— ſuchte Inſel St. Thomas hatten. Crab⸗Island iſt nicht ſehr hoch, ſcheint aber
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ungemein fruchtbar und dicht beſiedelt; denn wohin auch das Auge fiel, konnten wir theils Zucker⸗Plantagen mit ihren weitläufigen, in der Sonne hell ſcheinenden Gebäuden, theils einzelne Anſiedlungen und Häuſer erkennen. Auch kleine
Schooner glitten hie und da am Ufer hin und mochten wohl den Verkehr mit den verſchiedenen 1
Theilen der Inſel unterhalten.
Unſer Intereſſe wurde aber doch hauptſächlich durch St. Thomas, das immer deutlicher vor uns auftauchte, gefeſſelt; denn zu viel hatten wir davon gehört, und neuerdings ſogar die eben nicht erfreuliche Kunde erhalten, daß gegen— wärtig, nach Sturm und Erdbeben, die Cholera darauf wüthe und Hunderte von Menſchen hin— wegraffe. In Panama und Aſpinwall hatte
man mir auch in der That ganz ernſtlich abge— 1 =
rathen, die von dem Schickſal ſo arg heimge— ſuchte Inſel jetzt zu betreten, denn abgeſehen da— von, daß ich ſelber der Krankheit zum Opfer fallen könne, ſei die Wahrſcheinlichkeit, ja faſt Gewißheit da, daß ich kein Boot dort finden würde für die Weiterpaſſage, indem die Qua⸗ rantaine auf den Inſeln ſowohl als in Laguayra entſetzlich ſtreng ſei, und Fahrzeuge ſicherlich nicht einen einzelnen Paſſagier aufnehmen wür⸗
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den, durch den ſie vielleicht eine a ee Quarantaine bekamen.
Jetzt war es entſchieden zu ſpät, das Alles noch einmal zu bedenken, und ich folgte meinem alten Wahlſpruch: „Nur immer mitten hineingeſprungen in alle Schwierigkeiten.“ Sitzt man dann erſt einmal drin, jo findet ſich auch ſtets eine Ge— legenheit, um wieder hinauszukommen. Mir iſt es bis jetzt wenigſtens noch immer geglückt, und ich vertraute denn auch jetzt meinem alten Schutz⸗ geiſt, der allerdings bei mir kein beſonderes ruhiges Brot gehabt. St. Thomas ſelber war mir zu intereſſant, um daran vorbeizufahren, und was die Gerüchte über an irgend einer Stelle wüthende Cholera betraf, ſo hatte ich darin ſchon zu viel Erfahrung gemacht, wie übertrieben dieſelben gewöhnlich ausfielen.
Uebrigens fanden wir bald, daß unſer alter Dampfer „Shannon“, ein mehr bequemes als ſehr ſchnelles Boot, als wir uns der Einfahrt näher— ten, nicht auf den eigentlichen Hafen von St. Thomas zu hielt, ſondern in eine Seitenbucht einbog, während er noch außerdem die Quaran⸗ taine⸗Flagge aufzog. Das ſah nicht beſonders tröſtlich aus, ließ ſich aber auch nicht mehr äan⸗
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dern, und wir mußten jetzt jedenfalls ruhig ab⸗ warten, was über uns verhängt werden würde.
Vier engliſche Dampfer lagen in der Bai: einer, der vom Sturm beſchädigt worden und jetzt reparirte, der Dampfer für Trinidad oder Demarare, der für Jamaica und der eben von England eingelaufene Poſtdampfer — aber nicht dieſe zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich, ſon⸗ dern die überall an der Küſte umhergeſtreuten
Wracks, die man ſelbſt in dieſer Seitenbuchet
deutlich erkennen konnte. Dort lagen ein paar Schooner hoch und trocken auf den Steinen, dort zeigten ſich in den verlaſſenen und zerſtörten Keſſeln die Ueberreſte eines Dampfers, da ſtarrten noch Maſten aus dem Waſſer empor, und drüben am rechten Ufer konnten wir deutlich die Trüm⸗ mer zuſammengebrochener Gebäude erkennen, an denen Sturm, Erdbeben und Sturzwelle wahr— ſcheinlich zuſammengewirkt hatten.
Es war ein Bild der vollſten Zerſtörung, und doch ſagten uns die Officiere, daß der größte Schaden ſchon wieder ausgebeſſert, und manches von den Fahrzeugen, die verſunken ge— weſen, durch Taucher und Pumpwerke wieder an die Oberfläche gebracht ſei. Uns ſchien es aber noch genug Verwüſtung, und beſonders ein alter
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engliſcher Capitän, der ſich als Paſſagier mit an Bord befand, mochte wohl mit recht ſchwerem
7 Herzen die umhergewaſchenen Schiffstrümmer
betrachten — hatte er doch in dem Sturm nicht allein ſein Schiff, ſondern auch ſeinen Sohn darauf verloren!
| Jetzt erreichte unſer Dampfer die Buoy, an welcher der Trinidad-Steamer hing, und legte dort an, und in kurzer Zeit mußte es ſich nun ent- ſcheiden, wie die Sache am Ufer ſtand und wie ich von hier — einmal angelangt — weiter be— fördert werden konnte. Das aber zeigte ſich bald als nicht beſonders tröſtlich.
