2 2 eh Te ? 3 5 NR FIGURATION. ANS x TR Ocean und Mittelmeer. Reiſebrief e von Carl Pogt. Zweiter Band. — = = 00 — — — — Frankfurt am Main. Literariſche Anſtalt. (J. Rütten.) A Druck von Carl Horſtman Nizza den 6. Januar 1847. Du fragft, wo denn mein Lieblingszweig der Wiſſenſchaft geblieben, und ob nicht die Entwick⸗ lungsgeſchichte unter dem Strudel geſellſchaftlicher Vergnügungen, in welchem wir uns hier in Nizza befänden, ein wenig gelitten habe. Ich weiß nicht, was Du Dir unter der Geſellſchaft von Nizza denkſt? Wir haben dieſelbe nicht aufgefucht, da fie meiſtens aus Engländern beſteht, die, wie Du wohl weißt, zu meinen nationalen Antipathieen gehören. Hier gibt es nun gar zumeiſt ſchwindfüchtige Engländer, die den lineären Winkeltypus im höchſten Grade beſitzen. Ein Verſuch zwar iſt auf uns gemacht worden, und wir waren höflich genug, die Viſite des lahmen Colonels, den man uns als Gelehrten aufgeſchwätzt hatte, zu erwiedern. Er trieb natürlich Geologie und gehörte zu jenen engliſchen Frage- zeichen, die ihren Seſſel vor den Deinigen rücken, ſo daß Du vollkommen zwifchen ihren langen Beinen, wie zwiſchen den beiden Armen einer Fangſcheere eingeſchloſſen biſt. Haben ſie Dich auf dieſe Weiſe einmal feſtgemacht, ſo drehen ſte ihren Sonnen⸗ weiſer Dir gerade ins Geſicht, fixiren Dich ſtarr mit den Augen, und laſſen dann eine Fluth von Fragen über Dich ausſtrömen, die kein Menſch be⸗ greifen und noch weniger beantworten kann. So hatte das lahme Ungethüm mich wohl eine volle Stunde in Gefangenſchaft, und ich weiß nicht, wie lange es noch gedauert hätte, wenn mir nicht der Gedanke gekommen wäre, den Mann durch einige religibſe Ketzereien aus der Faſſung zu bringen. Dies gelang denn auch vollkommen zu unſerer Zu⸗ friedenheit. Der Oberſt winkte ſeinen ſchwindſüch⸗ tigen Töchtern, die mit einer recht hübſchen Gou⸗ vernante am Nebentiſche ſaßen, hinaus, und ſtieß voll Entſetzens ſeinen Stuhl um einige Schritte zurück, während er ein langes Oh! aus der Bruſt heraufholte und mit weit geöffnetem Munde und verwunderten Augen mich anftarıte. Ich benutzte dieſe Gelegenheit, um meinen Zwangsſeſſel zu ver⸗ laſſen, und an dem Kamine, wo die taube Frau Oberſtin ſaß, mich beſtens zu empfehlen. Wir — . u ae waren Beide fo froh, entronnen zu fein, daß es uns kaum einfiel, der hübſchen Gouvernante zu danken, welche uns die Treppe hinab leuchtete, und wir ſchwuren, daß wir die trauliche Gemüthlichkeit des engliſchen Familienzirkels uns während der Reiſe in Italien ferne halten wollten. Die Franzoſen ſpielen hier nur eine ſehr unter⸗ geordnete Rolle, und die Deutſchen fallen, wie überall, gänzlich weg. Es war in dieſem Jahre auch eine Loge im Theater, aus welcher einige un⸗ verkennbar moskowitiſche Geſichter heraus lorgnirten, die zu einer diplomatiſchen Horde zu gehören ſchienen, welche ſich in Nizza von den St rapatzen der Krakauer Occupation erholte. Ich hatte einen Bekannten, wel⸗ cher das ganze Cuſtine'ſche Buch in einen Extract von zwei Worten gebracht hatte. Er behauptete nämlich, die Ruſſen ſeien weiter nichts, als „lakirtes Vieh“. Da mir nun jedes Mal, wenn ich in Geſellſchaft dieſes beknuteten Volksſtammes komme, jene fatale Characteriſtik in dem Kopfe herumgeht und mir alle Geiſtesgegenwart gänzlich raubt, ſo war es natürlich unmöglich, mit dieſen Leuten in irgend welches Verhältniß zu treten. Du ſiehſt alſo, daß wir gänzlich uns auf uns — 6 — ſelbſt beſchränken mußten, und daß die Entwicklungs⸗ geſchichte recht von Grund aus florirt haben würde, wenn nicht dieſe oder jene fatale Begebenheit ihr Eintrag gethan hätte. Die Echinodermen näm⸗ lich, die mir in St. Malo ſchon ſo ärgerliche Streiche geſpielt hatten, bildeten auch diesmal mein Hauptaugenmerk, und ich war feſt entſchloſſen, von Nizza eine Abhandlung über die Entwicklungsge⸗ ſchichte der Seeigel oder der Holothurien mitzubrin⸗ gen. Die Erſteren werden in großen Mengen zu Markte gebracht, ſobald das Meer ruhig genug iſt, um in einige Tiefe auf den Boden blicken zu können. Da ſieht man denn die Seeigel meiſtens an ſolchen Stellen, wo Algen und Tange ſich befinden, ſchein⸗ bar unbeweglich auf dem Felsboden ſitzen oder in Ritzen ſich bergen. Die Fiſcher haben ein langes Rohr, das an dem unteren Ende gabelförmig ge— ſpalten iſt, und mit dieſem einfachen Inſtrumente holen fie in kurzer Zeit eine Menge dieſer Stachel⸗ häuter aus dem Grunde hervor. Ich hatte einmal die Unvorſichtigkeit gehabt, es war im Anfange meines Hierſeins, für das Stück einen Sous zu bieten, und war nicht wenig verlegen, als am an⸗ dern Morgen eine Frau mit einem Waſchkorbe voll n u dieſer Thiere ankam. Unſer Abbe und viele andere Einwohner von Nizza lieben die Seeigel ſehr, Viele ziehen ſie ſogar den Auſtern vor. Ich kann nicht ſagen, daß ich Geſchmack an ihnen hätte finden können. Man ißt nur die Eier, welche in Geſtalt von fünf Trauben an der oberen Wölbung der Schale befeſtigt ſind, und meiſt eine hochorangegelbe Farbe beſitzen. Die Structur der Seeigel iſt durchaus nicht ſo einfach, als man wohl glauben könnte, und obgleich ſie in der neueren Zeit von ausgezeichneten Männern erforſcht wurde, ſo bleiben doch der Räthel noch Manche zu löſen. Es giebt hier in Nizza zwei ſehr wohl unterſchiedene Arten; die eine mit ſpitzen Stacheln, die ſtets einfarbig iſt, die andere größere, welche die Fiſcher la mere des oursins nennen, mit kurzen abgerundeten Stacheln, die an der Spitze weiß ſind. Die erſtere Art iſt bei Weitem die häu⸗ figere, aber von den Gutſchmeckern auch weit weniger geſchätzt. Die Stacheln, welche den Seeigel bedecken, ſtehen trotz der ſcheinbaren Unordnung in genau beſtimmten Feldern und Reihen, und werden von dem Seeigel ganz ohne Zweifel zur Stützung des Körpers bei der Fortbewegung benutzt. Man braucht nur ein ſolches Thier auf die obere gewölbte Seite der Schale, wo ſich der After befindet, zu legen, um zu ſehen, wie es nach und nach feine Stacheln aufrichtet, bier und dort fie wie Stützen unterſchiebt, und fo allmählig den Körper herumwälzt, bis es wieder ſeine normale Stellung mit dem Munde nach Unten und dem After nach Oben eingenommen hat. Während das Thier ſo liegt, hat es ſtets ſeine Stacheln nach Unten gerichtet, ſo daß es nur auf den Spitzen der⸗ ſelben ruht, und die zwiſchen denſelben befindliche Organe freien Spielraum haben. Wenn Du die Oberfläche der Schale eines Seeigels ihrer Stacheln beraubſt, was ziemlich leicht durch Kratzen mit einem ſtumpfen Meſſer geſchieht, ſobald der todte Seeigel ein Paar Tage lang im Waſſer gefault hat, ſo findeſt Du auf der Oberfläche der Schale fünf Doppelreihen feiner Löchelchen, durch welche Du etwa eine Schweinsborſte führen kannſt, und die in gerader Linie vom After bis zum Munde herablaufen. Betrachteſt Du demnach den Seeigel von Oben oder Unten, ſo wirſt Du ſtets einen fünf⸗ ſtrahligen Stern erblicken, welcher von dieſen Reihen kleiner Löchelchen gebildet wird, und von dem Munde — RR oder dem After nach dem Rande hin ausſtrahlt. Aus dieſen engen Löchern nun ſtreckt der Seeigel ſeine Ambulacren, feine Röhren, die außerordentlich ver⸗ längert werden können, und an ihrem Ende kleine runde Saugnäpfchen tragen, mit welchen das Thier ſich an die glatteſten Oberflächen anſaugen kann. Ich glaube, man könnte an der Bewegung eines lebenden Seeigels eine vollſtändige Demonſtration der Statik und Mechanik geben, in welcher nament⸗ lich die Stacheln als einarmige Hebel, die Ambula⸗ cren als Taue und Seile betrachtet werden müßten. Mit außerordentlicher Regelmäßigkeit und man möchte ſagen, weiſer Vorausberechnung hängt der Seeigel einen Saugnapf nach dem andern feſt, bis die ver= einte Kraft der feinen Fäden das Gewicht der ſchwe⸗ ren Schale zu tragen im Stande iſt. Dann ziehen ſich dieſe Fäden gemeinſchaftlich zuſammen, und hal- ten den gewichtigen Körper ſo lange ſchwebend, bis neue Zugſeile angeſpannt, neue Stützen befeſtigt find. Man kann Stunden lang dies abwechſelnde Spiel beſonders dann beobachten, wenn der Seeigel an der Wand eines Glaſes hinaufklettert. Außer dieſen Ambulacren ſtehen noch zwiſchen den Stacheln zerſtreut ganz eigenthümliche Organe, 4 * et welche beſonders in der Nähe des Mundes häufig ſind. Es ſind kleine ſcheerenartige Zangen, deren kurze Kneifarme auf langen Stielen von der Dicke eines Haares ſtehen, die zwar beweglich, aber nicht contraktil find, da in der Mitte des Stielchens ſich ein aus kohlenſaurem Kalk gebildeter Knochenſtengel befindet. Das Zängelchen, welches bald zwei, bald drei Backen beſitzt, klappt ſehr häufig auf und wieder zu, während der Stiel ſich in einer ſchwingenden Bewegung befindet. Tauſende von dieſen Zängelchen mögen auf der Oberfläche einer Seeigelſchale zwiſchen den Stacheln umhergeſtreut jigen. Dieſer ganze Apparat von Stacheln, Saugröhren und Greifzangen, wozu dient er? Wahrlich nur, um ein Thier aus⸗ zurüſten, das von ſchnödem Graſe leben ſoll. Man hat geſagt, dieſe Zängelchen ſeien Greiforgane, welche zum Zuführen von Nahrung beſtimmt ſeien, allein ich habe in dem Darmkanal der Seeigel nie etwas Anderes finden können, als grob zerkaute Seepflanzen, die wahrhaftig nicht mittelſt ſo kleiner Zängelchen in den Mund geſchafft worden ſein konnten. Aber denke Dir einmal einen ſolchen Seeigel aufgebläht zu der Größe eines Elephanten, welche fürchterliche Beſtie das ſein müßte! Eine wahre wandelnde Feſtung, ringsum ſtarrend von ellenlangen Lanzen, mit Tauſenden von Rüſſeln verſehen, und außerdem noch bewaffnet mit mannslangen Zangen, die be— ſtändig nach allen Seiten umher nach Beute knappen. Man entſetzt ſich förmlich vor einer ſolchen Idee. Als wir ankamen, waren die Seeigel gerade in jener Zeit, wo nach Göthe „Jungfrauen und Jungs geſellen ſich freundlich und gebärdig ſtellen“. Das war denn, wie Du Dir denken kannſt, Waſſer auf meine Mühle, und ich gab mir Mühe, Eier von Seeigeln an den Steinen zu ſuchen. Aber da ſuche Einer! Die Eichen find: fo mikroſkopiſch klein, daß der Inhalt der Eierſtöcke nur als eine orangegelbe milchige Flüſſigkeit erſcheint, in der man erſt mittelſt des Mikroſkopes die Eichen entdecken kann. Wir kamen deshalb auf den Gedanken, die künſtliche Befruchtung zu verſuchen, welche um ſo leichter war, als wir bald Männchen und Weibchen mit größter Leichtigkeit zu unterſcheiden vermochten. Frei⸗ lich iſt die äußere Geſtalt, ſo wie die innere An⸗ ordnung der Geſchlechtstheile vollkommen dieſelbe, und man würde deshalb vergebens das Geſchlecht des Seeigels an ſeiner äußeren Geſtaltung zu er⸗ kennen ſtreben, während dies auſſerordentlich leicht iſt, ſobald man nur die orangegelben Geſchlechts⸗ theile anſchneidet, wo dann bei den Weibchen die hochrothen Eier, bei den Männchen die ſehr blaß⸗ gelbe Samenflüßigkeit herausfließt. Bei der mifroj- kopiſchen Unterſuchung zeigten ſich die Samenthier⸗ a chen in birnförmiger Geſtalt mit höchſt feinen kurzen Schwänzchen, und äußerſt lebhaft bewegt, die reifen Eier mit einer galatinöſen Umhüllung umgeben und außerdem mit allen inneren Theilen ausgerüſtet, welche zu den Begriffe eines befruchtungsfähigen Ei's gehören. Ich habe viele Seeigel Tage lang in Gläſern und Schüſſeln unter Waſſer gehalten, ohne daß ich eine Annäherung zwiſchen beiden Geſchlechtern hätte gewahren können. Viele die offenbar die Höhe der Brunſt erreicht hatten, ließen Eier oder Samen aus den fünf feinen Oeffnungen im Um⸗ kreiſe des Afters austreten, durch welche die inneren Geſchlechtstheile nach Außen münden, und es ſchien mir demnach, als wenn dieſe Thiere, die meiſt ge= ſellig auf dem Grunde des Meeres hauſen, ihre Eier und ihren Samen dem Spiele der Wogen überließen, das die beiden Zeugungsſtoffe zufällig zuſammenbringen mag. Es war hier alſo voll— e kommene Aufforderung vorhanden, die künſtliche Befruchtung vorzunehmen, und auf dieſe Weiſe den Entwicklungsprozeß der Seeigel zu verfolgen. Um meiner Sache ficher zu fein, variirte ich mein Ver⸗ fahren in mannichfacher Weiſe. Bald ſchlug ich ganz einfach die Seeigel auf, und zerſchnitt in einer Taſſe unter viel oder wenig Waſſer männliche und weibliche Geſchlechtstheile, bald nahm ich nur die Zeugungsſtoffe, welche die Seeigel freiwillig abgehen ließen, und rührte dieſelben unter einander. Die Samenthierchen bewegten ſich in dem Waſſer noch etwa 12 Stunden lang mit allmählig abnehmender Lebhaftigkeit fort, und kamen offenbar alle in hin⸗ reichende Berührung mit den Eiern, auf deren ge= latinöſen Hüllen fie oft wie Strahlenkränze oder wie ein Heiligenſchein feſtſaßen. Ich hatte auch bald die Freude zu ſehen, daß meine Eier ſich ent⸗ wickelten, und der Eifer ſie zu beobachten war ſo groß, daß Herwegh einige Mal allein nach Villa franca auf den Fang gehen mußte, während ich zu Hauſe blieb und an meinen Eiern zeichnete. Es | war daſſelbe Lied, deſſen einförmige Melodie ich ſchon ſo oft verfolgt habe. Die Dotterkugel erhält allmäßlig eine Bisquitform, indem ſie fi rundum einſchnürt, als habe man einen Faden um ihre Mitte gelegt, den man nach und nach zufammen- zieht. Bald iſt auf dieſe Weiſe die Kugel in zwei gänzlich getrennte Hälften getheilt, welche ſogletch wieder ganz in derſelben Weiſe einen neuen Zer- ſtückelungsprozeß beginnen. So ſchreitet dieſe ſonder⸗ bare Theilung, welche faſt dem ganzen Thierreiche gemeinſam iſt, fort, bis die ganze Dotterkugel in eine große Anzahl einzelner Kügelchen zerfallen iſt, die wieder durch ihre pflaſterförmige Aneinander— lagerung eine Kugel zuſammenſetzen, deren Geſtalt der urſprünglichen Form der Dotterkugel ſehr nahe kommt. Aus dieſen einzelnen Kügelchen die als letztes Reſultat aus dem Theilungsprozeſſe hervor⸗ gehen, baut ſich dann der Embryo auf, der alſo in ſeinem Beginne einen Aggregathaufen einzelner Ele— mente bildet, die eine vollkommen regelmäßige Zu⸗ ſammenſetzung haben, und in ihrer weiteren Ent- wicklung alle jene ſo verſchiedenen Formelemente hervorgehen laſſen, welche das erwachſene Thier zu— ſammenſetzen. Die Beobachtung dieſer weiteren Ausbildung wäre eigentlich das Intereſſante geweſen, allein hier blieben, wie man zu ſagen pflegt, die Ochſen am — 15 Berge ſtehen. Alle meine Eier theilten ſich auf das Vollkommenſte; aber ſobald ſich die einzelnen Formelemente herausgebildet hatten, deren ich oben er wähnte, verdarben ſte, ich mochte mich ſtellen, wie ich wollte. Das war nun freilich ärgerlich, bejon= ders für die gelehrte Welt, die um eine Abhandlung ärmer wurde, während ich mich etwa eine Woche lang vergebens abgequält hatte. Allein kein Menſch kann für Unglück, pflegte mein Onkel Forſtrath zu ſagen, und damit mußte ich mich eben tröſten. Herwegh war gerade nicht glücklicher als ich. Wir hatten eine Beros nach Hauſe gebracht, die gerade groß genug war, um ſich in einem gewöhn⸗ lichen Wafferglafe bequem beobachten zu laſſen. Nach einiger Zeit ſchwammen auf dem Waſſer ganz win⸗ zige grünliche Oeltröpfchen, die wir anfangs für von unſerm Philemon zurückgelaſſene Unreinlich⸗ keiten hielten, zumal da das hier gebrauchte Oel meiſt eine grünliche Farbe hat. Da ſich die Zahl dieſer Tröpfchen indeſſen mehrte, ſo betrachteten wir fie genauer, und fanden bald, daß es Eier ſeien, welche unſere Bero& von Zeit zu Zeit ausſtieß. Herwegh, der gerne den Ort kennen lernen wollte, wo ſich die Oeffnungen für die Eier befänden, ſaß ſtundenlang mit der Loupe vor dem Thiere, und beobach⸗ tete mit einer unbegreiflichen Geduld das Vorrücken der Eier, welche längs der Reihen der Schwimm⸗ blättchen aufgeſchichtet lagen, und ſich deutlich inner⸗ halb der Maſſe durch ihre grünliche Farbe erkennen ließen. Jedesmal aber, wenn er den Kopf wendete, ſchlupfte ein Eichen hervor, und es war ihm lange Zeit nicht möglich, den Ausgangspunkt zu entdecken. Endlich ſah er, daß die Eichen an dem vorderen Rande der Mundöffnung hervortraten, und wollte ſich nun nach der Beendigung der präliminären Be⸗ obachtung zu dem Studium der Entwicklung ſelbſt wenden, welches auch in Rückſicht auf die ſyſtematiſche Zoologie wichtige Reſultate liefern dürfte. Denn, wie ich Dir ſchon bemerkte, ſcheint es mir gar nicht nachgewieſen, daß die Rippenquallen in irgend einer Beziehung zu den Glockenquallen ſtehen. Ich kann im Gegentheile in Baue der erſteren nur Aehnlichkeiten mit demjenigen der Seeſcheiden erblicken, und würde ſie viel eher mit dieſen und einigen andern polypen⸗ artigen Weſen in die Claſſe der Molluskoiden ſetzen. Die vergleichende Beobachtung der erwachſenen Thiere kann die Löſung der Frage nicht weiter bringen, als fie jetzt ſchon iſt. Wir müſſen auf die Ent⸗ — ie wicklungsgeſchichte dieſer Weſen zurückgehen, und in dieſer die Erhärtung oder Verwerfung unſerer An- ſicht finden. Sämmtliche Strahlthiere ohne Aus- nahme entwickeln ſich aus Embryonen, die eine polypenartige Geſtalt haben, und während einiger Zeit mit ihrem einen Ende feſtſitzen, während das andere ſtrahlig auslaufende Tentakeln beſitzt. Bei den Molluskoiden, die wir bis jetzt kennen, finden ſich ganz andere Embryonalformen, welche nicht die mindeſte Aehnlichkeit mit den polypenartigen Jungen der Strahlthiere beſitzen. Hier iſt alſo das Kriterium leicht zu finden, und die Entſcheidung ſicher; ſie war uns nicht vorbehalten: denn es ging mit den Beroideneiern wie mit meinen Seeigeln. Die Thei— lung begann, aber in der weiteren Ausbildung wur den die Eier durch irgend einen widrigen Umſtand, den wir nicht ergründen konnten, gehemmt und gingen unrettbar verloren. Vogt's Briefe I. 2 RN Den 15. Januar 1847. Das Meer war ſeit einigen Tagen ziemlich un⸗ ruhig geweſen, und wir wußten aus Erfahrung, daß dann bei dem erſten heiteren Tage eine reiche Ernte zu erwarten ſtand. Deßhalb ſegelten wir auch geſtern mit unſerem alten Laurent ſchon in ziemlich früher Stunde bei dem herrlichſten Sonnen⸗ ſchein hinaus nach unſerer Bucht, wo wir diesmal den Thieren auf dem Grunde einige Aufmerkſamkeit zu ſchenken gedachten. Die Oberfläche des Waſſers war ſpiegelglatt, der Grund bis in bedeutende Tiefe ſichtbar, und deshalb der Tag vollkommen geeignet zur Ausführung unſeres Vorhabens. Wir durch— ſchnitten in fliegender Eile die Meduſenſchwärme, welche ihr Spiel auf der Oberfläche trieben, und näherten uns bald bis auf etliche hundert Schritte dem gegenüberſtehenden Ufer der Bucht, wo unſere Nachforſchungen beginnen ſollten. Der Lauf der Barke wurde gehemmt, Laurent beſtieg feinen Wach— poſten auf dem Vordertheile an dem Maſte, wäh— rend ſein Sohn nur das langſame Forttreiben des Schiffleins dirigirte, und wir Beide über die Seiten hinausgelehnt mit angeſtrengten Augen in die Tiefe ſpähten. Se, So trieben wir langſam über die mit grünen Algen bewachſenen Flächen, als plötzlich Laurent ein gebieteriſches „Halt“ ertönen ließ, und zu uns ge— wendet ausrief: „Ein Schinken! Wollen wir ihn heraufholen?“ Auf unſere Frage, was er mit dem Schinken meine? antwortete er uns, es ſei eine Muſchel, die tief unten im Schlamme ſtecke, und der man hier in der Gegend ziemlich ſtark nachſtelle, da man ihre innere Schale zu Perlmutterarbeiten benutze. Sie habe eine dreieckige, langgezogene Geſtalt, welche etwa derjenigen eines Schinkens gleiche, weßhalb man ihr auch den bezeichnenden Namen gegeben habe. Nun wußten wir, mit wem wir es zu thun hatten, zumal da der von den franzöſiſchen Zoologen angenommene Namen „Jambonneau“ mit demjenigen, den das Volk in Nizza gewählt hat, vollkommen übereinſtimmt. Linné hat dieſem Muſchelgeſchlechte, welches wir im Deutſchen, ſeiner eigenthümlichen Lagerung wegen, „Steckmuſchel“ nennen, den ſyſte— matiſchen Namen „pinna“ beigelegt, und die zahl— reichen Arten find immerhin Zierden unferer Mufchel- ſammlungen, da ſie theilweiſe eine beträchtliche Größe erreichen. Die Art aus dem Mittel meere wird in ausgezeichneten Exemplaren bis zu dre ara Fuß lang, und iſt ohne Zweifel die größte Muſchel des Mittelmeeres. Wir hatten große Mühe, das Thier zu erkennen, welches Laurent uns zeigte. Man ſah nur auf dem Grunde zwiſchen den Algenblättern einen dunklen Spalt, der ſcheinbar dem Boden angehörte, und etwa in der Dicke eines Zolles geöffnet ſchien. Als Laurent dieſen Spalt mit dem Ende ſeiner Stange berührte, ſchloß er ſich plötzlich, und nun erkannten wir die beiden Klappen der Schale, welche mit ihrem ſpitzen Ende nach Unten in dem Schlamme ſteckt, während die Baſis des Dreiecks nach Oben gerichtet iſt. Auf dieſe eigenthümliche Lagerung der Muſchel auf dem Seegrunde baſirt ſich denn auch die Methode des Fangs, welche äußerſt einfach iſt. Man ſucht nämlich um die Muſchel eine Schlinge von einem ſtarken Seile herumzulegen, und dieſe dann ſo tief unten als möglich zuſammen zu ziehen. Iſt dies geſchehen, ſo wird die Muſchel, deren breites Ende nach Oben zu einen Anhalt gewährt, mit Gewalt aus dem Boden herausgeriſſen, in welchem fie mitteſt eines faſerigen Bartes, des |. g. Boſſus, ſtark befeſtigt iſt. So einfach dieſe Operation ſcheint, ſo hat ſte RN doch ihre Schwierigkeiten, die indeſſen mehr in der Mangelhaftigkeit der angewendeten Inſtrumente be- ruhen, und leicht umgangen werden könnten, wenn das Volk nur einige Erfindungsgabe beſäße. Das Anlegen der Schleife iſt eine höchſt langweilige Operation, da man dazu weiter nichts, als eine lange Stange benutzt, mit welcher man bei ſtetem Schaukeln des Bootes nur äußerſt ſchwierig der Schlinge die gehörige Lage geben kann. Iſt die Schlinge einmal angelegt, was bei jeder Mufchel (wir fingen deren drei) etwa eine Stunde Zeit er- fordert, jo geht die Sache ganz von ſelbſt. Das Seil wird zuerſt ſtramm angezogen, während ſich die ganze Mannſchaft auf der entſprechenden Seite des Bootes hinüberbiegt, und ſo die Barke bis auf den Waſſerſpiegel herabgeneigt wird. In dieſer Lage der Barke befeſtigt man das Seil, und beugt ſich dann hinüber auf die entgegengeſetzte Seite. Durch öfteres Hin⸗ und Herwiegen der Barke lockert man nun die Muſchel allmählig auf, und reißt ſie dann mit einem plötzlichen Rucke aus dem Boden. 5 Es wäre außerordentlich leicht, dieſen Fang mit geringem Zeitverluſte einzurichten, wenn man ſich zum Anlegen der Schlinge eines Inſtrum entes be— ST RE diente, ähnlich demjenigen, welches die Chirurgen benutzen, um etwa eine Schlinge um einen Polypen der Naſenhöhle zu legen. Man bedürfte nur einer Stange, an der zwei oder drei Ringe befeſtigt wären, durch welche das Seil in der Art geleitet würde, daß die beiden Enden oben, die ſchlingenförmige Mitte des Seiles aber ſich unten befände. Dies einfache Inſtrument wäre gewiß hinreichend, die nöthige Zeit um ein Namhaftes abzukürzen. Zwiſchen den grünen Blättern der Tange, welche den Boden bedecken, ſieht man eigenthümliche graue Flecken, die von oben her einem poröſen Kalkſteine gleichen. Laurent macht uns darauf aufmerkſam mit dem Bemerken, es ſeien gezeichnete Steine, („pierres figurees”) die etwas ganz Beſonderes hätten, und auf dem Boden des Meeres wüchſen, ganz ſo, wie alle übrigen Pflanzen. Mittelſt einer Stange, an die man ein Eiſen befeſtigt hat, werden einige dieſer Steine losgeſtoßen und an Bord befördert, wo wir denn zu unſerem freudigen Erſtaunen herrliche Korallen entdecken, die zu dem Geſchlechte der Nelken⸗ korallen (Caryophyllien) gehören. Es bilden dieſe Korallenſtöcke raſenartige Haufen, welche etwa die Größe eines Menſchenkopfes erreichen und aus Ba einer Menge einzelner Röhren zufammengeſetzt find. Jeder Polyp bewohnt eine iſolirte Röhre, welche etwa die Länge eines Zolles hat, und nur an ihrer Baſis mit den übrigen Aeſtchen des Polypenſtockes zuſammenhängt. Die Röhren ſelbſt find cylinprifch, drehrund, von der Dicke eines Schwanenkieles und oben quer abgeſtutzt. An dieſem abgeſtutzten Ende zeigen ſich ſternartige Falten, welche ſich durch die ganze Länge der Röhre fortſetzen, und ſomit den innern Raum derſelben beträchtlich vermindern. Betrachteſt Du einen ſolchen Korallenſtock un⸗ mittelbar, nachdem er aus dem Waſſer gezogen iſt, jo ſcheint er vollkommen leblos, eine graue Steine maſſe, deren eigenthümliche Form unerklärlich ſcheint. Nur die Mitte einer jeden Röhre enthält einen Punkt, der eine dunkelgrüne oder braunrothe Farbe hat, und einem Schleimklümpchen gleicht, welches durch irgend einen Zufall darin feſtſitzen geblieben wäre. Bemühe Dich dann nicht weiter, an Deinem Korallenſtocke Beobachtungen anſtellen zu wollen, die doch zu nichts führen können, ſondern lege ihn in ein Gefäß mit Waſſer, bringe ihn ſo nach Hauſe und warte dort, während er in einem durchſichtigen Glasgefäße liegt, der Dinge, die da kommen werden; „ vermeide aber vor Allem jede Art von Erſchütterung, welche die Beobachtung unausbleiblich ſtören würde. Bald wirſt Du ſehen, daß Einzelne jener Schleim⸗ klümpchen anſchwellen, aus der Röhre ſich heraus⸗ heben und ſtets wachſend und ſich ausdehnend nach allen Seiten über dieſelben hinausragen. Nach und nach entfalten ſich kurze warzenartige Fangarme, die in doppelten und dreifachen Kreiſen um den Rand des entwickelten Organismus ſtehen, und nun erkennſt Du endlich den Polypen, welcher die ſchein⸗ bar lebloſe Röhre bewohnte, und kannſt, ſo viel von Außen möglich, ſeine Organiſation mit der Loupe ſtudieren. Der ganze Stock bedeckt ſich ſo nach und nach mit ausgebreiteten Polypen, welche die Kronen ihrer Fangarme entfalten, und dann iſt auch jenes düſtere graue Ausſehen verſchwunden, um den leb— hafteſten Farben Platz zu machen. Die Grundfarbe des Körpers iſt ein ſammetartiges Braunroth, die— jenige der Fangarme ein geſättigtes Grün. Der Mund, welcher in der Mitte des Kreiſes, den die Fangarme bilden, liegt, iſt von einem pfirſichrothen Walle umgeben und die Fangarme ſelbſt ſind durch ſchmale, himmelblaue Linien von dem Körper ge= trennt. Alle dieſe Farben find jo zart, ſo durch- aan, ſichtig, ihre Abſtufungen in den einzelnen Polypen jo mannichfaltig, daß ein ſolcher Korallenſtock mit ausgebreiteten Polypen einen wunderherrlichen An- blick gewährt, den keine Beſchreibung wiederzugeben im Stande iſt. Die Polypen, die rechtmäßigen Bewohner des Korallenſtockes, welche ihn gebaut haben, find indeß nicht die einzigen Inhaber dieſer feſten Behauſung. Eine zahlloſe Menge von Thieren ſteckt in den Zwi⸗ ſchenräumen und den verſchlungenen Gängen, die ſich zwiſchen den Wurzeln der Röhren hinziehen, und die Durchforſchung dieſer Räume bietet eine reiche Ausbeute, beſonders an kleineren und feſtſitzen⸗ den Thieren. Viele kleine Muſchelchen, die man ſonſt vergebens ſuchen würde, ſind an dieſen kalkigen Gehäuſen feſtgeheftet, und zahlreiche Würmer ſchlin⸗ gen ſich zwiſchen dieſen Röhren hindurch die ihnen einen Zufluchtsort gewähren. Der Vermetus, jene eigenthümliche Schnecke, die ein ganz unregelmäßig gewundenes Rohr bewohnt, deſſen Biegungen ſich der Oberfläche der Körper anſchmiegen, an die es geheftet iſt, findet ſich häufig an dieſen Korallenſtöcken, an welchen ich ganz ſchöne, große Exemplare dieſes Thieres ſammelte. Nereiden, Polynoen, Sylliden Ra ee und andere Typen aus der Klaſſe der wandernden Ringelwürmer oder Anneliden, die keine Röhren bauen, ſind ebenfalls in reicher Anzahl vorhanden und Fluſtren fo wie eine Menge anderer kleiner Polypen figen auf der Außenſeite der Röhren feſt. So bildet denn ein ſolcher Korallenſtock eine reiche Sammlung mannich⸗ facher Organismen, und man könnte ſich Monate lang nur mit der Unterſuchung der Thiere abgeben, welche man in einem einzigen Raſen dieſer Caryo⸗ pohllien zu Tage fördert. Hier und da fieht man auf dem grünen Algen⸗ teppich, in dem die Korallen und Steckmuſcheln hauſen, einen hellzinnoberrothen Seeſtern, den man mit einem krummen Häckchen ſehr leicht packen und herauf⸗ ziehen kann. Die Arme der Art, welche hier häufig vorkommt, find faſt rund, und ſehr lang im Verhält⸗ niß zu der kleinen Scheibe, welche den Körper bildet. Wir haben uns mit der Anatomie dieſer Thiere nicht weiter beſchäftigt, und ihnen keine beſondere Auf— merkſamkeit zugewendet, zumal da ihre Eier nicht in dem Stadium der Reife zu ſein ſchienen, und wir deßhalb nicht hoffen konnten, embryologiſche Unter— ſuchungen über ſie anzuſtellen. Daſſelbe war leider der Fall mit den Holo— ER thurien, die man zu Hunderten in einem Tage aus dem Grunde hervorholen kann. So häßlich eine ſolche dunkelbraune Wurſt von außen erſcheint, ſo intereſſant ſind die Lebenserſcheinungen dieſer Thiere, die wir oft in unſeren Gefäßen Tage lang beob— 8 achteten. Die dicke lederartige Haut, welche bei der hier gewöhnlichen Art mit kegelförmigen Warzen beſetzt iſt, erſcheint beſonders auf der unteren Fläche von einer ungemeinen Anzahl feiner Löchlein durch- bohrt, durch welche das Thier Ambulakren hervor— ſtrecken kann, die ganz ähnlich, wie diejenigen der Seeigel geſtaltet find, und mit denen es ſich auch ganz in derſelben Weiſe fortzieht. Im zuſammen⸗ gezogenen Zuſtande kann man an dem Thiere kein vornen und hinten erkennen; ſobald es aber ſich ausdehnt und umherkriecht, ſo entwickelt es am vorderen Ende einen Kranz röthlicher, vielfach ge⸗ lappter Tentakeln, die äußerſt zart und durchſichtig erſcheinen, und in ihrer äußeren Form gewiſſer⸗ maßen dem Blumenkohl ähnlich ſehen. In der Mitte dieſes Tentakelkranzes, der bei der leiſeſten Erſchütterung eingezogen wird, befindet ſich der Mund, und an dem entgegengeſetzten Ende des Körpers der weite, rundliche After, an dem man I VOR eine beſtändige Strömung, bald von Außen nach Innen, bald umgekehrt gewahrt. Die Lebensäußerungen des Thieres ſind äußerſt träge, und erhalten ſich mehre Tage lang, ſelbſt wenn das Thier, wie es in der Gefangenſchaft ſtets thut, ſich eines großen Theiles ſeiner Eingeweide entledigt hat. Der gewundene Darmkanal iſt näm⸗ lich außerordentlich zart und dünnhäutig und in der Mitte ſeines Verlaufes etwa befindet ſich eine Stelle, die ſehr leicht abreißt. Es ſcheint nun, daß die Holothurie, ſobald fie ſich in dem Waſſer bes engt fühlt, durch heftige Contractionen ihres Kör— pers den Darm an dieſer Stelle abreißt, und das ganze hintere Ende deſſelben mit den daran hängen- den baumartig verzweigten Lungen aus dem After hervortreibt. Das Darmſtück reißt dann auch unten ab, und die Holothurie kriecht, einige Tage lang ihres Leibesinhalts entledigt, in dem Gefäße um her, bis ſie nach und nach ermattet und ſtirbt. Die Lunge hingegen, deren glashelle Verzweigungen ſich vollkommen wurmartig zuſammenziehen und ausdehnen und dadurch bald mit Waſſer vollpumpen, bald ſich entleeren können, fahren ſelbſt nach der Trennung von dem Körper Tage lang in dieſem RD wechſelnden Spiele fort, wie wenn gar nichts vor— gefallen wäre. | Ich weiß nicht, ob die Thiere auch im gewöhn— lichen Leben bei vollkommener Freiheit mit ihrem Darmkanale ebenſo luxuribs umgehen, wie in der Gefangenſchaft, jedenfalls aber iſt es eine ganz be— ſondere Liebhaberei, ſich in kritiſchen Umſtänden ſeines Darms und ſeiner Lungen zu entledigen. Oder könnte man dies nicht als einen Verſuch zum Selbſtmorde betrachten? Die Holothurien ſind die höchſt organiſirten Strahlthiere, wie der Menſch das höchſt organifirte Wirbelthier. Warum ſollten ſie alſo mit dieſem nicht das herrliche Privilegium des Selbſtmordes theilen können? Ich ſehe keinen Grund für das Gegentheil ein, und finde eine große Analogie zwiſchen den Holothurien und den Negern, die ſich durch Verſchlucken ihrer eigenen Zunge ſelbſtmorden ſollen. Wie man's macht! Das Re— ſultat iſt das nämliche. Der Neger erſtickt ſich durch Verſchließung feiner Luftwege, und die Holothurie durch Wegwerfen derſelben. Da ſollen mir nun unſere Theologen kommen, und ſagen: — der Menſch ſei allein ein ſich ſelbſt beſtimmendes Weſen, was eben aus der Fähigkeit zum Selbſtmorde hervorgehe. Ich werde ihnen dieſe Catonen des Meeres entgegen halten, und antworten: Sehet dieſe edlen Thiere an! Man beraubt ſie ihrer Freiheit, man bringt ſie in verſchloſſene Gefäße, worin fie vollkommmen wohl leben könnten, da man ihnen täglich das Waſſer wechſelt, und alles Mögliche thut, ſie vor etwaigen Feinden zu bewahren. Sie aber, ſie ſehnen ſich hinaus nach dem Wellenſchlage des unendlichen Meeres, das ſie umſpülte, nach der freien Natur, in der ſie hauſten, und da ihnen die Mittel zur Befreiung fehlen, ſo wollen ſie lieber frei ſterben, denn als Sclaven leben. So reißen ſie denn ihren Darm aus, und werfen ihn von ſich, da ihnen andere Mittel zur Erreichung ihres Zweckes fehlen. Villa franca hat nicht nur eine freie Bucht, ſondern auch einen geräumigen Hafen, welcher weit tiefer als derjenige von Nizza und ſelbſt zur Auf— nahme von Kriegsſchiffen geeignet iſt. Früher ſtand mit dieſem Hafen noch ein Dock in Vers bindung, welches man die „Darſe“ nannte, und das nach dem Meere hin einen ziemlich offenen Zu— gang beſaß. Da aber die Bewegung der Wellen nur außerordentlich wenig in dieſem inneren Baſſin 28 „ eee 5 e ſich verfpüren ließ, jo war es der willkommene Ra) MR Aufenthalt einer Menge von weichen Polypen ge— worden, die ſolche ruhige Stellen allen anderen vor— ziehen, und ſich in der Darſe in einer Ueppigkeit entwickelt hatten, von der Milne Edwards nur mit Entzücken ſprach. Seit einem Jahre ungefähr hatte man aber leider den freien Zutritt des Meeres zur Darſe abgeſperrt, und dieſe ſelbſt vollkommen aus— gekratzt und gereinigt, ſo daß die ganze üppige Fauna zum großen Schmerze unſeres erwähnten Freundes ihren Untergang gefunden hatte. An den Wänden des Hafens aber blieb noch immer eine reiche Vegetation von Zoophyten, und da wir ein— mal mit Unterſuchung der am Boden klebenden Geſchöpfe beſchäftigt waren, ſo beſchloſſen wir unfere Excurſton mit einer Befahrung des Hafens, bei welcher wir die Mauern genauer durchmuſterten. Dieſe Mauern ſind mit einer reichen Vegetation von mancherlei Seepflanzen überzogen, die uns indeſſen nur inſofern intereſſirten, als ſie einen willkomme⸗ nen Zufluchtsort für Thiere aller Art bieten. Zwiſchen dieſen grünen Pflanzen zeichneten ſich ſchwammartige Maſſen von hellzinnoberrother Farbe aus, deren äußeres Anſehen ich, die Farbe abgerechnet, mit Nichts beſſer vergleichen kann, als mit jenen Schwämmen 8 Raus denen man den Zunder bereitet. Die Maſſe zeigte ſich auch in ähnlicher Weiſe brüchig, wie ein ſolcher Zunderſchwamm, war aber gelatinöbs und ließ auch auf der Bruchfläche eine große Menge von dünnen ſenkrechten Streifen oder Fäden gewahren, die eine ganz hellzinnoberrothe Farbe hatten, wäh⸗ rend die gelatindfe Grundmaſſe, in welcher ſte ſteckten, weit weniger geſättigt erſchien. Dieſe feinen Fädchen, welche ſenkrecht in der kuchenförmigen Maſſe ſtan⸗ den, hatten in der Mitte etwa eine Länge von ans derthalb Zoll (ſo dick war die Maſſe) und zeigten ſich am oberen keulenförmig angeſchwollenen Ende weit intenſiver gefärbt, als an dem dünneren Schwänze chen, welches in die Tiefe hinab ragte. Wir wußten, daß dieſe ſchwammartigen Maſſen zuſammengeſetzte Aſeidien ſeien und löſten Einige derſelben mit Vorſicht ab, um ſte zu Hauſe genauer zu unterſuchen. Es gelang uns mit leichter Mühe, einzelne Thiere noch lebend aus der Grundmaſſe heraus zu löſen, und uns von der Treue der Zeich— nungen zu überzeugen, welche Milne-Edwards von der Structur dieſer Thiere in feiner trefflichen Ab— handlung „sur les ascidies composdes“ gegeben hat. Die Art, welche wir gefunden, gehörte offen- KV a bar zu jener Abtheilung, der zuſammengeſetzten Aſci— dien, bei welcher man ſehr wohl drei Abtheilungen des Körpers unterſcheiden kann. Die