| Der Agent der Compagnie, der an Bord kam, erwiderte mir auf meine Frage, daß die
5 Cholera in St. Thomas — genau, wie ich es mir gedacht — allerdings wenig oder gar keine
Bedeutung habe. Bis jetzt wären nur Schwarze daran geſtorben und zwei Weiße — anerkannte Säufer, die es ſelber verſchuldet; aber trotzdem bekämen die Schiffe keinen Geſundheitspaß mehr, und wenn ich nach Venezuela mit dem Trinidad— Dampfer gehen wolle, ſo dürfe ich nicht an Land gehen, oder der Dampfer nehme mich nicht mehr auf. — Angenehm! — Aber wie ſollte ich er⸗ fahren, ob ich auf andere Weiſe fortkäme? —
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„Das wiſſe er nicht,“ lautete die Antwort, „aber
jo viel könne er mir jagen, daß das nach La⸗ x
guayra beſtimmte Paketboot keine Paſſagiere vom Lande mitnehme. Wenn ich dort an Bord wolle, müſſe ich hier in der Bai auf dem in der Re⸗
paratur begriffenen engliſchen Dampfer bleiben 155 — er wiſſe aber nicht, ob der Paſſagiere aufe
nehme.“ — Wieder angenehm. 1
Uebrigens war ich feſt entſchloſſen, das letztere nicht zu thun, und hatte noch immer Zeit genug da unſer Dampfer wenigſtens noch ſechs Stun: den im Hafen blieb, ein paar Briefe an Land zu ſchreiben, um mich über die Verhältniſſe dort zu erkundigen.
Merkwürdig übrigens — der Trinidad⸗ Dampfer nahm keinen Paſſagier auf, der an Land geweſen war, und der Capitän deſſelben lief den ganzen Tag in der Stadt herum. Mög⸗ lich, daß engliſche Capitäne nicht anſtecken; ich weiß das nicht, aber was dem Einen recht iſt, ſollte dem Andern billig ſein.
Mit dem für England beſtimmten Boot fand übrigens freier Verkehr ſtatt; ſelbſt den nach Europa gehenden Paſſagieren wurde verſtattet, an Land zu fahren und bis Abends dort zu blei⸗ ben. Nur wir Anderen ſollten uns eingepfercht
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halten. Glücklicher Weiſe erhielt ich bald Ant⸗ wort von Land. Herr Fedderſon, der preußiſche Conſul, war ſo freundlich, mir mitzutheilen, daß in einigen Tagen eine franzöſiſche Barke nach Laguayra abginge und Paſſagiere mitnähme, und kaum eine Viertelſtunde ſpäter ſaß ich mit mei⸗ nem wenigen Gepäck in einem der zu uns her⸗ ausgekommenen Boote, fuhr, dem Dampfer Valet ſagend, zwiſchen den Trümmern an der Küſte hindurch und, eine ſchmale Einfahrt in den andern Hafen benutzend, nach St. Thomas hinüber, wo ich mich jetzt ohne Weiteres im Hötel du Commerce einquartierte.
*
13. Sf. Thomas.
Man jagt gewöhnlich, „ein Unglück kommt nie allein,“ und wenn das wohl auch nicht im⸗ mer zutrifft, ſo hat St. Thomas doch jedenfalls die Wahrheit dieſes Sprichworts im vollſten Maße erleben müſſen. Es giebt kaum einen ärger heim⸗ geſuchten Platz in der ganzen Welt, als es dieſe kleine, freundliche Inſel in den letzten Jahren war, denn ſie hat — man kann ſagen in Mo⸗ naten, eine wahre Kette von Leiden durchmachen müſſen.
Zuerſt kam der Sturm, der furchtbare Ver⸗ wüſtung, beſonders unter den Fahrzeugen, an⸗ richtete und in Zeit von einer Stunde einige ſiebzig Schiffe von allen Größen, vom Drei⸗ tauſend⸗Tonnenſchiff bis zum kleinſten Schooner
05 8
hinab, verſenkte oder auf den Strand warf, und dabei wie zum Spiel Häuſer abdeckte oder auch umwarf, den Palmen ihre Kronen abriß, die Blätter von den Büſchen fegte und eine Heiden- verwüſtung anrichtete.
Dann unmittelbar darauf kam das Erdbeben, das noch nicht ſo unheilvoll gewirkt hätte, da es merkwürdiger Weiſe nur an einigen Stellen wirk⸗ lich bösartig auftrat, wäre die Welle nicht hinter— her gekommen, die das Verderben vollendete. Mitten in der Verwirrung, wo Stoß nach Stoß folgte, ging auf einmal der Schrei durch die Stadt: „Die See kommt!“ und was laufen konnte, lief. Dem Phänomen ging übrigens — wie an allen Orten, wo Aehnliches erlebt wor⸗ den — das regelmäßig zuerſt ſtattfindende und plötzliche Fallen der See voraus. Das Meer wich zurück, um gleich darauf in einer rieſigen Sturzwelle wieder zu kommen, deren Schrecken ich wohl hier nicht weiter zu beſchreiben brauche, da davon Schilderungen genug in deutſchen Blät⸗ tern erſchienen ſind.
Dieſe Sturzwelle richtete aber an allen den Stellen, welche ſie erreichen konnte, die furcht— barſte Verwüſtung an, weil durch den Sturm und das Erdbeben alle von Menſchenhänden auf—
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geführten Werke ſchon gelockert und zum Theil auseinander geriſſen waren. Da hinein ſprang ſie, und ihrer furchtbaren Gewalt widerſtand nur wenig. |
Was ſie an nach dem Sturm eingelaufenen 15
Fahrzeugen in der Nähe des Ufers fand, ſetzte 1 5 fie hoch auf den Strand; Boote und Buoyen warf ſie weit in die Stadt hinein, und alle die
Waarenhäuſer am Ufer, von denen die meiften ſchon Riſſe durch das Erdbeben bekommen, wur⸗ den plötzlich durchwaſchen und manche auch total i auseinander geriſſen.