vordere Ab— theilung des Körpers, die am lebhafteſten roth ge- färbt erſchien, bildet einen verhältnißmäßig weiten gegitterten Sack, der zwei Oeffnungen beſitzt. Die eine dieſer Oeffnungen liegt an dem oberen Ende des Sackes und hat einen mit kleinen Spitzen be⸗ ſetzten Rand, welche Spitzen bei der Zuſammenziehung ſich ſo aneinander legen, daß die Oeffnung voll— ſtändig verſchloſſen werden kann. Ein beſtändiger Strom von Waſſer, der ſowohl die zur Athmung nöthige Flüſſigkeit, als auch die Partikeln, welche zur Nahrung dienen, herbeiführt, dringt in dieſe vordere Oeffnung ein. Zur Seite, doch noch in der Nähe des vorderen Endes des Sackes, befindet ſich eine zweite Oeffnung, die mit einer zungenförmigen Klappe verſchloſſen werden kann und zum Aus⸗ führen aller Stoffe beſtimmt iſt, welche aus dem Körper herausgeſchafft werden ſollen. Das Waſſer, welches zur Athmung gedient hat, die Kothballen, und die Jungen werden alleſammt durch dieſe ge⸗ meinſame Oeffnung aus dem Körper ausgeſtoßen. Die Gitterungen, welche die Wände des Sackes rundum Vogt's Briefe II. 3 umgeben, find das wahre Athmungsorgan, und man kann deßhalb dieſen ganzen Sack, welcher den oberen Theil des Thierchens bildet, mit dem Namen des Kiemenſackes bezeichnen. Die zarten Spältchen, welche | die Stäbchen der Gitterungen von einander trennen, find ringsum mit Wimperhärchen bekleidet und brin⸗ gen ſo ein beſtändiges Strömen des in dem Sacke enthaltenen Waſſers hervor. Dieſes fließt durch die Spältchen ab und gelangt in ein gemeinſchaftliches Reſervoir, das unmittelbar vor der Oeffnung mit zungenförmiger Klappe liegt und alle nur erdenk⸗ lichen Auswurfsſtoffe, Koth, Athemwaſſer und Jauge pele-mele aufnimmt und aus dem Körper befördert. An dem Grunde des Kiemenſackes erſt befindet ſich der Zugang zu dem Darmkanale, der wahre Mund des Thieres, und hier beginnt auch die zweite Leibesabtheilung, welche den in ſich geſchlungenen Darmkanal enthält. Dieſer erſtreckt ſich etwa bis in die Hälfte der geſammten Körperlänge hinab, indem er vorher einen kropfartig gefalteten Magen bildet, und ſteigt dann in die Höhe um in der Nähe der gemeinſchaftlichen Auswurfsöffnung in dem erwähnten Reſervoir zu endigen. Dieſer auf- ſteigende Theil des Darmes war bei den meiſten a Thieren mit ſchwärzlichen Kothballen erfüllt und aus dieſem Grunde ſehr leicht kenntlich. Die dritte Abtheilung des Körpers, welche jenen langen Faden bildet, der in die Tiefe reicht, iſt mit den Geſchlechtstheilen und dem Herzen aus— gefüllt, welches Letztere ſich ganz in dem unteren Ende auf dem Grunde der Leibeshöͤhle befindet. Man unterſchied ſehr leicht den wie eine Hemde— krauſe gefalteten Hoden und den engen Samenleiter, welcher durch die Menge des darin enthaltenen Samens bleigrau gefärbt erſchien und ſich bis in die Nähe der gemeinſchaftlichen Auswurfsöffnung ver— folgen ließ. Ebenſo erkannte man den vielfach ge= wundenen Eierſtock an den rundlichen Eiern, welche in ihm und in feinem Ausführungsgange enthalten waren. Einige dieſer Eier, welche nahe an der Auswurfsöffnung angelangt waren, enthielten ent⸗ wickelte Embryonen und hatten eine ſo bedeutende Größe, daß ſie ſtarke Auftreibungen der äußeren Umhüllung an den entſprechenden Stellen veran- laßten. Aeußerſt merkwürdig iſt die Organiſation des Herzens, das ganz in der äußerſten Spitze des Körpers verborgen liegt. Es bildet einen Sförmig „ gebogenen Schlauch, der vorn und hinten vollkommen offen iſt und frei in die Leibeshöhle hineinmündet, die dadurch zum allgemeinen Reſervoir der Blutflüffig- keit wird, während das Herz nur eine ſchlauchartige Pumpe darſtellt, welche die Flüſſigkeit in Bewegung ſetzt. In welcher Weiſe dieſe Bewegung vor ſich gehe, iſt vollkommen gleichgültig: denn merkwürdiger Weiſe wechſelt das Herz in dem Rhythmus ſeiner Zuſammenziehungen ab und zwar ganz regelmäßig in beſtimmt abgemeſſenen Zeiträumen. Betrachteſt Du ein ſolches Herz unter der Loupe oder dem Mikroſkope, ſo gehen während einer gewiſſen Zeit die Zuſammenziehungen von links nach rechts; die Blutflüſſigkeit ſtrömt von links her ein, und wird durch langſame wurmförmige Zuſammenziehungen aus der nach rechts liegenden Oeffnung hinausge⸗ trieben. Plötzlich ſteht das Herz ſtill. Du glaubſt einen Augenblick, aber nur einen Augenblick, das Leben des Thieres ſeie beendet, weil die Bewegung ſeines Herzens aufhöre. Die Bewegung beginnt jetzt von Neuem, aber nun von der umgekehrten Seite her. Die Zuſammenziehungen ſchreiten von rechts nach links hin vor, und die Oeffnung, aus welcher früher das Blut ausſtrömte, nimmt daſſelbe jetzt in Empfang. So geht die Abwechſelung be— ſtändig in abgemeſſenen Zwiſchenräumen fort, und wenn Du die Beobachtung nicht an einer ſolchen zuſammengeſetzten Aſcidie, wo das Thier bald nach ſeiner Trennung aus der Maſſe ſtirbt, vornimmſt, ſondern an einer einfachen gallertartigen See— ſcheide, die man Tage lang unter dem Mikroſkope haben kann, ſo wirſt Du Dich überzeugen können, daß dieſe Abwechslung in der Richtung der Herz⸗ bewegungen in der That eine normale, und in dem Lebensproceſſe dieſer Thiere begründete Erſcheinung iſt. Das Herz iſt demnach hier nur eine Maſchine, beſtimmt, die Ernährungsflüſſigkeit in irgend eine Wellenbewegung zu bringen, deren Richtung voll⸗ kommen gleichgültig iſt. Deshalb fehlen auch ab= und zuführende Gefäße, welche dem Blutſtrome eine ſolche beſtimmtere Richtung einzig zu verleihen im Stande ſind, und die Eingeweide werden unmittel⸗ bar von der Blutflüſſigkeit umſpült, welche den ganzen Raum der Leibeshöhle erfüllt. Ich ſagte Dir eben, daß viele dieſer Thiere große Eier in ihrem Inneren geführt hätten, in welchen man ſchon vollkommen entwickelte Embryonen ſehen konnte. Wir ſahen auch dieſe Jungen ganz in der jelben Weiſe, wie ſchon Milne-Edwards fie abge- bildet hat. Das Junge beſteht nämlich deutlich aus einem faſt kugelförmigen Körper, an welchem ein langer peitſchenförmiger Schwanz hängt, den es mit großer Behendigkeit hin- und herſchleudert, und mit⸗ telſt deſſen es ziemlich lebhaft in dem Waſſer um⸗ herſchwimmt. Der Körper ſelbſt aber, eben ſowohl wie der Schwanz iſt aus zweien ſehr in ſich ver— ſchiedenen Beſtandtheilen zuſammengeſetzt, nämlich einer dicken, glasartig durchſichtigen Hülle und einer inneren gelbrothen Körpermaſſe, welche durch einige Fortſätze nach Außen vordringt und an der Ober- fläche einige Saugnäpfe bildet. Man bemerkt im Innern dieſer Maſſe einen dunkleren Fleck, den ich in der That nicht recht zu deuten weiß, und an der einen Seite zwei ſchwarze Pünktchen, für welche ich auch kein analoges Organ bei dem erwachſenen Thiere finden kann. So erzeugt denn auch dieſe Maſſe feſtſitzender, in eine gemeinſame Colonie vereinigter Thiere Jungen, welche dazu ausgerüſtet ſcheinen, frei in dem Meere umherzuſchwimmen und an entfernteren Orten wieder neue Colonieen zu bilden, die ſich in ähnlicher Weiſe durch ihre Jungen ins Weite verpflanzen können. . So können wir jetzt ſchon mit Beſtimmtheit den Satz ausſprechen: daß alle feſtſitzenden Thiere, welcher Claſſe fie auch angehören mögen, nothwendig frei bewegliche Eier oder Jungen erzeugen müſſen, welche fähig ſind, die Art nach entfernteren Localitäten hin zu verpflanzen. Allein nicht nur einzelne Indi⸗ viduen, ſondern ſogar ganze Colonieen von Indivi⸗ duen werden in ſolch embryonalem Zuſtande in die Weite hinausgeſendet, wie dies denn namentlich bei einigen zuſammengeſetzten Aſcidien der Fall ift, die der Art, die uns hier beſchäftigt, ſehr nahe ſtehen, aber dadurch weſentlich verſchieden ſind, daß die Individualitäten nicht ſo vollkommen, wie bei der unfrigen, getrennt, ſondern in der Weiſe zuſammen⸗ gekettet find, daß eine kreisförmig geſtellte Gruppe von Individuen eine gemeinſchaftliche Ausführungs⸗ öffnung beſitzt. Dieſe Thiere erzeugen denn auch meiſt zuſammengeſetzte Embryonen, welche im Kreiſe um eine gemeinſchaftliche Röhre ſtehen, eine gemein⸗ ſame Gallerthülle beſitzen, und einen einzigen ge⸗ meinſchaftlichen Schwanz haben, der die ganze Maſſe fortbewegen kann. Es iſt demnach ſchon im Ei eine ganze Colonie vorgebildet, die mittelſt des gemein⸗ ſchaftlichen Bewegungswerkzeuges im Waſſer umher⸗ — en ſchwimmen, und ſich eine geeignete Stelle zur Fixation aufſuchen kann. Milne⸗Edwards hat nachgewieſen, daß der runde Schwanz, welchen dieſe Jungen be— ſitzen, abgeſchnürt und zuletzt gänzlich von dem Leibe getrennt wird, und daß dann die Jungen durch Modificationen und innere Umbildungen die Organi⸗ jation der Alten erlangen. Was aus der centralen dunkeln Maſſe wird, gibt er freilich nicht an, und ich kann es eben jo wenig jagen, da ich nur Em- bryonen von einem gewiſſen Stadium der Entwick⸗ lung ſah, und ihre weitere Ausbildung nicht ver⸗ folgte. Die eigenthümliche Oeconomie, welche die Natur hinſichtlich der Thiere befolgt, die in ihrem ſpä— teren Alter und zwar gerade in ihrem zeugungs⸗ fähigen Alter feſtſitzen, verdient gewiß einmal eine umfaſſende Beleuchtung, da ſte des Wunderbaren Vieles enthält. Uns hat ſich gar manchmal bei der Beſprechung dieſer Verhältniſſe die Vergleichung mit den menſchlichen Zuſtänden aufgedrängt, die ſo außerordentlich nahe liegt, daß man ſie mit den Händen greifen könnte. Es geben dieſe Meerthiere in der That ein Bild der menſchlichen Entwicklung in den ſocialen Verhältniſſen. Da ſitzen die Alten VV zuſammen auf demſelben Flecke, den ſie ſich vor vielen Jahren angebaut und freuen ſich ihres be⸗ ſchränkten Daſeins, in dem ganzen Beſitze ruhiger Selbſtgenügſamkeit, die gar nichts weiter will, als ein ruhiges Spiel der Wogen, das ſie erfriſchen, aber nicht mit fortreißen ſoll. Sie ſitzen eng und warm zuſammen, ernähren ſich, ſo gut es gehen mag, von Dem, was ihnen der Zufall zuführt und zeugen Kinder nach Herzensluſt, die fie, ſobald fie groß genug geworden, hinausſchicken in die weite Welt. Draußen tummeln ſich denn die Jungen weid⸗ lich herum, und können es auch, weil ſie beweglich Glieder beſitzen, die ihnen ein freies Umhertreiben geſtatten. Sie haben offne Augen und Ohren, und wenn man ſie in ihrer Unbändigkeit ſteht, ſollte man glauben, das weite Meer ſei ihnen zu enge und keine Tiefe deſſelben ihnen unergründlich. Nach einiger Zeit aber werden ſie's müde, und ſie fangen an, ſich nach einem Plätzchen umzuſehen, wo ſie ſich feſtſetzen und daſſelbe Leben beginnen können, das ihre Väter ſchon längſt getrieben haben. Die raſchen Glieder ſchrumpfen ein, die Beweglichkeit geht ver⸗ loren, und auch die Empfänglichkeit für äußere Eindrücke ſchwindet mit den Sinnesorganen dahin, e welche ſie in der Jugend beſaßen. Die Augen gehen zu Grunde, die Ohren ſind nicht mehr zu finden, ja Einige ſogar legen den ganzen Kopf ab, und es bleibt von dem früheren, ſo ſchön ausgerüſteten In⸗ dividuum nur ein an den Boden geheftetes Weſen, das zu nichts Anderem fähig iſt, als zum Schlingen und zur Fortpflanzung. Wir Gelehrten haben das die rückſchreitende Metamorphoſe genannt, und meinen Wunder! welch außerordentliche Neuigkeit wir damit bei den Thieren entdeckt hätten. Allein jedes Thier hat ſeine rück- ſchreitende Metamorphoſe, deren Eintritt uns nur dann frappirt, wenn ſie an andern Organen früher auftritt, während die Fähigkeit zur Fort⸗ pflanzung noch nicht vorhanden iſt, oder noch fort- beſteht. Bei den Affen ſogar hat man ſte auf das Klarſte und Ueberzeugendſte nachgewieſen. Man hat dargethan, daß bei dem jungen Affen der Ge— ſichtswinkel weit bedeutender iſt, als bei den alten, deſſen Freßwerkzenge ein immer größeres Ueberge— wicht über das Gehirn erhalten, und wie denn die geiſtigen Fähigkeiten eine nothwendige Folge der materiellen Ausbildung ſind, jo bat man auch ſich überzeugen müſſen, daß der alte Affe in allen geiſti⸗ a a gen Fähigkeiten weit hinter dem jungen zurückſteht. Bei dem Menſchen nur will man die Naturgeſetze ändern und die rückſchreitende Metamorphoſe, die in dem Greiſenalter eintritt, nicht anerkennen. Hat man je einmal das Unglück, auf dieſelbe aufmerkſam zu machen, ſo fallen alle gemüthlichen Seelen mit erbittertem Grimme über den Verwegnen her, und ſchreien über Verletzung der Moral, über Sintan= ſetzung der Demuth, die des Chriſten ſchönſte Zierde ſein ſoll. Dieſe Demuth iſt es, welche uns zum großen Theile in den Fortſchritten der Wiſſenſchaft einhält, denn bei jedem Schritte, den wir vorwärts thun wollen, hängen uns die Opfer der rückſchrei⸗ tenden Metamorphoſe am Rocke, und ſchreien über Verletzung der ihnen gebührenden Achtung. Mein Freund Herwegh hat wahrhaftig vollkommen recht, wenn er ſagt: „Wir haben lang genug geliebt, „Und wollen endlich haſſen.“ Wär ich ein Dichter, ich verſichere Dich, ich würde ein Pendant dazu ſchreiben, worin geſagt würde „wir find lange genug demüthig geweſen und wol— len endlich ſtolz werden, und den Kopf ſo hoch tragen, als wir irgend nur können, und unſere Hälſe . es erlauben. Und wäre ich gar malitids, jo würde ich gelehrte Citate in Form von Noten, hinten an meine Ode hängen, die ſechsmal länger werden ſoll⸗ ten, als das Gedicht ſelber, und als Motto würde ich darüber ſchreiben den Göthe'ſchen Vers Nur die Lumpen find beſcheiden, Brave freuen ſich der That. Den 20. Januar. Wir haben heute vielleicht unſere letzte Excur⸗ ſion gemacht. Ich ſoll für mein Muſeum, denke Dir, mein Muſeum! Seethiere ſammeln, und bin in vollem Eifer, um auf dem Fiſchmarkte Selten⸗ heiten und Gewöhnliches zuſammenzutreiben, und in ein großes Bordeauxfaß zu packen, das über Berg und Thal nach Gießen wandern ſoll. Schade, daß mir der Auftrag nicht früher ward. Ich hätte vielleicht manchen Fiſch, manchen Krebs gekauft, mit deſſen Anſchauen ich mich im Anfange begnügt habe, da ich nicht ge⸗ wußt hätte, was ich ſpäter mit der Beſtie anfangen ae ſollte. Indeſſen iſt jetzt noch immer Zeit genug, das Verſäumte einigermaßen nachzuholen; denn da die Fiſcher einmal wiſſen, daß ich viel kaufe, ſo wird das Haus von „fleur de la santé“ förmlich geſtürmt und alles nur irgend Außergewöhnliche mir herge= bracht. Ich ſchrieb Dir ſchon früher von den mannich— faltigen Fiſcharten, welche auf dem hieſigen Markte vorkommen. Seither habe ich noch einige ganz in— tereſſante Formen erhalten. Es giebt in den hieſigen Meeren eine beträcht⸗ liche Menge von Fiſchen, welche etwa die allgemeine Körpergeſtalt des Aals mit einem; gänzlich abweichen— den Kopfbaue verbinden, und meiſtens auch bandartig zuſammengedrückt erſcheinen, weßhalb man ſie auch Bandfiſche (Taenioiden) genannt hat. In der Bucht von Villa franca gibt es mehre Arten von dieſer Familie, 5 die ſich beſonders durch ihre ſilberweiße Farbe und die beträchtliche Größe auszeichnen, die ſie erreichen. Sie werden von den Fiſchern ganz einfach Bänder „rubans“ genannt, und laſſen ſich leicht acquiriren, da ſie ihres ſchlechten Fleiſches wegen auf dem Markte keinen Preis haben. Der Größte von den Dreien, die ich gekauft habe, iſt ſo lang, daß ich ihn kaum über den Boden halten kann, wenn ich ihn mit in u die Höhe geſtrecktem Arme an dem einen Ende packe. Seine Höhe beträgt etwa eine Spanne und ſeine Dicke nicht mehr als die Dicke eines Fingers. Die herrlichſte Silberfarbe, die ſich indeſſen außerordent⸗ lich leicht abſchuppt, bedeckt den ganzen Körper, der außerdem roth gefärbte Floſſen trägt, die ich aber trotz aller Mühe nicht unverletzt erhalten konnte. Es ſtehen nämlich oben auf dem Kopfe äußerſt lange ſchwanke Strahlen, jeder mit einem rothen Fähnlein geſchmückt und unter dem Halſe befinden ſich ſtatt der Bauch⸗ floſſen zwei ungemein lange ſehr zerbrechliche Kno⸗ chengerten, die an ihrer Spitze ebenfalls Fähnchen tragen, und gerade gut zu Reitgerten wären, wenn nicht ihre Zerbrechlichkeit einen jo hohen Grad er— reichte. Die Schwanzfloſſe hat vollſtändig die Ge⸗ ſtalt eines Fächers, der aber nicht in der Richtung der Achſe des Körpers liegt, wie bei den andern Fiſchen, ſondern nach Oben aufgeſtellt wird. So ſchwimmt denn dieſes Silberband mit ſeinen ſeltſamen Anhängen und Fähnchen in ſchlangenförmigen Beweg⸗ ungen umher, und iſt, wie es ſcheint, gar manchen An- griffen der Raubfiſche ausgeſetzt. Eins meiner Exemplare iſt an dem hinteren Theile bedeutend verſtümmelt, der Schwanz fehlt ihm ganz, und die Wunde iſt voll⸗ 1 kommen verwachſen, ſo daß man wohl ſieht, ſie iſt nicht beim Fange, ſondern in früherer Zeit durch irgend einen Raubfiſch beigebracht worden. Meiſtens werden ſchon in den Netzen die ſo außerordentlich zerbrechlichen Floſſenſtrahlen geknickt, und dadurch die Schönheit der Exemplare ſehr benachtheiligt. Doch ich wollte Dir von unſerer letzten Excur⸗ ſion erzählen und Dir noch einiges Gethier mit in den Kauf geben, deſſen ich bis jetzt noch nicht er⸗ wähnt habe. Ich wüßte mich kaum des Tages zu erinnern, an dem wir nicht in Villa franca Ketten und ver⸗ einzelte Individuen von Salpen gefunden hätten. Meiſt wimmelt die Oberfläche von Thieren dieſer Art, und wer ſich genauer mit ihrem Studium be⸗ ſchäftigen wollte, würde hier die reichſte Ausbeute finden. Bald durchſchneidet das Schiff ganze Ketten, welche in Form langer Bänder an dem Borde vor⸗ beiſtreichen, bald trifft man überall einzelne Indivi⸗ duen dieſes eigenthümlichen Thiergeſchlechtes, die manchmal eine gigantiſche Größe erreichen. Wir haben Exemplare getroffen, welche beinahe einen Fuß Länge erreichten, und andere eingeſammelt, die kaum die Größe einer Haſelnuß hatten. — 18 Die Struktur dieſer Thiere iſt ſo eigenthümlich, daß man lange Zeit braucht, ehe man ſich eine Dee von derſelben verſchaffen kann. Der ganze Körper hat meiſt die Geſtalt eines länglichen Paral⸗ lelepippedons, das vornen und hinten eine bedeutend große quere Oeffnung beſitzt. Die Bauklötzchen der Kinder geben ein ganz gutes Bild einer ſolchen Geſtalt. Vorn und hinten befinden ſich je nach den verſchiedenen Arten verſchieden geſtaltete Aus⸗ wüchſe, zipfelartige Anhänge und ſtachelartige Ge— bilde, die in ihrer Anordnung außerordentlich wech— ſeln, und meiſtens dazu dienen die Aneinander— kettung der einzelnen Individuen zu vermitteln. Das Thier ſchwimmt in dem Waſſer durch beſtändiges Einſchlucken und Wiederausſtoßen der Flüſſigkeit, ſo daß es ſich alſo im vollſten Sinne des Wortes durch das Waſſer hindurch frißt. Der innere Raum des ganzen Körpers, der vollkommen glashell und durchſichtig iſt, aber doch eine gewiſſe lederartige Zähigkeit beſitzt, dieſer innere Raum wird durch eine in der Diagonale geſpannte Kieme durchſetzt, welche einen cylindriſchen Strang dar⸗ ſtellt, der von einer Oeffnung bis zur anderen reicht. Wenn Jemand das Phänomen der Flimmer ⸗ — Bewegung in ſeiner ganzen Pracht anſtaunen will, ſo muß er ein Stück dieſer Kiemen unter dem Mi⸗ | kroſkope beobachten. Der cylindriſche Stab, der eine ſolche Kieme bildet, iſt nämlich hohl, und eine große Menge feiner Querſpalten führt von Außen nach Innen in die Höhlung hinein. Dieſe Spalten nun ſind auf beiden Seiten mit ſchwingenden Flimmer— haaren beſetzt, die eine ſo lebhafte Strömung in der Richtung der Spalten erzeugen, daß man ſchon mit bloßem Auge ein unbeſtimmtes Erzittern in dieſen Spältchen wahrnimmt. Unter dem Mikro—⸗ ſkope aber fließt und ſtrömt es, wie in den tauſend Zweigen eines Sturzbaches, der ſich über flaches Land ergießt, und von allen Seiten her werden die Partikelchen, die etwa in der Flüſſigkeit ſchwimmen, herangeriſſen, und in den Spalten von dem Flim⸗ merſtrome fortgeführt. So iſt denn der ganze weite Sack, den die Kieme in ſchiefer Richtung durchſetzt, einzig und allein zur Unterhaltung der Reſpirations— thätigkeit beſtimmt, und das beſtändige Einſchlucken und Ausſtoßen des Waſſers, mittelſt deſſen die Salpe ſich zugleich fortbewegt, iſt weſentlich unſerem Ein⸗ und Ausathmen vergleichbar. Als Anhang zu dieſem weiten Kiemenſacke, den Vogt's Briefe. II. 4 Be eigenthümliche ringförmig verlaufende Muskelbündel zuſammenziehen können, erſcheint ein rundes Knäuel, das bei den meiſten Arten eine hochgelbe oder zin- noberrothe Farbe beſitzt, und im Dunkeln mit wunder⸗ ſchönem hellſmaragdgrünem Lichte leuchtet. Dieſes Knäuel enthält die weſentlichſten Organe der Salpe, einen zuſammengewundenen Darmkanal, ein Sförmig gebogenes ſchlauchförmiges Herz, eine Leber und die keimbereitenden Geſchlechtstheile, welche zwiſchen den Windungen des Darmkanaks verborgen liegen. Die Röhre des Darmkanals beſitzt zwei Mündungen, welche in den großen Kiemenſack ſich öffnen. Es müſſen alſo alle Nahrungstheilchen des Thieres durch das eingeſchluckte Reſpirationswaſſer herbeigeführt werden, und ſämmtliche Auswurfsſtoffe mit dem ausgeſtoßnen Waſſer durch die hintere Oeffnung den Körper ver- laſſen. Du ſtehſt alſo hier ſchon eine große Ana- logie mit dem Baue der Seeſcheiden, wo ebenfalls der Darmkanal nur eine Art Anhang auf dem Grunde des Kiemenſackes bildet, welcher den be— deutendſten Theil des Körpers ausmacht. Die Analogie wird noch vermehrt durch die eigenthümliche Thätigkeit, welche das Herz beſitzt. Dieſes liegt an der unteren Seite des Eingeweide⸗ — 31 — knäuels Ai Bauchfläche zu, und läßt ſich ſchon mit bloßem Auge unterſcheiden. Unter einer mäßig vergrößernden Loupe gelingt es aber leicht, den ganzen Blutlauf in ſeiner Vollſtändigkeit bei einer lebenden Salpe zu unterſuchen, und Herwegh na= mentlich, den ſein kurzes Geſicht hierbei begünſtigt, konnte ſich von der Beobachtung dieſes Blutlaufes Stunden lang hinhalten laſſen. Da drängt ſich denn in kurzer Zeit die Thatſache auf, daß das Herz ganz ſo, wie bei den Seeſcheiden in ſeiner Thätigkeit abwechſelt, und in abgemeſſenen Zwiſchen⸗ räumen die Richtung des Blutſtromes, den es be— dingt, vollkommen zur entgegengeſetzten umdreht. Auch hier ſteht es, wenn dieſe Aenderung der Rich- tung eintreten ſoll, eine Zeit lang vollkommen ſtill, ehe es ſeine Contractionen nach der anderen Seite hin beginnt. Dieſes Herz ſteht aber nicht, wie bei den See⸗ ſcheiden, in offener Communication mit einer allge= meinen Leibeshöhle, in welcher die nährende Flüſſig⸗ keit ergoſſen iſt, ſondern es iſt der Mittelpunkt eines weit verzweigten Syſtemes von Gefäßen, die ſich ganz ſo, wie die Blutgefäße der höheren Thiere, in Netze feiner Haargefäße auflöſen, in welchen die Ba Ernährungsflüſſigkeit circulirt. In dieſen Gefäßen kann man nun leicht die Wirkung des Herzſtoßes ſtudiren, und wahrlich, hätten die Thoren, welche bei den höheren Thieren eine dem Blute ſelbſt in⸗ wohnende, bewegende Kraft annehmen wollten, nur während einiger Augenblicke den Kreislauf einer Salpe beobachtet, fie würden ſich von der Grund⸗ loſigkeit ihrer Annahme überzeugt haben. Ohne Anwendung anderer optiſcher Hülfsmittel, als einer gewöhnlichen nicht zu ſchwachen Loupe ſieht man in der glashellen Subſtanz das Blut rinnen, wäh⸗ rend das Herz ſich kräftig contrahirt. Plötzlich ſteht das Herz ſtill, und nun pflanzt ſich der momentane Stillſtand durch die Gefäße hindurch fort, bis ſelbſt die letzten Verzweigungen nur ſtockende Flüſſigkeit enthalten. Unterdeſſen hat aber das Herz ſchon ſeine Zuſammenziehungen in umgekehrter Richtung begonnen und die Wirkung derſelben pflanzt ſich in eben der Weiſe durch die Gefäße wieder fort, wie früher der Stillſtand. So kann man denn an jedem Punkte dieſes weit verzweigten Gefäßſyſtems ab⸗ wechſelnde Vorwärtsbewegungen, Stillſtand und Rückwärtsbewegungen des Blutes ſehen, und man kann demnach nicht, wie bei höheren Thieren von a zuführenden und wegführenden Gefäßen, Arterien und Venen reden, da alle Gefäße abwechſelnd dieſe Function übernehmen. Merkwürdig iſt bei den Salpen noch das Nerven⸗ ſyſtem mit dem Sinnesorgan, das erſt in der neueſten Zeit genauer gewürdigt wurde. Betrachteſt Du eine Salpe, welche in der Art vor Dir liegt, daß die Oeffnung, durch welche fe einſchluckt, nach Oben gekehrt iſt, ſo wirſt Du in einiger Entfernung von dieſer Oeffnung genau in der Mittellinie ein faſt milchweißes Tüpfelchen erblicken, auf dem ein braun⸗ rothes Pünktchen aufſitzt, das Du eher für ein Stäubchen, als für ein Organ des Thieres halten würdeſt. Unterſuchſt Du aber dieſe Gegend näher, ſo wird Dir klar, daß der milchweiße Punkt ein rundlicher Nervenknoten, das röthliche Stäubchen darauf ein einfaches Auge ſei, welches das einzige Sinnesorgan iſt, das man bis jetzt mit Sicherheit bei den Salpen kennt. Unter ſtarker Vergrößerung ſieht man, daß das braunroth gefärbte Auge, welches eine elliptiſche Geſtalt hat und von einer durchſich⸗ tigen Haut enge umſchloſſen iſt, unmittelbar auf dem Nervenknoten aufſitzt, der nach allen Seiten eine große Anzahl feiner Nerven ausſendet und 5 etwa ausſieht, wie ein Kochtopf mit zwei kurzen dicken Beinchen, welche nach der vorderen Oeffnung hingewendet erſcheinen. Ueber dem Auge ſelbſt ſieht man eine dreieckige Vertiefung, durch welche das Auge mit einem gewiſſen ſchalkhaftem Ausdrucke hervorguckt. Du ſtehſt, daß dieſe Einheit des Nerven⸗ knotens mit der Anordnung dieſes Syſtemes, wie wir ſie bei den Rippenquallen vorfanden, ſehr über⸗ einſtimmt. Iſt die Structur der Salpen ſchon merkwürdig, ſo bietet ihre Fortpflanzungsgeſchichte des Intereſſanten noch mehr. Es tritt nämlich jede Art von Salpen in zweierlei Arten von Individuen auf, welche ſo durchaus verſchiedene Geſtalten beſitzen, daß man ſie ohne Weiteres für verſchiedene Arten halten würde und auch ſo lange gehalten hat, bis der Dichter Chamiſſo zuerſt auf dieſen Formenwechſel aufmerk— ſam machte, und mein Freund Krohn in neuerer Zeit durch die ſpeciellſten Unterſuchungen genaue Belege zu den Chamiſſoſchen Behauptungen lieferte. Ich ſprach Dir ſchon von Ketten und von einzelnen Individuen. Es ſind dies in der That die zwei Formgeſtaltungen, in welchen dieſelbe Art auftreten kann. Ein einzelnes Individuum erzeugt nämlich BR N ſtets eine zuſammengekettete Reihe von Jungen, welche während ihres ganzen Lebens zuſammenge— kettet bleiben, und nur höchſtens durch Zufall von einander getrennt werden. Jedes in einer Kette be— findliche Individuum aber bringt nur einen einzigen Embryo hervor, welcher ſich nach und nach von ſeinem Mutterthiere loslöſt, und endlich von dem. ſelben ausgeſtoßen wird. So ſetzt ſich alſo das Leben einer jeden Art von Salpen aus zwei Gliedern zuſammen, die ſo mit einander verbunden ſind, daß das Junge den Großältern ähnlich, den unmittel- baren Eltern aber vollkommen unähnlich erſcheint. Die in Ketten vereinigten Individuen gleichen ſich nämlich unter einander ganz vollkommen, nicht aber den vereinzelten Individuen, welche ſie in ſich erzeugen. Die Ketten, welche von den vereinzelten Indivi⸗ duen erzeugt werden, entſtehen nicht durch gefchlecht- liche Erzeugung, ſondern durch Sproſſenbildung. Betrachteſt Du eine Salpe, welche gerade in der Erzeugung einer ſolchen Kette begriffen iſt, ſo ſtehſt Du unmittelbar an dem Eingeweideknäuel und in der nächſten Nähe der hinteren Auswurfsöffnung einen ſpiralförmig aufgewundenen Kranz junger a Individuen. Dieſe Spiralkette ift meiſtens aus meh- reren Abſätzen ungleichmäßig entwickelter Indis i duen zuſammengeſetzt, die gleichſam ruckweiſe in Maſſe hervorgebildet zu ſein ſcheinen. Man findet ſo manchmal, daß ein einziges Individuum drei Ketten verſchieden großer Jungen zu einer einzigen Spirale zuſammengewunden an ſeinem hinteren Ende mit ſich trägt. Die Spirale ſelbſt iſt um einen kegelförmigen Fortſatz herumgewunden, aus deſſen bildender Thätigkeit ſie hervorzugehen ſcheint. Unterſucht man nun die Individuen einer Kette zu gewiſſen Zeiten, ſo ſieht man an derſelben Stelle, an welcher bei den vereinzelten Individuen die ſpiral⸗ förmig gewundene Kette der Jungen ſich befindet, bald ein Ei, bald ein mehr oder minder entwickeltes Junge, das durch einen förmlichen Mutterkuchen mit ſeiner Erzeugerin zuſammenhängt. Ein bedeutender Blutſtrom geht von dem Herzen der Mutter in ein kugelförmiges Gebilde über, das offenbar aus dem Dotter des Ei's ſich hervor gebildet hat, und ander— ſeits verzweigen ſich in demſelben Gebilde vielfache Gefäße des Jungen, welche eine unabhängige Blut⸗ bewegung zeigen. So treffen ſich hier in demſelben Gebilde die Gefäße der Mutter und der Frucht ganz 1 in derſelben Weiſe, wie dies in dem Fruchtkuchen der Säugethiere der Fall iſt, und es hält gar nicht ſchwer, durch directe Beobachtung der lebenden Thiere den Nachweis zu liefern, daß bei den Salpen eben— ſowohl, wie bei den höheren Thieren nur die flüſſi— gen Beſtandtheile dieſer Blutarten ausgetauſcht werden können, und keine directe Communication zwiſchen den beiderſeitigen Gefäßen ſtatt hat. Hier bei den Salpen liefert die periodiſche Umdrehung der Blutbewegung den ſicherſten Beweis, daß eine ſolche Communication nicht vorhanden ſei; denn da das Tempo der Her— zen bei Mutter und Kind ſich nicht entſpricht, ſo fteht man in den Gefäßen des Einen die Umdrehung erfolgen, ohne daß dies auf die Richtung der Eir- eulation in den Gefäßen des Andern auch nur den mindeſten Einfluß ausübte. Du kannſt Dir leicht denken, daß es Jahre lang fortgeſetzter Bemühungen bedurfte, um dieſe ſcheinbar einfachen Thatſachen zu entwirren, deren Erkenntniß hauptſächlich daran ſcheiterte, daß die zuſammen⸗ geketteten Individuen eine durchaus verſchiedene Ge— ſtalt von den vereinzelten beſaßen. Krohn hat die 30 Salpenarten, die man zu kennen glaubte, auf 10 oder 12 Species reducirt, indem er einestheils ER N * „ Synonymen darlegte, anderntheils aber nachwies, daß ſcheinbar gänzlich verſchiedene Arten nur die wechſelnden Zuſtände derſelben Art ſeien. Du magſt aber aus dieſem Beiſpiele wieder ſehen, wie fruchtlos bei den niederen Thieren die Bemühungen derjenigen Forſcher ſein müſſen, welche, ohne Rückſicht auf die Entwicklungsgeſchichte zu nehmen, die Arten nach den inneren und äußeren Kennzeichen der ausge- wachſenen Individuen unterſcheiden möchten. Bei den Salpen hatte man zur Unterſcheidung der Arten ſcheinbar die ſicherſten Kriterien: die verlängerten Spitzen, welche in verſchiedener Anzahl bald vornen bald hinten an dem Körper anſitzen, die Lagerung f der Oeffnungen, die bei den Einen ganz an dem Ende des Körpers, bei den Andern in geringer Entfernung davon ſich befanden, die Zahl und An: ordnung der Muskelbündel, welche den Kiemenkorb umgeben; alle dieſe herrlichen Merkmale dienten nur dazu Organismen zu unterſcheiden, welche die Ent— wicklungsgeſchichte vereinigt. Es kann kein glänzen— deres Beiſpiel der Zweckloſigkeit jener Richtung ge— ben, die in den Köpfen von Leuten entſprang, welche Regiſtratoren hätten werden ſollen. — Man kann die Salpenketten nicht geradezu Colo— ern. nieen nennen, ſondern höchſtens aggregirte Individuen, welche in keinem näheren Connex mit einander ſtehen, und die vollkommen gut fortleben können, wenn auch dieſe Verbindung zufällig aufgehoben wird. So giebt es eine Art, welche ſich durch ihre Größe auszeichnet, da ſie zuweilen die Länge eines Fußes erreicht, und die im Normalzuſtande ſchiefe Ketten bildet, in welchen je ein links und ein rechts ge— drehtes Individuum an einander gekettet erſcheinen. Wir erfuhren erſt in der letzteren Zeit, wo wir einmal bei ſehr ſtillem Wetter einer Kette ſolcher Salpen begegneten, daß ſte eigentlich aggregirte ſeien: bis dahin waren uns nur vereinzelte Indivi— duen, wenn auch in großen Mengen vorgekommen. Es giebt aber auch Thiere, welche gewiſſermaßen in der Mitte zwiſchen Salpen und Aſeidien ſtehen, und die unzertrennliche Colonieen bilden, innerhalb welcher ſich die einzelnen Thiere etwa in gleichem Verhältniſſe befinden, wie die zuſammengeſetzten Aſcidien in der Gallertmaſſe, die ſie umhüllt. Man trifft öfter in der Bucht von Villa franca gallert— artig durchſichtige Organismen an, die etwa die Geſtalt und Größe eines Tannzapfens haben, und meiſtens nicht ganz an der Oberfläche, ſondern in — 60 — einer gewiſſen Tiefe ſchwimmen, ſo daß man ſie mit einem Handnetze hervorholen muß. Sie haben eine lederartige Conſiſtenz und zeigen auf der Ober- fläche eine Menge biegfamer koniſcher Spitzen, zwiſchen welchen man kleine gelbe Pünkchen gewahrt. Das dickere Ende des Tannzapfens hat eine kreisrunde Oeffnung, die in eine centrale Höhe führt, welche die ganze Achſe des Zapfens einnimmt, am oberen ſpitzen Ende aber vollkommen geſchloſſen iſt. Der Zapfen öffnet und ſchließt ſich durch Zuſammen— klappen ſeiner Mündung und bewegt ſich dadurch äußerſt langſam und ſchwerfällig in dem Waſſer mit dem ſpitzen Ende voran. Wenn Du auch weiter kein Intereſſe an der Naturwiſſenſchaft hät- teſt, ſo verſäume doch ja nicht, im Falle Du ſolchen Zapfen begegneſt, Dir einige derſelben auf— zufiſchen und ſie zu Hauſe in einem Gefäße mit Waſſer bis zur Nacht zu bewahren. Du wirſt durch ein wahres Feuerwerk en miniature für Deine Mühe belohnt werden: denn es gibt in der That keines unter den ſo zahlreichen leuchtenden Thieren des Meeres, welches eine ſolche Abwechslung in ſeinem Lichte und eine ſolche Intenſität ſeiner Phosphor— eſcenz zeigte. Man hat dieſen Thieren deshalb, und En zwar mit vollem Rechte den Namen „Pyrosoma“, Feuerleib beigelegt. Unterſuchſt Du den Zapfen näher, fo ſiehſt Du, daß in der lederartigen Gallertmaſſe kleine Thierchen ſtecken, deren Darm und Leber Du eben in Form von gelben Pünktchen gewahrſt. Das Thierchen beſteht hauptfächlich aus einem weiten Kiemenſacke, der ebenſo, wie der Kiemenſack der Aſcidien, ringsum gegittert iſt, und alſo in der Ge— ſtalt des Reſpirationsorganes ſich von den Salpen entfernt, die eine cylindriſche Kieme beſitzen. Unter dem Kiemenſacke befindet ſich der Eingeweideknäuel, an welchem ſich namentlich bei den meiſten ein großer Eierſtock und ausgedehnter Eierſack aus⸗ zeichnet, in dem man ſehr häufig einzelne, voll⸗ kommen ausgebildete Jungen findet. So habe ich ein Eremplar gezeichnet, deſſen Eiſack durch die übermäßige Ausdehnung ſich ganz in den Kiemen— ſack hineingedrängt hatte, und etwa ein Viertel des ganzen Körperumfanges einnahm. Es befanden ſich fünf vollkommen ausgebildete Jungen in dieſem Eiſacke, die mit ihrem Kiemenſacke ganz ebenſo auf- und zu⸗ klappten, als wenn ſie ſchon in freiem Waſſer lebten. Bei der größeren Art dieſer Pyroſomen, von denen wir ſogar fußlange Exemplare antrafen, ſtehen die er Thiere unregelmäßig in ſpiraligen Reihen in der Maſſe des Stockes. Es gibt aber auch eine kleinere Art, bei welcher die Zapfen nur etwa einen Zoll Länge erreichen, und die Thiere vierzeilig übereinander ſtehen, ſo daß der Zapfen vier Kanten und vier tiefe Rinnen zeigt. Bei dieſer Art, deren Individuen ſich in engerem Connex zu befinden ſcheinen, werden denn auch Embryonen geboren, die ebenfalls ſchon zu Vieren zuſammengekettet ſind, und in einer ge— meinſamen Gallerthülle ſtecken, welche etwa die Größe eines Stecknadelkopfes hat Die Organiſa— tion dieſer vierzeiligen Art ſcheint mir viel Abwei— chendes zu beſitzen, und ich hätte vielleicht mein werthes Ich in den Katalogen der Wiſſenſchaft durch Schaffung eines neuen Namens verewigt, wenn mir nicht der Ruf zu der Profeſſur einen Strich durch die Rechnung gemacht, und den ruhig ſtudirenden Gelehrten in einen Einpöckler von Fiſchen und Sammler von Krebſen verwandelt hätte. Da ſiehſt Du, wie leicht es iſt, Jemandes Namen in der Zoologie zu verewigen. Wer einer ſolchen Ver— herrlichung bedürftig iſt, braucht nur Extrapoſt zu nehmen, in der Bucht von Villa franca nach den kleinen vierkantigen Pyroſomen zu fiſchen, die er zu IL Tauſenden