Und damit war die Sache noch nicht zu Ende. Die ſchlimmſte Gefahr ſchien allerdings damit überſtanden, aber die Erde zitterte fort. Stoß folgte auf Stoß; faſt jede halbe Stunde wieder- holte ſich eine dieſer fatalen Erſchütterungen, und daß Tauſende von Menſchen dadurch nervös und zuletzt krank gemacht wurden, läßt ſich den- ken. Solche ewige Aufregung konnten nur wenig Nerven ertragen, und anſteckende Krankheiten fanden das Volk empfänglich dafür.
Zuerſt trat das gelbe Fieber auf, während die Erde noch immer fortſchüttelte, und dann folgte endlich, aber nur in geringem Maße, die Cholera, während ſelbſt jetzt noch manchmal ae e
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II.
402
Stöße fühlbar find. Das wird natürlich entſetz—
lich übertrieben, und ſo kam z. B. gleich Anfangs ein Paſſagier von St. Thomas an Bord, der uns ſolche Geſchichten aus der Stadt erzählte, daß man hätte glauben ſollen, kein Menſch ſei dort ſeines eigenen Lebens ſicher.
Seiner Beſchreibung nach zitterte die Erde in einem fort, und es verging faſt keine Stunde ohne einen fühlbaren Stoß. — Ich ſelber war nachher eine ganze Woche auf St. Thomas, und habe nur am erſten Morgen einen — aber kaum merkbaren Stoß gefühlt, der von einem dumpfen Grollen begleitet war, wie einige kleine, aber ſehr leichte Erſchütterungen ſpäter. Es giebt aber Leute, deren eigene Furcht ihnen auch das Ge⸗ ringfügigſte entſetzlich erſcheinen läßt, und wie ſie es empfangen, theilen ſie es wieder mit.
Soviel iſt ſicher — jener unterirdiſche Feuer— ballen, der jedenfalls den Kern unſerer Erdkugel bildet, hat in dieſem Augenblick noch mehr Gas
vorräthig, als er durch die gewöhnlichen Sicher
heits⸗Ventile der Vulkane bequem ausführen kann, und während die Krater in allen Welttheilen thätig arbeiten, zuckt auch noch an vielen Stel⸗ len die Erde, und St. Thomas ſcheint dabei gerade nicht an der allerſicherſten Stelle zu lie⸗
403
gen. Die größte Gefahr iſt aber jedenfalls für die Inſel vorbei — ſoweit menſchliche Berech- nungen da überhaupt ausreichen; und wenn dort unten nicht noch etwas ganz Außerordentliches
vorgeht, ſo werden die Erdſtöße hier wohl noch eine kurze Zeit anhalten, aber kaum mehr u
heblichen Schaden anrichten; man darf alſo wei⸗
teren übertriebenen Schilderungen nicht allzu vie= 0
len Glauben beimeſſen. Das angerichtete Unheil iſt außerdem auch ſchon groß genug und faſt unberechenbar, denn
die meiſten Häuſer in der Stadt haben, wenn
ſie auch äußerlich keine beſonderen Verletzungen zeigen, doch Riſſe bekommen, und ſelbſt kleine Stöße können das Uebel leicht verſchlimmern. St. Thomas hat in der That enorm gelitten,
und durch welche Straße man auch geht, jo ſieht man in dem überall umherliegenden Schutt
deutlich die Verwüſtungen, die Sturm oder Erd— beben angerichtet. Und die armen Cocospalmen, wie traurig, wie entſetzlich traurig ſie dreinſchauen mit ihren kahlen, vergilbten Wipfeln, nur hie
und da noch ein grünes, abgeriſſenes Blatt zei⸗
gend. Viele ſind auch durch den Sturm ganz
entwurzelt worden; die meiſten hielten aber doch
Stand, bogen ſich, ließen ſich rupfen und über⸗ 1 26 *
404
ſchauten dann wieder mit den kahlen Häuptern die um ſie her geſchehene Verwüſtung. Merkwürdig iſt jedenfalls, wie ſtrichweiſe der Sturm gewüthet hat, der, allem Anſcheine nach, nicht in einer compacten Maſſe den Grund fegte, ſondern in Windſtreifen gegangen ſein muß. So findet man an den Orten, die er am meiſten heimgeſucht, Stellen, auf denen er ſtark gebaute Häuſer vollkommen abgedeckt und leichte Bretter- hütten gefaßt und umgeworfen oder auch von— einander geriſſen hat, während dicht daneben eine elende Baracke ungeſchädigt, unverletzt ſtehen ge- blieben iſt. Einen Strich ruinirte er vollſtändig, E einen andern, nahebei, berührte er gar nicht, und wenn ſich das auch nicht gut erklären läßt, ſieht man es doch hier aller Orten beſtätigt. Am ärgſten war aber natürlich die Verwü⸗ ſtung in der gerade von Schiffen aller Nationen gefüllten Bai, an denen er ſeinen vollen Ueber- muth auslaſſen konnte — und auch ausließ. | Ich nahm ein Boot und fuhr damit im Ha=- fen herum, und muß geſtehen, daß Einem der Anblick, den ich dort genoß, das Seefahren wohl auf eine Weile verleiden könnte. Ein einzelnes Wrack, dem man auf See begegnet, bietet ſchon ſtets nur zu genügenden Stoff zum Nachdenken,
405 und hier fährt man wirklich in einem Wald zer⸗ ſchmetterter Fahrzeuge herum, jedes ſeine eigene Unglücksgeſchichte an der Stirn tragend, jedes
ein memento mori zerſtörter Menſchenleben. Die Verwirrung muß entſetzlich geweſen ſein.