fangen kann, und dann bedarf es nur zweier Tage, um die Dinger abzuzeichnen, eine Be— ſchreibung zu entwerfen, und in dem erſten beſten griechiſchen Lexicon einen Namen zujammenzuftop- peln, ſo iſt die Sache fertig, und die Berühmtheit ein für allemal aere perennius der Nachwelt über— liefert. : Ich ſprach Dir von dem Leuchten, beſonders der Pyroſomen. Die Salpen leuchten auch, die Me— duſen nicht minder, auch die Würmer nehmen ſich's heraus Nachts Funken zu ſprühen, und wenn man die Sache in ihrer Allgemeinheit auffaßt, ſo gibt es am Ende kein Thier in der See, das nicht ein— mal ſich mit ſolchem Phosphoreſeiren abgegeben hätte. In den warmen Nächten der Tropen leuchtet die See oft wie ein allgemeines Feuermeer, und ſchon bei Nizza ſahen wir unſere Barke hell glän⸗ zende Streifen hinter ihrem Kiele ziehen, und die Ruder, wie mit blitzenden Sternen bedeckt, aus dem Waſſer hervortauchen. Man hat ſich vielfach mit dem Leuchten des Meeres beſchäftigt, und bald dieſes, bald jenes mikroſkopiſche Thierchen als allgemeinen Leuchter und Beleuchter für die ganze Waſſermaſſe angeſehn; allein ſtatt nach vereinzelten Weſen zu Be ſuchen, welche dieſe Eigenſchaft haben ſollen, hätte man wahrlich beſſer gethan, das Leuchten als all— gemeines Geſetz für alle niederen Seethiere aufzu⸗ ſtellen, und die etwaigen Ausnahmen zu verzeich⸗ nen. Man würde deren nicht gar viele gefunden haben. Hätte ich ein paar Jahre am Meere zuzubringen, ich wollte mich anheiſchig machen, jedes Thier an der eigenthümlichen Farbe, Intenſität und Verbrei— tung ſeines Leuchtens mit vollkommener Sicherheit zu erkennen, ſo ſehr verſchieden ſind alle dieſe Eigen— ſchaften. So leuchtet bei den Salpen nur die gelb— rothe Eingeweidekugel in hellem grünlichgelben Lichte, deſſen Intenſität ab- und zuſchwillt, ohne daß es jemals gänzlich verliſcht. Bei den Meduſen beginnt das Licht mit ſchwachen Fünkchen auf der Ober- fläche der Glocke, und ſchreitet allmählig über die ganze Glocke fort, zuletzt ſich auf die Fangarme und die Fangfäden verbreitend. Bei den Pyroſomen beginnt das helle weingelbe Licht einförmig an dem einen Ende, und ſchreitet mit leiſe zitternder Wel- lenbewegung nach dem anderen Ende hin vorwärts, ſtets mehr und mehr an Intenſität zunehmend, bis der ganze Zapfen gleich einem weißglühenden Stücke Eiſen in lichter Lohe zu flammen ſcheint. In gleicher Weiſe ſchreitet dann dieſe helle Erleuchtung zurück, bis ſie allmählig in vollſtändiges Dunkel erliſcht. Nach einigen Minuten neuer Brand, neues Auflo— dern, dem allmähliges Verlöſchen folgt. Man ſteht bei den Pyroſomen deutlich, daß die einzelnen Thierchen es ſind, durch deren Eingeweide ſich allmählig das Licht fortpflanzt, und vielleicht mag die Erſcheinung von dem Willen der einzelnen Thierchen abhängig fein. Alle dieſe Lichterſcheinungen werden aber verſtärkt oder hervorgerufen durch Be— rührung und Mißhandlung der Thiere, und wie es ſcheint, iſt es theilweiſe die Bewegung, welche auf ſolche Reize einzutreten pflegt, die die Entwicklung des Lichtes bedingt. Wir haben oft ganze Schüſſeln mit Pelagien gefüllt, und dieſe bis ſpät in die Nacht hinein beobachtet. Stießen zwei ſolcher Me⸗ duſen bei ihrem Hin- und Herſchwimmen an einander, ſo leuchteten die Berührungsſtellen hell auf, und wenn die Thiere beſonders lebenskräftig waren, verbreitete ſich auch zuweilen das Licht über die ganze Glocke. Rührten wir aber mit einem Stäb⸗ chen unſere Pelagien zuſammen, bis der ganze In⸗ halt des Pokales in lebhafter Kreiſelung ſich umher— Vogt's Briefe M. 5 — 66 — ſchwang, ſo leuchteten ſelbſt abgeſtoßene Stücke und die ganzen Thiere ſchienen im Feuer zu ſtehen. Das Licht aller Leuchtthiere ohne Ausnahme iſt in⸗ deſſen ſehr wenig intenſiv, und deshalb ſchon bei ge— wöhnlichem Kerzenlichte nicht mehr wahrnehmbar. Offenbar ſteht das Leuchten mit gewiſſen Lebens⸗ erſcheinungen in nächſter Beziehung. Die abgeſtorbenen zerſetzten Theile leuchten zwar auch eine Zeit lang, allein die Farbe des Lichtes iſt eine ganz andere, als an dem lebenden Thiere, und läßt ſich auf den erſten Blick ſehr leicht unterſcheiden. Im Uebrigen wiſſen wir aber durchaus nicht, wie das Leuchten zu Stande kommt, und auf welchen Eigenſchaften der organiſchen Materie es beruht. Auch die Ver⸗ ſuche an italiäniſchen Leuchtkäfern, welche wie unſere Johanniswürmchen, nur weit ſtärker leuchten, haben zu gar keinen Reſultaten geführt, und nach vieler Verſchwendung von Gaſen allerlei Art, von Zeit und Mühe ſind wir jetzt ebenſo weiſe als vorher. Bei den im Waſſer lebenden Thieren iſt nun vollends in der neueren Zeit auch nicht der mindeſte Verſuch gemacht worden, das Räthſel zu löſen, deſſen Er— gründung ganz anderer Mittel bedarf, als des Guf- kens mit dem Mikroſkope. De Als wir neulich an dem Rande eines Courant unter Haufen von Meduſen und Salpen langſam dahin glitten, ſchrie Laurent plötzlich: ein Fiſch! ein Fiſch! und deutete auf eine Stelle im Waſſer, die durch irgend ein Thier in lebhaft wirbelnde Be⸗ wegung verſetzt war. Als wir näher kamen, ſahen wir in der That ein fiſchartiges, aber vollkommen glashelles Weſen, das ſich mit unbändiger Lebhaftig— keit im Kreiſe umhertummelte und erſt nach einigen mißglückten Verſuchen mit dem Schöpfglaſe aufge⸗ fangen werden konnte. Es dauerte lange, ehe wir uns eine beſtimmte Anſchauung von unſerem Ge⸗ fangenen verſchaffen konnten, ſo wild fuhr er im Glaſe umher, und erſt als er vielleicht hundertmal an den Wänden umhergekreiſt war, und keine Hoffe nung zum Entrinnen ſich zeigte, ließ ſeine Lebhaf⸗ tigkeit etwas nach und wir konnten unſere Neu⸗ gierde befriedigen. Das Thier hatte etwa einen Fuß Länge und vornen eine drehrunden Körper, der nach hinten etwas abgeplattet war, und in eine lanzettförmige ſchmale Spitze endigte. In der Mitte dieſes Körpers ſaß an der unteren Fläche in rechtem Winkel an⸗ geheftet eine breite, blattartige Floſſe, deren ſchrau⸗ n . benartige Windungen das hauptſächliche Bewegungs⸗ mittel des Thieres bildeten. Du haſt gewiß ſchon auf Seen und Flüſſen jene eigenthümliche Manier des Ruderns bemerkt, wo ein einziger Schiffer hinten in einer kleinen Barke ſteht, und durch beſtändiges Hin⸗ und Herdrehen des Ruders ſein Schifflein vor⸗ wärts ſtößt. Ganz in ähnlicher Weiſe bediente ſich auch unſer Thier ſeiner Ruderfloſſe, und es war wirklich merkwürdig, wie ſchnell es ſich mittelſt dieſes ſcheinbar jo unbedeutenden Werkzeuges fort⸗ bewegte, deſſen Breite nicht mehr als höchſtens ein Fünftheil der ganzen Körperlänge beträgt. An dem vorderen Ende des Körpers geht unter einem rechten Winkel ein rüſſelartiger Fortſatz nach unten ab, mit welchem das Thier beſtändig wühlend hin- und her⸗ taftet, und an deſſen Ende ſich das enge Maul befindet. Das ganze Thier hat demnach die Geſtalt eines Winkelhakens, deſſen einer Arm (der Körper) lang und dick, der andere (der Rüſſel) nur kurz und verhält⸗ nißmäßig dünn iſt. Auf der äußeren Ecke des Winkels, wo Rüſſel und Körper zuſammenſtoßen, findet ſich ein kleiner, mit ausgezackten Franzen be⸗ ſetzter Höcker, der einer Krone nicht übel ähnlich ſteht. Unmittelbar hinter dieſer Krone leuchten aus Ba der durchſichtigen Gallertmaſſe zwei hellbraune, birn= förmige Körper hervor, die beiden Augen, welche nach den Seiten gerichtet ſind, und eine vordere ge⸗ wölbte Fläche beſitzen, während der hintere Theil faſt ſpitz zuläuft. Wie ſchon bemerkt, ſaß die Ruderfloſſe etwa in der Hälfte der Körperlänge, die dadurch in zwei gleiche Theile halbirt wurde. In der Mitte der hinteren Körperhälfte etwa ſah man einen fpindel- förmigen braunen Körper, der ſchief in der Gallert⸗ maſſe ſtack und mit ſeinem ſpitzen Ende ein wenig auf der Rückenfläche hervorragte. Vor dieſem ſpindel⸗ förmigen Körper ſah man einige franzenartige durchſichtige Gallertbäumchen, welche offenbar die Kiemen waren. Betrachtete man das Thier genauer, jo ſah man, daß im vorderen Ende des Rüſſels innerhalb einer dicken Muskelmaſſe eine ſpiralförmig aufgerollte Zunge lag, die wie die Zunge vieler Schnecken mit einzelnen Spitzen und Dornen beſetzt war. Von hier aus ging der Schlund, die Achſe des Rüſſels durchſetzend, bis zu der Vereinigungsſtelle dieſes Organes mit dem Körper fort, und erweiterte ſich hier zu zwei kleinen kugelförmigen Säcken, die dicht an . — gie etnander lagen, und vielleicht als Kropf und Magen gedeutet werden könnten. Von dem Magen aus ſetzt ſich ein vollkommen gerader, kaum Linien dicker Darmkanal durch die Achſe des Körpers bis zu dem braunen ſpindelförmigen Organe fort, in welches er ſeitlich einmündet. Jetzt bemerkten wir auch an dem Rande dieſes ſpindelförmigen Körpers Pulſa⸗ tionen, und erkannten, daß derſelbe ein Eingeweide⸗ knäuel ſei, in welchem das letzte Ende des Darmes, Leber, Geſchechtstheile und Herz vereinigt lägen, was denn auch die Bedeutung der baumartigen Franzen als Kiemen vollkommen rechtfertigte. Wir hatten ein zweites Exemplar gefangen, welches beſchädigt war, und den Eingeweideknäuel verloren hatte. Ich hielt dieſen deßhalb anfangs für etwas Zufälliges, trotz des Widerſpruchs von Herwegh, und glaubte der ſpindelförmigen Geſtalt des Knäuls wegen, es ſeie ein kleines unverdautes Fiſchchen an dieſer Stelle ſtecken geblieben. Die genauere Unterſuchung hob dieſen Irrthum natürlich ſehr bald auf. Wie mußten wir unſer Thier wohl taufen? Dies war die erſte Frage, deren Beantwortung bei unſeren beſchränkten literariſchen Hülfsmitteln gerade nicht ſehr leicht ſchien. Wir ſuchten vergebens eine 111 Abbildung und vielleicht hätten wir mit einem uns bekannten Etwas in der Taſche unſere Rückreiſe antreten müſſen. Allein wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verſtand, und ſo war es denn mir, dem friſchgebackenen Profeſſor der Zoologie, ſo— gleich vollkommen klar, daß wir hier eine Firola vor uns haben müßten, auf deren Erſcheinen wir durchaus nicht vorbereitet waren, da ich nach den Erzäblungen von Milne-Edwards dieſes Thier nur für einen Bewohner des ſicilianiſchen Meeres hielt. . Freilich muß ich ſagen, daß meine Divinationsgabe doch nicht ohne beſtimmteren Grund hervortrat. Ich wußte nämlich, daß eine Art ſehr naher Verwand⸗ ten der Firola, die Carinarie, oft in großen Schwär⸗ men in der Bucht von Villa franca erſchiene, und hatte mich aus dieſem Grunde in Paris ſchon einſt— weilen mit dem Anblicke dieſes Thieres befreundet, das in vielen Stücken mit der Firola übereinkommt, ſich aber dadurch von ihr unterſcheidet, daß der Eingeweideknäuel mit den Kiemen in einer äußerſt zarten gekielten Schale ſteckt, welche etwa die Ge⸗ ſtalt einer phrygiſchen Mütze hat. Außerdem fehlt der Carinarie der lange Rüſſel, und ſtatt eines Krönchens trägt ſie zwei längere einziehbare Fühl⸗ hörner, welche etwa denen unſerer Schnecken gleichen. Wir fanden auf anderen Ercurſionen noch eine andere Art von Firolen, die zuweilen in zahlloſen Schwärmen an der Oberfläche erſchienen, und höchſtens die Länge eines kleinen Fingers erreichten. An dem Schwanze trugen fie einen langen faden⸗ artigen Anhang, der ſtellenweiſe mit braunen Kno⸗ ten beſetzt war. So ein Thierchen muß man ſich wählen, um mit Bequemlichkeit anatomiſche Unter⸗ ſuchungen anzuftellen. Das ganze Ding iſt jo durch— ſichtig, daß man es nur unter eine geringe Ver⸗ größerung des Mikroſkopes zu legen braucht, um Nervenſyſtem, Gefäßſyſtem, Verdauungsorgane in ihrem ganzen Verlaufe ohne weitere Präparation vollſtändig überſchauen und unterſuchen zu können. Ich habe die Zeichnung des Nervenſyſtems einer ſolchen Schnecke in einer Stunde gemacht, wozu ich bei einer unſerer Schnecken eine 14tägige An⸗ ſtrengung wenigſtens nöthig gehabt hätte. Die Be⸗ quemlichkeit iſt viel werth im Leben, aber am Meiſten gilt fie in der Wiſſenſchaft, wo es ſich ſehr— oft nur darum handelt, Gegenſtände zur Unterſu⸗ chung zu wählen, bei welchen die Schwierigkeiten 1 nicht eriſtiren, die anderwärts ſich darbieten. Des⸗ halb großentheils find auch die Forſchungen am Meere ſo ergiebig, weil es ſich meiſt um Thiere handelt, deren Durchſichtigkeit eine vollſtändige Ein⸗ ſicht ihrer geſammten Oeconomie verſtattet. Den 25. Januar. Du fragſt mich in Deinem letzten Briefe, ob wir denn keine Unterſuchungen über Polypen ge⸗ macht hätten, und ob ich Dir nicht Fundorte von Thieren dieſer Art in der Bucht von Villa franca anzugeben wüßte. Es fragt ſich nur, was für Arten von Polypen Du finden willſt, und von welcher Familie der weitläufigen Klaſſe Du geſpro⸗ chen haſt. Es gibt hier, glaube ich, Repräſentanten aller möglichen Formen und zwar in ſolcher Zahl, daß man ſtets gewiß ſein kann, ſeinen Zweck zu erreichen und Haufen derſelben mit nach Hauſe zu bringen. Als wir neulich hart an der weſtlichen — 1 2 Küſte der Bucht von Villa franca unter dem Fort Sansculotte hinſegelten, zeigte uns Laurent eine Stelle, wo das Waſſer mit vollem Brauſen an die ver⸗ witterten Felſen ſchlug. Dort unten, ſagte Laurent, findet ſich in der Tiefe einiger Faden eine Grotte, welche einmal von ein Paar Jungen beim Baden entdeckt worden iſt. In dieſer Grotte haben ſie einen Stamm ächter Korallen geſehen, ſo dick wie ein Mann und von fabelhafter Länge, der tief in dem Inneren der Grotte wurzelt, und deſſen Zweige von dem Wogenpralle abgebrochen worden ſind. „Wer den hätte,“ fügte Laurent hinzu und ſeufzte recht inbrünſtig, „wer den hätte, der könnte in Genua den Markt Jahre lang mit Korallen ver⸗ ſorgen, und brauchte nicht mehr Barken zu rudern, und ſich abzuſchinden für ſein tägliches Brod. Es waren auch vor einigen Jahren ein Paar Koral- lenfiſcher hier, erzählte er weiter, die! den Schatz heben wollten, und einige Monate lang in der Bucht arbeiteten, ohne den Stamm hervorbringen zu können. Sie waren recht arm und jämmerlich, hatten eine ſchlechte Barke und einen noch ſchlechteren Tauch— apparat, und obgleich es ihnen öfter gelang, den Korallenbaum zu ſehen, jo konnten fie doch a niemals in die Grotte eindringen, und verloren ſo Zeit und Mühe. Am Ende wollte ihnen Niemand mehr borgen, Schulden hatten ſie die Menge, und da nahmen ihnen die Gläubiger Barke und Tauch— apparate ab, und ſchickten ſie zu Fuße wieder heim. Welcher Schaden! ſagte Laurent, und ſchüttelte be= dauernd den Kopf. Es wäre doch eine recht große Ehre für unſere Gegend geweſen, wenn ſie den größten Korallenſtock geliefert hätte, den man ſeit Jahrhunderten geſehen hat. Sie ſollten ſich einmal daran machen, meine Herren, und die Koralle zu fangen ſuchen, da hätten Sie am Ende doch auch eine Entſchädigung für Ihre Mühe, während ſie jetzt ſchon jo manchen Fünffrankenthaler hinausge⸗ worfen haben, um Zeug zu kaufen und zu fangen, das“ — hier hielt er inne, machte eine höchſt ver— ächtliche Miene, ſchnalzte mit der Zunge und that einen gewaltigen Ruderſchlag, ſo daß die Barke faſt wie ein Kreiſel herumfuhr. Freilich möchte ich das nächſte Mal, wenn ich die Bucht von Villa franca beſuche, einen Tauch— apparat bei mir haben, um auf dem Boden des Meeres herumſuchen zu können. Milne-Edwards hatte einen ſolchen auf ſeiner ſieilianiſchen Reiſe mit und es reute ihn nur die unvollkommene An⸗ ordnung deſſelben, nicht aber der Gebrauch, den er davon machen konnte. Im Weſentlichen beſtand ſein Apparat aus dem Rettungshelm des Oberſten Paulin, der beſonders für den Fall berechnet iſt, wenn man bei Feuersbrünſten in Räume eindringen will, die ſo von Rauch und giftiger Luft erfüllt ſind, daß man nicht darin athmen kann. Der Ap⸗ parat iſt eigentlich nur ein lederner Helm, der luft- dicht ſchließt, und ziemlich feſt auf den Schultern aufſitzt. Der ganze Kopf ſteckt in dieſem Gehäuſe, in welchem Fenſter für die Augen angebracht ſind. Die obere Spitze des Helmes iſt durch eine Klappe geſchloſſen, die ſich einem Drucke von Außen nach Innen öffnet, und über dieſer Oeffnung iſt ein langes elaſtiſches Rohr angeſchraubt, welches mit einer Druckluftpumpe in Verbindung ſteht, die man beſtändig im Spiel erhält. Der Gedanke, der dem Ganzen zu Grunde liegt, iſt außerordentlich einfach, wie Du ſiehſt. Man führt durch die Pumpe dem Kopfe, der in dem Helme ſteckt, beſtändig friſche Luft zu, die aus den Fugen an den Schultern wieder entweicht, und die ausgeathmete fernerhin untaugliche Luft mit ſich führt. a Es hält leicht, dieſen Apparat ſo zu modificiren, daß er zu dem Tauchen in dem Waſſer geeignet iſt. Allein wie mir Milne-Edwards ſagte, der einen ſolchen Apparat öfters benutzt hat, ſo bedarf es zu ſeinem Gebrauche vor allen Dingen einer großen ſtark— bemannten Barke, welche genügende Sicherheit für das Aufziehen und Niederlaſſen des Apparates biete, und in ähnlicher Weiſe, wie die Barken der Auſtern⸗ fiicher für die ſchwere Schleppkratze eingerichtet iſt. Denke Dir das Vergnügen, mit einem ſolchen Ap⸗ parate, der alle Glieder frei läßt, auf dem Grunde des Meeres herumzuwandeln und dem geheimniß⸗ vollen Treiben zuzuſchauen, das uns jetzt nur in Bruchſtücken an die Oberfläche gebracht wird. Wie unendlich unvollkommen ſind alle die Hülfsmittel, welche unſere Naturforſcher bis jetzt angewendet haben, um das Leben des Meeres auf dem Grunde zu unterſuchen, und wie unendlich wichtig wären doch dieſe Unterſuchungen hinſichtlich der Folgerun⸗ gen, welche man aus ihnen ziehen könnte. Wir ſchwatzen und reden in unſeren geologiſchen Abhand- lungen unendlich viel von Schichten, die ſich in der Hochſee ablagern, von dem Untergange der Schöp⸗ fungen, von der Aufeinanderfolge derſelben in ver- — 78 = * ſchiedenen Zeitepochen, und die ganzen Vergleichur punkte, auf welche wir uns ſtützen können, ben in einigen Häuflein Sand, und ein Paar Muſcheln, welche Schleppkratze und Senkblei zu Tage gefördert haben. Wie kann man hoffen, eine genügende Vor— ſtellung von den Bewohnern des Meeresboden zu haben, von dem Einfluſſe, den ſie auf die Ablage- rung der Geſteinsſchichten ausüben können, wenn man nur dasjenige kennt, was man von der Ober— fläche dieſes Bodens abkratzte, ohne in einige Tiefe eindringen zu können. Ein Engländer, Forbes, hat jetzt einen gewaltigen Spektakel darüber angefangen, daß er das griechiſche und ägäiſche Meer nach allen Richtungen hin mit der Schleppkratze zu durch— ſuchen Gelegenheit fand. Und der Mann macht ausdrücklich darauf aufmerkſam, daß bis jetzt noch kein Naturforſcher dies Inſtrument ſpeciell zu dem Zwecke benutzt habe, um allerwärts die Zuſam— menſetzung des Lebens in der Tiefe zu beobad)= ten. Das iſt vollkommen wahr, und in der Südſee namentlich, wo wir uns zuerſt in ſolcher Abſicht hinwenden ſollten, hat auch nicht die leiſeſte Spur irgend einer Erforſchung dieſer Art ſtatt gehabt. Dort unter den Korallenriffen in u der Mitte der Atolls, in den Buchten der Küften müſſen wir die Thatſachen ſuchen, welche uns in der Aufklärung der geologiſchen Räthſel zu leiten haben: denn die älteren Meere, in welchen ſich die Geſteinsſchichten unſerer Erdkruſte abſetzten, glichen nicht ſowohl unſeren Becken der gemäßigten Zone, als vielmehr jenen unendlich reicheren Gewäſſern, die zwiſchen den Wendekreiſen ſich ausbreiten. Ich wollte von den Polypen bei Villa franca reden und gerathe in Gefahr, Dir den Plan einer Südſeeexpedition auseinanderzuſetzen, die mit Schlepp— kratzen und Paulinſchen Helmen bewaffnet, den Ungeheuern des Meeres etwas tiefer in ihre Ge— heimniſſe ſchauen ſoll, als dies bisher geſchehen. Geduld, lieber Junge, Du mußt Dir ſolche Excur— ſtonen ſchon gefallen laſſen, die mir jetzt eine Er- holung gewähren, wo ich den ganzen Tag nichts thue, als Fiſche abbürſten, jeden einzeln in ein Läppchen wickeln, und ſie dann ſo dicht als möglich in ein Faß einpacken, von dem ich eine unend— liche Bereicherung meines Muſeums erwarte. Das merke Dir wohl, wenn Du je einmal Fiſche zu verſenden oder einzupacken haſt: An dem gekochten Fiſch ſind die Schuppen unleidlich, allein für den Bo cr |, be Zoologen find fie unentbehrlich, und können auf weiteren Reiſen nur dadurch erhalten werden, daß man in der beſchriebenen Weiſe jeden einzelnen Fiſch beſonders in Leinwand packet. Langweilig iſt das freilich, allein die Vernachläſſigung einer ſolchen Vorſichtsmaaßregel rächt ſich oft grauſam, und wenn die deutſchen Profeſſoren der Zoologie einmal ſo geſtellt ſein werden, daß fie ſich Bedienten halten können, ſo dürfen ſie ſolche Geſchäfte den dienſtbaren Geiſtern ſchon überlaffen. Jetzt freilich, wo fie mit überflüſſigem Geldmangel und noch obenein mit den Segnungen einer Wittwenkaſſe behaftet find, ſoll's mich gar nicht wundern, wenn fie vergleichen Ge⸗ ſchäfte ſelber verrichten müſſen. Die Wittwenkaſſe und die Polypen haben das mit einander gemein, daß ſie Alles ergreifen und verſchlingen, was in ihre Nähe kommt, und da joe mit dieſe Inſtitute eine große Aehnlichkeit beſitzen, ſo wirſt Du bewundern, mit welcher Feinheit ich hier den ſtyliſtiſchen Uebergang zu meinem eigentlichen The— ma gemacht habe. Es iſt wahrhaftig gerade, wie wenn ich den Brief wollte drucken laſſen, und wie wenn es mir ginge, wie Einem meiner Freunde, den ich einmal 8 bei der Verfertigung eines langen mit großer Sorg— falt ſtyliſirten Briefes antraf, den er gerade für ſeine Braut abſchrieb. Das Concept, welches er vor ſich liegen hatte, war vielfältig durchcorrigirt, geflickt und verbeſſert, etwa wie das Concept eines Be— richtes an eine Höchſte Staatsbehörde, oder das Anfangscapitel eines Romans, über deſſen weiteren Verlauf der Verfaſſer ſelbſt noch nicht einig iſt. Du gibſt Dir ja eine unendliche Mühe, ſagte ich, einen Blick auf das geglättete Roſapapier werfend, über dem einige lithographirte Amoretten gaukelten. Du glaubſt wohl? erwiederte er lachend. Aber ich habe geſchworen, nie wieder eine Zeile zu ſchreiben, die mir nicht bezahlt wird, und da ich überzeugt bin, daß meine Braut die Liebesbriefe höchſt ſorg⸗ fältig in einem eigens dazu beſtimmten Käſtchen aufbewahrt, und mir dieſelben als Frau wieder mitbringt, ſo werde ich dann mein Hausrecht be— nutzen, mich der Briefe bemächtigen und die Gefühle für ein hübſches Honorar bei Cotta drucken laſſen. Deshalb ſchreibe ich ſie auch jetzt ſchon ſehr ſorgfältig, und hänge alle Nachrichten über Möbelkauf, Bett- verfertigung und dergl. Dinge, die in die Haus⸗ haltung gehören, auf der dritten Seite hinten in Bogt's Briefe II 6 Be ni einer Nachſchrift an, damit ich fie bequem weg⸗ ſchneiden und ohne weitere Correcturen die Briefe druckfertig haben kann. Mit dem Honorar bezahle ich dann die Wittwenkaſſe, und von dem Reſte trin⸗ ken wir Champagner bei der erſten Kindtaufe.“ Das war nun freilich eine vermeſſene Zuſage, denn die Wittwenkaſſe verſchlang das ganze Honorar eines jechsjährigen Brautſtandes und bei der Kind— taufe mußten wir uns mit ſauerem Landweine be= gnügen. Aber meine Polypen! Ich bin bei ihnen, und kann Deine Frage mit Wenigem beantworten. So ſchöne große Stämme von Gorgonien und ähnlichen Thieren, wie Du ſie in Neapel findeſt, und in allen Muſeen als Zierrath aufgeſtellt ſiehſt, habe ich freilich bei Villa franca nicht gefunden, dagegen deſto mehr kleines Zeug auf allen Blättern und Steinen, die man nur aus dem Waſſer hervorbefördern mag. Die Steckmuſcheln, die wir aus dem Boden heraus- riſſen, die Blatter der Tangarten, welche wir zufällig an die Oberfläche förderten, waren dicht beſetzt mit vielfachen Arten von Glockenpolypen, (Campanu⸗ larien) Keulenpolopen (Coryne) und Röhrenpolypen (Sertularien), die ſich meiſt wie dünne Fäden an — © der Oberfläche der Körper hinziehen, auf welchen fie feſtſitzen. Auf den Steckmuſcheln namentlich fanden wir lange Colonieen eines prachtvollen gelben Polypen mit acht Armen, der auf langen Fäden ſaß, welche, etwa wie die Ausläufer einer Erdbeere, hier und da die cylindrifchen Becher trugen, in die ſich der Polyp zurückziehen konnte. Dieſe ſtielloſen Becher hatten etwa die Länge einer Linie, be— ſtanden aus durchſichtiger etwas gelblich gefärbter Hornſubſtanz und ließen in ihrem Inneren den zuſammengezogenen Polypen ſehr deutlich wahr— nehmen. — Noch weit prachtvoller gefärbt war ein anderer Polyp, ebenfalls mit acht blattförmigen, ſeitlich ge= franzten Fangarmen, deſſen Polypenſtock aber mehr äſtig war, und deſſen becherartige Hüllen auch einige Kalkconcremente zu enthalten ſchienen, welche ſie vollkommen undurchſichtig machten. Die Röhren dieſes Polypen, der auf Steinen und Wurzeln feſt— ſaß, waren ſchmutzig orangegelb, die blattartigen Fangarme hell fleiſchroth gefärbt, und der entfaltete Polyp bot einen deſto ſchöneren Anblick, als alle dieſe Fangarme mit ihren ſeitlichen Einkerbungen etwa jo ausfahen, wie die ſ. g. Stuartskragen, r „ welche man zur Zeit jener enthaupteten Königin und ſpäter allgemein trug. * Auf den Blättern der Tange, welche den Boden bei Villa franca decken, und zwiſchen denen die Steckmuſcheln und die rothen Seeſterne hauſen, ſieht man ganz feine, weißliche Fädchen, die von Zeit zu Zeit ein kleines, in rechtem Winkel abſtehendes Fäſerchen gewahren laſſen. Das ſind Campanularien, welche in vielfachen Arten hier vorkommen, und ſich eher zur Beobachtung eignen, da die langen ge— ſtielten Becher, in welchen die Polypen ſitzen, voll kommen durchſichtig und klar ſind. Man braucht nur eine ſolche Ranke mit der Pincette zu fallen und ſie vom Blatte abzuziehen, um den ganzen Polypenſtock in einem Uhrglaſe unter das Mikroſkop zu bringen. Vielfach beſchäftigt hat mich eine Art dieſer Glockenpolypen, deren langgeſtielte Zellen ſtets einzeln auf den Ranken aufſitzen, und weſentliche Unterſchiede in ihrer Bildung zeigen. Die Einen haben nämlich länger geſtielte Zellen, in welchen ein Polyp mit vielfachen Fangarmen ſitzt, die in einem Kreiſe um den meiſt hügelförmig hervorge— triebenen Mund ſtehen. Dies ſind die ernährenden Individuen, an denen ſich niemals Geſchlechtsorgane entdecken laſſen. Zwiſchen ihnen aber ſitzen auf kürzeren Stielen mehr topfartig geſtaltete Glocken, die oben eine wallartige Einfaſſung beſitzen, und im Innern eine kugelförmige Maſſe enthalten, welche durch einen ſtielartigen Fortſatz mit dem Walle und der darin befindlichen Oeffnung zuſammenzuhängen ſcheint. Die innere dunkle Maſſe iſt noch ringsum von heller Subſtanz umgeben, und bei vielen Indi⸗ viduen undeutlich in einzelne Kugeln zerlegt. Drückt man die Kapſeln ein wenig zwiſchen zwei Glas⸗ platten zuſammen, ſo trennen ſich dieſe Kugeln deutlicher von einander ab, und man gewahrt in ihrem Inneren kreisrunde helle Flecken, die offenbar Keimbläschen ſind. Es kann alſo keinem Zweifel unterworfen ſein, daß die topfförmigen Kapſeln weibliche Individuen ſeien, welche nur zur Fort⸗ pflanzung beſtimmt ſind und Eier in ihrem Innern erzeugen. 6 Drückt man die Kapſeln, deren Eier einen ge⸗ wiſſen Grad der Entwicklung erlangt haben, ſtärker zuſammen, ſo ſtülpt ſich zuletzt die ganze innere Maſſe durch die wallartige Oeffnung der Kapſeln nach Außen hervor, und bildet dann eine große Gallertkugel, in welcher die Eier zuſammengedrängt N): liegen. Man findet auch viele Kapſeln, bei welchen dieſer Prozeß ſich ſchon in natürlicher Weiſe ohne Dazwiſchenkunft eines Druckes vollendet hat, und wo auf der Mündung der leeren Kapſel eine runde Gallertmaſſe aufſitzt, die eine gewiſſe Anzahl von Eiern enthält. Ich weiß nicht, wie die Eier ſich weiter entwickeln, und was aus den leeren Eikapſeln werden mag. Gewiß reißen ſich die Eier von den Polypen ſpäter los, ob dies aber im Ganzen ge— ſchieht, und die Gallerthülle mit den darin enthal- tenen Eiern ein Spiel der Wogen wird, ober ob die Eier ſich erſt zu beweglichen Embryonen ent⸗ wickeln und dann die Gallerthülle durchbrechen, könnte ich wahrlich nicht jagen, und Du magft, wenn Du einmal nach Villa franca kommſt, dieſe Beobachtungen fortſetzen und zu erklecklichem Ende führen. Ich werde keine Reclamation der Priorität Dir an den Hals werfen. Heute, als ich im Begriffe war, Kiſten und Ka⸗ ſten zu ſchließen, brachten mir die Fiſcher eine noch lebende Homola, ein prachtvolles Exemplar, das ich unmöglich zurücklaſſen konnte. Ich habe es ein paarmal in Spiritus getaucht, und da ich keine Zeit hatte, ſeinen vollſtändigen Tod abzuwarten, ſo habe 1 ich es mit Bändern und Schnüren an den Deckel der Kiſte angenagelt, in welcher ich ſchon ein anderes Exemplar derſelben Gattung untergebracht habe. Es gehören die Thiere dieſer Gattung gewiß zu den größten Cruſtaceen, welche bei Nizza vorkommen; denn es iſt nicht zu viel geſagt, wenn ich behaupte daß die große weibliche Homola, welche ich aquirirt habe, beinahe die Größe eines Kindskopfes hat, und daß ihre ſpinnenartig ausgebreiteten Füße zwei Ellen Spannweite haben. Die Form dieſer Gat⸗ tung iſt ziemlich eigenthümlich und ſehr abweichend von derjenigen der gewöhnlichen Taſchenkrebſe, zu welchen das Thier doch im Grunde gehört. Der Körper hat im Ganzen betrachtet etwa die Form einer Birne, deren Stiel nach vornen gerichtet wäre. Die Oberfläche iſt mit Stacheln und braunen Haaren beſetzt, die Fühlhörner nur ſehr kurz und klein, die Augen dagegen auf langen Stielen befeſtigt, und äußerſt beweglich. Die Beine haben alle eine un⸗ gemeine Länge, das vordere Paar iſt mit kurzen ſchwachen Scheeren verſehen, deren Kneiparme ganz rund ſind, während die drei folgenden Paare ſcharfe, etwas gekrümmte Haken tragen, die nur zum Gehen geeignet erſcheinen. Das letzte Fußpaar, (denn alle Bi hochſtehenden Cruſtaceen haben, wie Du weißt, fünf Paar Füße, während die Spinnen vier und die In⸗ ſecten drei Paar beſitzen), das letzte Fuß paar, ſage ich, ſcheint nur eine Art Luxusmöbel für die Ho⸗ mola zu ſein. Es iſt klein, verkümmert, und wird ſtets auf dem Rücken getragen, ohne daß man be⸗ merken könnte, daß das Thier irgend welchen Ge⸗ brauch davon zu machen geneigt ſei. Die Homola iſt gerade nicht eine häufige Er⸗ ſcheinung auf dem hiefigen Markte, und unfer Abbe ärgerte ſich einigermaßen, daß man ſeinen beſtimm⸗ ten Auftrag nicht befolgt, und lieber von den Frem⸗ den einige Franken genommen hatte, ſtatt mit ihm um ein Paar Sous zu feilſchen. Man fängt das Thier nur zufällig in einer Tiefe von mehren hun⸗ dert Füßen mittelſt der Grundangel, welche bei den Fiſchern den Namen Palangre führt. Es iſt wahrſcheinlich, daß der Fang an großen Cruſtaceen weit ergiebiger ſein würde, wenn man Körbe und Netze, ähnlich denen, welche man zum Krebsfange braucht, auf den Boden hinabließe und einen ſtark riechenden Köder darin befeſtigte. Größere krebsartige Thiere ſind überhaupt ziem⸗ lich ſelten in Nizza, während ein außerordentlicher ir RO Reichthum von kleineren Formen vorkommt. Es gibt hier einen Baron, deſſen Namen ich vergeſſen habe, der aber in der Adminiſtration der Stadt eine ziemlich hohe Stelle begleitet und eine vollſtändige Sammlung aller krebsartigen Geſchöpfe beſitzt, welche Rin dem Meere von Nizza vorkommen. Auch unſer Freund, der Abbé Montolivo beſchäftigt ſich mit Zubereitung von Cruſtaceen, und hat uns einige nicht unintereſſante Typen, welche während unſerer Anweſenheit nicht auf dem Markte vorgekommen waren, zum Geſchenke gemacht. Auf den erſten Blick ſcheint es, als müßte es ungeheuer ſchwer halten, die Cruſtaceen nur einigermaßen kennen zu lernen, da ihre Formen ſo außerordentlich mannig⸗ faltig und ihre Zahl groß iſt. Allein gerade dieſe Mannigfaltigkeit der Formen und Organe bietet eine ſolche Menge von Anhaltspunkten und ſo ſcharfe und beſtimmte Unterſcheidungsmerkmale dar, daß man bei einiger Bekanntſchaft ſehr bald die bekannten wieder findet, und die unbekannten ſehr leicht in den ſyſtematiſchen Catalogen auffinden kann. Die Krabben oder kurzſchwänzigen, zehnfüßigen Krebſe finden hier alle ihre Familien vertreten. Du u ſiehſt in vielfachen Repräſentanten die Bogenkrabben, die ſich alle dadurch auszeichnen, daß der mittlere Körper weit breiter als lang iſt, und fein Vorder— rand nach Außen conver verläuft, während der hintere, oft ſehr ſchmale Rand quer abgeſtutzt oder ſelbſt ausgeſchweift iſt. Sowohl die gewöhnlichen Taſchenkrebſe, deren Füße alle mit einer ſichelartigen Kralle bewaffnet ſind, als auch die Portunusarten, deren hinteres Fußpaar blattartig entwickelt iſt und als Ruder dient, finden ſich täglich in Menge auf dem Markte. Auch die ſ. g. Schamkrabben ſind gar nicht ſelten, und wenn Du ſelbſt nicht eine auf dem Markte findeſt, ſo iſt Freund Montolivo gewiß gern bereit, Dir eins ſeiner zahlreichen Exemplare als Andenken mitzugeben. Die Calappa (dies iſt der ſyſtematiſche tamen der Schamkrabben) hat etwa die Form eines ſphäriſchen Dreieckes, an deſſen vorderer Spitze die kleinen kurzgeſtielten Augen ſtehen. Die Farbe des Körpers iſt ein gelbliches Fleiſchroth mit warzigen Erhabenheiten, welche hell carminroth gefärbt ſind. Die ganze Krabbe iſt vollkommen glatt, ohne Haare, Borſten oder Spitzen auf dem Rücken, uud ſieht deshalb ſehr ſauber und geleckt aus, eine ſeltene Eigenſchaft bei den Krabben, die meiſtens eine ganze UN Welt auf dem Rücken mit ſich herumtragen. Die vier hinteren Fußpaare der Calappa ſind nur ſehr dünn, ſchmächtig und mit kleinen Sichelhäkchen be⸗ ſetzt; das vordere Scheerenpaar dagegen außerordent⸗ lich dick, ſchwer und ſo breit, daß die Oeffnung der Zange mehr in der Breiten-, als in der Längs- Richtung der Scheere ſteht. Dieſes ganze maſſive Scheerenpaar kann nun ſo unter die vorderen, ſchief nach Unten abgeſchnittenen Ränder des Körpers untergeſchoben werden, daß die Scheeren faſt gänz⸗ lich verdeckt ſind, in ſolcher Weiſe, daß es kaum möglich wäre, mehr als den Rand des Scheeren⸗ gliedes vom Rücken aus zu ſehen. Es ſieht faſt aus, als ſchäme ſich die Krabbe dieſer unbehülf- lichen Werkzeuge, und verberge fie deshalb unter dem Vorderrande ihres Rückenſchildes. 