Der Sturm kam zuerſt in einem furchtbaren
Stoß von Weiten, lullte dann aber plötzlich zu
einer vollkommenen Windſtille ein, um wenige
Minuten ſpäter, nachdem er jedenfalls hinter den Bergen im Norden herumgegangen, von Oſten
mit erneuter Kraft wiederzukehren. Und jetzt Mi
nahm er die Backen voll.
Der Liverpool-Dampfer „Venezuela“ war eben
— oder doch nur erſt wenige Stunden vorher — mit über 200 Paſſagieren eingetroffen. Den warf er gegen den eiſernen Floating-Dock, der mit ihm ſank, und zum Ueberfluß ein 3000-Tonnen⸗ ſchiff, das größte, was bis jetzt noch die weſtin⸗ diſchen Inſeln beſucht, die „Britiſh Empire“, oben drauf. Das letztere Schiff, das einen argen Leck bekommen, ſank aber erſt vollſtändig den nächſten Tag, da es die Mannſchaft nicht mit Pumpen flott halten konnte und andere Hilfe in der Ver— wirrung und dem allgemeinen Unglück nicht zu erhalten war.
Rechts in der Bai bietet ſich der intereſſan⸗
F
Bath
tteſte Anblick dar, denn dort liegt ein ganzes Neſt
von Dampfern und Schiffen, die, nachdem ſie im Hafen gegen andere Fahrzeuge angerannt und ſie und ſich vernichtet hatten, endlich hier in ſeichtes Waſſer hineingeworfen wurden und jetzt rettungslos feſt und auf dem Grund ſitzen. Ein kleiner Dampfer ſcheint beſonders in der Klemme geweſen zu ſeinn e eiſernen Räder ſind in jede erdenkbare “ kineingebogen, fein eiſerner Rumpf iſt aus an' er geriſſen, fein Stern iſt eingeſtoßen, ſein chornſteine find über Bord geworfen. Arme „Prinzeß Alice“! Sie haben ihr arg mitgeſpielt und nur das ſeichte Waſſer hielt ſie vom völligen Verſinken ab.
Kleine Schooner, wie z. B. „Wild Pigeon“ und andere, liegen hoch und trocken auf den Steinen, von einigen, die in tiefem Waſſer ver⸗ ſanken, ſchauen eben noch die Maſten empor, aber im Ganzen iſt doch ſchon wieder ſehr viel gethan, um theils verſunkene Schiffe zu heben und wie⸗ der in Stand zu ſetzen, oder auf's Land gewor— fene flott zu bekommen. er Erwähnen muß ich noch, daß jene große Woge, welche das Erdbeben gegen das Land ſchleuderte, auch zu gleicher Zeit eine Menge von Fiſchen auf's Trockene warf. Aber keiner der Neger wollte
einen davon in feinen Topf tragen, denn fie be- haupteten: das Erdbeben ſei eine Strafe Gottes, und ſie dürften daraus keinen Nutzen für ſich ſelber ziehen wollen. 5 Entſetzlich muß der Anblick der unteren Stadt aber unmittelbar nach der großen Woge geweſen ſein, die in das Land hineinwuſch, die zahlrei⸗ chen Werfte total zerſtörte und große Verwüſtung in den Lagerhäuſern an. So hoch aber, als ſie Anfangs geſchild,; t. wurde (30 Fuß) war fie keinenfalls. Sie kan ch der Höhe, in der ſie in die Stadt eingedrungen iſt, nicht mehr als fünfzehn oder höchſtens zwanzig Fuß gehabt haben, ja, ich glaube, kaum zwanzig, denn der
Druck des Waſſers hat ſie außerdem noch immer u
weiter getrieben, als ihre eigene Höhe. Uebrigens hat ſie Schaden genug angerichtet.
St. Thomas iſt jedoch der am günſtigſten ge⸗ legene Platz des ganzen weſtindiſchen Archipels,
und die Kaufleute hier haben bewieſen, daß ſie N ſelbſt ſchwere Verlufte wacker tragen konnten. Trotz
allem Unheil, das über ſie hereingebrochen, hat 1
nicht ein einziges Haus ſeine Zahlungen einge
ſtellt, und die Bauten gehen zu derſelben Zeit
rüſtig vorwärts, um den erlittenen Schaden wier
der auszubeſſern. Unbehaglich nur befanden ſie 1
C 3 R * 8 ar 1 .
7 x
5 ſich damals unter der Ungewißheit, ob Amerika die Inſel wirklich gekauft hat oder nicht, und das nicht etwa aus Anhänglichkeit an das Mut⸗ terland, ſondern weil die Exiſtenz des ganzen = bedeutenden Handelsplatzes dabei auf dem Spiele ſteht. | Danemark ſelber hat ſich nicht beſonders freund⸗ liiUch gegen feine Colonie gezeigt. Es verhandelte dieſelbe zuerſt und ließ nachher in St. Thomas, mehr zum Schein, abſtimmen, ob die Einwohner auch mit dem Verkauf zufrieden wären, ja, dä⸗ niſche Beamte beeinflußten ſogar die Wähler, dem flactiſch ſchon abgeſchloſſenen Handel ihre Stim⸗ 5 men zu geben. Die Fremden hier, und ſelbſt mit wenigen Ausnahmen die Dänen, würden auch ſehr gern an Amerika fallen, wenn fie nur die Gewißheit hätten, daß die Inſel ein Freihafen bleibt, denn dadurch allein hat ſie ſich, als Mit⸗ telpunkt der Inſeln, ihre Stellung erworben. Machte aber Amerika, wie man ſehr zu fürchten ſchien, einen Kriegshafen aus dem Platz, dem 5 es dann den freien Handel nahm, ſo hörte ſeine Bedeutung vollſtändig auf und die Kaufleute würden die Inſel, ſo raſch ſie irgend konnten, verlaſſen haben. Jetzt beherrſcht fie faſt den ganzen Handel
mit Portorico und manchen anderen reichen In-
ſeln, die von hier ihre Waaren beziehen; ſoll aber hier erſt ein hoher Zoll darauf entrichtet
werden, ſo iſt das natürlich vorbei und St. Tho⸗
mas ſelber viel zu klein und ſchwach bevölkert, 1
7 h 0 5 ; 1 .
um einen bedeutenden Handel zu erlauben. /
Die Aufhebung des Freihafens würde des— . halb St. Thomas zehnmal jo arg ſchädigen, als es Sturm, Erdbeben und anſteckende Krank-
heiten gethan haben — ja, es vollſtändig ruiniren,
und ſchon jetzt wirkte dieſe ſtete Unſicherheit vs
lähmend auf den Verkehr und trieb nur Einzelne zu einer allerdings ſehr gewagten Speculation:
nämlich eine Maſſe von Waaren hierher zu wer⸗ 5
fen, um im Fall des amerikaniſchen Beſitzes und
Aufhebung des Freihafens dieſelben ſteuerfrei ©
nach den Vereinigten Staaten einführen zu können.
Uebrigens ſcheint es faſt, als ob der ganze
amerikaniſche Handel nicht allein aufgeſchoben, ſondern ſogar aufgehoben ſei, denn der Congreß
hat, unter den jetzigen Umſtänden, das Geld nicht
zu dem Ankauf bewilligt, und mag außerdem
auch befürchten, daß, nach den letztgemachten Er⸗
fahrungen, der Hafen von St. Thomas doch am
ee
A Ende nicht fo ficher ſei, als man früher wen |
Bi vermuthet.
Nie im Leben hätte ich geglaubt, ſoviel
Dieutſche hier zu finden. Sie ſind jedenfalls
weit zahlreicher als Engländer und Franzoſen, und wohin man kommt, hört man die deutſche Sprache, ja ſogar nicht ſelten unter den Negern ſelber. Viele Eingeborene der Inſel ſprechen
1 Deutſch untereinander „und deutſche Firmen
trifft man aller Orten. Außerdem giebt es kaum einen überſeeiſchen Hafen der Welt, wo die ver—
ſchiedenen Nationalitäten freundlicher zuſammen⸗
halten, als in St. Thomas, und ſelbſt Dänen und Deutſche leben hier im beſten Einverneh— men und beſuchen ein und dieſelben Locale und Clubs. Das kommt aber auch vielleicht von der geringen Zahl her, in der die Weißen hier der farbigen Bevölkerung gegenüberſtehen. St. Tho⸗ mas hat etwa 15,000 Einwohner und von dieſen
© ſind 12,500 Farbige und Neger, und zwiſchen
dieſen nur 2500 Weiße. Die Letzteren, und
beſonders die Deutſchen, haben hier zwei ganz 5
vortreffliche Geſellſchafts-Locale, die von allen Nationalitäten beſucht werden: das Athenäum, ein Leſeelub mit Zeitungen und Büchern in allen Sprachen, und den ſogenannten internationalen
Club, in den aber keine Farbigen aufgenommen 5 werden. Das deutſche Element überwiegt jedoch
in allen, ſchon vielleicht aus dem Grund, weil der Deutſche überhaupt geſelliger Natur iſt und am liebſten in Nudeln lebt — und prächtige
Leute findet man unter ihnen. Mir wenigſtens ſind die Tage, die ich in St. Thomas verbrachte,
ſo raſch wie kaum ſo viele Stunden verflogen. 5
Was nun die hier „wüthende“ Cholera ber trifft, ſo ſpürt man, wie ich es mir auch vorher gedacht, gar nichts davon. Abends begegnet man allerdings dann und wann einem Leichenwagen, aber die Krankheit ſcheint ſich hauptſächlich auf
die unteren Klaſſen der Farbigen zu beſchränken,
wie denn ſonderbarer Weiſe die Neger gewöhn⸗ 5
lich ſehr heftig von dieſer Krankheit mitgenom⸗ 5
men werden, während ſie vom gelben Fieber, 5 das mehr unter den Weißen i faſt gar
nicht leiden. 5
Die Neger nennen deshalb auch die Cholera black man's turn, das gelbe Fieber dagegen white man's turn, das heißt, bei der erſteren Krankheit kommen die Schwarzen, bei der zwei— ten die Weißen daran. a
In der Stadt ſelber wird jetzt rüſtig gebaut, um alle die erlittenen Schäden wieder auszu-