5 Ganz ähnlich macht es auch eine andere Krabbe, deren allgemeine Körperform einigermaßen derjenigen der Calappen gleicht, die aber durch ihre Organi⸗ ſation in eine ganz andere Abtheilung der Krebſe zu gehören ſcheint. Die Dromien find gewiß die trägſten, indolenteſten Thiere, die man ſehen kann. Mit an den Leib gezogenen Füßen und Scheeren ſitzen ſie unter den Steinen oder zwiſchen den er Blättern der Tange, und man muß ſchon ziemlich genau zuſehen, um ſie von einem gelben Ocker⸗ ſteine unterſcheiden zu können. Sie machen auch nicht die geringſte Anſtrengung, um zu entfliehen, ſondern laſſen ſich ruhig greifen und verharren auch in der Gefangenſchaft in dieſer Apathie, die nur bei Nacht, wie es ſcheint, ein wenig unterbrochen wird. Der ganze Körper iſt von einem dichten, graugelben Wollhaare bedeckt, und nur die äußerſten Spitzen der maſſiven Scheeren ſind glatt und von ſchön roſenrother Farbe. Die Bewegungsloſigkeit dieſer ſonderbaren Taſchenkrebſe erklärt ſich einigermaßen aus der Organiſation ihrer Füße. Es ſind nämlich nur zwei Paar derſelben zur Ortsbewegung tauglich, während die zwei letzten Paare als ziemlich kleine verkümmerte Anhänge auf der Oberfläche des Rük— kens getragen werden, und gewiß weder zum Schwim— men noch zum Gehen benutzt werden können. Ich weiß nicht, wer den Zoologen das Mährchen auf— gebunden hat, die Dromie benutze dieſe beiden Fuß⸗ paare, um damit Seeſchwämme, Blätter, Muſchel⸗ ſchalen und ſolches Zeug ſich über den Rücken zu halten, und auf dieſe Weiſe maskirt ihre Beute zu beſchleichen. Sie ſchauen zwar trotz ihrer Unbe— a a weglichkeit äußerſt verſtändig aus ihren kleinen leb⸗ haften ſchwarzen Augen hervor, allein für ſo liſtig, wie die Zoologen ſie gerne machen mögten, kann ich ſie denn doch nicht halten. Unſer alter Laurent, der die Dromien recht wohl kannte, wußte durchaus nichts von den ihnen angedichteten Liſten, und ein anderer Fiſcher, La Roſe genannt, der manches Wunderbare zu erzählen wußte, hatte ebenfalls keine Kenntniß von dieſer Geſchichte. Wir haben ein Paar Dromien Tage lang in unſeren Gläſern zwiſchen Schwämmen und Pflanzen lebendig gehabt, aber niemals geſehen, daß ſie bei ihren Abendpromenaden nach Beute ſich in der von den Zoologen ange— nommenen Weiſe ausgerüſtet hätten. Ich ſehe auch nicht ein, warum eine Beſtie, die beſchlichen werden ſoll, weniger vor einem wandelnden Seeſchwamme, als vor einem langſam ſich bewegenden Rollſteine erſchrecken ſollte, und einem ſolchen gleicht eine Dromie mehr, als etwas Anderem. Wir haben aber in unſerer neuen Zoologie noch gar manche Dinge die nicht beſſer ſind, als die Erzählungen von Plinius und Conſorten, von welchen ich Dir gleich ein recht hübſches Beiſpiel mittheilen will. Es gibt eine kleine Art von Taſchenkrebſen, die „ ie aber etwa die Größe einer Erbſe haben, und deren Leib ziemlich weich und biegſam iſt, ſo daß ſie auf irgend eine Weiſe in andern hartſchaligen Thieren eine Zuflucht ſuchen müſſen. Sie ſetzen ſich deshalb be⸗ ſonders in mancherlei Arten von Muſcheln, zwiſchen deren Klappen ſie vollkommen gut aufgehoben ſind, und man mag wohl ſelten ein Exemplar der Steck- muſchel herausziehen, welches nicht ein Paar ſolcher Gäſte beherbergte. Dieſe Thatſache war den Alten recht wohl bekannt; ſie nannten den Krebs den „Muſchelwächter,“ (Pinnotheres) und da ſie in alle Verhältniſſe der Natur etwas Menſchliches hinein- trugen, ſo hatten ſie auch eine recht hübſche Theorie zur Erklärung dieſer Thatſache gefunden. Sie ſagten nämlich, es exiſtire eine Art von Bündniß zwiſchen der Muſchel und dem Krebschen, in welchem die eine die materielle Stärke, das andere die Intelligenz repräſentire. Die Muſchel, behaupteten ſie, habe weder Augen noch Ohren, könne ſich nicht vom Platze bewegen, und ſei deshalb allen feindlichen Angriffen ausgeſetzt, wenn dieſe nur plötzlich genug kämen, um die Muſchel bei geöffneter Schale zu überraſchen. Gegen dieſe Unvollkommenheit ihrer Organiſation ſchütze ſie die Freundſchaft des Krebſes, e welcher beſtändig mit wachen Augen und offenen Ohren an dem Rande der Schale Wache halte, und beim Nahen eines Feindes die Muſchel kneipe, worauf denn dieſe ihre Schale ſchließe und ſo ſich gegen den Angriff wappne. Auch wenn irgend ein zur Nahrung taugliches Thier ſich zwiſchen die Schale verirre, gebe der Krebs durch einen Kniff ein Zeichen, und erhalte dann von der Muſchel, die ihn zum Lohne beherberge, einen Theil der Beute. Gegen eine ſolche Erzählung haben ſich unſere neueren Naturforſcher mit ungemeiner Energie em— pört, und vollkommen nachgewieſen, daß ein jeder Organismus ſich ſelbſt genüge, und gar nicht die Rede davon ſein könne, ſolche auf wechſelſeitige Dienſte gegründete Freundſchaft in der Natur anzu— nehmen. Wir glauben ihnen das recht gerne und wollen uns gegen die Schlüſſe, welche ſie gezogen haben, nicht im Geringſten auflehnen. Wird aber dadurch, daß fie die Erzählung der Alten zurück- weiſen, die ihrige von der ſo abſurdliſtigen Dromia etwa glaubwürdiger? Noch weit eher würde ich ſolche Abſichten bei den ſ. g. Dreieckkrabben vorausſetzen, von denen ein Geſchlecht, Maja, hier in zahlloſen Exemplaren 0 vorkommt. Die Beine dieſer Thiere find lang und ſpinnenartig. Der Körper nach Vornen ſpitz, nach Hinten meiſt breit, aber mit abgerundeten Winkeln. Vornen ſtehen ein Paar ſtarke Spitzen hervor, an denen man ſich leicht verwundet und Körper wie Beine ſind mit langen borſtenartigen Haaren, mit Dornen und Spitzen beſetzt, die nach allen Seiten hinausſtarren. Das ſind die wahren Struwwelpeter unter den Cruſtaceen! Polypen, Seepflanzen, Röh⸗ renwürmer, zuſammengeſetzte Aſceidien, Muſcheln und Schnecken bauen ſich auf der Oberfläche dieſer Beſtien an, die beſtändig einen Wald von Gewächſen auf dem Rücken mit ſich herumtragen, und ausſehen, als gehörten ſie zu der Armee von Duncans Söhnen, als ſie Macbeth's Schloß ſtürmte. Dieſe Majen ſind wirklich, freilich wider ihren Willen, vollkommen maskirt, und man könnte allein mit den Objecten, die man von ihrem Rücken ablauſte, das Studium vieler Tage füllen. Alle die lang— beinigen, ſpinnenartigen Taſchenkrebſe, die Borſten, Haare und Stacheln tragen, ſind ſtets mit ſolchen Aufſätzen und paraſitiſchen Organismen über und über beſetzt, und man erkennt ſte oft nicht eher, als bis man ſie ſich bewegen ſieht, wo denn aus dem . ungeſtalteten Haufen von Blättern und Polypen⸗ ſtöcken ſich nach allen Seiten hin lange Spinnen⸗ beine hervorſtrecken, und das ganze räthſelhafte Weſen ſich in zappelnder Bewegung fortzuſchieben ſucht. Die höheren Cruſtaceen, Krebſe und Krabben ſcheinen überhaupt dazu beſtimmt, die Organe des chriſtlichen Polizeiſtaates in dem Meere zu reprä⸗ ſentiren. Einige derſelben, und dies ſind meiſt die großen und glatten Seekrebſe mit langen Schwänzen, unendlichen Fühlhörnern und ſtarken Scheeren, die Hummer, Languſten, Scyllaren, Galatheen und wie ſie alle heißen mögen, tragen oft glänzende Uni⸗ formen, und tyranniſiren ſelbſt kleinere Fiſche auf graufame Weiſe. Die langſamer beweglichen Krab⸗ ben haben mehr die niedere Polizei auf dem Grunde. Sie ſtöbern beſtändig unter Steinen und Tangen umher, und wehe dem armen Viehe, das ſie unter⸗ wegs antreffen. Sie finden gewiß irgend welchen Grund, es in Strafe zu nehmen, und ſolche Strafe muß jedes Mal mit dem Leben gezahlt werden. Und nun gar das Heer der paraſitiſchen Cruſtaceen, die ſich an ihre Beute feſtheften, und fie nicht eher loslaſſen, als bis der Tod die armen Verfolgten erlöſt. Kann man ſie nicht identificiren mit jenen Vogt's Briefe. II. ö 7 — 3 Hetzhunden der geheimen Polizei, welche den politiſch 1 Anrüchigen angehängt werden, und ihnen nachfolgen müſſen auf ihren Winkelzügen, ohne ſie einen Mo⸗ ment aus ihren Augen zu laſſen? — Doch Spaß bei Seite! Die Cruſtaceen haben wirklich eine höchſt eigenthümliche Rolle in der Oeconomie des Meeres, die etwa derjenigen gleicht, welche Aasgeier, Schweine und Hunde in den Gegenden übernommen haben, wo die Polizei ſich nicht auf den Schmutz der Straßen erſtreckt. Die Cruſtaceen freſſen Alles, mit beſonderer Vorliebe aber faulende, verweſende Stoffe, weßhalb man ſie auch mit ſtark riechenden Subſtanzen außerordentlich leicht ködert Mit ihren vielen Beinen, Freßſpitzen und Kaufüßen durchſtöbern ſie jeden Winkel, und ſind in beſtändiger Activität, welche durch ihre ſtete Unerſättlichkeit andauernde Anregung findet. Ein freſſender Krebs bietet wirklich ein ſeltſames Bei⸗ ſpiel. Der Mund iſt ſo beſetzt mit zahlreichen Anhängſeln, die von den Seiten her einander in die Hände arbeiten, daß man kaum weiß, wie die Nahrung zwiſchen ihnen durchkommen ſoll. In welcher Mannigfaltigkeit find dieſe Organe ausge⸗ 7 bildet! Das eine Paar beſitzt lange, etwas weit aus⸗ einander ſtehende Borſtenhaare, welche wie der Rechen eines Mühlwerkes dazu beſtimmt ſcheinen, das Eingehende durchzuſieben und Ungehdriged ab⸗ zuhalten. Ein anderes Paar dieſer Anhänge trägt feine Bürſten, jenes hackenförmige Krallen, dieſes meſſerartige Schneiden, Sägezähne und andere Waffen dieſer Art, welche zur Zerkleinerung beſtimmt ſind. Unſere Inſtrumente ſind wahrlich armſelig gegen dieſe Mannichfaltigkeiten von Kauapparaten, welche ein ſolches Individuum mit ſich herumträgt, und vielleicht könnten Löffel, Meſſer und Gabel noch um einige höchft zweckmäßige Inſtrumente vermehrt werden, wenn unſere Fabrikanten und die Tonan⸗ geber der feinen Welt bei den Eruſtaeeen einige Modelle entnehmen wollten. Du haſt mir ſchon oft geklagt, daß es Dir un⸗ möglich wäre in die große Klaſſe der Kruſtenthiere einen leitenden Gedanken zu bringen, und daß Du Dich vergebens bemüht hätteſt, die mannichfaltigen Formen derſelben in eine ſolche Ordnung zu bringen, daß ihr gegenſeitiges Verhältniß ſich klar heraus⸗ ſtellte. Es iſt mir vielfach ebenſo gegangen, wie Dir, und trotz langer Unterredungen mit Milne⸗ Edwards, der die Krebſe beſſer als irgend Jemand e kennt, bin ich ebenfalls noch zu keinem Reſultate gekommen, welches mir ſelbſt genügen könnte. In⸗ deſſen glaube ich, daß die Entwicklungsgeſchichte auch hier in dieſes Chaos Aufklärung bringen werde, und daß ſich jetzt ſchon mit Sicherheit Manches ſagen läßt, wozu eben die Entwicklungsgeſchichte den Schlüſſel gibt. Du brauchſt nur Waſſer aus der erſten beſten Lache zu ſchöpfen, um darin eigenthümliche, kleine Krebsthierchen zu finden, welche man ihres hüpfen⸗ den Schwimmens wegen „Waſſerflöhe“ genannt hat. Es haben dieſe Thierchen, die in ungemeiner Menge in allen ſüßen Gewäſſern vorkommen, einen aus vielen Ringen beſtehenden Körper, der meiſt etwas buckelförmig gebogen, und an ſeinem vorderen Ende mit einem einzigen Auge verſehen iſt, welches einen ziemlich bedeutenden Umfang hat; weßhalb denn auch der Name Monoculus oder Cyclops dem Thierchen nicht mit Unrecht beigelegt worden iſt. Auſſer dem einfachen Auge beſitzen dieſe Cyelopen mehre Paare von borſtigen Ruderfüßen, die, wie es ſcheint, zu⸗ gleich als Bewegungsorgane und als Athemorgane dienen. Wenigſtens läßt ſich kein anderes Kiemen⸗ organ an dem Körper entdecken. Die Eier werden u von den Thierchen in zwei mehr oder minder langen Säcken an dem hinteren Theile des Körpers ge— tragen, und meiſt kannſt Du ſchon mit bloſem Auge im Sommer die Weibchen an dieſen An- hängen erkennen. Von dieſer Grundgeſtalt aus kannſt Du eine lange Reihe von Formen entwickeln, die in ihrem endlichen Zuſtande zwar ungemein verſchieden find, im Beginne aber alle die Geſtalt und Organiſation jener Monokeln ſo täuſchend nachahmen, daß man zuweilen ſelbſt verſucht ſein könnte, ſie für aus⸗ gebildete Thiere dieſer Gattung zu halten. Die Monokeln ſelbſt entwickeln ſich in der Weiſe, daß ihre verſchiedenen Fußpaare erſt nach und nach her⸗ vorſproſſen, ſo daß alſo die Jungen anfangs nur mit einem Ruderpaar die Eihülle verlaſſen und nach und nach erſt, während ſte frei umherſchwimmen, die Zahl derſelben ſich vermehrt. Man muß alſo auch dieſe embryonale Entwicklungsreihe in den Kreis der Betrachtungen ziehen, wenn man die Formen verſtehen will, welche ſich durch dieſes bin⸗ dende Glied aneinander reihen. | Unterſuchſt Du nun, welche Abtheilungen der Cruſtaceen embryonale Formen beſitzen, die der ent⸗ — 102 — wickelten Geſtalt der Monokeln ähneln, b ſo triffſt Du zuerſt auf zwei höchſt eigenthümliche Abtheilun⸗ gen, in welchen eine Modification der einzelnen Körpertheile eintritt, die man wohl als beiſpiellos bezeichnen dürfte. Zuerſt begegneſt Du der Reihe der paraſitiſchen Cruſtaceen, die beſonders an den Kiemen der Fiſche ſchmarotzend ihr Leben zubringen, und Alle wenigſtens den Character beibehalten, daß ihre Eier in langen Säcken an dem Hinterleibe der Weibchen getragen werden. Bei den meiften dieſer Thiere gehen nach und nach die Augen ver- loren, der Mund wandelt ſich in einen röhrenförmigen Saugmund um, die Füße verlieren allmählig ihre Rudergeſtalt und werden zu Haken und Krallen umgebildet. So ſchreitet die Rückbildung der ein— zelnen Organe ſtets mehr und mehr vor, und bei der verkümmertſten Familie, den Lernäen, findet ſich im ausgebildeten Zuſtande meiſt nur noch ein wurſt⸗ förmiger Körper ohne deutliche Querringe, ohne Augen, Fühlhörner und Füße, welche in ſcharfe Hakenkrallen zum Anheften verwandelt ſind. Das Thier bietet dann ſolch abweichende Geſtalt, daß Cuvier es noch zu den Eingeweidewürmern, nicht aber zu den Gliederthieren und Cruſtaceen rechnete. — 103 — Es wäre wohl der Mühe werth, einmal dieſe all— mähligen Umwandlungen der Glieder näher als dies noch geſchehen, in das Auge zu faſſen, da hier die ſtaunenswertheſten Methamorphoſen vorkommen, von denen die ſyſtematiſche Zoologie bis jetzt nur wenig Gebrauch machen konnte. ö Eine zweite Entwicklungsreihe der Cyclopenform findet ſich in den Balanen und den übrigen Ran⸗ kenfüßern oder Cirrhipedien, über deren Stellung man früher ebenfalls große Zweifel hegte. Ich weiß nicht, ob ich Dir damals erzählt habe von St. Malo aus, daß ich einmal mehrere Balanen mit nach Hauſe brachte, um mir ihre Lebenserſcheinungen näher zu betrachten, und daß Eines dieſer Thiere während ſeiner Gefangenſchaft eine Menge von Eiern legte, die jedesmal mit dem ausgeſtoßenen Athemwaſſer hervorgetrieben wurden. Es waren kleine weißliche Körper von ovaler Geſtalt, die wie ein Strahl von höchſt feinem Sande aus der Athem⸗ öffnung hervorkamen, und die ich anfangs unbe— achtet ließ, da ich ſie eher für Excremente als für Eier hielt. Nach einiger Zeit aber glaubte ich eine gewiſſe Bewegung an den winzigen Dingelchen wahrzunehmen, und als ich fie unter das Mikroſkop — 104 — brachte, ſah ich zu meiner nicht geringen Freude theils Eier mit entwickelten Embryonen, theils Junge vor mir, welche eben die Eihülle verlaſſen hatten, und mit ihren Ruderfüßen recht lebhaft umher⸗ ſchwammen. Ich zeichnete die Jungen in dieſem Zuſtande, und fand ihre Aehnlichkeit mit entwickelten Cyelopen außerordentlich groß. Sie hatten wie dieſe ein einziges Auge mitten auf der Stirn, und drei Paar Ruderfüße mit langen Borſten, die ganz ſo gegliedert erſchienen, wie die Ruderfüße der Cy⸗ clopen. Man kennt die Uebergänge, wodurch ſich dieſe Embryonen zu ausgebildeteren Rankenfüßern um- wandeln, durch ſehr ſchöne Unterſuchungen Bur⸗ meiſter's in Halle jetzt ſo ziemlich im Großen. Man weiß, daß ſie ſich mit der Rückenfläche, den Kopf nach Unten feſtſetzen, ihr Auge und die complieirten Freßwerkzeuge verlieren, und daß ihre Füße ſich in lang zuſammengerollte Ranken verwandeln, welche nur noch zum Haſchen der Beute, nicht aber zur Bewegung dienen. So verbinden ſich denn durch die Cyclopen eine Menge von abweichenden Formen zu einem gemein- ſchaftlichen Typus, der von derſelben Grundform — 105 — ausgehend zu den abweichendſten Geftalten führt, welche eine bizarre Phantaſie hätte erſinnen können. Wenn Du alle Formen, welche von dem angeführten embryonalen Typus ausgehen, von der Menge der übrigen Kruſtenthiere abziehſt, ſo wirſt Du ſchon ſehen, daß die Ueberbleibenden in ſich überein⸗ ſtimmendere Geſtalten zeigen und die große Mannich⸗ faltigkeit weniger Grundverſchiedenheiten darbietet, als man anfangs hätte glauben können. Bei einer anderen Gruppe verlaſſen Dich zwar bis jetzt die aus der Embryologie genommenen That⸗ ſachen ſo ziemlich; allein hier gelingt es vielleicht auf andere Weiſe zu ſuppliren. Es giebt in den älteren Schichten der Erde eine überraſchende Menge eigenthümlicher Cruſtaceen, welche man Trilobiten genannt hat, weil ihr Rückenſchild durch zwei Längs⸗ rinnen in drei parallele Abtheilungen zerfallen ſcheint. Dieſe Trilobiten waren die einzigen Cruſta⸗ ceen jener Meere, aus welchen ſich die älteren Ge⸗ bilde der Grauwacke, der Dachſchiefer des alten rothen Sandſteines ꝛc. abſetzten. Sie kommen in dieſen Schichten in den mannigfaltigſten Formen und oft in ſo ungemein großer Anzahl vor, daß das Ge⸗ ſtein förmlich nur aus ihnen gebildet erſcheint. Dieſe er Thiere hatten gewiß keine eigentlichen Füße, ſondern nur blattartige Anhänge unter dem Körper, die zugleich als Bewegungs- und Athem⸗Organe dienen. Du wirſt wohl ſchon öfter in den Sümpfen und ſtehenden Gewäſſern ſ. g. Kiemenfüße oder Blatt⸗ füße (Apus cancriformis) geſehen haben, die zu⸗ weilen nach einem Regen im Frühjahre und Sommer in ungeheurer Menge plötzlich erſcheinen und ebenſo plötzlich wieder verſchwinden. Ich erinnere mich noch aus meiner Knabenzeit, daß man einmal nach einem warmen Regen in der Nähe der Stadt an einem beſuchten Pfade in einer zufällig gebildeten Lache eine ſolche Unzahl von dieſen Thieren antraf, daß die ganze Stadt darüber in Beſtürzung gerieth, und die abergläubiſchen Gemüther die entſetzlichſten Dinge aus dieſer Erſcheinung weiſſagten. Die Thiere ſelbſt haben etwa die Länge eines halben Fingers, find glatt, und von einem einzigen ovalen Rüden- ſchilde gedeckt, das hinten ausgeſchnitten iſt, um dem kurzen geringelten Schwanze Spielraum zu geben, der zu beiden Seiten zwei lange fadenförmige An- hänge trägt. Auf dem vorderen Theile des Schildes ſtehen drei einander genäherte Augen, die faſt eine Maſſe bilden. Dreht man das Thier um, ſo erblickt a man an dem hinteren Theile des Körpers eine Menge zarter blattartiger Anhänge, die in zwei queren Reihen einander folgen, und in unaufhörlich ſchwingen⸗ der Bewegung ſind. Nach vornen zu finden ſich unmittelbar hinter dem Munde ein Paar ungeſtal— teter Ruderfüße, welche drei kurzgegliederte Anhänge beſitzen, die lange genug ſind, um zu beiden Seiten des Schildes mit ihren Enden hervorzuragen. Man kennt auch Einiges von der Embryologie dieſer Thiere, und man weiß, daß ihre Larven zwar ein Paar borſtige Ruderfüße beſitzen, ähnlich denjenigen der Cyclopen, daß fie aber gleich von Anfang an fih ſchon durch den Beſitz blätteriger Anhänge unter dem Bauche unterſcheiden. Die Blattfüße nebſt ihren Verwandten, welche ebenfalls meiſtens in ſüßen Gewäſſern vorkommen, ſcheinen mir die letzten Glieder jener gewaltigen Schöpfung zu bilden, die in den Trilobiten ihren Anfang nahm. Wir kennen in der heutigen Schöp⸗ fung, wenigſtens nach den jetzt vorhandenen That— ſachen keine höheren Formen, welche ſich etwa aus dem Typus der Blattfüße entwickeln ließen, und ſo viel wir wiſſen, gibt es auch keine Embryonen an⸗ derer Krebſe, welche in ihrer Jugend etwa Geſtalten un darböten, die den Blattfüßen in ähnlicher Weiſe nahe kämen, wie die Jungen der Rankenfüßer und der Paraſiten, den eyklopenartigen Thieren. Es ſtehen alſo die Plattfüßer als iſolirte Gruppe unter den Cruſtaceen da. Was ich mit den übrigen Ordnungen der Cru⸗ ſtaceen anfangen ſoll, weiß ich in der That nicht recht. Alle zehnfüßigen Cruſtaceen, kurz- wie lang⸗ ſchwänzige, gehören offenbar demſelben Typus an, zu dem auch meines Erachtens die Heuſchreckenkrebſe und die Flohkrebſe gehören. Die Enwicklungsge— ſchichte des Flußkrebſes, welche Rathke geliefert hat, weiſt dieſes auf das Ueberzeugendſte nach, indem ſie zeigt, daß die allmähligen Entwicklungsſtadien dieſes Thieres mit den in den genannten Krebſen ausge— prägten Formen eine große Uebereinſtimmung bieten. Dagegen fehlen uns alle Anhaltspunke für diejenigen Formen, welche mit unſeren gewöhnlichen Aſſeln übereinſtimmen, und es bleibt nichts übrig, als auch dieſe vor der Hand als einen eigenthümlichen Typus zu betrachten, deſſen Verbindung oder ſpätere Gel- tendmachung den Unterſuchungen einer künftigen Zeit vorbehalten bleiben muß. Ich habe Dir an dem Beiſpiele der Kruſten⸗ we — 109 — thiere nachzuweiſen geſucht, in welcher Weiſe man meiner Anſicht nach die ſyſtematiſche Zoologie behan⸗ deln müſſe, wenn ſie ein wirkliches Bild der Typen geben ſoll, die ſich in den verſchiedenen Formen des Thierreichs erkennen laſſen. Es kommt hier nicht auf das Verhältniß der ausgebildeten Thiere an, welche jo mannichfaltige Aenderungen in ihren ganzen Organiſationen erleiden, daß nur hier und da ein Anhaltspunkt gewonnen werden kann, der auch dann noch trügeriſch iſt, wenn er nicht in der Vergleichung anderer Typen eine Stütze findet. Es beruht vielmehr dieſe ganze Umgeſtalt ung der Zoo⸗ logie auf dem einfachen Satze, daß Thiere, welche demſelben Typus angehören, ſich auch in entſprechen⸗ der Weiſe entwickeln, und daß ihre Verſchiedenheiten erſt im Laufe dieſer Entwickelung nach und nach auftreten und immer mehr und mehr ſich heraus⸗ bilden, je länger dieſe Entwickelung dauert. Deß⸗ halb ſind die Embryonen derjenigen Thiere, welche zu demſelben Typus gehören, einander um jo ähn⸗ licher, je jünger ſie ſind, und aus dem gleichen Grunde auch gibt ſich die Verſchiedenheit der größe- ren Typen des Thierreiches um ſo früher zu erkennen, je weiter dieſelben von einander entfernt ſind. — Eine Ahnung dieſes Geſetzes brachten ſchon die erſten embryologiſchen Unterſuchungen, die in der Wiſſenſchaft der letzten Jahrzehente eigentlich erſt Platz griffen. Allein ſie wurde um ſo eher miß⸗ verſtanden, als man damals, in Deutſchland wenig⸗ ſtens, an der Idee feſthielt, daß allen Geſtaltungen des Thierreiches nur ein einziger allgemeiner Plan zum Grunde liege, deſſen verſchiedene Modificationen ſich in dem höchſten Thiere, dem Menſchen, gleich- ſam ſammelten, und in den einzelnen Punkten ſeiner Organiſation reflectirten. Man überſah dieſer Anſicht zu Liebe, daß ſich von Anfange an typiſche Grundverſchiedenheiten in den Embryonen heraus— ſtellten, welche in der ganzen Organiſation für immer ausgeprägt blieben und niemals ſich reduciren ließen. Man überſah, daß einige allgemeine Merk⸗ male hinreichten, um den Embryo eines Wirbel- thieres in jedem Falle zu erkennen, und von dem eines Gliederthieres, oder eines Molluskes ſtets und unter allen Umſtänden auf das Beſtimmteſte zu unterſcheiden. Behält man dieſe Thatſache im Auge, und ſucht man, von ihr ausgehend, den Grad der Verwandſchaft zu entwickeln, welcher unter den ver⸗ ſchiedenen Thieren herrſcht, To kann man auf die — 111 — leichteſte Weiſe die Frage löſen, wenn nur das Material, das die embryologiſche Unterſuchung liefern ſoll, in genügender Menge und hinreichender Schärfe vorhanden iſt. Du haſt geſehen, daß es uns leicht war, die Rankenfüßer und die Parafiten an dem ihnen gebührenden Orte einzureihen, weil wir ihre Embryonen kannten, ein Reſultat, welches ohne dieſe Kenntniß niemals erreicht werden konnte, jetzt aber ſich ohne Weiteres von ſelbſt verſtand. Ein Gleiches würde auch mit den übrigen Krebſen der Fall ſein können, wenn ihre Entwicklungsge⸗ ſchichte nur in ähnlicher Weiſe gekannt wäre, und alle Hypotheſen, alle noch fo geiſtreichen Combi⸗ nationen können uns nicht über dieſen Mangel der Thatſachen hinweghelfen. Das iſt eben der große Vorzug der Naturwiſſenſchaften, daß ſie die Hypotheſe entbehrlich machen, ſobald eine gewiſſe Summe von Thatfachen vorhanden iſt, aus denen das Reſultat ganz von ſelbſt hervorgeht, und daß die Menge der Thatſachen nur dann verwirrend wirkt, wenn fie unvollſtändig iſt. % Nizza, den 1. Februar 1847. Mein lieber Rahl! Endlich find wir jo weit, daß ich Dir unſere Ankunft zu dem Carneval melden kann. Dein Manfred, deſſen Lob uns ſchon die hieſigen Zeitungen brachten, wird wohl die Gaſtfreundſchaft des Aus⸗ ſtellungslocales an der Porta del popolo noch ſo lange in Anſpruch nehmen können, bis wir ihn mit eigenen Augen bewundert haben. Ich freue mich um ſo mehr darauf, als ich die kleine Skizze, die Du in Paris eines Tages zuſammenpinſelteſt, noch lebhaft im Gedächtniß habe, und als Embryologe ungemein geſpannt bin, zu ſehen, in welcher Weiſe das neugeborene Kindlein ſich zum Manne ent⸗ faltet hat. Wir haben unterdeſſen grauenhafte Pläne ge⸗ ſchmiedet, die darauf hinauslaufen, der ganzen bis⸗ herigen Malerei eine neue Seite abzugewinnen. Dichtung und Naturforſchung, in uns Beiden reprä⸗ ſentirt, haben den Plan zu einem Gemälde entworfen, das eine neue Epoche in der Kunſt bezeichnen wird, wenn die Talente des Malers in dem Kleeblatte — 58 3 nicht fehlten. So aber müſſen wir uns darauf be— ſchränken, Dir einſtweilen eine Beſchreibung à la Paſſavant des beabſichtigten Gemäldes zu geben, da es ja überhaupt jetzt nothwendig iſt, zum Ver— ſtändniſſe der Gemälde nazareniſcher und anderer Kunſtſchulen große Abhandlungen zu ſchreiben. Na— zareniſch aber ſoll das Bild werden, deß kannſt Du verſichert ſein, und Beziehungen ſollen ſich darin finden, noch weit feiner, als die Tropfen des Over— beckiſchen Waſſers, womit die verſchiedenen Künſte und Wiſſenſchaften in ihr wahres Verhältniß zu der Religion geſetzt werden. Ueber die Tendenz des Bildes (denn Tendenz muß es haben) haben wir freilich noch nicht völlig einig werden können. Wir ſind zwar der Anſicht geweſen, daß es nothwendig ſei, neue Stoffe in die Malerei einzuführen, und der ſogenannten Hiſtorien⸗ malerei einen naturwiſſenſchaftlichen Grund unter- zuſchieben. Die Hiſtorienmaler haben bis jetzt nur eine ſehr geringe Auswahl von Geſchöpfen gehabt; — Menſchen, Pferde und Hunde bilden das ganze Magazin des profanen Zweiges derſelben und nur die Heiligenmaler können ſich des Vorzugs rühmen, noch einige andere fabelhafte Figuren zur beſſeren Vogt's Briefe II. 8 be T f 1 Br 114 Pr Ausſtaffirung ihrer Schildereien erfunden zu haben. Ich rede hier nicht von den entſetzlich langen Händen, den linienartig geſchnittenen Augen und den platten Buſen, welche der Malerei nothwendig den Stempel der Frömmigkeit aufdrücken. Es gehört zu dieſem Mobiliar auch noch die Sammlung von Engeln, Cherubim, Seraphim und anderen ideellen Weſen, die gegen alle Principien der vergleichenden Anatomie zuſammengewürfelt find. Daß die Flügel nur Modi⸗ ficationen der Arme find, ſcheint unſeren Nazare⸗ nern vollkommen unbekannt, ſie malen friſch darauf los menſchliche Weſen, die zwei Paar Arme haben, ein Paar wirkliche, und ein Paar modificirte, näm- lich Flügel, und glauben dadurch, daß fie den be— ſtimmteſten Geſetzen der Natur ein Auge ausſchlagen, der Frömmigkeit einen bedeutenden Vorſchub ge— leiſtet zu haben. Und nun gar dieſe Köpfe, die mit zwei Flügeln leben ſollen! Sprechen dieſe nicht der ganzen Natur, Allem, was wir von der Structur des thieriſchen Weſens wiſſen, den offenbarſten Hohn? Leſen denn dieſe Unglücklichen den Göthe nicht und beherzigen ſie nicht den ſchönen Vers: Und wenn er keinen Hintern hat Wie kann der Edle ſitzen? - 1 Bewahre! Alles dieſes rührt unfere Nazarener nicht im Geringſten, ſie fahren fort, die Mißgeburten einer verſchrobenen Phantaſie auf die Leinwand zu kleckſen und prätendiren, daß wir bei deren Anblick gerührt ſein ſollen. Deßhalb beſchließen wir, in unſerem Tendenz⸗ bilde nicht vorneherein unſere naturwiſſenſchaftlich gebildete Zeit zu beleidigen, und uns ſtreng an die Natur ſelbſt zu halten. Das Material, aus dem wir da zu wählen haben, liegt in Maſſe vor uns. Wir können Thiere mit ſechs, acht, zehn und mehr Beinen, mit hundert Augen uns ausleſen und auf dieſe Weiſe die einzelnen in die Handlung verwickel— ten Perſonen ſo innig mit einander verketten, wie es einem Hiſtorienmaler nie gelingen mag, dem nur zwei Augen, zwei Arme, und im Nothfalle zwei Beine zu Gebote ſtehen. Da ferner unſere Zeit ebenſowenig den Beruf zur Geſetzgebung (nach Herrn v. Savigny) als den- jenigen zur Erfindung neuer Compoſitionen (nach Overbeck) beſitzt, ſo haben wir beſchloſſen, uns auch hierin der allgemeinen Ueberzeugung zu fügen, und eine anerkannt tüchtige Compoſition zum Muſter zu wählen. Die Anordnung, welche Raphaels = a a a a er — 116 — Transfiguration zeigt, ſcheint uns in der That die paſſendſte, indem ſie zugleich die Verehrung ausdrückt, welche wir dieſem, obgleich von dem richtigen Wege abgewichenen Genius der Malerei, zollen. Freilich wäre es zweckmäßig geweſen, vielleicht einem älteren Maler, Fieſole oder einem noch früheren ſich an⸗ zuſchließen, der die urſprüngliche Reinheit des alt⸗ chriſtlichen Typus unverfälſcht bewahrt hat, allein der Geſchmack unſerer Zeit iſt leider ſo ſehr durch dramatiſche Effecte verzogen und verbildet, daß man ſeine Heilung nur durch allmählige Ueberführung, nicht aber durch plötzlichen grellen Sprung erwarten kann. So dürfte es denn auch unzweckmäßig er⸗ ſcheinen, in dem erſten naturwiſſenſchaftlichen Ten⸗ denzbilde jene ſtarre Trockenheit nachzuahmen, welche unſer verwöhnter Gaumen in älteren Gemälden zu finden wähnt. Das Bild ſoll den Gegenſatz ausdrücken, der in der Natur zwiſchen höheren, durchſichtigen, äthe⸗ riſchen Gebilden und niederen Geſchöpfen ſich be= merklich macht. Aus dem Lichte ſtrömt die Klar⸗ heit, und dieſer von Oben herabkommenden Klar⸗ heit hebt ſich die Schöpfung entgegen, die nach dem Ausdrucke der Naturphiloſophen von dem — 17 — feiten Erdkerne nach dem Lichte emporſtrebt. Deß⸗ halb beabfichtigen wir in die obere Partie des Bildes eine Art von Dreieinigkeit zu ſetzen, die in concret exiſtirender Form zugleich die Beziehun⸗ gen ausdrücken ſoll, durche welche die Meeresbe⸗ wohner nach der lichten Oberfläche hinangezogen werden. Wie nun ferner der fromme Gedanke ſtets durch feine Klarheit und Durchſichtigkeit ſich vor⸗ theilhaft auszeichnet vor allen übrigen Ideeen, die aus dem Schlamme des Materialismus auftauchen, ſo erſchien es auch nothwendig, zur plaſtiſchen An⸗ ſchauung dieſes Gedankens Thiere zu wählen, die durch höchſte Durchſichtigkeit vor den übrigen vor⸗ anſtehen. In der Mitte ſoll deßhalb eine Qualle und zwar eine der größten Quallen, ein gewaltiges Rhizoſtom ſchweben. Durch die glockenförmige Ge⸗ ſtalt, welche die Scheibe dieſes Thieres beſitzt, iſt zugleich eine Andeutung gegeben auf den frommen Sinn, als deſſen tönendes Zeichen eben die Glocke betrachtet werden kann. Auch deßhalb wurde das Rhizoſtom gewählt, weil die himmelblauen Lappen ſeines Randes durch ihre eigenthümliche Farbe eine gewiſſe Sehnſucht nach Oben andeuten; während ſeine unten etwas gelappten Fangarme daran er— TRETEN — 118 — innern könnten, daß ſich ſein Stiel mit Gewalt von dem ſündhaften Boden abgeriſſen habe, und dem Zuge nach oben gewichen ſei. Die meiſten der übrigen Quallen erſcheinen als gefräßige Thiere, deren weites Maul ſtets offen ſteht; — das Rhizoſtom hingegen läßt durch die vielen engen Kanäle, welche ſeine Fangarme durch⸗ ziehen, nur höchſt verfeinerten Nahrungsſtoff in ſein Inneres eindringen, eine Eigenſchaft, welche eben- falls zu ſeiner Wahl nothwendig beitragen mußte. Da indeß ferner die Frömmigkeit ohne äußeres Symbol in einer darſtellenden Kunſt nicht möglich iſt, und nach der Meinung der Theologen der Glaube nur dann wirklich exiſtirt, wenn er ſich durch eine Gemeinſchaft der Gläubigen, durch eine Kirche mit Symbolen als Aeußerliches hinſtellt, ſo mußte auch die Kirche im Allgemeinen durch das Rhizoſtom res präſentirt werden. Es ſcheint in der That, als hätte die Wahl nicht ſinniger getroffen werden können, denn alle einzelne Nahrungskanäle des Thieres fließen in einen großen Magen zuſammen, ſeine ganze Maſſe iſt glasartig und durchſichtig und bei dieſem ſcheinbar unſchuldigen Aeußeren iſt den⸗ noch ſeine Oberhaut mit neſſelnden Spitzen bewaff- — 119 — net, welche demjenigen, der es berührt, juckende Flecken zurücklaſſen. Von dem Rhizoſtom ſoll alles Licht ausgehen, welches das Gemälde überſtrahlt. Allein die viel⸗ ſeitige Entfaltung, deren unſere Grundidee fähig iſt, konnte nicht in einem einzigen Repräſentanten zur vollſtändigen Anſchauung gebracht werden. Deßhalb wurden denn in pyramidaliſch ſchöner Gruppirung zu beiden Seiten noch zwei Geſtalten angebracht, welche ebenfalls höherer Vollendung zuſtrebend ſich im höchſten Glanze des Rhizoſtoms ſpiegeln. Links eine einſame Firola. Die dunkelbraunen Augen nach Oben gerichtet, ſchwebt fie mit eingezogenem Rüſſel dem Ziele entgegen. Dieſer Rüſſel, der ſtets um⸗ her wühlt, der eine ftachelihe Zunge in ſich ge= wunden birgt, welche auf die Beute hervorgeſchnellt werden kann, läßt er nicht eine Menge von Be⸗ ziehungen entdecken, deren Ergründung wir dem aufmerkſamen Beſchauer füglich überlaſſen mögen? | Auf der anderen Seite ſchwebt eine Stepha⸗ nomie. Das Thier mit ſeinen hundert Mäulern, die beſtändig nach allen Seiten hin angeln, mit ſeinem contractilen Stiele, der bei der winzigſten Berührung zuſammenſchnurrt, um ſich ſpäter zu — 120 — — fabelhafter Länge auszudehnen, mit der großen An⸗ zahl von Schwimmglocken, welche in beſtändiger Bewegung find, iſt es nicht das ſchönſte Emblem des Socialismus in der alten Kirche, der an ge— meinſamen Faden ſo viele freſſende Mäuler befeſtigt hatte und in den Klöſtern Tag und Nacht die Bet⸗ glocke zog? Du ſiehſt, daß ſomit auch die einzelnen Richtungen des kirchlichen Lebens in vollſtändiger Weiſe angedeutet ſind, indem die Firola das ein⸗ ſiedleriſche, die Stephanomie hingegen das ſociale Element des Mönchsglaubens repräſentirt. Unter dieſer im freien Waſſer ſchwebenden Dreieinheitsgruppe ſoll man in unſerem Gemälde den felſigen Meeresgrund entdecken, der dieſelbe Geſtalt annehmen kann, wie der Berg Tabor in der raphaeliſchen Transfiguration. Auf der oberen Fläche deſſelben fallen uns vor allen Dingen drei Geſtalten in die Augen, welche dieſelbe myſtiſche Drei wiederholen, die ſchon in der oberſten Gruppe benutzt worden war, und die ſich auch im Vorder— grunde noch einmal wiederholen ſoll. Iſt ja doch gerade das Zahlverhältniß, ob zwar wenig gekannt doch höchſt wichtig in der ganzen Natur und gerade die Drei eine der Zahlen, welche von weſentlichſter — 11 — Bedeutung erſcheinen. Die Gruppe alſo, welche auf der Fläche des Berges Tabor den erwachenden Apoſteln ähnlich ſich zum Lichte emporhebt, beſteht aus einigen Arten, welche alle zur Familie der Holothurien gehören. Du kennſt den Namen, welchen die italiäniſchen Fiſcher dieſen Thieren geben, und den man wohl in italiäniſcher, nicht aber in deutſcher Geſellſchaft ausſprechen darf. Um die Fruchtbarkeit in der Natur auszudrücken und plaſtiſch darzuſtellen, be⸗ durften die Alten des Phallus. Ein ähnlicher Ge⸗ danke ſollte hier ausgedrückt werden, wo es darum galt, die unerſchöpfliche Fruchtbarkeit des thieriſchen Lebens auf dem Meeresgrunde in das Gedächtniß zurückzurufen. Sie haben freilich keine ſchönen Ge⸗ ſtalten, dieſe Symbole thieriſcher Fruchtbarkeit, allein auch die Diana von Epheſus war kein Ideal weib⸗ licher Schönheit, und wurde dennoch weithin in alle Lande verehrt. Zeigt ſich in der Mitte das Symbol, ſo tritt uns auf beiden Seiten das Reſultat dieſer thieriſchen Fruchtbarkeit entgegen. Denn was die Vereinigung Großes A erſchaffen kann, zeigen uns die Korallen- thiere und Polypen, kleine winzige Thierchen, un⸗ ſcheinbaren Gallertklümpchen gleich, die mit raſtloſem — 12 — Eifer aus der Vereinigung von Millionen von In⸗ dividuen jene gewaltigen Riffe hervorgehen laſſen, an welchen die künſtlichen Schiffe der Menſchen wie an Felſen zerſchellen. Die Kolonieen dieſer Thierchen haben Berge geſchaffen, Thäler ausgefüllt und auf die Beſchaffenbeit der Erdoberfläche den größten Einfluß ausgeübt, der Menſch aber trotz aller ſeiner Rieſenwerke, trotz aller ſeiner Anſtren⸗ gungen hat noch nicht ſoviel erreichen können, als dieſe unſcheinbaren Weſen, deren er Tauſende mit dem Tritte ſeines Fußes zermalmen kann. Deßhalb ſollen auch auf unſerem Gemälde einige Korallen⸗ ſtöcke ganz oben auf den Berg Tabor gepflanzt werden, nur um dadurch anzudeuten, welch große Reſultate durch eine zweckmäßige ſociale Vereinigung erzielt werden können, beſonders wenn dieſelbe, wie hier, von dem Lichte der Frömmigkeit beftrahlt wird. In dem Vordergrunde ſoll das Auge zuerſt an⸗ gezogen werden durch eine Gruppe von drei Perſonen, welche der Lichterſcheinung im oberen Theile des Gemäldes ihre ungetheilte Aufmerkſamkeit zuwenden. Wir glaubten anfangs auch hier vollſtändig die ra= phaͤeliſche Diſpoſition der Transfiguration beibehalten zu koͤnnen, allein bei näherer Betrachtung des Pla⸗ — 123 — nes mußen noch mehrfache Figuren hinzugefügt wer— den, um die Räume vollſtändiger zu füllen. Die großen Faltengewänder, mit welchen Raphael ſeine Figuren umhüllt hat, geben denſelben etwas Maſ— ſenhaftes und dadurch ſchon Imponirendes; da aber die Meerthiere höchſt unanſtändiger Weiſe alle nackt gehen, ſo es mußte der Magerkeit der Compoſttion durch eine Vermehrung der handelnden Individuen einigermaßen abgeholfen werden. So iſt denn die mittlere Gruppe aus drei Krebsarten zuſammenge⸗ ſetzt, welche ſich in begeiſtertem Schwunge auf ihren Schwänzen in die Höhe richten und mit ihren lang⸗ geſtielten Augen das Rhizoſtom anſtaunen. Einerſeits ein ächter Langſchwänzer mit breiten blattartigen Fühlern und gewaltigen Krallenfüßen, ein Scyllas rus, den wir längere Zeit in Nizza als Hausthier auf dem Stubenboden herumkriechen ließen. Es war ein recht intereſſanter Kerl, der wahrſcheinlich bei einer verliebten Abendpromenade mit ſeiner Frau Gemahlin zugleich in das Netz gerathen war, und ſein Mißbehagen, ſich auf trockenen Teppiche zu be⸗ finden, durch lebhaftes Klatſchen mit dem Schwanze zu erkennen gab. Die kleinen amethyſtblauen Fühl⸗ hörner, welche vornen an feinem Kopfe ſtanden, — 124 — trug er meiſtens nachläſſig vor dem Maule herab- gekrümmt, und mit ſeinen Kaufüßen ſchien er ſich beſtändig in einiger Verlegenheit zu befinden, was vielleicht daher rührte, daß wir ihm nichts zu eſſen gaben, weßhalb ihm dieſe Organe ziemlich überflüſſig erſcheinen konnten. Gegenüber dieſem ziemlich großen Repräſentanten der gegliederten Waſſerthiere ſucht ſich ein Einſiedlerkrebs auf ſeinem weichen Hinter⸗ leibe in die Höhe zu richten. Die beiden Fühler⸗ paare find lang nach oben ausgeſtreckt, das grünliche Auge blickt in höchſter Spannung zu der ätheriſchen Lichterſcheinung empor; allein das Uebernatürliche dieſer Erſcheinung flößt unſerem Einſiedler, der eben erſt ſein Muſchelhaus verlaſſen hat, zugleich hohe Ehrfurcht ein. In Demuth zieht er die gewaltigen Scheeren an den Leib heran, ſenkt das gekörnte Haupt und ſcheint in dieſer andächtigen Stellung des Befehles zu harren, der ihm von oben werden fol, Sprach fih in der Geſtalt des Scyllarus mehr ein gewiſſes ſtumpfſinniges Hinbrüten, in derjenigen des Einſiedlerkrebſes dagegen andächtige Verehrung aus, ſo läßt ſich die ganze Gluth himmelanſtreben⸗ der Schwärmerei in der Stellung einer Squilla oder — 125 — eines Heuſchreckenkrebſes erkennen, welcher mehr im Hintergrunde zwiſchen den beiden genannten ſich in die Höhe richtet. Die eine Fangſcheere iſt krampf⸗ haft an den Leib gezogen, die andere nach Oben entfaltet mit beſchwörendem Ausdrucke. Jeder Muskel des gerade aufgerichteten Thieres iſt ſtramm ange⸗ zogen, und auf der letzten Spitze feiner Schwanz— floſſe erhebt es ſich, während die Kiemenruder ſeines Bauches wie von Ueberraſchung gelähmt erſchienen. Du ſiehſt, lieber Rahl, daß wir in dieſer Gruppe die verſchiedenen Eindrücke darzuſtellen verſuchen, welche ein ſo außerordentliches Ereigniß, wie eine von Frömmigkeit leuchtende Meduſe, in verſchieden geſtalteten Organiſationen hervorbringen kann. Zu⸗ gleich aber auch laſſen dieſe drei Perſonen einige Beziehungen nicht verkennen, welche freilich nicht auf den erſten Blick in die Augen treten, ſondern erſt dem Beſchauer des Gemäldes durch die Bes ſchreibung dargelegt werden müſſen. Die Gruppe iſt ähnlich derjenigen der drei Schweizer im Grütli, was ohne Zweifel darauf hindeutet, daß die Urheber des Bildes zu einer gewiſſen Zeit dem Schweizer— bunde angehörten, oder demſelben auch jetzt noch angehören. Zugleich aber führen uns dieſe drei — — Schweizer im Grütli die Idee des republlkaniſchen Staatenbundes vor die Seele und erinnern uns daran, daß ohne Erleuchtung von Oben ein ſolcher Staatenbund nothwendig den Krebsgang gehen müſſe. Dies die Hauptgruppe, welche uns in dem Vordergrunde entgegentritt. Ueber den drei Krebſen ſchwebt als Symbol der Eintracht ein Venusgürtel mit lang ausgebreiteten Fangfäden und lebhaft ſchim⸗ mernden Schwimmplättchen, welche in allen Farben des Regenbogens ſchillern. In ihm iſt die chriſt⸗ liche Liebe zum vollendetſten Durchbruch gekommen. „Seid umſchlungen Millionen“ tönt es aus dieſem leicht hinſchwebenden Thiere uns entgegen. Dem Rufe folgt eine Colonie von Salpen, deren gelbrothe Eingeweideknäuel in erhöhtem Lichte ob der freudigen Botſchaft erglänzen. Nicht minder ſtrebt auf der anderen Seite eine gurkenartig ge— ſtaltete Beroe dem Lichte zu, das ihr von Oben entgegenleuchtet. 5 Die Colonieen feſtſitzender Meerthiere, welche ſich an jedem Vorſprunge des Felſens angeſiedelt haben, ſind ebenfalls zu freudiger Theilnahme er— wacht und geben dieſe durch mannigfaltige Aeuße— rungen zu erkennen. Die Röhrenbewohnenden Wür- Bar: Ag - IRB — mer haben fich weit aus ihren Hülſen hervorgeſtreckt, und ihre büſchelartigen Fangarme nach allen Rich- tungen hin ausgedehnt. Die Balanen haben die Deckelklappen ihres Gehäuſes geöffnet und ſtrecken die gegliederten Rankenfüße der vorwärts ſchwebenden Erſcheinung nach. Selbſt in die dunkeln Ritzen, in welchen ſich die Seeanemonen angebaut haben, iſt ein Strahl des Lichtes gedrungen, und hat ſie veranlaßt, ihre Fangarme zu entwickeln, und vor Erſtaunen den Mund weit zu öffnen. Aus der Ferne eilt ein Papier Nautilus (Argonauta) in ſtürmiſcher Eile mit ausgeſpannten Segeln herbei, um dem überraſchenden Ereigniſſe näher zu ſein. Die Seeſcheiden, deren gallertartige Gehäuſe im Vordergrunde feſtſitzen, ſcheinen in lebhafteren Farben zu erglühen, und ein großer Seeigel gibt ſich alle Mühe, mittelſt ſeiner Saugröhren und Kalkſtacheln an dem felſigen Boden ſich emporzuarbeiten. Während jo Alles Theilnahme, lebhaftes Ent⸗ gegenkommen, ja ſelbſt enthuſtaſtiſches Entzücken zu erkennen gibt, fehlt auch nicht das Element der Ver⸗ ſtocktheit, welches von dem aufgehenden Lichte ſich abwendet, und in demſelben Augenblicke, wo alle Andern von höherer Begeiſterung erfüllt ſind, ſeinen — 128 — niedrigen Begierden zu fröhnen ſucht. Ein heim⸗ tückiſcher Tintenfiſch, aus deſſen ovalem Auge der Verrath hervorblickt, hat mit ſeinen ſtarken Armen eine ſorglos herzueilende Galathee ergriffen, und iſt im Begriffe, dieſelbe ſeinem krummen Schnabel entgegenzuführen. Verzweiflungsvoll ſind die Augen des armen Krebsleins auf die himmliſche Erſcheinung gerichtet, bei welcher ſie, wenn nicht Hülfe, doch Troſt ſuchen. Die langen Scheeren ſuchen ſich irgendwo, aber vergebens feſtzuhacken, um dem Zuge des Unholds widerſtehen zu können. Weiter unten beſtrebt ſich eine hämiſche Krabbe, die aus ſicherem Verſteck herbeilt, mit ihrer krummen Zangenſcheere den Scyllarus in die Weiche zu packen und zu ſich herabzuziehen. Da haſt Du, lieber Rahl, in Worten die Skizze des Bildes, welches die neue Malerei regene- riren ſoll. Du wirſt einſehen, daß die Elemente, welche wir in dieſelbe einführen, ſo durchaus neu und unerwartet ſind, daß es einiger Zeit bedürfen wird, um ihnen Anerkennung zu verſchaffen. Die Leute ſind bis jetzt nur gewohnt geweſen, die Thierwelt des Meeres in ſ. g. Stillleben zu behan⸗ deln, in unvernünftig zuſammengewürfelten Haufen 8 — 129 — todter Fiſche und polirter Muſcheln, bei denen man höchſtens die Geſchicklichkeit des Malers und ſeinen Geſchmack in der Zuſammenſtellung der Farben be⸗ wundern konnte. Es kommt mir das gerade vor, wie wenn unſere Hiſtorienmalerei ſich darauf be— ſchränken wollte, Haufen verſtümmelter Leichen und abgeworfener Kleidungsſtücke ſo zuſammenzulegen, daß ein gewiſſer Farbeneffect dadurch erzielt wird. Wir verlangen glücklicher Weiſe mehr, und wenn wir uns auch bei Genrebildchen begnügen müſſen, ſo wollen wir doch auch in dieſen ein Stückchen Leben und nicht blos todte Dinge ſehen. Das Leben der Thierwelt aber iſt bis jetzt nur in be— ſchränktem Kreiſe aufgefaßt und meiſtens ſogar ein menſchliches Element in daſſelbe hineingelegt worden, deſſen wir unſere Compoſition vollkommen zu ent— kleiden verſucht haben. Du kannſt es darum ges wiſſermaßen ein naturwüchſiges Bild nennen. Eben dieſer Naturwüchſigkeit halber befürchte ich aber, daß unſer Beſtreben keine Nachfolger finden werde. Es geht uns wie allen Genie's, die ihrer Zeit vor⸗ auseilen. Unſer Publikum kennt die Seekrebſe nur wenn ſie geſotten ſind, und verabſcheut das übrige Gethier, von welchem es im Seebade geneſſelt und Vogt's Briefe. II. 9 — 130 — genirt wird. So muß denn eine ſchöne Idee be⸗ graben werden, ſo lange bis eine aN Genera⸗ tion fähig fein wird, ſie zu begreifen und weiter auszubilden. Hätten wir auch Deinen Pinſel zur Ausführung derſelben, und Deine Meiſterhand in Behandlung der wunderbaren Farben, welche das Gethier des Meeres uns zurückwirft, es würde nicht hinreichen, das Intereſſe eines unvorbereiteten Pub⸗ likums zu wecken. Dies mag Dir einſtweilen zum Troſte gereichen, da es den Zeitpunkt, in welchem Euer Aller Rich⸗ tung zu Grunde gehen wird, in undenkliche Zeiten hinausſchiebt. Der Carneval rückt heran. Du haſt in Deinem Briefe mich einigermaßen höhniſch ge— fragt, ob es auch mit meiner Würde verträglich ſei, ſolch tolles Treiben mitzumachen; — ich bin dar— über mit mir ſelbſt noch im Zweifel. Wenn ich aber bedenke, daß ich bis jetzt die amtlichen Feſſeln noch nicht angethan habe, ſondern noch immer als freier Proletarier der Wiſſenſchaft in der Welt umherſchweife, ſo will es mir ſcheinen, als bedürfe es kaum eines kleinen Ruckes, um Decret und Amt für ein Paar Wochen von dem Halſe zu werfen, und mich der allgemeinen Luſt zu erfreuen. Herwegh * = El re meint ohnedem, ich feie fo fleißig geweſen, daß mir ein wenig Erholung Noth thue, und da die Krone der Schöpfung der Menſch ſei, ſo müßten wir auch unſere Unterſuchungen in aufſteigender Linie mit dem Menſchen beendigen. Durch die Lecture der römiſchen Elegieen halte er ſich aber vollkommen überzeugt, daß Rom der paſſendſte Ort zu dieſem Studium ſei, und er ſtimme unmaßgeblich dafür, mit dem nächſten Dämpfer der Hauptſtadt der Welt zuzueilen. So magſt Du Dich denn einſtweilen zu unſerem Empfange vorbereiten, und Pinſel und Palette putzen laſſen, denn wir hoffen Dich ſo in Anſpruch zu nehmen „daß Dir keine Zeit zum Malen übrig bleiben ſoll. Deinen Modellen magſt Du zwar immerhin einige Beſchäftigung zuſagen, denn wir haben uns vorgenommen, als Künſtler in der Künſtlerſtadt zu leben, und der Wiſſenſchaft für einige Zeit Lebewohl zu ſagen. Die Zeit wird immer- hin noch früh genug kommen, wo wir unter das Joch zurück kriechen müſſen, und unſere Aufgabe wird jetzt ſein, an dasjenige, was uns in weiterer Ferne erwartet, ſo wenig wie möglich zu denken, und zu ergreifen, was in unmittelbarer Nähe liegt. 0 Genua, den 2. Februar. Wir haben ſeit geſtern der Naturkunde Valet geſagt, um mit friſchem Winde der Kunſt und dem Alterthume in die Arme zu eilen. Ein kleines Schiff, der Achilles, hat die beiden Cäſaren und ihr Glück wohlbehalten in der alten Hafenſtadt abge— laden, und nach vielem Laufen und Rennen in der Stadt umher, ſitzen wir nun hier bei Auſtern und franzöſiſchem Weine, um das Ende eines Feiertages zu erwarten, während deſſen die Schiffe nicht fahren können, weil die Douanen die Abfertigung verſagen. Bei ſtrömendem Regen geleitete uns geſtern der Abbé zu unſerer Nußſchale, die wir als ſchnelleres Transportmittel gewählt hatten, während wir bei ſchönem Wetter ganz gewiß die herrliche von Na— poleon angelegte Straße der Corniche eingeſchlagen haben würden, die faſt beſtändig an dem Seeufer her von Nizza nach Genua führt. So aber hofften wir, da keine Ausſicht für Aenderung des Wetters war, in einer kurzen Nacht Genua zu erreichen und zu dem Anfange des Carneval in Rom einzutreffen. Freilich bangte uns vor der Seekrankheit, der wir Beide unterworfen zu ſein glaubten, allein — 133 — zwiſchen zwei Tagen im Poſtwagen während beſtän⸗ digen Regens und einer Nacht Seekrankheit blieb keine große Wahl übrig. Unſer Schiffchen hatte nur zwei kleine Kajüten, von welchen auch nur eine mit Betten verſehen war, während die andere für das gemeine Volk nur Strohſäcke enthielt. Augenſcheinlich war das Schiff gar nicht auf weibliche Paſſagiere eingerichtet, und eine Art von Spanierin oder Portugieſin, die mit einem blonden Couſin, wie ſie ihn höchſt intereſſan⸗ ter Weiſe nannte, ihre Seefahrt machte, befand ſich in nicht geringer Verlegenheit, als man ihr ein Lager mitten unter uns übrigen Herrn anwies. Sie ſchickte ſich indeſſen in Geduld, und kletterte auf das obere Bette, während der Couſin ſich unten hinlegen mußte, und bald mit den Uebrigen um die Wette ſchnarchte. Außer dieſem intereſſanten Paare, das uns irgend eine Branche der Kunſt auszubeuten ſcheint, gehen auch noch zwei wohlgenährte Epi⸗ cier's aus Paris mit, die eine ganz lächerliche Furcht vor den Effecten des Meeres haben, und ſich dagegen mit allen möglichen Pillen, beſonders aber mit einem ungemeinen Vorrath von Orangen verſehen haben, die nach ihrer Meinung ſchon um deswillen „„ * 5 gegen die Seekrankheit ganz vortreffliche Dienſte leiſten müſſen, weil ſie an der Küſte des Meeres wachſen. Die beiden Freunde, die zuſammen in den Tagen des Juli geſtritten haben, find etwa in ähn⸗ licher Weile, wie der Coufin und die Coufine, über einander geſchachelt, und ſtören die ganze Reiſege⸗ ſellſchaft im Schlafe durch ihre beſtändige Geſchwätzig— keit. Voulez vous une orange, mon ami? Elles sont excellentes! ruft der Eine, während er in den Sack greift, dem er ſeine Südfrüchte anvertraut hat. Volontiers, mon ami, antwortete der Andere im ſchmelzenden Tone und dankt gerührten Herzens für das mitgetheilte Stück. Kaum aber glaubt man ſich auf's Neue einlullen zu können, ſo fragt Derjenige, welchem vorher die Orange angeboten wurde, wieder in ſüß einſchmeichelndem Tone: Vous partagerez une orange avec moi, mon ami? und der treue Freund erwiedert wie oben: Volontiers, très volon- tiers! Je vous remereie de coeur! So brachten die beiden alten Gewürzkrämer einen großen Theil der Nacht mit Anerbietungen von Orangen zu, bis ich ihnen endlich ſehr höflich bemerkte, daß ſie durchaus nicht berechtigt ſeien, den Schlaf der übrigen Kajütengenoſſen in dieſer Weiſe zu ſtören, — 135 — daß ihnen aber das Verdeck vollkommen zu ihren oratoriſchen Uebungen frei ſtehen würde. Anfangs verwunderten fie ſich über meine Inſolenz, und ſchienen ſich bei meiner Bemerkung nicht beruhigen zu wollen. Nach kurzer Zeit aber waren ſie ſtill und ſpäter in Genua ſo artig und zuvorkommend als ob gar nichts vorgefallen wäre. Die Genueſer Auſtern (wie Du ſiehſt, kann ich mich noch nicht ganz von der Zoologie trennen) find außerordentlich klein und unanſehnlich, während ſonſt die Auſtern des Mittelmeeres, wie namentlich die von Marſeille, eine coloſſale Größe erreichen, und zuweilen ſelbſt bis zu dem Durchmeſſer einer ausge⸗ ſtreckten Hand anwachſen. Außerdem ſind die Genueſer nicht rund und glatt, ſondern im Gegentheile läng⸗ lich und ſehr tief, während die aufliegende Schale ſehr flach und dünn iſt. Das Thier ſelbſt iſt im Verhältniß zur Schale nur ſehr klein, und der Kell— ner betrachtete uns deßwegen mit einiger Verwun⸗ derung, als wir, eingedenk der großen mittelländiſchen Auſtern, nur ein Paar Dutzend für Jeden von uns verlangten. Der Geſchmack iſt ebenfalls ganz eigen⸗ thümlich. Er hat etwas Süßliches, das aber durchaus nicht unangenehm iſt, und woran wir uns ſo ſchnell m gewöhnten, daß der Kellner des andern Morgens über unſere Virtuoſttät erſtaunte. Genua liegt ſchön, allein mit Nizza kann ich ſeine Lage dennoch nicht vergleichen, ſo manchen Einſpruch ich auch erfahren möchte. Die frühere Beherrſcherin der Meere erhebt ſich in einem maje⸗ ſtätiſchen Amphitheater, im Hintergrunde des pracht— vollen Hafens, deſſen weitläufige Räumlichkeit gar ſehr mit der geringen Anzahl von Schiffen contra— flirt, die nur in einem kleinen Theile ſich zuſam⸗ mengedrängt haben, wie wenn ſie fürchteten, ſich innerhalb des weiten Raumes zu verlieren. Die Berge ſchließen ſich ebenfalls in ſchönem Halbkreiſe um dieſen amphitheatraliſchen Bogen, der die Stadt bildet, und die Mauern und Schanzen, welche ihre Gipfel krönen, bieten ganz hübſche Anhaltspunkte in der Landſchaft. Alles dies iſt aber doch wieder zu nahe, zu ſehr in ſich geſchloſſen und gerundet, als daß man nicht ein gewiſſes beengendes Gefühl empfinden ſollte, welches die offene Gegend von Nizza unfähig iſt hervorzurufen. Da wir einen ganzen Tag vor uns hatten, um Maria Reinigung mit gebührender Andacht zu feiern, ſo wollten wir trotz des kalten Wetters, welches — 137 — über Nacht eingetreten war, uns den Blick auf den Hafen von Oben herab nicht verſagen, und ſtiegen deßhalb, ohne vorher beſtimmte Richtung, durch die engen Queerſtraßen der Stadt hinauf, wo wir hoffen konnten, zu freier Ausſicht zu gelangen. In der That erreichten wir auch nach langem Steigen ein kleines Gärtchen auf der Stadtmauer, wo man nicht nur die ganze Stadt und den Hafen zu Füßen, ſondern auch einen nicht unbeträchtlichen Theil der Küſte nach Oſten hin überblickte. Lange aber hielten wir's dort Oben nicht aus, denn der Wind war ſchneidend, und die ganze Gegend ringsum von Schnee überdeckt, der in der Ebene zwar nur einen leiſen Anflug bildete, auf den Bergen aber in ziem⸗ lich dichter Decke ſich aufgehäuft hatte. Wir waren bald genöthigt, unſern luftigen Standort zu verlaſſen, und da nach der Verſicherung der ſchwäbiſchen Kell⸗ ner, welche in dem Hotel dienen, das kalte Wetter ſchon ſeit mehren Wochen anhält, fo können wir mit vieler Zuverſicht behaupten, daß das Clima von Nizza bei Weitem wärmer und angenehmer ſein muß, als dasjenige von Genua, das doch kaum wenige Stunden davon entfernt liegt. Die mehr nördliche Lage Genua's kann gewiß wenig hierzu beitragen, 1 vielmehr mag der Unterſchied hauptſächlich darin * * 6 W * a begründet ſein, daß die Bergketten, welche die Bucht * von Nizza umgeben, zwar weiter zurückliegen, aber auch einen weit höheren und vollſtändigeren Wall bilden, als die Kette, von welcher Genua in un⸗ mittelbarer Nähe umſchloſſen wird. Die alten Paläſte Genua's zu beſchreiben, wäre einigermaßen überflüſſig, da Du in jedem Reiſe⸗ handbuche von Italien Notizen darüber findeſt. Sie ſehen aus, wie die Herrlichkeit von Genua ſelbſt, öde und halb zerfallen, und trotz aller noch übrigen Pracht iſt es unmoglich, mit Behagen in diefen leeren Marmorhallen umherzuwandeln. In einigen dieſer Paläſte gibt es Privatſammlungen von Ges mälden, die mich durchaus nicht angeſprochen haben würden, wenn ich nicht Gelegenheit gefunden hätte, mich hier mit van Dyk auf's Neue zu befreunden. Die reichen Genueſen ſeiner Zeit müſſen beſonderen Gefallen an den Porträts des berühmten Meiſters gefunden haben, denn alle Säle hängen voll von Männern, Weibern und Kindern in ſteifen gold⸗ brocatenen Gewändern, und überall erblickt man Geſichter, die nur von van Dy' gemalt fein können. Namentlich findet ſich in dem Palaſte der Prinzen . oder Marquis von Brignole-Sale das Porträt eines ihrer Ahnherrn, das unbedingt van Dyks Meiſter⸗ ſtück genannt werden kann. Der Mann ſttzt in ſchwarzer ſpaniſcher Kleidung auf einem weißen Roſſe, das gerade aus dem Bilde herausſchreitet. Er hat das Barett mit herablaſſendem Gruße abge— nommen und ſcheint nach ſeiner Gemahlin zu ſchauen, die in einem andern Bilde daneben hängt, und auch wirklich eines Blickes nicht unwerth ſcheint. Das Roß des Reiters iſt vollkommen weiß, wie ich Dir ſchon bemerkte, aber nichts deſto weniger leuchtet das freundliche Geſicht über dem hellen Pferde ſo klar hervor, daß man gewiß erſt nach einiger Zeit den Blick davon abgleiten läßt, um dann auch ein⸗ mal das Pferd anzuſchauen. In Turin findet man ein kleines Zimmer neben an der Gallerie, in wel- chem nur zwei Gemälde hängen, einerſeits ein Herzog von Savoyen, ebenfalls auf einem weißen Roſſe, und von van Dyk gemalt, und gegenüber Carl Albert, einen Schimmel reitend, von Horace Vernet. Du weißt, wie ſehr ich dieſen einzigen Geſchichts⸗ maler unferer Epoche verehre, der mir deshalb bes ſonders werth iſt, weil er mit den Geſtalten unſerer Zeit etwas auzufangen weiß, und nicht ge⸗ — 8 noͤthigt iſt, in alten Chroniken und Wappenbüchern nach Koſtümen, Mänteln und Harniſchen zu ſuchen. Horace Vernet hat aus dem Soldaten unſerer Zeit ge⸗ macht, was man daraus machen konnte und ſeine Gemälde in dem Saale von Conſtantine geben uns ein beſſeres Bild von dem Kriege in Afrika, als alle Schlacht⸗ berichte, Bulletin's und Auseinanderſetzungen der 1 franzöſiſchen Journale. Ich kann wohl ſagen, daß ich dieſe Gemälde bewundert habe und jetzt noch bewundere. Um ſo ſchmerzlicher aber war es mir, in Turin eingeſtehen zu müſſen, daß Vernet's Por⸗ trät unendlich weit hinter dem von van Dyk zurüd- ſtehe, und ſich gegen dies ausnehme, wie eine grobe Zimmerdecoration gegen ein feines Kunſtwerk, das ein ſinniger Geſchmack aufgeſtellt hat. Ich muß geſtehen, daß mir dies einigermaßen wehe gethan hat, und jetzt, wo ich dieſen Genueſer Principe auf ſeinem weißen Roſſe geſehen, muß ich eingeſteh'n, daß Vernet in Turin noch ganz glimpflich wegge— kommen iſt. Daß wir am Abend das Theater beſuchten, Mor- gens unſern Schlaf ungebührlich verlängerten, und am Ende die Gallerie der Brignole-Sale noch ein⸗ mal anſahen, um nur die Zeit bis zu unſerer — 141 — Einſchiffung todtzuſchlagen, kannſt Du Dir leicht denken. Was ſollten wir auch Anderes thun, da die Villen und Gärten, welche wir beſuchen wollten, im Schnee vergraben lagen, und ein ſo eiſig kalter Wind durch die nackten Straßen Genua's ſchnob, daß wir trotz unſerer Mäntel vor den Läden der Goldſchmiede froren, deren Filigrane und Korall— arbeiten wir mit ſteigender Bewunderung betrachteten. Das iſt der einzige Handelsartikel, den die einſt ſo reiche Seeſtadt noch übrig hat, die einzige Induſtrie, die ihr von ihrer früheren Größe geblieben iſt. Die Arbeit ſelbſt iſt prachtvoll, die Muſter aber leider nur zu oft geſchmacklos. Es fehlt das rege Treiben eines Centrums zur Belebung dieſer Induſtrie, die ſich in ihrem Geſchmacke dem Geſchmack der übrigen Luxusgegenſtände anreihen muß und nicht ſtehen bleiben darf, wenn ſie nicht allmählig durch dieſe Vernachläſſigung untergehen ſoll. Gerade eine ſolche Induſtrie, in welcher der Geſchmack Alles iſt, kann nicht an einem Orte gedeihen, wo es den Arbeitern an ſteter Anregung fehlt. Ich habe dies recht deut⸗ lich in den Bergen um Neuchätel beobachten kön⸗ nen, wo die Uhrenfabrication in ſo ausgezeichnetem Flore ſteht. Die äußere Verzierung der Uhren, die — 142 — Emaillirung derielben wird meiſtens nicht in dem Jura, ſondern vielmehr in Genf vorgenommen. Die Fabricanten in Locle und la Chaux-de-Fonds haben ſchon wiederholte vergebliche Verſuche gemacht, dieſen Induſtriezweig Genf's an ſich zu reißen, dem ſie nur ungern tributpflichtig find. Allein das Herbei⸗ ziehen der geſchickteſten Arbeiter half ihnen nichts. Die Leute wurden in der öden Gegend, in der ſie keine künſtleriſche Anregung fanden, allmählig ſtumpf, producirten nichts mehr, und ſanken von Künſtlern zu mechanifchen Arbeitern herab. Auf dieſer Stufe ſtehen jetzt ſchon die Genueſer Goldſchmiede, und es wird der Regierung Carl Albert's wohl ſchwenlich gelingen, ſie wieder emporzuheben. Civitavecchia den 4. Februar. Ich ſchreibe Dir am Bord des Schiffes, das im Hafen noch ſtille hält und wartet, bis es der Douane gefällig iſt, ſich die Augen auszureiben. Es ſcheint wirklich, als hätte dieſes Volk darauf gerechnet, daß — 143 — man Notizen in ſeine Tagebücher und Briefe an ſeine Bekannten ſchreiben müſſe, und außerdem noch einiger Zeit bedürfe, um ſich von der Seekrankheit zu erholen, gegen welche, wie wir heute geſehen haben, weder der rohe Materialismus eines deutſchen Zoologen, noch der Idealismus eines deutſchen Dichters einigen Schutz gewährt. Noch jetzt, wo mir der Kopf wüſte und leer iſt, trotzdem daß das Schiff ſchon ſeit mehreren Stunden ſtill liegt, noch jetzt durchrieſelt mich manchmal ein kalter Schauer, wenn ich an die Schrecken der verwichenen Nacht denke. Du wirſt Dich deshalb auch wenig erbauen an meinem heutigen Briefe, in welchen vielleicht die Rückerinnerungen der Seekrankheit von Zeit zu Zeit Irruption machen werden. Von Genua nach Livorno blieben wir noch in unſerem Nußſchälchen, das die Gewoheit hat früh abzugehen und ſpät anzukommen, aber doch im Uebri— gen, wie mir der Capitän ſagte, ein recht gutes Schiffchen iſt, wenn es auch nicht ſchnell ſegelt und dem Steuerruder ſchlecht gehorcht. Die Dampfſchiffe zwiſchen den einzelnen italiäniſchen Küſtenſtädten ge⸗ hen alle nur Nachts, und liegen Tags über im Hafen, wodurch man die Reiſe zwar nicht beſchleu— 4 — 144 — nigt, aber doch den Reiſenden die Annehmlichkeit bietet, ſich die Küſtenſtädte flüchtig anſehen zu kön⸗ nen. Für Jemanden, der zum erſten Male die Reiſe macht, iſt eine ſolche Einrichtung ganz wills kommen; — ſie wird ungemein langweilig fuͤr Leute, die zu wiederholten Malen die italiäniſche Küſte bereiſen. Marſeille, Genua, Livorno, Civitavecchia, Neapel und Palermo ſind die Stationen, welche von den größeren Dampfſchiffen beſucht werden, wäh— rend die kleineren meiſtens noch Nizza zwiſchen Marſeille und Genua einſchieben müſſen, da ihnen ſonſt dieſe Route zu lang werden würde. Der Ca— pitän des Dampfſchiffes Capri (es ſoll beiläufig geſagt das beſte Schiff des Mittelmeeres ſein) ſagte mir, die Adminiſtration würde gerne eine Schnell— ſchiffahrt einrichten, wenn dies nur der Douane wegen möglich wäre. Man habe jetzt ſchon eine große Erleichterung in dem Verkehr der Dampfſchiffe dadurch eintreten laſſen, daß man ihnen erlaube, Morgens in aller Frühe in den Hafen einzulaufen, und dort einige Stunden liegen zu bleiben, bis es der Douane gefällig ſei, zu kommen, und die Er— laubniß zum Verkehr mit dem feſten Lande zu geben. Früher habe auch dies nicht ſtattfinden dürfen und — 145 — die ſchnellſegelnden Dampfſchiffe, welche die Fahrt zwiſchen Genua und Livorno in 6 Stunden, die von Livorno nach Civitavecchia in 8 Stunden machten, hätten das Vergnügen gehabt, auſſen vor dem Hafen den Aufgang des Douanentages zu erwarten. Es iſt natürlich, daß der Reiſende unter ſolchen Verhältniſſen gerade kein Bild von den Ufern mit⸗ nehmen kann, an denen er hinſegelt. In der Nacht von Genua nach Livorno war ich ziemlich lange auf dem Verdecke, und ließ mir in dem hellen Mond⸗ ſcheine die einzelnen Punkte der felſigen Küſte zeigen. Der Golf von Spezzia möchte wahrſchein⸗ lich mit dem von Villa franca an landſchaftlicher Schönheit, wie an naturwiſſenſchaftlichem Reich⸗ thume wetteifern können. Es iſt ein wahrer Fiord mit hohen felſigen Ufern und engem Eingange, hinter welchen ſich eine tiefe und auch ziemlich breite Bucht findet, die einen herrlichen Ankerplatz für Kriegsſchiffe bieten ſoll. Der Steuermann un- ſeres Schiffes, der überhaupt ein großer Napoleoniſt ſchien, behauptete, der Kaiſer habe die Abſicht gehabt, die ganze Bucht von Spezzia zu befeſtigen, und in einen impoſanten Kriegshafen zu verwandeln, von welchem aus er die engliſche Flotte im Mittelmeere Bogr’s Briefe. II. 10 — 146 — vernichten wollte. Ich weiß nicht, in wiefern dies wahr fein mag; — daß ich aber künftig bei zoolo⸗ giſchen Unterſuchungen an der ituliäniſchen Küſte Spezzia nicht vernachläſſigen werde, kann ich Dir im Voraus verſichern. 1 In Livorno findet man das rührige Treiben einer großen Handelsſtadt mit all den Unannehm⸗ lichkeiten, die ein ſolcher Ort für nicht handelnde Fremde hat, in ſtörender Weife vereinigt. Ein Maſtenwald verdeckt die Ueberſicht des Hafens, in dem es beſtändig ſchreit und tobt, als beginne irgend ein Volksaufſtand. Die Bootsführer, welche von dem Schiffe an das Land zu führen haben, betrachten Dich wie eine ihnen zugewieſene Waare, und be⸗ handeln Dich etwa, wie ſie Kaffeeſäcke behandeln würden. Wir beſchloſſen, unſer Gepäck gar nicht an das Land zu bringen, ſondern es ohne Weiteres von unſerem Achilles auf den Capri zu lootſen, mit dem wir nach Civitavecchia gehen wollten. Dieſes einfache Hinüberſchaffen zweier Koffer hätte beinahe eine internationale Frage abgegeben. Die unſerem Schiffe zugetheilten Kahnführer behaupteten nämlich: ſie hätten allein das Recht, ſich unſerer Sachen zu bemächtigen, um fie an Bord des Capri zu bringen, — 147 — während andrerſeits die Bootsführer des Capri unſer Gepäcke als Gut betrachten wollten, das ihrem Schiffe zugehöre. Der Streit wurde endlich, da die Schiffe ganz hart an einander lagen, dadurch ge— ſchlichtet, daß wir von unſerem Verdecke aus die Kof- fer in eine Lucke des Capri hinüberreichten, worauf beide ſtreitende Parteien ſich zufrieden geben mußten. Livorno hat mir durchaus nicht gefallen. Es trägt in allen ſeinen Theilen ein Gepräge platter Nüchternheit, das mir in deer Seele verhaßt iſt und das eckelhafte Getreibe der Herumlungerer auf den Straßen, die ſogleich den Fremden auswittern, und ihn mit Anerbietungen aller Art verfolgen, er— höht gerade nicht den Reiz der Stadt. Man kann keinen Schritt thun, ohne ſich von einem Menſchen verfolgt zu ſehen, der in allen Sprachen durch ein⸗ ander den Dom, die Judenſchule, hübſche Mädchen, gute Waffen, geſchmuggelte Cigarren, türkiſchen Ka⸗ naſter n. ſ. w. anbietet, und durch ſeine Zudringlich⸗ keit ſo läſtig wird, daß man am Ende nothgedrungen zur Reitpeitſche greift und ſich den Kerl mit Hieben vom Halſe treibt. . Unfere erſte Sorge war deshalb auch, in das türkiſche Magazin einzutreten, und uns dort ein — 148 — Paar guter Inſtrumente dieſer Art zu verſchaffen. Du mußt nicht glauben, daß ſich Livorno gerade durch Pracht und Schönheit ſeiner Magazine aus⸗ zeichne; — wir haben im Gegentheile gefunden, daß die kleineren Läden von Paris den größten Maga⸗ zinen in Livorno recht füglich die Wage halten können. Das türkiſche Magazin hat wirklich acht türkiſche Waaren, und beſonders Seidenſtoffe von herrlicher Schönheit, ſo wie Weichſelrohre von einer Länge, die an das Fabelhafte grenzt. Kaum konnten wir der Verſuchung widerſtehen, für unſere Frauen und Schätzchen von den erſteren, für uns ſelbſt von den letzteren Ankäufe zu machen. Allein reiflichere Reflexionen ließen uns die Ausführung des Vor⸗ habens auf den Rückweg verſchieben. Man hat zwar in Paris die Erfahrung gemacht, daß weibliche Tugend noch nie einem Caſchmirſhawl widerſtanden hat, und es mögte ſomit ganz zweckmäßig erſcheinen wenn wir Rom mit einigen türkiſchen Schärpen im Koffer betreten würden. Da aber Freund Rahl ver⸗ ſichert, daß ein gewöhnliches ſeidenes Halstuch die nämlichen Dienſte thue, ſo würden wir unrecht gegen unſere Nachfolger handeln, wenn wir die Preiſe allzu⸗ ſehr ſteigerten, und demnach beſſer thun, die Türken⸗ — 149 — waaren für Paris zu verſparen, wo man ſich auf ihre Aechtheit verſteht. Mit den Weichſelrohren wären wir vielleicht gar für Koſaken oder Vieh⸗ treiber aus den Maremmen gehalten worden, denn ſie waren ſo lang, daß man ganz gut Spieße aus ihnen hätte verfertigen können. Um den Kaufmann, der uns Kaſten und Schubladen mit der größten Bereitwilligkeit gedffnet hatte, einigermaßen zu ent⸗ ſchädigen, kaufte ſich Herwegh eine Reitpeiſche von Gutta percha, einem elaſtiſchen Stoffe, der eben gerade in den Handel kam, und ich ein rieſiges Stück Touſche, an dem meine Enkel noch zehren könnten, und wenn auch meine ganze Nachkommen⸗ ſchaft der Malerei ſich zuwenden würde. Den Nachmittag brachten wir in einem engen rauchigen Kaffeehauſe in der Hauptſtraße zu, wo hauptſächlich die Kaufleute aus dem Orient und der Levante ihre Niederlage haben. Von dem Völker⸗ gemiſche, welches ſich dort trifft, kann man gerade nicht viel ſagen, wenigſtens wurden unſere Erwar⸗ tungen während einiger Stunden, die wir dort zu— brachten, außerordentlich herabgeſtimmt. Alle die Anweſenden trugen mehr oder minder den jüdiſchen Charakter, ſelbſt die zahlreichen Griechen, welche rn, : vorhanden waren, ſahen Juden nicht unähnlich, und das einzige Individuum, welches ſich ſcharf von ihnen unterſchied, war ein Türke, der im Turban, Kaftan und Pantoffeln in einer Ecke ſaß und ſich ſehr freundſchaftlich mit einem Schwarme von Grie⸗ chen unterhielt, welcher ihn umgab. Er hatte wirk- lich etwas Nobles, nicht gerade in ſeinem Geſichte, ſondern in ſeiner Haltung und ſeinen Geberden, während die Griechen nicht anders um ihn herum⸗ ſcharwenzelten, als wenn noch immer die drei Roßſchweife über ihnen geſchwungen würden. Es will mir faſt dünken, als wäre es recht ſchade, daß die ſchöne Nation der Türken im Kampfe gegen dieſe Griechen den Kürzeren zog, die durch die chriſtliche Demuth ſo weit heruntergebracht worden ſind, daß ſie ſich nach Beendigung ihres Freiheits⸗ kampfes einen ausländiſchen Monarchen, der ſie von Haut und Haar nichts anging, auf die Naſe ſetzen ließen. Doch ich will nicht noch einmal anfangen über dieſe Demuth zu räſonniren, welche von den Pfaffen zum Ruin der Individuen, wie der Völker erfunden worden iſt. Auf dem Capri war die Verföftigung in dem Preife des Transportes inbegriffen, und wir be= — 151 — ſchloſſen deshalb an Bord unſer Mittagsmahl einzu⸗ nehmen. Das Schiff gehört einer neapolitaniſchen Geſellſchaft, iſt aber in England gebaut, und auch bis auf die kleinſte Geräthſchaft herab in England ausgeſtattet, woran die Geſellſchaft ſchon um deß⸗ willen recht gethan hat, als die meiſten Paſſagiere in der That zu jenem ſtelzbeinigen Volke gehören, das ſeine Langeweile für guten Geſchmack, und ſeine Nüchternheit für feinen Anſtand ausgeben mögte. Die Sonne war gerade am Untergehen, als wir den Hafen verließen, um die offene See zu gewinnen. Die ganze Geſellſchaft befand ſich auf dem Verdecke, und ſuchte ſich fo viel als möglich gegen den ſcharfen Wind zu ſchützen, der aus Weſten blies. Ich habe ſchon oft bedauert, kein Talent zum Carricaturzeichnen zu beſitzen. Was hätte ich darum gegeben, dieſe von Oben bis Unten carrirten Geſtalten in meinem Skizzenbuche feſthalten zu können! Die Einen hatten ſich von Oben her mit ſchottiſchen Plaids und andern derartigen Tüchern, die eine ganz ſcheußliche Farben⸗ zuſammenſtellung boten, eingehüllt; die Andern be⸗ gannen im Gegentheil das Syſtem der Einwicklung von Unten herauf, und ſtelzten in ungeheueren Pelz⸗ ſtiefeln umher, während der ſchwanke Oberkörper = 19 = nur in einen Sommerrock gehüllt war. Schweigend ging Alles neben einander her mit großen Schritten auf dem Verdecke auf und ab, und Jeder ſchien ſtandhaft die Eßglocke zu erwarten, die auf ſolchen Schiffen ſtets mit ſchlauer Berechnung dann ertönt, wenn die Paſſagiere die erſten Anwandlungen der Seekrankheit zu empfinden pflegen. So ging es auch bei uns. Kaum tanzte das Schiff auf den höhern Wellen, die man ſtets in dem Durchpaſſe zwiſchen der Inſel Gorgona und dem feſten Lande antrifft, als man auch zur Tafel rief, an welcher ſchon der größere Theil der Paſſagiere nicht mehr Theil nahm. Wir hatten uns noch mit vielem Heldenmuthe an die Suppe gewagt, obgleich Jeder von uns einige Bläſſe in dem Geſichte des Andern fand. Doch ich will Dir weiter keine Beſchreibung von einer der ſchrecklichſten Nächte geben, die ich in meinem Leben zugebracht habe. Wir lagen einander gegenüber in derſelben Situation, Jeder das Gefäß, das man in guter Geſellſchaft nicht gerne nennt, inbrünſtig umarmend. Anfangs glaubt man in der Veränderung der Lage, in allen kleinen Liſten, welche ein unendliches Gefühl des Leidens nur eingeben kann, Hülfe gegen dieſe entjeglichen Angriffe zu finden, die mit jeder Erneuerung ſchmerzlicher und entnervender werden. Bald aber verliert ſich auch die letzte Spur dieſer kläglichen Energie. Mit