2 Fa!
242
beſſern. Ich begreife auch wirklich nicht, wo nach ſolchen Calamitäten, die faſt jedes Haus berührt haben und überall Arbeit nothwendig machen, ſo urplötzlich alle die Maurer und Zim⸗ merleute herkommen, die doch in ruhiger Zeit unmöglich alle Beſchäftigung finden können. . Tauſende von ſolchen ſind aber jetzt hier emſig in Thätigkeit, als ob keiner von ihnen je etwas Anderes getrieben habe. Die angerichtete Ver— wüſtung war aber doch zu groß und allgemein, um in den wenigen Monaten ſchon beſeitigt zu ſein, und überall findet man deshalb noch in
den Häuſern Schutt, und außerhalb der eigent-
lichen Geſchäftsſtadt kann man auch wohl noch halbe Straßen umgewehter Holzbaracken finden E ein Bild troſtloſer Verwüſtung, wie es 1 der Sturm zurückgelaſſen.
In der Bai draußen bereitete ſich übrigens
5 ein kleiner See-Roman vor, der möglicher Weiſe ernſtere Folgen nach ſich zieht. Es lag hier nämlich im Sturm ein amerikaniſches Schiff, für
Peru beſtimmt, mit Kanonen und Munition an
Bord, das, arg beſchädigt, ſeine gefährliche La— 5 dung löſchen mußte. Ein anderer Amerikaner, die „Sarah Newman“, hat jetzt dieſelbe an Bord genommen und iſt zum Auslaufen fertig, und
4139
zwei kleine ſpaniſche Kriegsdampfer liegen hier, fortwährend die Keſſel geheizt, und warten „ ) den Moment, wo ſie die Bai verläßt, während kein amerikaniſches Kriegsſchiff hier ift, um fie zu ſchützen. Ob ſie ſich das nun ſelber beſorgen wird, weiß man nicht: das Material dazu haben ſie jedenfalls an Bord, und ich glaube auch nicht, | daß ſich der Amerikaner den Spaniern ſo leicht ergeben wird. Intereſſant iſt das Reſultat jeden? falls, und hätte mein Ziel nach der Weſtküſte, ſtatt nach Venezuela, gelegen, ſo würde ich e auf der „Sarah Newman“ Paſſage genommen haben. 5 Ich darf aber St. Thomas nicht vera 8 ohne wenigſtens ein paar Worte über die 99 5 der Inſel zu ſagen, die, wie ſchon vorerwähnt, die eigentliche Beoölterung derſelben bilden, und zwar in fo vorwiegendem Maße, daß man An- a fangs wirklich glaubt, es gebe überhaupt nur einzelne Weiße auf dem ganzen Platz ucroft Libre 5 Die Boote in der Bai ſind natürlich, wie in allen warmen Himmelsſtrichen, nur von Negern bemannt, aber ſelbſt wenn man das feſte Land betritt, ſieht man nichts — gar nichts als farbiges Volk, in den ſchönſten Schattirungen von gelb zu ſchwarz, und hört auch in der That nichts als
den furchtbaren und ſtets laut geſchrieenen Dialekt dieſer wohl arg mißhandelten, aber auch ſehr unangenehmen Race. | Sie ſelber tragen freilich nicht die Schuld, denn nicht freiwillig verließen ſie ihr Vaterland; als Sclaven wurden ſie fortgeſchleppt, und daß ſie mit der Zeit frei werden mußten, war eine natürliche Folge der Civiliſation. Mit ihrer Freiheit konnte man ſie aber nicht mehr zur Arbeit zwingen, und daß der Neger wenig Be— bürfniſſe kennen lernte, verdankt er ebenfalls nur wieder ſeinem früheren weißen Herrn. Eine Sorge für die Zukunft, wie fie uns in der Frei⸗ heit Geborenen gleich von früher Jugend an's 9 Herz gelegt wird, iſt ihm ebenfalls fremd ge— 5 blieben, und da er von dem Weltverkehr und 0 Handel entſchieden fern gehalten wurde, ſo kann man bei ihm auch keinen Sinn für National⸗ ökonomie erwarten. Was liegt ihm daran, ob das Land, in dem er ſich befindet, Producte ex⸗ oder importirt, ſo lange er eben ſelber hat, was er braucht, und daß jetzt auch hier auf St. Thomas aller Ackerbau liegen blieb, war nur eine natürliche Folge. hr Früher bedeckten die Hänge reiche und weite Zuckerfelder — ſeit Aufhebung der Sclaverei
*
415 liegen fie kahl und trocken in der Sonne, und ein klein wenig Gemüſe abgerechnet, wird wohl in dieſem Augenblick gar nichts weiter auf dern ganzen Inſel gezogen. |
Die Neger jelber ſcheinen ſich aber vollkom- men wohl zu befinden, und ich habe nie ein ver⸗ gnügteres und in ſeinen Vergnügungen lauteres
Volk geſehen. Das iſt ein ewiges, ununter⸗ brochenes Lachen unter ihnen, und eben ſo oft hört man dazwiſchen Zanken und Schimpfreden
in's Unglaubliche, ſo daß man denken ſollte, ein
offener Kampf müſſe jeden Augenblick unter ihnen
ausbrechen, aber es kommt nie dazu, denn wie nur Einer von ihnen einmal einen recht außerr⸗ gewöhnlichen Fluch oder ein ſonderbares Schimpf wort ausſtößt, endet die ganze Sache jedesmal unter ſchallendem Gelächter der Umſtehenden und Streitenden ſelber. us
Die echten Negerhaſſer werfen der afrikani⸗ ſchen Menſchenrace oft das Affenähnliche in ihrer ganzen Natur vor, und zum Theil haben ſie Recht. Der Neger beſitzt wirklich einen großen Trieb zur Nachahmung, und wo der bei dem Sclaven unterdrückt wurde, bricht er ſich in der neugewonnenen Freiheit um ſo mehr Bahn.