beiden Ar⸗ men an die Ränder des Bettes geklammert, zittert man dem Augenblicke entgegen, den das nahende Gekrach der Balken verkündet. Die Schlafſäle der Cajüte beſinden ſich nämlich hinten im Spiegel des Schiffes, und die Betten ſind in der Weiſe an den Wänden angebracht, daß ſie der Längsachſe der Schiffe parallel laufen. So lange dieſes eine Woge hinaufklettert, befindet man ſich in einem Stadium momentanen Wohlſeins; nun aber hat das Schiff mit ſeinem Vordertheile die Spitze der Woge erreicht, es überſchreitet dieſelbe, um auf der entgegengeſetzten Seite hinabzugleiten, die Balken beugen ſich und knattern in dem Maße, als ſie über die Woge hinaus ragen, und dies knatternde Geräuſch ſchreitet allmählig von Vornen nach Hinten fort, bis es über den Häuptern der Kajütenbewohner an dem Steuer⸗ ruder ausläuft. Das iſt der kritiſche Moment, das allgemeine Signal zum Losbrechen. Während das Geknatter ſich nährt, hat man das Gefühl einer entſetzlichen Leere. Es iſt, als würden alle Einge— — 154 — weide langſam aus dem Leibe hervorgehaſpelt und dies Gefühl iſt ſo entmannend, daß man in ſolchen Augenblicken nicht den mindeſten Widerſtand leiſten würde, geſchehe auch, was da wolle. Dieſe Apathie nimmt mehr und mehr zu, und endlich tritt jenes letzte Stadium ein, wo man nichts mehr ſieht, hört und fühlt, und das ganze Individuum da liegt, wie ein Klotz, den von Zeit zu Zeit ieee Be⸗ | wegungen erſchüttern. Ich hätte 9 daß ſo furchtbare Angriff einen bleibenderen Effect auf den ganzen Organis⸗ mus zurückließen, allein jetzt wo das Schiff ſchon ſeit mehreren Stunden im Hafen ſtill liegt, und wir uns etwa wie auf feſtem Lande befinden, fühle ich nur noch eine dumpfe Schwere in der Stirne, und einiges Angegriffenſein der Augen, in deren einem ſich durch die allzu heftige Anſtrengung beim Erbrechen eine kleine Blutunterlaufung gebildet hat. Ich werde als halber Kakerlak in Rom anlangen, was mich einigermaßen freut, da meine Individu⸗ alität dadurch nur an Intereſſe gewinnen kann. — 155 — Rom den 5. Februar. Der h. Vater, unter deſſen beglückendem Scepter wir uns ſeit heute Morgen befinden, wird noch ge— waltig viel zu thun haben, bis er die Reformen ſo weit geführt hat, daß man ohne Verwünſchungen die Hauptſtadt der chriſtkatholiſchen Welt erreicht. In meinem Leben iſt mir noch keine ſolche Wirth⸗ ſchaft vorgekommen und wenn ich wieder einmal nach Italien gehe, ſo werde ich ſicher den Weg von Civitavecchia nach Rom lieber zu Fuß machen, als in dieſen ſchändlichen Anſtalten, die man hier Schnellpoſten nennt. Die unmittelbaren Unterthanen des Papſtes machen in Civitavecchia trotz des Enthuſtasmus, welchen ſie für ihren Pius IX. aller Orten zur Schau tragen, gerade nicht den günſtigſten Eindruck. Die Laſtträger und Bootsführer tragen jetzt Mützen, auf deren Schildern mit großen weiß oder gelb lackirten Buchſtaben Evviva Pio IX, ſteht; und einen verrükten Kerl haben wir ſogar geſehen, der nicht nur auf der Mütze, ſondern auch auf zwei Epauletten feine Segenswünſche für den Landes- vater zur Schau trägt. Dieſer offene Enthuſtasmus — 156 — hat indeſſen die übrige Natur dieſer Schwaͤrmer nicht im mindeſten geändert. Sie nehmen noch eben ſo gut wie früher ihre Trinkgelder und wiſſen den Fremden auf der kurzen Strecke vom Hafen bis zu dem Wirthshauſe noch ganz prächtig um ſeine Piaſter zu bringen. Ja ſelbſt die befrackten Angeſtellten der Douane empfangen den Ankömm⸗ ling noch immer mit offenen Händen, und drücken für einige Paul's die Augen ſo feſt zu, als man es nur wünſcht. Nach vielem Drängen und Treiben faſſen wir endlich um 10 Uhr Morgens in einer Diligence Platz, die den Verſprechungen zufolge uns um 6 Uhr deſſelben Tages in der ewigen Stadt abliefern ſoll. Wir haben eine Art Coupé, deſſen Mittel⸗ platz von einem jungen Lombarden eigenommen wird, der anfangs zwar ziemlich zurückhaltend iſt, bald aber ſich als Anhänger des jungen Italiens zu erkennen gibt, und mit Herwegh über die Befreiung Europa's im Allgemeinen und diejenige Italiens insbeſondere in eine höchſt principielle Discuſſion geräth, die endlos geworden wäre, wenn nicht die beiden Redner über einige ſpeciellen Applicationen ihrer Theorieen ſo radical von einander abgewichen wären, — 157 — daß eine Discuſſion in gewöhnlicher Art nicht mehr ſtattfinden konnte. Auch trat ein Ereigniß ein, welches auf italiäniſchen Reiſen ſicherlich unangenehmer iſt, als Räuberanfälle und Doua⸗ nenconfiscationen. Es fing an zu regnen. Dem Waſſer vom Himmel widerſteht kein italiäniſcher Poſtillon, und auch die Beſtien von Pferden ſcheinen durchaus nicht darauf eingerichtet zu ſein, im Regen weiter zu gehen. Der Weg war vollkommen gut, nicht im Geringſten aufgeweicht oder ſchwer fahrbar, allein nichts deſto weniger mußte in jedem Orte Vorſpann genommen werden, die nicht mehr ziehen wollte, ſobald ſie durchnäßt war So langten wir mit einem Zuge von acht Pferden und vier Po⸗ ſtillonen mit einbrechender Nacht in Palo ein, wo unſer Conducteur das Aufhören des Regens er⸗ warten wollte. Er gab uns ſo hinlängliche Ge⸗ legenheit, von den Fenſtern der Oſteria aus einen alten römiſchen Hafen zu betrachten, der vollkommen von Sand erfüllt, jetzt auf dem Trocknen liegt. Allein es regnete fort und fort ohne Aufhören und trotz des Widerſtrebens der Poſtillone und der Pferde mußte an das Weiterfahren gedacht werden. Wir mogten etwa eine Stunde zurückgelegt haben, BR: RER Herwegh und der Lombarde discutirend und ich ſchlafend, als plötzlich der Wagen mitten im Felde ſtill hielt, und ſich ein ungeheures Toben und Schreien erhob. Es regnete ziemlich heftig, allein doch nicht übermäßig, und als wir unſere Köpfe aus den Wagenfenſtern herausſtreckten, ſahen wir weder einen Berg, noch ſonſt Etwas, was ein ſo plötzliches Anhalten hätte motiviren können. Die Pferde wollten nicht mehr fort, und die Poſtillone benahmen ſich auf die ungeſchickteſte Weiſe von der Welt, um ihre Thiere anzutreiben. Sie ſtanden am Rande der Chauſſee, ſchrieen wie wahnſinnig und hieben mit langen Peitſchen auf die Thiere ein, die dann natürlich, ſtatt gerade auszugehn, auf die Seite wichen, und in den Chauſſeegraben gegenüber rannten. Dort wurde daſſelbe Manöver wiederholt und auf dieſe Weiſe die Pferde aus einem Chauſſee⸗ graben in den andern gepeitſcht, ohne daß der Wagen um einen Schritt vorwärts gekommen wäre. Was half es, daß wir herausſprangen, daß ich Einen der Poſtillone an dem Kragen faßte, mit einigen derben Rippenſtößen zu dem Pferde heranführte, und ihn zwang, das Thier an dem Zügel zu nehmen und zu leiten, während ich es mit der Peitſche be⸗ — 19 — arbeitete? Wir kamen fo freilich ein Paar Schritte vorwärts, dann aber rieb ſich der arme Teufel, den ich etwas unſanft gepackt haben mogte, mit jämmer⸗ lichem Ausdrucke das Genik, und ſagte: Es iſt un⸗ möglich, Herr! Sie ſehen ja ſelber, daß es regnet, die Pferde wollen nicht gehen, und wenn man ſie zu Tode ſchlüge. Wir wollen heim reiten und Andere holen. Es geſchah, wie ſie fagten. Sie ſpannten die Pferde aus, drehten um und rannten in hellem Gallop auf und davon, während wir in unſerer Diligence uns, ſo gut es gehen wollte, ein⸗ zurichten ſuchten, und den Morgen erwarteten. Nach vier Stunden etwa kamen unſere Poſtillone zurück, und mit der Dämmerung um 6 Uhr Mor⸗ gens trafen wir in Rom ein, wo uns noch eine langweilige Viſitation erwartete. Bei dieſer amüſirte mich außerordentlich ein dicker franzöſifſcher Kauf⸗ mann, der ſchon auf dem Capri unſer Reiſegeſell⸗ ſchafter geweſen war, und jetzt aus Rache gegen die Poſtillone geſchworen hatte, er wolle dem unter⸗ ſuchenden Douanier kein Trinkgeld geben, um dadurch an den Tag zu legen, wie ſehr er dieſes Volk ver⸗ achte. Sein Koffer wurde natürlich von Oben bis Unten durchwühlt, ſeine ſämmtlichen Objecte heraus⸗ eg geworfen und in eine ſchauderhafte Unordnung ge= bracht, während er beſtändig gegen ſolches Verfahren proteſtirte, und den Viſitator zwingen wollte, uns, die wir uns freigebig bezeigt hatten, ebenſo zu be= handeln, wie ihn. Es war überhaupt ein origineller Burſche, dieſer dicke Krämer, der jetzt ſchon zu wiederholten Malen die Reiſe nach Rom machte. Die Kunſt intereſſire ihn nicht, ſagte er uns, Alter⸗ thümer auch nicht, und das Volksleben in Rom langweile ihn ebenfalls; er mache aber die Reiſe von Marſeille nach Neapel jedes Jahr, hauptſächlich nur der Seekrankheit und der Galle wegen, die er ſich bei dem Abſtecher von Civitavecchia nach Rom ſammele. Er fühle ſich jedes Mal nach einem ſolchen tüchtigen Anfalle von Seekrankheit, wie neu geboren, und ſpare dadurch eine Badereiſe, welche ihm die Aerzte ſeiner Conſtitution halber empfohlen hätten. — 161 — Den 8. Februar. Wir find in Rom ſchon fo eingewohnt, als wären wir alte Bekannte. Rahl's freundliche Für— ſorge hat uns in der Nähe des ſpaniſchen Platzes eine für unſere Bedürfniſſe vollkommen hinreichende Wohnung verſchafft, und ſo haben wir denn unſer Leben etwa fo eingerichtet, wie es wandernden Muſenſöhnen geziemt, die alle Sorgen von ſich ge— worfen haben, und nur dem Carneval, der Kunſt, dem Alterthume und dem Leben ihre Zeit widmen wollen. Das Cafe greco bildet natürlich den Aus⸗ gangspunkt des Tages, wo die Pläne verabredet, und die gemeinſchaſtlichen Excurſionen veranftaltet werden. Es giebt vielleicht kein dumpferes, häß⸗ licheres Local, als dieſes Künſtlereafé, in dem alle Nationen, beſonders aber die Deutſchen zuſammen— ſtrömen. Vielleicht iſt dies gerade der Grund, wes— hakb man da ſo behaglich zuſammenſitzt. Von dem Café greco aus führt unſer Weg heute dahin, morgen dorthin, je nachdem uns gerade der Geiſt an alte oder neue Kunſt, an Heidenthum oder Chri— ſtenthum mahnt. Dann finden wir uns mit den Freunden, welche die altbürgerliche Mittagszeit um Vogt's Briefe U 11 — 2 12 Uhr einhalten, in der Trattoria del Lepre zuſam⸗ men, wo's uns freilich ſchwer wird, mit unſerem gelehrten Italiäniſch den Speiſezettel zu verſtehen, den der Aufwärter uns mit geläufiger Zunge her⸗ plappert. Du magſt mir überhaupt glauben, daß der Speiſezettel einer Reſtauration der beſte Prüf ſtein für die Kenntniß einer Sprache iſt, und daß man aus dem Verſtändniß eines ſolchen Zettels ſo⸗ gleich beweiſen kann, ob Jemand die Sprache nur aus Büchern gelernt, oder aber ob er ſie in dem Lande ſelbſt geſprochen und gehandhabt habe. So müflen wir uns beim Lepre meiſtens damit behelfen, daß wir auf den Teller eines Bekannten hinweiſen und questo! ſagen, wenn nicht allenfalls der ge— fällige Aufwärter irgend Einen der Anweſenden zum Dollmetſch aufruft. Nachmittags hatten wir bis jetzt ſo viel zu thun, daß wir nicht dazu kommen konnten, in irgend einer Weiſe die Kunft- anſchauung des Morgens fortzuſetzen. Da lockt uns das Leben und die Natur. Es iſt ja Carneval und manchmal auch ſchönes Wetter, das genoſſen ſein will, da die Umgegend von Rom nicht an einem Tage geſehen werden kann. Rahl wünſchte gerne mir einen Ueberblick über — 163 — die Weltſtadt zu geben, und während Herwegh unſere Sachen ordnete, und ſeiner Frau unſere glückliche Ankunft meldete, beſtiegen wir den Thurm des Capitols, um uns von dieſem erhabenen Punkte aus eine Orientirung der Stadt im Ganzen zu verſchaffen. Wie könnte ich Dir beſchreiben, was ich dort Alles ſah? Ich muß ſagen, daß mich die Rundſchau um jo mehr überraſchte, als ich dem brutalen Volke der alten Römer bis jetzt niemals einen rechten Geſchmack abgewinnen konnte. Hier bekommt man freilich Reſpeet vor ihrer Größe, die aber dennoch weder wohlthuend noch eigentlich imponirend iſt. Ich glaube wahrhaftig, daß alle dieſe Ruinen, dieſe zertrümmerten Tempel und Pa⸗ läſte jetzt in ihrem verfallenen Zuſtande bei Weitem impoſanter erſcheinen, als fie damals fein konnten, wo ſie noch unverſehrt dem Auge ſich darſtellten. Indeſſen fürchte nicht, daß ich meinen Reiſebericht mit langen Excerpten aus Förſter und Bunſen über das alte Rom anfüllen werde. Die Philologen haben mich in der Schule zu ſehr gelangweilt, als daß mir nicht jeder Buchſtaben Lateiniſch, den ich vor meinen Augen ſehe, einen heimlichen Wider— willen machen ſollte, der mir jedes Mal den Humor — 164 — verdirbt, und mich unwiderſtehlich zwingt, die Bes ſchäftigung aufzugeben. Es iſt mir auch völlig einerlei, ob dieſe oder jene Säule zum Jupiters⸗ tempel oder zum Friedenstempel gehört habe und ob das Trajansforum ſein Bereich noch einige Schritte weiter erſtreckt habe oder nicht. Mit ſolchen Fragen möge fich beſchäftigen, wer keinen Anſpruch darauf macht, an der Bewegung des Lebens Theil zu nehmen. Uns intereſſirt mehr das Volk, das jetzt unter dieſen Säulen daherwandelt, und deſſen friſches und unverdorbenes Leben, und wir wollen deshalb Romantiker ſein in dem Centrum des klaſ— ſiſchen Alterthums. Herwegh verſpürt freilich von Zeit zu Zeit Luſt, ſich an einigen alten Steinen zu begeiſtern, und in Gedanken die Kaiſerpaläſte wieder aufzubauen, für deren Niederreißung nur er Intereſſe haben ſollte. Allein ich hoffe, daß dieſe flüchtigen Nachwehen des würtembergiſchen Schul— ſackes bald vorübergehen ſollen unter dem Einfluſſe des neueren römiſchen Lebens. Hilft das nichts, ſo werde ich freilich genöthigt ſein, ihm einen Hora- tium ad modum Minellii anzuſchaffen, der dann ſicher als niederſchlagendes Pulver wirken ſoll. Ich konnte mich auf dem Capitol kaum trennen — 165 — von dem Anblicke der Campagna und des Albaner— gebirges, das mit ſo reinen, ſchönen Linien aus der unermeßlichen Ebene auftaucht. Nicht ſo ſehr ſpricht mich die Form des Sabinergebirges an, die eine ſchwache Wiederholung der Alpen zu ſein ſcheinen, und ich kann nicht in die Behauptung mancher hieſiger Landſchaftsmaler einſtimmen, welche dieſem Gebirge die Palme zuerkennen wollen. Von dem Capitol aus wählten wir den Weg über das Coloſſeum nach dem Lateran hin, der be— kanntlich die eigentliche Pfarrkirche des Papſtes iſt, und vor deſſen Treppe man eine entzückende Aus— ſicht gegen die Gebirge genießt. Hier traf Willers zu uns, der ausgezeichnetſte Landſchaftsmaler, der jetzt in Rom lebt, eine prächtige, kräftige Natur, die auf einen Jeden wohlthuend wirkt, der nicht den Sinn für Einfachheit an der Natur wie an dem Menſchen verloren hat. Wäre Willers im Mittel- alter geboren, ſtatt in unſerer Zeit, er wäre gewiß Landsknecht geworden, und hätte ſich vielleicht mit dem Schwerte ebenſo ausgezeichnet, wie jetzt mit dem Pinſel. Meinem an ſtarre Zacken und ſchroffe Gehänge gewöhnten Augen gelang es noch immer nicht ganz, die ſanft anſteigenden Linien des Alba— BI ee, nergebirges aufzufaſſen und ich konnte nicht umhin, mich mit Willers in ein Geſpräch über dieſe Eigen⸗ thümlichkeiten der vulkaniſchen Formen einzulaſſen, die man ſich gewöhnlich als ſpitze Kegel vorſtellt, während ſie im Gegentheile meiſt nur ſchildförmige Erhebungen über die Ebene darſtellen. Der Aetna, der Veſuv, das Albanergebirge, ja ſelbſt die meiſten älteren baſaltiſchen Kuppen ſind in dieſem Falle, und gerade der Aetna erſcheint in ſeinen Gehängen ſo äußerſt flach, daß er trotz ſeiner bedeutenden Höhe nur eine ſchildförmige Erhöhung darſtellt. „Ja wohl, ja wohl, ſagte Willers, indem er ſich den langen Schnurrbart ſtrich und den grauen Filz etwas mebr auf das Ohr rückte, den Bogen Papier möchte ich ſehen, den Einer nöthig hätte, um die Linien des Albanergebirges in ihrem richtigen Verhältniſſe zu zeichnen. Ich habe es ſchon öfters verſucht, allein dann wird es ſo niedrig, daß es ſich kaum aus der Ebene erhebt, und kein Menſch glauben will, daß dies wirklich das Albanergebirge ſei. Des— halb, fügte er lachend hinzu, iſt auch Der nicht der beſte Maler, welcher am Beſten die Natur copirt, ſondern Der iſt's, der am Beſten zu lügen verſteht. Nicht wahr, Rahl? Das weißt Du ſo gut, als ich.“ — 167 — Der aber gab keine Antwort; denn er war in der Kirche verſchwunden, wo er ein altes Frescogemälde betrachtete, das einen beſonderen Werth in der Kunſt⸗ geſchichte haben ſoll, mir aber wie ein ſteifes, häßliches Ding vorkam, dem ich weiter keine Auf— merkſamkeit ſchenken konnte. Die letzten Strahlen der Sonne fielen gerade durch ein hohes Fenſter der Baſilica in den inneren Raum und erleuchteten grell den oberen Theil einer Säule, die entweder von weißem Marmor, oder mit weißem Stuck über⸗ zogen war. „Da ſehen Sie ſelbſt, ſagte Willers, indem er auf den Abendſchein an der Säule deutete, das ſollen wir malen! Und das haben wir auf der Palette! fügte er hinzu, indem er auf den unteren Theil der Säule deutete, die ſchon beſchattet war. Hatte ich Unrecht, zu ſagen, wir müßten lügen?“ ö Von dem Lateran aus ſetzten wir unſeren Weg immer an der Grenze der Stadt nach der größten Baſilika Roms fort, nach Santa Maria Maggiore die wir bei ſchon eingetretener Dämmerung erreich— ten. Die Kirche iſt außerordentlich reich verziert. im Innern, wenn es ihr gleich an Gemälden und werthvollen Kunſtgegenſtänden vollſtändig mangelt. Ich kann nicht ſagen, daß die Baſiliken hinſtchtlich — 168 — des Eindrucks, den ſie machen, mit unſeren gothiſchen Kirchen wetteifern können. Die horizontale Decke gibt ihnen mehr oder minder das Anſehen eines Boudoir's, das gelegentlich zum Beten eingerichtet wurde, und es fehlt der myſtiſche Schauer, den die hohen Gewölbe der gothiſchen Dome mit ihrer ewigen Dämmerung erregen. | Die Religion in Rom freilich kennt keine Myſtik, aber auch keine Zeit. Der Römer betet und hört eine Meſſe, wenn er den Beruf dazu in ſich fühlt, und nachher benutzt er ebenſo ſorgenlos die Kirche als allgemeinen Verſammlungsort, wo er ſich ein Stell— dichein gibt und ſeine weltlichen Geſchäfte beſorgt. Die officielle Religioſttät, die Sonntag Morgens um 9 Uhr beginnt, wenn es zur Kirche läutet, und um 11 Uhr mit der langweiligen Predigt be— endigt iſt, wird in Rom niemals Wurzel faſſen können und auch nothwendig in unſeren Gegenden ſtets mehr und mehr zurückgedrängt werden. Auch weiß ich nicht, warum man dem Glauben eine be— ſtimmte Grenze ziehen will, und ſagen, bis hierher und nicht weiter. Schiller hat ſchon längſt gefagt: „Es gibt nur zwei Ding' überhaupt, was zu der Fahne gehört, oder nicht.“ Und ſo meine ich, könnte man auch in religiöſen Dingen nur zweierlei auf— — 169 — ftellen: „Man glaubt Alles, wie der Katholicismus, oder gar nichts, und dieſe Religion hat leider noch gar keine Kirche, weil ſie eben keine braucht.“ Wir brachten den Abend in einer Acht römie ſchen Kneipe zu, wo auch das Volk ſich verſammelte, und wo man kernige Witze in Menge hören kann. Morgen beginnt der Carneval und heute Abend ſchon bereitete man ſich recht gründlich zu demſelben vor. Die Zote iſt während des Carnevals das wahre Element des Geſpräches von Vornehm und Gering, und alle öffentlichen Reden ſowohl, wie die Privatunterhaltungen ſind während dieſer Zeit auf das Reichlichſte mit jener Würze verſehen. Auch heute Abend war in der Sabina, ſo heißt die Kneipe, ein Spaßmacher, der ſich durch einen dreieckigen Hut auszeichnete und lange Reden hielt, die uns höflichſt erheiterten, da wir noch nicht wußten, welche Licenzen ſich die Sprache der Südländer er⸗ lauben darf. Es iſt dies überhaupt ein ſonder— bares Capitel, über das ein Rabelais unſerer Zeit wohl einmal eine gründliche Abhandlung ſchreiben ſollte. Die abgeſchmackte Pruderie der Engländer hat Worte verpönt, deren wir uns überall bedienen dürfen, während wir über Ausdrücke erröthen müſſen, — 170 — die ſich in dem Lexicon der feinften franzöſiſchen Sprache vorfinden. Die Italiäner genießen in dieſer Hinſicht noch weit mehr Freiheit, als ihre galliſchen Nachbarn und behandeln gewiſſe Dinge mit einer Unbefangenheit und Natürlichkeit, die wirklich das Erſtaunen Desjenigen erregen müſſen, der aus noͤrd— lichen Gegenden hier ankommt. Allein es iſt ein Unterſchied zwiſchen einem Volke, welches daran gewöhnt iſt, nackt zu gehen, und einem ſolchen, das ſich nur von Zeit zu Zeit ſtellenweiſe entblößt, und dieſer Unterſchied macht ſich eben in italiäniſcher und deutſcher Ausdrucksweiſe geltend. Unſer Clima verlangt einmal Ueberwürfe und Hoſen, während die glücklicheren Südländer an einem Feigenblatte genug haben. In der Carnevalsrede unſeres Luſtigmachers aus der Sabina fehlte aber auch ſogar das Feigenblatt, und es ging ſo toll darin zu, daß einige Römerinnen, welche lange mit zugehört hatten, doch endlich das Weite ſuchen mußten. Wir verſtanden glücklicher Weiſe nicht Alles, und ſo konnten wir ohne weitere Verletzung des Anſtandes ruhig auf unſeren Plätzen verweilen, ohne eines neuen Teſtamentes bedürftig zu ſein. Eines neuen Teſtamentes, fragſt Du? — 171 — Habe ich Dir niemals die Geſchichte eines frommen Hofrathes erzählt, der einmal mehrere Tage in unſerer Geſellſchaft zubrachte? Wir bemerkten, daß er jedes Mal, wenn nur das geringſte Wort fiel, welches hätte mißdeutet werden können, erſt recht herzlich darüber lachte, dann aber den Kopf ſchüttelte und mit betrübter Miene ein kleines ſchwarzes Büchelchen aus der Taſche zog, in welchem er einige Zeilen las. Mein Freund Artiſt hatte bald heraus, daß der gute Mann durch Leſen eines Verſes in der Bibel ſich jedes Mal von der Sünde, eine Zwei— deutigkeit angehört zu haben, rein waſchen wollte, und nun ſchwur er hoch und theuer, der Herr Hof— rath ſolle gar nicht mehr dazu kommen, ſein Buch in die Taſche zu ſtecken. Das hielt er auch redlich. Nach drei Tagen änderte der Hofrath ſeine Reiſeroute, und wir waren herzlich froh, ſeiner los zu ſein. Ir — 172 Den 9. Februar. Geſtern Nachmittag wurde feierlichſt der Car⸗ neval eröffnet. Du haſt wohl Goethe's Beſchreibung davon ſchon öfters pflichtgemäß geleſen, und wirſt Dich mit mir darüber gewundert haben, wie kalt und leblos ſich dieſes Feſt unter ſeiner Feder aus⸗ nimmt. In der That ſchien auch der Anfang einer ſolchen Beſchreibung zu entſprechen. Wir betrachteten uns lange Zeit das Volk, welches dicht gedrängt in der Straße auf- und abwogte, von den Fenſtern des Künſtlervereines aus, die auf den Corſo hinaus- gehen. Es ſah aus, wie an einem ſchönen Sonn— tagsnachmittage auf den Pariſer Boulevards; eine dichtgedrängte Volksmaſſe Kopf an Kopf, in der weder Masken noch ſonſt etwas Characteriſtiſches ſich darbot. Wohl aber zeigte der alte Corſo ſelbſt ein feſtliches Anſehen. Alle Fenſter waren mit bunten, meiſt rothen oder hellblauen Teppichen be= hangen und überall waren die decorirten Balkone mit Menſchen erfüllt, von denen, wie begreiflich, Alt⸗England die größte Zahl geliefert hatte. Manche dieſer Balkone ſahen aus, als ſeien ſie zur Exhi— bition ſtorchbeiniger Lords und Ladie's beſtimmt, die aus gläſern hellgrauen Augen auf die Straße — 173 — glotzten, ihre langen Dreiecknaſen über die rothen Feſtflaggen herunterbogen und die Hälſe verlängerten, wie Sumpfodgel, die etwa da unten zu fiſchen hätten. Aus den Fenſtern aber und von den kleineren Bal— konen her blitzten ganz andere ſchwarze Augen, die eine wärmere Sonne gewöhnt waren. Nach langem Harren ertönten wiederholte Trom⸗ petenſtöße, und mit großer Ruhe zertheilte ſich das Volk nach beiden Seiten, um in der Mitte Raum für einige reich vergoldete Kutſchen zu laſſen, die mit Sechſen beſpannt in langſamem Schritte von der Porta del Popolo nach dem Capitol hinauf— fuhren. Voran ritten einige Dragoner des Papſtes, und eine andere Abtheilung ſchloß den ganzen Zug, der unter ſchmetternden Fanfaren ſich nach dem Capitol bewegte. Hinter den Wagen ſchlug die Menge zuſammen, wie die Wellen hinter dem Kiele eines Schiffes. Nun begann auch ein größeres Leben die Maſſe zu durchdringen. Es zeigten ſich einzelne Wagen; nur Einer derſelben war mit Masken beſetzt, während in allen andern ſehr ein— fach gekleidete Herrn in Paletot's und grauen Hüten ſaßen, die ſich damit amüſirten, Blumen: ſträuschen oder kleine Gypskügelchen unter die Menge — 174 — zu werfen. Auch in den Fenſtern, auf den Bal⸗ * konen, auf den Gerüſten längs der Straße bemerkte man lebhaftere Anregung. Man ſah viele meib- liche Geſtalten, welche ſich ebenfalls mit Blumen⸗ ſträußchen bewaffneten, und ein lebhafter Krieg entſpann ſich zwiſchen den Wagen auf der einen, und den Fenſtern und Balkonen auf der andern Seite. Wir wollten unſeren Standort verlaſſen und uns drunten unter die Menge miſchen, als ſchon die verhängnißvollen vier Kanonenſchüſſe ertönten, welche bei einbrechender Dämmerung den Kutſchen das Signal geben, daß ſie den Corſo verlaſſen müſſen. In einem Nu waren ſämmtliche Wagen durch die Seitenſtraßen verſchwunden, und das Volk wogte wie vorher durch den Corſo in Erwartung des Pferderennens. Vergebens bemühten ſich Sol— daten und Gensd'armen, in der Mitte der Straße eine Bahn für die Pferde frei zu halten, die ohne Reiter, wie raſend durch den Corſo nach dem Ca— pitol hinauf ſprengten. Die lebendige Mauer, welche von beiden Seiten Spalier bildete und mit lautem Halloh und lebhaftem Schwenken der Tücher die Roſſe noch mehr anfeuerte, floß unmittelbar, wo — 19 — dieſe vorübergerauſcht waren, wieder zuſammen, und der blitzſchnelle Eindruck war in demſelben Augenblicke verſchwunden. Die Nacht trat voll— ſtändig ein, und ehe wir noch die Straße erreicht hatten, war das Volk größentheils verlaufen. Nur in den Oſterieen hörte man noch fröhliche Reden, Muſik und Geſang bis ſpät in die Nacht. Den 11. Februar. Die Freuden des Carnevals finden nicht an jedem Tage in der Woche ſtatt, und ſo können wir denn manchmal einen Nachmittag benutzen, um die Umgegend in Augenſchein zu nehmen. Der Morgen iſt ein für allemal dem Vatican geweiht, da wir zu der Ueberzeugung gekommen ſind, daß dort auch für bloſes flüchtiges Beſchauen mehr zu thun ſei, als ſonſt in der ganzen übrigen Welt zuſammenge— nommen. Zwei Tage lang haben wir in der Six— tiniſchen Capelle nicht geſeſſen, ſondern gelegen, um uns die wunderbaren Schöpfungen Michel Angelo's a in den Sinn zu prägen, und jetzt gelten auser Wallfahrten ſchon ſeit mehren Tagen den Gemälden von Raphael und den antiken Sammlungen, die der Vatican in ſeinen weiten Räumen birgt. Es hat ſich auch da gleich ein tief greifender Unterſchied | zwiſchen unſerer beiderſeitigen Auffaſſungsweiſe er= geben. Mir machen die Statuen, ſo ſchönſie auch ſonſt ſein mögen, allemal einen fröſtelnden Eindruck. Die klaſſiſche Ruhe erſcheint mir nach kurzer Zeit kalt und todt, und ich flüchte mich dann ſo bald als möglich hinüber nach den Stanzen und nach der Gallerie, wo ich Leben und Lebenswärme in den Farben finde. Herwegh dagegen ſteht Stunden lang, ſeinen abgekürzten Bunſen in der Hand, vor dieſem oder jenem behauenen Marmorblock, und ver— tieft ſich in deſſen Formen, während er die Ge— mälde, die mein Hemmſchuh ſind, flüchtiger über— ſchaut. Aber auch hinſichtlich der Gemälde zeigt unfer Geſchmack eine merkwürdige Verſchiedenheit. Ich habe Raphael erſt kennen gelernt, denn was ich bisher von ihm ſah, waren meiſt nur einzelne Figuren, die immer langweilig ſind, und wären es auch Madonnen mit und ohne Kinder, und allen—⸗ — 177 — * falls mit einigen Heiligen als Zugabe. Da muß ich denn offen bekennen, daß ich ihn oft und viel angeſehen, und nicht begriffen habe, wie man ihn als den erſten Genius der Malerei auffaſſen könne. Hier aber in den herrlichen Schöpfungen des Va— tican, und noch mehr in der Farneſina bin ich voll- kommen bekehrt worden, und habe die Ueberzeugung mitbringen müſſen, daß man Raphael nur kennen könne, wenn man ihn an den Wänden jener Ge- bäude erblickt hat. In den Stanzen des Vatican finden wir uns auch faſt immer in verſchiedenen Zimmern: Herwegh vor der Schule von Athen oder gar vor dem katholiſchen Wuſt der Disputa, den nur Raphael einigermaßen genießbar machen konnte, ich dagegen vor der Feuerbrunſt des Borgo oder der Schlacht des Conſtantinus. Die Gemälde mit ihren ſitzenden Figuren, in welchen nur inneres Leben, keine äußere Handlung und Bewegung ſich zeigt, find mir überhaupt im Grunde der Seele ver— haßt, und es iſt mir manchmal, als müßte ich Einen dieſer Menſchen, die ſo ruhig da ſitzen, und mit den ernſthafteſten Geſichtern von der Welt eine Monſtranz oder ein Buch angucken, von ſeinem Sitze aufreißen, oder in einiges oratoriſches Feuer bringen. Aber Vogt's Briefe. II. 12 — 18 — dieſe beiden erſchütternden Dramen der Feueräbrunſt und der Zwei-Kaiſerſchlacht, wie ſprüht da das Leben aus jeder Figur! Wie läuft und rennt das Alles durch einander, Waſſer zu holen, Kinder und Eltern zu retten, oder, in dem andern Bilde, wie kämpft und ſtreitet es da noch gegen einander, wäh- rend auf der einen Seite der Sieg, in der Geſtalt Conſtantin's, triumphirend heranrauſcht und auf der andern Maxentius in den Gewäſſern der Tiber unter- liegt! Ich habe manchmal geglaubt, dieſe Figuren ſich bewegen und dahinſchreiten zu ſehen, und nicht ſelten habe ich die Anwandlung verſpürt, dem jungen Manne, der ſich über die feuerzerſtörte Mauer zu retten ſucht, und mit den Füßen taſtend in der Luft umherfährt, während er ſich mit den Händen oben feſtgeklammert hat, meine Schulter als Stütze zu bieten. Wir haben manchmal Abends im Zwielichte Rahl's reiche Sammlung von Kupferſtichen und Umriſſen nach neueren Gemälden durchblättert, und da iſt es mir denn ſo recht aufgefallen, wie manchem Bekannten aus dieſen beiden Gemälden Raphael's ich in den neueren Compoſttionen zum zweiten Male wieder begegnete, und wie ſonderbar dieſe — 179 — Figuren durch eigenes Leben von dem Modellenleben der übrigen Geſtalten abwichen. Mit welch inniger Rührung habe ich nicht die Waſſerträgerin aus der Feuersbrunſt auf dem Einzuge Friedrich Barbaroſ— ſa's in Mailand von dem berühmten Herrn Schnorr von Karolsfeld als beſorgte Hausfrau wieder be— grüßt, welche ihre Habſeligkeiten vor den blonden Bärten rettet, die mit dem Kaiſer über einige ſitzende Perſonen in die Stadt hinein reiten! Ich kann auch wohl jagen, daß mich die Raphaeliſchen Gemälde beſonders deshalb ſo ungemein angeſprochen haben, weil eben die Bewegung aller Figuren eine narür= liche und momentane iſt, die keinen Nachgeſchmack des Modells und der Kleiderpuppe verräth. Es iſt die Auffaffung des Augenblicks, welche dieſe Ge— ſtalten geboren und fixirt hat, und nicht wie bei unſeren meiſten neueren Malern die allmählige Verkörperung der Idee, die mühſam, mit aller An⸗ ſtrengung und nur durch mechaniſche Beihülfe ſich aus der Unbeſtimmtheit geftaltet hat. Dieſer Ge— ruch nach dem Modelle, der den neueren Producten ſo ſehr anklebt, läßt ſich in dem friſchen Hauche, der durch Raphael und Michel Angelo weht, nicht ver— ſpüren, und das iſt eben das Geheimniß, das ihnen Aa -— 4 inne wohnt, und das unſere Neueren nicht zu er⸗ gründen vermögen. Sie thun dann freilich beſſer, es zu machen, wie die Düſſeldorfer, und lauter Ge⸗ mälde zu componiren, bei denen man mit ruhig ſitzenden oder ſtehenden Modellen vollſtändig aus⸗ kommt! Die ſchwächlichen Gemüther, die nicht auf eigenen Füßen ſtehen können, ſondern jeden Strich kopiren müſſen, finden dann, wenn ihnen irgend Jemand vorangeht, all dieſe ſeufzende, trauernde und girrende Romantik zuſammen, die man mit einigem Aſphalt und Judenpech anſtreicht, um ihr eine ge— wiſſe myſtiſche Tiefe zu verleihen. Wenn es aber gar noch gelingt, gute Modelle aufzutreiben, die recht kraß gegen einander abſtechen, ſo iſt man nahe daran, den Gipfel der Kunſt erklommen zu haben, und von ſeiner Höhe mitleidig auf die Zeit— genoſſen herabzuſchauen. Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich in Ausſtellungen und Kunſtläden an dieſen klaſſiſchen Perſonen der Academieen vorbeigehe, und den alten Bekannten Ezzelin, als Kaiſer Heinrich, als Franz von Sickingen, und wer weiß in noch wie viel Geſtalten, wiederfinde. Doch nein! Es gibt nur einen Ezzelin, und der hat ſich in Frank- furt einmal der Abwechslung wegen ins Gefängniß — 181 — geſetzt, um ſich in ſeinem Geſchäfte zu üben, und ein traurig wüthendes Geſicht machen zu lernen. Da wird er denn zum Unglück von zwei Mönchen geſtört, die wahrſcheinlich ſich für Gefängnißreform und Zellenſyſtem intereſſiren, und als ihm das zu lange dauert, wirft er ihnen einen wüthenden Blick zu, ballt die Fauſt, und ſagt in feiner breiten bai— eriſchen Mundart: „Jetzt loſſen's mi aus, ver- fluchte Pfaffen! J muß Modell ſitzen!“ — Den 10. Februar. Heute haben wir uns das Vergnügen gemacht, einmal mit auf dem Carneval umherzufahren, und Blumenſträuße und Gipskugeln mit den Begegnen⸗ den einzutauſchen. Rahl und Herwegh ſaßen im Fond, ich auf dem Rückſitze, und ſtatt einer vierten Perſon ſtand ein gewaltiger Korb mit Gipskugeln uns zur Hand. Alle leeren Räume waren mit Blumenſträußchen angefüllt, die wir von Zeit zu = — Zeit wieder complettirten. Die Wagen fahren in dem engen Corſo zu beiden Seiten neben ein— ander her, ſo daß ſie ſich beſtändig begegnen, und wenn ihrer viele ſind, ſo müſſen ſie bald hier, bald dort in die Nebenſtraßen einbiegen, die dann auch ſogleich mit improviſirten Balkonen verſehen werden, welche ſich mit Neugierigen und Theilnehmenden füllen. Anfangs, als wir kaum in den Corſo ein— gebogen waren, ſchien es uns Neulingen ziemlich unbegreiflich, wie man bei ſolch einfachem Getändel, als Blumen- und Gipswerfen, nur einigermaßen in Eifer gerathen könne. Allein nun ſieht man bald hier, bald dort ein wunderniedliches Geſicht, aus dem ein Paar ſchwarze Augen hervorblitzen, die man gerne einmal auf ſich lenken mögte. Man ſucht ein recht niedliches Blumenſträußchen hervor, und wirft es der Schönen zu, die es laut klatſchend auffängt, und mit einem andern aus ihrem Vor— rathe beantwortet, das natürlich mit dem lebhafteſten Intereſſe entgegengenommen wird. Nun regnet es aus allen Fenſtern, von allen Balkonen mit Blu— menſträußen auf den Wagen herab, und man hat alle Hände voll zu thun, um hier aufzufangen, dort zu entgegnen, während der Wagen in lang— — 183 — ſamem Schritte vorüberzieht. Ich habe vor, Dir noch einen beſonderen Brief über die Römerinnen zu ſchreiben, wenn ich erſt nähere Bekanntſchaft mit ihnen gemacht haben werde. Für jetzt kann ich Dir nur ſagen, daß es die ſchönſten Weiber ſind, die ich noch ſah, und daß mich nichts mehr entzückt, als die freie Naivität, mit der ſie ſich ihrer Freude überlaſſen. Man hat ihnen noch nicht angebildet, ſich ihres Lachens zu ſchämen und die Freude, die ſie empfinden, in ihren Geſichtszügen zu unterdrücken, und ſie haben auch noch nicht gelernt, ihre vollen freien Bewegungen einzuſchränken, und die Decenz derſelben mit an den Leib gezogenen Ellenbogen zu wahren. Sie rufen Dir zu mit neckendem Hohne, wenn es ihnen geglückt iſt, Dich mit einem Sträuß⸗ chen im Geſichte zu treffen. Eine ganze Geſellſchaft bricht in lautes Lachen aus, wenn Dir irgend ein ſcherzhafter Unfall begegnet, oder Du durch eine ko— miſche Geberde ihre Luſt anregſt. Allein der Wagen geht unaufhaltſam weiter, und plötzlich regnet auf Dich eine Menge erbsgroßer Kügelchen herab, die überall weiße Flecken hinter⸗ laſſen und auch gar nicht angenehm prikeln, wenn ſte die nackten Stellen des Geſichtes treffen. Bald = 184 lernt man ſich dann vorſehen, und die geſtielten Drahtnetze, die man in der linken Hand hält, zur rechten Zeit vor die Augen bringen, wenn ein ſolcher Angriff droht. Es iſt ein Wagen mit Män⸗ nern beſetzt, die uns in dieſer Weiſe begrüßen, und denen man eben ſo kräftig zu antworten ſucht. So geht es denn unter beſtändigem heiterem Spiel und Scherz den Corſo hinauf, und an der anderen Seite wieder hinab, und je länger man Theil nimmt, deſto lebhafter wird die Anregung, deſto mehr wird man abſorbirt, und deſto mehr freut man ſich in der allgemeinen Freude. Wun⸗ derbar iſt der Anſtand, die Leichtigkeit, ich mögte ſagen, die Liebenswürdigkeit, mit welcher ſich dieſes Volk einer Beluſtigung hingibt, die doch ſo leicht ausarten könnte. Alles bewegt ſich bunt durch ein— ander, neckt ſich mit Gipskügelchen, höhnt ſich aus mit ſpitzigen Worten, ohne daß jemals ein Streit entſtünde, oder die geringſte Rohheit begangen würde. Du ſiehſt auch keine Polizei, welche überhaupt nur dazu in der Welt vorhanden iſt, um Unordnungen anzuzetteln. Nur an den Straßenecken halten einige Reiter, welche die Wagen in das richtige Geleiſe einweiſen. Kurz Du kannſt Dich hier recht über— — 185 — zeugen, daß die Oeffentlichkeit das Element dies Volkes iſt, und daß die Ungebundenheit, die Freiheit ihm eine gewohnte Sache iſt, die durch ein allge— meines Anſtandsgefühl geregelt wird, ohne deshalb in das Steife und Eckige überzugehen. Darum iſt es auch Grundſatz, daß der Carneval keine Er⸗ innerung läßt, und daß Alles, was in dieſen Tagen geſchieht, ſo wie es Eingebung des Momentes war, auch mit demſelben vorüberrauſcht. Jede Schöne em⸗ pfüngt die Huldigung, die Du in Blicken, Worten und Geberden ihr zutheilen magſt, und erwiedert ſie in derſelben neckiſchen Weiſe, ohne daß Du darauf eine Folgerung für weiteres Glück bauen könnteſt. Es iſt in dieſen Tagen, als kenne man in Rom von der Liebe nur, wie Goethe ſich ausdrückt, den himm⸗ liſchen Anfang, ohne den leiblichen Fortgang und das fleiſchliche Ende. Unter dieſem neckiſchen Humor, dieſer leichten Grazie macht nur ein Volk in dem Carneval eine Ausnahme, die aber nur um ſo roher und gewalt⸗ thätiger erſcheint. Das wirft mit Gipskügelchen, wie wenn es Plumpudding wäre, und verſchleudert Blumenſträuße, wie wenn es mit Hammelskeulen zu thun hätte. Ich kann Dir nicht ſagen, wie ich — 186 — über dieſe Engländer erbittert war, die aus der ge= fälligen Neckerei eine plumpe Gemeinheit machten, und meinten, den Grad ihres Vergnügens nach den Scheffeln von Gipskügelchen meſſen zu können, die ſie auf das Volk herunterwarfen. Schon in den erſten Tagen war uns ein Balkon aufgefallen, der ſo hoch war, daß man von den Wagen aus ihn nicht erreichen konnte, und unter welchem ſich ein wahrer Berg von Gipskügelchen auf der Straße aufgebäuft hatte. Er war von einem reichen Lord beſetzt, deſſen Namen mir auch genannt wurde, und der nebſt einigen liebenswürdigen Landsmänninen die Freuden des Carnevals in ſeiner Art genoß. Gallonirte Bedienten ſchleppten beſtändig große Körbe mit Gipskügelchen hinauf, und dieſe Zierden Alt— englands hatten große Blechſchaufeln, deren Inhalt ſie von Oben herab über die vorbeiziehenden Wagen ausgoſſen. Die allgemeine Entrüſtung, welche dies rohe Benehmen erregen mußte, ſchien das weſentliche Moment ihrer Freude zu ſein. Wir konnten das nicht länger mit anſehen. Ein Haufe von jungen Malern, dem wir uns anſchloſſen, verproviantirte ſich gehörig mit Apfelſinen, Eiern und nußgroßen Gipskugeln und begann nun ein förmliches Bom— — 187 — bardement gegen die Inſulaner, die ſich anfangs wacker hielten, bald aber zu ſchmählichem Rückzuge gezwungen wurden. Ein nicht allzu friſches Ei hatte den Hut einer alten verknöcherten Lady getroffen, und ſeine Lordſchaft eine Apfelſine in das Geſicht erhalten, die einige Nachwirkung zu hinterlaſſen ſchien; denn an den folgenden Tagen war der Bal— kon leer, oder begnügte ſich mit unthätigem Zuſchauen. Heute bei unſerem Umherfahren begegnete uns ein ähnliches Abenteuer, das wir noch lange herzlich belachten, zumal da es gewiſſermaſſen eine Erinne— rung an unſere Jugendjahre auffriſchte, wo wir es im Werfen und anderen Leibesübungen dieſer Art zu einiger Fertigkeit gebracht hatten. Wir waren ſchon einmal einem Wagen begegnet, in welchem eine lange Geſtalt mit einer himmelblauen Halsbinde, deren Breite einen Fuß alten Maßes betragen mogte, zwiſchen zwei ungeheuren Körben mit Gipskügelchen verſchanzt ſtand. Der Engländer, denn es mußte ein Engländer ſein, hatte ſich eine große Drahtmaske vor das Geſicht gebunden und trotzte damit allen Angriffen, während er beſonders die Frauen mit ſeinen Projectilen überſchüttete, die nur aus Gips— kugeln beſtanden, denn Blumenſträußchen hatte er 8 nicht. Als wir zum zweiten Male dieſem Indivi⸗ duum nahten, bot uns zufällig ein Blumenverkäufer ein Körbchen, in welchem ſich eine ungeheure ſtraus⸗ artige Maſſe befand, die aus Kohlblättern, Brenneſſeln und einigen dicken Salatſtrünken zuſammengebunden, und zur Vermehrung ihrer Schwere reichlich mit Waſſer befeuchtet war. „Da haft Du einen Blumen⸗ ſtrauß, ſagte Rahl, den Du dem unverſchämten Eng⸗ länder dort ſchenken kannſt. Er hat ja doch keinen!“ Mit beifälligem Nicken legte ich mir das Kraut handgerecht, während ich zu größerer Sicherheit das eine Knie auf den Wagenſitz ſtemmte, und die Maske ablegte, um beide Hände frei zu haben. Jetzt waren wir ihm gegenüber, und in dem Augenblicke, wo er ſich ſeitwärts bog, um eine Schaufel voll Gipskugeln auf einige vorübergehende Römerinnen zu entleeren, traf ihn der wohlgezielte Wurf auf die himmelblaue Halsbinde und die Seite des Backens. Wie vom Blitze gerührt, ſtürzte das lange Indivi— duum unter dem klaͤtſchenden Wurfe zuſammen, richtete ſich dann auf, und wollte voller Entrüftung aus dem Wagen ſpringen, um ſich an ſeinen An— greifern zu rächen. Wir aber ſchwenkten mit lautem Hurrah unſere Hüte, das Volk umher klatſchte — 189 — jauchzend in die Hände, und die Pferde zogen, von dem plötzlichen Jubel erſchreckt, lebhafter an, ſo daß wir bald einander aus dem Geſichte waren. Aber der Dank entging uns nicht. Denn als wir ſpäter noch einmal an derſelben Stelle vorüberkamen, er⸗ kannten uns die Umſtehenden auf den Balkonen, und unter wiederholtem Bravorufe wurden wir mit Blumen und Zuckerzeug überſchüttet. Den 11. Februar. Das Wetter iſt faſt anhaltend nebelig und kalt, ſo daß wir gezwungen ſind, der Zeit unſere Excurſionen abzuſtehlen. Doch konnten wir geſtern einen herrlichen Abend benutzen, um auf den Monte Mario hinaufzu— ſteigen und von dort aus den Sonnenuntergang zu genießen. Der Zutritt zu der halbverfallenen Villa wird zwar eigentlich nur gegen Vorzeigung einer Karte des Beſitzers geſtattet, allein ein Paar gute Worte und die Ausſicht auf einige Pauls bewogen doch die hübſche „ N „ h 5 1 * 5 u“. 2 5 1 190 ii — Beſchließerin, uns ohne weiteres einzulaſſen. Doch bat ſie recht beweglich, uns an dem Rande des Hügels zu halten, und nicht weiter in den Park hineinzugehn, da wir ſonſt leicht dem Herrn begegnen könnten. Den ſahen wir nun freilich nicht, wohl aber kam in der Abenddämmerung, als wir uns eben zurückzogen, ein ſpitzer Hut und eine Kapuze aus dem Walde hervor, deren allzugroße Ungeduld die Beſchließerin zu beklagen ſchien. Könnte ich nur fließender italiäniſch ſprechen! Eine Concurrenz mit dem geiſtlichen Herrn hätte vielleicht ihre be— ſondere Reize gehabt! Ich hätte ja Landſchaftsmaler werden, und alle Tage den Sonnenuntergang von dem Monte Mario aus ſtudiren können! Ich habe wieder vergeſſen, ob der Monte Mario ein Paar Fuß höher oder tiefer liegt, als die Spitze der Kuppel der St. Peterskirche. Dies thut der Ausſicht nichts zu und nichts ab. Du magft hin— kommen, wohin Du willſt, auf die Höhen der Villa Pamfili, der Villa Ludoviſi, des Monte Pincio, — überall empfangen Dich entzückende Ausſichten, bald nach dem Albanergebirg, bald nach der Campagna, bald wieder über die ewige Stadt ſelbſt. Nirgends aber vereinigt ſich Alles in einem ſo großartigen — Hd — Gemälde, nirgends erfaßt man ſo mit einem Blicke die ganze Bedeutung der Lage Roms, als von dieſem erhabenen Punkte aus, der die ganze Stadt beherrſcht und überſehen läßt. Zu Deinen Füßen liegt das neue Rom mit feinem großartigſten Monumente, dem St. Peter, deſſen coloſſale Kuppel ſich über die niederen Häuſſermaſſen erhebt, wie ein gewaltiger Rieſe unter kleinen Zwergen. Die ſpitzen Thürm— chen des Lateran, der Santa Maria Maggiore bil— den auf der einen Seite, die altersgrauen Maſſen des Coloſſeums und des Forums auf der andern die Umgrenzung der Stadt. Ueber die Ebene ziehen nach allen Weltgegenden die Linien der Waſſerleitungen und Aquäducte, welche die Stadt gleich rieſigen Armen nach dem Gebirge ſtreckt, um von dort aus ſich den kühlen Trunk zu holen, der in allen Straßen Roms reichlich quillt. Die ganze Ausdeh— nung der Campagna liegt vor Deinem Blicke: denn zur Rechten im Weſten ſinkt die Sonne in das Meer, das als glänzender Streif an dem Horizonte ſich hinzieht, und auf der anderen Seite ſchweift der Blick bis zu Soracte und zu den ſchneebedeckten Höhen der Lioneſſa, die durch die Schl BT des Sabinergebirges herüberdräut. Der Sonnenuntergang war herrlich. Die C pagna glühte in einem Lichte, wie ich es ie ge⸗ ſehen und der Himmel hatte Farben, deren grelle un lung uns faſt unnatürlich erſcheinen mußte, da wir gewohnt ſind, Alles Nach eine ver⸗ mittelnde Schicht grauen Dunſtes zu erblicken. 42 mußte die eigentliche hiſtoriſche Malerei geboren werden, ſagte Herwegh, nachdem wir eine lange Zeit ſtumm unſere Augen geweidet hatten. Die ſtrengen Linien dieſer Gebirge, die Todesſtille der öden Campagna mit ihren Ruinen und der dumpfen Luft, die auf ihr laſtet, und dieſer Himmel darüber, der in allen Farben des höchſten Glanzes erglüht, das bildet ja ſchon für ſich allein ein hiſtoriſches Gemälde, in dem alle Vergangenheit und Zukunft der Menſch— heit aufgezeichnet ſind, und wo man nur einzelne Figuren einzuſetzen braucht, um die ſpeciellen Be— gebenheiten einzuzeichnen.“ „Sie haben wohl Recht,“ antwortete Willers, indem er ſich langſam den Bart ſtrich, und noch einen Blick auf das Gebirge warf, das die letzten Strahlen der ſcheinenden Sonne ſammelte; „Sie haben wohl Recht! aber einen großen Bogen Papier müßte doch der haben, der das Albaner- gebirge genau ſo in ſeinen Linien zeichnen wollte * — 193 — wie es wirklich iſt.“ Das warf uns denn wieder aus dem hiſtoriſch elegiſchen Ton, den Herwegh angeſtimmt hatte, in die fröhliche Stimmung des Carnevals zurück, und als wir am Abend, in der Kneipe zu den tre latrone bei einem Glaſe Orvieto ſaßen, merkte uns Niemand an, daß wir heute auch ein Stück Weltgeſchichte mit durchgelebt hatten. Den 12. Februar. Die Einförmigkeit ermüdet, und es bedarf der Contraſte, um ſich in dieſem Leben des ankommen⸗ den Fremden in Rom die Sinne friſch und wach zu erhalten. Deshalb auch haben wir als unver— brüchliche Regel feſtgeſetzt, daß wir Nachmittags weder Gemälde noch Statuen mehr anſehen wollen, wenn wir den Morgen der Kunſt gewidmet hatten, und ſelbſt in dieſen Betrachtungen ſuchen wir uns ſo viel als möglich jene Abwechslung zu verſchaffen, welche die Uebermüdung verhüte. Heute fuhren wir zuerſt nach der Farneſina und ſodann nach St. Vogt's Briefe II. 13 — 104 => Pietro in vinculis, wo der koloſſale Moſes des Mi⸗ chel Angelo aufgeſtellt iſt. a Es iſt wirklich merkwürdig, daß das ſchönſte Gedicht, welches Raphael in ſeinem Leben verfertigt, die Geſchichte von Amor und Pſyche an der Dede des Gartenſaales der Farneſina, im Allgemeinen am wenigſten berückſichtigt wird, und daß es ſchwer hält, gute Kupferſtiche davon ſich zu verſchaffen. Die ſinnige Anordnung, womit die beiden großen Decken⸗ gemälde, das Gericht und das Gaſtmahl der Götter darſtellend, verbunden ſind mit den kleineren Seenen, die in den Zwickeln der ſeitlichen Gewölbe ſich be— finden, dieſe Anordnung iſt nur ein geringes Ver— dienſt gegenüber den herrlichen Compoſitionen, die in lieblicher Reihe das anmuthige Mährchen uns verſinn⸗ lichen. Rahls Lieblingsbild befindet ſich in dem einen Sockel, wo Papa Jupiter mit übereinandergeſchlagenen Beinen und dem gutmüthigſten Geſichte von der Welt den lieben Jungen, den Amor am Kopfe gefaßt hat, und ihm einen recht ſaftigen Schmatz auf den Backen drückt, wobei dem Alten vor lauter Rührung die Thränen in den grauen Bart rollen. Amor ſteht ſo gutmüthig dumm da, und läßt die Arme an dem Leibe herunterhangen, als könne er nicht drei zählen. — 19 — Aber neben dieſem gutmüthigen Vertrauen, mit dem er ſich ganz geduldig abſchmatzen läßt, ſieht man doch ein ſchalkhaftes Lächeln in ſeinen Zügen, das ſogleich zeigt, | er ſeie ſich feiner Ueberlegenheit über Papa Jupiter recht wohl bewußt. Ich kann Dir die Bilder nicht alle hernennen, die ſo die einzelnen Begebenheiten des Mährchens darſtellen. Ich kann Dir auch nicht alle die kleinen Liebes⸗ götter beſchreiben, die in den poſſirlichſten Stel⸗ lungen zwiſchen den Sockeln des Gewölbes ſich herumtreiben, und mit den verſchiedenen Attribu— ten der Götter und Helden, mit den Thieren des Waſſers und des Landes ihr loſes Spiel treiben. Dort ſchleppen zwei dieſer Schalksknechte mit ge⸗ waltiger Anſtrengung die Keule des Herkules, hier flieht Einer davon mit dem Hammer und der Zange des lahmen Vulkan, während ein Dritter die Roſſe des Neptun zu wilder Flucht ſpornt. Und nun gar der Hochzeitsſchmaus! Wie erſchallt da das unauslöſchliche Göttergelächter! Wie gibt ſich Alles einer ungeſtörten Freude hin, und wie ſcherzen Götter und Göttinnen unter einander, während der junge Ehemann Amor offenbar verlegen iſt und Frau Pſyche verſchämt bis über die Ohren erröthet . n 9 196 Neptun dem Waſſermanne iſt offenbar der Nectar etwas zu Kopfe geſtiegen, und er erlaubt ſich Frei⸗ heiten gegen ſeine Gemahlin Amphitrite, die ſich allerdings nur durch den Zuſtand entſchuldigen laſſen, in welchem er ſich eben befindet. Doch ich kann Dir dies Alles nicht beſchreiben; auch von dem Triumphe der Galathee, der in dem daran ſtoßenden Zimmer ſich befindet, mag ich Dir nichts Näheres ſagen, da Du Beſchreibungen und Kupferſtiche überall in Menge findeſt. Aber das iſt mir und uns Allen, die wir damals in der Farneſina waren, klar geworden, daß Raphael den Gipfelpunkt der Kunſt nicht in den Madonnen, nicht in der Diſputa, und nicht in all jenen anderen be- rühmten Werken dieſer Art erreicht hat, ſondern vielmehr in den herrlichen Schöpfungen, denen er ſich hingeben konnte, wenn er von den Feſſeln des Chriſtenthumes befreit war. Ich begreife warlich nicht, wie man Angeſichts aller dieſer Schöpfungen noch behaupten mag, daß das Chriſtenthum es ſei, welches in dem Katholicismus der Kunſt einen neuen Hebel in die Hand gegeben habe. So lange Raphael und Michel Angelo noch chriſtlich waren, und den chriſtlichen Typus in der Kunſt einiger— — 197 — maßen feſt hielten, klebte ihnen auch eine ges wiſſe Langweile, Aengſtlichkeit, mit einem Worte jene chriſtliche Demuth an, die alles Vorragende zu Grunde richtet und niederbeugt. Erſt als ſie Heiden wurden, und den Glauben mit all ſeinen Typen und Verzerrungen hinter ſich warfen, erſt dann wurden fie, was fie find und für alle Zeiten bleiben werden. Was iſt denn die chriſtliche Kunſt anders, als eine Darſtellung jener verzerrten Züge, welche der Glaube dem rein Menſchlichen aufdrückt? Was iſt ſie anders, als eine Verhäßlichung des menſchlichen Ideals, das ſie zerknirſchen und mit allen möglichen Flecken des Körpers und des Geiſtes beladen muß, um den Contraſt herauszubringen, den das Göttliche dieſem Menſchlichen gegenüber haben ſoll? Worin liegt denn dieſer chriſtliche Typus, als eben in der Unterdrückung des Sinnlichen, das den Menſchen erſt ſchön macht, und wenn die Schönheit das letzte Ziel der Kunſt ſein ſoll, iſt dann nicht das Chriſtenthum der lebendige Gegenſatz aller Kunſt, eben weil ſein Zweck iſt, das Sinnliche zu ertödten? — Aber ich will mich in keine längere Discuſſion ſolcher Dinge einlaſſen, die jedem klar werden müſſen, HN n der mit unverfälſchtem Sinne die Kunſtgeſchichte betrachtet und ſieht, wie die Einführung des Chriſten— thumes die antike Kunſt zurückſchleuderte, um an deren Stelle eine Menge ungenießbarer Typen zu ſetzen, und wie erſt nach und nach mit gewaltigem Ringen die Kunſt ſich aus dieſen Feſſeln befreien mußte, welche ihr die Barbarei des Glaubens ge—⸗ ſchlagen hatte. Wir haben nun Kirchen und Gallerien wiederholt angeſchaut und durchlaufen, und ich habe mich ſtets mehr und mehr gelangweilt an all dieſen chriſtlichen Schildereien, womit der Glaube ſeine Kirchen und Kapellen ausſtaffirte. Ich habe mich gelangweilt an dieſen typiſchen Geſtalten mit langen Geſichtern, an dieſen Weibern, die keine Kinder gebären, und dieſen Männern, die keine zeugen können. Die Statue des Moſes, welche in der kleinen unanſehnlichen Kirche von St. Pietro in vinculis ſich befindet, hat mir mehr Eindruck gemacht, als der ganze Vatican mit all ſeinen Göttern, den Apollo von Belvedere und den olympiſchen Jupiter nicht ausgenommen. Die rieſige, von einem weiten Mantel umwallte Geſtalt ruht fitzend, während fie mit der einen Hand ſich auf die Geſetztafeln lehnt, und mit der andern in den Locken des langen Bartes — 199 — ſpielt, die bis über den Gürtel herabwallen. Es liegt eine furchtbare Kraft in dieſen eiſernen Zügen, und man fühlt es wohl, daß eine ſolche übermenſch— liche Geſtalt dazu gehörte, um ein durch Knechtſchaft entartetes feiges Volk zur Selbſtſtändigkeit zu er⸗ mannen. Es iſt die erſte und die einzige Statue, die mir Leben und innere Lebenskraft zu haben ſchien. Es iſt die einzige, bei welcher ich vergeſſen konnte, daß ich einen Marmor vor mir hatte. Die Ge⸗ ſtalten, welche ich auf Gemälden geſehen habe, bleiben mir meiſt ſo lebhaft in dem Gedächtniſſe eingeprägt, daß ich nur die Augen zu ſchließen brauche, um ſie in Farben vor mir zu ſehen. Bei Statuen iſt mir das Gleiche nur bei dem Moſes begegnet. In der verfloſſenen Nacht miſchte ſich ſogar dieſe ſtrenge ernſte Geſtalt auf wunderbare Weiſe in die Götter⸗ verſammlung der Farneſina, die mich im Traume beſchäftigte. Sie hatte ſich zu dem Gaſtmahle an die Stelle des Jupiter geſetzt, und die übrigen Götter ſchienen die Verwechslung gar nicht zu gewahren, ſondern mit ihrem Genoſſen zu verkehren, wie wenn er dorthin gehöre. Allmählig glätteten ſich auch die Falten des Geſichtes; der ſtrenge Ausdruck des Auges verlor ſich, und die beiden Amoretten, welche — 200 — die Keule des Herkules ſchleppen, ſchlupften in den langen Bart, bemächtigten ſich der wallenden Locken, und ſchlugen damit, wie mit Plumpſäcken, auf Amor und Pſyche los, deren Verlegenheit durch ſolch neckiſches Beginnen nur um ſo größer wurde. Ich weiß nicht, was noch weiter aus dem phantaſtiſchen Traumbilde geworden wäre. Es verſchwand unter anderen, und nur die Erinnerung blieb mir, welche ich Dir hier aufzeichne. 5 Den 16. Februar. Senza moccolo! Kennſt Du den Zauberruf, der ganz Rom auf die Straßen lockt, und der uns mit all ſeiner Begleitung ſeit vorgeſtern in dem Kopfe ſummt? Senza moccolo! Wer das nicht gehört hat und zwar aus römiſchen Kehlen gehört hat, der begebe ſich getroſt auf die Reiſe, und fahre Tag und Nacht, bis er, wie jener Engländer an dem Mont blanc, ſo an dem letzten Carnevalstage in Rom ankommt, wo er auf dem Corſo den Abend — 201 — zubringen kann, beſchäftigt mit Ausblaſen und An— zünden von Lichtern und umſchwirrt von dem taufend= ſtimmigen Rufe: Senza moccolo! Goethe hat allen Deutſchen ſchon erzählt, daß der Carneval mit einem ſolchen Spiele endigt, und daß das Geſchrei, die Hitze, das Gedränge auf dem Corſo an dieſem Abend ganz unerträglich ſei. „Als ihr das letzte Mal fuhrt, ſagte Rahl, ſeid ihr bei dem Blumenwerfen ſchon in Eifer gerathen, drum bitte ich Euch, zieht heute eure ſchlechteſten Röcke an, denn ohne einige abgeriſſene Schöße werdet ihr nicht davon kommen Als ich das erſte Mal den Moccolo-Abend mitmachte ſah ich am Ende aus, wie ein Menſch, der von Straßenräubern überfallen, oder in einer Katzbalgerei arg mißhandelt worden iſt.“ Ich habe Dir, glaube ich, ſchon gefagt, daß die Römerinnen die ſchönſten Weiber der Welt ſind, ſo weit wenigſtens meine Beobachtungen reichen, die ſich noch nicht auf andere Welttheile, als Europa, erſtrecken. Die Römerinnen haben Alle etwas Groß⸗ artiges, Majeſtätiſches in Geſicht und Haltung. Es ſind volle kräftige Frauen mit ſchwarzen Haaren und Augen und wenn Du mir fagft, daß ihre Hände und Füße nicht fo klein und niedlich find, als vie- — WW — jenigen der Pariſerinnen, ſo gebe ich Dir vollkommen Recht, antworte aber, daß dies auch nicht nöthig ſcheine, da ſie doch in vollem Verhältniß zu den Formen des Körpers ſtehen. Unſere roͤmiſchen Freunde behaupten: die Römerinnen ſeien kalt, und ich will ihnen nicht widerſprechen mit meiner kurzen Erfah⸗ rung von 14 Tagen. Aber daß ihre Augen nicht kalt ſind, ſondern Flammen ſprühen, und ihr Mie⸗ nenſpiel, ihre Geberden an Lebhaftigkeit unerreicht ſind, das kann ich behaupten. Glaube nicht, daß ich deshalb ſagen wollte, alle Römerinnen ſeien unbedingt ſchön zu nennen. Die Schönheit will überall geſucht ſein, warum nicht auch hier? Es fragt ſich nur, wo man ſie leichter findet. Aber jene glatten Alltagsgeſichter findet man nicht, die zwar zwei Backen, einen Mund, und was ſonſt etwa noch zu einem Geſichte gehören kann, aufzuzeigen haben, wo man aber vergebens die Prägung irgend eines Characters in den Zügen ſucht. Ein jedes römiſche Geſicht trägt ſeine Leidenſchaften und Apa— thieen, ſeine Tugenden und Laſter offen in ſeinen Zügen umher, und für denjenigen, der fi für Phy- ſiognomik intereſſirt, bietet Rom das reichſte Feld, weil es das ſicherſte iſt. — 20 — Es ſind die Weiber, Freund, welche die Race erhalten, die in Körper und Geiſt den Typus des Volksſtammes am längſten bewahren, und darum gleichſam den Spiegel der Zukunft und der Ver— gangenheit bilden, die einem Volke beſchieden ſind. Du wirſt wohl ſchon oft Bemerkungen gemacht haben über das Mißverhältniß, welches in manchen Volks— ſtämmen zwiſchen Männern und Weibern exiſtirt, wie dort das männliche, hier das weibliche Geſchlecht hinter dem andern an körperlicher Schönheit, wie an geiſtiger Ausbildung zurückſteht. Dies Verhältniß zwiſchen den beiden Geſchlechtern iſt es gerade, aus dem man Vergangenheit und Zukunft erſchließen kann. Gutes und Schlechtes, Fortſchritt und Rück— ſchritt wird zuerſt von dem Manne angenommen, und geht von dieſem auf das Weib über, deſſen con- ſervative Natur nur weit allmähliger den fremden Einflüſſen nachgibt. Da aber die Stufe geiſtiger Cultur, die ein Volk einnimmt, ſich nicht nur in ſeiner Körperbildung reflectirt, ſondern geradezu von derſelben abhängt, ſo iſt es leicht erklärlich, daß in einer aufſtrebenden Nation, die im Fortſchritte be— griffen iſt, die Männer, in einer ſinkenden dagegen die Weiber den Vorzug der Körperfchönheit und N — 204 — der intellectuellen Fähigkeiten in Anſpruch nehmen können. Findeſt Du einen Volksſtamm, der ſchöne Weiber, aber im Durchſchnitte häßliche, ſchlecht ges bildete Männer hat, ſo kannſt Du mit Sicherheit a behaupten, daß derſelbe ſchon längſt feinen Culmi⸗ nationspunkt überſchritten hat, und dem Untergange entgegengeht. Wie ſchlagend findeſt Du dieſe Wahrheit in Rom beſtätigt. In jeder Bewegung, jeder Stellung dieſer Weiber tritt Dir etwas Großartiges, Imponirendes entgegen, daß Dir, ich will gerade nicht ſagen Ehr— furcht, aber doch ein ähnliches Gefühl abnöthigt. Wäre mir das Wort plaſtiſch nicht zum Ekel (ich habe einmal von ſehr gelehrten Männern behaupten hören, in W. von Humboldt's Werk über die Kawi⸗Sprache herrſche eine ſehr plaſtiſche Ausdrucks- weiſe) wäre mir das Wort nicht zum Ckel, ich würde ſagen: die Römerinnen ſeien in allen ihren Bewegungen durchaus plaſtiſch. Nun ſtelle Dir dieſe herrlichen Weiber vor in ſchönen Koſtümen, welche beſonders die vollen breiten Schultern, den herrlich geformten Nacken und Hals hervorheben, wie ſie ihr angezündetes Moccolo gegen die Angriffe Derer vertheidigen, die es auszu— löſchen ſtreben. Das Lichtchen hoch in die Höhe haltend, ſuchen fie mit der andern Hand die An greifer abzuwehren, während ihre ſpottenden Lippen das Feldgeſchrei: Senza moccolo! ihnen entgegen rufen. In dem Verlaufe weniger Augenblicke haſt Du hier eine Reihe von Bildern, Gruppen, und lebhaft bewegten Scenen, die keine Beſchreibung wiedergeben, kein Pinſel verſinnlichen kann. Dort zieht langſamen Schrittes ein Wagen hin mit einem halben Dutzend der ſchönſten Römerinnen beſetzt, und zum Ueberfluße noch vertheidigt von einem Paar handfeſter Burſchen, welche mit Plumpſäcken dem Angriffe wehren. Hell flackern die Lichtchen, welche die Schönen in die Höhe halten und höhnend for— dert der Ausruf: Senza moccolo! die Umſtehenden auf, die Feſtung zu ſtürmen und ihren Glanz zu löſchen. Ein dichter Knäuel umgibt den Wagen. An den Rädern klettert man hinauf, den hinteren Sitz ſucht man zu erſteigen und erntet bei ſolchen Verſuchen Püffe in Menge, welche unter ſtetem Lachen und Scherzen auf das Freigebigſte ausgetheilt werden. Muthwillig laſſen die Schönen das flieſ— ſende Wachs ihrer Kerzen auf Hände, Kleider und Hüte der Angreifenden herabtropfen, ſie fahren ihnen BE mit den brennenden Kerzen in das Geſicht, und je beſſer einer abgeführt iſt, deſto lebhafter iſt der Triumph, der zuweilen nur durch ein halb mitleidiges halb ſpötti— ſches „oh! poveretto!“ unterbrochen wird. Die An⸗ greifer ändern nun ihre Taktik. Alte Schnupftücher werden an lange Stöcke gebunden, von den Bal- konen, aus den Fenſtern herab werden lange Rohre geſchwungen, die ſolche Fahnen tragen, und mit welchen man die Lichter in den Wagen auszulöfchen ſucht. Die Angegriffenen aber haben ſcharfe Hacken, womit ſie die Tücher zerreißen, ſtarke Stöcke zum Zerhauen der Rohre, und wenn es auch hier und da gelingt, ein Lichtchen auszulöſchen, ſo iſt der Nach— bar in dem Wagen ſtets bei der Hand, um den Unfall zu verbeſſern, und den alten Glanz wiederherzuſtellen. Gelingt es aber nach unſäglichen Anſtrengungen endlich die Lichter eines Wagens zu verlöſchen, dann klaſcht Alles in die Hände, lautes Bravorufen er— ſchallt, den Ausgelöſchten wird ein Rübchen geſchabt, oder, ein Reſt antiker Sitte, das Hahnreizeichen gemacht, und das Hohngeſchrei: Senza moccolo! pflanzt ſich tauſendſtimmig über den Corſo hinaus fort. Die Beleuchtung der Straße durch dieſes tolle — 27 — Spiel kann durch officielle Illuminationen nicht im Entfernteſten nachgeahmt, geſchweige denn erreicht werden. All dieſe Millionen Lichter ſind in be— ſtändiger Bewegung, flackern dort auf, verlöſchen hier wieder, und ſo iſt ſteter Wechſel bei bleiben— dem Geſammteindrucke der weſentliche Character dieſes Moccoloabends. Uns war es gegangen, wie Rahl prophezeit hatte. Wir waren in eine völlige Ausgelaſſenheit hineingerathen, und ein Wa— gen voll Jägerinnen, auf dem ſich das ſchönſte Mädchen befand, welches ich in Rom ſah, hatte unſerer Beſonnenheit den letzten Stoß verſetzt. Erſt am andern Morgen, als wir uns betrachteten, konn- ten wir uns wundern über die Tollheit, mit der auch wir angeſteckt worden waren. Blaue Flecken und Schrammen trugen wir in Menge davon, un— ſere Hüte waren vollkommen demolirt, unſere Röcke jo zerriſſen, daß wir zwei Tage lang im Frack ums hergehen mußten, aber hatten wir dafür nicht die Satisfastion, — den ſchönen Jägerinnen die Lichter ausgeblaſen zu haben? Ich könnte Dir nun bei dieſem Anlaß ſchon wieder von der Plumpheit und Rohheit der Eng— länder erzählen, die den Moccoloabend jo eigent- — 208 — lich wie ein Borvergnügen bei Kerzenbeleuchtung anſehen. Die Püffe ſind ihnen die Hauptſache, das Auslöſchen der Lichter nur eine nothwendige Folge eines gut ausgeführten Schlages. Trotz des vielen Drängens, trotz der Lebhaftigkeit, mit welcher das ganze Spiel geführt wird, bleibt es doch dem Italiäner ein bloſes Spiel, das niemals in eine Rauferei oder gar Schlägerei ausartet. Nir⸗ gends habe ich ein Zeichen üblen Humors, niemals irgend eine gereizte Handlung erblicken können, welche zu fernerer Streitigkeit Veranlaſſung gegeben hätte. Das Anſtandsgefühl, das auch der geringſte Mann aus dem Volke beſitzt, herrſcht ſelbſt in dieſen Stun⸗ den der tollſten Ausgelaſſenheit, und niemals wird vergeſſen, daß der Scherz auch Scherz bleiben jo. Deshalb können ſich denn auch die Italiäner nur ſchwer entſchließen, den grämlichen Beefſteaks, die ihr Licht mit Fauſtſtößen vertheidigen, einen Denk⸗ zettel anzuhängen. Es muß arg kommen, damit dies geſchehe. Ich ſah zwei junge Fante mit grauen Hüten und ſteifen Nacken, die mit ungemein hölzernen Geſichtern durch die Menge ſchritten und ihre Kerzen etwa gerade ſo trugen, wie ein gutgeſchulter Bediente beim Voranleuchten in den aa > Speiſeſaal. Ein Mann in kurzer Jacke blies dem Einen das Licht aus, der augenblicklich mit einem Fauſtſtoße auf den Magen antwortete, welcher den Mann zu Boden warf. Das war denn doch zu arg und ehe noch die beiden Ingleſe zur Beſinnung kamen, lagen fie am Boden und waren weiblich abgeprügelt. Wir ſtanden im Kreiſe und lachten, was den Einen ſo empörte, daß er mit geballten Fäuſten auf uns losfuhr, aber doch bei genauerer Betrachtung unſerer Individualitäten ſich dann eines Beſſeren beſann, und beſchämt mit ſeinen Geſellen abzog. Den 22. Februar. Das tolle Leben des Carnevals iſt nun verrauſcht und Alles in ſein gewöhnliches Geleiſe zurückge⸗ kehrt. Wir haben geſtern einen ſchönen Tag be= nutzt, um mit zwei jüngeren Freunden und Schülern Rahl's einen Ausflug nach Tivoli zu machen. Noch bei dunkler Nacht fuhren die beiden Freunde vor Vogi's Briefe II. 14 — 210 — unferer Wohnung an und erſt als wir ſchon eine Weile in der Campagna vorgerückt waren, begann es zu tagen. Der Nebel war ſo dicht, daß wir keine 20 Schritte vor uns ſehen konnten. Bald hörten wir Hufſchlag hinter uns und in Kurzem tauchte aus dem Nebel ein trottender Reiter hervor, der uns einen vergnügten guten Morgen bot, und um die Erlaubniß bat, uns ein Stück Wegs begleiten zu dürfen. Es war ein unterſetzter ſtämmiger Mann, der trotz der Kälte ſeinen Mantel über den Sattel⸗ knopf geworfen hatte, und den offenbar das Bedürf— niß, den einſamen Weg durch Unterhaltung zu würzen, an die Seite unſerer Kutſche führte Er ſei aus dem Gebirge, erzählte er uns, einige Meilen hinter Subiaco zu Hauſe, habe Geſchäfte in Rom gehabt, und kehre nun auf ſeinem Klepper nach der Heimath zurück. Sein Pferdchen ſei ein ganz vor⸗ trefflicher Renner, was ihm erlaube, manchmal ſolche Excurſionen zu machen, und wenn wir ein— mal kommen wollten, ihn zu beſuchen, natürlich im Sommer, denn jetzt im Winter ſeie es zu unfreund— lich dort oben, ſo werde er uns lauter ſolche Pferde verſchaffen, damit wir bequem und ſchnell das Ge— birge bereiſen könnten. Nun ſprach der Mann von — 1 — feinem Handel feiner Viehzucht, von feiner Familie und ſeinen Verwandten, von der wilden Schönheit der Felſen und Wälder, die ſein Dorf umgeben ſtets mit ſo gewandtem Ausdrucke und ſo offenem Sinne, daß ich wirklich mit Bewunderung ſeinem Geſpräche zuhörte. Welcher Unterſchied, dachte ich, zwiſchen dieſem wohlhabenden Bauer und un— ſeren Landbeſitzern, die höchſtens vom Preiſe des Kornes und von den Plackereien der Adminiſtrations— und Steuer-Beamten zu erzählen wiſſen! Mit welcher Leichtigkeit dieſer ſchlichte Mann die Rede handhabte! Leichte Witze und Anſpielungen wechſelten mit dem natürlichſten Ausdrucke ſeiner Empfindungen, und ich hätte wahrlich unter der Unſumme von Räthen, aus der die Büreaukratie meines Vaterlandes zu— ſammengeſetzt iſt, lange ſuchen können, um einen jo angenehmen und würzigen Geſellſchafter zu fin⸗ den. Auf Wiederſehn in Tivoli! rief er uns ganz munter zu, indem er nach einem Meierhofe abbog, der in der Nähe lag. Der Nebel hatte ſich all- mählig gelichtet, und als wir in den ödeſten Theil der Campagna einzogen, begünſtigte uns die herr— lichſte Sonne. Welch öde Gegend! Ein ſchwefeliges Waſſer ſchleicht langſam durch dieſe verpeſteten I Et = Thäler, über denen das Fieber und die Malaria ſchwebt. Grau und todt iſt Alles, aber um deſto friſcher hebt ſich aus dieſer kahlen Ebene das Ge⸗ birg, an deſſen Fuße die Villen und Häuſer von Tivoli ſich ausbreiten. Wir wollten in der Malerkneipe an dem Tempel der Sibolla unſer Abſteigequartier nehmen, vorher aber noch im Vorbeigehn die Villa d'Eſte beſuchen, deren Copreſſen von allen Landſchaftsmalern, die Rom je beſucht haben, wenigſtens einmal copirt worden find. Unter dieſen Cypreſſen, die wahrhaft coloſſal ſind und eine herrliche Gruppe bilden, ſoll einer, freilich unrichtigen Sage zufolge, der Taſſo einen Theil ſeines befreiten Jeruſalem gedichtet baben. Die Cypreſſen ſelbſt gehören zu der Zahl der „Hu⸗ ren,“ wie unſere deutſchen Maler ſie ziemlich un⸗ äſthetiſch nennen. Es gibt einige ſolcher auffallenden Bäume, Landhäuſer und Vedutten, wie die Pinien der Villa Pamphili, mit denen jeder neue Ankömm⸗ ling ſich genauer bekannt macht, und die deshalb mit jenem unäſtethiſchen Collectivnamen bezeichnet werden. Von dem oberen Theile der ganz verfallenen und verwilderten Gartenanlagen genießt man eine — 213 — herrliche Ausſicht über die Campagna, aus der in der Ferne die Thürme von Rom hervorragen. Auch eine Nachbildung der antiken Monumente im Kleinen findet man auf einer Terraſſe, die nebenbei im Zopf⸗ ſtyle ausgeſchmückt iſt, eine ſonderbare Zuſammen⸗ ſtellung! | Ich gebe Dir keine Beſchreibung des Sibyllen— tempels, der Grotte des Neptun und des großen Waſſerfalles des Anio, dem man durch einen Tunnel, welcher durch den Berg gegraben wurde, alle male— riſche Schönheit genommen hat. Der obligate Eſels⸗ ritt um Tivoli herum im Angeſicht der Cascatellen wird mir aber ewig im Gedächtniß bleiben. Wir waren wie Kinder, und unſere armen Thiere mußten es entgelten. In den holperigen Fußpfaden des Oelwaldes wurde galoppirt, wie wenn wir uns auf der ebenſten Chauſſee befänden, und unſere Eſel waren bald ſo toll gemacht, daß ſie über Stock und Steine ohne Aufhören mit uns davon rannten. So fuhren wir wie das wilde Heer in eine reitende Engländerfamilie, die uns entgegenkam, und deren Thiere ebenfalls von der bachantiſchen Tollheit er— griffen, mit lautem Geſchrei ſich unſern Ren⸗ nern anſchloſſen. Das Rufen der Führer, der In- — 214 — grimm der Engländer, die Verzweiflung der Lady's, das Geſchrei der Thiere, unſer unbändiges Lachen gab einen wahren Hexenſabbath, eine wilde Jagd, die eine Zeit lang über Dick und Dünn dahin⸗ brauſte, bis gänzliche Erſchöpfung Thiere und Reiter zum Halten zwang. Wir warfen uns ins Gras und lachten, während die Engländer fluchend ihre Thiere umdrehten und von dannen zogen. Ich glaubte überſättigt zu ſein mit Waſſerfällen, deren ich ſo viele in der Schweiz geſehen hatte. Die Cascatellen aber finden an Lieblichkeit ihres Gleichen wohl nicht in der ganzen Welt, und ich kann mir wohl vorſtellen, wie man Tage lang ihnen gegenüber im Graſe liegen und im dolce far niente feinen Gedanken nachhängen kann. Den Nachmittag brachten wir in der Villa Adriana zu. Ungeheure Ruinen ſchlafen hier unter dem wuchernden Epheu, unter Pinien und Cypreſſen, die der Zufall umhergeſtreut hat, und deren Contraſt in jedem Augenblick die herrlichſten Bilder bietet. Man weiß uns viel zu erzählen von der Pracht dieſes Alterthumes, als es noch in ſeinem Glanze beſtand. Ich mögte ſeine Ruinen nicht gegen dieſen Glanz austaufchen ! 