Es giebt kaum etwas Komiſcheres, als einen
416
etwas wohlhabenden Schwarzen zu ſehen, der nicht allein in ſeiner Kleidung, nein, auch in
ſeinem ganzen Weſen, in Bewegung, wie Aus-
druck — aber mit dem verwünſchten Dialekt und wolligen ſchwarzen Kopf — einen Weißen zu affectiren ſucht. So brachten in Jamaica ein
paar ſolcher Herren einen ihrer Freunde an Bord
des Dampfers, und es war wirklich rührend, zu ſehen, mit welcher ausgezeichneten Höflichkeit und mit wie gewählten Worten ſie den Herrn in — das Zwiſchendeck begleiteten, denn in der Cajüte wird die Race trotz aller Emancipation und Frei: heit noch immer nicht zugelaſſen, eine Maßregel, mit der ich ſelber vollkommen einverſtanden bin. — Ich gönne dem Neger von Herzen ſeine Frei—
heit, aber ich mag — wie ſchon geſagt — keine
Gemeinſchaft mit ihm haben, und wenn das nicht chriſtlich ſein ſollte, wäre es jedenfalls natürlich.
Uebrigens verdienen die Negerdamen einer
ganz beſondern Erwähnung, denn ſie zeichnen
ſich ſelber hier auf das auffälligſte aus. St. Tho⸗ mas hat freilich auch ſehr viel wohlhabende, ja ſelbſt reiche Schwarze, die eine Stellung in der Stadt einnehmen, und wie ein Geldprotz bei uns, der ſich von einer unteren Stufe empor⸗
417
geſchwungen, auch am ſtolzeſten auf ſein Ge— wonnenes iſt, ſo brüſtet ſich der freigewordene Neger, wenn es ihm ſeine Verhältniſſe irgend erlauben, mit ſeinem eigenen Ich, und daß er in dem Fall auch ſeine Frau und Töchter nicht will irgend einer weißen Familie nachſtehen laſſen, kann man ſich denken.
Dieſe Putzſucht — eigentlich der erſte Schritt zur Civiliſation, da er größere Bedürfniſſe mit ſich bringt, bleibt aber nicht allein bei den Rei⸗ cheren, ſondern geht bis in die unterſten Schichten der Bevölkerung hinab, und die ſchwarze Señora ſchleppt ihr langes theures Seidenkleid nicht ärger und länger durch Staub und Straßenſchmutz, als das ärmſte Negerweib, das mit einem Korb voll Gemüſe auf dem Kopf zu Markte kommt, ihren alten, ſchmierigen und zerriſſenen Kattun— lappen — denn die Mode war jetzt hier in voller Blüthe. Ich begreife dabei nur nicht, wie mitten zwiſchen ſolchen Caricaturen wirkliche weiße Ladies ſie noch aufrecht erhalten konnten, aber das, wie die Mode ſelbſt, bleibt ein Räthſel.
Uebrigens hat der letzte Sturm den in St. Tho⸗ mas herrſchenden Luxus ſehr begünſtigt, und beſonders der ärmeren Klaſſe die Mittel geboten,
ſich entſchieden hervor zu thun. Die Ladungen Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 27
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einiger Schiffe, wenn ſie auch vom Seewaſſer beſchädigt waren, wurden doch gerettet und nach— her natürlich zu Spottpreiſen öffentlich verſteigert. Die Neger aber hatten gleich nach den Unglücks fällen für ſehr wenig Arbeit ſehr hohe Löhne erhalten, und deshalb Geld in Händen. Sie kauften jetzt in Maſſe die havarirten Ausſchnitt⸗ waaren, und ſeit der Zeit rauſcht es in St. Tho⸗ mas von endloſen Schleppen ſteif geſtärkten Kattuns, und gentlemen of colour tragen Röcke und Hoſen, auf denen ſich noch deutlich die in den Ballen erhaltenen See- oder auch Bilch⸗ waſſerſpuren abzeichnen.
Der Neger iſt von Natur mildthätig, denn er hat das Unglück aus eigener Erfahrung kennen lernen, achtet dabei auch, wie ſich nicht leugnen läßt — das Alter mehr, als es oft civiliſirte Nationen zu thun pflegen. Alte Neger treten aber auch deshalb mit einer unbeſchreiblichen Würde auf und werden darin nur — aber gründ— lich — von alten Negerinnen übertroffen.
Woher es kommt, weiß ich nicht, aber faſt alle alten Negerfrauen haben einen Grundbaß,
von dem ſie den vollſtändigſten und unumſchränk⸗
teſten Gebrauch machen. Sie lachen dabei ſelten oder nie — das überlaſſen ſie dem jungen Volk,
49 und wenn ſie ſprechen, geſchieht es ſtets in dic» tatoriſcher und ſo entſchiedener Weiſe, als ob jedes Wort ein Geſetz wäre. .