555 Soll ich Dir noch ſagen, wie ſich die Campagna im Mondſcheine ausnimmt? Wir ſahen das zwar auf der Heimfahrt, allein die Eindrücke, die wir heute geſammelt, waren zu mannigfach, als daß ich fie Dir beſchreiben könnte, und ſie blieben nicht unge⸗ trübt, weil wir uns ſagen mußten, daß das Reich der Poeſie bald enden und die Proſa des alltäglichen Lebens beginnen würde. | Den 25. Februar. Du möchteft gerne Einiges von den neueren Künſtlern, und dem Treiben derſelben in Rom wiſſen? So leicht eine ſolche Frage zu ſtellen, ſo ſchwer iſt ſite zu beantworten, da man zumal in Rom den Maß⸗ ſtab für die Beurtheilung der neueren Kunſtleiſtungen nicht mehr hat, den man an andern Orten anlegen kann. Man läuft durch die Ateliers und betrachtet ſich all dieſe Genrebildchen und Veduten, über welche man den Verfertigern einige ſchmeichelhafte Worte ſagen muß, während man den Kopf voll hat von 4 u 7 216 = all den Meiſterwerken, die man den Gallerien des Papſtes und der Großen kaum mehr als flüchtig hat betrachten können. Wie iſt es da möglich, daß man nicht ungerecht werde, und dasjenige gering⸗ ſchätzig behandle, was fern von ſolchen Vorbildern unſeren ungetheilten Beifall ernten würde? Und dann das Leben! Hat es nicht die harte Vergleichung zu beſtehen mit dem Volksleben des Römers, mit der Oeffentlichkeit und Lebendigkeit, die deſſen ganzes Treiben auszeichnet? Darf man da nicht von vornen herein erwarten, daß unſer nordiſches Stubenleben, die angeborne Aengſtlichkeit, die uns der Oeffentlich— keit gegenüber anklebt, einen üblen Eindruck auf uns machen, und das gemüthliche Element verkennen laſſe, welches vielleicht dennoch darin vorwaltet? Das ſind Klippen, die um ſo ſchwerer zu vermeiden find, als Jeder ſein beſcheiden Theilchen von Aner⸗ kennung verlangt und ſich beleidigt fühlt, wenn es ihm verſagt wird. Die deutſche Künſtlerwelt hat ſich ſeit einem Jahre etwa einen Vereinigungspunkt geſchaffen, in- dem ſie in einem Palaſte an dem Corſo in der Nähe des Palazzo Sciarra ein großartiges Local ge= miethet hat, das beſonders für die Verſammlungen — 217 des Abends beſtimmt und häufig beſucht iſt. Wenn Du aber erwarteſt, in dieſer Geſellſchaft einen freien Ton zu finden, jenen Humor, den man ſo oft als ausſchließliches Eigenthum der Künſtler will gelten laſſen, ſo irrſt Du gewaltig. Es hat ſich der platteſte berliner Geſellſchaftston in dieſe Künſtlerwelt einge— ſchlichen, und nur der Handwerksjargon, mit wel— chem ſie von Kunſtwerken, von Malerei und Sculptur ſprechen, belehrt Dich, daß Du Dich nicht in einer Verſammlung philiſtröſer Commis befindeſt, die das Wenige von guten Sitten, das ſie gelernt haben, in einer unerhörten Steifheit an den Mann bringen zu müſſen glauben. Berlin hat auch, wie es ſcheint, den größten Antheil an dieſer pilzartig aufgeſchoſ— ſenen Vegetation von Malern in Frack und Glacee- handſchuhen, unter denen einige ärmliche Literaten und Philologen, die Handſchriften vergleichen, den herrſchenden Ton angeben. Man ſteht, wie dieſes Volk ohne Genie und meiſt von ſehr geringem Ta— lent abhängig iſt von dem Zufalle, der ihm eine zahlende Beute in die Klauen führt, und wie alle induſtrielle Geſchmeidigkeit, deren ſie nur irgend fähig ſind, nöthig iſt, um ihre Exiſtenz flott zu erhalten. ee 7. 4 Es wurden während des Carnevals mehre kleine tasfenbälle veranſtaltet, bei welchen die Wohlge— zogenheit und Nüchternheit dieſes größten Theiles der jüngeren Künſtler in einer Weiſe hervortraten, die man höchſtens nur in den kleinen Provinzial⸗ ſtädten wiederfindet. Die bedenklichſten Anordnungen waren getroffen, damit ja nicht durch Einführung einer zweideutigen Perſon der Herr Graf von ſo und ſo und der Herr Baron von dies und das in ihrer Würde könnten beleidigt werden. Ja ſogar Mädchen aus Bürgersfamilien von Rom wurden beanſtandet an dieſem Bal paré Antheil nehmen zu können, dem nur die Honorationen angehbren ſollten, und ſo war es den Feſtordnern geglückt, einen ſolch ledernen Ton, eine ſolche Langweile über dieſen Ball zu verbreiten, daß uns der Muth fehlte, einem zwei— ten beizuwohnen. Wie ſchlimm es um den Geiſt ausſehen möge, der unter der bezeichneten Künſtlerfaction herrſcht, kannſt Du daraus entnehmen, daß früher in dieſem Vereine ein Skizzenbuch aufgelegt war, welches, wie begreiflich, beſonders zu luſtigen Karrikaturen der Künſtler auf ſich ſelbſt benutzt wurde. Ich habe dieſes Karrikaturenbuch geſehen, und wahrhaftig die N darin karrikirten Perſonen waren mit ſo viel gut— müthigem Humor, fo ohne alle Biſſigkeit behandelt, daß es mir unbegreiflich iſt, wie die Tonangeber beſchließen konnten, es dürfe ein ſolches Skizzenbuch nicht mehr aufgelegt werden. Der Humor hat in der That keine Berechtigung mehr in dieſer Künſt— lergeneration, und ich glaube, es bedarf nicht mehr, um nachzuweiſen, daß ſie ſich ſelber den Stab ge— brochen hat. Von dieſer Generation junger Künſtler, von welcher ſich Deutſchland wahrlich nicht viel ver— ſprechen darf, unterſcheiden ſich nur einige junge, kräf— tige Naturen, die ihren eignen Weg gehen, und wenn auch nicht ohne Kampf, dennoch ſich die Anerken— nung errungen haben, die ihnen gebührt. Ich werde Dir hier nicht von den Meiſtern ſprechen, die ſich aus einer älteren Periode in unſere Zeit hinüber— gelebt haben, dem alten Reinhard, mit dem wir einige Mal zuſammengetroffen find, dem Tiebens- würdigen Riepenhauſen, dem derben Wagner, ſon⸗ dern von einigen Jüngeren, die wohl zu wenig in Deutſchland gekannt ſind, und dennoch die Aner— kennung der Mitwelt in hohem Grade verdienen. Allen voran ſteht Rahl, in dem die alten Ve— — a — nezianer wieder erſtanden ſcheinen. Ich darf wobl, ſagen, daß ohne ſein Atelier Rom für uns nur die Hälfte anziehender Kraft gehabt haben würde, die uns vier Wochen lang dort feſthielt. Wie manches Stündchen habe ich dort zugebracht, ſinnend vor einem lieblichen Frauenkopfe, den er „Esme⸗ ralda“ getauft hatte und zuletzt „meine Geliebte“ nannte, und habe ſeinen Debatten zugehört, womit er feine Entwürfe ſich klar machte und Fritifirte.! Wie manche Stunde habe ich vor ſeinem Manfred geſeſſen, der damals an der Porta del popolo aus⸗ geſtellt war, und trotz der kühnen Malerei den un- getheilteſten Beifall erntete! Rahl iſt Maler im vollſten Sinne des Wortes, und ich kenne keinen Zeitgenoſſen, der ihm in Behandlung der Farbe auch nur entfernt an die Seite geſtellt werden könnte. Darin gleicht er den alten Venezianern, die er auch vorzugsweiſe ſtudirt, deren Behandlungsart er ſich zu eigen gemacht hat. Jede ſeiner Compoſitionen bringt ſchon durch die Farbe allein ein wohlthuen⸗ des Gefühl hervor, da derſelbe feine Sinn, der den Titian und den Paul Veroneſe leitete, auch unſerem Freunde mitgetheilt ſcheint. Die Compoſitionen Rahls haben mich eben ſo — ſehr angeſprochen, wie feine Behandlung der Farbe. Ueberall ſpricht ſich eine ungezähmte Kraft, aber auch ein bewußtes Streben aus, das des Zieles klar iſt, nach welchem es hinſteuert. Ueberall findeſt Du ein tiefes Studium mit freier Anſchauung ge⸗ paart, und oft auch eine Tendenz, der freilich nur wenig Gelegenheit gegeben wurde, ſich klar auszu⸗ ſprechen. Ich wünſchte, ich könnte Dir zum Belege deſſen, was ich geſagt, einige ſeiner Skizzen zeigen, die längſt ausgeführt ſein müßten, wenn unſer Zeit— alter noch Sinn für etwas Anderes, als Genrebilder hätte. Was hätte ich darum gegeben, jene Skizze ausgeführt zu beſitzen, die den Odyſſeus darſtellt, wie er bei den Phäaken weilend durch den Geſang das Demodokos zu Thränen gerührt wird, und auf die Frage des Königs die Geſchichte ſeiner Irrfahrten zu erzählen beginnt. Auf der einen Seite ſitzt Odyſſeus, das Geſicht mit dem Mantel verhüllend, der ihm von den nervigen Schultern fällt; gegenüber der Sänger in weißem Barte, dem der König mit einer Handbewegung Schweigen gebietet. Nauſicaa, eine wahrhaft junoniſche Geftalt, lehnt ſich auf den Seſſel des Königs, und man ſieht, daß ſie es iſt, die zuerſt den Schmerz des Fremdlings bemerkt und a ihren Vater darauf aufmerkſam gemacht hat. Die Skizze iſt einfach, wie die Handlung, welche ſie darſtellt. Aber durch die hohe Säulenhalle, in wel- cher die Scene vor ſich geht, blickt man hinaus auf das Meer, auf einen Tempel und in den hellen Himmel, aus dem ein Strahl jenes ſonnigen Lichtes dringt, das in den Gefängen des alten Homer leuchtet. Alle Tinten ſind hell, klar und doch ſo wohlthuend abgeſtuft, daß man die wärmende Sonne zu fühlen glaubt, ohne von ihren Strahlen geblendet zu werden. Man fühlt, daß nur unter ſolchem Himmel ſolche Menſchen gedeihen, ſolche Thaten geſungen werden konnten. Je länger wir dieſe wunderbare Skizze betrachteten, je mehr wir uns in dieſe innige Poeſie hinein lebten, welche in der Farbengebung derſelben verwirklicht war, deſto lebhafter drang ſich in uns die Ueberzeugung auf, daß es nur der Ausführung dieſes Entwurfes im Großen bedürfe, um Rahl uns beſtritten als den Meiſter unſerer Zeit hinzuſtellen. Ich wenigſtens kenne keinen Anderen, der ihm an die Seite geſetzt werden könnte, und daß ich richtig fühlte, bewies mir der Umſtand, daß ich gerade zu ſeinem Atelier von überall her zurückkehren konnte, Ze und ohne Ermüdung feine Entwürfe und Gemälde mir ſtets wieder von Neuem betrachten konnte. Das große Gemälde, welches Manfreds Einzug unter den Saracenen der Stadt Luceria in Appulien darſtellt, ließ mich den Abſtich recht erkennen, wel⸗ cher zwiſchen dem ſchöpferiſchen Genie und dem wackeren Talente ſich kund gibt. Es war zu gleicher Zeit ein Düſſeldorfer Blatt aus der engliſchen Ge— ſchichte fertig geworden, die ſeit den Kindern Eduards eines der Steckenpferde der ſentimentalen Maler- ſchule geworden iſt, aus welcher ſie ihre Stoffe holen, ſobald ſie ſich in grauenhafter Begeiſtrung befinden. Das Gemälde ſtellte Eduard, irgend einen Eduard dar, welcher die Bürger der Stadt Calais auf grauſame Weiſe zum Tode verurtheilt, dann aber wieder höchſt großmüthig begnadigt. Herr Eduard ſaß in einem weißen Kleide mit wüthendem Geſichte, etwa einem glotzenden Raubthiere gleich, auf dem Throne, und ihm zu Seiten ſtanden einige Kunigunden, natürlich die Eine blond, die Andere braun, wie das fo herkömmlich iſt. Das meiſte Licht muß ja auf die Hauptgruppe fallen, die deß— halb nach den Düſſeldorfer Schablonen einige weiße Perſonen enthalten muß, welche mit olivengrünen, ee kirſchrothen und dunkelbraunen Geſtalten eingefaßt werden. Deßhalb durften die Bürger von Calais auch nicht im Hemde, mit dem Stricke um den Hals erſcheinen, was den ganzen Effect verdorben hätte, da die Hemden weiß ſind, und was außerdem An— ſtands halber nicht geſchehen durfte, da einige prüde Engländerinnen eine Rolle in der Geſchichte ſpielen. So kommt denn ein olivengrüner, dunkelbrauner Zug von Rittern und Bürgern mit demüthigen Mienen, welche von einem braunrothen Scharfrichter erwartet werden, der natürlich kniet, damit man den König in ſeiner ganzen Größe ſehen könne. Denke Dir nun dies Alles außerordentlich fleißig und ſorgſam ausgeführt, recht gut gemalt und aus— gearbeitet, und Du haſt einen Begriff, welche Kunſt man der Rahl'ſchen Originalität hier an die Seite ſetzen möchte. Ich ſpringe gleich zu einem Anderen über, den jetzt eine ganze Schule als ihr Haupt verehrt, ich meine nämlich Overbeck. Der Mann hat wahrlich unrecht gethan, daß er katholiſch geworden iſt; denn wenn ich je ein beſſeres proteſtantiſcheres Pfarrge⸗ ſicht geſehen habe, als dieſes, ſo will ich wahrlich Hans heißen. Man geht Sonntags zu Overbeck, 2 — der in dem Palaſte wohnt, welcher der ſo tragiſch berühmt gewordenen Familie Cenci gehört. Man kommt in eine Art Salon, in welchem auf mehren Staffeleien Kompoſitionen, Cartons und Zeichnungen ausgeſtellt find, die meiſt von ſehr chriſtlich aus— ſehenden Perſonen betrachtet, und mit ſalbungsreicher Miene von dem Herrn Pfarrer Overbeck erklärt werden. Es war unhöflich genug von mir, aber ich konnte dem Manne nur eine ſtumme Verbeugung machen, und es wäre mir unmöglich geweſen, ein Sterbenswörtchen hervorzubringen, ſo ſchnürten mir der Anblick der Zeichnungen und die Erklärungen dazu die Bruſt zuſammen. Dieſe Nazarener! Sie haben wahrhaftig aus einem kräftigen Menſchen, der den Tod für ſeine Ueberzeugung litt, nach und nach einen ärmlichen Schneidergeſellen herausgebracht, ohne Kraft und Saft, der überall ein Geſicht macht, wie ein Schaaf, das zur Schlachtbank geführt werden ſoll, und an dem nichts mehr übrig geblieben iſt, als Knochen und Haut, die ſie auch noch weg— deſtilliren mögten, wenn es nur irgend möglich wäre. Hätte ich etwas zu ſagen in der chriſtlichen Staats⸗ kirche, ich würde wahrhaftig dieſe Menſchen der Verhöhnung anklagen, und fie demgemäß verfolgen. Vogt's Briefe I. 15 Kannſt Du es glauben, daß da noch ein großer Karton vorhanden war, auf dem ein Kopf mit ge⸗ ſcheiteltem Haare und zweizipfeligem Barte über einer Bruſt aufgeſtellt war, die man links durch einen gewaltigen Schnitt geöffnet hatte, in deſſen blutigem Hintergrunde ein Kartenherz mit einer Flamme darüber erſchien! Und ſolcher Wahnſinn foll das gläubige Gemüth erheben und in ſeinem Glauben befeſtigen? Overbeck zählt unter den römiſchen Künſtlern nur wenige Schüler, wenn man gleich in mancher Hinſicht ſeinem künſtleriſchen Talente Gerechtigkeit widerfahren läßt. Die Nazarener können ſich in der üppigen Natürlichkeit des römiſchen Lebens nicht wohl fühlen und es gehört auch wirklich eine verknöcherte und abgelebte Perſönlichkeit dazu, um eine ſolche Richtung in der Kunſt feſthalten zu können. Deshalb haben ſich die Nazarener nach Deutſchland geflüchtet, wo ſie von einzelnen Co⸗ terien zwar gehalten, von dem geſunderen Sinne aber doch verlaſſen worden find. Mehre von ih- nen, worunter namentlich Veit, haben noch in Rom Denkmale ihrer Wirkſamkeit hinterlaſſen. Die Villa Maſſimi ift faſt ganz von neueren deutſchen — N — Künſtlern in Fresco gemalt worden, und Herrn Veit iſt beſonders die Aufgabe zugefallen, in einem der Säle Dante's Paradies darzustellen. Dahin oder in die Kirche auf dem ſpaniſchen Platze mußt Du gehen, um Dir recht deutlich zu machen, welche unendliche Trockenheit und Langweile dieſe nazare— niſche Kunſtſchule in ein Gemälde zuſammendrän— gen kann. Allein es geht hier gerade, wie in Frankfurt mit dem berühmten Triumph der Religion in den Künſten. Man braucht ein ganzes Buch, um eine ſolche Compoſition zu verſtehen und die Beziehung kennen zu lernen, die ein jeder Waſſer⸗ tropfen, ein jedes Krümchen Erde zu der Idee des Ganzen haben ſoll, und vor lauter Leſen und Be— trachten, Suchen und Stöbern nach Beziehungen und Allegorieen wird Einem am Ende ſo wüſte im Kopfe, daß man Bild und Buch zum Teufel wünſcht. Das fühlt denn auch die Maſſe der Gebildeten ſehr wohl, die an ſolchen Gemälden auch trotz des be— rühmten Namens theilnahmlos vorübergeht, während einige wenige Frömmler und Pietiſten ſich ver— gebens abmühen durch lautes Geſchrei und vielfache Anpreiſung das Intereſſe für dieſe verſchollene Rich— tung zu wecken. a en Unter den Landſchaftsmalern nimmt Willers den erſten Rang ein. Bei Keinem findeſt Du ſo vieles und lebendiges Studium der Natur, und es iſt ein wahrer Genuß, ſein Atelier und ſeine Mappen zu durchlaufen, und dort die italiäniſche Natur, den Reichthum ihrer Landſchaft in allen möglichen Ab⸗ ſtufungen ſich vor dem Auge vorüberziehen zu laſſen. Leider hatte Willers, als wir in Rom waren, kein größeres Gemälde in Arbeit. Er malte ein Paar „Doſendeckel,“ wie er es nannte, d. h. kleinere Landſchaften von wunderbarer Lieblichkeit und Friſche. Die kräftige Natur ſeines Talentes neigt ſich indeſſen mehr zur Darſtellung wilder großartiger Landſchaften und die ſchönſten ſeiner Skizzen und Studien haben gerade ſolche Momente erfaßt, wo gewaltige Ereig— niſſe den Frieden der Natur tief geſtört und unter- brochen haben. Es findet ſich leider in der Land- ſchaftmalerei nur wenig Gelegenheit zu größeren Compoſitionen, zur Ausführung von Bildern, die gewiſſe Dimenſionen überſchreiten. Die Wenigſten nur haben Sinn für die Poeſie, welche in einer land⸗ ſchaftlichen Compoſition hervortreten kann, und ſie wollen höchſtens von dem Maler eine Erinnerung an die Gegenden mitnehmen, welche ſie beſucht und — 2 — ſelbſt geſehen haben. Deshalb finden denn auch die kleinen Geiſter, welche die bekannten Gegenden abconterfeien, zahlreichere Beſchäftigung unter dem Touriſtenvolke, das Rom durchzieht, und ſtets offenen Markt bei Lords und Ladys, denen man nur einen grüngelben Himmel und einen braunen Baum hin⸗ zumalen braucht, um ſie glauben zu machen, ſie hätten einen wirklichen Claude-Lorrain in der Taſche. Verzeihe mir eine kleine Abſchweifung. Ich ſchreibe Dir keinen Führer durch die Gallerieen von Rom, Du findeſt das Nöthige darüber in allen Reiſehandbüchern und Beſchreibungen; aber ich kann nicht umhin, Dich aufmerkſam zu machen auf einige Bilder von Claude⸗Lorrain, die ſich in den Sammlungen der Paläſte Sciarra und Doria be— finden. In dem Erſteren ein ganz kleines Bildchen, es hat vielleicht kaum einen Fuß im Durchmeſſer, das einen Sonnenuntergang darſtellt; in dem Andern mehre große Gemälde, von denen beſonders Eines unter dem Namen „die Mühle“ bekannt iſt. Claude iſt der Titian der Landſchaft, ſowie Pouſſin ihr Michel Angelo iſt. Wenn Du ihn recht genießen willſt, ſo ſtelle Dich in eine ſolche Entfernung, daß Dir die Einzelheiten des Bildes einigermaßen ent— 2 gehen, und nur die herrliche Farbenharmonie in ihrem Geſammteindrucke Dir bleibt. Man kann ſich nicht genug erſättigen an dieſem Eindrucke, jo mohl- thuend iſt er für das Auge, und die Erinnernng an ein ſolches Bild bleibt ewig, wie die Erinnerung an einen ſchönen Tag, den man allein im Graſe liegend und ſeinen Gedanken nachhängend zugebracht hat und aus dem man alle Einzelheiten vergaß, während nur das Gefühl eines unbegrenzten Wohl— ſeins zurückblieb. Ich führe Dir keine weiteren Maler an, da es mir warlich nicht darum zu thun iſt, mich mit Redensarten über das größere oder geringere Talent des Einen oder des Andern abzuplagen. Der Eine hat nach dem Ausdrucke der Maler den Baumſchlag beſſer los, der Andere iſt ein geſchickter Kerl, der die Felspartieen ganz hölliſch heraushaut. Jener verlegt ſich beſonders auf das Albanergebirg, dieſer auf die Campagna oder die Pinien. Doch von Einem möchte ich Dir noch reden, der verkommt und ſich verzehrt in dem feſſelloſen Treiben einer poetiſchen Natur, ohne ſich die Anerkennung ver- ſchaffen zu können, die ihm gewiß gebührt. Er iſt ein Italiäner und heißt Caſtelli. Kein Engländer — 231 — beſucht ihn, denn er malt keine Veduten; kein Touriſt betritt ſeine Schwelle, denn er findet bei ihm die Erinnerungen nicht, welche er mit nach Hauſe nehmen möchte. Nur hier und da zeigt ſich ein ſeltener Käufer, den vielleicht einmal die wilde Poeſie, welche in dieſen Gemälden herrſcht, anzieht 5 oder der von einem Freunde darauf aufmerkſam gemacht, einmal der Caprice fröhnen will, einen unbekannten Namen aufzuſuchen. Dies Alles kümmert Caſtelli nicht, er malt, weil er malen muß, und oft wenn der Ge⸗ danke nur ihm verſtändlich auf die Leinwand ge⸗ worfen iſt, ſtellt er ſie bei Seite und ergreift eine andere, ohne daran zu denken, daß die erſte niemals einen Käufer finden werde. Wir brachten wohl mehre Stunden bei dieſem ſeltenen Manne zu, und betrachteten ſeine Bilder, die uns Freund Rahl zeigte. Er ſelbſt war uns auf der Straße begegnet, und hatte, als wir ihm unſeren Wunſch kund thaten, uns zuerſt verwundert angeſchaut, und dann uns den Schlüſſel des Ateliers überreicht mit der Bemerkung: wir mögten es ung einſtweilen dort wohl ſein laſſen, er habe jetzt noch einen Gang in die Stadt zu thun, und werde dann wieder kommen. Wit konnten ſo mit Muße ae betrachten, unſere Bemerkungen austauſchen, und wir kamen bald darin überein, daß hier ein Mann unter ungünſtigen Verhältniſſen hinſchmachte, dem nur die Gelegenheit fehle, um es den Erſten unſerer heutigen Zeit gleich zu thun. Zwei Gemälde, die wir bei Caſtelli ſahen, find mir ſo lebhaft in der Erinnerung geblieben, daß ich noch jetzt ſie aus meinem Gedächtniſſe copiren könnte, wenn meine Talente dazu hinreichten. Das Eine ſtellte den Raub der Proſerpina dar, etwa in der Weiſe des Pouſſin, als Staffage einer großartigen Landſchaft am Fuße des Aetna behandelt. Eine feurige Rauchwolke ſteigt aus dem Gipfel des Ber— ges, deſſen ſchneebedeckte Gehänge im rothen Scheine der Abendſonne glühen. Von allen Seiten ſtürzen Bäche in einen tiefen Thalriß hinab, und ſammeln ſich auf dem Boden, der von dem lieblichſten Blumen⸗ flor überkleidet iſt, zu einem ſchäumenden Waſſer, das nach dem Vordergrunde zueilt. Die Geſpielin— nen fliehen auf der einen Seite dieſes Baches, an deſſen Ufer ſich die Eine auf die Kniee geworfen hat, um flehend die Hände nach dem Wagen des Pluto auszuſtrecken, der die ſträubende Proſerpina in den Armen, von vier Feuer ſchnaubenden Roſſen V gezogen durch die Luft davon eilt. Die Gluth, die aus dem Rüſtern der Roſſe ſpringt, das Feuer, welches dem Berge entwallt, vereinigen ſich mit den letzten Strahlen der Abendſonne, um die ganze Scene zu beleuchten. Pluto iſt gewiſſermaßen mo- derniſirt und als Höllengott durch dieſe grelle Be⸗ leuchtung dargeſtellt, die indeſſen mit außerordentlicher Kunſt mit den übrigen Farben des Himmels, des Schnee's und der grünenden Schlucht in Ueberein⸗ ſtimmung gebracht iſt. Ein anderes Gemälde Caſtelli's ſtand wohl im directen Gegenſatze zu dem vorigen, da es gewiſſer⸗ maßen den Tod in der Natur darſtellte, und ebenſo mit den traurigen Tinten des beginnenden Abſterbens, wie jenes mit dem Feuer der glühendſten Leiden⸗ ſchaftlichkeit übergoſſen war. Das Motiv des Bildes war aus der Gegend von Olevano entnommen. Die ſchönen Formen des Gebirges im Hintergrunde waren überkleidet von jener gelbgrauen Farbentönen, welche der verſengende Sommer in den ſüdlichen Gegenden zurückläßt. Ueberall zeigte ſich die Kraft der Vege— tation gebrochen, und nur in einigen tiefen, ſchattigen Felspartieen grünte verſtohlen noch hier und da ein Strauch immergrüner Eichen, oder eine junge Pinie, a deren Wachsthum künftige Größe verſprach. So reflectirt Caſtelli alle Zuſtände eines lebhaft bewegten Geiſtes und Gemüthes in ſeinen Darſtellungen der Natur. Jede feiner Landſchaften drückt einen be— ſtimmten Zuſtand ſeiner Seele aus, die dort ein Spiegelbild deſſen findet, was fie feldft bewegt, er⸗ ſchüttert oder entzückt hat. Wir drangen ſehr in Caſtelli, daß er ſuchen möge, ſeinen Landſchaften durch Ausſtellungen in Deutſchland oder Frankreich Anerkennung zu ver⸗ ſchaffen. Allein die Hoffnungen des Mannes, ob— gleich er noch jung iſt, ſcheinen doch ſo grauſam geknickt zu ſein, daß er nur ablehnend dankte, ohne auf unſere Vorſchläge einzugehen. Wenn Freund Rahl nach Paris gehe, wolle er ihm einige Ge— mälde anvertrauen, allein niemand Anderem, da man ihn doch nicht verſtehen, und vielleicht dasjenige vers ſchmähen würde, was er nur als ein Stück von ſich ſelbſt anſehen könne. Zudem könne er nicht hoffen, auswärts Anerkennung zu finden, da ſie ihm in Rom nicht werde, das doch ein Mittelpunkt für die bilden⸗ den Künſte ſei, und wohin Alles wallfahre, was ſich für dieſelben intereſſire. In dieſem Punkte hatte nun Caſtelli vollkommen — 2 — Unrecht: denn in Rom ſitzt der Künſtler, meiner Ueberzeugung nach, auf einem Iſolirſchemel, und ſein Ruhm wird kaum über das Weichbild dringen, wenn er deſſen Verbreitung einzig den Touriſten überläßt, die alljährlich in Schaaren durch die ewige Stadt pilgern. Die wandernden Ausſtellun— gen Deutſchlands, der periodiſch wiederkehrende Salon in Paris find jetzt die Mittelpunkte, von denen aus der Ruf eines Künſtlers ſich verbreiten kann. In Rom kann er malen, aber nicht verkaufen, und doch geht die edle Kunſt nach Brod, und es iſt nicht möglich, daß ohne Markt für feine Pro- ducte der Künſtler im Erzeugen derſelben fortfahre. Rom bietet die unendlichen Vortheile eines unbe— fangenen Volkslebens, das der Beobachtung überall zugänglich iſt, einer herrlichen Natur, eines präch— tigen Menſchenſchlages, einer freien Bewegung des Künſtlers ſelbſt, Vortheile, die nirgends in gleicher Weiſe vereinigt angetroffen werden können. Allein der Ruf, der dem Namen eines Künſtlers vorhergeht, der ihm Beſtellungen und Käufer ſichert, den kann er ſich nicht in Rom ſchaffen, ſondern muß ihn im Auslande ſuchen. Vieles mag zu dieſem Mißverhältniſſe auch da— — 236 — durch beigetragen worden fein, daß das literariſche Trei⸗ ben in Rom auf einer Stufe der Erbärmlichkeit ſteht, von der man ſich nur ſchwer eine Vorſtellung macht. „Ach! Ach! Sie find Herwegh und Sie Vogt! Sie ſind uns ſchon angekündigt, ich werde gleich Ihre Ankunft nach Deutſchland melden. Ich bin der Dr. F. aus Sachſen, wie Sie wohl an meinem Dialecte hören, ich bin Correſpondent von drei Zei⸗ tungen: auch in die Allgemeine correſpondire ich zuweilen, aber doch ſelten: denn die hat ſchon ihren eigenen Correſpondenten, der freilich nicht Alles ſo gut wiſſen kann, als ich, da ich durch meine Reli⸗ gionsänderung auch in katholiſche Kreiſe eingeführt worden bin, in die er nicht kommt. Wollen Sie etwa dem Papſte Ihre Aufwartung machen? heute empfängt er den türkiſchen Geſandten. O! das iſt ein ſehr ſchöner Contraſt, den muß ich gleich in meine Zeitungen melden. Der Radicalismus fährt zu dem einen Thore herein, während der Türke durch das Andere einzieht“! So ging es in einem Tone fort, und da haſt Du das Bild eines Kerls, der das deutſche Publicum mit authentiſchen Nach- richten, mit Kunſt- und Antiquitätenberichten nach Kräften ſpeiſt. — 237 — Doch die in Rom ſtitzenden Literaten find noch gerade nicht die ſchlimmſten. Es gibt auch eine Klaſſe wandernder Touriſten, lebendige Notizenbücher, die nur für Füllung dieſer Notizenbücher reiſen, an Allem Intereſſe finden, ſich an Jeden heran— drängen, und dieſem ein Wort, jenem einem es danken ablauſchen, den fie dann zu Hauſe in usum Delphini verwenden. Es ſind dies die Zecken, die ſich anſaugen, von den Ideen ihrer Opfer an- ſchwellen, und dann Reiſeberichte zuſammenſtellen, in denen Alles zu Tage kommt, nur nicht ihre eigene Perſönlichkeit. Unſer Unglück mußte es wollen, daß wir hier mit einem ſolchen Menſchen zuſammentrafen, der von dem ewigen Schnuffeln einen perpetuirlichen Stockſchnupfen davon getragen hat, und der uns, namentlich mich, ſchon in Paris auf das Gründlichſte gelangweilt hatte. Da hatte er mich einmal in meiner Retraite der rue Copeau überraſcht, und nachdem er mir ein Langes nnd Breites von meiner Bekanntſchaft mit Herwegh vor— geſchwatzt, und geglaubt hatte, mir auf dieſe Weiſe allerlei Würmer aus der Naſe ziehen zu können, begleitete er mich noch gar auf meinem Wege in die Stadt, und fing eine große Disputation über die . unbefleckte Empfängniß Mariä an, die er an Her— weghs Heidenlied anknüpfte. Das zarte Gemüth des Touriſten war empfindlich verletzt durch den Vers, „Auch hatt' die Jungfernſchaft ein End, „Sobald die Magd ein Kind gebar.“ und davon ausgehend, kramte er eine ſolche Menge von Fragen über die Privatverhältniſſe meines Freun— des aus, daß ich warlich einige Luſt verſpürte, ihn gelinde in die Seine zu werfen, und damit dem ganzen Neugierdekram ein Ende zu machen. Alle die öffentlichen Heimlichkeiten der einzelnen Maler waren hier das Ziel ſeines ſteten Fragens und ſeiner immer regen Neugierde. Es kitzelte ihn, das Lieb⸗ chen eines Jeden kennen zu lernen, und ſich überall mit ſolchen Dingen bekannt zu machen, nach welchem nur die Indiscretion forſchen und umherſtöbern kann. Dabei ein Anſtrich von Salbung, die über die ganze Perſönlichkeit herübergegoſſen wurde, und hinter welcher die Geſinnungsloſigkeit ſich flüchtete, eine pietiſtiſche Gleißnerei, unter deren Deckmantel Alles verborgen wurde, was etwa die eigene Perſönlichkeit hätte entblöſen können. Ich muß mich von dieſen Bildern wegwenden, um nicht die Galle in meinen Brief überlaufen zu — 239 — laſſen. Man ſollte ſo nicht von Rom ſcheiden, ſon— dern heiteren Gemüthes, wie ja auch die Tage heiter waren, die wir dort verlebten. Indeſſen das kann ich Dir verſichern, daß wir ſolchen Richtungen gegen- über nicht ferner ſtillſchweigen dürfen, und daß es an der Zeit iſt, einen Kampf zu beginnen, der nur mit der Vernichtung der einen oder der andern Par- tei enden kann. Du magſt einſtweilen Dich darauf gefaßt machen, ebenfalls in die Reihe einzutreten, und gegen dieſe pietiſtiſche Clique mit zu Felde zu ziehen, die auch in der Wiſſenſchaft ſich mehr und mehr Geltung zu erringen ſtrebt. Es ſind freilich Kerls, wie die Jeſuiten, die niemals vorhanden ſind, wenn man ſie angreifen mögte, und überall umher⸗ wühlen wie Maulwürfe und ſich da einniſten, wo gute Pflanzen an der Wurzel angegriffen werden ſollen. Doch davon ein andermal. Es iſt Zeit abzubrechen und ſich auf die Heimfahrt zu ruͤſten, die vor der Thüre ſteht. = a Paris den 2. März. Der letzte Brief aus der Freiheit und der erſte aus dem Philiſterium. Ich bin warlich auf dem beſten Wege, Hofrath zu werden, und ſchon jetzt, je näher ich den Grenzen Deutſchlands komme, deſto größeres Würdigkeitsgefühl kehrt in mich ein. Der Profeſſor fährt mir ſchon im ganzen Leibe herum. Ich laufe bei Naturalienhändlern und Skelettkrämern umher, und verlange mit großartiger Miene ihre Preiscourante, während ich ſie zugleich meiner ſpeciel— len Begünſtigung verſichere. Nur Abends manchmal, wenn ich mit Herwegh an dem Kamine gemüthlich meine Cigarre ſchmauche, und mein Blick auf die gewaltige Rolle von Kupferſtichen fällt, in welcher ſich mein Freund die Sixtiniſche Kapelle, die Stanzen des Vatican und noch mehres Andere mitgebracht hat, dann kommt es mir zuweilen vor, als könnten wir noch nicht von dem Himmel Italiens geſchieden fein, als wäre es nur eine augenblickliche vorüber⸗ gehende Trennung, beſti mmt, bald wieder aufgehoben zu werden. Unter ſolchen Umſtänden ſchreibt ſich's ſchlecht von einer Reiſe, die aus dem lichten Tage in das Dunkel führt, und hätte ich Dir nicht ver⸗ — Al — fprochen, bis an das Ende treu zu bleiben, fo würde ich mir ſelbſt dieſen Scheidebrief erſparen. Die neuen und alten Freunde, mit welchen wir in Rom zuſammengelebt, begleiteten uns zu dem Wa⸗ gen, der uns nach Civitavecchia und zu dem Capri, unſerem alten Bekannten von der Herreiſe, führen ſollte. Es wurde manch herzlicher Händedruck ge⸗ tauſcht, und als ich ſchon im Wagen ſaß, rief mir Rahl mit neckiſcher Stimme zu: „Die Esmeralda muß ich Dir nachſchicken, das ſehe ich jetzt ein; aber gedulde Dich, bis Du nach Hauſe kommſt, ſoll ſie auch die Reiſe gemacht haben, und wird dann hoffentlich manchmal den Herrn Profeſſor in ſeinen gelehrten Speculationen an die Tage in Rom erin⸗ nern“! Ich drückte ihm die Hand, und der Wagen rollte aus dem Thore. Ob er wohl Wort halten wird? Die Fahrt ging diesmal bei gutem Wetter ohne Anſtand vor ſich, und die einzige Unannehmlichkeit, die wir zu überſtehen hatten, war ein dicker Pfaffe, der in dem überfüllten Wagen ſaß, beſtändig aus Furcht vor der Malaria die Fenſter ſchließen wollte, und durchaus nicht begreifen wollte, daß ich viel⸗ mehr vorzöge, ihn das Fieber bekommen zu ſehen, als ſelber in dem engen Kaſten zu erſticken. Vogt's Briefe. II. 16 = Die Lection, die wir auf der Herfahrt erhalten hatten, haben wir uns klüglich zu nutze gemacht und geſund und wohlgemuth ſowohl die Fahrt von Civitavecchia nach Livorno, wie diejenige von Livorno nach Genua überſtanden. Darum rathe ich Dir aus Erfahrung, gehe niemals mit leerem Magen auf ein Schiff, auch wenn Du wüßteſt, daß unmittelbar nach der Abfahrt zu Mittag geſpeiſt werden ſollte. Speiſe vorher zu Mittag und wiederhole dies auf dem Schiffe eine Stunde ſpäter, und Du wirſt Dich ſo wohl befinden, wie ein Fiſch im Waſſer, während Du unvermeidlich die Seekranheit bekommen wirft, ſobald Du das Verdeck mit leerem Magen betrittſt. Neapel und Florenz mußten wir Beide auf glücklichere Tage verſparen. Das fühlten wir nur zu wohl, daß jede dieſer Städte uns einen Monat geraubt haben würde. Mir aber ſaß die Pflicht wie ein Schreckgeſpenſt wegh ſehnte ſich nach Hauſe, nach Weib und Kind, und nach dem politiſchen Leben der Weltſtadt. So glitten wir den auf ſchnellem Dämpfer an den auf den Ferſen, und Her⸗ Küſten vorüber und es fehlte uns ſogar der Muth, die kurze Zeit in Livorno zu benutzen und Piſa im Vorüberſtreifen zu beſuchen. — 243 — Je näher wir der franzöſiſchen Küſte kamen, deſto höher gingen die Wellen, deſto bedenklicher ſchwankte das Schiff. Ein kalter Wind pfiff aus Norden, und feine Heftigkeit wuchs mit der Ab— nahme der Nacht. Um Mitternacht ſchon hatten wir ein Schiff überholt, welches 4 Stunden vor uns aus dem Hafen von Genua ausgelaufen war, und bei Sonnenaufgang, wo wir in den Hafen von Marſeille hätten einlaufen ſollen, fanden wir uns erſt auf der Höhe von. Toulon, kämpfend mit dem wüthenden Miſtral, der über die Provence herüber uns entgegen ſchnob. Der Himmel war vollkommen hell und klar, das Meer aber ſchwarz wie Tinte, und der Wind köpfte die Wellen, die er auf⸗ warf, und jagte den weißen Schaum weit hin über die Fläche, die am fernen Horizonte wie von ſchweren Regenwolken verhüllt erſchien. 7 Es hält ſchwer, mit einem gut gelaunten Doua= nier auszukommen; aber am ſchwerſten iſt es, einen neu⸗ gierigen Gabeloup zu befriedigen. Von 10 Uhr Mor⸗ gens bis 4 Uhr Nachmittags haben wir uns mit dieſer beglückenden Anſtalt der Douane herumgebalgt, um unſere Bücher, Inſtrumente und Kupferſtiche in das Land der Freiheit einführen zu können. Es — 244 — war gerade ein Artikel gegen den Herrn Director in irgend einem Journale erſchienen, was den Mann ſo erbitterte, daß er meine Reclamation gar nicht anhörte, und auf meine Frage, was ich denn zu be— zahlen habe, ganz bärbeißig antwortete: „Für ſolche Bagatellen, nichts! Scheeren Sie ſich zum Teufel“. Ich wandte mich ſehr höflich zu dem Brigadier, der mich begleitete, und machte dieſem begreiflich, daß demnach unſere ſämmtlichen Dinge von jeglichem Zolle befreit wäre, was er auch zu unſerem Glücke vollkommen begriff. Das aber hatte ich nicht vorausgeſehen, daß der Viſitator ein Enthuſtaſt für ſchöne Künſte fein könne. Kaum hatte ich den Inhalt meiner Rolle angegeben, jo beſtand er darauf, daß die Verpackung gelöſt wer- den müſſe, und nun mußte ich während mehrer Stunden ihm die einzelnen Kupferſtiche vorzeigen, erklären, den Ort nennen, wo ſich die Originalien befänden, von den Lebensumſtänden der Maler er— zählen und ſo den Enthuſiasmus des Mannes be— friedigen, der meine Ungeduld auf eine harte Probe ſtellte. Die Provence? Das ödeſte, platteſte Land, das ich nächſt der Lüneburger Haide kenne, eine weite BES 1 — U — Fläche, auf der kein Baum, kein Strauch wächſt, mit Ausnahme dieſer verkrüppelten Oelbäume, die über den verbrannten Boden hervorragen, wie zer— zauſte Flederwiſche. Jetzt lag ſogar überall Schnee, was den traurigen Anblick nur noch trauriger machte. So kamen wir mit ſchwerem Herzen in Paris an, und wenn es uns nicht gegeben wäre, mit leich— tem Sinn das zu ergreifen, was uns die Gegen—⸗ wart bietet, wir würden vielleicht weinen über das Geſchick, das uns dem traurigen Norden wieder ent⸗ gegen führte, und mit Freund Heine bitterlich aus— rufen: Schöner Süden! Wie verehr' ich Deinen Himmel, Deine Götter, Seit ich dieſen Menſchenkehrich Wieder ſeh' und dieſes Wetter! Schluß.) 92 Y 5 ee