Es giebt kaum etwas Würdevolleres, aber auch zugleich Komiſcheres, als fo eine alte Ne- gerlady zu ſehen, wenn ſie, ſehr decolletirt, mit geſpreizten Knieen, die kurze, qualmende Pfeife in der rechten Hand, die Linke auf ihr Knie ge— ſtützt, vor ihrer eigenen Thür ſitzt und ihre Mei— nung über irgend einen beliebigen Gegenſtand ausſpricht, oder vielmehr einen Beſcheid ertheilt, denn Widerſpruch wäre doch nicht denkbar. Die jüngeren Leute behandeln ſie auch dabei ſtets mit Ehrfurcht, und nur gefährlich wird die Sache, wenn eine andere ähnliche Dame — vielleicht die Nachbarin — anderer Meinung ſein ſollte. Die Folgen find in einem ſolchen Fall nicht abzu⸗ ſehen. Zu Thätlichkeiten kommt es freilich nie zwiſchen ihnen, und der Schluß eines ſolchen Wortkampfes iſt faſt ſtets der, daß die Ueber⸗ wundene aufſteht, mit einer verächtlichen Bewe— gung in ihr Haus geht, und dort drinnen nur um ſoviel lauter weiter raiſonnirt.
Alte Neger mit weißen Haaren tragen faſt ſtets hohe ſchwarze Seidenhüte und einen ſchwar— zen Rock mit weißen Hoſen. Im Ganzen ſind 27
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die Neger überhaupt nicht unreinlich — die un- terſten, verworfenſten Klaſſen ausgenommen, die ſich dann aber auch vollkommen gehen laſſen, ſo
daß man da oft, beſonders unter den Frauen,
wahren Abſcheu erregenden Geſtalten begegnet. Stehen die Negerinnen aber, beſonders bei irgend einer Herrſchaft, im Dienſt, ſo halten ſie ſich, faſt ohne Ausnahme — immer höchſt reinlich und adret und gehen dann auch nie auffallend gekleidet — den Lappen ausgenommen, den ſie, ebenſo wie ihre Herrinnen, hinter ſich herſchleifen.
Im Hötel du Commerce hatten wir übrigens auch — als Gegenſatz zu dem liederlichen und ſchmutzigen Negervolk, das ſich beſonders gegen— über vor einem ordinären Branntweinladen herumtrieb und die Luft oft mit ſeinen laut ge⸗ ſchrieenen Zoten erfüllte, die vollſte Ariſtokratie der afrikaniſchen Race in ihrer letzten Abſtufung, oder vielmehr in ihrem Uebergang zu dem Ge— ſchlecht der Weißen, und zwar zu der beſſern Geſellſchaft, denn ich möchte die wirklich gut er— zogene Quadrone doch nicht unter den gemeinen Irländer oder eine andere ähnliche Nationalität anreihen.
Es waren dies Frau und Töchter eines hayti⸗ ſchen Miniſters, die hier nur auf Schiffs⸗
4241 gelegenheit warteten, um nach Hayti zurüdzu- kehren, da die engliſchen, ſonſt die Verbindung unterhaltenden, Dampfer gegenwärtig der ge— fürchteten Quarantaine wegen keine Paſſagiere von St. Thomas mitnahmen.
Die Mutter der beiden jungen Damen konnte die Quadrone nicht verleugnen, ja ſie war kaum weiß genug dafür; die beiden Töchter aber, bes ſonders die Jüngſte, würde Niemand, der nicht die genauen Merkmale der Blutmiſchung kannte, für andere als weiße Damen gehalten haben. Es waren zwei junge liebenswürdige Weſen und — wenn ich nicht irre, in Paris erzogen und ausgebildet, und dabei beſcheiden und anſpruchs— los in ihrem ganzen Betragen. Die ſchwarzen Aufwärter flogen aber auch, wenn ſie ihnen nur einen Wunſch an den Augen abſehen konnten. — Sie beabſichtigten jetzt mit einem deutſchen Schiff nach ihrer Heimath überzuſetzen.
Ich ſelber wartete auf eine franzöſiſche Barke, die uns nach Laguayra bringen ſollte, und wenn ich mich auch nicht vor der Cholera fürchtete, ſo
iſt doch ſtets der Aufenthalt in einer Stadt, in
der nun einmal eine anſteckende Krankheit herrſcht, nicht gerade angenehm. Ich ſehnte mich wenig—
er
ſtens darnach, wieder einmal die friſche reine Seebriſe einzuathmen.
Eeeine Wohlthat könnte man übrigens dem =. Platz erweiſen, denn eine Haupturſache von Krankheiten iſt doch nur in zu vielen Fällen Un⸗ reinlichkeit und das Verfaulen weggeworfener Ueberreſte oder todter Thiere. In St. Thomas giebt es aber keine Zapilotas oder Aasgeier, und doch wie leicht wäre es, dieſe nützlichen, ja an
manchen Stellen nothwendigen Thiere von Vera—
Cruz ſowohl, wo es deren in Unmaſſe giebt, wie von Venezuela aus hinüber zu bringen. Zu fangen ſind ſie dort unendlich leicht; an jedem Marktplatz könnte man Hunderte bekommen, und wie wenig Transportkoſten würden ſie zahlen. Aber es bekümmert ſich eben kein Menſch darum, und doch bin ich überzeugt, daß ſie den Preis ihrer Anſchaffung jährlich an Beerdigungs⸗ koſten abtragen würden — die Menſchenleben dabei gar nicht gerechnet.
Ende des zweiten Bandes.
Druck von G. Pätz in Naumburg a. S.
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